Der Irrtumsnachweis beim Massenbetrug: Anforderungen an die Beweisaufnahme in der Hauptverhandlung bei einer Vielzahl an Zeugen [1 ed.] 9783428552931, 9783428152933

Massenbetrugsverfahren mit bis zu hunderttausenden Getäuschten stellen den Strafprozess vor Herausforderungen: Der Irrtu

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German Pages 374 Year 2017

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Der Irrtumsnachweis beim Massenbetrug: Anforderungen an die Beweisaufnahme in der Hauptverhandlung bei einer Vielzahl an Zeugen [1 ed.]
 9783428552931, 9783428152933

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Schriften zum Strafrecht Band 312

Der Irrtumsnachweis beim Massenbetrug Anforderungen an die Beweisaufnahme in der Hauptverhandlung bei einer Vielzahl an Zeugen

Von

Elisa Frank

Duncker & Humblot · Berlin

ELISA FRANK

Der Irrtumsnachweis beim Massenbetrug

Schriften zum Strafrecht Band 312

Der Irrtumsnachweis beim Massenbetrug Anforderungen an die Beweisaufnahme in der Hauptverhandlung bei einer Vielzahl an Zeugen

Von

Elisa Frank

Duncker & Humblot · Berlin

Die Juristische Fakultät der Ludwig-Maximilians-Universität München hat diese Arbeit im Wintersemester 2016/2017 als Dissertation angenommen.

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

Alle Rechte vorbehalten

© 2017 Duncker & Humblot GmbH, Berlin Satz: Konrad Triltsch GmbH, Ochsenfurt Druck: buchbücher.de gmbh, Birkach Printed in Germany ISSN 0558-9126 ISBN 978-3-428-15293-3 (Print) ISBN 978-3-428-55293-1 (E-Book) ISBN 978-3-428-85293-2 (Print & E-Book)

Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier entsprechend ISO 9706

Internet: http://www.duncker-humblot.de

Vorwort Die vorliegende Arbeit wurde im Wintersemester 2016/2017 von der Juristischen Fakultät der Ludwig-Maximilians-Universität als Dissertation angenommen. Die mündliche Prüfung war im Mai 2017. Für die Veröffentlichung wurde die Arbeit noch geringfügig überarbeitet. Sie berücksichtigt den Stand der Rechtsprechung und Literatur bis April 2017. Die Erstellung dieser Dissertation war für mich eine sowohl fachlich als auch persönlich bereichernde Erfahrung. Auf diesem Weg haben mich zahlreiche Menschen begleitet und unterstützt, wofür ich ihnen an dieser Stelle danken möchte. Meinem Doktorvater, Herrn Professor Dr. Matthias Krüger, gilt mein großer Dank für seine stets konstruktive, fachliche und persönliche Unterstützung sowie die mir überlassene Freiheit in der Themenwahl und Ausarbeitung. Für die zügige Erstellung des Zweitgutachtens und die darin enthaltenen hilfreichen Anmerkungen bedanke ich mich vielmals bei Herrn Professor Dr. Ralf Kölbel. Meinem Mentor Dr. Matthias Schütrumpf sei herzlich gedankt für zahlreiche Gespräche, in denen er mir als geschätzter Diskussionspartner mit wertvollen Anregungen zur Seite stand. Besonderer Dank gebührt meinem Mann und meinen Eltern. Sie haben mich während der gesamten Zeit großzügig unterstützt, liebevoll ermutigt und interessiert begleitet. München, im Juni 2017

Elisa Frank

Inhaltsübersicht Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 29 Teil 1 Hinführung zur verfahrensrechtlichen Problematik bei Massenverfahren

33

1. Kapitel Begriff des Massenbetrugsverfahrens A. Abhängigkeit von der Deliktsart . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . B. Massenhafte Anzahl der mutmaßlich Irrenden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . C. Verhältnis zum Begriff der Serienstraftat . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

33 33 33 34

2. Kapitel A. B. C. D. E. F.

Verfahrensprinzipien der Beweisaufnahme Ziel, Aufgabe und Grenzen des Strafverfahrens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Verhältnis vom Strafrecht zum Strafprozessrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Eine umfassende Beweisaufnahme fordernde Verfahrensprinzipien . . . . . . . . . . . . . . . Den Umfang der Beweisaufnahme einschränkende Verfahrensprinzipien . . . . . . . . . . Interessen des Angeklagten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

35 35 36 38 44 48 48

Teil 2 Ausgangsüberlegungen zum Irrtumsnachweis beim Massenbetrug

49

1. Kapitel A. B. C. D. E.

Der Betrugstatbestand Rechtsgut . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Täuschungsmerkmal . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Irrtumsmerkmal . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Konkurrenzen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Strafzumessung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

49 51 51 70 81 89

2. Kapitel Fallgruppen des Massenbetrugs 94 A. Abrechnungen im Gesundheitsbereich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 94 B. Geltendmachung von unbegründeten oder überhöhten Forderungen . . . . . . . . . . . . . . 97

8

Inhaltsübersicht

C. D. E. F.

Abschluss von nachteiligen oder wirtschaftlich sinnlosen Verträgen . . . . . . . . . . . . . . Kostenfallen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Nicht funktionierende Geschäftsmodelle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Weitere Fälle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

A. B. C. D. E. F. G.

Strukturmerkmale des Massenbetrugs Anzahl der Irrenden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Täuschung mithilfe von Telekommunikation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Geringer Individualvermögensschaden, großer Gesamtschaden . . . . . . . . . . . . . . . . . . Konkurrenzen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Strafzumessung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Bandenbetrug und Organisierte Kriminalität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

100 102 104 105

3. Kapitel 107 107 109 110 110 111 112 113

Teil 3 Lösungsansätze

114

1. Kapitel Die Beschränkung des Verfahrensstoffs A. Rechtsprechungsübersicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . B. Absehen von der Strafverfolgung gemäß § 154 StPO bzw. Beschränkung der Strafverfolgung gemäß § 154a StPO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . C. Bewertung und Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

116 116 117 122

2. Kapitel A. B. C. D. E.

Die Bestrafung wegen Versuchs statt Vollendung Rechtsprechungsübersicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Materiell-rechtlich: Irrtum als subjektives Merkmal im Tatentschluss . . . . . . . . . . . . . Prozessual: Beschränkung der Strafverfolgung auf den Versuch . . . . . . . . . . . . . . . . . Bewertung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

124 124 131 135 139 148

3. Kapitel A. B. C. D.

Das uneigentliche Organisationsdelikt Materiell-rechtlich: Uneigentliches Organisationsdelikt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Prozessual: Beweiserleichterungen über die Konkurrenzen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Bewertung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

149 149 170 173 202

Inhaltsübersicht

9

4. Kapitel A. B. C. D. E.

Das normativ geprägte Vorstellungsbild Rechtsprechungsübersicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Materiell-rechtlich: Normativierung der Tatbestandsmerkmale . . . . . . . . . . . . . . . . . . Prozessual: Beweiserleichterungen durch Indizienschluss . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Bewertung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

204 204 213 228 246 291

5. Kapitel A. B. C. D.

Die Verlesung von Fragebögen Rechtsprechungsübersicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Einsatz von Fragebögen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Bewertung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

293 293 294 300 306

6. Kapitel Die Vorschläge de lege ferenda 307 A. Einführung eines neuen Straftatbestands in Form eines Eignungsdelikts (Trüg) . . . . . 307 B. Erstreckung der Beschränkung der Strafverfolgung auf den Versuch in § 154a StPO (Krell) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 308 7. Kapitel Die Restriktionen im Beweisantragsrecht A. Rechtsprechungsübersicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . B. Gründe für die Ablehnung des Beweisantrages . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . C. Bewertung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

310 311 313 319

8. Kapitel A. B. C. D. E. F. G. H.

Der eigene Vorschlag: Die Kombinationslösung Anwendungsvoraussetzungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Erster Baustein: Fragebögen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Zweiter Baustein: Zeugenvernehmungen pars pro toto in der Hauptverhandlung . . . . Umgang mit den Ergebnissen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Beweisantragsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Vereinbarkeit mit den Verfahrensprinzipien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Praxistauglichkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

321 322 324 344 346 347 349 353 354

Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 355 Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 360 Sachwortregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 372

Inhaltsverzeichnis Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 29 Teil 1 Hinführung zur verfahrensrechtlichen Problematik bei Massenverfahren

33

1. Kapitel Begriff des Massenbetrugsverfahrens

33

A. Abhängigkeit von der Deliktsart . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 33 B. Massenhafte Anzahl der mutmaßlich Irrenden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 33 C. Verhältnis zum Begriff der Serienstraftat . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 34 2. Kapitel Verfahrensprinzipien der Beweisaufnahme

35

A. Ziel, Aufgabe und Grenzen des Strafverfahrens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 35 B. Verhältnis vom Strafrecht zum Strafprozessrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 36 C. Eine umfassende Beweisaufnahme fordernde Verfahrensprinzipien . . . . . . . . . . . . . . . . . 38 I. Amtsaufklärungspflicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 38 II. Beweiswürdigungsgrundsatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 39 III. Unmittelbarkeitsgrundsatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 40 IV. Konfrontationsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 42 D. Den Umfang der Beweisaufnahme einschränkende Verfahrensprinzipien . . . . . . . . . . . . 44 I. Effektivität und Effizienz der Strafrechtspflege . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 44 II. Prozessökonomie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 45 III. Beschleunigungsgrundsatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 47 E. Interessen des Angeklagten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 48 F. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 48

12

Inhaltsverzeichnis Teil 2 Ausgangsüberlegungen zum Irrtumsnachweis beim Massenbetrug

49

1. Kapitel Der Betrugstatbestand

49

A. Rechtsgut . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 51 B. Täuschungsmerkmal . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 51 I. Ausdrückliche Täuschung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 52 II. Konkludente Täuschung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 53 1. Faktisch-normativer Mischansatz der herrschenden Meinung . . . . . . . . . . . . . . . 53 2. Faktisch-normative Ansätze in der Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 55 a) Bung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 55 b) Jahn und Maier . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 56 c) Kasiske . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 56 d) Vogel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 57 3. Rein normative Ansätze in der Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 57 a) Frisch . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 57 b) Gauger . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 57 c) Kindhäuser . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 58 d) Kubiciel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 58 e) Lackner . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 59 f) Pawlik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 59 g) Seelmann . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 59 h) Wittig . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 60 4. Normativierungstendenzen in der Rechtsprechung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 60 a) Insertionsoffertenbetrug . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 60 b) Sportwettbetrug . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 60 5. Normativismus als Unter- und Obergrenze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 62 a) Konkreter oder objektiver Empfängerhorizont . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 63 b) Tatsächliche oder objektivierte Erwartungen der Verkehrsteilnehmer . . . . . . 65 c) Normativierung als Ober- und Untergrenze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 66 aa) Normativierung als Obergrenze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 66 bb) Normativierung als Untergrenze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 67 6. Stellungnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 67 III. Täuschung durch Unterlassen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 68 IV. Abgrenzungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 69 C. Irrtumsmerkmal . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 70 I. Irrtum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 71 II. Intensität der Fehlvorstellung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 71 1. Ignorantia facti . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 71

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2. Sachgedankliches Mitbewusstsein . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 72 3. Opfermitverantwortung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 73 a) Zweifel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 74 b) Leichtgläubigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 74 4. Einfluss des europarechtlichen Verbraucherleitbildes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 75 III. Normativierung und Feststellung des Irrtumsmerkmals . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 77 1. Faktischer Ansatz der herrschenden Meinung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 77 2. Normative Ansätze in der Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 78 a) Frisch . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 78 b) Kubiciel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 79 c) Naucke . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 79 d) Pawlik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 79 3. Zusammenfassende Stellungnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 80 D. Konkurrenzen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 81 I. Tateinheit bei Handlungseinheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 82 1. Tateinheit bei Handlung im natürlichen Sinn und bei natürlicher Handlungseinheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 82 a) Handlung im natürlichen Sinn vs. natürliche Handlungseinheit . . . . . . . . . . . 82 b) Eine konkurrenzlose Gesetzesverletzung vs. gleichartige Tateinheit . . . . . . . 84 c) Einheitstheorie vs. Mehrheitstheorie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 87 2. Tateinheit wegen rechtlicher Handlungseinheit beim uneigentlichen Organisationsdelikt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 88 II. Tatmehrheit bei Handlungsmehrheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 88 III. Überblicksschema . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 88 E. Strafzumessung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 89 I. Absorptions- oder Asperationsprinzip . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 89 II. Regelbeispiele für einen besonders schweren Fall des Betrugs . . . . . . . . . . . . . . . . 90 1. Gewerbsmäßigkeit, § 263 III 2 Nr. 1 Var. 1 StGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 90 2. Schadenshöhe, § 263 III 2 Nr. 2 Var. 1 StGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 91 3. Anzahl der Geschädigten, § 263 III 2 Nr. 2 Var. 2 StGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 91 III. Unbenannter besonders schwerer Fall . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 92 IV. Strafzumessung, § 46 II StGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 93 2. Kapitel Fallgruppen des Massenbetrugs

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A. Abrechnungen im Gesundheitsbereich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 94 I. Fall 1: BGH, Urt. v. 05. 12. 2002– 3 StR 161/02 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 95 II. Fall 2: BGH, Urt. v. 22. 08. 2006 – 1 StR 547/05 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 95 III. Fall 3: BGH, Urt. v. 10. 12. 2014 – 5 StR 405/13 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 96 IV. Fall 4: BGH, Urt. v. 12. 02. 2015 – 2 StR 109/14 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 96

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B. Geltendmachung von unbegründeten oder überhöhten Forderungen . . . . . . . . . . . . . . . . 97 I. Fall 5: BGH, Beschl. v. 09. 06. 2009 und Urt. v. 17. 07. 2009 – 5 StR 394/08 . . . . . 97 II. Fall 6: BGH, Beschl. v. 06. 02. 2013 – 1 StR 263/12 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 98 III. Fall 7: BGH, Urt. v. 22. 05. 2014 – 4 StR 430/13 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 98 IV. Fall 8: BGH, Beschl. v. 03. 02. 2015 – 3 StR 544/14 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 100 C. Abschluss von nachteiligen oder wirtschaftlich sinnlosen Verträgen . . . . . . . . . . . . . . . . 100 I. Fall 9: BGH, Beschl. v. 31. 01. 2012 – 3 StR 285/11 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 101 II. Fall 10: BGH, Beschl. v. 15. 10. 2013 – 3 StR 154/13 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 101 III. Fall 11: BGH, Beschl. v. 04. 09. 2014 – 1 StR 314/14 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 101 IV. Fall 12: BGH, Beschl. v. 01. 10. 2015 – 3 StR 102/15 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 102 D. Kostenfallen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 102 I. Fall 13: BGH, Urt. v. 05. 03. 2014 – 2 StR 616/12 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 103 II. Fall 14: BGH, Urt. v. 27. 03. 2014 – 3 StR 342/13 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 103 E. Nicht funktionierende Geschäftsmodelle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 104 I. Fall 15: BGH, Urt. v. 19. 11. 2015 – 4 StR 115/15 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 104 II. Fall 16: LG Düsseldorf, Urt. v. 31. 07. 2014 – 14 KLs – 130 Js 44/09 – 10/12 . . . . 105 F. Weitere Fälle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 105 I. Fall 17: BGH, Urt. v. 22. 11. 2013 – 3 StR 162/13 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 105 II. Fall 18: BGH, Beschl. v. 17. 06. 2014 – 2 StR 658/13 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 106 3. Kapitel Strukturmerkmale des Massenbetrugs 107 A. Anzahl der Irrenden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 107 B. Täuschung mithilfe von Telekommunikation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 109 C. Geringer Individualvermögensschaden, großer Gesamtschaden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 110 D. Konkurrenzen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 110 E. Strafzumessung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 111 F. Bandenbetrug und Organisierte Kriminalität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 112 G. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 113 Teil 3 Lösungsansätze

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1. Kapitel Die Beschränkung des Verfahrensstoffs

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A. Rechtsprechungsübersicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 116 B. Absehen von der Strafverfolgung gemäß § 154 StPO bzw. Beschränkung der Strafverfolgung gemäß § 154a StPO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 117 I. Eine oder mehrere prozessuale Taten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 117 1. Mehrere prozessuale Taten, § 154 StPO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 117

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2. Eine prozessuale Tat, § 154a StPO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 118 II. Keine Wesentlichkeit der einzustellenden Taten, §§ 154 I Nr. 1, 154a I 1 Nr. 1 StPO 118 1. Bezugspunkt: Rechtsfolgenminus bzgl. der gesamten Rechtsfolge . . . . . . . . . . . 119 2. Anwendung bei Massenbetrugsfällen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 120 III. Kein Urteil in angemessener Frist, §§ 154 I Nr. 2, 154a I 2 i.V.m. § 154 I Nr. 2 StPO 121 C. Bewertung und Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 122 2. Kapitel Die Bestrafung wegen Versuchs statt Vollendung 124 A. Rechtsprechungsübersicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 124 I. Praxis der Instanzgerichte und Reaktionen des ersten, zweiten und dritten Senats 125 1. Fall 6: BGH, Beschl. v. 06. 02. 2013 – 1 StR 263/12 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 125 2. Fall 17: BGH, Urt. v. 22. 11. 2013 – 3 StR 162/13 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 125 3. Fall 13: BGH, Urt. v. 05. 03. 2014 – 2 StR 616/12 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 126 4. Fall 11: BGH, Beschl. v. 04. 09. 2014 – 1 StR 314/14 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 126 5. Fall 8: BGH, Beschl. v. 03. 02. 2015 – 3 StR 544/14 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 128 II. Vorgehen des ersten und vierten Strafsenats in der Revisionsinstanz . . . . . . . . . . . 128 1. BGH, Beschl. v. 22. 01. 2013 – 1 StR 416/12 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 128 2. Fall 7: BGH, Urt. v. 22. 05. 2014 – 4 StR 430/13 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 129 III. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 130 B. Materiell-rechtlich: Irrtum als subjektives Merkmal im Tatentschluss . . . . . . . . . . . . . . . 131 I. Erleichterter Nachweis des Irrtums im Tatentschluss als subjektive Tätervorstellung 132 1. Feststellung des Tatentschlusses durch Geständnis des Angeklagten . . . . . . . . . 132 2. Feststellung des Tatentschlusses durch Indizien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 133 II. Strafzumessung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 133 1. Ablehnung der fakultativen Strafmilderung, § 23 II StGB . . . . . . . . . . . . . . . . . 133 2. Besonders gesteigertes Handlungsunrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 134 3. Strafzumessung in der Revisionsinstanz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 134 III. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 135 C. Prozessual: Beschränkung der Strafverfolgung auf den Versuch . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 135 I. Bestrafung des Versuchsdelikts in dubio pro reo . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 135 1. Anwendung des Zweifelssatzes beim Stufenverhältnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 135 2. Überspannte Anforderungen an Beweiswürdigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 136 II. Teileinstellung bei mehreren Taten, § 154 I Nr. 1, II StPO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 137 III. Beschränkung der Strafverfolgung auf die Versuchsstrafbarkeit nach § 154a StPO 137 IV. Beschränkung der Strafverfolgung auf die Versuchsstrafbarkeit nach § 154a StPO analog . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 138 D. Bewertung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 139 I. Positive Aspekte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 139

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Inhaltsverzeichnis II. Kritik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 140 1. Zur Versuchsstrafbarkeit infolge der Anwendung des Zweifelssatzes . . . . . . . . . 140 a) Amtsaufklärungspflicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 140 b) Beweiswürdigungsgrundsatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 140 c) Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 142 2. Zur Beschränkung der Strafverfolgung auf die Versuchsstrafbarkeit nach § 154a StPO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 142 a) Einstellungsgegenstand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 143 aa) Abtrennbare Teile . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 143 bb) Einzelne von mehreren Gesetzesverletzungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 143 cc) Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 144 b) Keine Wesentlichkeit der einzustellenden Taten, § 154a I 1 Nr. 1 StPO . . . . 144 c) Kein Urteil in angemessener Frist, § 154a I 2 i.V.m. § 154 I Nr. 2 StPO . . . . 144 d) Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 145 3. Zur Verfolgungsbeschränkung auf die Versuchsstrafbarkeit gemäß § 154a StPO analog . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 145 a) Analogieverbot . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 146 aa) Analogieverbot im Strafverfahrensrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 146 bb) Analogie in bonam partem . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 146 cc) Analogie bei Ausnahmevorschriften . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 147 b) Stellungnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 147 III. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 148

E. Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 148 3. Kapitel Das uneigentliche Organisationsdelikt

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A. Materiell-rechtlich: Uneigentliches Organisationsdelikt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 149 I. Rechtsprechungsübersicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 149 1. Fall 9: BGH, Beschl. v. 31. 01. 2012 – 3 StR 285/11 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 149 2. Fall 6: BGH, Beschl. v. 06. 02. 2013 – 1 StR 263/12 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 150 3. Fall 10: BGH, Beschl. v. 15. 10. 2013 – 3 StR 154/13 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 150 4. Fall 14: BGH, Urt. v. 27. 03. 2014 – 3 StR 342/13 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 150 5. Fall 7: BGH, Urt. v. 22. 05. 2014 – 4 StR 430/13 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 150 6. Fall 11: BGH, Beschl. v. 04. 09. 2014 – 1 StR 314/14 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 151 7. Fall 15: BGH, Urt. v. 19. 11. 2015 – 4 StR 115/15 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 151 8. Fall 16: LG Düsseldorf, Urt. v. 31. 07. 2014 – 14 KLs – 130 Js 44/09– 10/12 151 II. Uneigentliches Organisationsdelikt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 152 1. Geschäftsbetrieb . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 153 2. Tatbeiträge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 155 a) Aufbau, Aufrechterhaltung und Ablauf . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 155

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b) Keine eigenhändige Deliktsbegehung und keine individuellen, nur eine Tat fördernde Tatbeiträge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 156 c) Zusammenhang mit der mittelbaren Täterschaft kraft Organisationsherrschaft 157 3. Erfordernis einer Beteiligungskonstellation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 158 a) Allgemeine Konkurrenzlehre bei mehreren Beteiligten . . . . . . . . . . . . . . . . . 158 b) Grundsätzliche Erforderlichkeit des Nachweises der Haupttat für Bestrafung des mittelbaren Täters/Mittäters/Teilnehmers . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 159 c) Rechtsprechung zum uneigentlichen Organisationsdelikt . . . . . . . . . . . . . . . . 159 aa) Unbekannt gebliebene unmittelbare Täter oder Tatmittler . . . . . . . . . . . 160 bb) Wechselseitige Anwendung bei allen Beteiligten . . . . . . . . . . . . . . . . . 160 cc) Keine Beteiligungskonstellation beim unmittelbaren Täter . . . . . . . . . . 160 dd) Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 162 d) Rechtsprechung zum uneigentlichen Organisationsdelikt beim Massenbetrug 162 aa) Tateinheit bei allen Beteiligten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 162 (1) Fall 6: BGH, Beschl. v. 06. 02. 2013 – 1 StR 263/12 . . . . . . . . . . . . 162 (2) Fall 14: BGH, Urt. v. 27. 03. 2014 – 3 StR 342/13 . . . . . . . . . . . . . . 163 (3) Fall 7: BGH, Urt. v. 22. 05. 2014 – 4 StR 430/13 . . . . . . . . . . . . . . . 163 (4) Fall 11: BGH, Beschl. v. 04. 09. 2014 – 1 StR 314/14 . . . . . . . . . . . 164 (5) Fall 16: LG Düsseldorf, Urt. v. 31. 07. 2014 – 14 KLs – 130 Js 44/ 09 – 10/12 –, juris . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 164 bb) Tateinheit beim Alleintäter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 165 (1) Fall 9: BGH, Beschl. v. 31. 01. 2012 – 3 StR 285/11 . . . . . . . . . . . . 165 (2) Fall 10: BGH, Beschl. v. 15. 10. 2013 – 3 StR 154/13 . . . . . . . . . . . 165 cc) Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 166 4. Materiell-rechtliche Rechtsfolgen des uneigentlichen Organisationsdelikts . . . . 167 a) Konkurrenzen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 167 aa) Tatbestandliche vs. rechtliche Handlungseinheit (sui generis) . . . . . . . . 167 bb) Tateinheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 168 b) Strafzumessung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 169 B. Prozessual: Beweiserleichterungen über die Konkurrenzen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 170 I. Bestimmung der Konkurrenzen anhand der Feststellbarkeit der Einzelakte . . . . . . 170 II. Keine konkrete Feststellung der Einzeldelikte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 171 III. Auswirkungen auf den Irrtumsnachweis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 173 C. Bewertung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 173 I. Positive Aspekte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 174 II. Kritik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 174 1. Schuldprinzip und Unschuldsvermutung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 174 a) Folgen des Verzichts auf eine Beteiligungskonstellation . . . . . . . . . . . . . . . . . 175 aa) Beim unmittelbaren Täter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 176 (1) Verschiebung der Tathandlung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 176

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Inhaltsverzeichnis (2) Drohende faktische Ersetzung einer etwaigen mittelbaren Täterschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 177 bb) Bei Mittätern . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 179 cc) Bei Teilnehmern . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 180 b) Bestimmung der Konkurrenzen anhand der konkret feststellbaren Einzeldelikte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 180 c) Konsequenz: Bestrafung nicht nachweisbarer Delikte . . . . . . . . . . . . . . . . . . 181 d) Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 182 2. Ablehnung des uneigentlichen Organisationsdelikts wegen Ähnlichkeit zur abgeschafften Rechtsfigur der fortgesetzten Tat . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 182 a) Früher vertretene konkurrenzrechtliche Rechtsfiguren . . . . . . . . . . . . . . . . . . 184 b) Abgeschaffte Rechtsfigur der fortgesetzten Handlung . . . . . . . . . . . . . . . . . . 186 aa) Frühere Rechtsprechung zur fortgesetzten Tat . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 186 bb) Aufgabe der Rechtsprechung durch BGHSt 40, 138 . . . . . . . . . . . . . . . 187 cc) Reaktionen in der Wissenschaft und Vorschläge zur Substitution . . . . . 189 (1) Fortgesetzte Handlung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 190 (2) Natürliche Handlungseinheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 190 (3) Juristische Handlungseinheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 190 (4) Institutionalisiertes System . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 191 (5) Fortgesetzte Handlungseinheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 192 (6) Finale Handlungseinheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 192 (7) Tatmehrheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 192 c) Zusammenhänge der beiden Rechtsfiguren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 193 aa) Ausgangsproblem . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 193 bb) Anwendungsbereich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 195 (1) Gleichartigkeit des verletzten Rechtsguts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 195 (2) Unterschiedliche Rechtsgutsträger . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 195 (3) Tathandlung: Vollständige Tatbestandsverwirklichung vs. Zurechnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 195 (4) Gleichartigkeit der Begehungsweise . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 196 (5) Räumlich-zeitlicher Zusammenhang . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 196 (6) Vorsatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 196 cc) Rechtsfolgen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 197 dd) Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 198 d) Gründe der Abschaffung auch beim uneigentlichen Organisationsdelikt . . . . 198 e) Rechtfertigung aus Gründen der Praktikabilität und Prozessökonomie . . . . . 199 f) Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 201

III. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 202 D. Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 202

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4. Kapitel Das normativ geprägte Vorstellungsbild 204 A. Rechtsprechungsübersicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 204 I. Fall 1: BGH, Urt. v. 05. 12. 2002 – 3 StR 161/02 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 204 II. Fall 2: BGH, Urt. v. 22. 08. 2006 – 1 StR 547/05 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 205 III. Fall 5: BGH, Urt. v. 17. 07. 2009 und Beschl. v. 09. 06. 2009 – 5 StR 394/08 . . . . . 206 IV. Fall 6: BGH, Beschl. v. 06. 02. 2013 – 1 StR 263/12 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 206 V. Fall 17: BGH, Urt. v. 22. 11. 2013 – 3 StR 162/13 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 207 VI. Fall 14: BGH, Urt. v. 27. 03. 2014 – 3 StR 342/13 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 208 VII. Fall 7: BGH, Urt. v. 22. 05. 2014 – 4 StR 430/13 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 209 VIII. Fall 18: BGH, Beschl. v. 17. 06. 2014 – 2 StR 658/13 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 209 IX. Fall 11: BGH, Beschl. v. 04. 09. 2014 – 1 StR 314/14 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 210 X. Fall 4: BGH, Urt. v. 12. 02. 2015 – 2 StR 109/14 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 211 XI. Fall 12: BGH, Beschl. v. 01. 10. 2015 – 3 StR 102/15 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 211 XII. Fall 15: BGH, Urt. v. 19. 11. 2015 – 4 StR 115/15 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 212 XIII. Fall 16: LG Düsseldorf, Urt. v. 31. 07. 2014 – 14 KLs – 130 Js 44/09 – 10/12 . . . . 212 B. Materiell-rechtlich: Normativierung der Tatbestandsmerkmale . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 213 I. Normativierung des Täuschungsmerkmals . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 213 1. Rechtsprechungsübersicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 213 a) Fall 5: BGH, Beschl. v. 09. 06. 2009 – 5 StR 394/08 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 213 b) Fall 14: BGH, Urt. v. 27. 03. 2014 – 3 StR 342/13 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 214 c) Fall 7: BGH, Urt. v. 22. 05. 2014 – 4 StR 430/13 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 216 d) Fall 3: BGH, Urt. v. 10. 12. 2014 – 5 StR 405/13 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 217 e) Fall 4: BGH, Urt. v. 12. 02. 2015 – 2 StR 109/14 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 217 2. Der objektive Empfängerhorizont . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 218 II. Normativierung des Irrtumsmerkmals . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 218 1. Rechtsprechungsentwicklung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 218 a) Standardisierte, auf massenhafte Erledigung ausgerichtete Abrechnungsverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 218 b) Normativ geprägtes Vorstellungsbild . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 219 c) Verzicht auf Benennung des normativ geprägten Vorstellungsbilds . . . . . . . . 220 d) Normativ geprägtes Vorstellungsbild ohne Massenbetrug . . . . . . . . . . . . . . . . 220 2. Begriff und Voraussetzungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 221 a) Einfachheit des Vorgangs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 221 b) Massenhaftigkeit des Vorgangs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 222 c) Keine individuelle Motivation zur Leistung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 223 d) Prägende Umstände . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 224 3. Zusammenhang mit dem sachgedanklichen Mitbewusstsein . . . . . . . . . . . . . . . . 225 4. Irrtumsausschluss wegen Nachlässigkeit des Getäuschten . . . . . . . . . . . . . . . . . . 226

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Inhaltsverzeichnis 5. Normativierung des Irrtumsmerkmals durch die Einbeziehung des normativ geprägten Vorstellungsbilds . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 227 6. Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 228

C. Prozessual: Beweiserleichterungen durch Indizienschluss . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 228 I. Indizienschluss vom Irrtum des einen auf den Irrtum des anderen . . . . . . . . . . . . . 230 II. Schätzung einer Irrtumsquote . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 231 1. Fall 6: BGH, Beschl. v. 06. 02. 2013 – 1 StR 263/12 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 232 2. Fall 14: BGH, Urt. v. 27. 03. 2014 – 3 StR 342/13 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 232 III. Indizienschluss vom Geständnis des Angeklagten auf den Irrtum der Verfügenden 233 1. Ansicht des zweiten, dritten und vierten Senats . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 234 2. Ansicht des ersten und mittlerweile dritten Senats . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 235 a) Besonderheiten der Verweisungskette . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 237 aa) Dreiecksbetrug . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 238 bb) Arbeitsteilig tätige Unternehmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 238 cc) Massenhaftigkeit auf Seite der Verfügenden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 240 b) Abweichende Sachverhaltskonstellation bei BGH, Beschl. v. 04. 09. 2014 – 1 StR 314/14 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 241 c) Relevanz der Unterschiede . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 241 IV. Indizienschluss von äußeren Umständen auf den Irrtum der Verfügenden . . . . . . . 241 V. Indizienschluss auf die Kausalität zwischen Irrtum und Vermögensverfügung . . . . 243 VI. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 243 1. Divergierende Rechtsprechung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 244 2. Vorlagepflicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 245 D. Bewertung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 246 I. Positive Aspekte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 247 II. Kritik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 248 1. Analogieverbot . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 248 a) Erkennbarkeit der Norm . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 248 b) Überschreitung der Wortlautgrenze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 250 aa) Keine Wortlautüberschreitung beim Täuschungsmerkmal . . . . . . . . . . . 251 bb) Wortlautüberschreitung beim Irrtumsmerkmal wegen der Irrelevanz der tatsächlichen individuellen Vorstellung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 252 (1) Verständnis des zweiten, dritten, vierten und fünften Senats . . . . . . 254 (2) Verständnis des ersten und mittlerweile zweiten und dritten Senats 255 c) Verstoß gegen das Verschleifungsverbot durch Vermengung und Rückbezug der Tatbestandsmerkmale . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 256 aa) Verschleifungs- oder Entgrenzungsverbot des Bundesverfassungsgerichts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 256 bb) Vermengung der Tatbestandsmerkmale Täuschung und Irrtum . . . . . . . 257 cc) Verstoß gegen das Verschleifungsverbot . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 258

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2. Amtsaufklärungsgrundsatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 259 a) Zeuge als vorzugswürdiges, weil sachnächstes Beweismittel . . . . . . . . . . . . . 260 b) Vergleich mit anderen Möglichkeiten des Umgangs mit Beweisschwierigkeiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 262 aa) Rechtsprechung zur Feststellung eines Mindestgesamtschadens . . . . . . 262 (1) Schätzung der Höhe des Vermögensschadens . . . . . . . . . . . . . . . . . 262 (2) Ähnlichkeit zum Irrtumsnachweis beim Massenbetrug . . . . . . . . . . 263 (3) Unterschiede zum Irrtumsnachweis beim Massenbetrug . . . . . . . . . 263 bb) Rechtsprechung zur Feststellung einer Mindestanzahl von Einzeltaten 265 (1) Feststellung einer Mindestanzahl der Einzeltaten im Sexualstrafrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 265 (2) Feststellung einer Mindestanzahl der Einzeltaten im Wirtschaftsstrafrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 266 (3) Kritik in der Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 267 (4) Ähnlichkeiten zum Irrtumsnachweis beim Massenbetrug . . . . . . . . 270 (5) Unterschiede zum Irrtumsnachweis beim Massenbetrug . . . . . . . . . 270 cc) Zusammenhang mit der abgeschafften Rechtsfigur des Fortsetzungszusammenhangs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 271 dd) Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 271 c) Entbehrlichkeit der weiteren Beweisaufnahme zum selben Beweisthema . . . 272 aa) Meinungsstand zur Beweisantizipation im Rahmen der Amtsaufklärungspflicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 272 bb) Auswirkung auf den Irrtumsnachweis beim Massenbetrug . . . . . . . . . . 274 d) Unzureichende Aufklärung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 275 aa) Hinsichtlich des Indizienschlusses aufgrund Zeugenvernehmungen pars pro toto . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 276 bb) Hinsichtlich der Schätzung einer Irrtumsquote . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 276 cc) Hinsichtlich des Indizienschlusses ohne Zeugenvernehmungen . . . . . . 277 dd) Denkbare Ausnahme: Massenhafter und standardisierter Charakter des Verfügungsgeschäfts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 278 (1) Gleichheit der Täuschungshandlungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 278 (2) Massenhafter und standardisierter Charakter des Verfügungsgeschäfts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 278 (a) Massenhaftigkeit des Verfügungsgeschäfts . . . . . . . . . . . . . . . . 279 (b) Standardisierung des Verfügungsgeschäfts . . . . . . . . . . . . . . . . . 279 (3) Anwendung der Kriterien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 279 (4) Ausreichende Aufklärung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 280 ee) Vereinbarkeit mit dem Bundesverfassungsgericht . . . . . . . . . . . . . . . . . 280 3. Beweiswürdigungsgrundsatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 282 a) Keine tragfähige Beweisgrundlage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 282 aa) Beweiswürdigung von Indizien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 282

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Inhaltsverzeichnis bb) Indizienschluss beim Irrtumsnachweis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 283 b) Ungenaue, pauschale Feststellungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 284 aa) Fall 5: BGH, Beschl. v. 09. 06. 2009 – 5 StR 394/08 . . . . . . . . . . . . . . . 284 bb) Fall 14: BGH, Urt. v. 27. 03. 2014 – 3 StR 342/13 . . . . . . . . . . . . . . . . . 285 cc) Massenhaftigkeit auf wessen Seite . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 286 c) Anscheinsbeweis und Beweislastumkehr . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 287 aa) Anscheinsbeweis beim Irrtumsnachweis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 287 (1) Schluss von der erfolgten Vermögensverfügung auf den Irrtum . . . 287 (2) Schluss von der Täuschung auf den Irrtum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 288 bb) Beweislastumkehr . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 288 d) Zweifelsgrundsatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 290

4. Unmittelbarkeitsgrundsatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 291 E. Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 291 5. Kapitel Die Verlesung von Fragebögen

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A. Rechtsprechungsübersicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 293 B. Einsatz von Fragebögen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 294 I. Einführung der im Ermittlungsverfahren ausgefüllten Fragebögen in die Hauptverhandlung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 294 1. Erstellung im Ermittlungsverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 294 a) Schriftlichkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 294 b) Freier Sachbericht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 294 c) Erscheinenspflicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 295 2. Einführung in die Hauptverhandlung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 295 a) Verlesung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 296 aa) Verlesung als Ausnahme vom Unmittelbarkeitsgrundsatz . . . . . . . . . . . 296 (1) Existenz oder Höhe eines Vermögensschadens, § 251 I Nr. 3 StPO 297 (2) Unerreichbarkeit, § 251 I Nr. 2 StPO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 297 (3) Zustimmung der Verfahrensbeteiligten, § 251 I Nr. 1 StPO . . . . . . 298 bb) Einführung im Selbstleseverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 298 b) Vernehmung eines Ermittlungsbeamten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 299 aa) Vernehmung eines Ermittlungsbeamten über die statistische Auswertung der Fragebogenaktion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 299 bb) Vernehmung eines Ermittlungsbeamten über den Inhalt der beantworteten Fragebögen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 299 II. Erstmaliger Einsatz von Fragebögen im Hauptverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 300 C. Bewertung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 300 I. Vorteile der Vorgehensweise . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 301

Inhaltsverzeichnis

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II. Nachteile der Vorgehensweise . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 301 1. Zustimmungserfordernis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 301 2. Freier Bericht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 301 3. Durchsetzbarkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 302 III. Vereinbarkeit mit den Verfahrensprinzipien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 302 1. Unmittelbarkeitsgrundsatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 303 2. Amtsaufklärungsgrundsatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 304 3. Beweiswürdigungsgrundsatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 304 4. Konfrontationsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 305 D. Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 306 6. Kapitel Die Vorschläge de lege ferenda

307

A. Einführung eines neuen Straftatbestands in Form eines Eignungsdelikts (Trüg) . . . . . . . 307 B. Erstreckung der Beschränkung der Strafverfolgung auf den Versuch in § 154a StPO (Krell) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 308 7. Kapitel Die Restriktionen im Beweisantragsrecht

310

A. Rechtsprechungsübersicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 311 I. Fall 5: BGH, Urt. v. 17. 07. 2009 – 5 StR 394/08 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 311 II. Fall 6: BGH, Beschl. v. 06. 02. 2013 – 1 StR 263/12 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 311 III. Fall 10: BGH, Beschl. v. 15. 10. 2013 – 3 StR 154/13 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 311 IV. Fall 11: BGH, Beschl. v. 04. 09. 2014 – 1 StR 314/14 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 312 V. Fall 8: BGH, Beschl. v. 03. 02. 2015 – 3 StR 544/14 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 313 B. Gründe für die Ablehnung des Beweisantrages . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 313 I. Ablehnung als bloßer Beweisermittlungsantrag . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 313 II. Ablehnung wegen Bedeutungslosigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 314 III. Ablehnung wegen Erwiesenheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 316 IV. Ablehnung wegen Unerreichbarkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 316 V. Ablehnung wegen Verschleppungsabsicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 318 VI. Ablehnung wegen Wahrunterstellung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 319 C. Bewertung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 319 8. Kapitel Der eigene Vorschlag: Die Kombinationslösung

321

A. Anwendungsvoraussetzungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 322 I. Anforderungen an die Beschaffenheit der Täuschung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 322 II. Anforderungen an die Beschaffenheit des Irrtums . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 322 III. Ausreichende Verbundenheit der Einzeldelikte durch einheitliches Strafverfahren 323

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Inhaltsverzeichnis IV. Ermittlungstechnische Ausnahmesituation beim Massenverfahren . . . . . . . . . . . . . 323

B. Erster Baustein: Fragebögen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 324 I. Inhaltliche Anforderungen an den Fragebogen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 324 1. Vielzahl von Antwortmöglichkeiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 325 2. Keine Suggestion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 325 3. Kein freier Bericht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 325 II. Praktische Umsetzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 326 1. Online-Fragebögen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 326 2. Kein Zwang zur Ausfüllung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 327 3. Auswertung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 327 III. Einführung in die Hauptverhandlung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 328 1. De lege lata . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 328 a) Verlesung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 328 b) Vernehmung des Sachbearbeiters . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 329 2. De lege ferenda . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 329 a) Das Krügersche Modell . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 330 b) AE Beweisaufnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 331 aa) Aufgabe des materiellen Unmittelbarkeitsgrundsatzes . . . . . . . . . . . . . 332 bb) Ersetzung einer Vernehmung, § 250 AE . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 333 cc) Rangfolge der Beweismittel, § 251 AE . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 333 dd) Verlesung von Schriftstücken, § 249 AE . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 334 ee) Bedeutung hinsichtlich der Einführung der beantworteten Fragebögen 335 c) Kleine Lösung durch § 251 I Nr. 4 StPO-E . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 336 IV. Mitwirkung des Beschuldigten oder seines Verteidigers . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 336 1. Zwecks Gewährleistung des Konfrontationsrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 337 2. Möglichkeiten der Ausgestaltung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 338 a) De lege lata . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 338 b) AE-Beweisaufnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 339 aa) Staatsanwaltschaftliche und polizeiliche Beschuldigtenvernehmung, § 163a Ia AE . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 339 bb) Verletzung des Konfrontationsrechts, § 253 AE . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 341 c) Kleine Lösung durch § 69 III 2 StPO-E . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 343 V. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 343 C. Zweiter Baustein: Zeugenvernehmungen pars pro toto in der Hauptverhandlung . . . . . . 344 I. Erforderliche Stichprobengröße . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 345 II. Repräsentative Auswahl . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 345 III. Vertikale Kongruenz der Aussagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 346 D. Umgang mit den Ergebnissen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 346 I. Übereinstimmende Aussagen als Ziel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 346 II. Vorgehen bei Nichterreichen der erforderlichen Übereinstimmung . . . . . . . . . . . . . 347

Inhaltsverzeichnis

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III. Vorgehen bei Erreichen der erforderlichen Übereinstimmung . . . . . . . . . . . . . . . . . 347 E. Beweisantragsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 347 F. Vereinbarkeit mit den Verfahrensprinzipien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 349 I. Analogieverbot . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 349 II. Amtsaufklärungsgrundsatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 349 III. Beweiswürdigungsgrundsatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 350 1. Quantität durch Fragebögen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 350 2. Qualität durch Zeugenvernehmungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 351 IV. Unmittelbarkeitsgrundsatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 351 V. Konfrontationsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 352 VI. Effektive Strafverfolgung, Beschleunigungsgrundsatz, Verfahrensökonomie . . . . . 352 G. Praxistauglichkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 353 H. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 354 Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 355 Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 360 Sachwortregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 372

Abkürzungsverzeichnis a.A. a.a.O. AE AEUV a.F. AGB AMK BAnz AT BayObLG BayVSG Beschl. BGB BGBl. I BGH BGHR BGHSt BGHZ BSR BT-Drucks. BVerfG BVerfGE BvL BvR CR EGMR Einl. EMRK EuGH EuGHE FS GA ggf. GKG GKG KV GS GVG HansOLG h.M. HRRS Hrsg.

andere Ansicht am angegebenen Ort Alternativ-Entwurf Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union alte Fassung Allgemeine Geschäftsbedingungen Arzt- und Medizinrecht kompakt Amtlicher Teil des Bundesanzeigers Bayerisches Oberstes Landesgericht Bayerisches Verfassungsschutzgesetz Beschluss Bürgerliches Gesetzbuch Bundesgesetzblatt Teil I Bundesgerichtshof Sammlung der BGH-Rechtsprechung in Zivil- und Strafsachen Entscheidungssammlung des Bundesgerichtshofs in Strafsachen Entscheidungssammlung des Bundesgerichtshofs in Zivilsachen Berliner Stadtreinigungsbetriebe Bundestag-Drucksache Bundesverfassungsgericht Sammlung der Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts Aktenzeichen des BVerfG für Normenkontrollantrag auf Vorlage der Gerichte, Art. 100 I GG Aktenzeichen des BVerfG für Verfassungsbeschwerde, Art. 93 I Nr. 4a GG Computer und Recht Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte Einleitung Europäische Konvention zum Schutz der Menschenrechte Europäischer Gerichtshof Entscheidungssammlung des EuGH Festschrift Goltdammer’s Archiv für Strafrecht gegebenenfalls Gerichtskostengesetz Kostenverzeichnis in Anlage 1 des Gerichtskostengesetzes Gedächtnisschrift Gerichtsverfassungsgesetz Hanseatisches Oberlandesgericht herrschende Meinung Onlinezeitschrift für Höchstrichterliche Rechtsprechung im Strafrecht Herausgeber

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27

28 vgl. wistra WiStrG WuB ZIS ZJS ZStW ZWH

Abkürzungsverzeichnis vergleiche Zeitschrift für Wirtschaft, Steuer und Strafrecht Gesetz zur weiteren Vereinfachung des Wirtschaftsstrafrechts Zeitschrift zum Wirtschafts- und Bankrecht Zeitschrift für Internationale Strafrechtsdogmatik Zeitschrift für das Juristische Studium Zeitschrift für die gesamte Strafrechtswissenschaft Zeitschrift für Wirtschaftsstrafrecht und Haftung im Unternehmen

Einleitung „[…] Andererseits genießt der Betrüger von jeher eine gewisse Sympathie. Man bewundert die in der List steckende Fantasie des Täters. Angesichts der häufig festzustellenden Dummheit, oft auch Gier des Opfers, ist das Bedauern mit einem kräftigen Schuss Schadenfreude durchsetzt.“1

Derartige Empfindungen, wie sie Heinrich anschaulich beschreibt, können einen insbesondere beim Massenbetrug überkommen. Es gehört schließlich schon einiges an Raffinesse und Kreativität dazu, eine fünf- oder sechsstellige Anzahl an Personen zu täuschen und zu schädigen. Ob sich zum Bedauern tatsächlich die Schadenfreude mischt, mag von der Sachverhaltsgestaltung und der persönlichen Einstellung abhängen. Anders gewendet kann man sich nämlich auch fragen, „[w]arum es die Rechtsordnung tolerieren sollte, wenn jemand durch ein ,Screening‘ ganzer Bevölkerungsgruppen die für ihn passenden Opfer herausfiltert“2. Mehr noch als mit diesen materiell-rechtlichen Fragen nach einer Schutzbedürftigkeit der Täuschungsopfer wird sich die vorliegende Dissertation mit der prozessualen Frage beschäftigen, wie in solchen Massenbetrugsverfahren mit einer sehr großen Anzahl an getäuschten bzw. irrenden und verfügenden Personen umgegangen wird. In einem Strafverfahren wegen Betrugsverdachts wird man die verfügende Personen in der Regel über ihr Vorstellungsbild vernehmen, das sie hinsichtlich der Tatsachen hatte, auf denen die Vermögensverfügung beruhte. Dass eine mündliche Zeugenvernehmung einer mehrstelligen Anzahl von Betrugsopfern den Strafprozess vor Herausforderungen stellt, leuchtet ein. Der Strafprozess muss mit solchen Massenbetrugsverfahren umgehen und steht spätestens in der Hauptverhandlung vor der Frage, wie der Irrtumsnachweis bei jedem einzelnen Betrugsopfer erbracht werden kann. Der Irrtum ist ein Tatbestandsmerkmal des Betrugs gemäß § 263 I StGB und als solches im Prozess festzustellen. Neben anderen spannenden Fragen, welche die Tatbestandsmerkmale der Täuschung oder des Vermögensschadens betreffen, ist die Feststellung des Irrtums der Knackpunkt, der ein Massenbetrugsverfahren vor ein schier unlösbares Problem stellt.

1 2

Arzt/Weber/Heinrich, § 20 Rn. 2. Erb, ZIS 2011, 368 (375).

30

Einleitung

In einem der größten Wirtschaftsstrafprozesse der Bundesrepublik lag den Firmengründern der „S&K-Unternehmensgruppe“ zur Last, rund 11.000 Anleger um ca. 240 Mio. E gebracht zu haben. Die Betrugsvorwürfe wurden schließlich eingestellt – weil das eine weitere jahrelange Beweisaufnahme bedeutet hätte – und die Hauptangeklagten 2017 wegen Untreue zu je achteinhalb Jahren Gesamtfreiheitsstrafe verurteilt.3 Musste das Landgericht Frankfurt hier vor der schieren Masse kapitulieren? Dieser Problematik des Irrtumsnachweises in der Hauptverhandlung beim Massenbetrug mit einer großen Vielzahl an Zeugen widmet sich die vorliegende Arbeit und versucht, Antworten für den Umgang mit solchen Strafverfahren für die Praxis zu geben. Zwar hat es schon immer auch Betrugsfälle mit hohen Geschädigtenzahlen gegeben. Die höchstrichterliche Rechtsprechung hat allerdings erst in den letzten Jahren von ca. 2012 bis 2016 neue Strategien und dogmatische Konstruktionen entwickelt, um der Problematik des Irrtumsnachweises Herr zu werden. Die Wissenschaft diskutiert diese Thematik vor allem in Anmerkungen und Besprechungen von entsprechenden Gerichtsurteilen. Hervorzuheben sind insbesondere die wissenschaftlichen Beiträge von Trüg4 und Kuhli5. Eine Erklärung für die manchmal bis zu sechsstelligen Geschädigtenzahlen mag in den erweiterten Möglichkeiten durch die Telekommunikationstechnologie liegen. Die praktische Bedeutung des Massenbetrugs hat durch die technische Entwicklung und dabei insbesondere durch die Möglichkeiten des Internets, sei es zum Versand von Informationen oder als Recherchemittel, in den letzten anderthalb Jahrzehnten deutlich zugenommen.6 Die digitale Entwicklung hat Recherche- und Kommunikationsmöglichkeiten hervorgebracht, die die serienweise Begehung von Täuschungen erleichtern und den Massenbetrug „erst lukrativ werden lassen“.7 Arzt meint sarkastisch, Massentests auf Leichtsinn oder Dummheit seien so billig geworden, dass sich die Investition schon lohne, wenn die Quote der Dummen oder Leichtsinnigen im tiefen Promillebereich liege.8 Aus kriminologischer Sicht wirken Kölbel zufolge Rahmenbedingungen der Kommunikationstechnologien tatförderlich, die durch die Anonymität und geringe Schädigung der Betroffenen die Hemmschwelle senken, die Erreichbarkeit der Opfer sichern, eine spezifische Verwundbarkeit dadurch bedingen, dass bei Bagatellausgaben eine verminderte Vorsicht

3 Pressemitteilung des LG Frankfurt vom 29. 03. 2017, Az.: 5/28 KLs 7310 Js 230995/12 (1/ 15), juris. 4 Trüg, HRRS 2015, 106. 5 Kuhli, StV 2016, 40. 6 Kudlich, ZWH 2015, 105. 7 Kuhli, StV 2016, 40 (40 f.); vgl. auch Krell, NStZ 2014, 686 (689). 8 Arzt, FS Tiedemann, 595 (597).

Einleitung

31

an den Tag gelegt werde und das Vorgehen durch relevante Erlöse bei geringem technischen Aufwand finanziell attraktiv machen.9 Eine ausführliche wissenschaftliche Aufarbeitung der materiell-rechtlichen und verfahrensrechtlichen Probleme des Irrtumsnachweises beim Massenbetrug fehlt bislang. Diese Arbeit möchte dazu einen Beitrag leisten. Dazu wird zum einen eine systematische und strukturierte Übersicht über die relevante Rechtsprechung dargeboten. Diese divergiert teilweise stark, sei es zwischen den Instanzgerichten und den Senaten des Bundesgerichtshofes, sei es unter den Strafsenaten des Bundesgerichtshofes selbst. Zum anderen werden die von Rechtsprechung und Literatur angebotenen Lösungsansätze bewertet. Hinter allem steht die einfache Frage, wie der Irrtumsnachweis beim Massenbetrug in der Hauptverhandlung auf rechtsstaatliche Weise gelingen kann. Auf diese Frage gibt es keine einfache Antwort. Dennoch wird abschließend ein eigener Lösungsvorschlag angeboten, der versucht, alle relevanten Aspekte zu berücksichtigen, die sich bei den anderen Lösungsansätzen als problematisch und kritikwürdig herausgestellt haben. Die Arbeit konzentriert sich auf den in der Hauptverhandlung zu erbringenden Irrtumsnachweis. Nebenschauplätze, die bei Massenverfahren ebenfalls interessant werden können, wie die Darstellung der Tat in der Anklageschrift und im Urteil, die Rechtskraft und der Strafklageverbrauch, werden weitgehend ausgeklammert. Der erste Teil führt zur verfahrensrechtlichen Problematik bei Massenbetrugsverfahren hin. Die die Beweisaufnahme prägenden Verfahrensprinzipien sind Maßstab und Rahmen der Überlegungen. Die rechtsstaatlich verträgliche oder besser: rechtsstaatlich gebotene Lösung des Problems der Beweiserhebung bei einer großen Vielzahl von Zeugen ist irgendwo im Kampffeld der für eine möglichst umfassende Beweiserhebung plädierenden Verfahrensprinzipien und den gegenläufigen, eine ausufernde Beweiserhebung vermeidenden Erwägungen zu suchen. Der zweite Teil lenkt die Aufmerksamkeit auf die Besonderheiten des Betrugstatbestands. Er stellt die hier relevanten Tatbestandsvoraussetzungen des Betrugs – insbesondere im Hinblick auf ihre Normativität – dar, veranschaulicht die typischen Sachverhaltskonstellationen in Fallgruppen des Massenbetrugs und arbeitet die phänomenologischen Besonderheiten beim Massenbetrug heraus. Der dritte Teil widmet sich der zentralen Frage der Lösungsansätze zum Irrtumsnachweis beim Massenbetrug. Die zum Massenbetrug ergangenen relevanten Entscheidungen werden analysiert, wobei sich mehrere unterscheidbare Lösungsansätze der Rechtsprechung herauskristallisieren. Viele Urteile enthalten auch Aussagen zu mehreren dieser Lösungsansätze und werden daher mehrfach relevant. Die materiell-rechtlichen und prozessualen Voraussetzungen der möglichen Vorgehensweisen werden dargestellt und das Vorgehen dogmatisch eingeordnet. Anschließend werden die Lösungsansätze auf ihre Vereinbarkeit mit den Verfahrensprinzipien und auf ihre Tauglichkeit als Strategie zur Bewältigung von Massenbe9

Kölbel, JuS 2013, 193 (194).

32

Einleitung

trugsverfahren hin bewertet. Da sämtliche Lösungsansätze nicht überzeugen können, muss abschließend ein eigener Lösungsansatz gefunden werden. Anspruch dieser Arbeit ist es, die verfahrensrechtlichen Probleme des Irrtumsnachweises beim Massenbetrug aus beiden Warten zu betrachten, einerseits aus der Warte einer zur Strafverfolgung verpflichteten Justiz und andererseits aus der Warte eines auf die Wahrung der Rechte des Angeklagten Acht gebenden Strafverteidigers.

Teil 1

Hinführung zur verfahrensrechtlichen Problematik bei Massenverfahren Zunächst wird der Fokus auf das sog. Massenbetrugsverfahren gesetzt und dieser von anderen Begriffen abgegrenzt. Daneben wird der Blick geschärft für die Verfahrensprinzipien, die einen Einfluss auf den Irrtumsnachweis beim Massenbetrug haben. 1. Kapitel

Begriff des Massenbetrugsverfahrens A. Abhängigkeit von der Deliktsart Die sich hier stellenden Probleme und die aufgezeigten Lösungsansätze mögen in ähnlicher Weise auch bei anderen Vermögensdelikten vorliegen. Bei Verfahren wegen der Verletzung höchstpersönlicher Rechtsgüter vieler Personen stellen sich weitere oder andere Probleme, die womöglich nach gänzlich anderen Lösungen verlangen. Die in dieser Arbeit angesprochenen Lösungsansätze sind speziell auf den Massenbetrug konzipiert und können nicht ohne Weiteres übertragen werden.

B. Massenhafte Anzahl der mutmaßlich Irrenden Das wichtigste Merkmal des „Massenbetrugsverfahrens“ ist die Vielzahl an mutmaßlich Irrenden. Die Anzahl ist weit größer als in einem durchschnittlichen Strafprozess und stellt das Strafverfahren vor Herausforderungen. Die betroffenen Personen sind beim Massenbetrug die Irrenden und mithin die Geschädigten; ähnlich gelagerte Probleme können sich auch bei Straftatbeständen ergeben, bei denen die Anzahl der Geschädigten überschaubar ist, aber deren spezifische Tatbestandsstruktur anderweitig eine Vielzahl von Betroffenen involviert, wie beispielsweise die Arbeitnehmer beim Vorenthalten von Sozialversicherungsbeiträgen. Mit einem Massenbetrugsverfahren sind außerdem nicht die Verfahren gemeint, bei denen eine außergewöhnlich große Anzahl an Angeklagten vorliegt. Der Begriff der „Masse“ beim Massenbetrugsverfahren meint vielmehr die Masse an irrenden Personen. Maßgebend ist, dass eine Zeugenvernehmung der Irrenden, die in einem durch-

34

Teil 1: Verfahrensrechtliche Problematik bei Massenverfahren

schnittlichen Verfahren vorgenommen wird, den Strafprozess aufgrund der Vielzahl der Zeugen überfordert.

C. Verhältnis zum Begriff der Serienstraftat Die Serienstraftat meint eine gleichartige Wiederholung deliktischen Verhaltens, das denselben Straftatbestand erfüllt.1 Anders als bei einer bloßen Tatvielzahl liegt eine Serienstraftat nur bei mehreren Verwirklichungen des gleichen Deliktstypus (im Sinne desselben Straftatbestands unter Einschluss von Qualifizierungen und Privilegierungen) vor.2 Der Begriff der Serienstraftat ist insofern weiter als der des Massenbetrugs, als er – das Verständnis von Klumpe zugrundelegend – auch eine vielfache Deliktsbegehung gegen denselben Rechtsgutsträger als einzigen Betroffenen erfasst.3 Für die vorliegende Untersuchung sind aber nur Serienstraftaten relevant, die sich gegen unterschiedliche Rechtsgutsträger richten. Die objektive Enge des zeitlich-räumlichen Zusammenhangs der einzelnen Taten kann dabei variieren.4 Ebenso sind unterschiedliche subjektive Tätereinstellungen denkbar, vom Vorsatz hinsichtlich der Erreichung eines Gesamterfolgs ab der ersten Begehung bis zum Vorsatz einer Begehung bei jeder sich bietenden Gelegenheit ohne absehbares Ende.5 Eine Massenbetrugsverfahren ist aber auch gegeben, wenn eine einzige Handlung im natürlichen Sinn eine Vielzahl von Geschädigten hervorbringt. Eine Vielzahl von Handlungen im natürlichen Sinn muss dafür nicht vorliegen. Der Begriff der Serienstraftat ist also einerseits weiter und andererseits enger als der des Massenbetrugs. Ein Massenbetrugsverfahren kann auf eine einzige Handlung oder eine Serienstraftat folgen.

1 2 3 4 5

Klumpe, Serienstraftat, S. 33 m.w.N. Klumpe, Serienstraftat, S. 34. Nicht jedoch das Sukzessivdelikt, vgl. Klumpe, Serienstraftat, S. 35 ff. Vgl. dazu Klumpe, Serienstraftat, S. 37 ff. Vgl. dazu Klumpe, Serienstraftat, S. 40 ff.

2. Kap.: Verfahrensprinzipien der Beweisaufnahme

35

2. Kapitel

Verfahrensprinzipien der Beweisaufnahme Bei der Frage, welchen Umfang der Beweiserhebung die Strafprozessordnung fordert und welche Anforderungen sie an die Beweiswürdigung stellt, treten verschiedene Verfahrensprinzipien auf den Plan, die in gegenläufige Richtungen streben. Das Strafverfahrensrecht steht in einem Spannungsverhältnis zwischen dem öffentlichen Interesse an einer wirksamen Bekämpfung von Kriminalität und der Wahrung der schutzwürdigen Individualinteressen der Personen, in deren Rechte eingegriffen wird.1 Der Amtsaufklärungsgrundsatz und der Beweiswürdigungsgrundsatz streiten grundsätzlich für eine möglichst umfassende Beweisaufnahme, um eine vollständige Beweiswürdigung zu ermöglichen. Andere Grundsätze wie die Effektivität oder die Effizienz der Strafrechtspflege, die Prozessökonomie und der Beschleunigungsgrundsatz streben nach einer pragmatischeren, zügigen und einfachen Bewältigung des Verfahrensstoffes. Es gibt in der Strafprozessordnung keine Rechtsnorm, die explizit vorschreibt, dass beim Betrug alle mutmaßlich Irrenden als Zeugen vernommen werden müssen. Die Strafprozessordnung stellt aber Grundregeln auf und gibt Maßstäbe an die Hand, die im Rahmen der später erfolgenden Bewertung der einzelnen Lösungsansätze beachtet werden müssen.

A. Ziel, Aufgabe und Grenzen des Strafverfahrens Ein Rückgriff auf die Prozessziele kann die Auslegung leiten, wenn es um Grundfragen der Auslegung des Strafverfahrensrechts und um Grenzbereiche einzelner Regelungen geht.2 Die Begriffe des „Ziels“ oder des „Zwecks“ des Strafverfahrens werden mittlerweile meist weitgehend synonym verwendet, da in der Literatur ohnehin keine einheitliche Abgrenzung auszumachen ist.3 Das Hauptziel des Strafverfahrens ist die Durchsetzung des staatlichen Strafanspruchs bei einem festgestellten Verstoß gegen das materielle Strafrecht.4 Das Bundesverfassungsgericht bezeichnet die „bestmögliche […] Erforschung der materiellen Wahrheit“5 als Ziel des Strafprozesses und die Ermittlung des wahren

1

HK-StPO/Gercke/Temming, Einl. Rn. 1. MüKo-StPO/Kudlich, Einl. Rn. 4. 3 MüKo-StPO/Kudlich, Einl. Rn. 4; vgl. auch Krüger, Unmittelbarkeit, S. 40, der auch die Begriffe der „Aufgabe“ und der „Funktion“ des Strafverfahrensrechts synonym verwendet, soweit sich nicht aus dem Kontext etwas anderes ergibt. 4 Vgl. SSW-StPO/Beulke, Einl. Rn. 5; MüKo-StPO/Kudlich, Einl. Rn. 5. 5 BVerfG, Urt. v. 19. 03. 2013 – 2 BvR 2628/10 u. a. –, juris Rn. 102 = BVerfGE 133, 168. 2

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Teil 1: Verfahrensrechtliche Problematik bei Massenverfahren

Sachverhalts als „zentrales Anliegen“ des Strafprozesses6. Ohne Ermittlung des wahren Sachverhalts kann das materielle Schuldprinzip nicht verwirklicht werden.7 Die Wahrheitsermittlung erfolgt aber nicht um ihrer selbst willen, sondern als „Grundlage für das spätere Urteil“ und ist insofern mehr ein Zwischenziel.8 Die Strafprozessordnung ist jedoch nicht auf Wahrheitsermittlung „um jeden Preis“ ausgerichtet.9 Die Durchführung des Strafverfahrens unter Wahrung der Vorgaben des Rechtsstaats ist auch eine Aufgabe des Strafverfahrens.10 Die Menschenwürde und allgemein die Wahrung der Grundrechte des Betroffenen sind dabei unerlässliches Teilelement der „Justizförmigkeit des Strafverfahrens“11 und „Aufgabe[n] des Strafverfahrensrechts“12. Außerdem hat der Abschluss des Strafverfahrens durch die Rechtskraft der Entscheidung eine rechtsfriedenstiftende Funktion.13 Prägnant formuliert von Roxin und Schünemann ist das Ziel des Strafverfahrens die materiell richtige, prozessordnungsgemäß zustande gekommene und Rechtsfrieden schaffende Entscheidung über die Strafbarkeit der Tat.14 Diese Ziele müssen – soweit sie gegenläufig sind – mittels einer Abwägung einem schonenden Ausgleich zugeführt werden, ohne dass eines dabei ausgehöhlt wird.15 Die Prozessregeln dienen einerseits der Verwirklichung der Ziele und wirken andererseits den damit verbundenen Gefahren entgegen, sodass das Strafverfahren durch „diverse Zielkonflikte“ gekennzeichnet ist.16

B. Verhältnis vom Strafrecht zum Strafprozessrecht Wenn in der Verfahrenspraxis ein prozessuales Problem speziell im Zusammenhang mit einem Straftatbestand des Besonderen Teils oder sogar mit nur einem Tatbestandsmerkmal eines Straftatbestands auftaucht, kann man zur Lösung dieses 6

Vgl. nur BVerfG, Beschl. v. 26. 05. 1981 – 2 BvR 215/81 –, juris Rn. 64 = BVerfGE 57, 250; BVerfG, Beschl. v. 15. 01. 2009 – 2 BvR 2044/07 –, juris Rn. 66 = BVerfGE 122, 248; BGH, Beschl. v. 18. 03. 2015 – 2 StR 656/13 –, juris Rn. 13 = NStZ 2015, 710. 7 BVerfG, Beschl. v. 26. 05. 1981 – 2 BvR 215/81 –, juris Rn. 64 = BVerfGE 57, 250; Eisenberg, Beweisrecht Rn. 2. 8 Überzeugend MüKo-StPO/Kudlich, Einl. Rn. 7, 11; Radtke, GA 2012, 187 (187, 192). 9 St. Rspr., vgl. nur BGH, Beschl. v. 27. 02. 1992 – 5 StR 190/91 –, juris Rn. 13 = BGHSt 38, 214; BVerfG, Nichtannahmebeschl. v. 09. 11. 2010 – 2 BvR 2101/09 –, juris Rn. 44 = wistra 2011, 61. 10 Vgl. SSW-StPO/Beulke, Einl. Rn. 12. 11 Krüger, Unmittelbarkeit, S. 54. 12 MüKo-StGB/Kudlich, Einl. Rn. 9. 13 SSW-StPO/Beulke, Einl. Rn. 13; RH-Radtke, Einl. Rn. 4 (als eigentliches und einziges Verfahrensziel); Radtke, GA 2012, 187; kritisch: MüKo-StGB/Kudlich, Einl. Rn. 10. 14 Roxin/Schünemann, Strafverfahrensrecht, § 1 Rn. 3; s.a. SSW-StPO/Beulke, Einl. Rn. 4. 15 SSW-StPO/Beulke, Einl. Rn. 4. 16 MüKo-StGB/Kudlich, Einl. Rn. 11.

2. Kap.: Verfahrensprinzipien der Beweisaufnahme

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Problems an zwei Schrauben drehen: entweder an der Schraube des materiellen Strafrechts oder an der Schraube des Strafprozessrechts. Das wirft die Frage nach dem grundsätzlichen Verhältnis vom Strafrecht zum Strafprozessrecht17 auf. Früher wurde das Strafprozessrecht als „Hilfsrecht“ und „Rechtsdurchsetzungsrecht“ des materiellen Strafrechts angesehen.18 Heute wird von einer primär dienenden Funktion des Strafverfahrensrechts ausgegangen, auch wenn das Strafprozessrecht dem Strafrecht nicht untergeordnet sei.19 Zwar sei das Strafprozessrecht eigenständig gegenüber dem materiellen Strafrecht, es habe aber gleichwohl einen instrumentalen Charakter.20 Eine noch weitergehende Emanzipation des Strafverfahrensrechts21 vom Strafrecht ist darin zu sehen, dass das Strafverfahrensrecht teilweise als konstituierend für die reale Geltung des materiellen Rechts angesehen wird.22 Peters betrachtet das materielle Strafrecht hingegen von den strafprozessualen Ideen und Möglichkeiten aus:23 „Sollten […] Prozeß und Vollzug das materielle Strafrecht nicht in seiner Gestalt beeinflussen? Ist es sinnvoll, ein Strafrecht allein von der Idee her zu formen, wenn diese nicht verwirklichbar ist? Freilich kann eine solche Fragestellung nicht Kapitulation vor der Praxis bedeuten. Vielmehr ist die Frage so zu stellen: Wie kann eine wirklich einwandfrei und gut ausgestaltete Praxis das Strafrecht zur Entfaltung bringen?“24

Weiterführen könne nur eine ganzheitliche Betrachtung von materiellem Recht, Prozess und Vollzug.25 Überzeugen kann der Ansatz von Roxin und Schünemann, wonach Strafrecht und Strafprozessrecht in einem notwendigen Ergänzungs-, nicht aber in einem Ableitungsverhältnis stehen.26 Eine Strafrechtsordnung könne sich in der Praxis nur so gut bewähren, wie es das Verfahren zu ihrer Durchsetzung zulasse, anders herum sei eine befriedigende Verfahrensregelung nicht möglich, wenn sie nicht auf das materielle Recht zugeschnitten sei.27

17

Ausführlich zum Meinungsstreit Krüger, Unmittelbarkeit, S. 40 ff. Baumann, Strafprozeßrecht, S. 11, 28; weitere Nachweise bei Krüger, Unmittelbarkeit, S. 42 f. 19 SSW-StPO/Beulke, Einl. Rn. 5; vgl. auch Radtke, GA 2012, 187 (188). 20 MüKo-StPO/Kudlich, Einl. Rn. 6. 21 Erläuterungen zum Begriff und weiteren Meinungen bei Krüger, Unmittelbarkeit, S. 45 f. 22 LR-Kühne, Einl. B Rn. 9 f. 23 Peters, Strafrechtsgestaltende Kraft des Strafprozesses, S. 10. 24 Peters, Strafrechtsgestaltende Kraft des Strafprozesses, S. 11. 25 Peters, Strafrechtsgestaltende Kraft des Strafprozesses, S. 11. 26 Roxin/Schünemann, Strafverfahrensrecht, § 1 Rn. 13. 27 Roxin/Schünemann, Strafverfahrensrecht, § 1 Rn. 13. 18

38

Teil 1: Verfahrensrechtliche Problematik bei Massenverfahren

C. Eine umfassende Beweisaufnahme fordernde Verfahrensprinzipien Vor allem die Amtsaufklärungspflicht und der Beweiswürdigungsgrundsatz streiten grundsätzlich für eine möglichst umfassende Beweisaufnahme. Im Folgenden soll kurz dargelegt werden, inwiefern diese Grundsätze Aussagen über den erforderlichen Umfang der Beweiserhebung treffen. Weitere Grundsätze, die die Beweisaufnahme prägen und bei Massenbetrugsverfahren Bedeutung erlangen, sind der Unmittelbarkeitsgrundsatz und das Konfrontationsrecht. I. Amtsaufklärungspflicht Die Amtsaufklärungspflicht, auch Untersuchungsgrundsatz, Ermittlungsgrundsatz oder Inquisitionsprinzip genannt,28 ist in § 244 II StPO normiert: „Das Gericht hat zur Erforschung der Wahrheit die Beweisaufnahme von Amts wegen auf alle Tatsachen und Beweismittel zu erstrecken, die für die Entscheidung von Bedeutung sind.“

Das Gericht muss also alle Beweise erheben, die für die Feststellung einer entscheidungserheblichen Tatsache von Bedeutung sind.29 Im Gegensatz zum Zivilprozess gilt im Strafprozess der Grundsatz der materiellen Wahrheit, zu deren Auffindung der Amtsaufklärungsgrundsatz dient.30 Ohne Ermittlung des wahren Sachverhalts kann das materielle Schuldprinzip nicht verwirklicht werden.31 Der strafprozessuale Wahrheitsbegriff kann als Rekonstruktion des historischen Geschehens, das den Tatvorwurf bildet, verstanden werden, auch wenn im Strafprozess nur eine „asymptotische Annäherung“ an die historische Realität erreicht werden kann.32 Als Stoffsammlungsmaxime soll der Aufklärungsgrundsatz eine ausreichende tatsächliche Grundlage für die richterliche Überzeugungsbildung sicherstellen.33 Die Aufklärungspflicht ist das notwendige Gegenstück zur Beweiswürdigung, die nur auf der Grundlage einer umfassenden Aufklärung möglich ist.34 Aufzuklären sind alle materiell-rechtlich und verfahrensrechtlich erheblichen Tatsachen, und zwar äußere wie innere.35 28

Roxin/Schünemann, Strafverfahrensrecht, § 15 Rn. 3; SSW-StPO-Sättele, § 244 Rn. 24; SK-StPO/Frister, § 244 Rn. 10 f. 29 SK-StPO/Frister, § 244 Rn. 12; Eisenberg, Beweisrecht Rn. 6. 30 Roxin/Schünemann, Strafverfahrensrecht, § 15 Rn. 3. 31 BVerfG, Beschl. v. 26. 05. 1981 – 2 BvR 215/81 –, juris Rn. 64 = BVerfGE 57, 250; Eisenberg, Beweisrecht Rn. 2. 32 Vgl. Kühne, GA 2008, 361; Radtke, GA 2012, 187 (191 f.). 33 KK-Krehl, § 244 Rn. 28; SSW-StPO/Sättele, § 244 Rn. 24. 34 Vgl. Eisenberg, Beweisrecht Rn. 2; MüKo-StPO/Trüg/Habetha, § 244 Rn. 11. 35 HK-StPO/Julius, § 244 Rn. 7; SSW-StPO/Sättele, § 244 Rn. 9; Eisenberg, Beweisrecht Rn. 6.

2. Kap.: Verfahrensprinzipien der Beweisaufnahme

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Die Aufklärungspflicht besteht von Amts wegen, die Bestimmung des Gegenstands und des Umfangs der Beweiserhebung ist deshalb unabhängig vom Verhalten der Verfahrensbeteiligten.36 Beweisanträge können aber eine Aktualisierung und eine Präzisierung der Aufklärungspflicht bewirken, insbesondere wenn sie dem Gericht neuen Tatsachenstoff und damit Hinweise auf weitere Beweismöglichkeiten bieten.37 Das Beweisantragsrecht, § 244 III-V StPO, sichert die Aufklärungspflicht ab. Der zugrunde liegende Sachverhalt ist so umfassend und vollständig aufzuklären, dass seine erschöpfende Beurteilung möglich ist.38 Es kommt darauf an, ob bei verständiger Würdigung der Sachlage durch den abwägenden Richter die Verwendung einer Aufklärungsmöglichkeit den Schuldvorwurf möglicherweise widerlegen, in Frage stellen oder als begründet erweisen würde.39 Wenn dem Gericht noch Umstände oder Möglichkeiten bekannt sind, die bei verständiger Würdigung der Sachlage begründete Zweifel an der Richtigkeit dieser Überzeugung wecken, muss weiter aufgeklärt werden.40 Drängt sich eine Aufklärung auf, ist sie vorzunehmen.41 Eine überschießende oder ausufernde Aufklärung, also die Ermittlung sämtlicher Details, muss nicht erfolgen.42 Das Gericht muss sich um eine möglichst zuverlässige Beweisgrundlage bemühen; je weniger gesichert ein Beweisergebnis erscheint, je größer die Unsicherheitsfaktoren sind, je mehr Widersprüche bei der Beweiserhebung zutage treten und je mehr Zweifel hinsichtlich des Beweiswerts zu überwinden sind, desto größer ist der Anlass, trotz der erlangten Überzeugung nach weiteren Beweismöglichkeiten zu forschen und sie bei Eignung zu nutzen.43 II. Beweiswürdigungsgrundsatz Der Grundsatz der freien Beweiswürdigung ist in § 261 StPO niedergelegt: „Über das Ergebnis der Beweisaufnahme entscheidet das Gericht nach seiner freien, aus dem Inbegriff der Verhandlung geschöpften Überzeugung.“

Die Beweiswürdigung ist die „ureigene Aufgabe“ des Tatrichters.44 Die richterliche Beweiswürdigung ist verfassungsrechtlich geboten, weil sich die aus dem Rechtsstaatsprinzip und aus Art. 6 II EMRK ergebende Unschuldsvermutung nur 36

SSW-StPO/Sättele, § 244 Rn. 26; KK-Krehl, § 244 Rn. 34. LR-Becker, § 244 Rn. 51; SSW-StPO/Sättele, § 244 Rn. 26. 38 Vgl. Graf-StPO/Bachler, § 244 Rn. 11; KK-Krehl, § 244 Rn. 28; Pfeiffer, § 244 Rn. 12. 39 Vgl. BGH, Urt. v. 08. 12. 1993 – 3 StR 446/93 –, juris Rn. 12 = BGHSt 40, 3. 40 Schon BGH, Urt. v. 13. 02. 1951 – 1 StR 47/50 –, juris = NJW 1951, 283. 41 BGH, Urt. v. 31. 03. 1989 – 2 StR 706/88 –, juris Rn. 39 f. = BGHSt 36, 159; Graf-StPO/ Bachler, § 244 Rn. 11. 42 BGH, Urt. v. 08. 12. 1993 – 3 StR 446/93 –, juris Rn. 12 = BGHSt 40, 3; Graf-StPO/ Bachler, § 244 Rn. 11; Meyer-Goßner/Schmitt, § 244 Rn. 13; Eisenberg, Beweisrecht Rn. 14. 43 LR-Becker, § 244 Rn. 65 m.w.N. 44 HK-StPO/Julius, § 261 Rn. 1. 37

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Teil 1: Verfahrensrechtliche Problematik bei Massenverfahren

durch eine argumentative Auseinandersetzung mit den entscheidungsrelevanten Umständen widerlegen lässt.45 Die persönliche Überzeugung46 oder subjektive Gewissheit47 des Richters ist notwendige und hinreichende Bedingung für den Schuldspruch.48 Einerseits genügt ein nach der Lebenserfahrung ausreichendes Maß an Sicherheit, das vernünftige Zweifel49 bzw. nicht bloß auf denktheoretische Möglichkeiten gegründete Zweifel50 nicht aufkommen lässt.51 Die Anforderungen an eine Verurteilung dürfen nicht überspannt werden.52 Eine mathematische, jede Möglichkeit eines abweichenden Geschehensablaufs ausschließende und von niemandem mehr anzweifelbare Gewissheit ist nicht erforderlich und die bloß gedankliche, abstrakt theoretische Möglichkeit, dass der Tathergang auch anders gewesen sein könnte, darf die Verurteilung nicht verhindern.53 Andererseits muss der Schuldspruch auf einer tragfähigen Beweisgrundlage aufbauen, welche die objektiv hohe Wahrscheinlichkeit der Richtigkeit des Beweisergebnisses ergibt.54 III. Unmittelbarkeitsgrundsatz Der Unmittelbarkeitsgrundsatz soll sicherstellen, dass das Gericht sich einen möglichst direkten und unvermittelten eigenen Eindruck vom Sachverhalt verschafft.55 Der formelle Unmittelbarkeitsgrundsatz besagt, dass die Beweisaufnahme vor dem erkennenden Gericht erfolgen muss.56 Die materielle Unmittelbarkeit verlangt, dass das Gericht die Tatsachen aus der Quelle selbst schöpft und sich nicht mit Beweissurrogaten begnügt.57 Der hier interessierende materielle Unmittelbarkeitsgrundsatz wird überwiegend in § 250 StPO,58 teils aber auch in § 261 StPO59 45 BGH, Urt. v. 18. 09. 2008 – 5 StR 224/08 –, juris Rn. 16 = NStZ 2009, 401; HK-StPO/ Julius, § 261 Rn. 2. 46 HK-StPO/Julius, § 261 Rn. 8. 47 AnwK-StPO/Martis, § 261 Rn. 4; KK-Fischer, Einl. Rn. 89. 48 Julius bezeichnet dies als „subjektive Beweismaßtheorie“, HK-StPO/Julius, § 261 Rn. 8. 49 BGH, Urt. v. 29. 10. 2009 – 4 StR 368/09 –, juris Os. und Rn. 5 = NStZ 2010, 292. 50 BGH, Urt. v. 02. 05. 2012 – 2 StR 395/11 –, juris Os. 3 und Rn. 18 = StraFo 2012, 466. 51 Meyer-Goßner/Schmitt, § 261 Rn. 2; HK-StPO/Julius, § 261 Rn. 8. 52 St. Rspr., vgl. nur BGH, Urt. v. 16. 10. 2006 – 1 StR 180/06 –, juris Rn. 38 = NJW 2007, 92; BGH, Urt. v. 29. 09. 1998 – 1 StR 416/98 –, juris Os. = NStZ 1999, 153; Meyer-Goßner/ Schmitt, § 261 Rn. 2 m.w.N. 53 BGH, Urt. v. 26. 06. 2008 – 3 StR 159/08 –, juris Rn. 8 = StraFo 2008, 434. 54 BVerfG, Stattgebender Kammerbeschluss v. 30. 04. 2003 – 2 BvR 2045/02 –, juris Rn. 36 = NJW 2003, 2444; vgl. auch AnwK-StPO/Martis, § 261 Rn. 4 m.w.N. 55 Eisenberg, Beweisrecht Rn. 65. 56 Meyer-Goßner/Schmitt, § 250 Rn. 2a; Eisenberg, Beweisrecht Rn. 65. 57 Eisenberg, Beweisrecht Rn. 66; KK-Fischer, Einl. Rn. 23. 58 Vgl. BeckOK-StPO/Ganter, § 250 Rn. 1; Meyer-Goßner/Schmitt, § 250 Rn. 2 f.; Eisenberg, Beweisrecht Rn. 66; Radtke, GA 2012, 187 (198).

2. Kap.: Verfahrensprinzipien der Beweisaufnahme

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gesetzlich verortet. § 250 S. 1 StPO stellt den Grundsatz der persönlichen Vernehmung auf: „Beruht der Beweis einer Tatsache auf der Wahrnehmung einer Person, so ist diese in der Hauptverhandlung zu vernehmen.“

Teilweise wird dem § 250 S. 1 StPO die Verpflichtung entnommen, für den Beweis einer entscheidungserheblichen Tatsache relevante Wahrnehmungen einer Person durch deren unmittelbare Vernehmung in der Hauptverhandlung einzuführen.60 Allgemeiner gehalten wird auch vertreten, dass der materielle Unmittelbarkeitsgrundsatz selbst die Verwendung des beweisthema-nächsten Beweismittels fordert.61 Für die herrschende Meinung folgt dies schon aus der Aufklärungspflicht und dem Beweiswürdigungsgrundsatz, nicht aber aus den Grundsätzen der Unmittelbarkeit und Mündlichkeit; § 250 S. 1 StPO stelle kein allgemeines Verbot des mittelbaren Beweises bzw. kein Gebot des sachnächsten Beweismittels auf.62 Der materielle Unmittelbarkeitsgrundsatz meint vielmehr den Vorrang des Personalbeweises vor dem Urkundenbeweis.63 Gemäß § 250 S. 2 StPO darf die Vernehmung nicht durch Verlesung des über eine frühere Vernehmung aufgenommenen Protokolls oder einer schriftlichen Erklärung ersetzt werden. § 251 StPO sieht als Ausnahme von Unmittelbarkeitsgrundsatz unter gewissen Voraussetzungen die Verlesung von Vernehmungsniederschriften oder schriftlichen Äußerungen des Zeugen vor und dient der Wahrheitsfindung und der Erleichterung und Beschleunigung des Verfahrens.64 Dem Unmittelbarkeitsgrundsatz kann also keine Vorgabe entnommen werden, ob alle oder wie viele Zeugen vernommen werden müssen. Er betrifft vielmehr die Frage, welches von mehreren verfügbaren Beweismitteln zu verwenden ist, also die Art und Weise der Beweisaufnahme, aber nicht deren Umfang. Wenn im Vordergrund steht, wie die Wahrnehmungen in die Hauptverhandlung eingeführt werden sollen, dann muss dies vorrangig über die Zeugenvernehmung geschehen.

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Vgl. Krüger, Unmittelbarkeit, S. 290. So SK-StPO/Frister, § 244 Rn. 13. 61 Vgl. Geppert, Unmittelbarkeit, S. 166; SK-StPO/Velten, Vor §§ 250 ff. Rn. 9 ff.; Radtke, GA 2012, 187 (198). 62 LR-Sander/Cirener, § 244 Rn. 23 m.w.N.; Meyer-Goßner/Schmitt, § 250 Rn. 3; im Ergebnis trifft sich die Ansicht mit der Gepperts, der das „materielle[…] Prinzip des bestmöglichen Beweises“ ebenfalls in § 244 II StPO verankert sieht, dies jedoch für einen Ausfluss des materiellen Unmittelbarkeitsgrundsatzes hält, Geppert, Unmittelbarkeit, S. 185 f. 63 Meyer-Goßner/Schmitt, § 250 Rn. 2; KK-Fischer, Einl. Rn. 25; Eisenberg, Beweisrecht Rn. 66. 64 Meyer-Goßner/Schmitt, § 251 Rn. 1 mit Verweis u. a. auf BGH, Urt. v. 29. 10. 1974 – 1 StR 475/74 –, juris Rn. 19 = BGHSt 26, 18. 60

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Teil 1: Verfahrensrechtliche Problematik bei Massenverfahren

IV. Konfrontationsrecht Das sog. Konfrontationsrecht, also das Recht des Angeklagten, Fragen an die Belastungszeugen zu stellen, ist in Art. 6 III lit. d EMRK normiert: „Jede angeklagte Person hat mindestens folgende Rechte: […] d) Fragen an Belastungszeugen zu stellen oder stellen zu lassen und die Ladung und Vernehmung von Entlastungszeugen unter denselben Bedingungen zu erwirken, wie sie für Belastungszeugen gelten;[…]“

Das Konfrontationsrecht ist ein Teilaspekt des Grundsatzes des fairen Verfahrens.65 Es soll gewährleisten, dass Beweispersonen nicht einseitig, sondern auch nach den für die Verteidigung relevanten Gesichtspunkten befragt werden, also eine Chancen- oder Waffengleichheit sicherstellen.66 Zeuge i.S.d. Art. 6 III lit. d EMRK ist nach autonomer Auslegung (Auslegung im Sinne der EMRK und nicht anhand des nationalen Rechts67) jeder, dessen Angaben als Beweismittel zur Entscheidungsfindung des Gerichts verwendet werden, auch ein außerhalb des Gerichts vernommener Zeuge.68 Es genügt nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte (EGMR) für ein faires Verfahren, wenn der Beschuldigte oder sein Verteidiger zwar nicht in der Hauptverhandlung, aber im Ermittlungsverfahren die Gelegenheit hatten, Fragen zu stellen.69 Wenn aber weder im Ermittlungsverfahren noch in der Hauptverhandlung Fragen an die Zeugen durch den Beschuldigten oder seinen Verteidiger gestellt werden konnten, kommt es darauf an, ob das Verfahren insgesamt noch fair i.S.d. Art. 6 I EMRK war.70 Diese Gesamtbetrachtung erstreckt der EGMR auf die Beweiserhebung und Beweiswürdigung.71 Darin fließt auch ein, ob die fehlende Konfrontationsmöglichkeit der Justiz zuzurechnen war oder nicht.72 Art. 6 I EMRK ist verletzt, wenn sich eine Verurteilung allein oder in entscheidendem Maße („sole and decisive evidence“) auf Aussagen einer Person gründet, die nicht vom Angeklagten oder der

65 Vgl. EGMR, Entsch. v. 17. 11. 2005, Nr. 73047/01, Haas vs. Deutschland, Rn. 79 = NStZ 2007, 103. 66 BeckOK-StPO/Valerius, Art. 6 EMRK Rn. 47, 49. 67 Vgl. EGMR, Urt. v. 12. 07. 2001 – 44759/98 Ls. 2 = NJW 2002, 3453. 68 EGMR, Entsch. v. 17. 11. 2005, Nr. 73047/01, Haas vs. Deutschland, Rn. 80 = NStZ 2007, 103; BeckOK-StPO/Valerius, Art. 6 EMRK Rn. 47. 69 HK-StPO/Julius, Vor §§ 250 ff. Rn. 3. 70 Vgl. EGMR, Entsch. v. 17. 11. 2005, Nr. 73047/01, Haas vs. Deutschland, Rn. 81 = NStZ 2007, 103. 71 Vgl. EGMR, Entsch. v. 17. 11. 2005, Nr. 73047/01, Haas vs. Deutschland, Rn. 81 ff. = NStZ 2007, 103. 72 Vgl. EGMR, Entsch. v. 17. 11. 2005, Nr. 73047/01, Haas vs. Deutschland, Rn. 83 ff. = NStZ 2007, 103; vgl. auch BeckOK-StPO/Valerius, Art. 6 EMRK Rn. 48; KK-Ott, § 261 Rn. 29 g.

2. Kap.: Verfahrensprinzipien der Beweisaufnahme

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Verteidigung befragt werden konnte.73 Fehlt ein guter Grund („good reason“) für die Verletzung des Konfrontationsrechts, dann kann das Verfahren auch dann insgesamt unfair sein, wenn der so erlangte Beweis nicht die alleinige oder entscheidende Urteilsgrundlage ist.74 Der Bundesgerichtshof75 und das Bundesverfassungsgericht76 folgen dieser Rechtsprechung des EGMR in Form der Beweiswürdigungslösung:77 Ist die unterbliebene konfrontative Befragung eines Zeugen der Justiz zuzurechnen, kann eine Verurteilung auf dessen Angaben nur gestützt werden, wenn diese durch andere gewichtige Gesichtspunkte außerhalb der Aussage bestätigt werden.78 Zur Wahrung des Rechts auf konfrontative Befragung kann es genügen, dem Zeugen einen vom Angeklagten oder seinem Verteidiger erstellten Fragenkatalog zur Beantwortung vorzulegen.79 Das Konfrontationsrecht steht insofern in engem Zusammenhang mit dem Unmittelbarkeitsgrundsatz, als der Beschuldigte von seinem Konfrontationsrecht in der Regel keinen Gebrauch machen kann, wenn die Vernehmung des Zeugen durch ein Surrogat ersetzt wird.80 Einfachgesetzlich ist in § 240 II 1 StPO ein Fragerecht des Angeklagten und seines Verteidigers bei Zeugenvernehmungen in der Hauptverhandlung und in § 168c II StPO ein – auch ein Fragerecht beinhaltendes81 – Anwesenheitsrecht des Beschuldigten bzw. seines Verteidigers bei Zeugenvernehmungen im Ermittlungsverfahren normiert. Ein Konfrontationsrecht i.S.d. Art. 6 III lit. d EMRK ist im deutschen Recht allerdings nicht positivrechtlich geregelt. Aber zum einen entfaltet das konventionsrechtliche Konfrontationsrecht als Ausprägung des aus dem Rechtsstaatsprinzip abgeleiteten Grundsatzes des fairen Verfahrens auch ohne ausdrückliche Statuierung Rechtswirkungen im deutschen Strafverfahren82 und zum anderen gilt Art. 6 III lit. d EMRK ohnehin gemäß Art. 59 II GG als einfaches Bundesgesetz und ist damit unmittelbar geltendes innerstaatliches Recht83. 73 Vgl. EGMR, Urt. v. 20. 12. 2001, Nr. 33900/96, P.S. vs. Deutschland, Rn. 24 = StraFo 2002, 123; EGMR, Entsch. v. 17. 11. 2005, Nr. 73047/01, Haas vs. Deutschland, Rn. 82 = NStZ 2007, 103. 74 EGMR, Urt. v. 15. 12. 2011, Nr. 26766/05, Al-Khawaja and Tahery vs. UK, Rn. 119; Radtke, GA 2012, 187 (197 f.). 75 Vgl. BGH, Urt. v. 25. 07. 2000 – 1 StR 169/00 –, juris Rn. 14 ff. = BGHSt 46, 93; BGH, Beschl. v. 29. 11. 2006 – 1 StR 493/06 –, juris Rn. 15 ff. = BGHSt 51, 150 je m.w.N. 76 Vgl. BVerfG, Nichtannahmebeschl. v. 08. 10. 2009 – 2 BvR 547/08 –, juris Rn. 15 = NJW 2010, 925. 77 HK-StPO/Julius, Vor §§ 240 ff., Rn. 3; vgl. auch BeckOK-StPO/Valerius, Art. 6 EMRK Rn. 48; KK-Ott, § 261 Rn. 29 g. 78 Vgl. nur BGH, Beschl. v. 29. 11. 2006 – 1 StR 493/06 –, juris Rn. 19 = BGHSt 51, 150. 79 EGMR, Entsch. v. 11. 09. 2006, Nr. 22007/03, Sapunarescu vs. Deutschland, Rn. 34 = StraFo 2007, 107; vgl. auch BGH, Beschl. v. 05. 02. 1993 – 2 StR 525/92 –, juris Rn. 7 ff. = StV 1993, 171; BeckOK-StPO/Valerius, Art. 6 EMRK Rn. 49. 80 AE-Beweisaufnahme, GA 2014, 1 (5). 81 Vgl. Meyer-Goßner/Schmitt, § 168c Rn. 2; HK-StPO/Zöller, § 168c Rn. 4. 82 Radtke, GA 2012, 187 (195). 83 Vgl. Meyer-Goßner/Schmitt, Vor Art. 1 MRK Rn. 3.

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Teil 1: Verfahrensrechtliche Problematik bei Massenverfahren

D. Den Umfang der Beweisaufnahme einschränkende Verfahrensprinzipien Es gibt aber auch andere Prinzipien, die einen Einfluss auf das Strafverfahren haben und die eine ausufernde Beweisaufnahme begrenzen. Damit bilden sie die Gegenpole zu den o.g. Beweisgrundsätzen. Dazu gehören die Effektivität und Effizienz der Strafrechtspflege, die Prozessökonomie und der Beschleunigungsgrundsatz. I. Effektivität und Effizienz der Strafrechtspflege Um der Gerechtigkeit zum Durchbruch zu verhelfen, verlangt das Rechtsstaatsprinzip auch die Funktionstüchtigkeit der Strafrechtspflege.84 Darauf aufbauend wird auch der effektiven Strafrechtspflege85 bzw. der effektiven Strafverfolgung86 oder der effizienten Strafrechtspflege87 ein öffentliches Interesse zugemessen. Kurz zu den Begrifflichkeiten: Effektivität meint die Wirksamkeit einer Maßnahme und Effizienz die Wirksamkeit einer Maßnahme unter Einbeziehung des wirtschaftlichen Aufwands. In der Rechtsprechung werden die Begriffe zumeist als Abwägungskriterium gegenüber Verfahrensförmlichkeiten verwendet.88 Daher sind sie insofern kritikbehaftet, als die Begriffe im Grunde nur Erwähnung finden, wenn es um die Einschränkung von Beschuldigtenrechten geht.89 Es werden grundsätzliche Bedenken dagegen angemeldet, dass das Gebot funktionstüchtiger Strafrechtspflege ein Abwägungskriterium gegenüber Freiheitsrechten der Betroffenen sein solle. Nach Landau ist die Funktionstüchtigkeit der Strafrechtspflege nicht Ausfluss des Rechtsstaatsprinzips, sondern unabdingbare Voraussetzung für den Bestand eines demokratischen Rechtsstaats.90 Als materiell-staatsrechtliche Pflicht des Staates sei das Gebot funktionstüchtiger Strafrechtspflege kein Abwägungskriterium der Rechtsprechung, sondern wende sich an den Gesetzgeber, der das 84 Seit BVerfG, Beschl. v. 19. 07. 1972 – 2 BvL 7/71 –, juris Rn. 35 = BVerfGE 33, 367; BVerfG, Beschl. v. 01. 10. 1987 – 2 BvR 1434/86 –, juris Rn. 11 = BVerfGE 77, 65; HK-StPO/ Gercke/Temming, Einl. Rn. 3; MüKo-StPO/Kudlich, Einl. Rn. 87. 85 Vgl. nur BVerfG, Nichtannahmebeschl. v. 08. 06. 2004 – 2 BvR 785/04 –, juris Rn. 15 = BVerfGK 3, 247; BGH, Beschl. v. 18. 03. 2015 – 2 StR 656/13 –, juris Rn. 7 = NStZ 2015, 710. 86 Vgl. nur BVerfG, Beschl. v. 16. 06. 2015 – 2 BvR 2718/10 u. a. –, juris Rn. 68 ff. = NStZ 2015, 529; BVerfG, Nichtannahmebeschl. v. 26. 06. 2014 – 2 BvR 2699/10 –, juris Rn. 10 ff. = NStZ-RR 2015, 117. 87 BGH, Beschl. v. 13. 01. 2009 – AK 20/08 –, juris Rn. 40 = BGHSt 53, 128. 88 Vgl. Landau, NStZ 2007, 121 (123); Hassemer, StV 1982, 275 (277). 89 MüKo-StPO/Kudlich, Einl. Rn. 87 m.w.N.; Lindemann, Wirtschaftsstrafrecht, S. 236, gewinnt der „Funktionstüchtigkeits-Formel“ insofern etwas Positives ab, als darin lediglich die Selbstverständlichkeit zum Ausdruck gebracht werde, dass die Erwartungsstabilisierung mit den Mitteln des Strafrechts zu den aus der allgemeinen Justizgewährleistungspflicht abzuleitenden legitimen Aufgaben des Staates gehöre. 90 Landau, NStZ 2007, 121 (127).

2. Kap.: Verfahrensprinzipien der Beweisaufnahme

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Gesamtkonzept des Strafverfahrens verwirklichen soll.91 Roxin und Schünemann melden jedenfalls bei einer Effizienz der Strafrechtspflege Bedenken an, da eine solche nicht geeignet sein dürfe, die Beschuldigtenrechte im Interesse einer Entlastung und Vereinfachung des Strafverfahrens allmählich abzubauen.92 Hassemer bezeichnet den Begriff der funktionstüchtigen Strafrechtspflege als „gegenreformatorische[n] Argumentationstopos“ und sieht die Gefahr, dass er das Verhältnis zwischen Strafverfolgungsinteresse und Justizförmigkeit zu sehr zu Lasten der Justizförmigkeit verschiebe und so letztlich die Freiheitsrechte der Betroffenen beschneide.93 Der Übermacht einer funktionstüchtigen Strafrechtspflege als Mittel zur Durchsetzung von Rechtsfrieden, Rechtssicherheit, materieller Gerechtigkeit und Rechtsstaatlichkeit können die Freiheitsrechte bei einer Abwägung nichts entgegenhalten.94 Der Begriff diene der Erhaltung und Verbesserung der Systembedingungen, aber nicht der Verwirklichung von den Freiheitsrechten überlegenen Zielen.95 Solange die Funktionstüchtigkeit nicht tatsächlich bedroht sei und den Gerichten nur Geduld, Zeit und Geld abverlangt werde, solle die funktionstüchtige Strafrechtspflege nicht in die Waagschale geworfen werden.96 Die Effektivität darf zwar nicht als „Totschlagargument“ gegen zu kompliziert empfundene Verfahrensförmlichkeiten verwendet werden. Da Massenbetrugsverfahren den Strafprozess aber tatsächlich an seine Grenzen treiben, kann der Topos der effektiven Strafverfolgung in der Suche nach der besten Lösung der verfahrensrechtlichen Probleme durchaus einen Bewertungsaspekt darstellen. Sogar die Effizienz der Strafverfolgung wird dann zum Bewertungsaspekt, wenn eine Strafverfolgung es nur noch dann schafft, effektiv zu sein, wenn sie auch effizient ist. II. Prozessökonomie In der Strafprozessordnung findet sich keine ausdrückliche Bestimmung, nach der wirtschaftliche Gesichtspunkte im Strafverfahren zu berücksichtigen wären.97 Im Hinblick auf das Legalitätsprinzip, § 152 II StPO, und die umfassenden Aufklärungspflichten von Staatsanwaltschaft, § 160 III StPO, und Gericht, § 244 II StPO, wird man die Prozessökonomie kaum als einen der tragenden Grundsätze des Strafverfahrensrechts ansehen können.98 Verfahrensvereinfachende Instrumente wie die Einstellungsmöglichkeiten nach §§ 153 ff. StPO, das Strafbefehlsverfahren nach §§ 407 ff. StPO, das beschleunigte 91 92 93 94 95 96 97 98

Landau, NStZ 2007, 121 (127 f.). Roxin/Schünemann, Strafverfahrensrecht, § 1 Rn. 7. Hassemer, StV 1982, 275 (275, 278); zustimmend Kühne, GA 2008, 361 (368). Hassemer, StV 1982, 275 (278 f.). Hassemer, StV 1982, 275 (279). Hassemer, StV 1982, 275 (280). Kühne, Deutsches und europäisches Strafverfahrensrecht, Rn. 279. Kühne, Deutsches und europäisches Strafverfahrensrecht, Rn. 279 f.

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Teil 1: Verfahrensrechtliche Problematik bei Massenverfahren

Verfahren nach §§ 417 ff. StPO und nicht zuletzt die Regeln zur Verständigung, § 257c StPO, sind aber Ausdruck eines angewandten Prinzips der Wirtschaftlichkeit.99 Der Regierungsentwurf zum Verständigungsgesetz erkannte den Beweggrund der Justiz, durch Verständigungen „die knappen Ressourcen durch ein ,abgesprochenes‘ und damit möglichst rasches Verfahren zu schonen“ an.100 Das Bundesverfassungsgericht erklärte die grundsätzliche Billigung der Verständigung im Strafprozess u. a. mit der Prozessökonomie.101 Auch in der prozessualen Wirklichkeit finden wirtschaftliche Erwägungen Eingang:102 Die Richtlinien für das Strafverfahren und das Bußgeldverfahren (RiStBV)103 enthalten eine Reihe von Regeln, um Kosten zu sparen.104 So soll nach Nr. 111 I, II RiStBV der Staatsanwalt nur die Beweismittel aufführen, die für die Aufklärung des Sachverhalts und für die Beurteilung der Persönlichkeit des Angeschuldigten wesentlich sind, und es werde häufig nicht nötig sein, jeden Zeugen zu benennen, wenn mehrere Zeugen über denselben Vorgang im Vorverfahren übereinstimmend ausgesagt haben. Schon 1985 stellte Fezer fest, dass sich der Umfang der Beweisaufnahme nicht mehr am Ziel der Wahrheitsfindung, sondern an den Erfordernissen pragmatischer Verfahrenserledigung orientiert.105 Eine zugunsten des Beschuldigten gebotene Aufklärung zu unterlassen, scheint rechtsstaatlich undenkbar, und eine den Beschuldigten belastende Aufklärung zu unterlassen, verstieße laut Kühne gegen das Legalitätsprinzip.106 Auch eine Verhältnismäßigkeitsprüfung des finanziellen Aufwands einer Ermittlung bei einer nur geringen Bedeutung einer Sache erscheine problematisch.107 Der Rechtsprechung zufolge könne der Umfang der Aufklärungspflicht im Einzelfall wegen des Gebotes, das Verfahren beschleunigt und mit prozesswirtschaftlich vertretbarem Aufwand zu erledigen, unterschiedlich weit sein.108 Argumente der Prozessökonomie dürfen Krehl zufolge jedenfalls keine tragende Bedeutung bei der Frage erlangen, ob weiter aufgeklärt werden muss.109 Als Bewertungsaspekt darf jedoch auch die Prozessökonomie Eingang in die Diskussion finden. 99

Vgl. Kühne, Deutsches und europäisches Strafverfahrensrecht, Rn. 284.1. Gesetzentwurf der Bundesregierung zum Gesetz zur Regelung der Verständigung im Strafverfahren, BT-Drucks. 16/12310 S. 7. 101 BVerfG, Urt. v. 19. 03. 2013 – 2 BvR 2628/10 u. a. –, juris Rn. 7 = BVerfGE 133, 168. 102 Vgl. die Regelungen Nr. 5a, 69, der Richtlinie für das Strafverfahren und das Bußgeldverfahren (RiStBV), Kühne, Deutsches und europäisches Strafverfahrensrecht, Rn. 281 ff. 103 BAnz AT 31. 07. 2015 B1. 104 Siehe Nr. 5a, 69 RiStBV, Kühne, Deutsches und europäisches Strafverfahrensrecht, Rn. 281 ff. 105 Fezer, StV 1995 263, (269). 106 So zu Recht Kühne, Deutsches und europäisches Strafverfahrensrecht, Rn. 284. 107 So zu Recht Kühne, Deutsches und europäisches Strafverfahrensrecht, Rn. 285. 108 BGH, Beschl. v. 05. 09. 2000 – 1 StR 325/00 –, juris Rn. 18 = NJW 2001, 695. 109 KK-Krehl, § 244 Rn. 39. 100

2. Kap.: Verfahrensprinzipien der Beweisaufnahme

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III. Beschleunigungsgrundsatz Der Beschleunigungsgrundsatz oder auch die Konzentrationsmaxime110 meint nicht etwa, „kurzen Prozess“ zu machen, sondern das Strafverfahren zügig, stringent und ohne Verzögerungen durchzuführen.111 Er ist nicht ausdrücklich normiert, aber liegt einigen Vorschriften, wie §§ 115, 121, 122, 128 f., 163 II 1 StPO, zugrunde.112 Art. 6 I 1 EMRK schreibt vor, dass in einem fairen Verfahren innerhalb angemessener Frist verhandelt werden muss. Der Beschleunigungsgrundsatz dient in erster Linie dem Interesse des Beschuldigten.113 Es liegt aber auch im öffentlichen Interesse, dass die erhobenen Beschuldigungen in einer den Schwierigkeiten der Beweisführung angemessenen Zeit einer Klärung zugeführt werden.114 Eine funktionstüchtige Strafrechtspflege erfordert die Durchsetzung des staatlichen Strafanspruchs innerhalb so kurzer Zeit, dass die Rechtsgemeinschaft die Strafe noch als Reaktion auf geschehenes Unrecht wahrnehmen kann.115 Eine Verfahrensverzögerung kann einen Verstoß gegen Art. 6 I 1 EMRK bedeuten.116 Das Verhältnis zur Aufklärungspflicht ist umstritten: Überwiegend wird vertreten, der Beschleunigungsgrundsatz vermöge die Amtsaufklärungspflicht nicht einzuschränken.117 Eine gebotene Beweiserhebung sei daher ungeachtet einer durch sie verursachten Verfahrensverzögerung durchzuführen.118 Die Schnelligkeit der Durchführung könne nicht auf Kosten der Wahrheitsermittlung gehen.119 Krehl zufolge sind die Anforderungen des Beschleunigungsgebots bei der Frage nach einer weiteren Aufklärung aber zu berücksichtigen.120 Laut Kudlich kann die Wahrheitsfindung gar der als solchen ja ebenfalls wünschenswerten Beschleunigung zum Opfer fallen.121 Der Beschleunigungsgrundsatz wird in der Bewertung der Lösungsansätze also ebenfalls keine entscheidende Rolle spielen, aber miteinfließen.

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Kühne, Deutsches und europäisches Strafverfahrensrecht, Rn. 269. KK-Fischer, Einl. Rn. 34 f. 112 KK-Fischer, Einl. Rn. 33. 113 KK-Fischer, Einl. Rn. 36. 114 BGH, Beschl. v. 22. 10. 1975 – StB 60 – 63/75 u. a. –, juris Rn. 10 = BGHSt 26, 228. 115 BVerfG, Beschl. v. 15. 01. 2009 – 2 BvR 2044/07 –, juris Rn. 73 = BVerfGE 122, 248. 116 St. Rspr., vgl. BGH, Urt. v. 10. 11. 1999 – 3 StR 361/99 –, juris Rn. 2 f. = BGHSt 45, 308 m.w.N.; KK-Fischer, Einl. Rn. 39. 117 SSW-StPO/Sättele, § 244 Rn. 70; LR-Becker, § 244 Rn. 57; Kühne, GA 2008, 362 (367). 118 SSW-StPO/Sättele, § 244 Rn. 70; LR-Becker, § 244 Rn. 57. 119 Kühne, Deutsches und europäisches Strafverfahrensrecht, Rn. 268. 120 KK-Krehl, § 244 Rn. 39; vgl. auch BGH, Beschl. v. 05. 09. 2000 – 1 StR 325/00 –, juris Rn. 18 = NJW 2001, 695. 121 MüKo-StPO/Kudlich, Einl. Rn. 142. 111

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Teil 1: Verfahrensrechtliche Problematik bei Massenverfahren

E. Interessen des Angeklagten Auch die Interessen des Angeklagten hinsichtlich des Umfangs der Beweiserhebung stehen in einem Spannungsverhältnis: Einerseits ist es vor allen Dingen in seinem Interesse, nach Maßgabe des Schuldprinzips nur für die Tat verurteilt zu werden, die ihm tatsächlich nachgewiesen werden kann, wofür eine umfassende Aufklärung nötig ist. Andererseits hat er ebenso ein Interesse daran, sein Strafverfahren zügig zu beenden – insbesondere im Falle einer andauernden Untersuchungshaft. Da der Angeklagte bei einer Verurteilung die Kosten des Verfahrens zu zahlen hat, § 465 I 1 StPO, wird ihm außerdem an einer prozessökonomischen Verfahrensweise gelegen sein. Die Kosten des Verfahrens sind die Gebühren und Auslagen der Staatskasse, § 464a I 1 StPO, und zwar auch die durch die Vorbereitung der öffentlichen Klage entstandenen Kosten, § 464 I 2 StPO. Die einem Zeugen gemäß § 71 StPO i.V.m. §§ 19 ff. JVEG zustehende Entschädigung gehört zu den Auslagen der Staatskasse, GKG KV Nr. 9005.122 Eine Vernehmung vieler Geschädigter als Zeugen kann also hohe Kosten mit sich bringen, die der Angeklagte im Falle einer Verurteilung zu tragen hat. Eine höchst umfassende Beweisaufnahme ist daher nicht per se angeklagtenfreundlich.

F. Zusammenfassung Der prozessuale Umgang mit dem Irrtumsnachweis beim Massenbetrug bewegt sich im Spannungsfeld gegenläufiger Verfahrensprinzipien: Einerseits streiten Amtsaufklärungspflicht, Beweiswürdigungsgrundsatz, Unmittelbarkeitsgrundsatz und Konfrontationsrecht für eine möglichst umfassende Beweisaufnahme. Auf der anderen Seite stehen Effektivität der Strafrechtspflege, Prozessökonomie und Beschleunigungsgrundsatz, die den Umfang der Aufklärung am Ausufern hindern. Die Effektivität der Strafrechtspflege, die Prozessökonomie und der Beschleunigungsgrundsatz haben den Verfahrensprinzipien wie der Amtsaufklärungspflicht und dem Beweiswürdigungsgrundsatz, die eine umfassende Wahrheitsermittlung als Grundlage für eine erschöpfende Beweiswürdigung gewährleisten sollen, nicht viel entgegenzusetzen. Wollte man diese Grundsätze aber gänzlich aus einer Abwägungsentscheidung heraushalten, würde man ein idealisiertes, aber utopisches Strafverfahrensrecht schaffen. Zurückhaltend dürfen diese Praktikabilitätserwägungen123 also auch in die Überlegungen im Ringen um die beste Lösung einfließen.

122 123

Vgl. BeckOK-StPO/Niesler, § 464a Rn. 3; KK-Gieg, § 464a Rn. 4. Zum Begriff LR-Kühne, Einl. B Rn. 37 ff.

Teil 2

Ausgangsüberlegungen zum Irrtumsnachweis beim Massenbetrug Die folgenden Ausführungen sollen die weiteren Überlegungen zum Irrtumsnachweis beim Massenbetrug auf eine gemeinsame Grundlage stellen. Zunächst werden einige Ausgangsüberlegungen zum Tatbestand des Betrugs angestellt, wobei ein besonderes Augenmerk auf die Frage gelegt wird, wie normativ die Tatbestandsmerkmale zu verstehen sind. Die Besonderheiten bei Massenbetrugsfällen lassen sich dann anhand einiger Beispielsfälle veranschaulichen und phänomenologisch aufarbeiten. 1. Kapitel

Der Betrugstatbestand Das Wesen des Betrugs wird in der Literatur treffend dadurch umschrieben, dass der Betrugstatbestand „erlaubte von verbotener Geschicklichkeit bei der Erlangung von materiellen Vorteilen“1 abgrenze oder den Punkt treffe, „wo in einer auf Wettbewerb angelegten Wirtschaftsordnung das zulässige Ausnutzen von Wissensvorsprüngen endet und die strafrechtlich relevante Übervorteilung beginnt (Abgrenzung des ,Geschäftstüchtigen‘ vom ,Schlitzohr‘)“2. Der Grundtatbestand des Betrugs, § 263 I StGB, lautet: „Wer in der Absicht, sich oder einem Dritten einen rechtswidrigen Vermögensvorteil zu verschaffen, das Vermögen eines anderen dadurch beschädigt, daß er durch Vorspiegelung falscher oder durch Entstellung oder Unterdrückung wahrer Tatsachen einen Irrtum erregt oder unterhält, wird mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder mit Geldstrafe bestraft.“

Für die Erfüllung des objektiven Tatbestands sind also eine Täuschung durch den Täter, ein Irrtum beim Getäuschten, eine Vermögensverfügung durch den Irrenden (als ungeschriebenes Tatbestandsmerkmal) und ein Vermögensschaden erforderlich, wobei alle Tatbestandsmerkmale durch ein Kausalitätserfordernis miteinander verkettet sind.3 Im subjektiven Tatbestand ist Eventualvorsatz ausreichend.4 § 263 I 1 2 3

Fischer, StGB, § 263 Rn. 2. Rönnau/Becker, JuS 2014, 504. Fischer, StGB, § 263 Rn. 5.

50

Teil 2: Ausgangsüberlegungen zum Irrtumsnachweis beim Massenbetrug

StGB fordert zusätzlich die Absicht der rechtswidrigen und stoffgleichen Bereicherung durch den Täter. Nach § 263 II StGB ist der Versuch strafbar. § 263 III StGB regelt den besonders schweren Fall des Betrugs mit Regelbeispielen und § 263 V StGB enthält einen Qualifikationstatbestand. § 263 IV StGB ordnet die entsprechende Geltung der Geringwertigkeitsregeln an, nach § 263 VI StGB kann Führungsaufsicht angeordnet werden und § 263 VII StGB trifft Regelungen zum erweiterten Verfall. Bei der hier behandelten Thematik des Irrtumsnachweises beim Massenbetrug stehen die Täuschung und noch mehr der Irrtum im Blickfeld; die Tatbestandsmerkmale der Vermögensverfügung und des Vermögensschadens sind dagegen nur am Rande relevant. Da der Schlüsselbegriff der Rechtsprechung zum Irrtumsnachweis beim Massenbetrug das sog. „normativ geprägte Vorstellungsbild“ ist, werden die Tatbestandsmerkmale der Täuschung und des Irrtums insbesondere unter dem Gesichtspunkt untersucht, wie normativ sie bisher bereits verstanden werden. Das Schadensmerkmal wurde bereits deutlich normativiert durch wegweisende Entscheidungen hinsichtlich der Tatbestände von Betrug und Untreue wie die Rechtsprechung zum Quotenschaden5, zum Gefährdungsschaden bei schwarzen Kassen6 sowie beim Eingehungsbetrug beim Abschluss von Lebensversicherungen7 und bei Risikogeschäften mit einer nicht mehr vertragsimmanenten Verlustgefahr8, wobei das Bundesverfassungsgericht9 diese Rechtsprechung wieder einschränkte, indem es vorschrieb, dass der Gefährdungsschaden konkret beziffert werden müsse.10

4

St. Rspr., vgl. BGH, Beschl. v. 26. 08. 2003 – 5 StR 145/03 –, juris Rn. 46 = BGHSt 48, 331; Fischer, StGB, § 263 Rn. 180. 5 BGH, Urt. v. 15. 12. 2006 – 5 StR 181/06 –, juris = BGHSt 51, 165 („Hoyzer“). 6 BGH, Urt. v. 29. 08. 2008 – 2 StR 587/07 –, juris = BGHSt 52, 323 („Siemens“): Ls. 1: „Schon das Entziehen und Vorenthalten erheblicher Vermögenswerte unter Einrichtung von verdeckten Kassen durch leitende Angestellte eines Wirtschaftsunternehmens führt zu einem endgültigen Nachteil im Sinne von § 266 Abs. 1 StGB.“ 7 BGH, Urt. v. 14. 08. 2009 – 3 StR 552/08 –, juris Rn. 159 = BGHSt 54, 69 („Al-Qaida“): Vermögensschaden wegen signifikanter Erhöhung der Leistungswahrscheinlichkeit durch den Lebensversicherer gegenüber dem vertraglich vereinbarten Einstandsrisiko. 8 BGH, Beschl. v. 18. 02. 2009 – 1 StR 731/08 –, juris = BGHSt 53, 199. 9 BVerfG, Beschl. v. 23. 06. 2010 – 2 BvR 2559/08 u. a. –, juris Rn. 150 = BVerfGE 126, 170 (bzgl. der Untreue); BVerfG, Beschl. v. 07. 12. 2011 – 2 BvR 2500/09 u. a. –, juris Rn. 176 = BVerfGE 130, 1. 10 Vgl. MR-Saliger, § 263 Rn. 183.

1. Kap.: Der Betrugstatbestand

51

A. Rechtsgut Das Rechtsgut des Betrugs ist das Vermögen11 als Inbegriff aller wirtschaftlichen Güter, die nach der Gesamtrechtsordnung einer Person zugeordnet sind.12 Geschützt ist sowohl das private Vermögen als auch das Vermögen der öffentlichen Hand.13 § 263 StGB schützt jedoch nach überwiegender Ansicht weder Allgemeininteressen wie die Wirtschaftsordnung,14 noch die Dispositionsfreiheit,15 die Redlichkeit oder das Vertrauen im Geschäftsverkehr,16 ein Recht auf Wahrheit17 oder den Grundsatz von Treu und Glauben18.

B. Täuschungsmerkmal Der Gesetzeswortlaut spricht von der Vorspiegelung falscher Tatsachen, der Entstellung wahrer Tatsachen und der Unterdrückung wahrer Tatsachen und wird als unvollkommen und logisch widersprüchlich19, sich gegenseitig überschneidend und schlecht abgrenzbar20 und logisch und dogmatisch missglückt21 empfunden. Die Tathandlung des Betrugs wird daher allgemein als „Täuschung über Tatsachen“22 formuliert oder als Verhalten, durch das im Wege einer Einwirkung auf das intellektuelle Vorstellungsbild eines anderen eine Fehlvorstellung über tatsächliche

11 Siehe dazu auch den Anfragebeschluss des zweiten Senats des BGH: BGH, Beschl. v. 01. 06. 2016 – 2 StR 335/15 –, juris = NStZ 2016, 596. 12 BGH, Beschl. v. 18. 07. 1961 – 1 StR 606/60 –, juris = BGHSt 16, 220; BGH, Beschl. v. 16. 08. 1961 – 4 StR 166/61 –, juris = BGHSt 16, 321; Fischer, StGB, § 263 Rn. 3; S/S-Perron, § 263 Rn. 1/2 m.w.N. 13 S/S-Perron, § 263 Rn. 1/2; MüKo-StGB/Hefendehl, § 263 Rn. 7. 14 Fischer, StGB, § 263 Rn. 3; MüKo-StGB/Hefendehl, § 263 Rn. 6 („bloßer Schutzreflex ohne Rechtsgutsqualität“). 15 S/S-Perron, § 263 Rn. 1/2; SSW-StGB/Satzger, § 263 Rn. 9; Vergho, wistra, 2010, 86 (88); anders NK-Kindhäuser, § 263 Rn. 13 – 15 (Die Dispositionsfreiheit als eine dem Vermögensbegriff immanente Freiheit werde zumindest auch geschützt.); Kindhäuser, ZStW 103, 398 (399). 16 SSW-StGB/Satzger, § 263 Rn. 9; BGH, Beschl. v. 01. 09. 1994 – 1 StR 468/94 –, juris = StV 1995, 254. 17 SSW-StGB/Satzger, § 263 Rn. 9; S/S-Perron, § 263 Rn. 1/2; BGH, Beschl. v. 01. 09. 1994 – 1 StR 468/94 –, juris = StV 1995, 254; eingehend zur Diskussion Pawlik, Betrug, S. 115 f. 18 SSW-StGB/Satzger, § 263 Rn. 9; S/S-Perron, § 263 Rn. 1/2. 19 LK-Tiedemann, § 263 Rn. 7. 20 MüKo-StGB/Hefendehl, § 263 Rn. 53. 21 MR-Saliger, § 263 Rn. 11. 22 BGH, Urt. v. 26. 04. 2001 – 4 StR 439/00 –, juris = BGHSt 47, 1; LK-Tiedemann, § 263 Rn. 7; Lackner/Kühl-Kühl, § 263 Rn. 3; Maurach/Schroeder/Maiwald, BT I § 41 Rn. 36; MRSaliger, § 263 Rn. 11 m.w.N.

52

Teil 2: Ausgangsüberlegungen zum Irrtumsnachweis beim Massenbetrug

Umstände erregt werden kann23. Aufgrund dieser Spiegelbildlichkeit24 der Tatbestandsmerkmale der Täuschung und des Irrtums ist nicht nur die Normativität des Irrtumsmerkmals, sondern auch schon die Normativität des Täuschungsmerkmals in dieser Arbeit von Bedeutung. Bei der Einordnung fraglicher Handlungen als betrugsrelevante Täuschungshandlungen werden faktische und normative Betrachtungsweisen eingenommen. Eine faktische Betrachtungsweise stellt auf den Empfängerhorizont und auf die tatsächlichen Erwartungen der Beteiligten ab und eine normative Herangehensweise zieht die Anschauung der Verkehrskreise, rechtlich relevante Situationsnormen und die Geschäftstypen mit unterschiedlicher Pflichten- und Risikoverteilung heran.25 Die herrschende Meinung in Rechtsprechung und Literatur denkt in den Kategorien der ausdrücklichen Täuschung, der konkludenten Täuschung und der Täuschung durch Unterlassen.26 Sie berücksichtigt ausgehend von einer faktischen Betrachtungsweise je nach Täuschungsmodalität auch normative Gesichtspunkte27 und kann daher als faktisch-normativer Mischansatz beschrieben werden.28 Die Dreiteilung zeigt gleichzeitig den ansteigenden Grad der auch von der herrschenden Meinung vorgenommenen Normativierung.29 Neuere Literaturmeinungen mit der Tendenz zu einer umfassenderen Normativierung des Täuschungsmerkmals unterteilen die Täuschungshandlungen teilweise in andere Kategorien oder grenzen sie auf andere Weise voneinander ab. Da ihre Kritik zumeist an der konkludenten Täuschung anknüpft, wird sie auch dort dargestellt. I. Ausdrückliche Täuschung Eine ausdrückliche Täuschung ist gegeben, wenn der Täter ausdrücklich schriftlich (worunter auch Fax, Email usw. gehören) oder mündlich eine Unwahrheit über Tatsachen zum Ausdruck bringt.30 Auch Zeichen, Gesten und andere kommunikative Mittel können eine ausdrückliche Täuschung darstellen, wenn die Verkehrsauffassung keinen Zweifel hinsichtlich ihres Erklärungswerts lässt.31 Eine explizite Nennung der entscheidenden Tatsache ist nicht erforderlich.32 23

Vgl. S/S-Perron, § 263 Rn. 6. MR-Saliger, § 263 Rn. 87 f; Fischer, StGB, § 263 Rn. 53. 25 MR-Saliger, § 263 Rn. 35; MüKo-StGB/Hefendehl, § 263 Rn. 55. 26 Vgl. nur LK-Tiedemann, § 263 Rn. 21; S/S-Perron, § 263 Rn. 8, 11; MüKo-StGB/Hefendehl, § 263 Rn. 88; SSW-StGB/Satzger, § 263 Rn. 36; v. Heintschel-Heinegg/Beukelmann, § 263 Rn. 11; MR-Saliger, § 263 Rn. 28; Maurach/Schroeder/Maiwald, BT I § 41 Rn. 36; SKStGB/Hoyer, § 263 Rn. 26. 27 MR-Saliger, § 263 Rn. 28, 35. 28 So MR-Saliger, § 263 Rn. 35; Becker, JuS 2014, 307 (309). 29 MüKo-StGB/Hefendehl, § 263 Rn. 92; MR-Saliger, § 263 Rn. 28, 32. 30 LK-Tiedemann, § 263 Rn. 24; S/S-Perron, § 263 Rn. 13; SSW-StGB/Satzger, § 263 Rn. 37; MüKo-StGB/Hefendehl, § 263 Rn. 92. 31 MüKo-StGB/Hefendehl, § 263 Rn. 92. 24

1. Kap.: Der Betrugstatbestand

53

II. Konkludente Täuschung Die Annahme einer konkludenten Täuschung ist verfassungsrechtlich grundsätzlich nicht zu beanstanden.33 Existenz und Umfang der konkludenten Täuschung sind allerdings umstritten. 1. Faktisch-normativer Mischansatz der herrschenden Meinung Eine konkludente Täuschung (auch: Täuschung durch schlüssiges Verhalten) ist ein irreführendes Verhalten, das nach der Verkehrsanschauung als stillschweigende Erklärung zu verstehen ist.34 Sie liegt vor, wenn die Unwahrheit über Tatsachen zwar nicht expressis verbis zum Ausdruck gebracht, aber miterklärt wird.35 Um dies zu ermitteln, wird danach gefragt, welchen Erklärungswert die Verkehrsanschauung der Erklärung beimisst.36 Es ist maßgeblich, wie der Adressat am Maßstab eines objektivierten Empfängerhorizonts die Erklärung nach der in Bezug auf den konkreten Geschäftstyp bestehenden Verkehrsanschauung vernünftigerweise verstehen durfte.37 Dadurch sind trotz des faktischen Ausgangspunktes auch normative Gesichtspunkte zu berücksichtigen.38 Der jeweilige Geschäftstyp und die typische Pflichtenund Risikoverteilung zwischen den Vertragspartnern spielen bei der Bestimmung der Verkehrsanschauung eine große Rolle.39 Das Wesen des Betrugs als Kommunikationsdelikt erfordert, dass der Täuschungshandlung ein Erklärungswert in Form eines kommunikativen Akts zukommt.40 Bloße Tatsachenveränderungen oder Objektmanipulationen stellen keine betrugsrelevante Täuschung dar.41 Gegen die Erforderlichkeit eines Erklärungswerts 32

So reicht es beispielsweise, wenn bei der Reisekostenabrechnung die Kosten für eine Bahnfahrt in der 1. Klasse abgerechnet werden, obwohl die 2. Klasse benutzt wurde, ohne explizit zu erklären, dass in der 1. Klasse gefahren wurde, MR-Saliger, § 263 Rn. 30. 33 BVerfG, Beschl. v. 07. 12. 2011 – 2 BvR 2500/09 u. a. –, juris Rn. 168 = BVerfGE 130, 1. 34 BGH, Urt. v. 26. 04. 2001 – 4 StR 439/00 –, juris Rn. 10 = BGHSt 47, 1. 35 BGH, Urt. v. 26. 04. 2001 – 4 StR 439/00 –, juris Rn. 10 = BGHSt 47, 1; BGH, Urt. v. 15. 12. 2006 – 5 StR 181/06 –, juris Rn. 19 = BGHSt 51, 165; SSW-StGB/Satzger, § 263 Rn. 39; S/S-Perron, § 263 Rn. 14/15; MR-Saliger, § 263 Rn. 32; v. Heintschel-Heinegg/Beukelmann, § 263 Rn. 13. 36 S/S-Perron, § 263 Rn. 14/15; SSW-StGB/Satzger, § 263 Rn. 39; v. Heintschel-Heinegg/ Beukelmann, § 263 Rn. 13; MR-Saliger, § 263 Rn. 33. 37 MüKo-StGB/Hefendehl, § 263 Rn. 98 m.w.N.; S/S-Perron, § 263 Rn. 14/15. 38 SSW-StGB/Satzger, § 263 Rn. 40; LK-Tiedemann, § 263 Rn. 30; S/S-Perron, § 263 Rn. 14/15. 39 SSW-StGB/Satzger, § 263 Rn. 40; S/S-Perron, § 263 Rn. 14/15; LK-Tiedemann, § 263 Rn. 30. 40 LK-Tiedemann, § 263 Rn. 22; MüKo-StGB/Hefendehl, § 263 Rn. 25; a.A.: SK-StGB/ Hoyer, § 263 Rn. 25, 51 f. der dann die dritte Täuschungsvariante „Unterdrücken wahrer Tatsachen“ als erfüllt ansieht. 41 Fischer, StGB, § 263 Rn. 15; LK-Tiedemann, § 263 Rn. 23; MR-Saliger, § 263 Rn. 26 m.w.N.

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Teil 2: Ausgangsüberlegungen zum Irrtumsnachweis beim Massenbetrug

wird eingewandt, dass die herrschende Meinung letztlich einen solchen fingiert, auch wenn gerade keine Erklärung vorliegt.42 Erb verzichtet auf das Erfordernis eines Erklärungswerts und stellt der kommunikativen Irrtumserregung die suggestive Irrtumserregung gleich.43 Wenn eine ausdrückliche Erklärung vorliegt, ist damit zugleich konkludent miterklärt, dass alles, was in einem logischen, empirischen oder normativen Widerspruch zum ausdrücklich Erklärten steht, nicht vorliegt.44 Charakteristisch für eine konkludente Täuschung ist, dass eine explizite Erklärung des schlüssig miterklärten Sachverhalts gerade ungewöhnlich und irritierend wirkt.45 Nicht explizite und unvollständige Erklärungen sind ebenfalls ein klassischer Fall der konkludenten Täuschung.46 Bloßes Ausnutzen einer Fehlvorstellung ist hingegen keine (konkludente) Täuschung.47 Allein das Vorliegen eines Irrtums begründet auch noch keine Täuschung; der Satz „Wo ein Irrtum ist, ist auch eine Täuschung“48 ist gerade nicht richtig.49 Ansonsten kommt man bei der konkludenten Täuschung um eine umfassende Kasuistik50, die hier nicht dargestellt wird, nicht umhin. Zur Ermittlung des Erklärungsgehalts einer nicht ausdrücklich vorgenommenen Aussage ist ein Rückgriff auf Üblichkeiten und normative Vorgaben innerhalb des jeweiligen Verkehrsrahmens unvermeidlich.51 Auch von der herrschenden Meinung wird die Konkludenz also normativierend gehandhabt.52 Nach Saliger vermag sogar

42

Frisch, FS Jakobs, 97 (101); Becker, JuS 2014, 307 (309). Erb, ZIS 2011, 368 (371) mit der Begründung, dass nicht ersichtlich sei, warum die Betrugsstrafbarkeit ausschließlich diejenigen Täter treffen sollte, bei denen man eine – für die Suggestivwirkung als solche irrelevante – konkludente Bezugnahme einer Erklärung auf den verfälschten Sachverhalt konstruieren könne, während andere nur deshalb straffrei ausgehen, weil sie es verstehen, das Opfer durch die Konfrontation mit einer irreführenden Sachlage zu täuschen, ohne letztere formal zum Bestandteil einer Erklärung zu machen; ähnlich Fischer, StGB, § 263 Rn. 28; Kulhanek, JA 828 (829). 44 NK-Kindhäuser, § 263 Rn. 110; Kindhäuser, FS Tiedemann, 579 (587, 593); SSWStGB/Satzger, § 263 Rn. 43; MR-Saliger, § 263 Rn. 37. 45 Wenn beispielsweise ein Restaurantgast erklärt, zur Bezahlung des Essens auch bereit zu sein, vgl. MR-Saliger, § 263 Rn. 37 („Die Ungewöhnlichkeit einer expliziten Erklärung ist damit für die Konkludenz regelmäßig konstitutiv.“); ebenso NK-Kindhäuser, § 263 Rn. 110; KIndhäuser, FS Tiedemann, 579 (585); Saliger/Rönnau/Kirch-Heim, NStZ 2007, 361 (363); Krack, ZIS 2007, 103 (104). 46 MR-Saliger, § 263 Rn. 37; LK-Tiedemann, § 263 Rn. 29. 47 SSW-StGB/Satzger, § 263 Rn. 44; MR-Saliger, § 263 Rn. 25, 108 m.w.N. 48 Mahnkopf/Sonnberg, NStZ 1997, 187. 49 SSW-StGB/Satzger, § 263 Rn. 39; Bung, GA 2012, 354; BGH, Urt. v. 26. 04. 2001 – 4 StR 439/00 –, juris Rn. 14 = BGHSt 47, 1. 50 Vgl. S/S-Perron, § 263 Rn. 14/15 f.; Fischer, StGB, § 263 Rn. 24 ff.; SSW-StGB/Satzger, § 263 Rn. 46 ff. 51 MüKo-StGB/Hefendehl, § 263 Rn. 96. 52 LK-Tiedemann, § 263 Rn. 30; MüKo-StGB/Hefendehl, § 263 Rn. 20; MR-Saliger, § 263 Rn. 28, 32. 43

1. Kap.: Der Betrugstatbestand

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allein der faktisch-normative Mischansatz die konkludente Täuschung vor einer Fiktionalisierung53 der Kommunikation zu bewahren.54 2. Faktisch-normative Ansätze in der Literatur Einige Stimmen in der Literatur stimmen grundsätzlich mit der herrschenden Meinung überein, aber fordern gewisse Einschränkungen oder Modifizierungen hinsichtlich der konkludenten Täuschung: a) Bung Bung fordert gegenüber der gegenwärtigen verschwenderischen Praxis einen sparsameren Gebrauch der konkludenten Täuschung.55 Die Figur der konkludenten Täuschung sei überfrachtet, weil man sie oft gar nicht brauche.56 So könne man viele Sachverhalte wie beispielweise den Versand unrichtiger Rechnungen57 unter die ausdrückliche Täuschung subsumieren, weil „schwarz auf weiß“ getäuscht werde.58 Die Konkludenz sei als semantischer Behälter ein „Fass ohne Boden“, insbesondere wenn sie sich aus dem Erwartungshorizont eines Empfängers ergebe, der gar keine Erklärung empfangen habe: So werde die konkludente Täuschung dadurch begründet, dass sich der Empfängerhorizont selbst begründe.59 Durch das „Zauberwort“ Empfängerhorizont verschmelzen Täuschung und Irrtum zu einer unauflöslichen Einheit.60 Das Konstrukt einer konkludenten Täuschung werde sinnlos, wenn man es zum „Anhängsel vom allem und jeden“ machen, indem man in jede Erklärung in „hermeneutische[r] Opulenz“ Gehalte hineinprojiziert, „die nicht explizit symbolisiert, aber irgendwie mitthematisiert“ seien.61 Die Figur der konkludenten Täuschung sei nur bei Interaktionsabläufen angebracht, in denen eine kritische Nachfrage hinsichtlich der Leistungsfähigkeit zwar rational sinnvoll, aber aufgrund der geschäftlichen Routine oder anderen etablierten, unbezweifelten gesellschaft-

53

So der Vorwurf u. a. von LK-Lackner, 10. Auflage, § 263 Rn. 30; Trüg/Habetha, JZ 2007, 878 (880 f.); SK-StGB/Hoyer, § 263 Rn. 43; Frisch, FS Jakobs, 97 (101) und FS Herzberg, 729 (741); Heghmanns, ZJS 2009, 706 (708); Kraatz, JR 2012, 329 (331). 54 MR-Saliger, § 263 Rn. 35. 55 Bung, GA 2012, 354 (361). 56 Bung, GA 2012, 354 (358). 57 Hier bezieht sich Bung auf die Entscheidung BGH, Beschl. v. 09. 06. 2009 – 5 StR 394/ 08 –, juris= NJW 2009, 2900. 58 Bung, GA 2012, 354 (359). 59 Bung, GA 2012, 354 (358). 60 Bung, GA 2012, 354 (359). 61 Bung, GA 2012, 354 (359).

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Teil 2: Ausgangsüberlegungen zum Irrtumsnachweis beim Massenbetrug

lichen Umgangsformen nicht vorgesehen oder unzumutbar sei und der Täter diese Routine missbrauche.62 b) Jahn und Maier Jahn und Maier kritisieren anlässlich des Hoyzer-Urteils63 die „Übernormativierung des Täuschungsbegriffs“64, da in einen alltäglichen Realakt zu viel Erklärungsinhalt hinein interpretiert werde, wenn der Tatrichter von allgemein verbreiteten Erwartungen auf den tatsächlichen Inhalt konkludenter Kommunikation schließen könne.65 Der Aussagegehalt sei in einer faktischen Betrachtungsweise nach Maßgabe eines durch die Verkehrsanschauung objektivierten Empfängerhorizonts zu ermitteln.66 Das überprüfbare Erklärungssubstrat sollten nur „Objekte der Seinswelt“ sein.67 Sie wollen damit nach eigener Aussage wieder zum ontologischen Täuschungsbegriff zurückkehren,68 stellen aber auf einen durch die Verkehrsanschauung objektivierten Empfängerhorizont ab, wodurch normative Gesichtspunkte wohl auch in die Beurteilung miteinfließen, sodass auch dieser Ansatz eigentlich als ontologisch-normativer Mischansatz einzuordnen ist. c) Kasiske Nach Kasiske kommt eine konkludente Täuschung nur in Betracht, wenn der Täter die alleinige Informationsherrschaft bezüglich einer für die Grundlage des Geschäfts maßgebliche Tatsache innehabe und das Opfer im Hinblick darauf keine Informationsobliegenheit treffe.69 Gewissen Verhaltensweisen werde normativ ein Erklärungswert auf der Grundlage einer primär faktisch zu bestimmenden Informationsherrschaft zugewiesen.70

62 Bung, GA 2012, 354 (361 f.): Beispielsweise wenn die Frage der Art „Können Sie sich das überhaupt leisten?“ an einen Restaurantgast als Unverschämtheit oder Taktlosigkeit empfunden würde. 63 BGH, Urt. v. 15. 12. 2006 – 5 StR 181/06 –, juris = BGHSt 51, 165, dazu unten mehr. 64 Jahn/Maier, JuS 2007, 215 (217). 65 Jahn/Maier, JuS 2007, 215 (217). 66 Jahn/Maier, JuS 2007, 215 (218). 67 Jahn/Maier, JuS 2007, 215 (218). Hieran wurde die radikale Einschränkung des Betrugstatbestands kritisiert, weil es sich bei inneren Tatsachen wie der Zahlungswilligkeit oder bei Optionen nicht um Objekte der Seinswelt handle, Kasiske, GA 2009, 360 (362); Krack, ZIS 2007, 103 (107). Andere halten dem Ansatz entgegen, dass verbriefte Gewinnchancen in einem realen Wettmarkt ja sogar reale Objekte der Seinswelt bezeichnen, so MR-Saliger, § 263 Rn. 35; Saliger/Rönnau/Kirch-Heim, NStZ 2007, 362 (363). 68 Jahn/Maier, JuS 2007, 215 (218). 69 Kasiske, GA 2009, 360 (367). 70 Kasiske, GA 2009, 360 (368).

1. Kap.: Der Betrugstatbestand

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d) Vogel Vogel begreift die konkludente Täuschung als „Verletzung kommunikativer Verkehrspflichten“, „welche einerseits der lebensweltlichen Praxis von Verkehr und Sprache entspringen und andererseits rechtlich überformt sind“. Er weist auf bemerkenswerte Strukturähnlichkeiten zwischen Verkehrspflichtverletzungen und konkludenten Täuschungen hin und überträgt mithilfe der Lehre von der objektiven Zurechnung die Kategorie der Verkehrspflicht auf das Vorsatzdelikt Betrug. Die konkludente Täuschung könne als Verhalten aufgefasst werden, „das die unerlaubte, nämlich verkehrspflichtwidrige Gefahr eines Irrtums schafft, der zu einer vermögensschädigenden Verfügung führt oder führen kann“.71 3. Rein normative Ansätze in der Literatur Rein normative Ansätze in der Literatur wollen die Tatbestandsmäßigkeit einer Handlung als (konkludente) Täuschung ausschließlich anhand normativer Gesichtspunkte bestimmen. Die Unterscheidung in die Täuschung durch Unterlassen oder Tun wird dann meist aufgelöst. a) Frisch In der Konzeption von Frisch gibt es ein Recht auf Wahrheit, das der Täter mit der Täuschung verletzen müsse, indem er den irreführenden Anschein erwecke, bestimmte Tatsachen, die zu den Verfügungsvoraussetzungen des Opfers gehören, seien gegeben, während dies in Wahrheit nicht der Fall sei.72 b) Gauger Nach Gauger kann die Abgrenzung strafbaren Betrugs von nur zivilrechtsrelevantem Täuschungsverhalten nur anhand normativer Kriterien erfolgen.73 Die Verantwortungszuständigkeit für den Irrtum beim Getäuschten ergebe sich aus der Verletzung einer besonderen Pflichtenstellung, die für eine Täuschung durch Tun oder Unterlassen inhaltsidentisch zu bestimmen sei.74 Eine solche Obhutspflicht für fremdes Vermögen müsse zugleich die Anforderungen an eine Vermögensfürsorgepflicht i.S.d. § 266 StGB erfüllen.75

71 72 73 74 75

Vogel, GS Keller, 313 (322). Frisch, FS Herzberg, 729 (743, 760); Frisch, FS Jakobs, 97 (120, 130). Gauger, Konkludente Täuschung, S. 240. Gauger, Konkludente Täuschung, S. 196 ff., 240. Gauger, Konkludente Täuschung, S. 220.

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Teil 2: Ausgangsüberlegungen zum Irrtumsnachweis beim Massenbetrug

c) Kindhäuser Nach Kindhäuser sind nur solche Täuschungen relevant, durch die der Täter einen Wahrheitsanspruch des Opfers verletzt.76 Dieser Wahrheitsanspruch sei darauf gerichtet, dass die Erklärung der Wahrheit entspreche, und korrespondiere nicht der Informationspflicht.77 Er deutet den Betrug als Delikt mit vertypter mittelbarer Täterschaft.78 Das Werkzeug sei der sich selbstschädigende Getäuschte, der die Vermögensverfügung tätige, die durch den mittelbaren Täter fremdbestimmt werde und ihm damit als Schädigung fremden Vermögens zuzurechnen sei.79 Aus normativer Sicht seien somit solche Täuschungen betrugsrelevant, bei denen die Entscheidungsgrundlage nicht mehr mit der Wirklichkeit übereinstimme, weil das, was die Person aus der Perspektive eines objektivierten Dritten in der konkreten Situation als Information über ihre Entscheidung erwarten dürfe, von dem, was sie tatsächlich an Informationen erhalte, differiere.80 Als konkludent miterklärt können nur solche Tatsachen angesehen werden, deren Bestehen notwendig sei, damit die Äußerung ihren Zweck erreichen könne.81 d) Kubiciel Kubiciel verfolgt einen „zurechnungsorientierten Ansatz“82 und hält das „Kriterium der Zuständigkeit für Informationsdefizite“83 für maßgeblich zur Abgrenzung relevanter von irrelevanten Erwartungen. Die konkludente Täuschung liege im Bruch der Aufklärungspflicht, die aus der Verursachung des Wissensdefizits des Opfers folge.84 Es spiele dann „dogmatisch keine entscheidende Rolle mehr“, ob man die Verletzung dieser Aufklärungspflicht als Tun oder Unterlassen ansehe.85 Aber auch für die ausdrückliche Täuschung sei eine irrtumsgeeignete Kommunikation nur tatbestandsmäßig, wenn und soweit der Verkehr eine wahrheitsgemäße und vollständige Darstellung erwarten könne.86 An der Schutzwürdigkeit und damit an einem Irrtum scheitere es dann, wenn der Verfügende positiv um die Unrichtigkeit gewusst habe.87

76 77 78 79 80 81 82 83 84 85 86 87

Kindhäuser, ZStW 103, 398. Kindhäuser, ZStW 103, 398 (403). NK-Kindhäuser, § 263 Rn. 46. NK-Kindhäuser, § 263 Rn. 46, 48, 60. NK-Kindhäuser, § 263 Rn. 61. Kindhäuser, FS Tiedemann, 579 (587, 593). Kubiciel, HRRS 2007, 68 (71). Kubiciel, HRRS 2007, 68 (70). Kubiciel, HRRS 2007, 68 (70 f.). Kubiciel, HRRS 2007, 68 (71). Kubiciel, HRRS 2015, 382 (385). Kubiciel, HRRS 2015, 382 (385).

1. Kap.: Der Betrugstatbestand

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e) Lackner Lackner versucht, durch eine normative Deutung der Konkludenz die „unnötige wie fragwürdige Fiktion eines Erklärungswillens überflüssig zu machen“.88 Der konkludent miterklärte Inhalt eines Verhaltens werde nicht aus der Situation des Erklärenden, sondern aus der des Adressaten ermittelt. Wenn eine relevante Tatsache nach der Verkehrsanschauung als miterklärt zu unterstellen sei, könne sich der Geschäftspartner ohne Rücksicht auf einen Erklärungswillen des anderen und seine eigenen Vorstellungen darüber auf die Tatsache verlassen.89 f) Pawlik Pawlik versteht den Täuschungsbegriff rein normativ als Problem „interpersonaler Zuständigkeitsverteilung“.90 Der Betrugstatbestand gewähre dem Opfer ein Recht auf Wahrheit, um ihm eine selbstverantwortliche Vermögensverwaltung zu ermöglichen.91 Betrugsrelevant seien Handlungen, die zu einer Verletzung des Wahrheitsrechts – genauer: des Vermögensverwaltungsrechts – des Opfers führen, indem der Täter die Erwartung, er habe seinem Opfer alle Informationen unverfälscht und vollständig zugänglich gemacht, enttäusche.92 Dabei müsse der Täter für die Informationsvermittlung zuständig sein, also eine betrugsrelevante Garantenstellung innehaben, die er in „unmittelbare Korrelate von Organisationsfreiheit und institutionelle Voraussetzungen von Organisationsfreiheit“ unterteilt.93 Pawlik unterscheidet also nicht mehr zwischen Täuschungen durch aktives Tun und Täuschungen durch Unterlassen. g) Seelmann Nach Seelmann sei auch für eine konkludente Täuschung eine Aufklärungspflicht als Rechtspflicht zur Verhinderung des Irrtums erforderlich, um einem Gesamtverhalten infolge partiellen Verschweigens einen Erklärungsinhalt beizumessen.94

88

LK-Lackner, 10. Auflage, § 263 Rn. 30. LK-Lackner, 10. Auflage, § 263 Rn. 28. Hieran wird kritisiert, dass trotz des rein normativen Ansatzes eben doch auf faktische Elemente zurückgegriffen werde, wenn eine auf die Verkehrsanschauung abstellende Deutung auch den faktischen Geschäftsverkehr berücksichtige, so MR-Saliger, § 263 Rn. 35. 90 Pawlik, Betrug, S. 65 f., 127, 142. 91 Pawlik, Betrug, S. 143, 115 ff. 92 Pawlik, Betrug, S. 78, 83. 93 Pawlik, Betrug, S. 82, 127 ff. 94 Seelmann, NJW 1980, 2545 (2547). 89

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Teil 2: Ausgangsüberlegungen zum Irrtumsnachweis beim Massenbetrug

h) Wittig Wittig löst die Unterscheidung in Täuschung durch Tun oder Unterlassen auf und konturiert das tatbestandsmäßige Verhalten des Betruges aufgrund seines interaktionistischen Charakters anhand der Abgrenzung von Verantwortungsbereichen zwischen Täter und Opfer.95 4. Normativierungstendenzen in der Rechtsprechung Durch einige wegweisende höchstrichterliche Entscheidungen zum Insertionsoffertenbetrug und zum Sportwettbetrug wurde die konkludente Täuschung weiter normativiert. a) Insertionsoffertenbetrug Die Urteile zum sog. Insertionsoffertenbetrug behandeln das Sonderproblem „Täuschung mit einer wahren Tatsache“: Der vierte Strafsenat bestätigte 2001 das Vorliegen einer konkludenten Täuschung, wenn Angebotsschreiben für Todesanzeigen trotz an sich richtiger Aussagen unter dem Anschein „äußerlich verkehrsgerechten Verhaltens“ nach der objektiven Verkehrsanschauung planmäßig den Gesamteindruck einer Rechnung erwecken sollen, wenn also die „Irrtumserregung nicht die bloße Folge, sondern der Zweck“ der Handlung sein solle.96 Diese Rechtsprechung führte der vierte Strafsenat 2001 bei einem Fall mit vermeintlichen Kreditangeboten in Zeitungsannoncen fort.97 Der fünfte Strafsenat schloss sich 2003 bei einem Fall mit Scheinrechnungen über die Eintragung in einer Datenbank98 dieser Rechtsprechung an, der zweite Strafsenat 2014 bei der Versendung von Angebotsschreiben für die Eintragung in einer Online-Datenbank, die als Kostenforderung erscheinen sollten,99 und in zwei Entscheidungen auch das OLG Frankfurt100. b) Sportwettbetrug Schon das Reichsgericht101 entschied im Jahr 1928, dass eine Vorspiegelung einer falschen Tatsache, aber explizit keine Täuschung durch Unterlassen vorliege, wenn 95

Wittig, Betrug, S. 284 ff., 320 ff. BGH, Urt. v. 26. 04. 2001 – 4 StR 439/00 –, juris Rn. 12, 13, 15 = BGHSt 47, 1; Hoyer kritisiert diesen von ihm so bezeichneten „subjektive[n] Täuschungsbegriff“, SK-StGB/Hoyer § 263 Rn. 45, 47 f. 97 BGH, Urt. v. 19. 07. 2001 – 4 StR 457/00 –, juris Rn. 11 = wistra 2001, 386. 98 BGH, Urt. v. 04. 12. 2003 – 5 StR 308/03 –, juris Rn. 18 = wistra 2004, 103. 99 BGH, Urt. v. 28. 05. 2014 – 2 StR 437/13 –, juris Rn. 20 – 22 = wistra 2014, 439. 100 OLG Frankfurt, Beschl. v. 31. 10. 2001 – 2 Ws 106/01 –, juris = NStZ-RR 2002, 47; OLG Frankfurt, Beschl. v. 13. 03. 2003 – 1 Ws 126/02 –, juris = NJW 2003, 3215. 101 RG, Urt. v. 17. 12. 1928 – III 1006/28 = RGSt 62, 415. 96

1. Kap.: Der Betrugstatbestand

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die Angeklagten bei Abschluss des Wettvertrags durch Abfangen des Rundfunks im Gegensatz zum Wettanbieter schon Kenntnis vom Ausgang des Pferderennens haben. Denn die noch mögliche Spekulation auf den Zufall sei der Beweggrund und Inhalt der Rennwette. Die noch bestehende Ungewissheit des Gewinnfalls bilde daher die selbstverständliche und beiderseits stillschweigend zum Vertragsinhalt erhobene Bedingung jeder Rennwette. In dem Abschluss eines Wettvertrags in dem Bewusstsein, dass es an dieser Vorbedingung fehle, liege daher eine Täuschung.102 Anders urteilte der fünfte Strafsenat103 des Bundesgerichtshofes im Jahr 1961 über einen solchen Fall der sog. „Spätwette“: Wenn ein Spieler in einem Wettbüro eine Wette über ein auswärtiges Rennen eingehe, das schon begonnen habe, erkläre er damit nicht, das Ergebnis dieses Rennens noch nicht zu kennen, und habe diesbezüglich auch keine Offenbarungspflicht. Die Annahme, die Parteien des Wettvertrages sicherten sich stillschweigend zu, den Ausgang des Rennens nicht zu kennen, sei eine „willkürliche Konstruktion“. 1979 entschied der dritte Strafsenat im sog. „Pferdewetten-Urteil“104, dass eine Täuschung „durch schlüssiges Handeln“ vorliege, wenn der Täter beim Abschluss einer Rennwette verschweige, dass er durch Bestechung von Rennreitern das Wettrisiko zu seinen Gunsten vermindert habe. Der dritte Senat ließ die SpätwettenEntscheidung des fünften Senats dahinstehen, da sich der vorliegende Fall dadurch unterscheide, dass der Angeklagte den Gegenstand des Wettvertrages selbst, die Rennen, zu seinen Gunsten beeinflusst habe.105 Das rennordnungswidrige Verhalten einiger Reiter habe die Gewinnchancen der Pferde beeinflusst und deshalb die Geschäftsgrundlage der Rennwetten verändert. Dem Vertragsangebot des Angeklagten sei die stillschweigende Erklärung zu entnehmen, er habe die Geschäftsgrundlage der Wette nicht durch rechtswidrige Manipulation verändert.106 In der bekannten „Hoyzer-Entscheidung“107 von 2006 stellte der fünfte Strafsenat im Einklang mit dem dritten Senat fest, dass dem Angebot auf Abschluss eines Sportwettvertrages in aller Regel die konkludente Erklärung zu entnehmen sei, dass der in Bezug genommene Vertragsgegenstand nicht vorsätzlich zum eigenen Vorteil manipuliert sei.108 Durch die Abgabe der Wettscheine über die Fußballwetten liege eine konkludente Täuschung vor,109 jedenfalls dann, wenn zu dem konkreten Plan der 102

RG, Urt. v. 17. 12. 1928 – III 1006/28 = RGSt 62, 415 (416). BGH, Urt. v. 20. 06. 1961 – 5 StR 184/61 –, juris = BGHSt 16, 120. 104 BGH, Urt. v. 19. 12. 1979 – 3 StR 313/79 –, juris = BGHSt 29, 165. 105 BGH, Urt. v. 19. 12. 1979 – 3 StR 313/79 –, juris Rn. 5 = BGHSt 29, 165. 106 BGH, Urt. v. 19. 12. 1979 – 3 StR 313/79 –, juris Rn. 6 = BGHSt 29, 165. 107 BGH, Urt. v. 15. 12. 2006 – 5 StR 181/06 –, juris = BGHSt 51, 165. 108 BGH, Urt. v. 15. 12. 2006 – 5 StR 181/06 –, juris Ls. 1 = BGHSt 51, 165. 109 BGH, Urt. v. 15. 12. 2006 – 5 StR 181/06 –, juris Rn. 16 = BGHSt 51, 165; zustimmend: Gaede, HRRS 2007, 16; im Ergebnis ebenso, aber mit anderer Begründung: Krack, ZIS 2007, 103 (105); Saliger/Rönnau/Kirch-Heim, NStZ 2007, 361 (362); Kubiciel, HRRS 2007, 68 (70); ablehnend: Jahn/Meier, JuS 2007, 215 (218); Trüg/Habetha, JZ 2007, 878. 103

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Teil 2: Ausgangsüberlegungen zum Irrtumsnachweis beim Massenbetrug

Manipulation des zukünftigen Sportereignisses die konkrete Einflussnahme beispielsweise durch vorherige Absprachen mit Sportlern oder Schiedsrichtern trete.110 Der Senat setzt sich ausführlich mit den bezüglich der Strafbarkeit des Sportwettbetrugs geäußerten Meinungen auseinander und begründet die Täuschung maßgeblich damit, dass der Kommunikationsinhalt „wesentlich durch den dem Erklärenden bekannten Empfängerhorizont und damit durch die ersichtlichen Erwartungen der Beteiligten bestimmt“ werde und diese „tatsächliche Erwartungen […] ganz wesentlich auch durch die Anschauungen der jeweiligen Verkehrskreise und die in der Situation relevanten rechtlichen Normen geprägt“ werden. Bei der Ermittlung des Erklärungswertes eines konkreten Verhaltens müssen daher „sowohl faktische als auch normative Gesichtspunkte“ berücksichtigt werden.111 Ein tatrichterlicher Schluss von den Gesamtumständen eines Geschehens, die auch von normativen Erwartungen geprägt seien, auf einen bestimmten Kommunikationsinhalt führe außerdem nicht zur „Fiktion“ einer Erklärung.112 Im Gegensatz zu den Spätwetten handle es sich hier um eine Manipulation des Vertragsgegenstandes und nicht um ein überlegenes Wissen des Wettenden.113 2012 führte der vierte Strafsenat diese Rechtsprechung in Fällen fort, in denen es um Wettverträge über Fußballspiele ging, deren Spielteilnehmer oder Schiedsrichter bestochen wurden. Die Täuschung liege darin, dass bei Abschluss des Wettvertrags konkludent erklärt worden sei, den Verlauf der Spiele nicht beeinflusst zu haben, da die Manipulationsfreiheit des Wettgegenstandes zur Geschäftsgrundlage der Wette gehöre.114 Der objektive Empfängerhorizont sei unter der Berücksichtigung der Gesamtumstände und der Verkehrsanschauung festzulegen.115 5. Normativismus als Unter- und Obergrenze Die Diskussion, inwieweit das Täuschungsmerkmal faktisch oder normativ zu verstehen ist, wird teils als „Streit um Worte“116 oder ”Scheinstreit“117 bezeichnet. 110

BGH, Urt. v. 15. 12. 2006 – 5 StR 181/06 –, juris Rn. 24 BGHSt 51, 165. BGH, Urt. v. 15. 12. 2006 – 5 StR 181/06 –, juris Rn. 20 = BGHSt 51, 165 unter Berufung auf LK-Tiedemann, § 263 Rn. 30 und MüKo-StGB/Hefendehl, § 263 Rn. 88 (1. Aufl.) = Rn. 98 (2. Aufl.); ebenso MR-Saliger, § 263 Rn. 33. 112 BGH, Urt. v. 15. 12. 2006 – 5 StR 181/06 –, juris Rn. 21 = BGHSt 51, 165. 113 BGH, Urt. v. 15. 12. 2006 – 5 StR 181/06 –, juris Rn. 25 = BGHSt 51, 165. 114 BGH, Urt. v. 20. 12. 2012 – 4 StR 55/12 Rn. 19 = BGHSt 58, 102; BGH, Urt. v. 20. 12. 2012 – 4 StR 125/12 –, juris Rn. 30 = wistra 2013, 186; BGH, Beschl. v. 20. 12. 2012 – 4 StR 580/11 –, juris Rn. 30 = NJW 2013, 1017; zustimmend: Hecker, JuS 2013, 656 (658); Jäger, JA 2013, 868 (870); kritisch: Schiemann, NJW 2013, 888. 115 BGH, Urt. v. 20. 12. 2012 – 4 StR 55/12 Rn. 20 = BGHSt 58, 102; BGH, Beschl. v. 20. 12. 2012 – 4 StR 580/11 –, juris Rn. 31 = NJW 2013, 1017; BGH, Urt. v. 20. 12. 2012 – 4 StR 125/12 –, juris Rn. 31 = wistra 2013, 186. 116 LK-Tiedemann, § 263 Rn. 30. 117 Krack, ZIS 2007, 103 (107). 111

1. Kap.: Der Betrugstatbestand

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Die Unterschiede der abstrakt formulierten faktischen oder normativen Betrachtungsweise seien „praktisch gering“118 und es ergeben sich letztlich kaum Abweichungen119. Insoweit von der herrschenden Meinung auf einen objektivierten Empfängerhorizont und nicht auf die tatsächlichen konkreten Erwartungen der Verkehrsteilnehmer abgestellt wird, enthält auch eine im Grundsatz faktische Betrachtungsweise normative Elemente; die Streitlinie verläuft also „nicht zwischen Ontologie und Normativismus, sondern im Bereich des Normativen“.120 Hier wird der Streit also doch relevant, wenn nämlich entschieden werden muss, welchen Grad der Normativierung die Auslegung des Täuschungsmerkmals erlangen muss oder darf. Wenn man die rein normativen Ansätze der Literatur hier außer Betracht lässt, die ganz anders ansetzen, lassen sich die Streitpunkte innerhalb des herrschenden faktisch-normativen Mischansatzes anhand folgender Unterscheidungen strukturiert erfassen: 1. Frage: Wird der Erklärungsinhalt anhand des konkreten Empfängerhorizonts des individuellen Adressaten oder anhand eines objektiven Empfängerhorizonts ausgelegt? 2. Frage: Geht man von der Maßgeblichkeit des objektiven Empfängerhorizonts aus, der von der Verkehrsanschauung geprägt ist, schließt sich die Frage an: Ist die Verkehrsanschauung durch die tatsächlichen Erwartungen der Verkehrsteilnehmer oder durch normativ verobjektivierte Erwartungen der Verkehrsteilnehmer bestimmt? 3. Da auch die zweite Frage überwiegend mit der zweiten Alternative beantwortet wird, ergeben sich nun zwei Funktionen der Normativierung: Als Obergrenze und als Untergrenze. a) Konkreter oder objektiver Empfängerhorizont Der Erklärungsinhalt konkludenter Erklärungen wird nach herrschender Auffassung nach dem objektiven Empfängerhorizont ausgelegt. In der Rechtsprechung wird auf den „objektiven Maßstab […] des Geschäftsverkehrs“121 und die „objektive […] Verkehrsanschauung“122 bzw. auf den „objektiven Empfängerhorizont, der unter Berücksichtigung der Gesamtumstände und der Verkehrsanschauung festzulegen

118 119 120 121 122

S/S-Perron, § 263 Rn. 14/15. SSW-StGB/Satzger, § 263 Rn. 42. Saliger/Rönnau/Kirch-Heim, NStZ 2007, 361 (362). BGH, Urt. v. 26. 04. 2001 – 4 StR 439/00 –, juris Rn. 13 = BGHSt 47, 1. BGH, Urt. v. 26. 04. 2001 – 4 StR 439/00 –, juris Rn. 12 = BGHSt 47, 1.

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Teil 2: Ausgangsüberlegungen zum Irrtumsnachweis beim Massenbetrug

ist“,123 abgestellt. Der fünfte Strafsenat bleibt in seiner Hoyzer-Entscheidung unklar, wenn er sagt, dass der „unausgesprochene Kommunikationsinhalt […] wesentlich durch den dem Erklärenden bekannten Empfängerhorizont und damit durch die ersichtlichen Erwartungen der Beteiligten bestimmt“ wird und diese „tatsächliche Erwartungen […] ganz wesentlich auch durch die Anschauungen der jeweiligen Verkehrskreise und die in der Situation relevanten rechtlichen Normen geprägt“124 werden. Er schließt aber, sofern keine Besonderheiten vorliegen, „von allgemein verbreiteten, durch die Verkehrsanschauung und den rechtlichen Rahmen bestimmten Erwartungen auf den tatsächlichen Inhalt konkludenter Kommunikation“125 und hält damit ebenfalls den objektiven Empfängerhorizont für maßgeblich. Auch in der Literatur wird größtenteils auf den objektiven Empfängerhorizont abgestellt.126 Vereinzelt wird daran festgehalten, den Inhalt der Erklärung anhand der konkret stattgefundenen Kommunikation und damit den tatsächlichen Erwartungen des Täuschungsadressaten zu bestimmen: Saliger beruft sich auf den soeben zitierten fünften Strafsenat und vertritt einen faktisch- (Empfängerhorizont; tatsächliche Erwartungen der Beteiligten) normativen (Anschauung der Verkehrskreise, rechtlich relevante Situationsnormen, Geschäftstyp mit typischer Pflichten- und Risikoverteilung) Mischansatz.127 Trüg und Habetha kritisieren am Hoyzer-Urteil die „ausufernde Bestimmung des Inhalts konkludenter Erklärungen“, wenn als Auslegungsmaßstab auf die allgemeine Verkehrsauffassung abgestellt werde.128 Der Senat schließe verkehrtherum „von einem unterstellten Irrtum auf eine gleichsam unterstellte Täuschung“ und von normativ verobjektivierten Erwartungen der Allgemeinheit auf eine Täuschungshandlung im konkreten Fall.129 Der Erklärungsinhalt könne aber nur anhand der konkret stattgefundenen Kommunikation bestimmt werden.130 Die Heranziehung eines anderen Empfängerhorizontes als den des konkreten Erklärungsempfängers führe zu einer „Fiktion“ der Erklärungen.131 Indem die Rechtsprechung bei der Bestimmung des Irrtums auf dieselben normativen Gesichtspunkte zurückgreife, 123 BGH, Urt. v. 20. 12. 2012 – 4 StR 55/12 Rn. 20 = BGHSt 58, 102; BGH, Beschl. v. 20. 12. 2012 – 4 StR 580/11 –, juris Rn. 31 = NJW 2013, 1017; BGH, Urt. v. 20. 12. 2012 – 4 StR 125/12 –, juris Rn. 31 = wistra 2013, 186. 124 BGH, Urt. v. 15. 12. 2006 – 5 StR 181/06 –, juris Rn. 20 = BGHSt 51, 165. 125 BGH, Urt. v. 15. 12. 2006 – 5 StR 181/06 –, juris Rn. 21 = BGHSt 51, 165. 126 LK-Tiedemann, § 263 Rn. 30; Rengier, BT I § 13 Rn. 11; S/S-Perron, § 263 Rn. 10; HKGS/Duttge, § 263 Rn. 10 (Duttge bezeichnet den „gesellschaftlichen Verstehenshorizont[…]“ allerdings als faktisches Element); Wessels/Hillenkamp, BT 2 Rn. 496; MüKo-StGB/Hefendehl, § 263 Rn. 98. 127 MR-Saliger, § 263 Rn. 35. 128 Trüg/Habetha, JZ 2007, 878 (878 f.). 129 Trüg/Habetha, JZ 2007, 878 (879). 130 Trüg/Habetha, JZ 2007, 878 (880, 883). 131 Trüg/Habetha, JZ 2007, 878 (880).

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werde gleichfalls auch das vom Erklärungsempfänger Verstandene fingert.132 Diese Fiktion von Erklärungen verwandle unterlassene Mitteilungen in ein positives Tun und führe zur Umgehung der Grundsätze der Unterlassenstrafbarkeit mit ihrer Erfordernis einer Garantenstellung.133 Kraatz prangert eine Verkennung des Schuldprinzips an, wenn nicht mehr auf den konkreten Inhalt der stattgefundenen Kommunikation rekurriert, sondern eine Erklärung unter dem Deckmantel der Verkehrsauffassung fingiert würde. Vielmehr müsse das individuelle Verständnis des Täterverhaltens durch Täter und Opfer ermittelt werden.134 Jahn und Maier nehmen zwar nach eigener Aussage eine ontologische Betrachtungsweise ein, stellen aber auch auf einen durch die Verkehrsanschauung objektivierten Empfängerhorizont ab, und versuchen die „Übernormativierung des Täuschungsbegriffs“135 auf andere Art einzudämmen, indem sie nur „Objekte der Seinswelt“ als Erklärungssubstrat gelten lassen.136 b) Tatsächliche oder objektivierte Erwartungen der Verkehrsteilnehmer Wenn die herrschende Meinung davon ausgeht, dass der objektive Empfängerhorizont durch die Verkehrsanschauung geprägt wird, schließt sich die nächste Frage an, ob die Verkehrsanschauung in einem empirischen Sinn verstanden wird und es also auf das tatsächliche Verständnis der Verkehrsteilnehmer ankommt, oder in einem normativen Sinn und der Erklärungsinhalt anhand eines objektivierten Empfängerhorizonts bestimmt wird.137 Die Frage ist nicht gleichbedeutend mit der ersten, da die Verkehrsteilnehmer nicht notwendig alle auch Täuschungsadressaten sind. Die Frage ist also nicht, ob die Verkehrsanschauung durch die Vorstellungen der Täuschungsadressaten geprägt wird, sondern ob die Verkehrsanschauung durch die tatsächlichen oder die normativ objektivierten Vorstellungen aller Teilnehmer am betroffenen Rechtsverkehr bestimmt wird. Gegen ein rein faktisches Verständnis der Verkehrsanschauung wird eingewandt, dass es unpraktikabel sei, weil diese Erwartungen nicht für jeden Fall empirisch ermittelt werden könnten138 oder eine Verkehrsanschauung in manchen Bereichen

132 133 134 135 136 137 138

Trüg/Habetha, JZ 2007, 878 (881). Trüg/Habetha, JZ 2007, 878 (882). Kraatz, JR 2012, 329 (331). Jahn/Maier, JuS 2007, 215 (217). Jahn/Maier, JuS 2007, 215 (218). Vgl. Becker, JuS 2014, 307 (310). Kasiske, GA 2009, 360 (364); LK-Tiedemann, § 263 Rn. 30.

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Teil 2: Ausgangsüberlegungen zum Irrtumsnachweis beim Massenbetrug

noch fehlen könne139 oder die Erwartungen der Verkehrsteilnehmer divergieren140 können. Daher wird die Verkehrsanschauung einhellig anhand der normativ verobjektivierten Erwartungen der Verkehrsteilnehmer bestimmt.141 Diese normativ verobjektivierten Erwartungen werden durch die typische Pflichten- und Risikoverteilung des jeweiligen Geschäftstyps und die in der Situation relevanten rechtlichen Normen beeinflusst.142 c) Normativierung als Ober- und Untergrenze Die herrschende Meinung stellt also auf den objektiven Empfängerhorizont ab, der durch die normativ verstandene Verkehrsanschauung geprägt ist. Diese Normativierung dient dem herrschenden faktisch-normativem Mischansatz gleichsam als Unter- und als Obergrenze: Eine normative Sicht auf das Täuschungsmerkmal kann dieses begründen oder aber es ausschließen. Ein Prozess hin zu mehr Normativierung kann also entweder strafbarkeitsverschärfend oder strafbarkeitsbeschränkend wirken. aa) Normativierung als Obergrenze Die Funktion des Normativismus als Obergrenze liegt in der normativen Kontrollprüfung, ob Erwartungen der Verkehrskreise bzw. außerstrafrechtlich geschützte Interessen auch strafrechtlich schutzwürdig seien.143 Der Umfang strafbewehrter Erklärungspflichten kann nicht allein durch den tatsächlichen Empfängerhorizont potentieller Erklärungsadressaten bestimmt werden.144 Ein rationaler Erklärungsempfänger kann als „Maßfigur“145 fungieren, wenn der Vermögensschutz nicht 139

Frisch, FS Jakobs, 97 (102); LK-Tiedemann, § 263 Rn. 30. Frisch, FS Jakobs, 97 (102). 141 Vgl. nur BGH, Beschl. v. 16. 06. 1989 – 2 StR 252/89 –, juris Rn. 13 = JZ 1989, 759; BGH, Urt. v. 15. 12. 2006 – 5 StR 181/06 –, juris Rn. 20 – 23 = BGHSt 51, 165; LK-Tiedemann, § 263 Rn. 30; MR-Saliger, § 263 Rn. 35; Rengier, BT I § 13 Rn. 11; Wessels/Hillenkamp, BT 2 Rn. 496; S/S-Perron, § 263 Rn. 14/15 (Laut Perron muss außerdem ein „Minimum an Redlichkeit“ im Geschäftsverkehr verbürgt bleiben, damit auch bei modernen Formen unseriöser Geschäftstätigkeit, bei der mithilfe der Informationstechnologie in plumper Weise besonders unerfahrene, naive oder sorglose Adressaten getäuscht werden, eine Täuschungshandlung angenommen kann.). 142 Vgl. MR-Saliger, § 263 Rn. 35; S/S-Perron, § 263 Rn. 14/15; LK-Tiedemann, § 263 Rn. 30 f. 143 Vgl. Becker, JuS 2014, 307 (310); teilweise ähnlich, Vogel, GS Keller, 313 (317, 323 f.); auch Herzberg verwendet die Sozialadäquanz, also einen normativen Aspekt, als „Tatbestandsregulativ“, schreibt ihr also eine tatbestandsbeschränkende Wirkung zu und fordert, dass die Täuschung zu dem angestrebten Zweck (parallel zur Erpressung) als verwerflich anzusehen ist, Herzberg, MDR 1972, 93 (96). 144 Becker, JuS 2014, 307 (310); vgl. BGH, Beschl. v. 16. 06. 1989 – 2 StR 252/89 –, juris Rn. 13 = JZ 1989, 759. 145 Vogel, GS Keller, 313 (332). 140

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tangiert wird. Insofern wirkt die normative Sicht auf das Täuschungsmerkmal strafbarkeitsbeschränkend.146 bb) Normativierung als Untergrenze Die Wirkungsweise des Normativismus als Untergrenze tritt dadurch zutage, dass schon dann eine Täuschung angenommen wird, wenn sie nach dem objektiven Empfängerhorizont eine darstellt, und zwar unabhängig vom tatsächlichen Empfängerhorizont. Eine solche Vorgehensweise wirkt strafbarkeitsbegründend. Die Ausweitung der Strafbarkeit ist auch ein wesentlicher Kritikpunkt der Gegenmeinung.147 6. Stellungnahme Eine ontologische Betrachtungsweise, die darauf pocht, auf die konkret stattgefundene Kommunikation Bezug zu nehmen, erscheint zunächst einmal allein wegen ihrer Tatsachenbezogenheit und der konkreten, fallbezogenen und damit individuellen Sicht ansprechend. Die rein normativen Ansätze in der Literatur können hingegen nicht überzeugen. Für den faktisch-normativen Mischansatz der herrschenden Meinung spricht jedoch unter anderem noch folgende Überlegung: Durch die Frage, wie der Erklärungsadressat – und dabei kommt es noch nicht darauf an, ob es der konkrete Erklärungsadressat oder ein objektiver Erklärungsempfänger ist – das Verhalten des Täters verstanden hat oder verstehen musste, wird schon beim Täuschungsmerkmal eine Opferperspektive eingenommen. Das Täuschungsmerkmal bezieht sich damit nämlich nicht nur auf die Frage, „Was hat der Täter schlüssig miterklärt?“ sondern auch „Was hat der Täter schlüssig miterklärt und wie hat der Adressat das verstanden bzw. verstehen müssen?“. Nun ist das Täuschungsmerkmal ein Tatbestandsmerkmal, das trotz der Wechselbezüglichkeit von Täuschung und Irrtum primär beim Täterverhalten ansetzt (wohingegen das Irrtumsmerkmal sich primär auf das Opfer bezieht).148 Diese Trennung der Tatbestandsmerkmale darf deswegen auch nicht aufgelöst werden. Gerade deswegen ist es aber richtig, ein vom Täter ausgehendes Verhalten objektiv zu beurteilen statt aus der konkreten Opferperspektive. Der Täuschende wird sein Erklärungsverhalten in aller Regel so ausrichten, dass beim Adressaten die Erklärung ankommt, die er abgeben wollte. Damit geht der Täuschende in den meisten Fällen selber gerade auch von einem objektiven Empfängerhorizont aus. Das kollidiert auch nicht mit dem Schuldprinzip,149 weil es den Täter nicht unbillig belastet, wenn er sich entgegenhalten lassen muss, dass sein Verhalten geeignet war, 146 147 148 149

In diese Richtung auch Bung, GA 2012, 354 (361). Vgl. Trüg/Habetha, JZ 2007, 878 (879). MR-Saliger, § 263 Rn. 27. So aber Kraatz, JR 2012, 329 (331).

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Teil 2: Ausgangsüberlegungen zum Irrtumsnachweis beim Massenbetrug

einen objektiven Empfänger zu täuschen. Etwaige Abweichungen von der Durchschnittsnorm der Adressaten beim Verstehensvorgang kann der Täuschende dabei oft noch gar nicht absehen. Diese Problematik gehört richtigerweise zum Irrtumsmerkmal. Womöglich scheitert die Strafbarkeit auch schlicht am Vorsatz. Wenn nun der Erklärende eine Erklärung abgibt, die nach dem objektiven Empfängerhorizont keine Täuschung darstellt, sie beim konkreten Empfänger allerdings einen Irrtum hervorruft, dann liegt keine Täuschung vor und das Handeln bleibt straflos. In den allermeisten Fällen wird die Begründung mit dem objektiven Empfängerhorizont aber in die andere Richtung verwendet: Wenn die Erklärung nach dem objektiven Empfängerhorizont eine Täuschung darstellt, aber den konkreten Getäuschten nicht zu irren vermochte, so liegt hier eine Täuschung vor und die Strafbarkeit scheitert erst am Irrtum. Beide Ergebnisse sind plausibel und konsequent. Eine insoweit normative Auslegung wie die der herrschenden Meinung führt noch nicht zu einer Vermischung oder unauflöslichen Verschmelzung150 der Tatbestandsmerkmale. Diese Problematik ergibt sich erst später, nämlich beim Irrtumsmerkmal. An einer faktisch-normativen Betrachtungsweise der konkludenten Täuschung ist also nichts auszusetzen. Gerade die Tatsache, dass die Täuschung ein Tatbestandsmerkmal ist, das primär beim Täter ansetzt, spricht dafür, seine Handlung objektivierend auszulegen. III. Täuschung durch Unterlassen Liegt keine ausdrückliche oder konkludente Täuschung vor, kommt noch eine Täuschung durch Unterlassen in Betracht.151 Eine Täuschung durch Unterlassen gemäß § 13 I StGB liegt dann vor, wenn eine mögliche und zumutbare Garantenpflicht zur Aufklärung besteht und das Unterlassen einer Täuschung entspricht.152 Die Täuschung durch Unterlassen stellt also eine rein normative Kategorie der Täuschungsmodalitäten dar, weil es um die Verletzung außerstrafrechtlich begründeter vermögensbezogener Aufklärungspflichten geht.153 Eine Täuschung durch Unterlassen kann darin bestehen, dass der Täter die Entstehung eines Irrtums beim Opfer nicht verhindert oder einen bereits existierenden Irrtum nicht beseitigt oder diesen vertieft.154 Die unterlassene, aber gebotene Handlung wäre ein kommunikativer Akt, also eine Handlung mit Erklärungswert gewesen.155 Die Voraussetzungen für das Vorliegen einer Garantenstellung sind Gegenstand einer recht unübersichtlichen Diskussion. Einig ist man sich, dass die Garantenstellung gerade dem Schutz des Opfers vor vermögensbezogenen Fehlvorstellungen 150

Bung, GA 2012, 354 (359). MR-Saliger, § 263 Rn. 32, 65. 152 SSW-StGB/Satzger, § 263 Rn. 81; BGH, Urt. v. 16. 11. 1993 – 4 StR 648/93 –, juris = BGHSt 39, 392; MR-Saliger, § 263 Rn. 64; S/S-Perron, § 263 Rn. 18 m.w.N. 153 MR-Saliger, § 263 Rn. 28, 32. 154 SSW-StGB/Satzger, § 263 Rn. 83. 155 LK-Tiedemann, § 263 Rn. 22; MüKo-StGB/Hefendehl, § 263 Rn. 25. 151

1. Kap.: Der Betrugstatbestand

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dienen muss und eine Garantenstellung hinsichtlich des Opfervermögens im Allgemeinen nicht ausreicht.156 Für die Begründung einer Garantenpflicht wird überwiegend auf die althergebrachte formelle Rechtspflichtlehre abgestellt, wonach sich die Garantenstellung aus Gesetz, freiwilliger Übernahme (Vertrag) und Ingerenz und in Ausnahmefällen aus Treu und Glauben ergeben kann.157 Früher war die Rechtsprechung bei der Annahme einer Garantenpflicht aus Treu und Glauben, § 242 BGB, recht großzügig;158 heute wird zusätzlich ein besonderes Vertrauensverhältnis gefordert159. Hefendehl betont den materialen Garantengedanken und stellt für die Begründung einer Garantenstellung auf ein besonderes Vertrauensverhältnis ab.160 Satzger und Saliger fordern außerdem eine restriktive Auslegung der formalen Kriterien möglicher Garantenpflichten: Der Grundsatz, dass im Geschäftsverkehr jeder Verkehrsteilnehmer selbst das Orientierungsrisiko trage und sich selbst vor vermögensrelevanten Irrtümern schützen müsse, führe dazu, dass besondere Umstände vorliegen müssen, die ein Verschweigen wesentlicher Umstände als eine nach Sozialüblichkeit und Gepflogenheit des redlichen Geschäftsverkehrs unzulässige Überbürdung des Orientierungs- und Aufklärungsrisikos erscheinen lassen.161 Eine Vermögensbetreuungspflicht nach § 266 StGB kann ein Indiz für eine Garantenstellung nach § 13 StGB sein; deren Vorliegen begründet aber weder zwingend auch eine Garantenstellung bei der Täuschung durch Unterlassen noch entfaltet die Verneinung einer Vermögensbetreuungspflicht Sperrwirkung für die Annahme eines Betrugs durch Unterlassen.162 IV. Abgrenzungen Eine Abgrenzung der ausdrücklichen von der konkludenten Täuschung ist eigentlich nicht erforderlich, da beide Täuschungsmodalitäten aktives Tun darstellen. Es kann aber mit folgender Formel gearbeitet werden: Je weniger eindeutig und je unvollständiger die Erklärung ist und je mehr man deshalb auf die Verkehrsauf156 Fischer, StGB, § 263 Rn. 39; SSW-StGB/Satzger, § 263 Rn. 84; S/S-Perron, § 263 Rn. 19; HK-GS/Duttge, § 263 Rn. 17. 157 Fischer, StGB, § 263 Rn. 40 ff.; HK-GS/Duttge, § 263 Rn. 18 – 21; v. HeintschelHeinegg/Beukelmann, § 263 Rn. 18 – 22; LK-Tiedemann, § 263 Rn. 53. 158 BGH, Urt. v. 15. 06. 1954 – 1 StR 526/53 –, juris = BGHSt 6, 198. 159 BGH, Urt. v. 16. 11. 1993 – 4 StR 648/93 –, juris = BGHSt 39, 392; BGH, Beschl. v. 08. 11. 2000 – 5 StR 433/00 –, juris = BGHSt 46, 196; vgl. Fischer, StGB, § 263 Rn. 51. 160 MüKo-StGB/Hefendehl, § 263 Rn. 163, 166. 161 MR-Saliger, § 263 Rn. 69; Wessels/Hillenkamp, BT 2 Rn. 507; SSW-StGB/Satzger, § 263 Rn. 86. 162 MR-Saliger, § 263 Rn. 66; SSW-StGB/Satzger, § 263 Rn. 37; a.A.: SK-StGB/Hoyer, § 263 Rn. 56, der wegen einer befürchteten Unterlaufung der Restriktion durch § 266 StGB Aufklärungspflichten „von einigem Gewicht“ fordert; Gauger, Konkludente Täuschung, S. 220; Seelmann, NJW 1981, 2132.

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Teil 2: Ausgangsüberlegungen zum Irrtumsnachweis beim Massenbetrug

fassung rekurrieren muss, desto eher liegt eine konkludente Täuschung vor.163 Soweit gesetzlich konkretisiert ist, welche Tatsachen miterklärt werden (z. B. bei standardisierten Verfahren wie BAföG- oder Sozialleistungen oder Ausschreibungen), sind Täuschungen hierüber der Verkehrsanschauung entzogen und der ausdrücklichen Täuschung zuzuordnen.164 Die Abgrenzung zwischen der konkludenten Täuschung und der Täuschung durch Unterlassen ist hingegen eine „Gratwanderung“165. Sie ist wichtig, damit die für Unterlassungsdelikte erforderliche Garantenstellung nicht unterlaufen wird166 und erfolgt nach dem relevanten Handlungsschwerpunkt167. Liegt eine Handlung mit Erklärungswert vor, kommt eine konkludente Täuschung in Betracht; eine Täuschung durch Unterlassen kann dann einschlägig sein, wenn einem vorhandenen aktiven Verhalten des Täters kein Erklärungswert zukommt.168 Die Gründe für die Ablehnung einer konkludenten Erklärung und für die Ablehnung einer Aufklärungspflicht werden allerdings häufig die gleichen sein.169

C. Irrtumsmerkmal Der Irrtum des Getäuschten ist das zweite objektive Tatbestandsmerkmal des Betrugs: Durch die Täuschung muss nach dem Gesetzeswortlaut ein Irrtum erregt oder unterhalten werden, § 263 I StGB. Der Irrtum stellt das Bindeglied zwischen Täuschung und Vermögensverfügung dar.170 Nicht jede Täuschung führt automatisch zu einem Irrtum und nicht jeder Irrtum beruht auf einer Täuschung; denkbar sind grundsätzlich auch eine Täuschung ohne Irrtum und ein Irrtum ohne Täuschung.171 Tatbestandsrelevant ist jedoch nur der Irrtum, der kausal auf einer Täuschung beruht und ihr spiegelbildlich entspricht (Prinzip der grundsätzlichen Kongruenz von Täuschung und Irrtum).172 Das Irrtumsmerkmal übernimmt die Aufgabe, ungefährliche Täuschungshandlungen als irrelevant auszufiltern.173

163 164 165 166

(217). 167 168 169 170 171 172 173

SSW-StGB/Satzger, § 263 Rn. 84; MüKo-StGB/Hefendehl, § 263 Rn. 93. MüKo-StGB/Hefendehl, § 263 Rn. 93; MR-Saliger, § 263 Rn. 31. MR-Saliger, § 263 Rn. 33. MR-Saliger, § 263 Rn. 33; Kasiske, GA 2009, 360 (361); Jahn/Maier, JuS 207, 215 MR-Saliger, § 263 Rn. 33. Vgl. SSW-StGB/Satzger, § 263 Rn. 82. LK-Tiedemann, § 263 Rn. 29; Maurach/Schroeder/Maiwald, BT I § 41 Rn. 40. SK-StGB/Hoyer, § 263 Rn. 62; MR-Saliger, § 263 Rn. 87. MR-Saliger, § 263 Rn. 87 f. MR-Saliger, § 263 Rn. 87 f.; Fischer, StGB, § 263 Rn. 53. LK-Tiedemann, § 263 Rn. 76; MR-Saliger, § 263 Rn. 87.

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I. Irrtum Ein Irrtum ist jeder Widerspruch zwischen einer subjektiven Vorstellung und der objektiven Wirklichkeit.174 Er kann sich nur auf Tatsachen beziehen, und zwar wegen des Zurechnungszusammenhangs von Täuschung und Irrtum auch nur auf die, über die getäuscht worden ist: Täuschung und Irrtum müssen sich also entsprechen.175 Der konkrete Täuschungsadressat einschließlich seines Sonderwissens ist maßgeblich für das Vorliegen eines Irrtums: Würde zwar ein objektiver Betrachter irren, dank seines Sonderwissens nicht aber das konkrete Opfer, scheidet ein Betrug aus.176 II. Intensität der Fehlvorstellung Wegen der Spiegelbildlichkeit von Täuschung und Irrtum variiert der Grad der Bewusstheit des Vorstellungsinhalts mit den einzelnen Täuschungsformen; während die ausdrückliche Täuschung regelmäßig als aktueller Bewusstseinsinhalt präsent ist, bewirkt eine konkludente Täuschung oder eine Täuschung durch Unterlassen nicht immer einen reflektiert ablaufenden Denkprozess.177 Die Frage ist, wie intensiv eine Fehlvorstellung sein muss, um einen Irrtum darzustellen. 1. Ignorantia facti Nach herrschender Ansicht liegt ein Irrtum nur bei einer positiven Fehlvorstellung, nicht aber bei einer bloßen Unkenntnis („ignorantia facti“) vor.178 Wer sich keinerlei Vorstellungen von der relevanten Tatsache macht, irrt nicht.179 Ein bekanntes Beispiel der ignorantia facti ist der blinde Passagier: Genauso wenig wie das bloße Einschleichen in ein Verkehrsmittel eine Täuschung darstellt, sondern eine bloße Manipulation von Tatsachen, kann es einen Irrtum begründen.180 Eine abweichende Ansicht versteht den Irrtum schlicht als die mangelnde Kenntnis einer bestimmten Tatsache und bezieht somit auch die Unkenntnis in den Irrtum mit ein.181 Unkenntnis und positive Fehlvorstellung erweisen sich als austauschbare Begriffe, da eine Fehlvorstellung in der Regel aus der Unkenntnis eines 174 H.M., vgl. Fischer, StGB, § 263 Rn. 54; MR-Saliger, § 263 Rn. 88; HK-GS/Duttge, § 263 Rn. 22; S/S-Perron, § 263 Rn. 33; SSW-StGB/Satzger, § 263 Rn. 121. 175 S/S-Perron, § 263 Rn. 35; MR-Saliger, § 263 Rn. 88; SK-StGB/Hoyer, § 263 Rn. 63; LK-Tiedemann, § 263 Rn. 77; SSW-StGB/Satzger, § 263 Rn. 122. 176 MR-Saliger, § 263 Rn. 90; SSW-StGB/Satzger, § 263 Rn. 122. 177 MR-Saliger, § 263 Rn. 90; auch LK-Tiedemann, § 263 Rn. 83. 178 Fischer, StGB, § 263 Rn. 57; MüKo-StGB/Hefendehl, § 263 Rn. 230; MR-Saliger, § 263 Rn. 90 f.; SSW-StGB/Satzger, § 263 Rn. 124; LK-Tiedemann, § 263 Rn. 78. 179 LK-Tiedemann, § 263 Rn. 78. 180 LK-Tiedemann, § 263 Rn. 23, 78. 181 NK-Kindhäuser, § 263 Rn. 171; S/S-Perron, § 263 Rn. 36; Rönnau/Becker, JuS 2014, 504 (505).

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Teil 2: Ausgangsüberlegungen zum Irrtumsnachweis beim Massenbetrug

Details herrühre.182 Wenn sich daher die Unkenntnis in eine Fehlvorstellung umformulieren lasse, liege ein betrugsrelevanter Irrtum vor.183 Auch die täuschungsbedingte bloße Unkenntnis habe zur Folge, dass der Getäuschte seine Disposition auf der Grundlage einer dem Täter zurechenbaren fehlerhaften Tatsachengrundlage treffe.184 2. Sachgedankliches Mitbewusstsein Die Rechtsfigur des sachgedanklichen Mitbewusstseins erlangt beim Lösungsansatz über das normativ geprägte Vorstellungsbild große Bedeutung. In der Rechtsprechung ist die Figur des sachgedanklichen Mitbewusstseins seit dem Deputatkohlenfall185 von 1952 anerkannt: Der Zechenbeamte dürfe „als selbstverständlich“ davon ausgehen, dass der Bergmann, der die ihm nach Tarifvertrag zustehende Kohle zum Eigenbedarf anfordert, die Kohlen zu dem im Vertrag vorausgesetzten Zwecke verlangt. Schon damals wurde kritisiert, dass der Zechenbeamte wohl damit gerechnet habe, dass zumindest manche der belieferten Bergmänner ihre Kohle weiterverkaufen würden, weil das allgemein üblich und allgemein bekannt gewesen sei.186 Abgesehen von den Massenbetrugsfällen, die der Hauptanwendungsbereich des sachgedanklichen Mitbewusstseins sind, wurde das sachgedankliche Mitbewusstsein dann insbesondere187 in den Sportwettbetrugsfällen herangezogen.188 Ein sog. sachgedankliches Mitbewusstsein bzw. ständiges Begleitwissen oder die aus bestimmten Tatsachen abgeleitete Vorstellung, „alles sei in Ordnung“, wird inzwischen allgemein für ausreichend erachtet.189 Die Vorstellung „alles sei in Ordnung“ muss sich aber auf konkrete Umstände und Verhältnisse beziehen.190 Das allgemeine Gefühl beruhigender Zuversicht und Sicherheit begründet noch keinen

182

S/S-Perron, § 263 Rn. 36; MüKo-StGB/Hefendehl, § 263 Rn. 230. S/S-Perron, § 263 Rn. 36; MüKo-StGB/Hefendehl, § 263 Rn. 230. 184 Rönnau/Becker, JuS 2014, 504 (505). 185 BGH, Urt. v. 24. 04. 1952 – 4 StR 854/51 –, juris = BGHSt 2, 325. 186 Bockelmann, NJW 1952, 896 (897). 187 Ansonsten siehe noch BGH, Beschl. v. 19. 11. 2013 – 4 StR 292/13 –, juris Rn. 15 = BGHSt 59, 68; OLG Köln, Beschl. v. 21. 12. 2007 – 81 Ss 111/07 –, juris Rn. 20 = NStZ 2008, 584; OLG Celle, Beschl. v. 01. 11. 2011 – 31 Ss 29/11 –, juris Rn. 9 = ZWH 2012, 28. 188 BGH, Urt. v. 15. 12. 2006 – 5 StR 181/06 –, juris Rn. 28 = BGHSt 51, 165; BGH, Urt. v. 20. 12. 2012 – 4 StR 55/12 Rn. 19 = BGHSt 58, 102. 189 Vgl. nur MüKo-StGB/Hefendehl, § 263 Rn. 231; MR-Saliger, § 263 Rn. 90; HK-GS/ Duttge, § 263 Rn. 23; S/S-Perron, § 263 Rn. 39; SK-StGB/Hoyer, § 263 Rn. 67; LK-Tiedemann, § 263 Rn. 79, 83. 190 Lackner/Kühl-Kühl, § 263 Rn. 18; Wessels/Hillenkamp, BT 2 Rn. 511; Maurach/ Schroeder/Maiwald, BT I § 41 Rn. 58. 183

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Irrtum.191 Um beim Bild des Zugfahrens zu bleiben: Anders als beim Fall des blinden Passagiers liegt beim Zugbegleiter, der auf die Frage, ob noch jemand zugestiegen ist, keine Antwort erhält, ein Irrtum in Form des sachgedanklichen Mitbewusstseins vor.192 An der Rechtsfigur des sachgedanklichen Mitbewusstseins wird kritisiert, dass es sich als Fiktion erweise.193 Die Betrugsdogmatik vollbringe den „Kunstgriff, aus einem psychologischen Nichts ein normatives Etwas zu machen“, wenn sie in eine Vorstellungslücke eine positive Vorstellung einsetze.194 Dass bei einer konkludenten Täuschung zur Feststellung des Irrtums dieselben normativen Gesichtspunkte herangezogen werden wie zur Feststellung des Erklärungsinhalts der Täuschung, führe auch zu einer Fiktion des Verstandenen beim Erklärungsempfänger; eine fiktive Täuschung führe auch zu einem fiktiven Irrtum.195 Ein derartiger „korrespondierender Irrtum“ wäre automatisch mit festgestellt und würde seine zusätzliche tatbestandseinschränkende Wirkung verlieren.196 Das sachgedankliche Mitbewusstsein sei eine Folge der (Über-)Normativierung des Täuschungsbegriffs; wenn man die Täuschung nach Rechtsregeln bestimme, werde konsequenterweise ein Irrtum in Form einer normativen Fehlvorstellung bejaht, auch wenn sich der Getäuschte tatsächlich keine Gedanken gemacht habe.197 3. Opfermitverantwortung Umstritten ist die Frage, ob Zweifel des Getäuschten an der Richtigkeit der Tatsache einen Irrtum ausschließen können.198 Dogmatisch steht dahinter die Frage nach einer etwaigen Opfermitverantwortung199, sei es wegen konkreter Zweifel, Leichtgläubigkeit, Unerfahrenheit oder Nachlässigkeit.

191 LK-Lackner, 10. Aufl. § 263 Rn. 78; LK-Tiedemann, § 263 Rn. 79; MüKo-StGB/Hefendehl, § 263 Rn. 232. 192 SSW-StGB/Satzger, § 263 Rn. 125; MüKo-StGB/Hefendehl, § 263 Rn. 241. 193 Kubiciel, HRRS 2015, 382 (385) („rechtswissenschaftliche Fiktion ohne empirische Absicherung“); Rönnau/Becker, JuS 2014, 504 (505). 194 Bung, GA 2012, 354 (357); ebenso Kraatz, JR 2012, 329 (332). 195 Sie führen den Gedanken noch weiter und meinen, dass allein die Notwendigkeit der Heranziehung des sachgedanklichen Mitbewusstseins im Fall „Hoyzer“ zeige, dass die Erklärung des Wettenden bei Abgabe des Wettscheins nicht den ermittelten konkludenten Erklärungsinhalt (nicht manipuliert zu haben) haben könne, weil sich diese Erklärung im Bewusstsein realisiert hätte. Eine fiktive Erklärung könne aber eben nicht auf das Vorstellungsbild des Erklärungsempfängers einwirken, Trüg/Habetha, JZ 2007, 878 (881 f.). 196 Kraatz, JR 2012, 329 (332). 197 Jahn/Maier, JuS 2007, 215 (218); ähnlich Kuhli, StV 2016, 40 (45). 198 Vgl. zum Streitstand: Hillenkamp, BT, 29. Problem. 199 Vgl. NK-Kindhäuser, § 263 Rn. 51 f.; LK-Tiedemann, Vor § 263 Rn. 34 ff.

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Teil 2: Ausgangsüberlegungen zum Irrtumsnachweis beim Massenbetrug

a) Zweifel Nach der viktimodogmatischen Theorie schließen Zweifel einen Irrtum aus, weil das Täuschungsopfer weder schutzwürdig noch schutzbedürftig sei, wenn es trotz konkreter Zweifel verfüge.200 Nach der überzeugenden herrschenden Meinung irrt auch der Zweifelnde, wenn er es für möglich (bzw. für wahrscheinlich201) hält, dass die vorgespiegelte Tatsache wahr ist, und trotz seiner Zweifel die Vermögensverfügung trifft und damit der List des Täters zum Opfer fällt.202 Eine Abgrenzung nach Wahrscheinlichkeitsgraden sieht sich praktischen Bedenken ausgesetzt, sodass neuerdings die Vorstellung der Möglichkeit als ausreichend erachtet wird.203 Ein weitergehender Ansatz fragt nach der „Vorsatzdichte“ des Zweifels: Ein Irrtum liege nicht vor, wenn das Opfer quasi-vorsätzlich verfüge, aber doch, wenn nur eine grob fahrlässige Gutgläubigkeit vorliege.204 Erst wenn dem Opfer die Wahrheit gleichgültig sei oder er eine bewusste Risikoentscheidung treffe, scheide ein Irrtum nach den Kriterien der objektiven Zurechnung aus, weil dies eine eigenverantwortliche Selbstschädigung darstelle.205 Gestützt auf allgemeine Kausalitäts- und Zurechnungslehren lassen bloße Zweifel den Betrugstatbestand nicht entfallen, wenn die Täuschung jedenfalls mitursächlich für die Vermögensverfügung geworden sei.206 b) Leichtgläubigkeit Weder das Täuschungsbewusstsein noch der Irrtum sind dadurch ausgeschlossen, dass die Täuschung bei sorgfältiger, vollständiger und kritischer Prüfung leicht erkennbar ist.207 Es ist zwar nicht Aufgabe des Betrugstatbestands, allzu sorglose Menschen vor den Folgen ihres eigenen unbedachten Tuns zu schützen,208 jedoch 200 Hassemer, Schutzbedürftigkeit des Opfers und Strafrechtsdogmatik, S. 146; Schünemann, Viktimodogmatik, S. 81. 201 BGH, Urt. v. 08. 05. 1990 – 1 StR 144/90 –, juris Rn. 4 = wistra 1990, 305 („wenn er die Möglichkeit der Unwahrheit für geringer hält“); BGH, Urt. v. 11. 07. 2001 – 1 StR 576/00 –, juris Rn. 20 = BGHSt 47, 83; so immer noch Krack, JR 2003, 384 (385), der den Irrtum sonst wegen eigenverantwortlicher Selbstschädigung entfallen lässt. 202 St. Rspr., vgl. BGH, Urt. v. 05. 12. 2002 – 3 StR 161/02 –, juris Rn. 17 = NJW 2003, 1198; BGH, Beschl. v. 25. 01. 2012 – 1 StR 45/11 –, juris Rn. 73 = BGHSt 57, 95; LK-Tiedemann, § 263 Rn. 86; SSW-StGB/Satzger, § 263 Rn. 130 – 133; Fischer, StGB, § 263 Rn. 55; MR-Saliger, § 263 Rn. 92, 95; S/S-Perron, § 263 Rn. 40 m.w.N. 203 BGH, Urt. v. 05. 12. 2002 – 3 StR 161/02 –, juris Rn. 17 = NJW 2003, 1198; Wessels/ Hillenkamp, BT 2 Rn. 512. 204 NK-Kindhäuser, § 263 Rn. 178; SK-StGB/Hoyer, § 263 Rn. 74. 205 Wessels/Hillenkamp, BT 2 Rn. 512; MR-Saliger, § 263 Rn. 92, 96; vgl. auch SSWStGB/Satzger, § 263 Rn. 131. 206 Krüger, wistra 2003, 297 (298). 207 BGH, Urt. v. 05. 03. 2014 – 2 StR 616/12 Rn. 20 = NJW 2014, 2595. 208 BGH, Urt. v. 10. 07. 1952 – 5 StR 358/52 –, juris Rn. 12 = BGHSt 3, 99; BGH, Urt. v. 26. 04. 2001 – 4 StR 439/00 –, juris Rn. 14 = BGHSt 47, 1; BGH, Urt. v. 05. 03. 2014 – 2 StR 616/12 Rn. 20 = NJW 2014, 2595.

1. Kap.: Der Betrugstatbestand

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lassen Leichtgläubigkeit des Opfers oder Erkennbarkeit einer auf die Herbeiführung eines Irrtums gerichteten Täuschungshandlung weder aus Rechtsgründen die Täuschungsabsicht entfallen209 noch schließen sie eine irrtumsbedingte Fehlvorstellung aus210. 4. Einfluss des europarechtlichen Verbraucherleitbildes Diskutiert wird, welchen Einfluss das europarechtliche Leitbild eines informierten, aufmerksamen und verständigen Durchschnittsverbrauchers, das sowohl in Art. 5 RL 2005/29/EG211 als auch in Entscheidungen des Europäischen Gerichtshofes212 herausgebildet wurde, auf die deutsche Betrugsdogmatik hat. Eine Bestrafung aus dem Betrugstatbestand bei einem grenzüberschreitenden Sachverhalt könnte als Maßnahme gleicher Wirkung die Warenverkehrsfreiheit, Art. 34 AEUV, beeinträchtigen.213 Teilweise wird vertreten, eine Rechtfertigung der Beeinträchtigung durch Verbraucherschutzerwägungen i.S.d. Cassis-de-Dijon-Rechtsprechung214 würde wegen des abweichenden Verbraucherleitbildes scheitern.215 Eine Neutralisierung des § 263 StGB könnte nur durch eine unionsrechtskonforme Auslegung des Betrugstatbestands verhindert werden, wonach jedenfalls bei grenzüberschreitenden Sachverhalten schon der Täuschungsbegriff am Maßstab der verständigen Durchschnittsverbraucher gemessen werden müsse.216 Andere begründen dieses Ergebnis über den Anwendungsvorrang des Unionsrechts217 oder fordern eine vollständige Anpassung des deutschen an den europäischen Täuschungsschutzstandard und eine Implementierung in den Betrugstatbestand im Wege der Normativierung der Tatbestandsmerkmale.218 209 BGH, Urt. v. 04. 12. 2003 – 5 StR 308/03 Rn. 18 = NStZ-RR 2004, 110; BGH, Urt. v. 05. 03. 2014 – 2 StR 616/12 Rn. 20 = NJW 2014, 2595. 210 BGH, Urt. v. 22. 10. 1986 – 3 StR 226/86 –, juris Rn. 8 = BGHSt 34, 199; BGH, Urt. v. 05. 03. 2014 – 2 StR 616/12 Rn. 20 = NJW 2014, 2595; BGH, Urt. v. 28. 05. 2014 – 2 StR 437/13 –, juris Rn. 23 = wistra 2014, 439; S/S-Perron, § 263 Rn. 32a m.w.N.; a.A. Naucke, FS Peters, 109 (115, 118); Völschow, Kostenfallen, S. 102 ff., 203 ff. 211 Richtlinie 2005/29/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 11. 05. 2005 über unlautere Geschäftspraktiken im binnenmarktinternen Geschäftsverkehr zwischen Unternehmen und Verbrauchern (Richtlinie über unlautere Geschäftspraktiken), ABl. 2005 L 149, 22. 212 EuGH, Urt. v. 13. 01. 2000, EuGHE 2000, I-117 – Rs. C-220/98 („Lifting Creme“). 213 Satzger, Internationales und Europäisches Strafrecht, Rn. 105. 214 EuGH, Urt. v. 20. 02. 1979, EuGHE 1979, 649 – Rs. 120/78 („Cassis de Dijon“). 215 Satzger, Internationales und Europäisches Strafrecht, Rn. 105. 216 Satzger, Internationales und Europäisches Strafrecht, Rn. 105; SSW-StGB/Satzger, § 263 Rn. 115 ff. 217 Hecker, Europäisches Strafrecht, Kap. 9 Rn. 34, spricht sich aber auch für eine generelle Korrektur des betrugsstrafrechtlichen Täuschungsschutzes aus. 218 Soyka, wistra 2007, 127 (132 f.); Dannecker, ZStW, 117, 697 (713).

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Teil 2: Ausgangsüberlegungen zum Irrtumsnachweis beim Massenbetrug

Nach der Gegenauffassung sei das europarechtliche Leitbild eines durchschnittlich informierten, aufmerksamen und verständigen Durchschnittsverbrauchers zwar im Zivilrecht gut geeignet, um die Dispositionsfreiheit einzuschränken, aber nicht mit der Rechtsgutstheorie und dem Ultima-ratio-Prinzip des Strafrechts kompatibel, weil die Dispositionsfreiheit nicht vom Betrugstatbestand geschützt werde.219 Der Schutz auch unverständiger und leichtgläubiger Verbraucher stelle keinen Widerspruch zu Europarecht dar.220 Viele Betrugshandlungen seien als reguläre Marketingstrategie völlig untauglich und zielen nur darauf ab, gerade den unverständigen Verbraucher zu täuschen, da sie nämlich zu nichts anderem taugen, als diejenigen in die Irre zu führen und zu schädigen, die dem Leitbild (allgemein oder situationsbedingt) nicht entsprechen. Das Europarecht wolle aber nicht „findigen Schmarotzern die Freiheit einer gezielten Jagd auf unbedarfte und unaufmerksame Marktteilnehmer“ gewährleisten, sondern den Binnenmarkt fördern.221 Der Bundesgerichtshof setzte sich erstmals 2014 mit dieser Problematik auseinander und tritt damit der erstgenannten Ansicht entgegen.222 Die Pflicht zur unionsrechtkonformen Auslegung auch im Strafrecht werde zwar grundsätzlich anerkannt, aber sie habe wegen der eingeschränkten Rechtsetzungskompetenz der Union Grenzen.223 Die Richtlinie schütze primär die Dispositionsfreiheit des Verbrauchers und mittelbar die Mitbewerber und einen unverfälschten Wettbewerb.224 Die Richtlinie verfolge nicht den Zweck, irreführende Geschäftspraktiken straffrei zu stellen, die dazu dienen, den Verbraucher durch gezielte Täuschung an seinem Vermögen zu schädigen,225 und Verhaltensweisen zu privilegieren, die auf die Täuschung unterdurchschnittlich aufmerksamer und verständiger Verbraucher gerichtet seien.226 Der strafrechtliche Rechtsgüterschutz dürfe nicht gerade solchen Verbrauchern versagt werden, die in besonderem Maße schutzwürdig seien, weil sie intellektuell oder situativ nicht zu einem normativ „durchschnittlichen“ Maß an Selbstschutz in der Lage seien.227 Die Richtlinie 2005/29/EG fordere daher keine strafbarkeitseinschränkende Auslegung des Betrugstatbestands.228 Darüber hinaus stellt er fest: „Eine Beschränkung des strafrechtlichen Rechtsgüterschutzes auf durchschnittlich verständige Verbraucher führte überdies zu einer die Grenzen der 219

Vergho, wistra, 2010, 86 (87 f., 89, 92). Vergho, wistra, 2010, 86 (92). 221 Erb, ZIS 2011, 368 (376). 222 BGH, Urt. v. 05. 03. 2014 – 2 StR 616/12 Rn. 25, 27 = NJW 2014, 2595 = Fall 13. 223 BGH, Urt. v. 05. 03. 2014 – 2 StR 616/12 Rn. 25, 27 = NJW 2014, 2595. 224 BGH, Urt. v. 05. 03. 2014 – 2 StR 616/12 Rn. 28 = NJW 2014, 2595. 225 BGH, Urt. v. 05. 03. 2014 – 2 StR 616/12 Rn. 28 = NJW 2014, 2595 unter Berufung auf Erb, ZIS 2011, 368 (376) und Rönnau/Wegner, GA 2013, 561 (566). 226 BGH, Urt. v. 05. 03. 2014 – 2 StR 616/12 Rn. 28 = NJW 2014, 2595 unter Berufung auf Vergho, wistra 2010, 86 (90 f.). 227 BGH, Urt. v. 05. 03. 2014 – 2 StR 616/12 Rn. 29 = NJW 2014, 2595 unter Berufung auf Vergho, Verbraucherschutzstrafrecht, S. 298 f. und Fischer, StGB, § 263 Rn. 55a. 228 BGH, Urt. v. 05. 03. 2014 – 2 StR 616/12 Rn. 26 = NJW 2014, 2595. 220

1. Kap.: Der Betrugstatbestand

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richtlinienkonformen Auslegung überschreitenden Normativierung des Täuschungsund Irrtumsbegriffs.“229 Daneben argumentierte der Senat, dass die Auslegung der Richtlinie selbst keine Einschränkung im konkreten Fall erfordere.230 In einer nächsten Entscheidung führte der Senat diese Rechtsprechung nur mit einem kurzen Verweis auf die ergangene Entscheidung fort.231 Diese Rechtsprechung hat in der Literatur Ablehnung232 und Zustimmung233 gefunden. III. Normativierung und Feststellung des Irrtumsmerkmals Auch beim Irrtumsmerkmal gibt es eine Diskussion, ob und inwieweit das Irrtumsmerkmal normativ auszulegen ist. 1. Faktischer Ansatz der herrschenden Meinung Das Irrtumsmerkmal wird von der ganz überwiegenden Ansicht physisch-faktisch definiert.234 Der Irrtum ist rein tatsächlich zu bestimmen und es kommt darauf an, wovon der Getäuschte tatsächlich ausgegangen ist – egal ob das unvernünftig war oder nicht – und nicht, wovon er hätte ausgehen müssen.235 Die Aspekte des sachgedanklichen Mitbewusstseins und beim Irrtum trotz Zweifel lassen aber auch das Irrtumsmerkmal normativ geprägt erscheinen.236 Mit dem Irrtum wird im Rahmen der Abschichtung von Verantwortungsbereichen von Täter und Opfer die Sphäre des Opfers betreten und normativ gefragt, ob die durch Täuschung ausgelöste Risikoschaffung auch aus der Perspektive des Täuschungsadressaten in Richtung eines Vermögensschadens fortwirkt.237 Eine gänzlich faktische Betrachtungsweise kann also auch die herrschende Meinung nicht für sich beanspruchen. Das gilt insbesondere dann, wenn eine Frage für Täuschung und Irrtum in gleicher Weise relevant ist und schon bei der Täuschung auf normative Kriterien wie den objektiven Empfängerhorizont zurückgegriffen wird.238 229

BGH, Urt. v. 05. 03. 2014 – 2 StR 616/12 Rn. 30 = NJW 2014, 2595. BGH, Urt. v. 05. 03. 2014 – 2 StR 616/12 Rn. 31 = NJW 2014, 2595. 231 BGH, Urt. v. 28. 05. 2014 – 2 StR 437/13 –, juris Rn. 24 = wistra 2014, 439. 232 Hecker, Europäisches Strafrecht, Kap. 9 Rn. 35; Satzger, Internationales und Europäisches Strafrecht, Rn. 105; Cornelius, NStZ 2015, 310 (312 f., 316); Hecker/Müller, ZWH 2014, 329 (334) fordern eine „normative Auslegung des Irrtumsmerkmals“; Krack, ZIS 2014, 536 (541). 233 v. Heintschel-Heinegg, JA 2014, 790 (791); Heger, HRRS 2014, 467 (473) (fordert aber eine Vorlage zum EuGH); Majer/Buchmann, NJW 2014, 3342 (3344). 234 MüKo-StGB/Hefendehl, § 263 Rn. 260; LK-Tiedemann, § 263 Rn. 81. 235 Vergho, wistra, 2010, 86 (89); so auch BGH, Urt. v. 05. 03. 2014 – 2 StR 616/12 Rn. 30 = NJW 2014, 2595; MüKo-StGB/Hefendehl, § 263 Rn. 21. 236 Krack, ZIS 2014, 536 (541 f.). 237 MR-Saliger, § 263 Rn. 87. 238 Vgl. Krack, ZIS 2014, 536 (542). 230

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Teil 2: Ausgangsüberlegungen zum Irrtumsnachweis beim Massenbetrug

Die primär faktische Betrachtungsweise des Irrtumsmerkmals wirkt sich auf die Anforderungen an dessen Feststellung im Prozess aus. Der Irrtum ist nach dem faktischen Ansatz nämlich eine feststellungsbedürftige innere (psychologische) Tatsache.239 Deren Vorliegen ist Tatfrage und im Einzelfall durch Beweiserhebung festzustellen.240 Der Tatrichter muss sich unter Ausschöpfung aller Beweismittel die Überzeugung vom Vorliegen eines Irrtums verschaffen.241 Dafür ist es regelmäßig erforderlich, die irrende Person zu ermitteln und in der Hauptverhandlung über die tatrelevante Vorstellung zu vernehmen.242 Die Feststellung ist oft aber auch auf Indizien angewiesen, wie das wirtschaftliche oder sonstige Interesse des Opfers an der Vermeidung einer Schädigung seines Vermögens oder die Verpflichtung Dritten gegenüber, sich von der Richtigkeit der Tatsache zu überzeugen.243 In keinem Fall kann sich der Tatrichter aber damit begnügen, den Irrtum ungeprüft zu unterstellen.244 Bei arbeitsteilig tätigen Unternehmen müssen die Urteilsgründe regelmäßig darlegen, wer im konkreten Fall auf welcher Grundlage und mit welchen Vorstellungen die Entscheidung über die Erbringung der vom Täter erstrebten Leistung getroffen und damit die Verfügung vorgenommen hat.245 2. Normative Ansätze in der Literatur Vereinzelter als beim Täuschungsmerkmal werden in der Literatur normative Ansätze in Bezug auf das Irrtumsmerkmal vertreten. a) Frisch Frisch verfolgt eine „normativ-funktionale Methode“ zur Inhaltsbestimmung des Irrtumsmerkmals. Der Irrtum habe die Funktion, aus den Bereitschaften eines Vermögensträgers zu vermögensminderndem Verhalten diejenigen auszufiltern, vor

239 Fischer, StGB, § 263 Rn. 54; SSW-StGB/Satzger, § 263 Rn. 123; Lackner/Kühl-Kühl, § 263 Rn. 19; AnwK-StGB/Gaede, § 263 Rn. 52. 240 LK-Tiedemann, § 263 Rn. 87; SSW-StGB/Satzger, § 263 Rn. 123; MR-Saliger, § 263 Rn. 97; MüKo-StGB/Hefendehl, § 263 Rn. 21; S/S-Perron, § 263 Rn. 33. 241 S/S-Perron, § 263 Rn. 33; v. Heintschel-Heinegg/Beukelmann, § 263 Rn. 30; SK-StGB/ Hoyer, § 263 Rn. 76. 242 So explizit auch die einschlägigen Entscheidungen zum Massenbetrug: BGH, Beschl. v. 17. 06. 2014 – 2 StR 658/13 Rn. 13 = NStZ 2014, 644; BGH, Urt. v. 22. 05. 2014 – 4 StR 430/13 Rn. 17 = NJW 2014, 2132; BGH Urt. v. 05. 12. 2002 – 3 StR 161/02 –, juris Rn. 22 = NJW 2003, 1198; BGH, Urt. v. 22. 11. 2013 – 3 StR 162/13 Rn. 9 = BGHSt 59, 75. 243 LK-Tiedemann, § 263 Rn. 87; HK-GS/Duttge, § 263 Rn. 24; v. Heintschel-Heinegg/ Beukelmann, § 263 Rn. 30; S/S-Perron, § 263 Rn. 33. 244 S/S-Perron, § 263 Rn. 33 unter Verweis auf BGH, Urt. v. 26. 10. 1993 – 4 StR 347/93 –, juris = BGHR StGB § 263 Irrtum 9. 245 BGH, Beschl. v. 13. 01. 2010 – 3 StR 500/09 –, juris = wistra 2010, 148; MR-Saliger, § 263 Rn. 97.

1. Kap.: Der Betrugstatbestand

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denen § 263 StGB schützen wolle.246 Er versteht den Irrtum als „Enttäuschung von verfügungsfundierenden Erwartungen zur Qualität der Erklärung und zum Gegebensein der Verfügungsbedingungen“.247 Solche Erwartungen seien auch dort vorhanden, wo sich das Opfer über bestimmte Umstände, wie beispielsweise über die Massenhaftigkeit des Vorgangs, keine Gedanken mache.248 Die Täuschung als wahrheitswidrige Inanspruchnahme der Wahrheit für die Erklärung und der Irrtum als enttäuschte Erwartung auf Erfüllung des Wahrheitsanspruchs seien ein und dasselbe Substrat aus umgekehrter Perspektive.249 b) Kubiciel Kubiciel250 zufolge bestimmt sich das Vorliegen oder Nichtvorliegen eines Irrtums nicht primär nach Maßgabe psychologischer Fakten (Wer dachte bzw. glaubte tatsächlich an was?), sondern danach, welche Erwartungen der Kommunikationspartner berechtigterweise haben kann. Weil und soweit das Vertrauen auf die Richtigkeit der Informationsgrundlage schutzwürdig sei, dürfe ein Irrtum als Spiegelbild der tatbestandsmäßigen Täuschung angenommen werden. An der Schutzwürdigkeit und damit an einem Irrtum fehle es hingegen, wenn der Verfügende positiv um die Unrichtigkeit gewusst habe. c) Naucke Nach Naucke251 muss ein adäquater Zusammenhang zwischen Täuschung und Irrtum bestehen, die Täuschung also normativ zur Irrtumsherbeiführung geeignet sein, was jedenfalls bei leichter Erkennbarkeit der Täuschung nicht der Fall sei. Das Strafrecht müsse nämlich nicht intellektuelle Hilflosigkeit und mangelnde Unterrichtung ausgleichen. d) Pawlik Pawlik252 versteht nicht nur die Täuschung, sondern auch den Irrtum rein normativ, und geht so weit, dass er einen Irrtum selbst dann bejaht, wenn der Getäuschte die Täuschung erkannt hat. Denn der Täter habe mit der Täuschung ein Stück objektivierter, in der Form verfestigter Erwartungen sozial institutionalisierter Freiheit vernichtet. Sonderwissen auf Täterseite vergrößere weder die Zuständigkeit des 246 247 248 249 250 251 252

Frisch, FS Bockelmann, 647 (661, 664). Frisch, FS Herzberg, 729 (737). Frisch, FS Herzberg, 729 (759). Frisch, FS Herzberg, 729 (760). Kubiciel, HRRS 2015, 382 (385). Naucke, FS Peters, 109 (115, 118). Pawlik, Betrug, S. 232 f.

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Teil 2: Ausgangsüberlegungen zum Irrtumsnachweis beim Massenbetrug

Täters, noch könne es eine vorrangige Opferzuständigkeit begründen, die den Zurechnungszusammenhang unterbrechen könnte. 3. Zusammenfassende Stellungnahme Eine normative Auslegung des Irrtumsmerkmals sieht sich zu Recht heftiger Kritik ausgesetzt. Pawlik hat Rönnau und Becker zufolge durch den vollständigen Verzicht auf eine empirische-psychologische Komponente „die Grenze zwischen freien und unfreien Verfügungen bis zur Unkenntlichkeit verwischt“253 und laut Hefendehl damit den „Boden der Auslegung verlassen“254. Beim Irrtumsmerkmal sei eine normative Betrachtungsweise in aller Regel schon „verbraucht“, weil die normativen Erwägungen bei der Täuschung schon den potentiell Irrenden in den Blick nehmen.255 Indizien wie die typische Interessen- und Pflichtenlage dürfen, so Gaede, nicht normativistisch verabsolutiert werden, wenn die Einordnung als Tatfrage nicht zur Farce und das Irrtumserfordernis nicht vollends mit den Erfordernissen der konkludenten Täuschung gleichgeschaltet werden solle.256 Er fordert daher, zur Feststellung des Irrtums stets den Verfügenden zu vernehmen, wenn das Irrtumsmerkmal nicht tatbestandsentgrenzend zu einem subjektgelösten objektiven Zurechnungszusammenhang degenerieren solle.257 Saliger meint, es sei nicht zu sehen, wie auf Basis einer rein normativen Theorie das Vorliegen eines Irrtums noch als Tatfrage prozessual festgestellt werden solle.258 Ein genuin normatives Verständnis des Irrtumsmerkmals ist nicht mit dem Gesetzeswortlaut vereinbar und gerät in Konflikt mit dem Bestimmtheitsgrundsatz, Art. 103 II GG,259 bzw. mit dem Analogieverbot. Der Ansatz der herrschenden Meinung ist grundsätzlich überzeugend, auch wenn sich die Argumentation im Einzelnen etwas im Kreis dreht: Das Irrtumsmerkmal sei faktisch auszulegen, weil es eine Tatfrage sei und es sei als Tatfrage im Prozess festzustellen, weil es eine innere Tatsache sei. Der Zirkelschluss wird dadurch unterbrochen, dass die grundsätzliche Faktizität des Merkmals am Gesetzeswortlaut festgemacht wird und somit wegen des Analogieverbots, Art. 103 II GG, nur noch eingeschränkt zur Disposition steht.

253

Rönnau/Becker, JuS 2014, 504 (505). MüKo-StGB/Hefendehl, § 263 Rn. 21. 255 MüKo-StGB/Hefendehl, § 263 Rn. 21. 256 AnwK-StGB/Gaede, § 263 Rn. 52. 257 AnwK-StGB/Gaede, § 263 Rn. 52. 258 MR-Saliger, § 263 Rn. 91. 259 Vgl. auch MüKo-StGB/Hefendehl, § 263 Rn. 21, 260; LK-Tiedemann, § 263 Rn. 80 f.; Vergho, wistra, 2010, 86 (89); AnwK-StGB/Gaede, § 263 Rn. 51; MR-Saliger, § 263 Rn. 91; NK-Kindhäuser, § 263 Rn. 172. 254

1. Kap.: Der Betrugstatbestand

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D. Konkurrenzen Neben den Tatbestandsmerkmalen der Täuschung und des Irrtums kommt den Konkurrenzen beim Massenbetrug große Bedeutung zu. Die konkurrenzrechtliche Einordnung wird terminologisch uneinheitlich und widersprüchlich gehandhabt,260 ist aber eine wesentliche Schaltstelle für den Umgang mit dem Massenbetrug. Bei den Unterscheidungen von Tateinheit und Tatmehrheit handelt es sich nicht um „lästige Marginalien“, die vernachlässigt werden können, solange der Gesamtunrechts- und Gesamtschuldgehalt nicht tangiert werden, sondern um die sensible „Nahtstelle zwischen der Lehre von der Straftat und von der Strafzumessung“ mit weitreichenden Folgen.261 Mit der Aufgabe der Rechtsfigur der fortgesetzten Handlung im Jahr 1994262 hat sich der Meinungsstand in der Konkurrenzlehre verändert. Taten, die früher als Einzelakte eines fortgesetzten Betruges gewertet wurden, sind nun rechtlich selbstständig (Tatmehrheit, § 53 StGB) zu beurteilen, sofern keine natürliche Handlungseinheit vorliegt.263 Daneben hat sich die Rechtsfigur des uneigentlichen Organisationsdelikts etabliert, welche als Lösungsansatz ausführlich behandelt wird.264 Der aktuelle Meinungsstand im Konkurrenzrecht ist recht unübersichtlich aufgrund der Verwendung uneinheitlicher Begrifflichkeiten bzw. aufgrund der Verwendung der gleichen Begriffe bei unterschiedlichem Verständnis derselben. Klarheit bringt vor allem eine konsequente begriffliche Unterscheidung dreier Ebenen: Jeweils müssen die Einheit oder Mehrheit von Handlungen, Gesetzesverletzungen und Taten unterschieden werden. Ausgangspunkt aller Überlegungen zu den Konkurrenzen ist die Frage nach Handlungseinheit oder Handlungsmehrheit.265 Eine Handlungseinheit kann dann – nach Ausschluss einer etwaigen Gesetzeskonkurrenz bei Spezialität, Subsidiarität oder Konsumtion – zur Annahme einer konkurrenzlosen Gesetzesverletzung oder zur Annahme von Tateinheit führen. Handlungsmehrheit führt immer – nach Ausschluss einer etwaigen Gesetzeskonkurrenz bei einer mitbestraften Vor- oder Nachtat – zu Tatmehrheit.266 Im Folgenden werden die beim Massenbetrug auftauchenden konkurrenzrechtlichen Fallgestaltungen dargestellt. 260

Insbesondere stiftet schon die unterschiedliche Begriffsbestimmung von natürlicher, tatbestandlicher oder rechtlicher Handlungseinheit Verwirrung, vgl. MüKo-StGB/v. Heintschel-Heinegg, § 52 Rn. 24. 261 So Rissing-van Saan, FS Tiedemann, 391 (393); s.a. Wessels/Beulke/Satzger, AT Rn. 1055; Roxin, AT II, § 33 Rn. 6. 262 Durch BGH, Beschl. v. 03. 05. 1994 – GSSt 2/93 u. a. –, juris = BGHSt 40, 138. 263 BGH, Beschl. v. 03. 05. 1994 – GSSt 2/93 u. a. –, juris Rn. 58 = BGHSt 40, 138; NKKindhäuser, § 263 Rn. 407; S/S-Perron, § 263 Rn. 186; H-WiStR/Kölbel, 5, 1. Kapitel, Rn. 199. 264 Siehe Teil 3, 3. Kapitel, S. 149 ff. 265 Wessels/Beulke/Satzger, AT Rn. 1057. 266 Vgl. die Übersichtsskizze bei Wessels/Beulke/Satzger, AT Rn. 1176, 1057.

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Teil 2: Ausgangsüberlegungen zum Irrtumsnachweis beim Massenbetrug

Bei den Lösungsansätzen wird das konkurrenzrechtliche Verständnis insbesondere beim uneigentlichen Organisationsdelikt267 und bei der Frage der Schätzung einer Anzahl der Irrenden bzw. einer Irrtumsquote268 relevant. I. Tateinheit bei Handlungseinheit Handlungseinheit liegt vor, wenn entweder nur eine Handlung im natürlichen Sinn vorliegt oder wenn mehrere Handlungen im natürlichen Sinn zu einer natürlichen oder rechtlichen Handlungseinheit zusammenzufassen sind. Für die durch die Vielzahl von Geschädigten bedingte spezielle Problematik des Massenbetrugs ist die tatbestandliche Handlungseinheit nach dem hier zugrunde gelegten Begriffsverständnis weniger relevant. Mehrere Willensbetätigungen können aus Sinn und Zweck des jeweiligen Tatbestandes zu einer tatbestandliche Handlungseinheit zusammengefasst werden.269 Eine tatbestandliche Handlungseinheit kann beispielsweise bei Dauerdelikten, mehraktigen Delikten oder Delikten mit pauschalierender Handlungsbeschreibung vorliegen.270 Beim Betrug kann eine tatbestandliche Handlungseinheit dann anzunehmen sein, wenn mehrere Täuschungshandlungen auf ein und dieselbe Schädigung hinwirken.271 1. Tateinheit bei Handlung im natürlichen Sinn und bei natürlicher Handlungseinheit Beim Massenbetrug kann Tateinheit zwischen den verschiedenen Betrugsdelikten angenommen werden, wenn die Täuschungshandlung, durch die alle Personen getäuscht werden, eine Handlung im natürlichen Sinn oder eine natürliche Handlungseinheit darstellt. a) Handlung im natürlichen Sinn vs. natürliche Handlungseinheit Eine Handlung im natürlichen Sinn liegt dann vor, wenn ein Willensentschluss eine Körperbewegung hervorgerufen hat, und zwar auch dann, wenn diese eine Handlung mehrere Tatbestandserfolge verursacht hat.272

267

Siehe Teil 3, 3. Kapitel. Siehe Teil 3, 4. Kapitel, D. II. 2. b) aa). 269 Vgl. MüKo-StGB/v. Heintschel-Heinegg, § 52 Rn. 24. 270 Vgl. MüKo-StGB/v. Heintschel-Heinegg, § 52 Rn. 24; S/S-Sternberg-Lieben/Bosch, Vor §§ 52 ff. Rn. 13 ff. 271 Jedenfalls als einen Betrug ansehend: NK-Kindhäuser, § 263 Rn. 407 unter Verweis auf BGH, Beschl. v. 21. 07. 1998 – 4 StR 274/98 –, juris Rn. 7 ff. = NStZ-RR 1999, 110; MüKoStGB/Hefendehl, § 263 Rn. 869. 272 S/S-Sternberg-Lieben/Bosch, Vor §§ 52 ff. Rn. 11; LK-Rissing-van Saan, § 52 Rn. 6. 268

1. Kap.: Der Betrugstatbestand

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Beispiel: Der Täter pingt (klingelt) mithilfe eines Computerprogramms 500 Leute gleichzeitig an, indem er das Computerprogramm mit einem Mausklick aktiviert. Die Rechtsprechung erkennt außerdem die Rechtsfigur einer sog. natürlichen Handlungseinheit an, die es ermöglicht, mehrere Handlungen im natürlichen Sinn zu einer natürlichen Handlungseinheit zusammenzufassen.273 Eine natürliche Handlungseinheit liegt dann vor, wenn zwischen einer Mehrheit gleichartiger, strafrechtlich erheblicher Verhaltensweisen ein derart unmittelbarer räumlicher und zeitlicher Zusammenhang besteht, dass das gesamte Handeln des Täters objektiv auch für einen Dritten als ein einheitliches zusammengehöriges Tun erscheint, und wenn die einzelnen Betätigungsakte auch durch ein gemeinsames subjektives Element miteinander verbunden sind.274 Neuerdings wird teilweise eine (Teil-)Identität der Ausführungshandlungen gefordert.275 Richten sich die Handlungen gegen höchstpersönliche Rechtsgüter mehrerer Tatopfer, ist die Annahme einer natürlichen Handlungseinheit zwar nicht grundsätzlich ausgeschlossen, sie liegt aber regelmäßig nicht nahe.276 Eine natürliche Handlungseinheit kommt nur in Betracht, wenn die Aufspaltung des Tatgeschehens in Einzelhandlungen wegen eines außergewöhnlich engen zeitlichen und räumlichen Zusammenhanges, etwa bei Messerstichen oder Schüssen innerhalb weniger Sekunden, willkürlich und gekünstelt erschiene.277 Der Hauptkritikpunkt der Literatur an der Rechtsprechung zu natürlichen Handlungseinheit ist der, dass diese Figur zu unterschiedlichen Zwecken herangezogen werde und unterschiedliche Konsequenzen habe, da nämlich einmal eine einzige konkurrenzlose Gesetzesverletzung (z. B. bei iterativer Tatbestandserfüllung) und einmal Tateinheit (z. B. bei den Polizeifluchtfällen) angenommen werde.278 Bei einer mehrfachen Verwirklichung des Betrugstatbestands und dem erforderlichen räumlich-zeitlichen Zusammenhang hinsichtlich der Täuschungshandlung kommt jedenfalls nach der Rechtsprechung eine natürliche Handlungseinheit in Betracht.279

273

Vgl. Wessels/Beulke/Satzger, AT Rn. 1070. St. Rspr., vgl nur BGH, Urt. v. 01. 09. 1994 – 4 StR 259/94 –, juris Rn. 20 = wistra 1994, 349; BGH, Urt. v. 30. 11. 1995 – 5 StR 465/95 –, juris Rn. 28 = BGHSt 41, 368; BGH, Beschl. v. 14. 09. 2010 – 4 StR 422/10 –, juris Rn. 5 = wistra 2010, 476. 275 Vgl. Anfrage an übrige Senate durch BGH, Beschl. v. 03. 09. 2015 – 3 StR 236/15 –, juris Rn. 22. 276 BGH, Urt. v. 19. 11. 2009 – 3 StR 87/09 –, juris Rn. 16 = NStZ-RR 2010, 140; BGH, Urt. v. 10. 02. 2015 – 1 StR 488/14 –, juris Rn. 48 = BGHSt 60, 198. 277 BGH, Urt. v. 19. 11. 2009 – 3 StR 87/09 –, juris Rn. 16 = NStZ-RR 2010, 140. 278 Vgl. AnwK-StGB/Rackow, § 52 Rn. 14 f.; Wessels/Beulke/Satzger, AT Rn. 1070 f.; MüKo-StGB/v. Heintschel-Heinegg, § 52 Rn. 53; S/S-Sternberg-Lieben/Bosch, Vor §§ 52 ff. Rn. 22 ff.; Klumpe, Serienstraftat, S. 142 ff. (insgesamt ablehnend). 279 Vgl. BGH, Beschl. v. 11. 09. 2014 – 4 StR 207/14 –, juris Rn. 3 = wistra 2015, 17; BGH, Beschl. v. 14. 09. 2010 – 4 StR 422/10 –, juris Rn. 5 = wistra 2010, 476; s.a. BGH, Urt. v. 26. 04. 2001 – 4 StR 439/00 –, juris Rn. 8 = BGHSt 47, 1; BGH, Beschl. v. 18. 05. 2010 – 4 StR 182/10 –, juris Rn. 3 – 5 = wistra 2010, 345 (bzgl. § 266 StGB). 274

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Teil 2: Ausgangsüberlegungen zum Irrtumsnachweis beim Massenbetrug

Beispiel: Der Täter pingt im Abstand von wenigen Minuten nach dem Ende des jeweiligen Durchführungsvorgangs je zehnmal 500 Personen mithilfe des Computerprogramms an. b) Eine konkurrenzlose Gesetzesverletzung vs. gleichartige Tateinheit Vorausgesetzt, es liegt eine Sachverhaltskonstellation vor, in der die Täuschungshandlung, durch die mehrere Personen getäuscht werden, entweder eine einzige Handlung im natürlichen Sinne darstellt oder jedenfalls die Rechtsprechung eine natürliche Handlungseinheit annimmt, dann ist es umstritten, ob nur eine einzige konkurrenzlose Gesetzesverletzung oder gleichartige Idealkonkurrenz vorliegen soll. Grundsätzlich gilt: Eine konkurrenzlose Gesetzesverletzung wird beispielsweise aufgrund natürlicher280, tatbestandlicher281 oder rechtlicher282 Handlungseinheit bei iterativer Begehung gegen ein Tatopfer (Beleidigung durch mehrere Schimpfworte, Körperverletzung durch mehrere Schläge) angenommen. Denn die Annahme gleichartiger Tateinheit würde dem Wesen solcher Handlungseinheiten widersprechen, die darauf beruhen, dass der Gesetzeswortlaut die Ausführungshandlung mehr oder weniger als Handlungskomplex beschreibt.283 Gleichartige Tateinheit liegt hingegen dann vor, wenn mehrere, trotz ihrer Gleichartigkeit selbstständige Tatobjekte durch eine Handlung in Bezug auf denselben Straftatbestand beeinträchtigt werden, nicht aber, wenn nach Wortlaut und Charakter des Tatbestands lediglich eine quantitative Steigerung vorliegt.284 Gleichartige Tateinheit meint also mehrere Gesetzesverletzungen desselben Straftatbestands, die materiell-rechtlich eine Tat darstellen, § 52 I Alt. 2 StGB. Einige Autoren285 vertreten nun, dass nur die Verletzung höchstpersönlicher Rechtsgüter mehrerer Rechtsgutsträger gleichartige Idealkonkurrenz hervorrufen könne, weil dann der Rechtsgutsträger in seiner Individualität betroffen sei. Gleichartige Tateinheit sei beispielsweise anzunehmen, wenn eine Sprengstoffexplosion mehrere Personen töte oder der Täter gleichzeitig zwei Kinder zur Duldung sexueller Handlungen auffordere. Gleichartige Tateinheit könne außerdem bei Delikten gegen Rechtsgüter mit individuellem Eigenwert vorliegen, wie bei verschie280

LG Köln, Urt. v. 25. 07. 2003 – 111 – 4/03 –, juris Rn. 270; vgl. dazu MüKo-StGB/v. Heintschel-Heinegg, § 52 Rn. 54. 281 S/S-Sternberg-Lieben/Bosch, Vor §§ 52 ff. Rn. 17, § 52 Rn. 23. 282 MüKo-StGB/v. Heintschel-Heinegg, § 52 Rn. 34, 54, 105. 283 S/S-Sternberg-Lieben/Bosch, § 52 Rn. 24. 284 MüKo-StGB/v. Heintschel-Heinegg, § 52 Rn. 105; S/S-Sternberg-Lieben/Bosch, § 52 Rn. 24. 285 So NK-Puppe, § 52 Rn. 22 („sog. verdickte Tatbestandsmäßigkeit“; Puppe bezeichnet diese Handlungseinheit im Übrigen als tatbestandliche Handlungseinheit); S/S-SternbergLieben/Bosch, § 52 Rn. 24 ff., 29; MüKo-StGB/v. Heintschel-Heinegg, § 52 Rn. 105, 109; LKRissing-van Saan, § 52 Rn. 37.

1. Kap.: Der Betrugstatbestand

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denen Rechtsgütern des Staates oder der Allgemeinheit, beispielsweise bei einer Strafvereitelung zu Gunsten mehrerer Täter. Die Verletzung mehrerer nichthöchstpersönlicher Rechtsgutsobjekte stelle hingegen eine einzige konkurrenzirrelevante Gesetzesverletzung dar. Gleichartige Idealkonkurrenz komme bei Eigentums- oder Vermögensdelikten also überhaupt nicht vor.286 Für den Massenbetrug hieße das, dass der Straftatbestand des Betrugs nur einmal (konkurrenzlos) verwirklicht ist, auch wenn mehrere Personen geschädigt sind. Nach überzeugender Ansicht liegen jedoch mehrere Gesetzesverletzungen in Form der gleichartigen Idealkonkurrenz, § 52 I Alt. 2 StGB, vor, wenn durch eine Täuschungshandlung mehrere Personen geschädigt werden.287 Denn es überzeugt nicht, für die Frage, ob eine konkurrenzlose Gesetzesverletzung oder gleichartige Idealkonkurrenz vorliegt, die Unterscheidung anzulegen, ob Träger eines höchstpersönlichen Rechtsguts oder Träger eines nicht-höchstpersönlichen Rechtsguts verletzt sind. Dafür spricht schon der Wortlaut des § 52 I Alt. 2 StGB: Verletzt dieselbe Handlung (eine Handlung) dasselbe Strafgesetz mehrmals (mehrere Gesetzesverletzungen), so wird nur auf eine Strafe (eine materiell-rechtliche Tat und eine Strafe) erkannt. Im § 52 I Alt. 2 StGB wird also gerade nicht gefordert, dass höchstpersönliche Rechtsgüter verletzt sind. Zwar leuchtet es ein, dass es bei höchstpersönlichen Rechtsgütern erst recht angezeigt ist, die Anzahl der Tatopfer durch die Annahme von Tateinheit klarzustellen.288 Aber auch schon bei nichthöchstpersönlichen Rechtsgütern spricht die Klarstellungsfunktion der Tateinheit dafür, die Anzahl der Tatbestandsverwirklichungen durch Tateinheit zu kennzeichnen. Die Anzahl der Betrugsopfer stellt nämlich nicht nur eine quantitative Steigerung des Unrechts dar. Zumal das Rechtsgut des Vermögens, welches beim Betrugstatbestand verletzt wird, auch einen höchstpersönlichen Einschlag hat.289 Da auch Vermögensrechte Individualpersonen „zustehen“, wird der Achtungsanspruch 286

MüKo-StGB/v. Heintschel-Heinegg, § 52 Rn. 34, widersprüchlich dazu aber Rn. 113; S/ S-Sternberg-Lieben/Bosch, § 52 Rn. 29. 287 So MüKo-StGB/Hefendehl, § 263 Rn. 869; Jescheck/Weigend, § 67 II; Joecks, Studienkommentar StGB, § 52 Rn. 1; NK-Kindhäuser, § 263 Rn. 407; Fischer, StGB, Vor § 52 Rn. 23; im Ergebnis auch SK-StGB/Jäger, § 52 Rn. 31 ff. (Jäger nimmt bei Verletzung nichthöchstpersönlicher Rechtsgüter mehrerer Rechtsgutsträger in natürlicher Handlungseinheit gleichartige Idealkonkurrenz an, während er bei Verletzung höchstpersönlicher Rechtsgüter mehrerer Rechtsgutsträger natürliche Handlungseinheit ausschließt und damit die Annahme von Realkonkurrenz begründet.); BGH, Urt. v. 23. 01. 19770 – 2 StR 604/69 bei Dallinger, MDR 1970, 380 (381 f.); wohl auch BGH, Beschl. v. 08. 04. 1998 – 1 StR 128/98 –, juris Rn. 5 = wistra 1998, 262; BGH, Beschl. v. 06. 10. 2015 – 4 StR 38/15 –, juris Rn. 2 = wistra 2016, 70; BGH, Beschl. v. 12. 04. 2011 – 4 StR 80/11 –, juris Rn. 2; BGH, Urt. v. 02. 03. 2011 – 2 StR 524/ 10 –, juris Rn. 7 = BGHSt 56, 183; vgl. auch Mitsch, JuS 1993, 385 (388), der allerdings auch bei mehreren kurz aufeinander folgenden Schlägen gleichartige Tateinheit annimmt; MüKoStGB/v. Heintschel-Heinegg, § 52 Rn. 113, widersprüchlich dazu aber Rn. 34. 288 Die Klarstellungsfunktion betonend: MüKo-StGB/v. Heintschel-Heinegg, § 52 Rn. 110. 289 Das geben auch Sternberg-Lieben und Bosch zu, aber beharren dennoch darauf, gleichartige Tateinheit nur bei der Verletzung von höchstpersönlichen Rechtsgütern unterschiedlicher Rechtsgutsträger anzunehmen, S/S-Sternberg-Lieben/Bosch, § 52 Rn. 29.

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Teil 2: Ausgangsüberlegungen zum Irrtumsnachweis beim Massenbetrug

des geschützten Rechtsguts mehrfach verletzt, wenn die Handlung mehrere Opfer schädigt.290 Für die Unterscheidung von einer konkurrenzlosen Gesetzesverletzung und gleichartiger Idealkonkurrenz ist es also nach hier vertretener Ansicht entscheidend, ob ein oder mehrere Rechtsgutsträger verletzt sind, und nicht, ob die Träger eines nicht-höchstpersönlichen oder eines höchstpersönlichen Rechtsguts verletzt sind. Unter diesem Gesichtspunkt verfängt auch die oben angesprochene Kritik der Literatur an der Rechtsprechung zur natürlichen Handlungseinheit nicht: Eine natürliche Handlungseinheit kann sehr wohl einmal eine konkurrenzlose Gesetzesverletzung und einmal eine Idealkonkurrenz zur Folge haben, weil der Handlungsbegriff vom Tatbegriff hier zutreffend und sauber getrennt wird: In einem ersten Schritt wird die Frage geklärt, ob mehrere Handlungen im natürlichen Sinn zu einer natürlichen Handlungseinheit verbunden werden können. In einem zweiten Schritt folgen die Konsequenzen daraus; ob entweder eine konkurrenzlose Gesetzesverletzung oder mehrere Gesetzesverletzungen in gleichartiger Tateinheit anzunehmen sind. Natürliche Handlungseinheit und gleichartige Idealkonkurrenz schließen sich nicht etwa aus, sondern betreffen vielmehr unterschiedliche Kategorien. Die natürliche Handlungseinheit betrifft die Handlungsebene und die gleichartige Idealkonkurrenz die Tatebene. Handlungs- und Tatbegriffe werden vermischt, wenn die Möglichkeit gleichartiger Tateinheit bei Vermögensdelikten schon damit abgetan wird, dass meist eine natürliche Handlungseinheit vorliegen werde291. Eine natürliche Handlungseinheit kann dann zu gleichartiger Idealkonkurrenz führen, wenn mehrere Rechtsgutsträger verletzt sind (und zu ungleichartiger Idealkonkurrenz, wenn mehrere Straftatbestände verletzt sind). Es wird also dahingehend Stellung bezogen, dass bei einer Handlung – sei es eine Handlung im natürlichen Sinn oder eine natürliche Handlungseinheit –, die mehrere Rechtsgutsträger eines nicht-höchstpersönlichen Rechtsguts verletzt, mehrere Gesetzesverletzungen in gleichartiger Idealkonkurrenz und nicht nur eine konkurrenzirrelevante Gesetzesverletzung angenommen werden. Täuscht der Täter mit einer Täuschungshandlung also mehrere Personen, wird die Strafvorschrift des Betrugs mehrmals verletzt, sodass es mehrere Deliktsverwirklichungen gibt, die in gleichartiger Tateinheit stehen. Da es dem Massenbetrug immanent ist, dass der Betrugstatbestand gegenüber mehreren Täuschungsopfern verwirklicht worden ist, liegt bei Handlungseinheit also immer gleichartige Tateinheit vor. Es gibt also beim Massenbetrug mehrere Gesetzesverletzungen, die materiellrechtlich eine Tat darstellen können, für die auf eine Strafe erkannt wird, § 52 I StGB. Im Schuldspruch ist bei gleichartiger Idealkonkurrenz anzugeben, wie oft der Tatbestand verwirklicht worden ist (z. B. „x-facher Betrug“ oder „Betrug in x tateinheitlichen Fällen“).292 Von der Kenntlichmachung gleichartiger Tateinheit im Ur290 291 292

Überzeugend Jescheck/Weigend, § 67 II. So wohl Roxin, AT II, § 33 Rn. 81. S/S-Sternberg-Lieben/Bosch, § 52 Rn. 50; KK-Ott, § 260 Rn. 35.

1. Kap.: Der Betrugstatbestand

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teilsspruch kann aber abgesehen werden, wenn der Tenor dadurch unübersichtlich würde.293 c) Einheitstheorie vs. Mehrheitstheorie Eine weitere umstrittene Abgrenzung, die in der Praxis nur eine untergeordnete Rolle spielt,294 aber terminologisch relevant ist, ist die Frage, ob bei gleichartiger Tateinheit eine Straftat bzw. ein Verbrechen vorliegt („Einheitstheorie“295) oder mehrere Straftaten bzw. mehrere Delikte, also jedenfalls eine Verbrechensmehrheit („Mehrheitstheorie“296).297 Die beiden Ansichten liegen in einer unterschiedlichen Auffassung vom Deliktsbegriff begründet.298 Da in der Sache Einigkeit darüber besteht, dass Idealkonkurrenz die mehrfache Bewertung einer Handlung bedeutet, ist der Streit überwiegend eine Frage der Formulierung.299 Die Streitfrage wirkt sich aber im Prozessrecht dahingehend aus, dass die Einheitstheorie auch eine prozessuale Tat annehmen muss, während die Mehrheitstheorie nach der Funktion des prozessualen Tatbegriffs unterscheiden kann.300 Das dieser Arbeit zugrunde liegende Begriffsverständnis ist folgendes: Werden durch eine Täuschungshandlung (Handlungseinheit) mehrere Personen getäuscht und geschädigt, liegen mehrere Gesetzesverletzungen und mehrere Delikte vor, die in Tateinheit zueinander stehen und somit zu einer materiell-rechtlichen Straftat zusammenzufassen sind.301

293

MüKo-StGB/v. Heintschel-Heinegg, § 52 Rn. 126; S/S-Sternberg-Lieben/Bosch, § 52 Rn. 50. 294 Vgl. Lackner-Kühl, Vor §§ 52 ff. Rn. 23; LK-Rissing-van Saan, Vor § 52 Rn. 6; Jescheck/Weigend, § 67 I 2. 295 Maurach/Gössel/Zipf, AT II § 54 Rn. 7 m.w.N. 296 Jakobs, AT 32 Rn. 12 (Nur der Handlungsbegriff werde naturalistisch verstanden, der Deliktsbegriff hingegen rechtlich bestimmt. Handlungseinheit und Deliktsmehrheit seien daher verträglich.); MüKo-StGB/v. Heintschel-Heinegg, § 52 Rn. 5; SK-StGB/Jäger, § 52 Rn. 7 (Nur die Mehrheitstheorie mache hinreichend deutlich, dass die Verletzung mehrerer Strafgesetze zur Annahme mehrerer Straftaten führen müsse.); Geerds, Konkurrenz, S. 324 f. (Eine tatsächliche Einheit könne rechtlich mehrfach gewürdigt werden und zu mehreren Folgen führen.). 297 Vgl. zum Streit S/S-Sternberg-Lieben/Bosch, § 52 Rn. 3; LK-Rissing-van Saan, Vor § 52 Rn. 6 je m.w.N. 298 Vgl. S/S-Sternberg-Lieben/Bosch, § 52 Rn. 3; LK-Rissing-van Saan, Vor § 52 Rn. 6. 299 Vgl. S/S-Sternberg-Lieben/Bosch, § 52 Rn. 3; LK-Rissing-van Saan, Vor § 52 Rn. 6; Jescheck/Weigend, § 67 I 2. 300 v. Heintschel-Heinegg spricht sich daher für die Mehrheitstheorie aus, MüKo-StGB/v. Heintschel-Heinegg, § 52 Rn. 5. 301 Damit entspricht die hier vertretene Auffassung der Mehrheitstheorie unter Zugrundelegung des Begriffsverständnisses von Jakobs, AT 32 Rn. 12; anders hingegen SK-StGB/ Jäger, § 52 Rn. 7 (Jäger spricht nämlich von „mehrere[n] Straftaten“).

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Teil 2: Ausgangsüberlegungen zum Irrtumsnachweis beim Massenbetrug

2. Tateinheit wegen rechtlicher Handlungseinheit beim uneigentlichen Organisationsdelikt Daneben wird neuerdings beim uneigentlichen Organisationsdelikt Tateinheit aufgrund rechtlicher Handlungseinheit (sui generis) angenommen. Der Lösungsansatz im 3. Kapitel in Teil 3 widmet sich ausführlich dieser Rechtsfigur. Beispiel: Die Täter richten einen Geschäftsbetrieb ein, stellen Mitarbeiter ein und weisen sie an, die Mobilfunknummern von Personen von Dritten anzukaufen und anschließend mithilfe des Computerprogramms über mehrere Monate hinweg diese Nummern anzupingen. II. Tatmehrheit bei Handlungsmehrheit Liegt keine Handlungseinheit, sondern eine Handlungsmehrheit vor, so stehen die Taten zueinander in gleichartiger Tatmehrheit, § 53 StGB. Nach der derzeitigen Neigung, ein Verhalten möglichst über eine natürliche oder tatbestandliche Handlungseinheit oder über das uneigentliche Organisationsdelikt zur Tateinheit zusammenzufassen, kommt Tatmehrheit nur noch in den übrigen Fällen in Betracht, wenn keines dieser Institute greift. Überzeugender wird aber oft schlicht und einfach die Annahme von Tatmehrheit sein.302 Im Schuldspruch sind die Zahl der Fälle anzugeben (z. B. „Betrug in x Fällen“).303 Beispiel: Ein Alleintäter pingt gelegentlich, in unregelmäßigen Zeitabständen eine je unterschiedliche Anzahl von Personen an. III. Überblicksschema Die Konkurrenzmöglichkeiten beim Massenbetrug lassen sich anhand folgender drei Schritte systematisieren: (1) Liegen eine oder mehrere Handlungen im natürlichen Sinn vor? (2) Nur im Fall mehrerer Handlungen im natürlichen Sinn: Sind welche darunter, die aufgrund einer wertenden Betrachtung als Handlungseinheit zu verstehen sind? Das wird bei der natürlichen Handlungseinheit und speziell für den Massenbetrug auch bei Vorliegen eines uneigentlichen Organisationsdelikts bejaht. Früher wurde auch im Falle eines sog. Fortsetzungszusammenhangs eine Handlungseinheit angenommen. (3) Nachdem man nun das gegenständliche Verhalten in Handlungseinheit und Handlungsmehrheit unterschieden hat, ergibt sich als dritter Punkt das Ergebnis: Da nach dem hier zugrunde gelegten Verständnis Tatbestandsverwirklichungen ge302 303

Vgl. auch Zschockelt, NStZ 1994, 361 (364). MüKo-StGB/v. Heintschel-Heinegg, § 53 Rn. 25.

1. Kap.: Der Betrugstatbestand

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genüber verschiedenen Opfern mehrere Gesetzesverletzungen und nicht nur eine konkurrenzlose Gesetzesverletzung darstellen, liegt in den Fällen mit Handlungseinheiten, also bei einer Handlung im natürlichen Sinn, bei einer natürlichen Handlungseinheit und beim uneigentlichen Organisationsdelikt, gleichartige Tateinheit vor und im Fall von Handlungsmehrheit gleichartige Tatmehrheit. Der abgeschaffte Fortsetzungszusammenhang, der zur fortgesetzten Tat als einer konkurrenzlosen Gesetzesverletzung führte, ist kursiv dargestellt.

1) eine Handlung im natürlichen Sinn

Konkurrenzen beim Massenbetrug

3) gleichar!ge Tateinheit

2) Fortsetzungszusammenhang

3) eine konkurrenzlose Gesetzesverletzung

2) natürliche Handlungseinheit

3) gleichar!ge Tateinheit

2) uneigentliches Organisa!onsdelikt

3) gleichar!ge Tateinheit

2) Handlungsmehrheit

3) gleichar!ge Tatmehrheit

1) mehrere Handlungen im natürlichen Sinn

E. Strafzumessung Die konkurrenzrechtliche Einordnung wirkt sich auf die Strafzumessung aus. Beim Massenbetrug kommen außerdem Regelbeispiele für einen Betrug in einem besonders schweren Fall in Betracht, § 263 III StGB. I. Absorptions- oder Asperationsprinzip Je nachdem, ob die Einzelfälle des Massenbetrugs zueinander in Tateinheit oder Tatmehrheit stehen, ist die Strafe nach dem Absorptionsprinzip, § 52 StGB, oder nach dem Asperationsprinzip, §§ 53, 54 StGB, zu bilden. Stehen die Betrugstaten zueinander in Tateinheit, liegt also eine gleichartige Idealkonkurrenz vor, so wird nur eine Strafe gebildet und der Strafrahmen dem verletzten Betrugstatbestand entnommen, § 52 I Alt. 2 StGB. Die mehrfache Verletzung desselben Straftatbestands kann strafschärfend nach § 46 II StGB im Rahmen der Art der Ausführung und der verschuldeten Auswirkungen der Tat berücksichtigt werden.304 304 LK-Rissing-van Saan, § 52 Rn. 41; MüKo-StGB/v. Heintschel-Heinegg, § 52 Rn. 113; S/S-Sternberg-Lieben/Bosch, § 52 Rn. 33; AnwK-StGB/Rackow, § 52 Rn. 27; vgl. SSW-StGB/ Eschelbach, § 52 Rn. 70; Schäfer/Sander/van Gemmeren, Rn. 906.

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Teil 2: Ausgangsüberlegungen zum Irrtumsnachweis beim Massenbetrug

Bei Tatmehrheit müssen beim Massenbetrug – mitunter auch hunderttausende – Einzelstrafen für jede Einzeltat gebildet werden, aus denen sich durch Erhöhung der höchsten verwirkten Einsatzstrafe die Gesamtstrafe ergibt305. Bei der Strafzumessung ist das Gesetz auch bei Serienstraftaten „von jedem Schematismus weit entfernt“.306 Nach der Entscheidung des Großen Senats (BGHSt 40, 138) lassen die Grundsätze, die in der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zur Bemessung von Einzelstrafen bei einer Vielzahl gleichartiger Serientaten entwickelt worden sind, „Raum für eine verfahrensökonomische Anwendung des Systems der Strafenbildung bei Tatmehrheit“, indem eine Vielzahl gleichartiger Einzeltaten im Rahmen der Strafzumessungserwägungen eines Urteils zusammenfassend gewürdigt werden können.307 Strafzumessungsgesichtspunkte können bei Serienstraftaten also „vor die Klammer“ gezogen werden.308 Die Einzelfälle dürfen dabei in den Urteilsfeststellungen bei gleich gelagerten Betrugsfällen tabellarisch aufgelistet werden, sofern die einzelnen Fälle voneinander abgegrenzt und die Tatbestandsmerkmale aller Delikte hinreichend belegt sind.309 Der Wegfall der Rechtsfigur der fortgesetzten Handlung sollte im Übrigen nicht zu einer Erhöhung des Strafniveaus führen.310 II. Regelbeispiele für einen besonders schweren Fall des Betrugs Beim Massenbetrug können Regelbeispiele für einen besonders schweren Fall des Betrugs, § 263 III 2 StGB, einschlägig sein. 1. Gewerbsmäßigkeit, § 263 III 2 Nr. 1 Var. 1 StGB Für das Regelbeispiel der Gewerbsmäßigkeit wird verlangt, dass der Täter in der Absicht handelt, sich eine Einnahmequelle von einigem Umfang und einiger Dauer zu verschaffen.311 Die Annahme von Tateinheit im Wege eines uneigentlichen Organisationsdelikts steht der Gewerbsmäßigkeit nicht entgegen.312 Dieses Re305 Vgl. zum Asperationsprinzip: S/S-Sternberg-Lieben/Bosch, § 54 Rn. 2; BeckOK-StGB/ v. Heintschel-Heinegg, § 54 Rn. 6 f.; Lackner/Kühl-Kühl, § 53 Rn. 3. 306 BGH, Beschl. v. 10. 04. 1987 – GSSt 1/86 –, juris Rn. 22 = BGHSt 34, 345; LK-Rissingvan Saan, Vor § 52 Rn. 76; Zschockelt, JA 1997, 411 (417). 307 BGH, Beschl. v. 03. 05. 1994 – GSSt 2/93 u. a. –, juris Rn. 58 = BGHSt 40, 138. 308 Vgl. Schäfer/Sander/van Gemmeren, Rn. 1476; BeckOK-StPO/Wiedner, § 337 Rn. 83; BeckOK-StPO/Peglau, § 267 Rn. 14; kritisch zu dieser Praxis: Zschockelt, NStZ 1994, 361 (364). 309 Vgl. BGH, Beschl. v. 18. 10. 2007 – 4 StR 481/07 –, juris Rn. 5 = wistra 2008, 109; BeckOK-StPO/Wiedner, § 337 Rn. 83; BeckOK-StPO/Peglau, § 267 Rn. 14. 310 BGH, Beschl. v. 03. 05. 1994 – GSSt 2/93 u. a. –, juris Rn. 58 = BGHSt 40, 138; BGH, Beschl. v. 09. 12. 1998 – 2 StR 471/98 –, juris Rn. 7 = wistra 1999, 99; MüKo-StGB/Hefendehl, § 263 Rn. 870; S/S-Perron, § 263 Rn. 186. 311 NK-Kindhäuser, § 263 Rn. 391; MüKo-StGB/Hefendehl, § 263 Rn. 841. 312 BGH, Urt. v. 17. 06. 2004 – 3 StR 344/03 –, juris Ls. = BGHSt 49, 177.

1. Kap.: Der Betrugstatbestand

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gelbeispiel kann beim Massenbetrug einschlägig sein, muss es aber nicht zwangsläufig. 2. Schadenshöhe, § 263 III 2 Nr. 2 Var. 1 StGB Die Schadenshöhe wurde als Regelbeispiel für einen besonders schweren Fall in § 263 III 2 Nr. 2 Var. 1 StGB normiert. Die Schadenshöhe von etwa 50.000 E, ab der üblicherweise ein Vermögensverlust großen Ausmaßes i.S.d. § 263 III 2 Nr. 2 Var. 1 StGB angenommen wird,313 wird beim Gesamtschaden des Massenbetrugs häufig erreicht sein. Ob die Einzelschäden mehrerer Geschädigter – auch bei Betrugsserien, die eine materiell-rechtliche Tat bilden – addiert werden dürfen, ist umstritten. Nach überwiegender Auffassung sei das nicht der Fall bzw. nur dann, wenn es sich um dasselbe Opfer handelt, da es auf einen Vermögensverlust großen Ausmaßes schon beim einzelnen Opfer und nicht auf den Vermögensvorteil beim Täter ankomme und eine Addition den ein Individualrechtsgut schützenden Charakter des Betrugstatbestandes verkennen würde.314 Nach anderer Auffassung seien die Einzelschäden bei Handlungseinheit und „fortgesetzter Begehung“ auch bei unterschiedlichen Betrugsopfern zu addieren.315 3. Anzahl der Geschädigten, § 263 III 2 Nr. 2 Var. 2 StGB Auch die Anzahl der Geschädigten ist als Regelbeispiel in der Strafzumessung relevant, § 263 III 2 Nr. 2 Var. 2 StGB. Danach liegt in der Regel ein besonders schwerer Fall vor, wenn der Täter in der Absicht handelt, durch die fortgesetzte Begehung von Betrug eine große Zahl von Menschen in die Gefahr des Verlusts von Vermögenswerten zu bringen, § 263 III 2 Nr. 2 Var. 2 StGB. Für die große Zahl werden mindestens 10316, 20317 oder 30318 Personen gefordert. Das Merkmal ist jedenfalls dann erfüllt, wenn eine unübersehbare Vielzahl von Personen durch die Betrügereien betroffen ist (Breitenwirkung).319 Beim Massenbetrug wird die geforderte Personenanzahl jedenfalls erreicht sein. Das Regelbeispiel erfasst die 313

MüKo-StGB/Hefendehl, § 263 Rn. 852 m.w.N.; NK-Kindhäuser, § 263 Rn. 394. Vgl. BGH, Beschl. v. 15. 03. 2011 – 1 StR 529/10 –, juris Rn. 15 = NStZ 2011, 401; BGH, Besch. v. 21. 12. 2011 – 4 StR 453/11 –, juris Rn. 2 = wistra 2012, 149; Kölbel, JuS 2013, 193 (199); NK-Kindhäuser, § 263 Rn. 394; BeckOK-StGB/Beukelmann, § 263 Rn. 103; MüKo-StGB/Hefendehl, § 263 Rn. 852; SSW-StGB/Satzger, § 263 Rn. 383; Fischer, StGB, § 263 Rn. 215; MR-Saliger, § 263 Rn. 320; S/S-Perron, § 263 Rn. 188c. 315 LK-Tiedemann, § 263 Rn. 298a; vgl. auch Eiden, Jura 2011, 863 (869). 316 LK-Tiedemann, § 263 Rn. 299 durch Vergleich mit § 283a Nr. 2 StGB. 317 S/S-Perron, § 263 Rn. 188d; NK-Kindhäuser, § 263 Rn. 396; MüKo-StGB/Hefendehl, § 263 Rn. 854; SSW-StGB/Satzger, § 263 Rn. 386. 318 MR-Saliger, § 263 Rn. 323. 319 Beispielhaft wird hier der Betrug über Postwurfsendungen, Zeitungsanzeigen, Zeitschriftenbeilagen oder Internetanzeigen genannt, MR-Saliger, § 263 Rn. 323; SSW-StGB/ Satzger, § 263 Rn. 386. 314

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Teil 2: Ausgangsüberlegungen zum Irrtumsnachweis beim Massenbetrug

überschießende Innentendenz des Täters und die erforderliche Absicht ist so auszulegen, dass schon eine Wissentlichkeit bzgl. der Gefährdung einer Vielzahl von Personen hinsichtlich ihrer Vermögenswerte durch fortgesetztes Vorgehen ausreicht.320 Nach der Stellungnahme des Bundesrates321 zum Gesetzentwurf der Bundesregierung zu diesem Regelbeispiel müsse die Gefährdung des Vermögens einer großen Anzahl von Menschen nicht durch eine einzige Tathandlung erreicht werden, weil nach der Aufgabe der Rechtsprechung zum Fortsetzungszusammenhang Tateinheit nur ausnahmsweise in Betracht komme. Das Regelbeispiel solle vielmehr gerade auch die Fälle erfassen, in denen sich der Wille des Täters auf die Begehung mehrerer rechtlich selbstständiger Betrugstaten richte. Werde durch eine Tat eine Vielzahl von Personen in die Gefahr des Vermögensverlusts gebracht, sollte nach der Stellungnahme des Bundesrats das Regelbeispiel des Vermögensverlusts großen Ausmaßes einschlägig sein. Die Meinungslage hat sich aber dahingehend entwickelt, dass die bei den einzelnen Betrugsopfern entstandenen Einzelschäden nicht addiert werden dürfen und daher das Regelbeispiel des Vermögensverlust großen Ausmaßes beim Massenbetrug, bei dem nur die Addition aller Einzelschäden die erforderliche Schadenshöhe ergibt, nicht erfüllt ist.322 Ausweislich der Gegenäußerung der Bundesregierung zum Gesetzentwurf sollte hingegen die einmalige Tatbegehung zur Erfüllung des Regelbeispiels der Gefahr des Vermögensverlusts einer großen Vielzahl an Personen ausreichen.323 Das Meinungsbild hat sich allerdings auch hinsichtlich des Regelbeispiels der Gefahr des Vermögensverlusts einer großen Anzahl von Personen dahin entwickelt, dass dieses Regelbeispiel nicht angenommen wird, wenn die einzelnen Betrugstaten zueinander in Tateinheit stehen, weil dann keine fortgesetzte Begehung von Betrug vorliege.324 III. Unbenannter besonders schwerer Fall Das führt zu dem eigenwilligen Ergebnis, dass beim Massenbetrug, bei dem Tateinheit hinsichtlich der Einzelfälle angenommen wird, weder das Regelbeispiel 320

NK-Kindhäuser, § 263 Rn. 395; LK-Tiedemann, § 263 Rn. 299. BT-Drucks. 13/8587, S. 64. 322 s. o., BGH, Beschl. v. 15. 03. 2011 – 1 StR 529/10 –, juris Rn. 15 = NStZ 2011, 401; BGH, Besch. v. 21. 12. 2011 – 4 StR 453/11 –, juris Rn. 2 = wistra 2012, 149; Kölbel, JuS 2013, 193 (199); NK-Kindhäuser, § 263 Rn. 394; BeckOK-StGB/Beukelmann, § 263 Rn. 103; MüKo-StGB/Hefendehl, § 263 Rn. 852; SSW-StGB/Satzger, § 263 Rn. 383; Fischer, StGB, § 263 Rn. 215; MR-Saliger, § 263 Rn. 320; S/S-Perron, § 263 Rn. 188c; a.A.: LK-Tiedemann, § 263 Rn. 298a; vgl. auch Eiden, Jura 2011, 863 (869). 323 BT-Drucks. 13/8587, S. 85. 324 Vgl. BGH, Beschl. v. 15. 03. 2011 – 1 StR 529/10 –, juris Rn. 16 = NStZ 2011, 401; BGH, Beschl. v. 21. 12. 2011 – 4 StR 453/11 –, juris Rn. 3 = wistra 2012, 149; S/S-Perron, § 263 Rn. 188d; NK-Kindhäuser, § 263 Rn. 395; Fischer, StGB, § 263 Rn. 219; LK-Tiedemann, § 263 Rn. 299. 321

1. Kap.: Der Betrugstatbestand

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des Vermögensverlustes großen Ausmaßes mangels Addierbarkeit der Einzelschäden, § 263 III 2 Nr. 2 Alt. 1 StGB, noch das Regelbeispiel der Gefahr eines Vermögensverlustes bei einer großen Zahl von Menschen mangels fortgesetzter Begehung, § 263 III 2 Nr. 2 Var. 2 StGB, erfüllt ist. Dabei wollte der Bundesrat diese Fälle unter dem (jetzigen) § 263 III 2 Nr. 2 Var. 1 StGB325 und die Bundesregierung diese Fälle unter § 263 III 2 Nr. 2 Var. 2 StGB326 erfassen. Der mehrfachen Tatbestandsverwirklichung327 oder der Gesamtschadenshöhe328 könnte aber immerhin durch einen unbenannten besonders schweren Fall, § 263 III 1 StGB, Rechnung getragen werden. IV. Strafzumessung, § 46 II StGB Der sich in der Schadenshöhe äußernde Erfolgsunwert der Tat kann ansonsten in der Strafzumessung nach § 46 II StGB strafschärfend berücksichtigt werden.329 Auch die mehrfache Verletzung desselben Straftatbestands bei gleichartiger Idealkonkurrenz kann strafschärfend nach § 46 II StGB berücksichtigt werden.330

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BT-Drucks. 13/8587, S. 64. BT-Drucks. 13/8587, S. 85. 327 S/S-Sternberg-Lieben/Bosch, § 52 Rn. 33; AnwK-StGB/Rackow, § 52 Rn. 27. 328 Kölbel, JuS 2013, 193 (199). 329 Vgl. NK-Streng, § 46 Rn. 57; S/S-Stree/Kinzig, § 46 Rn. 19. 330 LK-Rissing-van Saan, § 52 Rn. 41; MüKo-StGB/v. Heintschel-Heinegg, § 52 Rn. 113; S/S-Sternberg-Lieben/Bosch, § 52 Rn. 33; AnwK-StGB/Rackow, § 52 Rn. 27; SSW-StGB/ Eschelbach, § 52 Rn. 70; Schäfer/Sander/van Gemmeren, Rn. 906. 326

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Teil 2: Ausgangsüberlegungen zum Irrtumsnachweis beim Massenbetrug

2. Kapitel

Fallgruppen des Massenbetrugs Im Folgenden wird untersucht, was den Betrug zum Massenbetrug macht. Bei der Analyse der neueren, vor allem der höchstrichterlichen Rechtsprechung, die zu Betrugsverfahren mit einer großen Vielzahl an Geschädigten ergangen ist, bilden sich einige typische Fallgruppen des Massenbetrugs heraus. Die Sachverhaltsdarstellungen dienen der Veranschaulichung der typischen Konstellationen, in denen ein Massenbetrugsverfahren vorliegen kann. Die rechtlichen Probleme der Urteile und die unterschiedlichen Argumente der Instanzen werden im anschließenden dritten Teil im Rahmen der Vorgehensweise der jeweiligen Lösungsansätze ausführlich behandelt. Weil manche Fälle in mehreren Lösungsansätzen zum Tragen kommen, werden die Sachverhalte der Fälle außerdem aufgrund der besseren Übersichtlichkeit bereits hier gebündelt erörtert, damit der zur jeweiligen Entscheidung gehörende Sachverhalt ggf. nachgeschlagen werden kann.

A. Abrechnungen im Gesundheitsbereich Die Fälle des Abrechnungsbetrugs gegenüber den gesetzlichen Krankenkassen über die Kassen(zahn)ärztliche Vereinigung (KV bzw. KZV)1 und direkt gegenüber den gesetzlichen Krankenkassen durch Apotheker sind relevant, weil sie am Anfang der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes zum Irrtumsnachweis beim Massenbetrug stehen. Sie betreffen allerdings nicht den Kern dieser Arbeit zum Massenbetrug, da nicht eine große Vielzahl an Personen getäuscht wird, sondern ein Irrtum lediglich bei den Sachbearbeitern der Kassen(zahn)ärztlichen Vereinigung bzw. der betroffenen gesetzlichen Krankenkassen vorliegen könnte. Anders und für die vorliegende Arbeit interessanter stellt sich die Rechtslage bei einem privatliquidierenden Arzt dar, der direkt gegenüber seinen Privatpatienten ab1

Vgl. zu den Grundzügen des vertragsärztlichen Abrechnungssystems auch Roxin/ Schroth-Schroth/Joost, Medizinstrafrecht, S. 184 und Ulsenheimer, Arztstrafrecht, § 14 Rn. 1102 ff.: Das wesentliche Merkmal des vertragsärztlichen Abrechnungssystems ist die Entkoppelung von Leistungs- und Vergütungsebene. Die Kassenärztlichen Vereinigungen schließen nach § 83 SGB V mit den zuständigen Landesverbänden der Krankenkassen und den Ersatzkassen sog. Gesamtverträge. Die Krankenkasse entrichtet an die jeweilige Kassenärztliche Vereinigung eine Gesamtvergütung, deren Höhe im Gesamtvertrag vereinbart wurde, § 85 II SGB V, für die gesamte vertragsärztliche Versorgung der Mitglieder im zugehörigen Bezirk, § 85 I SGB V. Die Kassenärztliche Vereinigung rechnet am Quartalsende nach einem Honorarverteilungsmaßstab mit den Vertragsärzten die Leistungen ab und zahlt die Vergütung aus, § 87b I SGB V. Ist die Sammelabrechnung am Quartalsende nicht im Sinne des vertragsärztlichen Abrechnungssystems ordnungsgemäß, kann darin eine falsche Tatsachenbehauptung und damit eine Täuschung liegen. Beim Sachbearbeiter der KV kann dadurch im Rahmen seiner Prüfungsmaßnahmen zumindest in Form des sachgedanklichen Mitbewusstseins ein Irrtum erregt werden.

2. Kap.: Fallgruppen des Massenbetrugs

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rechnet, die dementsprechend die potentiell Irrenden sind, sofern sie nicht kollusiv mit dem Arzt zum Nachteil der Krankenversicherung zusammenwirken.2 Dargestellt werden ausgewählte Entscheidungen zum kassen(zahn)ärztlichen Abrechnungsbetrug und zum Abrechnungsbetrug durch Apotheker direkt gegenüber den gesetzlichen Krankenkassen, die wegen Ausführungen zum Irrtumsnachweis auch hier interessieren. I. Fall 1: BGH, Urt. v. 05. 12. 2002 – 3 StR 161/02 *

Fall 1: Strohmann-Zahnarzt3

Der Angeklagte betrieb eine zahnärztliche Privatpraxis und setzte einen anderen Zahnarzt, der die Kassenzulassung besaß, als „Strohmann“ ein: Der Angeklagte behandelte neben den Privatpatienten 90 % der Kassenpatienten und der Zahnarzt mit Kassenzulassung nur die restlichen 10 % der Kassenpatienten. Nach der gemeinsamen Abrede rechnete der Vertragsarzt gegenüber der Kassenzahnärztlichen Vereinigung (KZV) auch die vom Angeklagten durchgeführten Behandlungen als eigene ab. Die Krankenkassen zahlten über die KZV die Honorare in Höhe von rund 1,26 Mio. DM aus, die der Angeklagte abgesehen von einer monatlichen Zahlung an den Mittäter für sich vereinnahmte.4 Das Landgericht Düsseldorf vernahm fünf in unterschiedlichen Funktionen tätige Zeugen, vom Hauptgeschäftsführer bis zur Leiterin des Prüfungswesens.5 II. Fall 2: BGH, Urt. v. 22. 08. 2006 – 1 StR 547/05 *

Fall 2: Augenlinsen6

Der angeklagte Augenarzt erhielt nach den Feststellungen des Landgerichts Kickback-Zahlungen u. a. für Augenlinsen von einem Pharmahändler.7 Die Kosten für die Augenlinsen wurden dem Augenarzt in Rechnung gestellt, von diesem verauslagt und quartalsmäßig gegenüber der Kassenärztlichen Vereinigung (KV) abgerechnet. Der Rabattanteil infolge der Rückvergütungen wurde dabei verschwiegen. Die KV stellte den jeweiligen Krankenkassen die Augenlinsen in Rechnung, die daraufhin

2

BGH, Beschl. v. 25. 01. 2012 – 1 StR 45/11 –, juris Rn. 40 ff., 68 ff. = BGHSt 57, 95. BGH, Urt. v. 05. 12. 2002 – 3 StR 161/02 –, juris = NJW 2003, 1198: Einstellung des Verfahrens in einem Fall gemäß § 154 II StPO und Verwerfung der Revision in den übrigen 36 Fällen. 4 Vgl. BGH, Urt. v. 05. 12. 2002 – 3 StR 161/02 –, juris Rn. 3 f. = NJW 2003, 1198. 5 Vgl. BGH, Urt. v. 05. 12. 2002 – 3 StR 161/02 –, juris Rn. 25 = NJW 2003, 1198. 6 BGH, Urt. v. 22. 08. 2006 – 1 StR 547/05 –, juris = wistra 2006, 421: Aufhebung des Freispruchs des Landgerichts hinsichtlich des hier interessierenden Tatkomplexes „Augenlinsen“. 7 Vgl. BGH, Urt. v. 22. 08. 2006 – 1 StR 547/05 –, juris Rn. 6 = wistra 2006, 421. 3

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Teil 2: Ausgangsüberlegungen zum Irrtumsnachweis beim Massenbetrug

überhöhte Zahlungen an den Augenarzt leisteten.8 Aus der Revisionsentscheidung ging nicht hervor, ob und wie viele Verfügende als Zeugen vernommen wurden. III. Fall 3: BGH, Urt. v. 10. 12. 2014 – 5 StR 405/13 *

Fall 3: Zytostatika mit Importarzneimitteln9

Der Angeklagte war Apotheker und stellte nach den Feststellungen des Landgerichts in seiner Apotheke Medikamente zur Behandlung von Krebserkrankungen her, sog. Zytostatika, indem das Ausgangsarzneimittel mit der verordneten Trägerlösung in dem patientenindividuell bestimmten Verhältnis vermischt wurde.10 Einen kleinen Anteil der verwendeten Arzneimittel bestellte der Angeklagte nicht wie üblich über den Pharmagroßhandel oder bei den Herstellern, sondern über ausländische Vertriebsunternehmen. Die bestellten Arzneimittel waren in Deutschland nicht zugelassen, unterschieden sich aber weder in ihrer stofflichen Zusammensetzung noch in ihrer pharmazeutischen Wirksamkeit von den zugelassenen verkehrsfähigen Arzneimitteln.11 Durch den Einkauf im Ausland verschaffte er sich einen Preisvorteil von 10 % bei einer Gesamtrechnungssumme von 1,2 Mio. E und rechnete die Arzneimittel gegenüber den Krankenkassen wie verkehrsfähige Ware ab.12 Die Strafkammer vernahm je einen Mitarbeiter der geschädigten Krankenkassen als Zeugen, die zwar nicht direkt die Prüfung vorgenommen hatten, aber in diesem Überprüfungsbereich tätig waren und die Vorgänge des standardisierten Prüfverfahrens nachvollziehbar erläutern konnten.13 IV. Fall 4: BGH, Urt. v. 12. 02. 2015 – 2 StR 109/14 *

Fall 4: Angekaufte Rezepte14

Ein Apotheker kaufte Dritten gefälschte oder angekaufte Rezepte gegen Zahlung von 20 bis 30 % des Rezeptwerts ab, ohne die Arzneimittel abzugeben.15 Die gekauften Rezepte reichte er zusammen mit seinen regulären monatlichen Abrechnungen über eine Abrechnungsstelle bei den Krankenkassen ein, die diese in Form

8

Vgl. BGH, Urt. v. 22. 08. 2006 – 1 StR 547/05 –, juris Rn. 7 = wistra 2006, 421. LG Braunschweig, Urt. v. 07. 03. 2013 – 6 KLs 22/10 –, juris und nachfolgend: BGH, Urt. v. 10. 12. 2014 – 5 StR 405/13 –, juris = StV 2015, 424: Aufhebung des Urteils auf die Revision des Angeklagten hin. 10 Vgl. BGH, Urt. v. 10. 12. 2014 – 5 StR 405/13 –, juris Rn. 3 = StV 2015, 424. 11 Vgl. BGH, Urt. v. 10. 12. 2014 – 5 StR 405/13 –, juris Rn. 4 = StV 2015, 424. 12 Vgl. BGH, Urt. v 10. 12. 2014 – 5 StR 405/13 –, juris Rn. 5 = StV 2015, 424. 13 LG Braunschweig, Urt. v. 07. 03. 2013 – 6 KLs 22/10 –, juris Rn. 427. 14 BGH, Urt. v. 12. 02. 2015 – 2 StR 109/14 –, juris = NStZ 2015, 341: Verwerfung der Revision des Angeklagten. 15 Vgl. BGH, Urt. v. 12. 02. 2015 – 2 StR 109/14 –, juris Rn. 6 = NStZ 2015, 341. 9

2. Kap.: Fallgruppen des Massenbetrugs

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von Sammelrechnungen an die gesetzlichen Krankenkassen weiterleitete.16 So rechnete der Angeklagte Rezepte über Medikamente mit einem Gesamtwert von über 1,5 Mio. E ab, ohne die entsprechenden Arzneimittel an Apothekerkunden abzugeben.17 Der Revisionsentscheidung zufolge wurde scheinbar kein verfügender Sachbearbeiter als Zeuge vernommen.

B. Geltendmachung von unbegründeten oder überhöhten Forderungen Eine weitere Fallgestaltung des Massenbetrugs tritt in Form der Rechnungsstellung nicht angefallener oder überhöhter Kosten auf. Die Betroffenen bekommen Rechnungen über Leistungen zugeschickt, die nicht oder nicht in der geltend gemachten Höhe erfolgt sind und bezahlen diese – vermutlich teils aus Angst vor weiteren Konsequenzen, teils aus Gleichgültigkeit und zwecks rascher Erledigung der Angelegenheit, und teils im Glauben, den Betrag tatsächlich zu schulden. I. Fall 5: BGH, Beschl. v. 09. 06. 2009 und Urt. v. 17. 07. 2009 – 5 StR 394/08 *

Fall 5: Straßenreinigungsgebühren18

In diesem Fall ging es um die Abrechnung von Straßenreinigungsgebühren gegenüber den Eigentümern der Anliegergrundstücke mit Anschluss- und Benutzungszwang durch die Berliner Stadtreinigungsbetriebe (BSR) als Anstalt des öffentlichen Rechts.19 Infolge eines Berechnungsfehlers, der bemerkt, aber nicht korrigiert wurde, wurden zu hohe Beträge von den Anliegern eingefordert.20 In der darauffolgenden Tarifperiode wurde die falsche Berechnungsgrundlage beibehalten und so ca. 23 Mio. E überhöhte Entgelte von den rund 170.000 Grundstückseigentümern verlangt, die überwiegend bezahlt wurden.21 Der eine Angeklagte war Vorstandsmitglied der BSR und wurde wegen Betrugs in mittelbarer Täterschaft ver16

Vgl. BGH, Urt. v. 12. 02. 2015 – 2 StR 109/14 –, juris Rn. 7 = NStZ 2015, 341. Vgl. BGH, Urt. v. 12. 02. 2015 – 2 StR 109/14 –, juris Rn. 8 = NStZ 2015, 341. 18 Zu LG Berlin, Urt. v. 03. 03. 2008 – (514) 3 Wi Js 1361/02 KLs (9/04) –, juris sind zwei unterschiedliche Revisionsentscheidungen ergangen: BGH, Beschl. v. 09. 06. 2009 – 5 StR 394/ 08 –, juris = NJW 2009, 2900 (Urteilsaufhebung im Strafausspruch, ansonsten Verwerfung der Revision des angeklagten Vorstandsmitglieds) und BGH, Urt. v. 17. 07. 2009 – 5 StR 394/08 = BGHSt 54, 44 (Verwerfung der Revision des angeklagten Innenrevisors; die Entscheidung erlangte im Übrigen große Aufmerksamkeit wegen der hier nicht relevanten Bestätigung der Garantenstellung des Innenrevisors). 19 Vgl. BGH, Urt. v. 17. 07. 2009 – 5 StR 394/08 Rn. 3 = BGHSt 54, 44. 20 Vgl. BGH, Urt. v. 17. 07. 2009 – 5 StR 394/08 Rn. 4 = BGHSt 54, 44. 21 Vgl. BGH, Urt. v. 17. 07. 2009 – 5 StR 394/08 Rn. 5, 12 = BGHSt 54, 44 und BGH, Beschl. v. 09. 06. 2009 – 5 StR 394/08 –, juris Rn. 5 = NJW 2009, 2900. 17

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Teil 2: Ausgangsüberlegungen zum Irrtumsnachweis beim Massenbetrug

urteilt;22 der andere Angeklagte war der Leiter der Innenrevision und wurde vom Landgericht Berlin wegen Beihilfe durch Unterlassen zum Betrug verurteilt23. In der Hauptverhandlung wurden drei der Grundstückseigentümer als Zeugen exemplarisch vernommen.24 II. Fall 6: BGH, Beschl. v. 06. 02. 2013 – 1 StR 263/12 *

Fall 6: Eintreibung von Auslagekosten25

Das Geschäftsmodell der Angeklagten zielte darauf ab, unter dem Deckmantel einer seriösen Kreditvermittlung von den sich regelmäßig in einer finanziellen Notlage befindenden Kunden einen Auslagenersatzbetrag für Porto-, Telefon- und Auskunftskosten in Höhe von je 47,80 E (bzw. vor September 2006 bis 48 E) einzutreiben, indem den Kunden wahrheitswidrig vorgespiegelt wurde, dass der Gesellschaft bei der Kreditvermittlung erforderliche Auslagen i.S.d. § 655d S. 2 BGB in der geltend gemachten Höhe tatsächlich entstanden seien, obwohl tatsächlich höchstens 3,20 E pro Kunde an Auslagen entstanden waren.26 140.000 Kunden wurden so Rechnungen gestellt, wovon 53.494 Personen bezahlten; 15 Personen dieser Geschädigten wurden als Zeugen vernommen.27 III. Fall 7: BGH, Urt. v. 22. 05. 2014 – 4 StR 430/13 *

Fall 7: Einzugsermächtigungslastschriftbetrug28

Angeleitete Call-Center-Mitarbeiter riefen eine große Vielzahl von Personen an, um sie unter Vorspiegelung eines tatsächlich nicht bestehenden Vertragsverhältnisses über die Teilnahme an Gewinnspielen dazu zu bringen, ihre Kontodaten anzugeben. Im Anschluss wurden von diesen Konten Abbuchungen im Wege des Einzugsermächtigungslastschriftverfahrens vorgenommen und darauf gesetzt, dass die Betroffenen infolge der Annahme, es bestehe tatsächlich ein Vertragsverhältnis und die Lastschrift sei daher rechtmäßig erfolgt, den Lastschrifteinzügen nicht widersprachen. Bei einer anderen Tatvariante waren die Kontodaten schon bekannt und den Betroffenen sollte allein durch die Lastschrift ein Vertragsverhältnis vorgespiegelt 22

Vgl. die hierzu ergangene Revisionsentscheidung BGH, Beschl. v. 09. 06. 2009 – 5 StR 394/08 –, juris = NJW 2009, 2900. 23 Vgl. die hierzu ergangene Revisionsentscheidung BGH, Urt. v. 17. 07. 2009 – 5 StR 394/ 08 = BGHSt 54, 44. 24 LG Berlin, Urt. v. 03. 03. 2008 – (514) 3 Wi Js 1361/02 KLs (9/04) –, juris Rn. 198. 25 BGH, Beschl. v. 06. 02. 2013 – 1 StR 263/12 = NJW 2013, 1545: Verwerfung der Revision des Angeklagten. 26 Vgl. BGH, Beschl. v. 06. 02. 2013 – 1 StR 263/12 Rn. 3, 4 = NJW 2013, 1545. 27 Vgl. BGH, Beschl. v. 06. 02. 2013 – 1 StR 263/12 Rn. 6 f. = NJW 2013, 1545. 28 BGH, Urt. v. 22. 05. 2014 – 4 StR 430/13 = NJW 2014, 2132: Beschränkung der Strafverfolgung gemäß § 154a StPO auf den Versuch und Urteilsaufhebung in den Strafaussprüchen.

2. Kap.: Fallgruppen des Massenbetrugs

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werden. Die Angeklagten handelten in der Erwartung, dass die Bankkunden entweder die Abbuchung nicht bemerkten oder übersahen, die Sache ob des geringen Betrags auf sich beruhen ließen oder von einem wirksamen Vertragsverhältnis ausgingen.29 So wurden von insgesamt 136.890 Betroffenen teils mehrfach Abbuchungen je zwischen 55 E und 79,80 E vorgenommen, wobei damit in insgesamt 198.070 Fällen das Geld bei den Angeklagten verblieb und in 129.708 Fällen die Lastschrift zurückgegeben wurde; der Gewinn der Angeklagten bewegte sich im deutlich siebenstelligen Bereich.30 Das Landgericht vernahm ca. 160 Geschädigte als Zeugen und hielt ihnen dabei den Inhalt ihres im Ermittlungsverfahren ausgefüllten Fragebogens vor, sofern dazu Anlass bestand.31 Es muss im Übrigen unterschieden werden, ob das Lastschriftverfahren über eine Einzugsermächtigung oder einen Abbuchungsauftrag durchgeführt wird. Wegen der Besonderheiten der bankrechtlichen Regelungen kann nämlich beim Einzugsermächtigungslastschriftverfahren32 ein Betrug33 und beim Abbuchungsauftragslastschriftverfahren34 ein Computerbetrug35 vorliegen. 29

2132. 30

Zum Vorhergehenden vgl. BGH, Urt. v. 22. 05. 2014 – 4 StR 430/13 Rn. 9 = NJW 2014,

Vgl. BGH, Urt. v. 22. 05. 2014 – 4 StR 430/13 Rn. 13 = NJW 2014, 2132. Laut einer Auskunft des Pressedezernenten des LG Bielefeld nach Rücksprache mit dem Berichterstatter vom 15. 03. 2016. Das Urteil des Landgerichts Bielefeld ist nicht veröffentlicht. Die aus den Zeugenvernehmungen gewonnenen Ergebnisse wurden jedenfalls offenbar nicht ausreichend im Urteil dargelegt, sodass die Verurteilung wegen vollendeten Betrugs der Revision nicht standhalten konnte. 32 Vgl. Schimansky/Bunte/Lwowski/Ellenberger, Bankrechts-Handbuch, § 56 Rn. 43 ff., § 58 Rn. 56 ff., 78, 83 f.; Bunte, AGB-Banken, Nr. 9 AGB Banken, Rn. 198: Bei der Einzugsermächtigung erteilt der Zahlungspflichtige seinem Gläubiger eine schriftliche Ermächtigung zum Einzug eines Betrags per Lastschrift. Durch eine sog. Inkassovereinbarung zwischen dem Gläubiger und seiner Bank wird der Gläubiger zum Lastschriftverfahren zugelassen. Der Gläubiger kann dann eine Lastschrift bei seiner Bank als erster Inkassostelle einreichen und der Lastschriftbetrag wird seinem Konto unter dem Vorbehalt der Einlösung gutgeschrieben, § 9 I AGB-Banken. Das Konto des Schuldners wird durch seine Bank, die sog. Zahlstelle, mit dem Lastschriftbetrag belastet. Ob eine Einzugsermächtigung des Zahlungspflichtigen vorlegt, prüft die Zahlstelle nicht, sondern sie verlässt sich auf den Vermerk der Lastschrift; dieses Risiko liegt vielmehr bei der ersten Inkassostelle, die vor der Inkassovereinbarung Seriosität und Bonität ihres Kunden prüft. Nach der herrschenden „Genehmigungstheorie“ ist die Belastungsbuchung dem Schuldner gegenüber erst wirksam, wenn er sie genehmigt, §§ 684 S. 2, 185 II BGB. Die Voraussetzungen dieser (konkludenten) Genehmigung sind im Einzelnen umstritten. Die Vereinbarung einer Genehmigungsfiktion, nach der die Genehmigung als erteilt gilt, wenn der Kontoinhaber nicht innerhalb von sechs Wochen nach Zugang des Rechnungsabschlusses widerspricht, ist zulässig. Belastungsbuchungen, die ohne Einzugsermächtigung erfolgt sind, kann der Schuldner auch danach noch widersprechen. Macht der Schuldner innerhalb von sechs Wochen von seinem Widerspruchsrecht aus dem Girovertrag Gebrauch, verweigert er die Genehmigung und begehrt die Wiedergutschrift. Nach § 9 II AGB-Banken ist die Lastschrift eingelöst, wenn sie nicht spätestens am zweiten Bankarbeitstag rückgängig gemacht wird, und die bedingte Gutschrift auf dem Konto des Gläubigers wird gemäß § 9 I AGB-Banken wirksam. 33 Vgl. BGH, Urt. v. 22. 05. 2014 – 4 StR 430/13 = NJW 2014, 2132. 31

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Teil 2: Ausgangsüberlegungen zum Irrtumsnachweis beim Massenbetrug

IV. Fall 8: BGH, Beschl. v. 03. 02. 2015 – 3 StR 544/14 *

Fall 8: Inkassounternehmen36

Nach den Feststellungen des Landgerichts soll der Angeklagte ein Inkassounternehmen mit dem Einzug angeblicher Forderungen für die Teilnahme an Gewinnspielen beauftragt haben. Von den 57.129 angeschriebenen Personen zahlten 9.057 Personen zwischen 130,61 E und 133,61 E, insgesamt 1.193.946,86 E. Ferner vermittelte er nach den Feststellungen des Landgerichts die Dienste des Inkassounternehmens an ein Schweizer Unternehmen, das von 77.557 Personen die Zahlung von 123,61 E bis 133,61 E forderte. 3.452 Personen zahlten insgesamt 465.853,72 E. In einer dritten Aktion wurden zehntausende Briefe über eine Forderung in Höhe von 107,90 E durch ein Schweizer Unternehmen versandt, woraufhin mindestens 9.223 Personen mindestens 1.114.241,12 E zahlten.37 Ein Beweisantrag des Angeklagten auf Vernehmung aller Geschädigten als Zeugen wurde abgelehnt.38

C. Abschluss von nachteiligen oder wirtschaftlich sinnlosen Verträgen Eine typische Fallkonstellation, in der es zu einer großen Vielzahl von Geschädigten kommen kann, ist der Abschluss von nachteiligen oder wirtschaftlich sinnlosen Verträgen mit Mitteln der Telekommunikation, beispielsweise über das Internet oder über Call-Center-Mitarbeiter. Meist nehmen die Tatgerichte bei dieser Konstellation ein uneigentliches Organisationsdelikt an.

34 Vgl. Schimansky/Bunte/Lwowski/Ellenberger, Bankrechts-Handbuch, § 56 Rn. 43 ff.; Bunte, AGB-Banken, Nr. 9 AGB Banken, Rn. 196: Beim Abbuchungsauftragsverfahren hingegen erteilt der Schuldner seiner Zahlstelle eine Weisung, den Lastschriftbetrag von seinem Konto einzuziehen. Der Gläubiger kennzeichnet im Lastschriftverfahren die Lastschrift als eine solche mit Abbuchungsauftrag und der Betrag wird seinem Konto unter Vorbehalt des Eingangs gutgeschrieben. Die Schuldnerbank prüft, ob ein Abbuchungsauftrag ihres Kunden vorliegt und löst dann die Lastschrift zu Lasten des Kundenkontos ein. Liegt kein Abbuchungsauftrag vor, setzt sich die Schuldnerbank zwecks Erteilung eines besonderen Einlösungsauftrags mit ihrem Kunden in Verbindung; ansonsten gibt sie die Lastschrift als sog. Rücklastschrift an die erste Inkassostelle zurück, die dann ihrerseits das Gläubigerkonto rückbelastet. 35 Vgl. BGH, Beschl. v. 22. 01. 2013 – 1 StR 416/12 = BGHSt 58, 119. 36 LG Krefeld, Urt. v. 18. 06. 2014 – 22 KLs 32/13 (NRWE) und nachfolgend BGH, Beschl. v. 03. 02. 2015 – 3 StR 544/14 –, juris = NStZ 2015, 296: Urteilsaufhebung auf die Revision des Angeklagten hin. 37 Zum Ganzen LG Krefeld, Urt. v. 18. 06. 2014 – 22 KLs 32/13 Rn. 8 ff. (NRWE); vgl. auch BGH, Beschl. v. 03. 02. 2015 – 3 StR 544/14 –, juris Rn. 6 = NStZ 2015, 296. 38 Vgl. BGH, Beschl. v. 03. 02. 2015 – 3 StR 544/14 –, juris Rn. 4 = NStZ 2015, 296.

2. Kap.: Fallgruppen des Massenbetrugs

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I. Fall 9: BGH, Beschl. v. 31. 01. 2012 – 3 StR 285/11 *

Fall 9: Vorbörsliche Aktien39

Nach den Feststellungen des Landgerichts riefen Telefonverkäufer bei Personen an und verkauften ihnen wertlose vorbörsliche Aktien, sodass bei insgesamt 662 Geschädigten ein Gesamtschaden von 13.481.593 E entstand.40 Weder ein Telefonverkäufer noch ein Geschädigter wurden über die Anbahnung und den Abschluss eines Aktienkaufs vernommen.41 II. Fall 10: BGH, Beschl. v. 15. 10. 2013 – 3 StR 154/13 *

Fall 10: Werbeanzeigen in Postfächern42

Nach den Feststellungen des Landgerichts riefen Mitarbeiter bei Firmen an, um sie dazu zu bringen, einen Anzeigenauftrag abzuschließen. Die Anzeigen wurden jedoch nicht regional geschaltet, wie bei Vertragsabschluss der Eindruck erweckt wurde, sondern in Broschüren in Postfächer gelegt, und waren damit für die Firmen wirtschaftlich wertlos.43 Alle 89 Geschädigten, die sich auf den Aufruf der Polizei meldeten, hatten im Ermittlungsverfahren einen Fragebogen ausgefüllt und wurden im Hauptverfahren als Zeugen vernommen.44 III. Fall 11: BGH, Beschl. v. 04. 09. 2014 – 1 StR 314/14 *

Fall 11: Widerrufsschreiben gegen Gewinnspieleintragungsdienste45

Die Angeklagten organisierten mehrere Anrufwellen durch Call-Center-Mitarbeiter, wobei die Angerufenen unter Vorspiegelung falscher Tatsachen dazu gebracht werden sollten, gegen Nachnahmezahlungen zwischen 75 E und 97 E ein Widerrufsschreiben zu erwerben, das der Abwehr von Ansprüchen ihrerseits betrügerisch agierender Gewinnspieleintragungsdienste und der Rückforderung bereits an diese gezahlter Beträge dienen sollte. Zudem wurden an viele der durch den Anruf zum Vertragsabschluss gebrachten Geschädigten weitere Schreiben mit Zahlungsauf39 LG Düsseldorf, Urt. v. 15. 12. 2010, 10 Kls 3/09 –, juris und nachfolgend BGH, Beschl. v. 31. 01. 2012 – 3 StR 285/11 = StraFo 2012, 231: Urteilsaufhebung auf die Revision des Angeklagten hin. 40 LG Düsseldorf, Urt. v. 15. 12. 2010, 10 Kls 3/09 –, juris; BGH, Beschl. v. 31. 01. 2012 – 3 StR 285/11 Rn. 2 = StraFo 2012, 231. 41 Vgl. BGH, Beschl. v. 31. 01. 2012 – 3 StR 285/11 Rn. 6 = StraFo 2012, 231. 42 BGH, Beschl. v. 15. 10. 2013 – 3 StR 154/13 = NStZ 2014, 111: Urteilsaufhebung auf die Revision des Angeklagten hin. 43 Vgl. BGH, Beschl. v. 15. 10. 2013 – 3 StR 154/13 Rn. 2 = NStZ 2014, 111. 44 Vgl. BGH, Beschl. v. 15. 10. 2013 – 3 StR 154/13 Rn. 2, 4, 13 = NStZ 2014, 111. 45 LG Würzburg, Urt. v. 16. 10. 2013 – 5 KLs 771 Js 11617/11 –, juris und nachfolgend BGH, Beschl. v. 04. 09. 2014 – 1 StR 314/14 = NStZ 2015, 98: Verwerfung der Revision der Angeklagten.

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Teil 2: Ausgangsüberlegungen zum Irrtumsnachweis beim Massenbetrug

forderungen zwischen 59,95 E und 91,80 E versandt.46 Das Landgericht verurteilte die Angeklagten wegen Betrugs bzw. versuchten Betrugs, ohne einen Geschädigten in Bezug auf einen fraglichen Irrtum zu vernehmen.47 IV. Fall 12: BGH, Beschl. v. 01. 10. 2015 – 3 StR 102/15 *

Fall 12: Verbraucherschutz48

Hier machten die Angeklagten u. a. für andere Unternehmen mitunter auch nicht bestehende Forderungen aus dem telefonischen Vertrieb von Gewinnspieleintragungsdiensten oder Zeitschriftenabonnements gegenüber den ihnen genannten Personen geltend (Tatkomplex „Forderungsmanagement“). 50 % der generierten Gelder sollten an die Produktgeber zurückfließen und die anderen 50 % bei den Angeklagten verbleiben.49 Außerdem boten sie gegen Zahlung eines Jahresbeitrages Leistungen auf dem Gebiet des Verbraucherschutzes an, insbesondere Hilfestellungen bei unerwünschten Vertragsabschlüssen (Tatkomplex „Aktion Privatsphäre“). Später schränkten sie den Mitarbeiterstab und das Leistungsprogramm erheblich ein, ohne ihre ca. 13.000 Kunden davon zu unterrichten, mahnten den nächsten Jahresbeitrag in Höhe von 69 E an und unterbreiteten Angebote zur Vertragsbeendigung für Beträge zwischen 39 E bis 89 E. Es kam zu Zahlungen von insgesamt 109.171 E.50 Den Urteilsgründen des Landgerichts ließ sich nicht entnehmen, ob Verfügende als Zeugen vernommen worden sind.51

D. Kostenfallen Bei sog. Kostenfallen ist es charakteristisch, dass dem Verfügende nicht bewusst ist, dass er eine Handlung tätigt, durch die Kosten verursacht werden. Typischerweise spielt sich der Vorgang im Umgang mit Telekommunikationsmedien wie dem Internet ab.52

46 LG Würzburg, Urt. v. 16. 10. 2013 – 5 KLs 771 Js 11617/11 –, juris Rn. 65 ff.; vgl. BGH, Beschl. v. 04. 09. 2014 – 1 StR 314/14 Rn. 2 = NStZ 2015, 98. 47 Vgl. BGH, Beschl. v. 04. 09. 2014 – 1 StR 314/14 Rn. 8 = NStZ 2015, 98. 48 BGH, Beschl. v. 01. 10. 2015 – 3 StR 102/15 –, juris = NStZ-RR 2016, 12. 49 Vgl. BGH, Beschl. v. 01. 10. 2015 – 3 StR 102/15 –, juris Rn. 5 = NStZ-RR 2016, 12. 50 Vgl. BGH, Beschl. v. 01. 10. 2015 – 3 StR 102/15 –, juris Rn. 14 = NStZ-RR 2016, 12. 51 Vgl. BGH, Beschl. v. 01. 10. 2015 – 3 StR 102/15 –, juris Rn. 12, 15 = NStZ-RR 2016, 12. 52 Siehe dazu auch Völschow, Die Strafbarkeit der sog. ,Kostenfallen‘ im Internet, Hamburg 2015.

2. Kap.: Fallgruppen des Massenbetrugs

103

I. Fall 13: BGH, Urt. v. 05. 03. 2014 – 2 StR 616/12 *

Fall 13: Abofallen im Internet53

Dieser Fall bewegte noch aus einem ganz anderen Grund als dem Irrtumsnachweis die Gemüter; nämlich wegen der Frage des Einflusses des Unionsrechts auf den Verbraucherbegriff und damit auf die Irrtumsdogmatik bei Zweifeln und bei Leichtgläubigkeit und Unerfahrenheit des Opfers.54 Der Angeklagte betrieb eine Website, auf der ein Online-Routenplaner angeboten wurde. Nach Eingabe des Namens, der Anschrift, der Email-Adresse und des Geburtsdatums in einer Anmeldemaske klickten die Nutzer die Schaltfläche mit den Worten „Route planen“ an und schlossen damit einen dreimonatigen Abo-Vertrag für 59,95 E ab. Die Kostenpflichtigkeit des Routenplaners war nur im Fußnotentext, auf den mit einem Sternchenhinweis verwiesen wurde, und in den AGB, die vom Nutzer akzeptiert werden mussten, erwähnt.55 261 Nutzer bekamen nach Ablauf der Widerrufsfrist per Email oder per Post eine Zahlungsaufforderung und erstatteten Anzeige; 10 Nutzer bezahlten das Entgelt.56 Das Landgericht vernahm drei der Nutzer als Zeugen.57 II. Fall 14: BGH, Urt. v. 27. 03. 2014 – 3 StR 342/13 *

Fall 14: Ping-Anrufe58

Die Angeklagten ließen computergestützt eine große Vielzahl von Mobiltelefonnummern anrufen. Es wurde nur einmal angeklingelt und mittels einer speziellen Computerfunktion in der Anrufliste der angerufenen Mobiltelefone nicht der Festnetzanschluss angezeigt, von dem der Anruf tatsächlich stammte, sondern die Rufnummer eines Mehrwertdienstes. Die Besitzer der Mobiltelefonnummern sollten dadurch zu einem Rückruf bei der Mehrwertdienstnummer veranlasst werden, der nur zu einer für den Anrufer nutzlosen Ansage führte („Ihre Stimme wurde gezählt.“). Die Anrufe erfolgten zur Weihnachtszeit, da dem Angeklagten aufgrund seiner Tätigkeit im Telekommunikationsgeschäft bekannt war, dass die Besitzer von Mobiltelefonen zu dieser Zeit mit Anrufen von Freunden oder Bekannten rechneten und eher bereit waren, auch mal eine unbekannte Rufnummer zurückzurufen. Der

53 BGH, Urt. v. 05. 03. 2014 – 2 StR 616/12 = NJW 2014, 2595: Verwerfung der Revision des Angeklagten. 54 Siehe nur Cornelius, NStZ 2015, 310; Hecker/Müller, ZWH 2014, 329; Heger, HRRS 2014, 467; Majer/Buchmann, NJW 2014, 3342. 55 Vgl. BGH, Urt. v. 05. 03. 2014 – 2 StR 616/12 Rn. 5 = NJW 2014, 2595. 56 Vgl. BGH, Urt. v. 05. 03. 2014 – 2 StR 616/12 Rn. 9 = NJW 2014, 2595. 57 Vgl. BGH, Urt. v. 05. 03. 2014 – 2 StR 616/12 Rn. 10 = NJW 2014, 2595. 58 LG Osnabrück, Urt. v. 06. 03. 2013 – 10 KLs 38/09, u. a. –, juris = CR 2013, 581 und nachfolgend BGH, Urt. v. 27. 03. 2014 – 3 StR 342/13 = BGHSt 59, 195: Verwerfung der Revisionen von Staatsanwaltschaft und Angeklagtem.

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Teil 2: Ausgangsüberlegungen zum Irrtumsnachweis beim Massenbetrug

Anruf bei der Mehrwertdienstnummer kostete die Anrufer mindestens 98 Cent.59 Circa 785.000 der Angerufenen, deren Anzahl nicht mehr feststellbar war, riefen zurück, wobei es wegen einer Leitungsüberlastung nur in 660.000 Fällen zu einer ausreichenden Verbindung mit Auslösung des Mehrwertdienstes kam.60 Neun der angerufenen Personen wurden als Zeugen vernommen.61

E. Nicht funktionierende Geschäftsmodelle Eine weitere Sachverhaltskonstellation, bei der es sich um einen Massenbetrug handeln kann, ist das Betreiben von Geschäftsmodellen, die von vornherein nicht oder nach einer gewissen Zeit nicht mehr wirtschaftlich funktionieren können und dennoch Verträge mit Kunden abgeschlossen oder Unternehmensanteile verkauft werden. I. Fall 15: BGH, Urt. v. 19. 11. 2015 – 4 StR 115/15 *

Fall 15: Versprochene Werbeprovisionen62

Die Angeklagten verfolgten nach den Feststellungen des Landgerichts das Geschäftsmodell, ihren Kunden Pkw zu deutlich über dem Marktpreis liegenden Preisen zu verkaufen und den Fahrzeugkäufern bei Abschluss der Kaufverträge zu versprechen, dass der Fahrzeugkaufpreis vollständig durch Werbeprovisionen zurückerstattet würde, obwohl das Unternehmen dazu nicht in der Lage war.63 Den Fahrzeugkäufern entstand dadurch jeweils ein Schaden von mindestens 1.283 E und die Angeklagten verursachten im Tatzeitraum in insgesamt 412 Fällen einen Mindestgesamtschaden von 528.596 E (wobei ein Mittäter in nur 365 Fällen an einem Mindestgesamtschaden von 468.295 E und eine Gehilfin in 335 Fällen an einem Mindestgesamtschaden von 428.522 E mitwirkten).64 Zwölf Vertragspartner wurden als Zeugen zu ihrem Vorstellungsbild vernommen.65

59 Zum Vorhergehenden: LG Osnabrück, Urt. v. 06. 03. 2013 – 10 KLs 38/09 u. a. –, juris = CR 2013, 581; BGH, Urt. v. 27. 03. 2014 – 3 StR 342/13 Rn. 4 = BGHSt 59, 195. 60 Vgl. BGH, Urt. v. 27. 03. 2014 – 3 StR 342/13 Rn. 7 = BGHSt 59, 195. 61 Vgl. BGH, Urt. v. 27. 03. 2014 – 3 StR 342/13 Rn. 23 = BGHSt 59, 195. 62 BGH, Urt. v. 19. 11. 2015 – 4 StR 115/15 –, juris = ZWH 2016, 120: Urteilsaufhebung auf Revisionen der Staatsanwaltschaft und Angeklagten hin. 63 Vgl. BGH, Urt. v. 19. 11. 2015 – 4 StR 115/15 –, juris Rn. 6 = ZWH 2016, 120. 64 Vgl. BGH, Urt. v. 19. 11. 2015 – 4 StR 115/15 –, juris Rn. 8 = ZWH 2016, 120. 65 Vgl. BGH, Urt. v. 19. 11. 2015 – 4 StR 115/15 –, juris Rn. 27 = ZWH 2016, 120.

2. Kap.: Fallgruppen des Massenbetrugs

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II. Fall 16: LG Düsseldorf, Urt. v. 31. 07. 2014 – 14 KLs – 130 Js 44/09 – 10/12 *

Fall 16: Schneeballsystem66

Die Angeklagten gründeten ein Unternehmen und ließen über selbstständige Finanzberater Unternehmensbeteiligungen als Kapitalanlage vertreiben, die eine jährliche Rendite von um die 15 % in Aussicht stellten.67 Gewinnauszahlungen und Rückzahlungen wurden allerdings mit dem Geld neu angeworbener Anleger durch ein sog. Schneeballsystem geleistet.68 1.723 Anlegern entstand so ein Schaden von insgesamt 56.701.634,99 E.69 27 dieser Anleger wurden als Zeugen in der Hauptverhandlung vernommen.70

F. Weitere Fälle Einige weitere Fälle werden abschließend kurz vorgestellt, weil sie einige wichtige Aussagen zum Massenbetrug enthalten, auch wenn sie von den o.g. typischen Fallkonstellationen abweichen. I. Fall 17: BGH, Urt. v. 22. 11. 2013 – 3 StR 162/13 *

Fall 17: Inverkehrbringen von Falschgeld71

Der Angeklagte erhielt nach den Feststellungen des Landgerichts von einem Schuldner einen erheblichen Bargeldbetrag, unter dem sich auch Falschgeld mit einem Nennwert von 20.000 E befand. Der Angeklagte wollte nicht auf dem Schaden sitzen bleiben und beschloss, das Falschgeld sukzessive in den Verkehr zu bringen. Er gab in 43 Fällen insgesamt 45 gefälschte 200 E-Scheine zur Bezahlung von Waren hin, um die Waren und das Wechselgeld zu erhalten. In einem weiteren Fall versuchte er dies.72 Nach den Feststellungen des Landgerichts Hannover machten sich zwei 66 LG Düsseldorf, Urt. v. 31. 07. 2014 – 14 KLs – 130 Js 44/09 – 10/12 –, juris und nachfolgend die Beschlüsse zu den Revisionen der Angeklagten BGH, Beschl. v. 10. 12. 2015 – 3 StR 163/15 –, juris (ein Beschluss bei JA 2016, 306) und das Urteil über die Revision der Staatsanwaltschaft BGH, Urt. v. 10. 12. 2015 – 3 StR 163/15 –, juris = wistra 2016, 164. Die Revisionsentscheidungen behandeln allerdings nicht die Problematik des Irrtumsnachweises beim Massenbetrug. 67 LG Düsseldorf, Urt. v. 31. 07. 2014 – 14 KLs – 130 Js 44/09 – 10/12 –, juris Rn. 874. 68 Vgl. LG Düsseldorf, Urt. v. 31. 07. 2014 – 14 KLs – 130 Js 44/09 – 10/12 –, juris Rn. 192 ff. 69 LG Düsseldorf, Urt. v. 31. 07. 2014 – 14 KLs – 130 Js 44/09 – 10/12 –, juris Rn. 324, 1276. 70 LG Düsseldorf, Urt. v. 31. 07. 2014 – 14 KLs – 130 Js 44/09 – 10/12 –, juris Rn. 874. 71 BGH, Urt. v. 22. 11. 2013 – 3 StR 162/13 = BGHSt 59, 75: Urteilsaufhebung auf Revision der Staatsanwaltschaft und Verwerfung der Revision des Angeklagten. 72 Zum Vorhergehenden: BGH, Urt. v. 22. 11. 2013 – 3 StR 162/13 Rn. 3 = BGHSt 59, 75.

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Teil 2: Ausgangsüberlegungen zum Irrtumsnachweis beim Massenbetrug

Kassierer keine bewussten Gedanken bei ihrer Verfügung; in 13 anderen Fällen konnten die beteiligten Kassierer nicht oder gar keine Zeugen ermittelt werden.73 Anders als in den übrigen Fällen handelt es sich hier seitens der Irrenden und Verfügenden, nämlich der Kassierer, bei einer Anzahl von 43 Kassierern noch um eine Größenordnung, in der zumindest auch das Tatgericht eine Ermittlung und Vernehmung aller verfügenden Zeugen für zumutbar und notwendig erachtete. II. Fall 18: BGH, Beschl. v. 17. 06. 2014 – 2 StR 658/13 *

Fall 18: Warenbestellungen mit fremder Kreditkarte74

Nach den Feststellungen des Landgerichts bestellte der Angeklagte mit den Kreditkartendaten seiner Freundin in 29 Fällen Waren und Dienstleistungen im Gesamtwert von 2.956,87 E, die er sich selbst nicht hätte leisten können.75 Das Landgericht vernahm keine Versandmitarbeiter als Zeugen.76 Bei nur 29 Fällen ist die Anzahl der Verfügenden ebenfalls noch nicht so groß, als dass man nicht alle als Zeugen vernehmen könnte. Darüber hinaus merkte der zweite Senat an, ob nicht ohnehin eher ein Computerbetrug gemäß § 263a StGB vorgelegen haben könnte.77 Dennoch enthält das Revisionsurteil einige wichtige Aussagen, weswegen dieser Fall in die Beispielsfälle aufgenommen wurde.

73

Vgl. BGH, Urt. v. 22. 11. 2013 – 3 StR 162/13 Rn. 7 = BGHSt 59, 75. LG Aachen, Urt. v. 09. 09. 2013 – 66 KLs 902 Js 550/10 15/12 (NRWE) und nachfolgend BGH, Beschl. v. 17. 06. 2014 – 2 StR 658/13 = NStZ 2014, 644: Urteilsaufhebung auf Revision des Angeklagten hin. 75 LG Aachen, Urt. v. 09. 09. 2013 – 66 KLs 902 Js 550/10 15/12 Rn. 40 ff., 107 (NRWE); vgl. BGH, Beschl. v. 17. 06. 2014 – 2 StR 658/13 Rn. 4 = NStZ 2014, 644. 76 LG Aachen, Urt. v. 09. 09. 2013 – 66 KLs 902 Js 550/10 15/12 Rn. 108 ff. (NRWE); vgl. BGH, Beschl. v. 17. 06. 2014 – 2 StR 658/13 Rn. 13 = NStZ 2014, 644. 77 Vgl. BGH, Beschl. v. 17. 06. 2014 – 2 StR 658/13 Rn. 9 = NStZ 2014, 644. 74

3. Kap.: Strukturmerkmale des Massenbetrugs

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3. Kapitel

Strukturmerkmale des Massenbetrugs Bei den vorgestellten Fallkonstellationen lassen sich einige typische Merkmale des Massenbetrugs extrahieren. Die Frage, was den Betrug zum Massenbetrug macht, lässt sich recht banal beantworten: Die Masse; nämlich die Masse an mutmaßlich Irrenden. Weitere Merkmale können, aber müssen nicht zwingend vorliegen, damit die Problematik des Irrtumsnachweises auftritt.

A. Anzahl der Irrenden Das wichtigste und augenscheinlichste Merkmal des Massenbetrugs ist die Anzahl der mutmaßlich Irrenden. Diese Anzahl ist in der Regel so groß, dass das erkennende Gericht nicht alle vernehmen kann oder will. Teilweise sind die Irrenden auch nicht mehr feststellbar oder nicht mehr individualisierbar. Die Anzahl der mutmaßlich Irrenden (Versuchsdelikte miteingeschlossen) belief sich in den rechtskräftigen Verfahren der Beispielsfälle beispielsweise auf ca. 170.0001, 53.4942, 2613, mindestens 528.0004 und 1.7235 Personen. In anderen Verfahren war die Anzahl der potentiell Irrenden fünf-6 oder sechsstellig7. Richtigerweise geht es bei den Problemen des Massenbetrugs um die Anzahl der Irrenden und nicht um die Anzahl der Geschädigten, schließlich ist das Kernproblem der Nachweis des Irrtums. In der Regel wird beim Betrug der Irrende und Verfügende zwar dieselbe Person sein wie der Geschädigte, sodass dieser Unterschied nicht zum 1

Fall 5: BGH, Urt. v. 17. 07. 2009 – 5 StR 394/08 Rn. 12 = BGHSt 54, 44. Fall 6: 140.000 Kunden wurden angeschrieben, wovon 53.494 Kunden bezahlten. Das LG behandelte nur die Fälle der geschädigten Kunden, BGH, Beschl. v. 06. 02. 2013 – 1 StR 263/12 Rn. 6 = NJW 2013, 1545. 3 Fall 13: BGH, Urt. v. 05. 03. 2014 – 2 StR 616/12 Rn. 9 = NJW 2014, 2595. 4 Fall 14: BGH, Urt. v. 27. 03. 2014 – 3 StR 342/13 Rn. 23 = BGHSt 59, 195. 5 Fall 16: LG Düsseldorf, Urt. v. 31. 07. 2014 – 14 KLs – 130 Js 44/09 – 10/12 –, juris Rn. 324 (nachfolgend BGH, Beschl./Urt. v. 10. 12. 2015 – 3 StR 163/15 –, juris = JA 2016, 306/ wistra 2016, 164). 6 Fall 8: Ob das LG Krefeld einen versuchten Betrug im Hinblick auf alle Einzelfälle annahm, in denen 57.129, 77.557 bzw. „zehntausende“ Personen angeschrieben wurden, oder nur im Hinblick auf die 9.057, 3.452 bzw. 9.223 zahlenden Personen, bleibt offen, LG Krefeld, Urt. v. 18. 06. 2014 – 22 KLs 32/13 Rn. 115 (NRWE) (nachfolgend BGH, Beschl. v. 03. 02. 2015 – 3 StR 544/14 –, juris = NStZ 2015, 296). 7 Fall 7: Das LG Bielefeld stellte 136.890 Irrende fest, die teils mehrfach betroffen waren; der vierte Strafsenat beschränkte aber die Strafverfolgung auf den versuchten Betrug in 198.070 Fällen und hob das Urteil nur in den Strafaussprüchen auf. Wie viele Personen in den 198.070 Fällen betroffen waren, ergibt sich aus der Revisionsentscheidung nicht, BGH, Urt. v. 22. 05. 2014 – 4 StR 430/13 = NJW 2014, 2132. 2

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Teil 2: Ausgangsüberlegungen zum Irrtumsnachweis beim Massenbetrug

Tragen kommt. Anders ist das aber beim Dreiecksbetrug, bei dem Irrender/Verfügender und Geschädigter auseinanderfallen. Der vertragsärztliche Abrechnungsbetrug gegenüber den gesetzlichen Krankenkassen nimmt als Dreiecksbetrug also eine Sonderstellung ein. Der Irrtum muss bei dem Sachbearbeiter der Kassenärztlichen Vereinigung vorliegen, der sich mit der Abrechnung befasst.8 Die Auszahlung der gesetzlichen Krankenkassen an die Kassenärztliche Vereinigung stellt noch keine Vermögensverfügung dar, weil sich die pauschalierte Gesamtvergütung durch die einzelne Falschabrechnung nicht ändert.9 Die irrtumsbedingte Vermögensverfügung erfolgt erst durch die Mitarbeiter der Kassenärztlichen Vereinigung, die mit der Feststellung und Verteilung der Gesamtvergütung über das Vermögen der ordnungsgemäß abrechnenden Vertragsärzte verfügen.10 Es kommt also auf die Zahl der irrenden Sachbearbeiter der Kassenärztlichen Vereinigung und nicht auf die Zahl der Geschädigten – die ordnungsgemäß abrechnenden Vertragsärzte11 oder die Krankenkassen12 (str.) – an. Beim Abrechnungsbetrug durch Apotheker kommt es auf den Irrtum der Sachbearbeiter der gesetzlichen Krankenkassen an. Wenn die Sachbearbeiter bei einer langen Betrugsserie sehr zahlreich werden, können die Probleme des Massenbetrugs natürlich auch hier auftauchen. Dabei ist aber im Blick zu behalten, dass erstens die Anzahl der mutmaßlich Irrenden Sachbearbeiter maßgeblich ist und nicht die Zahl der Geschädigten und zweitens eine Wissenszurechnung des Irrtums der Sachbearbeiter an die Kassenärztliche Vereinigung erfolgt.

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AnwH-Medizinrecht/Sommer/Tsambikakis, § 3 Rn. 136. Roxin/Schroth-Schroth/Joost, Medizinstrafrecht, S. 194 f.; AnwH-Medizinrecht/Sommer/Tsambikakis, § 3 Rn. 140. 10 AnwH-Medizinrecht/Sommer/Tsambikakis, § 3 Rn. 140. Die Mitgliedschaft der Vertragsärzte in der Kassenärztlichen Vereinigung begründe das für die Zurechnung beim Dreiecksbetrug erforderliche Näheverhältnis bzw. die Ermächtigung zur Vermögensverfügung, Roxin/Schroth-Schroth/Joost, Medizinstrafrecht, S. 194 f.; Ulsenheimer, Arztstrafrecht, § 14 Rn. 1105 f.; Hellmann/Herffs, Abrechnungsbetrug, Rn. 166 f.; H-WiStR/Kölbel, 5, 1. Kapitel Rn. 206. 11 Geschädigt seien die ordnungsgemäß abrechnenden Vertragsärzte, weil sich die pauschalierte Gesamtvergütung durch Falschabrechnungen Einzelner in der Regel nicht erhöhe, Roxin/Schroth-Schroth/Joost, Medizinstrafrecht, S. 194 f.; Hellmann/Herffs, Abrechnungsbetrug, Rn. 166 f.; bzw. seit der ab dem 01. 01. 2009 geltenden Rechtslage nur noch die ordnungsgemäß abrechnenden Vertragsärzte, die ihr Regelleistungsvolumen überschritten haben, weil die unberechtigte Mehrforderung aufgrund einer Falschabrechnung den Leistungsbedarf steigere und dadurch den Punktwert vermindere, Ulsenheimer, Arztstrafrecht, § 14 Rn. 1106; H-WiStR/Kölbel, 5, 1. Kapitel Rn. 206. 12 So ist zumindest in BGH, Urt. v. 22. 08. 2006 – 1 StR 547/05 –, juris Rn. 43 = wistra 2006, 421 von „geschädigten Kassen“ die Rede. Auch BGH, Urt. v. 05. 12. 2002 – 3 StR 161/02 – juris Rn. 28 f. = NJW 2003, 1198 stellt auf die Krankenkassen als Geschädigte ab. 9

3. Kap.: Strukturmerkmale des Massenbetrugs

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B. Täuschung mithilfe von Telekommunikation Das Tatbestandsmerkmal der Täuschung lag in den Beispielsfällen mal als konkludente13, mal als ausdrückliche14 Täuschung vor. Eine Täuschung in einem Gespräch von Angesicht zu Angesicht ist eher untypisch beim Massenbetrug. Vielmehr ist auffallend, dass im Rahmen der Täuschung häufig Mittel der Telekommunikation wie der Postweg,15 das Telefon16 oder das Internet17 eingesetzt werden. Mithilfe spezieller Computer-Software kann mit einer einzigen Tathandlung eine große Anzahl an Personen erreicht werden.18 Aus kriminologischer Sicht wirken die Kommunikationstechnologien tatfördernd, da sie wegen der Anonymität die Hemmschwelle sinken lassen, eine flächendeckende Erreichbarkeit der Opfer ermöglichen und das Vorgehen wegen des geringen technischen Aufwands für die Täter finanziell attraktiv ist.19

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Z. B. Fall 1: BGH, Urt. v. 05. 12. 2002 – 3 StR 161/02 –, juris Rn. 3 f. = NJW 2003, 1198; Fall 2: BGH, Urt. v. 22. 08. 2006 – 1 StR 547/05 –, juris Rn. 7 = wistra 2006, 421; Fall 4: BGH, Urt. v. 12. 02. 2015 – 2 StR 109/14 –, juris Rn. 9, 18 = NStZ 2015, 341; Fall 13: BGH, Urt. v. 05. 03. 2014 – 2 StR 616/12 Rn. 10, 40 = NJW 2014, 2595; Fall 17: BGH, Urt. v. 22. 11. 2013 – 3 StR 162/13 Rn. 3 = BGHSt 59, 75. 14 Z. B. Fall 6: BGH, Beschl. v. 06. 02. 2013 – 1 StR 263/12 Rn. 3 = NJW 2013, 1545; Fall 7: So hatte es zumindest das LG Bielefeld festgestellt; der BGH hob das Urteil jedoch auf, BGH, Urt. v. 22. 05. 2014 – 4 StR 430/13 = NJW 2014, 2132; Fall 9: So hatte es zumindest das LG Düsseldorf, Urt. v. 15. 12. 2010 – 10 Kls 3/09 –, juris Rn. 1937 festgestellt, der BGH hob das Urteil jedoch auf, BGH, Beschl. v. 31. 01. 2012 – 3 StR 285/11 = StraFo 2012, 231; Fall 10: So hatte es zumindest das LG Osnabrück festgestellt, der BGH hob das Urteil jedoch auf, BGH, Beschl. v. 15. 10. 2013 – 3 StR 154/13 = NStZ 2014, 111; Fall 11: BGH, Beschl. v. 04. 09. 2014 – 1 StR 314/14 Rn. 2 = NStZ 2015, 98. 15 Fall 5: BGH, Urt. v. 17. 07. 2009 – 5 StR 394/08 = BGHSt 54, 44; Fall 8: LG Krefeld, Urt. v. 18. 06. 2014 – 22 KLs 32/13 (NRWE) (aufgehoben durch BGH, Beschl. v. 03. 02. 2015 – 3 StR 544/14 –, juris = NStZ 2015, 296); Fall 11: LG Würzburg, Urt. v. 16. 10. 2013 – 5 KLs 771 Js 11617/11 –, juris (nachfolgend BGH, Beschl. v. 04. 09. 2014 – 1 StR 314/14 = NStZ 2015, 98) (hinsichtlich der versandten Rechnungen); vgl. Fall 12: BGH, Beschl. v. 01. 10. 2015 – 3 StR 102/15 –, juris Rn. 6, 14 = NStZ-RR 2016, 12. 16 Fall 11: BGH, Beschl. v. 04. 09. 2014 – 1 StR 314/14 = NStZ 2015, 98 (hinsichtlich der Anrufwellen); Fall 14: BGH, Urt. v. 27. 03. 2014 – 3 StR 342/13 = BGHSt 59, 195; und nach den Feststellungen des jeweiligen aufgehobenen Urteils der Landgerichte in Fall 9: BGH, Beschl. v. 31. 01. 2012 – 3 StR 285/11 = StraFo 2012, 231 und Fall 10: BGH, Beschl. v. 15. 10. 2013 – 3 StR 154/13 = NStZ 2014, 111. 17 Fall 13: BGH, Urt. v. 05. 03. 2014 – 2 StR 616/12 = NJW 2014, 2595. 18 Fall 14: BGH, Urt. v. 27. 03. 2014 – 3 StR 342/13 = BGHSt 59, 195. 19 Kölbel, JuS 2013, 193 (194) in Bezug auf Ping-Anrufe. Kölbel weist auch auf die sog. Rechtsevolution, das bemerkenswerte Anpassungsvermögen des Betrugstatbestands auf neue Sachverhaltskonstellationen aufgrund der Verwendung von Telekommunikation hin, Kölbel, JuS 2013, 193 (194 f., 199).

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Teil 2: Ausgangsüberlegungen zum Irrtumsnachweis beim Massenbetrug

C. Geringer Individualvermögensschaden, großer Gesamtschaden Der Vermögensschaden beläuft sich beim einzelnen Geschädigten oft nur auf weniger als hundert Euro und ist somit verhältnismäßig gering. Aufgrund der großen Anzahl der Geschädigten entsteht allerdings ein großer Gesamtschaden, häufig sogar in Millionenhöhe. So wurden u. a. rechtskräftig festgestellt: 170.000 Geschädigte und ein Gesamtschaden von ca. 23 Mio. E20, 15 vollendet und 53.479 versucht Geschädigte mit einem Einzelschaden von unter 48 E und einem Gesamtschaden von ca. 2,5 Mio. E21, 261 versucht Geschädigte mit einem Schaden von je 59,95 E22 und 1.723 Geschädigte mit einem Gesamtschaden von über 56 Mio. E23. Am augenscheinlichsten ist dieser Zusammenhang bei den Ping-Anrufen mit geschätzten 528.000 Geschädigten mit einem Schaden von je 0,98 E pro Rückruf.24

D. Konkurrenzen Beim Abrechnungsbetrug stellt die Einreichung einer Sammelabrechnung eine Tat im materiell-rechtlichen Sinn dar; mehrere solcher Taten stehen zueinander in Tatmehrheit.25 In den typischen Fällen des Massenbetrugs wurde meist ein (uneigentliches) Organisationsdelikt und damit Tateinheit zwischen den Betrugsdelikten bzgl. der einzelnen Betrugsopfer angenommen.26 Manchmal wurde zwar ohne explizite Benennung des uneigentlichen Organisationsdelikts, aber mit ähnlicher Ar20

Fall 5: BGH, Urt. v. 17. 07. 2009 – 5 StR 394/08 Rn. 5, 12 = BGHSt 54, 44. Fall 6: BGH, Beschl. v. 06. 02. 2013 – 1 StR 263/12 Rn. 3, 7 = NJW 2013, 1545. 22 Fall 13: Von den 261 Nutzern der Abo-Falle bezahlten 10 Nutzer. Das Landgericht hat wegen versuchten Betrugs verurteilt. Der BGH ließ zwar erkennen, dass er zur Vollendung bzgl. dieser 10 Nutzer tendiert, aber der Angeklagte war im Rechtsmittelverfahren jedenfalls nicht beschwert, vgl. BGH, Urt. v. 05. 03. 2014 – 2 StR 616/12 Rn. 10, 40 = NJW 2014, 2595. 23 Fall 16: LG Düsseldorf, Urt. v. 31. 07. 2014 – 14 KLs – 130 Js 44/09 – 10/12 –, juris Rn. 324, 1726 (nachfolgend BGH, Beschl./Urt. v. 10. 12. 2015 – 3 StR 163/15 –, juris = JA 2016, 306/ wistra 2016, 164). 24 Fall 14: BGH, Urt. v. 27. 03. 2014 – 3 StR 342/13 Rn. 7, 23 f. = BGHSt 59, 195. 25 Vgl. Fall 1: BGH, Urt. v. 05. 12. 2002 – 3 StR 161/02 –, juris = NJW 2003, 1198; Fall 3: BGH, Urt. v 10. 12. 2014 – 5 StR 405/13 –, juris Rn. 5 = StV 2015, 424; Fall 4: BGH, Urt. v. 12. 02. 2015 – 2 StR 109/14 –, juris Rn. 9 = NStZ 2015, 341. 26 Vgl. Fall 6: BGH, Beschl. v. 06. 02. 2013 – 1 StR 263/12 Rn. 8 = NJW 2013, 1545; Fall 7: BGH, Urt. v. 22. 05. 2014 – 4 StR 430/13 Rn. 23 = NJW 2014, 2132 (Aufhebung); Fall 9: LG Düsseldorf, Urt. v. 15. 12. 2010, 10 Kls 3/09 –, juris Ls. 1 und Rn. 1983 (nachfolgend BGH, Beschl. v. 31. 01. 2012 – 3 StR 285/11 = StraFo 2012, 231); Fall 10: BGH, Beschl. v. 15. 10. 2013 – 3 StR 154/13 Rn. 4 = NStZ 2014, 111 (Aufhebung); Fall 14: LG Osnabrück, Urt. v. 06. 03. 2013 – 10 KLs 38/09, 10 KLs u. a. –, juris Rn. 112 = CR 2013, 581 (nachfolgend BGH, Urt. v. 27. 03. 2014 – 3 StR 342/13 = BGHSt 59, 195); s.a. Fall 15: BGH, Urt. v. 19. 11. 2015 – 4 StR 115/15 –, juris Rn. 16 = ZWH 2016, 120 (Aufhebung). 21

3. Kap.: Strukturmerkmale des Massenbetrugs

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gumentation Tateinheit festgestellt.27 Mehrere große Handlungskomplexe, durch die massenhafte Täuschungen verübt wurden, standen zueinander in Tatmehrheit.28 Ob das Landgericht dabei hinsichtlich der Einzeldelikte von gleichartiger Tateinheit oder von einer konkurrenzlosen Gesetzesverletzung ausging, erschließt sich aus den vorliegenden Urteilen nicht.29 Auch Tatmehrheit zwischen den Taten bzgl. der einzelnen Betrugsopfer wurde angenommen.30

E. Strafzumessung Das Landgericht Osnabrück lehnte die Regelbeispiele der Gewerbsmäßigkeit, § 263 III 2 Nr. 1 Var. 1 StGB, und das der Gefahr der Vermögensverlusts für eine große Zahl an Menschen, § 263 III 2 Nr. 2 Var. 2 StGB, mangels rechtlich selbstständiger Taten und das des Vermögensverlusts großen Ausmaßes, § 263 III 2 Nr. 2 Var. 1 StGB, mangels Addierbarkeit der Einzelschäden31 ab.32 Das Landgericht Würzburg ging von Tatmehrheit zwischen den Tatkomplexen aus und nahm das Regelbeispiel der Gewerbsmäßigkeit an.33 Das Regelbeispiel der Gewerbsmäßigkeit

27 Fall 5: LG Berlin, Urt. v. 03. 03. 2008 – (514) 3 Wi Js 1361/02 KLs (9/04) –, juris Rn. 236 (nachfolgend BGH, Beschl. v. 09. 06. 2009 – 5 StR 394/08 –, juris Rn. 6 = NJW 2009, 2900) (wegen der Annahme mittelbarer Täterschaft ist das LG Berlin von einer Handlung durch die Weisung des mittelbaren Täters ausgegangen); Fall 16: LG Düsseldorf, Urt. v. 31. 07. 2014 – 14 KLs – 130 Js 44/09 – 10/12 –, juris Rn. 1287 (nachfolgend BGH, Beschl./Urt. v. 10. 12. 2015 – 3 StR 163/15 –, juris = JA 2016, 306/ wistra 2016, 164). 28 Vgl. Fall 8: LG Krefeld, Urt. v. 18. 06. 2014 – 22 KLs 32/13 Rn. 116 (NRWE) (aufgehoben durch BGH, Beschl. v. 03. 02. 2015 – 3 StR 544/14 –, juris = NStZ 2015, 296); Fall 11: LG Würzburg, Urt. v. 16. 10. 2013 – 5 KLs 771 Js 11617/11 –, juris Rn. 1285 ff. (nachfolgend BGH, Beschl. v. 04. 09. 2014 – 1 StR 314/14 = NStZ 2015, 98) (Jeweils die Anrufwellen bzw. der Versand von Rechnungen stellte eine „Handlungseinheit“ dar, die wiederum zueinander in Tatmehrheit standen.); Fall 12: BGH, Beschl. v. 01. 10. 2015 – 3 StR 102/15 –, juris = NStZ-RR 2016, 12. 29 Auch bei Fall 13: BGH, Urt. v. 05. 03. 2014 – 2 StR 616/12 Rn. 45 = NJW 2014, 2595 wurde von einer Tat ausgegangen, aber es ist nicht klar, ob eine konkurrenzlose Gesetzesverletzung oder gleichartige Idealkonkurrenz angenommen wurde. 30 Vgl. die „weiteren Beispielsfälle“: Fall 17: BGH, Urt. v. 22. 11. 2013 – 3 StR 162/13 Rn. 1 = BGHSt 59, 75; Fall 18: LG Aachen, Urt. v. 09. 09. 2013 – 66 KLs 902 Js 550/10 15/12 Rn. 125 (NRWE) und nachfolgend BGH, Beschl. v. 17. 06. 2014 – 2 StR 658/13 = NStZ 2014, 644 (Aufhebung). 31 Anders Fall 9: LG Düsseldorf, Urt. v. 15. 12. 2010, 10 Kls 3/09 –, juris Rn. 1939 (aufgehoben von BGH, Beschl. v. 31. 01. 2012 – 3 StR 285/11 = StraFo 2012, 231). 32 Fall 14: LG Osnabrück, Urt. v. 06. 03. 2013 – 10 KLs 38/09 u. a. –, juris Rn. 112 ff. = CR 2013, 581 (nachfolgend BGH, Urt. v. 27. 03. 2014 – 3 StR 342/13 Rn. 26 = BGHSt 59, 195). 33 Fall 11: LG Würzburg, Urt. v. 16. 10. 2013 – 5 KLs 771 Js 11617/11 –, juris Rn. 1316 (nachfolgend BGH, Beschl. v. 04. 09. 2014 – 1 StR 314/14 = NStZ 2015, 98).

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Teil 2: Ausgangsüberlegungen zum Irrtumsnachweis beim Massenbetrug

kommt grundsätzlich auch bei Annahme eines uneigentlichen Organisationsdelikts in Betracht.34

F. Bandenbetrug und Organisierte Kriminalität In einigen Fällen war wegen Bandenmitgliedschaft und gewerbsmäßigen Handelns der Qualifikationstatbestand erfüllt, § 263 V StGB.35 Organisierte Formen des Massenbetrugs können bei einer Aburteilung eines Bandenbetrugs außerdem ein OK36-Potential aufweisen.37 Folgende Definition der Organisierten Kriminalität (OK) hat die bundesweite Gemeinsame Arbeitsgruppe Justiz/Polizei (GAG) im Mai 1990 entwickelt: „Organisierte Kriminalität ist die von Gewinn- oder Machtstreben bestimmte planmäßige Begehung von Straftaten, die einzeln oder in ihrer Gesamtheit von erheblicher Bedeutung sind, wenn mehr als zwei Beteiligte auf längere oder unbestimmte Dauer arbeitsteilig a) unter Verwendung gewerblicher oder geschäftsähnlicher Strukturen, b) unter Anwendung von Gewalt oder anderer zur Einschüchterung geeigneter Mittel oder c) unter Einflussnahme auf Politik, Medien, öffentliche Verwaltung, Justiz oder Wirtschaft zusammenwirken.“38

34 Fall 7: BGH, Urt. v. 22. 05. 2014 – 4 StR 430/13 Rn. 7 = NJW 2014, 2132; vgl. auch Fall 15: BGH, Urt. v. 19. 11. 2015 – 4 StR 115/15 –, juris Rn. 23 = ZWH 2016, 120 (aber Aufhebung); Fall 16: LG Düsseldorf, Urt. v. 31. 07. 2014 – 14 KLs – 130 Js 44/09 – 10/12 –, juris Rn. 1285 (nachfolgend BGH, Beschl./Urt. v. 10. 12. 2015 – 3 StR 163/15 –, juris = JA 2016, 306/ wistra 2016, 164). 35 Fall 7: BGH, Urt. v. 22. 05. 2014 – 4 StR 430/13 Rn. 7 = NJW 2014, 2132; Fall 15: BGH, Urt. v. 19. 11. 2015 – 4 StR 115/15 –, juris Rn. 23 = ZWH 2016, 120; Fall 16: LG Düsseldorf, Urt. v. 31. 07. 2014 – 14 KLs – 130 Js 44/09 – 10/12 –, juris (nachfolgend BGH, Beschl./Urt. v. 10. 12. 2015 – 3 StR 163/15 –, juris= JA 2016, 306/ wistra 2016, 164). 36 Organisierte Kriminalität. 37 Vgl. Sinn, ZJS 2014, 701 (704), der Fall 7 (BGH, Urt. v. 22. 05. 2014 – 4 StR 430/13 = NJW 2014, 2132) als einen Fall der Organisierten Kriminalität ansieht. Sinn merkt an, dass der Fall allerdings nicht in den Strafjustizstatistiken zur Organisierten Kriminalität abgebildet werde, wenn das wesentlich engere Delikt, die Bildung krimineller Vereinigungen gemäß § 129 StGB, nicht vorliege, auch wenn die Merkmale der OK-Definition erfüllt seien 38 https://www.bka.de/DE/UnsereAufgaben/Deliktsbereiche/OrganisierteKriminalitaet/orga nisiertekriminalitaet_node.html (Stand: 08. 06. 2017). Die vorgesehene Regelung in RiStVB, Anlage E Gemeinsame Richtlinien der Justizminister/-senatoren und der Innenminister/-senatoren der Länder über die Zusammenarbeit von Staatsanwaltschaft und Polizei bei der Verfolgung der Organisierten Kriminalität zu RiStBV wurde vom Bund allerdings nicht in Kraft gesetzt. Diese Begriffsbestimmung findet sich nunmehr so oder sehr ähnlich in einigen Landesgesetzen wie Art. 1 III BayVSG (Bayern), § 2 III 1 lit. d VerfSchG (Hessen) oder § 5 I 1 Nr. 4 SVerfSchG (Saarland).

3. Kap.: Strukturmerkmale des Massenbetrugs

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Jedenfalls im Fall 7: Einzugsermächtigungslastschriftbetrug39 ist wohl ein Fall der Organisierten Kriminalität anzunehmen.40

G. Zusammenfassung Der Paradefall des Massenbetrugs würde so aussehen: Der Täter täuscht mehrere hunderttausend Opfer auf immer die gleiche Weise konkludent, indem er ein Telekommunikationsmittel benutzt, das ihn leicht viele Leute erreichen lässt. Die Getäuschten erliegen einem Irrtum, wenn auch nur in Form des sachgedanklichen Mitbewusstseins, und verfügen über ihr Vermögen. Der Schaden beim einzelnen Geschädigten ist gering, aber aufgrund der großen Anzahl der Geschädigten entsteht ein hoher Gesamtschaden – und damit oft ein großer Gewinn des Täters. Der Unwertgehalt eines typischen Massenbetrugsfalls resultiert primär aus der massenhaften Begehungsweise.41 Typisch ist, dass die zugrundeliegenden Sachverhalte „zwar in qualitativer Hinsicht vergleichsweise schlicht [sind], […] aber in quantitativer Hinsicht Massencharakter aufweisen“.42 Der kassenärztliche Abrechnungsbetrug und der Apothekerbetrug gegenüber den gesetzlichen Krankenkassen spielen aus zwei Gründen eine Sonderrolle unter den Massenbetrugsfällen: Zum einen besteht das Massengeschäft zumindest auch auf der Seite der Irrenden selbst, da die Abrechnungen die Haupttätigkeit der Sachbearbeiter darstellen und sie daher mit einer gleichgearteten Vorgehensweise in einem standardisierten Prüfverfahren die Abrechnungen prüfen. Zum anderen werden keine Einzelpersonen getäuscht und geschädigt, sondern vielmehr die Sachbearbeiter getäuscht und die Gesamtheit der ordnungsgemäß abrechnenden Vertragsärzte bzw. die gesetzlichen Krankenkassen geschädigt. Diese Unterscheidung wird später noch relevant werden.

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BGH, Urt. v. 22. 05. 2014 – 4 StR 430/13 = NJW 2014, 2132: Beschränkung der Strafverfolgung gemäß § 154a StPO auf den Versuch und Urteilsaufhebung in den Strafaussprüchen. 40 So auch Sinn, ZJS 2014, 701 (704). 41 Kuhli, StV 2016, 40. 42 Kuhli, StV 2016, 40.

Teil 3

Lösungsansätze Wie wird man nun dem Problem des Irrtumsnachweises beim Massenbetrug Herr? Wie löst man auf rechtsstaatlich verträgliche Weise das Dilemma auf, einerseits den strafprozessualen Vorgaben an die Irrtumsfeststellung Rechnung zu tragen, aber andererseits nicht vor der schieren Masse der zu vernehmenden Zeugen und dem damit verbundenen Aufwand zu kapitulieren? Vollends gerecht würde man den Anforderungen der Strafprozessordnung und der Rechtsprechung dann, wenn man in der Hauptverhandlung alle potenziell getäuschten Opfer als Zeugen vernähme.1 So hat es ein Landgericht in einem Verfahren mit 89 Geschädigten auch auf sich genommen, alle verfügbaren Zeugen zum – nicht einmal sehr komplizierten – Sachverhalt zu vernehmen.2 Verfahrensökonomisch ist es kaum bis nicht vorstellbar, hunderte, tausende oder gar hunderttausende Opfer in der Hauptverhandlung einzeln als Zeugen zu relativ gleichförmigen Sachverhalten zu vernehmen, da dies nicht nur immens teuer, sondern ebenso zeitaufwendig wäre.3 Die Suche nach einer weniger intensiven Ermittlung, die einerseits praktisch umsetzbar ist und andererseits prozessual hinreichende Feststellungen ermöglicht, beginnt.4 Denkbar wäre eine Intensivierung der Ermittlung in die Breite, die zwar oberflächlicher als eine Vernehmung, aber dafür flächendeckender ist, oder eine Intensivierung in die Tiefe durch umfassende Vernehmung einzelner Zeugen und einen Rückschluss auf das Vorstellungsbild anderer Zeugen.5 Die Rechtsprechung – von den Tatgerichten bis zum Bundesgerichtshof – ist hier erstaunlich kreativ und hat mit verschiedenen Ansätzen versucht, der Aufgabe gerecht zu werden. Es wurde sowohl auf materiell-rechtlicher Ebene angesetzt, als auch die Verfahrenstechniken der Strafprozessordnung bemüht. Strafprozessuale Begleitmaßnahmen flankieren meistens die materiell-rechtlichen Lösungsansätze,6 weswegen diese Komplexe hier zusammen dargestellt werden. Die Revisionsrechtsprechung thematisierte die Frage des Irrtumsnachweises überwiegend im 1

Krell, NStZ 2014, 686 (687). Vgl. BGH, Beschl. v. 15. 10. 2013 – 3 StR 154/13 Rn. 2, 4, 13 = NStZ 2014, 111. 3 Vgl. Kudlich, ZWH 2015, 105; Krell, NStZ 2014, 686 (687); Trüg, HRRS 2015, 106 spricht von einem „Kollaps“. 4 Vgl. Krell, NStZ 2014, 686 (687). 5 Krell, NStZ 2014, 686 (687). 6 Trüg, HRRS 2015, 106 (111). 2

Teil 3: Lösungsansätze

115

Rahmen der Sachrüge, also am Maßstab des Beweiswürdigungsgrundsatzes,7 und nicht im Rahmen des Verfahrensrüge8, also insbesondere am Maßstab des Aufklärungsgrundsatzes9. Die Rechtsprechung zum Irrtumsnachweis beim Massenbetrug wurde daher hauptsächlich am Maßstab der revisionsrechtlichen Überprüfung der Beweiswürdigung entwickelt.10 Im dritten Teil werden die Lösungsansätze, die insbesondere in der Rechtsprechung, aber vereinzelt auch in der Literatur vertreten werden, vorgestellt, systematisch untersucht und bewertet. Kuhli unterscheidet „im Wesentlichen drei Strategien des verfahrensrechtlichen Umgangs“ beim Massenbetrug: Verfahrensbeschränkungen nach §§ 154, 154a StPO, den Einsatz von Fragebögen und den Irrtumsnachweis im Wege des Indizienschlusses.11 Hier werden als Lösungsansätze auseinandergehalten die Beschränkung des Verfahrensstoffs nach §§ 154, 154a StPO, die Bestrafung des Versuchs- statt des Vollendungsdelikts, der Irrtumsnachweis über den Indizienschluss beim normativ geprägten Vorstellungsbild, das uneigentliche Organisationsdelikt, die Verlesung von Fragebögen und die Vorschläge de lege ferenda im materiellen und prozessualen Strafrecht. Ein Seitenblick wird auf das Beweisantragsrecht geworfen. Hierbei wird in der Regel zunächst das Vorgehen der Rechtsprechung beschrieben und anschließend diskutiert und bewertet. Wenn die herangezogene höchstrichterliche Rechtsprechung zu den Einzelheiten der Vorgehensweise nichts hergibt, aber der Lösungsansatz als solcher interessant und relevant ist, werden einzelne Meinungen und Möglichkeiten schon innerhalb der Darstellung der Vorgehensweise angebracht. Schlussendlich wird ein eigener Lösungsansatz vorgeschlagen.

7 Vgl. BGH, Beschl. v. 09. 06. 2009 – 5 StR 394/08 –, juris = NJW 2009, 2900; BGH, Beschl. v. 31. 01. 2012 – 3 StR 285/11 = StraFo 2012, 231; BGH, Beschl. v. 04. 09. 2014 – 1 StR 314/14 = NStZ 2015, 98; BGH, Urt. v. 22. 05. 2014 – 4 StR 430/13 = NJW 2014, 2132; BGH, Urt. v. 27. 03. 2014 – 3 StR 342/13 = BGHSt 59, 195; BGH, Urt. v. 22. 11. 2013 – 3 StR 162/13 = BGHSt 59, 75; BGH, Beschl. v. 17. 06. 2014 – 2 StR 658/13 = NStZ 2014, 644. 8 Der Anwendungsbereich für Verfahrensrügen waren bisher hauptsächlich die Rügen hinsichtlich der Ablehnung eines Beweisantrags, vgl. BGH, Urt. v. 17. 07. 2009 – 5 StR 394/08 = BGHSt 54, 44; BGH, Beschl. v. 15. 10. 2013 – 3 StR 154/13 = NStZ 2014, 111; BGH, Beschl. v. 04. 09. 2014 – 1 StR 314/14 = NStZ 2015, 98; BGH, Beschl. v. 03. 02. 2015 – 3 StR 544/14 –, juris = NStZ 2015, 296. 9 Nur BGH, Beschl. v. 06. 02. 2013 – 1 StR 263/12 = NJW 2013, 1545. 10 Vgl. Venn, NStZ 2015, 297 (298). 11 Kuhli, StV 2016, 40 (42).

116

Teil 3: Lösungsansätze

1. Kapitel

Die Beschränkung des Verfahrensstoffs Das erste rein prozessuale Mittel, das einem zur Bewältigung wirtschaftsstrafrechtlicher Umfangsverfahren in den Sinn kommen kann, ist die Beschränkung des Verfahrensstoffs nach §§ 154, 154a StPO.1 Die prozessualen Instrumente zur Beschränkung des Verfahrensstoffs in Umfangsverfahren sind das Absehen von Strafverfolgung nach § 154 II, I Nr. 1 StPO oder die Beschränkung der Strafverfolgung auf einen Teil der Taten gemäß § 154a II, I 1 Nr. 1 StPO. Zu beachten ist, dass der Weg über eine Einstellung aus Opportunitätsgründen nur für konkretisierbare Einzelfälle gangbar ist, weil es bei nicht individualisierbaren und damit nicht feststellbaren Einzelfällen schon am Tatverdacht fehlt, § 170 II StPO.2 Kuhli bezeichnet die Beschränkung des Verfahrensstoffs auf einen Teil der Fälle als „quantitative Reduktion“.3 Im Gegensatz dazu stehe die „qualitative Reduktion“ als Beschränkung der Verfolgung auf die Versuchsstrafbarkeit,4 die Thema des nächsten Kapitels ist.

A. Rechtsprechungsübersicht Ein paar Entscheidungen behandeln die Möglichkeit einer Beschränkung des Verfahrensstoffes nach den §§ 154, 154a StPO. Der erste Strafsenat stellte im Fall 6: Eintreibung von Auslagekosten fest, dass in Fällen eines hohen Gesamtschadens, der sich aus einer sehr großen Anzahl von Kleinschäden zusammensetze, die Möglichkeiten einer sinnvollen Verfahrensbeschränkung eingeschränkt seien, weil keine Taten mit höheren Einzelschäden vorhanden seien, auf die das Verfahren sinnvoll beschränkt werden könnte.5 Im Fall 9: Vorbörsliche Aktien empfahl der dritte Senat6 die Beschränkung der Strafverfolgung auf die gravierendsten Anklagevorwürfe in Anwendung des § 154a II, I 1 Nr. 1 StPO und der vierte Senat7 nahm sie im Fall 7: Einzugsermächtigungslastschriftbetrug selbst vor. Wiederum der vierte Senat erwähnte im Hinblick auf die neu durchzuführende Verhandlung im Fall 15: Versprochene Werbeprovisionen die Möglichkeit, nur einen Teil der Fälle als Grundlage für eine mögliche Verurteilung heranzuziehen.8 1

Siehe dazu allgemein auch Lindemann, Wirtschaftsstrafrecht, S. 246 ff. Geppert, NStZ 1996, 57 (63); Klumpe, Serienstraftat, S. 67; Brähler, Serienstraftaten, S. 421; vgl. auch Lindemann, Wirtschaftsstrafrecht, S. 251 f. 3 Kuhli, StV 2016, 40 (42). 4 Kuhli, StV 2016, 40 (42). 5 BGH, Beschl. v. 06. 02. 2013 – 1 StR 263/12 Rn. 12 = NJW 2013, 1545. 6 BGH, Beschl. v. 31. 01. 2012 – 3 StR 285/11 Rn. 8 = StraFo 2012, 231. 7 BGH, Urt. v. 22. 05. 2014 – 4 StR 430/13 Rn. 13, 22 f. = NJW 2014, 2132. 8 BGH, Urt. v. 19. 11. 2015 – 4 StR 115/15 –, juris Rn. 33 = ZWH 2016, 120. 2

1. Kap.: Die Beschränkung des Verfahrensstoffs

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B. Absehen von der Strafverfolgung gemäß § 154 StPO bzw. Beschränkung der Strafverfolgung gemäß § 154a StPO Für die Frage, ob § 154 StPO oder § 154a StPO einschlägig sind, ist entscheidend, ob eine oder mehrere prozessuale Taten vorliegen.9 Die restlichen Voraussetzungen sind in § 154 StPO und § 154a StPO weitgehend die gleichen. Der jeweilige Absatz 2 ermöglicht dem Gericht die Beschränkung des Verfahrensstoffs auf Antrag der Staatsanwaltschaft, § 154 II StPO, bzw. bei Zustimmung der Staatsanwaltschaft, § 154a II StPO. I. Eine oder mehrere prozessuale Taten Liegen mehrere prozessuale Taten vor, ist das Absehen von der Strafverfolgung gemäß § 154 StPO einschlägig, bei nur einer pozessualen Tat hingegen die Beschränkung der Strafverfolgung gemäß § 154a StPO. 1. Mehrere prozessuale Taten, § 154 StPO Voraussetzung für das Absehen von der Strafverfolgung gemäß § 154 StPO ist eine prozessual „andere Tat“, also mehrere Taten i.S.d. § 264 StPO.10 Eine prozessuale Tat meint einen einheitlichen geschichtlichen Lebensvorgang.11 Beim Massenbetrug kommt es ganz auf die Sachverhaltskonstellation an, ob ein einheitlicher geschichtlicher Lebensvorgang vorliegt oder nicht. Zwar ist der strafprozessuale Tatbegriff mit dem materiell-rechtlichen nicht identisch,12 die Annahme von materiell-rechtlicher Tateinheit oder Tatmehrheit hat aber eine gewisse Indizwirkung für die Einheit oder Mehrheit prozessualer Taten13. Auch wenn die Fälle des Massenbetrugs in Tatmehrheit stehen, kann aber wegen des engen sachlichen Zusammenhangs und damit des einheitlichen Lebensvorgangs eine prozessuale Tat vorliegen.14 In einem Fall eines Abrechnungsbetrugs wurde durch den dritten Senat von § 154 II StPO Gebrauch gemacht.15

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Vgl. BeckOK-StPO/Beukelmann, § 154 und § 154a jeweils am Anfang; KK-Diemer, § 154a Rn. 2. 10 Meyer-Goßner/Schmitt, § 154 Rn. 1. 11 Vgl. Meyer-Goßner/Schmitt, § 264 Rn. 2; KK-Kuckein, § 264 Rn. 3. 12 S/S-Sternberg-Lieben/Bosch, § 52 Rn. 49 m.w.N.; Beulke, StPR Rn. 513 f.; Lackner/ Kühl-Kühl, Vor § 52 Rn. 34. 13 S/S-Sternberg-Lieben/Bosch, § 52 Rn. 49 m.w.N. 14 Vgl. BGH, Urt. v. 07. 02. 2012 – 1 StR 542/11 –, juris Os. und Rn. 21 = StraFo 2012, 190 m.w.N.; s.a. S/S-Sternberg-Lieben/Bosch, § 52 Rn. 49 m.w.N.; Beulke, StPR Rn. 514. 15 Hier ist die Annahme mehrerer prozessualer Taten durch die einzelnen Sammelabrechnungen am Quartalsende auch vertretbar, BGH, Urt. v. 05. 12. 2002 – 3 StR 161/02 –, juris Rn. 30 = NJW 2003, 1198.

118

Teil 3: Lösungsansätze

2. Eine prozessuale Tat, § 154a StPO Nach § 154a StPO kann die Strafverfolgung beschränkt werden, wenn einzelne abtrennbare Teile einer Tat oder einzelne von mehreren Gesetzesverletzungen, die durch dieselbe Tat begangen worden sind, für die zu erwartende Strafe nicht beträchtlich ins Gewicht fallen. § 154a StPO dient also der Vereinfachung und Beschleunigung des Verfahrens bei einer prozessualen Tat i.S.d. § 264 StPO.16 Die Annahme von materiell-rechtlicher Tateinheit spricht grundsätzlich für die Annahme auch nur einer prozessualen Tat. Aber auch wenn die Fälle des Massenbetrugs in Tatmehrheit stehen, kann wegen des engen sachlichen Zusammenhangs und damit des einheitlichen Lebensvorgangs im Einzelfall eine prozessuale Tat vorliegen.17 Abtrennbare Teile einer Tat i.S.d. § 154a I 1 Alt. 1 StPO können aus einem einheitlichen historischen Lebensvorgang i. S.d. prozessualen Tatbegriffs herausgelöst werden, ohne dass dadurch ein auch strafrechtlich untrennbar zusammengehöriger Sachverhalt zerrissen würde.18 Das kann beispielsweise bei Teilakten einer zu einer Bewertungseinheit oder einer Dauerstraftat zusammenzufassenden Handlung der Fall sein,19 nicht aber bei einzelnen Tatbestandsmerkmalen.20 Die einzelnen Betrugsdelikte sind rechtlich als jeweils eigene Gesetzesverletzungen aufzufassen und stellen keine Einzelakte dar, die zu einer Bewertungseinheit oder einer Dauerstraftat zusammenzufassen sind, und sind daher nicht abtrennbar. § 154a I 1 Alt. 2 scheint daher passender zu sein: Daneben sind einzelne von mehreren in Tateinheit zusammentreffenden oder in Tatmehrheit zueinander stehenden Gesetzesverletzungen ausscheidbar.21 Einzelne Betrugsdelikten gegenüber unterschiedlichen Geschädigten stellen mehrere Gesetzesverletzungen dar, sodass einzelne von ihnen ausscheidbar sein können, § 154a I 1 Alt. 2 StPO. II. Keine Wesentlichkeit der einzustellenden Taten, §§ 154 I Nr. 1, 154a I 1 Nr. 1 StPO § 154 I Nr. 1 StPO fordert, dass die zu erwartende Strafe wegen der einzustellenden Tat gegenüber der anderen „nicht beträchtlich ins Gewicht fällt“. Ebenso verlangt § 154a I 1 Nr. 1 StPO, dass die einzelne einzustellende Gesetzesverletzung von mehreren Gesetzesverletzungen für die zu erwartende Strafe nicht beträchtlich ins Gewicht fällt.

16 17 18 19 20 21

Meyer-Goßner/Schmitt, § 154a Rn. 1; KK-Diemer, § 154a Rn. 2. Vgl. dazu grds. S/S-Sternberg-Lieben/Bosch, § 52 Rn. 49 m.w.N.; Beulke, StPR Rn. 514. KK-Diemer, § 154a Rn. 3. KK-Diemer, § 154a Rn. 3. Meyer-Goßner/Schmitt, § 154a Rn. 5. KK-Diemer, § 154a Rn. 4; Meyer-Goßner/Schmitt, § 154a Rn. 6.

1. Kap.: Die Beschränkung des Verfahrensstoffs

119

1. Bezugspunkt: Rechtsfolgenminus bzgl. der gesamten Rechtsfolge Bei einem Massenbetrug mit unterschiedlich hohen Schadensbeträgen in den einzelnen Fällen mag es sich anbieten, die weniger gravierenden Fälle, die gegenüber den Fällen mit höheren Schadensbeträgen nicht beträchtlich ins Gewicht fallen, einzustellen. Man denke hier beispielsweise an die Fälle des Massenbetrugs im Zusammenhang mit der Investition in ein nicht rentables, nach einem Schneeballsystem funktionierendes Unternehmen. Schwieriger wird es bei (annähernd) gleich hohen Schadensbeträgen hinsichtlich jedes Einzelfalls. Der erste Strafsenat stellt zutreffend fest, dass in Fällen eines hohen Gesamtschadens, der sich aus einer sehr großen Anzahl von Kleinschäden zusammensetze, die Möglichkeiten einer sinnvollen Verfahrensbeschränkung eingeschränkt seien, weil keine Taten mit höheren Einzelschäden vorhanden seien, auf die das Verfahren sinnvoll beschränkt werden könnte.22 Man kommt zwar nicht umhin, zu bejahen, dass der einzelne Massenbetrugsfall im Hinblick auf die für sämtliche andere Fälle zu bildende Strafe nicht beträchtlich ins Gewicht fällt. Lediglich gegenüber einem anderen einzelnen Massenbetrugsfall mit etwa der gleichen Schadenshöhe ist der Massenbetrugsfall wesentlich. Die Nichtbeträchtlichkeit ist also eine Frage des Bezugspunkts; ob nämlich dem betroffenen Fall eine Tat bzw. eine Gesetzesverletzung oder die Gesamtheit der verbleibenden Taten bzw. Gesetzesverletzungen gegenübergestellt wird. Letzteres ist anerkanntermaßen der Fall; das durch die Einstellung entstehende Rechtsfolgenminus wird mit den verbleibenden Rechtsfolgen als Gesamtheit verglichen.23 Dies gilt, sowohl wenn die Delikte in Tateinheit als auch wenn sie in Tatmehrheit stehen. Der unterschiedliche Bezugspunkt erklärt unterschiedliche Argumentationsweisen: Kuhli bezeichnet die von ihm so bezeichnete „quantitative Verfahrensreduktion“ zur Erfassung der Konstellationen des Massenbetrugs als „letztlich inadäquat“, weil der Unrechtsgehalt aus der Kumulation der Taten resultiere und keine einzelnen Handlungen herauszutrennen seien, die das Gesamtgeschehen so dominieren, dass andere nicht mehr beträchtlich ins Gewicht fallen.24 Er vergleicht damit die Beträchtlichkeit von Handlungen untereinander, setzt aber nicht das durch den Wegfall der auszuscheidenden Tat bzw. Gesetzesverletzung entstehende Rechtsfolgenminus in Bezug zur Rechtsfolge, die aus allen verbleibenden Taten resultiert. Brähler hingegen bringt ein Argument aus strafzumessungsrechtlicher Sicht beim Vorliegen von Tatmehrheit: Es spreche deshalb nichts dagegen, die Strafverfolgung gemäß § 154 I Nr. 1 StPO von vornherein nur auf die wichtigsten in Tatmehrheit zueinander stehenden Fälle zu beschränken, weil die Einsatzstrafe ab einem ge22

BGH, Beschl. v. 06. 02. 2013 – 1 StR 263/12 Rn. 12 = NJW 2013, 1545. Vgl. bereits BT-Drucks. 8/976 S. 39 f.; nun auch Meyer-Goßner/Schmitt, § 154 Rn. 7 f., § 154a Rn. 9, 12; BeckOK-StPO/Beukelmann, § 154 Rn. 4, § 154a Rn. 3; KK-Diemer, § 154 Rn. 10, § 154a Rn. 5. 24 Kuhli, StV 2016, 40 (42). 23

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Teil 3: Lösungsansätze

wissen Punkt nicht mehr sinnvoll erhöht werden könne und für die Bildung der Gesamtstrafe nur wenige Dutzend der Einzeltaten aus einer Tatserie entscheidend seien, die den Unwertgehalt des Gesamtgeschehens im Wesentlichen ausmachen.25 Dieses Argument lässt sich grundsätzlich auch bei gleichen Schadenshöhen in den Einzelfällen hören. Wenn man die „wegen einer anderen Tat zu verhängende Strafe“ nicht auf die Einzelstrafe für jeden Einzelbetrugsfall bezieht, sondern auf die für die verbliebenen Taten zu bildende Gesamtstrafe, die sich mit einer weiteren Einzelstrafe nur geringfügig oder nicht mehr erhöht, dann fallen die diese Einzelstrafen nicht beträchtlich ins Gewicht. Eine Einstellung ist aber desto weniger verfahrenserleichternd, je geringer der Einzelschaden und je größer die Anzahl der mutmaßlich Geschädigten ist. In den Fällen des Massenbetrugs, in denen der Einzelvermögensschaden zum einen gering und zum anderen in jedem Betrugsfall (annähernd) gleich hoch ist und eine große Anzahl mutmaßlich Geschädigter vorliegt (vgl. nur Fall 14: Ping-Anrufe26 mit einem Einzelschaden von 0,98 E und 528.000 mutmaßlich Geschädigten), hilft eine Einstellung in aller Regel auch nicht weiter. Entweder werden nur so wenige Delikte eingestellt, dass das dadurch entstehende Rechtsfolgenminus nicht beträchtlich ins Gewicht fällt. Dann gibt es aber keine spürbare Verfahrenserleichterung. Oder man stellt so viele Delikte ein, dass die Aufklärung der verbleibenden problemlos möglich ist. Dies wäre aber nicht zulässig, da das Rechtsfolgenminus dann wiederum beträchtlich ins Gewicht fiele. 2. Anwendung bei Massenbetrugsfällen Der dritte Senat empfahl im Fall 9: Vorbörsliche Aktien die Beschränkung der Strafverfolgung auf die gravierendsten Anklagevorwürfe in Anwendung des § 154a II, I 1 Nr. 1 StPO.27 Da sich die Schadenshöhen für die einzelnen der insgesamt 662 Anleger deutlich unterschieden,28 kann in diesem Fall durchaus anzunehmen sein, dass einzelne Gesetzesverletzungen gegenüber den anderen nicht beträchtlich ins Gewicht fallen und eine Beschränkung sinnvoll ist. Im Fall 7: Einzugsermächtigungslastschriftbetrug nahm der vierte Senat die Beschränkung der Strafverfolgung gemäß § 154a II, I 1 Nr. 1 StPO mit Zustimmung des Generalbundesanwalts selbst vor.29 Hier wurden von insgesamt 136.890 Betroffenen teils mehrfach Abbuchungen je zwischen 55 E und 79,80 E vorgenommen; die eher geringen Schadenshöhen für die Geschädigten waren also annähernd gleich 25

Brähler, Serienstraftaten, S. 421. LG Osnabrück, Urt. v. 06. 03. 2013 – 10 KLs 38/09 u. a. –, juris = CR 2013, 581 und nachfolgend BGH, Urt. v. 27. 03. 2014 – 3 StR 342/13 = BGHSt 59, 195. 27 BGH, Beschl. v. 31. 01. 2012 – 3 StR 285/11 Rn. 8 = StraFo 2012, 231. 28 Siehe die Tabelle zu den Schadenssummen der einzelnen Anleger in LG Düsseldorf, Urt. v. 15. 12. 2010, 10 Kls 3/09 –, juris Rn. 201 ff. 29 BGH, Urt. v. 22. 05. 2014 – 4 StR 430/13 Tenor = NJW 2014, 2132. 26

1. Kap.: Die Beschränkung des Verfahrensstoffs

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verteilt. Der vierte Senat beschränkte die Strafverfolgung auf die 198.070 Fälle, in denen ein Vermögensschaden vorlag, und schied die restlichen 129.708 Fälle aus, in denen es zu Rücklastschriften kam.30 Zusätzlich beschränkte er die Strafverfolgung auf den Versuch.31 Ob die 129.708 gegenüber den 198.070 Fällen nicht beträchtlich ins Gewicht fallen, ist diskussionswürdig. Durch die Beschränkung auf die 198.070 Fälle – auch wenn die Geschädigtenanzahl geringer ausfällt, da manche auch mehrfach betroffen waren – war jedenfalls keine Anzahl an Fällen erreicht, bei der der Irrtumsnachweis leichter gelingen konnte. Daher sah sich offenbar der vierte Senat auch gezwungen, die verbliebenen Fälle noch auf den versuchten Betrug zu beschränken, um den Sachverhalt aburteilen zu können. III. Kein Urteil in angemessener Frist, §§ 154 I Nr. 2, 154a I 2 i.V.m. § 154 I Nr. 2 StPO Die erweiterte Einstellungsermächtigung des § 154 I Nr. 2 StPO erlaubt „darüber hinaus“, also auch bei einer Beträchtlichkeit der einzustellenden Tat, von der Verfolgung abzusehen, wenn ein Urteil wegen dieser Tat in angemessener Frist nicht zu erwarten ist und wenn eine Strafe, die der Beschuldigte wegen einer anderen Tat zu erwarten hat, zur Einwirkung auf den Täter und zur Verteidigung der Rechtsordnung ausreichend erscheint. Diese Vorschrift ist in erster Linie für Großverfahren gedacht32 und wird selten angewandt, weil die Verfahrenstrennung nach § 4 StPO Vorrang hat33. Die erweiterte Einstellungsmöglichkeit des § 154 I Nr. 2 StPO gilt gemäß § 154a I 2 StPO für § 154a I 1 Nr. 1 und 2 StPO entsprechend. Da bei einer einheitlichen prozessualen Tat die Möglichkeit der Verfahrenstrennung gemäß § 4 StPO ausscheidet, bleibt § 154a I 2 i.V.m. § 154 I Nr. 2 StPO nicht selten die einzige Möglichkeit, Großverfahren abzuhandeln.34 Entscheidend ist hier, dass quantitative Rechtsfolgenüberlegungen keine Rolle spielen, sondern nur, dass die Frist, in der ein Urteil zu erwarten ist, angemessen ist und die Strafzwecke insbesondere der Spezial- und Generalprävention nicht vereitelt werden.35 Die Angemessenheit der Frist erfordert eine wertende Beurteilung im Einzelfall36 und ist kürzer zu verstehen als in Art. 6 I EMRK37. Ferner ist die Einstellung nur zulässig, wenn nicht insbesondere die Strafzwecke der Spezialprä-

30 31 32 33 34 35 36 37

BGH, Urt. v. 22. 05. 2014 – 4 StR 430/13 Rn. 13, 22 f. = NJW 2014, 2132. Dazu mehr im zweiten Kapitel zu Teil 3. LR-Beulke, § 154 Rn. 22. LR-Beulke, § 154 Rn. 23; SK-StPO/Weßlau/Deiters, § 154 Rn. 19. LR-Beulke, § 154a Rn. 13; SK-StPO/Weßlau/Deiters, § 154a Rn. 9. LR-Beulke, § 154a Rn. 13, § 154 Rn. 26 f. SK-StPO/Weßlau/Deiters, § 154 Rn. 21. LR-Beulke, § 154 Rn. 26.

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Teil 3: Lösungsansätze

vention (Einwirkung auf den Täter) und der Generalprävention (Verteidigung der Rechtsordnung) etwas anderes gebieten.38 Diese Vorschrift scheint auf den ersten Blick für den Massenbetrug mit einer großen Vielzahl von Taten, deren Ausermittlung das Strafverfahren sprengen würde, gut zu passen. Dem ist aber entgegenzuhalten, dass die Verteidigung der Rechtsordnung eine Verfolgung erfordert, wenn der Eindruck verhindert werden muss, nach einer bestimmten Anzahl von Straftaten könne man ungestraft weiter straffällig werden.39 So liegt der Fall beim Massenbetrug. Es kann nicht sein, dass der Eindruck entsteht, man müsse nur besonders viele Personen täuschen und schädigen, weil man dann ohnehin nur für einen Bruchteil dieser Taten strafrechtlich zur Verantwortung gezogen werden kann. Generalpräventive Erwägungen werden also in der Regel einer Einstellung nach § 154 I Nr. 2 bzw. § 154a I 2 i.V.m. § 154 I Nr. 2 StPO entgegenstehen.

C. Bewertung und Ergebnis Kudlich schlägt vor, einzelne Fälle unter Befragung der Opferzeugen vollständig zu ermitteln und abzuurteilen und die übrigen Fälle nach § 154 StPO zu behandeln.40 Auch Brähler hält den Weg über § 154 I Nr. 1 StPO für einen idealen Kompromiss zwischen dem Anliegen der sinnvollen und umfassenden Ermittlung einer Tatserie und den Belangen der Praxis nach einer verfahrensökonomischen Bewältigung von Serienstraftaten.41 Gerade auch im Rahmen einer Verständigung gemäß § 257c StPO kann die Einstellung eines Teils der angeklagten Delikte nach §§ 154, 154a StPO zum Verhandlungsgegenstand werden. Für einen Massenbetrugsfall mit unterschiedlichen Schadenshöhen bei den einzelnen Betrugsfällen mag das richtig sein.42 Einer Beschränkung des Verfahrensstoffs gemäß §§ 154, 154a StPO steht in den Fällen des Massenbetrugs mit annähernd gleichen Schadenshöhen jedoch entgegen, dass nur so viele Taten bzw. Gesetzesverletzungen eingestellt werden können, dass sie gegenüber den verbleibenden nicht beträchtlich ins Gewicht fallen. Bei einer großen Anzahl von Fällen mit jeweils geringen Schadenssummen hilft diese Vorgehensweise dann aber nicht weiter. Denn eine spürbare Verfahrenserleichterung kann nicht erreicht werden, ohne dass die eingestellten Fälle gegenüber den verbleibenden beträchtlich ins Gewicht fielen. Eine Beschränkung der Strafverfolgung auf einen Bruchteil der ermittelten Fälle 38

LR-Beulke, § 154 Rn. 27. Vgl. LR-Beulke, § 154 Rn. 28; Lindemann, Wirtschaftsstrafrecht, S. 250. 40 Kudlich, ZWH 2015, 105. 41 Brähler, Serienstraftaten, S. 423. 42 Bereits der Große Senat wies auf §§ 154, 154a StPO zur Beschränkung des Verfahrens auf „besonders gewichtige, sicher feststellbare Einzeltaten oder Teilakte“ hin, BGH, Beschl. v. 03. 05. 1994 – GSSt 2/93 u. a. –, juris Rn. 54 = BGHSt 40, 138. 39

1. Kap.: Die Beschränkung des Verfahrensstoffs

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würde dem wahren Schuldgehalt nicht gerecht.43 Insbesondere bei einer nur geringen Schadenssumme im Einzelfall würde eine Verfahrenseinstellung „nicht zu einer angemessenen Sanktionierung des zweifellos strafbedürftigen Verhaltens“44 führen. Ob das durch die Reduzierung der Untersuchung entstehende Rechtsfolgenminus in Bezug auf die wegen aller verbleibenden Delikte zu verhängenden Rechtsfolge beträchtlich ins Gewicht fällt, ist also eine Frage des Einzelfalls.45 Eine Beschränkung nach § 154 I Nr. 2 StPO bzw. § 154a I 2 i.V.m. § 154 I Nr. 2 StPO kann im Einzelfall möglich sein, ist aber in der Regel aus generalpräventiven Gründen nicht zu empfehlen. Die Verteidigung der Rechtsordnung gebietet es, alle Fälle eines Massenbetrugs zu ermitteln und abzuurteilen, um dem Eindruck entgegenzutreten, ab einer gewissen Anzahl sei die Anzahl der Geschädigten ohnehin egal. Eine Beschränkung des Verfahrensstoffes nach §§ 154, 154a StPO kann im Einzelfall also zulässig und opportun sein. Noch mehr würde es den staatlichen Strafverfolgungsinteressen aber entsprechen, wenn es ein Lösungsansatz ermöglicht, sämtliche begangenen Einzelfälle auszuermitteln und abzuurteilen.

43 44 45

So schon Venn, NStZ 2015, 297. So Trüg, HRRS 2015, 106 (107). Vgl. Meyer-Goßner/Schmitt, §§ 154 Rn. 7, 154a Rn. 9.

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Teil 3: Lösungsansätze

2. Kapitel

Die Bestrafung wegen Versuchs statt Vollendung Der zweite Lösungsansatz, den vor allem die Tatgerichte anfangs oft gewählt haben, offenbart in der Aburteilung des Sachverhalts als versuchten statt vollendeten Betrug einen pragmatischen, aber dennoch problembewussten Geist. Sieht sich das Gericht nicht in der Lage, den Irrtum als objektives Tatbestandsmerkmal festzustellen, weicht es auf die Versuchsstrafbarkeit aus, bei der die objektiven Tatbestandsmerkmale nur subjektiv auf Täterseite als Tatentschluss vorliegen müssen. In prozessualer Hinsicht wird teils § 154a StPO herangezogen und die Strafverfolgung auf den Versuch beschränkt und teils aufgrund des Zweifelssatzes nur wegen Versuchs bestraft.

A. Rechtsprechungsübersicht Insbesondere die Instanzgerichte machten sich den Umstand, dass der Irrtum bei der Versuchsstrafbarkeit nur noch im Tatentschluss festzustellen ist, zunutze und wichen auf die Versuchsstrafbarkeit aus.1 Der erste, zweite und dritte Strafsenat äußerten sich diesbezüglich zumeist kritisch, hoben aber in ihren Revisionsentscheidungen anlässlich von Angeklagtenrevisionen die Urteile nicht auf, weil die jeweiligen Angeklagten jedenfalls nicht beschwert seien.2 Anlässlich einer Revision der Staatsanwaltschaft hob der dritte Senat ein Urteil in Bezug auf die Verurteilung wegen Versuchs auf, da „die Strafkammer einen zu strengen Maßstab an das Vorliegen des Tatbestandmerkmals ,Irrtum‘ angelegt und die Anforderungen an ihre Überzeugungsbildung überspannt hat“.3 Der vierte Senat hingegen beschränkte selber die Strafverfolgung auf den versuchten Betrug in einem Fall, in dem das Landgericht wegen vollendeten Betrugs verurteilt hatte.4

1 Vgl. die den folgenden Entscheidungen zugrunde liegenden Landgerichtsurteile: BGH, Beschl. v. 06. 02. 2013 – 1 StR 263/12 = NJW 2013, 1545; BGH, Urt. v. 22. 11. 2013 – 3 StR 162/13 = BGHSt 59, 75; BGH, Urt. v. 05. 03. 2014 – 2 StR 616/12 Rn. 10 = NJW 2014, 2595 (hinsichtlich des Täuschungsmerkmals); BGH, Beschl. v. 03. 02. 2015 – 3 StR 544/14 –, juris Rn. 4 = NStZ 2015, 296. 2 Vgl. BGH, Beschl. v. 06. 02. 2013 – 1 StR 263/12 Rn. 22 = NJW 2013, 1545; BGH, Urt. v. 05. 03. 2014 – 2 StR 616/12 Rn. 40 = NJW 2014, 2595; BGH, Beschl. v. 04. 09. 2014 – 1 StR 314/14 Rn. 25 = NStZ 2015, 98. 3 BGH, Urt. v. 22. 11. 2013 – 3 StR 162/13 Rn. 7 = BGHSt 59, 75. 4 BGH, Urt. v. 22. 05. 2014 – 4 StR 430/13 = NJW 2014, 2132.

2. Kap.: Die Bestrafung wegen Versuchs statt Vollendung

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I. Praxis der Instanzgerichte und Reaktionen des ersten, zweiten und dritten Senats In einigen Fällen vernahmen die Landgerichte einige Geschädigte und verurteilten diesbezüglich wegen vollendeten Betrugs und in Bezug auf die nicht vernommenen Geschädigten in dubio pro reo nur wegen versuchten Betrugs. In anderen sahen sich die Landgerichte aus anderen Gründen nicht in der Lage, wegen vollendeten Betrugs zu verurteilen. 1. Fall 6: BGH, Beschl. v. 06. 02. 2013 – 1 StR 263/12 So vernahm im Fall 6: Eintreibung von Auslagekosten das Landgericht Stuttgart beispielsweise 15 Geschädigte und verurteilte diesbezüglich wegen vollendeten Betrugs und hinsichtlich der 53.479 nicht vernommenen Geschädigten wegen versuchten Betrugs.5 Das Landgericht war der Auffassung, dass eine umfassende Aufklärung die Vernehmung sämtlicher Kunden erfordert hätte, sah sich dazu aber aus „prozessökonomischen Gründen“ nicht in der Lage.6 Wie mit den restlichen der über 140.000 Getäuschten, die nicht geschädigt wurden, verfahren wurde, lässt sich dem Urteil nicht entnehmen. Der Bundesgerichtshof machte in seinem Revisionsbeschluss auf seine Rechtsprechung zum normativ geprägten Vorstellungsbild und zur Irrtumsfeststellung mittels Indizienschluss aufmerksam.7 Die gerichtliche Kognitionspflicht, § 244 II StPO, gebiete, die Tat nach den Regeln der Beweisaufnahme aufzuklären und erlaube es nicht, nur aufgrund der großen Anzahl der angeklagten Taten nur wegen Versuchs zu verurteilen.8 Die Frage, ob die Anwendung des Zweifelssatzes durch das Landgericht sachlich-rechtlich fehlerhaft gewesen sein könnte, weil ein normativ geprägtes Vorstellungsbild vorliege, könne aber dahinstehen, weil der Angeklagte durch die gewählte Verfahrensweise jedenfalls nicht beschwert sei.9 2. Fall 17: BGH, Urt. v. 22. 11. 2013 – 3 StR 162/13 Im Fall 17: Inverkehrbringen von Falschgeld verfuhr das Landgericht Hannover ganz ähnlich und verurteilte u. a. wegen vollendeten Betrugs in 28 Fällen und wegen versuchten Betrugs in 15 Fällen.10 Das Landgericht lehnte die Vollendung in manchen Fällen ab, weil sich die Kassierer keine bewussten Gedanken über die Echtheit des Geldscheins gemacht hätten, und in anderen Fällen, weil die beteiligten Kassierer 5

BGH, Beschl. v. 06. 02. 2013 – 1 StR 263/12 Rn. 7 = NJW 2013, 1545. Vgl. BGH, Beschl. v. 06. 02. 2013 – 1 StR 263/12 Rn. 8 = NJW 2013, 1545. 7 BGH, Beschl. v. 06. 02. 2013 – 1 StR 263/12 Rn. 16 ff. = NJW 2013, 1545. 8 BGH, Beschl. v. 06. 02. 2013 – 1 StR 263/12 Rn. 13 = NJW 2013, 1545. 9 BGH, Beschl. v. 06. 02. 2013 – 1 StR 263/12 Rn. 22 = NJW 2013, 1545. 10 Vgl. BGH, Urt. v. 22. 11. 2013 – 3 StR 162/13 Rn. 1 = BGHSt 59, 75. 6

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Teil 3: Lösungsansätze

nicht oder überhaupt keine Zeugen dieser Taten ermittelt werden konnten.11 Da diesmal auch die Staatsanwaltschaft Revision eingelegt hatte und das Problem nicht mangels Beschwer dahinstehen konnte, musste sich der Senat äußern: Der dritte Strafsenat hob das Urteil wegen eines Rechtsfehlers auf, weil „die Strafkammer einen zu strengen Maßstab an das Vorliegen des Tatbestandmerkmals ,Irrtum‘ angelegt und die Anforderungen an ihre Überzeugungsbildung überspannt hat“.12 Er wies darauf hin, dass ein Irrtum in Form des sachgedanklichen Mitbewusstseins ausreiche und dass bei einem normativ geprägten Vorstellungsbild aus Indizien wie dem Vorliegen eines Irrtums bei den vernommenen Zeugen auf den Irrtum der anderen Getäuschten geschlossen werden könne.13 3. Fall 13: BGH, Urt. v. 05. 03. 2014 – 2 StR 616/12 Im Fall 13: Abofallen im Internet lehnte das Landgericht Frankfurt am Main schon das Täuschungsmerkmal ab und verurteilte nur wegen eines versuchten Betrugs.14 Der zweite Strafsenat schien ob seines Hinweises auf die höchstrichterliche Rechtsprechung zu den eingeräumten Möglichkeiten zur Feststellung von Täuschung bzw. Irrtum bei gleichförmigen und massenhaften Geschäften zur Vollendungsstrafbarkeit zu tendieren, aber verwarf die Revision des Angeklagten, weil das Urteil ihn jedenfalls nicht beschwere.15 4. Fall 11: BGH, Beschl. v. 04. 09. 2014 – 1 StR 314/14 Im Fall 11: Widerrufsschreiben gegen Gewinnspieleintragungsdienste verurteilte das Landgericht Würzburg hinsichtlich der versandten Rechnungen wegen vollendeten Betrugs und hinsichtlich der Organisation der Anrufwelle durch Call-Center wegen versuchten Betrugs.16 Die Strafkammer ging davon aus, dass von den ange11

Vgl. BGH, Urt. v. 22. 11. 2013 – 3 StR 162/13 Rn. 7 = BGHSt 59, 75. BGH, Urt. v. 22. 11. 2013 – 3 StR 162/13 Rn. 7 = BGHSt 59, 75. 13 BGH, Urt. v. 22. 11. 2013 – 3 StR 162/13 Rn. 9 = BGHSt 59, 75. 14 Vgl. BGH, Urt. v. 05. 03. 2014 – 2 StR 616/12 Rn. 10 = NJW 2014, 2595. 15 BGH, Urt. v. 05. 03. 2014 – 2 StR 616/12 Rn. 40 = NJW 2014, 2595: „Dass sich das Landgericht, das lediglich drei der insgesamt 261 Nutzer als Zeugen vernommen hat, nicht die Überzeugung vom tatsächlichen Vorliegen einer Täuschung bzw. eines Irrtums von Internetnutzern verschaffen konnte und deshalb – obwohl zehn Anzeigeerstatter Zahlungen erbracht hatten – nicht von einem vollendeten Betrug ausgegangen ist, lässt auch erkennen, dass sich das Landgericht der von der höchstrichterlichen Rechtsprechung eingeräumten Möglichkeiten zur Feststellung von Täuschung bzw. Irrtum bei gleichförmigen und massenhaften Geschäften nicht bewusst war.“ 16 So kommt das Landgericht zu sechs zueinander in Tatmehrheit stehenden Handlungseinheiten durch den Versand von Rechnungen (i.R.d. Projekts Verbraucherangriff: „2. Rechnung“, „Letzte Zahlungsaufforderung“ und „Rechnung 1. 7. 2011.-31. 12. 2011“ und i.R.d. Projekts Kundenschutz24: „2. Rechnung“, „Rechnung 1. 7. 2011 – 31. 12. 2011“ und „Rechnung“), deretwegen wegen vollendeten Betrugs verurteilt wurde, und auf drei zueinander in Tatmehrheit stehende Handlungseinheiten durch die Organisation einer Anrufwelle („Projekt 12

2. Kap.: Die Bestrafung wegen Versuchs statt Vollendung

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schriebenen Personen jeweils mindestens eine Person irrtumsbedingt gezahlt habe, weil nach aller Lebenserfahrung ein allgemeiner Erfahrungssatz dahingehend bestehe, dass eine Person, der gegenüber eine Rechnung gestellt werde und die diese bezahle, dies grundsätzlich nicht täte, wenn sie davon ausginge, zur Zahlung nicht verpflichtet zu sein.17 Es sei zwar durchaus möglich, dass im Einzelfall eine Person eine Rechnung bezahle, obwohl sie davon ausgehe, zur Zahlung nicht verpflichtet zu sein, beispielsweise „um ihre Ruhe zu haben“.18 Ausgeschlossen sei aber, dass von den zahlenden Kunden jeweils alle in der Vorstellung gezahlt haben, nicht zur Zahlung verpflichtet zu sein.19 Umgekehrt konnte sich das Gericht nicht die Überzeugung verschaffen, dass jeweils alle zahlenden Kunden sich über das Bestehen einer Zahlungspflicht geirrt und infolgedessen gezahlt haben, weil es nicht ausgeschlossen sei, dass zumindest vereinzelt Kunden die zugesandte Rechnung bezahlt haben, obwohl sie davon ausgegangen seien, zur Zahlung nicht verpflichtet zu sein.20 Das Landgericht Würzburg schließt also sowohl aus, dass alle Personen irrtumsbedingt gezahlt hatten, als auch dass keine Person irrtumsbedingt gezahlt hatte. Es verurteilte daher den Hauptangeklagten hinsichtlich der versandten Rechnungen wegen vollendeten Betrugs in jeweils einem Fall.21 Die restlichen Einzelfälle, in denen Personen gezahlt hatten, erfasste es mit dem versuchten Betrug, den es hinsichtlich der Organisation der Anrufwelle annahm.22 In der Strafzumessung wertete es dabei den geringen Vollendungsschaden strafmildernd und den sehr hohen Versuchsschaden strafschärfend.23 Laut erstem Senat waren die Angeklagten durch die „wenig nachvollziehbare Annahme bloßen Versuchs“ in den Fällen der Organisation einer Anrufwelle jedenfalls nicht beschwert.24 Er wies aber auf seine Rechtsprechung zur Irrtumsfeststellung bei normativ geprägten Vorstellungsbildern hin.25

Verbraucherangriff“, „Deutsche Verbraucherberatung“ und „Deutsche Verbraucherhilfe“), deretwegen wegen versuchten Betrugs verurteilt wurde, vgl. LG Würzburg, Urt. v. 16. 10. 2013 – 5 KLs 771 Js 11617/11 –, juris Rn. 1285 ff. und BGH, Beschl. v. 04. 09. 2014 – 1 StR 314/14 Rn. 25 = NStZ 2015, 98. 17 LG Würzburg, Urt. v. 16. 10. 2013 – 5 KLs 771 Js 11617/11 –, juris Rn. 780 f., 1153. 18 LG Würzburg, Urt. v. 16. 10. 2013 – 5 KLs 771 Js 11617/11 –, juris Rn. 782, 1153. 19 LG Würzburg, Urt. v. 16. 10. 2013 – 5 KLs 771 Js 11617/11 –, juris Rn. 783, 1153. 20 LG Würzburg, Urt. v. 16. 10. 2013 – 5 KLs 771 Js 11617/11 –, juris Rn. 785, 1153. 21 LG Würzburg, Urt. v. 16. 10. 2013 – 5 KLs 771 Js 11617/11 –, juris Rn. 780 ff., 1153, 1286, 1289. 22 Jeweils hinsichtlich des Projekts Verbraucherangriff, LG Würzburg, Urt. v. 16. 10. 2013 – 5 KLs 771 Js 11617/11 –, juris Rn. 1286 f. 23 LG Würzburg, Urt. v. 16. 10. 2013 – 5 KLs 771 Js 11617/11 –, juris Rn. 1327, 1332. 24 BGH, Beschl. v. 04. 09. 2014 – 1 StR 314/14 Rn. 25 = NStZ 2015, 98. 25 BGH, Beschl. v. 04. 09. 2014 – 1 StR 314/14 Rn. 22 ff. = NStZ 2015, 98.

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Teil 3: Lösungsansätze

5. Fall 8: BGH, Beschl. v. 03. 02. 2015 – 3 StR 544/14 Im Fall 8: Inkassounternehmen sah sich das Landgericht Krefeld aus „prozessökonomischen Gründen”26 nicht in der Lage aufzuklären, „ob die Zahlungen aufgrund einer Täuschung durch die versandten Schreiben, aufgrund von Angst vor Zwangsmaßnahmen, aufgrund des Wunsches nach Ruhe oder – im Falle 1 – aufgrund einer tatsächlich bestehenden Forderung erfolgten“27 und verurteilte dementsprechend nur wegen versuchten Betrugs. Der dritte Strafsenat hob das Urteil schon aufgrund der Verfahrensrüge auf, weil der Beweisantrag auf Vernehmung der angeschriebenen Personen als Zeugen nicht wegen Bedeutungslosigkeit hätte abgelehnt werden dürfen.28 Denn bei der Frage des Vorliegens eines versuchten Betrugs könne der Vorstellung der potentiell Geschädigten bezüglich des Bestehens der Forderung eine indizielle Bedeutung für die Feststellung des Tatentschlusses zukommen.29 Auf die sachlich-rechtlichen Beanstandungen kam es also nicht mehr an. II. Vorgehen des ersten und vierten Strafsenats in der Revisionsinstanz In zwei herauszugreifenden Entscheidungen gingen zwei Strafsenate einen anderen Weg, ergriffen in der Revisionsinstanz selbst die Initiative und schränkten die Strafverfolgung mit Zustimmung des Generalbundesanwalts auf die Versuchsstrafbarkeit ein.30 1. BGH, Beschl. v. 22. 01. 2013 – 1 StR 416/12 Der erste Senat31 verfuhr in der angesprochenen Weise in einem Fall eines – hier ausnahmsweise interessanten – Computerbetrugs im Lastschriftverfahren. Der Sachverhalt unterschied sich von dem des Falls 7: Einzugsermächtigungslastschriftbetrug32 dadurch, dass hier die Lastschrift im Abbuchungsauftragsverfahren und nicht im Einzugsermächtigungsverfahren erfolgte. Indem der Täter die Lastschrift als eine solche mit Abbuchungsauftrag kennzeichnete, verwendete er unrichtige Daten i.S.d. § 263a I Var. 2 StGB und verwirklichte so einen (versuchten) 26 LG Krefeld, Urt. v. 18. 06. 2014 – 22 KLs 32/13 Rn. 115 (NRWE); BGH, Beschl. v. 03. 02. 2015 – 3 StR 544/14 –, juris Rn. 4 = NStZ 2015, 296. 27 LG Krefeld, Urt. v. 18. 06. 2014 – 22 KLs 32/13 Rn. 70 (NRWE). 28 BGH, Beschl. v. 03. 02. 2015 – 3 StR 544/14 –, juris Rn. 7 – 9 = NStZ 2015, 296. 29 BGH, Beschl. v. 03. 02. 2015 – 3 StR 544/14 –, juris Rn. 9 = NStZ 2015, 296; zustimmend Venn, NStZ 2015, 297 (298). 30 Siehe auch einen aktuellen Fall zum gewerbsmäßigen Einschleusen von Ausländern, in dem der vierte Senat gemäß § 154a II StPO die Strafverfolgung auf den Versuch beschränkt, BGH, Beschl. v. 03. 02. 2016 – 4 StR 336/15 –, juris. 31 BGH, Beschl. v. 22. 01. 2013 – 1 StR 416/12 = BGHSt 58, 119. 32 BGH, Urt. v. 22. 05. 2014 – 4 StR 430/13 = NJW 2014, 2132.

2. Kap.: Die Bestrafung wegen Versuchs statt Vollendung

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Computerbetrug.33 Der erste Senat beschränkte nun mangels festgestellten Schadens „aus prozessökonomischen Gründen“ mit Zustimmung des Generalbundesanwalts gemäß § 154a II, I 1 Nr. 1 StPO die Strafverfolgung auf die Versuchsstrafbarkeit in 18.031 Fällen, in denen es zu Rücklastschriften kam.34 Die 785 Fälle, in denen die Lastschrift nicht zurückgegeben wurde, also ein Schaden bei den Kontoinhabern verblieb, stellte er ein, weil „die Gründe für die Vorgänge bei den Zahlstellen insoweit ausdrücklich ungeklärt“ blieben und „jedenfalls nicht völlig auszuschließen [sei], dass andere – vom Angeklagten nicht beeinflusste – Faktoren hierzu geführt haben“.35 Auch wenn beim Computerbetrug der in dieser Arbeit im Mittelpunkt stehende Irrtum gerade kein Tatbestandsmerkmal ist, zeigt der erste Senat in der Entscheidung dennoch seine Einstellung zur Möglichkeit einer Strafverfolgungsbeschränkung auf die Versuchsstrafbarkeit über § 154a StPO. Die Eignung als Vergleichsfall findet jedoch insofern ihre Grenzen, als sich Landgericht und Bundesgerichtshof schon materiell-rechtlich über die Schadensbestimmung uneins waren und nicht erst der prozessuale Nachweis Probleme bereitete. 2. Fall 7: BGH, Urt. v. 22. 05. 2014 – 4 StR 430/13 Im Fall 7: Einzugsermächtigungslastschriftbetrug wurden nicht unrichtige Daten verwendet, sondern durch die Abbuchung im Einzugsermächtigungsverfahren über ein nicht bestehendes Vertragsverhältnis getäuscht.36 Das Landgericht Bielefeld hatte seine Verurteilung wegen vollendeten Betrugs hauptsächlich auf ein Geständnis der Angeklagten gestützt, das mit dem Ermittlungsergebnis und dem Ergebnis der umfassenden Beweisaufnahme im Einklang stehe.37 Der Strafsenat hatte durchgreifende rechtliche Bedenken hinsichtlich der Verurteilung wegen vollendeten Betrugs, weil er den Irrtum nicht als festgestellt erachtete.38 Unter Hinweis auf seine Rechtsprechung zur Irrtumsfeststellung beim normativ geprägten Vorstellungsbild monierte er insbesondere, dass dem Urteil nicht zu entnehmen sei, dass Geschädigte als Zeugen vernommen oder deren Angaben auf andere Weise in die Hauptverhandlung eingeführt worden seien.39 Der vierte Strafsenat beschränkte daraufhin 33

Vgl. BGH, Beschl. v. 22. 01. 2013 – 1 StR 416/12 Rn. 29 = BGHSt 58, 119. BGH, Beschl. v. 22. 01. 2013 – 1 StR 416/12 Tenor und Rn. 35, 51 = BGHSt 58, 119. 35 BGH, Beschl. v. 22. 01. 2013 – 1 StR 416/12 Tenor und Rn. 41, 52 = BGHSt 58, 119. 36 Vgl. BGH, Urt. v. 22. 05. 2014 – 4 StR 430/13 Rn. 9 = NJW 2014, 2132. 37 Vgl. BGH, Urt. v. 22. 05. 2014 – 4 StR 430/13 Rn. 14 = NJW 2014, 2132. 38 BGH, Urt. v. 22. 05. 2014 – 4 StR 430/13 Rn. 15 – 18 = NJW 2014, 2132. 39 BGH, Urt. v. 22. 05. 2014 – 4 StR 430/13 Rn. 19 = NJW 2014, 2132. Laut einer Auskunft des Pressedezernenten des LG Bielefeld vom 15. 03. 2016 nach Rücksprache mit dem Berichterstatter wurden den Betroffenen allerdings Fragebögen zugeschickt, einige als Zeugen in der Hauptverhandlung vernommen und ihnen Vorhalte aus den Fragebögen gemacht, sofern dazu Anlass bestand. Die aus Zeugenvernehmungen und Fragebögen gewonnenen Ergebnisse wurden jedoch offenbar nicht im Urteil dargelegt. 34

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Teil 3: Lösungsansätze

selber mit Zustimmung des Generalbundesanwalts die Strafverfolgung gemäß § 154a II i.V.m. I Nr. 1 StPO jeweils auf den Vorwurf des versuchten Betrugs in den 198.070 als uneigentliches Organisationsdelikt tateinheitlich zusammentreffenden Fällen, in denen es zu einer Schädigung kam, und hob das Urteil nur in den Strafaussprüchen auf.40 Die Feststellungen und die aus dem Urteil ersichtliche Beweiswürdigung belegen laut Senat die Voraussetzungen für dieses Versuchsdelikt und auch die Voraussetzungen für eine Beschränkung der Strafverfolgung liegen vor, da schon „im Hinblick auf die Vielzahl der Fälle und die Komplexität des Tatgeschehens […] die weitere Aufklärung mit dem Ziel der Feststellung eines vollendeten Delikts einen unverhältnismäßigen Aufwand bedeuten [würde]“.41 Eine nähere Begründung zum Vorliegen der Voraussetzungen des § 154a II, I 1 Nr. 1 StPO erfolgte nicht. Man könnte sich fragen, warum der Senat nicht gleich auch wegen der 129.708 Fälle, in denen die Lastschriften zurückgegeben wurden, wegen Versuchs verurteilt hat. Offenbar reichten ihm dazu die getroffenen Feststellungen nicht aus.

III. Zusammenfassung Der erste, zweite und dritte Senat stehen der Praxis der Instanzgerichte, ohne die Heranziehung von §§ 154, 154a StPO auf die Versuchsstrafbarkeit auszuweichen, kritisch bis ablehnend gegenüber.42 Sie verweisen zumeist auf die Rechtsprechung zur Irrtumsfeststellung beim normativ geprägten Vorstellungsbild.43 In der Revisionsinstanz hingegen haben der erste und der vierte Senat selbst die Strafverfolgung gemäß § 154a II, I 1 Nr. 1 StPO auf die Versuchsstrafbarkeit beschränkt.44 Insofern ist, was den ersten Senat anbelangt, auf den ersten Blick eine eigenartige Divergenz in seiner eigenen Rechtsprechung zu erkennen; mal kritisiert er die Strafkammern dafür45 und mal praktiziert er die monierte Vorgehensweise46 selbst.47 Der sachliche Grund dafür könnte darin liegen, dass in den erstgenannten Fällen die Versuchs40

BGH, Urt. v. 22. 05. 2014 – 4 StR 430/13 Rn. 22 = NJW 2014, 2132. BGH, Urt. v. 22. 05. 2014 – 4 StR 430/13 Rn. 23, 30 = NJW 2014, 2132. 42 Vgl. BGH, Beschl. v. 06. 02. 2013 – 1 StR 263/12 = NJW 2013, 1545; BGH, Urt. v. 22. 11. 2013 – 3 StR 162/13 = BGHSt 59, 75; BGH, Urt. v. 05. 03. 2014 – 2 StR 616/12 Rn. 10 = NJW 2014, 2595 (hinsichtlich des Täuschungsmerkmals); BGH, Beschl. v. 04. 09. 2014 – 1 StR 314/ 14 Rn. 25 = NStZ 2015, 98. 43 Vgl. BGH, Beschl. v. 06. 02. 2013 – 1 StR 263/12 Rn. 16 ff. = NJW 2013, 1545; BGH, Urt. v. 22. 11. 2013 – 3 StR 162/13 Rn. 9 = BGHSt 59, 75; BGH, Urt. v. 05. 03. 2014 – 2 StR 616/ 12 Rn. 40 = NJW 2014, 2595; BGH, Beschl. v. 04. 09. 2014 – 1 StR 314/14 Rn. 22 ff. = NStZ 2015, 98; BGH, Beschl. v. 03. 02. 2015 – 3 StR 544/14 –, juris Rn. 11 = NStZ 2015, 296. 44 BGH, Urt. v. 22. 05. 2014 – 4 StR 430/13 = NJW 2014, 2132; BGH, Beschl. v. 22. 01. 2013 – 1 StR 416/12 = BGHSt 58, 119 (allerdings beim Computerbetrug). 45 BGH, Beschl. v. 06. 02. 2013 – 1 StR 263/12 = NJW 2013, 1545; BGH, Beschl. v. 04. 09. 2014 – 1 StR 314/14 = NStZ 2015, 98. 46 BGH, Beschl. v. 22. 01. 2013 – 1 StR 416/12 = BGHSt 58, 119. 47 Vgl. Heghmanns, ZJS 2013, 423 (428): „Man ist versucht, dem Senat diese Worte im vorliegenden Fall in sein eigenes Gebetbuch zu schreiben.“ 41

2. Kap.: Die Bestrafung wegen Versuchs statt Vollendung

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strafbarkeit in dubio pro reo angenommen wurde, während der Senat bei der Verfolgungsbeschränkung das von der Strafprozessordnung bereitgestellte Instrument des § 154a II i.V.m. I Nr. 1 StPO verwendete.48 Ob dessen Voraussetzungen für die Beschränkung auf die Versuchsstrafbarkeit überhaupt vorliegen, steht auf einem anderen Blatt. Dazu kommt allerdings auch, dass der Strafsenat im Fall des Computerbetrugs (BGH, Beschl. v. 22. 01. 2013 – 1 StR 416/12 = BGHSt 58, 119) schon mit der materiell-rechtlichen Schadensbestimmung des Landgerichts nicht einverstanden war und nicht nur der prozessuale Irrtumsnachweis misslang.

B. Materiell-rechtlich: Irrtum als subjektives Merkmal im Tatentschluss Materiell-rechtlich bedeutet das Ausweichen auf die Versuchsstrafbarkeit Folgendes: Gemäß § 22 StGB muss der Täter „nach seiner Vorstellung von der Tat“ unmittelbar zur Tat ansetzen. Dieser Tatentschluss meint den Vollendungsvorsatz hinsichtlich aller objektiven Tatbestandsmerkmale des zu verwirklichenden Straftatbestands.49 Der Irrtum als objektives Tatbestandsmerkmal des Betrugstatbestands rutscht beim Versuchsdelikt also in den subjektiven Tatbestand und muss nur noch im Rahmen der subjektiven Tätervorstellung festgestellt werden. Das unmittelbare Ansetzen i.S.d. § 22 StGB ist jedenfalls mit der Vornahme der Täuschungshandlung gegeben.50 Eine Versuchsprüfung ist nur angezeigt, wenn es zu einer zurechenbaren Vollendung der Tat nicht gekommen ist.51 Die Nichtvollendung bzw. die nicht zurechenbare Vollendung ist eine notwendig zu beantwortende Vorfrage.52 In den vorgestellten Fällen fehlte es jedoch nicht nachweislich an der Vollendung, vielmehr war die Vollendung nur nicht nachweisbar53 bzw. die Strafkammer sah sich aus prozessökonomischen Gründen nicht zu einer umfassenden Aufklärung in der Lage54.

48 Im Fall 11: Widerrufsschreiben gegen Gewinnspieleintragungsdienste (BGH, Beschl. v. 04. 09. 2014 – 1 StR 314/14 = NStZ 2015, 98) ist dies zumindest anzunehmen, eine Begründung findet sich nicht. 49 Vgl. NK-Zaczyk, § 22 Rn. 13. 50 So auch Kuhli, StV 2016, 40 (43). 51 LK-Hillenkamp, § 22 Rn. 10; MR-Heger, § 22 Rn. 19. 52 LK-Hillenkamp, § 22 Rn. 10. 53 Vgl. BGH, Urt. v. 22. 11. 2013 – 3 StR 162/13 Rn. 7 = BGHSt 59, 75; BGH, Urt. v. 05. 03. 2014 – 2 StR 616/12 Rn. 10 = NJW 2014, 2595. 54 Vgl. BGH, Beschl. v. 06. 02. 2013 – 1 StR 263/12 Rn. 8 = NJW 2013, 1545; BGH, Beschl. v. 03. 02. 2015 – 3 StR 544/14 –, juris Rn. 4 = NStZ 2015, 296.

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Teil 3: Lösungsansätze

I. Erleichterter Nachweis des Irrtums im Tatentschluss als subjektive Tätervorstellung Beim Versuchsdelikt muss der Irrtum nur noch in der Tätervorstellung, also der Vorsatz bzgl. der Erregung eines Irrtums beim Täuschungsopfer, nachgewiesen und nicht die Vorstellungsbilder der vielen (womöglich hunderttausenden) Irrenden ermittelt werden. Der Vorsatz ist eine innere Tatsache des Täters und damit eine Tatfrage.55 1. Feststellung des Tatentschlusses durch Geständnis des Angeklagten Das unmittelbarste Beweismittel hinsichtlich der Tätervorstellung ist das Geständnis des Angeklagten.56 Der Irrtum als objektives Tatbestandsmerkmal beim vollendeten Betrug ist eine innere Tatsache der getäuschten Person.57 Ein Geständnis des Angeklagten über diese innere Tatsache ist ausgeschlossen, weil der Irrtum nicht in seinem Wahrnehmungshorizont liegt, sondern allein in dem des Täuschungsopfers.58 Der Täter kann in seinem Geständnis nur Tatsachen mitteilen, die auf einen Irrtum indiziell hindeuten.59 Der Vorsatz hinsichtlich der Verwirklichung des Irrtumsmerkmals hingegen ist eine innere Tatsache des Täters und kann als solcher sehr wohl Gegenstand seines Geständnisses sein. Auf diesen Mechanismus stützt der vierte Senat im Fall 7: Einzugsermächtigungslastschriftbetrug seine Annahme eines Versuchsdelikts.60 Zu beachten ist allerdings, dass die Voraussetzungen eines Versuchs dann aber auch vorliegen müssen. Das Landgericht Bielefeld stellte fest, die Angeklagten handelten bei den Fällen ohne vorhergehenden Anruf „auch in der Erwartung, die Betroffenen würden in zahlreichen Fällen mangels ausreichend sorgfältiger Kontrolle ihrer Kontoauszüge die Abbuchungen nicht bemerken oder einfach übersehen“61 und der vierte Strafsenat sah sogar, dass diese Feststellung, die Opfer würden „möglicherweise also noch nicht einmal einer täuschungsbedingten Fehlvorstellung im Sinne eines sog. sachgedanklichen Mitbewusstseins unterliegen“62, unvereinbar ist mit der Überzeugung, die Bankkunden hätten sich gegen die Lastschriften nicht zur Wehr gesetzt, weil ihnen das Bestehen eines Vertragsverhältnisses oder die Erteilung einer Einzugsermäch55

LK-Vogel, § 15 Rn. 63. LK-Vogel, § 15 Rn. 64. 57 Vgl. Fischer, StGB, § 263 Rn. 54; SSW-StGB/Satzger, § 263 Rn. 123; Lackner/KühlKühl, § 263 Rn. 19; AnwK-StGB/Gaede, § 263 Rn. 52. 58 Vgl. Trück, ZWH 2014, 437; Krell, NStZ 2014, 686 (687); Sinn, ZJS 2014, 701; BGH, Beschl. v. 17. 06. 2014 – 2 StR 658/13 Rn. 13 = NStZ 2014, 644; BGH, Beschl. v. 31. 01. 2012 – 3 StR 285/11 Rn. 6 = StraFo 2012, 231. 59 Sinn, ZJS 2014, 701 (703). 60 BGH, Urt. v. 22. 05. 2014 – 4 StR 430/13 Rn. 14, 23 ff. = NJW 2014, 2132. 61 Vgl. BGH, Urt. v. 22. 05. 2014 – 4 StR 430/13 Rn. 9 = NJW 2014, 2132. 62 BGH, Urt. v. 22. 05. 2014 – 4 StR 430/13 Rn. 21 = NJW 2014, 2132. 56

2. Kap.: Die Bestrafung wegen Versuchs statt Vollendung

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tigung vorgespiegelt wurde. Der Vorwurf, der Senat verkenne, dass in diesem Falle bei den Getäuschten kein Irrtum und in der Versuchskonstellation dann eben auch kein Tatentschluss hinsichtlich eines Irrtums vorliege,63 wird von Trüg grundsätzlich zu Recht erhoben. Dabei wird aber übersehen, dass die Angeklagten jedenfalls auch „billigend in Kauf [nahmen], dass die Kontoinhaber von den Lastschriftabbuchungen durch Lektüre ihrer Kontoauszüge Kenntnis erhalten, sich den Zugriff auf ihr Konto aber nicht anders erklären würden, als dass der jeweiligen Abbuchung ein wirksamer Vertrag zu Grunde lag, sei es auch nur in der Form, dass sie sich insoweit unsicher waren und/oder die Sache wegen des relativ geringen Betrages auf sich beruhen ließen.“64 Die Angeklagten gingen also davon aus, dass manche der Getäuschten irrten und manche nicht. Auf ein konkretes Opfer bezogen heißt das, dass sie davon ausgingen, dass dieses Opfer irrt oder nicht. Ein für den Tatentschluss ausreichender Dolus eventualis kann damit für den Einzelfall also wohl angenommen werden. Wenn man in allen Fällen wegen versuchten Betrugs verurteilen will, hätte man allerdings berücksichtigen müssen, dass die Täter nicht davon ausgingen, dass jedes Opfer irrt. 2. Feststellung des Tatentschlusses durch Indizien Liegt kein Geständnis vor, muss der Vorsatz im Wege des Indizienbeweises nachgewiesen werden.65 Die Feststellung des Vorsatzes des Täters über Indizien erschien den Instanzgerichten aber wohl immer noch leichter zu erbringen als die Feststellung der Irrtümer aller Getäuschten. Das leuchtet jedenfalls hinsichtlich der Anzahl der festzustellenden Tatsachen ein: Es ist immer noch einfacher, den Vorsatz eines oder weniger Täter festzustellen als die womöglich ganz unterschiedlichen Vorstellungsbilder von einer großen Vielzahl von Getäuschten. II. Strafzumessung Das Gesetz ordnet in § 23 II StGB eine fakultative Strafmilderung für den Versuch an. Grundsätzlich ist der Versuch also wie das Vollendungsdelikt zu bestrafen. 1. Ablehnung der fakultativen Strafmilderung, § 23 II StGB Der erste Senat weist darauf hin, dass Fälle denkbar seien, in denen es für die Strafzumessung wegen einer großen Vollendungsnähe im Ergebnis nicht bestimmend sei, ob es bei (einzelnen) Betrugstaten zur Vollendung gekommen oder mangels Irrtums des Getäuschten oder wegen fehlender Kausalität zwischen Irrtum und Vermögensverfügung beim Versuch geblieben sei. Eine derartige Nähe zur 63 64 65

So Trüg, HRRS 2015, 106 (113). Vgl. BGH, Urt. v. 22. 05. 2014 – 4 StR 430/13 Rn. 9 = NJW 2014, 2132. LK-Vogel, § 15 Rn. 65.

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Teil 3: Lösungsansätze

Tatvollendung komme in Betracht, wenn es vom bloßen Zufall abhänge, ob die Tatvollendung doch am fehlenden Irrtum scheitern konnte. Dann könne unter besonderer Berücksichtigung der versuchsbezogenen Gesichtspunkte auf der Grundlage einer Gesamtwürdigung der Persönlichkeit des Täters und der Tatumstände des konkreten Einzelfalls jedenfalls die fakultative Strafmilderung gemäß §§ 23 II, 49 I StGB zu versagen sein.66 2. Besonders gesteigertes Handlungsunrecht Außerdem liegt laut erstem Senat in derartigen Fällen regelmäßig ein gegenüber dem Erfolgsunrecht besonders gesteigertes Handlungsunrecht vor, wodurch es im Rahmen der Strafzumessung nicht immer von entscheidender Bedeutung sei, ob wegen Versuchs oder Vollendung bestraft werde.67 3. Strafzumessung in der Revisionsinstanz Die Strafzumessung ist grundsätzlich Aufgabe des Tatgerichts.68 Wird die Strafverfolgung erst in der Revisionsinstanz auf die Versuchsstrafbarkeit beschränkt und aus den genannten Gründen das Strafmaß nicht verändert,69 besteht die Gefahr, dass das Revisionsgericht seine eigenen Wertungen an Stelle der Wertungen des Tatgerichts setzt.70 Trüg erblickt in der von ihm so benannten Strafzumessungslösung gar einen Verstoß gegen die Kognitionspflicht.71 Im Fall 7: Einzugsermächtigungslastschriftbetrug verwies der Senat daher auch nur in Bezug auf die Verhandlung über die Strafaussprüche zurück, da die Möglichkeit bestehe, dass die Strafen auf der Grundlage des geänderten Schuldspruchs dem gemäß §§ 23 II, 49 I StGB gemilderten Strafrahmen entnommen worden wären.72 66 Zum ganzen Absatz: BGH, Beschl. v. 06. 02. 2013 – 1 StR 263/12 Rn. 21 = NJW 2013, 1545; BGH, Beschl. v. 04. 09. 2014 – 1 StR 314/14 Rn. 26 = NStZ 2015, 98. 67 BGH, Beschl. v. 04. 09. 2014 – 1 StR 314/14 Rn. 26 = NStZ 2015, 98. 68 MüKo-StGB/Miebach/Maier, § 46 Rn. 66. 69 Vgl. BGH, Beschl. v. 22. 01. 2013 – 1 StR 416/12 Rn. 56 = BGHSt 58, 119: Der Senat schließt aus, dass eine fakultative Strafmilderung nach §§ 23 II, 49 I StGB Einfluss auf die „ohnehin maßvolle Strafe“ gehabt hätte. 70 So Heghmanns, ZJS 2013, 423 (427): „Was [der Senat] – in vertretbarer Weise – für ,maßvoll‘ oder angemessen hält, muss keineswegs dasselbe sein, was eine Strafkammer – in ebenso vertretbarer Weise – als angemessen ansieht.“ 71 Trüg, HRRS 2015, 106 (113): Wenn die Strafzumessungslösung mit einem gesteigerten Handlungsunrecht begründet werde, müsse auch geprüft werden, ob dieses Handlungsunrecht auch ein tatbestandliches Erfolgsunrecht auslöse. Er wirft dem BGH die Einführung einer dem deutschen Strafverfahren wesensfremden Art „Strafzumessungsverfahren“ (sentencing procedure) vor, in welchem niedrigere bzw. andere Beweismaßstäbe gelten sollen als im Verfahrensabschnitt bis zu einer möglichen Schuldfeststellung (trial procedure) und Nova Berücksichtigung finden können. 72 BGH, Urt. v. 22. 05. 2014 – 4 StR 430/13 Rn. 32 = NJW 2014, 2132.

2. Kap.: Die Bestrafung wegen Versuchs statt Vollendung

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III. Zusammenfassung Eine Bestrafung wegen versuchten Betrugs hat den „Vorteil“, dass der Irrtum nur als Tätervorstellung im Rahmen des Tatentschlusses festgestellt werden muss. Die für eine Verurteilung wegen der Versuchsstrafbarkeit vorausgesetzte Nichtvollendung liegt beim Massenbetrug aber nicht im materiellen Recht begründet. Die Vorgehensweise der Bestrafung des Versuchs wird nur gewählt, weil der Nachweis der Vollendung im Prozess Schwierigkeiten bereitet.

C. Prozessual: Beschränkung der Strafverfolgung auf den Versuch In prozessualer Hinsicht griff die Rechtsprechung auf unterschiedliche prozessuale Instrumente zurück. Teilweise zog sie § 154a StPO heran und teilweise erfolgte die Verurteilung wegen des Versuchsdelikts infolge der Anwendung des Zweifelssatzes. Krell schlägt eine analoge Anwendung des § 154a StPO vor. Kuhli bezeichnet die Beschränkung der Strafverfolgung auf die Versuchsstrafbarkeit im Gegensatz zur Beschränkung auf manche Taten als „qualitative Reduktion“.73 I. Bestrafung des Versuchsdelikts in dubio pro reo Der erste Senat stellt zu Recht fest, dass die Strafprozessordnung eine einseitige Beschränkung der Strafverfolgung auf bloßen Tatversuch ohne Zustimmung der Staatsanwaltschaft, also nicht nach §§ 154, 154a StPO, nicht vorsieht.74 Wenn die Tatgerichte allerdings nach ihrer Beweisaufnahme im Rahmen ihrer Beweiswürdigung sich nicht die Überzeugung vom Vorliegen eines vollendeten Betrugs machen können, können sie in dubio pro reo nur wegen versuchten Betrugs bestrafen. 1. Anwendung des Zweifelssatzes beim Stufenverhältnis Bestehen nach Ausschöpfung aller Beweismittel zwei Tatsachenalternativen, die in einem Stufenverhältnis zueinander stehen, so wird in Anwendung des Grundsatzes in dubio pro reo aus dem milderen Gesetz verurteilt.75 Diese Konstellation unterscheidet sich von der der unechten Wahlfeststellung dadurch, dass keine exklusive Alternativität vorliegt, bei der das Gericht beim gedanklichen Ausschluss der einen Alternative von der anderen überzeugt sein muss, sondern ein logisches oder nor73

Kuhli, StV 2016, 40 (42). BGH, Beschl. v. 06. 02. 2013 – 1 StR 263/12 Rn. 11 = NJW 2013, 1545; s.a. BGH, Beschl. v. 24. 11. 2016 – 4 StR 87/16 –, juris Rn. 24. 75 Vgl. S/S-Eser/Hecker, § 1 Rn. 83; KK-Ott, § 261 Rn. 65 f.; LR-Sander, § 261 Rn. 128; Meyer-Goßner/Schmitt, § 261 Rn. 36; MüKo-StGB/Schmitz, Anhang zu § 1 Rn. 15 f.; Pfeiffer, StPO, § 261 Rn. 19. 74

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Teil 3: Lösungsansätze

matives Stufenverhältnis (Mehr oder Weniger).76 Ein solches logisches77 Stufenverhältnis wird bei Versuch und Vollendung angenommen.78 Diesem Weg sind die Instanzgerichte gefolgt, als sie einige Zeugen vernahmen, in diesen Fällen wegen vollendeten Betrugs verurteilten und in den restlichen Fällen in dubio pro reo nur wegen versuchten Betrugs.79 Im Fall 11: Widerrufsschreiben gegen Gewinnspieleintragungsdienste schloss das Landgericht Würzburg aus, dass keine Person irrtumsbedingt zahlte, nahm an, dass mindestens eine Person irrtumsbedingt zahlte und verurteilte daher in jeweils einem Fall (der jeweiligen Handlungskomplexe) wegen vollendeten Betrugs. Hinsichtlich aller anderen Einzelfälle verurteilte es wegen versuchten Betrugs, ohne die Anwendung des Zweifelssatzes als solche zu benennen.80 Unterstützung bekommt diese Vorgehensweise aus der Literatur: Laut Kuhli81 komme für den Fall, dass Indizienschlüsse und Fragebögen inadäquat seien, eine Strafbarkeit wegen bloßen Versuchs bereits dann in Betracht, wenn der Irrtum in einem Massenbetrugsverfahren, das rechtsstaatlichen Ansprüchen genügen solle, schlichtweg nicht beweisbar sei. Dabei komme es gar nicht auf die Verfolgungsbeschränkung nach § 154a StPO an. § 154a StPO sei eine Ausprägung des Opportunitätsprinzips und stehe damit unter dem Vorbehalt, dass die Beweisbarkeit des Tatvorwurfs nicht von vornherein ausgeschlossen sei. Die Amtsaufklärungspflicht sei nicht nur im Falle der völligen Unerreichbarkeit eines Zeugen eingeschränkt, sondern auch, wenn der Zeuge „gleichsam unerreichbar“ sei. In einem solchen Falle komme man über den Zweifelsgrundsatz zur Versuchsstrafbarkeit. 2. Überspannte Anforderungen an Beweiswürdigung Die Strafsenate des Bundesgerichtshofs äußerten sich jedoch bezüglich einer bloßen Aburteilung des Versuchsdelikts wiederholt kritisch.82 Sie verweisen zumeist 76 S/S-Eser/Hecker, § 1 Rn. 83; KK-Ott, § 261 Rn. 65; MüKo-StGB/Schmitz, Anhang zu § 1 Rn. 39. 77 LR-Sander, § 261 Rn. 130 (sachlogisch); MüKo-StGB/Schmitz, Anhang zu § 1 Rn. 15 f. (begriffslogisch). 78 S/S-Eser/Hecker, § 1 Rn. 83; Meyer-Goßner/Schmitt, § 261 Rn. 36; BGH, Urt. v. 12. 12. 1989 – 4 StR 318/89 -, juris Rn. 20 = NJW 1990, 129. 79 Vgl. die den folgenden Entscheidungen zugrunde liegenden Urteile: BGH, Beschl. v. 06. 02. 2013 – 1 StR 263/12 = NJW 2013, 1545; BGH, Urt. v. 22. 11. 2013 – 3 StR 162/13 = BGHSt 59, 75; siehe auch BGH, Urt. v. 05. 03. 2014 – 2 StR 616/12 = NJW 2014, 2595. 80 LG Würzburg, Urt. v. 16. 10. 2013 – 5 KLs 771 Js 11617/11 –, juris Rn. 780 ff., 1153, 1285 ff. 81 Kuhli, StV 2016, 40 (47 f.); Bittmann bezeichnet Kuhlis Lösungsweg als „[v]erblüffend einfach“, Bittmann, wistra 2016, 265 (266); siehe auch Krack, JR 2003, 384 (386); Kölbel, JuS 2013, 193 (197). 82 Vgl. BGH, Beschl. v. 06. 02. 2013 – 1 StR 263/12 = NJW 2013, 1545; BGH, Urt. v. 22. 11. 2013 – 3 StR 162/13 = BGHSt 59, 75; BGH, Urt. v. 05. 03. 2014 – 2 StR 616/12 Rn. 10 = NJW

2. Kap.: Die Bestrafung wegen Versuchs statt Vollendung

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auf die Rechtsprechung zur Irrtumsfeststellung beim normativ geprägten Vorstellungsbild,83 die eine Verurteilung wegen vollendeten Betrugs durch Beweiserleichterungen möglich macht.84 Es sei kein zu strenger Maßstab an das Vorliegen des Tatbestandmerkmals „Irrtum“ anzulegen und die Anforderungen an die Überzeugungsbildung seien nicht zu überspannen.85 Angesichts dieser Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs werden die Instanzgerichte kaum noch diesen Lösungsweg beschreiten. II. Teileinstellung bei mehreren Taten, § 154 I Nr. 1, II StPO § 154 StPO scheidet schon deswegen aus, weil der Versuch und die Vollendung eines Tatbestands durch eine Handlung nur eine prozessuale Tat darstellen können.86 III. Beschränkung der Strafverfolgung auf die Versuchsstrafbarkeit nach § 154a StPO Der erste und vierte Senat wenden § 154a StPO ohne nähere Begründung an.87 Es steht zu befürchten, dass man sich dabei über die Voraussetzungen nicht ausreichend Gedanken gemacht hat. Bei näherem Hinsehen muss es abgelehnt werden, eine Beschränkung auf die Versuchsstrafbarkeit auf § 154a II, I 1 Nr. 1 StPO zu stützen, weil die Voraussetzungen der Norm das nicht ermöglichen.88 Im Rahmen der Bewertung dieses Lösungsansatzes wird aufgezeigt, warum nach hier vertretener Auffassung § 154a StPO nicht einschlägig ist.

2014, 2595 (hinsichtlich des Täuschungsmerkmals); BGH, Beschl. v. 04. 09. 2014 – 1 StR 314/ 14 Rn. 25 = NStZ 2015, 98. 83 Vgl. BGH, Beschl. v. 06. 02. 2013 – 1 StR 263/12 Rn. 16 ff. = NJW 2013, 1545; BGH, Urt. v. 22. 11. 2013 – 3 StR 162/13 Rn. 9 = BGHSt 59, 75; BGH, Urt. v. 05. 03. 2014 – 2 StR 616/ 12 Rn. 40 = NJW 2014, 2595; BGH, Beschl. v. 04. 09. 2014 – 1 StR 314/14 Rn. 22 ff. = NStZ 2015, 98; BGH, Beschl. v. 03. 02. 2015 – 3 StR 544/14 –, juris Rn. 11 = NStZ 2015, 296. 84 Dazu mehr im vierten Kapitel. 85 Aus diesem Grund hob BGH, Urt. v. 22. 11. 2013 – 3 StR 162/13 Rn. 7 = BGHSt 59, 75 ein Urteil auf. 86 So auch Kuhli, StV 2016, 40 (43). 87 BGH, Beschl. v. 22. 01. 2013 – 1 StR 416/12 = BGHSt 58, 119; BGH, Urt. v. 22. 05. 2014 – 4 StR 430/13 = NJW 2014, 2132. 88 Kritisch auch Heghmanns, ZJS 2013, 423 (423 f.); Meyer-Goßner/Schmitt, § 154a Rn. 7a; Sinn, ZJS 2014, 701 (704) spricht einmal davon, dass man dem § 154a StPO „nicht entnehmen“ könne, die Strafverfolgung auf den Versuch zu beschränken, und dann von einer der Vorschrift „kaum entnehmbare[n]“ Möglichkeit.

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Teil 3: Lösungsansätze

IV. Beschränkung der Strafverfolgung auf die Versuchsstrafbarkeit nach § 154a StPO analog Krell nimmt ebenfalls an, dass die Voraussetzungen des § 154a StPO nicht vorliegen, und schlägt daher wegen des erheblichen praktischen Bedürfnisses eine vorsichtige analoge Anwendung des § 154a StPO vor.89 Eine vergleichbare Interessenlage sieht er darin, dass eine umfassende Beweisaufnahme kaum zu bewältigen wäre und in keinem Verhältnis zum „Ertrag“ stehe, weil materiell-rechtlich jedenfalls eine Versuchsstrafbarkeit bestehe.90 Auch wenn die §§ 153 ff. StPO Ausnahmevorschriften darstellen und solche mangels einer gesetzlichen Regelungslücke in aller Regel einer Analogie unzugänglich seien, legen sie erst den Inhalt und Umfang des in § 152 StPO geregelten Legalitätsprinzips fest.91 Daher könne man hier bei Serienbetrugstaten mittels Verwendung neuer technischer Möglichkeiten wie CallCentern und Lastschriftverfahren, die als Phänomen erst später aufgetreten und für den historischen Gesetzgeber nicht erkennbar gewesen seien, eine planwidrige Regelungslücke annehmen, wenn aus tatsächlichen Gründen Versuch oder Vollendung vorliegen können und sich dies nur unter beträchtlichem Aufwand feststellen ließe.92 Für derartige Erscheinungsformen „moderner“ Serienstraftaten könne man also in Durchbrechung des Legalitätsprinzips und der Kognitionspflicht eine analoge Anwendung des § 154a StPO annehmen.93 Hier sei eine Situation gegeben, die exakt dem Grundgedanken der Einschränkung des Legalitätsprinzips unter dem Gesichtspunkt der Verfahrensökonomie entspreche.94 Wenn es also um die prozessuale Bewältigung serienweiser, durch technischen Fortschritt ermöglichter Täuschungen gehe und wenn das verwirklichte Unrecht aus verfahrensrechtlichen und praktischen Gründen realistisch betrachtet gar nicht hinreichend belegt werden könne, sei § 154a StPO analog anwendbar; nicht aber, wenn § 154a StPO über seinen Wortlaut und Telos hinaus ausschließlich dazu „zweckentfremdet wird, Fehler des Tatgerichts im Rahmen der Revision zu ,heilen‘“.95 Eine Verfolgungsbeschränkung auf die Versuchsstrafbarkeit lasse zwar erhebliches Erfolgsunrecht unberücksichtigt, was aber durch eine flächendeckende und mit überschaubarem Aufwand verbundene Erfassung der Taten kompensiert werde.96 Im Fall 7: Einzugsermächtigungslastschriftbetrug97 hält Krell daher eine analoge Anwendung des § 154a StPO für möglich,

89 90 91 92 93 94 95 96 97

Krell, NStZ 2014, 686 (688 f.); zustimmend Meyer-Goßner/Schmitt, § 154a Rn. 7a. Krell, NStZ 2014, 686 (688). Krell, NStZ 2014, 686 (688 f.). Krell, NStZ 2014, 686 (689). Krell, NStZ 2014, 686 (689). Krell, NStZ 2014, 686 (689); Meyer-Goßner/Schmitt, § 154a Rn. 7a. Krell, NStZ 2014, 686 (690). Krell, NStZ 2014, 686 (688). BGH, Urt. v. 22. 05. 2014 – 4 StR 430/13 = NJW 2014, 2132.

2. Kap.: Die Bestrafung wegen Versuchs statt Vollendung

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während er diese im Fall des Computerbetrugs durch Abbuchungsauftragslastschriften98 ablehnt.99

D. Bewertung Die Literatur äußert sich uneinheitlich gegenüber der Beschränkung auf die Versuchsstrafbarkeit; teils zustimmend100 und teils kritisch101. Die Beschränkung der Strafverfolgung auf die Versuchsstrafbarkeit gemäß § 154a StPO ist laut Wastl eine „sich aus Gründen der Verfahrensökonomie aufdrängende Lösung“.102 Der Bundesgerichtshof habe einen pragmatischen Weg des Umgangs mit Serienbetrügereien im Rahmen des Lastschriftverfahrens aufgezeigt.103 Heghmanns hingegen empfindet die „vermeintlich elegante Lösung“ des ersten Strafsenats, durch die Beschränkung nach § 154a StPO der Revision den Boden unter den Füßen wegzuziehen und Aufhebung und Zurückverweisung zu vermeiden, nicht nur als „trickreich und damit ohnehin ein wenig anrüchig“ , sondern auch als Überstrapazierung des § 154a StPO.104 Kölbel kritisiert die „rechtspraktische Neigung“, auf die Irrtumsrekonstruktion bewusst zu verzichten, indem man die Verfolgung kurzerhand auf einen Betrugsversuch beschränkt, im Hinblick auf das Legalitätsprinzip.105 I. Positive Aspekte In dem Lösungsansatz ist das Bemühen anzuerkennen, eine rechtlich saubere Lösung zu finden, ohne Abstriche bei den Anforderungen an die Feststellung zu machen. Damit wird versucht, der Prozessökonomie, die als Begriff vom Bundesgerichtshof als Notwendigkeit, die Funktionsfähigkeit der Strafrechtspflege zu erhalten, anerkannt wird,106 Genüge zu tun. Ferner ist dem Lösungsansatz zugute zu 98

BGH, Beschl. v. 22. 01. 2013 – 1 StR 416/12 = BGHSt 58, 119. Krell, NStZ 2014, 686 (689), da bei BGH, Beschl. v. 22. 01. 2013 – 1 StR 416/12 = BGHSt 58, 119 nur durch einen „prozessualen Kniff […]“ die Fehler des Tatgerichts ohne erneute Hauptverhandlung ausgeglichen werden sollten. 100 Siehe Kuhli, StV 2016, 40 (47 f.); Krack, JR 2003, 384 (386); Wastl, WuB-EA 2014, 1235; auch Kölbel, JuS 2013, 193 (197). 101 Siehe Heger, HRRS 2014, 467 (468 Fn. 3) bzgl. BGH, Urt. v. 05. 03. 2014 – 2 StR 616/12 = NJW 2014, 2595; H-WiStR/Kölbel, 5, 1. Kapitel, Rn. 164; Krell, NStZ 2014, 686 (688) (zur analogen Anwendung des § 154a StPO); Sinn, ZJS 2014, 701 (704); Trück, ZWH 2013, 404 (405); Trüg, HRRS 2015, 106 (113); Venn, NStZ 2015, 297. 102 Wastl, WuB-EA 2014, 1235. 103 Wastl, WuB-EA 2014, 1235 bzgl. BGH, Urt. v. 22. 05. 2014 – 4 StR 430/13 Rn. 23 = NJW 2014, 2132. 104 Heghmanns, ZJS 2013, 423 (423 f.) bzgl BGH, Beschl. v. 22. 01. 2013 – 1 StR 416/12 = BGHSt 58, 119. 105 H-WiStR/Kölbel, 5, 1. Kapitel, Rn. 164. 106 Vgl. BGH, Beschl. v. 06. 02. 2013 – 1 StR 263/12 Rn. 11 = NJW 2013, 1545. 99

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Teil 3: Lösungsansätze

halten, dass er für jede Größenordnung anwendbar und dem zügigen Abschluss des Verfahrens zuträglich ist. II. Kritik Die Bestrafung bloß des Versuchs- statt des Vollendungsdelikts kann als Lösungsansatz nicht überzeugen, und zwar weder in der Vorgehensweise infolge der Anwendung des Zweifelssatzes, noch über § 154a StPO, noch über § 154a StPO analog. 1. Zur Versuchsstrafbarkeit infolge der Anwendung des Zweifelssatzes Angesichts der Rechtsprechung der Senate des Bundesgerichtshofes, die den Lösungsansatz über die Beschränkung auf die Versuchsstrafbarkeit in dubio pro reo ablehnt und die Lösung über Beweiserleichterungen beim normativ geprägten Vorstellungsbild sucht, hat der Lösungsansatz in der tatrichterlichen Spruchpraxis an Relevanz eingebüßt. Dennoch wird dieser Lösungsansatz kritisch beleuchtet. a) Amtsaufklärungspflicht Zum einen verträgt sich eine Verfolgungsbeschränkung auf die Versuchsstrafbarkeit grundsätzlich nicht mit der Amtsaufklärungspflicht, § 244 II StPO. Wegen der Amtsaufklärungspflicht sei es dem Gericht nicht gestattet, so Trüg, bei der Prüfung eines Sachverhalts quasi „auf halben [sic] Wege stehenzubleiben“ und lediglich eine Versuchsstrafbarkeit anzunehmen, wenn ein vollendetes Delikt gegeben sein könnte.107 Das Gericht trifft die Pflicht, den zugrunde liegende Sachverhalt so umfassend und vollständig aufzuklären, dass seine erschöpfende Beurteilung möglich ist.108 Der Sachverhalt hinsichtlich jedes einzelnen Betrugsfalls ist für sich genommen festzustellen. Wenn in den Fällen, in denen keine Geschädigten als Zeugen vernommen wurden, die Nichtvollendung als Voraussetzung für die Versuchsprüfung nicht nachgewiesen ist, sondern vielmehr eine Vollendung nahe liegt und nur aus prozessökonomischen Gründen von einer Nichtvollendung ausgegangen wird, wird der Amtsaufklärungspflicht nicht Genüge getan. Es leuchtet nicht ein, warum gerade der soundsovielte Zeuge der letzte zu vernehmende ist. b) Beweiswürdigungsgrundsatz Neben der von den Strafsenaten angebrachten Kritik der überspannten Anforderungen an die Irrtumsfeststellung kann man aber auch aus genau entgegengesetzter Warte einen Blick auf diesen Lösungsansatz werfen und fragen, ob es sich die 107 108

Trüg, HRRS 2015, 106 (113). Vgl. Graf-StPO/Bachler, § 244 Rn. 11; KK-Krehl, § 244 Rn. 28; Pfeiffer, § 244 Rn. 12.

2. Kap.: Die Bestrafung wegen Versuchs statt Vollendung

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Strafkammern mit der Anwendung des Zweifelsgrundsatzes nicht zu einfach gemacht haben. Auch Trück hält den Weg, wegen Versuch statt Vollendung zu verurteilen, für nicht mit dem Zweifelssatz vereinbar.109 Der Zweifelssatz ist eine strafrechtliche Entscheidungsregel für den Fall einer non-liquet-Situation am Ende der Beweisaufnahme.110 Der Zweifelssatz ist keine Beweisregel und somit auf einzelne Elemente der Beweiswürdigung grundsätzlich nicht anwendbar, er kommt vielmehr erst bei der abschließenden Gesamtwürdigung zum Tragen, wenn das Gericht nicht die volle Überzeugung vom Vorliegen einer für die Schuld oder Straffrage unmittelbar entscheidungsrelevanten Tatsache zu gewinnen vermag.111 Der Zweifelssatz greift erst nach abgeschlossener Beweiswürdigung ein112 und setzt damit eine erschöpfende Aufklärung voraus. Ob er auch eingesetzt werden darf, um dem Gericht eine weitere Beweiserhebung zu ersparen, ist zu bezweifeln. Das ist hier der springende Punkt; auch wenn einzusehen ist, dass nicht alle Verfügenden als Zeugen vernommen werden können, liegt in den Fällen, in denen gar keine Zeugen vernommen und auch sonst keine Feststellungen zum Irrtum getroffen wurden, keine ausreichende Aufklärung vor und damit kann auch keine umfassende Beweiswürdigung erfolgen. Besonders augenscheinlich wird dies am Beispiel des 16. Zeugen; warum hat das Landgericht gerade nach 15 geschädigten Zeugen aufgehört,113 weitere zu vernehmen – den 16. Geschädigten hätte man schließlich auch noch als Zeugen vernehmen können und sich so nicht zu einer Anwendung des Zweifelssatzes gedrängt sehen müssen. Das ist insofern nicht nur ein Problem der Aufklärungspflicht, sondern auch der Beweiswürdigung, als es um die richtige Anwendung des Zweifelssatzes geht. Das Instrument des Zweifelssatzes stellt einerseits eine Ausnahme vom Grundsatz der materiellen Wahrheit dar, da in Kauf genommen wird, einen Sachverhalt zugunsten der Entscheidungssicherheit als wahr zu unterstellen, der sich so womöglich gar nicht zu getragen hat; andererseits sichert es den Grundsatz insofern ab, als ihm das Gebot zugrunde liegt, die faktischen Erkenntnismöglichkeiten bis auf das Letztmögliche auszunutzen und erst dann mit Fiktionen zu arbeiten.114 Die Erkenntnismöglichkeiten sind nicht bis aufs Letztmögliche ausgenutzt, sondern werden an einem willkürlichen Punkt abgebrochen. Die Betrugstaten sind eigenständige Gesetzesverletzungen und für die Verurteilung einer jeden einzelnen Betrugstat ist daher eine eigene Beweiswürdigung durchzuführen. Die Anzahl der Getäuschten bestimmt nicht nur das verwirklichte quantitative Unrecht einer Tat, wie es zum Beispiel bei

109

Trück, ZWH 2013, 404 (405). HK-StPO/Julius, § 261 Rn. 16. 111 BGH, Urt. v. 04. 03. 2004 – 3 StR 218/03 –, juris Rn. 26 = BGHSt 49, 112; BGH, Urt. v. 12. 10. 2011 – 2 StR 202/11 –, juris Os. 1 = NStZ 2012, 171; AnwK-StPO/Martis, § 244 Rn. 17. 112 Meyer-Goßner/Schmitt, § 261 Rn. 26. 113 In Anlehnung an BGH, Beschl. v. 06. 02. 2013 – 1 StR 263/12 = NJW 2013, 1545. 114 SSW-StPO/Beulke, Einl. Rn. 11. 110

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Teil 3: Lösungsansätze

der Höhe des Vermögensschadens der Fall ist, sondern schon die Anzahl der Gesetzesverletzungen. In der Revisionsentscheidung kann man das Problem dahinstehen lassen, wenn der Angeklagte durch die Verurteilung wegen versuchten statt vollendeten Betrugs nicht beschwert ist.115 Jedenfalls prospektiv ist aber aufgrund der Grundsätze der Beweiswürdigung und des Zweifelsgrundsatzes eine Verurteilung wegen des Versuchs- statt des Vollendungsdelikts abzulehnen. c) Zusammenfassung Wenn sich ein Gericht außerstande sieht, bestimmte entscheidungserhebliche Tatsachen nachzuweisen und daher in dubio pro reo nur wegen des Versuchsdelikts verurteilt, ist dem grundsätzlich nichts entgegenzuhalten. Im Fall des Massenbetrugs setzt die Kritik allerdings bei der Amtsaufklärungspflicht an, der nach der hier vertretenen Auffassung nicht in ausreichendem Umfang nachgekommen wird. Der Irrtumsnachweis ist möglich und daher auch zu führen. Der Fehler in der Aufklärung setzt sich in der Anwendung des Zweifelsgrundsatzes fort, der eben bei nicht ausreichender Aufklärung noch nicht zum Zuge kommt. Dem Argument von Kuhli, die Amtsaufklärungspflicht sei auch eingeschränkt, wenn der Zeuge „gleichsam unerreichbar“ sei, und in einem solchen Falle komme man über den Zweifelsgrundsatz zur Versuchsstrafbarkeit,116 ist entgegenzuhalten, dass die Möglichkeiten der Aufklärung dennoch nicht ausgeschöpft sind und daher der Zweifelsgrundsatz nicht anwendbar ist. 2. Zur Beschränkung der Strafverfolgung auf die Versuchsstrafbarkeit nach § 154a StPO Die Vorgehensweise der Beschränkung der Strafverfolgung auf die Versuchsstrafbarkeit ist abzulehnen, weil die Voraussetzungen des § 154a II, I 1 Nr. 1 StPO nicht vorliegen.117 Gemäß § 154a I 1 Nr. 1 StPO kann die Verfolgung auf die übrigen Teile der Tat oder die übrigen Gesetzesverletzungen beschränkt werden, wenn einzelne abtrennbare Teile einer Tat oder einzelne von mehreren Gesetzesverletzungen, die durch dieselbe Tat begangen worden sind, für die zu erwartende Strafe nicht beträchtlich ins Gewicht fallen. Nach Einreichung der Anklageschrift kann das

115 Vgl. BGH, Beschl. v. 06. 02. 2013 – 1 StR 263/12 Rn. 22 = NJW 2013, 1545; BGH, Urt. v. 05. 03. 2014 – 2 StR 616/12 Rn. 40 = NJW 2014, 2595; BGH, Beschl. v. 04. 09. 2014 – 1 StR 314/14 Rn. 25 = NStZ 2015, 98. 116 Kuhli, StV 2016, 40 (47 f.). 117 Kritisch auch Heghmanns, ZJS 2013, 423 (423 f.); Sinn, ZJS 2014, 701 (704) spricht einmal davon, dass man dem § 154a StPO „nicht entnehmen“ könne, die Strafverfolgung auf den Versuch zu beschränken, und dann von einer der Vorschrift „kaum entnehmbare[n]“ Möglichkeit.

2. Kap.: Die Bestrafung wegen Versuchs statt Vollendung

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Gericht nach § 154a II StPO in jeder Lage des Verfahrens mit Zustimmung der Staatsanwaltschaft die Beschränkung vornehmen. a) Einstellungsgegenstand aa) Abtrennbare Teile Wie oben schon dargelegt, sind abtrennbare Teile einer Tat solche, die aus einem einheitlichen historischen Lebensvorgang im Sinne des prozessualen Tatbegriffs herausgelöst werden können, ohne dass dadurch ein auch strafrechtlich untrennbar zusammengehöriger Sachverhalt zerrissen würde.118 Das kann bei Teilakten einer zu einer Bewertungseinheit oder einer Dauerstraftat zusammenzufassenden Handlung der Fall sein,119 nicht aber bei einzelnen Tatbestandsmerkmalen.120 Der Versuch ist die begonnene, aber nicht vollendete Tat, die zwar den subjektiven Tatbestand, nicht aber den objektiven vollständig verwirklicht.121 Der Versuch ist damit nur Durchgangsstadium auf dem Weg zur Vollendung des Tatbestands, aber kein aus dem Vollendungstatbestand abtrennbarer Teil, weil die Tathandlung dieselbe ist.122 Heghmanns verneint diese Voraussetzung mit der Begründung, dass ein nicht nachgewiesenes Tatbestandsmerkmal eben kein abtrennbares Geschehen sei.123 bb) Einzelne von mehreren Gesetzesverletzungen Verbleibt also die zweite Variante in § 154a I 1 Nr. 1, II StPO. Einzelne von mehreren in Tateinheit zusammentreffenden oder in Tatmehrheit zueinander stehenden Gesetzesverletzungen sind ausscheidbar.124 Entweder man nimmt an, Versuch und Vollendung stehen zueinander in Gesetzeskonkurrenz.125 Bei Gesetzeskonkurrenz wird in der Regel kein Bedürfnis für eine Verfahrensbeschränkung gesehen.126 Allerdings entfällt das Bedürfnis nur dann, wenn der Straftatbestand nicht weiterverfolgt würde, der auf Konkurrenzebene ohnehin verdrängt würde; hier haben wir allerdings den umgekehrten Fall, dass die 118

KK-Diemer, § 154a Rn. 3. KK-Diemer, § 154a Rn. 3. 120 Meyer-Goßner/Schmitt, § 154a Rn. 5. 121 Fischer, StGB, § 22 Rn. 2. 122 So auch Krell, NStZ 2014, 686 (688); Meyer-Goßner/Schmitt, § 154a Rn. 7a; kritisch auch BeckOK-StPO/Beukelmann, § 154a Rn. 1. 123 Heghmanns, ZJS 2013, 423 (428) bezieht sich hierbei auf den nicht nachgewiesenen Schadenseintritt beim Computerbetrug bei BGH, Beschl. v. 22. 01. 2013 – 1 StR 416/12 = BGHSt 58, 119. 124 KK-Diemer, § 154a Rn. 4; Meyer-Goßner/Schmitt, § 154a Rn. 6. 125 Vgl. NK-Puppe, Vor § 52 Rn. 10 (Spezialität); S/S-Sternberg-Lieben/Bosch, Vor § 52 Rn. 110 (Subsidiarität); Kuhli, StV 2016, 40 (43). 126 Vgl. SK-StPO/Weßlau/Deiters, § 154a Rn. 5; LR-Beulke, § 154a Rn. 7. 119

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Teil 3: Lösungsansätze

Vollendung den Versuch verdrängt, aber die Vollendungsstrafbarkeit eingestellt werden soll.127 Überzeugender ist es anzunehmen, dass der Versuch eines Tatbestands und dessen Vollendung nicht mehrere Gesetzesverletzungen sind.128 Eine Handlung kann entweder versucht oder vollendet sein, aber nicht beides zugleich.129 Die Strafbarkeit wegen Versuchs ist hinfällig, sobald eine zurechenbare Vollendung eingetreten ist.130 Die Vollendung des Betrugs ist also gegenüber dem Versuch keine zusätzliche Gesetzesverletzung.131 Der Versuch ist also weder ein abtrennbarer Teil der Vollendungstat, noch stellt er eine von der Vollendung verschiedene Gesetzesverletzung dar. § 154a II, I 1 Nr. 1 StPO kann also nicht zur Beschränkung auf die Versuchsstrafbarkeit herangezogen werden. cc) Zwischenergebnis Entgegen manchen Strafsenaten ist die Vollendung gegenüber dem Versuch also weder ein abtrennbarer Teil noch eine eigenständige Gesetzesverletzung. b) Keine Wesentlichkeit der einzustellenden Taten, § 154a I 1 Nr. 1 StPO Darüber hinaus muss man sich fragen, ob die Vollendungsstrafbarkeit gegenüber der Versuchsstrafbarkeit „nicht beträchtlich ins Gewicht fällt“ i.S.d. § 154a I 1 Nr. 1, II StPO. Das ist dann der Fall, wenn die auszuscheidenden Teile oder Gesetzesverletzungen keine beträchtliche Verschärfung der wegen der Tat zu erwartenden Sanktion darstellt.132 Laut Kuhli lässt sich dies wegen der geringen Unrechtsdifferenz zwischen Versuchs- und Vollendungsstrafbarkeit vertreten.133 c) Kein Urteil in angemessener Frist, § 154a I 2 i.V.m. § 154 I Nr. 2 StPO Denkbar wäre auch die Verfahrenseinstellung nach § 154a I 2 i.V.m. § 154 I Nr. 2 StPO, die keine quantitativen Rechtsfolgenüberlegungen anstellt, sondern danach fragt, ob eine Verurteilung in angemessener Frist bei unterbliebener Einstellung nicht zu erwarten ist und Strafzwecke nicht gefährdet werden. Soweit ersichtlich, hat noch kein Strafsenat bei Massenbetrugsverfahren diese Einstellungsmöglichkeit erwogen. 127

Kuhli, StV 2016, 40 (43). So Heghmanns, ZJS 2013, 423 (428); Krell, NStZ 2014, 686 (688); Trüg, HRRS 2015, 106 (114). 129 So zu Recht Heghmanns, ZJS 2013, 423 (428). 130 Vgl. LK-Hillenkamp, § 22 Rn. 10; MR-Heger, § 22 Rn. 19. 131 So zu Recht Krell, NStZ 2014, 686 (688); Meyer-Goßner/Schmitt, § 154a Rn. 7a. 132 LR/Beulke, § 154a Rn. 10. 133 Kuhli, StV 2016, 40 (43). 128

2. Kap.: Die Bestrafung wegen Versuchs statt Vollendung

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Anders als bei der im ersten Kapitel besprochenen Einstellung eines Teils der Betrugstaten muss bei der Strafverfolgungsbeschränkung auf den Versuch nicht befürchtet werden, dass den Gedanken der Generalprävention zuwider der Eindruck entstehe, ab einer gewissen Anzahl von Betrugstaten werden die weiteren nicht mehr bestraft. Nach der hier vertretenen Ansicht kann diese Frage dahinstehen, weil die Voraussetzungen eines abtrennbaren Teils oder einzelner von mehreren Gesetzesverletzungen ohnehin nicht gegeben sind. d) Zusammenfassung Entgegen der Ansicht des ersten und vierten Senats liegen die Voraussetzungen des § 154a I 1 Nr. 1, II StPO nicht vor.134 Die Verfolgungsbeschränkung auf die Versuchsstrafbarkeit erscheint „zwar pragmatisch“, aber ist durch das Gesetz nicht gestattet.135 3. Zur Verfolgungsbeschränkung auf die Versuchsstrafbarkeit gemäß § 154a StPO analog Krells Vorschlag einer vorsichtigen analogen Anwendung des § 154a StPO136 wurde bereits im Rahmen des prozessualen Vorgehens angesprochen. Auch Kudlich und Schmitt meinen, dass die Verfolgung nach § 154a StPO analog auf den Versuch beschränkt werden könne.137 Trüg äußert sich zur analogen Anwendung kritisch: Selbst die Anwendung von § 154a StPO analog führe nicht weiter, weil so, wie die Überzeugung des Gerichts vom Vorliegen eines Irrtums beim vollendeten Delikt festzustellen sei, dies auch in Bezug auf die Tätervorstellung, das Opfer würde einem Irrtum unterliegen, geschehen müsse.138 Dem ist zwar zuzugeben, dass die Vorstellung der potentiell Geschädigten eine indizielle Bedeutung für die Feststellung des Tatentschlusses hat.139 Dennoch gelten andere Anforderungen für die Feststellung vom Vorsatz beim Täter oder Irrtum beim Opfer, sodass es einen Unterschied macht, ob man die Vollendung oder den Versuch feststellen will. Der Vorschlag einer analogen Anwendung des § 154a StPO wirft Fragen hinsichtlich seiner Vereinbarkeit mit Art. 103 II GG auf.

134 Ebenso Heghmanns, ZJS 2013, 423 (428); Krell, NStZ 2014, 686 (688); Sinn, ZJS 2014, 701 (704); Trüg, HRRS 2015, 106 (114); kritisch auch Kuhli, StV 2016, 40 (43). 135 So zu Recht Heghmanns, ZJS 2013, 423 (428). 136 Krell, NStZ 2014, 686 (688 f.). 137 Kudlich, ZWH 2015, 105; Meyer-Goßner/Schmitt, § 154a Rn. 7a. 138 Trüg, HRRS 2015, 106 (114). 139 Vgl. BGH, Beschl. v. 03. 02. 2015 – 3 StR 544/14 –, juris Rn. 9 = NStZ 2015, 296.

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Teil 3: Lösungsansätze

a) Analogieverbot Eine Ausprägung des Gesetzlichkeitsprinzips, Art. 103 II GG, ist das an den Richter gerichtete Analogieverbot. aa) Analogieverbot im Strafverfahrensrecht Das Analogieverbot, Art. 103 II GG, spricht das materiell-rechtliche Strafrecht an;140 inwieweit es im Strafverfahrensrecht gilt, ist umstritten. Überwiegend wird eine Analogie auch zu Lasten des Täters im Strafprozess für grundsätzlich zulässig gehalten.141 Manche nehmen ein Analogieverbot im Bereich der beweisbildenden, da strafbarkeitsbegründenden Verfahrensnormen an; ausgenommen vom Analogieverbot seien nur Prozessnormen, die entweder ausschließlich der Verfahrensordnung bzw. Verfahrensleitung dienen oder keine Beschwer für den Betroffenen mit sich bringen142 Andere nehmen ein Analogieverbot jedenfalls an, wenn es sich aus dem allgemeinen Gesetzesvorbehalt bei Grundrechtseingriffen ergebe.143 Dannecker hält eine belastende Analogie für unzulässig i.S.d. Art. 103 II GG bei prozessualen Normen, die eine Bewertung des Gesetzgebers über das Unrecht der Tat zum Ausdruck bringen, wie es bei den Vorschriften über die Einstellung des Verfahrens aus Opportunitätsgründen der Fall sei.144 Krell differenziert dahingehend, dass die §§ 153, 153a StPO, die vom verfassungsrechtlichen Übermaßverbot geprägt seien, weil sie in den Fällen, in denen das Strafrecht die Grenzen der Strafbarkeit abstrakt zu weit ziehe, im Einzelfall bei fehlender Strafwürdigkeit das Absehen von der Strafverfolgung ermöglichen, streng am Maßstab des Art. 103 II GG zu messen seien, im Gegensatz zu den §§ 154, 154a StPO, die im Interesse der Verfahrensökonomie das Legalitätsprinzip durchbrechen.145 bb) Analogie in bonam partem Übereinstimmend wird jedenfalls angenommen, dass eine Analogie zugunsten des Täters grundsätzlich zulässig ist.146 Ob eine Maßnahme zu Gunsten oder zu Ungunsten des Beschuldigten wirkt, ist nicht immer sicher vorherzusehen.147 Der Urheber der Idee, Krell, räumt selbst ein, dass die Analogie zwar auf den ersten Blick nur zu Gunsten des Täters zu wirken scheine, aber dies immerhin dazu geführt habe,

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Fischer, StGB, § 1 Rn. 21; LK-Dannecker, § 1 Rn. 272. Vgl. Roxin AT I, § 5 Rn. 43; Meyer-Goßner/Schmitt, Einl. Rn. 198. 142 Jäger, GA 2006, 615 (620); BeckOK-StGB/v. Heintschel-Heinegg, § 1 Rn. 12a. 143 LK-Dannecker, § 1 Rn. 273 m.w.N.; MüKo-StPO/Kudlich, Einl. Rn. 99; LR-Lüderssen/ Jahn, Einl. M Rn. 59 ff. 144 LK-Dannecker, § 1 Rn. 276. 145 Krell, NStZ 2014, 686 (690). 146 S/S-Eser/Hecker, § 1 Rn. 32; Roxin, AT I, § 5 Rn. 44; LK-Dannecker, § 1 Rn. 282. 147 Vgl. LR-Lüderssen/Jahn, Einl. M Rn. 66. 141

2. Kap.: Die Bestrafung wegen Versuchs statt Vollendung

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dass den Revisionen nicht stattgegeben worden sei.148 Wer wisse mit Blick auf die verfahrensrechtlichen Schwierigkeiten bei der Behandlung von Serienbetrugstaten schon zu sagen, was eine neue Verhandlung ergeben hätte.149 Dies ist zwar nur eine mittelbare Folge der analogen Anwendung. Genau genommen wird eine analoge Anwendung des § 154a StPO den Angeklagten aber nie begünstigen, auch wenn vorgeblich die Verfolgung beschränkt würde, da dies nur die Beweisbarkeit erleichtert – was ja auch einziger Sinn und Zweck der Analogie ist – und damit zu einer Aburteilbarkeit beiträgt. Man wird also nicht sagen können, die analoge Anwendung des § 154a StPO wirke nur zu Gunsten des Täters. cc) Analogie bei Ausnahmevorschriften Einer analogen Anwendung könnte ferner entgegenstehen, dass die Einstellungsmöglichkeiten aus Opportunitätsgründen gemäß §§ 153 ff. StPO Ausnahmevorschriften zum Legalitätsprinzip sind.150 Eine Analogie ist bei Ausnahmevorschriften mangels einer gesetzlichen Regelungslücke grundsätzlich nicht angebracht.151 Dem tritt Krell damit entgegen, dass die §§ 153 ff. StPO erst den Inhalt und Umfang des in § 152 StPO geregelten Legalitätsprinzips festlegen152 und damit keine Ausnahmevorschrift i. e.S. vorliegt. b) Stellungnahme Eine analoge Anwendung des § 154a StPO ist abzulehnen.153 Zum einen liegen schon die Voraussetzungen einer Analogie, nämlich insbesondere die sog. planwidrige Regelungslücke nicht vor. Massenbetrugstaten – und seien sie auch mittels Verwendung neuer technischer Möglichkeiten wie Call-Center und Lastschriftverfahren begangen, die als Phänomen erst später aufgetreten und für den historischen Gesetzgeber nicht erkennbar gewesen seien,154 – fallen nicht zwangsläufig aus dem Anwendungsbereich dieser Normen heraus. Die Voraussetzungen des § 154 StPO oder § 154a StPO können, wie oben gezeigt, auch vorliegen. Eine Beschränkung der Strafverfolgung auf die Versuchsstrafbarkeit könnte auch in anderen Bereichen der Strafbarkeit praktisch und vorteilhaft sein. Eine solche Beschränkungsmöglichkeit hat der Gesetzgeber aber nicht vorgesehen, sondern die Beschränkung der Strafverfolgung nur in den normierten Fällen festgelegt. Eine planwidrige Regelungs148

Krell, NStZ 2014, 686 (690). Krell, NStZ 2014, 686 (690). 150 So KK/Diemer, § 152 Rn. 5; Pfeiffer, StPO, § 152 Rn. 4. 151 Vgl. BGH, Urt. v. 01. 03. 1955 – 5 StR 53/55 –, juris = BGHSt 7, 256; S/S-Eser/Hecker, § 1 Rn. 34. 152 Krell, NStZ 2014, 686 (688 f.); ähnlich Meyer-Goßner/Schmitt, § 152 Rn. 7. 153 Ebenso Trüg, HRRS 2015, 106 (114); kritisch: BeckOK-StPO/Beukelmann, § 154a Rn. 1. 154 Dies führt Krell als Begründung für eine planwidrige Regelungslücke an, Krell, NStZ 2014, 686 (689). 149

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Teil 3: Lösungsansätze

lücke liegt nicht schon dann vor, wenn ein Sachverhalt unerwünschterweise nicht subsumierbar ist. Darüber hinaus würde einer Analogie in der vorgeschlagenen Form jedenfalls der Vorbehalt des Gesetzes entgegenstehen – wenn man nicht schon das Analogieverbot aus Art. 103 II GG als verletzt ansieht. Die Vorschriften über die Beschränkung der Strafverfolgung legen den Umfang des Legalitätsprinzips fest und sind damit so grundrechtswesentlich, dass der Gesetzgeber diesen Bereich selbst regeln muss. Eine Beschränkung auf die Versuchsstrafbarkeit kann also nach hier vertretener Ansicht nicht auf eine analoge Anwendung des § 154a StPO gestützt werden. III. Zusammenfassung Interessant ist, dass die Instanzgerichte, die die Rechtsprechung zum Indizienschluss beim normativ geprägten Vorstellungsbild nicht kennen, nicht für einschlägig halten oder ablehnen, sich daran gehindert sehen, wegen vollendeten Betrugs zu bestrafen. Sie zeigen damit ein Problembewusstsein und ihre rechtlichen Bedenken bei der Annahme von einer Vollendungsstrafbarkeit ohne ausreichende Aufklärung. Diese Sensibilität und Behutsamkeit scheint der Rechtsprechung später abhanden gekommen zu sein. Der Weg zur Versuchsstrafbarkeit über den Zweifelssatz ist immer noch sauberer als der über § 154a StPO, dessen Voraussetzungen nach hier vertretener Ansicht entgegen der Rechtsprechung des ersten und vierten Senats nicht gegeben sind. Aber auch die Verurteilung in dubio pro reo bloß wegen Versuchs wird dem Gebot einer umfassenden Aufklärung nicht gerecht und ist daher als Lösungsansatz zu verwerfen. Eine analoge Anwendung des § 154a StPO (Krell) scheitert an der mangelnden Analogiefähigkeit der Norm.

E. Ergebnis (1) Eine Beschränkung auf die Versuchsstrafbarkeit in dubio pro reo lehnt der Bundesgerichtshof ab, während er eine Beschränkung gemäß § 154a (II i.V.m.) I Nr. 1 StPO für möglich hält. (2) Die Senate des Bundesgerichtshofs verweisen auf die von ihnen bevorzugte Lösung mit dem Indizienschluss aufgrund normativ geprägten Vorstellungsbilds. (3) Nach hier vertretener Ansicht liegen schon die Voraussetzungen der §§ 154, 154a StPO für die Beschränkung auf die Versuchsstrafbarkeit nicht vor. (4) Einer Bestrafung nur wegen versuchten Delikts infolge der Anwendung des Zweifelssatzes steht die Pflicht zur umfassenden Aufklärung des Sachverhalts entgegen. (5) Eine analoge Anwendung des § 154a StPO ist abzulehnen, weil keine planwidrige Regelungslücke vorliegt und die Norm nicht analogiefähig ist.

3. Kap.: Das uneigentliche Organisationsdelikt

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3. Kapitel

Das uneigentliche Organisationsdelikt In jüngster Zeit operiert die Rechtsprechung mit der Rechtsfigur des uneigentlichen Organisationsdelikts, um dem Phänomen des Massenbetrugs auf Konkurrenzebene beizukommen. Das uneigentliche Organisationsdelikt ist eine Rechtsfigur des materiellen Rechts im Bereich der Konkurrenzen. Prozessual bringt sie einige Beweiserleichterungen mit sich, worin auch der Hauptbeweggrund für ihre Erschaffung zu sehen ist. Die Rechtsfigur ist für die Untersuchung des Massenbetrugs von Relevanz, weil in Frage steht, ob die Beweiserleichterungen auch für den Irrtumsnachweis fruchtbar gemacht werden können. In der anschließenden Bewertung wird das uneigentliche Organisationsdelikt kritisch beleuchtet und seine Zusammenhänge mit der aufgegebenen Rechtsfigur des Fortsetzungszusammenhangs untersucht.

A. Materiell-rechtlich: Uneigentliches Organisationsdelikt Das uneigentliche Organisationsdelikt ist eine konkurrenzrechtliche Rechtsfigur und betrifft vorgeblich die Sonderkonstellation bei mehreren Beteiligten an einem Geschäftsbetrieb, aus dem heraus Straftaten begangen werden. Nach einer kurzen Rechtsprechungsübersicht werden die noch nicht gänzlich klar umrissenen Voraussetzungen dieses Rechtsinstituts dargestellt und vor allem die Widersprüche und Ungereimtheiten der Rechtsprechung zum uneigentlichen Organisationsdelikt dargestellt. I. Rechtsprechungsübersicht In den hier herangezogenen Entscheidungen zum Massenbetrug greifen einige auf das uneigentliche Organisationsdelikt zurück. 1. Fall 9: BGH, Beschl. v. 31. 01. 2012 – 3 StR 285/11 Im Fall 9: Vorbörsliche Aktien nahm das Landgericht Düsseldorf ein „Organisationsdelikt“ an,1 was in der Revisionsentscheidung keine Erwähnung mehr fand.2 Der dritte Strafsenat hob das Urteil mangels Feststellung des Irrtums auf und wies auf die Beschränkung der Strafverfolgung auf die gravierendsten Anklagevorwürfe durch § 154a II StPO hin.3 1 2 3

LG Düsseldorf, Urt. v. 15. 12. 2010, 10 Kls 3/09 –, juris Os. 1 und Rn. 1938. Vgl. BGH, Beschl. v. 31. 01. 2012 – 3 StR 285/11 = StraFo 2012, 231. Vgl. BGH, Beschl. v. 31. 01. 2012 – 3 StR 285/11 Rn. 6, 8 = StraFo 2012, 231.

150

Teil 3: Lösungsansätze

2. Fall 6: BGH, Beschl. v. 06. 02. 2013 – 1 StR 263/12 Bei Fall 6: Eintreibung von Auslagekosten beanstandete der erste Senat die Annahme eines uneigentlichen Organisationsdelikts durch das Landgericht Stuttgart nicht.4 Das Landgericht nahm Tateinheit, § 52 I StGB, zwischen allen Betrugsfällen an.5 3. Fall 10: BGH, Beschl. v. 15. 10. 2013 – 3 StR 154/13 Im Fall 10: Werbeanzeigen in Postfächern wertete das Landgericht Osnabrück laut drittem Senat „den Tatbeitrag des Angeklagten – den zum sog. uneigentlichen Organisationsdelikt entwickelten Maßstäben entsprechend (vgl. etwa […]) – rechtlich als einheitlichen Betrug“ und führte aus, dass „die einzelnen betrügerischen Vertragsabschlüsse […] lediglich unselbstständige Teilakte der Betrugstat“ darstellten.6 4. Fall 14: BGH, Urt. v. 27. 03. 2014 – 3 StR 342/13 Das Landgericht Osnabrück nahm im Fall 14: Ping-Anrufe ein uneigentliches Organisationsdelikt an, weil die Angeklagten nur einmal organisatorisch tätig gewesen seien und kein individueller Tatbeitrag eines der Angeklagten vorgelegen habe.7 Der dritte Strafsenat erwähnte in seinem Revisionsurteil die Konkurrenzen nicht.8 5. Fall 7: BGH, Urt. v. 22. 05. 2014 – 4 StR 430/13 Der vierte Senat beschränkte im Fall 7: Einzugsermächtigungslastschriftbetrug selbst die Strafverfolgung auf den Versuch gemäß § 154a II StPO, weil die Feststellungen belegen, dass „die Angeklagten nach ihrer Vorstellung als Mittäter im Wege eines uneigentlichen Organisationsdelikts Betrugshandlungen im Sinne von § 263 Abs. 1 StGB in 198.070 tateinheitlich zusammentreffenden Fällen zum Nachteil der Kontoinhaber begehen wollten“.9

4

BGH, Beschl. v. 06. 02. 2013 – 1 StR 263/12 = NJW 2013, 1545. Vgl. BGH, Beschl. v. 06. 02. 2013 – 1 StR 263/12 Rn. 8 = NJW 2013, 1545. 6 Vgl. BGH, Beschl. v. 15. 10. 2013 – 3 StR 154/13 Rn. 4 = NStZ 2014, 111, Aufhebung aus anderem Grund. 7 LG Osnabrück, Urt. v. 06. 03. 2013 – 10 KLs 38/09 u. a. –, juris Rn. 108 f. = CR 2013, 581. 8 BGH, Urt. v. 27. 03. 2014 – 3 StR 342/13 = BGHSt 59, 195. 9 BGH, Urt. v. 22. 05. 2014 – 4 StR 430/13 Rn. 23 = NJW 2014, 2132. 5

3. Kap.: Das uneigentliche Organisationsdelikt

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6. Fall 11: BGH, Beschl. v. 04. 09. 2014 – 1 StR 314/14 Im Fall 11: Widerrufsschreiben gegen Gewinnspieleintragungsdienste sprach der erste Senat von einem „uneinheitlichen Organisationsdelikt […]“10, während das Landgericht Würzburg in seiner Konkurrenzbetrachtung weder diesen noch den Begriff des uneigentlichen Organisationsdelikts verwendete, sondern „Handlungseinheit“ annahm.11 Bezogen auf einen Handlungskomplex mit den zugehörigen Geschädigten nahm die Strafkammer jedenfalls Handlungseinheit an und bestrafte wegen Betrugs, wobei sie weder im Tenor noch in den Gründen die Anzahl der tateinheitlich begangenen Fälle nannte. Daher ist davon auszugehen, dass die Strafkammer die „Handlungseinheit“ als eine Gesetzesverletzung ansah. Der Begriff des „uneinheitlichen Organisationsdelikts“ ist einzigartig und klingt wie ein Hybrid aus einheitlich und uneigentlich. 7. Fall 15: BGH, Urt. v. 19. 11. 2015 – 4 StR 115/15 Das Landgericht Konstanz nahm im Fall 15: Versprochene Werbeprovisionen offensichtlich kein uneigentliches Organisationsdelikt an und verurteilte wegen tatmehrheitlich begangener Fälle.12 Der vierte Senat hob das Urteil u. a. deswegen auf, weil die Einzeltaten nicht ausreichend festgestellt worden seien.13 Er weist darauf hin, dass nur eine Tathandlung vorliege, wenn der Tatbeitrag zum Abschluss der Kauf- und Werbeverträge lediglich in der Leitung und Organisation einer der beteiligten Gesellschaften bestehe und verweist auf die Rechtsprechung zum uneigentlichen Organisationsdelikt.14 8. Fall 16: LG Düsseldorf, Urt. v. 31. 07. 2014 – 14 KLs – 130 Js 44/09 – 10/12 Im Fall 16: Schneeballsystem verurteilte das Landgericht Düsseldorf vier Mittäter im Hinblick auf den Hauptvorwurf, den Massenbetrug, wegen tateinheitlich begangener Fälle, weil sie Tatbeiträge erbrachten, die gleichzeitig eine Vielzahl von Einzelfällen förderten; es war aber nicht von einem uneigentlichen Organisationsdelikt die Rede.15 10 11

1309. 12

BGH, Beschl. v. 04. 09. 2014 – 1 StR 314/14 Rn. 10 = NStZ 2015, 98. LG Würzburg, Urt. v. 16. 10. 2013 – 5 KLs 771 Js 11617/11 –, juris Rn. 1298 f., 1307,

Vgl. BGH, Urt. v. 19. 11. 2015 – 4 StR 115/15 –, juris = ZWH 2016, 120. BGH, Urt. v. 19. 11. 2015 – 4 StR 115/15 –, juris Rn. 15 f. = ZWH 2016, 120. 14 BGH, Urt. v. 19. 11. 2015 – 4 StR 115/15 –, juris Rn. 16 = ZWH 2016, 120. 15 LG Düsseldorf, Urt. v. 31. 07. 2014 – 14 KLs – 130 Js 44/09 – 10/12 –, juris Rn. 1287 (nachfolgend BGH, Beschl./Urt. v. 10. 12. 2015 – 3 StR 163/15 –, juris = JA 2016, 306/ wistra 2016, 164); vgl. i.Ü. auch BGH, Urt. v. 24. 03. 2016 – 2 StR 36/15 –, juris = wistra 2016, 404. 13

152

Teil 3: Lösungsansätze

II. Uneigentliches Organisationsdelikt Die Rechtsprechung behilft sich zur Überwindung der konkurrenzrechtlichen Schwierigkeiten seit Aufgabe der Rechtsprechung zum Fortsetzungszusammenhang durch die Entscheidung des Großen Senats (BGHSt 40, 138) mit der Rechtsfigur des uneigentlichen Organisationsdelikts.16 Die Dissertation von Kische17 leistet den ersten ausführlichen wissenschaftlichen Beitrag zur Auseinandersetzung mit dem uneigentlichen Organisationsdelikt; auch Reichenbach18 setzt sich eingehend mit einer dogmatischen Einordnung der Rechtsfigur auseinander. Das uneigentliche Organisationsdelikt ist eine Schöpfung der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs. Zu den „eigentlichen“ Organisationsdelikten zählen insbesondere die Straftatbestände im Zusammenhang mit verfassungswidrigen Parteien oder Organisationen (§§ 84 – 87 StGB) oder verbotenen Vereinen (§ 20 I Nr. 1 VereinsG19) und die Straftatbestände der Bildung krimineller oder terroristischer Vereinigungen (§§ 129 – 129b StGB), weil sie dadurch gekennzeichnet sind, dass sie organisationsbezogene Betätigungen erfassen, also solches Tun, das in einem Zusammenhang mit der Vereinigung als Organisation steht.20 Beim „uneigentlichen“ Organisationsdelikt erfasst nicht schon der Tatbestand solche Organisationshandlungen, sondern aufgrund gewisser Umstände wird eine konkurrenzrechtliche Betrachtung der Einzelakte als Tateinheit als angezeigt angesehen. Der Betrugstatbestand ist nicht als Organisationsdelikt konzipiert, sondern erfasst Handlungen, die das Vermögen Einzelner schädigen.21 Das uneigentliche Organisationsdelikt will laut Kische auch keine Anerkennung des Betrugstatbestands als Organisationsvergehen, sondern nur eine konkurrenzrechtliche, aber keine tatbestandliche Parallelwertung.22 Mittlerweile23 hat die Rechtsfigur des uneigentlichen Organisationsdelikts beim Betrug Konturen angenommen24, gilt als ständige Rechtsprechung25 und wird folgendermaßen verstanden: 16

BGH, Urt. v. 17. 06. 2004 – 3 StR 344/03 –, juris Rn. 21 = BGHSt 49, 177. Kische, Die Rechtsfigur des uneigentlichen Organisationsdelikts (BGHSt 49, 177), Hamburg 2014. 18 Reichenbach, Jura 2016, 139. 19 Gesetz zur Regelung des öffentlichen Vereinsrechts (Vereinsgesetz) vom 05. 08. 1964 (BGBl. I S. 593), letzte Änderung vom 01. 04. 2015 (BGBl. I S. 434). 20 Kische, Uneigentliches Organisationsdelikt, S. 3 m.w.N.; Reichenbach, Jura 2016, 139 (143); BGH, Urt. v. 25. 07. 1984 – 3 StR 62/84 –, juris Rn. 5 = BGHSt 33, 16; BGH, Urt. v. 11. 06. 1980 – 3 StR 9/80 –, juris Rn. 13 = BGHSt 29, 288. 21 BGH, Beschl. v. 29. 07. 2009 – 2 StR 160/09 –, juris Rn. 5 = wistra 2009, 437. 22 Kische, Uneigentliches Organisationsdelikt, S. 73 f.; a.A.: missverständlich noch BGH, Beschl. v. 26. 08. 2003 – 5 StR 145/03 –, juris Rn. 23 = BGHSt 48, 331. 23 Vgl. zur Entwicklung der Rechtsprechung zum uneigentlichen Organisationsdelikt: Kische, Uneigentliches Organisationsdelikt, S.9 ff. 24 Reichenbach bemängelt im Hinblick auf die Rechtsicherheit, dass die Grenzen des uneigentlichen Organisationsdelikts noch nicht eindeutig geklärt seien, Reichenbach, Jura 2016, 139 (147). 17

3. Kap.: Das uneigentliche Organisationsdelikt

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„Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs bestimmt sich bei Zusammenarbeit mehrerer Beteiligter im Rahmen einer Tatserie die Zahl der rechtlich selbständigen Handlungen im Sinne von § 53 Abs. 1 StGB für jeden Täter grundsätzlich nach der Anzahl seiner eigenen Handlungen zur Verwirklichung der Einzeldelikte. Wirkt ein Täter an einzelnen Taten anderer Beteiligter selbst nicht unmittelbar mit, sondern erschöpfen sich seine Tatbeiträge hierzu im Aufbau und in der Aufrechterhaltung des auf die Straftaten ausgerichteten ,Geschäftsbetriebes‘, sind diese Tathandlungen als – uneigentliches – Organisationsdelikt zu einer einheitlichen Tat im Sinne des § 52 Abs. 1 StGB zusammenzufassen (st. Rspr.; vgl. BGH, Beschlüsse vom 29. Juli 2009 – 2 StR 160/09, StV 2010, 363, vom 14. November 2012 – 3 StR 403/12, StV 2013, 386 und vom 23. Mai 2013 – 2 StR 55512 (sic), wistra 2013, 389). Von dieser Handlungseinheit sind nur die Fälle ausgenommen, in denen der Täter selbst einen individuellen Tatbeitrag erbringt.“26 (Hervorhebung nicht im Original)

Im Folgenden werden jeweils zunächst die Voraussetzungen für die Annahme eines uneigentlichen Organisationsdelikts herausgearbeitet und anschließend deren Vorliegen in den aufgeführten Entscheidungen des Massenbetrugs untersucht. Die Bewertung des Verhaltens als uneigentliches Organisationsdelikt erfolgte meist in einem Nebensatz im Rahmen der Konkurrenzen und wurde nicht ausführlich thematisiert. 1. Geschäftsbetrieb Ein uneigentliches Organisationsdelikt setzt einen auf Straftaten ausgerichteten Geschäftsbetrieb voraus.27 Der Begriff des Geschäftsbetriebs wird dabei nicht weiter konkretisiert. Kische unterscheidet nach phänotypischer Analyse der Rechtsprechung drei Fallgruppen: Es handle sich um einen Mehr-Personen-Verbund zu gemeinsamer Zweckerreichung, dessen Mitglieder sich zur arbeitsteiligen und auf gemeinschaftliche Erfolgsverwirklichung gerichteten Straftatbegehung verabreden und der entweder (1) aus mehreren Tätern (egalitär) oder (2) aus einem oder mehreren Tätern unter Beteiligung von einem oder mehreren Teilnehmern (heterarchisch) oder (3) aus einem oder mehreren Tätern, die Aufgaben an eine organisatorisch untergebene Ausführungsebene zuweisen, (hierarchisch) bestehe.28 Der Begriff des Geschäftsbetriebs ist von ähnlichen Erscheinungsformen eines MehrPersonen-Verbunds wie der Bande, der kriminellen Vereinigung i.S.d. § 129 StGB und der mittelbaren Täterschaft kraft Organisationsherrschaft (dazu sogleich, 25

Vgl. nur BGH, Urt. v. 17. 06. 2004 – 3 StR 344/03 –, juris = BGHSt 49, 177; BGH, Beschl. v. 14. 10. 2014 – 3 StR 365/14 –, juris Rn. 4 = NStZ 2015, 334; BGH, Beschl. v. 29. 07. 2009 – 2 StR 160/09 –, juris Rn. 5 = wistra 2009, 437; BGH, Beschl. v. 09. 11. 2011 – 4 StR 252/ 11 –, juris Rn. 12 = StraFo 2012, 72. 26 BGH, Beschl. v. 14. 10. 2014 – 3 StR 365/14 –, juris Rn. 4 = NStZ 2015, 334. 27 Vgl. nur BGH, Beschl. v. 14. 10. 2014 – 3 StR 365/14 –, juris Rn. 4 = NStZ 2015, 334; BGH, Beschl. v. 29. 07. 2009 – 2 StR 160/09 –, juris Rn. 5 = wistra 2009, 437; BGH, Beschl. v. 09. 11. 2011 – 4 StR 252/11 –, juris Rn. 12 = StraFo 2012, 72. 28 Kische, Uneigentliches Organisationsdelikt, S. 41 f.

154

Teil 3: Lösungsansätze

S. 158 f.) abzugrenzen.29 Der Begriff des Geschäftsbetriebs unterscheidet sich auch vom Begriff der „Geschäftsmäßigkeit“ im Sinne der §§ 217, 206 I StGB: Geschäftsmäßig handelt, wer die Wiederholung gleichartiger Taten zum Gegenstand seiner Beschäftigung machen will, ohne dass es auf eine Gewinnerzielungsabsicht ankommt.30 Die Geschäftsmäßigkeit bezeichnet damit eine Absicht des Täters, während der Geschäftsbetrieb einen Mehr-Personen-Verbund meint. Der Geschäftsbetrieb muss ferner auf die Begehung von Straftaten ausgerichtet sein.31 Kische stellt hier einen Vergleich zum ähnlich lautenden Tatbestand des Organisationsdelikts des § 129 StGB an und hält den Geschäftsbetrieb für auf die Straftatbegehung ausgerichtet, wenn „dessen Mitglieder diese Zweckverfolgung verabredet haben oder die Straftatenbegehung durch die vorhandenen organisatorischen Strukturen ermöglicht wird, so dass die Straftaten als ein zurechenbares Werk des Geschäftsbetriebs erscheinen“.32 Ein auf Straftaten ausgerichteter Geschäftsbetrieb33 wurde bei den vorgestellten Entscheidungen zum Massenbetrug beim Vertrieb wertloser, vorbörslicher Aktien durch Telefonverkäufer34, bei der Eintreibung von nicht in der geforderten Höhe entstandenen Auslagekosten unter dem Deckmantel einer seriösen Kreditvermittlung35, beim Vertrieb von Werbeanzeigen36, bei der Organisation einer Ping-Anrufwelle37, beim organisierten Einzugsermächtigungslastschriftbetrug38 und dem Vertrieb von Widerrufsschreiben zwecks Abwehr von Forderungen ihrerseits betrügerisch agierender Gewinnspieleintragungsdienste39 angenommen. Diese Geschäftsbetriebe waren (zumindest auch) auf die Begehung von Straftaten ausgerichtet. Die Voraussetzungen für die Annahme eines „auf Straftaten ausgerichteten Geschäftsbetriebs“ wurden auch in diesen Entscheidungen nicht konkretisiert. Die Geschäftsbetriebe waren nach der Terminologie Kisches40 teils egalitär (mehrere 29

Kische, Uneigentliches Organisationsdelikt, S. 43 ff. Vgl. BT-Drucks. 18/5373 S. 16 f.; BeckOK-StGB/Oglakcioglu, § 217 Rn. 24; S/SLenckner/Eisele, § 206 Rn. 8. 31 Vgl. nur BGH, Beschl. v. 14. 10. 2014 – 3 StR 365/14 –, juris Rn. 4 = NStZ 2015, 334; BGH, Beschl. v. 29. 07. 2009 – 2 StR 160/09 –, juris Rn. 5 = wistra 2009, 437; BGH, Beschl. v. 09. 11. 2011 – 4 StR 252/11 –, juris Rn. 12 = StraFo 2012, 72. 32 Kische, Uneigentliches Organisationsdelikt, S. 63 f. 33 Vgl. nur BGH, Beschl. v. 14. 10. 2014 – 3 StR 365/14 –, juris Rn. 4 = NStZ 2015, 334. 34 LG Düsseldorf, Urt. v. 15. 12. 2010, 10 Kls 3/09 –, juris Rn. 94 ff.; aufgehoben (aber aus anderem Grund) durch BGH, Beschl. v. 31. 01. 2012 – 3 StR 285/11 = StraFo 2012, 231. 35 BGH, Beschl. v. 06. 02. 2013 – 1 StR 263/12 Rn. 3 f. = NJW 2013, 1545. 36 Vgl. BGH, Beschl. v. 15. 10. 2013 – 3 StR 154/13 = NStZ 2014, 111, Aufhebung aus anderem Grund. 37 LG Osnabrück, Urt. v. 06. 03. 2013 – 10 KLs 38/09 u. a. – juris = CR 2013, 581 (nachfolgend BGH, Urt. v. 27. 03. 2014 – 3 StR 342/13 = BGHSt 59, 195). 38 BGH, Urt. v. 22. 05. 2014 – 4 StR 430/13 Rn. 9 = NJW 2014, 2132. 39 BGH, Beschl. v. 04. 09. 2014 – 1 StR 314/14 Rn. 2 ff. = NStZ 2015, 98. 40 Vgl. Kische, Uneigentliches Organisationsdelikt, S. 41 f. 30

3. Kap.: Das uneigentliche Organisationsdelikt

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Mittäter)41, teils heterarchisch (mehrere Mittäter und Gehilfen bzw. Tatmittler)42 und teils hierarchisch (Haupttäter mit Untergebenen)43 aufgebaut. 2. Tatbeiträge Die rechtlich selbstständigen, also zueinander in Tatmehrheit stehenden, Tathandlungen der Tatmittler/Mittäter/Haupttäter sind in der Person des mittelbaren Täters/Mittäters/Teilnehmers als uneigentliches Organisationsdelikt zu einer einheitlichen Tat i.S.d. § 52 I StGB zusammenzufassen, wenn der mittelbare Täter/ Mittäter/Teilnehmer an einzelnen Taten anderer Beteiligter selbst nicht unmittelbar mitwirkt, sondern sich seine Tatbeiträge hierzu im Aufbau und in der Aufrechterhaltung des auf die Straftaten ausgerichteten Geschäftsbetriebes erschöpfen.44 a) Aufbau, Aufrechterhaltung und Ablauf Die Tatbeiträge mittelbaren Täters/Mittäters/Teilnehmers müssen sich im Aufbau, der Aufrechterhaltung und dem Ablauf erschöpfen45 und aus der Unternehmensstruktur heraus begangen werden46. Eine Erschöpfung der Tatbeiträge des mittelbaren Täters/Mittäters/Teilnehmers im Aufbau, der Aufrechterhaltung und dem Ablauf des auf Straftaten ausgerichteten Geschäftsbetriebs47 wurde in den Fallbeispielen des Massenbetrugs, soweit ersichtlich und soweit die Landgerichtsentscheidungen vorlagen, nicht benannt und dargelegt.48 41

Vgl. BGH, Beschl. v. 06. 02. 2013 – 1 StR 263/12 Rn. 3 f. = NJW 2013, 1545. Vgl. LG Osnabrück, Urt. v. 06. 03. 2013 – 10 KLs 38/09 u. a. – juris = CR 2013, 581 (nachfolgend BGH, Urt. v. 27. 03. 2014 – 3 StR 342/13 = BGHSt 59, 195); BGH, Urt. v. 22. 05. 2014 – 4 StR 430/13 Rn. 9 ff. = NJW 2014, 2132; BGH, Beschl. v. 04. 09. 2014 – 1 StR 314/14 = NStZ 2015, 98. 43 Vgl. LG Düsseldorf, Urt. v. 15. 12. 2010, 10 Kls 3/09 –, juris Ls. 1, Rn. 94 ff. 1939; aufgehoben (aber aus anderem Grund) durch BGH, Beschl. v. 31. 01. 2012 – 3 StR 285/11 = StraFo 2012, 231; BGH, Beschl. v. 15. 10. 2013 – 3 StR 154/13 Rn. 2 = NStZ 2014, 111 (Aufhebung aus anderem Grund). 44 Vgl. BGH, Beschl. v. 14. 10. 2014 – 3 StR 365/14 –, juris Rn. 4 = NStZ 2015, 334. 45 BGH, Urt. v. 17. 06. 2004 – 3 StR 344/03 –, juris Rn. 21 = BGHSt 49, 177; BGH, Beschl. v. 29. 07. 2009 – 2 StR 160/09 –, juris Rn. 5 = wistra 2009, 437; teilweise auch nur „Aufbau und Aufrechterhaltung“, vgl. BGH, Beschl. v. 14. 10. 2014 – 3 StR 365/14 –, juris Rn. 4 = NStZ 2015, 334; BGH, Beschl. v. 09. 11. 2011 – 4 StR 252/11 –, juris Rn. 12 = StraFo 2012, 72. 46 BGH, Beschl. v. 29. 07. 2009 – 2 StR 160/09 –, juris Rn. 5 = wistra 2009, 437. 47 Vgl. BGH, Urt. v. 17. 06. 2004 – 3 StR 344/03 –, juris Rn. 21 = BGHSt 49, 177; BGH, Beschl. v. 29. 07. 2009 – 2 StR 160/09 –, juris Rn. 5 = wistra 2009, 437; teilweise auch nur „Aufbau und Aufrechterhaltung“, vgl. BGH, Beschl. v. 14. 10. 2014 – 3 StR 365/14 –, juris Rn. 4 = NStZ 2015, 334; BGH, Beschl. v. 09. 11. 2011 – 4 StR 252/11 –, juris Rn. 12 = StraFo 2012, 72. 48 Lediglich das LG Osnabrück begründete die Annahme des uneigentlichen Organisationsdelikts damit, dass die Angeklagten „nur einmal im organisatorischen Sinne tätig“ geworden 42

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Teil 3: Lösungsansätze

b) Keine eigenhändige Deliktsbegehung und keine individuellen, nur eine Tat fördernde Tatbeiträge Ein uneigentliches Organisationsdelikt scheidet zum einen bei eigenhändig verwirklichter Deliktsbegehung49 im Sinne einer höchstpersönlichen und vollumfänglichen Erfüllung des Tatbestands in eigener Person50 aus. Zum anderen stehen „individuelle, nur einzelne Taten fördernde Tatbeiträge“, der Rechtsfigur entgegen und diese Taten sind grundsätzlich als tatmehrheitlich begangen zuzurechnen.51 Die organisatorische Einbindung des Täters in ein betrügerisches Geschäftskonzept ist dann für sich nicht ausreichend, die Einzelakte der Tatserie rechtlich zu einer Tat im Sinne eines sog. „uneigentlichen Organisationsdelikts“ zusammenzufassen.52 Eine Beteiligung auch nur im Bereich der Vorbereitungshandlungen an einzelnen Taten reicht schon für die Annahme von Tatmehrheit aus.53 In den Urteilen zum Massenbetrug wurde – soweit ersichtlich – nicht geprüft, ob das uneigentliche Organisationsdelikt wegen eigenhändig verwirklichter Deliktsbegehung54 ausscheiden muss. Individuelle, nur eine Einzeltat fördernde Tatbeiträge55 eines der Angeklagten wurden in einer Entscheidung geprüft und verneint.56 In keiner der aufgeführten Entscheidungen wurden einzelne, konkretisierbare Einzelfälle mit individuellen Tatbeiträgen von der vertateinheitlichenden Wirkung des uneigentlichen Organisationsdelikts ausgenommen und gesondert als tatmehrheitlich begangene Fälle abgeurteilt.

seien, LG Osnabrück, Urt. v. 06. 03. 2013 – 10 KLs 38/09 u. a. –, juris Rn. 108 f. = CR 2013, 581. 49 BGH, Urt. v. 17. 06. 2004 – 3 StR 344/03 –, juris Rn. 21 = BGHSt 49, 177. 50 Kische, Uneigentliches Organisationsdelikt, S. 69. 51 BGH, Beschl. v. 09. 11. 2011 – 4 StR 252/11 –, juris Rn. 12 = StraFo 2012, 72; vgl. auch BGH, Urt. v. 17. 06. 2004 – 3 StR 344/03 –, juris Rn. 21 = BGHSt 49, 177; BGH, Beschl. v. 29. 07. 2009 – 2 StR 91/09 –, juris Rn. 14 = wistra 2009, 466; BGH, Beschl. v. 14. 10. 2014 – 3 StR 365/14 –, juris Rn. 4 = NStZ 2015, 334. 52 BGH, Beschl. v. 29. 07. 2009 – 2 StR 160/09 –, juris Rn. 5 ff. = wistra 2009, 437; BGH, Beschl. v. 29. 07. 2009 – 2 StR 91/09 –, juris Rn. 14 = wistra 2009, 466; BGH, Beschl. v. 09. 11. 2011 – 4 StR 252/11 –, juris Rn. 12 = StraFo 2012, 72. 53 BGH, Beschl. v. 14. 06. 2011 – 1 StR 90/11 –, juris Rn. 7 = wistra 2011, 344. 54 Vgl. BGH, Urt. v. 17. 06. 2004 – 3 StR 344/03 –, juris Rn. 21 = BGHSt 49, 177. 55 BGH, Urt. v. 17. 06. 2004 – 3 StR 344/03 –, juris Rn. 21 = BGHSt 49, 177; BGH, Beschl. v. 29. 07. 2009 – 2 StR 91/09 –, juris Rn. 14 = wistra 2009, 466; BGH, Beschl. v. 09. 11. 2011 – 4 StR 252/11 –, juris Rn. 12 = StraFo 2012, 72. 56 LG Osnabrück, Urt. v. 06. 03. 2013 – 10 KLs 38/09 u. a. –, juris Rn. 108 f. = CR 2013, 581.

3. Kap.: Das uneigentliche Organisationsdelikt

157

c) Zusammenhang mit der mittelbaren Täterschaft kraft Organisationsherrschaft Die mittelbare Täterschaft als „Willensherrschaft kraft organisatorischer Machtapparate“ war nach der Konzeption Roxins eine weitere Fallgruppe der mittelbaren Täterschaft und auf staatliche und staatsähnliche Machtapparate beschränkt.57 Die Rechtsprechung hat dieses Institut im Laufe der Jahre auch auf Wirtschaftsunternehmen angewendet, wenn der Täter „durch Organisationsstrukturen bestimmte Rahmenbedingungen ausnutzt, die regelhafte Abläufe auslösen“58. Das von Roxin geforderte Kriterium der Fungibilität – die beliebige Austauschbarkeit des Vordermanns – ersetzte der Bundesgerichtshof durch die vom Hintermann ausgelösten „regelhaften Abläufe“.59 Bei der mittelbaren Täterschaft kraft Organisationsherrschaft in Wirtschaftsunternehmen wird es für unerheblich erachtet, ob der Tatmittler gut- oder bösgläubig ist.60 Mangels der Rechtsgelöstheit der Unternehmen geht diese Ausweitung auf Wirtschaftsunternehmen nicht nur großen Teilen der Wissenschaft, sondern auch Roxin selber zu weit.61 Dieser Streit muss hier nicht entschieden werden, um den Zusammenhang zum uneigentlichen Organisationsdelikt zu beleuchten. Die Rechtsfigur des uneigentlichen Organisationsdelikts ist weder mit der Roxinschen mittelbaren Täterschaft kraft organisatorischer Machtapparate noch mit der mittelbaren Täterschaft kraft Organisationsherrschaft im Sinne der Konzeption des Bundesgerichtshofes gleichzusetzen.62 Zwar weisen beide Rechtsfiguren sachverhaltstypische Gemeinsamkeiten auf63 und die Annahme einer mittelbaren Täterschaft kraft Organisationsherrschaft kann zu einem uneigentlichen Organisationsdelikt führen64. Der zweite Senat betrachtete das uneigentliche Organisations57

Roxin, TuT, § 24, v. a. S. 250 f. Erstmals in BGH, Urt. v. 26. 07. 1994 – 5 StR 98/94 –, juris Rn. 85 = BGHSt 40, 218 angesprochen: „Auch das Problem der Verantwortlichkeit beim Betrieb wirtschaftlicher Unternehmen läßt sich so lösen.“ Ansonsten vgl. nur BGH, Urt. v. 11. 12. 1997 – 4 StR 323/97 –, juris Rn. 21 = wistra 1998, 148. 59 Vgl. Reichenbach, Jura 2016, 139 (142). 60 Str., BGH, Urt. v. 11. 12. 1997 – 4 StR 323/97 –, juris Rn. 21 = wistra 1998, 148; BGH, Beschl. v. 26. 08. 2003 – 5 StR 145/03 –, juris Rn. 34 = BGHSt 48, 331; Kische fasst diesen Umstand so auf, dass zwei unterschiedliche Fallgruppen, nämlich die auf bösgläubige Tatmittler ausgerichtete mittelbare Täterschaft kraft organisatorischer Machtapparate und die mittelbare Täterschaft kraft Irrtumsherrschaft über gutgläubige Tatmittler vermischt werden, Kische, Uneigentliches Organisationsdelikt, S. 58. 61 Roxin, AT II, § 25 Rn. 129 ff. und TuT, S. 748 ff.; Rissing-van Saan, FS Tiedemann, 391 (404); S/S-Heine/Weißer, § 25 Rn. 30; MüKo-Joecks, § 25 Rn. 150 mit ausführlicher Darstellung des Streitstandes zur Organisationsherrschaft, Rn. 132 ff. 62 Kische, Uneigentliches Organisationsdelikt, S. 56. 63 Vgl. auch Lindemann, Wirtschaftsstrafrecht, S. 241 f. 64 Vgl. BGH, Beschl. v. 26. 08. 2003 – 5 StR 145/03 –, juris Rn. 33 = BGHSt 48, 331; so versteht auch Puppe die Rechtsfigur des uneigentlichen Organisationsdelikts, NK-Puppe, § 52 Rn. 17, 49a. 58

158

Teil 3: Lösungsansätze

delikt anfangs auch auf den Fall mittelbarer Täterschaft kraft Organisationsherrschaft beschränkt.65 Das uneigentliche Organisationsdelikt hat aber jedenfalls insofern einen weiteren Anwendungsbereich, als es auch bei Mittäterschaft,66 Beihilfe67 und sogar Anstiftung68 angenommen wird.69 Das uneigentliche Organisationsdelikt ist von seiner Ausgangsidee keine Täterschaftsform, sondern eine konkurrenzrechtliche Rechtsfigur. Anders sieht das wohl Reichenbach, der das uneigentliche Organisationsdelikt als extensiv begriffene Form der mittelbaren Täterschaft versteht.70 3. Erfordernis einer Beteiligungskonstellation Besondere Aufmerksamkeit wird der Frage geschenkt, wie sich die Rechtsfigur des uneigentlichen Organisationsdelikts in den unterschiedlichen Beteiligungskonstellationen verhält. Zunächst wird das Verhältnis von uneigentlichem Organisationsdelikt zur mittelbaren Täterschaft beleuchtet. Danach wird die Frage untersucht, ob eine Beteiligungskonstellation i.S.d. §§ 25 ff. StGB als konstituierend für die Annahme der Rechtsfigur in dem Sinne erachtet wird, dass es zwingend erforderlich ist, dass jedenfalls ein Beteiligter nachgewiesenermaßen den Straftatbestand in mehreren tatmehrheitlichen Fällen verwirklicht hat und dessen Handlungen den anderen Beteiligten über §§ 25 ff. StGB zugerechnet werden können, um diese Einzeldelikte in der Person der anderen Beteiligten zur Tateinheit zusammenzufassen. Hierzu werden die Massenbetrugsfälle der übrigen Rechtsprechung zum uneigentlichen Organisationsdelikt gegenüber gestellt. a) Allgemeine Konkurrenzlehre bei mehreren Beteiligten Zunächst ist ein kurzer Blick auf die allgemeine Konkurrenzlehre bei mehreren Beteiligten angezeigt. Nach der allgemeinen Konkurrenzlehre bei mehreren Beteiligten sind die Konkurrenzen für jeden Beteiligten gesondert zu beurteilen.71 Das bedeutet, dass der Gehilfe, der gleichzeitig durch eine einzige Hilfeleistung ver65 BGH, Beschl. v. 02. 11. 2007 – 2 StR 384/07 –, juris Rn. 5 = NStZ 2008, 89; wohl auch BGH, Beschl. v. 29. 07. 2009 – 2 StR 160/09 –, juris Rn. 7 = wistra 2009, 437; vgl. dazu Kische, Uneigentliches Organisationsdelikt, S. 31; so wohl auch SK-StGB/Jäger, Vor § 52 Rn. 20. 66 BGH, Beschl. v. 09. 01. 2008 – 5 StR 572/07 –, juris Rn. 3 = wistra 2008, 181. 67 Vgl. BGH, Beschl. v. 02. 09. 2015 – 2 StR 49/15 –, juris = StraFo 2015, 517. 68 BGH, Urt. v. 11. 12. 1997 – 4 StR 323/97 –, juris Rn. 19 ff. = wistra 1998, 148; Kische lehnt dies bei personenbezogenen und nicht organisationsbezogenen Tatbeiträgen ab, Kische, Uneigentliches Organisationsdelikt, S. 74 f. 69 So auch Kische, Uneigentliches Organisationsdelikt, S. 51 ff. 70 Reichenbach, Jura 2016, 139 (147). 71 BeckOK-StGB/v. Heintschel-Heinegg, § 52 Rn. 61; MüKo-StGB/v. Heintschel-Heinegg, § 52 Rn. 15; NK-Puppe, § 52 Rn. 17; für viele BGH, Beschl. v. 13. 05. 2003 – 3 StR 128/03 –, juris Rn. 17 = wistra 2003, 426.

3. Kap.: Das uneigentliche Organisationsdelikt

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schiedene Haupttaten unterstützt,72 und ein Anstifter oder mittelbarer Täter, der durch eine Anweisung verschiedene Personen zu verschiedenen Taten veranlasst,73 und der Mittäter, der nur einen Beitrag erbringt, der sich auf mehrere Taten des anderen Mittäters auswirkt,74 nur eine Tat begeht, weil nur eine Handlung vorliegt. Hat ein Mittäter, mittelbarer Täter oder Gehilfe, der an der unmittelbaren Ausführung der Taten nicht beteiligt ist, einen alle Einzeldelikte fördernden Tatbeitrag bereits im Vorfeld erbracht, werden ihm die jeweiligen Taten der Mittäter, Tatmittler oder Haupttäter als tateinheitlich begangen zugerechnet, da sie in seiner Person durch den einheitlichen Tatbeitrag zu einer Handlung i.S.d. § 52 I StGB verknüpft werden.75 b) Grundsätzliche Erforderlichkeit des Nachweises der Haupttat für Bestrafung des mittelbaren Täters/Mittäters/Teilnehmers Eine Verurteilung wegen Anstiftung76 und Beihilfe77 ist auch im Falle eines unbekannten Haupttäters möglich. Das Gericht ist bei der Verurteilung des Teilnehmers nicht an die Bewertung der Tat im Verfahren gegen den Haupttäter rechtlich gebunden.78 Feststellungen zur Haupttat müssen aber getroffen werden.79 Das ist allein aufgrund der materiell-rechtlichen Akzessorietät der Teilnahme erforderlich. c) Rechtsprechung zum uneigentlichen Organisationsdelikt Im Folgenden wird untersucht, wie sich die Rechtsprechung zum uneigentlichen Organisationsdelikt außerhalb der Massenbetrugsfälle darstellt. Inwieweit die Rechtsprechung auf eine Beteiligungskonstellation verzichtet, wird stufenweise deutlich durch die Annahme eines uneigentlichen Organisationsdelikts bei unbekannt gebliebenen Ausführenden, durch die wechselseitige Anwendung des uneigentlichen Organisationsdelikts bei allen Beteiligten und zuletzt beim unmittelbaren Täter.

72

BGH, Beschl. v. 21. 02. 2006 – 5 StR 558/05 –, juris Rn. 2 = wistra 2006, 226. NK-Puppe, § 52 Rn. 17; BGH, Beschl. v. 13. 05. 2003 – 3 StR 128/03 –, juris Rn. 17 = wistra 2003, 426. 74 BGH, Beschl. v. 17.09.013 – 3 StR 259/13 –, juris Rn. 3 = NStZ-RR 2013, 372. 75 BGH, Beschl. v. 13. 05. 2003 – 3 StR 128/03 –, juris Rn. 17 = wistra 2003, 426. 76 Vgl. MR-Haas, § 26 Rn. 49; HK-GS/Ingelfinger, §§ 26 Rn. 21, 27 Rn. 24. 77 HansOLG Hamburg, Urt. v. 07. 03. 1952 – Ss 8/52 = JR 1953, 27; HK-GS/Ingelfinger, § 27 Rn. 24; AnwK-StGB/Waßmer, § 27 Rn. 48. 78 Bzgl. Anstiftung: RG, Urt. v. 26. 09. 1924 – I 582/24 = RGSt 58, 290; MR-Haas, § 26 Rn. 49; HK-GS/Ingelfinger, § 26 Rn. 21; AnwK-StGB/Waßmer, § 26 Rn. 44; bzgl. Beihilfe: AnwK-StGB/Waßmer, § 27 Rn. 49. 79 BGH, Urt. v. 11. 02. 2010 – 4 StR 433/09 –, juris Rn. 6 = wistra 2010, 219. 73

160

Teil 3: Lösungsansätze

aa) Unbekannt gebliebene unmittelbare Täter oder Tatmittler Bei Angeklagten, die mit „unbekannt gebliebenen Hintermännern“ zusammenwirkten und selbst nur im Aufbau und der Aufrechterhaltung des Geschäftsbetriebs tätig waren, wurde ein uneigentliches Organisationsdelikt für möglich gehalten.80 Der dritte Strafsenat hob daher die Verurteilung der Angeklagten wegen tatmehrheitlich begangenen Betrugs auf und sah kein Problem darin, ein uneigentliches Organisationsdelikt auch dann anzunehmen, wenn die Straftatsverwirklichung durch die Hintermänner nicht nachgewiesen werden kann. bb) Wechselseitige Anwendung bei allen Beteiligten Daran schließt sich die Frage an, ob die Rechtsprechung es auch für möglich hält, das uneigentliche Organisationsdelikt wechselseitig auf alle Beteiligten anwenden. In einem Fall, in dem nicht festgestellt werden konnte, welcher von beiden Mittätern den Straftatbestand eigenhändig verwirklichte, ist nach dem dritten Senat zugunsten der beiden Angeklagten davon auszugehen, dass es der jeweils andere oder ein weiterer Mittäter war, und dieser Fall unter das uneigentliche Organisationsdelikt zu fassen.81 In einem anderen Fall konnte laut drittem Senat unter Anwendung des Zweifelssatzes bei einem uneigentlichen Organisationsdelikt wegen tateinheitlicher begangener Taten verurteilt werden, wenn das Gericht zwar überzeugt war, dass durch eine eigenhändige Deliktsbegehung oder wegen individuellen Tatbeitrags tatmehrheitlich begangene Taten vorlagen, deren genaue Zahl aber nicht feststellbar war.82 Auf diese Weise wird für beide Mittäter ein uneigentliches Organisationsdelikt angenommen, mit der Folge, dass beide wegen tateinheitlich begangener Taten bestraft werden. Welcher Mittäter dann den Straftatbestand in den jeweiligen Einzelfällen verwirklicht hat und welchem diese Tatbestandsverwirklichung zugerechnet wird, wird dadurch irrelevant. cc) Keine Beteiligungskonstellation beim unmittelbaren Täter Darüber hinaus muss der Frage nachgegangen werden, ob man die Rechtsfigur auch bei einem Täter anwenden kann, ohne eine mittelbare Täterschaft oder eine Mittäterschaft festzustellen. Nach der herkömmlichen Definition muss man dies ablehnen, wenn man davon ausgeht, dass eine eigenhändige Deliktsverwirklichung im Sinne einer vollständigen Tatbestandsverwirklichung in eigener Person vom Anwendungsbereich des uneigentlichen Organisationsdelikts ausgenommen ist. Dennoch hat der dritte Senat einen Schuldspruch dahingehend geändert, dass die Fälle, in denen ausschließlich Vermittler des Angeklagten handelten, „rechtlich als unselbständige Teile eines [uneigentlichen] Organisationsdelikts“ des Angeklagten

80 81 82

BGH, Beschl. v. 05. 07. 2011 – 3 StR 197/11 –, juris Rn. 2, 9 = StRR 2011, 367. BGH, Beschl. v. 10. 05. 2001 – 3 StR 52/01 –, juris Rn. 4 = wistra 2001, 336. BGH, Urt. v. 17. 06. 2004 – 3 StR 344/03 –, juris Rn. 24 = BGHSt 49, 177.

3. Kap.: Das uneigentliche Organisationsdelikt

161

in Tateinheit zueinander stehen.83 Eine Zurechnung der Handlungen der Vermittler über mittelbare Täterschaft oder Mittäterschaft wurde nicht dargelegt. Es ist allerdings darauf hinzuweisen, dass die in Frage stehenden Fälle zuvor vom Landgericht einzeln und konkret festgestellt wurden. Der zweite Senat hingegen hob in einer früheren Entscheidung ein Urteil auf, in dem ein uneigentliches Organisationsdelikt bei einem Angeklagten, der ebenfalls über Vermittler mit den Kunden kommunizierte, angenommen wurde: „Mithin kann der Senat nicht nachprüfen, ob die in Betracht kommenden Betrugstaten – wie dies der Annahme eines ,uneigentlichen Organisationsdeliktes‘ durch die Strafkammer entsprechen könnte (vgl. Senat BGH NStZ 2008, 89, 90) – durch den Angeklagten als mittelbaren Täter unter Zuhilfenahme von Tatmittlern begangen wurden oder ob und gegebenenfalls in wie vielen Fällen von einem planmäßig arbeitsteiligen Vorgehen im Sinne von Mittäterschaft auszugehen ist.“84

Der Senat betonte deutlich, „dass § 263 StGB nicht als Organisationsdelikt, sondern als ein gegen das Vermögen einzelner Privater oder juristischer Personen gerichteter Straftatbestand konzipiert ist. Strafbar nach § 263 StGB ist nicht das Betreiben einer auf Betrug ausgerichteten Organisation als solcher, sondern die betrügerische Schädigung individuellen Vermögens. Der Umstand, dass Straftaten unter Schaffung und Ausnutzung einer Unternehmensstruktur ,organisiert‘ begangen werden, ändert daher nichts daran, dass die mehrgliedrigen tatbestandlichen Voraussetzungen des § 263 StGB, erforderlichenfalls hinsichtlich jedes – möglicherweise zu gleichartiger Tateinheit zusammenzufassenden – schädigenden Einzelaktes, konkret festgestellt sein müssen. Kommt mittelbare Täterschaft in Betracht, weil ein Hintermann unternehmerische oder geschäftsähnliche Organisationsstrukturen ausnutzt, innerhalb derer sein Tatbeitrag regelhafte Abläufe auslöst (vgl. Senat BGH NStZ 2008, 89), müssen die von ihm nicht selbst verwirklichten Tatbestandsmerkmale in der Person des Tatmittlers begangen sein.“85

Eine bloße Beschreibung des Geschäftsablaufs reiche nicht für eine Verurteilung, weil „der Vorstellungshorizont der durch die Einzelakte betroffenen Anleger beim Abschluss ihrer Beteiligung offen [bleibt]. Die Anleger werden ausschließlich als Gruppe behandelt, nicht aber – wie dies erforderlich wäre – als nach den Vorgaben des § 263 StGB geschädigte Einzelne. Dem entsprechend lassen sich den Feststellungen auch die verwirklichten Einzelakte nicht entnehmen. Bei dieser Vorgehensweise der Strafkammer bleibt völlig unklar, welche Anleger durch wen, wann und durch welche tatbestandlich relevanten Verhaltensweisen geschädigt wurden.“86

83

BGH, Beschl. v. 14. 10. 2014 – 3 StR 365/14 –, juris Rn. 4 = NStZ 2015, 334. BGH, Beschl. v. 29. 07. 2009 – 2 StR 160/09 –, juris Rn. 7 = wistra 2009, 437. 85 BGH, Beschl. v. 29. 07. 2009 – 2 StR 160/09 –, juris Rn. 5 = wistra 2009, 437. 86 BGH, Beschl. v. 29. 07. 2009 – 2 StR 160/09 –, juris Rn. 6 = wistra 2009, 437; s.a. BGH, Beschl. v. 24. 11. 2016 – 4 StR 87/16 –, juris Rn. 15 f. 84

162

Teil 3: Lösungsansätze

Nach diesem Urteil reicht eine Feststellung des Aufbaus und der Aufrechterhaltung eines auf Straftaten ausgerichteten Geschäftsbetriebs ohne die Feststellung einer mittelbaren Täterschaft oder einer Mittäterschaft und damit die Zurechnung der durch die Tatmittler oder Mittäter begangenen Einzeltaten gerade nicht für die Verurteilung wegen Betrugs. Dieses Urteil des zweiten Senats kann als Maßstab für die Beurteilung der Massenbetrugsfälle herangezogen werden. dd) Zwischenergebnis Insofern ist also eine Divergenz in der Rechtsprechung zu beobachten. Eine Beteiligungskonstellation wird nicht in allen Urteilen vorausgesetzt. d) Rechtsprechung zum uneigentlichen Organisationsdelikt beim Massenbetrug Im Folgenden wird untersucht, wie sich die Massenbetrugsfälle in die bestehende Kasuistik einfügen. Zwar wurde die Verwirklichung der Tatbestandsmerkmale des Betrugstatbestands geprüft. Eine Fallkonstellation mit mehreren Beteiligten lag auch in den meisten Fällen vor. Tateinheit wurde aber nicht deswegen angenommen, weil gerade die Stellung als mittelbarer Täter/Mittäter/Teilnehmer die tatmehrheitlich begangenen Straftaten des Tatmittlers/Mittäters/Haupttäters zur Tateinheit verknüpft, sondern schlicht und einfach schon aus dem Grund, dass ein betrügerischer Geschäftsbetrieb vorlag. Daher wurde das uneigentliche Organisationsdelikt auch durchgehend für alle Beteiligten angewendet. aa) Tateinheit bei allen Beteiligten Die Rechtsfigur des uneigentlichen Organisationsdelikts wurde verwendet, um alle Mittäter bzw. Mittäter und Teilnehmer wegen tateinheitlich begangener Taten zu bestrafen. Ohne bei einem Handelnden die unmittelbare Tatbestandsverwirklichung und beim anderen nur eine Mitwirkung im Aufbau und der Aufrechterhaltung des Geschäftsbetriebs festzustellen, wurde das uneigentliche Organisationsdelikt für alle Mittäter und nicht nur für den letztgenannten angenommen. (1) Fall 6: BGH, Beschl. v. 06. 02. 2013 – 1 StR 263/12 In diesem Verfahren (Fall 6: Eintreibung von Auslagekosten) wurde ein Angeklagter wegen tateinheitlich begangenen Betrugs verurteilt. Aus dem Revisionsbeschluss ergibt sich nicht, in welchem Beteiligungsverhältnis der „spiritus rector“ des Unternehmens zu den zwei nicht revidierenden Mitangeklagten gestanden hat.87 Die Pressemitteilung des LG Stuttgart spricht von „Mitarbeiterinnen des Unterneh-

87

Vgl. BGH, Beschl. v. 06. 02. 2013 – 1 StR 263/12 Rn. 1 – 8 = NJW 2013, 1545.

3. Kap.: Das uneigentliche Organisationsdelikt

163

mens“, die zu niedrigeren Freiheitsstrafen verurteilt worden sind.88 Die drei Beteiligten wurden in der Revisionsentscheidung nicht danach unterschieden, wer den Betrugstatbestand jeweils selbst verwirklichte und wer den Geschäftsbetrieb aufbaute und aufrechterhielt. Der erste Senat beanstandete die Annahme eines uneigentlichen Organisationsdelikts durch das Landgericht nicht und verwarf die Revision als unbegründet.89 Ob der Angeklagte sich Tatmittler bediente, wird in der Revisionsentscheidung nicht deutlich; eine etwaige mittelbare Täterschaft wurde im Beschluss nicht erwähnt. (2) Fall 14: BGH, Urt. v. 27. 03. 2014 – 3 StR 342/13 In einem weiteren Verfahren (Fall 14: Ping-Anrufe) stellte das Landgericht hinsichtlich aller drei Angeklagten, von denen zwei wegen gemeinschaftlichen Betrugs und eine wegen Beihilfe zum Betrug verurteilt wurden, fest: „Da die Angeklagten – im Hinblick auf die Vielzahl von Geschädigten – nur einmal im organisatorischen Sinne tätig geworden sind, handelt es sich um lediglich eine Tat des Betruges bzw. der Beihilfe hierzu. Ansonsten hätte im Hinblick auf einzelne Geschädigte ein individueller Tatbeitrag eines der Angeklagten festgestellt werden müssen, was indes nicht der Fall war.“90

Dieser Satz verdeutlicht am besten die Sichtweise des Tatgerichts: Alle drei Angeklagten wurden „organisatorisch“ tätig, was zum Gelingen der Gesamtaktion beitrug, und damit seien alle wegen tateinheitlich begangenen Betrugs zu bestrafen. Der dritte Senat erwähnte in seinem Urteil die Konkurrenzen nicht und verwarf die Revisionen der Angeklagten und der Staatsanwaltschaft.91 Eine Beteiligungskonstellation lag hier mit zwei Mittätern und einer Gehilfin zwar vor, aber sie war nicht der Grund für die Annahme eines uneigentlichen Organisationsdelikts, weil sich dann die Tatbeiträge aller drei Beteiligter im Aufbau und der Aufrechterhaltung hätten erschöpfen müssen. Das Landgericht nahm vielmehr unabhängig von der Verwirklichung des Betrugstatbestands durch die Mittäter und unabhängig vom Gehilfenbeitrag ein uneigentliches Organisationsdelikt an, weil die Täter eben auch organisatorisch tätig wurden. (3) Fall 7: BGH, Urt. v. 22. 05. 2014 – 4 StR 430/13 Der vierte Strafsenat beschränkte im Fall 7: Einzugsermächtigungslastschriftbetrug selbst die Strafverfolgung auf den Versuch gemäß § 154a II StPO, weil die Feststellungen belegt haben, dass

88 Pressemitteilung des LG Stuttgart vom 23. 02. 2012 (http://www.landgericht-stuttgart.de/ pb/,Lde/1195984/?LISTPAGE=1195716, Stand: 08. 06. 2017). 89 Vgl. BGH, Beschl. v. 06. 02. 2013 – 1 StR 263/12 Rn. 1 – 8 = NJW 2013, 1545. 90 LG Osnabrück, Urt. v. 06. 03. 2013 – 10 KLs 38/09 u. a. –, juris Rn. 108 = CR 2013, 581. 91 BGH, Urt. v. 27. 03. 2014 – 3 StR 342/13 = BGHSt 59, 195.

164

Teil 3: Lösungsansätze

„die Angeklagten nach ihrer Vorstellung als Mittäter im Wege eines uneigentlichen Organisationsdelikts Betrugshandlungen im Sinne von § 263 Abs. 1 StGB in 198.070 tateinheitlich zusammentreffenden Fällen zum Nachteil der Kontoinhaber begehen wollten“.92

Die Mittäter bedienten sich Call-Center-Mitarbeiter, um die Betroffenen zu täuschen.93 Eine etwaige mittelbare Täterschaft (beispielsweise kraft Organisationsherrschaft) wurde nicht dargelegt. Die angeklagten Mittäter wurden in ihren Handlungen nicht unterschieden und alle wegen tateinheitlich begangenen versuchten Betrugs verurteilt. Auch hier diente die Mittäterschaft nicht zur Zurechnung der Tatbestandsverwirklichung eines der Mittäter an die anderen, die vielleicht nur organisatorisch tätig waren. Vielmehr wurde die Tatbestandsverwirklichung durch die Mittäter zusammen geprüft und bejaht und das uneigentliche Organisationsdelikt daneben wegen der organisatorischen Tätigkeiten der Mittäter angenommen. (4) Fall 11: BGH, Beschl. v. 04. 09. 2014 – 1 StR 314/14 Der erste Strafsenat sprach im Fall 11: Widerrufsschreiben gegen Gewinnspieleintragungsdienste von einem „uneinheitlichen Organisationsdelikt […]“94, ohne diesen Begriff zu erläutern, während das Landgericht Würzburg in seiner Konkurrenzbetrachtung weder diesen noch den Begriff des uneigentlichen Organisationsdelikts verwendete, sondern „Handlungseinheit“ annahm.95. Die Angeklagten wurden wegen (versuchten) Betrugs oder Beihilfe zum versuchten Betrug verurteilt und operierten über Call-Center-Mitarbeiter.96 Eine mittelbare Täterschaft mithilfe der Call-Center-Mitarbeiter als Tatmittler wurde nicht dargelegt. (5) Fall 16: LG Düsseldorf, Urt. v. 31. 07. 2014 – 14 KLs – 130 Js 44/09 – 10/12 –, juris Im Fall 16: Schneeballsystem war nicht von einem uneigentlichen Organisationsdelikt die Rede. Vier Mittäter wurden allerdings wegen tateinheitlich begangener Taten verurteilt, weil ihre Tatbeiträge gleichzeitig eine Vielzahl von Einzelfällen förderten. Bei dem einen Angeklagten „bestanden diese Tatbeiträge […] in der Initiierung des angeblichen Anlagemodells und des Vertriebsaufbaus“ und bei den anderen Angeklagten in der „Durchführung des Vertriebsaufbaus, [der] Leitung des Vertriebs und [der] Betreuung der eingesetzten Berater“.97 Anlageberater vermit-

92 93 94 95

1309. 96

BGH, Urt. v. 22. 05. 2014 – 4 StR 430/13 Rn. 23 = NJW 2014, 2132. BGH, Urt. v. 22. 05. 2014 – 4 StR 430/13 Rn. 9 = NJW 2014, 2132. BGH, Beschl. v. 04. 09. 2014 – 1 StR 314/14 Rn. 10 = NStZ 2015, 98. LG Würzburg, Urt. v. 16. 10. 2013 – 5 KLs 771 Js 11617/11 –, juris Rn. 1298 f., 1307,

Vgl. LG Würzburg, Urt. v. 16. 10. 2013 – 5 KLs 771 Js 11617/11 –, juris. LG Düsseldorf, Urt. v. 31. 07. 2014 – 14 KLs – 130 Js 44/09 – 10/12 –, juris Rn. 1287 (nachfolgend BGH, Beschl./Urt. v. 10. 12. 2015 – 3 StR 163/15 –, juris = JA 2016, 306/ wistra 2016, 164). 97

3. Kap.: Das uneigentliche Organisationsdelikt

165

telten die Unternehmensanteile und verübten die Täuschungshandlung.98 Eine mittelbare Täterschaft wurde nicht dargelegt. bb) Tateinheit beim Alleintäter Die Rechtsfigur des uneigentlichen Organisationsdelikts wurde auch dazu benützt, einen unmittelbaren Alleintäter, der einen auf Straftaten ausgerichteten Geschäftsbetrieb aufbaut und aufrecht erhält und aus diesem heraus Betrugstaten begeht, wegen tateinheitlich begangener Taten zu bestrafen. Eine solche Vorgehensweise widerspricht der im oben genannten Beschluss deutlich werdenden Sichtweise des zweiten Senats.99 Diese Urteile wurden vom dritten Senat allerdings – jedoch aus anderen Gründen – aufgehoben. (1) Fall 9: BGH, Beschl. v. 31. 01. 2012 – 3 StR 285/11 So schrieb das Landgericht Düsseldorf im Fall 9: Vorbörsliche Aktien: „Es handelt sich dabei aufgrund des Umstands, dass der Angeklagte de facto Alleinverantwortlicher […] war, trotz der Vielzahl der betroffenen Anleger um ein auf wiederkehrende gleichartige Einzelakte gerichtetes, sogenanntes Organisationsdelikt.“100

Das Landgericht sprach gar von einem „Organisationsdelikt“ und nicht von einem „uneigentlichen Organisationsdelikt“. In der Revisionsentscheidung wurde dies nicht thematisiert. Der Angeklagte handelte über Telefonverkäufer;101 eine mittelbare Täterschaft oder eine Mittäterschaft mit dem Telefonverkäufern wurde im Urteil des Landgerichts nicht geprüft, was in der Revisionsentscheidung nicht beanstandet wurde. Der dritte Senat hob das Urteil auf, weil er die Tatbestandsmerkmale der Täuschung und des Irrtums nicht hinreichend belegt sah. Er monierte insbesondere, dass die Feststellungen maßgeblich auf das Geständnis des Angeklagten gestützt und weder Telefonverkäufer noch Geschädigte vernommen wurden.102 Womöglich war dies auch der Sichtweise des Landgerichts geschuldet, ein „Organisationsdelikt“ in den Handlungen zu sehen und vielleicht (auch) aus diesem Grund die Feststellungen zu den Tatbestandsmerkmalen zu vernachlässigen. (2) Fall 10: BGH, Beschl. v. 15. 10. 2013 – 3 StR 154/13 In einem weiteren Fall (Fall 10: Werbeanzeigen in Postfächern) hat das Landgericht laut drittem Strafsenat „den Tatbeitrag des Angeklagten – den zum sog. uneigentlichen Organisationsdelikt entwickelten Maßstäben entsprechend (vgl. etwa BGH, Beschluss vom 5. Juli 2011 – 3 StR 98

LG Düsseldorf, Urt. v. 31. 07. 2014 – 14 KLs – 130 Js 44/09 – 10/12 –, juris Rn. 1276. Vgl. BGH, Beschl. v. 29. 07. 2009 – 2 StR 160/09 –, juris Rn. 5 ff. = wistra 2009, 437. 100 LG Düsseldorf, Urt. v. 15. 12. 2010, 10 Kls 3/09 –, juris Ls. 1 und Rn. 1938 und nachfolgend BGH, Beschl. v. 31. 01. 2012 – 3 StR 285/11 = StraFo 2012, 231. 101 Vgl. BGH, Beschl. v. 31. 01. 2012 – 3 StR 285/11 Rn. 2 = StraFo 2012, 231. 102 BGH, Beschl. v. 31. 01. 2012 – 3 StR 285/11 Rn. 3 ff. = StraFo 2012, 231. 99

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Teil 3: Lösungsansätze

197/11) – rechtlich als einheitlichen Betrug gewertet und ausgeführt, die einzelnen betrügerischen Vertragsabschlüsse stellten lediglich unselbstständige Teilakte der Betrugstat dar.“103

Die dort zitierte Entscheidung steht im Einklang mit den Grundsätzen zu den Voraussetzungen des uneigentlichen Organisationsdelikts und handelt von „unbekannt gebliebenen Hintermännern“ und Angeklagten, die „lediglich beim Aufbau des Reisebüros und während dessen Betriebs Tatbeiträge, die sich einzelnen Betrugstaten nicht zuordnen lassen“, erbrachten.104 Im Fall 10: Werbeanzeigen in Postfächern ist allerdings von einem Angeklagten die Rede, der als Geschäftsführer das alleinige Sagen hatte, den gesamten Geschäftsablauf bestimmte, die Mitarbeiter einwies und ihnen sagte, was sie zu tun hatten.105 Ob die beschäftigten Telefonisten Tatmittler oder Mittäter waren, wurde jedenfalls in der Revisionsentscheidung nicht thematisiert. Der dritte Strafsenat hob das Urteil wegen einer fehlerhaften Ablehnung eines Beweisantrags auf.106 cc) Ergebnis In vielen dieser Entscheidungen handeln die Verantwortlichen über Call-CenterMitarbeiter/Telefonverkäufer. Dieser Umstand wird quasi so behandelt, als seien diese Telefonisten lediglich technische Einrichtungen, mittels derer die Täuschungen begangen werden, und keine Menschen, die gut- oder bösgläubig sein können. Eine in Betracht kommende mittelbare Täterschaft – insbesondere kraft Organisationsherrschaft – oder eine Mittäterschaft wird, soweit ersichtlich, nie geprüft.107 Man kann den meisten Entscheidungen gar nicht vorwerfen, sie vernachlässigten wegen der Annahme des uneigentlichen Organisationsdelikts die Prüfung der Betrugsmerkmale. Die Erfüllung der Betrugsmerkmale wird geprüft – in den Fällen mit CallCenter-Mitarbeitern allerdings nicht in der Person der Call-Center-Mitarbeiter, sondern in der der Haupttäter, da weder mittelbare Täterschaft noch Mittäterschaft angenommen wird. Die Gerichte prüfen vielmehr daneben noch eine Organisationstätigkeit – oder nehmen sie einfach an – und bejahen dann das uneigentliche Organisationsdelikt, um die Tateinheit zu begründen. Insofern entfernen sie sich von der üblichen Rechtsprechung zum uneigentlichen Organisationsdelikt. Die Beteiligungskonstellation ist jedenfalls nicht mehr der Grund für die Annahme der Rechtsfigur. Zwischen dem Vorliegen einer Beteiligungskonstellation und der Annahme eines uneigentlichen Organisationdelikts besteht kein Voraussetzungszusammenhang, sondern eine bloße Koinzidenz. Die Entscheidungen scheinen das 103

Vgl. BGH, Beschl. v. 15. 10. 2013 – 3 StR 154/13 Rn. 4 = NStZ 2014, 111. BGH, Beschl. v. 05. 07. 2011 – 3 StR 197/11 –, juris Rn. 2, 9 = StRR 2011, 367. 105 BGH, Beschl. v. 15. 10. 2013 – 3 StR 154/13 Rn. 2 = NStZ 2014, 111. 106 BGH, Beschl. v. 15. 10. 2013 – 3 StR 154/13 Rn. 5, 10 = NStZ 2014, 111. 107 Vgl. BGH, Urt. v. 22. 05. 2014 – 4 StR 430/13 = NJW 2014, 2132; LG Würzburg, Urt. v. 16. 10. 2013 – 5 KLs 771 Js 11617/11 –, juris; LG Düsseldorf, Urt. v. 15. 12. 2010, 10 Kls 3/09 –, juris; vgl. BGH, Beschl. v. 15. 10. 2013 – 3 StR 154/13 = NStZ 2014, 111. 104

3. Kap.: Das uneigentliche Organisationsdelikt

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uneigentliche Organisationsdelikt als eine Rechtsfigur zu begreifen, die allgemein bei Vorliegen eines organisierten, betrügerisch agierenden Geschäftsbetriebs die Einzeldelikte zur Tateinheit zusammenfassen kann und zwar unabhängig von einer Beteiligungskonstellation. Es ist schwer zu beurteilen, ob diese Entscheidungen die Rechtsprechung zum uneigentlichen Organisationsdelikt damit fortführen oder erweitern wollen. Das uneigentliche Organisationsdelikt wurde jeweils nur in einem Nebensatz angesprochen und nicht (ausführlich) begründet. Es steht zu vermuten, dass sich die Gerichte mit den Voraussetzungen des uneigentlichen Organisationsdelikts, wie sie in den einschlägigen Entscheidungen dargestellt werden, nicht ausreichend befasst haben und die Rechtsfigur und ihre tateinheitsstiftende Wirkung nur passend fanden. 4. Materiell-rechtliche Rechtsfolgen des uneigentlichen Organisationsdelikts Für den Massenbetrug sind insbesondere die Auswirkungen der Annahme eines uneigentlichen Organisationsdelikts auf die Konkurrenzen und die Strafzumessung relevant. Weitere materiell-rechtliche Konsequenzen auf das Strafanwendungsrecht, den Rücktritt vom Versuch oder die Verjährung108 stehen in dieser Untersuchung nicht im Vordergrund. a) Konkurrenzen Wie sich das uneigentliche Organisationsdelikt dogmatisch in die herkömmliche Konkurrenzlehre einordnen lässt, ist noch nicht abschließend geklärt.109 Während die Einordnung als tatbestandliche oder rechtliche Handlungseinheit (sui generis) noch umstritten ist, wird bei Annahme eines uneigentlichen Organisationsdelikts jedenfalls Tateinheit der Einzeldelikte der Ausführenden in der Person des Organisators angenommen. aa) Tatbestandliche vs. rechtliche Handlungseinheit (sui generis) Es ist noch nicht geklärt, ob das uneigentliche Organisationsdelikt das Verhalten zu einer natürlichen, einer tatbestandlichen oder einer rechtlichen Handlungseinheit verbindet. Das uneigentliche Organisationsdelikt wird teilweise – nach jeweils eigener Lesart – unter die tatbestandliche Handlungseinheit110 und teilweise unter die rechtliche Handlungseinheit111 (sui generis)112 eingeordnet. Laut Kische handelt es 108

Siehe dazu Kische, Uneigentliches Organisationsdelikt, S. 135 ff. Vgl. auch Reichenbach, Jura 2016, 139 (144). 110 Vgl. S/S-Sternberg-Lieben/Bosch, Vor §§ 52 ff. Rn. 17a; Lackner/Kühl-Kühl, Vor § 52 Rn. 10; AnwK-StGB/Rackow, § 52 Rn. 10. 111 Vgl. BGH, Urt. v. 17. 06. 2004 – 3 StR 344/03 –, juris Rn. 27 = BGHSt 49, 177; SKStGB/Jäger, Vor § 52 Rn. 20. 109

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Teil 3: Lösungsansätze

sich bei der Rechtsfigur des uneigentlichen Organisationsdelikts um eine rechtliche Handlungseinheit sui generis, die subsidiär Anwendung bei Fällen nicht nachweisbarer (!) Straftatsverwirklichung Anwendung finde und durch allein objektive Voraussetzungen gekennzeichnet sei.113 Er hält es aufgrund der Verfahrensvereinfachung für einen Vorteil, dass die Rechtsprechung das uneigentliche Organisationsdelikt bei Unklarheiten über die Zahl der individuellen Tatbeiträge durch die Heranziehung des Zweifelssatzes zu einer einem „Auffangtatbestand“ vergleichbaren Handlungseinheit ausgeweitet habe.114 bb) Tateinheit Im Ergebnis sollen die Einzeldelikte der Ausführenden durch das uneigentliche Organisationsdelikt in der Person, deren Tatbeitrag sich im Aufbau und der Aufrechterhaltung eines auf Straftaten ausgerichteten Geschäftsbetriebs erschöpft, zur Tateinheit verbunden werden.115 Der Bundesgerichtshof hat Urteile aufgehoben116 bzw. den Schuldspruch gemäß § 354 I StPO entsprechend geändert117, wenn die Fälle in Tatmehrheit statt Tateinheit ausgewiesen wurden, obwohl nach Ansicht des Bundesgerichtshofes ein uneigentliches Organisationdelikt vorgelegen habe. Die Annahme eines uneigentlichen Organisationsdelikts führte in den dargestellten Massenbetrugsfällen in der Person des Täters zur Annahme von Tateinheit zwischen den einzelnen durch die Ausführenden begangenen Delikten.118 In manchen Entscheidungen werden schon durch die Formulierungen das Begriffsverständnis und die Entbehrlichkeit der Beteiligungskonstellation deutlich: Anstatt eindeutig zu formulieren, dass die Tatbeiträge durch das uneigentliche Organisationsdelikt zu einer Tat im Rechtssinne zusammengefasst werden, indem die aus der 112

Kische, Uneigentliches Organisationsdelikt, S. 131 f.; Reichenbach, Jura 2016, 139 (142, 144). 113 Kische, Uneigentliches Organisationsdelikt, S. 131 f. 114 Kische, Uneigentliches Organisationsdelikt, S. 133 f. 115 St. Rspr., vgl. nur BGH, Urt. v. 17. 06. 2004 – 3 StR 344/03 –, juris Rn. 21 = BGHSt 49, 177; BGH, Beschl. v. 14. 10. 2014 – 3 StR 365/14 –, juris Rn. 4 = NStZ 2015, 334; BGH, Beschl. v. 29. 07. 2009 – 2 StR 160/09 –, juris Rn. 5 = wistra 2009, 437; BGH, Beschl. v. 09. 11. 2011 – 4 StR 252/11 –, juris Rn. 12 = StraFo 2012, 72; Reichenbach, Jura 2016, 139 (140). 116 Vgl. BGH, Beschl. v. 26. 08. 2003 – 5 StR 145/03 –, juris Rn. 31 ff. = BGHSt 48, 331; BGH, Beschl. v. 20. 09. 2016 – 3 StR 302/16 –, juris. 117 Vgl. BGH, Beschl. v. 14. 10. 2014 – 3 StR 365/14 –, juris Rn. 4 = NStZ 2015, 334; BGH, Beschl. v. 03. 30. 2016 – 4 StR 134/15 –, juris Rn. 11 ff. = wistra 2016, 309. 118 Vgl. BGH, Beschl. v. 06. 02. 2013 – 1 StR 263/12 Rn. 1 = NJW 2013, 1545; BGH, Beschl. v. 15. 10. 2013 – 3 StR 154/13 Rn. 8 = NStZ 2014, 111 (Aufhebung aus anderem Grund); BGH, Urt. v. 22. 05. 2014 – 4 StR 430/13 Rn. 23 = NJW 2014, 2132; s.a. LG Osnabrück, Urt. v. 06. 03. 2013 – 10 KLs 38/09 u. a. – juris Rn. 108 = CR 2013, 581 (nachfolgend BGH, Urt. v. 27. 03. 2014 – 3 StR 342/13 = BGHSt 59, 195); LG Würzburg, Urt. v. 16. 10. 2013 – 5 KLs 771 Js 11617/11 –, juris Rn. 1298 f., 1307, 1309 nahm „Handlungseinheit“ an, während nachfolgend BGH, Beschl. v. 04. 09. 2014 – 1 StR 314/14 = NStZ 2015, 98, vom „uneinheitlichen Organisationsdelikt“ sprach.

3. Kap.: Das uneigentliche Organisationsdelikt

169

Unternehmensstruktur heraus begangenen Straftaten in der Person der betroffenen Tatbeteiligten zu einer einheitlichen Tat oder gegebenenfalls zu wenigen einheitlichen Taten im Sinne des § 52 I StGB zusammengeführt werden,119 wird der „Tatbeitrag des Angeklagten […] rechtlich als einheitliche[r] Betrug gewertet und ausgeführt, die einzelnen betrügerischen Vertragsabschlüsse stellten lediglich unselbstständige Teilakte der Betrugstat dar“120 oder es heißt, dass die Angeklagten „im Wege eines uneigentlichen Organisationsdelikts Betrugshandlungen im Sinne von § 263 Abs. 1 StGB in 198.070 tateinheitlich zusammentreffenden Fällen“121 begehen wollten. Teilweise wurde innerhalb des Tenors unterschieden, wie viele versuchte und wie viele vollendete Fälle vorlagen, die alle in Tateinheit zueinander standen.122 Nach anderer Auffassung handle es sich insgesamt um ein vollendetes Delikt, wenn in einem uneigentlichen Organisationsdelikt tateinheitlich zusammentreffende Fälle des Versuchs und der Vollendung des gleichen Delikts zusammentreffen.123 b) Strafzumessung Hätten die Gerichte kein uneigentliches Organisationsdelikt angenommen, hätte Tatmehrheit vorgelegen, da sonst wohl weder eine natürliche noch eine rechtliche Handlungseinheit einschlägig war. Die Annahme von Tateinheit statt Tatmehrheit hat materiell-rechtliche Folgen in der Strafzumessung, da das Absorptions- statt dem Asperationsprinzip herangezogen wird. Bei gleichartiger Idealkonkurrenz wird auf eine Strafe aus dem verletzten Strafgesetz erkannt, § 52 I StGB, wobei eine mehrfache Gesetzesverletzung sich strafschärfend auswirken kann124. Beim Asperationsprinzip wird eine Gesamtstrafe aus den Einzelstrafen für jedes tatmehrheitlich verwirklichte Delikt gebildet, § 54 StGB. Tateinheit ist also grundsätzlich gegenüber der Tatmehrheit die mildere Regelung.125. Dazu aber der dritte Senat im Rahmen seiner das uneigentliche Organisationsdelikt befürwortenden Stellungnahme: „[D]a die konkurrenzrechtliche Einordnung der Einzeltaten deren Gesamtunrechts- und Schuldgehalt im allgemeinen nicht berührt (vgl. BGHSt 40, 218, 239; 41, 368, 373; BGH NStZ 1997, 233; BGH, Beschl. vom 30. März 2004 – 4 StR 529/03), führt die Verurteilung 119

So BGH, Urt. v. 17. 06. 2004 – 3 StR 344/03 –, juris Rn. 21 = BGHSt 49, 177; BGH, Beschl. v. 29. 07. 2009 – 2 StR 160/09 –, juris Rn. 5 = wistra 2009, 437; BGH, Beschl. v. 10. 05. 2001 – 3 StR 52/01 –, juris Rn. 3 = wistra 2001, 336. 120 Vgl. BGH, Beschl. v. 15. 10. 2013 – 3 StR 154/13 Rn. 4 = NStZ 2014, 111. 121 BGH, Urt. v. 22. 05. 2014 – 4 StR 430/13 Rn. 23 = NJW 2014, 2132. 122 Vgl. BGH, Beschl. v. 06. 02. 2013 – 1 StR 263/12 Rn. 1 = NJW 2013, 1545. 123 LG Osnabrück, Urt. v. 06. 03. 2013 – 10 KLs 38/09 u. a. – juris Rn. 109 = CR 2013, 581 (nachfolgend BGH, Urt. v. 27. 03. 2014 – 3 StR 342/13 = BGHSt 59, 195); Cornelius, NJW 2014, 2054 (2057). 124 Vgl. MüKo-StGB/v. Heintschel-Heinegg, § 52 Rn. 113; S/S-Sternberg-Lieben/Bosch, § 52 Rn. 33; AnwK-StGB/Rackow, § 52 Rn. 27. 125 MüKo-StGB/v. Heintschel-Heinegg, § 52 Rn. 6.

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Teil 3: Lösungsansätze

wegen nur einer Tat oder nur weniger tatmehrheitlicher Taten in aller Regel im Ergebnis zu einer den Angeklagten weder ungerechtfertigt belastenden noch unberechtigt begünstigenden Straffolge.“126

Kische stellt in der Strafzumessung auf die Anzahl der Tatbeiträge zum Aufbau und zur Aufrechterhaltung ab und will nur diese strafschwerend berücksichtigen, nicht aber die mehrfache Gesetzesverletzung der Ausführenden.127 Die Annahme eines uneigentlichen Organisationsdelikts erspart den Gerichten also jedenfalls die umständlichere Gesamtstrafenbildung.

B. Prozessual: Beweiserleichterungen über die Konkurrenzen Die Annahme eines uneigentlichen Organisationsdelikts hat Auswirkungen auf das Prozessrecht. Im Vordergrund stehen hier die Beweiserleichterungen bei der Feststellung der Tatbeiträge und der Einzeldelikte im Hauptverfahren. Daneben ist die Rechtsfigur des uneigentlichen Organisationsdelikts für die Frage der einheitlichen prozessualen Tat, mithin für die Rechtshängigkeit, die Rechtskraft und den Strafklageverbrauch, sowie für die Darstellung in Anklageschrift und Urteil relevant und wirft eigene Probleme auf,128 die hier aber nicht behandelt werden. Das nicht einheitliche Verständnis der Rechtsfigur des uneigentlichen Organisationsdelikts in den einschlägigen Entscheidungen selbst sowie in den aufgeführten Entscheidungen des Massenbetrugs führt auch zu unterschiedlichen Auswirkungen auf die von den Gerichten gestellten Anforderungen an die Beweiserhebung. I. Bestimmung der Konkurrenzen anhand der Feststellbarkeit der Einzelakte Die im Mittelpunkt stehende Frage ist die, inwieweit sich die Annahme eines uneigentlichen Organisationsdelikts auf die erforderliche Beweiserhebung und auf die Darlegung im Urteil auswirkt. Faktisch ist es aber genau andersrum; das, was in der Hauptverhandlung festgestellt werden kann, bestimmt die Konkurrenzen:129 Können eigenhändig verwirklichte oder durch individuellen Tatbeitrag verwirklichte Einzeldelikte festgestellt werden, seien diese Taten rechtlich selbstständige Handlungen i.S.d. § 53 StGB.130 Die restlichen Tatbeiträge, die sich im Aufbau und in der Aufrechterhaltung des auf Straftaten ausgerichteten Geschäftsbetriebs erschöpfen, 126

BGH, Urt. v. 17. 06. 2004 – 3 StR 344/03 –, juris Rn. 22 = BGHSt 49, 177. Kische, Uneigentliches Organisationsdelikt, S. 139 ff. 128 Vgl. dazu BGH, Beschl. v. 29. 06. 2016 – 2 StR 520/15 Rn. 34 = wistra 2016, 492; Kische, Uneigentliches Organisationsdelikt, S. 156 ff.; Reichenbach, Jura 2016, 139 (147). 129 Vgl. Kische, Uneigentliches Organisationsdelikt, S. 79. 130 Vgl. nur BGH, Beschl. v. 14. 10. 2014 – 3 StR 365/14 –, juris Rn. 4 = NStZ 2015, 334. 127

3. Kap.: Das uneigentliche Organisationsdelikt

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können im Wege des uneigentlichen Organisationsdelikts die Tathandlungen der anderen Beteiligten tateinheitlich zusammenfassen.131 Das uneigentliche Organisationsdelikt betreffe – so Kische – die Sonderkonstellationen, dass Mittätern, mittelbaren Tätern, Anstiftern und Gehilfen eine eigenhändige oder durch individuellen Tatbeitrag mitverwirklichte Deliktsbeteiligung nicht nachzuweisen sei. Gelinge solch ein Nachweis, seien diese Beteiligten wie die unmittelbaren Täter konkurrenzrechtlich nach § 53 StGB zu behandeln.132 Der dritte Senat gibt ein „Aufklärungsdefizit“ zu, das mit der Rechtsfigur des uneigentlichen Organisationsdelikts gelöst werden soll: „Die Aufklärung der firmeninternen Vorgänge, die für eine in allen Einzelheiten zutreffende konkurrenzrechtliche Bewertung der dem jeweiligen Beteiligten zurechenbaren Einzeltaten notwendig wäre, wird demgegenüber jedoch vielfach nicht möglich oder nur mit einem unverhältnismäßigen Ermittlungs- bzw. Verhandlungsaufwand durchführbar sein.“133

Weitet man nun den Anwendungsbereich des uneigentlichen Organisationsdelikts insofern aus, als es nicht mehr der Beteiligungskonstellation bedarf, es also nicht zwingend festgestellt sein muss, dass jedenfalls ein unmittelbarer Täter oder Tatmittler die Tat konkret ausführt, sondern bei allen Beteiligten134 bzw. beim unmittelbaren Alleintäter135 ein uneigentliches Organisationsdelikt angenommen wird, dann wird die Handlung erst auf diesem Wege aburteilbar, weil konkrete Einzeldelikte schließlich nicht festgestellt werden konnten. Das uneigentliche Organisationsdelikt hat in diesem weiten Verständnis also weitreichende Konsequenzen für die Beweiserhebung. Plakativ formuliert bedeutet das Folgendes: Konkret festgestellte Delikte stehen in Tatmehrheit und die nicht feststellbaren restlichen Delikte in Tateinheit. Die aufgeführten Massenbetrugsentscheidungen haben die Rechtsfigur meist im Rahmen der Konkurrenzen herangezogen, um Tateinheit zu begründen. Die Entscheidungen unterscheiden dabei nicht zwischen eigenhändiger Deliktsbegehung oder individuellem Tatbeitrag einerseits und bloßem Aufbau und Aufrechterhaltung des Geschäftsbetriebs andererseits. Daher gibt es auch auf Konkurrenz- und Strafzumessungsebene keine Aufspaltung in Tateinheit und Tatmehrheit. II. Keine konkrete Feststellung der Einzeldelikte Die Annahme eines uneigentlichen Organisationsdelikts führt mitunter dazu, dass die einzelnen Tatausführungen durch die handelnden Personen und die Vorausset131

Vgl. nur BGH, Beschl. v. 14. 10. 2014 – 3 StR 365/14 –, juris Rn. 4 = NStZ 2015, 334. Kische, Uneigentliches Organisationsdelikt, S. 177. 133 BGH, Urt. v. 17. 06. 2004 – 3 StR 344/03 –, juris Rn. 21 = BGHSt 49, 177. 134 Z. B. bei beiden Mittätern, vgl. BGH, Beschl. v. 10. 05. 2001 – 3 StR 52/01 –, juris Rn. 4 = wistra 2001, 336; BGH, Urt. v. 17. 06. 2004 – 3 StR 344/03 –, juris Rn. 24 = BGHSt 49, 177. 135 Ohne Darlegung einer mittelbaren Täterschaft, vgl. BGH, Beschl. v. 14. 10. 2014 – 3 StR 365/14 –, juris Rn. 4 = NStZ 2015, 334; anders BGH, Beschl. v. 29. 07. 2009 – 2 StR 160/09 –, juris Rn. 5 ff. = wistra 2009, 437. 132

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Teil 3: Lösungsansätze

zungen der Zurechnung über die Mittäterschaft oder die mittelbare Täterschaft nicht mehr konkret festgestellt werden. Kommt eine mittelbare Täterschaft (z. B. kraft Organisationsherrschaft) in Betracht, muss festgestellt werden, dass die vom Hintermann nicht selbst verwirklichten Tatbestandsmerkmale in der Person des Tatmittlers begangen wurden.136 Insbesondere in den Fällen, in denen Call-CenterMitarbeiter beschäftigt worden waren, prüften die Gerichte aber nicht ersichtlich, ob die Handlungen der Call-Center-Mitarbeiter Täuschungshandlungen darstellten und ob sie den Angeklagten über die mittelbare Täterschaft oder die Mittäterschaft zugerechnet werden konnten.137 Wie die Handlungen der Call-Center-Mitarbeiter den Angeklagten dann zugerechnet wurden, bleibt offen. Dieser Handhabung wirken andere – teils recht aktuelle – Entscheidungen entgegen. Zum einen handelt es sich um Fälle, in denen das Landgericht ein uneigentliches Organisationsdelikt annahm und der Bundesgerichtshof die Urteile aufhob, weil die – ggf. durch einen Tatmittler begangenen – Einzeldelikte nicht ausreichend festgestellt wurden: Bereits 2009 monierte der zweite Senat in einer Entscheidung, dass „völlig unklar [sei], welche Anleger durch wen, wann und durch welche tatbestandlich relevanten Verhaltensweisen geschädigt wurden“138 und hob daher das landgerichtliche Urteil auf. Auch dem vierten Strafsenat fehlten hinreichend konkrete Feststellungen zu den „Einzelakten“ bei wiederkehrenden gleichartigen Einzelbetrugstaten im Rahmen einer betrieblichen Organisation.139 Zum anderen handelt es sich um Fälle, in denen das Landgericht wegen tatmehrheitlich begangener Taten verurteilte, der Bundesgerichtshof allerdings eine Feststellung der individuellen Tatbeteiligung an den jeweiligen Einzeltaten vermisste, die ein uneigentliches Organisationsdelikt ausscheiden lassen könnte: Im Fall 15: Versprochene Werbeprovisionen hob der vierte Senat ein Urteil des Landgerichts auf, durch das die Angeklagten wegen tatmehrheitlich begangener Fälle verurteilt wurden, weil die Einzeldelikte durch eine „Tabelle mit pauschalen Angaben“ nicht ausreichend festgestellt seien und „völlig unklar bleibt, welche Fahrzeugkäufer durch welchen Angeklagten, wann und durch welche tatbestandlich relevanten Verhaltensweisen geschädigt wurden“.140 136

Vgl. BGH, Beschl. v. 29. 07. 2009 – 2 StR 160/09 –, juris Rn. 5 = wistra 2009, 437. Vgl. BGH, Urt. v. 22. 05. 2014 – 4 StR 430/13 = NJW 2014, 2132; LG Würzburg, Urt. v. 16. 10. 2013 – 5 KLs 771 Js 11617/11 –, juris; LG Düsseldorf, Urt. v. 15. 12. 2010, 10 Kls 3/09 –, juris; vgl. BGH, Beschl. v. 15. 10. 2013 – 3 StR 154/13 = NStZ 2014, 111. 138 BGH, Beschl. v. 29. 07. 2009 – 2 StR 160/09 –, juris Rn. 6 = wistra 2009, 437. 139 Hierbei handelte es sich um die Anwerbung von Kunden mittels Call-Center, die einen monatlichen Beitrag von 49,00 E bis 59,90 E für eine Lottotippgemeinschaft zahlen sollten, wobei die Verschaffung einer Gewinnchance seitens der Angeklagten nie geplant war, sondern sie das Geld für sich vereinnahmten. Durch 44.888 erfolgreiche Lastschriften wurden von 12.878 Kontoinhabern insgesamt 2.177.434,30 E abgebucht, BGH, Beschl. v. 24. 11. 2016 – 4 StR 87/16 –, juris Rn. 14 f. 140 Die Strafkammer hat in einer tabellarischen Übersicht die geschlossenen Werbeverträge und die Daten der Kunden dargestellt und zum Tatgeschehen festgestellt, dass „die Angeklagten“ den Kunden jeweils bei Vertragsabschluss versprachen, der Kaufpreis für das Fahrzeug 137

3. Kap.: Das uneigentliche Organisationsdelikt

173

III. Auswirkungen auf den Irrtumsnachweis Die Rechtsfigur des uneigentlichen Organisationsdelikts bringt einige Beweiserleichterungen mit sich, was die Feststellungen bei mehreren Beteiligten mit unterschiedlichen Zurechnungsanforderungen anbelangt. Sie ist aber nicht geeignet, das Problem des Irrtumsnachweises zu lösen. Denn die Beweiserleichterungen durch das uneigentliche Organisationsdelikt liegen – in einem im Einzelnen umstrittenen Umfang – im Bereich der Tathandlung, also auf Seiten der Täter, aber nicht im Bereich des Irrtums auf Seiten der Opfer. Eine Ausweitung der Beweiserleichterungen auf die Opferseite wäre erst recht bedenklich. Dann würden die Getäuschten nämlich „ausschließlich als Gruppe behandelt [werden], nicht aber – wie dies erforderlich wäre – als nach den Vorgaben des § 263 StGB geschädigte Einzelne“141. Zwar könnte man meinen, dies im Fall 11: Widerrufsschreiben gegen Gewinnspieleintragungsdienste142, in dem kein einziger Getäuschter hinsichtlich seines, womöglich einen Irrtum begründenden, Vorstellungsbilds vernommen wurde,143 zu beobachten, allerdings liegt dieser Umstand im Indizienschluss aufgrund des normativ geprägten Vorstellungsbild begründet und nicht im uneigentlichen Organisationsdelikt. Nach wie vor besteht also die Frage, wie mit der großen Vielzahl an Getäuschten umzugehen ist und deren Vorstellungsbilder festzustellen sind, und das uneigentliche Organisationsdelikt kann darauf keine Antwort geben.

C. Bewertung Auch wenn die Rechtsfigur des uneigentlichen Organisationsdelikts gar nicht die Kernfrage des Irrtumsnachweises beantwortet, erscheint aufgrund ihrer großen Relevanz beim Massenbetrug eine Bewertung dennoch angezeigt. Die Literatur äußert sich überwiegend kritisch hinsichtlich der Rechtsfigur des uneigentlichen Organisationsdelikts.144 Das uneigentliche Organisationsdelikt versuche vergeblich – so Rissing-van Saan –, seine Rechtfertigung als eine rechtliche Handlungseinheit sui generis zur Vereinfachung der rechtlichen Bewertung komplexer Sachverhalte aus sich selbst abzuleiten.145 Für die Annahme einer Handwerde vollständig durch die Werbeprovisionen zurückerstattet, obwohl ihnen klar gewesen sei, dass die Firma dazu nicht in der Lage sein würde, BGH, Urt. v. 19. 11. 2015 – 4 StR 115/15 –, juris Rn. 13 ff. = ZWH 2016, 120; s.a. BGH, Beschl. v. 20. 09. 2016 – 3 StR 302/16 –, juris Rn. 7. 141 BGH, Beschl. v. 29. 07. 2009 – 2 StR 160/09 –, juris Rn. 6 = wistra 2009, 437. 142 BGH, Beschl. v. 04. 09. 2014 – 1 StR 314/14 Rn. 10 = NStZ 2015, 98. 143 Vgl. dazu ausführlich im vierten Kapitel. 144 Fischer, StGB, § 263 Rn. 204; MüKo-StGB/Hefendehl, § 263 Rn. 870; Böttger/Nuzinger, 1. Kapitel Rn. 249 f.; NK-Puppe, § 52 Rn. 17, 49a; Reichenbach, Jura 2016, 139; Rissing-van Saan, FS Tiedemann, 391 (404); Trüg, HRRS 2015, 106 (114); LK-Tiedemann, § 263 Rn. 311. 145 Rissing-van Saan, FS Tiedemann, 391 (404).

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Teil 3: Lösungsansätze

lungseinheit hält sie jedenfalls einen auf einen Gesamterfolg zielenden echten Gesamtvorsatz für erforderlich;146 allein äußere Gegebenheiten seien keine hinreichende Legitimation für die zusammenfassende rechtliche Bewertung von komplexem und vielfachem Handeln mehrerer Personen147. Kische ist der starke Befürworter des uneigentlichen Organisationsdelikts in der Literatur.148 Trüg lehnt das uneigentliche Organisationsdelikt auch speziell als Lösungsansatz für die Massenbetrugsfälle ab.149 Reichenbach meint, dass die Rechtsfigur mehr Verwirrung stifte als Nutzen bringe und hält sie für entbehrlich.150 I. Positive Aspekte Das uneigentliche Organisationsdelikt bringt, wenn man es anerkennt, nur Beweiserleichterungen im Rahmen der Feststellung der Tathandlung und der Konkurrenzen mit sich. Für den Irrtumsnachweis beim Massenbetrug hält es keine Lösung parat. Daher können ihm im Rahmen der Frage nach einer Lösung für den Irrtumsnachweis beim Massenbetrug auch keine positiven Aspekte wie eine effektive und verfahrensökonomische Strafverfolgung oder eine beschleunigende Wirkung im Hinblick auf den Massenbetrug zugute gehalten werden. II. Kritik Gegen die Rechtsfigur des uneigentlichen Organisationsdelikts werden erhebliche Einwände erhoben. Außerdem stehen ihr dieselben Gründe entgegen, aus denen damals der Fortsetzungszusammenhang aufgegeben wurde. 1. Schuldprinzip und Unschuldsvermutung Das uneigentliche Organisationsdelikt hat eine eigene Dynamik entwickelt, was mangels ausreichender Sachverhaltsaufklärung zu einem Konflikt mit dem Schuldprinzip, Art. 1 I, 20 III GG, und der Unschuldsvermutung, Art. 6 II EMRK, führen kann. Das Schuldprinzip bedeutet, dass jede Strafe Schuld voraussetzt, weil eine strafrechtliche Reaktion ohne Feststellung der individuellen Vorwerfbarkeit eines sozialethischen Fehlverhaltens mit der Garantie der Menschenwürde und dem Rechtsstaatsprinzip unvereinbar wäre.151 Das Strafrecht beruht auf dem Schuld-

146

LK-Rissing-van Saan, Vor § 52 Rn. 79. Rissing-van Saan, FS Tiedemann, 391 (404). 148 Kische, Uneigentliches Organisationsdelikt, S. 193 f. 149 Trüg, HRRS 2015, 106 (114). 150 Reichenbach, Jura 2016, 139. 151 BVerfG, Urt. v. 19. 03. 2013 – 2 BvR 2628/10 u. a. –, juris Rn. 54 m.w.N. = BVerfGE 133, 168. 147

3. Kap.: Das uneigentliche Organisationsdelikt

175

grundsatz, der in der Garantie der Würde und Eigenverantwortlichkeit des Menschen, Art. 1 I, 2 I GG, und im Rechtsstaatsprinzip, Art. 20 III GG, verankert ist.152 In den ersten höchstrichterlichen Entscheidungen, die schließlich die Rechtsfigur des uneigentlichen Organisationsdelikts hervorbrachten,153 lagen die Fälle immer so, dass das Tatgericht wegen tatmehrheitlich begangener Fälle verurteilt hatte und der Bundesgerichtshof aufgrund eines vorliegenden uneigentlichen Organisationsdelikts Tateinheit annahm und daraufhin den Schuldspruch abänderte oder das Urteil ganz aufhob.154 Das bedeutet, dass die Einzeldelikte jedenfalls schon einmal vom Tatgericht konkret festgestellt worden sind, bevor sie erst in der Revisionsinstanz zur Tateinheit zusammengefasst wurden. Das hat insofern Bedeutung, als die unzureichende Aufklärung der Einzeldelikte ein Vorwurf ist, der gegenüber den frühen Entscheidungen nicht erhoben werden kann. In der Form, in der sich die Rechtsfigur des uneigentlichen Organisationsdelikts heute darstellt, ist sie grundsätzlich abzulehnen. Der Verzicht auf eine Beteiligungskonstellation birgt die Gefahr einer Verschiebung der Tathandlung und zusammen mit der Bestimmung der Konkurrenzen anhand der Feststellbarkeit der Taten kann dies die Bestrafung nicht nachweisbarer Taten ermöglichen. Das uneigentliche Organisationsdelikt vermengt konkurrenzrechtliche Fragen mit Fragen der Beteiligungslehre.155 a) Folgen des Verzichts auf eine Beteiligungskonstellation Ein kritikwürdiger Aspekt ist der Verzicht auf eine Beteiligungskonstellation. Das uneigentliche Organisationsdelikt wurde in den Konstellationen ohne Beteiligungskonstellation, bzw. ohne eine Darlegung derselben,156 sowie in den Konstellationen mit einer, allerdings bloß koinzidenten Beteiligungskonstellation157 angenommen. Indem die Rechtsprechung oft keine Feststellung der konkreten Tatbegehung durch eine bestimmte Person mehr fordert, löst sie den wichtigen Zusam152

BVerfG, Urt. v. 19. 03. 2013 – 2 BvR 2628/10 u. a. –, juris Rn. 53 m.w.N. = BVerfGE 133, 168. 153 Vgl. die Übersicht zur Rechtsprechungsentwicklung bei Kische, Uneigentliches Organisationsdelikt, S. 9 ff. 154 Vgl. BGH, Beschl. v. 21. 12. 1995 – 5 StR 392/95 –, juris = NStZ 1996, 296; BGH, Urt. v. 11. 12. 1997 – 4 StR 323/97 –, juris = wistra 1998; BGH, Beschl. v. 01. 09. 1998 – 1 StR 410/98 –, juris = wistra 1999, 23; BGH, Beschl. v. 10. 05. 2001 – 3 StR 52/01 –, juris Rn. 4 = wistra 2001, 336; BGH, Beschl. v. 26. 08. 2003 – 5 StR 145/03 –, juris = BGHSt 48, 331. 155 Vgl. auch Reichenbach, Jura 2016, 139 (140). 156 So die BGH, Beschl. v. 31. 01. 2012 – 3 StR 285/11 = StraFo 2012, 231 und BGH, Beschl. v. 15. 10. 2013 – 3 StR 154/13 = NStZ 2014, 111 zugrunde liegenden, aus anderen Gründen aufgehobenen Landgerichtsurteile. 157 Vgl. BGH, Beschl. v. 06. 02. 2013 – 1 StR 263/12 = NJW 2013, 1545; LG Osnabrück, Urt. v. 06. 03. 2013 – 10 KLs 38/09 u. a. –, juris = CR 2013, 581 (nachfolgend BGH, Urt. v. 27. 03. 2014 – 3 StR 342/13 = BGHSt 59, 195); BGH, Urt. v. 22. 05. 2014 – 4 StR 430/13 = NJW 2014, 2132; BGH, Beschl. v. 04. 09. 2014 – 1 StR 314/14 = NStZ 2015, 98.

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Teil 3: Lösungsansätze

menhang zwischen der unmittelbaren Ausführung des konkreten Einzeldelikts durch den Tatmittler/Mittäter/Haupttäter und der Zurechnung über §§ 25 ff. StGB an den mittelbaren Täter/Mittäter/Teilnehmer auf. Die Tathandlung des mittelbaren Täters/Mittäters/Teilnehmers kann nur dann mit dem bloßen Aufbau und der Aufrechterhaltung eine tatbestandsmäßige Handlung darstellen, wenn die Begehung der Einzeldelikte bzw. die unmittelbare Tatausführung, zugerechnet wird. Der mittelbare Täter braucht die Tatausführung durch den Tatmittler, der nicht selbst den Straftatbestand in allen Merkmalen erfüllende Mittäter braucht die Tatausführung durch seinen Mittäter und der Teilnehmer braucht eine Haupttat, zu der er anstiften, oder die er fördern muss, um sich selbst strafbar zu machen. Auf diese besondere Konstellation der Beteiligten in einer Beteiligungskonstellation verzichtet die Rechtsprechung aber, wenn sie das uneigentliche Organisationsdelikt auf alle Beteiligten oder auch beim Alleintäter anwendet. Die Tatausführung durch einen konkret bezeichneten, unmittelbar Handelnden wird dann nicht mehr festgestellt. Auch Reichenbach kritisiert, dass die Grenzen zwischen der mittelbaren Täterschaft und der Mittäterschaft verschwimmen, und dass dabei ausgeblendet wird, dass es nach der gesetzlichen Konstruktion der verschiedenen Täterschaftsformen maßgeblich darauf ankomme, ob die Tat durch einen anderen oder gemeinschaftlich mit ihm begangen werde.158 Eine differenzierte Erfassung der Beteiligungsformen sei für die Bestimmung des Unrechtsgehalts der Tat unerlässlich.159 Zu Recht beanstandet er, dass durch das uneigentliche Organisationsdelikt ein Instrumentarium entstehe, mittels dessen Täterschaft und Teilnahme nahezu beliebig austauschbar seien.160 aa) Beim unmittelbaren Täter Am augenscheinlichsten sind die Widersprüche bei der Annahme eines unmittelbaren Organisationsdelikts beim unmittelbaren Täter.161 Ein solches Vorgehen kann man entweder als Widerspruch in sich oder als faktische Ersetzung einer mittelbaren Täterschaft verstehen. (1) Verschiebung der Tathandlung Wie soll ein unmittelbarer Täter gleichzeitig die Tatbestandsvoraussetzungen erfüllen, aber seine Tatbeiträge sich im Aufbau und der Aufrechterhaltung eines Geschäftsbetriebs erschöpfen? Das ist ein Widerspruch in sich. Die Annahme von 158

Reichenbach, Jura 2016, 139 (145). Reichenbach, Jura 2016, 139 (145). 160 Reichenbach, Jura 2016, 139 (146). 161 So z. B. bei BGH, Beschl. v. 14. 10. 2014 – 3 StR 365/14 –, juris Rn. 4 = NStZ 2015, 334; LG Düsseldorf, Urt. v. 15. 12. 2010, 10 Kls 3/09 –, juris Ls. 1 und Rn. 1938 (aufgehoben durch BGH, Beschl. v. 31. 01. 2012 – 3 StR 285/11 = StraFo 2012, 231); die BGH, Beschl. v. 15. 10. 2013 – 3 StR 154/13 Rn. 4 = NStZ 2014, 111 zugrunde liegende aufgehobene Entscheidung des LG Osnabrück. 159

3. Kap.: Das uneigentliche Organisationsdelikt

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Tateinheit wegen eines uneigentlichen Organisationsdelikts ist nach allgemeinem Verständnis daher auch ausgeschlossen, wenn der Täter den Tatbestand „eigenhändig verwirklicht […]“162. Wenn dennoch ein uneigentliches Organisationsdelikt angenommen wird, droht die Gefahr einer Verschiebung der festzustellenden Tathandlung, weg von den Tatbestandsmerkmalen des Deliktstatbestands hin zu einer diffusen und pauschalen Tätigkeit beim Aufbau und Aufrechterhaltung eines auf Straftaten ausgerichteten Geschäftsbetriebs. Damit wäre der Widerspruch aufgelöst. Auch Puppe empfindet die Bestimmung der tatbestandsmäßigen Handlung als unpräzise, wenn das uneigentliche Organisationsdelikt unter Umständen „alle kriminellen Aktivitäten eines zu kriminellen Zwecken organisierten Unternehmens umfasst“.163 Dieses Vorgehen hat der zweite Senat aber deutlich kritisiert und betont, dass die mehrgliedrigen tatbestandlichen Voraussetzungen des Betrugstatbestands, erforderlichenfalls hinsichtlich jedes schädigenden Einzelaktes, konkret festgestellt sein müssen.164 In den vorgestellten Massenbetrugsfällen hat sich die Gefahr einer Verschiebung der Tathandlung noch nicht in diesem Umfang verwirklicht.165 Bei der zu prüfenden Tathandlung wurde eindeutig auf die Täuschungshandlung i.S.d. § 263 StGB abgestellt und auch auf die Prüfung der restlichen Tatbestandsmerkmale, vor allem des Irrtumsmerkmals, wurde ein besonderes Augenmerk gelegt. Die Rechtsfigur des uneigentlichen Organisationsdelikts in dieser Aufmachung böte aber für die Fälle des Massenbetrugs die verhängnisvolle Möglichkeit, die festzustellende Täuschungshandlung wegzubringen von der konkreten Kommunikationsbeziehung hin zu einer pauschalen Täuschungshandlung aus dem betrügerischen Geschäftsbetrieb heraus. (2) Drohende faktische Ersetzung einer etwaigen mittelbaren Täterschaft Die Annahme eines uneigentlichen Organisationsdelikts beim unmittelbaren Täter kann aber auch anders gedeutet werden, nämlich als faktische Ersetzung einer mittelbaren Täterschaft. Trüg erhebt Einwände gegen die Fortentwicklung des ursprünglichen Konzepts der Organisationsherrschaft hin zur Rechtsfigur des uneigentlichen Organisationsdelikts, „weil es nicht mehr um den Nachweis täterschaftlicher Verantwortung, sondern letztlich lediglich um die Anknüpfung an hierarchische Verantwortung“166 gehe. Puppe formuliert: „Das kann zu umfangreichen Verbrechenseinheiten führen und zwar umso mehr, je weiter man die tatbestandsmäßige Handlung vorverlagert und je weniger präzise man sie bestimmt, wie dies bei der mittelbaren Tatherrschaft durch Ausnutzung regelhafter Abläufe durch den BGH geschehen ist. Diese Form der mittelbaren Täterschaft führt zu einem sog. unei162

Vgl. nur BGH, Urt. v. 17. 06. 2004 – 3 StR 344/03 –, juris Rn. 21 = BGHSt 49, 177. NK-Puppe, § 52 Rn. 17. 164 BGH, Beschl. v. 29. 07. 2009 – 2 StR 160/09 –, juris Rn. 5 ff. = wistra 2009, 437. 165 Außer vielleicht in dem Urteil, das BGH, Beschl. v. 31. 01. 2012 – 3 StR 285/11 = StraFo 2012, 231 aufgehoben hat. 166 Trüg, HRRS 2015, 106 (114). 163

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Teil 3: Lösungsansätze

gentlichen Organisationsdelikt, das uU alle kriminellen Aktivitäten eines zu kriminellen Zwecken organisierten Unternehmens umfasst (BGHSt 48, 331 [343], 26. 8. 2003 – Str 145/ 03; s. dazu o. Rn 49 a).“167

In manchen Entscheidungen wurde nun aber nicht einmal diese weite Form der mittelbaren Täterschaft noch festgestellt, sondern einfach nur ein uneigentliches Organisationsdelikt angenommen.168 Der Mechanismus funktioniert folgendermaßen: Bedienen sich die Täter anderer Personen, wie beispielsweise Call-CenterMitarbeitern, um die Delikte auszuführen, liegt eine Sachverhaltskonstellation vor, die typischerweise eine mittelbare Täterschaft begründen kann. Voraussetzung dafür ist aber eine Tatherrschaft, in Form der Wissens- und Willensherrschaft und womöglich auch in Form der schon im Ansatz umstrittenen Organisationsherrschaft. Wird nun eine mittelbare Täterschaft nicht geprüft, aber die Handlungen der CallCenter-Mitarbeiter faktisch den Angeklagten zugerechnet, indem die Call-CenterMitarbeiter nicht als selbstständig handelnde Personen, sondern quasi als „Ausführungsmaschinen“ behandelt werden, fehlt die Tatherrschaft über die Handlungen der Ausführenden. Das uneigentliche Organisationsdelikt erzielt auf der Konkurrenzebene schließlich dasselbe Ergebnis wie die mittelbare Täterschaft, nämlich Tateinheit der Einzeldelikte der Ausführenden. Auch wenn die Rechtsfigur des uneigentlichen Organisationsdelikts nicht als „neue“ Form der mittelbaren Täterschaft oder als eigene Tatherrschaftsform angesehen wird, so fungiert sie faktisch dennoch als mittelbare Täterschaft. Das uneigentliche Organisationsdelikt kann aber nicht eine mittelbare Täterschaft ersetzen, weil es keine Tatherrschaft begründen kann. Anders als bei einem echten Organisationsdelikt, in dem der Gesetzgeber die Organisationstätigkeit vertatbestandlicht und diese damit in unmittelbarer Täterschaft begangen wird,169 ist das uneigentliche Organisationsdelikt nicht dazu in der Lage, eine phänotypisch vorliegende mittelbare Täterschaft zu ersetzen. Diese Funktion des uneigentlichen Organisationsdelikts – sei es gewollt oder unbeabsichtigt – widerspricht dem allgemein anerkannten System von Täterschaft durch Tatherrschaft. Eine zunehmende horizontal-heterarchische statt einer strengen hierarchischen Ausrichtung in modernen Unternehmen könnte vielleicht erklären, dass ein Ausweg aus den Aufklärungsschwierigkeiten immer weniger in der mittelbaren Täterschaft kraft Organisationsherrschaft, sondern verstärkt im uneigentlichen Organisationsdelikt gesucht wird.170 Indem die Tatausführung durch den unmittelbar Handelnden, also im Grunde die Tatmittler (beispielsweise Call-Center-Mitarbeiter), nicht festgestellt wird, sondern direkt auf den Hintermann abgestellt und seine Tätigkeit als uneigentliches 167

NK-Puppe, § 52 Rn. 17. Vgl. BGH, Urt. v. 22. 05. 2014 – 4 StR 430/13 = NJW 2014, 2132; LG Würzburg, Urt. v. 16. 10. 2013 – 5 KLs 771 Js 11617/11 –, juris; LG Düsseldorf, Urt. v. 15. 12. 2010, 10 Kls 3/09 –, juris; BGH, Beschl. v. 15. 10. 2013 – 3 StR 154/13 = NStZ 2014, 111; s.a. BGH, Beschl. v. 24. 11. 2016 – 4 StR 87/16 –, juris. 169 Vgl. dazu NK-Schild, § 25 Rn. 19. 170 Vgl. Kische, Uneigentliches Organisationsdelikt, S. 56 f. 168

3. Kap.: Das uneigentliche Organisationsdelikt

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Organisationsdelikt begriffen wird, ersetzt das uneigentliche Organisationsdelikt faktisch die mittelbare Täterschaft. Das widerspricht aber dem allgemeinen Verständnis von Tatherrschaft und ist daher abzulehnen. Man könnte darüber nachdenken, ob die Rechtsprechung einfach eine mittelbare Täterschaft kraft Organisationsherrschaft meint, wenn sie „uneigentliches Organisationsdelikt“ sagt. So scheinen Stimmen in der Literatur jedenfalls insbesondere eine Entscheidung des zweiten Senats171 zu verstehen.172 Die Täterschaftsform gehört – anders als die Beteiligungsform – nicht zur „rechtlichen Bezeichnung der Tat“ i.S.d. § 260 IV 1 StPO, sodass die Täterschaftsform nicht in der Urteilsformel auftauchen muss.173 Es ist zwar richtig, dass bei mittelbarer Täterschaft kraft Organisationsherrschaft auch ein uneigentliches Organisationsdelikt vorliegen kann. Aber zum einen wird ein uneigentliches Organisationsdelikt auch bei anderen Formen von Täterschaft und Teilnahme angenommen und zum anderen muss die Täterschaftsform festgestellt sein, was eben oft nicht der Fall ist. Es reicht eben nicht, durch die Annahme eines uneigentlichen Organisationsdelikts implizit eine mittelbare Täterschaft zu begründen. bb) Bei Mittätern Die Annahme eines uneigentlichen Organisationsdelikts bei allen Mittätern174 kann sich so auswirken, dass eine unmittelbare Tatausführung nicht mehr festgestellt wird, sondern eine Mitwirkung im Aufbau und der Aufrechterhaltung eines betrügerischen Geschäftsbetriebs ausreicht, wenn dann auch ein Schaden eingetreten ist. Nach dem Motto „Irgendein Mittäter wird es schon gewesen sein“, wird in dubio pro reo das uneigentliche Organisationsdelikt wechselseitig auf alle Mittäter angewandt, indem bei jedem angenommen wird, der jeweils andere habe das Delikt unmittelbar ausgeführt. Diese Annahme wirkt aber nicht zugunsten des Täters, wenn erst dadurch die Tat aburteilbar wird. Auch ein solches Vorgehen wirkt sich dahingehend aus, dass 171 BGH, Beschl. v. 02. 11. 2007 – 2 StR 384/07 –, juris Rn. 5 = NStZ 2008, 89: „Die Rechtsprechung hat bestimmte Formen der mittelbaren Täterschaft unter dem Begriff des Organisationsdelikts erfasst (BGHSt 40, 218, 236 ff.; BGHSt 45, 270, 296 ff.; vgl. Cramer/ Heine, in: Schönke/Schröder, StGB 27. Aufl. § 25 Rdn. 25 f.). In diesen Fällen nutzt ein Hintermann staatliche, unternehmerische oder geschäftsähnliche Organisationsstrukturen aus, innerhalb derer sein Tatbeitrag regelhafte Abläufe auslöst. Handelt der Hintermann in Kenntnis dieser Umstände, nutzt er auch die unbedingte Bereitschaft des unmittelbar Handelnden, den Tatbestand zu erfüllen, aus und will er den Erfolg als Ergebnis seines Handelns, hat er die Tatherrschaft und ist mittelbarer Täter. Eine so verstandene mittelbare Täterschaft kommt in Fällen in Betracht, in denen der räumliche, zeitliche und hierarchische Abstand zwischen der die Befehle verantwortenden Organisationsspitze und den unmittelbar Handelnden gegen arbeitsteilige Mittäterschaft spricht.“ 172 Vgl. NK-Schild, § 25 Rn. 38, 40; Körner/Patzak/Volkmer, BtMG, AMG, § 95, Rn. 230. 173 Vgl. HK-GS/Ingelfinger, § 25 Rn. 59; AnwK-StGB/Waßmer, § 26 Rn. 91. 174 Vgl. dazu BGH, Beschl. v. 10. 05. 2001 – 3 StR 52/01 –, juris = wistra 2001, 336; BGH, Urt. v. 17. 06. 2004 – 3 StR 344/03 –, juris = BGHSt 49, 177; wohl auch BGH, Beschl. v. 06. 02. 2013 – 1 StR 263/12 = NJW 2013, 1545.

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Teil 3: Lösungsansätze

es reicht, als Tathandlung die Organisationstätigkeit festzustellen. Eine Bestrafung wegen Betrugs ist aber nicht möglich, wenn alle Mittäter nur im Aufbau und der Aufrechterhaltung eines betrügerischen Geschäftsbetriebs tätig waren. Auf eine konkrete Feststellung der Täuschungshandlung als maßgebliche Tathandlung für den Betrugstatbestand darf nicht verzichtet werden. Der Nachweis einer Mitwirkung im Aufbau und der Aufrechterhaltung eines auf Straftaten ausgerichteten Geschäftsbetriebs ist nicht ausreichend, um alle Mittäter wegen Betrugs zu bestrafen. cc) Bei Teilnehmern Würden Teilnehmern wegen ihrer Tatbeiträge beim Aufbau und der Aufrechterhaltung des Geschäftsbetriebs Haupttaten zugerechnet werden, die nicht konkret festgestellt wurden, besteht grundsätzlich die Gefahr, dass sie wegen nicht nachgewiesener Taten bestraft werden. Die Gefahr des uneigentlichen Organisationsdelikts liege laut Nuzinger175 darin, dass dem Betreffenden Betrugstaten zugerechnet werden, an denen er nicht beteiligt gewesen sei. b) Bestimmung der Konkurrenzen anhand der konkret feststellbaren Einzeldelikte Wie schon Kische erkannt hat, bestimmt bei der Rechtsfigur des uneigentlichen Organisationsdelikts die Feststellbarkeit der Einzeldelikte die konkurrenzrechtliche Beurteilung.176 Die Konkurrenzen sind aber materiell-rechtlich zu bestimmen und kein Ergebnis prozessualer Nachweisbarkeit. Die Konkurrenzbeurteilung ist eine Frage des materiellen Rechts.177 Mithilfe des Prozessrechts kann die Antwort herausgefunden werden, das Prozessrecht ist aber nicht selbst die Antwort. Auch dieser Aspekt kann in der Deutlichkeit in den aufgeführten Massenbetrugsfällen nicht beobachtet werden. In den meisten Entscheidungen werden die Fälle nämlich gar nicht in Tateinheit und Tatmehrheit sortiert, sondern vielmehr alle begangenen Taten in Tateinheit abgeurteilt. Den Umkehrschluss, dass alle diese Taten nicht feststellbar waren, wird man daraus aber nicht ziehen können. Die Entscheidungen verwendeten das uneigentliche Organisationsdelikt eher dazu, die Annahme von Tateinheit zu begründen, nachdem sie alle Taten – nach ihren Maßstäben – festgestellt hatten. Das Urteil des vierten Senats (Fall 15: Versprochene Werbeprovisionen) lässt allerdings aufhorchen, wenn der Eindruck vermittelt wird, anders als für die Verurteilung wegen tatmehrheitlich begangener Taten hätten die

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Böttger/Nuzinger, 1. Kapitel Rn. 250. Kische, Uneigentliches Organisationsdelikt, S. 79. 177 Ein Fehler in der konkurrenzrechtlichen Beurteilung muss daher auch mit der Sachrüge geltend gemacht werden, vgl. BGH, Beschl. v. 21. 07. 2015 – 1 StR 16/15 –, juris = NJW 2015, 3463. 176

3. Kap.: Das uneigentliche Organisationsdelikt

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pauschalen Feststellungen für eine Verurteilung wegen tateinheitlich begangener Taten gereicht.178 c) Konsequenz: Bestrafung nicht nachweisbarer Delikte Die beiden aufgeführten Aspekte des Verzichts auf eine Beteiligungskonstellation und die Bestimmung der Konkurrenzen anhand der Feststellbarkeit können dazu führen, dass am Ende nicht nachweisbare Delikte bestraft werden. Feststellbare Taten werden tatmehrheitlich abgeurteilt und die nicht feststellbaren restlichen Einzelfälle stehen dann in Tateinheit. Kische begreift die Rechtsfigur des uneigentlichen Organisationsdelikts sogar als Auffanginstitut für die Fälle nicht nachweisbarer Deliktsbeteiligung von Mittätern, mittelbaren Tätern und Teilnehmern.179 Er versteht das uneigentliche Organisationsdelikt als „rechtliche […], einem ,Auffangtatbestand‘ vergleichbare […]“180 Handlungseinheit sui generis, die durch einen „subsidiären Anwendungsbereich für die Fälle nicht nachweisbarer Straftatsverwirklichung und durch allein objektive Voraussetzungen gekennzeichnet“ sei.181 Die Annahme von Tateinheit beim uneigentlichen Organisationsdelikt „impliziert eine weitere Ermittlungs- und Verfahrensvereinfachung für Strafverfolgungsbehörden und Gerichte“.182 Diese Entwicklung konnte auch die mahnende Erinnerung des zweiten Senats nicht verhindern: „Der Umstand, dass Straftaten unter Schaffung und Ausnutzung einer Unternehmensstruktur ,organisiert‘ begangen werden, ändert daher nichts daran, dass die mehrgliedrigen tatbestandlichen Voraussetzungen des § 263 StGB, erforderlichenfalls hinsichtlich jedes – möglicherweise zu gleichartiger Tateinheit zusammenzufassenden – schädigenden Einzelaktes, konkret festgestellt sein müssen.“183

Dass die Möglichkeit einer Verurteilung „nicht nachweisbarer Straftatverwirklichung“184 nicht alle Alarmglocken eines zu rechtsstaatlichen Grundsätzen verpflichteten Denkens schrillen lässt, sondern von Kische gar als „praxistaugliches Instrumentarium“185 und wesentlicher Vorteil der Rechtsfigur186 begriffen wird, stimmt nachdenklich. In Wahrheit ist dieser Mechanismus gerade der Hauptgrund, aus dem die Rechtsfigur abgelehnt werden muss. Vordergründig als interessenge178

BGH, Urt. v. 19. 11. 2015 – 4 StR 115/15 –, juris Rn. 15 f. = ZWH 2016, 120. Kische, Uneigentliches Organisationsdelikt, S. 131 f., 177. 180 Kische, Uneigentliches Organisationsdelikt, S. 134. 181 Kische, Uneigentliches Organisationsdelikt, S. 131 f. 182 Kische, Uneigentliches Organisationsdelikt, S. 134. 183 BGH, Beschl. v. 29. 07. 2009 – 2 StR 160/09 –, juris Rn. 5 = wistra 2009, 437; vgl. dazu auch SK-StGB/Jäger, Vor § 52 Rn. 20; s.a. BGH, Beschl. v. 24. 11. 2016 – 4 StR 87/16 –, juris Rn. 14 f. 184 So Kische, Uneigentliches Organisationsdelikt, S. 131 f. 185 So Kische, Uneigentliches Organisationsdelikt, S. 177. 186 So Kische, Uneigentliches Organisationsdelikt, S. 131 f. 179

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Teil 3: Lösungsansätze

rechte und verfahrensvereinfachende Möglichkeit getarnt, entpuppt die Rechtsfigur sich als Büchse der Pandora, weil sie pauschalen und ungenauen Feststellungen Vorschub leistet. Es ist kein Vorteil, wenn nicht nachweisbare Straftatverwirklichung verurteilt werden kann. Auch die Annahme, der jeweils andere Mittäter habe die Delikte ausgeführt, um aufgrund des Zweifelssatzes beide Mittäter bloß wegen Aufbau und Aufrechterhaltung des Geschäftsbetriebs tateinheitlich zu bestrafen, wirkt nur auf den ersten Blick zu Gunsten des Täters (wegen der Annahme von Tateinheit statt Tatmehrheit), in Wahrheit ermöglicht diese Annahme erst die Verurteilung trotz fehlenden Nachweises und wirkt daher zu Lasten des Täters. Das steht nicht im Einklang mit der Unschuldsvermutung und dem Schuldprinzip. Auch Reichenbach187 beanstandet, dass beim uneigentlichen Organisationsdelikt an die Stelle der Feststellung einzelner Handlungen eine unklare Vorstellung darüber trete, dass das Verhalten des Täters strafwürdig erscheine. Der Betrugstatbestand impliziere eine Zusammenfassung mehrerer tatbestandsmäßiger Verhaltensweisen zu einem Betrug – im Gegensatz zu den „eigentlichen“ Organisationsdelikten – gerade nicht. Den aufgeführten Massenbetrugsentscheidungen kann jedenfalls nicht wegen der Annahme des uneigentlichen Organisationsdelikts vorgeworfen werden, wegen nicht festgestellter Taten verurteilt zu haben. Dennoch ist die Rechtsfigur des uneigentlichen Organisationsdelikts in dieser Form abzulehnen. d) Zusammenfassung Das uneigentliche Organisationsdelikt funktioniert wie eine Zauberkiste, in die oben eine Organisationstätigkeit eingefüllt wird, aus der unten geschädigte Personen herauskommen. Wie, wann und durch wen die Kunden, Vertragspartner o.Ä. getäuscht worden sind, bleibt im Verborgenen. Wenn nun eine Handlung an der Zauberkiste vorbei unmittelbar eine Person täuscht und schädigt, steht dieses Delikt in Tatmehrheit zu den Zauberkisten-Delikten. Auch wenn die dargestellten inakzeptablen Auswirkungen des uneigentlichen Organisationsdelikts sich bei den Massenbetrugsfällen vielleicht (noch) nicht verwirklicht haben, ist die Rechtsfigur schon aus den dargestellten Gründen insgesamt abzulehnen und sie kommt daher auch nicht als Lösungsansatz in Frage. 2. Ablehnung des uneigentlichen Organisationsdelikts wegen Ähnlichkeit zur abgeschafften Rechtsfigur der fortgesetzten Tat Wie der Fortsetzungszusammenhang ist auch das uneigentliche Organisationsdelikt ein Instrument, das dazu dienen soll, Aufklärungsschwierigkeiten bei Seri187

Reichenbach, Jura 2016, 139 (147).

3. Kap.: Das uneigentliche Organisationsdelikt

183

entaten zu begegnen. Da die Rechtsfigur der fortgesetzten Handlung jedoch im Jahr 1994 durch die Entscheidung des Großen Senats188 abgeschafft wurde, stellt sich die Frage, ob man das uneigentliche Organisationsdelikt heute aus denselben Gründen ablehnen muss, aus denen man damals die fortgesetzte Handlung aufgegeben hat.189 Ein Zusammenhang zwischen der aufgegeben Fortsetzungstat und dem uneigentlichen Organisationsdelikt wird sowohl in Rechtsprechung als auch Literatur klar gesehen: Laut eigener Angabe des dritten Senats „behilft“ sich die Rechtsprechung zur Überwindung der durch die Aufgabe der Rechtsfigur der fortgesetzten Tat entstandenen Schwierigkeiten mit der Rechtsfigur des uneigentlichen Organisationsdelikts.190 In einer anderen Entscheidung verfällt er gar in die Diktion des Fortsetzungszusammenhangs, wenn er sagt, „die einzelnen betrügerischen Vertragsabschlüsse stellten lediglich unselbstständige Teilakte der Betrugstat dar“191. Fischer bezeichnet die Erfassung von Einzeltaten im Rahmen einer betrügerischen Geschäftstätigkeit als uneigentliches Organisationsdelikt als „oft ungenau, selten erforderlich und geeignet, eine neue Anwendungsgruppe der (als ,abgeschafft‘ bezeichneten) sog. Fortgesetzten Tat wieder zum Leben zu erwecken“.192 Die Gefahr des uneigentlichen Organisationsdelikts liegt laut Nuzinger darin, dass dem Betreffenden Betrugstaten zugerechnet werden, an denen er nicht beteiligt sei, wodurch das uneigentliche Organisationsdelikt den abgeschafften Fortsetzungszusammenhang wieder einführen könne.193 Kudlich erkennt einen Zusammenhang in der konkurrenzrechtlichen Betrachtung zwischen den Massenbetrugsfällen und dem aufgegebenen Fortsetzungszusammenhang.194 Hefendehl sieht die Rechtsfigur des uneinheitlichen (sic) Organisationsdelikts für den Betrug erheblichen Bedenken ausgesetzt, weil mit ihrer Hilfe allein die durch das Aufgeben des Fortsetzungszusammenhangs entstandenen tatsächlichen Aufklärungsprobleme umgangen werden sollen.195 Bei Reichenbach weckt das uneigentliche Organisationsdelikt bei Betrachtung der Kasuistik Erinnerungen an die fortgesetzte Tat („Wiederbelebung der fortgesetzten Handlung unter veränderten Vorzeichen“).196 Nach Kische hingegen ist die Rechtsfigur des uneigentlichen Organisationsdelikts mit den aufgestellten

188

BGH, Beschl. v. 03. 05. 1994 – GSSt 2/93 u. a. –, juris = BGHSt 40, 138. Vgl. Kische, Uneigentliches Organisationsdelikt, S. 176; Reichenbach, Jura 2016, 139 (146 ff.). 190 BGH, Urt. v. 17. 06. 2004 – 3 StR 344/03 –, juris Rn. 21 = BGHSt 49, 177. 191 Vgl. BGH, Beschl. v. 15. 10. 2013 – 3 StR 154/13 Rn. 4 = NStZ 2014, 111. 192 Fischer, StGB, § 263 Rn. 204. 193 Böttger/Nuzinger, 1. Kapitel Rn. 250. 194 Kudlich, ZWH 2015, 105: „Die Bewältigung dieses Problems ist mit verschiedenen Schwierigkeiten verbunden, […] etwa die konkurrenzrechtliche Betrachtung (Stichwort: Aufgabe der Figur der ,fortgesetzten Handlung‘)“. 195 MüKo-StGB/Hefendehl, § 263 Rn. 870 unter Hinweis auf BGH, Urt. v. 17. 06. 2004 – 3 StR 344/03 –, juris = BGHSt 49, 177. 196 Reichenbach, Jura 2016, 139 (140, 146). 189

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Teil 3: Lösungsansätze

Grundsätzen der Entscheidung zur Abschaffung des Fortsetzungszusammenhangs vereinbar.197 a) Früher vertretene konkurrenzrechtliche Rechtsfiguren Es gab schon immer Bestrebungen in Literatur und Rechtsprechung, Tatserien mit vielen an sich selbstständigen Delikten zu einer einheitlichen Tat im konkurrenzrechtlichen Sinn zusammenzufassen.198 Auch andere Rechtsfiguren, die mehrere selbstständige Einzeltaten künstlich verklammern wollten, sind schon vor der Aufgabe des Fortsetzungszusammenhangs abgeschafft worden.199 Die Rechtsfigur der „Sammel- oder Kollektivstraftat“ beispielsweise, bei der geschäfts-, gewerbs- oder gewohnheitsmäßiges Verhalten Einzelakte zur tatbestandlichen Handlungseinheit verknüpfen konnte, wurde wegen ungerechter Ergebnisse und mangels eines inneren Grundes für die Zusammenfassung der Einzeltaten aufgegeben.200 Das uneigentliche Organisationsdelikt unterscheidet sich von der Sammel- oder Kollektivstraftat dadurch, dass erst die wiederholte gewerbsmäßige Begehung eine Sammelstraftat begründen konnte, während umgekehrt das uneigentliche Organisationsdelikt die Annahme der Gewerbsmäßigkeit nicht erfordert, sie aber auch nicht ausschließt.201 Auch die Rechtsfigur des sog. „Massenverbrechens“, die vom Obersten Gerichtshof für die britische Zone bei der wiederholten Verwirklichung gleichliegender Tatbestände aufgrund der gleichen charakterlichen Grundhaltung angenommen wurde, wurde nach Wiedererlangung der eigenen Gerichtshoheit abgelehnt.202 Zu Recht hat sich auch der Vorschlag von Nowakowski nicht durchgesetzt,203 die sog. „gleichartige Verbrechensmenge“, die eine Vielzahl an dem gleichen Deliktstypus unterfallenden Einzeltaten umfasse, deren individuelle Feststellung sinnlos 197

Kische, Uneigentliches Organisationsdelikt, S. 180 ff. Brähler, Serienstraftaten, S. 71. 199 Brähler, Serienstraftaten, S. 71. 200 Durch RG, Beschl. v. 21. 04. 1938 – GSSt 2/37 – 3 D 871/36 –, juris = RGSt 72, 164; vgl. Brähler, Serienstraftaten, S. 68 ff.; Klumpe, Serienstraftat, S. 162 ff.; Rissing-van Saan, FS Tiedemann, 391 (395), die sich beim uneigentlichen Organisationsdelikt an die Sammelstraftat erinnert fühlt; Zschockelt, NStZ 1994, 361 (362). 201 Kische, Uneigentliches Organisationsdelikt, S. 119; vgl. BGH, Urt. v. 17. 06. 2004 – 3 StR 344/03 –, juris Ls. = BGHSt 49, 177; auch Reichenbach fühlt sich an die Sammelstraftat erinnert, Reichenbach, Jura 2016, 139 (144). 202 Durch BGH, Urt. v. 05. 06. 1951 – 1 StR 129/51 –, juris Ls. 2 = BGHSt 1, 219; vgl. dazu Brähler, Serienstraftaten, S. 70; Klumpe, Serienstraftat, S. 176 ff. 203 Vgl. Klumpe, Serienstraftat, S. 112 ff., der kritisiert, dass die Figur „auf einer mit Billigkeits- und Praktikabilitätsgründen gepaarten petitio principii als auf einer sachlich und dogmatisch gerechtfertigten Grundlagen beruht“, Verteidigungsmöglichkeiten zu sehr einschränke und die Anklageschrift durch den Verzicht auf jegliche Mengenangabe keine Eingrenzungsfunktion mehr habe. 198

3. Kap.: Das uneigentliche Organisationsdelikt

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oder unmöglich sei, zwar grundsätzlich materiell-rechtlich und wohl auch in prozessualer Hinsicht als mehrere Taten zu begreifen, aber eine nur durch den Tatzeitraum abgegrenzte prozessuale Einheit anzunehmen, deren Einzelakte nur durch die Zugehörigkeit zur Verbrechensmenge individualisiert seien.204 Laut Kische weisen die Rechtsfiguren des „institutionalisierten Systems“ und des uneigentlichen Organisationsdelikts partiell gemeinsame Strukturen auf.205 Die Rechtsfigur des institutionalisierten Systems sei in erster Linie auf den unmittelbaren Täter und ansonsten auf den mittelbaren Täter oder Anstifter ausgerichtet, also auf Beteiligungsformen, bei denen eine Grundlagenentscheidung schon für eine Institutionalisierung ausreichen könne, wohingegen bei Mittäterschaft oder Beihilfe wegen der geringen oder fehlenden Automatisierung des Ablaufs ein erneutes oder wiederholtes Tätigwerden mit einer erneuten Fortsetzungsentscheidung nötig werde.206 Eine Entscheidung des ersten Strafsenats wird als Beleg dafür herangezogen, dass die Rechtsprechung mittlerweile einen ähnlichen Begründungansatz verfolge:207 In dem Fall baute der Angeklagte ein Vertriebssystem zum Verkauf gefälschter Kunstwerke auf und wurde selbst als Mittäter nur in den Vorbereitungshandlungen tätig. Der erste Strafsenat änderte den Schuldspruch von einer tatmehrheitlichen Verurteilung wegen Betrugs zur Verurteilung wegen einer einheitlichen Tat.208 Hier liegt also sogar eine Konstellation der Mittäterschaft vor und die Entscheidung könnte sich nahtlos in die Entscheidungen zum uneigentlichen Organisationsdelikt einreihen. Der Anknüpfungspunkt zur Verbindung der Tatbeiträge sei, so Kische, beim institutionalisierten System die Institutionalisierung und beim uneigentlichen Organisationsdelikt die organisatorische Einbindung des Beteiligten in den Geschäftsbetrieb.209 Das uneigentliche Organisationsdelikt umfasse außerdem nicht nur Handlungen zum Aufbau (was der Institutionalisierung entspreche), sondern auch zur Aufrechterhaltung und zum Ablauf des Geschäftsbetriebs.210 Die Rechtsfigur des institutionalisierten Systems weist also schon recht starke Ähnlichkeiten mit dem uneigentlichen Organisationsdelikts auf und kann als Vorbote dieser Rechtsfigur angesehen werden. Das uneigentliche Organisationsdelikt geht aber darüber hinaus, wenn nicht nur die in einer Handlung im natürlichen

204

Nowakowski grenzt die „gleichartige Verbrechensmenge“ vom „fortgesetzten Verbrechen“ insbesondere dadurch ab, dass bei der gleichartigen Verbrechensmenge kein Gesamtvorsatz erforderlich sei und auch die Verletzung höchstpersönlicher Rechtsgüter unterschiedlicher Rechtsgutsträger darunter falle, Nowakowski, Fortgesetztes Verbrechen und gleichartige Verbrechensmenge, S. 51, 56 ff. 205 Kische, Uneigentliches Organisationsdelikt, S. 131; er bezeichnet die Unterschiede aber als beachtlich, S. 129. 206 Kische, Uneigentliches Organisationsdelikt, S. 130. 207 Vgl. Klumpe, Serienstraftat, S. 167; Brähler, Serienstraftaten, S. 402. 208 BGH, Beschl. v. 27. 02. 1996 – 1 StR 596/95 –, juris = wistra 1996, 260. 209 Kische, Uneigentliches Organisationsdelikt, S. 130. 210 Kische, Uneigentliches Organisationsdelikt, S. 130 f.

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Teil 3: Lösungsansätze

Sinn bestehende Institutionalisierungshandlung, sondern auch alle weiteren Organisationstätigkeiten fähig sind, die Einzelfälle zur Tateinheit zu verknüpfen. b) Abgeschaffte Rechtsfigur der fortgesetzten Handlung Mit der Aufgabe des sog. Fortsetzungszusammenhangs211 fällt die Möglichkeit weg, alle Einzelakte einer Serientat zu einer fortgesetzten Handlung als Fall der rechtlichen Handlungseinheit zusammenzufassen.212 Die fortgesetzte Tat wurde ursprünglich zur Vermeidung unbilliger Härten bei Anwendung des Kumulationsprinzips bei Tatmehrheit, bei dem die Gesamtstrafe durch Addition der Einzelstrafen gebildet wurde, erschaffen.213 aa) Frühere Rechtsprechung zur fortgesetzten Tat Früher hatte die – nicht immer einheitliche214 – Rechtsprechung für Handlungen, die nicht unter die natürliche oder tatbestandliche Handlungseinheit fielen, eine sog. fortgesetzte Tat angenommen, wenn folgende Voraussetzungen vorlagen:215 *

Objektive Voraussetzungen: – Tatbestandsverwirklichung bei jedem Einzelakt, – Gleichartigkeit der Strafnorm, – Gleichartigkeit des betroffenen Rechtsguts, – Identität des Rechtsgutsträgers bei höchstpersönlichen Rechtsgütern (also nicht beim Vermögen), – Gleichartigkeit des Tathergangs, – räumlicher Zusammenhang und – zeitlicher Zusammenhang.

*

Subjektive Voraussetzungen: – zunächst Gesamtvorsatz, – später deliktsspezifische Erweiterung auf den Fortsetzungsvorsatz.

211

Durch BGH, Beschl. v. 03. 05. 1994 – GSSt 2/93 u. a. –, juris = BGHSt 40, 138. Vgl. dazu S/S-Sternberg-Lieben/Bosch, Vor § 52 Rn. 31; MüKo-StGB/Hefendehl, § 263 Rn. 870. 213 Vgl. BGH, Beschl. v. 03. 05. 1994 – GSSt 2/93 u. a. –, juris Rn. 50 = BGHSt 40, 138; MüKo-StGB/v. Heintschel-Heinegg, § 52 Rn. 60. 214 Die Uneinheitlichkeit und Unberechenbarkeit kritisierend: BGH, Beschl. v. 03. 05. 1994 – GSSt 2/93 u. a. –, juris Rn. 21 = BGHSt 40, 138. 215 Vgl. Brähler, Serienstraftaten, S. 97 ff. m.w.N. zu jedem Unterpunkt; s.a. BGH, Beschl. v. 03. 05. 1994 – GSSt 2/93 u. a. –, juris Rn. 24 = BGHSt 40, 138 m.w.N. im Ls. zur ehemals st. Rspr. 212

3. Kap.: Das uneigentliche Organisationsdelikt

187

Die fortgesetzte Tat verband die Einzelakte zur rechtlichen Handlungseinheit.216 Die Einzelakte einer fortgesetzten Handlung wurden als einmalige konkurrenzlose Gesetzesverletzung angesehen.217 bb) Aufgabe der Rechtsprechung durch BGHSt 40, 138 Mit Beschluss vom 03. 05. 1994218 wurde dieses – nicht zu Gewohnheitsrecht erstarkte219 – Richterrecht durch den Großen Senat für Strafsachen „praktisch abgeschafft“220: „Die Verbindung mehrerer Verhaltensweisen, die jede für sich einen Straftatbestand erfüllen, zu einer fortgesetzten Handlung setzt voraus, daß dies, was am Straftatbestand zu messen ist, zur sachgerechten Erfassung des verwirklichten Unrechts und der Schuld unumgänglich ist. Jedenfalls bei den Tatbeständen der StGB §§ 173, 174, 176 und 263 ist das nicht der Fall.“221

Die Gründe dafür waren folgende stichwortartig zusammengefassten Umstände, die den „Wertungen und Zielsetzungen gesetzlicher Regelungen des materiellen Rechts und des Verfahrensrechts zum Vorteil, aber auch zum Nachteil des Täters zuwiderlaufen und zu Ergebnissen führen […], die dem Gerechtigkeitsempfinden nur schwer hinnehmbar erscheinen“:222 – bis dato keine ausreichende gesetzliche Grundlage (Rn. 25), – zu „pauschale“ Feststellungen (Rn. 26), – faktisch Anwendung einer Einheitsstrafe (Rn. 28), – Strafklageverbrauch erst später entdeckter „Teilakte“ (Rn. 30), – mangelnde Informationsfunktion der Anklage bei neu hinzukommenden, den Anklagevorwurf erweiternden Teilakten (Rn. 32), – dem Sinn gesetzlicher Regelungen widersprechende Auswirkungen bei § 66 StGB (a.F.) (Rn. 33),

216

Vgl. BGH, Beschl. v. 03. 05. 1994 – GSSt 2/93 u. a. –, juris Rn. 24 = BGHSt 40, 138. Brähler, Serienstraftaten, S. 157 f. m.w.N. 218 BGH, Beschl. v. 03. 05. 1994 – GSSt 2/93 u. a. –, juris = BGHSt 40, 138. 219 BGH, Beschl. v. 03. 05. 1994 – GSSt 2/93 u. a. –, juris Rn. 69 = BGHSt 40, 138. 220 MüKo-StGB/v. Heintschel-Heinegg, § 52 Rn. 62: Zwar bezieht sich die Entscheidung nur auf bestimmte Tatbestände (§§ 173, 174, 176 und 263 StGB), eine weitere Anwendung des Fortsetzungszusammenhangs beschränkt sich jedoch auf Fälle, bei denen die Zusammenfassung zu einer rechtlichen Tat zur sachgerechten Erfassung des verwirklichten Unrechts und der Schuld unumgänglich ist, BGH, Beschl. v. 03. 05. 1994 – GSSt 2/93 u. a. –, juris Ls. und 65 ff. = BGHSt 40, 138. 221 BGH, Beschl. v. 03. 05. 1994 – GSSt 2/93 u. a. –, juris Ls. = BGHSt 40, 138. 222 BGH, Beschl. v. 03. 05. 1994 – GSSt 2/93 u. a. –, juris Rn. 25 – 42 = BGHSt 40, 138; s.a. die ausführliche Aufarbeitung durch Brähler, Serienstraftaten, S. 249 ff. 217

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Teil 3: Lösungsansätze

– Veränderung des Deliktscharakters vom Vergehen zum Verbrechen durch Zusammenrechnung der Teilmengen bei Strafvorschriften, für deren Anwendung Mengenbegriffe wesentlich sind (Rn. 34), – Anwendung deutschen Strafrechts schon bei bloß einem Teilakt innerhalb der BRD (Rn. 36), – Probleme mit dem Rückwirkungsverbot wegen der Anwendbarkeit etwaig nachteilig geänderter Gesetze auf vor der Änderung begangener Teilakte (Rn. 37), – Unmöglichkeit einer nachträglichen Gesamtstrafenbildung (Rn. 39), – Unzulässigkeit eines Wiederaufnahmeantrags, falls nicht alle Einzelakte angegriffen werden (Rn. 40), – faktisches Außerkraftsetzen der Strafverfolgungsverjährung wegen des angenommenen Beendigungszeitpunkts erst beim letzten Teilakt (Rn. 41), – weitere Unzuträglichkeiten beispielsweise im Bereich der Teilnahme, des Rücktritts vom Versuch und des Spezialitätsgrundsatzes bei der Auslieferung durch einen fremden Staat (Rn. 42). Die angesprochenen Probleme würden zwar laut dem Großen Strafsenat an Bedeutung verlieren, wenn die Rechtsfigur der fortgesetzten Handlung restriktiv, insbesondere was die über Jahre andauernden Taten anlangt, gehandhabt würde; derartige „Bemühungen in der höchstrichterlichen Rechtsprechung, dieses Ziel durch strenge Anforderungen an die begrifflichen Voraussetzungen der fortgesetzten Handlung zu erreichen, sind jedoch ohne nachhaltigen Erfolg geblieben“.223 Eine inhaltliche Umschreibung der fortgesetzten Handlung ohne verallgemeinernde Wertungsbegriffe sei angesichts der Vielgestaltigkeit denkbarer praktischer Fälle schwerlich zu finden.224 Der ursprünglich geforderte Gesamtvorsatz sei durch die Möglichkeit nachträglicher Erweiterung faktisch aufgegeben worden.225 Die angesprochenen Bedenken verlangen nach einem Überdenken des materiellen Geltungsgrunds; ein Grund für die Einordnung als eine – fortgesetzte – Handlung bestehe allein dann, wenn dies zur sachgerechten, d. h. dem Sinn des Gesetzes entsprechenden Erfassung des durch die mehreren Verwirklichungen des Tatbestandes begangenen Unrechts und der Schuld unumgänglich sei.226 Gründe der Praktikabilität oder Prozessökonomie vermögen die Geltung der fortgesetzten Handlung nicht zu rechtfertigen.227 Problemen der Stofffülle und Beweisschwierigkeiten sei mit Maßnahmen nach den §§ 154, 154a StPO oder mit der Feststellung einer Mindestzahl an Taten durch die Anwendung des Zweifelssatzes zu begegnen.228 Der Große 223 224 225 226 227 228

BGH, Beschl. v. 03. 05. 1994 – GSSt 2/93 u. a. –, juris Rn. 43 = BGHSt 40, 138. BGH, Beschl. v. 03. 05. 1994 – GSSt 2/93 u. a. –, juris Rn. 43 = BGHSt 40, 138. BGH, Beschl. v. 03. 05. 1994 – GSSt 2/93 u. a. –, juris Rn. 44 = BGHSt 40, 138. BGH, Beschl. v. 03. 05. 1994 – GSSt 2/93 u. a. –, juris Rn. 49 = BGHSt 40, 138. BGH, Beschl. v. 03. 05. 1994 – GSSt 2/93 u. a. –, juris Rn. 50, 58 = BGHSt 40, 138. BGH, Beschl. v. 03. 05. 1994 – GSSt 2/93 u. a. –, juris Rn. 54 = BGHSt 40, 138.

3. Kap.: Das uneigentliche Organisationsdelikt

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Senat betont aber auch, dass bei der fortgesetzten Handlung für die Sachverhaltsaufklärung, Tatfeststellung und Darstellung im Urteil keine anderen Anforderungen als bei einer größeren Zahl gleichartiger, rechtlich aber selbständiger Straftaten gegolten haben.229 Zusammengefasst ergeben sich aus der Entscheidung für die Behandlung von Serienbetrügereien folgende Konsequenzen: Jedenfalls beim Betrug kann bei Serientaten keine fortgesetzte Handlung mehr angenommen werden (kein Fall der Unumgänglichkeit).230 Gegebenenfalls kann bei Serienbetrügereien eine naürliche bzw. tatbestandliche Handlungseinheit anzunehmen sein.231 Ansonsten sind Serienbetrügereien grundsätzlich als rechtlich selbstständige, in Tatmehrheit zueinander stehende Taten anzusehen und eine Gesamtstrafe nach den §§ 53 f. StGB aus den Einzelstrafen zu bilden.232 cc) Reaktionen in der Wissenschaft und Vorschläge zur Substitution Die Abschaffung der fortgesetzten Handlung wurde in der Literatur weitgehend233 positiv gewertet.234 Im Folgenden werden einige, vor allem die auch für den Massenbetrug (mehrere Rechtsgutsträger, kein höchstpersönliches Rechtsgut) relevanten Vorschläge der Literatur vorgestellt, durch den sie zumindest einen Teil der Lücke zu schließen gedenken, die sie nach Abschaffung der fortgesetzten Tat aufklaffen sahen. Vorab müssen zwei oft verwendete Begriffe klar gestellt werden: Unter der sog. „zeitlich gestreckten Vorsatztat“ versteht man eine Tatserie, zu der der Täter einen echten Gesamtvorsatz ex ante gebildet hat und ein Gesamttaterfolg auszumachen ist, 229

BGH, Beschl. v. 03. 05. 1994 – GSSt 2/93 u. a. –, juris Rn. 53 = BGHSt 40, 138. BGH, Beschl. v. 03. 05. 1994 – GSSt 2/93 u. a. –, juris Rn. 68 = BGHSt 40, 138: Jedenfalls für den Betrugstatbestand „ergeben sich keine Gründe, welche eine über die natürliche Handlungseinheit hinausgehende Wertung mehrerer Tatbestandshandlungen als eine fortgesetzte Tat gebieten würden“. 231 Vgl. BGH, Beschl. v. 03. 05. 1994 – GSSt 2/93 u. a. –, juris Rn. 59 f. = BGHSt 40, 138: Ob es zur sachgerechten Erfassung des verwirklichten Unrechts und der Schuld geboten sei, wiederholte Tatbestandsverwirklichungen in ihrer Gesamtheit durch eine normative Entscheidung als eine Tat im Rechtssinne zusammenzufassen, sei am Deliktstatbestand, der die Voraussetzungen seiner Verwirklichung festlege und damit die „tatbestandsmäßige Handlung“ bestimme, zu messen, wobei der spezielle Deliktscharakter maßgebend sei. Geppert, NStZ 1996, 57 (59) und Klumpe, Serienstraftat, S. 145 verstehen den Großen Strafsenat hier dahingehend, dass er damit Fallkonstellationen der tatbestandlichen Handlungseinheit meint. 232 Vgl. BGH, Beschl. v. 03. 05. 1994 – GSSt 2/93 u. a. –, juris Rn. 58 = BGHSt 40, 138. 233 Kritisch z. B. Zieschang, GA 1997, 457 (467), der eine grundsätzliche Beibehaltung für den klassischen Anwendungsbereich – er meint die Fälle der zeitlich gestreckten Vorsatztat – bei strikter Einengung der Voraussetzungen auf einen echten Gesamtvorsatz für vorzugswürdiger hält. Laut Hefendehl hätten statt einer radikalen, undifferenzierten Abkehr von der fortgesetzten Handlung eher die Anforderungen an den Nachweis einer Einzeltat sachgruppenorientiert erhöht werden sollen, Hefendehl, StV 1998, 474 (477). 234 Vgl. Brähler, Serienstraftaten, S. 440; Lackner/Kühl-Kühl, Vor §§ 52 ff. Rn. 14; HKGS/Steinmetz/Laue, § 52 Rn. 8; Zschockelt, NStZ 1994, 361 (362 f.) und JA 1997, 411; SKStGB/Jäger, Vor § 52 Rn. 36. 230

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Teil 3: Lösungsansätze

aber kein unmittelbarer räumlich-zeitlicher Zusammenhang vorliegt.235 Klassisches Lehrbuchbeispiel ist der Fall des Kohlendiebes, der einen Kohlehaufen von vornherein planmäßig in mehreren Nächten in kleinen Teilen mit einem Schubkarren in den Keller fährt.236 Unter der sog. „gleichartigen Verbrechensmenge“ fasst man eine Vielzahl an Einzeltaten zusammen, die dem gleichen Deliktstypus unterfallen und nicht von einem echten Gesamtvorsatz getragen sind, sondern deren innerer Zusammenhang sich nur aus der wiederkehrenden Motivationslage ergibt.237 Ein ebenso antiquiertes Beispiel ist der Täter, der mit verschiedenen Personen allwöchentlich ein- bis zweimal über einen bestimmten Zeitraum gleichgeschlechtliche Unzucht treibt.238 Brähler bringt als eingängigeres Beispiel die kassenärztlichen Abrechnungbetrügereien.239 (1) Fortgesetzte Handlung Tröndle möchte die fortgesetzte Handlung für die zeitlich gestreckten Vorsatztaten – unter Umständen „sogar in Betrugsfällen“ – bei einem eng verstandenen Gesamtvorsatz aufrechterhalten, da seiner Meinung nach der Große Senat solche Fälle unerwähnt gelassen habe, die Fortsetzungstat hier unumgänglich sei und nur so der Gesamtunwert des mehraktig verwirklichten Verhaltens sachgerecht gewürdigt werden könne.240 (2) Natürliche Handlungseinheit Geppert löst die zeitlich gestreckte Vorsatztat über eine Ausweitung der natürlichen Handlungseinheit, indem das „Defizit zeitlicher Nähe durch Strenge beim einheitlichen Willensentschluß“ auszugleichen wäre, ohne das durch die Abschaffung des Fortsetzungszusammenhangs entstandene Vakuum komplett durch die natürliche Handlungseinheit auffüllen zu wollen.241 (3) Juristische Handlungseinheit Brähler schlägt für die „zeitlich gestreckten Vorsatztaten“ eine Einordnung als selbstständigen Fall der juristischen Handlungseinheit ohne Rückgriff auf den Begriff der fortgesetzten Handlung vor, die strafzumessungsrechtlich als eine (quali235

Vgl. Brähler, Serienstraftaten, S. 65; Klumpe, Serienstraftat, S. 132 f., 197. Beispiel bei Welzel, Deutsches Strafrecht, § 29 II 4, S. 226; vgl. auch Brähler, Serienstraftaten, S. 63 f. 237 Vgl. Nowakowski, Fortgesetztes Verbrechen und gleichartige Verbrechensmenge, S. 51; Brähler, Serienstraftaten, S. 66 f.; Welzel, Deutsches Strafrecht, § 29 II 4 b, S. 229. 238 Beispiel bei Nowakowski, Fortgesetztes Verbrechen und gleichartige Verbrechensmenge, S. 56. 239 Brähler, Serienstraftaten, S. 68. 240 Tröndle/Fischer, StGB, 49. Auflage, Vor § 52 Rn. 25e. 241 Geppert, NStZ 1996, 57 (60), wobei das „zugegebenermaßen nicht ganz ohne ,Bauchschmerzen‘“ gehe. 236

3. Kap.: Das uneigentliche Organisationsdelikt

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fizierte) konkurrenzlose Gesetzesverletzung zu behandeln sei.242 Allerdings seien die einzelnen Voraussetzungen restriktiv zu behandeln und eine juristische Handlungseinheit insbesondere nur bei einem engen zeitlich-räumlichen Zusammenhang, mithin nur bei kurzen Tatserien, einer unrechtsspezifischen Wertgleichheit zur natürlichen Handlungseinheit und einem echten Gesamtvorsatz anzunehmen.243 Unter diesen strengen Voraussetzungen gelangt auch er leicht zur Tatmehrheit.244 Die Einzeltaten einer „gleichartigen Verbrechensmenge“ behandelt er tatmehrheitlich.245 (4) Institutionalisiertes System Bittmann und Dreier nehmen über die Rechtsfigur des institutionalisierten Systems eine Tat an, wenn ein einmal gefasster Tatentschluss vorliege, der kraft des vom Täter für wiederkehrende Situationen fest bestimmten Handlungsablaufs zeitlich gestreckt verwirklicht werde.246 Es bedürfe beim institutionalisierten System keines jeweils neu zu fassenden oder zu aktualisierenden Tatentschlusses.247 Solche Fälle seien zu Unrecht als Unterfälle der Fortsetzungstat angesehen worden,248 weil es keiner neuen Entscheidung vor jedem Einzelakt bedürfe, und daher bleibe die Rechtsfigur des institutionalisierten System von der Entscheidung des Großen Senats (BGHSt 40, 138) unberührt.249 Das institutionalisierte Sytem ähnle der natürlichen Handlungseinheit, da die Ursprungstätigkeit als Quelle aller Schäden in einer Handlung im natürlichen Sinn bestehe.250 Ein institutionalisiertes System wurde früher bei „institutionalisierten Steuerstraftaten“251, bei „eingespielten Bezugs- und Vertriebssystemen“252 im Betäubungsmittelstrafrecht und beim „häuslichen und familiären Beziehungsgeflecht“253 im Sexualstrafrecht angenommen.254 Ein institutionalisiertes System komme aber auch beim Betrug in Betracht.255 Bei einem 242

Brähler, Serienstraftaten, S. 336. Brähler, Serienstraftaten, S. 336. 244 Vgl. die Lösungen der Fälle 1 – 3, Brähler, Serienstraftaten, S. 337. 245 Brähler, Serienstraftaten, S. 68, 416 f. 246 Bittmann/Dreier, NStZ, 1995, 105 (108); zustimmend: Klumpe, Serienstraftat, S. 171 f.; ablehnend: LK-Tiedemann, § 263 Rn. 311; Brähler, Serienstraftaten, S. 401 f. 247 Bittmann/Dreier, NStZ, 1995, 105 (108). 248 So z. B. Fischer, NStZ 1992, 415 (418). 249 Bittmann/Dreier, NStZ, 1995, 105 (109); zustimmend: Klumpe, Serienstraftat, S. 166, 172. 250 Klumpe, Serienstraftat, S. 166 f. 251 BGH, Urt. v. 16. 07. 1991 – 5 StR 113/91 –, juris Rn. 13 ff. = wistra 1991, 302; BGH, Beschl. v. 14. 07. 1993 – 5 StR 159/93 –, juris Rn. 12 = BGHSt 39, 256. 252 BGH, Urt. v. 16. 01. 1985 – 2 StR 590/84 –, juris Rn. 6 = BGHSt 33, 122. 253 BGH, Beschl. v. 04. 05. 1993 – 5 StR 206/93 –, juris Rn. 2 = BGHR StGB vor § 1/ fortgesetzte Handlung Auswirkung, nachteilige 13; BGH, Beschl. v. 06. 07. 1992 – 5 StR 302/92 –, juris Rn. 5 = NStZ 1992, 553; ablehnend: BGH, Beschl. v. 11. 08. 1993 – 3 StR 361/92 –, juris Rn. 38 ff. = StV 1993, 585. 254 Vgl. Klumpe, Serienstraftat, S. 165 ff. mit Rechtsprechungsnachweisen. 255 Bittmann/Dreier, NStZ, 1995, 105 (108); zustimmend: Klumpe, Serienstraftat, S. 165. 243

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Teil 3: Lösungsansätze

Betrug könne beispielsweise der nach und nach eintretende Schaden aus einer einzigen, sich über längere Zeit und gegenüber verschiedenen Personen auswirkenden Täuschungshandlung resultieren.256 Wenn sich der Handlungserfolg aus der Summe mehrerer einzelner Beiträge zusammensetze, stellen die verschiedenen Positionen in den wesentlichen Fällen des Betrugs „lediglich Rechnungsposten“ dar und der gesamte Saldo gehöre zu einer einzigen Straftat.257 Bittmann und Dreier betonen auch den Vorzug, dass sich zwischen den verschiedenen Beteiligten einer komplexen Straftat sinnvoll differenzieren lasse; beispielsweise liege beim Hintermann einer unseriösen Kapitalanlagegesellschaft, der den Tatplan ausgearbeitet und einen seiner Mitarbeiter angewiesen habe, dafür zu sorgen, dass die Anlageberater danach vorgehen, eine Handlung vor, während der Mitarbeiter so viele Handlungen begangen habe, wie er Anlageberater eingewiesen habe und diese so viele Betrugstaten begangen haben, wie sie Kunden hereingelegt haben.258 Zu Recht fühlt sich Kische hier an die mittelbare Täterschaft kraft Organisationsherrschaft in Wirtschaftsunternehmen erinnert.259 (5) Fortgesetzte Handlungseinheit Die „bewährten eingrenzenden Elemente der fortgesetzten Handlung“ erhaltend, schlagen Schlüchter und Duttge eine fortgesetzte Handlungseinheit vor, wenn die Einzelakte denselben Deliktstatbestand verwirklichen, das gleiche Rechtsgut verletzen (nicht bei verschiedenen Trägern eines höchstpersönlichen Rechtsguts) und ein Gesamtvorsatz und als ontologisches Element ein enger zeitlicher und räumlicher Zusammenhang vorliegen.260 (6) Finale Handlungseinheit Klumpe entwirft neben der natürlichen und der fortgesetzten Handlungseinheit eine finale Handlungseinheit für solche zeitlich gestreckte Vorsatztaten, die einen „Gesamtvorsatz in seiner allerstrengsten Form“ aufweisen und die als Einzelakte einen Kausalbeitrag zu Erreichung des deliktischen Endziels darstellen, also eine miteinander verzahnte Einheit bilden und im Gesamterfolg fortwirken.261 (7) Tatmehrheit Anders als bei den aufgezeigten Vorschlägen zur Substitution der fortgesetzten Handlung wird der Große Senat von manchen Vertretern der Literatur beim Wort genommen und die Einzeltaten einer Serienstraftat als rechtlich selbstständige, also 256

Bittmann/Dreier, NStZ, 1995, 105 (108). Bittmann/Dreier, NStZ, 1995, 105 (109). 258 Bittmann/Dreier, NStZ, 1995, 105 (109). 259 Vgl. Kische, Uneigentliches Organisationsdelikt, S. 130. 260 Schlüchter/Duttge, NStZ 1999, 457 (466); zweifelhaft, ob sie die fortgesetzte Handlungseinheit auch beim Betrug für anwendbar halten. 261 Klumpe, Serienstraftat, S. 197 ff. 257

3. Kap.: Das uneigentliche Organisationsdelikt

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in Tatmehrheit stehende Taten angesehen. Stellvertretend sei für diesen Standpunkt Zschockelt genannt. Zschockelt meint, dass man die fortgesetzte Tat nicht brauche und eine Anklage, Feststellung und Verurteilung wegen weniger, aber konkret festgestellter Einzeltaten nicht nur möglich sei, sondern auch mit weniger Aufwand verbunden als die Feststellung einer fortgesetzten Tat, – und zugleich das gesamte Unrecht erfasst werde.262 Die Bemerkung, der beispielsweise wegen Betäubungsmittelstraftaten angeklagte Täter werde unzureichend bestraft, weil man doch „ganz genau wisse“, dass er täglich und nicht nur die festgestellte Anzahl, also beispielsweise siebenmal, verkauft hat, sei unzutreffend, weil man es in Wirklichkeit eben nicht „ganz genau“ wisse, denn sonst könnte man es nachweisen.263 Die fortgesetzte Handlung werde auch im Rahmen der Strafzumessung nicht benötigt, da eine verfahrensökonomische Gesamtstrafenbildung auch bei einer Vielzahl gleichartiger Einzelstrafen bei Serientaten möglich ist, zumal sie im Rahmen der Strafzumessungserwägungen eines Urteils zusammenfassend gewürdigt werden können.264 Bei einem Betrug solle dementsprechend nicht „der große Einheitsbrei einer sog. fortgesetzten Handlung, sondern die einzelnen selbständigen Handlungen […] Urteilsgrundlage sein.“265 Die Argumente überzeugen. Gerade beim Massenbetrug wird es wichtig werden, auf einer konkreten Feststellung aller Einzeldelikte zu beharren. c) Zusammenhänge der beiden Rechtsfiguren Zunächst werden die Zusammenhänge beider Rechtsfiguren im Hinblick auf das zu lösende Ausgangsproblem, die Voraussetzungen und die Rechtsfolgen dargestellt. Bereits deutlich geworden ist der Zusammenhang in der Entstehungsgeschichte des uneigentlichen Organisationsdelikts: Das uneigentliche Organisationsdelikt taucht erst nach Abschaffung des Fortsetzungszusammenhangs auf266 und versucht einen Teil der Lücke zu schließen, die die aufgegebene fortgesetzte Handlung hinterlassen hat267. aa) Ausgangsproblem Beide Rechtsfiguren lassen sich auf den Gedanken der Prozessökonomie zurückführen.268 Auch wenn der Fortsetzungszusammenhang ursprünglich die Härten des Kumulationsprinzips mildern wollte, so hatte seine Anwendung im Laufe der 262

Zschockelt, NStZ 1994, 361 (362 ff.). Zschockelt, NStZ 1994, 361 (365). 264 Zschockelt, NStZ 1994, 361 (365). 265 Zschockelt, NStZ 1994, 361 (364). 266 Vgl. die Entwicklung der Rechtsprechung bei Kische, Uneigentliches Organisationsdelikt, S. 9 ff. 267 Vgl. auch Reichenbach, Jura 2016, 139 (140). 268 So schon Reichenbach, Jura 2016, 139 (147). 263

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Teil 3: Lösungsansätze

Zeit vor allem praktikable und prozessökonomische Gründe.269 Bei den Sachverhalten, die den beiden Rechtsfiguren zugrunde liegen, besteht ein Aufklärungsproblem.270 Die einzelnen Taten lassen sich nicht in der sonst gewohnten und gebotenen Art aufklären. Bei beiden Rechtsfiguren wurzelt dieses Problem in der schwierigen Individualisierung der Einzelfälle. Beide Rechtsfiguren suchen die Lösung in der konkurrenzrechtlichen Beurteilung, indem sie eine rechtliche Handlungseinheit kreieren. Bei der Fortsetzungstat liegt dem oft der Umstand zugrunde, dass es sich um viele Einzelakte mit ähnlichem Ablauf über viele Jahre hinweg handelt – man denke sich den Fall eines Vaters, der seine Tochter in einem Zeitraum von zehn Jahren regelmäßig missbraucht. Beim uneigentlichen Organisationsdelikt rühren die Individualisierungsschwierigkeiten eher daher, dass beim Zusammenwirken mehrerer Beteiligter im Rahmen eines Unternehmens, das zwecks Straftatbegehung betrieben wird, die Aufklärung der firmeninternen Vorgänge oft nicht möglich oder nur mit einem unverhältnismäßigen Ermittlungs- bzw. Verhandlungsaufwand durchführbar sein wird271. Dieser sehr weite Problemkreis, den beide Rechtsfiguren abzudecken versuchen, überschneidet sich nur teilweise mit dem dieser Arbeit zur Aufgabe gestellten Problem; den Beweisschwierigkeiten bei einer großen Vielzahl an Zeugen. Erst die Masse, also die Vielzahl der betroffenen Personen, erzeugt die Beweisschwierigkeiten; jeder Einzelfall für sich wäre in der Regel gut aufklärbar und individualisierbar. Das „Anzahlproblem“ des Massenbetrugs und das „Individualisierungsproblem“ des uneigentlichen Organisationsdelikts und auch des Fortsetzungszusammenhangs können also gleichzeitig auftreten, haben aber nicht denselben Ursprung. Während bei Sexualstraftaten, die ein wichtiger Anwendungsbereich des Fortsetzungszusammenhangs waren, das Bestreben, Einzeltaten lückenlos aufzuklären, die Gefahr einer sekundären Viktimisierung in sich trägt,272 stehen einer vollständigen Aufklärung beim Massenbetrug vor allem prozessökonomische Erwägungen entgegen. Anders als im Sexualstrafrecht entfaltet der Opferschutzgedanke im Rahmen der Frage nach dem Umfang der Beweiserhebung keine Bedeutung.273

269

Vgl. BGH, Beschl. v. 03. 05. 1994 – GSSt 2/93 u. a. –, juris Rn. 50 = BGHSt 40, 138. Auch wenn die fortgesetzte Tat ursprünglich zur Vermeidung unbilliger Härten bei Anwendung des Kumulationsprinzips bei Tatmehrheit (Bildung der Gesamtstrafe durch Addition der Einzelstrafen), erschaffen wurde, vgl. BGH, Beschl. v. 03. 05. 1994 – GSSt 2/93 u. a. –, juris Rn. 50 = BGHSt 40, 138; MüKo-StGB/v. Heintschel-Heinegg, § 52 Rn. 60, und um eine vermeintlich künstliche konkurrenzrechtliche Aufpaltung zusammengehörender Sachverhalte zu vermeiden, so wurde sie doch im Laufe der Zeit immer mehr dazu eingesetzt, den Nachweisproblemen bei Serienstraftaten zu begegnen. 271 Vgl. BGH, Urt. v. 17. 06. 2004 – 3 StR 344/03 –, juris Rn. 21 = BGHSt 49, 177. 272 Vgl. dazu Brähler, Serienstraftaten, S. 402 ff. 273 Vgl. dazu Geppert, NStZ 1996, 57 (61). 270

3. Kap.: Das uneigentliche Organisationsdelikt

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bb) Anwendungsbereich (1) Gleichartigkeit des verletzten Rechtsguts Die Voraussetzung der Gleichartigkeit des (durch die Haupttat) verletzten Rechtsguts ist beiden Rechtsfiguren gemein.274 (2) Unterschiedliche Rechtsgutsträger Bei der Verletzung höchstpersönlicher Rechtsgüter konnte die fortgesetzte Handlung nur im Hinblick auf denselben Rechtsgutsträger angenommen werden.275 Bei nicht höchstpersönlichen Rechtsgütern wie dem Vermögen war ein Fortsetzungszusammenhang auch bei Taten gegen unterschiedliche Rechtsgutsträger möglich.276 Das uneigentliche Organisationsdelikt taucht bisher ohnehin nur im Wirtschaftsstrafrecht auf, da es die Organisationstätigkeiten in einem Geschäftsbetrieb erfassen will. Es kann auch Taten gegen unterschiedliche Rechtsgutsträger zur Tateinheit zusammenfassen. (3) Tathandlung: Vollständige Tatbestandsverwirklichung vs. Zurechnung Die Einzelakte der fortgesetzten Handlungen verwirklichten jeweils den Straftatbestand vollständig.277 Die fortgesetzte Tat war für Haupttäter konzipiert; die konkurrenzrechtliche Einordnung für Beteiligte unterlag einer eigenständigen Prüfung und war nicht von der Einordnung der Haupttat als Fortsetzungstat abhängig.278 Eine vollständige Tatbestandsverwirklichung ist ein Ausschlusskriterium für das uneigentliche Organisationsdelikt. Die Tatbeiträge müssen sich vielmehr im Aufbau und der Aufrechterhaltung eines auf Straftaten ausgerichteten Geschäftsbetriebs erschöpfen. Sofern eine Beteiligungskonstellation vorliegt, verwirklicht der Beteiligte, bei dem das uneigentliche Organisationsdelikt angenommen wird, den Straftatbestand gerade nicht vollständig in eigener Person, sondern sein Tatbeitrag erschöpft sich im Aufbau und der Aufrechterhaltung des auf Straftaten ausgerichteten Geschäftsbetriebs und die Tatbestandsverwirklichung wird über §§ 25 ff. StGB zugerechnet. Wenn aber auf eine Beteiligungskonstellation verzichtet wird, dann kann es vorkommen, dass der Täter den Straftatbestand vollständig verwirklicht und dennoch ein uneigentliches Organisationsdelikt angenommen wird. In dieser weiten Form ähnelt das uneigentliche Organisationsdelikt der fortgesetzten Handlung also stärker.

274 275 276 277 278

So auch Kische, Uneigentliches Organisationsdelikt, S. 125. Vgl. Brähler, Serienstraftat, S. 103 m.w.N. Vgl. Brähler, Serienstraftat, S. 103 m.w.N. Vgl. Brähler, Serienstraftat, S. 97. Vgl. Kische, Uneigentliches Organisationsdelikt, S. 123 m.w.N.

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Teil 3: Lösungsansätze

(4) Gleichartigkeit der Begehungsweise An die Gleichartigkeit der Begehungsweise wurden bei der Fortsetzungstat schon bald keine großen Anforderungen mehr gestellt, insbesondere bei Diebstahls- und Betrugstaten.279 Kische macht daher an dem Merkmal der Gleichartigkeit der Begehungsweise eine Parallele zwischen beiden Rechtsfiguren fest. Auch wenn die Tatbeiträge inhaltlich verschieden seien, erfüllen sie immer die Merkmale des Aufbaus und der Aufrechterhaltung eines Geschäftsbetriebs.280 Bei den für ein uneigentliches Organisationsdelikt relevanten Tatbeiträgen kann also von einer gleichartigen Begehungsweise, wie sie die fortgesetzte Handlung forderte, gesprochen werden. (5) Räumlich-zeitlicher Zusammenhang Die Voraussetzung eines räumlich-zeitlichen Zusammenhangs bei der Fortsetzungstat wurde im Laufe der Zeit auch vernachlässigt und war schließlich nur noch in der Gleichartigkeit der Begehungsweise281 bzw. als Entsprechung des subjektiven Erfordernisses des auf einen Gesamterfolg ausgerichteten Gesamt- bzw. Fortsetzungsvorsatzes282 zu finden. Beim uneigentlichen Organisationsdelikt ist kein besonderer räumlich-zeitlicher Zusammenhang der Tatbeiträge erforderlich, jedenfalls keiner, der nicht ohnehin dadurch vorliegt, dass es um den Aufbau und die Aufrechterhaltung desselben Geschäftsbetriebs geht.283 (6) Vorsatz Für die fortgesetzte Tat wurde anfangs ein echter, ex ante gefasster Gesamtvorsatz für erforderlich gehalten; später näherte sich die Rechtsprechung mit dem „erweiterten Gesamtvorsatz“, der bis zur Beendigung eines Teilakts gefasst werden konnte, an den Vorschlag der Literatur eines Fortsetzungsvorsatzes im Sinne einer „fortlaufenden psychischen Linie“ an.284 Das uneigentliche Organisationsdelikt fordert an sich keinen speziellen subjektiven Zusammenhang. Wenn man es aber als Rechts279 280 281

3a. 282

Vgl. Brähler, Serienstraftat, S. 99; Kische, Uneigentliches Organisationsdelikt, S. 124. Zum Ganzen Kische, Uneigentliches Organisationsdelikt, S. 124 m.w.N. Vgl. Kische, Uneigentliches Organisationsdelikt, S. 125 f.; Jescheck/Weigend, § 66 V

Vgl. Brähler, Serienstraftaten, S. 101. Vgl. dazu Kische, Uneigentliches Organisationsdelikt, S. 125 f. 284 Brähler, Serienstraftat, S. 106 ff., 154 f. mit den entsprechenden Rechtsprechungsnachweisen; im Fall eines kassenärztlichen Abrechnungsbetrugs wollte der zweite Strafsenat faktisch einen Fortsetzungsvorsatz ausreichen lassen und stellte die (neben anderen zum Beschluss des Großen Senats BGHSt 40, 138 führende) Vorlagefrage, ob es genüge, dass der Täter von Anfang an und in jedem Stadium der Handlungsreihe für einen überschaubaren Zeitraum – aber nicht notwendig bis zum letzten der im Ergebnis ausgeführten Teilakte – eine konkrete Vorstellung darüber habe, wo, in welchen (engen) Zeitabständen und bei welchen Gelegenheiten er die (gleichartigen) künftigen Teilakte begehen sowie welche ungefähren Auswirkungen (an Schaden, ungerechtfertigter Bereicherung usw) sein Verhalten haben werde, BGH, Beschl. v. 19. 05. 1993 – 2 StR 645/92 , juris Rn. 34 = StV 1993, 414. 283

3. Kap.: Das uneigentliche Organisationsdelikt

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figur für die Sonderkonstellation bei mehreren Beteiligten betrachtet, liegt die subjektive Verbindung in dem für die jeweilige Beteiligungsform erforderlichen Vorsatz hinsichtlich der Tatausführung (also der Vorsatz des mittelbaren Täters hinsichtlich der Tatausführung durch den Tatmittler, der Vorsatz des Mittäters hinsichtlich der Tatausführung durch den anderen Mittäter und der Vorsatz des Teilnehmers hinsichtlich der Vollendung der Haupttaten). Solche Beteiligte müssen schließlich nicht nur bzgl. ihres Tatbeitrags vorsätzlich handeln, sondern auch bzgl. der Tatausführung. Der Vorsatz hinsichtlich aller Einzeltaten muss dann bei Erbringung des Tatbeitrags vorhanden sein, sodass also die Gesamtheit der zuzurechnenden Taten vom Vorsatz erfasst wird. Insofern ist schon ein subjektives Element erkennbar, das die Einzeltaten der Ausführenden in der Person des mittelbaren Täters/Mittäters/Teilnehmers verbindet. Es hat aber nicht die Qualität eines Gesamtvorsatzes in dem Sinne, dass alle Taten von Anfang in ihrer Gesamtheit geplant sind. Insofern bleibt das uneigentliche Organisationsdelikt in seinen Voraussetzungen hinter der fortgesetzten Tat zurück.285 Wenn keine Beteiligungskonstellation vorliegt, sondern neben der Tatbestandsverwirklichung eine Organisationstätigkeit angenommen und darauf das uneigentliche Organisationsdelikt gestützt wird, wird ebenfalls kein Gesamtvorsatz vorausgesetzt. Ein solcher kann aber oft vorliegen, da eine organisatorische Tätigkeit oft zwecks Begehung vieler Taten, die entweder in ihrer Anzahl von vornherein feststanden oder deren Begehung auf unbestimmte Zeit immer weiter betrieben werden sollte, entfaltet wird. cc) Rechtsfolgen Die fortgesetzte Tat verband die Einzelakte zur rechtlichen Handlungseinheit.286 Die Einzelakte einer fortgesetzten Handlung wurden als einmalige konkurrenzlose Gesetzesverletzung (und nicht als gleichartige Tateinheit) angesehen.287 Bestraft wurde aus der schwersten verwirklichten Einzeltat.288 Auch versuchte und vollendete Einzelakte konnten in einer fortgesetzten Tat zusammengefasst werden, weil sich nur die Erscheinungsform des gleichen Delikts änderte.289 Das uneigentliche Organisationsdelikt wird ebenfalls wohl überwiegend als rechtliche Handlungseinheit (sui generis) verstanden.290 Es verbindet die einzelnen Delikte aber zur gleichartigen Tateinheit. Wenn beim uneigentlichen Organisationsdelikt vertreten wird, dass

285

Im Ergebnis also wie Kische, Uneigentliches Organisationsdelikt, S. 127. BGH, Beschl. v. 03. 05. 1994 – GSSt 2/93 u. a. –, juris Rn. 24 = BGHSt 40, 138. 287 Brähler, Serienstraftaten, S. 157 f. m.w.N. 288 Vgl. Jescheck/Weigend, § 68 V 4. 289 Vgl. Brähler, Serienstraftaten, S. 98 m.w.N. 290 Vgl. BGH, Urt. v. 17. 06. 2004 – 3 StR 344/03 –, juris Rn. 27 = BGHSt 49, 177; Kische, Uneigentliches Organisationsdelikt, S. 131 f.; Reichenbach, Jura 2016, 139 (140, 144); als tatbestandliche Handlungseinheit: S/S-Sternberg-Lieben/Bosch, Vor §§ 52 ff. Rn. 17a; Lackner/Kühl-Kühl, Vor § 52 Rn. 10; AnwK-StGB/Rackow, § 52 Rn. 10. 286

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Teil 3: Lösungsansätze

versuchte und vollendete Fälle zusammengefasst werden können,291 erinnert das sehr an den Fortsetzungszusammenhang. Beide Institute haben jedenfalls gemeinsam, dass sie der Annahme von Tatmehrheit und damit der erforderlichen Gesamtstrafenbildung entgehen. Bei der fortgesetzten Tat beanstandete der Große Senat, dass faktisch die Einheitsstrafe Anwendung finde.292 Dieses Problem sieht Reichenbach auch beim uneigentlichen Organisationsdelikt, weil die Feststellung des individuellen Schuldumfanges als Voraussetzung für die Strafzumessung verschwimme, weil die Einzeldelikte im uneigentlichen Organisationsdelikt aufgehen.293 dd) Ergebnis Es gibt sowohl Gemeinsamkeiten als auch Unterschiede bei beiden Rechtsfiguren. Insbesondere im Hinblick auf die subjektiven Merkmale, hängen die Voraussetzungen beim uneigentlichen Organisationsdelikt niedriger, weil gar kein spezielles subjektives Merkmal gefordert wird, auch wenn ein solches gleichwohl oft vorliegen wird. Insofern kann das uneigentliche Organisationsdelikt sogar Fälle erfassen, die nur von einem sog. Fortsetzungsvorsatz umfasst sind. Für den Fall des Massenbetrugs ist jedenfalls festzustellen, dass in den Fällen, in denen nun ein uneigentliches Organisationsdelikt angenommen wird, bei entsprechendem erweiterten Gesamtvorsatz damals wohl ein Fortsetzungszusammenhang bejaht worden wäre. d) Gründe der Abschaffung auch beim uneigentlichen Organisationsdelikt Damit stellt sich die Frage, ob die Rechtsfigur des uneigentlichen Organisationsdelikts nicht aus den gleichen Gründen abgelehnt werden muss, aus denen die Rechtsfigur der Fortsetzungstat abgeschafft worden ist.294 Wie die fortgesetzte Handlung295 entbehrt auch das uneigentliche Organisationsdelikt einer gesetzlichen Grundlage und stellt reines Richterrecht dar. Auswirkungen auf den Tatbegriff, Rechtskraft, Strafklageverbrauch, und Anklageschrift296 sind beim uneigentlichen Organisationsdelikt ähnlich problembehaftet, wie sie es bei der fortgesetzten Tat

291

LG Osnabrück, Urt. v. 06. 03. 2013 – 10 KLs 38/09 u. a. – juris Rn. 109 = CR 2013, 581; Cornelius, NJW 2014, 2054 (2057); anders BGH, Beschl. v. 06. 02. 2013 – 1 StR 263/12 Rn. 1 = NJW 2013, 1545. 292 BGH, Beschl. v. 03. 05. 1994 – GSSt 2/93 u. a. –, juris Rn. 28 = BGHSt 40, 138. 293 Reichenbach, Jura 2016, 139 (148). 294 Auch Kische fragt, ob „die durch den Großen Strafsenat infrage gestellten Geltungsgründe des fortgesetzten Delikts auch dem uneigentlichen Organisationsdelikt die Legitimation absprechen können“ und verneint diese Frage, Kische, Uneigentliches Organisationsdelikt, S. 176, 180. 295 Vgl. BGH, Beschl. v. 03. 05. 1994 – GSSt 2/93 u. a. –, juris Rn. 25 = BGHSt 40, 138. 296 Vgl. BGH, Beschl. v. 03. 05. 1994 – GSSt 2/93 u. a. –, juris Rn. 24 ff. = BGHSt 40, 138

3. Kap.: Das uneigentliche Organisationsdelikt

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waren.297 Eine ausführliche Analyse und Darstellung würde den Rahmen dieser Arbeit sprengen und das Thema der Anforderungen an die Beweiserhebung in der Hauptverhandlung nur am Rande betreffen. Das Hauptaugenmerk wird daher auf den Vorwurf pauschaler Feststellungen gelegt, den auch der Große Senat in seiner Entscheidung zur Aufgabe der fortgesetzten Tat erhob: „Der ,großzügige‘ Gebrauch der fortgesetzten Handlung hat auch nicht selten zu pauschalen ,Feststellungen‘ verleitet, die eine revisionsgerichtliche Prüfung von Tatbestandsverwirklichung und Schuldumfang verhindert, zu erheblicher Einschränkung der Verteidigungsmöglichkeiten des Angeklagten geführt und die Besorgnis geweckt haben, daß sich der Richter von einer in ihren Grenzen unklaren Gesamtvorstellung, nicht aber von der Überzeugung der Tatbestandserfüllung in jedem Einzelfall hatte bestimmen lassen (vgl. […]).“298 (Hervorhebung nicht im Original)

Auch die Rechtsfigur des uneigentlichen Organisationsdelikts führt zu pauschalen Feststellungen. Wie gezeigt, wird die Rechtsfigur dazu verwendet, nicht (ausreichend) nachweisbare Delikte zu verurteilen. Wenn eine konkrete Feststellung der Begehung der Einzeldelikte durch die ausführenden Personen nicht mehr für erforderlich gehalten wird, kann eine vorliegende Organisationstätigkeit des mittelbaren Täters/Mittäters/Teilnehmers ausreichen, um die Taten in dessen Person tateinheitlich zu verurteilen. Sogar die Feststellung einer mittelbaren Täterschaft kann so entfallen. Die Kritik des Großen Senats an der fortgesetzten Handlung trifft also auch auf das uneigentliche Organisationsdelikt zu. e) Rechtfertigung aus Gründen der Praktikabilität und Prozessökonomie Diese Kritikpunkte können auch nicht durch Gründe der Praktikabilität und Prozessökonomie entkräftet werden. In der Entscheidung des Großen Senats von 1994 sagte dieser: „Es bedarf eines Grundes, warum mehrere Verhaltensweisen, die je für sich einen gesetzlichen Tatbestand erfüllen, rechtlich als (nur) eine Handlung einzuordnen sind. Ein Grund für die Einordnung als eine – fortgesetzte – Handlung besteht allein dann, wenn dies zur sachgerechten, d. h. dem Sinn des Gesetzes entsprechenden Erfassung des durch die mehreren Verwirklichungen des Tatbestandes begangenen Unrechts und der Schuld unumgänglich ist.“299 (Hervorhebung nicht im Original)

Jene Unumgänglichkeit sei jedenfalls beim Betrugstatbestand nicht anzunehmen.300 Die Rechtsfigur wurde u. a. aufgegeben, weil die angegebenen „Gründe der Praktikabilität und Prozeßökonomie“, mit denen die fortgesetzte Handlung in erster 297

Siehe dazu auch Kische, Uneigentliches Organisationsdelikt, S. 148 ff.; Reichenbach, Jura 2016, 139 (147). 298 BGH, Beschl. v. 03. 05. 1994 – GSSt 2/93 u. a. –, juris Rn. 26 = BGHSt 40, 138. 299 BGH, Beschl. v. 03. 05. 1994 – GSSt 2/93 u. a. –, juris Rn. 49 = BGHSt 40, 138. 300 Ebenso wenig bei den Tatbeständen der §§ 173, 174, 176 StGB, vgl. BGH, Beschl. v. 03. 05. 1994 – GSSt 2/93 u. a. –, juris Rn. 65 = BGHSt 40, 138.

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Teil 3: Lösungsansätze

Linie gerechtfertigt wurde, „kritischer Prüfung nicht stand[halten]“:301 Schon die Ausgliederung von Straftaten gegen höchstpersönliche Rechtsgüter unterschiedlicher Rechtsgutsträger zeige, dass die Rechtsfigur der fortgesetzten Handlung „nicht schlechthin unverzichtbar“ für die Bewältigung von Tatserien sei.302 Die angeblichen Verfahrensvereinfachungen durch die fortgesetzte Handlung erweisen sich bloß als vermeintliche:303 Erstens gelten für die Sachverhaltsaufklärung, Tatfeststellung und Darstellung im Urteil bei der fortgesetzten Handlung keine anderen Anforderungen als bei einer größeren Zahl gleichartiger, rechtlich aber selbständiger Straftaten.304 Zweitens bestehen auch bei der Darstellung in der Anklage keine entscheidenden Unterschiede zwischen fortgesetzten Handlungen und selbstständigen Serientaten.305 Drittens biete die fortgesetzte Handlung auch im Bereich der Strafzumessung keine verfahrensvereinfachenden Vorteile von Gewicht und entgegen einer oft zitierten Reichsgerichtsentscheidung sei nicht einzusehen, was daran „wunderlich“ sein solle, einen Täter wegen (beispielsweise) 100 Straftaten (und nicht nur wegen einer Tat) zu verurteilen und die Strafen nach den §§ 53, 54 StGB (Tatmehrheit) zu bilden.306 Die Entscheidung des Großen Senats behandelte den unmittelbaren Täter einer fortgesetzten Tat und thematisierte keinen Unterschied zu mittelbaren Tätern, Mittätern und Teilnehmern. Auch auf diese konnten die Grundsätze der fortgesetzten Tat angewendet werden. Es ist daher davon auszugehen, dass die fortgesetzte Tat für alle Beteiligten abgeschafft wurde.307 Die Gründe der Praktikabilität und Prozessökonomie, die vom Großen Senat für die Rechtsfigur der fortgesetzten Handlung verneint oder widerlegt worden sind, treffen laut Kische nun aber auf die Rechtsfigur des uneigentlichen Organisationsdelikts zu.308 Kische sieht die gleichzeitige Förderung aller oder mehrerer Straftaten der Mittäter, Tatmittler oder Haupttäter als „unumgänglichen“ Grund i.S.d. Entscheidung BGHSt 40, 138 für die sachgerechte Erfassung des von Mittätern, mittelbaren Tätern, Anstiftern und Gehilfen verwirklichten Unrechts an.309 Kische verkennt aber zum einen, dass der Große Strafsenat, wenn er die Rechtsfigur der fortgesetzten Tag als „nicht schlechthin unverzichtbar“310 bezeichnet, gerade nicht deren Unverzichtbarkeit begründen will, sondern deren Verzichtbarkeit darlegt (weil auch die vermeintlichen Gründe der Praktikabilität und Prozessökonomie sie eben 301 302 303 304 305 306 307 308 309 310

BGH, Beschl. v. 03. 05. 1994 – GSSt 2/93 u. a. –, juris Rn. 50 = BGHSt 40, 138. BGH, Beschl. v. 03. 05. 1994 – GSSt 2/93 u. a. –, juris Rn. 51 = BGHSt 40, 138. BGH, Beschl. v. 03. 05. 1994 – GSSt 2/93 u. a. –, juris Rn. 52 = BGHSt 40, 138. BGH, Beschl. v. 03. 05. 1994 – GSSt 2/93 u. a. –, juris Rn. 53 = BGHSt 40, 138. BGH, Beschl. v. 03. 05. 1994 – GSSt 2/93 u. a. –, juris Rn. 56 = BGHSt 40, 138. BGH, Beschl. v. 03. 05. 1994 – GSSt 2/93 u. a. –, juris Rn. 58 = BGHSt 40, 138. So auch Kische, Uneigentliches Organisationsdelikt, S. 176. Kische, Uneigentliches Organisationsdelikt, S. 180. Kische, Uneigentliches Organisationsdelikt, S. 182. BGH, Beschl. v. 03. 05. 1994 – GSSt 2/93 u. a. –, juris Rn. 51 = BGHSt 40, 138.

3. Kap.: Das uneigentliche Organisationsdelikt

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nicht zu rechtfertigen vermögen).311 Ferner kann der Grund, mehrere Verhaltensweisen zu einer rechtlichen Handlungseinheit zusammenzufassen,312 nicht darin liegen, dass „mit dem uneigentlichen Organisationsdelikt der Notwendigkeit einer konkreten und individualisierten Ermittlung hinreichend Rechnung getragen“313 werde. Schon die Behauptung, dass das uneigentliche Organisationsdelikt seinen Anwendungsbereich „nur nach Ausschöpfung aller prozessualen Beweismittel“ erfahre,314 kann nicht gefolgt werden, weil die Rechtsfigur gerade auch dazu verleitet, sich Beweiserhebungen zu ersparen. Jedenfalls kann die Einhaltung von Anforderungen an die Tatfeststellung aber keinen Grund darstellen, mehrere Verhaltensweisen zu einer rechtlichen Handlungseinheit zusammenzufassen, sondern ist eine bloße Selbstverständlichkeit. Die „faktische Aufweichung der Anforderungen an die Sachverhaltsermittlung der Einzeltaten einer Serienstraftat“ hat laut Brähler „zu keiner Zeit eine rechtliche Legitimation“ besessen.315 Sie konnte deswegen auch kein die fortgesetzte Tat befürwortender Aspekt aus Gründen der Praktikabilität und Prozessökonomie gewesen sein. Genauso wenig kann aber eine Aushöhlung der Anforderungen an die Tatfeststellung, die auch praktikabel und prozessökonomisch sein mag, das uneigentliche Organisationsdelikt legitimieren. Die von Kische genannten Aspekte stellen also keine Gründe der Praktikabilität und Prozessökonomie dar, die eine rechtliche Handlungseinheit durch das uneigentliche Organisationsdelikt begründen können. f) Fazit Die Rechtsfigur des uneigentlichen Organisationsdelikts in der Form, in der auf eine Zurechnungssituation verzichtet wird, muss aus denselben Gründen abgelehnt werden, aus denen auch die Rechtsfigur der Fortsetzungstat zu Recht abgeschafft worden ist.316 311 Kische spricht aber von einer „Begründung für die Unverzichtbarkeit“ und folgert, dass sich die „praktische Unverzichtbarkeit“ der Rechtsfigur des uneigentlichen Organisationsdelikts „auf ähnliche Weise begründen“ lasse, Kische, Uneigentliches Organisationsdelikt, S. 177. 312 So der Maßstab des BGH, Beschl. v. 03. 05. 1994 – GSSt 2/93 u. a. –, juris Rn. 49 = BGHSt 40, 138. 313 So Kische, Uneigentliches Organisationsdelikt, S. 178. 314 Kische, Uneigentliches Organisationsdelikt, S. 178. 315 Brähler, Serienstraftaten S. 416. 316 Ähnlich Reichenbach, Jura 2016, 139 (147); a.A. Kische, Uneigentliches Organisationsdelikt, S. 183 f., der aber eine einfach-gesetzliche Regelung, die eine gesetzesmethodologische Begründung für die richterrechtliche Rechtsfigur des uneigentlichen Organisationsdelikts liefert, empfiehlt, damit das uneigentliche Organisationsdelikt nicht dieselbe Rechtsentwicklung nehme wie der Fortsetzungszusammenhang. Er schlägt daher einen neu einzufügenden § 52 I 2 StGB-E zur Regelung der konkurrenzrechtlichen Beurteilung von nur mittelbar an den Gesetzesverletzungen Beteiligten vor: „Sind an den Gesetzesverletzungen mehrere beteiligt, so wird bei demjenigen Beteiligten auf eine Strafe erkannt, welcher durch dieselbe Handlung mehrere Gesetzesverletzungen gleichzeitig fördert.“

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Teil 3: Lösungsansätze

III. Zusammenfassung Die Rechtsfigur eines uneigentlichen Organisationsdelikts ist abzulehnen. Die durch die Abschaffung des Fortsetzungszusammenhangs nur vermeintlich klaffende Lücke kann durch einfache Anwendung des gesetzlichen Systems von Tateinheit und Tatmehrheit gefüllt werden.317 Das bedeutet zum einen, dass bei einem Massenbetrug in der Regel Tatmehrheit zwischen den einzelnen Betrugstaten anzunehmen sein wird, liegt nicht ausnahmsweise eine natürliche Handlungseinheit vor.318 Zum anderen kann in den Fällen einer Beteiligungskonstellation auch nach allgemeinen Grundsätzen Tateinheit anzunehmen sein, wenn beispielsweise ein Gehilfe mit einer Tathandlung eine Vielzahl von Delikten gleichzeitig fördert. Die durch die Rechtsfigur erzielten Beweiserleichterungen betreffen aber ohnehin nicht den Irrtumsnachweis beim Massenbetrug. Es ist nicht völlig auszuschließen, dass eine restriktiv verstandene Version des uneigentlichen Organisationsdelikts Bestand haben und sinnvoll sein könnte. Eine solche müsste jedenfalls eine Beteiligungskonstellation voraussetzen und die Feststellung der Ausführung der einzelnen Handlungen durch die Tatmittler/Mittäter/Haupttäter und der Zurechnung an den mittelbaren Täter/Mittäter/Teilnehmer fordern. Die Überlegung kann hier jedoch dahinstehen, weil auch diese Form eines uneigentlichen Organisationsdelikts keine Lösung für den Irrtumsnachweis beim Massenbetrug bereit hielte.

D. Ergebnis Die Bewertung des uneigentlichen Organisationsdelikts führt nach der hier vertretenen Ansicht zu folgendem Ergebnis: (1) Der Verzicht auf eine Beteiligungskonstellation, also der Verzicht auf die Feststellung der Ausführung der konkreten Einzeldelikte durch die unmittelbar handelnden Personen sowie auf die Feststellung der Zurechnung dieser Handlungen an den mittelbaren Täter, Mittäter oder Teilnehmer, ist der entscheidende Gesichtspunkt für die Ablehnung der Rechtsfigur. (2) Das uneigentliche Organisationsdelikt ersetzt teilweise faktisch die mittelbare Täterschaft, wozu es aber nach hier vertretener Ansicht nicht in der Lage ist. Eine faktische Ersetzung der mittelbaren Täterschaft durch das uneigentliche Organisationsdelikt ist abzulehnen. Das uneigentliche Organisationsdelikt ist auch nicht mit der mittelbaren Täterschaft kraft Organisationsherrschaft gleichzusetzen.

317 Vgl. auch Reichenbach, Jura 2016, 139 (148 f.), der das uneigentliche Organisationsdelikt als überflüssige Konstruktion ansieht und meint, dass sich die täterschaftliche Haftung meistens über § 25 II StGB begründen lasse. 318 Davon ist auch der Große Senat ausgegangen, BGH, Beschl. v. 03. 05. 1994 – GSSt 2/93 u. a. –, juris Rn. 63, 65 = BGHSt 40, 138; vgl. auch Zschockelt, NStZ 1994, 361 (362 f.).

3. Kap.: Das uneigentliche Organisationsdelikt

203

(3) Das uneigentliche Organisationsdelikt birgt die Gefahr der Verschiebung der festgestellten Tathandlung weg von den Tatbestandsmerkmalen des Delikts hin zu einer diffusen Organisationstätigkeit durch den Aufbau und die Aufrechterhaltung eines auf Straftaten ausgerichteten Geschäftsbetriebs. (4) Eine Bestimmung der Konkurrenzen anhand der Feststellbarkeit der Einzeldelikte widerspricht dem Konkurrenzsystem. Hinsichtlich aller Einzeldelikte müssen hingegen Feststellungen getroffen werden. (5) Die Beweiserleichterungen, die das uneigentliche Organisationsdelikt schafft, können zu einer nicht hinnehmbaren Ermöglichung der Bestrafung nicht nachweisbarer Taten führen. (6) Das uneigentliche Organisationsdelikt versucht die durch die Aufgabe des Fortsetzungszusammenhangs (vermeintlich) entstandene Lücke zu schließen und erliegt dabei auch den Fehlern, die zur Aufgabe des Fortsetzungszusammenhangs geführt haben. (7) Die Einzeldelikte des Massenbetrugs stehen in Tatmehrheit zueinander, sofern keine natürliche Handlungseinheit vorliegt. Bei mehreren Beteiligten kann in Anwendung der allgemein anerkannten Grundsätze gleichartige Tateinheit vorliegen. (8) Für den Irrtumsnachweis beim Massenbetrug bietet das uneigentliche Organisationsdelikt im Übrigen keine Lösung. (9) Eine restriktiv verstandene Version eines uneigentlichen Organisationsdelikts ist denkbar. Ob sie auch sinnvoll wäre, kann dahinstehen, da sie keine Erleichterung für die Beweisschwierigkeiten beim Irrtumsnachweis bietet. Das uneigentliche Organisationsdelikt scheidet daher als Lösung für die Handhabung von Massenbetrugsfällen aus.

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Teil 3: Lösungsansätze

4. Kapitel

Das normativ geprägte Vorstellungsbild Das sog. „normativ geprägte Vorstellungsbild“ stellt gewissermaßen den Schlüsselbegriff der inzwischen wohl als gefestigt zu bezeichnenden Rechtsprechung zum Beweismaß bei Feststellung des Irrtums1 dar. Die Normativierung der Tatbestände der Täuschung und des Irrtums dienen als Grundlage und Voraussetzung für die prozessuale Vorgehensweise. Dieser Lösungsansatz ist der mittlerweile von der höchstrichterlichen Rechtsprechung präferierte Ansatz. Die Rechtsprechung zum Irrtumsnachweis beim Massenbetrug wurde hauptsächlich im Rahmen der Auseinandersetzung mit der Sachrüge am Maßstab der revisionsrechtlichen Überprüfung der Beweiswürdigung entwickelt.2

A. Rechtsprechungsübersicht Folgende Rechtsprechungsübersicht macht die Entwicklung der Rechtsprechung zum normativ geprägten Vorstellungsbild deutlich. I. Fall 1: BGH, Urt. v. 05. 12. 2002 – 3 StR 161/02 Den Grundstein der Rechtsprechung zum Irrtumsnachweis beim Massenbetrug legte der dritte Strafsenat im Fall 1: Strohmann-Zahnarzt: „Die Überzeugung des Gerichts, daß der Verfügende einem Irrtum erlegen war, wird dabei in aller Regel dessen Vernehmung erfordern. Nur in einfach gelagerten Fällen – insbesondere bei der betrügerischen Erschleichung von Leistungen zum Nachteil von Unternehmen, in denen die Prüfung der anspruchsbegründenden Voraussetzungen in einem standardisierten, auf massenhafte Erledigung ausgerichteten Abrechnungsverfahren erfolgt – wird sich die tatrichterliche Überzeugung je nach den näheren Umständen ausnahmsweise auch in anderer Weise gewinnen lassen, etwa durch Vernehmung eines Abteilungsleiters oder Innenrevisors, der betriebsintern die Schadensfälle bearbeitet hatte und von daher zu den Vorstellungen der einzelnen Sachbearbeiter berichten kann. […] [D]ie Strafkammer [durfte] angesichts des standardisierten, auf Massenerledigung angelegten Abrechnungsverfahrens auch ohne namentliche Feststellung und Vernehmung der einzelnen Sachbearbeiter den 1

Trück, ZWH 2014, 473. Vgl. Venn, NStZ 2015, 297 (298); als Problematik der Beweiswürdigung und damit im Rahmen der Sachrüge bei BGH, Beschl. v. 09. 06. 2009 – 5 StR 394/08 –, juris = NJW 2009, 2900; BGH, Beschl. v. 31. 01. 2012 – 3 StR 285/11 = StraFo 2012, 231; BGH, Beschl. v. 04. 09. 2014 – 1 StR 314/14 = NStZ 2015, 98; BGH, Urt. v. 22. 05. 2014 – 4 StR 430/13 = NJW 2014, 2132; BGH, Urt. v. 27. 03. 2014 – 3 StR 342/13 = BGHSt 59, 195; BGH, Urt. v. 22. 11. 2013 – 3 StR 162/13 = BGHSt 59, 75; BGH, Beschl. v. 17. 06. 2014 – 2 StR 658/13 = NStZ 2014, 644; als Problem des Aufklärungsgrundsatzes und damit im Rahmen der Verfahrensrüge hingegen bei BGH, Beschl. v. 06. 02. 2013 – 1 StR 263/12 = NJW 2013, 1545. 2

4. Kap.: Das normativ geprägte Vorstellungsbild

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Schluß ziehen, daß auch diese allenfalls einen lediglich vagen Verdacht hatten, der – wie dargelegt – einen Irrtum nicht in Frage stellt.“3 (Hervorhebung nicht im Original)

Der dritte Senat sah die Vernehmung von fünf in unterschiedlichen Funktionen tätigen Zeugen als ausreichend für die Verurteilung wegen vollendeten Betrugs an. Für die Taten ab dem Zeitpunkt, als sich der anfangs vage Verdacht der Kassenzahnärztlichen Vereinigung hinsichtlich der Falschabrechnungen erhärtete, hätte das Landgericht Düsseldorf jedoch auf die Feststellung der jeweils verfügenden Mitarbeiter und deren Vorstellungen über die Wahrheit der behaupteten Tatsachen nicht verzichten dürfen, wenn es den Angeklagten wegen vollendeter Betrugstaten hätte verurteilen wollen.4 II. Fall 2: BGH, Urt. v. 22. 08. 2006 – 1 StR 547/05 Im Fall 2: Augenlinsen konstatierte der erste Strafsenat, dass es bei „[…] standardisierten, auf Massenerledigung angelegten Abrechnungsverfahren nicht erforderlich ist, dass der jeweilige Mitarbeiter hinsichtlich jeder einzelnen geltend gemachten Position die positive Vorstellung hatte, sie sei der Höhe nach berechtigt; vielmehr genügt die stillschweigende Annahme, die ihm vorliegende Abrechnung sei insgesamt ,in Ordnung‘ […] Auch dann ist die Beweisaufnahme aber wiederum auf die regelhaften internen Abläufe bei der Kassenärztlichen Vereinigung und den Kassen zu erstrecken (aaO S. 6), wobei es sich, da einerseits eine Vielzahl von Kassen als Geschädigte in Betracht kommt, andererseits die Geschädigten nicht mehr zu ermitteln sind, nur um exemplarische Beweiserhebungen für die Überzeugungsbildung des Tatgerichts handeln kann. Da es um standardisierte, auf Massenerledigung angelegte Abrechnungsverfahren geht, sind die Anforderungen an die Aufklärungspflicht (vgl. § 244 Abs. 2 StPO) nicht zu überspannen. Was die Frage anbelangt, wie der Gesamtschaden auf die Tathandlungen zu verteilen ist, wird gegebenenfalls eine Schätzung anhand der prozentualen Gewinnmarge erforderlich sein.“5 (Hervorhebung nicht im Original)

Das Landgericht Mannheim sprach den Angeklagten aus tatsächlichen Gründen vom Betrugsvorwurf frei, da es weder Irrtum noch Vorsatz feststellen konnte.6 Der erste Strafsenat hob das Urteil auf, da das Landgericht die Möglichkeit eines sachgedanklichen Mitbewusstseins nicht bedacht hatte, und gab für die erneute Hauptverhandlung Hinweise bezüglich der Anforderungen an Aufklärungspflicht und Beweiswürdigung.

3

BGH Urt. v. 05. 12. 2002 – 3 StR 161/02 –, juris Rn. 22 ff. = NJW 2003, 1198. Die Verurteilung wegen bloß versuchten Betrugs beschwert den revidierenden Angeklagten jedoch nicht, vgl. BGH Urt. v. 05. 12. 2002 – 3 StR 161/02 –, juris Rn. 19 ff. = NJW 2003, 1198. 5 BGH, Urt. v. 22. 08. 2006 – 1 StR 547/05 –, juris Rn. 34, 43 = wistra 2006, 421. 6 LG Mannheim, Urt. v. 30. 06. 2005 – 25 KLs 626 Js 7682/98; vgl. auch BGH, Urt. v. 22. 08. 2006 – 1 StR 547/05 –, juris Rn. 33 = wistra 2006, 421. 4

206

Teil 3: Lösungsansätze

III. Fall 5: BGH, Urt. v. 17. 07. 2009 und Beschl. v. 09. 06. 2009 – 5 StR 394/08 Im Fall 5: Straßenreinigungsgebühren scheidet nach dem Landgericht Berlin ein Irrtum aus, wenn dem Erklärungsempfänger die Information, über die getäuscht wird, gleichgültig ist. Dabei komme es darauf an, ob der Verfügende ein eigenes Interesse daran gehabt habe oder im Interesse eines Dritten dazu verpflichtet gewesen sei, sich von der Richtigkeit der Behauptung zu überzeugen.7 In der Revisionsentscheidung stellte der Bundesgerichtshof nun erstmals auf das vom sachgedanklichen Mitbewusstsein erfasste sog. normativ geprägte Vorstellungsbild der Irrenden ab: „Dieses von ihm angenommene und im Wesentlichen normativ geprägte Vorstellungsbild der Empfänger hat das Landgericht zudem erhärtet, indem es mehrere Zeugen einvernommen hat und in deren Aussagen dieses Ergebnis bestätigt fand. Angesichts dieses Befunds – zumal mit Blick auf die abgeurteilte einheitliche Tat – bedurfte es keiner weiteren Aufklärung durch die zusätzliche Vernehmung weiterer Zeugen.“8 (Hervorhebung nicht im Original)

Die Aussagen von drei vernommenen Verfügenden wurden im Urteil wiedergegeben.9 Eine genauere Umgrenzung des Begriffs des normativ geprägten Vorstellungsbilds blieb der fünfte Senat in seinem Urteil allerdings schuldig. Er stellte nur darauf ab, dass die Rechnungen von den Geschädigten nicht individuell zu bearbeiten gewesen seien und die Entgeltforderung für den jeweiligen Grundstückseigentümer eine wirtschaftlich nicht sehr gewichtige und auch völlig unauffällige Erklärung dargestellt habe.10 Im Beschluss vom 09. 06. 2008, der den anderen Angeklagten betraf, formulierte er hinsichtlich des Irrtumsmerkmals: „Der im Rahmen der Täuschungshandlung maßgebliche Empfängerhorizont spiegelt sich regelmäßig in dem Vorstellungsbild auf Seiten der Empfänger wider.“11

IV. Fall 6: BGH, Beschl. v. 06. 02. 2013 – 1 StR 263/12 Im Fall 6: Eintreibung von Auslagekosten stellte der erste Senat des Bundesgerichtshofes unter Bezugnahme auf das gerade genannte Urteil fest: „In Fällen eines normativ geprägten Vorstellungsbildes kann es daher insgesamt ausreichen, nur einige Zeugen einzuvernehmen, wenn sich dabei das Ergebnis bestätigt findet. […] Demgegenüber dürfte in Fällen mit individueller Motivation zur Leistung eines jeden 7

LG Berlin, Urt. v. 03. 03. 2008 – (514) 3 Wi Js 1361/02 KLs (9/04) –, juris Rn. 213. BGH, Urt. v. 17. 07. 2009 – 5 StR 394/08 Rn. 15 = BGHSt 54, 44. 9 BGH, Urt. v. 17. 07. 2009 – 5 StR 394/08 Rn. 15 = BGHSt 54, 44. 10 BGH, Urt. v. 17. 07. 2009 – 5 StR 394/08 Rn. 14 = BGHSt 54, 44. 11 BGH, Beschl. v. 09. 06. 2009 – 5 StR 394/08 –, juris Rn. 17 = NJW 2009, 2900. 8

4. Kap.: Das normativ geprägte Vorstellungsbild

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Verfügenden die ,Schätzung einer Irrtumsquote‘ als Methode der Überzeugungsbildung nach § 261 StPO ausscheiden. Hat ein Tatgericht in solchen Fällen Zweifel, dass ein Verfügender, ohne sich über seine Zahlungspflicht geirrt zu haben, allein deshalb geleistet hat, ,um seine Ruhe zu haben‘, muss es nach dem Zweifelssatz (,in dubio pro reo‘) zu Gunsten des Täters entscheiden, sofern nicht aussagekräftige Indizien für das Vorliegen eines Irrtums vorliegen, die die Zweifel wieder zerstreuen.“12 (Hervorhebung nicht im Original)

Das Landgericht Stuttgart vernahm 15 Zeugen und überzeugte sich so vom Vorliegen eines Irrtums; hinsichtlich der restlichen über 50.000 Kunden verzichtete es allerdings aus prozessökonomischen Gründen auf deren Vernehmung und verurteilte diesbezüglich wegen versuchten Betrugs.13 Ob ein solcher normativ geprägter Irrtum vorlag, mit der Folge, dass die Anwendung des Zweifelssatzes durch das Landgericht sachlich-rechtlich fehlerhaft gewesen sein könnte, konnte der Bundesgerichtshof offenlassen, da der Angeklagte durch diese Verfahrensweise jedenfalls nicht beschwert sei.14 Der Senat unterschied zwischen normativ geprägten Vorstellungsbildern und Fällen mit individueller Motivation zu Leistung. Bei letzteren schien er einer Schätzung einer Irrtumsquote kritisch gegenüberzustehen. V. Fall 17: BGH, Urt. v. 22. 11. 2013 – 3 StR 162/13 Im Revisionsurteil zu Fall 17: Inverkehrbringen von Falschgeld heißt es: „Allerdings kann ein solcher [Irrtum] auch in den Fällen gegeben sein, in denen die täuschungsbedingte Fehlvorstellung in der Abweichung eines ,sachgedanklichen Mitbewusstseins‘ von den tatsächlichen Umständen besteht. Danach ist insbesondere der Bereich gleichförmiger, massenhafter oder routinemäßiger Geschäfte von als selbstverständlich angesehenen Erwartungen geprägt, die zwar nicht in jedem Einzelfall bewusst aktualisiert werden, jedoch der vermögensrelevanten Handlung als hinreichend konkretisierte Tatsachenvorstellung zugrunde liegen […] Zwar ist in den Urteilsgründen grundsätzlich festzustellen und darzulegen, welche irrigen Vorstellungen die Person hatte, die die Verfügung getroffen hat (vgl. BGH, Urteil vom 5. Dezember 2002 – 3 StR 161/02, NJW 2003, 1198, 1199 f.); danach wird es regelmäßig erforderlich sein, die irrende Person zu ermitteln und in der Hauptverhandlung über die tatrelevante Vorstellung zu vernehmen. Allerdings gilt dies nicht ausnahmslos. Vielmehr kann in Fällen eines normativ geprägten Vorstellungsbildes des Verfügenden die Vernehmung weniger Zeugen genügen; wenn deren Angaben das Vorliegen eines Irrtums (in den sie betreffenden Fällen) belegen, kann auf die Erregung eines Irrtums auch bei anderen Verfügenden geschlossen werden. In der Regel kann das Gericht auch aus Indizien auf einen Irrtum schließen […].“15 (Hervorhebung nicht im Original)

Das Landgericht Hannover konnte sich in 15 Fällen nicht vom Vorliegen eines Irrtums überzeugen, da sich zum Teil die Kassierer, die das Falschgeld entgegengenommen hatten, keine bewussten Gedanken gemacht hätten und zum Teil die 12 13 14 15

BGH, Beschl. v. 06. 02. 2013 – 1 StR 263/12 Rn. 16, 19 = NJW 2013, 1545. Vgl. BGH, Beschl. v. 06. 02. 2013 – 1 StR 263/12 Rn. 8 = NJW 2013, 1545. BGH, Beschl. v. 06. 02. 2013 – 1 StR 263/12 Rn. 22 = NJW 2013, 1545. BGH, Urt. v. 22. 11. 2013 – 3 StR 162/13 Rn. 8 f. = BGHSt 59, 75.

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Teil 3: Lösungsansätze

beteiligten Kassierer nicht oder gar keine Zeugen der Tat ermittelt werden konnten, und verurteilte diesbezüglich nur wegen versuchten Betrugs.16 Laut dem dritten Senat des Bundesgerichtshofes war das Urteil rechtsfehlerhaft und damit aufzuheben, weil die Strafkammer einen zu strengen Maßstab an das Vorliegen des Tatbestandmerkmals „Irrtum“ angelegt und die Anforderungen an ihre Überzeugungsbildung überspannt habe.17 Die Möglichkeit eines Indizienschlusses von den Angaben eines irrenden Verfügenden auf den Irrtum anderer Verfügender wird hier explizit in Betracht gezogen. VI. Fall 14: BGH, Urt. v. 27. 03. 2014 – 3 StR 342/13 Im Fall 14: Ping-Anrufe geht der dritte Senat in seinem Urteil von einem Irrtum in Form des sachgedanklichen Mitbewusstseins aus und beanstandet die Schätzung einer Irrtumsquote durch das Landgericht nicht: „Auch angesichts der großen Zahl von Geschädigten – nach den Schätzungen des Landgerichts, bei der es bereits Sicherheitsabschläge vorgenommen hat, riefen von den 660.000 Personen, die durch ihren Rückruf den Mehrwertdienst ausgelöst hatten, mindestens 80 %, mithin 528.000 Personen irrtumsbedingt bei der hinterlassenen Rufnummer an und erhielten auch das erhöhte Entgelt für den Mehrwertdienst berechnet – ist es jedenfalls materiellrechtlich unbedenklich, dass die Strafkammer mit Blick auf die eindeutige Interessenlage und das – jedenfalls in der Form des sachgedanklichen Mitbewusstseins – normativ vorgeprägte Vorstellungsbild der Geschädigten […] nicht mehr Zeugen vernommen hat […]. Spricht mithin alles dafür, dass jedenfalls die erfolgreichen Rückrufe bei der aufgesetzten Mehrwertdienstenummer täuschungsbedingt durchgeführt wurden, beschwert es die Angeklagten nicht, dass die Strafkammer trotz des Umstandes, dass alle acht Zeugen, die einen Rückruf unternommen hatten, sich auf einen Irrtum berufen haben, der neunte Zeuge – ein Softwareentwickler – hingegen bekundet hat, er habe nicht angerufen, weil er die hinterlassene Rufnummer als Mehrwertdienstenummer identifiziert hatte, gleichwohl von den 660.000 erfolgreichen Anrufen für die Schadensberechnung einen Abschlag von 20 % vorgenommen hat.“18 (Hervorhebung nicht im Original)

Der dritte Senat hat die Revisionen von Staatsanwaltschaft und Angeklagten verworfen. Das Landgericht Osnabrück vernahm 9 Zeugen, von denen einer nachweislich nicht irrte, begründete so einen großzügigen Sicherheitsabschlag von 20 % und errechnete damit eine geschätzte Irrtumsquote von 80 %.19 Diese Vorgehensweise wurde vom Bundesgerichtshof nicht beanstandet.

16

Vgl. auch BGH, Urt. v. 22. 11. 2013 – 3 StR 162/13 Rn. 7 = BGHSt 59, 75. BGH, Urt. v. 22. 11. 2013 – 3 StR 162/13 Rn. 7 = BGHSt 59, 75. 18 BGH, Urt. v. 27. 03. 2014 – 3 StR 342/13 Rn. 23 f. = BGHSt 59, 195. 19 LG Osnabrück, Urt. v. 06. 03. 2013 – 10 KLs 38/09 u. a. –, juris Rn. 31 ff., 101, 106 = CR 2013, 581. 17

4. Kap.: Das normativ geprägte Vorstellungsbild

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VII. Fall 7: BGH, Urt. v. 22. 05. 2014 – 4 StR 430/13 Im Fall 7: Einzugsermächtigungslastschriftbetrug äußerte sich der vierte Senat folgendermaßen: „Im Bereich gleichförmiger, massenhafter oder routinemäßiger Geschäfte, die von selbstverständlichen Erwartungen geprägt sind, kann der Tatrichter befugt sein, auf die täuschungsbedingte Fehlvorstellung auf der Grundlage eines ,sachgedanklichen Mitbewusstseins‘ indiziell zu schließen, wobei er dies im Urteil darzulegen hat. Ist das Vorstellungsbild des Verfügenden normativ geprägt, kann bei einem Tatvorwurf, dem zahlreiche Einzelfälle zu Grunde liegen, die Vernehmung weniger Zeugen ausreichen; wenn deren Angaben das Vorliegen eines Irrtums (in den sie betreffenden Fällen) belegen, kann auf die Erregung eines Irrtums auch bei anderen Verfügenden geschlossen werden. […] In komplexeren Fällen wird es regelmäßig erforderlich sein, die betreffenden Personen über ihr tatrelevantes Vorstellungsbild als Zeugen zu vernehmen sowie deren Bekundungen im Urteil mitzuteilen und zu würdigen […].“20 (Hervorhebung nicht im Original)

Das Landgericht Bielefeld hat die Angeklagten wegen vollendeten Betrugs verurteilt und seine Überzeugung vom Vorliegen eines Irrtums auf ein im Rahmen einer Verständigung zustande gekommenes Geständnis der Angeklagten gestützt.21 Der vierte Senat des Bundesgerichtshofes hat die Strafverfolgung gemäß § 154a II StPO auf den Versuch beschränkt, da auch unter Berücksichtigung der umfassenden Geständnisse offen bleibe, wie sich das Landgericht vom Vorliegen eines Irrtums überzeugen konnte, und das Urteil (nur) in den Strafaussprüchen aufgehoben.22 Ein Indizienschluss von Irrtum eines vernommenen Zeugen auf den Irrtum der anderen Verfügenden wird als zulässig erachtet. VIII. Fall 18: BGH, Beschl. v. 17. 06. 2014 – 2 StR 658/13 Auch im Fall 18: Warenbestellungen mit fremder Kreditkarte hielt der zweite Strafsenat unter Verweis auf die bisher ergangene Rechtsprechung fest: „[…] regelmäßig ist es deshalb erforderlich, die irrende Person zu ermitteln und in der Hauptverhandlung über die tatrelevante Vorstellung zu vernehmen. Ausnahmsweise kann in Fällen eines normativ geprägten Vorstellungsbildes des Verfügenden die Vernehmung weniger Zeugen genügen. Belegen deren Angaben das Vorliegen eines Irrtums in den sie betreffenden Fällen, kann auf die Erregung eines Irrtums auch bei anderen Verfügenden geschlossen werden […].“23 (Hervorhebung nicht im Original)

Der zweite Senat hob das Urteil des Landgerichts Aachen u. a. mit der Begründung auf, dass das Urteil den Anforderungen an die Irrtumsfeststellung nicht gerecht werde, weil die Feststellung des Irrtums der Verfügenden nicht aufgrund eines 20 21 22 23

BGH, Urt. v. 22. 05. 2014 – 4 StR 430/13 Rn. 17 = NJW 2014, 2132. Vgl. BGH, Urt. v. 22. 05. 2014 – 4 StR 430/13 Rn. 1, 14 = NJW 2014, 2132. BGH, Urt. v. 22. 05. 2014 – 4 StR 430/13 Rn. 15 = NJW 2014, 2132. BGH, Beschl. v. 17. 06. 2014 – 2 StR 658/13 Rn. 13 = NStZ 2014, 644.

210

Teil 3: Lösungsansätze

Geständnis des Angeklagten getroffen werden könne und sich die Vernehmung weniger Zeugen aufgedrängt habe.24 Die Möglichkeit eines Indizienschlusses vom Irrtum einiger Zeugen auf den Irrtum der restlichen Verfügenden wurde dabei erwähnt. IX. Fall 11: BGH, Beschl. v. 04. 09. 2014 – 1 StR 314/14 Im Fall 11: Widerrufsschreiben gegen Gewinnspieleintragungsdienste äußerte sich der erste Senat nun recht umfassend und sprach schon unter Hinweis auf die bisher ergangenen und hier angegebenen Urteile von „gefestigter Rechtsprechung“: „Es entspricht gefestigter Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs, dass das Gericht in der Regel – vor allen Dingen bei einem normativ geprägten Vorstellungsbild der Geschädigten – auch lediglich aus Indizien auf einen Irrtum schließen kann (vgl. BGH, Urteil vom 22. November 2013 – 3 StR 162/13, NStZ 2014, 215, 216 mwN). Die Feststellung des Vorstellungsbildes geschädigter Personen beim Betrug folgt dabei keinen anderen Regeln als die Feststellung sonstiger innerer Tatsachen wie etwa des Vorsatzes beim Angeklagten. Auch dort ist der Schluss von äußeren Umständen auf eine innere Einstellung regelmäßig möglich und teilweise auch geboten (vgl. nur zum Tötungsvorsatz bei objektiv äußerst gefährlichen Gewalthandlungen BGH, Urteil vom 22. März 2012 – 4 StR 558/11, BGHSt 57, 183, 186). Feste Beweisregeln für die Feststellung innerer Sachverhalte kennt das Gesetz weder hinsichtlich des Angeklagten noch hinsichtlich möglicher Geschädigter. Es gilt vielmehr – unabhängig vom Tatbestand – der Grundsatz der freien Beweiswürdigung (§ 261 StPO). Soweit in einigen Entscheidungen des Bundesgerichtshofs anklingt, Feststellungen zum Irrtum seien beim Betrug in aller Regel nur möglich, wenn die irrende Person oder bei Massenbetrugsfällen jedenfalls einige der Geschädigten ermittelt und als Zeugen in der Hauptverhandlung vernommen würden (vgl. BGH, Beschluss vom 17. Juni 2014 – 2 StR 658/13, NStZ 2014, 644, 645; BGH, Urteil vom 22. Mai 2014 – 4 StR 430/13, NStZ 2014, 459 f.), könnte der Senat dem nicht ohne weiteres folgen. Denn gerade bei einem normativ geprägten Vorstellungsbild wird der Schluss auf einen Irrtum des Verfügenden häufig allein auf tragfähige Indizien gestützt werden können (vgl. BGH, Urteil vom 22. November 2013 – 3 StR 162/13, NStZ 2014, 215, 216). Grundlage eines solchen Indizschlusses können auch äußere Umstände sein, die der Angeklagte glaubhaft gestanden hat, weshalb es keinen Rechtssatz des Inhalts gibt, Feststellungen zu einem Irrtum beim Betrug könnten nicht auf der Grundlage eines Geständnisses des Angeklagten getroffen werden (in diese Richtung aber wohl BGH, Beschluss vom 17. Juni 2014 – 2 StR 658/13, NStZ 2014, 644, 645; vgl. zu dieser Problematik auch BGH, Urteil vom 22. Mai 2014 – 4 StR 430/13, NStZ 2014, 459, 460). In Massenbetrugsverfahren kann sich das Gericht seine Überzeugung von einem Irrtum vieler Geschädigter auch dadurch verschaffen, dass es einige der Geschädigten als Zeugen vernimmt (oder deren Aussagen auf andere Art und Weise in die Hauptverhandlung einführt) und aus deren Angaben zum Vorliegen eines Irrtums indiziell auf einen Irrtum bei anderen Geschädigten schließt (vgl. BGH, Beschluss vom 6. Februar 2013 – 1 StR 263/12, NStZ 2013, 422; Urteil vom 22. November 2013 – 3 StR 162/13, NStZ 2014, 215; Urteil vom 5. März 2014 – 2 StR 616/12, NJW 2014, 2595; Urteil vom 27. März 2014 – 3 StR 342/

24

BGH, Beschl. v. 17. 06. 2014 – 2 StR 658/13 Rn. 13 = NStZ 2014, 644.

4. Kap.: Das normativ geprägte Vorstellungsbild

211

13, NJW 2014, 2054; Urteil vom 22. Mai 2014 – 4 StR 430/13, NStZ 2014, 459).“25 (Hervorhebung nicht im Original)

Hier ging der erste Senat noch einen Schritt weiter und hielt auch einen Indizienschluss von äußeren Umständen, die die Angeklagten glaubhaft gestanden hatten, auf den Irrtum der Verfügenden für möglich. Die Revisionen der Angeklagten wurden verworfen. X. Fall 4: BGH, Urt. v. 12. 02. 2015 – 2 StR 109/14 Im Fall 4: Angekaufte Rezepte begegnet uns wieder ein Abrechnungsbetrug: „Bei Betrugsvorwürfen im Zusammenhang mit standardisierten, auf Massenerledigung angelegten Abrechnungsverfahren ist es nicht erforderlich, dass der jeweilige Mitarbeiter hinsichtlich jeder einzelnen geltend gemachten Position die positive Vorstellung hatte, sie sei nach Grund und Höhe berechtigt; vielmehr genügt die stillschweigende Annahme, die ihm vorliegende Abrechnung sei insgesamt in Ordnung. […] Weil es um das grundsätzliche Mitbewusstsein der Geltendmachung eines tatsächlich bestehenden sozialrechtlichen Erstattungsanspruchs ging, bedurfte es weder einer Individualisierung des jeweils handelnden Mitarbeiters der Krankenkassen noch der Feststellung seiner individuellen Vorstellungen (vgl. […]). Das Tatgericht konnte vielmehr bereits aus den Indizien des äußeren Ablaufs darauf schließen, dass alle Mitarbeiter der Krankenkassen irrtümlich von dem normativ geprägten Vorstellungsbild ausgingen, es würden nur dem Grunde nach gerechtfertigte Erstattungsansprüche für tatsächlich durchgeführte Apothekengeschäfte geltend gemacht.“26 (Hervorhebung nicht im Original)

Es ist bemerkenswert, dass der zweite Senat weder die Individualisierung noch die Feststellung der individuellen Vorstellungen der Verfügenden für erforderlich hielt, sondern allein aufgrund eines Indizienschlusses vom äußeren Ablauf des Abrechnungsverfahrens auf einen Irrtum der Mitarbeiter der Krankenkassen den Irrtumsnachweis als erbracht ansah. Die Revision des Angeklagten wurde verworfen. XI. Fall 12: BGH, Beschl. v. 01. 10. 2015 – 3 StR 102/15 Der dritte Senat verwendete im Fall 12: Verbraucherschutz zwar nicht den Begriff des normativ geprägten Vorstellungsbilds, aber äußerte sich dennoch zu den Anforderungen an die Irrtumsfeststellung: „Dabei begegnet es keinen rechtlichen Bedenken, dass sich die Urteilsgründe nicht dazu verhalten, ob das Landgericht seinen Schluss auch aus der Vernehmung (eines Teils) der Geschädigten gewonnen hat. Die Strafkammer konnte ihren Schluss auf die täuschungsbedingte Fehlvorstellung der Verfügenden insoweit auch auf Indizien stützen (vgl. BGH, Urteil vom 22. November 2013 – 3 StR 162/13, NStZ 2014, 215, 216; Beschluss vom

25 26

BGH, Beschl. v. 04. 09. 2014 – 1 StR 314/14 Rn. 22 – 24 = NStZ 2015, 98. BGH, Urt. v. 12. 02. 2015 – 2 StR 109/14 –, juris Rn. 21, 23 = NStZ 2015, 341.

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Teil 3: Lösungsansätze

4. September 2014 – 1 StR 314/14, NStZ 2015, 98, 100 mwN).“27 (Hervorhebung nicht im Original)

Im Tatkomplex „Aktion Privatsphäre“ hob der Senat daher nur in den Strafaussprüchen auf, weil der Umfang des Vermögensschadens möglicherweise unzutreffend bestimmt worden sei, da die Annahme der Strafkammer, die in die Berechnung des Vermögensschaden eingestellten Zahlungen seien sämtlich auf täuschungsbedingte Irrtümer der angeschriebenen Kunden zurück gegangen, nicht ausreichend belegt sei.28 XII. Fall 15: BGH, Urt. v. 19. 11. 2015 – 4 StR 115/15 Im Fall 15: Versprochene Werbeprovisionen verkürzte der vierte Senat die ständige Rechtsprechung folgendermaßen: „In Fällen, denen zahlreiche, im Wesentlichen gleich gelagerte Betrugshandlungen zu Grunde liegen, ist es dem Tatrichter gestattet, nur eine begrenzte Anzahl von Geschädigten als Zeugen zu vernehmen und gegebenenfalls auf eine entsprechende Irrtumserregung auch bei anderen Verfügenden zu schließen […].“29 (Hervorhebung nicht im Original)

Die Vernehmung von nur zwölf Verfügenden beanstandete der Senat daher nicht. XIII. Fall 16: LG Düsseldorf, Urt. v. 31. 07. 2014 – 14 KLs – 130 Js 44/09 – 10/12 Das Landgericht Düsseldorf erwähnte im Fall 16: Schneeballsystem das normativ geprägte Vorstellungsbild nicht, sondern schrieb unter Verweis auf BGH, Beschl. v. 06. 02. 2013 – 1 StR 263/12: „Vor dem Hintergrund des Interesses von Kapitalanlegern an der Vermeidung einer Schädigung des eigenen Vermögens, reicht die Vernehmung der oben genannten C1-Anleger nach Auffassung der Kammer aus, um eine täuschungs- und irrtumsbedingte Vermögensverfügung aller im Anklagezeitraum geworbenen C1-Anleger festzustellen (hierzu BGH NStZ 2013, 422, 423).“30

Gegen die Erforderlichkeit einer Vernehmung weiterer Anleger als Zeugen spreche auch die Auswertung der durchgeführten Fragebogenaktion.31 Die Be-

27 28 29 30 31

BGH, Beschl. v. 01. 10. 2015 – 3 StR 102/15 –, juris Rn. 15 = NStZ-RR 2016, 12. BGH, Beschl. v. 01. 10. 2015 – 3 StR 102/15 –, juris Rn. 15 = NStZ-RR 2016, 12. BGH, Urt. v. 19. 11. 2015 – 4 StR 115/15 –, juris Rn. 27 = ZWH 2016, 120. LG Düsseldorf, Urt. v. 31. 07. 2014 – 14 KLs – 130 Js 44/09 – 10/12 –, juris Rn. 886. LG Düsseldorf, Urt. v. 31. 07. 2014 – 14 KLs – 130 Js 44/09 – 10/12 –, juris Rn. 886.

4. Kap.: Das normativ geprägte Vorstellungsbild

213

schlüsse und das Urteil des dritten Senats in der Revisionsinstanz befassen sich nicht mit dem Irrtumsnachweis; das Urteil ist rechtskräftig.32

B. Materiell-rechtlich: Normativierung der Tatbestandsmerkmale Schon der Begriff des normativ geprägten Vorstellungsbilds macht deutlich, dass das Irrtumsmerkmal materiell-rechtlich eine Normativierung erfährt. Aufgrund der Wechselbezüglichkeit zwischen Täuschung und Irrtum ist diese Normativierung auch beim Täuschungsmerkmal zu beobachten. Die Normativierung des Täuschungsmerkmals konturiert gleichsam die Normativierung des Irrtumsmerkmals.33 Beide Tatbestandsmerkmale, Täuschung und Irrtum, werden daher im Hinblick auf ihre Normativierung durch die angegebene Rechtsprechung untersucht. I. Normativierung des Täuschungsmerkmals Die Normativierung des Täuschungsmerkmals äußert sich darin, dass für die Bejahung der Täuschung – insbesondere der konkludenten Täuschung – verstärkt auf den durch die Verkehrsanschauung geprägten objektiven Empfängerhorizont abgestellt wird. 1. Rechtsprechungsübersicht Die Auswertung der relevanten Entscheidungen zeigt eine Relevanz des objektiven Empfängerhorizonts in den folgenden Entscheidungen zum Massenbetrug. a) Fall 5: BGH, Beschl. v. 09. 06. 2009 – 5 StR 394/08 Das Landgericht bejahte im Fall 5: Straßenreinigungsgebühren ohne große Umschweife eine konkludente Täuschung durch die Rechnungsstellung über die Straßenreinigungsgebühren. Die Rechnung enthalte die konkludente Erklärung, dass die Forderung in voller Höhe bestehe, und insbesondere den unzutreffenden Hinweis, die Tarife seien entsprechend den rechtlichen Grundlagen für die Kalkulation berechnet worden.34 Der fünfte Strafsenat bekräftigte die Annahme einer konkludenten Täuschungshandlung und schrieb: „Welcher Inhalt der Erklärung zukommt, bestimmt sich ganz wesentlich durch den Empfängerhorizont und die Erwartungen der Beteiligten. Diese werden regelmäßig durch den 32

Vgl. BGH, Beschl. v. 10. 12. 2015 – 3 StR 163/15 –, juris (teils in JA 2016, 306) (Revisionen der Angeklagten) und BGH, Urt. v. 10. 12. 2015 – 3 StR 163/15 –, juris = wistra 2016, 164 (Revision der Staatsanwaltschaft). 33 Trüg, HRRS 2015, 106 (107). 34 LG Berlin, Urt. v. 03. 03. 2008 – (514) 3 Wi Js 1361/02 KLs (9/04) –, juris Rn. 210.

214

Teil 3: Lösungsansätze

normativen Gesamtzusammenhang geprägt sein, in dem die Erklärung steht (vgl. BGHSt 51, 165, 170).“35

Der fünfte Senat hielt es jedoch auch für denkbar, dass eine Täuschungshandlung schon in der Darlegung der Tariffestsetzung gegenüber der Berliner Senatsverwaltung liegen könnte.36 Bittmann stellt zusammenfassend fest, dass sich nun nicht nur derjenige wegen Betrugs strafbar mache, der in einer Rechnung falsche tatsächliche Angaben mache, sondern auch derjenige, der von ihm bei der Abrechnung einzuhaltende Normen missachte,37 und sich der Bundesgerichtshof insoweit auf normative Überlegungen stütze38. Bung meint, dass in den Abrechnungsbescheiden nicht konkludent, sondern „schwarz auf weiß“ und damit ausdrücklich getäuscht werde39 und fordert einen sparsameren Gebrauch der konkludenten Täuschung40. Heghmanns sieht die Täuschungshandlung durch die Rechnungszusendung als Fiktion an, weil die Tariffestsetzung nicht zum Kommunikationsinhalt zwischen BSR-Mitarbeiter und Rechnungsempfänger werde und auch nicht werden könne. Würde der Anlieger nachfragen („Ist der Tarif denn korrekt?“), könne er von den Sachbearbeitern allenfalls die Entgegnung erwarten, dass es sich um den von Experten kalkulierten, genehmigten und veröffentlichten Tarif handele. Er bejaht aber die vom Strafsenat angedachte Täuschung gegenüber der Senatsverwaltung anlässlich der Tariffestsetzung.41 Hiergegen wendet sich Bung zu Recht mit dem Argument, dass dies gar nicht den Irrtum ausschließe, da es für einen Betrug in mittelbarer Täterschaft charakteristisch sei, dass sich der Irrtum des Werkzeugs im Getäuschten fortsetze.42 b) Fall 14: BGH, Urt. v. 27. 03. 2014 – 3 StR 342/13 Im Fall 14: Ping-Anrufe war die Einordnung des Anpingens43 als Täuschungshandlung von Anfang an Gegenstand der Diskussion der befassten Gerichte und der Literatur. Das Landgericht Osnabrück lehnte die Eröffnung des Hauptverfahrens mangels Täuschungshandlung ab, woraufhin das Oberlandesgericht Oldenburg auf 35

BGH, Beschl. v. 09. 06. 2009 – 5 StR 394/08 –, juris Rn. 15 = NJW 2009, 2900. Dann käme ein Dreiecksbetrug zulasten der Grundstückseigentümer in Betracht, wobei das dafür erforderliche Näheverhältnis in der Berechtigung der BSR zur einseitigen Leistungsbestimmung gemäß § 315 BGB zu sehen sein könnte, BGH, Beschl. v. 09. 06. 2009 – 5 StR 394/08 –, juris Rn. 19 = NJW 2009, 2900. 37 Bittmann, NJW 2009, 2902 (2903); auch Voßen, NStZ 2009, 697 (698). 38 Bittmann, NZM 2009, 644 (645). 39 Bung, GA 2012, 354 (359). 40 Bung, GA 2012, 354 (361). 41 Heghmanns, ZJS 2009, 706 (708 f.). 42 Bung, GA 2012, 354 (362). 43 Mit Jahn ist festzustellen, dass es „offenbar nur ein aus dem Englischen unzureichend eingedeutschtes Verb für die in Betracht kommende Täuschungshandlung gibt“, Jahn, JuS 2010, 1119. 36

4. Kap.: Das normativ geprägte Vorstellungsbild

215

die Nichtzulassungsbeschwerde hin das Hauptverfahren eröffnete.44 Daraufhin verurteilte das Landgericht Osnabrück doch wegen Betrugs und stellte in seiner Entscheidung für die Bejahung einer konkludenten Täuschung durch das Anpingen ausdrücklich auf die Verkehrsanschauung ab: Erstens liege eine Täuschung mit dem unzutreffenden Erklärungsinhalt vor, der Anrufer strebe über das Herstellen einer Telekommunikationsverbindung eine inhaltlich ernstgemeinte zwischenmenschliche Kommunikation an, auch wenn es nur einmal läute. Zweitens werde über die technische Herkunft des Anrufs getäuscht, indem die übertragene Rufnummer als normale Handynummer statt als teure Mehrwertdienstnummer erscheinen sollte.45 Der dritte Strafsenat des Bundesgerichtshofes bekräftigte die Annahme einer konkludenten Täuschung nach Maßgabe der Verkehrsanschauung durch die mit dem Anruf schlüssig übermittelte Nachricht über ein Kommunikationsanliegen und tritt explizit gegenteiligen Literaturauffassungen46 entgegen.47 Eine weitere konkludente Täuschung sah er zwar nicht in der Täuschung über die rein technische Herkunft des Anrufs, aber darin, dass den Angerufenen vorgespiegelt werde, sie könnten einen Rückruf bei der in ihrem Mobiltelefon hinterlassenen Nummer zu dem jeweils mit ihrem Netzbetreiber vereinbarten Tarif ohne darüber hinausgehende Kosten durchführen, weil nur solche Rufnummern im Rufnummernspeicher hinterlassen werden dürften.48 Grundlage für die allgemeine Verkehrsanschauung sei die Selbstverpflichtung der Telekommunikationsunternehmen hinsichtlich der Unzulässigkeit der Ping-Anrufe; mittlerweile ergebe sich die Unzulässigkeit der Speicherung im Rufnummernspeicher aus § 66k TKG.49 Die Literatur verstand als Täuschungshandlung teilweise schon das Hinterlassen einer Rufnummer, von der der Anruf nicht getätigt wurde, sodass es auf einen etwaigen Erklärungsinhalt mit einem Kommunikationswunsch nicht ankomme und ein „Rückgriff auf den normativen Täuschungsbegriff“ nicht notwendig sei.50 Jäger sieht 44 Das OLG Oldenburg, Beschl. v. 20. 08. 2010 – 1 Ws 371/10 bejahte den für den Eröffnungsbeschluss hinreichenden Tatverdacht mit der Begründung, der Anruf enthalte den Erklärungswert eines inhaltlichen Kommunikationsverlangens und sei nicht nur ein bedeutungsloser technischer Vorgang und könne daher eine konkludente Täuschungshandlung darstellen; zustimmend Eiden, Jura 2011, 863 (865); Seidl, jurisPR-ITR 20/2010 Anm. 3; anders Erb, ZIS 2011, 368 (369) (Irrtumsvermittlung durch Suggestion). 45 Zum Ganzen: LG Osnabrück, Urt. v. 06. 03. 2013 – 10 KLs 38/09, 10 KLs – 140 Js 2/07 – 38/09 –, juris Rn. 97 – 99 = CR 2013, 581; bezweifelnd Spitz, jurisPR-ITR 14/2013 Anm. 6. 46 Vgl. Ladiges, JuS 2012, 50 (54 f.); MüKo-StGB/Hefendehl, § 263 Rn. 119; Becker, JuS 2014, 207 (312); Mayer Lux/Schumann, ZWH 2013, 10 (13 – 15); Jahn, JuS 2010, 1119 (1120). 47 BGH, Urt. v. 27. 03. 2014 – 3 StR 342/13 Rn. 13 f. = BGHSt 59, 195; zustimmend Jäger, JA 2014, 630 (631). 48 BGH, Urt. v. 27. 03. 2014 – 3 StR 342/13 Rn. 16 – 18 = BGHSt 59, 195; zustimmend Jäger, JA 2014, 630 (631); so schon zuvor Seidl, jurisPR-ITR 20/2010 Anm. 3; Ellbogen/ Erfurth, CR 2008, 635; Kölbel, JuS 2013, 193 (196). 49 BGH, Urt. v. 27. 03. 2014 – 3 StR 342/13 Rn. 18 = BGHSt 59, 195; kritisch hierzu Jäger, JA 2014, 630 (631). 50 Cornelius, NJW 2014, 2056 (2057); Kunkel, jurisPR-StrafR 16/2014 Anm. 2.

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Teil 3: Lösungsansätze

den Aussagegehalt des Anrufs als Kommunikationswunsch durch den Rückruf von ca. 785.000 Personen mit der „normativen Kraft des Faktischen“ belegt.51 Andere Ansichten verneinen eine Täuschungshandlung, da sich der Erklärungswert darin erschöpfe, dass ein Anruf mit Rufnummernübermittlung eingegangen sei,52 da aus einem Anruf, der nach dem ersten Klingeln abbreche, kein ernsthaftes Kommunikationsverlangen spreche, und auch sonst kein täuschender Gesamteindruck erweckt werde53 oder ansonsten das Merkmal der konkludenten Täuschung unzulässig überdehnt würde, da allein das technische Hervorrufen einer Benachrichtigung über den verpassten Anruf kein kommunikativer Akt sei.54 Schuhr skizziert eine Vielzahl möglicher Erklärungsmuster und stellt fest, dass vielfältige und mehrdeutige Erklärungsinhalte und Vorstellungsbilder denkbar seien und es daher keine bessere Alternative gebe, als über den objektiven Empfängerhorizont eine nicht immer gut von Willkür abgrenzbare Entscheidung zu treffen.55 Ein ganz anderer Ansatz von Mayer Lux und Schumann sieht nach dem objektiven Empfängerhorizont im Anpingen weder eine aktive Täuschung noch eine Täuschung durch Unterlassen, sondern eine bloße Vorbereitungshandlung; eine Täuschung durch Unterlassen könne jedoch dann erfolgen, wenn der Angerufene zurückruft und nicht über die Kostenpflichtigkeit des Rückrufs aufgeklärt werde.56 Eiden weist noch darauf hin, dass die Entscheidung verdeutliche, dass die Verkehrsanschauung hinsichtlich neuer Phänomene häufig nur durch einen Vergleich mit Bekanntem zu ermitteln sei.57 c) Fall 7: BGH, Urt. v. 22. 05. 2014 – 4 StR 430/13 Der vierte Strafsenat stellte im Fall 7: Einzugsermächtigungslastschriftbetrug fest, dass nach der Vorstellung der Angeklagten „unter Berücksichtigung des insoweit maßgeblichen Empfängerhorizontes“ den betroffenen Bankkunden ein der Lastschriftabbuchung zugrunde liegendes wirksames Kausalgeschäft durch die Mitteilung eines Produktnamens in der Information über den Buchungsvorgang vorgespiegelt werden sollte.58 51

Jäger, JA 2014, 630 (631). MüKo-StGB/Hefendehl, § 263 Rn. 119, der dann aber eine Täuschungshandlung in der „normativ vorstrukturierten“ Erklärung sieht, ein Rückruf sei mit keinen erhöhten Kosten verbunden; Jahn, JuS 2014, 848 (849). 53 Ladiges, JuS 2012, 50 (54 f.). 54 Becker, JuS 2014, 307 (312). 55 Schuhr, ZWH 2014, 347. 56 Mayer Lux/Schumann, ZWH 2013, 10 (13 – 15): Die Aufklärungspflicht folge dabei aus der Preisangabepflicht des § 66b TKG, der allerdings erst ab einem Preis von 2 E pro Minute zur Preisangabe verpflichte, was in diesem Fall (98 Cent pro Rückruf) somit zur Straflosigkeit führe. 57 Eiden, Jura 2011, 863 (870): Hier nämlich durch die Gegenüberstellung von telekommunikativem „Anpingen“ und dem greifbaren Klingeln an der Wohnungstür. 58 BGH, Urt. v. 22. 05. 2014 – 4 StR 430/13 Rn. 26 = NJW 2014, 2132. 52

4. Kap.: Das normativ geprägte Vorstellungsbild

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d) Fall 3: BGH, Urt. v. 10. 12. 2014 – 5 StR 405/13 Im Fall 3: Zytostatika mit Importarzneimitteln hob der Bundesgerichtshof das Urteil des Landgerichts Braunschweig auf und sprach den Angeklagten frei, weil er in der Abrechnung von patientenindividuellen Zytostatika-Zubereitungen als verkehrsfähige Ware, die mit in Deutschland nicht zugelassenen Importarzneimitteln hergestellt wurden, keine (konkludente) Täuschungshandlung sah: „Wann der Rechtsverkehr der Geltendmachung eines Anspruchs schlüssig zugleich die Behauptung bestimmter anspruchsbegründender Tatsachen beimisst, ist Tatfrage und richtet sich nach dem objektiven Empfängerhorizont, der unter Berücksichtigung der Erwartungen der Beteiligten und der Verkehrsanschauung festzulegen ist. Der Empfängerhorizont wird hier wie auch sonst bei Erklärungen im Verkehr durch den normativen Gesamtzusammenhang geprägt, in dem die Erklärung steht (st. Rspr., […]).“59

Schuhr stimmt dem Bundesgerichtshof hier zu, dass auf den objektiven Empfängerhorizont abgestellt werden müsse und nicht eine geänderte Rechtsauffassung eines anderen Senats zum akzessorischen Arzneimittelrecht maßgeblich sei. Die Entscheidung diene daher dazu, die Normativierung von Täuschung und Irrtum einzudämmen, weil das Gericht nicht einfach eigene Wertungen einsetzen dürfe, sondern die Sicht der Beteiligten rekonstruieren müsse.60 e) Fall 4: BGH, Urt. v. 12. 02. 2015 – 2 StR 109/14 Das Landgericht Frankfurt stellte im Fall 4: Angekaufte Rezepte fest, dass der Empfängerhorizont vom Vertrauen der Sachbearbeiter der Krankenkassen in die Zuverlässigkeit der Apotheker geprägt sei und durch die eingereichten Rezeptabrechnungen eine Fehlvorstellung erweckt worden sei und folglich eine konkludente Täuschung vorliege.61 In der Revisionsentscheidung stellte der zweite Senat klar, dass sich nach dem Empfängerhorizont und der Verkehrsanschauung beurteilt, welchen Erklärungswert eine konkludent abgegebene Äußerung besitzt.62 Ein Apotheker, der am Abrechnungssystem der Krankenkassen teilnehme, erkläre bei den Abrechnungen stillschweigend, dass er bestehende sozialrechtliche Erstattungsansprüche für tatsächlich durchgeführte Apothekengeschäfte geltend mache.63 59 BGH, Urt. v. 10. 12. 2014 – 5 StR 405/13 –, juris Rn. 11 = wistra 2015, 226; vgl. auch BGH, Urt. v. 10. 12. 2014 – 5 StR 136/14 –, juris = PharmR 2015, 127; anders noch BGH, Urt. v. 04. 09. 2012 – 1 StR 534/11 –, juris = BGHSt 57, 312. 60 Schuhr, ZWH 2015, 145 (146 f.). 61 Vgl. BGH, Urt. v. 12. 02. 2015 – 2 StR 109/14 –, juris Rn. 9, 17 f. = NStZ 2015, 341. 62 BGH, Urt. v. 12. 02. 2015 – 2 StR 109/14 –, juris Rn. 17 = NStZ 2015, 341; s.a. BGH, Urt. v. 22. 02. 2017 – 2 StR 573/15 –, juris Rn. 20. 63 BGH, Urt. v. 12. 02. 2015 – 2 StR 109/14 –, juris Rn. 18 = NStZ 2015, 341; kritisch: Kaltenhäuser, der in dieser Rechtsprechung „kaum zu rechtfertigende Wertungsunterschiede zwischen den verschiedenen Berufsgruppen des Gesundheitswesens“ sieht, Kaltenhäuser, MedR 2015, 881 (882).

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Teil 3: Lösungsansätze

2. Der objektive Empfängerhorizont Um eine konkludente Täuschungshandlung beim Massenbetrug zu bejahen, wird also oft der objektive Empfängerhorizont, der durch die Verkehrsanschauung bestimmt wird, herangezogen. Mit dem objektiven Empfängerhorizont wird auf einen zivilrechtlichen Begriff abgestellt, der zur Auslegung empfangsbedürftiger Willenserklärungen dient.64 Durch die Heranziehung der allgemeinen Verkehrsauffassung als zentralem Auslegungsmaßstab wird eine „überindividuelle Perspektive“65 eingenommen. Insofern wird das Täuschungsmerkmal normativiert, da nicht mehr das tatsächliche Vorstellungsbild, das beim konkreten einzelnen Opfer hervorgerufen werden soll, maßgeblich ist. Die Massenbetrugsfälle gehen dabei nicht über die oben dargestellte allgemeine Rechtsprechung zum Täuschungsmerkmal hinaus. Es erscheint aber so, als würden die Gerichte dankbar auf die Rechtsprechung zum objektiven Empfängerhorizont zurückgreifen und sich ihrer häufig bedienen. So objektiv der Empfängerhorizont auch zu sein versucht – es verwundert schon, dass zu ein und demselben Sachverhalt dennoch so vielfältige Möglichkeiten der Bestimmung des „objektiven“ Empfängerhorizonts gefunden werden (vgl. nur Fall 14: Ping-Anrufe). II. Normativierung des Irrtumsmerkmals Was das Tatbestandsmerkmal des Irrtums angeht, stellt die höchstrichterliche Rechtsprechung beim Massenbetrug vermehrt auf ein „normativ geprägtes Vorstellungsbild“ ab. Dadurch soll die Feststellung des Irrtumsmerkmals erleichtert werden. Nach einer kurzen Darstellung der Entwicklung der Rechtsprechung werden der Begriff des normativ geprägten Vorstellungsbilds und seine etwaige normativierende Auswirkung auf das Irrtumsmerkmal untersucht. 1. Rechtsprechungsentwicklung Die Urteile zum Massenbetrug zeigen eine allmähliche Verfestigung der Rechtsprechung zum Irrtumsnachweis beim Massenbetrug mithilfe des sog. normativ geprägten Vorstellungsbilds. a) Standardisierte, auf massenhafte Erledigung ausgerichtete Abrechnungsverfahren Den Grundstein der Rechtsprechung legten die Entscheidungen des Bundesgerichtshofes zum Abrechnungsbetrug. Hier war ein „standardisierte[s], auf massen-

64 65

Trüg, HRRS, 2015, 106 (107). Trüg, HRRS, 2015, 106 (107).

4. Kap.: Das normativ geprägte Vorstellungsbild

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hafte Erledigung ausgerichtete[s] Abrechnungsverfahren“66 der maßgebende Umstand, den das Gericht zum Anlass nahm, auf ein sachgedankliches Mitbewusstsein bei den Sachbearbeitern der Kassen(zahn)ärztlichen Vereinigung bzw. der Krankenkassen abzustellen oder einen Indizienschluss hinsichtlich des Irrtums von einem vernommenen Mitarbeiter auf den anderen vorzunehmen. b) Normativ geprägtes Vorstellungsbild Später bei den Fällen des klassischen Massenbetrugs wurde dann der Begriff des „normativ geprägten Vorstellungsbilds“67 etabliert. Soweit ersichtlich, taucht der Begriff im Zusammenhang mit einem Massenbetrug zum ersten Mal im Urteil des fünften Strafsenats des Bundesgerichtshofes vom 17. 07. 200668 (Fall 5: Straßenreinigungsgebühren) auf. Ein normativ geprägtes Vorstellungsbild (zumindest in der Vorstellung des Täters in der Versuchskonstellation) wurde seitdem angenommen bei – den getäuschten Grundstückseigentümern hinsichtlich der Tatsache, dass die Tarifberechnung über die Straßenreinigungsgebühren in Ordnung bzw. jedenfalls nicht betrügerisch sei69, – den Kunden der Kreditvermittlungsfirma darüber, dass die Auslagekosten in der angeblichen Höhe tatsächlich entstanden seien70, – den Kassierern darüber, dass nicht mit Falschgeld, sondern echtem Geld bezahlt worden sei71, – den Kontoinhabern über das Vorliegen eines wirksamen Kausalgeschäfts für die Abbuchung im Lastschriftverfahren72,

66 BGH Urt. v. 05. 12. 2002 – 3 StR 161/02 –, juris Rn. 22 = NJW 2003, 1198; ganz ähnlich: BGH, Urt. v. 12. 02. 2015 – 2 StR 109/14 –, juris Rn. 21 = NStZ 2015, 341; BGH, Urt. v. 22. 08. 2006 – 1 StR 547/05 –, juris Rn. 34 = wistra 2006, 421. 67 Vgl. BGH, Urt. v. 17. 07. 2009 – 5 StR 394/08 Rn. 15 = BGHSt 54, 44; BGH, Beschl. v. 06. 02. 2013 – 1 StR 263/12 Rn. 19 = NJW 2013, 1545; BGH, Urt. v. 22. 11. 2013 – 3 StR 162/13 Rn. 9 = BGHSt 59, 75; BGH, Urt. v. 27. 03. 2014 – 3 StR 342/13 Rn. 23 = BGHSt 59, 195; BGH, Urt. v. 22. 05. 2014 – 4 StR 430/13 Rn. 17 = NJW 2014, 2132; BGH, Beschl. v. 17. 06. 2014 – 2 StR 658/13 Rn. 13 = NStZ 2014, 644; BGH, Beschl. v. 04. 09. 2014 – 1 StR 314/14 Rn. 22 = NStZ 2015, 98; BGH, Urt. v. 12. 02. 2015 – 2 StR 109/14 –, juris Rn. 23 = NStZ 2015, 341. 68 BGH, Urt. v. 17. 07. 2009 – 5 StR 394/08 Rn. 15 = BGHSt 54, 44. 69 Fall 5: BGH, Urt. v. 17. 07. 2009 – 5 StR 394/08 Rn. 14 = BGHSt 54, 44. 70 Fall 6: BGH, Beschl. v. 06. 02. 2013 – 1 StR 263/12 Rn. 7 = NJW 2013, 1545. 71 Hinsichtlich der aufgehobenen Fälle lag laut BGH jedenfalls „das Vorliegen eines Irrtums nahe“, Fall 17: BGH, Urt. v. 22. 11. 2013 – 3 StR 162/13 Rn. 10 = BGHSt 59, 75. 72 Der BGH stellt dies allerdings nicht so ausdrücklich dar, sondern begnügt sich mit der Feststellung der Täuschung im Tatentschluss, Fall 7: BGH, Urt. v. 22. 05. 2014 – 4 StR 430/13 Rn. 26, 28 = NJW 2014, 2132.

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Teil 3: Lösungsansätze

– jeweils mindestens einem Kunden über seine vermeintliche Verpflichtung zur Zahlung für den Erwerb eines Widerrufsschreibens73, – den Angerufenen über den tatsächlich nicht bestehenden Kommunikationswunsch der Ping-Anrufer sowie über die Kostenpflichtigkeit des Rückrufs74. In materiell-rechtlicher Hinsicht bedeutete die Annahme eines normativ geprägten Vorstellungsbilds zumeist die Bejahung eines sachgedanklichen Mitbewusstseins und damit eines Irrtums. Insbesondere „[i]m Bereich gleichförmiger, massenhafter oder routinemäßiger Geschäfte“75, die von selbstverständlichen Erwartungen geprägt sind, wurde ein sachgedankliches Mitbewusstsein der Getäuschten angenommen. In prozessualer Hinsicht diente das normativ geprägte Vorstellungsbild der Rechtfertigung eines Indizienschlusses oder der Schätzung einer Irrtumsquote. Im Beschluss vom 04. 09. 2014 (Fall 11: Widerrufsschreiben gegen Gewinnspieleintragungsdienste) sprach der erste Senat schon unter Hinweis auf die bisher ergangenen Urteile von „gefestigter Rechtsprechung“76. c) Verzicht auf Benennung des normativ geprägten Vorstellungsbilds Nicht unterschlagen werden dürfen die jüngeren Entscheidungen, die zur Begründung ihres prozessualen Vorgehens auf die Rechtsprechung zum normativ geprägten Vorstellungsbild verweisen, aber den Begriff des normativ geprägten Vorstellungsbilds nicht verwenden. So stellte der zweite Senat des Bundesgerichtshofs für die Zulässigkeit eines Indizienschlusses aufgrund von Zeugenvernehmungen einiger Geschädigter auf „im Wesentlichen gleich gelagerte Betrugshandlungen“77 ab. Das Landgericht Düsseldorf begründete mit dem Interesse „an der Vermeidung einer Schädigung des eigenen Vermögens“78, dass es ausreiche, einige Verfügende als Zeugen zu vernehmen, um eine täuschungs- und irrtumsbedingte Vermögensverfügung aller Verfügenden festzustellen. d) Normativ geprägtes Vorstellungsbild ohne Massenbetrug Eine aktuelle Entscheidung des vierten Senats79 überrascht, weil sie den Irrtum in Form des sachgedanklichen Mitbewusstseins aufgrund normativ geprägten Vor73

Fall 11: BGH, Beschl. v. 04. 09. 2014 – 1 StR 314/14 Rn. 8, 20 = NStZ 2015, 98; zur Kritik s. u. 74 Fall 14: BGH, Urt. v. 27. 03. 2014 – 3 StR 342/13 Rn. 19 = BGHSt 59, 195. 75 BGH, Urt. v. 22. 11. 2013 – 3 StR 162/13 Rn. 8 = BGHSt 59, 75; BGH, Urt. v. 22. 05. 2014 – 4 StR 430/13 Rn. 17 = NJW 2014, 2132; BGH, Beschl. v. 04. 09. 2014 – 1 StR 314/14 Rn. 19 = NStZ 2015, 98. 76 BGH, Beschl. v. 04. 09. 2014 – 1 StR 314/14 Rn. 22 = NStZ 2015, 98. 77 BGH, Urt. v. 19. 11. 2015 – 4 StR 115/15 –, juris Rn. 27 = ZWH 2016, 120. 78 LG Düsseldorf, Urt. v. 31. 07. 2014 – 14 KLs – 130 Js 44/09 – 10/12 –, juris Rn. 886. 79 BGH, Beschl. v. 14. 07. 2016 – 4 StR 362/15 –, juris Rn. 27 ff. = NJW 2016, 3383.

4. Kap.: Das normativ geprägte Vorstellungsbild

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stellungsbilds bereits bei einem einzelnen Verfügenden, nämlich beim eine Zwangsversteigerung leitenden Rechtspfleger, andenkt. Der vierte Senat scheint dabei das normativ geprägte Vorstellungsbild als Unterfall des sachgedanklichen Mitbewusstseins zu begreifen. Zwar kann man hier ein gleichförmiges, massenhaftes oder routinemäßiges Geschäft seitens des im Rahmen seiner Berufsausübung handelnden Rechtspflegers annehmen. Ein Indizienschluss aufgrund normativ geprägten Vorstellungsbilds ist aber überflüssig, weil die Vernehmung des einzelnen Verfügenden unproblematisch möglich ist und es eines Rückgriffs auf das normativ geprägte Vorstellungsbild daher nicht bedarf, da kein „Massen“-Betrug vorliegt. Der Senat verneinte im konkreten Fall den Irrtum.80 2. Begriff und Voraussetzungen Das normativ geprägte Vorstellungsbild ist ein abstrakter Begriff. Was man genau unter einem normativ geprägten Vorstellungsbild versteht und wann es auf ein solches ankommt, erschließt sich aus der Rechtsprechung nicht ohne Weiteres. Die Strafsenate des Bundesgerichtshofs legen selbst keine Definition und keine Voraussetzungen für die Annahme eines normativ geprägten Vorstellungsbilds fest, sondern stellen oft einfach fest, dass es vorliegt.81 Es bleibt also unklar, „inwieweit das Vorstellungsbild des einzelnen Verfügenden wie auch der Gesamtheit aller Verfügenden überhaupt ,normativ‘ ist“82. Durch eine Analyse der Rechtsprechung wird versucht, dem Begriff und seinen Voraussetzungen näher zu kommen. a) Einfachheit des Vorgangs Bei der Analyse der Rechtsprechung stellt sich heraus, dass ein normativ geprägtes Vorstellungsbild scheinbar „in einfach gelagerten Fällen“83, nicht aber in „komplexeren Fällen“84 angenommen wird. Auch wenn der fünfte Strafsenat darauf abstellt, dass die Entgeltforderung für den Grundstückseigentümer eine wirtschaftlich nicht sehr gewichtige und auch völlig unauffällige Erklärung darstelle und kein differenzierteres Vorstellungsbild als die allgemein gehaltene Vorstellung, die Tarifberechnung sei in Ordnung bzw. jedenfalls nicht betrügerisch, vorliege85, hält er die Einfachheit des Vorgangs für maßgeblich.

80

Siehe dazu Teil 3, 4. Kapitel B. II. 2. d) a.E. Vgl. BGH, Urt. v. 27. 03. 2014 – 3 StR 342/13 Rn. 23 = BGHSt 59, 195; BGH, Beschl. v. 04. 09. 2014 – 1 StR 314/14 Rn. 20 – 23 = NStZ 2015, 98. 82 Trüg, HRRS 2015, 101 (112). 83 BGH Urt. v. 05. 12. 2002 – 3 StR 161/02 –, juris Rn. 22 = NJW 2003, 1198, wobei hier nicht ausdrücklich auf ein normativ geprägtes Vorstellungsbild abgestellt wurde. 84 BGH, Urt. v. 22. 05. 2014 – 4 StR 430/13 Rn. 18 = NJW 2014, 2132. 85 BGH, Urt. v. 17. 07. 2009 – 5 StR 394/08 Rn. 14 = BGHSt 54, 44. 81

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Teil 3: Lösungsansätze

b) Massenhaftigkeit des Vorgangs Ein normativ geprägtes Vorstellungsbild wird insbesondere bei „standardisierten, auf massenhafte Erledigung ausgerichteten Abrechnungsverfahren“86 bzw. „[i]m Bereich gleichförmiger, massenhafter oder routinemäßiger Geschäfte“, die von selbstverständlichen Erwartungen geprägt sind,87 angenommen. Dabei verschwindet immer mehr die entscheidende Tatsache, auf wessen Seite eine Massenhaftigkeit gegeben ist. So liegt bei den Fällen des Abrechnungsbetrugs in der Tat ein „standardisierte[s], auf massenhafte Erledigung ausgerichtete[s] Abrechnungsverfahren“88 auf Seiten der irrenden Sachbearbeiter vor. Man vermag auch im Fall der Entgegennahme von Falschgeld durch Kassierer noch das Vorliegen von „gleichförmige[n], massenhafte[n] oder routinemäßige[n] Geschäfte[n]“89 beim Kassiervorgang auf Seiten den irrenden Kassierer nachvollziehen können. Die Abbuchungen im Wege des Einzugsermächtigungsverfahrens vom Konto eines Privatmanns beim Lastschriftbetrug kann man hingegen nur noch mit Mühe als „gleichförmig[e], massenhaft[e] oder routinemäßig[e] Geschäfte“90 einordnen, selbst wenn dies mehrmals im Monat geschieht.91 Der vierte Senat hat die Abbuchungsvorgänge nicht direkt als „gleichförmig[e], massenhaft[e] oder routinemäßig [e] Geschäfte“ bezeichnet, sondern diesen Ausdruck in einem Abschnitt mit dem Hinweis auf die bisher ergangene Rechtsprechung und anerkannte Vorgehensweise beim Massenbetrug verwendet. Noch weniger wird man aber den Erwerb von Widerrufsschreiben, das der Abwehr von Ansprüchen ihrerseits betrügerisch agierender Gewinnspieleintragungsdienste und der Rückforderung bereits an diese gezahlter Beträge dienen sollte, als „gleichförmig[e], massenhaft[e] oder routinemäßig[e] Geschäfte“92 auf Seiten der Opfer (!) bezeichnen können. Daher ist es zu befürchten, dass insbesondere der erste Strafsenat in seinem Revisionsbeschluss zu Fall 11: Widerrufsschreiben gegen Gewinnspieleintragungsdienste einer Verwechslung erlegen ist und die Formulierung „gleichförmig[e], massenhaft[e] oder routinemäßig[e] Geschäfte“ recht unbesehen übernahm, als er auf vorangegangene Entscheidungen verwies. Die Argumentation, die anfangs 86

BGH Urt. v. 05. 12. 2002 – 3 StR 161/02 –, juris Rn. 25 = NJW 2003, 1198; ganz ähnlich: BGH, Urt. v. 12. 02. 2015 – 2 StR 109/14 –, juris Rn. 21 = NStZ 2015, 341; BGH, Urt. v. 22. 08. 2006 – 1 StR 547/05 –, juris Rn. 34 = wistra 2006, 421. 87 BGH, Urt. v. 22. 11. 2013 – 3 StR 162/13 Rn. 8 = BGHSt 59, 75; BGH, Urt. v. 22. 05. 2014 – 4 StR 430/13 Rn. 17 = NJW 2014, 2132; BGH, Beschl. v. 04. 09. 2014 – 1 StR 314/14 Rn. 19 = NStZ 2015, 98. 88 So ist in allen drei Fällen, in denen dieser Ausdruck bisher gebraucht wurde, der Abrechnungsbetrug Gegenstand des Betrugsvorwufs. 89 So BGH, Urt. v. 22. 11. 2013 – 3 StR 162/13 Rn. 8 = BGHSt 59, 75. 90 Vgl. BGH, Urt. v. 22. 05. 2014 – 4 StR 430/13 Rn. 17 = NJW 2014, 2132. 91 So auch Kuhli, StV 2016, 40 (46). 92 So aber in BGH, Beschl. v. 04. 09. 2014 – 1 StR 314/14 Rn. 19 f. = NStZ 2015, 98.

4. Kap.: Das normativ geprägte Vorstellungsbild

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verwendet wurde, um eine normative Prägung des Vorstellungsbilds zu untermauern, stützte sich auf eine Massenhaftigkeit der Abläufe auf Seiten der Getäuschten. Diese Argumentation darf nicht zweckentfremdet werden, indem auf die Massenhaftigkeit der Abläufe auf Seiten der täuschenden Täter abgestellt wird. Dass die Täuschungshandlungen beim Massenbetrug für den Täter „gleichförmig[e], massenhaft[e] oder routinemäßig[e] Geschäfte“ darstellen, ist unmittelbar einleuchtend. Beim Massenbetrug wird zwangsläufig immer eine Massenhaftigkeit im Hinblick auf die Täuschungshandlung auf Seiten der Täter vorliegen. Wenn diese Massenhaftigkeit auf der Täterseite nun für die Annahme eines normativ geprägten Vorstellungsbilds beim einzelnen Täuschungsopfer, für welches die Täuschung ein einmaliges Ereignis darstellt, herangezogen wird, wird der Begründungsweg der ersten Entscheidungen ab absurdum geführt. Es muss an dieser Stelle also klarstellend darauf hingewiesen werden, dass nicht auf die Gleichförmigkeit, Massenhaftigkeit oder Routine der Täuschungshandlung, also auf Seiten des Täters, abgestellt werden darf, sondern es nur auf die Massenhaftigkeit des Vorgangs auf Seiten der Getäuschten ankommen kann.93 Eine Massenhaftigkeit der Täuschungshandlung darf also gerade nicht zur Annahme eines normativ geprägten Vorstellungsbilds auf Seiten der Irrenden führen.94 c) Keine individuelle Motivation zur Leistung In einem anderen Fall grenzt der erste Strafsenat das normativ geprägte Vorstellungsbild von „individueller Motivation zur Leistung eines jeden Verfügenden“95 ab. In einem Urteil, das nicht explizit das normativ geprägte Vorstellungsbild verwendete, wurde der Indizienschluss mit dem Interesse an der Vermeidung einer Schädigung des eigenen Vermögens begründet.96 Trück weist darauf hin, dass auch bei Fällen mit individueller Motivation zur Leistung Indizien wie das wirtschaftliche oder sonstige Interesse des Opfers an der Vermeidung der Schädigung seines Vermögens vorliegen können, sodass zur Abgrenzung von Individualfällen gefragt werden müsse, ob eine typisierende Betrachtungsweise möglich sei, die sich unter den konkreten Tatumständen auf gleichförmige, standardisierte Geschehensabläufe stützen könne.97

93 Vgl. auch Kuhli, StV 2016, 40 (46), der daher am Vorliegen des sachgedanklichen Mitbewusstseins der Täuschungsopfer zweifelt. 94 Vgl. Trüg, HRRS 2015, 106 (115): „Ein normativ geprägtes Vorstellungsbild des Verfügenden ist im Fall von Massengeschäften nur dann gegeben, wenn es sich um Massengeschäfte auf Seiten des/der Verfügenden handelt.“ 95 BGH, Beschl. v. 06. 02. 2013 – 1 StR 263/12 Rn. 18 f. = NJW 2013, 1545. 96 LG Düsseldorf, Urt. v. 31. 07. 2014 – 14 KLs – 130 Js 44/09 – 10/12 –, juris Rn. 886. 97 Trück, ZWH 2013, 404 (405).

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Teil 3: Lösungsansätze

d) Prägende Umstände Nicht eindeutig geklärt wird von der Rechtsprechung außerdem die Frage, was genau ein Vorstellungsbild eines Erklärungsempfängers normativ prägt. Zum einen werden die selbstverständlichen Erwartungen im Bereich gleichförmiger, massenhafter oder routinemäßiger Geschäfte98 genannt. Diese als selbstverständlich angesehenen Erwartungen müssen zwar nicht in jedem Einzelfall bewusst aktualisiert werden, liegen aber „der vermögensrelevanten Handlung als hinreichend konkretisierte Tatsachenvorstellung“ zugrunde.99 Der erste Strafsenat sah in dem Umstand, dass bei Forderungen über eine nicht unerhebliche Summe „jedenfalls grundsätzlich davon auszugehen ist, dass niemand eine so hohe angebliche Forderung bezahlt, von der er weiß, dass sie zu Unrecht erhoben wird“, einen Erfahrungssatz, der ein irrtumsbegründendes Indiz darstellen könne.100 Dieser Erfahrungssatz ist laut Kuhli zwar plausibel, aber findet seine Grenzen darin, dass die ökonomische Bedeutung von Geldbeträgen stark subjektiv – durch das Vermögen des Betroffenen oder seine charakterliche Disposition – geprägt sei.101 Der zweite Strafsenat benennt konkret einen das Vorstellungsbild prägenden Umstand, wenn er feststellt, dass das Vorstellungsbild der Krankenkassenmitarbeiter, es würden nur dem Grunde nach gerechtfertigte Erstattungsansprüche geltend gemacht, normativ geprägt sei.102 Laut drittem Senat kann ein Indiz für das Vorliegen eines Irrtums darin liegen, dass der „Verfügende ein eigenes Interesse daran hatte oder im Interesse eines anderen verpflichtet war, sich von der Wahrheit der Behauptungen des Täters zu überzeugen“.103 In einem Fall, der allerdings keinen Massenbetrugsfall darstellt, sondern den Irrtum des eine Zwangsversteigerung leitenden Rechtspflegers in Frage behandelt, verneint der vierte Senat einen Irrtum in Form des sachgedanklichen Mitbewusstseins, weil sich aus den Regelungen des Zwangsvollstreckungsverfahrens kein normativ geprägtes Vorstellungsbild des Rechtspflegers über die Zahlungsfähigkeit und Zahlungswilligkeit eines Bieters herleiten lasse, da sich der Prüfungsumfang des 98

BGH, Urt. v. 22. 11. 2013 – 3 StR 162/13 Rn. 8 = BGHSt 59, 75; BGH, Urt. v. 22. 05. 2014 – 4 StR 430/13 Rn. 17 = NJW 2014, 2132; BGH, Beschl. v. 04. 09. 2014 – 1 StR 314/14 Rn. 19 = NStZ 2015, 98. 99 BGH, Urt. v. 22. 11. 2013 – 3 StR 162/13 Rn. 8 = BGHSt 59, 75. 100 BGH, Beschl. v. 04. 09. 2014 – 1 StR 314/14 Rn. 20 = NStZ 2015, 98. 101 Kuhli, StV 2016, 40 (45). 102 BGH, Urt. v. 12. 02. 2015 – 2 StR 109/14 –, juris Rn. 23 = NStZ 2015, 341. Ebenso präge im Falle eines privatliquidierenden Arztes der wertende Rückgriff auf die in der Abrechnung in Bezug genommene GOÄ die für den Rechnungsempfänger maßgebende Verkehrsauffassung, BGH, Beschl. v. 25. 01. 2012 – 1 StR 45/11 –, juris Rn. 44 = BGHSt 57, 95. 103 BGH, Urt. v. 22. 11. 2013 – 3 StR 162/13 Rn. 9 = BGHSt 59, 75.

4. Kap.: Das normativ geprägte Vorstellungsbild

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Rechtspflegers auf die einzuhaltenden Verfahrensvorschriften beschränke und sich der Rechtspfleger keine Vorstellungen zur Zahlungsfähigkeit und -willigkeit mache.104 Hier gibt also tatsächlich Normen, die auf das Vorstellungsbild des Verfügenden einwirken können, nämlich die des ZVG. Dass der Senat gerade hier ein normativ geprägtes Vorstellungsbild ablehnt, lässt sich wohl darauf zurückführen, dass das Zwangsversteigerungsverfahren ein so stark formalisiertes Verfahren ist, dass wenig Raum für die Annahme darüber hinausgehender Vorstellungen bleibt.105 3. Zusammenhang mit dem sachgedanklichen Mitbewusstsein In einigen Entscheidungen106 wird der Zusammenhang des normativ geprägten Vorstellungsbilds mit dem sachgedanklichen Mitbewusstsein deutlich. Auffallend ist vor allem, dass der Irrtum über die Annahme eines normativ geprägten Vorstellungsbilds in Form eines sachgedanklichen Mitbewusstseins insbesondere dann bejaht wird, wenn die Täuschung über den objektiven Empfängerhorizont begründet wurde.107 Das sachgedankliche Mitbewusstsein auf Seiten des Verfügenden und die allgemeine Verkehrsanschauung auf Seiten des Täuschenden sind laut Trüg in der Sache weitgehend deckungsgleich („Spiegelbildlichkeit“) und bilden eine normative Ebene, die sich über die konkrete Erklärung und das konkrete Verstehen wölbt und deren Auslegung bestimmt.108 Die mit dem normativ geprägten Vorstellungsbild zusammenhängende Bezugnahme auf die Figur des „sachgedanklichen Mitbewusstseins“ erscheine merkwürdig beliebig.109 Überraschend ist der enge Zusammenhang mit dem sachgedanklichen Mitbewusstsein nicht. Das sachgedankliche Mitbewusstsein ist ebenfalls normativ geprägt,110 wenn der Getäuschte glaubt, es sei „alles in Ordnung“ und man dies aus normativen Erwägungen für einen Irrtum ausreichen lässt. Das sachgedankliche Mitbewusstsein ist die Öffnungsklausel für normative Erwägungen. Ein normativ geprägtes Vorstellungsbild passt auch deswegen so gut zu einem sachgedanklichen Mitbewusstsein, weil man ein so grobes und undifferenziertes Vorstellungsbild wie „alles ist in Ordnung“ leicht einer großen Masse an potentiell Irrenden als gemeinsames normativ geprägtes Vorstellungsbild zuschreiben kann. 104

BGH, Beschl. v. 14. 07. 2016 – 4 StR 362/15 –, juris Rn. 27 ff. = NJW 2016, 3383; insoweit zustimmend Brand, NJW 2016, 3383. 105 So Reckmann, jurisPR-StrafR 21/2016 Anm. 2; vgl. auch Kudlich, JA 2016, 869 (871). 106 Vgl. BGH, Urt. v. 22. 08. 2006 – 1 StR 547/05 –, juris Rn. 34 = wistra 2006, 421; BGH, Urt. v. 22. 11. 2013 – 3 StR 162/13 Rn. 8 = BGHSt 59, 75; wohl auch BGH, Beschl. v. 04. 09. 2014 – 1 StR 314/14 = NStZ 2015, 98. 107 BGH, Urt. v. 27. 03. 2014 – 3 StR 342/13 = BGHSt 59, 195; BGH, Urt. v. 22. 05. 2014 – 4 StR 430/13 = NJW 2014, 2132; BGH, Urt. v. 12. 02. 2015 – 2 StR 109/14 –, juris = NStZ 2015, 341; BGH, Beschl. v. 09. 06. 2009 – 5 StR 394/08 –, juris Rn. 17 = NJW 2009, 2900. 108 Trüg, HRRS 2015, 106 (108). 109 Trüg, HRRS 2015, 101 (112). 110 Vgl. dazu Krack, ZIS 2014, 536 (541 f.); Kuhli, StV 2016, 40 (45).

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Teil 3: Lösungsansätze

4. Irrtumsausschluss wegen Nachlässigkeit des Getäuschten Die Rechtsprechung zum Irrtum trotz Zweifel des Getäuschten wird durch noch einen Aspekt erweitert: Beim Massenbetrug geht es oft weniger um zweifelnde oder leichtgläubige Opfer, sondern mehr um nachlässige und unachtsame Opfer. Diskussionswürdig ist, ob aus viktimodogmatischer Sicht eine Einschränkung des Irrtumsmerkmals vorzunehmen ist, wenn der Getäuschte gleichsam aus Unachtsamkeit irrt und bei gehöriger Aufmerksamkeit die Täuschung bemerken hätte können. Es geht in diesen Fällen also weniger um intellektuelle Defizite als um Aufmerksamkeitsmängel.111 Als anschauliches Beispiel diene Fall 14: Ping-Anrufe, bei dem ein Irrtumsausschluss aus viktimodogmatischen Gründen angesprochen wurde. Der dritte Senat stellte fest, dass es der Verwirklichung des Irrtumsmerkmals nicht entgegenstehe, dass der Irrtum vermeidbar gewesen sein möge, was jedenfalls in den Fällen, in denen die Angerufenen die Mehrwertdienstnummer zuvor von ihrem Mobiltelefon auf ihr Festnetztelefon übertrugen, nicht fernliegend erscheine.112 Die Täuschung wurde von Kölbel hingegen schon allein wegen der großen Zahl an Nichtrückrufern für leicht erkennbar gehalten, woraus ihm zufolge aber kein Irrtumsausschluss wegen dieser „Verbraucherunbedarftheit“ folge, weil die Aufmerksamkeitsdefizite hier durch die verbraucherschützenden TKG-Regelungen nicht der Verbrauchersphäre zugewiesen seien, sondern einer irrtumsgeneigten Situationsstruktur.113 Laut Eiden hingegen ist es vom Opfer zu viel verlangt, zu erkennen, dass die angezeigte Rufnummer unzulässigerweise durch eine technische Manipulation als aktive statt als passive Nummer verwendet worden sei, zumal die Vorwahl absichtlich irreführend gewählt sei.114 Ellbogen und Erfurth115 sehen eine „mögliche Fahrlässigkeit“ des Opfers bei der Entstehung des Irrtums als irrelevant an, weil es der Normalfall des Betrugs sei, dass die Schwächen eines unvernünftigen und nicht hinreichend geschäftsgewandten Opfers durch einen Geschäftemacher ausgenutzt werden. Ein mögliches Mitverschulden des Opfers, das die Strafwürdigkeit der Tat mindern könnte, weil der Täter weniger kriminelle Energie aufbringen habe müssen, könne erst im Rahmen der Strafzumessung berücksichtigt werden. Erb116 lehnt einen Irrtumsausschluss beim unachtsamen Getäuschten ab, weil dazu gar kein Anlass bestehe, zumal dies gerade nicht aus dem Gesetzeswortlaut hervorgehe: Weder die Subsidiarität des Strafrechts, die eine vorrangige eigenverantwortliche Interessenwahrnehmung erfordert, noch 111

Erb, ZIS 2011, 368 (372). BGH, Urt. v. 27. 03. 2014 – 3 StR 342/13 Rn. 19 = BGHSt 59, 195. 113 Kölbel, JuS 2013, 193 (196). 114 Eiden, Jura 2011, 863 (867). 115 Zum ganzen Absatz Ellbogen/Erfurth, CR 2008, 635 (636) im Zusammenhang mit den Ping-Anrufen. 116 Zum ganzen Absatz Erb, ZIS 2011, 368 (372 – 375). 112

4. Kap.: Das normativ geprägte Vorstellungsbild

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der Bagatellcharakter bezogen auf die Schadenshöhe beim einzelnen Geschädigten, noch ein vermeintlich ausreichender Schutz durch zivilrechtliche Maßnahmen, noch eine Sorge um eingeschränkte unternehmerische Handlungsfreiheiten können einen Rückzug des Strafrechts ausreichend begründen. Es sei unerfindlich, warum es die Rechtsordnung tolerieren sollte, wenn jemand durch ein „Screening“ ganzer Bevölkerungsgruppen die für ihn passenden Opfer herausfiltere, aus denen er auch mit einem reichlich plumpen Trick ohne adäquate Gegenleistung Kapital schlagen könne. Bei solchen Machenschaften handle es sich a priori nicht um die Teilnahme an einem geschäftlichen Wettbewerb, sondern um eine „rein parasitäre Bereicherung zum Schaden anderer.“ Die genannten Argumente überzeugen. Die Bewertung eines Mitverschuldens des Opfers ist dem Strafrecht an sich fremd.117 Die Kausalität von Täuschung und Irrtum kann nicht davon beeinflusst werden, ob die Täuschung offensichtlich und leicht zu durchschauen war, weil nach der Konzeption des Betrugstatbestands für ein Opfermitverschulden kein Raum ist.118 Begreift man die Frage des Irrtumsausschluss wegen Zweifeln als eine Frage der objektiven Zurechnung, ist der Irrtum ausgeschlossen, wenn das Verhalten des Getäuschten so außerhalb der Lebenserfahrung liegt, dass es vernünftigerweise nicht erwartet zu werden braucht.119 Ein „auf Unaufmerksamkeit beruhender Routineirrtum“120, wie der fünfte Strafsenat formuliert, schließt einen Irrtum jedenfalls nicht aus. 5. Normativierung des Irrtumsmerkmals durch die Einbeziehung des normativ geprägten Vorstellungsbilds Das Irrtumsmerkmal wird durch die Einbeziehung des normativ geprägten Vorstellungsbilds insofern weiter normativiert, als es nicht mehr auf das konkrete Vorstellungsbild des einzelnen Getäuschten ankommt, sondern ein „überindividuell“121 geschaffenes Vorstellungsbild als Maßstab für die Subsumtion unter das Irrtumsmerkmal herangezogen wird. Der Irrtum wird zum Spiegelbild des Täuschungsmerkmals, das seinerseits durch Heranziehung des objektiven Empfängerhorizonts, der durch die Verkehrsanschauung geprägt ist, begründet wird. Der objektive Empfängerhorizont hinterlässt quasi seinen normativen Abdruck auf dem Vorstellungsbild des Irrenden.

117 So zu Recht Idler, JuS 2004, 1037 (1039) mit Verweis auf BGH Urt. v. 05. 12. 2002 – 3 StR 161/02 –, juris = NJW 2003, 1198 („eine dem Strafrecht fremde Bewertung eines Mitverschuldens“). Ein Mitverschulden des Opfers kann sich allenfalls in der Strafzumessung strafmildernd auswirken, vgl. Krüger, wistra 2003, 297 (298). 118 Überzeugend SSW-StGB/Satzger § 263 Rn. 137. 119 So Krüger, wistra 2003, 297 (298). 120 BGH, Urt. v. 04. 12. 2003 – 5 StR 308/03 –, juris Rn. 19 = wistra 2004, 103. 121 Dazu kritisch Trüg, HRRS 2015, 106 (107).

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Teil 3: Lösungsansätze

6. Zwischenergebnis Eine genaue Erklärung des Begriffs und der Voraussetzungen des normativ geprägten Vorstellungsbilds bleibt der Bundesgerichtshof schuldig. Insbesondere wird nicht immer klar, wodurch das normativ geprägte Vorstellungsbild normativ geprägt wird und inwiefern diese Prägung normativ ist. Beobachtet werden können allerdings die Auswirkungen der Annahme eines normativ geprägten Vorstellungsbilds auf das Irrtumsmerkmal und das darauf aufbauende prozessuale Vorgehen.

C. Prozessual: Beweiserleichterungen durch Indizienschluss Die enge Verzahnung eines normativ geprägten Vorstellungsbilds mit den prozessualen Anforderungen an seine Feststellung macht sich die Rechtsprechung zunutze. Das Maß, in dem das Tatbestandsmerkmal des Irrtums normativiert wird, zeitigt Auswirkungen auf die Frage der Beweisbarkeit desselben.122 Das wird beispielsweise bei der Dogmatik zum Irrtum bei Zweifeln des Opfers deutlich: Wenn man davon ausgeht, dass leichte Zweifel das Irrtumsmerkmal nicht entfallen lassen, muss in der Hauptverhandlung kein Beweis darüber erbracht werden, ob der Getäuschte der Täuschung vorbehaltlos glaubte oder leicht zweifelte.123 Durch die Annahme eines normativ geprägten Vorstellungsbilds erlaubt sich der Bundesgerichtshof, einige prozessuale Beweiserleichterungen vorzunehmen. Es ist in der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ausdrücklich die Rede davon, dass die Anforderungen an die Aufklärungspflicht bzw. an die Überzeugungsbildung „nicht zu überspannen“ seien.124 Die gewährten faktischen Beweiserleichterungen eröffnen „Spielräume“ für die freie richterliche Beweiswürdigung.125 Der Irrtum bleibt auch bei einer normativen Prägung Tatfrage.126 Es ist grundsätzlich festzustellen und darzulegen, welche irrigen Vorstellungen die verfügende Person hatte; dafür ist es regelmäßig erforderlich, die irrende Person zu ermitteln und

122

Kuhli, StV 2016, 40 (45). Kuhli, StV 2016, 40 (45). 124 Vgl. BGH, Urt. v. 22. 08. 2006 – 1 StR 547/05 –, juris Rn. 43 = wistra 2006, 421; BGH, Urt. v. 22. 11. 2013 – 3 StR 162/13 Rn. 7 = BGHSt 59, 75: Das Landgericht konnte sich in 15 Fällen nicht vom Vorliegen eines Irrtums überzeugen, da sich zum Teil die Kassierer, die das Falschgeld entgegengenommen hatten, keine bewussten Gedanken gemacht hätten und zum Teil die beteiligten Kassierer nicht oder gar keine Zeugen der Tat ermittelt werden konnten, und verurteilte diesbezüglich nur wegen versuchten Betrugs. Laut dem dritten Senat des BGH war das Urteil zugunsten des Angeklagten rechtsfehlerhaft und damit aufzuheben, weil die Strafkammer einen zu strengen Maßstab an das Vorliegen des Tatbestandmerkmals „Irrtum“ angelegt und die Anforderungen an ihre Überzeugungsbildung überspannt habe. 125 Trüg, HRRS 2015, 106 (109, 111); Venn, NStZ 2015, 297. 126 Krehl, NStZ 2015, 101. 123

4. Kap.: Das normativ geprägte Vorstellungsbild

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in der Hauptverhandlung über die tatrelevante Vorstellung zu vernehmen.127 Die Anforderungen an die Amtsaufklärungspflicht, § 244 II StPO, und die tatrichterliche Überzeugungsbildung, § 261 StPO, werden bei diesem Lösungsansatz dann modifiziert, indem ein Indizienschluss und die Schätzung einer Irrtumsquote ermöglicht werden. Liegt ein normativ geprägtes Vorstellungsbild vor, so wird die Vernehmung jedes einzelnen Verfügenden für entbehrlich gehalten und aus Indizien auf einen Irrtum geschlossen. Indiztatsachen sind Tatsachen, aus denen sich mit Hilfe allgemeiner Erfahrungssätze auf das Vorliegen oder Nichtvorliegen der für die Schuld- oder Rechtsfolgenfrage unmittelbar relevanten Tatsachen geschlossen werden kann;128 sie lassen also lediglich einen Rückschluss auf die Haupttatsachen zu.129 Als Indizien kommen hier die Vorstellungsbilder von anderen, als Zeugen vernommenen Getäuschten in Betracht, oder das Geständnis des Angeklagten oder auch andere äußere Umstände. Oft bezeichnen die Gerichte ihre Beweiserhebung durch Zeugenvernehmungen selbst als „exemplarisch“.130 Zunächst einmal ist es nicht grundsätzlich ausgeschlossen, von objektiven Umständen auf subjektive Merkmale zu schließen – vgl. nur die Rechtsprechung zum Tötungsvorsatz bei äußerst gefährlicher Gewaltanwendung131, nach der eine hohe und offensichtliche Lebensgefährlichkeit von Gewalthandlungen ein gewichtiges auf Tötungsvorsatz hinweisendes Beweisanzeichen sein könne.132 Dabei geht es allerdings um ein einziges Delikt; es wird von äußeren Umständen auf den Vorsatz hinsichtlich dieser bestimmten Tat geschlossen und nicht wegen Vorsatzes bei einem anderen Delikt auf den Vorsatz im fraglichen Delikt. Auch ein Indizienschluss beim Irrtum ist nicht ganz neu; das Interesse an der Vermeidung einer Schädigung des eigenen Vermögens ist beispielsweise ein häufig genanntes Indiz für einen Irrtum.133 Neu ist vor allem, dass dieser Lösungsansatz die Einzelbetrugsfälle zueinander in Bezug setzt und vor allem von Indizien wie der Zeugenaussage eines Geschädigten auf das Vorliegen eines Irrtums auch bei anderen Geschädigten schließt. Genau 127

BGH, Beschl. v. 17. 06. 2014 – 2 StR 658/13 Rn. 13 = NStZ 2014, 644; BGH, Urt. v. 22. 05. 2014 – 4 StR 430/13 Rn. 17 = NJW 2014, 2132; BGH Urt. v. 05. 12. 2002 – 3 StR 161/02 –, juris Rn. 22 = NJW 2003, 1198; BGH, Urt. v. 22. 11. 2013 – 3 StR 162/13 Rn. 9 = BGHSt 59, 75. 128 SK-StPO/Frister, § 244 Rn. 12; Eisenberg, Beweisrecht Rn. 9. 129 AnwK-StPO/Sommer, § 244 Rn. 8; Eisenberg, Beweisrecht Rn. 9. 130 Vgl. LG Berlin, Urt. v. 03. 03. 2008 – (514) 3 Wi Js 1361/02 KLs (9/04) –, juris Rn. 198; LG Osnabrück, Urt. v. 06. 03. 2013 – 10 KLs 38/09 u. a. –, juris Rn. 31 = CR 2013, 581; BGH, Urt. v. 22. 08. 2006 – 1 StR 547/05 –, juris Rn. 43 = wistra 2006, 421. 131 BGH, Urt. v. 22. 03. 2012 – 4 StR 558/11 –, juris Rn. 34 = BGHSt 57, 183. 132 Darauf verwies explizit der erste Senat in BGH, Beschl. v. 04. 09. 2014 – 1 StR 314/14 Rn. 22 = NStZ 2015, 98; siehe auch Kudlich, ZWH 2015, 105. 133 Vgl. LK-Tiedemann, § 263 Rn. 87; BGH, Beschl. v. 06. 02. 2013 – 1 StR 263/12 Rn. 16 = NJW 2013, 1545; LG Düsseldorf, Urt. v. 31. 07. 2014 – 14 KLs – 130 Js 44/09 – 10/12 –, juris Rn. 886.

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Teil 3: Lösungsansätze

genommen umfasst der Indizienschluss außerdem nicht nur das Tatbestandsmerkmal des Irrtums, sondern auch die Kausalität zwischen Irrtum und Vermögensverfügung.

I. Indizienschluss vom Irrtum des einen auf den Irrtum des anderen Zunächst und vor allem wird ein Indizienschluss vom Irrtum eines als Zeugen vernommenen Verfügenden auf den Irrtum der übrigen nicht vernommenen Verfügenden vorgenommen.134 Eine typische Formulierung für die Begründung dieses Indizienschlusses lautet: „[…] regelmäßig ist es deshalb erforderlich, die irrende Person zu ermitteln und in der Hauptverhandlung über die tatrelevante Vorstellung zu vernehmen. Ausnahmsweise kann in Fällen eines normativ geprägten Vorstellungsbildes des Verfügenden die Vernehmung weniger Zeugen genügen. Belegen deren Angaben das Vorliegen eines Irrtums in den sie betreffenden Fällen, kann auf die Erregung eines Irrtums auch bei anderen Verfügenden geschlossen werden […].“135 (Hervorhebung nicht im Original)

Der Bundesgerichtshof stellt zunächst also ausdrücklich klar, dass in der Regel die Vernehmung der irrenden Person erforderlich ist. Als Ausnahme von dieser Regel sieht er die Fallkonstellationen mit einem normativ geprägten Vorstellungsbild des Getäuschten an. In diesen Fällen reicht es, wenn wenige Zeugen vernommen werden. Wenn die Vernehmung dieser Zeugen einen Irrtum ergibt, kann auf die Erregung eines Irrtums auch bei anderen Verfügenden geschlossen werden. Dieser Schluss wird ausdrücklich als Indizienschluss bezeichnet. In einem sehr aktuellen Fall formuliert der vierte Senat unter Verweis auf Fall 7: Einzugsermächtigungslastschriftbetrug136 lapidar: „In Fällen, denen zahlreiche, im Wesentlichen gleich gelagerte Betrugshandlungen zu Grunde liegen, ist es dem Tatrichter gestattet, nur eine begrenzte Anzahl von Geschädigten als Zeugen zu vernehmen und gegebenenfalls auf eine entsprechende Irrtumserregung auch bei anderen Verfügenden zu schließen“.137

Von einem normativ geprägten Vorstellungsbild war in der Revisionsentscheidung nicht die Rede. Der vierte Senat hält nicht ein normativ geprägtes Vorstel134 BGH Urt. v. 05. 12. 2002 – 3 StR 161/02 –, juris Rn. 22 = NJW 2003, 1198; BGH, Urt. v. 17. 07. 2009 – 5 StR 394/08 Rn. 15 = BGHSt 54, 44; BGH, Urt. v. 27. 03. 2014 – 3 StR 342/13 Rn. 23 = BGHSt 59, 195; offen gelassen bzw. nicht angewendet, aber angesprochen von BGH, Beschl. v. 06. 02. 2013 – 1 StR 263/12 Rn. 16, 22 = NJW 2013, 1545; BGH, Urt. v. 22. 11. 2013 – 3 StR 162/13 Rn. 9 = BGHSt 59, 75; BGH, Urt. v. 22. 05. 2014 – 4 StR 430/13 Rn. 17 = NJW 2014, 2132; BGH, Beschl. v. 17. 06. 2014 – 2 StR 658/13 Rn. 13 = NStZ 2014, 644; BGH, Beschl. v. 04. 09. 2014 – 1 StR 314/14 Rn. 24 = NStZ 2015, 98; vgl. auch LG Düsseldorf, Urt. v. 31. 07. 2014 – 14 KLs – 130 Js 44/09 – 10/12 –, juris Rn. 886 (nachfolgend BGH, Beschl./Urt. v. 10. 12. 2015 – 3 StR 163/15 –, juris = JA 2016, 306/ wistra 2016, 164). 135 BGH, Beschl. v. 17. 06. 2014 – 2 StR 658/13 Rn. 13 = NStZ 2014, 644. 136 BGH, Urt. v. 22. 05. 2014 – 4 StR 430/13 = NJW 2014, 2132. 137 BGH, Urt. v. 19. 11. 2015 – 4 StR 115/15 –, juris Rn. 27 = ZWH 2016, 120.

4. Kap.: Das normativ geprägte Vorstellungsbild

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lungsbild, sondern „gleich gelagerte Betrugshandlungen“ für maßgeblich für die Zulässigkeit eines Indizienschlusses. Dieser Indizienschluss ermöglicht die Feststellung eines Irrtums bei einer großen Anzahl Zeugen, die nicht vernommen wurden. In konkreten Zahlen veranschaulicht heißt das, dass beispielsweise von drei „exemplarisch“ vernommenen Zeugen auf ca. 170.000 Irrende geschlossen wurde138, von 15 Zeugen auf über 50.000 Irrende (aber diesbezüglich wurde nur versuchter Betrug angenommen)139, von neun Zeugen, von denen acht nachweislich irrten, auf geschätzte 80 % der Geschädigten, also 528.000 Irrende140, von 12 Zeugen auf 412 Irrende141 und von 27 Zeugen auf 1.723 Irrende142. Weil das Landgericht die Möglichkeit des Indizienschlusses bei einem normativ geprägten Vorstellungsbild nicht in Betracht zog, hob der Bundesgerichtshof auch ein Urteil auf.143 Diese Vorgehensweise lässt also „stichprobenartige“144 Zeugenvernehmungen genügen, um per Indizienschluss auf einen Irrtum auch bei den anderen Getäuschten zu schließen. Diese Vorgehensweise wird im Folgenden als Zeugenvernehmungen pars pro toto bezeichnet, weil ein Teil der Getäuschten stellvertretend für alle als Zeugen vernommen werden. II. Schätzung einer Irrtumsquote Anknüpfend an den Indizienschluss aufgrund der Vernehmung einiger Zeugen auf den Irrtum der übrigen Getäuschten, hat der dritte Senat die Irrtumsquote anhand der Quote der vernommenen Zeugen geschätzt. Grundsätzlich ist die Vorgehensweise einer Schätzung auch dem Strafprozess nicht völlig fremd. Materiell-rechtliche oder prozessrechtliche Schätzklauseln schränken die Aufklärungspflicht ein145 bzw. 138

LG Berlin, Urt. v. 03. 03. 2008 – (514) 3 Wi Js 1361/02 KLs (9/04) –, juris Rn. 198; BGH, Urt. v. 17. 07. 2009 – 5 StR 394/08 Rn. 15 = BGHSt 54, 44. 139 Das Landgericht vernahm 15 Zeugen und überzeugte sich so vom Vorliegen eines Irrtums; hinsichtlich der restlichen über 50.000 Kunden verzichtete es allerdings aus prozessökonomischen Gründen auf deren Vernehmung und verurteilte wegen versuchten Betrugs. Ob ein normativ geprägter Irrtum vorlag, mit der Folge, dass die Anwendung des Zweifelssatzes durch das Landgericht sachlich-rechtlich fehlerhaft gewesen sein könnte, konnte der BGH offenlassen, da der Angeklagte durch diese Verfahrensweise jedenfalls nicht beschwert sei, vgl. BGH, Beschl. v. 06. 02. 2013 – 1 StR 263/12 Rn. 8, 22 = NJW 2013, 1545. 140 BGH, Urt. v. 27. 03. 2014 – 3 StR 342/13 Rn. 23 = BGHSt 59, 195. 141 Insoweit nicht beanstandet, BGH, Urt. v. 19. 11. 2015 – 4 StR 115/15 –, juris Rn. 27 = ZWH 2016, 120. 142 LG Düsseldorf, Urt. v. 31. 07. 2014 – 14 KLs – 130 Js 44/09 – 10/12 –, juris Rn. 886. 143 BGH, Urt. v. 22. 11. 2013 – 3 StR 162/13 Rn. 9 = BGHSt 59, 75. 144 So formuliert Trück, ZWH 2013, 404 (405). 145 Meyer-Goßner/Schmitt, § 244 Rn. 14.

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Teil 3: Lösungsansätze

modifizieren146 sie.147 So ist beispielsweise eine Schätzung der Tagessatzhöhe in § 40 III StGB, des Erlangten beim Wertersatzverfall in § 73b StGB, des Werts des Gegenstands und der Belastung bei der Einziehung in § 74c III StGB, des Umfangs des Erlangten und dessen Wert beim Verfall in § 29a III OwiG und der Höhe des Mehrerlöses in § 8 III 1 WiStrG gesetzlich vorgesehen. Durch die Schätzklausel müssen nicht alle Aufklärungsmöglichkeiten ausgeschöpft werden, aber die grundsätzlich fortgeltende Aufklärungspflicht verbietet bloße Mutmaßungen, sodass konkrete Anhaltspunkte, die die Grundlage einer hinreichend sicheren Schätzung bilden sollen, festgestellt werden müssen.148 1. Fall 6: BGH, Beschl. v. 06. 02. 2013 – 1 StR 263/12 Der erste Senat stellte in Fall 6: Eintreibung von Auslagekosten klar, dass in Fällen mit individueller Motivation zur Leistung, welche er als Gegenstück zu den Fällen eines normativ geprägten Vorstellungsbilds ansah, die Schätzung einer Irrtumsquote als Mittel der Überzeugungsbildung, § 261 StPO, ausscheide.149 Damit hat er aber noch keine klare Aussage über die Möglichkeit einer geschätzten Irrtumsquote beim normativ geprägten Vorstellungsbild getroffen. Vor allem hat er sich nicht pauschalierend dahingehend geäußert, dass eine Schätzung kein taugliches Mittel richterlicher Überzeugungsbildung sei.150 2. Fall 14: BGH, Urt. v. 27. 03. 2014 – 3 StR 342/13 Bei Fall 14: Ping-Anrufe nahm das Landgericht Osnabrück eine Schätzung der Irrtumsquote vor: Von allen angerufenen Personen, wurden neun in der Hauptverhandlung als Zeugen vernommen, von denen acht nachweislich irrten und nur einer, ein Softwareentwickler, der die hinterlassene Rufnummer als Mehrwertdienstnummer identifizierte, nicht irrte und auch nicht zurückrief.151 Die Anzahl der angerufenen Nummern war nicht mehr feststellbar; die Datenbank, die für die Aktion zu Hilfe gezogen wurde, enthielt über 10 Millionen Rufnummern. Etwa 785.000 Personen riefen zurück, wobei es wegen Leitungsüberlastung nur bei 660.000 Anrufen zu einer Verbindung und einem Vermögensschaden kam. Davon riefen 60.000 von einem Festnetztelefon und nicht vom angerufenen Mobiltelefon zurück.152 Das 146

LR-Becker, § 244 Rn. 13. Mehr dazu im Rahmen der Bewertung dieses Lösungsansatzes. 148 BGH, Urt. v. 10. 06. 1999 – 4 StR 135/99 –, juris Rn. 7 = NStZ-RR 2000, 57; Eisenberg, Beweisrecht Rn. 33a; LR-Becker, § 244 Rn. 13; Graf-StPO/Bachler, § 244 Rn. 12; SSW-StPO/ Sättele, § 244 Rn. 68. 149 Vgl. BGH, Beschl. v. 06. 02. 2013 – 1 StR 263/12 Rn. 19 = NJW 2013, 1545. 150 So wurde er aber wohl verstanden: Lackner/Kühl-Kühl, § 263 Rn. 19; Trück, ZWH 2013, 404 (405). 151 Vgl. BGH, Urt. v. 27. 03. 2014 – 3 StR 342/13 Rn. 24 = BGHSt 59, 195. 152 Vgl. BGH, Urt. v. 27. 03. 2014 – 3 StR 342/13 Rn. 7 = BGHSt 59, 195. 147

4. Kap.: Das normativ geprägte Vorstellungsbild

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Landgericht nahm nun aufgrund der Zeugenvernehmungen, die eine Irrtumsquote von 8/9 ergaben, einen Sicherheitsabschlag von 20 % vor und stellte fest, dass mindestens 80 % der 660.000 Rückrufer, mithin 528.000, einem Irrtum erlegen seien.153 Der Sicherheitsabschlag von 20 % sollte Anrufer, die nicht irrten oder denen kein Entgelt für die Verbindung berechnet wurde, berücksichtigen.154 Diese Schätzung der Irrtumsquote wurde vom dritten Senat nicht beanstandet.155 Die Schätzung der Irrtumsquote ist keine neue Kategorie der Beweiserleichterungen, sondern ein Ausfluss des Indizienschlusses auf der Grundlage des normativ geprägten Vorstellungsbilds.156 Hätte sich herausgestellt, dass alle vernommenen Zeugen irrten, so hätte das Landgericht gemäß der Rechtsprechung der Senate einen Indizienschluss auf die Vorstellungen aller anderen Getäuschten vornehmen können. Die Tatsache, dass nun ein Zeuge nicht irrte, konnte nicht unberücksichtigt bleiben und daraus ergab sich zwangsläufig eine Irrtumsquote. Die Schätzung einer Irrtumsquote ist also im Grunde nichts anderes als eine differenziertere Art des Indizienschlusses von dem Vorstellungsbild weniger Getäuschten auf das der weiteren Getäuschten. Dass es allerdings widersprüchlich ist, den Nicht-Irrtum eines NichtVerfügenden in die Irrtumsquote, die auf alle Verfügenden angewendet wurde, miteinzubeziehen, wird noch im Rahmen der Bewertung thematisiert.157 III. Indizienschluss vom Geständnis des Angeklagten auf den Irrtum der Verfügenden Noch einen Schritt weiter geht der Indizienschluss vom Geständnis des Angeklagten auf den Irrtum der Verfügenden. Das Geständnis des Angeklagten erging zumeist im Rahmen einer Verständigung nach § 257c StPO in der Hauptverhandlung.158 Auch bei einer Verständigung bleibt die Amtsaufklärungspflicht aber bestehen, § 257c I 2 StPO i.V.m. § 244 II StPO.159 Der Irrtum ist eine innere Tatsache auf Seiten der Getäuschten. Umstände, die außerhalb des Wahrnehmungshorizonts des Geständigen liegen, wie der Irrtum des Täuschungsopfers, können nicht zur Grundlage der tatrichterlichen Überzeugungsbildung werden.160 Innere Tatsachen 153

Vgl. BGH, Urt. v. 27. 03. 2014 – 3 StR 342/13 Rn. 23 = BGHSt 59, 195. LG Osnabrück, Urt. v. 06. 03. 2013 – 10 KLs 38/09 u. a. –, juris Rn. 106 = CR 2013, 581. 155 BGH, Urt. v. 27. 03. 2014 – 3 StR 342/13 Rn. 23 f. = BGHSt 59, 195. 156 Anders wohl Kuhli, StV 2016, 40 (46). 157 Siehe Teil 3, 4. Kapitel, D. II. 3. b) bb). 158 Vgl. LG Düsseldorf, Urt. v. 15. 12. 2010, 10 Kls 3/09 –, juris Rn. 1904 (nachfolgend BGH, Beschl. v. 31. 01. 2012 – 3 StR 285/11 Rn. 6 = StraFo 2012, 231); BGH, Urt. v. 22. 05. 2014 – 4 StR 430/13 Rn. 15 ff. = NJW 2014, 2132; BGH, Beschl. v. 17. 06. 2014 – 2 StR 658/13 Rn. 13 = NStZ 2014, 644; LG Würzburg, Urt. v. 16. 10. 2013 – 5 KLs 771 Js 11617/11 –, juris Rn. 649 (nachfolgend BGH, Beschl. v. 04. 09. 2014 – 1 StR 314/14 = NStZ 2015, 98). 159 Das betont auch BGH, Beschl. v. 31. 01. 2012 – 3 StR 285/11 Rn. 7 = StraFo 2012, 231. 160 Trück, ZWH 2014, 437; Sinn, ZJS 2014, 701. 154

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Teil 3: Lösungsansätze

wie das Vorstellungsbild des Täuschungsopfers können daher unmöglich vom Angeklagten gestanden werden.161 1. Ansicht des zweiten, dritten und vierten Senats Dementsprechend hoben der zweite und dritte Senat Urteile auf, wenn die Landgerichte auf die Vernehmung von getäuschten Personen gänzlich verzichtet und ihre Überzeugung vom Vorliegen eines Irrtums hauptsächlich auf das Geständnis des Angeklagten gestützt hatten. Im Fall 18: Warenbestellungen mit fremder Kreditkarte vernahm das Landgericht Aachen keine Verfügenden als Zeugen und begründete das Vorliegen eines Irrtums damit, dass „es als selbstverständlich anzusehen ist, dass die Mitarbeiter von Internet-Versandanbietern eine Bestellung – sofern diese auf Rechnung erfolgt – grundsätzlich im Vertrauen auf die Zahlungswilligkeit des Bestellers und – sofern die Bestellung per Kreditkarte erfolgt – im Vertrauen auf die Berechtigung zur Verwendung der Kreditkartendaten ausführen“. Denn bei „Bestellverfahren im Internet, die schon aufgrund des verwendeten Mediums, insbesondere aber auch bei den hier betroffenen Anbietern, auf massenhafte Bestellungen ausgelegt sind und hierbei durch Standardisierung der Bestelleingaben geprägt sind, die – anders als bspw. beim unmittelbaren, persönlichen Vertragsabschluss über höherpreisige Produkte – typischerweise keiner eingehenderen Prüfung durch die die einzelnen Bestellungen ausführenden Personen im Hinblick auf die bestellende Person vorsehen und wo auch bei der Angabe von Kreditkartendaten eine Prüfung regelmäßig nur durch entsprechende Prüfroutinen (z. B. Prüfziffer) erfolgt, verlässt sich der Anbieter selbstverständlich auf die Bereitschaft des Bestellers, die bestellten Produkte/Dienstleistungen auch zu bezahlen und hierzu auch Kreditkartendaten anzugeben, zu deren Nutzung der Besteller auch berechtigt ist“162. Das Landgericht Aachen schien also durchaus ein normativ geprägtes Vorstellungsbild der Versandanbieter vor Augen zu haben. Laut dem zweiten Senat in der Revisionsentscheidung können jedoch „Feststellungen zum Irrtum […] nicht aufgrund des – im Rahmen einer Verständigung nach § 257c StPO abgegebenen – Geständnisses des Angeklagten getroffen werden“ und die „Vernehmung von (wenigen) Zeugen [hätte sich] aufgedrängt“.163 Auch im Fall 9: Vorbörsliche Aktien hat das Landgericht weder einen Telefonverkäufer noch einen Geschädigten vernommen, sondern das Urteil maßgeblich auf das im Rahmen einer Verständigung abgegebene Geständnis gestützt.164 Der dritte 161

Vgl. Krehl, NStZ 2015, 101 (102); Schuhr, ZWH 2015, 16; Sinn, ZJS 2014, 701. LG Aachen, Urt. v. 09. 09. 2013 – 66 KLs 902 Js 550/10 15/12 Rn. 117 (NRWE). 163 BGH, Beschl. v. 17. 06. 2014 – 2 StR 658/13 Rn. 13 = NStZ 2014, 644. Außerdem ist es – in den Worten des zweiten Senats – „nicht nachvollziehbar“ (Rn. 14), wem nun ein Schaden entstanden ist – der Kreditkarteninhaberin oder den Versandanbietern oder dem Kreditinstitut, siehe LG Aachen, Urt. v. 09. 09. 2013 – 66 KLs 902 Js 550/10 15/12 Rn. 120 (NRWE). 164 Vgl. LG Düsseldorf, Urt. v. 15. 12. 2010, 10 Kls 3/09 –, juris Rn. 1907 ff.; BGH, Beschl. v. 31. 01. 2012 – 3 StR 285/11 Rn. 6 = StraFo 2012, 231. 162

4. Kap.: Das normativ geprägte Vorstellungsbild

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Senat hob das Urteil auf und wies darauf hin, dass der Angeklagte nur seine Täuschungsintention, nicht aber die Irrtümer gestehen könne und sich der Irrtum letztlich als „unbelegte Vermutung“ erweise165. In einem anderen Fall mit einem Angeklagtengeständnis, Fall 7: Einzugsermächtigungslastschriftbetrug, beschränkte der vierte Senat jedoch selber mit Zustimmung des Generalbundesanwalts die Strafverfolgung gemäß § 154a II StPO auf den versuchten Betrug in den Fällen, in denen es zu einem Schaden kam. Die Verurteilung wegen vollendeten Betrugs begegne durchgreifenden rechtlichen Bedenken, weil es offen bleibe, wie sich die Strafkammer ihre Überzeugung vom Vorliegen eines Irrtums verschafft habe. Bei einem normativ geprägten Vorstellungsbild könne zwar aus den Angaben weniger vernommener Zeugen auf einen Irrtum auch bei anderen Getäuschten indiziell geschlossen werden. Den Urteilsgründen sei aber nicht zu entnehmen, dass Geschädigte als Zeugen vernommen oder deren Angaben auf andere Weise in die Hauptverhandlung eingeführt worden seien. Einen versuchten Betrug sah der Senat allerdings als erwiesen an.166 In der Versuchskonstellation muss der Irrtum als subjektives Merkmal im Rahmen des Tatentschlusses vorliegen und kann somit Gegenstand des Geständnisses sein.167 In diesen Entscheidungen zeigt sich, dass der zweite, dritte und vierte Strafsenat des Bundesgerichtshofs es jedenfalls hinsichtlich einer Vollendungsstrafbarkeit ablehnen, wenn die Strafkammern den Irrtumsnachweis hauptsächlich auf das Geständnis des Angeklagten stützen und womöglich auf Zeugenvernehmungen der Getäuschten gänzlich verzichten. Als Lösung wird entweder auf einen Indizienschluss aufgrund einiger weniger Zeugenaussagen verwiesen168, die Beschränkung der Strafverfolgung auf die gravierendsten Vorwürfe gemäß § 154a II StPO empfohlen169 oder die Beschränkung der Strafverfolgung auf den Versuch selbst vorgenommen170. Ausschließlich eine Verurteilung wegen versuchten Betrugs kann also nach dieser Rechtsprechung auf ein Geständnis des Angeklagten gestützt werden.171 2. Ansicht des ersten und mittlerweile dritten Senats Von dieser „inzwischen wohl als gefestigt zu bezeichnende[n] Rechtsprechung“172 setzte sich der erste Senat im Fall 11: Widerrufsschreiben gegen Gewinnspieleintragungsdienste dann ausdrücklich ab, indem er sagte:

165 166 167 168 169 170 171 172

BGH, Beschl. v. 31. 01. 2012 – 3 StR 285/11 Rn. 6 = StraFo 2012, 231. BGH, Urt. v. 22. 05. 2014 – 4 StR 430/13 Rn. 15 ff. = NJW 2014, 2132. Dazu schon im zweiten Kapitel. BGH, Beschl. v. 17. 06. 2014 – 2 StR 658/13 Rn. 13 = NStZ 2014, 644. BGH, Beschl. v. 31. 01. 2012 – 3 StR 285/11 Rn. 8 = StraFo 2012, 231. BGH, Urt. v. 22. 05. 2014 – 4 StR 430/13 Rn. 22 ff. = NJW 2014, 2132. Vgl. BGH, Urt. v. 22. 05. 2014 – 4 StR 430/13 = NJW 2014, 2132. Trück, ZWH 2014, 473.

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Teil 3: Lösungsansätze

„Soweit in einigen Entscheidungen des Bundesgerichtshofs anklingt, Feststellungen zum Irrtum seien beim Betrug in aller Regel nur möglich, wenn die irrende Person oder bei Massenbetrugsfällen jedenfalls einige der Geschädigten ermittelt und als Zeugen in der Hauptverhandlung vernommen würden (vgl. BGH, Beschluss vom 17. Juni 2014 – 2 StR 658/13, NStZ 2014, 644, 645; BGH, Urteil vom 22. Mai 2014 – 4 StR 430/13, NStZ 2014, 459 f.), könnte der Senat dem nicht ohne weiteres folgen. Denn gerade bei einem normativ geprägten Vorstellungsbild wird der Schluss auf einen Irrtum des Verfügenden häufig allein auf tragfähige Indizien gestützt werden können (vgl. BGH, Urteil vom 22. November 2013 – 3 StR 162/13, NStZ 2014, 215, 216). Grundlage eines solchen Indizschlusses können auch äußere Umstände sein, die der Angeklagte glaubhaft gestanden hat, weshalb es keinen Rechtssatz des Inhalts gibt, Feststellungen zu einem Irrtum beim Betrug könnten nicht auf der Grundlage eines Geständnisses des Angeklagten getroffen werden (in diese Richtung aber wohl BGH, Beschluss vom 17. Juni 2014 – 2 StR 658/13, NStZ 2014, 644, 645; vgl. zu dieser Problematik auch BGH, Urteil vom 22. Mai 2014 – 4 StR 430/13, NStZ 2014, 459, 460).“173 (Hervorhebung nicht im Original)

Man muss den ersten Senat hier so verstehen, dass er es zum einen für möglich hält, auch aufgrund eines Geständnisses des Angeklagten auf einen Irrtum zu schließen, und zum anderen, dass auch äußere Umstände tragfähige Indizien sein können, die einen Irrtumsnachweis ermöglichen. Das Landgericht vernahm keinen Verfügenden als Zeugen im Hinblick auf seinen Irrtum und überzeugte sich vom Vorliegen des Irrtums insbesondere durch das Teilgeständnis des Angeklagten und durch andere Zeugenaussagen.174 Das Landgericht bejahte einen Irrtum in jeweils einem Fall der sechs, jeweils den Versand gleicher Zahlungsaufforderungen betreffender Handlungskomplexe folgendermaßen: Von den jeweils über 50 angeschriebenen Personen habe jeweils mindestens eine Person irrtumsbedingt gezahlt, weil nach aller Lebenserfahrung ein allgemeiner Erfahrungssatz dahingehend bestehe, dass eine Person, der gegenüber eine Rechnung gestellt werde und die diese bezahle, dies grundsätzlich nicht täte, wenn sie davon ausginge, zur Zahlung nicht verpflichtet zu sein.175 Es sei zwar durchaus möglich, dass im Einzelfall eine Person eine Rechnung bezahle, obwohl sie davon ausgehe, zur Zahlung nicht verpflichtet zu sein, beispielsweise „um ihre Ruhe zu haben“, aber ausgeschlossen, dass jeweils alle in der Vorstellung gezahlt haben, nicht zur Zahlung verpflichtet zu sein.176 Das Landgericht schloss also nicht auf den Irrtum in allen Fällen, in denen die Personen verfügten, sondern nur in jeweils einem Fall. Alle anderen Einzelfälle erfasste es durch die Annahme versuchten Betruges.177 Der Indizienschluss, den das Landgericht vornahm, betraf also nicht die ganze Anzahl der mutmaßlich Irrenden.

173 BGH, Beschl. v. 04. 09. 2014 – 1 StR 314/14 Rn. 23 = NStZ 2015, 98; zustimmend: Sinn, ZJS 2015, 627 (628, 630). 174 Vgl. BGH, Beschl. v. 04. 09. 2014 – 1 StR 314/14 Rn. 7 f. = NStZ 2015, 98. 175 LG Würzburg, Urt. v. 16. 10. 2013 – 5 KLs 771 Js 11617/11 –, juris Rn. 780 f., 1153. 176 LG Würzburg, Urt. v. 16. 10. 2013 – 5 KLs 771 Js 11617/11 –, juris Rn. 782 f., 1153. 177 LG Würzburg, Urt. v. 16. 10. 2013 – 5 KLs 771 Js 11617/11 –, juris Rn. 1285 ff.

4. Kap.: Das normativ geprägte Vorstellungsbild

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Der erste Senat des Bundesgerichtshofes sah keinen Rechtsfehler darin, dass „sich das Gericht zur Feststellung dieses Irrtums nicht auf die Aussage eines oder mehrerer Zeugen, sondern auf äußere Umstände und allgemeine Erfahrungssätze gestützt hat“178 und verwarf die Revision der Angeklagten als unbegründet. Er empfand die Annahme bloßen Versuch „wenig nachvollziehbar[…]“179 und die Verurteilung wegen vollendeten Betrugs als naheliegender und wies auf die Rechtsprechung zur Irrtumsfeststellung bei normativ geprägten Vorstellungsbildern hin180. Der erste Senat äußert sich bzgl. der Erforderlichkeit der Zeugenvernehmungen beim Indizienschluss aufgrund eines normativ geprägten Vorstellungsbilds in seinem allgemein formulierten Abschnitt über die Rechtsprechung zum Indizienschluss beim normativ geprägten Vorstellungsbild. Er kann also dahingehend verstanden werden, dass er allgemein Stellung genommen hat und diese Stellungnahme nicht auf die Konstellation des Indizienschlusses in nur einem Einzelbetrugsfall beschränkt ist. Spätestens der dritte Senat bezog jedenfalls in seiner Entscheidung zu Fall 12: Verbraucherschutz die vom ersten Senat angesprochene Möglichkeit, einen Indizienschluss auch ohne Zeugenvernehmungen vorzunehmen, auf alle betroffenen Personen eines Massenbetrugs.181 Er vermisste allerdings Feststellungen, in welchem Maße – gemeint war wohl die Anzahl der irrenden Personen – von einer irrtumsbedingten Vermögensverfügung auszugehen war, und hob daher das Urteil in den Strafaussprüchen auf.182 Der erste Senat stützt sich in seiner Begründung auf eine Entscheidung des dritten Senats (Fall 17: Inverkehrbringen von Falschgeld, BGH, Urt. v. 22. 11. 2013 – 3 StR 162/13 = BGHSt 59, 75), dieser wiederum verweist auf den vierten Senat (BGH, Urt. v. 20. 12. 2012 – 4 StR 55/12 = BGHSt 58, 102) und jener auf den dritten Senat (Fall 1: Strohmann-Zahnarzt, BGH Urt. v. 05. 12. 2002 – 3 StR 161/02 = NJW 2003, 1198). Vollzieht man diese Verweisungskette nach, stellt sich heraus, dass der erste Senat übersehen hat, dass seine Fallkonstellation in wichtigen Aspekten von den anderen abweicht. a) Besonderheiten der Verweisungskette In Fall 1: Strohmann-Zahnarzt wurden noch fünf Zeugen vernommen, zwar nicht die konkret verfügenden Sachbearbeiter, aber in unterschiedlichen Funktionen tätige Personen (vom Hauptgeschäftsführer bis zur Leiterin des Prüfungswesens). Hierbei ergaben sich keine Anhaltspunkte für weitergehende Erkenntnisse innerhalb der KZV, die einen Irrtum hätten in Frage stellen können.183 Auf die gleiche Art be178 179 180 181 182 183

BGH, Beschl. v. 04. 09. 2014 – 1 StR 314/14 Rn. 21 = NStZ 2015, 98. BGH, Beschl. v. 04. 09. 2014 – 1 StR 314/14 Rn. 25 = NStZ 2015, 98. BGH, Beschl. v. 04. 09. 2014 – 1 StR 314/14 Rn. 22 ff. = NStZ 2015, 98. BGH, Beschl. v. 01. 10. 2015 – 3 StR 102/15 –, juris Rn. 15 = NStZ-RR 2016, 12. BGH, Beschl. v. 01. 10. 2015 – 3 StR 102/15 –, juris Rn. 16 = NStZ-RR 2016, 12. BGH, Urt. v. 05. 12. 2002 – 3 StR 161/02 –, juris Rn. 25 = NJW 2003, 1198.

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Teil 3: Lösungsansätze

gründet der vierte Senat einen Irrtum auch ohne Ermittlung des konkreten Verfügenden, wenn er darauf abstellt, dass keine Anhaltspunkte dafür bestehen, dass es im Geschäftsbetrieb der Wettanbieter an irgendeiner Stelle ein Wissen um die Manipulationen gegeben habe und der durch die Täuschung ausgelöste Irrtum über die Manipulationsfreiheit deshalb nicht verfügungsursächlich geworden sein könnte.184 Noch deutlicher formuliert der dritte Senat (Fall 17: Inverkehrbringen von Falschgeld), wenn er ausdrücklich feststellt, dass sogar nähere Feststellungen dazu, wer verfügt habe, entbehrlich sein können, wenn keine Anhaltspunkte dafür bestehen, dass der Verfügende kollusiv mit dem täuschenden Täter zusammengearbeitet oder aus einem sonstigen Grund Kenntnis von der Täuschung erlangt habe und der durch die Täuschung erregte Irrtum deshalb nicht verfügungsursächlich geworden sein könnte.185 Diese drei Entscheidungen der Verweisungskette haben drei Sachen gemeinsam. aa) Dreiecksbetrug Zum einen handelten die Verfügenden alle als Mitarbeiter eines Unternehmens und verfügten nicht über ihr Privatvermögen, sondern in der Konstellation des Dreiecksbetrugs über das Vermögen des Unternehmens. Die Sachbearbeiter der Kassenzahnärztlichen Vereinigung, die Angestellten des Wettbüros und die Kassierer an der Ladenkasse standen alle im Lager der Geschädigten und verfügten über deren Vermögen. Geschädigt wurden zum einen nur die ordnungsgemäß abrechnenden Vertragsärzte (oder die Krankenkassen, str.), das betroffene Wettbüro bzw. der betroffene Warenladen. Selbst wenn die Verfügenden nicht mehr festgestellt werden konnten, so standen zumindest die Geschädigten fest. bb) Arbeitsteilig tätige Unternehmen Zum zweiten handelte es sich bei den Geschädigten um arbeitsteilig tätige Unternehmen, bei denen eine Wissenszurechnung grundsätzlich in Betracht kam. Im ersten Fall stellte der dritte Senat diesen Umstand bei seinen Erwägungen, ob die Vernehmungen der fünf in unterschiedlichen Funktionen tätigen Zeugen ausreichend sind, auch noch explizit heraus.186 Der Problemkreis der Wissenszurechnung behandelt die Frage, ob in arbeitsteilig tätigen Unternehmen ein Irrtum ausscheidet, wenn eine andere Person im Unternehmen Kenntnis von der Täuschung hat.187 Andere sprechen nicht von Wissenszurechnung, sondern halten das Problem für eine Frage des Ausschlusses der objektiven Zurechnung des Irrtums an den Täter wegen eigenverantwortlicher

184 185 186 187

BGH, Urt. v. 20. 12. 2012 – 4 StR 55/12 Rn. 24 = BGHSt 58, 102. BGH, Urt. v. 22. 11. 2013 – 3 StR 162/13 Rn. 9 = BGHSt 59, 75. BGH Urt. v. 05. 12. 2002 – 3 StR 161/02 –, juris Rn. 23 = NJW 2003, 1198. Vgl. HK-GS/Duttge, § 263 Rn. 22.

4. Kap.: Das normativ geprägte Vorstellungsbild

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Selbstgefährdung des Vermögensinhabers.188 Dabei sind zwei Konstellationen zu unterscheiden; zum einen der Fall, in dem die verfügende Person keine Kenntnis von der Täuschung hat, aber eine übergeordnete Person, und zum anderen der Fall, dass die Hilfsperson bösgläubig ist und die übergeordnete Person irrtumsbedingt verfügt.189 Im ersten Fall wird die Person, von welcher der Verfügende seine Befugnis ableitet, als maßgeblich für den Irrtum angesehen und ein vollendeter Betrug abgelehnt, wenn der Entscheidungsbefugte die Täuschung erkannt hat, aber nicht einschreitet.190 Einfache Kenntnis kann den Betrug schon wegen der ansonsten unmöglichen Bestrafung des Prozessbetrugs nicht ausschließen.191 Es ist aber rechtlich unerheblich, wenn Personen in anderen Abteilungen Sonderwissen haben.192 Nach abweichender Ansicht scheide ein (vollendeter) Betrug dadurch aus, dass die eigenverantwortliche Selbstgefährdung die Zurechnung des Irrtums an den Täter193 oder den Zurechnungszusammenhang zwischen Verfügung und Schaden194 ausschließe. Im zweiten Fall wird wegen der Ähnlichkeit zum Dreiecksbetrug die zivilrechtliche Wissenszurechnung auf das Strafrecht übertragen, sodass dem verfügenden Geschäftsherrn das Wissen des Repräsentanten zuzurechnen ist und ein vollendeter Betrug ausscheidet.195 Bei kollusivem Zusammenwirken von verfügender Hilfsperson und Täter ist eine Wissenszurechnung abzulehnen, weil die Hilfsperson in Wahrheit als Mittäter oder Gehilfe auf der Seite des Unrechts steht.196 Durchschaut der Repräsentant die Täuschung ohne mit dem Täter zu kolludieren, fehlt es am Zurechnungszusammenhang zwischen Täuschung und Irrtum.197 Teilweise wird eine solche Wissenszurechnung nach zivilrechtlichen Grundsätzen als Fiktion abgelehnt, weil es allein auf die Person des Verfügenden ankomme, die

188 MR-Saliger, § 263 Rn. 103; Eisele, ZStW 123, 16 (22 f., 30); S/S-Perron, § 263 Rn. 41a; Wittmann, Wissenszurechnung, S. 53 ff. 189 Vgl. HK-GS/Duttge, § 263 Rn. 22. 190 BGH, Urt. v. 15. 12. 2005 – 3 StR 239/05 –, juris = BGHR StGB § 263 Abs. 1 Irrtum 15; vgl. auch BGH, Beschl. v. 20. 12. 2007 – 1 StR 558/07 –, juris = wistra 2008, 147; BGH, Beschl. v. 13. 01. 2010 – 3 StR 500/09 –, juris = wistra 2010, 148. 191 BGH, Beschl. v. 20. 12. 2007 – 1 StR 558/07 –, juris Rn. 7 = wistra 2008, 147; MRSaliger, § 263 Rn. 103. 192 OLG München, Urt. v. 31. 10. 2007 – 4 St RR 159/07 –, juris = NStZ 2009, 156; LKTiedemann, § 263 Rn. 82. 193 MR-Saliger, § 263 Rn. 103. 194 S/S-Perron, § 263 Rn. 41a; ähnlich NK-Kindhäuser, § 263 Rn. 181; Wittmann, Wissenszurechnung, S. 87 ff. 195 LK-Tiedemann, § 263 Rn. 82; Fischer, StGB, § 263 Rn. 68. 196 BayObLG, Beschl. v. 04. 07. 2001 – 5 St RR 176/01 –, juris = wistra 2001, 473; HK-GS/ Duttge, § 263 Rn. 22; Fischer, StGB, § 263 Rn. 68; LK-Tiedemann, § 263 Rn. 82. 197 LK-Tiedemann, § 263 Rn. 82.

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Teil 3: Lösungsansätze

nachweislich irre.198 Nach wieder anderer Ansicht wird auf die objektive Zurechnung abgestellt, die in der Regel vorliege,199 bzw. dann nicht, wenn der Getäuschte die Täuschung durchschaue, aber den Verfügenden nicht informiere200. Durch die zivilrechtliche Wissenszurechnung solle der Geschäftspartner nicht schlechter gestellt werden, als wenn er mit einer Einzelperson kontrahiere; im Strafrecht sei diese Person aber Täter und wegen seiner Täuschungshandlung nicht schutzwürdig.201 In den Fällen des Massenbetrugs bedeutet dies für die Irrtumsfeststellung: Wenn keine Anhaltspunkte dafür bestehen, dass innerhalb des Unternehmens irgendeine Person Kenntnis von der Täuschung hatte,202 bzw. dass der Verfügende kollusiv mit dem täuschenden Täter zusammengearbeitet oder aus einem sonstigen Grund Kenntnis von der Täuschung erlangt habe und der durch die Täuschung erregte Irrtum deshalb nicht verfügungsursächlich geworden sein könnte203, dann werden nähere Feststellungen zum Irrtum für entbehrlich gehalten. Insbesondere auf eine Individualisierung der verfügenden Person wird dann verzichtet.204 In der Literatur wird diese Vorgehensweise treffend als „Ausschlussdiagnose“ beschrieben: Ergeben sich keine Anhaltspunkte für eine Kenntnis hinsichtlich der Unwahrheit der Tatsache in der Körperschaft, so sei davon auszugehen, dass auch der in ein standardisiertes Prüfverfahren involvierte verfügende Mitarbeiter geirrt habe.205 cc) Massenhaftigkeit auf Seite der Verfügenden Drittens laufen die Verfügungen routiniert und standardisiert im Rahmen einer beruflichen Tätigkeit nach einem vorgegebenen Ablauf ab und wären höchstwahrscheinlich von einem anderen Sachbearbeiter/Wettbüroangestellten/Kassierer auf dieselbe Weise erledigt worden. Ein massenhaftes Geschäft liegt bei den drei Fällen der Verweisungskette auch auf Seiten der Verfügenden und nicht nur auf Seiten der Täter vor.

198 SSW-StGB/Satzger, § 263 Rn. 136 (Bedenkenswert erscheine vielmehr ein Betrug durch Unterlassen des Repräsentanten zulasten seines Geschäftsherrn.); vgl. auch Lackner/ Kühl-Kühl, § 263 Rn. 20. 199 Eisele, ZStW 116, 16 (30). 200 MR-Saliger, § 263 Rn. 104. 201 Eisele, ZStW 116, 16 (28 f.). 202 Vgl. dazu auch BGH. Urt. v. 20. 12. 2012 – 4 StR 55/12 Rn. 24 = BGHSt 58, 102 (zum Sportwettbetrug). 203 BGH, Urt. v. 22. 11. 2013 – 3 StR 162/13 Rn. 9 = BGHSt 59, 75. 204 BGH, Urt. v. 05. 12. 2002 – 3 StR 161/02 –, juris Rn. 25 = NJW 2003, 1198; BGH, Urt. v. 22. 11. 2013 – 3 StR 162/13 Rn. 9 = BGHSt 59, 75; BGH, Urt. v. 12. 02. 2015 – 2 StR 109/14 –, juris Rn. 23 = NStZ 2015, 341. 205 Beckemper/Wegner, NStZ 2003, 315 (316) zustimmend bzgl. BGH, Urt. v. 05. 12. 2002 – 3 StR 161/02 –, juris = NJW 2003, 1198.

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b) Abweichende Sachverhaltskonstellation bei BGH, Beschl. v. 04. 09. 2014 – 1 StR 314/14 Durch die Verweisungen gingen diese Besonderheiten verloren. Im Fall 11: Widerrufsschreiben gegen Gewinnspieleintragungsdienste wurden Privatpersonen telefonisch Widerrufsschreiben zur Abwehr von zivilrechtlichen Ansprüchen verkauft. Es lag also ein klassischer Massenbetrug in dem Sinne vor, dass eine Vielzahl von Einzelpersonen verfügte und geschädigt wurde. Auf Seiten der Verfügenden besteht weder die Konstellation des Dreiecksbetrugs, noch wird eine Wissenszurechnung relevant, noch liegt ein standardisiertes Massengeschäft auf Seiten der Verfügenden vor. Der erste Senat findet also in den Entscheidungen, auf die er verwiesen hat, gerade keine ausreichende Stütze für seine Begründung, dass gar keine Zeugenvernehmungen mehr erforderlich seien, weil er die Besonderheiten der Fälle verkannt hat. c) Relevanz der Unterschiede Es bleibt die Frage, warum die Unterschiedlichkeit der Sachverhaltskonstellationen eine so große Bedeutung für die unterschiedlichen Anforderungen an die Irrtumsfeststellung hat. Die Wissenszurechnung in arbeitsteilig tätigen Unternehmen hat insofern Auswirkungen auf den Irrtumsnachweis, als nach der „Ausschlussdiagnose“ letztlich ein Irrtum angenommen wird, wenn keine Anhaltspunkte dafür bestehen, dass die Täuschung bekannt war. Viel wesentlicher ist aber der Umstand, dass es eine Auswirkung auf das Vorstellungsbild hat, wenn die in Frage stehende Vermögensverfügung vom Verfügenden massenhaft vorgenommen wird. Bei solchen massenhaften Verfügungen auf Seiten der Getäuschten folgt der Verfügende einem Schema F. Im Nachhinein wird er auf Nachfrage in der Regel nicht sagen können, was er sich bei der konkreten Verfügung gedacht hat, sondern nur, dass er nach Schema F gehandelt hat und sich dieselben Gedanken wie bei jeder anderen Verfügung auch gemacht hat. Entspringt die Verfügung hingegen keinem massenhaften Vorgang, ist auch das jeweilige Vorstellungsbild kein schematisches, sondern ein individuelles. IV. Indizienschluss von äußeren Umständen auf den Irrtum der Verfügenden Der erste Senat sagte im Fall 11: Widerrufsschreiben gegen Gewinnspieleintragungsdienste, dass sich das Tatgericht zur Feststellung dieses Irrtums auch „auf äußere Umstände und allgemeine Erfahrungssätze“206 stützen könne. Im konkreten Fall wurden diese äußeren Umstände vom Angeklagten gestanden. Die Entscheidung lässt sich aber auch dahingehend verstehen, dass ein Indizienschluss unabhängig von 206

BGH, Beschl. v. 04. 09. 2014 – 1 StR 314/14 Rn. 21 = NStZ 2015, 98.

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Teil 3: Lösungsansätze

einem Angeklagtengeständnis auch aus anderweitig festgestellten äußeren Umständen erfolgen kann. In einer später ergangenen Entscheidung des Bundesgerichtshofs, einer Entscheidung des zweiten Strafsenats (Fall 4: Angekaufte Rezepte207), wurde – unter Berufung auf die Entscheidung des ersten Senats – ebenso explizit auf Zeugenvernehmungen verzichtet und „Indizien des äußeren Ablaufs“ für ausreichend erachtet:208 „Weil es um das grundsätzliche Mitbewusstsein der Geltendmachung eines tatsächlich bestehenden sozialrechtlichen Erstattungsanspruchs ging, bedurfte es weder einer Individualisierung des jeweils handelnden Mitarbeiters der Krankenkassen noch der Feststellung seiner individuellen Vorstellungen (vgl. BGH, Beschluss vom 4. September 2014 – 1 StR 314/14). Das Tatgericht konnte vielmehr bereits aus den Indizien des äußeren Ablaufs darauf schließen, dass alle Mitarbeiter der Krankenkassen irrtümlich von dem normativ geprägten Vorstellungsbild ausgingen, es würden nur dem Grunde nach gerechtfertigte Erstattungsansprüche für tatsächlich durchgeführte Apothekengeschäfte geltend gemacht.“209 (Hervorhebung nicht im Original)

Hierbei ging es allerdings wieder um einen Abrechnungsbetrug (durch einen Apotheker). Das bedeutet, dass sowohl ein „standardisierte[s], auf Massenerledigung angelegte[s] Abrechnungsverfahren“, also eine Massenhaftigkeit der Verfügung auf Seiten der Verfügenden, ein arbeitsteilig tätiges Unternehmen und eine Konstellation des Dreiecksbetrugs vorlagen, wie in den drei Fällen der Verweisungskette. Der zweite Senat verweist zwar auf die Entscheidung des vierten Senats, weist aber Ähnlichkeiten mit den drei Entscheidungen der Verweisungskette210 auf. In einer sehr aktuellen Entscheidung wiederum monierte der zweite Senat, dass sich den Urteilsgründen nicht entnehmen lasse, dass das Landgericht Geschädigte als Zeugen vernommen oder deren Aussagen auf andere Weise in die Hauptverhandlung eingeführt habe.211 Es reichte nicht, dass das Landgericht seine Überzeugung vom Vorliegen eines Irrtums darauf gestützt hatte, dass „die Kunden, die auf die Rechnungen gezahlt haben, nur der irrigen Meinung gewesen sein können, hierzu noch aus dem ursprünglichen Vertragsabschluss heraus verpflichtet gewesen zu sein“.212 Der zweite Senat nimmt hier in Zusammenschau mit dem oben beschriebenen Fall 4: Angekaufte Rezepte213 also die wichtige Unterscheidung vor zwischen dem Mas207

BGH, Urt. v. 12. 02. 2015 – 2 StR 109/14 –, juris = NStZ 2015, 341. Lück spricht von einer „für ein Urteil im Revisionsverfahren erstaunlich ,schneidig‘ unter die Betrugstatbestandsmerkmale subsumierende[n] Entscheidung des BGH“, Lück, AMK 2015/7, 16. 209 BGH, Urt. v. 12. 02. 2015 – 2 StR 109/14 –, juris Rn. 23 = NStZ 2015, 341. 210 BGH, Urt. v. 05. 12. 2002 – 3 StR 161/02 –, juris = NJW 2003, 1198; BGH, Urt. v. 22. 11. 2013 – 3 StR 162/13 = BGHSt 59, 75; BGH, Urt. v. 20. 12. 2012 – 4 StR 55/12 = BGHSt 58, 102. 211 BGH, Urt. v. 22. 02. 2017 – 2 StR 573/15 –, juris Rn. 32. 212 BGH, Urt. v. 22. 02. 2017 – 2 StR 573/15 –, juris Rn. 11. 213 BGH, Urt. v. 12. 02. 2015 – 2 StR 109/14 –, juris = NStZ 2015, 341. 208

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senbetrug gegenüber einem institutionellen Adressaten über dessen Sachbearbeiter einerseits und gegenüber individuell handelnden Einzelpersonen andererseits. Allerdings scheint nun auch der dritte Senat dem ersten Senat nachzufolgen.214 Im Fall 12: Verbraucherschutz, also einem Fall, welcher der Sachverhaltskonstellation des Falls 11: Widerrufsschreiben gegen Gewinnspieleintragungsdienste sehr ähnlich ist, liegen die drei o.g. Besonderheiten ebensowenig vor. Allerdings ohne sich auf ein normativ geprägtes Vorstellungsbild explizit zu stützen, formuliert der dritte Senat unter Verweis auf die Entscheidung des ersten Senats: „Dabei begegnet es keinen rechtlichen Bedenken, dass sich die Urteilsgründe nicht dazu verhalten, ob das Landgericht seinen Schluss auch aus der Vernehmung (eines Teils) der Geschädigten gewonnen hat. Die Strafkammer konnte ihren Schluss auf die täuschungsbedingte Fehlvorstellung der Verfügenden insoweit auch auf Indizien stützen (vgl. BGH, Urteil vom 22. November 2013 – 3 StR 162/13, NStZ 2014, 215, 216; Beschluss vom 4. September 2014 – 1 StR 314/14, NStZ 2015, 98, 100 mwN).“215

Auch der dritte Senat scheint also Zeugenvernehmungen als Grundlage für einen Indizienschluss nicht mehr für erforderlich zu halten. V. Indizienschluss auf die Kausalität zwischen Irrtum und Vermögensverfügung Es ist darauf hinzuweisen, dass der vorgenommene Indizienschluss sich nicht nur auf das Tatbestandsmerkmal des Irrtums bezieht, sondern auch noch die Kausalität zwischen Irrtum und Vermögensverfügung umfasst. Dies wird in der zitierten Rechtsprechung nicht klar herausgestellt. Kann aber der Irrtum per Indizienschluss festgestellt werden und liegt eine Vermögensverfügung und ein Vermögensschaden vor, so wird der Betrugstatbestand als verwirklicht angesehen. Der Indizienschluss muss damit auch den Ursächlichkeitszusammenhang zur Vermögensverfügung umfassen. VI. Zusammenfassung Die Anforderungen an die Beweiserhebung beim Irrtumsnachweis des Massenbetrugs werden also nicht einheitlich beurteilt. Ob die Entscheidung des ersten Senats (Fall 11: Widerrufsschreiben gegen Gewinnspieleintragungsdienste216) und nun des dritten Senats (Fall 12: Verbraucherschutz217) eine Fortentwicklung der

214 Vgl. nun auch den vierten Senat des BGH: BGH, Beschl. v. 14. 07. 2016 – 4 StR 362/15 –, juris Rn. 27 = NJW 2016, 3383. 215 BGH, Beschl. v. 01. 10. 2015 – 3 StR 102/15 –, juris Rn. 15 = NStZ-RR 2016, 12. 216 BGH, Beschl. v. 04. 09. 2014 – 1 StR 314/14 = NStZ 2015, 98. 217 BGH, Beschl. v. 01. 10. 2015 – 3 StR 102/15 –, juris = NStZ-RR 2016, 12.

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Teil 3: Lösungsansätze

Rechtsprechung der anderen Senate darstellt oder eine den anderen Entscheidungen entgegenstehende Ansicht erkennen lässt, ist nicht einfach zu beurteilen. 1. Divergierende Rechtsprechung Zunächst einmal ist festzustellen, dass der zweite Senat218, der dritte Senat219, der vierte Senat220 und der fünfte Senat221 für einen Indizienschluss wenigstens die Vernehmung einiger Zeugen für erforderlich hielten, aber mittlerweile222 der erste Senat223 auf eine Zeugenvernehmung eines Irrenden ganz verzichtete und auch der dritte Senat224 dies für grundsätzlich möglich hielt. Für einen Fall des Abrechnungsbetrugs verzichtete auch der zweite Senat auf Zeugenvernehmungen.225 In einer Entscheidung des vierten Senats, die nach der des ersten Senats gefallen ist, formuliert dieser wieder, dass es „dem Tatrichter gestattet“226 sei, nur eine begrenzte Anzahl von Geschädigten als Zeugen zu vernehmen und gegebenenfalls auf eine entsprechende Irrtumserregung auch bei anderen Verfügenden zu schließen. In der Frage, ob nun die Vernehmung wenigstens einiger Verfügender als Zeugen für einen Indizienschluss beim Massenbetrug erforderlich sind oder nicht, kann also jedenfalls ein Unterschied in der Rechtsprechung des ersten und dritten Senats von den übrigen Senaten beobachtet werden. Der erste Senat formulierte sehr vage hinsichtlich der abweichenden Rechtsprechung der anderen Senate, wenn es heißt, dass er der Rechtsprechung nicht ohne weiteres folgen könne, soweit in einigen Entscheidungen des Bundesgerichtshofs anklinge, Irrtumsfeststellungen erfordern zumindest die Vernehmung einiger Irrenden als Zeugen, und indem er die Zitate der anderen Entscheidungen mit „in diese Richtung aber wohl“ einleitet.227 Sinn erklärt die Divergenz mit den unterschiedli-

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BGH, Beschl. v. 17. 06. 2014 – 2 StR 658/13 Rn. 13 = NStZ 2014, 644; BGH, Urt. v. 22. 02. 2017 – 2 StR 573/15 –, juris Rn. 32. 219 BGH, Urt. v. 05. 12. 2002 – 3 StR 161/02 –, juris Rn. 22 ff. = NJW 2003, 1198 (allerdings beim Abrechnungsbetrug); BGH, Urt. v. 22. 11. 2013 – 3 StR 162/13 Rn. 9 = BGHSt 59, 75; BGH, Urt. v. 27. 03. 2014 – 3 StR 342/13 Rn. 23 = BGHSt 59, 195. 220 BGH, Urt. v. 22. 05. 2014 – 4 StR 430/13 Rn. 17 = NJW 2014, 2132; BGH, Urt. v. 19. 11. 2015 – 4 StR 115/15 –, juris Rn. 27 = ZWH 2016, 120. 221 BGH, Urt. v. 17. 07. 2009 – 5 StR 394/08 Rn. 15 = BGHSt 54, 44. 222 In BGH, Beschl. v. 06. 02. 2013 – 1 StR 263/12 Rn. 16, 22 = NJW 2013, 1545 wurde die Möglichkeit eines Indizienschlusses aufgrund der Vernehmung weniger Zeugen noch angesprochen. 223 BGH, Beschl. v. 04. 09. 2014 – 1 StR 314/14 Rn. 23 = NStZ 2015, 98. 224 BGH, Beschl. v. 01. 10. 2015 – 3 StR 102/15 –, juris Rn. 15 = NStZ-RR 2016, 12. 225 BGH, Urt. v. 12. 02. 2015 – 2 StR 109/14 –, juris Rn. 23 = NStZ 2015, 341. 226 BGH, Urt. v. 19. 11. 2015 – 4 StR 115/15 –, juris Rn. 27 = ZWH 2016, 120. 227 Vgl. BGH, Beschl. v. 04. 09. 2014 – 1 StR 314/14 Rn. 23 = NStZ 2015, 98.

4. Kap.: Das normativ geprägte Vorstellungsbild

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chen Fallgestaltungen.228 Die Aufklärungsdichte variiere je nachdem, wie „einfach und klar“ die Tatsachen seien und ob der Angeklagte durch sein Geständnis genügend objektive Tatsachen mitgeteilt habe, die einen Indizienschluss auf ein normativ geprägtes Vorstellungsbild ermöglichen.229 Der Angeklagte gestehe keinen Irrtum des Geschädigten, sondern teile Tatsachen mit, aufgrund derer ein Indizienschluss möglich sein könne.230 Er versteht den ersten Senat so, dass er die Rechtsprechung der übrigen Senate wohl nur für „nicht verallgemeinerungsfähig“ halte.231 So hypothetisch, wie es beim ersten Senat klingt, sind die Aussagen der anderen Senate allerdings nicht,232 sondern ziemlich eindeutig. Auch bei unterschiedlichen Sachverhaltskonstellationen offenbart es eine Grundeinstellung, ob die Zeugenvernehmung für entbehrlich oder die Vernehmung zumindest einiger Zeugen für erforderlich gehalten wird. Mit seiner Entscheidung steht der erste Senat daher nicht im Einklang mit den übrigen.233 Die Ansicht des ersten und mittlerweile dritten Senats lässt eine konsequent normative Auslegung des Irrtumsmerkmals erkennen. Ein normatives Tatbestandsmerkmal erfordert nicht die Vernehmung der betroffenen Person. Wird das Irrtumsmerkmal rein normativ verstanden, ist es nur konsequent, auf eine Vernehmung der irrenden Personen gänzlich zu verzichten. Die prozessuale Handhabung der Irrtumsfeststellung in der Entscheidung zu Fall 11: Widerrufsschreiben gegen Gewinnspieleintragungsdienste234 und offenbart damit die rein normative Sicht jedenfalls des ersten Senats. Diesen letzten Schritt wollten der zweite, vierte und fünfte Senate bislang nicht gehen. Der Mischansatz der anderen Senate, einige, aber nicht alle Irrenden zu vernehmen, ist eine res mixta zwischen einer faktischen und einer normativen Sichtweise. Insofern, als der erste Senat das Irrtumsmerkmal offenbar rein normativ versteht und die anderen Senate einen zwar deutlich normativierten, aber immer noch als faktisch-normativen Mischansatz zu bezeichnenden Irrtumsbegriff vertreten, ist also eine Abweichung des ersten Senats festzustellen. 2. Vorlagepflicht Dieser Unterschied stellt also keine Fortentwicklung der Rechtsprechung, sondern eine Abweichung dar. Sinn formuliert, die Anforderungen an den Indizien228 Insbesondere was die Sachverhalte bei BGH, Beschl. v. 04. 09. 2014 – 1 StR 314/14 = NStZ 2015, 98 (Fall 11) und BGH, Urt. v. 22. 05. 2014 – 4 StR 430/13 = NJW 2014, 2132 (Fall 7) betrifft, Sinn, ZJS 2015, 627 (627, 630). 229 Sinn empfindet die Tatsachenlage in Fall 11 (BGH, Beschl. v. 04. 09. 2014 – 1 StR 314/ 14 = NStZ 2015, 98) im Gegensatz zu Fall 7 (BGH, Urt. v. 22. 05. 2014 – 4 StR 430/13 = NJW 2014, 2132) als „einfach und klar“, Sinn, ZJS 2015, 627 (630 f.). 230 Sinn, ZJS 2015, 627 (630). 231 Sinn, ZJS 2015, 627 (630). 232 Kudlich, ZWH 2015, 105 (106). 233 So auch Krehl, NStZ 2015, 101 (102). 234 BGH, Beschl. v. 04. 09. 2014 – 1 StR 314/14 = NStZ 2015, 98.

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Teil 3: Lösungsansätze

schluss seien „streitig“235. Unter diesem Gesichtspunkt hätte eine Vorlagepflicht gemäß § 132 II GVG bestanden haben können. Gemäß § 132 II GVG entscheidet der Große Strafsenat, wenn ein Strafsenat von einem anderen Strafsenat abweichen will. Kudlich geht aufgrund der Vielgestaltigkeit der Konstellationen nicht von einer Vorlagepflicht aus, aber sieht eine Meinungsverschiedenheit zwischen den Strafsenaten, die angesichts der großen praktischen Bedeutung des Phänomens des Massenbetrugs aufgelöst gehöre.236

D. Bewertung Der maßgebliche objektive Empfängerhorizont und das normativ geprägte Vorstellungsbild werfen viele Fragen auf, zumal die Senate, die letzteren Begriff verwenden, gar nicht erst versuchen, ihn durch eine Begründung oder Herleitung zu legitimieren. Die Literatur äußert sich oft kritisch.237 Trüg wirft der Rechtsprechung die Bildung eines rein normativen Irrtums vor.238 Rönnau und Becker sehen die normative Tendenz als „bedenkliche Entwicklung“.239 Laut Jahn wird die Klarheit in der umstrittenen Problematik der Strafbarkeit von Ping-Anrufen durch die Entscheidung des dritten Senats um den Preis der weiter voranschreitenden Normativierung des Täuschungsbegriffs beim Betrug erkauft.240 Die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zur Irrtumsfeststellung beim Massenbetrug hat Krehl zufolge zu einer „rechtsstaatlich fragwürdigen Entwertung des Irrtumsmerkmals beim Betrug“ geführt.241 Kudlich meint, die „kochrezeptartige“ Anwendung der Rechtsprechung zum Indizienschluss berge Gefahren, auch wenn im konkreten Fall damit ein vernünftig erscheinendes Ergebnis erzielt werden möge.242 Duttge meint, es genüge im Lichte

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Sinn, ZJS 2015, 627 (628). Kudlich, ZWH 2015, 105 (106). 237 Siehe allgemein HK-GS/Duttge, § 263 Rn. 24; bzgl. BGH, Beschl. v. 09. 06. 2009 – 5 StR 394/08 –, juris = NJW 2009, 2900: Heghmanns, ZJS 2009, 706 (708 f.); Gössel, JR 2010, 175 (176); Bung, GA 2012, 354 (359); bzgl. BGH, Urt. v. 27. 03. 2014 – 3 StR 342/13 = BGHSt 59, 195: Cornelius, NJW 2014, 2056 (2057); Kunkel, jurisPR-StrafR 16/2014 Anm. 2; Schuhr, ZWH 2014, 347; Mayer Lux/Schumann, ZWH 2013, 10 (13 – 15); Kudlich, ZWH 2015, 105 bzgl. BGH, Beschl. v. 17. 06. 2014 – 2 StR 658/13 = NStZ 2014, 644 und BGH, Beschl. v. 04. 09. 2014 – 1 StR 314/14 = NStZ 2015, 98. 238 Trüg, HRRS 2015, 106 (116) („rein normativierter Irrtum“). 239 Rönnau/Becker, JuS 2014, 504 (507). 240 Jahn, JuS 2014, 848 (850) bzgl. BGH, Urt. v. 27. 03. 2014 – 3 StR 342/13 = BGHSt 59, 195. 241 Krehl, NStZ 2015, 101 bzgl. BGH, Beschl. v. 04. 09. 2014 – 1 StR 314/14 = NStZ 2015, 98. 242 Kudlich, ZWH 2015, 105. 236

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der Amtsaufklärungspflicht nicht, sich qua „ressourcenschonender Beweiserleichterung“ auf eine diffuse Lebenserfahrung zu beschränken.243 Zustimmende Literaturstimmen erschöpfen sich meist in einem Referieren der Rechtsprechung,244 mal enthalten sie eine eigene Begründung245. Oberstaatsanwälte begrüßen die bessere Justiziabilität.246 Die Rechtsprechung werde sich als scharfes Schwert gegen bislang nur als unerträglich empfundene manipulierte Abrechnungen erweisen dürfen.247 Manchmal werden die Entscheidungen auch ohne Auseinandersetzung mit dem normativ geprägten Vorstellungsbild oder mit einem Fokus auf einen anderen Aspekt besprochen.248 I. Positive Aspekte Die positiven Aspekte des vorgestellten Ansatzes liegen auf der Hand und werden nicht zuletzt auch der Beweggrund für diese Rechtsprechung gewesen sein. Eine effektive Strafrechtspflege kann durch den Indizienschluss gewährleistet werden. Eine Bestrafung der in Rede stehenden Betrugstaten wird möglich. Bittmann erklärt den Umstand, dass das Gericht in dem seiner Entscheidungsbesprechung zugrundeliegenden Fall auf eine strengbeweisliche Feststellung des Irrtums verzichte und diesen schlicht annehme, damit, dass jede andere Entscheidung zur mangelnden Justiziabilität solcher Sachverhaltskonstellationen geführt hätte.249 Ebenso wird der Lösungsansatz dem Beschleunigungsgrundsatz gerecht, da die Befragung weniger (oder sogar gar keiner Zeugen) in vertretbarer Zeit möglich sein wird. Das prozessuale Instrument des Indizienschlusses ermöglicht zudem eine praktische und mit geringem Aufwand und geringen Kosten mögliche Handhabung des Irrtumsnachweises. Nicht zu unterschätzen ist außerdem der Vorteil, dass dieser Lösungsansatz in jeder Größenordnung funktioniert. Insbesondere ist der Indizi243

HK-GS/Duttge, § 263 Rn. 24. Vgl. Fischer, StGB, § 263 Rn. 64; MüKo-StPO/Wenske, § 267 Rn. 280 ff.; Voßen, NStZ 2009, 697 (698) bzgl. BGH, Beschl. v. 09. 06. 2009 – 5 StR 394/08 –, juris = NJW 2009, 2900; Lackner/Kühl-Kühl § 263 Rn. 19 bzgl. BGH, Beschl. v. 06. 02. 2013 – 1 StR 263/12 = NJW 2013, 1545; Allgayer, NStZ 2014, 112 (113); Sinn, ZJS 2014, 701 (703) bzgl. BGH, Urt. v. 22. 05. 2014 – 4 StR 430/13 = NJW 2014, 2132; Sinn, ZJS 2015, 627 (628, 630) bzgl. BGH, Beschl. v. 04. 09. 2014 – 1 StR 314/14 = NStZ 2015, 98; Kulhanek, JA 828 (830). 245 Vgl. Jäger, JA 2014, 630 (631) bzgl. BGH, Urt. v. 27. 03. 2014 – 3 StR 342/13 = BGHSt 59, 195; Kubiciel, HRRS 2015, 382 (385) bzgl. BGH, Urt. v. 12. 02. 2015 – 2 StR 109/14 –, juris = NStZ 2015, 341. 246 Vgl. Bittmann, NZM 2009, 644 (645) bzgl. BGH, Beschl. v. 09. 06. 2009 – 5 StR 394/08 –, juris = NJW 2009, 2900; siehe auch Trück, ZWH 2013, 404 (405) bzgl. BGH, Beschl. v. 06. 02. 2013 – 1 StR 263/12 = NJW 2013, 1545; Trück, ZWH 2014, 437 bzgl. BGH, Urt. v. 22. 05. 2014 – 4 StR 430/13 = NJW 2014, 2132. 247 Bittmann, NJW 2009, 2902 (2903). 248 Vormbaum, Jura, 2010, 861 (863) bzgl. BGH, Beschl. v. 09. 06. 2009 – 5 StR 394/08 –, juris = NJW 2009, 2900. 249 Bittmann, NZM 2009, 644 (645). 244

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Teil 3: Lösungsansätze

enschluss auch bei einer sehr großen Anzahl von Irrenden (man denke an Fall 14: Ping-Anrufe mit 660.000 Geschädigten) möglich. Zusammengefasst lässt sich sagen, dass der Lösungsansatz über den Indizienschluss aufgrund normativ geprägten Vorstellungsbilds eine effektive, justiziable, schnelle, praktische und verfahrensökonomische Beweiserhebung ermöglicht und in jeder Größenordnung einsetzbar ist. II. Kritik Kritikwürdig erscheint der Lösungsansatz über das normativ geprägte Vorstellungsbild materiell-rechtlich im Hinblick auf das Analogieverbot, Art. 103 II GG, und in prozessualer Hinsicht insbesondere im Hinblick auf den Amtsaufklärungsgrundsatz, § 244 II StPO, und den Beweiswürdigungsgrundsatz, § 261 StPO. 1. Analogieverbot Der Hauptkritikpunkt am normativ geprägten Vorstellungsbild ist der, dass der Irrtum zu normativ verstanden wird – hier meldet sich der alte Grundlagenstreit zwischen einer ontologischen und einer normativen Sichtweise der Tatbestandsmerkmale. Aber was steckt hinter dem Vorwurf einer Übernormativierung250, eines reinen Normativismus251 – was ist so schlimm an einer zu normativen Auslegung? a) Erkennbarkeit der Norm Der Verfassungssatz nullum crimen sine lege, Art. 103 II GG, verbürgt als besonders strikte Ausprägung des Gesetzesvorbehalts Rechtssicherheit und stellt damit eine Grundlage individueller Freiheit in einem Rechtsstaat dar.252 Dieses Gesetzlichkeitsprinzip beinhaltet zwei Schutzrichtungen: Zum einen hat es einen bürgerbezogenen, freiheitssichernden Gehalt, indem es garantiert, dass nur das Verhalten bestraft werden wird, das für den Normadressaten erkennbar von der Tragweite und dem Anwendungsbereich eines zur Tatzeit geltenden gesetzlichen Straftatbestands erfasst wird.253 Zum anderen wird ein staatsrechtlicher und straflegitimierender Gehalt dadurch verbürgt, dass gemäß der Gewaltenteilung der Gesetzgeber und nicht die Judikative über die Grenzen der Strafbarkeit bestimmen muss.254 Die Ausprägung

250 Vgl. Jahn/Maier, JuS 2007, 215 (217) bzgl. des Hoyzer-Urteils; zustimmend Bung, GA 2012, 354 (357). 251 Trüg, HRRS 2015, 106 (116). 252 AnwK-StGB/Gaede, § 1 Rn. 1. 253 AnwK-StGB/Gaede, § 1 Rn. 2. 254 AnwK-StGB/Gaede, § 1 Rn. 2.

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des Gesetzlichkeitsprinzips als Analogieverbot will die Gewährleistung dieser Grundsätze in der Rechtsanwendung durch die Gerichte sicherstellen.255 Das Analogieverbot fordert von der Rechtsprechung also, bei der Auslegung eines Straftatbestands im Blick zu behalten, ob es für den Normadressaten erkennbar ist, dass das betroffene Verhalten vom Straftatbestand erfasst ist. Diese Erkennbarkeit ist bei normativen und bei deskriptiven Tatbestandsmerkmalen unterschiedlich. Deskriptive Tatbestandsmerkmale bringen den sachlich-gegenständlichen Anwendungsbereich der Norm im Wege einfacher Beschreibung zum Ausdruck.256 Normative Tatbestandsmerkmale sind nur im Wege wertender Betrachtung, unter Umständen unter Rückgriff auf außerstrafrechtliche Normen, festzustellen und nicht oder nur eingeschränkt real erfassbar.257 Es gibt allerdings keine ausschließlich deskriptiven bzw. normativen Tatbestandsmerkmale, vielmehr bedarf es bei jeder Subsumtion einer Wertung, sodass alle Tatbestandsmerkmale mehr oder weniger deskriptiv oder normativ sind.258 Einen Unterschied macht die Einordnung materiellrechtlich vor allem in der Vorsatz- bzw. Irrtumslehre.259 Der Vorsatz hinsichtlich deskriptiver Tatbestandsmerkmale muss sich auf die Tatumstände, also auf alle das jeweilige Tatbestandsmerkmal ausfüllenden Tatsachen, beziehen.260 Für den Vorsatz hinsichtlich normativer Tatbestandsmerkmale gehört zu den Tatumständen neben der Tatsachenkenntnis noch die Bedeutungskenntnis des Tatbestandsmerkmals, die auch der Laie hat, soweit er den sozialen und rechtlichen Bedeutungsgehalt des objektiven Tatbestandsmerkmals rudimentär richtig erfasst (sog. Parallelwertung in der Laiensphäre).261 Ein normatives Tatbestandsmerkmal macht dem Normadressaten die Subsumtion und damit die Abschätzung der Strafwürdigkeit des eigenen Verhaltens also grundsätzlich erst einmal schwerer. Durch das Hilfsinstrument der Parallelwertung in der Laiensphäre soll dem zwar Rechnung getragen werden, aber zum anderen wird so die Bestrafung nicht juristisch ausgebildeter Personen auch erst ermöglicht.262 Verschiebt man das Verhältnis von deskriptiven und normativen Anteilen in einem Tatbestandsmerkmal zu einem mehr normativ ausgerichteten Verständnis, so erschwert man dem Normadressaten die Rechtsbefolgung und die Vorhersehbarkeit der Strafbarkeit. Durch die Normativierung von Tatbestandsmerkmalen wird die Erkennbarkeit für den Normadressaten erschwert. Geschieht diese Normativierung durch den Richter, kommt die Frage nach der Reichweite des Analogieverbots ins Spiel. Auch rein normative Tatbestandsmerkmale wie das der Fremdheit der Sache bei den Eigen255 256 257 258 259 260 261 262

AnwK-StGB/Gaede, § 1 Rn. 27. Brockhaus Studienlexikon, S. 1099 (Stichwort: Tatbestand); Rengier, AT § 8 Rn. 11. Brockhaus Studienlexikon, S. 1099 (Stichwort: Tatbestand); Rengier, AT § 8 Rn. 12. Brockhaus Studienlexikon, S. 1099 (Stichwort: Tatbestand); Rengier, AT § 8 Rn. 13. Brockhaus Studienlexikon, S. 1099 (Stichwort: Tatbestand); Rengier, AT § 8 Rn. 10. Vgl. Brockhaus Studienlexikon, S. 646 f. (Stichwort: Irrtumslehre). Brockhaus Studienlexikon, S. 647 (Stichwort: Irrtumslehre); Rengier, AT § 15 Rn. 4, 7. Vgl. Rengier, AT § 15 Rn. 4.

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Teil 3: Lösungsansätze

tumsdelikten263 sind zulässig und verletzen nicht das Analogieverbot. Ein normatives Verständnis ist also nicht geeignet, per se einen Verstoß gegen das Analogieverbot zu begründen. Das normativierte Verständnis von Täuschung und Irrtum verstößt also nicht schon an sich gegen das Analogieverbot. b) Überschreitung der Wortlautgrenze Ein Verstoß gegen das Analogieverbot, Art. 103 II GG, ist erst dann anzunehmen, wenn die Rechtsprechung mit dem normativ geprägten Vorstellungsbild die Grenzen richterlicher Rechtsfortbildung oder zulässiger richterlicher Auslegung überschritten hat. Das Analogieverbot ist die an den Richter gerichtete Ausprägung des Grundsatzes nullum crimen sine lege, der verfassungsrechtlich in Art. 103 II GG verankert ist.264 „Analogie“ ist laut Bundesverfassungsgericht nicht im engeren technischen Sinn zu verstehen, vielmehr ist jede Rechtsanwendung, die – tatbestandsausweitend – über den Inhalt einer gesetzlichen Sanktionsnorm hinausgehe, ausgeschlossen, wobei der mögliche Wortlaut als äußerste Grenze zulässiger richterlicher Interpretation aus der Sicht des Normadressaten zu bestimmen ist.265 Ein vom Wortlaut noch erfasstes Verhalten, welches nach methodengerechter Auslegung nicht strafbar ist, darf nicht vom Gericht für strafbar erklärt werden.266 Die Anwendung eines Rechtssatzes auf einen ähnlichen, aber aufgrund einer planwidrigen gesetzlichen Regelungslücke nicht erfassten Sachverhalt zu Ungunsten des Täters ist ausgeschlossen, zu Gunsten des Täters aber zulässig.267 Zwischen noch zulässiger Auslegung und schon verbotener Analogie besteht nur ein gradueller Unterschied.268 Berühmtes Beispiel eines durch das Bundesverfassungsgericht festgestellten Verstoßes gegen das Analogieverbot ist die Sitzblockade-III-Entscheidung zum Gewaltbegriff in § 240 StGB: Ein Verständnis von Gewalt als Anwesenheit an einer Stelle, die ein anderer einnehmen oder passieren wolle, wenn dieser andere durch die Anwesenheit des Täters psychisch an der Durchsetzung seines Willens gehemmt werde, führe zu einer Überschreitung der durch das Bestimmtheitsgebot gesetzten Interpretationsgrenzen.269 Ferner wurde ein Verstoß gegen das Analogieverbot u. a. angenommen bei dem Einsatz eines unbeweglichen Gegenstandes wie einer Wand als gefährliches Werkzeug i.S.d. § 224 I Nr. 2 StGB, einer fest installierten Selbst263 264

170. 265

170. 266

170. 267

Vgl. BeckOK-StGB/Wittig, § 242 Rn. 6. BVerfG, Beschl. v. 23. 06. 2010 – 2 BvR 2559/08 u. a. –, juris Rn. 67 ff. = BVerfGE 126, BVerfG, Beschl. v. 23. 06. 2010 – 2 BvR 2559/08 u. a. –, juris Rn. 77 = BVerfGE 126, BVerfG, Beschl. v. 23. 06. 2010 – 2 BvR 2559/08 u. a. –, juris Rn. 79 = BVerfGE 126,

Fischer, StGB § 1 Rn. 21, 23; MR-Basak, § 1 Rn. 19. MR-Basak, § 1 Rn. 20; AnwK-StGB/Gaede, § 1 Rn. 30, 33. 269 BVerfG, Beschl. v. 10. 01. 1995 – 1 BvR 718/89 u. a. –, juris Os. 3 a) = BVerfGE 92, 1 („Sitzblockade III“). 268

4. Kap.: Das normativ geprägte Vorstellungsbild

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schussanlage als Mitsichführen einer Waffe i.S.d. § 30a II Nr. 2 BtmG, einem PkW als Waffe i.S.d. § 113 II 2 Nr. 1 StGB, dem Einsteigen in einen vom Wohnbereich getrennten Raum eines gemischt-genutzten Gebäudes als Wohnungseinbruchdiebstahl i.S.d. § 244 I Nr. 3 StGB und das Starten eines Motors als Führen eines Fahrzeugs i.S.d. § 316 StGB.270 Außerstrafrechtliche Wertungsfragen, die im Rahmen normativer Tatbestandsmerkmale auftreten, haben zwar nichts mit Analogien zu tun.271 Hier steht aber schon in Frage, inwieweit das Täuschungsmerkmal und das Irrtumsmerkmal überhaupt normativ verstanden werden dürfen. Wann das Analogieverbot bei einem Normativierungsprozess verletzt ist, also bei einer Entwicklung hin zu einer normativeren Verständnis eines Tatbestandsmerkmals, ist also nach den Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts danach zu entscheiden, ob das Verständnis noch vom Wortlaut gedeckt ist oder nicht. Die Frage ist also, ob zum einen das Täuschungsmerkmal dahingehend ausgelegt werden darf, dass der durch die Verkehrsanschauung geprägte objektive Empfängerhorizont den Inhalt der Erklärung bestimmt, und zum zweiten, ob das Irrtumsmerkmal dahingehend ausgelegt werden darf, dass es auch das normativ geprägte Vorstellungsbild im jeweils unterschiedlichen Verständnis der Senate erfasst. aa) Keine Wortlautüberschreitung beim Täuschungsmerkmal Der Wortlaut des Betrugstatbestands „durch Vorspiegelung falscher oder durch Entstellung oder Unterdrückung wahrer Tatsachen“ ist nicht dadurch überschritten, dass der Erklärungsinhalt der konkludenten Täuschung beim Massenbetrug durch den objektiven Empfängerhorizont, der durch die Verkehrsanschauung geprägt wird, bestimmt wird. Wenn beim Massenbetrug der objektive Empfängerhorizont statt des tatsächlichen Verständnisses des konkreten individuellen Erklärungsempfängers maßgeblich ist, geht die Komponente der individuellen und konkreten Kommunikation zwischen Erklärendem und Erklärungsadressat verloren. Die aus der Verkehrsanschauung und damit aus normativ geprägten Erwägungen abgeleiteten überindividuellen Vorstellungen und nicht die konkrete Vorstellung des Täuschungsopfers führen zur Begründung einer konkludenten Täuschungshandlung durch den individuellen Beschuldigten.272 Dem Täuschenden kommt es bei einem Massenbetrug allerdings gar nicht auf eine individuelle Kommunikation zu jedem einzelnen Täuschungsopfer an. Vielmehr sendet er quasi seine Erklärung auf die immer gleiche Art und Weise an eine Vielzahl von Empfängern aus. Wenn man bei der Bestimmung des Erklärungsinhalts auf die Einbeziehung der konkreten Situation des Kommunikationsakts verzichtet, unterstellt man dem Täuschenden keine Erklärung, die er nicht abgeben wollte. Man betrachtet nur, wie sich die Erklärung für 270 271 272

Zur Aufzählung: AnwK-StGB/Gaede, § 1 Rn. 38 m.w.N. SSW-StGB/Satzger, § 1 Rn. 41; AnwK-StGB/Gaede, § 1 Rn. 32. So überzeugend Trüg, HRRS, 2015, 106 (107).

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Teil 3: Lösungsansätze

einen objektiven Empfänger darstellt. Damit trifft man im Übrigen vermutlich genau das Ergebnis, auf das der Täter mit seiner Handlung abgestellt hatte – er hat schließlich eine Vorgehensweise gewählt, mit der er auf immer die gleiche Art und Weise einen Irrtum bei möglichst vielen Getäuschten hervorrufen kann. Die hohe Erfolgswahrscheinlichkeit der gewählten Täuschungshandlung wegen der großen Vielzahl an Geschädigten spricht für die Objektivität des Empfängerhorizonts. Der entscheidende Unterschied zum Irrtumsmerkmal ist, dass das Täuschungsmerkmal sich auf den Täter bezieht. Vom Täter eines Massenbetrugs gehen die Kommunikationsinhalte bildlich gesprochen wie Strahlen von einer Lichtquelle als gleichartigen Erklärungen zu seinen Täuschungsopfern aus. Auf der anderen Seite der Kommunikationsbeziehung stehen die Täuschungsopfer, die jeweils nur eine Erklärung, einen Lichtstrahl, empfangen und sie daher individuell verstehen. Wie diese Erklärung beim Empfänger ankommt, steht auf einem anderen Blatt und wird erst beim Irrtumsmerkmal relevant. Der Wortlaut des § 263 I StGB („Vorspiegelung falscher oder Entstellung oder Unterdrückung wahrer Tatsachen“) fordert nicht die Maßgeblichkeit der konkreten Kommunikation zur Bestimmung des Erklärungsinhalts. Jedenfalls speziell für die Konstellation eines Massenbetrugs steht auch aus teleologischen Gründen nichts dagegen, den Erklärungsinhalt der konkludenten Täuschung anhand des objektiven Empfängerhorizonts zu bestimmen. Diesem normativen Verständnis steht also das Analogieverbot, Art. 103 II GG, nach hier vertretener Ansicht nicht entgegen. bb) Wortlautüberschreitung beim Irrtumsmerkmal wegen der Irrelevanz der tatsächlichen individuellen Vorstellung Die Wortlautgrenze des Tatbestandsmerkmals „Irrtum“ würde allerdings dann überschritten, wenn die tatsächliche konkrete Vorstellung des individuellen Täuschungsadressaten irrelevant wäre und das Irrtumsmerkmal auch dann als vorliegend angesehen würde, wenn der Täuschungsadressat tatsächlich nicht irrte. Beim normativ geprägten Vorstellungsbild ist nicht mehr die individuelle Vorstellung des Täuschungsadressaten von Bedeutung, sondern gewissermaßen der kleinste gemeinsame Nenner, nämlich die selbstverständlichen Erwartungen der Täuschungsadressaten als Gruppe. Indem die Rechtsprechung die allgemeine Verkehrsauffassung als zentralen Auslegungsmaßstab heranzieht, nimmt sie eine überindividuelle Perspektive273 ein und stellt eine „verallgemeinernde Betrachtung“274 an. Für Trüg führt das zu einer Fiktion: Durch den Bezug auf (lediglich) allgemein festgestellte Erwartungen des Rechtsverkehrs werden durch normative Zuschreibung Erklärungen im Einzelfall konstruiert.275 Damit entspreche der durch das Abstellen auf ein fiktives Vorstellungsbild ermittelte Sinngehalt eines konkludenten Verhaltens nicht dem realen situativen Kontext, in dem sich der zu würdigende kommunikative 273 274 275

So überzeugend Trüg, HRRS, 2015, 106 (107). So Bittmann, NZM 2009, 644 (645). Trüg, HRRS, 2015, 106 (107).

4. Kap.: Das normativ geprägte Vorstellungsbild

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Akt tatsächlich ereignet habe, sondern durch das Heranziehen eines Auslegungsmaßstabs werde ein ebenso fiktiver Erklärungsinhalt ermittelt.276 Gerade weil der durch das Abstellen auf die allgemeine Verkehrsauffassung kreierte fiktive Erklärungsinhalt regelmäßig gerade nicht auf das individuelle Vorstellungsbild des Kommunikationspartners einwirken könne, werde auch auf der zweiten Stufe der Prüfung des objektiven Tatbestandes, dem Merkmal des Irrtums, eine analoge Normativierung in Form der Heranziehung des sachgedanklichen Mitbewusstseins bewirkt.277 Auch Kraatz äußert sich ähnlich: Wenn nicht mehr nach dem konkreten Inhalt der Kommunikation gefragt werde, sondern unter dem Deckmantel der Verkehrsauffassung eine Erklärung fingiert werde, werde das Schuldprinzip bedenklich verkannt.278 Gaede sieht die Gefahr einer die gesetzlichen Grenzen überschreitenden Normativierung durch eine prozessual vermittelte Endindividualisierung des für jeden Einzelnen nachzuweisenden Irrtumsmerkmals279 und kritisiert die rein normativ bleibende Unterstellung eines Irrtums280. Auch Krehl stellt den Zusammenhang zum Prozessrecht her: Vom Irrtumsmerkmal bleibe nicht mehr viel übrig, wenn es nicht mal mehr erforderlich sein solle, auch nur einen Zeugen zu vernehmen, sondern sich der Tatrichter zur Irrtumsfeststellung auch auf äußere Umstände und Erfahrungssätze stützen dürfe.281 Der Wegfall einer notwendigen Zeugenvernehmung führe zur Annahme eines lediglich auf Plausibilitäten und Alltagserfahrung gestützten Irrtums, der mit der Wirklichkeit im Einzelfall nicht mehr viel zu tun habe bzw. haben müsse.282 Sommer und Tsambikakis meinen gar, die Feststellung des Bundesgerichtshofs, das Vorliegen eines Irrtums sei Tatfrage, stehe nur noch auf dem Papier, wenn ein sachgedankliches Mitbewusstsein für ausreichend erachtet werde – wenn dem so wäre, könnte auf das Tatbestandsmerkmal des Irrtums verzichtet werden.283 Die Kritik überzeugt. Der Wortlaut des Irrtumsmerkmals fordert zwar nicht eine rein faktische Auslegung. Gewisse normative Wertungsprozesse wie die Fassung des sachgedanklichen Mitbewusstseins unter den Irrtum sind noch vom Wortlaut erfasst. Wenn der Begriff des normativ geprägten Vorstellungsbilds es aber ermöglicht, einen Irrtum auch dann anzunehmen, wenn der Täuschungsadressat tatsächlich nicht geirrt hat, dann liegt ein Verstoß gegen das Analogieverbot vor, weil dieses Irrtumsver276 277 278 279 280 281

98. 282

Trüg, HRRS, 2015, 106 (107). Trüg, HRRS, 2015, 106 (108). Kraatz, JR 2012, 329 (331). AnwK-StGB/Gaede, § 263 Rn. 52. AnwK-StGB/Gaede, § 263 Rn. 207. Krehl, NStZ 2015, 101 bzgl. BGH, Beschl. v. 04. 09. 2014 – 1 StR 314/14 = NStZ 2015,

Krehl, NStZ 2015, 101 (102) bzgl. BGH, Beschl. v. 04. 09. 2014 – 1 StR 314/14 = NStZ 2015, 98. 283 AnwH-Medizinrecht/Sommer/Tsambikakis, § 3 Rn. 135 v. a. zum kassenärztlichen Abrechnungsbetrug.

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Teil 3: Lösungsansätze

ständnis nicht mehr vom Wortlaut „Irrtum“ erfasst wird. Wenn jemandem, der nicht irrt oder von dem man nicht weiß, ob er irrt, unterstellt wird, dass er irrt, ist der mögliche Wortsinn des Merkmals „Irrtum“ verlassen. Genau hier wirkt sich die oben angesprochene Divergenz der Rechtsprechung der Senate in der Bewertung aus: (1) Verständnis des zweiten, dritten, vierten und fünften Senats Der zweite284, dritte285, vierte286 und fünfte287 Senat verstehen bzw. verstanden das Irrtumsmerkmal noch faktisch-normativ mit einer gegenüber dem herkömmlichen Verständnis allerdings deutlich normativen Tendenz. Der Irrtumsnachweis gelingt erst durch den prozessualen Kniff des Indizienschlusses. Die Senate gehen grundsätzlich davon aus, dass der Irrtum als Tatfrage festgestellt und der Irrende als Zeuge vernommen werden muss. Dass die Getäuschten nicht irren, halten sie für möglich und für relevant. Es wird versucht, dem beispielsweise dadurch Rechnung zu tragen, dass eine Irrtumsquote geschätzt wird (vgl. Fall 14: Ping-Anrufe), und damit den Umstand, dass es auch vorkommen kann, dass Verfügende nicht irren, zu berücksichtigen. Die Senate sehen die grundsätzliche Notwendigkeit, den Irrtum bei jedem Täuschungsopfer konkret zu ermitteln, aber weichen dem aus prozessökonomischen Gründen aus. Das Ergebnis, dass es bei der mit dem Indizienschluss einhergehenden Ungenauigkeit auch passieren kann, dass einem Verfügenden fälschlicherweise ein Irrtum untergeschoben wird, ist ein Problem der Beweiswürdigung, aber keines des materiell-rechtlichen Irrtumsverständnisses. Dogmatisch wird der Irrtum als Irrtum verstanden, der jedenfalls nicht vorliegt, wenn der Getäuschte tatsächlich die Täuschung erkannt hat. Das Verständnis dieser Senate vom normativ geprägten Vorstellungsbild ist also wegen der damit einhergehenden Entindividualisierung durchaus kritisch zu sehen. Das wird gerade in der Zusammenschau mit dem Täuschungsmerkmal bestätigt. Wenn es beim Täuschungsmerkmal jedenfalls beim Massenbetrug vertretbar ist, die Erklärung anhand des objektiven Empfängerhorizonts auszulegen, weil es darauf ankommt, welche Erklärung der Erklärende „ausgesandt“ hat, dann kommt es beim Irrtumsmerkmal darauf an, welche Erklärung der Adressat „empfangen“ hat. Für den einzelnen Empfänger stellt sich die Erklärung als ein konkreter, und auf die individuelle Kommunikation bezogener Akt dar, weil sie aus seiner Sicht – in Bezug auf den Erklärenden – einzigartig ist. Im Gegensatz dazu kommt es dem Täuschenden aus seiner Sicht gerade nicht auf eine individuelle Kommunikation an. Da sich das Irrtumsmerkmal auf die Person des Erklärungsempfängers bezieht, ist es relevant, wie sich für diesen die Erklärung konkret darstellt. 284

BGH, Beschl. v. 17. 06. 2014 – 2 StR 658/13 Rn. 13 = NStZ 2014, 644. BGH, Urt. v. 05. 12. 2002 – 3 StR 161/02 –, juris Rn. 22 ff. = NJW 2003, 1198 (allerdings beim Abrechnungsbetrug); BGH, Urt. v. 22. 11. 2013 – 3 StR 162/13 Rn. 9 = BGHSt 59, 75; BGH, Urt. v. 27. 03. 2014 – 3 StR 342/13 Rn. 23 = BGHSt 59, 195. 286 BGH, Urt. v. 22. 05. 2014 – 4 StR 430/13 Rn. 17 = NJW 2014, 2132; BGH, Urt. v. 19. 11. 2015 – 4 StR 115/15 –, juris Rn. 27 = ZWH 2016, 120. 287 BGH, Urt. v. 17. 07. 2009 – 5 StR 394/08 Rn. 15 = BGHSt 54, 44. 285

4. Kap.: Das normativ geprägte Vorstellungsbild

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Dieses Irrtumsverständnis stellt aber noch keinen Verstoß gegen das materiellrechtliche Analogieverbot dar. Die Vorgehensweise muss viel eher unter den Aspekten der Amtsaufklärungspflicht und der Beweiswürdigung beleuchtet werden. (2) Verständnis des ersten und mittlerweile zweiten und dritten Senats Anders muss das Verständnis des ersten Senats288 vom normativ geprägten Vorstellungsbild bewertet werden, dem sich der dritte Senat289 und im Fall eines Abrechnungsbetrugs auch der zweite Senat290 angeschlossen hat. Der erste Senat offenbart in der Entscheidung zu Fall 11: Widerrufsschreiben gegen Gewinnspieleintragungsdienste ein rein normatives Verständnis, weil er die Ermittlung der konkreten tatsächlichen Vorstellungen der Getäuschten nicht mehr für notwendig erachtet. Er fordert also gar nicht, Anstrengungen zu unternehmen, um die individuellen Vorstellungsbilder zu erforschen, sondern verzichtet gleich darauf. Das Maß der Normativität eines Tatbestandsmerkmals wirkt sich auch in prozessualer Hinsicht auf die Beweisbarkeit desselben aus. Die Einordnung des Irrtums als primär faktisches oder normatives Merkmal ist verbunden mit den Anforderungen an seine Feststellung im Prozess.291 Der prozessuale Umgang mit dem Merkmal zeigt also das materiell-rechtliche Verständnis. Dieses zugegebenermaßen ebenfalls prozessual vermittelte Irrtumsverständnis wird allerdings auch materiell-rechtlich relevant. Durch den Indizienschluss lediglich aus äußeren Umständen wird nämlich ein Irrtum bei allen anderen Getäuschten angenommen, ob sie nun tatsächlich geirrt haben oder nicht. Dieses rein normative Irrtumsverständnis erinnert an die Konzeption Pawliks292. Es wird hier zwar nicht davon ausgegangen, dass der erste Senat den Irrtum nicht verneinen würde, wenn festgestellt wäre, dass ein Getäuschter nicht geirrt hat; auch der erste Senat wird das Irrtumsmerkmal noch für ein notwendiges und festzustellendes Tatbestandsmerkmal halten.293 Wer aber nicht weiß, ob ein Getäuschter geirrt hat oder nicht, und auf eine Feststellung des konkreten Vorstellungsbilds verzichtet, unterstellt den Getäuschten einen Irrtum. Ein solches rein normatives Verständnis vom Irrtumsmerkmal ist nach hier vertretener Auffassung nicht mehr vom Wortlaut des Betrugstatbestands gedeckt. Der Verstoß gegen das Analogieverbot wird zwar erst durch die prozessuale Vorgehensweise offenbar. Dennoch ist dies ein Verstoß gegen das materiell-rechtliche Analogieverbot, weil die Wortlautgrenze des Irrtumsmerkmals da überschritten ist, wo ein Irrtum unterstellt wird, auch wenn keiner vorhanden ist. 288

BGH, Beschl. v. 04. 09. 2014 – 1 StR 314/14 Rn. 23 = NStZ 2015, 98. BGH, Beschl. v. 01. 10. 2015 – 3 StR 102/15 –, juris Rn. 15 = NStZ-RR 2016, 12. 290 BGH, Urt. v. 12. 02. 2015 – 2 StR 109/14 –, juris Rn. 23 = NStZ 2015, 341. 291 Vgl. dazu auch Kuhli, StV 2016, 40 (45). 292 Vgl. Pawlik, Betrug, S. 232 f. 293 Vgl. dazu auch Kubiciel, HRRS 2015, 382 (385) bzgl. BGH, Urt. v. 12. 02. 2015 – 2 StR 109/14 –, juris = NStZ 2015, 341, der ebenfalls ein rein normatives Irrtumsverständnis besitzt, aber den Irrtum bei positiver Kenntnis ausscheiden lässt. 289

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Teil 3: Lösungsansätze

c) Verstoß gegen das Verschleifungsverbot durch Vermengung und Rückbezug der Tatbestandsmerkmale Ein weiterer Gesichtspunkt innerhalb der Kritik an einer Übernormativierung ist die mit der Annahme eines normativ geprägten Vorstellungsbilds einhergehende Vermengung der Tatbestandsmerkmale der Täuschung und des Irrtums und deren gegenseitige Rückbezüglichkeit. Mithilfe eines durch die Verkehrsanschauung geprägten objektiven Empfängerhorizonts wird eine Täuschungshandlung begründet. Die Verkehrsanschauung prägt gleichzeitig auch das Vorstellungsbild der Getäuschten normativ und begründet einen Irrtum. Diese Vorgehensweise ist unter dem Gesichtspunkt des sog. Verschleifungs- oder Entgrenzungsverbots als Ausprägung des Analogieverbots, Art. 103 II GG, zu beleuchten. aa) Verschleifungs- oder Entgrenzungsverbot des Bundesverfassungsgerichts Das Bundesverfassungsgericht stellte anlässlich einer Entscheidung zur Untreue vom 23. 06. 2010294 das sog. „Verschleifungsgebot“ auf. Danach stelle der Vermögensschaden ein eigenständiges Tatbestandsmerkmal dar, das nicht im Pflichtwidrigkeitsmerkmal aufgehen und mit diesem verschliffen werden dürfe, sondern eigenständig festgestellt werden müsse.295 Das Bundesverfassungsgericht äußert sich außerdem zu den Grundsätzen verfassungskonformer Auslegung nicht nur für den Tatbestand der Untreue, sondern ganz allgemein: Der Satz nulla poena sine lege enthalte das an den Gesetzgeber gerichtete Bestimmtheitsgebot, aus dem das an den Richter gerichtete Verbot analoger oder gewohnheitsrechtlicher Strafbegründung folge.296 Die vom Gesetzgeber erfolgte Eingrenzung der Strafbarkeit könne nicht durch den Richter wieder aufgehoben werden.297 Nach dem sog. Verschleifungs- oder Entgrenzungsverbot dürfen einzelne Tatbestandsmerkmale also auch innerhalb ihres möglichen Wortsinns nicht so weit ausgelegt werden, dass sie vollständig in anderen Tatbestandsmerkmalen aufgehen, also zwangsläufig mit diesen mitverwirklicht werden.298

294

BVerfG, Beschl. v. 23. 06. 2010 – 2 BvR 2559/08 u. a. –, juris = BVerfGE 126, 170. BVerfG, Beschl. v. 23. 06. 2010 – 2 BvR 2559/08 u. a. –, juris Os. 3 c) bb) und Rn. 112 = BVerfGE 126, 170. 296 BVerfG, Beschl. v. 23. 06. 2010 – 2 BvR 2559/08 u. a. –, juris Rn. 77 = BVerfGE 126, 170. 297 BVerfG, Beschl. v. 23. 06. 2010 – 2 BvR 2559/08 u. a. –, juris Rn. 78 = BVerfGE 126, 170. 298 BVerfG, Beschl. v. 23. 06. 2010 – 2 BvR 2559/08 u. a. –, juris Rn. 78 = BVerfGE 126, 170; BVerfG, Nichtannahmebeschl. v. 28. 07. 2015 – 2 BvR 2558/14 u. a. –, juris Rn. 60 ff. = NJW 2015, 2949 (zu § 261 StGB). 295

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bb) Vermengung der Tatbestandsmerkmale Täuschung und Irrtum Der Wortlaut des Betrugstatbestands versteht Täuschung und Irrtum – anders als der wettbewerbsrechtliche Irreführungsbegriff299 – als eigenständige Tatbestandsmerkmale. Mit dem normativ geprägten Vorstellungsbild geht nun allerdings eine Vermengung einher. Der fünfte Strafsenat formuliert bedenkenlos: „Der im Rahmen der Täuschungshandlung maßgebliche Empfängerhorizont spiegelt sich regelmäßig in dem Vorstellungsbild auf Seiten der Empfänger wider.“300

Der Empfängerhorizont fungiert dabei in zweierlei Hinsicht: Er ist maßgeblich für die Täuschung und prägt das Vorstellungsbild beim Täuschungsopfer und damit den Irrtum. Durch das „Zauberwort“ Empfängerhorizont verschmelzen Täuschung und Irrtum zu einer unauflöslichen Einheit.301 Der objektive Empfängerhorizont wird zum Dreh- und Angelpunkt und er entscheidet über die Subsumtion eines Vorgangs unter die Tatbestandsmerkmale der Täuschung und des Irrtums im Doppelpack. Das hat auch nichts mehr damit zu tun, dass der Irrtum der Täuschung „spiegelbildlich“ entspricht, womit nur zum Ausdruck gebracht wird, dass nur der Irrtum, der kausal auf einer Täuschung beruht, tatbestandsrelevant302 ist. Mit dem objektiven Empfängerhorizont wird bereits die Opferperspektive eingenommen. Die Kausalkette „Täuschung und dadurch begründeter Irrtum“ wird stillschweigend umgedreht, wenn von einer verobjektivierten Erwartung der Allgemeinheit auf eine Täuschungshandlung im konkreten Fall und damit gewissermaßen „von einem unterstellten Irrtum auf eine gleichsam unterstellte Täuschung“303 geschlossen wird. Andersherum kann man genauso sagen, dass von der Täuschung unabhängig vom tatsächlichen Vorstellungsbild des Getäuschten auf einen Irrtum geschlossen wird,304 wenn sich laut Bundesgerichtshof der im Rahmen der Täuschungshandlung maßgebliche Empfängerhorizont regelmäßig im Vorstellungsbild auf Seiten der Empfänger widerspiegelt. Wenn aus dem normativen Empfängerhorizont und damit eigentlich nur aus dem Vorhandensein einer konkludenten Täuschung auf einen Irrtum geschlossen wird, wird die Risiko- und Pflichtenverteilung des jeweiligen Geschäftstyps zur Begründung von Täuschung und Irrtum herangezogen.305 Sommer und Tsambikakis kritisieren, dass die Prüfungspunkte der Täuschung und des Irrtums zu einer normativen Betrachtung des Soll-Zustandes verschmelzen, aus dem Rückschlüsse auf die Tatbestandsmerkmale gezogen werden, wenn die Kategorien, die ein sachgedankliches 299

Vgl. Vergho, wistra, 2010, 86 (89). BGH, Beschl. v. 09. 06. 2009 – 5 StR 394/08 –, juris Rn. 17 = NJW 2009, 2900. 301 Bung, GA 2012, 354 (362). 302 Vgl. MR-Saliger, § 263 Rn. 87 f.; Fischer, StGB, § 263 Rn. 53. 303 So Trüg, HRRS 2015, 106 (107). 304 Vgl. Rönnau/Becker, JuS 2014, 504 (505). 305 So Rönnau/Becker, JuS 2014, 504 (507) (diese normative Tendenz als „bedenkliche Entwicklung“ bezeichnend); zustimmend Trüg, HRRS 2015, 106 (116). 300

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Teil 3: Lösungsansätze

Mitbewusstsein begründen sollen, herangezogen werden, um aus einem neutralen Verhalten eine konkludente Erklärung und damit eine Täuschungshandlung zu konstruieren.306 Wenn von einem normativen Empfängerhorizont, d. h. der allgemeinen Verkehrsanschauung, auf ein weitgehend deckungsgleiches sachgedankliches Mitbewusstsein geschlossen und damit bei gleichförmigen Massengeschäften ein weitgehender Verzicht auf die Feststellung eines konkreten Irrtums ermöglicht werde, bildet die Rechtsprechung Trüg zufolge einen rein normativen Irrtum.307 Mit der Bejahung einer Täuschung ist auch die Entscheidung für die Bejahung eines Irrtums getroffen. Weil bestimmte Tatsachen für den Erklärungsadressaten normativ relevant sind, gelten sie einerseits als konkludent vom Täter miterklärt und begründen zugleich andererseits die Fehlvorstellung des Getäuschten.308 Die Tatbestandsmerkmale verlieren dadurch ihre Eigenständigkeit.309 cc) Verstoß gegen das Verschleifungsverbot Wird nun durch das normativ geprägte Vorstellungsbild das Irrtumsmerkmal entgrenzt und geht es im Täuschungsmerkmal auf? Die Untreueentscheidung bezog sich auf die Verschleifung der Tatbestandsmerkmale Pflichtverletzung und Vermögensschaden, also von Tathandlung und Taterfolg.310 Der Taterfolg ist beim Betrug ebenfalls der Vermögensschaden (und hierauf wird die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts auch übertragen311). Der Irrtum ist nur – aber immerhin – ein Zwischenerfolg als Handlungsergebnis der Täuschung und Voraussetzung für die Zurechnung der Vermögensminderung.312 Als solcher lässt sich das Verschleifungsverbot auch auf die Tatbestandsmerkmale der Täuschung und des Irrtums übertragen. Zumindest nach Krehl dürfte es mit dem vom Bundesverfassungsgericht entwickelten Verschleifungsverbot von Tatbestandsmerkmalen nur schwer in Einklang zu bringen sein, wenn bestimmte Tatsachen als konkludent vom Täter miterklärt werden, weil sie für den Erklärungsadressaten normativ interessant seien, und dies sogleich die Fehlvorstellung des Opfers begründe.313 Jahn zufolge behält das Tatbestandsmerkmal der Täuschung angesichts der ohnehin erforderlichen Bereicherungsabsicht nur dann eine eigenständige und tatbestandsbegrenzende Wirkung, 306 AnwH-Medizinrecht/Sommer/Tsambikakis, § 3 Rn. 135 v. a. zum kassenärztlichen Abrechnungsbetrug. 307 So Trüg, HRRS 2015, 106 (116). 308 So Rönnau/Becker, JuS 2014, 504 (507); ebenso Krehl, NStZ 2015, 101. 309 Vgl. dazu auch Kuhli, StV 2016, 40 (45 f.). 310 Vgl. MR-Saliger, § 263 Rn. 28. 311 Vgl. MR-Saliger, § 263 Rn. 183 m.w.N. 312 Vgl. NK-Kindhäuser, § 263 Rn. 168. 313 Krehl, NStZ 2015, 101.

4. Kap.: Das normativ geprägte Vorstellungsbild

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wenn seine Verwirklichung mehr erfordert, als dass der Täter subjektiv zwecks Irrtumserregung gehandelt hat.314 Auch hier muss ein Unterschied zwischen den Senaten gemacht werden. Das Irrtumsmerkmal behält dann seine eigene, tatbestandsbegrenzende Wirkung, wenn trotz Vorliegens einer Täuschung der Irrtum ausscheiden kann. Auch Kubiciel begründet den Umstand, dass bei seinem rein normativen Irrtumsverständnis keine verfassungsrechtlich problematische Verschleifung zweier Tatbestandsmerkmale bestehe, damit, dass er bei einer nicht schutzwürdigen Fehlvorstellung, also auch dann, wenn der Verfügende positiv um die Unrichtigkeit der Erklärung wisse, einen Irrtum ausschließe.315 Die Fallgestaltung, dass der Getäuschte nicht irrt, wird bei allen Senaten als Möglichkeit miteinbezogen und als irrtumsausschließend anerkannt. Nur die Vorgehensweise, die der erste Senat316 zu billigen scheint, ermöglicht es durch den Verzicht auf Zeugenvernehmungen, auf den Nachweis im konkreten Fall, ob die Getäuschten tatsächlich geirrt haben oder nicht, zu verzichten. Die Umstände, die schon zur Feststellung einer Täuschung herangezogen wurden, dienen auch zur Feststellung des Irrtums. Damit verstößt die rein normative Sicht des Irrtumsmerkmals des ersten und nun auch zweiten (für den Fall eines Abrechnungsbetrugs) und dritten Senats auch gegen das Verschleifungsverbot und damit gegen Art. 103 II GG. 2. Amtsaufklärungsgrundsatz Der Indizienschluss beim normativ geprägten Vorstellungsbild wird jedoch den Anforderungen, die der Amtsaufklärungsgrundsatz, § 244 II StPO, an die Feststellung des Irrtums stellt, nicht gerecht. Die Aufklärungspflicht bedeutet, dass das Gericht zur Erforschung der Wahrheit die Beweisaufnahme von Amts wegen auf alle Tatsachen und Beweismittel erstrecken muss, die für die Entscheidung von Bedeutung sind, § 244 II StPO. Die Feststellung einer konkreten Täuschungshandlung kann sich schwierig gestalten, insbesondere wenn man an Betrugstaten denkt, die beispielsweise im Rahmen des Betriebs eines Schneeballsystem-Unternehmens begangen werden. Soweit auf einen durch die Verkehrsanschauung objektivierten Empfängerhorizont abgestellt und nicht mehr die individuelle Einzelkommunikationsbeziehung in den Blick genommen wird, kann eine Täuschung leichter festgestellt werden. In Fällen eines uneigentlichen Organisationsdelikts besteht zudem die Gefahr, dass weniger auf eine konkrete Täuschungshandlung und mehr auf eine allgemeine Organisationstätigkeit Bezug genommen wird. Diesbezüglich wird auf die Ausführungen im dritten Ka314

Jahn, JuS 2010, 1119 (1120). Kubiciel, HRRS 2015, 382 (386). 316 BGH, Beschl. v. 04. 09. 2014 – 1 StR 314/14 Rn. 22 – 24 = NStZ 2015, 98; daran anschließend der dritte Senat: BGH, Beschl. v. 01. 10. 2015 – 3 StR 102/15 –, juris Rn. 15 = NStZRR 2016, 12. 315

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Teil 3: Lösungsansätze

pitel317 verwiesen. Beim Massenbetrug kann auch die Feststellung der Täuschungshandlung zur Herausforderung werden. In dieser Arbeit liegt der Fokus allerdings auf der Irrtumsfeststellung. Die Frage ist, ob die im ersten Teil dargestellten Anforderungen an die Aufklärungspflicht durch die Vornahme eines Indizienschlusses aufgrund von Zeugenvernehmungen pars pro toto bzw. aufgrund äußerer Umstände erfüllt werden. Die Zulässigkeit dieser Beweiserleichterungen wird in Revisionsrechtsprechung und Literatur zumeist als Problem der Beweiswürdigung angesehen. Dabei geht es retrospektiv um die Frage, ob das Tatgericht seine Überzeugung vom Vorliegen eines Tatbestandsmerkmals rechtsfehlerfrei gewonnen hat. Aus einer prospektiven Sicht, also mit Blick auf künftige Verfahren, ist das Problem des Irrtumsnachweises aber schon ein solches der Aufklärungspflicht, da sich das Tatgericht die Frage stellen muss, wie weit es aufklären muss, also ab wann es sich mit den getroffenen Feststellungen zufrieden geben darf, weil es tragfähige Grundlagen für eine Beweiswürdigung gewonnen hat. a) Zeuge als vorzugswürdiges, weil sachnächstes Beweismittel Zunächst stellt sich die Frage, ob das Gericht seiner Aufklärungspflicht bei der Irrtumsfeststellung nur und ausschließlich durch die Vernehmung des Verfügenden Genüge tun kann oder ob es auf die Vernehmung von Zeugen verzichten und auf andere Beweismittel ausweichen darf. Der Irrtum ist nach herkömmlicher Auffassung eine feststellungsbedürftige innere Tatsache.318 Dem sachnäheren Beweismittel und dem höherwertigen Beweisverfahren sind grundsätzlich der Vorzug zu geben.319 Das Gericht darf sich bei der Auswahl unter mehreren Beweismitteln nicht damit begnügen, den mit der Gefahr größerer Unzuverlässigkeit behafteten sachferneren Beweis zu erheben, sofern qualitativ bessere Beweismittel zur Verfügung stehen.320 Das Gericht darf also nicht einen sachferneren Zeugen vernehmen, wenn ein sachnäherer Zeuge erreichbar ist.321 Es kann sich beispielsweise nicht mit der Vernehmung des Zeugens vom Hörensagen begnügen, wenn ein unmittelbarer Zeuge zur Verfügung steht.322 Zur Feststellung des Irrtums wird in der Regel die Ermittlung und Vernehmung der irrenden Person über die tatrelevante Vorstellung für erforderlich

317

Siehe Teil 3, 3. Kapitel, C. II. 1. a) aa) (1). Vgl. Fischer, StGB, § 263 Rn. 54; SSW-StGB/Satzger, § 263 Rn. 117; Lackner/KühlKühl, § 263 Rn. 19; AnwK-StGB/Gaede, § 263 Rn. 52. 319 Vgl. KK-Krehl, § 244 Rn. 36; SSW-StPO/Sättele, § 244 Rn. 42; SK-StPO/Frister, § 244 Rn. 13; HK-StPO/Julius, § 244 Rn. 10; Eisenberg, Beweisrecht Rn. 13. 320 BVerfG, Beschl. v. 26. 05. 1981 – 2 BvR 215/81 –, juris Rn. 66 = BVerfGE 57, 250. 321 BGH, Beschl. v. 08. 04. 2003 – 3 StR 92/03 –, juris Os. 1 = wistra 2003, 348. 322 BVerfG, Beschl. v. 26. 05. 1981 – 2 BvR 215/81 –, juris Rn. 92 = BVerfGE 57, 250; BGH, Beschl. v. 09. 10. 1992 – 2 StR 347/92 –, juris Rn. 10 = StV 1993, 114; SSW-StPO/ Sättele, § 244 Rn. 43. 318

4. Kap.: Das normativ geprägte Vorstellungsbild

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gehalten.323 Das Gebot der Verwendung des sachnächsten Beweismittels schließt aber die Verwendung eines sachferneren, „mittelbaren“ Beweismittels nicht aus, wenn ein näheres nicht verfügbar ist.324 Dann muss das Gericht jedoch die darin liegenden Gefahren für die Wahrheitsfindung im Rahmen der Beweiswürdigung berücksichtigen.325 Die Zeugenvernehmung der mutmaßlich irrenden Person stellt das sachnächste Beweismittel zur Feststellung des Irrtums dar. Das sachfernere wäre beim Massenbetrug die Zeugenvernehmungen der anderen mutmaßlich Irrenden, das Geständnis des Angeklagten oder andere äußere Umstände. Die Getäuschten oder jedenfalls die Verfügenden sind beim Massenbetrug in der Regel bekannt und individualisiert und damit auch erreichbar. Zumindest theoretisch ist es also möglich, jeden einzelnen zu vernehmen.326 Auf jedes einzelne Betrugsdelikt bezogen, ist die Verwendung des sachnächsten Beweismittels, also die Vernehmung des mutmaßlich Irrenden, möglich. Wenn man aber alle angeklagten Delikte in den Blick nimmt, stößt dieses Vorhaben an praktische Grenzen. Die Vernehmung von einer bis zu sechsstelligen Anzahl an Zeugen übersteigt die Kapazitäten des Strafverfahrens327 und ist langwierig, aufwendig und teuer. Diese Aspekte wurzeln im Beschleunigungsgebot und in der Prozessökonomie328 und sind damit jedenfalls auch mit zu berücksichtigen. Hinzukommt, dass die Vernehmung einer so großen Vielzahl von Zeugen zu immer demselben Sachverhalt eintönig und wenig erhellend ist. Zumal der Getäuschte, bei dem ein sachgedankliches Mitbewusstsein angenommen wird, sich laut Trüg keine „aktive“ Vorstellung gebildet haben wird, zu der er also auch schwerlich aussagen könnte.329 Die nachträgliche Befragung der Getäuschten wird Tiedemann zufolge insbesondere in den Konstellationen fehlender Reflexion der Bewusstseinsinhalte nicht weiter führen.330 323 Das betonen auch die Massenbetrugsentscheidungen: BGH, Beschl. v. 17. 06. 2014 – 2 StR 658/13 Rn. 13 = NStZ 2014, 644; BGH, Urt. v. 22. 05. 2014 – 4 StR 430/13 Rn. 17 = NJW 2014, 2132; BGH Urt. v. 05. 12. 2002 – 3 StR 161/02 –, juris Rn. 22 = NJW 2003, 1198; BGH, Urt. v. 22. 11. 2013 – 3 StR 162/13 Rn. 9 = BGHSt 59, 75. 324 BVerfG, Beschl. v. 26. 05. 1981 – 2 BvR 215/81 –, juris Rn. 67 = BVerfGE 57, 250; BVerfG, Stattgebender Kammerbeschl. v. 20. 12. 2012 – 2 BvR 659/12 –, juris Rn. 19 = StV 2013, 574; vgl. auch BGH, Urt. v. 31. 03. 1989 – 2 StR 706/88 –, juris Rn. 29 = BGHSt 36, 159; KK-Krehl, § 244 Rn. 39; SSW-StPO/Sättele, § 244 Rn. 42; HK-StPO/Julius, § 244 Rn. 10; Eisenberg, Beweisrecht Rn. 13. 325 BVerfG, Beschl. v. 26. 05. 1981 – 2 BvR 215/81 –, juris Rn. 67 = BVerfGE 57, 250; BGH, Urt. v. 16. 04. 1985 – 5 StR 718/84 –, juris Rn. 12 = BGHSt 33, 178; LR-Becker, § 244 Rn. 66; SSW-StPO/Sättele, § 244 Rn. 42. 326 So auch Trüg, HRRS 2015, 106 (113). 327 Trüg, HRRS 2015, 106 (113). 328 Vgl. auch Trüg, HRRS 2015, 106 (107). 329 Vgl. Trüg, HRRS 2015, 106 (108). 330 LK-Tiedemann, § 263 Rn. 87.

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Teil 3: Lösungsansätze

Nichtsdestotrotz ist die Vernehmung des Zeugen das sachnächste Beweismittel hinsichtlich der Feststellung des Vorstellungsbilds dieses Zeugen. Da die Delikte alle in einem Verfahren angeklagt wurden, darf man die prozessualen Möglichkeiten auch mit Blick auf die Gesamtzahl der Delikte erörtern. Das jeweils sachnächste Beweismittel zu erheben, also den jeweiligen mutmaßlich Irrenden als Zeugen zu vernehmen, ist jedoch beim Massenbetrug praktisch unmöglich. b) Vergleich mit anderen Möglichkeiten des Umgangs mit Beweisschwierigkeiten Bei Vermögensdelikten tauchen auch in anderen Bereichen Beweisschwierigkeiten auf. Bei der Feststellung der Schadenshöhe oder bei der Feststellung einer Mindestanzahl von Einzeldelikten, auf die ein Gesamtschaden zu verteilen ist, hat die Rechtsprechung Möglichkeiten zur Beweiserleichterung herausgearbeitet. Ein Vergleich dieser Rechtsprechung mit der Rechtsprechung zum Indizienschluss wird zeigen, ob Argumente daraus für oder gegen den Indizienschluss beim Massenbetrug fruchtbar gemacht werden können. Daneben wird auch hier ein Zusammenhang mit der abgeschafften Rechtsfigur des Fortsetzungszusammenhangs untersucht. aa) Rechtsprechung zur Feststellung eines Mindestgesamtschadens Beim Vermögensschaden lässt die Rechtsprechung schon seit längerem Beweiserleichterungen in der Form der Schätzung eines Mindestgesamtschadens zu. (1) Schätzung der Höhe des Vermögensschadens Die dafür immer wieder angeführten Entscheidungen331 stammen noch aus der Zeit vor der Abschaffung des Fortsetzungszusammenhangs, allerdings gingen die Senate in diesen Revisionsentscheidungen nicht von einer fortgesetzten Tat aus. Der vierte Senat erkannte die Hochrechnung des Gesamtschadens bei einem Abrechnungsbetrug an, weil das Verhalten nicht Ausfluss singulärer Willensentscheidungen, sondern massenhaft wiederholt und über den untersuchten Zeitraum hinweg gleichmäßig beibehalten worden sei, die Schadenshöhe keine Bedeutung für die Grenzen der Rechtskraft des Urteils habe, sondern allein der Rechtsfolgenbemessung diene und statistische Wahrscheinlichkeitsrechnungen, die von gesicherten Tatsachenfeststellungen ausgehen, wie andere mathematische Methoden zu den Mitteln der logischen Schlussfolgerung gehören.332 Der zweite Senat formulierte, wenn der Tatrichter zu der Überzeugung komme, dass ein Schaden entstanden sei, dürfe er dessen Höhe unter Beachtung des Zweifelssatzes schätzen, wenn seine genaue Ermittlung nicht möglich sei.333 Auch nach der Abschaffung des Fortset331 BGH, Urt. v. 14. 12. 1989 – 4 StR 419/89 –, juris = BGHSt 36, 320 und BGH, Urt. v. 08. 01. 1992 – 2 StR 102/91 = BGHSt 38, 186. 332 BGH, Urt. v. 14. 12. 1989 – 4 StR 419/89 –, juris Rn. 19, 20, 24 = BGHSt 36, 320. 333 Vgl. BGH, Urt. v. 08. 01. 1992 – 2 StR 102/91 –, juris Rn. 36 = BGHSt 38, 186.

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zungszusammenhangs wird eine Bestimmung des Schuldumfangs im Wege der Schätzung für grundsätzlich zulässig gehalten.334 Stehe bei Vermögensstraftaten nach der Überzeugung des Tatrichters ein strafbares Verhalten des Täters fest, könne die Bestimmung des Schuldumfangs im Wege der Schätzung erfolgen, insbesondere, wenn sich Feststellungen auf andere Weise nicht treffen lassen.335 Der erste Senat stellte im Rahmen einer Entscheidung über Lohnsteuerhinterziehung und das Vorenthalten von Sozialversicherungsbeiträgen Kriterien für die Voraussetzungen einer Feststellung durch Schätzung auf: Er forderte fehlende aussagekräftige Beweismittel für eine annähernd genaue Berechnung, tragfähige Parameter der Schätzgrundlage, eine Beachtung des Zweifelssatzes im Rahmen der Gesamtwürdigung des Schätzergebnisses, eine nachvollziehbare Darstellung der Grundlagen der Schätzung und dass ggf. die Schätzung aus verfahrensökonomischen Gründen angezeigt sei, etwa dann, wenn eine exakte Berechnung einen unangemessenen Aufklärungsaufwand erfordere und bei exakter Berechnung für den Schuldumfang nur vernachlässigbare Abweichungen zu erwarten seien.336 (2) Ähnlichkeit zum Irrtumsnachweis beim Massenbetrug Auch beim Irrtumsnachweis wird geschätzt, und zwar indem ausgehend von Zeugenvernehmungen einiger weniger Zeugen entweder auf eine hundertprozentige oder auf eine geringere Irrtumsquote geschlossen wird. Der Indizienschluss stellt laut Trüg in der Sache nichts weiter dar als eine durch Beweiserleichterungen erfolgende Schätzung.337 (3) Unterschiede zum Irrtumsnachweis beim Massenbetrug Die Schätzpraxis, die beim Vermögensschaden noch zulässig sein mag,338 begegnet aber Bedenken, wenn sie auch bei der Irrtumsfeststellung angewendet wird. Zwischen der Feststellung der Höhe des Vermögensschadens und der Anzahl der Irrenden besteht ein grundlegender und entscheidender Unterschied. Der entscheidende Unterschied ist, dass die Höhe des Vermögensschadens – wenn festgestellt ist, dass ein Schaden eingetreten ist – den Schuldumfang betrifft, wohingegen der Irrtum schon den Schuldvorwurf im einzelnen Betrugsfall in Frage stellt, weil der Irrtum für die Tatbestandsverwirklichung erforderlich ist.339 Die tatsächliche Unsicherheit bei der Feststellung der Schadenshöhe mag also hingenommen werden können, weil sie sich nur auf den Schuldumfang auswirkt und hier eine Zu-Gunsten-Betrachtung in Form der Feststellung eines Mindestschadens 334

BGH, Urt. v. 06. 12. 1994 – 5 StR 305/94 –, juris Rn. 23 = BGHSt 40, 374. BGH, Urt. v. 12. 08. 1999 – 5 StR 269/99 –, juris Rn. 12 = NStZ 1999, 581. 336 BGH, Beschl. v. 10. 11. 2009 – 1 StR 283/09 –, juris Rn. 12 = StraFo 2010, 71; vgl. auch BGH, Urt. v. 02. 12. 2008 – 1 StR 416/08 –, juris = BGHSt 53, 71. 337 So zutreffend Trüg, HRRS 2015, 106 (113). 338 Kritisch Lindemann, Wirtschaftsstrafrecht, S. 233 ff. 339 So schon Trüg, HRRS 2015, 106 (113 f.). 335

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Teil 3: Lösungsansätze

vertretbar ist. Eine tatsächliche Unsicherheit bei der Irrtumsfeststellung betrifft jedoch schon den Schuldvorwurf selbst, da der Irrtum ein Tatbestandsmerkmal und als solches erforderlich zur Tatbestandsverwirklichung ist. Auf Tatbestandsebene kann jedoch nicht geschätzt werden, weil es nicht um das Wieviel der Schuld, sondern um das Ob der Schuld geht. Dieser Unterschied wird auch dann nicht eingeebnet, wenn die Betrugsfälle in gleichartiger Tateinheit zueinander stehen. Bei gleichartiger Tateinheit wird nur eine materiell-rechtliche Tat angenommen und auf eine Strafe erkannt, § 52 I StGB.340 Zwar kann eine Tat mit einer konkurrenzlosen Gesetzesverletzung und eine Tat mit mehreren Gesetzesverletzungen in gleichartiger Tateinheit in der Strafzumessung theoretisch gleich bewertet werden, wenn der Schuldumfang der gleiche ist. Der entscheidende Unterschied ist aber, dass die gleichartige Tateinheit daher rührt, dass verschiedene Rechtsgutsträger betroffen sind. Ist nur ein Rechtsgutsträger, also nur ein Betrugsopfer betroffen, so ist ein Fall gleichartiger Tateinheit ohnehin schwer denkbar bzw. wird wohl Handlungseinheit mit der Folge einer konkurrenzlosen Gesetzesverletzung angenommen. Weniger die Frage, ob eine konkurrenzlose Gesetzesverletzung oder gleichartige Idealkonkurrenz vorliegt, als mehr die Frage, ob unterschiedliche Rechtsgutsträger betroffen sind und damit schon die Tatbestandsverwirklichung selbst in Frage steht, ist maßgeblich.341 Sogar bei der Strafzumessung macht es also letztlich einen Unterschied, ob der Vermögensschaden oder die Geschädigtenanzahl das Unrecht quantifiziert. Selbst bei gleichartiger Tateinheit bleibt also ein Unterschied zur Schätzung der Höhe des Vermögensschadens. Die Praxis der Rechtsprechung, den Vermögensschaden unter gewissen Voraussetzungen zu schätzen, kann also nicht als Argument dafür verwendet werden, auch die Anzahl der Irrenden zu schätzen, weil der Irrtum den Schuldvorwurf und die Schadenshöhe den Schuldumfang betrifft. Der dritte Senat scheint im Fall 12: Verbraucherschutz über genau diesen entscheidenden Unterschied allerdings hinwegzugehen. Er hob nämlich ein Urteil teilweise auf, weil nicht auszuschließen sei, dass der Vermögensschaden fehlerhaft bestimmt und daher von einem unzutreffenden Schuldumfang ausgegangen worden sei.342 Dies führte er darauf zurück, dass nicht ausreichend belegt sei, dass die Verfügungen sämtlich auf täuschungsbedingte Irrtümer der Kunden zurückgehen.343 Auch wenn nahe liege, dass dem Großteil der festgestellten Einzelzahlungen täuschungsbedingte Irrtümer zugrunde gelegen haben und diese zur Bestimmung des Vermögensschadens heranzuziehen seien, obliege die Prüfung und Entscheidung, ob und in welchem – gegebenenfalls unter Anwendung des Zweifelssatzes im Wege der Schätzung zu ermittelnden – Maß dies der Fall war, dem Tatrichter.344 Der dritte 340 341 342 343 344

Siehe zum zugrunde gelegten Konkurrenzverständnis Teil 2, 1. Kapitel, D. Vgl. dazu ausführlich Teil 2, 1. Kapitel, D. I. 1. b). BGH, Beschl. v. 01. 10. 2015 – 3 StR 102/15 –, juris Rn. 13 = NStZ-RR 2016, 12. BGH, Beschl. v. 01. 10. 2015 – 3 StR 102/15 –, juris Rn. 14 = NStZ-RR 2016, 12. BGH, Beschl. v. 01. 10. 2015 – 3 StR 102/15 –, juris Rn. 16 = NStZ-RR 2016, 12.

4. Kap.: Das normativ geprägte Vorstellungsbild

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Senat sieht die ermittelbare Irrtumsquote und damit die ermittelbare Anzahl der Irrtümer als einen Umstand an, der sich auf den Schuldumfang auswirkt. Er begreift die jeweiligen Betrugsdelikte gegenüber den verschiedenen Opfern nicht als eigenständige Delikte, bezüglich derer jeweils der Schuldvorwurf zu beweisen ist, sondern den Massenbetrug als ein Delikt, bei dem die Anzahl der Einzeldelikte nur den Umfang des Vermögensschadens und damit nur den Schuldumfang betrifft. Eine solche Schätzung auf Tatbestandsebene, also eine Schätzung, die schon den Schuldvorwurf hinsichtlich eines Delikts betrifft, ist aber aus den genannten Gründen abzulehnen. bb) Rechtsprechung zur Feststellung einer Mindestanzahl von Einzeltaten Ferner bietet sich ein Vergleich mit der Rechtsprechung zur Feststellung einer Mindestanzahl von Einzeltaten an. (1) Feststellung einer Mindestanzahl der Einzeltaten im Sexualstrafrecht Insbesondere bei Serienstraftaten im Bereich des Sexualstrafrechts stellt sich das Problem von nicht oder nur erschwert individualisierbaren Taten. Das Gericht kann dann nach anerkannter Rechtsprechung eine konkretisierbare Mindestanzahl feststellen. Bei Sexualstraftaten darf zwar auch nicht „ohne nähere Begründung aufgrund einer ungenauen Schätzung objektiv willkürlich eine Zahl von Straftaten festgelegt“345 werden, allerdings dürfen im Hinblick auf die Stofffülle und die Beweisschwierigkeiten bei vielen Taten an die Individualisierbarkeit der einzelnen Taten nach genauer Tatzeit und exaktem Geschehensablauf im Urteil keine übersteigerten Anforderungen gestellt werden.346 Ist eine Individualisierung einzelner Taten nicht möglich, sind zumindest die Anknüpfungspunkte zu bezeichnen, anhand derer der Tatrichter den Tatzeitraum eingrenzt und auf die er seine Überzeugung von der Mindestzahl und der Begehungsweise der Taten in diesem Zeitraum gründet.347 Der Tatrichter muss überzeugt sein, dass es in gewissen Zeiträumen zu genau dieser bestimmten Mindestzahl von Straftaten gekommen ist.348 Im Unterschied zur Rechtsprechung zur Schätzung der Schadenshöhe besteht auch beim Massenbetrug das Problem der Feststellung der Anzahl von Einzeltaten, die jeweils den Tatbestand verwirklichen und damit den Schuldvorwurf und nicht nur den Schuldumfang berühren. Anders als im Sexualstrafrecht wurzelt dieses Problem beim Massenbetrug nicht in der Individualisierung der einzelnen Taten, sondern in der Masse der festzustellenden Taten. Ein weiterer Unterschied besteht darin, dass es 345

BGH, Beschl. v. 12. 11. 1997 – 3 StR 559/97 –, juris Rn. 4 = NStZ 1998, 208. BGH, Beschl. v. 27. 03. 1996 – 3 StR 518/95 –, juris Rn. 12 = BGHSt 42, 107; BGH, Beschl. v. 10. 05. 1994 – 5 StR 239/94 –, juris Rn. 3 = NStZ 1994, 502; s.a. BGH, Beschl. v. 08. 12. 1994 – 4 StR 536/94 –, juris Rn. 2 = StV 1995, 173. 347 BGH, Beschl. v. 20. 06. 2001 – 3 StR 166/01 –, juris Rn. 3 = StV 2002, 523. 348 BGH, Beschl. v. 27. 03. 1996 – 3 StR 518/95 –, juris Rn. 12 = BGHSt 42, 107; BGH, Beschl. v. 09. 06. 2008 – 5 StR 169/08 –, juris Os. und Rn. 4 = NStZ-RR 2008, 338. 346

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Teil 3: Lösungsansätze

bei Sexualdelikten im Rahmen dieser Problematik nur ein Tatopfer gibt, das wiederholt geschädigt wird, während beim Massenbetrug gerade viele unterschiedliche Rechtsgutsträger geschädigt werden. Im Sexualstrafrecht ist Brähler zufolge der Verzicht auf eine umfassende und detaillierte Sachaufklärung der Rücksichtnahme auf das Opfer und der Vermeidung einer sekundären Viktimisierung geschuldet und der Aufklärung durch die Ermittlung einer Mindestanzahl Genüge getan.349 Dem wird entgegengehalten, dass die Qualität der Feststellungen in Anbetracht ihrer grundlegenden rechtsstaatlichen Bedeutung allgemeingültigen Anforderungen genügen müsse und nicht zur Disposition einzel- oder fallgruppenspezifischer Interessenabwägungen gestellt werden dürfe.350 Zschockelt schlägt vor, in schlichter Gesetzesanwendung nur wegen der Taten zu verurteilen, die festgestellt werden können; das möge die erste Tat sein, Taten mit situativen Besonderheiten, die dritt- und vorletzte und die letzte Tat sein. Die Befürchtung, dass damit nicht das ganze strafbare Verhalten erfasst werde, verkenne die „Augenwischerei“ mit den letztlich vermuteten Tatfrequenzen. Konkrete Lebenssachverhalte und nicht Tatfrequenzen sollten daher im Vordergrund der Sachverhaltsermittlungen stehen. Dem Opferschutz werde durch Aburteilung all dessen entsprochen, woran sich die geschädigte Person konkret erinnern könne, und an der Höhe der verhängten Strafe brauche sich dadurch nichts zu ändern.351 (2) Feststellung einer Mindestanzahl der Einzeltaten im Wirtschaftsstrafrecht Auch im Wirtschaftsstrafrecht praktiziert die Rechtsprechung eine Feststellung einer Mindestanzahl der Einzelakte, wenn der Gesamtschaden feststeht, sich aber nicht bestimmten Einzelakten zuordnen lässt. Die unechte Wahlfeststellung, ein Fall der eindeutigen Verurteilung bei bloßer Tatsachenalternativität, hilft in solchen Fällen nicht weiter,352 weil die Anzahl der Einzeltaten gerade nicht feststeht. Sie käme in Betracht, wenn sowohl der Gesamtschaden als auch die Anzahl der Einzelakte feststünden und nur die genaue Verteilung unklar bliebe.353 Der zweite Senat äußert sich wie folgt: „Steht ein strafbares Verhalten des Täters fest, kann es lediglich nicht bestimmten Einzelakten zugeordnet werden, kann die Bestimmung des Schuldumfanges, dass (sic) heißt die Bestimmung der Zahl der Einzelakte strafbaren Verhaltens, im Wege der Schätzung erfolgen (BGHR StGB vor § 1/Serienstraftaten Betrug 1; Steuerhinterziehung 2). Bei der Feststellung der Zahl der Einzelakte ist der Grundsatz in dubio pro reo zu beachten. Ein solches Verfahren ist stets zulässig, wenn sich Feststellungen auf andere Weise nicht treffen lassen. Jede andere Betrachtung, die von einer eingeengten, jeden Einzelfall isoliert beurteilenden 349 So Brähler, Serienstraftaten, S. 411, der von einer „ermittlungstechnischen Sonderkonstellation“ spricht. 350 Erb, ZStW 117, 37 (97). 351 Zum Vorgehenden Zschockelt, NStZ 1994, 361 (363). 352 Vgl. Erb, ZStW 117, 37 (98); Brähler, Serienstraftaten, S. 410. 353 Brähler, Serienstraftaten, S. 410.

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Sichtweise ausgeht, würde zum Ausschluss der Strafbarkeit bei zweifellos strafbarem Gesamtverhalten führen“.354

Der Gesamtschaden kann bei Serienstraftaten im Bereich der Vermögensdelikte also auf eine geschätzte Mindestanzahl an Einzeltaten unter Beachtung des Zweifelsgrundsatzes verteilt werden, wenn das strafbare Verhalten des Täters feststeht und keine genaueren Feststellungen möglich sind.355 Notfalls kann von nur einer einzigen Tat ausgegangen werden.356 Noch einen Schritt weiter geht die Rechtsprechung, wenn sie sowohl den Gesamtschaden, als auch die Anzahl der Einzeltaten bzw. die Verteilung des Gesamtschadens auf die Einzeltaten schätzt, wenn also nicht einmal die Höhe des Gesamtschadens festgestellt ist.357 (3) Kritik in der Literatur Diese Rechtsprechung zur Feststellung einer Mindestanzahl der Einzeltaten im Wirtschaftsstrafrecht erfährt viel Kritik und wird oft als Aufrechterhaltung oder Rückkehr des Fortsetzungszusammenhangs gedeutet.358 Die Abstriche an die erforderliche Konkretisierung der Einzeltaten werden als höchst fragwürdig bezeichnet.359 Bei einer Verurteilung komme es auf den konkreten Einzeltatnachweis an, sodass eine Schadenszuordnung im Wege der Schätzung nicht zulässig sei.360 Seit Abschaffung des Fortsetzungszusammenhangs seien die einzelnen Taten selbstständig zu betrachten und es könne gar keine Mindestzahl geben,

354 BGH, Urt. v. 08. 11. 2006 – 2 StR 384/06 –, juris Rn. 8 = wistra 2007, 143 (bzgl. Ausstellen unrichtiger Gesundheitszeugnisse). 355 Vgl. BGH, Urt. v. 06. 12. 1994 – 5 StR 305/94 –, juris Rn. 23 ff. = BGHSt 40, 374 (bzgl. Hehlerei) (dazu kritisch Geppert, NStZ 1996, 57 (63): „wieder einen Schritt zum ,Fortsetzungszusammenhang‘ alter Prägung zurück“); BGH, Urt. v. 12. 08. 1999 – 5 StR 269/99 –, juris Rn. 13 = StV 2000, 600 (bzgl. Schmuggel); BGH, Urt. v. 21. 04. 2004 – 5 StR 540/03 –, juris Rn. 9 = PStR 2004, 149 (bzgl. Betrug); BGH, Urt. v. 08. 11. 2006 – 2 StR 384/06 –, juris Rn. 8 = wistra 2007, 143 (bzgl. Ausstellen unrichtiger Gesundheitszeugnisse); OLG Zweibrücken, Urt. v. 13. 06. 2008 – 1 Ss 70/08 –, juris Rn. 30 (bzgl. Diebstahl); vgl. Meyer-Goßner/Schmitt, § 244 Rn. 6a. 356 BGH, Beschl. v. 20. 05. 1994 – 2 StR 202/94 –, juris Rn. 10 = NStZ 1994, 586; BGH, Urt. v. 12. 08. 1999 – 5 StR 269/99 –, juris Rn. 13 = StV 2000, 600; OLG Zweibrücken, Urt. v. 13. 06. 2008 – 1 Ss 70/08 –, juris Rn. 33; ebenso Zschockelt, JA 1997, 411 (415 f.); vgl. Meyer-Goßner/ Schmitt, § 244 Rn. 6a. 357 So in BGH, Urt. v. 06. 12. 1994 – 5 StR 305/94 –, juris Rn. 23 ff. = BGHSt 40, 374 (Dieses Urteil betrifft einen Übergangsfall, bei dem das Landgericht noch eine fortgesetzte Tat angenommen und der BGH erst nach der Entscheidung des Großen Senats (BGHSt 40, 138) in der Revisionsinstanz zu entscheiden hatte und das Urteil des Landgerichts ersichtlich nicht aufheben wollte, vgl. Zschockelt, JA 1997, 411 (416)); vgl. außerdem BGH, Urt. v. 12. 08. 1999 – 5 StR 269/99 –, juris = StV 2000, 600. 358 Vgl. Bohnert, NStZ 1995, 460 (461); Geppert, NStZ 1996, 57 (63); Lindemann, Wirtschaftsstrafrecht, S. 237 f.; Zieschang, GA 1997, 457 (465). 359 Geppert, NStZ 1996, 57 (63). 360 S/S-Sternberg-Lieben/Bosch, Vor §§ 52 ff., Rn. 32 – 80 m.w.N.

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Teil 3: Lösungsansätze

wenn es keine Gesamttat mehr gebe.361 Einerseits von einer Selbstständigkeit der Einzeltaten auszugehen, aber andererseits über eine Gesamtbetrachtung eine Mindestanzahl für ausreichend zu halten, sei widersprüchlich.362 Die vor der Abschaffung des Fortsetzungszusammenhangs bestehende Rechtsprechung zur Schätzung des Gesamtschadens bei ansonsten festgestellter Strafbarkeit könne nicht auf die Schätzung einer Gesamtschadenssumme übertragen werden, die sich aus den Einzelschäden zusammensetze, die jeweils durch eine gesonderte, rechtlich selbstständige Einzeltat und eben nicht mehr durch eine einzige Fortsetzungstat hervorgerufen worden seien.363 Denn dafür müsste der Tatrichter vom Ob der Bestrafung überzeugt sein, was gerade nicht der Fall sei, wenn die Anzahl der Einzeltaten erst im Anschluss an die Schätzung der Schadenssumme bestimmt werden solle.364 Werden für einzelne Taten nach den Regeln der Realkonkurrenz einzelne Strafen gebildet, müsse konsequenterweise bei jeder Tat der Zweifelsgrundsatz Anwendung finden.365 Fehle der Nachweis der Einzeltat, könne die Einzeltat wegen in dubio pro reo nicht verurteilt werden.366 Unklar bleibe außerdem, nach welchem Prinzip die Verteilung der Gesamtschadenssumme auf die Einzelakte erfolgen soll.367 Gegen eine Verteilung des Gesamtschadens auf eine Mindestanzahl an Einzeltaten spreche, dass für jede Einzeltat nur der Schadensbetrag angenommen werden könne, der festgestellt sei, auch wenn die Addition der Einzelbeträge den festgestellten Gesamtschaden nicht erreiche.368 Man könne nicht durch die Verteilung des Schadens bei einer Tat den Schaden möglicherweise zu hoch ansetzen, während er bei einer anderen unterbewertet werde.369 Dass die Schadensverteilung den Täter insgesamt nicht mehr belaste, vermöge keine Verhängung einer überhöhten Einzelstrafe zu rechtfertigen.370 Der Strafzumessungssachverhalt entferne sich durch eine gleichmäßige Schadensverteilung für die Taten mit unterdurchschnittlicher Schadenshöhe zum Nachteil des 361 Bohnert, NStZ 1995, 460 (461): „Ob ,Tatserie‘, ob ,Gesamttat‘, ob ,Mindestzahl‘ – es ist derselbe Widerspruch. Mindestzahl von was? Das einzelne kann nicht zu sich das Mindeste sein; es ist oder ist nicht.“ 362 Zieschang, GA 1997, 457 (466) meint, Teilaspekte, die mit dem Fortsetzungszusammenhang konsequent verbunden gewesen seien, werden nun mit Tatmehrheit auf widerspruchsvolle Weise verknüpft. 363 Zopfs, StV 2000, 601 (602). 364 Zopfs, StV 2000, 601 (602): Einen möglichen Ausweg aus dem Dilemma sieht Zopfs im Verzicht auf eine zeitliche Fixierung der Einzeltaten und in der Möglichkeit, die Anzahl der Taten in einem möglichst eng gefassten Zeitabschnitt jeweils hochzurechnen, Zopfs, StV 2000, 601 (602 f.). 365 Erb, ZStW 117, 37 (98). 366 Bohnert, NStZ 1995, 460 (461); vgl. Lindemann, Wirtschaftsstrafrecht, S. 238. 367 Vgl. Hefendehl, StV 1998, 474 (475). 368 Hefendehl, StV 1998, 474 (476). 369 Erb, ZStW 117, 37 (98). 370 Vgl. Erb, ZStW 117, 37 (98).

4. Kap.: Das normativ geprägte Vorstellungsbild

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Täters von der Wirklichkeit.371 Der Effekt komme besonders zum Tragen, wenn wegen der Unmöglichkeit der Zuordnung eine einzige Tat fingiert werde, auf die dann der gesamte Schaden entfalle.372 Fingiere man einen Millionenbetrug durch eine einzige Tat, würde die dafür verhängte Strafe womöglich der Strafe entsprechen oder noch darunter liegen, die für 20 selbstständige Taten à 50.000 E verhängt worden wäre, aber man würde den Angeklagten mit dem Vorwurf belasten, er habe schon durch eine einzige Tat eine solche Strafe verwirkt.373 Keine Entsprechung in der Wirklichkeit hätte auch die Annahme einer einzigen Tat bei einer geschätzten Schadenshöhe von 1 Mio. E durch Zigarettenschmuggel, da eine solche Menge an Zigaretten in der festgestellten Begehungsweise kaum transportiert hätte werden können.374 Gerade diese Konsequenz, „im Extremfall“375 nur eine einzige Tat anzunehmen, bewegt die Gemüter: Nach Zopfs spreche gegen die Annahme einer einzigen Tat, wenn die Zahl der Einzeltaten nicht festgestellt werden könne, dass der Zweifelssatz nicht die Fiktion von Tatsachenfeststellungen ermögliche, sondern eine Entscheidungsregel sei.376 Der Zweifelssatz sei hier nicht einschlägig und der Hinweis darauf wirke sich nur noch aus „wie ein aus rechtsstaatlichen Gründen verordnetes ,Verdauungsmittel‘“.377 Wenn nicht einmal eine Einzeltat festgestellt werden könne, müsste laut Hefendehl in konsequenter Umsetzung der Entscheidung des Großen Senats eigentlich ein Freispruch erfolgen.378 Dass dann die Regeln über Tateinheit zur Anwendung kommen, werde dem Angeklagten nur ein schwacher Trost sein.379 Zschockelt lehnt zwar die Verteilung des Gesamtschaden auf Einzelakte ab, weil nicht Feststellbares nicht bestraft werden könne,380 befürwortet dann aber wieder, zugunsten des Angeklagten bzgl. des nicht feststellbaren „Restes“ bzw. insgesamt von nur einer Tat auszugehen, wenn es keinerlei Anhaltspunkte für die Zuordnung von Schadensbeträgen zu bestimmten Einzeltaten gebe.381 Laut Brähler hingegen muss auch dann eine Mindestanzahl festgestellt werden – und wenn es auch nur zwei 371 372 373

vor.

Erb, ZStW 117, 37 (98). Erb, ZStW 117, 37 (98). Erb, ZStW 117, 37 (98 f.) schlägt als Ausweg daher die Einführung einer Einheitsstrafe

374 Beispiel bei Zopfs, StV 2000, 601 (602 und Rn. 15) durch Abwandlung des BGH, Urt. v. 12. 08. 1999 – 5 StR 269/99 –, juris = StV 2000, 600 zugrunde liegenden Falls. 375 So die Formulierung bei BGH, Urt. v. 12. 08. 1999 – 5 StR 269/99 –, juris Rn. 13 = StV 2000, 600. 376 Zopfs, StV 2000, 601 (602). 377 Zopfs, StV 2000, 601 (602). 378 Vgl. Hefendehl, StV 1998, 474 (475). 379 Hefendehl, StV 1998, 474 (475). 380 Zschockelt, JA 1997, 411 (416): „Wenn wir die rechtsstaatliche Feststellung für jedes abzuurteilende strafbare Verhalten wollen, und davon sollten wir nicht abgehen, dann müssen wir auch hinnehmen, daß das nicht Feststellbare auch nicht bestraft werden kann.“ 381 Zschockelt, JA 1997, 411 (415 f.).

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Teil 3: Lösungsansätze

Taten seien – wenn es ausscheide, dass der Gesamtschaden durch eine einzige Handlung herbeigeführt worden sei, weil der lapidare Verweis auf den Zweifelsgrundsatz Tür und Tor für Aufklärungsverstöße öffne.382 (4) Ähnlichkeiten zum Irrtumsnachweis beim Massenbetrug Die Schätzung einer Mindestanzahl von Einzeldelikten kommt dem Indizienschluss beim Irrtumsnachweis insofern näher als die Schätzung der Höhe des Vermögensschadens, als es bei beiden um das Ob der Strafbarkeit geht. Sowohl die Einzeldelikte, auf die der Gesamtschaden verteilt werden soll, als auch die Einzeldelikte beim Massenbetrug betreffen den Schuldvorwurf an sich und nicht nur den Schuldumfang. (5) Unterschiede zum Irrtumsnachweis beim Massenbetrug Die Frage beim Massenbetrug ist aber weniger, durch wie viele Einzelakte der Gesamtschaden bewirkt wurde, sondern mehr, ob gegenüber jedem Täuschungsopfer der Straftatbestand verwirklicht wurde, nämlich insbesondere, ob ein Irrtum vorliegt. Der Gesamtschaden an sich im Sinne einer schlichten Addition der Einzelschäden ergibt sich gerade aus der Anzahl der Einzelschäden. Jedem einzelnen Geschädigten ist dann in der Regel auch ein konkreter Schaden entstanden oder eben nicht. Die Frage ist nur, ob ein Irrtum vorliegt oder nicht. Beim Betrugstatbestand stehen Einzeldeliktsverwirklichung und Schaden in einer direkten und eindeutigen Beziehung zueinander, während bei der Verteilungsrechtsprechung einem Gesamtschaden eine nach oben und unten abzugrenzende Menge an Einzeltaten zugeordnet wird. Das Problem beim Irrtumsnachweis sind nicht die nicht-individualisierten Einzeldelikte, sondern konkret in Frage stehende, individualisierte Einzeldelikte, zu denen ein bestimmter, bezifferter Schaden gehört, wenn ihre Verwirklichung feststeht. Eine Verteilung an sich muss also nicht fingiert werden und es stellt sich nicht das Problem, dass die Verteilung dann nicht der Wirklichkeit entspricht. Den zitierten Entscheidungen zur Feststellung einer Mindestanzahl an Delikten war außerdem gemein, dass die angesprochenen Einzeltaten sich – mit einer Ausnahme383 – gegen denselben Rechtsgutsträger richteten oder ein Allgemeinrechtsgut verletzten. Für den Massenbetrug hingegen ist es gerade bezeichnend, dass es eine Vielzahl an unterschiedlichen Täuschungsopfern gibt. Ein Vergleich mit der Rechtsprechung zur Verteilung des Gesamtschadens auf eine Mindestanzahl an Einzeldelikten erbringt also nur die Erkenntnis, dass die Rechtsprechung einen laxen Umgang mit Tatsachenfeststellungen bei dieser Art von Beweisschwierigkeiten pflegt, deren Nachweisprobleme allerdings woanders liegen. 382

Brähler, Serienstraftaten, S. 412 f. Bei der Hehlerei (BGH, Urt. v. 06. 12. 1994 – 5 StR 305/94 –, juris Rn. 23 ff. = BGHSt 40, 374) ist nach der herrschenden Perpetuierungstheorie das geschützte Rechtsgut das durch die Vortat beeinträchtigte Vermögen und damit der Rechtsgutsträger der Inhaber des durch die Vortat verletzten Vermögens, vgl. NK-Altenhain, § 259 Rn. 3. 383

4. Kap.: Das normativ geprägte Vorstellungsbild

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cc) Zusammenhang mit der abgeschafften Rechtsfigur des Fortsetzungszusammenhangs Eine Ähnlichkeit zwischen dem Indizienschluss aufgrund normativ geprägten Vorstellungsbilds und der abgeschafften Rechtsfigur des Fortsetzungszusammenhangs ist erkennbar. Einzelakte, die jeweils für sich den Straftatbestand voll erfüllten, einen räumlich-zeitlichen Zusammenhang und eine gleichartige Begehungsweise aufwiesen und von einem Gesamtvorsatz bzw. erweiterten Gesamtvorsatz getragen waren,384 wurden bis zur Entscheidung des Großen Senats 1994 zu einer fortgesetzten Tat zusammengefasst. Die fortgesetzte Tat verband die Einzelakte zur rechtlichen Handlungseinheit.385 Die Fälle des Massenbetrugs, in denen ein Indizienschluss bei Vorliegen eines normativ geprägten Vorstellungsbilds vorgenommen wurde, wären zur Zeit der Geltung der fortgesetzten Tat wohl – beim entsprechenden subjektiven Element – als Einzelakte einer fortgesetzten Tat angesehen worden. Da man die Einzelakte einer fortgesetzten Handlung als einmalige konkurrenzlose Gesetzesverletzung verstand386, hätte die Anzahl der verwirklichten Einzelakte nur den Schuldumfang, nicht aber den Schuldvorwurf betroffen. Die Vorgehensweise über den Indizienschluss erinnert an dieses abgeschaffte Rechtsinstitut. Zwar wird heute nicht in Abrede gestellt, dass jedes einzelne Delikt eine eigene Gesetzesverletzung darstellt. Durch den Indizienschluss geschieht aber genau das, was man damals mit dem Fortsetzungszusammenhang erreicht hat: Das Gesamtgeschehen wird als Ganzes in den Blick genommen und nicht mehr jedes Delikt konkret festgestellt. Der Lösungsansatz über den Indizienschluss begreift die Masse der Verfügenden faktisch als Einheit, deren Vorstellungsbilder wegen ihrer normativen Prägung einander so gleichen, dass das durch stichprobenartige Zeugenvernehmungen erhaltene Beweisergebnis hinsichtlich des Irrtumsmerkmals auf die Masse der Verfügenden umgelegt werden kann. Der Fortsetzungszusammenhang wurde aber gerade auch wegen der Pauschalität der Feststellungen kritisiert und letztlich abgeschafft.387 Der Indizienschluss aufgrund normativ geprägten Vorstellungsbilds verfällt durch ähnlich pauschale Feststellungen in alte Muster. dd) Zusammenfassung Die Konstellationen, in denen eine Schätzung in der Rechtsprechung anerkannt ist – ob sie im Einzelnen zu befürworten ist oder nicht, kann dahingestellt bleiben – weichen von der Konstellation des Indizienschlusses beim Massenbetrug ab.388 Mit der abgeschafften Rechtsfigur des Fortsetzungszusammenhangs weist der Indizi384

Vgl. zu den Voraussetzungen des Fortsetzungszusammenhangs: Brähler, Serienstraftaten, S. 97 ff. m.w.N.; BGH, Beschl. v. 03. 05. 1994 – GSSt 2/93 u. a. –, juris Rn. 24 = BGHSt 40, 138 m.w.N. im Ls. zur ehemals st. Rspr. 385 Vgl. BGH, Beschl. v. 03. 05. 1994 – GSSt 2/93 u. a. –, juris Rn. 24 = BGHSt 40, 138. 386 Brähler, Serienstraftaten, S. 157 f. m.w.N. 387 BGH, Beschl. v. 03. 05. 1994 – GSSt 2/93 u. a. –, juris Rn. 26 = BGHSt 40, 138. 388 Vgl. auch Trüg, HRRS 2015, 106 (113).

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Teil 3: Lösungsansätze

enschluss beim normativ geprägten Vorstellungsbild hingegen Ähnlichkeiten auf. Für die Zulässigkeit des Indizienschlusses spricht also nicht schon die anerkannte Zulässigkeit von Schätzungen im dargestellten Umfang bei anderen Arten von Beweisschwierigkeiten. Der Indizienschluss beim Massenbetrug überschreitet vielmehr noch weitere Grenzen des Aufklärungsgrundsatzes. c) Entbehrlichkeit der weiteren Beweisaufnahme zum selben Beweisthema Da die Problematik beim Massenbetrug woanders liegt, als in den Konstellationen bei der aufgezeigten Rechtsprechung, muss die Frage nach dem Umfang der Amtsaufklärungspflicht in allgemeinen Grundsätzen gesucht werden. Hierbei steht die Überlegung im Vordergrund, ob das Gericht auf eine weitergehende Beweiserhebung zum selben Beweisthema verzichten darf, wenn es seine Überzeugung vom Vorliegen einer Beweistatsache gebildet hat. aa) Meinungsstand zur Beweisantizipation im Rahmen der Amtsaufklärungspflicht Das Verhältnis der Aufklärungspflicht zum Beweiswürdigungsgrundsatz ist noch nicht gänzlich geklärt.389 Anfangs nahm das Reichsgericht an, dass das Gericht von der weiteren Beweiserhebung absehen dürfe, sobald es seine Überzeugung vom Vorliegen oder Nichtvorliegen einer Tatsache gewonnen habe.390 Später hat es für die Entscheidung über einen Beweisermittlungsantrag das sog. Beweisantizipationsverbot aufgestellt, wonach eine derartige vorweggenommene Beweiswürdigung nicht mit dem Aufklärungsgrundsatz vereinbar sei.391 Dieses Beweisantizipationsverbot ist nun in §§ 244 III-V StPO kodifiziert, indem Beweisanträge nur aus einem der Ablehnungsgründe abgelehnt werden dürfen.392 Für die Amtsaufklärungspflicht an sich, also unabhängig vom Vorliegen eines Beweisantrags, ist noch umstritten, ob das Beweisantizipationsverbot auch dort gilt. Rechtsprechung393 und herrschende Lehre394 halten eine Beweisantizipation zu Recht für zulässig. Sachaufklärung und Beweiswürdigung können nicht vollständig 389

Vgl. nur SSW-StPO/Sättele, § 244 Rn. 32; SK-StPO/Frister, § 244 Rn. 16 ff. RG, Urt. v. 12. 01. 1880 – 803/79 = RGSt 1, 61; vgl. dazu SSW-StPO/Sättele, § 244 Rn. 33; SK-StPO/Frister, § 244 Rn. 2. 391 RG, Urt. v. 06. 02. 1880 – 99/80 = RGSt 1, 189 f.; vgl. dazu SK-StPO/Frister, § 244 Rn. 3 f. 392 SK-StPO/Frister, § 244 Rn. 4, 16, 19. 393 Vgl. nur BGH, Urt. v. 14. 03. 1985 – 1 StR 775/84 –, juris Rn. 18 = NStZ 1985, 324; BGH, Urt. v. 31. 03. 1989 – 2 StR 706/88 –, juris Rn. 38 = BGHSt 36, 159; BGH, Urt. v. 02. 02. 1999 – 1 StR 590/98 –, juris Rn. 5 = NStZ 1999, 312; im Rahmen der Ablehnung der Vernehmung eines Auslandszeugen nach § 244 V 2 StPO, der auf § 244 II StPO Bezug nimmt: BGH, Beschl. v. 26. 10. 2006 – 3 StR 374/06 –, juris Rn. 11 ff. = StraFo 2007, 61; BGH, Urt. v. 13. 03. 2014 – 4 StR 445/13 –, juris Rn. 12 ff. = NStZ 2014, 531; BGH, Beschl. v. 29. 04. 2015 – 1 StR 235/14 –, juris Rn. 30 = NStZ-RR 2015, 278. 390

4. Kap.: Das normativ geprägte Vorstellungsbild

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getrennt betrachtet werden;395 vielmehr stehen sie in einer Wechselbeziehung396 bzw. ist die Aufklärungspflicht das Gegenstück der freien richterlichen Beweiswürdigung397. Diese Wechselbeziehung äußere sich darin, dass das Gericht bei der Entscheidung über eine weitere Beweiserhebung in zweifacher Hinsicht eine Beweiswürdigung vorwegnehmen müsse: Zum einen müsse die bisherige Beweisaufnahme vorläufig gewürdigt und zum anderen der Beweiswert des in Frage stehenden Beweismittels vorab eingeschätzt werden.398 Der Tatrichter dürfe seine Entscheidung dann davon abhängig machen, welche Ergebnisse von der Beweisaufnahme zu erwarten seien und wie diese zu erwartenden Ergebnisse zu würdigen wären.399 Es komme darauf an, ob bei verständiger Würdigung der Sachlage die Beweiserhebung den Schuldvorwurf möglicherweise widerlegen, in Frage stellen oder als begründet erweisen würde.400 Dies sei keine Frage des Ermessens, sondern des Bestehens oder Nichtbestehens eines sachlogischen Zusammenhangs zwischen dem möglicherweise zu erlangenden und dem schon festgestellten Beweisergebnis.401 Wenn der Tatrichter für die Prognose, dass eine Beweiserhebung nicht zu relevantem Beweisstoff führen werde, rationale Gründe habe, die in hohem Maße plausibel seien, könne er von der Beweiserhebung absehen.402 Das Gericht könne also – anders als bei der Entscheidung über einen Beweisantrag – eine Beweiserhebung auch unterlassen, wenn kein Ablehnungsgrund vorliege.403 Die sog. Identitätslehre404 hingegen sieht in den Ablehnungsgründen eine Konkretisierung der Aufklärungspflicht, die ein rechtlicher Maßstab auch für die Beweisaufnahme von Amts wegen seien, sodass es zu einem Gleichlauf von Aufklärungspflicht von Amts wegen und aufgrund Beweisantrags komme.405

394 Vgl. LR-Becker, § 244 Rn. 46; KK-Krehl, § 244 Rn. 33; SSW-StPO/Sättele, § 244 Rn. 27, 39; Eisenberg, Beweisrecht Rn. 5; Meyer-Goßner/Schmitt, § 244 Rn. 12 m.w.N. 395 SSW-StPO/Sättele, § 244 Rn. 34. 396 LR-Becker, § 244 Rn. 46; SSW-StPO/Sättele, § 244 Rn. 34 f.; soweit Krehl von einem „Spannungsverhältnis“ spricht, KK-Krehl, § 244 Rn. 29, überzeugt dies nicht, da die Wechselwirkung keine Spannung auslöst. 397 MüKo-StPO/Trüg/Habetha, § 244 Rn. 51. 398 SSW-StPO/Sättele, § 244 Rn. 35. 399 I.R.d. § 244 V 2 StPO: BGH, Beschl. v. 05. 09. 2000 – 1 StR 325/00 –, juris Rn. 17 = StV 2001, 93; BGH, Beschl. v. 29. 04. 2015 – 1 StR 235/14 –, juris Rn. 30 = NStZ-RR 2015, 278. 400 BGH, Urt. v. 08. 12. 1993 – 3 StR 446/93 –, juris Rn. 12 = BGHSt 40, 3 (im nächsten Satz allerdings offenlassend, ob der Richter auch zu einer Beweisantizipation als Element einer verständigen Würdigung der Sachlage ermächtigt ist; KK-Krehl, § 244 Rn. 33). 401 KK-Krehl, § 244 Rn. 33. 402 KK-Krehl, § 244 Rn. 33. 403 Vgl. LR-Becker, § 244 Rn. 58; Eisenberg, Beweisrecht Rn. 5. 404 So bezeichnet von SK-StPO/Frister, § 244 Rn. 18, mit Hinweisen auf Vertreter der Meinung. 405 Wessels, JuS 1969, 1 (3); Gössel, ZIS 2007, 557 (559).

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Teil 3: Lösungsansätze

Nach einer differenzierenden Ansicht sei die Antizipation der Beweisergebnisse notwendig, eine hypothetische, vorweggenommene Beweiswürdigung dagegen wie bei der Entscheidung über einen Beweisantrag unzulässig.406 Eine Antizipation der durch die Beweiserhebung erst festzustellenden Beweisergebnisse sei notwendig, weil sonst die unerlässliche Vorauswahl der zu erhebenden Beweise nicht möglich sei.407 Werde ein Beweisantrag gestellt, entfalle diese Antizipation, weil die Vorauswahl schon durch den Antragsteller erfolgt sei.408 Eine vorweggenommene Würdigung der Beweisergebnisse, also eine Antizipation des Beweiswerts, sei dagegen unzulässig, weil die Überlegung, die Würdigung von nur gedanklich unterstellten Beweisergebnissen sei mit einer erheblichen Gefahr für die Zuverlässigkeit der Sachverhaltsfeststellungen verbunden, nicht nur in der Beweisantragssituation, sondern grundsätzlich gelte.409 Soweit das Gericht ein Beweisergebnis prognostiziere, habe es nach denselben Maßstäben wie beim Beweisantrag zu entscheiden.410 Eine freie richterliche Beweiswürdigung sei nur mit Beendigung der Beweisaufnahme akzeptabel.411 bb) Auswirkung auf den Irrtumsnachweis beim Massenbetrug Nachdem die überzeugende herrschende Meinung das Verbot der Beweisantizipation im Rahmen der Amtsaufklärungspflicht ablehnt, darf der Richter die Entscheidung davon abhängig machen, welche Ergebnisse von der Beweisaufnahme zu erwarten sind und wie diese zu erwartenden Ergebnisse zu würdigen wären412. Es ist weiter aufzuklären, wenn bei verständiger Würdigung der Sachlage die Beweiserhebung den Schuldvorwurf möglicherweise widerlegen, in Frage stellen oder als begründet erweisen könnte.413 Das ist keine Frage des Ermessens, sondern des Bestehens oder Nichtbestehens eines sachlogischen Zusammenhangs zwischen dem möglicherweise zu erlangendem und dem schon festgestellten Beweisergebnis.414 Beim Massenbetrug liegt eine Vielzahl von Einzeldelikten vor und nicht etwa ein einziger großer Massenbetrug, dessen Schuldumfang in der Anzahl der Geschädigten besteht.415 Die Befragung weiterer Zeugen festigt hier nicht die Überzeugung von einem bestimmten Tatablauf o.Ä., sondern betrifft jeweils ein neues, eigenständiges 406

SK-StPO/Frister, § 244 Rn. 20 – 26 m.w.N. SK-StPO/Frister, § 244 Rn. 20. 408 SK-StPO/Frister, § 244 Rn. 20. 409 SK-StPO/Frister, § 244 Rn. 24. 410 SK-StPO/Frister, § 244 Rn. 25. 411 HK-StPO/Julius, § 244 Rn. 9. 412 Vgl. BGH, Beschl. v. 05. 09. 2000 – 1 StR 325/00 –, juris Rn. 17 = StV 2001, 93. 413 Vgl. BGH, Urt. v. 08. 12. 1993 – 3 StR 446/93 –, juris Rn. 12 = BGHSt 40, 3; KK-Krehl, § 244 Rn. 33. 414 KK-Krehl, § 244 Rn. 33. 415 Anders wohl BGH, Beschl. v. 01. 10. 2015 – 3 StR 102/15 –, juris Rn. 13 ff. = NStZ-RR 2016, 12. 407

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Delikt. Die Aufklärung eines jeden Irrtums kann den Schuldvorwurf in diesem Einzelfall widerlegen, in Frage stellen oder als begründet erweisen. Da es bei jedem einzelnen Getäuschten somit um den Schuldvorwurf im Sinne eines Strafbarkeitsvorwurfs in diesem jeweiligen Betrugsfall geht, muss die Feststellung des Irrtums zwingend die Überzeugungsbildung beeinflussen. Die Vernehmung weiterer Zeugen kann also nicht aus dem Grund für entbehrlich gehalten werden, dass zum Irrtum schon ausreichende Feststellungen getroffen worden sind und eine weitere Beweiserhebung keine weiteren Erkenntnisse bringen wird, weil es richtigerweise nicht auf ein personenübergreifendes, einheitliches Vorstellungsbild, sondern auf das konkrete, individuelle Vorstellungsbild in jedem Einzelfall ankommt. d) Unzureichende Aufklärung Eine positive Definition des Umfangs der Aufklärungspflicht ist kaum möglich. Eine einheitliche Beschreibung der Anforderungen, die das Tatgericht einhalten muss, um das Gebot umfassender Sachaufklärung zu erfüllen, gibt es nicht.416 Es kann vielmehr nur negativ abgegrenzt werden, welche Beweiserhebung nicht ausreicht, um der Aufklärungspflicht zu genügen. Der Aufklärungsgrundsatz wird dann als verletzt angesehen, wenn das Tatgericht unter der Berücksichtigung der Beweislage zu einer bestimmten Überzeugung noch nicht hätte kommen dürfen, weil es bei verständiger Würdigung hätte erkennen können, dass weitere Beweismittel einen Sachverhalt erbringen könnten, der im Gegensatz zu seiner bisherigen Überzeugung den Sachverhalt widerlegt, in Frage stellt, oder bestätigt.417 Es wird vertreten, dass es zur Feststellung eines Irrtums stets erforderlich sei, den Verfügenden zu vernehmen, wenn das Irrtumsmerkmal nicht tatbestandsentgrenzend zu einem subjektgelösten objektiven Zurechnungszusammenhang degenerieren solle.418 Nach der hier vertretenen Auffassung wird zwar nicht gefordert, jeden einzelnen Zeugen zu vernehmen. Eine Beweiserhebung hinsichtlich des Irrtumsmerkmals bloß über Zeugenvernehmungen pars pro toto oder eine Feststellung äußerer Umstände reicht aber grundsätzlich nicht aus, um dem Amtsaufklärungsgrundsatz Rechnung zu tragen. Denn das Tatgericht kommt damit seiner Pflicht, den zugrunde liegende Sachverhalt so umfassend und vollständig aufzuklären, dass seine erschöpfende Beurteilung möglich ist,419 nicht nach. Dem Lösungsansatz über das normativ geprägte Vorstellungsbild fehlt die Ermittlung „in die Breite“420. Eine solche Ermittlung in die Breite ist möglich und auch erforderlich. Zeugenvernehmungen pars pro toto können nur ausnahmsweise dann eine hinreichende Beweiserhebung darstellen und dem Aufklärungsgrundsatz Genüge tun, wenn das Vor416 417 418 419 420

LR-Becker, § 244 Rn. 47; vgl. SSW-StPO/Sättele, § 244 Rn. 32. LR-Becker, § 244 Rn. 47. AnwK-StGB/Gaede, § 263 Rn. 52. Vgl. Graf-StPO/Bachler, § 244 Rn. 11; KK-Krehl, § 244 Rn. 28; Pfeiffer, § 244 Rn. 12. Vgl. zum Begriff Krell, NStZ 2014, 686 (687).

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Teil 3: Lösungsansätze

stellungsbild vom massenhaften Charakter des Verfügungsgeschäfts geprägt ist, also ein Massengeschäft auf Seiten des Verfügenden vorliegt. aa) Hinsichtlich des Indizienschlusses aufgrund Zeugenvernehmungen pars pro toto Die Vernehmung nur einiger weniger mutmaßlich Irrender als Zeugen genügt nicht, um auf die Vorstellungsbilder einer weit größeren Anzahl an Personen zu schließen. Es wird nicht verkannt, dass die Forderung nach der Vernehmung einer Personenanzahl, die den statistischen Anforderungen einer ausreichenden Stichprobengröße genügt, ebenso utopisch und wohl auch genauso wenig sinnvoll sein mag, wie die Forderung nach der Vernehmung aller Zeugen. Als Beispiel diene Fall 14: Ping-Anrufe: Bei beispielsweise 660.000 Geschädigten ist selbst eine Vernehmung von nur 1 %, was als ein sehr geringer Anteil erscheint, aber immerhin noch 6.600 Personen entspricht, nicht realistisch durchführbar. Die möglichen Vorstellungsbilder der Getäuschten sind zu vielgestaltig, als dass ein Indizienschluss aufgrund der Vorstellungsbilder anderer Getäuschter zu ihrer Feststellung ausreichen könnte. Der Lösungsansatz über den Indizienschluss kann hier also gar nicht leisten, was die Aufklärungspflicht fordert. Die Konsequenz daraus darf aber nicht sein, geringere Anforderungen an die Aufklärungspflicht zu akzeptieren, sondern muss sein, nach besseren Lösungen zu suchen. bb) Hinsichtlich der Schätzung einer Irrtumsquote Die Schätzung einer Irrtumsquote ist die Konsequenz aus dem Umstand, dass nicht bei allen Zeugen ein Irrtum festgestellt werden konnte, also keine hundertprozentige Irrtumsquote vorlag. Sie ist nicht nur aus den gerade genannten Erwägungen als unzureichende Aufklärung anzusehen, sondern auch aus weiteren Gründen Bedenken ausgesetzt. Auch Spitz hält die Schätzung einer Irrtumsquote für strafprozessual nicht unbedenklich.421 Schuhr merkt demgegenüber an, dass keine andere Entscheidung in der Sache besser gerechtfertigt wäre, auch wenn der Betrugstatbestand nicht von „statistischen Delikten“, sondern von Einzeltaten spreche.422 Das normative Problem bei der Schätzung einer Irrtumsquote durch eine statistische Hochrechnung besteht laut Kuhli darin, dass nur die Gesamtanzahl der irrenden Personen ermittelt werden kann, aber nicht deren Individualität. Dies bereite materiell-rechtlich noch keine Probleme, da § 263 StGB die Schädigung eines anderen fordere, aber nicht eines bestimmten anderen – die Identität des Täuschungsopfers gehöre also nicht zum Tatbestand. In prozessualer Hinsicht deuten aber Institute wie die materielle Rechtskraft darauf hin, dass im Strafverfahren in 421 422

195.

Spitz, jurisPR-ITR 14/2013 Anm. 6. Schuhr, ZWH 2014, 347 bzgl. BGH, Urt. v. 27. 03. 2014 – 3 StR 342/13 = BGHSt 59,

4. Kap.: Das normativ geprägte Vorstellungsbild

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tatsächlicher Hinsicht mehr ermittelt werden müsse, als zur unmittelbaren Subsumtion zwingend nötig sei.423 Die Urteilsgründe müssen die Identität der Opfer angeben, damit die Identifizierung der Tat im Sinne des prozessualen Tatbegriffs möglich ist und deutlich wird, welche Delikte vom Strafklageverbrauch erfasst werden.424 Eine Hochrechnung mithilfe einer geschätzten Irrtumsquote wird diesen Anforderungen nicht gerecht. Für die Anwendung einer unechten Wahlfeststellung fehlt es Kuhli zufolge an der Gewissheit, dass der Täter die Strafnorm – wenn auch unklar bleibe, durch welche Handlung – verwirklicht habe.425 Ein mittels Irrtumsquote vorgenommener Indizienschluss setze daher jedenfalls die Vernehmung einer „signifikanten Anzahl von Zeugen“ zur Ermittlung einer statistisch plausiblen Irrtumsquote voraus.426 Gerade wenn die Zeugenvernehmung keine hundertprozentige Irrtumsquote ergibt, kann das außerdem gegen die Zuverlässigkeit des Indizienschlusses sprechen. Dann ist der Sachverhalt scheinbar doch nicht so klar, der Irrtum liegt doch nicht so auf der Hand, und das Vorstellungsbild ist womöglich gar nicht ausreichend normativ geprägt, so wie man das ursprünglich angenommen hat. Eine nicht hundertprozentige Irrtumsquote kann gerade eine weitere Aufklärung notwendig machen, um ein besseres Bild von der Irrtumslage zu bekommen. cc) Hinsichtlich des Indizienschlusses ohne Zeugenvernehmungen Wird gänzlich auf Zeugenvernehmungen verzichtet, werden die gebotenen Aufklärungsmöglichkeiten schon gar nicht genutzt. Es sei – so Kudlich – wenig verständlich, wenn bei einer Vielzahl vermeintlicher Opfer nicht wenigstens einige als Zeugen vernommen werden, gerade da bei vermeintlich klaren Fällen die Zeugeneinvernahme in überschaubarer Zeit und vertretbarem Aufwand möglich sein sollte. Es erscheine befremdlich, auf die Befragung desjenigen, bei dem die subjektiven Umstände vorliegen sollen, a priori und ohne Not zu verzichten und stattdessen nur einen mit Unsicherheiten behafteten Rückschluss aus objektiven Umständen vorzunehmen. Es werde nicht selten Grenzfälle gerade aufgrund der Massenhaftigkeit und Anonymität geben, bei denen das Kommunikationsverhalten nicht so eindeutig sei, dass man ohne weiteres von objektiven Indizien auf subjektive Merkmale schließen könnte.427 Gerade im Fall 11: Widerrufsschreiben gegen Gewinnspieleintragungsdienste, bei dem das Landgericht Würzburg durch umständliche Schlussfolgerungen dazu kam, dass jedenfalls mindestens eine Person irr-

423

Zum Vorhergehenden Kuhli, StV 2016, 40 (46). Vgl. Pfeiffer, StPO, § 267 Rn. 7; KK-Kuckein, § 267 Rn. 9; BeckOK-StPO/Peglau, § 267 Rn. 12. 425 Kuhli, StV 2016, 40 (47). 426 Kuhli, StV 2016, 40 (47). 427 Zum Vorhergehenden Kudlich, ZWH 2015, 105. 424

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Teil 3: Lösungsansätze

tumsbedingt verfügte und in diesem Fall wegen vollendeten Betrugs verurteilte,428 hätte es sich die Mühe machen können, wenigstens diese eine Person pro Handlungseinheit, also insgesamt sechs Personen, zu vernehmen. Laut Krehl hat die – oben mehrfach erwähnte – Entscheidung des ersten Senats, die Zeugenvernehmungen für entbehrlich hielt, zu einer „rechtsstaatlich fragwürdigen Entwertung des Irrtumsmerkmals beim Betrug“ geführt.429 Bei rein normativem Irrtumsverständnis ist ein Indizienschluss ganz ohne Zeugenvernehmungen konsequent, weil der Irrtum dann nicht als psychologische Tatsache festgestellt werden muss. Dieses rein normative Irrtumsverständnis ist aber, wie gezeigt, aus materiell-rechtlichen Gründen abzulehnen. Der Aufklärungspflicht wird erst recht nicht Genüge getan, wenn gänzlich auf Zeugenvernehmung zur Irrtumsfeststellung verzichtet wird. dd) Denkbare Ausnahme: Massenhafter und standardisierter Charakter des Verfügungsgeschäfts Ein auf der Vernehmung weniger Zeugen basierender Indizienschluss kann ausnahmsweise beim Vorliegen folgender zwei Voraussetzungen für eine Aufklärung ausreichen. (1) Gleichheit der Täuschungshandlungen Zum einen müsste in allen Einzelfällen die gleiche Täuschungshandlung vorliegen. Das ist dann der Fall, wenn exakt dieselbe Täuschungshandlung vorliegt, sowie dann, wenn die Erklärungen zumindest in ihren für die Subsumtion wesentlichen Punkten identisch sind. (2) Massenhafter und standardisierter Charakter des Verfügungsgeschäfts Zum anderen müsste ein massenhaftes Geschäft auf Seiten der Verfügenden vorliegen. Ein „echtes“ normativ geprägtes Vorstellungsbild liegt nur dann vor, wenn das Massengeschäft auf Seiten der Verfügenden vorliegt; nicht aber, wenn es sich um ein Massengeschäft auf Seiten der Täter handelt.430 Eine solcher massenhafter Charakter des Verfügungsgeschäft ist erst dann gegeben, wenn der Verfügende zum einen diese Art der Verfügung sehr oft vornimmt – beispielsweise, weil sie Teil seiner beruflichen Tätigkeit ist – und zum anderen dabei nach einem standardisierten, geregelten Prüfungsverfahren handelt und die massenhaften Tätigkeiten nach einem bestimmten Schema abarbeitet. Denn bei einer Befragung wird dieser Verfügende nur antworten, dass er auch in diesem Fall nach diesem Schema vorgegangen sein 428 LG Würzburg, Urt. v. 16. 10. 2013 – 5 KLs 771 Js 11617/11 –, juris Rn. 780 ff.; was das Projekt Kundenschutz24 angeht, wurden immerhin drei Zeugen exemplarisch vernommen, Rn. 1120. 429 Krehl, NStZ 2015, 101 bzgl. BGH, Beschl. v. 04. 09. 2014 – 1 StR 314/14 = NStZ 2015, 98. 430 So auch Trüg, HRRS 2015, 106 (115); vgl. auch Kuhli, StV 2016, 40 (46).

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werde, weil er schließlich in jedem einzelnen Fall so vorgehe und auch so vorgehen müsse. Nur in diesem Falle sind die Vorstellungsbilder der Getäuschten so gleich, dass ein Indizienschluss aufgrund der Zeugenvernehmungen weniger Zeugen erfolgen darf. (a) Massenhaftigkeit des Verfügungsgeschäfts Ein massenhaftes Geschäft auf Seiten der Verfügenden liegt dann vor, wenn diese Art von Verfügungsgeschäft so oft vorgenommen wird, dass sich der einzelne Vorgang in der Wahrnehmung nicht von den anderen unterscheiden lässt. Am ehesten wird das im Rahmen der Ausübung einer beruflichen Tätigkeit der Fall sein. (b) Standardisierung des Verfügungsgeschäfts Das Verfügungsgeschäft ist dann ausreichend standardisiert, wenn es nach festgelegten und einzuhaltenden Regeln vorgenommen wird. Eine reine Routinisierung der Vornahme der Verfügungshandlung reicht dafür nicht. Vielmehr muss ein Art Voraussetzungskatalog existieren, bei deren Vorliegen das Verfügungsgeschäft vorzunehmen ist. Daraus ergibt sich die normative Prägung des Vorstellungsbilds. Bei Verfügungen, die erst nach Überprüfung bestimmter Tatsachen vorgenommen werden, prägen die vorgegebenen Regeln des Prüfverfahrens das Vorstellungsbild normativ. (3) Anwendung der Kriterien Das Kriterium der Massenhaftigkeit und Standardisierung des Verfügungsgeschäfts ist restriktiv zu verstehen. Es wird allerdings oft in einer sehr relevanten Konstellation vorliegen, nämlich der des kassen(zahn)ärztlichen Abrechnungsbetrugs.431 Aus der Rechtsprechung zum kassen(zahn)ärztlichen Abrechnungsbetrug stammt auch der Begriff der „standardisierten, auf massenhafte Erledigung ausgerichteten Abrechnungsverfahren“432. Die Sachbearbeiter der KV oder KZV prüfen die eingereichten Abrechnungsunterlagen nämlich nach dem ihnen vorgegebenen standardisierten Prüfungsverfahren. In den übrigen vorgestellten Fällen könnte eine solche Massenhaftigkeit und Standardisierung wohl nur noch in der dem Fall 17: Inverkehrbringen von Falschgeld433 zugrundeliegenden Konstellation einer Annahme von Falschgeld durch Kassierer im Rahmen der beruflichen Ausübung angenommen werden. In allen übrigen Fällen liegt keine Massenhaftigkeit und Standardisierung des Verfügungsgeschäfts in dem hier verstandenen Sinne vor. In den Sonderkonstellationen eines Massenbetrug, bei dem die Täuschung gegenüber einem institutionellen Adressaten über die handelnden Sachbearbeiter erfolgt, deren 431

Vgl. auch Kuhli, StV 2016, 40 (46 mit Fn. 71). BGH Urt. v. 05. 12. 2002 – 3 StR 161/02 –, juris Rn. 22 = NJW 2003, 1198; ganz ähnlich: BGH, Urt. v. 12. 02. 2015 – 2 StR 109/14 –, juris Rn. 21 = NStZ 2015, 341; BGH, Urt. v. 22. 08. 2006 – 1 StR 547/05 –, juris Rn. 34 = wistra 2006, 421. 433 BGH, Urt. v. 22. 11. 2013 – 3 StR 162/13 = BGHSt 59, 75. 432

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Teil 3: Lösungsansätze

Prüfvorgang auf festgelegten Regeln fußt, kann ein Indizienschluss aufgrund der Zeugenvernehmung weniger Verfügender also für den Irrtumsnachweis ausreichen. (4) Ausreichende Aufklärung Im Fall eines Massenbetrugs mit einer Massenhaftigkeit und Standardisierung der Verfügung auf Opferseite kann der Aufklärungspflicht also nach hier vertretener Ansicht durch die Vernehmung weniger Zeugen und dem darauf aufbauenden Indizienschluss Genüge getan werden, sofern sich bei den Zeugenvernehmungen ein genau solches, eben beschriebenes normativ geprägtes Vorstellungsbild feststellen lässt. Ein Indizienschluss nur aus äußeren Umständen oder aufgrund des Geständnisses des Angeklagten reicht hingegen nicht. Auf die Frage, wie viele Zeugen vernommen werden müssen, um einen Indizienschluss vornehmen zu können, lässt sich nur die unbefriedigende Antwort geben, dass eben so viele Zeugen vernommen werden müssen, damit eine Überzeugungsbildung möglich ist. Stellt sich bei den Vernehmungen womöglich heraus, dass die Vorstellungsbilder einander gar nicht so sehr ähneln oder im konkreten Fall eine vom Standard abweichende Einzelfallentscheidung gefällt worden ist, kann es auch sein, dass die Aufklärungspflicht nur durch die Zeugenvernehmungen pars pro toto nicht erfüllt werden kann. ee) Vereinbarkeit mit dem Bundesverfassungsgericht Die dargestellte Ansicht lässt sich auch mit einer Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vereinbaren. Das Bundesverfassungsgericht hatte in einem Fall des kassenzahnärztlichen Abrechnungsbetrugs über die Frage zu entscheiden, ob ein Verfassungsverstoß darin liegt, dass das Tatgericht keine oder unzutreffende tatsächliche Feststellungen zu den Tatbestandsmerkmalen der Täuschungshandlung, des Irrtums und des Vermögensschadens getroffen habe.434 Die Entscheidung wurde nicht veröffentlicht und erfuhr damit auch keinerlei Aufmerksamkeit in der Literatur435, obwohl sie Wichtiges entschied. Der Beschwerdeführer trug vor, dass das Tatgericht die Sachbearbeiter der Krankenkassen nicht namentlich benannt und als Zeugen vernommen habe. Das Bundesverfassungsgericht sah keinen Verfassungsverstoß darin, dass das Tatgericht von den Tatsachen auf den Irrtum schloss, ohne die einzelnen Sachbearbeiter zu vernehmen, weil das Tatgericht nicht gehalten sei, jeder denkbaren Sachverhaltsalternative, die eine Irrtumsbildung ausschließen könnte, nachzugehen, wenn hierfür keine konkreten Anhaltspunkte bestehen. Dies würde die an die tatrichterliche Überzeugungsbildung zu stellenden Anforderungen überspannen. Das Bundesverfassungsgericht stellte darauf ab, dass keine Anhaltspunkte dafür gegeben gewesen seien, die jeweiligen Sachbearbeiter könnten entgegen eigenen besseren Erkenntnissen oder solchen nachgeordneter Hilfspersonen oder Vorgesetzter oder nach deren Weisung ohne oder entgegen eigener Prüfung verfügt haben. Damit berücksichtigte es die Besonderheiten eines Irrtums der in einem ar434 435

BVerfG, Nichtannahmebeschl. vom 20. 03. 2007 – 2 BvR 162/07 –, juris. Ein einziger Aufsatz streift die Entscheidung am Rande: Krumm, NZWiSt 2013, 97.

4. Kap.: Das normativ geprägte Vorstellungsbild

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beitsteilig tätigen Unternehmen beschäftigten Verfügenden, weil es feststellte, dass keine Wissenszurechnung in Betracht kommt. Indem es außerdem sagte, dass der Irrtum des jeweiligen Sachbearbeiters nur darin habe bestehen können, dass er fälschlich auf die Vollständigkeit und Richtigkeit der ihm von dem Beschwerdeführer vorgelegten Unterlagen für die Berechnung der Ersatzleistungen vertraut habe, hielt es den vorgegeben, standardisierten Prüfungsumfang für maßgeblich und verstand das Irrtumsmerkmal offenbar ebenfalls normativ.436 Das Bundesverfassungsgericht beanstandete allerdings auch nicht die Annahme eines Irrtum bei den Privatpatienten, mit denen direkt abgerechnet wurde: Das Tatgericht habe „mangels entgegenstehender Anhaltspunkte davon ausgehen [dürfen], dass [die Patienten] die vom Beschwerdeführer abgerechneten Leistungen im Vertrauen auf die Berechtigung seiner Ansprüche und nicht aufgrund etwaiger anderer, einen Irrtum ausschließender, Vorstellungen erbracht hatten“.437 Der Bundesgerichtshof hatte sich in seinen Revisionsentscheidungen zu diesem Fall nicht zur Frage des Irrtumsnachweises geäußert.438 Das Bundesverfassungsgericht betont jedoch selbst in seiner Entscheidung: „Nicht jeder Verstoß gegen § 244 oder § 261 StPO und die hierzu von der Rechtsprechung aufgestellten Grundsätze rechtfertigt das Eingreifen des Bundesverfassungsgerichts. Voraussetzung ist vielmehr, dass sich das Tat- und gegebenenfalls das Revisionsgericht so weit von der Verpflichtung entfernt haben, in Wahrung der Unschuldsvermutung bei der als Täter in Betracht kommenden Person auch die Gründe, die gegen die mögliche Täterschaft sprechen, wahrzunehmen, aufzuklären und zu erwägen, dass der rationale Charakter der Entscheidung verloren gegangen scheint und sie keine tragfähige Grundlage mehr für die mit einem Schuldspruch einhergehende Freiheitsentziehung sein kann (vgl. BVerfGK 1, 145 ).“439

Damit ist also noch nicht gesagt, ob ein Verstoß gegen einfachgesetzliche Normen wie die Amtsaufklärungspflicht, § 244 II StPO, oder den Beweiswürdigungsgrundsatz, § 261 StPO, vorlag. Denn das Bundesverfassungsgericht prüft nur die Verletzung spezifischen Verfassungsrechts.440 Auch wenn ein Indizienschluss gänzlich ohne Zeugenvernehmungen für den Irrtumsbeweis verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden sein mag, können auf einfachgesetzlicher Ebene dennoch strengere Voraussetzungen an Aufklärungspflicht und Beweiswürdigung gestellt werden.

436 Zum Ganzen: BVerfG, Nichtannahmebeschl. vom 20. 03. 2007 – 2 BvR 162/07 –, juris Rn. 10. 437 BVerfG, Nichtannahmebeschl. vom 20. 03. 2007 – 2 BvR 162/07 –, juris Rn. 11. 438 Vgl. BGH, Urt. und Beschl. v. 16. 11. 2006 – 3 StR 204/06 –, juris (Urteil in wistra 2007, 135). 439 BVerfG, Nichtannahmebeschl. vom 20. 03. 2007 – 2 BvR 162/07 –, juris Rn. 6. 440 Vgl. nur BVerfG, Beschl. v. 10. 06. 1964 – 1 BvR 37/63 –, juris Os. 1 und Rn. 21 = BVerfGE 18, 85.

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Teil 3: Lösungsansätze

Die hier vertretene Auffassung kann also angesichts des unterschiedlichen Prüfungsmaßstabs mit der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vereinbart werden. Denn es kann ein Verstoß gegen § 244 II StPO oder § 261 StPO angenommen werden, auch wenn das Vorgehen der Gerichte noch keinen Verstoß gegen den Grundsatz des fairen Verfahrens, Art. 2 II, 20 III GG, darstellt. Es kann also ein Mehr an Aufklärung gefordert werden, auch wenn ein Unterlassen dieser Aufklärung noch keinen Verfassungsverstoß begründet. Unter diesem Gesichtspunkt ist es also auch ohne abweichende Stellungnahme zur Auffassung des Bundesverfassungsgerichts möglich, zu fordern, dass zum einen im Ausnahmefall eines „echten“ normativ geprägten Vorstellungsbilds mit massenhaftem Charakter der Verfügung zumindest einige Verfügende als Zeugen vernommen werden und dass zum anderen in allen anderen Fällen des Massenbetrugs eine – noch aufzuzeigende – darüber hinausgehende Aufklärungsarbeit notwendig ist. 3. Beweiswürdigungsgrundsatz Ferner ist unter dem Gesichtspunkt des Beweiswürdigungsgrundsatzes zu untersuchen, ob Zeugenvernehmungen pars pro toto oder äußere Umstände ausreichend für eine Überzeugungsbildung des Tatgerichts hinsichtlich des Vorliegens eines Irrtums in allen Fällen sein können. a) Keine tragfähige Beweisgrundlage Die Beweiswürdigung ist die „ureigene Aufgabe“ des Tatrichters.441 Die Beweiswürdigung ist u. a. rechtsfehlerhaft, wenn der Tatrichter seine Überzeugung auf eine nicht tragfähige Grundlage stützt.442 Eine fehlerfreie Beweiswürdigung kann bei einer mangelhaften Aufklärung nicht gelingen. Insoweit der Aufklärungspflicht mit der Vernehmung weniger oder gar keiner Zeugen nicht Genüge getan wird, kann diese Beweiserhebung auch nicht für eine Überzeugungsbildung mithilfe eines Indizienschlusses auf den Irrtum der nicht vernommenen Verfügenden ausreichen. aa) Beweiswürdigung von Indizien Die Verpflichtung, die Indizien erschöpfend zu würdigen und sie in den Urteilsgründen lückenlos darzulegen, erlangt beim Indizienbeweis ein besonderes Gewicht.443 Die Tatsachen selbst, von denen der Indizienbeweis ausgeht, müssen unzweifelhaft feststehen, bevor Schlüsse daraus gezogen werden.444 Die Schlüsse, die den Indizienbeweis tragen, müssen denkgesetzlich möglich, aber sie brauchen

441 442 443 444

HK-StPO/Julius, § 261 Rn. 1; Schlothauer/Weider, Rn. 2503. BeckOK-StPO/Wiedner, § 337 Rn. 88. LR-Sander, § 261 Rn. 60. LR-Sander, § 261 Rn. 61.

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nicht zwingend zu sein.445 Sofern die Schlussfolgerung nicht schlechthin zwingend ist, kann der Indizienbeweis nicht mit einem einzelnen Indiz geführt werden.446 Indizien sind mit allen anderen Beweismitteln in eine Gesamtwürdigung einzustellen und können in ihrer Gesamtheit dem Gericht eine entsprechende Überzeugung verschaffen, auch wenn eine Mehrzahl von Beweisanzeichen jeweils für sich allein nicht zum Nachweis einer Tatsache ausreicht447 (sog. Indizienring)448. Bei der Indizienkette dagegen hängen die Indizien dergestalt voneinander ab, dass sie in einem Ableitungsverhältnis stehen und ein Indiz auf dem anderen aufbaut.449 bb) Indizienschluss beim Irrtumsnachweis Der Indizienschluss beim Irrtumsnachweis krankt daran, dass nicht von vielen verschiedenen Indizien auf eine Beweistatsache hinsichtlich eines Delikts geschlossen wird, sondern dass von einer Tatsache, die bei einem Delikt vorliegt, auf eine andere Tatsache bei einem ganz anderen Delikt geschlossen wird. Hier werden nicht wie beispielsweise in einem Mordprozess mit schweigendem Angeklagten alle möglichen Indizien herangezogen, die in einer Gesamtschau die Täterschaft des Angeklagten beweisen sollen. Beim Massenbetrug gibt es eine Vielzahl von Einzeldelikten mit einer Vielzahl an geschädigten Rechtsgutsträgern. Selbst wenn man sich nun einen Amoklauf mit einer Vielzahl an getöteten Opfern vorstellt, hinkt der Vergleich zum Massenbetrug, weil der jeweilige Vorsatz des Amokläufers hinsichtlich jedes Mordes immer noch eine innere Tatsache einer Person darstellt, während die Irrtümer der Getäuschten beim Massenbetrug eine innere Tatsache einer Vielzahl an Personen darstellen. Bei einer Person kann leichter vom Vorliegen einer inneren Tatsache auf das Vorliegen dieser inneren Tatsache bei einem anderen, im Zusammenhang stehenden Delikt geschlossen werden, als bei einer Vielzahl von Personen von dem Vorliegen einer inneren Tatsache bei der einen Person auf das Vorliegen dieser inneren Tatsache bei einer anderen Person geschlossen werden kann. Der Indizienschluss beim Massenbetrug findet hinsichtlich der Vorstellung des Opfers statt, indem vom Irrtum des einen auf den Irrtum des anderen Verfügenden geschlossen wird. Es erscheint nicht völlig ausgeschlossen, dass auch ein solcher Indizienschluss zulässig sein kann. Weder die Vernehmung einiger weniger Zeugen noch äußere Umstände können aber für sich genommen eine ausreichende, tragfähige Grundlage für die Annahme eines Irrtums bei den nicht als Zeugen vernom445 BGH, Urt. v. 05. 11. 1997 – 5 StR 422/97 –, juris Rn. 2 = StV 1998, 116; LR-Sander, § 261 Rn. 62. 446 LR-Sander, § 261 Rn. 62. 447 Vgl. BGH, Urt. v. 17. 01. 2001 – 2 StR 437/00 –, juris Os. 1 = NStZ 2001, 491; BGH, Urt. v. 12. 09. 2001 – 2 StR 172/01 –, juris Os. = NStZ 2002, 48; BGH, Urt. v. 24. 06. 2004 – 4 StR 15/ 04 –, juris Os. 3 = wistra 2004, 432; AnwK-StPO/Martis, § 261 Rn. 17. 448 LR-Sander, § 261 Rn. 62. 449 KK-Ott, § 261 Rn. 51; LR-Sander, § 261 Rn. 62.

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menen Verfügenden bieten. Der Irrtum einiger weniger anderer Verfügender kann nicht ausreichen, um eine Überzeugung vom Vorliegen des Irrtums auch in allen anderen Fällen zu gewinnen, weil damit die Individualität der Vorstellungsbilder missachtet wird. Eine einzige Ausnahme ist nach der hier vertretenen Ansicht für den Fall eines echten normativ geprägten Vorstellungsbilds denkbar, dass das Verfügungsgeschäft für den Verfügenden massenhaften und standardisierten Charakter hat, wie es beim Abrechnungsbetrug in der Regel der Fall sein wird. Nur in diesem Fall sind die Vorstellungsbilder so gleich, dass ein Indizienschluss auf der Grundlage von Zeugenvernehmungen pars pro toto für eine Überzeugungsbildung des Tatgerichts ausreichen kann. b) Ungenaue, pauschale Feststellungen Der Umstand, dass die Beweiserleichterungen zu ungenauen und pauschalen Feststellungen führen können, zeigt, dass ein solcher Indizienschluss in den typischen Massenbetrugsfällen keine Grundlage einer ordentlichen Beweiswürdigung sein wird. Ein Indizienschluss von den Vorstellungsbildern einer so kleinen Anzahl an vernommenen Zeugen auf eine so große Gesamtzahl ist zwangsläufig pauschal und ungenau. An einigen Beispielen lässt sich veranschaulichen, wie es durch die Indizienschlüsse zu pauschalierenden Feststellungen kommen kann. aa) Fall 5: BGH, Beschl. v. 09. 06. 2009 – 5 StR 394/08 Wenn man sich an Fall 5: Straßenreinigungsgebühren zurück erinnert, lassen einen die Entscheidungen etwas fragend zurück, wie es sich denn mit den übrigen 2 % der Grundstückseigentümer verhält, die nicht bezahlt haben sollen. Den ca. 170.000 Grundstückseigentümern wurden pro Jahr 26.250.000 DM, was 13.421.000 E entspricht, für die Dauer der Tarifperiode von eindreiviertel Jahren zu viel in Rechnung gestellt. Basierend auf einer Tabelle, wonach sich die Forderungsausfälle in den Jahren 2000 bis 2006 zwischen 0,36 % und 2,01 % belaufen hatten, ergab sich für das Landgericht ein geschätzter Forderungsausfall von 2 % und damit ein geschätzter Gesamtschaden von 23.017.000 E.450 Der fünfte Senat sprach in den Revisionsentscheidungen ungenau davon, dass die Entgelte zu 98 %451 bzw. überwiegend452 gezahlt wurden. Diese Feststellung wurde aber bei der Irrtumsfeststellung nicht weiter berücksichtigt. Von den ca. 170.000 betroffenen Grundstückseigentümern wurden drei exemplarisch als Zeugen vernommen453 und das Vorliegen eines Irrtums aufgrund eines normativ geprägten Vorstellungsbilds bei

450 Zum Ganzen LG Berlin, Urt. v. 03. 03. 2008 – (514) 3 Wi Js 1361/02 KLs (9/04) –, juris Rn. 197. 451 BGH, Beschl. v. 09. 06. 2009 – 5 StR 394/08 –, juris Rn. 5 = NJW 2009, 2900. 452 BGH, Urt. v. 17. 07. 2009 – 5 StR 394/08 Rn. 5 = BGHSt 54, 44. 453 LG Berlin, Urt. v. 03. 03. 2008 – (514) 3 Wi Js 1361/02 KLs (9/04) –, juris Rn. 198.

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allen Grundstückseigentümern vom Senat bestätigt454. Ein Irrtum wurde also pauschal bei allen Getäuschten angenommen. Erst bei der Berechnung des Vermögensschadens wurden dann die geschätzten 2 % der Personen, die nicht gezahlt hatten, ausgeschieden. Mal davon abgesehen, dass die 2 % auch nur eine geschätzte Anzahl sind, ist es denkbar, dass diejenigen Grundstückseigentümer, die nicht bezahlten, deswegen nicht bezahlten, weil sie nicht irrten.455 Dass wohl nicht alle Getäuschten auch verfügten, spricht dafür, dass auch nicht alle Getäuschten irrten. Dazu wurden allerdings keine Feststellungen getroffen. Im Ergebnis wirkte sich das nicht aus, weil die Nichtverfügenden spätestens bei der Berechnung des Vermögensschadens ausgeschieden wurden. Dass es nicht für die Zuverlässigkeit des angenommenen normativ geprägten Vorstellungsbilds spricht, dass nicht alle angeblich Irrenden verfügten, wird durch solch eine pauschalierende Feststellung verschleiert. Indem der Forderungsausfall nur geschätzt wurde, wird darüber hinaus auch nicht klar, welche konkreten Grundstückseigentümer nun gezahlt haben und welche nicht. Es fehlt also darüber hinaus an der Individualisierung der geschädigten Einzelpersonen. bb) Fall 14: BGH, Urt. v. 27. 03. 2014 – 3 StR 342/13 Am augenscheinlichsten wird die Ungenauigkeit der Feststellungen beim Irrtumsnachweis mittels einer Schätzung. Nicht nur wurde im Fall 14: Ping-Anrufe die Irrtumsquote anhand der „exemplarische[n]“456 Vernehmung von neun Zeugen ermittelt, was bei einer Anzahl von 785.000 potentiell Irrenden und 660.000 potentiell Geschädigten wenig und nicht repräsentativ457 erscheint. Die Strafkammer nahm eine Abwägung vor, wie viele Geschädigten zu vernehmen waren, bis sie sich eine gesicherte Einschätzung zutrauen konnte, und sah dies offensichtlich bei neun Zeugen wegen der Eindeutigkeit der Motivlage als erfüllt an.458 Darüber hinaus wurde statt der aus den Zeugenvernehmungen resultierenden Irrtumsquote von 8/9, was knapp 89 % entspricht, ein weiterer Sicherheitsabschlag vorgenommen und eine Irrtumsquote von 80 % angenommen. Die Strafkammer bewertete damit die geringfügige Unsicherheit aufgrund der Vernehmung von (nur) neun Zeugen und schloss aus, dass die Anzahl von Rückrufern, die nicht irrten, höher sein könnte.459 Dies mag zwar dem Angeklagten zugute kommen, ändert aber nichts an der Pauschalität der Feststellungen. Auch der dritte Senat äußerte sich hinsichtlich des Sicherheitsabschlags zweifelnd, aber konnte die Frage dahinstehen lassen, weil sie den

454 BGH, Urt. v. 17. 07. 2009 – 5 StR 394/08 Rn. 15 = BGHSt 54, 44; BGH, Beschl. v. 09. 06. 2009 – 5 StR 394/08 –, juris Rn. 17 = NJW 2009, 2900. 455 Vgl. Gössel, JR 2010, 175 (176). 456 LG Osnabrück, Urt. v. 06. 03. 2013 – 10 KLs 38/09 u. a. –, juris Rn. 31 = CR 2013, 581. 457 Vgl. Spitz, jurisPR-ITR 14/2013 Anm. 6. 458 LG Osnabrück, Urt. v. 06. 03. 2013 – 10 KLs 38/09 u. a. –, juris Rn. 101 = CR 2013, 581. 459 LG Osnabrück, Urt. v. 06. 03. 2013 – 10 KLs 38/09 u. a. –, juris Rn. 106 = CR 2013, 581.

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Teil 3: Lösungsansätze

Angeklagten nicht beschwere.460 Für ihn „liegt auf der Hand“, dass die Vermögensverfügung unterlassen worden wäre, wenn die Täuschung erkannt worden wäre.461 Außerdem ist der eine vernommene Zeuge, der nicht irrte und daher auch nicht zurückrief, gar nicht zur Gruppe der 660.000 Personen zu rechnen, die schließlich alle zurückriefen. Er gehört vielmehr zu der Gruppe von Personen, die zwar angerufen wurden, aber nicht zurückriefen, und deren Anzahl nicht mehr feststellbar ist. Die Erwägung, dass jemand zwar die Täuschung erkannte, aber dennoch, z. B. aus Neugier, zurückrief, ist durchaus richtig, lag aber bei dem einen nicht irrenden Zeugen gerade nicht vor. Die Angabe eines Nicht-Irrenden, Nicht-Verfügenden und daher auch Nicht-Geschädigten wurde also herangezogen, um die Quote der Irrenden unter den Geschädigten zu ermitteln. Die Strafkammer fasste – wohl versehentlich – diesen einen Zeugen auch unter die „neun Geschädigten“.462 Die Irrtumsquote von 80 % wurde aber dennoch verwendet, um unter den 660.000 Rückrufern die 528.000 „tatsächlich Irrenden“ festzustellen – von der Feststellung deren Identität ganz zu schweigen. Ungenaue, pauschalierende Erwägungen drohen hier als „statistisch“ ausgegeben zu werden.463 cc) Massenhaftigkeit auf wessen Seite Schon im Rahmen der Darstellung der materiell-rechtlichen Voraussetzungen des normativ geprägten Vorstellungsbilds wurden die Widersprüchlichkeiten in der Rechtsprechung dargestellt bzgl. der Frage, ob es auf eine Massenhaftigkeit auf Seiten der Verfügenden ankommt oder auf Seiten der Täuschenden.464 Während zunächst eine Massenhaftigkeit des Verfügungsgeschäfts (nämlich bei „standardisierten, auf massenhafte Erledigung ausgerichteten Abrechnungsverfahren“465) als Begründung diente, auf Zeugenvernehmungen zu verzichten und einen Indizienschluss vorzunehmen, wurde später diese Formulierung herangezogen, um ein normativ geprägtes Vorstellungsbild zu bejahen, auch wenn lediglich auf Seiten der täuschenden Täter eine Massenhaftigkeit der Täuschung vorlag466 – wie es beim Massenbetrug im Übrigen immer der Fall sein wird. Da beim Massenbetrug zwangsläufig eine Massenhaftigkeit der Täuschungen vorliegen wird – sonst wäre es

460

BGH, Urt. v. 27. 03. 2014 – 3 StR 342/13 Rn. 24 = BGHSt 59, 195. BGH, Urt. v. 27. 03. 2014 – 3 StR 342/13 Rn. 23 = BGHSt 59, 195. 462 LG Osnabrück, Urt. v. 06. 03. 2013 – 10 KLs 38/09 u. a. –, juris Rn. 106 = CR 2013, 581. 463 So zu Recht Schuhr, ZWH 2014, 347 (348). 464 Siehe Teil 3, 4. Kapitel, B. II. 2. b). 465 BGH Urt. v. 05. 12. 2002 – 3 StR 161/02 –, juris Rn. 22 = NJW 2003, 1198; vgl. auch BGH, Urt. v. 22. 08. 2006 – 1 StR 547/05 –, juris Rn. 34 = wistra 2006, 421; BGH, Urt. v. 12. 02. 2015 – 2 StR 109/14 –, juris Rn. 21 = NStZ 2015, 341. 466 Vgl. BGH, Beschl. v. 04. 09. 2014 – 1 StR 314/14 Rn. 19 f. = NStZ 2015, 98; s.a. BGH, Urt. v. 22. 05. 2014 – 4 StR 430/13 Rn. 17 = NJW 2014, 2132. 461

4. Kap.: Das normativ geprägte Vorstellungsbild

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ja kein Massenbetrug –, wird dieses zur Konturierung des Irrtumsbegriffs gebrauchte Kriterium ad absurdum geführt.467 c) Anscheinsbeweis und Beweislastumkehr Dass keine ordnungsgemäße Beweiswürdigung allein auf der Grundlage von Zeugenvernehmungen pars pro toto oder äußeren Umständen erfolgen kann und darf, zeigt auch die Beobachtung, dass das Vorgehen der Gerichte an das zivilrechtliche Instrument des Anscheinsbeweises erinnert. Beim Anscheinsbeweis oder prima-facie-Beweis geht es um die Berücksichtigung der allgemeinen Lebenserfahrung durch den Zivilrichter im Rahmen der freien Beweiswürdigung.468 Der Anscheinsbeweis kommt für den Nachweis von Verschulden oder Kausalität in Betracht, wenn ein sog. typischer Geschehensablauf vorliegt, also ein sich aus der Lebenserfahrung bestätigender gleichförmiger Vorgang, durch dessen Typizität es sich erübrigt, die tatsächlichen Einzelumstände eines bestimmten historischen Geschehens nachzuweisen.469 Einen Anscheinsbeweis, der nicht auf Gewissheit, sondern auf der Wahrscheinlichkeit eines Geschehensablaufs beruht, kann es im Strafprozess aber nicht geben.470 aa) Anscheinsbeweis beim Irrtumsnachweis Eine solche Art des Anscheinsbeweises kann einerseits in der Argumentation bzgl. des Schlusses von der erfolgten Vermögensverfügung auf den Irrtum und andererseits bzgl. des Schlusses von der Täuschung oder äußeren Umständen auf den Irrtum entdeckt werden. (1) Schluss von der erfolgten Vermögensverfügung auf den Irrtum Der Schluss, dass eine Person, die nicht verfügte, auch nicht irrte, ist nahe liegend, aber nicht zwingend. Der Schluss in die andere Richtung von einer erfolgten Vermögensverfügung auf den Irrtum ist genauso wenig zwingend, dafür aber folgenschwerer. Diesen Schluss von der Vermögensverfügung auf den Irrtum, der „anderenorts eher verpönt ist“, lässt die herrschende Meinung beim Irrtum trotz Zweifel allerdings zu.471 Beim Irrtum trotz Zweifel wird überwiegend ein Irrtum dann bejaht, solange der Getäuschte die Wahrheit der Tatsache noch für möglich hält, weil er der List des Täters auch dann zum Opfer fällt, wenn er trotz seiner Zweifel infolge der Täuschung die Vermögensverfügung vornimmt.472 Auch Sinn erliegt diesem An467

Ebenso kritisch Kuhli, StV 2016, 40 (46) und Trüg, HRRS 2015, 106 (115). Vgl. nur MüKo-ZPO/Prütting, § 286 Rn. 48. 469 Vgl. nur MüKo-ZPO/Prütting, § 286 Rn. 48. 470 BGH, Urt. v. 26. 06. 2003 – 1 StR 269/02 –, juris Os. 1 = NStZ 2004, 35; HK-StPO/ Julius, § 261 Rn. 9; Eisenberg, Beweisrecht Rn. 104; LR-Sander, § 261 Rn. 107 m.w.N. 471 Böttger/Nuzinger, 1. Kapitel Rn. 101. 472 Vgl. nur BGH, Urt. v. 05. 12. 2002 – 3 StR 161/02 –, juris Rn. 12 = NJW 2003, 1198. 468

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Teil 3: Lösungsansätze

scheinsbeweis, wenn er zur Begründung des Irrtums rhetorisch fragt: „Weshalb sollte die Person sonst gezahlt haben, wenn nicht aufgrund einer angenommenen oder für möglich gehaltenen Zahlungspflicht?“473 (2) Schluss von der Täuschung auf den Irrtum Auch wenn man von objektiven Umständen wie dem objektiven Empfängerhorizont auf die Täuschung und den Irrtum schließt, sofern keine Besonderheiten vorliegen, übernimmt man die Vorgehensweise des Anscheinsbeweises. Die Verkehrsanschauung bildet den Rahmen für den typischen Geschehensablauf, dass durch eine Täuschung auch ein Irrtum erregt werde. Bittman hält es zwar für „voreilig“, von einem Anscheinsbeweis zu sprechen, aber immerhin erkennt er selber die Parallele in seiner Argumentation.474 Trück springt auf den Zug auf und stellt fest, dass ein typisiertes Geschehen als ausreichende Tatsachenbasis für die Subsumtion unter das Irrtumsmerkmal gesehen werden könne.475 Das Beweismaß werde eingeschränkt, wenn bei gleichförmig ablaufenden Massengeschäften auf das dafür typischerweise erforderliche Wissen oder Bewusstsein des Getäuschten abgestellt werde, weil keine tatsächlichen Abweichungen vom routinemäßigen Geschehensablauf vorliegen.476 Selbst bei nur pauschalen Feststellungen zum Vorstellungsbild könne es sich dann „von selbst verstehen“, dass die Vermögensverfügung irrtumsbedingt erfolgte.477 bb) Beweislastumkehr Diese Normativierung des Irrtumsmerkmals bewirkt eine Beweislastumkehr, soweit vom Vorliegen einer Täuschung und/oder einer Vermögensverfügung auf den Irrtum geschlossen wird, weil damit ein Irrtum solange als vorliegend angesehen wird, solange keine Anhaltspunkte auftauchen, die ihn in Frage stellen: Weil und soweit das Vertrauen auf die Richtigkeit der Informationsgrundlage schutzwürdig sei, dürfe ein Irrtum als Spiegelbild der tatbestandsmäßigen Täuschung angenommen werden; an der Schutzwürdigkeit und damit an einem Irrtum fehle es aber, wenn der Verfügende positiv um die Unrichtigkeit wusste.478 Es wird dann aber nicht mehr davon ausgegangen, dass das zu beweisende Tatbestandsmerkmal nicht vorliegt, solange es nicht bewiesen ist. Beim normativen Irrtumsverständnis besteht vielmehr 473

Sinn, ZJS 2015, 627 (630) bzgl. BGH, Beschl. v. 04. 09. 2014 – 1 StR 314/14 = NStZ 2015, 98. 474 Bittmann, ZWH 2013, 137 (138) bzgl. des Sportwettbetrugs. 475 Trück, ZWH 2013, 404 (405) in seiner Anmerkung zu Fall 6: BGH, Beschl. v. 06. 02. 2013 – 1 StR 263/12 = NJW 2013, 1545. 476 Trück, ZWH 2013, 404 (405) unter Verweis auf Bittmann, ZWH 2013, 137 (138). 477 Trück, ZWH 2013, 404 (405) unter Verweis auf BGH, Beschl. v. 29. 07. 2009 – 2 StR 91/ 09 –, juris Rn. 11 = wistra 2009, 466. 478 So beschreibt das treffend Kubiciel, HRRS 2015, 382 (385), der sich damit in der Sache auf einer Linie mit dem zweiten Senat in BGH, Urt. v. 12. 02. 2015 – 2 StR 109/14 –, juris = NStZ 2015, 341 sieht.

4. Kap.: Das normativ geprägte Vorstellungsbild

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die Gefahr, dass aufgrund einer Täuschung und einer Vermögensverfügung davon ausgegangen wird, dass auch ein Irrtum vorliegt, solange eben nicht feststeht, dass der Getäuschte positive Kenntnis von den Umständen der Täuschung hat. Dieser Mechanismus bewirkt im Hinblick auf das Irrtumsmerkmal eine Beweislastumkehr, indem er der Verteidigung den Gegenbeweis, also den Beweis, dass der Irrtum ausscheidet, aufbürdet. Zusammen mit den Restriktionen im Beweisantragsrecht479 kann das fatal werden: Obliegt es schon dem Angeklagten, das mögliche Nichtvorliegen des Irrtums zu beweisen, wäre es bedenklich, wenn ihm dann noch die Mittel zur Durchsetzung dieses Ziels beschnitten würden, indem sein Beweisantragsrecht eingeschränkt würde. Auch Krehl äußert im Kontext mit den Restriktionen des Beweisantragsrechts Bedenken, wenn der Angeklagte, der sich bei einem normativ geprägten Vorstellungsbild ohne Vernehmung eines Opferzeugen der Annahme eines für den Irrtum ausreichenden „sachgedanklichen Mitbewusstseins“ gegenüber sähe, in einem rechtsstaatlichen Verfahren keine Möglichkeit zur Verfügung haben sollte, dies zu widerlegen.480 Eine solche Beweislastumkehr im Strafprozess gerät in Konflikt mit der Unschuldsvermutung, Art. 6 II EMRK, Art. 20 III GG, und dem Schuldprinzip, Art. 1 I, 2 I, 20 III GG. Nach der Unschuldsvermutung, Art. 6 II EMRK, gilt jede angeklagte Person bis zum gesetzlichen Beweis ihrer Schuld als unschuldig. Auch das Rechtsstaatsprinzip schützt die Vermutung der Schuldlosigkeit.481 Die Beweislast hat die Anklage, jeder Zweifel muss zu Gunsten des Angeklagten sprechen; eine Umkehr dieser Beweislast verletzt Art. 6 II EMRK.482 Die Unschuldsvermutung würde eine Beweislastverteilung zu Lasten des Beschuldigten nicht zulassen.483 Auch der auf Art. 1 I, 2 I GG und dem Rechtsstaatsprinzip gründende Schuldgrundsatz fordert den Schuldnachweis als Voraussetzung für Strafe.484 Dem Täter müssen Tat und Schuld nachgewiesen werden; Zweifel wirken zu Gunsten des Angeklagten.485 Das Verbot der Verdachtsstrafe ist eine Konsequenz des Schuldprinzips; dem Angeklagten darf im Strafverfahren keine Beweislast auferlegt werden.486 Die mit der Normativierung des Irrtumsmerkmals einhergehende faktische Beweislastumkehr 479

Siehe dazu Teil 3, 7. Kapitel. Krehl, NStZ 2015, 101 (102). 481 BVerfG, Beschl. v. 26. 03. 1987 – 2 BvR 589/79 u. a. Rn. 36 = BVerfGE 74, 358; Maunz/ Dürig, Grzeszick, GG Art. 20 Rn. 148. 482 Meyer-Ladewig, EMRK, Art. 6 Rn. 212. 483 MüKo-StPO/Kudlich, Einl. Rn. 203; vgl. auch Eisenberg, StPO, Rn. 117. 484 Vgl. BVerfG, Nichtannahmebeschl. v. 08. 11. 2006 – 2 BvR 1378/06 –, juris Rn. 12 = BVerfGK 9, 420; BVerfG, Stattgebender Kammerbeschl. v. 12. 08. 2015 – 2 BvR 2646/13 –, juris Rn. 25; Maunz/Dürig, Grzeszick, GG Art. 20 Rn. 124. 485 BVerfG, Nichtannahmebeschl. v. 08. 11. 2006 – 2 BvR 1378/06 –, juris Rn. 12 = BVerfGK 9, 420; BVerfG, Beschl. v. 04. 02. 1959 – 1 BvR 197/53 Rn. 14 = BVerfGE 9, 167. 486 Vgl. Frister, AT Rn. 33. 480

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Teil 3: Lösungsansätze

ist also auch unter den Gesichtspunkten der Unschuldsvermutung und des Schuldgrundsatzes abzulehnen. d) Zweifelsgrundsatz Laut Trüg487 verstößt die normativierende Sichtweise der Rechtsprechung gegen den in-dubio-pro-reo-Grundsatz, sofern unabhängig vom tatsächlichen Vorstellungsbild des Getäuschten ein Irrtum auch dann bejaht wird, wenn das Opfer die Täuschung tatsächlich durchschaut hat. Wenn man den Irrtum als psychologisches Phänomen (innere Tatsache) anerkenne, könne es kein – jedenfalls nicht a priori – „personenübergreifendes einheitliches Vorstellungsbild“ geben. Falls der Irrtum nicht bewiesen werden könne, müsse in dubio pro reo von dessen Nichtvorliegen ausgegangen werden, statt über das normativ geprägte Vorstellungsbild Beweiserleichterungen zuzulassen und auf diesem Wege zu einer Verurteilung zu kommen. Auch der Gedanke der Verfahrensökonomie könne ein solches Vorgehen nicht rechtfertigen. An sich ist Trüg Recht zu geben. Er verortet den Gedanken konsequent beim Zweifelsgrundsatz, weil er wohl davon ausgeht, dass der Irrtum eine festzustellende innere Tatsache ist. Hier ist das Problem aber vielmehr auch im für die Beweiswürdigung maßgeblichen materiell-rechtlichen Irrtumsverständnis anzusiedeln, weil und soweit nicht tatsächliche Zweifel übergangen werden, sondern das rechtliche Verständnis eines Tatbestandsmerkmals in Frage steht. Denn der Zweifelssatz ist keine Beweis-, sondern eine Entscheidungsregel und kommt zur Anwendung, wenn der Richter selbst nach abgeschlossener Gesamtwürdigung Zweifel hinsichtlich einer Tatsachenfrage hat, nicht aber, wenn er hätte zweifeln müssen.488 Der Zweifelsgrundsatz setzt ein non liquet voraus, regelt aber nicht, wann ein solches anzunehmen ist.489 Kudlich beschreibt das Verhältnis der Unschuldsvermutung zum Zweifelssatz wohl so, dass die Unschuldsvermutung den gerichtlichen Nachweis der Schuld fordere und der Zweifelssatz eine Entscheidungsregel darstelle, wenn dieser Nachweis jedenfalls nicht als erbracht angesehen werden dürfe.490 Wenn der Tatrichter nun infolge des Indizienschlusses aufgrund normativ geprägten Vorstellungsbilds nicht tatsächlich zweifelt, verstößt er an sich nicht gegen den Zweifelssatz. Gleichwohl ließe sich eine solche Entscheidung angesichts des Schuldgrundsatzes und der Unschuldsvermutung aufgrund nicht erbrachten Schuldnachweises und angesichts des Analogieverbots kritisieren.

487

Trüg, HRRS 2015, 106 (115). MüKo-StPO/Kudlich, Einl. Rn 202; BeckOK-StPO/Eschelbach, § 261 Rn. 44 f.; BVerfG, Kammerbeschl. v. 23. 09. 1987 – 2 BvR 814/87 –, juris Rn. 6 = NJW 1988, 477. 489 SK-StPO/Velten, § 261 Rn. 85. 490 MüKo-StPO/Kudlich, Einl. Rn. 203; vgl. auch Eisenberg, StPO, Rn. 117. 488

4. Kap.: Das normativ geprägte Vorstellungsbild

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4. Unmittelbarkeitsgrundsatz Da beim Täuschungsmerkmal auf den objektiven Empfängerhorizont abgestellt wird, kommt es dort gerade nicht auf die Vorstellung der konkreten getäuschten Person an. Der Unmittelbarkeitsgrundsatz fordert hier also gerade nicht die Vernehmung der getäuschten Person, sondern vielmehr die Einführung des Täuschungsgegenstandes beispielsweise im Fall eines Schriftstücks, durch das getäuscht wurde, durch Verlesung desselben.491 Die von Krüger herausgearbeitete Interdependenz von materiellem Strafrecht und Strafprozessrecht im Rahmen des Unmittelbarkeitsgrundsatzes wird hier sichtbar.492 Führt man den Gedanken in Hinblick auf den Irrtum fort, bedeutet dies: Da es beim Irrtum auf die Vorstellung der konkreten getäuschten Person ankommt, ist in der Regel deren Vernehmung erforderlich. Das betont auch die Rechtsprechung. Dass nicht alle Zeugen vernommen werden, ist aber primär ein Problem des Aufklärungs- und Beweiswürdigungsgrundsatzes, nicht aber des Unmittelbarkeitsgrundsatzes. Der Unmittelbarkeitsgrundsatz betrifft nur die Frage des Wie bzw. Welches bei mehreren in Betracht kommenden Beweismitteln. Durch einen Indizienschluss aufgrund von Zeugenvernehmungen pars pro toto oder aufgrund äußerer Umstände wird der Unmittelbarkeitsgrundsatz hier nicht verletzt.

E. Ergebnis Der Lösungsansatz, den Nachweis des Irrtums und der Kausalität dieses Irrtums für die Vermögensverfügung allein über den Indizienschluss aufgrund eines normativ geprägten Vorstellungsbilds zu erbringen, ist abzulehnen: (1) An einer Normativierung des Täuschungsmerkmals beim Massenbetrug durch ein Abstellen auf den objektiven Empfängerhorizont, der durch die Verkehrsanschauung geprägt ist, ist nichts auszusetzen, weil und soweit das Täuschungsmerkmal auf den Täter bezogen ist und dieser in der Regel keine auf eine individuelle Kommunikation ausgerichtete Erklärung aussendet. (2) Bei einer Normativierung des Irrtumsmerkmals hingegen ist Zurückhaltung geboten. Das Irrtumsmerkmal bezieht sich auf das konkrete Opfer und erfordert eine Feststellung des individuellen Vorstellungsbilds. Eine Normativierung geht jedenfalls dann zu weit und überschreitet die Wortlautgrenze, wenn bloß ein überindividuelles Vorstellungsbild ermittelt wird, nicht aber das individuelle Vorstellungsbild der konkreten Täuschungsopfer. Damit würde ein Irrtum unterstellt, unabhängig davon, ob die konkrete getäuschte Person tatsächlich irrt oder nicht. 491

Vgl. dazu Krüger, Unmittelbarkeit, S. 339 f. Krüger, Unmittelbarkeit, S. 334 ff., 340: Hiernach gebe das materiell-sachliche Strafrecht durchaus Antworten auf die Frage, auf welches Beweismittel bei mehreren in Betracht kommenden zuzugreifen sei. 492

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Teil 3: Lösungsansätze

(3) Der Indizienschluss vom Vorliegen eines Irrtums bei einigen vernommenen Zeugen auf einen Irrtum auch bei den nicht vernommenen Zeugen trägt dem Aufklärungsgrundsatz nicht hinreichend Rechnung. Auch wenn der Aufklärungsgrundsatz nichts Unmögliches verlangt, fehlt es an den Ermittlungen bzgl. jedes Einzeldelikts, also an der flächendeckenden Aufklärung. Der Indizienschluss aus äußeren Umständen unternimmt nicht einmal mehr den halbherzigen Versuch einer möglichst umfassenden Aufklärung und ist nach dem auch hier vertretenen, nicht rein normativen, sondern normativ-faktischen Irrtumsverständnis ebenso abzulehnen. (4) Eine ordnungsgemäße Beweiswürdigung kann auf Grundlage einer solchen fehlerhaften Aufklärung nicht erfolgen. Die Beweiserleichterungen bergen die Gefahr ungenauer und pauschaler Feststellungen. Das Vorgehen erinnert an das zivilrechtliche Instrument des Anscheinsbeweises; die damit einhergehende Beweislastumkehr verträgt sich nicht mit der Unschuldsvermutung und dem Schuldgrundsatz. (5) Einzige Ausnahme für einen zulässigen Indizienschluss auf Grundlage von Zeugenvernehmungen pars pro toto kann ein Massenbetrug mit einem „echten“ normativ geprägten Vorstellungsbild sein, also wenn zum einen gleiche Täuschungshandlungen vorliegen und zum anderen die Verfügung für den Verfügenden massenhaften und standardisierten Charakter hat. Nur dann werden die Vorstellungsbilder so ähnlich sein, dass ein Indizienschluss erfolgen darf, allerdings nur, wenn zumindest auch einige Zeugen über ihr Vorstellungsbild vernommen worden sind. Der Lösungsansatz über den Indizienschluss aufgrund von Zeugenvernehmungen pars pro toto beim normativ geprägten Vorstellungsbild bietet zwar eine handhabbare und auch der Intuition gerecht werdende Vorgehensweise an. Er macht jedoch zu große Abstriche an Aufklärung und Beweiswürdigung, sodass er nicht empfohlen werden kann. Diesem Lösungsansatz fehlt die Ermittlung „in die Breite“493. Im Rahmen des eigenen Lösungsvorschlags wird noch gezeigt, wie man die Vorzüge dieses Lösungsansatzes nutzen kann.

493

Vgl. zum Begriff Krell, NStZ 2014, 686 (687).

5. Kap.: Die Verlesung von Fragebögen

293

5. Kapitel

Die Verlesung von Fragebögen Ein rein prozessualer Lösungsansatz ist der Einsatz von Fragebögen. Als vor allem im Ermittlungsverfahren verwendetes prozessuales Instrument wird es in der höchstrichterlichen Rechtsprechung wenig erwähnt, aber durchaus wohlwollend zur Kenntnis genommen. Auch wenn dies, soweit ersichtlich, keiner praktizierten Vorgehensweise entspricht, wird im Folgenden untersucht, ob der Einsatz von Fragebögen isoliert als Lösungsansatz für die Bewältigung von Massenbetrugsverfahren in Frage käme.

A. Rechtsprechungsübersicht In der Rechtspraxis werden Fragebögen bei Massenbetrugsfällen bereits im Ermittlungsverfahren vielfach eingesetzt.1 Der erste Senat weist im Fall 6: Eintreibung von Auslagekosten auf die Möglichkeit hin, bereits im Ermittlungsverfahren die Gründe der Verfügenden für ihre Vermögensverfügung durch Fragebögen zu ermitteln und das Ergebnis dieser Erhebung nach Maßgabe des § 251 StPO in die Hauptverhandlung einzuführen. Hierauf könne die Überzeugung des Gerichts gestützt werden, ob und gegebenenfalls in welchen Fällen die Leistenden eine Vermögensverfügung irrtumsbedingt vorgenommen haben.2 Ob es dann noch einer persönlichen Vernehmung bedürfe, sei eine Frage der Amtsaufklärungspflicht und des Beweisantragsrechts.3 Auch im Fall 10: Werbeanzeigen in Postfächern wurden im Ermittlungsverfahren Fragebögen eingesetzt. Die Zeugen, die sich auf die Anfrage der Polizeibehörden gemeldet und den Fragebogen ausgefüllt hatten, wurden in der Hauptverhandlung als Zeugen vernommen.4 Im Fall 11: Widerrufsschreiben gegen Gewinnspieleintragungsdienste machte der Senat die Andeutung, dass die Zeugenaussagen auch auf andere Weise als durch Vernehmung in die Hauptverhandlung eingeführt werden könnten.5 Im Fall 16: Schneeballsystem führte die Staatsanwaltschaft im Ermittlungsverfahren eine Fragebogenaktion unter den Geschädigten durch, deren Auswertung durch die Zeugenaussage des Ersten Kriminalhauptkommissars in die Hauptverhandlung eingeführt wurde.6 1 Vgl. Trück, ZWH 2013, 404 (405); Schünemann, FS Meyer-Goßner, 385 (389); s.a. Wabnitz/Janovsky-Nickolai, 25. Kapitel Rn. 91. 2 BGH, Beschl. v. 06. 02. 2013 – 1 StR 263/12 Rn. 17 = NJW 2013, 1545. 3 BGH, Beschl. v. 06. 02. 2013 – 1 StR 263/12 Rn. 18 = NJW 2013, 1545. 4 BGH, Beschl. v. 15. 10. 2013 – 3 StR 154/13 Rn. 4 = NStZ 2014, 111. 5 BGH, Beschl. v. 04. 09. 2014 – 1 StR 314/14 Rn. 24 = NStZ 2015, 98. 6 LG Düsseldorf, Urt. v. 31. 07. 2014 – 14 KLs – 130 Js 44/09 – 10/12 –, juris Rn. 886 (nachfolgend BGH, Beschl./Urt. v. 10. 12. 2015 – 3 StR 163/15 –, juris = JA 2016, 306/ wi-

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Teil 3: Lösungsansätze

B. Einsatz von Fragebögen Da in diesen Entscheidungen keine Vorgaben zum Einsatz von Fragebögen gemacht wurden, werden im Folgenden allgemein die Besonderheiten beim möglichen Einsatz von Fragebögen dargelegt und nicht wie in den anderen Kapiteln die Vorgehensweise der Rechtsprechung in den einschlägigen Fällen dargestellt. I. Einführung der im Ermittlungsverfahren ausgefüllten Fragebögen in die Hauptverhandlung Die übliche Vorgehensweise ist die Erstellung und Auswertung eines Fragebogens im Ermittlungsverfahren, dessen Ergebnisse in die Hauptverhandlung eingeführt werden müssen. 1. Erstellung im Ermittlungsverfahren Im Ermittlungsverfahren ist die Aufgabe der Polizei, § 163 I StPO, wie der Staatsanwaltschaft, § 160 I StPO, die Erforschung von Straftaten. Auch für die Polizei gilt der Grundsatz der freien Gestaltung des Ermittlungsverfahrens.7 Wie die Staatsanwaltschaft, § 161a I StPO, ist auch die Polizei, § 163 III StPO, zur Zeugenvernehmung ermächtigt. a) Schriftlichkeit Im Ermittlungsverfahren gilt kein Mündlichkeitsgrundsatz,8 sodass sich Zeugen und Sachverständige gegenüber der Polizei auch schriftlich äußern können und die Polizei auch von vornherein einen Fragebogen zusenden und zur schriftlichen Äußerung auffordern kann.9 Der Fragebogen muss mit Belehrungen versehen sein, § 163 III 1 bzw. § 161a I 2 i.V.m. §§ 52 ff. StPO.10 b) Freier Sachbericht Allerdings fordert (§ 163 III StPO bzw. § 161a I 2 StPO i.V.m.) § 69 I 1 StPO, den Zeugen zu veranlassen, das, was ihm von dem Gegenstand seiner Vernehmung stra 2016, 164); vgl. im Übrigen auch BGH, Urt. v. 24. 03. 2016 – 2 StR 36/15 –, juris Rn. 20 = wistra 2016, 404. 7 BeckOK-StPO/v. Häfen, § 163 Rn. 5. 8 Vgl. AnwK-StPO/Walther, § 163 Rn. 32; SK-StPO/Rogall, § 69 Rn. 1. 9 Vgl. KK-Griesbaum, § 163 Rn. 41; HK-StPO/Zöller, § 163 Rn. 29; LR-Erb, § 163a Rn. 86; s.a. Meyer-Goßner/Schmitt, § 163 Rn. 46d; SK-StPO/Wohlers/Albrecht, § 163 Rn. 31; MüKo-StPO/Kölbel, § 163 Rn. 14. 10 KK-Griesbaum, § 163 Rn. 41; HK-StPO/Zöller, § 163 Rn. 29; LR-Erb, § 163a Rn. 86; s.a. Meyer-Goßner/Schmitt, § 163 Rn. 46d; SK-StPO/Wohlers/Albrecht, § 163 Rn. 31.

5. Kap.: Die Verlesung von Fragebögen

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bekannt ist, im Zusammenhang anzugeben. Diese Forderung nach dem sog. freien Bericht des Zeugen gilt für alle richterlichen Vernehmungen innerhalb und außerhalb der Hauptverhandlung sowie über die Verweisungen des § 161a I 2 StPO auch für staatsanwaltschaftliche und über die des § 163 II 1 StPO auch für polizeiliche Vernehmungen.11 Der freie Bericht soll eine möglichst unbefangene und nicht verzerrte Zeugenaussage sicherstellen.12 Ein solcher freier Bericht kann in einem Fragebogen nicht oder nur unter Umständen wie einem freien Feld für eigene Eintragungen abgebildet werden.13 c) Erscheinenspflicht Zeugen haben zwar eine Aussagepflicht, § 48 I StPO; sie können aber nur von der Staatsanwaltschaft, § 161a I, II StPO, und vom Ermittlungsrichter, § 165 StPO, nicht aber von der Polizei, dazu gezwungen werden, zur Vernehmung zu erscheinen.14 Die Zeugen werden jedenfalls auch hier nur dazu gezwungen werden können, zu erscheinen, nicht aber, den Fragebogen ausgefüllt zurückzuschicken.15 Dadurch, dass aber angekündigt werden kann, das Erscheinen zur Vernehmung durch die Staatsanwaltschaft zu erzwingen, wenn der Fragebogen nicht ausgefüllt wird, erscheint dies schon weniger problematisch, da es auch für die Zeugen in der Regel einfacher und angenehmer ist, einen Fragebogen auszufüllen, statt zur Vernehmung zu erscheinen. 2. Einführung in die Hauptverhandlung In den vorgestellten Fällen des Massenbetrugs wurde auf die Möglichkeit des Einsatzes von Fragebögen hingewiesen16 oder die Zeugen, die den Fragebogen ausgefüllt hatten, in der Hauptverhandlung vernommen17 oder die Auswertung der im Ermittlungsverfahren durch die Staatsanwaltschaft durchgeführten Fragebo-

11

Vgl. BeckOK-StPO/Monka, § 69 Rn. 4; Graf-StPO/Monka, § 69 Rn. 4. Schünemann, FS Meyer-Goßner, 385 (390), wobei dieser Vorteil im Ermittlungsverfahren dadurch entwertet werde, dass der Vernehmungsbeamte die Aussage in seinen Worten in einem Inhaltsprotokoll protokolliere; vgl. auch KK-Senge, § 69 Rn. 4; BeckOK-StPO/Monka, § 69 Rn. 1. 13 Vgl. Kuhli, StV 2016, 40 (44). 14 Vgl. KK-Griesbaum, § 163 Rn. 15, 34. Teilweise wird vertreten, dass es im Umkehrschluss zu § 48 StPO vor der Polizei auch keine Aussagepflicht gebe (vgl. RH-StPO/Kretschmer § 163 Rn. 13; MüKo-StPO/Kölbel, § 163 Rn. 14; HK-StPO/Zöller, § 163 Rn. 29; LR-Erb, § 163 Rn. 33); andere meinen, es gebe eine grundsätzliche Aussagepflicht des Zeugen, die nur nicht von der Polizei erzwungen werden dürfe (vgl. SSW-StPO/Ziegler/Vordermayer, § 163 Rn. 55). 15 Vgl. LR-Erb, § 163a Rn. 86, § 161 Rn. 13. 16 BGH, Beschl. v. 06. 02. 2013 – 1 StR 263/12 Rn. 17 = NJW 2013, 1545. 17 BGH, Beschl. v. 15. 10. 2013 – 3 StR 154/13 Rn. 4 = NStZ 2014, 111. 12

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Teil 3: Lösungsansätze

genaktion durch die Zeugenaussage des Ersten Kriminalhauptkommissars in die Hauptverhandlung eingeführt18. Für die Beweiserhebung interessant sind zum einen alle beantworteten Fragebögen und zum anderen eine statistische Auswertung der Fragebogenaktion mit der Angabe, wie viele Befragten welche Antworten gegeben haben, sowie der unausgefüllte Blanko-Fragebogen. a) Verlesung Der einzige direkte Weg, auf dem der Inhalt aller ausgefüllten Fragebögen in die Hauptverhandlung eingeführt werden kann, ist die Verlesung derselben. Für die Erforderlichkeit der Einführung der jeweils einem konkreten Zeugen zugeordneten Fragebögen spricht, dass nicht nur die Anzahl der Delikte, in denen ein Irrtum vorgelegen hat, ermittelt wird, sondern auch individualisiert feststeht, welche konkrete Person geirrt hat und welche nicht. aa) Verlesung als Ausnahme vom Unmittelbarkeitsgrundsatz Beruht der Beweis einer Tatsache auf der Wahrnehmung einer Person, ist diese gemäß § 250 S. 1 StPO in der Hauptverhandlung zu vernehmen. Die Vernehmung darf grundsätzlich nicht durch Verlesung einer schriftlichen Erklärung ersetzt werden, § 250 S. 2 StPO. Dieser materielle Unmittelbarkeitsgrundsatz meint den Vorrang des Personalbeweises vor dem Sachbeweis.19 Der Irrtum ist eine innere Tatsache, die unmittelbar an äußere Tatsachen anknüpft, und betrifft die Wahrnehmung der Getäuschten i.S.d. § 250 StPO.20 Ein ausgefüllter Fragebogen enthält eine schriftliche, zu Beweiszwecken abgegebene Äußerung eines Zeugen und stellt damit eine Urkunde i.S.d. § 251 StPO dar.21 Eine Verlesung nach § 251 III StPO kommt nicht in Betracht, da die Verlesung unmittelbar der Urteilsfindung und nicht nur der Vorbereitung der Entscheidung darüber dient, ob die Ladung und Vernehmung einer Person erfolgen soll, so dass das Streng- und nicht das Freibeweisverfahren Anwendung findet.22 § 256 I Nr. 5 StPO, wonach Protokolle sowie in einer Urkunde enthaltene Erklärungen der Strafverfolgungsbehörden über Ermittlungshandlungen, soweit diese nicht eine Vernehmung zum Gegenstand haben, verlesen werden können, ist auch nicht einschlägig, weil die beantworteten Fragebögen eine schriftliche Vernehmung darstellen. Eine Urkunde mit einer vom Zeugen stammenden schriftlichen Erklärung kann also nur unter den Voraussetzungen des § 251 I StPO verlesen werden. 18

LG Düsseldorf, Urt. v. 31. 07. 2014 – 14 KLs – 130 Js 44/09 – 10/12 –, juris Rn. 886. Meyer-Goßner/Schmitt, § 250 Rn. 2; KK-Fischer, Einl. Rn. 25; Eisenberg, Beweisrecht Rn. 66. 20 Allgemein SSW-StPO/Kudlich/Schuhr, § 250 Rn. 9. 21 Kuhli, StV 2016, 40 (44). 22 Vgl. Trüg, HRRS 2015, 106 (114). 19

5. Kap.: Die Verlesung von Fragebögen

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(1) Existenz oder Höhe eines Vermögensschadens, § 251 I Nr. 3 StPO Die Möglichkeit der Verlesung nach § 251 I Nr. 3 StPO, nämlich soweit die Urkunde das Vorliegen oder die Höhe eines Vermögensschadens betrifft, scheidet aus, weil der Fragebogen nicht den Vermögensschaden, sondern den Irrtum des Getäuschten betrifft.23 Eine analoge Anwendung des § 251 Nr. 3 StPO auf die Anzahl der Irrenden kommt nicht in Betracht.24 (2) Unerreichbarkeit, § 251 I Nr. 2 StPO § 251 I Nr. 2 StPO erlaubt die Verlesung, wenn der Zeuge verstorben ist oder aus einem anderen Grunde in absehbarer Zeit gerichtlich nicht vernommen werden kann. Die gerichtliche Vernehmung ist unmöglich, wenn die Anhörung des Zeugen aus tatsächlichen Gründen, also wegen äußerer, objektiver Hindernisse, nicht möglich ist (z. B. wegen dauernder Krankheit, Gebrechlichkeit).25 Eine Nichtvernehmbarkeit i.S.d. § 251 I Nr. 2 StPO liegt auch in den Fällen der Unerreichbarkeit i.S.d. § 244 III 2 Var. 5 StPO vor.26 In absehbarer Zeit kann die Vernehmung nicht durchgeführt werden, wenn entweder das Ende des Vernehmungshindernisses nicht absehbar ist oder wenn das Abwarten einen Verstoß gegen Art. 6 I EMRK begründen würde oder das Strafverfahren wegen des Verlusts anderer Beweismittel undurchführbar würde.27 Auch wenn zwar theoretisch jeder Zeuge der letzte in der Vernehmungsreihenfolge sein könnte und dessen Vernehmung daher nicht in absehbarer Zeit erfolgen könne, lehnt Kuhli eine derartige äußerst extensive, wenn nicht gar analoge Auslegung des § 251 I Nr. 2 StPO im Hinblick auf das Konfrontationsrecht, § 240 II 1 StPO, Art. 6 III lit. d EMRK, ab.28 Warum Kuhli die Unerreichbarkeit des Zeugen beim Massenbetrug i.S.d. § 251 I Nr. 2 StPO wegen Problemen mit dem Konfrontationsrecht ablehnt29, den einzelnen Zeugen aber für „gleichsam unerreichbar“ i.S.d. § 244 II, III 2 Var. 5 StPO hält30 und damit Abstriche bei der Amtsaufklärungspflicht und dem Beweisantragsrecht zulässt, ist nicht unmittelbar einleuchtend. Eine Verlesbarkeit der Fragebögen nach § 251 I Nr. 1 StPO ist allerdings in der Tat abzulehnen, weil beide Varianten vom Wortlaut her eindeutig auf die Umstände des konkret betroffenen Zeugen abstellen. § 251 I Nr. 2 StPO macht mit der Formulie23

So auch Kuhli, StV 2016, 40 (Fn. 53 auf S. 44). Neben der Grundsatzfrage, ob auch im Strafverfahren ein Analogieverbot herrscht, sind Vermögensschaden und Irrtum schon deswegen nicht vergleichbar, weil der Vermögensschaden eine äußere Tatsache und der Irrtum eine innere Tatsache betrifft. 25 SK-StPO/Velten, § 251 Rn. 18 verweist allerdings auf die seiner Meinung nach vorrangige kommissarische Vernehmung; LR-Sander/Cirener, § 251 Rn. 28. 26 LR-Sander/Cirener, § 251 Rn. 28. 27 SK-StPO/Velten, § 251 Rn. 21. 28 Kuhli, StV 2016, 40 (Fn. 53 auf S. 44). 29 Kuhli, StV 2016, 40 (44, Fn. 53). 30 Kuhli, StV 2016, 40 (47 f., Fn. 91). 24

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Teil 3: Lösungsansätze

rung „aus einem anderen Grunde“ deutlich, dass die zweite Alternative des § 251 I Nr. 2 StPO, die Nichtvernehmbarkeit in absehbarer Zeit, an die erste Alternative, den Tod des Zeugen, anknüpft. Die erste Alternative ist ein Unterfall der zweiten bzw. die zweite Alternative als Oberbegriff der ersten zu verstehen. Dann müssen die unter die zweite Alternative fallenden Konstellationen aber auch wertungsmäßig zur ersten passen. Der Wortlaut des § 251 I Nr. 2 StPO ist m. E. zu eng, als dass man den Umstand, dass neben dem in Rede stehenden Zeugen noch viele weitere, auf dieselbe Weise getäuschte Personen zu vernehmen wären, wertungsmäßig mit dem Tod des Zeugen vergleichen könnte. (3) Zustimmung der Verfahrensbeteiligten, § 251 I Nr. 1 StPO Ohne Weiteres lassen sich die Erkenntnisse aus den Fragebögen also nur mit dem Einverständnis aller Verfahrensbeteiligten in die Hauptverhandlung einführen.31 § 251 I Nr. 1 StPO eröffnet die Möglichkeit der Verlesung, wenn der Angeklagte einen Verteidiger hat und der Staatsanwalt, der Verteidiger und der Angeklagte damit einverstanden sind. Diese Zustimmungsregelung lässt Raum für „taktische Erwägungen“ des Angeklagten und seines Verteidigers.32 Die Zustimmung des Angeklagten und seines Verteidigers kann als „Prozessverhalten der Verfahrensbeteiligten“ auch Mitbestandteil einer Verständigung gemäß § 257c II 1 StPO sein. Wegen dieser „Vetobefugnis“33 sollten laut Kuhli Vorschläge des Angeklagten und seines Verteidigers zum Inhalt und zur Ausgestaltung des Fragebogens berücksichtigt werden.34 So könne auch dem Recht des Angeklagten, Fragen an die Zeugen zu stellen, § 240 II 2 StPO, Art. 6 III lit. d EMRK, Genüge getan werden.35 bb) Einführung im Selbstleseverfahren Eine spürbare Erleichterung wäre die Einführung aller beantworteten Fragebögen im Selbstleseverfahren nach § 249 II 1 StPO. § 249 II 1 StPO durchbricht den Mündlichkeitsgrundsatz zugunsten einer Verfahrensbeschleunigung in Umfangsverfahren.36 Die Vorschrift regelt die Form des in §§ 249 – 256 StPO behandelten Urkundenbeweises, aber weder seine Zulässigkeit noch seine Notwendigkeit.37 Ist eine Urkunde also nach § 251 StPO verlesbar, so kann sie auch im Selbstlesever-

31

So schon Krell, NStZ 2014, 686 (688). Kuhli, StV 2016, 40 (44). 33 Diese „Vetobefugnis“ habe als Festschreibung eines Regel-Ausnahmeverhältnisses die wichtige Funktion einer Rollenverteilung, ansonsten würde ein Automatismus in Richtung auf ein schriftliches Verfahren die Folge sein, SK-StPO/Velten, § 251 Rn. 15. 34 Kuhli, StV 2016, 40 (44). 35 Kuhli, StV 2016, 40 (44). 36 Pfeiffer, StPO, § 249 Rn. 6; KK-Diemer, § 249 Rn. 31; kritisch: Eisenberg, Beweisrecht Rn. 2034. 37 Pfeiffer, StPO, § 249 Rn. 1. 32

5. Kap.: Die Verlesung von Fragebögen

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fahren eingeführt werden.38 Stimmen die Verfahrensbeteiligten also zu, so kann der Inhalt sämtlicher beantworteter Fragebögen im Selbstleseverfahren in die Hauptverhandlung eingeführt werden, §§ 251 I Nr. 1, 249 II 1 StPO. b) Vernehmung eines Ermittlungsbeamten Außerdem kann der Ermittlungsbeamte, der die Fragebogenaktion leitete, als Zeuge in der Hauptverhandlung vernommen werden. aa) Vernehmung eines Ermittlungsbeamten über die statistische Auswertung der Fragebogenaktion Zum einen bietet es sich an, den Ermittlungsbeamten über die Erstellung des Fragebogens zu vernehmen. Hierbei kann der Blanko-Fragebogen ergänzend verlesen werden, § 249 I StPO. Da der unausgefüllte Fragebogen keine zu Beweiszwecken abgegebene Äußerung eines Zeugen enthält, muss kein Verlesungsgrund vorliegen. Der Ermittlungsbeamte kann außerdem Angaben über die statistische Auswertung der Fragebogenaktion machen.39 So ging das Landgericht im Fall 16: Schneeballsystem vor.40 bb) Vernehmung eines Ermittlungsbeamten über den Inhalt der beantworteten Fragebögen Zulässig wäre auch eine Vernehmung des Ermittlungsbeamten über den Inhalt der einzelnen beantworteten Fragebögen und zwar auch ohne die Zustimmung der Verfahrensbeteiligten. Die Vernehmung des Ermittlungsbeamten über den Inhalt der beantworteten Fragebögen ähnelt der Konstellation einer Vernehmung eines Zeugen vom Hörensagen – beispielsweise über die Aussagen eines nicht vernehmbaren VManns –, weil in beiden Konstellationen ein Dritter über die Wahrnehmungen des unmittelbaren Zeugen vernommen wird. Die Vernehmung des Zeugen vom Hörensagen wird mit dem Unmittelbarkeitsgrundsatz für vereinbar gehalten, weil dieser selbst ein unmittelbares Beweismittel über die Mitteilungen darstellt, die ihm eine andere Person von deren eigenen Wahrnehmungen gemacht hat.41 Sofern es unmöglich ist, den unmittelbaren Zeugen zu hören, besteht auch kein Konflikt mit der Aufklärungspflicht.42 In der Beweiswürdigung muss der geringere Beweiswert des Zeugen vom Hörensagen aber berücksichtigt werden.43 Der Ermittlungsbeamte 38

BT-Drs. 12/6853, S. 33; Pfeiffer, StPO, § 249 Rn. 6; KK-Diemer, § 249 Rn. 34. So ging das LG Düsseldorf, Urt. v. 31. 07. 2014 – 14 KLs – 130 Js 44/09 – 10/12 –, juris Rn. 886 im Fall 16 vor. 40 LG Düsseldorf, Urt. v. 31. 07. 2014 – 14 KLs – 130 Js 44/09 – 10/12 –, juris Rn. 886. 41 Vgl. Eisenberg, Beweisrecht Rn. 1029 f. m.w.N.; BeckOK-StPO/Ganter, § 250 Rn. 8; Pfeiffer, StPO, § 250 Rn. 3. 42 Vgl. Eisenberg, Beweisrecht Rn. 1031 m.w.N. 43 Vgl. KK-Diemer, § 250 Rn. 11; Eisenberg, Beweisrecht Rn. 1033b m.w.N. 39

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Teil 3: Lösungsansätze

könnte also über den Inhalt jedes einzelnen beantworteten Fragebogens vernommen werden. Die Verlesung der ausgefüllten Fragebögen bzw. deren Einführung im Selbstleseverfahren ist das sachnähere Beweismittel und aussagekräftiger als eine Zeugenvernehmung des Ermittlungsbeamten über die Auswertung. Dennoch ist letztere nach dem gegenwärtigen Gesetzes- und Meinungsstand leichter, nämlich auch ohne die Zustimmung der Verfahrensbeteiligten, zu realisieren. II. Erstmaliger Einsatz von Fragebögen im Hauptverfahren Wenn noch nicht im Ermittlungsverfahren eine Fragebogenaktion durchgeführt worden ist, könnte das Gericht im Zwischenverfahren eine Fragebogenaktion als ergänzende Beweiserhebung anordnen, § 202 StPO. Auch erst im Rahmen der Beweiserhebung in der Hauptverhandlung könnte das Gericht in einem Beweisbeschluss den Einsatz von Fragebögen durch die Staatanwaltschaft oder deren Ermittlungspersonen anordnen. Die Zulässigkeit einer schriftlichen Zeugenaussage ist unabhängig von dem Umstand, dass sie erst vom Gericht in der Hauptverhandlung eingeholt wird.44 Die Einführung in die Hauptverhandlung kann ebenso durch Verlesung oder Vernehmung des Ermittlungsbeamten erfolgen.

C. Bewertung Bei genauerer Betrachtung stellt sich heraus, dass Fragebögen mehr sind als ein „verfahrensrechtliches Vehikel“45. Sie können vielmehr ein „durchaus probates Instrument“46 für die Bewältigung von Massenbetrugsfällen sein. Einer Irrtumsermittlung ausschließlich über Fragebögen würde es aber an der Aufklärung „in die Tiefe“47 fehlen. Krell48 hält eine „oberflächliche, aber flächendeckende Aufklärung“ durch den Einsatz von Fragebögen für denkbar. Solange der Fragebogen gut konzipiert sei, könne man brauchbare Ergebnisse erlangen. Je unterschiedlicher die jeweiligen Vorstellungen und je komplizierter die davon abhängige Bewertung eines Irrtums seien, desto problematischer werde aber auch dieser Weg. Laut Kuhli49 erweisen sich Fragebögen nur dann als sinnvolles Instrument, wenn es sich bei den Tatvorwürfen 44 Vgl. LR-Sander/Cirener, § 251 Rn. 11; Meyer-Goßner/Schmitt, § 251 Rn. 17; a.A.: Meyer, NStZ 1986, 132. 45 So Trüg, HRRS 2015, 106 (112). 46 Trück, ZWH 2013, 404 (405) bezieht sich auf den Einsatz von Fragebögen bereits im Ermittlungsverfahren. 47 Vgl. dazu Krell, NStZ 2014, 686 (687). 48 Krell, NStZ 2014, 686 (688). 49 Kuhli, StV 2016, 40 (44).

5. Kap.: Die Verlesung von Fragebögen

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um gleich gelagerte Fälle handelt, weil ein abstrahierender Fragebogen umso schlechter dem Einzelfall gerecht werden kann, je individueller die Umstände der Tatsituation waren. I. Vorteile der Vorgehensweise Der Hauptvorteil des Einsatzes von Fragebögen ist die flächendeckende Erfassung der Vorstellungsbilder der Irrenden. Damit ist dem Aufklärungsgrundsatz jedenfalls für die Einzeldelikte, die die Geschädigten betreffen, die ansonsten nicht vernommen würden, besser Genüge getan. Die verfahrensökonomischen Aspekte beim Lösungsansatz über Fragebögen lassen sich aus zwei Warten betrachten: Einerseits wird die Versendung und Auswertung eines Fragebogens wirtschaftlicher sein als die Vernehmung jedes einzelnen Zeugen. Andererseits ist einer Fragebogenaktion immer noch mit mehr Aufwand verbunden als ein Indizienschluss bei einem normativ geprägten Vorstellungsbild, für den es nur die Vernehmung weniger Zeugen bedarf. Der wirtschaftliche Aufwand einer Fragebogenaktion könnte auch außer Verhältnis zum Schaden im jeweiligen Einzelfall stehen – man denke nur an die Ping-Anrufe, die einen Einzelschaden von je ca. 0,98 E verursachten. II. Nachteile der Vorgehensweise Die Vorgehensweise über Fragebögen hat in der praktischen Durchführung aber auch Nachteile. 1. Zustimmungserfordernis Der größte Nachteil des Fragebogeneinsatzes ist das Zustimmungserfordernis für die Verlesung in § 251 I Nr. 1 StPO. Andere Ausnahmegründe, die eine Verlesung ermöglichen, sind nicht ersichtlich. Die Zustimmung kann aber Bestandteil einer Verständigung gemäß § 257c StPO sein und so zu einem Trumpf in den Händen der Verteidigung werden. 2. Freier Bericht Ein Feld für freie Eintragungen, das dem Gebot des freien Berichts des § 69 I StPO Genüge tun soll, würde nach Kuhli keinerlei Verfahrensvereinfachung mehr bedeuten.50 Das ist wahr, wenn das freie Feld zur Folge hätte, dass jeder Fragebogen einzeln ausgewertet werden müsste. Nimmt man § 69 I StPO ernst, würde es wohl auch nicht reichen, am Ende des Fragebogens eine freies Feld für Eintragungen für 50

Kuhli, StV 2016, 40 (44).

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Teil 3: Lösungsansätze

den Fall bereitzustellen, dass der Zeuge noch etwas mitteilen will oder seine Antwort nicht in den Antwortmöglichkeiten vorhanden war. § 69 I StPO fordert nämlich gerade vor dem Verhör den freien Sachbericht, § 69 I, II StPO. So müsste also eigentlich am Anfang des Fragebogens die Möglichkeit bestehen, dass der Zeuge zunächst den gesamten Sachverhalt in eigenen Worten vorträgt. Würde man dies auswerten, bestände tatsächlich keine Verfahrenserleichterung mehr. Entfiel bei der Zeugenvernehmung der von § 69 I 1 StPO geforderte freie Sachbericht, kann dieser Verstoß in der Revision gerügt werden, weil die Vorschrift keine bloße Ordnungsvorschrift ist.51 Wurde § 69 I 1 StPO im Ermittlungsverfahren verletzt und die Niederschrift nach § 251 StPO verlesen, kommt es darauf an, ob das Urteil auf dem Fehler beruht.52 Bei einem Verstoß gegen § 69 I 1 StPO im Hauptverfahren ist umstritten, ob zugleich eine Verletzung der Aufklärungspflicht gerügt werden muss53 oder schon in der Nichtbeachtung ein Verstoß gegen die Wahrheitserforschung steckt und die Verletzung der Aufklärungspflicht nur für die Frage des Beruhens Bedeutung hat54. 3. Durchsetzbarkeit Ein weiterer Punkt ist die nicht gesicherte Durchsetzbarkeit. Die Zeugen können nicht dazu gezwungen werden, den Fragebogen auszufüllen, aber immerhin kann ihnen angekündigt werden, dass sie zur mündlichen Vernehmung erscheinen müssen, wenn sie den Fragebogen nicht beantworten.55 Im Bericht der Expertenkommission zur Reform der StPO aus dem Jahr 2015 wurde die Einführung einer Erscheinenspflicht auch gegenüber den Ermittlungspersonen der Staatsanwaltschaft im Falle eines einzelfallbezogenen Auftrags durch die Staatsanwaltschaft befürwortet.56 III. Vereinbarkeit mit den Verfahrensprinzipien Gegen eine Feststellung des Irrtumsmerkmals allein aufgrund von Fragebögen bestehen außerdem einige rechtliche Einwände.

51

Vgl. BGH, Urt. v. 21. 10. 1952 – 1 StR 287/52 –, juris Ls. = NJW 1953, 35; zustimmend: KK-Senge, § 69 Rn. 8; AnwK-StPO/v. Schlieffen, § 69 Rn. 9. 52 BGH, Urt. v. 21. 10. 1952 – 1 StR 287/52 –, juris = NJW 1953, 35; Meyer-Goßner/ Schmitt, § 69 Rn. 13; SK-StPO/Rogall, § 69 Rn. 43. 53 OLG Düsseldorf, Beschl. v. 30. 10. 1996 – 2 Ss (OWi) 323/96 u. a. = NStZ-RR 1997, 210; Meyer-Goßner/Schmitt, § 69 Rn. 13; MüKo-StPO/Maier, § 69 Rn. 36. 54 Da das Urteil nicht auf der Rechtsverletzung beruhe, wenn sich ausschließen lasse, dass der Verstoß gegen § 69 StPO die Wahrheitserforschung nicht beeinträchtigt habe, KK-Senge, § 69 Rn. 8 m.w.N.; HK-StPO/Gercke, § 261 Rn. 10 m.w.N.; SK-StPO/Rogall, § 69 Rn. 43. 55 Siehe Teil 3, 5. Kapitel, B. I. 1. c). 56 Bericht der Expertenkommission zur StPO-Reform 2015, S. 57 ff.

5. Kap.: Die Verlesung von Fragebögen

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1. Unmittelbarkeitsgrundsatz Die Verlesung der Fragebögen gerät in Konflikt mit dem Unmittelbarkeitsgrundsatz, § 250 StPO, der fordert, dass eine Person, auf deren Wahrnehmung der Beweis einer Tatsache beruht, zu vernehmen ist und die Vernehmung nicht durch die Verlesung einer schriftlichen Erklärung ersetzt werden darf. Eine Verlesung nach § 251 I Nr. 1 StPO unter der Voraussetzung der Zustimmung aller Verfahrensbeteiligten ist der einzige Weg, die ausgefüllten Fragebögen in die Hauptverhandlung einzuführen. Bei der Vernehmung eines Ermittlungsbeamten über die Auswertung der Fragebogen besteht hingegen kein Problem mit dem Unmittelbarkeitsgrundsatz, weil der Ermittlungsbeamte selbst ein unmittelbares Beweismittel hinsichtlich dessen, was sich aus den Fragebögen ergab, ist. Die Regelung des Vorrangs des Personalbeweises vor dem Urkundenbeweis soll die Unmittelbarkeit des Beweises im Hinblick auf den besseren Beweiswert sichern.57 Der Personalbeweis soll dem Gericht einen persönlichen Eindruck von den Wahrnehmungspersonen ermöglichen und damit die in der Regel bessere Sachaufklärung durch das erkennende Gericht erreichen.58 Der Sinn des materiellen Unmittelbarkeitsgrundsatzes ist, eine Beweisführung nur durch Verlesung der schon im Ermittlungsverfahren erstellten Beweismittel zu verhindern („Transferverbot“)59 und den Gefahren einer Verurteilung auf Grund von Akteninhalten begegnen60. Einer Verlesung ohne Zustimmung der Verfahrensbeteiligten steht also der Unmittelbarkeitsgrundsatz entgegen. Zwar ist es bei Massenverfahren so, dass die persönliche Vernehmung aller (womöglich hunderttausender) Zeugen gar keine echte Alternative ist. Die Wahlmöglichkeiten sind also nicht entweder persönliche Vernehmung oder Verlesung, sondern entweder Verlesung oder gar kein Beweismittel. Die mündliche Vernehmung ist in Massenbetrugsfällen nur theoretisch besser, weil sie in der Realität in der Masse gar nicht erfolgen wird. Auch wenn nun die Verlesung der Fragebögen der Aufklärung dient und eine weitergehende Aufklärung ermöglicht, so bleibt dennoch der Unmittelbarkeitsgrundsatz verletzt, wenn man isoliert den einzelnen Fall betrachtet, in dem schließlich in der Regel auch eine Vernehmung möglich wäre. Da es gerade auf den Irrtumsnachweis in jedem einzelnen Fall ankommt und keine „Massenbetrugstat mit Einzelakten“ vorliegt, kann man nicht sagen, im Großen und Ganzen wäre die Verlesung von Fragebögen immer noch besser als gar keine Aufklärung hinsichtlich der Betrugsfälle, in denen die jeweiligen Verfügenden nicht vernommen werden. Das wäre zwar in der Sache richtig, ist aber nicht mit der derzeit geltenden Gesetzeslage in Einklang zu bringen.

57 58 59 60

LR-Sander/Cirener, § 251 Rn. 4. KK-Diemer, § 250 Rn. 1; LR-Sander/Cirener, § 251 Rn. 3. Vgl. SK-StPO/Velten, Vor §§ 250 ff. Rn. 10, 15 ff.; LR-Sander/Cirener, § 251 Rn. 1. Eisenberg, Beweisrecht Rn. 2076.

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Teil 3: Lösungsansätze

2. Amtsaufklärungsgrundsatz Bei einem Einsatz von Fragebögen richtet es sich nach den Erfordernissen der Amtsaufklärungspflicht und des Beweisantragrechts, ob es noch einer persönlichen Vernehmung bedarf.61 Die Aufklärungspflicht wird nicht dadurch berührt, dass alle Verfahrensbeteiligten zustimmen, und kann immer noch zur Vernehmung zwingen.62 Nach überwiegender Auffassung folgt schon aus dem Aufklärungsgrundsatz, § 244 II StPO, das Gebot der Verwendung des sachnächsten Beweismittels.63 Teilweise wird dies aus dem materiellen Unmittelbarkeitsgrundsatz, § 250 StPO, geschlossen.64 Das sachnächste Beweismittel wäre eine Zeugenvernehmung; eine Verlesung eines Fragebogens ist dagegen das sachfernere Beweismittel. Wie schon im Rahmen der Bewertung des Lösungsansatzes über das normativ geprägte Vorstellungsbild dargestellt, kann dem Gebot des sachnächsten Beweismittels, also der Vernehmung des Zeugens statt einer Verlesung, beim Massenbetrug wegen der großen Anzahl an Zeugen nicht in jedem Einzelfall Genüge getan werden. Eine Irrtumsfeststellung ausschließlich aufgrund von Fragebögen wird der Amtsaufklärungspflicht allerdings nicht gerecht, § 244 II StPO. Fragebögen alleine erreichen nicht die Qualität, die für eine Beweiswürdigung erforderlich ist. Der Amtsaufklärungsgrundsatz kann verletzt sein, wenn gänzlich auf Zeugenvernehmungen verzichtet und nur Fragebögen eingesetzt werden. Die Beweiserhebung ist insoweit unzureichend, als der Beweiswert der gewonnenen Beweisergebnisse nicht zu einer ordnungsgemäßen Beweiswürdigung ausreicht. 3. Beweiswürdigungsgrundsatz Dem Beweiswert von Fragebögen werden einige Bedenken entgegengebracht. Die Verwertung von Surrogaten des Zeugenbeweises, der nicht einmal selbst ein zuverlässiges Beweismittels sei, könne nur einen stark eingeschränkten Beweiswert haben.65 Die Bedenken können teilweise entkräftet werden. Eine ordnungsgemäße Beweiswürdigung hinsichtlich des Irrtumsmerkmals in allen Einzelfällen des Massenbetrugs allein aufgrund der Ergebnisse der Fragebögen wird in der Regel aber nicht möglich sein. Zum einen wird vorgebracht, dass ein schriftlicher Fragebogen den Kommunikationsgehalt einer mündlichen Vernehmung durch Ermittlungsbeamte nicht voll-

61

Vgl. BGH, Beschl. v. 06. 02. 2013 – 1 StR 263/12 Rn. 18 = NJW 2013, 1545. BGH, Beschl. v. 26. 02. 1988 – 4 StR 51/88 –, juris Rn. 7 = NStZ 1988, 283; MeyerGoßner/Schmitt, § 251 Rn. 8. 63 LR-Sander/Cirener, § 244 Rn. 23 m.w.N.; Meyer-Goßner/Schmitt, § 250 Rn. 3; § 244 Rn. 12. 64 Geppert, Unmittelbarkeit, S. 166; SK-StPO/Velten, Vor §§ 250 ff. Rn. 9 ff. 65 Schünemann, FS Meyer-Goßner, 385 (399). 62

5. Kap.: Die Verlesung von Fragebögen

305

umfänglich abbilden könne.66 Dem kann nur entgegnet werden, dass es versucht werden muss, den Fragebogen so gut zu gestalten, dass er an ein mündliches Gespräch heranreicht. Auch der nächste Einwand, schriftliche Zeugenvernehmungen bergen das Risiko von Missverständnissen,67 trägt nicht; zum einen können Missverständnisse auch in einer mündlichen Vernehmung entstehen und zum anderen kann in der Schriftlichkeit viel konkreter, präziser und überlegter gefragt und geantwortet werden. Ferner seien bei schriftlichen Vernehmungen keine gezielten Nachfragen bei Unklarheiten oder weiterem Aufklärungsbedarf möglich.68 Auch hier kann entgegnet werden, dass nur sehr gezielt gefragt werden muss, um gar nicht erst den Bedarf an Nachfragen aufkommen zu lassen. Der Sachverhalt muss jedenfalls schon so ausermittelt sein, dass ein detaillierter Fragebogen erstellt werden kann. Es ist zwar richtig, dass durch die Vorgabe der Fragestellung die Antwortmöglichkeiten radikal beschränkt werden69. Insbesondere kann dem von § 69 I StPO geforderten freien Sachbericht durch den Fragebogen nicht Rechnung getragen werden. Je nach Komplexität des Sachverhalts muss daher versucht werden, durch den Fragebogen möglichst sämtliche aller denkbaren Antwortmöglichkeiten abzudecken. Im Übrigen muss man sich beim Einsatz von Fragebögen der Gefahr einer suggestiven Befragung bewusst sein.70 Laut Nickolai werden die Ermittlungsbehörden gut beraten sein, sich mit Blick auf die Unschuldsvermutung jeder Suggestivformulierung zulasten des Beschuldigten zu enthalten, um die Verlässlichkeit der Antwortbögen nicht zu gefährden.71 Transparenter und besser überprüfbar ist allerdings ein Fragebogen gegenüber einer mündlichen Verhandlung. Den genannten Einwänden ist bei der Erstellung des Fragebogens Rechnung zu tragen. Der Kritik ist zuzugeben, dass eine Beweiswürdigung hinsichtlich des Irrtumsmerkmals allein aufgrund der Fragebögen nicht ausreichen wird. Aber die Fragebögen können einen wichtigen Bestandteil der Überzeugungsbildung darstellen. 4. Konfrontationsrecht Wenn die Ergebnisse von Fragebögen, die ohne Mitwirkung des Verteidigers erstellt worden waren, in die Hauptverhandlung als Beweismittel eingeführt wurden, hatte der Angeklagte nie die Möglichkeit, an die Zeugen Fragen zu stellen. Sein Recht auf konfrontative Befragung, Art. 6 III lit. d EMRK, wurde dann nicht gewahrt. Die unterbliebene Gelegenheit zur Konfrontation kann einen Verstoß gegen 66

Kuhli, StV 2016, 40 (43). Schünemann, FS Meyer-Goßner, 385 (389). 68 Schünemann, FS Meyer-Goßner, 385 (389); Kuhli, StV 2016, 40 (44). 69 So Schünemann, FS Meyer-Goßner, 385 (389). 70 Vgl. dazu LG Freiburg (Breisgau), Urt. v. 14. 03. 2014 – 10 Ns 410 Js 4578/11 u. a. –, juris Rn. 86. 71 Wabnitz/Janovsky-Nickolai, 25. Kapitel, Rn. 91. 67

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Teil 3: Lösungsansätze

Art. 6 I EMRK begründen, wenn das gesamte Verfahren einschließlich der Art und Weise der Beweiserhebung und -würdigung in einer Gesamtbetrachtung unfair gewesen ist.72 Kuhli schlägt daher vor, Vorschläge des Angeklagten und seines Verteidigers zum Inhalt und zu Ausgestaltung des Fragebogens zu berücksichtigen, um dem Recht des Angeklagten, Fragen an die Zeugen zu stellen, § 240 II 2 StPO, Art. 6 III lit. d EMRK, Genüge zu tun.73

D. Ergebnis Der Fragebogeneinsatz ist ein an sich vielversprechender Lösungsansatz, dem allerdings einige praktische Umsetzungsprobleme entgegenstehen und der als einzige Beweiserhebungsmaßnahme zur Irrtumsfeststellung auch nicht bestehen kann. (1) Eine Einführung in die Hauptverhandlung durch Verlesung erfordert die Zustimmung der Verfahrensbeteiligten, § 251 I Nr. 1 StPO, während eine Vernehmung des ermittelnden Sachbearbeiters, der die Fragebögen ausgewertet hat, über den Inhalt der beantworteten Fragebogen auch ohne Zustimmung möglich ist. (2) Bei Zustimmung aller Verfahrensbeteiligten ist auch eine Einführung der beantworteten Fragebögen im Selbstleseverfahren möglich, § 249 II 1 StPO. (3) Der Einsatz von Fragebögen hat den Vorteil, dass eine flächendeckende Erfassung der Vorstellungsbilder der Getäuschten möglich ist. (4) Eine Feststellung des Irrtums allein anhand von Fragebögen würde den Anforderungen des Aufklärungs-, Beweiswürdigungs-, und Unmittelbarkeitsgrundsatzes aber nicht gerecht. (5) Weitere Anforderungen an Zeugenvernehmungen wie der freie Sachbericht, § 69 I 1 StPO, und das Fragerecht des Angeklagten und Verteidigers, § 240 II 1 StPO, Art. 6 III lit. d EMRK, können Fragebögen nicht erfüllen. (6) Die praktische Durchsetzbarkeit der Fragebogenaktion bei den Zeugen ist nicht gesichert und es kann nur auf die Wirkung des vorsorglichen Hinweises auf eine Ladung zur staatsanwaltschaftlichen Vernehmung gehofft werden. Der Einsatz von Fragebögen hat nicht zu unterschätzende Vorteile, aber kann als Mittel zur Irrtumsfeststellung allein nicht ausreichen. Im Rahmen der Vorstellung des eigenen Lösungsvorschlags wird gezeigt werden, wie man diese Vorzüge nutzen und die Schwächen ausgleichen kann.

72 EGMR, Entsch. v. 17. 11. 2005, Nr. 73047/01, Haas vs. Deutschland, Rn. 81 = NStZ 2007, 103. Vgl. EGMR, Entsch. v. 17. 11. 2005, Nr. 73047/01, Haas vs. Deutschland, Rn. 81 ff. = NStZ 2007, 103; BeckOK-StPO/Valerius, Art. 6 EMRK Rn. 48; KK-Ott, § 261 Rn. 29 g. 73 Kuhli, StV 2016, 40 (44).

6. Kap.: Die Vorschläge de lege ferenda

307

6. Kapitel

Die Vorschläge de lege ferenda In diesem Kapitel werden die Vorschläge de lege ferenda thematisiert, die schon vereinzelt in der Literatur zur Lösung der Beweisschwierigkeiten beim Massenbetrug aufgezeigt werden. Kann die bestehende Gesetzeslage keine befriedigenden Antworten auf ein praktisches Problem bieten, wird oft der Ruf nach dem Gesetzgeber laut. Schuhr meint, es sei wünschenswert, die Konstellation der Massentat dogmatisch weiter zu durchdringen und Vorschriften zu schaffen, die zu ihr passen.1 Eigene Vorschläge de lege ferenda, die zur Umsetzung des in dieser Arbeit noch vorzuschlagenden Lösungsansatzes erforderlich werden oder jedenfalls wünschenswert sind, werden im achten Kapitel an gebotener Stelle gemacht.

A. Einführung eines neuen Straftatbestands in Form eines Eignungsdelikts (Trüg) Trüg2 schlägt die Schaffung eines auf die Konstellation des gleichförmigen Massengeschäfts limitierten Gefährdungsdeliktes in Gestalt eines Eignungsdeliktes vor. So könnten bereits solche Serientäuschungen, die geeignet sind, eben solche Serienirrtümer und dadurch bedingt Serienvermögensschäden hervorzurufen, als solche strafrechtlich bewehrt werden. Zwar würde ein weiterer Straftatbestand sich den Vorwurf der Hypertrophie des Strafrechts gefallen lassen müssen. Der „dogmatisch nicht hinzunehmende[n] Funktionalisierung des objektiven Betrugstatbestands“ durch die Rechtsprechung könne aber nur so ein Ende bereitet werden. Ein neuer Straftatbestand sei zwar „möglicherweise kein Königsweg, aber vielleicht ein Ausweg aus der jetzigen dogmatischen Sackgasse.“ Auch die den Betrug flankierenden Straftatbestände der §§ 263a ff. StGB sollten Strafbarkeitslücken füllen, die sich wegen Beweisschwierigkeiten beim Betrugstatbestand ergaben, oder weil Sachverhalte wegen neuerer technischer Entwicklungen nicht mehr erfasst wurden oder sich sonst ein eigenständiges Strafbedürfnis gezeigt hatte.3 Den Beweisschwierigkeiten beim Massenbetrug könnte ebenfalls mit 1

Schuhr, ZWH 2014, 347. Zum Ganzen Trüg, HRRS 2015, 106 (116). 3 Momsen/Grützner/Schröder, 5. Kap., A. Rn. 112; vgl. im Einzelnen: So sollte der Computerbetrug, § 263a StGB, die durch die fehlende Täuschung und Irrtumserregung einer natürlichen Person bei EDV-Manipulationen entstandenen Strafbarkeitslücken schließen, Fischer, StGB, § 263a Rn. 2. Auch Subventionsbetrug, § 264 StGB, wird als Versuch gesehen, den Beweisschwierigkeiten hinsichtlich der Kausalität der Täuschung, der Kenntnis des Täters von der Rechtswidrigkeit der erstrebten Vermögensverfügung und des Vermögensschadens auszuweichen, Fischer, StGB, § 264 Rn. 2. Auch der Kapitalanlagebetrug, § 264a StGB, soll Strafbarkeitslücken wegen Beweisschwierigkeiten beim Nachweis der Kausalität und des 2

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Teil 3: Lösungsansätze

einem neuen Straftatbestand aus dem Weg gegangen werden. Wegen der Ausnahmslosigkeit eines Eignungsdelikts bringt Kuhli aber Trügs Lösungsvorschlag zu Recht deutliche Skepsis entgegen: Ein solcher Straftatbestand würde auch Fälle erfassen, in denen die Täuschungshandlung zwar dazu geeignet sei, aber im Einzelfall mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit keinen Irrtum verursacht habe. Zwar solle nicht in Abrede gestellt werden, das auch solche Täuschungshandlungen strafwürdig sein können, das setze aber einen normativen Begründungsdiskurs voraus, dem nicht allein durch den erheblichen Aufwand des Irrtumsnachweises beim Massenbetrug Genüge getan sein dürfe.4 Führte man ein Eignungsdelikt ein, würde sich das Problem des Massenbetrugs außerdem auf die Frage verlagern, wie die Täuschungshandlung beschaffen sein muss, damit sie geeignet ist, solche Serienirrtümer hervorzurufen, und damit letztlich auch auf die Abgrenzung von noch zulässiger Werbung und schon strafbarer Täuschung. Auch bei risikobehafteten Geschäftsmodellen, die funktionieren können, denen aber das Risiko des Scheiterns immanent ist, könnte allzu leicht eine Täuschungseignung gegenüber den Anteilseignern oder Kunden angenommen werden, wenn das Unternehmen schließlich insolvent wird. Für die Normadressaten würde es kaum möglich sein, diese Abgrenzung zweifelsfrei zu treffen und ihr Unternehmerverhalten daran auszurichten. Auch aufgrund dieser Unabsehbarkeit der Regelung ist die Einführung eines neuen Straftatbestands in Form eines Eignungsdelikts abzulehnen.

B. Erstreckung der Beschränkung der Strafverfolgung auf den Versuch in § 154a StPO (Krell) Laut Krell ist eine analoge Anwendung des § 154a StPO zwar im Einzelfall möglich5, er hält es aber wegen des erheblichen praktischen Bedürfnisses für erwägenswert, den § 154a StPO de lege ferenda auf die Beschränkung der Strafverfolgung auf den Versuch zu erstrecken.6 Für einen Vorschlag zur Gesetzesänderung in der Strafprozessordnung spricht schon schlicht der Umstand, die Lösung für ein prozessuales Problem im Prozessrecht zu suchen. Eine solche Gesetzesänderung würde den Weg, den die Tatgerichte früher schon eingeschlagen haben, auf eine gesetzliche Grundlage stellen. Ohne einen Umsturz üblicher und anerkannter prozessualer Vorgehensweisen ließe sich diese Neuregelung in der Praxis gut umsetzen. Mit der gesetzgeberischen Entscheidung zur Rechtsschaffung würden auch die Vorsatzes beim Betrugstatbestand und wegen der unvollständigen Abdeckung durch sondergesetzliche Schutznormen schließen, Fischer, StGB, § 264a Rn. 1. Auch der Tatbestand des Erschleichens von Leistungen, § 265a StGB, dient der Schließung von Strafbarkeitslücken, Fischer, StGB, § 265a Rn. 1. 4 Kuhli, StV 2016, 40 (47). 5 Krell, NStZ 2014, 686 (689). 6 Krell, NStZ 2014, 686 (688).

6. Kap.: Die Vorschläge de lege ferenda

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Bedenken ausgeräumt, dass die Bestrafung des Versuchsdelikts statt des Vollendungsdelikts nicht den vollen Schuldgehalt erfasse. Dies ist aber der entscheidende Grund, warum auf eine solche gesetzliche Regelung nur als letzter Notanker zurückgegriffen werden sollte. Davor ist zu fragen, ob es nicht auf anderem Wege möglich wäre, eine befriedigende und mit rechtsstaatlichen Grundsätzen zu vereinbarende Lösung zu finden.

310

Teil 3: Lösungsansätze

7. Kapitel

Die Restriktionen im Beweisantragsrecht Die Restriktionen im Beweisantragsrecht stellen zwar keinen eigentlichen Lösungsansatz für die Irrtumsfeststellung beim Massenbetrug dar, ein Seitenblick auf die Thematik ist aber wegen der großen praktischen Relevanz angezeigt. Das Beweisantragsrecht soll die richterliche Aufklärungspflicht zum einen durch Hinweis auf bisher unbekannte Erkenntnisquellen aktualisieren und zum zweiten eine eigene Kompetenz der Verfahrensbeteiligten begründen, die Beweisaufnahme auch außerhalb der Einschätzungsprärogative des Gerichts zu erweitern.1 Hält das Gericht die Vernehmung sämtlicher mutmaßlich Irrender als Zeugen nicht für angezeigt, kann die Verteidigung die Erhebung dieser Beweise zur Ermittlung der Vorstellungsbilder der Getäuschten beantragen, § 244 III-VI StPO. Die Stellung eines Beweisantrags auf Vernehmung aller Zeugen erfordert die Angabe einer konkreten Beweistatsache, des Beweismittels und die Darlegung der Konnexität zwischen Beweistatsache und Beweismittel. Die Beweistatsache muss dabei konkret und bestimmt angegeben werden.2 Eine Umschreibung des erwarteten Beweisergebnisses oder eine Angabe des Beweisziels im Sinne einer Schlussfolgerung genügen dafür nicht.3 Auch die Behauptung von Negativtatsachen, also die Behauptung, ein bestimmtes Ereignis habe nicht stattgefunden, ist keine hinreichend bestimmte Beweistatsache.4 Die allgemein gehaltene Behauptung, die Getäuschten hätten auch andere Vorstellungsbilder gehabt, die keinen Irrtum begründen oder die Behauptung, das vom Gericht angenommene Vorstellungsbild läge bei den zu vernehmenden Getäuschten nicht vor, sind keine hinreichend bestimmten Beweistatsachen. Bei einem Beweisantrag auf Vernehmung weiterer Zeugen wird ferner verlangt, den Zeugen mit Namen und vollständiger ladungsfähiger Anschrift zu bezeichnen.5 Dies kann insbesondere beim Massenbetrug beim Beweisantrag auf Vernehmung sämtlicher Zeugen zur Herausforderung werden.6 Im Folgenden werden die Fälle thematisiert, in denen die Ablehnung eines Beweisantrags Gegenstand der Revisionsentscheidung waren, und außerdem die Voraussetzungen für die sonstigen möglichen Ablehnungsgründe eines Beweisantrags, § 244 III-V StPO, dargestellt.

1

Roxin/Schünemann, Strafverfahrensrecht, § 45 Rn. 6. Vgl. Graf-StPO/Bachler, § 244 Rn. 15. 3 Vgl. Eisenberg, Beweisrecht Rn. 143. 4 Vgl. Meyer-Goßner/Schmitt, § 244 Rn. 20b; Graf-StPO/Bachler, § 244 Rn. 18. 5 Vgl. BGH, Beschl. v. 28. 05. 2009 – 5 StR 191/09 –, juris Rn. 2 = NStZ 2009, 649; KKKrehl, § 244 Rn. 79; Pfeiffer, StPO, § 244 Rn. 14. 6 Siehe dazu BGH, Urt. v. 17. 07. 2009 – 5 StR 394/08 Rn. 13 f. = BGHSt 54, 44; BGH, Beschl. v. 04. 09. 2014 – 1 StR 314/14 Rn. 13 ff. = NStZ 2015, 98. 2

7. Kap.: Die Restriktionen im Beweisantragsrecht

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A. Rechtsprechungsübersicht In ein paar Entscheidungen zum Massenbetrug wurden die gestellten Beweisanträge im (Revisions-)Urteil erwähnt. I. Fall 5: BGH, Urt. v. 17. 07. 2009 – 5 StR 394/08 Im Fall 5: Straßenreinigungsgebühren lehnte das Landgericht Berlin einen Beweisantrag der Verteidigung auf Vernehmung aller (ca. 170.000) Zeugen als bloßen Beweisermittlungsantrag ab. Der fünfte Senat bestätigte dies, weil zum einen die Zeugen nicht – wie erforderlich – mit Namen und vollständiger Adresse genannt wurden.7 Auch in der Sache habe das Landgericht der beantragten Beweiserhebung nicht nachkommen müssen, weil es keiner weiteren Aufklärung durch Vernehmung weiterer Zeugen bedürfe, wenn das Landgericht das angenommene normativ geprägte Vorstellungsbild der Getäuschten durch die Vernehmung einiger Zeugen erhärtet habe.8 Dabei bleibt aber offen, ob der fünfte Senat auf § 244 II StPO oder § 244 III StPO verweist und welchen Ablehnungsgrund er dann für einschlägig hielte.9 II. Fall 6: BGH, Beschl. v. 06. 02. 2013 – 1 StR 263/12 Unter Berufung auf die gerade aufgeführte Entscheidung des fünften Senats bemerkte der erste Senat im Fall 6: Eintreibung von Auslagekosten, dass in den Fällen eines normativ geprägten Vorstellungsbildes die Ablehnung des Antrags auf die Vernehmung einer größeren Zahl von Geschädigten als Zeugen in Betracht komme.10 Welchen Ablehnungsgrund der Senat hier vor Augen hat, bleibt unklar.11 III. Fall 10: BGH, Beschl. v. 15. 10. 2013 – 3 StR 154/13 Im Fall 10: Werbeanzeigen in Postfächern wurde ein Beweisantrag auf Vernehmung weiterer 166 Zeugen gestellt, die im Tatzeitraum ebenfalls einen Anzeigenvertrag abgeschlossen und sich im Ermittlungsverfahren nicht bei der Polizei gemeldet hatten, zum Beweis dafür, dass die Mitarbeiter des Angeklagten ihnen die Vertragsregelungen einschließlich des tatsächlichen Gesamtpreises im Einzelnen zutreffend erläutert und sie darauf hingewiesen hätten, die Werbung erfolge über7 Eine Ausnahme von dieser Erforderlichkeit insoweit, als der Antragsteller außerstande sei, die vollständige Anschrift zu benennen, sei nicht ersichtlich, BGH, Urt. v. 17. 07. 2009 – 5 StR 394/08 Rn. 13 = BGHSt 54, 44. 8 BGH, Urt. v. 17. 07. 2009 – 5 StR 394/08 Rn. 14 f. = BGHSt 54, 44; vgl. auch BGH, Beschl. v. 06. 02. 2013 – 1 StR 263/12 Rn. 18 = NJW 2013, 1545. 9 Vgl. Venn, NStZ 2015, 297 (298). 10 BGH, Beschl. v. 06. 02. 2013 – 1 StR 263/12 Rn. 18 = NJW 2013, 1545. 11 Vgl. Venn, NStZ 2015, 297 (298).

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Teil 3: Lösungsansätze

regional über Postfachkunden. Er wurde damit begründet, dass das Landgericht Osnabrück zuvor ausschließlich solche Zeugen vernommen habe, die nach den Ermittlungen mit der Leistung der Firma unzufrieden gewesen seien; um aber zu beurteilen, ob der Angeklagte seinen Mitarbeitern tatsächlich eine allgemeine Instruktion dahingehend erteilt habe, die Kunden zu täuschen, sei es unumgänglich, auch zufriedene Kunden zu vernehmen, die am Telefon ordnungsgemäß informiert worden seien.12 Der Beweisantrag wurde vom Landgericht Osnabrück mangels hinreichender Bestimmtheit und Bedeutungslosigkeit abgelehnt.13 Der dritte Senat hob das Urteil auf die Revision des Angeklagten hin auf, weil die Ablehnung des Beweisantrags rechtsfehlerhaft gewesen sei, da dieser zum einen bestimmt genug sei und zum anderen die Frage im Vordergrund stehe, ob der Angeklagte ein auf Täuschung angelegtes Geschäftssystem installiert habe.14 IV. Fall 11: BGH, Beschl. v. 04. 09. 2014 – 1 StR 314/14 Auch im Fall 11: Widerrufsschreiben gegen Gewinnspieleintragungsdienste wurden mehrere Beweisanträge auf Vernehmung sämtlicher Zeugen zum Inhalt der Telefonate gestellt, deren Namen und Anschriften sich aus konkret bezeichneten Seiten der Akten und der Anklageschrift ergeben sollten. Das Landgericht Würzburg lehnte die Beweisanträge „mit einem bunten Argumentationsstrauß“15 ab, indem es Beweistatsachen teils als wahr unterstellte, teils als bedeutungslos ansah, teils dem Antrag die Qualität als Beweisantrag absprach, weil der Beweisantrag „aufs Geratewohl“ gestellt worden sei oder es an der notwendigen Konnexität zwischen Beweistatsache und Beweismittel fehle, und teils Verschleppungsabsicht annahm.16 Die diesbezügliche Verfahrensrüge war laut erstem Senat unzulässig, weil die Fundstellen in den Akten nicht in der Revisionsbegründungsschrift wiedergegeben wurden.17 Er konnte daher offen lassen, ob die Beweismittel durch den Verweis auf die Aktenfundstellen hinreichend bezeichnet wurden, aber merkte an, dass es „[i]n einem Fall wie dem vorliegenden, in dem für das Tatgericht kein Zweifel über die Identität der benannten Beweismittel bestand, […] als bloße „Förmelei“ erscheinen [könnte], wenn man von dem Antragsteller über die konkrete Benennung der Aktenstelle, aus der sich die Namen einer Vielzahl von Zeugen mit ladungsfähiger Anschrift eindeutig ergibt, das Kopieren zahlreicher Seiten und das Einfügen dieser Kopien in den Beweisantrag fordern würde.“18

12 13 14 15 16 17 18

Vgl. BGH, Beschl. v. 15. 10. 2013 – 3 StR 154/13 Rn. 5 = NStZ 2014, 111. Vgl. BGH, Beschl. v. 15. 10. 2013 – 3 StR 154/13 Rn. 6 = NStZ 2014, 111. BGH, Beschl. v. 15. 10. 2013 – 3 StR 154/13 Rn. 7 ff. = NStZ 2014, 111. Trüg, HRRS 2015, 105 (112). Vgl. BGH, Beschl. v. 04. 09. 2014 – 1 StR 314/14 Rn. 13 = NStZ 2015, 98. BGH, Beschl. v. 04. 09. 2014 – 1 StR 314/14 Rn. 14 = NStZ 2015, 98. BGH, Beschl. v. 04. 09. 2014 – 1 StR 314/14 Rn. 15 = NStZ 2015, 98.

7. Kap.: Die Restriktionen im Beweisantragsrecht

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V. Fall 8: BGH, Beschl. v. 03. 02. 2015 – 3 StR 544/14 Die im Fall 8: Inkassounternehmen gestellten Beweisanträge auf Vernehmung der Getäuschten als Zeugen lehnte das Landgericht Krefeld wegen Bedeutungslosigkeit ab, weil der Anklagevorwurf einen versuchten Betrug betreffe und es insoweit auf das Vorstellungsbild des Angeklagten, nicht aber auf das der Verfügenden ankomme. Auch als Indiztatsache komme der Frage keine Bedeutung zu, weil dies keinen Rückschluss auf das Vorstellungsbild des Angeklagten zulasse; für den Rechtsfolgenausspruch könnten die Beweisbehauptungen so behandelt werden, als seien sie wahr.19 Der dritte Senat hob das Urteil auf, weil der Vorstellung der potentiell Geschädigten bezüglich des Bestehens der Forderung durchaus eine indizielle Bedeutung für die Feststellung des Tatentschlusses zukommen könne.20

B. Gründe für die Ablehnung des Beweisantrages Während im Rahmen der Aufklärungspflicht eine Beweisantizipation im Sinne einer vorweggenommenen Einschätzung des Beweiswerts des in Frage stehenden Beweismittels überwiegend als zulässig erachtet wird,21 besteht im Beweisantragsrecht ein Verbot der Beweisantizipation und eine vorweggenommene Würdigung findet allein in den durch die Ablehnungsgründe gezogenen Grenzen statt.22 Beim Beweisantrag auf Vernehmung aller Getäuschten eines Massenbetrugs als Zeugen können insbesondere die Ablehnungsgründe der Bedeutungslosigkeit, § 244 III 2 Var. 2 StPO, der Erwiesenheit, § 244 III 2 Var. 3 StPO, der Unerreichbarkeit, § 244 III 2 Var. 5 StPO, der Prozessverschleppung, § 244 III 2 Var. 6 StPO, und der Wahrunterstellung, § 244 III 2 Var. 7 StPO, eine Rolle spielen, wenn nicht ein bloßer Beweisermittlungsantrag vorliegt. I. Ablehnung als bloßer Beweisermittlungsantrag Wenn die zu vernehmenden Zeugen nicht genau benannt werden, kann es sich um einen bloßen Beweisermittlungsantrag handeln.23 Zur Individualisierung im Sinne des Beweisantragsrechts reicht nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs grundsätzlich die bloße Namensnennung von Zeugen mit der Angabe eines 19 Vgl. BGH, Beschl. v. 03. 02. 2015 – 3 StR 544/14 –, juris Rn. 6 = NStZ 2015, 296; s.a. LG Krefeld, Urt. v. 18. 06. 2014 – 22 KLs 32/13 Rn. 119 (NRWE). 20 BGH, Beschl. v. 03. 02. 2015 – 3 StR 544/14 –, juris Rn. 9 = NStZ 2015, 296. 21 Siehe dazu die Darstellung des Meinungsstreits in Teil 3, 4. Kapitel, D. II. 2. c) aa). 22 LR-Becker, § 244 Rn. 183; vgl. auch Graf-StPO/Bachler, § 244 Rn. 41; Eisenberg, Beweisrecht Rn. 139a. 23 Vgl. BGH, Urt. v. 08. 12. 1993 – 3 StR 446/93 –, juris Rn. 11 = BGHSt 40, 3; KK-Krehl, § 244 Rn. 79 („wenn erst Nachforschungen angestellt werden müssen, die nicht sogleich auf dem vom Antragsteller angegebenen Weg zum Ziel führen“); Eisenberg, Beweisrecht Rn. 148a.

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Teil 3: Lösungsansätze

Wohnortes nicht aus.24 Nur, wenn der Antragssteller zur genauen Angabe außerstande ist, kann es genügen, im Einzelnen den Weg zu beschreiben, auf dem die Person des Zeugen zuverlässig ermittelt werden kann.25 Die Bezeichnung aller Individualisierungsfakten zur Beweismittelbezeichnung mag im Einzelfall entbehrlich sein, wenn sie dem Tatgericht eindeutig bekannt sind, beispielsweise wenn der benannte Zeuge mit ladungsfähiger Anschrift in der Anklageschrift bezeichnet ist, wenn das Gericht ihn in demselben Verfahren bereits geladen hat oder wenn sich der Zeuge, wie prozessbekannt ist, unter derselben Adresse eines Prozessbeteiligten oder eines bereits vernommenen bzw. geladenen Zeugen aufhält.26 Ob das Gericht einem Beweisermittlungsantrag nachgeht, entscheidet das Gericht im Rahmen seiner Aufklärungspflicht, § 244 II StPO.27 Im Fall 5: Straßenreinigungsgebühren stufte das Gericht einen Beweisantrag als bloßen Beweisermittlungsantrag ein und lehnte die Vernehmung sämtlicher Zeugen ab, weil sie nicht mit Namen und vollständiger ladungsfähiger Anschrift genannt wurden.28 Im Fall 11: Widerrufsschreiben gegen Gewinnspieleintragungsdienste konnte der erste Senat die Frage dahinstehen lassen, weil die Verfahrensrüge schon unzulässig war, er merkte aber an, es könnte „als bloße „Förmelei“ erscheinen, wenn man von dem Antragsteller über die konkrete Benennung der Aktenstelle, aus der sich die Namen einer Vielzahl von Zeugen mit ladungsfähiger Anschrift eindeutig ergibt, das Kopieren zahlreicher Seiten und das Einfügen dieser Kopien in den Beweisantrag fordern würde.“29 II. Ablehnung wegen Bedeutungslosigkeit Ein Beweisantrag kann abgelehnt werden, wenn die Beweistatsache für die Entscheidung ohne Bedeutung ist, § 244 III 2 Var. 2 StPO. Eine Beweisaufnahme über eine nicht entscheidungserhebliche Tatsache ist überflüssig.30 Die Bedeutungslosigkeit einer Beweisbehauptung kann sich aus tatsächlichen oder rechtlichen Gründen ergeben.31 Eine Bedeutungslosigkeit aus tatsächlichen Gründen liegt vor, wenn die Beweistatsache in keinem Zusammenhang mit der Urteilsfindung steht oder wenn sie 24

BGH, Urt. v. 08. 12. 1993 – 3 StR 446/93 –, juris Rn. 11 = BGHSt 40, 3; BGH, Beschl. v. 28. 05. 2009 – 5 StR 191/09 –, juris Rn. 2 = NStZ 2009, 649. 25 BGH, Urt. v. 08. 12. 1993 – 3 StR 446/93 –, juris Rn. 11 = BGHSt 40, 3; KK-Krehl, § 244 Rn. 79. 26 BGH, Beschl. v. 28. 05. 2009 – 5 StR 191/09 –, juris Rn. 2 = NStZ 2009, 649. 27 BeckOK-StPO/Bachler, § 244 Rn. 46; KK-Krehl, § 244 Rn. 101; BGH, Urt. v. 08. 12. 1993 – 3 StR 446/93 –, juris Rn. 11 = BGHSt 40, 3. 28 Vgl. BGH, Urt. v. 17. 07. 2009 – 5 StR 394/08 Rn. 13 = BGHSt 54, 44. 29 BGH, Beschl. v. 04. 09. 2014 – 1 StR 314/14 Rn. 14 f. = NStZ 2015, 98. 30 LR-Becker, § 244 Rn. 216. 31 LR-Becker, § 244 Rn. 216.

7. Kap.: Die Restriktionen im Beweisantragsrecht

315

selbst im Fall ihrer Bestätigung keinen Einfluss auf die richterliche Überzeugung hätte, da sie keinen zwingenden, sondern nur einen möglichen Schluss zulässt und das Gericht diesen Schluss nicht ziehen will.32 Sog. Haupttatsachen sind für die zu entscheidende Frage von unmittelbarer Bedeutung und eignen sich in der Regel zur direkten Subsumtion unter eine Rechtsnorm.33 Eine Haupttatsache kann also nicht aus tatsächlichen Gründen bedeutungslos sein.34 Das Vorstellungsbild der Getäuschten ist eine entscheidungserhebliche Haupttatsache für das Tatbestandsmerkmal des Irrtums im einzelnen Betrugsdelikt und keine bloße Hilfstatsache.35 Eine Bedeutungslosigkeit aus tatsächlichen Gründen wird also schon aus diesem Grund ausscheiden.36 Wenn das Gericht die Ablehnung maßgeblich darauf stützen würde, angesichts des bisherigen Beweisergebnisses bereits vom Gegenteil der Beweisbehauptung überzeugt zu sein, läge eine unzulässige Beweisantizipation vor, weil dann nicht die Beweistatsache, sondern rechtsfehlerhaft die Beweiserhebung als bedeutungslos behandelt und unzulässigerweise die Beweiswürdigung vorweggenommen würde.37 Trüg hingegen stellt darauf ab, dass die Anzahl der (tateinheitlichen) Einzeldelikte bzw. die Gesamtschadenshöhe offensichtlich nicht „bedeutungslos“ sein können, und vermutet eine unausgesprochene Auffassung des Bundesgerichtshofs, dass vor dem Hintergrund eines uneigentlichen Organisationsdelikts die konkrete Anzahl der Irrenden tatsächlich bedeutungslos sei.38 Im Fall 10: Werbeanzeigen in Postfächern lehnte das Landgericht einen Beweisantrag u. a. wegen Bedeutungslosigkeit ab, der allerdings nicht die Vernehmung aller mutmaßlich Irrenden zum Inhalt hatte, sondern die Vernehmung weiterer Kunden, die nicht getäuscht worden sein sollen.39 Die Ablehnung war rechtsfehlerhaft, da im Vordergrund stand, ob der Angeklagte ein auf Täuschung angelegtes Geschäftssystem installiert hatte.40 Im Fall 8: Inkassounternehmen bestand die Besonderheit, dass nur ein versuchter Betrug angeklagt war. Selbst beim versuchten Betrug kann das Vorstellungsbild der Getäuschten eine Indizwirkung für den Tatentschluss des Angeklagten haben, sodass die Beweistatsache nicht bedeutungslos

32

LR-Becker, § 244 Rn. 220. AnwK-StPO/Sommer, § 244 Rn. 8; Eisenberg, Beweisrecht Rn. 8. 34 Vgl. LR-Becker, § 244 Rn. 224; Graf-StPO/Bachler, § 244 Rn. 55; Meyer-Goßner/ Schmitt, § 244 Rn. 56. 35 Venn, NStZ 2015, 297 (299). 36 So auch Venn, NStZ 2015, 297 (298 f.). 37 Vgl. BeckOK-StPO/Bachler, § 244 Rn. 59 unter Verweis auf u. a. BGH, Beschl. v. 18. 03. 2014 – 2 StR 448/13 –, juris = NStZ-RR 2014, 252; BGH, Beschl. v. 10. 11. 2011 – 5 StR 397/11 –, juris = NStZ-RR 2012, 82; BGH, Urt. v. 12. 06. 1997 – 5 StR 58/97 –, juris = NJW 1997, 2762. 38 Trüg, HRRS 2015, 106 (114, 112 mit Fn. 57). 39 BGH, Beschl. v. 15. 10. 2013 – 3 StR 154/13 Rn. 5 f. = NStZ 2014, 111. 40 BGH, Beschl. v. 15. 10. 2013 – 3 StR 154/13 Rn. 7 ff. = NStZ 2014, 111. 33

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Teil 3: Lösungsansätze

ist.41 Die beiden Fallbeispiele behandeln also gerade nicht die Ablehnung eines Beweisantrags auf Vernehmung sämtlicher Zeugen, bei denen später ein Irrtum ohne Vernehmung angenommen worden ist. III. Ablehnung wegen Erwiesenheit Ein Beweisantrag kann abgelehnt werden, wenn die Beweistatsache schon erwiesen ist, § 244 III 2 Var. 3 StPO. Bereits erwiesene Tatsachen bedürfen keines Beweises.42 Das Gericht kann die Ablehnung aber nicht darauf stützen, dass ihr Gegenteil erwiesen sei.43 Der Ablehnungsgrund wegen Erwiesenheit des Irrtums durch die Annahme eines normativ geprägten Vorstellungsbilds scheidet also bei einem Beweisantrag auf Vernehmung sämtlicher vermutlich Getäuschter als Zeugen aus.44 IV. Ablehnung wegen Unerreichbarkeit Ein weiterer Ablehnungsgrund ist die Unerreichbarkeit des Beweismittels, § 244 III 2 Var. 5 StPO. Ein Zeuge wird dann als unerreichbar i.S.d. § 244 III 2 Var. 5 StPO angesehen, wenn der Tatrichter unter Beachtung der ihm obliegenden Aufklärungspflicht alle der Bedeutung des Zeugnisses entsprechenden Bemühungen zur Beibringung des Zeugen vergeblich entfaltet hat und keine begründete Aussicht besteht, dass der Zeuge in absehbarer Zeit als Beweismittel herangezogen werden kann.45 Bei der Beurteilung der Frage, welche Bemühungen das Gericht zur Beseitigung auftretender Hindernisse unternehmen muss, sind die Bedeutung der Sache und die Wichtigkeit der Zeugenaussage einerseits sowie das Interesse an einer reibungslosen und beschleunigten Durchführung des Verfahrens andererseits unter Berücksichtigung der Gesamtumstände, die dem Erscheinen und der Aussage des Zeugen in der Hauptverhandlung entgegenstehen, gegeneinander abzuwägen.46 Eine Unerreichbarkeit kann unter Umständen beispielsweise bei einem Zeugen mit un-

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Und die Ablehnung des Beweisantrags damit rechtsfehlerhaft, BGH, Beschl. v. 03. 02. 2015 – 3 StR 544/14 –, juris Rn. 9 = NStZ 2015, 296. 42 KK-Krehl, § 244 Rn. 148. 43 KK-Krehl, § 244 Rn. 148; Eisenberg, Beweisrecht Rn. 198, 214 m.w.N. 44 So auch Venn, NStZ 2015, 297 (299). 45 Vgl. BGH, Beschl. v. 10. 05. 1983 – 5 StR 221/83 –, juris Rn. 3 = StV 1983, 319; BGH, Beschl. v. 28. 10. 1986 – 1 StR 605/86 –, juris Rn. 5 = StV 1987, 45; BeckOK-StPO/Bachler, § 244 Rn. 69; KK-Krehl, § 244 Rn. 156. 46 Vgl. nur BGH, Urt. v. 06. 12. 1989 – 1 StR 559/89 –, juris Rn. 13 = NJW 1990, 1124; BGH, Urt. v. 03. 03. 1993 – 2 StR 328/92 –, juris Rn. 4 = NStZ 1993, 349; BeckOK-StPO/ Bachler, § 244 Rn. 70.

7. Kap.: Die Restriktionen im Beweisantragsrecht

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bekanntem Aufenthaltsort, bei Krankheit, bei behördlicher Geheimhaltung oder bei Auslandszeugen (vgl. auch § 244 V 2 StPO) angenommen werden.47 Für den Massenbetrug entscheidend ist, dass der einzelne Zeuge in der Regel nicht unerreichbar i.S.d. § 244 III 2 Var. 5 StPO sein wird und eine Unerreichbarkeit des einzelnen Zeugen nur aufgrund der Menge der anderen, ebenfalls Getäuschten angenommen werden könnte. In den vorgestellten Verfahren wurde, soweit es aus den vorliegenden Entscheidungen ersichtlich ist, kein Beweisantrag wegen Unerreichbarkeit abgelehnt. Nach Kuhlis extensivem Verständnis der Unerreichbarkeit i.S.d. § 244 II StPO und des § 244 III 2 Var. 5 StPO ist der einzelne Zeuge beim Massenbetrug „gleichsam unerreichbar“, weil jeder einzelne Zeuge theoretisch der Letzte in der Vernehmungsreihenfolge sein könnte, nachdem tausende andere Zeugen vernommen worden sind.48 Während er ein extensives Verständnis des Merkmals „in absehbarer Zeit“ bei § 251 I Nr. 2 StPO ablehnt, da es wegen der Einschränkung des Zeugenbefragungsrechts letztlich zu Lasten des Angeklagten wirken würde, gelte dies im Hinblick auf § 244 III 2 Var. 5 StPO nicht.49 Trüg und Habetha vertreten hingegen ein sehr restriktives Verständnis der Unerreichbarkeit. Die Unerreichbarkeit sei – entgegen der Meinung der Rechtsprechung – qualitativen Abstufungen nicht zugänglich. Ein Beweismittel sei nur dann unerreichbar, wenn sämtliche verfügbaren Mittel zur Herbeischaffung des Beweismittels gescheitert seien, aber nicht schon dann, wenn die vom Gericht für angemessen gehaltenen Bemühungen ausgeschöpft seien, weil der Gesetzgeber der Funktion des Beweisantrags, eine umfassende Sachverhaltserforschung als Grundlage der freien richterlichen Beweiswürdigung zu sichern, Vorrang vor den damit verbundenen Belastungen der Justiz und des Verfahrens einräume.50 Kuhli ist hier grundsätzlich zuzustimmen. Auch wenn Einzeldelikte angeklagt sind, die auch einzeln festgestellt und gewürdigt werden müssen, sind diese Einzeldelikte dennoch in einem Verfahren angeklagt. Daher ist eine Gesamtschau in dem Sinne, dass ein einzelner Zeuge als „gleichsam unerreichbar“ gilt, weil jedenfalls nicht alle Zeugen erreichbar sind, zulässig. Jedenfalls ein Beweisantrag auf Vernehmung aller Zeugen kann daher nach der hier vertretenen Ansicht wegen Unerreichbarkeit abgelehnt werden, § 244 III 2 Var. 5 StPO.

47 Vgl. Eisenberg, Beweisrecht Rn. 227 ff.; BeckOK-StPO/Bachler, § 244 Rn. 71 ff.; KKKrehl, § 244 Rn. 161 ff. je m.w.N. 48 Kuhli, StV 2016, 40 (48 und Fn. 91). 49 Kuhli, StV 2016, 40 (Fn. 91). 50 MüKo-StPO/Trüg/Habetha, § 244 Rn. 302.

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Teil 3: Lösungsansätze

V. Ablehnung wegen Verschleppungsabsicht Wenn der Beweisantrag zum Zwecke der Prozessverschleppung gestellt wurde, kann er ebenfalls abgelehnt werden, § 244 III 2 Var. 6 StPO. Eine Verschleppungsabsicht liegt vor, wenn die verlangte Beweiserhebung geeignet ist, den Abschluss des Verfahrens wesentlich hinauszuzögern, sie zur Überzeugung des Gerichts nichts Sachdienliches zugunsten des Antragsstellers erbringen kann, der Antragssteller sich dessen bewusst ist und mit dem Antrag ausschließlich die Verzögerung des Verfahrensabschlusses bezweckt.51 Eine Vernehmung aller Zeugen würde tatsächlich eine deutliche Verfahrensverzögerung bedeuten. Im Fall 11: Widerrufsschreiben gegen Gewinnspieleintragungsdienste wurde ein Beweisantrag auch wegen Verschleppungsabsicht abgelehnt.52 Nach der sog. Fristenlösung des Bundesgerichtshofes kann eine Verschleppungsabsicht insbesondere dann angenommen werden, wenn eine Frist zur Stellung von Beweisanträgen verstrichen ist.53 Aufgrund der Sachleitungsbefugnis kann das Gericht den Verfahrensbeteiligten eine Frist zur Stellung von Beweisanträgen setzen; § 246 I StPO stehe dem nicht entgegen.54 Wird nach der gesetzten Frist ein Beweisantrag gestellt, kann dies ein Indiz für die innere Tatsache der Verschleppungsabsicht darstellen, wenn der Antragsteller die Gründe für die verspätete Antragstellung nicht nachvollziehbar und substanziiert darlegen kann und auch die Aufklärungspflicht nicht zur Beweiserhebung drängt.55 Diese Rechtsprechung wurde vom Bundesverfassungsgericht nicht beanstandet56, wird aber oft kritisiert57. Die Expertenkommission zur Reform der StPO aus dem Jahr 2015 empfiehlt, dass es dem Vorsitzenden möglich sein sollte, nach Abschluss der von Amts wegen vorgesehenen Beweisaufnahme eine angemessene Frist zur Stellung von Beweisanträgen zu bestimmen, nach deren Ablauf weitere Beweisanträge mit dem Urteil beschieden werden können, außer die verspätete Stellung eines Beweisantrags ist genügend entschuldigt.58 Mit einer Fristsetzung zur Stellung von Beweisanträgen könnte das Gericht nach dieser Rechtsprechung weitere nach Fristablauf eingehende Beweis-

51 Graf-StPO/Bachler, § 244 Rn. 77 m.w.N.; BGH, Beschl. v. 08. 06. 2011 – 3 StR 49/11 –, juris = NStZ 2011, 646. 52 Vgl. BGH, Beschl. v. 04. 09. 2014 – 1 StR 314/14 Rn. 13 = NStZ 2015, 98. 53 BGH, Beschl. v. 23. 09. 2008 – 1 StR 484/08 Ls. 2 = BGHSt 52, 355; BGH, Beschl. v. 20. 07. 2011 – 3 StR 44/11 –, juris Rn. 9 = NJW 2011, 2821; BGH, Beschl. v. 12. 03. 2014 – 1 StR 605/13 –, juris Rn. 35 = wistra 2014, 437. 54 BGH, Beschl. v. 23. 09. 2008 – 1 StR 484/08 Ls. 2 = BGHSt 52, 355. 55 BGH, Beschl. v. 23. 09. 2008 – 1 StR 484/08 Ls. 3 = BGHSt 52, 355. 56 BVerfG, Nichtannahmebeschl. v. 06. 10. 2009 – 2 BvR 2580/08 –, juris = NJW 2010, 592. 57 Vgl. u. a. Fezer, HRRS 2009, 17; Gaede, NJW 2009, 605 (608); MüKo-StPO/Trüg/ Habetha, § 244 Rn. 331. 58 Bericht der Expertenkommission zur StPO-Reform 2015, S. 143 ff.

7. Kap.: Die Restriktionen im Beweisantragsrecht

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anträge auf Vernehmung aller oder weiterer Getäuschter als Zeugen wegen Verschleppungsabsicht ablehnen. VI. Ablehnung wegen Wahrunterstellung Gemäß § 244 III 2 Var. 7 StPO kann ein Beweisantrag abgelehnt werden, indem die Beweistatsache als wahr unterstellt wird. Theoretisch könnte das Gericht die Beweistatsachen als wahr unterstellen und den Angeklagten dann nur wegen versuchten statt vollendeten Betrugs verurteilen.59 Einer solchen Vorgehensweise steht zum einen die Rechtsprechung des dritten Senats60 entgegen, nach der die Vorstellungsbilder der Getäuschten Indizwirkung für den Tatentschluss des Angeklagten haben, und zum anderen die oben besprochene Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs61 zum Lösungsansatz über die Bestrafung des Versuchs- statt des Vollendungsdelikts.62

C. Bewertung Gegen die vorschnelle Annahme einer normativ geprägten Fehlvorstellung aller mutmaßlich Geschädigten bleibt Venn zufolge das Beweisantragsrecht für die Verteidigung ein scharfes Schwert.63 Bei einem lege artis gestellten Beweisantrag ist es laut Trüg fernliegend anzunehmen, ein Ablehnungsgrund greife ein.64 Krehl hält es jedenfalls für bedenklich, wenn der Angeklagte, der sich bei einem normativ geprägten Vorstellungsbild ohne Vernehmung eines Opferzeugen der Annahme eines für den Irrtum ausreichenden „sachgedanklichen Mitbewusstseins“ gegenüber sähe, in einem rechtsstaatlichen Verfahren keine Möglichkeit zur Verfügung hätte, dies zu widerlegen.65 Um eine prozessual vermittelte Entindividualisierung des für jeden einzelnen aufzuweisenden Irrtumsmerkmals zu verhindern, muss Gaede zufolge insbesondere über das Beweisantragsrecht die Einforderung der persönlichen Vernehmung ohne den pauschalen Vorwurf der Prozessverschleppung möglich sein.66

59

Diese Idee wirft Venn, NStZ 2015, 297 (299) auf. BGH, Beschl. v. 03. 02. 2015 – 3 StR 544/14 –, juris Rn. 9 = NStZ 2015, 296. 61 Vgl. nur BGH, Beschl. v. 06. 02. 2013 – 1 StR 263/12 = NJW 2013, 1545; BGH, Urt. v. 22. 11. 2013 – 3 StR 162/13 = BGHSt 59, 75; BGH, Beschl. v. 04. 09. 2014 – 1 StR 314/14 Rn. 25 = NStZ 2015, 98. 62 Und daher wird laut Venn, NStZ 2015, 297 (299) einer Aufklärungsrüge der Staatsanwaltschaft der Erfolg nicht zu versagen sein. 63 Venn, NStZ 2015, 297 (299). 64 Trüg, HRRS 2015, 106 (111); ähnlich auch Venn, NStZ 2015, 297 (299). 65 Krehl, NStZ 2015, 101 (102). 66 AnwK-StGB/Gaede, § 263 Rn. 52. 60

320

Teil 3: Lösungsansätze

Nach der hier vertretenen Ansicht kann ein Beweisantrag auf Vernehmung aller Geschädigten als Zeugen wegen Unerreichbarkeit gemäß § 244 III 2 Var. 5 StPO abgelehnt werden, nicht aber ein Beweisantrag auf Vernehmung einiger weiterer Geschädigten als Zeugen.67 Dies korreliert mit dem eigenen Vorschlag, der Kombinationslösung.68

67 68

Wie Kuhli, StV 2016, 40 (48 und Fn. 91). Siehe Teil 3, 8. Kapitel, E.

8. Kap.: Der eigene Vorschlag: Die Kombinationslösung

321

8. Kapitel

Der eigene Vorschlag: Die Kombinationslösung Die vorgestellten Lösungsansätze können nicht überzeugen.1 Angesichts der hohen Anforderungen, die man an die Aufklärung stellen sollte und eine Lösung scheinbar unmöglich machen, darf man nicht kapitulieren und eine Lösung darin suchen, Abstriche an Beweiserhebung und Beweiswürdigung für zulässig zu erklären. Vielmehr muss eine besonnene, differenzierte und praxisgerechte Lösung gefunden werden. Diese Lösung muss Unsicherheiten über den Irrtumsnachweis so weit wie möglich ausräumen und versuchen, der materiellen Wahrheit zumindest so nah wie möglich zu kommen, auch wenn sie nie ganz erreicht werden kann. Diese Lösung kann in einer Kombination zweier Lösungsansätze liegen, die jeweils für sich genommen die Herausforderungen des Irrtumsnachweises teilweise gut meistern, aber beide nicht den Anforderungen, die man an ein rechtsstaatliches Strafverfahren stellen sollte, gerecht werden. Diese zwei Lösungsansätze sind der Indizienschluss aufgrund von Zeugenvernehmungen pars pro toto und der Einsatz von Fragebögen. Die Unzulänglichkeiten jedes der beiden Lösungsansätze werden vom jeweils anderen kompensiert. Wo es beim Indizienschluss an der flächendeckenden Ermittlung („in die Breite“2) hapert, bietet der Einsatz von Fragebögen genau diese umfassende Erfassung aller mutmaßlich Irrenden an. Während Fragebögen nicht alle theoretisch möglichen Vorstellungsbilder erfassen können und mangels Nachfragemöglichkeit und eines freien Sachberichts qualitativ nicht an eine Zeugenvernehmung heranreichen, kann bei den Zeugenvernehmungen weniger Zeugen, die Grundlage des Indizienschlusses, genau diese Qualität der Befragung („in die Tiefe“) erreicht werden. Nur gemeinsam werden die Lösungsansätze den Anforderungen an die Aufklärungspflicht gerecht und schaffen die Grundlage für eine rechtsfehlerfreie Beweiswürdigung. Wie zwei Puzzleteile greifen sie ineinander und gewährleisten in der Kombination einen sowohl qualitativ (Indizienschluss nach Zeugenvernehmungen pars pro toto) als auch quantitativ (flächendeckende Erfassung durch Fragebögen) überzeugenden Irrtumsnachweis in allen Einzelfällen des Massenbetrugs. Die Kombinationslösung bietet eine prozessuale Lösung für ein prozessuales Problem. Für diese Kombinationslösung sind aber zum einen die Voraussetzungen zu klären, die an den einen wie auch an den anderen Baustein zu stellen sind, und die Frage, wie die Einhaltung der Voraussetzungen sichergestellt und überprüfbar gemacht werden kann. Zum anderen muss die Kombinationslösung auch selber nun allen Verfahrensprinzipien gerecht werden, die in der Bewertung der anderen Lösungsansätze eine Rolle gespielt haben. 1 Siehe auch Trüg, HRRS 2015, 106 (116), der von „jetzigen dogmatischen Verwerfungen“ spricht. 2 Vgl. zum Begriffspaar „in die Breite“ und „in die Tiefe“: Krell, NStZ 2014, 686 (687).

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Teil 3: Lösungsansätze

A. Anwendungsvoraussetzungen Zunächst müssen Anwendungsvoraussetzungen für die Kombinationslösung gefunden werden. Die Kombinationslösung ist ein speziell auf die Besonderheiten des Massenbetrugs zugeschnittener Vorschlag und darf nicht als allgemeines Instrument zur Beweiserleichterung beim Irrtumsnachweis verstanden oder zweckentfremdet werden. Um die Fallkonstellationen herauszufiltern, für die die Kombinationslösung Anwendung finden kann und darf, müssen bestimmte Anforderungen an die Beschaffenheit der Täuschung erfüllt sein und eine ermittlungstechnische Ausnahmesituation vorliegen. I. Anforderungen an die Beschaffenheit der Täuschung Je ähnlicher sich die Täuschungshandlungen sind, desto mehr werden sich auch die Vorstellungsbilder der Getäuschten gleichen. Damit die Vorstellungsbilder in einem Fragebogen erfassbar sind, müssen also gleichgeartete Täuschungshandlungen vorliegen. Auch der vierte Senat stellt für die Zulässigkeit eines Indizienschlusses anhand weniger Zeugenvernehmungen auf „gleich gelagerte Betrugshandlungen“ ab.3 Je individueller die Umstände der Tatsituation gewesen sind, desto schlechter kann ein abstrahierender Fragebogen dem Einzelfall gerecht werden.4 Am besten liegen exakt gleiche Täuschungshandlungen vor, wie es beispielsweise bei Fall 14: Ping-Anrufe5 der Fall war. Bei komplexeren Sachverhalten wie beispielsweise beim Verkauf von Unternehmensanteilen an einem Schneeballsystem (vgl. Fall 16: Schneeballsystem6) sind die Täuschungshandlungen dann hinreichend gleichgeartet, wenn die für die Subsumtion als Täuschungshandlung wesentliche Aussage die gleiche ist. II. Anforderungen an die Beschaffenheit des Irrtums Zwar müssen die möglichen Vorstellungsbilder in einem Fragebogen erfassbar sein. Dies wird allerdings schon durch die Voraussetzung der gleichgearteten Täuschungshandlung gewährleistet. Es gibt also kein Erfordernis einer bestimmten Beschaffenheit des Irrtums im Sinne einer Anwendungsvoraussetzung. Insbesondere ist man damit nicht auf den unbestimmten Begriff des normativ geprägten Vorstellungsbilds angewiesen. Liegt ein „echtes“ normativ geprägtes Vorstellungsbild in dem Sinne vor, dass das Vorstellungsbild der Verfügenden durch den massenhaften 3

BGH, Urt. v. 19. 11. 2015 – 4 StR 115/15 –, juris Rn. 27 = ZWH 2016, 120. Laut Kuhli erweisen sich Fragebögen daher nur dann als sinnvolles Instrument, wenn es sich bei den Tatvorwürfen um gleich gelagerte Fälle handelt, Kuhli, StV 2016, 40 (44). 5 BGH, Urt. v. 27. 03. 2014 – 3 StR 342/13 = BGHSt 59, 195. 6 LG Düsseldorf, Urt. v. 31. 07. 2014 – 14 KLs – 130 Js 44/09 – 10/12 –, juris (nachfolgend BGH, Urt./Beschl. v. 10. 12. 2015 – 3 StR 163/15 –, juris = JA 2016, 306/ wistra 2016, 164). 4

8. Kap.: Der eigene Vorschlag: Die Kombinationslösung

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und standardisierten Charakter der Verfügung geprägt ist, also eine Massenhaftigkeit auf Seiten der Verfügenden vorliegt, dann kann auch schon ein Indizienschluss auf Grundlage von Zeugenvernehmungen pars pro toto alleine die Anforderungen an den Amtsaufklärungsgrundsatz erfüllen.7 Die Kombinationslösung will und kann hingegen für alle restlichen, typischen Fälle des Massenbetrugs anwendbar sein. III. Ausreichende Verbundenheit der Einzeldelikte durch einheitliches Strafverfahren Die Einzeldelikte können in Tateinheit oder Tatmehrheit stehen. Nach der hier vertretenen Ansicht wird in der Regel Tatmehrheit vorliegen und nur in Einzelfällen Tateinheit wegen natürlicher Handlungseinheit anzunehmen sein. Für die Frage der Anwendbarkeit der Kombinationslösung ist von Bedeutung, dass die Einzeldelikte in demselben Strafverfahren angeklagt sind. Dass das Gericht über die angeklagten Taten in ihrer Gesamtheit urteilt, reicht als Verbundenheit der Einzeldelikte aus. Auf nicht angeklagte Taten kann sich der Indizienschluss nicht erstrecken. IV. Ermittlungstechnische Ausnahmesituation beim Massenverfahren Eine wesentliche Voraussetzung für die Kombinationslösung ist die ermittlungstechnische Ausnahmesituation beim Massenverfahren. Es darf nicht dazu kommen, dass die Beweiserleichterungen auch bei Betrugsverfahren angewendet werden, in denen eine Vernehmung der Getäuschten möglich und auch sinnvoll wäre. Eine Angabe einer konkreten Mindestanzahl von mutmaßlich Irrenden für den Einsatz der Kombinationslösung würde der Problematik der vielen denkbaren, unterschiedlichen Sachverhaltsgestaltungen nicht gerecht und hätte keinen dogmatischen Anhaltspunkt. Die Entscheidung muss und kann vielmehr der Einschätzung des Tatgerichts überlassen werden. In diese Abwägung sind die Gesamtumstände wie die ermittlungstechnischen Schwierigkeiten, die Bedeutung der Strafsache8, die Komplexität des Sachverhalts usw. miteinzubeziehen. Einen Anhaltspunkt für die zu nehmende Hürde könnte die bei Eingriffsmaßnahmen verwendete Formel, dass die Aufklärung auf andere Weise aussichtslos oder „wesentlich erschwert“ wäre (vgl. §§ 100a I Nr. 3, 110a I 3, 131b II StPO)9, bieten. Die Aufklärung auf andere Weise ist aussichtslos, wenn andere Aufklärungsmittel 7

Siehe Teil 3, 4. Kapitel, D. II. 2. d) dd). Vgl. Kuhli, StV 2016, 40 (48, Fn. 92) mit Verweis auf KK/Krehl, § 244 Rn. 160. 9 Vgl. auch die Wendung des Großen Senats in seiner „Hörfallen“-Entscheidung: Danach besteht kein Beweisverwertungsverbot infolge eines auf Veranlassung der Ermittlungsbehörden mit dem Tatverdächtigen ohne Aufdeckung der Ermittlungsabsicht auf die Erlangung von Angaben zum Untersuchungsgegenstand gerichteten Gesprächs, wenn es um die Aufklärung einer Straftat von erheblicher Bedeutung geht und die Erforschung des Sachverhalts unter Einsatz anderer Ermittlungsmethoden „erheblich weniger erfolgversprechend oder wesentlich erschwert“ gewesen wäre, BGH, Beschl. v. 13. 05. 1996 – GSSt 1/96 = BGHSt 42, 139. 8

324

Teil 3: Lösungsansätze

nicht vorhanden sind oder keine Erfolgsaussichten haben.10 Eine wesentliche Erschwerung wird angenommen, wenn die Benutzung anderer Aufklärungsmittel einen erheblich größeren Zeitaufwand erfordern und daher zu einer wesentlichen Verfahrensverzögerung führen würde oder sie schlechtere bzw. nicht für eine schnelle Ermittlung erforderliche und ausreichende Erkenntnisse erwarten lassen.11 Kostengesichtspunkte können die Eingriffsmaßnahme nur rechtfertigen, wenn andere Aufklärungsmittel zu einem unvertretbaren Arbeitsaufwand führen würden und insbesondere andere Ermittlungsverfahren vernachlässigt werden müssten.12 Die Übertragbarkeit auf die Anwendbarkeit der Kombinationslösung bei den Massenbetrugsfällen findet insoweit ihre Grenzen, als es sich bei der Voraussetzung, dass die Aufklärung auf andere Weise aussichtslos oder wesentlich erschwert wäre, um eine Voraussetzung für einen unmittelbaren Rechtseingriff des Betroffenen handelt, während es hier um die Voraussetzungen für die Anwendung beweiserleichternder Maßnahmen geht. Speziell für den Massenbetrug und auf den Sinn und Zweck der Kombinationslösung zugeschnitten kann daher auch mit folgender Abwägung gearbeitet werden: Ein ermittlungstechnischer Ausnahmefall ist bei Massenverfahren dann gegeben, wenn eine Vernehmung aller Getäuschten unmöglich ist bzw. wenn der zeitliche und wirtschaftliche Aufwand wegen einer geringen erwarteten Divergenz der Aussagen außer Verhältnis steht zu dem möglichen Erkenntnisgewinn durch die mündliche Vernehmung aller Geschädigten im Gegensatz zur Verwertung der Ergebnisse des Fragebogens. Dieses dem Tatgericht zustehende Ermessen unterliegt einer Willkürkontrolle (Evidenzkontrolle).

B. Erster Baustein: Fragebögen Der erste Baustein der Kombinationslösung soll die flächendeckende Erfassung sicherstellen: Der Einsatz von Fragebögen. Unter einem schriftlichen Fragebogen wird hier nicht ein schriftlicher Anhörungsbogen mit einem freien Bericht des Zeugen verstanden, sondern eine Reihe an Fragen mit Antwortmöglichkeiten zum Ankreuzen (Multiple-Choice). I. Inhaltliche Anforderungen an den Fragebogen Wie schon im fünften Kapitel angesprochen, muss der Fragebogen so gestaltet sein, dass er soweit wie möglich den Inhalt einer mündlichen Zeugenvernehmung abbilden kann.

10 11 12

Vgl. Meyer-Goßner/Schmitt, § 100a Rn. 13; BeckOK-StPO/Graf, § 100a Rn. 40. Vgl. Meyer-Goßner/Schmitt, § 100a Rn. 13; BeckOK-StPO/Graf, § 100a Rn. 40. Vgl. KK-Bruns, § 110a Rn. 33; BeckOK-StPO/Graf, § 100a Rn. 40.

8. Kap.: Der eigene Vorschlag: Die Kombinationslösung

325

1. Vielzahl von Antwortmöglichkeiten Dazu gehört, dass es viele Antwortmöglichkeiten geben muss, um eine möglichst detaillierte Beantwortung sicherzustellen. Neben den vom Einzelfall abhängigen Varianten von Vorstellungsbildern, die einen Irrtum begründen, müssen auch Antwortmöglichkeiten angeboten werden, die einen solchen ausschließen. Dazu gehören die Fälle der ignorantia facti (z. B. „Ich habe mir gar keine Gedanken gemacht.“), der erkannten Täuschung (z. B. „Ich habe die Unrichtigkeit der Erkärung erkannt, aber dennoch gezahlt, damit ich meine Ruhe habe.“ o.Ä.) und der Gleichgültigkeit (z. B. „Ich habe an der Richtigkeit der Erklärung gezweifelt, aber es war mir gleichgültig.“) Damit kein Zeuge zu einer Aussage gedrängt wird, die so nicht zutrifft, wird es außerdem erforderlich sein, Antwortmöglichkeiten wie „Ich weiß es nicht (mehr).“ oder „Meine Gedanken und Erwartungen finde ich in den Antwortmöglichkeiten nicht abgebildet.“ aufzunehmen. 2. Keine Suggestion Eine suggestive Befragung muss vermieden werden.13 Allein dadurch, dass der Zeuge eine Vielzahl von Antwortmöglichkeiten vorgelegt bekommt und dass ihm alle Antwortmöglichkeiten gleichzeitig präsentiert werden, kann der Gefahr einer suggestiven Befragung schon entgegengewirkt werden. Um aber sicherzustellen, dass sich auch (genügend) Antwortmöglichkeiten darunter finden, die einen Irrtum ausschließen lassen, wird es ratsam sein, den Verteidiger an der Erstellung der Fragebögen mitwirken zu lassen. Eine mögliche Suggestivität der Fragen eines Fragebogens ist wegen der Transparenz von Fragen und Antworten andererseits auch offenkundiger und damit besser überprüfbar als eine mündliche Zeugenvernehmung, deren Inhalt vom vernehmenden Ermittlungsbeamten in dessen Worten niedergeschrieben oder diktiert wird, wodurch die mögliche Suggestivität der Befragung gar nicht erst zu Tage tritt. 3. Kein freier Bericht Ein freies Feld für Eintragungen in eigenen Worten des Zeugen ist zur Befriedigung der Forderung nach einem freien Sachbericht, § 69 I 1 StPO, zwar wünschenswert. Es liefe aber dem Hauptziel des Fragebogeneinsatzes, nämlich der Verfahrenserleichterung bei gleichzeitiger Wahrung des Amtsaufklärungsgrundsatzes, zuwider. Ein Verstoß gegen § 69 I 1 StPO wäre zwar revisionsfest, wenn nicht gleichzeitig gegen die Aufklärungspflicht verstoßen worden wäre bzw. das Urteil nicht auf dem Verstoß beruht. Eine Vorgehensweise kann aber nicht mit dem Argument empfohlen werden, dass ein Verstoß zwar ein Gesetzesverstoß, aber zumindest kein revisibler Verstoß ist. Eine gesetzliche Regelung des Fragebogeneinsatzes wird daher vorzugswürdig sein, um diese missliche Lage zu beseitigen. Es 13

Vgl. dazu Wabnitz/Janovsky-Nickolai, 25. Kapitel, Rn. 91.

326

Teil 3: Lösungsansätze

empfiehlt sich daher, den Fragebogeneinsatz als weitere Möglichkeit der Vernehmung von Zeugen in § 69 StPO aufzunehmen. Um die Anknüpfung an § 69 I und II StPO nicht zu verlieren, erscheint es sinnvoll, in § 69 StPO einen neuen Absatz 3 einzufügen. Dadurch würde der jetzige § 69 III StPO – der die entsprechende Anwendung des § 136a StPO für Zeugenvernehmungen anordnet – zu § 69 IV E-StPO. Als § 69 III E-StPO könnte die Vorschrift demnach lauten: „In Massenverfahren mit einer großen Vielzahl von auf die gleiche Weise Geschädigten können neben der Vernehmung einiger Geschädigter als Zeugen Fragebögen zur Erfassung der Aussagen aller Geschädigten eingesetzt werden.“

Diese Vorschrift wäre damit nicht nur auf den Betrugstatbestand begrenzt, sondern könnte damit allgemein auf Massenverfahren mit einer großen Vielzahl von Geschädigten angewendet werden. II. Praktische Umsetzung Erstellt werden die Fragebögen im Ermittlungsverfahren durch die Staatsanwaltschaft und die Polizei. Sollte im Ermittlungsverfahren noch kein Fragebogeneinsatz durchgeführt worden sein, kann das Gericht einen solchen im Zwischenverfahren als ergänzende Beweiserhebung anordnen, § 202 StPO, oder im Hauptverfahren einen Beweisbeschluss zur Durchführung einer Fragebogenaktion durch die Staatsanwaltschaft bzw. deren Ermittlungspersonen erlassen. 1. Online-Fragebögen Eine wirklich spürbare Verfahrenserleichterung würden vor allem Online-Fragebögen mit sich bringen. Auch hier hängt es noch weiter von der Anzahl der Geschädigten ab; bei Massenbetrugsverfahren mit einigen hunderttausend Geschädigten bedeutet auch die Auswertung schriftlicher Fragebögen einen erheblichen Aufwand. Zwar können auch schriftliche Fragebögen bei entsprechender Gestaltung maschinell eingelesen und ausgewertet werden. Solche Massenbetrugsfälle kann man aber mit ihren eigenen Waffen schlagen; wie sich Täuschungen in solchen Größenordnungen oft nur mit Hilfe von Telekommunikation verüben lassen, können auch die Vorteile des Internets für deren Aufklärung herangezogen werden. Den ermittelten Geschädigten könnte man einen Link mit einer Zugangsberechtigung und einem Passwort zukommen lassen. Bei Online-Fragebögen kann auch ein überflüssiger – und in der Masse auch teurer – Schriftverkehr vermieden werden. OnlineFragebögen können in kürzester Zeit automatisiert ausgewertet werden und erbringen ein klares Ergebnis. Denkbar wäre auch, daneben noch die Alternative einer schriftlichen Beantwortung anzubieten.

8. Kap.: Der eigene Vorschlag: Die Kombinationslösung

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2. Kein Zwang zur Ausfüllung Das Ausfüllen des Fragebogens kann nicht erzwungen werden. Man kann höchstens auf die Möglichkeit einer Vorladung zur staatsanwaltschaftlichen Zeugenvernehmung mit Pflicht zum Erscheinen, § 161a StPO, hinweisen. Ein solcher prophylaktischer Hinweis dürfte sich laut Kuhli zwar angesichts der hohen Zeugenzahlen als vergleichsweises stumpfes Schwert erweisen, da die Staatsanwaltschaft selber keinerlei Interesse an der Vernehmung dieser vielen Zeugen haben dürfte.14 Ob dieser Umstand aber wirklich die Überlegung des Zeugen, entweder den Fragebogen auszufüllen oder zur Vernehmung zu erscheinen, beeinflusst oder ob der Zeuge nicht vielmehr seine eigenen Belange im Auge hat und den Fragebogen einer mündlichen Vernehmung vorzieht, ist fraglich. Sollten manche Zeugen den Fragebogen nicht ausfüllen, wird zu erwägen sein, ob man diese Fälle gemäß §§ 154 I Nr. 1, 154a I 1 Nr. 1 StPO einstellen und eine Verurteilung nur auf die Einzelfälle stützen kann, in denen der Fragebogen ausgefüllt worden ist. 3. Auswertung Welche Antwortmöglichkeit einen Irrtum i.S.d. § 263 StGB begründet und welche nicht, ist eine Frage der tatrichterlichen Subsumtion. Für die Strafzumessung würde eine statistische Auswertung mit der Angabe, welcher Anteil der Befragten welche Antwortmöglichkeit gewählt hat, genügen. So kann die Gesamtzahl der Irrenden festgestellt werden. Die Gesamtzahl der Irrenden ist wiederum maßgeblich für die Anzahl der verwirklichten Delikte sowie die Höhe des Vermögensschadens und damit für die Strafzumessung. Für die materielle Rechtskraft und den Strafklageverbrauch ist aber auch eine klare Darstellung, welches Täuschungsopfer geirrt hat, und welches nicht, also eine Individualisierung der Irrenden, erforderlich.15 Die eindeutige Angabe, welches Täuschungsopfer welche Antwort abgegeben hat, ist durch die Verwendung von Fragebögen auch ohne Weiteres möglich. Dies stellt im Übrigen einen Vorteil gegenüber der bloßen Schätzung der Irrtumsquote dar, bei der eine Individualisierung der Irrenden nicht erfolgt. Die Verwendung von Tabellen in den Urteilsgründen ist dabei grundsätzlich zulässig, solange allen Anforderungen an die bestimmte, unverwechselbare Beschreibung der Taten durch eine Darstellung von Tatzeit, Tatort, Geschädigten und Betrugsschaden genügt wird.16

14

Kuhli, StV 2016, 40 (44). Vgl. Kuhli, StV 2016, 40 (46); allgemeiner Pfeiffer, StPO, § 267 Rn. 7; KK-Kuckein, § 267 Rn. 9; BeckOK-StPO/Peglau, § 267 Rn. 12. 16 Vgl. BeckOK-StPO/Peglau, § 267 Rn. 14; BGH, Beschl. v. 18. 10. 2007 – 4 StR 481/07 –, juris Rn. 5 = wistra 2008, 109. 15

328

Teil 3: Lösungsansätze

III. Einführung in die Hauptverhandlung Stellt sich weiter die Frage, wie die Ergebnisse der Fragebögen in die Hauptverhandlung eingeführt werden können. Wie schon im Kapitel über den Fragebogeneinsatz erläutert worden ist, bestehen zwei Möglichkeiten der Einführung – entweder durch Verlesung oder durch Vernehmung des die Fragebogenaktion leitenden Ermittlungsbeamten. Der Arbeitskreis zum Alternativ-Entwurf (AE) für die Beweisaufnahme hat daneben ein völlig neues Konzept der Ausgestaltung der Einführung von Beweismitteln in die Hauptverhandlung vorgelegt, das auch für die Problematik des Massenbetrugs seine Tauglichkeit beweisen kann. Wünschenswert wäre es, zum einen den Blanko-Fragebogen zu verlesen und die einzelnen beantworteten Fragebögen in einem Selbstleseverfahren einzuführen, damit in den Prozess nicht nur die Anzahl der Personen, deren Angaben einen Irrtum belegen, sondern auch die Identität dieser Personen eingeführt ist. Zum anderen kann die statistische Auswertung der Fragebogenaktion, also die Angabe, wie viele Befragte welche Antwort gegeben haben, durch die Vernehmung des Ermittlungsbeamten eingeführt werden. Eine solche Vorgehensweise ist aus verfahrensökonomischen Gründen die sinnvollste Möglichkeit, da sie bei geringem Aufwand den meisten Erkenntnisgewinn bringt. Wie noch zu zeigen sein wird, ist eine solche Vorgehensweise zwar nicht ohne Weiteres nach der geltenden Rechtslage möglich, aber nach dem AE Beweisaufnahme. 1. De lege lata Nach der derzeitigen Gesetzeslage können die Fragebögen als schriftliche Erklärungen des Zeugen nur durch eine Verlesung oder die Vernehmung eines polizeilichen Sachbearbeiters in den Prozess eingeführt werden. Beide Varianten erweisen sich leider als nicht praktikabel. a) Verlesung Da die schriftliche Äußerung eines Zeugen eine Urkunde i.S.d. §§ 250 ff. StPO darstellt17 und hinsichtlich der Wahrnehmung von Zeugen der materielle Unmittelbarkeitsgrundsatz die Vernehmung der Zeugen anordnet, § 250 StPO, kann eine Verlesung der beantworteten Fragebögen zwecks der Klärung der Frage, welcher Befragte welche Antwort gegeben hat, nur nach den Vorschriften des § 251 I StPO erfolgen. Diesbezüglich wird auf die Ausführungen in Teil 3, fünftes Kapitel verwiesen. Eine Verlesung kann also nach geltendem Recht nur bei Zustimmung aller Verfahrensbeteiligten gemäß § 251 I Nr. 1 StPO erfolgen. Ein Selbstleseverfahren gemäß § 249 II 1 StPO ist dann ebenfalls möglich.

17

Vgl. dazu Kuhli, StV 2016, 40 (44).

8. Kap.: Der eigene Vorschlag: Die Kombinationslösung

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b) Vernehmung des Sachbearbeiters Die Vernehmung des polizeilichen Sachbearbeiters über die Fragebogenaktion bleibt von den Regeln über die Verlesbarkeit jedoch unbenommen, kann also auch ohne die Zustimmung der Verfahrensbeteiligten erfolgen. Im Ergebnis kann nach der geltenden Rechtslage also das unsicherere und noch fernere Beweismittel einer Zeugenvernehmung des die Fragebogenaktion leitenden Sachbearbeiters eher verwendet werden, als das immer noch nähere Beweismittel der Verlesung der Ergebnisse der Fragebögen. Um nicht nur die Anzahl der Antworten, also quasi eine statistische Auswertung, in den Prozess einzuführen, sondern auch die Angabe, welche Person welche Antwort gegeben hat, müsste der polizeiliche Sachbearbeiter allerdings in seiner Vernehmung die Antwort einer jeden Person, die den Fragebogen ausgefüllt hat, wiedergeben. Eine solche Vorgehensweise ist enorm aufwändig und damit nicht zielführend. Sinnvoll erscheint aber jedenfalls die Vernehmung des Ermittlungsbeamten über die statistische Auswertung der Fragebogenaktion, um einen Gesamtüberblick über die Antworten zu bekommen, und die ergänzende Verlesung eines Blanko-Fragebogens, § 249 I StPO. 2. De lege ferenda Unter anderem aufgrund dieser auch allgemein unbefriedigenden derzeitigen Rechtslage gibt es Bestrebungen, die Voraussetzungen für die Verlesbarkeit zu erweitern (Krüger) oder radikal das ganze System des materiellen Unmittelbarkeitsgrundsatzes zu reformieren (Arbeitskreis zum Alternativ-Entwurf Beweisaufnahme). Ob der materielle Unmittelbarkeitsgrundsatz angesichts seiner zahlreichen Ausnahmen in §§ 251 ff. StPO überhaupt noch als „Grundsatz“ zu qualifizieren ist, ist ohnehin fraglich.18 Radtke fasst den derzeitigen Diskussionsstand hinsichtlich der Kritik am materiellen Unmittelbarkeitsgrundsatz folgendermaßen zusammen: Zum einen gehe es um das Verhältnis des materiellen Unmittelbarkeitsgrundsatzes und der Amtsaufklärungspflicht, deren Konflikt in der Situation, dass der Amtsaufklärungsgrundsatz die Heranziehung des sachferneren Beweismittels beinhalte, während der Unmittelbarkeitsgrundsatz dies gerade ausschließe, sich nicht auflösen lasse.19 Zum anderen gehe es um die Frage, ob der materielle und formelle Unmittelbarkeitsgrundsatz angesichts der erforderlichen Duplizierung der Beweiserhebung – im Ermittlungsverfahren und in der Hauptverhandlung – wegen einer möglichen sekundären Viktimisierung im Sexualstrafrecht oder der Gefahr des Beweismittelverlusts noch zeitgemäß sei.20

18 19 20

So Radtke, GA 2012, 187 (199). Vgl. Radtke, GA 2012, 187 (199 f.). Vgl. Radtke, GA 2012, 187 (200).

330

Teil 3: Lösungsansätze

a) Das Krügersche Modell Bei einer Umsetzung des Krügerschen Modells im Hinblick auf den Unmittelbarkeitsgrundsatz21 würde der Unmittelbarkeitsgrundsatz einer Verlesung der Ergebnisse der Fragebogenaktion nicht entgegenstehen. Krüger unterscheidet bei der Reichweite und Intensität des Unmittelbarkeitsgrundsatzes zwischen tat- und täterbezogenen Merkmalen im prozessualen Sinn.22 Tatbezogen seien Umstände, die sich rein objektiv feststellen und subsumieren lassen; täterbezogen seien hingegen Merkmale, deren Vorliegen sich an der Person des Beschuldigten und seinem, den Tatvorwurf bildenden, Verhalten festmachen lassen bzw. insofern einen unmittelbaren Bezug haben.23 Das Unmittelbarkeitsprinzip habe wie die anderen Prozessprinzipien eine Mittlerfunktion zwischen den Zwecken des Strafprozesses und den gesetzlichen Detailregelungen.24 Die Achtung der Menschenwürde und der Grundrechte des Beschuldigten als ein Ziel des Strafprozesses lege es nahe, dass dieser Schutz über das Unmittelbarkeitsprinzip im Hinblick auf täterbezogene Merkmale im besonderen Maße gewährleistet sein müsse, während er bei tatbezogenen Umständen im Rahmen der prozessualen Aufklärung in den Hintergrund treten dürfe.25 Auch im geltenden Recht lasse sich beobachten, dass die Glaubwürdigkeit und die Rechtsstellung von Zeugen davon abhängig gemacht werden, ob sie in einer persönlichen Beziehung zum Täter oder bloß in Berührung mit der Tat stehen.26 Beispielsweise habe die Verlesungsvorschrift des § 251 I Nr. 3 StPO, die eine Verlesung von Urkunden und Vernehmungsprotokollen über die Existenz und die Höhe eines Vermögensschadens gestatte, einen tatbezogenen Umstand im prozessualen Sinn auf der Tatbestandsebene (Existenz des Vermögensschadens) und auf der Rechtsfolgenebene (für die Strafzumessung relevante Höhe des Vermögensschadens) zum Gegenstand.27 Die Differenzierung zwischen tat- und täterbezogenen Merkmalen im prozessualen Sinn könne schon de lege lata über die pflichtgemäße Ermessensabwägung des Gerichts („kann“) bei der Entscheidung über die Verlesung gemäß § 251 StPO eingestellt werden, mit der Konsequenz, dass bei tatbezogenen Merkmalen die Verlesung eher möglich sein könne als bei täterbezogenen Merk-

21

2014. 22

Vgl. die Habilitationsschrift von Krüger, Unmittelbarkeit und materielles Recht, Berlin

Krüger, Unmittelbarkeit, S. 340. Krüger, Unmittelbarkeit, S. 340. Dabei ist zu beachten, dass das Begriffspaar der tat- und täterbezogenen Merkmale im prozessualen Sinn nach Krüger keinesfalls mit dem gängigen Verständnis der tat- und täterbezogenen Merkmale i.S.d. §§ 211, 28 StGB gleichzusetzen ist. Der Makel, dass die Rubrifizierung als tat- und täterbezogenen Merkmale vor den Hintergrund von §§ 211, 28 StGB möglicherweise inkonsumerabel besetzt sei, könne hingenommen werden, Krüger, Unmittelbarkeit, S. 350 ff. 24 Krüger, Unmittelbarkeit, S. 349. 25 Krüger, Unmittelbarkeit, S. 349. 26 Krüger, Unmittelbarkeit, S. 349. 27 Krüger, Unmittelbarkeit, S. 343 f. 23

8. Kap.: Der eigene Vorschlag: Die Kombinationslösung

331

malen.28 De lege ferenda schlägt Krüger allerdings eine Implementierung an prominenter Stelle im § 251 E-StPO als neue Nr. 1 vor: „1. soweit es tatbezogene Merkmale betrifft; […]“29

Eine Anwendung dieses Modells auf das dieser Arbeit zugrundeliegende Problem erbringt eine sachgerechte Lösung und bestätigt Krügers Modell damit jedenfalls im Sonderfall des Massenbetrugs. Das Irrtumsmerkmal beim Betrugstatbestand bezieht sich auf das Opfer, die getäuschte Person. Die Frage, ob ein Irrtum vorliegt, lässt sich – ganz im Gegensatz zum Täuschungsmerkmal – nur anhand des Vorstellungsbilds des Getäuschten beantworten; der Täter in seiner Person mit seiner Handlung ist hierbei irrelevant. Der Irrtum i.S.d. § 263 StGB kann also wohl als tatbezogenes Merkmal im prozessualen Sinn angesehen werden.30 Bei einem solchen ist der Unmittelbarkeitsgrundsatz weniger unumstößlich als bei täterbezogenen Merkmalen. Die von Krüger vorgeschlagene gesetzliche Neuregelung würde die Einführung der Fragebögen über die Vorstellungsbilder der Getäuschten zwecks der Feststellung des Irrtums durch Verlesung bzw. im Selbstleseverfahren also tragen. b) AE Beweisaufnahme Der Arbeitskreis deutscher, österreichischer und schweizerischer Strafrechtslehrer hat einen Alternativ-Entwurf zur Beweisaufnahme vorgelegt, der das Prinzip einer materiellen Unmittelbarkeit ganz aufgibt und durch die allgemeinen Regeln zur strengbeweislichen Beweiserhebung in der Hauptverhandlung ersetzt. Der Arbeitskreis hat sich bei seinem Vorschlag in erster Linie an den menschenrechtlichen und rechtsstaatlichen Anforderungen an die Wahrheitsermittlung ausgerichtet, wobei einerseits die Rechte der Verfahrensbeteiligten, insbesondere die des Angeklagten, gewahrt und andererseits die Erfordernisse einer effektiven Strafrechtspflege nicht aus den Augen verloren werden sollen.31 Neben den hier interessierenden zentralen Regelungen der §§ 249 – 251 AE (und hinsichtlich des Konfrontationsrechts die Regelungen der §§ 163a, 253 AE) enthält der Entwurf auch noch weitere Änderungsvorschläge für Vorschriften der Strafprozessordnung.32

28

Krüger, Unmittelbarkeit, S. 353 f. Krüger, Unmittelbarkeit, S. 356 f.: Eine Abgrenzung von tat- und täterbezogenen Merkmalen könne der weiteren Klärung durch Wissenschaft und Rechtsprechung überlassen werden. Statt einer Streichung des § 251 I Nr. 3 StPO, der durch § 251 I Nr. 1 E-StPO ersatzlos wegfallen könne, sei auch eine folgende Regelung denkbar, um es für den Rechtsanwender plastischer zu machen: „1. soweit es tatbezogene Merkmale betrifft, insbesondere das Vorliegen oder die Höhe eines Vermögensschadens; […].“. 30 Dies dürfte in Einklang mit Krügers Verständnis vom tatbezogenen Merkmal im prozessualen Sinn stehen, vgl. Krüger, Unmittelbarkeit, S. 340. 31 AE-Beweisaufnahme, GA 2014, 1 (4). 32 AE-Beweisaufnahme, GA 2014, 1 (7 ff.). 29

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Teil 3: Lösungsansätze

aa) Aufgabe des materiellen Unmittelbarkeitsgrundsatzes Der AE Beweisaufnahme behandelt hauptsächlich das materielle Unmittelbarkeitsprinzip in seiner Bedeutung für die Hauptverhandlung.33 Dem liegt die Beobachtung zugrunde, dass das derzeitige Regelungskonzept durch zahlreiche Ausnahmevorschriften unübersichtlich und unsystematisch geworden ist, weil der Gesetzgeber bestrebt gewesen ist, einerseits an dem als rechtsstaatliche Errungenschaft empfundenen Unmittelbarkeitsgrundsatz festzuhalten und andererseits den bei Beobachtung der Praxis erkannten Defiziten entgegenzuwirken.34 Der Entwurf löst sich von dem Gedanken, dass die unmittelbare Vernehmung der Beweisperson in der Hauptverhandlung anderen Möglichkeiten der Beweiserhebung (beispielsweise der Vorführung einer Bild-Tonaufnahme der im Ermittlungsverfahren durchgeführten Zeugenvernehmung) prinzipiell überlegen ist.35 Zwar hat die persönliche Vernehmung in der Hauptverhandlung den unbestreitbaren Vorteil, dass sich das Gericht einen eigenen Eindruck vom Zeugen machen kann; der gravierende Nachteil besteht aber darin, dass das Erinnerungsvermögen des Zeugen mit der Zeit nachlässt und daher einer früheren Vernehmung eine höhere Beweisqualität zukommen kann.36 Der andere Gedanke eines Transferverbots der im Ermittlungsverfahren erzielten Beweisergebnisse in die Hauptverhandlung ist auch nicht durchgehalten worden, weil die Ergebnisse früherer Vernehmungen über den Umweg einer Zeugenaussage der jeweiligen Vernehmungsperson in die Hauptverhandlung zulässigerweise eingeführt werden können.37 Diese Möglichkeit sei nach dem Grundgedanken des Gesetzes fragwürdig, aber vom Wortlaut her nicht ausgeschlossen.38 In der Praxis wird bis heute die Zulässigkeit der Vernehmung des Vernehmungsbeamten nach den allgemeinen Regeln der Beweisaufnahme entschieden, während die Verlesung des Vernehmungsprotokolls sich nach den starren Regeln der §§ 250 – 256 StPO richtet.39 Diese Behandlung sei nicht zu rechtfertigen, da es sich in beiden Fällen um Surrogate der persönlichen Vernehmung handle.40 Das vorgeschlagene Konzept orientiert sich daher an den Regeln über die strengbeweisliche Beweiserhebung in der Hauptverhandlung41 und betrifft den ganzen Regelungskomplex der §§ 250 – 256 StPO.

33 34 35 36 37 38 39 40 41

AE-Beweisaufnahme, GA 2014, 1 (4). AE-Beweisaufnahme, GA 2014, 1 (3, 13 f.). AE-Beweisaufnahme, GA 2014, 1 (5). AE-Beweisaufnahme, GA 2014, 1 (18 f.). AE-Beweisaufnahme, GA 2014, 1 (14). AE-Beweisaufnahme, GA 2014, 1 (14). AE-Beweisaufnahme, GA 2014, 1 (15 f.). AE-Beweisaufnahme, GA 2014, 1 (16). AE-Beweisaufnahme, GA 2014, 1 (5, 18, 50).

8. Kap.: Der eigene Vorschlag: Die Kombinationslösung

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bb) Ersetzung einer Vernehmung, § 250 AE Ob eine Person in der Hauptverhandlung vernommen wird, richtet sich nach den Grundsätzen der Amtsaufklärungspflicht, § 244 II StPO, und dem Beweisantragsrecht.42 Die Vorschrift des § 250 AE lautet: „(1) 1Soweit es nicht möglich oder zur Wahrheitserforschung nicht erforderlich ist, einen Zeugen oder Sachverständigen in der Hauptverhandlung zu vernehmen, kann die Vernehmung durch die Einführung früherer Aussagen oder sonstiger schriftlicher oder mündlicher Erklärungen der betreffenden Person ersetzt werden. 2Die Staatsanwaltschaft, der Angeklagte und der Verteidiger können sowohl zur Bestätigung als auch zur Widerlegung einer in der früheren Aussage oder Erklärung bekundeten Tatsache die Vernehmung des Zeugen oder Sachverständigen beantragen. 3Insoweit gilt das Beweisantragsrecht mit der Maßgabe, dass § 244 Abs. 4 und 5, § 384 Abs. 3 und § 420 Abs. 4 nicht anzuwenden sind. (2) 1Hat der Angeklagte keinen Verteidiger, so belehrt ihn der Vorsitzende über sein Recht, zur Bestätigung oder Widerlegung einer in einer früheren Aussage oder Erklärung bekundeten Tatsache die Vernehmung des Zeugen oder Sachverständigen zu beantragen. 2 Soweit dies erforderlich ist, erläutert er die Bedeutung eines solchen Antrags für das Konfrontationsrecht des Angeklagten (§ 253).“43

Der Grundsatz der persönlichen Vernehmung wird in § 250 AE explizit aufgegeben und durch eine völlig neue Regelung ersetzt.44 Ob die persönliche Vernehmung erforderlich ist, richtet sich nach den Grundsätzen des Amtsaufklärungsgrundsatzes.45 Die Verfahrensbeteiligten können eine persönliche Vernehmung durch einen Beweisantrag erzwingen, der vom Gericht nur aus einem der in § 244 III StPO genannten Gründe abgelehnt werden kann.46 cc) Rangfolge der Beweismittel, § 251 AE § 251 AE regelt die Rangfolge von mehreren zur Verfügung stehenden Möglichkeiten der Einführung in die Hauptverhandlung (1. Vorführung einer Bild-TonAufzeichnung, 2. Verlesung einer Niederschrift über die frühere Aussage, 3. Vernehmung einer anderen Person über den Inhalt der Aussage).47 Durch die Aufstellung einer solchen Rangfolge von Formen der Ersetzung greift der AE in die Freiheit des Gerichts bei der Beweisaufnahme ein und gibt eine bestimmte Wertigkeit vor.48 Allerdings ordnet auch schon der geltende § 250 StPO einen Vorrang des Personalvor dem Sachbeweis an.49 Schriftliche Erklärungen des Zeugen oder Sachverstän42 43 44 45 46 47 48 49

AE-Beweisaufnahme, GA 2014, 1 (5). AE-Beweisaufnahme, GA 2014, 1 (49 f.). AE-Beweisaufnahme, GA 2014, 1 (40). AE-Beweisaufnahme, GA 2014, 1 (19). AE-Beweisaufnahme, GA 2014, 1 (20). AE-Beweisaufnahme, GA 2014, 1 (53). AE-Beweisaufnahme, GA 2014, 1 (5). AE-Beweisaufnahme, GA 2014, 1 (5).

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Teil 3: Lösungsansätze

digen sind von dieser Regelung nicht erfasst, weil diese der Natur der Sache nach gemäß § 249 AE in die Hauptverhandlung eingeführt werden.50 dd) Verlesung von Schriftstücken, § 249 AE Der AE Beweisaufnahme sieht bzgl. des § 249 StPO die Streichung von § 249 I 2 StPO und der Worte „§ 253 und“ in § 249 II StPO vor.51 Der neue § 249 AE dürfte dementsprechend lauten:52 „(1) Urkunden und andere als Beweismittel dienende Schriftstücke werden in der Hauptverhandlung verlesen. (2) 1Von der Verlesung kann, außer in den Fällen des § 254, abgesehen werden, wenn die Richter und Schöffen vom Wortlaut der Urkunde oder des Schriftstücks Kenntnis genommen haben und die übrigen Beteiligten hierzu Gelegenheit hatten. 2Widerspricht der Staatsanwalt, der Angeklagte oder der Verteidiger unverzüglich der Anordnung des Vorsitzenden, nach Satz 1 zu verfahren, so entscheidet das Gericht. 3Die Anordnung des Vorsitzenden, die Feststellungen über die Kenntnisnahme und die Gelegenheit hierzu und der Widerspruch sind in das Protokoll aufzunehmen.“53

Ein ausgefüllter Fragebogen enthält eine schriftliche, zu Beweiszwecken abgegebene Äußerung eines Zeugen und stellt damit eine Urkunde i.S.d. § 249 AE dar.54 Die Fragebögen können also nach § 249 I AE verlesen oder nach § 249 II AE im Selbstleseverfahren eingeführt werden. § 249 AE regelt die Form der Verlesung, während § 250 AE die Zulässigkeit der Verlesung als Ersetzung einer Vernehmung regelt. Die Änderungen im § 249 StPO sind im Wesentlichen redaktionelle Folgeänderungen aufgrund der Umgestaltung der §§ 250 – 256 StPO.55 Im Zusammenhang mit dem oben erläuterten § 250 AE und damit dem Wegfall des Grundsatzes der materiellen Unmittelbarkeit hat das allerdings für die Verlesung von Urkunden und anderen als Beweismittel dienenden Schriftstücken die weitreichende Auswirkung, dass solche Urkunden nunmehr grundsätzlich verlesen werden können und es keines Verlesungsgrundes wie nach derzeitiger Gesetzeslage in § 251 StPO mehr bedarf. Die Fragebögen können nach dem AE Beweisaufnahme nicht nur ohne weitere Voraussetzungen im Hauptverfahren verlesen werden, sondern auch im Selbstleseverfahren eingeführt werden. Der Arbeitskreis hatte erwogen, für die Fälle der Er50

AE-Beweisaufnahme, GA 2014, 1 (55). AE-Beweisaufnahme, GA 2014, 1 (46). 52 In § 249 II AE ist außerdem eine Anpassung der Grammatik notwendig: „in den Fällen des § 254“ statt „in den Fällen der § 254“. 53 AE-Beweisaufnahme, GA 2014, 1 (46). 54 Vgl. auch Kuhli, StV 2016, 40 (44). Kuhli bezieht sich auf den Urkundenbegriff i.S.d. § 251 StPO, der aber demjenigen des § 249 StPO entspricht, da § 249 StPO die Form der Beweiserhebung und § 251 StPO die Zulässigkeit der Beweiserhebung regelt, vgl. HK-StPO/ Julius, § 249 Rn. 1, 4. 55 Vgl. AE-Beweisaufnahme, GA 2014, 1 (46 f.). 51

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setzung einer persönlichen Vernehmung das Selbstleseverfahren auszuschließen, damit die Öffentlichkeit wenigstens in der Verhandlung über den Inhalt der Urkunde bzw. der Schriftstücke informiert wird, wenn schon keine Vernehmung in der öffentlichen Hauptverhandlung erfolgt.56 Ein solch genereller Ausschluss erschien dem Arbeitskreis jedoch bei Abwägung der widerstreitenden Interessen nicht geboten, zumal bei streitigen Sachverhalten die Beantragung der persönlichen Vernehmung möglich bleibt.57 In der Entwurfsbegründung wird ganz explizit der Fall der Einführung „einer großen Anzahl im Wesentlichen gleichartiger Schilderungen mutmaßlich Geschädigter“ als ein Fall genannt, bei dem das Selbstleseverfahren erhebliche Vorteile mit sich bringt.58 ee) Bedeutung hinsichtlich der Einführung der beantworteten Fragebögen Der AE Beweisaufnahme bietet genau die Regelungen, die für die Einführung von Fragebögen in die Hauptverhandlung sachgerecht erscheinen. Wünschenswert wäre zum einen eine Verlesung des Fragebogens und der Auswertung der Anzahl der Personen, die jeweils dieselben Antworten gegeben haben, und zum anderen eine Einführung der konkreten Fragebögen zwecks der Erkenntnis, welcher Zeuge welche Antwort gegeben hat, bloß im Selbstleseverfahren. Diese Vorgehensweise ist gemäß §§ 250 I 1, 249 I, II 1 AE möglich. Die Verlesung des Fragebogens mit den Antwortmöglichkeiten an sich ist unerlässlich für die Beweiserhebung in der Hauptverhandlung, damit klar wird, welche Fragen der Fragebogen enthält. Auch die Anzahl der Personen, die die jeweiligen Antworten angegeben haben, ist für die Überzeugungsbildung erforderlich, weil das Gericht so einen Überblick über die Häufigkeiten der verschiedenen Vorstellungsbilder bekommen kann. Die statistische Auswertung ist zum einen für die Beweiserhebung durch Zeugenvernehmungen relevant, deren Ziel es sein soll, eine Übereinstimmung der in den mündlichen Zeugenvernehmungen getätigten Aussagen zu den Ergebnissen des Fragebogens herzustellen. Zum anderen kann die Strafzumessung auch allein anhand der Anzahl der Einzeldelikte, in denen der Betrugstatbestand verwirklicht wurde, bestimmt werden. Aufgrund der materiellen Rechtskraft und des Strafklageverbrauchs ist eine Individualisierung der Betrugsopfer aber unerlässlich. Das bedeutet, es muss eindeutig feststehen, welche Personen geirrt haben und welche nicht. Diese Funktion erfüllt aber auch die Einführung aller Fragebögen im Selbstleseverfahren. Legt man die vorgeschlagenen Vorschriften des AE Beweisaufnahme zugrunde, so können der Blanko-Fragebogen und ggf. eine statistische Auswertung der Ergebnisse gemäß §§ 250 I 1, 249 I AE in der Hauptverhandlung verlesen und die von den einzelnen Zeugen angegebenen Antworten im Fragebogen im Selbstleseverfahren gemäß §§ 250 I 1, 249 II 1 AE eingeführt werden. Daneben bietet sich die

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AE-Beweisaufnahme, GA 2014, 1 (47). AE-Beweisaufnahme, GA 2014, 1 (47). AE-Beweisaufnahme, GA 2014, 1 (47).

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Teil 3: Lösungsansätze

Vernehmung des Ermittlungsbeamten über die Erstellung und Auswertung der Fragebogenaktion an. Der AE Beweisaufnahme zeigt eine insgesamt überzeugende Lösung der durch den unsystematischen und widersprüchlichen Flickenteppich59 der derzeitigen Regelungen der §§ 249 ff. StPO entstandenen Probleme auf. Für die Kombinationslösung bietet er eine Möglichkeit an, den Baustein des Fragebogeneinsatzes auf eine stimmige und sachgerechte Art und Weise umzusetzen. Daher wird hier eine Umsetzung des AE Beweisaufnahme befürwortet und die vorgeschlagenen Regeln, soweit es die §§ 249 – 251 AE betrifft, der Umsetzung des eigenen Lösungsvorschlags, der Kombinationslösung, zugrunde gelegt. c) Kleine Lösung durch § 251 I Nr. 4 StPO-E Auch wenn die Umsetzung des gesamten AE Beweisaufnahme sinnvoll und wünschenswert ist, könnte auch nur eine Gesetzesänderung erfolgen, die speziell auf die Bedürfnisse der Kombinationslösung und dabei speziell auf die Bedürfnisse der Umsetzung des ersten Bausteins des Fragebogeneinsatzes zugeschnitten ist. Eine solche Regelung wäre weniger einschneidend und würde das Prinzip der §§ 250 ff. StPO nicht umstürzen. Eine solche Regelung könnte als neu einzufügende Nr. 4 als weiteren Fall der Zulässigkeit einer Verlesung in § 251 I Nr. 4 StPO-E lauten: „Die Vernehmung eines Zeugen, Sachverständigen oder Mitbeschuldigten kann durch die Verlesung einer Niederschrift über eine Vernehmung oder einer Urkunde, die eine von ihm stammende schriftliche Erklärung enthält, ersetzt werden, […] 4. wenn die schriftliche Äußerung des Zeugen im Rahmen eines nach Maßgabe des § 69 Abs. 3 erstellten Fragebogens abgegeben worden ist.“

Mit dem Verweis auf § 69 III StPO-E wird sichergestellt, dass der Verlesungsgrund nur in den Fällen Anwendung findet, in denen der Fragebogeneinsatz überhaupt zulässig ist. Da eine solche Regelung des § 251 I Nr. 4 StPO-E allerdings dem „Flickenteppich“60 der jetzigen §§ 250 ff. StPO noch einen weiteren Flicken hinzufügt, ist eine Umsetzung des insgesamt überzeugenden AE Beweisaufnahme vorzuziehen. Der vorgeschlagene § 251 I Nr. 4 StPO-E soll lediglich als weitere Anregung für die Umsetzung einer „kleinen Lösung“ verstanden werden. IV. Mitwirkung des Beschuldigten oder seines Verteidigers Nicht zuletzt muss der Umfang und die Ausgestaltung einer Mitwirkung des Beschuldigten oder seines Strafverteidigers im ersten Baustein, dem Fragebogeneinsatz, geklärt werden.

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AE-Beweisaufnahme, GA 2014, 1 (3 f.). AE-Beweisaufnahme, GA 2014, 1 (3 f.).

8. Kap.: Der eigene Vorschlag: Die Kombinationslösung

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1. Zwecks Gewährleistung des Konfrontationsrechts Eine Vorgehensweise, die den Einsatz von Fragebögen ohne Mitwirkung des Beschuldigten oder seines Verteidigers beinhaltet, sähe sich dem Vorwurf der Verletzung des Grundsatzes des fairen Verfahrens, Art. 6 I EMRK, ausgesetzt, der in der Revision geltend gemacht werden kann. Der Angeklagte hat das Recht, Belastungszeugen zu befragen, Art. 6 III lit. d EMRK. Dieses Konfrontationsrecht wird nicht gewahrt, wenn der Angeklagte oder sein Verteidiger nie die Möglichkeit hatten, die Zeugen zu befragen, deren Aussagen über eine Verlesung der Fragebögen eingeführt werden sollen. Zwar kann das Verfahren trotz eines Verstoßes gegen das Konfrontationsrecht als Teilaspekt61 des Grundsatzes des fairen Verfahrens in einer Gesamtbetrachtung der ganzen Beweiserhebung und Beweiswürdigung dennoch fair i.S.d. Art. 6 I EMRK sein.62 Art. 6 I EMRK ist aber verletzt, wenn sich eine Verurteilung allein oder in entscheidendem Maße auf Aussagen einer Person gründet, die nicht vom Angeklagten oder der Verteidigung befragt werden konnte.63 Ist die unterbliebene konfrontative Befragung eines Zeugen der Justiz zuzurechnen, kann eine Verurteilung auf dessen Angaben nur gestützt werden, wenn diese durch andere gewichtige Gesichtspunkte außerhalb der Aussage bestätigt werden.64 Nach der Kombinationslösung wird die Beweiswürdigung maßgeblich – neben dem durch die Zeugenvernehmungen gewonnenen Beweisergebnis – auf die Fragebögen gestützt. Die geforderten anderen gewichtigen Gesichtspunkte, auf die sich eine Verurteilung stützen kann, werden nicht vorliegen. Der Beschuldigte selbst bzw. dessen Strafverteidiger sollte daher schon im Ermittlungsverfahren an der Erstellung des Fragebogens beteiligt werden, um dem Konfrontationsrecht des Angeklagten, Art. 6 III lit. d EMRK, Rechnung zu tragen.65 Die Mitwirkung des Beschuldigten bzw. des Verteidigers bei der Erstellung des Fragebogens soll erreichen, dass eine suggestive Befragung verhindert, der Fragebogen eine solche Detailliertheit erreicht, dass Nachfragen überflüssig werden, und genügend Antwortmöglichkeiten bereit gestellt werden. Insbesondere kann dadurch sichergestellt werden, dass auch genügend irrtumsausschließende Antwortmöglichkeiten vorhanden sind. Dazu gehört zum einen die ignorantia facti und zum anderen vom Sachverhalt abhängige, denkbare Möglichkeiten, warum der Getäuschte trotz erkannter Täuschung, also nicht irrtumsbedingt, verfügt haben könnte, beispielsweise aus Gleichgültigkeit, um seine Ruhe zu haben, wegen befürchteter Aussichtslosigkeit eines Rechtsstreit usw. 61 EGMR, Entsch. v. 17. 11. 2005, Nr. 73047/01, Haas vs. Deutschland, Rn. 79 = NStZ 2007, 103. 62 Vgl. EGMR, Entsch. v. 17. 11. 2005, Nr. 73047/01, Haas vs. Deutschland, Rn. 81 ff. = NStZ 2007, 103. 63 Vgl. EGMR, Urt. v. 20. 12. 2001, Nr. 33900/96, P.S. vs. Deutschland, Rn. 24 = StraFo 2002, 123; EGMR, Entsch. v. 17. 11. 2005, Nr. 73047/01, Haas vs. Deutschland, Rn. 82 = NStZ 2007, 103. 64 Vgl. nur BGH, Beschl. v. 29. 11. 2006 – 1 StR 493/06 –, juris Rn. 19 = BGHSt 51, 150. 65 Vgl. auch Kuhli, StV 2016, 40 (44).

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Teil 3: Lösungsansätze

2. Möglichkeiten der Ausgestaltung Zur Wahrung des Rechts auf konfrontative Befragung kann es genügen, dem Zeugen einen vom Beschuldigten oder seinem Verteidiger erstellten Fragenkatalog zur Beantwortung vorzulegen.66 Eine Mitwirkung an der Erstellung des Fragebogens statt einer mündlichen konfrontativen Befragung kann also grundsätzlich als ausreichend angesehen werden. Eine Möglichkeit wäre die Einführung eines bloßen Anhörungsrechts. Der Beschuldigte bzw. sein Verteidiger hätte damit die Möglichkeit, seine Vorstellungen und Vorschläge einzubringen, und die Ermittlungsbehörden werden in ihrer Ermittlungsfreiheit nicht allzu sehr beschränkt. Hat der Beschuldigte bzw. sein Verteidiger Anregungen eingebracht und wurden diese überhaupt nicht im Fragebogen umgesetzt, könnte eine Rüge der Verletzung des Konfrontationsrechts immer noch erfolgreich sein. Vorzugswürdiger erscheint aber ein echtes Mitwirkungsrecht, das dem Beschuldigten bzw. seinem Verteidiger ermöglicht, beispielweise eigene Antwortmöglichkeiten einzubringen. Wenn man das Konfrontationsrecht i.S.d. Art. 6 III lit. d EMRK einfachgesetzlich im Rahmen der Strafprozessordnung regeln möchte, sollte es auch als echtes Recht der konfrontativen Befragung ausgestaltet werden. a) De lege lata De lege lata ist keine Regelung ersichtlich, die eine solche Mitwirkung für den Fragebogeneinsatz vorsieht. Zwar sieht § 240 II 1 StPO ein Fragerecht für den Angeklagten und den Verteidiger vor. Diese Vorschrift befindet sich aber im Sechsten Abschnitt zur Hauptverhandlung (amtliche Überschrift zu den §§ 226 ff. StPO) und ist damit funktionslos, wenn die Zeugen in der Hauptverhandlung nicht vernommen werden. § 168c II StPO gewährt dem Verteidiger und dem Beschuldigten ein Anwesenheitsrecht bei richterlichen Vernehmungen des Zeugen im Ermittlungsverfahren. Das Anwesenheitsrecht beinhaltet zwar auch ein Fragerecht der Anwesenden.67 Es wird aber schon durch die Ausnahmen in § 168c III und IV StPO beschränkt. Außerdem gilt das Anwesenheitsrecht ohnehin nur bei richterlichen Zeugenvernehmungen; nicht aber bei Vernehmungen durch die Polizei oder die Staatsanwaltschaft.68 Die sich zum Befragungsrecht der Verteidigung verhaltenden Vorschriften der StPO, §§ 240 II 1 und § 168c II StPO, sind im hier relevanten Fall eines Fragebogeneinsatzes im Ermittlungsverfahren in der Regel also nicht einschlägig.

66 Vgl. EGMR, Entsch. v. 11. 09. 2006, Nr. 22007/03, Sapunarescu vs. Deutschland, Rn. 34 = StraFo 2007, 107; vgl. auch BGH, Beschl. v. 05. 02. 1993 – 2 StR 525/92 –, juris Rn. 7 ff. = StV 1993, 171; BeckOK-StPO/Valerius, Art. 6 EMRK Rn. 49. 67 Vgl. Meyer-Goßner/Schmitt, § 168c Rn. 2; HK-StPO/Zöller, § 168c Rn. 4. 68 Der Verweis des § 163a III 2 StPO, der die staatsanwaltschaftliche Vernehmung regelt, bezieht sich nämlich nicht auf § 168c II StPO, HK-StPO/Zöller, § 168c Rn. 4.

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Das Konfrontationsrecht, wie es Art. 6 III lit. d EMRK regelt, geht mit seiner Zielsetzung der „Waffengleichheit“ in allen Verfahrensstadien über die in der Strafprozessordnung geregelten Anwesenheits- und Fragerechte hinaus.69 Art. 6 III lit. d EMRK gilt gemäß Art. 59 II GG als einfaches Bundesgesetz und ist damit unmittelbar geltendes innerstaatliches Recht.70 Man könnte ein Mitwirkungsrecht des Beschuldigten oder seines Verteidigers an der Erstellung des Fragebogens also schlicht aus Art. 6 III lit. d EMRK herleiten und die Gefahr einer Rüge in der Revision bei unterbliebener Verteidigermitwirkung als ausreichendes Druckmittel für die Einhaltung des Mitwirkungsrechts erachten. Aus Gründen der Rechtssicherheit erscheint allerdings eine positive gesetzliche Regelung notwendig und vorzugswürdig. b) AE-Beweisaufnahme Der AE Beweisaufnahme trifft auch Regelungen für eine Gewährleistung des Konfrontationsrechts. Die Ersetzung des Prinzips der materiellen Unmittelbarkeit durch ein Konzept, das sich an den Regeln über die strengbeweisliche Beweiserhebung in der Hauptverhandlung orientiert, bedingt auch Änderungen im Ermittlungsverfahren.71 Das Konfrontationsrecht steht insofern in engem Zusammenhang mit der Unmittelbarkeit der Beweisaufnahme im Sinne des bisherigen Verständnisses, als der Beschuldigte von seinem Konfrontationsrecht in der Regel keinen Gebrauch machen kann, wenn die Vernehmung des Zeugen durch ein Surrogat ersetzt wird.72 Der AE Beweisaufnahme möchte das Recht des Beschuldigten auf konfrontative Befragung möglichst weitgehend gewährleisten und richtet die dazu vorgeschlagenen Instrumente an dem extensiven Verständnis des Konfrontationsrechts durch den EGMR aus.73 Dazu wird zum einen in § 163a Ia AE eine positive Regelung der Wahrnehmung des Konfrontationsrechts im Ermittlungsverfahren vorgeschlagen und durch § 253 AE Regelungen zur Einführbarkeit von früheren Aussagen nicht befragter Zeugen getroffen. aa) Staatsanwaltschaftliche und polizeiliche Beschuldigtenvernehmung, § 163a Ia AE § 163a Ia AE lautet: „1In geeigneten Fällen soll dem Beschuldigten schon im Ermittlungsverfahren Gelegenheit gegeben werden, Zeugen und Mitbeschuldigte zu befragen. 2Dem Beschuldigten ist eine solche Gelegenheit zu gewähren, sofern zu erwarten ist, dass ein Zeuge für eine Befragung in der Hauptverhandlung nicht zur Verfügung stehen wird. 3Für die Befragung ist dem Be69 70 71 72 73

Meyer-Goßner/Schmitt, Art. 6 MRK Rn. 22. Vgl. Meyer-Goßner/Schmitt, Vor Art. 1 MRK, Rn. 3. AE-Beweisaufnahme, GA 2014, 1 (5). AE-Beweisaufnahme, GA 2014, 1 (5). AE-Beweisaufnahme, GA 2014, 1 (6).

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Teil 3: Lösungsansätze

schuldigten ein Verteidiger zu bestellen, soweit die Bestellung nach § 140 notwendig ist; dasselbe gilt, wenn der Beschuldigte von der Vernehmung des Zeugen oder Mitbeschuldigten nach § 168c Abs. 3 oder aus einem anderen Grund ausgeschlossen ist.“74

§ 163a Ia AE dient der vorausschauenden Absicherung des Konfrontationsrechts.75 Wenn schon im Ermittlungsverfahren damit gerechnet werden muss, dass der Zeuge in der Hauptverhandlung nicht vernommen und befragt werden wird, läuft unter Umständen auch das zur Herstellung der Unmittelbarkeit vorgesehene Beweisantragsrecht des Angeklagten ins Leere.76 Daher ist vorgesehen, dass in solchen Fällen dem Beschuldigten oder seinem Verteidiger schon im Ermittlungsverfahren Gelegenheit zur Befragung gegeben wird.77 Bei Anwendung der Kombinationslösung wäre jedenfalls in den Betrugsfällen, in denen nicht der Verfügende als Zeuge pars pro toto befragt wird, also bei der großen Masse der Fälle, § 163a Ia 2 AE einschlägig, da zu erwarten ist, dass der Zeuge für die Befragung in der Hauptverhandlung nicht zur Verfügung stehen wird. Dem Beschuldigten ist nach § 163a Ia 2 AE also zwingend (ohne Ermessensausübung) eine Gelegenheit zur Befragung zu gewähren. Diese Gelegenheit kann, wie oben dargelegt, auch in einer Mitwirkung an der Erstellung des Fragebogens bestehen. Im Falle der Kombinationslösung kann § 163a Ia 2 AE dahingehend ausgelegt werden, dass die Gelegenheit zur konfrontativen Befragung in der Mitwirkung an der Erstellung des Fragebogens, insbesondere auch durch die Einbringung eigener Fragenvorschläge, besteht. Sachgerecht ist auch die Regelung des § 163a Ia 3 AE, die einen Gleichlauf mit § 140 StPO hinsichtlich der Verteidigerbestellung vorschreibt. Wenn keine Verteidigermitwirkung i.S.d. § 140 StPO als notwendig erachtet wird, wird auch der Beschuldigte in der Lage sein, selbst Fragenvorschläge zu formulieren.78 In der Regel wird ohnehin beim Massenbetrug die Mitwirkung eines Verteidigers gemäß § 140 I Nr. 1 StPO notwendig sein, sofern die Verfahren wegen Massenbetrugs in die Zuständigkeit des Landgerichts fallen, weil sie entweder einen schweren Betrug gemäß § 263 V StGB, und damit ein Verbrechen, § 12 I StGB, darstellen, § 74 I 1 GVG, (in diesem Falle wäre auch § 140 I Nr. 2 StPO einschlägig) oder eine höhere Strafe als vier Jahre Freiheitsstrafe zu erwarten ist (insbesondere bei Vorliegen eines Betrugs in besonders schwerem Fall gemäß § 263 III 2 Nr. 1 oder 2 StGB), § 74 I 2 GVG. Sitzt der Beschuldigte in Untersuchungshaft, ist eine Verteidigermitwirkung auch gemäß 74

AE-Beweisaufnahme, GA 2014, 1 (34). Vorzuziehen wäre allerdings die Formulierung des § 163a Ia 3 AE: „Für die Befragung ist dem Beschuldigten ein Verteidiger zu bestellen, wenn die Bestellung nach § 140 notwendig ist; dasselbe gilt, soweit der Beschuldigte von der Vernehmung des Zeugen oder Mitbeschuldigten nach § 168c Abs. 3 oder aus einem anderen Grund ausgeschlossen ist.“ Die weiteren Änderungen im § 163a AE sind nur redaktionelle Folgeänderungen, AE-Beweisaufnahme, GA 2014, 1 (36). 75 AE-Beweisaufnahme, GA 2014, 1 (35). 76 AE-Beweisaufnahme, GA 2014, 1 (35). 77 AE-Beweisaufnahme, GA 2014, 1 (35). 78 Allgemein formuliert in AE-Beweisaufnahme, GA 2014, 1 (36).

8. Kap.: Der eigene Vorschlag: Die Kombinationslösung

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§ 140 I Nr. 4 StPO notwendig. Die Verteidigerbestellung kann auch gemäß § 140 II 1 StPO notwendig sein, weil im Rahmen der Mitwirkung bei der Fragebogenerstellung wegen der Schwierigkeit der Sach- oder Rechtslage die Mitwirkung eines Verteidigers geboten erscheint oder ersichtlich ist, dass sich der Beschuldigte nicht selbst verteidigen kann. bb) Verletzung des Konfrontationsrechts, § 253 AE Ist eine Gelegenheit zur konfrontativen Befragung im Ermittlungsverfahren nicht gewährt worden und ist eine solche auch nicht durch einen Beweisantrag nach § 250 I 2 AE zu erreichen, sieht § 253 AE folgende Vorgehensweise vor: „(1) Hatte im bisherigen Verfahren weder der Angeklagte noch sein Verteidiger Gelegenheit, einen Zeugen zu befragen, und können sie eine solche auch durch einen Beweisantrag nach § 250 Abs. 1 Satz 2 nicht erlangen, so dürfen frühere Aussagen oder sonstige schriftliche oder mündliche Erklärungen des Zeugen zum Zweck der Beweiserhebung oder des Vorhalts nur mit Zustimmung des Angeklagten in die Hauptverhandlung eingeführt werden. (2) Der Zustimmung bedarf es nicht, wenn der Angeklagte oder eine nicht gegen seinen Willen handelnde Person den Zeugen für den Fall einer belastenden Aussage bedroht. (3) 1Der Zustimmung bedarf es auch nicht, wenn im bisherigen Verfahren Gelegenheit zur Befragung des Zeugen nicht gegeben werden konnte oder dazu kein Anlass bestand, weil zu erwarten war, dass der Zeuge in der Hauptverhandlung für eine Befragung zur Verfügung steht. 2Jedoch dürfen die Angaben des Zeugen in diesen Fällen nicht als alleinige oder maßgebliche Grundlage eines Urteils verwertet werden. (4) Die Absätze 1 und 2 gelten für Sachverständige und Mitangeklagte entsprechend.“

Das Konfrontationsrecht wird im AE Beweisaufnahme in erster Linie durch das Beweisantragsrecht gesichert.79 Lässt sich eine konfrontative Befragung auch dadurch nicht erreichen, ist die Verlesung grundsätzlich nur mit Zustimmung des Angeklagten möglich, § 253 I AE. Anders als die Rechtsprechung von EGMR80 und Bundesgerichtshof81 erachtet der Entwurf wegen der großen Bedeutung des Konfrontationsrechts für die Verteidigung für den Fall, dass die Verletzung des Konfrontationsrechts der Justiz zuzurechnen ist, eine Beweiswürdigungslösung im Sinne einer Minderung des Beweiswerts der Aussage nicht für ausreichend, sondern sieht die scharfe Rechtsfolge der Abhängigkeit der Zulässigkeit von der Zustimmung des Angeklagten vor, § 253 I, III AE.82 War die Unmöglichkeit einer konfrontativen Befragung in der Hauptverhandlung aber auch bei angemessener Sorgfalt durch die Justiz noch vorauszusehen, darf die Aussage unter Berücksichtigung ihres einge79

AE-Beweisaufnahme, GA 2014, 1 (61). EGMR, Entsch. v. 17. 11. 2005, Nr. 73047/01, Haas vs. Deutschland, Rn. 81 ff. = NStZ 2007, 103; vgl. auch BeckOK-StPO/Valerius, Art. 6 EMRK Rn. 48; KK-Ott, § 261 Rn. 29 g. 81 BGH, Urt. v. 25. 07. 2000 – 1 StR 169/00 –, juris Rn. 14 ff. = BGHSt 46, 93; BGH, Beschl. v. 29. 11. 2006 – 1 StR 493/06 –, juris Rn. 15 ff. = BGHSt 51, 150 je m.w.N. 82 AE-Beweisaufnahme, GA 2014, 1 (62 f.). 80

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Teil 3: Lösungsansätze

schränkten Beweiswerts verwertet werden, § 253 III AE.83 Mit § 253 III 2 AE nimmt der Entwurf die Rechtsprechung des EGMR auf, wonach Aussagen von Zeugen, die nicht befragt werden konnten, nicht die alleinige und maßgebliche Grundlage des Urteils sein dürfen („sole and decisive evidence“).84 Damit wird um der erstrebenswerten Übereinstimmung mit der gefestigten Rechtsprechung des EGMR willen sogar die Einführung einer Beweiswürdigungsregel, die dem Prinzip der freien Beweiswürdigung, § 261 StPO, widerspricht, und schwierige Einzelfallentscheidungen hingenommen.85 § 253 II AE setzt die Rechtsprechung des EGMR um, die das Konfrontationsrecht einschränkt, wenn der Angeklagte oder mit ihm verbundene Personen den Zeugen für den Fall einer Aussage vor Gericht bedroht haben.86 Die Erstreckung auf Mitangeklagte und Sachverständige im § 253 IV AE entspricht ebenfalls der Rechtsprechung des EGMR, der Mitangeklagte als Belastungszeugen ansieht.87 Die Erstreckung auf Sachverständige wird keine große Bedeutung erlangen, aber erscheint systematisch stimmig.88 Die Einführung einer Beweislastregel widerstrebt einem angesichts der überragenden Bedeutung der Freiheit der Beweiswürdigung in höchstem Maße. Möchte man das Konfrontationsrecht im Verständnis des EGMR allerdings einfachgesetzlich in der Strafprozessordnung regeln, führt wohl kein Weg hieran vorbei. Für die Anwendung der Kombinationslösung würde dies bedeuten, dass eine Verlesung der Fragebögen von der Zustimmung des Angeklagten abhängt, wenn er oder sein Verteidiger nicht an der Erstellung des Fragebogens mitwirken konnten, § 253 I AE. Das gilt für die Fälle, bezüglich derer ein Beweisantrag auf Vernehmung der Zeugen abgelehnt werden kann.89 § 253 II-IV AE werden hingegen bei Massenbetrugsfällen nicht relevant werden.

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AE-Beweisaufnahme, GA 2014, 1 (62). AE-Beweisaufnahme, GA 2014, 1 (64) unter Verweis auf EGMR, Urt. v. 20. 12. 2001, Nr. 33900/96, P.S. vs. Deutschland, Rn. 24 = StraFo 2002, 123 („solely or to a decisive degree“); EGMR, Urt. 13. 04. 2006, Nr. 17902/02, Zentar vs. Frankreich, Rn. 29 („un rôle décisif“ und „la condamnation du requérant a été fondée ,en grande partie‘ sur les témoignages“); EGMR, Urt. v. 15. 12. 2011, Nr. 26766/05, Al-Khawaja and Tahery vs. UK, Rn. 141 („either solely or to a decisive extent“). 85 AE-Beweisaufnahme, GA 2014, 1 (64). 86 AE-Beweisaufnahme, GA 2014, 1 (63 f.) unter Verweis auf EGMR, Urt. v. 26. 03. 1996, Nr. 20524/92, Doorsen vs. Niederlande, Rn. 70 f.; EGMR, Urt. v. 24. 03. 1997 (in AE-Beweisaufnahme, GA 2014, 1 (64, Fn. 134) wohl nur versehentlich Urt. v. 30. 10. 1997), Nr. 21363/93, van Mechelen u. a. vs. Niederlande, Rn. 53. 87 AE-Beweisaufnahme, GA 2014, 1 (64) unter Verweis auf EGMR, Urt. vom 27. 02. 2001, Nr. 33354/96, Lucà vs. Italien, Rn. 41. 88 AE-Beweisaufnahme, GA 2014, 1 (65). 89 Siehe dazu Teil 3, 8. Kapitel, E. 84

8. Kap.: Der eigene Vorschlag: Die Kombinationslösung

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c) Kleine Lösung durch § 69 III 2 StPO-E Möchte man den weitreichenden Schritt einer Umsetzung des AE Beweisaufnahme nicht gehen, ist auch eine Regelung der Mitwirkung der Verteidigung an der Erstellung des Fragebogens speziell für den Fragebogeneinsatz denkbar. Eine solche Regelung ist sinnvollerweise bei der Vorschrift über die Erstellung eines Fragebogens, also bei § 69 III StPO-E, anzusiedeln. Die Vorschrift des § 69 III StPO-E könnte also lauten: „(3) 1In Massenverfahren mit einer großen Vielzahl von auf die gleiche Weise Geschädigten können neben der Vernehmung einiger Geschädigter als Zeugen Fragebögen zur Erfassung der Aussagen aller Geschädigten eingesetzt werden. 2Dem Beschuldigten ist die Mitwirkung an der Erstellung des Fragebogens gestattet.“

Die Vorschrift des § 69 III 2 StPO-E ist als ein echtes Mitwirkungsrecht ausgestaltet. Die Mitwirkung kann auch in der Einbringung eigener, weiterer Fragen bestehen. Der Beschuldigte oder sein Verteidiger kann, aber muss nicht an der Erstellung mitwirken. Durch die Mitwirkung des Beschuldigten oder seines Verteidigers an der Erstellung des Fragebogens wird das Konfrontationsrecht des Art. 6 III lit. d EMRK hinreichend gewahrt. Als Rechtsfolge einer verwehrten Mitwirkung können die Fragebögen nicht gemäß § 251 I Nr. 4 StPO-E verlesen werden, da § 251 I Nr. 4 StPO-E fordert, dass die zu verlesenden beantworteten Fragebögen nach Maßgabe des § 69 III StPO-E erstellt wurden. § 251 I Nr. 4 StPO-E verweist auf den ganzen § 69 III StPO-E, sodass auch die in § 69 III 2 StPO-E vorgesehene Mitwirkung der Verteidigung zur Voraussetzung wird. V. Zusammenfassung Der erste Baustein der Kombinationslösung besteht im Idealfall darin, dass Fragebögen in Form von Fragen mit mehreren Antwortmöglichkeiten bereits im Ermittlungsverfahren unter Mitwirkung des Beschuldigten bzw. seines Verteidigers erstellt werden. Der Fragebogen und ggf. eine statistische Auswertung der Fragebögen werden in der Hauptverhandlung verlesen und die einzelnen beantworteten Fragebögen im Selbstleseverfahren eingeführt. Daneben empfiehlt sich eine Vernehmung des die Fragebogenaktion leitenden Ermittlungsbeamten über die Auswertung. De lege lata ist eine solche Vorgehensweise problematisch. Das liegt zum einen daran, dass der von § 69 I StPO geforderte freie Sachbericht nicht erfolgen kann, und zum anderen, dass kein Verlesungsgrund vorliegt, außer die Verfahrensbeteiligen stimmen der Verlesung zu, § 251 I Nr. 1 StPO. Es bleibt zwar die Möglichkeit, den polizeilichen Sachbearbeiter über die Auswertung der Fragebogenaktion zu vernehmen. Eine Wiedergabe bloß der Anzahl der Zeugen hinsichtlich der jeweiligen Antworten ohne die Angabe, welcher Zeuge welche Antwort gegeben hat, würde nach der hier vertretenen Ansicht aber nicht für eine an § 244 II StPO auszurichtende

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Teil 3: Lösungsansätze

Aufklärung ausreichen und keine ordnungsgemäße Beweiswürdigung, § 261 StPO, ermöglichen. Eine Umsetzung des AE Beweisaufnahme würde die Vorgehensweise dadurch sicherstellen, dass das Unmittelbarkeitsprinzip des § 250 StPO aufgegeben wird und eine Verlesung des Fragebogens und der statistischen Auswertung nach §§ 250 I, 249 I AE und eine Einführung der beantworteten Fragenbögen im Selbstleseverfahren nach §§ 250 I, 249 II 1 AE zulässig ist. Das Recht zur Mitwirkung des Beschuldigten oder seines Verteidigers ergibt sich aus § 163a Ia 2 AE. Wird die Verteidigung nicht beteiligt, ist eine Zulässigkeit der Verlesung von der Zustimmung des Angeklagten abhängig, § 253 I AE. Der freie Sachbericht wird vom AE Beweisaufnahme allerdings nicht erfasst. Die Einführung eines § 69 III StPO-E wird also daneben noch erforderlich sein. Als sog. „kleine Lösung“ ist auch die Einführung spezieller, auf den Fragebogeneinsatz bei Massenverfahren zugeschnittene Regelung denkbar. Dies würde weniger weitreichende Änderungen mit sich bringen als der AE Beweisaufnahme vorsieht, aber es trägt andererseits nur zur weiteren Verkomplizierung und Unübersichtlichkeit des Regelungskomplexes der §§ 250 ff. StPO bei. Die Möglichkeit, die Zeugen über Fragebögen zu befragen, wird eigens in § 69 III 1 StPO-E geregelt. § 69 III 2 StPO-E sieht dabei ein Mitwirkungsrecht des Verteidigers an der Erstellung des Fragebogens vor. Nach dieser Maßgabe erstellte und beantwortete Fragebögen können gemäß § 251 I Nr. 4 StPO-E verlesen werden; über § 249 II 1 StPO ist auch eine Einführung im Selbstleseverfahren möglich.

C. Zweiter Baustein: Zeugenvernehmungen pars pro toto in der Hauptverhandlung Der zweite Baustein der Kombinationslösung sind Zeugenvernehmungen pars pro toto, also die Vernehmung einiger weniger Getäuschter aus der Menge aller Getäuschten. Hierbei wird der im vierten Kapitel dargestellte Lösungsansatz der herrschenden Meinung über das normativ geprägte Vorstellungsbild teilweise übernommen und modifiziert. Insbesondere darf nach der hier vertretenen Ansicht ein Indizienschluss nur aufgrund von Zeugenvernehmung einiger mutmaßlich Irrender auf das Vorstellungsbild der nicht als Zeugen vernommenen Personen vorgenommen werden, nicht aber aufgrund eines Geständnisses des Angeklagten oder aufgrund äußerer Umstände. Denn das Vorstellungsbild des Getäuschten ist eine innere psychologische Tatsache, die als solche festgestellt werden muss, wofür es grundsätzlich der Aussage des Getäuschten über sein Vorstellungsbild bedarf. Rein äußere Umstände reichen dafür nicht, zumal nicht einleuchtet, warum nicht wenigstens einige Zeugen vernommen werden sollen, wenn deren Vernehmung ohne großen Aufwand möglich ist.

8. Kap.: Der eigene Vorschlag: Die Kombinationslösung

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I. Erforderliche Stichprobengröße Vor allem stellt sich hierbei die Frage nach der erforderlichen Anzahl der zu vernehmenden Zeugen. Der Bundesgerichtshof hat diese Anzahl in Bezug auf den Indizienschluss beim normativ geprägten Vorstellungsbild bisher auch nicht konkretisiert, sei es in absoluten oder relativen Zahlen, sondern spricht von „wenige[n]“90, „mehrere[n]“91, „einige[n]“92 Zeugen oder „eine[r] begrenzte[n] Anzahl von Geschädigten als Zeugen“93. Der Forderung nach einer Stichprobengröße, die statistischen Anforderungen genügt, wird man in der Realität nicht nachkommen können.94 Das verurteilt die Kombinationslösung jedoch nicht zum Scheitern. Es wird nämlich nicht allein aufgrund von Zeugenvernehmungen pars pro toto eine Irrtumsquote errechnet, die dann auf die Gesamtzahl der Getäuschten umgelegt wird. Die Zeugenvernehmungen dienen vielmehr in erster Linie der Überzeugungsbildung des Tatgerichts von der Kongruenz der Ergebnisse der Fragebögen mit den Ergebnissen der Zeugenvernehmungen. Die Fragebögen übernehmen die Aufgabe einer flächendeckenden Darstellung der unterschiedlichen Vorstellungsbilder. Der Maßstab, den das Tatgericht bei der erforderlichen Stichprobengröße anlegen sollte, ist der, dass die Anzahl und der Inhalt der Zeugenvernehmungen das erforderliche Maß der Übereinstimmung ermöglichen können – dies kann im Einzelfall je nach Komplexität des Sachverhalts und der zu erwartenden Divergenz der Aussagen variieren. II. Repräsentative Auswahl Neben der Frage nach der erforderlichen Anzahl an vernommenen Zeugen besteht die Frage, ob die Auswahl der als Zeugen zu vernehmenden Personen unter allen mutmaßlich Irrenden repräsentativ sein muss. Ob also der Teil der mutmaßlich Irrenden (pars) ein repräsentativer Ausschnitt für die Gesamtheit der mutmaßlich Irrenden (pro toto) sein muss. Merkmale wie das Alter, der Bildungsstand, die Erfahrenheit im Geschäftsverkehr usw. könnten hier berücksichtigt werden. Eine repräsentative Auswahl der zu vernehmenden Zeugen steigert vielleicht die Zuverlässigkeit des Indizienschlusses. Sie bedeutet aber auch einen deutlichen Mehrauf90

BGH, Urt. v. 22. 11. 2013 – 3 StR 162/13 Rn. 9 = BGHSt 59, 75; BGH, Urt. v. 22. 05. 2014 – 4 StR 430/13 Rn. 17 = NJW 2014, 2132; BGH, Beschl. v. 17. 06. 2014 – 2 StR 658/13 Rn. 13 = NStZ 2014, 644. 91 BGH, Urt. v. 17. 07. 2009 – 5 StR 394/08 Rn. 15 = BGHSt 54, 44. 92 BGH, Beschl. v. 06. 02. 2013 – 1 StR 263/12 Rn. 16 = NJW 2013, 1545; BGH, Beschl. v. 04. 09. 2014 – 1 StR 314/14 Rn. 24 = NStZ 2015, 98. 93 BGH, Urt. v. 19. 11. 2015 – 4 StR 115/15 –, juris Rn. 27 = ZWH 2016, 120. 94 Kuhli spricht von einer „signifikanten Anzahl von Zeugen“ zur Ermittlung einer statistisch plausiblen Irrtumsquote, Kuhli, StV 2016, 40 (47). Spitz bemängelt, dass eine exemplarische Vernehmung angesichts der hohen Anzahl von Geschädigten „wenig und nicht repräsentativ“ erscheine, Spitz, jurisPR-ITR 14/2013 Anm. 6 bzgl. Fall 14: BGH, Urt. v. 27. 03. 2014 – 3 StR 342/13 = BGHSt 59, 195.

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Teil 3: Lösungsansätze

wand, der außer Verhältnis zu den Vorteilen steht. Wenn sich durch die Fragebogenaktion mehrere Personengruppen herausbilden – beispielsweise die Gruppe derjenigen, deren Antworten auf einen Irrtum schließen lassen, derjenigen, deren Antworten einen Irrtum ausschließen, weil sie sich gar keine Gedanken gemacht haben (ignorantia facti) oder derjenigen, die trotz erkannter Täuschung aus anderen Gründen verfügt haben, – wird es aber sinnvoll sein, aus jeder Gruppe Zeugen zu laden und zu vernehmen. III. Vertikale Kongruenz der Aussagen Die Zeugenvernehmungen müssen eine hier so bezeichnete vertikale Kongruenz zu den Fragebögen der jeweiligen Zeugen ergeben, in dem Sinne, dass die im Fragebogen angegebene Antwort der mündlichen Aussage des Zeugen entspricht. Sollte sich dies nicht ohne Weiteres ergeben, kann der Ursache der Divergenz der Aussagen ggf. durch einen Vorhalt, durch den Verweis auf die im Fragebogen gegebene Antwort, auf den Grund gegangen werden.

D. Umgang mit den Ergebnissen Wurden nun im Rahmen der Beweisaufnahme die Ergebnisse der Fragebögen eingeführt und einige Zeugen vernommen, richtet sich das weitere Vorgehen nach dem Maß der Kongruenz, also der Übereinstimmung beider Ergebnisse. I. Übereinstimmende Aussagen als Ziel Das Ziel der Kombination von Fragebögen und Zeugenvernehmungen ist es, weitgehend übereinstimmende Beweisergebnisse der Fragebögen und der Zeugenvernehmungen zu bekommen. Die Übereinstimmung soll zum einen hergestellt werden zwischen der Häufigkeit der in den Fragebögen gegebenen Antworten und der Häufigkeit der jeweiligen bei den Zeugenvernehmungen gegebenen Antworten („in die Breite“95 bzw. „horizontal“). Zum anderen sollte sich eine Übereinstimmung zwischen den von den Zeugen im Fragebogen angekreuzten Antworten und den in der mündlichen Zeugenvernehmung gegebenen Antworten ergeben („in die Tiefe“ bzw. „vertikal“). Auch dieses Maß an erforderlicher Übereinstimmung kann nicht in mathematischen Formeln ausgedrückt werden, sondern darf der tatrichterlichen Überzeugungsbildung überantwortet werden.

95

Vgl. zum Begriffspaar „in die Breite“ und „in die Tiefe“: Krell, NStZ 2014, 686 (687).

8. Kap.: Der eigene Vorschlag: Die Kombinationslösung

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II. Vorgehen bei Nichterreichen der erforderlichen Übereinstimmung Wenn sich die gewünschte Übereinstimmung nicht herstellen lässt, war entweder der Fragebogen nicht gut konzipiert oder die Anzahl der Zeugenvernehmungen zu gering. Ein schlecht konzipierter Fragebogen kann zugegebenermaßen nur durch eine erneute Befragung wieder wettgemacht werden, was daher unbedingt zu vermeiden ist. Hier zeigt sich erneut die Bedeutung eines guten und unter Mitwirkung des Verteidigers erstellten Fragebogens. Weitere Zeugenvernehmungen sind allerdings unproblematisch möglich. III. Vorgehen bei Erreichen der erforderlichen Übereinstimmung Konnte das erforderliche Maß an Übereinstimmung hergestellt werden, ist folgendermaßen zu verfahren: In den Fällen, in denen die Antwort einen Irrtum begründet, kann der Irrtumsnachweis als erbracht angesehen und dementsprechend wegen Betrugs verurteilt werden. In den Fällen, in denen ein Irrtum ausscheidet, erfolgt ein Freispruch oder ggf. eine Verurteilung wegen versuchten Betrugs, falls die Einzeltaten in Tatmehrheit stehen. Falls ein Irrtum ausscheidet und die entsprechenden Delikte in Tateinheit stehen, werden sie vom Urteilsspruch wegen vollendeten Versuchs nicht erfasst und sie fließen auch nicht in die Strafzumessung mit ein; ein versuchter Betrug kann aber vorliegen. In den Fällen, in denen ein Irrtum nicht nachgewiesen werden kann (darunter würden auch Antwortmöglichkeiten fallen wie „Ich weiß es nicht (mehr).“ oder „Ich finde meine Gedanken und Erwartungen in den Antwortmöglichkeiten nicht abgebildet.“ oder „Ich habe mir gar keine Gedanken gemacht.“), wird bei Tatmehrheit in dubio pro reo freigesprochen bzw. wegen versuchten Betrugs verurteilt und bei Tateinheit in dubio pro reo bzgl. dieser Fälle nicht verurteilt bzw. wegen versuchten Betrugs verurteilt. Hinsichtlich der Fälle, in denen die Fragebögen von der mutmaßlich Irrenden nicht ausgefüllt worden sind, wird eine Strafverfolgungsbeschränkung nach §§ 154, 154a StPO angezeigt sein.

E. Beweisantragsrecht Auch bei Anwendung der Kombinationslösung ist und bleibt das Beweisantragsrecht nach der hier vertretenen Auffassung ein wichtiges und hochzuhaltendes Instrument des Strafverteidigers. Insbesondere wenn das Maß der Übereinstimmung vom Inhalt der Zeugenaussagen und der Fragebögen aus Sicht des Verteidigers nicht erreicht ist, muss er die Möglichkeit haben, über einen Beweisantrag die Vernehmung weiterer Zeugen einzufordern. Eine Vernehmung aller Zeugen hingegen ist bei Anwendung der Kombinationslösung nicht erforderlich und ein darauf gerichteter Beweisantrag muss vom Gericht abgelehnt werden können. Der dafür einschlägige Ablehnungsgrund wäre nach der hier vertretenen Ansicht der Ablehnungsgrund der Unerreichbarkeit gemäß § 244 III 2 Var. 5 StPO (ggf.

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Teil 3: Lösungsansätze

i.V.m. § 250 I 3 AE).96 Ein Beweisantrag auf Vernehmung einiger weniger weiterer Zeugen wird jedoch schwerlich mit dieser Begründung abgelehnt werden können. Dieses vermeintlich paradoxe Ergebnis ist jedoch auch sachgerecht und harmoniert mit der Kombinationslösung. Die Verteidigung soll die Möglichkeit haben, die Vernehmung noch weiterer Zeugen zu beantragen, wenn ihrer Meinung nach die erforderliche Übereinstimmung zwischen dem Ergebnis der Fragebögenaktion und den Aussagen der vernommenen Zeugen nicht übereinstimmt. Ein Beweisantrag auf Vernehmung aller mutmaßlich Irrender als Zeugen sollte aber auch abgelehnt werden können, weil diesen Zeugenvernehmungen solche Aspekte wie die effektive Strafrechtspflege, der Beschleunigungsgrundsatz und die Verfahrensökonomie entgegenstehen und sie auch aus Gründen der Amtsaufklärungspflicht oder des Beweiswürdigungsgrundsatzes nicht geboten oder erforderlich sind. Werden mehrere Beweisanträge auf Vernehmung weiterer – beispielsweise zehn Zeugen – aufeinander folgend gestellt, können diese zwar nicht mit der Begründung, diese jeweiligen zehn Zeugen seien „gleichsam unerreichbar“, abgelehnt werden. Fehlt es bei einem wiederholten Beweisantrag allerdings irgendwann an einer guten Begründung, warum erneut zehn Zeugen zu vernehmen seien, könnte der Ablehnungsgrund der Verschleppungsabsicht, § 244 III 2 Var. 6 StPO einschlägig sein. Legt man den AE Beweisaufnahme zugrunde, so können gemäß § 250 I 2 AE Beweisanträge gestellt werden, die nur aufgrund eines der Ablehnungsgründe des § 244 III 2 StPO abgelehnt werden können, § 250 I 3 AE. Die für Sachverständige und Auslandszeugen zusätzlich geltenden Ablehnungsgründe des § 244 IV, V StPO finden keine Anwendung, weil das Gericht, das die frühere Aussage einführen will, selber davon ausgeht, dass eine Aussage des Zeugen (bzw. ein Gutachten des Sachverständigen) zur Wahrheitserforschung erforderlich ist, und es daher zur Gewährleistung des Fragerechts des Angeklagten nicht mehr die Möglichkeit haben soll, die Vernehmung aus anderen als den in § 244 III StPO genannten Gründen abzulehnen.97 Die Verteidigungsinteressen des Angeklagten werden durch diese Regelung sogar weiter als durch die derzeitige Regelung geschützt, weil der Angeklagte die Vernehmung auch bei Vorliegen eines der Verlesungsgründe der §§ 251, 256 StPO erzwingen kann, während nach geltendem Recht und herrschender Meinung ein solcher Beweisantrag nicht zulässig ist.98 Allerdings werden mit der vorgeschlagenen Regelung die Anforderungen an die Geltendmachung dieser Rechte erhöht, weil die Verteidigung selbst initiativ werden muss, um eine Ersetzung der persönlichen Vernehmung zu verhindern.99 § 250 II AE sieht daher besondere Belehrungspflichten im Falle eines nicht verteidigten Angeklagten vor.100 Das Beweisantragsrecht des § 250 I 2 AE soll in erster Linie die Unmittelbarkeit der Be96

Im Ergebnis wohl auch Kuhli, StV 2016, 40 (47 f. und Fn. 91). AE-Beweisaufnahme, GA 2014, 1 (20). 98 AE-Beweisaufnahme, GA 2014, 1 (21) m.w.N. 99 AE-Beweisaufnahme, GA 2014, 1 (52). 100 AE-Beweisaufnahme, GA 2014, 1 (52). 97

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weisaufnahme wiederherstellen, wenn die Verteidigung dies für erforderlich hält.101 Über § 250 I 3 AE i.V.m. § 244 III 2 StPO gilt also das oben Gesagte.

F. Vereinbarkeit mit den Verfahrensprinzipien Die Kombinationslösung muss in der dargestellten Form schließlich auch mit den Verfahrensprinzipien im Einklang stehen. Insbesondere muss sie dem Anspruch genügen, all die Kritikpunkte, die im Rahmen der Bewertung der anderen Lösungsansätze angesprochen worden sind, entkräften zu können. Dabei erlangen die Gesichtspunkte, die beim Lösungsansatz über den Indizienschluss aufgrund normativ geprägten Vorstellungsbilds und beim Lösungsansatz über den Fragebogeneinsatz angesprochen wurden, besondere Bedeutung, da die Kombinationslösung schließlich eine Kombination – und teilweise Modifikation – beider Lösungsansätze darstellt und damit wirbt, die Schwächen des einen Lösungsansatzes mit den Vorzügen des anderen Lösungsansatzes kompensieren zu können. I. Analogieverbot Ein Konflikt mit den Analogieverbot, Art. 103 II GG, besteht bei Anwendung der Kombinationslösung nicht. Die Wortlautgrenze des Irrtumsmerkmals erlangte im Rahmen der Bewertung des normativ geprägten Vorstellungsbilds Bedeutung, da durch den Verzicht der Feststellung der individuellen Vorstellungsbilder der Getäuschten im Einzelfall ein Irrtum unterstellt werden kann. Wenn auch der Fall, dass der Irrtum ausgeschlossen ist, unter das Irrtumsmerkmal gefasst wird, indem die individuellen Vorstellungsbilder nicht konkret festgestellt werden, sondern ein personenübergreifendes überindividuelles Vorstellungsbild für maßgeblich gehalten wird, dann ist der Wortsinn des Tatbestandsmerkmals Irrtum verlassen. Diese Gefahr besteht bei der Anwendung der Kombinationslösung allerdings nicht. Hier wird gerade nicht auf überindividuelle Vorstellungen abgestellt, sondern große Anstrengungen unternommen, das Vorstellungsbild in jedem einzelnen Betrugsfall festzustellen. Das Irrtumsmerkmal wird faktisch-normativ und daher als innere Tatsache feststellungsbedürftig verstanden. II. Amtsaufklärungsgrundsatz Der Amtsaufklärungsgrundsatz war – im Zusammenspiel mit dem Beweiswürdigungsgrundsatz – der Dreh- und Angelpunkt der Kritik im Rahmen der Bewertung der anderen Lösungsansätze. Die Kombinationslösung hat diese Kritik aufgegriffen und vermag durch die Kombination die Mängel in der Aufklärung 101

AE-Beweisaufnahme, GA 2014, 1 (35).

350

Teil 3: Lösungsansätze

beim Indizienschluss einerseits und beim Fragebogeneinsatz andererseits zu kompensieren. Die Ermittlung in die Breite erfolgt durch den Fragebogeneinsatz und ermöglicht so die individualisierte Erfassung eines jeden Vorstellungsbilds der Getäuschten. Im Gegensatz dazu wurden beim Indizienschluss – aufgrund von Zeugenvernehmungen einiger Getäuschter, eines Geständnisses oder äußerer Umstände – die einzelnen Vorstellungsbilder gar nicht erfasst, sondern nur indiziell auf ihren Inhalt geschlossen. Ein bloßer Fragebogeneinsatz entbehrt allerdings der Qualität, der Ermittlung „in die Tiefe“, die die Zeugenvernehmungen grundsätzlich durch die direkte mündliche Vernehmung, die Möglichkeit von Nachfragen und der Ausräumung von Missverständnissen erzielen können. Die in der Kombinationslösung vorgesehenen Zeugenvernehmungen pars pro toto gewähren genau diese Qualität der Befragung; zwar nicht in allen Fällen, aber immerhin in einigen, was zur Überzeugungsbildung in allen Fällen ausreichen kann. In der Kombination bietet die Kombinationslösung also eine quantitativ und qualitativ überzeugende Aufklärung des Sachverhalts. Die Gleichartigkeit der Täuschungshandlungen und die Anklage der Delikte in einem Verfahren rechtfertigen es, die Beweisergebnisse aufeinander zu beziehen. Die erlangten Beweisergebnisse stellen eine tragfähige Grundlage für die Überzeugungsbildung dar. So wird der Amtsaufklärungspflicht des § 244 II StPO, zur Erforschung der Wahrheit die Beweisaufnahme von Amts wegen auf alle Tatsachen und Beweismittel zu erstrecken, die für die Entscheidung von Bedeutung sind, Genüge getan. III. Beweiswürdigungsgrundsatz Den Anforderungen an den Beweiswürdigungsgrundsatz wird die Kombinationslösung beim Irrtumsnachweis ebenfalls gerecht. Auch hier kann die Kombination aus im Fragebogen gegebenen Antworten und aus Zeugenvernehmungen pars pro toto die Defizite ausgleichen, die bei isolierter Anwendung einer der beiden Vorgehensweisen gegeben wären. Durch die Kombination kann die Überzeugungsbildung hinsichtlich des Vorliegens eines Irrtums gelingen. 1. Quantität durch Fragebögen Der Fragebogeneinsatz stellt die flächendeckende Erfassung der Vorstellungsbilder sicher. Die Gefahr einer zu pauschalen und ungenauen Feststellung hinsichtlich der Vorstellungsbilder der Personen, die nicht als Zeugen vernommen werden, wie beim Lösungsansatz über den Indizienschluss aufgrund normativ geprägten Vorstellungsbilds, wird durch die Fragebögen ausgeräumt, da die Vorstellungsbilder in jedem Einzelfall festgestellt und gewürdigt werden. Dadurch, dass das individuelle Vorstellungsbild und kein überindividuelles Vorstellungsbild für maß-

8. Kap.: Der eigene Vorschlag: Die Kombinationslösung

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geblich gehalten wird, erfolgt auch keine Art „Anscheinsbeweis“ wie im Rahmen der Bewertung des Lösungsansatzes über den Indizienschluss aufgrund normativ geprägten Vorstellungsbilds. Zwar bestehen in der Tat bei einer Anwendung der Kombinationslösung Zusammenhänge zur abgeschafften Rechtsfigur des Fortsetzungszusammenhangs, weil die einzelnen Betrugstaten zueinander in Beziehung gesetzt und in ihrer Gesamtheit angesehen werden. Dies ist aber wegen der Einheitlichkeit der Täuschungshandlung und der Anklage der Delikte in einem einheitlichen Verfahren gerechtfertigt. Außerdem werden alle Einzeldelikte als einzelne Taten individualisiert und festgestellt und sie nicht lediglich als Einzelakte einer einzigen Betrugstat angesehen, wie es bei der fortgesetzten Tat der Fall gewesen wäre. 2. Qualität durch Zeugenvernehmungen Die an den Fragebögen kritisierten qualitativen, wesensbedingten Defizite der Befragung können durch die Zeugenvernehmungen pars pro toto kompensiert werden. Hier besteht die Möglichkeit, befragungstechnisch in die Tiefe zu gehen, mögliche Missverständnisse auszuräumen und Nachfragen zu stellen. Die im Fragebogen angegebene Antwort des Zeugen kann so hinterfragt werden. IV. Unmittelbarkeitsgrundsatz Wie schon im Rahmen der Bewertung des fünften Lösungsansatzes gezeigt wurde, gerät die Verwendung und Einführung der Ergebnisse von Fragebögen nach der derzeitigen Gesetzeslage in Konflikt mit dem Unmittelbarkeitsgrundsatz. Auch wenn in der Kombinationslösung die Fragebögen nur als ein Baustein neben den Zeugenvernehmungen pars pro toto eingesetzt werden, stellt die Verlesung eines Fragebogens nach wie vor eine Ersetzung einer Zeugenvernehmung dar und widerspricht damit dem materiellen Unmittelbarkeitsgrundsatz, § 250 StPO. Nach der derzeit geltenden Rechtslage könnte die Kombinationslösung nur dann angewendet werden, wenn die Verfahrensbeteiligten einer Verlesung zustimmen oder wenn die ausgefüllten Fragebögen nicht verlesen werden, sondern ein Ermittlungsbeamte die Ergebnisse der Fragebogenaktion vorträgt. Auch wenn die Kombinationslösung in ihrem Aufklärungsumfang über den Lösungsansatz der wohl herrschenden Meinung über den Indizienschluss beim normativ geprägten Vorstellungsbild hinausgeht, wird ihr mit dem Unmittelbarkeitsgrundsatz Einhalt geboten. Die Reform der Vorschriften der §§ 249 – 256 StPO durch den AE Beweisaufnahme würde diesen Konflikt durch ein völlig neues System der Zulässigkeit von Beweismitteln lösen. Die Kombinationslösung an sich ließe sich wohl auch durch geringere und weniger umstürzende Änderungen gesetzeskonform ausgestalten lassen, nämlich durch die Einführung eines Verlesungsgrundes. Der AE Beweisaufnahme überzeugt aber in seiner Gesamtheit und wird daher auch durch die hier vertretene Ansicht unterstützt.

352

Teil 3: Lösungsansätze

V. Konfrontationsrecht Wenn die Aussagen von Zeugen in der Hauptverhandlung verwertet werden, ohne dass der Angeklagte oder sein Verteidiger die Möglichkeit hatten, die Zeugen zu befragen, besteht ein Konflikt mit dem Konfrontationsrecht des Art. 6 III lit. d EMRK. Bei der Kombinationslösung wird eine Mitwirkung des Beschuldigten oder seines Verteidigers bei der Erstellung des Fragebogens daher zur Wahrung des Konfrontationsrechts als erforderlich erachtet. Sowohl der AE Beweisaufnahme als auch die vorgeschlagenen Vorschriften der „kleinen Lösung“ versuchen daher, dieses Konfrontationsrecht i.S.d. Art. 6 III lit. d EMRK in die Vorschriften der Strafprozessordnung einzubetten.

VI. Effektive Strafverfolgung, Beschleunigungsgrundsatz, Verfahrensökonomie Zu guter Letzt muss sich die Kombinationslösung auch unter den Gesichtspunkten der effektiven Strafverfolgung, des Beschleunigungsgrundsatzes und der Verfahrensökonomie bewähren. Zugegebenermaßen ist die Umsetzung der Kombinationslösung mit mehr Aufwand verbunden als die im vierten Kapitel dargestellte Lösung der Rechtsprechung über den Indizienschluss beim normativ geprägten Vorstellungsbild. Dieser Lösungsansatz stützt sich nämlich allein auf den zweiten Baustein, also den Indizienschluss (aufgrund von Zeugenvernehmungen oder auch bloß aufgrund äußerer Umstände). Der bei der Kombinationslösung erforderliche Aufwand ist jedoch hinnehmbar. Die Kombinationslösung gewährt eine effektive Strafverfolgung, da alle (von den Fällen nicht beantworteter Fragebögen abgesehen) Einzeldelikte verurteilt werden können, ohne den Strafprozess zu überfordern. Die Versendung und Auswertung von Fragebögen lässt sich heutzutage in vertretbarer Zeit erledigen, zumal alle Geschädigten ohnehin wie in jedem Strafverfahren ermittelt werden müssen. Der Fragebogen enthält zwecks einfacher Auswertung keinen freien Sachbericht, sondern nur vorformulierte Fragen und Antworten. Die Antworten können maschinell ausgelesen werden. Noch weniger aufwändig und daher wünschenswert wäre eine Ausformung als Online-Fragebogen. Die Verfahrenskosten für die Vorgehensweise nach der Kombinationslösung sind ebenfalls vertretbar. Mag auch die Versendung und Auswertung der Fragebögen angesichts der geringen Einzelfallschadenshöhe aus wirtschaftlicher Sicht übertrieben wirken, ist dem entgegenzuhalten, dass die Kosten eines Strafprozesses selten im Verhältnis zu dem Schaden stehen, der durch die angeklagte Tat entstanden ist. Der Angeklagte muss die Kosten einer im Ermittlungsverfahren durchgeführten Fragebogenaktion nicht tragen. Zwar trägt der Angeklagte im Falle einer Verurteilung auch die im Ermittlungsverfahren entstandenen Kosten, §§ 465 I, 464a I 2 Alt. 1 StPO i.V.m. GKG KV Nr. 9015. Die Auslagen für die Durchführung und Auswertung einer Fragebogenaktion lassen sich aber nicht unter die in GKG KV Nr. 9000 ff. genannten Auslagen fassen. Unerheblich sind

8. Kap.: Der eigene Vorschlag: Die Kombinationslösung

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etwaige Entschädigungkosten gemäß §§ 465 I, 464a I 2 Alt. 1 StPO i.V.m. GKG KV Nr. 9015, 9005 i.V.m. §§ 71 StPO, 19 ff. JVEG im Hinblick auf die Zeugen, die nur den Fragebogen ausgefüllt haben. Nicht zu vernachlässigen ist außerdem die generalpräventive Wirkung einer das gesamte verwirklichte Unrecht erfassenden Aburteilung von Massenbetrugsfällen. Die Kombinationslösung kann also eine effektive, zügige und auch unter verfahrensökonomischen Gesichtspunkten vertretbare Strafverfolgung gewährleisten.

G. Praxistauglichkeit Die Kombinationslösung hat außerdem den Anspruch an sich, eine praxistaugliche Vorgehensweise vorzuschlagen, die die Tatgerichte leicht umsetzen können. Davon ist auszugehen, weil die Kombinationslösung den Gerichten und Ermittlungsbehörden nicht viel abverlangt und gleichzeitig einen großen Erkenntnisgewinn bietet. An zwei Fällen sieht man außerdem, dass die Tatgerichte eine ähnliche Vorgehensweise gewählt haben, da nämlich einerseits Fragebögen eingesetzt und andererseits Zeugen vernommen worden sind. Im Fall 7: Einzugsermächtigungslastschriftbetrug des Landgerichts Bielefeld wurden Fragebögen an alle Geschädigten verschickt und denjenigen Zeugen, die in der Hauptverhandlung vernommen wurden, daraus Vorhalte gemacht, sofern dazu Anlass bestand.102 Im Fall 16: Schneeballsystem führte die Staatsanwaltschaft im Ermittlungsverfahren eine Fragebogenaktion durch. Das Landgericht Düsseldorf vernahm in der Hauptverhandlung den ermittelnden Sachbearbeiter über die Auswertung der Fragebogenaktion und stellte fest, dass sich das Ergebnis der Fragebögen mit den Aussagen der 27 als Zeugen vernommenen Geschädigten decke.103 In zwei aktuellen Entscheidungen billigte nun auch der zweite Strafsenat diese Vorgehensweise104 bzw. schlug sie vor105. Es ist also anzunehmen, dass die Tatgerichte die Kombinationslösung als praxistaugliches Instrument empfinden werden und danach vorgehen können.

102

Laut einer Auskunft des Pressedezernenten des LG Bielefeld vom 15. 03. 2016 nach Rücksprache mit dem Berichterstatter. Das Urteil des Landgerichts ist nicht veröffentlicht. Die aus den Zeugenvernehmungen gewonnenen Ergebnisse wurden jedenfalls offenbar nicht im Urteil dargelegt, sodass die Verurteilung wegen vollendeten Betrugs der Revision nicht standhalten konnte. In der Revisionsentscheidung heißt es, dass dem Urteil nicht zu entnehmen sei, dass Geschädigte als Zeugen vernommen oder deren Angaben auf andere Weise in die Hauptverhandlung eingeführt worden seien, BGH, Urt. v. 22. 05. 2014 – 4 StR 430/13 Rn. 19 = NJW 2014, 2132. 103 LG Düsseldorf, Urt. v. 31. 07. 2014 – 14 KLs – 130 Js 44/09 – 10/12 –, juris Rn. 886. 104 BGH, Urt. v. 24. 03. 2016 – 2 StR 36/15 –, juris Rn. 21 = wistra 2016, 404. 105 BGH, Urt. v. 22. 02. 2017 – 2 StR 573/15 –, juris Rn. 32.

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Teil 3: Lösungsansätze

H. Zusammenfassung Die Kombinationslösung hat gezeigt, dass sie ein Lösungsansatz für den Irrtumsnachweis beim Massenbetrug ist, der einerseits eine praxistaugliche, gut umsetzbare und verfahrensökonomische Vorgehensweise darstellt und andererseits auch rechtsstaatlichen Grundsätzen genügt und den Verfahrensprinzipien des Strafprozesses gerecht wird. Nach der derzeitigen Gesetzeslage kann die Kombinationslösung nur in der Variante umgesetzt werden, dass bei Zustimmung aller Verfahrensbeteiligten alle beantworteten Fragebögen im Selbstleseverfahren eingeführt werden oder aber ein polizeilicher Sachbearbeiter über die Ergebnisse der Fragebögen vernommen wird. Nach der hier vertretenen Ansicht reicht die Einführung lediglich einer statistischen Auswertung im Sinne der Angabe der Anzahl der Zeugen, die die jeweiligen Antworten gegeben haben, nicht aus, um der Amtsaufklärungspflicht Genüge zu tun und eine ordnungsgemäße Beweiswürdigung durchzuführen. Angesichts der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zum normativ geprägten Vorstellungsbild dürfte eine solche Vorgehensweise allerdings revisionsrechtlich nicht erfolgreich angegriffen werden können. Vorzugswürdig ist eine gesetzliche Verankerung des Fragebogeneinsatzes und der Möglichkeit der Einführung in die Hauptverhandlung in der Strafprozessordnung. Der AE Beweisaufnahme bietet einen umfassenden und in sich stimmigen Vorschlag zur Neustrukturierung des Regelungskomplexes der §§ 250 ff. StPO. Eine weniger einschneidende Änderung wäre die Einführung speziell auf die Fragebogenaktion beim Massenverfahren zugeschnittener Regelungen. Die Kombination von Fragebögen und Zeugenvernehmungen muss man selbst nicht gesetzlich regeln. Dies ergibt sich vielmehr aus den Grundsätzen des Amtsaufklärungs- und Beweiswürdigungsgrundsatzes. Die Möglichkeit der Beschränkung der Strafverfolgung gemäß §§ 154, 154a StPO bleibt im Übrigen unbenommen. Wenn deren Voraussetzungen vorliegen, also insbesondere die Nichtbeträchtlichkeit der einzustellenden Taten bzw. Gesetzesverletzungen vorliegt, kann dieses strafprozessuale Instrument durchaus angezeigt sein. Wegen der Voraussetzung einer gleichartigen Täuschung für die Anwendung der Kombinationslösung kann dieser Unterschied letztlich nur in der Schadenshöhe bestehen. Auch wenn bei den typischen Massenbetrugsfällen oft in jedem Einzelfall die gleiche Schadenshöhe vorliegt, wird es auch Fälle geben – man denke an Betrugsfälle im Zusammenhang mit der Investition in Schneeballsysteme –, in denen die Schadenshöhe unterschiedlich ausfallen kann.

Fazit Die vorliegende Arbeit hat sich zur Aufgabe gestellt, die Problematik des Irrtumsnachweises in all ihren Facetten zu beleuchten, die bereits beschrittenen Wege der Rechtsprechung zu untersuchen und zu bewerten und schließlich, als sich kein Lösungsansatz als überzeugend herausstellte, einen eigenen Lösungsvorschlag zu präsentieren. Da die Strafprozessordnung nicht explizit vorschreibt, dass in einem Verfahren wegen des Verdachts des Betrugs der Verfügende über sein Vorstellungsbild zu vernehmen ist, waren die Verfahrensprinzipien in den Blick zu nehmen, die den Umfang und die Art und Weise der Beweisaufnahme in der Hauptverhandlung regeln.1 Der Amtsaufklärungsgrundsatz, § 244 II StPO, und der Beweiswürdigungsgrundsatz, § 261 StPO, streiten hierbei für eine möglichst umfassende und präzise Aufklärung, damit sich das Tatgericht eine Überzeugung vom Vorliegen oder Nichtvorliegen eines Irrtums bilden kann. Der Unmittelbarkeitsgrundsatz und das Konfrontationsrecht beeinflussen die Art der Beweiserhebung ebenfalls. Auf der anderen Seite stehen Prinzipien wie der Grundsatz der effektiven Strafverfolgung, der Beschleunigungsgrundsatz und die Verfahrensökonomie. Sie können den Prozessmaximen der Amtsaufklärung und Beweiswürdigung nur beschränkt etwas entgegenhalten, aber müssen in einem Strafverfahren, das sich in der Rechtswirklichkeit bewähren will, ebenfalls beachtet werden. Bei der Analyse insbesondere der jüngeren Rechtsprechung zum Irrtumsnachweis beim Massenbetrug haben sich einige typische Fallgruppen herausgebildet.2 Eine Darstellung der Strukturmerkmale dieser typischen Sachverhaltskonstellationen ergab, dass sich als charakteristische Merkmale für den Begriff des „Massenbetrugs“ in erster Linie die enorme Menge an mutmaßlich Irrenden, häufig auch eine Begehungsweise der Täuschungshandlung mithilfe von Mitteln der Telekommunikation, ein geringer Individualvermögensschaden, aber ein großer Gesamtvermögensschaden, und oft eine organisierte Begehungsweise zeigen.3 Die Instanzgerichte mussten mit der Frage, wie man bei einer so großen Masse an mutmaßlich Irrenden den Irrtum jeder betroffenen Person feststellen kann, umgehen und haben verschiedene Lösungsstrategien entwickelt. Die Strafsenate des Bundesgerichtshofs reagierten darauf und stellten teilweise eigene Rechtsprechungsgrundsätze auf. Bei der Analyse der Rechtsprechung haben sich im Wesentlichen 1 2 3

Siehe Teil 1. Siehe Teil 2, 2. Kapitel. Siehe Teil 2, 3. Kapitel.

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Fazit

fünf Lösungsansätze herausfiltern lassen. Daneben werden in der Literatur Lösungen de lege ferenda vorgeschlagen. Nach einer kritischen Bewertung hat sich herausgestellt, dass sie aus prospektiver Sicht allesamt nicht überzeugen können. Für die Beschränkung des Verfahrensstoffes gemäß §§ 154, 154a StPO4 werden die vom Gesetz vorgegebenen Voraussetzungen nicht immer vorliegen. Bei einem Massenbetrug mit annähernd gleichen Schadenshöhen können nicht sinnvoll Delikte ausgesondert werden, die gegenüber den verbleibenden Delikten nicht beträchlich ins Gewicht fallen. Bei sehr unterschiedlichen Schadenshöhen kann im Einzelfall eine Beschränkung des Verfahrensstoffes angebracht sein. Vorzugswürdiger ist allerdings eine Vorgehensweise, die die Aburteilung sämtlicher Einzelfälle ermöglicht. Die vor allem von den Instanzgerichten angestoßene Idee, bloß wegen Versuchs statt Vollendung zu verurteilen,5 überzeugt ebenso wenig. Die Vorgehensweise über §§ 154, 154a StPO scheitert schon an deren Voraussetzungen und der Weg über § 154a StPO analog misslingt mangels einer Analogiefähigkeit der Norm. Der Verurteilung bloß wegen Versuchs infolge der Anwendung des Zweifelssatzes steht entgegen, dass die Amtsaufklärungspflicht die Ausermittlung des Sachverhalts fordert und für die Anwendung des Zweifelssatzes bei nicht ausreichender Beweiserhebung kein Raum ist. Der Irrtumsnachweis ist auch beim Massenbetrug möglich und daher auch zu führen. Die Rechtsfigur des uneigentlichen Organisationsdelikts6 ist abzulehnen; sie kann aber ohnehin höchstens für die Feststellung der Täuschungshandlung, aber nicht für die Feststellung des Irrtums Beweiserleichterungen bewirken. Der Indizienschluss vom Irrtum bei einigen wenigen, als Zeugen vernommenen mutmaßlich Irrenden auf das Vorliegen eines Irrtums auch bei den nicht vernommenen Verfügenden im Falle eines normativ geprägten Vorstellungsbilds ist die von der Rechtsprechung mittlerweile favorisierte Lösung.7 Doch auch dieser Ansatz kann nicht überzeugen, schon gar nicht in der Variante, in der gänzlich auf Zeugenvernehmungen verzichtet und ein Indizienschluss aufgrund äußerer Umstände für möglich gehalten wird. Aus der Rechtsprechung geht nicht eindeutig und einheitlich hervor, was unter dem Begriff des normativ geprägten Vorstellungsbilds zu verstehen ist und wann seine Voraussetzungen vorliegen. Ein rein normatives Verständnis des Irrtumsmerkmals, das die Vernehmung des mutmaßlich Irrenden entbehrlich macht, weil der Irrtum nicht mehr als innere Tatsache festgestellt werden muss, verstößt gegen das Analogieverbot, soweit dadurch ein Irrtum auch dann angenommen werden kann, wenn der Getäuschte sich gar keine Gedanken gemacht oder die Täuschung durchschaut hat. Die Führung des Irrtumsnachweises mittels Indizienschlusses wird außerdem den Anforderungen des Amtsaufklärungsgrundsatzes nicht 4 5 6 7

Siehe Teil 3, 1. Kapitel. Siehe Teil 3, 2. Kapitel. Siehe Teil 3, 3. Kapitel. Siehe Teil 3, 4. Kapitel.

Fazit

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gerecht, weil es an der Ermittlung des konkreten Vorstellungsbilds eines jeden individuellen Getäuschten fehlt. Die so getroffenen Feststellungen können nicht die Grundlage einer fehlerfreien Beweiswürdigung bilden. Einzige Ausnahme für einen zulässigen Indizienschluss auf Grundlage von Zeugenvernehmungen pars pro toto kann ein Massenbetrug im Falle eines „echten“ normativ geprägten Vorstellungsbilds sein. Nur wenn gleichgeartete Täuschungshandlungen vorliegen und die Verfügung für den Verfügenden massenhaften und standardisierten Charakter hat, können die Vorstellungsbilder so ähnlich sein, dass ein Indizienschluss aufgrund von Zeugenvernehmungen einiger mutmaßlich Irrender erfolgen darf. Dies kann bei Täuschungen gegenüber den im Rahmen ihrer Berufsausübung und nach bestimmten festgelegten Prüfregeln handelnden Sachbearbeitern eines institutionellen Adressaten der Fall sein, also insbesondere beim kassen(zahn)ärztlichen Abrechnungsbetrug. Die – von der Rechtsprechung allerdings nicht isoliert verwendete – Möglichkeit eines Fragebogeneinsatzes8 zur Erfassung sämtlicher Vorstellungsbilder sieht sich ebenfalls Bedenken u. a. im Hinblick auf den Unmittelbarkeitsgrundsatz und das Konfrontationsrecht ausgesetzt, wenn Aussagen von Zeugen nicht durch deren mündliche Vernehmung, sondern durch Verlesung des beantworteten schriftlichen Fragebogens in die Hauptverhandlung eingeführt werden. Die von der Literatur vorgeschlagene Einführung eines neuen Straftatbestands in Form eines Eignungsdelikts9 mag zu einer dogmatisch sauberen Lösung führen; entbehrt aber des Begründungsaufwands bzgl. des Strafbedürfnisses für einen solch umfassenden Straftatbestand. Ferner wurde der Umgang der Rechtsprechung mit dem Beweisantragsrecht beim Massenbetrug und die möglichen Ablehnungsgründe eines Beweisantrags auf Vernehmung aller mutmaßlich Irrender als Zeugen untersucht.10 Die bisher aufgezeigten Lösungen können also alle nicht überzeugen. Daher musste ein eigener Lösungsansatz gesucht werden, der in der Kombination und Modifikation zweier grundsätzlich erfolgversprechender Lösungsansätze gefunden wurde: Die Kombinationslösung11 vereint die Vorteile des Indizienschlusses aufgrund der Vernehmung einiger mutmaßlich Irrender als Zeugen (pars pro toto) und die Vorteile des Fragebogeneinsatzes. Durch die Kombination werden die Defizite der einen Vorgehensweise durch die andere Vorgehensweise kompensiert. Der Fragebogeneinsatz stellt die quantitative Ermittlung „in die Breite“12 sicher und die Zeugenvernehmungen pars pro toto gewährleisten eine qualitative Ermittlung „in die Tiefe“. 8

Siehe Teil 3, 5. Kapitel. Siehe Teil 3, 6. Kapitel. 10 Siehe Teil 3, 7. Kapitel. 11 Siehe Teil 3, 8. Kapitel. 12 Vgl. zum Begriffspaar „in die Breite“ und „in die Tiefe“: Krell, NStZ 2014, 686 (687). 9

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Der erste Baustein der Kombinationslösung besteht darin, bereits im Ermittlungsverfahren unter Mitwirkung des Beschuldigten oder seines Verteidigers erstellte Fragebögen an die mutmaßlich Irrenden zu versenden und die Ergebnisse durch Verlesung im Selbstleseverfahren in die Hauptverhandlung einzuführen. Daneben wird ein Ermittlungsbeamter über die Erstellung und Auswertung der Fragebogenaktion vernommen und ein unausgefüllter Fragebogen verlesen. Durch die Fragen mit mehreren Antwortmöglichkeiten (Multiple choice) sollen die Vorstellungsbilder möglichst detailliert erfasst werden. Idealerweise erfolgt die Durchführung der Fragebogenaktion online. Die elektronische Erfassung ermöglicht eine Erfassung und Auswertung der Antworten mit geringem zeitlichen und personellem Aufwand. Der zweite Baustein der Kombinationslösung besteht darin, einen Teil der mutmaßlich Irrenden (pars pro toto) als Zeugen zu vernehmen. Die mündliche Beweiserhebung gewährleistet eine qualitativ hochwertige Beweiserhebung, indem Nachfragen und ausführliche mündliche Ausführungen ermöglicht werden. In der mündlichen Vernehmung kann überprüft werden, ob die im Fragebogen gegebenen Antworten mit den in der mündlichen Zeugenvernehmung gemachten Angaben des Zeugen übereinstimmen. Der Fragebogeneinsatz stellt die flächendeckende Erfassung der individuellen Vorstellungsbilder sicher. Durch die Zeugenvernehmungen pars pro toto kann dieses Ergebnis im Einzelfall vertieft und überprüft werden. Wenn die Beweisergebnisse beider Bausteine in Einklang miteinander gebracht werden können, ist der Irrtumsnachweis in allen Einzelfällen erbracht. Gemeinsam kann der Irrtumsnachweis in einer Weise gelingen, die sowohl den Anforderungen des Amtsaufklärungsgrundsatzes genügt und eine ordnungsgemäße Beweiswürdigung ermöglicht, als auch eine effektive und zügige Strafverfolgung mit unter verfahrensökonomischen Gesichtspunkten vertretbarem Aufwand bietet. Die Kombinationslösung genügt allen rechtsstaatlichen Anforderungen des Strafprozesses und kann sich auch als praxistauglich erweisen. Sie kann auch mit dem Beweisantragsrecht in Einklang gebracht werden, wenn Beweisanträge auf Vernehmung aller mutmaßlich Irrenden als Zeugen wegen Unerreichbarkeit gemäß § 244 III 2 Var. 5 StPO abgelehnt werden, aber Beweisanträgen auf Vernehmung einiger weiterer Zeugen bis zur Grenze der Prozessverschleppung, § 244 III 2 Var. 6 StPO, nachgekommen werden muss. Sie lässt sich bei Zustimmung aller Verfahrensbeteiligten zur Verlesung der beantworteten Fragebögen schon jetzt umsetzen. Eine Einführung bloß der statistischen Auswertung der Fragebögen durch die Vernehmung des die Fragebogenaktion leitenden Ermittlungsbeamten genügt nach hier vertretener Auffassung nicht für den Irrtumsnachweis; eine solche Vorgehensweise wird angesichts der derzeitigen Rechtsprechungslage aber wohl revisionsrechtlich nicht erfolgreich angegriffen werden können. Für eine Umsetzung der Kombinationslösung in ihrem vollständigen Umfang unabhängig vom Zustimmungserfordernis sind allerdings Gesetzesänderungen, insbesondere hinsichtlich der Einführung der Ergebnisse der Fragebögen in

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die Hauptverhandlung und hinsichtlich des Konfrontationsrechts, zu empfehlen. Der von namhaften Autoren vorgestellte Alternativ-Entwurf Beweisaufnahme bietet durch seine umfassende Umstrukturierung der Vorschriften zur Unmittelbarkeit der Beweisaufnahme einen Regelungskomplex, der die Kombinationslösung in der vorgesehenen Form umfänglich umsetzbar macht. Daneben wird noch eine kleine Lösung mit weniger einschneidenden Gesetzesänderungen vorgeschlagen, durch die die Kombinationslösung ebenfalls in vollem Umfang umgesetzt werden könnte. Der Irrtumsnachweis beim Massenbetrug kann auf diese Art am besten gelingen.

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Sachwortregister Abrechnungsbetrug 94, 218 AE Beweisaufnahme 331 Amtsaufklärungspflicht – allgemein 38 – Fragebögen 304 – Kombinationslösung 349 – normativ geprägtes Vorstellungsbild 259, 275 – Versuch statt Vollendung 140 Analogieverbot – Kombinationslösung 349 – normativ geprägtes Vorstellungsbild 248 – Versuch statt Vollendung 146 Anscheinsbeweis 287 Anzahl der Geschädigten 91 Anzahl der Irrenden 107 Beschleunigungsgrundsatz 47, 352 Beschränkung der Strafverfolgung – auf einzelne Taten 116 – auf Versuchsstrafbarkeit 137, 142, 308 Beteiligungskonstellation 158 Beweisantizipation 272 Beweisantragsrecht 310, 347 Beweiserleichterungen – durch normativ geprägtes Vorstellungsbild 228 – durch uneigentliches Organisationsdelikt 170 Beweisermittlungsantrag 313 Beweislastumkehr 288 Beweiswürdigungsgrundsatz – allgemein 39 – Fragebögen 304 – Kombinationslösung 350 – normativ geprägtes Vorstellungsbild 282 – Versuch statt Vollendung 140 de lege ferenda

307, 329

Entgrenzungsverbot 256 Erscheinenspflicht 295

faktisch-normativer Mischansatz 53 fortgesetzte Tat – frühere Rechtsprechung 186 – normativ geprägtes Vorstellungsbild 271 – uneigentliches Organisationsdelikt 193 Fortsetzungszusammenhang siehe fortgesetzte Tat Fragebögen – Erstellung im Ermittlungsverfahren 294 – Kombinationslösung 324 – Mitwirkung des Verteidigers 336 – Verlesung 328 – Zustimmung 298, 301 freier Sachbericht 294, 301, 325 Fristenlösung 318 Geltendmachung von unbegründeten oder überhöhten Forderungen 97 Geständnis 132, 233 Gewerbsmäßigkeit 90 Handlungseinheit – finale 192 – natürliche 82, 190 – rechtliche 88, 190 – rechtliche (sui generis) – tatbestandliche 167

167

ignorantia facti 71, 346 in dubio pro reo siehe Zweifelsgrundsatz Indizienschluss 283 – vom Geständnis auf den Irrtum 233 – vom Irrtum des einen auf den Irrtum des anderen 230, 276 – von äußeren Umständen 241 Insertionsoffertenbetrug 60 institutionalisiertes System 191 Irrtum – europarechtliches Verbraucherleitbild 75 – Leichtgläubigkeit 74, 226 – Normativierung 77

Sachwortregister – subjektives Merkmal 131 – Zweifel 74, 226 Irrtumsmerkmal – Spiegelbildlichkeit 52, 70 Irrtumsquote 231, 276 Konfrontationsrecht – allgemein 42 – Fragebögen 305 – Kombinationslösung 337, 352 konkurrenzlose Gesetzesverletzung Kostenfallen 102

84

Massenbetrug 29, 33, 94, 107 massenhafter und standardisierter Charakter des Verfügungsgeschäfts 278 Massenhaftigkeit 222, 286 Mindestanzahl 265 Mindestgesamtschaden 262 Mündlichkeitsgrundsatz 294, 298 normativ geprägtes Vorstellungsbild 204, 219 – Abrechnungsbetrug 218 – fortgesetzte Tat 271 – massenhafter und standardisierter Charakter des Verfügungsgeschäfts 218, 278 – Massenhaftigkeit 222 Normativierung – des Irrtumsmerkmals 77, 218, 227, 252 – des Täuschungsmerkmals 60, 213, 251 objektiver Empfängerhorizont 53, 63 Organisationsherrschaft 157 organisierte Kriminalität 112 Ping-Anrufe 103 Prozessökonomie – allgemein 45 – Kombinationslösung 352 – uneigentliches Organisationsdelikt prozessuale Tat 117 sachgedankliches Mitbewusstsein Schadenshöhe 91 Schätzung – Irrtumsquote 231 – Mindestanzahl 265 – Mindestgesamtschaden 262

199

72, 225

373

Schneeballsystem 105, 119, 259, 322 Schuldprinzip – normativ geprägtes Vorstellungsbild 289 – uneigentliches Organisationsdelikt 174 Selbstleseverfahren 298, 328, 334 Serienstraftat 34 Spiegelbildlichkeit 257 Sportwettbetrug 60 Standardisierung 218, 279 Strafzumessung 89, 133 Tateinheit 82, 110, 162, 168 Tatmehrheit 88, 110, 192 Täuschung – ausdrückliche 52 – durch Unterlassen 68 – konkludente 53 Telekommunikation 109 uneigentliches Organisationsdelikt 88, 149 – Beteiligungskonstellation 158 – fortgesetzte Tat 193 – Geschäftsbetrieb 153 – Konkurrenzen 167 – Tatbeiträge 155 unerreichbarer Zeuge 260, 297, 316 Unmittelbarkeitsgrundsatz – allgemein 40 – Fragebögen 296, 303 – Kombinationslösung 332, 351 – normativ geprägtes Vorstellungsbild 291 Unschuldsvermutung – normativ geprägtes Vorstellungsbild 289 – uneigentliches Organisationsdelikt 174 Verkehrsanschauung 53, 65 Verschleifungsverbot 256, 258 Verschleppungsabsicht 318 Verständigung 46, 209, 233 f., 298 Versuch statt Vollendung 124 Wortlautgrenze

250

Zeugenvernehmungen pars pro toto 276, 344 Zweifelsgrundsatz – normativ geprägtes Vorstellungsbild 290 – Versuch statt Vollendung 135, 140