Der Dolmetscher in der Hauptverhandlung [1 ed.] 9783428509706, 9783428109708

Der Dolmetscher erfüllt im Strafprozess eine wichtige - in der strafverfahrensrechtlichen Literatur nur selten vertieft

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German Pages 280 Year 2004

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Der Dolmetscher in der Hauptverhandlung [1 ed.]
 9783428509706, 9783428109708

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BIRGIT LANKISCH

Der Dolmetscher in der Hauptverhandlung

Schriften zum Prozessrecht Band 181

Der Dolmetscher in der Hauptverhandlung Von Birgit Lankisch

Duncker & Humblot . Berlin

Die Juristische Fakultät der Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg hat diese Arbeit im Jahre 2001 als Dissertation angenommen.

Bibliografische Information Der Deutschen Bibliothek Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über < http ://dnb.ddb.de > abrufbar.

Alle Rechte vorbehalten 2004 Duncker & Humblot GmbH, Berlin Fremddatenübernahme: Selignow Verlagsservice, Berlin Druck: Berliner Buchdruckerei Union GmbH, Berlin Printed in Germany ~~

ISSN 0582-0219 ISBN 3-428-10970-8 Gedruckt auf alterungsbeständigem (säl!5efreiem) Papier entsprechend ISO 9706(ß Internet: http://www.duncker-humblot.de

Meinen Eltern

Vorwort Diese Arbeit lag der Juristischen Fakultät der Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg im SS 2001 als Dissertation vor. Neuerscheinungen konnten bis Februar 2003 berücksichtigt werden. Mein ganz besonderer Dank gilt Prof. Dr. Thomas Hillenkamp, dem Betreuer dieser Dissertation. Obwohl seine Anregungen entscheidenden Einfluß bei der Auswahl des Dissertationsthemas hatten, gewährte er mir bei der späteren Ausarbeitung jegliche Freiheit, so daß ich meine eigenen Vorstellungen selbständig verwirklichen konnte. Vor allem für das mir dabei entgegengebrachte Vertrauen möchte ich mich an dieser Stelle herzlich bedanken. Dank auch Prof. Dr. Dieter Dölling für die Erstellung des Zweitgutachtens und seine hilfreichen Anregungen sowie für die Ermutigung die Arbeit im Rahmen einer besonderen Schriftenreihe veröffentlichen zu lassen. Daneben aber schulde ich vor allem Frau Rechtsanwältin Safiye Yüksek-Bicer größten Dank. Die zahlreichen Gespräche mit ihr haben mich nicht nur in der vertieften Auseinandersetzung mit diesem Thema bestärkt, sondern ich konnte die Arbeit dadurch mit wertvollen Schilderungen aus ihrer Praxiserfahrung anreichern. Herzlich bedanken möchte ich mich auch bei Dr. Christian Laue, der mir als Freund, Kritiker und Ratgeber zur Seite stand, sowie bei Katja Hess und Ulrike Khalaf, die stets bereitwillig halfen, ein Komma an die richtige Stelle zu rücken oder die Klippen der deutschen Klein- und Großschreibung zu umschiffen. Danke auch all denen, die allein durch ihre Freundschaft einen nicht unwesentlichen Teil zum Gelingen der Arbeit beigetragen haben. Widmen möchte ich diese Veröffentlichung aber denjenigen, deren Bedeutung für die Arbeit mit einem schlichten Dank nicht ausreichend Rechnung getragen würde: meinen Eltern. Nur durch ihre großzügige Unterstützung, durch ihr Vertrauen und vor allem durch ihre Liebe war es mir möglich, diese Arbeit zu erstellen. Leimen, Mai 2003

Birgit Lankisch

Inhaltsverzeichnis Einleitung ............... . ....... . .............. . ....... . .................................

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Erstes Kapitel

Sprache und Dolmetschen

19

A. Bedeutung der Sprache im Prozeß ................................................. I. Die Funktionen der Sprache ....................... . ............................ II. Sprache und Mündlichkeitsgrundsatz ........................................... III. Sprachsituation in der Verhandlung.............................................

19 19 20 21

B. Sprachlicher Aspekt des Dolmetschens ............................................ I. Definitorisch bedingte Schwächen. . . . . . . .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11. Verantwortung für die Übersetzung. . . . . . .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. . . . . . . . .. . . . . . . III. Fach- und normal sprachliche Übersetzungsprobleme .......................... IV. Übersetzungsprobleme im einzelnen ........................................... I. "Unübersetzbare Wärter" .................................................... 2. Unterschiedliche Entsprechungstypen ..... . ...... . ..................... . .... a) "Eins-zu-eins-Entsprechungen" .......................................... b) "Eins-zu-null-Entsprechungen" .......................................... c) "Eins-zu-viele-Entsprechungen" ................... . .... . .... . ...... . .... d) "Viele-zu-eins-Entsprechungen" ....... . ................................. e) "Eins-zu-Teil-Entsprechungen" .......................................... 3. "Konnotationen" ............................................................. 4. Stil ........................................................ . . . .... . ........... 5. Kulturspezifische Elemente und Sprachkonventionen ....................... 6. "Verwandtschaftsgrad" der Sprachen........................................ a) Feme und nahe Sprachen.. .. .... .. .. ...... .. . .. . .. ... ... .... .. .. . ... . .. . . b) "Falsche Freunde" ....................................... . .... . ........... c) Verwandtschaftsgrad und Übersetzungsqualität .......................... 7. Formen der Mehrdeutigkeit .................................................. a) Lexikalische Mehrdeutigkeit.. .. .. ..... . .. ... . .. ...... .. . ... .. .. . ... . .. . . b) Grammatische Mehrdeutigkeit......... . .... . ...... . .... . .... . ...... . .... c) Redewendungen.......................................................... 8. Rückschlüsse des Dolmetschers .............................................

23 23 24 25 27 27 27 28 28 29 30 31 31 34 35 37 37 38 39 40 40 41 42 42

C. Dolmetschtechniken ................................................................ I. Die einzelnen Grundtechniken .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11. Eignung der Techniken für gerichtliche Verhandlungen... ... . .... ...... . .... .. 1. Kabinensimultandolmetschen . . . . . . . . . .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Flüster- und Konsekutivdolmetschen ........................................

43 43 44 44 45

10

Inhalisverzeichnis 3. Kettendolmetschen

47

D. Qualifikation des Dolmetschers und Arbeitsbedingungen ........................ 1. Allgemeine Qualifikation ....................................................... I. Bestehende Dolmetschersituation .................. . ................ . ........ 2. Einzelne Komponenten. . . . . . . . .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Juristische Fachkenntnisse. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. . . . . . . . . . . . b) Nonverbale Informationsvermittlung .... . . ... .. . ...... .. ....... . .. . ...... 3. Notwendige Reaktionen ...... . ... . . . ................. . .......... .. .... . ...... H. Individuelle Auswahlkriterien ...... . . . . . . . . . . . . . . . . .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Dialekte .......................... .. ........................ . .... . . .. ......... 2. Politische, nationale und religiöse Zugehörigkeit .............. . ............. 3. Fazit für die individuelle Auswahl ......................... . .... . ............ III. Arbeitssituation .......................... . . . ......... . . . ...... . ... . .. .. . . .. . ....

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E. Funktion und Stellung des Verhandlungsdolmetschers .... . ................. . .... I. Beschreibung des Aufgabenbereichs ...... . ...... . .... .... ... .... ...... . ........ 11. Abgrenzung zum Verteidiger. . . . . . . . . . . . . . . .. . . . . . . . . . . . . . .. . . . . . . . . . . . .. . . . . . . . I. Der Dolmetscher ............................................................. 2. Der Verteidiger ............... . ................ . .............................. 3. Gegenüberstellung ........... . .... .. .... . ..... . .... . ............ . .... .... ... . 4. Ergebnis . ....... ... .. . .. . . . . ... ...... . ......... . .... .. ............. . ..... ... . . III. Rechtliche Stellung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. . . I. Rechtliche Stellung nach heutiger Ansicht. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ... . . .. . . . . . . . 2. Die Ansicht Kallees ......... . .... .. .............. . ........................... 3. Abschließende Stellungnahme ... . . .. ....... . . . ............ . ... . . .... ....... . IV. Der Dolmetscher als "Kulturfachmann" .................................. . ..... 1. Getrennte Aufgabenbereiche von Dolmetschern und Sachverständigen ..... 2. Faktische Probleme bei der Umsetzung der getrennten Aufgabenbereiche .. 3. Konsequenzen für die Ausübung der Dolmetschertätigkeit ................. . Y. Exkurs: Der "Kultursachverständige" ...........................................

58 58 62 62 63 65 66 66 67 68 69 69 70 71 72

74

Zweites Kapitel

Die Zu ziehung eines Dolmetschers

78

A. Einleitung .... . ............ . .. . . . ......... .. . . ... . ... . .. . . . . . ....... . ...... . ..... . ... .

78

B. Exkurs: Das Ermessen des Tatrichters ... .. .............. . . . ....... . ......... .. ....

79

C. Die Zuziehungsvoraussetzungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. . . . . . . . . . . . . . .. . . . .. . . . . . . . I. Die einzelnen Tatbestandsmerkmale .. . ...... . .......... . ........... . ... . . ... . .. H. Das Merkmal der "Sprachunkundigkeit" .. ... ....... ' .. . .. .... . . .... .. ... . . . .. .. I. Semantische Interpretation des Merkmals ........... . ......... . .. . ......... . 2. Verfassungsrechtlicher Hintergrund von § 185 Abs.1 S. 1 GVG ....... .. . . .. 3. Bedeutung von EMRK und IPBPR für § 185 Abs. 1 S. I GVG . ... ... . ... . .. 4. Völkerrechtlicher Aspekt des § 185 Abs. 1 S. 1 GVG ................ . . ...... 5. "Schrankenfunktion" des § 185 Abs. 1 S. I GVG ......................... . .. 6. Zusammenfassende Bewertung des Merkmals "Sprachunkundigkeit" .......

81 81 83 84 85 88 89 90 91

Inhaltsverzeichnis

11

III. Die Revisibilität der Entscheidung über die Zu ziehungs voraussetzungen .. . . . . I. Die Bezeichnung "Ermessen" als revisionsrechtliche Fehlerquelle ......... 2. § 185 Abs. 1 S. 1 GVG als Norm mit Feststellungsermessen ................ 3. Das prozessuale Feststellungsermessen .. .. ... . .. ... ... ..... ... . .. ..... . .. ... a) Diverse Begründungsansätze für ein Feststellungsermessen ............. aal Tatsächlicher Charakter der Feststellung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Die Natur des unbestimmten Rechtsbegriffs ........................ cc) Behauptungen ohne argumentativen Begründungswert ............. dd) Verwirkung................................................... . ...... ee) Zusammenfassung................................................... b) "Erkennbarkeit" von Feststellungsermessen ............................. c) Prozessuales Feststellungsermessen als revisionsrechtlicher Grundsatz. d) Feststellungsermessen aufgrund sachlicher Rechtfertigung. . . . . . . . . . . . .. e) § 185 Abs. 1 S. 1 GVG als "Ausnahmenorm" ............................ f) Absolute Revisionsgründe ............................................... g) Zusätzliche Argumente . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 4. Ergebnis......................................................................

93 93 96 98 98 99 99 100 101 102 102 104 105 106 108 108 109

D. Exkurs: Sprachunkundigkeit und Verhandlungsfähigkeit ................ . . ...... I. Einleitung und Problemaufriß .................................................. II. Sprachunkundigkeit als Verhandlungsunfahigkeit begründender Umstand.. ... 1. Subsumtion unter den herkömmlichen Definitionsansatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Einbeziehung eines neuen Definitionselements .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. a) Verhandlungsfahigkeit als momentane Umstands beschreibung . . . . . . . . .. b) Berücksichtigung möglicher Einflußnahme.............................. c) Verhältnis zur bisherigen Rechtsprechung................ . .... . ...... . .. d) Konsequenzen des "neuen" Aspekts für die Definition.................. 3. Diskussion beider Ansätze................................................... 4. Ergebnis......................................................................

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E. Der Umfang der Dolmetscherzuziehung ........................... '" ...... .. . .... 1. Begriffsbestimmung "Zuziehungsumfang" ..................................... II. Qualifizierung der Ermessensart ................................................ III. Zu ziehungs umfang bei Sprachunkundigkeit .................................... IV. Zu ziehungs umfang unter anderen Voraussetzungen............................ I. Das Kriterium der teilweisen Sprachkundigkeit ............................. 2. Aufteilung in verschiedene Verhandlungsabschnitte ........................ 3. Die Ermessensvoraussetzungen ... . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 4. Der Bezugspunkt des Ermessens bei "teilweiser Sprachbeherrschung" ..... V. Die Revisibilität der Entscheidung über den Zuziehungsumfang ............... 1. Revisibilitätsfrage bei Sprachunkundigkeit .................................. 2. Revisibilitätsfrage bei teilweiser Sprachkundigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. a) Feststellung "teilweiser Sprachkundigkeit" ................. . .... . ....... b) Feststellung der zweiten Ermessensvoraussetzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Rechtsfolgeentscheidung ................................................. VI. Der Zuziehungszeitpunkt .......................................................

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F. Die Auswahlentscheidung .......................................................... 134 I. Festlegung der Sprache ................... . .............. . ...................... 135

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Inhaltsverzeichnis I. Schlichte Sprach bestimmung .... .. . . . . . .. . . .. . . . ... .. .. .... ... . . .... . .. . .. .. 2. Feststellung ausreichender Sprachbeherrschung . ......... .. .. . . . ... ....... .. 3. Zusätzlicher Dolmetscher für eine "zweite" Sprache ... . . . . . ... . .... .. ...... 11. Die Revisibilität der Sprachauswahlkomponenten .... . .... .... ... . . ......... .. . I. Schlichte Sprachbestimmung .. . ........ . ...... . ........ . . . ............... . .. 2. Feststellung ausreichender Sprachbeherrschung ... ....... . ... . .. .. .. ... . .. . . 3. Die echte Auswahlmöglichkeit ... .. . . . . . .... . .. ... .... . ... .. .... . ... . . . .. . . . . a) Ermessensentscheidung oder Vorrang einer Sprache . .. ..... . .. . . . ....... b) Verhältnis vertrauteste Sprache und Gerichtssprache . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. c) Vorrang der Muttersprache oder Sprachwahl durch den Betroffenen .... d) Grundsatz der Muttersprache und Ausnahmen . ................. . ........ e) Zusammenfassung .... . .. .. ...... .. ........ . . . .. . . . .. . . .. ... .. ... .. .... . .. 4. Zuziehung eines weiteren Dolmetschers.. . . . .. . . . .. . . . . .. ... .. ..... . . .... . . . III. Die personelle Zuziehungsentscheidung .. .. ............... . . .. ....... . . . .... ... IV. Die Revisibilität der personellen Zuziehungsentscheidung .... . .. ... .. ... .. . . . .

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Drittes Kapitel

Die Ausübung der Dolmetschertätigkeit

148

A. Einleitung . . . . . . ... ... .. ... . . . ...... .. . . .. .. .. . . . ...... . .. . .... . . .. . . . .. ......... ... .. 148 B. Der Umfang der Übersetzungstätigkeit .... . . . . . .... . .......... . ....... ... ........ . I. Problemaufriß . .... . . . .. . .. .... . . . . . . ....... . .... . . . . . . ......... .. ... .. . ......... 1. Begriffliche Klärung ... . . . ... .... ...... . . ......... . . . .... . ............ . ..... . . a) "Wörtliche" und "vollständige" Übertragung . ...... . .... . ....... . ....... b) "Verständlich machen des wesentlichen Inhalts" ... . ... . . . . ........ . . . .. . 2. Differenzierungsaspekt Verfahrensrolle ....... . .......... .. .......... . ...... . II. Übersetzungsumfang bei fremdsprachigen Beweispersonen .... . .. .. . . ... . .. .. . \. Übersetzung der Vernehmung . ..... ... . .. ...... .. . . ...... . ... . ... . . .... . .. . . . a) Fremdsprache ins Deutsche . ..... .. . ....... .. . . .... ... . . ...... . .......... b) Deutsch in die Fremdsprache . . . . . . . .. . . . . . .. . . . . . . .. . ... . ..... ... .. . .. . . . aal Fragen an Beweispersonen . ... .... .. . . . . ... ..... . ...... . .... . ..... . . bb) Vorhalte ...................... . ........ .. ... . ...... . .. . ... . . .. ..... . . . ce) Belehrungen ... .. ..... . ..... .... . . .... . .. .. . .... . .... . . . . .... . . . ... .. c) Zusammenfassung . . . . ...... . ... . . . . . .. . . . .. .... . . .. . . . . . .. . . . .... . ....... 2. Übertragung des Eides ................. . ......... .. .......................... 3. Exkurs: Übersetzung einer fremdsprachigen Urkunde .. . . . .......... . . .. .... III. Übersetzungsumfang bei fremdsprachigen Angeklagten . .. . . . . . .. .... . . . . . ... . \. Übertragungen aus der Fremdsprache. .. ........ ... ...... . ... . ..... . ......... 2. Übertragungen in die Fremdsprache . . . .. . . . . .. . . .... . . .. . .. . . . ... . .... .. ... . 3. Die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts ......... .. ... . .. ... .... . .. a) Wörtliche Übertragung entscheidungserheblicher Erklärungen . . ........ aal "Erklärung" .. ...... .. . .... .. ...... ... .. .. .. .. . .... ... .... . . . . .. . .. . .. bb) Notwendigkeit "wörtlicher Übertragung" .... . .. ... ..... ... . . ...... . ce) "Entscheidungserheblichkeit" .................. ... .. . ..... .. .. . ..... dd) Zwischenergebnis . . .. . . .. .. .. . . . ... .. . .... ....... .. . . .. . . . . .. . .. .. . . . b) Verständlich machen des wesentlichen Inhalts . .... .. .... . ...... . . ...... .

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Inhaltsverzeichnis

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c) Der notwendige Übersetzungsumfang ....................... . ........... aa) "Wesentlicher Inhalt" ....... . .................. . ... . .... . .......... . bb) Anforderungen an den Wesentlichkeitsmaßstab ... . ................ cc) Konsequenzen für den Übersetzungs umfang .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Ergebnis .................................................................. IV. Übersetzungs umfang einzelner Verhandlungs bestandteile .... . ........ ... . .. . . 1. Verlesung Anklagesatz sowie erstinstanzliches Urteil .. ............. ... ..... a) Erfordernis wörtlicher Übertragung bei § 243 Abs. 3 S. I StPO . . .. . . . .. . b) Vergleich mit § 324 Abs. 1 S.2 StPO ............. . ........ .. ......... .... aa) Prozeßtechnischer Zweck der Anklageverlesung ............. ..... . bb) Prozeßtechnischer Zweck der Urteilsverlesung in der Berufungsinstanz...... . ........... ........... ............ ...... .................. cc) Unterscheidung von Verfahrensfehler und Beruhensfrage .. . . .. .... 2. Belehrung des Angeklagten. . . . . . . . . . . ... . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 3. Beweisaufnahme.......... . ... .. . ....... . .................................... a) Zeugenvernehmung ......................... . ......... . ...... . ........... b) Vernehmung von Mitangeklagten ............. . ......... . ......... ..... . . c) Sachverständigenvernehmung . . ...... .. . ......... .. .... .. ................ d) Verlesung von Schriftstücken...... .. ........ .. ... .. .... ... ... .. .... . .... 4. Anträge und Entscheidungsverkündungen . . ... .... . . . ... ... .. ...... ...... . . . 5. Verkündung des Urteils .......... . ............. .... ........ .. ........ . .... ... V. Der Übersetzungsumfang der Schlußvorträge .......................... . .... . . . I. § 259 StPO und seine Funktion .............................................. 2. Bedenken gegen § 259 StPO ......... . ....... . ................ . .............. 3. Bedeutung der Schlußvorträge ...................................... . ........ a) Funktion der Plädoyers. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. b) Bedeutung der Schlußvorträge für das "letzte Wort" . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. c) Bedeutung des "rechtlichen Gehörs" ..................................... d) Der kontradiktorische Charakter der Schlußvorträge ............... . ... . e) Ergebnis .................................................................. 4. Der Übersetzungsumfang der Schlußvorträge als Ermessensentscheidung .. VI. Die Revisibilität .. .. . .. ..... . . . . ... .. . .. ..... .. . ... .. ... ... .. . .. . ... .... .. .... ...

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C. Die Kontrolle des Dolmetschers ............................................... . .... I. Gegenstand der Kontrolle. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 11. Verteilung der Verantwortung. . . . . . . . . . . . . .. . . . . . . .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 111. Charakter der Kontrollentscheidung ...................................... . . ... . IV. Aktive Maßnahmen des Gerichts zur Kommunikationssicherstellung ..... ... " V. Charakter der gerichtlichen Gestaltungsmaßnahme ............................ VI. Die Revisibilität der Dolmetscherkontrolle .....................................

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Viertes Kapitel

Der Dolmetschereid

202

A. Die gesetzliche Ausgestaltung der Eidesleistung ...... . ..... ... ............... . ... 202 I. Der zwingende Voreid ...................................... .. .................. 203 I. Dolmetscher- und Sachverständigeneid . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 203

14

Inhaltsverzeichnis 2. Angleichung an den Sachverständigeneid . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. a) Objektive Nachprüfbarkeit und gerichtsbekannte Zuverlässigkeit ...... . b) Unterschiedliche Prozeßfunktionen ................... . .................. c) Unterschiedliche Vereidigungszwecke .. .... . .. . . . . . .. ... ..... ..... ... ... d) Erleichterungseffekt ...... . ........ . . .......... . .. . ... . ......... . ......... e) Umsetzungsprobleme des Nacheides ..................................... f) Nacheid aus revisionsrechtlichen Gründen ........... " ... . . .. . .. ... ... .. 3. Ergebnis ..................... .. .................... . .......................... II. Die Spielarten der eidlichen Verpflichtung .. ...... .... .... . .... . ...... .. ........ I. Einzeleid und Berufung auf allgemeinen Eid ... ... ..... .. ... . ...... . .. . .. ... 2. Verzichtbarkeit der Berufung auf den allgemeinen Eid ......................

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B. Die Reichweite des Eides .. .... ............. . ...... . ...... .. .... . ... . .... . .. . ..... . . . I. Formale Reichweite .... .. ................ . ......... . ......... ... .. . .... . ........ I. Der Eid als Bestandteil der einzelnen Verhandlung .... , . " . .. .. .. . . . ... ... . . 2. " Verhandlung" im Sinne von Hauptverhandlung .................... .. ... . ... 3. Vereinbarkeit mit §§67, 72 StPO ............................................ 4. Ergebnis .. .. ....................................... . .... . ... . . ....... ... ..... . 11. Inhaltliche Reichweite des Eides . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Die umfaßten Tätigkeiten .............. .. .................................... a) Dolmetschertätigkeit im engeren Sinne ................ .. .... .. .......... b) Tätigkeit als Sachverständiger ...... .. .................................... c) Der Dolmetscher als Zeuge ............................................... 2. Die Vereidigung für eine bestimmte Sprache .................... .. .......... a) Die allgemeine Vereidigung im Sinne von § 189 Abs.2 GVG . .. ..... ... b) Der Eid nach § 189 Abs. I GVG ..........................................

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C. Der Vorgang der Eidesleistung ... ................... .... ...... .. ........ .... ..... .. 219 I. Der direkte Eid innerhalb der Verhandlung .......................... . ...... . ... 11. Die Berufung auf den allgemein geleisteten Eid .... .. ................ .. ........ I. Explizite Bezugnahme ................ . .... . .... . .... . .. ... ...... ..... ....... 2. Bezeichnung "allgemein beeidigter Dolmetscher" ........................... a) Der Ausdruck des Bindungsbewußtseins an den Eid .............. .. ..... b) Die Tauglichkeit der Bezugnahme für den Meineidtatbestand ....... . ... c) Ergebnis ....... .... ...... ... ........ ... ..... .. ............................ III. Die Berufung auf einen früheren Eid .... ..... .. ... . . ..... . .. . ... . . .............

219 219 219 220 220 221 221 222

D. Die Protokollierung der Vereidigung ............. . .............. . .... . .... . ........ 223 E. Die Revisibilität . ... . . . .. .. . ...................................... . ... .. . .... . .. .... . . 224

Fünftes Kapitel

Die Art der Revisionsgründe

226

A. Einleitung . . .......................................................................... 226 B. Die Zuziehung des Dolmetschers .. . . .. ....... .. ........ ... ......... . ......... . ..... 227 I. Gänzlich unterbliebene Zuziehung eines Dolmetschers .... ... . . .... . ..... .. . .. 227 II. Teilweise Zu ziehung eines Dolmetschers .................... ... ..... .... ....... 228

Inhaltsverzeichnis I. Zeitweilige Abwesenheit eines Dolmetschers bei gänzlicher Sprachunkundigkeit . .. . . . . . .. . . . . . . . . . . . .. .. . .. . . . . . .. .. . .. . . . . . . . . . . . . . . . ... . . . .. . . . . .. . . . 2. Eingeschränkte Zuziehung bei teilweiser Sprachkundigkeit .. . . . . . . . . .. ... . . III. Zuziehung einer als Dolmetscher ungeeigneten Person .. . ............... . . . .. . IV. Gleichzeitige Ausübung von Dolmetscherfunktion und anderer Verfahrensrolle .... . . ....... . ... . . . . ... ......... .. ... ... ............... . . . .. . ...... . ... . ... ... . I. Richtertätigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 2. Tätigkeit anderer Prozeßbeteiligter im engeren Sinne . .. . . . .. .. . . . .. . ... . . .. 3. Beteiligung als Zeuge oder Sachverständiger.. .. .. .. . ... .. . ... . . . . . . . .. ... ..

15 228 230 233 234 234 235 236

C. Die Ausübung der Dolmetschertätigkeit ............... . .................. .... . . . .. 237 D. Die Vereidigung . .. . . ... ... . . .. . . . .. . ...... . .. ... . . . .. .. . . . . .. .. .. . . . .. .. . . . .. . . . .... I. Art des Revisionsgrundes .. . . . . . ... .... . .. ... . . .. .......... .. . . . ... . . . .. .. .. . . .. 11. Das Beruhen .......... . . . ........... . .... . .. .. . .... ...... . . . .. ....... . . . ........ I. Regel-Ausnahme-Verhältnis ...................... .. . .. . . . .. ........ . .... . ... 2. Hintergrund des Regel-Ausnahme- Verhältnisses ... . ............... ... .. ... . 3. Ansatzpunkte für eine Durchbrechung des Grundsatzes. . . .. ... . ... . . . . . . . . . a) Erste Gruppe ... . . . .. . . . . . . . ... . ..... . ..... . .. . ..... . .. . ..... . ........ .. .. aa) Beruhensausschluß aufgrund fehlerfreier Übertragungen . . . ... . . . . . bb) Beruhensausschluß aufgrund fehlendem Kausalzusammenhang ... b) Zusammenfassende Betrachtung der ersten Gruppe .. . ............... . .. c) Zweite Gruppe .. . .. . . . . . ... ... .. .... .. .... .. . . ........ . .... .. .. . ...... . .. aa) Vorstellung ordnungsgemäßer Vereidigung ... . .. . ..... . . .. .... . . . .. bb) Bewußtseinsanforderungen ...... .... .. .... . .. . ... . ...... . ....... . .. cc) Die einzelnen Entscheidungen ......... . .. ...... .................... 4. Abschließende Bewertung der Durchbrechung des Regel-Ausnahme-Verhältnisses . ............ . .. . . . . . . . ....... .... . .... .. . . ........ .. .. . . ............ III . Die Anforderungen an das Rügevorbringen . .. . ..... . .. .. . . .. . . .. .. ...... . ... . . I. Das tatsächliche Tätigwerden des Dolmetschers . . .. .... .... .. .... .. .. . . . . .. a) Allgemeines zum notwendigen Darlegungsumfang . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. b) Problemaufriß für § 189 GVG .......................... . ........ ..... . ... c) Begründung der Vereidigungspflicht .. . ..... . . . ........ .. .. . .... .... .. ... d) Beschränkung der Darlegungspflicht auf Zweifelsfälle . . . ... .. . . .... . . .. 2. Der Beruhensaspekt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Zusammenfassung

Schlußbetrachtung A. Ergebnisse

240 240 241 242 243 243 245 245 252 253 254 254 254 257 258 259 259 260 260 261 262 263 265 266 266

B. Ausblick....... . .... .. ..... .. . . . . .. . ... . . ... ..... . ..... . .. .. . . . .. . .. .................. 268 Literaturverzeichnis ... . ........... . ....... . . .. .. ... ...... . ... .. . ... . . . .. . ...... . ...... . . 270 Sachwortverzeichnis . . . .. ... ... . . . .... . . . . . . ... . . . ... ... . . . .. . ..... .... . ... . .. . . . ... . . . . . 276

Einleitung Die in den letzten Jahrzehnten gewachsene Zahl fremdsprachiger Prozeßbeteiligter hat dazu geführt, daß Dolmetscher im Alltag der Strafgerichte heute sehr häufig in Anspruch genommen werden müssen. Die sprachliche Vermittlung im Prozeß stellt dabei eine wichtige und unverzichtbare Funktion dar. Der Dolmetscher besitzt heute somit eine sowohl zahlenmäßige wie auch praktische Bedeutung. Dementsprechend häufig sind Gerichtsentscheidungen, die sich mit dem Thema Dolmetscher auseinanderzusetzen haben. Im Gegensatz zur Prozeßrealität führt die Person des Dolmetschers in der strafprozessualen Literatur dagegen ein eher bescheidendes Dasein. Ausführliche Beschäftigungen mit Dolmetscherfragen oder gar vertiefte dogmatische Auseinandersetzungen begegnen einem dort nur sehr selten. Zwischen Theorie und Praxis besteht somit ein krasses Mißverhältnis. Es ist zu vermuten, daß diese Behandlung der tatsächlichen Rolle des Dolmetschers und den damit verbundenen Problemen nicht gerecht wird. Ziel dieser Untersuchung ist es, diese;' Defizit an vertiefter Auseinandersetzung zumindest in Teilbereichen entgegenzuwirken. Dazu sollen die unterschiedlichen Dolmetscheraspekte systematisiert und unter dogmatischen Gesichtspunkten betrachtet werden. Ein Hauptanliegen der Arbeit ist es dabei, die Rechtsprechungsentscheidungen kritisch zu hinterfragen. Die dort gemachten Vorgaben werden der Untersuchung oftmals als Ausgangspunkt für einzelne Fragenkomplexe dienen. Grundlage für eine ausführliche Beschäftigung mit einzelnen Dolmetscherproblemen ist jedoch eine gewisse Vorstellung von der Arbeitsweise eines Dolmetschers und der Funktion seiner Tätigkeit innerhalb des Verfahrens. Bevor die Untersuchung sich daher mit Detailfragen beschäftigen kann, ist es notwendig, einige allgemeine Ausführungen voranzustellen. Dem Leser soll in einem ersten Kapitel zunächst ein Eindruck von den tatsächlichen Schwierigkeiten des Dolmetschens vermittelt werden. Dies dient zugleich auch als Hintergrundinformation, wenn im Anschluß daran die erforderliche Qualifikation eines Verhandlungsdolmetschers näher bestimmt wird. Als abschließende und nahezu wichtigste Vorklärung wird sich das erste Kapitel dann mit dem Aufgabenbereich des Verhandlungsdolmetschers sowie seiner rechtlichen Stellung beschäftigen.

Im Mittelpunkt des zweiten Kapitels steht die jedem Dolmetschereinsatz vorgelagerte Zuziehungsentscheidung. Um die einzelnen Elemente dieser Entscheidung deutlich hervorzuheben, werden die Zuziehungsvoraussetzungen (insbesondere das Merkmal der Sprachunkundigkeit), der Zuziehungsumfang sowie die Dolmetscherauswahl jeweils getrennt voneinander untersucht. 2 Lankisch

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Einleitung

In einem dritten Kapitel wird sodann die eigentliche Ausübung der Dolmetschertätigkeit thematisiert. Hierbei steht vor allem die Frage des Übersetzungsumfangs im Vordergrund. Die in diesem Zusammenhang notwendigen Anforderungen werden zunächst generell erarbeitet und im Anschluß daran auf einzelne Verhandlungsbestandteile übertragen. Auf diese Weise wird versucht, ein lückenloses Bild des notwendigen Übersetzungsumfangs für die Hauptverhandlung zu erstellen. Ferner wird im Rahmen dieses Kapitels auch die Überwachung des Dolmetschers eine Rolle spielen. Dabei wird untersucht, inwieweit die Dolmetschertätigkeit überhaupt einer richterlichen Kontrolle unterworfen ist und welche Anforderungen hierbei an den Richter zu stellen sind. Obwohl die Ausübung der Übersetzungstätigkeit systematisch eng mit dem Eid des Dolmetschers verbunden ist, wird dem Eid in der Untersuchung ein eigenes, viertes Kapitel gewidmet. Mit dieser gesonderten Behandlung wird dem Umstand Rechnung getragen, daß der Dolmetschereid mehr als jedes andere Dolmetscherthema Gegenstand von Rechtsprechungsentscheidungen ist. Zum Abschluß wird in einem fünften Kapitel dargestellt, auf welche Art die in den drei vorherigen Kapiteln behandelten Fragen jeweils revisionsrechtlich geltend zu machen sind.

Erstes Kapitel

Sprache und Dolmetschen A. Bedeutung der Sprache im Prozeß Bei der Beschäftigung mit dem Thema "Dolmetscher in der Hauptverhandlung" ist es unabdingbar, sich zunächst mit dem Aspekt der Sprache auseinanderzusetzen. Das Bedürfnis zur Einbeziehung eines Dolmetschers entsteht nämlich erst dadurch, daß "ausländische und inländische Prozeßbeteiligte" I regelmäßig unterschiedliche Sprachen beherrschen. Daß die Sprache im Prozeß eine besondere Bedeutung besitzt, ist sowohl für den juristischen als auch den linguistischen Laien augenfallig.

I. Die Funktionen der Sprache Sprache ist in der Jurisprudenz in all ihren Funktionselementen ein tragender Faktor. Primäre Bedeutung hat sie zunächst als Ausdrucks- und Kommunikationsmittel, durch das die Mitglieder einer Sprachgemeinschaft die Möglichkeit haben, Gedanken auszudrucken und untereinander in Kontakt zu treten. 2 Somit befahigt sie in erster Linie zur Verständigung, transportiert Information an den Empfanger 3 , ist also Grundvoraussetzung für jegliche Art prozessualer Interaktion. Aber auch ihre anderen Funktionen spielen im gerichtlichen Alltag eine wichtige - wenn auch nicht immer ganz so beachtete4 - Rolle. Sprache als "institutionalisierendes Instrument einer Gesellschaft, als gruppenbildender und gruppenkennzeichnender Faktor" dient gleichsam der Identifikation 5 Sie vermittelt also "nicht nur eine gewisse Information an den Empfanger, sondern gibt auch Information 1 Es gibt natürlich auch Ausländer, bei denen die Sprachkenntnis kein Problem darstellt, seien es Nationalitäten aus dem deutschen Sprachraum oder "formal" Nichtdeutsche, die jedoch hier aufgewachsen und somit deutsch teils besser als ihre "Muttersprache" sprechen. Unter letzterem Gesichtspunkt ist auch der umgekehrte Fall denkbar: Sprachprobleme bei einem Deutschen, weil er etwa im Ausland aufgewachsen ist. I. d. R. korrespondieren Ausländereigenschaft und Fremdsprachigkeit jedoch miteinander, so daß hier eine verallgemeinernde Formulierung erlaubt sei. 2 Siehe Oksaar, Verständigungs schwierigkeiten, S. 84. J Siehe Oksaar, Sprache als Problem, S. 92. 4 Gerade beim Einsatz von Dolmetschern scheint diese Komponente oft vernachlässigt zu werden, siehe dazu z. B. unten l. Kap. B IV 4 (S. 34). 5 Siehe Oksaar, Verständnisschwierigkeiten, S. 84.

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I. Kap.: Sprache und Dolmetschen

über den Sender selbst". 6 Durch die Zuordnung zu einer bestimmten Sprachgemeinschaft ergeben sich Rückschlüsse auf nationale und regionale sowie Schichten- und Gruppenzugehörigkeiten. Identifikation durch Sprache erfolgt demnach nicht nur auf vertikaler Ebene zwischen unterschiedlichen nationalen Sprachen, sondern auch horizontal- also innerhalb "einer" Sprache. Demgemäß vielschichtig sind die Identifikationskriterien. Neben dem akustischen Bereich - Stimme, Aussprache und Intonation - ergibt auch die stilistische Komponente - Wortwahl, Satzbau und syntaktische Kombination 7 - Hinweise auf eine bestimmte Zugehörigkeit. Bezeichnet man Sprache - zu ihrer Funktionsverdeutlichung - als Werkzeug 8 , so wird bereits an dieser Stelle deutlich, daß die Sprache für den Juristen im Prozeß in zweifacher Hinsicht ein Werkzeug darstellt. 9 Zum einen bedient er sich bei einer Vernehmung ihrer primären Funktion als direktes Verständigungsinstrument, zum anderen benutzt er sie - mehr oder minder bewußt - als Identifikationswerkzeug, indem er die Antworten analysiert und Zuordnungen in bestimme Schichten oder Gruppen vornimmt.

11. Sprache und Mündlichkeitsgrundsatz Schon diese kurze, allgemeine Funktionsbeschreibung der Sprache verdeutlicht ihren besonderen Stellenwert innerhalb einer Prozeßsituation. Darüber hinaus ist es auch die spezifische Ausgestaltung des heutigen deutschen Strafprozesses - insbesondere das Mündlichkeits- in Verbindung mit dem Unmittelbarkeitsprinzip 10 - wodurch die Sprache als notwendiges mündliches Kommunikationsmittel an zusätzlicher Bedeutung gewinnt. Ihre Basisfunktion kann Sprache grundsätzlich sowohl in ihrer schriftlichen wie mündlichen Spielart erfüllen. Obwohl die gerichtliche Informationsgewinnung und Rechtsfindung daher durchaus auch in schriftlicher Form erfolgen könnte, wurde der Mündlichkeit im heutigen Strafverfahren bewußt der Vorrang eingeräumt, eine gesetzgeberische Entscheidung, die durchaus plausibel erscheint, denn schließlich empfindet man "den unmittelbaren persönlichen Sprechkontakt als natürlicher und erfolgreicher als andere Formen der Informationsgewinnung" . 11 Oksaar, Sprache als Problem, S. 92. Kriterien nach Oksaar, Verständnisschwierigkeiten, S. 84. B Die Bezeichnung der Sprache als "Werkzeug" tritt häufig in der heutigen sozio- und psycholinguistischen Diskussion auf, siehe Oksaar, Verständnisschwierigkeiten, S. 84; Oksaar verwendet diese Metapher gerade auch in bezug auf die Sprache des Juristen, vgl. a.a. O. und in ..Sprache als Problem und Werkzeug des Juristen", wo sich dieses .. Bild" bereits im Titel niederschlägt. 9 Siehe Oksaar, Verständnisschwierigkeiten, S.84. 10 Diese Prinzipien finden ihren Niederschlag in §§ 261 und 264 bzw. § 250 StPO; vgl. Roxin, Strafverfahrensrecht, § 44 Alu. H, Rn 1 u. 2, S. 370. 11 Kühne, Strafverfahrensrecht als Kommunikationsproblem, S. 77. 6

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A. Bedeutung der Sprache im Prozeß

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Dennoch war die Einführung des Mündlichkeitsprinzips (bzw. die Rückbesinnung darauf l2 - wenn auch in neuer Fonn) kein einfacher Schritt, sondern ein mühsamer Kampf gegen die Praxis des Inquisitionsprozesses. 13 Die Vorteile 14 eines persönlichmündlichen Kontakts liegen jedoch auf der Hand. Durch ihn wird eine Situation geschaffen, die den "Vorzug der Lebendigkeit, Frische und Raschheit" 15 besitzt. Es entsteht ein direktes Wechselspiel zwischen den Beteiligten, das es ennöglicht unmittelbar zu reagieren, nachzufragen, Mißverständnisse aufzudecken und neue Aspekte einzubringen. 16 So dient die mündliche Verhandlung "der Optimierung des wechselseitigen Verständnisses der Verfahrensbeteiligten" . 17 Nicht zuletzt ist es aber auch die "Sekundärfunktion" der Sprache, also die Möglichkeit der Identifikation und soziokulturellen Zuordnung, die besonders im mündlichen Verfahren zum Tragen kommen kann. Die Merkmale des "Identifikationsschlüssels" 18 reduzieren sich beim schriftlichen Austausch um die akustischen auf die rein stilistischen Elemente. Dies und die fehlende Spontaneität grenzen die Aussagefähigkeit von Rückschlüssen erheblich ein. Hinzu kommt, daß durch einen persönlichen Kontakt das Kommunikationsgeschehen um eine nonverbale Ebene erweitert wird: Mimik, Gestik und Körperhaltung ergänzen die Sprache in all ihren Funktionselementen. Sie fungieren teils als "selbständige Infonnationsträger", bilden mit der verbalen Ebene aber auch eine "funktionale Ganzheit". 19 Dadurch besteht die Möglichkeit, Infonnation nicht nur besser übennittein zu können, vielmehr kann auch ein Mehr an Infonnation transportiert werden.

III. Sprachsituation in der Verhandlung Unter der Prämisse, daß der Strafprozeß von der wechselseitigen mündlichen Kommunikation lebt 20, stellt sich das Idealbild einer Prozeßsituation so dar, daß alle Beteiligten sich einer einzigen Sprache bedienen. 21 Eine ebenso denkbare positive Kommunikationsstruktur läge vor, wenn jeder Beteiligte die Sprache der anderen Be12 Zum Wandel des mündlichen Verfahrens zum schriftlichen Prozeß durch die Rezeption des römischen Rechts vgl. Laufs, S.65. 13 Siehe Kühne, Strafverfahrensrecht als Kommunikationsproblem, S. 76; vgl. auch Roxin, Strafverfahrensrecht, § 70 C, Rn 7, S. 527/528. 14 Zur Abwägung der Vor- und Nachteile von Schriftlich- und Mündlichkeit vgl. Feuerbach, S.231-233. 15 Roxin, Strafverfahrensrecht, § 16 A, Rn I, S. 110. 16 Vgl. hierzu auch Henkel, Strafverfahrensrecht, § 85 IV, S. 328-329. 17 Kühne, StV 1990, \02. 18 Siehe Oksaar, Verständigungsschwierigkeiten, S. 84; die Aufzählung der einzelnen Identifikationskriterien siehe oben S. 20. 19 Oksaar, Sprachliche Mittel, S. \09. 20 Siehe Kühne, Strafprozeßrecht, § 45 I, Rn 724, S. 304. 21 Dementsprechend hat der Gesetzgeber in § 184 GVG bestimmt, daß es nur eine Gerichtssprache geben soll, die deutsche Sprache.

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I. Kap.: Sprache und Dolmetschen

teiligten zumindest in vollem Umfang verstehen - also passiv beherrschen - könnte oder bestenfalls sogar aktiv jeder Sprache mächtig wäre. Die Realität lehrt aber, daß derartige Konstellationen Utopie sind und auch in absehbarer Zukunft bleiben werden. Im Gegenteil, wir werden mit einer ständig wachsenden Zahl von Prozessen unter Beteiligung fremdsprachiger Personen konfrontiert. 22 Berücksichtigt man ferner, daß bereits in einer rein deutschsprachigen Prozeßsituation - also schon innerhalb einer nationalen Sprache - Kommunikationsschwierigkeiten auftreten, weil Juristen und "Laien" eben doch nicht die "gleiche" Sprache sprechen 23 , muß das "nationalsprachliche" Defizit als Potenzierung dieser Schwierigkeiten gewertet werden. Allerdings scheint eine intensive Auseinandersetzung sowohl mit dem einen als auch mit dem anderen Problem leidernur selten stattzufinden. So beklagt z. B. Kühne: "Bei dieser Indifferenz gegenüber gleichsam innerdeutschen Sprachproblemen verwundert es nicht übermäßig, wenn noch weniger Bereitschaft vorhanden ist, Kommunikationsschwierigkeiten grundlegend zu beheben, die auf mangelnder Kenntnis der deutschen Sprache bei Verfahrensbeteiligten beruhen."24

Man macht es sich folglich in der Praxis oft recht einfach: Um das Problem des fehlenden einheitlichen Kommunikationsmittels zu überwinden, nimmt man die Hilfe - so wie es der Gesetzgeber in § 185 GVG vorgibt - eines Dolmetschers 25 in Anspruch. Dahinter steht die Vorstellung, daß Dolmetscher "dank ihrer Sprachkenntnisse die Kommunikation herstellen"26 könnten. Der Dolmetscher übersetzt in der Verhandlung das Gesprochene (z. B. Erklärungen, Fragen, Antworten und Aussagen) von der jeweiligen Ausgangs- in die Zielsprache. Damit - so könnte man annehmen - ist das Verständigungsproblem gelöst, eine weitere Beschäftigung mit "Sprache" in diesem Zusammenhang entbehrlich. Zugegeben ist die Zu ziehung eines Dolmetschers, solange wir die oben beschriebene 22 Der BGH stellte schon 1981 fest, daß "das Sprachproblem durch den Zuzug von Ausländern neue Dimensionen gewonnen hat",BGHSt 30,182,184; so auchJ. Meyer(l981) inZStW 93, 511 und Basdorj, S. 19, der 1989 die "Aktualität" dieses Themas betont; Kühne, Strafprozeßrecht, § 45 11, Rn 729, S. 306, führt dazu aus, daß "solche Sprachdivergenzen immer mehr zum gerichtlichen Alltag" gehörten. 23 Siehe zu diesem Problem unter anderem Kühne, Strafverfahrensrecht als Kommunikationsproblem; Wassermann, Sprachliche Mittel in der Kommunikation zwischen Fachleuten und Laien im Bereich des Rechtswesens; unter dem gleichen Titel auch Oksaar sowie derselbe, Verständnisschwierigkeiten als sprachliches Problem; derselbe, Sprache als Problem und Werkzeug des Juristen. 24 Kühne, StV 1990, 102. 25 Entsprechend der Terminologie in der Translationswissenschaft (v gl. Koller, Einführung, S. 12) wird hier der Begriff des "Dolmetschers" für mündliche, der des "Übersetzers" für schriftliche Translation verwendet. Insoweit stimmt diese Terminologie auch mit dem allgemeinsprachlichen Gebrauch überein. Jessnitzer, Rpfleger 1982, S. 366, weist jedoch darauf hin, daß der Begriff des "Dolmetschers" teils auch in einem umfassenderen Sinn verstanden werde. 26 Koller, Einführung, S. 25.

B. Sprachlicher Aspekt des Dolmetschens

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sprachliche Idealsituation nicht erfüllen, die einzig praktikable Weise, dem Kommunikationsproblem entgegenzutreten, denn durch das Übersetzen können "Sprachbarrieren"27 zunächst überwunden werden. Zu einem vollständigen Ausgleich des durch den Sprach unterschied angelegten Kommunikationsdefizits führt diese Methode jedoch nicht. In Wirklichkeit muß diese "mittelbare" Kommunikation hinter der "unmittelbaren" zurückbleiben. 28 Darüber hinaus produziert die Inanspruchnahme eines Dolmetschers noch eine Reihe weiterer - vor allem rechtlicher - Probleme. 29

B. Sprachlicher Aspekt des Dolmetschens I. Definitorisch bedingte Schwächen Vor der intensiven Auseinandersetzung mit den rechtlichen Aspekten des Dolmetsehens soll die Konzentration aber noch auf die damit verbundenen, rein tatsächlichen Probleme gerichtet werden, wobei zunächst die sprachliche Komponente im Vordergrund stehen soll. Bereits bei einer ersten Annäherung auf Definitionsebene werden in der Natur des Dolmetschens angelegte Schwächen erkennbar. So etwa bei der von Kade 30 verwendeten, allgemein anerkannten Begriffsbeschreibung: "Unter Dolmetschen verstehen wir die Translation eines einmalig (in der Regel mündlich) dargebotenen Textes der Ausgangssprache in einen nur bedingt kontrollierbaren und infolge Zeitmangels kaum korrigierbaren Text der Zielsprache."3 \

Zweierlei Gesichtspunkte drängen sich hier auch einem übersetzungs wissenschaftlichen Laien auf: begrenzte nachträgliche Einflußnahme auf das Übersetzte und Zeitmangel. Schon diese zwangsweisen Merkmale einer mündlichen Übertragung können verhindern, daß der Text in der Zielsprache hinsichtlich seiner Bedeutung hundertprozentig an den der Ausgangssprache herankommt. Ebenso können eine beachtliche Anzahl von grundsätzlichen Übersetzungsschwierigkeiten - auf die im folgenden genauer einzugehen sein wird - diese Divergenz verstärken. Siehe Koller, Einführung, S. 26. Vgl. Basdorf, S. 19-20. Bezeichnend insofern auch der bei H. Schräder (S. 276) für das Dolmetschen verwendete Begriff der "Umwegkommunikation". Siehe in diesem Zusammenhang auch die Ausführungen von H. Schräder (S. 277 ff.) zu den mit dem Gerichtsdolmetschen verbundenen Problemen. Sowie Artkämpers Schilderung der Gefahren bei der Einschaltung von Dolmetschern (S. 185 ff.) und auch Wendler, S. 224 f. 29 Siehe dazu vor allem Kapitel 3- 5. 30 Zufall und Gesetzmäßigkeit in der Übersetzung, S. 35. 3\ Im Gegensatz dazu sei auch seine Definition des "Übersetzens" (Kade, S. 35) genannt, um die hier wesentlichen Unterschiede deutlich herauszustellen: "Wir verstehen daher unter Übersetzen die Translation eines fixierten und demzufolge permanent dargebotenen bzw. beliebig oft wiederholbaren Textes der Ausgangssprache in einen jederzeit kontrollierbaren und wiederholt korrigierbaren Text der Zielsprache." 27

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I. Kap.: Sprache und Dolmetschen

Die pauschale Feststellung von übersetzungs immanenten Defiziten ist jedoch nicht außergewöhnlich; selbst in der juristischen Literatur wird häufig 32 auf dieses Problem hingewiesen. Allerdings erschöpfen sich die Darstellungen hierzu in der Regel in einem allgemeinen Hinweis auf grundsätzliche Übersetzungsschwierigkeiten. 33 Dies ist eine unbefriedigende Situation, denn sie wird der Bedeutung des Problems nicht in hinreichendem Maße gerecht. Es ließe sich der Standpunkt vertreten, daß diese Thematik einzig in die Sphäre des Sprachmittlers 34 fällt und daher für den Juristen im Detail uninteressant sei. 35 Eine solche Einschätzung verkennt jedoch die Aufgabe, die den Juristen - insbesondere in ihren unterschiedlichen Funktionen als Prozeßbeteiligte 36 - zukommt.

11. Verantwortung für die Übersetzung Sicherlich trägt der Dolmetscher in einer Verhandlung das Hauptgewicht an Verantwortung für die Übersetzung. Aber: er trägt sie nicht allein. 37 Bereits beim Reichsgericht 38 finden sich in dieser Hinsicht Ausführungen: Das Gericht sei verpflichtet, darüber zu wachen, daß der Dolmetscher seiner Aufgabe gerecht werde. Dennoch ist das Gericht in großem Umfang von der Leistung des Sprachmittlers abhängig, denn Mängel einer Übertragung treten meist nicht erkennbar hervor. 39 Der Dolmetscher gewinnt beträchtliche Mitverantwortung am Urteil, weil die gerichtliche Entscheidung auf seiner - teils kaum kontrollierbaren - Übertragung beruht. Faktisch erhält er damit eine Stellung, die über seine eigentliche Stellung als "Gehilfe des Richters"4o, hinausgeht. Der Richter muß daher die Qualifikation und die Tätigkeit des Dolmetschers - soweit dies möglich ist - überwachen. 41 Die Beurteilung der Qualifikation mag auf 32 Vgl. z. B. 1. Meyer, ZStW 93, 511; Villmow, BewHi 1995, 163; Basdorf, S. 20; Wassermann, Ausländer vor Gericht, S. 158. 33 Siehe beispielsweise Mincke, ARSP 1991,448. 34 In diesem Sinne könnte BGHSt 32, 342 (344) verstanden werden, siehe dazu aber direkt unten I. Kap. B II (S. 24) sowie 3. Kap. C II (S. 195). 35 Es scheint, als sei diese Ansicht bei Juristen durchaus verbreitet. Ein Indiz hierfür könnte in der relativ geringen Zahl von Beiträgen zu diesem Thema in den juristischen Publikationen gesehen werden. In diesem Zusammenhang sei auf eine Bemerkung im Bericht von W. Meyer über das Europäische Gerichtsdolmetscher-Forum, MDÜ 1/1983, S. 15 verwiesen: "Zu Podiumsdiskussionen eingeladene Richter kamen - mit einer Ausnahme - nicht." 36 Siehe Kabbani, StV 1987,411. 37 Anders BGHSt 32, 342 (344); vgl. dazu genauer unten 3. Kap. C II (S. 195 ff.). 38 RGSt 76, 177. 39 Siehe Kabbani, StV 1987,410. 40 Jessnitzer, Dolmetscher, S. 95; vgl. auch unten 1. Kap. E (S. 58 ff.). 41 So auch Kabbani, StV 1987,411.

B. Sprachlicher Aspekt des Dolmetschens

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den ersten Blick noch durchführbar erscheinen 42 , aber wie soll der Jurist über die Qualität der Übersetzung wachen können? Ist er nicht zufällig auch der zu dolmetschenden Fremdsprache mächtig, wird er selten in der Lage sein, ungenauen Übersetzungen "auf die Spur" zu kommen. 43 Eine "laienhafte" Vorstellung im Bereich von Übersetzungs problemen ist wohl kaum ausreichend für den hier erforderlichen Grad an Problembewußtsein. Somit ist es unerläßlich, daß der prozeßbeteiligte Jurist44 ein Gespür für eventuelle Fehler in einer Übersetzung entwickelt. Nur so ist es ihm möglich, durch gezieltes Nachfragen Mißverständnisse aufzuklären und Fehler zu eliminieren. Grundvoraussetzung für eine solche Fähigkeit ist jedoch, Einblick in die existierenden Schwierigkeiten bei der Übersetzungstätigkeit zu haben. Es soll daher versucht werden, hier eine Übersicht von Problemen, die gerade bei Übersetzungen im Prozeß von Bedeutung sein können, zu geben. 45

III. Fach- und normalsprachliche Übersetzungsprobleme Die Frage der Übersetzbarkeit stellt sich im juristischen Bereich in zwei unterschiedlichen Ausprägungen. Zum einen betrifft sie den "klassisch" juristischen Text (z. B. Vertrags- oder Gesetzesformulierungen oder auch Lehrbuchausführungen), bei denen die verwendete Sprache fachsprachlichen Charakter46 hat. 47 Zum anderen tritt sie auch als "normalsprachliches" Übersetzungsproblem48 auf, nämlich immer dann, wenn der Jurist mit dem "Laien" direkt agiert. Da man im Prozeß vornehmlich auf letzteres Problem trifft, beschränkt sich die Darstellung hier auf diesen Aspekt. 49 Selbst wenn im Strafverfahren "Fachausdrük42 Zum Problem des fehlenden einheitlichen Ausbildungsstandards siehe unten 1. Kap. D (S.48 ff.). 43 Vgl. Basdorf, S.22, der hier von den Grenzen der Erkenntnisfahigkeit spricht. 44 Und damit sind alle, nicht nur der Richter, sondern vor allem auch der Verteidiger gemeint. 45 In der Literatur findet man bisher keine Ausführungen zu spezifisch "prozessualen" Übersetzungsproblemen. Die hier zusammengestellte Übersicht basiert daher in erster Linie auf allgemeinen Darstellungen aus der Translationswissenschaft. Es wird hier versucht, die grundsätzlichen Übersetzungsschwierigkeiten mit Hinblick auf ihre prozessuale Bedeutung zu selektieren. Die Auswahl erfolgt aufgrund von Erkenntnissen, die aus Gesprächen mit Praktikern gewonnen wurden. Die Darstellung kann daher nicht den Anspruch erheben, so umfassend wie eine empirische Untersuchung zu sein. Ihren Zweck - die Verdeutlichung der Problembreite - kann eine derartige Darstellung aber durchaus erfüllen. 46 Wassermann, Sprachliche Mittel, S. 117, charakterisiert diesen Zustand mit dem Begriff der "fachlichen Umgangssprache". 47 Siehe zu der Besonderheit der juristischen Sprache als Fachsprache, die sich primärsprachlicher Ausdrücke bedient, ihnen aber einen anderen Bedeutungsinhalt gibt, Oksaar, Sprache als Problem, S. 94 ff. Ausführlich zur "Rechtssprache" siehe auch Oksaar, Sprachliche Mittel, S. 100-107. 48 Mincke, ARSP 1991,448, verweist den Juristen für die Auseinandersetzung mit normalsprachlichen Übersetzungsproblemen an die allgemeine Sprachwissenschaft. 49 Für den fachsprachlichen Übersetzungsaspekt vgl. Mincke, ARSP 1991, 446 ff.

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I. Kap.: Sprache und Dolmetschen

ke" übersetzt werden müssen, so ist diese Situation dennoch nicht mit den Problemen bei rein fachsprachlichen Texten vergleichbar. Hier, wie auch bei einem Verfahrensbeteiligten mit deutschen Sprachkenntnissen, muß das "Fachwort" in seiner Bedeutung für den juristisch Unkundigen erklärt werden 50, dies ist allerdings Aufgabe des Richters und nicht des Dolmetschers. 51 Der Jurist, will er Information über die Schwierigkeiten und Probleme beim Dolmetschen erhalten, muß auf die allgemeine Sprachwissenschaft zurückgreifen. 52 Dort hat sich eine eigene Disziplin, die sich mit Übersetzungsproblemen beschäftigt, gebildet. Man findet insoweit jedoch überwiegend detaillierte Darstellungen 53 , die eindeutig an ein sprachwissenschaftliches Publikum gerichtet sind. Ein interessierter Jurist wird somit automatisch gezwungen, verhältnismäßig tief in die übersetzungswissenschaftliche Materie einzusteigen, obwohl seinen Bedürfnissen bereits mit weniger spezifischen Ausführungen Genüge getan wäre. Darüber hinaus erschwert noch der in der Translationswissenschaft herrschende Streit über die grundlegende Frage, ob es vollständige Übersetzungen überhaupt gebe 54 , dem Laien eine übersichtliche Beschäftigung mit der Thematik von Übersetzungsproblemen. Die Darstellung der Übersetzungsschwierigkeiten in dieser Arbeit soll dem Juristen in dieser Hinsicht entgegenkommen. Sie erfolgt daher bewußt jenseits jeder dogmatischen Auseinandersetzung. Allerdings bleiben die unterschiedlichen Übersetzungstheorien dennoch nicht völlig unberücksichtigt. Ihre einzelnen Argumente werden dazu dienen, die tatsächlich existierenden Schwierigkeiten jeweils etwas auszuleuchten. Obwohl die folgende Übersicht sich nach linguistischen Schlagwörtern gliedert, ist damit keine dogmatische Systematisierung angestrebt. Darauf wird bewußt verzichtet. Einerseits soll das Gewicht nämlich weniger auf der wissenschaftlichen Beschreibung als auf der "prozessualen" Relevanz der einzelnen Schwierigkeiten liegen. Und andererseits treten die beschriebenen Übersetzungsprobleme ohnehin selten in "Reinform" - also isoliert als nur lexikalisches, syntaktisches oder assoziatives Problem - auf. Meist vermischen sich die Fragen der Konnotation und Denotation 55 , der Syntax und des Stils in der praktischen Translations50 Vgl. zur Verständigung zwischen Richter und Angeklagtem bzw. Zeuge Oksaar, Sprachliche Mittel, S. 100 ff. Er führt aus, der Richter solle sich den sprachlichen Fähigkeiten des Aussagenden anpassen (S. 109) und fordert für die Juristenausbildung unter anderem "Übersetzungsübungen aus der Rechtssprache in die Gemeinsprache" (S.III). 51 Dennoch sind gewisse juristische Grundkenntnisse beim Gerichtsdolmetscher erforderlich, vgl. dazu unten 1. Kap. D I 2 a (S. 5lf.). 52 Wie auch in dieser Arbeit, vgl. dazu die zitierten sprachwissenschaftlichen Werke. 53 Beispielsweise "Einführung in die Übersetzungswissenschaft", Koller oder "Theory and Practice of Translation", Hrsg.: Grähs, L ./Korlen, G./Malmberg, B. 54 Mincke, ARSP 1991,446; Koller spricht von den "Thesen der prinzipiellen Übersetzbarkeit bzw. Unübersetzbarkeit", vgl. dazu Koller, Einführung, S. 159ff. insbesondere, S. 177ff. 55 Denotation meint den begrifflichen Inhalt eines Ausdrucks. Im Gegensatz dazu bezieht die Konnotation den Nebensinn und den Gefühlswert eines Ausdrucks mit ein; siehe Oksaar, Verständigungsschwierigkeiten, S. 89.

B. Sprachlicher Aspekt des Dolmetschens

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arbeit miteinander. Die gewählte Einteilung soll daher lediglich dazu beitragen, dem übersetzungs wissenschaftlichen Laien den Überblick zu erleichtern.

IV. Übersetzungsprobleme im einzelnen 1. "Unübersetzbare Wörter"56 Bereits die Bezeichnung solcher Lexeme impliziert deren Problematik. Diese Wörter können gar nicht, nicht richtig oder zumindest nur unvollständig übersetzt werden. Koller 57 nennt als Beispiele hierfür: dt. Gemüt, gemütlich; frz. charme, esprit; eng!. gentleman. Es wird deutlich, daß es sich hier um Wörter handelt, die ihren Sinngehalt aus dem kulturellen Hintergrund der Sprachgemeinschaft und damit der Lebenspraxis des Sprechers schöpfen. 58 Die "unübersetzbaren Wörter" haben unterschiedliche Ausprägungen. Sie begegnen uns als "Eins-zu-Null-Entsprechungen"59 - es gibt kein deutsches Äquivalent für gentleman - oder als "Eins-zu-Teil-Entsprechungen" - so ist z. B. Geist nur ein Bedeutungsteil des frz. esprit. Wie der Dolmetscher im einzelnen mit diesen Schwierigkeiten umzugehen hat, wird bei den jeweiligen Entsprechungstypen ausgeführt.

2. Unterschiedliche Entsprechungstypen 60 Grundlegendes Problem beim Übersetzen ist es, daß die Bedeutung eines Wortes in der Ausgangssprache nicht immer mit der Bedeutung in der Zielsprache dekkungsgleich ist. 61 Bedeutungsunterschiede können sich aus vielfältigen Faktoren ergeben. So können die oben schon erwähnten Konnotationen eine große Rolle spielen. Aber selbst wenn man solche Einflüsse außer Betracht läßt, ergeben sich bereits auf der rein lexikalischen Bedeutungsebene (der Denotation) - teils gravierende - Bedeutungsdifferenzen. Anders ausgedrückt heißt das, ein Wort der Ausgangssprache entspricht bereits formal nicht immer genau einem Wort der Zielsprache. Hierbei sind die un56 Siehe Koller, Einführung, S. 177, der diese Bezeichnung im Zusammenhang mit der These der prinzipiellen Unübersetzbarkeit verwendet. 57 Siehe Koller, Einführung, S. 177. 58 Ein profanes Beispiel: Ein US-Amerikaner - obwohl er ebenfalls aus einer westlichen Kultur kommt - wird sich i. d. R. erst dann eine Vorstellung von "Gemütlichkeit" machen können, wenn er "Gemütlichkeit" einmal erlebt hat. 59 Zu den Entsprechungstypen siehe direkt unten. 60 Dazu insgesamt Koller, Einführung, S. 228 ff. 61 Siehe Coseriu, S. 19 bezeichnet in diesem Zusammenhang viele Inhalte zweier Sprachen als "inkommensurabel".

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1. Kap.: Sprache und Dolmetschen

terschiedlichsten denotativen Äquivalenzbeziehungen denkbar. Koller 62 spricht im lexikalischen Bereich von fünf Entsprechungstypen. Diese werfen jedoch nicht alle Probleme für die Übersetzung auf. a) "Eins-zu-eins-Entsprechungen"

Begrifflich, lexikalisch gibt es dabei kein Problem, denn ein Ausdruck in der Ausgangs sprache entspricht jeweils einem Begriff in der Zielsprache. Mögliche Schwierigkeiten können jedoch beim Übersetzen auftreten, wenn in der Zielsprache Synonyme vorhanden sind. 63 Diese sind aber nur auf der denotativen Ebene Synonyme, hinsichtlich ihres konnotativen Wertes sind sie nicht gleichwertig. 64 Hier muß der Dolmetscher darauf achten, daß er bei der Auswahl des Synonyms keine Bedeutungsverschiebung aufgrund der konnotativen Belegung des Wortes hervorruft. 65 b) "Eins-zu-null-Entsprechungen"

Es handelt sich dabei um eine "echte Lücke"66 im lexikalischen System der Zielsprache, denn ein entsprechender Begriff ist in dieser Sprache nicht existent. Das Fehlen solcher Bezeichnungen tritt häufig im Zusammenhang mit sogenannten Realien auf. Knüpft ein Begriff an ein landeskonventionelles bzw. sogar kulturspezifisches Element, so ergibt sich notwendig eine lexikalische Lücke, wenn im Land der Zielsprache ein entsprechender Sachverhalt politischer, institutioneller, soziokultureller oder geographischer Art nicht vorhanden ist. 67 Die Übersetzungswissenschaft ist natürlich bestrebt, diese "unübersetzbaren Wörter" nicht wirklich als "Lücke" im Text stehenzulassen. Zur "Übersetzung" dieser Lexeme bietet sich - je nach Einzelfall- eines von fünf Übersetzungsverfahren 68 an: - Übernahme des Ausdrucks in die Zielsprache - unverändert als Zitat-/Fremdwort 69 oder angepaßt an die Normen der Zielsprache als Lehnwort 70 ; Siehe Koller, Einführung, S. 228 . Beispiel nach Koller, Einführung, S. 229: eng!. car - dt. Auto, Wagen. 64 Siehe Koller, Einführung, S. 229. 65 Siehe dazu unten I. Kap. B IV 3 (S. 31 f.). 66 Siehe Koller, Einführung, S. 232. 67 Siehe Koller, Einführung, S. 232 mit folgenden Beispielen: dt. Bundesgerichtshof, schwed. ombudsman, eng!. fast-breeder reactor. 68 Siehe zu diesen fünf Verfahren ausführlich Koller, Einführung, S. 232-236. 69 Beispiele: eng!. joint venture - dt. "joint venture "Iloint-venture; eng!. public relations - dt. Public Relations (Koller, Einführung, S. 233). 70 Beispiel: schwed. ombudsman - dt. der Ombudsmann, die Ombudsmänner (Koller, Einführung, S. 233). 62

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B. Sprachlicher Aspekt des Dolmetschens

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Lehnwortübersetzung (wörtliche Übersetzung Glied für Glied) 71; Verwendung der am nächsten liegenden Entsprechung 72; Explikation oder definitorische Umschreibung und Adaption 73. Die Vielfältigkeit der möglichen Übersetzungsstrategien zeigt, welche Entscheidungen der Dolmetscher jeweils - meist in knapper Zeit - zu treffen hat. Es wird aber auch schon an dieser Stelle deutlich, wie wichtig es ist, daß der Dolmetscher bestimmte Ausdrücke etwas ausführlicher erörtert. Ist z. B. ein Wort mit einem soziokulturellen Spezifikum verbunden, kann es notwendig sein, daß der Dolmetscher diesen soziokulturellen Hintergrund kurz erklärt oder daß der Betroffene veranlaßt wird, selbst Ausführungen dazu zu machen. Wie folgenreich bereits die Wahl des Übersetzungsverfahrens in diesem Zusammenhang sein kann, wird klar, wenn man sich folgendes vorstellt: Wählt der Dolmetscher zur Übersetzung einer "Eins-zu-Null-Entsprechung" die in der Zielsprache am nächsten liegende Entsprechung ohne eine Anmerkung, kann unter Umständen der im Ausgangstext vorhandene Hintergrund untergehen und das Gesagte schlechtestenfalls in der Zielsprache eine völlig andere Assoziation hervorrufen. Coseriu betont daher "nachdrücklich" im Zusammenhang mit "außersprachlichen Realitäten"74, daß man die am Sprechen beteiligten "Realia" nicht übersetzen könne, sondern diese nur "angegeben oder beschrieben"75 werden könnten. c) "Eins-zu-viele-Entsprechungen"

Trifft ein Ausdruck der Ausgangssprache auf mehrere mögliche Entsprechungen in der Zielsprache, sog. Diversifikation 76, können sich ganz unterschiedliche Schwierigkeiten ergeben. Zum einen besteht hier das rein übersetzungswissenschaftliche Problem, zum anderen kann sich gerade in dieser Konstellation der Wortkenntnisumfang des Dolmetschers ganz entscheidend auswirken. Gehen wir zunächst davon aus, der Dolmetscher kenne alle Entsprechungen in der Zielsprache, dann wäre damit aber noch nicht gewährleistet, daß er auch die richtige Beispiel: eng!. data processing - dt. Datenverarbeitung (Koller, Einführung, S. 233). Beispiel: eng!. public relations - dt. Öffentlichkeitsarbeit (Koller, Einführung, S. 233). 73 Dieses Verfahren ist jedoch nur für eine literarische Übersetzung geeignet, denn hier soll der mit dem Ausdruck der Zielsprache erfaßte Sachverhalt durch einen anderen Sachverhalt, der in der Zielsprache eine ähnliche Funktion hat, ausgetauscht werden. Im Prozeß scheidet diese Alternative von vornherein aus. 74 Coseriu, S.29. 75 Coseriu, S. 26. 76 Siehe Koller, Einführung, S. 230, mit folgendem Beispiel: eng!. control- dt. Regelung, Steuerung, Bedienung, Regelgerät, Regler, Steuergerät, Bedien(ungs)organ. 71

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1. Kap.: Sprache und Dolmetschen

Entsprechung wählte. In der Regel schränkt der sprachliche Kontext (der sog. Kotext 77) die im Einzelfall in Frage kommenden Entsprechungsmöglichkeiten erheblich ein, aber eine eindeutige Zuordnung ist dadurch nicht immer gegeben. Oft ist eine "Interpretation" des Ausgangstextes durch den Dolmetscher erforderlich, um die passende Entsprechung zu finden. Meistens wird der Dolmetscher hier "richtig interpretieren", da es sich häufig um unmißverständliche Konstellationen handelt, die sich auf die gebräuchlichsten Entsprechungen beziehen. Bisweilen kann es aber angezeigt sein, daß der Dolmetscher, sofern er hinsichtlich seiner "Auslegung" nicht ganz sicher ist, ggf. auf die andere(n) potentielle(n) Entsprechung(en) hinweist. Betrachtet man in den Wörterbüchern die teils enorme Anzahl von Entsprechungen für einen einzigen Begriff, ist einleuchtend, daß ein Dolmetscher gar nicht alle potentiellen Entsprechungen eines Ausdrucks im Kopf haben kann. Sein Wissen wird sich im Normalfall auf die gebräuchlichsten Bedeutungen erstrecken. Empfindet der Dolmetscher eine ihm bekannte Entsprechung als passend, wird er nicht einmal bemerken, daß ihm die hier erforderliche Bedeutung unbekannt ist. Kommt es aber gerade auf diesen Begriff entscheidend an, so können daraus Mißverständnisse erwachsen. Unproblematisch ist hingegen der Fall, wenn die Unkenntnis der passenden Entsprechung deutlich wird, weil die bekannten Bedeutungen in dem Kotext keinen Sinn ergeben. Ein guter Dolmetscher wird bestrebt sein, dieses Problem durch gezieltes Nachfragen zu lösen. Kritisch wird die Situation, wenn der Dolmetscher seine "Unkenntnis" vertuschen will 78 und durch "allzu freie Interpretation" den Text in der Zielsprache eigenmächtig ergänzt und damit verändert.

d) "Viele-zu-eins-Entsprechungen" Gibt es in der Zielsprache für mehrere Ausdrücke der Ausgangssprache nur ein einziges Lexem, so spricht man von Neutralisation. 79 Die große Anzahl von Begriffen in der Ausgangssprache deutet bereits darauf hin, daß auf dieser Seite in einem Lexem mehr "Information" stecken kann, als dies durch den einen Begriff in der Zielsprache zum Ausdruck kommt. Mehrere Begriffe für einen Sachverhalt ermöglichen eine differenziertere "Inhaltsbeschreibung". Eine solche Nuancierung kann in der Zielsprache verloren gehen, wenn der Dolmetscher sich auf die einfache Nennung des entsprechenden Begriffs beschränkt. 77 Um innerhalb des umfassenden Begriffs "Kontext" zwischen sprachlichem und situativem Kontext differenzieren zu können, wird für den sprachlichen Kontext der Begriff "Kotext" verwendet; siehe Koller, Einführung, S. 138-139. 78 V g!. in diesem Zusammenhang auch das Beispiel unten 1. Kap. DIll (S. 54), bei dem ein Dolmetscher es unterlassen hatte darauf hinzuweisen, daß er den vom Betroffenen gesprochenen Dialekt nicht beherrsche. 79 Siehe Koller, Einführung, S. 231; Beispiel: eng!. control, control unit, regulator, governor - dt. Regler.

B. Sprachlicher Aspekt des Dolmetschens

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Um diesen Informationsverlust auszugleichen, muß der Dolmetscher- sofern erforderlich - "die in der ZS[Zielsprachen]-Entsprechung neutralisierte Differenzierung durch adjektivische und Genitiv-Attribute, Zusammensetzungen, adverbiale Zusätze etc."80 ausdrücken. e) "Eins-zu-Teil-Entsprechungen" Nicht selten begegnet man auch Wörtern, die in der Ausgangssprache einen Bedeutungsgehalt haben, der sich in der Zielsprache nicht vollständig durch ein Äquivalent ausdrücken läßt, sondern bei denen ein Lexem in der Zielsprache immer nur einen Teilaspekt abdeckt. 8\ Solche Ausdrücke gelten häufig als "unübersetzbare Wörter"82, weil ihr Sinngehalt in der Zielsprache kaum im vollen Umfang wiederzugeben ist. Begrenzt der Kotext in der Ausgangssprache bereits die Bedeutung dieses Wortes, so stellt die Teilentsprechung eine durchaus erschöpfende und daher problemlose Übersetzung dar. Ist jedoch das ganze Inhaltsspektrum eines Ausdrucks von Wichtigkeit, stößt die Übersetzung und die Übersetzbarkeit unweigerlich an ihre Grenzen. 83 Auch an dieser Stelle ist der Dolmetscher gegebenenfalls wieder gefordert, im Wege einer Kommentierung das Übersetzungsdefizit auszugleichen. Ein weiterer problematischer Aspekt dieses Entsprechungstyps ergibt sich daraus, daß die Teilentsprechung nicht nur einen bestimmten Begriff erfaßt, sondern daß sie sich auf ganze Wortfelder erstrecken kann. Es kann damit zu einer "Kette" von Lexemen kommen, die sich in ihrer Bedeutung jeweils "überlappen". Anders ausgedrückt heißt das, "daß gewisse Inhalte der Sprache A nur z. T. gewissen Inhalten der Sprache B entsprechen, die ihrerseits auch anderen Inhalten der Sprache A entsprechen, die wiederum auch anderen Inhalten der Sprache B entsprechen USW."84

3. "Konnotationen" Ging es bis jetzt in erster Linie um die denotative Ebene von Wörtern, so darf nicht außer acht gelassen werden, daß man es "fast immer mit zwei Seiten der Bedeutung"85 zu tun hat. Neben der Denotation kommt der Konnotation - also der Ne80 Koller, Einführung, S. 231/232; Beispiel: schwed. morfar - dt. Großvater mütterlicherseits (im Vg!. zu schwed. fa/far - dt. Großvater väterlicherseits). 81 Beispiel: dt. Geist - eng!. Teilentsprechung mind (Koller, Einführung, S. 236). 82 V g!. oben 1. Kap. B IV I (S.27). 83 Siehe Koller, Einführung, S.238. 84 Coseriu, S. 19; Koller, Einführung, S.237 erläutert dies anschaulich an der Gegenüberstellung der dt. "Wortkette" Hexe, Fee, Elfe, Kobold und der dazu in ihrer Bedeutung "verschobenen" eng!. "Wortkette" hag, witch,jairy, elf. 85 Oksaar, Sprache als Problem, S. 116.

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1. Kap.: Sprache und Dolmetschen

benbedeutung und dem Gefühlswert - eine ganz entscheidende Rolle zu. Hier werden an den Dolmetscher sehr hohe Anforderungen gestellt, denn "die Herstellung konnotativer Äquivalenz gehört zu den meist nur annäherungsweise lösbaren Problemen des Übersetzens" .86 Bereits innerhalb einer Sprachgemeinschaft kann ein Wort für den Sender und für den Empfänger mit unterschiedlichen Konnotationen belegt sein. Um so gravierender kann die Abweichung des Konnotationsgehalts in einer Fremdsprache 87 sein. Aber zunächst soll deutlich gemacht werden, wie groß das Feld dieser Nebenbedeutungen und Gefühlswerte ist. 88 Teilweise gibt es denotative Synonyme mit unterschiedlichen konnotativen Werten, die bei Mitgliedern einer Sprachgemeinschaft einen annähernd gleichen Gefühlswert hervorrufen: "essen, speisen, tafeln, fressen"; "sterben, ins Gras beißen".89 Da beim Übersetzen die konnotative Dimension genauso wie die denotative beachtet werden muß, kann dies die Übersetzungsarbeit erschweren. Bei Berücksichtigung der Nebenbedeutung eines Lexems verschieben sich die oben dargestellten rein lexikalischen Entsprechungstypen. Vor allem der ohnehin schon problematische Bereich der "Eins-zu-Teil-Entsprechungen"90 wird dadurch erheblich erweitert. 91 Aber nicht einmal innerhalb einer Sprache sind die Konnotationen eines Wortes gleich. Da sie aus der persönlichen Erfahrungswelt eines jeden Einzelnen resultieren, können sie von Person zu Person verschieden sein. Oksaar verdeutlicht das wie folgt: "Das Wort Richter weckt z. B. ganz andere Assoziationen bei einem Rechtsanwalt als bei einem mit dem Justizwesen nicht vertrauten Bürger."92

Dies veranschaulicht sehr schön, wie die individuelle Lebenssituation sich prägend auf den Bedeutungsinhalt von Wörtern auswirkt. "Je nach Sprachträgergruppen ergeben sich kollektive, sozialspezifische Konnotationen, die ihrerseits wiederum aus individuellen Varianten bestehen."93

Somit wird verständlich, um wie vieles unterschiedlicher die in einer Fremdsprache vorhandenen Konnotationen sein müssen, da hier ein besonderer landesspezifischer und soziokultureller Hintergrund sowohl auf der persönlichen als auch auf der sprachgemeinschaftlichen Ebene existiert. Daher ist es nicht überraschend, wenn Oksaar anführt, daß "für das eigentliche Verständnis der Sprache ... aber immer auch Koller, Einführung, S. 241. Mit steigender Divergenz je "ferner" eine Sprache und ihre Kultur ist. 8H Für eine detaillierte Darstellung der Konnotationsdimensionen im Deutschen vgl. Koller, Äquivalenz in kontrastiver Linguistik und Übersetzungswissenschaft, S. 83; ausführlich dazu auch Koller, Einführung, S. 240-247. 89 Beispiele aus Koller, Einführung, S. 241. 90 Vgl. oben 1. Kap. BIV2e (S.31 f.). 91 Siehe Koller, Einführung, S. 241. 92 Oksaar, Sprache als Problem, S. 116. 93 Oksaar, Verständnisschwierigkeiten, S. 89. 86

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B. Sprachlicher Aspekt des Dolmetschens

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die soziale Realität mit all ihren Wirkungsweisen - politisch, technisch und wirtschaftlich - von entscheidender Bedeutung [ist)."94 Übertragen auf eine gute Übersetzungsarbeit heißt das, daß neben lexikalischen, grammatikalischen, syntaktischen und stilistischen Kenntnissen in einer Fremdsprache auch die "landeskundliche" Komponente nicht zu gering eingeschätzt werden darf. 95 Wie wichtig diese Komponente ist, verdeutlicht der Umstand, daß auch die besten Lexika nicht in der Lage sind, über die Konnotationen der Wörter und ihre Geltung im sozialen Kontext eine erschöpfende Auskunft zu geben. 96 Gerade in der Prozeßsituation sind Kommentierungen mit solcher Hintergrundinfonnation unerläßlich, wenn wichtige Konnotationen in der Übersetzung nicht mehr vennittelbar sind. Im Gegensatz zu einer literarischen Übersetzung, bei der ein kommentierendes Verfahren zum Verlust der ästhetischen Qualitäten führen kann und daher nur begrenzt durchführbar ist 97 , bietet der Prozeß genug Raum für Erklärungen. Werden solche Anmerkungen in angemessener Weise zu wesentlichen Punkten eingestreut, hat dies für den Prozeß insgesamt eine fördernde Wirkung, auch wenn dadurch eine Vernehmung in ihrem Ablauf kurzfristig "unterbrochen" wird. Ein Beispiel, das mir von einer zweisprachigen Rechtsanwältin aus ihrer eigenen Praxis 98 berichtet wurde, mag dies verdeutlichen: Die Übersetzung aus dem Türkischen lautete in etwa: "Und dann habe ich die Kinder nach Istanbul kommen lassen". Der Dolmetscher hatte das türkische Wort qocuklar denotativ richtig mit Kinder übersetzt. Allerdings meinte der Sprecher damit nicht nur seine Kinder, sondern auch seine Frau. Später in seiner Schilderung erwähnte er seine Frau ausdrücklich. Der Richter war geneigt, der Aussage nicht zu glauben, weil sie für ihn widersprüchlich schien. Plötzlich tauche die Frau auf, obwohl von ihr zuvor noch nicht die Rede gewesen sei. Das Mißverständnis konnte dank der Anwältin, die sowohl mit der türkischen Sprache als auch mit der Mentalität und den sozialen Gepflogenheiten in diesem Sprachraum vertraut war, aufgeklärt werden. Der Dolmetscher bestätigte auf Nachfrage, daß mit qocuklar in diesem Zusammenhang auch die Ehefrau inbegriffen sein könnte: Der Sprecher kam aus einem entlegenen Bauerndorf in Anatolien mit noch äußerst stark ausgeprägten patriarchalischen Strukturen. Die Frau habe dort nur einen geringen Stellenwert, so daß der Ehemann nicht gewohnt war, sie ausdrücklich zu erwähnen. Für ihn hatte qocuklar den Konnotationsgehalt Familie - also Kinder und Frau. 94

Oksaar, Sprache als Problem, S. 106.

95 Siehe ausführlich zum Aspekt der Landeskunde in der Dolmetscherausbildung z.B. Stef-

fen, Landeskunde, S. 122 ff. 96 Siehe Oksaar, Sprache als Problem, S.127. 97 Siehe Koller, Einführung, S. 243. 98 Es handelt sich hierbei zwar um eine Situation aus einem Verwaltungsgerichtsverfahren, sie ist aber für die Verdeutlichung der sprachlichen Problematik bestens geeignet. 3 Lankisch

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l. Kap. : Sprache und Dolmetschen

4. Stil Eng verbunden mit den Konnotationen ist die stilistische Übersetzungsproblematik, denn sie "resultiert daraus, daß die Systeme der konnotativen Werte, die stilprägend sind, sich in verschiedenen Sprachen nicht eins zu eins decken".99 Der Dolmetscher sollte bemüht sein - sofern die zur Verfügung stehenden sprachlich-stilistischen Wahlmöglichkeiten dies zulassen - eine optimale stilistische Entsprechung zu finden. Aus der Praxis wird jedoch teils geschildert, daß manche Dolmetscher dazu neigen, ihre Übersetzung in "gutem Deutsch" abzufassen. Sicherlich trifft den Dolmetscher hier eine seiner schwersten Aufgaben. Die Vermittlung der "allgemeinen Stilebene" (gehobene Sprache, Umgangssprache oder Vulgärsprache) dürften für ihn eine noch - mehr oder minder -lösbare Aufgabe sein. Wie kann er aber den "individuellen, persönlichen Stil" des Sprechers ausdrücken? Soll er ein "schlechtes Türkisch" mit Syntax- und Grammatikfehlern in ein "schlechtes Deutsch" übertragen? Wie sollte eine solche Übersetzung aussehen? Grammatikalische Fehler in einer Sprache müssen nicht unbedingt eine vergleichbare Entsprechung in der anderen Sprache haben. Könnte dadurch überhaupt die schlechte sprachliche Ausdrucksfahigkeit des Betroffenen verdeutlicht werden, würde man nicht vielmehr an den sprachlichen Fähigkeiten des Dolmetschers zweifeln? Oder sollte der Dolmetscher etwa schulmeisterlich an jeden übersetzten Satz eine Aufzählung der gemachten Fehler hängen? Sollte er gar zum Abschluß jeder Vernehmung eine Zusammenfassung über den persönlichen Stil des Sprechers geben? So interessant eine solche Einschätzung auf den ersten Blick erscheinen mag, sie birgt Gefahren, die man durch das Mündlichkeits- und Unmittelbarkeitsprinzip gerade ausschalten wollte. 100 Eine Beurteilung der sprachlichen Qualität des Gesagten würde einen stärkeren Grad an eigener, interpretativer Auslegung beinhalten, als dies in den jeweiligen Übersetzungsabschnitten der Fall ist. Das Gericht soll sich aber selbst ein Bild machen können und nicht das Bild eines anderen übernehmen müssen. 101 Darüber hinaus würde eine solche Bewertung den Rahmen des dem Dolmetscher zugedachten Aufgabenbereichs sprengen. 102 Diese Arbeit kann hier zwar keine Lösung, aber doch zumindest Leitlinien für den Umgang mit solchen übersetzungstechnischen Unwägbarkeiten anbieten. Die Koller, Einführung, S. 242. Das Gericht soll von den Verfahrensbeteiligten in eigener sinnlicher Wahrnehmung einen Eindruck erhalten. Siehe zum Mündlich- und Unmittelbarkeitsprinzip z. B. Henkel, Strafverfahrensrecht, S. 326 ff. 10 1 Vgl. dazu die vom Grundgedanken her parallelen Ausführungen von Henkel, Strafverfahrensrecht, S. 328-329 bzgl. der Mängel des schriftlichen Verfahrens. 102 Dieser besteht darin, "den Prozeßverkehr zwischen dem Gericht und anderen am Prozeß beteiligten Personen dadurch zu ermöglichen, daß er die zum Prozeß abgegebenen mündlichen oder schriftlichen Erklärungen durch Übertragung in eine andere Sprache der anderen Seite verständlich macht." (Jessnitzer, Dolmetscher, S. 3, nach BGHSt 1,4 [6]). Siehe zum Aufgabenbereich ausführlich unten l. Kap. E (S. 58 ff.), insbesondere EI, II u. IV. 99

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B. Sprachlicher Aspekt des Dolmetschens

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plakativen Fragestellungen sollen eines verdeutlichen: Es ist äußerste Vorsicht geboten, wenn aufgrund der deutschen Übersetzung ein Rückschluß auf den Sprachstil des Sprechers gezogen werden soll. Zum einen läßt sich der "Stil" eben nur sehr bedingt "übersetzen", zum anderen sind die stilistisch hervorgerufenen Assoziationen in verschiedenen Sprachen nicht deckungsgleich. Durch "das Zusammenspiel von kulturbedingter Wirklichkeitserfassung und Sprache bzw. Sprachgebrauch" 103 wird die Interpretierbarkeit von sprachlich vermittelter Information zu einer vornehmlich spezifischen Angelegenheit in jeder Sprache. Die Prozeßbeteiligten müssen sich immer bewußt sein, daß bei Verdolmetschungen Rückschlüsse auf die Persönlichkeit nicht in gleicher Weise gezogen werden können, wie wenn Sprecher und Empfanger in ein und derselben, ihnen vertrauten Sprache agieren. Diese Skepsis ist stets - unabhängig von der Qualität der Übertragung - geboten, denn die eingeschränkte Interpretierbarkeit existiert auch bei einer guten Übersetzung. Gerade wenn der Dolmetscher eine qualitativ hochwertige Übersetzungsarbeit leistet, besteht die Gefahr, daß dies vergessen wird. Man muß sich vergegenwärtigen, daß in jeder Übersetzung immer auch ein "Stück Persönlichkeit" des Dolmetschers steckt, denn seine Interpretation des Textes ist zwangsläufig Bestandteil seiner Übersetzung . 104 Rückschlüsse auf die Persönlichkeit des Ausländers dürfen somit nicht vorbehaltlos gezogen werden, da es sich in Wirklichkeit um Persönlichkeitselemente des Dolmetschers handeln könnte.

S. Kulturspezifische Elemente und Sprachkonventionen Ebensowenig wie sich aus dem Stil verläßliche Rückschlüsse ziehen lassen, können gewisse sprachliche Wendungen ohne weiteres aus unserem alltäglichen Verständnis heraus gedeutet werden. Als geläufiges Beispiel sei hier die Problematik der Anrede genannt. Bereits innerhalb der europäischen Sprachen gibt es dabei signifikante Divergenzen, die auf unterschiedliche Weise Schwierigkeiten bereiten können. Hat eine Sprache nur eine einzige Anredeform - wie z. B. das englische you -, so muß der Dolmetscher entsprechend dem "Nähegrad" der Personenbeziehung im Deutschen zwischen Sie und Du wählen. Daß sich hierbei teils die eigene Einschätzung des Dolmetschers auswirken muß, ist unvermeidlich, da es eine einfache Gleichung "im Englischen Nachname - im Deutschen Sie; im Englischen Vorname - im Deutschen Du" nicht gibt. Eine andere Dimension gewinnt die Problematik, wenn beide Sprachen zwar zwei vom Typ vergleichbare Anredeformen haben, diese aber in ihrer Verwendung 103 Koller, Einführung, S. 162; für eine ausführliche Darstellung des Aspekts "Sprache, Denken und Kultur" vgl. z. B. Koller, Einführung, S. 161- 168. \04 Inwieweit der "persönliche Stil" des Übersetzers zum Tragen kommt, wird deutlich, wenn man sich die beispielhaften Gegenüberstellungen von unterschiedlichen literarischen Übersetzungen betrachtet. V gl. z. B. Koller, Einführung, S. 261 mit einem Zitat aus "Alice im Wunderland" und vier deutschen Übersetzungen.

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1. Kap.: Sprache und Dolmetschen

nicht kongruent sind. So würde z. B. jeder Deutschsprachige das Du eines Schülers gegenüber dem Lehrer als Konventionsbruch verstehen, wohingegen "das gegenseitige Du von Lehrern und Schülern in Norwegen völlig normal ist." 105 Um hier Mißverständnisse zu vermeiden, ist eine Erläuterung des Dolmetschers unerläßlich. Grundsätzlich sind augenscheinliche Abweichungen unproblematischer als verdeckte kulturspeziJische Elemente 106. Empfindet beispielsweise der Richter als Übersetzungsadressat eine gewisse Handlungs- oder Ausdrucksweise als fremd und unverständlich - wenn also ein offenes kulturspeziJisches Element lO7 vorliegt - wird er nachfragen, um sein Wissensdefizit zu beheben. Ist die Abweichung dagegen unauffällig ("verdeckt"), wird sie ohne Hilfe des Dolmetschers in der Regel unerkannt bleiben. Die Gefahr solcher verdeckten kulturellen Unterschiede steigt, je näher sich die Kulturen der Ausgangs- und Zielsprache sind. Koller wählt zur Verdeutlichung eines verdeckten kulturspezifischen Elements eine Begrüßung mit Handschlag: Für den Deutschen "ist der Hinweis darauf, daß die Begrüßung mit Handschlag erfolgt, im Grunde redundant: so begrüßt man sich im deutschen Kulturraum. ,,108 Im Gegensatz dazu steht der Stellenwert dieser Handlung aus norwegischer Sicht, denn dort ist diese Art der Begrüßung "nicht obligatorisch, sondern fakultativ; sie bedeutet etwas Besonderes". 109 Auch dieses Beispiel zeigt ein weiteres Mal, daß die landeskulturellen Kenntnisse des Dolmetschers unabdingbar sind. Es macht aber auch klar, welches Gespür der Dolmetscher für die Entscheidung, was zu kommentieren ist, besitzen muß. Gerade die Erwähnung einer Begrüßung kann eine belanglose Nebensächlichkeit sein, sie kann aber in der oben beschriebenen Form unter Umständen auch die Signalisierung eines besonderen Vertrauensverhältnisses darstellen. Gleichzeitig wird hier der Zwiespalt, in dem sich der Gerichtsdolmetscher befindet, deutlich. Einerseits soll der Dolmetscher "nicht denken", sondern "nur übersetzen"lIo, aber andererseits muß er die Gedankengänge des Gerichts mitgehen bzw. vorhersehen, um entscheiden zu können, welche Hintergrundinformation im Prozeß überflüssig - oder sogar störend - und welche relevant und notwendig ist.

Koller, Einführung, S. 164. Bezeichnung aus Koller, Einführung, S.167. 107 Bezeichnung aus Koller, Einführung, S.167. 108 Koller, Einführung, S. 168. 109 Koller, Einführung, S. 168. liD Vgl. die Ausführungen von Horn, MschrKrim 1995, S. 383 mit Bezug auf die Richtlinien für Dolmetscher. 105

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B. Sprachlicher Aspekt des Dolmetschens

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6. "Verwandtschaftsgrad" der Sprachen a) Ferne und nahe Sprachen Setzte man die auf der Erde existierenden Sprachen in einem Schema zueinander in Beziehung, würde deutlich, daß es die unterschiedlichsten Ausprägungen von sprachlichen "Verbindungen und Verwandtschaften" gibt. Diese "Beziehungen" resultieren aus gemeinsamen oder unterschiedlichen linguistischen Wurzeln, kulturellen Eigenarten oder Parallelen und wechselseitiger Beeinflussung 111 infolge politischer und wirtschaftlicher Kontakte. Dadurch entsteht für jede Sprache ein Spektrum von ihr ganz "nahen" hin bis zu sehr "fernen" Sprachen. Jeder dieser "Verwandtschaftstypen" besitzt einen unterschiedlichen Grad an Übersetzungsschwierigkeiten. Die Probleme müssen dabei aber nicht qualitativ und quantitativ zunehmen je entfernter eine Sprache ist. Auch bei "nahen" Sprachen treten Probleme auf, wobei diese teilweise gerade aus dem "Näheverhältnis" entspringen. 112 Die Struktur der Übersetzungsschwierigkeiten bei "nahen" und "fernen" Sprachen ist sehr unterschiedlich ausgeprägt. Dies läßt sich deutlich aus den bisher gemachten Ausführungen zu den einzelnen Übersetzungs problemen herleiten: Ist die Ausgangssprache von der Zielsprache linguistisch und kulturell weit entfernt, wird man häufig mit "Eins-zu-Null-Entsprechungen" 113 konfrontiert werden. Die Erläuterung kultureller Eigenarten wird dann in der Regel notwendig sein, um die Übersetzung "verständlich" zu machen. Andererseits ist die Gefahr von versteckten Mißverständnissen hier nicht ganz so groß. Je fremder dem Gericht die Welt der Ausgangssprache ist, um so aufmerksamer wird es auf Unterschiede achten und sich über "offene kulturspezifische Elemente" 1 14 informieren lassen. Dennoch sind diese Sprachen in der Prozeßsituation nicht unproblematisch. Dies liegt aber weniger an der sprachlichen Komponente als an der Dolmetschersituation. Handelt es sich bei der "fernen" Sprache gleichzeitig um eine hier selten zu dolmetschende Sprache, ist das Angebot an qualifizierten Dolmetschern 115 gering. "Nahe" Sprachen haben den Vorteil, daß ihre Kultur für uns meist bekannter ist. Gerade darin kann aber auch eine" Verständnisfalle" 116 liegen. Scheinbare Übereinstimmungen kulturspezifischer Elemente können zu Mißverständnissen führen. Da die kulturelle Divergenz unter Umständen kaum augenfällig ist, besteht die Gefahr, daß sie für das Gericht unentdeckt bleibt. 111 Vgl. in diesem Zusammenhang die Darstellung zur Sprachmischung von H. Paul, Prinzipien der Sprachgeschichte, §§ 274 ff., S. 390ff. 112 Vgl. dazu direkt oben 1. Kap. B IV 5 (S. 36). 113 Siehe oben I. Kap. B IV 2 b (S. 28). 114 Vgl. oben Fn 107. 115 Zur Dolmetscherqualifikation siehe unten I. Kap. D I u. II (S. 47 ff.). 116 Siehe Koller, Einführung, S. 167; vgl. dazu die obigen Beispiele, I. Kap. B IV 5 (S. 35).

I. Kap.: Sprache und Dolmetschen

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b) "Falsche Freunde" Ein weiteres Problem "scheinbarer Übereinstimmung" verbirgt sich hinter dem Schlagwort "falsche Freunde". 117 Hierbei handelt es sich um "Fallgruben" für den Übersetzer, weil sich die Ausdrücke verschiedener Sprachen in ihrer Form ähneln, jedoch in ihrer Bedeutung nicht miteinander übereinstimmen. 118 Verstärkt begegnet uns dieses sprachliche Phänomen bei "nahen" Sprachen, da "falsche Freundschaften" sich vor allem auf gemeinsame Wortwurzeln zurückführen lassen. 119 Dieses "fast klassische Übersetzungsproblem"120 soll kurz näher erläutert werden, denn es kann - auch für einen guten Dolmetscher - immer wieder eine "Stolperschwelle" darstellen. 121 So führt Wandruszka aus, daß falsche Übersetzungen in diesem Zusammenhang nichts mit Unwissenheit des Übersetzers, sondern eher mit Unaufmerksamkeit 122 zu tun haben: "Falsche Freunde sind für den Übersetzer die Wörter, die in zwei oder mehreren Sprachen die gleiche oder eine ganz ähnliche Form haben, so daß wir leichtsinnigerweise glauben können, sie müßten auch dasselbe bedeuten. Die von uns erlernten Sprachen sind ja in unserem Gehirn keineswegs als eine Reihe gegeneinander hermetisch abgeschlossener Informationssysteme eingetragen und gespeichert. In unserem Gehirn ist zwischen unseren Sprachen ein unablässiges Spiel von Assoziationen und Interferenzen in Gang. Solche Interferenzen werden besonders häufig und besonders leicht ausgelöst durch falsche Freunde."123

Vergegenwärtigt man sich die oben angeführten Kriterien, die das Dolmetschen vom Übersetzen unterscheiden l24, wird deutlich, daß ein Dolmetscher aufgrund seiner spezifischen Situation leichter den falschen Freundschaften erliegen kann, als der "in Ruhe" und mit Kontrollmäglichkeit arbeitende Übersetzer. Ein paar Beispiele sollen das bisher nur abstrakt dargestellte Problem verdeutlichen: Ein klassischer - aus dem Englischunterricht allbekannte - "false friend" ist Ebenso als "faux amis" oder "false friends" bezeichnet. Siehe Koller, Einführung, S. 224. 119 "Faux amis" können allerdings auch bei "femen" Sprachen auftreten. Das ist dann der Fall, wenn ein aktiver Kontakt zwischen den Sprachen besteht und somit die Möglichkeit eröffnet wird, daß immer wieder etwas von der einen Sprache auf die andere Sprache abfarbt. Es kommt auf diese Weise zu Lehnwörtern, die jedoch in ihrer Bedeutung nicht starr an die Ausgangssprache gebunden bleiben, sondern in der neuen Sprache eine eigene dynamische Entwicklung durchlaufen. Vgl. dazu Wandruszka, S.232. 120 Gerzymisch-Arbogast, S. 108. \2\ Für eine ausführliche Darstellung dieser Problematik siehe Wandruszka, S. 213-234; für Beispiele siehe auch Koller, Einführung, S.224. \22 Vgl. in diesem Zusammenhang auch die Arbeitssituation I. Kap. D III (S. 57 f.). \23 Wandruszka, S. 214. 124 Siehe oben 1. Kap. BI (S. 23, insbes. Fn 31). 117 118

B. Sprachlicher Aspekt des Dolmetschens

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der eng!. Begriff physician 125 • Vorsicht ist auch bei eng!. sensible l26 und eng!. definite 127 geboten. Erschwerend kommt teils hinzu, daß bzg!. eines Begriffs in einer Sprache eine "echte", in einer anderen Sprache jedoch eine "falsche" Freundschaft besteht. So korrespondieren zwar dt. aktuell und franz. actuellement noch miteinander, das eng!. actually 128 hat dagegen eine andere - wenn auch nur leicht verschobene 129 - Bedeutung. Ebenso verhält es sich mit dt. eventuell, franz. eventuellement und dem eng!. eventualll 30 • Zu beachten ist ferner: "je ähnlicher sich zwei falsche Freunde in Form und Funktion sind, desto leichter färbt der eine auf den andern ab, desto schwerer ist es, sich vor einer solchen kaum merklichen Ansteckung in Acht zu nehmen". 131 Wandruszka 132 bringt dafür folgendes Beispiel: Eng!. to grin und dt. grinsen scheinen auf den ersten Blick das gleiche zu besagen, jedoch beschränkt sich grinsen auf das "freche, hämische, höhnische, blöde, dämliche, idiotische Grinsen" 133, während to grin eine weitreichendere Bedeutung hat und auch ein freundliches, glückliches Lächeln mit einschließt. In der oben verwendeten Terminologie ist grinsen also nur eine Teilentsprechung von to grin. Durch die scheinbare Kongruenz der beiden Wörter besteht jedoch die Gefahr, sie als "Eins-zu-eins-Entsprechung" zu behandeln und somit unter Umständen wichtige Bedeutungsaspekte zu unterschlagen. c) Verwandtschaftsgrad und Übersetzungsqualität

Es wird deutlich, daß die "nahen" Sprachen den "fernen" hinsichtlich der Übersetzungsprobleme nicht so sehr überlegen sind, wie man es zunächst annehmen könnte. Dennoch kann man in der Praxis beobachten, daß die Qualität und der Umfang der Übersetzungen bei entfernteren Sprachen abnehmen. 134 Dies mag wohl 125 Dt. Arzt; die falsche Übersetzung Physiker soll vor allem bei Auflistungen verschiedener Berufe nicht selten vorkommen; vgl. Wandruszka, S. 213/214 mit der ausführlichen Erläuterung, wie sich dieser Bedeutungsunterschied entwickelte. 126 Dt. vernünftig, gerade nicht sensibel; Wandruszka, S. 212. 127 Dt. bestimmt, nicht definitiv i. S. v. endgültig; Wandruszka, S. 222. 128 Dt. tatsächlich; Wandruszka, S. 220. 129 Wandruszka, S. 219 merkt im Zusammenhang mit diesem Beispiel an, je unscheinbarer die Bedeutungsunterschiede, desto leichter würden sie zur Übersetzungsfalle. 130 Dt. schließlich; Wandruszka, S. 220. 131 Wandruszka, S. 224. 132 Wandruszka, S. 224-225. 133 Wandruszka, S. 225. 134 Strate, StV 1981, S. 46, stellt fest, daß die Dolmetscher teils eher als Sprachfilter statt als Sprachmittler tätig würden. Die Antworten eines Angeklagten würden - je weiter sein Herkunftsland von Mitteleuropa entfernt sei - um so häufiger nur resümiert, statt wortgetreu übersetzt. Sicherlich mag hierin eine begründete Kritik liegen, die m. E. teils auf eine mangelnde Dolmetscherqualifikation zurückgehen kann, jedoch dürfen bestimmte sprachliche Eigenheiten nicht außer acht gelassen werden. So führt z.B. Horn, MschrKrim 1995, S. 383 aus, daß von Arabern oft eine besonders blumige Schilderung abgegeben würde, die nicht simultan und

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1. Kap.: Sprache und Dolmetschen

teils auf die bei den "nahen" Sprachen existierende, bessere Dolmetschersituation 135 zurückzuführen sein. 7. Formen der Mehrdeutigkeit An verschiedenen Stellen hat sich bereits gezeigt, daß manche Übersetzungs probleme auf Mehrdeutigkeit zurückzuführen sind. Im normalen Sprachgebrauch fällt die Mehrdeutigkeit in der Regel nur auf, wenn sie gezielt eingesetzt wurde oder zu Mißverständnissen geführt hat. In den meisten Fällen jedoch bleibt sie unbemerkt, weil sie - je nach Art - durch einen sprachlichen bzw. situativen Kontext oder aber durch das Wissen des Empfängers 136 aufgehoben wird. 137 Um zu verdeutlichen, auf welche Schwierigkeiten der Dolmetscher in diesem Bereich stößt, sollen kurz einige Formen der Mehrdeutigkeit erklärt werden. a) Lexikalische Mehrdeutigkeit Eine oben schon beschriebene Art ist die lexikalische Mehrdeutigkeit: ein Begriff besitzt mehrere Bedeutungsvarianten. 138 Nicht alle Spielarten dieser Mehrdeutigkeit bringen Übertragungsprobleme für den Dolmetscher mit sich. Bei der am häufigsten auftretenden Form der lexikalischen Mehrdeutigkeit besteht ein unmittelbar einsichtiger Zusammenhang zwischen den Bedeutungen. 139 Hier ist es vor allem der Ko- und Kontext, durch den die Einzelfallbedeutung festgelegt wird. 140 Der Dolmetscher wird zumindest eine der Bedeutungsvarianten kennen und kann sich so die "verwandten" Bedeutungen erschließen. Liegt dagegen ein Wort vor, dessen unterschiedliche Bedeutungen keinen unmittelbar erkennbaren Zusammenhang besitzen 141, kann der Dolmetscher - wenn er nicht alle Varianten knapp gefaßt, sondern zur Aufrechterhaltung des flüssigen Duktus nur passagenweise übersetzt werden könne. Eine derartige Übersetzung wird naturgemäß eher den Charakter eines Resümees haben als eine Übersetzung Satz für Satz. 135 Begünstigende Faktoren sind unter anderem : mehr und bessere Angebote auf dem Ausbildungssektor, leichtere Durchführbarkeit von Auslandsaufenthalten, größerer Arbeitsmarkt für europäische Sprachen und eine Wettbewerbssituation durch mehr Konkurrenz. 136 Nach Koller sind dabei jeweils verschiedene Teile des Wissensspektrums aktiv: "Situations- und Weltwissen" (Einführung, S. 143), "Allgemeinwissen" (Einführung, S. 145) und "Sachwissen" (Einführung, S. 146). 137 Die sprachwissenschaftliche Bezeichnung für diesen Vorgang ist "Disambiguierung", vgl. Koller, Einführung, S. 138 ff. 138 Ausführliche Darstellung dazu bei Koller, Einführung, S. 136-139. 139 Sog. Polysemie; siehe Koller, Einführung, S.137, Fn 70. 140 Bei heiß ergibt sich die jeweilige Bedeutung (sehr warm, heftig, erregend) durch die im Kotext vorhandenen Wörter (Kaffee, Diskussion, Musik); Beispiel nach Koller, Einführung, S.136. 141 Sog. Homonymie; Bsp.: Schloß als Gebäude und als Verschließvorrichtung; siehe Koller, Einführung, S.137, Fn 70.

B. Sprachlicher Aspekt des Dolmetschens

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kennt - sich die notwendige Fonn nicht von der ihm bekannten ableiten. Allerdings helfen hier Ko- und Kontext im Nonnalfall weiter. Am unproblematischsten für einen Dolmetscher sind die Homographen, Wörter mit gleicher Schreibweise, aber unterschiedlicher Aussprache. 142 Umgekehrt stellen die Homophone - vom Laut her gleiche, in der Schreibweise differierende Ausdrükke 143 - eine Verwechslungsgefahr dar, die jedoch vom sprachlichen und situativen Kontext begrenzt wird.

b) Grammatische Mehrdeutigkeit Neben der lexikalischen gibt es die grammatische Mehrdeutigkeit '44 , die vor allem als syntaktische Mehrdeutigkeit große Übersetzungsprobleme bereiten kann. Es geht dabei um den Bezug sprachlicher Satzeinheiten zueinander. Kann dieser unterschiedlich interpretiert werden, können sich völlig andere Sinnzusammenhänge ergeben. Meist ist es für einen Dolmetscher unerläßlich, daß er die genaue Relation kennt, vor allem dann, wenn die Zielsprache nicht das gleiche fonnale Mittel für die Bezeichnung der Relation einsetzt. Ein von Koller 145 übernommenes Beispiel mag dies verdeutlichen: die Bilder von W. Churchill kann heißen a) die Bilder, die W. Ch. gemalt hat b) die Bilder, die W. Ch. gehören und c) die Bilder, die W. Ch. darstellen. Alle drei Bedeutungen sind im Französischen mit les tableaux de W. C h. erfaßt. Im Englischen dagegen werden diese Sachverhalte auf unterschiedliche Art ausgedrückt, a) the pictures by Ch.lCh: s pictures b) the pictures 0/ Ch: siCh: s pictures und c) the pictureslportraits 0/ Ch. Um die Mehrdeutigkeit "richtig" aufzuheben, zu disambiguieren, kann dem Dolmetscher neben dem Kotext teils nur sein "Situations- und Weltwissen" helfen. Er muß daher den Inhalt der gesamten Aussage gut im Gedächtnis behalten, um die richtigen Rückschlüsse ziehen zu können. Es ist notwendig, sehr genau aufzupassen, damit dadurch die Übersetzung den Sinn nicht verändert. Dies ist keine leichte Aufgabe, bedenkt man, daß Aussagen von Angeklagten oder Zeugen selten wohlfonnulierte, sprachlich durchdachte Äußerungen sind. Je aufgeregter ein Aussagender ist, desto "unklarer" werden manchmal seine Auskünfte, desto schwieriger ist es, die Infonnation richtig zu "sortieren".

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145

Bsp.: das Band, die Band (Koller, Einführung, S.137, Fn 70). Bsp.: sechs, Sex (Koller, Einführung, S.137, Fn 70). Ausführlich dazu Koller, Einführung, S. 139-148. Siehe Koller, Einführung, S. 141.

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I. Kap.: Sprache und Dolmetschen

c) Redewendungen

Im Zusammenhang mit der Mehrdeutigkeit sei auch noch auf Redewendungen verwiesen, da dort dem Dolmetscher ein vergleichbares Problem gegenübertreten kann. Die Wörter der Wendung erhalten eine andere, "übertragene" Bedeutung. Gebräuchliche Redewendungen werden dem Dolmetscher keine Schwierigkeiten bereiten. Wird er dagegen mit einer ihm nicht bekannten Wendung konfrontiert, kann es schwierig sein, den "übertragenen" Sinn aus dem Kontext herzuleiten, auch wenn er die einzelnen Lexeme der Redewendung für sich genommen kennen sollte. Hinzu kommt, daß es sich bei manchen "Floskeln" um "Eins-zu-Null-Entsprechungen" handelt, deren vollen Bedeutungsinhalt man mit den nächstliegenden Entsprechungen in der Zielsprache nicht ausdrücken kann. 146

8. Rückschlüsse des Dolmetschers Wie eben bei der syntaktischen Mehrdeutigkeit bereits angesprochen wurde, ist es für die Übersetzung manchmal unerläßlich, daß der Dolmetscher Rückschlüsse 147 zieht. Zur Verdeutlichung sei das obige Beispiel nochmals herangezogen. Wurde etwa im Text zuvor erwähnt, daß W. Churchill sich eine Staffelei gekauft habe, so kann der Dolmetscher aus dem Kontext rückschließen, es handle sich bei den Bildern von Weh. um Bilder, die er gemalt habe. Solche Rückschlüsse des Dolmetschers sind notwendig und bedürfen keiner Erläuterung. Schwierig ist es jedoch, die Grenze zwischen "legitimen" und "illegitimen" Rückschlüssen zu finden. So berichtet z. B. Horn 148: "In einem Fall hatte eine Sizilianerin ihrem untreuen Freund eine Anzahl von Messerstichen zugefügt. Als es in fora um den Tötungsvorsatz ging, gab sie an, daß sie ihm nur eine Lektion habe erteilen wollen. Basis des Mißverständnisses war, daß man in Sizilien unterscheidet zwischen uccidere = töten und ammazzare - was zwar auch töten heißt, daneben aber auch ,einen schweren Schaden zufügen/eine Lektion erteilen' bedeutet. Der Übersetzer, der in der Begutachtung das Wort ,ammazzare' selbstverständlich mit ,töten' übersetzt hatte, kommentierte später als Zeuge diese Übersetzung mit der Bemerkung, daß es für ihn klar gewesen sei, daß sie ihn hatte töten wollen, zumal sie die Tat mit einem großen Messer ausgeführt habe."

Dieses Beispiel bestätigt die Erfahrungen, die eine Anwältin mir gegenüber geschildert hat. Durch ihre Zweisprachigkeit (deutsch/türkisch) hat sie in ihren Ver146 Beispielsweise muß man für" That' s the way the cooky crumbles" im Deutschen "So ist das Leben" als nächste Entsprechung wählen, obwohl sich dahinter vielmehr die Entsprechung für "That' s life" verbirgt. Ein vergleichbares Bild mit "krümelnden Keksen" ist der deutschen Sprache fremd. 147 Vgl. auch Sommer, StraFo 1995,47: Dolmetschen sei keine "roboterhafte Tätigkeit", vielmehr sei vieles einem "InterpretationsspieIraum" des Übersetzers überlassen. 148 MschrKrim 1995,384.

C. Dolmetschtechniken

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handlungen oft die Möglichkeit, die Übersetzung mit dem Originaltext zu vergleichen. Auch sie sieht die Notwendigkeit von Rückschlüssen durch den Dolmetscher. Da aber die Gefahr von falschen Rückschlüssen bestehe, fordert sie hier mehr Eigeninitiative von der Dolmetscherseite. Er müsse häufiger anmerken, daß er etwas so interpretiere, statt den Eindruck zu vermitteln, daß es so sei. Bei dem von Horn beschriebenen Fall beispielsweise hätte ein Hinweis auf die beiden Bedeutungsmöglichkeiten von ammazzare das Mißverständnis vielleicht verhindern können. Zumindest wäre damit aber gleich der direkte Weg für eine gezielte Nachfrage bereitet worden.

C. Dolmetschtechniken Nachdem ausführlich gezeigt wurde, welche sprachlichen Aspekte das Übersetzen in der Verhandlung erschweren, ist nun auf die "technische" Seite des Dolmetschens einzugehen. Schon die Wahl der Dolmetschtechnik ist eine wichtige Entscheidung, denn nicht jede Methode ist für forensische Zwecke in gleichem Maße geeignet. Selbst innerhalb der Verhandlung kann ein Wechsel zwischen den Techniken erforderlich sein.

I. Die einzelnen Grundtechniken Man kennt zwei verschiedene Grundtechniken: eine Simultan- und eine Konsekutivübertragung. Beim Simultandolmetschen wird "das gesprochene Wort unverzüglich fortlaufend mit seiner Aussprache übertragen". 149 Hierbei sind zwei Arten von gleichzeitiger Übertragung denkbar, die sich jedoch in ihrer Wirkung und damit in ihrem Einsatzbereich gravierend unterscheiden. Zum einen das technisch hochentwickelte Kabinensimultandolmetschen 150 und zum anderen das Flüsterdolmetschen. 151 Vor allem die räumliche Komponente ist hierbei ausschlaggebend. Im ersten Fall verschwindet der Dolmetscher hinter den technischen Geräten und gleicht damit einem Werkzeug, das nicht am Geschehen direkt teilnimmt. 152 Im zweiten Fall ist er unmittelbar in die Gesprächssituation eingebunden und tritt somit als Verfahrensbeteiligter auf. Jessnitzer, Rpfleger 1982, 366. Bezeichnung nach Kabbani, StV 1987,412. 151 Diese Art der Einteilung von Dolmetschtechniken findet sich bei Jessnitzer, Rpfleger 1982,366 und Tormin, ZRP 1987,423. Kabbani, StV 1987,412 nimmt von vornherein eine Dreiteilung vor, indem er das Flüsterdolmetschen als eigene Technik neben das Simultan- und Konsekutivdolmetschen stellt. Diese unterschiedliche Aufteilung ist jedoch für die inhaltliche Ausgestaltung der jeweiligen Techniken irrelevant, über sie besteht Einigkeit. 152 Siehe Kabbani, StV 1987,412. 149

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1. Kap.: Sprache und Dolmetschen

Auch beim Konsekutivdolmetschen ist der Dolmetscher direkt am Gesprächsgeschehen beteiligt. Er überträgt das Gesprochene jedoch nicht gleichzeitig, sondern nachträglich, Satz für Satz, Abschnitt für Abschnitt oder sogar im ganzen. Bei dieser Methode ist es je nach Länge des zu übertragenden Teilstücks erforderlich, daß der Dolmetscher sich eigene Notizen anfertigt, anhand derer er das Gesagte übersetzt. 153

11. Eignung der Techniken für gerichtliche Verhandlungen Eine pauschale Antwort auf die Frage, weIche Technik im Gerichtsverfahren heranzuziehen ist, kann nicht gegeben werden 154, denn die unterschiedlichen Verhandlungsbestandteile stellen an die Übersetzung nicht die gleichen Anforderungen.

1. Kabinensimultandolmetschen Lediglich das Kabinensimultandolmetschen ist meines Erachtens für den gesamten Strafprozeß grundsätzlich ungeeignet. Zwar könnte man auf diese Weise noch den fremdsprachigen Angeklagten über das von den anderen Prozeßbeteiligten Gesagte informieren, sobald aber "in die andere Richtung" übersetzt werden muß, ist ein Dolmetschen mit persönlichem Kontakt vorzuziehen. 155 Nur durch diesen Kontakt ist sichergestellt, daß die aufgrund der Übersetzung ohnehin schon existierende "Mittelbarkeit" der Vernehmung nicht noch gravierender wird. Die gleiche Argumentation, die oben für das Unmittelbarkeits- und Mündlichkeitsprinzip sprach 156, läßt sich hier auf das Anwesenheitserfordernis des Dolmetschers übertragen. In diesem Sinne hält Kabbani den persönlichen Kontakt für unerläßlich, "um die Unmittelbarkeit der Übertragung von Verhalten, Gestik, Unsicherheit usw. zu gewährleisten".157 Das Simultandolmetschen aus der Kabine trägt unter Umständen sogar die Gefahr in sich, daß die Körpersprache in einen falschen Bezug zur Übertragung gesetzt wird. Bedingt durch den oft verschiedenen, syntaktischen Aufbau der Sprachen, tritt selbst beim "gleichzeitigen" Übersetzen eine leichte Verschiebung auf. Einzelne Fremdsprachen (z. B. Türkisch) ermöglichen aufgrund des dem Deutschen absolut konträ153 Siehe Tormin, ZRP 1987,423. 154 So z. B. auch Jessnitzer, MDÜ Berichtssonderheft August 1986, S. 11, der das Bestehen

fester Regeln verneint und die hier tendenziell favorisierten Methoden befürwortet. Ähnlich HK-Julius, § 259 StPO Rn 6, der das sog. Konsekutivdolmetschen als in der Regel am besten geeignet bezeichnet. 155 So auch Kabbani, StV 1987,412. Ebenso wohl auch Jessnitzer, Rpfleger 1982, 366 der das Kabinendolmetschen im Zusammenhang mit Gerichtsverhandlungen nicht erwähnt (sondern nur Kongresse und z. B. das Europäische Parlament). Sowie Tormin, ZRP 1987,423, der diese Technik in seinen Ausführungen über den Gerichtsdolmetscher nicht einmal nennt. 156 Siehe oben 1. Kap. A (S. 21). 157 Kabbani, StV 1987,412.

C. Dolmetschtechniken

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ren Satzaufbaus sogar nur eine semi-simultane Übertragung. 158 Die simultane Verdolmetschung kann den Zuhörer dazu verführen, die jeweilige nonverbale Information dem gerade Gehörten zuzuordnen, so daß Fehlinterpretationen entstehen können. Daher ist es sicherer, wenn der Sprachmittler seine Übersetzung mit den vom Sprecher verwendeten nonverbalen Kommunikationsmitteln unterlegen kann. 159 Es muß hier allerdings eingeräumt werden, daß die Nachteile des Kabinendolmetschens in Relation zur Praktikabilität zu sehen sind. Je mehr fremdsprachige Beteiligte ein Verfahren hat, um so schwieriger (bzw. sogar unmöglich) wird es, mit anwesenden Dolmetschern zu arbeiten. Dies ist der Grund, warum man sich vor allem bei internationalen Gerichtshöfen dennoch dieser Methode bedient. 160 Im Hinblick auf das Strafverfahren, wie es in dieser Arbeit interessiert, muß das Kabinensimultandolmetschen jedoch als die am wenigsten geeignetste Technik bewertet werden.

2. Flüster- und Konsekutivdolmetschen Von den anderen Methoden dagegen können zwei sinnvoll im Prozeß eingesetzt werden. So bietet sich das Flüsterdolmetschen 161 zur Information des ausländischen Angeklagten geradezu an. Dadurch könne dem Angeklagten das gesamte Verhandlungsgeschehen - Anträge, Zeugenaussagen, formaler Verhandlungsablauf und Schlußvorträge - verständlich gemacht werden, ohne die Verhandlung zu stören oder deren Dauer durch Wartepausen für die Übersetzung allzusehr auszudehnen. Diese Methode eigne sich auch noch bei mehreren, gleichsprachigen Angeklagten, indem der Dolmetscher "lautes Flüstern" einsetze. 162 Soll jedoch die Aussage eines ausländischen Zeugen oder Angeklagten übertragen werden, ist es im Interesse der Wahrheitsfindung besser, auf eine konsekutive Übersetzung umzusteigen. 163 Kommt es nämlich auf die exakte Wiedergabe der Formulierung an, ist eine Übertragung Satz für Satz die sicherere Methode. Hier hat der Dolmetscher die Möglichkeit, den Sinngehalt des gesamten Satzes zu erfassen und kann seine Übersetzung von vornherein darauf abstimmen. Ebenso sollten die Fragen des Gerichts konsekutiv übertragen werden, denn hier kann es gleichfalls auf eine exakte Formulierung ankommen. Siehe Gürkan, Kriminalist 1985,368. Zum Einsatz von Körpersprache durch den Dolmetscher siehe unten 1. Kap. D I 2 b (S.53). 160 Vgl. zum Einsatz einer drahtlosen Flüsteranlage im OLG-Bezirk Hamm Jessnitzer, MDÜ Berichtssonderheft August 1986, S. 8 sowie Fuchs-Vidotto, MDÜ 2/1982, S. 17-18. 161 Oder "Simultanflüstem", wie es von Driesen, MDÜ Berichtssonderheft August 1986, S. 7, genannt wird. 162 Siehe Kabbani, StV 1987,412. 163 So auch Kissel, § 185 GVG Rn 11 sowie LR-Schäjer/Wickern, § 185 GVG Rn 18 (24. Auflage). 158 159

1. Kap.: Sprache und Dolmetschen

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Allerdings trägt das konsekutive Dolmetschen auch immer die Gefahr von Selektion in sich. So kann der Dolmetscher verleitet werden, die Aussage zusammengefaßt zu referieren. Kabbani bezieht daher vehement Stellung gegen das Konsekutivdolmetschen Abschnitt für Abschnitt und bezeichnet es als ungenügend. Dabei werde der Inhalt der Aussage ohne Rücksicht auf deren Ablauf und das Aussageverhalten wiedergegeben. Der Dolmetscher, der eine Aussage derart verkürze, mißbrauche seine Stellung Und verhindere die Wahrheitserforschung. 164 Demnach ist beim direkten Dialog mit Fremdsprachigen einer konsekutiven Übersetzungstechnik mit möglichst kurzen Textabschnitten - am besten Satz für Satz - grundsätzlich der Vorzug zu geben. Es darf hier aber nicht der Nachteil von kurzen Übertragungssequenzen verschwiegen werden. Sie können den Redefluß des Aussagenden entscheidend lähmen. Ferner besitzt nicht jeder den gleichen Redestil, so kann dieselbe Information z. B. in einen oder vier Sätze verpackt werden. Darüber hinaus darf man nicht vergessen, daß fremde Nationen nicht nur eine andere Sprache, sondern auch eine andere Mentalität besitzen. Es kann schwierig sein, beispielsweise den "Redeschwall" eines erregt aussagenden Südländers zu unterbrechen. 165 Der flüssige Duktus einer Aussage kann wichtig sein, um möglichst viel Information zu erhalten. Treten zu lange Unterbrechungen auf, hat der Aussagende die Möglichkeit, seine im Kopf vorhandene Information zu einer Frage durchzugehen und zu selektieren. Dabei kann Information untergehen, die er zwar für unwesentlich hält, die für das Gericht unter Umständen jedoch von Bedeutung sein könnte. Nicht umsonst sollen Aussagende daher grundsätzlich zusammenhängend berichten. 166 Somit kollidieren hier zwei unterschiedliche Interessen: Das Bedürfnis nach einer umfassenden, zusammenhängenden Darstellung einerseits und die Notwendigkeit von möglichst exakter Übertragung, die zwangsläufig zu eher kürzeren Textabschnitten führt, andererseits. Diese Schilderungen zeigen, daß es kaum möglich ist, eine allgemeinverbindliche Aussage über die Art der Übersetzungstechnik im Prozeß zu machen. Vielmehr ist es eine Entscheidung im Einzelfall, wann vom Flüsterdolmetschen zum Konsekutivdolmetschen und umgekehrt gewechselt werden sollte und vor allem wie groß die konsekutiv zu übersetzenden Textteile ausfallen sollten. Hier kommt es in erster Linie auf die Fähigkeiten des Dolmetschers an. Er muß ein Gespür dafür entwikkeIn, wann er welche Technik einsetzt, welchen Stellenwert die jeweilige Information hat und wie viele Wörter er noch "richtig" übersetzen kann, ohne dabei zu resümieren. Siehe Kabbani, StV 1987,412. Vgl. hierzu auch oben das von Horn geschilderte Beispiel, siehe S.42, Fn 148. 166 § 69 Abs. 1 Satz 1 StPO postuliert dies z. B. ausdrücklich für die Zeugenaussage vor Gericht; siehe auchBGHSt 13,358,361, dort wird es als wichtiges Recht für den Angeklagten gesehen, "im Zusammenhange" zu dem Schuldvorwurf Stellung nehmen zu können; vgl. LRGollwitzer, § 243 StPO Rn 80 (25. Auflage) sowie KK-Tolksdorf, § 243 StPO Rn 43. 164

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D. Qualifikation des Dolmetschers und Arbeitsbedingungen

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3. Kettendolmetschen Unter dem Stichwort "Dolmetschtechnik" läßt sich noch ein anderer Modalitätsgesichtspunkt behandeln. Es geht dabei um den "Mittelbarkeitsgrad" der Übertragung. Bisher wurde von dem in der Praxis meist anzutreffenden Fall einer "direkten" 167 Verdolmetschung ausgegangen. Dabei beschränkt sich die Übersetzung auf einen einzigen Vorgang, also einer Translation von der Ausgangssprache in die Zielsprache. Denkbar ist jedoch auch ein "indirektes" Dolmetschen, bei dem eine weitere Sprache zwischengeschaltet wird. 168 Man spricht insoweit vom "SukzessivDolmetschen" 169 oder einer "Kettendolmetschertätigkeit" 170. Diese Art des Dolmetschens sollte jedoch nur als äußerste Notlösung in Betracht gezogen werden. 171 Die Nachteile einer solchen Übersetzung liegen auf der Hand. Alle bereits beim "direkten" Dolmetschen problematischen Punkte potenzieren sich hier; je mittelbarer die endgültige Übertragung wird, um so größer wird die Gefahr der Ungenauigkeit.

D. Qualifikation des Dolmetschers und Arbeitsbedingungen I. Allgemeine Qualifikation An mehreren Stellen der Arbeit zeigte sich, mit welch unterschiedlichen Problemen ein Dolmetscher beim Übersetzen zu kämpfen hat und wie wichtig besondere kulturspezifische Kenntnisse dabei sein können. Neben der sprachlichen Qualifikation trat die Notwendigkeit einer besonderen Sensibilität z. B. im Zusammenhang mit der Dosierung von Hintergrundinformation oder bei der Wahl der passenden Übersetzungstechnik ans Licht. Ferner wurde festgestellt, daß der Dolmetscher durch seinen faktischen Einfluß auf das Urteil eine über die eigentliche Gehilfenposition hinausgehende Stellung erwirbt. 172 Um diesen Umstand zu rechtfertigen sowie alle Anforderungen erfüllen zu können, ist eine besondere Qualifikation des Verhandlungsdolmetschers unabdingbar. Nach dem bisher Gesagten eine einleuchtende Schlußfolgerung, jedoch hat sie sich in der Praxis noch kaum niedergeschlagen. Ob ein Dolmetscher die nötigen Voraussetzungen mit sich bringt, ist oft dem Zufall überlassen. 167 Vgl. Kallee, S.4, der in diesem Zusammenhang die Begriffe "direktes/indirektes" Dolmetschen verwendet. 168 Beispiel nach Jessnitzer, Dolmetscher, S. 2: 1. Dolmetscher: Malaiisch - Englisch, 2. Dolmetscher: Englisch - Deutsch. 169 Siehe Kissel, § 185 ova Rn 12. 170 Siehe Schreiber, in Wieczorek/Schütze, § 185 ova Rn 12. 171 So auch Jessnitzer, Dolmetscher, S. 2. l72 Siehe oben I. Kap. B II (S. 24) sowie vgl. auch unten I. Kap. E (S. 58 ff.).

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1. Kap.: Sprache und Dolmetschen

1. Bestehende Dolmetschersituation Die Wurzeln dieses Problems liegen in zwei Bereichen: Zum einen gibt es kein "Berufsbild" des Dolmetschers 173, zum anderen hat es der Gesetzgeber versäumt zu regeln, wer speziell als Gerichtsdolmetscher tätig werden darf. Im Hinblick auf die oben bereits erwähnte Reichsgerichtsentscheidung 174 könnte eine ausführliche, gesetzliche Regelung für entbehrlich gehalten werden. Denn da das Gericht im Einzelfall darüber zu wachen hat, daß der Dolmetscher seiner Aufgabe gerecht wird, muß es implizit auch prüfen, ob der Dolmetscher ausreichend qualifiziert ist. Das Vorhandensein notwendiger Befähigung könnte auf diesem Wege garantiert sein. Jedoch gestaltet sich diese Eignungskontrolle in der Praxis recht schwierig. Das Gericht kann dabei kaum auf Hilfestellungen durch entsprechende Qualifikationsnachweise zurückgreifen. Eine detaillierte gesetzliche Regelung ist daher trotz gerichtlicher Kontrolle des Dolmetschers sinnvoll und unentbehrlich. Doch zunächst ein Blick auf die tatsächliche Gesetzessituation: Der Einsatz von Dolmetschern wird für das Strafverfahren überwiegend in den §§ 185-191 GVG geregelt. Dabei ist der Gesetzgeber recht zurückhaltend vorgegangen, indem er nur Eckpunkte nonniert hat. So wird in § 185 Abs. 1 S. 1 GVG vorgeschrieben, daß ein Dolmetscher bei Verhandlungen unter Beteiligung der deutschen Sprache nicht mächtigen Personen zuzuziehen ist. 175 Wann allerdings die Voraussetzungen dafür vorliegen, scheint, da es sich bei der Zuziehung des Dolmetschers um eine Aufgabe des Richters handelt und nähere Angaben im Gesetz völlig fehlen, weitestgehend dem richterlichen Ennessen überlassen zu sein. Auf die mit der Ennessensfrage verbundenen Probleme wird später noch einzugehen sein. 176 Ferner legt § 189 GVG die Eidespflicht des Dolmetschers fest und § 191 GVG gibt an, wie bei Ausschluß und Ablehnung eines Dolmetschers zu verfahren ist. Damit sind die gesetzlichen Vorgaben des GVG bereits erschöpft. Vorschriften, welche den Umfang der Übersetzungspflicht beschreiben, sucht man hier vergebens. 177 Ebensowenig finden sich Regelungen hinsichtlich der Voraussetzungen, die ein Dolmetscher erfüllen muß, um als Gerichtsdolmetscher eingesetzt werden zu können. 178 Als Orientierungshilfe für die Auswahl gerichtstauglicher Dolmetscher Siehe Kabbani, StV 1987,411. RGSt 76, 177; siehe 1. Kap. B 11 (S. 24). 175 § 185 GVG regelt zusätzlich die Protokollierung fremdsprachiger Aussagen und Erklärungen sowie wann eine Zuziehung unterbleiben kann. 176 Siehe unten 2. Kapitel (S. 78 ff.), insbesondere eIl 6 (S. 91 f.) sowie C III (S. 93 ff.). 177 Lediglich die Strafprozeßordnung enthält in dieser Hinsicht eine Regelung (§ 259 StPO; Übersetzungs umfang der Schlußvorträge); siehe dazu unten 3. Kap. B V (S. 183 ff.). 178 Dazu meint Sommer, StraFo 1995,45: "Der Umfang dieses regelungsbedürftigen Verhältnisses im Strafprozeß [gemeint ist die Notwendigkeit von Verständigungshilfen] steht in eiJ73

174

D. Qualifikation des Dolmetschers und Arbeitsbedingungen

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kann hier bislang einzig § 189 GVG dienen. Dieser erwähnt in Absatz 2 die Möglichkeit einer allgemeinen "Beeidigung"179, mit der man zugleich eine besondere Prozeßeignung dokumentieren könnte. Hintergrund dieser Regelung ist jedoch weniger die Idee einer Qualifikationsgarantie, als eine Zweckmäßigkeitserwägung. 18o Die Vereidigung nach § 189 Abs. 1 GVG muß in jeder neuen Strafsache (sogar in der selben Sitzung) wiederholt werden. 181 Tritt ein Dolmetscher immer wieder in Gerichtsverhandlungen auf, so ist ein derartiges Verfahren unnötig kompliziert. 182 Geht man zweckmäßigerweise davon aus, daß ein "Gerichtsdolmetscher" seinen Arbeitsschwerpunkt im forensischen Bereich hat oder zumindest wiederholt in Gerichtsverfahren auftritt, ist eine Vereinfachungsmöglichkeit des aufwendigen Verfahrens nach § 189 Abs. 1 GVG nur konsequent. So sieht § 189 Abs. 2 GVG eine allgemeine Vereidigung vor, auf die sich der Dolmetscher im Einzelfall nur noch zu berufen braucht. Die Ausgestaltung dieser allgemeinen Vereidigung ist Ländersache. 183 Die Länder hätten, über den "Umweg" des § 189 Abs. 2 GVG i.V. m. den jeweiligen landesrechtlichen Vorschriften, somit die Möglichkeit, einen gewissen - wenn auch begrenzten - Einfluß auf die Dolmetscherqualifikation zu nehmen: Zumindest die allgemeine Vereidigung könnte an besonders auf die Gerichtssituation zugeschnittene Qualitätsprüfungen gekoppelt werden und somit theoretisch eine Qualifikationsgarantie darstellen. 184 Insgesamt betrachtet ist dies jedoch nur eine halbherzige Eignungskontrolle, denn der Einsatz von allgemein vereidigten Dolmetschern ist nicht zwingend, sondern steht im Ennessen des Gerichts. Immerhin könnte den Richtern so aber wenigstens im Ansatz eine Auswahlhilfe an die Hand gegeben werden. Darüber hinaus ist zu berücksichtigen, daß das Gericht von sich aus für die gute Qualität der Übersetzung Sorge zu tragen hat und insofern bei der Dolmetscherauswahl trotz Ennessensentscheidung stets pflichtgemäß zu handeln hat. Wäre die allgemeine Vereidigung eines Dolmetschers an eine gerichtsspezifische Qualifikation gekoppelt, so führte die Ausübung pflichtgemäßen Ennessens im Hinblick auf die Dolmetscherauswahl regelmäßig zu einem faktinem bemerkenswerten Gegensatz zu den bescheidenen Rege\ungsbemühungen des Gesetzgebers.". 179 Die Verwendung der Bezeichnung ,,Beeidigung" erfolgt hier in Anlehnung an den Gesetzeswortlaut. Entgegen dem uneinheitlichen Sprachgebrauch der Gesetze, der "Beeidigung" sowohl auf Aussagen und Gutachtenerstattungen als auch auf Personen bezieht, ist eine stringente begriffliche Unterscheidung von Be- und Vereidigung jedoch vorzugswürdig. Im folgenden werden die jeweiligen Begriffe daher nur noch entsprechend dieser Differenzierung verwendet. 180 Vgl. Kabbani, MDÜ 2/1986, S.6. 181 Siehe Meyer-Goßner, § 189 GVG Rn 1. 182 So auch Tormin, ZPR 1987, 422, der das Verfahren als "unzweckmäßig" bezeichnet. 183 Siehe KK-Diemer, § 189 GVG Rn 2. 184 Vgl. Jessnitzer, Dolmetscher, S. 22, der in der allgemeinen Vereidigung bereits eine gewisse Garantie für die Qualität des Dolmetschers sieht. 4 Lankisch

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1. Kap.: Sprache und Dolmetschen

schen Zwang. Ein allgemein vereidigter Dolmetscher müßte dann - zumindest im Verhältnis zu einem Dolmetscher mit nicht nachgewiesenen Qualifikationen - vorzuziehen sein. 185 So hilfreich das beschriebene Modell für die Gerichte auch sein könnte, in der Praxis hat es bislang kaum zu dem gewünschten Erfolg geführt. Die Länder haben nämlich von der Ausgestaltungsmöglichkeit "nicht nur sehr unterschiedlich, sondern auch sehr unzureichend Gebrauch gemacht". 186 In manchen - allerdings wenigen - Ländern gibt es inzwischen zwar fonnal ein besonderes Dolmetschergesetz l87 , andere begnügen sich dagegen mit einer Regelung innerhalb des AGGVG 188. Bei wieder anderen wird diese Materie schlicht zum Gegenstand einer Allgemeinen Verfügung. 189 Allen diesen Regelungen ist aber eines gemeinsam: sie bieten keine wirklich ausreichende Gewähr für eine an der Prozeßsituation orientierte Qualifikation der Dolmetscher. Die Gerichte werden hinsichtlich der Dolmetscherauswahl also nur unzureichend vom Gesetzgeber unterstützt. Dieses Defizit wird auch durch den freien Arbeitsmarkt nicht genügend kompensiert. Es gibt kein spezielles Berufsbild eines Gerichtsdolmetschers. Nicht einmal für den "nonnalen" Dolmetscher gibt es allgemeine Standards. So beklagt Kabbani, "daß jeder Sprachkundige, gleich welcher Nationalität und Ausbildung sich ungehindert Dolmetscher nennen darf.... Also kann jeder auch ohne Nachweis seiner Befähigung hierzu Dolmetscher spielen oder gar ein Dolmetscherbüro eröffnen und betreiben." 190 Daß Sprachkundigkeit allein aber zum Dolmetschen und Übersetzen nicht ausreichend ist, wurde bereits mehrfach betont. Demgemäß weist auch Tonnin darauf hin, daß die Fähigkeit des Übertragens von einer Sprache in die andere nicht automatisch gegeben sei, wenn jemand zwei Sprachen fließend beherrsche. Voraussetzung sei vielmehr auch, spezielle Dolmetschtechniken anwenden zu können, wobei gerade das Simultan- bzw. Flüsterdolmetschen eine erhöhte Anforderung 191 an den Dolmetscher stelle. Diese Anforderungen erfüllten aber nicht alle in ausreichendem Maße. 192 Von Seiten der Praxis wurde mir diese Beobachtung bestätigt, so teilt z. B. auch die in So auch LR-Schäjer/Wickern, § 185 GVG Rn 14 (24. Auflage). Tormin, ZPR 1987,423. 187 SO Z. B. in Bayern (ursprünglich schon seit 1953, Neufassung 1981) oder in Hamburg (1985); man muß jedoch feststellen, daß auch diese Regelungen noch keine optimalen Ausgestaltungen enthalten, wie sie wünschenswert wären. Dort werden hauptsächlich Formalien für die Bestellung und allgemeine Vereidigung geregelt. Die Zulassungskriterien für die Dolmetscher sind sehr allgemein gehalten und haben leider keinerlei spezifischjuristische Ausrichtung. 188 Vgl. für Baden-Württemberg §§ 14,15 AGGVG, für Saarland §6 AGGVG. 189 SO Z. B. in Bremen (AV vom 11.04.1995), in Nordrhein-Westfalen verwendet man sogar noch immer die AV des Preußischen lustizministers vom 05.02.1900. 190 Kabbani, StV 1987,411. 191 Vgl. dazu z.B . Nowak-Lehmann , Bewußte und unbewußte Operationen beim Simultandolmetschen, S. 555-562. 192 Siehe Tormin, ZPR 1987,423. IS5

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D. Qualifikation des Dolmetschers und Arbeitsbedingungen

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der Arbeit bereits erwähnte zweisprachige Anwältin Tormins Einschätzung. Nach ihrer Erfahrung seien viele Übersetzer bzw. Dolmetscher zwar durchaus in der Lage, ordentliche schriftliche Übersetzungen anzufertigen, in der Prozeßsituation, vor allem beim Simultandolmetschen, sei eine Reihe von ihnen jedoch überfordert. 193 2. Einzelne Komponenten Es ist aber nicht nur der Nachweis der Sprachqualifikation und des Beherrschens der Dolmetschtechniken, der für speziell ausgebildete Gerichtsdolmetscher spricht. Er muß sich gegenüber einem "normalen" Dolmetscher durch weitere Besonderheiten auszeichnen. a) Juristische Fachkenntnisse So ist für Übersetzungen im Bereich der Rechtspflege die Kenntnis und das Verständnis der juristischen Terminologie eine wichtige Arbeitsgrundlage. Daher sollte die Ausbildung angehender "Gerichtsdolmetscher" neben dem sprachlichen Schwerpunkt um eine rechtswissenschaftliche Komponente ergänzt werden. 194 Die Notwendigkeit einer juristischen Zusatzqualifikation besteht dabei sowohl für Übersetzer als auch für Dolmetscher, obwohl beide teils mit unterschiedlichen Übersetzungsanforderungen konfrontiert werden. Oben wurde bereits angedeutet, daß man zwischen einer "fachsprachlichen" und "normalsprachlichen" Übersetzung differenzieren kann. 195 Steht bei der Translation von "klassisch" juristischen Texten der rein fachsprachliche Übersetzungsaspekt im Vordergrund, so handelt es sich beim Dolmetschen auf dem Gebiet der Rechtspflege - gemeint ist hierbei das weite Feld von der polizeilichen Ermittlungstätigkeit bis hin zur gerichtlichen Verhandlung - sowie beim Übersetzen in diesem Bereich - also von Protokollen, schriftlichen Erklärungen etc. - eher um normalsprachliche Übersetzungen. Aus dieser Unterscheidung kann aber nicht gefolgert werden, daß die juristische Qualifikation nur für den "fachsprachlich" Übersetzenden notwendig sei. Für den Übersetzer klassisch juristischer Texte ist das Vorhandensein juristischer Kenntnisse nach außen sichtbar hervortretendes Handwerkszeug, unabdingbares Arbeitsmittel: mangelnde fachlich-juristische Fähigkeiten manifestieren sich dort sofort in erkennbar schlechten Übertragungen. Für den Gerichtsdolmetscher dagegen bilden juristische Kenntnisse in erster Linie eine - nicht unbedingt zutage tretende - Basis, die erforderlich ist, die jeweiligen Vorgänge richtig verstehen und einordnen zu könÄhnlich auch die Beschreibung zur tatsächlichen Situation bei Wendler, S. 220-221. So auch Jessnitzer, Rpfleger 1982, 366 sowie Tormin, ZRP 1987,423. Für eine spezielle Ausbildung im forensischen Bereich auch Wendler, S. 241. 195 Siehe oben 1. Kap. B III (S. 25). 193

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1. Kap.: Sprache und Dolmetschen

nen. Nur vor dem Hintergrund eines juristischen Verständnisses kann die Übersetzung eine annähernd äquivalente Entsprechung darstellen. Darüber hinaus sind auch in der Verhandlungssituation gewisse fachsprachliche Tennini Übersetzungs gegenstand. So muß der Dolmetscher für eine Reihe von Begriffen z. B. Bundeszentralregister, Aussage-/Zeugnisverweigerungsrecht, Rechtsmittel, Berufung etc. Entsprechungen parat haben, auch wenn sie vom Richter zusätzlich inhaltlich erörtert werden. Das bedeutet aber, daß der Dolmetscher mit den Rechtssystemen bei der Arbeitssprachen vertraut sein muß. 196 Auswendig gelernte juristische Tenninologie allein ist dabei eine unzureichende Qualifikation. Da die einzelnen Rechtssysteme nie kongruent sind, benötigt der Dolmetscher vor allem Grundkenntnisse im fremden Recht (auch Verfahrensrecht), um für den Angeklagten wirklich "verständlich" übersetzen zu können. Aber gerade hierin liegt das Manko in der bestehenden Dolmetscherausbildung. So beklagt Tonnin, daß nur ein Teil der Dolmetscher und Übersetzer eine fachliche Zusatzqualifikation besäße. 197 Mitkausal für dieses Problem sind die zuvor angesprochenen, teils unzureichenden, landesrechtlichen Ausgestaltungen hinsichtlich der allgemeinen Vereidigung. Wird dort, wie Kabbani es z. B. für Hessen erläutert, "nur" der Nachweis einer abgelegten und staatlich anerkannten DolmetscherpfÜfung gefordert, ist damit nicht sichergestellt, daß der Dolmetscher eine besondere Qualifikation für den Bereich der Rechtspflege besitzt. Grund dafür ist, daß bei der staatlichen Prüfung ein Thema aus verschiedenen Gebieten - wobei Recht nur eines von mehreren möglichen ist - ausgewählt werden kann, sowie bei staatlich anerkannten Prüfungen der Industrie- und Handelskammer dieses Gebiet sogar nicht einmal mehr als Prüfungs gegenstand angeboten wird. Dadurch sei der geringste Teil der allgemein vereidigten Dolmetscher im Fach Rechtswesen geprüft; sie beherrschten die juristische Tenninologie weder in der deutschen noch in der Fremdsprache. 198 Auch Jessnitzer stellt fest, daß den Gerichten nicht genügend Sprachmittler, von denen die Idealanforderungen eines Gerichtsdolmetschers erfüllt würden, zu Verfügung stünden. 199 Dabei liegt die Notwendigkeit solcher Spezialkenntnisse offen auf der Hand. Kabbani bringt dies mit wenigen Worten auf den Punkt: "Die juristische Fachkenntnis und Gerichtserfahrung machen den Gerichtsdolmetscher, nicht die bloße allgemeine Beeidigung."2oo 1% Diese Forderung wird explizit von Jessnitzer, Dolmetscher, S. 14, nur für die Übersetzung juristischer Texte aufgestellt. Für die Verhandlungs situation nennt er zunächst nur ein Beispiel, bei dem es nicht so sehr auf die juristische Bildung des Dolmetschers ankommt. Betrachtet man aber seine Ausführungen genauer, ergibt sich m. E. auch danach die Notwendigkeit eines juristisch geschulten Dolmetschers für den Prozeß, denn die oben angesprochenen Fachbegriffe sind mit "Texten juristischen Inhalts" vergleichbar. 197 Siehe Tormin, ZPR 1987,423. 198 Siehe Kabbani, StV 1987,411. 199 Siehe Jessnitzer, Rpfleger 1982, 366. 200 Kabbani, StV 1987,411.

D. Qualifikation des Dolmetschers und Arbeitsbedingungen

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b) Nonverbale Informationsvermittlung Um das Spektrum der Anforderungen zu komplettieren, sei auf eine bisher zwar angedeutete, aber noch nicht explizit genannte Befähigung hingewiesen; gemeint sind die "schauspielerischen" Fähigkeiten eines Dolmetschers. Im Zusammenhang mit der Dolmetschtechnik wurde ausgeführt, wie wichtig die nonverbalen Kommunikationselemente bei einer Aussage sind. Ein Dolmetscher darf diese nicht unterschlagen. Obwohl das Gericht den Aussagenden in persona sieht, kann es mit der außersprachlich vermittelten Information nur wenig anfangen, denn diese ist kaum aussagekräftig, solange sie nicht den entsprechenden verbalen Äußerungen zugeordnet werden kann. Erschöpfende Informationsvermittiung und notwendige Unmittelbarkeit 201 kann der Dolmetscher daher nur durch eine umfassende "Übertragung" erzielen. Kabbani schildert dieses Erfordernis sehr eindrucksvoll: "Kopfnicken, Achselzucken, Mimik muß genauso wiedergegeben werden und nicht als ,ja' , ,was weiß ich' usw. übersetzt werden. Der Gerichtsdolmetscher ist ein Schauspieler im kleinen: er schlüpft in die Haut der Aussageperson und stellt sie vorbehaltlos dar - sicher, zaudernd, ausfallend, aufgebracht, reuig, energisch, stotternd, verzweifelt, flehend. "202

Es ist allerdings nicht überraschend, daß derartige "naturgetreue" Übertragungen in der Praxis selten anzutreffen sind. Das ist um so bedauerlicher, als gerade ein Fachmann selbst (Kabbani ist seines Zeichens staatlich geprüfter und vereidigter Dolmetscher) die Wichtigkeit dieser Vorgehensweise betont. Sicherlich ist das "Schauspielern" eine Komponente, die nur schwerlich in die Dolmetscherausbildung integriert werden kann, um so mehr ist zu hoffen, daß viele Dolmetscher sich diesbezüglich überwinden und selbsttätig ihre Übersetzung mit den nonverbalen Kommunikationselementen anreichern. 3. Notwendige Reaktionen Zusammenfassend kann gesagt werden, daß - sollten nicht grundsätzlich besondere Voraussetzungen für Gerichtsdolmetscher normiert werden - zwei Dinge notwendig sind, um die Misere in der Dolmetschersituation zu beheben: Zum einen sollten in einigen Bundesländern die Regelungen der allgemeinen Vereidigung überarbeitet werden, damit sie als wirkliche Hilfestellung bei der Dolmetscherauswahl fungieren können. Zum zweiten muß ein in der Praxis teils noch anzutreffender, grundlegender Irrtum ausgeräumt werden. Es ist nicht richtig, daß jemand, nur weil er zwei Sprachen fließend spricht, die Befähigung besitzt als Gerichtsdolmetscher zu arbeiten. Laut 201 202

Vgl. oben 1. Kap.C (S.44). Kabbani, StV 1987,412-413.

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1. Kap.: Sprache und Dolmetschen

Tonnin liegt aber genau diese Annahme dem allgemeinen Mangel, daß Dolmetscher ohne nachgewiesene Qualifikation und Zuverlässigkeit herangezogen würden, zugrunde. 203

11. Individuelle Auswahlkriterien Das Gericht darf sich bei der Dolmetscherauswahl aber nicht nur an den allgemeinen Qualifikationskriterien orientieren. Ebenso wichtig sind häufig individuelle Eigenschaften eines Dolmetschers. So ist es nicht ausreichend, wenn Ausländer und Dolmetscher nur "theoretisch" die gleiche Sprache sprechen, entscheidend ist vielmehr, daß sie sich auch tatsächlich verstehen.

1. Dialekte Gemeint ist damit zunächst einmal die Berücksichtigung von Dialekten. Oft kann das Problem durch Zurückgreifen auf eine "Hoch- oder Schriftsprache" kompensiert werden. Teils haben die Dialekte nur eine geringe Abweichung oder sind untereinander gut verständlich. Aber es gibt durchaus auch so starke Abweichungen, daß eine reibungslose Verständigung nicht mehr gewährleistet ist. Daher ist es notwendig, die Dialektzugehörigkeit bereits bei der Auswahl des Dolmetschers zu berücksichtigen. Ferner ist es unerläßlich, daß der Dolmetscher das Gericht, sobald er solche Verständigungsprobleme erkennt, darauf hinweist. Es ist - gerade im Hinblick auf die Auswirkungen für den Betroffenen - nicht entschuldbar, diese Schwierigkeiten zu verheimlichen. Dennoch scheinen Dolmetscher - vielleicht aus Angst, in Zukunft nicht mehr herangezogen zu werden - ihrer Hinweispflicht nicht immer nachzukommen. Ein Beispiel aus der Praxis der schon mehnnals erwähnten Rechtsanwältin soll dies verdeutlichen: Entsprechend der im Prozeß benötigten Sprache zog das Gerichr204 einen Dolmetscher für Kurdisch heran. Die fremdsprachigen Betroffenen waren aus der Türkei stammende Kurden, die den kurdischen Dialekt Kurmanci sprachen. Der Dolmetscher dagegen - ein aus Syrien stammender Kurde - sprach den Dialekt Sorani. Es kam zu extremen Verständigungsschwierigkeiten, über die der Dolmetscher das Gericht nicht infonnierte. Statt dessen versuchte er eine Verständigung zu erzielen, indem er auf seine - allerdings völlig unzureichenden Türkischkenntnisse zurückgriff. Die mittlerweile stutzig gewordene Anwältin intervenierte. Nun erst, nach 20 Minuten, erfuhr das Gericht von den Verständigungsschwierigkeiten, und die Betroffenen teilten mit, daß sie bisher kaum etwas verstanden, sich aber nicht getraut hätten, darauf hinzuweisen. Siehe Tormin, ZPR 1987, 423. Auch hierbei handelte es sich zwar wieder um ein Verwaltungsgerichtsverfahren, die für das Strafverfahren zu verdeutlichende Problematik kann daran aber ebenso aufgezeigt werden. 203

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D. Qualifikation des Dolmetschers und Arbeitsbedingungen

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Sicherlich ist es häufig unmöglich, einen speziellen Dolmetscher für einen besonderen Dialekt zu finden, soweit dies allerdings möglich ist, muß dieses "Detail" berücksichtigt werden. Ansonsten kann das mit dem Dialekt verbundene Problempotential durch die Zuziehung von Muttersprachlern relativ gering gehalten werden. So plädiert Gürkan - selbst ein erfahrener Gerichtsdolmetscher - grundsätzlich für die Beauftragung von Muttersprachlern. Es sei zwar im allgemeinen anerkannt und üblich, eher einen Muttersprachler heranzuziehen, je schwieriger eine zu übersetzende Sprache sei. Diese Praxis solle - sofern möglich - aber auch bei weniger schwierigen Sprachen erfolgen. Gürkan begründet diese Forderung mit einer ebenso schlichten wie überzeugenden Überlegung: "weil alle Sprachen verschiedene Mundarten und Lokaldialekte vorweisen, die jedoch am ehesten einem Muttersprachler bekannt sein dürften. ,,205 Gerade auch mit Blick auf die immer wieder betonten landeskundlichen Kenntnisse kann ein solcher Dolmetscher, sofern es sich um einen echten "Vor-Ort-Muttersprachler" handelt, sehr von Vorteil sein. Allerdings heißt das nicht, daß aufgrund dieser positiven Gesichtspunkte Dolmetscher mit deutscher Muttersprache völlig ungeeignet seien. Für ihren Einsatz können mögliche bessere Kenntnisse im deutschen Recht und ein differenzierter Umgang mit der deutschen Sprache sprechen. Daher verlangt die spezielle Situation des Einzelfalls nach einer unterschiedlichen Ausprägung der individuellen Befähigungen. 206 Versteht der Betroffene zwar deutsch, kann sich aber in dieser Sprache nicht selbst artikulieren? Lebt er schon lange hier, und ist er mit der deutschen Kultur vertraut? Aus welcher Region (strukturelle Beschaffenheit?) stammt er, welche Schul- und Berufsausbildung besitzt er? Solche Überlegungen und viele weitere Aspekte können die Entscheidung in die eine oder andere Richtung beeinflussen.

2. Politische, nationale und religiöse Zugehörigkeit Die eingangs formulierte Notwendigkeit, daß sich Dolmetscher und Fremdsprachiger "verstehen" müssen, beschränkt sich aber nicht nur auf die sprachliche Ebene. Genauso wichtig ist bei der Dolmetscherwahl auch die Beachtung von politischer 207 , nationaler und religiöser Zugehörigkeit. 208 Diese Aspekte sind elementar für die Schaffung einer Vertrauensbasis. Beispielhaft hierzu eine Situation aus der polizeilichen Arbeit, der ein Vorfall zwischen Serben und Kroaten (mit tödlichem Ausgang für einen Kroaten) vorausgegangen war. Kriminalist 1985, 368. Vgl. Jessnitzer, Dolmetscher, S. 84-85 . 207 Siehe dazu AG Lübeck, StraFo 1998, 324. 208 Vgl. dazu Katholnigg, § 185 ova Rn I, der bei Zugehörigkeit eines Angeklagten zu einem Volk mit sich befehdenden Lagern darauf hinweist, daß möglichst ein Dolmetscher aus dem gleichen Lager auszuwählen sei. 205

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1. Kap.: Sprache und Dolmetschen

"Die an der Auseinandersetzung beteiligten Kroaten lehnten es mit der Begründung mangelnden Vertrauens ab, sich mit einer Dolmetscherin serbischer Herkunft (Frau eines Polizeibeamten) vernehmen zu lassen." 209

Auch kulturspezifische Mentalität und gesellschaftspolitische Gesichtspunkte können hier hineinspielen. Man könne von einem Orientalen, in dessen Heimat Frauen keinen hohen Stellenwert hätten, nicht erwarten, daß er gegenüber einer Dolmetseherin für ihn peinliche Dinge preisgebe. Ebenso sei eine moslemisch erzogene Türkin kaum in der Lage, in Gegenwart eines Mannes über die ihr widerfahrene Vergewaltigung zu reden. 2lO Von seiten der Praxis wird unter anderem ausgeführt, daß auch unterschiedliche politische Ansichten zwischen einem Übersetzer und einer zu vernehmenden Person Zweifel an der Objektivität der Übersetzung zuließen 211 , eine Situation, die einem Vertrauensverhältnis nicht gerade förderlich ist. Neben diesen subjektiven Zweifeln an der Neutralität können aber auch tatsächlich objektive Bedenken geäußert werden, was unter Umständen sogar bis zu einer Ablehnung des Dolmetschers gemäß § 191 GVG führen kann. Es soll hier nicht unterstellt werden, die Dolmetscher würden in solchen Konstellationen bewußt falsch übertragen. Entsprechend der Schilderung eines erfahrenen Gerichtsdolmetschers, dem in fast zwei Jahrzehnten Gerichtspraxis nur zwei Dolmetscher bekannt wurden, die bewußt falsch übersetzten 212 , ist davon auszugehen, daß absichtliche Falschübersetzungen eine Ausnahme darstellen. Vielmehr liegt die Gefahr hier auf unbewußter Ebene. Es wurde zuvor gezeigt, wie sich die Interpretation des Dolmetschers durch seine persönliche Sichtweise und seine eigenen Rückschlüsse in der Übersetzung niederschlägt. 213 Stehen dem Dolmetscher zur Übersetzung eines Wortes nach Berücksichtigung des Kontextes immer noch mehrere Entsprechungen zur Verfügung, können sich seine Wertvorstellungen, religiösen oder politischen Ansichten auf die endgültige Entscheidung für eine Entsprechung auswirken. So wußte die bereits erwähnte zweisprachige Rechtsanwältin beispielsweise von einem Prozeß mit Kurden zu berichten, bei dem der türkische Dolmetscher zwar "richtig" übersetzte, die Art seiner Formulierung und die Wortwahl jedoch seine politische Einstellung deutlich werden ließ. In einer solchen Situation ist es nicht verwunderlich, wenn dem Dolmetscher nicht mehr genügend Vertrauen entgegengebracht wird. In diesem Zusammenhang betont auch Tormin das Erfordernis von Unparteilichkeit, damit ein Dolmetscher von allen Verfahrens beteiligten als unabhängig und neutral akzeptiert werden könne. Als Beispiel dafür nennt er den Fall einer nicht 209 logerst, MDÜ 1/1996,23. 210 Siehe KaI/eicher, Kriminalist 1985, 168 sowie logerst, MDÜ 1/1996, 24. Die Beispiele nehmen dort zwar Bezug auf eine polizeiliche Vernehmung, die dahinterstehenden Probleme gelten gleichermaßen aber auch für eine gerichtliche Situation. 211 Siehe KaI/eicher, Kriminalist 1985, 166. 212 Siehe Gürkan, Kriminalist 1985,365. 213 Siehe oben 1. Kap. B IV 8 (S.42f.).

D. Qualifikation des Dolmetschers und Arbeitsbedingungen

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vereidigten Dolmetscherin, die in Hamburg öffentlich ausländerfeindliche Äußerungen tätigte. Diese sei seitdem für Gerichtsverfahren nicht mehr tragbar. 214 3. Fazit für die individuelle Auswahl Insgesamt betrachtet, stellt sich die individuelle Auswahl des Dolmetschers also als diffizile, von mannigfachen Faktoren geprägte Entscheidung dar. Hier sollte der Richter entsprechend sorgfältig vorgehen und die Auswahl keinesfalls der Geschäftsstelle überlassen, wie es teils vorzukommen scheint. 215 Eine solche Aufgabe kann ein Richter - sofern er nicht selbst viele Dolmetscher aus persönlicher Erfahrung kennt -, allein mit dem Instrument der Listen von allgemein vereidigten Dolmetschern in ihrer heutigen Gestaltl l6 , kaum befriedigend bewältigen.

III. Arbeitssituation Es versteht sich von selbst, daß ein Dolmetscher, auch wenn er eine gute Qualifikation besitzt, nur unter guten Arbeitsbedingungen eine entsprechende Leistung erbringen kann. 217 Hierzu gehören einerseits die ausreichende Information des Dolmetschers 218 und andererseits die Berücksichtigung der Belastungsgrenzen. Gerade mit Hinblick auf die Vielfalt der oben dargestellten Schwierigkeiten, mit denen ein Dolmetscher ständig umzugehen hat, wird deutlich, daß mündliche Translation ein Höchstmaß an dauerhafter Konzentration erfordert. In der Praxis scheint die Leistung der Dolmetscher diesbezüglich jedoch oft unterschätzt zu werden. 219 Will der Richter sichergehen, die bestmögliche Übersetzungsleistung des Dolmetschers zu erhalten - und dazu ist er schließlich auch verpflichtetl20 - so müssen gute Arbeitsbedingungen für den Dolmetscher geschaffen werden. Dem Dolmetscher muß u. a. genügend Zeit für die einzelnen Übersetzungen eingeräumt werden. 221 Vor allem darf nicht erwartet werden, daß der Dolmetscher über einen langen Zeitraum Siehe Tormin, ZRP 1987,423. Vgl. Ardorno, DRiZ 1993,478; Jessnitzer, Rpfleger 1982, 368. 216 Vgl. oben 1. Kap. D 11 (S.48 ff.). 217 Für das Dolmetschen bei der polizeilichen Ennittlungstätigkeit vgl. dazu Gürkan, Kriminalist 1985, 367f. sowie Kalleicher, Kriminalist 1985, 168. 218 Gemeint ist damit die häufig geäußerte Forderung nach Akteneinsicht - sofern dies Umfang und Gestaltung des Falls erfordern; vgl. dazu z.B. Ardorno, DRiZ 1993,477. 219 Eine Problematik, die sich unter anderem in der Bezahlungsfrage manifestiert. Eine angemessenere Bezahlung der Dolmetschertätigkeit ist eine schon lange geäußerte Forderung, die trotz gesetzlicher Änderungen ein immer noch aktuelles Thema darstellt. V gl. hierzu die über die letzten Jahre hinweg zahlreich erschienenen Beiträge in MDÜ, dem Publikationsorgan des Bundesverbands für Dolmetscher und Übersetzer. 220 Vgl. RGSt 76, 177, siehe dazu oben 1. Kap. B 11 (S. 24f.). 221 Siehe zu den einzelnen von Dolmetschern gewünschten Punkten für eine gute Arbeitssituation Ardorno, DRiZ 1993,477 f. 214 215

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1. Kap.: Sprache und Dolmetschen

ohne Unterbrechung seine Aufgabe optimal erfüllen kann. Pausen sind hier unerläßlich. Und schließlich muß man sich im klaren darüber sein, daß die starke Konzentrationsleistung nach einigen Stunden an eine natürliche Grenze stößt. Nicht zuletzt wegen der Mitverantwortung des Gerichts für eine ausreichende Übersetzung 222 ist es somit auch dessen Aufgabe, die Bedürfnisse des Dolmetschers ernst zu nehmen und sie bei der Verhandlungsführung in hinreichendem Maße zu berücksichtigen. 223

E. Funktion und Stellung des Verhandlungsdolmetschers I. Beschreibung des Aufgabenbereichs Die Hauptfunktion des Dolmetschers als Sprachmittler wurde bisher ausführlich erörtert. Obwohl die Darstellung unter vornehmlich sprachlich-übersetzungswissenschaftlichen Gesichtspunkten erfolgte, zeigte sich bereits mehrfach, daß die Aufgabe des Dolmetschers sich nicht allein im rein Linguistischen erschöpft. Zu einer sprachlichen Übertragung gehört zwangsweise auch die Vermittlung der mit der Sprache verknüpften kulturellen Aspekte. Zieht man zur Bestimmung der Dolmetscherfunktion ferner die vom BGH verwendete Beschreibung heran, wird dies noch deutlicher. Danach ist es die wesentliche Aufgabe des Dolmetschers, den Prozeßverkehr zwischen dem Gericht und anderen Verfahrensbeteiligten dadurch zu ermöglichen, daß er die zum Prozeß abgegebenen Erklärungen durch Übertragung in eine andere Sprache der anderen Seite verständlich macht. 224 Der BGH spricht nicht nur von "Übertragung", sondern auch von "verständlich machen". Das Ziel des Dolmetschens ist also das Erreichen einer Verständigung 225 und nicht die Übersetzung als reiner Selbstzweck. VerstänSiehe dazu unten 3. Kap. C 11 (S. 195 f.) . Es würde den Rahmen dieser Arbeit sprengen, noch tiefer auf die Arbeitssituation beeinflussende Faktoren einzugehen. Insoweit sei nur darauf hingewiesen, daß die momentane Organisation der Dolmetscherauswahl und der Einsatztenninierung optimalen Arbeitsbedingungen nicht förderlich ist. In der Praxis sieht es so aus, daß ein Dolmetscher an manchen Tagen viel Leerlauf hat und an anderen gezwungen ist, über seine Belastbarkeitsgrenze hinaus zu arbeiten. V gl. dazu z. B. Ka/leicher, Kriminalist 1985, 167 bzgl. der Koordinationsprobleme im polizeilichen Vemehmungsalltag. 224 Siehe BGHSt 1, 4, 6. 225 Vgl. Kissel, § 185 GVG Rn 1, dort wird die Aufgabe des Dolmetschers als "sprachlichakustische Verständigung der Beteiligten in der Verhandlung" beschrieben. Die Fonnulierung "sprachlich-akustisch" mag den Eindruck erwecken, daß die Vennittlung "nicht akustischer Kommunikationselemente" wie z. B. Gestik und Mimik (siehe oben 1. Kap. C [S.44] und 1. Kap. 0 I 2 b [So 53]) sich der Aufgabe des Dolmetschers entzöge. Wie jedoch der Kontext zeigt, betont "akustisch" an dieser Stelle lediglich den Gegensatz zur schriftlichen Übersetzung; vgl. dazu den Unterschied zwischen Dolmetscher und Übersetzer in Definition - oben 1. Kap. BI (S. 23) - und rechtlicher Stellung - unten 1. Kap. E III 1 (S.67). 222 223

E. Funktion und Stellung des Verhandlungsdolmetschers

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digung ist jedoch weit mehr als ein sprachlicher Austausch. Sie erfordert schon von ihrem Wortsinn ein gegenseitiges Verständnis. Hindernisse einer echten Verständigung sind neben Sprachbarrieren aber immer auch Kulturbarrieren. Letztere können dabei sogar die gravierenderen darstellen. 226 Soll der Dolmetscher also um Verständigung bemüht sein, trifft ihn unweigerlich auch die Aufgabe, über kulturelle Barrieren hinwegzuhelfen. Obwohl die Vermittlung kultureller Elemente - wie gezeigt - sich schon mit der SprachmittIerfunktion untrennbar verbindet, ist diese zweite Komponente durchaus der gesonderten Betonung wert. Nur wenn der Dolmetscher tatsächlich das Selbstverständnis eines umfassenden Vermittlers besitzt und auch die Erwartung der anderen Prozeßbeteiligten dahingehend ausgerichtet ist, wird der Dolmetscher in ausreichendem Maße um eine wirkliche Verständigung bemüht sein. Umgekehrt wird den Prozeßbeteiligten das Bestehen der kulturellen Unterschiede noch einmal deutlich vor Augen geführt, so daß eine Sensibilisierung hinsichtlich damit verbundener Probleme und Mißverständnisse unterstützt werden kann. Vor diesem Hintergrund ist es überraschend, warum nicht schon der historische Gesetzgeber den Aspekt der kulturellen Vermittlung in sein Regelwerk explizit mit eingearbeitet hat. Damals gab es für ihn jedoch keine Veranlassung dazu. Man muß sich vergegenwärtigen, daß der Gesetzgeber bei der Ausgestaltung der §§ 184ff. GVG ein mit der heutigen Situation nicht im entferntesten mehr vergleichbares Bild vor Augen gehabt hat. Die Ausländerstruktur in der Bevölkerung war gänzlich anders. 227 Tourismus, Gastarbeiter, Asyl, Aus- und Übersiedlungen oder Stationierung ausländischer Truppen, nichts davon lag in einer Form, wie wir es heute kennen, vor. Die Beteiligung eines Ausländers am Prozeß - vor allem aus einem völlig anderen Kulturkreis 228 - war damals eine Ausnahmeerscheinung. Naturgemäß mußten Verständigungsschwierigkeiten eher in den Gebieten nationaler Grenzen 229 , in denen zugleich unterschiedliche Sprachen aufeinandertreffen, auftreten. 226 Vgl. dazu Koller, Einführung, S. 26: "Sprachbarrieren sind immer Kommunikationsbarrieren, und oft genug sind sie zugleich auch Kulturbarrieren - aber sehr viele kulturell bedingte Barrieren sind keineswegs Sprachbarrieren, die mit Übersetzen oder sprachlich-kulturellem Transfer überwunden werden könnten." 227 Der Ausländeranteil in Deutschland lag 1871 bei einer Bevölkerung von insgesamt 41 Millionen knapp über 7 %. Es ist jedoch festzuhalten, daß davon rund 2,74 Millionen, also gut 6,6% der Bevölkerung, nationale Minderheiten aus "angrenzenden" Nationen (sprich Polen, Elsässer, Lothringer, Dänen und Litauer) waren. Die Anzahl von "anderen Ausländern" lag dagegen lediglich bei 207000, ca.O,S %. Siehe Born, S. 12-14. 228 Eine Konfrontation mit fremden Kulturkreisen, wie sie vor allem durch die Kolonisation erfolgte, gab es während des Entstehungsprozesses des GVG nicht. Erst in den achtziger Jahren, also nach dem Inkrafttreten dieses Gesetzes, erlangte Deutschland seine ersten Kolonien. Vgl. dazu Kopp, S. 67. 229 In solchen Gebieten konnten "nationale Minderheiten" sogar zu absoluten Mehrheiten werden. Insofern zeigt sich, daß der reichs weit bestehende Ausländeranteil von insgesamt unter 10 % nicht für jede Region repräsentativ ist. V gl. Kopp, S. 31.

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I. Kap.: Sprache und Dolmetschen

Damit ist aber ein grundlegender Unterschied zum heutigen Regelfall verbunden. Stehen in der heutigen Situation meist Sprach- und Kulturbarrieren einer Verständigung im Wege, so bewegten sich die Verständigungsschwierigkeiten in einem Grenzgebiet vornehmlich im Bereich der Sprache. Kulturelle Eigenarten, Sitten und Gebräuche enden selten direkt an einer nationalen Grenze. Die Übergänge sind hier fließend. Zumindest aber ist man mit der benachbarten Kultur vertraut. Das bedeutet, die Notwendigkeit einer kulturellen Vermittlung stand damals nicht so sehr im Vordergrund wie heute. Dennoch ist es keine neue Erkenntnis, daß die Tätigkeit eines Dolmetschers über die rein sprachliche Vermittlung hinausgehen muß. Schon das Reichsgericht stellte 1921 fest, daß es auch zu den Aufgaben eines Dolmetschers gehöre, dem Gericht und den Betroffenen alle Umstände mitzuteilen, die für das Verständnis und die richtige Würdigung der "Auslassung" des Fremdsprachigen erforderlich seien. 230 Dieser Aspekt findet sich in deutlicherer Form auch in einer Auskunft der Bundesregierung aus dem Jahr 1972 231 wieder. Dort wird die Bedeutung von besonderer Mentalität, Lebensgewohnheiten und Religion eines Ausländers bei einer Verhandlung und die Unverzichtbarkeit eines mit den Verhältnissen des Herkunftslandes vertrauten Dolmetschers betont. 232 Auch in der aktuellen Kommentarliteratur zu § 185 GVG sind immer wieder Hinweise auf die Wichtigkeit solcher kulturellen Hintergründe anzutreffen. 233 Es ist allerdings überraschend, in der Kommentierung Kissels eine Stelle zu finden, die all dem entgegenzustehen scheint: ,,§ 185 berücksichtigt jedoch nur die rein sprachlichen Schwierigkeiten. Eine darüber hinausgehende Schwierigkeit eines Beteiligten, etwa beruhend auf der Zugehörigkeit zu einem anderen Kulturkreis, kann nicht über § 185 ausgeglichen werden, sondern z. B. durch die Bestellung eines Pflichtverteidigers ( ... ).,,234

Hier entsteht zunächst der Eindruck, als reduziere sich die Vermittlungsaufgabe des Dolmetschers rein auf den Sprachaspekt. Diese Annahme ist nicht ganz fernliegend, schließlich stellt der Wortlaut des § 185 GVG nur darauf ab, ob jemand der deutschen Sprache nicht mächtig ist. Daß eine solche Auslegung jedoch nicht haltbar ist, ergibt sich aber schon aus den natürlichen Verknüpfungen von Sprache und Kultur. Auch Kissel ist sich dieses Umstandes bewußt. Einige Randnummern nach Siehe RG, LZ 1921, 693. Die Bundesregierung antwortete damit auf eine kleine Anfrage, bei der es um die Bewältigung der Strafverfolgung im Zusammenhang mit Ausländern ging. Gegenstand der Anfrage war unter anderem die Verbesserung der Fremdsprachenkenntnisse von an der Strafverfolgung beteiligten Personen (also die Dolmetschertätigkeit eher zurückdrängende Maßnahmen). Vgl. Kabbani, MDÜ 2/1986, 5. 232 Siehe Auskunft der Bundesregierung, DRiZ 1972,429. 233 Vgl. Z. B. LR-Schäjer/Wickern, § 185 GVG Rn 15 (24. Auflage) sowie Rn 5; Katholnigg, § 185 GVG Rn 3. 234 Kissel, § 185 GVG Rn 5. 230 231

E. Funktion und Stellung des Verhandlungsdolmetschers

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dem angeführten Zitat bestätigt er diesen Zusammenhang, indem er - in Anlehnung an die bereits erwähnte Auskunft der Bundesregierung - die Mitwirkung eines mit den Verhältnissen des Herkunftslandes vertrauten Dolmetschers in der Regel als unverzichtbar bezeichnet. 235 Die Diskrepanz zwischen beiden Stellen ist aber wohl nur eine scheinbare. Einerseits wird die "Verwirrung" durch die Verwendung des hier zu unbestimmten Begriffs "Schwierigkeit" hervorgerufen. Andererseits ergibt sie sich daraus, daß ein anderes Problem - Pflichtverteidiger beim Ausländer - mit angesprochen wird. Kissei macht damit zwar zu Recht deutlich, daß die Problemkreise Pflichtverteidiger und Dolmetscher nicht isoliert betrachtet werden können 236 , versäumt es aber, die jeweiligen unterschiedlichen Rollen von Dolmetscher und (Pflicht-) Verteidiger genau zu analysieren. 237 Anstatt einer Differenzierung nach der funktionalen Art der "Schwierigkeiten", die ein Dolmetscher bzw. ein Verteidiger bewältigen soll, unterscheidet er nur zwischen "sprachlichen und darüber hinausgehenden Schwierigkeiten".238 Es ist Kissel darin zuzustimmen, daß es ausländerspezifische Schwierigkeiten gibt, die nicht über § 185 GVG gelöst werden können und darüber auch gar nicht gelöst werden sollen. 239 Um jedoch eine klare Zuweisung in diesem Bereich vornehmen zu können, ist es notwendig, die Rollen des Dolmetschers und des Verteidigers genau gegenüberzustellen.

Siehe Kissel, § 185 GVG Rn 9. Eine wichtige, aber leider nicht weit verbreitete Erkenntnis. Oftmals leiden Argumentationen bei der Diskussion des § 140 StPO gerade darunter, daß der Einfluß der einen Problematik auf die andere nicht gebührend berücksichtigt wird. 237 Die in Formulierungen teils anzutreffende Unschärfe - wie sie sich z. B. in einem Zitat von Rüping, JZ 1983, 663-665 (664) "Verständigungshilfen ... , wie die Vermittlung durch einen Anwalt oder durch einen Dolmetscher" zeigt - ist einer dogmatisch sauberen Trennung dabei leider nicht förderlich. 238 Kissels Formulierung soll hier nur exemplarisch herangezogen werden. An ihr können deutlich Ungenauigkeiten aufgezeigt werden, die durchaus überall- wenn auch nicht in so expliziter Form - anzutreffen sind. Die besonders detaillierte Darstellung Kissels bietet sich lediglich gut dafür an, das bestehende Problem daran festzumachen. 239 Siehe dazu ferner unten 1. Kap. EIV (S. 69 ff.), der Dolmetscher als Kulturfachmann. Vgl. auch Weith, S. 29: Der 15. Titel des Gerichtsverfassungsgesetzes wolle nicht Kommunikationsprobleme an sich regeln, sondern nur die mit einer bestimmten Sprachform zusammenhängenden Verständigungsprobleme. Auch lngerl, S.12 weist innerhalb seiner Beschäftigung mit dem "Sprachrisiko" darauf hin, daß rein sprachliche Probleme von anderen Kommunikationsdefiziten, wie sie beispielsweise durch die Herkunft aus einem fremden Kulturkreis mit anderer Gesellschaftsordnung und abweichenden Wertvorstellungen verursacht würden, zu trennen seien. 235

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I. Kap.: Sprache und Dolmetschen

11. Abgrenzung zum Verteidiger Für die Ennittlung der jeweiligen Funktion dieser Verfahrens beteiligten muß gefragt werden, welches "Problem" durch sie gelöst werden soll. Interessant ist dabei ferner die Feststellung, wen dieses Problem konkret betrifft, denn auch durch die Zuordnung in die Sphäre unterschiedlicher Beteiligter läßt sich Aufschluß über die jeweilige Funktion erlangen.

1. Der Dolmetscher Hinsichtlich des Dolmetschers 24o hilft § 185 GVG hier nicht weiter. Die Nonn beschreibt lediglich die abstrakten Voraussetzungen für einen Dolmetschereinsatz, bzgl. des Tätigkeitsumfangs und der Funktion gibt sie keine nähere Auskunft. Unter Bezug auf die bisherigen Ausführungen kann jedoch festgestellt werden, daß die Aufgabe eines Dolmetschers darin besteht, ein Kommunikationsproblem zu lösen. In den Worten des BGH 24 \ ausgedrückt, soll der Dolmetscher den Prozeßverkehr ennöglichen. Wie in der Bezeichnung "Prozeßverkehr" schon anklingt, geht es dabei um eine Interaktion zwischen mehreren Beteiligten. Fehlt ein gemeinsames Kommunikationsmittel, wirkt sich dies auf alle Verfahrens beteiligten aus, denn eine Interaktion ist nicht möglich. Obwohl der Fremdsprachige (in diesem Fall der Angeklagte) durch sein "Sprachdefizit" kausal für diese Situation ist, stellt sich die fehlende Verständigungsmöglichkeit als Problem für alle dar. Der Dolmetscher "hilft" daher nicht nur dem Angeklagten, sondern allen Beteiligten. Die in der Literatur teilweise zu findende Bezeichnung des Dolmetschers als "Helfer des Richters"242 steht dem nicht entgegen. Es ist der Richter, dem die Leitung der Verhandlung übertragen ist. Er muß dafür sorgen, daß der Prozeß ordnungsgemäß stattfindet bzw. überhaupt durchgeführt werden kann. Somit unterstützt der Dolmetscher fonnal gesehen zunächst zwar den Richter (durch die Ennöglichung des Prozeßverkehrs), faktisch löst er damit aber ein Problem (das Verständigungsproblem) aller Prozeßbeteiligten. Um letzteren Aspekt jedoch von vornherein besonders deutlich zu machen, bietet sich die ebenfalls anzutreffende Bezeichnung des Dolmetschers als "Gehilfe des Gerichts und der Prozeßbeteiligten"243 an. 244 240 Gemeint ist hier der Dolmetscher bei einer Prozeßsituation mit einem fremdsprachigen Angeklagten, da nur in dieser Konstellation die Abgrenzung zum Pflichtverteidiger möglich ist. 241 BGHSt 1,4,6. Vgl. auch oben I. Kap. EI (S.58). 242 Jessnitzer, Dolmetscher, S. 4. 243 Meyer-Goßner, § 185 GVG Rn 7. 244 In diesem Zusammenhang ist auf die Ausführungen Kallees, S. 25ff., insbesondere S. 29f. hinzuweisen. Diese verdeutlichen zwar anschaulich, daß der Dolmetscher in einer Verhandlung unterschiedlichen Beteiligten "hilft", allerdings kann der von Kallee daraus gezogenen Konsequenz nicht gefolgt werden. Er betrachtet den Dolmetscher isoliert entweder als Richter- oder als Privatgehilfen, je nach Art des gerade zu übersetzenden Textes. Dabei verkennt er aber, daß keine in einem Strafprozeß abgegebene Erklärung einem reinen Partei inter-

E. Funktion und Stellung des Verhandlungsdolmetschers

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Auch der Gesetzgeber stuft die Verständigungsschwierigkeiten nicht als alleiniges Problem des Fremdsprachigen ein. Ansonsten hätte er sich für § 185 GVG wohl eher einer Formulierung wie "wird dem Fremdsprachigen ein Dolmetscher zur Seite gestellt/beigeordnet" bedient. Statt dessen findet sich in dieser Norm eine neutrale Wortwahl (der Dolmetscher ist "zuzuziehen"), die den Dolmetscher nicht der Sphäre eines bestimmten Prozeßbeteiligten zuordnet. Genau hierin liegt ein wichtiger Ansatzpunkt für die durchzuführende Abgrenzung: Der Fremdsprachige wird hinsichtlich des Kommunikationsprozesses nicht hilfsbedürftiger als die anderen Verfahrensbeteiligten erachtet. Alle benötigen zur Verständigung die gleiche Hilfe und Unterstützung. Interessant ist es, diese Erkenntnis auf die prozessuale Kräfteverteilung zu übertragen. Geht man zunächst von einem bestehenden Kräftegleichgewicht der Beteiligten aus, so läßt sich § 185 GVG entnehmen, daß das Kommunikationsproblem daran primär nichts ändert. Die fehlende Sprachkenntnis führt nicht schon automatisch zu einem Defizit im Sinne eines auszubalancierenden Ungleichgewichts bei der Person des Fremdsprachigen. Alle sind gleichermaßen betroffen, so daß das Gleichgewicht insgesamt erhalten bleibt. Das Sprachdefizit ist also kein "Minus" des Angeklagten, sondern lediglich eine fehlende direkte Verbindung zwischen den Beteiligten. Aufgabe des Dolmetschers ist es, als Mittler genau diese Verbindung herzustellen. Hier drängt sich das Bild des Dolmetschers als "Brücke" förmlich auf. "Über" ihn treten die Verfahrensbeteiligten in Verbindung. 2. Der Verteidiger Die Rolle des Verteidigers - unabhängig davon, ob Wahl- oder Ptlichtverteidiger - ist dagegen von vornherein völlig anders konzipiert. Der Verteidiger ist in die Sphäre des Angeklagten einzuordnen. 245 Seine primäre Aufgabe ist es - wie das Wort Verteidiger schon vorzeichnet - den Angeklagten in seiner Verteidigung zu unesse zugeordnet werden kann. Allein schon das allgemeine Interesse an einem rechtsstaatlich konformen Verfahren verhindert, bei einer Erklärung des Angeklagten - an der er unbestritten ein hohes persönliches Interesse haben mag - von Handlungen mit reinem Parteiinteresse zu sprechen. Vgl. dazu auch unten I. Kap. E III 2 u. 3 (S.68 ff.). 245 Hier soll bewußt die Frage nach der Rechtsstellung des Verteidigers ausgeklammert werden. Eine differenzierte Auseinandersetzung mit dieser noch immer diskutierten Frage (siehe dazu z. B. Beulke, Der Verteidiger im Strafprozeß, S.163 ff.) braucht in diesem Zusammenhang ohnehin nicht zu erfolgen. Auch wenn man den Verteidiger nicht als reinen Interessenvertreter des Angeklagten, sondern - mit der vorherrschenden Meinung - als Organ der Rechtspflege betrachtet, muß man konstatieren, daß das Schwergewicht seiner Tätigkeit in der "Unterstützung" des Angeklagten liegt. Die Ausgestaltung dieser "Unterstützung" in stärkerer Form (als extrem parteiisch) oder in etwas abgeschwächter Form (durch die Verpflichtung an die Rechtsordnung) ändert nichts an dem grundsätzlichen "Näheverhältnis" zwischen Verteidiger und Angeklagtem. Die Ansicht, daß der Verteidiger auch Beistand des Gerichts bzw. des Staates sei, wird heute nicht mehr vertreten, da man die durch sie beabsichtigte Anbindung des Verteidigers an das Staatsgefüge heute auf andere Weise - über die OrgansteIlung - erzielen kann (siehe Beulke, Der Verteidiger im Strafprozeß, S. 164).

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I. Kap.: Sprache und Dolmetschen

terstützen. Die Strafprozeßordnung sieht eine Reihe von Rechten und Möglichkeiten vor, derer sich ein Angeklagter zum Zwecke seiner Verteidigung theoretisch zwar bedienen kann, die von ihm ohne rechtliche Unterstützung 246 tatsächlich jedoch kaum ausgeschöpft werden können. Aber nicht nur mangelnde Rechtskenntnisse bedingen die Hilfsbedürftigkeit eines Angeklagten. So beeinflussen z. B. auch der seelische Druck, die psychische Situation und die starke persönliche Involviertheit des Angeklagten die Fähigkeit, sich auf erforderlich sachliche Art und Weise zu verteidigen. Es sind also offensichtlich Defizite des Angeklagten, die der Verteidiger ausgleichen soll. Besonders deutlich wird dieser Hintergrund bei der Betrachtung des § 140 StPO. Untersucht man die vom Gesetzgeber vorgeschriebenen Fälle der notwendigen Verteidigung, wird schnell erkennbar, daß der Gedanke des Defizitausgleichs - in unterschiedlich starker Ausprägung - in jedem Grund angesiedelt ist. Ist dies bei § 140 Abs.l StP0 247 noch weniger offenkundig, so läßt § 140 Abs. 2 StPO schon deutlicher erkennen, daß es darum geht, Verteidigungsdefizite auszugleichen: Bei § 140 Abs. 2 S.I, 1. u. 2. Alt. StPO (Schwere der Tat und Schwierigkeit der Sach- und Rechtslage) ist dies das bereits beschriebene, grundsätzliche Handicap aller Angeklagter bzw. bei § 140 Abs. 1 S. 1,3. Alt. StPO darüber hinaus ein besonderes, individuelles Defizit eines Angeklagten ("sich der Beschuldigte nicht selbst verteidigen kann"). Übertragen auf eine prozessuale Kräfteverteilung bedeutet das: Der Gesetzgeber geht zunächst von einer theoretischen Kräftegleichverteilung aus. Im "Normal fall" nimmt er an, der Angeklagte sei (trotz des grundsätzlich mit seiner Position verbundenen Handicaps) in der Lage, sich selbst ausreichend zu verteidigen. 248 Ist dieses Gleichgewicht dadurch gestört, daß der Angeklagte in seiner Verteidigung - aus welchen Gründen auch immer - beeinträchtigt ist, erfordert es die Kräfteverteilung, daß an der Seite des Angeklagten ein Verteidiger steht. 249 Die notwendige Verteidigung (egal ob über einen Wahl- oder Pflichtverteidiger) ist somit ein Instrument, um die erforderliche Balance (wieder-)herzustellen. Der Verteidiger ist danach einem "Gewicht" vergleichbar, das zum Angeklagten in die Waagschale gelegt wird. Es ist jedoch zu berücksichtigen, daß es sich hierbei nicht Vgl. dazu BVerfG, NStZ 1982, 82. Hier sind Fälle explizit genannt, die der Gesetzgeber generell als so schwerwiegend oder schwierig - sei es im Hinblick auf die Verfahrensausgestaltung oder Rechtsfolge - ansieht, daß er davon ausgeht, der Angeklagte bedürfe aufgrund mangelnder Rechtskenntnis und seiner persönlichen Betroffenheit immer eines Verteidigers. Siehe dazu auch Beulke, Strafprozeßrecht, S. 85, Rn 166, der § 140 Abs. 1 StPO als die Auflistung von Fallgruppen bezeichnet, in denen generell Verteidigungsdefizite des Beschuldigten unterstellt werden. 248 "Normalfall" ist hier allerdings nur auf die vom Gesetzgeber verwendete Regelungstechnik zu beziehen. In Wirklichkeit ist es so, daß das Regel-Ausnahme-Verhältnis sich genau umgekehrt gestaltet. Das bedeutet, daß in der Regel § 140 StPO eingreift und der gesetzlich nicht benannte "Normal fall" , bei dem keine notwendige Verteidigung gegeben ist, eher die Ausnahme darstellt. Siehe dazu auch Kühne, Strafprozeßrecht § 912, S. 75, Rn 177. 249 Vgl. K. Peters, Strafprozeß, §291, S.213. Er spricht in diesem Zusammenhang von "Ausgleich für die ungleich schwächere Stellung des Beschuldigten". 246 247

E. Funktion und Stellung des Verhandlungsdolmetschers

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um das Prinzip einer herkömmlichen Waage mit zwei Waagschalen handelt. Vielmehr besteht dabei zwischen dem Angeklagten, der Staatsanwaltschaft und dem Gericht ein "triadisches Kräftefeld"250, das es im Gleichgewicht zu halten gilt.

3. Gegenüberstellung Mit diesen gewonnenen Erkenntnissen lassen sich die unterschiedlichen Funktionen von Dolmetscher und (Ptlicht-)Verteidiger deutlich gegenüberstellen: Der Dolmetscher dient als "Verständigungsbrücke"; er steht als Hilfsmittel aller Beteiligten in der Mitte des "triadischen Kräfteverhältnisses". Der Verteidiger dagegen ist "Ausgleichsgewicht" hinsichtlich der Verteidigungsfahigkeit; er steht an der Seite des Angeklagten. Wichtig ist also - und darauf kommt es hier wesentlich an - sich zu vergegenwärtigen, daß der Dolmetscher anders als der Verteidiger gerade nicht die Aufgabe hat, den Angeklagten in besonderem Maße zu unterstützen. Formulierungen wie "Ausgleich des Sprachdefizits" sind dabei irreführend. Sie erwecken den Eindruck, der Dolmetscher löse ein Problem für den Angeklagten. Die Beantwortung der Frage, welchen Umfang die Tätigkeit des Dolmetschers konkret haben soll, scheint mit diesen Vorgaben nun einfach zu sein: Der Dolmetscher ist immer dort einzusetzen, wo es darum geht, Verständigung herzustellen, der Verteidiger dort, wo der Angeklagte in der Verteidigung beeinträchtigt ist. Wenn man nun das von Kissel verwendete Begriffspaar hierzu in Beziehung setzt, und "sprachliche Schwierigkeit" als Verständigungs schwierigkeit sowie "darüber hinausgehende Schwierigkeit" als Verteidigungsbeeinträchtigung versteht, so entspricht Kissels Darstellung durchaus der richtigen Aufgabenverteilung. Da die Begriffe in Wirklichkeit aber nicht deckungsgleich sind, eignen sie sich für eine genaue Aufgabenbestimmung jedoch nicht. Hinzu kommt, daß sie nicht deutlich machen, auf welche Art die zwei Schwierigkeiten miteinander verquickt sein können. Diese "Verquickung" ist zugleich die letzte Hürde, die für eine genaue Abgrenzung gedanklich noch zu nehmen ist. Man muß sich darüber im klaren sein, daß ein besonderer "Umstand" nicht nur eine Schwierigkeit, sondern durchaus mehrere Schwierigkeiten mit sich bringen kann. Ein "Umstand" (z. B. die Nichtbeherrschung einer Sprache) darf daher nicht schon als das eigentliche Problem angesehen werden. Es muß vielmehr gefragt werden, wie wirkt er sich aus, zu welchen Problemen führt er? Die Bezeichnung "sprachliche Schwierigkeiten" ist insofern zu ungenau, sie sieht die Sprache als das Problem an und differenziert nicht weiter. Die durchzuführende Differenzierung ist - mit Blick auf die soeben erarbeiteten Funktionen - sehr einfach und erfolgt in zwei Schritten: 1. Wirkt sich der "Umstand" negativ auf die Verständigung aus?

250 Bezeichnung nach Kühne, Strafprozeßrecht, § 9 I 2, S. 73, Rn 173. 5 Lankisch

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I. Kap.: Sprache und Dolmetschen

2. Beeinträchtigt er die Verteidigungsfähigkeit? Führt der "Umstand" zur Bejahung der ersten Frage, fällt die Problemlösung in den Bereich des Dolmetschers; bejaht man die zweite Frage, muß ein Verteidiger tätig werden. Werden beide Fragen positiv beantwortet, so ist dieser eine "Umstand" Ursache für zwei strukturell unterschiedliche Schwierigkeiten, die sowohl einen Dolmetscher, als auch einen Verteidiger für die Verhandlung erforderlich machen. Damit zeigt sich, daß verschiedene Umstände - sei es "Nichtbeherrschung der Gerichtssprache" oder "Herkunft aus einem anderen Kulturkreis" - jeweils zu Problemen führen können, die sowohl in den Aufgabenbereich eines Dolmetschers als auch in den eines Verteidigers fallen können. Das bedeutet, daß kulturell bedingte Schwierigkeiten, anders als man das bei Kissels Fonnulierung annehmen könnte, auch den Dolmetscher beschäftigen, nämlich immer dann, wenn die Verständigung durch sie betroffen ist. (Andersherum kann aber auch ein "Sprachdefizit" zur notwendigen Verteidigung führen. Dies ist der Fall, wenn daraus neben dem damit obligatorisch verbundenen Verständigungs problem auch ein Verteidigungsproblem erwächst.) 4. Ergebnis Es ist also festzuhalten, daß die Vennittlung kultureller Aspekte notwendiger Bestandteil der Dolmetscherfunktion ist und daß dies in der Literatur - auch wenn es in diesem Zusammenhang mißverständliche Aussagen gibt - nirgends wirklich bestritten wird. 251

III. Rechtliche Stellung Anders als bei vielen, den Dolmetscher betreffenden Punkten, kann bzgl. der rechtlichen Stellung nicht von mangelnder Beschäftigung mit dem Thema gesprochen werden. Bereits sehr frühzeitig entstand eine kontrovers geführte Diskussion 252 über die Frage, ob der Dolmetscher ein Sachverständiger sei. Auf eine ausführliche Darstellung dieses Streits soll hier aber verzichtet werden, denn die Kontroverse ist inzwischen beigelegt. 253 251 In einem Teil der Kommentierungen findet man überhaupt keine Ausführungen zum Umfang der Dolmetschertätigkeit; Meyer-Goßner, § 185 GVG Rn I verweist hinsichtlich "Art und Umfang der Übersetzung" zumindest auf einen Aufsatz Kabbanis (wobei es allerdings nur um die Frage geht, was alles übersetzt werden soll), bezüglich der Vermittlung anderer Elemente findet sich allerdings weder eine positive noch negative Stellungnahme; auch im KK sucht man bei den für den Dolmetscher relevanten Passagen (u. a. Pfeiffer, Einleitung, Rn 92-93; Engelhardt, § 272 StPO Rn 5; Diemer, § 185 GVG) vergebens eine Beschäftigung mit dem kulturellen Aspekt. 252 Siehe Kallee, S. 8 ff. für eine ausführliche Zusammenstellung des damaligen Streitstandes. 253 Es ist heute herrschende Meinung - in der strafprozeßrechtlichen Literatur sogar völlig unbestritten -, daß der Dolmetscher in seiner eigentlichen Funktion kein Sachverständiger ist. (In den Motiven des Regierungsentwurfs, C. Hahn , Materialien GVG, Bd. I, I. Abt., S. 177,

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1. Rechtliche Stellung nach heutiger Ansicht

Die Frage der rechtlichen Stellung des Dolmetschers ist eng mit dem Aufgabenbereich verwoben. Nimmt er die ihm in § 185 GVG zugedachte Aufgabe wahr, so ist er ein " Beteiligter eigener Art". 254 Es gilt jedoch zu berücksichtigen, daß es darüber hinaus in einer Prozeßsituation teils noch andere Übersetzungs tätigkeiten gibt, die ein Dolmetscher aufgrund seiner sprachlichen Qualifikation ausüben kann. Wird er in einem solchen Bereich tätig, ändert sich dadurch auch sein rechtlicher Status 255 entsprechend der jeweils verrichteten Aufgabe. So tritt der Dolmetscher z. B. als Sachverständiger auf, wenn er eine als Beweisstück dienende Urkunde in der Verhandlung übersetzt. 256 Es muß also danach differenziert werden, ob der Dolmetscher eine Verständigungs- oder eine Beweisfunktion erfüllt. 257 Orientierungspunkt ist dabei der zu übersetzende Text - stellt er eine zum Prozeß oder eine außerhalb des Prozesses abwurde der Dolmetscher dagegen noch als Sachverständiger bezeichnet.) Schon 1980 bezeichnete Jessnitzer, Dolmetscher, S. 3, die gegenteilige Rechtsauffassung als überholt und stellte fest, daß Literatur und Rechtsprechung dies inzwischen weitgehend anerkannt hätten. Diese Entwicklung hat sich bis heute weiter verfestigt. Selbst in den von Jessnitzer, Dolmetscher, S. 3, Fn 7, damals noch mit gegenteiliger Auffassung zitierten KommentarsteIlen hat sich dies (sofern zwischenzeitlich neuere Auflagen erschienen sind) niedergeschlagen. So findet sich bei KKW-Zimmermann, § 9 FGG Rn 13, heute eine - entsprechend der herrschenden Meinung - revidierte Ansicht. Clausen, in Knack, § 23 VwVerfG Rn 8, hält sich mit einer Aussage über die Rechtsstellung des Dolmetschers an dieser Stelle völlig zurück. Lediglich bei BumiUerlWinkler, § 9 FGG Rn 7, trifft man noch immer die alte, aber nicht ganz eindeutige Formulierung ("Der Dolmetscher hat die Stellung eines Sachverständigen ... mit folgenden Besonderheiten."). Vergleicht man diesbezüglich die Aussage des RG in JW 1936,464, so muß diese - einstmals auch vom RG (RGSt 25, 354) verwendete - Formulierung nicht zwangsläufig so zu verstehen sein, daß der Dolmetscher tatsächlich auch Sachverständiger ist. Vielmehr kann darin auch ein mißglückter Formulierungsversuch gesehen werden, der nur bestehende Parallelen hervorheben will. 254 So ausdrücklich Meyer-Goßner, § 185 GVG Rn 7; KK-Pfeiffer, Einl. Rn 92 und Eisenberg, S.594, Rn 1517; in diesem Sinne wohl auch Katholnigg, § 185 GVG Rn 2 sowie LRSchäferlWickern, § 185 GVG Rn 1 (24. Auflage) und Kisse/, § 185 GVG Rn 17, die jeweils zwischen Sachverständigem und Dolmetscher unterscheiden. 255 Damit verbunden sind Auswirkungen auf die Behandlung des Dolmetschers, z.B. bzgl. der notwendigen Vereidigungsform. 256 Siehe dazu u. a. KK-Pfeiffer, Einl. Rn 92; Kissel, § 185 GVG Rn 1 u. 18; LR-Schäferl Wickern, § 185 GVG Rn 1 (24. Auflage); Kathonigg, § 185 GVG Rn 2. V gl. aber auch RG, HRR 1939, 1117: nach Ansicht des Reichsgerichts zählte die Übersetzung von Schriftstücken dagegen grundsätzlich noch zu den Aufgaben des Dolmetschers. 257 Diese Differenzierung nach der jeweiligen Funktion hat sich spätestens seit BGHSt 1, 4, 6 auch in der Rechtsprechung immer stärker durchgesetzt. (Jüngst z. B. erst wieder durch BGH, NStZ 1998, 158 f. bestätigt.) Im Prinzip führte bereits KaUee eine ähnliche Unterscheidung durch. Der Gedanke, der hinter dem von ihm verwendeten Kriterium der "Interessenlage" (siehe S. 26ff.) stand, entspricht der hier als "funktionsorientiert" bezeichneten Einteilung. Kallee, S. 21 ff. weist ferner darauf hin, daß die Einbeziehung eines Sprachkundigen auch als sachverständiger Zeuge erfolgen kann. 5*

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1. Kap.: Sprache und Dolmetschen

gegebene Erklärung dar? Eine darüber hinausgehende Aufspaltung der Übersetzungstätigkeit zur Bestimmung der rechtlichen Stellung des Dolmetschers ist jedoch abzulehnen.

2. Die Ansicht Kallees Jedoch teilt Kallee 258 die Verständigungsaufgabe ferner in einen Bereich innerhalb und außerhalb der Beweisaufnahme ein. Dabei sollen innerhalb der Beweisaufnahme "Beweis- und Verständigungsinteresse konkurrieren". 259 Kallee spricht insoweit von einem "Beweisverkehrsdolmetscher", der aufgrund des Beweisinteresses dann aber auch wie ein Sachverständiger zu behandeln sei. 260 Eine derartig weitgehende Unterteilung der Dolmetschertätigkeit ist aus zweierlei Gründen nicht haltbar: Zunächst ist damit eine nicht praktikable Zerstückelung in zu viele Aspekte verbunden. Es gehört nun einmal zum Wesen der Dolmetschertätigkeit, daß dadurch alle Beteiligten unterstützt werden und daß sie sich auf alle Verhandlungsteile ausdehnt. Somit sind immer auch persönlich und "prozeßtechnisch" unterschiedliche Interessen involviert. Die Tatsache, daß verschiedene Handlungen nicht immer exakt den gleichen prozessualen Hintergrund haben, muß jedoch nicht jedesmal zu einer völlig anderen Bewertung der rechtlichen Stellung führen. Auch ein Richter verfolgt innerhalb einer Verhandlung entsprechend dem jeweiligen Stadium "unterschiedliche Interessen", ohne daß man dadurch seine "Richterstellung" insgesamt in Frage stellen würde. Ebenso muß der Dolmetscher als ein Beteiligter gesehen werden, dessen Verständigungsaufgabe sich auf alle Bereiche einer Verhandlung erstreckt. Damit ist aber seine Arbeit zwangsläufig auch den jeweils dahinterstehenden Interessen dienlich. Zum anderen kann der Gewichtung Kallees nicht zugestimmt werden. Bei der klassischen Dolmetschertätigkeit steht immer nur das Verständigungsinteresse im Vordergrund. Es ist allenfalls ein Nebeneffekt, daß andere Interessen - wie z. B. das Beweisinteresse - aufgrund der soeben beschriebenen, umfassenden Beteiligung des Dolmetschers hinzutreten. Bei jeder Handlung innerhalb der Beweisaufnahme schwingt notwendigerweise ein gewisses Beweisinteresse mit, ohne daß der Dolmetscher dadurch aber selbst zum Beweismittel werden müßte. 261 Es ist daher falsch, dieses Beweisinteresse in eine so starke Position zu rücken, wie sie von Kallee durch das "Konkurrieren von Beweis- und Verständigungsinteresse" zum Ausdruck gebracht wird. Siehe KaUee, S. 25 ff. Kallee, S. 29. 260 Siehe dazu KaUee, S. 31 ff., insbesondere 37 ff. 261 Auch Jessnitzer, Dolmetscher, S.4, betont ausdrücklich, daß der Dolmetscher kein Beweismittel ist. 258 259

E. Funktion und Stellung des Verhandlungsdolmetschers

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Diese Bedenken mögen ein Grund dafür sein, warum eine derartige Aufsplittung aktuell von niemand mehr vertreten wird. 262

3. Abschließende Stellungnahme Die soeben für Kallees Ansicht vorgetragenen Kritikpunkte stehen dagegen der Aufteilung, wie sie Rechtsprechung und Literatur heute vornehmen, nicht entgegen. Die oben bereits dargestellte Trennlinie "innerhalb/außerhalb des Prozesses" ist ohne allzu große praktische Schwierigkeiten handhabbar und entspricht darüber hinaus auch der tatsächlichen "Interessenverteilung" . Geht es z. B. um die Übersetzung eines außerhalb des Prozesses angefertigten Schriftstücks, so vermittelt er nicht mehr zwischen den Prozeßbeteiligten, sondern er macht ein Beweismittel zugänglich. Es erübrigt sich hier auszuführen, welche Art von Interesse dabei im Vordergrund steht. Der Dolmetscher ist daher immer, entsprechend der von ihm jeweils wahrgenommenen Übersetzungsaufgabe von innerhalb oder außerhalb des Prozesses getätigten Äußerungen, als "Beteiligter eigener Art" oder Sachverständiger einzustufen.

IV. Der Dolmetscher als "Kulturfachmann" Die bisherigen Ausführungen zum Aufgabenbereich und der rechtlichen Stellung des Dolmetschers spiegeln - wenn auch in anderer Form und Gewichtung dargestellt - die in der Regel von Rechtsprechung und Literatur behandelten Gesichtspunkte wider. Der Aufgabenbereich des Dolmetschers ist damit allerdings noch nicht ausreichend klar definiert. Um ein fest umrissenes Bild zu erhalten, muß untersucht werden, wie weit die "kulturelle Aufklärungspflicht" des Dolmetschers geht bzw. gehen darf. 263 Wird er schlechthin zum Fachmann für alle kulturellen Fragen 264, oder müssen seine Erörterungen auf einen engen sprachlichen Kontext begrenzt sein? Anders formuliert, ist der Dolmetscher automatisch Sachverständiger für den soziokulturellen Bereich oder ist seine Funktion davon gerade zu trennen?265 262 Warum hier dennoch einiger Raum auf die Darstellung Kallees Sichtweise verwendet wurde, hat zweierlei Gründe. Zum einen ist seine Abhandlung eine der wenigen, die sich in so intensiver Form mit der Fragestellung auseinandergesetzt hat, daß selbst in der heutigen Kommentarliteratur immer noch Hinweise darauf zu finden sind. Zum anderen ist die differenzierende Betrachtung vom Ansatz her zu begrüßen, auch wenn sie im Ergebnis als zu extrem bezeichnet werden muß. 263 Hierzu finden sich bislang nirgends Angaben. 264 Vgl. dazu Menzel, MschrKrim - Sonderheft - 1999, 45 (46), der berichtet, daß Gerichte, denen die Sachkenntnis für kulturelle Differenzen fehle, sich häufig geradezu verzweifelt an die Dolmetscher als vermeintliche Kulturexperten wendeten und von ihnen Aufklärung erbäten. 265 Zu beachten gilt, daß diese Fragestellung nicht ohne weiteres mit der allgemein unter dem Stichwort "Abgrenzung Dolmetscher - Sachverständiger" behandelten Frage - siehe dazu direkt oben I. Kap. EIII 1 (S. 67f.) - gleichgestellt werden darf. Dort geht es um den Dolmetscher als Sprachexperten, wohingegen hier sein kulturelles Fachwissen von Bedeutung ist. Auf

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I. Kap.: Sprache und Dolmetschen

1. Getrennte Aufgabenbereiche von Dolmetschern und Sachverständigen Um die aufgeworfenen Fragen beantworten zu können, soll auf die Aufgabe von Sachverständigen und Dolmetschern ein vergleichender Blick geworfen werden: Die Aufgabe des Dolmetschers wurde bereits hinreichend beschrieben. Es geht bei ihm um die Ennöglichung von Kommunikation im Prozeß. Der Sachverständige dagegen erklärt Dinge - Geschehnisse Verhaltensweisen -, macht sie begreiflich, nachvollziehbar oder liefert das nötige Fachwissen, damit man sie sich selbst erklären kann. 266 Es gibt Gemeinsamkeiten zwischen beiden. Dolmetscher sowie Sachverständiger besitzen ein besonderes Fachwissen und in einem weiten Sinne ennöglichen beide ein "Verstehen". Dieses "Verstehen" ist jedoch auf völlig unterschiedliche Bereiche gerichtet. Der Dolmetscher hilft beim Verstehen des in der Prozeßsituation verbal Geäußerten sowie der dort vorgenommenen Handlungen und Gesten. Beim Sachverständigen jedoch ist der Gegenstand der "Verstehenshilfe" ein ganz anderer. Hier geht es - je nachdem - um das "Verstehen" der Person (i. S. v. Persönlichkeit) des Täters, seiner Motive, der Tat insgesamt und damit im Zusammenhang stehenden einzelnen Verhaltensweisen oder Folgen. Bezugspunkt der Sachverständigentätigkeit ist also ein (zurückliegendes) Ereignis - die Tat - oder ein (andauernder) Zustand, der das Ereignis beeinflußte bzw. der dadurch selbst beeinflußt wurde. Im Gegensatz dazu ist die Tätigkeit des Dolmetschers auf eine sich aktuell abspielende Situation bezogen. So betrachtet handelt es sich um vollständig voneinander getrennte Tätigkeitsfelder, deren fonnale Unterscheidung auch im Hinblick auf die "Kulturfrage" zunächst unproblematisch erscheint: Der Dolmetscher muß die nötige kulturelle Hintergrundinfonnation für das Verstehen einer Prozeßäußerung liefern; der Sachverständige hingegen betreibt kulturelle Aufklärungsarbeit für das Verständnis eines Sachverhalts (in einem umfassenden Sinn, der sowohl Tat als auch Täterpersönlichkeit etc. beinhaltet).267 Somit erfahrt die "kulturelle Aufklärungspflicht" des Dolmetschers Einschränkungen: Es muß darauf geachtet werden, daß der Dolmetscher nicht eine Funktion übernimmt, die im System der Strafprozeßordnung eindeutig einem anderen Beteiligten zugewiesen ist. Die Tatsache, daß der "Kultursachverständige" im Prozeßalltag keine nennenswerte Rolle spielt 268 , mag ein Zeichen dafür sein, daß man seine Gemeinsamkeiten und Unterschiede dieser Abgrenzungen wird in den folgenden Fußnoten jeweils hingewiesen. 266 Siehe zur Aufgabe des Sachverständigen z. B. Eisenherg, S.587 Rn 1501; K. Peters, Strafprozeßrecht, § 4311, S. 356 f. 267 Hierin liegt die "Parallele" der beiden Abgrenzungen. Die Tätigkeit läßt sich anhand der im Vordergrund stehenden Funktion (vgl. oben) bestimmen: "Verstehen" von Prozeßäußerungen - Verständigungsfunktion, "Verstehen" eines Sachverhalts - Beweisfunktion. 268 Vgl. Menzel, MschrKrim - Sonderheft - 1999,45 (46). Im Gerichtssaal werde - zumindest im süddeutschen Raum - kaum auf sachkundige Hilfe von ethnologischer Seite zurückgegriffen.

E. Funktion und Stellung des Verhandlungsdolmetschers

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Mitwirkung überwiegend nicht benötigt oder zumindest glaubt, sie nicht zu benötigen 269 , sie darf jedoch nicht daran hindern, sich den Unterschied der jeweiligen Funktionen ins Bewußtsein zu rufen. 2. Faktische Probleme bei der Umsetzung der getrennten Aufgabenbereiche Trotz der eben beschriebenen, abstrakt klar getrennten Tätigkeitsfelder treten in der praktischen Umsetzung der Abgrenzung ein paar Schwierigkeiten auf. Grund für diese Probleme ist in erster Linie die Tatsache, daß der Großteil der im Prozeß zu dolmetschenden Äußerungen sich inhaltlich mit der Tat oder der Person des Täters befaßt. Damit greifen die abstrakt zunächst unterschiedlichen Bereiche ineinander, und eine saubere Trennung kann in einzelnen Fällen erschwert werden. 270 Wann dient die Information noch dazu das "Gesagte" zu verstehen und wann wird damit schon der "Inhalt des Gesagten" erklärt? Die Beurteilung dieser Frage ist schwierig, denn die Übergänge sind hier fließend. Dennoch kann versucht werden, wenigstens eine grobe Leitlinie für die Unterscheidung aufzustellen. Orientierungspunkt sollte dabei immer ein unmittelbarer sprachlicher Zusammenhang sein. 271 Bezieht sich die kulturelle Hintergrundinformation direkt auf das Verständnis eines Wortes, so fällt dies eindeutig in die Verständigungsfunktion des Dolmetschers. Dies ist z. B. immer bei Konnotationen eines Begriffs der Fall. 272 Erläutert die Information dagegen eine vom Fremdsprachigen beschriebene Handlung oder ein Geschehen, so ist dabei aufgrund des fehlenden unmittelbar sprachlichen Bezugspunktes nicht mehr die Verständigungsfunktion des Dolmetschers betroffen. Eine fiktive Situation mag diesen Gegensatz verdeutlichen: Ein fremdsprachiger Angeklagter schildert das Geschehen unmittelbar vor einer Schlägerei. Dabei gibt er an, von einer Person mit dem Wort "x" bezeichnet worden zu sein. Die wörtliche Übersetzung von "x" ins Deutsche ist möglich, jedoch vermittelt dieser Ausdruck die beleidigende Wirkung des Wortes in der Ausgangssprache nicht oder nicht im erforderlichen Maße. Hier ist es die Aufgabe des Dolmetschers, auf den konnotativ bedingten Beleidigungscharakter des Wortes hinzuweisen. Schildert der Angeklagte dagegen eine Situation, bei der durch eine konkludente Handlung eine beleidigenSiehe dazu unten, Exkurs zum "Kultursachverständigen", I. Kap. E V (S. 74 ff.). Was bei der "reinen Sprachübertragung" mit dem Kriterium "Äußerung innerhalb/außerhalb des Prozesses" als objektiver Maßstab (siehe Katholnigg, § 185 GVG Rn 2) problemlos zu trennen war, ist hier durch die thematische Überschneidung nicht mehr so einfach unterscheidbar. 271 Sprache ist im Prozeß das primäre Verständigungsmittel. Die Verständigungsfunktion muß daher in der Hauptsache über den sprachlichen Aspekt definiert werden. Es ist sachgerecht, das sprachliche Kriterium auch für die Abgrenzung heranzuziehen. Ein anderes, geeignetes Abgrenzungskriterium steht darüber hinaus nicht zur Verfügung. 272 V gl. hierzu das oben angeführte Beispiel" r;ocuklar", I. Kap. B IV 3 (S. 33). 269 270

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I. Kap.: Sprache und Dolmetschen

de Wirkung entstanden ist, hat eine entsprechende Erläuterung keinen unmittelbar sprachlichen Bezug mehr. Es geht vielmehr um die Aufklärung kulturbedingter Eigenarten im sozialen Umgang miteinander, also einer Materie, die in den Funktionsbereich des Sachverständigen fällt. In wie hier gelagerten Fällen ist eine funktionale Unterscheidung von Dolmetscher- und Sachverständigentätigkeit über das Kriterium eines unmittelbaren Sprachbezugs unproblematisch durchführbar. Es ist jedoch zuzugeben, daß es Bereiche gibt, in denen eine Zuordnung nicht mehr eindeutig erfolgen kann. Beispielhaft sei hier die oben 273 genannte "Begrüßung mit Handschlag" in Norwegen herangezogen. Es ließe sich wohl eine unendliche Diskussion darüber führen, ob sich dahinter die Beschreibung eines Vorgangs oder eher eine Art Idiom verbirgt. Eine solche "Grauzone" ist durch die beschriebene inhaltliche Verknüpfung des Tätigkeitsbereiches unausweichlich und könnte auch mit einem anderen Abgrenzungskriterium nicht verhindert werden. 3. Konsequenzen für die Ausübung der Dolmetschertätigkeit Fraglich ist nun, welche Konsequenzen sich für den Dolmetscher aus dieser faktischen Überlappung der formal getrennten Aufgabenbereiche ergeben. Auf die praktische Arbeit des Dolmetschers hat dies genaugenommen keine Auswirkungen und führt auch sonst im Prozeß nicht zu unüberbrückbaren Schwierigkeiten. Grund dafür ist, daß Dolmetscher und Sachverständiger in keinem Ausschließlichkeitsverhältnis zueinander stehen. 274 Wie auch beim Einsatz des Dolmetschers als "Sprachsachverständigen"275, kann er - sofern sein besonderes Wissen dies rechtfertigt und er dazu bereit ist - auch als "Kultursachverständiger" herangezogen werden. 276 In diesem Fall gilt es nur zu beachten, daß der Vereidigungsvorschrift 277 für den Sachverständigen (§ 79 StPO) Genüge getan wird. 278 Siehe I. Kap. B IV 5 (S.35). Vgl. BCH, NJW 1965,643; RCSt 45, 304f.; Kissel, § 191 GVG Rn 6. 275 Siehe dazu oben I. Kap. E III I (S. 67). 276 Eine Pflicht gern. § 75 StPO als Kultursachverständiger tätig zu werden, trifft den "Dolmetscher" dabei aber noch nicht. Keine der vier in dieser Norm genannten Voraussetzungen trifft auf den Dolmetscher, wie er heute im Gerichtsalltag zu finden ist, zu. Sollte sich in der Zukunft allerdings das Berufsbild eines speziellen "Gerichtsdolmetschers" mit einer entsprechenden Ausbildung, die den "Dolmetscher" generell für besondere kulturelle und landeskundliche Auskünfte qualifiziert, durchsetzen, so ist denkbar, daß dann § 75 Abs. I, I. Alt StPO Anwendung finden kann. Siehe zu den Voraussetzungen von § 75 StPO allgemein z. B. Eisenberg, S. 617 ff. Rn 1566ff.; LR-Dahs, § 75 StPO Rn 3 (24. Auflage). 277 Zur Frage der jeweiligen Vereidigung siehe unten 4. Kap. B 11 (S. 215 ff.). 278 Ob die Inanspruchnahme einer solchen zusätzlichen Leistung Auswirkungen auf die Entschädigung hat, braucht in diesem Zusammenhang nicht zu interessieren. Die spätere Berechnung der Entschädigungshöhe hat keinen Einfluß auf die Frage nach einer grundsätzlichen, parallelen Einsatzmöglichkeit. 273 274

E. Funktion und Stellung des Verhandlungsdolmetschers

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Der Dolmetscher braucht sich in seiner Arbeit durch den möglichen "Doppeleinsatz" nicht beirren zu lassen. Wichtig ist, daß er sich vorrangig über seine Verständigungs/unktion im klaren ist. Dies beinhaltet zum einen das Bewußtsein, für eine umfassende Verständigung - mit Hintergrundinformation - zuständig zu sein und zum anderen aber auch, die über den sprachlichen Bezug herzustellende Grenze zum Sachverständigen zu kennen. In den meisten Fällen wird der Dolmetscher dann innerhalb des Rahmens seiner Verständigungsaufgabe agieren. Es bleibt dem Gericht überlassen, den "Dolmetscher" darüber hinaus durch gezielte Fragen als Kultursachverständigen einzusetzen, wenn dies erforderlich erscheint. Sollte der Dolmetscher seinen Aufgabenbereich eigenmächtig überschreiten, kann das Gericht dies ohne weiteres unterbinden. Bewegt sich der Dolmetscher in der oben beschriebenen "Grauzone", so obliegt es dem Gericht, darüber zu urteilen, wie dies im Einzelfall einzuordnen ist. 279 Hält das Gericht einen sprachlichen Zusammenhang nicht mehr für gegeben, kann es den Dolmetscher unterbrechen oder ihn als Sachverständigen einschalten. 280 Die Aufgabenbeschreibung des Dolmetschers hat mit Hilfe der soeben durchgeführten Abgrenzung eine - meines Erachtens notwendige - Komplettierung erfahren. Die in der Literatur und Rechtsprechung zu findenden Hinweise auf die Notwendigkeit kultureller Hintergrundinformation 281 lassen sich damit erst richtig einordnen. Daß in diesem Bereich bisher eine gewisse, wenn auch kaum verbalisierte, Unsicherheit existierte, läßt sich an einem Aufsatz Mortens 282 festmachen. Dort wird die kulturelle Komponente beim Dolmetschen in einer selten anzutreffenden Deutlichkeit betont. Morten unterstreicht diesen für ihn wichtigen Aspekt sogar noch, indem er den Dolmetscher als "Sprach- und Kulturmittler" bezeichnet. 279 Es ist zuzugeben, daß es sich hierbei nicht mehr um eine, anhand objektiver Maßstäbe voll nachprüfbare Entscheidung handelt, sondern dem Gericht insoweit ein gewisser Errnessens spielraum eingeräumt werden muß. 280 Letztere Möglichkeit scheint auf den ersten Blick eine konstruktive Schwierigkeit mit sich zu führen, denn sie entspricht nicht dem herkömmlichen Ablauf bei der Einschaltung von Sachverständigen. In der Regel wird der Sachverständige nach einer konkreten richterlichen Aufforderung tätig. Hier könnte jedoch der Eindruck entstehen, die notwendige Leitung des Sachverständigen durch den Richter gern. § 238 Abs. I StPO sei nicht mehr gewahrt (§ 78 StPO muß in diesem Zusammenhang nicht zitiert werden, nach h. M. entfaltet er seine Wirkung nur außerhalb der Hauptverhandlung, da § 238 Abs. I StPO bereits die Leitung in der Hauptverhandlung mit sich bringt; vgl. u. a. Eisenberg, S.632, Rn 1602; LR-Dahs, § 78 StPO Rn 2 [24. Auflage]; KK-Senge, § 78 StPO Rn 2.). Die Leitungsfunktion des Richters bleibt aber selbst in dieser Situation noch erhalten. Auch wenn der "Dolmetscher" eigenständig auf seiner Meinung nach erforderlich scheinende Erläuterungen hinweist, wird er dabei meist den Richter um Erlaubnis bitten, eine bestimmte Ausführung machen zu dürfen. Fällt diese Materie in den Zuständigkeitsbereich des Sachverständigen, kann in dem Gestatten der Erläuterung der "Sachverständigenauftrag" gesehen werden. Sollte ein "Dolmetscher" wirklich einmal "unaufgefordert" solche Erläuterungen geben, liegt im Verzicht des Richters, ihn zu unterbrechen, dessen Billigung und damit eine konkludente Auftragserteilung. 281 Siehe RG, LZ 1921, 693; LR-Schäjer/Wickern, § 185 GVG Rn 15 (24. Auflage) sowie Rn 5; Katholnigg, § 185 GVG Rn 3. Siehe auch oben I. Kap. EI (S.60f.). 282 StraFo 1995, 80ff., insbes. 81-82.

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1. Kap.: Sprache und Dolmetschen

Nimmt man den kulturellen Aspekt wirklich ernst, so ist in dieser "neuen Bezeichnung" lediglich eine begriffliche Realisierung des bisher schon proklamierten Aufgabeninhalts zu sehen. Morten ist sich allerdings auch bewußt, daß das beherzte Umsetzen der "Kulturmittlerfunktion" zu Abgrenzungsproblemen führt. 283 Genau hier wird die bestehende Unsicherheit deutlich; der Aufsatz bleibt an dieser Stelle auf einen recht vagen Problemaufriß beschränkt. 284 Die obige Abgrenzung kann nun dazu beitragen, diese Unsicherheit zu beseitigen, indem sie die Antwort liefert, die uns der Aufsatz schuldig geblieben ist. Darüber hinaus vermag sie auch in bezug auf Mortens Terminologie eine sinnvolle Ergänzung zu leisten: Trug die Bezeichnung "Sprach- und Kulturmittler" dort noch die Gefahr in sich, die Grenze zum "Kultursachverständigen" zu verwischen, so ist sie nun - angereichert mit der hier erarbeiteten Funktionsbestimmung - problemlos verwendbar. Versteht man "Kulturmittler" demnach im Sinne von "Verständigungsvermittlung", kann der Ausdruck in einen nachvollziehbaren Gegensatz zum "Kulturs ach verständigen" gesetzt werden. Vor diesem Hintergrund ist es sogar wünschenswert, wenn diese Formulierung eine stärkere Verbreitung erfährt. Sie kann dazu beitragen, ein Bewußtsein dafür zu schaffen, daß Dolmetschen sich nicht nur auf reines Übersetzen beschränkt, sondern vielmehr eine umfassende Vermittlung beinhaltet.

V. Exkurs: Der "Kultursachverständige" Nach der soeben durchgeführten Abgrenzung könnte der Eindruck entstehen, als handle es sich beim "Kultursachverständigen" um eine in jedem Prozeß mit ausländischem Angeklagten unabdingbare "Einrichtung". Die Verfahrenswirklichkeit steht dem jedoch diametral entgegen. So trifft man nur selten auf die Hinzuziehung eines ethnologischen Gutachters. 285 Meist wird sich dies zudem auf jene Fälle beschränken, in denen es deutliche Hinweise gibt, daß das tatbestandliehe Verhalten in einer bestimmten, "kulturellen Logik" wurzelt. Zu denken ist hier beispielsweise an Taten, deren Motivlage eindeutig im mediterranen oder balkanischen Ehrenkodex zu suchen ist. 286 Tritt die Verknüpfung von "kultureller Logik" und Straftat jedoch nicht offensichtlich zutage, so wird die Einschaltung eines Ethnologen als Sachverständigen eher ein Ausnahmefall bleiben. Der Hintergrund dieser Situation soll kurz beleuchtet werden. 283 "In diesem Zusammenhang stellt sich dann allerdings die Frage, wann der Dolmetscher zum ,Sachverständigen' im Verfahren wird." MOrlen, StraFo 1995,81. 284 Es sei angemerkt, daß hierin keine abwertende Kritik an Mortens Aufsatz liegen soll. Allein schon die Tatsache, daß er als Dolmetscher in diesem Zusammenhang auf das dogmatische Problem hinweist, ist bemerkenswert, zumal sich die juristische Literatur darüber bisher ausschwieg. Insofern wäre es verfehlt, von ihm auch noch einen dogmatischen Lösungsansatz zu erwarten. 285 Vgl. Menzel, MschrKrim - Sonderheft - 1999, 45 (46). 286 Siehe dazu die Fallbeispiele bei Giordano, MschrKrim - Sonderheft - 1999, 36 (36-38).

E. Funktion und Stellung des Verhandlungs dolmetschers

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Zunächst ist festzuhalten, daß die Hinzuziehung eines "Kultursachverständigen" mit den bestehenden strafprozessualen Regelungen problemlos durchführbar ist. Die anzutreffende Situation ist folglich nicht durch verfahrenstechnische Umstände bedingt. Vielmehr liegt der Grund dafür in der Tatsache, daß der "Kultursachverständige" häufig nicht erforderlich ist bzw. für nicht erforderlich gehalten wird. Hier wirkt sich in erster Linie aus, daß nicht jede angeklagte Straftat eines "kulturell Fremden" auch eine "kulturelle Logik" besitzt. 287 Ferner ist es entscheidend, daß zum Erkennen und Verstehen kulturspezifischer Besonderheiten nicht stets die Hilfe eines Fachmanns vonnöten ist. So kann sich das Gericht oft eigenständig, anhand von Literatur, z. B. über Sitten und Gebräuche oder religiöse Regeln kundig machen. Auch darf der ausländische Betroffene selbst als geeignete Informationsquelle nicht außer acht gelassen werden. Mit seiner Hilfe kann eine Vielzahl von kulturspezifischen Eigenarten aufgedeckt und erklärt werden, ohne daß eine derartige Information per se schon mit dem Makel einer fraglichen Glaubwürdigkeit behaftet wäre. Ob der Betroffene wegen eigener, entgegenstehender Interessen der objektiven "Kulturaufklärung" nicht dienlich ist, muß das Gericht für den Einzelfall entscheiden. Es zeigt sich somit, daß es in Gerichtsverhandlungen nicht immer der Mitwirkung eines zusätzlichen "Kulturfachmannes" bedarf. Wie groß daneben aber die Anzahl der Fälle ist, in denen das Gericht sich selbst im voraus nicht ausreichend informieren kann und auch der ausländische Betroffene - aus welchen Gründen auch immer - kein geeignetes Erkenntnismittel darstellt, vermag diese Arbeit nicht zu beantworten. Dies, sowie die Frage, ob in jenen Situationen von der Zuziehungsmöglichkeit eines Sachverständigen - sei es eines Ethnologen oder einer sonstigen, einschlägig kundigen Person - ausreichend Gebrauch gemacht wird und warum dem gegebenenfalls nicht so ist, kann nur im Rahmen einer empirischen Untersuchung befriedigend behandelt werden. Trotzdem seien hier einige in diesem Zusammenhang interessante Punkte genannt. Um allerdings nicht in allzu spekulative Erwägungen zu verfallen, sollen nur die klar auf der Hand liegenden Aspekte angeführt werden: Abgesehen von den Fällen, in denen die notwendige Aufklärung über die einer Straftat innewohnende "kulturelle Logik" die Hinzuziehung eines Ethnologen förmlich aufdrängt, kann die Inanspruchnahme eines Sachverständigen für soziokulturelle Fragen überflüssig und unpassend erscheinen. Dies läßt sich auf mehrere Gründe zurückführen. Zuallererst spielt hier die bisher fehlende, klare Abgrenzung der Aufgabenbereiche hinein. Sicherlich hat in der Vergangenheit manch ein Dolmetscher eine Sachverständigenfunktion übernommen, ohne daß man sich dabei der Funktionsüberschreitung bewußt war. Ferner bewegt man sich thematisch in einem Bereich, der im Hinblick auf das klassische Bild des Sachverständigen 288 etwas befremdlich erSiehe Giordano, MschrKrim - Sonderheft - 1999, 36 (37). Vgl. dazu die Beschreibung des gewöhnlichen Tätigkeitsfelds im Personal- und Sachbeweis bei K. Peters, Strafprozeß, § 4311, S. 365-366. Auch Delter beschränkt sich bei seinen 287 288

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1. Kap.: Sprache und Dolmetschen

scheinen mag. Bei der Frage nach soziokulturellen Besonderheiten geht es eben nicht nur um besondere wissenschaftliche oder technische Kenntnisse. 289 Gegenstand ist vielmehr das "normale Leben", ein Gebiet also, dessen Verständnis im "Normalfall" zum ureigensten Aufgabenbereich des Richters gehört. Man darf sich jedoch nicht davor verschließen, daß unter Umständen auch für eine solche Aufgabe ein Spezialwissen erforderlich werden kann. Dabei sind es nicht nur offensichtlich aus einem anderen kulturellen Zusammenhang motivierte Taten, die nach entsprechender Sachkunde verlangen, sondern daneben auch Fälle, die dem Gericht in soziokultureller Hinsicht zunächst unproblematisch erschienen sind. Ebenso ungewohnt ist es, daß das für die Klärung solcher Fragen erforderliche Spezialwissen nicht unbedingt auf eine besondere Ausbildung zurückzuführen sein muß. So kann z. B. allein die Tatsache, daß jemand längere Zeit in einem bestimmten Land gelebt hat, ihn zu einer einschlägig sachkundigen Person machen. Der Sachverständige ist eben nichts anderes als eine "einschlägig sachkundige Person".290 Das hat zur Folge, daß sich eine Vielzahl von kulturell bedingten Fragen auch ohne die Einschaltung eines Ethnologen sachverständig klären lassen. (Was jedoch keineswegs bedeutet, daß die Fachkenntnis von Völkerkundlern für den Strafprozeß generell als verzichtbar anzusehen ist.) Zu guter Letzt dürfen praktische Gesichtspunkte nicht unberücksichtigt bleiben. Anders als bei der sich meist schon frühzeitig ankündigenden Notwendigkeit eines "klassischen Sachverständigen", können soziokulturelle Verständnisfragen oft erst in der Verhandlungssituation zutage treten. 291 In solchen Fällen bleibt zu hoffen, daß das Gericht sich die erforderliche Sachkunde auf unproblematische Art und Weise beschaffen kann und daß im Idealfall die Kenntnisse des anwesenden Dolmetschers ausreichend sind, wenn man ihn mit dieser zusätzlichen Tätigkeit eines Sachverständigen beauftragen will. Gerade die letztgenannte Konstellation versteckt kultureller Differenzen gibt Anlaß, darüber nachzudenken, ob bei Prozessen mit ausländischen Beteiligten, insbesondere ausländischen Angeklagten, die Zu ziehung eines "Kultursachverständigen" nicht obligatorisch erfolgen sollte, um so etwaige "Notsituationen" von vornherein vermeiden zu können. Eine so weitreichende Konsequenz ist jedoch nicht notwendig. Die - unter dem Vorzeichen eines entsprechenden Problembewußtseins stehende - Ausschöpfung aktuell vorgegebener Möglichkeiten sollte hier völlig genügen. Ausführungen in "Der Sachverständige im Strafverfahren", NStZ 1998,57 ff. auf diesen "klassischen Tätigkeitsbereich". 289 Was der Qualität eines Sachverständigenthemas nicht entgegensteht. Vgl. dazu z. B. AlsbergINüsse/Meyer, S. 207; Meyer-Goßner, Vor § 72 StPO Rn I; LR- Dahs, Vor § 72 StPO Rn 2 (24. Auflage); Eisenberg, S. 587 Rn 1500. 290 Eisenberg, S. 587 Rn 1500. 291 Ergeben sich diese schon im Zeitpunkt des Aktenstudiums, wird der Richter in der Regel versuchen sein Wissensdefizit bereits im Vorfeld eigenständig zu beheben, oder er wird gegebenenfalls einen ethnologischen Sachverständigen einschalten.

E. Funktion und Stellung des Verhandlungsdolmetschers

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Voraussetzung ist allerdings, daß die Gerichte in den erforderlichen Fällen von einem "Kultursachverständigen" auch wirklich Gebrauch machen. 292 So sollte das Gericht sich bei Bedarf ohne Zögern der sachkundigen Hilfe eines Ethnologen bedienen oder gegebenenfalls die Spezialkenntnisse im Prozeß anwesender Personen nutzen. Ein nicht zu unterschätzender, positiver Faktor für einen reibungslosen Verhandlungsablauf ist daher auch in diesem Zusammenhang eine möglichst hochwertige Qualifikation des Dolmetschers. Ist er aufgrund guter soziokultureller und landeskundlicher Kenntnisse in der Lage, gegebenenfalls zusätzlich als Sachverständiger tätig zu werden, so kann dies eine erhebliche organisatorische Erleichterung in den oben beschriebenen Fällen - nicht voraussehbarer, kulturell bedingter Unklarheiten - bedeuten. Es sei hier ausdrücklich noch einmal betont, daß der in solchen Fragen sachkundig geschulte Dolmetscher die Rolle des Kultursachverständigen zwar für eine Vielzahl von Fällen ohne weiteres hinlänglich ausfüllen kann, jedoch ist damit keineswegs gemeint, daß er generell die unter Umständen erforderliche Hinzuziehung eines Völkerkundlers obsolet machen könnte. Handelt es sich nämlich um solche Fallgestaltungen, bei denen die Beurteilung der Tat primär die besondere Berücksichtigung und Würdigung eines kultureller Binnenstruktur entsprechenden Verhaltens erfordert, so ist die fachmännische Sachkunde eines Ethnologen unabdingbar. Für die anderen Fallgestaltungen hingegen ist die Verwertung soziokultureller Spezialkenntnisse eines "Dolmetschers" ausreichend. Es handelt sich hierbei jedoch um eine stets im Einzelfall von dem mit der Sache befaßten Richter zu treffende Entscheidung. Die hier skizzierte Auffassung hinsichtlich der nicht erforderlichen Notwendigkeit eines "Pflichtsachverständigen" ist zugegebenermaßen eine subjektive. Eine tatsächliche Klärung der Frage, inwieweit eine gesetzlich generell "verordnete" Hilfestellung in diesem Bereich erforderlich und zweckmäßig ist, kann ebenfalls nur wieder eine empirische Untersuchung liefern.

292 Wann das Gericht dabei der sachkundigen Hilfe bedarf, soll es - wie bisher, vgl. K. Peters, Strafprozeß, § 43 III, S. 366 - nach pflichtgemäßem Ermessen selbst entscheiden.

Zweites Kapitel

Die Zu ziehung eines Dolmetschers A. Einleitung Die faktischen Probleme, mit denen ein Richter bei der Zu ziehung eines Dolmetschers konfrontiert wird, sind oben 1 dargestellt. Es wurde dabei schon angedeutet, daß die spärliche Regelung des § 185 GVG eine Vielzahl von rechtlichen Fragen aufwirft, die im folgenden ausführlich erörtert werden sollen. Obwohl § 185 GVG teilweise auch außerhalb der gerichtlichen Prozeßsituation eine Rolle spielt, soll die Beschäftigung mit dieser Norm hier auf ihre Bedeutung innerhalb der Hauptverhandlung begrenzt werden. Betrachtet man die in diesem Bereich ergangenen Entscheidungen, so taucht vom ersten Band der amtlichen Entscheidungssammlung des Reichsgerichts 2 an bis in die jüngste Zeit 3 hinein immer wieder der Begriff des "Ermessens" im Zusammenhang mit der Dolmetscherzuziehung auf: Von der "Entscheidung, ob ein Angeklagter der deutschen Sprache mächtig ist"4, über die "Auswahl des Dolmetschers"5, "das Bedürfnis"6 sowie den "Umfang"7 der Zuziehung, hin bis zu der Frage, "ob die Übertragung richtig und vollständig war"8, überall wird das tatrichterliche "Ermessen" angeführt. Auf den ersten Blick mag dies verwundern, denn die Formulierung des § 185 Abs. 1 S. 1 GVG ("ist ... zuzuziehen"9) deutet - ganz anders, als z. B. § 185 Abs.2 GVG ("kann unterbleiben"w) - gerade nicht auf einen richterlichen Entscheidungsspielraum hin. Vielmehr normiert § 185 Abs. 1 S. 1 GVG eine zwingende Rechtsfolge: Wird Sprachunkundigkeitfestgestellt, so muß die Zuziehung erfolgen. So klar und einfach diese Vorgabe klingt, so unzureichend detailliert ist sie jedoch für eine problemlose Umsetzung im gerichtlichen Alltag. Dort präsentiert sich die Siehe 1. Kap. D I I (S.48 ff.). RGSt I, 137f. 3 BGHR § 185 GVG, Auswahl I, Ennessen. 4 OLG Frankfurt, NJW 1952, 1310. 5 OLG Karlsruhe, Justiz 1980, 285. 6 RGSt I, 137. 7 BGH, NStZ 1984, 328. 8 BGH vom 18.05.1976,5 StR 529/75, S. 4. 9 Hervorhebung nicht im Original. 10 Hervorhebung nicht im Original. 1

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B. Exkurs: Das Ermessen des Tatrichters

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Feststellung von Sprachkundigkeit nämlich nicht immer als eine "Ganz- oder- GarNicht-Entscheidung". Dieser Umstand bleibt von § 185 Abs.l S.l GVG unberücksichtigt, eine graduelle Unterscheidung bei der Sprach beherrschung ist im Gesetzeswortlaut nicht vorgesehen. Ebenso im unklaren läßt das Gesetz den Rechtsanwender darüber, was eine Zu ziehung konkret bedeutet: Wer ist auszuwählen und in welchem Umfang muß er tätig werden? Ob all diese Fragen, die der Gesetzgeber mehr oder minder offengelassen hat, - gemäß der Rechtsprechung - durch das Ermessen des Richters "ausgefüllt" werden können und dürfen, gilt es im folgenden zu untersuchen.

B. Exkurs: Das Ermessen des Tatrichters Bevor jedoch diese Einzelfragen zu erörtern sind, muß das "pflichtgemäße Ermessen des Tatrichters" zunächst allgemein etwas ausgeleuchtet werden. Der Begriff "Ermessen" wird oftmals in so vielschichtiger Gestalt verwendet, daß es notwendig ist, seinen Bedeutungsinhalt - insbesondere in strafprozessualer Hinsicht - klarzustellen. Obwohl die Strafprozeßordnung sich selbst an einigen Stellen des Begriffs "Ermessen" explizit bedient 11, assoziiert der Jurist die Ermessensproblematik in der Regel vorwiegend mit dem Verwaltungsrecht. In der Tat stand das Thema "Ermessen" lange Zeit hauptsächlich im Mittelpunkt des verwaltungsrechtlichen Schrifttums und wurde dort eingehend untersucht. 12 Da aber auch in der Prozeßrechtswissenschaft - vor allem im Revisionsrecht 13 - das Ermessen eine nicht unerhebliche Rolle spielt, war voraussehbar, daß die Erkenntnisse der verwaltungsrechtlichen Ermessenslehren früher oder später in der einen oder anderen Form auch in diesen Bereich Eingang finden werden bzw. teils schon gefunden haben. 14 Auch wenn die Ermessenslehren des Verwaltungsrechts nicht einfach auf das Strafprozeßrecht übertragen werden können 15, so lassen sie sich doch in bezug auf die zwischen Verwaltungs recht und Prozeßrecht bestehende Parallele - sprich den Aspekt der dabei jeweils gestaltenden Tätigkeit 16 - nutzbar machen. Vor allem aber im Bereich der Terminologie ist eine Angleichung im Sinne einer besseren Verständlichkeit sehr zu begrüßen. Es ist festzuhalten, daß "Ermessen" in zwei grundsätzliche Arten, deren Unterscheidung sich am Ansatzpunkt der Ermessensfreiheit orientiert 17 ,eingeteilt werden kann. Die heute dabei nur noch selten verwendeten Begriffe "Rechtsfolge- und Tat11 12 13 14

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Siehe z. B. § 79 Abs. 1 S. 1 StPO; § 118 Abs. 1 StPO; § 244 Abs. 5 S. 1 StPO. Siehe Schwinge, S. 114; siehe auch Kappe, GA 1960, 359m. w. N. Vgl. Schwinge, S. 116. Siehe dazu Frisch, NJW 1973, 1348. Vgl. Kappe, GA 1960, 370f. Siehe Kappe , GA 1960, 364-365. Vgl. Drost, S. 29 ff.

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2. Kap.: Die Zuziehung eines Dolmetschers

bestandsermessen" können den Gegensatz 18 dieser zwei Grundtypen deutlich veranschaulichen. Statt jenes Begriffspaares hat inzwischen aber eine andere Terminologie stärkere Verbreitung gefunden. So spricht man heute unter anderem von "Handlungs- und kognitivem Ermessen". In jüngerer Zeit hat sich - vor allem im Verwaltungsrecht - darüber hinaus eine Tendenz durchgesetzt, den Begriff "Ermessen" grundsätzlich auf den erstgenannten Bereich zu beschränken. Man bedient sich der Bezeichnung dabei nur noch für gestaltende Maßnahmen, bei denen der Ermessensträger aus mehreren in Frage kommenden Handlungsalternativen eine auswählen kann. Der Gesetzgeber gibt hier bewußt die Auswahlentscheidung aus seinen Händen. So hat er in § 31 Abs.2 BauGB die Baubehörden beispielsweise dazu berechtigt, in Einzelfällen Befreiungen von den Festsetzungen eines Bebauungsplans zu erteilen. Sowohl bei der Erteilung als auch bei der Versagung einer solchen Befreiung handelt es sich daher um gesetzmäßige Handlungsalternativen. Welche Alternative im konkreten Fall jedoch angewendet werden soll, liegt in der Entscheidungskompetenz der Behörde. Im Gegensatz zu dieser Art des Ermessens bezeichnet man das "kognitive Ermessen" nun statt dessen bevorzugt als sogenannten "Beurteilungsspielraum". Hierbei kann nicht mehr aus mehreren gesetzmäßigen Alternativen ausgewählt werden. Es handelt sich vielmehr um die Feststellung, ob die eine, vom Gesetzgeber bereits - auf mehr oder minder konkrete Weise - als rechtmäßig festgelegte Entscheidung gegeben ist oder nicht. 19 So hat der Gesetzgeber der zuständigen Behörde gemäß § 4 Abs. 1 Nr.l GaststättenG z. B. vorgeschrieben, daß sie die Erlaubnis zum Betrieb dann zu versagen habe, wenn die Annahme gerechtfertigt ist, daß der Antragsteller die erforderliche Zuverlässigkeit nicht besitze. Die Versagung ist somit die einzig zulässige Rechtsfolge, sofern die Behörde den vorliegenden Sachverhalt unter den - vom Gesetzgeber vorgegebenen - unbestimmten Rechtsbegriff der Zuverlässigkeit subsumieren kann. Vgl. zu diesem Gegensatz z. B. Maurer, § 7, Rn 26ff. So die überwiegend im Schrifttum verwendete Abgrenzung, vgl. dazu z. B. Kappe, GA 1960, S. 363; KMR-Paulus, § 337 StPO Rn 24; K. Peters, Strafprozeß, § 75 11, S. 641. Die bei Schlüchter, S. 762 Rn 641, anzutreffende Aussage, daß "im Bereich unbestimmter Rechtsbegriffe nicht nur eine Lösung richtig" sei, sondern es eine "Bandbreite der Entscheidungsmöglichkeiten" (vgl. hierzu BVerwG, NJW 1972,596, - worauf Schlüchter allerdings keinen direkten Bezug nimmt) gebe, scheint diesem Abgrenzungskriterium entgegenzustehen. Daß trotz konträrer Formulierung hier nicht wirklich ein Widerspruch besteht, zeigen jedoch die Ausführungen K. Peters', Strafprozeß, § 75 II, S. 641, der ähnlich wie Schlüchter die "Bandbreite der Entscheidungsmöglichkeiten" benennt, aber insgesamt doch im obigen Sinne zu verstehen ist. Beide beziehen sich auf Bachof, JZ 1972,641 (644-645), der sich seinerseits gegen die "Fiktion nur einer richtigen Lösung" (in Anlehnung an die oben angegebene BVerwG-Entscheidung) ausspricht. Im Grunde rührt dieser "Widerspruch" aber m. E. nur aus einem unterschiedlichen Bezugspunkt der Formulierung. Während Bachofund Schlüchter betonen wollen, daß das Subsumtionsergebnis nicht eindeutig - im Sinne nur einer vertretbaren und damit richtigen Subsumtionslösung - festliegt, wird damit nicht behauptet, daß nach erfolgter Subsumtion etwa mehrere Handlungsmöglichkeiten richtig seien. 18

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C. Die Zuziehungsvoraussetzungen

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Um den grundsätzlichen Unterschied zwischen Rechtsfolgenauswahl einerseits und Subsumtion andererseits auch im Bereich des Strafrechts deutlich hervorzuheben, kann die vom Verwaltungsrecht ausgehende begriffliche Trennung zwischen Ermessen und Beurteilungsspielraum als adäquates Hilfsmittel dienen. Obwohl dieser Sprachgebrauch in der Rechtsprechung der Strafsenate noch keinen großen Anklang gefunden hatz°, taucht eine derartige sprachliche Differenzierung inzwischen zumindest in der strafprozessualen Literatur vermehrt auf. 21 Wenn also die Rechtsprechung im Zusammenhang mit § 185 GVG auch immer wieder von "Ermessen" spricht, so gilt es zu untersuchen, in welchem Sinn der Begriff jeweils verstanden werden muß.

c.

Die Zuziehungsvoraussetzungen

I. Die einzelnen Tatbestandsmerkmale Auf die Frage, wann ein Dolmetscher zuzuziehen ist, scheint es eine einfache Antwort zu geben. Die Aussage des Gesetzgebers in § 185 Abs. 1 S. 1 GVG klingt insoweit eindeutig: "Wird unter Beteiligung von Personen verhandelt, die der deutschen Sprache nicht mächtig sind, so ist ein Dolmetscher zuzuziehen."

Die Subsumtion unter die Voraussetzungen des sachlichen Anwendungsbereichs wirft zunächst auch keine Probleme auf. Der Begriff "Verhandlung" wird in dieser Norm weit aufgefaßt. Darunter ist jeder gerichtliche Termin, bei dem zwischen Gericht und Beteiligten eine Verständigung mittels Sprache notwendig ist, zu verstehen. 22 Auch die Beteiligtenqualität bereitet keine Subsumtionsprobleme. Jede Person, die in irgendeiner prozessual relevanten Funktion an der Verhandlung mitwirkt, ist Beteiligter. 23 Anders verhält es sich dagegen mit der letzten Tatbestandsvoraussetzung. Was der Gesetzgeber mit "der deutschen Sprache nicht mächtig sein" umschrieben hat, wird in Rechtsprechung und Literatur meist unter dem Stichwort der "Sprachunkundigkeit" behandelt. Bei enger Anlehnung an den Gesetzeswortlaut ließe sich zu20 Siehe Krause, Revision, S. 17 Rn 12; vgl. auch E. Peters, S. 35-36, der Bedenken gegenüber dem von der Rechtsprechung verwendeten Begriff äußert. 21 SO Z. B. bei Alsberg/Nüse/Meyer, S. 158 f.; Frisch, NJW 1973, 1345 ff.; Herdegen, Kleinknecht-FS, S. 187; Kappe, GA 1960,368; Krause, Revision, S. 17 Rn 12; K. Peters, Strafprozeß, § 75 11, S. 640. 22 Siehe z. B. Kissel, § 185 GVG Rn 2; LR-SchäferlWickern, § 185 GVG Rn 4 (24. Auflage); Jessnitzer, Dolmetscher, S. 73 f.; ausführlich dazu auch Weith, S. 50. 23 Siehe Kissel, § 185 GVG Rn I; vgl. auch die Aufzählung der Beteiligten im Strafverfahren bei Jessnitzer, Dolmetscher, S. 71. Siehe zur Frage, welche Beteiligten deutschunkundig sein können, unten 3. Kap. BI (S. 151).

6 Lankisch

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2. Kap.: Die Zu ziehung eines Dolmetschers

nächst auch an den Begriff "Sprachmacht" denken. Die Verwendung dieser Vokabel überzeugt jedoch nicht. In gewisser Weise enthält sie nämlich auch die Konnotation von "Macht ausüben durch Sprache", was in diesem Zusammenhang nicht gemeint ist. Auch wenn die Wendung "der Sprache mächtig sein" mit einem Element aus der Wortfamilie "Macht" arbeitet, so ist das dazugehörige Substantiv dennoch "Sprachkundigkeit". Das Tatbestandsmerkmal des § 185 Abs. 1 S. 1 GVG soll daher auch hier entsprechend der Literatur und Rechtsprechung mit "Sprachunkundigkeit" bezeichnet werden. Waren die ersten beiden Merkmale ("Verhandlung" und "Beteiligung") noch abstrakt, im voraus eindeutig bestimmbar, so stellt sich eine derartige Aussage für die "Sprachunkundigkeit" aufgrund der - hier später noch näher auszuführenden - Dehnbarkeit des Begriffs als problematisch dar. 24 Die Rechtsprechung trägt diesem Umstand Rechnung, indem sie dem Richter ein "Ermessen" einräumt. 25 Daß damit kein "klassisches Auswahlermessen" im obigen Sinne gemeint sein kann, geht aus der Tatbestandsstruktur des § 185 Abs. 1 S. 1 GVG hervor: Wird das Merkmal der "Sprachunkundigkeit" bejaht, so kann dies nur eine einzige, vom Gesetzgeber bereits festgelegte Konsequenz - die Dolmetscherzuziehung - zur Folge haben. 26 Die Rechtsprechung gesteht dem Richter also ein "Tatbestandsermessen" zu. Er soll bei der Beurteilung der Frage, ob das Merkmal gegeben ist, einen gewissen Spielraum erhalten. 27 Es bietet sich daher - entsprechend der eingangs gemachten Ausführungen, entgegen der (noch) üblichen, gerichtlichen Sprachpraxis - an, hier die Terminologie des "Beurteilungsspielraums" zu verwenden. 28 Auch wenn die zitierte Umschreibung des Gesetzgebers bei der Subsumtionsarbeit Schwierigkeiten bereitet, so stellt sie zumindest einen wichtigen Punkt eindeu24 Nicht alle sehen hierin jedoch die angesprochene Problematik. So erweckt dieses Merkmal bei Weith (S. 51, teils auch S. 52-53) beispielsweise den Eindruck, verhältnismäßig unproblematisch zu sein. 25 Vgl. z. B. OLG Frankfurt, NJW 1952, 1310. 26 So spricht daher z. B. auch das OLG Frankfurt, NJW 1952, 1310 von der in § 185 GVG zwingend vorgeschriebenen Beiziehung des Dolmetschers. In diesem Zusammenhang gilt es, auf eine ungenaue Formulierung des BayObLG, BayVBI. 1981, 187 aufmerksam zu machen. Danach obliege "die Entscheidung, ob ein Beteiligter der deutschen Sprache mächtig ist und, falls diese Fähigkeit fehlt. ob ein Dolmetscher zuzuziehen ist [Hervorhebung nicht im Original)", dem tatrichterlichen Ermessen. Hier scheint das BayObLG dem Tatrichter neben dem Beurteilungsspielraum auch ein Rechtsfolgeermessen im klassischen Sinn zugestehen zu wollen. Daß eine solche Interpretation nicht mit dem klaren Wortlaut des Gesetzes in Einklang stünde, ist offenkundig. Das BayObLG kann eine solche Aussage daher nicht gewollt haben. Der Blick in die von ihm angeführten Entscheidungen zeigt dann auch, daß das Gericht hier wohl eine etwas anders gelagerte Situation, in der der Angeklagte nämlich der deutschen Sprache nur teilweise mächtig ist, vor Augen gehabt haben muß. Vgl. dazu unten 2. Kap. EIV (S . 122 ff.). 27 Vgl. MK-Wolf, § 185 GVG Rn 10, der insofern von "tatrichterlicher Würdigung" spricht. 28 Auch Basdorf, S.21 plädiert dafür, im Zusammenhang mit dem "unscharfen Begriff" ("der deutschen Sprache mächtig") besser von "Beurteilungsspielraum" als von tatrichterlichem Ermessen zu sprechen.

C. Die Zuziehungsvoraussetzungen

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tig klar: Die Inanspruchnahme eines Dolmetschers ist einzig an die sprachlichen Fähigkeiten einer Person gekoppelt. Die Nationalität des Betroffenen spielt dagegen keine Rolle. Erscheint dies heute selbstverständlich, so hielt es das Reichsgericht noch für erforderlich, auf diesen Umstand ausdrücklich hinzuweisen: "Also begründet nicht die AusländerquaJität einzelner zu vernehmender Zeugen, sondern nur die denselben mangelnde Kenntnis der Gerichtssprache die Notwendigkeit der Zuziehung eines Dolmetschers."29

11. Das Merkmal der "Sprachunkundigkeit" Mit der sprachlichen Konkretisierung des "Ermessensbegriffs" ist allerdings noch nichts darüber gesagt, ob der Linie der Rechtsprechung inhaltlich gefolgt werden kann. Es gilt zu untersuchen, ob dieses Tatbestandsmerkmal wirklich Raum für eine Beurteilungsentscheidung bietet. Gefragt ist also nach der "Art" des Tatbestandsmerkmals. Auch hier begegnet man im Bereich der strafrechtlichen Dogmatik einer nicht ganz einheitlichen Terminologie. So ist im materiellen Strafrecht die Benennung als "deskriptive und normative Merkmale"30 oder vereinzelt auch der Ausdruck "unbestimmter Rechtsbegriff"31 anzutreffen. Dagegen spricht man im prozessualen Bereich eher nur ganz schlicht von "Rechtsbegriffen"32 oder auch "konkretisierungs- bzw. wertausfüllungsbedürftigen Rechtsbegriffen"33. Obwohl das Begriffspaar "deskriptiv und normativ" für sich genommen durchaus auch für die Beschreibung eines prozessualen Tatbestandes geeignet wäre, so findet es dennoch in diesem Kontext keine Verbreitung. Hinderungsgrund mag die Assoziation der damit in der materiellen Diskussion verbundenen Aspekte 34 sein, die für reine Prozeßnormen nicht von Belang sind. Aber unabhängig davon, mit welcher Terminologie man das Problem umschreibt, inhaltlich geht es dabei um folgende Frage: Bedarf es zur Feststellung des Merkmals "Sprachunkundigkeit" neben der schlichten Beobachtung objektiv wahrnehmbarer Umstände auch deren Bewertung? 29 RGSt I, 137. Siehe z. B. Roxin, Strafrecht Allgemeiner Teil, Band I, § 10, Rn 10 u. 11, S. 229/230 sowie Rn 57ff., S. 252ff.; Baumann/Weber/Mitsch, Strafrecht Allgemeiner Teil, § 8, Rn 16, S. 100/ 101. 31 Siehe z. B. Schmidhäuser, 5/63, S. 125; so plädierte auch bereits Schwinge, S. 118 für die Verwendung dieses Begriffs im Strafrecht. )2 Siehe z. B. Kappe, GA 1960, S. 368. )) Siehe KMR-Paulus, § 337 StPO Rn 24 bzw.22. )4 Gemeint ist hier die Bedeutung dieser Begriffe für die Abgrenzung von Tatbestand und Rechtswidrigkeit, die Lehre vom Vorsatz und die Unterscheidung zwischen Tatbestands- und Verbotsirrtum. Siehe dazu z. B. Roxin, Strafrecht Allgemeiner Teil, Band I, § 10, Rn 57 ff., S.252ff. 30

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2. Kap.: Die Zuziehung eines Dolmetschers

1. Semantische Interpretation des Merkmals Da der Begriff "Sprachunkundigkeit" keine juristische Legaldefinition erfahren hat, ist es erforderlich, sich ihm zunächst auf der semantischen Ebene zu nähern. Die Bedeutung von "Sprachunkundigkeit" - im Sinne fehlenden Wissens und Könnens hinsichtlich der Verständigung in einer bestimmten Sprache - erschließt sich dabei zunächst jedermann. Der Begriff ist insoweit kein fremdsprachendidaktischer Terminus, sondern der Alltagssprache entliehen. Aber schon im allgemeinen Sprachgebrauch verbindet sich damit eine gewisse Unsicherheit in bezug auf die genaue Ausprägung des beschriebenen Sachverhalts. Es ist insofern nämlich unbestreitbar, daß "das Beherrschen einer Sprache" und damit auch "ihre Nichtbeherrschung" eine nur relative Zustandsbeschreibung ist. Die Übergänge von keiner zu schlechter, ausreichender oder sogar guter Sprachkenntnis sind fließend. 35 Es gibt kein absolutes Raster, nach dem sich die Beherrschung einer Sprache bestimmen läßt. Die Fähigkeiten des Einzelnen sind hier ausschlaggebend und führen jedesmal zu einem ganz individuellen Bild. Ohne daß jemand besondere fremdsprachendidaktische Kenntnisse besitzen muß, ist es auch ihm verständlich, daß von Sprachunkundigkeit nicht nur bei völliger Unkenntnis, sondern auch noch bei nur bruchstückhaften Kenntnissen in einer Fremdsprache gesprochen werden muß. Auch wenn also zwei unterschiedliche Personen als sprach unkundig bezeichnet werden, so bedeutet das nicht, daß damit beide zugleich auch denselben Grad an Sprachbeherrschung oder besser Nichtbeherrschung besitzen müssen. Allein schon diese begrifflich angelegte Relativität des Merkmals deutet darauf hin, daß sich die Feststellung von Sprachunkundigkeit einem schlichten Wahrnehmungsvorgang entzieht. Darüber hinaus muß auch schon bei der semantischen Interpretation des Merkmals berücksichtigt werden, daß es hier nicht um Sprachunkundigkeit ganz allgemein, sondern um Sprachunkundigkeit in einem bestimmten Kontext - einer Gerichtsverhandlung - geht. Der Verständigungs gegenstand und ein darauf ausgerichteter Wortschatz sind hier insofern bestimmende Faktoren 36 : Es macht einen Unterschied, ob jemand einen "Smalltalk" führt, über seinen Arbeitsbereich spricht oder gar an einer Gerichtssituation beteiligt ist. 37 Und selbst bei letzterem gibt es wiederum unterschiedliche Ausprägungen. Jemand, der in der Lage ist, einer Verhandlung wegen einfacher Körperverletzung noch zu folgen, kann bei einem Prozeßgegenstand wie beispielsweise Betrug schon völlig überfordert sein. Es ist insofern zu berücksichtigen, daß eine festgestellte Verständigungsfahigkeit in Alltagssituationen regelmäßig kein sicherer Gradmesser für eine ausreichende Sprachbeherrschung im Prozeß sein 35 So werden in der fremdsprachendidaktischen Fachliteratur beispielsweise 6 Stufen - teils sogar gegliedert in Unterstufen - der Fremdsprachenbeherrschung mit fließenden Grenzen unterschieden. Siehe hierzu beispielsweise eine referierende Darstellung bei H. Schräder, S. 276-277. 36 Ähnlich auch Sommer, StraFo 1995,46. 37 Vgl. dazu auch BSe, NJW 1957, 1087 (1088).

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kann. 38 Auch der Umstand, daß bei der Feststellung von Sprachkundigkeit stets der Verständigungs gegenstand Berücksichtigung finden muß, bestätigt also das obige Ergebnis: Das Merkmal der Sprachunkundigkeit bringt keinen "einfachen Subsumtionsvorgang" - im Sinne von Erkennung durch schlichte Wahrnehmung - mit sich, sondern seine Subsumtion scheint stets auch eine Bewertung zu erfordern. Die rein semantische Interpretation stellt jedoch noch keine ausreichende Arbeitsgrundlage dar, um dem Bedeutungsinhalt des Merkmals vollständig gerecht werden zu können. Insofern muß sich dem Merkmal vor allem noch unter Gesichtspunkten des Normzwecks genähert werden. 2. Verfassungsrechtlicher Hintergrund von § 185 Abs.1 S.l GVG Die teleologische Auslegung eines solchen Merkmals erfordert zunächst einmal die grundsätzliche Überlegung, welchen Zwecken die Norm, in der das Merkmal verankert ist, insgesamt dienen soll. Es liegt auf der Hand, daß der Sinngehalt des § 185 Abs.l S.I GVG nicht nur auf der Ebene reiner Verständigungsfunktion angesiedelt ist. Gerade in der Ausgestaltung von Verfahrensnormen (insbesondere strafprozessualer Normen) liegt immer auch die Konkretisierung bestimmter Verfassungsgebote. 39 Vor diesem Hintergrund gewinnt auch § 185 GVG an besonderer Bedeutung. Nicht ganz unumstritten ist, welche verfassungsrechtlichen Gebote dabei eine Rolle spielen. Lange Zeit wurde neben 40 Art. 19 Abs.4 GG, Gebot des effektiven Rechtsschutzes 41 , das Hauptschwergewicht auf Art. 103 Abs. 1 GG, den Anspruch auf rechtliches Gehör 42 , gelegt. Jedoch brach das BVerfG in einer Entscheidung im 64. Band 43 - die nicht zuletzt aus diesem Grund als eine der bedeutendsten Entscheidungen im Bereich der Dolmetscherfrage gilt - mit dieser Auffassung: Die Frage, ob und in welchem Umfang ein der deutschen Sprache nicht mächtiger Verfahrensbeteiligter einen Anspruch darauf habe, daß das Gericht ihm über einen Dolmetscher oder Übersetzer zur Überbrückung von Verständigungsschwierigkeiten verhelfe, sei vom Schutzbereich des Verfahrensgrundrechts auf rechtliches Gehör So auch lngerl, S. 74. Für eine ausführliche Darstellung der Gerichtssprachenproblematik in rein verfassungsrechtlicher Hinsicht siehe lngerl, "Sprachrisiko im Verfahren - Zur Verwirklichung der Grundrechte deutschunkundiger Beteiligter im Gerichts- und Verwaltungs verfahren" (1988); siehe auch Lässig, "Deutsch als Gerichts- und Amtssprache" (1980), S. 90ff. Eine infonnative Zusammenfassung verfassungsrechtlicher Bezüge der Gerichtssprache findet sich z. B. auch bei Weith, "Gerichtssprachenproblematik im Straf- und Bußgeldverfahren" (1992), S. 33-48. 40 Vereinzelt auch Art. 3 Abs. 3 GG; vgl. dazu die zusammenfassende Darstellung über das Sprachrisiko unter dem Blickwinkel des Gleichheitsgrundsatzes bei lngerl, S. 194-200 sowie daran anschließend seine eigene Stellungnahme, S.201-230. 41 Siehe Meyer, ZStW 93, 507 (512); Lässig, S. 97 ff. 42 Siehe z.B. BVerfGE 40,95 ff.; BVerwG, NVwZ 1983, 668f.; Lässig, S. 99ff. 43 BVerfGE 64, 135ff. 38

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2. Kap.: Die Zuziehung eines Dolmetschers

nicht mehr umgriffen. Das Grundgesetz begegne den aus solchen Verständigungsproblemen erwachsenden Gefahrdungen nicht durch Art. 103 Abs. 1 GG, sondern durch die Gewährleistung eines rechtsstaatlichen, fairen Verfahrens, auf das der im Strafverfahren Angeklagte gemäß Art. 2 Abs. 1 GG in Verbindung mit Art. 20 Abs. 3 GG einen grundrechtlich gesicherten Anspruch habe. 44 Zwischenzeitlich hat sich dem BVerfG eine Reihe von Befürwortern angeschlossen. 45 Trotzdem stützen Teile der Rechtsprechung 46 sowie der Literatur ihre Ausführungen immer noch - wenn auch in unterschiedlicher Art und Weise - auf die vom Verfassungs gericht in diesem Zusammenhang verworfenen Verfassungsnormen. 47 Dem BVerfG ist darin zuzustimmen, daß Art. 103 Abs. 1 GG als Grundlage für die Heranziehung von Verständigungshilfen ausscheidet. 48 In dieser Beurteilung des BVerfG liegt eine konsequente Fortführung der Rechtsprechung zum rechtlichen Gehör. 49 Danach ist Art. 103 Abs. 1 GG nur als "Minimalgarantie"50, d. h. als grundsätzliche Garantie, überhaupt am Verfahren beteiligt und gehört zu werden, zu bewerten. Der Umfang der Beteiligung richtet sich dagegen in erster Linie nach der Ausgestaltung im einfachen Verfahrensrecht. 51 Art. 103 Abs. 1 GG gewährt "keinen Schutz gegen Entscheidungen, die den Sachvortrag eines Beteiligten aus Gründen des formellen oder materiellen Rechts teilweise oder ganz unberücksichtigt lassen. ,,52 Gemäß dieser eingeschränkten Reichweite kann auch sprachbedingten Verständigungsschwierigkeiten nicht über diese Norm begegnet werden. Vielmehr wird diesem Problem durch eine andere Verfassungsgarantie - eben dem Anspruch auf ein rechtsstaatliches, faires Verfahren - Rechnung getragen. 53 Dieser grundrechtlich - über Art. 2 Abs. 1 GG in Verbindung mit Art. 20 Abs. 3 GG - gesicherte AnSiehe BVerfGE 64,135 (144-145). Z. B. Albers, in Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann, § 185 GVG Rn I; Weith, S. 38; Pfeiffer, Die Bedeutung des Dolmetschers für den nicht deutschen Beschuldigten, S.157; KK-Pfeiffer, Ein!. Rn 92; KK-Diemer, § 184 GVG Rn 3. 46 Z. B. OLG Düsseldorf, JZ 1985, 200; BVelWG, NJW 1988,722. 47 Hierbei trifft man einerseits auf die explizite Auseinandersetzung mit der "neuen" Ansicht und deren Ablehnung (Ingerl, S. 118 - siehe dazu direkt unten Fn 57). Andererseits findet sich aber auch - unter Verweis auf vormalige Verfassungsrechtsprechung - die schlichte Bezugnahme auf das "rechtliche Gehör", ohne daß jedoch auf den vollzogenen Auffassungswandel des BVerfG hingewiesen wird (Meyer-Goßner, § 184 GVG Rn 3). Wieder andere erweitern ihre Darstellung der verfassungsrechtlichen Grundlagen und führen aus, daß die Dolmetscherbeiziehung auf mehreren Verfassungsprinzipien beruhe (LR-Schäfer/Wickern, § 184 GVG Rn 3 [24. Auflage]). 4" So auch Rüping, JZ 1983, 663. 49 Vg!. BVerfGE 7, 53 (56-57); BVerfGE 21,191 (194); BVerfGE 50,32 (35); BVelfGE 60, 175 (210). 50 So die Bezeichnung Rüpings, JZ 1983,663; vg!. auch BVerfGE 7,53 (56- 57): "Art. 103 Abs.1 GG will ... ein Minimum von rechtlichem Gehör gewährleisten". 51 Vg!. BVerfGE 60,175 (210); Rüping, JZ 1983,663. 52 BVerfGE 21, 191 (194); 50, 32 (35). 53 Ebenso Weith, S. 38. 44

45 SO

C. Die Zuziehungsvoraussetzungen

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spruch auf die Gewährung eines rechts staatlichen, fairen Verfahrens impliziert das Verbot, einen "der deutschen Sprache nicht oder nicht hinreichend mächtigen Angeklagten zu einem unverstandenen Objekt des Verfahrens herabzuwürdigen."54 Es muß - so führt das Bundesverfassungsgericht aus - dem Angeklagten möglich sein, die Verfahrens vorgänge zu verstehen und sich selbst im Verfahren verständlich zu machen. 55 Nur so ist gewährleistet, daß der Angeklagte zur Wahrung seiner Rechte auf den Gang und das Ergebnis des Verfahrens Einfluß nehmen kann. Insofern ist § 185 Abs. 1 S. 1 GVG als gesetzgeberische Konkretisierung 56 des aus dem Rechtsstaatsprinzip abgeleiteten Rechts auf ein faires Verfahren 57 zu sehen. Das Merkmal der "Sprachkundigkeit" muß hierzu in Beziehung gesetzt werden. Der an sich "relative" Begriff erhält in seiner konkreten Verwendung eine besondere Prägung. Die Bandbreite dessen, was unter "Sprachunkundigkeit" subsumiert werden kann, reduziert sich entsprechend. Es ist somit nun erst recht nicht mehr möglich, das Merkmal nur im Sinne einer völligen Nichtbeherrschung der Sprache auszulegen. Auch die Fähigkeit, sich in einfachen Alltagssituationen verständlich machen zu können, darf mit der in § 185 G VG geforderten Art der Sprachbeherrschung nicht gleichgesetzt werden. Vielmehr muß das Merkmal gemäß dieser teleologischen Auslegung als der Grad der Sprachunkundigkeit definiert werden, bei dem ein Angeklagter nicht mehr in der Lage ist, in seiner verfassungsrechtlich verbürgten Rolle als Subjekt des Verfahrens zu agieren. Dementsprechend hat auch das BVerfG erklärt, daß die Zu ziehung eines Dolmetschers nicht erst bei "gänzlich unzulänglichen Deutschkenntnissen" geboten sei, sondern bereits dann, wenn ein Beteiligter die deutsche Sprache nicht soweit beherrsche, daß er der Verhandlung folgen und seine zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung erforderlichen Erklärungen abgeben und Angaben in deutscher Sprache machen könne. 58 Vor diesem Hintergrund erachtet das BVerfG - im Anschluß an zwei oberlandesgerichtliche Entscheidungen 59 - die Zuziehung eines Dolmetschers auch dann als notwendig, wenn die deutsche Sprache zwar in ausreichendem Maße verstanden werde, jedoch die Fähigkeit, sich in dieser Sprache auszudrücken, unzulänglich sei. 60 Diese Einschätzung findet bis heute Anklang 61 und stellt eine überzeugend BVerfGE 64, 135 (145). Siehe BVerfGE 64, 135 (145). 56 Vgl. dazu Weith, S.42 sowie BVerfGE 65, 283 (290). 57 A. A. Ingerl, der hier nicht das Recht auf ein faires Gerichtsverfahren, sondern Art. 103 Abs. 1 GG - also den Anspruch auf rechtliches Gehör - (vgl. dazu seine ausführliche Argumentation S. 55-121) als den "zentralen verfassungsrechtIichen Prüfstein" (S. 139) erachtet. Die dargelegte Auffassung des BVerfG hingegen lehnt er ausdrücklich ab (z.B. S. 118). Andere Stimmen in der Literatur haben die verfassungsrechtliche Beurteilung des § 185 GVG im Anschluß an die Rechtsprechung des BVerfG zumindest um diesen Gesichtspunkt erweitert. Siehe dazu oben Fn 47. 58 Siehe BVerfGE 64,135 (146). 59 OLG Frankfurt, NJW 1952, 1310; OLG Zweibrücken, VRS 53, 39. 60 Vgl. BVerfGE 64, 135 (146-147). 54

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2. Kap. : Die Zu ziehung eines Dolmetschers

konsequente Umsetzung des dem § 185 Abs. l S.1 GVG inhärenten Verfassungsgebotes dar.

3. Bedeutung von EMRK und IPBPR für § 185 Abs. 1 S. 1 GVG Grundsätzlich gilt es bei einer Nonnauslegung aber nicht nur ihren verfassungsrechtlichen Stellenwert zu beachten. Auch die in der EMRK 62 niedergelegten Wertentscheidungen müssen Berücksichtigung finden. 63 Ebenso darf der IPBPR 64, der in Teilen der EMRK entspricht 65 , nicht außer acht gelassen werden. Beim Tatbestandsmerkmal ,,sprachkundigkeit" führen diese Verträge allerdings zu keiner über die verfassungskonfonne Auslegung hinausgehenden, eigenständigen Bewertung. Grund dafür ist, daß die in Art. 6 Abs. 3 EMRK niedergelegten Garantien und der Fair-Trial-Grundsatz miteinander korrespondieren. Zwar erschöpft sich der Grundsatz nicht in den aufgezählten Garantien, aber zumindest enthält er alle diese Garantien als zentrale Bestandteile.66 Das führt dazu, daß - wie Pfeiffer es fonnuliert - die in der MRK und im Internationalen Pakt über bürgerliche und politische Rechte ausdrücklich festgelegten Ansprüche eines der deutschen Sprache nicht mächtigen Beschuldigten die rechtsstaatlichen Grundsätze des deutschen Strafverfahrens, die auch für Ausländer Geltung haben, bestätigten. 67 Jede mit rechtsstaatlichen Grundsätzen konfonne Auslegung einer deutschen Verfahrensnonn - so z. B. auch die eben 68 dargelegte - beinhaltet daher zugleich die Verwirklichung der in der EMRK und dem IPBPR enthaltenen Wertentscheidungen. Auch wenn sich aus EMRK und IPBPR keine zusätzlichen Anforderungen für das Merkmal "Sprachkundigkeit" ergeben, so gebieten sie jedoch ihrerseits eine den obigen Ausführungen entsprechende Auslegung des § 185 Abs. 1 S. 1 GVG. 61 Siehe z. B. Kissel, § 185 GVG Rn 6; LR-SchäferIWickern, § 185 GVG Rn 3 (24. Auflage); wohl auch Meyer-Goßner, § 185 GVG Rn 4. 62 Die (Europäische) Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten hat für die Bundesrepublik Deutschland seit dem 03.09.1953 Geltung und steht im Rang eines einfachen Bundesgesetzes. Siehe dazu z. B. Meyer-Goßner, Vor Art. I MRK Rn I ff., insbesondere Rn 3; LR-Gollwitzer, MRK/lPBPR Einleitung Rn I ff. (24. Auflage). 63 Vgl. BVerfGE 74.358 (370). Für eine ergänzende Heranziehung der EMRK bei Auslegungsfragen z. B. auch Weith. S.46m. w. N. 64 Auch der Internationale Pakt für bürgerliche und politische Rechte hat den Rang eines einfachen Bundesgesetzes, er gilt seit 23.03.1976 in der Bundesrepublik Deutschland. Siehe dazu z. B. LR-Gollwitzer, MRK/lPBPR Einleitung Rn 14ff. (24. Auflage). 65 Vgl. z. B. den hier vor allem relevanten Art. 6 Abs. 3 lit. e EMRK und Art. 14 Abs. 3 lit. f IPBPR. 66 Siehe Weith, S.44/45. 67 Siehe Pfeiffer, Die Bedeutung des Dolmetschers für den nicht deutschen Beschuldigten, S. 157. 68 Siehe 2. Kap. C II 2 (S. 85 ff.).

C. Die Zuziehungsvoraussetzungen

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4. Völkerrechtlicher Aspekt des § 185 Abs.1 S.l GVG Der Anspruch eines der Gerichtssprache nicht hinreichend mächtigen Angeklagten auf Beiziehung eines Dolmetschers hat aber noch eine weitere. darüber hinausgehende, völkerrechtliche Relevanz. Wie das BVerfG 69 unter Berücksichtigung einer Vielzahl von Regelungen anderer Länder überzeugend feststellte, handelt es sich dabei - zumindest im Bereich der mündlichen Verhandlung - um einen vom Völkergewohnheitsrecht umfaßten menschenrechtlichen Mindeststandard und dieser ist als allgemeine Regel des Völkerrechts im Sinne des Art. 25 GG anzusehen. 70 Mit dieser Feststellung wird einerseits die Wichtigkeit und andererseits auch die Unverzichtbarkeit des in § 185 Abs. 1 S. 1 GVG niedergelegten Gedankens unterstrichen. Für die konkrete Auslegung eines Tatbestandsmerkmals liefert dieser völkerrechtliche Hintergrund jedoch nicht genug detaillierte Information. Zurückzuführen ist das auf den Charakter der allgemeinen Regeln des Völkerrechts. Darunter versteht man nur anerkannte, allgemeine Rechtsgrundsätze. Gewonnen werden diese über die Ermittlung der gemeinsamen, hinter den einzelnen innerstaatlichen Rechtssätzen stehenden ratio legis. Eine Feststellung von übereinstimmenden Einzelheiten in der Ausgestaltung der innerstaatlichen Rechtssätze findet nicht statt. 71 Die allgemeine Regel des Völkerrechts gibt damit lediglich die "herausgefilterte" Grundidee wieder. Diese besteht hier darin, bei mündlichen Verhandlungen mit einem Sprachunkundigen einen Dolmetscher beizuziehen. Bestimmungen über die genaue Ausgestaltung und Handhabung dieses Grundgedankens sind dagegen kein Bestandteil der völkerrechtlichen Regel. Damit ist ihr Einfluß bei der Auslegung des Tatbestandsmerkmals Sprachunkundigkeit eher gering. Sie wirkt sich nur insofern aus, als es dabei nicht zu einer "Aushebelung" dieser Grundidee kommen darf. Das heißt, das Merkmal Sprachunkundigkeit muß mindestens so definiert werden, wie man im allgemeinen Sprachunkundigkeit versteht. 72 Nur eine solche Umsetzung signalisiert, daß der Grundsatz wirklich Anerkennung findet. Diese "Auslegungsuntergrenze" bleibt jedoch ein großes Stück hinter den oben erarbeiteten Anforderungen zurück. Im Verhältnis zum Fair-Trial-Grundsatz ist dieser Aspekt für die Tatbestandsauslegung daher von nachrangiger Bedeutung.

Siehe NJW 1988, 1462 (1463-1464). Siehe dazu Lässig, S. 84-88, auf den auch das BVerfG (NJW 1988, 1464) Bezug nimmt. 71 Siehe Lässig, S. 85. 72 So muß damit die Beherrschung einiger fremdsprachiger "Floskeln", wie sie beispielsweise von Touristen erlernt werden, immer noch in den Bereich von Sprachunkundigkeit fallen. 69

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2. Kap.: Die Zuziehung eines Dolmetschers

5. "Schrankenfunktion" des § 185 Abs.1 S.l GVG Das bisher Gesagte unterstreicht - vor allem hinsichtlich des Fair-Trial-Grundsatzes - zunächst nur die § 185 GVG innewohnende Gewähr1eistungsfunktion. Man muß jedoch sehen, daß in dieser Regelung auch ein einschränkender Charakter verborgen ist. Dieser wird offenbar, wenn man sich den Vorschriften über die Gerichtssprache (worunter auch § 185 GVG als Ergänzungsvorschrift zu § 184 GVG fällt) in deren Bedeutung als "Normen des innerstaatlichen Fremdenrechts"73 nähert. In diesem Zusammenhang spielt das "Recht auf die eigene Sprache" eine entscheidende Rolle. Dieses geht sogar soweit, daß die "Freiheit zum Gebrauch der Muttersprache" zum fremdenrechtlichen Mindeststandard gerechnet wird. 74 Damit ist aber nur die Garantie verbunden, daß die Muttersprache des Fremden als wesentlicher Bestandteil seiner Persönlichkeit respektiert wird. Der Fremde darf nicht in direkten oder indirekten Zwang geraten, eine andere Sprache erlernen zu müssen. Nicht damit verbunden ist jedoch, daß ein Fremdsprachiger, der einer anderen Sprache ebenfalls mächtig ist, nicht auch zum Gebrauch dieser anderen Sprache verpflichtet sein kann. Zu beachten ist nämlich, daß es sich beim Recht auf Gebrauch der Muttersprache - wie bei Freiheitsrechten gemeinhin üblich - nicht um ein schrankenloses Recht handelt. Das schutzbedürftige Recht des Fremden kollidiert mit einem schutzwürdigen Interesse des Aufenthaltsstaates. 75 Dieser hat für eine funktionierende Strafrechtspflege Sorge zu tragen. Neben dem legitimen Ziel, dies auf eine möglichst praktikable und effektive Weise umzusetzen, muß er dabei auch rechtsstaatlich motivierte Interessen der Allgemeinheit, wie sie sich z. B. aus dem Öffentlichkeitsgrundsatz ergeben, berücksichtigen. Die sich so gegenüberstehenden Interessen können nur im Wege "praktischer Konkordanz" zu einem angemessenen Ausgleich geführt werden. Dabei ist es anzustreben, den durch die Kollision dieser gegenläufigen Verfassungsrechtsgüter betroffenen Schutzbereichen jeweils größtmöglichen Raum zu verschaffen. § 185 GVG muß in diesem Spannungsfeld gesehen werden. 76 Er ermöglicht zum einen die Verwendung einer einheitlichen Gerichtssprache, zum anderen garantiert er dem Betroffenen den Gebrauch seiner Muttersprache, obwohl er dieses Recht zugleich in gewisser Weise über den "Mitte1barkeitsaspekt" der Verdolmetschung auch wieder einschränkt. Die Vorschrift des § 185 GVG stellt somit - neben ihrer oben erörterten Garantiefunktion - auch eine einfachgesetzliche Konkretisierung 73 Zur Einordnung als Fremdenrecht siehe Lässig , S. 54 ff., insbesondere S. 56. Die Vorschriften über die Gerichtssprache seien danach, obwohl sie nicht an den fehlenden Rechtsstatus einer Person, sondern an deren tatsächliche Sprachunkundigkeit anknüpften, dennoch als Normen des innerstaatlichen Fremdenrechts zu betrachten, weil diese Unkenntnis ein regelmäßiges, typisches und charakteristisches Merkmal eines Fremden darstelle. A. A. BGHSt 30, 182 (184). 74 Siehe dazu Lässig, S. 60ff. 75 Vgl. Lässig, S. 62. 76 Nach Jessnitzer, Dolmetscher, S. 71, handelt es sich bei der Vorschrift des § 185 GVG um die Kehrseite des Grundsatzes, daß die Gerichtssprache deutsch ist.

C. Die Zuziehungsvoraussetzungen

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der dem Menschen- und Fremdenrecht auf Gebrauch der Muttersprache immanenten Schranken dar. 77 Aus dieser Schrankenfunktion darf aber nicht geschlossen werden, daß die einzelnen Voraussetzungen des § 185 Abs. 1 S. 1 GVG sehr restriktiv ausgelegt werden müßten, um damit nur eine geringe Einschränkung des Rechts zum Gebrauch der eigenen Sprache zu erzielen. Im Gegenteil, Ziel der Auslegung muß es sein, diese Einschränkung möglichst weit auszudehnen. Dem Interesse des Fremdsprachigen am Gebrauch seiner eigenen Sprache kann man aufgrund des diametral entgegenstehenden Interesses des Staates an dem Gebrauch einer einheitlichen Gerichtssprache nämlich nur durch die Einschränkung über eine mittelbare Verständigung gerecht werden. Das heißt, je größer der Anwendungsbereich der mittelbaren Kommunikation ist, um so mehr wird dem Fremdsprachigen von seinem Recht auf den Gebrauch der eigenen Sprache gewährt. Umgekehrt, je enger dieser Bereich ist, je enger also die Voraussetzungen für die Einschaltung eines Dolmetschers sind, um so weniger bleibt vom Recht auf die eigene Sprache übrig. Auch unter diesem Gesichtspunkt muß die Auslegung des Begriffs der "Sprachunkundigkeit" also möglichst weit erfolgen. 6. Zusammenfassende Bewertung des Merkmals "Sprachunkundigkeit" Die Kumulation völkergewohnheitsrechtlicher, völkervertragsrechtlicher und verfassungsrechtlicher Relevanz in § 185 GVG unterstreicht die Tatsache, daß die Auslegung der einzelnen Tatbestandsmerkmale besonderen Standards genügen muß. Die vom BVerfG aufgestellte Forderung, die Zuziehung eines Dolmetschers nicht erst bei gänzlich unzulänglichen Deutschkenntnissen, sondern bereits dann vorzunehmen, wenn der Beteiligte die deutsche Sprache nicht soweit beherrsche, daß er der Verhandlung folgen und seine zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung erforderlichen Erklärungen abgeben und Angaben in deutscher Sprache machen könne 78, ist daher keineswegs als überhöht zu bewerten. Im Gegenteil, solche Anforderungen an das Merkmal der "Sprachunkundigkeit" sind vielmehr dazu nötig, der besonderen Bedeutung dieser Norm gerecht zu werden. Auch wenn damit nun der Bedeutungsgehalt des Merkmals "Sprachunkundigkeit" transparenter geworden ist, so bleibt jedoch die grundsätzliche Frage nach der Art des Tatbestandsmerkmals und einem eventuell damit verbundenen richterlichen "Beurteilungs spielraum" noch unbeantwortet. Allerdings legen die gemachten Ausführungen die oben bereits geäußerte Vermutung immer näher, daß sich die Subsumtion unter dieses Merkmal einer schlichten Feststellung entzieht. "Sprachbeherrschung" kommt nicht als feste, bei jedem in gleicher Ausprägung vorhandenen 77

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So auch Lässig, S. 63. Siehe BVerfGE 64, 135 (146).

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2. Kap.: Die Zu ziehung eines Dolmetschers

"Größe" vor. 79 Will man die sprachlichen Fähigkeiten einer Person als Sprachkundigkeit/-unkundigkeit im Sinne der gesetzlichen Norm qualifizieren, so erschließt sich dies nur in den "extremen Fällen" - also bei absoluter Sprach beherrschung bzw. -nichtbeherrschung - sofort schon durch die reine Wahrnehmung. In allen anderen Fällen ist es notwendig, die jeweilige Befähigung einer speziellen Bewertung zu unterziehen. Dabei muß die individuelle Fähigkeit jedes einzelnen unter Berücksichtigung des hinter § 185 GVG stehenden, verfassungs- sowie völkerrechtlichen Bedeutungsinhaltes beurteilt werden. Bei der "Sprachunkundigkeit" handelt es sich damit nicht um ein rein "deskriptives", sondern ein "normatives Tatbestandsmerkmal". Die Ausführungen zeigen ferner, daß dieses Merkmal darüber hinaus auch eine gewisse individuelle "Beurteilung" erfordert. Normative Merkmale müssen aber nicht notwendigerweise immer mit individueller Bewertung einhergehen. Die Subsumtion unter ein normatives Merkmal könnte grundsätzlich auch anhand einer festgelegten BewertungsskalaSO erfolgen. Denkbar wäre in diesem Zusammenhang beispielsweise die Möglichkeit eines Sprachtests, wobei die Feststellung der Sprachkundigkeit aufgrund des Testergebnisses erfolgen könnte. Abgesehen davon, daß ein solcher Test wegen der durch den Betroffenen möglichen Einflußnahme keine Garantie für ein objektives Ergebnis beinhaltet, eignet sich dieses Tatbestandsmerkmal auch aus anderen Gründen nicht für eine solche Vorgehensweise. Die Verwendung einer "pauschalisierten Bewertungsskala"sl wäre zum einen wegen der Variationsbreite der auftretenden Sprachfähigkeiten praktisch undurchführbar. Zum anderen führte sie aber auch zu einer Verfehlung der hinter der Regelung stehenden Ziele: Da eine "pauschale Bewertung" zwangsläufig nicht bei allen Einzelfallgestaltungen ein adäquates Ergebnis erzielen kann s2 , würde man durch die Billigung eines solchen Vorgehens automatisch einer Beeinträchtigung der verfassungs- und völkerrechtlichen Garantien im Einzelfall "zustimmen". Wie auch sonst bei anderen Fragen in der juristischen Praxis, findet die abstrakte Regelbarkeit an diesem Punkt ihre Grenze. Der Ausprägung jedes Einzelfalls muß hier über eine individuelle Bewertung Tribut gezahlt werden. Das Merkmal "Sprachunkundigkeit" ist somit als ,,(unbestimmter) Rechtsbegriff" bzw. "normatives Tatbestandsmerkmal" zu qualifizieren, wobei seine Sub79 V gl. hierzu die sechs in der fremdsprachendidaktischen Fachliteratur unterschiedenen Stufen der Fremdsprachenbeherrschung; referiert beispielsweise von H. Schröder, S. 276 f. 80 Beispielsweise in Form einer wissenschaftlich ermittelten Grenzwerttabelle. 81 Mögliche Kriterien könnten dabei sein: Anzahl der Jahre mit Wohnsitz/mit Arbeitsverhältnis in einer deutschsprachigen Region; Eheverhältnis zu einer Person mit deutscher Muttersprache; schulische oder universitäre Abschlüsse, die Deutsch als Prüfungsfach beinhalten; Anzahl der Schuljahre mit Deutsch als Fremdsprache; Fähigkeit einen standardisierten Text mündlich/schriftlich zu übersetzen. 82 Ein beispielsweise 30 Jahre in Deutschland lebender Ausländer kann aufgrund mangelnden Kontakts zu deutschsprachigen Personen am Arbeitsplatz und im privaten sowie familiären Bereich durchaus weit weniger Deutsch sprechen, als ein erst kurzzeitig hier lebender Ausländer.

C. Die Zuziehungsvoraussetzungen

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sumtion stets mit einer individuellen Wertung einher gehen muß. Da die Rechtsprechung dem Richter ein "Ermessen" - das sachgerechter als "Beurteilungsspielraum" bezeichnet werden sollte - einräumt, legt auch sie der "Sprachunkundigkeit" eine Qualifizierung als "konkretisierungs- oder wertausfüllungsbedürftiges Merkmal" zugrunde. Hinsichtlich dieser Einschätzung ist die Rechtsprechungspraxis insofern nicht zu beanstanden. 83

IH. Die Revisibilität der Entscheidung über die Zuziehungsvoraussetzungen Die intensive Auseinandersetzung mit der "Art" des richterlichen "Ermessens" hat aber nicht nur einen formaljuristisch dogmatischen Hintergrund. Bedeutung gewinnt diese Feststellung gerade im Hinblick auf die Revisibilität. In den für unsere Frage einschlägigen Entscheidungen wird das Vorliegen eines tatrichterlichen Ermessens stets mit der Konsequenz verbunden, daß jenes "Ermessen als solches in der Revisionsinstanz nicht nachgeprüft"84 werden könne. Es gilt zu klären, ob der Rechtsprechungspraxis insofern zu folgen ist. 1. Die Bezeichnung "Ermessen" als revisionsrechtliche Fehlerquelle Unterstellt, der Rechtsprechung könnte hinsichtlich einer derartigen Beschränkung der Revision im Bereich des Verfahrensrechts grundsätzlich zugestimmt werden 85, so wäre dennoch zu überlegen, ob die zitierte Revisionspraxis nicht mit einem ganz anderen Problem verbunden ist. Es ist insofern vorstellbar, daß bereits in der durch die Rechtsprechung begangenen sprachlichen Ungenauigkeit eine Fehlerquelle für die Revision liegen könnte. Sollten nämlich für Beurteilungsspielraum und Ermessen in der Revision unterschiedliche Kontrollrnaßstäbe gelten, so könnte die mangelnde begriffliche Differenzierung eine einheitliche und damit auchfehlerhafte, weil an einem falschen Maßstab orientierte, Bewertung in der Revisionsinstanz zur Folge haben. Dieser Gedanke wurde bislang in der Literatur noch nicht explizit verfolgt. Trifft man - wie die Rechtsprechung - keine begriffliche Unterscheidung, so stellt sich diese Frage zwangsläufig auch nicht. Aber selbst Autoren, die eine sprachliche Differenzierung zwischen Ermessen und Beurteilungsspielraum vornehmen, äußern sich nicht in dieser Richtung. Sogar 83 Damit ist jedoch noch keine Feststellung darüber getroffen, ob der Rechtsprechung auch hinsichtlich ihrer revisionsrechtlichen Vorgehensweise gefolgt werden sollte. Die Einstufung des Merkmals als unbestimmter Rechtsbegriff bedeutet nicht auch zugleich eine Entscheidung für eingeschränkte Revisibilität. Die Revisionsfrage wird im folgenden gesondert untersucht werden (siehe dazu direkt unten 2. Kap. C III). 84 OLG Frankfurt, NJW 1952, 13\0, u.a. auch BayObLG, DVBI. 1977, 115; BayObLG, BayVBI. 1981, 187. 85 Siehe dazu aber 2. Kap. C III 2 u. 3 (S. 96 ff.).

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2. Kap.: Die Zuziehung eines Dolmetschers

dort, wo wie bei Krause der Sprachgebrauch der Rechtsprechung ausdrücklich kritisiert wird 86 , findet sich keine Überlegung dazu, ob die mangelhafte begriffliche Bestimmung nicht auch Auswirkungen auf die revisionsrechtliche Behandlung haben könnte. Um festzustellen, ob Anlaß zu einer solchen Befürchtung bestehen könnte, muß untersucht werden, welche revisionsrechtlichen Kontrollrnaßstäbe bei Entscheidungen mit Beurteilungsspielraum bzw. Ermessen im Einzelnen anzuwenden sind und ob diese Unterschiede aufweisen. Die Literatur erschöpft sich bei ihren Ausführungen hinsichtlich der Revisibilität derartiger Entscheidungen in der Regel in einer inhaltlichen Beschreibung des jeweiligen Kontrollumfangs. 87 Ein abstrakter Vergleich der Prüfungsmaßstäbe findet nicht statt. Nur bei Schlüchter wird die Revisibilität von Ermessen und Beurteilungsspielraum in Beziehung zueinander gesetzt. Dabei entsteht durch die von ihr gewählte Formulierung der Eindruck, der jeweils anzuwendende Kontrollrnaßstab sei nicht identisch: Während sich die revisionsrechtliche Überprüfung bei einem "Beurteilungsspielraum" bereits auf die Frage, ob der Richter die "Bandbreite möglicher Wertungen verlassen"88 habe, reduziere, sei die Revisibilität von "echten" Ermessensentscheidungen dagegen sogar noch weiter eingeschränkt. Hier dürfe nur noch auf Rechtsirrtum oder Ermessensfehler (also Ermessensüberschreitung oder -mißbrauch) hin untersucht werden. 89 Schlüchter erläutert dabei allerdings nicht weiter, wieso ihrer Ansicht nach der Kontrollrnaßstab beim Ermessen als enger einzustufen sei und damit zwangsläufig einen anderen Kontrollrnaßstab als beim Beurteilungsspielraum darstellen müßte. Ein möglicher Erklärungsansatz läßt sich in diesem Zusammenhang aber aus den von ihr gewählten Worten herleiten: Wird eine Entscheidung daraufhin überprüft, ob sie sich innerhalb der "Bandbreite möglicher Wertungen" bewegt, so impliziert dies, daß die Kontrolle auf das Ergebnis der Entscheidung ausgerichtet ist. Überprüft man eine Entscheidung dagegen auf Ermessensfehler hin, so wird nicht ihr Resultat, sondern nur die Art und Weise, wie es zu dieser Entscheidung kam, untersucht. Hierin könnte das von Schlüchter angedeutete Stufenverhältnis liegen: reine Verfahrenskontrolle bei Ermessensentscheidungen als ein" Weniger" zur Ergebniskontrolle bei Entscheidungen mit Beurteilungsspielraum. Wäre ein derartiges Stufenverhältnis existent, so hätte das Differenzierungsmoment "Ermessensart" für das Revisionsverfahren in der Tat eine weitreichende, mit Folgen für den Prüfungsmaßstab verbundene Bedeutung. Leider beschränken sich Schlüchters Ausführungen jedoch auf das Zitierte. Sie geht weder tiefer auf die Revisibilität beider Entscheidungstypen ein, noch fragt sie nach einer Konsequenz für die Revisionspraxis der Rechtsprechung. Es kann daher Siehe Krause, Revision, S. 17 Rn 12. Vgl. zum Beispiel K. Peters, Strafprozeß, § 75 H, S. 640/641; KMR-Paulus, § 337 StPO Rn 23 u. 24. 88 V gl. zu diesem Begriff oben 2. Kap. B Fn 19 (S. 80). 89 Siehe Schlüchter, S. 762 Rn 696. 86 87

C. Die Zuziehungsvoraussetzungen

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nicht sicher geklärt werden, ob ihre Aussage tatsächlich im obigen Sinne zu verstehen ist. Da sich jedoch keine andere Interpretation anbietet, sollen die Revisionsmaßstäbe auf diese Unterscheidung hin untersucht werden. Bereits ein oberflächlicher Vergleich der in der Literatur im Zusammenhang mit Ermessen und Beurteilungsspielraum verwendeten Beschreibungen läßt jedoch ernsthafte Zweifel an der These unterschiedlicher Revisionsmaßstäbe aufkommen. Hier stößt man in beiden Bereichen auf teilweise identische oder zumindest sehr ähnliche Formulierungen: so z. B. "Verkennung anzuwendender Rechtsbegriffe" (sowohl beim Ermessen 90 , als auch beim Beurteilungsspielraum 91 ) oder aber "ob der Richter sich der Befugnis, sein Ermessen auszuüben, bewußt gewesen ist" (bei echten Ermessensentscheidungen)92 bzw. "ob der Tatrichter sich der Möglichkeit einer Ermessensentscheidung bewußt geworden ist" (bei unechten Ermessensentscheidungen, also beim Beurteilungsspielraum)93. Schon in der Tatsache der parallelen Formulierung kann also ein Indiz dafür gesehen werden, daß die revisionsrechtlichen Kriterien jeweils ähnlich angelegt sind. Jedoch ist nicht auszuschließen, daß es sich bei dieser formalen Übereinstimmung - obwohl jene Autoren ausdrücklich zwischen Beurteilungsspielraum und Ermessen differenzieren - nur um das Produkt einer zu wenig reflektierten Übernahme von den in der Rechtsprechung verwendeten "Floskeln" handelt. 94 Von entscheidender Bedeutung ist daher ein struktureller Vergleich. Aufschlußreich sind in diesem Zusammenhang vor allem die Erläuterungen K. Peters'. Im Gegensatz zu den meisten anderen Autoren, die sich mit einer inhaltlichen Umschreibung der Prüfungsfrage begnügen, benennt er die Struktur des Prüfungsvorgangs: So wird hinsichtlich des Beurteilungsspielraums ausgeführt, daß die Nachprüfung nicht auf das Ergebnis gerichtet sei, sondern darauf, ob das Ergebnis auf dem richtigen Weg, insbesondere nach den anzuwendenden Maßstäben gefunden worden sei. 95 Hier zeigt sich eindeutig eine Übereinstimmung zu der beim Ermessen angewendeten Prüfungsstruktur. Auch dort findet im Prinzip nämlich nichts anderes statt. Zwar beschreibt man den Umfang der Ermessenskontrolle dabei mit besonderen Vokabeln wie "Ermessensüberschreitung und Ermessensmißbrauch"96 oder Ermessensnichtgebrauch, aber auch dahinter verbirgt sich nur wieder eine Überprüfung der Ermessensausübung, also eine Kontrolle des Vorgangs und nicht des Ergebnisses. Krause, Revision, S. 12 Rn 11; vgl. auch KMR-Paulus, § 337 StPO Rn 23. Krause, Revision, S. 17 Rn 12; vgl. auch KMR-Paulus, § 337 StPO Rn 24. 92 Meyer-Goßner, § 337 StPO Rn 16. 93 Meyer-Goßner, § 337 StPO Rn 17. 94 Diese Autoren verweisen in ihren Beschreibungen trotzdem immer wieder auf die Entscheidungen der Rechtsprechung und fallen dabei immer wieder in deren ungenaue Terminologie zurück. 95 Strafprozeßrecht, § 75 II b, S. 641. 96 Siehe Krause, Revision, S. 13 Rn 11; K. Peters, Strafprozeß § 75 lId, S. 641. 90

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2. Kap.: Die Zu ziehung eines Dolmetschers

Die (vermeintliche) Ausgangsprämisse Schlüchters ist damit also vollends widerlegt. Jedesmal sind es die gleichen Grundfragen, die gestellt werden: War dem Richter die Art der zu treffenden Entscheidung bewußt? Und ist er bei der Entscheidungsfindung zugleich auchfehlerfrei vorgegangen? Die - in der Tat - formal etwas unterschiedliche Ausgestaltung der jeweiligen Untersuchung resultiert lediglich daraus, daß sich die Prüfung einmal auf einen Subsumtionsvorgang und ein anderes Mal auf eine gestaltende Maßnahme bezieht. Naturgemäß variiert die Kontrolle dabei mit dem Typus der richterlichen Entscheidung. Jedoch ist dies eben nur ein aus der Verschiedenartigkeit der "Ermessensart" geborener Reflex und keinesfalls das Produkt eines strukturell andersartigen Prüfungsmaßstabes. Zusammenfassend bedeutet dies: Im Hinblick auf die revisionsrechtliche Überprüfung eines Subsumtionsvorgangs geht es um die Frage, ob der Richter sich der Tatsache, daß es sich um einen unbestimmten (also konkretisierungsbedürftigen) Rechtsbegriff mit einhergehendem "Beurteilungsermessen" handelt, bewußt geworden ist und ob er die Voraussetzungen dieses Rechtsbegriffs richtig erkannt hat. Anders ausgedrückt, ob der Tatrichter "den richtigen Wertmaßstab ,im abstrakten Sinn' angewandt oder ob er ihn rechtlich verkannt hat".97 Bei der Ermessensentscheidung sind es dementsprechend das Erkennen der Ermessenssituation sowie deren fehlerfreie Umsetzung, wobei als typische Fehler "Ermessensüberschreitung und Ermessensmißbrauch" anzusehen sind. 98 Eine direkte Kontrolle des Subsumtionsergebnisses - wie dies die Formulierung Schlüchters suggerieren könnte 99 - findet somit nicht statt. Vielmehr verhält es sich sogar so, daß sich die von Rechtsprechung und Literatur zur revisionsrechtlichen Überprüfung herangezogenen Maßstäbe decken. 100 Die Gefahr, daß allein schon die "ungenaue sprachliche Bezeichnung" zu einer fehlerhaften Behandlung in der Revision führen könnte, besteht daher nicht.

2. § 185 Abs.l S.l GVG als Norm mit Feststellungsermessen Die Aussage der Rechtsprechung, daß das "tatrichterliche Ermessen" als solches in der Revision nicht nachgeprüft werden könne 101, könnte insoweit eine Berechtigung haben, als es sich bei der Sprachunkundigkeit um einen unbestimmten Rechtsbegriff handelt, bei dem die herrschende Ansicht dem Richter lO2 einen nicht revisiDahs/Dahs, S. 221 Rn 394. Siehe Krause, Revision, S. 13 Rn 11. 99 Siehe Schlüchter, S. 762 Rn 696. 100 Vgl. z. B. BGHSt 4, 255; BGHSt 9, 71 (72-73); BGHSt 12,33 (34); Alsberg/Nüse/Meyer, S. 159; Krause, Revision, S.17 Rn 12. 101 So OLG Frankfurt, NJW 1952, 1310, u.a. auch BayObLG, DVBI. 1977, 115; BayObLG, BayVBI. 1981, 187. 102 Zumindest für den Bereich des materiellen Strafrechts! 97

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C. Die Zuziehungsvoraussetzungen

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bien Beurteilungsspielraum zugesteht. 103 Unter diesem Gesichtspunkt lO4 ließe sich die Beschränkung der Untersuchung auf Rechtsfehler - vorbehaltlich der begrifflichen Kritik - somit nicht beanstanden. Für den vorliegenden Tatbestand muß aber berücksichtigt werden, daß es sich bei § 185 GVG gerade nicht um eine Frage des materiellen Strafrechts, sondern um eine prozessuale Norm handelt. In diesem Bereich gilt nach allgemeiner Ansicht zunächst aber der Grundsatz der freien Nachprüjbarkeit von Verfahrenstatsachen durch das Revisionsgericht. 105 Dies hat zur Folge, daß der Revisionsrichter nicht auf eine rein rechtliche Prüfung beschränkt ist und seinerseits sogar eigene Tatsachenfeststellungen treffen kann. Eine Anwendung dieses Grundsatzes spräche also - entgegengesetzt zur praktizierten Rechtsprechung - gerade für eine umfassende Revisibilität in bezug auf § 185 Abs.l GVG. Nach Ansicht der Rechtsprechung 106 und dem überwiegenden Teil der Literatur soll von diesem Grundsatz der freien Nachprüfbarkeit jedoch bei Prozeßentscheidungen, soweit es um die Bewertung der tatsächlichen Umstände geht, bei Entscheidungen also, bei denen dem Tatrichter ein Beurteilungsspielraum eingeräumt ist, regelmäßig eine Ausnahme im Sinne der zitierten Beschränkung gemacht werden. 107 Diese Situation wird, da der Revisionsrichter hierbei an vorinstanzliehe Tatsachenfeststellungen gebunden sein soll, teils auch als Anerkennung eines "tatrichterlichen Feststellungsermessens" bezeichnet. 108 Hält man diese Ansicht für richtig, so muß man die oben zitierten Entscheidungen lO9 zu § 185 GVG als konsequente Umsetzung bewerten, denn wie dargelegt, setzt die Subsumtion unter das Merkmal "Sprachunkundigkeit" eine gewisse Bewertung tatsächlicher Umstände voraus.

103 Es gibt aber auch Stimmen, die in der Beurteilung der Subsumtion unter unbestimmte Rechtsbegriffe eine vom Revisionsgericht zu beantwortende Rechtsfrage sehen (siehe Herdegen, Kleinknecht-FS, S. 187-188). 104 Es wird hier nicht weiter untersucht, ob diese herrschende Meinung grundsätzlich, also auch im materiellen Bereich, wirklich ihre Berechtigung hat, da dies für die Arbeit nicht von Relevanz ist. 105 Siehe AlsberglNüselMeyer, S. 154 (m. w. N. in Fn 10); so z. B. auch KK-Herdegen, § 244 StPO Rn 6; Herdegen, Kleinknecht-FS, S. 182; Kappe, GA 1960,37 I; Krause, Revision, S. 17 Rn 12; KMR-Paulus, § 337 StPO Rn 24 a. E.; Pjitzner, S. 26f.; Roxin, Strafverfahrensrecht § 53, Rn 11, S. 442; Schlüchter, S. 763, Rn 697; Eb. Schmidt, § 377 StPO Rn 14. 106 Siehe z. B. die ausführliche Rechtsprechungsübersicht bei Pjitzner, S. 169-178. \07 Siehe DahslDahs, S. 288, Rn 499; Henkel, Strafverfahrensrecht, S. 377; Meyer-Goßner, § 337 StPO Rn 17; Krause, Revision, S.16/17 Rn 12; KMR-Paulus, § 337 StPO Rn 24; Schünemann, JA 1982,74; HK-Temming, § 337 StPO Rn 11. 108 Pjitzner, S. 165-166. 109 OLG Frankfurt, NJW 1952, 1310, u. a. auch BayObLG, DVBI. 1977, 115; BayOhLG, BayVBI. 1981, 187.

7 Lankisch

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2. Kap.: Die Zuziehung eines Dolmetschers

3. Das prozessuale Feststellungsermessen Die Revisionspraxis bewegt sich mit dieser "Ausnahmeregelung" allerdings auf einem nicht unumstrittenen Terrain. 110 So erkennen einige Literaturstimmen die Möglichkeit eines Feststellungsermessens zwar grundsätzlich an, unterscheiden sich von der Rechtsprechung aber durch eine engere Grenzziehung. III Andere lehnen diese Möglichkeit dagegen sogar gänzlich ab. 112 Es gilt daher zu untersuchen, ob der Linie der Rechtsprechung zu dieser Prozeßfrage und damit letzten Endes auch zu § 185 GVG gefolgt werden kann. Obwohl die Literatur immer wieder Kritik an dieser über hundertjährigen Rechtsprechungstradition 113 geübt hat, wird von den Gerichten weiterhin an ihr festgehalten. Dabei kann nicht von der Hand gewiesen werden, daß damit "von Anfang an die klare revisionsrechtliche Systematik verwischt wurde, indem dem Revisionsgericht die Überprüfung tatsächlicher Umstände zum Nachweis von Verfahrensrügen auch dort vorenthalten wurde, wo diese nicht die Grundlage des Schuldspruchs bildeten." 114 Um so mehr wäre es nötig, daß diese "Ausnahme" auf eine tragfahige Argumentation gestützt würde. Aber gerade hierin liegt ihr größtes Manko. Weder die Rechtsprechung noch die Verfechter der auch überwiegend in der Literatur vertretenen Meinung sind bislang in der Lage gewesen, eine dogmatisch überzeugende Begründung zu liefern. 115 Diesen - kritikwürdigen - Umstand räumen sogar die Befürworter dieser Ausnahmeregelung ein. 116

a) Diverse Begründungsansätze tür ein Feststellungsermessen Wie bereits angedeutet, sind die vorgefundenen Begründungsansätze für eine Rechtfertigung von Feststellungsermessen für eine dogmatische Einbettung der Rechtsprechungspraxis nicht sehr ergiebig.

110 Vgl. dazu die Literaturübersicht bei Alsberg/Nüse/Meyer, S.159, Fn 46 sowie bei Pjitzner, S. 185-195; zu diesem Problemkreis siehe insgesamt die ausführliche Darstellung bei Pjitzner, S. 165-248. 111 SO Z. B. Eb. Schmidt, § 337 StPO Rn 13, der in solchen Fällen auf den Ausnahmecharakter einer Bestimmung abstellt, siehe dazu auch Pjitzner, S. 185-190m. w. N. 112 SO Z. B. Herdegen, Kleinknecht-FS, S. 186 f.; siehe auch Pjitzner, S. 190m. w. N. 113 Beginnend mit RGSt I, 149 (151). Siehe hierzu auch die Darstellung der Rechtsprechungsentwicklung bei Fezer, Grenzen der Beweisaufnahme, S. 97-98; siehe insofern auch E. Peters, Freibeweis, S. 32 mit einer Zusammenfassung reichsgerichtlicher Entscheidungen. 114 Fezer, Grenzen der Beweisaufnahme, S. 98 . 115 So auch Herdegen, StV 1992,590; KK-Herdegen, §244 StPO Rn 6 sowieE. Peters, Frei-

beweis, S. 32. 116 Vgl. Z. B. Alsberg/Nüse/Meyer, S. 159; siehe auch Herdegen, Kleinknecht-FS, S.184-185m. w.N.

C. Die Zuziehungsvoraussetzungen

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aa) Tatsächlicher Charakter der Feststellung Häufig sind Fonnulierungen wie "die auf rein tatsächlichem Gebiet liegende Frage"lI7, "diese weitgehend auf tatsächlichem Gebiet liegende Beurteilung"118 oder "beruht wesentlich auf tatsächlicher Würdigung der Verhältnisse" 119 anzutreffen. Damit wird versucht, aus dem "tatsächlichen" Charakter der Feststellungen eine "Alleinzuständigkeit" des Tatrichters herzuleiten. Dies ist allerdings kein schlüssiges Vorgehen. Es ist unbestreitbar, daß Grundlage einer jeden Subsumtion - gleich ob bei einer materiellen oder prozessualen Nonn - die Feststellung eines tatsächlichen Sachverhalts ist. Sollte allein dieser Umstand eine ausschließliche Kompetenz des Tatrichters begründen, könnte andererseits nicht mehr erklärt werden, warum dennoch ein großer Teil prozessualer Feststellungen keine Bindungswirkung entfaltet. Auch jene prozessualen Feststellungen, die gemäß der - von der Rechtsprechung anerkannten - herrschenden Meinung frei überprüfbar sind, haben nämlich einen solchen tatsächlichen Charakter. 120 Ein derartiges Argument kann also nicht herangezogen werden, ohne gleichzeitig den Regelfall prozessualer Feststellungen ohne Bindungswirkung in Frage zu stellen, und ist somit im Hinblick auf den allgemein anerkannten "Ausnahmecharakter" unbrauchbar. Darüber hinaus wäre es ein Trugschluß zu glauben, eine "auf tatsächlichem Gebiet liegende Beurteilung" 121 sei dem Revisionsrichter von vornherein verwehrt. 122 Daß dem gerade nicht so ist, zeigt schon die Ausgestaltung der revisionsrechtlichen Grundregeln für Verfahrensfragen.

bb) Die Natur des unbestimmten Rechtsbegriffs Auch ist diese "Ausnahme" nicht schon allein auf die Natur des unbestimmten Rechtsbegriffs zurückzuführen. Die besondere Handhabung solcher Merkmale im materiellen Strafrecht kann aus Umständen resultieren, die nicht unbedingt auch im Verfahrensrecht eine Rolle spielen müssen. Das wird deutlich, wenn man sich die Revisionsproblematik des unbestimmten Rechtsbegriffs vor Augen führt. Im Bereich des materiellen Strafrechts wird in der Regel die Unterscheidung "Tat- oder Rechtsfrage" als Revisibilitätskriterium herangezogen. Dabei sind die tatsächlichen Feststellungen dem Revisionsrichter bei der Überprüfung als "Tatfrage" entzogen. Dagegen fällt die Kontrolle der eigentlichen Subsumtion als "RechtsBGHSt 22, 266 (267). BGHSt 31, 140 (143). 119 RGSt 52, 86 (87). 120 So auch Pfitzner, S. 192. 121 BGH, JZ 1983,354 (355). 122 Vgl. dazu auch Fezer, JZ 1983,356. 117

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2. Kap.: Die Zuziehung eines Dolmetschers

frage" grundsätzlich in seinen Aufgabenbereich. 123 Unbestreitbar ist nun, daß diese Unterscheidung gerade bei unbestimmten Rechtsbegriffen oft schwer durchführbar ist. 124 Kann man den Bereich zwischen Revisiblem und Irrevisiblem zwar noch theoretisch, aber nicht mehr praktisch bestimmen, so ist es naheliegend, die Revisibilitätsgrenze zugunsten einer besseren Handhabung zu verlagern. Erreicht werden kann dies, indem man dem Tatrichter bei der Subsumtion einen gewissen, irrevisiblen Beurteilungsspielraum zugesteht. Diese aus einer praktischen Schwierigkeit resultierende Überlegung führt aber nicht auch automatisch zu der Notwendigkeit, unbestimmte Tatbestandsmerkmale prozessualer Normen in gleichem Umfang nur der eingeschränkten Revision zu unterwerfen. Eine revisionsrechtliche Regel, daß prozessuale Tatsachenfeststellungen grundsätzlich bindend sind - wie dies gerade im materiellen Bereich der Fall ist - existiert nämlich nicht. Vielmehr beansprucht bei Prozeßnormen genau der gegenteilige Grundsatz Geltung. Da also sowohl die tatsächlichen Feststellungen wie auch die rechtliche Subsumtion für sich genommen dem Revisionsrichter zugänglich sind, besteht kein Bedürfnis, dort, wo sich beide Elemente faktisch einander annähern, anders zu entscheiden. In einem "Erst-Recht-Schluß" sind dem Revisionsrichter hierbei die gleichen Befugnisse einzuräumen. Es wäre unsinnig, eine "Grenze" verlagern zu wollen, die gar nicht existent ist. Für eine "Verquickung" von Tatsachenfeststellung und Subsumtion besteht bei der revisionsrechtlichen Überprüfung prozessualer Merkmale folglich kein Bedürfnis.

cc) Behauptungen ohne argumentativen Begründungswert Ferner ist zu bemängeln, daß einige "Begründungsansätze" zugunsten des Ausnahmecharakters keinen wirklichen "Begründungs wert" besitzen. Exemplarisch sei hier die Argumentation bei Alsberg/Nüse/Meyer beleuchtet: Dort wird ausgeführt, daß es - gerade in Abgrenzung zu den Beschwerde- und Berufungsverfahren - den Grundsätzen des Revisionsrechts widerspräche, das Ermessen oder die Beurteilung des Revisionsgerichts an die Stelle des Ermessens oder der Beurteilung des Tatrichters zu setzen. Dieser Grundsatz gelte nicht nur für das materielle Recht, sondern auch für verfahrensrechtliche Entscheidungen. 125 Die bei Alsberg/Nüse/Meyer gemachten Ausführungen erschöpfen sich also in einer reinen Feststellung. Eine Begründung, warum dies auch für verfahrensrechtliche Fragen gelten soll, bleibt der Text schuldig. Dabei ist die unterschiedliche Behandlung von materiellem Recht und Verfahrensrecht keineswegs mit einem revisionsSiehe z. B. KK-Kuckein, § 337 StPO Rn 3. Siehe DahslDahs, S. 221 Rn 393. 125 Siehe Alsberg/Nüse/Meyer, S. 160, wobei dort jedoch die Bezeichnung "sachliches Recht" verwendet wird. 123 124

C. Die Zuziehungsvoraussetzungen

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rechtlichen Systembruch verbunden. 126 Aber auch vom Ansatz her vermag der Vergleich zum Beschwerde- oder Berufungsverfahren 127 die zur Diskussion stehende Frage nicht weiterzubringen. Wie Pfitzner dazu ausführt, ergebe sich daraus nämlich nur, daß die Revisibilität überhaupt eingeschränkt sei, nicht dagegen, an welche Tatsachen die Revisionsrichter im einzelnen gebunden seien und welches Ausmaß diese Bindung aufweise. 128 Und wiederum kann dadurch nicht erklärt werden, warum nur bezüglich einiger prozessualer Tatsachenfeststellungen eine Bindung bestehen soll. Ganz ähnlich verhält es sich im übrigen mit der vom BGH in diesem Zusammenhang gemachten Behauptung, das Revisionsgericht überschreite "die ihm zugewiesene Kompetenz".129 Auch hierbei wird die Frage nach der Aufgabenverteilung nicht argumentativ, sondern durch bloßes Diktum beantwortet. dd) Verwirkung Weiter gibt es einige Entscheidungen, bei denen in der Argumentation für diese revisionsrechtliche Ausnahmesituation mit Elementen der Verwirkungsidee gearbeitet wird. 130 Ein solcher Ansatz bedeutet, daß die Verneinung der Revisibilitätsfrage allein durch einen in der Verhandlung versäumten Hinweis auf die Fehlerhaftigkeit der tatsächlichen Feststellungen gerechtfertigt sein soll. Jedoch ist auch diese Konstruktion ungeeignet, den hier zur Diskussion stehenden "Ausnahmecharakter" der fehlenden Revisibilität dogmatisch zu begründen. Im Gegenteil: geht man davon aus, daß die revisionsrechtliche Überprüfung durch das Unterlassen einer vorzeitigen Rüge entfällt, so gesteht man damit ein, daß die abstrakte Möglichkeit zur Überprüfung grundsätzlich zunächst bestanden haben muß. "Verwirkt" werden kann begriffsnotwendig nur etwas "Existentes". Somit bestätigte ein solcher Erklärungsansatz sogar, daß auch die hier fraglichen Fälle dogmatisch eigentlich in den Bereich der revisionsrechtlichen "Grundregel" fallen, d. h. daß auch jene prozessualen Tatsachenfeststellungen theoretisch überprüfbar sind. Außerdem ist festzuhalten, daß - unabhängig von der grundsätzlich umstrittenen Frage der Verwirkung bei VerfahrensTÜgen im Strafprozeß, auf die hier nicht näher eingegangen werden soll - ein derartiger Gedanke ohnehin nicht geeignet ist, die Regelabweichung für eine Vielzahl von Normen zu begründen. Der Verwirkungsgedanke erfordert nämlich regelmäßig eine restriktive Handhabung. Selbst wenn man also seine Anwendung bei einzelnen Sachverhalten für geboten hält, so kann und 126 127

wird.

Vgl. dazu Fezer, Grenzen der Beweisaufnahme, S. 92 ff. Wie er z. B. von AlsberglNüselMeyer, S. 160 oder BGHSt 28, 384 (387) durchgeführt

Siehe Pjitzner, S. 193. BGHSt 31,140 (143). 130 Siehe z. B. BGH bei Her/an, MDR 1955,529; RGSt 11,261 (263); RGRspr 2,156 (157). Vgl. auch RGSt 35, 164. Siehe insgesamt dazu auch Pjitzner, S. 193-194. 128

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2. Kap.: Die Zuziehung eines Dolmetschers

darf über ihn niemals ein derart breites Gebiet von generellen Abweichungen - wie bei den Fällen des tatrichterlichen Feststellungsennessens - gerechtfertigt werden. ee) Zusammenfassung Eine Vielzahl der anzutreffenden Begründungsversuche erweist sich demnach von vornherein als nicht dazu geeignet, das von der Rechtsprechung bei bestimmten prozessualen Fragen ausnahmsweise gewährte Feststellungsennessen des Instanzrichters dogmatisch zu begründen.

b) "Erkennbarkeit" von Feststellungsermessen In einem anderen, bereits frühzeitig vom Reichsgericht herangezogenen Gedanken steckt dagegen ein zunächst plausibler Erklärungsansatz für die Bejahung der zur Diskussion stehenden Ausnahme. So führte das Reichsgericht damals aus, der Revisionsrichter sei, "wenn er auf erhobene Revision darüber zu entscheiden hat, ob der Instanzrichter eine das Verfahren bestimmende Vorschrift beobachtet hat, in der Würdigung der thatsächlichen [!] Voraussetzungen grundsätzlich frei, soweit nicht erkennbar das freie Ennessen des Instanzrichters entscheiden soll". 131 Hier wird dem Tatrichter also in den Fällen eine Feststellungskompetenz (ein Feststellungsennessen) zugestanden, in denen das Gesetz ihm erkennbar den Vorrang einräumen will. Gegen eine derart hergeleitete Ausnahme läßt sich nichts einwenden, denn durch das Festmachen am Gesetzeswortlaut qualifiziert man sie als gesetzgeberische Entscheidung. Voraussetzung ist aber, daß der gesetzgeberische Wille auch wirklich erkennbar ist. Dafür ist es notwendig, daß es einen deutlich aus dem Gesetz zu entnehmenden Hinweis gibt. Das Reichsgericht betonte diesen Aspekt zwar nicht in der hier fonnulierten Deutlichkeit, jedoch legen die sich bei ihm anschließenden Ausführungen ein solches Verständnis nahe. Weiter heißt es dort nämlich: "Denn nur in Bezug auf die Thatfrage [!) selbst hat die StraJprozeßordnung die freie Beweiswürdigung und die Feststellung des thatsächlichen [!) Ergebnisses des Beweises in die Hand des Instanzrichters gelegt, während sie keinen Anhalt I32 dafür bietet, daß auch hinsichtlich des Vorhandenseins oder Nichtvorhandenseins für die angefochtene Gesetzmäßigkeit prozessualer Vorgänge erheblicher Thatsachen [!) die Annahme des Instanzrichters für den Revisionsrichter bindend sein soll." 133

Zur Begründung der grundsätzlich uneingeschränkten Revisibilität von Verfahrensfragen rekurriert das Reichsgericht also auf das Fehlen eines gegenteiligen "Anhalts" in der Strafprozeßordnung. Ebenso - wenn nicht sogar erst recht - wird man daher auch für die Durchbrechung dieses Grundsatzes einen gesetzlichen "Anhalt" 131

132 133

RGSt 4, 388 (389). Hervorhebungen nicht im Original. RGSt 4, 388 (389).

c. Die Zuziehungsvoraussetzungen

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fordern müssen. In dem weiten Feld der "Ausnahmeentscheidungen" wird dieses Erfordernis jedoch kaum von einer Norm erfüllt. "Erkennbarkeit" von eingeräumtem Ermessen - sei es im Sinne eines klassischen Rechtsfolgeermessens oder eines Beurteilungsspielraums -läßt sich nur bejahen, wenn der Gesetzeswortlaut explizit darauf hinweist. Dies kann beim klassischen Ermessen durch "Kann-Formulierungen" oder allgemein durch Nennung des "tatrichterlichen Ermessens"134 erfolgen. Eine solche Formulierung ist aber in den fraglichen Paragraphen in der Regel nicht zu finden. Um dieses Defizit auszugleichen, wurde statt dessen vereinzelt versucht, die "Erkennbarkeit" von eingeräumtem Ermessen daraus herzuleiten, daß der Tatrichter aufgrund seiner Nähe zur Verhandlungssituation für gewisse Fragen das wichtigste Erkenntnismittel, nämlich seinen persönlichen, unmittelbaren Eindruck, besäße. 135 Auf diese Weise wird zwar dokumentiert, daß man das Erfordernis der "Erkennbarkeit" in irgendeiner Form noch berücksichtigen will, diese Vorgehensweise geht aber zu weit; hier wird der Begriff der "Erkennbarkeit" völlig überdehnt. Es handelt sich dabei nur noch um eine von pragmatischen Gesichtspunkten geprägte Überlegung l36 , aber nicht mehr um eine direkt dem Wortlaut zu entnehmende, also "erkennbare" Folgerung. Vor allem aber führte das im Ergebnis dazu, daß genaugenommen keine generelle Auskunft über die Revisibilität einer Norm mehr gegeben werden könnte. Diese müßte dann vielmehr jeweils von der Art des benutzten Beweismittels abhängig gemacht werden. Dem Tatrichter wird bei der Feststellung prozessualer Tatsachen nämlich nicht vorgeschrieben, wie er diese zu ermitteln hat. So kann er zu den Feststellungen über die Verhandlungsfähigkeit eines Prozeßbeteiligten beispielsweise aufgrund seines eigenen Eindrucks gelangen oder aber aufgrund eines schriftlichen Sachverständigengutachtens. 137 Bezüglich des schriftlichen Gutachtens hätte jedoch auch das Revisionsgericht die gleiche Nähe wie der Tatrichter. Sollte die Revisibilität bei diesem Beweismittel dann weniger (oder gar nicht) eingeschränkt werden als bei einem anderen Beweismittel? Dies zeigt deutlich, daß es nicht möglich ist, über eine derart weite Interpretation von "Erkennbarkeit" ein tragfähiges Erklärungsmodell zu erhalten. Auch darf nicht aus der Tatsache, daß die Norm einen "unbestimmten Rechtsbegriff" enthält, geschlossen werden, daß der Gesetzgeber dem Richter dadurch von vornherein ein Feststellungsermessen geben wollte. Ein Tatbestandsmerkmal muß nicht von Anfang an die Qualität eines unbestimmten Rechtsbegriffs haben. Die veränderte soziale Wirklichkeit oder die Verschiebung rechtlicher Wertmaßstäbe können dazu führen, daß ein anfangs eindeutiger Begriff auslegungsbedürftig und "un134 Wobei die Verwendung dieses Begriffs vom Gesetzgeber nicht auf Rechtsfolgeermessen beschränkt ist; vgl. zum Begriffswandel oben 2. Kap. B (S.79). 135 Vgl. dazu E. Perers, Freibeweis, S. 34 (m. w. N.). 136 Dazu siehe direkt unten 2. Kap. B III 3 d (S. 105 f.). 137 Bei nur verfahrensrelevanten Tatsachen gilt Freibeweis.

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2. Kap.: Die Zu ziehung eines Dolmetschers

bestimmt" wird. Gerade bei der hier diskutierten "Sprachunkundigkeit" läßt sich erkennen, wie wachsendes, rechtsstaatliches Bewußtsein sowie verfassungs- und völkerrechtliche Aspekte den Bedeutungsgehalt dieses Tatbestandsmerkmals über die Jahre hinweg mit geprägt haben. 13s Der vom Ansatz her brauchbare Erklärungsversuch über eine "erkennbar dem freien Ermessen des Richters" zugewiesene Entscheidung kann damit ebenfalls nicht als tragfähige Grundlage für die praktizierte Unterscheidung von bindenden und nicht bindenden prozessualen Tatsachenfeststellungen herangezogen werden. 139

c) Prozessuales Feststellungsermessen als revisionsrechtlicher Grundsatz

Ein dogmatisch ganz anderer Begründungsansatz läßt sich dagegen einigen, ebenfalls reichsgerichtlichen Entscheidungen 140 entnehmen. Obwohl auch diese jeweils eine verfahrensrechtliche Frage zum Gegenstand hatten, wurde dort mit einer völlig andersartigen Ausgangsprämisse gearbeitet: "Es müssen daher die allgemeinen Prozeßgrundsätze ... Anwendung finden, woraus sich ergiebt [I], daß das Revisionsgericht sich mit einer materiellen Prüfung der auf thatsächlichem [!) Gebiete liegenden Gründe ... nicht zu befassen hat (§§ 375. 376 St.P.O. [!])."141

Danach soll der Revisionsrichter also auch bei Verfahrensfragen einer grundsätzlichen Bindung bezüglich tatrichterlicher Feststellungen unterliegen. Eine Ausnahme von diesem Grundsatz wird dagegen nur in Einzelfällen gewährt. 142 Da diese Ansicht den allgemein geltenden Revisionsgrundsatz für Verfahrensfragen in sein Gegenteil verkehrt, hat sie keinerlei Probleme damit, eine Revisionsbeschränkung bei verfahrensrelevanten Tatsachenfeststellungen plausibel darzulegen: Für sie ist dies der Regelfall. Es ist jedoch zu bemängeln, daß jenen Entscheidungen eine Auseinandersetzung mit der abweichenden Meinung der anderen Reichsgerichtsentscheidungen 143 fehlt. Ihnen ist nicht einmal der Hinweis zu entnehmen, daß sich das Gericht bewußt in Widerspruch dazu setzen wollte. Da der gegenteilige Prozeßgrundsatz, nach dem Verfahrenstatsachen regelmäßig der freien Nachprüfbarkeit durch das Revisionsgericht unterliegen, jedoch schon früh seine allgemeine 138 Vgl. dazu oben 2.Kap.CIl (S.83 ff.). 139 So auch E. Peters, Freibeweis, S. 36. 140 So z. B. RGSt 7,340; RGSt 25,361; RGSt 29,324; RGSt 57,373. 141 RGSt 25, 361 (362). 142 So z. B. bei RGSt 7,340 (342-343): "Hieraus ergiebt [!) sich, daß die Absicht bei der durch den Abs. 2 des §. [!)28 und den §. [!]377 Nr.3 erfolgten Normierung des Gegenstandes dahin ging, es solle für die versagte Beschwerde ... das gegen das ... Urteil zugelassene Rechtsmittel vollen Ersatz gewähren, ungeachtet dadurch, wenn das Urteil erster Instanz nur mit der Revision angefochten werden kann, die Entscheidung der Revisionsinstanz auch auf die materielle Würdigung der Ablehnungsgründe, also auf rein thatsächliches [!] Gebiet ausgedehnt wird." 143 So z. B. mit der bereits zitierten, frühen Entscheidung im 4ten Band: RGSt 4, 338 (339).

C. Die Zuziehungsvoraussetzungen

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Anerkennung 144 behaupten konnte, findet diese Ansicht heute keine Anhänger mehr. 145 Abgesehen davon ist für eine derartige, das Regel-Ausnahme-Verhältnis verkehrende, Begründung in der hier geführten Diskussion kein Raum. Über diesen Ansatz kann nur insgesamt der bei Verfahrensfragen praktizierte Grundsatz in Frage gestellt werden; die - hier jedoch gesuchte - dogmatische Erklärung für den anerkannten Ausnahmecharakter der Bindungswirkung vermag er nicht zu liefern.

d) Feststellungsermessen au/grund sachlicher Rechtfertigung Übrig bleibt letzten Endes daher nur der Versuch, die "Ausnahmeentscheidung" auf ein sachlich gerechtfertigtes Fundament zu stellen. Tatsächlich scheint die Bindung des Revisionsgerichts an prozessuale Feststellungen des Instanzrichters aus einem hauptsächlich "pragmatischen Anliegen" 146 zu resultieren. Dementsprechend führt auch Willms aus, daß sich das Bedürfnis nach Bindung überall dort geltend mache, wo der nur dem Tatrichter zuteil werdende unmittelbar persönliche Eindruck wesentliche Bedeutung für die Feststellungen habe. 147 Es mag einiges dafür sprechen, in derartigen Fällen den praktischen Erwägungen Berücksichtigung zu schenken, jedoch liefert auch eine solch sachliche Rechtfertigung kein ausreichendes Erklärungsmodell, um alle verfahrensrelevanten Tatsachenfeststellungen insgesamt so zu beurteilen. Das liegt zum einen daran, daß dieses Kriterium - worauf Hanack und Pfitzner hinweisen - in der Praxis keine stringente Anwendung findet. 148 Auch E. Peters bemängelt, "daß die von der höchstrichterlichen Rechtsprechung getroffene Grenzziehung einer klaren und sicheren sachlichen Grundlage entbehrt." 149 Wird aber die "Ausnahmeregelung" auch auf Sachverhalte angewendet, bei denen dieses "Bedürfnis eines tatsächlichen Eindrucks" nicht besteht, so verliert auch dieser Erklärungsversuch seine Legitimation. Zum anderen sei in diesem Zusammenhang nochmals auf eine oben bereits erwähnte Problematik hingewiesen. Es gibt nur wenige Konstellationen, die eine Entscheidung einzig au/grund des unmittelbaren Eindrucks erfordern. Soll beispielsweise entschieden werden, ob die Schwerhörigkeit eines Beschuldigten ihn daran hindert, der Verhandlung richtig zu folgen, so kommt dem persönlichen Eindruck des Tatrichters insofern eine besondere Bedeutung zu, als dabei vor allem konkret situationsbezogene Umstände, 144 Siehe Alsberg/Nüse/Meyer, S. 154 (m. w. N. in Fn 10); so z. B. auch KK-Herdegen, § 244 StPO Rn 6; Herdegen, Kleinknecht-FS, S.182; Kappe, GA 1960,371; Krause, Revision, S.17 Rn 12; KMR-Paulus, § 337 StPO Rn 24 a. E.; Pjitzner, S. 26 f.; Roxin, Strafverfahrensrecht § 53, Rn 11, S. 442; Schlüchter, S. 763, Rn 697; Eb. Schmidt, § 377 Rn 14. 145 Kritisch zu diesem Ansatz auch Pjitzner, S. 194-195. 146 Siehe Volk, Prozeßvoraussetzungen, S. 76. 147 Siehe Willms, S. 409. 148 Vgl. Hanack, JZ 1973,729, der hier von einer "durchaus schwankenden Praxis" spricht; siehe auch Pjitzner, S. 190 m. w. N. 149 E. Peters, Freibeweis, S. 37.

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2. Kap.: Die Zu ziehung eines Dolmetschers

wie z. B. die Akustik des Gerichtssaals oder die Lautstärke der Verhandlung, entscheidungserheblich sind.

In vielen Fällen dagegen kann neben oder oftmals sogar statt des persönlichen Eindrucks aber auch ein anderer Umstand als Entscheidungsgrundlage dienen. ISO Wie wollte man diesen Konstellationen gerecht werden? Sollte man grundsätzlich bei jedem Sachverhalt, der theoretisch aufgrund eines persönlichen Eindrucks entschieden werden könnte, ein "Bedürfnis nach unmittelbarem Eindruck" einfach unterstellen? Damit würde das sachlich gerechtfertigte Erklärungsmodell sich seine eigene Argumentationsbasis entziehen. Hier stützte man die Vorrangstellung des Tatrichters auf seine bessere Erkenntnismöglichkeit, obwohl seine Entscheidung im konkreten Fall vielleicht auf Erkenntnissen beruht, die der Revisionsrichter hätte ebenso gut beurteilen können. Oder sollte man "das Bedürfnis des tatsächlichen Eindrucks" daran festmachen, ob der Tatrichter in der speziellen Situation seine Entscheidung tatsächlich auf diesen Eindruck gestützt hat? Dann erhält man jedoch die oben 151 beschriebene, unbefriedigende Situation der nicht klar im voraus bestimmbaren Revisibilität einzelner Vorschriften. Niemand könnte dann nämlich mit Sicherheit sagen, ob bestimmte Verfahrens verstöße der Revision grundsätzlich unterliegen oder nicht, da für diese Beurteilung zunächst immer das Wissen um das vom Tatrichter verwendete Erkenntnismittel erforderlich wäre. Das praktizierte, regelmäßige Abweichen vom Grundsatz der freien Überprüfbarkeit bei Verfahrenstatsachen läßt sich demnach auch nicht über ein sachliches Argument erklären.

e) § 185 Abs.l S.l GVG als "Ausnahmenorm" Mag der pragmatische Erklärungsansatz für eine Rechtfertigung der gesamten "Ausnahmerechtsprechung" auch ungeeignet sein, so kann aber trotzdem die Frage gestellt werden, ob nicht wenigstens im Fall des § 185 GVG eine solche "Ausnahmesituation" gegeben ist. 152 Dies müßte bejaht werden, wenn die Feststellung von "Sprachunkundigkeit" einzig aufgrund eines unmittelbar in der Verhandlung zu erlangenden, persönlichen Eindrucks des Tatrichters durchführbar wäre. Es ist zuzugestehen, daß die Voraussetzungen des § 185 GVG auf diese Art ermittelt werden können. Jedoch ist dies nicht der einzig gangbare Weg. Die Praxis zeigt, daß die Entscheidung über die Dolmetscherzuziehung, wenn auch nicht immer endgültig, so aber in der Regel schon vor der Hauptverhandlung getroffen wird. So muß sich der Richter bereits im Vorfeld darüber Gedanken machen, ob ein Dolmetscher gebraucht wird, für welche Sprache er benötigt wird und welche besonderen EigenÄhnlich auch Kappe, S. 372. Siehe oben 2.Kap.CIII3b (S.l03). 152 Vgl. dazu den Gedanken von Eh. Schmidt, § 337 StPO Rn 14, hinsichtlich der Notwendigkeit eines "Ausnahmecharakters" der betreffenden prozessualen Norm. 150 151

C. Die Zuziehungsvoraussetzungen

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schaften und Qualifikationen 153 er erfüllen sollte. Dafür wird sich der Richter anderer Erkenntnisquellen (wie z. B. früherer Vernehmungsberichte oder sonstiger bei den Akten liegender Materialien) bedienen. Diese stellen zweifelsohne aber keine bessere Erkenntnisquelle des Tatrichters dar, sondern stehen dem Revisionsrichter ebenso zur Verfügung. Darüber hinaus ist es grundsätzlich verfehlt, dem unmittelbaren, persönlichen Eindruck bei der Entscheidung über die Sprachkundigkeit eine übergeordnete Bedeutung beizumessen. Dieser kann eine wichtige Erkenntnisquelle darstellen, ist aber kein uneingeschränkt zuverlässiges Beurteilungskriterium. Gestünde man dem Richter hier ein nicht revisibles Feststellungsermessen zu, so würde damit impliziert, der unmittelbare Eindruck sei in diesem Fall das beste Erkenntnismittel. Und genau dem kann nicht zugestimmt werden. Ist die Sprachkenntnis bzw. -unkenntnis nicht evident - und exakt diese Fälle sind es, die revisionsrechtlich problematisch werden - so ist nicht verständlich, warum die Sprachfahigkeit aufgrund des richterlichen Eindrucks besser zu beurteilen sei als z. B. aufgrund der Stellungnahme einer früheren Verhörsperson oder eines bereits in Anspruch genommenen Dolmetschers. In der Verhandlungssituation kann sich aus unterschiedlichen Gründen ein "schiefes Bild" ergeben. So ist es nicht fernliegend, daß ein Angeklagter sich schämt, der deutschen Sprache nicht so gut mächtig zu sein, und dies zu verschleiern versucht oder daß ein partiell Sprachkundiger seine Fähigkeiten überschätzt. 154 Auch ist denkbar, daß ein als Geste des Verständnisses aufgefaßtes, freundliches Nicken einer angesprochenen Person eigentlich nur Ausdruck eines respektvollen "Zuhörens" ist. Und ferner darf nicht außer acht gelassen werden, daß teils eben nur der Eindruck entsteht, man verständige sich, obwohl man in Wirklichkeit "aneinander vorbeiredet". Daß letzteres gerade dann möglich ist, wenn man Teilkenntnisse in einer Sprache besitzt, haben die obigen Ausführungen bereits gezeigt. 155 Nicht zuletzt gilt es zu beachten, daß der Richter eben nur ein linguistischer und fremdsprachendidaktischer Laie ist, der vor die Aufgabe gestellt wird, die Fremdsprachenkompetenz einer Person einzuschätzen. 156 Es ist daher nicht vertretbar, bei § 185 GVG von einer Entscheidung auszugehen, die gerade den persönlichen Eindruck des Tatrichters als Beurteilungsgrundlage benötigt. Daher kann auch speziell für den Fall des § 185 Abs.l GVG das Vorliegen einer "Ausnahmesituation" nicht bejaht werden.

Vgl. dazu oben I. Kap. D I u. 11 (S.47 ff.). So weist z. B. Basdorf, S. 21, auf die Gefahr der Selbstüberschätzung hin. Die praktische Erfahrung habe gezeigt, daß die meisten nur partiell Sprachkundigen primär bestrebt seien, sich unmittelbar verständlich zu machen. 155 Siehe oben 1. Kap. B IV (S . 27 ff.). 156 Siehe hierzu H. Schröder, S. 267. 153

154

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2. Kap.: Die Zuziehung eines Dolmetschers

f) Absolute Revisionsgründe Im Anschluß an diese gesondert auf § 185 GVG ausgerichtete Betrachtung sei noch darauf hingewiesen, daß auch Pfitzner 157 , der dem tatrichterlichen Feststellungsermessen unter bestimmten Voraussetzungen positiv gegenübersteht, zumindest für die hier interessierende Norm zum Ergebnis eigener revisionsrichterlicher Tatsachenfeststellungen kommen muß. Die Verletzung des § 185 GVG stellt nämlich unstreitig 158 einen absoluten Revisionsgrund nach § 338 Nr.5 StPO dar; in diesem Fall plädiert Pfitzner, um dem besonderen Gewicht der absoluten Revisionsgründe gerecht zu werden, dafür, daß der Revisionsrichter eigene Feststellungen treffen solle. 159

g) Zusätzliche Argumente Den Kritikern 160 der eingeschränkten Revisionspraxis muß also darin zugestimmt werden, daß die vorhandenen "Erklärungs modelle" nicht in der Lage sind, eine dogmatisch befriedigende oder eine sachlich gerechtfertigte Begründung für ein Feststellungsermessen zu liefern. Allein dieser Umstand reicht aus, grundsätzlich eine umfassende Revisibilität zu befürworten. Gibt es für eine revisionsrechtliche Ausnahme insofern nämlich keine Rechtfertigung, so ist an dem anerkannten Grundsatz der freien Nachprüfbarkeit von Verfahrenstatsachen festzuhalten. Einer besonderen Begründung bedarf es dafür dann nicht mehr. Dennoch seien hier kurz weitere Erwägungen genannt, die dieses Ergebnis stützen: So z. B. die Argumentation Herdegens. Er führt aus, daß das Revisionsgericht dazu verpflichtet sei, prozessual erhebliche Tatsachen in dem von § 352 Abs. 1 StPO vorgegebenen Rahmen umfassend, d. h. ohne jede Bindung an Ermittlungen und Wertungen des Tatrichters zu überprüfen. Dafür sprächen zwar auch teleologische Erwägungen, in erster Linie aber die gesetzliche Regelung selbst. Danach seien dem Revisionsgericht die den Verfahrensverstoß enthaltenden Tatsachen zwar vorzutragen (§ 344 Abs. 2 S. 2 StPO), habe das Gericht jedoch Zweifel an der Wahrheit des schlüssigen Vortrages oder bedürfe es weiterer, vom Revisionsführer nicht zu erbringender Substantiierung, so könne das Revisionsgericht die Rüge nicht als erledigt ansehen. Auch für das Revisionsverfahren gelte insoweit das Aufklärungsgebot (§ 244 Abs. 2 StPO).161 157 Er hat sich in seiner Dissertation (S. 165-248) sehr ausführlich mit dem tatrichterlichen FeststeIlungsermessen auseinandergesetzt. 158 Zumindest bei gänzlicher Nichtzuziehung eines Dolmetschers; zur Problematik der nur teilweisen Zuziehung siehe unten 2. Kap. EIV (S. 122). 159 Siehe Pjitzner, S. 247. 160 Herdegen, StV 1992,590; KK-Herdegen, § 244 StPO Rn 6 sowie E. Peters, Freibeweis, S.32.

161 Siehe Herdegen, Kleinknecht-FS, S. 186-187.

D. Exkurs: Sprachunkundigkeit und VerhandlungsHihigkeit

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Ein weiteres Argument läßt sich auf die Funktion der Revisionsgerichte im Hinblick auf Verfahrensfragen stützen. Diese Funktion besteht zu einem großen Teil darin, die Einhaltung der Verfahrensrechte zu überwachen. Die Revisionsgerichte sind für Verfahrensfehler die "tatnächste Kontrollinstanz".162 Unter anderem zeigt sich das darin, daß hierbei nicht nur die richtige Auslegung des Prozeßrechts, sondern grundsätzlich eben auch die Sachverhaltsfeststellung geprüft wird. 163 Eine Beschränkung dieser Kontrolle widerspricht dem eigentlichen Zweck der Verfahrensrüge. 164 4. Ergebnis Der Rechtsprechungspraxis zum tatrichterlichen Ermessen bei § 185 GVG und dessen nur eingeschränkter Revisibilität kann somit nicht zugestimmt werden. Vielmehr ist in diesem Zusammenhang zu fordern, daß die Revision ihrerseits die tatsächlichen Voraussetzungen der Sprachunkundigkeit feststellt und gegebenenfalls eine falsche Subsumtion des Tatrichters korrigiert.

D. Exkurs: Sprachunkundigkeit und Verhandlungsfähigkeit I. Einleitung und Problemaufriß Die mangelnde Beherrschung der deutschen Sprache könnte im Prozeß neben der für § 185 Abs. 1 S. 1 GVG bestehenden Relevanz noch von anderer Bedeutung sein: Da der Deutschunkundige ohne die sprachliche Vermittlung durch den Dolmetscher nicht in der Lage ist, dem Prozeßgeschehen zu folgen, noch sich daran selbst aktiv zu beteiligen, liegt damit ein Sachverhalt vor, der stark an einen generell für die Durchführung des Prozesses relevanten Umstand erinnert. Gemeint ist die Verhandlungsfähigkeit einer Person, hier insbesondere des Angeklagten. Diese definiert sich im strafprozessualen Sinne nach allgemeiner Auffassung in Rechtsprechung und Schrifttum größtenteils nämlich darin, daß der Angeklagte in der Lage sein müsse, seine Interessen in und außerhalb der Verhandlung vernünftig wahrzunehmen, die Verteidigung in verständiger und verständlicher Weise zu führen sowie Prozeßerklärungen abzugeben und entgegenzunehmen. 165 Vergleicht man den vorliegenden Sachverhalt mit dieser Definition, so drängt sich zunächst unweigerlich die Vermutung auf, auch das sprachliche Defizit eines Deutschunkundigen könnte einen für die Bestimmung von Verhandlungsfahigkeit 162 Siehe Roxin, Strafverfahrensrecht, § 53, Rn 12, S.442. 163 Vgl. Roxin, Strafverfahrensrecht, § 53, Rn 11, S. 442. 164 So auch LR-Hanack, § 337 StPO Rn 90 (25. Auflage); vgl. dazu auch Schwinge, S. 170. 165 Siehe BVerfG, NStZ 1995, 391, m. w. N.

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2. Kap.: Die Zuziehung eines Dolmetschers

ausschlaggebenden Faktor darstellen. Es handelt sich insoweit um eine Assoziation, auf die bereits Eb. Schmidt in seinem Lehrkommentar hinwies: "Dabei ist zu bedenken, daß mangelnde Beherrschung der deutschen Sprache fehlende Verhandlungsnihigkeit des betr. Beteiligten bedeuten kann." 166

Allerdings ist zu bemerken, daß - trotz dieser ins Auge fallenden Ähnlichkeit - ein Zusammenhang zwischen Sprachunkundigkeit und Verhandlungsunfähigkeit an anderer Stelle in der Literatur nirgends hergestellt wird. 167 Aber nicht nur diese angesprochene, aus der Definition zu entnehmende Ähnlichkeit weist darauf hin, daß es zwischen Verhandlungsunfähigkeit und Sprachdefizit eine Korrelation gibt. Zwischen beiden Umständen besteht noch eine weitere Parallele, bei der das Bindeglied in der Subjektstellung des Angeklagten im Verfahren liegt. Wie bereits zuvor ausgeführt wurde 168, ist es für einen deutschunkundigen Angeklagten unerläßlich, daß ihm zur Ausfüllung seiner "Rolle als Subjekt des Verfahrens"169 Übersetzungshilfen gewährt werden. Das bedeutet im Umkehrschluß, daß die mangelnde Beherrschung der deutschen Sprache diese verfahrensrechtliche Stellung des Angeklagten gefährdet. Eine solche Gefahr wird aber auch von den anerkanntermaßen zu Verhandlungsunfähigkeit führenden Umständen verursacht; auch diese wirken sich negativ auf den Subjektstatus aus, können den Angeklagten zum Verfahrensobjekt degradieren. 170 Die Rolle des Angeklagten als Verfahrenssubjekt beeinflußt daher den Begriff der Verhandlungsfähigkeit 171 ebenso, wie sie sich bereits bei der inhaltlichen Bestimmung des Merkmals Sprachkundigkeit 172 niedergeschlagen hat. Weisen Sprachunkundigkeit und Verhandlungsunfähigkeit begründende Umstände eine derartig starke Parallelität auf, so stellt sich unweigerlich die Frage, ob sie nicht auch verfahrensrechtlich einer gleichen Behandlung bedürfen. Um zu dieser Frage sowie zu der zitierten Aussage Eb. Schmidts substantiiert Stellung nehmen zu können, ist es erforderlich, sich insoweit differenzierter mit dem Aspekt der Verhandlungsfähigkeit zu beschäftigen. 173 Eh. Schmidt, § 185 GVG Rn 4. Nur bei Weith, S. 58, findet sich ein kurzer Hinweis auf die von Eh. Schmidt aufgestellte These, jedoch ohne eingehende Auseinandersetzung mit dieser Frage. 168 Siehe oben 2. Kap. CII2 (S. 86f.). 169 BVerfGE 64, 135 (146). 170 Vgl. LR-Rieß, § 205 StPO Rn 12 (25. Auflage): Daß der Beschuldigte in jeder Lage des Verfahrens verhandlungsnihig sein müsse, folge aus der mit der Menschenwürde verbundenen Anerkennung seiner Subjektqualität. 171 Vgl. Rath, GA 1997,214 (216): "Die Bedingungen des Subjektstatus müssen demgemäß ausschlaggebend für den Begriff der Verhandlungsfahigkeit sein." 172 Siehe oben 2. Kap. C II 2 (S. 87). 173 Zum Begriff der Verhandlungsfahigkeit im Strafverfahren allgemein: Rath, GA 1997, 214ff. 166 167

D. Exkurs: Sprachunkundigkeit und Verhandlungsflihigkeit

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11. Sprachunkundigkeit als Verhandlungsunfähigkeit begründender Umstand 1. Subsumtion unter den herkömmlichen Definitionsansatz Obwohl die eingangs zitierte Umschreibung des Begriffs Verhandlungsunfähigkeit mit Definitionselementen arbeitet, unter die sich, isoliert betrachtet, auch der Aspekt der Sprachunkundigkeit subsumieren ließe, ist es dennoch zweifelhaft, ob dieser Aspekt tatsächlich zu einer Verhandlungsunfähigkeit führt. Zweifel an dieser Einschätzung resultieren daraus, daß Verhandlungsunfähigkeit begründende Umstände regelmäßig in einer Abweichung vom körperlichen oder geistigen Normalzustand gesehen werden. Die Einstufung einer weder mit physischen noch psychischen Defiziten belasteten Person als verhandlungsunfähig scheint insofern abwegig. Die Vorstellung, daß Verhandlungsunfähigkeit stets nur auf eine krankhafte Abweichung vom Normalzustand des Betroffenen zurückzuführen sei, findet ihre Stütze in der Aussage der Rechtsprechung, wonach ein Ausschluß der Verhandlungsfähigkeit in der Regel nur bei schweren geistigen, psychischen oder körperlichen Mängeln in Betracht zu ziehen sei. 174 Jedoch muß die soeben zitierte Vorgabe nicht zwangsläufig zur Folge haben, daß die Bejahung von Verhandlungsunfähigkeit aus anderen Gründen von vornherein ausgeschlossen ist. Die Rechtsprechung gesteht durch die Verwendung der Einschränkung "in der Regel" - auch wenn sich dies primär auf den Grad der genannten Mängel bezieht ("nur bei schweren ... Mängeln") - grundsätzlich zu, daß Verhandlungsunfähigkeit auch unter abweichenden Voraussetzungen existieren kann. Warum sollte sich eine solche Abweichung statt auf den Schweregrad eines bestimmten Mangels nicht auch auf die Art des Mangels selbst beziehen können? Es stellt sich daher die Frage, ob die Art des Mangels außer in dem zitierten Zusammenhang auch sonst als wesentliches Element bei der Bestimmung von Verhandlungsunfähigkeit bewertet wird. Ein Blick auf eine andere als die eingangs herangezogene - aber ebenfalls schon frühzeitig aufgestellte und bis heute immer noch Anklang findende 175 - Definition bestätigt dies. Verhandlungsfähigkeit wird dabei als die geistige und körperliche Fähigkeit, der Verhandlung zu folgen und sich entsprechend daran zu beteiligen, also den eigenen Standpunkt vernünftig zu vertreten, bezeichnet. 176 Jene Definition bringt im Gegensatz zur erstgenannten eindeutig zum Ausdruck, daß das Defizit des Betroffenen in einem besonderen Bereich, nämlich 174 Siehe bspw. BCH bei Dallinger, MDR 1958, 141 (142); BCH, NJW 1970, 1981; BCH vom 5.9.1974-4 StR 305/74; OLC Karlsruhe, NJW 1978,601; BVerJG, NStZ-RR 1995, 38. Siehe auch LR-Schäfer, Ein\. Kap. 12 Rn 102 (24. Auflage); KK-Pfeiffer, Einleitung Rn 126; KMR-Seidl, § 205 StPO Rn 8; HK-Julius, § 205 StPO Rn 4, jeweils mit weiteren Nachweisen. 175 So z. B. bei K. Peters, Strafprozeß § 32111 3, S. 256/257; vg\. dazu auch die Definitionszusammenstellung bei Rath, GA 1997, 214 ff. (218-219). 176 Siehe von Hippel, S. 274, m. w. N.

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2. Kap.: Die Zuziehung eines Dolmetschers

dem der geistigen oder körperlichen Fähigkeiten, liegen muß. Auch bei Eb. Schmidt findet sich der dementsprechende Hinweis darauf, daß Verhandlungs unfähigkeit "auf geistigen oder auch auf körperlichen Mängeln beruhen" könne. 177 Fraglich ist nun, ob auch die Fähigkeit, sich in einer bestimmten Sprache (genauer der deutschen Sprache) an einer Gerichtsverhandlung beteiligen zu können, in diesem Zusammenhang von Bedeutung ist, es sich also auch insoweit um eine Fähigkeit im Sinne der Definition handelt. Ein direkter Subsumtionsversuch schlägt hier fehl. Betroffen ist weder die körperliche noch die geistige Fähigkeit des Fremdsprachigen: weder seine körperliche Disposition noch seine intellektuelle Fähigkeit, oder anders ausgedrückt, der Grad seines geistigen Entwicklungsstandes, seine Auffassungsgabe, seine Verstandesreife, sein Denk- und Erkenntnisvermögen, können insoweit als defizitär bezeichnet werden. Mangelnde Sprachbeherrschung steht in keinem Zusammenhang mit den geistigen Anforderungen für die Teilnahme an einer Verhandlung. Dem Betroffenen fehlt es mit der Nichtbeherrschung der Gerichtssprache lediglich an einer" technischen Fähigkeit", um sich eigenständig an der Verhandlung beteiligen zu können. Dies jedoch ist keine Fähigkeit im Sinne der zitierten Definition. Daß Eb. Schmidt in diesem Fall dennoch die Möglichkeit einer Verhandlungsunfähigkeit in Betracht zieht, ist überraschend, führt doch auch er - wie soeben gezeigt - Verhandlungsunfähigkeit grundsätzlich auf geistige oder körperliche Mängel zurück. Andererseits ist zuzugestehen, daß die von ihm dabei gewählte Kann-Formulierung theoretisch auch Spielraum für andere als die genannten Mängel eröffnet. Um welche Art von Mängeln es sich dabei handeln könnte, dazu macht Eb. Schmidt in seinem Kommentar jedoch keine Angaben. Es läßt sich daher, auch wenn eine direkte Subsumtion insofern gescheitert ist, in einem weiteren Schritt überlegen, ob in der Nichtbeherrschung der Gerichtssprache gegebenenfalls eine Situation zu sehen ist, die mit dem in der Definition beschriebenen Sachverhalt so starke Ähnlichkeiten aufweist, daß allein dies es rechtfertigen könnte, Sprachdefizite entgegen dem unpassenden Wortlaut trotzdem als Verhandlungsunfähigkeit begründende Umstände zu behandeln. Beiden Situationen gemein ist, daß es sich jeweils um das Fehlen einer tatsächlichen und nicht einer rechtlichen Fähigkeit handelt. Ebenfalls übereinstimmend ist, daß dadurch beide Male ein Hindernis sowohl für die aktive, als auch passive Beteiligung an der Verhandlung besteht. Aus der Sicht des Betroffenen macht es keinen Unterschied, aus welchem Grund er der Verhandlung nicht folgen kann, er nicht verstanden wird oder er nicht in der Lage ist, sich überhaupt zu äußern. Auch für die anderen Beteiligten stellt es sich als unerheblich dar, auf welche konkreten Umstände ein solches Hindernis zurückzuführen ist. Berücksichtigt man ferner - wie bereits oben ausgeführt -, daß sowohl Mängel in der geistigen bzw. körperlichen Fähigkeit als auch solche im sprachlichen Bereich jeweils negative Auswirkungen auf die 177

Eh. Schmidt, Teil I, Nr. 145.

D. Exkurs: Sprachunkundigkeit und Verhandlungsfahigkeit

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SubjektsteIlung des Angeklagten haben, so sprechen damit insgesamt erhebliche Gründe für eine Gleichbehandlung jener Sachverhalte. Auch wenn sich der herkömmliche Definitionsansatz von Verhandlungsunfähigkeit nicht direkt mit der von Eb. Schmidt vertretenen Ansicht zu decken vermag, so ließe sich Verhandlungsunfähigkeit aufgrund mangelnder Sprachbeherrschung also zumindest über eine teleologisch erweiterte Auslegung dieser Definition begründen. 2. Einbeziehung eines neuen Definitionselements Auf der anderen Seite ist es jedoch fraglich, ob die Definition von Verhandlungsunfähigkeit in der Form, wie sie bislang verwendet wurde, immer noch ihre Berechtigung hat oder ob es nicht notwendig ist, ihre Gestalt zu verändern bzw. zumindest in einzelnen Aspekten zu ergänzen. Und in der Tat findet sich in der jüngeren Rechtsprechung des BVerfG eine Kammerentscheidung, bei der in bezug auf Verhandlungsfähigkeit ein Gesichtspunkt Beachtung gefunden hat, der so bislang noch nicht explizit in die zur Diskussion stehende Begriffsbestimmung eingeflossen war. Das BVerfG hatte sich in seiner Entscheidung mit der Frage auseinanderzusetzen, welche Anforderungen an die Verhandlungsfähigkeit eines Angeklagten im Revisionsverfahren zu stellen sind. Dabei führte es unter anderem aus: "Von Verfassungs wegen ist es daher nicht geboten, Verhandlungsunfahigkeit bei solchen Einschränkungen der geistigen, psychischen oder körperlichen Fähigkeiten anzunehmen, deren Auswirkungen auf die tatsächliche Wahrnehmung der Verfahrensrechte durch verfahrensrechtliche Hilfen für den Beschuldigten hinreichend ausgeglichen werden können."178

Auch das BVerfG beschränkt die Begründung von Verhandlungsunfähigkeit weiterhin auf Mängel im geistigen, psychischen oder körperlichen Bereich. Dennoch nähert sich das Gericht der Frage insgesamt unter einem andersartigen Blickwinkel und zwar insoweit, als es grundsätzlich zugesteht, daß eine Person trotz eines existenten Defizits durchaus verhandlungsfähig sein kann. Es geht damit einen konstruktiv völlig anderen Weg, als er beispielsweise noch von Eb. Schmidt beschritten wurde. Ein Blick auf die Struktur der jeweiligen Begriffsannäherung verdeutlicht diesen konstruktiven Unterschied. a) Verhandlungsfähigkeit als momentane Umstandsbeschreibung Wenden wir uns zunächst der bei Eb. Schmidt anzutreffenden Idee von Verhandlungsfähigkeit bzw. -unfähigkeit zu. Diese ist durch eine streng konkrete, auf rein tatsächliche Gegebenheiten ausgerichtete Sichtweise geprägt. Existiert ein Umstand, der zur Folge hat, daß einer Person zur Verhandlungsteilnahme notwendige Fähigkeiten fehlen, so ist diejenige Person solange als verhandlungsunfähig einzu178

BVerfG, NStZ 1995,391 (392).

8 Lankisch

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2. Kap.: Die Zuziehung eines Dolmetschers

stufen, solange dieser Mangel tatsächlich eine negative Auswirkung für den Betroffenen in der Verhandlung entfaltet. Wird diese Wirkung "neutralisiert", so entfällt die zunächst existierende Verhandlungsunfähigkeit wieder. Nach Eb. Schmidt ist ein Taubstummer daher zunächst einmal als verhandlungsunfähig zu qualifizieren. Erst durch die Zuziehung eines (Gebärden-)Dolmetschers wird die Verhandlungsunfähigkeit wieder "beseitigt".179 Dieser Definitionsansatz orientiert sich demnach an einer rein tatsächlichen Gegebenheit: Besteht die negative "Außenwirkung" eines Umstandes, so liegt Verhandlungsunfähigkeit vor; besteht sie nicht oder nicht mehr, so ist man (wieder) verhandlungsfähig. Es handelt sich daher lediglich um eine momentane Zustandsbeschreibung, die ganz unabhängig von einer möglichen Einflußnahme auf den tatsächlichen Umstand erfolgt. b) Berücksichtigung möglicher Einflußnahme Im Gegensatz dazu erfolgt die Beurteilung des BVerfG an hand eines - zwar auch auf den Einzelfall ausgerichteten, aber dennoch - theoretischen Gesichtspunkts. Betrachtet man den Wortlaut der Entscheidung des BVerfG genauer, so fällt nämlich die Verwendung der Möglichkeitsform ins Auge. Das Gericht spricht von solchen Einschränkungen, deren Auswirkungen ausgeglichen werden "können". 180 Es geht demnach nicht mehr wie bei Eb. Schmidt um einen tatsächlich existierenden Ausgleich, sondern allein um die theoretische Möglichkeit der Neutralisierung. Danach muß die Verhandlungsfähigkeit im oben gewählten Beispiel des Taubstummen hier von vornherein bejaht werden, da die Auswirkung der Behinderung durch eine verfahrensrechtliche Hilfe - die Zuziehung des Gebärdendolmetschers - ausgeglichen werden kann. c) Verhältnis zur bisherigen Rechtsprechung

Der Begriff der Verhandlungsunfähigkeit erhält durch die Integration dieses abstrakten Elements also eine neue Gestalt. Das heißt aber nicht, daß das BVerfG hier eine Entscheidung getroffen hat, die von der bisherigen Rechtsprechung der Strafgerichte losgelöst ist. Im Gegenteil, die Verfassungsrichter orientieren sich in ihrer Begründung an älteren Bundesgerichtshofsentscheidungen und übernehmen strekkenweise sogar die dortige Argumentation. 181 Neu ist allerdings die Tiefe und Ausführlichkeit, mit der dieser Aspekt behandelt wird. Vom BGH wurde lange schon die Ansicht vertreten, daß nicht alle körperlichen und seelischen Mängel dazu ge179 Siehe Eb. Schmidt, Teil I, Nr. 146, mit dem von ihm selbst in Fußnote 261 genannten Beispiel eines Taubstummen. 180 Siehe BVerfG, NStZ 1995, 391 (392). IRI Vgl. BGH bei Dallinger, MDR 1958, 142; BGH, NJW 1970, 1981 ; vgl. auch OLG Karlsruhe, NJW 1978,601.

D. Exkurs: Sprachunkundigkeit und Verhandlungsfähigkeit

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eignet seien, die Verhandlungsfahigkeit einer Person auszuschließen; das folge schon daraus, daß das Gesetz Verhandlungen gegen Taube oder Stumme, ja sogar gegen geisteskranke Personen grundsätzlich zulasse. 182 Weitergehende Aussagen gab es vom BGH dazu bislang jedoch nicht. Das BVerfG dagegen leuchtet in seiner Entscheidung den Hintergrund dieser Argumentationsführung genauer aus. Zunächst wiederholt es - in explizierter Anlehnung an die BGH-Rechtsprechung -, daß selbst wer taub oder stumm sei, deshalb nicht ohne weiteres als verhandlungsunfahig anzusehen sei, wie sich aus dem § 140 Abs.2 S. 2 StPO entnehmen ließe. Darüber hinaus aber - und gerade darauf soll das Augenmerk hier gerichtet sein -liefern die Verfassungsrichter eine wichtige und weiterführende Erklärung: In erster Linie sehe das Gesetz zum Ausgleich dieser Beeinträchtigungen in § 186 GVG die Hinzuziehung eines Dolmetschers zur Verhandlung sowie in § 140 Abs. 2 S. 2 StPO den notwendigen Beistand eines Verteidigers vor. 183 Die Entscheidung des BVerfG stellt im Hinblick auf den Begriff der Verhandlungsfahigkeit damit keine wirkliche Abweichung von der bisherigen Linie des BGH dar. Sie enthält vielmehr nur eine Erweiterung der dortigen Argumentationsführung um den Aspekt des Ausgleichs. Das, was die Argumentation des BGH bislang schon erahnen ließ, hat damit eine explizite Formulierung erfahren. d) Konsequenzen des "neuen" Aspekts für die Definition

Erweitert man die bisher verwendete Definition von Verhandlungsfähigkeit um diesen vom BVerfG herausgearbeiteten Aspekt, so stellt sich Verhandlungsfähigkeit nunmehr wie folgt dar: Es ist die geistige und körperliche Fähigkeit, der Verhandlung zu folgen und sich entsprechend daran zu beteiligen; liegt diese Fähigkeit nicht bereits von sich aus vor, so kann sie sich gegebenenfalls im Wege verfahrensrechtlicher Hilfen herstellen lassen. Mit einem solchen Definitionsansatz läßt sich der Sachverhalt Sprachunkundigkeit allerdings nicht mehr mit jenen Umständen auf eine Stufe stellen, die definitionsgemäß Verhandlungsunfahigkeit begründen. Da es sich bei Sprachunkundigkeit grundsätzlich um ein durch Dolmetscherzuziehung kompensierbares Defizit handelt l84 , ist insoweit vielmehr eine Parallele zu der Art von geistigen und körperlichen Defiziten gegeben, die aufgrund ihrer Ausgleichbarkeit gerade nicht zu Verhandlungsunfahigkeit führen. Befürwortet man also ein solches Verständnis von Verhandlungsfähigkeit, so ist eine Aussage wie die von Eb. Schmidt, daß mangelnde Beherrschung der Gerichtssprache fehlende Verhandlungsfahigkeit bedeuten könne, damit in der Regel nicht vereinbar. Lediglich in dem theoretisch zwar denkbaren, praktisch jedoch eher Siehe BGH bei Dallinger, MDR 1958, 142. Siehe BVeljG, NStZ 1995,391 (392). 184 D. h. solange die Verdolmetschung der betreffenden Fremdsprache im Bereich des Möglichen liegt. 182

183

8*

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2. Kap.: Die Zuziehung eines Dolmetschers

unwahrscheinlichen Fall einer Sprache, die überhaupt nicht übersetzt werden kann, könnte die dabei fehlende Ausgleichbarkeit zu einer Verhandlungsunfahigkeit führen.

3. Diskussion beider Ansätze Es stellt sich nunmehr die Frage, welcher der beiden Definitionsansätze, der herkömmliche mit einer Orientierung am rein Tatsächlichen, wie er beispielsweise bei Eb. Schmidt Anwendung gefunden hat, oder der um das vom BVerfG herausgearbeitete, abstrakte Element angereicherte Ansatz, den Vorzug verdient. Das ausschlaggebende Kriterium bei der Beantwortung dieser Frage ist in erster Linie in der vom Gesetzgeber generell getroffenen Wertung zu suchen. Grundsätzlich ist dabei von der Verhandlungsfähigkeit einer jeden Person auszugehen. 185 Dies entspricht zugleich auch der allgemeinen Auffassung vom RegelAusnahme-Verhältnis in diesem Bereich: die Verhandlungsfahigkeit als Normalfall und die Verhandlungsunfähigkeit als eine Art strafverfahrensrechtlicher Ausnahmezustand. Niederschlag hat diese gesetzgeberische Grundentscheidung beispielsweise in einer Norm wie dem bereits zitierten § 140 Abs. 2 S.2 StPO gefunden; selbst einer mit Defiziten belasteten Person ("tauber oder stummer Beschuldigter") wird danach nicht von vornherein die Verhandlungsfähigkeit abgesprochen. Der Richter ist vielmehr verpflichtet, die vom Gesetz vorgeschriebenen, verfahrensrechtlichen Hilfen zum Ausgleich dieser Defizite anzuwenden. Akzeptiert man diese gesetzgeberische Ausgangsprämisse, so muß eine Sichtweise, wie die bei Eb. Schmidt zum Ausdruck gebrachte, befremdlich erscheinen. Durch den von ihm verwendeten Definitionsansatz würde dieses allgemein anerkannte Regelverhältnis im Hinblick auf bestimmte Personenkreise jedesmal in sein Gegenteil verkehrt, denn selbst bei kompensierbaren Defiziten, wie z. B. Taub- oder Stummheit, wäre danach zunächst immer von Verhandlungsunfähigkeit auszugehen. Allein schon diese Verkehrung spricht dafür, den definitorischen Ansatz, wie er aus den Ausführungen des BVerfG zu folgern ist, zu befürworten. Ein weiteres Argument, das gegen Eb. Schmidts Sichtweise anzuführen ist, liegt darin, daß strukturell ungleichartige Situationen hierbei gleichgesetzt werden. Eh Schmidt spricht von Beseitigung der Verhandlungsunfähigkeit l86 und benennt als Beispiele l87 hierfür die Zuziehung des Gebärdendolmetschers beim Taubstummen sowie die Heilung einer geistigen oder körperlichen Erkrankung. Es ist unbestreitbar, daß gerade der letztgenannte Sachverhalt, die Heilung einer Erkrankung, aus jedem Blickwinkel als Wiederherstellung von Verhandlungsfähigkeit angesehen wird. 185 Vgl. BVerfG, NStZ-RR 1996, 38, wonach die StPO - jedenfalls beim erwachsenen Angeklagten - grundsätzlich vom Vorliegen der Verhandlungsfahigkeit ausgehe. 186 Siehe Eh. Schmidt, Teil I, Nr. 146. IH7 Siehe Eh. Schmidt, Teil I, Nr. 146, Fn 261.

D. Exkurs: Sprachunkundigkeit und Verhandlungsfahigkeit

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Nicht überzeugend ist es jedoch, den Fall der Heilung auf einer Ebene mit dem erstgenannten Beispiel, dem Einsatz eines Gebärdendolmetschers, ansiedeln zu wollen. Beide Situationen sind dafür zu unterschiedlich strukturiert: Wird ein Kranker geheilt, so ist das ein Umstand, der außerhalb des prozessualen Geschehens und damit außerhalb jeglicher gerichtlicher Einflußnahme liegt. Die Zuziehung eines (Gebärden-)Dolmetschers dagegen ist eine rein prozessuale Angelegenheit, die vom Gesetzgeber dazu noch als gerichtliche Obliegenheit (§ 186 GVG) ausgestaltet wurde. Ferner unterscheiden sich beide Beispiele ganz gravierend dadurch, daß einmal die Ursache selbst und das andere Mal lediglich eine Wirkung der Ursache eliminiert wird. Die Heilung einer Erkrankung stellt insofern nämlich die endgültige Beseitigung des die Verhandlungsfahigkeit beeinträchtigenden Zustandes dar, wohingegen die Zu ziehung eines Gebärdendolmetschers nichts an dem Zustand des Betroffenen selbst ändert. Er bleibt taubstumm; beseitigt wird hier nur die negative Auswirkung seiner Behinderung im Hinblick auf die Kommunikation in der Verhandlung. Aufgrund des derart unterschiedlichen Charakters beider Beispiele ist es nicht überzeugend, diese Situationen einer verfahrensrechtlich gleichen Behandlung zuzuführen. Des weiteren ist es zwar durchaus richtig und sachgerecht, Verhandlungsfähigkeit bzw. -unfähigkeit an das Bestehen bzw. Nichtbestehen eines allein in der betreffenden Person liegenden Umstandes zu knüpfen, nicht zu rechtfertigen ist es dagegen, eine solche Verknüpfung auch mit einer vornehmlich von dritter Seite zu beeinflussenden Tatsache herzustellen. Verhandlungs fähigkeit wäre sodann nämlich kein beständiger, sondern vielmehr ein stets variabler Zustand, der je nach Ausprägung des externen Faktors bestünde bzw. entfiele. Im obengenannten Beispiel eines Taubstummen wäre die Entscheidung über seine Verhandlungsfähigkeit somit regelmäßig von der Zu ziehung des Gebärdendolmetschers abhängig. Im Extremfall könnte dann allein dadurch, daß jener Dolmetscher den Gerichtssaal betritt oder verläßt, bereits ein Schwanken zwischen Verhandlungsfähigkeit bzw. -unfähigkeit hervorgerufen werden. Diese unhaltbare Konsequenz zeigt deutlich, daß Verhandlungsunfahigkeit nur auf Faktoren gegründet werden sollte, die allein in der Person des Betroffenen liegen. All diese Gesichtspunkte sprechen dafür, bei der Verhandlungsunfahigkeit von einem Definitionsansatz auszugehen, der den Aspekt der Ausgleichbarkeit des Defizits von vornherein mit berücksichtigt und nicht erst im Nachhinein im Hinblick auf die Beseitigung von Verhandlungsunfähigkeit Bedeutung beimißt. Dem in der Kammerentscheidung des BVerfG zutage getretenen Verständnis von Verhandlungsfähigkeit ist damit eindeutig der Vorzug zu geben. Verhandlungsunfähigkeit ist demnach nur bei solchen Einschränkungen anzunehmen, deren Auswirkungen auf die Wahrnehmung der Verfahrensrechte nicht ausgleichbar sind.

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2. Kap.: Die Zuziehung eines Dolmetschers

4. Ergebnis Schließt man sich diesem Verständnis von Verhandlungsunfähigkeit an, so ist bereits aus diesem Grund die Aussage, daß auch Sprachunkundigkeit zu Verhandlungsunfähigkeit führen könne, nicht mehr haltbar. Darüber hinaus gibt es aber auch einen weiteren Grund, der gegen eine solche Annahme spricht. Dieser liegt in einem revisionsrechtlichen Gesichtspunkt: Allgemein ist man sich darüber einig, daß ein Revisionsgericht stets von sich aus überprüfen muß, ob die einzelnen Prozeßvoraussetzungen in einem Verfahren jeweils gegeben sind bzw. keine Prozeßhindemisse bestehen. Es handelt sich dabei um eine Materie, die außerhalb der in den §§ 337 ff. StPO geregelten Revisionsgründe liegt. Die Verhandlungsfähigkeit einer Person ist als sogenanntes Prozeßhindemis 188 daher ein Umstand, der vom Revisionsgericht von Amts wegen zu beachten ist. Führte - wie Eb. Schmidt dies postuliert - auch die nicht durch einen Dolmetscher kompensierte Sprachunkundigkeit zur Verhandlungs unfähigkeit, so müßte das Vorliegen mangelnder deutscher Sprachbeherrschung vom Revisionsgericht als bestehendes Verfahrenshindernis bewertet werden und eine dementsprechende, revisionsrechtliche Behandlung erfahren. Nun ist es andererseits aber allgemein anerkannt, daß gerade die Abwesenheit eines Dolmetschers unter die explizite Regelung des § 338 Nr.5 StPO fällt. 189 Dies zeigt deutlich, daß die aus Eb. Schmidts Ansicht resultierende, revisionsrechtliche Konsequenz und damit auch der dem zugrundeliegende Ausgangspunkt als nicht richtig anerkannt wird. Hätte es der Gesetzgeber beabsichtigt, Sprachunkundigkeit als Verfahrenshindernis zu behandeln, so wäre es für ihn nicht notwendig gewesen, die Zuziehungsfrage des Dolmetschers so zu regeln, daß der Dolmetscher als eine Person i. S. v. § 338 Nr. 5 StPO anzusehen ist, deren Anwesenheit die gesetzliche Norm des § 185 GVG vorschreibt. Sprachunkundigkeit führt daher nicht zu einer Verhandlungsunfähigkeit des Betroffenen.

188

So z. B. BVerfG, NStZ 1995, 391; aLC Düsseldorf, NJW 1998, 395 (396); KMR-Seidl,

§ 205 StPO Rn 13; Meyer-Coßner, Einleitung Rn 97; BCH, MDR 1973,902. Vg\. aber auch

Eb. Schmidt, Teil I, Rn 145; BCH bei Dallinger, MDR 1958, 141; BCH, MDR 1968, 552; BCH, NJW 1970, 1981; aLC Hamm, NJW 1973, 1894; KK-Tolksdorf, § 205 StPO Rn 4, wo die Verhandlungsfahigkeit als Prozeßvoraussetzung bezeichnet wird. Offengelassen jedoch in BCHSt 26,84 (92); Zurückhaltung auch bei aLC Hamm, NJW 1961, 843. Es erübrigt sich, auf die unterschiedliche Benennung näher einzugehen, da Verfahrensvoraussetzungen und Prozeßhindernisse sich in ihrer rechtlichen Auswirkung nicht unterscheiden (siehe dazu z. B. Dahsl Dahs, S.40, Rn 94 oder auch Hamm, S.522 Rn 1114). Daß diese Bezeichnungen teils synonym verwendet werden, wird beispielsweise deutlich bei LR-Rieß, der einmal von Verfahrenshindernis (§ 205 StPO Rn 12 [25. Auflage]) und ein anderes Mal von Prozeßvoraussetzung (Ein\. Abschn. I Rn 79; Bd. 1 [25. Auflage]) spricht. 189 Siehe beispielsweise DahslDahs, S. 86, Rn 193; Hamm, S.198, Rn 414.

E. Der Umfang der Dolmetscherzuziehung

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E. Der Umfang der Dolmetscherzuziehung Wurde bisher geklärt, unter welchen Voraussetzungen die Dolmetscherzuziehung stattzufinden hat, so ist der Themenkreis "Zuziehung" damit aber noch nicht erschöpfend behandelt. Vielmehr muß sich konsequenterweise nun die Frage nach der Ausgestaltung der Zu ziehung anschließen: die Dolmetscherzuziehung kann umfassend, aber auch nur fragmentarisch erfolgen. Zur Beantwortung dieser Frage gibt das Gesetz, insbesondere § 185 GVG,jedoch keine explizite Auskunft. Es ist daher nicht verwunderlich, daß die Rechtsprechung dazu tendiert, auch diese Entscheidung in das "Ermessen" des Tatrichters zu stellen. 190 Wie bereits zuvor, gilt es auch hier zu untersuchen, welche Art des Ermessens damit gemeint ist und ob die Rechtsprechungspraxis insoweit überzeugen kann. Dabei ist jedoch zunächst festzuhalten, daß die Frage des Zuziehungsumfangs ganz allgemein stets in Abhängigkeit zu der jeweiligen Prozeßrolle 191 des Sprachunkundigen steht. Eine Dolmetscherzuziehung ist nämlich nur solange erforderlich, solange der Betroffene in der Verhandlung auch anwesend 192, d. h. solange er tatsächlich am Verfahren beteiligt ist. 193 Ist die Anwesenheit der Person, derentwegen die Dolmetschermitwirkung beschlossen wird, nur zeitweiliger Natur, z. B. als Zeuge oder Sachverständiger, so ist die Dolmetschertätigkeit von vornherein zeitlich auf die fraglichen Verhandlungsteile zu beschränken. 194 Erstreckt sich die Beteiligung des Sprachunkundigen dagegen auf die gesamte Verhandlung - was bei einem fremdsprachigen Angeklagten stets der Fall ist -, so läßt sich eine Beschränkung der Zuziehung zumindest nicht aus der Verfahrensrolle des Betroffenen herleiten. Im Gegenteil, die permanente Anwesenheit scheint einer zeitlichen Beschränkung der Zuziehung vielmehr entgegenzustehen.

I. Begriffsbestimmung "Zuziehungsumfang" Bevor die aufgeworfenen Fragen jedoch im einzelnen behandelt werden können, ist es erforderlich, eine kurze begriffliche Klärung voranzustellen, denn die Formulierung "Umfang der Zu ziehung" ist unscharf und kann mit unterschiedlichen Bedeutungen besetzt werden. Ferner ist eine begriffliche KlarsteIlung auch schon deshalb geboten, weil in den einschlägigen Entscheidungen nicht immer dieselbe Terminologie für den gleichen Sachverhalt verwendet wird. So spricht man z. B. 190 Siehe z. B. BGH, NStZ 1990, 229; BGH, NStZ 1984, 328; BGH, GA 1963, 184; BGH, GA 1903 (Band 50), 394. 191 So auch Eb. Schmidt, § 185 GVG Rn 2; vgl. dazu ferner LR-SchäferIWickern, § 185 GVG Rn 15 (24. Auflage). 192 Vgl. Jessnitzer, Dolmetscher, S. 74. 193 Auch Katholnigg, § 185 GVG Rn 1 unterscheidet die Erforderlichkeit der Zu ziehung für die ganze Verhandlung respektive für einzelne Verhandlungsabschnitte. 194 Ähnlich auch Meyer-Goßner, § 185 GVG Rn 6.

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2. Kap. : Die Zu ziehung eines Dolmetschers

vom Umfang der Zuziehung 195 , Umfang der Mitwirkung 196 , Gebotenheit der Mitwirkung 197 oder von Wirkungskreis und Übersetzungspflicht l98 • Die Betrachtung dieser Beispiele zeigt, daß es hierbei gen au genommen um zwei Bereiche geht: Das ist zum einen ganz generell der Umfang der Zuziehung und zum anderen der Umfang der Übersetzung. Der erste Bereich betrifft die Frage, zu welchen Verhandlungs teilen ein Dolmetscher zugezogen werden muß, für welche Abschnitte seine Mitwirkung also erforderlich ist. Der zweite Gesichtspunkt hingegen bezieht sich darauf, wie die jeweilige Übersetzungstätigkeit in einem solchen Verhandlungsabschnitt auszugestalten ist. Dementsprechend soll hier zwischen Umfang der "Zuziehung" und Umfang der "Übersetzung" begrifflich unterschieden werden. Im Rahmen des zweiten Kapitels ist es allein der erste Bereich (Umfang! Ausmaß der Zuziehung), der von Interesse ist; bei ihm treten - wie dies die Vielzahl der dazu ergangenen Entscheidungen zeigt - in der Praxis wesentlich häufiger Probleme auf. 199

11. Qualifizierung der Ermessensart Unter terminologischen Gesichtspunkten ist der von der Rechtsprechung verwendete Ermessensbegriff im Zusammenhang mit der Frage des Zuziehungsumfangs zunächst nicht zu beanstanden. Beim Ausmaß der Zuziehung geht es - im Gegensatz zu der obigen Frage, wann zuzuziehen ist - nicht um die Feststellung der tatbestandlichen Voraussetzungen einer Zuziehung, sondern um die Ausgestaltung der (gesetzlich angeordneten) Rechtsfolge Zuziehung. Gesetzt den Fall, für den Richter bestünde tatsächlich die Möglichkeit, zwischen den verschiedenen Rechtsfolgen einer umfassenden oder fragmentarischen Dolmetscherzuziehung entscheiden zu können, so wäre die Bezeichnung "Ermessen" im Sinne eines klassischen Auswahloder Rechtsfolgeermessens terminologisch einwandfrei. Fraglich ist jedoch, ob - und gegebenenfalls unter welchen Voraussetzungen - dem Tatrichter tatsächlich ein solches Ermessen eingeräumt werden kann.

111. Zuziehungsumfang bei Sprachunkundigkeit Ist eine Person der Gerichtssprache im Sinne des § 185 Abs. 1 S. 1 GVG unkundig, so muß es sich aufgrund des bisher Gesagten geradezu als selbstverständlich darstellen, daß die Zuziehung des Dolmetschers stets umfassend auszugestalten ist. Siehe BCH, NStZ 1984, 328; BCH, NStZ 1990, 229 (230). Siehe BCHSt 3, 285; BCH, GA 1963, 148. 197 Siehe BCH, GA 1903 (Band 50), 394. 198 Siehe RCSt 43, 441 (442). 199 Zum Umfang der Übersetzungstätigkeit siehe unten 3. Kap. B (S. 149 ff.). 195

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E. Der Umfang der Dolmetscherzuziehung

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Damit verbleibt aber von vornherein überhaupt kein Raum für eine tatrichterliche Ermessensentscheidung. Diese zunächst "selbstverständliche" Einschätzung läßt sich argumentativ mit mehreren Gesichtspunkten untermauern. Sie findet zum einen im Gesetz ihre Stütze, denn § 185 Abs. 1 S. I GVG normiert - wie bereits oben festgestelle oo - eine zwingende Rechtsfolge. Das bedeutet, daß die Zu ziehung erfolgen muß, sobald die Tatbestandsvoraussetzungen erfüllt sind. Von einer Einschränkung dieser Rechtsfolge spricht § 185 Abs. 1 S. 1 GVG nicht. Lediglich in § 185 Abs. 2 GVG wird die grundsätzlich zwingende Rechtsfolge dem Ermessen des Richters anheimgestellt. Allerdings knüpft das Gesetz die dortige Ermessensentscheidung an die strenge Bedingung, daß "die beteiligten Personen sämtlich der fremden Sprache mächtig sind".20I Darüber hinausgehende Regelungen zur Rechtsfolge - vor allem Hinweise auf eine eingeschränkte Zuziehung - enthält das Gesetz nicht. Da der Gesetzgeber darauf verzichtet hat, die einzelnen Verhandlungs teile, die unter Mitwirkung eines Dolmetschers erfolgen sollen, enumerativ zu nennen, ist daraus zu schließen, daß sich die Anordnung der Rechtsfolge "Zuziehung" auf alle Verhandlungsteile, die unter Beteiligung des Deutschunkundigen stattfinden - im Falle eines deutschunkundigen Angeklagten also auf die gesamte Verhandlung - bezieht. Somit spricht also bereits die Ausgestaltung der gesetzlichen Regelung bei Sprachunkundigkeit gegen eine Einräumung von Ermessensgebrauch. Zu einem ähnlichen Ergebnis, jedoch aufgrund einer anderen Überlegung, gelangte auch das Reichsgericht. Nachdem es festgestellt hatte, daß das Gesetz nähere Bestimmungen nicht ausdrücklich an die Hand gebe, argumentierte es wie folgt: "Aus dem Begriffe der mündlichen Verhandlung ergibt sich aber ohne weiteres als nächstes, unabweisbares Erfordernis, daß die zur Sachleitung und zur Sache selbst von irgend einer Seite abgegebenen Erklärungen jedenfalls ihrem wesentlichen Inhalte nach (... ) allen Beteiligten verständlich sein, mithin einem der deutschen Sprache nicht mächtigen Angeklagten durch den Dolmetscher in Übersetzung zugänglich gemacht werden müssen ( ... ). Sowohl in der amtlichen Begründung ... als auch von der Justizkommission des Reichstags ... ist vorbehaltlos anerkannt worden, daß dem Angeschuldigten alles, wobei seine Person beteiligt erscheine 202 , nicht etwa bloß eine Zusammenfassung des Ergebnisses der Beweisaufnahme und der Verhandlung, bekannt zu geben sei."203

Für die grundsätzlich umfassende Zuziehung eines Dolmetschers bei Sprachunkundigkeit spricht des weiteren ein funktionales Argument. Der Dolmetscher soll die Siehe oben 2. Kap. A (S. 78). 201 Eine solche Konstellation kann in der Praxis jedoch nur äußerst selten angetroffen werden, setzt sie doch voraus, daß wirklich alle Beteiligten, also nicht nur Richter, Staatsanwalt, Verteidiger und ggf. der Angeklagte, sondern auch der Protokollführer sowie etwaige Nebenklagevertreter, nebst Nebenkläger, Zeugen oder Sachverständige der fremden Sprache mächtig sind, diese also nicht nur passiv, sondern auch aktiv beherrschen. 202 Hervorhebung nicht im Original. 203 RGSt 43, 441 (442-443). 200

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2. Kap.: Die Zuziehung eines Dolmetschers

fehlende kommunikative Verbindung ("Brückenfunktion"204) zwischen den Beteiligten herstellen. Seine Mitwirkung ist somit überall dort notwendig, wo eine solche Verbindung nicht existent ist. Eine derartige Situation besteht bei einem deutschunkundigen Angeklagten während der gesamten Hauptverhandlung. Daraus ergibt sich zwangsläufig die Notwendigkeit einer - zumindest im Fall des fremdsprachigen Angeklagten - umfassenden Zuziehung, sonst kann der Dolmetscher seiner Funktion nicht gerecht werden. Nicht zuletzt ist es aber auch der verfassungsrechtliche Hintergrund 205 des § 185 Abs. 1 GVG, der eine umfassende Zu ziehung gebietet. Nimmt man das Postulat des Bundesverfassungsgerichts 206 , daß es dem Angeklagten ermöglicht werden muß, als Prozeßsubjekt zu agieren, ernst, so kann dieses Ziel nur erreicht werden, wenn man den Angeklagten in jeden Verhandlungs teil (kommunikativ) mit einbezieht. Es ist somit festzuhalten, daß der Richter bei Bejahung der tatbestandlichen Voraussetzungen des § 185 Abs. 1 S. 1 GVG zu einer umfassenden Dolmetscherzuziehung verpflichtet ist. Anders ausgedrückt: Ist ein Beteiligter der deutschen Sprache nicht mächtig, kann der Tatrichter kein (Auswahl- oder Rechtsfolge- )Ermessen hinsichtlich des Zuziehungsumfangs ausüben.

IV. Zuziehungsumfang unter anderen Voraussetzungen Nach den obigen Ausführungen wird deutlich, daß die Gewährung von tatrichterlichem Ermessen im Hinblick auf den Zuziehungsumfang nur dort erfolgen kann, wo die tatsächlichen Voraussetzungen des Falls keine zwingende Rechtsfolge erfordern. Erst wo § 185 Abs. 1 S. 1 GVG keine Geltung beansprucht, besteht eine theoretische Möglichkeit dazu, dem Richter ein Ermessen bei der Ausgestaltung der Zuziehung einzuräumen. Da die Inanspruchnahme eines Dolmetschers aber überflüssig ist - und sogar vermieden werden sollte -, wenn die Gerichtssprache von der betroffenen Person beherrscht wird, muß sich die ins Ermessen gestellte Zuziehung in einem Bereich bewegen, der weder einer Sprachunkundigkeit im oben herausgearbeiteten Sinne noch einer vollkommenen Sprachbeherrschung zuzuordnen ist. Welche Voraussetzungen ein solcher Zwischenbereich mit sich bringen muß, bei dem die Zu ziehung eines Dolmetschers grundsätzlich noch sinnvoll ist, aber keinen zwingenden Charakter mehr hat, ist jedoch unklar. Die Rechtsprechung hält insofern eine Konstellation für ausreichend, bei der der Betroffene der Gerichtssprache "wenigstens teilweise mächtig" ist. 207 Ob eine unter diese Voraussetzung fallende Situation tatsächlich Raum für Ermessen bietet, ist fraglich und bedarf einer genaueren Untersuchung. 204 Siehe oben 1. Kap. EIl 1 (S.63).

Siehe oben 2. Kap. eIl 2 (S. 85 ff.). Siehe BVerfGE 64, 135 (146). 207 Siehe z. B. BCHSt 3, 285; OLC Stuttgart, NJW 1962,540; BCH, GA 1963, 148; BCH v. 18.10.1979, 4 StR 517/79; BCH, NStZ 1984, 328; BCHR § 338 Nr.5 StPO, Dolmetscher 3. 205

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E. Der Umfang der Dolmetscherzuziehung

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1. Das Kriterium der teilweisen Sprachkundigkeit Der Umstand, daß die betroffene Person der Gerichtssprache wenigstens teilweise mächtig ist, ist - da die Gewährung des tatrichterlichen Ermessens daran festgemacht wird - als Ermessensvoraussetzung für eine Entscheidung über den Zuziehungsumfang zu qualifizieren. Für eine Subsumtion gilt es daher, ebenso wie bei einem gesetzlichen Tatbestandsmerkmal, zunächst zu klären, durch welchen konkreten Inhalt der Begriff der "teilweisen Sprachkundigkeit" charakterisiert ist. Obwohl sich die Rechtsprechung dieses Kriteriums ständig bedient, wird es von ihr nicht näher bestimmt. Auch ist vom Gesetzgeber eine diesbezügliche Definition nicht vorgegeben. Der Umstand teilweiser Sprachbeherrschung wurde von ihm keiner expliziten Regelung unterworfen. Zwar ergibt sich bereits aus dem Wortsinn, daß teilweise Sprachkundigkeit einen Bereich zwischen völliger Sprachbeherrschung und Nichtbeherrschung beschreibt, jedoch läßt sich daraus allein noch nicht entnehmen, welcher Grad an Sprachkenntnis tatsächlich gemeint ist. Fraglich ist, ob bereits einfache Kenntnisse im Bereich der Gerichtssprache ausreichend sind oder ob es sich dabei nicht vielmehr um einen sehr hohen Grad an Sprachbeherrschung handeln muß. Die Umschreibung "der Gerichtssprache wenigstens teilweise nicht mächtig zu sein" ist für sich genommen insoweit nicht aussagekräftig genug. Für die Konkretisierung dieser Voraussetzung gilt es auch zu bedenken, daß - wie oben festgestellt - der Begriff der Sprachunkundigkeit im Sinne von § 185 GVG nicht nur bei völliger Sprach unkenntnis, sondern selbst dann noch erfüllt ist, wenn der Betroffene bereits über einen gewissen Grad an Sprachkenntnis verfügt; mit anderen Worten also: er der Gerichtssprache teilweise mächtig ist. 208 Läßt sich ein Sachverhalt, der als "teilweise Sprach beherrschung" bezeichnet werden kann, jedoch auch unter § 185 Abs. 1 S. 1 GVG subsumieren, so ist es erforderlich, das von der Rechtsprechung als Ermessensvoraussetzung aufgestellte Kriterium vor allem in dieser Hinsicht abzugrenzen. Der Begriff kann sich, da bei Bejahung des § 185 GVG die Rechtsfolge stets zwingend ist, als Ermessensvoraussetzung notwendigerweise nur auf den Bereich teilweiser Sprachbeherrschung erstrecken, der nicht mehr von § 185 Abs. 1 S. 1 GVG erfaßt wird. Als Ausgangspunkt für die durchzuführende Abgrenzung ist zunächst die durch § 185 Abs.l S. 1 GVG gemachte Vorgabe heranzuziehen. Dort hat sich der Gesetz-

geber darauf beschränkt, formal ein einfaches "schwarz-weiß" Muster - im Sinne einer "Alles-oder-nichts-Entscheidung" - an die Hand zu geben: Sprachunkundigkeit bedeutet Dolmetscherzuziehung, im Umkehrschluß dazu, Sprachkundigkeit keine Zuziehung. "Grautöne", wie sie sich durch teilweise Sprachbeherrschung 208 Sprachunkundigkeit im Sinne von § 185 Abs.l S. lava ist nämlich nicht erst bei gänzlich unzulänglichen Deutschkenntnissen zu bejahen, sondern bereits dann, wenn der Beteiligte die deutsche Sprache nicht soweit beherrscht, daß er der Verhandlung folgen und seine zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung erforderlichen Erklärungen abgeben und Angaben in deutscher Sprache machen kann. Siehe dazu oben 2. Kap. CII6 (S. 91).

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2. Kap.: Die Zuziehung eines Dolmetschers

zwangsläufig ergeben 209 , berücksichtigt der Gesetzeswortlaut - zumindest explizit - nicht. Dennoch ergibt sich aus dem Gesetz, wie bei der Auslegung der Tatbestandsvoraussetzung gezeigt 21O , zum Teil auch für diese "Grau töne" eine gesetzlich angeordnete Rechtsfolge. Das resultiert daraus, daß das Merkmal der Sprachunkundigkeit solange als erfüllt angesehen werden muß, solange der Grad der Sprachkenntnis noch nicht ausreicht, um eine wirklich umfassende Verständigung für die Gesamtheit der Verhandlung zu gewährleisten. Ferner wurde festgestellt, daß der erforderliche Grad an Sprachbeherrschung regelmäßig nicht absolut bestimmt werden kann, sondern stets in Abhängigkeit zu den konkreten Umständen jedes einzelnen Verfahrens steht. 211 Daraus folgt zugleich auch, daß mit zunehmender Sprachkenntnis der Umfang dessen, was auch ohne Dolmetscher verständlich ist, immer größer wird. Solange die zunehmende Verständlichkeit aber nur eine "horizontale" Wirkung entfaltet, d. h. der Betroffene lediglich insgesamt bei allen Verhandlungsteilen etwas mehr versteht, ohne daß dies jedoch als ausreichende Verständigung bewertet werden könnte, solange muß dies insgesamt als Sprachunkundigkeit bewertet werden. Die Voraussetzung des § 185 Abs. 1 S. I GVG ist auch damit noch erfüllt, so daß die umfassende Zuziehung des Dolmetschers weiterhin erforderlich bleibt. Eine Anpassung an diese Situation über die Ausgestaltung des Zuziehungsumfangs wäre schon rein technisch überhaupt nicht möglich. Der Dolmetscher kann für einzelne Bereiche entweder zugezogen werden oder nicht, eine sich auf alle Verhandlungsteile erstrekkende, nur "teilweise" Zuziehung gibt es nicht. Das Ausmaß an Sprachbeherrschung kann insoweit nur über die individuelle Ausgestaltung der tatsächlichen Dolmetschertätigkeit innerhalb der erfolgten Zu ziehung Berücksichtigung finden. Hierbei handelt es sich dann allerdings nicht mehr um eine Frage des Zuziehungs-, sondern des Übersetzungsumfangs. Führt der Grad der Sprachbeherrschung aber dazu, daß die Verständigung ohne Dolmetscher wenigstens in einzelnen Verhandlungsteilen ausreichend gewährleistet ist, sich also eine Art "vertikale" Aufteilung ergibt, so ist es nun theoretisch möglich, auf diese Gegebenheit durch die Ausgestaltung des Zuziehungsumfangs zu reagieren. Nur bei einer Aufteilbarkeit in "verständliche" und "unverständliche" Verhandlungs teile ist der Weg für eine fragmentarische Zu ziehung freigegeben, denn erst jetzt ist es nicht mehr zwingend, die Zuziehung insgesamt auf alle unter Beteiligung des Betroffenen stattfindenden Verhandlungsteile zu erstrecken. Das Kriterium "teilweiser Sprachbeherrschung " als Ermessensvoraussetzung muß demnach als der Grad der Sprachbeherrschung definiert werden, bei dem die Sprachkenntnisse des Betroffenen, wenn auch nicht für die gesamte Verhandlung, 209 210

211

Siehe dazu oben 2. Kap. C 11 1 (S.84). Siehe oben 2. Kap. CII 6 (S. 91 f.). Siehe oben 2. Kap. C 11 1 (S. 84).

E. Der Umfang der Dolmetscherzuziehung

125

so doch im Hinblick auf einzelne Verhandlungsteile für ein aktives wie passives Verständnis ausreichen.

2. Aufteilung in verschiedene Verhandlungsabschnitte Die soeben herausgearbeitete Definition setzt allerdings voraus, daß es grundsätzlich möglich ist, die einzelnen Bestandteile einer Verhandlung - zumindest im Hinblick auf die Frage der Dolmetscherzuziehung - einer unterschiedlichen Behandlung zu unterwerfen. Rein formal betrachtet ist dies zunächst unproblematisch. Der Ablauf einer Verhandlung gliedert sich sowohl inhaltlich als auch formal in mehrere Abschnitte, denen unterschiedliche Funktionen zugeordnet sind und die auch ihrerseits wieder in verschiedene Unterabschnitte einteilbar sind. 212 Da solche Verhandlungsteile und -abschnitte in der Regel klar trennbar sind, spricht - zumindest formal- nichts dagegen, sie im Hinblick auf die Dolmetscherzuziehung gesondert zu behandeln. Ob über die Zu ziehung des Dolmetschers für einzelne Verhandlungsteile aber tatsächlich in unterschiedlicher Weise entschieden werden kann, hängt darüber hinaus noch von einer weiteren Voraussetzung ab. Die einzelnen Verhandlungsteile müssen in ihrer Beschaffenheit dabei insoweit variieren, daß für das jeweilige Verständnis ein unterschiedlicher Grad an Sprachbeherrschung ausreichend ist. Nur wenn sich die Abschnitte in dieser Hinsicht als nicht einheitlich darstellen, ist es möglich, das Erfordernis der Dolmetscherzuziehung innerhalb einer Hauptverhandlung unterschiedlich zu beurteilen. Da die Feststellung von Sprachkundigkeit bzw. -unkundigkeit stets in Abhängigkeit zu den konkreten Umständen eines Verfahrens und insbesondere zum jeweiligen Gegenstand der Verhandlung zu sehen ist 213 , läßt sich daraus schließen, daß auch hinsichtlich einzelner Verhandlungsteile nicht notwendig von gleichen Sprachanforderungen auszugehen ist. Einige Verhandlungsteile unterscheiden sich bereits aufgrund ihrer Verfahrensfunktion erheblich voneinander, andere sind zwar funktional gleich einzuordnen, differieren in ihrem Inhalt aber ganz entscheidend. Aus jenen Faktoren folgt, daß der jeweils erforderliche Grad an Sprachbeherrschung für unterschiedliche Verfahrensbereiche durchaus uneinheitlich sein kann. Ein Beispiel mag das verdeutlichen: Schildert ein Zeuge einen von ihm beobachteten Verkehrsunfall, so wird sich diese Aussage regelmäßig aus Begriffen der Alltagssprache zusammensetzen. Der für das Verständnis einer solchen Aussage notwendige Grad an Sprachbeherrschung läßt sich somit um einiges tiefer ansetzen, als 212 So folgt beispielsweise auf die Vernehmung des Angeklagten über seine persönlichen Verhältnisse (§ 243 Abs. 2 S. 2 StPO) die Verlesung des Anklagesatzes (§ 243 Abs. 3 StPO) sowie die Vernehmung des Angeklagten zur Sache (§ 243 Abs.4 StPO). Daran anschließend die Beweisaufnahme (§ 244 Abs. I StPO), die ihrerseits in gesonderte Abschnitte wie Zeugen- oder Sachverständigenvernehmungen, Urkundenbeweise oder Augenscheinseinnahmen zerfallt. 213 Siehe oben 2. Kap. C nl (S. 84 ff.).

126

2. Kap.: Die Zuziehung eines Dolmetschers

dies beispielsweise bei der Erstattung eines medizinischen Sachverständigengutachtens möglich ist. Bei einem bestimmten Grad an Sprachkenntnis kann sich der Einsatz des Dolmetschers für die Zeugenvernehmung somit als nicht mehr notwendig darstellen, wohingegen er für die Vernehmung des Sachverständigen dennoch erforderlich bleibt. Die Frage der Dolmetscherzuziehung läßt sich innerhalb einer Verhandlung demnach nicht nur insgesamt, sondern auch im Hinblick auf einzelne Teilbereiche beantworten. Die Ausgestaltung der Dolmetscherzuziehung steht dabei stets in Abhängigkeit zu den jeweiligen Sprachanforderungen eines Abschnitts. 3. Die Ermessensvoraussetzungen Raum für tatrichterliches Ermessen beim Zuziehungsumfang verbleibt nach den obigen Ausführungen somit unter folgenden Voraussetzungen: Zum einen ist es erforderlich, daß der Betroffene der Gerichtssprache im Sinne der obigen Definition "wenigstens teilweise mächtig" ist. Zum anderen muß konkret festgestellt werden, für welche Verhandlungs teile die Sprachkenntnis des Betroffenen als ausreichend zu bewerten ist. Ohne die Voraussetzung damit bereits begrifflich festlegen zu wollen 2l4 , läßt sich sagen, daß dies inhaltlich immer dann der Fall ist, wenn die Norm des § 185 GVG für bestimmte Verhandlungsteile nicht greift, so daß sich insofern von einer Art "Negativvoraussetzung " sprechen ließe. Damit verdeutlicht sich, daß die Ermessensvoraussetzung aus zwei Komponenten besteht. Neben das - von der Rechtsprechung bislang als einziges Kriterium aufgestellte - Erfordernis "teilweiser Sprachbeherrschung" tritt die "Negativfeststellung des § 185 Abs.l S. 1 GVG". Die Notwendigkeit, den letztgenannten Umstand als weitere Ermessensvoraussetzung zu berücksichtigen, wird von der Rechtsprechung jedoch nicht gesehen. Dies ist insofern überraschend, als der BGH bereits vor Jahren schon einen ähnlichen Gedanken zum Ausdruck brachte. Der fünfte Senat hatte sich in einer Entscheidung mit der Frage der Übersetzung von Schlußvorträgen und Urteilsbegründungen zugunsten eines der Gerichtssprache nicht mächtigen Angeklagten zu beschäftigen und zitierte dabei den von der älteren Rechtsprechung entwickelten Rechtssatz, daß es bei teilweiser Sprachkundigkeit des Angeklagten dem tatrichterlichen Ermessen überlassen bliebe, in welchem Umfang er unter Mitwirkung des Dolmetschers verhandeln wolle. Nachdem der Senat es dahingestellt ließ, ob diesem Rechtssatz uneingeschränkt zu folgen sei, formulierte er wie folgt: "Erwägenswert ist jedenfalls, ob bei einem Angekl., der der deutschen Sprache nur teilweise mächtig ist, nur für solche Verhandlungs teile auf die Mitwirkung des Dolmetschers verzichtet werden kann, die, weil sprachlich einfach, von dem Angekl. mit Bestimmtheit verstanden werden."215 214 215

Siehe dazu direkt unten (S. 128). BCH, GA 1963, 148.

E. Der Umfang der Dolmetscherzuziehung

127

Bedauerlich ist nun zum einen, daß der BGB diesen Gedanken in "vorsichtiger Zurückhaltung"216 nur mit "erwägenswert" bezeichnet hat. Zum anderen aber auch, daß diese Überlegung von nachfolgenden Entscheidungen nicht mehr aufgegriffen wurde und lediglich in der Literatur ganz vereinzelt Erwähnung gefunden hat 2l7 , obwohl der gedankliche Vorstoß des BGB entschieden mehr an Beachtung verdient hätte. Zunächst läßt sich ihm nämlich entnehmen, daß der Umstand teilweiser Sprachbeherrschung nicht für die Verhandlung in ihrer Gesamtheit, sondern jeweils nur für einzelne Teilbereiche von Bedeutung ist. Darüber hinaus stellt er eine indirekte Verbindung zu § 185 GVG her. Die Formulierung des BGB, daß die Verzichtbarkeit der Dolmetschermitwirkung nur für solche Verhandlungsteile gelten könne, die vom Angeklagten sicher verstanden werden, beinhaltet im Grunde nämlich keine andere Aussage, als daß die Verzichtbarkeit nur gegeben ist, wenn die Voraussetzungen des § 185 Abs. 1 S. I GVG nicht erfüllt sind. Wenn auch nicht in expliziter Form, so hat der BGB damit doch zumindest inhaltlich auf eine negative Feststellung jener Norm hingewiesen. Nicht ganz deutlich ist jedoch, wie dieser Gedanke dogmatisch einzuordnen ist. Weder bei J ulius 218, der den fraglichen Teil dieser Entscheidung zitiert, noch aus der Entscheidung des fünften Senats selbst lassen sich dazu Anhaltspunkte gewinnen. Ob darin, wie es hier vertreten wird, eine Ermessensvoraussetzung zu sehen ist, ist aber insofern fraglich, als beispielsweise Kühne die Aussage des BGB als Konkretisierung der allgemeinen Ermessensformel, also im Sinne einer Ermessensrichtlinie, zu interpretieren scheint. Er bezeichnet die Feststellung hinreichender aktiver wie passiver Verständigungsmöglichkeit nämlich als "Mindestvoraussetzung für eine ermessensfehlerfreie Entscheidung des Richters". 219 Es wäre grundsätzlich zwar denkbar, Kühnes Aussage so aufzufassen, daß auch die fehlerfreie Ausübung von Ermessen zunächst die Feststellung der Ermessenssituation beinhalte und die zitierte "Mindestvoraussetzung" daher als eine wirkliche Ermessensvoraussetzung zu verstehen sei. Jedoch ist dem entgegenzuhalten, daß Ermessensfehlerfreiheit ebenso wie das Vorliegen von Ermessensfehlern begriffsnotwendig voraussetzt, daß es sich dabei um den Bereich einer Ermessensentscheidung handelt. Mindestvoraussetzung in dem Kontext, wie Kühne ihn formuliert, kann somit nur als Erfordernis innerhalb der Ermessensausübung verstanden werden. Dieser Art der Auslegung entspricht es auch, wenn seinen Ausführungen im übrigen zu entnehmen ist, daß ein Ermessensgebrauch nicht überprüfbar sei und damit nicht als pflichtgemäß gelten könne, wenn es an Begründungen darüber fehle, warum der Betroffene gewisse Teile der Verhandlung verstehe. 220 216 217 218

219

220

So bezeichnet Kühne, StV 1990, 102 die vom BGH geäußerten Bedenken. Neben Kühne, StV 1990, 102-103, auch bei HK-Julius, § 259 StPO Rn 4. Siehe HK-Julius, § 259 StPO Rn 4. Kühne, StV 1990, 102 (103). Siehe Kühne, StV 1990, 102-103.

128

2. Kap.: Die Zuziehung eines Dolmetschers

Richtig ist es jedoch, den Hinweis des BGH im Sinne einer Ermessensvoraussetzung zu verstehen. Dadurch, daß ein Verhandlungsteil mit Bestimmtheit verstanden wird, § 185 Abs. 1 S. 1 GVG insofern also nicht greift, wird der Weg ins Ermessen eröffnet, weil erst jetzt eine Handlungsalternative (Verzicht auf Zuziehung für diesen Teil) in Frage kommt. Bei umgekehrter Sachlage liegt nicht etwa eine Ermessensreduzierung auf Null vor, bei der der Richter aufgrund besonderer Umstände ausnahmsweise keine Handlungsalternativen besitzt, sondern der in § 185 Abs. 1 S. 1 GVG mit einer zwingenden Rechtsfolge explizit geregelte Fall. Gleichgültig, ob der zur Ermessensausübung notwendig festzustellende Sachverhalt nun in positiver oder negativer Form umschrieben wird, der Sache nach handelt es sich dabei um eine Ermessensvoraussetzung. Insofern macht es auch keinen Unterschied, ob der Richter lediglich eine Negativfeststellung bezüglich § 185 GVG trifft oder ob er positiv feststellt, daß die Sprachkenntnis des Betroffenen für einen bestimmten Verhandlungsteil ausreichend ist. Auch ist es durchaus denkbar, daß der Tatrichter die erforderliche Feststellung über eine Qualifizierung des Verhandlungsteils als "sprachlich einfach" vornimmt. Auf eine derartige Vorgehensweise weist beispielsweise der fünfte Senat in seiner zitierten Entscheidung hin. Er bezieht sich dabei auf Verhandlungsteile, die, weil sprachlich einfach, mit Bestimmtheit verstanden würden. 221 Dahinter steht die schlichte Schlußfolgerung, daß sprachlich einfachere Verhandlungsteile geringere Anforderungen an die Fremdsprachenkenntnis stellen als sprachlich schwierigere. Ein Verhandlungsteil für den das Erfordernis des § 185 Abs. 1 S. 1 GVG nicht besteht, muß daher zwangsläufig sprachlich einfach gestaltet sein. Ist die betroffene Person der Gerichtssprache teilweise mächtig, so entfallt das Verständigungsdefizit folglich nur für die Teile, die geringere Anforderungen an die Sprachbeherrschung stellen, die also sprachlich einfach sind. Auch durch die Feststellung, daß es sich um einen einfachen Verhandlungsteil handle, kann der Richter das Vorliegen der zweiten Ermessensvoraussetzung also in ausreichender Form zum Ausdruck bringen.

4. Der Bezugspunkt des Ermessens bei "teilweiser Sprachbeherrschung" Aus den bisherigen Ausführungen wird bereits klar, daß "teilweise Sprachbeherrschung" nicht für die Verhandlung in ihrer Gesamtheit, sondern jeweils nur für einzelne Teilbereiche von Bedeutung ist. Dem Richter kann die Zuziehung des Dolmetschers auch bei teilweiser Kenntnis der Gerichtssprache nämlich nicht "gänzlich" ins Ermessen gestellt werden, sondern nur in den Bereichen, in denen die Vorschrift des § 185 Abs. 1 S.1 GVG nicht mehr eingreift. Dieser Umstand ist jedoch kaum augenfällig, wenn man die Formulierungen der einschlägigen Entscheidungen betrachtet: 221

Siehe BGH, GA 1963, 148.

E. Der Umfang der Dolmetscherzuziehung

129

"Ist der Angek\. teilweise der deutschen Sprache mächtig, hat der Tatrichter nach seinem pflichtgemäßen Ermessen darüber zu entscheiden, in welchem Umfang er einen Dolmetscher bei der Verhandlungsführung zuziehen will."m

Derartige Aussagen suggerieren ein umfassendes Ermessen. Es entsteht der Eindruck, dem Richter sei nicht nur ins Ermessen gestellt, ob er den Dolmetscher bei bestimmten Verhandlungsteilen zuziehen will oder nicht, sondern daß er darüber hinaus auch die Frage, welche Verhandlungsteile davon betroffen sind, im Wege einer tatrichterlichen Ermessensausübung beantworten könne. Aber gerade letzteres ist - wie soeben erarbeitet 223 - nicht richtig. Die Entscheidung darüber, welche Verhandlungsteile dem Richter ein Ermessen bei der Dolmetscherzuziehung eröffnen, ist - wenn auch nicht direkt, so aber indirekt - an gesetzliche Voraussetzungen gekoppelt. Denn tür die bei teil weiser Sprachbeherrschung zur Diskussion stehende Ermessensanwendung ist es notwendige Voraussetzung, daß - in welcher Form dies auch immer zum Ausdruck gebracht wird - die Norm des § J85 GVG für den bestimmten Verhandlungsteil nicht greift. Diese inhaltlich notwendige Feststellung ist jedoch, ebenso wie ihr Gegenteil - also die positive Feststellung einer Anwendbarkeit von § 185 GVG - keine Ermessensentscheidung, sondern das Ergebnis eines Subsumtionsvorgangs. Anders als bei gänzlicher Sprachunkundigkeit, wo das Subsumtionsergebnis sogleich für die gesamte Verhandlung gilt, muß die Prüfung hier aber jeweils im Hinblick auf einzelne Teilbereiche der Verhandlung durchgeführt werden. Erst wenn dieses Prüfungsergebnis für einen bestimmten Verhandlungsteil negativ ausgefallen ist, hat der Richter - beschränkt auf jenen Teilbereich - die Möglichkeit zur Ermessensausübung. Da es sich bei dem vorgelagerten Suhsumtionsvorgang nicht nur um eine schlichte Tatsachen/eststellung handelt 224 , sondern diese zugleich auch die Bewertung tatsächlicher Umstände beinhaltet, müßte die Rechtsprechung - sofern sie diesen gedanklichen Zwischenschritt offenJegte - insoweit den Begriff Beurteilungsspielraum verwenden 225 und den Begriff Ermessen auf die sich daran anschließende Rechtsfolgeentscheidung begrenzen. Die soeben zitierte Formulierung der Rechtsprechung ist aufgrund der pauschalen Verwendung des Ermessensbegriffs somit in zweierlei Hinsicht zu kritisieren. Zum einen suggeriert sie, daß allein das Vorliegen "teilweiser Sprachbeherrschung" bereits eine ausreichende Grundlage für die Anwendung tatrichterlichen Ermessens darstelle, zum anderen verschleiert sie den Umstand, daß die Ermessensvoraussetzungen zunächst im Wege der Tatsachenfeststellung und Subsumtion ermittelt werden müssen. So z. B. BGH, NStZ 1984, 328. Siehe oben 2. Kap. EIV3 (S.126 ff.). 224 Wie auch bereits oben schon für die positive Prüfung des § 185 Abs. 1 S. 1 GVG festgestellt, vgI.2.Kap.CII6 (S.92). 225 Vgl. dazu ebenso 2. Kap. C II 6 (S. 92f.). 222 223

9 Lankisch

130

2. Kap. : Die Zuziehung eines Dolmetschers

v.

Die Revisibilität der Entscheidung über den Zuziehungsumfang

1. Revisibilitätsfrage bei Sprachkundigkeit Veranlaßt der Richter aufgrund der Feststellung von Sprachunkundigkeit im Sinne von § 185 Abs.l S. I GVG eine umfassende Dolmetscherzuziehung, so handelt es sich wegen der gesetzlich zwingend angeordneten Rechtsfolge dabei um eine schlichte Zuziehungsentscheidung, wie sie bereits oben, auch unter dem Gesichtspunkt der Revisibilitätsfrage, ausführlich dargestellt wurde. 226 Einer erneuten Darstellung jener Frage bedarf daher es an dieser Stelle nicht.

2. Revisibilitätsfrage bei teil weiser Sprachkundigkeit Für den Fall der Zuziehung bei teilweise,. Sprachkundigkeit gilt es die Revisibilität jedoch einer gesonderten Betrachtung zu unterwerfen. Die Einräumung von tatrichterlichem Ermessen führt - wie schon erörtert 227 - in der Rechtsprechung stets zur Verneinung einer umfassenden Revisibilität. Auch bei den Entscheidungen zur teil weisen Sprachkundigkeit gilt insoweit nichts anderes. 228 Nach den eben gemachten Ausführungen ist jedoch äußerst fraglich, ob diese revisionsrechtliche Einschränkung Zustimmung finden kann. Wie zuvor angedeutet, ist es - gerade auch im Hinblick auf die Revisibilitätsfrage - von besonderer Problematik, daß die Rechtsprechung den Umfang der Zuziehung bei teilweiser Sprachkundigkeit "pauschal" in das Ermessen des Tatrichters stellt. Vor allem in diesem Bereich ist es unabdingbar, sich die einzelnen Teilschritte einer solchen Entscheidung zu vergegenwärtigen. Diese müssen nämlich nicht zwangsläufig das gleiche revisionsrechtliche Schicksal teilen. Prozessuale Tatsachenfeststellung, Subsumtion und Rechtsfolgenauswahl sollen hier daher einzeln auf ihre Überprüfbarkeit hin untersucht werden. a) Feststellung " teilweise,. Sprachkundigkeit" Bereits beim ersten Schritt, der Feststellung der "teilweisen Sprachkundigkeit", macht sich eine solch differenzierte Betrachtung bemerkbar. Wie zuvor, bei der Ermittlung der Tatbestandsvoraussetzungen des § 185 Abs. I S. 1 GVG, geht es auch hier zunächst nur um die Feststellung subsumtionsrelevanter Tatsachen. Die Rechtsprechung muß dem Tatrichter - ihrer Linie folgend - wieder ein "FeststellungserSiehe oben 2. Kap.CIII (S.93 ff.), insbes. I1I4 (S.109). Siehe oben 2. Kap. C III (S. 97). 228 Vgl. z.B. OLG Stuttgart, NJW 1962,540; BGHv. 18.10.19794 StR 517/79; BGH, NStZ 1984,328. 226 227

E. Der Umfang der Dolmetscherzuziehung

131

messen"229 einräumen und entzieht somit die Überprüfbarkeit dieser Feststellung dem Zugriff des Revisionsrichters. 230 Verneint man aber - wie es in dieser Arbeit vertreten wird - grundsätzlich eine Einschränkung bei der Überprüfbarkeit verfahrensrelevanter Tatsachen, so führt das konsequenterweise zu einem anderen Ergebnis. Der Revisionsrichter darf danach auch an die tatsächlichen Feststellungen zur partiellen Sprachbeherrschung nicht gebunden sein. Es wird darauf verzichtet, diese Ansicht hier nochmals darzustellen und argumentativ zu untennauern, insoweit sei auf die vorherige, ausführliche Erörterung verwiesen. 231 Die Feststellung "teilweiser Sprachkundigkeit" besteht aber nicht nur aus reiner Tatsachenennittlung, sondern sie beinhaltet ebenso die Subsumtion dieser Tatsachen. Die von der Rechtsprechung praktizierte "Ennessensgewährung" führt daher zugleich auch zu einer nur eingeschränkten Kontrolle des eigentlichen Subsumtionsvorgangs. Der Revisionsrichter bleibt in aller Regel an das tatrichterliche Subsumtionsergebnis gebunden. Will er den - vielleicht sogar mit identischen Tatsachenfeststellungen - ennittelten Sachverhalt rechtlich anders qualifizieren, so geht dies nur, wenn er die tatrichterliche Entscheidung als evident "ennessensfehlerhaft" einstufen kann. Damit wird ihm ein Teil seiner klassischen Aufgabe, die Kontrolle der Rechtsanwendung, entzogen. Es wurde schon oben darauf hingewiesen, daß dafür kein Bedürfnis besteht und folglich die von der Rechtsprechung praktizierte "Verquickung" von Tatsachenfeststellung und Subsumtion beim unbestimmten Rechtsbegriff für prozessuale Fragen keine Berechtigung hat. 232 Der Revisionsrichter darf daher bezüglich des Merkmals der "teilweisen Sprachkundigkeit" - in Abweichung zur Rechtsprechungsansicht - weder an die tatsächlichen Feststellungen noch an das Subsumtionsergebnis gebunden werden.

b) Feststellung der zweiten Ermessensvoraussetzung Die revisionsrichterliche Kontrolle des nächsten Schritts, der Feststellung der weiteren Ennessensvoraussetzung, egal auf welche Art dies geschieht 233 , muß in gleicher Weise erfolgen. Indirekt läßt die Rechtsprechung dem Tatrichter auch hierbei freie Hand, da sie für den Dolmetscherverzicht eine solche Ennessensvoraussetzung nicht ausdrücklich fordert. Sie überläßt die Auswahl des in Frage kommenden Verhandlungsabschnitts dem "Ennessen" des Tatrichters und gibt ihm damit zuSiehe oben 2. Kap. C IJI 2 (S. 96). Siehe z. B. OLG Zweibrücken, VRS Bd. 53 (1977), 39-40. 231 Siehe dazu oben 2. Kap. C HI3 (S.98 f1'.). 232 Siehe oben 2.Kap.CIJI3a (S.100). 2)3 Als negative Feststellung des § 185 ova, als positive Feststellung ausreichender Verständigung oder als Qualifizierung eines bestimmten Verhandlungsteils als sprachlich einfach. 229 230

9*

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2. Kap.: Die Zu ziehung eines Dolmetschers

gleich die Bewertungskompetenz, ob ein bestimmter Verhandlungsteil sich für einen Dolmetscherverzicht eigne. Jedoch handelt es sich auch hier wieder - wie gerade dargelege 34 - um die Feststellung eines prozessual erheblichen Sachverhalts und seine sich anschließende Subsumtion. Diese Vorgänge müssen entsprechend den obigen Ausführungen ebenfalls einer vollen revisionsrechtlichen Überprüfung unterliegen. Auch diesbezüglich ist folglich eine Abweichung von der Rechtsprechungslinie geboten. c) Rechtsfolgeentscheidung

Bleibt letztlich noch die Frage nach der Revisibilität der eigentlichen Ermessensentscheidung, also der Frage, ob die vom Tatrichter getroffene Auswahl der Rechtsfolge (Zuziehung oder keine Zu ziehung für den betroffenen Teilbereich) vom Revisionsgericht in vollem Umfang überprüfbar ist. Die pauschale Betrachtungsweise der Rechtsprechung beinhaltet natürlich auch eine Verneinung dieses Teilaspekts. Es ist einzig dieser Bereich, in dem der Rechtsprechungspraxis auch gefolgt werden kann. Die revisionsrichterliche Bindung an eine echte Ermessensentscheidung des Tatrichters und die damit einhergehende Beschränkung der Kontrolle auf Ermessensfehler wird bei Verfahrensfragen allgemein akzeptiert. 235 Diese Vorgehensweise liefert für die vorliegende Konstellation auch ein sachgerechtes Ergebnis. Sind alle oben genannten Ermessensvoraussetzungen erfüllt, so spricht nichts dagegen, dem Tatrichter in dem hier verbleibenden Bereich die alleinige Entscheidungskompetenz zuzugestehen. Der Tatrichter kann in der aktuellen Situation am besten abschätzen, ob die Dolmetscherzuziehung im Rahmen der Verhandlungs gestaltung sinnvoll ist oder nicht. Die klare Festlegung der Voraussetzungen führt dazu, daß sich die Ermessensentscheidung nur noch im Bereich reiner Verfahrensgestaltung abspielt. Bei Beachtung der strengen Voraussetzungen ist die Rechtsposition des Betroffenen keiner Verletzungsgefahr mehr ausgesetzt, so daß die Entscheidung uneingeschränkt auf Zweckmäßigkeitserwägungen hinsichtlich des Verfahrensablaufs basieren darf. Zu Gestaltungsfragen, Verfahrensablauf und Verhandlungsführung hat der Tatrichter notwendigerweise eine größere Nähe. Er kann besser als der Revisionsrichter beurteilen, ob eine konkrete Zu ziehung eine unnötige Erschwerung des Kommunikationsprozesses darstellt. Er ist eher in der Lage abzuschätzen, ob es bei einem überaus ängstlichen und verunsicherten Betroffenen sinnvoll ist, auch für einen sehr einfach gelagerten Verhandlungsteil einen Dolmetscher zuzuziehen, um dem Betroffenen so z. B. das Gefühl zu vermitteln, seine Belange werden vom Richter wirklich ernst genommen. Siehe direkt oben 2. Kap. EIV 4 (S. 128 ff.). Siehe z. B. LR-Hanack, § 337 StPO Rn 87 (25. Auflage); Meyer-Goßner, § 337 StPO Rn 16; KMR-Paulus, § 337 StPO Rn 23. 234

m

E. Der Umfang der Dolmetscherzuziehung

133

Da dem Tatrichter (im Rahmen der gesetzlichen Vorgaben) die Ausgestaltung der Verhandlung obliegt, ist es gerechtfertigt, ihm auch die Beurteilung zu überlassen, welche der soeben genannten Aspekte in der jeweiligen Situation einer besonderen Berücksichtigung bedürfen.

VI. Der Zuziehungszeitpunkt Die Frage des Zuziehungszeitpunkts betrifft gen au genommen einen Aspekt, der bei der Beschäftigung mit dem Umfang der Zuziehung bereits mit abgehandelt wurde. 236 Da das Schlagwort Zuziehungszeitpunkt in einer Reichsgerichtsentscheidung jedoch explizit Erwähnung gefunden hat, ist es sinnvoll, diesen Gesichtspunkt hier dennoch kurz gesondert zu thematisieren. Wie schon bei den anderen Aspekten der Zuziehung soll nach Ansicht des Reichsgerichts auch beim Zuziehungszeitpunkt das tatrichterliche Ermessen eine entscheidende Rolle spielen: "Demgemäss [!] aber liegt es auch im Ermessen des Gerichts darüber zu befinden, von weIchem Zeitpunkt der Verhandlung an diese Mitwirkung [Bezug genommen wird auf die Mitwirkung eines Dolmetschers] in Anspruch zu nehmen ist."237

Nach den obigen Ausführungen ist von vornherein auszuschließen, daß diese Aussage des Reichsgerichts sich auf eine Konstellation bezieht, in der ein Angeklagter gänzlich sprach unkundig ist. Da unter einer solchen Voraussetzung die uneingeschränkte Zuziehung nämlich für die gesamte Verhandlung zwingend ist, kann auch der Zeitpunkt der Zu ziehung nicht variabel bzw. einem Ermessen unterstellt sein. Der Dolmetscher muß unter diesen Voraussetzungen von Anfang an der Verhandlung zugezogen werden. Diese Notwendigkeit wurde vom Reichsgericht bereits in einer noch früheren Entscheidung, die eine" verspätete" - erst nach Bildung der Geschworenenbank und Aufruf der Zeugen und Sachverständigen erfolgte - Dolmetscherzuziehung zum Gegenstand hatte, formuliert: "Im vorliegenden Falle aber ergiebt [!] sich aus dem Protokoll, dass [!] die Angeklagten auch nach Annahme des Gerichts der deutschen Sprache nicht mächtig gewesen sind. Die Nichtzuziehung eines Dolmetschers zu den fraglichen Verhandlungsakten enthält mithin eine Verletzung des Gesetzes. ,,23&

Der Reichsgerichtsentscheidung, die den Zuziehungszeitpunkt in das tatgerichtliche Ermessen stellt, kann demnach nur ein Sachverhalt zugrunde gelegen haben, bei dem der Betroffene wenigstens teilweise der deutschen Sprache mächtig war. Dieser Umstand läßt sich auch aus der Entscheidung selbst entnehmen: 236 Sobald in einer Verhandlung die Voraussetzungen des § 185 Abs.1 S. I GVG erfüllt sind, ist der Zeitpunkt der notwendigen Zuziehung erreicht; vgl. dazu oben 2.Kap. EIII u. IV (S.120 ff.). 237 RG, GA 1903 Bd. 50, S. 394 (394-395). 238 RG, GA 1900 Bd.47, S. 384.

134

2. Kap.: Die Zu ziehung eines Dolmetschers

"Wenn nun nach Angabe des Protokolls das Gericht den Dolmetscher erst in einem späteren Stadium der Verhandlung in förmlicher Weise hat eintreten lassen, so giebt [!] sich darin die Auffassung kund, dass [!] seine frühere Vermittlung nicht für erforderlich erachtet sei."m

In anderen Worten ausgedrückt heißt das, die Sprachkenntnisse des Betroffenen wurden vom Tatgericht zumindest bei den zur Diskussion stehenden Verhandlungsteilen als für eine Verständigung ausreichend eingestuft. Die beschriebene Situation entspricht jedoch exakt derjenigen, die soeben unter dem Stichwort "Zuziehungsumfang bei teilweiser Sprachkundigkeit" vorgestellt wurde. Die Beurteilung des Zuziehungszeitpunkts muß - sofern dieser überhaupt variabel ist - daher nach den zur teil weisen Sprachkundigkeit aufgestellten Regeln erfolgen. Abweichend von der Aussage des Reichsgerichts, kann der Zeitpunkt der 001metscherzuziehung also nur unter den dafür notwendigen, engen Voraussetzungen in einem echten tatrichterlichen Ermessen stehen, sprich nur dann, wenn der Richter zum einen die "teilweise Sprachbeherrschung des Betroffenen" und zum anderen die Möglichkeit ausreichender Verständigung in dem vor der geplanten Zuziehung liegenden Verhandlungs teil festgestellt hat. Für die revisionsrechtliche Behandlung dieser Konstellation sei entsprechend auf die obigen Ausführungen bei teilweiser Sprachkundigkeit verwiesen. 240

F. Die Auswahlentscheidung Hat der Tatrichter das Vorliegen der Zuziehungsvoraussetzungen bejaht, muß er für die konkrete Zu ziehung entscheiden, wen er als Dolmetscher zuziehen soll. Im ersten Kapitel wurde bereits aufgezeigt, daß dieser Teil der Zuziehungsentscheidung in der praktischen Ausführung mit einer Reihe von Schwierigkeiten behaftet sein kann 241 , die nicht zuletzt ihren Ursprung in der spärlichen gesetzlichen Ausgestaltung der Dolmetscherfrage haben. Die äußerst knappe Regelung hat aber nicht nur eine mangelhafte Unterstützung für die praktische richterliche Arbeit zur Folge, sie führt auch dazu, daß rechtliche Fragen in Sachen Dolmetscherauswahl unbeantwortet bleiben. Da der Gesetzgeber auf explizite Vorgaben in diesem Zusammenhang gänzlich verzichtet hat, ist es zunächst naheliegend, dem Tatrichter bei der Auswahlentscheidung einen gewissen "Freiraum" zuzugestehen. Die Rechtsprechung geht sogar soweit, diese Entscheidung völlig in die Hand des Tatrichters zu legen, indem sie ihm wiederum ein irrevisibles "Ermessen" gewährt. 242 Ob es sich dabei aber tatsächlich RG, GA 1903 Bd. 50, S. 394 (395). Siehe oben 2. Kap. E V (S. 130 ff.). 241 Oben I. Kap. D I I (S.48 ff.). 242 SO Z. B. RG, GA 1920 Bd.68, S. 348; BGH v. 14.06.1977,4 STR 141/77; OLG Karlsruhe, Die Justiz 1980,285; BGHR § 185 GVG Auswahl 1, Ermessen. 239

240

F. Die Auswahlentscheidung

135

um eine "Ennessensentscheidung" - mit all den von der Rechtsprechung damit verbundenen Konsequenzen - handelt, gilt es im folgenden zu untersuchen. Zu beachten ist in diesem Zusammenhang jedoch, daß die "Zuziehungshandlung" nicht nur in der konkreten Personenauswahl besteht. Es gibt vielmehr noch einen weiteren Schritt, der dieser Entscheidung - zumindest gedanklich - vorgelagert ist: Wurde bisher nur negativ festgestellt, daß der Betroffene der deutschen Sprache nicht mächtig ist, ist es für die konkrete Dolmetscherauswahl erforderlich, eine positive Feststellung über die zu dolmetschende Sprache zu treffen. Personenauswahl und Sprachbestimmung erscheinen dabei in der Praxis häufig als einheitlicher Vorgang 243 , weil die personelle Entscheidung notwendig auch die Festiegung der zu dolmetschenden Sprache enthält. Dennoch handelt es sich bei der Sprachbestimmung um eine eigenständige Komponente, die hier zunächst gesondert betrachtet wird.

I. Festlegung der Sprache Auf den ersten Blick mag es verwundern, daß die Bestimmung der zu dolmetschenden Sprache Probleme bereiten soll. Es liegt auf der Hand, daß dies die Sprache sein muß, die der Deutschunkundige selbst spricht und versteht. Bei diesem Vorgang scheint es sich also um eine problemlos zu treffende Feststellung zu handeln. Auch wenn dies in der Praxis für eine Vielzahl von Fällen zutreffend ist, so gibt es dennoch Situationen, in denen der Richter bereits hier mit Schwierigkeiten konfrontiert wird. Abhängig davon, ob der Betroffene nur eine einzige oder sogar mehrere Sprachen spricht, können sich dabei unterschiedliche Probleme ergeben.

1. Schlichte Sprachbestimmung Schon bei der an sich "einfachen" Fallgestaltung, daß ein Deutschunkundiger nur einer Sprache mächtig ist, kann die reine Feststellung, um was für eine Sprache es sich dabei handelt, zu Schwierigkeiten führen. Anders als beispielsweise die Staatsangehörigkeit läßt sich die (Mutter-)Sprache einer Person nicht ohne weiteres aus einem Dokument entnehmen. In der Regel kann diese zwar über das Kriterium der Staatszugehörigkeit ennittelt werden, da es aber Länder mit teils unterschiedlichen Volkszugehörigkeiten gibt, hilft dieses Kriterium nicht immer weiter. Es ist jedoch zuzugestehen, daß dieses Problem in der Praxis vom Richter kaum gelöst werden muß. Die "Sprachfeststellung" findet insoweit meist schon während der polizeilichen oder staatsanwaltlichen Ennittlungstätigkeit statt. 244 Dennoch kann nicht ausgeschlossen werden, daß sich auch der Richter dieser Frage gegenübergestellt sieht. So z. B., wenn aus den Akten nicht eindeutig hervorgeht, in welVgl. etwa BGHR § 185 GVG Auswahl 1, Ennessen. Zum Problem der Sprachbestimmung innerhalb der polizeilichen Arbeit siehe Kalleieher, Kriminalist 1985, 166 f. 243

244

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2. Kap.: Die Zu ziehung eines Dolmetschers

eher Sprache der zuvor herangezogene Dolmetscher tätig war. Ferner darf der Richter ein solches Ergebnis nicht blindlings übernehmen. Er hat eigenständig dafür Sorge zu tragen, daß die Kommunikation während der Verhandlung gewährleistet, ein Dolmetscher für die richtige Sprache anwesend ist. 245 Die bereits erwähnte Problematik teils stark voneinander abweichender Dialekte 246 kommt bei der genauen "Sprachbestimmung" erschwerend hinzu. Im Gegensatz zu den möglichen praktischen Schwierigkeiten ist diese Art der Tatsachenfeststellung in rechtlicher Hinsicht jedoch gänzlich unproblematisch. Es handelt sich hierbei weder um eine Auswahlentscheidung noch um eine prozessuale Tatsachenfeststellung mit Beurteilungsspielraum. "Ermessen" spielt in diesem Zusammenhang folglich weder als klassisches Auswahlermessen noch als sogenanntes Feststellungsermessen eine Rolle. 2. Feststellung ausreichender Sprachbeherrschung Verfahrensrechtliche Schwierigkeiten können dagegen auftreten, wenn der Deutschunkundige Sprachkenntnisse in mehreren Sprachen besitzt. Dann ist es erforderlich, daß der Richter eine Sprache für die Verhandlung auswählt. Die von der Rechtsprechung grundsätzlich praktizierte Übung, alle im Zusammenhang mit der Dolmetscherzuziehung stehenden Fragen in das tatrichterliche Ermessen zu stellen, soll einigen - wenn auch wenigen - Entscheidungen zufolge auch in diesem Bereich gelten. 247 Wie schon zuvor, ist jedoch auch hier zu bemängeln, daß die Rechtsprechung keine Differenzierung nach der Ermessensart vornimmt. Dabei läßt sich aus den Entscheidungen selbst herauslesen, daß durchaus unterschiedliche Ansatzpunkte für ein "Ermessen" in Frage kämen: So scheint das BayObLG seiner Formulierung 248 zufolge das "Ermessen" bei einer Tatsachenfeststellung ansiedeln zu wollen, wohingegen der BGH 249 auch die Ausgestaltung der Rechtsfolge - sprich die eigentliche Auswahl der Sprache - dem richterlichen Ermessen anheimzustellen scheint. Zwar trifft die Ermessensgewährung in der Kommentarliteratur teils auf Zustimmung 250, allerdings fehlt auch dort eine detaillierte Auseinandersetzung mit dieser Thematik. Die Behauptungen der Rechtsprechung Vgl. dazu das Beispiel auf S. 54. Siehe I. Kap. DIll (S. 54 f.) . 247 BGHR §338 Nr.5 StPO Dolmetscher 2, Muttersprache; BayOhLG, DVBI. 1977, 113 (115); Hess. VGH, JurBüro 1989,645 (646). 248 DVBI. 1977, 113 (\ 15): "Die Entscheidung, ob ein Betroffener der deutschen Sprache mächtig oder ob er eine andere Sprache ausreichend heherrscht [Hervorhebung nicht im Original], obliegt dem tatrichterlichen Ermessen". 249 BGHR § 338 Nr.5 StPO Dolmetscher 2, Muttersprache: "Der Richter [hat] nach seinem pflichtgemäßen Ermessen darüber zu befinden, ... für welche Fremdsprache ein Dolmetscher zugezogen werden muß [Hervorhebung nicht im Original]". 250 SO Z. B. Schreiher, in Wieczorek/Schütze, § 185 GVG Rn 9; Albers, in Baumbach/Lauterbach/AlberslHartmann, § 185 GVG Rn I. 245

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F. Die Auswahlentscheidung

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werden einfach übernommen, eine Unterscheidung nach der Art des Ermessens findet nicht statt. Um eine dahingehende Differenzierung vornehmen zu können, ist es erforderlich, den Vorgang der Sprachauswahl schrittweise zu analysieren: Als erstes erfolgt - wie auch schon bei der unter 1. behandelten Fallgestaltung - die Bestimmung der gesprochenen Sprachen. Da es sich hierbei um reine Tatsachenfeststellungen handelt, gibt es insofern keinen Anwendungsbereich für Ermessen oder Beurteilungsspielraum. Hat der Richter geklärt, in welchen verschiedenen Sprachen der Betroffene Sprachkenntnisse besitzt, so steht damit noch nicht fest, daß jede dieser Sprachen auch wirklich für die Verwendung im Prozeß geeignet ist. Es muß vielmehr erst festgestellt werden, in welcher (welchen) Sprache(n) für diesen Zweck ausreichende Kenntnisse vorhanden sind. Fraglich ist, unter welchen Voraussetzungen von solch ausreichenden Kenntnissen gesprochen werden kann. Auch wenn das Gesetz zu dieser Frage selbst keine Auskunft gibt, so hilft zumindest ein Umkehrschluß aus § 185 Abs.l S. 1 GVG hier weiter. Dieser Regelung zufolge ist es für die Verwendung der deutschen Sprache notwendig, daß der Betroffene ihrer mächtig ist, er sie also beherrscht. Die dabei an den Beherrschungsgrad zu stellenden Anforderungen wurden oben 25 ! ausführlich erörtert. Soll die Verständigung mit dem Deutschunkundigen über eine andere Sprache als die deutsche erfolgen, so muß der Beherrschungsgrad dieser Sprache jenen Anforderungen ebenso genügen. Konkret bedeutet das, der betroffene Angeklagte muß derjenigen Sprache in einem Maße mächtig sein, daß es ihm möglich ist, als Prozeßsubjekt zu agieren. Der Richter darf folglich nur eine Sprache "wählen", deren Beherrschungsgrad den oben herausgearbeiteten Anforderungen 252 gerecht wird. Eine freie Auswahl aus allen vom Betroffenen gesprochenen Sprachen hat er also grundsätzlich nicht. Dies ist ausnahmsweise nur dann der Fall, wenn alle Sprachen diesen Anforderungen entsprechen. Nur in einer solchen Konstellation kann ein klassisches Rechtsfolge- bzw. Auswahlermessen zur Anwendung kommen. 253 Unumgängliche Voraussetzung ist auch hierbei aber zunächst die Feststellung ausreichender Sprachbeherrschung. Für klassisches Ermessen gibt es also zumindest hinsichtlich dieser Feststellung keinen Anwendungsbereich. Das Merkmal "ausreichende Sprachbeherrschung" besitzt jedoch - wie auch schon oben gezeigt 254 - einen dem unbestimmten Rechtsbegriff vergleichbaren Charakter, so daß es insoweit gerechtfertigt ist, dem Richter einen Beurteilungsspielraum zu gewähren. Siehe 2. Kap. C 11 (S. 83 ff.), insbes. 116 (S. 91 ff.). Anforderungen, die zwar nicht für diesen Zusammenhang entwickelt wurden, aber dennoch hierauf übertragbar sind. 253 Für die revisionsrechtlichen Auswirkungen in diesem Zusammenhang siehe direkt im Anschluß; 2. Kap. F 11 (S. 138 ff.). 254 Siehe oben 2. Kap. C 116 (S. 92). 251

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2. Kap.: Die Zuziehung eines Dolmetschers

3. Zusätzlicher Dolmetscher für eine "zweite" Sprache Im Rahmen der Beschäftigung mit der Sprachauswahl findet der Begriff des Ermessens ferner noch in einem anderen Kontext Verwendung. So wird die Frage, ob der Richter zusätzlich auch für die "zweite", vom Deutschunkundigen beherrschte Sprache einen Dolmetscher heranziehen darf, etwa vom VGH Kassel 255 in das Ermessen des Gerichts gestellt. Der Richter soll vorsorglich einen weiteren Dolmetscher zuziehen dürfen, damit dieser, falls eine ausreichende Verständigung über die "erste" Sprache nicht gewährleistet sein sollte, die Kommunikationslücke über die andere, ebenfalls vom Betroffenen beherrschte Sprache schließt. Terminologisch ist es nicht zu beanstanden, diesen Sachverhalt als Ermessensentscheidung zu bezeichnen, sofern man sich damit nicht auf die Voraussetzungen der Zuziehung, sondern lediglich auf die Rechtsfolge bezieht: Die für eine solch "vorsorgliche" Zuziehung zunächst notwendige Feststellung (ausreichende Sprachbeherrschung in der "zweiten" Sprache) steht- wie bei einer "normalen" Zuziehung - nämlich nicht im richterlichen Ermessen, sondern ist - wie zuvor ausführlich dargelegt - prozessuale Tatsachenfeststellung. Diese erfordert jedoch aufgrund des unbestimmten Begriffscharakters eine Bewertung und eröffnet für den Richter daher - terminologisch korrekt formuliert - "nur" einen Beurteilungsspielraum. 256 Die eigentliche Entscheidung über die "Zuziehungserweiterung" ist als Ausgestaltung der Rechtsfolge klassischem Ermessen dagegen grundsätzlich zugänglich.

11. Die Revisibilität der Sprachauswahlkomponenten Im Hinblick auf die Revisibilität der "Sprachauswahlentscheidung" ergibt sich danach ein ebenso zu differenzierendes Bild:

1. Schlichte Sprach bestimmung An sich überflüssig zu erwähnen ist, daß die Bestimmung der Sprache(n), sprich die schlichte Feststellung, um was für eine Sprache es sich (jeweils) handelt, als rein prozessuale Tatsachenfeststellung ohne jeglichen Beurteilungsspielraum der revisionsrechtlichen Überprüfung voll unterliegt. Zu einem anderen Ergebnis kann insofern auch die Rechtsprechung nicht kommen.

255

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Hess. VGH, JurBüro 1989, 645; vgl. auch BGHR § 185 GVG Auswahl 1, Ennessen. Siehe direkt oben 2. Kap. F I 2 (S. 137) sowie 2. Kap. C 116 (S. 92).

F. Die Auswahlentscheidung

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2. Feststellung ausreichender Sprachbeherrschung Anders ist es dagegen bei der Feststellung ausreichender Sprachbeherrschung. Hier gewährt die Rechtsprechung dem Richter ausdrücklich ein irrevisibles Ermessen. 257 Dieser Praxis kann nicht zugestimmt werden. Gegen ein derartiges, tatrichterliches Feststellungsermessen spricht die oben herausgearbeitete Unvereinbarkeit einer solchen Beschränkung mit den revisionsrechtlichen Grundsätzen. 258 Die Feststellung ausreichender Sprachkenntnisse muß als prozessuale Tatsachenfeststellung der uneingeschränkten Überprüfung also offenstehen.

3. Die echte Auswahlmöglichkeit Fraglich ist jedoch, wie mit der unter Umständen eintretenden Situation einer wirklichen Auswahlmöglichkeit revisionsrechtlich umzugehen ist. Besitzt ein Deutschunkundiger den erforderlichen Beherrschungsgrad in mehreren Sprachen, so steht einer tatrichterlichen Ermessensentscheidung mit eingeschränkter Überprüfbarkeit vom rechtstheoretischen Standpunkt aus nichts entgegen. Es ist aber zu überlegen, ob hier ein anderer Lösungsweg nicht vorzugswürdig ist, denn die Gewährung freien Ermessens ist keinesfalls die in dieser Situation einzige Reaktionsmöglichkeit. Denkbar wäre z. B. auch, die Sprachauswahl dem Betroffenen selbst zu überlassen oder von vornherein einer bestimmten Sprache Priorität einzuräumen. Letzteres soll z. B. nach einem Teil der Kommentarliteratur praktiziert werden, indem der Deutschunkundige immer in seiner Muttersprache 259 am Prozeß beteiligt werden soll. 260 Die Idee, daß der Muttersprache eine Vorrangstellung gebührt, findet sich - wenn auch nicht in so ausgeprägter Form - sogar bei solchen Autoren wieder, die mit der Rechtsprechungsansicht formal gesehen zumindest konform gehen. Obwohl die Auswahl der Sprache beispielsweise bei Schäfer/Wickern dem Gericht überlassen wird, fordert man dort, daß der Muttersprache grundsätzlich der Vorrang gegeben werden sollte. 261 Ferner vertritt z. B. Jessnitzer die Ansicht, daß die Übersetzung zwar nicht notwendig in der Muttersprache erfolgen muß, dies aber nach Möglichkeit der Fall sein sollte. 262 Siehe BayObLG, DVBI. 1977, 113 (115). Siehe oben 2. Kap. C III 3 (S. 98 ff.). 259 Als Muttersprache ist dabei in erster Linie die Sprache zu verstehen, mit der der Betroffene aufgewachsen ist. Spricht er diese Sprache im alltäglichen Leben jedoch nicht mehr oder wurde er von vornherein mehrsprachig erzogen, so entspricht den Merkmalen der Muttersprache am ehesten die Sprache, der sich der Betroffene auch jetzt noch - vor allem im privaten Bereich - schwerpunktmäßig bedient und die für ihn somit die vertrauteste Sprache darstellt. 260 So MK-Woif, § 185 GVG Rn 6 sowie Kissel, § 185 GVG Rn 12. 161 Siehe LR-SchäferIWickern, § 185 GVG Rn 14 (24. Auflage). 262 Siehe Jessnitzer, Dolmetscher, S. 73. Vgl. ferner KMR, § 185 GVG Rn 7: der Muttersprache wird indirekt auch hier ein besonderer Stellenwert eingeräumt. Die Übersetzung müsse in 257

25H

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2. Kap.: Die Zuziehung eines Dolmetschers

Bei der Auseinandersetzung mit dieser Frage bezieht die Literatur jedoch zu selten eindeutig Stellung. Die Wichtigkeit der Muttersprache für die Verhandlung wird dort einerseits zwar erkannt, man will sich andererseits aber nicht wirklich von der "Ermessensvorgabe" der Rechtsprechung distanzieren. Dabei stehen beide Modelle in deutlichem Widerspruch zueinander: Entweder ist der Richter auf die Verwendung der Muttersprache festgelegt und darf davon nur ausnahmsweise, z. B. im Fall praktischer Undurchführbarkeit abweichen oder aber die Auswahl steht grundsätzlich in seinem Ermessen. Gewährt man dem Richter nämlich Ermessen, so verbirgt sich dahinter die Vorstellung, daß bei dieser Entscheidung eine ganze Reihe von zulässigen Erwägungen individuelle Berücksichtigung finden sollte. Gesteht man dagegen einer Sprache abstrakt den Vorrang zu, so ist kein Raum mehr für das Abwägen verschiedener Entscheidungsaspekte und damit keine wirkliche Ermessensausübung mehr möglich. Es stellt sich somit die Frage, welches dieser Modelle in der vorliegenden Situation eine adäquate Lösung darstellt. a) Ermessensentscheidung oder Vorrang einer Sprache Zunächst spricht das rein formale Argument, daß der Gesetzgeber diesen Punkt nicht ausdrücklich behandelt hat, für die Gewährung von tatrichterlichem Ermessen. Da grundsätzlich alle im Zusammenhang mit der Verhandlungsführung stehenden Fragen dem Kompetenzbereich des Richters unterliegen, könnte ihm auch die Sprachauswahl frei unterstehen. Auf der anderen Seite darf der dolmetscherspezifische Hintergrund dieses Sachverhalts nicht außer acht gelassen werden. Es ist nämlich naheliegend, daß die der Dolmetscherzuziehung innewohnende, verfassungsrechtliche Relevanz sich auch auf die Frage der Sprachauswahl niederzuschlagen vermag. Die Dolmetscherzuziehung als Konkretisierung des Fair-Trial-Grundsatzes 263 soll gewährleisten, daß ein Deutschunkundiger sich in einem seiner verfahrensrechtlichen Stellung entsprechenden Umfang voll am Prozeß beteiligen kann. Dies ist grundsätzlich durch die Verwendung einer vom Betroffenen beherrschten Sprache gewährleistet. Dennoch ist einzugestehen, daß nicht jede beherrschte Sprache dem Betroffenen das gleiche Maß an Sicherheit und Vertrautheit in der Gerichtssituation bieten kann. Mag der Beherrschungsgrad einer Sprache bereits ausreichen, den verfassungsrechtlichen Anforderungen für ein faires Verfahren zu genügen, so ist damit aber noch nicht ausgeschlossen, daß eine andere Sprache diese Anforderungen sogar noch übersteigt. Je vertrauter eine Sprache ist, um so leichter ist es, in ihr zu agieren. Werden die zu einer ausreichenden Verständigung notwendigen Anforderungen von mehreren Sprachen erfüllt, warum sollte die Wahl dann nicht auf die bestmögeiner geläufigen Sprache, nicht notwendig in der Muttersprache erfolgen, wenn z.B. dafür kein Dolmetscher zur Verfügung stehe. 263 Siehe dazu oben 2. Kap. C II 2 (S. 86 ff.).

F. Die Auswahlentscheidung

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liehe Alternative - also die vertrauteste Sprache - fallen? Es ist davon auszugehen, daß die Verwendung der am besten beherrschten Sprache für den Betroffenen das Optimum an Verständigungsmöglichkeit bedeutet. Erreichung optimaler Verständigung, so muß aber das in der Verhandlung anzustrebende Ziel heißen. Dies liegt zum einen im Interesse der Wahrheitsfindung, zum anderen gebietet dies der dem Betroffenen entgegenzubringende Respekt. 264 Da nur die Verwendung der am besten beherrschten Sprache optimale Verständigung garantieren kann, sollte bei der Sprachauswahl also nicht eine Ermessensentscheidung des Richters zum Grundsatz gemacht werden, sondern jeweils der vertrautesten Sprache Priorität eingeräumt werden. b) Verhältnis vertrauteste Sprache und Gerichtssprache

Man könnte geneigt sein, aus dieser Argumentation zu schlußfolgern, daß auch fremdsprachigen Personen, die des Deutschen ausreichend mächtig sind, die Verwendung der ihnen am vertrautesten Sprache gestattet werden müßte. Dies ist jedoch keine damit zwingend einhergehende Konsequenz. Das Vorliegen besonderer Konstellationen - wie dies z. B. bei ausreichend deutschen Sprachkenntnissen der Fall ist - kann Abweichungen von diesem Grundsatz sehr wohl rechtfertigen. Diese spezielle Ausnahme läßt sich z. B. auf das besondere staatliche Interesse am Gebrauch einer einheitlichen Gerichtssprache 265 zurückführen. Hier steht das verfassungsrechtlich untermauerte Interesse des Staates dem privaten Interesse des Betroffenen gegenüber. Ist dem Fremdsprachigen auch bei Verwendung der deutschen Sprache ein "faires Verfahren"266 sicher, so hat das staatliche Interesse hier den Vorrang. Diese verfassungsrechtlich nicht zu beanstandende Entscheidung hat der Gesetzgeber mit der Ausgestaltung von § 185 GVG eindeutig gefällt. Eine vergleichbare Situation besteht allerdings nicht, wenn der Betroffene anderer Sprachen als der deutschen mächtig ist. Spricht er z. B. norwegisch und schwedisch, so gibt es kein staatliches Interesse, das die Verwendung der einen oder anderen Sprache rechtfertigen könnte. Das Gericht mag aus praktischen Erwägungen, wie etwa zu betreibender Aufwand in zeitlicher wie pekuniärer Hinsicht, die eine oder andere Entscheidung bevorzugen, ein verfassungsrechtlich begründetes Interesse besteht dafür aber nicht. Im Gegenteil, solche praktischen Erwägungen dürfen bei der Frage der Dolmetscherzuziehung überhaupt keine Rolle spielen. Der bei jeder Entscheidung in 264 Hier darf ein psychologischer Gesichtspunkt nicht unberücksichtigt bleiben: Für eine gute Kommunikationssituation vor Gericht ist neben der objektiven Seite der rein faktischen Beherrschung einer Sprache auch subjektiv notwendig, daß der Betroffene sich vom Gericht respektiert fühlt. Muß ein Deutschunkundiger es aber nicht teilweise als Willkür empfinden, wenn man ihm in der Verhandlung - trotz möglicher Übersetzung in seine Muttersprache - die Verwendung einer anderen Sprache aufdrängt? 265 Siehe dazu oben 2. Kap. C 11 5 (S. 91). 266 Vgl. oben 2. Kap. C 11 2 (S. 86).

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2. Kap.: Die Zuziehung eines Dolmetschers

diesem Zusammenhang zu berücksichtigende Verfassungsgrundsatz des fairen Verfahrens hat vor Aspekten wie Verfahrensökonomie, -praktikabilität und -kosten generell Vorrang. 267 Mit besonderer Deutlichkeit und Schärfe bringt dies auch Kissel zum Ausdruck. So fordert er selbst für wenig gebräuchliche Sprachen die Übersetzung in die Muttersprache, "auch wenn die Heranziehung eines Dolmetschers praktisch schwierig und mit hohen Kosten verbunden ist: offene Grenzen eines freiheitlichen Staates haben ihren Preis, für mögliche ausländerpolizeiliche Überlegungen ist im rechtsstaatlichen Gerichtsverfahren kein Raum."268 Ausschlaggebendes Kriterium darf hier jeweils nur die Erreichung optimaler Verständigung sein. An diesem Punkt zeigt sich erneut, daß die Sprachauswahl von ihrem Charakter her bereits keine klassische Ermessensentscheidung sein kann. Ermessensausübung ist nämlich stets mit der Möglichkeit verbunden, die Entscheidung anhand einer Abwägung verschiedenster Kriterien fällen zu können. Gerade weil man der Meinung ist, daß eine bestimmte Frage die individuelle Berücksichtigung unterschiedlicher Gesichtspunkte erfordert, wird dem Richter ein Ermessen gewährt. Dabei dürfen von ihm grundsätzlich solange die verschiedenartigsten Aspekte mit einbezogen werden, solange sie nicht sachfremd sind und ihre Berücksichtigung damit ermessensfehlerhaft wäre. Gibt es aber überhaupt keine Mehrzahl von zulässigen Abwägungskriterien, sondern darf die Entscheidung von vornherein sowieso nur auf einen bestimmten Aspekt ausgerichtet werden, so fehlt es damit an der für eine Ermessensausübung charakteristischen Situation. Da die Erreichung der bestmöglichen Verständigungsstruktur hier das einzig zulässige Kriterium darstellt, kann bei der Frage der Sprachauswahl insofern sachnotwendig kein Raum für Ermessen sein. c) Vorrang der Muttersprache oder Sprachwahl durch den Betroffenen Ließ sich mit dieser Argumentation die Gewährung tatrichterlichen Ermessens als ein in der Sache ungeeigneter Lösungsweg ausschließen, so ist damit aber noch nicht ganz geklärt, auf welche Art und Weise in der Verhandlung optimale Verständigung erreicht werden soll. Sowohl die grundsätzliche Verwendung der Muttersprache, aber auch die bereits genannte Alternative - die Sprachauswahl dem Betroffenen selbst anheimzustellen - basieren insoweit nämlich auf der Grundidee, eine optimale Verständigungssituation schaffen zu wollen. Es gilt daher diese zwei Lösungsmöglichkeiten zu diskutieren: Beiden Modellen gemein ist, daß sie versuchen, die Sprache für die Übersetzung zu verwenden, in der der Deutschunkundige die besten Sprachkenntnisse besitzt. Wird diese Entscheidung dem Betroffenen überlassen, so macht man es sich zu nutze, daß derjenige selbst am besten einzuschätzen weiß, in welcher Sprache er sich optimal verständigen kann. Stützt man sich dagegen auf die Muttersprache einer Per267 Siehe HK-luljus, § 259 StPO Rn 2. 268

Kissel, § 185 GVG Rn 12.

F. Die Auswahlentscheidung

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son, so liegt dem die Vermutung zugrunde, daß dies in der Regel auch die Sprache ist, die derjenige am besten beherrscht. Für die praktische Ausübung bedeuten beide Modelle kaum einen Unterschied, denn bei der Feststellung, welches die Muttersprache eines Betroffenen ist, wird der Richter sich regelmäßig auf dessen eigene Angabe stützen 269 und umgekehrt wird ein Fremdsprachiger selbst für gewöhnlich zu seiner Muttersprache tendieren. Eine Entscheidung scheint sich daher zu erübrigen. Allerdings besteht doch ein grundsätzlicher, nämlich konstruktiver Unterschied zwischen beiden Lösungen. Dieser kann in Ausnahmefallen von entscheidender Bedeutung sein. Gestünde man dem Deutschunkundigen die Sprachauswahl zu, so hätte man nur schwerlich eine Handhabe, wenn er dieses Recht zu mißbrauchen versuchte. Würde vom Auswahlberechtigten z. B. eine ihm geläufige Sprache benannt, deren Verdolmetschung nur mit einem im Vorfeld enormen Zeitaufwand ausführbar wäre, obwohl es sich dabei gar nicht um die von ihm am besten beherrschte Sprache handelte, so gäbe man ihm damit ein wirksames Instrument zur Prozeßverschleppung an die Hand. Insofern hält der andere Lösungsweg eine Ausweichmöglichkeit bereit. Bezeichnete der Deutschunkundige eine Sprache als seine Muttersprache, die in Wirklichkeit gar nicht die ihm vertrauteste Sprache ist, bei der die Suche für einen geeigneten Dolmetscher aber zwangsläufig zu einer Verzögerung des Verhandlungsgeschehens führte, so wäre der Richter in seiner Reaktionsmöglichkeit hier wesentlich freier. Er kann die Feststellung über die Muttersprache zwar aufgrund der Angabe des Deutschunkundigen selbst treffen, dazu ist er aber nicht verpflichtet. Bei Zweifeln an der Richtigkeit dieser Angabe hat er ohne weiteres die Möglichkeit, die Muttersprache auf anderem Wege, sei es aufgrund von Zeugenaussagen oder Dokumenten, festzustellen. Das "muttersprachliche" Lösungsmodell bietet noch weitere Vorteile. So erleichtert es dem Richter in gewissem Umfang auch die Feststellungsarbeit. Da eine grundsätzliche Vermutung dafür spricht, daß die Muttersprache immer in einem für die Beteiligung am Gerichtsverfahren ausreichenden Maß beherrscht wird, ist der Richter damit faktisch von der teils komplizierten Feststellung ausreichender Sprachbeherrschung entbunden, sofern Anhaltspunkte hier nicht dennoch eine explizite Feststellung der Sprachbeherrschung erfordern. Die grundsätzliche Verwendung der Muttersprache stellt sich daher, nicht nur gegenüber der richterlichen Ermessensentscheidung, sondern auch gegenüber der Sprachauswahl durch den Betroffenen selbst, als das vorzugs würdigste Modell dar.

d) Grundsatz der Muttersprache und Ausnahmen Eine Abweichung vom muttersprachlichen Grundsatz kann - neben dem bereits oben behandelten Aspekt, daß der Fremdsprachige auch der deutschen Sprache aus269

Vgl. dazu Schreiber, in Wieczorek/Schütze, § 185 OVO Rn 6.

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2. Kap. : Die Zu ziehung eines Dolmetschers

reichend mächtig ist 270 - auch aufgrund tatsächlicher Hindernisse notwendig werden. Ist die Zuziehung eines Dolmetschers in der Muttersprache undurchführbar, weil ein solcher Dolmetscher nicht zur Verfügung steht, so kann ausnahmsweise die Übersetzung auch in einer anderen, jedoch notwendigerweise voll beherrschten Sprache erfolgen. Zu beachten ist, daß das Ausweichen auf die "Ersatzsprache" über hintereinander geschaltetes Dolmetschen (sogenanntes Kettendolmetschen 271 ) vermieden werden kann. Unverzichtbare Voraussetzung ist aber in jedem Fall, daß ein Dolmetscher mit einer Qualifikation für Deutsch und die jeweilige Muttersprache tatsächlich nicht verfügbar ist. Für die Feststellung einer solchen "Unmöglichkeit" darf sich das Tatgericht nicht einfach nur auf die Liste allgemein vereidigter Dolmetscher stützen, sondern muß gegebenenfalls auch Nachforschungen, wie etwa eine Anfrage beim Bundeskriminalamt oder verschiedenen Landeskriminalämtern 272 , tätigen. Dem Revisionsgericht muß auch in dieser Hinsicht eine Überprüfung gestattet sein. Liegt eine Ausnahmesituation vor, in der der Richter die Wahl zwischen dem Ausweichen auf eine" Ersatzsprache " oder der Anwendung einer Kettendolmetschung hat, so ist es legitim, diese Entscheidung in sein Ermessen zu stellen. Hier müssen jeweils individuell die Vor- und Nachteile beider Spielarten abgewogen werden. Aufgrund der strengen Voraussetzung, daß eine zum Dolmetschen im Prozeß verwendete Sprache vom Betroffenen immer voll beherrscht werden muß, ist sichergestellt, daß keine der beiden Alternativen zu kommunikativen Nachteilen für den Fremdsprachigen führen kann. Daher ist es in diesem Zusammenhang nun auch gerechtfertigt, Zweckmäßigkeitsgesichtspunkte (z. B. hinsichtlich Verfahrensgestaltung und -ablauf) in die Abwägung einfließen zu lassen. Da solche Fragen der Verfahrensausgestaltung in den Kompetenzbereich des Tatrichters fallen, ist in dieser Ausnahmesituation gegen eine Ermessensgewährung nichts einzuwenden. e) Zusammenfassung Abweichend von der Meinung der Rechtsprechung sollte die Auswahl der zu dolmetschenden Sprache also nicht in ein irrevisibles tatrichterliches Ermessen gestellt werden, sondern als Grundsatz sollte die Verwendung der jeweiligen Muttersprache Geltung haben. In revisionsrechtlicher Hinsicht bedeutet dies, daß die Festlegung der zu dolmetschenden Sprache in vollem Umfang überprüft werden kann, denn die Siehe direkt oben 2. Kap. FII 3 b (S . 141). Siehe oben I. Kap. C (S. 47). 272 Siehe BHG I STR 138/91 vom 7.5.1991; dort kritisiert der BGH die tatsächliche Behauptung des Landgerichts, ein anderer Dolmetscher habe objektiv nicht gefunden werden können, als zweifelhaft, weil das Landgericht nicht dargelegt habe, ob und mit welchem Ergebnis solche Anfragen erfolgt seien. 270 271

F. Die Auswahlentscheidung

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Bestimmung der Muttersprache ist als reine Tatsachenfeststellung nach der hier vertretenen Ansicht 273 der Revision voll zugänglich.

4. Zuziehung eines weiteren Dolmetschers Die revisionsrechtliche Behandlung einer weiteren Dolmetscherzuziehung bereitet nach dem hier angewendeten Schema keine besonderen Probleme. Die für jede - also auch für eine präventive - Dolmetscherzuziehung notwendigen tatsächlichen Feststellungen müssen als prozessuale Tatsachenfeststellungen einer uneingeschränkten Überprüfung in der Revisionsinstanz unterliegen. 274 Dagegen ist es nicht zu beanstanden, daß die eigentliche Entscheidung für oder gegen eine zweite, vorsorgliche Zuziehung als echte Ermessensentscheidung der Revision nur bedingt zugänglich ist. Es entspricht den ureigensten Aufgaben des Richters, im Rahmen seiner Verhandlungsführungskompetenz solche Entscheidungen zu treffen. So kann er es für angebracht halten, einer gegebenenfalls mangelhaften Kommunikation mit einem bereits vorsorglich zugezogenen Dolmetscher zu begegnen, um damit eventuell eine unerwünschte Verhandlungsunterbrechung zu verhindern. Der Richter wäre ohnehin dazu verpflichtet, im Falle einer erst während der Verhandlung zutage tretenden mangelhaften Kommunikation über die "erste" Sprache einen Dolmetscher für eine andere geeignete Sprache heranzuziehen. Daher ist es sachgerecht, wenn er bereits im Vorfeld, also bei der Planung des Prozesses, eine solche Situation berücksichtigen darf.

III. Die personelle Zuziehungsentscheidung Hat der Richter festgestellt, welches die in der Verhandlung zu verwendende Sprache ist, so muß er seine Zuziehungsentscheidung auf einen bestimmten Dolmetscher konkretisieren. In vielen Fällen steht für eine Sprache nicht nur ein einziger, sondern eine ganze Reihe von Dolmetschern zur Verfügung. Die sich daraus ergebende Notwendigkeit einer individuellen Auswahl ist Aufgabe des Richters, denn er hat die Zuziehung anzuordnen. 275 Es versteht sich von selbst, daß der auszuwählende Dolmetscher eine Person sein muß, die imstande ist, die erforderliche "Sprach- und Kulturmittlerfunktion"276 zu erfüllen. Die Beurteilung dieser Frage überlassen Rechtsprechung und Literatur dem Richter als (irrevisible) Ermessensentscheidung. 277 Das wäre unproblematisch, Siehe 2. Kap. C III 3 (S.98 ff.). Siehe 2. Kap. C III 3 (S. 98 ff.). 275 Siehe 1. Kap. 0 I 1 (S.48). 276 Siehe oben 1. Kap. EI u. II (S. 58 ff.). 277 So z.B. RG, GA 1920 Bd.68, S.348; RGSt 76,177; BGHvom 14.6.1977,4 STR 141/77; OLG Karlsruhe, Die Justiz 1980,285; BGHR § 185 GVG Auswahl 1, Ermessen sowie Albers, 273

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10 Lankisch

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2. Kap.: Die Zuziehung eines Dolmetschers

wenn man davon ausgehen könnte, daß jeder Dolmetscher, der sich für eine Sprache anbietet, die gleichen Qualifikationen besäße, so daß der Richter aus einer homogenen Gruppe von Dolmetschern auswählen könnte. Unter einer solchen Bedingung wäre es legitim, dem Richter bei der Auswahl, bei der es dann z. B. nur noch um verfahrensökonomische Gesichtspunkte oder pragmatische Erwägungen ginge, Entscheidungsfreiheit einzuräumen. Aber die tatsächlichen Verhältnisse entsprechen dem nicht. Das Fehlen von allgemeinverbindlichen Standards bei der Berufsbezeichnung Dolmetscher, von bundeseinheitlichen Ausbildungs- und Prüfungskriterien sowie die oft unzureichenden Spezialkenntnisse für gerichtliches Dolmetschen haben zur Folge, daß keinesfalls jeder "Dolmetscher" die für eine Zuziehung erforderliche Eignung besitzt. m Da die allgemeine Vereidigung eines Dolmetschers - zwar ein Indiz - aber kein absolut zuverlässiges Kriterium für den Nachweis ausreichender Qualifikation darstellt 279 , wäre es eigentlich notwendig, daß der Richter als Grundlage seiner Auswahlentscheidung selbst die erforderlichen Feststellungen träfe. Eine solche Vorgehensweise korrespondiert aber kaum mit der täglichen Gerichtspraxis und wäre praktisch auch kaum durchführbar. Abgesehen davon, daß dem Richter die Eignung eines Dolmetschers durch frühere Zuziehungen bereits persönlich bekannt ist, erfolgt die Auswahl in vielen Fällen zwangsläufig eher "blind". Dem Richter bleibt mangels ausreichender Informationsmöglichkeiten nichts anderes übrig, als irgendeinen Dolmetscher aus der Liste der allgemein vereidigten Dolmetscher herauszugreifen - sofern dort für eine Sprache überhaupt mehrere Personen angegeben werden. Schlechtestenfalls überläßt er dies sogar noch seiner Geschäftsstelle. 280 Je unklarer die Befahigung eines Dolmetschers aber im Vorfeld der Verhandlung ist, um so wichtiger ist es, daß der Richter während der Verhandlung darauf achtet, ob der jeweilige Dolmetscher auch tatsächlich für diese Aufgabe geeignet ist. Damit verlagert sich das Feststellungserfordernis, das eigentlich Teil der Auswahlentscheidung sein sollte, in die spätere Überwachung des Dolmetschers. 281 Zwei an sich unterschiedliche Vorgänge verquicken sich somit in der Praxis. Dieser Zustand ist nicht befriedigend, denn die erforderliche Befähigung eines Dolmetschers sollte als Voraussetzung seiner Zuziehung - wie es das Wort schon andeutet - bereits im voraus feststehen. in Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann, § 185 GVG Rn 5; KK-Diemer, § 185 GVG Rn 7; Katholnigg, § 185 GVG Rn 1; Kissel, § 185 GVG Rn 8; KK-Pfeiffer, Ein!. Rn 93; LR-Schäferl Wickern, § 185 GVG Rn 14 (24. Auflage); Schreiber, in Wieczorek/Schütze, § 185 GVG Rn 12; MK-Woif, § 185 GVG Rn 11. 278 Siehe 1. Kap. 0 I 1 (S.50). 279 Vg!. 1. Kap. 0 I 1 (S.49). 2' 0 Vg!. Adorno, DRiZ 1993,477 (478). 28\ Siehe dazu unten 3. Kap. C (S . 193 ff.).

F. Die Auswahlentscheidung

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Als zwangsläufige Folge der mangelhaften Unterstützung des Richters bei der "Dolmetscherfrage" kann diese problematische Situation aber nur beseitigt werden, indem eine Veränderung der unzureichenden Dolmetscherregelungen in Angriff genommen und es dem Richter dadurch ermöglicht wird, sich bereits bei seiner Auswahlentscheidung auf bestimmte Qualitätsgarantien verlassen zu können. 282 Aber gleichgültig, zu welchem Zeitpunkt die Feststellung ausreichender Befahigung stattfindet, der Vorgang bleibt in seiner dogmatischen Struktur immer der gleiche. Es handelt sich dabei um Tatsachenfeststellungen. Der Richter muß einen prozeßrechtserheblichen Sachverhait 283 , die Eignung des Dolmetschers, ermitteln. Diese Eignung besteht dabei aus mehreren Komponenten. Neben der allgemeinen Qualifikation als Dolmetscher sind dies zum einen die für ein Gerichtsverfahren generell erforderlichen Spezialkenntnisse und zum anderen die gegebenenfalls individuell notwendigen Fähigkeiten und Eigenschaften einer Person. 284 Der Feststellungscharakter dieser Vorgänge zeigt, daß für den klassischen Ermessensbegriff hier wiederum kein Raum ist. Die Subsumtion unter das jeweils fallspezifisch ausgeprägte Merkmal von Geeignetheit erfordert zugegebenermaßen eine individuelle Bewertung, die jedoch besser mit dem Begriff des Beurteilungsspielraums umschrieben ist. Echtes Ermessen kann dagegen erst in der Situation greifen, in der ein Richter eine wirkliche Auswahlentscheidung zwischen mindestens zwei geeigneten Dolmetschern trifft.

IV. Die Revisibilität der personellen Zuziehungsentscheidung Rechtsprechung und Literatur sprechen pauschal über die im Ermessen des Richters stehende Dolmetscherauswahl und verneinen somit eine umfassende revisionsrechtliche Überprüfung dieser Frage. 285 Die in dieser Arbeit eingeschlagene Linie konsequent fortsetzend 286 , muß dem aber auch an dieser Stelle widersprochen werden. Die Dolmetscherauswahl muß im Hinblick auf die Revisibilität differenzierend betrachtet werden: Der feststellende Teil dieser Entscheidung muß als prozessuale Tatsachenfeststellung der Revision voll zugänglich sein. 287 Dagegen ist dogmatisch nichts einzuwenden, wenn man dem Richter bei der sich eventuell anschließenden, echten Auswahl zwischen mehreren geeigneten Dolmetschern Entscheidungsfreiheit in Form von irrevisiblem Ermessen gewährt. Siehe oben I. Kap. D I 3 (S. 53). Vgl. insoweit Eb. Schmidt, § 185 GVG Rn 11, der in der Sprachkunde des Dolmetschers eine "prozeßrechtserhebliche Tatsache" sieht. 2M Siehe oben 1. Kap.DI2 u.1I (S.51 ff.). Gerade die Wichtigkeit der individuellen Kriterien macht deutlich, wie unablässig es ist, daß die erforderliche Eignung im voraus festgestellt wird. 285 Siehe oben 2. Kap. C III (S. 93). 286 Siehe oben 2. Kap. C III 3 (S. 98 ff.). m So auch Eb. Schmidt, § 185 GVG Rn 11 u. 5. 282

283

10*

Drittes Kapitel

Die Ausübung der Dolmetschertätigkeit A. Einleitung Mit den im zweiten Kapitel behandelten Aspekten sind zunächst die Fragen dargestellt, die durch eine Dolmetscherzuziehung aufgeworfen werden können. Im Falle einer positiven Zuziehungsentscheidung treten weitere Probleme hinzu. Werden in § 185 GVG die Zuziehungsvoraussetzungen für einen Dolmetscher - wenn auch nur spärlich, so aber doch wenigstens ausdrücklich - vorgegeben, so sucht man im Hinblick auf die Ausübung der Übersetzungs tätigkeit vergeblich nach Bestimmungen des Gesetzgebers. Wie aber hat der Dolmetscher die ihm übertragene Aufgabe auszuführen? Gelten für alle Übersetzungen - gleich welche Prozeßrolle der Fremdsprachige einnimmt - dieselben Grundsätze? Welcher Übertragungsfonnen darf sich ein Dolmetscher im Prozeß bedienen? Gibt es hinsichtlich der unterschiedlichen Verhandlungsteile oder sogar hinsichtlich einzelner Äußerungen besondere Anforderungen an die Art und Weise der Übersetzung? Welchen Einfluß kann, darf oder muß der Richter auf die Tätigkeit des Dolmetschers nehmen? Die aufgeworfenen Fragen machen auf mehrere Gesichtspunkte aufmerksam: Zum einen wird deutlich, daß nunmehr eine nicht unwesentliche Phase beginnt. Erst in der Ausübung der Dolmetschertätigkeit liegt die eigentliche Umsetzung dessen, was mit der Zu ziehung des Dolmetschers erreicht werden soll. Der Akt der Zuziehung bliebe ohne das tatsächliche Ausführen der Verdolmetschung eine "leere Hülle". Daraus ergibt sich, daß die Ausgestaltung der Übersetzungstätigkeit für den hinter § 185 GVG stehenden Zweck nicht minder wichtig als die Zuziehungsfrage an sich ist. Zum anderen zeigt sich, daß die Aufgabe des Richters allein durch die von ihm getroffene Zuziehungsentscheidung noch nicht erfüllt sein kann. Ist - wie soeben angedeutet - die Ausführung der Übertragung von einer solchen Wichtigkeit, so drängt sich regelrecht die Vennutung auf, daß der Richter auch hinsichtlich der Zuziehungsumsetzung - zumindest in Teilaspekten - eine entscheidende Rolle spielen muß. Des weiteren läßt sich entnehmen, daß auf die Frage nach der Ausgestaltung der Übersetzungstätigkeit keinesfalls eine für die ganze Verhandlung einheitliche Antwort erfolgen muß. Die Vielfältigkeit der Verhandlungsteile könnte mit einer ebenso vielfältigen Ausfonnung in der Übersetzungstätigkeit einhergehen. Auf diese einzelnen, hier nur angedeuteten Gesichtspunkte wird im folgenden jeweils noch vertieft eingegangen werden.

B. Der Umfang der Übersetzungstätigkeit

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B. Der Umfang der Übersetzungstätigkeit I. Problemaufriß Auf die notwendige Unterscheidung zwischen Zuziehungsumfang und Umfang der Übersetzung wurde bereits hingewiesen. 1 Auch wenn geklärt ist, für welche Verhandlungs teile die Zuziehung eines Dolmetschers erforderlich ist, so ergibt sich daraus noch nicht, welche Gestalt die jeweilige Übersetzungstätigkeit im einzelnen haben soll. Betrachtet man die zu dieser Frage in Literatur und Rechtsprechung gemachten Ausführungen, so hat man dabei beispielsweise die Wahl zwischen einer Übertragung "voll ins Deutsche", "in allen wesentlichen Teilen" oder gar nur als "Übersetzung des Ergebnisses". 2 Aber auch Formulierungen wie "vollständig"3, "wörtlich"4 oder "ihrem Inhalt nach"5 finden sich als attributive Angaben zum Übersetzungs umfang. Da die verwendete Terminologie sich insgesamt also recht uneinheitlich präsentiert, ist es sinnvoll, auch hier zunächst eine kurze begriffliche Klärung voranzustellen. 1. Begriffliche Klärung

a) "Wörtliche" und "vollständige" Übertragung Obwohl es teils vielleicht sogar in der Intention der verschiedenen Autoren liegt, eine gleiche oder doch zumindest ähnliche Aussage zu treffen, ist dies mit der variierenden Terminologie nicht sichergestellt. So muß die oft verwendete Vokabel "vollständig" beim Übersetzen nicht auch das gleiche wie das ebenso häutig anzutreffende "wörtlich" meinen. Wie gerade an diesem Wortpaar ersichtlich wird, kann der Umfang der Übersetzungstätigkeit nämlich sogar zweierlei Aspekte umfassen: zum einen den Umfang der Übersetzung in einem engeren Sinn, also sozusagen ihren inhaltlichen Ausführlichkeitsgrad, zum anderen die formale Art und Weise der Übertragung, sprich den "formalen Ausführlichkeitsgrad" . Obwohl beide Aspekte teils stark ineinandergreifen, lassen sie sich doch zumindest abstrakt voneinander trennen. Während wörtlich beispielsweise eine - wie sich aus dem Begriff bereits lesen läßt - wortgenaue Verdolmetschung beinhaltet und damit in erster Linie Auskunft über die "formale Ausführlichkeit" gibt, bedeutet vollständig lediglich, daß jede im Text der Ausgangssprache enthaltene Information inhaltlich auch im Text der Zielsprache vorhanden ist. Die wörtliche Übertragung bietet sich dabei zwar als weitestgehende Gewähr für inhaltlich vollständige ÜberSiehe oben 2. Kap. EI (S. 119 f.). All diese Formulierungen zu finden z. B. bei Katholnigg, § 185 GVG Rn 3. 3 LR-Schäfer/Wickern, § 185 GVG Rn 16 (24. Auflage). 4 BVerfGE 64, 135 (148); Kissel, § 185 GVG Rn \0 u. 11; KK-Diemer, § 185 GVG Rn 4. 5 MK-Wolf, § 185 GVG Rn 7. I

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3. Kap.: Die Ausübung der Dolmetschertätigkeit

setzungen an, jedoch läßt sich das Ziel der Vollständigkeit auch im Wege einer lediglich sinngemäßen Translation erreichen. Auch wenn also anzunehmen ist, daß die Forderung einiger Autoren nach "vollständiger Übertragung" in der Regel auch eine wortgetreue Wiedergabe implizieren soll, ist dieser Aspekt aber nur in der - sowohl beim Bundesverfassungsgericht 6 als auch bei einigen anderen Autoren 7 anzutreffenden - Formulierung ("wörtlich") zweifelsfrei enthalten. Umgekehrt dagegen bringt die wörtliche Übersetzung gleichzeitig immer auch eine Vollständigkeit mit sich. h) "Verständlich machen des wesentlichen Inhalts" Im Gegensatz zur Klarheit des Begriffs "wörtlich" ist die andere vom Bundesverfassungsgericht verwendete Formulierung jedoch nicht ganz so eindeutig. Seine Aussage, im übrigen (neben dem Erfordernis wörtlicher Übertragung also) sei mindestens der wesentliche Inhalt des Verhandelten verständlich zu machen 8, kann zu Unklarheiten führen und ist daher als problematisch zu bewerten. Im Hinblick auf die soeben gemachten Ausführungen ist es denkbar, die zitierte Einschränkung des Gerichts in zweierlei Richtung auszulegen. Einerseits könnte sie im Gegensatz zum Aspekt der Vollständigkeit stehen und somit zum Ausdruck bringen, daß lediglich teilweise Übersetzungen ausreichten. Auf der anderen Seite könnte hierin schlicht die Verneinung des Erfordernisses wörtlicher Übertragung liegen, so daß im Ergebnis zwar "nur" sinngemäße, aber trotzdem vollständige Übersetzungen gefordert würden. Daß insoweit Aufklärungsbedarf besteht, zeigt sich unter anderem in der Kritik eines Praktikers. So bemängelt etwa Rechtsanwalt Rüther 9 , daß der vom Verfassungsgericht benutzte Begriff "wesentlicher Inhalt" Raum für das Mißverständnis schaffe, eine teilweise Übersetzung sei ausreichend. Er scheint ferner der Meinung zu sein, die gängigen Strafprozeßkommentare seien diesem Mißverständnis mehr oder minder erlegen, denn er wirft ihnen vor, sie hätten die Umsetzung der einschlägigen Verfassungsgerichtsentscheidungen nicht vollzogen. Hier wird deutlich, daß die Worte des Bundesverfassungsgerichts in der Tat sowohl in die eine, als auch in die andere Richtung ausgelegt werden. Welches jedoch die dem Sachverhalt angemessene Interpretation ist, läßt sich durch eine vorangestellte Begriffsbestimmung nicht einfach klären und wird daher im folgenden ausführlich untersucht werden. BVerfGE 64,135 (148) . In Anlehnung an die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts beispielsweise Kissei, § 185 GVG Rn 10 u. 11; KK-Diemer, § 185 GVG Rn 4. 8 Siehe BVeliGE 64, 135 (148). 9 Siehe Rüther, MschrKrim - Sonderheft - 1999, 86 (92). 6

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B. Der Umfang der Übersetzungs tätigkeit

151

2. Differenzierungsaspekt Verfahrensrolle Will man die Frage des Umfangs der Übersetzungstätigkeit beantworten, so ist zunächst grundsätzlich einmal darauf zu achten, in was für einer Verfahrensrolle sich der Sprachunkundige befindet. 10 Wegen der prozeßtechnisch unterschiedlichen Bedeutung der einzelnen Verfahrensrollen besteht nämlich Grund zur Annahme, daß die Art der Verfahrensbeteiligung sich jeweils auch auf den Umfang der Übersetzung auswirken könnte. Da bei einigen Verfahrensbeteiligten - wie Richtern, Schöffen 11, Protokollführern und Staatsanwälten - die Beherrschung der deutschen Sprache als selbstverständlich vorauszusetzen ist l2 , kann sich die Notwendigkeit von Übersetzungen nur bei bestimmten, anderen Prozeßbeteiligten ergeben. Dies betrifft neben den Beweispersonen, sprich Zeugen und Sachverständigen, vornehmlich den Angeklagten, aber auch dessen gesetzlichen Vertreter, Beistände, Vertreter i. S. v. § 329 StPO und Verteidiger l3 sowie Privat- und Nebenkläger, Einzugs- und Verfallsbeteiligte. 14 So auch LR-Schäfer/Wickern, § 185 GVG Rn 15 (24. Auflage). Die Frage, ob sich die Beherrschung der Gerichtssprache bei Schöffen als Selbstverständlichkeit darstellt, ist jedoch umstritten. Wahrend Eh. Schmidt (§ 185 GVG Rn 6, § 31 GVG Rn 4ff.) und lessnitzer (Dolmetscher, S. 71) davon ausgehen, daß Schöffen der deutschen Sprache mächtig sein müssen, wird bei LR-Schäjer/Wickern (§ 185 GVG Rn 4 [24. Auflage]) ausgeführt, daß diese durchaus auch fremdsprachig sein könnten. Mit Recht wird darauf hingewiesen, daß sich aus der gesetzlichen Regelung der §§ 31 bis 35 GVG nicht unbedingt eine Deutschsprachigkeit der Schöffen ergibt. Schöffe kann nach § 31 S. 2 GVG zwar nur derjenige werden, der Deutscher ist, jedoch muß mit dieser Eigenschaft - selbst wenn dies regelmäßig der Fall ist - nicht automatisch auch die Beherrschung der deutschen Sprache verbunden sein (vgl. oben I. Kap. A Fn 1 [So 19]). Es sprechen jedoch mehrere, teils praktische, größtenteils aber rechts staatlich motivierte Interessen dafür, von Schöffen die Beherrschung der Gerichtssprache zu fordern. Daß die Strafrechtspflege eine funktionstüchtige und bestmögliche Ausgestaltung erfahrt, liegt nicht nur im Interesse des Staates selbst oder der Allgemeinheit, sondern vor allem auch im Interesse der direkt oder indirekt Betroffenen. Die eingangs gemachten Ausführungen zu der Bedeutung der Sprache haben gezeigt, daß eine optimale Kommunikationsstruktur nur bei der Verwendung einer einheitlichen Sprache existiert (siehe oben I. Kap. A [So 21]). Auf den Einsatz eines Dolmetschers sollte daher nur dann zurückgegriffen werden, wenn sich die Beteiligung Fremdsprachiger nicht vermeiden läßt, so z. B. bei deutschunkundigen Angeklagten oder Zeugen, oder wenn wichtige Gründe dafür sprechen, z. B. bei einem fremdsprachigen Sachverständigen. Die Einbeziehung einer der Gerichtssprache nicht mächtigen Person als Schöffe ist jedoch weder unvermeidbar, noch läßt sie sich aus sachlich zwingenden Gründen rechtfertigen. Im Gegenteil, die hiermit verbundenen Nachteile, wie die Gefahr übersetzungsbedingter Mißverständnisse oder möglicher Beeinträchtigungen des Kommunikationsflusses innerhalb der öffentlichen Verhandlung, vor allem aber auch während der Beratungen des Gerichts, sprechen sogar deutlich gegen eine solche Praxis. 12 Siehe lessnitzer, Dolmetscher, S. 71; a. A. wohl MK-Woif, § 185 GVG Rn 3. \3 Im Gegensatz zum Schöffen ist beim Verteidiger die Beherrschung der Gerichtssprache allerdings keine unbedingt erforderliche - wenn auch sehr wünschenswerte - Voraussetzung. Laut Kissel (§ 185 GVG Rn I) ist daher bei ausländischen Rechtsanwälten, die der deutschen Sprache nicht mächtig sind, soweit diese im Rahmen der europäischen Dienstleistungsfreiheit vor deutschen Gerichten auftreten dürften, nach § 185 GVG zu verfahren. Allerdings ist zu beachten, daß das Gericht bei einer nicht als Rechtsanwalt zugelassenen Person die mangelnde 10 11

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3. Kap.: Die Ausübung der Dolmetschertätigkeit

Die Funktion des Fremdsprachigen im Verfahren soll im folgenden daher als Ausgangspunkt für eine differenzierte Betrachtung des Übersetzungs umfangs dienen.

11. Übersetzungsumfang bei fremdsprachigen Beweispersonen Es versteht sich von selbst, daß das Betätigungsfeld des Dolmetschers bei einem fremdsprachigen Zeugen oder Sachverständigen - entsprechend des in solchen Fällen von vornherein beschränkten Zuziehungsumfangs 15 - allein auf die Verständigung mit jener Person begrenzt ist. Die Übertragung umfaßt dabei alle Äußerungen und Vorgänge innerhalb der Kommunikation mit dem Fremdsprachigen. Im einzelnen sind das die in die Fremdsprache zu übertragenden Äußerungen des Gerichts, wie die erforderlichen Belehrungen, Fragen und Vorhalte, nebst den Fragen anderer Prozeßbeteiligter sowie die ins Deutsche zu übersetzenden Angaben des Deutschunkundigen zu seiner Person und zur Sache selbst. 16

1. Übersetzung der Vernehmung a) Fremdsprache ins Deutsche Hinsichtlich der Ausgestaltung von Vernehmungsübersetzungen ist man sich in der Literatur dabei insoweit einig 17, daß zumindest die fremdsprachigen Zeugenaussagen einer wörtlichen - und damit auch vollständigen - Übertragung bedürfen. 18 Gleiches muß insofern auch für die fremdsprachigen Äußerungen eines Sachverständigen gelten. 19 Kenntnis der Gerichtssprache als Anlaß zur Versagung der Genehmigung nach § 138 Abs. 2 StPO nehmen kann. So auch LR-SchäferIWickern, § 185 GVG Rn 4 (24. Auflage); Kissel, § 185 GVG Rn 1. Einschränkend, aber diese Möglichkeit trotzdem grundsätzlich bejahend Jessnitzer, Dolmetscher, S. 71. Strikter dagegen Eb. Schmidt, § 185 GVG Rn 6, der davon ausgeht, daß das Gericht einer deutschunkundigen Person diese Genehmigung zu versagen habe. 14 So fast übereinstimmend die Aufzählung bei Jessnitzer, Dolmetscher, S. 71; vgl. ergänzend aber auch Kissel, § 185 GVG Rn 1; LR-SchäferIWickern, § 185 GVG Rn 4 (24. Auflage). 15 Siehe oben 2. Kap. E (S. 119). 16 Siehe LR-SchäferIWickern, § 185 GVG Rn 19 (24. Auflage). 17 So ausdrücklich KK-Diemer, § 185 GVG Rn 4; Kissel, § 185 GVG Rn 11; wohl auch MKWolf, § 185 GVG Rn 7, der von "voll inhaltlich" spricht - vgl. dazu oben - sowie Katholnigg, § 185 GVG Rn 3 ("voll ins Deutsche"); vermutlich auch in diesem Sinne LR-SchäferlWickern (vgl. insoweit § 185 GVG Rn 16 [24. Auflage], fremdsprachige Erklärungen seien "stets vollständig in die deutsche Sprache" zu übertragen), obwohl eine explizite Feststellung zum Zeugen diesbezüglich fehlt (siehe § 185 GVG Rn 19 [24. Auflage]); ebenso auch Weith, S.54. 18 Vgl. dazu auch oben 1. Kap. C (S. 45). 19 Für den Sachverständigen ausdrücklich nur MK-Wolf, § 185 GVG Rn 7; indirekt aber auch Katholnigg, § 185 GVG Rn 3 sowie Kissel, § 185 GVG Rn 11.

B. Der Umfang der Übersetzungstätigkeit

153

b) Deutsch in die Fremdsprache

Bei der Translation in umgekehrter Richtung ist dagegen nicht ganz so klar, ob auch dort solch ein Konsens hinsichtlich der von der Übersetzung zu erbringenden Anforderungen herrscht. aa) Fragen an Beweispersonen Nach Wolf20 muß der Dolmetscher Fragen an die Beweisperson so übersetzen, daß die wesentlichen Punkte verständlich werden. 21 Demgegenüber findet sich bei Kissel 22 die Angabe, daß Fragen des Gerichts immer wörtlich zu übersetzen seien. Interpretierte man Wolfs Aussage so, daß die punktuell zusammengefaßte Wiedergabe von Fragen zulässig sein sollte (seine Wortwahl deutet stark auf eine solche Interpretation hin), so stünde dies im klaren Widerspruch zu Kissels Ansicht. Einer verkürzten Übersetzungspflicht bei Fragen müßte jedoch entschieden entgegengetreten werden. Gerade in dieser Hinsicht wäre eine zusammenfassende Übertragung weder sachlich sinnvoll noch aus prozeßökonomischen Gründen - sollte man solche in diesem Zusammenhang überhaupt als tragfähig erachten - geboten. Einen möglicherweise einzusparenden Zeitaufwand könnte man in diesem Bereich ohne weiteres vernachlässigen, denn in der Regel fallen Fragen an Beweispersonen - im Verhältnis zu deren Antworten - eher kurz aus. Vor allem aber widerspräche es dem Zweck der Fragen selbst, diese nicht wörtlich zu übertragen. Für Gerichtsverhandlungen gilt es im Interesse guter Sachverhaltsermittlung grundsätzlich als vorteilhaft, eine Beweisperson zunächst relativ frei über ihr Beweisthema berichten zu lassen. 23 Erst wenn die so erlangte Information als nicht ausreichend erachtet wird, geht das Gericht dazu über, die noch als klärungsbedürftig angesehenen Umstände durch Fragen auszuleuchten. Das bedeutet, daß Fragen in der Regel der Erlangung ganz spezieller Information dienen und sie dementsprechend auch sehr gezielt ausformuliert sind. Die fragende Person hat ihre Gründe, warum sie gerade den einen oder anderen Wortlaut bevorzugt. Da der Dolmetscher die Motivation einer bestimmten Frage nicht kennt, d. h. regelmäßig überhaupt nicht kennen kann und oftmals auch gar nicht kennen soll, muß eine Frage möglichst wortgetreu wiedergeben werden. Nur so ist sichergestellt, daß die hinter der Frage stehende Intention durch die Übersetzung nicht verloren geht.

Siehe MK-Wolf, § 185 GVG Rn 7. Es ist einzuräumen, daß sich Wolfs Ausführungen in erster Linie auf den Zivilprozeß beziehen, jedoch sind Rolle und Stellung von Beweispersonen im Straf- und Zivilverfahren nicht so unterschiedlich, als daß bei bei den zumindest im Hinblick auf die Verdolmetschung nicht auch die gleichen Grundsätze anzuwenden wären. 22 Siehe Kissel, § 185 GVG Rn 10. 23 Vgl. KK-TolksdO/f, § 243 StPO Rn 43. 20 21

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3. Kap.: Die Ausübung der Dolmetschertätigkeit

bb) Vorhalte Ähnliche Gründe sprechen auch für eine wörtliche Übertragung bei Vorhalten. 24 Auch hier kommt es - wegen des Zitatcharakters sowie der angestrebten Abgleichung mit einer neueren Äußerung oder mit der Erinnerung - entscheidend auf den individuellen Wortlaut des Vorhalts an. cc) Belehrungen Anders verhält es sich dagegen hinsichtlich der übrigen Verhandlungsteile, von denen die Beweisperson unmittelbar betroffen ist. Hier kann häufig auf eine wörtliche, kaum jedoch auf eine vollständige Übersetzung verzichtet werden. Wird ein Zeuge beispielsweise über sein Zeugnisverweigerungsrecht belehrt, kommt es nur darauf an, daß ihm die inhaltliche Bedeutung der Belehrung voll verständlich ist. 25 Ob dies durch eine wörtliche oder sinngemäße Übertragung erreicht wird, ist irrelevant, solange die inhaltliche Information vollständig enthalten ist. Es kann für den Betroffenen unter Umständen sogar besser sein, daß der Dolmetscher - statt die Worte des Richters einfach wiederzugeben - ihm die Bedeutung der Belehrung zwar vollständig, aber nur sinngemäß vermittelt und der Zeuge daneben beispielsweise auf das in seinem Rechtskreis existierende, parallel ausgestaltete Institut hingewiesen wird. 26

Im Gegensatz zur Belehrung gibt es jedoch auch Verhandlungsteile, bei denen eine lückenlose Kenntnis des gesamten Inhalts nicht unbedingt für erforderlich gehalten zu werden scheint. Verhandelt das Gericht beispielsweise über die Verhängung eines Ordnungsgeldes, so ist es ausreichend, wenn die betreffende Beweisperson lediglich sinngemäß - und nach vereinzelter Ansicht sogar nur in etwas zusammengefaßter Form - über den Inhalt des Vorgangs unterrichtet wird. 27 Auf den exakten Wortlaut kommt es dabei jedenfalls nicht an. Das Interesse an der Wahrheitsfindung, das im prozessualen Geschehen häufig hinter dem Erfordernis exakter Übertragung steht, wirkt sich insofern nicht aus. Allerdings ist auch bei dieser Form der Übertragung darauf zu achten, daß keine für den Betroffenen wichtigen Informationen unterschlagen werden. Er darf nicht daran gehindert sein, seine eigenen Interessen wahrzunehmen (beispielsweise die Möglichkeit gegenüber des Vorwurfs des mehrmalig unentschuldigten Ausbleibens 24 A. A. wohl MK-Wolf, § 185 GVG Rn 7, dort soll bei einer Gegenüberstellung der "wesentliche Inhalt" der Aussage des anderer Beteiligten übersetzt werden. 25 Die Wichtigkeit des tatsächlichen Verständnisses von Belehrungen betont auch Arrkämper, S. 195 i.V. m. S. 184. 26 Derartiges vermag ein Dolmetscher natürlich nur bei entsprechender Schulung im fremden Rechtssystem zu leisten. Vgl. oben I. Kap. D I 2 a (S. 51 ff.). 27 Im Ergebnis so wohl MK-Wolf, § 185 GVG Rn 7.

B. Der Umfang der Übersetzungstätigkeit

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zu reagieren). Die Notwendigkeit vollständiger Übertragung ergibt sich insofern aus dem Beschuldigungscharakter der Ordnungsgeldfrage und darf daher nicht außer acht gelassen werden. c) Zusammenfassung

Es ist also festzuhalten, daß grundsätzlich alle in Verbindung mit der Beweisperson stehenden Verhandlungsteile übersetzt werden müssen und daß dabei regelmäßig auf eine lückenlose und möglichst genaue, also weitestgehend wörtliche Translation zu achten ist.

2. Übertragung des Eides Die einzige Ausnahme von diesem strikten Erfordernis bildet jedoch der von der Beweisperson gesprochene Eid. Notwendig ist in diesem Zusammenhang lediglich die Translation der deutschen Eidesnorm und -formel in die von der Beweisperson beherrschte Sprache. Der vom Fremdsprachigen gern. § 188 GVG in seiner Sprache zu leistende Eid bedarf - wie dies auch von einer weit verbreiteten Ansicht in der Literatur vertreten wird - dann keiner Rückühertragung mehr. 28 Die gegenteilige Auffassung, die eine Übertragung der vom Zeugen in der fremden Sprache gesprochenen Eidesformel für erforderlich erachtet 29 , vermag nicht zu überzeugen. Weder aus § 188 GVG noch aus praktischen Erwägungen läßt sich ein solches Erfordernis begründen. Ein geeigneter Kontrollmechanismus für die Richtigkeit des geleisteten Eides - der auf diese Art und Weise gegeben sein soll 30 - kann darin nicht gesehen werden. Hat der Richter Eidesnorm und -formel zunächst selbst auf Deutsch vorgesprochen und wiederholt der Eidespflichtige exakt den vom Dolmetscher übertragenen Text, so ist eine Rückübertragung insoweit widersinnig, als nicht zu erwarten ist, daß ein Dolmetscher den von ihm kurz zuvor übersetzten Wortlaut nun abweichend überträgt, zum al er den deutschen Ausgangstext sozusagen noch "im Ohr haben" muß. Hat der Dolmetscher Eidesnorm und -formel dagegen - wie dies nach allgemeiner Ansicht 31 grundsätzlich zulässig ist - direkt in der Sprache der Beweisperson vorgesprochen, so durfte dies nur unter der Vorausset28 So - in Anlehnung an RGSt 45,304 (305) - auch LR-Schäjer/Wickern, § 185 OVO Rn 16 und 19, § 188 OVO Rn 2 (24. Auflage); Kissel, § 188 OVO Rn 1; SK-Rogall, § 66c StPO Rn 10. In diesem Sinne wohl auch KK-Diemer, § 188 OVO Rn 1 sowie KMR, § 188 OVO Rn la.E. 29 Siehe Meyer-Goßner, § 188 OVO Rn 1; KK-Senge, §66c StPO Rn 3; KMR-Paulus, §66c StPO Rn 4; ähnlich wohl auch MK-Wolf, § 188 OVO Rn 3 sowie Jessnitzer, Dolmetscher, S. 76. 30 Siehe Jessnitzer, Dolmetscher, S. 76, der im Zweifel die Rückübertragung als Kontrolle empfiehlt; ähnlich auch Katholnigg, § 188 OVO Rn I. 31 Siehe RGSt 45, 304 (305); Kissel, § 188 ova Rn 1; KK-Diemer, § 188 OVO Rn 1; Meyer-Goßner, § 188 OVO Rn 1; KMR, § 188 OVO Rn 1; MK-Woif, § 188 OVO Rn 3; Jessnitzer, Dolmetscher, S. 76.

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3. Kap.: Die Ausübung der Dolmetschertätigkeit

zung geschehen, daß dem Dolmetscher der exakte Wortlaut des Eides bekannt war. 32 Bestehen an dieser Kenntnis jedoch Zweifel, weil der Dolmetscher etwa dem Gericht nicht bereits durch frühere Verfahren bekannt ist oder - was ohnehin einen äußerst bedenklichen Umstand darstellt 33 - weil dem Dolmetscher überhaupt die entsprechende Gerichtserfahrung bzw. Spezialkenntnis fehlt, so darf das Gericht dem Dolmetscher von vornherein das Vorsprechen des Eides nicht überlassen, sondern muß selbst den gen auen Wortlaut vorgeben. Zur Notwendigkeit der nachträglichen Kontrolle bei Zweifeln über die Richtigkeit des Eides, wie dies beispielsweise von Jessnitzer empfohlen wird 34 , kann es insofern überhaupt nicht kommen. Aber selbst für den Fall, daß eine zweifelhafte Situation eintreten sollte, so könnte die Rückübertragung der gesprochenen Eidesformel die entstandene Unsicherheit gar nicht beheben. Solche Zweifel würden sich kaum auf die relativ kurze und einfache Eidesformel ("Ich schwöre es, so wahr mir Gott helfe." bzw. "Ich schwöre es."35), sondern eher auf die ausführlichere Eidesnorm beziehen. Diese wird vom Zeugen aber gar nicht wiederholt. Die geforderte (Rück-)Übertragung der Eidesformel könnte insofern nur Aufschluß darüber geben, ob der Eidespflichtige überhaupt geschworen hat. Der Inhalt des Schwurs bliebe, solange nicht auch eine Rückübertragung der vom Dolmetscher vorgesprochenen Eidesnorm stattfände - was von den Vertretern der gegenteiligen Auffassung jedoch nicht gefordert wird -, trotzdem im dunkeln. Da Zweifel das Gericht also einerseits dazu zwingen, schon im Vorfeld zu handeln, und da die Rückübertragung des vom Richter vorgesprochenen Eides andererseits nicht sinnvoll ist, muß der teilweise in der Literatur vertretenen Meinung, eine Übersetzung des geleisteten Eides sei grundsätzlich verzichtbar, beigepflichtet werden.

3. Exkurs: Übersetzung einer fremdsprachigen Urkunde Obwohl es sich hierbei nicht direkt um einen der Regelung des § 185 GVG unterliegenden Fall handelt, soll die Übersetzungsfrage einer fremdsprachigen Urkunde an dieser Stelle dennoch kurz angesprochen werden. Die Urkunde weist in ihrer Funktion als Beweismittel nämlich ein gewisses "Verwandtschaftsverhältnis" zu den fremdsprachigen Beweispersonen auf. Anders als bei den bisher angesprochenen Konstellationen geht es hier nicht um die Beteiligung einer der Gerichtssprache unkundigen Person, sondern um die Verwertung eines nicht in der Gerichtssprache abgefaßten Schriftstücks. Das Gesetz hält für die Handhabung dieser Frage keine explizite Regelung bereit. Die schlichte Verlesung der Urkunde in ihrer Originalsprache jedoch würde regelmäßig einen Siehe RGSt 45, 304 (305). Vgl. zu den notwendigen juristischen Fachkenntnissen oben I. Kap. D I la (S. 51 ff.). 34 Siehe Jessnitzer, Dolmetscher, S. 76. 35 § 66 c Abs. I und 2 StPO. 32 33

B. Der Umfang der Übersetzungstätigkeit

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Verstoß gegen die Norm des § 184 GVG darstellen. 36 Die Beachtung des in § 184 GVG niedergelegten Grundsatzes, daß die Gerichtssprache deutsch ist, darf andererseits aber auch nicht dazu führen, daß die Verwertung einer solchen Urkunde grundsätzlich zum Scheitern verurteilt ist. Dies entspräche keineswegs dem prozessualen Interesse an der Wahrheitsermittlung, das es gebietet, sich möglichst alle zugänglichen Beweismittel zu Nutze zu machen. Die sich bei dieser Frage deutlich aufdrängende Parallele zur Verwertung fremdsprachiger Zeugenaussagen weist darauf hin, daß die Lösung dieses Problems in einer entsprechenden Anwendung der für jene Fälle geschaffenen Regelung zu suchen ist. Im Anschluß an die Rechtsprechung des Reichsgerichts ist daher festzustellen, daß das Gericht in analoger Anwendung des § /85 GVG verpflichtet ist, "als Beweismittel dienende, in fremder Sprache abgefaßte Schriftstücke von Amts wegen und ohne einen Antrag abzuwarten, in die Gerichtssprache übertragen zu lassen". 37 Somit führt nicht nur die Beteiligung fremdsprachiger Personen, sondern auch die Einbeziehung fremdsprachiger, sachlicher Beweismittel zur notwendigen Zuziehung eines Dolmetschers. Es gilt dabei jedoch zu beachten, daß der Dolmetscher mit der Übersetzung der außerhalb des Prozesses abgegebenen Erklärung eine Beweisfunktion erfüllt und damit in der Rolle eines Sachverständigen tätig wird. 38

III. Übersetzungsumfang bei fremdsprachigen Angeklagten Die Übertragung bei anderen fremdsprachigen Verfahrensbeteiligten als Zeugen und Sachverständigen, also bei Prozeßbeteiligten im engeren Sinne 39 , ist - entsprechend dem bei ihnen grundsätzlich weiten Zuziehungsumfang - im Verhältnis zu fremdsprachigen Beweispersonen insgesamt insofern umfassender, als diese Betroffenen in der Regel während der gesamten Verhandlung anwesend sind und sich die Übersetzungstätigkeit somit auf alle Verhandlungselemente erstrecken muß. Aufgrund der Tatsache, daß die praktischen Fallkonstellationen in der Regel einen fremdsprachigen Angeklagten aufweisen, sind die folgenden Ausführungen lediglich auf ihn ausgerichtet. Für Personen in anderen Verfahrensrollen (also Verteidiger, Beistände, gesetzliche Vertreter des Angeklagten, Vertreter i. S. v. § 329 StPO, Privat- und Nebenkläger sowie Einzugs- und Verfallsbeteiligte) können die Angaben jedoch - in etwas modifizierter Form - jeweils entsprechend herangezogen werden. Für eine genaue Darstellung der jeweils erforderlichen Ausgestaltung bei den einzelnen zu übersetzenden Verhandlungselementen empfiehlt es sich zunächst, zwei grundsätzliche Bereiche zu unterscheiden: das sind zum einen die Übersetzungen 36

37 38

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Siehe RGSt 27,268 (269). RGSt 27, 268 (269). Siehe oben 1. Kap. E III (S. 66 ff.). Siehe dazu Jessnitzer, Dolmetscher, S. 74.

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3. Kap.: Die Ausübung der Dolmetschertätigkeit

aus der Sprache des Verfahrensbeteiligten in die deutsche Sprache und zum anderen die Ühersetzungen in umgekehrter Richtung. 4o

1. Übertragungen aus der Fremdsprache Vor allem der erste Bereich bedarf dabei einer umfassenden Übersetzung. Alles, was der fremdsprachige Angeklagte in der Verhandlung von sich gibt, muß vollständig in die Gerichtssprache übertragen werden. 41 Da es bei seinen Äußerungen, seien es Erklärungen oder Anträge, stets auf deren exakten Bedeutungsinhalt ankommt, bietet dafür nur die wörtliche Übersetzung ausreichend Gewähr. 42 Eine solch umfassende, wortgenaue Übersetzung ist einerseits deshalb so wichtig, weil das Gericht nur auf der Grundlage vollständiger Information seine Leitungsfunktion ordnungsgemäß erfüllen kann. Zum anderen aber auch deshalb, weil lediglich auf diese Weise eine wirkliche Beurteilungsbasis für die einzelnen Vorträge und Vorgänge geschaffen werden kann. Vor allem das im Strafprozeß immer im Vordergrund stehende Erfordernis der Wahrheitsfindung gebietet es, daß dem Gericht stets alle Informationen auf bestmögliche Art und Weise, also möglichst umfassend und genau, zugänglich gemacht werden. 43 Zur Begründung des vollständig wortgetreuen Übersetzungserfordernisses ist nicht zuletzt aber auch an den oben bereits ausführlich diskutierten Grundsatz des fairen Verfahrens zu erinnern. Neben seiner grundsätzlichen Bedeutung für die Dolmetscherzuziehung und den damit verbundenen Auswirkungen auf die Auslegung der entsprechenden Tatbestandsmerkmale 44 sowie auf den Zuziehungsumfang 45 , entfaltet er auch bei dieser Frage eine nicht unbedeutende Wirkung. Nur eine möglichst genaue Übertragung kann gewährleisten, daß der Betroffene mit dem Vortrag seiner Interessen und Belange richtig verstanden wird. Nur so erhält er tatsächlich 40 Eine solche Unterscheidung ist auch bei LR-SchäferIWickern, § 185 GVG Rn 16 und 17 ff. (24. Auflage) zu finden. 41 Siehe Katholnigg, § 185 GVG Rn 3; LR-SchäferIWickern, § 185 GVG Rn 16 (24. Auflage); in diesem Sinne auch MK-Woif, § 185 GVG Rn 7, jedoch bezogen auf die Parteien im Zivilprozeß. 42 So ausdrücklich für die wörtliche Übertragung auch Kissel, § 185 GVG Rn 11; ebenso Weith, S. 54. 43 Siehe zur Begründung insoweit Kissel, § 185 GVG Rn 11, der in die gleiche Richtung argumentiert. Ebenso auch Weith, S. 54. Vgl. aber auch LR-SchäferIWickern, § 185 GVG Rn 16 (24. Auflage), wo das Gebot einer vollständigen Übertragung neben den bei Kissel angeführten Argumenten auch aus dem Grundsatz des rechtlichen Gehörs hergeleitet wird. Dieser Argumentationsansatz ist jedoch in Anbetracht der ständigen Rechtsprechung des BVerjG zu Art. 103 Abs.l GG (Vgl. dazu BVerjGE 7, 53 [56-57]; 21,191 [194]; 50, 32 [35]; 60,175 [210] u. 64, 135 [145]) nicht tragfähig. Ebensowenig wie die grundsätzliche Notwendigkeit einer Übersetzung aus diesem Grundsatz resultiert (siehe BVerfGE 64,135 [145]), kann deren Umfang daran festgemacht werden (v gl. oben 2. Kap. C II 2 [So 86]). 44 Siehe oben 2. Kap. C II 2 (S. 87). 45 Siehe oben 2. Kap. E III (S. 122).

B. Der Umfang der Übersetzungstätigkeit

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auch die Möglichkeit, selbst als Prozeßsubjekt zu agieren und vor allem als solches von dritter Seite behandelt zu werden. 2. Übertragungen in die Fremdsprache Während man für Übersetzungen in die Gerichtssprache pauschal annimmt, daß diese immer vollständig zu erfolgen haben, wird die Frage nach dem Übersetzungsumfang bei Übertragungen in die Fremdsprache dagegen nicht einheitlich beantwortet. Daß in diesem Bereich kein Pauschalurteil über den Übersetzungsumfang existiert, ist jedoch nicht verwunderlich. Das Spektrum der Verhandlungsteile, die für den fremdsprachigen Angeklagten nicht verständlich sind, ist groß: Es umfaßt z. B. sämtliche Äußerungen des Gerichts, wie Entscheidungen, Fragen, das Verlesen von Schriftstücken, aber auch den formalen Prozeßablauf betreffende Angaben. Ferner beinhaltet dieses Spektrum die Fragen, Äußerungen und Erklärungen der Staatsanwaltschaft, gegebenenfalls auch die des Verteidigers, des Nebenklägers, dessen Vertreters und eventuell anderer Verfahrensbeteiligter. Und nicht zuletzt ist natürlich auch das in der Beweisaufnahme Gesprochene zu nennen, wobei vor allem die Angaben und Aussagen von sämtlichen Beweispersonen besonders zu erwähnen sind. Kurz gesagt, alles, was in der Verhandlung nicht in der Sprache des Fremdsprachigen artikuliert wird, kommt für eine Übersetzung in Betracht. Ohne damit bereits ein Ergebnis vorwegnehmen zu wollen, ist festzuhalten, daß die einzelnen Äußerungen in der Verhandlung keineswegs den gleichen Stellenwert haben. Entsprechend der Funktion des Verhandlungsteils, dessen Bestandteil sie sind, variiert ihre Bedeutung. Eine generelle Aussage über die Relevanz eines Prozeßvorgangs ist schwer zu treffen. Diese steht vor allem in Abhängigkeit zu der interessenspezifischen Sicht jedes Beteiligten. Einen Angeklagten beispielsweise interessiert eine Zeugenaussage naturgemäß stärker als etwa die Frage, ob der Richter das Ausbleiben eines Zeugen für genügend entschuldigt ansieht. In dieser unterschiedlichen Ausprägung des Interesses an den einzelnen Äußerungen muß der Erklärungsansatz für die uneinheitliche Beurteilung des Übersetzungsumfangs gesucht werden: Differiert die Relevanz der verschiedenen Äußerungen aus Sicht des Fremdsprachigen, so spricht nichts dagegen, die Übersetzung in Relation zu diesem individuellen Stellenwert auszugestalten und den notwendigen Übersetzungsumfang nicht einheitlich zu beurteilen. Für die Rolle eines fremdsprachigen Angeklagten etwa ist das Erfordernis zur Übersetzung in erster Linie auf das Gebot des fairen Verfahrens und der damit angestrebten Gewährleistung seiner Subjektstellung 46 zurückzuführen. 47 Daher läßt es sich durchaus rechtfertigen, bei jenen Siehe oben 2. Kap. C II 2 (S. 86). Auch wenn es in diesem Zusammenhang um Übertragungen!ür den Angeklagten geht, hat nicht nur der Angeklagte selbst ein Interesse an der Frage des Übersetzungs umfangs. Obwohl das Gericht von den Translationen in diese Richtung primär nicht betroffen ist, hat es - abgesehen von dem Überwachungsaspekt - auch ein eigenes Interesse an der Ausgestaltung des 46 47

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3. Kap.: Die Ausübung der Dolmetschertätigkeit

Verhandlungselementen, die für die Erreichung dieses Ziels von untergeordneter Bedeutung sind, geringere Anforderungen an den Umfang der Übersetzung zu stellen. Umgekehrt dagegen gilt, je wichtiger eine Äußerung für den Betroffenen im Hinblick auf seine SubjektsteIlung ist, desto höheren Ansprüchen muß der Übersetzungsumfang genügen. Welche Anforderungen dabei im einzelnen zu erfüllen sind, ist jedoch fraglich. 3. Die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts Als Ausgangspunkt für die Beantwortung dieser Frage könnte die teils schon erwähnte Vorgabe des Bundesverfassungsgerichts dienen: "Anträge der Verfahrensbeteiligten und entscheidungserhebliche Erklärungen sind wörtlich zu übersetzen, im übrigen ist mindestens der wesentliche Inhalt des Verhandelten verständlich zu machen."48

In diesen Worten spiegelt sich wider, daß auch das Bundesverfassungsgericht hinsichtlich der einzelnen Verfahrensvorgänge von einer unterschiedlichen Wertigkeit auszugehen scheint. Das Gericht wählt dafür statt dem hier entwickelten, individuellen Betrachtungswinkel jedoch ein eher allgemeines Kriterium: die Entscheidungserheblichkeit. Wie bereits angedeutet, ist diese Aussage des Verfassungsgerichts jedoch mit Problemen verbunden, produziert sie doch ihrerseits wieder neue Fragen: Was ist "entscheidungserheblich"? Was ist der "wesentliche Inhalt"? Und wer entscheidet darüber? a) Wörtliche Übertragung entscheidungserheblicher Erklärungen Am wenigsten problematisch scheint sich zunächst die Antwort auf die erste Frage darzustellen: Erheblich für die Entscheidung ist jede Erklärung, die sich in irgendeiner Form und Weise auf die Urteilsfindung auswirkt. aa) "Erklärung" Allerdings muß die Verwendung des Wortes "Erklärung" in diesem Zusammenhang kritisch beleuchtet werden. "Erklärung" ist im Gegensatz zu einer schlichten "Äußerung" eher eng zu verstehen, impliziert das Wort doch den Charakter einer Mitteilung, die mit ganz bestimmter Intention und in einer sehr bewußten FormulieÜbersetzungsumfangs, da die Reaktion des Angeklagten auf den übertragenen Text ihrerseits wieder eine wichtige Erkenntnisquelle darstellen kann. Dieser Gesichtspunkt muß jedoch nicht gesondert bei der Ermittlung des notwendigen Übersetzungsumfangs behandelt werden, denn die daraus resultierenden Forderungen sind erst recht erfüllt, solange hierbei dem Bedürfnis des Angeklagten genügt wird. 48 BVerfGE 64, 135 (148).

B. Der Umfang der Übersetzungstätigkeit

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rung erfolgt, wie man dies beispielsweise bei der Wendung "eine Erklärung machen/abgeben" assoziiert. Der Kontext des gesamten Abschnitts in der zitierten Entscheidung deutet darüber hinaus sogar darauf hin, daß der Begriff "Erklärung" hier in einem noch engeren Sinn, nämlich dem des § 257 StPO, Verwendung gefunden haben könnte. Nach § 257 StPO soll dem Angeklagten regelmäßig (Abs. 1), auf Verlangen auch dem Staatsanwalt und dem Verteidiger (Abs. 2), die Möglichkeit gegeben werden, sich nach jeder Vernehmung eines Mitangeklagten und nach jeder einzelnen Beweiserhebung dazu zu erklären. Die Vokabel "Erklärung" ist insoweit auf eine sehr spezielle Art der Stellungnahme begrenzt. Einem derart engen Bedeutungsinhalt des Wortes muß im Zusammenhang mit der Verfassungsgerichtsentscheidung aber entgegengetreten werden. Entspräche dies der Intention des Verfassungsgerichts, so verlöre das Kriterium der Entscheidungserheblichkeit dadurch seine eigenständige Bedeutung. Die Formulierung "entscheidungserhebliche Erklärungen" würde zur Tautologie: Erklärungen im Sinne des § 257 StPO haben aus sich heraus nämlich immer einen für die Entscheidung erheblichen Charakter. Wäre das Erfordernis wörtlicher Übertragung einem solchen Verständnis zufolge also auf Anträge und Erklärungen im Sinne von § 257 StPO beschränkt, so müßte im Umkehrschluß bei allen anderen in der Verhandlung getätigten Äußerungen - so entscheidungserheblich diese auch sein mögen - ein solches Erfordernis verneint werden. Diese Lösung wäre der Prozeßrealität jedoch nicht adäquat. Die wortgenaue Wiedergabe nur bei Erklärungen im Sinne von § 257 StPO als notwendig zu erachten, verfälschte die Wertigkeit, die diese Äußerungen im Prozeß tatsächlich besitzen. So kann der exakte Wortlaut einer solchen Stellungnahme für die Entscheidung weit weniger wichtig sein als beispielsweise die wortgenaue Formulierung einer Zeugenaussage. Es ist daher notwendig, das vom ihm aufgestellte Kriterium der Entscheidungserheblichkeit als einen eigenständigen Maßstab anzuerkennen und der Vokabel "Erklärung" in diesem Zusammenhang einen weiten Bedeutungsinhalt beizumessen. bb) Notwendigkeit "wörtlicher Übertragung" Neben der Benennung der Voraussetzungen gilt es ferner auch zu verdeutlichen, warum jene Äußerungen statt der "nur" vollständigen, gerade der wörtlichen Übertragung bedürfen. Ihre soeben hervorgehobene Eigenschaft, entscheidungserheblich zu sein, spricht zunächst nämlich nur dafür, daß möglichst viel- gegebenenfalls die gesamte 49 - Information der Äußerung übermittelt werden muß. Das zusätzliche Erfordernis der wortgenauen Übertragung resultiert dagegen erst aus einer weiteren, bei ihnen vorhandenen Charakteristik. Dies ist der Umstand, daß bei jenen Äußerungen auch die im einzelnen verwendeten Wörter entscheidungserhebliche Informationsträger darstellen können. 49

Siehe dazu unten 3. Kap. B UI3 c (S. 166 ff.).

11 Lankisch

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3. Kap.: Die Ausübung der Dolmetschertätigkeit

Diese "zusätzliche" Infonnation wird teils bewußt durch die Wortwahl- wie beispielsweise im Fall von gezielt fonnulierten Fragen 50 - oder aber auch teils nur zufällig transportiert. Letzteres ist z. B. immer dann der Fall, wenn das verwendete Wort für den Empfanger eine weiterführende Infonnation enthält, ohne daß sich der Äußernde dabei dieser besonderen Bedeutung im klaren war (denkbar ist dies vor allem bei Zeugenaussagen: der bereits mehnnals erwähnte Mantel wird nun beiläufig als Regenmantel bezeichnet; ein zunächst unauffallig erscheinendes Adjektiv enthält eine wichtige Detailinfonnation). Jede Äußerung, die eine solche, "versteckt" relevante Infonnation beinhalten kann, muß daher auf eine Art und Weise übersetzt werden, die es dem Empfänger ennöglicht, die - teils nur für ihn erkennbar - wichtige Infonnation zu erlangen. Genau dies kann aber nur mit einer wortgenauen Übertragungsart geleistet werden. Statt also wörtliche Übersetzung - sprachlich mehrdeutig - für "Anträge und entscheidungserhebliche Erklärungen" zu fordern, wie dies das Bundesverfassungsgericht getan hat, sollte die wörtliche Übersetzung für alle entscheidungserheblichen Äußerungen, hei denen das jeweils verwendete Wort ein entscheidungserheblicher Informationsträger sein könnte, verlangt werden. Auch in der Literatur wird teilweise erkannt, daß die Vorgabe des Verfassungsgerichts (in einem engen Verständnis) für den in einem Prozeß notwendigen Umfang an wörtlichen Übertragungen nicht ausreichend ist. Beispielsweise hält Weith eine wörtliche Übersetzung bei Äußerungen von Zeugen - obwohl er wörtliche Übertragung in diesem Zusammenhang ausdrücklich nicht immer für notwendig erachtet - in dem Moment für erforderlich, wo das in Art. 6 Abs. 3 lit. d EMRK gewährte Recht des Angeklagten "Fragen an den Belastungszeugen zu stellen" verkürzt werde. 51 So positiv der Ansatz, damit die vom Verfassungsgericht vorgegebene, sprachlich enge Umschreibung zu durchbrechen, auch sein mag, im Ergebnis ist jedoch auch diese Lösung nicht befriedigend. Das berechtigte Bedürfnis an exakter Infonnation beim Angeklagten läßt sich nicht nur auf die mögliche Befragung von Belastungszeugen reduzieren. Zunächst einmal ließe sich eine Verkürzung dieses Fragerechts nie sicher feststellen. Außer dem Angeklagten selbst kann nämlich niemand gen au wissen, hinsichtlich welcher Infonnation ein Fragebedürfnis beim Angeklagten besteht. Ferner besitzt der Angeklagte als Subjekt des Verfahrens weitaus mehr Rechte als dieses eine Fragerecht, um sich aktiv am Prozeß beteiligen zu dürfen. Auch diese darüber hinausgehenden Möglichkeiten müssen über die Ausgestaltung der Übersetzung gewährleistet sein. So leuchtet es beispielsweise ein, daß es unter Umständen weitaus wichtiger ist, einen für die Verteidigung unerläßlichen Umstand von einem Entlastungszeugen zu erfragen, als Gebrauch von dem in Art. 6 Abs. 3 lit. d EMRK statuierten Recht zu machen. 50 51

Vgl. direkt oben 3. Kap. Bill b (S. 153). Siehe Weith, S. 54.

B. Der Umfang der Übersetzungstätigkeit

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Im Ergebnis bleibt Weiths Ansatz damit hinter der hier entwickelten Umschreibung für ein wörtliches Übersetzungserfordernis zurück. cc) "Entscheidungserheblichkeit" Aber auch hinsichtlich des Kriteriums der "Entscheidungserheblichkeit" muß an der Vorgabe des Velfassungsgerichts Kritik geübt werden, und das sogar in zweifacher Hinsicht. (I) Das Erfordernis wörtlicher Übertragung darf sich nicht nur auf das beziehen, was sich tatsächlich auf die Entscheidung auswirkt, sondern muß vielmehr für alles gelten, was Einfluß auf die Entscheidung haben könnte. Ob sich eine Äußerung in einer Entscheidung wirklich niederschlägt, hängt davon ab, ob deren Inhalt für die Beurteilung von Bedeutung ist. Somit kann die Frage nach der Entscheidungserheblichkeit immer erst ex post geklärt werden. Die Frage, welche Form eine Übersetzung benötigt, muß jedoch zu dem Zeitpunkt, in dem die Äußerung getätigt wird - also ex ante - bereits beantwortet sein. Genaugenommen ist es daher nur die Möglichkeit, entscheidungserheblich zu sein, die in diesem Zusammenhang ausschlaggebend ist. (2) Der zweite Kritikpunkt steht damit im Zusammenhang, daß die fragliche Entscheidung eine bestimmte Differenzierung für die Beurteilung des Übersetzungsumfangs - anders als hier - nicht vornimmt. Das Bundesverfassungsgericht unterscheidet in seinen Ausführungen zum Übersetzungsumfang nämlich nicht nach Übertragungen ins Deutsche und in die Fremdsprache. Vielmehr bezieht es sich mit der zitierten Aussage sowohl auf Erklärungen der deutschsprachigen Verfahrensbeteiligten als auch auf solche des fremdsprachigen Angeklagten. Bei dieser Vorgehensweise das Kriterium der "Entscheidungserheblichkeit" heranzuziehen, ist insofern legitim, als es dieser Oberbegriff ermöglicht, die unterschiedlichen Interessenlagen für die jeweiligen Übersetzungen - gleich in welche Richtung - einheitlich zu erfassen. Sobald aber nur noch ein bestimmter Teilaspekt - beispielsweise die Übersetzungen bei fremdsprachigen Angeklagten in deren Sprache - Gegenstand der Untersuchung ist, besteht diese Notwendigkeit nicht mehr. Im Gegenteil, nunmehr ist es sogar sinnvoll, auf den besonderen Sachverhalt mit einem individuelleren Kriterium einzugehen. Ein solches Bedürfnis besteht bei diesem Oberbegriff um so mehr, als das Merkmal der "Entscheidungserheblichkeit" durch die vom Wortstamm vorgegebene Ausrichtung auf den Entscheidungsträger dazu beitragen kann, den Blick dafür zu verfälschen, für welchen Beteiligten die zur Frage stehende Übersetzung hauptsächlich von Bedeutung ist.

Im Falle des fremdsprachigen Angeklagten bietet es sich an, das Kriterium entsprechend der Bedürfnisse des Angeklagten nicht bei der Erheblichkeit für die Entscheidung, sondern bei der Erheblichkeit für die Verteidigung anzusiedeln. Obwohl der Begriff der Verteidigungserheblichkeit inhaltlich nichts erfaßt, was nicht auch 11 *

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3. Kap.: Die Ausübung der Dolmetschertätigkeit

durch die Entscheidungserheblichkeit abgedeckt würde - alles was sich auf die Verteidigung auswirkt, hat im Ergebnis auch einen Einfluß auf die Entscheidung -, ist es von Vorteil, sich hier des spezielleren Maßstabs zu bedienen. Allein schon das Wort "verteidigungserheblich" macht nämlich darauf aufmerksam, daß es das spezifische Interesse des Angeklagten an der Übertragung ist, welches in diesem Zusammenhang zu berücksichtigen gilt. Auch das Bundesverfassungsgericht verwendet in seiner Entscheidung - wenn auch an anderer Stelle - den Begriff der "für die Verteidigung des Angeklagten erheblichen Verfahrensvorgänge". 52 Jedoch knüpft es daran nur die Konsequenz, daß jene Vorgänge überhaupt der Übertragung bedürfen. Sofern man darin nur eine Mindestvorgabe erblicken will, läßt sich diese Aussage problemlos akzeptieren. Ob sie dagegen auch so ausgelegt werden kann, daß sie eine grundsätzliche Beschränkung der Übersetzungs tätigkeit auf verteidigungserhebliche Vorgänge rechtfertigt, ist im folgenden noch zu klären. 53 dd) Zwischenergebnis Es ist also festzuhalten, daß - abweichend von der Vorgabe des Verfassungsgerichts - das Erfordernis vollständiger und vor allem wörtlicher Übertragung bei Übersetzungen in die Sprache des Angeklagten anhand zweier Gesichtspunkte zu beurteilen ist. Zum einen muß es sich um eine Äußerung handeln, die möglicherweise verteidigungserheblich ist. Zum anderen sollte gerade in der wortgenauen Wiedergabe eine für die Verteidigung wichtige Informationsquelle enthalten sein können.

b) Verständlich machen des wesentlichen Inhalts Die Auslegung der restlichen Aussage des Verfassungsgerichts - im übrigen sei zumindest der wesentliche Inhalt des Verhandelten verständlich zu machen - erfordert zunächst eine Auseinandersetzung mit der Frage, auf welche "Gesamtmenge" von möglichen Übersetzungen sich die Angabe "im übrigen" bezieht. Da das Gericht die Menge der übersetzungspflichtigen Vorgänge von vornherein auf "die für die Verteidigung des Angeklagten erheblichen"54 beschränkt hat, können damit nicht alle "übrigen" in der Verhandlung getätigten Äußerungen gemeint sein. "Im übrigen" bezeichnet also jene Vorgänge, die einerseits verteidigungserheblich sind, die andererseits aber keine Anträge oder entscheidungserhebliche Erklärungen sein dürfen. Grob vereinfacht skizziert, teilt das Bundesverfassungsgericht die Verhandlung hinsichtlich des Übersetzungserfordernisses damit in drei Gruppen ein: Das sind zum einen die für die Verteidigung erheblichen Vorgänge, die ihrerseits in zwei 52

BVerfGE 64, 135 (148).

53

Dazu direkt im Anschluß unter b (S. 164 f.).

54

BVerfGE 64, 135 (148).

B. Der Umfang der Übersetzungstätigkeit

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Gruppen, nämlich die wörtlich zu übersetzenden und die dem wesentlichen Inhalt nach verständlich zu machenden Vorgänge, zerfallen. Zum anderen ist das im Umkehrschluß dazu eine dritte Gruppe - bestehend aus nicht für die Verteidigung erheblichen Vorgängen - die keiner Übersetzung bedarf. Einer solchen Aufteilung kann jedoch nicht zugestimmt werden. Es ist nicht gerechtfertigt, bestimmten Vorgängen von vornherein ein Übersetzungsbedürfnis gänzlich abzusprechen. Auch wenn faktisch in einer Verhandlung zwar kaum etwas existiert, was für die Verteidigung eines Angeklagten nicht von Bedeutung sein könnte, so läßt sich aus der Seltenheit solcher Vorgänge noch nicht schließen, daß der Angeklagte darüber im unklaren gelassen werden darf. Selbst das Argument, daß ein Angeklagter an bestimmten Vorgängen (beispielsweise reinen Formalien oder der Belehrung eines deutschsprachigen Zeugen 55 ) kein detailliertes Interesse besitze, vermag daran im Ergebnis nichts zu ändern. Schließlich besteht ein großer, nicht zu vernachlässigender Unterschied zwischen nicht vorhandener Detailkenntnis und völliger Unkenntnis eines Vorgangs . Das fehlende Interesse an Einzelheiten läßt sich folglich nicht mit einer positiven Billigung von Unkenntnis gleichsetzen. Zudem gebietet es allein schon die SubjektsteIlung des Angeklagten, daß in einem gegen ihn gerichteten Prozeß keine Handlungen "hinter seinem Rücken" durchgeführt werden. Verzichtete man bei solchen Vorgängen, die für den Angeklagten nicht von primärem Interesse sind, auf eine Übersetzung, mag das dazu führen, daß die Subjektstellung des Angeklagten nach objektiven Gesichtspunkten gewahrt würde. Jedoch wäre es verfehlt, hierbei nur rein objektive Maßstäbe anlegen zu wollen, denn es ist ebenso wichtig, daß dem Angeklagten auch subjektiv das Gefühl vermittelt wird, man achte seine Stellung als Prozeßsubjekt. Werden innerhalb der Verhandlung Gespräche geführt, über die er nicht informiert wird, so kann dies genau den gegenteiligen Eindruck erwecken. 56 Der Gedanke, daß im Prozeß nicht nur die objektive Sachlage, sondern auch der subjektive Eindruck eine Rolle spielen kann, ist der Strafprozeßordnung nicht fremd. So stellt beispielsweise § 24 Abs. 2 StPO nicht auf eine tatsächlich existierende Befangenheit, sondern allein auf ein gerechtfertigtes Mißtrauen diesbezüglich ab. Der Gesetzgeber hielt es offensichtlich nicht für sinnvoll, eine Verhandlung durchführen zu lassen, die mit dem subjektiven Makel des Mißtrauens eines Verfahrens beteiligten belastet ist. Ebensowenig kann es sinnvoll sein, den Angeklagten über einen Teil der Verhandlungsvorgänge im unklaren zu lassen und bei ihm so den Eindruck zu erwecken, man selektiere die ihm zustehende Information. Kann er dabei noch das Gefühl haben, man respektiere seine SubjektsteIlung? Vgl. dazu BGH vom 17.09.1980-2 StR 347/80. Woher kann ein Betroffener beispielsweise wissen, daß die an den Zeugen gerichteten Worte des Richters nur zu dessen Belehrung dienen und nicht schon einen Bezug zur Sache selbst haben? 55

56

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3. Kap.: Die Ausübung der Dolmetschertätigkeit

Um eine solche Situation zu venneiden, ist es nicht etwa erforderlich, dem Angeklagten auch die "uninteressanten" Vorgänge ausführlich zu übersetzen. Es genügt vielmehr völlig, wenn der Angeklagte durch den Dolmetscher in zusammengefaßter Form über die Vorgänge infonniert wird. So ist es beispielsweise ausreichend, einen deutsch unkundigen Angeklagten lediglich darüber in Kenntnis zu setzen, daß ein Zeuge gerade belehrt wird. Der Vorgang muß hierzu nicht in allen Einzelheiten übertragen werden. Anders als zuvor ergibt sich die Notwendigkeit zur Übersetzung hier also nicht aus dem Umstand, daß es dem Angeklagten ennöglicht werden muß, seiner Stellung entsprechend agieren zu können, sondern daraus, daß man ihm das Bewußtsein vennitteln muß, diese Stellung tatsächlich inne zu haben. c) Der notwendige Ühersetzungsumjang Nachdem herausgearbeitet wurde, daß - im Gegensatz zur Auffassung des Bundesverfassungsgerichts - auch die "unerheblichen" Vorgänge einer, im Umfang jedoch erheblich eingeschränkten, Übersetzung bedürfen, gilt es nun zu klären, welchen Ühersetzungsumjang das Gericht bei jenen, für die Verteidigung zwar erheblichen, aber nicht notwendig wörtlich zu übertragenden Äußerungen für erforderlich erachtet. aa) "Wesentlicher Inhalt" Wie bereits erwähnt 57, werden die Worte, mit denen das Gericht diesen Umfang zum Ausdruck bringen will, nicht von allen in gleicher Weise ausgelegt: Es stellt sich die Frage, ob die Fonnulierung "verständlich machen des wesentlichen Inhalts" auf eine vollständige - wie sie z. B. von Rüthers 58 gefordert wird - oder auf eine nur referierende und damit zwangsläufig in Teilen unvollständige Übersetzung hinzielt. Bereits das rein semantische Verständnis dieser Fonnulierung weist auf einen zusammenfassenden Charakter hin: Als wesentlichen 59 Inhalt 60 versteht man gemeinhin das "Konzentrat" dessen, was eine Sache "ausmacht". Demzufolge erstreckt sich der wesentliche Inhalt bei Äußerungen nicht auf jede einzelne Facette des Gesagten, sondern nur auf das, was notwendig ist, um die darin enthaltene Grundaussage zum Ausdruck zu bringen. Nur die Infonnation also, die von Bedeutung ist (bzw. die als bedeutsam erachtet wird), wird davon erfaßt. Da im Umkehrschluß jede "unbedeutende" Infonnation keinen Bestandteil des "wesentlichen Inhalts" darstellt, muß die Übertragung insoweit unvollständig bleiben. Siehe oben 3. Kap. B I I (S . 150). Siehe Rüther, MschrKrim - Sonderheft - 1999, 86 (92). 5Y = bedeutsam, wichtig. 60 = das, was in etwas ausgedrückt oder dargestellt wird. 57

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B. Der Umfang der Übersetzungstätigkeit

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Aber nicht nur diese Art der Begriffsannäherung spricht für den referierenden Charakter dieser Formulierung. Ein Blick auf eine parallel lautende Wendung im Gesetzestext stützt diese Auslegung: So heißt es beispielsweise in § 231 a Abs. 2 StPO, der Vorsitzende habe den Angeklagten "von dem wesentlichen Inhalt dessen zu unterrichten, was in seiner Abwesenheit verhandelt worden" sei. Hier ergibt es sich ganz klar aus den Umständen, daß keine vollständige Unterrichtung wie bei einer Wiederholung, sondern nur eine zusammengefaßte Wiedergabe der Geschehnisse gemeint sein kann. Wie diese Zusammenfassung im einzelnen auszugestalten ist, richtet sich danach, was der Richter an Information für den zuvor abwesenden Angeklagten als erforderlich erachtet. Grundsätzlich geht der Begriff "wesentlicher Inhalt" also mit einer Reduzierung des Informationsumfangs einher, wobei das Kriterium der "Wesentlichkeit" den "Reduktionsfilter" darstellt. Soll das Endprodukt dieses Vorgangs den gleichen Umfang wie das Ausgangsprodukt haben (der "wesentliche Inhalt" also dem gesamten Inhalt entsprechen), so erfordert dies, daß der Filter von jedem einzelnen Bestandteil passiert wird oder anders ausgedrückt, daß jeder Teil als wesentlich zu bewerten ist. Übertragen auf die hier zu entscheidende Frage bedeutet dies, die Aussage des Verfassungs gerichts kann nur dann im Sinne eines vollständigen Übertragungserfordernisses ausgelegt werden, wenn jeder Bestandteil einer fraglichen Äußerung" wesentlich" ist. Das divergierende Verständnis der Gerichtsentscheidung ist somit das Resultat einer unterschiedlichen Auffassung über "Wesentlichkeit": Während sich für Rüthers alle Bestandteile der fraglichen Äußerungen als wesentlich darzustellen scheinen, muß bei jenen Autoren, die eine unvollständige Übertragung für ausreichend erachten, ein engeres Bild von wesentlichen Bestandteilen vorhanden sein. bb) Anforderungen an den Wesentlichkeitsmaßstab Um die Aussage des Bundesverfassungsgerichts richtig interpretieren zu können, muß also geklärt werden, welche Anforderungen an den Wesentlichkeitsmaßstab im Hinblick auf den Übersetzungs umfang zu stellen sind. (1) Für die Beantwortung dieser Frage könnte man sich möglicherweise an dem orientieren, was in anderem Zusammenhang als wesentlich gilt.

Eine solche Vorgehensweise ist etwa bei Weith anzutreffen. Er spricht bei seinen Ausführungen zum Übersetzungsumfang von der Unterrichtung über den wesentlichen Inhalt dessen, was ausgesagt oder sonst verhandelt werde, "so wie es für den Fall, daß ein Angeklagter vorübergehend aus dem Sitzungszimmer entfernt wird, in § 231 a Abs. 2 StPO ausdrücklich bestimmt ist".61 Wie oben bereits dargelegt, präsentiert sich das, was unter diesen Umständen als wesentlich zu bewerten ist, lediglich als Zusammenfassung der Geschehnisse. Dies ist zum einen sachlich bedingt, 61 Weith , Seite 54.

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3. Kap.: Die Ausübung der Dolmetschertätigkeit

weil eine exakte Wiederholung nicht ausführbar wäre, zum anderen kann eine verkürzt referierende Wiedergabe das dort bestehende Informationsbedürfnis ausreichend befriedigen. Es geht nur darum, den nunmehr wieder anwesenden Angeklagten über das - ganz bewußt in seiner Abwesenheit - Geschehene ins Bild zu setzen, damit er im weiteren Verlauf der Verhandlung in der Lage ist, wieder als Prozeßsubjekt zu agieren. 62 Auf die zurückliegenden Verhandlungsabschnitte jedoch kann er keinen Einfluß mehr nehmen. Die Information über den wesentlichen Inhalt hat nicht zur Aufgabe, es dem Angeklagten zu ermöglichen, nachträglich die seiner SubjektsteIlung entsprechenden Rechte auszuüben. Diese Rechte hat er für den zurückliegenden Verhandlungsteil - zumindest in der Ausübung durch seine Person 63 - "verwirkt"64, indem er es gemäß § 231 a Abs. I StPO (bzw. § 231 b Abs. 1 StPO) vorwerfbar verursacht hat, daß die Verhandlung in seiner Abwesenheit durchgeführt wird. Die nachträgliche Unterrichtung soll keineswegs die durch den Ausschluß von der Verhandlung entstandene Wirkung wieder rückgängig machen. Das zeigt sich daran, daß die Pflicht zur Unterrichtung nur besteht, solange noch nicht mit der Urteilsverkündung begonnen wurde. Da die Beschränkung der Mitwirkungsrechte für den Angeklagten bezüglich der zurückliegenden Teile also erhalten bleiben soll, ist damit gleichzeitig der Umfang dessen, was sich in dieser Situation 65 noch als wesentlich darstellt, deutlich begrenzt. 66 62 Siehe dazu SK-Schlüchter, § 231 a StPO Rn 24; dem Angeklagten sei ex nunc seine volle Rechtsstellung wieder einzuräumen. 63 Der gemäß § 231 a Abs.4 StPO zu bestellende Verteidiger nimmt jedoch die Interessen und Rechte des abwesenden Angeklagten wahr. Vgl. dazu LR-Gollwitzer, § 231 a StPO Rn 19 (25. Auflage). 64 So beispielsweise SK-Schlüchter, §231 a StPO Rn 21; KK-Tolksdorj, § 231 a StPO Rn 11; ähnlich auch LR-Gollwitzer, § 231 a StPO Rn 1 (25. Auflage); a. A. AK-Keller, § 231 a StPO Rn 2, der der Norm statt Verwirkung Effizienzstreben zugrunde legt. 65 Vgl. dazu LR-Gollwitzer, § 231 a StPO Rn 32 (25. Auflage), wonach der Richter "unter Berücksichtigung des Sinns der Vorschrift" darüber zu entscheiden habe, was im einzelnen wesentlich sei. 66 Obwohl in den Kommentierungen zu § 231 a Abs. 2 StPO immer wieder der Verweis auf § 247 StPO zu finden ist (z. B. HK-Julius, Rn 7; KK-Tolksdorf, Rn 25 a. E.; Meyer-Goßner, Rn 21; LR-Gollwitzer, Rn 33 a. E. [25. Auflage]; SK-Schlüchter, Rn 24e. E.), besteht doch ein gewisser qualitativer Unterschied zwischen dem jeweiligen Begriff des wesentlichen Inhalts in bei den Vorschriften. Da bei der Bestimmung dessen, was im einzelnen wesentlich ist, der Sinn der Vorschrift zu berücksichtigen ist (siehe LR-Gollwitzer, § 231 a StPO Rn 32 [25 . Auflage]), muß sich hier auch der unterschiedliche Hintergrund beider Normen auswirken. Die Beschränkung des Angeklagten bei § 247 StPO entsteht nicht aus einer Verwirkungssituation heraus. Ferner ist der Umfang der dort in Abwesenheit erlaubten Verhandlung von vornherein deutlich begrenzt. Anders als bei § 231 aStPO, wo fast alle Mitwirkungsrechte des Angeklagten betroffen sind und er nach Abs. 2 nur ex nunc seine SubjektsteIlung wieder einnehmen soll (siehe SKSchlüchter, § 231 a StPO Rn 24), darf bei § 247 StPO nur sein Anwesenheitsrecht beschränkt werden, so daß es hier gerade erforderlich wird, ihm durch die Unterrichtung auch die volle, nachträgliche Ausübung seiner Rechte zu ermöglichen (vgl. SK-Schlüchter, § 247 StPO Rn 26). Insofern sollte die Verweisung auf § 247 StPO sich nicht auf das Merkmal der - unter-

B. Der Umfang der Übersetzungstätigkeit

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Anders als bei den §§ 231 a und b StPO geht es beim Dolmetschen jedoch nicht um eine aus einer Verwirkungssituation heraus entstandenen Informationslücke, sondern um ein unverschuldetes Kommunikationsdefizit. Den bei § 231 a Abs. 2 StPO anzulegenden Wesentlichkeitsmaßstab auch für den Übersetzungs umfang verwenden zu wollen, hieße daher, zwei unterschiedlich strukturierte, mit völlig andersartigen Bedürfnissen ausgestattete Situationen gleichsetzen zu wollen. Aus diesem Grund erscheint es äußerst befremdlich, § 231 a Abs. 2 StPO im Zusammenhang mit Erläuterungen zum notwendigen Übersetzungsumfang anzutreffen. 67 (2) Die hier an den Wesentlichkeitsmaßstab zu stellenden Anforderungen können folglich nicht einfach einem anderen Sachverhalt entliehen werden, sondern müssen auf die durch die Verdolmetschung angestrebten Ziele - Herstellung der Kommunikation 68 sowie Gewährleistung eines fairen Verfahrens 69 - ausgerichtet werden. Wie schon bei der Frage nach der Relevanz einzelner Verfahrens vorgänge 70 ist auch bei der Bestimmung des Wesentlichkeitsmerkmals zu beachten, daß es sich um einen relativen Maßstab handelt. Ob eine Information sich im Sinne des hinter dem Dolmetschen stehenden Ziels als wesentlich darstellt, hängt von der Funktion ab, die die jeweilige Äußerung innerhalb des Prozeßgeschehens einnimmt. Problematisch ist in diesem Zusammenhang, daß eine Äußerung im Prozeß nicht für jeden Beteiligten die gleiche Funktion erfüllt. Betrachtet man die Aufgabe der Verhandlung insgesamt, so geht es in erster Linie darum, eine Entscheidung zu finden. Obwohl die verschiedenen Beteiligten formal alle auf das gleiche Ziel- die Entscheidungsfindung - hinarbeiten, verfolgen sie eine positionsspezifisch orientierte und damit inhaltlich nicht (bzw. nur teils) identische Zielsetzung. So steht für den Richter und den Staatsanwalt beispielsweise die objektive Wahrheitsermittlung - wenn auch aus psychologisch unterschiedlichen Positionen - im Vordergrund, während der Angeklagte (und gegebenenfalls auch der Nebenkläger) ein rein subjektives Interesse verfolgen. 71 schiedlichen Anforderungen ausgesetzten - Wesentlichkeit beziehen. Eine Bezugnahme wie bei KK-Tolksdorf, § 231 a StPO Rn 25, ist hier sachgerechter: "Der Begriff dessen, was verhandelt worden ist, deckt sich mit dem Begriff dessen, was ausgesagt oder sonst verhandelt worden ist iS des § 247." 67 Dies sogar noch um so mehr, wenn man das Umfeld der Regelung in die Betrachtung mit einbezieht. So muß man auch berücksichtigen, daß die negativen Auswirkungen einer verkürzten Information des Angeklagten bereits automatisch etwas aufgefangen werden, indem der Gesetzgeber in § 231 a Abs. 4 StPO für Verhandlungen ohne den Angeklagten ausdrücklich die Zuziehung eines Verteidigers bestimmt hat. Eine obligatorisch notwendige Verteidigung für Fremdsprachige kennt das Gesetz allerdings nicht und wird auch von Weith im Zusammenhang mit seinem Verweis auf § 231 a StPO nicht gefordert. 68 Siehe dazu u. a. I. Kap. EI u. II 1 (S. 58 ff., insbes. S. 62). 69 Siehe dazu oben 2. Kap. C II 2 (S. 85 u. 87). 70 Siehe oben 3.Kap. BIII2 (S.159). 71 V gl. zur Interessenverteilung bei den am Prozeß beteiligten Juristengruppen Kühne, Strafprozeßrecht, § 9 I 2, Rn 171 ff., insbes. Rn In, S. n ff.

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3. Kap.: Die Ausübung der Dolmetschertätigkeit

Entsprechend dem unterschiedlichen Prozeßinteresse variiert für jeden Beteiligten auch die der Äußerung jeweils innewohnende Funktion. Diese spezifische Komponente gilt es bei der Bestimmung des wesentlichen Inhalts zu berücksichtigen: Bei Übersetzungen für den Angeklagten, muß das Kriterium der Wesentlichkeit zwangsläufig aus seinem ganz individuellen Blickwinkel beurteilt werden: Der wesentliche Inhalt umfaßt damit alle Informationen, die von ihm zur uneingeschränkten Ausübung seiner verfassungsrechtlich verbürgten Verfahrensstellung benötigt werden.

cc) Konsequenzen für den Übersetzungsumfang Akzeptiert man diese Ausgangsprämisse - die Wesentlichkeit aus der Perspektive des Angeklagten zu bestimmen -, so geht damit für den Großteil der noch zur Diskussion stehenden Äußerungen zwangsläufig die Notwendigkeit vollständiger Übertragung einher. In der praktischen Umsetzung ist es in den meisten Fällen nämlich nicht möglich, eine dem individuellen Blickwinkel entsprechende negative Bewertung von dritter Seite durchführen zu lassen: (1) Es sind nur wenige Vorgänge, bei denen sich die spezifische Beurteilung der Wesentlichkeit als so eindeutig darstellt, daß nicht nur der Angeklagte selbst dazu in der Lage wäre. Dies ist allein bei solchen Vorgängen der Fall, bei denen sich die Bewertung bereits abstrakt im voraus durchführen läßt, also in erster Linie bei jenen Äußerungen, bei denen es nicht auf den Inhalt des Vorgangs, sondern schlicht auf das Ergebnis ankommt.

Darunter fällt beispielsweise die Vereidigung eines Zeugen. Der Angeklagte hat zwar ein verteidigungserhebliches Interesse daran, zu wissen, ob ein Zeuge vereidigt wurde; wie dieser Vorgang im einzelnen jedoch von statten geht, ist für ihn irrelevant. Die Vereidigung ist ein Umstand, bei dem sich aus seiner Struktur heraus bereits abstrakt sagen läßt, welche Information für den Angeklagten von Bedeutung ist, nämlich das schlichte Ergebnis - die Tatsache, daß ein Eid geleistet wurde - und nicht der dazugehörige Vorgang in all seinen Details. Ist die Interessenlage an einem Vorgang so ausgestaltet, daß sich der wesentliche Inhalt für den Betroffenen offensichtlich nur auf eine ganz bestimmte Information reduziert, so ist es gerechtfertigt, die Übersetzungs tätigkeit lediglich auf diese Information zu beschränken. (2) Bei allen Vorgängen jedoch, die sich nicht nur in der schlichten Durchführung eines vorgegebenen Schemas erschöpfen, sondern die einen individuellen Charakter besitzen und dadurch vor allem von inhaltlicher und nicht nur formaler Relevanz sind, kann die Beurteilung der Wesentlichkeit nur vom Angeklagten selbst durchgeführt werden. Sowohl der Dolmetscher als auch der Richter sind nicht in der Lage, sicher zu erkennen, ob eine bestimmte Information für die Verteidigung des Angeklagten wesentlich ist bzw. werden kann. Dem Dolmetscher fehlt es dazu allein schon an der

B. Der Umfang der Übersetzungstätigkeit

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notwendigen juristischen Qualifikation. 72 Auch der Person des Richters kann eine solche Aufgabe im Ergebnis nicht überlassen werden. 73 Keine tragfähige Argumentation ist zumindest darin zu sehen, die Aufgabe dem Richter deshalb übertragen zu wollen, weil er bereits im Zusammenhang mit Beweisanträgen gern. § 244 Abs. 5 StPO berechtigt ist, Entscheidungen zu treffen, die im weitesten Sinne eine ähnliche Beurteilung verlangen. Gern. § 244 Abs. 5 StPO kann der Richter nach pflichtgemäßem Ermessen entscheiden, ob ein Augenschein oder die Vernehmung eines im Ausland befindlichen Zeugen deshalb abgelehnt wird, weil dies für die Erforschung der Wahrheit nicht erforderlich sei. Zwar läßt sich bei dem Kriterium der Erforderlichkeit für die Wahrheitserforschung durchaus eine gewisse Vergleichbarkeit zur Verteidigungserheblichkeit konstruieren, jedoch unterscheidet sich der in § 244 Abs. 5 StPO beschriebene Sachverhalt in einem ganz erheblichen Punkt von der hiesigen Konstellation: Dort betrifft die richterliche Entscheidung die Frage, ob etwas überhaupt zum Gegenstand der Verhandlung gemacht wird oder nicht. Dies hat für alle Beteiligten die gleiche Auswirkung. Sofern dem Beweisantrag stattgegeben wird, führt das dazu, daß die fragliche Information in die Verhandlung eingeführt wird, so daß sie nunmehr jedem Beteiligten zur Verfügung steht. Wird der Beweisantrag abgelehnt, hat keiner der Beteiligten die Möglichkeit, sich darauf zu berufen. Stünde es dem Richter dagegen zu, eine Information für den Angeklagten als unwesentlich beurteilen zu können, mit der Folge, daß diese nicht übersetzt würde, so wäre dies mit unterschiedlichen Auswirkungen für die Beteiligten verbunden. Sowohl dem Staatsanwalt als auch dem Richter (gegebenenfalls auch einem Nebenkläger) bliebe es trotzdem unbenommen, sich dieser Information zu bedienen, war sie doch schließlich Gegenstand der Verhandlung. Lediglich der Angeklagte wäre schlicht aus mangelnder Kenntnis daran gehindert, diese Information für sich zu nutzen. Dem Richter darf es daher weder zustehen, die verteidigungsrelevante Information von sich aus zu selektieren, noch darf man sich dem Trugbild hingeben, er könne eine solche Selektion entsprechend den Interessen des Angeklagten - quasi an dessen Stelle - vornehmen. Es ist für den Richter in der Verhandlung unmöglich zu wissen, auf welches Ziel die Verteidigung hinaus will, welche Strategie sie verfolgt und welche Informationen dabei von Relevanz sein können. Dies kann nur der Betroffene selbst entscheiden. 74 Um dies dem Angeklagten jedoch zu ermöglichen, be72 Im Ergebnis so auch Katholnigg, § 185 GVG Rn 3, wonach die Verantwortung für die Übersetzung von den Ergebnissen der Beweisaufnahme in allen wesentlichen Teilen nicht dem Dolmetscher überlassen werden dürfe. 73 A. A. Katholnigg, § 185 GVG Rn 3, der die Verantwortung in bezug auf die wesentlichen Teile der Beweisaufnahme explizit dem Richter anheimstellt. 74 So auch LR-SchäferIWickern, § 185 GVG Rn 17 (24. Auflage). Dort wird mit dieser Argumentation die - entgegen der alten Reichsgerichtsrechtsprechung - ausdrücklich vertretene Forderung nach einer vollständigen Übertragung der Angaben von Zeugen und Sachverständigen untermauert.

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3. Kap.: Die Ausübung der Dolmetschertätigkeit

darf es vorher einer vollständigen Übersetzung aller inhaltlich verteidigungsrelevanten Vorgänge. (3) Aber selbst unterstellt, der Richter wäre in der Lage, diese Aufgabe ganz im Sinne des Angeklagten zu bewältigen, so sprächen weitere Gründe dafür, jene Vorgänge trotzdem vollständig zu übersetzen. Hier ist vor allem die praktische Durchführbarkeit zu nennen. Obläge die Informationsselektion dem Richter, so müßte dieser dem Dolmetscher genau angeben, was zu übersetzen ist, indem er den "wesentlichen Inhalt" selbst referierte. Eine solche zwischengeschaltete Zusammenfassung wäre widersinnig. Sie wäre weitaus komplizierter als eine von vornherein vollständige Übertragung und für den Prozeßablauf dazu noch viel störender als die Beeinträchtigung allein durch das Dolmetschen. Daneben sind weitere praktische Komplikationen, wie beispielsweise in der folgenden Fallgestaltung, denkbar: Eine in der Zeugenaussage zunächst als Nebensächlichkeit erscheinende Information stellt sich - auch aus Sicht des Angeklagten - erst nach weiteren Zeugenaussagen als bedeutsam heraus. Der Richter müßte in einem solchen Fall dafür Sorge tragen, daß die zuvor unterlassene Übersetzung nun nachgeholt würde. Eine solche Vorgehensweise wäre kaum zu handhaben, erforderte sie doch, daß sich der Richter jeweils genau merkte, welche Einzelheiten bereits übersetzt wurden. Solche Situationen ließen sich in der Praxis aber nie richtig umgehen, handelt es sich doch um eine gerade für die Beweisaufnahme typische Eigenschaft, daß zum Teil erst am Ende beurteilt werden kann, welche Einzelheiten einer Äußerung wirklich ins Gewicht fallen. (4) Um also sicherzugehen, daß der Angeklagte auch in der Gesamtschau der verschiedenen Äußerungen die Möglichkeit hat, für ihn wesentliche Information zu erlangen, ist - abgesehen von der oben gemachten Einschränkung - eine von Anfang an vollständige Übertragung der verteidigungserheblichen Vorgänge notwendig. d) Ergebnis

Es gilt also festzuhalten, daß die Formulierung "wesentlicher Inhalt" bei der Umsetzung der Verfassungsgerichtsentscheidung - abstrakt gesehen - Raum für zusammengefaßte Übersetzungen bietet. Aufgrund der sachbedingten Notwendigkeit jedoch, daß zumeist nur der Angeklagte selbst in der Lage ist, über das Kriterium der Wesentlichkeit zu entscheiden, muß die konkrete Umsetzung der vom Verfassungsgericht gemachten Vorgabe aber dennoch regelmäßig zu einer vollständigen Übersetzung führen. Somit kann im Ergebnis auch Rüthers, der insoweit grundsätzlich eine vollständige Übertragung fordert, zugestimmt werden. Das Bundesverfassungsgericht muß sich an dieser Stelle darüber hinaus die Kritik gefallen lassen, daß die von ihm ge-

B. Der Umfang der Übersetzungstätigkeit

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wählte Ausdrucksweise dazu beiträgt, die Anforderungen an den Übersetzungsumfang teilweise zu niedrig anzusetzen. Eine unmißverständlichere Vorgabe wäre hier wünschenswert gewesen.

IV. Übersetzungsumfang einzelner Verhandlungsbestandteile Für die einzelnen Verhandlungselemente ergibt sich anhand der erarbeiteten Kriterien damit folgendes Bild: 1. Verlesung Anklagesatz sowie erstinstanzliches Urteil

a) Erfordernis wörtlicher Übertragung bei § 243 Abs.3 S.l StPO Die Verlesung des Anklagesatzes gemäß § 243 Abs. 3 S. 1 StPO ist ein für die Verteidigung des Angeklagten wesentlicher Verhandlungsbestandteil und bedarf daher einer vollständigen, aufgrund der nicht unwesentlichen Rolle der exakten Formulierung sogar einer wörtlichen Übertragung. Diese Einschätzung entspricht weitestgehend einem breiten Konsens. 75 b) Vergleich mit § 324 Abs.l S.2 StPO Dennoch gibt es eine dahingehende Überlegung, ob dem Übersetzungserfordernis nicht durch einen Hinweis auf die bereits im Vorfeld gemäß § 201 Abs. 1 StPO mitgeteilte Anklage und deren Übersetzung genügt werden könne. 76 Ausgangspunkt für eine derartige Überlegung bildet der Vergleich mit einer in der Struktur ähnlichen Situation. Gemeint ist die Verlesung des erstinstanzlichen Urteils in der Berufungsverhandlung gemäß § 324 Abs. 1 S. 2 StPO. Hinsichtlich der Urteilsverlesung wird die Ansicht vertreten, daß die Übersetzung durch den Hinweis auf die in der Vorinstanz erfolgte Urteilsübersetzung verzichtbar werden könne. 77 In der Tat ist es naheliegend, wenn versucht wird, beide Situationen im Hinblick auf das Übersetzungserfordernis vergleichen zu wollen, denn schließlich scheinen beide - sowohl die Anklageverlesung in der ersten als auch die Urteilsverlesung in der Berufungsinstanz - einen sehr ähnlichen, wenn nicht sogar den gleichen prozeßtechnischen Zweck zu erfüllen: So heißt es in der Literatur beispielsweise, der nach § 324 Abs. 1 S. 1 StPO zu erstattende Bericht (als dessen Bestandteil die Verlesung 75 So z. B. explizit für wörtliche Übersetzung KK-Diemer, § 185 GVG Rn 4 sowie Kissel, § 185 GVG Rn 10. Die Notwendigkeit der Übersetzung ausdrücklich betonend auch BVeifCE 64, 135 (148); BCH, StV 1993, 2f.; LR-Schäjer/Wickern, § 185 GVG Rn 17 (24. Auflage). 76 Siehe dazu Katholnigg, § 185 GVG Rn 3, der dies jedoch als problematisch beschreibt. Vgl. auch BCH, StV 1993, 2f., bzgl. der Beruhensfrage bei unterbliebener Übersetzung des Anklagesatzes. 77 Siehe Katholnigg, § 185 GVG Rn 3.

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3. Kap.: Die Ausübung der Dolmetschertätigkeit

des erstinstanzlichen Urteils gemäß § 324 Abs. I S.2 StPO zu zählen isr7 8) könne "gewissermaßen zu der Verlesung des Anklagesatzes durch den Staatsanwalt in erster Instanz (§ 243 Abs. 3 S. I StPO) in Parallele gesetzt werden".79 Die Schlußfolgerung also, daß, wenn die Übertragung in dem einen Bereich entbehrlich ist, sie dies auch im anderen Bereich sein muß, stellte sich auf dieser Grundlage als konsequent dar. Insofern ist es überraschend, daß gerade die Übersetzung der Anklageverlesung in der Literatur ausdrücklich gefordert wird 80, wohingegen man die Übertragung der Urteilsverlesung häufig als verzichtbar bezeichnet, es sei denn, das Urteil war dem Angeklagten nicht schon bekannt. 81 Es ist somit zu klären, wodurch eine unterschiedliche Beurteilung der nach außen hin parallel gestalteten Verhandlungselemente gerechtfertigt sein könnte. Dafür läßt sich zunächst ein Gedanke heranziehen, mit dem beispielsweise Katholnigg die Verzichtbarkeit auf eine Übersetzung begründet: Da es sich bei der Urteilsverlesung um die Wiederholung eines dem Angeklagten bereits bekannten Vorgangs handle, solle es genügen, den Angeklagten über den aktuellen Vorgang zu informieren, indem er schlicht auf den zuvor übersetzten Vorgang hingewiesen werde. 82 Eine derartige Argumentation ist jedoch nur tragfähig, wenn dem hinter dem Vorgang stehenden Zweck statt durch eine Übertragung auch durch einen Hinweis Genüge getan werden kann. Somit wird es notwendig, sich zu vergegenwärtigen, welcher Funktion die Verlesung des Anklagesatzes bzw. die Verlesung des erstinstanzlichen Urteils in der Berufungsinstanz dient. aa) Prozeßtechnischer Zweck der Anklageverlesung Zunächst ist festzustellen, daß der Zweck der Anklageverlesung mehrschichtig ist. Die Verfahrensbeteiligten, insbesondere diejenigen Richter, die die Akten nicht kennen, sollen damit über den Verhandlungsgegenstand unterrichtet werden s3 , so daß sie von Anfang an wissen, auf welche rechtlich und tatsächlich wesentlichen Punkte sie ihre Aufmerksamkeit zu lenken haben. 84 78 Vgl. z. B. Meyer-Goßner, § 324 StPO Rn 1; KK-Ruß, § 324 StPO Rn 4. Die Urteilsverlesung wird indes nicht überall als Teil der Berichterstattung ausgewiesen. Jedoch ist man sich insoweit darüber einig, daß die Verlesung des angefochtenen Urteils dieselbe Informationsfunktion wie der vorausgegangene Vortrag habe (siehe HK-Rautenberg, § 324 StPO Rn 5). 79 KK-Ruß, § 324 StPO Rn 2; siehe auch Bloy, Jus 1986, 585 (592). 80 Siehe beispielsweise KK-Diemer, § 185 GVG Rn 4; Kissel, § 185 GVG Rn 10; LR-Schäjer/Wickern, § 185 GVG Rn 17 (24. Auflage) sowie auch BVerjGE 64, 135 (148). 81 Siehe LR-Schäjer/Wickern, § 185 GVG Rn 17 (24. Auflage); Katholnigg, § 185 GVG Rn 3. Siehe auch OLG Dresden, JW 1931, 1640. 82 Vgl. Katholnigg, § 185 GVG Rn 3. 83 Siehe LR-Gollwitzer, § 243 StPO Rn 50 (25. Auflage). 84 Siehe HK-Julius, § 243 StPO Rn 9; KK-TolksdO/f, § 243 StPO Rn 23.

B. Der Umfang der Übersetzungstätigkeit

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Neben diesem - im Hinblick auf die Schöffen zugegebenennaßen auch ohne eine Übersetzung in die Sprache des Angeklagten zu erreichenden - Zweck, steht jedoch ein weiterer, nicht minder wichtiger Aspekt. Hierbei rückt die Person des Angeklagten deutlich in den Vordergrund. Ihm soll noch einmal zur Kenntnis gebracht werden, welche Vorwürfe man gegen ihn in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht erhebt 85 , so daß er sein Angriffs- und Verteidigungsverhalten darauf einrichten kann. 86 Sieht man den - oder zumindest einen - hinter der Anklageverlesung stehenden Zweck darin, daß dem Angeklagten ganz bewußt ein bereits bekannter Vorgang erneut vorgetragen werden soll, so kann dieser Zweck nur erreicht werden, wenn der Vorgang tatsächlich ausgeführt wird und nicht, indem er durch einen Hinweis ersetzt wird. Das wiederholte Vor-Augen-Führen ist nicht nur ein Sicherungsmechanismus dafür, daß die in Frage stehende Infonnation überhaupt vom Betroffenen empfangen wird 87 , sondern man erzielt durch ein beabsichtigtes "Wiederholen" darüber hinaus ganz bestimmte Effekte. Zum einen wird die inhaltliche Relevanz des Vorgangs besonders herausgestellt, zum anderen rückt eine in doppelter Fonn vermittelte Infonnation ganz anders in das Bewußtsein des Empflingers, als dies nach der erstmaligen Kenntnisnahme der Fall ist. Demgemäß steht die in der Literatur verbreitete Auffassung, daß die Anklageverlesung stets der Übersetzung bedarf, voll im Einklang mit dem der Verlesung nach § 243 Abs. 3 S. I StPO zugrundeliegenden Zweck. bb) Prozeßtechnischer Zweck der Urteilsverlesung in der Berufungsinstanz Dagegen scheint es nicht konsequent zu sein, hinsichtlich der Verlesung des erstinstanzlichen Urteils auf das Übersetzungserfordernis zu verzichten: Es ist offensichtlich, daß der verfahrenstechnische Zweck der Urteilsverlesung dem der Anklageverlesung entspricht. 88 Dies ergibt sich schon aus der rein fonnalen Position des Vorgangs innerhalb des Verfahrensablaufs sowie aus der inhaltlichen Parallele, daß man hierbei jeweils über den Prozeßgegenstand in Kenntnis gesetzt wird. Bei der Urteilsverlesung handelt es sich dabei um die bewußte" Wiederholung" eines dem Angeklagten in der Regel bereits bekannten Umstandes - das Urteil wurde in seiner Gegenwart schon einmal verkündet und es wurde ihm zugestellt. Zur Erreichung der mit der "Wiederholung" intendierten Effekte ist es jedoch erforderSiehe Meyer-Goßner, § 243 StPO Rn 13; LR-Gollwitzer, § 243 StPO Rn 50 (25. Auflage). So auch HK-Julius, § 243 StPO Rn 9. 87 Dieser Eindruck entsteht in erster Linie, wenn man die Übersetzung des Vorgangs davon abhängig machen will, ob er dem Angeklagten schon bekannt war. 88 Siehe z. B. DahslDahs, S. 132, Rn 259 sowie LR-Gollwitzer, § 324 StPO Rn 2 (24. Auflage), Berichterstattung und Verlesung des Urteils treten "an die Stelle" der Anklageverlesung; vgl. auch Bloy, Jus 1986,585 (592). 85

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3. Kap.: Die Ausübung der Dolmetschertätigkeit

lich, daß dem Angeklagten auch der wiederholte Vorgang - die "erneute" Verlesung des Urteils der Berufungsinstanz - übersetzt wird. Solange man den Angeklagten zum Adressatenkreis eines bestimmten Vorgangs zählt, solange unterliegt dieses Geschehen einem unumgänglichen Übersetzungserfordernis. Entgegen einiger Stimmen in der Literatur bedarf nach den obigen Ausführungen daher auch die Verlesung des erstinstanzlichen Urteils in der Berufungsverhandlung einer umfassenden, möglichst wortgetreuen Übertragung.

cc) Unterscheidung von Verfahrensfehler und Beruhensfrage Interessant ist in diesem Zusammenhang, daß selbst in der Entscheidung des OLG Dresden 89 , mit der die Literatur teilweise die Verzichtbarkeit der Übersetzung zu begründen versucht 90 , das Erfordernis der Übertragung eingeräumt wird. Das Gericht bezeichnet die unterlassene Übersetzung dort ausdrücklich als Verfahrensverstoß: Es sei ein unabweisbares Erfordernis, daß alle wesentlichen Verhandlungsakte - mithin auch die Verlesung des erstinstanzlichen Urteils - zu übertragen seien. Jedoch vertritt das OLG die Meinung, daß diese Verletzung des Verfahrensrechts die Revision nicht begründe, da das Urteil nicht auf diesem Verstoß beruhe. Obwohl das Gericht also die Fehlerhaftigkeit der unterlassenen Übertragung einräumt, knüpft es daran keine revisionsrechtlichen Folgen. 91 In dieser Vorgehensweise liegt jedoch ein großer Unterschied zu dem, wie die Fallgestaltung teilweise in der Literatur behandelt wird. Auch wenn einzugestehen ist, daß die fehlende Sanktionsmöglichkeit eines Verfahrensfehlers keinen seine Vermeidung besonders fördernden Umstand darstellt, so bedeutet dies aber dennoch nicht, daß das zugrundeliegende Verfahrenserfordernis überhaupt nicht existiere. Es besteht jedoch die Gefahr, daß genau diese Schlußfolgerung gezogen wird, wenn hinsichtlich der Verzichtbarkeit der Urteilsübersetzung Verweise auf die Entscheidung des OLG Dresden anzutreffen sind. Vielmehr darf nie vergessen werden, daß die Frage nach dem Vorliegen eines Verfahrensfehlers ganz unabhängig von der Beurteilung der Beruhensfrage 92 entschieden werden muß.

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Siehe OLG Dresden, JW 1931, 1940. Siehe Katholnigg, § 185 GVG Rn 3. Solange dem Angeklagten das Urteil bereits in Übersetzung bekannt war. Siehe zur Beruhensfrage unten 5. Kap. D II (S. 241 ff.).

B. Der Umfang der Übersetzungstätigkeit

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2. Belehrung des Angeklagten Einer zumindest vollständigen Übertragung bedarf auch die Belehrung des Angeklagten gemäß § 243 Abs.4 S. 1 StPO.93 Parallel zu der oben behandelten Belehrung eines Zeugen 94 beispielsweise gemäß § 52 Abs. 3 oder § 55 StPO, kommt es hierbei vor allem darauf an, daß der Angeklagte auch wirklich den Inhalt der Belehrung versteht. Ob dies durch eine wörtliche oder sinngemäße Übertragung gegebenenfalls mit ergänzenden Hinweisen durch den Dolmetscher erreicht werden kann, ist im Einzelfall - unter Berücksichtigung eventuell bestehender Besonderheiten des Rechtskreises, dem der Angeklagte entstammt - zu entscheiden. In diesem Zusammenhang ist zu beachten, daß eine unzureichende Übertragung, die zur Folge hat, daß der Angeklagte sich seines Aussageverweigerungsrechts nicht bewußt geworden ist, Auswirkungen auf die Verwertbarkeit der so erlangten Aussage hat. Bei konsequenter Umsetzung der bisherigen Rechtsprechung des BGH zur Aussagefreiheit muß dieser Umstand zu einem grundsätzlichen Verwertungsverbot führen. Das bereits lange Zeit, seit BGHSt 25,325 auch höchstrichterlich anerkannte Verwertungsverbot aufgrund unterlassener Belehrung in der Hauptverhandlung gemäß § 243 Abs. 4 S. 1 StPO, muß auch für den Fall gelten, daß der Richter seiner Belehrungspflicht zwar nachgekommen ist, der Angeklagte diese aber wegen fehlender Übersetzung nicht verstanden hat. Für einen Angeklagten stellt es sich in gleicher Weise dar, ob der Richter es unterlassen hat, ihm die Belehrung zu erteilen oder ob diese ihm "nur" nicht übersetzt wurde. In beiden Fällen hat die Belehrung den vom Gesetz vorgesehenen Adressaten nicht erreicht. Das mit ihr verfolgte Ziel, den Angeklagten über das bestehende Schweigerecht aufzuklären, konnte folglich nicht erfüllt werden. Beide Situationen müssen somit ein Verwertungsverbot nach sich ziehen. Ob der notwendigen Übersetzungstätigkeit nun aber gar nicht oder lediglich mangelhaft nachgekommen wird, macht in diesem Zusammenhang ebensowenig einen Unterschied. Dem Angeklagten darf das Risiko fehlerhafter oder unzureichender Übertragungen nicht auferlegt werden. War die in der Verhandlung erfolgte Übersetzung - aus welchen Gründen auch immer - nicht ausreichend, um dem Angeklagten die Bedeutung der Belehrung zu vermitteln, so ist auch diese Situation wie das Unterlassen der Belehrung zu bewerten. Diese Erweiterungen des Verwertungsverbots entsprechen auch den übrigen, inzwischen vom BGH aufgestellten Grundsätzen. Dieser hat das Verwertungsverbot, nachdem er es zunächst auch für den Fall der unterlassenen Belehrung im Rahmen polizeilicher Vernehmung anerkannt hat 95 , im Anschluß daran auf eine weitere Kon93 Mit einem ausdrücklichen Hinweis auf das Übersetzungserfordemis LR-Schäjer/Wikkern, § 185 OVO Rn 17 (24. Auflage); wie auch BVerfGE 64, 135 (148). 94 Siehe oben 3. Kap. BIll b (S. 154). 95 Siehe BGHSt 38, 214 ff.

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3. Kap. : Die Ausübung der Dolmetschertätigkeit

stellation ausgedehnt: Danach ist es für ein Verwertungsverbot 96 auch ausschlaggebend, ob ein Beschuldigter infolge seines geistig-seelischen Zustandes den Hinweis des Polizei beamten über seine Aussagefreiheit verstehe. 97 Der BGH hält ein Verwertungsverbot in Fällen, in denen das nicht so ist, deshalb für gerechtfertigt, "weil sonst ein geistig-seelischer Mangel des Beschuldigten dazu führen würde, sein Schweigerecht - dessen er sich wegen dieses Mangels nicht bewußt ist - wirkungslos zu machen."98 Dies beinhaltete eine Verletzung des Gebots fairen Verfahrens. Die vom BGH angeführte Begründung des Verwertungsverbotes basiert damit in erster Linie auf einem tatsächlich existierenden Verständnisdefizit. Ein solches Defizit läßt sich jedoch nicht nur auf geistig-seelische Störungen zurückführen. Auch sprachlich bedingt kann es zu einem solchen Verständnisdefizit kommen. Die angesprochene Verfahrensfaimeß gebietet auch in einem solchen Fall ein Verwertungsverbot, weil sonst ein sprachliches Defizit des Beschuldigten dazu führen würde, sein Schweigerecht - dessen er sich wegen dieses Defizits nicht bewußt war - wirkungslos zu machen. 99 Gelten solche Grundsätze für die Belehrung im polizeilichen Ermittlungsverfahren, müssen diese ebenso bei der parallel ausgestalteten Belehrung innerhalb der Verhandlungssituation Anwendung finden. Für den belehrenden Richter bedeutet dies, daß er ein besonderes Augenmerk darauf zu richten hat, ob die verdolmetschte Belehrung vom fremdsprachigen Angeklagten tatsächlich verstanden wurde, d. h. ob sich dieser seines Schweigerechts wirklich bewußt ist. 100 3. Beweisaufnahme Alle zur Beweisaufnahme gehörigen Verhandlungselemente tragen sachnotwendig den Charakter verteidigungserheblicher Relevanz in sich. Damit bedürfen diese Teile immer einer vollständigen und oftmals sogar einer wörtlichen Übertragung. 101 96 Anzumerken ist hier, daß der BGH - entsprechend der in BGHSt 38, 214ff. aufgestellten Grundsätze - auch in diesem Zusammenhang das Verwertungsverbot gewissen Einschränkungen unterwirft. So soll eine Verwertung dann zulässig sein, wenn der verteidigte Angeklagte der Verwertung zustimme oder ihr nicht bis zu dem in §257 StPO genannten Zeitpunkt widerspräche. Diese Einschränkungen, der an sich zu begrüßenden Erweiterung des Verwertungsverbotes sind jedoch als problematisch zu bewerten. Siehe dazu Kiehl, NJW 1994, 1267 (1268). Hinsichtlich der Kritik an den in BGHSt 38, 214 ff. gemachten Einschränkungen siehe beispielsweise Fezer, JR 1992, 385 ff. oder auch Bohlander, NStZ 1992, 504 ff. 97 Siehe BGH, NJW 1994, 333 f. 98 BGH, NJW 1994,333 (334). 99 Im Ergebnis so auch Kiehl, NJW 1994, 1267 (1268). I()() SO auch LR-SchäferIWickern, § 185 GVG Rn 17 (Fn 44) (24. Auflage). Vgl. zur Notwendigkeit einer Verständnis kontrolle bei Belehrungen auch Artkämper, S. 195 i.V. m. 185. 101 Eine - in einem ähnlichen Sinne wie bereits oben, 3. Kap. BIll 3 c (S . 166 ff.), bei der Verfassungsgerichtsentscheidung geübten Kritik - problematische Formulierung findet sich bei Katholnigg, § 185 GVG Rn 3, wonach die Ergebnisse der Beweisaufnahme in allen wesentli-

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a) Zeugenvernehmung Letzteres, also die Notwendigkeit wörtlicher Übertragung, ist - wie bereits oben für die umgekehrte Situation einer fremdsprachigen Beweisperson ausgeführt 102 - vor allem bei den in der Praxis sehr häufig anzutreffenden Zeugenvernehmungen der Fall. 103 In diesem Zusammenhang ist zu beachten, daß sich die Übersetzung nicht nur auf die Aussage des Zeugen zur Sache selbst, sondern auch auf dessen Angaben über seine Person nach § 68 StPO erstrecken muß. 104 Da für einen Angeklagten dabei neben den Angaben über die Verhältnisse und Beziehungen eines Zeugen 105 auch andere Einzelheiten seiner Personalien - wie beispielsweise dessen Religion - von Bedeutung sein können 106, sollten grundsätzlich auch all diese Angaben vollständig übertragen werden. b) Vernehmung von Mitangeklagten Die gleiche Notwendigkeit wörtlicher Übertragung besteht auch für die Vernehmungen von Mitangeklagten. Obwohl es sich hier nicht um Verhandlungsteile, die im gesetzestechnischen Sinne des § 244 Abs. 1 StPO zur Beweisaufnahme gehören, handelt, sind diese gleichwohl Beweismittel, die für jeden Angeklagten eine den Zeugenvernehmungen entsprechende Wirkung entfalten. c) Sachverständigenvernehmung

Auch die Vernehmungen von Sachverständigen stellen verteidigungserhebliche Informationsquellen dar und bedürfen daher einer vollständigen Übertragung. 107 ehen Teilen zu übersetzen seien. Neben der mit dem Wesentlichkeitsaspekt verbundenen Problematik tritt hier vor allem die Frage einer nur punktuell auf die Ergebnisse ausgerichteten Übersetzung. Siehe hierzu die Ausführungen direkt unten zum Sachverständigengutachten, 3. Kap. BIV3c (S.179f.). 102 Siehe oben 3. Kap. BIll (S. 152 f.). 103 So beispielsweise auch KK-Diemer, § 185 GVG Rn 4. 104 Siehe Kissel, § 185 GVG Rn 10. 105 So im Anschluß an RGSt 43, 441 (443) auch Jessnitzer, Dolmetscher, S.75 sowie Eh. Sehmidt, § 185 GVG Rn 7. 106 Vgl. Jessnitzer, Dolmetscher, S. 75, der jedoch der Ansicht ist, daß nicht unbedingt alle Einzelheiten der Personalien - wie beispielsweise Alter oder Religion - einer Übersetzung bedürften. Bedenkt man aber, wie wesentlich unter Umständen die Religionszugehörigkeit eines Zeugen für die Beurteilung seiner Aussage sein kann, wenn beispielsweise Zeuge und Angeklagter rivalisierenden Religionsgruppen zugehörig sind, so spricht allein schon die Tatsache, daß die Relevanz der einzelnen Informationen stets fallbezogen variiert, dafür, diese grundsätzlich immer umfassend zu übertragen. 107 Für eine vollständige Übertragung ausdrücklich auch LR-Schäfer/Wickern, § 185 GVG Rn 17 (24. Auflage). 12*

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3. Kap.: Die Ausübung der Dolmetschertätigkeit

Eine anders lautende, einst vom Reichsgericht 108 vertretene Ansicht jedoch, wonach die Verdolmetschung der Gründe eines in der Hauptverhandlung abgegebenen Gutachtens nicht erforderlich sei und nur auf Verlangen des Angeklagten erfolgen müsse, ist heute noch teilweise in der Kommentarliteratur anzutreffen. 109 Dies ist um so erstaunlicher, als sich das Reichsgericht selbst bereits an anderer Stelle bezüglich des Dolmetschens ganz allgemein gegen "eine Zusammenfassung des Ergebnisses der Beweisaufnahme" I \0 ausgesprochen hatte. 111 Daß die bloße Übersetzung des Ergebnisses eines Gutachtens dem verfassungsrechtlich verankerten Erfordernis eines fairen Verfahrens nicht genügen kann, zeigt sich schon darin, daß es dem Angeklagten auf diese Weise nicht möglich wäre, die Schlußfolgerungen des Gutachtens selbst nachzuprüfen. I 12 Da diese Möglichkeit grundsätzlich aber allen Verfahrensbeteiligten eingeräumt ist - ansonsten könnte man im Strafverfahren generell auf die Begründung von Gutachten verzichten - darf dies auch einem fremdsprachigen Angeklagten nicht verwehrt werden. In manchen Fällen kann die ausführliche Kenntnis der Gutachtenbegründung für die Verteidigung sogar noch wichtiger sein als das Gutachtenergebnis an sich. Dies kann beispielsweise der Fall sein, wenn die Verteidigung bestrebt ist, bereits die dem Gutachten zugrundeliegenden Beweistatsachen zu widerlegen. Um jedoch auch sicherzustellen, daß das Gutachten nicht nur voll umfänglich, sondern auch inhaltlich möglichst richtig übertragen wird, sollte hierfür in der Regel auch die wörtliche Übersetzung gewählt werden. Gerade die im Bereich der Sachverständigenarbeit liegenden Themen bedürfen naturgemäß einer besonderen Spezial kenntnis, welche sich dem Allgemeinwissen der Verfahrensbeteiligten oftmals völlig entzieht. Auch der Gerichtsdolmetscher wird auf dem Sachverständigengebiet im Normalfall ein Laie sein, so daß es sich für eine möglichst unverfälschte Wiedergabe des Gutachteninhalts als der sicherste Weg darstellen wird, die Übersetzung streng an den vom Gutachter gewählten Worten zu orientieren.

d) Verlesung von Schriftstücken Ferner bedarf auch die zur Beweisaufnahme dienende Verlesung von Schriftstükken gemäß § 249 StPO als verteidigungserheblicher Informationsträger einer vollständigen und je nach Beweisrichtung des Urkundeninhalts oftmals sogar einer wörtlichen Übertragung. Siehe RG, GA Bd.43 (1895), 253. SO Z . B. bei Kissel, § 185 GVG Rn 10; Albers, in BaumbachlLauterbach/AlberslHartmann, § 185 GVG Rn 6; Schreiber in WieczoreklSchütze, § 185 GVG Rn 13; MK-Wolf, § 185 GVG Rn 7. Siehe auch Jessnitzer, Dolmetscher, S. 75 . 110 RGSt 43, 441 (443). 111 Auch schon Katholnigg, § 185 GVG Rn 3 (Fn 45), weist in diesem Zusammenhang auf diese Ansicht des Reichsgerichts hin. 112 Ähnlich auch Katholnigg, § 185 GVG Rn 3, der ausführt, daß diese Art der Übersetzung mit Art. 6 Abs. 3 Lit. e MRK nicht vereinbar wäre. 108

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B. Der Umfang der Übersetzungstätigkeit

181

Dies sollte im Einzelfall anhand des Beweisthemas entschieden werden: So ist es beispielsweise ausreichend, den Inhalt einer Geburtsurkunde lediglich sinngemäß wiederzugeben, weil hier das zu beweisende Thema eindeutig bestimmbar ist und die interessierende Information durch die Art der Formulierung keine Veränderung erfahrt. Anders verhält es sich dagegen bei der Verlesung eines Urteils. Um hier eine exakte Informationsvermittlung zu gewährleisten, ist es erforderlich, daß die Übertragung möglichst wortgenau erfolgt.

4. Anträge und Entscheidungsverkündungen Das Erfordernis wörtlicher Übersetzung erstreckt sich aber auch auf jene Verhandlungselemente, die einen besonderen, offiziellen Charakter besitzen. Gemeint sind hier die Anträge der Verfahrensbeteiligten 113 und - als Gegenstück dazu - die Verkündung richterlicher Entscheidungen. Bei solchen Äußerungen, die in der Regel einen starken Einfluß auf den Verlauf des Prozesses besitzen und für einen Angeklagten daher jeweils von verteidigungs erheblicher Natur sind, ist es notwendig, den vom Verfasser für die Formulierung gewählten Wortlaut möglichst exakt wiederzugeben. Das Erfordernis wörtlicher Übertragung erstreckt sich jedoch nur auf den Entscheidungstenor an sich und nicht etwa auch auf die jeweils dazugehörige Begründung der Entscheidung. 114 Hierbei kommt es nämlich nicht auf den genauen Wortlaut an. Allerdings ist es - wegen der grundsätzlichen Verteidigungserheblichkeit dieser gerichtlichen Entscheidungen - erforderlich, daß der Inhalt der Begründung vollständig vermittelt wird. Nur dann kann sich die Entscheidung für den Betroffenen als transparent und nachvollziehbar darstellen.

S. Verkündung des Urteils Es ist zunächst zu vermuten, daß für das Urteil als besonderer Fall gerichtlicher Entscheidungen insoweit die gleichen Anforderungen gelten müßten, denn beim Urteil handelt es sich um eine der wichtigsten, wenn nicht sogar um die wichtigste Entscheidung des Verfahrens. Andererseits läßt sich hier aber schwerlich ein Ansatzpunkt für das Argument finden, mit dem ansonsten die Notwendigkeit umfassender Übersetzung begründet wurde. Das Kriterium der Entscheidungs- bzw. Verteidigungserheblichkeit vermag hier nicht zu greifen. Bei der Verkündung des Urteils ist die Entscheidung bereits zuvor getroffen worden, so daß in der Urteilsverkündung kein entscheidungs- oder verteidigungserheblicher Vorgang erblickt werden kann. 115 So auch BVerfGE 64, 135 (\48). So im Ergebnis z. B. auch Schreiber, in WieczorekjSchütze, § 185 ova Rn 13. 115 Vgl. insoweit das parallele Problem beim Beruhen des Urteils auf einem VereidigungsmangeI5.Kap.DII3abb (S.252). 113

114

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3. Kap.: Die Ausübung der Dolmetschertätigkeit

Für den Übersetzungsumfang der Urteilsverkündung müssen daher anderere Gesichtspunkte herangezogen werden. Insofern gilt es vor allem zu berücksichtigen, daß das Urteil für das Verfahren von besonderer Bedeutung ist: Während der gesamten Verhandlung wird auf diese Entscheidung hingearbeitet; mit der Verkündung des Urteils findet die Hauptverhandlung ihren Abschluß (§ 260 Abs. 1 StPO). Die Verkündung der Urteilsformel und der Urteilsgründe ist nicht Selbstzweck, sondern sie dient dazu, der Öffentlichkeit und vor allem aber den Beteiligten des Verfahrens das ermittelte Ergebnis bekanntzugeben und gleichzeitig zu erklären, wie es zustande gekommen ist. Dieser Verkündungszweck kann aber nur dann erfüllt werden, wenn der bekanntzugebende Inhalt die Verkündungsadressaten erreicht. Insbesondere die Prozeßbeteiligten im engeren Sinne - namentlich der Angeklagte, sein Verteidiger, der Staatsanwalt sowie der Nebenklagevertreter - haben an diesen Ausführungen des Gerichts ein gesteigertes Interesse, gleich ob sie die Verkündung direkt verstehen oder dazu der Hilfe eines Dolmetschers bedürfen. Jeder von ihnen hat das gleiche Recht auf die Mitteilung des Prozeßergebnisses. Es besteht kein Anlaß, die Verfahrensbeteiligten im engeren Sinne dabei unterschiedlich zu behandeln; jedem dieser besonderen Beteiligten muß hier die gleiche Information zukommen. Beherrscht einer dieser Prozeßbeteiligten die deutsche Sprache nicht, so ist die Verkündung des Urteils daher umfassend in die betreffende Fremdsprache zu übertragen. Dieses Ergebnis wird in bezug auf die Urteilsbegründung von der Literatur insofern bestätigt, als man sich darüber einig ist, daß die in § 259 StPO gewährte Beschränkungsmöglichkeit l16 weder eine direkte noch analoge Anwendung auf die Übertragung der mündlichen Urteilsgründe finde. 117 Die Urteilsbegründung muß, der eingangs gemachten Vermutung entsprechend, also stets vollständig übertragen werden. Nicht erforderlich ist - wie auch bei den sonstigen Begründungen gerichtlicher Entscheidungen - eine wörtliche Übersetzung. Auch hier kommt es nämlich nicht auf den exakten Wortlaut an, sondern auch insoweit ist jeweils nur die Vollständigkeit der wiederzugebenden Information von Bedeutung. Da bei sonstigen Entscheidungsverkündungen hinsichtlich des Entscheidungstenors neben das Erfordernis vollständiger, das Erfordernis wörtlicher Übertragung tritt, ist fraglich, ob diese Notwendigkeit auch für den Urteilstenor besteht. Hierbei ist zu beachten, daß gerade dem Tenor bei der Urteilsverkündung ein besonderer Stellenwert zukommt. Diese Bedeutung wird durch die Strafprozeßordnung explizit unterstrichen. Zum einen überläßt das Gesetz die Formulierung der Urteilsformel nicht einfach dem Richter, sondern macht in § 260 Abs. 4 StPO zwingende Vorgaben zu ihrem Inhalt. Zum anderen wird in § 268 Abs. 2 S. 1 StPO verlangt, daß die ForSiehe dazu direkt im Anschluß unter 3. Kap. B V (S . 183 ff.). Siehe u. a. KMR-Stuckenberg, § 259 StPO Rn 2; LR-Gollwitzer, § 259 StPO Rn 2 (25. Auflage); SK-Schlüchter, § 259 StPO Rn 4. 116 117

B. Der Umfang der Übersetzungstätigkeit

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mel des Urteils bei der Verkündung zu verlesen ist, womit der Gesetzgeber eindeutig zum Ausdruck gebracht hat, daß der genaue Wortlaut der Entscheidungsformel eine wichtige Rolle spielt. Folglich bedarf - ebenso wie der Tenor jeder anderen gerichtlichen Entscheidungen - auch die Urteils/ormel einer wörtlichen Übersetzung.

V. Der Übersetzungsumfang der Schlußvorträge 1. § 259 StPO und seine Funktion Bei der Beurteilung der Frage, auf welche Art und Weise die Übersetzung der Schlußvorträge von Staatsanwaltschaft und Verteidiger zu erfolgen hat, ist eine Besonderheit zu beachten. Dabei können nicht einfach die oben entwickelten Kriterien angewendet werden. Anders als für den Rest der Verhandlung gibt es hier eine ausdrückliche Regelung im Gesetz: § 259 StPO bestimmt, daß dem der Gerichtssprache nicht mächtigen Angeklagten aus den Schlußvorträgen mindestens die Anträge des Staatsanwaltes und des Verteidigers zu übersetzen sind. Diese Norm stellt nach herrschender Ansicht eine Einschränkung der - sonst doch eher weiten - Übersetzungspflicht dar. 118 Obwohl man annehmen könnte, daß mit dieser gesetzlichen Normierung der erforderliche Übersetzungsumfang eindeutig festgelegt ist, gestaltet sich die Beurteilung dieser Frage trotzdem als problematisch. Es erscheint befremdlich, daß der Gesetzgeber den notwendigen Übersetzungsumfang gerade für einen Verhandlungsteil eingeschränkt hat, der im Prozeßgeschehen nicht eben von unerheblicher Bedeutung ist. In Anbetracht der obigen Kriterien ließe sich viel eher vermuten, daß gerade auch die Schlußvorträge in ihrer Gesamtheit, als die den Prozeß abschließenden Bewertungen des Staatsanwalts und des Verteidigers, dem Erfordernis einer wörtlichen Übertragung zu unterstellen sind. Der Grund für das Minimieren der Übersetzungspflicht kann in diesem Fall folglich nicht in der Relevanz des Verhandlungs bestandteils liegen. Vielmehr muß die gesetzgeberische Entscheidung von einer ganz andersartigen Überlegung motiviert worden sein. Es überrascht somit auch nicht, wenn man erfahrt, daß die Einschränkung des § 259 StPO in der Tat auf eine rein praktische Erwägung zurückzuführen ist. So heißt es im Anschluß an die Motive des Regierungsentwurfes in der Literatur ganz überwiegend: Die Bestimmung des § 259 StPO trage dem Umstand Rechnung, daß die Übertragung des ganzen Inhalts der Schlußvorträge regelmäßig schwer ausführ118 Siehe HK-JllliIlS, § 259 StPO Rn I; KK-Engelhardt, § 259 StPO Rn I; Meyer-Goßner, § 259 StPO Rn I; LR-Gollwitzer, § 259 StPO Rn 1 (25. Auflage); AK-Dästner, § 259 StPO Rn 1; KMR-Stllckenberg, § 259 StPO Rn I; vgl. auch RGSt 43, 441 (443). Im Ergebnis ebenso BVerfGE 64,135 (148). A.A. Malek, S.112 Rn 246, der §259 StPO nicht als Einschränkung, sondern als "Mindestgarantie" für den Angeklagten ansieht.

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3. Kap.: Die Ausübung der Dolmetschertätigkeit

bar sein würde. 119 Eb. Schmidt ergänzt dies noch um den Aspekt einer damit verbundenen "weithin unnötigen Verzögerung". 120 Über diese Argumentation hinaus gibt es keine weiteren Begründungsansätze. Bezeichnenderweise nennt daher auch der BGH § 259 StPO eine "Erleichterungsvorschrift" 121. Der angeführten Argumentation fehlt es jedoch - vor allem in der heutigen Zeit - an Stichhaltigkeit. Auch wenn zu akzeptieren ist, daß es in der Verfahrensrealität manchmal Sachzwänge gibt, denen man bei der Ausgestaltung von Verfahrensrechten Tribut zollen muß, so haben derartige Beschränkungen jedoch nur so lange ihre Berechtigung, solange die der Regelung zugrundeliegenden, tatsächlichen Umstände existent sind. Es mag sich in der Tat einmal als problematisch dargestellt haben, ausreichend qualifizierte Personen für die synchrone Übertragung eines - in der Regel etwas längeren - juristischen Textes, wie beispielsweise eines Schlußvortrags in der Hauptverhandlung, zu finden. Heute jedoch stellte es - bei aller Kritik an der bestehenden Dolmetschersituation - eine nicht haltbare Übertreibung dar, wenn man weiterhin behauptete, die Verdolmetschung der gesamten Schlußvorträge sei nur schwer ausführbar. Die Tatsache, daß teilweise zwar immer noch ungenügend qualifizierte Personen als Dolmetscher bei Gericht tätig sind, kann nicht damit gleichgesetzt werden, daß der vollständigen Übersetzung von Schlußvorträgen auch heute noch nur schwer überwindbare, tatsächliche Hindernisse im Wege stünden. Durch die nun existente Möglichkeit, erfahrene oder speziell geschulte Gerichtsdolmetscher in die Verhandlung einzubeziehen, wird der auf diesem praktischen Erfordernis fußenden Argumentation eindeutig der Boden entzogen. Solche "echten" Gerichtsdolmetscher sind mit der umfassenden Übertragung von Schlußvorträgen weder überfordert I22 , noch führt die nunmehr in solchen Fällen gängige Technik des synchronen Flüsterdolmetschens zu einer extremen zeitlichen Verzögerung, so daß die einstmals plausible Regelung des § 259 StPO der heutigen Realität nicht mehr entspricht. 123 Nicht zuletzt deshalb ist es gerechtfertigt, wenn dieser Vorschrift teilweise mit großer Skepsis begegnet wird.

119 Siehe LR-Gollwitzer, § 259 StPO Rn 1 (25. Auflage); Eb. Schmidt, § 259 StPO Rn I; AK-Dästner, §259 StPO Rn 1; SK-Schlüchter, §259 StPO Rn 1; ebensoBGH, GA 1963, 148 (149). Alle im Anschluß an Motive des Regierungsentwurfs, C. Hahn, Materialien StPO, Bd I, S.197. Vgl. dazu auch KMR-Stuckenberg, §259 StPO Rn I. 120 Siehe Eb. Schmidt, § 259 StPO Rn I. 121 BGH, GA 1963, 148 (l49a.E.). 122 Im Ergebnis so auch Malek, S. 112 Rn 246. 123 Auch bei KMR-Stuckenberg, § 259 StPO Rn 5 finden sich erhebliche Bedenken gegen die Argumentation mit angeblichen Schwierigkeiten oder Störungen beim Übersetzen der Schlußvorträge.

B. Der Umfang der Übersetzungstätigkeit

185

2. Bedenken gegen § 259 StPO So bezeichnet es beispielsweise Dästner als zweifelhaft, ob die Regelung des § 259 StPO den sich aus Art. 6 Abs. 3 lit. e MRK ergebenden Anforderungen gerecht werde. 124 Er stützt seine Bedenken dabei auf eine vom EGMR ausdrücklich in einer Entscheidung zu Art. 6 Abs. 3 lit. e MRK gemachten Aussage. Dieser Unterpunkt bedeute nach Ansicht des Gerichtshofs vor dem Hintergrund des in Art. 6 MRK gewährleisteten Rechts auf ein faires Verfahren, daß der Angeklagte, der die Verhandlungssprache des Gerichts nicht verstehe oder sich nicht darin ausdrücken könne, Anspruch auf unentgeltlichen Beistand eines Dolmetschers habe, damit ihm sämtliche Schriftstücke und mündlichen Erklärungen in dem gegen ihn durchgeführten Verfahren übersetzt würden, auf deren Verständnis er angewiesen sei, um ein faires Verfahren zu haben. 125 Billigt man den Schlußvorträgen den Charakter eines Verhandlungsteils zu, auf dessen Verständnis der Angeklagte angewiesen ist, so läge in § 259 StPO eindeutig - auch wenn Dästner diesen Gedanken nicht mehr explizit zum Ausdruck bringt - ein Verstoß gegen Art. 6 Abs. 3 lit. e MRK i. V. m. dem Grundsatz des fairen Verfahrens. 3. Bedeutung der Schlußvorträge Es stellt sich somit die Frage, ob es zur Ausübung der SubjektsteIlung des Angeklagten erforderlich ist, daß er über den gesamten Inhalt der Schlußvorträge in Kenntnis gesetzt wird. a) Funktion der Plädoyers

Um die Bedeutung der Schlußvorträge für die aktive Wahrnehmung der dem Angeklagten im Verfahren zugedachten Rolle zu ermitteln, muß man sich zunächst die Funktion der Plädoyers innerhalb des Verfahrens vor Augen führen. Die Schlußvorträge i.V. m. dem letzten Wort des Angeklagten bilden den letzten Teil der mündlichen Verhandlung und gehören damit zu ihrem Inbegriff i. S. v. § 261 StPO. 126 Es handelt sich dabei um kontradiktorische Stellungnahmen, die durch ihre Gesamtwürdigung des Prozeßstoffes Einfluß auf die Entscheidung des Gerichts nehmen sollen. 127 Die diesem Verhandlungsteil zugrundeliegende Norm des § 258 StPO sichert somit den verfassungsmäßig verankerten Anspruch auf rechtliches Gehör 128 124 Siehe AK-Dästner, § 259 StPO Rn 2. Ebenfalls zweifelnd KMR-Stuckenberg, § 259 StPO Rn 5. 125 Siehe EGMR, NJW 1979, 1091 (1092). 126 Vgl. SK-Schlüchter, § 258 StPO Rn 1. 127 Siehe LR-Gollwitzer, § 258 StPO Rn 2 (25. Auflage). 128 Siehe AK-Dästner, § 258 StPO Rn 1 sowie KK-Engelhardt, § 258 StPO Rn I.

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3. Kap.: Die Ausübung der Dolmetschertätigkeit

und dient - aufgrund der kontradiktorischen Ausgestaltung der Vorträge - gleichsam der Erforschung der Wahrheit. 129 Das Plädoyer des Staatsanwalts beinhaltet in der Regel Ausführungen zum Beweisergebnis, rechtliche Darlegungen sowie die darauf gegründeten Anträge. 130 Hierbei ist besonders hervorzuheben, daß die strafverfahrensrechtliche Stellung der Staatsanwaltschaft eine objektive Würdigung des Verhandlungsergebnisses erfordert. 131 Ferner ist festzustellen, auch wenn dies nur selten zum Ausdruck gebracht wird, daß neben den Richtern und der Allgemeinheit auch die Person des Angeklagten sowie dessen Verteidiger zum Adressatenkreis der staatsanwaltschaftlichen Ausführungen gehören. Einzig bei K. Peters findet sich dieser Gesichtspunkt herausgearbeitet: "Der Schlußvortrag hat nicht anders als die Anklage auch eine wichtige Funktion für die Verteidigung. Der Angeklagte erfährt dadurch, was ihm vorgeworfen wird und wogegen er sich zu verteidigen hat." 132

Auch das Plädoyer des Verteidigers enthält eine Stellungnahme zu der in der Hauptverhandlung festgestellten Sachlage und dem daraus gegen den Angeklagten erhobenen Vorwurf 133 , wobei sich die Ausführungen des Verteidigers in der Regel auch auf das vorangegangene Plädoyer des Staatsanwalts beziehen. 134 Ebenso wie beim Vortrag des Staatsanwalts wird der Angeklagte auch in diesem Fall durch das Plädoyer angesprochen. 135 b) Bedeutung der Schlußvorträge für das" letzte Wort"

Allein schon der formale Umstand, daß der Angeklagte bei beiden Schlußvorträgen zu den Adressaten zu zählen ist, spricht bereits dafür, daß diese jeweils einer umfassenden Übersetzung unterzogen werden sollten. Ohne die Vermittlung des Dolmetschers nämlich kann der - zwar nicht ausschließlich, aber eben auch - an den Angeklagten gerichtete Inhalt der Plädoyers diesen Adressaten nicht erreichen. Darüber hinaus machen es aber auch inhaltliche Aspekte erforderlich, daß der Angeklagte die Schlußvorträge in ihrer Gesamtheit zur Kenntnis nehmen kann. Da ihm gemäß § 258 Abs. 2 2. HS StPO ausdrücklich das letzte Wort gebührt, soll es ihm bis zum Schluß der Hauptverhandlung ermöglicht werden, auf das Urteil Einfluß zu nehmen. 136 Anders als der juristisch geschulte Staatsanwalt und der Vertei129 Siehe LR-Gollwitzer, § 258 StPO Rn 2 (25. Auflage); ähnlich auch KK-Engelhardt, § 258 StPO Rn 1. 130 Siehe K. Peters, Strafprozeß, § 23 IV e, S. 178. 131 Vgl. HK-luljus, § 258 StPO Rn 3. 132 K. Peters, Strafprozeß, § 23 IVe, S. 178. 133 Siehe K. Peters, Strafprozeß, § 29 V c, S. 236. 134 Vgl. K. Peters, Strafprozeß, § 29 V c, S. 237. 135 Siehe K. Peters, Strafprozeß, § 29 V c, S. 238. 136 Vgl. KK-Engelhardt, § 258 StPO Rn 21.

B. Der Umfang der Übersetzungstätigkeit

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diger kann er nur bedingt wissen, welche in der Hauptverhandlung zur Sprache gekommenen Aspekte und Detailinformationen am Ende wirklich von entscheidungserheblicher Bedeutung sind und welche Gesichtspunkte - sei es aus prozeß- oder materiellrechtlichen Gründen - keine Auswirkungen auf das Urteil haben können. Obwohl oder gerade weil der Angeklagte grundsätzlich frei ist, was er im Rahmen des letzten Wortes ausführen will \37, benötigt er die Kenntnis dessen, was in den Schlußvorträgen des Staatsanwaltes und gegebenenfalls des Verteidigers als juristisch essentiell für die Urteilsfindung herausgearbeitet wurde. Nur so kann er seinen Ausführungen eine im Hinblick auf seine Verteidigung sinnvolle Ausgestaltung geben und entsprechend seiner Verfahrensstellung als ein wirkliches Prozeßsubjekt agieren. 138 Dieses Erfordernis tritt um so mehr zutage, wenn man sich vergegenwärtigt, daß der objektiven Würdigung im Schlußvortrag des Staatsanwaltes eben auch die Funktion obliegt, den Angeklagten - ähnlich wie zu Beginn der Verhandlung durch die Anklageverlesung - darüber zu informieren, wie sich seine Situation nun, nach Abschluß der Beweisaufnahme, darstellt. 139 Aus dieser Informationsfunktion läßt sich die Notwendigkeit ableiten, daß der Angeklagte die ihm zugedachte Information auch tatsächlich verwerten können muß. Ihn nämlich nur - ohne jegliche Reaktionsmöglichkeit - über die Verfahrenssituation aufklären zu wollen, wäre zu diesem Zeitpunkt überflüssig, da er das Verfahrensergebnis in der darauffolgenden Urteilsverkündung ohnehin erfährt. c) Bedeutung des "rechtlichen Gehörs" Man mag einwenden, daß der Anspruch auf rechtliches Gehör gemäß Art. 103 Abs. 1 GG, von dem das letzte Wort des Angeklagten zweifelsohne eine Ausprägung darstellt 140, als Minimalgarantie 141 dem Angeklagten nur die Möglichkeit gewähren könne, überhaupt als letzter zum Verfahrensgegenstand Stellung zu nehmen, und daß sich daraus folglich keine Erfordernisse für die inhaltliche Ausgestaltung des letzten Wortes ableiten ließen. Teilt man diese vom Bundesverfassungsgericht vertretene Auffassung der Minimal garantie 142, so ist es zwar richtig, daß der Anspruch auf das rechtliche Gehör für m Siehe LR-Gollwitzer, § 258 StPO Rn 31 (25. Auflage). Von einer Entwertung des Rechts auf das letzte Wort sprechen insoweit auch KMR-Stukkenberg, § 259 StPO Rn 5 sowie AK-Dästner, § 259 StPO Rn 3. 139 V gl. K. Peters, Strafprozeß, § 23 IV e, S. 178. 140 Siehe z. B. LR-Gollwitzer, § 258 StPO Rn 1 (25. Auflage); KK-Engelhardt, § 258 StPO Rn I; SK-Schlüchter, § 258 StPO Rn 1; AK-Dästner, § 258 StPO Rn 1; Meyer-Goßner, § 258 StPO Rn I. 141 Siehe Rüping, JZ 1983,663 sowie BVerfGE 7,53 (56-57); BVerfGE 21, 191 (194); BVerjGE 50, 32 (35); BVerfGE 60, 175 (210). Siehe dazu auch oben 2. Kap. C 11 2 (S. 86). 142 A. A. wohl AK-Dästner, § 259 StPO Rn 3, nach dem die von der h. M. vertretene Auffassung, daß es im Ermessen des Gerichts stünde, ob und wie dem Angeklagten über die Vor138

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3. Kap.: Die Ausübung der Dolmetschertätigkeit

die inhaltliche Ausgestaltung des letzten Wortes nicht herangezogen werden kann, jedoch folgt daraus noch nicht zwangsläufig, daß an das letzte Wort keine über die Gewährleistung des Art. 103 Abs. 1 GG hinausgehenden Anforderungen gestellt werden könnten. Der Sinn einer Minimalgarantie liegt keineswegs darin, eine Überschreitung der verfassungsrechtlich garantierten Mindeststandards zu verhindern. Richtig ist vielmehr, daß sich Art und Umfang der Gewährung des rechtlichen Gehörs im Strafverfahren grundsätzlich nach den Bestimmungen der StPO richten. 143 Dabei ist zu beachten, daß diese jedoch teilweise sogar "ein Mehr an rechtlichem Gehör gewähren als Art. 103 Abs. 1 GG es vorschreibt". 144 Ausschlaggebend für die an das letzte Wort zu stellenden Anforderungen ist demnach in erster Linie die diesem Vorgang innerhalb der Verhandlung zugedachte Funktion. Hier geht es um die für den Angeklagten letzte Möglichkeit, seiner Subjektstellung entsprechend Einfluß auf das Urteil zu nehmen. Wirklich sinnvoll kann er dieses aktive Teilnahmerecht - wie oben bereits ausgeführt - aber nur gestalten, wenn er sich dabei auch den Inhalt der Schlußvorträge zunutze machen kann. d) Der kontradiktorische Charakter der Schlußvorträge Darüber hinaus spricht auch der kontradiktorische Charakter dieses letzten Verhandlungsteils dafür, daß dem Angeklagten die Schlußvorträge in Gänze übertragen werden sollten. Die abschließenden Stellungnahmen präsentieren sich nicht nur aufgrund der unterschiedlichen Positionen der Vortragenden als widerstreitende Standpunkte. Der Gesetzgeber hat durch die ausdrückliche Erwähnung der Erwiderungsmöglichkeit in § 258 Abs. 2 StPO verdeutlicht, daß es sich bei den Schlußvorträgen nicht um autonome, sondern durchaus um sich aufeinander beziehende Stellungnahmen handelt. Welche fatalen Konsequenzen es haben kann, dem Angeklagten über § 259 StPO den Inhalt des staatsanwaltschaftlichen Schlußvortrags vorenthalten zu können, zeigt sich an der Situation eines fremdsprachigen Angeklagten, dem kein Verteidiger zur Seite steht. Da die Nichtbeherrschung der deutschen Gerichtssprache vom Gesetzgeber nicht zu einem Fall der automatisch notwendigen Verteidigung gemäß § 140 StPO erhoben wurde, kann es stets zu einer solchen Situation kommen. Gemäß § 258 Abs. 1 StPO ist es dann der Angeklagte selbst, der - regelmäßig im Anschluß an den Staatsanwalt - den für seine Verteidigung nicht gerade unerheblichen Schlußvortrag hält. Entsprechend der aufgezeigten Beziehung zwischen den einzelnen Schlußvorträgen ist es dabei erforderlich, daß der Angeklagte in die Lage versetzt wird, sich ganz direkt auch mit dem vorangegangenen Vortrag auseinandersetgabe des § 259 StPO hinaus auch der Inhalt der Schlußvorträge zu übersetzen sei, "von einem überholten Verständnis des Anspruchs auf rechtliches Gehör geprägt" sei. 143 Siehe Kühne, Strafprozeßrecht, § 12, Rn 264, S. 112; vgl. auch BVerfGE 60, 175 (210); Rüping, JZ 1983,663. 144 Kühne, Strafprozeßrecht, § 12, Rn 264, S.11~.

B. Der Umfang der Übersetzungstätigkeit

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zen zu können. 145 Ansonsten bliebe ihm eine Möglichkeit verwehrt, die man dem Staatsanwalt über § 258 Abs. 2 1. HS StPO ausdrücklich eingeräumt hat. Um eine solche, eindeutig nicht der Intention kontradiktorischer Ausgestaltung entsprechende Situation zu vermeiden, müßte die in § 259 StPO enthaltene Einschränkung des Übersetzungsumfangs zumindest an das Vorhandensein eines Verteidigers gekoppelt sein. Eine dahingehende Anwendungsvoraussetzung besitzt diese Vorschrift jedoch nicht. Selbst für den Fall, daß der Schlußvortrag von einem Verteidiger übernommen wird, bleibt es trotzdem noch erforderlich, daß der Angeklagte sich im Rahmen seiner als "letztes Wort" bezeichneten Ausführungen inhaltlich auf die vorangegangen Schlußvorträge beziehen kann. Auch das letzte Wort besitzt einen zum Vortrag des Staatsanwalts kontradiktorischen Charakter. Dieser entfällt nicht etwa dadurch, daß zuvor ein Verteidiger für den Angeklagten gesprochen hat. Aufgrund dieses Umstandes muß der Angeklagte also - zumindest hinsichtlich des Schlußvortrags der Staatsanwaltschaft - eine umfassende Übersetzung erhalten. Aber auch für den Schlußvortrag des Verteidigers bedarf es mehr als nur der wörtlichen Übersetzung der Anträge und einer Wiedergabe des wesentlichen Inhalts der restlichen Ausführungen. Wenn man dem Angeklagten durch das letzte Wort ausdrücklich die Möglichkeit zubilligt, sich abschließend zum gesamten Inhalt des Prozeßgeschehens äußern zu dürfen, so muß dies auch in bezug auf das Schlußwort seines Verteidigers gelten. Egal, ob er sich diesen Ausführungen kommentarlos anschließen oder ob er sie um für ihn wichtig erscheinende Aspekte, die sein Verteidiger bewußt oder unbewußt ausgelassen hat, ergänzen will, er bedarf dazu der gen auen Kenntnis dessen, was vom Verteidiger vorgetragen wurde. Ohne dieses Wissen ist es einem Angeklagten kaum möglich, sich - wie es in der Praxis häufig anzutreffen ist - schlicht den Ausführungen seines Verteidigers anzuschließen. Vielmehr wäre er in diesem Fall dazu gezwungen, vorsichtig zu formulieren, daß er sich dem, wovon er glaube, daß sein Verteidiger es vorgetragen habe, anschließen möchte. Erst recht aber ist eine solche Kenntnis notwendig, wenn das Plädoyer des Anwalts durch den Angeklagten ergänzt werden soll. Der deutschunkundige Angeklagte braucht eine detaillierte - und nicht nur zusammengefaßte 146 - Übertragung, sonst ist es ihm nicht möglich zu unterscheiden, ob ein ihm essentiell erscheinender Umstand in den Ausführungen des Verteidigers tatsächlich keine Berücksichtigung gefunden hat oder ob jener Aspekt vielmehr nur vom Dolmetscher nicht in die Wiedergabe des wesentlichen Inhalts mit einbezogen wurde.

Ähnlich auch Malek, S. 112, Rn 246. Vgl. AK-Dästner, § 259 StPO Rn 3, der eine -lediglich - gedrängte Inhaltsangabe der Schlußvorträge immer für geboten hält. 145 146

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3. Kap.: Die Ausübung der Dolmetschertätigkeit

e) Ergebnis

Es zeigt sich somit, daß der sowohl völkerrechtlich als auch verfassungsrechtlich garantierte Grundsatz des fairen Verfahrens es für den Angeklagten erforderlich macht, ihm die Schlußvorträge von Staatsanwaltschaft und Verteidigung stets in vollständiger Form durch den Dolmetscher übermitteln zu lassen. Ansonsten würde es ihm verwehrt, seine ihm im Verfahren zugedachte Stellung als ein zur aktiven Teilnahme am Prozeß berechtigtes Subjekt in ausreichendem Maße wahrnehmen zu können. Die durch § 259 StPO eingeräumte Reduzierung des zwingend erforderlichen Übersetzungsumfangs stellt daher einen eindeutigen, nicht zu rechtfertigenden Verstoß gegen Art. 6 Abs. 3 lit. e MRK i.V. m. dem Fair-Trial-Grundsatz dar. 14? 4. Der Übersetzungsumfang der Schlußvorträge als Ermessensentscheidung In der Literatur erfährt die Regelung des § 259 StPO dagegen noch häufig eine andere Bewertung. Abgesehen von den wenigen Autoren, wie beispielsweise Dästner l48 , Julius 149 oder Stuckenberg 150, die erhebliche Zweifel an einer Vereinbarkeit mit Art. 6 Abs. 3 lit. e MRK bekunden, üben die restlichen Kommentarautoren 151 keine Kritik an dieser Norm. Der herrschenden Ansicht nach ist eine Überschreitung des in § 259 StPO festgelegten Mindestübersetzungsumfangs nicht - wie es hier vertreten wird - ein zwingendes, verfassungs- und völkerrechtlich bedingtes Erfordernis, sondern steht schlicht im pflichtgemäßen Ermessen des Tatrichters. Ihm obliege es zu entscheiden, ob die Fürsorgepflicht zusätzlich eine gedrängte Inhaltsangabe oder sogar wörtliche Übersetzung gebiete. 152 Diese Frage jedoch in das "tatrichterliche Ermessen" zu stellen, ist aus mehreren Gründen verfehlt. Zunächst kann es nicht Gegenstand einer von Ermessenserwägungen geprägten Entscheidung sein, ob einem Angeklagten die zur Gewährleistung seiner Subjektstellung - wie oben aufgezeigt - notwendige Information durch 147 A. A. LR-Gollwitzer, § 259 StPO Rn 3 (25. Auflage); SK-Schlüchter, § 259 StPO Rn 3. Die von diesen Autoren zitierte Entscheidung des öster. OGH, ZfRV 1974, 148, befaßt sich nicht mit der Frage einer Übersetzung innerhalb der Hauptverhandlung und ist daher im Hinblick auf die Übersetzung von Schluß vorträgen wenig aussagekräftig. 148 Siehe AK-Dästner, § 259 StPO Rn 2. 149 Siehe HK-Julius, § 259 StPO Rn l. 150 Siehe KMR-Stuckenherg, § 259 StPO Rn 5. 151 So beispielsweise Meyer-Goßner, § 259 StPO; LR-Gollwitzer, § 259 StPO (25. Auflage); KK-Engelhardt, § 259 StPO; SK-Schlüchter, § 259 StPO; Eh. Schmidt, § 259 StPO. 152 Siehe Meyer-Goßner, § 259 StPO Rn 1; LR-Gollwitzer, § 259 StPO Rn 3 (25. Auflage); SK-Schlüchter, §259 StPO Rn 3. Ähnlich auch BVerfGE 64,135 (148), wobei das Velfassungsgericht jedoch nicht von einer Ennessensentscheidung spricht, sondern schlicht davon, daß der Vorsitzende es zu prüfen habe, ob eine weitergehende Übertragung geboten sei.

B. Der Umfang der Übersetzungstätigkeit

191

die Vennittlung eines Dolmetschers zugänglich gemacht werden soll oder nicht. Hier ist kein Raum für etwaige verfahrensökonomische Überlegungen. Zum anderen bringt es der Umstand, der die vollständige Übertragung erfordert, mit sich, daß die Ausgestaltung des Übersetzungsumfangs für jeden deutschunkundigen Angeklagten mit dem gleichen Ergebnis verbunden sein muß. Das Interesse des Angeklagten - entsprechend seiner stets unverändert bleibenden Stellung als Verfahrenssubjekt -, bis zum Schluß der Verhandlung agieren zu können, existiert völlig unabhängig davon, ob der Prozeß rechtlich als schwierig oder einfach zu beurteilen ist oder ob sich die Beweislage zum Ende des Verfahrens als eindeutig oder zweifelhaft darstellt. Unabhängig davon wie "überflüssig" die Ausführungen eines Angeklagten innerhalb des letzten Wortes im Einzelfall auch erscheinen mögen, - denkbar beispielsweise im Falle eines Antrags auf Freispruch durch die Staatsanwaltschaft - sein Recht, abschließend zum ganzen Verfahren Stellung nehmen zu können, muß ihm unbenommen bleiben. Das letzte Wort als wichtiges Recht des Angeklagten steht nicht in Abhängigkeit zu den individuellen Verfahrensumständen. Es kann nicht sein, daß es in den Händen des Richters liegt, die Ausgestaltung des letzten Wortes grundsätzlich beeinflussen zu können. Nichts anderes ist jedoch der Fall, wenn der Richter jeweils darüber entscheiden kann, in welchem Grad dem Angeklagten die Schlußvorträge übersetzt werden. Aber selbst gesetzt den Fall, man hielte die vollständige Übertragung nicht für grundsätzlich geboten, so wäre es dennoch äußerst problematisch, in diesem Zusammenhang einfach von einer Ennessensentscheidung zu sprechen. Wie oben ausführlich behandelt l53 , führt die pauschale Bewertung verfahrensrechtlicher Vorgänge als Ennessensentscheidung dazu, daß die Unterschiede zwischen den einzelnen Entscheidungselementen, wie Tatsachenfeststellung, Subsumtion und eigentlicher Entscheidung, oft völlig verwischt werden, was vor allem im Bereich der Revisibilitätsfrage Auswirkungen hat. Unabhängig davon, aufgrund welcher Kriterien man die Entscheidung über den Übersetzungsumfang der Schlußvorträge auch treffen wollte, bezüglich der dafür jeweils zugrundeliegenden, tatsächlichen Feststellungen wäre es schon fonnal verfehlt, von einem "Ennessen" zu sprechen. Die in der Literatur vorherrschende Ansicht über § 259 StPO und die damit verbundenen Anforderungen an den Übersetzungsumfang der Schlußvorträge vennögen daher insgesamt nicht zu überzeugen. Vielmehr sollte auch dort begonnen werden, wie Dästner und Julius dies bereits getan haben, sich kritisch mit dieser Nonn auseinanderzusetzen.

153

Siehe oben 2. Kap. E V 2 (S. 130).

192

3. Kap. : Die Ausübung der Dolmetschertätigkeit

VI. Die Revisibilität Aufgrund der Tatsache, daß in der Regel weder Rechtsprechung noch Literatur eine genaue Unterscheidung zwischen dem Umfang der Zu ziehung und dem der Übersetzung - wie sie hier gehandhabt wird 154 - vornehmen, finden sich kaum Entscheidungen, die explizit eine Frage des Übersetzungs umfangs zum Gegenstand haben. Die Vennischung beider Aspekte führt ferner dazu, daß das für den Zuziehungsumfang gewährte Ennessen auch in diesen Bereich hineinspielt. Davon ausgenommen sind einzig die wenigen Verhandlungsteile, bei denen die Rechtsprechung den Übersetzungsumfang durch das Erfordernis wörtlicher Übertragung unmißverständlich festgelegt hat. 155 Für eine etwaige Ennessensausübung verbleibt hierbei zwangsweise kein Raum. Aber auch hinsichtlich der Entscheidung, welche Verhandlungselemente einer Übertragung ihrem wesentlichen Inhalt nach bedürfen, kommt das tatrichterliche Ennessen nicht direkt zum Zuge, denn auch dies ist durch das Bundesverfassungsgericht bereits vorgegeben. Das "Ennessen" kommt bei jenen Elementen jedoch insofern zum Tragen, als man es der Entscheidung des Tatrichters überläßt, ob die Übersetzung in ausreichendem Maße erfolgt ist, sprich, ob ihr wesentlicher Inhalt tatsächlich übertragen wurde. 156 Es handelt sich dabei also wieder um das sog. "Feststellungsennessen" . 157 Wie bereits zuvor ausführlich dargelegt, läßt sich eine solche richterliche Feststellungskompetenz in prozessualen Fragen jedoch nicht rechtfertigen, da sie weder mit den anerkannten revisionsrechtlichen Grundsätzen in Einklang steht, noch eine dogmatisch befriedigende Erklärung für einen Ausnahmecharakter zu liefern in der Lage ist. Die Frage also, ob die Übertragung der Texte jeweils gemäß ihrem erforderlichen Umfang in der Verhandlung erfolgt ist, muß als prozessuale Tatsachenfeststellung der revisionsrichterlichen Kontrolle offenstehen. Dies muß nach der hier vertretenen Auffassung insbesondere auch für die Übersetzungen der Schlußvorträge gern. § 259 StPO gelten. Wie oben dargelegt, ist es nicht gerechtfertigt, die Entscheidung über den in dieser Frage notwendigen Übersetzungsumfang dem Tatrichter anheimzustellen. Hält man, wie dies hier vertreten wird, eine umfassende Übertragung der Schlußvorträge aber stets für notwendig, so muß die Einhaltung dieses Erfordernisses auch der revisionsrechtlichen Überprüfung zugänglich sein.

Siehe zur Unterscheidung oben 2. Kap. EI (S. 119). Vgl. BVerfGE 64,135 (148). 156 Vgl. insofern RG, GA 1920 (Bd.68); 348; RGSt 76,177 (178); BGH vom 18.05.1976 5 StR 529/75, S.4, wo die inhaltliche Kontrolle der Dolmetschertätigkeit allein dem Tatrichter zugeschrieben wird. Siehe auch BGHR § 185 GVG, Zu ziehung 1, Umfang der Übersetzungstätigkeit. 157 Siehe oben 2. Kap. C III 2 (S . 97). 154 155

C. Die Kontrolle des Dolmetschers

193

C. Die Kontrolle des Dolmetschers An anderer Stelle 158 wurde schon darauf hingewiesen, daß die Kontrolle des Dolmetschers während der Verhandlung in dem Maße an Bedeutung gewinnt, in dem die Dolmetscherauswahl aufgrund unzureichender Information zu einer "Zufallsentscheidung" werden kann. Dennoch ist die Dolmetscherüberwachung nicht erst ein Produkt dieses tatsächlichen Mißstandes, sondern es handelt sich dabei vielmehr um eine Aufgabe, die dem Richter ohnehin obliegt 159: "Das Gericht hat in jeder Lage des Verfahrens darüber zu wachen, daß der Dolmetscher seiner Aufgabe gerecht wird"160, so der - im Anschluß an die Rechtsprechung des RG I61 - überwiegende Tenor in der Kommentarliteratur. 162 Folgt man der Ansicht einer solchen richterlichen Verpflichtung, ergibt sich zwangsläufig die Konsequenz, daß für den Richter damit ein gewisser Grad an Verantwortlichkeit einhergehen muß. 163 Aufgrund dieser Verknüpfung ist es überraschend, wenn in einer Entscheidung des BGH zu lesen ist, "die Verantwortung dafür, daß von der Fremdsprache richtig ins Deutsche übertragen wird, trägt allein der - darauf vereidigte - Dolmetscher, nicht der Richter." 164 Der BGH scheint sich damit - zumindest formal- in Widerspruch zur allgemein vertretenen Ansicht einer richterlichen Überwachungspflicht zu setzen. Negiert man nämlich - wie dies dem Wortlaut der Bundesgerichtshofsentscheidung explizit zu entnehmen ist - jegliche Verantwortlichkeit des Richters, so läßt sich dies nicht mit einer gleichzeitig existierenden Überwachungspflicht vereinbaren. In der Aussage des BGH könnte insofern ein Abrücken von der bis dahin unangefochtenen richterlichen Kontrollverpflichtung gesehen werden. Allerdings ist anzumerken, daß die zitierte Aussage nur einen nebensächlichen Charakter in der Entscheidung des BGH besitzt. Die Aussage wird vom BGH weder näher erläutert, noch die darin scheinbar angelegte Abweichung von der älteren Rechtsprechung thematisiert. So bleibt verborgen, ob ein Bruch mit der bisherigen Rechtsprechung überhaupt intendiert war. Die Kommentarliteratur zumindest scheint dem BGH keine bewußte Abkehr von der bisherigen Auffassung zu unterstellen. Die fragliche Aussage findet in den Kommentaren bislang keine ausdrückliche Beachtung. Hinsichtlich der Überwachungspflicht des Richters wird dort auch weiterhin nur auf die ältere Rechtsprechung Bezug genommen. 158 Siehe oben 2. Kap. F III (S. 146). 159 Vgl. Weith, S.58. Kissel, § 185 OVO Rn 8. RGSt 76, 177 (178). 162 Siehe z.B. MK-Wolf, § 185 OVO Rn 12; Schreiber, in Wieczorek/Schütze, § 185 OVO Rn 14. 163 Siehe zur Verantwortlichkeit des Richters bereits oben 1. Kap. B II (S. 24 f.). 164 BGHSt 32, 342 (344). 160

161

13 Lankisch

194

3. Kap.: Die Ausübung der Dolmetschertätigkeit

Dennoch gibt die Aussage zumindest Anlaß, darüber nachzudenken, wie die Verantwortlichkeit zwischen Richter und Dolmetscher aufgeteilt ist. Bevor also näher auf den Gesichtspunkt des - überwiegend auch im Zusammenhang mit der Dolmetscherüberwachung gewährten 165 - tatrichterlichen Ermessens eingegangen werden kann, gilt es zu klären, was im einzelnen alles der richterlichen Kontrolle unterliegt und inwieweit damit eine Verantwortung des Richters einhergeht.

I. Gegenstand der Kontrolle Die Umschreibungen der vom Richter auszuführenden Kontrolltätigkeit lauten in Rechtsprechung und Literatur annähernd übereinstimmend dahingehend, der Richter habe die ordnungsgemäße Ausführung 166 der Dolmetscheraufgaben zu überwachen bzw. darüber zu wachen, ob der Dolmetscher seiner Aufgabe gerecht werde 167 oder sie ordnungsgemäß erfülle '68 • Wie durch die ausführliche Bestimmung der Dolmetschertätigkeit im ersten Kapitel '69 gezeigt wurde, reduziert sich die Aufgabe eines Dolmetschers nicht nur rein auf das Übersetzen, sondern muß als vielschichtige "Sprach- und Kulturvermittlung" verstanden werden. Dementsprechend muß sich auch die richterliche Kontrollausübung auf die gesamte Bandbreite dessen, was als Dolmetscheraufgabe zu qualifizieren ist, erstrecken: Der Richter hat also dafür Sorge zu tragen, daß der Dolmetscher alles Notwendige ühersetzt und daß er sowohl für das Gericht, als auch für den Betroffenen kulturell bedingte Verständigungsliicken schließt. Da die Dolmetschertätigkeit nur dann ihren Zweck erfüllen kann, wenn sie in diesem Sinne wirklich umfassend ist und die jeweiligen Übersetzungen vollständig und richtig sind, muß der Richter nicht nur darauf achten, daß der Dolmetscher überhaupt tätig wird, sondern er muß sein Augenmerk auch auf die Qualität der Ausführung richten. 170 Denn selbst wenn der Richter die Eignung eines Dolmetschers im Vorfeld festgestellt hat, ist dies keine Garantie dafür, daß derjenige auch tatsächlich die Arbeit entsprechend seiner Befähigung verrichtet. Beobachtet der Richter gelegentliche Fehler oder Unsicherheiten, so müssen diese - mit dem Wissen um die Schwere des gerichtlichen Dolmetschens und die Vielzahl der dabei zu bewältigenden Probleme 171 - nicht unbedingt zu einem Überdenken der Auswahlentscheidung führen. Es kann ausreichend sein, diese Fehler zu lfi;

Siehe z. B. Kissel, § 185

ova Rn 8;

(178): BGH 5 STR 529/75 vom 18.5.1976. 166 167 16R 169

170 171

MK-Woif, § 185

ova Rn

12 sowie RGSt 76, 177

So MK-Woif, § 185 ova Rn 12. So Kissel, § 185 ova Rn 8; RGSt 76,177 (178). SO Schreiber, in Wieczorek/Schütze, § 185 ova Rn 14. Siehe I. Kap. E (S. 58 ff.). Für eine Qualitätskontrolle der Übersetzung auch Katholnigg, § 185 Siehe oben I. Kap. B IV (S. 27 ff.).

ova Rn

I.

C. Die Kontrolle des Dolmetschers

195

erkennen und zu beseitigen bzw. auszugleichen. Treten die Mängel beim Dolmetschen dagegen extrem häufig zutage oder sind diese besonders schwerwiegend, so kann dies ein Zeichen dafür sein, daß eine ausreichende Befahigung des Dolmetschers nicht vorhanden ist. In einem solchen Fall ist es notwendig, daß der Richter eine neue Zuziehungsentscheidung trifft. An dieser Stelle wird deutlich, daß der Richter mit der Qualitätsüberwachung nicht nur die Arbeit des Dolmetschers selbst, sondern indirekt damit auch die Richtigkeit einer eigenen Handlung - sprich seiner vorangegangenen Auswahlentscheidung - kontrolliert. Die Qualität der vom Dolmetscher geleisteten Arbeit kann ein Indiz dafür sein, ob der Dolmetscher die für eine Zu ziehung nach § 185 Abs. 1 S. 1 GVG vorausgesetzte Befähigung tatsächlich besitzt. Zwar wird ein Dolmetscher seine einmal erworbene Eignung zur gerichtlichen Übersetzungstätigkeit schwerlich in der regelmäßig relativ kurzen Zeit zwischen Zu ziehung und Verhandlung verlieren, es ist jedoch möglich, daß bereits die personelle Auswahlentscheidung des Richters mit Mängeln behaftet war. Das kann seinen Grund darin haben, daß beispielsweise die Feststellungen zur erforderlichen Qualifikation fehlerhaft waren bzw. die ausreichende Eignung nur vermutet und nicht tatsächlich auch festgestellt werden konnte. 172 Der Richter muß dann seine Entscheidung gegebenenfalls korrigieren. Festzuhalten bleibt, daß es sich somit um zwei Kontrollvorgänge mit einander überschneidenden Bereichen handelt: die Überwachung der Dolmetschertätigkeit und die Überprüfung der personellen Zuziehungsentscheidung.

11. Verteilung der Verantwortung Zunächst ist davon auszugehen, daß sowohl dem Richter als auch dem Dolmetscher ein originärer Verantwortungsbereich zugeordnet ist. Diese Verantwortlichkeit korrespondiert mit den jeweiligen Aufgaben. Ein Dolmetscher hat dementsprechend dafür einzustehen, daß er seine - sich aus der "Sprach- und Kulturmittlerfunktion" ergebenden - Pflichten ordnungsgemäß erfüllt. Es muß der Entscheidung des BGH im 32ten Band 173 daher insofern zugestimmt werden, daß es in der Tat der Dolmetscher ist, der die Verantwortung für die richtige Übersetzung von der Fremdsprache ins Deutsche trägt. Er ist derjenige, - wie das der BGH deutlich hervorhebt - der darauf vereidigt ist. Darüber hinaus erfordert es auch die Natur der Sache selbst, ihn in diesem Punkt die Verantwortung tragen zu lassen. Seine Zu ziehung resultiert gerade daraus, daß er eine Fähigkeit besitzt, die in der Regel bei den anderen Beteiligten nicht vorhanden ist. Es wäre nicht zu rechtfertigen, jemand anderen für etwas einstehen zu lassen, dessen Richtigkeit derjenige aufgrund mangelnder Kenntnisse kaum - größtenteils sogar überhaupt nicht - zu 172

m 13*

Vgl. dazu oben I. Kap. D I I (S.50). BGHSt 32, 342 (344).

196

3. Kap.: Die Ausübung der Dolmetschertätigkeit

beurteilen vennag. 174 Daß den Richter folglich keine direkte Verantwortung für die Richtigkeit der Übersetzung treffen kann, leuchtet daher ein. Auf der anderen Seite ist eine Aussage wie die des BGH, der Dolmetscher trage die Verantwortung allein, jedoch zu unpräzise. Sie unterschlägt in ihrer Absolutheit einen wichtigen Aspekt. Die Tatsache, daß ein Tätigkeitsbereich unter dem Gesichtspunkt seiner Funktion isoliert betrachtet werden kann, darf nicht darüber hinweg täuschen, daß unterschiedliche Aufgabengebiete sich innerhalb der Verhandlung durchaus verflechten können. So verhält es sich auch hier. Der Richter trägt direkt nur die seiner Aufgabe entspringende Verantwortung. Da er gemäß seiner Prozeßleitungsfunktion dafür sorgen muß, daß die verfahrensrechtlichen Regeln Beachtung finden, obliegt es - im Hinblick auf § 185 Abs. 1 S. 1 GVG - ihm, die Verständigung durch Auswahl und Kontrolle eines geeigneten Dolmetschers sicherzustellen. Diese Tätigkeit ist es zunächst, für die der Richter primär verantwortlich zeichnen muß. Da die Bewältigung dieser Aufgabe in ihrer praktischen Ausführung jedoch untrennbar damit verbunden ist, ob und wie ein anderer - hier der Dolmetscher - seinerseits seine Aufgabe erfüllt, führt das gleichzeitig zu Überlappungen innerhalb der Verantwortlichkeitsfrage. Der Richter ist indirekt damit auch für die Qualität der erbrachten Leistung verantwortlich. Allerdings ist diese Verantwortung durch zwei Faktoren deutlich begrenzt: zum einen durch eine aufgrund mangelnder Sprachkenntnisse schon rein faktisch bestehenden Einschränkung 175 und zum anderen vor allem durch die sich aus der Funktion ergebenden Grenzen. Damit trägt ein Richter z. B. für die inhaltliche Richtigkeit der Übersetzung so lange keine Verantwortung, solange die Fehlerhaftigkeit für ihn nicht erkennbar ist. Ab dem Zeitpunkt jedoch, wo sich Anhaltspunkte 176 für eine mangelhafte Qualität der Dolmetscherarbeit abzeichnen, wird seine Kontrollfunktion und damit sein Verantwortungsbereich tangiert. Dem Richter über dieses Maß hinaus Verantwortung aufzuerlegen, wäre dagegen widersinnig. Da der Richter aufgrund meist unzureichender persönlicher Befähigung nicht imstande ist, die Richtigkeit der Übersetzungen vollständig zu überprüfen, wäre er gezwungen, sich der Hilfe eines Sprachkundigen zu bedienen. Die Kontrolle des Dolmetschers durch eine solche Person (sprich einen weiteren Dolmetscher) ist vom Gesetz aber gerade nicht vorgesehen. 177 Dem Dolmetscher wird vielmehr - dokumen174 Vgl. Basdorf, S. 22; der Richter stoße hier sofort an die "Grenzen seiner Erkenntnisfahigkeit". 175 Sowohl Katholnigg, § 185 GVG Rn 1, als auch Basdorf, S. 22 weisen in diesem Zusammenhang auf die begrenzte, tatsächliche Möglichkeit hin. 176 Solche können verschiedenartigster Ausprägung sein: beispielsweise häufiges Nachfragen des Dolmetschers, mit den Fragen nicht korrespondierende Antworten, Hinweise anderer Prozeßbeteiligter auf Fehler, die verständnislose Mine des Betroffenen u. s. w. 177 Nach Artkämper (S. 187) könnten "doppelte Simultanübersetzungen" - gemeint ist damit eine weitere Übersetzung der Übersetzung - eine Kontrollmöglichkeit des Dolmetschers eröffnen, sie würden aus fiskalischen und tatsächlichen Gründen aber bislang kaum praktiziert. Solche doppelten Übertragungen sind jedoch nicht unbedingt erforderlich. Angestrebtes Ziel soll-

C. Die Kontrolle des Dolmetschers

197

tiert durch den zu leistenden Eid - eine Eigenverantwortlichkeit auferlegt. Dieser Umstand entbindet den Richter von einer lückenlosen Übersetzungskontrolle und rechtfertigt seine nur begrenzte Verantwortlichkeit. Die Verantwortung für die Dolmetschertätigkeit verteilt sich bildlich gesprochen damit auf einen aus Eigenverantwortung des Dolmetschers bestehenden Kernbereich, umgeben von einer nur marginalen richterlichen Verantwortung.

III. Charakter der Kontrollentscheidung Wie bereits erwähnt, soll die Kontrolltätigkeit des Richters nach Ansicht der Rechtsprechung und Literatur mit einem "Ermessen" verbunden sein. 178 Obwohl in den Entscheidungen - anders als hier - eine Differenzierung des Kontrollgegenstandes nicht in expliziter Form stattfindet, scheint man dort das Ermessen dennoch hinsichtlich bei der - hier herausgearbeiteter - Kontrollaspekte 179 zu gewähren. So spricht beispielsweise das Reichsgericht davon, daß der Tatrichter. nach seinem pflichtgemäßen Ermessen darüber zu entscheiden habe, ob die Sicherstellung ausreichender Verdolmetschung mit Hilfe des zugezogenen Dolmetschers gelinge. 180 In der hier verwendeten Terminologie wäre dies größtenteils mit einer Überprüfung der personellen Zuziehungsentscheidung gleichzusetzen. Dagegen stellt der BGH an anderer Stelle offensichtlich stärker auf eine Qualitätskontrolle der Dolmetschertätigkeit ab. "Ob die Übertragung richtig und vollständig war, hatte der Tatrichter nach pflichtgemäßem Ermessen zu entscheiden."'81

Auch in der Kommentarliteratur findet - in Anlehnung an die Rechtsprechung des Reichsgerichts - die Ermessensgewährung bei der richterlichen Überwachungstätigkeit Zustimmung. 182 Es ist jedoch zu bemängeln, daß sowohl Rechtsprechung als auch Literatur in diesem Zusammenhang von einem "Ermessen" sprechen. Die Entscheidung darüber, ob der Dolmetscher seine Aufgabe ordnungsgemäß erfüllt, ist keine klassische Ermessensentscheidung. Sie besteht vielmehr aus der tatsächlichen Feststellung, wie der Dolmetscher seine Aufgabe bewältigt, und der sich daran anschließenden Subsumtion des ermittelten Sachverhalts unter die für die Dolmetschertätigkeit geltente es in erster Linie sein, die gute Qualität von Übertragungen schon im Vorfeld durch die Auswahl qualifizierter Dolmetscher sicherzustellen. 17M Siehe die einzelnen Nachweise oben Fn 165 (S. 194). 179 Also sowohl hinsichtlich der Kontrolle der Übersetzungstätigkeit sowie der Kontrolle der personellen Zuziehungsentscheidung; siehe dazu direkt oben 3. Kap. C I (S. 195). 180 Siehe RGSt 76, 177 (178). 181 BGH 5 STR 529/75 vom 18.5.1976, S.4. 182 Siehe Kissel, § 185 GVG Rn 8; wohl auch MK-Wolf, § 185 GVG Rn 12 (vgl. dazu direkt unten).

198

3. Kap.: Die Ausübung der Dolmetschertätigkeit

den Anforderungen. Aufgrund der damit notwendigerweise verbundenen Wertungen ist es angemessen, hier die Terminologie des Beurteilun[?sspielraums zu verwenden. Ebenso verhält es sich im Hinblick auf die personelle Zuziehungsentscheidung. Wie bereits die ursprüngliche Entscheidung über die Eignung des Dolmetschers ist auch deren Überprüfung eine Tatsachenfeststellung mit anschließender Subsumtion und daher klassischem Ermessen nicht zugänglich. Wiederum ist es jedoch gerechtfertigt, hier von Beurteilungsspielraum zu sprechen.

IV. Aktive Maßnahmen des Gerichts zur Kommunikationssicherstellung Mit den bisher umschriebenen Komponenten ist die Kontrollfunktion für sich genommen schon umfassend dargestellt. Es ist jedoch zu erwähnen, daß bei der Beschäftigung mit der richterlichen Überprüfungspflicht im gleichen Atemzug häufig noch ein anderer Aspekt - bestehend aus gestaltenden Maßnahmen des Richters - genannt wird. Der Grund hierfür liegt in der Tatsache, daß die richterliche Kontrolle nicht eine eigenständige Pflicht ist, sondern lediglich ein Bestandteil der allgemeinen Aufgabe, im Rahmen der Prozeßleitung für eine ordnungsgemäße Verständigung zu sorgen. Diese Verpflichtung besteht neben dem soeben behandelten, passiven Teil schlichter Überwachung auch aus einer aktiven Komponente, der Pflicht, gegebenenfalls die Verständigung selbst durch gestaltende Maßnahmen sicherzustellen. Aufgrund dieser engen thematischen Beziehung soll jener Aspekt hier im Zusammenhang mit der Kontrollpflicht kurz beleuchtet werden. Die enge Verbindung von aktiver und passiver Verpflichtung in dieser Frage wird bereits in der zuvor zitierten Reichsgerichtsentscheidung im 76ten Band recht deutlich. Dort nennt das Reichsgericht in einem Satz sowohl die Pflicht, darüber zu wachen, daß der Dolmetscher seiner Aufgabe gerecht werde, als auch die Pflicht, "nötigenfalls das Erforderliche zu veranlassen, um eine nach jeder Richtung ausreichende Verdolmetschung sicherzustellen." 1g3 Dieser Aussage des Reichsgerichts ist zuzustimmen. Sie basiert auf tatsächlichen Erfordernissen innerhalb von Gerichtssituationen mit fremdsprachigen Beteiligten: Die Ausführungen im ersten Kapitel dieser Arbeit haben deutlich gemacht, welchen Gefahren die Verständigung bei einer indirekten Kommunikation in unterschiedlichen Sprachen ausgesetzt ist. 184 Dabei zeigte sich die teilweise existierende Notwendigkeit, daß der Richter durch gezielte Anweisungen, Aufforderungen oder Nachfragen auf den Kommunikationsprozeß Einfluß nehmen muß, um Mißverständnisse oder Fehlerfestzustellen und zu eliminieren. 183 184

RGSt 76, 177 (178). Siehe zur Vielzahl von Übersetzungsproblemen I. Kap. B IV (S.27 ff.).

C. Die Kontrolle des Dolmetschers

199

Auch in der Literatur scheint sich diese Erkenntnis inzwischen langsam durchzusetzen. So findet sich z. B. bei Kissel- in Anlehnung an das Reichsgericht - die Forderung, daß das Gericht notfalls das Erforderliche zu veranlassen habe, damit der Dolmetscher seiner Aufgabe gerecht werde 185. Wolf setze sich in der Vorauflage seiner Kommentierung sogar noch intensiver mit diesem Punkt auseinander, indem er erörterte, welche Maßnahmen (beispielsweise Erläuterungen durch das Gericht, verbunden mit der Anweisung diese zu übersetzen sowie Anweisungen an den Dolmetscher, selbst weitere Erläuterungen zu geben) das Gericht in diesem Zusammenhang etwa ergreifen müsse; inzwischen beschränkt aber auch er sich leider nur auf den allgemeinen Hinweis, daß die zur Überwachung der ordnungsgemäßen Ausführung der Dolmetscheraufgabe zu treffenden Maßnahmen im Ermessen des Gerichts stünden. IH6 Festzuhalten ist jedoch, daß man sich zumindest dahingehend einig ist, daß das Gericht auch eine eigenständige Pflicht zur aktiven Einflußnahme auf das Kommunikationsgeschehen hat.

V. Charakter der gerichtlichen Gestaltungsmaßnahme Konsequenterweise bezieht sich das von der Rechtsprechung und Literatur im Zusammenhang mit der Überwachungstätigkeit gewährte "Ermessen" auch auf diese - für das Gericht gegebenenfalls bestehende - Pflicht zum aktiven Tätigwerden: Bei Kissel kommt dies dadurch zum Ausdruck, daß er die hier dargestellte aktive und passive Komponente der Verpflichtung als einheitliche "Aufgabe" in das Ermessen des Gerichts stellt. 187 Der Bezugspunkt für das Ermessen ist bei Wolf dagegen nicht ganz so eindeutig. Er scheint zwar insofern zwischen einer aktiven und passiven Pflicht zu unterscheiden, als er direkt nur die vom Gericht "im einzelnen zu treffenden Maßnahmen" ins pflichtgemäße Ermessen stellt. 188 Andererseits erweckte er noch in der Vorauflage durch die Gestaltung des Abschnitts sowie durch seine Formulierung den Eindruck, die dort beispielhaft aufgezählten Maßnahmen seien lediglich nähere Erläuterungen zum Inhalt der Überwachungspflicht. Dies wiederum hätte eher gegen eine bewußte Differenzierung zwischen aktiver und passiver Pflicht gesprochen. Aber unabhängig davon, ob die Verknüpfung des Ermessens mit der aktiven Komponente bei Wolf tatsächlich auf einer solchen differenzierenden Überlegung beruht, ist festzuhalten, daß dieser Gedanke zumindest für die Unterscheidung in dem hier vertretenen Sinne von Bedeutung ist. Bei den vom Gericht aktiv zu betreibenden Maßnahmen zur Sicherstellung der ausreichenden Verdolmetschung handelt es sich, anders als bei der reinen Überwachung, nämlich nicht um eine FeststelIH5 lH6 lH7 lHg

Siehe Kissel, § 185 GVG Rn 8. Siehe MK-Wo/f, § 185 GVG Rn 12 (I. und 2. Auflage). Siehe Kissel, § 185 GVG Rn 8. Siehe MK-Wolf, § 185 GVG Rn 12a.E.

200

3. Kap.: Die Ausübung der Dolmetschertätigkeit

lungs- und Subsumtionstätigkeit. Das Gericht wird vielmehr gestaltend tätig. Eine solche Art der richterlichen Entscheidung ist einem Ermessen im klassischen Sinn durchaus zugänglich. Das Gericht kann aus den zur Verfügung stehenden Maßnahmen die nach seinem Dafürhalten notwendigen auswählen, solange es damit eine ausreichende Verständigung erzielt. Die Verwendung des Begriffs "Ermessen" ist daher in diesem Zusammenhang nicht zu beanstanden.

VI. Die Revisibilität der Dolmetscherkontrolle Das Reichsgericht bezog zur Frage, ob die tatrichterliche Kontrolle des Dolmetschers der Revision unterliege, bereits 1920 eindeutig Stellung: "Wie aber der Dolmetscher inhaltlich seiner Aufgabe nachgekommen ist, ob und aus weIchen Gründen er etwa ungenügend übertragen hat, entzieht sich der Nachprüfung des Revisionsgerichts." 189

Ihre Auffassung von einer Ermessensentscheidung in diesem Zusammenhang konsequent umsetzend, blieb die höchstrichterliche Rechtsprechung dieser Einschätzung zunächst uneingeschränkt treu. 190 Wenn bisher auch noch keine explizite Abkehr von dieser Rechtsprechung stattgefunden hat, so scheint der BGH in der Zwischenzeit von dieser strengen Linie dennoch abgerückt zu sein: So verneint er zwar in einer Entscheidung die Revisibilität der Frage, ob ein Dolmetscher zu richtiger Übersetzung fähig gewesen sei, dies aber nur wegen einer unzureichenden Begründung. 191 Indem er dort bemängelt, daß die Revision nicht vorgetragen habe, der Dolmetscher hätte in bestimmten Punkten falsch übersetzt, signalisiert er, daß unter dieser Voraussetzung eine revisionsrechtliche Überprüfung hätte stattfinden können. Obwohl die ältere Rechtsprechung in der Kommentarliteratur teils immer noch als Maßstab der Revisibilität angegeben wird 192, findet die einschränkende Entscheidung des BGH auch schon vereinzelt Beachtung 193. Die Abkehr von der alten Linie der Rechtsprechung ist zu begrüßen, auch wenn der BGH eine Begründung für das Bestehen der Revisibilität in dieser Frage schuldig bleibt. Das Ergebnis korrespondiert mit der hier vertretenen Ansicht. 194 Da es sich - wie oben ausgeführt 195 - bei der Kontrolle des Dolmetschers (im Hinblick auf beide damit verbundenen Kontrollgegenstände) um prozessuale TatsachenJeststellungen handelt, müssen diese "Entscheidungen" der revisionsgerichtlichen Kontrolle offenstehen. RG, GA Bd. 28, S. 348. Siehe RGSt 76, 177 (178); BGH 5 STR 529/75 vom 18.05.1976. 191 Siehe BGH, NStZ 1985,376-377. 192 SO Z. B. bei KK-Diemer, § 185 GVG Rn 7. 193 Siehe Meyer-Goßner, § 185 GVG Rn 10. 194 Siehe oben 3. Kap. C III 3 (S. 98 ff.). 195 Siehe 3. Kap. C III (S. 197).

189

190

C. Die Kontrolle des Dolmetschers

201

Fraglich ist dagegen, wie revisionsrechtlich mit den aktiven richterlichen Maßnahmen zur Kommunikationssicherstellung umzugehen ist. Wie oben festgestellt 196, handelt es sich dabei - anders als eben - um Maßnahmen, deren Ausgestaltung im Ermessen des Richters steht. Gemäß der Aussage des Reichsgerichts soll es im Revisionsverfahren nicht nachprüfbar sein, ob der Tatrichter von dieser Freiheit des Ermessens den richtigen Gebrauch gemacht habe. 197 In diesem Punkt ist der Ansicht der Rechtsprechung zu folgen. Das Revisionsgericht darf insgesamt darüber befinden, ob eine ausreichende Verständigung im Prozeß gegeben war. Da die gesetzlich dafür vorgesehene Voraussetzung zunächst grundsätzlich die Zu ziehung eines geeigneten Dolmetschers ist, der seine Arbeit ordnungsgemäß zu verrichten hat, muß das Revisionsgericht auch diese Umstände prüfen dürfen. Erfolgt die Verständigung unter Beachtung dieser Vorgaben ordnungsgemäß, so ist es irrelevant, mit welchen unterstützenden Maßnahmen der Richter seiner Aufgabe zur Sicherstellung der Kommunikation nachgekommen ist. Wichtig ist lediglich die einwandfreie Verständigung zwischen den Beteiligten. Ob der Richter dem Dolmetscher bei seiner Tätigkeit völlig freie Hand gelassen hat, ob er ihn allgemein oder im speziellen angewiesen hat, bestimmte Dinge näher auszuführen oder ob der Richter selbst durch konkrete Nachfragen Einfluß auf die Verständigung genommen hat, spielt dabei keine Rolle. Dies sind alles gestaltende Maßnahmen, die der individuell richterlichen Entscheidung innerhalb der Verhandlung unterliegen. Der Vorinstanzrichter kann aufgrund seiner unmittelbaren Nähe am besten entscheiden, welche Maßnahme für die Verständigung in der konkreten Situation am dienlichsten zu sein scheint. Diesen Handlungsspielraum muß man dem Tatrichter im Hinblick auf seine Prozeßleitungskompetenz einräumen. Aber selbst wenn es zu einer mangelhaften Verständigung kommt, ist es für das Revisionsgericht nicht von Bedeutung, ob der Richter der Vorinstanz etwa durch eine Nachfrage das Kommunikationsdefizit hätte schließen können. Ausschlaggebend für das Revisionsgericht ist lediglich, daß ein solches Defizit vorliegt und der Dolmetscher in diesem Fall seine Aufgabe nicht ausreichend erfüllt hat - egal, ob er sie hätte unter richterlicher Anweisung erfüllen können oder nicht. Mit welcher Maßnahme der Richter im Einzelfall also selbst aktiv auf den Kommunikationsprozeß Einfluß genommen hat, entzieht sich daher der revisionsgerichtlichen Kontrolle. Der Tatrichter hat - insofern er sich im Rahmen zulässiger Maßnahmen bewegt - völlig freie Hand. Für das Revisionsgericht ist nur das Produkt, sprich die Qualität der Verständigung, von Interesse.

196 197

Siehe direkt oben 3. Kap. C V (S. 199). Siehe RGSt 76, 177 (178).

Viertes Kapitel

Der Dolmetschereid A. Die gesetzliche Ausgestaltung der Eidesleistung Die Vereidigung des Dolmetschers wurde vom Gesetzgeber durch die Vorschrift des § 189 GVG ausdrücklich geregelt. Diese Norm bestimmt, daß der Dolmetscher einen Eid dahin zu leisten habe, "daß er treu und gewissenhaft übertragen werde."l Der Eid dient diesem Wortlaut entsprechend vor allem dazu, eine möglichst gute Übersetzungsleistung des Dolmetschers zu garantieren. Daß es dem Gesetzgeber hierbei notwendig erschien, die Selbstverpflichtung des Dolmetschers "in besonders feierlicher Form" vorzuschreiben, ist darauf zurückzuführen, daß die ordnungsgemäße Ausübung seiner "Vermittlungstätigkeit"2 für die "korrekte, insbesondere wahrheitsgemäße Verständigung zwischen den Verfahrensbeteiligten"3 von entscheidender Bedeutung ist. Wie oben bereits dargelegt, spielt eine möglichst störungsfreie Kommunikation sowohl für die Gewährleistung der SubjektsteIlung des Angeklagten als auch für das allgemeine und gerichtliche Interesse an der Wahrheitsfindung eine wichtige Rolle. Nur ein Instrumentarium wie das der Eidesleistung mit der daran geknüpften Sanktionsmöglichkeit über den Meineid 4 schien für den Gesetzgeber der besonderen Relevanz der Dolmetschertätigkeit gerechtzuwerden. Welche Wichtigkeit der Eidesleistung beigemessen wird, dokumentiert sich unter anderem dadurch, daß ein Verzicht der Verfahrens beteiligten auf die Vereidigung im Strafverfahren nach ganz herrschender Meinung nicht als statthaft angesehen wird. 5

§ 189 Abs. I S. I 2. HS GVG. Vgl. dazu oben I. Kap. E (S. 58 tT.). 3 Kissel, § 189 GVG Rn I. 4 Siehe dazu unten 4. Kap. AI2c (S. 207). Zum falschen Übersetzen als Meineid siehe auch BGH, NJW 1953, 1033. 5 Siehe beispielsweise LR-Schäfer/Wickern, § 189 GVG Rn I (24. Auflage). I

2

A. Die gesetzliche Ausgestaltung der Eidesleistung

203

I. Der zwingende Voreid 1. Dolmetscher- und Sachverständigeneid Der Dolmetschereid ist im Verhältnis zu den bei anderen Beteiligten im Strafverfahren gebräuchlichen Eiden in besonderer Form ausgestaltet. Obwohl der Dolmetscher im Gesetz vielfach eine ähnliche Behandlung wie der Sachverständige erfährt 6 , unterscheiden sich beide gerade im Punkt der Vereidigung erheblich voneinander. 7 Während es sich beim Eid des Sachverständigen gemäß § 79 Abs. 2 StPO um einen assertorischen Eid - den sogenannten Nacheid - handelt ("erstattet habe"), muß der Dolmetscher seinen Eid promissorisch, also bereits vor seinem Tätigwerden leisten ("übertragen werde").8 Darüber hinaus ist die Vereidigung des Dolmetschers zwingend ("hat ... zu leisten"), wohingegen die des Sachverständigen im Ermessen des Gerichts steht bzw. auf Antrag bestimmter Verfahrensbeteiligter erfolgt. 9 Eine solche Unterscheidung gab es jedoch nicht schon von Anfang an. So war nach der ursprünglichen Fassung des § 79 StPO auch vom Sachverständigen stets ein Voreid oder eine Berufung auf den bereits allgemein geleisteten Eid zu erbringen. Der Gesetzgeber gab der Vorschrift allerdings schon im Jahre 1933 durch das Gesetz zur Einschränkung der Eide im Strafverfahren die heutige Gestalt. 10 Eine Angleichung des Dolmetschereides an diese "vereinfachte" Form eines disponiblen Nacheides hat indes nie stattgefunden. 2. Angleichung an den Sachverständigeneid Ob die unterschiedliche Vorgehensweise, die der Gesetzgeber über einen solch langen Zeitraum aufrechterhalten hat, tatsächlich auch eine Berechtigung besitzt, wird beispielsweise von Liemersdorf stark bezweifelt. Seiner Ansicht nach ist "eine dem § 79 StPO entsprechende Bestimmung für Dolmetscher im GVG durchaus angebracht". Der unbedingte Vereidigungszwang für Dolmetscher besitze keine innere Logik und Notwendigkeit. Die Gründe, die die Vereidigung des Sachverständigen in das Ermessen des Gerichtes stellten, besäßen auch für den Dolmetscher Gültigkeit: Auch er habe gewöhnlich zu dem Beschuldigten der Tat keinerlei Beziehung; persönliche und sachliche Unbefangenheit könnten vorausgesetzt werden. Viele Dolmetscher besäßen darüber hinaus, wie auch viele Sachverständige, eine gerichtsbekannte Zuverlässigkeit. 11 So beispielsweise in § 191 GVG. Vgl. dazu auch BGH, NJW 1953, 1033. Siehe dazu Liemersdorf, NStZ 1981, 69. 8 Siehe dazu BGH, MDR 1970,778. 9 § 79 Abs. 1 S. I bzw. S. 2 StPO. 10 Siehe dazu die Entstehungsgeschichte bei LR-Dahs, § 79 StPO (24. Auflage). II NStZ 1981,69 (70).

6 7

204

4. Kap.: Der Dolmetschereid

Die Argumentation, mit der Liemersdorf für eine parallele Ausgestaltung der Eidesfrage plädiert, erscheint auf den ersten Blick zwar schlüssig, besitzt aber das Manko, um einige wesentliche Punkte verkürzt zu sein. a) Objektive Nachprüfbarkeit und gerichtsbekannte Zuverlässigkeit Es ist Liemersdorf ohne weiteres darin zuzustimmen, daß im allgemeinen auch beim Dolmetscher von einer Unbefangenheit ausgegangen werden darf und daß häufig in Anspruch genommene Dolmetscher ebenso wie Sachverständige eine gerichtsbekannte Zuverlässigkeit besitzen können. Jedoch ist damit beim Dolmetscher nur ein Teil der Gründe gegeben, die im Fall des Sachverständigen entscheidend dafür sind, seine Vereidigung nicht als zwingend anzusehen. Sowohl der BGH 12 als auch Stimmen in der Literatur 13 rechtfertigen das in § 79 StPO niedergelegte Regel-Ausnahme-Verhältnis nämlich nicht nur über die vermutete Unbefangenheit dieser Personen, sondern beziehen sich daneben auf einen zweiten Gesichtspunkt, einen für das Sachverständigengutachten zumeist typischen Charakterzug: "Darüber hinaus trägt der Sachverständige grundsätzlich Erkenntnisse vor, die das Gericht selbst objektiv überprüfen soll, in dem [!] es die einzelnen Argumente auf ihre objektive Überzeugungskraft untersucht." 14

Diese objektive Nachprüfbarkeit des Gutachtens macht es obsolet, die Glaubwürdigkeit der Aussage - wie das beispielsweise noch durch das in § 59 StPO für den Zeugen vorgesehene Regel-Ausnahme-System der Fall ist 15 - aus einem Eid abzuleiten. 16 In den Fällen jedoch, wo sich das Gutachten "auf Gebieten bewegt, die dem Laien unzugänglich sind, so daß dem Gutachten blindlings gefolgt werden muß"I1, liegen besondere Umstände vor, die auch beim Sachverständigen ausnahmsweise eine Vereidigung gebieten. 18 Siehe BGHSt 21,227 (228). Siehe LR-Dahs, § 79 StPO Rn 2 (24. Auflage) sowie K. Müller, Rn 487. 14 K. Müller, Rn 487. 15 Beachte für den Zeugeneid jedoch, daß auch er nach Art. 2 Nr.5 des Entwurfs eines zweiten Gesetzes zur Entlastung der Rechtspflege (strafrechtlicher Bereich) (siehe BTDrucksache 13,4541) eine andere Gestalt erhalten soll. Die Vereidigung der Zeugen soll aber auch danach nicht schlicht wie bei § 79 StPO in das Ermessen des Gerichts gestellt werden. Der geplante § 59 Abs. 1 StPO beinhaltet ebenso die Vorgabe, daß Zeugen wegen der Bedeutung der Aussage oder zur Herbeiführung einer wahren Aussage nach dem Ermessen des Gerichts vereidigt werden können. Berücksichtigt man diesen Aspekt im Vergleich mit dem Dolmetschereid, so spricht auch dies für eine obligatorische Vereidigung des Dolmetschers. Seine Tätigkeit ist für das Verfahren regelmäßig von besonderer Bedeutung - siehe dazu direkt unten. 16 So auch K. Müller, Rn 487. 17 LR-Dahs, § 75 StPO Rn 2 (24. Auflage). 18 Für ein Vereidigungserfordemis in diesem Fall ebenso K. Müller, Rn 488. Für eine Vereidigung bei besonderen Umständen ganz allgemein wohl auch BGHSt 21, 227 (228). 12 13

A. Die gesetzliche Ausgestaltung der Eidesleistung

205

Berücksichtigt man in bezug auf den Dolmetscher auch diesen zweiten Aspekt, so stellt sich Liemersdorfs Argumentation hinsichtlich der geforderten Angleichung des § 189 GVG an § 79 StPO nicht mehr als schlüssig dar. Die Tätigkeit eines Dolmetschers entzieht sich - abgesehen von den Ausnahmefällen gerichts bekannter Sprachen - fast völlig der direkten Nachprüfbarkeit. 19 Damit verhält es sich hinsichtlich der Übertragungen des Dolmetschers regelmäßig genauso, wie es der besonderen Ausnahmesituation beim Sachverständigen entspricht: Das Gericht ist dabei auf die Glaubwürdigkeit des Sachverständigen bzw. des Dolmetschers angewiesen, da es dessen Tätigkeit nicht mehr eigenständig überprüfen kann. Hier hilft das Mittel des Eides - ebenso wie beim Zeugen -, die Glaubwürdigkeit mitzubegründen. 20 Nicht ausreichend ist es dagegen, wenn man - wie Liemersdorf - den Aspekt der objektiven Nachprüfbarkeit völlig außer acht läßt und sich statt dessen auf die "gerichtsbekannte Zuverlässigkeit" stützen will. Diese kann bei häufig vom Gericht in Anspruch genommenen Dolmetschern vorliegen, es handelt sich dabei jedoch nicht um eine regelmäßig gegebene Eigenschaft. "Gerichts bekannte Zuverlässigkeit" eignet sich ohne weiteres zwar dazu, im Einzelfall als Ermessenskriterium zu dienen, wenn - wie beispielsweise bei der Sachverständigenvereidigung - bereits grundsätzlich, aufgrund anderweitiger Erwägungen festgelegt wurde, daß es sich hierbei um eine Ermessensentscheidung handeln soll. Sie bietet aber keinen ausreichenden Anlaß dafür, bereits im Vorfeld, also bei der gesetzgeberischen Grundentscheidung zu § 189 GVG berücksichtigt zu werden. Für die Entscheidung des Gesetzgebers kann ein derartiges Kriterium schon deshalb keine ausschlaggebende Rolle spielen, weil die aufzustellende Norm nicht nur vielen, sondern - soweit dies möglich ist - in ihrer Abstraktheit stets allen Fällen gerecht werden muß. Dies erforderte jedoch, daß "gerichts bekannte Zuverlässigkeit" standardmäßig bei jedem Dolmetscher vorliegen müßte. Eine Voraussetzung, die unbestritten nicht gegeben ist. Daneben gibt es aber auch noch eine Reihe von anderen Gründen, die dafür sprechen, Dolmetscher und Sachverständige in unterschiedlicher Form zu vereidigen. Allein die Tatsache, daß sich zwischen beiden gewisse Parallelen aufzeigen lassen, genügt nicht, um daraus den Schluß zu ziehen, die jeweilige Eidesleistung müsse für beide Verfahrens beteiligten zwingend auch in gleicher Art und Weise erfolgen. Trotz bestehender Ähnlichkeiten unterscheiden sie sich nämlich immer noch in erheblichen Punkten voneinander.

b) Unterschiedliche Prozeßfunktionen So erfüllen sie jeweils völlig andersgeartete Prozeßfunktionen. Die Sachverständigenvernehmung ist und bleibt - egal in welchem Umfang der Sachverständige auch am Verfahren beteiligt ist - ein Beweismittel, während die Tätigkeit des Dol19 20

Siehe dazu oben 3. Kap. C II (S. 195). Vgl. dazu K. Müller, Rn 488.

206

4. Kap.: Der Dolmetschereid

metschers - solange er nur als solcher in Anspruch genommen wird - allgemein der Verständigung dient. 21 Mit diesen unterschiedlichen Funktionen geht aber auch eine unterschiedliche Bedeutung beider Tätigkeiten für das Verfahren einher. So ist es eine von vornherein abstrakt feststehende Tatsache, daß die nach § 185 GVG erforderliche Dolmetschertätigkeit für das gesamte Prozeßgeschehen regelmäßig von besonderer Wichtigkeit ist. Ob dagegen auch die in Anspruch genommene Tätigkeit des Sachverständigen für das Verfahren tatsächlich von Relevanz ist, läßt sich nicht immer im voraus bestimmen, sondern ergibt sich - wie bei jedem Beweismittel - wirklich zuverlässig erst im nachhinein. Durch die Verwendung des Voreides, wie er für den Dolmetscher gebräuchlich ist, kann der stets außerordentlichen Bedeutung der Verständigungsfunktion generell Rechnung getragen werden. Der Nacheid dagegen bietet die Möglichkeit, den Vereidigungsvorgang in Abhängigkeit zur tatsächlichen Relevanz des Beweismittels zu stellen. c) Unterschiedliche Vereidigungszwecke

Die soeben aufgezeigten, unterschiedlichen Funktionen bei der Verfahrensbeteiligter führen des weiteren dazu, daß der mit ihrer Vereidigung jeweils verfolgte Zweck kein völlig kongruentes Bild ergibt. Wie beim Zeugen ist der Eid dabei auch beim Sachverständigen in erster Linie ein Mittel, das dazu beiträgt, die Glaubwürdigkeit des Vortrages mitzubegründen. 22 Auch beim Dolmetscher hat der Eid zunächst die Funktion, die Zuverlässigkeit seiner Tätigkeit nach außen hin zu dokumentieren und damit eine Vertrauens basis zu schaffen. Allein darin erschöpft sich der Zweck des Dolmetschereides aber noch nicht. Berücksichtigt man das Wesen der Verständigungsvermittlung, wird deutlich, welche fatalen Konsequenzen eine fehlerhafte Übertragung für das Verfahren allgemein, aber vor allem auch für einen fremdsprachigen Angeklagten haben kann. Anders als bei einem Beweismittel, dessen Unzulänglichkeiten durch den "Korrekturmechanismus" der stets erfolgenden Beweiswürdigung oft aufgefangen werden können, entfaltet die Übersetzung des Dolmetschers ihre Wirkung direkt im Verfahren, ohne daß dabei ihre Schwächen zumeist zutage treten, geschweige denn korrigiert werden könnten. Es ist somit nicht verwunderlich, daß in der konkreten Ausgestaltung des Dolmetschereides noch ein weiterer Zweck Berücksichtigung gefunden hat: Wie das OLG Hamburg hierzu ausführt, sei es "Sinn und Zweck der durch § 189 GVG zum Schutz des Angeklagten getroffenen Regelung, den Dolmetscher immer wieder aufs neue an seine Pflicht zur treuen und gewissenhaften Übertragung zu erinnern."n Man mag einwenden, daß sich ein Erinnerungseffekt auch über ein in der 21 22

23

V gl. dazu oben I. Kap. E IV u. V (S. 69 ff.). Vgl. K. Müller, Rn 488. OLG Hamburg, NJW 1975, 1573 (1574).

A. Die gesetzliche Ausgestaltung der Eidesleistung

207

praktischen Umsetzung weit unkomplizierteres Mittel, nämlich das einer Belehrung, erzielen ließe. Jedoch gilt es zu berücksichtigen, daß die dem Dolmetschereid inhärente Schutzfunktion dadurch sogleich weit weniger effektiv ausgestaltet wäre, als dies über einen Eid erreichbar ist. Die eigene, aktive Einbeziehung durch das Leisten des Eides ist im Gegensatz zu der rein passiven Entgegennahme einer Belehrung besser geeignet, das damit verfolgte Anliegen stärker in das Bewußtsein des Betroffenen zu rufen. Ferner unterstreicht gerade ein Sanktionsmechanismus wie die an den Eid gekoppelte Strafnorm des Meineides gemäß § 154 StGB 24 die enorme Verantwortung, die einem Dolmetscher mit der Vermittlungsaufgabe übertragen wird. Hat der Betroffene durch den geleisteten Eid die möglichen strafrechtlichen Konsequenzen bereits von Beginn seiner Tätigkeit an deutlich vor Augen, so erfährt der Schutzgedanke damit nicht nur eine theoretische, sondern auch tatsächlich wirkungsvolle Umsetzung. Gerade die letztgenannten Aspekte machen es unentbehrlich, die spezielle Art der promissorischen Vereidigung für den Dolmetscher auch weiterhin beizubehalten.

d) Erleichterungseffekt Darüber hinaus hieße eine grundsätzliche Disponibilität des Dolmetschereides, all jene soeben genannten Aspekte einem prozeßökonomischen Interesse unterzuordnen. Denn im Grunde ist wohl nichts anderes als die Erreichung eines "Erle ichterungseffekts" hinter der von Liemersdorf vertretenen Forderung zu sehen. Abgesehen davon, daß jene Aspekte im Vergleich zu prozeßökonomischen Gesichtspunkten stets von erheblich stärkerem Gewicht sind und eine derartige Abwägung folglich unvertretbar wäre, würde sich die anvisierte Erleichterung in der Praxis gar nicht wirklich als eine solche erweisen. Dies erforderte nämlich das Vorhandensein entsprechender Rahmenbedingungen, sprich, daß das Gericht aufgrund absolut zuverlässiger Standards in der Dolmetscherqualifikation auch jeweils tatsächlich in der Lage wäre, eine Ermessensentscheidung über die Frage der Vereidigung zu treffen. Solange die Gerichte bei der individuellen Glaubwürdigkeitsbeurteilung eines Dolmetschers aber nicht generell durch bestimmte Kriterien - wie z. B. den Nachweis einer besonderen Qualifikation als Gerichtsdolmetscher - unterstützt werden, wären sie zumeist auch im Rahmen des Ermessens faktisch dazu gezwungen, auf einer Eidesleistung zu bestehen. Bei den momentanen Gegebenheiten würde sich der beabsichtigte Vereinfachungseffekt daher vielfach nur als eine vermeintliche Erleichterung entpuppen.

24

Siehe dazu unten 4. Kap. All 2 (S. 21 0) sowie RGH, NJW 1953, 1033.

208

4. Kap.: Der Dolmetschereid

e) Umsetzungsprobleme des Nacheides Zu guter Letzt läßt sich noch ein rein pragmatisches Argument für den Voreid anführen. Die Tätigkeit des Dolmetschers ist von ihrem zeitlichen Einsatz innerhalb des Verfahrens oft so beschaffen, daß ein Nacheid Probleme in der Umsetzung mit sich brächte. Anders als bei der Tätigkeit eines Sachverständigen, die - unabhängig davon, wie lange der Sachverständige zuvor in der Verhandlung anwesend war - regelmäßig mit der Erstattung des Gutachtens noch innerhalb der Beweisaufnahme beendet ist, gibt es beim Dolmetscher keinen in jedem Verfahren identischen Beendigungszeitpunkt. Der zeitliche Tätigkeitsumfang variiert beim Dolmetscher je nach der Beteiligtenqualität des Sprachunkundigen. 25 So läßt sich beispielsweise bei der Übersetzung für fremdsprachige Zeugen ebenso wie bei der Tätigkeit eines Sachverständigen ein solcher innerhalb der Beweisaufnahme liegender Beendigungszeitpunkt feststellen. In dem häufig auftretenden Fall des fremdsprachigen Angeklagten dagegen, ist der Dolmetscher zumeist bis zur völligen Beendigung der Verhandlung tätig. Wollte man den Dolmetscher im letztgenannten Fall einen assertorischen Eid - also einen Eid, der nach der Beendigung seiner Tätigkeit erfolgt - schwören lassen, so läge dieser Zeitpunkt in der Regel nach der Übersetzung der Urteilsgründe. Der Eidschwur soll jedoch auch dazu beitragen, daß sich das Gericht bei seiner Urteilsfindung auf die Richtigkeit der vom Dolmetscher getätigten Übertragungen verlassen kann. Ein nach der Urteilsverkündung liegender Vereidigungszeitpunkt ließe sich mit dieser Aufgabe jedoch nicht mehr vereinbaren. Bestünde man für den Dolmetscher auf der Fonn des Nacheides, so wären im Fall eines fremdsprachigen Angeklagten somit genaugenommen jeweils zwei Nacheide erforderlich: ein direkt vor der Beratung des Gerichts - zur Absicherung der in das Urteil einfließenden Übertragungen - erfolgender Eid sowie ein zweiter nach der endgültigen Beendigung der Dolmetschertätigkeit, damit - im Interesse des Angeklagten, aber auch des Gerichts - sichergestellt wäre, daß auch das Urteil ordnungsgemäß übersetzt wurde. Zumindest im Falle des fremdsprachigen Angeklagten stellt sich der Voreid also als wesentlich unkomplizierter dar. Die Vereidigungsart jedoch von der Beteiligtenrolle des Sprachunkundigen abhängig machen zu wollen und damit letzten Endes zwei unterschiedliche Eidesformen für den Dolmetscher einzuführen, wäre kein erstrebenswertes Ziel und insgesamt gesehen eher das Gegenteil einer prozessualen Erleichterung. f) Nacheid aus revisionsrechtlichen Gründen Findet der Nacheid in der Rechtsprechungspraxis trotzdem ab und zu Anwendung, so liegt das nicht etwa daran, daß die Gerichte den Voreid in manchen Kon25

V gl. dazu oben 3. Kap. BI 2 (S. 151 f.).

A. Die gesetzliche Ausgestaltung der Eidesleistung

209

stellationen dennoch für entbehrlich hielten. Die dortige "Akzeptanz.. 26 des Nacheides steht nicht im Gegensatz zu der soeben erarbeiteten Argumentation. Vielmehr ist die Verwendung des Nacheides in diesen Fällen in einen thematisch ganz anderen Zusammenhang einzuordnen: Es geht dabei nicht um die zu erfüllenden Anforderungen der Vereidigung, sondern um den streng davon zu trennenden - und insoweit auch nur revisionsrechtlich interessanten - Aspekt des Beruhens, also der Frage, ob der durch den unterlassenen Voreid unstreitig vorliegende Verfahrensfehler eine Auswirkung auf das Urteil haben konnte. Auch wenn der assertorische Eid den Voreid funktional gesehen nicht zu ersetzen vermag, so ist damit nicht ausgeschlossen, daß ein nachträglicher Eid andere wichtige Funktionen - wie beispielsweise die Feststellung eines Beruhensausschlusses - erfüllen kann. 27 Dort, wo der Nacheid akzeptiert wird, geht es nicht um die grundsätzliche Sicherung der durch den promissorischen Eid zu erfüllenden Funktionen, sondern lediglich darum, im Einzelfall sicherzustellen, daß der Verfahrensfehler keine tatsächlichen Auswirkungen mit sich gebracht hat. 3. Ergebnis Daß der Gesetzgeber die Vereidigungsnorm des § 189 GVG bislang also noch nicht an § 79 StPO angeglichen hat 28 , entspringt folglich keinem redaktionellen Versehen oder stellt gar einen Anachronismus dar, sondern resultiert aus einer Reihe von stichhaltigen Gründen. Auch - oder gerade - in einer Zeit mit wachsendem Dolmetschereinsatz bei gerichtlichen Verfahren hat § 189 GVG durchaus noch seine Berechtigung und sollte daher keinesfalls verändert werden.

11. Die Spielarten der eidlichen Verpflichtung 1. Einzeleid und Berufung auf allgemeinen Eid Auch wenn bisher pauschal von der Vereidigungsnorm des § 189 GVG gesprochen wurde, so darf nicht unerwähnt bleiben, daß diese Regelung mehr als nur eine Möglichkeit zur Ableistung des Eides bietet. Der Gesetzgeber hat dem Eideserfordernis in den bei den Absätzen des Paragraphen in jeweils unterschiedlicher Form entsprochen. Während § 189 Abs. 1 GVG die Konstellation eines vom Dolmetscher direkt in der Verhandlung zu leistenden Eides enthält, eröffnet § 189 Abs. 2 GVG für den Dolmetscher die Möglichkeit, sich auf einen bereits zuvor allgemein für gericht liVgl. zu dieser Formulierung Kissel, § 189 GVG Rn 3. Siehe zu dieser Problematik unten 5. Kap. 0 II 3 a (S. 245 ff.). 28 Und dies auch nicht im Entwurf eines zweiten Gesetzes zur Erleichterung der Rechtspflege (strafrechtlicher Bereich) (Siehe BTOrucksache 13, 4541) vorgesehen hat. 26

27

14 Lankisch

210

4. Kap.: Der Dolmetschereid

che Übersetzungen in einer bestimmten Sprache geleisteten Eid zu berufen. § 189 Abs.2 GVG stellt dabei - wie auch die für den Sachverständigen parallel ausgestaltete Norm des § 79 Abs. 3 StPO - eine in der Praxis sowohl vom Gericht als auch von den Dolmetschem gern in Anspruch genommene Erleichterung dar. Statt des förmlich zu leistenden Eides genügt die schlichte Berufung auf einen zuvor allgemein geleisteten Eid. Der Gesetzgeber hielt es nicht für notwendig, einen wiederholt in gerichtlicher Funktion auftretenden Dolmetscher immer wieder erneut in der Form des § 189 Abs . 1 GVG zu verpflichten. Durch die Gewährung der Berufungsmöglichkeit hat der Gesetzgeber unmißverständlich zum Ausdruck gebracht, daß er den hinter dem Eideserfordernis stehenden Zweck auch auf diese Weise als gesichert ansieht. Die in § 189 Abs. 2 GVG normierte Vorgehensweise wird auch von der Literatur und Rechtsprechung akzeptiert; nirgends findet sich eine Kritik, daß der Vereidigungszweck durch diese Berufungsmöglichkeit schlechter erfüllt würde. 2. Verzichtbarkeit der Berufung auf den allgemeinen Eid Umgekehrt läßt sich jedoch die Frage stellen, ob die jeweilige Berufung auf den allgemeinen Eid sich überhaupt als erforderlich darstellt. Um dem Zweck des § 189 GVG zu genügen, könnte es vielleicht schon ausreichend sein, daß der Dolmetscher sich bereits einmal ganz allgemein auf förmliche Weise dazu verpflichtet hat, treu und gewissenhaft zu übertragen. Zwar findet sich - sofern die Eidespflicht nicht generell, wie oben gezeigt, in Frage gestellt wird - nirgends im Schrifttum eine Forderung dahingehend, die Berufung gemäß § 189 GVG für überflüssig zu erklären; völlig abwegig ist eine solche Überlegung jedoch nicht: Hat ein Dolmetscher einmal zum Ausdruck gebracht, daß er sich zur sorgfaltigen Ausübung der Übersetzungstätigkeit verpflichtet, so könnte darin bereits ein Sicherungsmechanismus für bestmögliche Übertragungsqualität liegen. Diese These setzte jedoch voraus, daß ein abstrakt geleisteter Eid in gleicher Weise auf den Dolmetscher wirkt wie eine in jedem Verfahren erneut abzugebende Erklärung im Sinne des § 189 Abs. 1 GVG. Der einmal allgemein abgegebene Eid ist aber nicht in der Lage, diese Anforderung zu erfüllen. Um einen annähernd gleichen Effekt wie bei der Eidesleistung nach § 189 Abs. 1 GVG erzielen zu können, ist es notwendig, daß der Dolmetscher sich auf den allgemeinen Eid zumindest ausdrücklich bezieht. Allein schon der mit der Bezugnahme verbundene Erinnerungseffekt trägt dazu bei, dem Dolmetscher seine Verpflichtung erneut und damit in einem höheren Grad bewußt zu machen. Außerdem - und gerade dieser Punkt darf dabei vor allem nicht unberücksichtigt bleiben - ist äußerst fraglich, ob der vom Gesetzgeber bewußt eingeplante Sanktionsmechanismus des Meineides seine Aufgabe erfüllen könnte, wenn es keine aktuelle Bezugnahme auf den zurückliegenden Eid gäbe. Um die Strafvorschrift des § 154 StGB anwenden zu können, muß sich nämlich eine gewisse Verbindung zwi-

B. Die Reichweite des Eides

211

schen dem geleisteten Eid und der unsorgfältigen Übertragung innerhalb der aktuellen Verhandlung herstellen lassen. Von einer automatischen "Fernwirkung" des allgemeinen Eides - der mitunter Jahre zurückliegt - darf nicht ausgegangen werden, was im übrigen weder der Gesetzgeber noch die Rechtsprechung anzunehmen scheinen. Hier wird stets der Weg über die Vorschrift des § 155 Nr.2 StGB genommen, um § 154 StGB für Fälle allgemeiner Vereidigungen anzuwenden. 29 Das bedeutet aber, daß die allgemeine Vereidigung 30 allein für nicht ausreichend erachtet wird, um darauf die Sanktion des Meineides zu stützen. Vielmehr verlangt man insofern die Berufung auf den allgemeinen Eid. Nicht der allgemeine Eid ist es, der dem Eid im Sinne von § J54 StGB gleich steht, sondern eben nur die Berufung darauf Verzichtete man für den allgemein vereidigten Dolmetscher grundsätzlich auf das Erfordernis einer Berufung, so verlöre der allgemeine Eid aufgrund fehlender strafrechtlicher Relevanz genau die Wirkung, die er auf den Dolmetscher haben soll. Der allgemeine Eid wäre ohne eine später notwendige Bezugnahme ein stumpfes Schwert und daher weitestgehend überflüssig. Es ist somit unabdingbar, daß sich ein allgemein vereidigter Dolmetscher in jeder Verhandlung auf diesen Eid auch beruft. Um den hinter der Vereidigung grundsätzlich stehenden Zweck auch in den Fällen allgemein vereidigter Dolmetscher zu gewährleisten, ist ein Festhalten an § 189 Abs.2 GVG daher absolut notwendig.

B. Die Reichweite des Eides Trotz der Vorgabe des § 189 GVG sind damit noch lange nicht alle Fragen, die im Zusammenhang mit dem Dolmetschereid zutage treten können, durch den Gesetzgeber beantwortet. Insbesondere in bezug auf die Reichweite des Eides bleiben noch einige Fragen offen.

I. Formale Reichweite Probleme ergeben sich zum einen bereits im Hinblick auf die formale Reichweite des gemäß § 189 Abs. 1 GVG innerhalb der Verhandlung geleisteten Eides.

1. Der Eid als Bestandteil der einzelnen Verhandlung Die Norm des § 189 Abs. 1 GVG selbst enthält keine Angaben dazu, was alles von dem in ihr beschriebenen Eid umfaßt ist. Jedoch läßt sich im Umkehrschluß aus § 189 Abs. 2 GVG, wo von der Möglichkeit allgemeiner "Beeidigung" gesprochen wird, entnehmen, daß sich die Vereidigung nach § /89 Abs. J GVG (bzw. die BeruSiehe S/S-Lenckner, § 155 StGB Rn 4. Zur hier verwendeten begrifflichen Unterscheidung von Beeidigung und Vereidigung siehe oben Fn 179 (S. 49). 29

30

14*

212

4. Kap.: Der Dolmetschereid

fung nach § 189 Abs. 2 GVG) jeweils nur auf die ganz konkrete Situation innerhalb einer Verhandlung beziehen kann. In der Literatur findet sich, wenn auch teils mit einer etwas anderen Begründung, dieselbe Einschätzung von der formalen Reichweite eines Eides nach § 189 GVG: Da das Gesetz nichts Gegenteiliges vorschreibe, bilde die eidliche Bekräftigung der Übertragung gleich der Beeidigung eines Gutachtens einen Bestandteil der einzelnen Verhandlung. 31 Das bedeutet aber gleichzeitig, daß ein Dolmetscher, wird er beispielsweise mehrfach - während desselben Sitzungstages eines Gerichts, jedoch innerhalb verschiedener Verfahren - tätig, für jedes einzelne Verfahren erneut vereidigt werden muß. 32 Ebenso bedarf es einer neuen Eidesleistung, wenn die bereits erfolgte Vereidigung außerhalb der betreffenden Verhandlung lag. 33 Bei mehrmaligem Auftreten innerhalb einer Hauptverhandlung, auch wenn diese sich auf verschiedene Sitzungstage erstrecke, soll der einmal in dieser Verhandlung geleistete Eid nach Ansicht des BGH 34 - und auch einer Mehrheit in der Literatur 35 - seine Wirksamkeit jedoch behalten.

2. "Verhandlung" im Sinne von Hauptverhandlung Diesem Verständnis von der formalen Reichweite des Eides ist zuzustimmen. Es vermag den Bedürfnissen der Praxis gerecht zu werden und eine "unnötige Förmelei" zu vermeiden. 36 Darüber hinaus steht diese vom BGH vertretene Auffassung auch nicht - wie Kissel 37 dies behauptet - in Widerspruch zu der weit verbreiteten Ansicht, eine einmal abgegebene eidliche Bekräftigung sei nicht für alle folgenden Verhandlungen in derselben Sache wirksam. 38 Diese Behauptung Kissels ist nicht zutreffend. Beide Aussagen - sowohl daß ein Eid seine Wirksamkeit über mehrere Sitzungstage behalte, als auch daß eine eidliche Bekräftigung nicht für alle Verhandlungen in derselben Sache wirksam sei - haben ihre Berechtigung und können nebeneinander bestehen. Entscheidend ist dabei Siehe LR-Schäjer/Wickern, § 189 GVG Rn 2 (24. Auflage). So auch Katholnigg, § 189 GVG Rn 3 sowie Kissel, § 189 GVG Rn 3; Meyer-Goßner, § 189 GVG Rn I. )) Siehe BGH, StV 91, 504, für den Fall eines vor der Eröffnung des Hauptverfahrens bzw. OLG Düsseldorj, StV 98, 480, eines im Ermittlungsverfahren geleisteten Eides. 34 Siehe BGH, GA 1979, 272. 35 So beispielsweise Katholnigg, § 189 GVG Rn 3 sowie KK-Diemer, § 189 GVG Rn 1; Meyer-Goßner, § 189 GVG Rn 1; Kissel, § 189 GVG Rn 3; LR-Schäjer/Wickern, § 189 GVG Rn 3 (24. Auflage). 36 So Kissel, § 189 GVG Rn 3. 37 Siehe Kissel, § 189 GVG Rn 3. 38 Siehe BayObLG, MDR 1979,696; LR-Schäjer/Wickern, § 189 GVG Rn 3 (24. Auflage). Im Ergebnis so auch Meyer-Goßner, § 189 GVG Rn I. 31

)2

B. Die Reichweite des Eides

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lediglich, daß von dem richtigen Verständnis des verwendeten Begriffs der "Hauptverhandlung" ausgegangen wird. Es gilt dabei stets auseinanderzuhalten, ob insofern von nur einer Hauptverhandlung mit mehreren Verhandlungstagen oder in der Tat von mehreren Hauptverhandlungen die Rede ist. Versteht man die Äußerung, daß ein einmal geleisteter Eid nicht für alle folgenden Verhandlungen in derselben Sache wirksam sei, so, daß damit weitere Hauptverhandlungen gemeint sind, so steht dies nicht im Widerspruch zur Aussage des BGH, da auch er die Wirksamkeit des Eides jeweils nur auf eine Hauptverhandlung begrenzt und nicht auch auf andere ausdehnen will. Es gibt keine Veranlassung anzunehmen, daß sowohl die von Kissel zitierten Literaturstimmen als auch das BayObLG die Wirksamkeit eines Dolmetschereides innerhalb der gleichen Hauptverhandlung in Zweifel zögen. So befaßte sich die Entscheidung des BayObLG beispielsweise mit dem Fall einer ausgesetzten Hauptverhandlung. Aussetzung im Sinne von § 228 StPO bedeutet jedoch den Abbruch der Verhandlung mit der Folge, daß später eine neue, selbständige Verhandlung stattfinden muß. 39 Die vom BayObLG festgestellte Notwendigkeit einer erneuten Vereidigung war folglich damit verbunden, daß es sich um eine neue Hauptverhandlung handelte. Darüber hinaus ist festzustellen, daß die von Kissel benannten Kommentierungen 40 ihre Ausführungen inzwischen im Sinne der BGH-Rechtsprechung ergänzt haben. 41 Hieraus läßt sich eindeutig entnehmen, daß auch jene Autoren keine Unvereinbarkeit bei der Aussagen sehen. 3. Vereinbarkeit mit §§ 67, 72 StPO Die Ansicht des BGH, daß ein einmal in einer Verhandlung geleisteter Eid seine Wirksamkeit für die ganze Verhandlung beibehalte, könnte jedoch dazu im Widerspruch stehen, daß nach allgemeiner Auffassung die §§ 67, 72 StPO für den Dolmetscher sinngemäße Anwendung finden sollen. 42 Aufgrund dieser Normen ist es für die zu vereidigende Person möglich, sich bei einer nochmaligen Inanspruchnahme in "demselben Vor- oder Hauptverfahren" auf den dort zuvor geleisteten Eid zu berufen. Der Widerspruch könnte sich nun daraus ergeben, daß jene Normen bei Zeugen dazu herangezogen werden, sich auf einen in der selben Hauptverhandlung geleiste39 40 41

Siehe Meyer-Goßner, § 228 StPO Rn 3. Mit Ausnahme von Eb. Schmidt, da dieses Buch keine weitere Auflage erfahren hat. Siehe LR-SchäferIWickern, § 189 GVG Rn 3 (24. Auflage); Meyer-Goßner, § 189 GVG

Rn l. 42 Siehe dazu im Anschluß anRG, DJZ 1921, 204z.B. KK-Diemer, § 189GVG Rn I; Kissel, § 189 GVG Rn 3; Meyer-Goßner, § 189 GVG Rn 1; LR-SchäferiWickern, § 189 GVG Rn 3 (24. Auflage).

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4. Kap.: Der Dolmetschereid

ten Eid zu beziehen. Gelten die §§ 67, 72 StPO aber auch für den Dolmetscher, so könnte man annehmen, auch ihm solle damit die Möglichkeit gegeben werden, sich auf seinen bereits einmal in der Hauptverhandlung geleisteten Eid berufen zu können. Dies stünde der Idee von der Wirksamkeit dieses Eides für die gesamte Verhandlung jedoch entgegen. Wie der BGH dies aber bereits selbst zum Ausdruck gebracht hat, erstreckt sich der in § 67 StPO verwendete Begriff des Hauptverfahrens dabei auf "den gesamten Zeitraum vom Eröffnungsbeschluß bis zur Rechtskraft des Urteils"43, so daß er auch mehrere Hauptverhandlungen umfassen kann. 44 Die in dieser Norm gewährte Berufungsmöglichkeit auf einen zurückliegenden Eid kann sich bereits vom Wortlaut her auf andere Hauptverhandlungen beziehen und ist nicht auf dieselbe Hauptverhandlung beschränkt. Die Tatsache nun, daß die Bezugnahme auf den vorherigen Eid nach § 67 StPO bei der nochmaligen Vernehmung eines Zeugen auch innerhalb desselben Hauptverfahrens notwendig ist 45 , bedeutet jedoch nicht, daß auch für den Dolmetscher insoweit Gleiches geiten muß. Das Erfordernis der "erneuten Vereidigung" beim Zeugen hat seine Wurzeln nämlich nicht in der Norm des § 67 StPO, sondern ergibt sich aus der Tatsache, daß die Vereidigung gemäß § 59 StPO als assertorischer Nacheid ausgestaltet ist. Auch wenn ein Zeuge also innerhalb desselben Hauptverfahrens - und dies sogar am selben Verhandlungstag - nach seiner Eidesleistung erneut vernommen wird, so ist ein weiterer Eid erforderlich, da der Nacheid seine direkte Wirkung immer nur für das zuvor Ausgesagte entfalten kann. Dem nach § 59 in Verbindung mit § 66 c StPO geleisteten Eid ("gesagt und ... verschwiegen haben.") auch für eventuell zukünftige Aussagen eine automatische Wirksamkeit zuzuschreiben, ließe sich mit dem Nacheidcharakter nicht vereinbaren. Beim Zeugen bietet es sich daher an, die notwendige "Erweiterung" des Eides über § 67 StPO zu erreichen, da diese Norm mit ihrer Formulierung ("in demselben Hauptverfahren") neben mehreren Hauptverhandlungen erst recht auch innerhalb derselben Hauptverhandlung angewendet werden kann. Da der Eid eines Dolmetschers aufgrund seiner promissorischen Natur jedoch gerade darauf ausgerichtet ist, zukünftige Äußerungen zu erfassen, besteht insoweit überhaupt nicht das Bedürfnis einer erneuten Eidesleistung innerhalb derselben Hauptverhandlung. Wenn die §§ 67,72 StPO für den Dolmetscher also entsprechende Anwendung finden, so geschieht das bei ihm - seinen Bedürfnissen entsprechend - nur hinsichtlich verschiedener Hauptverhandlungen in einer Sache und nicht innerhalb derselben Hauptverhandlung.

43 44 45

BGH, GA 1979, 272; siehe auch BGHSt 23, 283 (285,286). Siehe dazu z. B. auch Meyer-Goßner, § 67 StPO Rn 3. Siehe Meyer-Goßner, § 67 StPO Rn 1; LR-Dahs, § 67 StPO Rn 1 (25. Auflage).

B. Die Reichweite des Eides

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4. Ergebnis Der einmal in einer Hauptverhandlung gemäß § 189 Abs. 1 GVG geleistete Eid (bzw. die gemäß Abs. 2 erfolgte Berufung) umfaßt mit seiner formalen Reichweite folglich immer die gesamte Hauptverhandlung.

11. Inhaltliche Reichweite des Eides Zum zweiten ist auch die inhaltliche Reichweite des Eides mit Unsicherheiten behaftet. Es stellt sich die Frage, auf welche Äußerungen des Dolmetschers sich sein Eid bezieht.

1. Die umfaßten Tätigkeiten Da der Schwur des Dolmetschers nur auf eine treue und gewissenhafte Übertragung lautet, ist zunächst fraglich, welche seiner "verschiedenen" Tätigkeiten hiervon erfaßt sind. a) Dolmetschertätigkeit im engeren Sinne

Zweifellos von der Wirkung des Eides gedeckt ist dabei die rein linguistische Translationstätigkeit des Dolmetschers. Aber auch die Vermittlung kultureller Aspekte, sofern dies zu seinem originären Aufgabenbereich gehört 46 , muß unter den Eid fallen. 47 Daß der Wortlaut des § 189 GVG diesen Aspekt nicht explizit erwähnt, könnte insoweit allerdings ein Hindernis sein. Die in dieser Norm gewählte Formulierung will jedoch mit der Vokabel "übertragen" die Aufgabe des Dolmetschers allgemein beschreiben und keinesfalls den Eid nur auf den rein linguistischen Aspekt des Dolmetschens begrenzen. Die Wortwahl entspricht lediglich der herkömmlichen Bezeichnung, mit der die Dolmetschertätigkeit grundsätzlich zum Ausdruck gebracht wird. Da diese Tätigkeit über das rein Sprachliche hinausgehende Aspekte beinhaltet, wird jeder Dolmetscher, der einen solchen Eid leistet, dabei automatisch die Vorstellung besitzen, daß dieser Eid ihn insgesamt zur treuen und gewissenhaften Erfüllung seiner Aufgabe verpflichtet. b) Tätigkeit als Sachverständiger

Andererseits muß aber auch beachtet werden, daß der Eid eben nur die Dolmetschertätigkeit und keine darüber hinausgehenden Aufgaben erfaßt. Tritt der Dolmet46 47

Siehe dazu oben 1. Kap. E IV (S. 69 ff.). So im Ergebnis auch LR-Schäjer/Wickern, § 189 GVG Rn 7 (24. Auflage).

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4. Kap.: Der Dolmetschereid

scher in der Verhandlung daneben auch in der Funktion eines Sachverständigen auf, so bedarf es diesbezüglich der besonderen Vereidigung nach § 79 Abs. 2 StPO oder zumindest einer Entscheidung über die Vereidigung nach § 79 Abs. 1 StPO - so daß damit auch dokumentiert wird, daß sich das Gericht seines Ermessens hinsichtlich der Vereidigung als Sachverständiger bewußt gewesen ist. 48 Weder kann der Dolmetschereid die Sachverständigentätigkeit abdecken, noch umgekehrt 49 • Beide Eide- sowohl der nach § 79 Abs. 2 StPO, als auch der nach § 189 Abs. 1 GVG - lauten nämlich nicht rein abstrakt auf die sorgfältige Erfüllung irgendeiner übertragenen Aufgabe, sondern beide benennen ganz explizit die jeweils beeidigte Tätigkeit: die Erstattung eines Gutachtens sowie das Übertragen. Eine Kongruenz der Eideswirkung ist folglich schon vom Wortlaut her ausgeschlossen.

c) Der Dolmetscher als Zeuge Entsprechend verhält es sich, wenn ein Dolmetscher zugleich auch als Zeuge in einer Verhandlung herangezogen wird. Auch hier vermag der Dolmetschereid keine Wirkung hinsichtlich dessen zu entfalten, was der "Dolmetscher" in seiner Funktion als Zeuge ausgesagt hat. Der für den Zeugen nach § 66c Abs. 1 StPO notwendige Schwur in bezug auf eine wahrheitsgemäße und vollständige Aussage kann nicht durch einen Eid wie den des § 189 Abs. 1 GVG ersetzt werden. Dazu sind die durch den Wortlaut der jeweiligen Eidesformel beschriebenen Tätigkeiten, die beeidet werden sollen, viel zu unterschiedlich. Zeugen- und Dolmetschereid decken sich nicht in ihrer inhaltlichen Reichweite. Die betreffende Person muß folglich auch in einem solchen Fall für jede von ihr wahrgenommene Funktion gesondert vereidigt werden.

2. Die Vereidigung für eine bestimmte Sprache Weitaus problematischer als die Feststellung der vom Eid grundsätzlich umfaßten Tätigkeitsart stellt sich dagegen die Frage dar, ob auch Übersetzungen in Sprachen, für die der Dolmetscher zunächst gar nicht zugezogen worden war, von dem anfänglich geleisteten Eid bzw. von der Berufung auf die allgemeine Vereidigung erfaßt sind.

a) Die allgemeine Vereidigung im Sinne von § 189 Ahs. 2 GVG In diesem Zusammenhang sind zwei Entscheidungen des Bundesgerichtshofs zu nennen, die sich allerdings beide jeweils nur mit dem Fall einer eidesgleichen Beru4H 49

Siehe BCH, NJW 1965, 643. So ausdrücklich auch Katholnigg, § 189 GVG Rn I.

B. Die Reichweite des Eides

217

fung auf einen allgemein geleisteten Eid gemäß § 189 Abs. 2 GVG befassen. In diesen Entscheidungen wird eindeutig festgestellt, daß diese Berufung nur für Übersetzungen in der Sprache gilt, für die der Dolmetscher allgemein vereidigt wurde. Überträgt er dagegen in eine andere oder aus einer anderen Sprache, so ist es erforderlich, die Vereidigung auch auf diese andere Sprache zu erstrecken. 50 Das Erfordernis, daß der Dolmetscher seine Verpflichtungserklärung in diesem Fall explizit erweitern muß, ist darauf zurückzuführen, daß der allgemeine Eid in seiner Wirkung durch seinen Wortlaut eindeutig begrenzt ist. Die allgemeine Vereidigung qualifiziert einen Dolmetscher nicht per se zum Verhandlungs- oder Gerichtsdolmetscher für beliebig viele Sprachen, sondern bezieht sich stets nur auf die in dem Eid ausdrücklich erwähnte Sprache. 51 Besitzt also schon der Eid an sich eine begrenzte inhaltliche Reichweite, so kann die Berufung darauf erst recht keine weitergehende Wirkung entfalten. Dies ergibt sich auch aus der Formulierung des § 189 Abs. 2 GVG selbst, in der von allgemeiner Vereidigung für " Übertragungen der betreffenden Art" gesprochen wird. Neben dem darin enthaltenen Hinweis auf die Unterschiedlichkeit von Übertragungen nach § 185 GVG und § 186 GVG heißt dies auch, "daß die Berufung auf den allgemeinen Eid unstatthaft ist, wenn es sich um eine andere fremde Sprache handelt als um die, für die der Dolmetscher im allgemeinen vereidigt iSt."52 Diese Unstatthaftigkeit hat zur Konsequenz, daß eine trotzdem erfolgte Berufung keine Wirksamkeit entfalten kann. Dies gilt nicht nur für den Fall, daß ein Dolmetscher von Anfang an für Übertragungen in einer Sprache herangezogen wird, für die er nicht allgemein vereidigt ist 53 , sondern auch dann, wenn sich ein solch zusätzliches Übertragungserfordernis erst während der Verhandlung ergibt 54 .

b) Der Eid nach § 189 Abs.1 GVG Im Gegensatz zur soeben behandelten Frage liegt jedoch keine Äußerung des Bundesgerichtshofs dazu vor, ob eine zusätzliche Vereidigung auch dann erfolgen muß, wenn ein Eid gemäß § 189 Abs. 1 GVG direkt in der Verhandlung geleistet wurde. Ob ein solches Erfordernis auch in diesem Fall besteht, ist fraglich, denn anders als beim allgemeinen Eid benennt diese Eidesformel nicht eine konkrete Sprache, sondern besitzt einen insofern abstrakt gehaltenen Wortlaut. Ein auf diese Weise geleisteter Eid könnte daher automatisch jede Art von Übersetzungstätigkeit, gleich in welcher Sprache sie erfolgt, umfassen. 50 SieheBGH bei Holtz MDR 1980,453 (456) sowie BGHR § 189 Abs.2 GVG Übertragungen, zusätzliche 1. Siehe auch Jessnitzer, Dolmetscher, S.lOl; Katholnigg, § 189 GVG Rn 4; Kissel, § 189 GVG Rn 5. 51 Vgl. für BW § 14 Abs.4 S.2 AGGVG. 52 LR-Schäjer/Wickern, § 189 GVG Rn 6 (24. Auflage). 53 So im Fall bei BGH bei Holtz, MDR 1980,453 (456). 54 So bei BGHR § 189 Abs. 2 GVG Übertragung, zusätzliche 1.

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4. Kap.: Der Dolmetschereid

Andererseits handelt es sich bei der Eidesleistung nicht um einen Vorgang, der nur isoliert zu betrachten ist. Vielmehr ist die Vereidigung stets in einen bestimmten prozessualen Kontext eingebettet. Die inhaltliche Reichweite des Eides könnte durch eben jenen Kontext ihre Begrenzung finden. Unter dieser Voraussetzung bestünde der zu berücksichtigende Umstand darin, daß die zugezogene Person außer zu ihren Personalien regelmäßig vom Gericht auch dazu befragt wird, ob sie Dolmetscher für die im Prozeß notwendige - bzw. für die zunächst als notwendig erachtete - Sprache sei. Fraglich ist nun, ob eine solche Angabe des Dolmetschers geeignet ist, Einfluß auf die Wirkung des sich daran anschließenden Eides zu nehmen, oder ob dessen Reichweite insoweit nicht doch nur anhand der eigentlichen Eidesformel gemessen werden darf. Für eine Bejahung der ersten Alternative gibt es jedoch keine stichhaltigen Gründe. Außer der unmittelbaren zeitlichen Abfolge bei der Vorgänge, aus der sich zwar ergibt, daß der geleistete Eid auf jeden Fall die Übertragungen in der genannten Fremdsprache erfaßt, gibt es keinen Anhaltspunkt dafür, warum der Eid nicht auch eine darüber hinausgehende Reichweite haben sollte. Die Eidesformel enthält weder einen direkten noch indirekten Bezug auf die vorherige Angabe. Der Dolmetscher verpflichtet sich nicht ausdrücklich in bezug auf diese eine Sprache, sondern ganz abstrakt, treu und gewissenhaft zu übertragen. Erweitert der Dolmetscher in der Verhandlung seine Übertragungstätigkeit auf eine andere, im Vorfeld nicht nachgefragte Sprache, so hat sich die abstrakte Art der Betätigung, sprich das Übertragen, nicht verändert. Seine Tätigkeit ist insoweit weiterhin von der im Eid eingegangenen Verpflichtung erfaßt. Aufgrund des klaren Wortlauts des § 189 Abs. 1 GVG ist die Eideswirkung daher auf jede Translationstätigkeit - gleich in welcher Sprache sie auch erfolgt - zu erstrecken. Anders als bei § 189 Abs. 2 GVG ist in den Fällen von Übertragungen in "weitere" Sprachen somit kein erneuter Eid erforderlich. 55

55 Auch wenn einzugestehen ist, daß für die unterschiedliche, inhaltliche Reichweite eines Eides gemäß § 189 Abs. I GVG und einer eidesgleichen Berufung nach § 189 Abs.2 GVG, nicht unbedingt ein zwingendes, tatsächliches Bedürfnis besteht, so ist jedoch zu akzeptieren, daß beide Formen der Selbstverpflichtung keine gleichartige Ausgestaltung erfahren haben, obwohl eine solche Regelung durchaus möglich gewesen wäre. Auch der Eid gemäß § 189 Abs. 1 GVG ließe sich mit einer einfachen Erweiterung der Eidesformel auf eine bestimmte Sprache begrenzen. Solange dies aber nicht der Fall ist, bleibt die Notwendigkeit einer erneuten Eidesleistung für zusätzliche Übertragungen nur im Hinblick auf § 189 Abs. 2 GVG bestehen.

C. Der Vorgang der Eidesleistung

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C. Der Vorgang der Eidesleistung I. Der direkte Eid innerhalb der Verhandlung Die Vorgehensweise bei einer Vereidigung nach § 189 Abs. 1 GVG wirft regelmäßig keine besonderen praktischen Probleme auf. Obwohl diese Vorschrift selbst nur den Inhalt der Eidesformel angibt und keinerlei Ausführungen zum Ablauf der Eidesleistung enthält, ist der Vereidigungsvorgang trotzdem einer klaren Regelung unterworfen. Nach allgemeiner Ansicht gelten für die Eidesleistung des Dolmetschers bzw. seine Bekräftigung gemäß § 189 Abs.l S. 2 GVG auch die §§ 66c, 66d StP0 56 , deren ursprünglicher Anwendungsbereich die Zeugenvereidigung ist. Diese Vorschriften bieten eine derart detaillierte Vorgabe für die Ausgestaltung der Eidesleistung bzw. der Bekräftigung, daß daran orientierte Dolmetschervereidigungen in der Regel keine Probleme mit sich bringen und auch die Revisionsrechtsprechung sich damit nicht beschäftigen muß.

11. Die Berufung auf den allgemein geleisteten Eid Ganz anders sieht es dagegen im Bereich des § 189 Abs. 2 GVG aus. Die Berufung auf einen allgemein geleisteten Eid hat weder in dieser Norm selbst noch in § 79 Abs. 3 StPO, der eine parallele Regelung für den Sachverständigen enthält, eine genaue Ausgestaltung hinsichtlich der dabei anzuwendenden Vorgehensweise gefunden. So ist es nicht verwunderlich, daß es zu dieser Thematik eine Vielzahl von hächstrichterlichen Entscheidungen gibt. Wie das Reichsgericht dabei schon bemerkte, ist insofern "keine bestimmte Form der Bezugnahme vorgeschrieben"57, so daß es in diesem Zusammenhang vor allem fraglich ist, welchen Anforderungen eine solche Berufung auf den allgemein geleisteten Eid genügen muß.

1. Explizite Bezugnahme Unproblematisch unter den Begriff der Berufung zu subsumieren ist dabei ein Verhalten, bei dem sich ein Dolmetscher ausdrücklich auf seinen allgemein geleisteten Eid bezieht. Dies ist beispielsweise möglich, indem der Dolmetscher die Berufung selbst explizit formuliert oder indem die Frage des Vorsitzenden in bezug auf eine Berufung vom Dolmetscher in positiver Form beantwortet wird. 56 Siehe LR-Schäjer/Wickern, § 189 GVG Rn 4 (24. Auflage) sowie Katholnigg, § 189 GVG Rn 1 und 2. Im Ergebnis so auch Meyer-Goßner, § 189 GVG Rn 1, dieser jedoch unter zusätzlicher Nennung des § 72 StPO. 57 RGSt 75, 332 (333).

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4. Kap.: Der Dolmetschereid

2. Bezeichnung "allgemein beeidigter Dolmetscher" Schwieriger wird die Situation dagegen, sobald die Bezugnahme nicht mehr auf solch eindeutige Weise erfolgt. Wie ist es beispielsweise zu beurteilen, wenn ein Dolmetscher sich selbst lediglich als "allgemein beeidigter/vereidigter Dolmetscher" bezeichnet oder wenn das Gericht ihn einfach nur als solchen vorstellt, ohne daß der Dolmetscher selbst dazu Stellung nimmt? a) Der Ausdruck des Bindungsbewußtseins an den Eid

Auch wenn die Form der Bezugnahme durch den Gesetzgeber keine ausdrückliche Regelung erfahren hat, so lassen sich aus dem hinter der Vereidigung stehenden Zweck doch Anhaltspunkte dafür gewinnen, welchen Erfordernissen die Form einer solchen Berufung gerecht werden muß. So folgerte bereits das Reichsgericht: "Die gewählte Form muß aber deutlich erkennen lassen, daß der Dolmetscher gerade durch den Eid an die treue und gewissenhafte Übertragung gebunden ist. Ihm das in jedem einzelnen Falle wieder zu Bewußtsein zu bringen, ist der Zweck der genannten Vorschrift. Die bloße Versicherung, treu und gewissenhaft zu übertragen, erfüllt nicht diesen Zweck."58

Ähnlich wie schon bei der Argumentation hinsichtlich der Vereidigungsart ausgeführt 59, ist also auch hier darauf zu achten, daß dem Dolmetscher nicht nur bewußt wird, daß er treu und gewissenhaft übertragen soll, sondern auch, daß er diesbezüglich unter Eid steht. Vor allem die Bindung an den Eid ist von entscheidender Wichtigkeit. Wer ein solches Bewußtsein nicht besitzt, den kann die Appellfunktion des § 154 StGB nicht erreichen. Die von der Richtigkeit der Übersetzung betroffenen Verfahrensbeteiligten sollen aber gerade auch dadurch, daß das falsche Übertragen den mit Strafe bedrohten Tatbestand eines Meineides erfüllt, besonders geschützt werden. 60 Ansonsten wäre es nicht erforderlich, die Tätigkeit des Dolmetschers überhaupt unter Eid zu stellen - wie dies der Gesetzgeber ganz bewußt getan hat -, sondern es wäre ausreichend, den Dolmetscher lediglich zu einer treuen und gewissenhaften Übertragung aufzufordern oder sich dies von ihm schlicht versichern zu lassen. Des weiteren ist zu berücksichtigen, daß nicht nur ein gemäß § 189 Abs. 1 GVG vereidigter Dolmetscher durch § 154 StGB zu einer solchen Übertragung angehalten werden soll, sondern auch derjenige, der sich gemäß § 189 Abs. 2 GVG auf einen bereits allgemein geleisteten Eid beruft. Die Vorschrift des § 155 Nr.2 StGB sieht in Ergänzung des § 154 StGB hierfür ausdrücklich vor, daß die Berufung auf einen früheren Eid dem Eid, wie ihn der Meineidtatbestand erfordert, gleichstehe. 6 \ RGSt 75,332 (333). Siehe oben 4. Kap. AI2c (S.206f.). 60 Siehe zum Schutzcharakter des § 189 GVG OLG Hamburg, NJW 1975, 1573 (1574). 61 Zur Anwendbarkeit des § 155 Nr.2 StGB im Hinblick auf allgemein geleistete Eide siehe S/S-Lenckner, § 155 StGB Rn 4. 58

59

C. Der Vorgang der Eidesleistung

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b) Die Tauglichkeit der Bezugnahme für den Meineidtatbestand Aus der Tatsache, daß auch der sich auf seinen allgemein geleisteten Eid berufende Dolmetscher für falsches Übersetzen wegen Meineides strafbar sein kann, ist ein weiterer Anhaltspunkt zu entnehmen, wie eine Berufung gemäß § 189 Abs. 2 GVG auszugestalten ist. Sie muß auf eine Art und Weise erfolgen, daß sie ohne weiteres den Anforderungen zur Erfüllung eines Straftatbestandes standhält. Die Verhaltensweise des Dolmetschers muß also derart ausgestaltet sein, daß sie im Falle vorsätzlich falscher Übertragung den Vorwurf des Meineides tatbestandlich zu begründen vermag. Dafür ist es Voraussetzung, daß der Dolmetscher sich erstens selbst auf den früheren Eid bezogen hat 62 und daß dies zweitens auf eindeutige Weise erfolgt ist: Soll die Eidesleistung gemäß § 189 Abs. I GVG ersetzt werden, so kann an diese Stelle nur eine eigene Erklärung des Betroffenen treten. 63 Dieses Erfordernis ergibt sich aus dem Umstand, daß nur dann von einer tatbestandlich relevanten Handlung gesprochen werden kann, wenn der Dolmetscher selbst die entscheidende Äußerung getätigt hat. Die strafrechtliche Sanktion kann dagegen nicht daran knüpfen, daß der Dolmetscher einer von dritter Seite - sprich dem Richter - hergestellten Verbindung zur allgemeinen Vereidigung nicht widerspricht. Da es hier eindeutig an einem aktiven Tun fehlt, wäre das Nichttätigwerden des Dolmetschers nur dann strafrechtlich vorwerfbar, wenn es gemäß § 13 StGB ein Begehen durch Unterlassen darstellte. 64 Eine Garantenpflicht aber, die den fehlenden Widerspruch des zugezogenen Dolmetschers der Abgabe einer eidlich verpflichteten Erklärung gleichstellen könnte, existiert nicht.

c) Ergebnis Berufung im Sinne von § 189 Abs. 2 GVG muß folglich bedeuten, daß der Wille des Dolmetschers, sich auch in dieser konkreten Verhandlung an seinen früheren Eid binden zu lassen, von ihm selbst zum Ausdruck gebracht werden muß. Ein klassischer Fall der Berufung ist nach dieser Definition also bei den - bereits zuvor als unproblematisch bezeichneten - Konstellationen gegeben, bei denen der Bezug explizit stattfindet. 62 Siehe dazu BGH 1 StR 300/74, Seite 4, wo hier insoweit von der "eigenen Erklärung" des Dolmetschers gesprochen wird. Ebenso BGH bei Holtz, MDR 1978, 279 (280); BGH, GA 1980, 184; BGH, StV 1984, 146 (147). Siehe auch BayObLG, MDR 1979, 696 sowie OLG Düsseldorf, StV 1998,480. 63 In diesem Sinne auch BGH, StV 1984, 146 (147). 64 Obwohl es sich bei § 154 StGB grundsätzlich um ein Pflichtdelikt handelt, bei dem das Unterlassen automatisch vom Tatbestand erfaßt ist, wäre in diesem Fall eine Konstruktion als unechtes Unterlassungsdelikt erforderlich. § 154 StGB umfaßt tatbestandlich nämlich nur ein solches Unterlassen, das sich auf die beeidete Tätigkeit bezieht. Die eidliche Verpflichtung selbst muß dagegen stets in aktiver Form erfolgen.

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4. Kap.: Der Dolmetschereid

Aber auch dann, wenn sich der Dolmetscher im Vorfeld seiner Übersetzungstätigkeit lediglich als "allgemein beeidigter/vereidigter Dolmetscher" bezeichnet, sind diese Bedingungen noch erfüllt 65 : Er selbst stellt damit die Verbindung zu seinem einmal allgemein geleisteten Eid her66 , woraus zu schließen ist, daß er sich auch im konkreten Fall an diesen Eid binden will. 67 Die eigene Benennung der allgemeinen Vereidigung bringt nichts anderes zum Ausdruck, als daß er sich gen au der Erleichterungsmöglichkeit bedienen will, die mit dem allgemeinen Eid verbunden ist. Ist es jedoch nicht der Dolmetscher selbst, sondern der Richter, der die allgemeine Vereidigung im Verfahren zur Sprache bringt, so fehlt es eindeutig an einer eigenen Willenserklärung des Dolmetschers, an der sich sein Bindungswille festmachen ließe. Daß eine solche Vorgehensweise keinesfalls an die Stelle einer Eidesleistung gemäß § 189 Abs.1 GVG zu treten vermag, zeigt sich nicht zuletzt darin, daß an diese Art der Bezugnahme niemals eine strafrechtliche Konsequenz im Sinne von §§ 154, 155 Nr.2 StGB für den Dolmetscher geknüpft werden könnte.

III. Die Berufung auf einen früheren Eid Ähnliche Anforderungen wie soeben sind auch dann zu erfüllen, wenn der Dolmetscher sich gemäß einer entsprechenden Anwendung der §§ 67, 72 StPO auf einen bereits zuvor in demselben Vor- oder Hauptverfahren geleisteten Eid beruft. Auch hier ist es erforderlich, daß der Dolmetscher durch eine eigene Erklärung seinen Bindungswillen an den früheren Eid zum Ausdruck bringt. 68 Anders als beim allgemeinen Eid jedoch ist die einfache Benennung der zuvor erfolgten Vereidigung zu diesem Zweck nicht ausreichend. Da der Sinn einer allgemeinen Vereidigung gerade darin besteht, den Eid einmal für eine Vielzahl von zukünftigen Fällen vorwegzunehmen, reicht dort die schlichte Nennung dieser Tatsache grundsätzlich aus, um den Bindungswillen des Dolmetschers zu zeigen. Ein gemäß § 189 Abs. 1 GVG geleisteter Eid ist jedoch - anders als die allgemeine Vereidigung - regelmäßig nicht darauf ausgerichtet, den Schwörenden auch ein weiteres Mal zu binden. Soll eben dies erreicht werden, so muß es der Dolmetscher explizit formulieren. Er muß die - auch bei einer entsprechenden Anwendung des § 67 StPO notwendige - VersiV gl. z. B. BGHR § 189 Abs. 2 GVG Vereidigung 1; BGH bei Holtz, MDR 78, 279 (280). Vgl. dazu auch BGH bei Holtz, MDR 1978,279 (280), wonach eine solche Mitteilung erkennen ließe, daß sich der Dolmetscher seiner Bindung an den Eid bewußt war. 67 So im Ergebnis auch Meyer-Goßner, § 189 GVG Rn 2. Vgl. auch BGH bei Holtz, MDR 78, 279 (280). 68 Vgl. dazu BGH, StV 91,504. Abgesehen davon, daß in dem dortigen Fall keine Situation des § 67 StPO vorliegt, da der frühere Eid bereits im Vorverfahren geleistet wurde, läßt sich dieser Entscheidung jedoch der hier interessante Aspekt entnehmen, daß der schlichte Hinweis, ein Dolmetscher sei zuvor vereidigt worden, eine gebotene Eidesleistung nicht ersetzen könne. Ebenso auch OLG Düsseldorf, StV 98, 480. 65

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D. Die Protokollierung der Vereidigung

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cherung, treu und gewissenhaft zu übertragen, also ausdrücklich auf den früher geleisteten Eid stützen.

D. Die Protokollierung der Vereidigung Die Wichtigkeit des Dolmetschers für das Verfahren und insbesondere die Bedeutung des von ihm geleisteten Eides schlägt sich unter anderem ganz deutlich darin nieder, daß Verfahrens tatsachen, die mit dem Dolmetscher verbunden sind, im Hauptverhandlungsprotokoll eine besondere Beachtung finden. So gehört er nach § 272 Nr. 2 StPO neben den Richtern und Schöffen, dem Beamten der Staatsanwaltschaft und dem Urkundsbeamten der Geschäftsstelle zu den Personen, deren Namen das Protokoll enthalten muß. Vor allem aber zählt seine Vereidigung bzw. seine Berufung auf die allgemeine Vereidigung gemäß § 189 Abs. 1 bzw. Abs. 2 GVG nach ganz unbestrittener Ansicht in Rechtsprechung 69 und Literatur 70 zu den für die Hauptverhandlung vorgeschriebenen wesentlichen Förmlichkeiten im Sinne von § 273 Abs. 1 S. 1 StP0 71 , deren Beobachtung gemäß § 274 StPO nur durch das Protokoll bewiesen werden kann. Schweigt das Hauptverhandlungsprotokoll hinsichtlich einer - wie auch immer gearteten - Eidesleistung, so wird deren Fehlen folglich "unwiderlegbar vermutet".72 Ist der Eid bzw. die Berufung auf den allgemeinen Eid dagegen im Protokoll festgehalten, so gilt dies als unumstößliche 73 Tatsache. 74 Obwohl die positive sowie die negative Beweiskraft des Verhandlungsprotokolls eigentlich dazu beitragen soll, eine erleichterte und zweifels freie Tatsachenfeststellung in diesem Bereich zu ermöglichen 75, kann die Vereidigungsfrage trotz der Qualifizierung als vorgeschriebeSiehe BGH, StV 97, 515 (516); BGHR § 189 GVG Beeidigung 1; BGH, NStZ 1982,517. Siehe z. B. LR-Gollwitzer, § 272 StPO Rn 12, § 273 StPO Rn 10 (25. Auflage); Katholnigg, § 189 GVG Rn 1; Kissel, § 189 GVG Rn 4; LR-Schäjer/Wickern, § 189 GVG Rn 9 (24. Auflage). 71 Die Vereidigung nach § 189 GVG ist aber nicht nur im Hauptverhandlungsprotokoll zu berücksichtigen. Als "wesentliche und unverzichtbare Förmlichkeit des Verfahrens" (BGHSt 22,118 [120)) ist sie gemäß § 168a Abs.l S.1 StPO auch für das Protokoll über eine richterliche Vernehmung zwingender Bestandteil. Enthält ein solches Protokoll keinen Vermerk über die Vereidigung des zugezogenen Dolmetschers, so darf es in einer Hauptverhandlung nicht gemäß § 251 Abs.l oder §254 Abs.l StPO verlesen werden. Siehe hierzu OLG Hamburg, NJW 1975, 1573-1574; BGHSt 22, 118 ff. und BGH, StV 1985,314-315. 72 So BGH, STV 97, 515 (516); oder "unwiderlegbar bewiesen", so BGHR § 189 GVG Beeidigung 1; BGH, StV 96, 531. Siehe allgemein zur negativen Beweiskraft des Protokolls z. B. LR-Gollwitzer, § 274 StPO Rn 20 (25. Auflage). 73 Abgesehen von der in § 274 S. 2 StPO vorgesehenen Widerlegungsmöglichkeit über den Fälschungsbeweis. 74 Siehe zur positiven Beweiskraft des Hauptverhandlungsprotokolls beispielsweise LRGollwitzer, § 274 StPO Rn 19 (25. Auflage). 75 Zum Zweck der Protokollierung sowie ihrer formellen Beweiskraft vgl. auch LR-Gollwitzer, § 273 StPO Rn 1 bzw. § 274 StPO Rn 1 (25. Auflage). 69

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4. Kap.: Der Dolmetschereid

ne wesentliche Förmlichkeit nicht immer allein mit der Hilfe des Protokolls beantwortet werden. So gibt es gerade im Hinblick auf die Berufung gemäß § 189 Abs. 2 GVG immer wieder Fälle, die die Revisionsrechtsprechung beschäftigen. Ausgangspunkt ist dabei ein in den Protokollen auftauchender Zusatz, durch den der Dolmetscher schlicht als "allgemein"76 bzw. "generell vereidigt"77 bezeichnet wird. Diese Formulierung ist jedoch in bezug auf die durch das Protokoll zu beweisende Förmlichkeit wenig aussagekräftig: Es ist insofern nicht die Tatsache der allgemeinen Vereidigung, die hier von Interesse ist - und die darüber hinaus durch das Protokoll auch gar nicht bewiesen werden könnte, da es sich dabei um einen außerhalb der Verhandlung liegenden Vorgang handelt1 8 -, sondern die Frage, ob eine durch den Dolmetscher selbst erklärte Bezugnahme auf diese Vereidigung stattgefunden hat. Ohne einen weiteren Zusatz, sei es die Angabe, daß jene Information "gerichtsbekannt"79 sei oder daß der Dolmetscher sich selbst auf diese Weise bezeichnet habe, ist mit einer derartigen Formulierung weder eine positive noch negative Beweisaussage in bezug auf die klärungsbedürftige Förmlichkeit zu treffen. Wie diese zwei Ergänzungsmöglichkeiten bereits zeigen, kann der "protokollierte Umstand" sowohl auf eine für die ordnungsgemäße Eidesleistung relevante - weil vom Dolmetscher selbst getätigte - als auch auf eine diesbezüglich bedeutungslose - weil vom Richter vorgenommene - Erklärung zurückzuführen sein. Demzufolge bezeichnet der BGH die Formulierung "allgemein vereidigt" als "mehrdeutig".80 Ist der Sinn eines Protokoll vermerks jedoch zweifelhaft und auch durch Auslegung nicht eindeutig zu ermitteln, so entfällt die Beweiskraft des Protokolls. 81 In diesen Fällen ist die Vereidigungsfrage dem ansonsten durch § 274 S. 1 StPO eingeschränkten Grundsatz der freien Beweiswürdigung 82 trotzdem zugänglich und kann mit Hilfe außerhalb des Protokolls liegender Erkenntnisquellen geklärt werden. 83

E. Die Revisibilität Wie die obigen Ausführungen bereits gezeigt haben, handelt es sich bei der Vereidigung um einen Vorgang mit nicht unerheblicher Bedeutung für jedes unter Beteiligung eines Dolmetschers stattfindende Strafverfahren. Nicht zuletzt ist dies darSiehe BGHR § 189 Abs. 2 GVG Vereidigung 1; BGH, GA 1980, 184. Siehe BGH bei Holtz, MDR 1978, 279 (280). 78 Siehe hierzu LR-Gollwitzer, § 274 StPO Rn 15 (25. Auflage). 79 So z. B. bei BGH, StV 1984, 146 (147). 80 BGHR § 189 Abs. 2 GVG Vereidigung I sowie BGHSt 31, 39 (40). 81 Siehe LR-Gollwitzer, § 274 StPO Rn 7 (25. Auflage). 82 Siehe LR-Gollwitzer, § 274 StPO Rn 4 (25. Auflage). 83 Siehe Kissel, § 189 GVG Rn 4; LR-SchäferIWickern, § 189 GVG Rn 9 (24. Auflage); siehe auch BGHSt 31, 39 (41); BGHR § 189 Abs.2 GVG Vereidigung I. 76

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E. Die Revisibilität

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aus ersichtlich, daß die Nonn des § 189 GVG zu den wesentlichen Fönnlichkeiten im Sinne von § 273 Abs. 1 StPO gerechnet wird. Der Eideszwang ist dabei weitaus mehr als nur eine "Ordnungsvorschrift". Ein Verstoß gegen die Vereidigungspflicht stellt daher nicht einfach nur irgendeine bedeutungslose Verletzung fönnlichen Rechts dar, sondern beinhaltet weitreichendere Konsequenzen. Da der Eid in erster Linie als Schutzmechanismus dient, um sicherzustellen, daß der Dolmetscher seine Aufgabe auch wirklich ordnungsgemäß verrichtet, gefährdet ein Verstoß gegen die Vereidigungspflicht indirekt immer auch die mit der Dolmetscherzuziehung verfolgten Ziele. 84 Die Verletzung einer derart "wesentlichen und unverzichtbaren Fönnlichkeit"85 muß zwangsläufig auch mit revisionsrechtlichen Auswirkungen verbunden sein. Daß ein Verstoß gegen die in § 189 GVG niedergelegte Vereidigungspflicht die Revision grundsätzlich begründet, ist daher zu Recht gänzlich unbestritten. 86

Siehe dazu oben 2. Kap. C 11 2 (S. 85 ff.). So die Bezeichnung des aLe Hamburg, NJW 1975, 1573 (1574). 86 Wie dies revisionsrechtlich geltend gemacht wird und inwieweit einzelne Fehler sich dabei konkret auswirken siehe unten 5. Kap. D (S . 240 ff.). 84

85

15 Lankisch

Fünftes Kapitel

Die Art der Revisionsgründe A. Einleitung Die Revisibilität der bislang erörterten Aspekte wurde jeweils direkt im Anschluß an die einzelnen Fragenbereiche behandelt. Für die revisionsrechtliche Überprüfung etwaiger Verstöße ist es aber nicht nur von Bedeutung, ob die Gesetzesverletzung überhaupt revisibel ist, sondern auch, mit welcher Art von Revisionsgrund sie geltend gemacht werden muß. Diese Feststellung ist nicht nur von praktischer Relevanz. Aus der Zuordnung eines Verstoßes zu den absoluten oder relativen Revisionsgründen kann - mehr noch als aus der schlichten Tatsache grundsätzlicher Überprüfbarkeit 1 - entnommen werden, was für eine Wertigkeit der Gesetzgeber dieser Vorschrift beigemessen hat. So wird durch die Qualifizierung zum unbedingten Revisionsgrund etwa zum Ausdruck gebracht, daß ein solcher Verstoß als besonders schwerwiegend erachtet wird. 2 Die bisherigen Ausführungen haben deutlich gemacht, daß es sich bei § 185 GVG nicht um eine Verfahrensnorm mit untergeordneter Bedeutung handelt, sondern daß diese Norm einen besonderen Stellenwert dadurch in sich trägt, daß sie zur Gewährleistung von sowohl verfassungs- als auch völkerrechtlich bedeutenden Zielen beiträgt. So ist es nicht weiter überraschend, daß im Zusammenhang mit § J85 GVG teilweise von unbedingter Revisibilität gesprochen wird und damit eine Wertung als besonders schwerwiegender Verfahrens verstoß erfolgt, denn die Zuordnung zu den absoluten Revisionsgründen vermag jener verfassungs- und völkerrechtlichen Bedeutung in besonderer Weise Rechnung zu tragen. Andererseits muß berücksichtigt werden, daß das Gesetz die Dolmetscherfrage nur rudimentär behandelt. Mit Ausnahme des Dolmetschereides, der in § 189 GVG eine ausdrückliche Regelung gefunden hat, kann eine Vielzahl von den mit dem Dolmetscher verbundenen Aspekten nicht direkt auf irgend welche gesetzlichen Regelungen gestützt werden. Einige Gesichtspunkte der Dolmetscherfrage werden insofern nur deshalb "formal" auf § 185 GVG "zurückgeführt", weil dies die einzig verfügbare Möglichkeit einer gesetzlichen Verankerung darstellt. Aufgrund dieses I So auch Sommer, StraFo 1995,45 (46), die Überprüfbarkeit spiegle in der Rechtswirklichkeit den Stellenwert der Grundsätze wider. 2 Vgl. z. B. LR-Hanack, § 338 StPO Rn 1 (25 . Auflage).

B. Die Zuziehung des Dolmetschers

227

Umstandes kann also nicht erwartet werden, daß jeder mit § 185 GVG irgendwie in Verbindung stehende Aspekt der Dolmetscherzuziehung automatisch auch eine Einstufung als absoluter Revisionsgrund erfahren muß. Dies kann nur für den wirklichen Kembereich dieser Regelung gelten. Wie die zuvor im zweiten bis vierten Kapitel behandelten Fragen jeweils im Hinblick auf die Art des Revisionsgrundes zu qualifizieren sind, gilt es im folgenden zu klären.

B. Die Zuziehung des Dolmetschers Vorweg gilt es zu bemerken, daß "Zuziehung" in dem jetzt zu behandelnden Zusammenhang nicht nur in einem rein formalen Sinn verstanden werden darf, sondern vor allem unter dem Aspekt einer tatsächlich praktizierten Einbeziehung des Dolmetschers in das Verfahren betrachtet werden muß. Da der förmliche Akt der Dolmetscherzuziehung als verfahrensrechtlicher Vorgang grundsätzlich mehr als nur den schlichten Umstand der Anwesenheit des Dolmetschers beinhaltet, lassen sich diese beiden Begriffe strenggenommen nicht gleichsetzen. Im Hinblick auf die Frage jedoch, ob der Revisionsgrund des § 338 Nr.5 StPO eingreifen kann, macht es keinen Unterschied, ob das Fehlen des notwendigen Verfahrensbeteiligten auf das Unterlassen eines formalen Vorgangs zurückzuführen ist oder ob es sich dabei lediglich um einen faktischen Umstand handelt. In erster Linie kommt es nur darauf an, ob der Dolmetscher tatsächlich anwesend ist oder nicht.

I. Gänzlich unterbliebene Zuziehung eines Dolmetschers Wird es völlig unterlassen, einen Dolmetscher zuzuziehen, obwohl dies nach § 185 GVG geboten war, so greift unstreitig der absolute Revisionsgrund des § 338 Nr.5 StPO' ein, dessen Regelungsbereich sich gerade mit der gesetzwidrigen Abwesenheit notwendiger Verfahrensbeteiligter befaßt. Aus revisionsrechtlicher Sicht handelt es sich dabei um die unproblematischste Fallgestaltung aller im Zusammenhang mit § 185 GVG stehenden Fragen. Ohne Zweifel zählt der Dolmetscher nach allgemeiner Meinung zu denjenigen Personen, deren zwingende Anwesenheit durch das Gesetz vorgeschrieben ist. 4 Ganz unmißverständlich läßt sich dies aus der Formulierung des § 185 Abs. 1 S. I GVG entnehmen: "So ist 5 ein Dolmetscher zuzuziehen." Siehe RG, GA Bd 47 (1900), 384; BGHSt 3,285 (285-286). Siehe LR-Hanack, § 338 StPO Rn 100 (25. Auflage). 5 Hervorhebung nicht im Original. 3

4

15*

228

5. Kap.: Die Art der Revisionsgründe

11. Teilweise Zuziehung eines Dolmetschers Wird ein Dolmetscher nicht für die gesamte Zeit, in der unter Beteiligung eines Fremdsprachigen verhandelt wird, zugezogen, so müssen dabei zweierlei Ausgangskonstellationen unterschieden werden: Zum einen kann es sich dabei um ein teilweises Unterlassen der Zuziehung trotz gänzlicher Sprachunkundigkeit des Betroffenen handeln. Diese Situation stellt sich von vornherein als fehlerhaft dar, da gänzliche Sprachunkundigkeit stets zu einer umfassenden Dolmetscherzuziehung führen muß. 6 Zum anderen kann aber auch ein fragmentarisches Unterlassen der Zuziehung wegen nur te i/weisem Nichtbeherrschen der Gerichtssprache vorliegen. Obwohl diese Vorgehensweise - ganz im Gegensatz zu der ersten Konstellation - unter bestimmten Umständen zulässig ist1, können dabei Fehler auftreten, so daß sich die Frage nach der Art ihrer revisionsrechtlichen Geltendmachung grundsätzlich auch dabei stellen kann. 1. Zeitweilige Abwesenheit eines Dolmetschers bei gänzlicher Sprachunkundigkeit Ist für die Verhandlung zwar grundsätzlich ein Dolmetscher zugezogen worden, war jener aber nicht während der gesamten Zeit, in der unter Beteiligung des Sprachunkundigen verhandelt wurde, anwesend, oder wurde der Dolmetscher trotz gänzlicher Sprachunkundigkeit nur teilweise" zugezogen", so begründet dies in der Regel ebenso wie die gänzliche Abwesenheit den absoluten Revisionsgrund des § 338 Nr. 5 StPO. 8 Die gesetzliche Verpflichtung zur Anwesenheit des Dolmetschers erstreckt sich insofern auf alle Verhandlungsteile, bei denen seine Beteiligung nach § 185 GVG erforderlich ist. 9 Im Falle eines sprachunkundigen Angeklagten muß der Dolmetscher daher grundsätzlich während der gesamten Verhandlung zugegen sein. 10 Siehe oben 2. Kap. Ern (S.120 ff.). Siehe oben 2. Kap. EIV (S.122 ff.). 8 Siehe z. B. LR-Hanack, § 338 StPO Rn 100 (25. Auflage); LR-Schäjer/Wickern, § 185 GVG Rn 24 (24. Auflage); Meyer-Goßner, § 338 StPO Rn 44.A. A. scheinbar Katholnigg, § 185 GVG Rn 6. Vgl. auch Sommer, StraFO 1995,45 (46), der-leider ohne Angabe entsprechender Rechtsprechungsnachweise - behauptet, Teilanwesenheit falle insofern nicht mehr unter § 338 Nr.5 StPO, da ein Dolmetscher, sobald er wenigstens kurzzeitig in der Verhandlung mitgewirkt habe, anwesend sei. Sommer mag damit auf ein tatsächliches Beweisproblem anspielen, denn nach dem Protokoll gilt der Dolmetscher, sobald seine Anwesenheit darin bestätigt ist, solange als anwesend, solange im Protokoll nichts Gegenteiliges vermerkt ist. Verfehlt ist es jedoch, wenn Sommer daraus den Schluß zieht, Teilanwesenheit falle per se nicht unter § 338 Nr.5 StPO. 9 Siehe u.a. HK-Temming, §338 StPO Rn 27; LR-Hanack, §338 StPO Rn 100(25. Auflage). 10 Siehe Meyer-Goßner, § 338 StPO Rn 44. 6 7

B. Die Zuziehung des Dolmetschers

229

Ganz unabhängig von der speziellen Situation des Dolmetschers ist man sich bei § 338 Nr. 5 StPO grundsätzlich darüber einig, daß Abwesenheit im Sinne dieser

Norm schon dann vorliegt, wenn der notwendige Beteiligte auch nur bei einem Teil der Hauptverhandlung gefehlt hat. 11 Dieses enge Verständnis vom Anwesenheitsbegriff trägt dabei einem Ziel Rechnung, das auch durch die Absolutheit dieses Revisionsgrundes nachhaltig unterstrichen wird. Die Anwesenheitspflicht bestimmter Verfahrensbeteiligter soll ernst genommen und konsequent beachtet werden. Allerdings erfährt diese an sich stringente Handhabung eine gewisse Durchbrechung, indem die Rechtsprechung die Abwesenheit ganz allgemein nur dann für schädlich hält, wenn sie sich auf sog. wesentliche Teile der Verhandlung erstrecke. 12 Diese Rechtsprechungspraxis findet jedoch keineswegs eine durchgängige Akzeptanz; gerade in der Literatur begegnet sie einer erheblichen Kritik. 13 Ob jene allgemeine Diskussion aber auch im Zusammenhang mit der Person des Dolmetschers von Bedeutung ist, stellt sich dagegen als fraglich dar. Vielmehr scheint es so, als habe dieser Aspekt für seine Beteiligung keinerlei Auswirkungen. Es fällt auf, daß es bislang keine Entscheidung gab, bei der diese "Wesentlichkeitseinschränkung" in bezug auf die Beteiligung eines Dolmetschers eine erkennbare Rolle gespielt hätte. Diese Erkenntnis deckt sich auch mit der von Temming 14 gemachten Feststellung, daß jener Grundsatz zwar allgemein formuliert sei, in der Regel aber nur auf die Abwesenheit des Angeklagten zutreffe. Für die Person des Dolmetschers kommt insbesondere noch hinzu, daß die Rechtsprechung hier eine Reihe von möglichen Fragen häufig schon im Vorfeld aus dem Anwendungsbereich des § 338 Nr. 5 StPO nimmt, indem sie dem Tatrichter ein recht weites Ermessen bei der Dolmetscherzuziehung einräumt. 15 Vertritt man insofern aber - wie es hier gefordert wird - für bestimmte Aspekte eine wesentlich strengere Linie, so gewinnt der absolute Revisionsgrund bei der Zuziehungsfrage zwangsläufig an Bedeutung. Es stellt sich daher die Frage, wie die von der Rechtsprechung für diesen Revisionsgrund praktizierte "Wesentlichkeitseinschränkung" im Zusammenhang mit dem Dolmetscher zu beurteilen ist. Einen Verstoß gegen die notwendige Anwesenheit des Dolmetschers nur dann für beachtlich zu erklären, wenn es sich dabei um einen "wesentlichen Verfahrensteil" handle, wäre - der Argumentation Maiwaids 16 und in Teilen auch der Hamms 17 folSiehe LR-Hanack, § 338 StPO Rn 84 (25. Auflage), m. w. N. Siehe beispielsweise BCHSt 16, 178 (180); BCHSt 26,84 (91); BCH, GA 1963, 19f., BCH, NStZ 1983,36; BCH, wistra 1984, 113. 13 Ausdrücklich gegen diese Rechtsprechung - vor allem im Hinblick auf die Anwesenheit des Angeklagten und des notwendigen Verteidigers - AK-Maiwald, § 338 StPO Rn 28; siehe auch Maiwald, JR 1982,35. Kritisch z. B. auch LR-Hanack, § 338 StPO Rn 84 (25. Auflage); Hamm, Rn 379f.; Roxin, Strafverfahrensrecht, § 42 FII 3 a, Rn 44, S. 349-350. 14 Siehe HK-Temming, § 338 StPO Rn 21. 15 Siehe oben 2. Kap. A (S. 78 f.). 16 Siehe AK-Maiwald, § 338 StPO Rn 28. 11

12

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5. Kap.: Die Art der Revisionsgründe

ge nd - jedoch verfehlt und läßt sich nicht rechtfertigen: Es besteht die große Gefahr, die Norm des § 338 Nr. 5 StPO dadurch nicht bloß - wie Maiwald dies formuliert - in die Nähe eines nur relativen Revisionsgrundes zu rücken, sondern sie dadurch sogar regelrecht zu einem solch nur bedingten Grund zu "degradieren". Die Reduzierung der "einklagbaren" Anwesenheitspflicht auf "wesentliche" Teile einer Verhandlung bedeutete nämlich nichts anderes als eine Begrenzung auf solche Abschnitte, die für das Urteil ursächlich gewesen sein können. Letzten Endes würde die Revisibilitätsfrage damit indirekt wieder auf den sogenannten Aspekt des Beruhens zurückgeführt. Gerade dessen Anwendbarkeit soll aber durch die Absolutheit dieses Revisionsgrundes verhindert werden. Eine derartige "Wesentlichkeitseinschränkung" widerspräche eindeutig der gesetzgeberischen Vorgabe, durch die eine Beruhensprüfung allein nur den relativen Revisionsgründen inhärent ist. Die Nähe zu § 337 StPO bringt darüber hinaus aber auch ein anderes Problem mit sich. Durch die Qualifizienmg zum unbedingten Revisionsgrund hat der Gesetzgeber auch den Stellenwert zum Ausdruck gebracht, den er dem Anwesenheitserfordernis des Dolmetschers beimißt. 18 Schränkt die Rechtsprechung die "Unbedingtheit" der Revisibilität auf "Umwegen" ein, so ist damit die vom Gesetzgeber vorgenommene Bewertung eindeutig in Frage gestellt. 19 Unabhängig davon, um was für einen Verhandlungsteil es sich handelt, fällt also auch die zeitweilige Abwesenheit des Dolmetschers unter den absoluten Revisionsgrund des § 338 Nr. 5 StPO, solange die Zuziehung im Sinne von § 185 GVG erforderlich war.

2. Eingeschränkte Zu ziehung bei teilweiser Sprachkundigkeit Völlig anders präsentiert sich dagegen die Situation, wenn beim Betroffenen keine gänzliche Sprachunkundigkeit vorliegt. Im Unterschied zu eben kann es bei teilweiser Sprachkundigkeit durchaus Verhandlungsabschnitte geben, in denen die Anwesenheit des Dolmetschers nicht erforderlich ist, so daß der Dolmetscher nicht mehr zu denjenigen Personen gezählt werden kann, deren Anwesenheit das Gesetz zwinSiehe Hamm, Rn 379. Vgl. oben 5.Kap. A (S. 226). 19 Auf eine ausführliche Diskussion soll hier verzichtet werden, da die Entscheidung dieses allgemein revisionsrechtlichen Problems nicht zum Gegenstand dieser Arbeit zählt. Insofern sei auf die in Fn 13 (S. 229) zitierten Darstellungen verwiesen. Es sei jedoch noch erwähnt, daß diejenigen, die die Abwesenheit bei unwesentlichen Verfahrensteilen für unschädlich halten, im Hinblick auf die Revisibilität der zeitweiligen Abwesenheit eines notwendigen Dolmetschers sich in der Regel daran orientieren müssen, welche Verhandlungs teile für den Angeklagten als wesentlich gelten. Dies rührt daher, daß es zumeist um fremdsprachige Angeklagte geht, wenn ein Dolmetscher insgesamt länger als nur für einen einzigen Verhandlungsteil zugezogen wird. Tätigt der Dolmetscher seine Übersetzungen nämlich in erster Linie "für" den Angeklagten, so muß die Frage der Wesentlichkeit eines Verhandlungsteils auch aus dessen Sicht beurteilt werden. 17

IK

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B. Die Zuziehung des Dolmetschers

gend vorschreibt. Es stellt sich jedoch als äußerst fraglich dar, ob dieser Umstand zugleich auch mit der Folge verbunden ist, daß die Anwendbarkeit des absoluten Revisionsgrundes nach § 338 Nr. 5 StPO in diesen Fällen völlig ausgeschlossen ist. Folgte man in bezug auf die teilweise Sprachkundigkeit der Auffassung der Rechtsprechung, die den Zu ziehungs umfang hierbei in das fast irrevisible Ermessen des Tatrichters stellt, so wäre die revisionsrechtliche Überprüfung lediglich auf die Kontrolle fehlerhafter Ermessensausübung begrenzt und könnte nur als relativer Revisionsgrund gern. § 337 StPO geltend gemacht werden. 20 Nach der hier vertretenen Auffassung gilt diese Beurteilung jedoch nur für den sehr engen Bereich, in dem die Zuziehung ausnahmsweise nicht zwingender Natur ist und der Tatrichter daher in die Lage versetzt wird, eine wirkliche Ermessensentscheidung zu treffen. Dagegen stehen die dieser Ermessensausübung stets vorgelagerten Entscheidungen der uneingeschränkten Überprüfung durch die Revision offen. 21 Hat ein Richter bei einem oder mehreren Verhandlungsteilen auf die Zu ziehung eines Dolmetschers verzichtet, so durfte dies nur deshalb geschehen, weil der Betroffene der Gerichtssprache teilweise mächtig war und der Grad der Sprachbeherrschung für eben jene fraglichen Verhandlungsabschnitte als ausreichend qualifiziert wurde. Wie oben festgestellt2 2, ist es nur unter diesen engen Voraussetzungen gerechtfertigt, von der strikten Rechtsfolgenvorgabe des § 185 GVG abzuweichen. Ohne das Vorliegen dieser Bedingungen bleibt die Zuziehung des Dolmetschers zwingend. Ist dem Tatrichter beim Feststellen jener Voraussetzungen ein Fehler unterlaufen - sei es bei der tatsächlichen Feststellung oder bei der anschließenden Subsumtion - so stellt dies ein zwar nur teilweises, aber dennoch nicht gerechtfertigtes Unterlassen der an sich obligatorischen Dolmetscherzuziehung dar. Der hierin liegende Verstoß gegen § 185 GVG führt folglich auch bei dieser Konstellation zu dem absoluten Revisionsgrund des § 338 Nr.5 StPO. Diesem Ergebnis ließe sich jedoch grundsätzlich dann widersprechen, wenn die Norm des § 338 Nr.5 StPO nur bei solchen Beteiligten Anwendung fände, deren Anwesenheit während der gesamten Verhandlung vorgeschrieben ist. Ein Dolmetscher, dessen Anwesenheitspflicht sich im konkreten Fall nicht auf die gesamte Verhandlungsdauer erstreckte, wäre damit von vornherein vom Regelungsbereich dieses absoluten Revisionsgrundes ausgenommen. Unabdingbare Voraussetzung für eine derartige Argumentation wäre jedoch, daß § 338 Nr.5 StPO einen begrenzten Anwendungsbereich insofern besäße, daß er sich nur auf Personen bezöge, die während der gesamten Verhandlung anwesenheitspflichtig sind. Es ist zwar einzugestehen, daß eine solche Auslegung in Literatur und Rechtsprechung nirgends explizit vertreten wird, andererseits stößt man in der 20 So BGH, StV 1992,54. Siehe auch KK-Diemer, § 185 Rn 23; Meyer-Goßner, § 185 ova Rn 10. 21 Siehe oben 2. Kap. EV 2a u. b (S.130 ff.). 22 Siehe oben 2. Kap. E IV (S. 122 ff.).

ova

Rn 7; Kissel, § 185

ova

232

5. Kap.: Die Art der Revisionsgründe

Rechtsprechung des BGH jedoch auf eine - nicht ganz eindeutige Formulierung -, die dazu geeignet ist, gen au diesen Eindruck entstehen zu lassen: "In diesem Falle [wenn der Angeklagte der deutschen Sprache nur teilweise nicht mächtig ist] gehört der Dolmetscher nicht zu den Personen, deren Anwesenheit i. S. des § 338 Nr.5 StPO für die gesamte Dauer der Hauptverhandlung erforderlich ist.,,2)

Mit Bezug darauf ließe sich der soeben dargelegten Argumentation durchaus eine Existenzberechtigung verschaffen. Es ist somit erforderlich, das BGH-Zitat näher zu beleuchten. Der Kern des Zitats ist offensichtlich richtig, die Anwesenheit des Dolmetschers ist unter dieser Voraussetzung nicht ständig zwingend. Fraglich ist dagegen, ob sich diesen Worten darüber hinaus auch noch die Information entnehmen läßt, daß die erforderliche Anwesenheit im Sinne des § 338 Nr. 5 StPO sich stets aufdie gesamte Hauptverhandlung erstrecken müsse. Ein solcher Gedanke kann gar nicht einmal als so fern liegend bezeichnet werden. In der Tat ist es nämlich so, daß alle anderen von dieser Norm erfaßten Beteiligten während des ganzen Zeitraums der Verhandlung anwesend sein müssen. Hierbei ist jedoch anzumerken, daß dieses Erfordernis nicht aus § 338 Nr.5 StPO selbst rührt. Dem Wortlaut dieser Norm zufolge wird eine solche Anwesenheitspflicht nämlich gerade nicht vorausgesetzt. Vielmehr resultiert dieses ständige Anwesenheitserfordernis - entsprechend der Art der Beteiligtenrolle - aus völlig anderen Normen, namentlich dem § 226, den § § 230 ff., 247 bzw. dem § 145 StPO. Die Funktion jener Beteiligten (Richter, Staatsanwalt, Urkundsbeamter, Angeklagter und Verteidiger) bringt es mit sich, daß der Gesetzgeber für sie in den zitierten Normen eine ständige Anwesenheitspflicht 24 niedergelegt hat. Im Gegensatz dazu fehlt beim Dolmetscher eine Vorschrift mit derartigem Inhalt. Seine Anwesenheitsptlicht ist nicht statisch auf die gesamte Verhandlung bezogen, sondern bei ihm wird von vornherein dem Umstand Rechnung getragen, daß er gegebenenfalls nur bei bestimmten Verhandlungs teilen mitwirken muß. Bei ihm ist im Hinblick auf § 338 Nr. 5 StPO daher grundsätzlich zu berücksichtigen, daß er eben nur insofern zu den Personen, deren Anwesenheit das Gesetz vorschreibt, gehört, "soweit und solange seine Mitwirkung gemäß § 185 Abs. 1 S.l GVG erforderlich ist". 25 § 338 Nr.5 StPO normiert also nicht die Anwesenheitspflicht der Beteiligten, sondern soll deren Einhaltung, unabhängig ob sie sich auf die komplette Verhandlung oder lediglich einzelne Teile erstreckt, garantieren. Daher umfaßt § 338 Nr. 5 StPO also nicht nur Beteiligte, deren Anwesenheit für die gesamte Dauer der Hauptverhandlung erforderlich ist. Der BGH muß sich daher die Kritik gefallen lassen, in dieser Hinsicht etwas mißverständlich formuliert zu haben. Die oben angeführte Argumentation steht einer Anwendung von § 338 Nr.5 StPO bei unzureichender Zuziehung in den Fällen teilweiser Sprachbeherrschung also nicht entgegen. 23 24

BGHSt 3,285; siehe aber auch BGHR § 338 Nr. 5 StPO Dolmetscher 3, Teilanwesenheit. Abgesehen von den für einen Angeklagten gemäß §§ 231 ff. ausnahmsweise zulässigen

Durchbrechungen der Anwesenheitspflicht. 25 LR-Hanack, § 338 StPO Rn 100 (25. Auflage); siehe auch HK-Temming, § 338 StPO Rn 27.

B. Die Zuziehung des Dolmetschers

233

Anders als dies von der Rechtsprechung vertreten wird, ist man beim Vorliegen teil weiser Sprachbeherrschung hinsichtlich der Geltendmachung von Fehlern somit nicht nur auf den relativen Revisionsgrund des § 337 StPO beschränkt. Dieser kommt lediglich bei jenen Verhandlungsabschnitten zum Zuge, bei denen die Zu ziehung des Dolmetschers verzichtbar ist. Lediglich die Kontrolle der dabei legitimen Ermessensausübung ist revisionsrechtlich auf § 337 StPO beschränkt. Ansonsten bleibt es auch hinsichtlich nur teil weiser Sprachbeherrschung bei der Anwendbarkeit des § 338 Nr.5 StPO.

III. Zuziehung einer als Dolmetscher ungeeigneten Person Wie bereits ausgeführt, machen es die im Zusammenhang mit der Dolmetscherfrage auf rein tatsächlichem Gebiet bestehenden Probleme 26 im Gerichtsalltag teilweise schwer, einen geeigneten Dolmetscher für ein Verfahren zu finden. Dies kann unter Umständen zu einer fehlerhaften Auswahlentscheidung des Richters führen, so daß man im Extremfall sogar damit rechnen muß, daß eine völlig ungeeignete Person als "Dolmetscher" zugezogen wurde. Ist der zum Dolmetscher Bestellte überhaupt nicht in der Lage, eine solche Aufgabe wahrzunehmen, so fehlt es an einer gemäß § 185 GVG notwendig zu beteiligenden Person. Es ist insoweit nicht entscheidend, daß formal eine Zu ziehung erfolgte, sondern es kommt vielmehr darauf an, daß dadurch jemand anwesend ist, der diese Aufgabe erfüllen kann. Aufgrund welcher Umstände sich der "Zugezogene" als ungeeignet erweist, ist hierbei irrelevant. Gleichgültig, ob derjenige überhaupt kein Dolmetscher ist, ob er - obwohl er sich als solcher bezeichnet 27 - die dazu notwendigen Fähigkeiten nicht besitzt oder ob es sich schlicht um einen Dolmetscher für eine andere als die benötigte Sprache handelt, es fehlt jeweils an dem nach § 185 GVG notwendigen Dolmetscher. Das Verhandeln ohne diesen zwingend erforderlichen Beteiligten erfüllt die Voraussetzungen des § 338 Nr. 5 StPO. Die Zuziehung eines "Ungeeigneten" führt daher - ebenso wie die Nichtzuziehung - zu einem absoluten Revisionsgrund. 28 Abgesehen von den klaren Fällen der gänzlichen Unfähigkeit, die Übersetzungsaufgabe wahrzunehmen, - bei denen zweifellos die soeben geschilderte, revisionsrechtliche Folge eintreten muß -, gibt es einen Bereich, in dem es erforderlich ist, vereinzelt auftretende Mängel in der Übersetzungstätigkeit von dem Punkt abzugrenzen, von dem an der Dolmetscher als ungeeignet für die Vermittlungsaufgabe angesehen werden muß: Solange das Ausmaß der Fehler die Eignung des Dolmetschers dabei noch nicht in Frage stellt, solange kann die mangelhafte Ausführung der Übersetzung nur als relativer Revisionsgrund gemäß § 337 StPO geltend geSiehe oben 1. Kap. D I I (S.48 ff.). Aufgrund fehlender Reglementierungen kann sich jeder als Dolmetscher bezeichnen. Siehe dazu I. Kap. D I 1 (S.50). 28 Im Ergebnis so auch KK-Diemer, § 185 GVG Rn 7 a. E. 26

27

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5. Kap.: Die Art der Revisionsgründe

macht werden. 29 Entsprechend den obigen Ausführungen 30 muß es dem Revisionsrichter dabei zustehen, eigene Feststellungen zu Art und Ausmaß der bei der Übersetzung aufgetretenen Fehler treffen zu können, um so über die Geeignetheit der zugezogenen Person entscheiden zu können. Erst wenn die auftretenden Mängel eine Unfähigkeit des Dolmetschers dokumentieren, führt dies zu einer Anwendbarkeit des § 338 Nr.5 StPO.

IV. Gleichzeitige Ausübung von Dolmetscherfunktion und anderer Verfahrensrolle Erfüllt eine Person neben der Übersetzungsaufgabe eine weitere Funktion in der Verhandlung, so kann auch darin ein die Revision begründender Verstoß gegen § 185 GVG liegen. Jedoch schließen sich nicht alle Beteiligungsarten innerhalb einer Verhandlung von vornherein völlig aus. Abgesehen von der Person des Urkundsbeamten, dem gemäß § 190 GVG ausdrücklich die Möglichkeit zur Wahrnehmung des Dolmetscherdienstes eingeräumt wurde, ist dies jedoch für keinen Verfahrensbeteiligten weder in positiver noch in negativer Form explizit geregelt. Obwohl § 191 GVG von Ausschließung spricht, sieht das Gesetz für den Dolmetscher - entsprechend den Vorschriften für den Sachverständigen, auf die dabei verwiesen wird - keine ausdrückliche Regelung über Ausschlußgründe vor. 31 Eine gesetzliche Ausgestaltung haben insofern nur die Ablehnungsgründe erfahren. Daraus läßt sich jedoch noch nicht entnehmen, daß grundsätzlich jede, also auch eine in anderer Weise am Verfahren beteiligte Person berechtigt ist, das Dolmetscheramt auszuüben. Man muß insofern untersuchen, ob der Charakter der jeweiligen Verfahrensstellung eines Beteiligten allgemein dagegen spricht, ihn auch die Übertragungstätigkeit ausführen zu lassen.

1. Richtertätigkeit So verhält es sich beispielsweise ganz offensichtlich mit der Richterrolle. 32 Es wäre widersprüchlich, den Richter eine zusätzliche Funktion ausüben zu lassen, deSiehe dazu direkt unten 5. Kap. C (S. 237 ff.). Siehe oben 2. Kap. C III 3 (S. 98 ff.). 31 Siehe Katholnigg, § 191 GVG Rn 1; KMR, § 191 GVG Rn 1; KK-Diemer, § 191 GVG Rn I. 32 Gegen den Richter als Dolmetscher inzwischen auch die ganz herrschende Meinung. Siehe z. B. OLG Karlsruhe, Die Justiz 1962,93; Jessnitzer, Dolmetscher, S. 82; KK-Diemer, § 191 GVG Rn 1; KMR, § 190 GVG Rn 2; Katholnigg, § 190 GVG Rn I; Kissel, § 191 GVG Rn 6; Meyer-Goßner, § 190 GVG Rn 1; LR-SchäferIWickern, § 190 GVG Rn I (24. Auflage); Schreiber, in WieczorekjSchütze, § 185 GVG Rn 12.A. A. KG, HRR 1935 Nr.991. 29

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B. Die Zuziehung des Dolmetschers

235

ren Ausführung er gleichsam aufgrund seiner Überwachungspflicht 33 zu kontrollieren hat. Ähnliches ergibt sich aus der Norm des § 191 S.2 GVG, nach der es der Richter selbst ist, der über die "Ausschließung und Ablehnung" des zugezogenen Dolmetschers entscheiden soll.34 Ferner ist es auch der Umkehrschluß aus § 190 GVG, der für einen Ausschluß des Richters vom Dolmetscheramt spricht. 35 Die Person des Richters ist in dieser Norm gerade nicht als möglicher Dolmetscher vorgesehen. Da der protokollführende Urkundsbeamte als einziger Prozeßbeteiligter im engeren Sinne 36 ausdrücklich für die Wahrnehmung des Dolmetscherdienstes genannt wird, ist es naheliegend, daß den übrigen Prozeßbeteiligten im engeren Sinne - also vor allem auch dem Richter - diese Tätigkeit nicht gestattet sein soll. Die Ausführungen zeigen deutlich, daß jene bei den Verfahrensrollen sich gerade nicht in einer Person vereinigen lassen. 37 Übernimmt der Richter während einer Verhandlung dennoch die Funktion eines Dolmetschers, dessen Beteiligung gemäß § 185 GVG notwendig gewesen wäre, so fehlt es an einer ordnungsgemäßen Dolmetscherzuziehung im Sinne dieser Vorschrift. Ebenso wie die "Zuziehung" einer "ungeeigneten" Person, steht auch die einer "unzulässigen" Person einer Nichtzuziehung gleich. Da der nach § 185 GVG notwendige Verfahrensbeteiligte folglich nicht anwesend ist, liegt auch in diesem Fall der absolute Revisionsgrund des § 338 NI'. 5 StPO vor.

2. Tätigkeit anderer ProzeßbeteiIigter im engeren Sinne Eine ähnliche Beurteilung muß auch hinsichtlich der anderen Prozeßbeteiligten im engeren Sinne 38 erfolgen. Hierunter fallen zunächst sowohl der Staatsanwalt als auch der Verteidiger. 39 Abgesehen von dem - auch hier greifenden - Argument des Umkehrschlusses aus § 190 GVG, spricht noch ein weiterer Grund dagegen, derart in das Verfahren involvierte Personen zu einer Tätigkeit heranzuziehen, zu der man von vornherein unbedingt eine möglichst neutrale Haltung benötigt. Dabei handelt es sich um die Gefahr, daß das zwangsweise mit der jeweiligen Perspektive jener Prozeßbeteiligten verbundene Interesse Einfluß auf die Art der Übertragung haben könnte. Insofern 33

Vgl. dazu oben 3.Kap.C (S.193).

34 In einem ganz ähnlichen Sinne auch OLG Karlsruhe, Die Justiz 1962,93. 35 Ebenfalls mit § 190 GVG argumentierend OLG Karlsruhe, Die Justiz 1962, 93. 36

Siehe zu diesem Begriff lessnitzer, Dolmetscher, S. 74 sowie oben 3. Kap. B III (S. 157).

37 Dies heißt natürlich nicht, daß es einem Richter grundsätzlich verwehrt ist, als Dolmetscher tätig zu werden. Das Hindernis besteht nur, sofern der Richter in dem jeweiligen Verfahren auch das Richteramt ausübt. Siehe dazu lessnitzer, Dolmetscher, S. 82. 38 So auch lessnitzer, Dolmetscher, S. 82. Zum Begriff siehe lessnitzer, Dolmetscher, S. 74. 39 So im Ergebnis auch LR-Schäjer/Wickern, § 190 GVG Rn 1 (24. Auflage); Meyer-Goßner, § 190 GVG Rn I; Kissel, § 191 GVG Rn 6; KMR, § 190 GVG Rn 2.

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5. Kap.: Die Art der Revisionsgründe

versteht es sich von selbst, daß auch der Angeklagte in der gegen ihn gerichteten Verhandlung keinesfalls die Tätigkeit eines Dolmetschers ausüben kann. Die unzulässige Inanspruchnahme eines Prozeßbeteiligten im engeren Sinn stellt durch die damit gleichzeitig verbundene Unterlassung der erforderlichen Zuziehung einen Verstoß gegen § 185 GVG dar, der den unbedingten Revisionsgrund des § 338 Nr.5 StPO erfüllt. 3. Beteiligung als Zeuge oder Sachverständiger

Kein absoluter Revisionsgrundliegt dagegen allein schon in dem Umstand, daß ein Dolmetscher während seiner Zu ziehung zugleich auch die Funktion eines Prozeßbeteiligten im weiteren Sinne - also eines Zeugen oder Sachverständigen 40 - erfüllt. Jene Beteiligten haben weder eine Aufgabe, die sich mit der Übersetzungstätigkeit aus praktischen Gründen nicht vereinbaren läßt, noch kann man davon ausgehen, daß bei Zeugen oder Sachverständigen per se eine dem Neutralitätserfordernis widersprechende Interessenlage existiert. Eventuelle Zweifel an der Unvoreingenommenheit solcher Personen resultieren aus individuellen Umständen und nicht automatisch aus ihrer Verfahrensstellung. Um auf eine solche Sachlage reagieren zu können, gibt es gemäß § 191 S. 1 GVG i.V. m. §§ 74,24 StPO die Möglichkeit, diese Person wegen Besorgnis der Befangenheit als Dolmetscher abzulehnen. Ein Bedürfnis nach einem grundsätzlichen Ausschluß wie bei den Prozeßbeteiligten im engeren Sinne besteht hier nicht. Ebensowenig ist es erforderlich, die Ablehnung einer solchen Person allein schon auf den Umstand der "zusätzlichen Verfahrensbeteiligung" stützen zu können. Entsprechend dieser Erkenntnis hat es der Gesetzgeber in § 74 Abs. 1 S.2 StPO ausdrücklich bestimmt, daß sich für einen Sachverständigen kein Ablehnungsgrund daraus entnehmen lasse, daß dieser zuvor als Zeuge vernommen worden sei. Gleiches gilt über die Verweisung des § 191 GVG insofern auch für den Dolmetscher. 41 Solange der Dolmetscher also trotz zusätzlicher "Tätigkeit" im Verfahren seiner Übersetzungsaufgabe nachkommt 42 , liegt bei gleichzeitigem Auftreten als Zeuge oder Sachverständiger daher weder ein Verstoß gegen das Zuziehungserfordernis noch gegen die Ausführung der Übersetzungs pflicht vor. 43 Versäumt er es jedoch, jenen Verhandlungsteil ganz oder teilweise zu übertragen, so ist dies - unabhängig Vgl. dazu auch oben 1. Kap. EIV (S.69 ff.). So auch LR-Dahs, Vor §48 StPO Rn 28 (25. Auflage). 42 Vgl. z.B. HK-Temming, § 338 StPO Rn 27, der Dolmetscher müsse sicherstellen, daß der Betroffene über die Verfahrensvorgänge lückenlos ins Bild gesetzt werde. 43 Siehe RGSt 45, 304f.; BGH, NJW 1965,643; BGHR § 338 Nr.5 StPO Dolmetscher 1; BGH 1 StR 631/76 vom 29.11.1977; BGH 4 StR 464/80 vom 09.10.1980. Siehe auch KK-Kukkein, § 338 StPO Rn 80. 40 41

C. Die Ausübung der Dolmetschertätigkeit

237

von seiner zusätzlichen Tätigkeit - revisionsrechtlich wie auch sonst als Verstoß gegen die Übersetzungspflicht zu werten. 44

C. Die Ausübung der Dolmetschertätigkeit Solange - wie oben angeprangert - in der Praxis die ausreichende Qualität der den Gerichten zur Verfügung stehenden Dolmetscher nicht wirklich gewährleistet ist, solange muß auch vermehrt damit gerechnet werden, daß die Ausführung der Dolmetschertätigkeit mit Mängeln belastet ist. 45 Anders als die Frage der Zuziehung ist dieser Aspekt jedoch schon vom Wortlaut her eindeutig nicht von § 338 Nr. 5 StPO erfaßt. Für die revisionsrechtliche Geltendmachung bleibt folglich nur § 337 StPO. 46 Kommt der anwesende Dolmetscher der Übersetzungsaufgabe also nur lükkenhaft nach, sind seine Übertragungen unzureichend oder fehlerhaft, so stellt dies nur einen relativen Revisionsgrund dar. Dieses Ergebnis mag zum Teil überraschend erscheinen: Wird der anwesende Dolmetscher trotz des Vorliegens von Sprachunkundigkeit überhaupt nicht tätig, so hat dies die gleiche Wirkung, wie wenn gar kein Dolmetscher zugegen ist. Es macht für die Beteiligten keinen Unterschied, ob die Übersetzung "mit oder ohne Dolmetscher" nicht stattgefunden hat. In bei den Fällen liegt ein eindeutiger Verstoß gegen § 185 GVG vor. Diese Norm gebietet Zuziehung eines Dolmetschers, wobei mit Zuziehung inhaltlich weitaus mehr als nur die reine Anwesenheit gefordert wird. Gemeint ist damit auch - und dies sogar in erster Linie - die tatsächliche Inanspruchnahme der Übersetzungstätigkeit. Für § 185 GVG spielt es keine Rolle, auf welche Art und Weise die Übertragung unterlassen wurde. Dennoch soll das Untätigbleiben des Dolmetschers nicht ebenso wie seine Abwesenheit über § 338 Nr.5 StPO geltend gemacht werden können? Dies ist insofern unbefriedigend, als es offensichtlich ist, daß das Anwesenheitserfordernis des Dolmetschers nicht nur reiner Selbstzweck ist, sondern, daß dadurch die Einhaltung des § 185 GVG garantiert werden sol/. Andererseits darf eben auch nicht darüber hinweggesehen werden, daß § 338 Nr. 5 StPO seinem Wortlaut nach nicht irgendeinen Verstoß gegen § 185 GVG sanktioniert, sondern nur die Abwesenheit der in dieser Norm genannten Person. Es stellt sich somit die Frage, warum sich der Gesetzgeber in § 338 Nr.5 StPO gerade für das Abwesenheitskriterium entschieden hat, obwohl durch die Norm im Grunde jeweils die Erfüllung von unterschiedlichen Verfahrensfunktionen gewährleistet werden soll. Insoweit könnte es sinnvoller sein, statt nur auf die schlichte Anwesenheit einer Person von vornherein auf die tatsächliche Ausübung ihrer jeweiligen Tätigkeit zu rekurrieren. Siehe dazu direkt unten 5. Kap. C (S. 237 ff.). Es ist jedoch einzugestehen, daß die mangelhafte Ausübung der Übersetzungstätigkeit nicht immer Ergebnis einer schlechten Dolmetscherqualifikation sein muß, sondern auch auf unzureichende, richterliche Anweisungen zurückzuführen sein kann. 46 Siehe z. B. LR-Schäjer/Wickern, § 185 GVG Rn 24 (24. Auflage). 44 45

238

5. Kap.: Die Art der Revisionsgründe

Zur Beantwortung dieser Frage ist ein Blick auf den gesamten Personenkreis, auf den sich § 338 Nr.5 StPO bezieht, aufschlußreich. Dabei ist festzustellen, daß es bei dem Großteil dieser Personen - ganz anders als beim Dolmetscher - nur schwer ausführbar, wenn nicht sogar unmöglich ist, jeweils festzustellen, ob sie ihre Verfahrensfunktion tatsächlich ausüben. Die Tatsache, daß ein Staatsanwalt oder auch ein Verteidiger beispielsweise keine Fragen an eine Beweisperson richten oder daß sie keine zusätzlichen Beweisanträge stellen, bedeutet nicht, daß sie ihrer Aufgabe nicht entsprechend nachkommen. Die mit ihrer Funktion verbundenen Tätigkeiten dokumentieren sich nicht in jedem Moment der Verhandlung nach außen hin. So kann es immer wieder Phasen geben, in denen sie der Verhandlung lediglich aufmerksam folgen, ohne dabei selbst aktiv zu werden. Da sich die Aufgabenerfüllung aufgrund dieses Umstandes oftmals nicht wirklich kontrollieren läßt, erwiese sich ein derartiges Kriterium nicht als praktikabel. Statt dessen hat man sich zu Recht darauf beschränkt, wenigstens die Anwesenheit jener Personen sicherzustellen, um somit zumindest den äußeren Rahmen als Grundvoraussetzung für eine mögliche Funktionserfüllung zu gewährleisten. So wie eben dargestellt, verhält es sich auch bei den meisten anderen, durch § 338 Nr.5 StPO betroffenen Personen. 47 Eine ganz andere Situation liegt jedoch - wie bereits angedeutet - beim Dolmetscher vor. Bei ihm ist es stets nach außen deutlich, ob er seiner Aufgabe aktiv nachkommt oder nicht. Somit besteht bei ihm nicht die Notwendigkeit, sich auf das Anwesenheitskriterium zu beschränken. Statt dessen wäre es hier durchaus möglich, das eigentlich angestrebte Ziel der Funktionsgewährleistung durch das Kriterium des Tätigwerdens zu kontrollieren. Dennoch hat sich der Gesetzgeber dafür entschieden, dem Dolmetscher hier keine gesonderte Regelung zukommen zu lassen. Will man speziell für seine Tätigkeit trotzdem zu einer anderen Bewertung gelangen, so wäre dies nur im Rahmen einer Auslegung der vom Gesetzgeber in § 338 Nr.5 StPO gemachten Vorgabe möglich. Dies erforderte jedoch, das "Nichtausüben der Übersetzungstätigkeit" unter den Begriff der Abwesenheit des § 338 Nr.5 StPO subsumieren zu können. Es ist zwar einzuräumen, daß nach allgemeiner Auffassung "Abwesenheit" bei dieser Norm nicht nur in einem physischen Sinne zu verstehen ist, sondern daß durchaus auch eine körperlich anwesende, aber verhandlungsunfähige Person als "abwesend" gilt 48 ; jedoch stellte es eine völlige Überdehnung des Wortlautes dar, diesen Begriff darüber hinaus noch mit dem Aspekt des Untätigbleibens anreichern zu wollen. Eine 47 Die Person des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle nimmt hier eine Art Zwischenstellung ein. Ihre Tätigkeit tritt in der Regel auch während der Verhandlung schon deutlich zutage, da sich der Akt des Protokollierens äußerlich verfolgen läßt. Andererseits bleibt es dem Urkundsbeamten - außer bei der wörtlichen Protokollierung - freigestellt, auf welche Art er sich in der Verhandlung Notizen macht, um sein Protokoll später anfertigen zu können. Die Tatsache, daß jemand während der Verhandlung nur spärliche Notizen anfertigt, kann folglich nicht damit gleichgesetzt werden, daß von ihm später ein unvollständiges Protokoll abliefert werden wird. 48 Siehe z. B. LR-Hanack, § 338 StPO Rn 83 (25. Auflage).

C. Die Ausübung der Dolmetschertätigkeit

239

solche Verbindung läßt sich nicht konstruieren, selbst bei großzügiger Betrachtungsweise kann hier keinerlei Sinnzusammenhang hergestellt werden. Hielte man eine andere Behandlung des Dolmetschers bezüglich des absoluten Revisionsgrundes für sinnvoll, so müßte § 338 Nr.5 StPO insoweit eine neue Formulierung erfahren. Es ist ferner anzumerken, daß die bestehende Regelung auch hinsichtlich der Dolmetscherfunktion durchaus ihre Vorteile hat. Durch das Kriterium der Anwesenheit ist es möglich, das Vorliegen des absoluten Revisionsgrundes in der Regel ohne größere Probleme im tatsächlichen Bereich festzustellen. Der Beweis der An- bzw. Abwesenheit des Dolmetschers erfordert zumeist keine komplizierten Bewertungsvorgänge. 49 Zöge man jedoch das eher unbestimmte Kriterium der Funktionserfüllung heran, so könnte das in manchen Konstellationen zu Abgrenzungsschwierigkeiten führen. Die Funktionserfüllung des Dolmetschers nämlich nur als schlichte Aktivität werten zu wollen, würde der Sachlage nicht gerecht. Niemand dürfte bereit sein, in einer völlig fehlerhaften und damit ungeeigneten Übertragung eine Erfüllung der durch § 185 GVG gebotenen Übersetzungspflicht zu erblicken. Setzte man eine solch gänzlich unbrauchbare Übertragung aber wiederum mit der Nichtvornahme der Übersetzung gleich - was in tatsächlicher Hinsicht durchaus vernünftig ist, da beide Situationen die gleiche Wirkung entfalten - so führte dies jedoch regelmäßig zu der Frage, ob der Grad der Fehlerhaftigkeit die Übertragung bereits zur "Nichtübertragung" degradiert oder ob es sich dabei nur um eine "schlechte Translation" handelt. Es wäre nicht vorteilhaft, wenn die inhaltlich komplizierte und vor allem in tatsächlicher Hinsicht mit enormen Beweisschwierigkeiten verbundene Frage der "Nicht- oder Schlechterfüllung" zugleich zur Abgrenzung zwischen absolutem und relativem Revisionsgrund diente. Insofern ist es durchaus sinnvoll, das Vorliegen des absoluten Revisionsgrundes an ein in der Regel eindeutiges und damit praktikables Kriterium - wie das vom Gesetzgeber gewählte Kriterium der Anwesenheit - zu knüpfen.

Mängel in der Ausübung der Dolmetschertätigkeit - seien es inhaltliche Fehler oder ein unzureichender Übersetzungsumfang - sind daher stets als relativer Revisionsgrund nach § 337 StPO geltend zu machen. Dies ist beispielsweise auch dann der Fall, wenn ein anwesender Dolmetscher wichtige Teile der Verhandlung nicht übersetzt hat. 50 Ein derartiger Verstoß wird jedoch - obwohl er "nur" über § 337 StPO rügbar ist - die Revision regelmäßig begründen müssen, da bei der Nichtübersetzung wichtiger Verhandlungsteile grundsätzlich nie auszuschließen ist, daß das Urteil auf diesem Fehler beruht.

49 Abgesehen von dem Fall der Heranziehung einer ungeeigneten Person als Dolmetscher; vgl. dazu oben 5. Kap. B III (S. 233 ff.). 50 Vgl. LR-Schäfer/Wickern, § J 85 GVG Rn 24 (24. Auflage).

240

5. Kap.: Die Art der Revisionsgründe

D. Die Vereidigung I. Art des Revisionsgrundes Wie die obigen Ausführungen 51 bereits gezeigt haben, ist es unbestrittene Tatsache, daß ein Verstoß gegen die in § 189 GVG niedergelegte Vereidigungspflicht die Revision grundsätzlich begründen kann. Man ist sich darüber einig, daß ein solcher Verstoß keinen absoluten Revisionsgrund darstellt, sondern nur im Rahmen des § 337 StPO rügbar ist. 52 Die Vorschrift des § 338 Nr. 5 StPO scheint sich für den Aspekt der Vereidigung nämlich von vornherein zu verschließen, denn diese Norm stellt offenbar - wie in der Literatur ausdrücklich betont wird - nur auf die Anwesenheit der notwendig zu beteiligenden Person ab. 53 Ganz abwegig ist eine Verbindung des absoluten Revisionsgrundes mit dem Vereidigungsaspekt jedoch nicht. 54 So läßt sich beispielsweise überlegen, ob in der Vereidigung nicht eine Eigenschaft des Dolmetschers gesehen werden könnte, die dieser besitzen muß, um als anwesend im Sinne von § 338 Nr. 5 StPO zu gelten. Ähnlich wie eine für die konkrete Übersetzungsaufgabe unfähige Person 55 könnte auch der unvereidigte Sprachmittler kein Dolmetscher im Sinne von § 185 GVG sein. Um hierauf eine Antwort zu finden, bietet § 185 GVG jedoch keine explizite Hilfestellung. Sein Wortlaut gibt nicht an, welche Voraussetzungen der Sprachmittler mit sich bringen muß, um Dolmetscher im Sinne des Gesetzes zu sein. Fraglich ist daher, ob es Umstände gibt, durch die sich die Vereidigung zur unabdingbaren Voraussetzung für eine gerichtliche Dolmetschertätigkeit qualifizieren läßt. Festzuhalten ist zunächst, daß ein Eid, anders als die grundsätzliche Fähigkeit zur Übersetzung, kein notwendiges Erfordernis ist, um die Übersetzungsaufgabe an sich bewältigen zu können. Jedoch könnte die "persönliche Verpflichtung" als Grundvoraussetzung dafür gelten, um überhaupt in der Rolle eines Verfahrensbeteiligten agieren zu dürfen. Eine dahingehende Überlegung ist nicht fernliegend, gibt es doch im Bereich der von § 338 Nr.5 StPO erfaßten Personen gerade auch solche, bei denen eine besondere Verpflichtungserklärung von vornherein immer vorhanden ist. So ist es beispielsweise für die Richter und Schöffen erforderlich, daß sie gemäß § 38 Abs. 1 bzw. § 45 Abs. 3 DRiG einen Eid geleistet haben. Für jene Personen stellt die von ihnen ausgesprochene Verpflichtung damit eine Voraussetzung dar, um überhaupt als Verfahrensbeteiligter in ihrer besonderen Rolle agieren zu können. Siehe 4. Kap. E (S. 224 f.) . Siehe beispielsweise Katholnigg, § 189 GVG Rn 5; Kissel, § 189 GVG Rn 7; LR-Schäjer/Wickern, § 189 GVG Rn 10 (24. Auflage). 53 Siehe Katholnigg, § 189 GVG Rn 5. 54 So scheint z. B. auch das BAG in dem Verstoß gegen § 189 GVG einen absoluten Revisionsgrund gesehen zu haben, da es die Aufhebung in diesem Fall als zwingend bezeichnete. Siehe BAG AP § 550 ZPO Nr. 10. 55 Siehe 5. Kap. B III (S. 233 f.). 51

52

D. Die Vereidigung

241

Beim Dolmetscher handelt es sich dagegen nicht um einen solchen Verfahrensbeteiligten. Er ist kein Organ der Rechtspflege, das von vornherein - ganz unabhängig von einer konkreten Verhandlung - eine Verpflichtungserklärung abgegeben haben muß. Er ist vielmehr eine "unbeteiligte" Privatperson, die aufgrund ihrer besonderen Fähigkeiten nur tempgrär zum Verfahrensbeteiligten gemacht wird. Hier ist die jeweilige Vereidigung bzw. ein Bezug auf einen allgemein geleisteten Eid notwendig, um das seiner Verfahrensfunktion entsprechende Bewußtsein einer Verpflichtung sowohl sicherzustellen, als auch nach außen hin zu dokumentieren. Dennoch, auch wenn der Eid des Dolmetschers keine generelle Voraussetzung zur Verhandlungsteilnahme darstellt, muß das nicht grundsätzlich ausschließen, in der Eidesleistung des Dolmetschers nicht doch eine persönliche Legitimation für die konkrete Verfahrensbeteiligung sehen zu können. Andererseits hat der Gesetzgeber - der das Vereidigungsbedürfnis wohl erkannt hat, sonst hätte er die Vereidigungspflicht nicht einer ausdrücklichen Regelung unterzogen - diesen Aspekt gerade nicht in die Nonn integriert, aus der sich die Anwesenheitsptlicht des Dolmetschers ergibt bzw. die Nonn, die die revisionsrechtliche Folge eines derartigen Verstoßes benennt. Es lautet weder die Vorschrift des § 185 GVG dahingehend, daß ein bereits vereidigter oder ein sofort zu vereidigender Dolmetscher zuzuziehen sei, noch läßt es sich § 338 Nr. 5 StPO entnehmen, daß es die Anwesenheit eines vereidigten Dolmetschers erfordere. Vielmehr postuliert der Gesetzgeber die Vereidigungspflicht - wenn auch explizit, so aber dennoch - in einer separaten Nonn. Daher ist davon auszugehen, daß die Eidesleistung gerade keine Voraussetzung sein soll, um die Rolle eines Dolmetschers im Verfahren einnehmen zu können 56 , sondern daß es sich hierbei schlicht um eine vom Dolmetscher zu erfüllende Pflicht handelt. Ein Verstoß gegen diese Verpflichtung läßt sich folglich nicht mit dem Revisionsgrund des § 338 Nr. 5 StPO in Verbindung bringen. Zu Recht wird daher davon ausgegangen, daß es sich bei der Verletzung des § 189 GVG um einen relativen Revisionsgrund im Sinne von § 337 StPO handelt. 57

11. Das Beruhen Als nur bedingter Revisionsgrund ist die Verletzung des Vereidigungsgebotes - wie alle von § 337 StPO erfaßten Gesetzesverstöße - in ihrer revisionsrechtlichen Durchsetzbarkeit ausdrücklich an das Beruhen des Urteils auf dem Gesetzesverstoß gekoppelt. Dementsprechend hat sich bislang eine Vielzahl von höchstrichterlichen Entscheidungen in teils recht unterschiedlichen Fallgestaltungen damit befassen 56 Dennoch ist zu bemerken, daß eine Person, die unfahig ist, einen Eid zu leisten, von vornherein nicht für die Verrichtung der Dolmetschertätigkeit geeignet ist, da die Verpflichtung zur Eidesleistung zwangsweise immer mit der Dolmetscheraufgabe verbunden ist. 57 Siehe beispielsweise BGH, NStZ 1982,517; BGHR § 189 GVG Beeidigung 1; BGHR § 189 GVG Beeidigung 3.

16 Lankisch

242

5. Kap.: Die Art der Revisionsgründe

müssen, inwieweit bei einzelnen im Zusammenhang mit der Vereidigung festgestellten Fehlern ein Beruhen jeweils zu bejahen oder zu verneinen war.

1. Regel-Ausnahme-Verhältnis Obwohl die Beruhensfrage dabei stets mit einer dem Einzelfall unterworfenen Entscheidung verbunden ist, ging man sowohl in der Rechtsprechung 5R als auch in der Literatur 59 lange Zeit von dem Grundsatz aus, daß das Urteil in der Regel auf der nicht vorschriftsmäßigen Vereidigung beruhe. Diese generelle Annahme galt sowohl für Fälle der Vereidigung nach § 189 Abs. 1 als auch für solche des Abs. 2 GVG, der Berufung auf die allgemeine Vereidigung. Nur ausnahmsweise sollte bei Vereidigungsfehlern ein Beruhen ausgeschlossen sein: So beispielsweise dann, wenn die Übersetzungstätigkeit des Dolmetschers sich allein auf die Verkündung des Urteils bezog 60 , wenn der Dolmetscher im Verfahren einen Nacheid leistete 61 oder wenn die Übertragung für den (Mit)-Angeklagten leicht kontrollierbar war 62 • Andere "Ausnahmesituationen" bejahte man für den Fall, daß die Übersetzung in eine gängige Fremdsprache erfolgte, wenn dies zugleich mit einem einfach gelagerten Geschehen verbunden war 63 , aber auch im Falle des fehlenden Vortrags, daß sich der Vereidigungsmangel auf das Urteil ausgewirkt habe 64 oder daß der Dolmetscher gar nicht tätig wurde 65 und nicht zuletzt vor allem in solchen Fällen, in denen man davon ausging, daß der Dolmetscher das Bewußtsein einer Vereidigung besaß 66 • Inwieweit jede dieser "Ausnahme-Entscheidungen jedoch überzeugend ist, muß im folgenden untersucht werden. Ferner ist es erforderlich, allgemein einen Blick auf das bislang anerkannte Regel-Ausnahme-Verhältnis zu werfen. Die in der Rechtsprechung festzustellende Tendenz einer - vor allem im Zusammenhang mit allgemein vereidigten Dolmetschern - immer häufiger werdenden Verneinung der Beruhensfrage deutet nämlich darauf hin, daß der bislang angewendete Grundsatz, bei dem in Fällen von Vereidigungsmängeln regelmäßig von einem 58

Siehe beispielsweise OLG Düsseldorf, StV 1998,480; HansOLG Hamburg, StV 1983,

410-411; OLG Saarbrücken, NJW 1975, 65 (66); BGH 1 StR 300/74 vom 27.08.1974, S. 5. Vgl. auch BGHR § 189 GVG Beeidigung 3. 59 Siehe Kissel, § 189 GVG Rn 7; Meyer-Goßner, § 189 GVG Rn 3; ähnlich auch LR-Schäfer/Wickern, § 189 GVG Rn 10 (24. Auflage).

Siehe BGH I StR 300/74 vom 27.08.74, S. 5(6. Siehe BGH, HRR 1939, Nr. 1117; OLG Saarbrücken, NJW 1975, 65 (66). 62 Siehe BGHR § 189 GVG Beeidigung 3. 63 Siehe BGHR § 189 GVG Beeidigung 2. 64 Siehe BGH, NStZ 1996, 608. 65 Siehe BGH, StV 1993, 396 (397). 66 Siehe BGHR § 189 GVG Abs.2 Vereidigung 1; vgl. auch BGH bei Miebach, NStZ 1986, 206 (211); BGH, NStZ 1984,328. 60 61

D. Die Vereidigung

243

Beruhen ausgegangen wurde, keine durchgängige Akzeptanz mehr findet. Unterstrichen wird diese Beobachtung durch den Umstand, daß der BGH diesen Grundsatz in bezug auf den allgemein vereidigten Dolmetscher bereits in einer Entscheidung - wenn auch nicht ausdrücklich verworfen, so doch zumindest - explizit in Frage gestellt hat. 67 Es gilt daher auch zu untersuchen, inwieweit jene "Regel" noch ihre Berechtigung hat bzw. sie jemals hatte.

2. Hintergrund des Regel-Ausnahme-Verhältnisses Es ist festzuhalten, daß vor allem der Umkehrschluß aus der mit der Vereidigung intendierten Gewährleistung möglichst sorgfältiger Übertragung für eine Anwendbarkeit des fraglichen Grundsatzes spricht. Und zwar deshalb, weil hinter dieser Intention die grundsätzliche Vermutung steht, daß zwischen Eidesleistung und Art der Aufgabenerfüllung eine bestimmte Korrelation existiert. Diese Vermutung basiert auf der dem Eid allgemein zugeschriebenen Eigenschaft, eine besondere Gewähr für die Richtigkeit bzw. die sorgfaltige Ausübung der beeideten Tätigkeit bieten zu können. Solange man dem Instrumentarium des Eides ganz allgemein diese Fähigkeit nicht abspricht, solange zeigt dies auch für die Vereidigung des Dolmetschers und den zur Diskussion stehenden Grundsatz seine Wirkung: Wenn der Eid einerseits weitgehend sicherstellt, daß die Dolmetscheraufgabe wirklich treu und gewissenhaft verrichtet wird 68 , so birgt sein Fehlen umgekehrt stets die potentielle Gefahr in sich, daß eine unbeeidete Übertragung nicht an diesem Maßstab orientiert ist und daher möglicherweise Ungenauigkeiten aufweist. Hieraus bezieht der fragliche Grundsatz seine Rechtfertigung; es kann regelmäßig nie mit Sicherheit ausgeschlossen werden - sofern es sich nicht ausnahmsweise durch besondere Anhaltspunkte widerlegen läßt -, daß die unbeeidete Übertragung sich nicht auf irgendeine Weise auf das Urteil ausgewirkt hat.

3. Ansatzpunkte für eine Durchbrechung des Grundsatzes Will man diesen Grundsatz in Frage stellen, so läßt sich das nur erreichen, indem man beweist, daß das Vorhandensein der "widerlegenden" Umstände keine Ausnahmesituation ist, sondern diese ihrerseits - wenn auch vielleicht nur in bestimmten Fallgestaltungen - mit einer gewissen Regelmäßigkeit auftreten. Dafür ist es erforderlich, einen genauen Blick auf die von der Rechtsprechung praktizierten Ausnahmen zu werfen. So vielfältig die entschiedenen Konstellationen sind, so unterschiedlich sind zumeist auch die jeweiligen Begründungen. Daß jede Entscheidung 67 SieheBGHR § 189 GVG Beeidigung 3. Das entsprechende Zitat siehe unten 5.Kap.DII3 c (S.255). 68 Siehe zur Funktion des Eides oben 4. Kap. A (S. 202 f.).

16*

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5. Kap. : Die Art der Revisionsgründe

dabei eine fallspezifische Argumentation aufweist, ist nicht weiter überraschend, da es sich beim Beruhen letztlich immer um eine individuell zu entscheidende Frage handelt. Dennoch schließt das nicht aus, das weite Feld der Einzelfallkasuistik einer übergreifenden Betrachtung zu unterziehen. Ausgangspunkt muß dabei die Frage sein, ob sich die Kriterien, anhand derer das Beruhen auszuschließen ist, einer gewissen Systematisierung zuführen lassen. Dabei fällt auf, daß die in den Entscheidungen genannten Gründe für den Ausschluß des Beruhens unterschiedliche Ansatzpunkte besitzen. Um diese verdeutlichen zu können, sei nochmals kurz dargestellt, welche grundsätzliche Vorstellung von der Auswirkung eines Vereidigungsmangels auf ein Urteil existiert. Wie bereits angedeutet, ist es nämlich nicht die mangelhafte Vereidigung an sich, die das Urteil beeintlußt, sondern der Ausfall dessen, was mit der Vereidigung beabsichtigt wird. Der im Norrnalfall angenommene Kausalnexus präsentiert sich demnach wie folgt: Durch den fehlenden Eid wird dem Dolmetscher nicht (erneut) ins Bewußtsein gerufen, wie wichtig sein Beitrag für das Verfahren ist. Gleichzeitig fehlt die aktuelle Erinnerung daran, daß der Dolmetscher bei unsachgemäßer Verrichtung seiner Aufgabe mit den strafrechtlichen Folgen eines Meineides rechnen muß. Hat er diese möglichen Konsequenzen nicht vor Augen, so verringert sich der Druck, durch den er zur sorgfältigen Aufgabenerfüllung veranlasst werden soll. Der Mechanismus, der die Fehler- oder Mangelhaftigkeit der Übertragungen weitestgehend eindämmen soll, kommt somit nicht zum Tragen. Aufgrund dieser Situation kann es zu Fehlern in der Übersetzung kommen. Bei der Existenz möglicher Übertragungsfehler ist jedoch regelmäßig nicht auszuschließen, daß diese Fehler eine Auswirkung auf das Urteil gehabt haben. Ergibt sich das grundsätzliche Beruhen des Urteils beim Vereidigungsmangel also aus der dargestellten Wirkungsabfolge, so muß sich der Ausschluß des Beruhens folglich immer darauf zurückführen lassen, daß diese Kette unterbrochen wurde. Da es sich hierbei um eine "mehrgliedrige" Kette handelt, bietet diese zwangsläufig die Möglichkeit, an mehr als nur einer Stelle unterbrochen zu werden. In diesem Punkt unterscheiden sich die von der Rechtsprechung behandelten Ausnahmefälle zum Teil voneinander. Strukturell betrachtet, lassen sich die Entscheidungen daher in zwei Gruppen mit jeweils unterschiedlichen Ansatzpunkten für die Unterbrechung der Kausalkette einteilen: So gibt es eine Gruppe, bei der die Unterbrechung zu einem recht späten Zeitpunkt innerhalb der angenommenen Wirkungsweise erfolgt und eher objektiver Art ist 69 sowie eine zweite Gruppe, bei der Kausalnexus bereits ganz am Anfang, also in dem Bereich, wo sich der vorgestellte Wirkungsablauf noch auf einer subjektiven Ebene bewegt, verneint wird 70 • 69 70

Siehe direkt unten 5. Kap. 0 II 3 a (S . 245 ff.). Siehe unten unter 5. Kap. 0 II 3 c (S. 254 ff.).

D. Die Vereidigung

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a) Erste Gruppe Bei der ersten, "objektiven" Gruppe ist es zunächst unbestrittene Folge der fehlenden Vereidigung, daß der Dolmetscher kein - einer ordnungsgemäßen Vereidigung entsprechendes - Bewußtsein besitzt. Verneint wird in diesen Fällen jedoch, daß die daraus resultierende Gefahr von Übersetzungsfehlern sich im weiteren Verlauf auf das Urteil ausgewirkt hat. Dies kann wiederum auf zweierlei Weise erfolgen: Erstens, indem feststeht, daß ein etwaiger Übersetzungsfehler gar nicht aufgetreten ist. 71 Oder zweitens, wenn eindeutig klar ist, daß trotz des Vorliegens eines möglichen Übersetzungsfehlers kein Zusammenhang zwischen Fehler und Urteil bestehen kann. 72 aa) Beruhensausschluß aufgrund fehlerfreier Übertragungen 73 Grundsätzlich kann es Fälle, in denen feststeht, daß das mangelnde Bewußtsein sich nicht negativ auf die Qualität der Übertragung ausgewirkt hat - diese also trotzdem "richtig" war - auch dann geben, wenn von vornherein klar ist, daß der gesetzlich vorgesehene "Schutzmechanismus" seine Wirkung gar nicht entfalten konnte. Fraglich ist allerdings, unter welchen Voraussetzungen von der "Richtigkeit" der Translation ausgegangen werden kann. (1) Hierzu sind eindeutig die Situationen zu zählen, bei denen sich die "Mängelfreiheit" bereits während der Verhandlung für alle Beteiligten sichtbar ergibt.

Das ist vor allem dann anzunehmen, wenn der Dolmetscher noch innerhalb der Verhandlung einen Nacheid leistet. Auch wenn der Nacheid nicht in der Lage ist, der eigentlichen Funktion des Dolmetschereides gerecht zu werden 74 , so vermag sein Vorliegen doch zumindest auszuschließen, daß das Urteil auf dem fehlenden Voreid beruht. Der Nacheid des Dolmetschers ersetzt also nicht - wie eine teils anzutreffende Formulierung dies suggerieren könnte 7S - die ordnungsgemäße Vereidigung, sonSiehe hierzu direkt unten 5. Kap. Oll 3 aaa (S. 245 ff.). Siehe hierzu unten 5.Kap.DII3a bb (S.252 ff.). 73 Es ist allerdings darauf aufmerksam zu machen, daß die Bezeichnungen "Fehlerfreiheit" oder "Richtigkeit der Übertragung" in diesem Zusammenhang nicht einwandfrei sind. Im Hinblick auf die im ersten Teil der Arbeit gezeigten, dem Dolmetschen stets immanenten Gefahren ist es - ohne den Einsatz mehrerer sich gegenseitig kontrollierender Übersetzer - fast unmöglich, solch mündliche Translationen in einer Gerichtsverhandlung jemals wirklich sicher als fehlerfrei bezeichnen zu können. Wird hier also davon gesprochen, daß die "Richtigkeit" einer Übertragung feststehe, so ist damit nur gemeint, daß die Übersetzung zumindest frei von solchen Fehlern ist, die sich durch die treue und gewissenhafte Verrichtung der Dolmetscheraufgabe verhindern lassen. "Fehlerfrei" bezieht sich demnach auf den Ausschluß von vorsätzlich und leichtfertig verursachten Fehlern. 74 Siehe hierzu oben 4. Kap. AI 2 (S. 203 ff.). 75 Vgl. dazu Kissel, § 189 GVG Rn 3, wonach in der Praxis der Nacheid akzeptiert werde. 71

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5. Kap.: Die Art der Revisionsgründe

dem stellt, indem er deutlich macht, daß die Qualität der Übertragung vom Vereidigungsmangel nicht beeinflußt worden ist, lediglich ein Mittel dar, um das Beruhen des Urteils auf dem unstreitig vorliegenden Verfahrensfehler auszuschließen. 76 Ohne Bedeutung ist es dabei, ob die nachträgliche Versicherung in Form eines direkten Eides oder durch die Berufung auf einen allgemeinen Eid erfolgt. Wichtig ist jeweils nur, daß mit jener Handlung die Richtigkeit der zurückliegenden Übertragungen bestätigt werden soll. Der Nacheid muß sich also immerfinal auf eine Verneinung möglicher Folgen des begangenen Verfahrensfehlers beziehen. Erfüllen der Eid bzw. die ihn ersetzende Berufung dieses dem Nacheid inhärente Finalitätserfordernis jedoch nicht, so können sie auch nicht die für den Beruhensausschluß notwendige Wirkung entfalten. Anderer Ansicht ist insoweit der BGH. In einer Entscheidung, in der ein zunächst unvereidigt gebliebener Dolmetscher während einer späteren Vernehmung als Sachverständiger zu seiner Person angab, "beeidigter" Dolmetscher zu sein, führte der BGH aus: "Diese Erklärung wirkt ohne weiteres für seine darauffolgende Dolmetschertätigkeit als Versicherung nach § 189 Abs. 2 GVG, sie wirkt aber auch zurück."77

Während dem ersten Teil dieser Aussage noch zugestimmt werden kann, muß der Rückwirkungsthese jedoch widersprochen werden. Eine derartige Auslegung läßt die vom Dolmetscher gemachte Äußerung nicht zu. Auch wenn es grundsätzlich für ausreichend erachtet wird, daß ein Dolmetscher für die Berufung gemäß § 189 Abs.2 GVG lediglich auf seine allgemeine Vereidigung hinweisen darf78 , so kann ein solcher Hinweis regelmäßig aber nur die Wirkung entfalten, die auch die explizite Berufung auf den Eid mit sich bringen würde. Da für den Dolmetscher - sowohl nach § 189 Abs. 1 als auch Abs . 2 GVG - die Form des Voreides obligat ist, erstreckt sich die Wirkung des Eides im Normalfall nur auf künftige Übertragungen. Soll dagegen eine Rückwirkung erzielt werden, so muß dies entweder ausdrücklich kenntlich gemacht werden oder sich zumindest zweifelsfrei aus dem Kontext ergeben. Letzteres darf z. B. dann angenommen werden, wenn der Hinweis auf die allgemeine Vereidigung direkt nach dem endgültigen Abschluß der Übertragungen erfolgt und sich somit mangels einer späteren Tätigkeit nur auf die vorhergehenden Übersetzungen beziehen kann. Dem schlichten Hinweis auf die allgemeine Vereidigung in einem Verfahrensstadium, in dem die Dolmetschertätigkeit noch nicht abgeschlossen ist, kann ohne eine ausdrückliche Bezugnahme jedoch keinesfalls der Charakter eines rückwirkenden Nacheides zugesprochen werden. 79 76 In diesem Sinne Meyer-Goßner, § 189 GVG Rn 3; siehe auch RG, HRR 1939, Nr. 1117; OLG Saarbrücken, NJW 1975,65 (66). Vgl. dazu in Teilen auchBGHR § 189 Abs.2 GVG Vereidigung I. 77 BGHR § 189 Abs.2 GVG Vereidigung I. 7ft Siehe dazu oben 4. Kap. C II (S. 219 ff.). 79 Im Ergebnis so auch HansOLG Hamburg, StV 1983,410.

D. Die Vereidigung

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Soweit der BGH in dieser Entscheidung den Beruhensausschluß also auf eine "Nacheid"-Argumentation stützt, muß dies kritisiert werden. 80 Handelt es sich dagegen um Fälle mit echten Nacheiden, ist der von der Rechtsprechung praktizierten Ausnahme zur Beruhensfrage uneingeschränkt zuzustimmen. Als finale Handlung zur "Schadensbegrenzung" eines begangenen Vereidigungsfehlers ist der Nacheid ein geeignetes Mittel, die Richtigkeit der Übertragung zu bestätigen und das Beruhen des Urteils auf diesem Fehler auszuschließen. 81 (2) Zweifelhaft ist dagegen, ob der Rechtsprechung auch hinsichtlich der anderen Entscheidungen gefolgt werden kann, bei denen der Beruhensausschluß ebenfalls unter dem Gesichtspunkt "Richtigkeit der Übertragung" stattfindet. KO Hinsichtlich der anderen in dieser Entscheidung enthaltenen Argumentation siehe unten 5. Kap. 0 II 3 c (S. 254 ff.). 81 Diese zuletzt genannte Umschreibung provoziert regelrecht die Frage, ob sich hinter dem Nacheid des Dolmetschers nicht das verbirgt, was man gemeinhin unter "Heilung von Verfahrensfehlern" versteht. Obwohl weder Rechtsprechung noch Literatur den Heilungsbegriff in diesem Zusammenhang verwenden, ist ein solcher Gedanke nicht femliegend. So werden in diesem Sinn doch gerade auch die Fälle eingestuft, bei denen es um die Nachholung einer unterbliebenen Zeugenvereidigung geht (siehe z. B. LR-Hanack, § 337 StPO Rn 262, Fn 616 [25. Auflage]). In der Tat lassen sich eine ganze Reihe von Parallelen zwischen den soeben festgestellten Wirkungen eines Nacheides beim Dolmetscher und den Charakteristika einer "Heilung" beobachten. Zunächst ist ihnen beiden gemein, daß es sich dabei jeweils um einen das Beruhen des Urteils auf der Gesetzesverletzung ausschließenden Sachverhalt handelt. (Im Hinblick auf die Heilung insofern Herdegen, NStZ 1990,513 [519].) Ebenso übereinstimmend ist, daß dadurch der Verfahrensfehler nicht ungeschehen gemacht, sondern lediglich eine "Immunisierung" des Verfahrens gegen die Folgen der Gesetzesverletzung erreicht wird. (Siehe für die Heilung wiederum Herdegen a. a. 0., der sich in bezug auf die "Immunisierung" bei Rogall, NStZ 1988,385 [387] anlehnt.) Außerdem ist die Unterbrechung der durch den Fehler in Gang gesetzten Kausalkette weder beim nachträglichen Eid eines Dolmetschers, noch bei der Heilung ein nur zufalliges Ergebnis. Beide sind auf diese Unterbrechung jeweils final ausgerichtet. ("Heilung als finaler Akt" so Herdegen a. a. 0.) All diese Übereinstimmungen legen es zunächst nahe, auch dem Nacheid einen "heilenden" Charakter zuzusprechen. Ob dies allein jedoch ausreichend ist, um ihn letztendlich auch wirklich unter den Begriff der Heilung subsumieren zu können, ist fraglich. Zur Bestimmung dessen, was Rechtsprechung und Literatur als Heilung betrachten, gehören nämlich nicht nur die eben genannten Merkmale. Gleichfalls von Bedeutung ist, durch welche Maßnahme sie erfolgt. Nach allgemeiner Ansicht gibt es hierbei drei mögliche Arten: "Die Heilung erfolgt bei fehlerhaft unterlassener Verfahrenshandlung durch Nachholung, bei fehlerhaft durchgeführtem Verfahrensvorgang durch Wiederholung in einwandfreier Form und bei gesetzeswidrigen Entscheidungen durch deren Rücknahme." (LR-Hanack, § 337 StPO Rn 262 [25. Auflage]) Der Nacheid des Dolmetschers ließe sich demnach nur dann als Mittel der Heilung qualifizieren, wenn in ihm eine "Nachholung" des versäumten Voreides gesehen werden könnte. Aber genau dies ist nicht möglich. Zwar läßt sich der Umstand der Vereidigung nachholen, ein Voreid kann jedoch - wie es sich schon rein begrifflich andeutet - nicht " nachgeholt" werden, weil all die mit der Vorzeitigkeit verbundenen Wirkungen (siehe oben 4. Kap. AI [So 203 ff.]) hinterher nicht mehr zu erzielen sind. (Die oben zitierte Nachholung einer Zeugenvereidigung ist in dieser Hinsicht dagegen völlig problemlos, handelt es sich dabei sowieso schon um einen nachträglich zu erbringenden Eid.) Auch wenn der Nacheid des Dolmetschers eine Reihe von Parallelen zur sog. Heilung aufweist, so läßt er sich im Ergebnis also dennoch nicht als eine solche bezeichnen.

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5. Kap.: Die Art der Revisionsgründe

(a) BGHR § 189 GVG Beeidigung 3 Zu untersuchen gilt es dabei jene - schon erwähnte - Entscheidung, bei der die Übertragung für den (Mit)-Angeklagten sowie einen weiteren Dolmetscher kontrollierbar gewesen sein soll. Gerade dieser Fall unterscheidet sich ganz erheblich von der oben beschriebenen Ausnahme. Anders als beim Nacheid ergibt sich die "Mängelfreiheit" der Übertragung dabei nicht aus einer Bestätigung des betroffenen Dolmetschers, sondern lediglich anhand von" Vermutungen": So wäre - gemäß der Argumentation des BGH - jede der Dolmetscherinnen "schon deshalb zu treuer und gewissenhafter Übertragung veranlaßt, weil die Richtigkeit ihrer Übersetzung ... jeweils nicht nur von der anderen ... Dolmetscherin, sondern auch vom (Mit)-Angeklagten ... leicht kontrollierbar" gewesen sei; Beanstandungen seien jeweils nicht erhoben worden. 82 (aa) Eine derartige Begründung mutet seltsam an. Die Richtigkeit der Übersetzung wird hier nicht aus einer positiv feststehenden Tatsache hergeleitet, sondern aus dem Nichtvorhandensein von "Beanstandungen". Der BGH folgert aus dem Umstand, daß es Verfahrens beteiligte mit der sprachlichen Fähigkeit zu einer Übersetzungskontrolle gab, daß die Nichtbeanstandung zugleich auch die Richtigkeit der Übersetzungen bedeute. Die Argumentation ist jedoch aus mehreren Gesichtspunkten nicht schlüssig: Im Schweigen jener "kundigen" Personen ließe sich nur dann die Bestätigung einer fehlerfreien Übertragung erblicken, wenn diese Personen dazu beauftragt oder zumindest dazu angehalten wären, die Tätigkeit des übertragenden Dolmetschers auch zu überwachen. Eine derartige Verpflichtung existiert im Normalfall jedoch weder für Mitangeklagte noch für einen anderen Dolmetscher. Wird in einem Verfahren mehr als nur ein Dolmetscher für die gleiche Sprache zugezogen, so geschieht dies nach heutiger Praxis nur deshalb, weil man die erforderliche Übersetzungstätigkeit im Verfahren für eine Person als zu umfangreich erachtet. Es wäre in diesen Fällen schon aus tatsächlichen Gründen unzumutbar, dem zusätzlichen Dolmetscher auch noch die Kontrolle der restlichen Übertragungen aufzuerlegen, denn es ließe sich keineswegs sicherstellen, daß der jeweils andere Dolmetscher jeder Übertragung seines Kollegen auch mit der gebotenen Aufmerksamkeit folgen könnte. Vor allem aber ist ein Dolmetscher nicht dazu verpflichtet, auf Fehler eines anderen Prozeßbeteiligten hinzuweisen. Seine Aufgabe erstreckt sich - mit Ausnahme einer anders lautenden Beauftragung - nur auf eine treue und gewissenhafte Ausführung der ihm übertragenen Translationen. Welche Veranlassung sollte er haben, die Fehlerhaftigkeit einer anderen Übersetzung aufzudecken und damit gegebenenfalls einen Kollegen "bloßzustellen", ohne daß er dazu ausdrücklich berufen wurde? Auch wenn der Hinweis auf Fehler aus vielen Gründen als wünschenswert anzusehen ist, so kann nicht erwartet werden, daß jeder Dolmetscher ein solches Verhalten aus eigener Motivation an den Tag legt. 82

Siehe BGHR § 189 GVG Beeidigung 3.

D. Die Vereidigung

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Ganz ähnlich verhält es sich mit der Person des Mitangeklagten. Auch er ist nicht dazu verpflichtet, von ihm erkannte Übersetzungsmängel aufzudecken - zumindest solange er sich nicht selbst auf diese berufen möchte. Betrifft die Fehlerhaftigkeit der Übertragung darüber hinaus nicht einmal ihn, sondern "nur" einen anderen Angeklagten oder ist sie für ihn selbst sogar noch von Vorteil, so fehlt es ihm an jeglicher Motivation für einen Hinweis. Allein der Umstand, Mitangeklagter zu sein, bringt es nicht mit sich, daß jeder Angeklagte auch im Interesse des anderen Angeklagten handelt. Im Gegenteil, hier wird es sich oftmals erweisen, daß auch im Strafverfahren - oder vielleicht sogar gerade dort - "jeder sich selbst der nächste ist". Unabhängig davon sei aber auch darauf hingewiesen, daß Angeklagte es sich teilweise - erst recht wenn sie einem anderen Rechtskreis entstammen - gar nicht getrauen, das Gericht auf Fehler - egal welcher Art - aufmerksam zu machen. 83 Wenn der BGH sich in seiner Entscheidung also darauf stützt, daß die leicht kontrollierbaren Übertragungen nicht beanstandet wurden, so ist diese Argumentation nicht tragfahig. (bb) Gleichzeitig besitzen die Ausführungen des BGH aber auch eine psychologisierende Betrachtungsweise: Der Dolmetscher sei in diesem Fall schon deshalb zur sorgfaltigen Translation veranlaßt worden, weil die Übertragungen für jene Personen theoretisch leicht kontrollierbar waren. Diese Argumentation setzt jedoch eine bestimmte Motivationslage beim Dolmetscher voraus. Entweder muß sich der Übersetzende grundsätzlich schon durch die Tatsache, daß andere sprachlich in der Lage sind, seine Übertragung nachzuvollziehen, beeinflussen lassen. Oder er muß wenigstens die Befürchtung in sich tragen, daß etwaige von ihm gemachte Fehler durch jene Personen offenbar werden könnten. Da die Verpflichtung zur Aufdeckung Fehler anderer jedoch nicht existiert und Dolmetscher dies wissen, ist es eher naheliegend, daß die lediglich theoretische Möglichkeit einer "Kontrolle" die Tätigkeit des Dolmetschers nur wenig bis gar nicht beeinflußt. Aber selbst wenn man diese Erwägung grundsätzlich für plausibel erachtet, so ist es stets fraglich, ob eine derartige Motivationslage tatsächlich auch im Bewußtsein eines Dolmetschers vorhanden war. Dies läßt sich ohne dessen ausdrückliche Stellungnahme nicht bestimmen. Dennoch scheint der BGH in dem benannten Fall angenommen zu haben, die Dolmetscher wären bei ihrer Tätigkeit von einem derartigen Hintergrund geprägt gewesen. Da diese Annahme vom BGH jedoch nicht auf besondere Anhaltspunkte gestützt wird, bleibt sie, ebenso wie die darauf aufbauende Schlußfolgerung, daß die Dolmetscher deshalb zu einer sorgfältigen Übertragung veranlaßt worden wären, schlichte Spekulation des Gerichts. Zur Feststellung, ob die Übertragung tatsächlich richtig war, ist jene Argumentation daher ebensowenig tragfähig wie die zuvor behandelte Begründung. 83

V gl. dazu das Beispiel oben 1. Kap. D I11 (S . 54).

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5. Kap.: Die Art der Revisionsgründe

(cc) Läßt sich die Richtigkeit der Übertragung wie in der vorliegenden Entscheidung nicht sicher feststellen, so kann - zumindest auf diese Weise - eine die Beruhensfrage ausschließende Unterbrechung der Kausalkette nicht begründet werden. 84 (b) BGHR § 185 GVG Beeidigung 2 Auch bei der letzten in diesem Zusammenhang zu behandelnden Entscheidung stellt der BGH für den Beruhensausschluß darauf ab, daß die "Richtigkeit der Übertragung" wiederum "kontrollierbar" gewesen sei. (aa) Anders als zuvor richtet er den Blickwinkel jedoch nicht darauf, ob jene Kontrollierbarkeit einen besonderen Einfluß auf die Ausübung der Dolmetschertätigkeit gehabt haben könnte. Er begnügt sich vielmehr damit, diesen Umstand festzustellen. Es ist fraglich, wie der BGH die Fehlerfreiheit bereits aus dieser schlichten Feststellung schließen will. Im Gegensatz zu oben macht er hier nicht einmal eine Angabe dazu, von wem er eine etwaige Überprüfung erwartete. Lediglich abstrakt führt er aus, daß die Richtigkeit der Übersetzung "auch für jemanden, der die Sprache nicht perfekt beherrscht, leicht kontrollierbar" sei. 85 Bei der Rekonstruktion des vom BGH vollzogenen Gedankenganges, mit dem das Gericht die Verbindung zwischen abstrakter Kontrollierbarkeit und Fehlerfreiheit herstellt, ist man weitgehend allein gelassen. Es kann daher leider nur vermutet werden, von was für einem Zusammenhang ausgegangen wurde. Um aus der Eigenschaft Kontrollierbarkeit einer Übertragung zu dem Schluß ihrer Richtigkeit zu kommen, bedarf es eines gedanklichen Zwischen schritts, der Annahme, daß eine Kontrolle ausgeführt wurde und es insoweit zu keiner Beanstandung gekommen ist. Wie auch schon oben dargelegt, läßt sich eine solche Folgerung aber nur dann aufrechterhalten, wenn davon ausgegangen werden kann, daß es im Falle der Fehlerhaftigkeit wirklich zu einer Beanstandung kommt, sprich, wenn also eine Verpflichtung zur Kontrolle sowie zur Aufdeckung der Fehlerhaftigkeit existiert. Hier ist es von großer Bedeutung, welche der Verfahrens beteiligten im konkreten Fall die sprachlichen Fähigkeiten für die notwendige Überprüfung besäßen. Wären dies, wie in der vorherigen Konstellation, wiederum Personen, die keine derartige Verpflichtung trifft, so entbehrte auch diese Begründung an Schlüssigkeit. Insoweit ist es naheliegend, daß der BGH - auch ohne daß er dies ausdrücklich benennt - im vorliegenden Fall davon ausgegangen ist, es sei das Gericht selbst, das hier zu einer Kontrolle der Übersetzung in der Lage gewesen sein muß. Auch wenn 84 Nicht von Belang ist an dieser Stelle, ob im konkreten Fall der Aspekt der allgemeinen Vereidigung die Beruhensfrage auszuschließen vennochte, obwohl der BGH, auch wenn er die allgemeine Vereidigung der Dolmetscherinnen hier nicht in den Vordergrund stellte, in der fraglichen Entscheidung auch diesen Gesichtspunkt erwähnt hat. Da die allgemeine Vereidigung im Hinblick auf die Unterbrechung des Kausalnexus systematisch an anderer Stelle einzuordnen ist, wird diese Frage erst später behandelt werden. Siehe unten 5. Kap. D II 3 c cc (I) (S.257). 85 Siehe BGHR § 189 GVG Beeidigung 2.

D. Die Vereidigung

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im Normalfall vom Gericht nicht verlangt werden kann, die Übertragung des Dolmetschers vollständig auf ihre Richtigkeit hin zu überprüfen - weil ihm dazu in der Regel die notwendigen Fähigkeiten fehlen werden - so obliegt es dem Gericht dennoch ganz allgemein, darüber zu wachen, ob der Dolmetscher seiner Aufgabe gerecht wird. 86 Eine inhaltliche Kontrolle kann dabei jedoch immer nur im Rahmen der individuellen Fähigkeiten des Gerichts erfolgen. Reichen seine Kenntnisse im Einzelfall aber soweit, daß eine inhaltliche Überprüfung möglich ist, so ist das Gericht verpflichtet, seine allgemeine Überwachungsaufgabe auch auf diesen Aspekt auszudehnen. Unter der Prämisse, daß die Richtigkeit der Übertragung im vorliegenden Fall tatsächlich vom Gericht selbst überprüft werden konnte, ist es gerechtfertigt, davon auszugehen, daß die Vereidigungsmängel sich nicht auf die Qualität der Übersetzung ausgewirkt haben. Die Entscheidung des BGH läßt sich insofern dogmatisch nicht beanstanden. (bb) Allerdings ist mit diesem Ergebnis ein praktisches Problem verbunden. Die dogmatische Unbedenklichkeit der in der Entscheidung enthaltenen Begründung für den Beruhensausschluß bedeutet noch lange nicht, daß diese Begründung in der Praxis auch zu einem umsetzbaren Ergebnis führt. Es stellt sich hierbei nämlich stets die Frage, unter welchen Voraussetzungen man davon ausgehen darf, daß ein Gericht in der Lage war, die Fehlerhaftigkeit einer Übertragung wirklich festzustellen. Ohne eine diesbezügliche Auskunft des Gerichts selbst ist die Revisionsinstanz insoweit auf Vermutungen angewiesen. Zwar ist es richtig, daß Übertragungen aus einer gängigen Fremdsprache, gerade wenn sie die Aussage zu einem einfach gelagerten Geschehen betreffen, auch von Personen, die diese Sprache nicht perfekt beherrschen, zu kontrollieren sind, jedoch setzt auch dies zumindest voraus, daß überhaupt Grundkenntnisse in dieser Sprache vorhanden sind. Ob nun stets davon ausgegangen werden kann, daß das Gericht solche Kenntnisse besitzt, ist jedoch fraglich: Welches sind die gängigen Fremdsprachen? Ist damit nur das Englische oder etwa auch das Französische gemeint? Darf man von einem Richter gute Grundkenntnisse in einer oder sogar mehreren "gängigen" Fremdsprachen erwarten? Die Antworten auf diese Fragen sind zu unbestimmt, als daß sie hier weiterhelfen könnten. Auch wenn die Allgemeinbildung eines Richters in vielen Fällen nahe legt, daß er solche Kenntnisse zumindest in der englischen Sprache besitzt, ist auch dies nicht regelmäßig garantiert, läßt sich die allgemeine Hochschulreife doch auch über andere Fremdsprachen erlangen. Berücksichtigt man ferner all die dem Übersetzen stets immanenten Schwierigkeiten, so müssen die Anforderungen daran, wann man ein Gericht als in der Lage erachtet, eine Übersetzung kontrollieren zu können, sehr hoch angesetzt werden. Nur in extremen Ausnahmefällen wird man daher davon ausgehen dürfen, daß die 86

Siehe oben 3. Kap. C (S. 193 ff.).

252

5. Kap.: Die Art der Revisionsgründe

Tatsache, daß das Gericht keinen Fehler in einer Übertragung festgestellt hat, gleichzeitig auch bedeutet, daß diese fehlerfrei war. (cc) Insofern ist es vorteilhaft, wenn sich die Richtigkeit der Übertragung darüber hinaus noch durch weitere Anhaltspunkte belegen läßt. Einen solchen Umstand vermag der BGH in der zur Diskussion stehenden Entscheidung anzuführen. So kann er seine Überzeugung von einer korrekten Übertragung ferner darauf stützen, daß der Inhalt der Übersetzung durch die Aussage eines weiteren Zeugen bestätigt wurde. Da es sich in der vorliegenden Entscheidung also sicherstellen ließ, daß der Vereidigungsfehler keine Auswirkung auf die Qualität der Übertragung hatte, ist der hier vom BGH vertretene Beruhensausschluß im Ergebnis gerechtfertigt. bb) Beruhensausschluß aufgrund fehlendem Kausalzusammenhang Auch bei der einleitend bereits erwähnten zweiten Untergruppe handelt es sich um Fälle, bei denen die Unterbrechung des vorgestellten Kausalverlaufs auf objektiver Ebene angesiedelt ist. Im Unterschied zu den in der ersten Untergruppe behandelten Konstellationen kommt es hierbei jedoch auf die Fehlerhaftigkeit der Übertragung - selbst bei deren positivem Feststehen - gar nicht an. Der Grund für den Beruhensausschluß liegt vielmehr an einer noch späteren Stelle der Kausalkette: Statt der Fehlerhaftigkeit der Übersetzung ist es nun der Kausalzusammenhang zwischen mangelhafter Übertragung und Urteil, der in dieser Fallgruppe eindeutig auszuschließen ist. (1) Hierunter läßt sich beispielsweise ein vom BGH judizierter Fall subsumieren, bei dem die Tätigkeit des unvereidigten Dolmetschers sich nur noch auf die Übersetzung des verkündeten Urteils erstreckte. 87 Fast erscheint es überflüssig auszuführen, daß ein Urteil nicht auf Fehlern in seiner eigenen Übersetzung beruhen kann: Ein Urteil ist notwendigerweise schon beschlossen, bevor es verkündet wird. Dennoch ist zu überlegen - und auch der BGH hatte sich in seiner Entscheidung mit diesem Gesichtspunkt auseinanderzusetzen -, ob die Übertragung das Urteil in seiner endgültigen Form nicht doch beeinflussen konnte. Es läßt sich insoweit der Gedanke aufwerfen, ob eine korrekte Übertragung die Möglichkeit für eine Unterbrechung der Urteilsverkündung sowie für weitere "Beweisanträge" mit sich gebracht hätte. Gäbe es eine Chance dafür, daß ein solches Vorgehen zu einem erneuten Urteils be schluß geführt hätte, so ließe es sich nicht mehr ausschließen, daß das erste Urteil nicht doch auf der mangelhaften Übersetzung beruhte. Obwohl zuzugeben ist, daß die Möglichkeit einer Veränderung auch noch während der Urteilsverkündung existiert, muß aber berücksichtigt werden, daß es sich dabei regelmäßig nur um eine theoretische Möglichkeit handelt. In einer bereits langen Tradition hat die Rechtsprechung die Eingriffsrechte des Angeklagten mit seinem letzten 87

Siehe BGH 1 StR 300/74 vom 27.08.1974.

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Wort als abgeschlossen betrachtet. Ein Gericht ist zwar stets befugt, auf nachträgliche Anregungen während der Urteilsverkündung noch zu reagieren, verpflichtet ist es dazu jedoch auf keinen Fall. 88 Die Fälle, in denen es trotzdem zu einer nachträglichen Einflußnahme kommt, besitzen folglich einen wahren Ausnahmecharakter. 89 Es ist daher gerechtfertigt, regelmäßig davon auszugehen, daß kein nachträglicher Einfluß mehr auf das Urteil hätte ausgeübt werden können. Will man aber annehmen, daß ein einzelner Fall dennoch einen solchen Ausnahmecharakter aufweist, so müssen dafür besondere Anhaltspunkte vorliegen. 9o Sind diese nicht ersichtlich, so ist im Einklang mit der Rechtsprechung stets davon auszugehen, daß ein Fehler in der Übersetzung der Urteilsverkündung keinen revisionsrechtlich relevanten Einfluß mehr haben konnte. Ein Beruhen des Urteils kann dabei zu Recht verneint werden. (2) Aber nicht nur für Übertragungen in bezug auf die Urteilsverkündung läßt sich die Kausalität zwischen Übertragung und Urteil ausschließen. Es gibt auch Fallgestaltungen, bei denen die fragliche Übertragung innerhalb der Verhandlung erfolgt sein kann und dabei trotzdem feststeht, daß der Inhalt des Übertragenen nicht in das Urteil eingeflossen ist. Auch wenn dies - soweit ersichtlich - bisher noch nicht Gegenstand einer veröffentlichten Entscheidung war, so ist eine solche Konstellation beispielsweise für die Aussage eines Zeugen denkbar, deren Einbeziehung in das Urteil dem Gericht später aufgrund eines Verwertungsverbotes versagt ist. Darf das Gericht die so erlangte Information nicht verwerten, so spielt es auch keine Rolle mehr, ob bei der diesbezüglichen Übertragung Fehler aufgetreten waren. Wenn das Urteil schon nicht auf der Aussage an sich beruht, so kann es erst recht nicht auf Fehlern bei der Übersetzung der Aussage beruhen. b) Zusammenfassende Betrachtung der ersten Gruppe Einem Beruhensausschluß anhand der Kriterien "Richtigkeit der Übertragung" sowie "fehlender Kausalzusammenhang" zwischen Übertragung und Urteil ist grundsätzlich nichts entgegenzuhalten. Die vom BGH aufgrund dieser Kriterien getroffenen Ausnahmeentscheidungen sind - mit den oben gemachten Einschränkungen - nicht zu beanstanden. Für die Frage der Durchbrechung des bislang noch angewendeten Beruhensgrundsatzes bei Vereidigungsmängeln helfen diese Entscheidungen des BGH jedoch nicht weiter: Sie sind nicht in der Lage, den Ausnahmecharakter des Beruhensausschlusses zu widerlegen, denn auch sie zeigen nur Ausnahmesituationen und keine Regelfälle. 88 Vgl. dazu RGSt 57, 142 (143); BGHSt 15,263 (264); BGH, GA 1963, 148 (149) sowie BGH 1 StR 300/74 vom 27.08.1974, S.5-6. 89 Siehe BGH, GA 1963, 148 (149). 90 So im Ergebnis auchBGH, GA 1963,148 (l49);BGH 1 StR 300/74 vom 27.08.1974, S.6.

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5. Kap.: Die Art der Revisionsgründe c) Zweite Gruppe

Auch die zweite Kategorie von Ausnahmeentscheidungen stützt den Beruhensausschluß, wie schon erwähnt, auf eine Unterbrechung des typischen Kausalzusammenhangs. Dennoch unterscheidet sich diese Konstellation von den eben behandelten Fällen. Der vorgefundene Wirkungsverlauf weicht hier gleich zu Beginn schon von der grundsätzlich angenommenen Kausalkette ab. Anders als eben liegt der Punkt der entscheidenden Abweichung damit bereits im subjektiven Bereich.

In den fraglichen Entscheidungen wird dazu jeweils angenommen, die mangelhafte Vereidigung habe nicht zu dem oben beschriebenen Bewußtseinsdefizit geführt, durch das der Dolmetscher ansonsten in die Gefahr einer unsorgfaltigen Verrichtung seiner Übersetzungsaufgabe gerät: Besteht trotz objektiv vorliegendem Vereidigungsmangel im Bewußtsein des Dolmetschers kein Unterschied zu der Vorstellung, die man bei ihm sonst aufgrund der Vereidigung für gegeben hält, so läßt sich mit Recht behaupten, dieser Mangel habe sich nicht auf das Urteil ausgewirkt. aa) Vorstellung ordnungsgemäßer Vereidigung Insofern muß dem BGH - zumindest - hinsichtlich der Entscheidungen beigepflichtet werden, in denen er ein Beruhen jeweils deshalb ausschloß, weil sowohl der Dolmetscher als auch das Gericht davon ausgegangen waren, die Vereidigung sei ordnungsgemäß erfolgt und binde den Dolmetscher in dem aktuellen Verfahren. 91

In der Praxis wird man solche Konstellationen - wie dies auch die Fälle des BGH zeigen - zumeist in Verbindung mit der Berufung auf einen allgemein geleisteten Eid antreffen. Grundsätzlich ist es eher diese Variante der Vereidigung, die stärker als der "nonnale" Eid mit der Gefahr von Ausführungsmängeln behaftet ist. 92 Für die Vorstellung, unter Eid zu stehen, macht es jedoch keinen Unterschied, ob es sich dabei um eine fehlerhafte Vereidigung im Sinne von § 189 Abs. 1 GVG oder um Mängel beim Berufen gemäß § 189 Abs. 2 GVG handelt. In beiden Fällen läßt sich das Beruhen des Urteils ausschließen, wenn die Wirksamkeit des Eides fälschlicherweise angenommen wurde. bb) Bewußtseinsanforderungen Wenn in diesem Modell des Beruhensausschlusses auch ein überzeugender Begründungsansatz steckt, so ist dennoch fraglich, ob wirklich allen Entscheidungen des BGH, bei denen er mit dem Vorhandensein eines entsprechenden "Bewußtseins" argumentiert, gefolgt werden kann. 91

92

So BGH, NStZ 1984, 328 sowie BGH bei Miebach, NStZ 1986,206 (211). Vgl. oben 4. Kap. C II (S. 219 ff.).

D. Die Vereidigung

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(1) Bei genauer Betrachtung dieser Entscheidungen fällt auf, daß die Anforderungen, die dabei an das Bewußtsein des Dolmetschers gestellt werden, nicht immer die gleichen sind oder zumindest nicht immer in gleicher Weise formuliert werden. Der BGH spricht in diesem Zusammenhang nicht nur - wie oben dargestellt - von der Vorstellung, an den Eid gebunden zu sein 93, sondern stellt - gerade in Entscheidungen jüngeren Datums - nur noch darauf ab, ob der Dolmetscher sich "seiner besonderen Verantwortung ... bewußt war". 94 Hierin liegt jedoch ein großer Unterschied. Während das Bewußtsein, unter Eid zu stehen, demjenigen grundsätzlich auch seine besondere Verantwortung vor Augen führt, beinhaltet das schlichte Wissen um diese Verantwortung noch lange nicht die Vorstellung, gegebenenfalls auch strafrechtliche Konsequenzen fürchten zu müssen. Allein schon wegen dieser Divergenz ist es erforderlich, die Frage nach den notwendigen Bewußtseinsanforderungen einer Klärung zu unterziehen. (2) Die in den Entscheidungen zu beobachtende Veränderung ist aber auch aus einem anderen Grund interessant. In dieser Reduktion der subjektiven Anforderungen ist kein nur zufälliges Ergebnis einzelner Entscheidungen zu sehen. Vielmehr läßt sich daran eine in der Rechtsprechung festzustellende Tendenz ablesen. Man scheint - auch wenn dies nur im Rahmen des Beruhensaspektes möglich ist- wenigstens teilweise von den strengen Anforderungen an die Dolmetschervereidigung abrücken zu wollen. Diese Entwicklung ist noch nicht an ihrem Endpunkt angelangt. Es gibt jetzt schon den Hinweis darauf, daß der BGH sich in Zukunft nicht mehr nur mit der Feststellung von Ausnahmesituationen begnügen wird. Es deutet sich sogar an, daß er darüber hinaus gewillt ist, für die Beteiligung allgemein vereidigter Dolmetscher insofern eine Art neue Regelvermutung aufzustellen. Obwohl bislang noch keine Entscheidung explizit darauf gestützt wurde, hat der BGH seine diesbezügliche Vorstellung bereits zum Ausdruck gebracht: "Vielmehr wird in Fällen, in denen keine Anzeichen dafür sprechen, daß der Dolmetscher sich seiner besonderen Verantwortung im konkreten Fall nicht bewußt war, ausgeschlossen werden können, daß das Urteil auf dem Verfahrensverstoß beruht."95

Sollte sich diese Annahme für die Fälle allgemein vereidigter Dolmetscher jedoch durchsetzen, so ginge für diese Dolmetschergruppe damit zugleich eine Durchbrechung des bislang noch akzeptierten Grundsatzes, daß ein Urteil in der Regel auf einer Verletzung des § 189 Abs. 2 GVG beruhe 96 , einher. Die Beantwortung 93 So BGHR § 189 Abs. 2 OVO Vereidigung I; BGH, NStZ 1984, 328; BGH bei Miebach, NStZ 1986, 206 (211). 94 Siehe BGHR § 189 OVO Beeidigung 3. Siehe auch BGHR § 189 Abs. 2 OVO Übertragung, zusätzliche I. 95 BGHR § 189 OVO Beeidigung 3. 96 Siehe oben 5. Kap. DIll (S.242).

256

5. Kap.: Die Art der Revisionsgründe

der Frage nach den notwendigen Bewußtseinsanforderungen beim Dolmetscher ist daher auch im Hinblick auf die Berechtigung dieser allgemeinen Beruhensregel von Bedeutung. (3) Es gilt also zu klären, welche Art von Bewußtsein ein Dolmetscher in sich tragen muß, damit dies zur Unterbrechung des grundsätzlich bei Vereidigungsmängeln angenommenen Kausalverlaufs führt: Muß er dafür die Vorstellung besitzen, er stehe tatsächlich unter Eid, oder ist es ausreichend, daß er sich einfach nur der besonderen Verantwortung seiner Tätigkeit bewußt ist? Wie bereits aufgezeigt, läßt sich dem Wortlaut der jüngeren BGH-Entscheidungen entnehmen, daß der BGH sich dabei inzwischen mit den geringeren Anforderungen zufriedenzugeben scheint. Daß die von ihm verwendete Formulierung des Bewußtseins der "besonderen Verantwortung" zugleich auch die Vorstellung eidlicher Verpflichtung beinhalten könnte, davon kann nicht ausgegangen werden. Dafür ist einerseits der Wortlaut zu eindeutig und andererseits ist zu berücksichtigen, daß es der BGH selbst war, der in den Entscheidungen zuvor noch eine anders lautende Formulierung verwendet hat, so daß ihm dieser Unterschied wohl bewußt geworden sein muß. Ferner läßt sich nicht behaupten, einem ständig vor Gericht auftretenden Dolmetscher könne - selbst wenn er sich seiner besonderen Verantwortung als Dolmetscher wohl bewußt war - nicht aufgefallen sein, daß er im konkreten Fall gerade nicht unter Eid steht. Dafür, daß der BGH seine Formulierung in einem dem Wortlaut widersprechenden Sinne gemeint haben sollte, gibt es demnach keine Anhaltspunkte. Es muß davon ausgegangen werden, daß der BGH der Meinung ist, ein Beruhen sei bereits dann auszuschließen, wenn der allgemein vereidigte Dolmetscher sich lediglich seiner besonderen Verantwortung bewußt war. Der BGH macht es jedoch auch hier schwer, seinem Gedankengang zu folgen. Er stellt in seiner Entscheidung nur fest, daß ein solches Bewußtsein zum Beruhensausschluß führe. Warum er im konkreten Fall zu dieser Annahme kommt, erklärt er nicht. Auch Katholnigg, der dem BGH hinsichtlich dieser Entscheidung sogar ausdrücklich zustimmt 97 , liefert keinerlei Begründung, die der Rechtfertigung einer solchen Sichtweise dienen könnte. Dieser Ansatz des BGH ist jedoch nicht überzeugend. Es ist nicht nachvollziehbar, warum diese Art von Vorstellung geeignet sein sollte, die im Normalfall angenommene Kausalkette zu unterbrechen. Es wurde bereits ausführlich dargestellt, daß die vom Dolmetschereid erfüllte Aufgabe nur von einem Instrument wie dem der Vereidigung sinnvoll erfüllt werden kann. Auch in der Rechtsprechung findet ein "weniger", wie z. B. eine Belehrung oder eine schlichte Versicherung 98 , insofern keinerlei Akzeptanz. Nur der Eid - mit dem dahinterstehenden Straftatbestand des Meineides - vermag die Gefahr von unsorgfältiger Übertragung in ausreichendem Maße einzudämmen. 97

98

Siehe Katholnigg, § 189 GVG Rn 5. Siehe RGSt 75,332 (333).

D. Die Vereidigung

257

Es ist daher überhaupt nicht einsichtig, warum das schlichte Wissen um die mit der Dolmetscheraufgabe verbundene Verantwortung dem Eid an Wirkung gleichstehen sollte. Nur weil man sich hier auf einer anderen Ebene - der Beruhensfrage - bewegt, darf man sich nicht in Widerspruch zu vorherigen Erkenntnissen setzen. Trotz differierender Fragestellung geht es jeweils um die gleichen Wirkungsmechanismen: Ließe sich das Beruhen tatsächlich über ein solches Bewußtsein ausschließen, so hieße das, daß sich auch die Ordnungsgemäßheit der Übertragung allein über das Hervorrufen eines solchen Bewußtseins sicherstellen ließe. Damit wäre gleichzeitig die dem Eideserfordernis generell zugrundegelegte Argumentation hinfallig. (4) Solange man die oben ausgeführten Erkenntnisse zum Eideserfordernis nicht grundsätzlich in Frage stellt - und dazu besteht überhaupt kein Anlaß -, solange können die vom BGH an das Bewußtsein gestellten Anforderungen nicht als ausreichend erachtet werden. Gibt sich der BGH mit einer solchen Vorstellung beim Dolmetscher zufrieden, widerspricht er damit dem auch von ihm grundsätzlich anerkannten Bedürfnis nach der Vereidigung von Dolmetschern. Seine Annahme, daß sich ein Beruhensausschluß über das Bewußtsein der besonderen Verantwortung begründen ließe, muß als inkonsequent beurteilt werden. Nur aufgrund der Vorstellung, tatsächlich an einen Eid gebunden zu sein, läßt sich ausnahmsweise behaupten, daß das Urteil nicht auf den Vereidigungsmangel zurückzuführen ist. cc) Die einzelnen Entscheidungen Die vom BGH mit dem Bewußtsein besonderer Verantwortung begründeten Ausnahmeentscheidungen müssen sich daher die Kritik gefallen lassen, einen nicht überzeugend dargelegten Beruhensausschluß zu beinhalten:

Cl) Das gilt vor allem für die bereits oben unter einem anderen Blickwinkel behandelte Entscheidung, in der der BGH den Beruhensausschluß neben dem Aspekt der Kontrollierbarkeit auch darauf gestützt hatte, daß es nicht ersichtlich sei, "daß sich die Dolmetscherinnen ihrer besonderen Verantwortung nicht bewußt"99 gewesen wären. Ebensowenig wie dieser Entscheidung im Hinblick auf das Argument der Kontrollierbarkeit beigepflichtet werden konnte, kann ihr in bezug auf diese Begründung gefolgt werden. (2) Ähnlich verhält es sich mit einer Entscheidung des BGH, bei der eine gemäß § 189 Abs. 2 GVG vereidigte Dolmetscherin eine zusätzliche Übertragung in einer Sprache vornahm, für die sie anfanglich nicht vereidigt worden war und für die sie auch keine allgemeine Vereidigung besaß. Kritikpunkt an der Entscheidung ist vor allem folgende Aussage: 99

BGHR § 189 GVG Beeidigung 3.

17 Lankisch

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5. Kap.: Die Art der Revisionsgründe

"Hat ein Dolmetscher durch Berufung auf einen für Übersetzungen einer bestimmten Sprache bereits (allgemein) geleisteten Eid zu erkennen gegeben, daß er sich der besonderen Verantwortung bei seiner Tätigkeit in der Hauptverhandlung bewußt ist, dann kann davon ausgegangen werden, daß ihn dieses Bewußtsein auch insoweit leitet, als er in der Hauptverhandlung zusätzlich eine andere Sprache übersetzt."'oo

Zu widersprechen ist hier eindeutig der darin enthaltenen Vorstellung, das Bewußtsein der besonderen Verantwortung sei für die zusätzlichen Übertragungen ausreichend. Auch der BGH mag insofern im Hinterkopf gehabt haben, daß es eher das Bewußtsein, unter Eid zu stehen, ist, auf das es hierbei ankommen muß. So bezeichnet er es in seinen weiteren Ausführungen nämlich als naheliegend, "daß die Dolmetscherin davon ausging, ihr Eid binde sie für die gesamte Übertragung". Allerdings liegt hierin nur eine Vermutung und keineswegs die Feststellung, daß die Dolmetscherin sich tatsächlich gebunden fühlte, was für einen Beruhensausschluß - wie er oben anerkannt wurde - jedoch erforderlich wäre. Diese Entscheidung des BGH besitzt trotz jener Fehleinschätzungen aber dennoch ein sachgerechtes Endergebnis. Da die Dolmetscherin später auch für die zusätzliche Sprache vereidigt wurde und sie die Richtigkeit der vorhergegangenen Übersetzung unter Bezugnahme auf diesen Eid versicherte, läßt sich der Beruhensausschluß in diesem Fall problemlos an diesem Nacheid festmachen. 4. Abschließende Bewertung der Durchbrechung des Regel-Ausnahme-Verhältnisses Mit den soeben herausgearbeiteten Ergebnissen im Hintergrund läßt sich nun auch beurteilen, inwieweit die vom BGH bereits angekündigte Außerkraftsetzung der bisher akzeptierten Beruhensregel gerechtfertigt sein könnte. Läßt sich der Beruhensausschluß nicht einmal ausnahmsweise über diese Argumentation des BGH begründen, so kann dieser Ansatz erst recht keinen Raum für eine (neue) Regelvermutung bieten, durch die bei Vereidigungsmängeln im Hinblick auf den allgemein vereidigten Dolmetscher sogar grundsätzlich ein Beruhensausschluß angenommen werden soll. Stärker noch als eben, würde gerade bei einer solchen Annahme der Widerspruch zu den obigen Aussagen deutlich: Hielte man ein Beruhen in jenen Fällen regelmäßig für ausgeschlossen, so implizierte das ganz generell, daß ein einmal allgemein geleisteter Eid zur Sicherstellung einer ordnungsgemäßen Übertragung für jedes Tätigwerden des Dolmetschers ausreichend sei und damit kein Bedürfnis für eine Berufung gemäß § 189 Abs. 2 GVG bestünde. Eine solche Sichtweise erforderte jedoch vielmehr ein Tätigwerden des Gesetzgebers als das Aufstellen einer neuen Beruhensregel: Wäre die Berufung tatsächlich entbehrlich, so müßte dem durch eine Veränderung des § 189 Abs. 2 GVG Rechnung getragen werden. Es wäre nicht Aufgabe der Rechtsprechung, die vom I()()

Siehe BGHR § 189 Abs. 2 OVO Übertragung, zusätzliche I.

D. Die Vereidigung

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Gesetzgeber positiv getroffene Entscheidung für einen bestimmten Sicherungsmechanismus über den Weg einer dazu konträren Beruhensvermutung auszuhöhlen. Solange der Gesetzgeber an der Regelung des § 189 Abs. 2 GVG festhält - und wie oben ausgeführt, ist dies auf alle Fälle zu befürworten 101 - darf sich die Rechtsprechung mit ihrer Beruhensregel nicht in Widerspruch zu der in dieser Norm zum Ausdruck gebrachten Wertung setzen. Falls der BGH in Zukunft also tatsächlich von einer solchen wie bereits angedeuteten Vermutung ausgehen sollte, so müßte dieser Praxis entschieden entgegengetreten werden. Der bislang praktizierte Grundsatz, regelmäßig von dem Beruhen eines Urteils auf einer nicht vorschriftsmäßigen Vereidigung auszugehen, hat daher - auch noch weiterhin - seine Berechtigung.

IH. Die Anforderungen an das Rügevorbringen Will der Revisionsführer einen Verstoß gegen § 189 G VG, also einen Fehler hinsichtlich der Vereidigung des Dolmetschers, geltend machen, so muß er, weil es sich dabei um die "Verletzung einer Rechtsnorm über das Verfahren" 102 handelt, die Anforderungen des § 344 Abs. 2 S. 2 StPO beachten. Für die Verfahrensrüge hat der Gesetzgeber es nicht als ausreichend erachtet, wenn lediglich die verletzte Rechtsnorm angegeben wird, sondern er hat darüber hinaus in § 344 Abs. 2 S. 2 StPO bestimmt, daß die Revisionsschrift auch die tatsächlichen Grundlagen des beanstandeten Verfahrensverstoßes darzulegen hat. Fehlt es daran, so ist das Rechtsmittel als unzulässig zu verwerfen. 103 Zur erfolgreichen Geltendmachung eines Verfahrensmangels ist es daher unabdingbare Voraussetzung, zu wissen, aufgrund welcher tatsächlichen Umstände ein bestimmter Verfahrensmangel begründet wird bzw. welche Tatsachen der BGH diesbezüglich für notwendig erachtet. Dabei ist grundsätzlich zu beachten, daß die Anforderungen des § 344 Abs. 2 S. 2 StPO von der Rechtsprechung allgemein sehr streng gehandhabt werden. 104 Zu welcher konkreten Ausformung des notwendigen Rügevorbringens dies in bezug auf § 189 GVG führt, gilt es im folgenden zu untersuchen. 1. Das tatsächliche Tätigwerden des Dolmetschers

So hat der BGH beispielsweise die Forderung aufgestellt, eine auf § 189 GVG gestützte Revision sei nur dann den Anforderungen des § 344 Abs. 2 S. 2 StPO entsprechend begründet, wenn dargelegt würde, daß der Dolmetscher auch tatsächlich tätig Siehe oben 4. Kap. A II2 (S. 2IOf.). So der Wortlaut des § 344 Abs. 2 S. IStPO. 103 Siehe HK-Temming, § 344 StPO Rn I; KK-Kuckein, § 344 StPO Rn 32; KMR-Paulus, § 344 StPO Rn 24. 104 Siehe Hamm, Rn 222. 101

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5. Kap.: Die Art der Revisionsgründe

geworden sei. 105 Ob ein derartiger Vortrag wirklich gefordert werden kann, könnte jedoch fraglich sein. a) Allgemeines zum notwendigen Darlegungsumfang Eine eindeutige Antwort auf diese Frage läßt sich auf den ersten Blick leider nicht finden. Denn auch wenn der Gesetzeswortlaut nach der Angabe der "den Mangel enthaltenden Tatsachen" verlangt, bedeutet das nicht, daß sich diese Verpflichtung durchweg auf alle mit dem Verfahrensfehler im Zusammenhang stehenden Tatsachen erstrecken muß. Neben den unstreitig vorzutragenden Positivtatsachen, die zur Entstehung des gerügten Mangels überhaupt erst geführt haben, gibt es auch Umstände, die den Verfahrensfehler auf eine andere Art und Weise beeinflußt haben können. Betreffen diese beispielsweise den Fortbestand des Mangels oder dessen Auswirkungen auf das Urteil, so spricht man hierbei von Negativtatsachen. Der Umfang des notwendigen Revisionsvorbringens ist insoweit mit gewissen Unsicherheiten verbunden. Es existiert weder eine klare gesetzliche Vorgabe, inwieweit auch derartige Tatsachen von § 344 Abs. 2 S. 2 StPO erfaßt sein sollen, noch war die Rechtsprechung in ihren recht unterschiedlichen Einzelfallentscheidungen bislang dazu in der Lage, dem Revisionsführer hier eine wirklich befriedigende und vor allem einheitliche Linie an die Hand zu geben. 106 In Anlehnung an die Ausführungen von Dahs/Dahs 107 ist aber von einem eher "engen" Verständnis des § 344 Abs. 2 S. 2 StPO auszugehen. Danach ist es für die Zulässigkeit der Rüge jeweils nur erforderlich, die das Entstehen des Rechtsmangels begründenden Umstände schlüssig darzulegen und nicht auch auf "die Frage des Fortbestandes" oder auf andere für die rechtliche Bewertung des Vorganges eventuell relevante Verfahrenstatsachen einzugehen. Solche Ausführungen gehören, ebensowenig wie Angaben über das Beruhen des Urteils auf dem dargelegten Verfahrensverstoß lO8 , zum notwendigen Darstellungsumfang. lo9 b) Problemaufriß für § 189 GVG Die vom BGH aufgestellte Forderung darzulegen, daß der Dolmetscher auch tatsächlich tätig geworden sei, könnte hinsichtlich dieses Verständnisses von § 344 SieheBGH, StV 1993,396-397. Vgl. zu der Fülle von einzelnen Anforderungen beispielsweise KK-Kuckein, § 344 StPO Rn 43-59. Kritisch gegenüber der Rechtsprechung auch Hamm, Rn 226. 107 Siehe Dahs/Dahs, Rn 472, S. 274f. zu "Negativtatsachen". 108 Siehe z. B. KK-Kuckein, § 344 StPO Rn 42 a. E. 109 Vgl. hier insgesamt auch LR-Hanack, § 344 StPO Rn 80 (25. Auflage), der in bezug auf die von der Rechtsprechung gestellten, strengen Anforderungen kritisch reagiert und eine Besinnung auf den Zweck des § 344 Abs. 2 S. 2 StPO für geboten hält. Siehe auch Hamm, Rn 227a.E. 105 106

D. Die Vereidigung

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Abs.2 S. 2 StPO möglicherweise befremdlich erscheinen: Es ist fraglich, ob nicht allein schon der Umstand, daß ein Dolmetscher für ein Verfahren offiziell zugezogen wurde, die Notwendigkeit der Vereidigung begründet. Dann wäre aber bereits mit dem Vortrag der Zuziehung den Anforderungen des § 344 Abs. 2 S. 2 StPO entsprochen. In dem Nichttätigwerden des Dolmetschers ließe sich nur noch ein Sachverhalt erblicken, durch den lediglich das Beruhen des Urteils auf diesem Verfahrensfehler ausgeschlossen werden könnte. Unter dieser Prämisse fiele die positive Erwähnung des tatsächlichen Tätigwerdens als ein nicht die Begründung des Mangels betreffender, sondern nur die Beruhensfrage betreffender Vortrag jedoch nicht unter die Darlegungslast des Revisionsführers. Die zu entscheidende Frage lautet daher, welche tatsächlichen Voraussetzungen die Vereidigungspflicht des Dolmetschers und damit zugleich den Verstoß gegen § 189 GVG begründen. c) Begründung der Vereidigungspflicht

Die Norm selbst bestimmt zunächst nur, daß überhaupt eine Vereidigungspflicht des Dolmetschers besteht. In welchem Moment diese Verpflichtung entsteht, läßt sich ihr nicht genau entnehmen. Durch die Ausgestaltung des Eides als Voreid ergibt sich lediglich, daß dem Erfordernis des § 189 GVG bis spätestens zu dem Zeitpunkt, in dem der Dolmetscher mit seiner Übertragung beginnt, entsprochen worden sein muß. Da § 189 GVG jedoch nicht isoliert steht, sondern im Kontext des § 185 GVG zu sehen ist, kann daraus ein Anhaltspunkt für die zu beantwortende Frage entnommen werden. Aus dem Zusammenhang dieser Vorschriften folgt, daß der Eintritt der in § 185 GVG Abs. 1 S. 1 GVG vorgeschriebenen Rechtsfolge (der Zu ziehung) zu der in § 189 GVG statuierten Vereidigungspflicht führen muß. Die gesuchte Antwort scheint gefunden: Wird ein Dolmetscher" zugezogen", so ist dieser zu vereidigen. Aber auch mit dieser Aussage ist man noch nicht bei der eigentlichen Problemlösung angelangt. Meint "Zuziehung" etwa den offiziellen, protokollpflichtigen Vorgang, durch den die Anwesenheit des Dolmetschers festgestellt wird, oder ist auch damit wiederum nur die Verrichtung der Dolmetschertätigkeit gemeint? Mit anderen Worten: Ist im Hinblick auf den notwendigen Vereidigungszeitpunkt von einem rein formalen oder eher materiellen Zuziehungsbegriff auszugehen? Man könnte geneigt sein, hier bereits auf den Zeitpunkt der formalen Zuziehung abzustellen. Erfolgt ein solcher Zuziehungsakt, so bringt das Gericht damit zum Ausdruck, daß es grundSätzlich gewillt ist, die Tätigkeit des Dolmetschers in diesem Verfahren in Anspruch zu nehmen. Zumeist wird mit der formalen Zuziehung daher auch eine tatsächliche Inanspruchnahme einhergehen. Eine Unterscheidung zwischen formaler und tatsächlicher Zuziehung wäre somit gar nicht erforderlich. Allerdings ist einzugestehen, daß dieser Argumentationsansatz nur in den Fällen

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5. Kap.: Die Art der Revisionsgründe

greift, in denen die Zuziehung des Dolmetschers sich von vornherein wirklich als notwendig darstellt. Ist sich das Gericht dagegen nicht sicher, ob es die Vermittlungshilfe im Verfahren benötigen wird und zieht es den Dolmetscher daher nur präventiv zu, so kann es trotz erfolgter formaler Zuziehung zur Nichtinanspruchnahme der Dolmetschertätigkeit kommen. Es ist daher keineswegs immer sichergestellt, daß ein formaler Zuziehungsakt in der Praxis zugleich auch eine tatsächliche Inanspruchnahme des Dolmetschers nach sich zieht. Insofern ist es also dennoch nicht obsolet, darüber zu entscheiden, auf welche Tatsache sich die Vereidigungs pflicht des Dolmetschers gründet. Es wäre wohl verfehlt, dabei auf einen rein formalen Zuziehungsbegriff abstellen zu wollen. Spricht § 185 Abs. 1 S. 1 vom "Zuziehen" eines Dolmetschers, so meint die Norm nicht nur, daß dieser lediglich in die Verhandlung zu berufen ist, sondern vielmehr, daß seine Fähigkeiten dort auch in Anspruch genommen werden sollen. lID Solange die "Zuziehung" aber nicht wirklich erfolgt, solange besteht auch nicht die Notwendigkeit, den Dolmetscher seinen Eid leisten zu lassen. Denn erst durch die Verrichtung der Übersetzungsaufgabe wird das in die Tat umgesetzt, was der Beeidigung bedarf Zwar ist es aus anderen, pragmatischen, Gründen vorteilhaft, den Dolmetscher in einem möglichst frühen Stadium - geschicktestenfalls sogar beim formalen Zuziehungsakt - zu vereidigen, im Hinblick auf das durch § 189 GVG verfolgte Ziel ist es aber stets ausreichend, wenn die Eidesleistung direkt vor der eigentlichen Übertragung geschieht. Sinnvoll ist die frühzeitige Eidesleistung dabei nicht nur im Regelfall, sondern gerade auch bei der Art von präventiver Zuziehung, bei der ein Dolmetscher im Zustand einer ständigen "Übersetzungsbereitschaft" steht. Kommt es hier zu einer Situation, in der seine Vermittlungshilfe nötig wird, so ist es für den Ablauf der Verhandlung von Vorteil, wenn er nun direkt, d. h. ohne Verzögerung durch die Leistung des Eides, übertragen kann. Dieser Umstand gebietet es dennoch nicht, die Vereidigungspflicht allgemein immer schon auf den formalen Zuziehungsakt zu gründen. Wird der präventiv zugezogene Dolmetscher gar nicht tätig, so übt er in der Verhandlung nichts aus, was einer Beeidigung bedarf. Erst im tatsächlichen Tätigwerden des unvereidigten Dolmetschers liegt somit der den Verfahrensmangel begründende Umstand. Verlangt der BGH bei der Verfahrensrüge des § 189 GVG also einen dahingehenden Tatsachenvortrag, so ist dies nicht zu beanstanden. d) Beschränkung der Darlegungspflicht auf Zweifelsfälle Nicht gutzuheißen ist dagegen die bei Meyer-Goßner gemachte Einschränkung. Dort wird im Zusammenhang mit der fraglichen BGH-Entscheidung ausgeführt, die Revision müsse nur,falls dies zweifelhaft sei, darlegen, daß der Dolmetscher ohne 110

Siehe dazu auch oben 5. Kap. C (S. 237).

D. Die Vereidigung

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Vereidigung tatsächlich tätig geworden sei. 111 Im Umkehrschluß bedeutet dies aber, ein derartiger Vortrag wäre im Normalfall, wenn also keine Zweifel bestünden, gar nicht erforderlich. Da - wie oben dargelegt - die formale Zu ziehung häufig als Indiz für das tatsächliche Tätigwerden dient, mag eine solche Vorgehensweise zunächst zwar plausibel erscheinen, wirklich praktikabel ist sie jedoch nicht. Das Gericht kann regelmäßig nämlich gar nicht erkennen, ob es sich vorliegend um einen "Zweifels-" oder "Normalfall" handelt. Damit vermag es aber auch nicht zu beurteilen, ob der Vortrag des tatsächlichen Tätigwerdens im konkreten Fall für die Zulässigkeit der Rüge ausnahmsweise erforderlich gewesen wäre oder nicht. Diese Entscheidung könnte es nur treffen, wenn sich der Revisionsbegründung regelmäßig auch entnehmen ließe, ob es sich dabei jeweils um den Fall einer "normalen" oder nur präventiven Zuziehung handelte. Für die Rüge der unterlassenen Dolmetschervereidigung einen solchen Vortrag zu fordern, wäre aber nicht nur dem Sinn des § 344 Abs. 2 S. 2 StPO fremd, sondern sogar noch umständlicher als eine regelmäßige Darlegungspflicht des tatsächlichen Tätigwerdens. Anders als bei Meyer-Goßner angegeben, muß in einer Verfahrensrüge des § 189 GVG daher nicht nur falls dies zweifelhaft ist, sondern entsprechend der vom BGH gemachten Vorgabe stets dargelegt werden, daß der Dolmetscher tatsächlich tätig geworden ist. 2. Der Beruhensaspekt Auch in einer weiteren Entscheidung des BGH geht es der Sache nach um das notwendige Rügevorbringen in bezug auf § 189 GVG. Der BGH führte in diesem Falle aus, die gerügte Verletzung des § 189 GVG könne schon deshalb keinen Erfolg haben, "weil die Verurteilung dieser Angeklagten, die über Deutschkenntnisse verfügen, auf ihren Geständnissen beruht und sie mit ihren Revisionen nicht geltend machen, daß sie die Tat nicht so, wie sie festgestellt worden ist, gestanden hätten"."2 Diese Ausführungen sind zum einen insofern problematisch, als hier der Eindruck entsteht, bei dem geforderten Vortrag handle es sich - obwohl der BGH dies nicht explizit zum Ausdruck gebracht hat - um eine Anforderung im Sinne des § 344 Abs.2 S. 2 StPO, also um eine Zulässigkeitsvoraussetzung. Kommt man bei der Beruhensprüfung zu dem Ergebnis, daß der Vereidigungsmangel sich auf das Urteil in der Form, wie es ergangen ist, nicht ausgewirkt habe, weil das Urteil sich beispielsweise vollständig auf die Geständnisse der Angeklagten stützt und eine Verbindung zwischen jenen Geständnissen und einer möglicherweise mit Fehlern behafteten Übertragung nicht konstruierbar ist, so ist es gerechtfertigt, die Revision (als unbe111

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Siehe Meyer-Goßner, § 189 ova Rn 3. BGH, NStZ 1996, 608.

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5. Kap.: Die Art der RevisionsgTÜnde

gründet!) zurückzuweisen. Insoweit läßt sich diese Entscheidung zumindest von ihrem Ergebnis her als richtig beurteilen.

Die Kritik an dieser Entscheidung muß jedoch dort ansetzen, wo der BGH seine Begründung darauf ausrichtet, daß die Revisionsführer einen das Beruhen betreffenden Umstand nicht geltend gemacht hätten. Hier entsteht der Eindruck, Ausführungen zum Beruhen seien in einer Revisionsbegründungsschrift grundsätzlich von Nöten. Wie aber bereits oben 113 dargelegt wurde, fällt ein derartiger Vortrag nicht unter den notwendigen Begründungsumfang. 114 Die Tatsache, daß ein diesbezüglicher Vortrag unter Umständen zwar sinnvoll sein kann und dem Revisionsführer beispielsweise dann zu empfehlen ist, wenn "sonst keinerlei Anhaltspunkte dafür bestehen, daß der Verfahrensverstoß das Urteil beeinflußt haben könnte" 115, führt dennoch nicht dazu, daß es sich dabei um eine für das Rügevorbringen notwendige Darlegung handelt. Genau dies suggeriert jedoch die Formulierung des BGH: "Schon deshalb keinen Erfolg haben, weil ... sie nicht geltend machen". Auch wenn nicht ausdrücklich gesagt wird, daß es sich dabei um ein Erfordernis des § 344 Abs. 2 S.2 StPO handle, entsteht trotzdem genau dieser Eindruck. 116 Damit wird jedoch die Grenze zwischen Zulässigkeit und Begründetheit auf unnötige Weise verwischt. Der BGH hätte daher besser daran getan, seine Überzeugung vom Nichtberuhen des Urteils auf dem Vereidigungsfehler darzustellen. Auf diese Weise wäre unmißverständlich ausgedrückt, daß das Gericht die von Amts wegen ihm im Rahmen der Begründetheit obliegende Beruhensprüfung durchgeführt hat. Will man den Revisionsführer darüber hinaus auch darauf hinweisen, daß in diesem speziellen Fall ein (freiwilliger) das Beruhen betreffender Vortrag sinnvoll (nicht notwendig!!) gewesen wäre, so sollte an hand der Formulierung auch ersichtlich werden, daß es sich insoweit um einen rein pragmatischen Hinweis handelt. Hierfür hätte der BGH im vorliegenden Fall beispielsweise einfach anmerken können, daß diese Konstellation keine ersichtlichen Anhaltspunkte für ein Beruhen enthalte und daß auch die Revisionsführer insoweit keine Hinweise gegeben hätten. Aufgrund der Tatsache, daß der BGH in dieser Entscheidung gerade nicht explizit auf § 344 StPO Bezug genommen hat, liegt es zwar nahe, daß auch er nur einen pragmatischen Hinweis geben wollte, aber dennoch bleibt festzuhalten, daß die Entscheidung den bestehenden Unterschied zwischen dem notwendigen Zulässigkeitsvortrag und dem freiwilligen Vorbringen hinsichtlich Begründetheitsaspekten nicht ausreichend verdeutlicht. Siehe direkt oben 5. Kap. D III 1 (S.260). Siehe insofern z. B. auch Herdegen, NStZ 1990, 513 (517) sowie Meyer-Goßner, § 344 StPO Rn 27; KK-Kuckein, § 344 StPO Rn 65; HK-Temming, § 344 StPO Rn 9; LR-Hanack, § 344 StPO Rn 87 (25. Auflage); KMR-Paulus, § 344 StPO Rn 28. 11; LR-Hanack, § 344 StPO Rn 87 (25. Auflage). 116 Daß die Entscheidung genau in diese Richtung ausgelegt werden kann, verdeutlicht beispielsweise auch der Leitsatz, den die Schriftleitung der NStZ dieser Entscheidung vorangestellt hat: "Zu den Anforderungen an die Rüge [Hervorhebung nicht im Original), das angefochtene Urteil beruhe auf einer Verletzung des § 189 GVG " (NStZ 1996,608). 113 114

D. Die Vereidigung

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3. Zusammenfassung Damit die Zulässigkeitsvoraussetzung des § 344 Abs. 2 S. 2 StPO bei der Geltendmachung eines Verstoßes gegen § 189 GVG erfüllt ist, muß der Revisionsführer vortragen, daß der zugezogene Dolmetscher nicht vereidigt wurde, obwohl er in seiner Dolmetscherfunktion tatsächlich tätig geworden ist. Nicht erforderlich im Sinne einer Zulässigkeitsvoraussetzung ist dagegen ein Vortrag, der sich mit dem Beruhen des Urteils auf der Verletzung des § 189 GVG befaßt.

Schlußbetrachtung A. Ergebnisse Dem Dolmetscher in der Hauptverhandlung wird in der strafprozessualen Literatur verhältnismäßig wenig Aufmerksamkeit entgegengebracht. Dies ist insoweit verwunderlich, als die Gerichtspraxis eine Vielzahl von "Dolmetscherentscheidungen" aufweist und bereits vor 30 Jahren beim BGH explizit von neuen Dimensionen des Sprachproblems die Rede war. I Lediglich in der Kommentarliteratur zum Gerichtsverfassungsgesetz und zur Strafprozeßordnung wird das Thema Dolmetscher regelmäßig behandelt. Häufig werden die gerichtlichen Entscheidungen hier aber nur referiert. Eine kritische Auseinandersetzung mit den Vorgaben der Rechtsprechung findet ebenso selten statt wie der Versuch, die Probleme dogmatisch zu strukturieren . Dadurch entsteht jedoch teils der Eindruck, bei Dolmetscherfragen handle es sich eher um praktische denn um rechtliche Probleme. Wer im Gegenzug zum spärlichen Interesse der Literatur eine ausgefeilte, gesetzliche Regelung erwartet, wird überrascht sein. Auch der Gesetzgeber war in puncto Dolmetscher bislang nämlich zurückhaltend. Als zentrale Norm läßt sich insoweit nur § 185 Abs. I S. I GVG nennen. Danach ist ein Dolmetscher zuzuziehen, wenn unter Beteiligung von Personen verhandelt wird, die der deutschen Sprache nicht mächtig sind. Viele Gesichtspunkte der Dolmetscherzuziehung bleiben damit unberücksichtigt. Lediglich für den Dolmetschereid wurde im Gerichtsverfassungsgesetz noch eine explizite Regelung getroffen. Gemäß § 189 Abs. I S. I GVG ist vom Dolmetscher regelmäßig ein Eid dahin zu leisten, daß er treu und gewissenhaft übertragen werde. Nur im Falle einer allgemeinen Vereidigung des Dolmetschers genügt nach § 189 Abs . 2 GVG ausnahmsweise eine Berufung auf den geleisteten Eid. Bei derart wenigen Vorgaben ist es für die Beantwortung vieler Fragen daher unabdingbar, sich mit dem dogmatischen Hintergrund der Dolmetscherzuziehung zu beschäftigen. Ein wichtiger Schritt ist dabei vor allem eine den heutigen Verhältnissen angepaßte Beschreibung der Dolmetscherfunktion (1. Kapitel E). Die Rolle des Dolmetschers in der Hauptverhandlung beinhaltet mehr als nur die rein sprachliche Übertragung. Seine Aufgabe liegt vielmehr in einer umfassenden Kommunikationsvermittlung, die neben der sprachlichen Ebene auch die Vermittlung kultureller Aspekte abdecken muß. Für die Prozeßrealität ist daher die Entwicklung eines Bewußtseins notwendig, das den Dolmetscher als Sprach- und Kulturmittler versteht, ihn aber auch in Abgrenzung zum Kultursachverständigen begreift. Hilfreich könI

Siehe BGHSt 30, 182 (184).

A. Ergebnisse

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nen insoweit die hier erarbeiteten Definitionen sein, indem sie die Bestimmung der jeweiligen Funktion sowie der rechtlichen Stellung eines Beteiligten erheblich erleichtern. Die besonderen Anforderungen, die das Aufgabenprofil an einen solchen Sprachund Kulturmittler im Strafverfahren stellt, werden im Gerichtsalltag bislang nur von wenigen Dolmetschern erfüllt (1. Kapitel D). Neben einem teils inadäquaten Rollenverständnis ist dies vor allem auf eine unzureichende Ausbildung zurückzuführen. Insofern besteht dringender Handlungsbedarf. Der Gesetzgeber muß sicherstellen, daß für Gerichtsverfahren zugezogene Dolmetscher neben sprachlich und landeskundlich nachgewiesener Eignung auch eine spezielle Qualifikation im juristischen Bereich besitzen. Nur wenn die zugezogene Person ausreichend qualifiziert ist, kann sie der ihr übertragenen Aufgabe gerecht werden und nur dann läßt sich das Ziel der Dolmetscherzuziehung auch erreichen. Durch den Dolmetscher soll es einem fremdsprachigen Angeklagten in erster Linie ermöglicht werden, trotz Sprachdefizit als vollwertiges Prozeßsubjekt agieren zu können. § 185 Abs. 1 S. 1 GVG stellt insofern eine Ausgestaltung des grundgesetzlich garantierten Rechts auf ein faires Verfahren dar. Dieser verfassungsrechtliche Hintergrund hat aber nicht nur auf die Auswahl des Dolmetschers (2. Kapitel F), sondern auch auf andere Teilaspekte der Dolmetscherzuziehung Auswirkungen. Bei der Auslegung der Zuziehungsvoraussetzungen (2. Kapitel C) bedeutet dies insbesondere, daß Sprachunkundigkeit im Sinne des § 185 Abs. 1 S. 1 GVG immer dann vorliegt, wenn ein Angeklagter aufgrund des Sprachdefizits nicht mehr in der Lage ist, seiner Rolle als Subjekt des Verfahrens entsprechend zu agieren. Umgekehrt setzt Sprachkundigkeit damit einen gehobenen Grad sowohl an aktiver wie auch passiver Sprachbeherrschung voraus. Auch auf die Ausgestaltung des Zuziehungsumfangs (2. Kapitel E) hat der verfassungsrechtliche Hintergrund Einfluß. So muß die Dolmetscherzuziehung grundsätzlich umfassend erfolgen, d. h. sie muß sich auf alle Verhandlungsteile erstrecken, an denen der Sprachunkundige beteiligt ist. Eine partielle Zuziehung des Dolmetschers trotz Beteiligung einer (der Gerichtssprache teilweise mächtigen) Person kann aufgrund des Fair-Trial-Grundsatzes nur unter sehr engen Voraussetzungen gestattet werden. Und nicht zuletzt wirkt sich das dem § 185 GVG inhärente Verfassungsgebot auch auf den Umfang der Übersetzung (3. Kapitel B) aus. Für die meisten Verhandlungsteile - vor allem im Hinblick auf einen fremdsprachigen Angeklagten - ist danach eine vollständige Übertragung erforderlich. Die existierenden Gerichtsentscheidungen lassen sich mit all diesen Anforderungen nicht immer in Einklang bringen. Dies liegt jedoch weniger an einer Verkennung des verfassungsrechtlichen Stellenwerts von § 185 GVG als hauptsächlich an einer in diesem Zusammenhang großzügig ausgestalteten Ermessensgewährung. Diese Ermessenspraxis ist in mehrfacher Hinsicht zu kritisieren. Als erster Punkt ist dabei die undifferenzierte Verwendung des Begriffs Ermessen zu nennen (2. Kapitel B). Auch in der Strafrechtsprechung sollte eine Terminologie Einzug finden,

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Schlußbetrachtung

die entsprechend der in anderen Rechtsgebieten anzutreffenden Formulierungen zwischen klassischem (Rechtsfolge-)Ermessen und einem (auf Tatbestandsvoraussetzungen bezogenen) Beurteilungsspielraum unterscheidet. Die Hauptkritik an dieser Rechtsprechung betrifft jedoch die mit der pauschalen "Ermessensgewährung" verbundene Verneinung der Revisibilität. Eine irrevisible Entscheidungskompetenz des Tatrichters kann nur dort akzeptiert werden, wo es um eine klassische Ermessensentscheidung geht. Das dem Tatrichter im Rahmen des § 185 Abs. 1 S. 1 GVG (2. Kapitel C III) und bei den anderen Entscheidungen (2. Kapitel E V, 6 b; 3. Kapitel B VI, 3 f) überlassene "Ermessen" bezieht sich aber größtenteils auf die Feststellung prozessual relevanter Tatsachen. Ein von der Revisionsinstanz nicht nachprüfbarer Beurteilungsspielraum ist für diese Entscheidungen weder regelmäßig noch ausnahmsweise gerechtfertigt. Vor dem verfassungsrechtlichen Hintergrund der Dolmetscherzuziehung gewinnt auch der in § 189 GVG normierte Eid an Bedeutung (4. Kapitel). Der obligatorische Voreid stellt keine überholte Regelung dar, sondern besitzt eine wichtige Funktion. Er trägt dazu bei, die ordnungsgemäße Ausführung der Dolmetscheraufgabe weitestgehend sicherzustellen. Ein fakultativer Nacheid vermag diese Aufgabe nicht im gleichen Maße zu erfüllen. Solange der Gesetzgeber die Qualifikation und Verläßlichkeit eingesetzter Gerichtsdolmetscher nicht auf andere Art und Weise gewährleistet, bleibt der Voreid als Sicherungsmechanismus unverzichtbar. Eine Angleichung von Dolmetscher- und Sachverständigeneid, wie sie in der Literatur teilweise gefordert wird, ist daher abzulehnen. Darüber hinaus ist es notwendig, die besondere Funktion des Dolmetschereides auch beim revisionsrechtlichen Umgang mit Vereidigungsverstößen zu berücksichtigen (5. Kapitel D). Der inneren Logik dieses Sicherungsmechanismus entsprechend ist davon auszugehen, daß ein Urteil grundsätzlich auf einer nicht vorschriftsmäßigen Vereidigung beruht. Dieser Grundsatz beansprucht - entgegen einer in der Rechtsprechung festzustellenden Strömung - auch für allgemein vereidigte Dolmetscher seine Geltung.

B. Ausblick Zusammenfassend betrachtet muß am Umgang der Rechtsprechung und Literatur mit Dolmetscherfragen oftmals Kritik geübt werden. Der verfassungsrechtliche Hintergrund des § 185 GVG sollte im Rahmen der Zuziehungsanforderungen sowie bei der Ausgestaltung des Dolmetschereinsatzes stärker Berücksichtigung finden. Vor allem aber ist es notwendig, daß die entsprechenden Feststellungen des Tatrichters einer unbeschränkten revisionsrechtlichen Überprüfung zugänglich gemacht werden. Es ist zuzugestehen, daß die Umsetzung dieser Forderungen im Gerichtsalltag zu umfassenderen oder auch vermehrten Dolmetschereinsätzen führen kann. Dieser Folge wird man möglicherweise entgegenhalten, daß sie aus Kosten- und Verfah-

B. Ausblick

269

rensdauergesichtspunkten unpraktikabel sei. Obwohl derartige Gesichtspunkte im Hinblick auf eine funktionsfahige Strafrechtspflege in der heutigen Zeit nicht zu vernachlässigen sind, ist eine solche Argumentation hier jedoch nicht tragfähig. Zunächst einmal schon deshalb, weil nicht jede der angestrebten Veränderungen mit höheren Kosten verbunden ist. Die Anwesenheit eines Dolmetschers muß stets gleich bezahlt werden. Ob er viel, wenig oder gar nicht übersetzt, ändert daran nichts. Die Ausgestaltung des Übersetzungsumfangs entzieht sich dem Kostenargument daher von vornherein. Aber selbst dort, wo eine erweiterte Zuziehung tatsächlich höhere Dolmetscherkosten verursacht, kann nicht unbedingt von Mehrkosten gesprochen werden. Dies wäre zu kurzsichtig. Die angemessene Inanspruchnahme eines Dolmetschers kann nämlich dazu beitragen, andere Kosten zu vermeiden: Werden durch die Mitwirkung des Dolmetschers etwa Mißverständnisse vermieden oder aufgeklärt, so kann sich dies unter Umständen positiv auf den Umfang der Beweisaufnahme auswirken oder sogar in einem Rechtsmittelverzicht niederschlagen. Je mehr die SubjektsteIlung eines fremdsprachigen Angeklagten in der ersten Instanz gewürdigt wird, um so weniger Anlaß gibt es, den Instanzenweg aufgrund von Verletzungen der Subjektstellung zu beschreiten. Es ist daher keineswegs selbstverständlich, daß höhere Dolmetscherkosten zugleich auch insgesamt zu höheren Verfahrenskosten führen. Welche gen auen Zusammenhänge hier in der Praxis tatsächlich gegeben sind, läßt sich jedoch nur im Rahmen einer empirischen Untersuchung sicher klären. Ähnliches gilt für das Argument der Verfahrensdauer. Man kann keineswegs davon ausgehen, daß Dolmetschereinsätze die Verfahrensdauer zwangsläufig negativ beeinflussen. Dies wurde erst jüngst durch eine empirische Analyse zur Rechtswirklichkeit von Strafverfahren bestätigt: Danach besteht zwischen der Dolmetscherbeiziehung für fremdsprachige Angeklagte in Strafverfahren vor Landgerichten und der Verfahrensdauer kein signifikanter Zusammenhang. 2 Parallel zum Kostengesichtspunkt ist auch hier zu berücksichtigen, daß die positiven Auswirkungen der Dolmetscherzuziehung den zusätzlichen Zeitaufwand für die Inanspruchnahme wieder kompensieren können. Genaue Aussagen über derartige Korrelationen lassen sich jedoch auch hier nur aufgrund spezieller empirischer Untersuchungen machen. Insgesamt gesehen stehen Kosten- und Verfahrensdauergesichtspunkte einer stärkeren Einbeziehung von Dolmetschern daher nicht entgegen. Vielmehr ist auch unter diesen Aspekten eine der Rolle und Bedeutung des Dolmetschers angepaßte Behandlung wünschenswert. Es bleibt daher zu hoffen, daß dem Dolmetscher in Zukunft ein wesentlich stärkeres Interesse entgegengebracht wird und daß sowohl Rechtsprechung als auch Literatur einen Teil ihrer bisherigen Ansichten zu diesem Thema überdenken.

2

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Sachwortverzeichnis Angeklagter - Belehrung d. A. 177 - SubjektsteIlung d. A. 87 - Übersetzungsumfang 157 Anklageverlesung 173 Anträge 181 Auswahl des Dolmetschers 134 - Revisibilität 138 Sprachbeherrschung, ausreichende 136 Sprachbestimmung 135 Beeidigung 49,52,209 , 220,262 Beeidigung Siehe auch Vereidigung, allg. 49 Belehrung des Angeklagten 177 Belehrungen von Beweispersonen 154 Berufung - auf allgemein geleisteten Eid 209 - auf früher geleisteten Eid 222 Beruhen 241 - regelmäßiges B. 242 Beruhensausschluß 245, 247,252 Beurteilungsspielraum 80 - bei Dolmetscherkontrolle 197 - Revisonsrechtlicher Kontrollmaßstab beim B. 94 Beweisaufnahme 178 Beweisperson - Belehrung 154 - Fragen an B. 153 - Fremdsprachige B. 152 Übertragung des Eides 155 Beweisverkehrsdolmetscher 68 Dialekte 54 Dolmetschen - Definition 23 - Entsprechungstypen 27 - Falsche Freunde 38

- Kulturspezifische Elemente 35 - Redewendungen 42 - Schwächen des D. 23 - Sprachkonventionen 35 - Sprachstil 34 - Unübersetzbare Wörter 27 Dolmetscher - Abgrenzung zum Sachverständigen 70 - Abgrenzung zum Verteidiger 62 - Arbeitssituation 57 - Aufgabenbereich 58 - Auswahlkriterien 54 - Brückenfunktion des D. 63 - Eid 202 - Eid Siehe auch Dolmetschereid 202 - Gesetzessituation 48 - Juristische Fachkenntnisse 51 - Kontrolle des D. 193 - Kulturfachmann 69 - Nonverbale Informationsvermittlung 53 - Politische, nationale und religiöse Zugehörigkeit 55 - Qualifikationen 47 - Rechtliche Stellung 66 - Rückschlüsse des D. 42 - Verantwortung für Übersetzung 195 - Zusätzlicher D. 138 Dolmetschereid 202 - Berufung auf allgemein geleisteten E. 209, 219 Berufung auf früheren Eid 222 - Eidesleistung 202 - Eidesleistung 219 - Einzeleid 209 - Erleichterungseffekt 207 - formale Reichweite 211 - inhaltliche Reichweite 215 - Nacheid 203

Sachwortverzeichnis - Protokollierung 223 Reichweite des E. 211 - Revisibilität 224 Spielarten des E. 209 Voreid 203 Zweck der Vereidigung 206 zwingender E. 203 Dolmetscherkontrolle Beurteilungsspielraum bei D. 197 - Ennessen bei D. 197 - Revisibilität 200 Dolmetscherlisten 57, 144, 146 Dolmetscherüberwachung 193 Dolmetscherzuziehung - Revisionsgründe 227 Dolmetschtechniken 43 Flüsterdolmetschen 45 Kabinensimultandolmetschen 44 Kettendolmetschen 47 Konsekutivdolmetschen 45 Simultandolmetschen 44 Eid assertorischer E. Siehe Nacheid 203 - bei Beweispersonen 155 - des Dolmetschers 202 Nacheid 203 - promissorischer E. Siehe Voreid 203 - Sachverständiger 203 - Voreid 203 EMRK 88 Entscheidungserheblichkeit von Erklärungen 163 Entscheidungsverkündungen 181 Entsprechungstypen 27 Eins-zu-eins-Entsprechungen 28 Eins-zu-Null-Entsprechungen 28 Eins-zu-Teil-Entsprechungen 31 - Eins-zu-vie1e-Entsprechungen 29 - Viele-zu-eins-Entsprechungen 30 Erklärungen - entscheidungserhebliche E. 160 Ennessen - bei Dolmetscherkontrolle 197 - bei Kommunikationssicherstellung 199 - des Tatrichters, allgemein 79 - Ennessensfehler 94 - Ennessensmißbrauch 94

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Ennessensüberschreitung 94 Kognitives E. 80 Rechtsfolgeennessen 80 Rechtsirrtum 94 Revisionsrechtlicher Kontrollmaßstab beim E. 94 Tatbestandsennessen 80 Erstinstanzliches Urteil 173 Fachkenntnisse, juristische 51 Faires Verfahrens 87 Falsche Freunde 38 Flüsterdolmetschen 45 Fragen - an Belastungszeugen 162 konsekutives Übersetzen von F. 45 - Kulturelle F. 69 - Übersetzungumfang 153 Fremdsprache Übertragungen aus der F. 158 Übertragungen in die F. 159 - Urkunde in F. 67, 156 Fremdsprachige Urkunde 156 Gerichtssprache 83,90,141,159 Infonnationsvennittlung, nonverbale 53 IPBPR 88 Kabinensimultandolmetschen 44 Kettendolmetschen 47 Kommunikation - in der Verhandlung 21 - Sicherstellung von K. 199 Kommunikationssicherstellung - Ennessen 199 Kommunikationssicherstellung 198 Konnotationen 31 Konsekutivdolmetschen 45 Kontrolle - des Dolmetschers 193 Kulturfachmann 69 Kultursachverständiger 74 Mehrdeutigkeit 40 - Grammatische M. 41 - Lexikalische M. 40 Meineid 202, 207, 210, 220, 221, 244, 256

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Sachwortverzeichnis

Mitangeklagter 179 Mündlichkeitsprinzip 20 Muttersprache 142 Nacheid 203 Beruhensausschluß durch N. 245 - revisionsrechtliche Gründe für N. 208 - Umsetzungsprobleme beim Dolmetscher 208 Nonverbale Informationsvermittlung 53 Protokoll - Vereidigung 223 Prozeßfunktion - des Dolmetschers 205 - des Sachverständigen 205 Prozessuales Feststellungsermessen - allgemein 98 - Begründungsansätze für p. F. 98 - Norm mit Ausnahmecharakter 106 Redewendungen 42 Revisibilität - Auswahl Dolmetscher 138 - Dolmetscherkontrolle 200 - personelle Zuziehungsentscheidung 147 - Übersetzungs umfang 192 - Zuziehungsumfang 130 - Zuziehungsvoraussetzungen 93 Revision - Rügevorbringen 259 Revisionsgründe 226 - Absolute R. 108, 228, 230, 231, 233, 235,236 - absolute R. 227 - Ausübung Dolmetschertätigkeit 237 - Beruhen 241 - Dolmetscherzuziehung 227 - Relative R. 233,237,239,241 - Unbedingte R. Siehe Absolute Revisionsgründe 236 - Vereidigung des Dolmetschers 240 Richter - Sicherstellung Kommunikation 198 - Verantwortung für die Übersetzung 196 Rügevorbringen 259

Sachverständigeneid 203 Sachverständigenvernehmung 179 Sachverständiger - Nacheid 203 - Prozeßfunktion 205 - Übersetzung von Urkunden 67 Schlußvorträge 183 Schrankenfunktion § 185 Abs. I S. I GVG 90 Schriftstücke - in fremder Sprache 157 - Verlesung von S. 180 Simultandolmetschen 44 Sprachbeherrschung, ausreichende 136 Sprachbestimmung 135 Sprache - allgemein 19 - Funktionen der S. 19 - Gerichtssprache 141 - Muttersprache 142 - Vertrauteste S. 141 Sprachen - nahe und feme S. 37 Sprachstil 34 Sprachunkundigkeit 83 - Art. 103 Abs. 1 GG 85 - Art. 19 Abs. 4 GG 85 - Art. 2 Abs. 1 GG i. V. m. Art. 2 Abs. 1 GG 86 - Faires Verfahren 87 - Verfassungsrechtlicher Hintergrund des § 185 GVG 85 Sprachwahl des Betroffenen 142 Übersetzung - Fremdspachige Urkunde 67,156 - Verantwortung für die Ü. 24, 195 Übersetzungsprobleme - fach- und normal sprachliche 25 Übersetzungstätigkeit - Umfang der Ü. 149 Übersetzungsumfang 149 - Anklageverlesung 173 - Anträge 181 - bei Beweispersonen 152 - beim Angeklagten 157 - Belehrung des Angeklagten 177

Sachwortverzeichnis - Belehrungen von Beweispersonen 154 - Beweisaufnahme 178 - Eid bei Beweispersonen 155 - Entscheidungsverkündungen 181 - Erstinstanzliches Urteil 173 - Fragen an Beweispersonen 153 - Fremdsprachige Urkunde 156 - nach Verfahrensrolle 151 - Revisibilität 192 - Sachverständigenvernehmung 179 - Schlußvorträge 183 - Urteilsverkündung 181 - Verlesung von Schriftstücken 180 - Vernehmung Mitangeklagter 179 - Vorhalte 154 - Zeugenvernehmung 179 Übertragung - aus der Fremdsprache 158 in die Fremdaprache 159 - Vollständige Ü. 149 - Wörtliche Ü. 149, 161 Unmittelbarkeitsprinzip 20 Unübersetzbare Wörter 27 Urkunde - Fremdsprachige U. 67, 156 - Übersetzung 67 Urteil - Beruhen 241 Urteilsverkündung 181 Verantwortung für die Übersetzung 24, 195 Vereidigung Siehe Eid und Dolmetschereid 202 Vereidigung, allgemeine 49,52,209,220 Vereidigungsfehler - Beruhen des Urteils auf V. 241 Verfahrensrolle - Beweisperson 152

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- des Angeklagten 157 - Übersetzungsumfang nach V. 151 Verhandlungsfähigkeit 109 Verhandlungsunfahigkeit Siehe Verhandlungsfahigkeit \09 Verlesung - Erstinstanzliches Urteil 173 - Schriftstücke 180 Vernehmung - Beweisperson 152 - Mitangeklagter 179 - Sachverständiger 179 - Zeuge 179 Verwirkung \0 I Völkerrecht 89 Voreid 203 Vorhalte 154 Wesentlicher Inhalt - Verständlichmachen des w. I. 164 - Wesentlichkeitsmaßstab 167 Zeugenvernehmung 179 Zugehörigkeit - Politische, nationale und religiöse Z. 55 Zuziehungsentscheidung - personelle Z. 145 - Revisibilität der personellen Z. 147 Zuziehungsumfang 119 - Begriffsbestimmung 119 - bei Sprachunkundigkeit 120 - Errnessensart beim Z. 120 - Revisibilität 130 - Teilweise Sprachunkundigkeit 123 - Verhandlungsabschnitte 125 Zu ziehungs voraussetzungen 81 - Beteiligter 81 - Revisibilität 93 - Sprachunkundigkeit 81 - Verhandlung 81 Zuziehungszeitpunkt 133