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German Pages 252 [253] Year 2003
GABRIELE KETT-STRAUB
Die Pflichten minderjähriger Zeugen in der Hauptverhandlung des Strafverfahrens
Schriften zum Prozessrecht Band 177
Die Pflichten minderjähriger Zeugen in der Hauptverhandlung des Strafverfahrens Von Gabriele Kett-Straub
Duncker & Humblot . Berlin
Die Juristische Fakultät der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg hat diese Arbeit im Jahre 200212003 als Dissertation angenommen.
Bibliografische Information Der Deutschen Bibliothek Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über abrufbar.
D29 Alle Rechte vorbehalten © 2003 Duncker & Humblot GmbH, Berlin Druck: Berliner Buchdruckerei Union GmbH, Berlin Printed in Germany ISSN 0582-0219 ISBN 3-428-11131-1 Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier entsprechend ISO 9706 §
Meinen Eltern
Vorwort Die Arbeit lag der Juristischen Fakultät der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg im Wintersemester 2002/2003 als Dissertation vor und wurde mit dem Karl-Giehrl-Preis 2002 der Universität und dem Promotionspreis der Juristischen Fakultät ausgezeichnet, worüber ich mich sehr gefreut habe. Sie ist auf dem Stand von Februar 2003. Herzlich danke ich vor allem meinem Doktorvater, Herrn Professor Dr. Karl Heinz Gössel, der diese Arbeit betreut, mir dabei immer mit Rat und Tat zur Seite stand und mich in der Zeit als Assistentin an seinem Lehrstuhl und auch darüber hinaus stets unterstützt hat. Danken möchte ich ebenso Herrn Professor Dr. Volker Erb nicht nur rur die prompte Erstellung des Zweitgutachtens, sondern auch rur meine großzügige Förderung während der Zeit als seine wissenschaftliche Assistentin. Dank schulde ich ferner meinen Erlanger Assistentenkollegen, besonders Herrn Michael Kamerling, Herrn Dr. Ralph Grunewald und Herrn Tobias Wagner, rur die harmonische und kreative Zusammenarbeit. Gewidmet ist die Arbeit meinen Eltern, denen ich auf diese Weise darur danken will, daß sie mich auf meinem Werdegang stets rursorglich begleitet haben. Erlangen, im Februar 2003
Gabriele Kett-Straub
Inhaltsverzeichnis Einleitung ...............................................................................................................
15
Erstes Kapitel Minderjährige als Zeugen A. Bedeutung minderjähriger Zeugen ................ ...................... ...............................
20
B. Aktuelle Situation minderjähriger Zeugen ............................ .............................
22
C. Minderjährige Zeugen in der Geschichte ............................ ...............................
24
Zweites Kapitel Der Zeuge als Beweismittel A. Der Zeugenbeweis im Strafverfahren ................ .......................................... ......
29
B. Abgrenzung zu anderen Beweismitteln ........................................ .......... ............
31
C. Der Schutz und die Rechte des Zeugen .............. .................................. ..............
34
D. Beweiswert der Zeugenaussage .........................................................................
37
Drittes Kapitel Die grundsätzliche Zeugenpflicht Minderjähriger A. Einführung ................................................................. ........................................
40
B. Die Zeugenpflicht und ihre Rechtsquelle ...........................................................
42
C. Begründet die StPO eine Zeugenpflicht Minderjähriger? .................. ................
45
D. Ansätze zur Vemeinung der Zeugenpflicht Minderjähriger ...............................
46
Ansatzpunkt Ladung ...................................................................................
46
I.
Inhaltsverzeichnis
10
11. Ansatzpunkt Staatsbürgerpflicht ... ................... ............. ...... .................. ......
49
1II. Stellungnahme zum Grundsatz der Zeugenpflicht Minderjähriger .............
49
1. Ansatzpunkt Ladung .. .......................... .................. ............... .................
49
2. Ansatzpunkt Staats bürgerpflicht .................................... ........................
50
IV. Vemeinung der Zeugenpflicht zum Wohle des Kindes? ............................
53
1. Das Prinzip des Kindeswohls im Strafverfahren ............................. .......
53
2. Sekundäre Schädigung .......... ....................... ................................... .......
57
a) Potentielle Belastungsfaktoren .........................................................
63
b) Tatsächliches Belastungserleben .................... .............. ....................
64
3. Konsequenz des Ergebnisses rur die Zeugenpflicht ...............................
65
4. Einzelfallentscheidung ................. .. ........ ............ .......... .. ........................
68
Viertes Kapitel Die Hauptpflichten des minderjährigen Zeugen A. Einruhrung ................ .......... .................. ............ ..... ......... .... ...............................
70
B. Die Hauptpflichten in der Übersicht ........................... ............ ...........................
71
C. Die einzelnen Hauptpflichten und ihre Ausnahmen ...........................................
72
1.
Die Erscheinenspflicht ............ .............. ................. ...... .......................... .....
72
1. Die Ladung des Zeugen zur Hauptverhandlung ................. ....................
72
2. Begriff der ordnungsgemäßen Ladung .............................................. .....
73
a) Zweck, Form und Inhalt der Ladung ................................................
74
b) Adressat der Ladung .........................................................................
76
aa) Rechtsprechung und Praxis .......................................................
77
bb) Literatur ................. ................ ...... ............... ................... ............
79
ce) Eigene Stellungnahme .............................. ............... ..................
82
(l) Richtige Ladung von kindlichen Zeugen ...........................
83
(2) Richtige Ladung von jugendlichen Zeugen .......................
84
3. Ausnahmen von der Erscheinenspflicht .................................................
88
a) ZeugnisunHihigkeit ...........................................................................
88
Inhaltsverzeichnis
11
b) Videovernehmung ............................................................................
91
4. Die Durchsetzung der Erscheinenspflicht ............. .................................
93
a) Voraussetzungen für den Zeugenzwang gemäß § 51 StPO ..............
93
aa) Nichterscheinen .........................................................................
94
bb) Keine rechtzeitige und genügende Entschuldigung ...................
94
(1) Unkenntnis von der Zeugenladung ....................................
94
(2) Verbot der Eltern ...............................................................
95
b) Die Zulässigkeit der Ordnungs- und Zwangsmittel des § 51 StPO gegenüber Zeugen unter 14 Jahren ...................................................
96
aa) Die repressiven Ungehorsamsfolgen des § 51 StPO .................
96
bb) Die präventive Ungehorsamsfolge der zwangsweisen Vorführung ...........................................................................................
98
(1) Geeigentheit ............ ............. ................................ ..............
101
(2) Erforderlichkeit ........................ ...... ............... .....................
102
(3) Angemessenheit .................................................................
103
c) Die Zulässigkeit der Ordnungs- und Zwangsmittel des § 51 StPO gegenüber Zeugen ab 14 Jahren ......... .................. .... .......... .......... ....
104
d) Die Zulässigkeit der Ordnungs- und Zwangsmittel des § 51 StPO gegenüber den Eltern ........................................................................
106
e) Der Minderjährige als unerreichbarer Zeuge ................................ ....
107
aa) Weigerung der Eltern ................................................................
107
bb) Beeinträchtigung des Kindeswohls ...........................................
110
cc) Konservierung der Erstaussage .................................................
113
11. Die Aussagepflicht .....................................................................................
114
1. Der Gang der Zeugenvernehmung .... .....................................................
116
a) Belehrung .........................................................................................
116
b) Angaben zur Person ............................................. ......................... ....
117
c) Generalfragen ...................................................................................
117
d) Spezielle Belehrung über ein Zeugnis- bzw. ein Aussageverweigerungsrecht .........................................................................................
118
e) Angaben zur Sache ...........................................................................
118
12
Inhaltsverzeichnis 2. Ausnahmen von der Aussagepflicht ................ ............ .......... ..... .... ........
119
3. Die Aussagefähigkeit .............................................................................
119
a) Kleinkinder (bis 4 Jahre) ..................................................................
120
b) Kindergartenkinder und Vorschulkinder (4 bis 6 Jahre) ...................
121
c) 7- bis 10jährige Zeugen ....................................................................
122
d) 11- bis 14jährige Zeugen ..................................................................
122
e) Über 14jährige Zeugen .....................................................................
123
4. Die Zeugnisverweigerungsrechte ...... .... .......... .............. ...... ........... ........
123
a) Das Zeugnisverweigerungsrecht aus persönlichen Gründen gemäß § 52 StPO .........................................................................................
123
b) Kreis der zur Zeugnisverweigerung Berechtigten.............................
125
aa) Verlobter ...................................................................................
125
bb) Ehegatte ....................................................................................
126
cc) Kinder in einer gleichgeschlechtlichen Lebenspartnerschaft ....
126
dd) Verwandtschaft und Schwägerschaft ........................................
127
ee) Kinder in einer nichtehelichen Lebensgemeinschaft .................
128
ff) Pflegekinder ..............................................................................
134
c) Ausübung des Zeugnisverweigerungsrechtes ...................................
13 7
d) Zeugen ohne hinreichende Verstandesreife ......................................
137
aa) Die Verstandesreife ...................................................................
138
bb) Psychische Defekte ...................................................................
140
cc) Einwilligung des gesetzlichen Vertreters ..................................
141
dd) Zeitliche Reihenfolge ................................................................
142
ee) Der gesetzliche Vertreter ist Angeklagter .................................
142
ff) Allein vertretungsberechtigter Elternteil ..... ...... ........................
143
gg) Verhältnis des Prozeßgerichts zum Vormundschaftsgericht .....
149
e) Die Belehrung ..................................................................................
150
aa) Unterbliebene Belehrung ..........................................................
152
bb) Heilung einer unterbliebenen Belehrung ........... ........................
154
f) Verzicht und Widerruf auf das Zeugnisverweigerungsrecht..... .........
155
Inhaltsverzeichnis
13
g) Folgen der Zeugnisverweigerung .....................................................
156
h) Ausnahmen vom Verwertungsverbot ...............................................
157
i) Zeugnisverweigerungsrecht aus beruflichen Grunden gemäß §§ 53, 53 a StPO .........................................................................................
159
j) Übergesetzliches Zeugnisverweigerungsrecht ..................................
159
5. Auskunftsverweigerungsrecht gemäß § 55 StPO ...................................
162
a) Verhältnis zu § 52 StPO ...................................................................
162
b) Gefahr der Verfolgung ......................................................................
164
c) Verstandesunreife Zeugen ................................................................
166
d) Belehrung ..................... ............ ...... .................... ..............................
167
6. Die Durchsetzung der Aussagepflicht ...................... ..............................
168
III. Die Eidespflicht ...... ......... ........................................................ ...................
170
1. Bedeutung und Zweck des Eides ............................................................
170
2. Absolute Vereidigungsverbote ...............................................................
172
a) Eidesunmündige Zeugen (§ 60 Nr. 1, 1. Alt. StPO) .........................
172
b) Eidesunfähige Zeugen (§ 60 Nr. 1,2. Alt. StPO) .............................
173
3. Absehen von Vereidigung .................................... .. ...............................
174
a) Zeugen ab 16 Jahren .........................................................................
175
b) Verletzte und Angehörige ............................................ .....................
175
4. Recht zur Verweigerung des Eides gemäß § 63 StPO ............................
175
5. Die Durchsetzung der Eidespflicht .........................................................
176
Fünftes Kapitel Die Nebenpflichten des minderjährigen Zeugen
A. Einführung ........................ ............. ................................... .................................
177
B. Die Nebenpflichten in der Übersicht ..................................................................
179
C. Die einzelnen Nebenpflichten des minderjährigen Zeugen ................................
180
Die Untersuchungspflicht gemäß § 81 c StPO ............................................
180
1. Art der Untersuchung .............................................................................
182
I.
14
Inhaltsverzeichnis a) Untersuchung auf Spuren und Tatfolgen (§ 81 c Abs. 1 StPO) ........
182
b) Untersuchung einer Frau ..................................................................
183
c) Entnahmen von Blutproben und Untersuchung zur Feststellung der Abstammung (§ 81 c Abs. 2 StPO) ..................................................
184
2. Einwilligung, Belehrung und Widerruf ................... ............... ................
185
11. Das Untersuchungsverweigerungsrecht ......................................................
187
1. Koppelung an § 52 StPO ..... ..... ........................ .... ............... ........... .... ....
187
2. Die hinreichende Verstandesreife ..........................................................
189
3. Belehrung gemäß § 81 c Abs. 3 Satz 2 Halbsatz 2 StPO ........................
191
4. Belehrung bei nicht ausräumbaren Zweifeln an der Verstandesreife .....
193
5. Ausschluß des gesetzlichen Vertreters ...................................................
194
6. Die Durchsetzung der Untersuchung ......................................................
194
III. Die Glaubwürdigkeitsbegutachtung ............. ............. ............... ..................
195
1. Gründe der sachverständlichen Begutachtung, insbesondere die Suggestibilität minderjähriger Zeugen ........ .............. ............ ......... ..................
196
2. Glaubwürdigkeit und Glaubhaftigkeit ...... ..............................................
205
3. Einwilligung in die Begutachtung ..........................................................
208
4. Belehrung bezüglich der Einwilligung ................................ ... .... ............
208
5. Belehrung bezüglich eines Verweigerungsrechts ...................................
209
6. Unterbleiben der Belehrung ...................................................................
213
7. Fehlen der Einwilligung .........................................................................
214
8. Auswahl des Sachverständigen ..............................................................
216
IV . Weitere Nebenpflichten ..............................................................................
217
1. Die Beantwortung von Generalfragen ....................................................
217
2. Die Duldung der Gegenüberstellung, die der Augenscheinseinnahme und die einer Videoaufzeichnung der Vernehmung ...............................
218
Schluß betrachtung ..... .... ............. ...... .......... .......... ................ .......... ......................
222
Literaturverzeichnis ........................ ......................... ............................................
229
Sachverzeichnis .....................................................................................................
248
Einleitung "Unsere Pflichten, das sind die Rechte anderer auf uns.'"
Es ist die Aufgabe der Rechtsordnung schlechthin, Vorkehrungen für ein geregeltes Zusammenleben der Menschen in der Gemeinschaft zu treffen? Das Strafrecht übernimmt dabei "den Schutz der für das Zusammenleben besonders wichtig gehaltenen Rechtsgüter.,,3 Um diesen Ansprüchen gerecht werden zu können, sind die "Inhaber staatlicher Rollen mit Staatsgewalt auszustatten";4 sie müssen Rechte gegenüber den Menschen haben. Der demokratisch legitimierte Strafanspruch ist ein wesentlicher Aspekt dieser Staatsgewalt. Zu dessen Durchsetzung bedarf der Staat unter anderem des Rechts, einen Menschen zu einer Zeugenaussage vor dem Strafgericht zu verpflichten. Ein Recht, das den Vätern der Strafprozeßordnung so geläufig war, daß sie auf eine ausdrückliche gesetzliche Normierung verzichteten. Sie setzten die Zeugenpflicht als selbstverständlich für alle Bürger5 - unabhängig von deren Alter - voraus und regelten nur die Ausnahmetatbestände und die Folgen einer unberechtigten Weigerung. Sie sind jedoch auch deshalb von einem Grundsatz der Zeugenpflicht ausgegangen, weil sie sich über die Problematik minderjähriger Zeugen keine Gedanken gemacht hatten. 6 Doch hat der Staat tatsächlich entsprechende Rechte gegenüber Minderjährigen? Der Zeuge nimmt als das praktisch wichtigste Beweismittel eine zentrale Stellung im Strafverfahren ein. Die Möglichkeiten justizfOrmiger Sachaufklärung beruhen im wesentlichen auf dem Zeugenbeweis. 7 Heute erscheint es dennoch zweifelhaft, ob Zeugen in den Gerichtssaal gerufen werden dürfen, die aufgrund ihres Alters besonders schützenswert und deshalb in Art. 6 GG unter die besondere Obhut des Staates gestellt sind.
, Nietzsehe, Morgenröte (Aphorismus 112), S. 100. Maurach / Zipf, AT 1, § 2, Rdnr. 11. 3 Maurach / Zipf, AT 1, § 2, Rdnr. 11. 4 Zippelius, Staatslehre, S. 54 f. 5 Der Begriff des Bürgers ist an dieser Stelle insofern etwas mißverständlich, als die Zeugenpflicht nicht auf deutsche Staatsbürger beschränkt ist; vgl. 3. Kap. B. 6 So auch Nelles, Persönlichkeitsrechte, S. 211, 219. 7 BVerfGE 38, 105,116. 2
16
Einleitung
Dem Thema Zeugenschutz, vor allem dem minderjähriger Zeugen, widmete sich in jüngerer Zeit eine Vielzahl von Autoren. 8 Rieß sprach in diesem Zusammenhang von einer "fast nicht mehr überschaubaren Schrifttumsflut. ,,9 Gemeinsam ist fast allen Arbeiten, daß sie von der Prämisse ausgehen, daß Minderjährige tatsächlich Zeugen in einem Stratprozeß sind. Während ein Großteil der Veröffentlichungen, der sich mit minderjährigen Zeugen auseinandersetzt, somit allein auf Probleme des Zeugenschutzes abstellt, beschäftigt sich diese Arbeit mit den Zeugenpflichten von Minderjährigen in der Hauptverhandlung und untersucht vorab, ob eine derartige Pflicht überhaupt zur Entstehung gelangt. Unter dem Begriff des minderjährigen Zeugen werden junge Menschen im Alter unter 18 Jahren verstanden. Der hier zugrundegelegte Begriff der Minderjährigkeit entspricht dem des § 2 BGB, wonach die Volljährigkeit mit der Vollendung des 18. Lebensjahres eintritt. 1O Teilweise ist eine weitere Unterteilung der Zeugen hinsichtlich ihres Alters notwendig, und zwar in die bei den Gruppen der bis 13 und der ab 14 Jahre alten Zeugen. Diese Zäsur bietet sich in Anlehnung an § 19 StGB und § 1 Abs. 2 JGG - Beginn der Strafmündigkeit mit 14 Jahren - an. Diese Arbeit befaßt sich nicht speziell mit dem minderjährigen Opferzeugen, sondern stellt allgemein den Minderjährigen als Zeugen in den Mittelpunkt der Untersuchung. Wenn bei minderjährigen Zeugen zwar der Bezug zum sexuellen Mißbrauch (§§ 174 ff. StGB) schnell hergestellt ist, so ist doch der Minderjährige, der zuHillig einen Verkehrsunfall beobachtet hat, ebenfalls Zeuge. Erstgenannte Fälle sind allerdings diejenigen, die ein großes Konfliktpotential in sich bergen. Das Spannungsfeld zwischen Wahrheitsfindung, Glaubwürdig8 Vgl. Albrecht, Schutz; Brunkow, Minderjährige; Busse I Volbert I Steiler, Belastungserleben; Gunder, Umgang; Marquardt I Lossen, Sexuell mißbrauchte Kinder; Mildenberger, Schutz; Schmoll, Videovernehmung; Stumpf, Opferschutz; Volbert I Pieters, Situation. Manche Veröffentlichungen nähern sich dem Thema anhand einer wissenschaftlich fragwürdigen Schilderung von Einzelschicksalen. Allerdings kann die neutrale Auswertung von Gerichtsprotokollen hilfreich sein, um nachvollziehen und einschätzen zu können, welchen tatsächlichen Belastungen die Minderjährigen vor Gericht ausgesetzt sind; vgl. Kirchhoff, Band I und Band 2 und Fastie, Zeuginnen, S. 25, 39, 63, 78 ff., 105. 9 Rieß, Opferschutz, S. 113, 115. IO Vgl. Findeisen, Zeuge, S. 19. Das Strafrecht geht ebenfalls von diesem Begriff der Minderjährigkeit auS. Als Beispiel wäre die Vorschrift des § 235 StGB anzufiihren, die die Entziehung Minderjähriger von ihren sorge berechtigten Eltern unter Strafe stellt. Minderjährig ist gemäß § 235 Abs. I Nr. I StGB "eine Person unter achtzehn Jahren". Der willkürlich gesetzte Beginn der Volljährigkeit, der gleichzeitig das Ende der Minderjährigkeit bedeutet, ist auch verfassungsmäßig anerkannt: Art. 12 a Abs. I GG erlaubt, daß Männer ab dem vollendeten 18. Lebensjahr zur Wehrpflicht herangezogen werden können.
Einleitung
17
keit, Elternrechten und Zeugenschutz ist bei den jungen Opferzeugen besonders ausgeprägt. Zudem ist gerade bei minderjährigen Opfern umstritten, ob sie einer instrumentalisierten Rolle als Zeugen tatsächlich gerecht werden können. I I Der Gang der Untersuchung wird sein, erst die Zeugenpflicht Minderjähriger im Grundsatz zu erörtern und im Anschluß die Zeugenpflichten im einzelnen darzustellen. Den Ausgangspunkt der Untersuchung bildet im ersten Kapitel die Bedeutung minderjähriger Zeugen für das Strafverfahren und deren aktuelle Situation. Ein Überblick zur Geschichte minderjähriger Zeugen soll im Anschluß das Bild vervollständigen. Im zweiten Kapitel wird der Zeugenbeweis, unabhängig von dem Alter der Beweisperson, dargestellt. Diese Ausführungen sollen die rechtliche Einordnung des Zeugenbeweises in den geschlossenen Kreis der Beweismittel der Strafprozeßordnung verdeutlichen. Der Zeugenbeweis soll im direkten Zusammenspiel mit den anderen Beweismitteln erörtert, insbesondere von diesen abgegrenzt werden. Es schließen sich einige knappe Überlegungen zum Zeugenschutz und den Zeugenrechten an, die in einer Arbeit, die sich mit den Zeugenpflichten beschäftigt, dennoch zu berücksichtigen sind, da sie maßgeblich zur Bestimmung der einzelnen Pflichten herangezogen werden müssen. Sogar mehr als beim erwachsenen Zeugen sind die Pflichten in engem Bezug mit den Rechten zu erörtern: Der Minderjährige soll zu einer selbstverantwortlichen Persönlichkeit erst noch reifen 12 und muß hierbei in allen Lebenslagen tunliehst unterstützt werden. Der genaue Umfang einzelner Pflichten, die Kindern und Jugendlichen auferlegt werden dürfen, läßt sich oft nur vor dem Hintergrund möglicher Schutzmaßnahmen bestimmen. Abschließend wird der Beweiswert der Zeugenaussage diskutiert, um den Stellenwert des minderjährigen Zeugen in der Hauptverhandlung besser beurteilen zu können. Im Mittelpunkt des dritten Kapitels steht die Rechtsgrundlage der Zeugenpflicht von Minderjährigen. Eingangs ist zu klären, welche Argumente gegen eine Zeugenpflicht im Grundsatz sprechen. Die Überlegung nach der Zeugenpflicht von Kindern und Jugendlichen wird überraschenderweise oft gar nicht angestellt. 13 Überraschend deshalb, weil mit der Beantwortung dieser Frage die entscheidende Weichenstellung für den weiteren strafprozessualen Umgang mit diesen Zeugen verbunden ist. Scheiden Minderjährige als Zeugen aus, wären viele Erwägungen zum Zeugenschutz strenggenommen überflüssig. Im Mittelpunkt der meisten Stellungnahmen steht von vornherein der Ruf nach einer möglichst schonenden Behandlung der minderjährigen Zeugen. Um Bela11 Zum Stichwort "Instrumentalisierung des Opfers" hilfreich Baurmann, Sexualität, S. SOl ff. 12 Maunz-Dürig, GG, Art. 6, Rdnr. 25 g. 13 Dies kritisierte mit als erste Nelles, Persönlichkeitsrecht, S. 211,212.
18
Einleitung
stungen von dieser Zeugengruppe weitgehend zu nehmen, sollen beispielsweise Mehrfachvernehmungen tunliehst vermieden werden. 14 Der Streit um effektiven Zeugenschutz setzt jedoch voraus, daß der Minderjährige tatsächlich Zeuge in einem Straiprozeß sein muß. Die Pflicht des Zeugen ist systematisch vorab zu untersuchen. Da die Arbeit zum Zwischenergebnis einer grundsätzlichen Zeugenpflicht von Minderjährigen kommt, werden im vierten Kapitel die Hauptpflichten dieser Zeugen dargestellt. Die Hauptpflichten sind diejenigen Pflichten, die zentral die Rolle des Zeugen prägen. Die drei Hauptpflichten des Zeugen sind die Erscheinenspflicht, die Aussagepflicht und die Eidespflicht. Ziel dieses Abschnittes ist es, erneut nicht Zeugenschutzfragen zu erörtern, sondern vielmehr die einzelnen Zeugenpflichten speziell im Zusammenhang mit Kindern und Jugendlichen in der Hauptverhandlung sowie deren Ausnahmen und die Möglichkeiten einer zwangsweisen Durchsetzung zu klären, also allgemeine strafprozessuale ThemensteIlungen zu untersuchen. Es ist eine ganze Reihe von Problemen zu bewältigen, die auftreten, wenn es sich bei einem Zeugen um einen Minderjährigen handelt. Dem Gesetzgeber ist es bisher nicht gelungen, immer zufriedenstellende Regelungen zu treffen. Dies zeigt sich an einem so alltäglichen Beispiel wie etwa dem der Ladung eines minderjährigen Zeugen, die Auslöser der Erscheinenspflicht ist. So ist gesetzlich nicht geregelt, wer der richtige Ladungsadressat ist. Der Umfang der einzelnen Zeugenpflichten ist durch verschiedene Zeugenrechte begrenzt. Weiterer Untersuchungsgegenstand sind daher die Ausnahmen von den einzelnen Hauptpflichten. Insbesondere die Zeugnisverweigerungsrechte gemäß §§ 52 ff. StPO - Ausnahmeregelungen von der Aussagepflicht bergen bei MindeIjährigen ungleich größere Schwierigkeiten, als dies bei erwachsenen Zeugen der Fall ist: Obwohl dieses Zeugenrecht ein höchstpersönliches Recht ist, muß letztlich der gesetzliche Vertreter in die Entscheidung eingebunden werden, falls dem MindeIjährigen die notwendige Verstandesreife fehlt, die Bedeutung eines Zeugnisverweigerungsrechtes zu erkennen. Über diese Hauptpflichten hinaus können den Zeugen weitere Obliegenheiten treffen. Diese sogenannten Nebenpflichten werden im mnften Kapitel erörtert. Wichtigste gesetzlich geregelte Nebenpflicht des Zeugen ist die Duldung der körperlichen Untersuchung gemäß § 81 c StPO. In der Hauptverhandlung wesentlich relevanter als die körperliche Untersuchung ist die Untersuchung der Glaubwürdigkeit des mindeIjährigen Zeugen durch einen Sachverständigen. 14 Mehrfachbefragungen gelten als ein Hauptbelastungsfaktor fiir minderjährigen Zeugen. Doch neuere Aktenauswertungen ergeben, daß Mehrfachvernehmungen zwar vorkommen, aber keineswegs die Regel darstellen, vgl. Va/bert, Videovernehmungen, S. 149, 152 mit weiteren Nachweisen.
Einleitung
19
Die Begutachtung der Glaubwürdigkeit ist de lege lata unzureichend geregelt. Mangels einer speziellen Vorschrift muß auf die nur mäßig passende Vorschrift der körperlichen Untersuchung gemäß § 81 c StPO zurückgegriffen werden. Aus dieser nach derzeitiger Gesetzeslage nicht zu vermeidenden Verfahrenspraxis ergeben sich viele Schwierigkeiten, vor allem in Hinblick auf notwendige Belehrungspflichten. Da die Glaubwürdigkeit der Aussage eines minderjährigen Zeugen von seiten der Justiz oftmals erheblichen Zweifeln ausgesetzt ist, werden die entsprechenden Gutachten an Sachverständige häufig in Auftrag gegeben. Junge Zeugen unterliegen zwar in besonderer Weise der Gefahr der Suggestion, wenn sie unsachgemäß vernommen werden. Dennoch entbehrt die vorherrschende Skepsis an der Glaubwürdigkeit jeder Aussage eines Minderjährigen der Grundlage. Minderjährige sind kein größerer Unsicherheitsfaktor als erwachsene Zeugen, wenn auch mehr als bei anderen Zeugen die Entstehungsgeschichte der Aussage in die Glaubwürdigkeitsabwägung einzubeziehen ist. Der Zeugenbeweis mag das zentrale Beweismittel des Strafverfahrens sein; doch über seine Zuverlässigkeit darf man sich keinen Illusionen hingeben. 15 Schließlich handelt es sich bei einer Aussage nicht um die reine Wiedergabe von wahrgenommenen Tatsachen, sondern in erster Linie um das Resultat einer bereits wertend verarbeiteten Wahrnehmung. 16 Die Aussage ist nur das letzte Glied einer Kette eines Selektionsprozesses, den der Zeuge - meist unbewußt - gestaltet hat. Dies ist jedoch ein allgemeines Problem, das gleichermaßen bei den Aussagen von Minderjährigen wie von Erwachsenen zu Tage tritt. Nach einer Darstellung weiterer Nebenpflichten des minderjährigen Zeugen, wie unter anderem die der Duldung einer Gegenüberstellung und die der Beantwortung von Generalfragen, schließt die Arbeit mit einer Zusammenfassung der Ergebnisse und Hinweisen zum gesetzgeberischen Handlungsbedarf.
15 16
Lesch, Strafprozeßrecht, S. 63. Wenskat, Augenschein, S. 25.
Erstes Kapitel
Minderjährige als Zeugen A. Bedeutung minderjähriger Zeugen Kinder und Jugendliche als Zeugen haben in unserer Gesellschaft neuerdings eine besondere Bedeutung. Ein Grund hierfür ist die Tatsache, daß sie Opfer von Sexualdelikten werden können und das Reden über den sexuellen Mißbrauch Konjunktur hat. Aus dem früheren Tabuthema "Sexueller Mißbrauch von Kindern" wurde fast ein Modethema; I es ist die Rede vom "Sexualdelikt unserer Zeit. ,,2 Die öffentliche Aufmerksamkeit speziell für dieses Delikt hat dazu geführt, daß vor allem das Kind als Opferzeuge in Strafverfahren gegen die sexuelle Selbstbestimmung in den Mittelpunkt des Forschungs- und des Allgemeininteresses gerückt ist. 3 Zwar ist Opferschutz nicht automatisch gleich Zeugenschutz, doch war es eine positive Folge der Medienpräsenz, daß in Deutschland ein Stein ins Rollen gebracht worden ist, und zwar hinsichtlich des allgemeinen Zeugenschutzes und speziell desjenigen von Minderjährigen. Minderjährige Opfer sind bei Straftaten gegen ihre sexuelle Selbstbestimmung und gegen ihre körperliche Unversehrtheit besonders wichtige, vielleicht unverzichtbare, aber auf der anderen Seite auch umstrittene Zeugen. Der Minderjährige ist häufig der einzige Zeuge einer Tat. Die Frage nach der grundsätzlichen Zeugenpflicht ist die maßgebliche. Die Verbreitung des sexuellen Mißbrauchs als auch der körperlichen Mißhandlung ist schwierig zu bestimmen. Es wird teilweise von einem großen Dunkelfeld ausgegangen,4 da diesen Delikten gemeinsam ist, daß sie oft innerhalb der Familie begangen werden und deshalb wenig zur Kenntnis der Strafverfolgungsorgane gelangen. 5 Die Schätzungen
Mähne, Gewalt, S. 17 ff. Göppinger, Kriminologie, S. 607. 3 Wolf, Kinder, S. 3. 4 Meier GA 1995, 151 ff.; vgl. auch Göppinger, Kriminologie, S. 608. 5 Vgl. Laubenthai JZ 1996, 335, 336: Schätzungen gehen davon aus, daß bei sexuellem Mißbrauch von Kindern 60 bis 80% der Täter aus dem sozialen Nahraum des Opfers stammen. Zu bedenken ist weiterhin, daß es sich bei den Taten, die im emotionalen Nahbereich des MindeIjährigen begangen werden, normalerweise keine Einzeltat vorliegt, sondern sich der sexuelle Mißbrauch oft über Jahre wiederholt, BaI/off, Kinder, I
2
A. Bedeutung mindeIjähriger Zeugen
21
reichen von ca. 60 000 bis zu mehr als einer Million Kindesrnißhandlungen, die sich jährlich in Deutschland ereignen. 6 In diesen Zahlen sind die Fälle des sexuellen Mißbrauchs von Kindern noch nicht einmal mit berücksichtigt. 7 Hier ist nochmals von etwa 300 000 mißbrauchten Kindern die Rede. 8 Inzwischen ist das Thema des sexuellen Kindesrnißbrauchs wieder etwas in den Hintergrund gerückt. Doch nach wie vor werden auch durch eine ausführliche Berichterstattung vor allem über die Tötung von Kindern mit sexuellem Hintergrund die irrationalen Ängste vieler Menschen angesprochen. Man kennt den Namen eines verschwundenen Kindes aus den Medien, bangt und trauert mit den Eltern, wenn das Kind tot gefunden wurde, obwohl die wirklichen Zahlen eher Grund zur Entwarnung geben müßten. Im Jahr 2001 wurden drei Kinder und zwei Jugendliche in Deutschland Opfer eines Sexualrnordes; 2000 waren es zwei Kinder und ein Jugendlicher;9 diese Zahlen entsprechen in etwa denen der Vorjahre. 10
S. 188 mit Erklärungsansätzen für die Ursachen von sexuellem Mißbrauch und Mißhandlung in Familien, S. 200 ff. 6 Kaiser, Kriminologie, § 48, 5. 7 Weiterführend zum Thema "Sexueller Mißbrauch" Wilmer, Mißbrauch und Bange I Deegener, Mißbrauch. 8 Rust, Mißbrauch, S. 7; die gleiche Größenordnung nennt auch Wilmer, Mißbrauch, S. 62 allerdings als Obergrenze des DunkelfeldeS. Es gibt einen heftigen Streit um das Ausmaß des sexuellen Mißbrauchs von Kindern und teilweise werden wesentlich niedrigere Zahlen genannt, vgl. Bange IDeegener, Mißbrauch, S. 41 ff., wobei sicher die unterschiedlichen Definitionen des sexuellen Mißbrauchs eine Rolle spielen, vgl. Kirchhoff, Band 1, S.29. Divergierende Zahlenangaben auch bei· Stumpf, Opferschutz, S. 11 ff. Das Angabenwirrwarr und der daraus resultierende Streit spielen für diese Arbeit keine Rolle; es bleiben nichtsdestoweniger berechtigte Zweifel an der tatsächlichen Größenordnung; vgl. auch Kirchhoff, Band 1, S. 28. Insgesamt bieten diese Zahlen dennoch keinen Anlaß zur Schwarzmalerei: Die Kindheit der meisten jungen Menschen in Deutschland kann sogar als gute Lebensphase bezeichnet werden, vgl. Bericht der Bundesr~'publik Deutschland an die Vereinten Nationen gemäß Art. 44 Abs. 1 Buchstabe b des Ubereinkommens über die Rechte des Kindes, BT-DruckS. 14/6241, S.6. 9 Polizeiliche Kriminalstatistik 2001, S. 137 und 2000, S. 137. IO Im Jahr 1999 lag die absolute Zahl der Kinder, die im Zusammenhang mit Sexualdelikten ermordet wurden, bei zwei, vgl. Polizeiliche Kriminalstatisik 1999, S. 129. Ein Jahr zuvor hatte man ebenfalls zwei tote Kinder und drei tote Jugendliche zu beklagen; vgl. Polizeiliche Kriminalstatistik 1998, S. 129. Im Jahr 1997 wurde die Zahl von drei ermordeten Kindern ermittelt (aber kein einziger Jugendlicher wurde Opfer eines Sexualmordes), vgl. Polizeiliche Kriminalstatistik 1997, S. 127.
1. Kap.: MindeIjährige als Zeugen
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B. Aktuelle Situation minderjähriger Zeugen "lch verbinde mit meiner Erinnerung an kindliche Zeugen, die in die Dynamik der Hauptverhandlung geraten sind, leidvolle, zum Teil schreckliche Assoziationen und nicht primär die Vorstellung, beim edlen Ringen um die Wahrheit zugegen gewesen zu sein.,,11
Tröndles Assoziationen mit den kindlichen Zeugen in der Hauptverhandlung stammen aus dem Jahr 1969 und würden heute vielleicht weniger deutlich ausfallen. Viel ist zwischenzeitlich vom Gesetzgeber unternommen worden, um vor allem Opferzeugen bei ihrer Aufgabe vor Gericht zu unterstützen. 12 Minderjährige Opfer, die auf dem Gerichtsflur mit dem Angeklagten 13 auf den Beginn der Verhandlung warten, sind ein Anblick, der weitgehend der Vergangenheit angehört. Es sind zumindest an allen größeren Gerichten Wartezimmer speziell für minderjährige Zeugen eingerichtet worden. Die jungen Zeugen werden justitiell betreut und mit Zeugenprogrammen und kindgerecht gestalteten Broschüren auf ihre Rolle im Prozeß vorbereitet. 14 Den minderjährigen Opferzeugen wird teilweise angeboten, schon vor dem eigentlichen Gerichtstermin den Vorsitzenden oder die Kammermitglieder kennenzulernen und sich den Sitzungssaal, das von diesem räumlich getrennte Vernehmungszimmer oder das Zeugenbetreuungszimmer anzusehen. 15 Diese Maßnahmen erleichtert die Aufgabe des Zeugen nachweislich;16 der Imagegewinn für die Justiz ist ein erfreulicher Nebeneffekt. 17 Für die Gerichte
Tröndle JZ 1969,374. 12 Vgl. auch 1. Kap. C. 13 Da sich diese Arbeit mit dem Zeitraum während einer Hauptverhandlung befaßt, ist regelmäßig von dem Angeklagten die Rede, wenn auch in einzelnen einschlägigen Vorschriften der Begriff des Beschuldigten verwendet wird. 14 In Bayern werden beispielsweise die Broschüren von Eipper / Hille / Dannenberg, Rasmus Rabe ermittelt: Was passiert eigentlich bei Gericht? und Hille / Eipper / Dannenberg / Claussen, Klara und der kleine Zwerg, verwendet, um den minderjährigen Zeugen ihre Aufgabe im Strafverfahren alters gerecht zu erklären und so deren Ängste schon im Vorfeld zu schmälern. 15 Positive Erfahrungen mit der justiziellen Zeugenbetreuung im ganzen und den Zeugenbetreuungszimmern im einzelnen äußern etwa Habel / Schmitt-Frister / Koppenhöfer / Schneider, Prävention, S. 117 ff. und Blum, Opferzeugenbetreuung, S. 129 ff. 16 Dannenberg / Höfer / Köhnken / Reutemann, Abschlußbericht, kommen in ihrer Studie aus dem Jahr 1997 zu dem Ergebnis, daß kindliche Zeugen, die keine Unterstützung in Form einer Zeugenbegleitung erhielten, im Vergleich zu Kindern, die an dem Zeugenbegleitprogramm teilgenommen haben, während der Vernehmung im stärkeren Maße verunsichert wirkten, insgesamt einen nervöseren Eintrug machten, ihr Erinnerungsbemühen schneller aufgaben, wesentlich häufiger äußerten, daß sie sich ihrer eigenen Angaben nicht sicher seien, häufiger mitteilten, daß sie aufgeregt seien und wesentlich öfter weinten, S. 104. II
B. Aktuelle Situation minderjähriger Zeugen
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werden von einzelnen Landesregierungen Anregungen und Hinweise zum Schutz kindlicher Opferzeugen bei der Durchführung von Strafverfahren wegen sexuellen Mißbrauchs angeboten.'8 Aller Maßnahmen zum Trotz: Verängstigte Kinder, die die Fragen des Richters nur noch mit Ja oder Nein beantworten können, werden weiterhin schlimme Momente des Gerichtsalltags bleiben, auch wenn die Videovernehmung besonders schutzbedürftigen Zeugen - im Blick hatte der Gesetzgeber in erster Linie die kindlichen Opferzeugen - die Vernehmung leichter machen soll. '9 Nach wie vor leiden die minderjährigen Zeugen im Strafverfahren unter einem doppelten Handicap: Sie gelten traditionell als unglaubwürdig,20 und die Prozeßordnung beginnt erst jetzt, auf die speziellen Bedürfnisse dieser Zeugengruppe Rücksicht zu nehmen?' Kinder als Zeugen sind immer noch Neuland für Juristen. Es fehlen empirische Erkenntnisse beispielsweise zur sekundären Schädigung?2 Hier reicht die Spannbreite von der Aussage, der Strafprozeß sei für das Opfer traumatischer als die Tat selbst, bis zu der These, der Prozeß helfe das Erlebte wirksam zu verarbeiten. Prekärerweise ist mit der weitgehenden Aufgabe des Rechtsinstituts des Fortsetzungszusammenhangs die Aussage für minderjährige Mißbrauchsopfer belastender geworden, eine nicht beabsichtigte, aber nicht zu vermeidende Wirkung der Entscheidung des Großen Senats für Strafsachen des BGH aus dem Jahr 1994?3 Seitdem werden erhöhte Anforderungen an die Bestimmtheit der tatrichterlichen Feststellung gestellt, und dies führt zwangsläufig zu einer 17 Effizienz und Wirkung der justitiellen Zeugenbetreuung wurde an fiinf Gerichten Bayerns untersucht und sehr positiv beurteilt, Kaczynski NStZ 2000, 451 ff. Allgemein zur justiziellen Opferbetreuung siehe auch Blum, Opferzeugenbetreuung, S. 129 ff. 18 Zum Beispiel "Anregungen und Hinwiese zum Schutz kindlicher Opferzeugen bei der Durchfiihrung von Strafverfahren wegen sexuellen Mißbrauchs", Bekanntmachung des Justizministeriums Niedersachsen vom 23.8.1997, NJW 1998,359 ff. oder "Handreichung fiir die Bearbeitung von Strafverfahren wegen sexuellen Straftaten an Kindem", die das Justizministerium Baden-Württembergs herausgegeben hat, DRiZ 1996, 273 ff. 19 Noch fehlen ausreichende Erkenntnisse zur Effektivität der audiovisuellen Zeugenvernehmung gemäß § 247 aStPO. 20 Vgl. den geschichtlichen Abriß unten 1. Kap. C. 21 Mildenberger, Schutz, S. 19. 22 Zur Begriffsbestimmung vgl. unten 1. Kap. D. IV. 2. 23 BGHSt 40, 138 ff. Allerdings steht nunmehr dem mißbrauchten Minderjährigen ein erheblich größerer Entscheidungsspielraum fiir die Frage zur Verfiigung, wann das Sexualdelikt zur Anzeige gebracht wird. Zwar beginnt die Verjährung der einzelnen Tat mit ihrer Beendigung, doch durch das 30. Strafrechtsveränderungsgesetz vom 23.6.1994 wurde ein Ruhen der Verjährung bei Straftaten nach den §§ 176 bis 179 StGB bis zur Vollendung des 18. Lebensjahres des Opfers gemäß § 78 b StGB bestimmt; vgl. BGBI. I, 1994, S. 1440.
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1. Kap.: Minderjährige als Zeugen
wesentlich intensiveren Detailbefragung des Opfers: 24 Jeder Einzelakt eines oft über Jahre andauernden sexuellen Mißbrauchs ist eine selbständige Tat und muß mit möglichst genauen Angaben zu Tatzeit und Tatbegehung konkretisiert und individualisiert werden. 25
C. Minderjährige Zeugen in der Geschichte Das Schicksal des Zeugen war fast durch seine gesamte Geschichte hindurch an die Fähigkeit, einen gültigen Eid zu schwören, gebunden. Die Zeugnisflihigkeit des MindeIjährigen wurde daher zumeist von vornherein ausgeschlossen, zumal Frauen und Mädchen nach den früheren Rechtsauffassungen niemals Zeugnis ablegen konnten. Während des gesamten klassischen Altertums konnten Unmündige, also Zeugen bis zum vollendeten 14. Lebensjahr, keinen Eid leisten und waren deshalb auch zeugnisunfähig. 26 MindeIjährige waren keine wertlosen Zeugen, sondern schlicht gar keine Zeugen. Im römischen Recht finden sich erst im Gesetzgebungswerk Justinians, in seinen Digesten, Bestimmungen über die Behandlung von Kindern und Jugendlichen vor Gericht?7 Dem Gesetzgeber war es gleichgültig, ob MindeIjährige als Zeugen oder als Täter vor Gericht standen: Kinder unter 7 Jahren konnten in jedem Fall kein vollwertiges Zeugnis ab24 Diese Aussage ist allerdings keine Kritik an dem Beschluß des Großen Senats, denn die Aufgabe des Fortsetzungszusammenhangs war längst geboten. Die bisherige Praxis der großzügigen Anwendung dieser Rechtsfigur fiihrte dazu, daß die der Verurteilung zugrunde gelegten Einzeltaten weder so konkret noch so individualisiert ermittelt worden sind, daß die Verwirklichung des objektiven und subjektiven Deliktstatbestandes sich tatsächlich nachprüfbar ergeben hat. Auch widersprach die Wertung einer Vielzahl sich oft über Jahre erstreckender tatbestandsmäßiger Verhaltensweisen als ein sexueller Mißbrauch dem Sinn dieses Deliktstatbestandes, vgl. BGHSt 40, 138, 166. Dennoch hat die Abkehr von der Fortsetzungstat hinsichtlich der Bewältigung von Seriendelikten in der Praxis ein Vakuum hinterlassen; vgl. Erb ZStW 113 (2001), 1, 14ff. Zur Frage, wie eine möglichst umfassende Aburteilung von Serienstraftaten in einem Verfahren erreicht werden kann, siehe auch Erb GA 1995, 430 ff. 25 Schmoll, Videovernehmung, S. 26 mit weiteren Nachweisen. Zu dem Ergebnis, daß nach dem Wegfall der fortgesetzten Tat in erster Linie anspruchsvollere Vernehmungen gefordert sind, kommt ReckeweIl, Erfahrungen, S. 57, 62. Daß gerade ein mindeIjähriger Opferzeuge nicht die genaue Anzahl der in der Serie begangenen Straftaten festlegen kann, ist wenig überraschend und vor allem kein Grund an dessen Glaubwürdigkeit zu zweifeln. Es ist sogar ein Glaubwürdigkeitskriterium, wenn ein Kind bei verschiedenen Aussagen unterschiedliche Angaben über die Tathäufigkeit macht, vgl. Zschockelt, Auswirkungen, S. 35, 38 f., Arntzen, Psychologie, S. 60. Vgl. hierzu auch BGHSt 42, 107, 109 f. 26 Undeutsch, Glaubwürdigkeit, S. 26. 27 Aengenendt, Aussage, S. 13.
C. MindeIjährige Zeugen in der Geschichte
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legen, da sie keinen Eid leisten durften. 28 Hiermit stimmte auch das im corpus juris canonici gesammelte kirchliche Recht überein. 29 Gelegentlich war allerdings davon die Rede, daß Minderjährige im Unterschied zum "echten" Zeugen immerhin "Quasi-Zeugen" mit einem geringen Beweiswert sein konnten. 3o Diese vergleichsweise willkürliche Grenze von 7 Jahren wurde in fast jedem kodifizierten Recht bis in die Neuzeit gesetzt. 3 ] Bei Personen über 7 Jahren hing die Zeugnisfähigkeit vom Einzelfall ab. Allerdings fanden sich im römischen Recht für Personen, denen heute Zeugnisverweigerungsrechte zustehen, schon Sonderregelungen, wohl aufgrund der mangelnden Verläßlichkeit ihrer Aussagen. 32 So war die gegenseitige Aussage von Eltern und Kindern selbst dann nicht zuzulassen, wenn diese es wünschten. Gleiches galt für die Aussage von ehemaligen Sklaven, die vom Angeklagten in die Freiheit entlassen worden waren. 33 Später lehnte sich das Recht der italienischen Stadtstaaten an das corpus juris Justinians an. Es galt in den italienischen Stadtprozessen im 13. und 14. Jahrhundert die absolute Zeugnisunfähigkeit bis zum 14. Lebensjahr, was damit zusammenhing, daß dies auch die Altersgrenze für die Eidesfähigkeit war. 34 Zudem wurde bei den Minderjährigen eine Parallele zu Sklaven gezogen, die nach ihrer Freilassung über eine Wahrnehmung aus der Sklavenzeit Zeugnis ablegen durften. Genauso konnte der Erwachsene über Wahrnehmungen, die er im Kindesalter machte, Zeugnis ablegen. Die Rede ist ausschließlich vom erwachsenen Mann. Immer muß bedacht werden, daß Mädchen und Frauen nach damaliger Rechtsauffassung in Stratprozessen überhaupt nicht Zeugnis ablegen konnten. 35 Eine etwas andere Entwicklung nahm das altgermanische Recht; hier gab es keine einheitliche Rechtsauffassung. Die Beweismittel beruhten vor allem auf magisch-religiösen Vorstellungen. 36 Das wichtigste Beweismittel war der Eid, der die Ehrenhaftigkeit eines Angeklagten erweisen sollte. Man war überzeugt davon, daß ein freier Mann einen sogenannten Reinigungseid nur leisten würde, wenn er eine ihm zur Last gelegte Tat nicht begangen hatte. 3? Der Eid war eine Zacharias, Gefährdeter Zeuge, S. 59. Aengenendt, Aussage, S. 14. 30 Zacharias, Gefährdeter Zeuge, S. 58 f. 3\ Aengenendt, Aussage, S. 13. Interessanterweise beginnt die beschränkte Geschäftsfähigkeit im Zivilrecht noch heute ebenfalls mit der Vollendung des 7. Lebensjahres; § 106 BGB. 32 Spelthahn, Zeugnisverweigerungsrecht, S. 27. 33 Zacharias, Gefährdeter Zeuge, S. 59. 34 Aengenendt, Aussage, S. 14. 35 Undeutsch, Glaubhaftigkeit, S. 26. 36 Schmitt, Beweiswürdigung, S. 86 ff. 37 Schmitt, Beweiswürdigung, S. 87. 28
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1. Kap.: Minderjährige als Zeugen
Fonn der bedingten Selbstverfluchung für den Fall der Falschaussage. 38 Da ein Alleineid des Angeklagten zumeist aber nicht ausreichte, mußten weitere Eideshelfer aus dem Kreis der Sippe als Leumundszeugen schwören. Nach den bis in den Anfang des Mittelalters geltenden Gesetzen der einzelnen deutschen Stämme erlangten Jungen schon im früheren Alter die volle Selbständigkeit und damit die Zeugnisfähigkeit. 39 In Sachsen erreichten junge Menschen diese Selbständigkeit beispielsweise schon mit 12 Jahren. Ein solcher Mündiger konnte dann eidlich Zeugnis ablegen. In Zweifelsfällen entschied darüber die Volksversammlung. 4o Anders war die Rechtslage bei den aus dem Sachsen- bzw. dem Schwabenspiegel hervorgegangenen Landrechten. Das Schwäbische Landrecht schloß Kinder unter 14 Jahren generell vom Zeugnis aus. Der 14jährige schwor in eigenen Sachen, aber erst der 18jährige konnte Zeuge sein. 41 Immer maßgeblich war, daß es sich bei Zeugen um "freie, wehrfähige Männer" handeln mußte.42 Absolut zeugenunfähig waren beispielsweise im Freiburger Stadtrecht von 1520 alle Personen unter 12 Jahren sowie Geächtete, Meineidige, Frauenwirte, Totschläger, Juden und Ketzer. 43 Doch schon seit dem 13. Jahrhundert gewann das neuere römische Recht an Einfluß in Deutschland. Es wurde zwar nirgends vollständig angenommen, führte aber zu einer Anhebung des Alters der Volljährigkeit auf das vollendete 16., 18. oder 21. Lebensjahr. Hinsichtlich der Fähigkeit und Pflicht zur Leistung von Eiden blieb man erst beim vollendeten 14. Lebensjahr, später erhöhte man dieses Alter in verschiedenen Ländern auf das vollendete 16. Lebensjahr. 44 Die Hauptquelle des Gemeinen Strafrechts, das in Deutschland teilweise bis 1870 Geltung hatte, bildete die Peinliche Gerichtsordnung Karls V. (Constitutio Criminalis Carolina) vom Jahre 1532, das erste deutsche Strafgesetzbuch und die erste deutsche Strafprozeßordnung. Ihre frühen Fassungen enthielten noch keine speziellen Vorschriften, die den minderjährigen Zeugen betreffen. Später wurde der Artikel 76 a CCC "Wie die Zeugen sein sollen" aus der Bambergischen Halsgerichtsordnung von 1508 übernommen, wonach Zeugen in der Regel nicht unter 20 Jahre alt und nicht weiblichen Geschlechts sein sollten: "ltem
Schmitt, Beweiswürdigung, S. 87. Aengenendt, Aussage, S. 14; Undeutsch, Glaubhaftigkeit, S. 26. 40 Aengenendt, Aussage, S. 14. 4\ Aengenendt, Aussage, S. 14. 42 Zacharias, Gefährdeter Zeuge, S. 63. 43 Zacharias, Gefährdeter Zeuge, S. 68. 44 Aengenendt, Aussage, S. 14 f. 38 39
c. MindeIjährige Zeugen in der Geschichte
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die Zeugen sollen unver!eumat sein und nit unter zweinzig jarn alt, auch nit weybsbildt sein.,,45 Von einer einheitlichen Entwicklung des Strafverfahrensrechts, wie sie Kar! V. angestrebt hatte, konnte jedoch in der Folgezeit keine Rede sein. Es entwickelte sich in den einzelnen Territorien ein Rechtsbestand, der besonders geprägt war von der Hexenverfolgung. Der Spielraum des Richters bei der Verfahrensgestaltung war nahezu unbeschränkt. Die Würdigung der Beweise war allerdings bis ins kleinste Detail vorgeschrieben. 46 Der Zeugenbeweis, dessen praktische Bedeutung weit hinter dem oft durch Folter erwirkten Geständnis eines Angeklagten zurückstand, wurde schematisch gehandhabt. 47 Zeugen waren in Gruppen eingeteilt, deren Beweiswert im voraus feststand. 48 Ein voller Beweis konnte sich aus Bruchteilen von halb-, viertel- oder achtelwertigen Zeugenaussagen zusammensetzen. 49 Zur Gruppe der von vornherein ungeeigneten Zeugen gehörten in der Regel Minderjährige bis zum 20. Lebensjahr. 50 Erst im 19. Jahrhundert veränderten sich mit dem Grundsatz der freien Beweiswürdigung die Anforderungen an die Fähigkeit, Zeuge zu sein, völlig. 51 Der im gemeinen Recht entwickelte umfassende Katalog von absolut unfähigen, relativ unfähigen und verdächtigen Zeugen wurde hinfällig. Zeugnisunfähig waren jetzt nur noch Personen, die von Natur aus unfähig sind, Tatsachen sinnlich wahrzunehmen und hierüber Auskunft zu geben. 52 1883 entschied das Reichsgericht, daß die Strafprozeßordnung "den Begriff eines untauglichen Zeugen" nicht kennt. 53 Durchaus aufgeschlossen bezüglich der Zeugenvernehmung Minderjähriger urteilte das Reichsgericht auch in der Folgezeit. In einer Entscheidung vom 14.2.1911 heißt es: "Das Gesetz erklärt niemanden für unfähig, als Zeuge vernommen zu werden. Insbesondere zieht es keine Altersgrenze.,,54 Ein Verteidiger hatte sich gegen die Vernehmung der jungen Zeugen mit dem Argument gewandt, "unsere Strafprozeßordnung sei offenbar nur für erwachsene Zeugen Zitiert nach Aengenendt, Aussage, S. 15. Zacharias, Gefährdeter Zeuge, S. 78 ff. 47 Schmitt, Beweiswürdigung, S. 139. 48 Schmitt, Beweiswürdigung, S. 139. 49 Zacharias, Gefährdeter Zeuge, S. 79. 50 Schmitt, Beweiswürdigung, S. 140. 51 Eine guten Überblick zur Geschichte der freien Beweiswürdigung, vgl. Schmitt, Beweiswürdigung, S. 81 ff. 52 Zacharias, Gefährdeter Zeuge, S. 81. 53 Rechtsprechung des Deutschen Reichsgerichts in Strafsachen (RGRspr.) 5, 528, 529. 54 RG GA 59 (1912), 131. 45
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1. Kap.: Minderjährige als Zeugen
gemacht.,,55 Das Reichsgericht widersprach und kam zu dem Ergebnis, daß die beiden 312- und 412jährigen Zeuginnen sogar vernommen werden mußten. Doch mit Beginn dieses Jahrhunderts ging die lebhafte Diskussion über die Aussagen von Kindern und Jugendlichen vor Strafgerichten in erster Linie dahin, ob solchen Aussagen, wenn sie jetzt geleistet werden durften, überhaupt Glauben geschenkt werden durfte. Die Einstellung der damals tätigen Psychologen zum Wert dieser Aussagen gerade in Sittlichkeitsprozessen war "durch und durch negativ.,,56 Die Skepsis auch der Rechtsgelehrten gegenüber den Aussagen von MindeIjährigen war (und ist) groß. Jedes Kind habe die Neigung zum Lügen. Vor allem aber bärge die Aussage eines pubertierenden Kindes, insbesondere eines Mädchens,57 außerordentliche Gefahren, lautete die allgemeine Auffassung. 58 "Bei Kindern im Sinne des Gemeinen Rechts, d.h. bei Personen, die das siebente Lebensjahr noch nicht zurückgelegt haben, kann weder das Vermögen genauer Beobachtung und richtiger Auffassung noch die Fähigkeit, das Wahrgenommene im Gedächtnis festzuhalten, vorausgesetzt werden, und sie sind daher notwendig zur Ablegung eines Zeugnisses absolut unfähig. ,,59 Eingeräumt wurde lediglich, daß die Aussagen von Kindern zumindest einen gewissen informativen Wert haben. 6o Die Brauchbarkeit der Aussagen wurde in der Folgezeit entweder strikt abgelehnt oder befürwortet. Eine differenziertere Betrachtungsweise findet sich erst in aktuellerer Zeit. 61 Der grundsätzliche Verdacht erfundener oder phantasierter Aussagen von mindeIjährigen Zeugen ist nach neueren Erkenntnissen nicht gerechtfertigt, doch das Mißtrauen sitzt bei vielen Prozeßbeteiligten nach wie vor tief. 62
RG GA 59 (1912),131. Undeutsch, Glaubhaftigkeit, S. 26, 35. 57 Viele aufschlußreiche Beispiele bezüglich der Vorurteile gegenüber Aussagen von Mädchen, aber auch Frauen bei Undeutsch, Glaubhaftigkeit, S. 26, 32 ff. 58 Aengenendt, Aussage, S. 27. 59 Diese absolute Ansicht vertrat Eduard Henke in seinem Handbuch des Criminalrechts und der Criminalpolitik 1838, zitiert nach Aengenendt, Aussage, S. 16. 60 Undeutsch, Glaubhaftigkeit, S. 26,27. 61 Döhring, Erforschung. S. 85 f. 62 Vgl. die Ausführungen zur Begutachtung der Glaubwürdigkeit unten 5. Kap. C. III. 55
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Zweites Kapitel
Der Zeuge als Beweismittel A. Der Zeugen beweis im Strafverfahren Eine Vorschrift, die den Begriff des Zeugen definiert, gibt es nicht. Der Begriff ist aus der Funktion und Stellung des Zeugen im Strafverfahren zu entwickeln. 1 Zunächst fällt auf, daß die Stellung des Zeugen im Strafverfahren in erster Linie nicht durch seine Rechte, sondern durch seine Pflichten geprägt ist,2 die regelmäßig sanktionsbewehrt sind. 3 Etwas überzogen mag die Kritik Böttchers sein: "Um den Zeugen und die ihm von der Rechtsordnung abverlangte Leistung dreht sich in der Hauptverhandlung wenig, um die Bewältigung des Verfahrens fast alles. ,,4 Doch schon die Ladung des Zeugen geschieht mit einem ausdrücklichen Hinweis gemäß § 48 StPO auf die gesetzlichen Folgen des Ausbleibens. Einen Hinweis auf das Recht, einen Anwalt beizuziehen, enthält die Ladung dagegen regelmäßig nicht. Der Zeuge ist eine Beweisperson, die "Auskunft über ihre Wahrnehmungen von Tatsachen gibt".5 Diese Begriffsbestimmung bedarf einer Einschränkung durch eine Ausschlußklausel (Negativvorbehalt).6 Demnach kann jedermann Zeuge sein, soweit nicht "eine anderweitige Beteiligung an dem Verfahren, in dem der Betroffene als Zeuge aussagt oder aussagen soll", der Zeugenstellung SK-Rogall Vor § 48, Rdnr. 7. LR-Dahs Vor § 48, Rdnr. 8; vgl. auch Dahs NJW 1984, 1921, 1922; anders SKRogall Vor § 48, Rdnr. 9: Die Rechte wären ebenso kennzeichnend für die Position des Zeugen im Stratprozeß wie seine Pflichten. V gl. unten 1. Kap. C. 3 Rückei, Strafverteidigung, S. 66. 4 Böttcher, FS Schüler-Springorum, S. 541,543. 5 Alsberg / Nüse / Meyer S. 171; Gössel, Strafverfahrensrecht, S. 198; Peters, Strafpozeß, S. 342, Henkel, Strafverfahrensrecht, S. 199; Roxin, Strafverfahrensrecht, § 26, Rdnr. 1; Beulke, Stratprozeßrecht, Rdnr. 181; vgl. auch RGSt 52, 289. Im übrigen kommt es strenggenommen nicht darauf an, ob der Zeuge auch tatsächlich Auskunft gibt; vgl. Zacharias, Gefährdeter Zeuge, S. 31. 6 Vgl. hierzu SK-Rogall Vor § 48, Rdnr. 11 mit weiteren Nachweisen, der im Rahmen einer eigenen Definition des Zeugenbegriffs versucht, auf diesen Negativvorbehalt zu verzichten. Für diese Arbeit kommt es allerdings nicht darauf an; zudem die Zeugendefinition Rogalls inhaltlich keinen Widerspruch zu den gängigen Begriffsbestimmungen darstellt. 1
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2. Kap.: Der Zeuge als Beweismittel
entgegensteht.? Dies ist insbesondere dann der Fall, wenn sich das Strafverfahren gegen den Betroffenen selbst richtet. Der Zeuge ist ein prozessualer Begriff8 In materieller Hinsicht können zwar all diejenigen Zeuge sein, die Wahrnehmungen über vergangene Vorgänge gemacht haben. Da jeder Mensch ununterbrochen Vorgänge in seiner Umwelt wahrnimmt, ist der rein materielle Zeugen begriff ein "inhaltsleerer. ,,9 Zum Zeugen wird eine Person erst durch ihre Inanspruchnahme als Zeuge. Dies ist dann der Fall, wenn ein Strafverfolgungsorgan eine Person als Zeuge durch Ladung oder Vernehmung (ohne vorherige Ladung, beispielsweise im Fall der Vernehmung am Unfallort durch den Polizeibeamten) in das Verfahren einbezieht. 10 Daher muß der Begriff des Zeugen doppelt angelegt sein: Zum einen kommt es auf eine - mögliche - Tatsachenkenntnis aufgrund eigener Wahrnehmung an (materielles Element), zum anderen auf die Einbeziehung in das Verfahren nach prozessualen Regeln (formelles Element). II Der Zeuge ist neben dem Sachverständigen das zweite persönliche Beweismittel. Innerhalb des Personalbeweises wird danach unterschieden, ob die Beweisperson "eigene Wahrnehmungen, Empfindungen und Wissen" im Rahmen einer Aussage mitteilt (subjektiver Personalbeweis), oder "ob dritte Personen ohne Mitwirkung der Beweisperson Tatsachen an dieser feststellen".12 Letztgenannte Beweisposition ist der objektive Personalbeweis, "bei dem die Beweisperson als passives Beweismittel erscheint" (über das ein Zeugen- oder Augenscheinsbeweis erhoben wird). 13 Der Zeuge ist nicht Prozeßsubjekt: 14 Ihm kommt im Strafverfahren nur eine mittelbare Aufgabe zu. Alle Bestrebungen hinsichtlich des Zeugenschutzes ändern nichts daran, daß der Zeuge dogmatisch ein Beweismittel bleibt. Mag man ihm noch die Position eines Prozeßbeteiligten zugestehen, doch mangels akti-
Weiterführend Gössel, Strafverfahrensrecht, S. 199 ff. KMR-Paulus Vorb. § 48, Rdnr. 18. 9 Ne/fes, Persönlichkeitsrechte, S. 211, 218. 10 SK-Rogall Vor § 48, Rdnr. 11 und Rdnr. 21. 11 SK-Rogall Vor § 48, Rdnr. 11; KMR-Paulus Vorb. § 48, Rdnr. 18; Rogall, GS Meyer, S. 391, 402. 12 SK-Rogall Vor § 48, Rdnr. 8; Peters, Strafprozeß, S. 295. 13 SK-Rogall Vor § 48, Rdnr.8. Im Rahmen der körperlichen Untersuchung von Zeugen wird dies näher erörtert; vg!. Vg!. 5. Kap. C. I. 14 Eb. Schmidt, Teil 2, Vorbem. § 48, Rdnr. 1; SK-Rogall Vor § 48, Rdnr. 9; MeyerGoßner Ein!., Rdnr. 75, 100; grundlegend zu den Prozeßsubjekten Eb. Schmidt, Teil 1, Nr. 75 ff.; a.A. Humborg JR 1966,448. Thomas sieht in dem Zeugen ein "Prozeßsubjekt eigener Art", NStZ 1982,489,490 f. 7 8
B. Abgrenzung zu anderen Beweismitteln
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ver Gestaltungsmöglickeiten wird er niemals Prozeßsubjekt sein. ls Der Strafprozeß stellt richtigerweise auf eine auf den Täter ausgerichtete Rollenverteilung ab,16 um dessen Schicksal es geht. I7 Wirksamer und effektiver Zeugenschutz ist möglich, ohne an diesen Grundfundamenten zu rütteln. So hat zwar beispielsweise das Prinzip der Öffentlichkeit oder das der Unmittelbarkeit im Interesse des Zeugen schon weitgehende Einschränkungen erfahren, ohne daß man diese rur das Strafverfahren elementaren Grundsätze ganz aufgeben darf, da sie zu dem "Unverzichtbaren" der Prozeßordnung gehören. 18 Falsch ist es, den Zeugen als das niedrigste Wesen im Strafprozeß zu bezeichnen. 19 Eine solche Formulierung unterstellt, daß der Zeuge in unzulässiger Weise zum bloßen Objekt staatlicher Zwecke gemacht wird. 20 Wenngleich auch dem einzelnen seine Zeugensituation lästig sein mag,21 die Position des Zeugen ist nicht höher oder niedriger zu bewerten als beispielsweise die des Sachverständigen. Dem Zeugen muß nicht um jeden Preis die Rolle eines Prozeßsubjekts zugedacht werden?2 Das Bestreben ist auch insofern unverständlich, als es keineswegs strittig ist, daß ein Prozeßobjekt Träger von Rechten, insbesondere des Persönlichkeitsrechtes ist. Das Bundesverfassungsgericht hat klargestellt, daß der Zeuge unabhängig von seiner prozessualen Funktion als Beweismittel nie zum bloßen Objekt eines Verfahrens gemacht werden dare 3
B. Abgrenzung zu anderen Beweismitteln Beweismittel sind Personen und Sachen, mit denen dem Gericht die Überzeugung vom Vorliegen oder Nichtvorliegen von Tatsachen oder Erfahrungssätzen vermittelt werden kann. 24 Die heute herrschende Ansicht trennt, wie dar-
\5 Gössel, Strafverfahrensrecht, S. 148, 205; LR-Rieß Ein!. Abschnitt I, Rdnr. 5, 122 mit Einschränkungen anders für den Verletzten. Sehr kritisch zu den gegenwärtigen Tendenzen, auch die OpfersteIlung im Prozeß immer mehr deIjenigen einer Partei anzunähern, auch Schünemann, Stellung, S. I, 13. \6 Gommolla, Schutz, S. 244. \7 Schünemann stellt fest, daß sich der Angeklagte ohnehin schon jetzt in einer Position der hoffnungslosen Unterlegenheit befindet, Stellung, S. 1,33. 18 Vg!. auch Weigend ZStW 113 (2001), 271, 297. 19 So aber Weigend, Gutachten C, S. 13. 20 FischerJZ 1998, 816. 2\ Jung GA 1998,313. 22 So aber Caesar NJW 1998,2313; Nelles NJ 1998,449. 23 BVerfGE 38, 105 ff. 24 Alsberg / Nüse / Meyer S. 165.
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2. Kap.: Der Zeuge als Beweismittel
gestellt, zwischen Personal- und Sachbeweis?5 Persönliche Beweismittel sind Zeugen und Sachverständige; Gegenstand eines Sachbeweises können nur Augenscheinsobjekte und Urkunden sein. Bei den Beweismitteln der Strafprozeßordnung handelt es sich um einen "geschlossenen Kreis.,,26 Das heißt, jedes Beweismittel ist einer festen Kategorie zuzuordnen, für die besondere Vorschriften gelten. Ein Beweismittel, das nicht in eine der von der Strafprozeßordnung vorgegebenen Kategorien paßt, gibt es nicht. Was das Gericht durch sinnliche Wahrnehmung zu erfassen vermag, kann zunächst Augenscheinsobjekt sein. 27 Aber unter den Begriff des Augenscheins fallen Beweise nicht, bei denen ein Zeugen-, Sachverständigen- oder Urkundenbeweis erhoben wird?8 Insoweit kennt die Strafprozeßordnung ein strenges Ausschlußverhältnis. Macht das Gericht die Person des Zeugen gemäß § 81 c StPO zum Gegenstand eigener Wahrnehmungen, nimmt sie seinen Körper in Augenschein, dem unmittelbarsten Beweismittel, das deshalb anderen Beweismitteln vorgeht. 29 Wird der Zeuge in der Hauptverhandlung vernommen, so ist das Betrachten seiner äußeren Erscheinung allerdings Bestandteil der Vernehmung. 30 Solche Beobachtungen - wie das Minenspiel eines Zeugen - darf das Gericht ohne besondere Augenscheinseinnahme der Beweiswürdigung zugrunde legen. 3l Um eine Augenscheinseinnahme handelt es sich dagegen, wenn die zu betrachtende Person nicht zugleich vernommen wird, etwa wenn der Zeuge die Aussage berechtigt verweigert. 32 Das heißt, die äußere Erscheinung des Zeugen darf trotz eines bestehenden Zeugnisverweigerungsrechtes berücksichtigt werden. 33 Die Tatsache, daß das Untersuchungs- und Zeugnisverweigerungsrecht eng aneinder gekoppelt sind, bedeutet nicht, daß der zeugnis- und untersu-
25 Frühere Unterscheidungen trennten zwischen einfachen Wahrnehmungsobjekten (Augenscheinsobjekte) und Wahrnehmungsobjekte mit Äußerungsgehalt (persönliche Beweismittel und Urkunden), vgl. Alsberg / Nüse / Meyer S. 165 ff. 26 Alsberg / Nüse / Meyer S. 167. 27 RGSt 47,235,237; KK-Herdegen § 244, Rdnr. 14. 28 Alsberg / Nüse / Meyer S. 221. 29 Schneider, Beweis, Rdnr. 854, - wenn auch hier der Augenschein im Rahmen des Zivilprozesses behandelt wird. 30 Alsberg / Nüse / Meyer S. 236; LR-Dahs § 86, Rdnr. 21. 31 Alsberg / Nüse / Meyer S. 236. 32 OLG Hamm MDR 1974, 1036 für einen bloßen Größenvergleich; BGH GA 1965, 108; LR-Dahs § 86, Rdnr. 21. 33 LR-Dahs § 86, Rdnr. 21.
B. Abgrenzung zu anderen Beweismitteln
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chungsverweigerungsberechtigte Zeuge als Gegenstand der Beweisaufnahme völlig ausscheiden muß. 34 Nimmt ein Sachverständiger an dem Zeugen eine Untersuchung vor, etwa um dessen Glaubwürdigkeit zu bestimmen, handelt es sich um einen Sachverständigenbeweis. 35 Die Abgrenzung des Zeugen vom Sachverständigen erfolgt derart, daß der Zeuge über Tatsachen berichtet, die er sinnlich wahrgenommen hat, während der Sachverständige das Gericht durch seine Sachkunde in die Lage versetzt, eine richtige Auswertung der festgestellten Tatsachen vorzunehmen und so den Sachverhalt zutreffend zu beurteilen. 36 Doch allein die Vermittlung von Sachkunde ist zwar ein notwendiges Unterscheidungskriterium, aber noch kein hinreichendes. 37 Es verbleiben in den Fällen Abgrenzungsschwierigkeiten, "in denen sinnliche Wahrnehmungen erst durch die Anwendung von Sachkunde möglich werden".38 Wenn sich Sachkunde mit der sinnlichen Wahrnehmung eines tatsächlichen Geschehens überschneidet, ist die Beweisperson entweder nur Sachverständiger, nur Zeuge (eventuell ein sachverständiger Zeuge gemäß § 85 StPO) oder sowohl Sachverständiger als auch Zeuge. Doch auch sachkundige Personen, die über vergangene Tatsachen berichten, zu deren Wahrnehmung eine besondere Sachkunde erforderlich war, sind gemäß § 85 StPO Zeugen. Daher muß neben dem inhaltlichen Merkmal der Sachkunde das formelle Kriterium der Bestellung zum Sachverständigen ein weiteres wesentliches Abgrenzungsmerkmal des Zeugen vom Sachverständigen sein. 39 Die audiovisuelle Zeugenvernehmung und das Abspielen der auf Video konservierten Aussage eines Zeugen in der Hauptverhandlung fugen sich in diesen geschlossenen Kreis der Beweismittel nahtlos ein. § 247 a StPO ist ebenso wie die Verlesung nach § 251 StPO ein Ersatz fur die unmittelbare persönliche Vernehmung des Zeugen im Gerichtssaal und gehört daher zwar gesetzessystematisch zu den Ausnahmeregelungen vom Unmittelbarkeitsprin34 LR-Dahs § 86, Rdm. 21; a.A. Rogall MDR 1975, 813. AusfiihrIich 5. Kap. C. IV. 2. 35 Umfassend hierzu Gössel DRiZ 1980, 363 ff. 36 Peters, Strafprozeß, S. 342. Henkel, Strafverfahrenstheorie, S. 217, nennt dies eine Unterscheidung nach der "Zweckfunktion" des jeweiligen Beweismittels. 37 Gössel DRiZ 1980,363,364 f.; Alsberg/Nüse/ Meyer S. 214 f.; LR-Dahs § 85, Rdm.4. 38 Gössel DRiZ 1980, 363, 364 nennt als Beispiel unter anderem den Arzt, der Verletzungen durch eine Obduktion oder Röntgenaufuahme feststellt. 39 Weiterfiihrend zur Frage der Zuständigkeit fiir einen solchen Bestellungsakt vgl. Gössel DRiZ 1980, 363, 365 und Strafverfahrensrecht, S.228. Ähnlich Schlüchter, Strafverfahren, Rdm. 480 f., KK-Pelchen § 85, Rdm. 1; SK-Rogall § 85, Rdm. 4, 8. Zur Abgrenzung zwischen Zeugen und Sachverständigen siehe auch LR-Dahs § 85, Rdm. 11 mit weiteren Nachweisen.
2. Kap.: Der Zeuge als Beweismittel
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zip,40 das Beweismittel bleibt jedoch ein Zeugenbeweis. Auf das Abspielen einer Videoaufzeichnung einer früheren Zeugenvernehmung - strenggenommen ein Beweis des Aussageinhalts durch Augenschein - finden gemäß § 255 a StPO die Vorschriften, die sich auf die Verlesung der Niederschrift über eine Zeugenvernehmung beziehen, uneingeschränkt Anwendung. 41 Unberührt von § 255 a StPO kann die Vorführung einer Videoaufuahme zudem ein Augenscheinsobjekt zum Beweis anderer, den Inhalt der Aussage selbst nicht betreffender Tatsachen sein, wie nonverbale Reaktionen oder zum Zwecke des Vorhalts. 42
c. Der Schutz und die Rechte des Zeugen Der Zeuge, egal welchen Alters, wurde in der Strafprozeßordnung lange Zeit stiefmütterlich behandelt. 43 In fast 100 Jahren der Geltung der Strafprozeßordnung hat sich an der geringen Wertschätzung des Zeugen als reines Beweismittel kaum etwas geändert; Fürsorgegedanken für den Zeugen als einer Person wurden darüber hinaus vernachlässigt. Lediglich 1933 wurde dem Zeugen die Last des Voreides genommen und der heutige § 68 a StPO insoweit eingeführt, als es um die Feststellung der Vorstrafen und die Beantwortung von Fragen geht, die dem Zeugen zur Unehre gereichen. 44 Nahezu der gesamte strafprozessuale Normenbestand, der sich dem Zeugenschutz widmet, ist erst innerhalb der letzten 25 Jahre eingefügt worden. 45 Der eigentliche Durchbruch zur Anerkennung des Zeugen als einer "Person, die Schutz und Fürsorge verdient", wird erst in der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts 1974 zum Zeugenbeistand gesehen. 46 Unter Berücksichtigung rechtsstaatlicher Wertungen ist der Zeuge nicht nur ein schlichtes Mittel zur Wahrheitserkenntnis,47 sondern auch eine Person mit eigener Würde. 1975 wurde die wichtige Vorschrift des § 241 a StPO in den Normenbestand eingefügt, wonach die Vernehmung der Zeugen unter 16 Jahren dem Vorsitzenden vorbehalten wird. § 247 StPO wurde dahingehend erweitert, daß die Vernehmung jugendlicher Zeugen nunmehr un-
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Beulke, Strafverfahrensrecht, Rdnr. 430a.
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Beulke, Strafverfahrensrecht, Rdnr. 430k.
41 DiemerNJW 1999, 1667,1673; Meyer-Goßner § 255 a, Rdnr. I. 43 Die Begrifflichkeiten sind nicht klar zu trennen und überschneiden sich teilweise.
Zum Zwecke des Zeugenschutzes sind diverse Zeugenrechte geschaffen worden. 44 Gesetz zur Einschränkung der Eide im Strafverfahren vom 24.11.1933 (RGBI. I, 1933, S. 1008 ff.). 45 Rieß, Opferschutz, S. 113, 115. 46 BVerfGE 38, 105 ff.; Rieß, Opferschutz, S. 113, 115. 47 Rieß, Opferschutz, S. 113,114.
c. Der Schutz und die Rechte des Zeugen
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ter vorübergehender Entfernung des Angeklagten aus dem Sitzungssaal möglich ist. Ferner wurde die Möglichkeit des Öffentlichkeitsausschlusses in § 172 GVG ausgebaut. 48 Im Jahr 1979 wurde in der Neufassung des § 68 StPO dem gefährdeten Zeugen gestattet, seinen Wohnort bei seiner Vernehmung in der Hauptverhandlung nicht anzugeben. 49 Die im Strafverfahren überfällige ,,Renaissance des Opjers,,50 - und da Opfer zumeist Zeugen sind, auch zwangsläufig die des Zeugen - hat mit dem 55. Deutschen Juristentag 1984 begonnen, als die "Rechtsstellung des Verletzten im Strafverfahren" im Mittelpunkt der Diskussion stand. 51 1986 wurde die Einschränkung der Fragebefugnis gemäß § 68 a StPO weiter modifiziert und der Ausschluß des Angeklagten aus der Hauptverhandlung fiir die Fälle ergänzt, in denen fiir den Zeugen die dringende Gefahr eines schwerwiegenden Nachteils fiir seine Gesundheit besteht. Ferner wurden die Vorschrift des § 406 f StPO, die dem Verletzten im Strafverfahren erlaubt, sich eines Rechtsbeistandes zu bedienen und die Vorschrift des § 171 b GVG eingefiihrt, die die Möglichkeit des Öffentlichkeitsausschlusses im Interesse des Persönlichkeitsschutzes auch des Zeugen deutlich verbesserte. 52 Schließlich faßte 1992 der Gesetzgeber § 68 StPO - die Vorschrift über die Vernehmung zur Person - ebenfalls im Hinblick auf einen effektiveren Zeugenschutz völlig neu. 53 Weitergehende konkrete Forderungen, speziell was den Zeugenschutz von Minderjährigen anbelangt, stellte 1994 Gössel in seinem Gutachten zum 60. Juristentag vor allem bezüglich des Einsatzes von Videotechnologie im Strafver-
48 Einfiihrungsgesetz zum Strafgesetzbuch (EGStGB) vom 2.3.1974 (BGBI. I 1974, S. 469 ff.). 49 Strafverfahrensänderungsgesetz 1979 vom 5.10.1978 (BGBI. I 1978, S. 1645 if.). 50 Vgl. Eser, GedS Armin Kaufinann, S.723 ff; Kintzi DRiZ 1998, 65. Von einer "Renaissance" ist deshalb die Rede, weil die Rechtsstellung des Verletzten historisch gesehen von einer zunehmenden Entmachtung zugunsten der zentralen Gewalten geprägt war. Richtig ist der Einwand von Jung, daß eine solche Zusammenfassung einer Entwicklung, die Jahrhunderte andauerte, im "Zeitraffer" stark vereinfachend ist, vgl. Jung ZRP 2000, 159. Schünemann hält allerdings die Übernahme der Opferschutzdebatte in das Strafverfahren fiir bedenklich, "die Unschuldsvermutung zugunsten des Beschuldigten als Kehrseite eine Art Falschverdächtigungsvermutung zu Lasten des angelichen Verletzten transportiert", vgl. ZStW 114 (2002), 1,30 f. Die Betonung des Opferschutzes in der Politik hält er fiir "fast schon ein wenig penetrant" und vermutet dahinter wahltaktische Überlegungen. 51 Rieß, Gutachten C. 52 Erstes Gesetz zur Verbesserung der Stellung des Verletzen im Strafverfahren (Opferschutzgesetz) vom 18.12.1986 (BGBI. I 1996, S. 2496 ff.). 53 Gesetz zur Bekämpfung des illegalen Rauschgifthandels und anderer Erscheinungsformen der Organisierten Kriminalität (OrgKG) vom 15.7.1992 (BGBI. I 1992, S. 1302 ff.).
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2. Kap.: Der Zeuge als Beweismittel
fahren. 54 Ein Meilenstein für den Zeugenschutz von MindeIjährigen war das Inkrafttreten des Zeugenschutzgesetzes im Jahr 1998,55 als "der Gesetzgeber einmal schneller war als der Deutsche Juristentag.,,56 Je nach Perspektive wurde von einem "Geschenk des Himmels" für den geplagten Zeugen, aber auch von einem "Unheil für die Verteidigung" gesprochen. 57 Insbesondere die Möglichkeit einer simultanen Videovernehmung und das Abspielen einer auf Video aufgezeichneten früheren Vernehmung in der Hauptverhandlung (§§ 58 a, 255 a, 247 a, 168 e StPO) wurde in die Strafprozeßordnung aufgenommen. § 68 b StPO regelt nunmehr den Vernehmungsbeistand für Zeugen, auch wenn angezweifelt wird, daß diese Vorschrift besondere praktische Bedeutung erlangen wird. 58 Die Position des Zeugen ist heute ebenfalls durch Rechte gekennzeichnet, wenn auch nicht so prägend wie durch Pflichten. Kein spezifisches Zeugenrecht ist das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit gemäß Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG, das dem Zeugen wie jedem anderen Staatsbürger zusteht. Hieraus wird jedoch ein verfassungsrechtlich gebotener Schutz von gefährdeten Zeugen gefolgert. 59 Eine ganze Reihe von prozessualen Vorschriften, die hier zum größten Teil keine oder eine nur untergeordnete Bedeutung haben, resultierten aus der staatsrechtlich gebotenen Gewährleistung der Sicherheit von Zeugen (zum Beispiel §§ 68, 96, 54, 168 a Abs. 1 Satz 2,200 Abs. 1 Satz 3,247 Satz 2 StPO, 172 Nr. 1 a GVG, 176 ff. GVG). Die Aufgabe des Staates, Gefahren von dem Zeugen abzuwehren,6o ist in dieser Arbeit deshalb zu erörtern, da minderjährige Zeugen durch ihre Aussage möglicherweise einen seelischen oder gar körperlichen Schaden erleiden können. Sie müßten daher vielleicht sogar klassischen von außen - also durch dritte Personen - gefährdeten Zeugen gleichgestellt werden. 61 Selbstverständlich hat der Zeuge nicht nur einen Anspruch auf körperliche Unversehrtheit, sondern auch auf Schutz der Persönlichkeit und der
54 Gössel, Gutachten C, S. 58 ff., der mit dem Einsatz der Videotechnologie auch eine Entlastung der Gerichte anstrebte. 55 Gesetz zur Änderung der Strafprozeßordnung und der Bundesgebührenordnung fiir Rechtsanwälte (Gesetz zum Schutz von Zeugen bei der Vernehmung im Strafverfahren und zur Verbesserung des Opferschutzes - Zeugenschutzgesetz - ZSchG) vom 1.12.1998; BGBI. I 1998, S. 820 ff.; weiterfiihrend hierzu Mildenberger, Schutz kindlicher Zeugen; Schmoll, Videovernehmung. 56 Fischer JZ 1998, 816. 57 So Rieß, Opferschutz, S. 113. 58 Rieß, Opferschutz, S. 113, 124. 59 BVerfGE 37, 1,4; ausfiihrIich SK-Rogall Vor § 48, Rdnr. 68. 60 Böttcher, FS Schüler-Springorum, S. 54l. 61 4. Kap. C. I. 4. e) (bb).
D. Beweiswert der Zeugenaussage
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Geheimsphäre als Ausdruck des verfassungsrechtlich garantierten Persönlichkeitsrechts gemäß Art. 2 Abs. I, I Abs. I GG. 62 Wie für jeden Prozeßbeteiligten gilt für den Zeugen der Grundsatz des fairen Verfahrens. 63 Er hat einen Anspruch auf eine faire, angemessene Behandlung, ein Rechtsgedanke, der in § 68 a StPO konkretisiert wird. 64 Der Zeuge hat ein Recht auf Gehör. 65 Hieraus folgt sein Anspruch darauf, einen vollständigen und zusammenhängenden Bericht über den Gegenstand der Vernehmung gemäß § 69 Abs. 1 Satz 1 StPO abzugeben. Besonders wichtige Zeugenrechte sind der Anspruch auf Verweigerung des Zeugnisses und der Beeidigung nach §§ 52 ff., 60, 63 ff. StPO und der Anspruch, Rechtsbehelfe gegen belastende Maßnahmen einzulegen (etwa nach §§ 304 Abs.2, 238 Abs.2, 273 Abs.3 StPO).66 Als Zeugenrechte müssen schließlich noch der Anspruch auf eine Entschädigung gemäß § 71 StP067 und die Befugnis, sich eines Zeugenbeistandes zu versichern,68 genannt werden. Die Vorschrift des § 68 b StPO - anwaltlicher Beistand für Zeugen - schreibt die Bestellung eines Vernehmungsbeistandes in bestimmten Fällen sogar zwingend vor.
D. Beweiswert der Zeugenaussage "Die fehlerlose Erinnerung ist nicht die Regel, sondern die Ausnahme.,,69
Der Zeuge ist das praktisch wichtigste und zugleich das "geschwätzigste, aber unzuverlässigste" Beweismittel der Strafprozeßordnung. 7o Es ist daher nicht gerechtfertigt, nur die Aussagen minderjähriger Zeugen besonders geringzuschätzen. Vielmehr müßte dieses für das Strafverfahren zentrale Beweismittel grundsätzlich kritischer gesehen werden/ 1 unabhängig vom Alter des Zeugen. Zu subjektiv und durch den persönlichen Blickbereich gefiltert sind die
SK-Rogall Vor § 48, Rdnr. 92 ff. 63 BVerfGE 56, 37, 44; Geppert Jura 1991, 132,141; LR-Dahs Vor § 48, Rdnr.8; SK-Rogall Vor § 48, Rdnr. 67; AK-Kühne Vor § 48, Rdnr. 22. 64 Roxin, Strafverfahrensrecht, § 26, Rdnr. 50. 65 Vgl. SK-RogallVor § 48, Rdnr. 106 ff. 66 Gössel, Strafverfahrensrecht, S. 205. 67 Roxin, Strafverfahrensrecht, § 26, Rdnr. 50. 68 BVerfGE 38, 105, 11J; SK-Rogall Vor 48, Rdnr. 108 ff. 69 Stern ZStW 22 (1902), 315, 327. 70 Bruns, Zivilprozeßrecht, S. 278. 71 Roxin, Strafverfahrensrecht, § 26, Rdnr. 1. AusfiihrIich hierzu SK-Rogall Vor § 48, Rdnr. 174 ff. 62
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2. Kap.: Der Zeuge als Beweismittel
Wahrnehmungen eines Menschen. 72 Sowohl in der Wahrnehmungs- als auch in der Behaltens- und der Abrufphase ist die spätere Aussage fehleranfällig und zumeist sogar fehlerbehaftet. 73 Schon 1918 warnte Wach vor den Schwächen des Zeugen: "Vor allem sollte der Zeugenbeweis, dieses nach Kenntnis jedes Erfahrenen schlechteste Beweismittel, nach Kräften ausgeschaltet werden.,,74 Es heißt, der Zeugenbeweis sei "redlich, aber falsch" und werde daher, was seine Qualität anbetrifft, weit überschätzt. 75 Verwiesen sei nur auf die Aussagen von Unfallzeugen, wo es fast allgemeine Regel ist, daß diese nur verwertbar sind, solange es nicht auf genaue Geschwindigkeits- und Entfernungsangaben ankommt. 76 Auch Mengenschätzungen durch den Zeugen vor Gericht mißlingen meist. "Auf einen Blick" können von Zeugen lediglich Mengen bis zu sieben Stück zuverlässig wahrgenommen werden. 77 Dennoch gilt die einfache Regel: Dem Durchschnittszeugen wird geglaubt. Reinecke geht mit den seiner Ansicht nach zu gutgläubigen Richtern hart ins Gericht und unterstellt ihnen den "geheimen" Rechtssatz, dem nach dem Zeugen grundsätzlich zu glauben ist, wenn nicht ganz gewichtige Anhaltspunkte vorhanden sind, daß er lügt oder irrt. 78 Dies unterstreicht eine inzwischen schon ältere Untersuchung von Bender und Schumacher im Auftrag des Instituts für Rechtstatsachenforschung in Stuttgart: 79 Demnach ergab eine Aktenauswertung - allerdings von zivilrechtlichen Verfahren -, daß bei etwa 1400 Zeugenvernehmungen von Amtsgerichten nur 65 Zeugen kein Glauben von seiten des Gerichts geschenkt wurde. Dies entspricht nur 4,5% aller Zeugen. Eine derartige Wahrheitshäufung in der forensischen Praxis ist aber mit allen Erkenntnissen der Aussagepsychologie nicht in Einklang zu bringen. 8o Nach einer Studie des Instituts für Rechtstatsachenforschung der Universität Konstanz sollen Zeugenaussagen bei 95% der Strafurteile den Ausschlag geben. 81 Grund für die herausragende Stellung des Zeugen im Strafverfahren ist sicher auch, daß er ein bequemes Beweismittel ist, denn der Zeuge liefert schon "fertige Informationen" über das Geschehen, die
72 Zu den verschiedenen "Wahrheitsbildern" der Verfahrensbeteiligten sehr anschaulich Gössel, Wahrheit, S. 8 ff. Aufschlußreich auch Schulz, Sachverhaltsfeststellung. 73 Schalz NStZ 200 I, 572. 74 Wach in einer Buchbesprechung JW 1918, 797. 75 Vgl. zum Beispiel Schneider, Beweis, Rdnr. 872; Schellenberg, Hauptverfahren, S.103. 76 Schneider, Beweis, Rdnr. 938. 77 Bender ! Röder! Nack, Tatsachenfeststellung Band 11, Rdnr. 709. 78 Reinecke MDR 1986, 630, 631; Bender ! Nack, Tatsachenfeststellung Band I, Rdnr.435. 79 Bender ! Schumacher, Erfolgsbarrieren, S. 137 ff. 80 Schneider, Beweis, Rdnr. 873; Schalz NStZ 200 I, 572 ff. 81 Zitiert nach Zacharias, Gefährdeter Zeuge, S. 46.
D. Beweiswert der Zeugenaussage
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ansonsten erst über Indizien erschlossen werden müßten. 82 So werden beim wesentlich mühsameren Indizienbeweis zunächst solche Tatsachen festgestellt, die nicht Schuld und Strafe betreffen, sondern - zweitens - bloß den Schluß auf das Vorliegen solcher Tatsachen zulassen. 83 Zwar ist der Zeugenbeweis unersetzbar, doch ein Richter muß vor allem die Fehlerquellen von Aussagen kennen, um die Glaubwürdigkeit eines Zeugen beurteilen zu können. 84 Manche Richter mögen allerdings vorzugsweise ihrem gesunden Menschenverstand und eigenen Erfahrungswerten vertrauen. Dies kann hilfreich sein, professioneller ist es jedoch, sich der Erkenntnisse der Wissenschaft zu bedienen. Leider fehlen Richtern gelegentlich elementare Grundkenntnisse jeglicher Aussagepsychologie. 85 Unverständlich scheint in diesem Zusammenhang vor allem die Tatsache, daß den Aussagen kindlicher und jugendlicher Zeugen VOn vornherein eine größere Skepsis entgegengebracht wird. Doch der Mythos VOn der generellen Unzuverlässigkeit minderjähriger Zeugenaussagen ist mittlerweile widerlegt. 86 Im Ergebnis ist nichts gegen eine kritische Haltung gegenüber einer Zeugenaussage einzuwenden. Sie ist vielmehr gleichermaßen gegenüber den Aussagen von Erwachsenen angebracht. 87 In seiner Bilanz zum Zeugenbeweis kommt Schünemann zu dem Ergebnis, daß dieser Beweis zwar noch immer vor dem Sachbeweis dominiert, aber "als Mittel zur Wahrheitsfindung durch die Entwicklung der Gesetzgebung und Rechtsprechung in den letzten 100 Jahren immer weiter verschlechtert worden" ist und sich gegenwärtig "in einer insgesamt kritischen Phase" befindet. 88
Kühne, Strafprozeßrecht, Rdnr. 851. Allerdings kann auch der Zeugenbeweis durchaus der Feststellung indizieller Tatsachen dienen. 84 Schneider, Beweis, Rdnr. 879. 85 Schneider, Beweis, Rdnr. 872. 86 Frommel, Möglichkeiten, S. 31, 49. 87 Zu einem "gesunden Mißtrauen" gegenüber Zeugenaussagen ruft auch Reinecke MDR 1986,630,637 auf. 88 Schünemann, FS Meyer-Goßner, S. 385,406. 82
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Drittes Kapitel
Die grundsätzliche Zeugenpflicht Minderjähriger A. Einführung Die Zeugenpflicht von Minderjährigen wird selten hinterfragt oder gar ganz in Frage gestellt. Im folgenden Kapitel soll geklärt werden, ob Minderjährige überhaupt eine grundsätzliche Zeugenpflicht zu tragen haben, und es darf erst an zweiter Stufe untersucht werden, wie diese Zeugenpflicht der Minderjährigen im einzelnen ausgestaltet ist. Zur Frage nach der Zeugenpflicht ist vorab deren Rechtsgrundlage von Bedeutung. Begründen die Vorschriften der Strafprozeßordnung tatsächlich eine Zeugenpflicht Minderjähriger oder entwikkelt eine Ladung an einen MindeIjährigen keinen verbindlichen Charakter? Da eine Zeugenpflicht Minderjähriger im Ergebnis bejaht wird, werden weitere Ansatzpunkte erörtert, die diese Pflicht negieren könnten. Ansatzpunkt für die Ablehnung einer Zeugenpflicht Minderjähriger kann der Rechtscharakter einer Ladung selbst sein. Als weiteres Argument gegen eine Zeugenpflicht wird ins Feld geführt, daß Minderjährige als Bürger mit nur beschränkten Rechtenzum Beispiel haben sie kein allgemeines Wahlrecht - schlichtweg keine Pflichten gegenüber dem Staat zu erfüllen haben. Im Unterschied zum erwachsenen Bürger dürfe ihnen daher keine Zeugenpflicht abverlangt werden. Im Mittelpunkt dieser Untersuchung wird allerdings das Prinzip des Kindeswohls stehen, das nach den Erkenntnissen dieser Arbeit im Strafverfahrensrecht zu berücksichtigen ist. Das Wächteramt des Staates für das Wohl seiner jüngsten Bürger könnte durch eine generelle Zeugenpflicht tangiert sein. Würde ein Strafverfahren das Kindeswohl eines mindeIjährigen Zeugen maßgeblich verletzen, müßte auf die Vernehmung dieses Zeugen ohne Rücksicht auf die Konsequenzen für die Wahrheitsfindung grundsätzlich verzichtet werden. Gegen die Annahme einer grundsätzlichen Zeugenpflicht von Kindern und Jugendlichen spricht vor allem, daß die psychischen Folgen einer Aussage von minderjährigen Zeugen noch nicht endgültig geklärt und möglicherweise für diese Zeugengruppe so belastend sind, daß der Staat seinen jüngsten Bürgern diese Bürde nicht auferlegen darf. Zudem greift der Staat durch die Aufgabe einer Zeugenpflicht gleichzeitig erheblich in die Elternrechte ein, denn im Gegensatz zu den Zeugenpflichten
A. Einführung
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von Erwachsenen geht es nicht mehr allein um die Ausgestaltung des Verhältnisses des Zeugen zu dem Staat. Bei Minderjährigen ist diese Beziehung nicht nur bilateral, sondern als ein Dreiecksverhältnis zwischen dem Staat, dem Kind und dessen Eltern zu sehen. Das Elternrecht wird durch die Zeugenrolle eines Kindes betroffen. Fraglich ist daher, ob der Elternautonomie generell oder im Einzelfall sogar Vorrang zu gewähren ist. Falls man zu dem Ergebnis kommt, daß eine Zeugenpflicht eines MindeJjährigen nicht mit dem Erziehungsprimat der Eltern vereinbar ist, könnte die Pflicht auch nicht gegen den Willen der Eltern durchgesetzt werden. I Derzeit agieren die Eltern von einer relativ hilflosen Stellung aus. Die allgemeine Entwicklung geht nicht nur in diesem Bereich dahin, daß das Elternrecht zunehmend als Elternpflicht und -verantwortung mißverstanden wird; die originären Elternrechte werden vergleichsweise stark in den Hintergrund gedrängt. 2 Die Ergebnisfindung stellt sich indes schwierig dar, weil vor allem die mögliche sekundäre Schädigung von mindeJjährigen Opferzeugen durch eine Vernehmung keineswegs erschöpfend untersucht ist. 3 Zwar wird in verschiedenen Abhandlungen ohne nähere Prüfung angenommen, daß das Strafverfahren für ein Kind oft schädlicher ist, als die Tat selbst;4 doch nach den Ergebnissen dieser Arbeit darf dieser Schluß nur sehr bedingt gezogen werden. Der Straiprozeß ist für den minderjährigen Zeugen zwar sicher kein "Kinderspiel", doch er ist besser als sein lädierter Ruf. Gerade minderjährige Opferzeugen sind offensichtlich sogar bereit, Belastungen in Kauf zu nehmen. Nur in Einzelfällen muß wegen einer zu großen Schädigungsgefahr der MindeJjährige völlig aus dem Strafverfahren herausgenommen werden. Die Existenz der grundsätzlichen Zeugenpflicht MindeJjähriger soll im übrigen erneut unabhängig davon beantwortet werden, ob es sich bei dem Kind oder Jugendlichen um einen reinen Zufallszeugen einer Straftat oder einen Opferzeugen handelt. In vielen Ausführungen wird fast automatisch davon ausgegangen, daß mindeJjährige Zeugen immer zugleich Opferzeugen sind, also durch die Straftat unmittelbar in einem Rechtsgut verletzt wurden. Dies mag in der Rechtswirklichkeit oftmals der Fall sein, allerdings auch deshalb, weil der Richter auf die Ladung mindeJjähriger Zufallszeugen von vornherein mit Hinblick auf den vermeintlich zweifelhaften Wert der Aussage verzichten mag. MindeJjährige Opferzeugen sind dagegen oft unentbehrlich, weil sie etwa bei Mißbrauchsdelikten regelmäßig die einzigen Zeugen der Tat sind. Es wird paVgl. Keiser, Kindeswohl, S. 90. Allgemein zur Eltern / Kind-Beziehung Derleder KJ 1997,277,280. 3 Genauer zu den Begrifflichkeiten und den Ergebnissen einzelner Studien, vgl. 3. Kap. D. IV. 2. 4 Kaiser, Kriminologie, § 65, Rdnr. 46. I
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3. Kap.: Die grundsätzliche Zeugenpflicht Minderjähriger
radoxerweise der 14jährige Zufallszeuge eines Verkehrsunfalls mit Fahrerflucht erst gar nicht geladen, obwohl ein Tatrichter kaum einen Zeugen bekommen kann, der einen derartigen Sachverhalt besser und unvoreingenommener wahrnehmen und wiedergeben kann. 5 Zudem wäre kaum zu befürchten, daß der minderjährige Zeuge durch eine Aussage über einen zufällig beobachteten Autounfall psychisch außergewöhnlichen Belastungen ausgesetzt wäre.
B. Die Zeugenpflicht und ihre Rechtsquelle Die Rechtsquelle der allgemeinen Zeugenpflicht ist nicht ganz einfach zu bestimmen. In den einschlägigen FundsteIlen heißt es regelmäßig, daß jeder der deutschen Gerichtsbarkeit Unterworfene die Pflicht hat, vor Gericht zu erscheinen sowie eine wahrheitsgemäße und vollständige Aussage zur Person und zur Sache zu machen. 6 Diese Zeugenpflicht trifft auch deutsche Staatsangehörige im Ausland sowie Ausländer und Staatenlose im Inland.? Exterritoriale können (schon im Umkehrschluß, aber durch §§ 18, 19 GVG; Nm. 193, 197 RiStBV auch ausdrücklich geregelt) nur mit ihrer Zustimmung als Zeugen geladen und vernommen werden. Die allgemeine Zeugnispflicht wird in der Kommentarliteratur teilweise wie ein Naturgesetz hingenommen. Die Strafprozeßordnung begründet diese Zeugnispflicht nicht - es findet sich keine ausdrückliche Feststellung in Gesetzesform weder für Erwachsene noch für Kinder -, sondern setzt sie voraus und konkretisiert sie. 8 Nur für die Vernehmung vor der Staatsanwaltschaft wurde der Pflichtencharakter der ZeugensteIlung vom Gesetzgeber ausdrücklich gemäß § 161 a Abs. 1 Satz 1 StPO geregelt. Durch die Vorschrift wurde im Rahmen des Ersten Gesetzes zur Reform des Strafverfahrensrechts vom 9.12.1974 die Befugnis zur Ladung von Zeugen auf die Staatsanwaltschaft erweitert, um das Ermittlungsverfahren zu straffen und damit zu beschleunigen. 9 Wortwörtlich heißt es: "Zeugen und Sachverständige sind verpflichtet, auf die Ladung vor der Staatsanwaltschaft zu erscheinen und zur Sache auszusagen.,,10 Der Alternativ-Entwurf Zeugnisverweigerungsrechte und Beschlagnahmefreiheit (AE-ZVR) schlug - ohne sich Vg!. 4. Kap. C. H. 3. d). LR-Dahs Vor § 48, Rdnr.6; KMR-Paulus Vorb. § 48, Rdnr.26; KK-Senge Vor § 48, Rdnr. 2; HK-Lemke Vor §§ 48 ff., Rdnr. 6; Meyer-Goßner Vor § 48, Rdnr. 5; Pfeiffer Vor §§ 48-71, Rdnr. 1; Roxin, Strafverfahrensrecht, § 26, Rdnr. 11. 7 KK-Senge Vor § 48, Rdnr. 2; OLG Hamburg MDR 1967, 686 für Staatenlose, die sich im Inland autbalten. 8 Statt vieler LR-Dahs Vor § 48, Rdnr. 6; § 51, Rdnr. 1. 9 Meyer-Goßner § 161 a, Rdnr. 1. 10 BGB!. 11974, S. 3393. 5
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B. Die Zeugenpflicht und ihre Rechtsquelle
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damit durchsetzen zu können - die Einfügung eines Absatz 2 zu § 48 StPO vor, in dem ausdrücklich festgestellt sollte: "Der Zeuge ist verpflichtet, in dem zu seiner Vernehmung bestimmten Termin vor dem Richter oder der Staatsanwaltschaft zu erscheinen. Er hat die Pflicht auszusagen, wenn keine im Gesetz zugelassene Ausnahme vorliegt. ,,11 Zweck der Einfügung sollte es sein, "Abschied von der ungeschriebenen staatsbürgerlichen Pflicht des Zeugen" zu nehmen. 12 Die Rechtsquelle für die Begründung der Zeugenpflicht ist nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichtes allein die "deutsche Rechtstradition.,,13 Kerngedanke des Rechtsstaates ist die Gewährleistung von Rechtssicherheit und Rechtsfrieden. "Die Sicherung des Rechtsfriedens in Gestalt der Strafrechtspflege ist seit jeher eine wichtige Aufgabe staatlicher Gewalt. Die Aufklärung von Straftaten, die Ermittlung des Täters, die Feststellung seiner Schuld und seiner Bestrafung obliegen den Organen der Strafrechtspflege, die zu diesem Zweck unter den gesetzlich bestimmten Voraussetzungen Strafverfahren einzuleiten und durchzuführen sowie erkannte Strafen zu vollstrecken haben.,,14 Ohne eine funktionstüchtige Strafrechtspflege kann der Gerechtigkeit nicht zum Durchbruch verholfen werden. I5 Zur Überführung von Straftätern (aber auch zur Entlastung Unschuldiger) besteht ein öffentliches Interesse an einer möglichst vollständigen Wahrheitsermittlung im Strafverfahren. I6 Die Justiz bedarf zur Erfüllung ihrer Aufgabe, Recht zu sprechen, des Zeugen. Die "Möglichkeiten justizförmiger Sachaufklärung beruhen im wesentlichen auf dem Zeugenbeweis",17 als einem der wichtigsten Beweismittel, das die Strafprozeßordnung für die Wahrheitsfindung zur Verfügung stellt. Zeugen werden als die "Augen und Ohren der Justiz" bezeichnet. I8 Sie sind im Strafverfahren schlechthin unverzichtbar. Da die Aufklärung von Straftaten ein besonders wichtiger Auftrag eines rechts staatlichen Gemeinwesen ist, stellt sich die Zeugenpflicht als eine grundlegende Pflicht dar; sie ist eine allgemeine Bürgerpflicht. I9 Gelegentlich wird von ihr als einer
11 AE-ZVR, S. 1. 12 Vgl. Begründung des AE-ZVR zu § 48 StPO, S. 34. 13
BVerfGE 49, 280, 284; BVerfD NJW 1988,897,898.
14 BVerfDE 51, 324, 343.
BVerfGE 51, 324, 343. Henkel, Strafverfahrensrecht, S. 84. 17 BVerfGE 38,105,116. 18 Hauser, Zeugenbeweis, S. 311. 19 KMR-Paulus Vorb. § 48, Rdnr. 26 mit weiteren Nachweisen. 15
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3. Kap.: Die grundsätzliche Zeugenpflicht MindeIjähriger
"gemeinen Last zugunsten der Rechtspflege", aber auch von einem "selbstverständlichen sittlichen Gebot" jedes Menschen gesprochen?O Die Zeugenpflicht konkretisiert somit die allgemeine Staatsbürgerpflicht,21 die der Strafprozeßordnung vorgelagert ist. 22 Die Existenz gewisser StaatsbÜfgerpflichten ergibt sich inzident aus Art. 33 Abs. 1 GG, der diese explizit erwähnt. Zwar kann die Pflicht zur Zeugnislegung nicht direkt aus Art. 33 Abs. 1 GG gefolgert werden, denn die Vorschrift ist lediglich als Ausprägung des Gleichheitssatzes des Art. 3 GG zu verstehen und gibt den Bundesländern die Weisung, alle Bürger in ihren staatsbürgerlichen Rechten und Pflichten gleich zu behandeln und nicht Landesangehörige zu bevorzugen. 23 Das Bundesverfassungsgericht hat jedoch klargestellt, daß ,jedermann als gemeinschaftsbezogener und gemeinschaftsgebundener Bürger staatliche Maßnahmen hinnehmen müsse, die im überwiegenden Interesse der Allgemeinheit unter strikter Einhaltung des Verhältnismäßigkeitsgebots getroffen werden, solange sie nicht den unantastbaren Bereich privater Lebensgestaltung beeinträchtigen. ,,24 Die Zeugnispflicht ist eine solche hinnehmbare Staats bürgerpflicht, da sie sich aus dem rechtsstaatlichen Grundsatz der Gerechtigkeit herleitet, der nach der Aufrechterhaltung einer funktionstüchtigen Rechtspflege verlangt. 25 Der Verweis auf die deutsche Rechtstradition ist richtig. Bei der Beratung des Entwurfs der Strafprozeßordnung erklärte das Kommissionsmitglied Herz in der Reichsjustizkommission (42. Sitzung am 17.6.1875) die Zeugnispflicht wie folgt: "Zeugnis zu geben sei eine allgemeine Bürgerpflicht, deren Verletzung streng bestraft werden müsse. ,,26 Dieser Zeugniszwang beruhte seinerseits wiederum auf der Rechtsansicht der Partikularstaaten und deren Vorläufergesetzen. 27 In Bayern beispielsweise kodifizierte Paul Johann Anse1m Ritter von
Hauser, Zeugenbeweis, S. 79 ff. BVerfGE 38, 105,118. Vgl. auch OLG Köln NJW 1981,2480,2482; kurz hierzu auch Baier, Zeugnisverweigerungsrechte, S. 43. 22 Da sich die Pflicht nicht auf deutsche Staatsbürger beschränkt, ist es streng genommen falsch, von einer staatsbürgerlichen Pflicht zu sprechen. Die Zeugenpflicht ist vielmehr eine allgemeine öffentlich-rechtliche Pflicht gegenüber dem Staat. Dennoch hat sich der erstgenannte Begriff allgemein durchgesetzt und wird der Verständlichkeit halber auch hier verwandt; vgl. Zacharias, Gefährdeter Zeuge, S. 36. 23 Von Münch / Kunig, GG, Art. 33, Rdnr. 4 und Rdnr. 7. 24 BVerfGE 33, 367, 376/ 25 BVerfGE 33, 367, 383 mit weiteren Nachweisen. 26 Hahn / Stegemann, Materialien Band 1, S. 610. 27 Eine Zuammenstellung der in den deutschen Gesetzgebungen enthaltenen Vorschriften über die Zeugnispflicht gibt Hahn / Stegemann, Materialien Band 1, S. 99 ff. So regelte die Preußische Kriminalordnung von 1805 in § 311: "Jedermann im Staate, ohne Unterschied des Standes, ist schuldig, sich als Zeuge vernehmen zu lassen, und 20
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c. Begründet die StPO eine Zeugenpflicht Minderjähriger?
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Feuerbach in Art. 203 des Strafgesetzbuches von 1813 (Theil II) die Zeugnispflicht rur jedermann. 28 Dieser Grundsatz war den geistigen Vätern der Strafprozeßordnung daher so geläufig, daß sie auf eine ausdrückliche Normierung der Zeugnispflicht sogar verzichteten und nur die Ausnahmetatbestände zur allgemeinen Zeugnispflicht, also die Weigerungsrechte und die Folgen einer unberechtigten Weigerung, gesetzlich regelten. 29 Denn gerade, weil auch als Rechtsstaat ein Gemeinwesen nur funktionieren kann, wenn ihm die Staatsgewalt zur Durchsetzung des Rechts bereitsteht und eingesetzt wird,30 bedarf es einer erzwingbaren Zeugenpflicht. Kinder und Jugendliche sind vom Gesetzgeber von dieser allgemeinen Bürgerpflicht zumindest nicht explizit ausgenommen. 3l
C. Begründet die StPO eine Zeugenpflicht Minderjähriger? Der Zeuge wird in der Hauptverhandlung schärfer in die Pflicht genommen als der Angeklagte. Und dennoch lautet die Gleichung: Zeugenpflicht = Bürgerpflicht. Kinder und Jugendliche sind zweifelsohne Bürger. Folglich trifft Kinder und Jugendliche eine generelle Zeugenpflicht. Das wäre ein einfacher
nach Aufforderung des untersuchenden Richters zu erscheinen, wenn er auch einem anderen persönlichen Gerichtsstande unterworfen ist". 28 Hahn / Stegemann, Materialien Band 1, S. 99; Art. 203: "Jedermann ist schuldig, auf Erfordern als Zeuge vor Gericht zu erscheinen, über Alles was ihm über den Vorfall bekannt ist, ein gewissenhaftes Zeugnis abzulegen, und den ihm abgeforderten Eid zu leisten." Im Entwurf eines Stratprozeßgesetzbuchs von 1870 lautete die entsprechende Vorschrift Art. 148: "Jeder Staatsangehörige und jeder in Bayern sich aufhaltende Ausländer ist vorbehaltlich nachfolgender Ausnahmen zur Zeugschaftsleistung in Strafsachen verbunden und muß auf Erfordern seine Aussagen mittels eines Eides bekräftigen"; vgl. Hahn / Stegemann, Materialien, Band 1, S. 100. 29 So erklärt sich das Fehlen einer ausdrücklichen Regelung auch Nelles, Persönlichkeitsrechte, S. 211, 214. 30 Zippelius, Staatslehre, S. 54 f. 31 Anders ist dies beispielsweise im VorentwurJzu einer Schweizerische Strafprozeßordnung, die künftig das bisher kantonal geregelte formelle Strafrecht vereinheitlichen soll, geregelt. Art. 173 Abs. 2 des Entwurfs verneint für Kinder und Jugendliche unter 15 Jahren ausdrücklich die Zeugenfähigkeit und erklärt diese zu sogenannten Auskunftspersonen (v gl. auch Art. 186 Abs. 1 Buchstabe b des Entwurfs). Die Auskunftsperson - eine Beweisfigur, die es heute schon in den meisten der 26 kantonalen Stratprozeßordnungen der Schweiz gibt - muß anders als der Zeuge nicht die volle Verantwortung für ihre Aussage übernehmen; vgl. VorentwurJ zu einer Schweizerischen Strafprozeßordnung und dem Beg/ei/bericht zum VorentwurJ fiir eine Schweizerische Strafprozeßordnung, S. 3 und 137.
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3. Kap.: Die grundsätzliche Zeugenpflicht MindeIjähriger
Dreisatz. Doch gilt diese "Rechnung" für Minderjährige? Insbesondere Nelles warnt davor, sich vorschnell an die Gleichung zu gewöhnen. 32 Die Strafprozeßordnung hält zwar einige Regelungen bereit, die Fragen im Zusammenhang mit minderjährigen Zeugen ausdrücklich klären. Anzuführen sind hier Vorschriften, die Zeugenrechte einräumen, wie dem Zeugnisverweigerungsrecht für Minderjährige gemäß § 52 Abs. 2 StPO, dem Eidesverbot gemäß § 60 Nr. 1 StPO, dem Absehen von der Vereidigung gemäß § 61 Nr. 1 StPO, der Entfernung des Angeklagten während der Hauptverhandlung gemäß § 247 Satz 2 StPO oder der Vernehmung von unter 16jährigen Zeugen gemäß § 241 aStPO. Neuerdings kommt noch die Vorschrift zur Bi1d-Ton-Aufzeichnung einer Zeugenvernehmung (§ 255 aStPO) in Betracht, der auf § 58 a StPO aufbaut und sich in Abs. 2 der Vorschrift speziell dem minderjährigen Zeugen widmet. 33 Doch allein aus der Existenz der aufgezählten Normen kann nicht zwingend der Schluß gezogen werden, daß Minderjährige eine grundsätzliche Zeugenpflicht trifft. Vielmehr behalten diese Vorschriften ihren Sinn, wenn Minderjähriger nur freiwillig in ein Verfahren eingebunden werden würden. 34 Es gilt daher im folgenden zu untersuchen, welche Gründe gegen die Annahme einer Zeugenpflicht Minderjähriger sprechen können.
D. Ansätze zur Verneinung der Zeugen pflicht Minderjähriger I. Ansatzpunkt Ladung
In jüngerer Zeit mehren sich Zweifel an der grundsätzlichen Zeugenpflicht Minderjähriger, unabhängig von deren Zeugnisfähigkeit. Nelles und im Anschluß Maier kommen beispielsweise zu dem Ergebnis, daß Kinder unter 14 Jahren generell nicht verpflichtet sind, vor Gericht als Zeugen zu erscheinen und auszusagen - unabhängig von der Art der Aussage und der damit verbundenen psychischen Belastung. 35 Gleichwohl an diese Zeugengruppe versandte Ladungen stellen nur "unverbindliche Einladungen" dar. 36 Jugendliche in der Altersgruppe von 14 bis 17 Jahren bilden nach dieser Ansicht eine juristische Grauzone. Die Tendenz geht dahin, auch für diese Zeu-
Nelles, Opferschutz, S. 129 f. § 247 a StPO und § 68 b StPO widmen sich dagegen nicht nur dem minderjährigen, sondern allgemein dem schutz bedürftigen Zeugen, auch wenn dieser regelmäßig mindeIjährig sein wird. 34 Nelles, Persönlichkeitsrechte, S. 211, 219. 35 Nelles, Persönlichkeitsrechte, S. 211, 218; Maier KJ 1997,322. 36 Maier KJ 1997, 322, 327. 32 33
D. Ansätze zur Verneinung der Zeugenpflicht Minderjähriger
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gen eine generelle Zeugenpflicht auszuschließen. 37 Demnach käme man zu dem Ergebnis, daß es eine Zeugenpflicht von Minderjährigen grundsätzlich nicht geben kann. Vielmehr sind Kinder, aber auch Jugendliche nur dann Zeugen, wenn sie freiwillig diese Rolle übernehmen. Unklar bleibt allerdings, ob auf die Freiwilligkeit des Kindes und / oder der Eltern abgestellt werden muß. Insofern bedarf die Ansicht noch einer gewissen Klärung offener Fragen. Die Begründung für eine Verneinung der Zeugenpflicht von Kindern und Jugendlichen kann, wie schon angesprochen, unterschiedliche Ansatzpunkte haben. Von der Rechtsnatur und vor allem den Rechtsfolgen einer Zeugenladung ausgehend wird der Schluß aufgestellt, daß erst die Möglichkeit der Verhängung VOn Zwangsmitteln im Falle des Nichterscheinens der Beweisperson der Ladung einen rechtsverbindlichen Charakter zukommen lasse. Eine Zeugenpflicht könne nur angenommen werden, wenn sich Folgen aus der Nichtbefolgung ergeben würden. 38 Dieser Theorie liegt folgende Prämisse zugrunde: Kinder im Alter bis zu 13 Jahren sind schuldunfähig gemäß § 19 StGB. 39 Die Frage, ob Ordnungsstrafen nach §§ 48,51 und 70 StPO gegen schuldunfähige Zeugen zulässig sind, ist gesetzlich nicht geregelt. Die ganz h.M. lehnt die Verhängung von Ordnungsstrafen gegen schuldunfähige Personen als unzulässig ab. 4o Da die Schuldfähigkeit in Analogie zu § 19 StGB definiert wird, scheiden Ordnungsmittel gegen Kinder unter 14 Jahren aus. 41 In dieser Konsequenz hat die Nichtbeachtung einer Zeugenladung für ein Kind keine rechtlichen Folgen. Nach der Ansicht von Nelles ist die "individuelle Zeugenpflicht [... ] erst durch den justitiellen Verwaltungs akt zu konkretisieren und zu begründen.,,42 Da die Ladung eines unter 14 Jahre alten Kindes nicht mit dem Hinweis auf die gesetzlichen Folgen des Ausbleibens verbunden werden darf, da gegen Kinder die Verhängung von Ordnungsmitteln unzulässig sei, könne eine solche Ladung auch keine Zeugenpflicht begründen: "Eine Pflicht,
Maier KJ 1997,322,327. Maier KJ 1997,322,323. 39 In jüngerer Zeit wird wieder vermehrt über eine Herabsetzung der Altersgrenze diskutiert bzw. diese Forderung von Politikern in den Raum gestellt. Vgl. hierzu Wolfslast, FS Bemmann, S. 274, 287; ablehnend zur einer Hersabsetzung der Altersgrenze auch Streng DVJJ-Journal 1997,379,382 und Hefendehl JZ 2000,600,604 ff. 40 LG Bremen NJW 1970, 1429: Die Entscheidung beruft sich auf die damaligen Vorschriften §§ 1 Abs. 1 JGG und § 7 Abs. 1 OWiG. 41 Ausführlich hierzu 4. Kap. C. I. 4. b). Als unwiderlegliche Vermutung der Schuldunfahigkeit beinhaltet § 19 StGB für den Beschuldigten eine negative Prozeßvoraussetzung, vgl. Gössel, Strafverfahrensrecht, S. 134. 42 Netles, Persönlichkeitsrechte, S. 211, 215. 37
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3. Kap.: Die grundsätzliche Zeugenpflicht MindeIjähriger
an deren Verletzung sich keine Folgen knüpfen können, die also nicht durchgesetzt werden kann, ist keine Rechtspflicht. ,,43 Eine Zeugenladung eines Kindes wäre demnach rechtlich ähnlich zu beurteilen wie die Ladung eines erwachsenen Zeugen durch die Polizei als "höchst unverbindliche Einladung, freiwillig zu erscheinen und auszusagen.,,44 Nur "irreführende Wortklauberei" ist es nach Nelles, wenn in der Literatur davon die Rede ist, daß Zeugenladungen von seiten der Polizei doch die Pflicht auslösten, zur Sache auszusagen und die Zeugen lediglich zu dieser Pflicht nicht gezwungen werden könnten. 45 Schwieriger und dogmatisch noch problematischer wird es, die Ablehnung einer grundsätzlichen Zeugenpflicht für Mindetjährige ab 14 Jahren zu begründen. Nach ganz h.M. dürfen gegen Zeugen dieser Altersgruppe Ordnungsmittel verhängt werden: Die Nichtbefolgung einer Ladung entfaltet rechtliche Konsequenzen. Die Ladung kann nach keiner Ansicht nur mehr als eine unverbindliche Einladung eingestuft werden. 46 Obwohl gegen diese Zeugengruppe wirksam Zwangsmaßnahmen wie das Ordnungsgeld bei Nichterscheinen trotz ordnungsgemäßer Ladung angeordnet werden dürfen, sollen diese Zeugen nach der Ansicht von Maier allein aufgrund ihres jugendlichen Alters durch die Zeugenaussage besonders belastet sein. 47 Bei einer Weigerung der jugendlichen Zeugen vor Gericht zu erscheinen, soll immer der Ausnahmetatbestand des § 251 Abs. 1 Nr. 2 StPO ("anderes nicht zu beseitigendes Hindernis") erfüllt sein. Demnach müßten die Vorschriften zum Unmittelbarkeitsprinzip, §§ 250, 251 StPO, aufgrund einer Schutzpflicht des Staates für minderjährige Zeugen verfassungskonform ausgelegt werden mit dem Ergebnis, daß auch 14- bis 17jährige Zeugen keine Zeugenpflicht mehr träfe. 48 Obwohl Maier diese Frage nicht beantwortet, läßt sich daraus nur der Schluß ziehen, daß das Gericht entgegen der h.M. folglich auch keine Zwangsmaßnahmen gegen Zeugen dieser Altersgmppe im Falle ihres Nichterscheinens verhängen dürfte.
Nelles, Persönlichkeitsrechte, S. 211,224. Nelles, Persönlichkeitsrechte, S. 211,224. 45 Nelles, Persönlichkeitsrechte, S. 211, 217, Fn. 31. Zur grundsätzlichen Zeugenpflicht des Zeugen auch bei Vernehmungen durch die Polizei vgl. KK-Wache § 163, Rdnr. 15. 46 Ausführlich zur Verhängung von Ordnungs- und Zwangsmitteln gegen MindeIjährige, vgl. 4. Kap. C. I. 4. b). 47 Maier, KJ 1997,322, 324ff. 48 Maier, KJ 1997,322,324. 43
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D. Ansätze zur Vemeinung der Zeugenpflicht Minderjähriger
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11. Ansatzpunkt Staatsbürgerpflicht
Eine Ablehnung der Zeugenpflichten Minderjähriger kann aus der Tatsache gefolgert werden, daß diese Bürger noch keine Pflichten dem Staat gegenüber zu errullen haben. 49 "Wer Pflichten gegenüber dem Staat zu errullen hat und dazu zwangsweise angehalten werden kann, dem muß grundsätzlich der Weg der rechtlichen und politischen Einflußnahme auf den Staat eröffnet sein. Von daher lassen sich staatsbürgerliche Mitwirkungspflichten nur rur Bürger legitimieren, die mindestens das Wahlalter erreicht haben."so Das deutsche Recht kennt nach der Ansicht von Nelles keine Pflichten von Kindern, die diese im Interesse des Staates zu errullen haben. sl Nur Pflichten, die im Eigeninteresse der Minderjährigen lägen, könnten diesen auch auferlegt werden. Als Beispiel rur eine Pflicht, die das Kriterium des Eigeninteresses erfiillt, nennt Nelles "die Schulpflicht, durch die der Staat seinem Erziehungsauftrag (Art. 7 GG) nachkommt und gewährleistet, daß allen Kindern und Jugendlichen ihren Fähigkeiten entsprechende Bildungsmöglichkeiten eröffnet werden."s2 Die Schulpflicht "dient also dem wohlverstandenen Interesse des Kindes". Die Zeugenpflicht wäre keine solche Pflicht, die im Eigeninteresse des Minderjährigen liegt und kommt daher erst gar nicht zur Entstehung. 111. Stellungnahme zum Grundsatz der Zeugenpflicht Minderjähriger 1. Ansatzpunkt Ladung
Der Schluß, daß nur diejenige Ladung, deren Nichtbefolgen rechtliche Konsequenzen mit sich bringt, eine Zeugenpflicht begründen kann, darf nicht gezogen werden. Selbstverständlich setzt die Sanktionierung einer Pflicht logischerweise die Existenz dieser Pflicht voraus, doch nicht die Sanktionierungsmöglichkeit entscheidet über die Existenz einer Pflicht: s3 Die Strafprozeßordnung kennt sehr wohl nicht sanktionierte Pflichten. s4 Ne/les, Persönlichkeitsrechte, S. 211, 218 ff. so Nelles, Persönlichkeitsrechte, S. 211, 218. SI Nelles, Persönlichkeitsrechte, S. 211, 219. 52 Nelles, Persönlichkeitsrechte, S. 211, 219. 53 Aus dem römischen Privatrecht der Antike kennt man beispielsweise leges imperfeetae, die weder Nichtigkeit noch Strafe androhten, deren Einhaltung aber vom Prätor mit seinen rechtlichen Machtmitteln durchgesetzt wurde; vg1. Kaser, Römisches Privatrecht, S. 58. 54 Eine nicht sanktionierte Pflicht ist beispielsweise die Pflicht des Gerichts zur Erstellung einer Liste der angewendeten Strafvorschriften (nach Paragraph, Absatz, Num49
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3. Kap.: Die grundsätzliche Zeugenpflicht MindeIjähriger
So ist beispielsweise auch der von der Polizei nach § 163 a Abs. 5 StPO im Ermittlungsverfahren zur Vernehmung geladene Zeuge zur Aussage verpflichtet, selbst wenn er nicht zum Erscheinen gezwungen werden kann. 55 Dieser Grundsatz ist auf die Zeugenpflicht von Kindern zu übertragen: Deren Nichterscheinen bleibt trotz Ladung folgenlos mangels der Möglichkeit der Verhängung von Ordnungsmitteln. Die Zeugenpflicht bleibt dennoch eine grundlegende Staatspflicht des Bürgers und darf nicht von möglichen Zwangsmaßnahmen abhängig gemacht werden, die mit ihrem Nichtbefolgen verbunden sind. Von der Zeugenpflicht zu differenzieren ist die Tatsache, daß das Nichterscheinen eines minderjährigen Zeugen vor Gericht vergleichbar mit dem Nichterscheinen eines erwachsenen Zeugen vor der Polizei möglicherweise ohne Sanktionen bleibt. 56 Diese Unterscheidung ist mehr als die schon erwähnte irreführende Wortklauberei. 57 Die Pflichten der Menschen in einer Rechtsordnung können nicht abhängig gemacht werden von den Sanktionen, die bei einem Pflichtenverstoß verhängt werden dürfen. Manche Bürgerpflichten sind aus ihrer Notwendigkeit allein begründet; die Frage nach der Sanktion ist erst auf einer zweiten Stufe zu stellen. Jeder Zeuge hat die Pflicht, zur Person und zur Sache auszusagen, selbst wenn er nicht zu einer Aussage gezwungen werden kann. 58
2. Ansatzpunkt Staatsbürgerpflicht
Die fehlende politische Einflußnahme der MindeIjährigen auf den Staat ist kein Grund dafür, diese gleichzeitig von den Bürgerpflichten auszunehmen, die angeblich allein im Interesse des Staates liegen. So können Nelles' eigene Argumente dafür hergenommen werden, daß etwa die Schulpflicht als eine der elementaren Hauptpflichten, die Kinder ab 6 Jahren zu erfiillen haben, sehr wohl auch dem Staat zum Vorteil gereicht. Nicht richtig ist, daß die Schulpflicht nur dem "wohlverstandenen Interesse des Kindes" dient. Der Staat hat ein großes Interesse daran, daß seine Bürger umfassend qualifiziert und mer, Buchstabe mit der Bezeichnung des Gesetzes) in der Urteilsurkunde gemäß § 260 Abs. 5 StPO; siehe hierzu KK-Engelhardt § 260, Rdnr. 52. Ferner kann die Pflicht der Ermittlungsorgane aus § 81 d StPO - Untersuchung einer Frau - nicht sanktioniert werden; vgl. Gössel JZ 1984,361,362/ 55 Vgl. auch Meyer-Goßner § 163, Rdnr.37. Unklar insoweit HK-Krehl § 163 a, Rdnr. 12. 56 Siehe 4. Kap. C. I. 4. b). 57 So Nelles, Persönlichkeitsrechte, S. 211, 217, Fn. 31. 58 So im Fall der Zeugenvernehmung durch die Polizei auch KK-Wache § 163, Rdnr. 15.
D. Ansätze zur Vemeinung der Zeugenpflicht Minderjähriger
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staatsbürgerlich, sozial sowie kulturell gebildet sind. Eine funktionierende Demokratie und ein modemes Wirtschaftssystem mit Analphabeten sind schwer denkbar. Bildung ist in einer Wettbewerbs gesellschaft nicht nur für den Einzelnen, sondern für die Allgemeinheit ein erstrebenswertes Gut. Zudem muß der Staat seinen Erziehungsauftrag erfüllen. Somit liegt die Schulpflicht immer auch im Interesse des Staates. 59 Vergleichbares läßt sich für die Zeugenpflicht nachweisen. Ein Strafverfahren dient nach Nelles nur der Durchsetzung des staatlichen Strafanspruchs und wird nicht im Interesse des Opferzeugen geführt. Schon diese Prämisse ist zweifelhaft. Ermöglicht doch die Bestrafung des Täters dem Opfer, unter Umständen seine Angst und die Aggression gegen den Täter abzubauen, indem es sich mit der strafenden Justiz identifiziert. 6o Nach der hier abgelehnten Ansicht wäre noch nicht einmal für den minderjährigen Opferzeugen eine Zeugenpflicht konstruierbar. Erst recht müßte demnach eine Zeugenpflicht für einen an der Tat unbeteiligten Zufallszeugen abgelehnt werden, da die Durchführung des Strafverfahrens in der Regel noch weniger als beim Opferzeugen in dessen Interesse liegen wird. Ihm wird die Bestrafung eines Straftäters regelmäßig sogar gleichgültig sein. Es müßte daher die Zeugenpflicht des eingangs erwähnten 14jährigen Jugendlichen abgelehnt werden, der einen Verkehrsunfall beobachtet hat. Diese Ansicht schießt jedoch weit über das Ziel hinaus. Das Argument des Wahlrechts vermag ebenfalls nicht zu überzeugen. 61 Die Formel "Wer keine Rechte hat, also nicht durch eine Wahl, Einfluß auf den Staat nehmen darf, hat auch keine Pflichten zu erfüllen" stimmt nicht. In den Jahren 1996 bis 1999 haben sechs Bundesländer das Wahlalter bei Kommunalwahlen auf 16 Jahre gesenkt. 62 Soll die Zeugenpflicht gar abhängig gemacht werden von dem Wohnort des jeweiligen Zeugen? Es ergäbe sich die absurde Situation, daß ein Jugendlicher, der in Schleswig-Holstein bei Kommunalwahlen wahlberechtigt ist, damit gleichzeitig die Zeugenpflicht auferlegt bekommen hätte. Einen bayerischen Jugendlichen ohne entsprechendes Wahlrecht in seinem Bundesland träfe die Zeugnispflicht dagegen nicht. Die Staatsbürgerpflicht, Zeugnis geben zu müssen, ist gerade nicht an irgendeine Altersgrenze anzuknüpfen. 63 Mit den gleichen Argumenten müßte konsequenterweise eine Zeugenpflicht von Ausländern, die in Deutschland leben, ohne das allgemeine Wahlrecht zu besitzen, abgelehnt werden. Die Zeugenpflicht kann nicht von eiNelles, Persönlichkeitsrechte, S. 211,219; BVerfG JZ 1986, 1019. Streng ÖJZ 1994, 145, 149. 61 Kritisch auch Kipper, Schutz, S. 79. 62 Ähnlich argumentiert Keiser, Kindeswohl, S. 92. 63 So auch Keiser, Kindeswohl, S. 92. 59
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3. Kap.: Die grundsätzliche Zeugenpflicht Minderjähriger
nem Wahlrecht abhängig gemacht werden. Wer in einer Rechtsordnung lebt, hat viele Rechte, aber eben auch Pflichten. Kinder (und deren Eltern) haben das Recht auf einen Kindergartenplatz und später sogar auf eine kostenlose Schulbildung. Sie sind Staatsbürger von Geburt oder Einbürgerung an; eine Altersgrenze rur die Staatsbürgerschaft gibt es nicht. Minderjährige können gewisse, ihnen zumutbare - diesen einzig entscheidende Punkt gilt es noch zu klären Pflichten errullen. Das Wahlrecht und das Wahlalter dürfen bei der Beantwortung der Frage nach einer Zeugenpflicht jedenfalls keine Rolle spielen. Zudem bringt die hier abgelehnte Ansicht Klärungsbedarf mit sich. Wie hat das Gericht mit einem Kind zu verfahren, das ohne eine grundsätzliche Zeugenpflicht zu haben dennoch als Zeuge vor Gericht erscheint und aussagebereit ist. Darf das Gericht diesen freiwilligen Zeugen überhaupt befragen; durfte im Vorfeld eine Ladung ergehen? Muß auf die Freiwilligkeit des Erscheinens in der Ladung hingewiesen werden? Maier kommt lediglich zum Ergebnis, daß der Zeugenbeweis des Kindes, "egal, ob der Zeuge erscheint oder nicht", durch den Urkundenbeweis ersetzt werden kann. 64 Es stellt sich die Frage, ob ein aussagebereiter Minderjähriger, der sich von der Hauptverhandlung sogar Chancen rur die Bewältigung des Erlebten verspricht, mehr oder minder übergangen werden kann. Zudem fällt auf, daß fast automatisch von der grundsätzlichen Existenz eines entsprechenden Urkundenbeweises ausgegangen wird. Man fordert zwar, die ermittlungsrichterliche Vernehmung des Minderjährigen auf Video aufzuzeichnen und in der Hauptverhandlung die Videokonserve als Ersatz rur die persönliche Vernehmung abzuspielen,65 offen wird in den Überlegungen gelassen, warum - ohne eine entsprechende Zeugenpflicht - eine solche Videokonserve überhaupt entstanden sein soll. Doch Zeugenschutzproblematiken können nicht im Hauruckverfahren durch eine grundsätzliche Verneinung der Zeugenpflicht gelöst werden. Minderjährige Zeugen sind nicht nur Opferzeugen, sondern auch reine Zufallszeugen. Es besteht nach den bisherigen Ergebnissen der Arbeit kein Anlaß, auf mindetjährige Zeugen von vornherein zu verzichten. Sie sind als gemeinschaftsbezogene Persönlichkeiten Träger von staatsbürgerlichen Pflichten. 66 Der Ansatzpunkt rur eine mögliche Verneinung einer Zeugenpflicht muß in jedem Fall ein anderer sein.
64
Maier KJ 1997,322,323.
66
Kaiser, Kindeswohl, S. 99.
65 Beispielsweise Maier KJ 1997, 322 ff.
D. Ansätze zur Vemeinung der Zeugenpflicht Minderjähriger
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IV. Verneinung der Zeugenpflicht zum Wohle des Kindes? 1. Das Prinzip des Kindeswohls im Strafverfahren
Eine grundsätzliche Verneinung der Zeugenpflicht von minderjährigen Zeugen scheidet bislang aus. Es bleibt gleichwohl zu bedenken, ob auf einen minderjährigen Zeugen aus Gründen des Kindeswohls nicht verzichtet werden muß - und zwar selbst dann, wenn es dadurch zu einer Einstellung des Verfahrens oder zu einem Freispruch des Angeklagten mangels Beweisen kommt. Es sind im folgenden zwei Überlegungen anzustellen: Einmal die Frage, ob das Kindeswohl ein im Strafverfahren zu beachtendes Prinzip darstellt. Und zum anderen, ob das Kindeswohl eines minderjährigen Zeugen durch seine Vernehmung in einem Strafverfahren in beachtenswerter Weise beeinträchtigt wird. Es sind daher die Ergebnisse von Untersuchungen über Schädigungen des Zeugen durch das Strafverfahren auszuwerten und zu berücksichtigen. Steht das Kindeswohl im Zentrum aller Überlegungen und ist gleichzeitig eine Schädigung des Kindes durch das Strafverfahren indiziert, so gewinnt die Frage der Zumutbarkeit der Zeugenpflicht an Brisanz. Könnte das Kindeswohl durch eine Zeugenvernehmung trotz der Möglichkeit verschiedener Zeugenschutzmaßnahmen, wie beispielsweise der Entfernung des Angeklagten aus dem Sitzungssaal (§ 247 StPO) oder der audiovisuellen Zeugenvernehmung (§ 247 aStPO), so beeinträchtigt sein, daß trotz dieser Maßnahmen die Zeugenpflicht des minderjährigen Zeugen entfallen muß? De lege lata findet sich zum Kindeswohl in der Strafprozeßordnung keine dem Zivilrecht vergleichbare Regelung. Entsprechend dem Sprachgebrauch im Bürgerlichen Gesetzbuch, aber auch der Legaldefinition in Art. 1 des Übereinkommens über die Rechte des Kindes 67 (Childrens Rights Convention - CRC), auf das noch eingegangen wird, sind dem Begriff des Kindeswohls die schutzwürdigen Interessen aller Minderjährigen unterzuordnen, also auch die der Jugendlichen ab 14 Jahren, die nach rein strafrechtlichen Grundsätzen eigentlich keine Kinder mehr wären (vgl. § 19 StGB e contrario, § 1 Abs. 2 JGG). Das Prinzip des Kindeswohls meint strenggenommen das Minderjährigenwohl, und es ist mit der gerichtlichen Fürsorgepflicht nicht ganz deckungsgleich, der es zwar ebenfalls an einer eigenständigen Normierung in der Strafprozeßordnung fehlt,68 die aber anerkanntermaßen als selbständiges Institut des Strafverfahrens aus dem Grundsatz des sozialen Rechtsstaats hergeleitet wird,69 um so das 67 BT-DruckS. 14/6241, S. 26.
Kaiser, Kindeswoh1, S. 131. LR-Rieß Einl. Abschn. H, Rdm. 120 ff.; vgl. auch Roxin, Strafverfahrensrecht, § 42, Rdnr. 23 ff. 68 69
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3. Kap.: Die grundsätzliche Zeugenpflicht MindeIjähriger
"Übergewicht der staatlichen Rechtsrnacht" zu regulieren. 7o Da es sich bei dem Kindeswohl um eine kindesspezijische Ausgestaltung der Menschenwürde und des Rechts auf freie Entwicklung der Persönlichkeit handelt, müßte eine Fürsorgepflicht des Gerichts speziell für die Zeugengruppe der Minderjährigen erst aus dem Kindeswohl abgeleitet werden, und demzufolge käme dem Fürsorgegrundsatz keine eigenständige Bedeutung ZU. 71 Könnte man von der gesicherten Kenntnis der sekundären Schädigung 72 durch eine Einbindung in einem Strafverfahren ausgehen, könnte die Zeugenpflicht gerade für minderjährige Opferzeugen regelmäßig unverhältnismäßig sein. Das sogenannte Wächteramt des Staates verpflichtet diesen, die Wahrnehmung der Elternverantwortung zu ermöglichen und dadurch die Überwachung, Pflege und Erziehung des Kindes sicherzustellen. 73 Im Mittelpunkt der Überlegungen zur Verhältnismäßigkeit einer gerichtlichen Maßnahme steht erneut das Wohl des Kindes, an dem der Staat seine Maßnahmen ausrichten muß, die dann gegebenenfalls sogar in den elterlichen Erziehungsprimat eingreifen dürfen. 74 Allerdings ist das Kindeswohl in diesem Kontext auf das Verhältnis StaatEltern-Kind bezogen. Nur wenn sich Eltern konträr zum Wohl ihres Kindes verhalten, ist der Staat gefordert. Denkbar wäre der sehr konstruierte Fall, daß Eltern wollen, daß ihr Kind als Zeuge aussagt, obwohl gewisse Tatsachen dafür sprechen, daß eine solche Aussage das Wohl des Kindes gefährden würde. Dann wäre das Eingreifen des Staates als Wächter über Wohl und Wehe des Kindes gefordert. Die konkreten Fälle in der Praxis sind jedoch genau anders herum gelagert: Eltern wollen die Aussage ihres Kindes verhindern und begründen dies mit der Gefährdung des Kindeswohls. Der Staat besteht im Gegenzug auf einer Vernehmung des minderjährigen Zeugen. Das Kindeswohl spielt bei vormundschaftlichen Entscheidungen, etwa zu Fragen des Sorgerechts, immer den grundlegenden Maßstab aller Überlegungen. Es gilt zumindest im Bürgerlichen Gesetzbuch als ordre public und ist allgemeines Prinzip gemäß § 1697 a BGB. 75 Was unter diesem unbestimmten Rechtsbegriff genau zu verstehen ist, wurde nirgends eindeutig mit einer Sachdefinition festgelegt, wohl auch mangels griffiger Definition. 76 Vage bedeutet das Wohl des Kindes dessen Recht "auf Förderung seiner Entwicklung und auf Gössel, Strafverfahrens recht, S. 166. Kaiser, Kindeswohl, S. 131. 72 Ausfiihrlich zu diesem Begriff siehe 3. Kap. D. IV. 2. 73 BVerfGE 24, 144; 60, 88. 74 BVerfGE 72, 134. 75 BGH NJW 1993,848; Palandt-Diederichsen Einfv § 1626, Rdnr. 1. 76 Zur Kritik an dem Begriff vgl. Kaiser, Kindeswohl, S. 53 ff. 70 71
D. Ansätze zur Vemeinung der Zeugenpflicht Minderjähriger
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Erziehung zu einer eigenverantwortlichen und gemeinschaftsfahigen Person.,,77 Leichter als die positive Begriffsbestimmung lassen sich im Gegenzug Kindeswohlgefahrdungen feststellen; eine Begriffsannäherung, mit der solide zu arbeiten ist. Trotz vieler Reformbemühungen in jüngster Zeit hat das Kindeswohl als Prozeßmaxime noch nicht seinen Einzug in das Strafverfahren gefunden. Lediglich in den Vorschriften § 241 a Abs.3 Satz 2 und § 247 Satz 2 sowie § 247 a Satz 1 StPO wird ausdrücklich auf das Wohl der bzw. des Zeugen Bezug genommen. Da diese Normen speziell die Vemehmungsgestaltung von mindeIjährigen Zeugen in der Hauptverhandlung regeln, legt das die Annahme nahe, daß der Gesetzgeber auf das Kindeswohl abstellen wollte. 78 Dennoch dürfen die Begriffe nicht ohne weiteres inhaltlich gleichgesetzt werden. 79 Weder das Gerichtsverfassungsgesetz noch die Strafprozeßordnung kennen derzeit diesen Begriff. Zwar wurde das Kindeswohl nach dem Übereinkommen der Vereinten Nationen über die Rechte des Kindes vom 20. November 1989 zum Leitprinzip aller Maßnahmen 80 - ausdrücklich sind in Art. 3 Abs. 1 CRC auch solche von Gerichten genannt81 - erhoben, doch noch ist strittig, ob das Übereinkommen den Gesetzgeber auf nationaler Ebene überhaupt zum Handeln zwingt; die innerstaatliche Wirkung der Konvention ist eher zweifelhaft. 82 Allerdings hatte die Bundesrepublik Deutschland bei Hinterlegung der Ratifikationsurkunde erklärt, daß sie das Abkommen zum Anlaß nehmen werde, Reformen auf nationaler Ebene in die Wege zu leiten. 83 Obwohl im Strafverfahren diese Prämisse bisher nicht gesetzlich verankert ist, könnte das Kindeswohl aus verfassungsrechtlichen Gründen gleichwohl "den inhaltlichen Richtpunkt für die Gestaltung des Umgangs mit MindeIjährigen im Strafprozeß" bieten. 84 Doch in den Wortlaut des Grundgesetzes hat das Kindeswohl ebenfalls noch keinen Einzug gehalten; es ist folglich kein eigenständiges Grundrecht. Da das staatliche Wächteramt nur die Beziehung des 77 Diese Definition wurde § I Abs. I SGB VIII entnommen, vgl. PalandtDiederichsen § 1671, Rdnr. 2l. 78 Kipper, Schutz, S. 24. 79 Keiser, Kindeswohl, S. 54. 80 BGBI. 11 1992, S. 122; siehe auch BT-DruckS. 12/42 S. 29 ff. 8\ Art. 3 Abs. I CRC: "Bei allen Maßnahmen, die Kinder betreffen, gleichviel, ob sie von öffentlichen oder privaten Einrichtungen der sozialen Fürsorge, Gerichten, Verwaltungsbehörden oder Gesetzgebungsorganen getroffen werden, ist das Wohl des Kindes ein Gesichtspunkt, der vorrangig zu berücksichtigen ist." Vgl. BT-DruckS. 14/6241, S.26. 82 Stöcker FamRZ 1992,245,252. 83 BGBI. 11 1992, S. 990. 84 Keiser, Kindeswohl, S. 22.
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3. Kap.: Die grundsätzliche Zeugenpflicht MindeIjähriger
Kindes zu seinen Eltern betrifft, vennag dieses keinen allgemeinen Grundsatz nach Berücksichtigung des Kindeswohls in einem Strafverfahren zu begründen. Denkbar ist dies nur in Fällen, in denen ein minderjähriger Zeuge beispielsweise gegen seine Eltern aussagen soll. Dann stellt die Gefährdung des Kindeswohls eine Legitimation rur einen staatlichen Eingriff in die Familie dar. Als Zwischenergebnis muß festgehalten werden, daß das Prinzip des Kindeswohls innerhalb des Wirkungsbereiches des staatlichen Wächteramtes gemäß Art. 6 Abs. 2 Satz 2 GG kein generell rur das Strafverfahren beachtliches Gebot staatlichen Handeins darstellt. 85 Lediglich mittelbar mag das Prinzip über Art. 6 GG in den Strafprozeß einfließen, nämlich dann, wenn Eltern die Vernehmung ihres Kindes verhindern wollen und sich darauf berufen, diese gefährde das Wohl ihres Kindes. Das Gericht hat diesen Einwand dann zumindest zu prüfen. Ein originäres Grundrecht eines Kindes auf sein Kindeswohl ist aus Art. 6 GG jedoch nicht herzuleiten. Doch auch außerhalb des Wirkungsbereichs des staatlichen Wächteramtes kann das Kindeswohl ein rur das Strafverfahren beachtliches Gebot staatlichen Handeins sein. 86 Zwar ist das Kindeswohl, wie festgestellt, kein eigenes Grundrecht, doch nach richtiger Ansicht des Bundesverfassungsgerichts stellt ein Kind "ein Wesen mit eigener Menschenwürde und dem eigenen Recht auf freie Entfaltung seiner Persönlichkeit im Sinne der Art. 1 Abs. 1 und Art. 2 Abs. 1 GG" dar. 87 Das Kindeswohl ist somit als Ausdruck des allgemeinen Persänlichkeitsrechts eines Kindes und als ein Sammelbegriff rur die Grundrechtspositionen eines Kindes zu verstehen und somit bei allen Maßnahmen des Staates zu berücksichtigen. Es ist eine spezifische Ausprägung des Grundsatzes der Unantastbarkeit der Menschenwürde und des Rechtes auf eine freie Entfaltung der Persönlichkeit. Im Ergebnis ist das Kindeswohl ein im Strafverfahren beachtliches Prinzip staatlichen Handelns. 88 Zeugenschutz ist immer auch ein Gebot des Grundgesetzes und keine reine Angelegenheit der Strafprozeßordnung. 89 Bietet das Prozeßrecht dem minderjährigen Zeugen keinen hinreichenden altersspezifischen Schutz, muß auf ihn als Zeugen verzichtet werden. An Brisanz gewinnt die Berücksichtigung des Kindeswohls erst, wenn unzweifelhaft feststeht, daß durch die Zeugenposition in einem Strafverfahren das Wohl eines Minderjährigen gefährdet ist. In den Mittelpunkt der Untersuchung muß nun die Frage gerückt werden, inwiefern die strafrechtliche Aufarbeitung Keiser, Kindeswohl, S. 87. Keiser, Kindeswohl, S. 83 ff. und S. 87. 87 BVerfGE 24, 119, 144; 55, 171, 179; BVerfG NJW 1989,519,520. 88 Ausruhrlich hierzu Keiser, Kindeswohl, S. 79 ff. V gl. auch Kipper, Schutz, S. 24 ff. 89 Zacharias, Gefährdeter Zeuge, S. 374. 85
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D. Ansätze zur Vemeinung der Zeugenpflicht Minderjähriger
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einer Straftat zu Schädigungen für den minderjährigen Zeugen führt. Dies ist entscheidend für die Beurteilung des Rechtsgüterschutzes durch die vorhandenen Strafnonnen. Wenn ein Kind oder ein Jugendlicher "erst durch die Anwendung dieser Nonnen in einem traumatisierenden Verfahren geschädigt wird, erscheint der angestrebte Schutz [... ] auf den Kopf gestellt.,,9o Sowohl die Elternrechte als auch die des Kindes würden unverhältnismäßig tangiert.
2. Sekundäre Schädigung
Daß die Rolle eines Zeugen in einem Strafverfahren für fast jeden Minderjährigen eine psychische Belastung bedeutet, kann als feststehende Tatsache angesehen werden. Einer aktuellen Verunsicherung durch ein Verfahren werden auch viele erwachsenen Zeugen ausgesetzt sein, sogar Berufszeugen wie Polizeibeamte erlebt man nervös und angespannt vor Gericht. Neben der aktuellen Anspannung durch das Verfahren können minderjährige Zeugen an verfahrensindizierten langfristigen Schädigungen zu leiden haben. Im Zusammenhang mit dem Belastungserleben gerade von Opfern von Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung wird meist von sekundärer Viktimisierung oder Traumatisierung, beide Begriffe werden gleichbedeutend benutzt, gesprochen. Das Phänomen wird schon seit 30 Jahren untersucht. Gemeint ist damit eine die Opferrolle verstärkende soziale Reaktion auf die ursprüngliche Viktimisierung. Während unter dem Begriff der primären Viktimisierung alle mit der Straftat selbst verbundenen körperlichen und seelischen Verletzungen des Opfers zusammengefaßt werden, meint die sekundäre Viktimisierung "eine Verschärfung des primären Opferwerdens durch Fehlreaktionen des sozialen Nahraums des Opfers und der Instanzen der fonnellen Sozialkontrolle.,,91 Fehlreaktionen können von Verwandten, Freunden und Bekannten des Opfers, von seiten der Medien, des Angeklagten und dessen Anwalts, sowie von Polizei, Staatsanwaltschaft und Gericht herrühren. Unabhängig davon, ob sich die These von der sekundären Schädigung durch das Strafverfahren als haltbar erweist, sollte mit dem Begriff von vornherein besonders zurückhaltend umgegangen werden. Es besteht die erhebliche Gefahr, daß nicht mehr der Angeklagte im Mittelpunkt der Vorwürfe steht, sondern plötzlich der Staat als Ankläger, was Wilmer, Mißbrauch, S. 129. Schneider, Opfer, S. 16, und Kriminologie, S. 776; Zur Vollständigkeit muß auch auf die tertiäre Viktimisierung hingewiesen werden, die dann vorliegen soll, wenn ein Opfer seinen Opferstatus in das eigene Selbstbild aufnimmt; vgl. Göppinger, Kriminologie, S. 16. Gar zu einer quartären Viktimisierung kommt Baurmann, Sexualität, S. 39 ff. Zum zweifelhaften Nutzen dieser Ausdifferenzierungen siehe Streng ÖJZ 1994, 145,146. 90
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3. Kap.: Die grundsätzliche Zeugenpflicht Mindetjähriger
zu einer unerträglichen Zurückstellung und damit Verharmlosung der Tat selbst führt. Unbestritten gehen die Strafverfolgungsbehörden gelegentlich in geradezu erniedrigender Weise mit den Opfern und Zeugen von Straftaten um. Gerade wenn beispielsweise eine Opferzeugin durch eine Straftat gemäß § 176 StGB sexueller Mißbrauch von Kindern - eines Täters verletzt wurde, der aus ihrem sozialen Nahbereich stammt, kann das Strafverfahren für sie zur Zerreißprobe werden. Die Minderjährige leidet schon vor dem Strafverfahren unter der Stigmatisierung durch Nachbarn, aber auch der eigenen Familie, etwa in der Art, daß ihr der Eindruck vermittelt wird, sie sei schuld, daß "der Papa ins GeHingnis" muß. Vor Gericht befindet sie sich dann nach ihrem Empfinden in einer "no-win-situation,,:92 Sagt die Zeugin gegen ihren Vater aus, wird die Familie vielleicht auseinandergerissen. Macht sie keine Aussage, ist sie möglicherweise weiterhin dem Vater ausgeliefert. Doch diese Schwierigkeiten eines Zeugen alleine rechtfertigen noch nicht die Annahme einer Sekundärschädigung durch den Strafprozeß. Von einer sekundären Schädigung ist erst dann zu sprechen, wenn durch das Strafverfahren langfristige Schäden etwa in Form von Verhaltensauffälligkeiten bei dem Minderjährigen verursacht werden, die in ihrer Intensität sogar über die durch eine Straftat zugefügten Schäden hinausgehen können. Problematisch ist, ob der eingangs aufgeworfene Begriff der Fehlreaktion, die zu einer Verschärfung des primären Opferwerdens führt, überhaupt paßt: Wird ein Strafverfahren unter Ausschöpfung aller Zeugen- und Opferschutzmaßnahmen durchgeführt, könnte das Opfer allein durch die Erinnerung an das Erlebte erneut traumatisiert werden. Ist eine Viktimisierung nicht möglicherweise strafverfahrens immanent und nicht nur dann die mögliche Folge, wenn Beteiligte Fehler gemacht haben, etwa eigentlich notwendige Maßnahmen unterlassen haben, wie die vorübergehende Entfernung des Angeklagten gemäß § 247 Satz 2 StPO. Pointiert gefragt könnte das Strafverfahren selbst vom Standpunkt des Kindeswohls aus gesehen die Fehlreaktion auf eine Tat sein? Die Möglichkeit sekundärer Viktimisierung wird regelmäßig im Zusammenhang mit Opferzeugen diskutiert, in erster Linie mit Kindern, die sexuell mißbraucht worden sind. Gerade Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung von Kindern können neben einer sichtbaren Körperverletzung eine Vielzahl von psychischen Beschwerden auslösen, die den Opfern auch im Erwachsenenalter noch zu schaffen machen und beispielsweise deren Beziehungsfähigkeit beeinträchtigen. Sexueller Mißbrauch ist die Ursache vieler psychischer und sozialer Auffälligkeiten. Die Opfer leiden überdurchschnittlich oft an
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SaUer, Sexueller Mißbrauch, S. 131, 142.
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Schlafstörungen, Angstzuständen, Konzentrationsschwierigkeiten, Depressionen und Eßstörungen; sie unternehmen häufiger als Gleichaltrige einen Selbstmordversuch. 93 Hinzu kommt, daß durch die Strafverfolgung des sexuellen Mißbrauchs angeblich nicht selten das erreicht wird, was die Vorschrift des § 176 StGB verhindern möchte, nämlich eine sexuelle Fehlentwicklung des Opfers. 94 In dieser Konsequenz müßten dann sogar Alternativen zum herkömmlichen Strafverfahren erwogen werden. 9s Diese These scheint insofern gewagt, als schon die rigide Trennung zwischen primären und sekundären Schäden schwer durchfuhrbar ist. 96 Der gesicherte Nachweis eines jeweiligen Ursachenzusammenhangs ist jedenfalls kaum zu fuhren. Doch eine mögliche Ausnahme von der generellen Zeugenpflicht dürfte konsequenterweise nicht nur fur die Opferzeugen in Erwägung gezogen werden. Nicht übersehen werden darf, daß eine sekundäre Schädigung durchaus auch bei Nichtopferzeugen denkbar ist. Der Begriff des Opfers darf nicht im engen Sinne verstanden werden; gelegentlich wird vom mittelbaren Opfer gesprochen. 97 Auch ein Kind, das Zeuge eines sexuellen Mißbrauchs des Vaters an der Schwester wurde, kann im psychischen Sinne Opfer dieser Tat sein. Gerade Gewalttätigkeiten innerhalb der Familie lassen nicht nur die eigentlich Verletzten zum Opfer werden. Ein Kind als unfreiwilliger Beobachter einer Tat mag sogar noch stärker durch diese belastet sein als beispielsweise die eigentlich betroffenen jüngeren Geschwister. Das Strafverfahren könnte bei diesem Kind traumatische Folgen haben. Denkbar wäre auch der Fall eines Jungen, der Augenzeuge eines durch einen betrunkenen Autofahrer verursachten Verkehrsunfalls wurde, bei dem seine Eltern tödlich verunglückten. Eine Aufgabe als Zeuge in einem Strafverfahren kann fur ihn eine unerträgliche Situation darstellen, der er nicht gewachsen ist. Man sollte sich daher von dem engen Begriff der sekundären Traumatisierung lösen und sich überlegen, ob ein Kind Nichtopferzeuge oder Opferzeuge - die Gerichtssituation psychisch bewältigen kann oder ob der Verarbeitungsprozeß des Erlebten hierdurch so massiv gestört wird, daß die ganze Zeugenrolle fragwürdig erscheint. Die Spannhreite der Ansichten zur sekundären Schädigung ist groß; die Gräben zwischen den beiden verhärteten Fronten sind tief. Daß der Strafprozeß eine erneute Schädigung des Opfers mit sich bringt, galt lange Zeit fast schon
93 Baurmann, Sexualität, S. 459 ff.; Wilmer, Sexueller Mißbrauch, S. 119; Bange / Deegener, Sexueller Mißbrauch, S. 59 ff.; Fegert, Psychische Folgen, S. 41 ff. 94 Kaiser, Kriminologie, § 65, Rdnr. 46; Wilmer, Sexueller Mißbrauch, S. 129 f. 9S SO beispielsweise Schaaber, Strafprozeß, S. 69, 75; Salier, Sexueller Mißbrauch, S. l31, 145. 96 Eisenberg, Kriminologie, § 53, Rdnr. 16. 97 Streng ÖJZ 1994, 145, 148.
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3. Kap.: Die grundsätzliche Zeugenpflicht MindeIjähriger
als feste Größe. 98 Zum Teil wurde das Verfahren gar als eine "Wiederholung der Mißbrauchssituation" eingestuft. "So wird der Prozeß zur Verlängerung des sexuellen Mißbrauchs in dem Sinne, daß er mit dem erneuten Durchleben der Gewalthandlungen, mit neuen Erfahrungen von Ohnmacht, Ausgeliefertsein und Fremdbestimmtsein verbunden ist.,m Allein durch die strafprozessualen Vorschriften würde sich rur das Kind die Gewaltsituation wiederholen: loo Wie in der Ausbeutungssituation werde auch hier das Kind benutzt zur Befriedigung fremder Bedürfnisse und hätte keine Kontrolle über das, was passiert. Die Intimsphäre des Kindes werde verletzt zum Zwecke der Beweisruhrung. Es werde benutzt zur Überruhrung des Täters. Das staatliche Strafbedürfnis und das psychische Strafbedürfnis des Kindes seien zwei voneinander absolut verschiedene Bedürfnisse. Nach Dippel richtet nicht das Sittlichkeitsverbrechen, sondern die emotionale Reaktion der Eltern, der Polizei und anderer Erwachsener den eigentlichen Schaden an. lol Kaiser geht ohne jede Begründung von der folgenden Prämisse aus: "Übereinstimmend wird dagegen angenommen, daß das gesamte Strafverfahren mit seinen wiederholten Vernehmungen rur das Kind oft schädlicher ist als die Tat selbSt."I02
In einem Pressebericht zu den sogenannten Wormser Prozessen 103 heißt es, daß die Vernehmungen rur die mißbrauchten Kinder zu einer neuen Folter werden könnten. I04 Weiter wird angenommen, daß eine Aussage der Kinder vor Gericht vermutlich schwere psychische Schäden zur Folge hätte. Es schien damit rur die Öffentlichkeit festzustehen, daß es eindeutige empirische Befunde zur sekundären Traumatisierung, die rur eine Weiterentwicklung der Stellung des minderjährigen Zeugen und rur die Einschränkungen der Grundsätze der Unmittelbarkeit und Mündlichkeit der Hauptverhandlung oder gar eine Ablehnung der Zeugenpflicht sprechen. lOS Die These der sekundären Schädigung beherrschte über einen längeren Zeitraum nahezu ungeprüft die gesamte Diskussion, wohl auch deshalb, weil ihre Begründungen zunächst plausibel klingen. 106
Albrecht, Kindliche Opferzeugen, S. 3, 6. Günther / Kavemann /Ohl, Modellprojekt, S. 231. IOD Salier, Sexueller Mißbrauch, S. 131, 141. 101 Dippel, FS Tröndle, S. 599, 603. 102 Kaiser, Kriminologie, § 65, Rdnr. 46. 103 Unter dem Schlagwort "Wormser Prozesse" sind drei parallel verlaufende Strafverfahren wegen des sexuellen Mißbrauchs von Kindern zu verstehen, die vor dem Landgericht Mainz erstmals mit dem Einsatz von Videotechnik verhandelt wurden, vgl. auch 5. Kap. C. III. 1. 104 Bericht des Spiegels vom 21.11.1994, S. 81. Zu den Wormser Prozessen siehe auch die Ausfiihrungen zur Suggestibilität der minderjährigen Zeugen, 5. Kap. C. III. 1. 105 Albrecht, Kindliche Opferzeugen, S. 3, 6. 106 Pfäfflin StV 1997,95. 98
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D. Ansätze zur Vemeinung der Zeugenpflicht Minderjähriger
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Auch in ganz aktuellen Beiträgen ist nach wie vor davon die Rede, daß die Zeugenrolle des Opfers zumindest häufig mit der Gefahr der sekundären Viktimisierung verbunden ist. 107 Inzwischen ist die Rede davon, daß Alternativhypothesen zur sekundären Schädigung absichtlich gar nicht mehr wahrgenommen werden, da sie im aktuellen opferfreundlichen Klima rechtspolitisch unerwünscht seien. lOS Doch konträr zur Annahme einer zwingenden Sekundärschädigung durch ein Strafverfahren kann untersucht werden, ob Vernehmungen und eine öffentliche Aussage zur Sache zu einer besseren Verarbeitung des Erlebten ruhren könnten. Die Aussage mag sogar zur Entlastung des Opfers von der Primärviktimisierung ruhren. Die Möglichkeiten positiver Verarbeitung eines Gerichtsverfahrens scheinen erheblich unterschätzt zu werden. \09 Durch den Strafprozeß kann vielleicht die menschliche Würde wiederhergestellt werden. llo Die konsequente Bestrafung des Täters könnte rur das Opfer eine verbindliche Nachzeichnung der Demarkationslinie zwischen Recht und Unrecht werden. Dem Täter wird zudem Einhalt geboten, so daß die Gelegenheit zur Wiederholung der Tat nicht gegeben ist und damit das Geruhl der Ohnmacht beim Opfer zumindest nicht verstärkt wird. Am Rande mag staatliches Strafen schließlich als Ventil rur die der Viktimisierung entfließenden - freilich irrationalen, dem menschlichen Wesen aber gleichwohl immanenten - Empfindungen wie Wut, Aggression und Rachewünschen dienen. Strafe könnte dem Täter seine Überlegenheitsaura nehmen und dadurch beim Opfer das Unterlegenheitstrauma lindern. 111 An dieser Stelle der Untersuchung muß entgegen aller Vermutungen eingeräumt werden, daß in Deutschland noch zu wenig darüber bekannt ist, ob und wenn ja in welchem Umfang sekundäre Viktimisierung stattfindet. 112 Keineswegs kann ausgeschlossen werden, daß zumindest mit zunehmender Dauer des Strafverfolgungsganges und der Häufigkeit von Zeugenvernehmungen eines Kindes schädigende psychische Nebenwirkungen entstehen. I 13 Etwas blauäugig mutet da folgender Hinweis an die Eltern an, wie er beispielsweise in den Ladungsvordrucken Bayerns, Sachsens und Mecklenburg-Vorpommerns rur Zeugen unter 14 Jahren verwendet wird: "Es wäre unbegründet, wenn Sie sich wegen der Vernehmung des Kindes Sorgen machen würden. Die Vernehmung geKilchling NStZ 2002,57,58. Albrecht, Kindliche Opferzeugen, S. 3, 6. 109 Pfäfflin StV 1997, 95, 98. 110 Hinz DRiZ 2001, 321, 328 in seinen Überlegungen zum Ausbau der Nebenklage. 111 StrengÖJZ 1994, 145,149. 112 Pfäfflin StV 1997,95,97. Einen Überblick über vorhandene Studien gibt Kipper, 107
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Schutz, S. 61 ff. 113
Eisenberg, Kriminologie, § 53, Rdnr. 16.
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3. Kap.: Die grundsätzliche Zeugenpflicht MindeIjähriger
schieht in ruhiger und behutsamer Weise und beschränkt sich auf das Notwendigste. Jugendpsychologische Untersuchungen haben ergeben, daß eine solche Befragung Kindern nicht schadet." 114 Fakt ist, daß in Deutschland zum Belastungserleben von Minderjährigen als Zeugen bisher nur wenige Studien existieren. Ein Grund dafür mag sein, daß mögliche langfristige Schädigungen, die durch ein Strafverfahren bei dem Zeugen verursacht wurden, methodisch schwer nachzuweisen sind. Zudem ist nicht anzunehmen, daß potentiell belastende Aspekte eines Strafverfahrens auf alle Kinder in gleicher Weise wirken. 115 Entscheidend wirkt sich vielmehr aus, ob ein von Haus aus ängstliches Kind vor Gericht aussagen muß. Zu diesen personalen Faktoren wie eben Ängstlichkeit, aber im Gegensatz dazu auch der Optimismus eines Kindes, kommen die Art der Unterstützung in den Familien und viele weitere Konstellationen eines Einzelfalls hinzu. Um so verwunderlicher erscheint es deshalb, daß das Schlagwort der sekundären Schädigung möglicherweise voreilig als besonders effektive Waffe im Bestreben nach einem verbesserten Zeugenschutz eingesetzt wird. Falsch ist es zudem, die Erkenntnisse zur sekundären Viktimisierung allein auf amerikanische Studien zu stützen, denn die Ergebnisse aus dem angloamerikanischen Rechtsraum dürfen keineswegs unreflektiert auf hiesige Verhältnisse übertragen werden. \16 Das adversarische Strafprozeßrecht der Vereinigten Staaten unterscheidet sich so eklatant von unserem System - etwa durch die grundsätzliche Vernehmung des Zeugen durch den Anklagevertreter und der Verteidigung (das klassische Kreuzverhör).117 Zudem finden die Verhandlungen immer öffentlich und in Gegenwart des Angeklagten statt, so daß der Strafprozeß ungleich belastender für einen jungen Zeugen sein mag. Die Werkzeuge zum Schutze des Zeugen, wie die Vorschriften § 241 a (Vernehmung von Zeugen unter 16 Jahren durch den Vorsitzenden) und § 247 StPO (vorübergehende Entfernung des Angeklagten) sowie § 172 GVG (Ausschluß der Öffentlichkeit), gibt es vergleichbar im angloamerikanischen Rechtsraum nicht. Zur Beurteilung der Belastung der minderjährigen Zeugen ist es sinnvoll, zunächst kurz die Frage nach potentiellen Belastungsfaktoren im Strafverfahren zu untersuchen. Diese potentiell belastenden Faktoren müssen dann dem tat-
114 So der bayerische Ladungsvordruck StP 5 (6.95): Ladung eines Kinder als Zeuge. Der wortwörtlich gleiche Hinweis findet sich in den Vordrucken Sachsens und Mecklenburg-Vorpommerns. 115 Busse / Valhert / Steiler, Belastungserleben, S. 11 und S. 60 116 Eine Zusammenfassung der vorhandenen Studien findet sich bei Valhert / Pieters, Situation, S. 13 ff. Vgl. auch Gunder, Umgang, S. 139 ff. zum gegenwärtigen Forschungsstand und Dippel, FS Tröndle, S. 599, 602 ff. 117 Vgl. Gunder, Umgang, S. 144.
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sächlichen Belastungserleben der Zeugen gegenübergestellt werden, um zu einer befriedigenden Lösung zu kommen. Bedacht werden muß, daß der Zusammenhang zwischen diesen potentiellen Belastungsursachen und dem tatsächlichen Belastungserleben der Zeugen empirisch noch wenig geklärt ist: 118 Der Grund hierrur wird vor allem in den schon angesprochenen methodischen Schwierigkeiten zu suchen sein. Es ist kaum möglich, retrospektiv eine Feststellung darüber zu treffen, ob Schädigungen des minderjährigen Zeugen Folgen der Tat oder des Strafverfahrens sind. 119 a) Potentielle Belastungsfaktoren
Potentielle Belastungsfaktoren rur minderjährige Zeugen können vor, während und nach der Hauptverhandlung auftreten. Vor einer anstehenden Hauptverhandlung dürfte einen jungen Zeugen vor allem das Warten auf die Hauptverhandlung, die wiederholten Befragungen und eine durch fehlendes rechtliches Wissen verursachte Verunsicherung zu schaffen machen. Während der Hauptverhandlung ist vor allem die Wartezeit vor dem Aufruf zur Aussage, eine nicht kindgerecht gestaltete Atmosphäre im Gerichtsaal, die Aussage über zum Teil belastende und intime Geschehnisse, die Aussage vor der Öffentlichkeit, die Befragung durch mindestens eine fremde Person und die Begegnung mit dem Angeklagten bzw. die Befragung in dessen Gegenwart eine potentielle Belastungsursache. 120 Nach der Hauptverhandlung mag die Belastung von unzureichender Information über den Ausgang des Verfahrens oder auch von dem unerwünschten Verfahrensausgang selbst herrühren. Einig ist man sich darin, daß vor allem die Mehrfachvemehmungen im Ermittlungsverfahren und in der Hauptverhandlung von einem minderjährigen Zeugen als psychisch bedrückend empfunden werden; 121 der Unmittelbarkeitsgrundsatz selbst kann so zum Belastungsfaktor werden. 122
Valbert / Pieters, Situation, S. 8. Gunder, Umgang, S. 145. 120 Valbert / Pieters, Situation, S. 8; Gunder, Umgang, S. 145. 121 Das ist keineswegs eine neue Erkenntnis: Stern hat schon 1926 von Mehrfachvernehmungen abgeraten, Jugendliche Zeugen, S. 12. Vgl. zur Anzahl der Vernehmungen, Einleitung, Fn. 14. 122 Kaiser, Kindeswohl, S. 160 ff. 118
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3. Kap.: Die grundsätzliche Zeugenpflicht MindeIjähriger
b) Tatsächliches Belastungserleben Eine Studie des Berliner Instituts für Forensische Psychiatrie kann Aufschluß über das tatsächliche Belastungserleben minderjähriger Zeugen vor Gericht geben. Im Auftrag des Bundesjustizministeriums interviewten Busse, Volbert und SteIler im Zeitraum von Mai 1995 bis Mai 1996 insgesamt 86 zu einer Hauptverhandlung geladene Zeugen im Alter von 4 bis 15 Jahren. 123 Die Minderjährigen wurden zu drei verschiedenen Zeitpunkten befragt: Zwei Tage vor der Hauptverhandlung, am Tage der Hauptverhandlung und zwei Wochen danach. Über zwei Drittel der Zeugen waren Mädchen. Etwa ein Viertel der Zeugen hatte das 10. Lebensjahr noch nicht erreicht, die jüngste Zeugin war 4 Jahre alt. 73 der kindlichen und jugendlichen Zeugen waren mutmaßliche Opfer eines sexuellen Mißbrauchs, also gemeinhin besonders durch die Situation belastete Minderjährige. Der weit überwiegende Anteil (85%) der minderjährigen Zeugen war somit Geschädigter der Straftat; 15% der Zeugen hatten dagegen eine Straftat lediglich beobachtet. Die Befragung der Kinder über ihr Erleben der Gerichtsverhandlung wurde durch Beobachtungen dieser Kinder während ihrer Zeugenaussagen ergänzt. Vervollständigt wurde das Bild durch Interviews von Bezugspersonen der Minderjährigen - in erster Linie ihrer Mütter - über verfahrensbezogene Reaktionen der Kinder. Von diesen Probanden wurden letztendlich zwei Drittel in der Hauptverhandlung auch vernommen, davon drei wiederum nur zur Person und nicht zur Sache. Als Angstauslöser nannten die Minderjährigen vor der Hauptverhandlung am häufigsten die mögliche Begegnung mit dem Angeklagten vor oder im Gerichtssaal. Interessanterweise hatten auch diejenigen Kinder mit Ängsten zu kämpfen, die als Nichtopferzeugen geladen waren. Dies mag seine Ursache darin haben, daß diese Kinder dennoch emotional mit der Tat verbunden waren, etwa wenn die Tat in ihrem familiären Umfeld passiert war. Hierzu gibt die Studie keine ausreichenden Hinweise. Zwei Tage vor der Hauptverhandlung äußerte knapp die Hälfte der Kinder erhebliche Ängste. Unmittelbar nach ihrer Aussage befragt, gaben 65% der Probanden an, diese als eher oder als sehr belastend empfunden zu haben. Zwei Wochen nach ihrer Vernehmung sagten die Kinder mehrheitlich, daß sie noch mal aussagen würden, wenn es notwendig wäre. Drei Viertel der Probanden fühlten sich im Rahmen des Strafverfahrens fair behandelt. Die überwiegende Mehrheit der Kinder (82%) war im nachhinein froh, daß es zur Verhandlung gekommen war. Knapp die Hälfte der Kinder (57,5%) erklärte, die Verhandlung sei für sie hilfreich gewesen. Auf die Frage, ob sie einer Freundin oder einem Freund in einer ähnlichen Sache zu einer Aus-
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Busse / Volhert / Steiler, Belastungserleben, S. 126.
D. Ansätze zur Verneinung der Zeugenpflicht Minderjähriger
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sage vor Gericht raten oder eher abraten würden, äußerten sich bis auf zwei Kinder alle dahingehend, daß sie empfehlen würden, vor Gericht auszusagen. 124 Vergleicht man zudem sexuell mißbrauchte Kinder, die in einem Strafprozeß als Zeugen aufgetreten sind, mit sexuell mißbrauchten Kindern, die keine Zeugen waren, zeigt sich ebenfalls, daß die Zeugenrolle selbst nicht mit dauerhaften Unterschieden für die psychische Befindlichkeit verbunden ist. 125 Es ist vielmehr eher der Fall, daß die Entwicklung von Kindern als Zeugen weitgehend derer entspricht, die nicht als Zeugen auftraten. 126 Eine andere Untersuchung von Orth zu den Folgen des Strafverfahrens bei Gewaltopfern, die allerdings mindestens 16 Jahre alt bzw. zumeist sogar volljährig waren, kam im Jahr 2000 zu dem Ergebnis, daß sich ein "Strafverfahren vermutlich nur wenig auf die langfristige Bewältigung der psychischen Tatfolgen" auswirkt. 127 Insbesondere hängt die Schwere der posttraumatischen Belastungsstörung nach den Resultaten dieser Studie nicht davon ab, ob das Opfer das Verfahren gerecht fand oder unter großen psychischen Belastungen im Verfahren litt. 128 Wenn auch die Ergebnisse der Studie nicht ohne weiteres auf minderjährige Opferzeugen zu übertragen sind, so haben sie wohl doch gewisse Indizwirkung.
3. Konsequenz des Ergebnisses für die Zeugenpflicht
Die vergleichsweise guten Noten für die Gerichtsverhandlung bzw. die Tatsache, daß selbst ein als ungerecht empfundenes Strafverfahren für das Opfer nur geringe Auswirkungen auf die Bewältigung der psychischen Tatfolgen hat, stehen im Widerspruch zu der bis dahin unreflektiert übernommenen Annahme einer sekundären Schädigung. Nach dem derzeitigen Stand der Forschung verbietet sich eine totale Ablehnung von einer Zeugenpflicht von Minderjährigen.
124 Die überwiegende Mehrheit der ebenfalls befragten Mütter (85%) gab im übrigen an, daß sie den Vorfall erneut zur Anzeige bringen würde; Busse / Valbert / Steiler, Belastungserleben, S. 188. 125 Albrecht, Schutz, S. 39, 46, beruft sich insbesondere auf eine Studie von Whitcomb, The Emotional Effects ofTestifying in Sexually Abused Children, National Institute of Justice, Research in Brief, Washington 1994, S. 4. 126 Es sei denn die Kinder waren wiederholten Vernehmungen oder sehr lange andauernden und konfliktbeladenen Vernehmungen ausgesetzt, vgl. Albrecht, Schutz, S. 39, 46. 127 Orth, Strafgerechtigkeit, S. 126. 128 Orth, Strafgerechtigkeit, S. 126: Die hier befagten Opfer berichteten übrigens von überwiegend negativen Erfahrungen mit dem Strafprozeß und zwei Drittel der Befragten nehmen sogar schwere Folgen "für das Rechtsvertrauen und den Glauben an die Gerechtigkeit der Welt" wahr.
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3. Kap.: Die grundsätzliche Zeugenpflicht Minderjähriger
Die Übertragung der Zeugenpflicht an einen Minderjährigen tangiert daher auch nicht in einem rechtserheblichen Maß die Elternrechte, da durch die Aufgabe das Kindeswohl des Zeugen nicht gefährdet wird. Entgegen der in der Literatur weitverbreiteten Aussage, die sekundäre Viktimisierung beispielsweise eines sexuell mißbrauchten Kindes durch ein strafrechtliches Verfahren sei eine gesicherte Tatsache, liegen bislang nur geringe empirische Erkenntnisse über verfahrensverursachte Schädigungen vor. Die vorhandenen Studien legen nicht nahe, daß eigenständige, durch das Strafverfahren ausgelöste Schädigungen nach Abschluß des Prozesses bestehen bleiben. 129 Es steht derzeit lediglich fest, daß die Folgen einer Zeugenvernehmung für Minderjährige noch nicht abschließend eingeschätzt werden, also auch nicht - entgegen aller populären Strömungen - als negativ eingestuft werden können. Fakt ist, daß bei den meisten minderjährigen Zeugen vor ihrer Aussage ein hohes Maß an Belastung und Ängstlichkeit vorliegt. Wenn es in Einzelfällen zu langfristigen Beeinträchtigungen kommt, scheinen diese eher das Resultat einer Verkettung besonders ungünstiger Umstände zu sein und jedenfalls nicht Effekte zu sein, die zwangsläufig mit einem Gerichtsverfahren einhergehen. '30 Potentielle Streßfaktoren der Hauptverhandlung für ein Kind, wie die Wartezeit, die Aussage selbst oder die Begegnung mit dem Angeklagten, werden in ihrem Ausmaß sogar gelegentlich überschätzt. Den meisten durch den Strafprozeß verursachten Belastungen kann entgegengewirkt werden. Notwendig ist die (noch) konsequentere Anwendung der vorhandenen Zeugenschutzvorschriften, wie die der Entfernung des Angeklagten aus dem Sitzungssaal (§ 247 StPO) oder die der audiovisuellen Zeugenvernehmung gemäß § 247 aStPO. Im Ergebnis scheinen vorhandene Belastungen von Kindern eher vermeidbaren Fehlreaktionen von Prozeßbeteiligten zuzuschreiben, als dem Strafverfahren immanent zu sein. Nicht verhindert werden können menschliche Unzulänglichkeiten, wie die nicht kindgerechte Befragung des Zeugen durch einen wenig einfühlsamen Vorsitzenden. Das geltende Recht bietet jedoch die Möglichkeiten, eine Atmosphäre in der Hauptverhandlung zu schaffen, die es den minderjährigen Zeugen ermöglicht, weitgehend unbelastet auszusagen. Mehrfachvernehmungen und die Begegnung mit dem Angeklagten sollten vermieden werden. 131 Geeignet zur Prävention sekundärer Traumatisierung bei Opferzeugen scheinen auch bei den Gerichten eingerichtete Zeugenbetreuungsstellen, an denen sogenannte Zeugenbetreuer sich den Zeugen annehmen, die dies wünZu diesem Ergebnis kommt auch Kipper, Schutz, S. 75. Va/bert / Busse, Belastungen, S. 88 ff. 131 Nr. 19 RiStBV empfiehlt dringend eine Vermeidung von Mehrverfachvernehmungen von Kindern und Jugendlichen vor der Hauptverhandlung. 129
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D. Ansätze zur Verneinung der Zeugenpflicht Minderjähriger
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schen. 132 Die Hauptaufgabe der Betreuer besteht darin, organisatorische Auskünfte über den Ablauf des Strafverfahrens zu geben. Desweiteren muß die bisher noch vernachlässigte Einführung von Gerichtsvorbereitungsprogrammen forciert werden. Diese Programme knüpfen an der Feststellung an, daß die jungen Zeugen entweder nur ein geringes oder ein falsches Wissen über Strafverfahren haben und daß aus diesem Defizit Ängste resultieren, die zu einer ablehnenden Einstellung bezüglich der Vernehmung führen. l33 Für den deutschsprachigen Bereich finden sich bislang nur wenige Untersuchungen über das gerichtsbezogene Wissen von Mindetjährigen. 134 Eine empirische Studie von Wolf kam 1997 zu dem Ergebnis, daß Kinder zum Teil irrationale Ängste in bezug auf Gerichtsverhandlungen haben und daß gleichzeitig dieses mangelnde Wissen einen negativen Einfluß auf das Erleben des Strafverfahrens durch den betreffenden Zeugen nehmen kann. 135 Ein Mehr an Wissen kann helfen, diffuse Ängste abzubauen. Mit entsprechenden Programmen können Minderjährige mit der Gerichtssituation im allgemeinen und ihrer Zeugenaufgabe im besonderen vertraut gemacht machen. Bestandteil eines entsprechenden Kurses könnten der Besuch eines leeren Gerichtssaals sein und das Kennenlernen der einzelnen Funktionen der am Gericht beteiligten Personen. Gerade nicht Inhalt eines solchen Programms darf die Vorbereitung auf den Inhalt der Aussage selbst sein; mögliche negative Effekte von Gerichtsvorbereitungsprogrammen, wie die übermäßige Beschäftigung mit der Zeugenrolle, müssen beobachtet werden. 136 Nicht gefolgt werden kann der gutgemeinten Idee, Verfahren mit kindlichen Opferzeugen erstinstanzlich nur vor den großen Strafkammern zu verhandeln, 132 In Düsseldorf wurde 1997 am Land- und am Amtsgericht ein Modellprojekt zur Zeugenbetreuung eingerichtet und wissenschaftlich begleitet. Die zwischenzeitlich ausgewerteten Ergebnisse lassen den Schluß zu, daß zumindest eine Stimmungsverbesserung der betreuten Zeugen erreicht wurde und die Zeugenbetreuung in der Lage ist, "zufriedenere Zeugen" zu schaffen, vgl. Schneider / Habel, Betreuung, S. 73; siehe auch Habel / Schmitt-Frister / Koppenhöfer / Schneider, Prävention, S. 117 ff.; Blum, Opferzeugenbetreuung, S. 129 ff. und Dannenberg / Höfer / Köhnken / Reutemann, Abschlußbericht, deren Studie sich speziell mit Kindern als Zeugen beschäftigte. 133 Wolf, Gerichtsverhandlungen, S. 208. 134 Auffällig ist, daß viele Kinder einen Richter erwarten, der eine Perücke trägt und mit dem Hammer auf den Tisch schlägt, Dannenberg / Höfer / Köhnken / Reutemann, Abschlußbericht, S. 8. 135 Wolf, Gerichtsverhandlungen, S. 247. 136 Volbert / Piefers, Situation, S. 9. Die mit einer Zeugenbetreuung verbundenen Gefahren für die Opfer und die Wahrheitsfindung sind nach einer Einschätzung von Blum allerdings gering. Um entsprechenden Gefahren vorzubeugen, fordert Blum allerdings von vornherein eine "spezifische Professionalisierung seitens der Zeugenbetreuer", Opferzeugenbetreuung, S. 129,145.
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3. Kap.: Die grundsätzliche Zeugenpflicht MindeIjähriger
da sie nach derzeitiger Lage nicht mit dem Gesetz in Einklang zu bringen ist. 137 Sekundärer Schädigung sollte so schon in ihrem Ansatz entgegengesteuert werden, um die unerwünschte zweimalige Befragung der Zeugen zu umgehen. 138 Das OLG Zweibrücken hatte die besondere Bedeutung eines Falles im Sinne von § 24 Abs. 1 Nr. 3 GVG deshalb angenommen, weil die Durchruhrung zweier Tatsacheninstanzen rur das minderjährige Tatopfer mit unzumutbaren psychischen Belastungen verbunden gewesen wäre. 139 Doch ob eine besondere Bedeutung gemäß § 24 Abs. 1 Nr. 3 GVG zu bejahen ist, bestimmt sich nach dem Ausmaß der Rechtsgutverletzung und den Auswirkungen der Straftat. 140 Nur die Tatsache, daß kindliche Opferzeugen vernommen werden, hebt eine Sache noch nicht aus der Masse der durchschnittlichen Verfahren heraus. 141
4. Einzelfallentscheidung
Die Forderung nach einer totalen Ablehnung des Mindetjährigen als Zeugen aus Gründen des Kindeswohls verbietet sich. Es gibt keinen prinzipiellen Gegensatz zwischen Opferschutz und Wahrheitsermittlung. 142 Es ist allein eine Frage der Organisation und Anwendung des geltenden Rechts. 143 Der Staat kann von seinen jüngsten Bürgern die Übernahme gewisser Pflichten wie die der Zeugenpflicht erwarten. Wenn auch von einer Sekundärschädigung im Sinne einer festen Größe nicht ausgegangen werden darf, besteht doch die Möglichkeit, daß im Einzelfall Minderjährige durch die Einbeziehung als Zeugen in ein Strafverfahren extremen emotionalen Belastungen ausgesetzt werden, denen sie nicht mehr gewachsen sind. Nach den Erkenntnissen dieser Arbeit muß in derartig gelagerten Einzelfällen das Gericht auf die Vernehmung eines Zeugen verzichten, weil dessen Wohl in Frage steht. Das Prinzip des Kindeswohls ist, wie dargestellt, ein sehr wohl auch im Strafverfahren zu beachtender Grundsatz. l44 Der Verzicht auf die Beweisperson hat dann selbst unter der Konsequenz zu geschehen, daß das
Meyer-Goßner § 24 GVG, Rdnr. 6; kritisch auch Böhm ZRP 1996, 259, 261. Böhm ZRP 1996,259, 261. 139 OLG Zweibrücken NStZ 1995, 357; vgl. auch Böhm ZRP 1996,259, 261. 140 Meyer-Goßner § 24 GVG, Rdnr. 6. 141 Böhm ZRP 1996, 259, 261. 142 Frommel, Möglichkeiten, S. 31,50 143 Frommel, Möglichkeiten, S. 31, 50. 144 Im Umkehrschluß folgt hieraus, daß nach den Ergebnissen dieser Arbeit dem so gefährdeten Zeugen ein übergesetzliches Zeugnisverweigerungsrecht für den Fan zustehen würde, daß er dennoch geladen wird; vgl. 4. Kap. C. 11. 4. j). 137
13S
D. Ansätze zur Vemeinung der Zeugenptlicht Minderjähriger
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Verfahren ohne diesen Belastungszeugen eingestellt werden oder ein Freispruch des Angeklagten erfolgen müßte. Für dieses Resultat spricht eine Entscheidung des BGH,145 die in ihrer Tragweite unterschätzt und fast gänzlich unbeachtet blieb. Der Leitsatz dieser Entscheidung aus dem Jahre 1993 lautet: "Würde die erneute Vernehmung eines Kindes über ein drei Jahre zurückliegendes Ereignis diesem Schaden zurugen, darf die Rücksicht auf das Kind Einfluß auf die Entscheidung haben mit der Folge des Freispruchs des Angeklagten." Der BGH verzichtete konsequent gänzlich auf die Vernehmung des mindetjährigen Zeugen. Dies bedeutet nichts anderes, als daß der BGH in diesem Einzelfall eine Abwägung zugunsten des Kindeswohls vornahm und im Ergebnis eine Zeugenpflicht des Kindes ablehnte, wenn auch in die Abwägung mit eingeflossen war, daß der Senat es ausschloß, daß eine erneute Hauptverhandlung überhaupt tragfähige Erkenntnisse bringen kann. Das Kind war zur Tatzeit - erneut handelte es sich um ein Verfahren wegen sexuellen Mißbrauchs - 2 Jahre und 4 Monate alt. In die gleiche Richtung zielt eine ebenfalls wenig beachtete Entscheidung des OLG Bamberg im Rahmen einer besonderen Haftprüfung nach §§ 121, 122 StPO. 146 Es mußte über die Fortdauer der Untersuchungshaft über sechs Monate hinaus eines des sexuellen Mißbrauchs an zwei zum Zeitpunkt der Haftentscheidung 5 und 7 Jahre alten Mädchen Beschuldigten entschieden werden. Das Gericht kam zu dem Ergebnis, daß die Gefährdung des Kindeswohls als wichtiger Grund die Fortdauer der Untersuchungshaft rechtfertige. Dem Freiheitsrecht des Beschuldigten sei explizit kein Vorrang auf Kosten des Kindeswohls einzuräumen. Der Entscheidung war erneut eine Abwägung zuvorgegangen. Das Gericht hatte die These aufgestellt, daß eine entsprechende Schutzpflicht des Staates bezüglich des Kindeswohls auch in Strafverfahren bestehe; dies entspricht den Ergebnissen dieser Arbeit.
145 BOH NJW 1993,2451. 1460LO Bamberg NJW 1995, 1689, vgl. auch die Besprechung von Gero NStZ 1997,110.
Viertes Kapitel
Die Hauptpflichten des minderjährigen Zeugen A. Einführung Nachdem eine grundsätzliche Zeugenpflicht von Minderjährigen bejaht wurde, müssen nunmehr die Hauptpflichten dieser Zeugen gruppe genauer untersucht und insbesondere die Unterschiede zum erwachsenen Zeugen aufgezeigt werden. Schon bei der Ladung minderjähriger Zeugen tritt eine Vielzahl von Problemen zu Tage, ohne daß die Praxis bisher eine wirklich zufriedenstelIende und verbindliche Lösung gefunden hat. Auffällig ist, daß Elternrechte de lege lata einfach übergangen werden. So ist eine Benachrichtigung der Eltern über die Ladung ihres l4jährigen Kindes zu einer Zeugenvernehmung in der Hauptverhandlung keine Selbstverständlichkeit. Werden Kinder zu Händen ihrer gesetzlichen Vertreter als Zeugen zu einer Hauptverhandlung geladen, werden die Eltern in den entsprechenden Vordrucken der Gerichte regelmäßig darauf hingewiesen, daß sie für das Erscheinen ihrer Kinder zum Termin Sorge zu tragen haben. Fraglich ist, ob eine solche Aufforderung vom Gesetz gedeckt ist. Vielfach sträuben sich die Eltern eines minderjährigen Zeugen gegen die Vernehmung ihres Kindes, weil sie um sein Wohl besorgt sind. Zu untersuchen wird sein, wie eine solche Sperrerklänmg der Eltern rechtlich einzuordnen ist und welche Konsequenzen für die Zeugenpflicht gezogen werden müssen. Im Mittelpunkt der Darstellung wird insbesondere die Frage stehen, welche Zwangsmittel minderjährigen Zeugen, die ihrer Pflicht nicht nachkommen, auferlegt werden dürfen. Ausführlich werden die Ausnahmen von den einzelnen Hauptpflichten erörtert. Von besonderer Bedeutung für diese Arbeit ist das Zeugnisverweigerungsrecht aus persönlichen Gründen gemäß § 52 StPO, eine Ausnahmeregelung der Aussagepflicht. Es gilt insbesondere zu klären, ob das strenge Enumerationsprinzip des § 52 StPO noch heutigen gesellschaftlichen Ansprüchen gerecht werden kann. Hat der minderjährige Zeuge nicht die hinreichende Verstandesreife, die Bedeutung eines Zeugnisverweigerungsrechtes zu erkennen, muß der gesetzliche Vertreter seine Einwilligung zur Vernehmung gemäß § 52 Abs. 2 Satz 1 StPO erteilen. Ist der gesetzliche Vertreter selbst Angeklagter, so wird er von dieser Entscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Satz 2 StPO ausgeschlossen.
B. Die Hauptpflichten in der Übersicht
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Einen breiten Raum in der Untersuchung nimmt auf diesem Grundsatz aufbauend die Frage ein, wie der Fall zu lösen ist, wenn ein Elternteil Angeklagter des Verfahrens ist und der andere Elternteil das gemeinsame Kind allein vertritt.
B. Die Hauptpflichten in der Übersicht Inhalt und Umfang der allgemeinen Zeugenpflicht sind für Mindetjährige ebensowenig ausdrücklich gesetzlich geregelt wie für Erwachsene. Vielmehr ergibt sich die Konkretisierung der Zeugenpflicht mittelbar aus den Vorschriften §§ 48, 51 und 70 StPO, die die Folgen des Ausbleibens und der grundlosen Zeugnis- bzw. Eidesverweigerung ordnen. Der Alternativ-Entwurf Zeugnisverweigerungsrechte und Beschlagnahmefreiheit (AE-ZVR), auf den bereits mehrmals verwiesen wurde, wollte zwar Abschied nehmen von den ungeschriebenen staatsbürgerlichen Pflichten des Zeugen und formulierte in § 48 Abs. 2 des Gesetzentwurfes die Erscheinens- und Aussagepflicht ausdrücklich. 1 Der Umfang der Pflichten - auch für minderjährige Zeugen - wurde im übrigen in dem Entwurf, der nicht umgesetzt wurde, nicht angetastet. Der Zeuge hat die Pflicht, auf eine ordnungsgemäße Ladung - hierzu später im einzelnen - in der Hauptverhandlung vor dem Richter zu erscheinen, über den Gegenstand seiner Wahrnehmung auszusagen und gegebenenfalls seine Aussage zu beeiden. 2 Man kommt so zu drei Hauptpflichten des Zeugen, wobei die Pflicht, die Aussage zu beteuern, von vornherein nur Zeugen ab der Vollendung des 16. Lebensjahres betrifft (§ 60 Nr. 1, 1. Alt. StPO). Gelegentlich wird sogar von einer vierten Hauptpflicht ausgegangen, wenn man die Pflicht zur wahrheitsgemäßen und vollständigen Aussage als weitere Hauptpflicht eingestuft. 3 Die Wahrheitspflicht ergibt sich mittelbar aus der Strafbarkeit einer uneidlichen Falschaussage oder eines Meineides gemäß den Vorschriften der §§ 153 ff. StGB; unter Umständen kommt ferner eine Bestrafung aus §§ 257, 258, 164, 185 ff. oder § 263 StGB in Betracht. 4 Da aber die Aussagepflicht ohne die gleichzeitige Wahrheits- bzw. Vollständigkeitspflicht wertlos ist und damit beide Pflichten untrennbar miteinander verwoben sind, erscheint es sinnvoller, die Pflicht zur wahrheitsgemäßen und lückenlosen
AE-ZVR, die Begründung zu § 48 Abs. 2, S. 35. KK-Senge Vor § 48, Rdnr. 3; Pfeif/er Vor §§ 48-71, Rdnr. 1. 3 Nel/es, Persönlichkeitsrechte, S. 211, 215, unklar insoweit Eisenberg, Beweisrecht, Rdnr.1112. 4 BT-DruckS. 7 /2600, S.14. I
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4. Kap.: Die Hauptpflichten des mindeIjährigen Zeugen
Aussage als wesentliche Nebenpflicht der Aussagepflicht einzuordnen. 5 Dogmatisch wird dieses Ergebnis gestützt durch die Tatsache, daß die Pflicht zur Wahrheit im Gegensatz zu den übrigen Hauptpflichten nicht durch Maßnahmen des § 51 bzw. des § 70 StPO durchgesetzt werden kann. 6 Ihre Verletzung zieht vielmehr eine Bestrafung gemäß §§ 153 f( StGB nach sich, hat also rein materiell-rechtliche Konsequenzen. Es muß jedoch zwischen der Situation, daß der Zeuge, ohne die Aussage ganz oder teilweise zu verweigern, unrichtige oder lückenhafte Angaben macht, und einer echten Teilverweigerung der Zeugenpflicht unterschieden werden. Nicht ganz zufriedenstelIendes Abgrenzungskriterium ist der Wille des Zeugen selbst. Nur wenn er die Unvollständigkeit seiner Aussage selbst offenlegt ("mehr will ich nicht sagen"), ist von einer echten (Teil-)Aussageverweigerung und damit von einer Mißachtung einer Hauptpflicht auszugehen, die wiederum - sofern sie unbegründet ist - die Folgen des § 70 StPO auslöst.?
c. Die einzelnen Hauptpflichten und ihre Ausnahmen I. Die Erscheinenspflicht
Eine der Hauptpflichten des Zeugen ist die Erscheinenspflicht. Sie obliegt gleich der allgemeinen Zeugenpflicht jedem, der der deutschen Gerichtsbarkeit unterworfen ist. Die Existenz eines Zeugnis- oder Auskunftsverweigerungsrechtes steht der Pflicht zum Erscheinen nicht entgegen. Diese wichtigste Hauptpflicht kommt nur zum Entstehen, wenn dem Zeugen zuvor eine ordnungsgemäße Ladung zugegangen ist. Die Frage der ordnungsgemäßen Ladung minderjähriger Zeugen gilt es daher im folgenden genauer zu untersuchen.
1. Die Ladung des Zeugen zur Hauptverhandlung
Die Ladung des Zeugen zur Hauptverhandlung hat erhebliche straJprozessuale Bedeutung. Sie soll das Erscheinen dieser Person bewirken und ist daher für den Fortgang des jeweiligen Verfahrens entscheidend. Zudem ist eine ordnungsgemäße Ladung Voraussetzung für die Zulässigkeit von Zwangsmaßnahmen gemäß § 51 StPO für den Fall des Nichterscheinens eines Zeugen. Die zur Hauptverhandlung erforderlichen Ladungen ordnet der Vorsitzende gemäß 5 Hauser, Zeugenbeweis, spricht davon, daß "die Zeugenaussage [... ] vom Ethos der Wahrhaftigkeit getragen sein (muß)", S. 79. Vgl. auch 5. Kap. A. 6 BGHSt 9,364; Eisenberg, Beweisrecht, Rdnr. 1112. 7 KK-Senge § 70, Rdnr. 3; Eisenberg, Beweisrecht, Rdnr. 1098.
C. Die einzelnen Hauptpflichten und ihre Ausnahmen
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§ 214 Abs. 1 Satz 1 StPO an; die Ausführung erfolgt durch die Geschäftsstelle (§ 214 Abs. 1 Satz 2 StPO).8 Ferner hat auch die Staatsanwaltschaft (§ 214 Abs.3 StPO) und der Angeklagte (§ 220 Abs. 1 StPO) neben anderen Personen das Recht zur unmittelbaren Ladung. 9 Problematisch ist vor allem, wer Adressat im Falle der Ladung eines minderjährigen Zeugen ist. Möglich wäre eine Ladung an den minderjährigen Zeugen selbst oder zu Händen seiner gesetzlichen Vertreter, also in der Regel der Eltern. 1O Denkbar wäre zudem, daß sich die Ladung allein an den gesetzlichen Vertreter richtet, aber mit der Aufforderung verbunden ist, sich mit dem Kind an der Gerichtsstelle zum Termin einzufinden. Die beiden letztgenannten Varianten unterscheiden sich dadurch, daß im ersten Fall der gesetzliche Vertreter nur eine Art Empfangsbevollmächtigter ist, sich die Ladung aber eigentlich an den Minderjährigen richtet. Im zweiten Fall ist der gesetzliche Vertreter tatsächlich echter Adressat der Ladung, die mit der Auflage verknüpft ist, sich mit dem minderjährigen Zeugen gemeinsam zur Hauptverhandlung einzufinden. Es muß jeweils streng unterschieden werden zwischen dem Adressaten der Ladung, also dem Empfanger des geistigen Inhalts - der mit der Ladung bewirkten Aufforderung, als Zeuge zu erscheinen und auszusagen -, und dem Empfänger des Schriftstücks als solchem. 11
2. Begriff der ordnungsgemäßen Ladung
Vom Begriff und Zweck der Ladung ausgehend muß erörtert werden, welche Art der vorgeschlagenen Ladungsvarianten von minderjährigen Zeugen die ordnungsgemäße im Sinne des Gesetzes ist. Die Ladung ist eine an den Zeugen gerichtete Aufforderung, an einem bestimmten Ort zu einer bestimmten Zeit als Zeuge zu erscheinen. 12 Art, Weise und Inhalt der Zeugen ladung werden in § 48 StPO, anders als die Ladung des Beschuldigten gemäß § 133 Abs. 1 StPO, gesetzlich nicht geregelt. 13 Die Ladung muß lediglich ordnungsgemäß im Sinne des § 51 StPO sein. Dieser unbestimmte Rechtsbegriff bedarf der Auslegung. Die Frage der ordnungsgemäßen Ladung entscheidet sich nach § 48 StPO. Ordnungsgemäß ist demnach eine Ladung, die rechtzeitig und formgemäß erAbgesehen von den Fällen des § 38 StPO. Außer bei der Ladung durch den Staatsanwalt ist im Falle der unmittelbaren Ladung jeweils ein Gerichtsvollzieher gemäß § 38 StPO zu beauftragen. 10 V gl. Schweckendieck NStZ 1990, 170. 11 Nelles, Persönlichkeitsrechte, S. 211, 221. 12 KK-Senge § 48, Rdnr. I. 13 Ausnahme ist lediglich die unmittelbare Ladung nach § 38 StPO durch die Prozeßbeteiligten. 8
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4. Kap.: Die Hauptpflichten des minderjährigen Zeugen
folgt ist und die klar erkennen läßt, daß der Geladene als Zeuge vernommen werden sol1. 14 Allerdings hält der Gesetzgeber keine zwingenden Vorschriften über die Form bereit; insofern hilft der Gesetzeswortlaut nicht weiter. Die Begrifflichkeiten sind ebenfalls unter Zuhilfenahme von Sinn und Zweck der Ladung zu bestimmen.
a) Zweck, Form und Inhalt der Ladung Zweck der Ladung ist es, die relative Gewähr zu haben, daß der Zeuge zum angesetzten Termin auch tatsächlich erscheint. Eine absolute Gewähr kann es nur theoretisch geben - der Zeuge müßte in Haft genommen und bereitgehalten werden. Im Rahmen der Verhältnismäßigkeit der Mittel kann jedoch nur die relative Gewähr das Ziel der Dinge sein. Davon ausgehend, und unter Berücksichtigung der Prozeßökonomie und des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes, reicht in der Regel ein einfacher Brief an den prozeßbeteiligten Zeugen. Die Ladung kann sogar mündlich,15 insbesondere auch fernmündlich 16 oder über eine Mittelsperson, wie einen lustizwachtmeister oder einen Polizeibeamten,17 erfolgen. Zur Hauptverhandlung sollen die Zeugen allerdings grundsätzlich durch förmliche Zustellung geladen werden (Nr. 117 Abs. 1 Satz 1 RiStBV); dies liegt im Ermessen des Gerichtes. Die Richtlinie Nr. 117 Abs. 1 Satz 2 RiStBV stellt ausdrücklich klar, daß bei Zeugen eine einfachere Form der Ladung gewählt werden kann. Da den Zeugen im Falle seines Nichterscheinens für den Zugang der Ladung keine Beweislast trifft, drängt sich schon aus Beweisgründen die förmliche Zustellung auf. Ladungsfristen sind vom Gesetzgeber ebenfalls nicht vorgeschrieben. Um von einer ordnungsgemäßen Ladung sprechen zu können, muß diese aber eine angemessene Zeit vor dem Termin der Hauptverhandlung bewirkt werden, damit sich der Zeuge auf den Termin einstellen, Vorbereitungen treffen und gegebenenfalls einen Rechtsbeistand beiziehen kann. 18 Die Vorschrift des § 68 b Satz 1 StPO sieht neuerdings sogar eine Beiordnung eines Rechtsanwalts für den Zeugen bei seiner Vernehmung auf Staatskosten vor, wenn ersichtlich ist, daß der Zeuge seine Befugnisse wie sein Zeugnisverweigerungsrecht nicht selbst wahrnehmen und seinen schutzwürdigen Interessen nicht auf andere Weise Rechnung getragen werden kann. Insoweit besteht kein Streit; § 406 f
14 Zum notwendigen Inhalt der Ladung siehe unten. 15 RGSt 35, 232. 16 BGH NJW 1952, 836. 17
Vgl. KK-Senge § 48, Rdnr. 1.
18 BVerfGE 38,105,116; LR-Dahs § 48, Rdnr. 3.
c. Die einzelnen Hauptpflichten und ihre Ausnahmen
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StPO (Beistand und Vertreter des nicht nebenklageberechtigten Verletzten) und § 406 g StPO (Beistand des nebenklageberechtigten Verletzten) bleiben davon unberührt. Vom Zweck der Ladung ausgehend, der relativ großen Gewähr des Erscheinens des Zeugen, ergibt sich der notwendige Inhalt einer Ladung. Sie muß klar erkennen lassen, daß der Geladene als Zeuge vernommen werden soll. Die Angabe des Gegenstandes des Verfahrens und des Namens des Angeklagten ist dagegen nicht immer erforderlich;19 vgl. Nr. 64 Abs. 1 Satz I RiStBV. Im Hinblick darauf, daß mit der Ladung von Minderjährigen zu einer Hauptverhandlung immer zugleich zwangsläufig Elternrechte tangiert werden und die Eltern keine gesetzlich normierte Entscheidungsgewalt darüber haben, ob ihre Kinder als Zeugen vernommen werden dürfen, könnte es allerdings notwendig werden lassen, daß bei nicht volljährigen Zeugen immer der Name des Angeklagten und der Gegenstand des Verfahrens in der Ladung angegeben wird, selbst wenn dies dem Zweck der Untersuchung schaden sollte. Zwar wird der Name des Angeklagten den meisten Eltern zu diesem Zeitpunkt längst bekannt sein, doch ist er es aus irgendeinem Grunde nicht, könnte mit der Angabe des Namens nach wie vor die Gefahr der möglichen Einflußnahme der Eltern auf den Inhalt der künftigen Aussage ihres Kindes einhergehen. Der Zweck der Untersuchung kann es im Einzelfall selbst bei der Ladung Minderjähriger verbieten, den Namen des Angeklagten anzugeben. Die Namensangabe sollte daher regelmäßig, hat jedoch nicht obligatorisch zu erfolgen. Entgegen der Weisung der Richtlinie Nr. 64 Abs. I Satz 2 RiStBV sollte bei der Ladung Minderjähriger jedoch regelmäßig der Gegenstand der Anklage mitgeteilt werden, d.h. nicht nur in den Fällen, in denen dies zur Vorbereitung der Aussage durch den Zeugen erforderlich ist. Dies ergibt sich aus der Tatsache, daß der Staat nicht nur einen einzelnen Bürger - hier den minderjährigen Zeugen - in die Pflicht nimmt, sondern gleichzeitig in Elternrechte eingreift. Quasi als Gegenleistung muß vor allem den Eltern sehr junger Zeugen schon mit der Ladung mitgeteilt werden, welchen Gegenstand das Verfahren zum Inhalt hat. Art. 6 Abs. 2 GG enthält den grundrechtlichen Schutz des elterlichen Erziehungsrechts, demzufolge es vorrangige Aufgabe der Eltern ist, Sorge für die seelische und geistige Entwicklung ihrer Kinder zu tragen. Die verantwortungsvolle Ausübung der elterlichen Sorge ist diesen nur möglich, wenn sie schon im Vorfeld ausreichend über eine ihrem Kind vom Staat auferlegte Pflicht informiert werden. Nach Dahs kann zudem "in Ausnahmefallen [... ] aufgrund der richterlichen Fürsorgepflicht (fair trail) in der Ladung ein Hinweis auf ein Zeugnisverweige-
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KK-Senge § 48, Rdnr. 4.
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4. Kap.: Die Hauptpflichten des minderjährigen Zeugen
rungsrecht nach §§ 52 ff. StPO oder auf § 55 StPO und die Möglichkeit der Beauftragung eines anwaltlichen Rechtsbeistandes angezeigt sein.,,20 Bei Ladungen mindeIjähriger Zeugen sollte dieser von Dahs skizzierte Ausnahmefall zum Regelfall werden und zwar unabhängig davon, ob es sich bei dem betroffenen Minderjährigen um einen Opfer- oder Zufallszeugen handelt. Ferner muß jeder Ladung den Hinweis auf die gesetzlichen Folgen des Ausbleibens enthalten. Fehlt der entsprechende ausführliche Hinweis, macht dies die Ladung nicht unwirksam. 21 Der Zeuge hat sich dennoch in der Hauptverhandlung einzufinden. Allerdings können ihn bei unentschuldigtem Ausbleiben zum Termin nicht die gesetzlichen Folgen treffen; Zwangsmaßnahmen wären rechtswidrig. Insofern besteht kein Unterschied zur Verfahrensweise beim erwachsenen Zeugen. Nur die Möglichkeit der Verhängung von Zwangsmitteln ist gänzlich verschieden. 22 b) Adressat der Ladung Eine ordnungsgemäße Ladung setzt zudem voraus, daß sie an den richtigen Adressaten gerichtet ist; also an die Person, die zum Termin erscheinen soll.23 Die Strafprozeßordnung enthält hinsichtlich der Ladung mindeIjähriger Zeugen gerade keine Vorschrift dahingehend, ob der nicht volljährige Zeuge zu Händen seiner gesetzlichen Vertreter oder selbst zu laden ist. Auf der Suche nach einem sachgerechten Ergebnis muß die Verfahrensweise in der Praxis dargestellt werden. Kurz untersucht werden muß zudem, ob über § 37 Abs. 1 Satz 1 StPO, der auf die Zivilprozeßordnung verweist, § 171 Abs. 1 ZPO zur Anwendung kommt. Zustellungen an nicht prozeßfähige Parteien hätten dann immer an deren gesetzlichen Vertreter zu erfolgen. Allerdings scheidet diese Vorschrift für die Zeugenladung im Strafprozeß von vornherein aus, da sie allein auf den Begriff der Partei abstellt. Einzig richtiges Ladungsverfahren wird es daher sein, eine klare Altersabstufung für die mindeIjährigen Zeugen zu treffen und dementsprechend vorzugehen. Das Gesetz gibt hierzu die entsprechende Weichenstellung in § 3 JGG.
20 LR-Dahs § 48, Rdnr.5 mit weiteren Nachweisen; a.A. Meyer-Goßner Vor § 48, Rdnr. 11. 21 Eine pauschaler Hinweis auf die gesetzlichen Folgen des Ausbleibens genügt nicht. Vielmehr müssen bei jeder Ladung die in § 51 StPO geregelten Folgen des Nichterscheinens einzeln und vollständig aufgefiihrt werden; vgl. Eisenberg, Beweisrecht, Rdnr. 1061; KK-Senge § 48, Rdnr. 5. 22 Siehe hierzu 4. Kap. C. 4. b). 23 LR-Gollwitzer § 214, Rdnr. 3; KMR-Paulus § 216, Rdnr. 7; KK-Tolksdorf§ 214, Rdnr.3.
C. Die einzelnen Hauptpflichten und ihre Ausnahmen
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aa) Rechtsprechung und Praxis Das OLG Hamm hat 1965 die Ladungen an eine 9- und eine Iljährige Zeugin schon ohne weitere Begründung an deren Mutter als gesetzliche Vertreterin zugestellt. 24 In dem Urteil ist allerdings davon die Rede, daß die Mutter folglich "mitgeladen" war. Diese Feststellung ist insofern problematisch, als daß die Mutter gerade keine Zeugin in dem Verfahren sein sollte. Heute existieren in den meisten Bundesländern entsprechende Ladungsvordrucke, die die Verfahrensweise in der Praxis weitgehend vereinheitlichen: In Hamburg werden Kinder bis 14 Jahre zu Händen ihrer gesetzlichen Vertreter, Jugendliche selbst geladen. Es ergeht laut der Auskunft des Hanseatischen Oberlandesgerichtes im Fall des jugendlichen Zeugen zusätzlich eine entsprechende Mitteilung an die Eltern; dies liegt allerdings im Ermessen des Richters. In Nordrhein-Westfalen werden die Kinder ebenfalls zu Händen des Erziehungsberechtigten geladen; wortwörtlich heißt es in den Vordrucken der Amtsgerichte an die gesetzlichen Vertreter: "Ich bitte Sie, rur das pünktliche Erscheinen des Kindes zum Termin Sorge zu tragen.,,25 Ob dieser Hinweis vom Gesetz gedeckt ist, wird in dieser Arbeit noch Untersuchungsgegenstand sein. 26
Jugendliche werden erneut selbst geladen; regelmäßig erfahren die gesetzlichen Vertreter mit einem entsprechenden Vordruck von der Terminsanberaumung. In Bayern laden die Gerichte mit entsprechenden Formularen Kinder bis 14 Jahre zu Händen ihrer gesetzlichen Vertreter. Hier heißt es wörtlich: "Ich bitte Sie, darur zu sorgen, daß das Kind sich pünktlich zu diesem Termin einfindet.,,27 Der Vordruck enthält als einer der wenigen weitere Hinweise, die speziell den kindlichen Zeugen betreffen. 28 Jugendliche werden persönlich geladen. Eine Mitteilung an die Eltern ist nicht die Regel.
Hessische Strafgerichte laden Kinder unter 14 Jahren ebenfalls zu Händen ihrer gesetzlichen Vertreter; der Ladungswortlaut entspricht fast wörtlich dem der bayerischen Vordrucke,z9 Jugendliche werden wie Erwachsene geladen. Genauso verfahren die Strafgerichte in Baden- Württemberlo und Mecklenburg-Vorpommern. 31 In allen Vordrucken werden die Eltern darauf hingewie24 OLG Hamm NJW 1965, 1613. 25 Nordrhein-Westfalen: Vordruck StP 32 a - Zeugenladung (§§ 48, 51 StPO) fiir Kinder z. Hd. des Erziehungsberechtigten. 26 Siehe 4. Kap. C. I. 4. b). 27 Bayern: Vordruck StP 5: Ladung eines Kindes als Zeuge (6.95). 28 Vgl. 3. Kap. C. IV. 2. 29 Hessen: "Sie werden deshalb gebeten, dafiir zu sorgen, dass sich das Kind pünktlich zu diesem Termin einfindet." Vordruck StP 27 Ladung eines Kindes als Zeuge. 30 Baden-Württemberg: Vordruck StP 59 - Ladung eines Kindes als Zeuge. 31 Mecklenburg-Vorpommern: Vordruck StP 211a.
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4. Kap.: Die Hauptpflichten des minderjährigen Zeugen
sen, daß eine Begleitperson mitgebracht werden darf. 32 Laut Auskunft des saarländischen Ministerium der Justiz werden dort sogar alle minderjährigen Zeugen - einschließlich der Jugendlichen - über ihren gesetzlichen Vertreter geladen.
Niedersächsische Strafgerichte laden Kinder grundsätzlich zu Händen ihrer gesetzlichen Vertreter. In dem Vordruck findet sich der Hinweis, daß die entstandenen Mehrkosten im Falle des unentschuldigten Nichterscheinens dem Zeugen auferlegt werden können. 33 In Schleswig-Holstein kommen keine speziellen Vordrucke für minderjährige Zeugen zum Einsatz; Jugendliche ab etwa 17 Jahren werden immer selbst geladen. Jugendliche im Alter von 14 bis 16 Jahren werden nach Auskunft des Justizministeriums insbesondere dann persönlich geladen, wenn sich die Erziehungsberechtigten nicht aus den Akten ermitteln lassen. Kinder unter 14 Jahren werden stets unter der Beteiligung der Erziehungsberechtigten geladen. Dies geschieht dadurch, daß sie entweder zu Händen ihrer Eltern oder durch direkte Ladung sowohl des Kindes als auch der Eltern geladen werden. In Brandenburg werden geschädigte kindliche Zeuginnen zusätzlich zu den gesetzlichen Vertretern, zu deren Händen sie geladen werden, selbst angeschrieben: "Heute bekommen du und deine Eltern / Mutti / Pflegemutti / Betreuerin Post vom Gericht. ,,34 An die Eltern ergeht die eigentliche Ladung: ,,zu Ihrer Vernehmung als Zeugin muß Ihr / das von Ihnen betreute Kind pünktlich bei Gericht erscheinen!" Sächsische Strafgerichte unterteilen die minderjährigen Zeugen ebenfalls in solche unter 14 Jahre, die über die gesetzlichen Vertreter geladen werden, und solche ab 14 Jahren, die selbst geladen werden. Eine formlose Benachrichtigung der Eltern im letztgenannten Fall erfolgt regelmäßig, ist jedoch nicht zwingend. Gerichte in Sachsen-Anhalt verfahren ebenso;35 eine Terminsnachricht an die Eltern von selbst geladenen minderjährigen Zeugen ergeht nicht zwingend.
32 Nicht ganz richtig ist der Hinweis in den Vordrucken der nordrhein-westfälischen Strafgerichte, daß diese Begleitperson Erziehungsberechtigter sein muß, denn dies wird vom Gesetz gerade nicht verlangt: § 406 f StPO regelt ausdrücklich die Hinzuziehung einer Vertrauensperson für die Vernehmung eines Verletzten als Zeugen. Dies können die Eltern sein, aber auch Verwandte oder Bekannte. § 11 Abs. 1 S.2 ZSEG ordnet an, daß die Kosten einer notwendigen Begleitperson ersetzt werden. Es ist auch hier nicht von einer erziehungsberechtigten Begleitperson die Rede. 33 Niedersachsen: StP / BS 1018, Ladung eines Kindes als Zeuge in Straf-, Bußgeldund Privatklagesachen - AG, LG, StA - (1.02). 34 Brandenburg: Ladung, Geschädigte kindliche Zeugin, die keine Nebenklägerin ist (Kind bis \3 Jahre). 35 Sachsen-Anhalt: StP / BS 1018 Ladung eines Kindes als Zeuge in Straf-, Bußgeldund Privatklagesachen - AG, LG, StA - (LSA / 09.2001).
C. Die einzelnen Hauptpflichten und ihre Ausnahmen
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bb) Literatur Die in der Literatur zu den Ladungsmodalitäten vertretenen Meinungen sind kontrovers. Als nahezu absurd und jedenfalls überholt ist die Ansicht Schimmacks einzustufen, der sogar des Lesens unkundige Kinder persönlich laden will. 36 Er bezeichnet dieses Ergebnis zwar selbst als "lächerlich", aber gleichwohl als notwendig, da das Gesetz keine andere Auslegung zuließe und eine andere Verfahrensweise wie etwa die Zustellung der Ladung an die Eltern zu Verzögerungen führen würde, da vom Gericht jeweils festgestellt werden müsse, wer die gesetzlichen Vertreter sind. Diese "Gesetzeslücke" habe zudem noch zu keinen "ernsteren Verwicklungen" geführt. Schimmacks Fehleinschätzung der Rechtslage beruhte wohl auch darauf, daß er keine klare Unterscheidung zwischen dem Adressaten des Verwaltungsakts Ladung und dem Zustellungsempfänger vorgenommen hat. Die aktuelle Kommentarliteratur ist uneinheitlich, die Begrifflichkeiten werden zum Teil ungenau verwendet. Überwiegend wird vorgeschlagen, daß Kinder unter 14 Jahren grundsätzlich zu Händen ihrer gesetzlichen Vertreter zu laden sind. 37 Dies bedeutet, daß die Kinder die Adressaten der Ladung bleiben, die gesetzlichen Vertreter die Zustellungsadressaten, also die Empfänger des Schriftstückes, sind. 38 Nach Meyer-Goßner müssen die gesetzlichen Vertreter die Kinder zur Erfüllung ihrer Zeugenpflicht anhalten. 39 Wie dies in der Praxis zu geschehen hat, aufgrund welcher Rechtsgrundlage dies angeordnet wird und welche Sanktion den Eltern bei Nichtbeachten dieser Aufforderung droht, bleibt unbeantwortet. Eine Ausnahme von dem Grundsatz der Ladung der Kinder zu Händen ihrer gesetzlichen Vertreter wird zum Teil vorgenommen, wenn Kinder die Bedeutung der Ladung erfassen können. In diesem Falle werden sie nach der Ansicht von Eisenberg und Kühne grundsätzlich selbst geladen und das Schreiben auch an sie gerichtet. 40 Von irgendeiner Altersgrenze ist nicht die Rede. Konsequenterweise müßte nach dieser Ansicht ein überdurchschnittlich intelligenter Iljähriger Zeuge persönlich - eventuell unter völliger Umgehung seiner Eltern - geladen werden. Senge und Dahs widersprechen und verlangen, daß Kinder unter 14 Jahren zweckmäßigerweise immer zu Händen ihrer gesetzli-
Schimmack JW 1924, 1667. Vgl. KK-Senge § 48, Rdnr. 6, der allerdings von Kindern spricht, ohne klarzustellen, welche Altersgruppe von Minderjährigen genau gemeint ist; vgl. auch MeyerGoßner § 48, Rdnr. 7; Pfeiffer § 48, Rdnr. 2. 38 Meyer-Goßner § 48, Rdnr. 7. 39 Meyer-Goßner § 48, Rdnr. 7 in Berufung aufOLG Hamm NJW 1965, 1613. 40 Eisenberg, Beweisrecht, Rdnr. 1059; AK-Kühne § 48, Rdnr. 10. 36
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chen Vertreter geladen werden, selbst wenn sie ein genügendes Verständnis von der Bedeutung der Ladung haben. 41 Fehlt dem minderjährigen Zeugen, unabhängig von seinem Alter, dagegen die erforderliche Verstandesreife, richtet sich die Ladung nach Dahs sogar allein an den gesetzlichen Vertreter, verbunden mit der Aufforderung, sich mit dem Zeugen an der Gerichtsstelle einzufinden. 42 Gollwitzer geht in seiner Kommentierung zu § 214 StPO noch weiter und schlägt vor, bei Unklarheiten bezüglich der Ladungsreife bei über 14jährigen Zeugen "aus praktischen Gründen" die Ladung sowohl an den Jugendlichen persönlich als auch an den gesetzlichen Vertreter zu richten. 43 Jugendliche über 14 Jahren können nach überwiegender Ansicht persönlich geladen werden. 44 Doch auch in diesem Punkt weichen die einzelnen Meinungen, wie die folgende Übersicht zeigt, elementar voneinander ab. Allein den gesetzlichen Vertreter will Meyer-Goßner im schon skizzierten Fall eines jugendlichen Zeugen über 14 Jahren, dem die nötige Verstandesreife fehlt, laden. 45 Die gesetzlichen Vertreter werden, wie schon zuvor bei Dahs, in der Ladung aufgefordert, sich mit dem Mindetjährigen zum Termin einzufinden. Das heißt, der gesetzliche Vertreter ist nach dieser Ansicht wohl nicht nur mehr Empfangsadressat des Schriftstücks, sondern auch der Inhalt der Ladung richtet sich an ihn. Nach dieser Verfahrensweise wird strenggenommen eine Person gleich einem Zeugen geladen, die faktisch nicht Zeuge ist, da sie keine Wahrnehmungen gemacht hat. Ausdrücklich wird festgestellt, daß der Hinweis nach § 48 StPO auf den tatsächlichen Zeugen bezogen bleibt. Nach dieser Ladungsweise verfährt auch Rogall, der immerhin noch die Aufnahme des Hinweises in die Ladung empfiehlt, daß Erziehungsberechtigte als Begleitpersonen nach § 11 Abs. 1 Satz 2 ZSEG entschädigt werden. 46 Ähnlich argumentiert Lernke, wonach Kinder zu Händen ihrer gesetzlichen Vertreter geladen werden. Die Eltern sind "gegebenenfalls [... ] selbst zu laden und aufzufordern, sich mit den Zeugen bei Gericht einzufinden. ,,47 Offen wird gelassen, was "gegebenenfalls" bedeutet. Eine Unterscheidung in Kinder und Jugendliche wird erst gar nicht getrof-
LR-Dahs § 48, Rdnr. 11; KK-Senge § 48, Rdnr. 6. LR-Dahs § 48, Rdnr. 11 verweist auf Skupin MDR 1965, 865, 866. 43 LR-Gollwitzer § 214, Rdnr. 3. 44 Meyer-Goßner § 48, Rdnr. 7; Pfeiffer § 48, Rdnr. 2. 45 Meyer-Goßner § 48, Rdnr. 7. 46 SK-Rogall § 48, Rdnr. 24, wobei die Vorschrift strenggenommen nur von notwendigen Begleitpersonen spricht und nicht ausdlÜcklich die erziehungsberechtigte Begleitperson meint; vgl. Seite 77. 47 HK-Lemke § 48, Rdnr. 5. 41
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c. Die einzelnen Hauptpflichten und ihre Ausnahmen
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fen; das Verfahren bei Jugendlichen ohne hinreichende Verstandesreife bleibt unberücksichtigt. Vage bleibt Paulus, der Kinder ohne nötige Verstandesreife zu Händen des Erziehungsberechtigten oder gesetzlichen Vertreters laden will. Gleichzeitig bleibt unbeantwortet, wie mit Kindern und Jugendlichen zu verfahren ist, die diese Verstandesreife aufbringen; es sei, man interpretiert in die Kommentierung hinein, daß Kinder eine entsprechende Verstandesreife per se nicht aufbringen können. 48 Völlig offen bleibt zudem in allen Kommentaren, wie die Verstandesreife vom Richter festgestellt werden soll, der zu diesem Zeitpunkt des Verfahrens die Zeugen in der Regel noch nicht kennt. Zusammenfassend wird hinsichtlich der Ladungsmodalitäten je nach Ansicht eine strikte Unterscheidung zwischen minderjährigen Zeugen unter 14 und ab 14 Jahren getroffen, bzw. eine Unterscheidung von Zeugen unabhängig von deren Alter vorgenommen in solche mit hinreichendem Verständnis von der Bedeutung der Ladung und solche ohne ein solches Verständnis. Die herrschende Meinung trennt zwischen Kindern unter 14 Jahren, die immer zu Händen ihrer gesetzlichen Vertreter geladen werden, und Jugendlichen ab 14 Jahren, die grundsätzlich persönlich geladen werden können. 49 Die Grundlage für diese Auffassung setzte Skupin, der Zeugen erst dann persönlich laden will, wenn sie die Bedeutung der Ladung verstehen können. 50 Davon könne bei einem Zeugen ab 14 Jahren ausgegangen werden. Den richtigen Ansatzpunkt bildet für Skupin die Vorschrift des § 3 JGG, der den Jugendlichen grundsätzlich als strafmündig einstuft. Auf dieser Prämisse aufbauend kommt Skupin zu dem Ergebnis, daß der Gesetzgeber unterstellt, daß ein Jugendlicher regelmäßig die Bedeutung einer Zeugenladung und die damit verbundene Strafdrohung im Falle des Ausbleibens verstehen wird. 51 In dieser Konsequenz muß ihm die Ladung persönlich zugestellt werden. Diesen Ansatz verfolgt auch Schweckendieck als einer der wenigen, der versucht, seiner Verfahrensweise eine dogmatische Grundlage zu geben und hierzu erneut einen Vergleich zum jugendlichen Angeklagten zieht. 52
KMR-Paulus § 48, Rdnr. 13. Pfeiffer § 48, Rdnr. 2; Meyer-Goßner § 48, Rdnr. 7. 50 Skupin MDR 1965, 865. 51 Skupin MDR 1965, 865, 868. 52 Schweckendieck NStZ 1990, 170, 171.
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4. Kap.: Die Hauptpflichten des minderjährigen Zeugen cc) Eigene Stellungnahme
Eine förmliche Zustellung der Ladung ist vom Gesetzgeber nicht vorgeschrieben. Die Vorschriften hierzu können daher nur bedingt für die Frage nach dem richtigen Ladungsadressaten weiterhelfen. Da allerdings die Anwendung des § 51 StPO - die Folgen des Ausbleibens eines Zeugen - den Ladungsnachweis erfordert, ist die förmliche Zustellung meist angeraten. 53 Demnach muß § 37 Abs. I Satz I StPO, der auf die Zivilprozeßordnung verweist, für die Suche nach dem richtigen Ladungsadressaten zumindest kurz untersucht werden. Könnte die Vorschrift des § 171 Abs. I ZPO herangezogen werden, wäre die Lösung schnell gefunden: Zustellungen an nicht prozeßfähige Parteien müßten an deren gesetzlichen Vertreter erfolgen. Doch nach ganz einhelliger Meinung ist § 171 ZPO im Strafverfahren nicht entsprechend anwendbar und scheidet in jedem Fall für die Zeugen ladung aus. Der Wortlaut des § 171 ZPO stellt allein auf den Begriff der Partei ab; ein Zeuge ist aber niemals Partei. 54 Darüber hinaus stellt die Vorschrift als entscheidendes Kriterium auf die Prozeßfähigkeit ab. Auf die Prozeßfähigkeit kommt es selbst bei der Ladung des minderjährigen Zeugen schon im Zivilprozeß nicht an, weil auch dort der Prozeßunfähige zeugnisfähig ist. 55 Förmliche Zustellvorschriften helfen somit zur Ergebnisfindung nicht weiter. Es ist allein auf den Zweck der Ladung abzustellen, nämlich die relativ große Gewähr für das Erscheinen des Zeugen zu erhalten. Es kann daher nicht angehen, minderjährige Zeugen grundsätzlich zu Händen ihrer gesetzlichen Vertreter zu laden. Diese Verfahrensweise wird schon durch rein praktische Gegebenheiten widerlegt. Jugendliche verlassen zum Teil das Elternhaus früh, um eigene Formen des Zusammenlebens auszuprobieren. Die familiären Verhältnisse sind dem Gericht in der Regel nicht bekannt. Ein Jugendlicher kann seit Jahren von seinen Eltern getrennt leben. Die Gewähr, daß er von der Ladung tatsächlich Kenntnis erhält, ist zu gering, wenn diese allein an die gesetzlichen Vertreter zugestellt wird. Auf der anderen Seite mag es zwar reife 12jährige geben, die durchaus in der Lage wären, die Bedeutung einer Ladung zu verstehen. Von diesem Ausnahmefall kann das Gericht nicht ausgehen. Allein sinnvoller Weg ist es, eine klare Altersabstufung zu treffen: Das Gesetz gibt hierzu die entsprechende Weichen stellung in § 3 JGG, der vom Grundsatz der strafrechtlichen Verantwortlichkeit eines Jugendlichen für von ihm begangene Straftaten ausgeht. Meyer-Goßner § 48, Rdnr. 1; § 51, Rdnr. 2. Schweckendieck NStZ 1990, 170, 171. 55 Mit dem Ergebnis, daß § 171 ZPO analog auch nicht rur die Ladung des minderjährigen Zeugen im Zivilprozeß anwendbar ist, vgl. Findeisen, Zeuge, S. 43. 53
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Sieht der Gesetzgeber einen Jugendlichen als strafmündig an, so ist davon auszugehen, daß er die Bedeutung einer Ladung und den Hinweis auf die Folgen seines eventuellen Ausbleibens verstehen muß. Es ergibt sich daher die notwendige Unterscheidung rur Ladungen an kindliche Zeugen unter 14 und jugendlichen Zeugen ab 14 Jahren. (J) Richtige Ladung von kindlichen Zeugen Richtiger und zudem praktikabler Weg rur das Gericht ist es, Zeugen in einem Alter bis zu einschließlich 13 Jahren immer zu Händen ihrer gesetzlichen Vertreter zu laden. Dies hat völlig unabhängig davon zu geschehen, ob das Kind selbst die Bedeutung der Ladung hätte verstehen können. Das Gericht, das das Kind zumeist noch nicht kennt, kann im Einzelfall nicht feststellen, ob das Kind bereits lesen kann, wer die Post tatsächlich öffuet, und es weiß über viele soziale und praktische Gegebenheiten in einer Familie nicht Bescheid. Sollte man sonst mit der Festsetzung starrer Altersgrenzen sehr zurückhaltend agieren und sich gerade im sensiblen Bereich der mindeIjähriger Zeugen lieber einen Spielraum rur Einzelfallentscheidungen offenhalten, so ist doch im Falle der Ladung das Alter des Zeugen das einzige eindeutige Abgrenzungskriterium, mit dem in der Praxis wirksam zu arbeiten ist. 56 Das hinreichende Verständnis eines minderjährigen Zeugen vom Inhalt einer Zeugenladung kann vom Richter nicht - ohne größeren Aufwand zu betreiben - festgestellt werden. Doch selbst wenn ein solches Verständnis angenommen werden kann, darf es nicht angehen, daß sich beispielsweise ein Iljähriges Kind alleine auf den Weg zum Gericht macht. Fürsorgegründe des Staates und die elementare Verletzung von Elternrechten verbieten dies. Mag ein Kind die Bedeutung einer Ladung noch verstehen können, so kann es die Folgen seiner Aussage und mögliche psychische Belastungen alleine keinesfalls mehr überblicken. Die Eltern sind in jedem Fall in diesem Prozeß miteinzubinden; zudem erhöht sich damit die Gewähr, daß der Zeuge zum Termin erscheint. 57 Die Eltern bekommen die Möglichkeit, einen Rechtsanwalt, der die Kinder vor Gericht vertritt, zu beauftragen. 58 Ist ein Elternteil von vornherein in dem Strafverfahren als Angeklagter beteiligt, ist sein Elternrecht entsprechend zu beschränken. Schon die Ladung ist Schweckendieck NStZ 1990, 170, 171. Schellenberg, Hauptverhandlung, S. 25. 58 Bei die Entscheidung der Frage, ob zur Wahrung der Rechte einer durch ein Sexualdelikt des Bruders geschädigten Minderjährigen ein Rechtsanwalt beauftragt werden soll, befinden sich die Eltern der beiden involvierten Kinder in einem Interessenkonflikt, so daß die Bestellung eines Ergänzungspflegers erforderlich ist, OLG Düsseldorf NStZRR 2001,303 f. 56 57
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dann zu Händen eines Ergänzungspflegers zu senden, denn das Elternrecht ist kein eigennütziges Beherrschungsrecht, sondern orientiert sich gemäß § 1627 BGB stets am Wohl des Kindes, das in einem Konflikt zwischen Elternrecht und Kindeswohl stets vorrangig zu beachten ist. 59 Werden die Interessen des Kindes dadurch gefährdet, daß zwischen seinen Interessen und denen des vertretungsberechtigten Elternteils eine erhebliche Kollision besteht, wird diesem Elternteil insoweit seine Vertretungsbefugnis genommen. 60 Rechtsfolge des Ausschlusses von der Vertretung ist bei gemeinsamer elterlicher Sorge nicht das Alleinvertretungsrecht des anderen Elternteils, sondern die Ausschlußwirkungen treffen vielmehr auch diesen, unabhängig davon, ob die Eltern verheiratet sind. 61 Die Bestellung eines Ergänzungspflegers wäre schon im Rahmen der Ladung notwendig. Nicht vertretbar, da contra legern, ist es, nur die Eltern zu laden und dies mit der Aufforderung zu verbinden, sich gemeinsam mit ihrem Kind zur Hauptverhandlung einzufinden. Adressaten der Ladung müssen vielmehr die kindlichen Zeugen bleiben; die Eltern treten nur an die Stelle eines Empfangsbevollmächtigten des Schriftstücks. Sollen die Minderjährigen als Zeugen verpflichtet werden, muß sich die Ladung selbstverständlich inhaltlich an sie richten. 62 Andernfalls würde eine neue Prozeßfigur geschaffen, die in der Strafprozeßordnung nicht vorgesehen ist: Eine als Zeuge geladene Person, der die Pflicht obliegt, den tatsächlichen Zeugen zur Hauptverhandlung zu bringen, gibt es nicht. In der fehlenden Unterscheidung zwischen dem Adressaten des Verwaltungsaktes Ladung und dem tatsächlichen Zustellungsempfänger mag der Hauptgrund vieler sachlich unrichtiger Darstellungen zu finden sein. (2) Richtige Ladung von jugendlichen Zeugen Es ist hier der Vergleich von Schweckendieck von Nutzen, den dieser zum jugendlichen Angeklagten gezogen hat. 63 Eine Gleichbehandlung des jugendlichen Zeugen mit dem jugendlichen Angeklagten liegt auf der Hand. Zwar macht der Gesetzgeber auch bezüglich der Frage, wie ein jugendlicher Angeklagter zu laden ist, weder im Jugendgerichtsgesetz noch in der Strafprozeßordnung Vorschriften. Bestimmt wird nur, daß gemäß § 50 Abs.2 JGG zur Hauptverhandlung zusätzlich die Ladung des Erziehungsberechtigten und des
BVerfGE 37, 217, 252; 52, 360, 382; 68, 176 ff., 75, 201 ff. Palandt-Diederichsen § 1629, Rdnr. 20. 61 Palandt-Diederichsen § 1629, Rdnr. 20. 62 Nelles, Persönlichkeitsrechte, S. 211,221. 63 Schweckendieck NStZ 1990, 170. 59
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C. Die einzelnen Hauptpflichten und ihre Ausnahmen
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gesetzlichen Vertreters angeordnet werden soll. Nach ganz einhelliger Meinung sind Zustellungen an den Minderjährigen selbst zu adressieren. Wie dargestellt, ist § 171 ZPO im Strafverfahren nicht entsprechend anwendbar. Schon zur Vermeidung einer ungerechtfertigten Ungleichbehandlung von einem gleichaltrigen Angeklagten und einem Zeugen ist daher die Ladung an den jugendlichen Zeugen selbst zu adressieren. Der Gesetzgeber ist davon ausgegangen, daß ein 14jähriger Jugendlicher aufgrund seines Alters in der Lage ist, die Rechte und Pflichten eines Angeklagten wahrzunehmen. 64 Erst recht muß davon ausgegangen werden, daß ein 14jähriger Zeuge den ihn (zumeist) wesentlich weniger belastenden Inhalt einer Zeugen ladung intellektuell verstehen kann. Im Hinblick auf § 50 Abs. 2 JGG ergibt sich für den jugendlichen Angeklagten folgende Verfahrensweise: Er selbst wird persönlich geladen und ist der Zustellungsadressat; unabhängig von ihm sollen seine Eltern zur Hauptverhandlung ebenfalls geladen werden. Dies gebietet vor allem das Elternrecht gemäß Art. 6 Abs. 2 GG. 65 Die Ladung der Eltern darf nur aus wichtigen Gründen unterbleiben; vgl. § 51 Abs. 2 JGG (Ausschluß der Eltern aus der Hauptverhandlung gegen ihr Kind)66 und 67 Abs.4 JGG. Die Anwesenheit der Erziehungsberechtigten und gesetzlichen Vertreter in der Hauptverhandlung ist für die Persönlichkeitserforschung des jugendlichen Angeklagten von großem Belang. 67 Dem Anwesenheitsrecht der Eltern liegt die Hoffnung zugrunde, daß sie maßgeblich mitbeeinflussen können, ob den mit dem jugendlichen Angeklagten getroffenen Vereinbarungen über seine künftige Lebensführung erzieherische Wirkung zukommen kann. 68 Für die Ladung des jugendlichen Zeugen empfiehlt sich dieses Vorgehen ebenfalls. In Anlehnung an das Jugendgerichtsgesetz kann man insbesondere So auch Schweckendieck NStZ 1990, 170, 171. Ostendorf, JGG, § 50, Rdnr. 11. 66 Für wie wichtig die Beteiligung der Eltern im Jugendstrafverfahren gehalten wird, ergibt sich aus einer aktuellen Entscheidung des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts (2 BvR 716/01 vom 16.01.2003) , die nunmehr § 51 Abs. 2 JGG als nicht mit Art. 6 Abs. 2 GG vereinbar und daher nichtig erklärte, da die Vorschrift zu unbestimmt gefaßt sei. In den Leitsätzen (Nr. 1) heißt es: "Es gehört zu dem von Art. 6 Abs. 2 Satz 1 GG geschützten Verantwortungsbereich der Eltern, die Rechte ihrer Kinder dem Staat oder Dritten gegenüber zu schützen. Daraus folgt von verfassungswegen die Notwendigkeit einer frühzeitigen Beteiligung von Eltern im Jugendstrafverfahren. Vorschriften, die Eltern Beteiligungsrechte entziehen oder sie aus der Hauptverhandlung ausschließen, sind Eingriffe in verfassungsrechtlich geschützte Elternrechte." Weiter heißt es (Leitsatz Nr. 3): " Das Recht zur Durchsetzung des staatlichen Strafanspruchs kann zwar einen Eingriff in das elterliche Erziehungsrecht erlauben, macht es aber nicht entbehrlich, daß auch dieser Eingriff ein hinreichend bestimmtes Gesetz zur Grundlage hat." Vgl. http://www.bverfg.de/entscheidungenlrs20030116_2bvr071601.html. 67 Brunner / Dölling, JGG, § 50, Rdnr. 7. 68 Eisenberg, JGG, § 50, Rdnr. 20. 64
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nicht zu dem Ergebnis kommen, daß ein Zeuge über 14 Jahren persönlich geladen wird, ohne daß gleichzeitig eine Benachrichtigung der Eltern zu erfolgen hat. 69 Dieser Punkt wird in der Kommentarliteratur erstaunlicherweise nicht berücksichtigt und in der Praxis ebenfalls oft mißachtet. 70 Das in Art. 6 Abs. 2 und Abs. 3 GG niedergelegte Elternrecht ist nicht nur ein Grundrecht der Eltern, sondern auch eine Pflicht. 7l Diese Pflichtenbindung unterscheidet das Elternrecht von allen anderen Grundrechten. 72 Sinnvoller wäre es daher, von vornherein auf die Begrifflichkeit des Elternrechts zu verzichten und statt dessen die verfassungsmäßigen Rechte und Pflichten der Eltern unter dem Begriff der Elternverantwortung zusammenzufassen. 73 Diese Elternverantwortung umfaßt die Pflege, das heißt die Sorge für das körperliche Wohl, und die Erziehung, also die Sorge für die geistige und seelische Entwicklung, die Bildung und Ausbildung der minderjährigen Kinder. 74 Die umfassende Verantwortung für die Lebens- und Entwicklungsbedingungen liegt in den Händen der Eltern. Diese Rechte und Pflichten der Eltern nehmen zwar mit fortschreitendem Alter des Kindes ab, erlöschen aber erst mit dessen Volljährigkeit. 75 Wie sollen Eltern ihre Pflicht verantwortungsbewußt erfüllen, wenn sie von einer Ladung ihres Nachwuchses als Zeuge keine Kenntnis erfahren? Es kann nicht angehen, daß Eltern beispielsweise die Schulzeugnisse ihrer Kinder bis zur Volljährigkeit unterschreiben müssen, wie dies allgemein üblich ist, daß es dagegen dem Richter, der eine Ladung an den Jugendlichen selbst adressiert, verborgen bleibt, ob die Eltern jemals von der Zeugenaufgabe ihrer Kinder erfahren haben. Eine solche Verfahrensweise würde eklatant in den Erziehungsprimat der Eltern eingreifen. Die Kenntnis von einem Strafverfahren und von der Zeugenpflicht ihres Kindes kann für die Eltern von großem Interesse sein. Sie erfahren etwas über den möglicherweise delinquenten Freundeskreis ihres Kindes oder können ihm helfen, die Folgen einer beobachteten Straftat zu verarbeiten. Selbst wenn der MindeIjährige nur einen Verkehrsunfall bezeugen soll, den er zufällig gesehen hat, können für ihn mit der Vernehmung diffuse Ängste verbunden sein, bei de69 Insbesondere muß berücksichtigt werden, daß über § 26 GVG die Zuständigkeit auch der Jugendgerichte tUr Straftaten Erwachsener, durch die ein Kind oder ein Jugendlicher verletzt oder unmittelbar gefährdet wird (sog. Jugendschutzsachen), begründet wird. Insofern würde eine Ungleichbehandlung des jugendlichen Angeklagten mit dem jugendlichen Zeugen noch stärker ins Gewicht fallen. 70 Vgl. 4. Kap. C. I. 2. b) (aa). 71 Maunz-Dürig, GG, Art. 6, Rdnr. 25 j; Jarass / Pieroth, GG, Art. 6, Rdnr. 28 ff. 72 BVerfGE 24, 119,143. 73 BVerfGE 10, 59, 76 ff, 24, 119, 143; 56, 363, 382; 68, 176, 190. 74 Jarass / Pieroth, GG, Art. 6, Rdnr. 29. 75 BVerfGE 59, 360, 382; 72, 122, 137.
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ren Bewältigung die Eltern beistehen möchten. Ihnen ist eine Zweitschrift der Ladung oder eine formlose Mitteilung, in der Art einer Terminsnachricht, zuzusenden, etwa dergestalt, daß sie informiert werden, daß ihr Kind zu einer Hauptverhandlung als Zeuge geladen ist. Nur so ist dem Elternrecht genüge getan. Eltern muß zumindest die Chance eingeräumt werden, ihr Kind für den Fall unterstützen zu können, daß dieses sie nicht selbst um eine entsprechende Hilfe ersucht hat. Mit einer solchen Mitteilung erhöht sich zudem die Chance, daß der Jugendliche erscheint und er vor möglichen Ordnungsmitteln bewahrt bleibt. 76 Wird eine Benachrichtigung der Eltern ausnahmsweise unterlassen, soll davon die Wirksamkeit der Ladung des jugendlichen Zeugen unberührt bleiben. Der Fortgang des Verfahrens darf zudem nicht vom tatsächlichen Erscheinen der Eltern abhängig gemacht werden, da eine entsprechende Benachrichtigung über eine Zeugenladung in vielen Familien auf Desinteresse stoßen wird. Diese Entscheidung beruht in erster Linie auf der Überlegung, daß dem Zeugen gegenüber selbstverständlich größtmögliche Rücksicht und Fairneß aufgebracht werden muß, er jedoch andererseits nicht zum Herr des Verfahrens werden darf.
Im Ergebnis ist die Ladung an den jugendliche Zeugen entweder als einfacher Brief oder im Wege der Zustellung an ihn selbst zu richten. Insofern besteht kein Unterschied zum volljährigen Zeugen. Die gesetzlichen Vertreter erhalten eine Abschrift der Ladung. Unterbleibt die Terminsnachricht, darf das die Ladung an den Zeugen, wie gerade dargestellt, nicht unwirksam machen. Kinder unter 14 Jahren sind aus Fürsorgegründen immer zu Händen ihrer gesetzlichen Vertreter zu laden. Das heißt, die Kinder bleiben rechtlich Adressaten der Ladung, die Eltern werden die Empfangsbevollmächtigten. An dieser Verfahrensweise ändert sich selbst dann nichts, wenn ein hinreichendes Verständnis des Kindes über die Bedeutung der Ladung unterstellt werden könnte. Gerade in dieser sensiblen Altersgruppe muß den Gerichten für ihnen zumeist nur aus den Akten bekannte Kinder ein eindeutiges Abgrenzungskriterium an die Hand gegeben werden. Sobald es allerdings auf eine Zustimmung des gesetzlichen Vertreters ankommt, ist dieser mehr als nur bloße Begleitperson. Die gesetzlichen Vertreter müssen somit immer unabhängig von allen vorgestellten Fallkonstellationen selbst geladen werden, wenn der minderjährige Zeuge ihrer Einwilligung zur Aussage nach § 52 Abs. 2 Satz 1 StPO bzw. zu einer körperlichen Untersuchung gemäß § 81 c Abs. 3 Satz 2 StPO bedarf. 77 Schellenberg, Hauptverhandlung, S. 25. LR-Gollwitzer § 214, Rdnr.3; KK-Senge § 214, Rdnr.3; Meyer-Goßner § 214, Rdnr. 3; a.A. SK-Schlüchter § 214, Rdnr. 20 aber nur rur den Fall, daß der gesetzliche Vertreter in der Frage der Zustimmung sich schon endgültig erklärt hat. 76
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4. Kap.: Die Hauptpflichten des minderjährigen Zeugen
3. Ausnahmen von der Erscheinenspflicht
a) Zeugnisunjähigkeit Fraglich ist, ob die Unfähigkeit, Zeuge zu sein, von der Erscheinenspflicht entbindet. Nach den Ergebnissen dieser Arbeit wird die Zeugeneigenschaft mit der daraus resultierenden Erscheinenspflicht durch die Zeugnisunfähigkeit nicht berührt. Im Gegensatz zu früheren Strafprozeßordnungen enthält das geltende Recht keine Vorschriften zur Zeugnis fähigkeit; 78 insbesondere wird kein Mindestalter des Zeugen in der StPO vorgeschrieben. 79 Das Gesetz erklärt niemanden von vornherein unfähig, Zeuge zu sein. Selbst die Eidesunfähigkeit beseitigt die Zeugnisfähigkeit nicht, wie § 60 StPO beweist, der ein Vereidigungsverbot fiir Zeugen unter 16 Jahren bestimmt und damit im Umkehrschluß von der grundsätzlichen Fähigkeit Minderjähriger, Zeugen zu sein, ausgeht. Aus der Funktion des Zeugen besteht keine Notwendigkeit fiir eine entsprechende Altersgrenze. Der Zeuge gibt in einem nicht gegen ihn selbst gerichteten Strafverfahren Auskunft über Wahrnehmungen. 8o Jeder Mensch kann Zeuge sein, sofern er in der Lage ist, bestimmte Tatsachen wahrzunehmen, in Erinnerung zu behalten und später wiederzugeben. 81 Die einzelnen Elemente der Zeugnisfähigkeit sind daher die Wahrnehmungsfähigkeit, das Erinnerungsvermögen und die Ausdrucksfähigkeit. 82 Richtiges Fazit schon des Reichsgerichtes aus dem Jahr 1924: "Es gibt keine schlechthin untauglichen Zeugen. ,,83 Nicht gefolgt werden kann der Ansicht, wonach die Zeugnisfähigkeit zumindest voraussetzt, daß man begreift, die Wahrheit sagen zu müssen. 84 Es reicht, daß der Zeuge seine Wahrnehmungen verständlich wiedergeben kann; auf ein bestimmtes Pflichtbewußtsein zur wahren Wiedergabe der Wahrnehmungen kommt es auf dieser Ebene nicht an. Zeuge kann jedoch nur sein, wer die zu bekundende Tatsache wahrnehmen und in der Erinnerung behalten konnte und vor allem imstande ist, darüber
Siehe auch den geschichtlichen Überblick I. Kap. C. Auch eine Art Prozeßfahigkeit im Sinne des § 52 ZPO ist der Strafprozeßordnung fremd. Dies ist wichtig für mögliche Beteiligungsrechte, etwa der Nebenklage; vgl. Eisenberg GA 1998, 32, 33. 80 RGSt 52, 289; LR-Dahs Vor § 48, Rdnr. 1. 81 Eisenberg, Beweisrecht, Rdnr. 1000. 82 Hauser, Zeugenbeweis, S. 64 ff. 83 RGSt 52, 138, 139. 84 Schlüchter, Strafverfahren, Rdnr. 476; KMR-Paulus Vorb. § 48, Rdnr. 33. 78
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Auskunft zu geben: 8s Entscheidendes Kriterium ist allein, ob der Betreffende "fähig ist, den bekundeten Vorgang richtig zu erfassen und wiederzugeben.,,86 Diese Fähigkeit haben die meisten Menschen, aber nicht jeder Mensch und insbesondere noch nicht jedes Kind. Im Ergebnis können Kinder nur dann Zeugen sein, wenn von ihnen eine verständliche Aussage zu erwarten ist. 87 Nicht verwechselt werden darf die Zeugnisfähigkeit mit der Aussagefähigkeit (auch Verhandlungs- und Vernehmungsfähigkeit).88 Ob die zuletzt genannte Fähigkeit vorliegt, ist in erster Linie eine Frage vorübergehender und damit wandelbarer Defizite in der Aussagetüchtigkeit. Aussagefähigkeit ist die Fähigkeit einer Person, einen konkreten Sachverhalt zutreffend wiederzugeben. 89 Zeugnisunjähigkeit setzt dagegen dauerhafte Defekte in der Person des Zeugen voraus. 90 Dies darf bei der fehlenden Fähigkeit zu sprechen nicht ganz streng genommen werden, denn dieser Defekt ist bei kleinen Kindern schließlich nicht dauerhaft, dennoch sind diese zeugnisunfähig. Wichtigste Voraussetzung für die Zeugnisfähigkeit des Kindes ist es, daß es sprechen kann. Die Fähigkeit zu sprechen könnte aber nicht allein ausschlaggebend sein. Schließlich ist unter dem Begriff der Aussage nicht nur das gesprochene Wort zu verstehen, sondern auch gewillkürte Reaktionen einer Beweisperson zum Beweisthema wie etwa Lachen. 91 Ist eine eigentliche Aussage nicht zu erwarten, so kann nach h.M. die Mimik des Zeugen durchaus mündliche Bekundungen ersetzen. 92 Die Grundsätze der Vernehmung von taubstummen Analphabeten können jedoch nicht auf Kinder übertragen werden, die noch nicht sprechen können. Gehörlose Menschen sind zumeist in der Lage, sich in der Gebärdensprache auszudrücken, sind also durchaus einer Sprache mächtig, die in ihrer Ausdrucksvariabilität mit anderen, verbalen Sprachen zu vergleichen ist. Taubstumme Menschen, die nicht die Gebärdensprache beherrschen, können dagegen nach h.M. nicht als Zeugen vernommen werden;93 sie sind aus tat8S Alsberg / Nüse / Meyer S. 173; Peters, Strafprozeß, S. 344; Henkel, Strafverfahrensrecht, S. 201; Ranft, Strafprozeßrecht, Rdnr. 451,452; LR-Dahs Vor § 48, Rdnr. 9. 86 BGHSt 2,269,270. 87 RGSt 58,396; Gley StV 1987,405; Skupin MDR 1965,865; Hetzer / Pfeiffer NJW 1964, 441; Arntzen DRiZ 1976, 20; Gössel, Strafverfahrensrecht, S. 198; Hauser, Zeugenbeweis, S. 63; Alsberg / Nüse / Meyer S. 174; LR-Dahs Vor § 48, Rdnr.20, 23; KMR-Paulus Vorb. § 48, Rdnr. 33; Meyer-Goßner Vor § 48, Rdnr. 13. 88 Vgl. SK-Rogall Vor § 48, Rdnr. 30. 89 Siehe auch 4. Kap. C. H. 3. 90 SK-Rogall Vor § 48, Rdnr. 30. 91 KMR-Paulus Vorb. § 48, Rdnr. 16. 92 So schon RGSt 33, 403; vgl. auch LR-Dahs Vor § 48, Rdnr. 9; Meyer-Goßner Vor § 48, Rdnr. 13. 93 Eisenberg, Beweisrecht, Rdnr. 1001.
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4. Kap.: Die Hauptpflichten des minderjährigen Zeugen
sächlichen Gründen zeugnisunfahig. Kinder, die noch nicht sprechen können, mögen zwar durch ihre Mimik beispielsweise Angst vor dem Angeklagten oder ihr Wiedererkennen des Angeklagten ausdrücken können, sind aber ebenfalls absolut zeugnisunHihig. Nach dem Grundsatz der freien Beweiswürdigung besteht allerdings in diesen Fällen die Möglichkeit, das tatsächliche Gebaren oder die Mimik der jeweiligen Beweisperson als sogenannte Beweishilfe zu berücksichtigen. 94 Anderer Ansicht ist nur Paulus, der auch das Gebaren oder die Mimik als echte Aussage verstanden wissen wil1. 95 Diese Ansicht, streng zu Ende gedacht, würde bedeuten, daß auch Kinder, die noch nicht in der Lage sind zu sprechen, als Zeugen geladen werden müßten. Doch nur bei Mimik oder Gesten, die im Rahmen einer beredten Aussage gemacht werden, kann von einer tatsächlichen Aussage gesprochen werden. Nur insofern gewinnt beispielsweise das "beredte Schweigen" Bedeutung: 96 Der Zeuge schweigt an entsprechender Stelle, statt etwas zu sagen. Dies setzt aber immer die Möglichkeit der Sprache voraus. Nur im Kontext mit einer verbalen Aussage kann der Richter erkennen, daß der Zeuge ihn überhaupt versteht. Theoretisch ist bei Kindern, die noch nicht sprechen können, lediglich an die Möglichkeit, sie im Rahmen eines Beweisbehelfes - der eher als Augenschein denn als Aussage einzustufen wäre - zu laden. Allerdings wird in der Praxis der Beweiswert einer solchen Aussage zweiter Klasse so gering sein, als daß der Richter auf diese Möglichkeit, die gleichzeitig eine große Belastung für die Kleinkinder darstellen könnte, zurückgreifen würde. Der Richter beurteilt nach pflichtgemäßem Ermessen, ob die Voraussetzungen einer Zeugnisfähigkeit gegeben sind. 97 Ausschlaggebend für diese Entscheidung ist allein die Frage, ob der MindeIjährige die Fähigkeit hat, "den bekundeten Vorgang richtig zu erfassen und wiederzugeben".98 Im Einzelfall muß sich der Richter selbst - eventuell mit Hilfe eines Sachverständigen - Gewißheit über die Zeugnisfähigkeit des Kindes verschaffen. 99 Die Feststellung der Zeugnisfähigkeit kann in der Regel im Rahmen des Freibeweisverfahrens getroffen werden. loo Die Pflicht, entsprechende Feststellungen zu treffen, folgt 94 RGSt 33, 403 für eine taubstumme Beweisperson. Vgl. auch LR-Dahs Vor § 48, Rdnr.9. 95 KMR-Paulus Vorb. § 48, Rdnr. 16; so wohl auch Meyer-Goßner Vor § 48, Rdnr.13. 96 Pfeiffer § 261, Rdnr.6 und Meyer-Goßner § 261, Rdnr. 19 ff. mit weiteren Nachweisen zur Verwertbarkeit des Schweigens eines Zeugen als belastendes Beweiszeichen. 97 Gössel, Strafverfahrensrecht, S. 198. 98 BGHSt 2,269,270. 99 KK-Pelchen Vor § 48, Rdnr. 5. 100 KK-Senge Vor § 48, Rdnr.5 mit Verweis auf Beschluß des BGH vom 30.7.1992 -1 StR 271/92; KMR-Paulus Vorb. § 48, Rdnr. 33 am Ende.
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aus der Aufklärungsptlicht. 101 Strafprozessual gedeckt wäre es, wenn ein Geschäftsstellenbeamter das Kind im Auftrag des Richters telefonisch im Wege des Freibeweisverfahren formlos (nicht zur Sache, sondern zur Klärung seiner Sprechfertigkeit) befragen würde. Der Sachverhalt ist vergleichbar etwa mit der Konstellation, daß der Geschäftsstellenbeamte telefonisch versucht, den Aufenthaltsort eines Zeugen zu ermitteln. 102 Der Richter könnte dann vorab feststellen, daß ein Kind nicht zeugnisfahig ist und sogleich auf dieses Beweismittel von vornherein verzichten bzw. einen entsprechenden Beweisantrag nach § 244 Abs. 3 Satz 2 StPO als völlig ungeeignetes Beweismittel ablehnen. Im Umkehrschluß bedeutet dies nicht, daß die Ladung eines zeugnisunfahigen Minderjährigen dessen Erscheinensptlicht nicht auslöst. Vielmehr wird mit dem formellen Ladungsakt die Erscheinensptlicht auch des Zeugnisunfahigen ausgelöst. Er wird zum Zeugen und muß erscheinen. Die Zeugeneigenschaft wird durch die Zeugnisunfahigkeit nicht berührt. 103 Zum Zeugen wird man allein durch den prozessualen Akt der Einbeziehung in das Verfahren, also der Ladung oder einer Vernehmung, gleichgültig ob man nun unfahig ist, "allgemein oder auch nur im Einzelfall mangels entsprechender Wahrnehmungen" zum Beweisthema Zeugnis zu geben. 104
b) Videovernehmung
Keine Ausnahme von der Erscheinensptlicht haben sich durch die neu in die Strafprozeßordnung im Rahmen des Zeugenschutzgesetzes eingeführten Vorschriften ergeben, die in gesetzlich normierten Problemfallen Fernvernehmungen gestatten. Den Gerichten wurde für die Hauptverhandlung ein verbessertes Instrumentarium für den Schutz und die Schonung von Zeugen bei deren Vernehmung an die Hand gegeben. So ermöglicht einmal § 247 a StPO an Stelle einer persönlichen Vernehmung des Zeugen während der Hauptverhandlung die zeitgleiche audiovisuelle Zeugenvernehmung. 105 Durchgesetzt hat sich für die HauptverSK-Rogall Vor 48, Rdnr. 30; KMR-Paulus Vorb. § 48, Rdnr. 33. ROSt 48, 84, 86; 51, 59. 103 SK-Rogall Vor § 48, Rdnr. 31. Offen läßt die Frage Ne/les, Persönlichkeitsrechte, S. 211,220. Sie stellt aber fest, daß als materielle Voraussetzung rur die prozeßrechtliche Begründung von Zeugnispflichten die Zeugnisfähigkeit problematisch ist. 104 KMR-Paulus Vorb. § 48, Rdnr. 33. Vgl. 2. Kap. A. 105 Sehr kritisch zur Videovernehmung in der Hauptverhandlung Strate, FO Friebertshäuser, S. 203 ff. Zu einem eher negativen Resümee kommt auch Volhert, Videovernehmungen, S. 149, 164: "Die Videokonferenz bietet wohl nur in seltenen Ausnahmefällen rur geschädigte Zeugen Verbesserungen". 101
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4. Kap.: Die Hauptpflichten des minderjährigen Zeugen
handlung das "Modell Großbritannien": Die Richter bleiben ausnahmslos im Sitzungszimmer, nur der Zeuge hält sich in einem separaten Vernehmungszimmer auf, wobei die Aussage zeitgleich in Bild und Ton in das Sitzungszimmer übertragen wird. 106 Minderjährige dürfen am Vernehmungsort von einem Anwalt oder einer Vertrauensperson begleitet werden. Voraussetzung rur eine Videosimultanvernehmung ist entweder die Gefahr eines schwerwiegenden Nachteils rur das Wohl des Zeugen gemäß § 247 a Satz I Halbsatz I StPO, die sich aus seiner Vernehmung in Gegenwart der in der Hauptverhandlung Anwesenden ergeben muß. Gleichzeitig dürfen Maßnahmen nach § 247 StPO und §§ 171 b, 172 GVG keinen Erfolg versprechen;l07 insoweit besteht eine formelle Subsidiarität. Zum anderen ist die Videoübertragung einer Vernehmung auch in Fällen des § 251 Abs. I Nm. 2, 3 und 4 StPO gemäß § 247 a Satz 1 Halbsatz 2 StPO möglich. Doch nicht die Erscheinenspflicht selbst erfährt durch § 247 a StPO eine Ausnahme, sondern strenggenommen nur die Anwesenheitspflicht des Zeugen in der Hauptverhandlung. Dies bedeutet, daß sich der Zeuge auf die Ladung hin dennoch an dem in der Ladung bestimmten Ort einzufinden hat. Nur ist der Ort, an dem der Zeuge aussagen soll, in diesem Fall nicht das Sitzungszimmer, sondern ein anderer Ort, eventuell sogar die vertraute Umgebung des Zeugen. 108 Selbst wenn der Zeuge zu Hause aussagen darf, bleibt es bei der Pflicht, sich an einem vorgegebenen Ort einfinden zu müssen. Seine mit der Hauptverhandlung zeitgleiche Vernehmung ist ein Teil dieser. Der sich andernorts befindende Zeuge ist grundsätzlich so zu behandeln, als ob er körperlich in der Hauptverhandlung anwesend wäre;109 die Ordnungsgewalt des Vorsitzenden erstreckt sich rechtlich auf den Ort, an dem der Zeuge die Aussage macht. I 10 Ferner besteht die Möglichkeit, auf Videobänder gespeicherte Zeugenaussagen von früheren Vernehmungen (§ 58 aStPO) in der Hauptverhandlung ge-
106 Im Unterschied zum sogenannten "Mainzer Modell", bei dem sich der vernehmende Richter mit dem Zeugen an einem separaten Vernehmungsort befindet; LG Mainz StV 1995, 354. Vgl. auch Seitz IR 1998, 309, 311 und Schäch, FS MeyerGoßner, S. 365, 366. Etwas unklar bleibt, warum der Gesetzgeber sich letztendlich gegen das Mainzer Modell entschieden hat, das er im Ermittlungsverfahren doch favorisierte, vgl. § 58 aStPO. Zu dieser Kritik siehe auch Hagendorn, Öffentlichkeit, S. 146 ff. 107 Kritisch zur Subsidiarität der Videokonferenz gegenüber § 247 StPO Nack, Verfahrensgerechtigkeit, S. 33, 36. 108 SK-Schlüchter § 247 a, Rdnr. 16. 109 Rieß NIW 1998,3240,3242; SK-Schlüchter § 247 a, Rdnr. 4. 110 Für einen ersten Erfahrungsbericht über die Videovernehmung von Kindern siehe von Knoblauch zu Hatzbach, ZRP 2000, 276 ff.
C. Die einzelnen Hauptpflichten und ihre Ausnahmen
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mäß § 255 a StPO vorzuführen. lll Diese Aufzeichnungen können die Aussage eines Zeugen ergänzen, aber auch als Ersatz für die unmittelbare Zeugenvernehmung dienen. Eine erneute Zeugenvernehmung wäre dann zwar entbehrlich, dennoch bleibt die Erscheinenspflicht des Zeugen davon unberührt.
4. Die Durchsetzung der Erscheinenspflicht
Ein Zwischenergebnis dieser Arbeit ist, daß minderjährige Zeugen eine Erscheinenspflicht trifft. Strittig ist zudem die Möglichkeit von Sanktionen, die es im folgenden zu klären gilt. Nach Nelles dagegen entfällt mangels Zeugnispflicht eines kindlichen Zeugen schon von vornherein die Erscheinenspflicht: Ladungen stellen dieser Ansicht nach, wie dargestellt, lediglich unverbindliche Einladungen dar und bei jugendlichen Zeugen wären Ladungen zumindest als "nicht unproblematisch" einzustufen. 112 a) Voraussetzungen fiir den Zeugenzwang gemäß § 51 StPO Die Vorschrift des § 51 StPO regelt die Ungehorsamsfolgen für einen Zeugen, der seiner Erscheinenspflicht nicht nachkommt. Als Säumnisfolgen kommen die Auferlegung der Kosten, die Festsetzung von Ordnungsmitteln sowie die Anordnung der zwangsweisen Vorführung in Betracht. Ordnungsmittel sind die Festsetzung von Ordnungsgeld und ersatzweise, falls dieses nicht beigetrieben werden kann, Ordnungshaft. Die Verhängung von diesen Ungehorsamsfolgen ist an verschiedene Voraussetzungen geknüpft. So muß der Zeuge ordnungsgemäß geladen worden und dennoch unentschuldigt zur Verhandlung nicht erschienen sein. Untersuchungsgegenstand der folgenden Ausführungen ist die Frage, ob die Maßnahmen des § 51 StPO gegenüber Kindern und Jugendlichen verhängt werden dürfen. Ausgelöst wird die Erscheinenspflicht durch eine ordnungsgemäße Ladung, deren Voraussetzungen bereits dargestellt wurden. Eine Zeugen ladung bleibt ordnungsgemäß, selbst wenn eine an sich erforderliche Benachrichtigung der Eltern nicht erfolgt ist.
111 Zum Verhältnis von § 255 a Abs. I StPO zur Videosimultanvernehmung nach § 247 a Satz I Halbsatz 2 StPO, Keiser, Videovernehmungen, S. 165,173 ff. 112 Ne/fes, Persönlichkeitsrechte, S. 211,222. Vgl. hierzu auch 3. Kap. D.
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4. Kap.: Die Hauptpflichten des minderjährigen Zeugen
aa) Nichterscheinen Das Nichterscheinen bedeutet das Ausbleiben des Zeugen zum Termin: Geringfügige Verspätungen - fünf bis zehn Minuten - gelten als unschädlich. Verspätetes Erscheinen vor Erlaß eines Beschlusses nach § 51 StPO wird nicht geahndet. 113 Eigenmächtiges vorzeitiges Verlassen der Gerichtsstelle wird nach h.M. wie ein Nichterscheinen behandelt. 114 In diesem Verhalten könnte allerdings mit guten Argumenten auch eine Aussageverweigerung im Sinne des § 70 StPO gesehen werden. I 15
bb) Keine rechtzeitige und genügende Entschuldigung Die Auferlegung der Kosten und die Festsetzung von Ordnungsmitteln entfallen nur bei rechtzeitiger und genügender Entschuldigung des Zeugen gemäß § 51 Abs. 2 Satz 1 StPO. Es gilt für Ermittlungen darüber, ob das Ausbleiben eines Zeugen tatsächlich genügend entschuldigt ist, das Freibeweisverfahren. Nach der Rechtsprechung ist die Angst vor dem Angeklagten, unter der vor allem minderjährige Opferzeugen möglicherweise zu leiden haben, kein genügender Entschuldigungsgrund. 116 Ein bestehendes Zeugnisverweigerungsrecht entschuldigt ebenfalls nicht das Ausbleiben eines Zeugen.
(1) Unkenntnis von der Zeugenladung Ein Entschuldigungsgrund, der bei minderjährigen Zeugen hauptsächlich zum Tragen kommen kann, wird die Unkenntnis von der Zeugenladung sein. Genügend entschuldigt ist insbesondere der zur Hauptverhandlung geladene, aber nicht erschienene Zeuge, der unverschuldet von der Ladung keine Kenntnis erhält. ll7 Die Gründe für ein Nichterscheinen eines minderjährigen Zeugen werden oft bei den Eltern zu suchen sein. Sind Eltern mit der Vernehmung ihres Kindes nicht einverstanden, werden sie seinem Erscheinen als Zeuge vor Gericht widersprechen und ihr Aufenthaltsbestimmungsrecht nach § 1631 Abs. 1 BGB ausüben. Wird die Ladung im Falle eines Zeugen, der noch keine
113 LR-Dahs § 51, Rdnr. 5; KMR-Paulus § 51, Rdnr. 6; Meyer-Goßner § 51, Rdnr. 3; a.A. KK-Senge § 51, Rdnr. 3. 114 KK-Senge § 51, Rdnr. 4 mit weiteren Nachweisen. 115 Lampe MDR 1974, 535, 540. 1160LG Hamm MDR 1974, 330 L; LR-Dahs § 51, Rdnr. 12; KMR-Paulus § 51, Rdnr. 16; KK-Senge § 51, Rdnr. 11. 117 Meyer-Goßner § 51, Rdnr. 11.
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14 Jahre alt ist, beispielsweise zu Händen der Eltern versandt, können diese ihr Kind erst gar nicht von der bevorstehenden Vernehmung unterrichten. Der Tennin "fällt einfach unter den Tisch". Zwar entschuldigt die Unkenntnis von der Ladung den Zeugen infolge des Verschuldens dritter Personen nicht ohne weiteres. Doch nimmt man beispielsweise im Falle eines Ehemanns, dessen bis dahin zuverlässige Ehefrau einen Tennin rur ihn falsch notierte, einen wirksamen Entschuldigungsgrund rur diesen an. ll8 Der Ehemann durfte sich auf die Richtigkeit des Tennins verlassen. Schwieriger ist die Frage rur den Fall zu entscheiden, daß· ein Familienmitglied ein anderes absichtlich von einem Gerichtstennin nicht unterrichtet. Gemeint sind hier Eltern, die etwa aus Sorge um ihr Kind dieses nicht infonnieren. Die Chance des minderjährigen Zeugen, dennoch von der Ladung zu erfahren, ist denkbar gering. Viel geringer noch als die eines Ehemannes, der im Gespräch mit seiner Frau das Thema zumindest zufällig streifen könnte. Der minderjährige Zeuge hatte auch nicht die Möglichkeit, entsprechende Vorkehrungen zu treffen. Er muß somit entschuldigt sein und Zwangsmittel zu seinen Lasten scheiden aus. Denkbar sind nach wie vor rein präventive Maßnahmen, um ein Erscheinen des Zeugen zum nächsten Tennin zu gewährleisten. (2) Verbot der Eltern
Zweifelhaft ist, was beispielsweise von einem 15jährigen Jugendlichen, der als Zeuge zu einer Hauptverhandlung geladen ist, erwartet werden kann, wenn ihm seine Eltern ein Erscheinen zum Tennin verboten haben. Werden die Eltern von sachfremden Motiven geleitet, kann der Strafrichter sich eventuell an das Vonnundschaftsgericht wenden und rur die Dauer der Vernehmung die Entziehung des elterlichen Rechts zur Aufenthaltsbestimmung gemäß § 1666 Abs. 1 Satz 1 BGB anregen. 119 Hindern die Eltern ihr Kind an der Errullung seiner Zeugenpflicht aus ehrlicher Sorge um sein Wohl, kann das Vonnundschaftsgericht hierin kaum einen Mißbrauch des Sorgerechts erblicken. Von dem Jugendlichen darf andererseits nur schwerlich erhofft werden, sich der Anordnung seiner Eltern zu widersetzen und unerlaubt zu seiner Zeugenvernehmung zu erscheinen. Bei einem Kind scheitert dies schon an rein praktischen Gegebenheiten. Wenn es überhaupt von der Ladung erfährt, wird es spätestens am Weg zum Gericht scheitern. Auch diesen Minderjährigen steht ein ausreichender Entschuldigungsgrund rur ihr Nichterscheinen zur Seite.
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OLG DüsseldorfNJW 1995,472. Vgl. auch Meier JZ 1991,638,640.
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Die Möglichkeiten der Strafprozeßordnung, eine solche Sperrerklärung der Eltern zu umgehen, werden noch dargestellt. Der Begriff der Sperrerklärung bietet sich deshalb an, weil ein Verbot der Eltern in seiner Wirkung tatsächlich einer behördlichen Verweigerung einer Zeugenaussage (§ 96 StPO; § 54 StPO in Verbindung mit § 39 BRRG) gleichkommt: "Wie die Exekutive sperren kann, so können auch die Sorgeberechtigten sperren.,,120 Zusammenfassend wird bei mindeIjährigen Zeugen eine Vielzahl von Entschuldigungsgründen greifen. Es gilt dennoch, die Zulässigkeit der Ordnungs- und Zwangsmittel gegen Kinder und Jugendliche grundsätzlich festzustellen, da oft auch eine erneute Ladung des Zeugen wirkungslos bleiben wird, denn nach dem Wunsch der Eltern soll eine Aussage tunlichst generell vermieden werden.
b) Die Zulässigkeit der Ordnungs- und Zwangsmittel des § 51 StPO gegenüber Zeugen unter 14 Jahren Kinder im Alter bis zu 14 Jahren sind strafunmündig, unabhängig von ihrer persönlichen Reife. Die Vorschrift des § 19 StGB setzt eine generelle Altersgrenze für die Zurechenbarkeit von strafrechtlich relevantem Verhalten. Jenseits dieses Bereiches beginnt gemäß § 3 JGG der Bereich bedingter Strafrnündigkeit. 121 Ob Kinder trotz ihrer Schuldunfähigkeit nach dem geltenden Strafprozeßrecht zum Erscheinen gezwungen werden dürfen, läßt der Gesetzgeber offen. Die Anordnung von Ordnungsmitteln und die Auferlegung der Kosten ist gegenüber Kindern im Ergebnis nicht möglich, da ihnen keine Pflichtverletzung vorgeworfen werden kann. Zur sachgerechten Lösung müssen daher die Ungehorsamsfolgen Auferlegung der Kosten und Ordnungsgeld bzw. -haft, die echten Sanktionscharakter aufweisen sowie die zwangsweise Vorführung, die präventiv als Vollstreckungsmaßnahme angeordnet wird, differenziert betrachtet werden.
aa) Die repressiven Ungehorsamsfolgen des § 51 StPO Repressive Unrechtsfolgen sind die Auferlegung der Kosten und die Festsetzung von Ordnungsmitteln. Auf die Abwälzung der durch das Nichterscheinen des Zeugen entstandenen Mehrkosten hat der Angeklagte sogar einen Anspruch. Die Kostenüberbürdung stellt für den Zeugen eine echte Sanktion dar. 122 Ebenfalls Sanktionscharakter haben die Verhängung eines Ordnungsgel120
Rieß, Opferschutz, S. 113,119.
121 Streng DVJJ-Joumal 1997,379 f. 122 So im Ergebnis auch Kipper, Schutz, S. 82.
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des und - für den Fall, daß dieses nicht beigetrieben werden kann - die Verhängung einer Ersatzhaftstrafe bis zu sechs Wochen. Diese Maßnahmen sind im Zusammenhang mit Kindern von vornherein schwer vorstellbar. Sollen Kinder mit dem Staat Ratenzahlungen für die Tilgung des Ordnungsgeldes von ihrem Taschengeld vereinbaren? Noch undenkbarer ist in unserer Rechtsordnung eine - egal wie auch immer geartete - Haftstrafe für Kinder. Hier allein "große pädagogische Bedenken,,123 anzumelden, wäre noch zu schwach ausgedrückt. Die Frage, ob die Maßregeln nach § 51 Abs. 1 Satz 1 StPO und § 51 Abs. 1 Satz 2 StPO generell gegenüber Kindern unter 14 Jahren verhängt werden können, ist gesetzlich nicht geregelt. Das OLG Hamrn hat 1965 in einem Beschluß noch festgestellt, daß Ordnungsstrafen - also Ordnungsgeld oder -haft - auch schuldunfähigen und damit strafunmündigen Kindern auferlegt werden dürfen. 124 Begründung war, daß es sich hierbei um keine Kriminalstrafen handelt, es also auf die Schuldfähigkeit nicht ankommen kann. 125 Es wird allerdings darauf hingewiesen, daß eine Bestrafung der Kinder oft daran scheitern werde, daß ihr Ausbleiben nicht schuldhaft war, etwa wenn der Erziehungsberechtigte ein Kommen verhinderte. Zudem würde eine Vollstreckung einer gegen ein Kind verhängten Geldstrafe regelmäßig fruchtlos verlaufen. Das LG Bremen hält dagegen in einem späteren Beschluß aus dem Jahre 1970 entsprechende Ordnungsstrafen gegen strafunmündige Zeugen entsprechend den damaligen §§ 1 Abs. 3 JGG, 7 Abs. 1 OWiG für gänzlich unzulässig. 126 Diese Ansicht ist in Rechtsprechung und Literatur heute unbestritten. Da die Anordnung von Ordnungsstrafen, wie dargestellt, bei entschuldigtem Ausbleiben unterbleiben muß, kann das im Umkehrschluß nur bedeuten, daß der Gesetzgeber von einer Art Vorwertbarkeit des Ausbleibens ausgeht. 127 Einem Kind, das beispielsweise noch des Lesens unkundig ist, kann schwerlich sein Nichterscheinen vorgeworfen werden. Ansatzpunkt bei vielen Gegnern der Ordnungsstrafen gegenüber strafunmündigen Kindern ist zum einen der Sinn und Zweck, der mit der Festsetzung dieser Zwangsmittel verfolgt werden soll. Kinder haben in der Regel kein Geld zur Bezahlung eines Ordnungsgeldes. Überzeugender ist es, herauszuarbeiten, daß es sich bei diesen Ungehorsamsfolgen um Sanktionsmittel handelt, die dem Zeugen für die Verletzung einer Pflicht auferlegt werden. 128 Ein solcher sankti123 LG Bremen NJW 1970, 1429, 1430. 124 OLG Hamm NJW 1965, 1613. 125 OLG Hamm NJW 1965, 1613. 126 LG Bremen NJW 1970, 1429. 127
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Vierhaus NStZ 1994,271; Kipper, Schutz, S. 80. Meier JZ 1991, 638, 640.
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onsbewehrter Rechtsverstoß muß nach strafrechtlichen Grundsätzen behandelt werden. 129 Die Anordnung von Ordnungsmitteln und die Auferlegung der Kosten ist nur möglich, wenn dem Zeugen eine Pflichtverletzung vorgeworfen werden kann. Gegenüber Kindern kann dieser Vorwurf nicht erhoben werden. Zwar ist § 19 StGB, der die Schuldunfähigkeit von Kindern regelt, hier nicht unmittelbar anwendbar, weil die Verletzung der Pflicht, als Zeuge zu erscheinen, keine Straftat ist. Der Rechtsgedanke des § 19 StGB ist jedoch auf die Kostenfolgen und die Verhängung von Ordnungsmitteln übertragbar. Die fehlende Verantwortlichkeit von Kindern hat als allgemeiner Rechtsgrundsatz im gesamten Sanktionenrecht zu gelten. l3O Dies führt zu dem Ergebnis, daß diese Zwangsmittel generell nicht gegenüber Kindern angewandt werden dürfen. Belegt werden kann dies zudem mit der Vorschrift des § 12 Abs. 1 Satz 1 OWiG, der ebenfalls Kinder unter 14 Jahren von vornherein von der Vorwerfbarkeit des Handeins ausschließt. Ein kindlicher Zeuge darf nicht schlechter gestellt werden, als ein kindlicher Täter. l3l Auch für einen kindlichen Zeugen muß die Vermutung gelten, daß er nicht in der Lage ist, das Unrecht seines Verhaltens zu erkennen. Der Umfang einer Zeugenpflicht ist einem Kind wahrscheinlich sogar noch schwerer begreiflich zu machen, als manche strafrechtliche Verbotsnorm, I32 wie etwa die des Diebstahls oder gar die des Tötens eines Menschen. Schon kleine Kinder können in diesen Verhaltensweisen ein Unrecht erkennen; dieses Erkennen liegt idealerweise vielleicht sogar in der Natur des Menschen.
bb) Die präventive Ungehorsamsfolge der zwangsweisen Vorführung Schwieriger als die Frage der Ordnungsstrafen läßt sich die Frage nach der Zulässigkeit einer zwangsweisen Vorführung von Kindern gemäß § 51 Abs. 1 Satz 3 StPO beantworten, deren Anordnung fakultativ ist und im Ermessen des Gerichts steht. I33 Voraussetzung einer Vorführung ist "die Besorgnis, der Zeuge werde zum nächsten Termin wiederum nicht erscheinen". 134 Die zwangsweise Vorführung verhält sich zu den übrigen Maßnahmen nicht akzessorisch. 135 129 130 131
AK-Kühne § 51, Rdnr. 10. Vierhaus NStZ 1994, 271. Skupin MDR 1965, 865, 866.
LG Bremen NJW 1970, 1429, 1430. § 51 Abs. 1Satz 3 Halbsatz 2 StPO verweist im übrigen auf § 135 StPO, der die Vorführung des Beschuldigten regelt und rur die Suche nach einem richtigen Ergebnis hier nicht weiterhilft. 134 Meyer-Goßner § 51, Rdnr. 20. 135 Sk-Rogall § 51, Rdnr. 21. 132 I33
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Die Anordnung ist daher auch möglich, wenn andere Ordnungsmittel aus persönlichen Gründen nicht verhängt werden dürfen. Insbesondere ist die Schuldfähigkeit des Adressaten nicht Voraussetzung dieses Zwangsmittels. 136 Im Gegensatz zur repressiven Auferlegung der Kosten und der Verhängung eines Ordnungsgeldes bzw. von Ordnungshaft ist die Vorführung des Zeugen keine Sanktion, sondern eine bloße Vollstreckungsmaßnahme, denn Ziel der Maßnahme ist nach ganz h.M. nicht die Ahndung eines Rechtsverstoßes. Zu einer zufriedenstelIenden Lösung wird man nach den Ergebnissen dieser Arbeit nur über eine Verhältnismäßigkeitsprüfung gelangen. Durch den Vorfiihrungsbeschluß soll nur das Erscheinen des Zeugen und somit der Verfahrensfortgang gesichert, nicht aber vorausgegangenes Ausbleiben gemaßregelt werden. Der Rechtsgedanke des § 19 StGB hilft nicht weiter. Der anderen Ansicht, die auch der zwangsweisen Vorfiihrung Sanktionscharakter zugesteht, kann nicht zugestimmt werden. 137 Dem Argument, daß die zwangsweise Vorfiihrung nach ihrem Sinn und Zweck nur verschuldensabhängig angeordnet werden darf, muß entgegengehalten werden, daß § 51 Abs. 2 Satz I StPO ausdrücklich regelt, daß nur die Auferlegung der Kosten und die Festsetzung eines Ordnungsmittels zu unterbleiben haben, wenn das Ausbleiben des Zeugen rechtzeitig genügend entschuldigt wird. Der im Rahmen dieser Zwangsmittel aufgestellte Umkehrschluß, daß der Gesetzgeber ein vorwerfbares Verhalten voraussetzt, kann nicht fiir die zwangsweise Vorführung gelten. Das Spannungsverhältnis zwischen Wahrheitssuche und Zeugenschutz ist an dieser Stelle erneut schwer zu lösen. Auf der einen Seite steht das Kind als ein Zeuge, dessen Vernehmung verfahrensentscheidend sein kann. Auf der anderen Seite ist zu fragen, was die Aussage eines Kindes wert ist, die erst nach einer zwangsweisen Vorführung erlangt werden konnte. Möglicherweise hat sich dieses Spannungsverhältnis in Zeiten von auf Video konservierten Erstaussagen gemäß § 58 a StPO etwas entzerrt. Das Damoklesschwert "Freispruch" schwebt nun nicht mehr über Verfahren wegen des sexuellen Mißbrauchs von Kindern, falls das Opfer als einziger Zeuge in der Hauptverhandlung ausfällt. Doch noch ist die Erfahrung mit den Bild-TonAufzeichnungen von Zeugenvernehmungen zu kurz, um ein echtes Resümee ziehen zu können oder gar schon Erfolgsmeldungen zu verkünden. 138 Ganz im 136 0LG Düsseldorf FamRZ 1973, 547; LR-Dahs § 51, Rdnr.3; SK-Rogall § 51, Rdnr.lO; KMR-Paulus § 51, Rdnr.14; KK-Senge § 51, Rdnr.22; Meyer-Goßner § 51, Rdnr. 20; HK-Lemke § 51, Rdnr. 10; Eisenberg, Beweisrecht, Rdnr. 1074; etwas unklar Pfeif/er § 51, Rdnr. 1, der nur vage feststellt, daß das Ausbleiben für den schuldunfähigen Zeugen keine Folgen hat. I37 Skupin MDR 1965, 865: vgl. dort insbesondere Fn. 7. 138 Es bleiben Bedenken, was die Unmittelbarkeit der Simultanübertragung anbelangt. Eisenberg, Beweisrecht, stellt fest, daß die Simultanübertragung die Unmittelbar-
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Gegenteil, erste Berichte VOn der Aufzeichnung und Vorführung der Erstvernehmung, aber auch von der simultanen Videovernehmung von Kindern, lassen die Vermutung zu, daß diese Vernehmungsmethoden herkömmlichen nicht immer überlegen sind. 139 In der Literatur wird teilweise die Ansicht vertreten, daß die Vorführung von Kindern zwar prinzipiell zulässig sei; dieser staatliche Eingriff jedoch ohne nähere Prüfung immer am Verhältnismäßigkeitsgrundsatz scheitern werde, da schon die Eignung für die Wahrheitsermittlung äußerst fraglich erscheine. 140 Diese Ansicht urteilt vorschnell, wird aber dennoch im Ergebnis von dieser Arbeit geteilt. Doch möglicherweise werden Eltern von sachfremden Erwägungen geleitet oder schätzen die Situation falsch ein. Eine Aussage vor Gericht ist nicht immer einem Negativerlebnis für ein Kind gleichzusetzen; vielmehr mag eine Vernehmung sogar wertvolles Therapieinstrument oder wenigstens für das Kind folgenlose Pflichtausübung sein, die keine nachhaltigen Eindrücke hinterläßt. Korrekter ist es daher, in jedem Einzelfall eine Abwägung durchzuführen. 141 Wie jeder andere staatliche Eingriff ist die Vorführungsanordnung nur im Rahmen der Verhältnismäßigkeit zulässig. Es ist nach der Geeignetheit, Erforderlichkeit und Angemessenheit der zwangsweisen Vorführung zu fragen. 142
keit nur zu simulieren vermag, Rdnr. 1328 f - n: Spontane Nachfragen sind erschwert, es fehlt die emotionale Nähe zum Zeugen, bei langen Übertragungen besteht die Gefahr, daß die Zuschauer unkonzentriert werden. 139 Von Knoblauch zu Hatzbach kommt bei einer Befragung von allerdings nur sechs Gerichtsgutachtern, die mit der Vernehmungstechnik der simultanen Videovernehmung konfrontiert waren, zu dem Ergebnis, daß nur Kleinkinder davon profitieren. Ältere Kinder wären sich trotz der Videoyernehmung laufend bewußt, daß der An.geklagte zuhört. Zudem kann der mangelnde Uberblick über die Gesamtsituation neue Angste schüren. Außerdem fOrdert die Existenz von Kamera und Mikrofon eine Art Selbstdarstellungsbedürfnis der Kinder, die einer objektiven Berichterstattung abträglich sein dürfte, ZRP 2000, 276 ff. Dagegen vermeldet Schöch, der 22 Landgerichtspräsidenten und Staatsanwaltschaften in Bayern sowie alle sieben Polizeipräsidien und die drei Anwaltskammern bei den Oberlandesgerichten angeschrieben und um Übermittlung sachkundiger Gesprächsteilnehmer gebeten hat, eine eher positive Zwischenbilanz. Die Befragten meinten, daß bei minderjährigen Opferzeugen eine deutliche Entlastung spürbar gewesen ist, FS Meyer-Goßner, S. 365, 380. Dahs sieht indes die so "gespaltene Hauptverhandlung" kritisch und will die Euphorie über die neue Vernehmungstechnik bremsen, da die Unmittelbarkeit der Beweisaufnahme zu stark beeinträchtigt wird, NJW 1996, 178. 140 Ostendorf, JGG, § 1, Rdnr. 10 am Ende; Meier JZ 1991,638,640. 141 So im Ergebnis auch Kipper, Schutz, S. 81. 142 Vierhaus NStZ 1994,271.
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(1) Geeignetheit
Das Gebot der Geeignetheit von staatlicher Gewalt verlangt nur den Einsatz solcher Mittel, mit deren Hilfe der gewünschte Erfolg gefördert werden kann. 143 Die zwangsweise Vorführung garantiert zuverlässig das Erscheinen eines Zeugen, der auf die Ladung hin zum Termin nicht von selbst erschienen ist. Der seelische Schaden, den ein Kind durch eine Vorführung erleiden kann, interessiert an dieser Stelle der Prüfung noch nicht. Erst bei der Frage der Verhältnismäßigkeit im engeren Sinne, also der Angemessenheit, wäre das Kindeswohl mit der Bedeutung der Aussage für die Wahrheitsfindung gegeneinander abzuwägen. Allerdings könnte nicht nur die Erscheinensgarantie für die Frage nach der Geeignetheit der staatlichen Maßnahme ausschlaggebend sein. Vielmehr könnte schon an dieser Stufe der Prüfung nach dem eigentlichen Zweck der Vorführung, nämlich dem Erhalt einer Zeugenaussage, die der Wahrheitsfindung dienen soll, gefragt werden. 144 Ist eine Zeugenaussage, die nur durch eine zwangsweise Vorführung des Kindes gewonnen werden konnte, geeignet für die Wahrheitsfindung? Vieles spricht dafür, daß insbesondere jüngere Kinder so verschreckt auf das Instrument der zwangsweisen Vorführung reagieren werden, daß von ihnen daraufhin keine hilfreiche, insbesondere keine glaubhafte Aussage mehr zu erwarten ist. Das Mittel der zwangsweisen Vorführung wäre dann ungeeignet, da die Aussage wertlos ist. Gleichzeitig kann der Richter nicht vorab wissen, wie ein Kind auf die Maßnahme reagieren wird. Das Instrument der zwangsweisen Vorführung wäre zur Wirkungslosigkeit verdammt, wenn im Einzelfall ein Gutachter jeweils die Situation im Vorfeld einschätzen müßte. Doch ob eine durch eine zwangsweise Vorführung des Kindes gewonnene Aussage für die Wahrheitsfindung von Bedeutung sein kann, darf strenggenommen nicht vorab geprüft werden. Diese wäre in jedem Fall eine unzulässige Vorwegnahme der Beweiswürdigung. 145 Das Gericht hat sich eine "endgültige Überzeugung erst nach Ausschöpfung der vorhandenen Beweismittel" zu bilden, denn für eine freie Beweiswürdigung ist erst Platz, wenn der Aufklärungspflicht zuvor genüge getan wurde. 146 Insofern ist die Einführung einer willkürlichen Altersgrenze, wie Vierhaus sie vorschlägt, abzulehnen. Nach dieser Ansicht sollte bei noch nicht schulpflichtigen Kindern die Ungeeignetheit der zwangsweisen Vorführung unwiBVerfGE 30, 292, 316; 33,171,187; 67,157,173. So auch Vierhaus NStZ 1994, 271. 145 Weiterführend zur Beweiswürdigung im Zusammenspiel zwischen Beweisverwertung und Beweisregeln, vgl. Gössel, GS Meurer, S. 381 ff. 146 LR-Gollwitzer § 261, Rdnr. 70 und § 244, Rdnr. 45 mit weiteren Nachweisen. 143
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4. Kap.: Die Hauptpflichten des minderjährigen Zeugen
derleglich vennutet werden; insgesamt soll der Rechtfertigungszwang für die Geeignetheit mit steigendem Alter des Minderjährigen sinken. 147 Diesem Vorschlag liegt zu sehr der Gedanke zugrunde, daß junge Zeugen immer gleichzusetzen mit Opferzeugen sind, daß mit jeder zwangsweisen Vorführung die erneute schwierige Konfrontation mit dem Erlebten verbunden ist. Die Lösungen, die für die Probleme im Bereich der minderjährigen Zeugen gefunden werden, müssen unabhängig davon sein, ob es sich um einen Zufalls- oder einen Opferzeugen handelt. Weigern sich beispielsweise die Eltern - aus welchen Gründen auch immer - eines 12jährigen Jungen, der zufallig Augenzeuge einer ihn psychisch nicht belastenden Straftat wurde, daß ihr Sohn zu seiner Vernehmung in einer Hauptverhandlung erscheint, so stellt eine zwangsweise Vorführung sehr wohl ein geeignetes Mittel zur Wahrheitsfindung in diesem Verfahren dar. Und selbst bei einer seelisch instabilen 13jährigen Zeugin, die Opfer einer Sexualstraftat geworden war und nicht bereit zu einer Aussage vor Gericht ist, kann die zwangsweisen Vorführung ein geeignetes Mittel zur Gewinnung einer glaubhaften Aussage sein, da auf die Aussage dieser Zeugin nach § 244 Abs. 2 StPO nicht von vornherein verzichtet werden kann. 148 Die zwangsweise Vorführung ist daher ein durchaus geeignetes Mittel zur Gewinnung einer Aussage. Der Richter darf insbesondere nicht an eine starre Altersgrenze gebunden werden. (2) Erforderlichkeit Das Gebot der Erforderlichkeit ist verletzt, wenn das Ziel der staatlichen Maßnahmen durch ein anderes gleich wirksames Mittel erreicht werden kann, das das betreffende Grundrecht nicht oder weniger fühlbar einschränkt. 149 Nicht zulässig ist es, an diesem Punkt der Prüfung die kommissarische Vernehmung als Argument dafür anzuführen, daß das Ziel der zwangsweisen Vorführung die Gewinnung einer Aussage - mit einem anderen, weniger eingreifenden Mittel erreicht werden kann. Die Prozeßmaxime des Unmittelbarkeitsprinzips bleibt im Interesse möglichst zuverlässiger Beweisgewinnung ein entscheidender Grundsatz im Strafverfahren. Die sehr restriktiv anzuwendende kommissarische Vernehmung nach § 223 StPO, aber auch die Vorführung einer auf Video konservierten Aussage gemäß § 255 a StPO sind niemals von vornherein gleich wirksame Mittel, sondern bleiben Surrogate und Ausnahmefalle. § 247 a StPO ist nicht in diese Überlegung einzubeziehen, da diese Vorschrift die Vierhaus NStZ 1994,271,272. Der Wert und insbesondere die Glaubhaftigkeit ihrer Aussage sind nach § 261 StPO zu beurteilen. 149 BVerfGE 53, 135, 145 f; 67, 157,177; 68,193,219. 147
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C. Die einzelnen Hauptpflichten und ihre Ausnahmen
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grundsätzliche Erscheinenspflicht des Zeugen unberührt läßt und nur die Anwesenheitspflicht in der Hauptverhandlung betrifft.
(3) Angemessenheit Bei einer Gesamtabwägung zwischen der Schwere des Eingriffs sowie dem Gewicht und der Dringlichkeit der ihn rechtfertigenden Umstände muß die Grenze der Zumutbarkeit gewahrt sein. 150 Diese Verhältnismäßigkeit im engeren Sinne beinhaltet eine echte Güterabwägung zwischen den Interessen des Kindes und der Bedeutung seiner Aussage für die Wahrheitsfindung im konkreten Strafprozeß. Auf dieser Ebene muß eine zwangsweise Vorführung abgelehnt werden, wenn die betroffenen Interessen - das Kindeswohl 151 - "ersichtlich wesentlich schwerer wiegen,,152 als das Interesse des Staates an einer Zeugenvernehmung. Das ist der Fall, wenn Beeinträchtigungen der physischen oder psychischen Gesundheit des Kindes durch eine Vernehmung in der Hauptverhandlung zu erwarten sind. Der Richter darf sich jedoch bei seiner Entscheidung nicht allein auf die nicht gesicherte These von der generellen sekundären Schädigung durch ein Gerichtsverfahren berufen. Es fehlt diesbezüglich an verifizierten Erkenntnissen. Es kommt vielmehr auf den Einzelfall an, auf die Persönlichkeit des Kindes und die Art seiner Verfahrensbeteiligung. Überlegt werden muß, ob mit Einführung der Vorschrift des § 247 aStPO, die unter bestimmten Voraussetzungen die Möglichkeit einer zeitgleichen audiovisuellen Zeugenvernehmung gewährt, das gewonnene Abwägungsergebnis im Einzelfall wieder eher zugunsten der Staates und der Wahrheitsfindung verschoben werden muß. 153 Da sich die Auskunftsperson nunmehr bei ihrer Vernehmung an einem anderen Ort als dem Sitzungszimmer aufhalten kann und lediglich die Vernehmung der laufenden Hauptverhandlung zugeschaltet wird es ist die Rede von der "gespaltenen Hauptverhandlung,,154 -, kann sie sich nunmehr sogar in vertrauter Umgebung befinden. Die Grenze für die Ortswahl ist lediglich bei den technischen Möglichkeiten der Übertragung zu ziehen. 155 Ein mindeIjähriger Zeuge würde demnach zwar zu einer Vernehmung geladen BVerfGE 67,157,172; 68,193,219. Zur Berücksichtigung dieses Grundsatzes auch im Strafverfahren, vgl. 3. Kap. D. IV. 1. 152 BVerfGE 44, 353, 373. 153 Zu ersten Erfahrungen mit der Videovernehmung vgl. Schöch, FS Meyer-Goßner, S. 365 ff. und von Knoblauch zu Hatzbach ZRP 2000, 276 ff. 154 Dahs NJW 1996, 178. 155 Rieß NJW 1998, 3240, 3241; KK-Diemer § 247 a, Rdnr. 3; Eisenberg, Beweisrecht, Rdnr. 1328 e. 150 151
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4. Kap.: Die Hauptptlichten des minderjährigen Zeugen
werden. Praktisch müßte er aber nicht im Sitzungssaal erscheinen, sondern könnte theoretisch sogar in seinem Kinderzimmer gehört werden. Das heißt, eine zwangsweise Vorführung würde innerhalb der privaten Räume einer Familie vonstatten gehen. Die Belastung für das Kind sinkt möglicherweise entscheidend, sofern es sich bei der Tat, zu der das Kind vernommen werden soll, nicht um eine im sozialen Nahbereich begangene handelt. Dann könnte das eigene Umfeld sogar bedrohlicher wirken als der fremde Gerichtssaal. Selbst wenn man zu dem Ergebnis kommt, daß die Interessen des Kindes durch eine zwangsweise Vorführung nicht maßgeblich beeinträchtigt werden und dem Interesse des Staates an der Wahrheitsfindung der Vorzug einzuräumen ist, gilt es dennoch folgendes zu bedenken: Neben dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz im strengen Sinne muß bei der Anordnungsprüfung einer zwangsweisen Vorführung immer auch die Wirkung des Staates auf seine Bürger berücksichtigt werden. Eisenberg spricht in diesem Zusammenhang von "der Gefahr schädlicher Beeindruckung durch staatliche Zwangsanwendung.,,156 In die Abwägung ist der Aspekt einzubeziehen, wie sich der Staat durch eine zwangsweise Vorführung seinen Bürgern repräsentiert. Wird nicht der Nutzen, also die Gewinnung der Zeugenaussage, überschattet von der Negativwirkung der Maßnahme für das Ansehen des Staates aus dem Blickwinkel einer Familie? Sperren sich etwa Eltern gegen eine Aussage ihres Kindes, um dieses vor Belastungen zu schützen, obwohl das robuste Kind eine Zeugenvernehmung gut bewältigen könnte, so handeln sie dennoch aus einer anerkennenswerten Motivation heraus, in echter (wenn auch im skizzierten Fall in übertriebener) Sorge um ihr Kind. Greift nun der Staat in dieses intakte Sozialgefüge ein, so wäre der Glauben dieser Familie in die Staatsmacht auf Dauer erschüttert. Im Ergebnis ist dieses staatliche Zwangsinstrument auch aufgrund dieses Gesichtspunktes nur äußerst restriktiv einzusetzen. c) Die Zulässigkeit der Ordnungs- und Zwangsmittel des § 51 StPO gegenüber Zeugen ab 14 Jahren
Die Einsichts- und Handlungsreife ist bei Jugendlichen die Voraussetzung strafrechtlicher Verantwortlichkeit. 157 Dieser Grundsatz muß nicht nur bei echten Kriminalstrafen, sondern bei allen sanktionsbewehrten Rechtsverstößen seine Geltung finden. Bei Jugendlichen entscheidet daher in Anlehnung an die Vorschrift des § 3 Satz 1 JGG der individuelle Reifegrad des Zeugen über die
156 157
Eisenberg, Beweisrecht, Rdnr. 1074. Weiterfiihrend Streng DVJJ-Journal 1997,379 ff.
C. Die einzelnen Hauptpflichten und ihre Ausnahmen
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Zulässigkeit der repressiven Ungehorsamsfolgen. 158 Dies bedeutet, daß gegen Jugendliche ab 14 Jahren unter Umständen Zwangsmittel angewandt werden dürfen. Es ist in diesem Zusammenhang die Rede von einer juristischen "Grauzone.,,159 So gibt es die Forderung, Jugendliche von ihrer Zeugenpflicht zu befreien und in dieser Konsequenz auch ohne nähere Prüfung auf Zwangsmittel zu ihren Lasten von vornherein zu verzichten. §§ 250,251 StPO sollten demnach aufgrund der Schutzpflicht des Staates verfassungskonfonn so ausgelegt werden, daß bei Weigerung eines jugendlichen Zeugen, vor Gericht zu erscheinen und auszusagen, regelmäßig der Ausnahmetatbestand des § 251 Abs. 1 Nr. 2 StPO erfüllt sei. 160 Zwar ist grundsätzlich einzuräumen, daß der Unmittelbarkeitsgrundsatz nicht zum Maß aller Dinge gemacht werden darf. Eine "Hypertrophie des Unmittelbarkeitsgrundsatzes" auf Kosten des Zeugenschutzes muß vennieden werden. 161 Doch die dargestellte Ansicht hebelt die Prozeßmaxime aus, ohne daß hierzu die Notwendigkeit bestehen würde. Es liegt ihr die falsche Prämisse zugrunde, daß minderjährige Zeugen immer gleichzusetzen sind mit Opferzeugen. Weigert sich ein jugendlicher Zufallszeuge vor Gericht zu erscheinen, etwa weil er einen Freund mit seiner Aussage nicht belasten will, so darf der Unmittelbarkeitsgrundsatz noch längst nicht über Bord geworfen werden. Vielmehr würde in diesem Fall kein überzeugender Grund gegen die Anordnung einer Ordnungsstrafe sprechen. Der Richter klärt im Freibeweisverfahren den Reifegrad des Jugendlichen; standardisierte Testverfahren für die Feststellung der Verantwortlichkeit stehen ihm nicht zur Verfügung. 162 Auf den persönlichen Eindruck, der oft ein trügerischer ist, kann nicht zurückgegriffen werden, denn der jugendliche Zeuge ist schließlich nicht erschienen. Muß zur Feststellung des Reifegrades ein Sachverständigengutachten angestrengt werden, so kann das den verfahrensökonomischen Rahmen sprengen. Im Zweifel wird dann die Festsetzung eines Zwangsgeldes gegen den Jugendlichen unterbleiben. Es gilt aber festzuhalten, daß die Anordnung von Ordnungsstrafen rechtlich möglich und im Einzelfall auch durchaus sinnvoll sein könnte. Als Beispiel anzuführen ist etwa ein 17jähriger Lehrling, der über ein eigenes Einkommen verfügt und der die Ladung des Gerichtes, ohne tiefergehende Beweggründe zu haben, aus Unlust ignoriert. Mit der Festsetzung eines Ordnungsgeldes würde in diesem Fall zugleich ein
LR-Dahs § 51, Rdnr. 2; KK-Senge § 51, Rdnr. 22; Meyer-Goßner § 51, Rdnr. 15. Maier KJ 1997,322,324. 160 Maier KJ 1997,322,324. 161 Krey, GedS Karlheinz Meyer, S. 239, 266. 162 Ostendorf, JGG, § 3, Rdnr. 12. 158
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4. Kap.: Die Hauptpflichten des mindeIjährigen Zeugen
erzieherischer Zweck erfüllt werden, der dem Jugendlichen bestenfalls sogar seine ihm als Staatsbürger obliegende Zeugenpflicht näherbringen kann. 163 Die präventive zwangsweise Vorführung darf unabhängig vom Reifegrad des Zeugen angeordnet werden, wenn diese Maßnahme verhältnismäßig wäre. Insoweit kann auf die Ausführungen zum kindlichen Zeugen verwiesen werden, wenn auch nunmehr die Verhältnismäßigkeitsprüfung öfters zu Gunsten des Staates zu entscheiden sein wird. In diesem Zusammenhang muß auf die umstrittene Möglichkeit der analogen Anwendung der Opportunitätsvorschriften bei geringem Verschulden des ausgebliebenen Zeugen verwiesen werden. 164 Demnach sind die §§ 153 StPO, 47 Abs. 2 OWiG im Rahmen des § 51 Abs.2 StPO auf die Ordnungsmittel analog anwendbar. 165 Gerade bei minderjährigen Zeugen wird ein geringes Verschulden häufig anzunehmen sein.
d) Die Zulässigkeit der Ordnungs- und Zwangsmittel des § 51 StPO gegenüber den Eltern Die Verhängung von Ordnungsstrafen gegenüber den Eltern eines als Zeugen geladenen Minderjährigen, der zur Hauptverhandlung unentschuldigt nicht erschienen ist, verbietet sich selbst dann, wenn die Eltern ihrem Kind ein Kommen untersagt haben. 166 Dies hat unabhängig von dem Motiv der Eltern zu gelten. Selbst sachfremde Erwägungen der Eltern berechtigen mangels Rechtsgrundlage nicht zur Verhängung einer Ordnungsstrafe. Da die Eltern selbst nicht als Zeugen geladen wurden, kommt § 51 StPO als Ermächtigungsgrundlage gerade nicht in Betracht. Wird ein Kind unter 14 Jahren zu Händen der gesetzlichen Vertreter geladen, so trifft die Zeugenpflicht dennoch ausschließlich das Kind selbst. Eine "Herausgabepflicht" der Eltern für ihre Kinder sieht die Strafprozeßordnung nicht vor; § 95 StPO regelt nur die Herausgabepflicht von Sachen, die als Beweismittel von Bedeutung sein könnten. Eine analoge Anwendung des § 95 StPO, um Eltern zur Herausgabe von minderjährigen Zeugen zu verpflichten, scheidet von vornherein als absurd aus. 167 Allein die Tatsache, daß jemand ein Elternteil eines Zeugen ist, gibt ihm selbst noch keine wie auch immer geartete Zeugenrolle; Zwangsmittel scheiden aus. 168 Eltern können folgSkupin MDR 1965, 865, 868. So Sander GA 1995, 569 ff. 165 Darüber hinaus kann aber keine Analogie fiir die Auferlegung der Säumniskosten angenommen werden, weil sonst Rechte Dritter, hier des Angeklagten, zu Unrecht beschränkt werden würden, vgl. Sander GA 1995, 569, 577. 166 LR-Dahs § 51, Rdnr. 4. 167 So auch Nelles. Persönlichkeitsrechte, S. 211, 225. 168 So schon OLG Hamm NJW 1965, 1613. 163
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lieh nicht verpflichtet werden, fur das Erscheinen ihres Nachwuchses zu garantieren. Entsprechende Hinweise an die Eltern in den Ladungen sind also nicht nur überflüssig, sondern strenggenommen sogar irrefuhrend. So erweckt auch die gängige Formulierung in einigen Ladungsvordrucken "Wir bitten Sie dafur Sorge zu tragen, daß Ihr Kind zu dem oben genannten Termin erscheint!,d69 den Anschein einer entsprechenden Pflicht der Eltern.
e) Der Minderjährige als unerreichbarer Zeuge Eine Unerreichbarkeit des mindeIjährigen Zeugen - mit der strafprozessualen Konsequenz, beispielsweise §§ 251 Abs. 1 Nr. 2, 223 Abs. 1 StPO heranzuziehen - ist regelmäßig in zwei Konstellationen zu erwägen. Diese beiden Sachverhalte sind zudem nicht klar voneinander zu trennen und verzahnen oft ineinander. Zum einen gibt es den Fall, daß eine Weigerung der Eltern vorliegt, ihr Kind in der Hauptverhandlung vernehmen zu lassen. Die Beweggründe der Eltern werden zumeist in der Sorge darüber zu finden sein, daß das Kindeswohl durch die Vernehmung beeinträchtigt werden könnte. Zum anderen gibt es die Konstellation, daß das Kind durch eine Vernehmung in seinem Kindeswohl tatsächlich ernsthaften Gefahren fur Psyche oder Körper ausgesetzt wäre. aa) Weigerung der Eltern Verbieten Eltern ihrem Kind, das als Zeuge geladen wurde, in der Hauptverhandlung auszusagen, sind die gesetzlichen Möglichkeiten, ein solches Verbot der Eltern zu umgehen und dennoch eine unmittelbare Aussage des Minderjährigen zu gewinnen, sehr beschränkt. Zum einen könnte ein Mißbrauch des Sorgerechts der Eltern vorliegen, die im Normalfall das Recht haben, den Aufenthaltsort ihres Kindes zu bestimmen (§ 1631 Abs. 1 BGB). Der Strafrichter müßte sich mit der Vermutung des Sorgerechtsmißbrauchs an das Vormundschaftsgericht wenden undfor die Dauer der Vernehmung des mindeIjährigen Zeugen die Entziehung des elterlichen Rechts zur Aufenthaltsbestimmung gemäß § 1666 Abs. 1 Satz 1 BGB anregen. Befurchten die Eltern - möglicherweise sogar berechtigt - einen seelischen oder körperlichen Schaden ihres Kindes durch die Vernehmung im Rahmen der Hauptverhandlung, liegt ihrer Entscheidung die Sorge um das Wohl ihres Kindes zugrunde. Es kann folglich in ihrem Verbot, das Kind in der Hauptverhandlung erscheinen zu lassen, kaum ein
169 So beispielsweise im Vordruck StP 59: Ladung eines Kindes als Zeuge des Landes Baden-Württemberg.
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4. Kap.: Die Hauptpflichten des mindeIjährigen Zeugen
Mißbrauch des Sorgerechts gesehen werden. 170 Anders als etwa der Schulbesuch, ist der Nutzen, den das Kind aus einer Aussage als Zeuge ziehen kann, wesentlich schwerer zu bestimmen. 17I Das Vormundschaftsgericht hätte keine Berechtigung, das elterliche Recht zur Aufenthaltsbestimmung durch eine eigene Entscheidung zu ersetzen. Die Erscheinenspflicht des Kindes wäre, wie dargestellt, nur mehr theoretisch durchsetzbar, da eine zwangsweise Vorfiihrungselbst unter Berücksichtigung der Vorschriften, die im Rahmen des Zeugenschutzgesetzes 1998 in die Strafprozeßordnung eingefiigt worden sind und die Aussagebedingungen erleichtern sollen 172 - regelmäßig unverhältnismäßig sein wird; es sei denn, der Weigerung der Eltern lägen völlig sachfremde Erwägungen zugrunde. Praktisch müßte die Aufklärung des Sachverhaltes auf andere Weise geschehen. Die minderjährige Beweisperson ist strenggenommen unerreichbar, da ihrer Vernehmung trotz des bekannten Aufenthaltsortes das Verbot der Eltern entgegensteht. Ein unerreichbarer Zeuge kann auch derjenige sein, dessen Hindernis auf das Verhalten Dritter zurückzufiihren ist, falls die Zwangsmittel des § 51 StPO versagen. 173 Verweigern Eltern das Erscheinen ihres Kindes vor Gericht, stellt sich dies als nicht zu beseitigendes Hindernis im Sinne der §§ 251 Abs. 1 Nr. 2,223 Abs. 1 StPO mit den entsprechenden strafProzessualen Möglichkeiten dar. 174 Ein eher akademischer Streit ohne praktische Bedeutung ist die Frage, ob es sich bei der elterlichen Weigerung um ein rechtliches oder ein tatsächliches Hindernis handelt. 175 Von einem rechtlichen Hindernis kann eventuell deshalb ausgegangen werden, weil die Weigerung der Eltern eine gewisse faktische Nähe zu einer Sperrerklärung einer Behörde aus Gründen des § 96 StPO etwa fiir einen V-Mann hat. l76 Für die Annahme eines tatsächlichen Hindernisses spricht, daß die Weigerung der Eltern gerade keine stratprozessual bedeutsame Sperrerklärung im engeren Sinne ist,177 sondern sich als
Vgl. auch Meier JZ 1991,638,640. Vgl. 3. Kap. D. III. 2. 172 Einen Überblick zum ZSchG gibt Seitz JR 1998,309 ff. 173 Julius, Unerreichbarkeit, S. 40. 174 Julius, Unerreichbarkeit, S.40; vgl. auch OLG Saarbrücken NJW 1974, 1959, 1960; LR-Gollwitzer § 251, Rdnr.39; Meyer-Goßner § 251, Rdnr.7; KMR-Paulus § 223, Rdnr. 13; KK-Trierer § 223, Rdnr. 7. 175 Dieser Streit wird eigentlich beim behördlich gesperrten V-Mann gefiihrt, vgl. Taschke, Zurückhaltung von Beweismitteln, S. 307. 176 Keiser, Kindeswohl, S. 201 ff. geht ebenfalls von einem rechtlichen Hindernis aus. 177 Hoffmann, Unerreichbarer Zeuge, S. 92 kritisiert die Unterteilung in rechtliche und tatsächliche Hindernisse als längst veraltet. 170
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tatsächliches Hindernis darstellt, da es dem Minderjährigen unmöglich wird, gegen den Willen seiner Eltern zur Hauptverhandlung zu kommen. 178 In Fällen, in denen eine Vorführung unverhältnismäßig wäre, ist das Kind kommissarisch durch einen beauftragten oder ersuchten Richter zu vernehmen, um später das Protokoll der Vernehmung in der Hauptverhandlung zu verlesen. 179 Allerdings besteht nach der Rechtsprechung die Verpflichtung des Gerichtes dahingehend, zu klären, ob die Kindeseltern berechtigt sind, ihr Kind von der Verhandlung fernzuhalten. 18o Die Gefahr, daß der minderjährige Zeuge durch seine Vernehmung in der Hauptverhandlung Entwicklungs- oder Erziehungsschäden erleidet, muß tatsächlich begründet sein. 181 Ein Gericht darf die Weigerung der Eltern nur dann als nicht zu beseitigendes Hindernis im Sinne des § 251 Abs. 1 Nr. 2 StPO werten, wenn es "die tatsächliche(n) Grundlage rur den Entschluß der Eltern ergrundet und gepruft hat, ob diese Tatsachen eine solche Weigerung rechtfertigen.,,182 Diemer fordert in diesem Zusammenhang sogar, "strenge Maßstäbe" an die Erforschung der tatsächlichen Grundlagen anzulegen. 183 Diese Anforderungen stellen das Gericht vor eine schwere Aufgabe. Noch ist die Frage, ob einer minderjährigen Beweisperson ein Entwicklungs- oder Erziehungsnachteil durch seine Vernehmung droht, nicht einmal im Grundsatz zufriedenstellend beantwortet,184 geschweige denn gibt es zuverlässige Kriterien, mit denen die möglichen Gefahren im Einzelfall abgefragt werden können. Nur extrem gelagerte Einzelfälle sind leicht lösbar: Ist das Kind schon vor seiner Vernehmung physisch oder psychisch so angeschlagen, daß eine weitere Vernehmung seinen Zustand nur verschlechtern kann, so muß das Gericht auf sein Erscheinen in der Hauptverhandlung verzichten. Doch mit der Bewältigung von Grenzfragen ist der Richter regelmäßig überfordert. Das heißt, die Anforderungen an das konkrete Vorliegen einer Gefahr dürfen nicht so hoch angesetzt werden, wie dies die Rechtsprechung fordert. Ein nicht zu beseitigendes Hindernis ist selbst dann anzunehmen, wenn Eltern bei ihrer Weigerung in Sorge um das Wohl ihres Kindes vielleicht übertrieben vorsichtig waren, aber OLG Saarbrücken NJW 1974, 1959,1960. Meier JZ 1991,638,640. 180 OLG Saarbrücken NJW 1974, 1959,1960. 1810LG Saarbrücken NJW 1974, 1959, 1960 mit Anmerkung Eschke NJW 1975, 354; Laubenthai JZ 1996,335,337,342; KK-Tolksdorf§ 223, Rdnr. 7. 182 OLG Saarbrücken NJW 1974, 1959,1960. 183 KK-Diemer § 251, Rdnr. 5 mit der Berufung auf BGH NStZ 1993,350. In dem vom BGH entschiedenen Fall drohte einer türkische Familie eine nachweisbare Gefahr von außen, also von dritten Personen. Diese Konstellation ist nicht auf die Möglichkeit einer nur vagen sekundären Schädigung übertragbar. 184 Zur Frage der sekundären Schädigung vgl. 3. Kap. D. IV. 2. 178
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4. Kap.: Die Hauptpflichten des minderjährigen Zeugen
nicht von sachfremden Erwägungen geleitet wurden. Denn auch in diesem Fall wird, wie dargestellt, eine zwangsweise Vorführung des Kindes regelmäßig an der Verhältnismäßigkeitsprüfung scheitern, da in Abwägung die Wirkung der staatlichen Maßnahme auf die konkrete Familie als soziales Gefüge mit einzubeziehen iSt. 185 So soll zwar die bloße Besorgnis der Eltern als Hintergrund ihrer Weigerung für die Annahme eines tatsächlichen Hindernisses nicht genügen,186 doch in ihrer Wirkung stellt sich eine derart motivierte Weigerung als nicht zu beseitigendes Hindernis im Sinne des § 251 Abs. 1 Nr. 2 StPO dar. Ein Vergleich zur behördlichen Sperre hilft bei der Ergebnisfindung weiter. Demnach ist dann von einem nicht zu beseitigenden Hindernis auszugehen, wenn die Gründe für die Sperre dem Gericht von der Behörde im Rahmen der notwendigen Geheimhaltung verständlich gemacht werden und die Sperrerklärung nicht willkürlich oder offensichtlich rechtsfehlerhaft iSt. 187 Übertragen auf die Eltern bedeutet dies, daß diese ihrer Weigerung die ernsthafte Sorge um ihr Kind zugrundegelegt haben müssen. Schon dann wäre eine zwangsweise Vorführung der minderjährigen Beweisperson trotz schonender neuer Vernehmungsmöglichkeiten nicht durchsetzbar. Es bleibt erneut nur die Möglichkeit der kommissarischen Vernehmung. 188 bb) Beeinträchtigung des Kindeswohls Ein anderes nicht zu beseitigendes Hindernis liegt vor, wenn die Vernehmung in der Hauptverhandlung tatsächlich mit unverhältnismäßig großen körperlichen oder seelischen Schäden für den Zeugen verbunden sein würde. 189 Zwar wird in den Fundstellen überwiegend nur eine von außen drohende Gefahr erörtert, beispielsweise die konkrete Möglichkeit von Übergriffen auf einen V-Mann oder verdeckten Ermittlern aus den ausgekundschafteten kriminellen Kreisen. Doch "Gefahren von innen" (oder im Inneren), die nicht von Dritten drohen, müssen ebenfalls berücksichtigt werden. 190
185 Diese Familie hat vielleicht nur dieses eine Mal unmittelbar mit dem Gericht zu tun und trägt nun ihre Eindrücke in ihr Umfeld weiter; ähnlich auch Schel/enberg aber zum allgemeinen Umgang mit Zeugen, Hauptverhandlung, S. 103. 186 OLG Saarbrücken NJW 1974, 1959, 1960. 187 BGHSt 36,159; KK-Diemer § 251, Rdnr. 8. 188 Vgl. auch KK-Diemer § 251, 5. 189 BGHSt 9, 297, Peters, Strafprozeß, S. 320. 190 SK-Schlüchter § 223,11; KMR-Paulus § 223,13. Beim V-Mann kommt in dieser Konstellation allerdings ein Beweisverwertungsverbot zum Tragen: Bei einer auf der Gefährdung des Zeugen beruhenden Sperrung darf nach Ansicht des Bundesgerichtshofes auch das entsprechende Beweissurrogat nicht verwertet werden, es sei denn, die Ge-
C. Die einzelnen Hauptpflichten und ihre Ausnahmen
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Ein erheblich gefährdeter Zeuge ist derjenige, der bei der Erfüllung seiner Zeugenpflicht mit einem Angriff auf seinen Leib oder sein Leben rechnen muß. 191 Das Gericht hat jeweils im eigener Verantwortung zu prüfen, ob einem Zeugen durch die Vernehmung Gefahr für Leib oder Leben droht. Der Staat hat neben der Pflicht zur Gewährleistung einer rechtsstaatlichen und fairen Verfahrensgestaltung zudem die Pflicht, für einen umfassenden Schutz des menschlichen Lebens und der körperlichen Unversehrtheit zu sorgen. l92 In dieser Konsequenz ist es unerheblich, ob es ein Dritter ist, der den Zeugen gefährdet, weil dieser aussagt, oder ob der Zeuge durch seine Aussage selbst Gefahren ausgesetzt ist. Es müssen jeweils entsprechende Schutzmaßnahmen ergriffen werden. Möglicherweise steht dem Zeugen sogar ein übergesetzliches Zeugnisverweigerungsrecht aus § 34 StGB ZU. 193 Erneut muß jedoch bedacht werden, daß die These der sekundären Schädigung durch die Vernehmung eines Opferzeugen keineswegs verifiziert ist. Nach dem derzeitigen Stand der Forschung darf diese Folge einem Strafverfahren nicht pauschal unterstellt werden, denn ein solcher Negativeffekt ist durch eine Vernehmung eines Zeugen regelmäßig nicht zu erwarten. 194 Besteht durch die Vernehmung der minderjährigen Beweisperson in der Hauptverhandlung die ernsthafte Gefahr von Schäden für diese, liegt ein tatsächliches Hindernis gemäß § 251 Abs. I Nr. 2 StPO vor, wenn die Gefahr nicht durch anderweitige Maßnahmen ausgeräumt werden kann. Konkret bedeutet das, daß das Gericht erst Zeugenschutzmaßnahmen wie § 247 StPO (Entfernung des Angeklagten) und § 247 a StPO (audiovisuelle Zeugenvernehmung) erwägen und als ungeeignet verwerfen muß, um dann auf die kommissarische Vernehmung des Minderjährigen auszuweichen zu dürfen. 195 Der Richter hat die Frage nach einer Gefährdung des Zeugen, die mehr als nur bloße subjektive Besorgnis sein muß, im Wege des Freibeweisverfahren zu klären. 196 Im äußersten Fall muß das Gericht aus Fürsorgegründen sogar auf eine fahrdung des V-Manns geht auf den Angeklagten oder seine Hintennänner zurück; BGHSt 33, 70 ff. 191 Griesbaum NStZ 1998, 433, 434. Zu den verschiedenen Graden möglicher Gefahrdung und zu den Einzelheiten des Begriffes vgl. Nowak, Gefahrdeter Zeuge, S. 6. Demnach wird sinnvoll in Anlehnung an polizeiliche Dienstvorschriften zwischen drei Gefahrdungsstufen unterschieden. Auf diese Unterteilung kommt es aber hier nicht an. Es soll hier nur der Vergleich mit dem gefahrdeten Zeugen an sich gezogen werden. 192 BVerfGE 57, 250, 285; BVerfGE 46, 160, 164 ff. Vgl. auch Taschke, Zurückhaltung von Beweismitteln, S. 181 ff. Vgl. auch die Ausfiihrungen zu den Zeugenrechten, 2. Kap. C. 193 Siehe hierzu 4. Kap. C. 11. 4. j). 194 Vgl. 3. Kap. D. IV. 2. 195 LR-Gollwitzer § 223, Rdnr. 13; SK-Schlüchter § 223, Rdnr. 11. 196 LR-Gollwitzer § 223, Rdnr. 13.
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4. Kap.: Die Hauptpflichten des mindeIjährigen Zeugen
kommissarische Vernehmung des Zeugen verzichten, nämlich dann, wenn selbst diese mit "unverhältnismäßig großen körperlichen oder seelischen Gefahren verbunden sein würde.'d97 Das Verhältnis zwischen der audiovisuellen Vernehmung gemäß § 247 a StPO und der Verlesung von Vernehmungsniederschriften gemäß § 251 Abs. I Nr. 2 StPO ist im übrigen noch nicht ausdiskutiert. Mit dem BGH ist davon auszugehen, daß die Möglichkeit einer Videovernehmung nicht die Zulässigkeit der Verlesung einer früheren Aussage gemäß § 251 Abs. 1 Nr. 2 StPO nimmt. 198 Richtiges Argument des BGH ist, daß auch die kommissarische Vernehmung den Interessen schutzbedürftiger Zeugen dienen und die Ermittlung der Wahrheit in angemessener Weise fördern kann. 199 Allerdings muß auf der anderen Seite schon im Rahmen der Aufklärungspflicht eine audiovisuelle Vernehmung zumindest immer in Erwägung gezogen werden, schon da sie eher dem Unmittelbarkeitsgebot gerecht wird als die Verlesung einer früheren kommissarischen Vernehmung. 2oo Nach der Entscheidung des BGH bedarf es jedoch keiner Darlegung des Gerichts, warum es sich mit einer Verlesung nach § 251 StPO begnügt, da "eine solche Pflicht zur Darlegung von Verfahrensvorgängen [... ] der Strafprozeßordnung auch sonst fremd" iSt. 201 Mit Albrecht muß dagegen eingewandt werden, daß es sich bei einer solchen Entscheidung gerade nicht um einfache Verfahrensvorgänge wie Zeugenbelehrungen handelt, die gemäß § 267 StPO nicht zum notwendigen Inhalt des Urteils gehören?02 Die Beweiswürdigung ist notwendiger Urteilsinhalt und schließt die Auseinandersetzung mit nicht genutzten Mitteln der Beweiserhebung mit ein. Nach der h.M. ist die Entscheidung über die Anordnung der audiovisuellen Zeugenvernehmung der revisionsrechtlichen Kontrolle entzogen, da sie gemäß § 247 a Satz 2 StPO in Verbindung mit § 336 Satz 2 StPO nicht angefochten werden kann. 203 Gegen diesen Grundsatz bleibt unter Zuhilfenahme der Aufklärungsrüge nach strittiger Ansicht folgende Hintertür offen: Im Rahmen der RePeters, Strafprozeß, S. 320. BGHSt 46, 73; vgl. auch BGH StV 2000, 345 (Beschluß vom 23.3.2000 - 1 StR 657/99). 199 BGHSt 46, 73, 77 f. 200 Anders aber BGHSt 43, 73: Der Verlesung wird grundsätzlich den Vorrang vor einer Videovemehmung zugesprochen, ohne daß mögliche Vorteile der Videovemehmung überhaupt in Betracht gezogen werden. Aufschlußreich dazu Albrecht StV 2001, 364 ff. 201 BGHSt 46, 73, 78 mit weiteren Nachweisen. 202 Albrecht StV 2001,364,366. 203 LR-Gollwitzer § 247 a, Rdnr.31; KK-Diemer § 247 a, Rdnr.22; HK-Julius § 247 a, Rdnr. 19; Meyer-Goßner § 247 a, Rdnr. 13; a.A. Schlothauer StV 2000, 180, 183 in seiner Anmerkung zu BGHSt 45, 188. Kritisch auch KMR-Lesch § 247 a, Rdnr.36. 197
198
c. Die einzelnen Hauptpflichten und ihre Ausnahmen
113
vision muß die Überprüfung der Entscheidung über die Anordnung der audiovisuellen Zeugenvernehmung dann möglich sein, wenn dadurch zugleich allgemeine Verfahrensgrundsätze bzw. andere Verfahrensvorschriften verletzt worden sind?04 Unstrittig ist dagegen, daß die Ablehnung einer an sich zulässigen Videokonferenz immer der Begründung des Gerichts bedarf, wenn ohne sie überhaupt keine Aussage des Zeugen vorliegt, weil in diesem Fall die Revisibilität der Entscheidung nicht durch § 247 a Satz 2 StPO ausgeschlossen ist. 205
cc) Konservierung der Erstaussage Zusammenfassend ist im Hinblick auf diese Schwierigkeiten die Möglichkeit der Konservierung der Erstaussage von großer Bedeutung für die Wahrheitsfindung. Neben der Konservierung von Aussagen von Opferzeugen unter sechzehn Jahren (§ 58 a Abs. 1 Nr. 1 StPO), soll gemäß § 58 a Abs. 1 Nr. 2 StPO die Vernehmung eines Zeugen auf Video aufgenommen werden, wenn zu besorgen ist, daß der Zeuge nicht in der Hauptverhandlung vernommen werden kann und die Aufzeichnungen zur Erforschung der Wahrheit erforderlich sind?06 Diese Besorgnis ist bei minderjährigen Zeugen fast immer gegeben, denn es fungieren die Eltern neben dem Zeugen als weiterer, schwer kalkulierbarer Entscheidungsträger. Zumindest bei Strafverfahren mit einem sensiblen Hintergrund wie dem des sexuellen Mißbrauchs wird aus der Sollvorschrift des § 58 a StPO nicht nur im Hinblick darauf, dem minderjährigen Zeugen Mehrfachvernehmungen zu ersparen, sondern schon im Interesse der Wahrheitsfindung eine Mußvorschrift. § 255 a StPO stellt die konservierte Videoaufzeichnung im Sinne der §§ 251,252,253,255 StPO den Vernehmungsniederschriften gleich. § 255 a Abs. 2 Satz 1 StPO sieht für Zeugen unter 16 Jahren in Verfahren wegen bestimmten Katalogstraftaten noch eine weitergehende Durchbrechung des Unmittelbarkeitsgrundsatzes vor. 207
204 KMR-Lesch § 247 a, Rdnr.36; HK-Julius § 247 a, Rdnr.19, SK-Schlüchter § 247 a, Rdnr. 25; grundsätzlich auch LR-Gollwitzer § 247 a, Rdnr. 31; a.A. KK-Diemer § 247 a, Rdnr. 22; Meyer-Goßner § 247 a, Rdnr. 13, die nur bei einer technisch fehlerhaften Simultanübertragung eine Autklärungsrüge befürworten. 205 Diemer NStZ 2001, 393, 399. 206 Zschockelt / Wegner NStZ 1996, 305, 306. 207 Zum Verhältnis von § 255 a Abs. I StPO zur Videosimultanvernehmung nach § 247 a Satz I Halbsatz 2 StPO vgl. Keiser, Videovernehmungen, S. 165, 173 ff.
114
4. Kap.: Die Hauptpflichten des mindeIjährigen Zeugen
11. Die Aussagepflicht
Die zweite Hauptpflicht des Zeugen ist die Pflicht, wahrheitsgemäß und vollständig Angaben zu seiner Person sowie zur Sache zu machen. Der minderjährige Zeuge ist auf die Ladung hin zur Hauptverhandlung tatsächlich erschienen und soll über von ihm wahrgenommene Tatsachen berichten. Verweigert er die Aussage ohne gesetzlichen Grund, kann dies Maßnahmen nach § 70 StPO zur Folge haben. Vor der Präzisierung der Aussagepflicht und vor allem der Untersuchung ihrer Ausnahmen ist kurz der Gang der Zeugenvernehmung aufzuzeigen, um den Umfang der Pflicht des Zeugen einordnen zu können. Die Untersuchung möglicher Zeugnisverweigerungsrechte wird einen großen Teil dieses Abschnitts in Anspruch nehmen. Die Pflicht auszusagen gilt rur den minderjährigen Zeugen grundsätzlich in gleicher Weise wie rur den erwachsenen Zeugen. Er ist ebenso gemäß § 69 Abs. 1 Satz 1 StPO verpflichtet, alles mitzuteilen, was ihm von dem Gegenstand seiner Vernehmung bekannt ist. Die Vorschriften der §§ 68, 68 a und 69 StPO regeln Gang und Inhalt der Zeugenvernehmung. Da Kinder und Jugendliche aus vernehmungspsychologischen Gründen nur einem Gesprächspartner gegenüberstehen sollen, schreibt § 241 a StPO vor, daß die Vernehmung von Zeugen unter 16 Jahren allein dem Vorsitzenden obliegt. 208 Das Kreuzverhör (§ 239 StPO), dem in der Praxis ohnehin eine geringe Bedeutung zukommt,z09 ist ausgeschlossen; die unmittelbare Befragung des Zeugen durch andere Prozeßbeteiligte an sich ebenfalls. Der Vorsitzende kann aber einem nach § 240 Abs. 1 und Abs. 2 Satz I StPO Frageberechtigten die unmittelbare Befragung des Zeugen gestatten, wenn nach pflichtgemäßem Ermessen gemäß § 241 a Abs. 2 StPO ein Nachteil rur das Wohl des Zeugen nicht zu berurchten ist. Doch selbst wenn eine Gefahrdung des Kindeswohls nicht zu erwarten ist, hat der Fragesteller keinen Anspruch auf eine unmittelbare Befragung des Zeugen; ein einmal eingeräumtes Fragerecht kann jederzeit widerrufen werden?lO Die Person des Fragestellers darf bei der Abwägung berücksichtigt werden.2l\ Anderen in der Vorschrift nicht genannten Frageberechtigten darf der Vorsitzende kein Fragerecht erteilen, insoweit ist der Wortlaut eindeutig. 212 Sie müssen ihre Fragen immer über den Vorsitzenden an den Zeugen richten lassen. Meyer-Goßner § 241 a, Rdnr. 1. Gössel, Strafverfahrensrecht, S. 207. 210 KK-Tolksdorf§ 241 a, Rdnr. 6. 211 KK-Tolksdorf§ 241 a, Rdnr. 6. 212 KK-Tolksdorf § 241 a, Rdnr. 7; a.A. LR-Gollwitzer § 241 a, Rdnr. 9; AK-Schöch § 241 a, Rdnr. 8 im Umkehrsch1uß. 208
209
C. Die einzelnen Hauptpflichten und ihre Ausnahmen
115
Zeugen, die ihre Befugnisse bei der Vernehmung nicht selbst wahrnehmen können und deren schutzwürdigen Interessen auch auf andere Weise nicht Rechnung getragen werden kann, kann für die Dauer ihrer Vernehmung gemäß § 68 b StPO ein Rechtsbeistand beigeordnet werden (sog. Vernehmungsbeistand), sofern sie noch ohne anwaltlichen Beistand sind und die Staatsanwaltschaft dem zustimmt. Die Kosten des Beistandes trägt der Staat. Das pflichtgemäße Ermessen des Gerichtes wird durch die gerichtliche FÜfsorgepflicht begrenzt, fiskalische Erwägungen dürfen nicht angestellt werden. 213 Je jünger der Zeuge, desto eher wird bei ihm eine entsprechende Schutzbedürftigkeit anzunehmen sein. Allerdings ist gemäß Satz 4 der Vorschrift die fehlerhafte Ausübung des Ermessens nicht justitiabel: "Die Entscheidung ist unanfechtbar." Eine Verpflichtung zu Beiordnung besteht nach § 68 b Satz 2 StPO, wenn die Vernehmung ein Verbrechen (Nr. 1), bestimmte Vergehen aus dem Kreis der Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung bzw. nach § 225 Abs. I oder Abs. 2 StGB (Nr. 2) oder sonstige Vergehen von erheblicher Bedeutung, die unter den besonderen Voraussetzungen der Nr. 3 begangen wurden, zum Gegenstand und der Zeuge oder die Staatsanwaltschaft einen Antrag auf Beiordnung gestellt hat. Nach strittiger Ansicht bedarf es bei einer Antragstellung durch den Zeugen nicht der Zustimmung der Staatsanwaltschaft, um die Autonomie des Zeugen zu stärken?'4 Die Beiordnung beschränkt sich auf die Dauer der Vernehmung; sie umfaßt jedoch ein vorheriges Beratungsgespräch mit dem Zeugen. 215 Der Gesetzgeber hat es bewußt unterlassen, die Rechtsstellung des Beistandes ausdrücklich zu regeln. 216 Umstritten ist daher, ob sie ein begrenztes Akteneinsichtsrecht gewährt. 217 Da sich die Rechtsstellung des Beistands aus der des Zeugen ableitet, spricht viel dafür, dem Beistand "keine eigenen Rechte als Verfahrensbeteiligter" und "nicht mehr Befugnisse" als dem Zeugen selbst zustehen, einzuräumen. 218 Es müssen die Schutzinteressen des Zeugen hinter die Interessen an der Wahrheitsfindung zurücktreten. Nicht von der Hand zu weisen ist allerdings die Kritik an der Effizienz eines solchen Zeugenbeistandes. Fraglich ist sehr wohl, ob der Beistand die Rechte des Zeugen sachgerecht wahrnehmen kann, wenn er gleichzeitig ausschließlich auf dessen Informationen im Vorfeld angewiesen ist. Senge plädiert daher dafür, dem beigeordneten SK-Rogall § 68 b, Rdnr. 5. Meyer-Goßner § 68 b, Rdnr. 6; Rieß NJW 1998, 3240, 3242, Fn. 51; Seitz JR 1998,309,311, a.A. AG Aachen NStZ 2000, 219. 21S Griesbaum NStZ 1998,433,439; a.A. Eisenberg, Beweisrecht, Rdnr. 1324 a. 216 Siehe die Begründung des Gesetzesentwurfs BT-DruckS. 13 /7165, S. 9. 217 So KK-Senge § 68 b, Rdnr. 9 und Schellen berg, Hauptverhandlung, S. 9. 218 Meyer-Goßner § 68 b, Rdnr. 5; Schlüchter / GrejJ Kriminalistik 1998, 530, 535. Vgl. auch BT-DruckS. 13/7165, S. 9. 2I3
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116
4. Kap.: Die Hauptpflichten des minderjährigen Zeugen
Zeugenbeistand "Akteneinsicht (in Form von Ablichtungen) jedenfalls in die Vorgänge zu gewähren, deren Kenntnis erforderlich ist, um wirksam Beistand leisten zu können".2\9 Er strebt daher eine begrenzte Akteneinsicht des Beistandes in jene Aktenteile an, "die den Verfahrensgegenstand erhellen (Haftbefehl, polizeilicher Schlußbericht, Anklageschrift) und die den Zeugen betreffende Vorgänge" enthalten. 22o Einzuwenden ist dagegen, daß diese nur vage Einschränkung der einzusehenden Aktenteile wohl eher ein voll umfängliches Akteneinsichtsrecht des Beistandes zur Folge hätte, das so vom Gesetzgeber jedenfalls keinesfalls gewollt war. Empirisch scheint der Zusammenhang zwischen der Anwesenheit eines anwaltlichen Beistands und der Anwendung schonender Maßnahmen gegenüber minderjährigen Zeugen belegt. 221 Im übrigen sind Zeugen grundsätzlich immer berechtigt, mit einem anwaltlichen Beistand bei eigenem Kostenrisiko zur Vernehmung zu erscheinen. 222
1. Der Gang der Zeugenvernehmung
a) Belehrung Vor der Vernehmung sind die Zeugen gemäß § 57 StPO zur Wahrheit zu ermahnen,223 über die Bedeutung des Eides und die strafrechtlichen Folgen einer falschen Aussage zu belehren. Schon die Zeugen belehrung ist für die Durchführung der Vernehmung aussagepsychologisch von großer Bedeutung. 224 Gerade bei Kindern und Jugendlichen empfiehlt sich daher eine individuell angepaßte Belehrung und nicht das in vielen Gerichtssälen übliche stereotype Herunterleiern einer einmal auswendig gelernten Formel. Die Belehrungen obliegen in der Hauptverhandlung dem Vorsitzenden gemäß § 238 Abs. I StPO.
219 KK-Senge § 68 b, Rdnr. 6; siehe auch Beulke, Strafverfahrensrecht, Rdnr. 196a. Kritisch Fischer JZ 1998,816,821. 220 KK-Senge § 68 b, Rdnr. 6. 221 Busse / Valhert / SteUer, Belastungserleben, S. 190 f. 222 BVerfGE 38,105 ff. Vg1. auch Jung GA 1998,313,327, der dem Zeugenbeistand sogar ein Anwesenheitsrecht über die Vernehmung hinaus, zugestehen will. Weiterführend zum Recht des Zeugen auf einen Beistand vg1. Lüdeke, Zeugenbeistand. 223 Gössel, Strafverfahrensrecht, S. 206: Üblicherweise werden die Zeugen bereits nach der Präsenzfeststellung gemäß § 57 StPO zur Wahrheit ermahnt. 224 Näher hierzu Arntzen, Vernehmungspsychologie, S. 1 ff.
C. Die einzelnen Hauptpflichten und ihre Ausnahmen
117
b) Angaben zur Person
Die Vernehmung selbst beginnt mit der Vernehmung des Zeugen zur Person. Aussagegegenstand sind zunächst Personalfragen gemäß § 68 Abs. I Satz 1 StPO. Die Fragen nach Namen, Anschrift, Alter und Beruf des Zeugen haben in erster Linie den Zweck, Verwechslungen zu vermeiden und allen Prozeßbeteiligten Nachforschungen zu ermöglichen. Daneben können sie auch der Beurteilung der Glaubwürdigkeit dienen. 225 Die Angabe des Alters des Zeugen ist zudem wegen den Vereidigungs bestimmungen von Bedeutung. Die Fragen zur Person muß der Zeuge selbst dann beantworten, wenn er ein Zeugnisverweigerungsrecht hat;226 es sei denn, die Angabe der Personalien kommt schon einer Aussage zur Sache gleich. Dies ist dann der Fall, wenn die Vernehmung nur der Identitätsfeststellung dient. 227 Ausnahmen zu der Verpflichtung zu Angaben zur Person, insbesondere bei gefährdeten Zeugen, regeln die § 68 Abs. 2 und Abs. 3 StPO. Diese Schutzvorschrift spielt hier nur eine vernachlässigenswerte Rolle.
c) Generalfragen
Nach der Vorschrift des § 68 Abs. 4 StPO dürfen dem Zeugen ausnahmsweise sogenannte Generalfragen gestellt werden, wenn ihre Beantwortung nach dem Ermessen des Gerichts erforderlich ist: Die Frage der Glaubwürdigkeit des Zeugen muß hierzu Anlaß geben. Der Zeuge muß Fragen beantworten, die seine allgemeine Glaubwürdigkeit und dabei insbesondere seine Beziehung zu dem Angeklagten betreffen. Bei minderjährigen Zeugen können diese Generalfragen zudem dazu beitragen, daß sich das Gericht ein Bild von der geistigen Entwicklung des Zeugen machen kann. Die Klärung der Beziehung zum Angeklagten, ob also ein Verwandtschaftsverhältnis vorliegt, dient vor allem der Entscheidung über mögliche Weigerungsrechte nach §§ 52, 55 StPO und der Frage nach der Vereidigung gemäß §§ 61 Nr. 2, 63 StPO. Bei allen Fragen ist immer § 68 a StPO zu beachten, der den Zeugen weitgehend vor bloßstellenden Fragen schützen soll; die Schutzmaßnahmen des § 68 Abs. 2 und 3 StPO dürfen ebenfalls nicht unterlaufen werden. 228 Zeuge Die Beantwortung der Generalfragen charakterisiert nicht die eigentliche Zeugenpflicht, da es nicht um eine eigene sinnliche Wahrnehmung des Zeugen
225
226 227 228
LR-Dahs § 68, Rdnr. 2 mit weiteren Nachweisen. Gössel, Strafverfahrensrecht, S. 210.
Meyer-Goßner § 68, Rdnr. 3. HilgerNStZ 1992,457,459.
118
4. Kap.: Die Hauptpflichten des mindeIjährigen Zeugen
geht. Diese Pflicht fällt daher nicht in den Katalog der Hauptpflichten, vielmehr ist sie eine echte Nebenpflicht des Zeugen. 229
d) Spezielle Belehrung über ein Zeugnisbzw. ein Aussageverweigerungsrecht
Die spezielle Belehrung des Zeugen hat selbstverständlich vor der Vernehmung zur Sache zu erfolgen, falls dem Zeugen ein Zeugnisverweigerungsrecht zusteht. 230 Der genaue Zeitpunkt der Belehrung ist allerdings vom Gesetz nicht geregelt. Eine schon zu einem früheren Zeitpunkt gemachte entsprechende Belehrung ist daher unschädlich. 231 Nicht vorgeschrieben ist zudem der richtige Zeitpunkt für die Belehrung über ein Aussageverweigerungsrecht. Aus rechtsstaatlichen Gründen ist zwar eine möglichst frühzeitige Belehrung geboten,232 da über ein Auskunftsverweigerungsrecht naturgemäß erst dann belehrt werden kann, wenn Anhaltspunkte für das Vorliegen der Voraussetzungen des § 55 StPO vorliegen, wird eine Belehrung oft erst im Laufe der Vernehmung erfolgen. Die Belehrung hat spätestens jedoch dann zu erfolgen, wenn dem Gericht das Vorliegen der Voraussetzungen des § 55 StPO erkennbar wird. 233
e) Angaben zur Sache
Im Anschluß an die Personalfragen und die Belehrung folgt die Vernehmung zur Sache; § 69 StPO regelt die Ausgestaltung der Vernehmung. Dem Zeugen ist Gelegenheit zu einem zusammenhängenden Bericht zu geben?34 Bei minderjährigen Verhörspersonen wird dieses Bestreben oft schwierig umzusetzen sein; hier muß der Vorsitzende versuchen, mit Fragen den Redefluß in Gang zu halten. Nach diesem sogenannten Berichtsteil gemäß § 69 Abs. 1 StPO sind nötigenfalls zur weiteren Aufklärung und zur Vervollständigung der AusSiehe hierzu 5. Kap. C. IV. 1. Denkbar ist jedoch der Fall, daß sich eine Angehörigenbeziehung des Zeugen zu dem Angeklagten erst im Laufe der Vernehmung herausstellt. Die Belehrung ist dann nachzuholen; die bisherige Aussage ist nicht verwertbar; vgl. KK-Senge § 52, 31. 231 Meyer-Goßner § 52, Rdnr. 29 mit weiteren Nachweisen. 232 RogallNJW 1978,2535,2537. 233 KK-Senge § 55, Rdnr. 17. 234 Dieser Anspruch des Zeugen auf Abgabe einer zusammenhängenden Darstellung seiner Beobachtungen ist ein entscheidender Bestandteil der deutschen Strafprozeßordnung und wichtig für den Beweiswert einer Aussage. Einer "verzerrenden Einwirkung des jeweils Vernehmenden auf Zeugenaussagen" kann so "nachhaltig entgegengewirkt werden"; vgl. Gössel, FS Meyer-Goßner, S. 187,196. 229
230
C. Die einzelnen Hauptpflichten und ihre Ausnahmen
119
sage sowie zur Erforschung des Grundes, auf dem das Wissen des Zeugen beruht, Fragen zu stellen (Verhör nach § 69 Abs. 2 StPO).235 Im Nacheid ist der Zeuge nach seiner Vernehmung zu vereidigen. 236
2. Ausnahmen von der Aussagepflicht
Das Gesetz kennt drei Ausnahmen von der Pflicht des Zeugen, vor Gericht auszusagen. Dies ist einmal die fehlende Aussagegenehmigung für Richter und Beamte gemäß § 54 StPO; das Zeugnisverweigerungsrecht gemäß den §§ 52 bis 53 a StPO und das Auskunftsverweigerungsrecht nach § 55 StPO für einzelne Fragen. Für diese Arbeit von besonderer Bedeutung ist nur das Zeugnisverweigerungsrecht aus persönlichen Gründen; nur am Rande spielt das Auskunftsverweigerungsrecht eine Rolle. Vor den gesetzlich geregelten Ausnahmen der Aussagepflicht ist eine weitere mögliche Ausnahme zu erörtern, die fehlende Aussagefähigkeit eines minderjährigen Zeugen.
3. Die Aussagefähigkeit
Die Aussagefähigkeit ist die Fähigkeit einer zu vernehmenden Person, einen konkreten Sachverhalt zutreffend wiederzugeben, sofern diese Person willens ist, eine korrekte und vollständige Aussage zu machen (ausgeschieden werden sollen also diejenigen Zeugen, die bewußt falsch aussagen).237 Im Unterschied hierzu setzt die Zeugnisunfähigkeit dauerhafte Defekte in der Person des Zeugen voraus. 238 Die Aussagefähigkeit darf dagegen "nicht als Eigenschaft aufgefaßt werden", "die eine Person entweder hat oder nicht.,,239 Hervorzuheben ist vielmehr der ,,relationale Charakter" der Aussagefähigkeit. 24o Ein Blinder beispielsweise mag nicht aussagefähig hinsichtlich visueller Wahrnehmungen sein, kann aber bezüglich akustischer Wahmehmungen einen exzellenten Zeugen abgeben; ihm obliegt daher selbstverständlich eine Aussagepflicht. Fraglich ist, ob ein minderjähriger Zeuge, der nicht in der Lage ist, eine verwertbare Aussage zu machen, dennoch aussagepflichtig ist, obwohl seine Aussage im nachhinein wertlos wäre. Doch die Beziehung der AussagefähigBeulke, Strafprozeßrecht, Rdnr. 196. Dies entspricht allerdings nicht mehr dem Rechtsalltag: Der Eid als Regelfall ist zum Ausnahmefall geworden; vgl. 4. Kap. C. III. I. 237 Eisenberg, Beweisrecht, Rdnr. 1362. 238 Siehe 4. Kap. C. I. 3. a). 239 Eisenberg, Beweisrecht, Rdnr. 1362. 240 Eisenberg, Beweisrecht, Rdnr. 1362. 235
236
120
4. Kap.: Die Hauptpflichten des minderjährigen Zeugen
keit zur Aussagepflicht ist ähnlich zu beurteilen wie die der Zeugnisfähigkeit zur Erscheinenspflicht. 241 Der Richter urteilt über die Aussagefähigkeit des Zeugen nach pflichtgemäßem Ermessen. Würde man von vornherein die Aussagepflicht des aussageunfähigen Zeugen entfallen lassen, käme das einer unzulässigen Vorwegnahme der Beweiswürdigung gleich. Das Gericht darf sich eine "endgültige Überzeugung jedoch erst nach Ausschöpfung der vorhandenen Beweismittel" zu bilden, da "die Freiheit der Beweiswürdigung immer erst dann einsetzt, wenn die Aufklärungspflicht erfiillt ist,,?42 So mag ein Richter eine Vernehmung zwar abbrechen dürfen, sobald die Aussageunfähigkeit des Zeugen fiir ihn zweifelsfrei feststeht, doch er wird nicht von vornherein auf sie verzichten dürfen. In der Praxis wird dieses Problem allerdings wenig akut sein, denn eine Aussageunfähigkeit wird in ihrer Reinform selten auftreten; vielmehr wird sie eher Teile einer Aussage betreffen und zudem erst mit zunehmender Dauer der Vernehmung erkennbar werden. Und selbst der komplett zeugnisunfähige Zeuge wird nicht per se von seiner Pflicht, zur Leistung einer Aussage, entbunden. Da die Frage der Zeugnisunfähigkeit ebenfalls der freien Beweiswürdigung unterliegt, muß eine tragfähige Grundlage fiir diese geschaffen werden, die den Anforderungen an die Aufklärungspflicht genüge tut. Der Richter darf daher mit der Vernehmung beginnen, muß diese aber abbrechen, wenn fiir ihn die Zeugnisunfähigkeit feststeht. Da die Sprachkompetenz dem Freibeweisverfahren unterliegt, wird ein Kind, das nicht sprechen kann, in der Praxis regelmäßig erst gar nicht als Zeuge geladen werden.
a) Kleinkinder (bis 4 Jahre) In diesem Lebensalter sind die Probleme der Aussagefähigkeit bedeutsamer als die der Glaubwürdigkeit. 243 Arntzen hält in der Regel Kinder unter viereinhalb Jahren fiir generell aussageuntüchtig, nur unter günstigen Umständen sind Kinder dieser Altersgruppe als Zeugen geeignet. 244 Eisenberg setzt die Grenze etwas niedriger an und kommt zu dem Ergebnis, daß von seltenen Ausnahmefällen abgesehen, die Grenze, ab der Kinder überhaupt als Zeugen in Betracht kommen, bei etwa 3 Jahren liegt. "Normalentwickelte Dreijährige sind von ihren kognitiven und sprachlichen Fähigkeiten in der Lage, von Erlebnissen zu Siehe 4. Kap. C. I. 3. a). LR-Gollwitzer § 261, Rdnr. 70 und § 244, Rdnr. 45 mit weiteren Nachweisen. 243 Gley StV 1987,403,405. Einen Überblick zu den Besonderheiten bei der Vernehmung von Kindern - etwa in welchen Alter die Anwesenheit der Eltern sinnvoll ist oder sich als hemmend erweist - gibt Kraheck-Brägelmann, Anhörung, S. 33, 55 ff. 244 Arntzen DRiZ 1976, 20 24\
242
C. Die einzelnen Hauptpflichten und ihre Ausnahmen
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berichten und auf altersgerecht fonnulierte Fragen zu antworten. ,,245 MichaelisArntzen sieht Kleinkinder lediglich als "Stützzeugen" geeignet, was immerhin impliziert, daß sie durchaus für aussagefähig gehalten werden, daß aber von ihrer Aussage noch nicht allzuviel erwartet werden darf. 246 Im Grundsatz gilt jedoch, daß sobald die sprachlichen Fähigkeiten des Kindes ausreichen, es ein einfaches Erlebnis auch darstellen kann. b) Kindergartenkinder und Vorschulkinder (4 bis 6 Jahre)
Den Ergebnissen der Untersuchungen von Arntzen zufolge kann von einer Zeugeneignung erst bei 5jährigen Kindern mit nonnalem geistigen Entwicklungsstand ausgegangen werden. Von diesen 5jährigen werden wiederum nur rund die Hälfte geeignet sein, eine Aussage vor Gericht abzugeben. Eine Untersuchung des Bochumer Instituts für Gerichtspsychologie kam bei der Altersgruppe der 4jährigen allerdings zu dem Ergebnis, daß immerhin 35,2% der Kinder brauchbare und zuverlässige Angaben machten. 247 Generell können beim Kindergarten- und Vorschulkind zwar keine Angaben zur Größe, Fonn und Entfernung erwartet werden, da stabile Bezugssysteme fehlen. Sie erinnern sich besser an Handlungen als an statische Details wie beispielsweise der Haarfarbe des Täters. 248 Umstritten ist, ob einem Kind dieser Altersgruppe schon ein bewußtes Lügen unterstellt werden kann. 249 Zwar können schon 3jährige bewußt die Unwahrheit sagen, insbesondere wenn sie von einer erwachsenen Autoritätsperson dazu aufgefordert werden. Sie können die Lüge jedoch noch nicht durchhalten und "fliegen" bei entsprechender Nachfrage auf. 250 Mit einem solchen Täuschungsverhalten von Kindern dieses Alters ist insbesondere dann zu rechnen, wenn sie einen ihnen eng verbundenen Erwachsenen vor Nachteilen schützen wollen. 251 Reale Beobachtungen und Phantasievorstellungen werden bei Kindern dieses Alters noch häufig vennischt sein;252 die Suggestibilitätsneigung ist hoch. Statistisch ist die Altersgruppe der 4- bis 5jährigen (und der 8- bis 9jährigen) in der besonderen Gefahr, Opfer eines seEisenberg, Beweisrecht, Rdnr. 1411; ähnlich auch Laubenthai JZ 1996, 335, 337. Michaelis-Arntzen, Aussagepsychologie, S. 369, 396. 247 Im Zeitraum 1990 bis 1995 wurden 105 Kleinkinder untersucht. Für eine genauere Übersicht vgl. Michaelis-Arntzen, Suggestibilität von Kleinkinder, S. 205, 206. 248 Eisenberg, Beweisrecht, Rdnr. 1441. 249 Ablehnend Deckers NJW 1999, 1354, 1369. 250 Schalz NStZ 2001, 572 f. mit den Verweisen auf die entsprechenden Untersuchungen. 251 Schalz NStZ 2001, 572, 573. 252 Gley StV 1987,403, 405. 245
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4. Kap.: Die Hauptpflichten des mindeIjährigen Zeugen
xuellen Übergriffs zu werden 253 und wird daher dementsprechend oft Zeuge in einem späteren Strafverfahren sein. c) 7- bis JOjährige Zeugen
An der Zeugnis- und Aussagefähigkeit dieser Zeugengruppe bestehen keine Zweifel mehr; Kinder dieser Altersstruktur gelten sogar als die "kindlichen Idealzeugen,,:254 Bei erheblich gewachsener Aussagefähigkeit liegt zugleich in der Regel eine wenig eingeschränkte Aussagebereitschaft vor?55 Wesentlich verbessert hat sich in diesem Alter die Gedächtnisfunktion. Ein Schulkind kann noch nach einem Jahr über ein aus dem Alltag herausgehobenes Ereignis berichten. Verringert hat sich dagegen die Suggestibilitätsneigung. 256 Schwierigkeiten haben diese Zeugen noch mit der zeitlichen und räumlichen Zuordnung von gehäuften ähnlichen Erlebnissen. 257 Zusammenfassend ist zu sagen, daß diese Altersgruppe insgesamt sogar genauer beobachtet als Erwachsene?58 d) 11- bis 14jährige Zeugen
In diesem Lebensalter bestehen zwischen den für die Aussage wichtigen kognitiven Fähigkeiten, wie die des Wahrnehmens und Erinnems, gegenüber Erwachsenen keine signifikanten Unterschiede mehr. 259 Das Suggestionsrisiko verringert sich ebenfalls auf das eines erwachsenen Zeugen. Zu bedenken ist lediglich, daß nunmehr die Pubertät der Kinder beginnt und man früher daher Mädchen dieses Alters bei Sittlichkeitsdelikten sogar jede Zeugeneignung absprach. Dies hat sich wissenschaftlich als nicht haltbar erwiesen; ein Jugendlicher ist auch in der "krisenhaften Zeit der Pubertät ohne Einschränkung fähig, die Realität von seiner Tagtraumwelt zu unterscheiden. ,,260 Die größere Gefahr stellen vielmehr Aussagezurückhaltungen dar; der junge Zeuge will sich eine Situation nicht eingestehen. Es steht also statt der Aussagefähigkeit nun die Frage der Aussagebereitschaft im Vordergrund. Jungen dieDenger ZRP 1991,48. Michaelis-Arntzen, Aussagepsychologie, S. 369, 400. 255 Deckers NJW 1999, 1354, 1369. 256 Michaelis-Arntzen, Aussagepsychologie, S. 369, 399 ff. 257 Gley StV 1987, 403, 407. 258 Bender / Räder / Nack, Tatsachenfeststellung Band 11, Rdnr. 834. Allerdings wird diese Aussage in anderen Quellen weder bestätigt noch negiert. 259 Eisenberg, Beweisrecht, Rdnr. 1416 a. 260 Gley StV 1987,403,407. 253
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c. Die einzelnen Hauptpflichten und ihre Ausnahmen
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ser Altersgruppe gelten bei Bender / Röder / Nack dennoch als die besten Zeugen überhaupt. 261 "Niemand beobachtet so aufmerksam und genau wie der Junge. Er ist noch wenig in eigene Probleme eingesponnen, sein Blick durch Parteinahme oder Vorurteile noch nicht getrübt. Er ist in der Regel zu stolz, um zu lügen - falls aber doch, dann merkt man es. Im allgemeinen läßt er sich auch nicht leicht beeinflussen.,,262
e) Über 14jährige Zeugen Bei den über 14jährigen Zeugen gibt es keine Besonderheiten mehr zu Erwachsenen: Die Zeugen sind uneingeschränkt aussagefähig. Einzig Bender / Röder / Nack stufen Zeugen dieser Altersgruppe als besonders unergiebig ein. Da sie zu sehr mit sich selbst beschäftigt seien, als daß sie ihrer Umwelt viel Beachtung schenken würden, wären von ihnen bestenfalls nur recht oberflächliche Bekundungen zu erwarten. 263
4. Die Zeugnisverweigerungsrechte
a) Das Zeugnisverweigerungsrecht aus persönlichen Gründen gemäß § 52 StPO Die Zeugenpflichten gelten nicht unbegrenzt. Der Gesetzgeber hat der Pflicht mit der Statuierung von Zeugnis- und Aussageverweigerungsrechten Grenzen gesetzt. Besonders relevant für den Bereich minderjähriger Zeugen ist § 52 StPO, das Zeugnisverweigerungsrecht aus persönlichen Gründen. Bei Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung unter Gewaltanwendung oder Ausnutzen eines Abhängigkeitsverhältnisses waren im Jahr 2001 immerhin 18,5 % aller weiblichen Opfer mit dem Tatverdächtigen verwandt; bei der Körperverletzung steigt diese Quote auf 26,4 %?64 Zwar fehlen entsprechende Zahlen speziell für mindetjährige Opfer; vermutlich kann davon ausgegangen werden, daß bei mindetjährigen Opfern insgesamt noch höhere Anteile enger Vorbeziehungen zum Täter gegeben sind. Vor allem in Verfahren wegen sexuellen Mißbrauchs wird der Angeklagte oft ein naher Angehöriger des Opfers sein, was die persönliche Konfliktlage für den jungen Zeugen noch ver-
Bender / Räder / Nack, Tatsachenfeststellung Band 11, Rdnr. 835. Bender / Räder / Nack, Tatsachenfeststellung, Band 11, Rdnr. 835. 263 Bender / Räder / Nack, Tatsachenfeststellung, Band 11, Rdnr. 837. 264 Polizeiliche Kriminalstatistik 2001, S. 62. 261
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4. Kap.: Die Hauptpflichten des minderjährigen Zeugen
schärft. Zumal gleichzeitig erwiesen ist, daß Taten durch Fremde, die oft auch einmalig sind, weniger tiefgreifende und nachhaltige Störungen zur Folge als wiederholte Taten im emotionalen Nahraum eines Minderjährigen haben. 265 Zweck der Vorschrift des § 52 StPO ist in erster Linie der Schutz familiärer Bindungen. § 52 StPO trägt der besonderen Situation eines Zeugen Rechnung, der als Angehöriger des Angeklagten der Zwangslage ausgesetzt sein kann, diesen entweder zu belasten oder die Unwahrheit zu sagen. 266 Diese Entscheidung stellt einen minderjährigen Zeugen angesichts der emotionalen Bindungen an den Angehörigen vor eine fast unlösbare Aufgabe. 267 Das Gesetz befreit die privilegierten Personen deshalb von der Pflicht, an der Überführung eines Angehörigen mitzuwirken, um die persönliche Verbundenheit zwischen den Personen im engsten sozialen Nahbereich vor stratprozessualen Zugriffen freizuhalten. 268 Das öffentliche Interesse an der Aufklärung einer Straftat und einer möglichst unbehinderten Strafverfolgung tritt hinter das persönliche Interesse des Zeugen zurück, gegen einen Angehörigen aussagen zu müssen?69 Die Konfliktlage des Zeugen wird unwiderlegbar vermutet. Zusammengefaßt hat § 52 StPO zwei Funktionen: Er will den Zeugen vor dem Gewissenskonflikt bewahren, gegen seinen Angehörigen auszusagen, und schützt den Familienfrieden, indem Rücksicht auf die Familienbande genommen werden, die den Angeklagten mit dem Zeugen verknüpfen. 27o Darüber hinaus dient das Zeugnisverweigerungsrecht der Wahrheitsfindung,271 da der Zeuge ohne ein solches Weigerungsrecht jeweils zwangsläufig vor der inneren Wahl stünde zu lügen oder zu Lasten seines Angehörigen die Wahrheit zu sagen; dieser Schutzweck ist allerdings sehr umstritten. Es wird oft abgelehnt, das Zeugnisverweigerungsrecht mit diesem öffentlichen Interesse in Verbindung zu bringen, da die Vorschrift nur dem Schutz des Zeugen und seiner Beziehungen zum Angeklagten dienen soll.272 Diese Frage soll hier nicht vertieft dargestellt Balloff, Kinder, S.194. KK-Senge § 52, Rdnr. I mit weiteren Nachweisen. 267 MeierJZ 1991,638,641. 268 Welp, FS Bemmann, S. 626, 627. 269 LR-Dahs § 52, Rdnr. I. 270 BGHSt 11, 213, 216; LR-Dahs § 52, Rdnr. I; Schmitt, Zeugnisverweigerungsrechte, sieht den Schutzzweck des § 52 StPO neben der Bewahrung des Zeugen vor einer inneren Konfliktlage und der Aufrechterhaltung des Familienfriedens auch noch in der Gewährleistung der Vertraulichkeit und damit der Unbefangenheit innerfamiliärer Kommunikation, S. 67 f. Dies spielt aber ftir diese Arbeit keine Rolle. 271 Vgl. Orlowsky, Weigerungsrechte, S. 42 ff.; Rengier, Zeugnisverweigerungsrechte, S. 56 ff; Hauser, Zeugenbeweis, S. 130; AK-Kühne § 52, Rdnr. 1. 272 BGHSt 45, 203, 207; BGHSt 11,213,215 f; LR-Dahs § 52, Rdnr. I; KK-Pelchen § 52, Rdnr. I; SK-Rogall Vor § 48, Rdnr. 140; Meyer-Goßner § 52, Rdnr. 1. Die Entscheidung BGHSt 10, 393, die in diesem Zusammenhang oft zitiert wird und als Nach265
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C. Die einzelnen Hauptpflichten und ihre Ausnahmen
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werden, da es für die Zwecke dieser Arbeit nur am Rande darauf ankommt. Die Pflicht, der Zeugen ladung zu folgen, wird durch § 52 StPO nicht tangiert. Der zeugnisverweigerungsberechtigte Angehörige darf im übrigen nur die Aussage zur Sache, nicht jedoch die Angaben zur Person nach § 68 Abs. I Satz 1 StPO verweigern.
b) Kreis der zur Zeugnisverweigerung Berechtigten Zeugnisverweigerungsberechtigt sind laut Gesetzeswortlaut die Angehörigen des Beschuldigten. Der strafprozessuale Angehörigenbegriff ist nicht deckungsgleich mit dem des § 11 Abs.1 Nr. I StGB. Er ist teils weiter, weil Verwandte der Seitenlinie bis zum dritten Grad nach § 52 Abs. I StPO zur Zeugnisverweigerung berechtigt sind, nach § I1 Abs. 1 Nr. I a StGB aber nur Geschwister, nicht Geschwisterkinder zu den Angehörigen zählen. Er ist teils enger, weil Pflegekinder - anders als in § 1I Abs. I Nr. I b StGB geregelt - nicht zu den Angehörigen zählen. 273 Gerade letztgenannter Punkt wird im Anschluß Anlaß zu Kritik geben. Zusammenfassend bedeutet dies, daß es einen allgemeingültigen Angehörigenbegriff im Strafrecht nicht gibt. 274 Im einzelnen muß genauer untersucht werden, welchen Personen ein Weigerungsrecht zusteht. aa) Verlobter Gemäß § 52 Abs.1 Nr. 1 StPO hat der Verlobte des Angeklagten ein Recht zur Verweigerung seines Zeugnisses. Auf die Gültigkeit des Verlöbnisses nach bürgerlich-rechtlichen Maßstäben kommt es nicht an; es muß als gegenseitiges Eheversprechen von beiden Seiten ernst gemeint sein. 275 Der mindeIjährige Zeuge, der sich ohne Einwilligung seiner Eltern verlobt hat, ist daher Verlobter im Sinne des § 52 Abs. 1 Nr. I StPO. 276
weis für eine positive Stellungnahme des BGH zum Zwecke des § 52 StPO auch zum Schutz der Wahrheitsfindung herangezogen wird, trifft tatsächlich zu diesem Thema keine eindeutige Aussage. 273 LR-Dahs § 52, Rdnr. 4. 274 Bialek, Zeugnisverweigerungsrecht, S. 31. 275 Eisenberg, Beweisrecht, Rdnr. 1243. 276 RGSt 38, 243; Peters, Strafprozeß, S. 348; LR-Dahs § 52, Rdnr. 5.
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4. Kap.: Die Hauptpflichten des minderjährigen Zeugen
bb) Ehegatte Weigerungsberechtigt ist der Ehegatte des Angeklagten gemäß § 52 Abs. 1 Nr.2 StPO. Voraussetzung ist eine formell gültige Ehe zum Zeitpunkt der Vernehmung; der Zeitpunkt der Wahrnehmung des zu bekundenden Ereignisses ist nicht maßgeblich. 277 Diese Möglichkeit der Zeugnisverweigerung ist hier nur von Belang, wenn der Ehegatte, der Beweisperson ist, mindeIjährig ist. Besondere Probleme für den Bereich dieser Arbeit ergeben sich nicht.
cc) Kinder in einer gleichgeschlechtlichen Lebenspartnerschaft Das Gesetz zur Beendigung der Diskriminierung gleichgeschlechtlicher Gemeinschaften, das sogenannte Lebenspartnerschaftsgesetz (LPartG)278 - dessen Verfassungsmäßigkeit das Bundesverfassungsgericht 2002 bestätigte279 setzt seit dem 1.8.2001 gleichgeschlechtliche Paare in vielen Bereichen den Ehepaaren gleich, räumt den gleichgeschlechtlichen Paaren also entsprechende Rechte ein und legt ihnen auch entsprechende Pflichten auf. 280 Lebenspartner sind Personen gleichen Geschlechts, die nach § 1 Abs. 1 LPartG eine Lebenspartnerschaft begründet haben. 281 Nach einer Erklärung vor der zuständigen Behörde282 - zu den formalen Voraussetzungen vgl. § 1 LPartG - gelten die Lebenspartner als Familienangehörige (§ 11 Abs. 1 LPartG) und die Verwandten eines Lebenspartners mit dem anderen Lebenspartner als verschwägert (§ 11 Abs. 2 LPartG). Mit der Einführung des Partnerschaftsgesetzes geht daher die Einfügung des § 52 Abs. 1 Nr. 2 a StPO einher, wonach nunmehr dem Lebenspartner des Angeklagten ein Zeugnisverweigerungsrecht zusteht, auch wenn die Lebenspartnerschaft nicht mehr besteht. Diese Gesetzesänderung betrifft leibliche oder adoptierte Kinder, die von einem Lebenspartner mit in diese Gemeinschaft gebracht werden: Die Kinder sind in gerader Linie mit dem einen Lebenspartner verwandt; sie gelten nunBayObLG NStZ 1990, 188; LR-Dahs § 52, Rdnr. 4. BGBl. 12001, S. 266. 279 Für die Verfassungsmäßigkeit des Gesetzes plädiert Beck NJW 2001, 1894 ff. mit weiteren Nachweisen. Äußerst heftig kritisiert das neue familienrechtliche Institut dagegen Braun JZ 2002, 23 ff. 280 BGBl I 2001, S. 266. 281 Meyer-Goßner § 52, Rdnr. 5 a. 282 In Bayern sind nach dem Ausführungsgesetz dieses Landes die Notare zuständig, die beispielsweise in München die Räume der Standesämter nutzen dürfen. In anderen Bundesländern haben teilweise die Standesämter selbst die Aufgabe übernommen. 277 278
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mehr als mit dem anderen Partner verschwägert. Die Linie und der Grad ihrer Schwägerschaft bestimmen sich nach der Linie und dem Grad der sie vermittelnden Verwandtschaft (vgl. § 11 Abs. 2 Satz 1 LPartG; § 1590 Abs. 1 Satz 2 BGB).
dd) Verwandtschaft und Schwägerschaft Die Verwandtschaft ist nach §§ 1589, 1590 BGB zu bestimmen. In gerader Linie sind gemäß § 1589 Satz 1 BGB Personen verwandt, deren eine von der anderen abstammt. Der Grad der Verwandtschaft (also die Zahl der die Verwandtschaft vermittelnden Geburten; § 1589 Satz 3 BGB) ist nicht entscheidend. Auf ein Zeugnisverweigerungsrecht können sich folglich Urenkel, Enkel und Kinder in Verfahren gegen Eltern, Großeltern und Urgroßeltern berufen. Verwandt in der Seitenlinie gemäß § 1589 Satz 2 BGB sind diejenigen Personen, die zwar nicht in gerader Linie verwandt sind, aber von derselben dritten Person abstammen. Ein Zeugnisverweigerungsrecht haben demnach nur vollund halbgebürtige Geschwister sowie Geschwisterkinder (Nichten und Neffen) in Verfahren gegen die eigenen Geschwister oder die Geschwister der Eltern (und umgekehrt), nicht aber Geschwisterkinder untereinander. 283 Einem Cousin eines Angeklagten steht kein Zeugnisverweigerungsrecht nach § 52 Abs. 1 Nr. 3 StPO zu, da er nur ein in der Seitenlinie im vierten Grad Verwandter ist. 284 Bei der Adoption behalten die angenommenen Kinder das Zeugnisverweigerungsrecht zugunsten ihrer bisherigen Verwandten trotz Erlöschung des Verwandtschaftsverhältnisses (vgl. § 1755 Abs. 1 Satz 1 BGB); die Kinder des als Kind Angenommenen nur, wenn sie zum Zeitpunkt der Adoption schon geboren waren. Das Privileg des Zeugnisverweigerungsrechtes bleibt gegenüber den Annehmenden und deren Verwandten für als MindeIjährige angenommene Kinder nach der Auflösung eines Adoptionsverhältnisses bestehen. Für nichteheliche Kinder bestehen keine Besonderheiten. Vor der Feststellung der Nichtehelichkeit eines während einer Ehe geborenen Kindes gilt die Vermutung der §§ 1592, 1595, 1600 a BGB, wonach das Kind als Kind des Ehemanns und nicht des tatsächlichen Vaters gilt - mit den entsprechenden Konsequenzen für das Zeugnisverweigerungsrecht. 285
283 284 285
LR-Dahs § 52, Rdnr. 10; Meyer-Goßner § 52, Rdnr. 6. BGH NStZ 1996, 324. BayObLG NStZ 1990, 188; LR-Dahs § 52, Rdnr. 11.
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4. Kap.: Die Hauptpflichten des minderjährigen Zeugen
Weigerungsberechtigt sind im begrenzten Umfang Verschwägerte, also die Verwandten eines Ehegatten mit dem anderen Ehegatten gemäß § 1590 Abs. 1 Satz 1 BGB, unabhängig davon, ob die Ehe noch besteht. Für Verschwägerte in gerader Linie besteht das Weigerungsrecht ohne Einschränkung wie bei der Verwandtschaft. In der Seitenlinie gilt es nur bis zum zweiten Grad; das heißt, die Geschwister des Ehegatten des Angeklagten können sich auf ein Zeugnisverweigerungsrecht berufen, nicht mehr deren Kinder. 286 Keine Schwägerschaft besteht zwischen den Verwandten des einen Ehegatten und den Verwandten des anderen Ehegatten, umgangssprachlich Schwippschwägerschaft genannt, da die Schwägerschaft nur zwischen einem Ehegatten und den Verwandten des anderen Ehegatten besteht. Kinder, die je ein Ehepartner mit in die Ehe gebracht hat, sind also nicht miteinander verschwägert. 287 Seit dem 1.8.2001 haben zudem die Kinder eines Elternteils ein Zeugnisverweigerungsrecht gegenüber dessen gleichgeschlechtlichem Lebenspartner, sofern ihr Elternteil eine Lebenspartnerschaft im Sinne des Gesetzes zur Beendigung der Diskriminierung gleichgeschlechtlicher Gemeinschaften (Lebenspartnerschaftsgesetz) begründet hat;288 die Rede ist in diesem Zusammenhang von sogenannten Regenbogenfamilien. Die Kinder gelten nunmehr als mit dem Lebenspartner verschwägert (vgl. § 11 Abs. 2 Satz 1 LPartG).
ee) Kinder in einer nichtehelichen Lebensgemeinschaft Das Zeugnisverweigerungsrecht wurde vom Gesetzgeber ausdrücklich auf legale Angehörigenverhältnisse beschränkt. An dieser Prämisse ändert das Lebenspartnerschaftsgesetz nichts, denn der gleichgeschlechtliche Lebenspartner gilt als Familienangehöriger des anderen Lebenspartners (§ 11 Abs. 1 LPartG) und es handelt sich somit wieder um ein formalisiertes Angehörigenverhältnis mit eheähnlichen Wirkungen, da die Lebenspartner einander zu Fürsorge und Unterstützung sowie zur gemeinsamen LebenstUhrung verpflichtet sind?89 Doch der Begriff der Verwandtschaft im Sinne des § 52 Abs. I Nr. 3 StPO könnte nicht mehr zeitgemäß sein, da er den praktischen Gegebenheiten in unserer Gesellschaft nicht gerecht wird. Kinder haben beispielsweise nach wie vor kein legales Zeugnisverweigerungsrecht gegenüber dem Lebensgefährten ihrer Mutter. 29o Der Partner, der möglicherweise seit vielen Jahren mit ihrer Mutter
KK-Senge § 52, Rdnr. 17. Eisenberg, Beweisrecht, Rdnr. 1248. 288 BGBI. 12001, S. 266; siehe 4. Kap.C. 11. 4. b) cc). 289 Vgl. HK-Lemke § 52, Rdnr. 14; Pfeiffer § 52, Rdnr. 3. 290 Zum Ganzen Skwirblies. Nichteheliche Lebensgemeinschaft, S. 182 ff. 286
287
C. Die einzelnen Hauptpflichten und ihre Ausnahmen
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zusammenlebt, mag diesen Kindern näher stehen als der leibliche Vater selbst, den sie vielleicht gar nicht kennen. Daher muß an dieser Stelle untersucht werden, ob und warum Kinder in einer nichtehelichen Lebensgemeinschaft anders zu behandeln sind als Kinder, die in einer Ehe oder in einer sogenannten Lebenspartnerschaft gleichgeschlechtlicher Partner groß werden. Fraglich ist vor allem, ob das Enumerationsprinzip der §§ 52 ff. StPO mit seiner abschließenden Wirkung heutige gesellschaftliche Verhältnisse noch zufriedenstellend bewältigen kann. Immerhin sind verwandtschaftliche Verknüpfungen eher zufällige Ereignisse und allein deren Vorhandensein läßt noch nicht auf tatsächlich schützenswerte Bande schließen?91 Im Gegensatz dazu läßt der Gesetzgeber Bindungen mit engen persönlichen Beziehungen, aber ohne verwandtschaftliche Verknüpfung, in dem Schutzbereich der Zeugnisverweigerungsrechte unberücksichtigt. Zu Recht fUhrt Dahs an, daß eine enge Freundschaft zu dem Angeklagten bei dem Zeugen zu einer weitaus größeren Konfliktlage fUhren kann, als eine seit Jahrzehnten nicht mehr bestehende Ehe. 292 Gleichzeitig gesteht Dahs ein, daß diese Tatsachen dem historischen Gesetzgeber bewußt waren. 293 Möglicherweise haben sich die gesellschaftlichen Verhältnisse und Werte zwischenzeitlich in bestimmten Formen des Zusammenlebens über solche Freundschaften hinaus so geändert, daß trotz der klaren Regelung des historischen Gesetzgebers gewisse Analogien geboten sind. Dies wird schon seit längerem fUr die Partner einer eheähnlichen Gemeinschaft gefordert. Der Streit ist heftig, die Positionen nähern sich einander nicht an. Die Spannbreite der Argumente reicht von der Aussage, daß die eheähnliche Gemeinschaft mittlerweile "Gegenstand des allgemeinen Kulturbewußtseins,,294 ist, bis zur Feststellung, daß sie "die Pluralität einer freiheitlichen Verfassung tangiert.,,295 Die Minderjährigen werden in dieser Diskussion vernachlässigt. Die Notwendigkeit eines entsprechenden Zeugnisverweigerungsrechtes ist jedoch untersuchenswert. Kinder empfinden die gleiche Konfliktlage, egal ob sie gegenüber dem leiblichen Vater oder einem langjährigen Lebensgefährten der Mutter aussagen müssen. Ein weiteres Argument fUr die Ausweitung des Schutzbereichs über die reinen Blutsbeziehungen hinaus auf enge soziale Beziehungen ist das Interesse an der Wahrheitsfindung, dem nach strittiger Ansicht die Zeug-
291 So schon von Beling, Beweisverbote, S. 37. 292 LR-Dahs § 52, Rdnr. 17. 293
LR-Dahs § 52, Rdnr. 17.
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KirchhofDVBll999, 637, 641.
294 LG Kiel NJW-RR 1999,808.
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4. Kap.: Die Hauptpflichten des minderjährigen Zeugen
nisverweigerungsrechte ebenfalls dienen. 296 Die Wahrheitsfindung wird regelmäßig gefährdet, denn ein "Nennkind" wird nicht anders als leibliche Kinder geneigt sein, zum Schutz der ihm nahestehenden Person die Unwahrheit zu sagen. Die h.M. geht allerdings nach wie vor davon aus, daß das Zusammenleben in eheähnlicher Gemeinschaft die Partner nicht zur Zeugnisverweigerung berechtigt,297 schon gar nicht eine freundschaftliche Beziehung außerhalb einer bestehenden Ehe. 298 Das Folgeproblem, daß somit auch den Kindern, die von einem der Partner in eine solche Gemeinschaft ("Patchwork-Familie") eingebracht werden, gegenüber dem anderen Partner kein Zeugnisverweigerungsrecht zusteht, wird zumeist übersehen. Die Diskussion über die Annahme eines Zeugnisverweigerungsrechtes wird immer am Beispiel der nichtehelichen Lebenspartner selbst geführt. Doch schlagen die Argumente - vor allem die der Gegner einer Analogie - nicht voll auf die hier streitige Konstellation durch: Mögen zwischen den nichtehelichen Partnern keine Familienbande bestehen und insoweit Art. 6 Abs. I GG als Schutzbestimmung nicht in Betracht kommen, so entscheidet sich ein Kind anders als sein leiblicher Elternteil nicht bewußt gegen eine Ehe. Das Konfliktpotential ist daher für die mit in eine solche Lebensgemeinschaft eingebrachten Kinder noch größer als für die Partner der eheähnlichen Gemeinschaft selbst. Letztgenannten kann - lapidar ausgedrückt - gesagt werden: "Hättet ihr halt geheiratet!" Die Kinder hatten eine solche Wahl erst gar nicht. Sie erleben aber genau die Zwangslage vor Gericht, vor der das Gesetz Kinder aus "normalen" Familien und jetzt auch Lebenspartnerschaften behütet. Sie müssen gegen eine Person aus ihrem engsten sozialen Nahbereich aussagen. Das Grundgesetz untersagt eine entsprechende Analogie nicht. Nach h.M. kann Art. 6 Abs. I GG nicht zwangsläufig so verstanden werden, als daß er es verbieten würde, nichteheliche Lebensgemeinschaften unter denselben Schutz zu stellen wie die ehelichen. 299 Als verfassungsrechtliche Grundlage für den Schutz nichtehelicher Lebensgemeinschaften kommt das in Art. 2 Abs. I GG verbriefte Grundrecht auf freie Entfaltung der Persönlichkeit in Betracht. Auf 296 Rengier, Zeugnisverweigerungsrechte, S. 103; a.A. LR-Dahs § 52, Rdnr. 1; KKPelchen § 52, Rdnr. 1; SK-Rogall Vor § 48, Rdnr. 140. Vgl auch 4. Kap. C II. 4. a). 297 KK-Senge § 52, Rdnr. 11; Pfeiffer § 52, Rdnr.2; Meyer-Goßner § 52, Rdnr.5; Pelchen, FS G. Pfeiffer, S. 287, 293.ff. 298 BVerfG NStZ 1999,255 mit kritischer Anmerkung Wollweber NStZ 1999,628: Kein Zeugnisverweigerungsrecht bei Freundschaft. 299 Eisenberg, Beweisrecht, Rdnr. 1244. Als Indiz für diese Aussage kann auch § 122 Bundessozialhilfegesetz (BSHG) herangezogen werden, der bestimmt, daß Personen, die in eheähnlicher Gemeinschaft leben, hinsichtlich der Voraussetzungen sowie des Umfangs der Sozialhilfe nicht besser gestellt werden dürfen als Ehegatten.
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Dauer angelegte nichteheliche Lebensgemeinschaften sind heute so verbreitet und gesellschaftlich weithin anerkannt, daß man in ihnen auch nicht einen Verstoß gegen das in Art. 2 GG genannte Sittengesetz sehen kann. Im österreichischen Recht ist das Zeugnisverweigerungsrecht von Partnern, die in einer nichtehelichen Lebensgemeinschaft leben, sogar gesetzlich anerkannt gemäß § 152 Abs. 1 Satz 1 Österreichische StPO in Verbindung mit § 72 Abs. 2 Österreichisches StGB. Der Alternativ-Entwurf Zeugnisverweigerungsrechte und Beschlagnahmefreiheit sieht in § 52 Abs. 1 Nr. 4 AE-ZVR ebenfalls vor, daß auch der zur Zeugnisverweigerung berechtigt ist, "wer mit dem Beschuldigten in ehe- oder familienähnlicher oder sonst vergleichbar enger Lebensgemeinschaft lebt. ,,300 Begründung dieses Gesetzentwurfes ist es, daß das Recht neuen Lebens- und Partnerschaftsformen Rechnung tragen muß und daß die Interessen- und Konfliktlage unter dem Gesichtspunkt des Persönlichkeitsschutzes deljenigen von Ehepartnern vergleichbar iSt. 301 Kinder, die in engen Gemeinschaften aufwachsen, sollen demnach ebenfalls in den Kreis der zur Zeugnisverweigerung Berechtigten aufgenommen werden. Abzugrenzen davon wären lediglich reine Interessengemeinschaften "ohne persönliche Bindungen von entsprechender Intensität". Beispielsweise Wohngemeinschaften sollen auch weiterhin mangels Vergleichbarkeit mit der Ehe oder Familie - diese Begrifflichkeiten haben "Leitbildfunktion" - vom Kreis der Privilegierten ausgeschlossen bleiben. 302 Paulus stimmt ebenfalls rur eine Ausdehnung des Anwendungsbereichs des § 52 StPO auf die nichteheliche Lebensgemeinschaft. 3D3 Er stellt hierzu das Verlöbnis dem nichtehelichen Zusammenleben ohne Heiratsversprechen gleich. Offen läßt er allerdings, ob zudem ein Zeugnisverweigerungsrecht rur die Kinder, die in einer eheähnlichen Lebensgemeinschaft aufwachsen, jeweils gegen den nicht leiblichen Elternteil zum Entstehen kommen soll. Zweifel bestehen bezüglich dieser Analogie schon dahingehend, warum gerade das Verlöbnis der nichtehelichen Lebensgemeinschaft entsprechen soll. Ersteres wird geprägt durch das zivilrechtliche Eheversprechen, ohne daß es darauf kommt, daß die Partner schon in besonderer Verbundenheit miteinander leben. Die nichteheliche Paarbeziehung zeichnet sich durch rein tatsächliche Gegebenheiten wie soziale und räumliche Nähe aus und ist daher nur mit der Ehe selbst zu vergleichen. Hauptgrund rur die Analogie der nichtehelichen Lebensgemeinschaft gerade mit dem Verlöbnis ist wohl die Tatsache, daß dann nicht Art. 6 Abs. 1 GG
AE-ZVR, Begründung zu § 52, S. 38 f. AE-ZVR, Begründung zu § 52, S. 38. 302 AE-ZVR, Begründung zu § 52, S. 39. 303 KMR-Paulus § 52, Rdnr. 9. 300
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4. Kap.: Die Hauptpflichten des minderjährigen Zeugen
als Gegenargument angeführt werden kann, der unstreitig dem Verlöbnis - obwohl Vorstadium zur Ehe - noch keinen Schutzbereich eröffnet. 304 Gegen eine Ausweitung der Zeugnisverweigerungsrechte außerhalb legaler Angehörigenverhältnisse führt Lemke an, daß die nichteheliche Lebensgemeinschaft nicht mit der Ehe vergleichbar sei, "da die Partner aus ihr gerade keine festliegenden ehelichen Rechte und Pflichten herleiten und für sich als verbindlich anerkennen wollen.,,305 Zwar mag die Konfliktlage der eheähnlichen Gemeinschaft mit der der Ehe oder des Verlöbnisses vergleichbar sein, doch fehlt es an der weiteren Voraussetzung zur Annahme einer Analogie: Der Schutz des Familienbandes. Die nichteheliche Lebensgemeinschaft ist gekennzeichnet durch ihre Bindungslosigkeit; sie ist gerade keine eheähnliche Verbindung, sondern ein aliud. 306 Zu weit geht Pelchen, der die nichteheliche Lebensgemeinschaft sogar als eine die Ehe ablehnende Verbindung einstuft, denn viele Paare leben eher unüberlegt unverheiratet "vor sich hin", als daß sie sich bewußt gegen die Institution Ehe entschieden hätten. Die Zeugnisverweigerungsrechte stehen in einem Spannungsverhältnis zwischen einer effektiven Strafrechtspflege, dem Gebot umfassender richterlicher Sachaufklärung und der Praktikabilität der strafProzessualen Beweisaufnahme. 307 Nach Dahs hat "der Gesetzgeber [... ] deshalb aus gutem Grund die zur Verweigerung des Zeugnisses berechtigten Personen mit den jeweils die Weigerung rechtfertigenden Gründen in Form eines numerus clausus in den §§ 52 ff. StPO zusammengefaßt und in Anknüpfung an formalisierende Rechtsakte und Strukturen genau umschrieben und abgegrenzt.,,308 Mit guten Argumenten kann man daher der Ansicht sein, daß der Katalog der zeugnisverweigerungsberechtigten Personen abschließend sein sollte. Eine Erweiterung des Personenkreises der zur Zeugnisverweigerung Berechtigten wäre von vornherein geprägt von der Unklarheit der Begrifjlichkeiten. Bisher ist für den Richter eine formalisierte Nähebeziehung leicht und zuverlässig festzustellen: Er hat nur den Personenstand des Zeugen zu überprüfen; ausgenommen beim Verlöbnis gab es nur selten Streitfragen zu klären. 309 304 Maunz-Dürig, GG, Art 6, Rdnr. 15; Jarass / Pieroth, GG, Art. 6, Rdnr. 3: Schutzbereich ist erst mit der Eheschließung eröffnet; Skwirblies, Nichteheliche Lebensgemeinschaft, S. 201. 305 HK-Lemke § 52, Rdnr. 14. 306 Pelchen, FS G. Pfeiffer, S. 287, 295; dies ist auch das Hauptargument von Baier, Zeugnisverweigerungsrecht, der ebenfalls eine Analogie ablehnt, S. 169. 307 LR-Dahs § 52,17. 308 LR-Dahs § 52,17. 309 V gl. hierzu Welp, FS Bemmann, S. 626, 631. Insofern muß man das Bestreben das Versprechen, eine Lebenspartnerschaft einzugehen, dem Verlöbnis gleichzustellen, sehr kritisch bewerten, vgl. Eisenberg, Beweisrecht, Rdnr. 1244.
C. Die einzelnen Hauptpflichten und ihre Ausnahmen
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Die eheähnlichen Gemeinschaften kennzeichnen dagegen ihre Vielfalt und mangelnde Trennschärfe. Die Rechtsklarheit und Rechtssicherheit ist in Gefahr, wenn der Kreis der zur Aussageverweigerung berechtigten Personen vergrößert wird, wie sich mit dem Alternativ-Entwurf Zeugnisverweigerungsrechte und Beschlagnahmeverbote (AE-ZVR) belegen läßt. Der etwas nebulöse Bezugsbegriff der vergleichbar engen Lebensgemeinschaft, wie sie der Alternativentwurf vorschlägt, birgt Auslegungsprobleme. Welp kritisiert zu Recht, daß der Begriff wenig präzise ist und daher sogar in der Entwurfsbegründung selbst schon eine Umschreibung fehlt. 3lO Fraglich ist nach Welp vor allem, wie eine taugliche Unterscheidung eines Lebensgefährten etwa von den Bewohnern eines Altersheims, den Mitgliedern eines Ordens oder einer Sekte getroffen werden soll, wenn es allein auf die Intensität der Verbundenheit ankommen solle. 3II Da der Alternativentwurf auf weitere Abgrenzungskriterien wie die Dauerhaftigkeit der Beziehung oder andere "definierbare Strukturen des Zusammenlebens als Voraussetzung der zu schützenden Beziehungen" verzichtet, bliebe allein "die emotionale oder soziale Nähe zu anderen Personen" als Ansatzpunkt. 3I2 Mit Welp muß man daher wohl zwingend zu dem Ergebnis kommen, daß unter derartigen Prämissen die Bestimmbarkeit und FeststeIlbarkeit der Rechtsvoraussetzungen nicht gewährleistet sind. Dies gehört aber zwingend zu den rechtspolitischen Rahmenbedingungen für die Möglichkeit einer Rechtsgewährung, selbst wenn die materielle Schutzwürdigkeit der zugrundeliegenden Interessen nicht in Frage steht. 313 So kommt der Entwurf in eine geradezu unvermeidliche Zwickmühle: Vor Gericht müßte ein Zeuge, der sich auf eine solche enge Beziehung beruft, intime Fragen zur Feststellung seiner privaten Situation beantworten, obwohl er gerade vor einer solchen Lage beschützt werden sollte. Ähnliche Bedenken äußert Weigend, der allerdings vorschlägt, das Zeugnisverweigerungsrecht künftig nach entsprechender Gesetzesänderung auf die "eheähnliche Lebensgemeinschaft" auszudehnen, weil nur diese objektive Kriterien aufweise, die ohne große Mühe feststellbar wären. Er versteht darunter eine "auf Dauer angelegte Geschlechts- und Wohngemeinschaft zwischen zwei Personen verschiedenen oder desselben Geschlechts.,,314 Man kommt daher zu dem Ergebnis, an der bisher praktizierten Formalisierung von Partnerschaften festzuhalten. Die jetzige klare Fassung der gesetzlichen Vorschriften läßt keinen Raum für entsprechende Analogien. Allerdings 310 311 312
3I3 314
Welp, FS Welp, FS Welp, FS Welp, FS Weigend,
Bemmann, S. 626, 632. Bemrnann, S. 626, 632 f Bemmann, S. 626, 633. Bemmann, S. 626, 633. Gutachten C, S. 75.
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4. Kap.: Die Hauptpflichten des minderjährigen Zeugen
muß man sich eingestehen, daß das starre Verharren auf dieser Position derzeit nicht der Nöte der minderjährigen Zeugen gerecht zu werden vermag. Der Familienschutzgedanke sollte auch hier künftig ein tragendes Prinzip werden. Der unzufriedenstellende Zustand darf also nur mehr ein vorübergehender sein; dem Gesetzgeber ist insoweit eine Gesetzesänderung mehr als nur empfohlen. Er muß die geschriebenen Weigerungsrechte endlich an die Gegebenheiten unserer Gesellschaft anpassen. Die Situation der Kinder, die in diesen neuen Lebensformen groß werden,3I5 wird jedoch noch immer in dem Meinungsstreit übersehen. Zwar ruft auch Dahs den Gesetzgeber zu einer Überprüfung der Rechtsvorschriften im Hinblick auf die geänderten Lebensverhältnisse auf, doch er beschreibt nur die Konfliktlage auf der Erwachsenenebene. 316 Ob dies rur den Bereich der nichtehelichen Lebenspartner selbst zwingend zu geschehen hat, kann an dieser Stelle offen gelassen werden; zumal die Schwierigkeiten hier in einer praktikablem Umsetzung liegen. 317 Zugkräftiges Gegenargument bleibt die bewußte Entscheidung der Partner gegen eine Ehe. Auf der Ebene der Kinder begegnet man vielen Konflikten, die die Rechtssicherheit und Rechtsklarheit betreffen, gerade nicht: Der Richter kann eine schutzwürdige soziale Nähe zu dem Angeklagten an rein tatsächlichen Faktoren, wie der Dauer des Zusammenlebens des Kindes mit diesem, festmachen, ohne intime Fragen nach der Beziehung des leiblichen Elternteils zu dem Angeklagten stellen zu müssen. Eine entsprechende Gesetzesänderung, die den Bedürfnissen von Kindern, die in solchen Beziehungen aufwachsen, gerecht wird, ist daher nicht nur notwendig, sondern vor allem auch praktikabel. ff) Pflegekinder In noch höherem Maße befinden sich Pflegekinder in einer Zerreißprobe, wenn sie vor Gericht in einem Verfahren gegen ein Pflegeelternteil aussagen müssen. Doch Pflegekinder dürfen sich ebenfalls de lege lata auch nach vielen Jahren des Zusammenlebens wie in einer "richtigen" Familie nicht auf ein Zeugnisverweigerungsrecht berufen. 318 Unter einem Pflegekind versteht diese Arbeit ein Kind, das nicht bei seinen leiblichen Eltern lebt, sondern sich bei 315 Die Familie - also die Gemeinschaft von Eltern und Kindern - als eine auch moralische Institution entwickelte sich in Europa erst im 15. und 16. Jahrhundert; weiterführend vgl. Aries, Kindheit, S. 45 ff. 316 LR-Dahs § 52, Rdnr. 17. 317 Für die gesetzliche Erweiterung des Zeugnisverweigerungsrechtes auch außerhalb legalisierter Personenbeziehungen auch Bialek, Zeugnisverweigerungsrecht, S. 169 ff. 318 Vgl. LR-Dahs § 52, Rdnr. 16; HK-Lemke § 52, Rdnr. 19.
C. Die einzelnen Hauptpflichten und ihre Ausnahmen
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Pflegepersonen befindet; zu denken ist in erster Linie an eine sogenannte Familienpflege bei Pflegeeltern gemäß § 1630 Abs. 3 BGB. 319 Da es die Erfahrung gibt, daß Kinder erst mehrere Pflegestellen durchlaufen, bis auch tatsächlich die geeignete Familie für sie gefunden wird, bedeutet dies, daß nicht jedes Pflegeverhältnis per se eine auf Dauer berechnete, familienähnliche Zusammenführung impliziert. 320 In erster Linie kommt es daher auf die rein tatsächlichen Verhältnisse an. Wird zwischen Pflegeeltern und dem Kind eine Beziehung gelebt, die ähnlich dem natürlichen Eltern- und Kindverhältnis auf Dauer angelegt ist - also weit über eine reine häusliche Gemeinschaft hinausgehend321 -, wird ein vergleichbares sittliches Band zwischen den so Verbundenen begründet. 322 Oft würden beispielsweise die Pflegeeltern das Kind liebend gerne adoptieren, wenn nicht unentschlossene leibliche Eltern dies verhindern würden. Dieses Band reißt auch dann nicht ab, wenn die Kinder volljährig geworden sind. Nach der h.M. steht das Verhältnis zwischen Pflegekindern und Pflegeeltern unabhängig von der Intensität der Beziehung dem Adoptionsverhältnis nicht gleich und begründet daher kein Zeugnisverweigerungsrecht, obwohl der Angehörigenbegriff des Strafgesetzbuches die Pflegeeltern und -kinder gemäß § 11 Abs. 1 Nr. 1 b StGB einschließt. 323 In ausländischen Strafverfahrensrechten hat sich beispielsweise Österreich gemäß § 152 Abs. 1 Nr. 1 Österreichische StPO in Verbindung mit § 72 Österreichisches StGB schon lange für ein entsprechendes Schweigerecht entschieden. Für eine Einbeziehung von Pflegeeltern und -kindern in den Schutzbereich der zur Zeugnisverweigerung Berechtigten hat sich de lege ferenda der Alternativ-Entwurf Zeugnisverweigerungsrechte und Beschlagnahmeverbote (AE-ZVR) ausgesprochen. 324 Eisenberg umgeht das Enumerationsprinzip der §§ 52 ff. StPO und nimmt zumindest immer dann ein Zeugnisverweigerungsrecht für Pflegekinder in Verfahren gegen ihre Pflegeeltern an, wenn eine Vernehmung in den von Art. 1 Abs. 2 GG in Verbindung mit Art. 2 Abs. 1 GG geschützten Bereich der privaten Lebensführung einzugreifen droht. 325 Zugrunde liegt dieser Ansicht eine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts, wonach "im Einzelfall ausAls Beispiel kann das Modell der SOS-Kinderdörfer angefiihrt werden. Rengier, Zeugnisverweigerungsrechte, S. 118. 321 RGSt 27, 132. 322 Vgl. Kommentierungen zu § 11 Abs. I Nr. 1 b StGB: LK-Gribbohm § 11, Rdnr. 14; Tröndle / Fischer § 11, Rdnr. 10. 323 LR-Dahs § 52, Rdnr. 16; Meyer-Goßner § 52, Rdnr.9; KMR-Paulus § 52, Rdnr.12. 324 AE-ZVR, Begründung zu § 52, S. 38 f. 325 Eisenberg, Beweisrecht, Rdnr. 1249. 319
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nahmsweise und unter ganz besonders strengen Voraussetzungen eine Begrenzung des Zeugniszwangs unmittelbar aus der Verfassung folgen" kann. 326 Das Bundesverfassungsgericht traf diese Entscheidung allerdings im Rahmen des § 53 Abs. 1 Nr. 3 StPO für eine auf psychotherapeutischem Gebiet tätige Eheberaterin und Sozialarbeiterin, die nicht unter eine in der Vorschrift genannte Berufsgruppe fiel. Allerdings ist diese vom Bundesverfassungsgericht aufgezeigte Ausnahme nur im Bereich des § 53 StPO möglich. So wird in der genannten Entscheidung selbst auf den Gesetzgeber verwiesen, der dem § 53 StPO von vornherein nur eine generalisierende Aussage darüber zugestand, bei welchen Berufen der Schutz des Vertrauensverhältnisses das Allgemeininteresse an der Aufklärung von Straftaten überwiegt. 327 Eine solche zulässige Einschränkung des Zeugniszwangs ist nur im Bereich von einzelnen Berufsgeheimnisträgern möglich, da es bei den meisten Berufen wie eben dem des Sozialarbeiters an einheitlichen, klar umrissenen Berufsbildern fehlt. 328 Diese Entscheidung erlaubt gerade nicht eine Ausdehnung der zur Zeugnisverweigerung privilegierten Personen im Bereich des § 52 StPO, der eben nicht von solchen unklaren Begriffsbestimmungen geprägt ist. Die grundsätzliche Versagung des Privilegs der Zeugnisverweigerung für Pflegekinder lehnt Eisenberg zudem aus systematischen Gründen ab, da die Pflegeverhältnisse in § 11 Abs. 1 Nr. 1 b StGB ausdrücklich unter den Angehörigenbegriff fallen. 329 Dieses Argument ist insofern schlagkräftig, als daß zwei eklatante Widersprüche zwischen dem geltenden Prozeßrecht und dem materiellen Strafrecht nicht nachvollziehbar sind: So können sich Pflegeeltern und deren -kinder gegenseitig durch aktive Handlungen vor Strafverfolgungsmaßnahmen straffrei schützen; ihnen steht der persönliche Strafausschließungsgrund gemäß § 257 Abs. 6 StGB zur Seite. Anderseits wird ihnen ein bloß passives Schweigen in Form eines Zeugnisverweigerungsrechtes nicht zugestanden. 33o Zudem nimmt der Gesetzgeber in der Vorschrift des Aussagenotstands gemäß § 157 Abs.l StGB auf den Gewissenskonflikt der Angehörigen Rücksicht und räumt die Möglichkeit ein, die Strafe bei einer zugunsten eines Angehörigen erfolgten Falschaussage zu mildem oder bei uneidlichen Falschaussagen sogar ganz von Strafe abzusehen. Die Pflegekinder werden aber durch die strafprozessuale Seite der Medaille in diesen Aus-
BVerfGE 33,367. BVerfGE 33, 367, 374 f 328 BVerfGE 33, 367, 381. 329 Eisenberg, Beweisrecht, Rdnr. 1249. 330 Rengier, Zeugnisverweigerungsrechte, S. 121. 326 327
C. Die einzelnen Hauptpflichten und ihre Ausnahmen
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sagenotstand förmlich "hineingezwungen", denn ihnen steht nach geltender Gesetzeslage kein Aussageverweigerungsrecht ZU. 331 Dennoch begründen diese Widersprüche allein nicht die Annahme eines zusätzlichen Zeugnisverweigerungsrechtes. Erneut bleibt nur festzuhaiten, daß der Gesetzgeber sich an dieser Stelle klar geäußert hat, daß er allerdings dringend aufgefordert ist, der unzureichenden aktuellen Situation durch eine entsprechende Gesetzesänderung Abhilfe zu schaffen. De lege ferenda müssen künftig Pflegekinder und Pflegeeltern in den Kreis der zeugnisverweigerungsberechtigten Angehörigen aufgenommen werden. 332 c) Ausübung des Zeugnisverweigerungsrechtes
Das Recht, das Zeugnis zu verweigern, ist ein höchstpersönliches Recht. Es dient nur persönlichen Belangen des Zeugen, wenn es auch Reflexwirkung zugunsten des Angeklagten hat. 333 Über die Gründe seine Weigerung braucht der Zeuge keine Auskunft zu geben. 334 Insbesondere muß sein Motiv für eine Zeugnisverweigerung nicht nachvollziehbar zu sein. Eine Vertretung im Willen ist grundsätzlich ausgeschlossen: Der minderjährige Zeuge übt sein Zeugnisverweigerungsrecht selbständig aus; seine gesetzlichen Vertreter wirken bei seiner Entscheidung nicht mit. Dies folgt aus dem Umkehrschluß zu § 52 Abs. 2 StPO. Etwas anderes hat nur zu gelten, wenn der Minderjährige zudem verstandesunreif im Sinne des § 52 Abs. 2 StPO ist, dann müssen seine gesetzlichen Vertreter in die Entscheidung mit eingebunden werden. d) Zeugen ohne hinreichende Verstandesreife
Minderjährige, die wegen mangelnder Verstandesreife von der Bedeutung des Zeugnisverweigerungsrechtes keine genügende Vorstellung haben, dürfen gemäß § 52 Abs. 2 Satz 1 StPO nur vernommen werden, wenn sie zur Aussage bereit sind und ihr gesetzlicher Vertreter der Vernehmung zustimmt. Dieses Ergebnis beruht auf der Tatsache, daß das Zeugnisverweigerungsrecht ein höchstpersönliches Recht ist. Die Folgen des Verzichts auf ein solches Recht hat nicht
Rengier, Zeugnisverweigerungsrechte, S. 12\. Siehe hierzu auch Bialek, Zeugnisverweigerungsrechte, S. 127 ff. und Brückner, Angehörigenverhältnis, S. 146. 333 BGHSt 21,305; BGHSt 27, 142. 334 LR-Dahs § 52, Rdnr. 24 mit weiteren Nachweisen. 331
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4. Kap.: Die Hauptpflichten des mindeIjährigen Zeugen
der Vertreter, sondern das Kind zu tragen, da nur dieses durch seine Vernehmung in eine Zwangslage gerät. 335 Grundsätzlich steht das Zeugnisverweigerungsrecht jedem Zeugen zu, ohne Rücksicht darauf, ob er eine entsprechende Konfliktlage bei seiner Aussage seinem Angehörigen gegenüber überhaupt empfunden hätte. Verstandesunreife Zeugen sollen zudem vor der Situation geschützt werden, daß sie aus Mangel an Verständnis zum Zeitpunkt der Hauptverhandlung eine ihren Angehörigen belastende Aussage machen und sich dadurch erst später nach Eintritt der Verstandesreife - beispielsweise in einigen Jahren - seelisch belastet ruhlen. Die Vorschrift dient somit zudem dem Schutz des minderjährigen Zeugen vor den Folgen einer rur ihn jetzt noch nicht überschaubaren Aussagebereitschaft. 336 aa) Die Verstandesreife Der minderjährige Zeuge hat die vom Gesetz in § 52 Abs. 2 Satz 1 StPO vorgeschriebene notwendige Verstandesreife erlangt, wenn er erkennen kann, daß "der Angehörige mit seinem Verhalten etwas Unrechtes getan hat und daß ihm darur Strafe droht, sowie daß [... ] (die) Zeugenaussage möglicherweise zu seiner Bestrafung beitragen wird.,,337 Der BGH erläutert weiter: "Wenn § 52 StPO auch nicht voraussetzt, daß die Beweisperson den Widerstreit empfindet, in den die familiären Beziehungen zum Angeklagten sie stellen, so muß sie doch fähig sein, diesen Widerstreit verstandesmäßig zu erfassen. ,,338 Für die Feststellung der notwendigen Verstandesreife Minderjähriger gibt es keine festen Altersgrenzen oder Faustregeln; die kindliche Entwicklung kann nicht pauschal an dem kalendarischen Alter orientiert werden. 339 Der BGH lehnt sie bei 7jährigen Zeugen in der Regel ab, bei 14jährigen dagegen bejaht er sie. 340 Erneut vermeidet es die entwicklungspsychologische Literatur, zu Fragen der kognitiven Entwicklung von Minderjährigen starre Vorgaben rur das Erreichen bestimmter Entwicklungsstufen anzusetzen. 341 Da Kinder etwa ab dem Alter von 4 bis 6 Jahren beginnen, Rollenverteilungen im Strafverfahren zu verEisenberg GA 1998, 32, 36. Schimansky, FS G. Pfeiffer, S. 297, 307, der allerdings klarstellt, daß der Angeklagte seine Revision auf das Fehlen der erforderlichen Zustimmung des gesetzlichen Vertreters stützen kann; vgl. hierzu auch BGHSt 14, 161; BGH StV 1997, 169; LRDahs § 52, Rdnr. 57 mit weiteren Nachweisen. 337 BGHSt 14, 159,162. 338 BGHSt 14, 159,161. 339 Eisenberg GA 1998, 32, 36. 340 BGHSt 14,159,162; BGHSt 20,234; vgl. auch Meyer-Goßner § 52, Rdnr. 18. 341 Vgl. Eisenberg, Beweisrecht, Rdnr. 1254. 335 336
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stehen und erkennen, daß ihre Aussage Wirkung im Hinblick auf eine etwaige Bestrafung des Angeklagten haben kann,342 muß die vom BGH gemachte Grenze wohl etwas nach unten korrigiert werden. Das heißt, in diesem jungen Alter kann entgegen der Rechtsprechung oft schon von der notwendigen Verstandesreife ausgegangen, aber eben noch keine generalisierende Aussage darüber getroffen werden. Die Verstandesreife muß von der Aussagefähigkeit des Zeugen unterschieden werden. Gemeinhin wird man davon ausgehen können, daß zwischen dem Zustand der Aussagefähigkeit und dem Zustand voller Erkenntnis und Einsicht in die Bedeutung eines Zeugnisverweigerungsrechtes eine gewisse Spanne besteht. 343 Nicht richtig ist daher der vom BGH aufgestellte Erfahrungssatz, daß ein aussagetüchtiger Zeuge regelmäßig imstande ist, ein ihm zustehendes Verweigerungsrecht zu begreifen. 344 Die Fähigkeit, Fragen nach einem früheren Geschehen zu beantworten, ist weniger anspruchsvoll und schon jüngeren Kindern intellektuell zuzutrauen, als die Fähigkeit zur selbstverantwortlichen Ausübung eines Zeugnisverweigerungsrechtes. Fragwürdig war deshalb eine Entscheidung des BGH, im Falle eines nachweislich schwachsinnigen 14jährigen Mädchens die erforderliche Verstandesreife zu bejahen, selbst wenn das Mädchen sich zuvor als aussagetüchtig erwiesen hat. 345 Kein überzeugender Anhaltspunkt sind zudem die Vorschriften § 19 StGB und § 1 JGG, wonach man zuverlässig erst von einer Verstandesreife bei Jugendlichen im Alter ab 14 Jahren ausgehen könne. Bei den Verweigerungsrechten im Rahmen der Zeugenpflichten geht es gerade nicht um die strafrechtliche Verantwortlichkeit von Minderjährigen. Die Rechtsposition jüngerer Betroffener würde so ohne Grund zunichte gemacht. 346 Möglicherweise kann im Gegenzug ein geistig einfach entwickelter Jugendlicher zwar das Unrecht einer Straftat wie Diebstahl erkennen, nicht aber die Bedeutung eines Zeugnisverweigerungsrechtes. Allerdings darf die kognitive Entwicklung von Minderjährigen nicht von vornherein unterschätzt werden. So bezweifelt Lernke in diesem Zusammenhang, ob einem 7 Jahre alten Kind tatsächlich die Verstandesreife im Regelfall
342 Vgl. hierzu Pohl, Kinder, S.9, 49 ff.; Eisenberg StV 1995, 625, 626 in seiner Anmerkung zu BGH StV 1995, 171 mit weiteren Nachweisen. 343 BGH NJW 1991,2432,2433. 344 BGH NJW 1967, 360 allerdings für den Fall einer schon 14jährigen Zeugin im Rahmen des § 52 StPO. 345 BGH NJW 1967,360. 346 Vgl. auch Eisenberg, Beweisrecht, Rdnr. 1671 a.
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4. Kap.: Die Hauptpflichten des minderjährigen Zeugen
fehlt, wie dies der BGH annimmt. 347 Nicht richtig ist allerdings die Motivation Lemkes für seine Ansicht, die er damit untermauert, daß in diesem Lebensalter des Zeugen und in den darauffolgenden Jahren es gehäuft zu sexuellen Übergriffen von Verwandten auf Minderjährige kommt. Eine besonders intensive Überprüfung der Verstandesreife des Zeugen könne zu einer "ungerechtfertigten Privilegierung der Täter", deren Opfer die Kinder geworden sind, führen. 348 Der Schluß, daß eine genaue Überprüfung vermehrt zum Ergebnis der Feststellung fehlender Verstandesreife führt, ist nicht zwangsläufig. Selbstverständlich darf der Intellekt der Kinder nicht zu gering geschätzt, doch die Entscheidung des Richters darf auch nicht im Hinblick auf den Angeklagten getroffen werden. Kinder etwa ab dem 10. Lebensjahr verstehen in der Regel komplexere kausale Zusammenhänge und haben darüber hinaus im allgemeinen hinreichend soziale Erfahrung erworben, um die Tragweite einer Entscheidung, die das Recht der Zeugnisverweigerung betrifft, überschauen zu können. Man kann dann fast sicher vom Vorliegen der Verstandesreife ausgehen. Der Richter wird dennoch nicht umhin können, in Grenzfällen einen Sachverständigen hinzuzuziehen. Im Zweifel muß der Tatrichter Verstandesunreife annehmen und somit die Entschließung des gesetzlichen Vertreters einholen/ 49 damit der minderjährige Zeuge vor seiner eigenen Aussagebereitschaft, deren mögliche Folgen er nicht erkennen kann, wirksam geschützt wird. 350 Selbstverständlich ist die Ermessensentscheidung, ob der Zeuge die erforderliche Verstandesreife hat, bei einem Ermessensmißbrauch (aber auch nur dann) im Rahmen der Revision nach § 337 StPO nachprüfbar, wenn also ein Rechtsfehler vorliegt, ohne den ein anderes Aussageverhalten des Zeugen stattgefunden hätte. 351 bb) Psychische Defekte Nach § 52 Abs.2 Satz 1 StPO muß der gesetzliche Vertreter der Vernehmung von Minderjährigen und Betreuten, die wegen einer psychischen Krank-
347 BGH NJW 1960, 1396, 1397 für ein 7 :y. Jahre altes Kind, das in seiner geistigen Entwicklung allerdings einem 5- bis 6jährigen Kind entsprach. 348 HK-Lemke § 52, Rdnr. 24. 349 BGHSt 19, 85, 86; 23, 221,222. 350 BGHSt 19, 85, 86. 351 BGHSt 6, 298, 300; vgl. auch KK-Kuckein § 337, Rdnr. 19. Insoweit ist die Kommentierung von Dahs vielleicht mißverständlich: LR-Dahs § 52, Rdnr. 57 und AkKühne § 52, Rdnr. 2 widersprechen sich in dieser Frage und werfen sich gegenseitig eine mißverständliche Deutung des Urteils vom OLG Stuttgart NJW 1971, 2237 vor, das aber zu Ermessensentscheidungen gar keine Stellung nimmt.
C. Die einzelnen Hauptpflichten und ihre Ausnahmen
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heit oder einer geistigen oder seelischen Behinderung von der Bedeutung des Zeugnisverweigerungsrechtes keine genügende Vorstellung haben, ebenfalls zustimmen. Der Gesetzgeber hat hierzu die Terminologie des Betreuungsgesetzes vom 12.9.1990 übernommen;352 fur diese Arbeit ist dieser Punkt vernachlässigenswert.
cc) Einwilligung des gesetzlichen Vertreters Die Entscheidung des gesetzlichen Vertreters ist erforderlich, wenn das Gericht zum Ergebnis kommt, daß der Zeuge von der Bedeutung seines Weigerungsrechtes keine genügende Vorstellung hat. Wer gesetzlicher Vertreter ist, bestimmt sich nach dem bürgerlichen Recht. Bei mehreren Vertretern müssen alle in die Zeugenaussage einwilligen. Verweigert bei einem gemeinsamen Sorgerecht auch nur ein Elternteil die Zustimmung, so hat die Aussage des Kindes zu unterbleiben. Selbst wenn das Kind aussagen will, ist seine Aussage in diesem Fall unzulässig. 353 Die Einwilligung fuhrt keinesfalls zur Aussagepflicht des Zeugen, sondern vermag nur die Klippe von der Bedeutung des Weigerungsrechts zu umschiffen. Das Zeugnisverweigerungsrecht bleibt ein höchstpersönliches Recht: Der verstandesunreife Zeuge entscheidet nach wie vor alleine darüber, ob er aussagen will. 354 Anders als bei der körperlichen Untersuchung gemäß § 81 c StP0355 ersetzt die Zustimmung des Vertreters nicht komplett die Entscheidung des Minderjährigen. 356 Darüber muß der mindeIjährige Zeuge auch belehrt werden. 357 Eine Entscheidung des Kindes ist dann als rechtserheblich hinzunehmen, selbst wenn sie letztendlich rational nicht nachvollziehbar ist und möglicherweise den staatlichen Strafanspruch beeinträchtigt. 358 Der gesetzliche Vertreter kann nur durch die Verweigerung der Einwilligung die Aussage eines aussage bereiten, aber verstandesunreifen mindeIjährigen Zeugen verhindern. Man spricht daher von einer negativen Bedeutung des § 52 Abs. 2 Satz 2 StPO, da die Aussage des aussagebereiten Kindes ohne die entsprechende Zustimmung unzulässig wird, umgekehrt aber keine Aussagepflicht trotz einer entsprechenden Einwilligung des gesetzlichen Vertreters entBGBL I 1990, S. 2002. BGH NJW 1970,766. 354 BGH NJW 1979, 1722; BGH NStZ 1991, 398; BGH NStZ 1997,350. 355 So zumindest die h.M.; vgl. 5. Kap. C. H. 3. 356 BGH NStZ 1995, 198. 357 Vgl. LR-Dahs § 52, Rdnr. 26 mit weiteren Nachweisen. 358 BGH NJW 1991,2432,2433. 352 353
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4. Kap.: Die Hauptpflichten des minderjährigen Zeugen
steht. 359 Fraglich ist, ob bei sachfremden Motiven des gesetzlichen Vertreters dessen Zustimmung durch eine vormundschaftliche Entscheidung ersetzt werden kann. Im Grundsatz gilt, daß bei der Versagung der Zustimmung die Vernehmung selbst dann zu unterbleiben hat, wenn die Versagung willkürlich oder nur in der Absicht geschah, den Angeklagten zu begünstigen. 36o dd) Zeitliche Reihenfolge Die Einwilligung des gesetzlichen Vertreters ist vor der Vernehmung des minderjährigen Zeugen einzuholen. Sie ist nicht mehr nachholbar, wenn das Kind bereits ausgesagt hat. 361 Die Aussage ist dann unter einem Verfahrensmangel zustande gekommen und unterliegt dem Verwertungsverbot des § 252 StPO, der über seinen Wortlaut hinaus nach ganz h.M. nicht nur ein Verlesungsverbot enthält. 362 Hat der mindeIjährige Zeuge dagegen seine Aussage verweigert, ist die Zustimmung nachholbar, denn der erklärte Verzicht des Zeugen ist in diesem Fall rechtlich nicht wirksam. 363 Der minderjährige Zeuge kann daran nicht festgehalten werden. ee) Der gesetzliche Vertreter ist Angeklagter Ist der gesetzliche Vertreter des Zeugen in dem Verfahren selbst der Angeklagte, so kann er über die Ausübung des Zeugnisverweigerungsrechtes gemäß § 52 Abs. 2 Satz 2 StPO nicht entscheiden. 364 Das gleiche gilt für den nicht angeklagten ElternteiI/65 wenn die gesetzliche Vertretung beiden Eltern zusteht, um die interfamiliären Schwierigkeiten nicht überzustrapazieren. Ist der gesetzliche Vertreter von der Entscheidung ausgeschlossen, muß gemäß § 1909 Abs. 1 Satz 1 BGB ein Ergänzungspfleger bestellt werden, der an dessen Stelle entscheidet. Notwendig ist die Bestellung jedoch nur dann, wenn der minderjährige Zeuge im Grundsatz aussagebereit ist.
359 BGHSt 23, 221, 222.
KK-Senge § 52, Rdnr. 32. BGHSt 23, 221, 222 mit Anmerkung Peters JR 1970, 308. 362 BGHSt 21,303; BGH NJW 1979,766. 363 BGHSt 23,221,223. 364 LG Memmingen MDR 1982,145. 365 In der Vorschrift des § 52 StPO ist vom Beschuldigten die Rede, da sich diese Arbeit aber mit dem Zeitraum während einer Hauptverhandlung befaßt, wird hier der Begriff des Angeklagten verwendet; vgl. l. Kap. Fn. 13. In wörtlichen Zitaten wird allerdings von dem Beschuldigten die Rede sein. 360
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ff) Allein vertretungsberechtigter Elternteil In § 52 Abs. 2 Satz 2 StPO wird auch der Elternteil von der Ausübung des Zeugnisverweigerungsrechtes ausgeschlossen, der zwar nicht angeklagt ist, dem jedoch gemeinsam mit dem angeklagten anderen Elternteil die gesetzliche Vertretungsbefugnis für den minderjährigen Zeugen zusteht. Fraglich ist, falls nur ein Elternteil gesetzlicher Vertreter ist, ob dieser über das Zeugnisverweigerungsrecht entscheiden darf, wenn der andere Elternteil der Angeklagte ist. Der skizzierte Fall ist vom Gesetzgeber nicht geregelt worden. Mag dies bewußt geschehen sein 366 oder auf einem Redaktionsversehen beruhen/ 67 eine berichtigende Auslegung oder Analogie zu § 52 Abs. 2 Satz 2 StPO wird teilweise gefordert. So soll nach einer Ansicht die Ausschlußregelung auf den alleinvertretungsberechtigten Elternteil ausgedehnt werden, wenn der Angeklagte der andere Elternteil des minderjährigen Zeugen ist. 368 Hauptargument für diese Meinung ist die Vergleichbarkeit der Situation mit dem vom Gesetz geregelten Fall: Auch für den nicht angeklagten Elternteil können sich erhebliche Gewissenskonflikte ergeben. Eine Entscheidungsfindung, der nur das Interesse des minderjährigen Zeugen zugrundegelegt ist, erscheint fragwürdig. Das Wächteramt des Vormundschaftsgerichtes hätte in diese Konfliktsituation einzugreifen. 369 Seine Bedenken schildert Roestel am Beispiel einer allein vertretungs berechtigten Mutter im Verfahren gegen den Vater des minderjährigen Zeugen. 370 Die Objektivität der Mutter ist seiner Ansicht nach sogar durch eine Vielzahl von Faktoren gefahrdet: Wie ist die aktuelle Beziehung der Mutter zu dem Angeklagten? Leben Mutter und Vater des minderjährigen Zeugen in Trennung? Ist der Angeklagte der Ernährer der Familie? Derartige Interessengegensätze, die eine entsprechende Auslegung der Vorschrift erfordern, hält auch Eisenberg für gegeben. 371 Zu denken ist beispielsweise an den sogenannten Mißbrauch mit dem Mißbrauch, also die Gefahr, daß der minderjährige Zeuge zum Spielball sich widerstreitender Interessen seiner Eltern wird, wenn ein Elternteil gegenüber dem anderen entsprechende Verdachtsvorwürfe äußert.
Rieß NJW 1975,81,83, dort Fn. 42. Schimansky, FS G. Pfeiffer, S. 297, 300 ff. 368 KK-Senge § 52, Rdnr. 29; KMR-Paulus § 52, Rdnr. 25; so auch Schmoll, Videovernehmung, S. 34 f 369 Schoene NJW 1972,930,931. 370 Roestel NJW 1967, 967. 371 Eisenberg, Beweisrecht, Rdnr. 1255. 366 367
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4. Kap.: Die Hauptpflichten des minderjährigen Zeugen
Die Gegenansicht beruft sich vor allem auf den klaren Gesetzeswortlaut. 372 In der Tat wird hier eine Analogie mit dem vom Gesetz geregelten Fall nur schwerlich zu begründen sein. So lehnt Schimansky wegen der eindeutigen Aussage der Vorschrift eine Analogie ab, nimmt jedoch eine berichtigende Auslegung des § 52 Abs. 2 Satz 2 StPO dahingehend vor, daß der Konditionalsatz "wenn die gesetzliche Vertretung beiden Eltern zusteht" auf die selbstverständliche - und damit überflüssige - Einschränkung zu reduzieren ist, daß "der Ausschluß des nicht beschuldigten Elternteils nur aktuell wird, wenn (auch) ihm die gesetzliche Vertretung zusteht."m Schimansky begründet diese Vorgehensweise historisch: Der ursprüngliche Streit drehte sich um den Fall, daß die gesetzliche Vertretung beiden Eltern des minderjährigen Zeugen zusteht und ein Elternteil der Angeklagte ist. 374 Vor Erlaß der Neufassung des Gesetzes war man auf die Frage fixiert gewesen, ob der nicht ausgeschlossene Elternteil nunmehr Alleinvertretungsmacht erwerben könne. 375 Umstritten war demnach, ob § 1629 Abs.2 Satz 1 BGB in Verbindung mit § 1795 Abs. 1 BGB entsprechend anzuwenden oder ob lediglich ein Fall des § 1796 BGB gegeben ist. Entschied man sich für die erste Variante, war der nicht angeklagte Elternteil ebenfalls automatisch von der Vertretung ausgeschlossen. Gab man § 1796 BGB den Vorzug, eröffnete dies nur die Möglichkeit, dem nicht angeklagten, gesetzlichen Vertreter die Vertretungsmacht zu entziehen. Diese nur fakultative Entziehung der Vertretungsmacht hatte nach § 1796 Abs. 2 BGB nur zu erfolgen, wenn ein erheblicher Interessengegensatz vorlag. Diesen Streit hat der Gesetzgeber mit der Neufassung des § 52 Abs. 2 StPO hinfällig gemacht. Über diesen wissenschaftlichen Disput wurde nach Schimansky aber das Problem des allein vertretungsberechtigten Elternteils schlicht vergessen, weil man auf die Idee, daß der nicht angeklagte Elternteil bereits Alleinvertretungsmacht gehabt haben könnte, gar nicht erst gekommen war. 376 Damit ist die Tür für eine berichtigende Auslegung geöffnet. Dieses auf die Entstehungsgeschichte der Vorschrift gestützte Ergebnis unterzieht Schimansky dann einer Plausibilitätskontrolle dahingehend, ob sich die Beschränkung der Ausschluß372 LR-Dahs § 52, Rdnr. 33; Meyer-Goßner § 52, Rdnr. 20; HK-Lemke § 52, Rdnr. 28; bewußt offen gelassen haben die Frage BGH NStZ 1991, 398 und BGH NJW 1996,206. 373 Schimansky, FS G. Pfeiffer, S.297, 302; a.A. Brückner, Angehörigenverhältnis, S. 119 ff. 374 Ausfiihrlieh zu diesem Meinungsstreit Schimansky, FS G. Pfeiffer, S. 297 ff; OLG Stuttgart NJW 1971, 2237; Schoene NJW 1972, 930; Orlowsky, Weigerungsrechte, S. 161 ff. 375 Schimansky, FS G. Pfeiffer, S. 297, 300. 376 Schimansky, FS G. Pfeiffer, S. 297, 300.
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regelung auf Fälle der gemeinsamen Vertretung durch beide Elternteile nicht doch dogmatisch begrunden läßt. 377 Er lehnt dies dann einmal mit der Begrundung ab, daß die Verhinderung des angeklagten Elternteils nach der Entwurfsbegrundung zu § 52 StPO ausdrucklich mit der für das bürgerliche Recht geltenden Rechtsauffassung erklärt wird, daß "die Vertretungsbefugnis da versagt, wo der Vertreter Gegner des Vertretenen ist."m Der in § 181 BGB für das bürgerliche Recht ausgesprochene Grundsatz des Verbotes des Selbstkontrahierens erfährt - eine an sich nicht selbstverständliche - Geltung für das öffentliche Recht. 379 Er muß auch für das Strafverfahrensrecht Wirkung entfalten. 38o In der Begrundung des Gesetzentwurfs wird der Ausschluß des nicht angeklagten Elternteils zudem sachlich damit gerechtfertigt, daß so "eine Überschneidung der Interessen des Kindes mit den meist anders gelagerten Interessen des nicht beschuldigten Elternteils ausgeschlossen wird.,,381 Dies ist jedoch nach Schimansky "kein Gedanke, der sich aus dem Gesichtspunkt der Gesamtvertretung herleiten läßt.,,382 Zum anderen argumentiert er, daß sich § 1629 Abs. 2 Satz 1 BGB gerade nicht durch das Prinzip der Gesamtvertretung durch beide Eltern erklären läßt, denn die Vorschrift gilt ausdrucklich auch für Fälle der Alleinvertretung gemäß § 1629 Abs. 1 Satz 3 BGB. Auffällig in dem Streit ist es, daß die Begriffe Eltern und Ehegatte wahlweise verwendet werden. So schreibt Schimansky: "Steht also die gesetzliche Vertretung nur einem Elternteil zu, so kann dieser - jedenfalls nach dem Gesetzeswortlaut - über die Ausübung des Zeugnisverweigerungsrechtes auch dann entscheiden, wenn sein Ehegatte Beschuldigter ist. ,,383 Von Ehegatten ist aber in der Vorschrift des § 52 StPO gerade keine Rede. Diese unsystematische Verwendung der Begriffe erklärt sich dadurch, daß fruher ein gemeinsames Sorgerecht für ein gemeinsames Kind Privileg miteinander verheirateter Eltern war. Im Zusammenhang mit einer gemeinsamen Vertretungsbefugnis hatte man immer mit Eltern zu tun, die miteinander verheiratet waren. Erst die Reform des Kindschaftsrechts vom 16.12.199i 84 löste das gemeinsame Sorgerecht aus dem Kontext der Ehe und läßt es nunmehr für geschiedene Eltern genauso zu, wie -
Schimansky, FS G. Pfeiffer, S. 297,300. BT-DruckS. 7/551, S. 59. 379 Dies ist insofern nicht selbstverständlich, als daß im Zivilrecht gerade der Grundsatz gilt, daß § 181 BGB nicht auf Prozeßhandlungen anwendbar ist; vg\. BGHZ 41, 107; Palandt-Heinrichs § 181, Rdnr. 5. 380 OLG Stuttgart NJW 1971,2237,2238. 381 BT-DruckS. 7/551, S. 59; vg\. auch Schimansky, FS G. Pfeiffer, S. 297, 300/ 382 Schimansky, FS G. Pfeiffer, S. 297, 300. 383 Schimansky, FS G. Pfeiffer, S. 297, 300. 384 BGB\. I 1997, S. 2942. 377
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nach Abgabe einer entsprechenden Sorgeerklärung - für Eltern, die nie miteinander verheiratet waren; vgl. §§ 1626, 1626 a BGB. Verwirrend ist in diesem Zusammenhang zudem die aktuelle Forderung in einigen Kommentaren, daß eine Analogie mit dem Ziel des Ausschlusses der Vertretungsbefugnis des einen Elternteils nur für den Fall gefordert wird, daß der oder die Angeklagte der Stiefvater oder die Stiefmutter des minderjährigen Zeugen iSt. 385 Verwirrend insofern, als daß gerade ein Stiefelternteil doch niemals die gesetzliche Vertretung für das Kind hatte. 386 Zwar gibt es für den Begriff eines Stiefelternteils keine Legaldefinition. Doch widmet sich die mit dem Kindschaftsrefonngesetz neueingefügte Vorschrift des § 1682 BGB speziell dem Schutz der Stieffamilie, ohne diese Begrifflichkeit allerdings zu verwenden. 387 Ein Stiefelternteillebt mit einem Ehepartner zusammen, der ein Kind in die neue Familie eingebracht hat. Der Stiefvater oder die Stiefmutter haben jedoch kein Sorgerecht für dieses Kind. Erst nach der sogenannten Stiefkindannahme wird beispielsweise der Stiefvater zum Adoptivvater mit allen Rechten und Pflichten. Gleichzeitig findet sich in der Literatur dagegen nicht immer auch eine Forderung nach einer Analogie für die Fallkonstellation, daß der Angeklagte zwar ein leiblicher Elternteil des Kindes ist, er aber kein Sorgerecht innehat, obwohl der Ruf nach einer entsprechenden Auslegung für diese Konstellation auf den ersten Blick doch viel naheliegender wäre. 388 Dieser zunächst willkürlich anmutenden Bestrebung liegt folgende richtige Überlegung zugrunde: Die eigentliche Konfliktsituation hat ihren Ursprung gerade nicht in der Beziehung des Minderjährigen zum Angeklagten, sondern in der Beziehung des Angeklagten zum nicht angeklagten gesetzlichen Vertreter des minderjährigen Zeugen. Unerheblich ist dann, ob der Angeklagte beispielsweise der leibliche Vater des minderjährigen Zeugen ist oder ob es sich um den Stiefvater handelt. Ausschlaggebend ist mit Schimansky allein, daß der nicht angeklagte Elternteil als Ehegatte des Angeklagten zur Wahmehmung der Interessen des Kindes ungeeignet erscheint. In der Begründung des Gesetzentwurfs ist davon die Rede, daß "der vom Vonnundschaftsrichter bestellte und unter Aufsicht des Vonnundschaftsrichters stehende Pfleger [... ] eher imstande sein (wird), unabhängig von 385 KK-Senge § 52, Rdnr. 29; KMR-Paulus § 52, Rdnr. 25; Rieß NJW 1975, 83, Fn.42. 386 Rieß NJW 1975, 81, 83, Fn. 42; LR-Dahs § 52, Rdnr. 33; Meyer-Goßner § 52, Rdnr. 20; HK-Lemke § 52, Rdnr. 28; vgl. auch Schimansky, FS G. Pfeiffer, S. 297, 300. 387 Palandt-Diederichsen § 1682, 1; Schwab, Familienrecht, Rdnr. 600. 388 KMR-Paulus § 52, 25 fordert zwar explizit eine Analogie rur Ehegatten. Er hat damit aber auch die Stiefelternproblematik im Blickwinkel, denn das ist der Regelfall, wenn von Ehegatten nur einer das Sorgerecht rur ein in dieser Familie lebendes Kind hat.
C. Die einzelnen Hauptpflichten und ihre Ausnahmen
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sachfremden Erwägungen allein im wohl verstandenen Interesse des Kindes die Entscheidung über dessen Aussageverweigerungsrecht zu treffen.,,389 Entscheidend sei dabei, daß die Entscheidung des Pflegers - auch wenn er die Verhältnisse der betroffenen Familie weniger gut als der nicht angeklagte Elternteil kennen wird - nicht "von persönlichen Rücksichten" beeinflußt wird. 390 Diese Gefahr der möglichen persönlichen Rücksichtnahme, die eine Entscheidung im Interesse des Kindes vereiteln könnte, hilft auf der Suche nach der geeigneten Lösung weiter. Dies rechtfertigt die berichtigende Auslegung als vom Gesetzgeber gewollt, denn dies war rur ihn auch der ausschlaggebende Aspekt seiner früheren Gesetzesänderung. Eine Ehe zwischen dem Angeklagten und dem vertretungsberechtigten Elternteil ist immer geprägt von persönlichen Rücksichtnahmen der Partner und hat Indikatorwirkung rur einen schwerwiegenden Interessenkonflikt. Gerade nicht maßgeblich ist, ob der Angeklagte ein Elternteil des minderjährigen Zeugen ist. Der Grad der Konfliktsituation von dem im Gesetz geregelten Fall entspricht dem der hier geschilderten "Stiefvaterproblematik": Ist der gesetzliche Vertreter des Zeugen mit dem Angeklagten verheiratet, kann er keine objektive Entscheidung treffen, der ausschließlich Erwägungen hinsichtlich dem Wohl des Kindes zugrunde liegen. Mit dem Abstellen auf das Vorhandensein eines Ehebandes ist zudem ein rur den Richter in der Praxis unproblematisch festzustellendes Kriterium gefunden worden. Neben einer Ehe zwischen dem Angeklagten und dem allein vertretungsberechtigten gesetzlichen Vertreter gibt es eine weitere Konstellation, bei der unwiderruflich von einer schwerwiegenden Konfliktsituation ausgegangen werden muß: Einer berichtigenden Auslegung bedarf es auch dann, wenn der alleinige gesetzliche Vertreter des minderjährigen Zeugen zwar nicht mit dem Angeklagten verheiratet ist, aber dennoch in Gefahr ist, in den Sog sich widerstreitender Interessen zu geraten. Erneut verdichtet sich hier die Möglichkeit der persönlichen Rücksichtnahme zu Lasten des minderjährigen Zeugen so sehr, daß ein automatischer Ausschluß des gesetzlichen Vertreters anzustreben ist. Zu denken ist ausschließlich an die Fälle, in denen der Angeklagte ein leiblicher Elternteil des Zeugen ist, ohne allerdings diesen gesetzlich vertreten zu dürfen. Angeklagter und gesetzlicher Vertreter sind also die Eltern des Zeugen und waren möglicherweise früher einmal verheiratet - letztgenanntes Kriterium ist aber kein zwingendes. Erhebliche Interessenkonflikte, etwa aufgrund finanzieller Abhängigkeiten oder auch nur menschlicher Enttäuschungen, liegen bei dieser Sachlage ebenfalls auf der Hand.
389 BT-DruckS. 7/551, S. 60. 390 BT-DruckS. 7/551, S. 60.
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4. Kap.: Die Hauptpflichten des minderjährigen Zeugen
Im übrigen ist die vom Gesetzgeber geschaffene Möglichkeit der gemeinsamen Sorge in festen Paarbeziehungen unabhängig vom Institut der Ehe längst noch nicht der Regelfall. 391 Die alleinige Sorge eines Elternteils - dies ist zumeist die Mutter - bleibt daher nach wie vor nicht nur Eltern vorbehalten, die nie ein Paar waren oder sich schon vor der Geburt des gemeinsamen Kindes getrennt haben. Gleichzeitig wird das alleinige Sorgerecht vor allem in der Konstellation zu finden sein, daß dieses im Hinblick auf den bevorstehenden Strafprozeß eines Elternteils von dem anderen beantragt worden ist. Im letzten Fall ist die Vergleichbarkeit der Konfliktsituation mit dem vom Gesetz geregelten Fall geradezu offenkundig: Die Eltern leben vielleicht sogar noch wie in einer Ehe mit allen dazugehörigen Abhängigkeiten zusammen. Kritik gegen die hier vertretene Ansicht könnte vor allem an diesem Punkt ansetzen: So mag es auf den ersten Blick etwas fragwürdig erscheinen, warum beispielsweise eine Mutter als alleinige gesetzliche Vertreterin von der Entscheidung über die Zeugnisverweigerung ihres Kindes im Verfahren gegen den Vater ausgeschlossen sein soll, obwohl sie mit diesen seit Jahren keinen Kontakt mehr pflegt. Doch mit Eisenberg muß hier entgegengehalten werden, daß "trotz etwaiger Zurückdrängung partieller Belange im Sinne von Art. 6 GG [00'] demgegenüber eine Differenzierung danach, ob der allein vertretungsberechtigte Elternteil die Strafverfolgung gegenüber dem anderen Elternteil will oder nicht, aus nicht weniger gewichtigen und unter anderem gleichfalls von Art. 6 GG geschützten Belangen nicht vorzugswürdig" ist. 392 Angefiigt muß zudem werden, daß eine solche Differenzierung fiir den Richter nicht nur lediglich schwierig vorzunehmen, sondern schlicht unmöglich wäre, zu sehr ginge diese Frage in den Bereich von diffusen Gefiihlen. Festzuhalten bleibt demnach, daß eine berichtigende Auslegung des § 52 Abs. 2 Satz 2 StPO immer dann vorzunehmen ist, wenn der allein vertretungsberechtigte Elternteil mit dem Angeklagten verheiratet ist bzw. wenn er und der Angeklagte - unabhängig von einer möglichen Ehe - die Eltern des mindeIjährigen Zeugen sind. Diese beiden Konstellationen haben im Wege der berichtigenden Auslegung der Vorschrift den automatischen Ausschluß des al-
391 Nach Auskunft des Jugendamtes der Stadt Nümberg konnte man zwar kurz nach dem Inkrafttreten der Kindschaftsrechtsreform den Eindruck gewinnen, daß die gemeinsame elterliche Sorge sich zum Regelfall entwickeln würde. Aber es stellte sich mit der Zeit heraus, daß offenbar nur eine bestehende "Halde" abgebaut werden mußte, die sich in der Zeit vor der Schaffung dieses Sorgerechts gebildet hatte. Viele Paare wollten anfangs von dem gemeinsamen Sorgerecht Gebrauch machen. Inzwischen ist die gemeinsame elterliche Sorge bei nicht miteinander verheirateten Paaren zwar nicht mehr die krasse Ausnahme, aber vom Regelfall noch weit entfernt. Sehr oft sperren sich jedoch die Mütter gegen diese Art der Sorge. 392 Eisenberg, Beweisrecht, Rdnr. 1255.
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lein vertretungsberechtigten Elternteil von der Entscheidung über die Ausübung des Zeugnisverweigerungsrechtes zur Folge. Bei weiteren denkbaren Interessengegensätzen kann das Gericht auf eine Entziehung des Vertretungsrechtes nach den allgemeinen Regeln des § 1629 Abs. 2 Satz 3 in Verbindung mit § 1796 BGB nur hinwirken. Zu denken ist hier an die Fälle, daß der Angeklagte beispielsweise der Vater des die gesetzliche Vertretung ausübenden Elternteils des minderjährigen Zeugen ist. Zwar liegt bei dieser Sachlage die Annahme einer Konfliktsituation ebenfalls nahe. Doch ein automatischer Ausschluß verbietet sich schon im Hinblick auf den Eingriff in Art. 6 GG, obwohl § 1629 Abs.2 Satz 1 in Verbindung mit § 1795 Abs. 1 Nr. 1 BGB Vater und Mutter bei Rechtsgeschäften im Verhältnis zu ihren Verwandten in gerade Linie von der Vertretung des Kindes ausschließen. Diese Vorschriften ergänzen § 181 BGB nur und schon dessen Geltung für das öffentliche Recht ist, wie dargestellt, keine Selbstverständlichkeit, eine unmittelbare Wirkung für das Verfahrensrecht entfalten sie nicht. 393 gg) Verhältnis des Prozeßgerichts zum Vormundschaftsgericht Die eben dargestellte unklare Rechtslage kann zu Meinungsverschiedenheiten zwischen dem Prozeßgericht und dem für die Bestellung eines Ergänzungspflegers hinzugezogenen Vormundschaftsgericht führen. Die entscheidende Frage ist, ob das Vormundschaftsgericht die Bestellung eines Pflegers nach § 1909 Abs. 1 Satz 1 BGB, den das Prozeßgericht für notwendig erachtet hat, ablehnen darf. Nach ganz h.M. darf das Vormundschaftsgericht die sachliche Begründetheit des Gesuchs nicht nachprüfen oder gar korrigieren. 394 Es ist an die Beurteilung der Verstandesreife des minderjährigen Zeugen durch das Prozeßgericht sowie an dessen Ansicht über den Ausschluß des gesetzlichen Vertreters gebunden. Dieser Ansicht muß schon deshalb gefolgt werden, da das Vormundschaftsgericht ansonsten in unzulässiger Weise Einfluß auf das Strafverfahren nehmen könnte. 395 Dieses Ergebnis läßt sich durch ein weiteres entscheidenderes Argument untermauern: Zweifelt das Prozeßgericht an der Verstandesreife des Zeugen, darf es ohne Zustimmung des gesetzlichen Vertreters diesen nicht vernehmen. 396 Verweigert in dieser Situation nun das VormundVgl. auch Schimansky, FS G. Pfeiffer, S. 297, 302. LG Memmingen MDR 1982, 145; OLG Stuttgart MDR 1986,58; BayObLG NJW 1998, 614; LR-Dahs § 52, Rdnr.33; KK-Senge § 52, Rdnr.29; KMR-Paulus § 52, Rdnr. 24; HK-Lemke § 52, Rdnr. 29; Meyer-Goßner § 52, Rdnr. 20; Schimansky, FS G. Pfeiffer, S. 297,303; a.A. Schaub FamRZ 1966,136. 395 LR-Dahs, § 52,33, dort Fn. 110. 396 BGHSt 19, 85; 23, 221,222. 393
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4. Kap.: Die Hauptpflichten des minderjährigen Zeugen
schaftsgericht die Ptlegerbestellung, weil es die Verstandesreife des Zeugen im Gegensatz zum Prozeßgericht bejaht, so nimmt das Vormundschaftsgericht den Zeugen von vornherein die Option auszusagen. 397 Möglicherweise war der minderjährige Zeuge aussagebereit und ein Ergänzungsptleger wäre zudem der Auffassung gewesen, daß die Aussage im Interesse des Minderjährigen liegt. Der eigentlich angestrebte Schutz des Minderjährigen wäre unterlaufen, ihm sein Recht zur Aussage genommen. Verweigert das Vormundschaftsgericht die Bestellung des Ergänzungsptlegers, weil es entgegen dem Prozeßgericht der Ansicht ist, der zur Vertretung berufene Elternteil sei rechtlich nicht verhindert, dient dies ebenfalls nicht dem Schutz des Kindes oder stärkt die Rechte der Eltern. Vielmehr wird die Entscheidung erneut im "negativen Sinne" vom Vormundschaftsgericht schlicht vorweggenommen. 398 Das Vormundschaftsgericht hätte den Zeugen aus dem Verfahren "hinauskatapultiert"; der Zeuge bleibt gegen seinen Willen als Beweismittel ungenutzt. Der Ergänzungsptleger, der über die Zeugnisverweigerung entscheidet, ist erst zu bestellen, wenn das Prozeßgericht im eigenen Ermessen geprüft hat, ob dem aussagebereiten Zeugen die rur einen selbstverantwortlichen Entschluß erforderliche Verstandesreife fehlt. 399 Keinesfalls ist eine Ptlegschaft von vornherein anzuordnen, erst muß die fehlende Verstandesreife positiv festgestellt sein, "denn die Frage, ob sich ein minderjähriger [... ] Zeuge wirklich zu einer Aussage bereit findet, ist Bestandteil und Prüfung des vernehmenden Richters. ,,400 Verneint dieser das Vorliegen der notwendigen Verstandesreife, ist, wie dargestellt, das Vormundschaftsgericht an seine Beurteilung gebunden. Umgekehrt ist jedoch dann die Ptlegerbestellung rur den Strafrichter verbindlich. 401 e) Die Belehrung
Alle minderjährigen Zeugen, denen ein Zeugnisverweigerungsrecht zusteht, sind gemäß § 52 Abs. 3 Satz I StPO vor jeder Vernehmung mündlich über ihr Recht zu belehren. Im Fall des verstandesunreifen Zeugen gilt dies auch rur den zur Entscheidung über die Ausübung des Zeugnisverweigerungsrechtes befug-
Gute Darstellung bei Schimansky, FS G. Pfeiffer, S. 297, 303 f Schimansky, FS G. Pfeiffer, S. 297, 305. 399 OLG Stuttgart MDR 1986, 58. 400 OLG Stuttgart MDR 1986, 58. 401 BGH NStZ 1988, 17. 397 398
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ten Vertreter. 402 Dies heißt im Umkehrschluß, daß auch der verstandesunreife Zeuge selbst zu belehren ist, um seine Aussagebereitschaft zu erkunden. 403 Die Zustimmung der Eltern enthebt den Richter nicht von der Verpflichtung, den minderjährigen Zeugen selbst zu belehren. Dem Minderjährigen muß durch die Belehrung deutlich gemacht werden, daß er - selbst wenn seine Eitern einer Aussage zugestimmt haben - diese verweigern kann. Darauf muß sogar gesondert hingewiesen werden. 404 Aus dieser Notwendigkeit ergibt sich auch die logische, zeitliche Reihenfolge der Belehrungen: Zuerst ist der Zeuge selbst zu belehren. 405 Erweist er sich dabei als unfähig, den Sinn der Belehrung oder die Bedeutung seines Zeugnisverweigerungsrechtes hinreichend zu begreifen, ist nunmehr zudem der gesetzliche Vertreter über sein Recht zu belehren. 406 Gibt der gesetzliche Vertreter die Zustimmung zur Aussage, bedarf es der weiteren Belehrung des minderjährigen Zeugen darüber, daß er trotz dieser Zustimmung nicht auszusagen braucht. 407 Hat der Vertreter bereits seine Zustimmung verweigert, muß der Zeuge nicht mehr erneut belehrt werden. Seine Vernehmung ist dann unzulässig, eine erneute Belehrung wäre überflüssig. Die Art und Weise der Belehrung liegen im Ermessen des Richters. Ziel der Belehrung ist es, dem minderjährigen Zeugen eine genügende Vorstellung von der Bedeutung des Zeugnisverweigerungsrechtes zu vermitteln. Nach der Belehrung soll der Zeuge das Für und Wider seiner Entscheidung abwägen können. 408 Reicht nach Kühne schon bei erwachsenen, aber juristisch nicht vorgebildeten Personen "eine lediglich routiniert heruntergeschnurrte Erklärung in juristischen Formulierungen" nicht aus,409 kann man Rückschlüsse daraus ziehen, welche Anforderungen an die Belehrung von Kindern und Jugendlichen gestellt werden müssen: Die Belehrung muß vor allem aItersgerecht sein und darf dennoch keineswegs einem Sachverständigen überlassen werden,4lO denn sie ist ureigene Aufgabe des Richters. Paulus fordert in diesem Zusammenhang, Schimansky, FS G. Pfeiffer, S. 297, 303. BGH NStZ 1991, 398, anders aber der BGH in der Entscheidung NStZ 1995, 198, 199, die sich aber speziell mit dem Untersuchungsverweigerungsrecht beschäftigt und auch den Unterschied zu § 52 Abs. 2 Satz I StPO herausarbeitet. 404 Meyer-Goßner § 52, Rdnr. 28 mit weiteren Nachweisen. 405 BGH NStZ 1991,398. 406 BGH NStZ 1991,398. 407 BGHSt 21,303,306; 23, 221, 223; BGH NStZ-RR 1996,106. 408 BGHSt 9, 195, 197; 32, 25, 32. Im Jahr 1881 reichte dem Reichsgericht noch eine formale Belehrung des Kindes auS. Unerheblich war es dagegen, ob das Kind diese verstehen und werten konnte; RGSt 4, 398, 399. 409 AK-Kühne § 52, Rdnr. 16. 410 BGH NJW 1991,2432,2433; NJW 1996,206; NStZ 1997,349. 402 403
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4. Kap.: Die Hauptpflichten des minderjährigen Zeugen
daß eine Belehrung den "Qualitätsstandards" entsprechen muß, die "generell für die Vermittlung von Kenntnissen über Rechte gelten, deren Ausübung zur Disposition des Rechtsinhabers steht.,,411 Nicht belehrt wird nach h.M. über die Möglichkeit des Widerrufs der getroffenen Entscheidung. 412 Dies ist insofern fragwürdig, als daß es sich bei den hier behandelten minderjährigen Zeugen - allein aufgrund ihres Alters, unabhängig von einer Opferzeugenkonstellation - um besonders schutzwürdige handelt, so daß die Fürsorgepflicht des Gerichtes weiter gehen muß als bei erwachsenen Zeugen.
aa) Unterbliebene Belehrung Ist die Belehrung nach § 52 Abs. 3 Satz I StPO oder die Einholung der Zustimmung nach Abs. 3 StPO ganz unterblieben, so darf die Aussage nicht verwertet werden. Es besteht ein Verlesungs- und Verwertungsverbot im selben Umfang wie bei § 252 StPO.413 Der Bundesgerichtshof begründet die Nichtverwertbarkeit der Aussage mit der von ihm ursprünglich für § 55 StPO entwikkelten sogenannten Rechtskreistheorie,414 daß es also für die Revisibilität der Verletzung von Beweisverwertungsverboten davon abhängt, ob "die Verletzung den Rechtskreis des Beschwerdeführers wesentlich berührt.,,415 Das Zeugnisverweigerungsrecht dient nicht nur dazu, dem Zeugen einen Gewissenskonflikt zu ersparen, sondern zudem der schonenden Rücksicht auf Familienbande, die den Angeklagten mit dem Zeugen verknüpfen. 416 In dieser Konsequenz ist der Rechtskreis auch des Angeklagten nach der Auffassung des BGH immer dann unmittelbar berührt, wenn der Zeuge sich mangels Belehrung "infolge Rechtsunkenntnis nicht frei entscheiden" kann, ob er von seinem Zeugnisverweigerungsrecht Gebrauch macht. 417
SK-Rogall allerdings zu § 81 c, Rdnr. 62. BGH NJW 1984, 621; HK-Lemke § 52, Rdnr.33; a.A. KMR-Paulus § 52, Rdnr. 30 im Falle eines Fürsorgebedürfnisses. 413 Vg\. hierzu Meyer-Goßner § 252, Rdnr. 12 ff. 414 Weiterfiihrend hierzu LR-Gössel Ein\. Abschn. K, Rdnr. 21 und 28 ff. 415 BGHSt GrS 11,213,215; 38,214,220. Zur Rechtskreistheorie vg\. auch LRGössel Ein\. Abschnitt. K, Rdnr. 19 ff. mit grundsätzlichen Einwendungen gegen die Rechtskreistheorie und einer umfassenden Darstellung der (bisweilen widersprüchlichen) Rechtsprechung. 416 BGHSt 11,213,216; vg\. auch LR-Dahs § 52, Rdnr. 54 mit weiteren Nachweisen. 417 BGHSt 11, 213,216; bestätigt von BGHSt 38, 96, 99; BGH NStZ 1992, 291; BGH NStZ 1993,500,501; LR-Gössel Ein\. Abschn. K, Rdnr. 28. 411
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Die Kritik gegen diese Ansicht richtet sich zum einen dagegen, daß hierbei unberücksichtigt bleibt, daß in § 52 Abs. 1 Nr. 2 und 3 StPO ein Zeugnisverweigerungsrecht selbst dann gewährt wird, wenn die familiären Bindungen längst nicht mehr bestehen. 418 Naheliegender wäre es daher nicht, die Familienbande in den Mittelpunkt der Erwägungen zu stellen, sondern allenfalls die persönlichen Beziehungen des Zeugen zum Angeklagten. Zudem hat sich der BGH widersprüchlich zu seinen Erwägungen zur Rechtskreistheorie in einer späteren Entscheidung verhalten, indem er im Falle einer zum Zeitpunkt der Hauptverhandlung verstorbenen Zeugin eine Verwertbarkeit des polizeilichen Vernehmungsprotokolls annahm, obwohl sie nicht über ihr Zeugnisverweigerungsrecht gemäß § 52 Abs. 1 Nr. 3 StPO belehrt worden war. 419 Dies wurde damit begründet, daß zwar bei der Zeugin ursprünglich ein Pflichtenwiderstreit vorhanden gewesen und gegen die Belehrungspflicht verstoßen worden ist; der Angeklagte aber daraus nunmehr "rur sich keine Rechte herleiten" kann. 42o Die Rechtskreistheorie bleibt in diesen Überlegungen gänzlich unberücksichtigt. Hätte sie eine Rolle gespielt, hätte man wohl wegen der Betroffenheit auch des Rechtskreises des Angeklagten eine Verwertbarkeit des Vernehmungsprotokolls ablehnen müssen, da die Familienbande über den Tod hinaus Bestand haben. 421 Es bleiben daher Zweifel am Merkmal der Rechtskreisberührung als entscheidendes Kriterium rur die Annahme eines Verwertungsverbotes. Möglicherweise kommt man mit einer umfassenden Abwägung verschiedener Kriterien - etwa der Verstoß gegen ein Erhebungsverbot, die Rügeberechtigung, das Beruhen, das Interesse an einer funktionstüchtigen Rechtspflege - zu wesentlich sachgerechteren Ergebnissen. Die Frage der Rechtskreisberührung ist im Zusammenspiel der einzelnen Abwägungskriterien zwar noch von Belang, aber von eher untergeordneter Natur. 422 Unstreitig besteht jedenfalls keine Fernwirkung, etwa ein Beweisverbot rur die - aufgrund der unter Verstoß gegen § 52 Abs.3 Satz 1 StPO erlangten Aussage - ermittelten Beweise und Tatsachen. 423 Das Verwertungsverbot entfällt, wenn feststeht, daß der zu Unrecht nicht belehrte Zeuge sein Weigerungsrecht gekannt hat und davon auch bei einer
418 Ausführliche Darstellung der zu kritisierenden Punkte bei LR-Gössel Ein!. Abschn. K, Rdnr. 29 ff. 419 BGHSt 22, 35 ff. 420 BGHSt 22, 35, 38. 421 Zutreffende Darstellung bei LR-Gössel Ein!. Abschn. K, Rdnr. 31. 422 Eine Übersicht zu der Abwägungslehre und den einzelnen Abwägungskriterien gibt LR-Gössel Ein!. Abschn. K, Rdnr. 25 ff. 423 Nüse JR 1966, 283; Alsberg / Nüse / Meyer S. 488; LR-Dahs § 52, Rdnr. 54; Meyer-Goßner § 52, Rdnr. 33; a.A. Henkel, Strafverfahrensrecht, S. 271, Fn. 14. Umfassende Übersicht über die Beweisverbote in der Rechtsprechung LR-Gössel Ein!. Abschn. K, Rdnr. 17 ff.
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ordnungsgemäßen Belehrung keinen Gebrauch gemacht hätte. 424 Dies soll selbst für den Fall gelten, daß zusätzlich die nach § 52 Abs. 2 StPO erforderliche Zustimmung des gesetzlichen Vertreters unterblieben ist. 425 In einem vom BGH entschiedenen Fall waren die beiden verstandesunreifen, minderjährigen Zeugen im Verfahren gegen ihren Vater zwar über ihr Zeugnisverweigerungsrecht belehrt worden, die Belehrung der Mutter als Alleinvertretungsberechtigte war dagegen nicht erfolgt. 426 Sie hat der Vernehmung ihrer beiden Kinder auch nicht ausdrücklich zugestimmt. Allerdings hat die Mutter selbst die Strafanzeige gegen den Vater gestellt und eine Rechtsanwältin mit der Vertretung der Nebenklage beauftragt, die in der Folge bei allen Hauptverhandlungsterminen teilgenommen hat. Unter diesen Umständen war es nach der Auffassung des BGH ausgeschlossen, daß die Mutter bei ausdrücklicher Belehrung die Zustimmung zur Aussage ihrer Kinder verweigert hätte. Trotz fehlender Belehrung hat der BGH im übrigen dann eine Verwertbarkeit der Aussagen angenommen, wenn sie nicht in einer "vernehmungsähnlichen Situation", sondern "aus freien Stücken" gemacht worden sind. 427 Explizit entschieden wurde dies für ungefragte, spontane Äußerungen eines Kindes, die es gegenüber Mitarbeitern einer Klinik in einer "unverfänglichen Spielsituation" tätigte. 428 Das Kind war wegen des möglichen sexuellen Mißbrauchs durch den Vater zu einer therapeutischen Behandlung zeitweilig in der Klinik untergebracht gewesen.
bb) Heilung einer unterbliebenen Belehrung Ist die Belehrung nach § 52 Abs. 3 Satz I StPO unterblieben oder die Zustimmung des gesetzlichen Vertreters nach § 52 Abs.2 StPO nicht eingeholt worden, so können diese Fehler unter sehr engen Voraussetzungen geheilt werden. Dazu muß die Belehrung nachgeholt werden und der Zeuge muß erklären, daß er selbst bei rechtzeitiger Belehrung von seinem Weigerungsrecht keinen Gebrauch gemacht hätte. 429 Entsprechendes gilt für die Zustimmung des gesetz424 BGHSt 40, 336, 339 mit ablehnender Anmerkung Eisenberg StV 1995, 625; Alsberg I Nüse I Meyer S. 488 mit weiteren Nachweisen. 425 BGH NStZ 1990, 549. 426 BGH NStZ 1990, 549. In der von dieser Arbeit bevorzugten Lösung hätte in diesem Fall von vornherein die Bestellung eines Ergänzungspflegers erfolgen müssen, denn auch die Mutter wäre von der Vertretung ihrer Kinder ausgeschlossen gewesen, vg!. 4. Kap. C. II. 4. d) fi). 427 BGHSt 36, 384, 389. 428 BGH NStZ 1998, 247; LR-Gössel Ein!. Abschn. K, Rdnr.34 mit weiteren Nachweisen. 429 BGHSt 20, 234.
C. Die einzelnen Hauptpflichten und ihre Ausnahmen
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lichen Vertreters. Nicht mehr rechtswirksam kann dagegen die Zustimmung nachgeholt werden, wenn der Zeuge zuvor ohne die erforderliche Zustimmung ausgesagt hat, jetzt aber die Aussage verweigert. Die Aussage darf vielmehr nicht verwertet werden.
j) Verzicht und Widerruf auf das Zeugnisverweigerungsrecht Der Verzicht auf das Weigerungsrecht ist im Umkehrschluß zu § 52 Abs. 3 Satz 2 StPO möglich, etwa in der Form, daß der gesetzliche Vertreter die Vernehmung des Zeugen widerspruchslos geschehen läßt (sogenannter konkludenter Verzicht).430 Der Widerruf - die Erklärung des Zeugen oder die seines gesetzlichen Vertreters, er wolle doch nicht aussagen - und der Widerruf des Verzichts gemäß § 52 Abs. 3 Satz 2 StPO können noch während der Vernehmung erfolgen. Wird der Widerruf in der Hauptverhandlung ausgesprochen, so sind die früheren Aussagen nach Maßgabe des § 252 StPO nach h.M. unverwertbar.43 1 Die einzige Ausnahme von diesem Grundsatz wird gestattet, wenn der Zeuge von einem Richter vernommen worden und zuvor von diesem über sein Zeugnisverweigerungsrecht ordnungsgemäß belehrt worden war. Es ist dann die Vernehmung der Verhörsperson über den Inhalt der damaligen Aussage zulässig. 432 Die inzwischen vernachlässigenswerte Gegenansicht sieht in dieser gängigen Praxis eine Aushöhlung des § 252 StPO. 433 Hat der Zeuge in der Hauptverhandlung bereits ausgesagt und erst im Laufe der Vernehmung oder sogar nach dieser den Verzicht auf sein Zeugnisverweigerungsrecht widerrufen, so bleibt die Aussage, die der Zeuge bis dahin gemacht hat, nach strittiger Ansicht verwertbar. 434 Nach anderer Ansicht kommt dem Widerruf rückwirkende Wirkung zu, weil auch der Zeuge, dem seine Konfliktsituation erst nach Vernehmungs beginn bewußt wird und er erst später schweigen will, sich noch frei entscheiden dürfen sol1. 435 Zudem würde der
BGH NStZ 1997, 145; Eisenberg, Beweisrecht, Rdnr. 1256. LR-Dahs § 52, Rdnr. 36. 432 BGHSt 2, 99; 32, 25, Meyer-Goßner § 52, Rdnr. 23; § 252, Rdnr. 14 mit weiteren Nachweisen. 433 Rengier Jura 1981,299,303. 434 BGHSt 2, 99, 107; BGH NJW 1988, 716, Grünwald, Beweisrecht, S.23 f.; G. Schäfer, Praxis des Strafverfahrens, Rdnr. 671; LR-Gössel Ein!. Abschn. K, Rdnr.36 und LR-Dahs § 52, Rdnr. 36; KK-Senge § 52, Rdnr. 42; Meyer-Goßner § 52, Rdnr. 22; HK-Lemke § 252, Rdnr.24; a.A. Rengier Jura 1981, 304 und in seiner Anmerkung zu BGH NStZ 1998, 46, 48; Geppert Jura 1991, 132, 134; Eb. Schmidt, Teil 11, § 52, Rdnr. 26; Eisenberg, Beweisrecht, Rdnr. 1257. 435 Rengier in seiner Anmerkung zu BGH NStZ 1998, 46, 48. 430
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4. Kap.: Die Hauptpflichten des minderjährigen Zeugen
Schutz der familienrechtlichen Beziehung dies gebieten. 436 Diese Argumente sind allerdings insofern nicht schlagkräftig, als daß der Schaden, der durch die bereits gemachte Aussage entstanden ist, selbst durch ein entsprechendes Verwertungsverbot nicht wiedergutgemacht werden kann. Vielmehr fehlt in § 252 StPO jeder Hinweis darauf, daß das Gericht die Aussage, die der Zeuge vor ihm unter Hinweis auf sein Verweigerungsrecht gemacht hat, diese nun als "nicht vorhanden betrachten müßte. ,,437 Die Vorschrift des § 252 StPO befaßt sich nur mit früheren Aussagen. Würde man dem Widerruf von einer in der Hauptverhandlung freiwillig gemachten Aussage rückwirkende Wirkung zukommen lassen, könnte der Zeuge in nicht zumutbarer Weise "Herr des Verfahrens" spielen: Er könnte seine Aussage kurz vor der Urteilsverkündung noch widerrufen und würde dem Verfahren so eventuell eine völlig neue Wendung geben. Eine Beeidigung der vor der Zeugnisverweigerung gemachten Teilaussage scheidet dagegen aus. 438 g) Folgen der Zeugnis verweigerung Die Folge der Zeugnisverweigerung in der Hauptverhandlung ist, daß die Vernehmung des Zeugen unzulässig nach §§ 244 Abs.3 Satz 1, 245 Abs.2 Satz 2 StPO wird. Der Zeuge darf nicht durch Ordnungs- oder Zwangsmittel nach § 70 StPO zur Aussage gezwungen werden. Es entsteht ein Verwertungsverbot, das über den Wortlaut des § 252 StPO hinausgeht. Auch frühere Aussagen des Zeugen dürfen nicht verwertet werden, eine frühere, nichtrichterliche Verhörsperson darf grundsätzlich nicht über die damalige Aussage des Zeugen vernommen werden, ebenso dürfen Niederschriften nicht verlesen werden. Verhaltensweisen des Zeugen, die nicht eindeutig sind, bedürfen jedoch der Interpretation durch das Gericht. Ganz genau ist insbesondere beim kindlichen Opferzeugen zu prüfen, ob dieser nichts sagen will oder vielmehr aufgrund von Hemmungen nichts mehr sagen kann. 439 Im ersten Fall darf auf die Entschließungsfreiheit des Zeugen nicht eingewirkt werden. 44o Bei letzterer Sachlage muß das Gericht aufgrund seiner Aufklärungspflicht durch Maßnahmen beispielsweise nach §§ 247, 247 a StPO oder § 172 Nr. 4 GVG versuchen, die Hemmungen des Zeugen zu überwinden. Die jeweilige Interpretation der Zeugenerklärung ist Sache des erkennenden Richters.
436 437
Rengier Jura 1981,299,304; Eisenberg, Beweisrecht, Rdnr. 1257. So schon BGHSt 2,99,107.
BGH NJW 1988, 716. BGH NStZ 1999, 94; Meyer-Goßner § 52, Rdnr. 23. 440 BGH NStZ 1989,440. 438 439
C. Die einzelnen Hauptpflichten und ihre Ausnahmen
157
Die Fähigkeit, in anderer Weise als durch seine Aussage bei der Beweisaufnahme mitzuwirken, verliert der Zeuge durch seine Aussageverweigerung nicht. 441 Insbesondere ist die Augenscheinseinnahme des Zeugen nach strittiger Ansicht nicht ausgeschlossen. 442 Diese steht mit der ratio legis des § 52 StPO nicht in Zusammenhang. 443 Das äußere Verhalten des Zeugen - etwa ein Zwinkern zu dem Angeklagten - muß jedoch unberücksichtigt bleiben. 444
h) Ausnahmen vom VelWertungsverbot
Schon erwähnte Ausnahme von dem Vernehmungsverbot ist diejenige, daß der Zeuge zu einem früheren Zeitpunkt von einem Richter vernommen wurde, der ihn nach § 52 Abs. 3 Satz 1 StPO über sein Zeugnisverweigerungsrecht belehrt hatte. 445 Der Richter darf dann nach ganz h.M. als Zeuge über die früheren Bekundungen des Zeugnisverweigerungsberechtigten gehört werden. 446 In dieser Konsequenz darf auch ein Sachverständiger nicht zu Angaben vernommen werden, die der eigentliche Tatzeuge bei der Exploration für die Glaubhaftigkeitsprüfung zum Tathergang gemacht hat. 447 Neuerdings läßt der BGH zudem eine zweite Ausnahme gelten, die speziell bei minderjährigen Zeugen regelmäßig zum Tragen kommen kann: 448 Möglich soll demnach der Verzicht des Zeugen auf ein Verwertungsverbot sein. In dem vom BGH entschiedenen Fall wurde einem Angeklagten vorgeworfen, seine Nichte sexuell mißbraucht zu haben. Zur Feststellung der Glaubwürdigkeit wurde ein Sachverständigengutachten über das damals 12jährige Opfer eingeholt. Das Mädchen war über sein Recht, die Mitwirkung an der Exploration gemäß § 81 c Abs. 3 StPO in Verbindung mit § 52 Abs. 1 Nr.3 StPO zu ver-
441 442
813.
KK-Senge § 52, Rdnr. 44. Meyer-Goßner § 52, Rdnr. 22 mit weiteren Nachweisen; a.A. Rogall MDR 1975,
HK-Lemke § 52, Rdnr. 31. Alsberg / Nüse / Meyer S. 452; Meyer-Goßner § 52, Rdnr. 22. 445 BGHSt 32, 25, 31; kritisch Gössel, Strafverfahrensrecht, S. 212 f., der den Unterschied zwischen nichtrichterlichen und richterlichen Verhörspersonen aufgeben will, allerdings mit der Konsequenz, daß eine Vemehmung einer Verhörspersonen über den Inhalt der Aussage eines früher von ihr vernommenen Zeugen ingesamt unzulässig sein soll. 446 Weiterführend hierzu LR-Gössel Ein\. Abschn. K, Rdnr. 35 ff. 447 Dies ist unstrittig; zuletzt bestätigt von BOHSt 46, 189 ff. mit weiteren FundsteIlen früherer Entscheidungen zu dieser Thematik. 448 BOHSt 45, 203 ff. = NJW 2000, 596 ff. mit Anmerkungen Dallmeyer JA 2000, 275, Fezer JR 2000, 341 und Keiser NStZ 2000, 458; zum Ganzen Ranft NJW 2001, 1305; kritisch WollweberNJW 2000,1702. 443
444
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4. Kap.: Die Hauptpflichten des minderjährigen Zeugen
weigern, nicht belehrt worden. 449 Der Sachverständigen gegenüber machte das Mädchen Angaben zum Tathergang. In der Hauptverhandlung berief sich die Zeugin auf ihr Zeugnisverweigerungsrecht. Allerdings gestattete sie nach eingehender Belehrung durch das Gericht, daß die Sachverständige als Zeugin gehört werden dürfe. Der Zeugin war es nur darum gegangen, nicht noch einmal aussagen zu müssen. Der BGH stellte in diesem Zusammenhang klar, daß eine entsprechende Gestattung des Zeugen sämtliche Verbote des § 252 StPO außer Kraft setzt. 450 Der BGH spricht von einem "isolierten Verzicht auf das Beweisverwertungsverbot. ,,45 1 Das bedeutet, der Zeuge steht in der Hauptverhandlung nicht mehr als Zeuge zur Verfügung, wirkt jedoch in anderer Weise an der Wahrheitsfindung mit, indem er der Verwertung seiner mittelbar erlangten früheren Aussage zustimmt. An diesem Ergebnis ändert sich nach Ansicht des BGH auch dann nichts, wenn der Zeuge rechts fehlerhaft vor der Exploration durch den Richter nicht belehrt worden war. Vielmehr wird dieser Fehler dadurch geheilt, daß der Zeuge nach der neuerlichen Belehrung in Kenntnis der Fehlerhaftigkeit der Untersuchung der Verwertung zugestimmt hat. 452 Kritisch muß dieser Entscheidung des BGH entgegengehalten werden, daß es auf diese Weise dem Zeugen möglich wird, seine Vernehmung allein einem Sachverständigen zu überlassen und damit Mitwirkungsrechte des Angeklagten und seines Verteidigers zu umgehen. 453 Der Zeuge erhält die Gelegenheit, ungeahnten Einfluß auf das Verfahren zu nehmen. Keiser skizziert diese Möglichkeit des Zeugen, dem ein Zeugnisverweigerungsrecht zusteht, sich zum Herr des Verfahrens aufzuspielen, nach: 454 Der Zeuge beschränkt seine Mitwirkung im Ermittlungsverfahren von vornherein auf solche Vernehmungen, an denen keine Mitwirkungsrechte des Beschuldigten und seines Verteidigers bestehen. Dies sind alle Vernehmungen außer der richterlichen, bei der gemäß § 168 c Abs. 2 StPO Anwesenheitsrechte des Beschuldigten und des Verteidigers gesetzlich vorgeschrieben sind. Bei einer nichtrichterlichen Vernehmung muß der Zeuge nun genau soviel sagen, daß eine Glaubwürdigkeitsbegutachtung angeraten ist. Bei minderjährigen Opferzeugen im Zusammenhang mit Verfahren wegen sexuellen Mißbrauchs wird eine entsprechende Exploration 449 Ob nicht von vornherein eine Belehrung nach § 52 Abs. 3 StPO analog hätte erfolgen müssen oder ob eine Belehrung, die sich allein auf die Freiwilligkeit der Untersuchung beschränkt, ausreicht, ist noch Gegenstand der Untersuchung; vgl. 5. Kap. C. III. 5. 450 BGHSt 45, 203, 207. 451 BGHSt 45,203,208. 452 BGHSt 45, 203, 208 f.; BGHSt 20, 234. 453 Keiser NJW 2000, 458, 460. 454 Keiser NJW 2000, 458, 460.
c. Die einzelnen Hauptpflichten und ihre Ausnahmen
159
regelmäßig stattfinden. Um seine Angaben nunmehr in das Verfahren gelangen zu lassen, beruft sich der Zeuge dann in der Hauptverhandlung auf sein Zeugnisverweigerungsrecht und stimmt zugleich der Verwertung seiner früheren Aussage zu. Einziger Mangel dieser Aussage wäre ihr geringerer Beweiswert. Im Ergebnis kann daher die Auffassung des BGH nicht geteilt werden. Vor allem die Mitwirkungsrechte des Angeklagten würden in nicht vertretbarer Weise beschnitten werden, würde man diesen begrenzten Verzicht auf ein Beweisverwertungsverbot des Zeugen für zulässig erhalten.
i) Zeugnisverweigerungsrecht aus beruflichen
Gründen gemäß §§ 53, 53 a StPO
Das Zeugnisverweigerungsrecht der Berufsgeheimnisträger gemäß § 53 StPO und deren Gehilfen gemäß § 53 a StPO ist abschließend; es besteht nunmehr de lege lata ein Zeugnisverweigerungsrecht für den Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeuten.455 Der Kreis der Berechtigten ist schon im Interesse einer funktionsfähigen Rechtspflege erneut abschließend. 456 Nur ausnahmsweise und unter besonderen Umständen darf ein Zeugnisverweigerungsrecht unmittelbar aus der Verfassung abgeleitet werden, sofern ein unverhältnismäßiger Eingriff in Grundrechte vorliegt. 457 Dies zu vertiefen, ist nicht Aufgabe dieser Arbeit, da es nicht um die Pflichten der minderjährigen Zeugen selbst geht, sondern um die der Betreuungspersonen.
j) Übergesetzliches Zeugnisverweigerungsrecht
Eine mögliche Gefährdung des Zeugen entbindet nicht generell von der Zeugnispflicht. Fraglich ist jedoch, ob dem mindeIjährigen Zeugen ein übergesetzliches Zeugnisverweigerungsrecht zustehen kann. Dies ist beim gefährdeten Zeugen anerkannt, wenn der Vernehmende "ernsthaft befürchten muß, daß ein
455 Sozialarbeiter sind in den Katalog trotz verschiedener Forderungen nicht aufgenommen worden; z.B. der Regierungsentwurf eines Zweiten Gesetzes zur Reform des Strafverfahrensrecht (2. StVRG) für "staatlich anerkannte" Sozialarbeiter, BTDruckS. 7/2526, S. 1; AK-Kühne § 53, Rdnr.8; vgl auch Eisenberg, Beweisrecht, Rdnr. 1263 mit weiteren Nachweisen. Der AE-ZVR sieht in seiner Begründung zu § 53 Abs. 1 Nr. 4 für die besondere Berücksichtigung von Sozialarbeitern keinen Bedarf, da dieser Begriff "zu weit gefachert und zu diffus" ist, S. 45. 456 BVerfGE 33, 367, 383; 38, 312, 321. 457 BVerfGE 33, 367, 374; Meyer-Goßner § 53, Rdnr.2 mit weiteren Nachweisen; a.A. Grünwald, Beweisrecht, S. 27, der bei einer solch eindeutigen Gesetzeslage keine verfasssungskonforme Auslegung zulassen will.
160
4. Kap.: Die Hauptpflichten des minderjährigen Zeugen
Zeuge durch eine wahrheitsgemäße Aussage in Lebensgefahr gerät. ,,458 Droht dem Zeugen durch seine Aussage Gefahr für Leib oder Leben, muß eine Ausnahme von der Aussagepflicht gemacht werden. Auf diese Erkenntnisse aufbauend könnte erwogen werden, eine Gefahr, die dem Zeugen "von außen" (also von einer anderen Person) droht, einer Gefahr, die dem Zeugen "von innen" (besser "im Inneren" durch die Vernehmung selbst) droht, gleichzusetzen. 459 Mindetjährigen Zeugen könnte dann ein weiteres Zeugnisverweigerungsrecht zugestanden werden, wenn die Gefahr der Belastung durch die Vernehmung mit der Gefahr gleichzusetzen wäre, die einem klassischen gefährdeten Zeugen droht. 46o Bei Leib- oder Lebensgefahren, die Zeugen beispielsweise in Verfahren wegen Organisierter Kriminalität von Angeklagtenseite drohen, wird diskutiert, ob man ein übergesetzliches Zeugnisverweigerungsrecht direkt aus den Grundrechten (Art. 2 Abs. I und Art. I Abs. I GG) ableiten dart61 oder ob § 55 StPO über seinen Wortlaut hinaus nicht nur vor Strafverfolgung schützen, sondern zudem einen Schutz vor Leibes- und Lebensgefahren bieten sol1. 462 Ferner wird erwogen, in diesem Fall § 34 StGB heranzuziehen. 463 Der Katalog der §§ 52 ff. StPO ist zwar abschließend, doch Krehl hält einen unmittelbaren Rückgriff auf die Verfassung, um übergesetzliches weiteres Zeugnisverweigerungsrecht annehmen zu können, für dennoch legitim. 464 So gebietet seiner Ansicht nach der Schutz des gefährdeten Zeugen im Strafverfahren, diesem ein Zeugnisverweigerungsrecht unmittelbar aus Art. 2 Abs. I und Art. I Abs. I GG zuzubilligen, wenn ihm der Staat keinen ausreichenden Schutz für sein Leben gewährleisten kann. 465 Der Staat ist in diesem Fall nicht berechtigt, Zwangsmaßnahmen nach § 70 StPO gegenüber dem so gefährdeten Zeugen auszusprechen. 466
BGH NStZ 1984, 31. Siehe 4. Kap. C. 1. 4. e) bb). 460 Gunder bezieht bei der Frage von Aussagepflichten von Berufsgeheimnisträgem in die Abwägung von § 34 StGB die Tatsache mit ein, daß das Strafverfahren eine Schädigung für das Wohl des Kindes bedeuten kann, Umgang, S. 120 f. 461 OLG Düsseldorf NStZ 1991, 504, allerdings im Zusammenhang mit Fragen des Auskunftsverweigerungsrechtes. 462 Krey, GedS Karlheinz Meyer, S. 239, 258.ff. 463 Näher hierzu Baier, Zeugnisverweigerungsrechte, S. 194 ff. 464 Krehl GA 1990,555,560 ff. 465 Krehl GA 1990,555,560 ff. 466 BGH NStZ 1989, 31. 458 459
C. Die einzelnen Hauptpflichten und ihre Ausnahmen
161
Der Rückgriff auf die Verfassung ist jedoch nur unter besonders strengen Voraussetzungen zulässig. 467 Die Grundrechte sollten grundsätzlich nicht als zusätzliche Zeugnisverweigerungsrechte instrumentalisiert werden. Gegen die Heranziehung des § 55 StPO spricht sein klarer Wortlaut; der Gesetzgeber wollte eine abschließende Regelung schaffen. Die Anwendung des rechtfertigenden Notstandes gemäß § 34 StGB gründet auf das inzwischen gewohnheitsrechtlich anerkannte Institut des übergesetzlichen Notstandes. 468 Sagt der Zeuge nicht aus, um einer Gefahr für sein Leben oder seinem Leib zu entgehen, könnten nicht nur die Rechtsfolgen des § 70 StPO abgewandt werden,469 sondern es käme ein neues außerhalb der Strafprozeßordnung angesiedeltes Zeugnisverweigerungsrecht zum Tragen. 470 Dies wird explizit bei ernstzunehmenden Morddrohungen oder bei der Gefahr von Geiselnahmen diskutiert. Das Vorliegen einer solchen notstandsähnlichen Lage setzt in Anlehnung an § 34 StGB eine gegenwärtige, nicht anders abwendbare Gefahr für den Zeugen und darauf aufbauend eine Interessenabwägung voraus. 471 Auf den minderjährigen Zeugen übertragen bedeutet dies, daß die psychische Beeinträchtigung durch die Vernehmung konkrete körperliche Folgen für den Zeugen haben müßte. Diese Prämisse ist allerdings schon sehr zweifelhaft: Noch sind die Schäden, die dem minderjährigen Zeugen allein durch seine Aussage in der Hauptverhandlung drohen, eher als vage einzustufen. 472 Steht im Einzelfall jedoch fest, daß dem Zeugen durch die Aussage allein so schwere psychische Folgen drohen, die seine Gesundheit angreifen würden, dann muß es ausnahmsweise möglich sein, § 34 StGB als weiteres Zeugnisverweigerungsrecht heranzuziehen. Die Schwere der drohenden Nachteile und die Wahrscheinlichkeit des Schadenseintritts gilt es im Freibeweisverfahren zu prüfen. Im Ergebnis sind die Zeugenpflichten zu beschränken, wenn die Gesundheit des Zeugen durch eine Aussage nachweislich gefahrdet werden würde. Dankbar ist dies nur in extrem gelagerten Ausnahmefällen. Es wird dann der minderjährige Zeuge zum klassischen gefährdeten Zeugen.
467 BVerfGE 44, 353 entscheidet gegen eine Erweiterung des Beschlagenahmeverbots nach § 97 StPO in Verbindung mit § 53 StPO; vgl. auch BayObLG JR 1980,432 mit Anmerkung Hanack: Zu den seltenen Fällen der Begrenzung des Zeugniszwangs aus Gründen des Schutzes der Intimsphäre. 468 LK-Hirsch § 34, vor Rdn I/Entstehungsgeschichte mit weiteren Nachweisen. 469 BGH NStZ 1984, 31; LR-Dahs § 70, Rdnr. 5; KK-Pelchen § 70, Rdnr. 2; KMRPaulus § 70, Rdnr. 8; Meyer-Goßner § 70, Rdnr. 6; 470 Baier, Zeugnisverweigerungsrechte, S. 196. 471 Zacharias, Gefährdeter Zeuge, S. 141 ff. 472 Siehe 3. Kap. D. IV. 2.
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4. Kap.: Die Hauptpflichten des minderjährigen Zeugen
5. Auskunftsverweigerungsrecht gemäß § 55 StPO
Das Auskunftsverweigerungsrecht gemäß § 55 Abs. 1 StPO, das dem Grundsatz "nemo tenetur se ipsum accusare" entspringt,473 befreit den Zeugen in zwei Fällen von seiner Pflicht zur Aussage: Bei einer Gefahr der Verfolgung wegen einer Straftat oder Ordnungswidrigkeit infolge der wahrheitsgemäßen Aussage für den Zeugen selbst (1. Alt.) oder für seine Angehörigen (2. Alt.). Unter Angehörigen versteht § 55 Abs. 1 StPO die in § 52 Abs. 1 StPO bezeichneten Personen. Anders als § 52 StPO beruht § 55 StPO nicht auf dem Schutz der Beziehungen des Zeugen zu dem Angeklagten, sondern die Vorschrift dient allein dem Schutz des Zeugen und seiner Angehörigen. 474 Das Auskunftsverweigerungsrecht ist vom Grundsatz her beschränkt auf die Beantwortung einzelner verfänglicher Fragen. Der Fragenbegriff ist allerdings weit zu fassen: Darunter zu verstehen sind alle Teile des Beweisthemas, die den Zeugen oder seinen Angehörigen in die gesetzlich beschriebene Gefahr bringen. 475 Im Extremfall kann die gesamte Aussage des Zeugen mit einem strafbaren Verhalten so eng zusammenhängen, daß nichts von seiner Aussage übrig bleibt. § 55 StPO erstarkt zum Vollrecht,476 so daß praktisch ein Fall des § 52 StPO entsteht, niemals aber rechtlich. 477 Die Bedeutung der Vorschrift ist für den Themenbereich dieser Arbeit wesentlich geringer, als die des § 52 StPO; eine kurze Darstellung ist dennoch angezeigt. Zudem werden spezielle Fragen von Minderjährigen im Rahmen des Auskunftsverweigerungsrechtes bisher kaum erörtert. Dies hat sicher mit der geringen praktischen Bedeutung dieser Sachlage zu tun. 478
a) Verhältnis zu § 52 StPO Das Verhältnis von § 55 StPO zu § 52 StPO muß erörtert werden, denn ein Angehörigenverhältnis zum Angeklagten wird gerade bei mindeIjährigen Zeugen oftmals gegeben sein. Ist der Angehörige zugleich Angeklagter in dem Verfahren, kann der Zeuge die Aussage schon nach § 52 StPO verweigern. Somit wird in der Regel die Entscheidung über die Aussagebereitschaft oder 473 Geschichtlicher Überblick bei Orlowsky, Weigenmgsrechte, S. 130 ff.
KK-Senge § 55, Rdnr. I; allerdings ist eine Tendenz der leichten Annäherung von § 52 an § 55 StPO zu beobachten; vgl. BGHSt 38, 96 ff. und Butenuth, Zeugnisverweigerungsrechte, S. 134 ff. Die Rechtskreistheorie bleibt allerdings weiterhin unangetastet. 475 Gommolla, Schutz, S. 2 I I. 476 Gössel, Strafverfahrensrecht, S. 218. 477 KK-Senge § 55, Rdnr. 2. 478 Hierzu auch Orlowsky, Weigerungsrechte, S. 129. 474
c. Die einzelnen Hauptpflichten und ihre Ausnahmen
163
die -verweigerung schon im Rahmen der Ausübung des Zeugnisverweigerungsrechtes fallen. Hat sich der Zeuge grundsätzlich zur Aussage entschlossen, kommt es zu einem sich überschneidenden Anwendungsbereich bei der Vorschriften. Umstritten ist, ob die beiden Rechte selbständig und unabhängig nebeneinander bestehen. 479 Die unterschiedlichen Ansichten wirken sich vor allem bei der Frage nach der richtigen Belehrung aus und nach der Bewertung der Aussageverweigerung des Zeugen etwa für Streitfragen in der Revision. 48o Strittig ist vor allem, ob es im Bereich der Schnittmenge für den Zeugen ein Wahlrecht zwischen den Vorschriften des § 52 StPO und des § 55 StPO gibt. Nach einer Ansicht hat der Zeuge kein Wahlrecht, sondern macht dann stets ausschließlich von § 52 StPO Gebrauch.48I Lehnt man allerdings ein Wahlrecht ab und entscheidet sich dafür, daß § 52 StPO vorgeht, bleibt für eine selbständige Bedeutung des § 55 StPO nur der Fall, daß der Angehörige, zu dessen Vorteil die Aussage verweigert wird, nicht zugleich der Angeklagte ist, in dessen Verfahren der Zeuge vernommen wird. 482 Dies ist insofern nicht schlüssig, als daß vom Grundgedanken her § 52 StPO ein anderes Ziel verfolgt, als § 55 StPO. Nur letztgenannte Vorschrift soll es dem Zeugen ermöglichen, gezielt auf einzelne, verfängliche Fragen nicht antworten zu müssen. Allein § 55 StPO ist beweisthemabezogen. 483 Zwar läßt § 52 StPO grundsätzlich die Möglichkeit noch während der laufenden Vernehmung - einer nur teilweisen Aussageverweigerung zu; doch dieser Teilverzicht ergreift immer ganze Teile der Vernehmung, niemals nur einzelne Fragen. 484 Beide Rechte beruhen auf wesentlich voneinander abweichenden gesetzgeberischen Gründen. 485 Der Vorzug ist daher der Ansicht zu geben, daß es keine Rangordnung zwischen bei den Rechten gibt, sondern § 52 und § 55 StPO gleichberechtigt nebeneinander stehen. Im Ergebnis hat der Zeuge ein Wahlrecht. Er muß allerdings erklären, von welchem seiner Rechte er Gebrauch macht. Nach der hier vertretenen Ansicht muß der Zeuge sowohl nach § 52 Abs. 3 Satz 1 StPO belehrt werden als auch nach § 55 Abs. 2 StPO, denn erst diese umfassende Belehrung macht ihm sein 479 So BGH NStZ 1988, 561, 562; Schlüchter, Strafverfahren, Rdnr. 494.1; Eb. Schmidt, Nachtrag 11, § 55, Rdnr. 11; Orlowsky, Weigerungsrechte, S. 141; KK-Senge § 55, Rdnr. 11; KMR-Paulus § 55, Rdnr. 4; Eisenberg, Beweisrecht, Rdnr. 1114; a.A. LR-Dahs § 55, Rdnr. 3; Meyer-Goßner § 55, Rdnr. I; Geerds, FS Stock, S. 171, 177,
Fn.30. 480 BGH StV 1983, 353. 481 AusfiihrIich hierzu LR-Dahs § 55, Rdnr. 3. 482 RGSt 40, 46; 60, 105; RG LZ 1929, 954; LR-Dahs § 55, Rdnr. 3. 483 KMR-Paulus § 55, Rdnr. 5. 484 Schlüchter, Strafverfahren, Rdnr. 494.1; a.A. LR-Dahs § 52, Rdnr. 34. 485 KK-Senge § 55, Rdnr. 11.
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4. Kap.: Die Hauptpflichten des minderjährigen Zeugen
Wahlrecht zwischen einer vollen oder teilweisen Zeugnisverweigerung auf der einen Seite und der Möglichkeit auf der anderen Seite deutlich, gezielt die Auskunft auf einzelne Frage zu verweigern. 486 Entsprechend ausruhrlieh müssen daher gerade mindetjährige Zeugen belehrt werden, damit ihnen die Bedeutung der beiden unterschiedlichen Verweigerungsmöglichkeiten klar werden kann. Ist der Zeuge ein Angehöriger des Angeklagten, darf er sowohl seinen Verzicht auf das Zeugnisverweigerungsrecht nach § 52 Abs. 3 Satz 2 StPO widerrufen, als auch die Auskunft auf Einzelfragen nach § 55 Abs. 1 StPO verweigern. 487 Beruft sich der Zeuge erst im Laufe seiner Vernehmung auf sein Auskunftsverweigerungsrecht nach § 55 StPO, so sind seine bis zu dieser Erklärung gemachten Angaben selbst dann verwertbar, wenn der Zeuge seine Erklärung auf seine bisherigen Angaben bezogen wissen will. 488 Die Verweigerung der Aussage bewirkt gerade nicht, daß die Benutzung des Beweismittels im ganzen ausgeschlossen sein soll, sondern sie verbietet dem Richter nur, weitere Fragen zu stellen.489 Zweck des § 55 StPO ist die Achtung der Persönlichkeit des Zeugen. Und dieser Zweck gebietet es zwar, dem Zeugen den Konflikt zu ersparen, einen Angehörigen zu belasten. Hat er bereits eine Aussage gemacht, besteht kein Grund, diese dann nicht zu verwerten und als nicht existent zu betrachten. b) Gefahr der Verfolgung Die Gefahr der Verfolgung wegen einer Straftat oder Ordnungswidrigkeit ist eine wesentliche Voraussetzung rur ein Auskunftsverweigerungsrecht nach § 55 StPO; sie muß dem Zeugen selbst oder einem Angehörigen drohen. Sie besteht dann nicht, wenn der Täter bei Begehung der Tat strafunmündig war. Zeugen unter 14 Jahren können sich in eigenen Angelegenheiten regelmäßig nicht auf § 55 StPO berufen. 490 Ist das Kind allerdings Beteiligter der Tat, hat es also einen Tatbeitrag geleistet, darf § 55 StPO jedoch nicht vorschnell abgelehnt werden. Zwar ist das Kind nicht selbst der Gefahr der Strafverfolgung ausgesetzt, doch sein Verhalten könnte geeignet sein, den Verdacht der Schlüchter, Strafverfahren, Rdnr. 494.1. KMR-Paulus § 55, Rdnr. 22. 488 BGH NStZ 1998, 46 mit zustimmender Anmerkung Rengier. Diese Arbeit kam auch im Fall des § 52 StPO zu dem Ergebnis, daß die in der konkreten Vernehmung vor der Ge1tendmachung des Zeugnisverweigerungsrechts gemachten Aussagen verwertet werden dürfen; vg!. LR-Gössel Ein!. Abschn. K, Rdnr. 36 mit weiteren Nachweisen und 4. Kap. C. 11. 4. f). 489 BGH NStZ 1998, 46, 47. 490 LR-Dahs § 55, Rdnr. 14, KK-Pelchen § 55, Rdnr. 4; KMR-Paulus § 55, Rdnr. 10; Eh. Schmidt, Nachtr. 11, § 55, Rdnr. 10. 486 487
C. Die einzelnen Hauptpflichten und ihre Ausnahmen
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gröblichen Aufsichtspflichtverletzung der Eltern gemäß § 171 2. Alt. StOB zu begründen. 491 Es besteht ein Auskunftsverweigerungsrecht des Kindes gemäß § 55 Abs. 1, 2. Alt. StPO. Ferner sieht Eisenberg eine entsprechende Anwendung von § 55 StPO auf Kinder als Zeugen trotz ihrer Strafunmündigkeit gegeben, sofern nach Alter und sonstigen Umständen Belastungen im Rahmen eines späteren Strafverfahrens nicht auszuschließen sind oder die Aussage gegenwärtige erhebliche Konsequenzen nach sich zu ziehen droht. 492 Dieses Argument ist insofern schlagkräftig, als daß es erwiesen ist, daß kinderdelinquentem Vorverhalten bei späteren Strafverfahren eine einstellungserschwerende Bedeutung zukommt. 493 Eisenberg geht noch einen Schritt weiter und will dem Kind keine - seiner Meinung nach - ebenfalls selbstbelastenden Äußerungen (allerdings außerhalb des Anwendungsbereichs des Strafrechts) abverlangen, wenn diese zur Möglichkeit der Trennung des Kindes von seiner Familie führen können (§ 1666 a BOB). Daß eine Heimunterbringung von einem Kind als sehr belastend empfunden werden kann, wird nicht in Frage gestellt. Doch eine Entziehung der Personensorge dient nicht nur - wie Eisenberg argumentiert - formaljuristisch dem Schutz des Kindes. Es kann dann keine selbstbelastende Äußerung angenommen werden, die den Anwendungsbereich des § 55 StPO eröffnet, wenn eine Entscheidung zum Wohle des Kindes getroffen wird. Bei Jugendlichen muß die Strafverfolgung zweifelsfrei ausgeschlossen sein, ehe ein Recht aus § 55 StPO abgelehnt werden kann. Dies ist sie nicht bei bloßem Absehen von der Verfolgung durch den Staatsanwalt gemäß § 45 JOO, da dies nicht den Verbrauch der Strafklage zur Folge hat. 494 Wegen einer Straftat oder Ordnungswidrigkeit wird zudem derjenige Jugendliche verfolgt, dem etwa die Verhängung von Zuchtmitteln nach § 13 JOO oder von Erziehungsrnaßregeln nach § 9 JOO droht. 495 Es kommt jeweils nicht darauf an, welche Ahndung die Tat erwarten läßt.
EisenbergGA2001, 153, 154ff. EisenbergGA2001, 153,157. 493 Battke, FS Geerds, S. 263, 271 ff. verweist auf eine Umfrage unter 193 Jugendstaatsanwälten, wonach 55,33% der Staatsanwälte kinderdelinquentem Vorverhalten eine einstellungserschwerende Bedeutung zumessen. Von 381 befragten Jugendrichtern berücksichtigten sogar 65,28% der Richter kinderdelinquentes Verhalten bei der Entscheidung über die Einstellung des Verfahrens. 494 BGHSt 10, 104. 495 LR-Dahs § 55, Rdnr. 5; BGHSt 9, 34 verlangte für den § 55 StPO alter Fassung noch mindestens Jugendarrest. 491
492
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4. Kap.: Die Hauptpflichten des mindeIjährigen Zeugen
c) Verstandesunreife Zeugen
Fraglich ist, ob verstandesunreife Zeugen allein entscheiden, ob sie sich durch die Aussage belasten wollen. Das Aussageverweigerungsrecht ist ein höchstpersönliches Recht und anders als in § 52 StPO sieht der Gesetzgeber keine besondere Regelung rur den verstandesunreifen Zeugen vor. Nach strittiger Ansicht wird § 52 Abs. 2 StPO jedoch rur den Bereich des § 55 StPO entsprechend angewendet, wenn Angehörige belastet werden. 496 Der minderjährige Zeuge, der wegen seiner mangelnden Verstandesreife oder seiner Verstandesschwäche von der Bedeutung des Auskunftsverweigerungsrechtes keine genügende Vorstellung hat, darf in dieser Konsequenz nur vernommen werden, wenn er zur Aussage bereit und gleichzeitig sein gesetzlicher Vertreter der Beantwortung der verfänglichen Fragen zustimmt. Dies gilt über den Anwendungsbereich rur § 52 StPO hinaus auch dann, wenn der betreffende Angehörige nicht gleichzeitig der Angeklagte ist. Eine Entscheidung über eine Selbstbelastung trifft nach Ansicht der h.M. dagegen der verstandesunreife Zeuge alleine. 497 Die Gegenmeinung will eine mögliche Auskunftsbereitschaft im Falle der Selbstbezichtigung - bei gleichzeitigem Verzicht auf das Auskunftsverweigerungsrecht - erneut entsprechend § 52 Abs. 2 StPO behandeln. Die Zustimmung des gesetzlichen Vertreters wäre demnach einzuholen, bevor sich der Zeuge selbst belasten kann. Orlowsky argumentiert beim einsichtsfähigen (im Unterschied zum verstandesunreifen) Minderjährigen gegen eine solche Analogie, daß eine Selbstbezichtigung des minderjährigen Zeugen zu seinem erzieherischen Wohl geradezu erwünscht sei (vergleichbar mit dem jugendlichen Angeklagten) und man daher diesen Entschluß des Minderjährigen nicht unter den Vorbehalt einer Zustimmung des gesetzlichen Vertreters stellen dürfe. 498 Ist der minderjährige Zeuge dagegen verstandesunreif - er hat also von der Bedeutung des Weigerungsrechtes keine genügende Vorstellung - kommt Orlowsky zu dem Ergebnis, daß in diesem Fall das Fragerecht des Richters erlischt und insoweit ein Beweisverbot zum Entstehen kommt. 499 Für dennoch erfolgte Aussagen würde ein Verwertungsverbot gelten. 500 Anders entscheidet die wohl h.M., die auch verstandesunreifen Zeugen alleine die Entscheidung überlassen will, ob sie sich durch die Aussage be496 Sehr knappe Kommentierung überhaupt nur bei LR-Dahs § 55, Rdnr. 16; KKSenge § 55, Rdnr. 12; Meyer-Goßner § 55, Rdnr. 11. 497 Meyer-Goßner § 55, Rdnr. 11. 498 Orlowsky, Weigerungsrechte, S. 140. 499 Orlowsky, Weigerungsrechte, S. 144. 500 Orlowsky, Weigerungsrechte, S. 144.
c. Die einzelnen Hauptpflichten und ihre Ausnahmen
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lasten. 501 Zur Unterstützung steht dem verstandesunreifen Zeugen dann lediglich ein Rechtsanwalt als Zeugenbeistand zur Seite, soweit er sich dessen Hilfe überhaupt bedient hat. 502 Dies erscheint fragwürdig: Zweck der Auskunftsverweigerungsrechte ist es doch gerade, den Zeugen nicht zu selbstbelastenden Aussagen zu zwingen. Kann der verstandesschwache Zeuge die Bedeutung dieses Rechtes erst gar nicht verstehen, kann er keineswegs sich selbst überlassen werden - selbst wenn in den meisten Fällen, die praktische Konsequenz gering sein wird, denn der Zeuge wird zumeist noch strafunmündig sein. § 55 StPO bietet in seiner jetzigen Fassung keine sachgerechte Lösung: Besser ist es, erneut die Grundsätze des § 52 Abs. 2 StPO heranzuziehen, auch wenn der Minderjährige durch eine Selbstbezichtigung nicht den Familienverband belastet, der bei § 52 StPO im Mittelpunkt steht. Fürsorgegründe gegenüber dem Minderjährigen gebieten eine entsprechende Lösung.
d) Belehrung Die Belehrungspflicht entsteht, sobald eine Verfolgungsgefahr als möglich erscheint; zulässig ist eine Belehrung jedoch jederzeit. Der Zeuge muß gemäß § 55 Abs. 2 StPO über sein Recht zur Verweigerung der Auskunft belehrt werden; Abs. 2 schreibt dies zwingend vor. 503 Anders als die Belehrung nach § 52 StPO ist die Belehrungspflicht nach § 55 StPO nicht schon vor der Vernehmung zur Sache geboten, sondern erst, wenn dem Gericht Anhaltspunkte rur das Vorliegen der Voraussetzungen erkennbar werden. Dies gilt selbst rur den Fall, daß eine Belehrung schon nach § 52 Abs. 3 Satz I StPO erfolgt ist. Vielmehr muß der Zeuge, wie dargestellt, über beide Rechte ausdrücklich belehrt werden;504 insbesondere kann wegen der Gegensätzlichkeit der Verweigerungsrechte eine Belehrung nicht die andere ersetzen. Die Pflicht zur Belehrung entfallt nach erneut strittiger Ansicht auch in dem Fall nicht, daß der angeklagte Angehörige über das Verfahren hinaus verfolgungsgefahrdet ist und der Zeuge bereits nach § 52 Abs. 3 Satz I StPO belehrt
501 LR-Dahs § 55, Rdnr. 16; KK-Senge § 55, Rdnr. 12; Meyer-Goßner § 55, Rdnr. 11. 502 Grundsätzlich zum Zeugenbeistand BVerfGE 38, 105; übersichtlich auch LRDahs Vor § 48, Rdnr. 10 ff. und Lüdeke, Zeugenbeistand, wonach gerade in Verfahren mit sexuellem Hintergrund Kinder als Zeugen besonders beistandsbedürtig sind, S. 82 ff. 503 BayObLG NJW 1984, 1246 mit ablehnender Anmerkung Koffka JR 1968, 30, der in § 55 Abs. 2 StPO lediglich eine Sollvorschrift sieht. 504 LR-Dahs § 55, Rdnr. 24.
168
4. Kap.: Die Hauptpflichten des minderjährigen Zeugen
wurde. 505 Hier zu vertreten, daß die Belehrung nach § 52 Abs. 3 Satz I StPO genügen würde, wäre inkonsequent und wird dem unterschiedlichen Bedeutungsgehalt beider Rechte nicht gerecht. Erlaubt ist dagegen, daß bei gleichzeitigem Bestehen der Rechte aus § 52 StPO und § 55 StPO das Gericht die Belehrung zunächst auf § 52 StPO beschränkt und die weitere Belehrung nach § 55 StPO bis zur Entschließung des Zeugen über die Ausübung seines Zeugnisverweigerungsrechtes zurückstellt; endgültig unterbleiben darf sie jedoch nicht. Dies erklärt sich damit, daß jede Einwirkung auf die Entschließungsfreiheit des Zeugen bezüglich der Ausübung seines Zeugnisverweigerungsrechtes von seiten des Gerichts zu unterbleiben hat. Der Zeuge soll nach freiem Ermessen zuerst darüber entscheiden, ob er von seinem umfassenderen Recht nach § 52 StPO Gebrauch machen will. Der Normalfall ist dagegen der, einen bereits zur Zeugnisverweigerung entschlossenen Zeugen gerade unter dem Gesichtspunkt der Aufklärungspflicht vor seiner endgültigen Entscheidung über das für ihn zusätzlich in Frage kommende Auskunftsverweigerungsrecht nach § 55 StPO zu informieren und ihm so zu ermöglichen, "auf der Grundlage dieser Tatsache [... ] (seine) Bereitschaft zur Aussage nochmals zu überdenken.,,506
6. Die Durchsetzung der Aussagepflicht
Verweigert der Zeuge die Aussage ohne gesetzlichen Grund, so kann dies Maßnahmen nach § 70 StPO zur Folge haben. Diese Maßnahmen dienen nur dazu, daß der Zeuge überhaupt eine Aussage macht. Für die Erzwingung einer wahren Aussage darf die Vorschrift dagegen nicht herangezogen werden. 507 Eine Pflichtverletzung liegt schon vor, wenn einzelne Fragen unbeantwortet bleiben, ohne daß sich der Zeuge auf ein Recht zur Auskunftsverweigerung berufen darf. Gesetzliche Gründe zur Verweigerung der Aussage ergeben sich in erster Linie aus den §§ 52 bis 55 StPO. Daneben können nach h.M. Verstöße gegen § 169 Satz 2 GVG, also unzulässige Tonband- oder Filmaufnahmen von der Zeugenaussage, zur berechtigten Weigerung führen 508 und es kommt - wie dar-
505 KMR-Paulus § 55, Rdnr. 15; Schlüchter, Strafverfahren, Rdnr. 494.1; Eisenberg, Beweisrecht, Rdnr. 1123; a.A. LR-Dahs § 55, Rdnr. 24; KK-Senge § 55, Rdnr. 18; Meyer-Goßner § 55, Rdnr. 14; Pfeiffer § 55, Rdnr. 3, die sich teilweise aufBGH NStZ 1983, 354 berufen. Diese Entscheidung besagt aber nur, daß die Revision nicht darauf gestützt werden kann, daß der Zeuge nicht über sein Auskunftsverweigerungsrecht gemäß § 55 StPO belehrt worden ist, denn die Vorschrift dient nicht dem Schutz des Angeklagten. 506 BGH NStZ 1988,561,562 507 RGSt 73, 31; BGHSt 9, 362. 508 LR-Dahs § 70, Rdnr. 5; KK-Senge § 70, Rdnr. 2; Meyer-Goßner § 70, Rdnr. 6; AK-Lemke § 70, 3; Eisenberg, Beweisrecht, Rdnr. 1099.
C. Die einzelnen Hauptpflichten und ihre Ausnahmen
169
gestellt - in extrem gelagerten Ausnahmefällen ein übergesetzliches Zeugnisverweigerungsrecht in Betracht. 509 Die Vorschrift des § 70 StPO ergänzt § 51 StPO für den Fall, daß der Zeuge zwar seiner Erscheinenspflicht, nicht aber seiner Aussagepflicht nachkommt. Beide Regelungen stehen selbständig und unabhängig nebeneinander; insbesondere erfolgt keine Anrechnung von bereits nach § 51 StPO verhängten Maßnahmen im Rahmen des § 70 StPO. Die Regelung des § 70 Abs. I StPO erlaubt die Ahndung des Zeugenungehorsams durch die Festsetzung eines Ordnungsgeldes (ersatzweise durch Ordnungshaft). Zudem kann gemäß § 70 Abs. 2 StPO die Aussage durch die sogenannte Beugehaft erzwungen werden. Die Ordnungsmittel des § 70 StPO dürfen aber nur verhängt werden, wenn der Zeuge - sofern Verweigerungsrechte in Betracht kommen - zuvor über sein Zeugnisverweigerungs- bzw. Auskunftsverweigerungsrecht belehrt worden ist. 5 IO Erneut muß bei der Verhängung von Zwangsmitteln gegenüber minderjährigen Zeugen zwischen repressiven und präventiven Maßnahmen unterschieden werden. 511 Repressive Unrechts/algen sind die Auferlegung der Kosten und die Festsetzung von Ordnungsmitteln. Diese Sanktionsmittel dürfen nach der ganz h.M. nur gegenüber schuldfähigen Zeugen verhängt werden. Ersatzweise dürfen auch nicht die Eltern mit einem Zwangsmittel belegt werden; sie sind gerade keine Zeugen. 512 Verweigert ein Kind unter 14 Jahren die Aussage, so darf es nicht mit den Ungehorsamsfolgen nach § 70 Abs. I StPO belegt werden, denn es ist nicht schuldfähig und hat somit nicht schuldhaft gegen seine Zeugenpflicht verstoßen. Für jugendliche Zeugen gelten die für § 51 StPO im Rahmen der Durchsetzung der Erscheinenspflicht getroffenen Aussagen. 5I3 Es entscheidet in Anlehnung an § 3 JGG der individuelle Reifegrad über die Zulässigkeit der repressiven Ungehorsamsfolgen. 514 Dies bedeutet, daß gegenüber 14jährigen Jugendlichen unter Umständen Zwangsmittel angewandt werden dürfen. Die Beugehaft ist, vergleichbar der zwangsweisen Vorführung, gerade keine Sanktion im Gegensatz zur repressiven Auferlegung der Kosten und der Verhängung eines Ordnungsgeldes bzw. von Ordnungshaft, da es nicht um die
Ausführlich hierzu Eisenberg, Beweisrecht, Rdm. 1099 ff. OLG DüsseldorfNStZ-RR 1996,169. 511 Vgl. auch die Ausführungen zur Durchsetzung der Erscheinenspflicht, 4. Kap. C. I. 4. b). 512 Eisenberg, Beweisrecht, Rdm. 1099. 513 4. Kap. C. I. 4. c). 514 LR-Dahs § 51, Rdm. 2; KK-Senge § 51, Rdm. 22; Meyer-Goßner § 51, Rdm. 15. 509
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4. Kap.: Die Hauptpflichten des minderjährigen Zeugen
Ahndung eines Rechtsverstoßes geht. 515 Sie dient vielmehr dazu, den Ungehorsam des Zeugen zu brechen und ihn zur Aussage zu bewegen. Die Schuldfähigkeit des Adressaten wäre strenggenommen nicht Voraussetzung. Richtigerweise muß mit Dahs argumentiert werden, daß das Einsperren von Kindern durch unsere Rechtsordnung auch sonst nirgends vorgesehen ist. 516 Daher scheidet Beugehaft für Kinder von vornherein aus. Zudem liegt die Verhängung einer Beugehaft im Ermessen des Gerichts, laut Gesetzeswortlaut "kann" sie angeordnet werden. Auch die Anordnung einer Erzwingungshaft gegenüber jugendlichen Zeugen hat folglich unter einem großen Fragezeichen zu stehen. Sie darf nur ergehen, wenn sie nach den Umständen des Falls unerläßlich ist und der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz gewahrt wird. 517 Es wird hier darauf verzichtet, die Beugehaft für Zeugen unter 18 Jahren grundsätzlich für unzulässig zu halten, doch denkbar erscheint sie nur in wirklich extrem gelagerten Einzelfallkonstellationen. III. Die Eidespflicht 1. Bedeutung und Zweck des Eides
Die Bestimmung des § 59 StPO baut auf dem Grundsatz auf, daß im Strafprozeß grundsätzlich jeder Zeuge zu vereidigen ist, es sei denn, es greift eine der gesetzlichen Ausnahmen. 518 Der Hauptzweck des Eides ist der der Wahrheitserforschung, da er als Instrument der Wahrheits bekräftigung und als Kriterium für die Glaubwürdigkeit eines Zeugen dienen soll. 519 Dem Eideszwang liegt die Annahme zugrunde, der Eid stärke aus sittlich-ethischen bzw. religiösen Gründen oder auch wegen der Abschreckungswirkung des § 154 StGB das Verantwortungsbewußtsein des Zeugen sowie dessen Willen und Fähigkeit zu einer wahrheitsgemäßen Aussage. Der Zeuge hat in § 66 c StPO die Wahlmöglichkeit zwischen dem Eid mit (Abs. 1) und ohne religiöse Beteuerung (Abs.2). Wer aus Glaubens- oder Gewissensgründen keinen Eid leisten will, hat die Wahrheit seiner Aussage nach § 66 d StPO zu bekräftigen. 520
Andere Ansicht Kipper, Schutz, S. 83. LR-Dahs § 70, Rdnr. 4. 517 Eisenberg, Beweisrecht, Rdnr. 1105 a. 518 Geschichtlicher Überblick bei Haller, Eid, S. 20ff. 519 BGHSt 1, 362; Eisenberg, Beweisrecht, Rdnr. 1133 mit weiteren Nachweisen. 520 Die Vorschrift beruht auf der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts, daß auch der weltliche Eid ohne religiöse Beteuerung aus religiösen Gründen abgelehnt werden kann; BVerfGE 33, 23. Gössel, Strafverfahrensrecht, kritisiert, daß die kompli515
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C. Die einzelnen Hauptpflichten und ihre Ausnahmen
171
Es gibt kein Zahlenmaterial dazu, welcher Prozentsatz der Zeugen in der Praxis tatsächlich vereidigt wird. Die Behauptung, daß mehr Zeugen im Strafverfahren unvereidigt bleiben als vereidigt werden, ist noch eher vorsichtig. Der Eid als Regelfall ist durch § 61 Nr. 5 StPO, der die Nichtvereidigung bei allseitigem Verzicht zuläßt, längst zum Ausnahmefall geworden. Der theoretische Grundsatz des Eideszwangs ist aus dem Rechtsalltag verschwunden. Dies ist insofern nicht bedauernswert, als daß die Geeignetheit des Eides dafür, den Wahrheitsgehalt einer Aussage zu fördern, zweifelhaft ist. 521 Haller befragte in einer entsprechenden Studie Praktiker (Richter, Staatsanwälte und Rechtsanwälte) und kam zu dem allerdings nicht repräsentativen Ergebnis (bei einem Rücklauf von nur 102 verschickten Fragebögen), daß immerhin 36% der Befragten die Korrektur einer Zeugenaussage im Hinblick auf eine bevorstehende Vereidigung erlebt haben. 522 Dieses Ergebnis kann dennoch nur als Beleg dafür dienen, daß die Eidespflicht nicht gänzlich ungeeignet ist. Dennoch mehren sich die Stimmen für eine Abschaffung des Eides oder zumindest der Regelvereidigung. 523 Grund der Kritik sind sowohl die berechtigten Zweifel an der Tauglichkeit des Eideszwecks als auch rechtspolitische Erwägungen. So hält es beispielsweise Roxin für "problematisch, wenn ein säkularisierter Staat zur Durchsetzung seiner profanen Interessen auf religiösen Gewissenszwang zurückgreift.,,524 Wassermann bezeichnet den Eid als "bedingte Selbstverfluchung", die in einem Staat, dem das Grundgesetz weltanschaulichreligiöse Neutralität auferlegt, unzulässig sein sollte. 525 Nach Art. 2 Nr. 5 des Entwurfs eines zweiten Gesetzes zur Entlastung der Rechtspflege, der nicht umgesetzt wurde, sollte § 59 StPO zur Ermessensvorschrift ("Zeugen können nach dem Ermessen des Gerichts wegen der Bedeutung der Aussage oder zur Herbeiführung einer wahren Aussage vereidigt werden.") umformuliert werden; § 61 StPO wäre dann gleichzeitig aufgehoben worden. 526
zierte Regelung in § 66 c ff. StPO wohl "so manchen Richter von - an sich gebotener Beeidigung abgehalten hat", S. 219. 52\ Grünwald, FS RudolfSchmitt, S. 311,319 ff. 522 Haller, Eid, S. 93. 523 Dahs, FS Rebmann, S. 161, 179, hält den Eid für nicht mehr zeitgemäß und äußert den Wunsch: "Seine Tage sind hoffentlich gezählt!" LR-Dahs § 59, Rdnr. I zweifelt ebenfalls, ob der Eid noch ein wirksames Instrument zur Wahrheitsermittlung darstellt; ebenso plädiert SK-Rogall Vor § 48, Rdnr. 130 für die Abschaffung des Eides; vgl. auch Eisenberg, Beweisrecht, Rdnr. 1133 mit weiteren Nachweisen. 524 Roxin, Strafverfahrensrecht, § 26, Rdnr. 33. 525 AK-Wassermann Vor § 59, Rdnr. I. 526 Vgl. den Gesetzentwurf der damaligen Bundesregierung, BT-DruckS. 13 /4541, S.4.
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4. Kap.: Die Hauptpflichten des mindeIjährigen Zeugen
2. Absolute Vereidigungsverbote
Hier ist vor allem das zwingende Vereidigungsverbot nach § 60 Nr. 1,1. Alt. StPO wichtig, das an das Lebensalter des Zeugen anknüpft und diesem aufgrund seines jugendlichen Alters eine unzureichende Vorstellung von der Bedeutung des Eides per Gesetz unterstellt. Am Rande kann zudem noch das Vereidigungsverbot gemäß § 60 Nr. 1, 2. Alt. StPO, das wegen der geringen geistigen Fähigkeiten des Zeugen diesen vom Eideszwang ausnimmt, von Bedeutung sein. Nicht näher behandelt wird dagegen § 60 Nr. 2 StPO, der tat- oder teilnahmeverdächtige Zeugen vom Regelfall der Vereidigung ausnimmt, denn diese Konstellation ist für den Bereich minderjähriger Zeugen zwar denkbar, aber nicht typisch. a) Eidesunmündige Zeugen (§ 60 Nr. 1, 1. Alt. StPO)
Kinder und Jugendliche sind de lege Iata eidesunmündig bis zum Beginn des Tages, an dem sie 16 Jahre alt werden (§ 60 Nr. 1, 1. Alt. StPO). In nicht nachvollziehbarer Weise falsch ist insofern die Kommentierung von Paulus, wonach die Eidesmündigkeit erst mit Beginn des 17. Geburtstages eintritt. 527 Das Gesetz stellt klar, daß die Vollendung des 16. Lebensjahres ausschlaggebend sein soll, dies ist schon mit dem 16. Geburtstag der Fall. Das Lebensalter wird nach § 187 Abs. 2 BGB berechnet. Maßgeblicher Zeitpunkt ist der Tag, an dem der Zeuge vernommen wird und nicht der Zeitpunkt seiner Wahrnehmung, über die er berichten soll. Sofern der Tag der Vernehmung und der Tag der Eidesleistung auseinanderfallen, ist letzterer ausschlaggebend. 528 Feststellungen darüber, ob der Zeuge eidesunmündig ist, werden im Freibeweisverfahren getroffen. 529 Das Gesetz geht davon aus, daß jüngeren Zeugen die nötige Reife fehlt, die Bedeutung des Eides so zu erfassen, daß der Beweiswert ihrer Aussage gestärkt werden kann. 53o Nach wohl allgemeiner Ansicht ist an dieser Altersgrenze festzuhalten, selbst wenn sich der Entwicklungsstand eines fast 16jährigen Jugendlichen heute erhöht haben sollte. 531 Das absolute Vereidigungsverbot kann den Zeugen - sofern er strafmündig ist - ferner davor bewahren, einen Meineid zu begehen. Zudem soll es für denjenigen, der den Zeugen vernimmt, eine Mah-
KMR-Paulus § 60, Rdnr. 4. KK-Senge § 60, Rdnr. 4. 529 RGSt 56, 102; LR-Dahs § 60, Rdnr. 3 mit weiteren Nachweisen. 530 RGSt 6, 156; 70,22; LR-Dahs § 60, Rdnr. 3. 531 AK-Wassermannn § 60, Rdnr. 5. 527 528
C. Die einzelnen Hauptpflichten und ihre Ausnahmen
173
nung sein, den Beweiswert der Aussage besonders gründlich zu überprüfen. 532 Im übrigen werden die Grundsätze der Beweiswürdigung durch § 60 StPO nicht eingeschränkt. Dies bedeutet, daß der Tatrichter dem wegen eines absoluten Vereidigungsverbotes unvereidigt gebliebenen Zeugen uneingeschränkt glauben kann. S33 Wird der Zeuge im Laufe der Hauptverhandlung nach Schluß der Beweisaufnahme, aber vor der Verkündung des Urteils 16 Jahre alt, also eidesmündig, so ist seine Vereidigung nach strittiger Ansicht nicht nachzuholen, denn der Beweiswert der Aussage wird davon nicht mehr berührt. 534 Wird der Zeuge noch vor Schluß der Beweisaufnahme 16 Jahre alt, so muß seine Vereidigung nachgeholt werden, sofern dies möglich ist. 535 Im übrigen kann im Bereich der Wiederaufnahme nicht schon allein deshalb von einem neuen Beweismittel im Sinne von § 359 Nr. 5 StPO ausgegangen werden, wenn der Zeuge zwischenzeitlich eidesmündig geworden. 536
b) Eidesunfähige Zeugen (§ 60 Nr. 1,2. Alt. StPO)
Wer wegen mangelnder Verstandesreife oder wegen Verstandesschwäche vom Wesen und der Bedeutung des Eides keine genügende Vorstellung hat, darf nicht vereidigt werden. Von einer solchen ungenügenden Vorstellung kann ausgegangen werden, wenn der Zeuge nicht weiß, was Schwören bedeutet, wenn er nicht erkennt, daß der Eid den Beweiswert seiner Aussage erhöhen soll oder, wenn er die Belehrung des Gerichts nicht versteht. Der Gesetzeswortlaut zur Eidesunfähigkeit gemäß § 60 Nr. I, 2. Alt StPO ist abschließend. Aus anderen als den im Gesetz genannten Gründen, die ebenfalls eine mangelnde Vorstellung vom Wesen des Eides bewirken können, darf eine Vereidigung nicht unterbleiben. Nur eine psychische Krankheit oder eine geistige bzw. seelische Behinderung, die eine mangelnde Vorstellung vom Wesen des Eides zur Folge haben, schließen die Vereidigung aus, nicht aber beispielsweise Unwissenheit, Unglauben oder Gedächtnisschwäche. 537 Es muß ein echter intellektueller Mangel vorliegen, damit Eidesunfähigkeit angenommen
BGH 17, 128,134; KK-Senge § 60, Rdnr. 1. BGH NJW 1957,431. KK-Senge § 60, Rdnr. 4. 534 KK-Senge § 60, Rdnr. 4; Meyer-Goßner § 60, Rdnr. 2; HK-Lemke § 60, Rdnr. 5; AK-Wassermann § 60, Rdnr. 6; a.A. LR-Dahs § 60, Rdnr. 4. 535 KK-Senge § 60, Rdnr. 2. 536 LR-Gössel § 359, Rdnr. 111 mit weiteren Nachweisen; a.A. Wasserburg, Wiederaufnahme, S. 315 ff. und unter Umständen Peters, Fehlerquellen 3, S. 78. 537 BGHSt 22,266; Eisenberg, Beweisrecht, Rdnr. 1155 mit weiteren Nachweisen. 532 533
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4. Kap.: Die Hauptpflichten des minderjährigen Zeugen
werden kann. 538 Allerdings gibt es wohl eine leichte Tendenz dahingehend, auch andere als intellektuelle Mängel zu berücksichtigen, denn "das bloße Abstellen auf die intellektuelle Seite in Gesetz und Rechtsprechung wird [... ] dem Wesen des Eides als einer sittlichen Leistung" nicht gerecht. 539 Ungenügende Vorstellungen allein reichen ebenfalls nicht aus; sie müssen vielmehr kausal auf die mangelnde Verstandesreife oder -schwäche zurückzufiihren sein. Ob der Zeuge wegen fehlender Verstandesreife oder wegen Verstandesschwäche eidesunfähig ist, muß der Tatrichter prüfen und nach pflichtgemäßem Ennessen entscheiden. 540 In Grenzfällen ist im Falle der Eidesunmündigkeit und Eidesunfähigkeit nach Nr. I immer von der Vereidigung abzusehen, anders als bei der Beteiligung nach § 60 Nr. 2 StPO: hier ist im Zweifel zu vereidigen. 541 Die unterschiedliche Behandlung der Fallgruppen findet ihre Rechtfertigung darin, daß der Beweiswert der Aussage eines Zeugen, dessen Vorstellung vom Wesen und der Bedeutung des Eides auch nur möglicherweise von mangelnder Verstandesreife oder Verstandesschwäche beeinträchtigt ist, nicht größer ist, als wenn diese Einschränkung feststeht. Mit Eiden, die die Glaubwürdigkeit des Zeugen nicht verstärken, ist dem Gericht nicht gedient. Dagegen ist die bloße Möglichkeit einer Tatbeteiligung nicht schon geeignet, Zweifel am Beweiswert einer Zeugenaussage zu rechtfertigen. 542
3. Absehen von Vereidigung
Zweck der einzelnen Absehensfälle des § 61 StPO sollte es ursprünglich sein, der Fülle der Eide und damit deren Entwertung entgegenzuwirken. Diese Notwendigkeit sah man aufgrund der inzwischen allerdings nur mehr theoretischen Vereidigungspflicht des § 59 StPO. Für diese Arbeit interessant sind lediglich § 61 Nr. 1 StPO und § 61 Nr.2 StPO. Die Masse der Fälle des Absehens von Vereidigung wird sich in der Praxis wie dargestellt allerdings auf § 61 Nr. 5 StPO - Verzicht der Vereidigung - stützen.
LR-Dahs § 60, Rdnr. 8. So kritisiert Peters, Strafprozeß, S. 356, ein Urteil des Reichsgerichts, in dem die Vereidigung eines Geisteskranken, der eine richtige Vorstellung vom Eid hatte, rur zulässig gehalten wurde; RGSt 33, 393. Vgl. auch Eisenberg, Beweisrecht, Rdnr. 1155. 540 BGH NJW 1969,61. 541 Vgl. HK-Lemke § 60, Rdnr. 2; a.A. RGSt 47,297; KK-Senge § 60, Rdnr. 3. 542 Argument von HK-Lemke § 60, Rdnr. 2. 538
539
C. Die einzelnen Hauptpflichten und ihre Ausnahmen
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a) Zeugen ab 16 Jahren Gemäß § 61 Nr. 1 StPO gelten Jugendliche zwischen 16 und 18 Jahren als bedingt eidesmündig. Dies bedeutet, daß von der Vereidigung dieser Zeugen nach dem Ermessen des Gerichts abgesehen werden kann. Hierzu ist eine Gesamtbetrachtung der Persönlichkeit des Jugendlichen in geistiger und sittlicher Hinsicht erforderlich. 543 Die Prämisse lautet zwar erneut, daß sich das Gericht vom Grundsatz leiten lassen soll, daß die Vereidigung jedes Zeugen die Regel bildet. In der Praxis bleibt diese Zeugengruppe regelmäßig unvereidigt. Bei verbleibenden Zweifeln an der Eidesreife des Minderjährigen steht der Zeuge in seiner Entwicklung gar einem Jugendlichen unter 16 Jahren gleich, so daß von seiner Vereidigung abgesehen werden darf. 544 Die Unglaubwürdigkeit der Aussage des minderjährigen Zeugen kann ein Indiz für mangelnde sittliche oder geistige Reife sein;545 dies hat das Gericht erneut im pflichtgemäßen Ermessen zu entscheiden. Allerdings zwingt selbst die erkennbare Unglaubwürdigkeit einer Aussage nicht zur Nichtvereidigung des Zeugen. 546
b) Verletzte und Angehörige
§ 61 Nr.2 StPO trägt dem Umstand Rechnung, daß mutmaßlich Verletzte und Angehörige des Verletzten bzw. des Angeklagten als Zeugen erfahrungsgemäß Anlaß zur Sorge geben, nicht unvoreingenommen aussagen zu können. Für minderjährige Zeugen treten in diesem Zusammenhang keine Besonderheiten auf. Angehörige sind die in § 52 Abs. 1 StPO bezeichneten Personen.
4. Recht zur Verweigerung des Eides gemäß § 63 StPO
Angehörige des Angeklagten im Sinne des § 52 Abs. 1 StPO können den Eid nach § 63 StPO verweigern. Die Belehrung über dieses Eidesverweigerungsrecht ist eigenständig zu erteilen; insbesondere ist sie nicht in § 52 Abs. 3 Satz 1 StPO enthalten.
Eisenberg, Beweisrecht, Rdnr. 1176, Fn. 58. LR-Dahs § 61, Rdnr. 3. 545 BGHSt 3, 231. 546 Eisenberg, Beweisrecht, Rdnr. 1177. 543
544
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4. Kap.: Die Hauptpflichten des mindeIjährigen Zeugen 5. Die Durchsetzung der Eidespflicht
Bei nicht berechtigter Eidesverweigerung gilt der Maßnahmenkatalog des § 70 StPO. Die Eidesleistung wird dann ungesetzlich verweigert, wenn § 60 StPO nicht die Vereidigung verbietet oder § 63 StPO kein Weigerungsrecht gewährt. Im Gegensatz zum Wortlaut der Vorschrift darf nach ganz h.M. die Erzwingungshaft bei Verweigerung der Eidesleistung angeordnet werden, da die Verweigerung der Eidesleistung der Verweigerung des Zeugnisses gleich steht. Der sachliche Zusammenhang ist gewährleistet. Die Tatsache, daß in § 70 StPO nur von dem Zeugnis und nicht auch von dem Eid die Rede ist, beruht wohl auf einem Fassungsversehen. 547
547 LR-Dahs § 70, Rdnr. 9; KK-Senge § 70, Rdnr. 5; Meyer-Goßner § 70, Rdnr. 12; a. A. wohl nur Mertens, Grundrechtseingriffe, S. 34 ff. Es kann daher auf die Ausfiihrungen zu § 70 StPO im Rahmen der Aussagepflicht verwiesen werden, 4. Kap. C 11. 6.
Fünftes Kapitel
Die Nebenpflichten des minderjährigen Zeugen A. Einführung Neben den Hauptpflichten treffen den mindeIjährigen Zeugen diverse Nebenpflichten.' Für die Katalogisierung der Nebenpflichten empfiehlt sich eine von vornherein vorsichtige Würdigung, denn es kann sich nur dann um eine echte Nebenpflicht handeln, wenn diese Pflicht in einer stratprozessualen Norm selbständig vertypt ist. 2 Demnach wäre eine weitere Unterscheidung in echte und unechte Nebenpflichten geboten, auf die es im Rahmen dieser Arbeit allerdings nicht ankommt. Ist eine Pflicht nur gleichfalls Nebenprodukt einer Hauptpflicht, darf strenggenommen nicht von einer echten Nebenpflicht des Zeugen ausgegangen werden. Die schon angesprochene Wahrheits- bzw. Vollständigkeitspflicht ist demzufolge nur eine unechte Nebenpflicht, denn es mangelt ihr an der selbständigen Normierung. 3 Sie korrespondiert vielmehr mit der Aussagepflicht des Zeugen, denn diese Hauptpflicht macht nur Sinn, wenn dem Zeugen gleichzeitig eine Pflicht zur wahrheitsgemäßen Aussage auferlegt wird. Desweiteren muß eine echte Nebenpflicht des Zeugen auf dem speziellen Charakter der Zeugenrolle beruhen. Unechte Nebenpflichten haben nichts mit der besonderen Situation des Zeugen als Beweismittel zu tun, sondern können jede Person, die vor Gericht auftritt, unabhängig von ihrer Funktion treffen. Nur die echten Nebenpflichten prägen die Verfahrensposition des Zeugen. Zwar trifft auch den Zeugen beispielsweise die Pflicht zu einem angemessenen Verhalten vor Gericht. Er muß etwa den sitzungspolizeilichen Anordnungen des Gerichts Folge leisten. Doch der Ordnungsgewalt des Gerichts unterliegt jeder im Gerichtssaal Anwesende, wie zum Beispiel ein Zuhörer. Die sogenannte Wohlverhaltenspflicht ist somit keine explizite Nebenpflicht des Zeu-
'Zu den Nebenpflichten vgl. LR-Dahs Vor § 48, Rdnr.7; Meyer-Goßner Vor § 48, Rdnr. 6.; Eisenberg, Beweisrecht, Rdnr. 1217 ff; KK-Senge Vor § 48, Rdnr. 4; HK-Lemke Vor §§ 48 ff., Rdnr. 7; Pfeiffer Vor §§ 48-71, Rdnr. 1. Aufschlußreich auch Hauser, Zeugenbeweis, S. 117 ff. 2 SK-RogaliVor § 48, Rdnr. 131. 3 Siehe hierzu 4. Kap. B.
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5. Kap.: Die Nebenpflichten des minderjährigen Zeugen
gen. Echte Nebenpflicht des Zeugen ist dagegen die Pflicht zur Beantwortung von sogenannten Generalfragen gemäß § 68 Abs. 4 StPO. 4 Den Zeugen trifft ferner keine wie auch immer geartete Vorbereitungspflicht seiner Vernehmung in der Hauptverhandlung. 5 Außergerichtliche Tätigkeiten wie Erkundigungen zu dem Tatgeschehen können dem Zeugen nicht aufgegeben werden. Er muß sich auf seine Aussage insbesondere nicht durch die Einsichtnahme von Akten und Unterlagen vorbereiten. 6 Dagegen ist eine Konzentrationspflicht während der Aussage allgemein anerkannt. Diese Konzentrationspflicht korrespondiert eng mit der Wahrheitspflicht, die wiederum schon in der allgemeinen Aussagepflicht mitenthalten ist. 7 Erneut kann daher nicht von einer Nebenpflicht im eigentlichen Sinn ausgegangen werden. Der Zeuge muß sich in der Hauptverhandlung gegebenenfalls Vernehmungshilfen zur Auffrischung seines Gedächtnisses bedienen. Solche äußeren Hilfsmittel sind beispielsweise Skizzen oder Lichtbilder. Sind derartige Gedächtnisstützen während der Hauptverhandlung nicht vorhanden, kann das Gericht dem Zeugen auferlegen, sich kundig zu machen. 8 Diese Erkundigungs- bzw. Vergewisserungspflicht ist jedoch auf mögliche und zumutbare Ermittlungen beschränkt9 und konkretisiert wiederum nur die Aussagepflicht. lo Dem Zeugen kann beispielsweise in der Hauptverhandlung aufgegeben werden, zur Verdeutlichung eines Sachverhaltes eine Skizze zu fertigen. Unstrittig ist zudem, daß der Zeuge zur Abgabe von Schriftproben nicht verpflichtet werden kann. 11 Eine Pflicht, die das Stillschweigen über die in der Einvernahme gemachten Aussagen gebietet, kann dem Zeugen ebenfalls nicht auferlegt werden. 12 Vgl. 5. Kap. C. IV. l. H.M. Krehl NStZ 1991,416; LR-Dahs Vor § 48, Rdnr. 7; Eisenberg, Beweisrecht, Rdnr. 1228; a.A. wohl KMR-Paulus Vorb. § 48, Rdnr.28 a und Dedes JR 1983, 99, 101, die von einer gemäßigten Vorbereitungspflicht ausgehen. 6 Bei Zeugen, die in amtlicher Eigenschaft Wahrnehmungen gemacht haben, ist dies allerdings strittig. Der Streitstand spielt hier allerdings keine Rolle, da bei Kindern und Jugendlichen davon ausgegangen werden kann, daß sie regelmäßig nicht Zeugen in amtlicher Eigenschaft sind. 7 Vgl. LR-Dahs Vor § 48, Rdnr. 7; Schänke / Schräder-Lenckner § 163, Rdnr. 3; vgl. aber Dedes JR 1983, 99, 100. s KrehlNStZ 1991,417,418. 9 Vgl. Eisenberg, Beweisrecht, Rdnr. 1230 mit weiteren Nachweisen. 10 Vgl. auch LR-Dahs Vor § 48, Rdnr. 7. II LR-Dahs Vor § 48, Rdnr. 7; HK-Lemke Vor §§ 48 ff., Rdnr. 7. 12 Eine solche Sicherheitsvorkehr ist vereinzelt noch in der Schweiz gesetzlich geregelt, um die Beeinflussung anderer Zeugen auszuschließen, vgl. Hauser, Zeugenbeweis, S. 118. Im VorentwurJ zu einer einheitlichen Schweizerischen Strafprozeßordnung ist sie nicht mehr vorgesehen. Hierzulande endet die diesbezügliche Autorität des Gerichtes anerkanntermaßen vor dem Gerichtssaal und der Zeuge darf auf dem Flur Auskunft über seine eben getätigte Aussage geben. Will das Gericht dies verhindern, muß es entsprech4
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B. Die Nebenpflichten in der Übersicht
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Bei mindeIjährigen Zeugen sind die Anforderungen an diese Ptlichten nicht allzu hoch anzusetzen. Je jünger die Zeugen sind, desto weniger kann von ihnen diesbezüglich erwartet werden. Insbesondere werden Aufzeichnungen, die zu Hilfe genommen werden können, bei der hier relevanten Zeugengruppe, selten vorhanden sein. 13 Bei einer Ptlichtenverletzung können dem Zeugen erneut Zwangsmaßnahmen gemäß § 70 StPO auferlegt werden, allerdings nur wenn die Aussage gänzlich unterbleibt. 14 Ist die Aussage aufgrund der mangelnden Nachforschung nur lückenhaft, liegt keine teilweise Zeugnisverweigerung vor, sondern eine unwahre Aussage mit den entsprechenden strafgesetzlichen Ahndungsmöglichkeiten.
B. Die Nebenpflichten in der Übersicht Wichtigste Nebenptlicht des Zeugen ist die Duldung der körperlichen Untersuchung gemäß § 81 c StPO. Unter bestimmten Voraussetzungen muß der Zeuge einzelne Untersuchungs handlungen und Eingriffe in seine körperliche Integrität dulden. Strenggenommen handelt es sich hierbei um keine Zeugenptlicht, denn Beweismittel ist nicht die Aussage, sondern der Zeuge selbst. Er wird in Augenschein genommen. Da aber die körperliche Untersuchung in enger Koppelung zu den eigentlichen Zeugenptlichten geregelt ist, muß diese Ptlicht hier erörtert werden. Das Untersuchungsverweigerungsrecht des Zeugen im Falle eines Angehörigenverhältnisses zum Angeklagten knüpft de lege lata an das Zeugnisverweigerungsrecht gemäß § 52 StPO an. Dies ist keineswegs selbstverständlich, denn im Unterschied zur Aussageptlicht wird vom Zeugen kein aktives Tun verlangt, sondern er muß lediglich eine Untersuchung dulden. Ausführlich wird im Anschluß an die Darstellung der körperlichen Untersuchung die Glaubwürdigkeitsuntersuchung des Zeugen durch einen Sachverständigen erörtert, da diese in Verfahren mit mindeIjährigen Zeugen von großer Relevanz ist. Erstaunlicherweise hat sich der Gesetzgeber noch immer nicht zu einer eigenständigen gesetzlichen Regelung entschließen können, so daß im Rahmen einer Glaubwürdigkeitsbegutachtung auf § 81 c StPO zurückgegriffen werden muß. Neben dieser klassischen Glaubwürdigkeitsuntersuchung hat sich eine zweite Möglichkeit der Gutachtenerstellung in den Gerichtssälen etabliert, die von ihren Gegnern als Umgehung der gesetzlichen Vorschriften angesehen wird. Doch der Gesetzgeber selbst hat in § 80 Abs. 2 StPO hierzu die Weichen
end geschickt laden und den nächsten Zeugen sofort im Anschluß aufrufen, um so einen Austausch von Informationen zwischen den einzelnen Zeugen zu verhindern. l3 Möglicherweise existiert ein Tagebuch eines sexuell mißbrauchten Mädchens. 14 Schlüchter, Strafverfahren, Rdnr. 524, Fn. 423 a.
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5. Kap.: Die Nebenpflichten des minderjährigen Zeugen
gestellt. 15 Falls der Zeuge seine Einwilligung zu einer Exploration verweigert, darf nach h.M. ein Sachverständiger allein aufgrund der in der Hauptverhandlung gewonnenen Erkenntnisse ein Gutachten zur Glaubwürdigkeit der Aussage erstellen. Der Sachverständige wohnt dazu der richterlichen Vernehmung bei und kann bei dieser Gelegenheit den Zeugen sogar unmittelbar befragen. Ferner trifft den Zeugen die eingangs schon erwähnte Nebenpflicht zur Beantwortung von Generalfragen. Der Zeuge muß gemäß § 68 Abs. 4 StPO Fragen beantworten, die nicht im Zusammenhang mit seinen Wahrnehmungen stehen, sondern der Überprüfung seiner Glaubwürdigkeit dienen, insbesondere Fragen zu seinen persönlichen Beziehungen zum Angeklagten. 16 Er muß zudem im Rahmen des richterlichen Ermessens Gegenüberstellungen dulden. In der Hauptverhandlung werden Gegenüberstellungen auf der Grundlage des § 244 Abs. 2 StPO, der Aufklärungspflicht des Gerichts, vorgenommen. 17 Der Zeuge hat die weitere Nebenpflicht, an Augenscheinseinnahmen wie zum Beispiel am Tatort teilzunehmen und mitzuwirken. 18 Das heißt, er muß beispielsweise dulden, selbst in Augenschein genommen zu werden, etwa um einen Größenvergleich anzustellen oder seine äußere Erscheinung zu erkunden. Die jüngste Nebenpflicht des Zeugen ist die, eine Videoaufzeichnung seiner Vernehmung zu dulden. 19
c. Die einzelnen Nebenpflichten des minderjährigen Zeugen I. Die Untersuchungspflicht gemäß § 81 c StPO
Die Untersuchungspflicht gemäß § 81 c StPO ist die wichtigste Nebenpflicht des Zeugen. Neben den klassischen Pflichten des minderjährigen Zeugen tritt vor allen in Verfahren wegen Kindesmißhandlung oder des sexuellen Mißbrauchs die Pflicht, sich ohne Einwilligung untersuchen und begutachten zu lassen?O Die Vorschrift des § 81 c StPO regelt im 7. Abschnitt (Sachverständige und Augenschein) die körperliche Untersuchung anderer Personen als des Beschuldigten abschließend. Der Zeuge wird zum Augenscheinsobjekt; Beweismittel ist sein Körper. Im engen Sinn darf daher nicht von einer Zeugen15 Die Richtlinie Nr. 222 Abs. 1 S. 2 RiStBV empfiehlt sogar die Beiziehung eines Sachverständigen schon zur ersten Vernehmung. 16 Genauer hierzu Eisenberg, Beweisrecht, Rdnr. 1217 bis 1220. 17 Eisenberg, Beweisrecht, Rdnr. 1222; Pfeiffer § 58, Rdnr.2. Im Vorverfahren ist § 58 Abs. 2 StPO die einschlägige Rechtsgrundlage. 18 KMR-Paulus Vorb. § 48, Rdnr. 28 mit weiteren Nachweisen. 19 Vgl. hierzu 5. Kap. C. IV. 2. 20 Vgl. Meier JZ 1991,638,642.
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pflicht gesprochen werden. Allerdings ist diese Differenzierung hier unerheblich, da das Recht, die Untersuchung zu verweigern, aber auch die Möglichkeit der zwangsweisen Durchsetzung durch die Anordnung von Zwangsmitteln entsprechend den eigentlichen Zeugenpflichten geregelt ist. Es ist daher von einer nahen Verwandtschaft zwischen Untersuchungspflicht und Zeugnispflicht die Rede?! Das Untersuchungsverweigerungsrecht gemäß § 81 c Abs. 3 StPO ist nahezu identisch dem Zeugnisverweigerungsrecht ausgestaltet und gilt als das "Gegenstück" zu § 52 StPO?2 Bei unberechtigter Weigerung des Betroffenen verweist § 81 c Abs. 4 Satz 1 StPO auf § 70 StPO. Den eine körperliche Untersuchung duldungspflichtigen Personenkreis treffen unter bestimmten Voraussetzungen gewisse Pflichten, die über die Pflicht, eine Aussage zu machen, sogar hinausgehen: Der Betroffene, der nicht zwangsläufig auch Zeuge sein muß, hat einzelne Untersuchungshandlungen und Eingriffe in seine körperliche Identität zu dulden, wie etwa die Entnahme einer Blutprobe. Diese Pflicht umfaßt notwendigerweise die Obliegenheit, sich zur Untersuchung einzufinden, sich gegebenenfalls zu entkleiden und eine etwa erforderliche Körperhaltung einzunehmen. 23 Körperliche Eingriffe sind allerdings schlechthin verboten?4 Untersuchungen der natürlichen Körperöffnungen beispielsweise gynäkologischer Art - sind entgegen einer weitläufigen Ansicht durchaus erlaubt und zumutbar. 25 Daß die Untersuchung jeweils zumutbar sein muß, ergibt sich zwar schon aus dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, ist aber vom Gesetzgeber in Abs. 4 der Vorschrift noch ausdrücklich erwähnt worden?6 § 81 c Abs. 4 StPO hat lediglich eine Klarstellungsfunktion. Das Aufklärungsinteresse ist jeweils mit dem Interesse des Betroffenen, der untersucht werden soll, abzuwägen?? Eine Pflicht zu aktiver Mitwirkung wird durch die Vorschrift des § 81 c StPO nicht ausgelöst. Dies bedeutet, daß der Zeuge keine Fragen beantworten oder einen Test ausführen muß. Dies ist insbesondere bedeutsam für die Begut-
BGHSt 5, 132,133; LR-Dahs § 81 c, Rdnr. 12. BGHSt 12, 235, 238. 23 KK-Senge § 81 c, Rdnr. 6. 24 Pfeiffer § 81 c, Rdnr. 1. 25 LR-Dahs § 81 c, Rdnr.21; Meyer-Goßner § 81 c, Rdnr.16; Pfeiffer § 81 c, Rdnr. 1. Die Ansicht, daß zwangsweise gynäkologische Untersuchungen dagegen immer unzumutbar sind, wird beispielsweise vertreten von Marquardt / Lossen, Sexuell mißbrauchte Kinder, S. 240. 26 Kohlhaas JR 1974, 89, 90. 27 Eisenberg, Beweisrecht, Rdnr. 1669. 21
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5. Kap.: Die Nebenpflichten des minderjährigen Zeugen
achtung der Glaubwürdigkeit eines Zeugen, auf die noch genauer eingegangen werden wird. 28
1. Art der Untersuchung
a) Untersuchung au/Spuren und Tatfolgen (§ 81 c Abs. 1 StPO) Die Untersuchung darf sich nur auf Spuren oder Folgen von Straftaten (§ 81 c Abs. 1 StPO), bzw. nach § 81 c Abs. 2 StPO auf eine Blutprobenentnahme oder die Feststellung der Abstammung erstrecken. 29 Für die Untersuchung auf Spuren und Tatfolgen ist der sogenannte Zeugengrundsatz ausschlaggebend, fiir die Entnahme von Blutproben und fiir die Untersuchung zur Feststellung der Abstammung gilt dagegen der Aujklärungsgrundsatz. Eine Untersuchung auf Spuren und Tatfolgen nach § 81 c Abs. 1 StPO am Körper tatunverdächtiger Personen darf demnach nur erfolgen, wenn diese zur Erforschung der Wahrheit erforderlich ist und die zu untersuchenden Personen zudem "als Zeugen in Betracht kommen". Dies ist eine etwas unglückliche Formulierung des Gesetzgebers, die nicht wörtlich genommen werden darf. Nach ganz h.M. ist hier vielmehr eine extensive Auslegung des Zeugenbegriffes notwendig. 30 Ein Säugling beispielsweise kommt wegen absoluter Zeugnisunfähigkeit niemals als Zeuge in Betracht. Das gleiche gilt fiir ein Kleinkind, das noch nicht sprechen kann. Doch müssen die Verletzungen eines Babys sehr wohl Gegenstand einer Untersuchung nach § 81 c StPO sein können. Das Ergebnis der körperlichen Untersuchung kann prozeßentscheidend sein. 31 Die Zeugnisfähigkeit darf nicht die Voraussetzung fiir die Auslösung einer Duldungspflicht gemäß § 81 c Abs. I StPO sein. Es gilt ferner zu bedenken, daß eine mögliche Aussage eines Zeugen zudem darin bestehen kann, daß er etwa aufgrund einer Bewußtlosigkeit oder, weil er geschlafen hat, keine Beobachtungen gemacht hat. Sonst liefe § 81 c Abs. I StPO immer dann ins Leere, wenn etwa das Tatopfer so schwere Verletzungen erlitten hat, daß es keine geordnete Aussage mehr machen kann. 32 Vgl. 5. Kap. C. III. Gössel, Strafverfahrensrecht, S. 65. 30 LR-Dahs § 81 c, Rdnr. 12; KK-Senge § 81 c, Rdnr. 1; SK-Rogall § 81 c, Rdnr. 11; KMR-Paulus § 81 c, Rdnr. 12; Meyer-Goßner § 81 c, Rdnr. 10; Pfeiffer § 81 c, Rdnr. 1; AK-Wassermann § 81 c, Rdnr. 2; Eisenberg, Beweisrecht, Rdnr. 1662; a.A. Seidel Kriminalistik 1967, 303, 304 und Krüger Kriminalistik 1967,461. 31 Zum Ganzen auch Orlowsky, Weigerungsrechte, S. 117 ff. mit weiteren Nachweisen. 32 AK-Wassermann § 81 c, Rdnr. 2. 28
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Statt nur ,,zeugen" wollte der Gesetzgeber mit § 81 c Abs. 1 StPO vielmehr jeder "tatunverdächtigen Person" gewisse Duldungspflichten auferlegen. 33 Nach h.M. genügt es, daß die Person als Zeuge in Betracht käme, wenn sie vernommen werden könnte. 34 In dieser Konsequenz kann jede tatunverdächtige Person, bei der Spuren oder Tatfolgen zu vermuten sind, ohne ihre Einwilligung untersucht werden. Der Einschub des Gesetzgebers "wenn sie als Zeugen in Betracht kommen", ist dahingehend zu verstehen, daß Reihenuntersuchungen nach möglichen Spurenträgem unzulässig sind. 35 Rogall nennt die Wortwendung im Gesetz demzufolge eine "falsa demonstratio.,,36 Da das Gesetz klar von einer Untersuchung der Betroffenen "an ihrem Körper" spricht, deckt § 81 c StPO nicht solche Maßnahmen, die einen Eingriff in den Körper erforderlich machen, ausgenommen der Blutentnahme nach Abs. 2. 37 Erlaubt sind allerdings, wie schon erwähnt, Untersuchungen der natürlichen Körperöffuungen, beispielsweise die Durchftihrung von Scheidenabstrichen. 38 Im übrigen gilt der Spurengrundsatz, das heißt, die Untersuchung darf nur vorgenommen werden, um Spuren oder Tatfolgen zu finden. Die Suche nach bestimmten körperlichen Merkmalen, die nicht Folgen der mutmaßlichen Straftat sind, ist immer unzulässig. 39
b) Untersuchung einer Frau
Bei der Untersuchung einer Frau ist darüber hinaus die Vorschrift des § 81 d StPO zu beachten. Die körperliche Untersuchung wird immer dann einem Arzt übertragen, wenn sie das Schamgeftihl der Betroffenen verletzen kann. Frau im Sinne dieser Vorschrift ist jede Person weiblichen Geschlechts, die dem Kindesalter entwachsen ist, so daß die Vorschrift im Rahmen dieser Arbeit relevant ist. Jüngere Mädchen dürfen dagegen von Männem untersucht werden, ohne daß damit gegen die Regeln von Anstand und Schicklichkeit verstoßen wird. 40 Die Grenze liegt nach nicht ganz unstreitiger Ansicht etwa bei
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Eisenberg, Beweisrecht, Rdnr. 1663; Dzendalowski, Untersuchung, S. 24.
34 Krause JZ 1976, 124,125; Roxin, Strafverfahrensrecht, § 33, Rdnr. 21; KK-Senge
§ 81 c, Rdnr. 1. 35 Dünnebier GA 1953, 65, 68. 36 SK-Rogall § 81 c, Rdnr. 11. 37 Verfassungsrechtliche Bedenken bestehen nicht, vgl. BVerfGE 5, 13. 38 BGH NStZ 1991,227. 39 LR-Dahs § 81 c, Rdnr. 13. 40 LR-Dahs § 81 d, Rdnr. 3. Eb. Schmidt, Teil 11, § 81 d, Rdnr.2 will dagegen ohne Rücksicht auf das Alter jede weibliche Person unter dem Begriff der Frau fassen.
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5. Kap.: Die Nebenpflichten des minderjährigen Zeugen
Beginn des schulpflichtigen Alters, also bei etwa 6 Jahren. 41 Zu überlegen ist, ob Mädchen heute nicht schon noch früher ein entsprechendes Schamgefühl entwickeln und die Altersgrenze zwischenzeitlich noch um mindestens ein Jahr vorzuverlegen ist. 42 Besser ist es hier, erneut jeweils eine Einzelfallentscheidung vorzunehmen und keine von vornherein feste Altersgrenze einzuführen. 43 Bestrebungen des Schrifttums, die Geltung der Vorschrift auf Männer (und somit auf Jungen und männliche Jugendliche) auszudehnen,44 werden vom klaren Wortlaut nicht gedeckt. Der Ruf nach einer entsprechenden Analogie kann jedoch nicht pauschal als mißglückter Versuch der Gleichberechtigung (ausnahmsweise) der Männer eingestuft werden. 45 Es ist zu überlegen, ob beispielsweise die Untersuchung eines jungen Mannes in dessen Analbereich nach Spermaspuren, die von einer Frau vorgenommen wird, nicht ebenso sein Schamgefühl verletzt, wie das einer jungen Frau verletzt sein würde, der umgekehrt das gleiche widerfährt. Nach heutiger Gesetzeslage wird der Anspruch des Mannes, bei körperlichen Untersuchungen menschenwürdig behandelt zu werden, allein von Art. 1 Abs. 1 GG gedeckt. Allerdings wird eine derartige Untersuchung in der Regel sowieso ein Arzt vornehmen. Das Geschlecht des Untersuchenden ist dann unerheblich.
c) Entnahmen von Blutproben und Untersuchung zur Feststellung der Abstammung (§ 81 c Abs. 2 StPO) Blutprobenentnahmen und Abstammungsuntersuchungen ohne Einwilligung des Betroffenen werden gemäß § 81 c Abs. 2 StPO nur vom Arzt durchgeführt. Es kommt nicht darauf an, ob die zu untersuchenden Personen als Zeugen in Betracht kommen; im Gegensatz zu § 81 c Abs. 1 StPO gilt der sogenannte Zeugengrundsatz nicht. Die Maßnahmen dürfen nach § 81 c Abs. 2 Satz 2 StPO keinen Nachteil für die Gesundheit des Betroffenen befürchten lassen und müssen zur Erforschung der Wahrheit unerläßlich sein. Blutproben werden regelmäßig bei Verkehrsstraftaten auch beim minderjährigen Unfallop-
41 LR-Dahs § 81 d, Rdnr. 3; KK-Senge § 81 d, Rdnr. 2; KMR-Paulus § 81 d, Rdnr. 3; Meyer-Goßner § 81 d, Rdnr.2; Eisenberg, Beweisrecht, Rdnr. 1685; a.A. AKWassermann § 81 d, Rdnr.3 will nur eine Ausnahme für Kleinstkinder machen und nimmt eine Altersgrenze schon bei 5 Jahren an; Krause / Nehring, § 81 d, Rdnr. 1 erst bei 12 Jahren. 42 In diese Richtung auch SK-Rogall § 81 d, Rdnr. 6. 43 HK-Lemke § 81 d, Rdnr. 3. 44 So LR-Dahs § 81 d, Rdnr.2; Meyer-Goßner § 81 d, Rdnr. 1; AK-Wassermann § 81 d, Rdnr. 1. 45 Vgl. HK-Lemke § 81 d, Rdnr. 2.
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fer entnommen. Abstammungsuntersuchungen, die ebenfalls zur Duldung von Blutentnahmen zwecks Bestimmung der Blutgruppe und zur Duldung von Lichtbildaufnahmen und Fingerabdrücken verpflichten, können grundsätzlich an Minderjährigen vorgenommen werden. Diese Maßnahmen bereiten weder rur Erwachsene noch rur Minderjährige besondere rechtliche Schwierigkeiten.
2. Einwilligung, Belehrung und Widerruf
Die Vorschrift des § 81 c StPO enthält eine abschließende Regelung begrenzt auf die Spuren oder Folgen einer Straftat. Auf eine Einwilligung des Zeugen in die körperliche Untersuchung kommt es dann nicht an. Die Untersuchung kann folglich bei Minderjährigen durchgeruhrt werden, ohne daß ein gesetzlicher Vertreter zustimmen muß. 46 Daß Elternrechte hier tangiert werden, muß im Interesse der Allgemeinheit an der Aufklärung von Straftaten hingenommen werden. Im Umkehrschluß bedeutet dies jedoch, daß nur eine ausdrückliche Einwilligung des Betroffenen die Beschränkungen der Vorschrift aufhebt. 47 Insbesondere wird im Rahmen des abschließenden § 81 c StPO keine Verpflichtung zu aktiver Mitwirkung statuiert. Überall dort, wo Handlungen, wie beispielsweise die Beantwortung von Fragen eines Sachverständigen, vom Zeugen erwartet werden, ist daher dessen Einwilligung notwendig. 48 Die rur diese Arbeit besonders relevante Glaubwürdigkeitsbegutachtung steht daher unter dem Vorbehalt einer Einwilligung. Fehlt diese, darf der Betroffene nicht auf seinen allgemeinen psychischen oder körperlichen Zustand, wie seine Seh- oder Merkfahigkeit, und eben insbesondere nicht auf seine Glaubwürdigkeit hin untersucht werden. 49 Eine Einwilligung ist nur die freiwillige, ernstliche und in Kenntnis der Sachlage und des Weigerungsrechts erteilte Zustimmung. 50 Die Einwilligung muß sich ausdrücklich auf die Untersuchung beziehen. Hat sich ein Zeuge, der eigentlich zur Zeugnisverweigerung berechtigt wäre, zur Aussage bereit erklärt, stellt diese Bereitschaft nicht gleichzeitig eine Einwilligung in eine körperliche Untersuchung dar. 51 Die bloße Hinnahme einer Untersuchung reicht ebenfalls
Kohlhaas JR 1974, 89, 90. Pfeiffer § 81 c, Rdnr. 1. 48 Zur Möglichkeit der Umgehung einer Einwilligung vgl. 5. Kap. C. III. 7. 49 BGHSt 36, 219. 50 BGH NJW 1964, 1177. 51 LR-Dahs § 81 c, Rdnr. 5 mit weiteren Nachweisen.
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nicht aus. 52 Verstößt die Einwilligung gegen die guten Sitten, bleibt sie wirkungslos und die Beschränkungen des § 81 c StPO bestehen. 53 Für die Abgabe einer rechtlich wirksamen Einwilligung genügt es, daß der Minderjährige die Verstandesreife besitzt, um den Sinn und die Tragweite seiner Erklärung zu begreifen. 54 Dies ist unabhängig von der Frage der Geschäftsfähigkeit oder der strafrechtlichen Verantwortlichkeit zu entscheiden. 55 Nach einem anschaulichen Beispiel von Düring / Eisenberg reicht es im Unterschied zu einem Erwachsenen bei einem Kind gerade nicht aus, daß es erklärt, ,,keine Lust" zu haben. 56 Vielmehr muß der Richter genau prüfen, ob die erforderliche Verstandesreife des Kindes tatsächlich gegeben ist. Fehlt dem Zeugen diese Verstandeskraft, so erteilt oder versagt der gesetzliche Vertreter die Einwilligung. 57 Im Unterschied zum Zeugnisverweigerungsrecht ist dann nur die Einwilligung des gesetzlichen Vertreters, nicht zusätzlich die des Kindes notwendig. Dies wirkt sich unmittelbar auf die Belehrungspflichten aus. 58 Über die Notwendigkeit einer Einwilligung in Untersuchungen außerhalb des Anwendungsbereichs des § 81 c StPO muß der Zeuge nach strittiger Ansicht belehrt werden. 59 Insbesondere bedarf es des Hinweises darauf, daß die Maßnahme ohne die Einwilligung nicht zulässig ist. 60 Nur dann beruht eine erteilte Einwilligung auf dem freiem Entschluß des Zeugen. Nach der Gegenansicht muß der Zeuge nicht darauf hingewiesen werden, daß er nicht gezwungen werden kann, sich der Maßnahme zu unterziehen. 61 Da die Mitwirkung an der Untersuchung ein rein freiwilliger Beweisakt und nicht die Erfüllung einer Zeugenpflicht ist, würde keine Belehrungspflicht ausgelöst. Schließlich käme eine Konfliktlage für den Zeugen erst gar nicht zum Entstehen. 62 Doch diesen Argumenten liegt ein von vornherein falscher Ansatz zu Grunde. Eine BelehLR-Dahs § 81 c, Rdnr. 5 mit weiteren Nachweisen. LR-Dahs § 81 c, Rdnr. 4 und § 81 a, Rdnr. 9. 54 BGH NJW 1959,811. 55 BGHZ 29, 33. 56 Anmerkung Düring / Eisenberg StV 1997,456,457 zu KG StV 1997,65. 57 RGSt 64, 160,162. 58 Ausführlich hierzu 5. Kap. C. 11. 3. 59 LR-Dahs § 81 c, Rdnr.5; SK-Rogall § 81 c, Rdnr. 12; KMR-Paulus § 81 c, Rdnr. 16; Meyer-Goßner § 81 c, Rdnr.4 mit weiteren Nachweisen; HK-Lemke § 81 c, Rdnr. 3; Eisenberg, Beweisrecht, Rdnr. 1659; Heinitz, FS Engisch, S. 693, 700; Peters, Strafprozeß, S. 327; Kühne, Strafprozeßrecht, Rdnr.492; Schlüchter, Strafverfahren, Rdnr. 203.1; a.A. BGHSt 13, 394, 398 mit Anmerkung Heinitz JR 1969, 226.; KKPelchen § 81 c, Rdnr. 11; Bockelmann GA 1955, 321, 333: nur "nobile officium". 60 Toepel, Sachverständigenbeweis, S. 379. 61 KK-Senge § 81 c, Rdnr. 11. 62 KK-Senge § 81 c, Rdnr. 11. 52
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rung dient als Garantie dafür, daß die Einwilligung tatsächlich freiwillig erfolgt ist und muß daher unbedingt erfolgen. Nicht richtig ist es deshalb, die Notwendigkeit einer Belehrung im Rahmen freiwilliger Untersuchungen auf die Fälle zu beschränken, bei denen dem Betroffenen ein Untersuchungsverweigerungsrecht zusteht. 63 Steht dem Zeugen gleichzeitig ein Untersuchungsverweigerungsrecht zu, bedarf es nach der h.M. vielmehr sogar einer "doppelten" Belehrung,64 also bezüglich der Freiwilligkeit der Mitwirkung und eines Untersuchungsverweigerungsrechtes. 65 Die einmal erteilte Einwilligung kann jederzeit frei widerrufen werden. 66 Daß weitere Untersuchungen nach einem solchen Widerruf nicht stattfinden dürfen, ist eine Selbstverständlichkeit. 67 Das bis dahin Festgestellte darf allerdings verwertet werden. Dies gilt selbst für den Fall, daß dem Betroffenen gleichzeitig ein Zeugnisverweigerungsrecht zusteht und er darüber ordnungsgemäß belehrt worden war. 68 Das vorher ordnungsgemäß gewonnene Untersuchungsergebnis bleibt anders als im Parallelfall der Vernehmung verwertbar. 69 Nicht gefolgt werden kann der Ansicht, wonach der Widerruf ein ganzes Beweisverbot in Funktion treten läßt und das Wissen des Gerichts ob der bisherigen Untersuchungsergebnisse völlig ausfallen muß. 70 11. Das Untersuchungsverweigerungsrecht 1. Koppelung an § 52 StPO
Das Untersuchungsverweigerungsrecht knüpft eng an § 52 StPO an. De lege lata können nach § 81 c Abs. 3 Satz 1 StPO Untersuchungen oder Entnahmen von Blutproben aus den gleichen Gründen wie das Zeugnis gemäß § 52 StPO verweigert werden. Angehörigen des Angeklagten steht ein Untersuchungsverweigerungsrecht zu: § 81 c Abs. 2 StPO ist das schon erwähnte Gegenstück zu
63 So aber BGHSt 36, 217, 220 mit Anmerkung Weigend JZ 1990, 48; BGHSt 40, 336,337 mit Anmerkungen Welp JR 1996,76 und Eisenberg StV 1995,625. 64 Alsberg / Nüse / Meyer S. 491. 65 An diesem Grundsatz sind allerdings Zweifel angebracht, vgl. 5. Kap. C. 111. 7. 66 Eisenberg, Beweisrecht, Rdnr. 1659 mit weiteren Nachweisen. 67 Eb. Schmidt, Nachtrag I, § 81 c, Rdnr. 17. 68 LR-Dahs § 81 c, Rdnr. 6; SK-Rogall § 81 c, Rdnr. 16; KK-Pelchen § 81 c, Rdnr. 8; Meyer-Goßner § 81 c, Rdnr.75; a.A. Eisenberg, Beweisrecht, Rdnr. 1674; AKWassermann § 81 c, Rdnr. 13; Krause / Nehring § 81 c, Rdnr. 6. 69 Toepel, Sachverständigenbeweis, S. 373. 70 So aber Eb. Schmidt, Nachtrag I, § 81 c, Rdnr. 17. Vgl. 4. Kap. C. 11. 4. f).
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§ 52 StPO. 71 Der Betroffene soll nicht dazu beitragen müssen, einen nahen Angehörigen einer Straftat zu überfuhren. Allerdings muß bedacht werden, daß der Konflikt im Vergleich zu § 52 StPO ein geringerer ist. Die Beweisperson hat im Fall des § 81 c StPO nicht die Wahl zwischen Wahrheit, Lüge und gänzlicher Verweigerung, sondern entscheidet sich allein zwischen einer Bereitschaft zur Untersuchung, die der Feststellung von Tatsachen dient, und der Verweigerung der Untersuchung. 72 Die enge Koppelung an das Zeugnisverweigerungsrecht nach § 52 StPO ist daher kritisch zu bewerten und nach den Erkenntnissen dieser Arbeit sogar ein Fehler der Vorschrift. 73 Praktisch fuhrt diese Koppelung nach Kohlhaas dazu, daß so viele im Familienkreis begangene Delikte unaufgeklärt bleiben. 74 Es gerät aber derjenige, der gezwungen wird, sich betrachten zu lassen - anders als bei der aktiven Aussage - in keinen echten Konflikt, wenn auch die psychische Belastung vor allem eines Opferzeugen unbestritten ist. "Er wird nicht aktiv, er belastet nicht, er ist nur Augenscheinsobjekt.,,75 Der Gesetzgeber verquickt aktive Aussage und passive Duldung in einer nicht zulässigen Weise. 76 Die Rechtsgrundsätze der bei den Vorschriften müßten vielmehr getrennt entwickelt werden, da nur die Zeugeneigenschaft im eigentlichen Sinn die Beweisperson in den Widerstreit zwischen der Pflicht zum Handeln, nämlich zur wahrheitsgemäßen Aussage, und der familiären Rücksichtnahme bringt. 77 So aber verschwimmt der Unterschied zwischen dem Zeugnisverweigerungs- und dem Untersuchungsverweigerungsrecht in unsauberer Weise. 78 Keineswegs will diese Kritik eine Streichung von § 81 c Abs. 3 StPO anstreben. 79 Erwogen werden muß eine Korrektur des Untersuchungsverweigerungsrechtes mit dem Ziel eines engeren Anwendungsbereichs.
71 BGHSt 12,235,238. 72
Orlowsky, Weigerungsrechte, S. 122.
73 Kohlhaas IR 1974, 89, 90.
Kohlhaas IR 1974, 89, 91. Kohlhaas IR 1974,89,91; vgl. auch Dzendalowski, Untersuchung; S.29. 76 Kohlhaas IR 1974, 89, 90. 77 BGH NIW 1970,766,767. 78 Aufschlußreich hierzu SK-Rogall § 81 c, Rdnr.40 mit vielen weiteren Nachweisen. 79 So aber Schmitt, Zeugnisverweigerungsrechte, S. 68, 88 und 114. Dieser Forderung wird von Gössel in seiner Besprechung der Arbeit von Schmitt widersprochen. Er wirft zudem die Frage auf, ob es wirklich sinnvoll ist, die Problematik der Zulässigkeit von stratprozessualen Zwangsmaßnahmen gegen zeugnisverweigerungsberechtigte Personen im wesentlichen nur von den Schutzzwecken dieser Rechte her zu bestimmen, ZStW 109 (1997), 653, 655 f. 74 75
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Ein Weigerungsrecht nach §§ 53, 53 a, 54 StPO besteht nach ganz h.M. nicht. 80 Strittig ist lediglich ein Untersuchungsverweigerungsrecht, das sich an § 55 StPO anlehnt, obwohl der Begriff der Auskunft vom Gesetzgeber in § 81 c Abs. 3 Satz 1 StPO nicht eingefiigt wurde. 8l Diese Frage kann hier nicht vertieft dargestellt werden, da schon § 55 StPO selbst den Themenbereich dieser Arbeit nur am Rande beriihrt. 82 Doch es sprechen die überzeugenderen Argumente dafiir, daß das Auskunftsverweigerungsrecht zugunsten eines Angehörigen nach Struktur und ratio mit dem Zeugnisverweigerungsrecht des § 52 StPO übereinstimmt und daher ein Untersuchungsverweigerungsrecht zumindest bei der Gefahr der Belastung eines Angehörigen anerkannt werden sollte. 83
2. Die hinreichende Verstandesreife
Das Untersuchungsverweigerungsrecht steht jedem Betroffenen unabhängig von seinem Alter zu. Unerheblich ist, ob der Minderjährige die entsprechende Kontliktlage schon empfinden kann. Erneut steht dahinter die Überlegung, daß der Minderjährige nicht im späteren Alter durch seine friihere Entscheidung belastet werden soll.84 Zur selbständigen Ausübung des Untersuchungsverweigerungsrechtes ist jeder Betroffene berechtigt, der über die dazu notwendige Verstandesreife verfiigt. 85 Diese Verstandesreife kann bei einem Minderjährigen angenommen werden, wenn er den Widerstreit, in den er durch seine familiären Beziehungen zu dem Angeklagten gestellt wird, verstandesmäßig erfassen kann. Der Minderjährige muß erkennen können, daß der Angeklagte "möglicherweise etwas Unrechtes getan hat, daß ihm hierfiir Strafe droht und daß die Untersuchung eventuell zu seiner Bestrafung beitragen kann.,,86 Ist dies der Fall, kommt es auf ei80 Gössel, Strafverfahrensrecht, verweist zudem auf die praktische Bedeutungslosigkeit, da das Anvertrauen und das Erfahren von Geheimnissen eben keine Spuren am Körper hinterläßt, S. 231. 81 Ein Untersuchungsverweigerungsrecht im Anschluß an das Auskunftsverweigerungsrecht nach § 55 StPO bejahen OLG Braunschweig NJW 1954, 1053, 1053; Krause JZ 1976,124,125/; Eisenberg, Beweisrecht, Rdnr. 1670; Gössel, Strafverfahrensrecht, S.231; LR-Dahs § 81 c, Rdnr.39 nur bei Unzumutbarkeit; a.A. KK-Senge § 81 c, Rdnr. 10; KMR-Paulus § 81 c, Rdnr. 28; Meyer-Goßner § 81 c, Rdnr. 23; Schlüchter, Strafverfahren, Rdnr. 197.1, Fn. 101. 82 4. Kap. C. II. 5. 83 SK-Rogall § 81 c, Rdnr. 44 mit weiteren Nachweisen. 84 LR-Dahs § 81 c, Rdnr. 40 mit weiteren Nachweisen. 85 Die Frage der Verstandesreife ist im folgenden weitgehend in Anlehnung an § 52 StPO zu beantworten; vgl. 4. Kap. C. 11. 4. d) aa). 86 BGHSt 14, 159, 162; vgl. auch BGH StV 1997, 65 mit Anmerkung Düring / Eisenberg StV 1997,456, 457.
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ne Zustimmung seines gesetzlichen Vertreters nicht an. Es entscheidet allein der MindeIjährige. 87 Fraglich ist erneut, ab welchem Alter des Zeugen sicher von einer Verstandesreife ausgegangen werden darf. Die Rechtsprechung hierzu ist uneinheitlich. Der BGH schließt die notwendige Verstandesreife zumeist sicher bei einem Alter des Zeugen von 4 bis 5 Jahren aus. 88 In einer Entscheidung war sogar festgestellt worden, daß die Verstandesreife in der Regel auch noch beim 7jährigen Kind fehlen wird. 89 Der BGH bejahte ein anderes Mal eine Belehrungspflicht und somit die Verstandesreife dagegen schon bei einer 5jährigen,90 bzw. bei einer 6jährigen Zeugin. 91 Da Kinder etwa ab dem Alter von 4 bis 6 Jahren beginnen, Rollenverteilungen im Strafverfahren zu verstehen und erkennen, daß ihre Untersuchung Wirkung im Hinblick auf eine etwaige Bestrafung des Angeklagten haben kann,92 muß die vom BGH gemachte Grenze wohl etwas nach unten korrigiert werden. Erneut verbietet sich schon wegen der Individualität der Minderjährigen aber die Einfiihrung einer festen Altersgrenze. Nicht richtig ist der vom BGH aufgestellte Erfahrungssatz, daß ein aussagetüchtiger Zeuge regelmäßig imstande ist, ein ihm zustehendes Verweigerungsrecht zu begreifen. 93 Bei Verstandesunreife eines mindeIjährigen Zeugen entscheidet über das Verweigerungsrecht nach strittiger Ansicht allein sein gesetzlicher Vertreter. 94 Insoweit besteht ein entscheidender Unterschied zu § 52 StPO: Es fiihrt dort die Einwilligung nicht zur Aussagepflicht des Zeugen, sondern dieser befindet nach wie vor alleine darüber, ob er aussagen möchte. 95 Dagegen ersetzt nun die Zustimmung des Vertreters komplett die Entscheidung des MindeIjährigen und ist fiir diesen bindend. Die unterschiedliche Verfahrensweise ist zum einen darin begründet, daß der Betroffene nicht zu einem aktiven Tun wie bei einer Aussage gezwungen wird, sondern nur zu einer Duldung. 96 Zum anderen setzt das Zeugnisverweigerungsrecht stets einen Zeugen voraus, der aussagefahig ist. 87 Es gelten insoweit die gleichen Grundsätze wie beim Zeugnisverweigerungsrecht, vgl. 4. Kap. C. H. 4. d) aa). 88 Nach BGHSt 20, 234, 235 wird die Verstandesreife beim l4jährigen Jugendlichen mit normaler Intelligenz vorhanden sein. BGH NStZ 1990,349,350 läßt die Frage offen fiir drei minderjährige Zeugen, die 5, 6 und 9 Jahre alt waren. 89 BGHSt 14, 159 ff. 90 BGH StV 1995,563. 91 BGH NStZ 1991,398. 92 Vgl. hierzu Pohl, Kinder, S. 9, 49 ff.; Eisenberg StV 1995, 625, 626 in seiner Anmerkung zu BGHSt 40, 336 ff. mit weiteren Nachweisen. 93 BGH NJW 1967, 360; genauer hierzu 4. Kap. C. H. 4. d) aa). 94 BGHSt 40, 336. 95 Siehe 4. Kap. C. H. 4. d) ce). 96 Eisenberg, Beweisrecht, Rdnr. 1675.
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Die Maßnahme nach § 81 c StPO kann dagegen auch an Zeugen vorgenommen werden, die völlig handlungs- und willensunfahig sind. 97 Weiterer Grund tUr die Ungleichbehandlung des Untersuchungs- und des Zeugnisverweigerungsrechtes ist die Tatsache, daß das Untersuchungsverweigerungsrecht ein rein materiell-rechtlich begründetes Leistungsverweigerungsrecht des Betroffenen ist, das aus seinem Persönlichkeitsrecht resultiert. Nach seiner ratio dient es darüber hinaus nicht der Wahrheitsfindung. 98 Die Einschaltung eines Dritten, nämlich des gesetzlichen Vertreters, tUhrt nicht zu der Gefahr einer Verfalschung der gesuchten Beweise und muß nicht möglichst vermieden werden. 99 Für die Berücksichtigung des Willens des Minderjährigen auch im Rahmen eines Untersuchungsverweigerungsrechtes wird dagegen angetUhrt, daß die Entscheidung des gesetzlichen Vertreters den Minderjährigen anhaltend belasten und sozial benachteiligen kann. lOo Zudem würde eine Entscheidung gegen den Willen des Minderjährigen in der Regel auf einer verfehlten Einschätzung der Verstandesreife beruhen. 101 Diese Bedenken können nur insoweit geteilt werden, als daß bei nicht ausräumbaren Zweifeln an der Verstandesreife der gesetzliche Vertreter nicht voll an die Stelle des Minderjährigen treten darf, sondern beide an dem Untersuchungsverweigerungsrecht im gleichen Umfang teilhaben sollen. 102
3. Belehrung gemäß § 81 c Abs. 3 Satz 2 Halbsatz 2 StPO
Der Betroffene ist über sein Weigerungsrecht nach § 81 c Abs. 3 Satz 2 Halbsatz 2 StPO in Verbindung mit § 52 Abs. 3 Satz 1 StPO zu belehren. Dies gilt unabhängig davon, ob er schon über sein Zeugnisverweigerungsrecht nach § 52 StPO belehrt worden war. 103 Die minderjährige Beweisperson ist erneut immer selbst zu belehren. Da jedoch bei Vorliegen von Verstandesunreife des Betroffenen allein der gesetzliche Vertreter über die Ausübung des Untersuchungsverweigerungsrechtes entscheidet, muß der Minderjährige in diesem Fall auch nicht belehrt wer97 Begründung zum Entwurf eines Ersten Gesetzes zur Reform des Strafverfahrensrechts (1. StVRG), BT-DruckS. 7/551, S. 61; Rieß NJW 1975,81,83. 98 So aber das Zeugnisverweigerungsrecht aus persönlichen GlÜnden gemäß § 52 StPO, vgl. 4. Kap. C II. 4. a). 99 Argument von Orlowsky, Weigerungsrechte, S. 128. 100 Eisenberg, Beweisrecht, Rdnr. 1675; ebenfalls kritisch Peters, Strafprozeß, S.259. 101 Eisenberg, Beweisrecht, Rdnr. 1675. 102 Siehe hierzu folgende Ausführungen, 5. Kapitel C. II. 4. - Seite 193 ff. 103 BGHSt 13,399.
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5. Kap.: Die Nebenpflichten des minderjährigen Zeugen
den. Belehrt wird dann - nach strittiger Ansicht - allein der gesetzliche Vertreter,I04 der in vollem Urrifang an die Stelle des zu Untersuchenden tritt. Die Gegenansicht fordert immer eine zusätzliche Belehrung des Kindes und verweist zur Begründung auf den zweiten Halbsatz von § 81 c Abs. 3 Satz 2 StPO, der ausdrücklich auf § 52 Abs. 2 Satz 3 und Abs. 3 StPO und damit auf dessen Forderung Bezug nimmt, jeweils zusätzlich den kindlichen Zeugen zu belehren. 10S Doch mit der herrschenden Meinung muß das Gesetz genauer gelesen werden: In § 81 c Abs. 3 Satz 2 Halbsatz 2 StPO wird zwar auf Satz 2 von § 52 Abs. 2 StPO, aber nicht auf den insoweit maßgeblichen Satz 1 Bezug genommen. 106 Dies entspringt auch nicht einem Redaktionsversehen, sondern man muß sich erneut vor Augen halten, daß es anders als bei der Pflicht zur Aussage als einer Leistung, es sich bei der körperlichen Untersuchung nur um eine Duldung handelt. Eine Belehrung des Kindes wäre kriminalpolitisch sinnlos und erübrigt sich daher. Das im Gesetz verankerte Modell des Alleinentscheids l07 des gesetzlichen Vertreters im Falle eines verstandesunreifen Minderjährigen verträgt sich nicht mit einer Pflicht zur Belehrung des Minderjährigen. l08 Der Minderjährige braucht nicht belehrt zu werden, da es auf seine Entscheidung gar nicht ankommt. Nicht richtig ist daher die Ansicht, daß nur in "Extremfällen" ausnahmsweise auf die Belehrung des Betroffenen verzichtet werden darf. Noch dazu bleibt offen, wodurch sich diese Extremfälle anders auszeichnen sollen, als daß der betroffene Minderjährige verstandesunreif ist. 109 Von einem falschen, da inkonsequentem Ausgangspunkt geht Paulus aus, wonach nur dann auf die zusätzliche Belehrung des Minderjährigen verzichtet werden darf, wenn dieser die Bedeutung seines Untersuchungsverweigerungsrechtes offensichtlich nicht begreift. llD Belehrungsfehler machen das Untersuchungsergebnis nicht schlechthin unverwertbar. Einmal kommt eine Heilung des Mangels etwa durch eine nach104 BGHSt 40, 336, 338 mit kritischer Anmerkung Eisenberg StV 1995, 625; SKRogall § 81 c, Rdnr. 59; Meyer-Goßner § 81 c, Rdnr.26; KK-Senge § 81 c, Rdnr. 11; HK-Lemke § 81 c, Rdnr.22; Pfeif/er § 81 c, Rdnr.4; Schlüchter, Strafverfahren, Rdnr. 198; Krey, Strafverfahrensrecht 11, Rdnr. 424; Ranft, Stratprozeßrecht, Rdnr. 738; unklar Roxin, Strafverfahrensrecht, § 33, Rdnr. 26. 105 LR-Dahs § 81 c, Rdnr. 33; AK-Wassermann § 81 c, Rdnr. 16; Eisenberg, Beweisrecht, Rdnr. 1671. 106 Vgl. hierzu auch BGHSt 40,336 (= JR 1996, 75 ff; StV 1995, 171 ff.). 107 Siehe Anmerkung Welp JR 1996, 76, 78 zu BGHSt 40, 336. 108 KMR-Rogall § 81 c, Rdnr. 59. 109 So aber Eisenberg in Beweisrecht, Rdnr. 1671 und in seiner Anmerkung StV 1995, 625 zu BGHSt 40, 336. 110 KMR-Paulus § 81 c, Rdnr. 30.
C. Die einzelnen Nebenpflichten des minderjährigen Zeugen
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trägliche Belehrung in Betracht, zum anderen kann der Betroffene durch sein späteres Verhalten eindeutig erkennen lassen, daß er die Untersuchung auch nach einer Belehrung über seine Rechte geduldet hätte. 111 Für die Revision kommt es zudem jeweils auf das Beruhen an; es muß ein ursächlicher Zusammenhang zwischen dem Unterlassen der Belehrung und der Gewinnung des Untersuchungsergebnisses bestehen und das Urteil auf dessen Verwertung beruhen. ll2
4. Belehrung bei nicht ausräum baren Zweifeln an der Verstandesreife
Bei Zweifeln an der Verstandesreife des MindeIjährigen, die das Gericht trotz sachverständiger Hilfe nicht überwinden kann, hält die Rechtsprechung die Zustimmung des gesetzlichen Vertreters für erforderlich. 1I3 So kann der Zeuge vor seiner Untersuchungsbereitschaft geschützt werden, deren Folgen er vielleicht nicht absehen kann. Dies ist insofern etwas problematischer als beim Zeugnisverweigerungsrecht, da es dort der MindeIjährige immer noch selbst in der Hand hat, ob er letztendlich aussagen will. Stellt sich nachträglich heraus, daß er doch genügend verstandesreif war, konnte er zumindest nicht gegen seinen Willen zu einer Aussage gezwungen werden. Er konnte nur nicht gegen den Willen seines gesetzlichen Vertreters eine Aussage machen. Bei dem Untersuchungsverweigerungsrecht wird im Falle des verstandesunreifen MindeIjährigen dagegen allein auf den Willen des gesetzlichen Vertreters abgestellt. Wenn über die Verstandesreife allerdings keine ausreichende Sicherheit gewonnen werden kann, ist es besser, auch die Beweisperson zu belehren und zusätzlich deren Erklärung zur Bereitschaft einzuholen, sich untersuchen zu lassen. Verweigert die Beweisperson, über deren Verstandesreife nach wie vor Zweifel bestehen, die Untersuchung, hat diese selbst dann zu unterbleiben, wenn der gesetzliche Vertreter zugestimmt hat. 114 Bei feststehender Verstandesunreife entscheidet dagegen allein der gesetzliche Vertreter. Zu bedenken ist zudem, daß sich das Vorliegen der Verstandesreife oft erst aus dem interaktiven Prozeß der Belehrung zuverlässig ergeben kann und daher auf diese nicht vorschnell verzichtet werden sollte.
LR-Dahs § 81 c, Rdnr. 61. BGHSt 12,235,243. 113 BGHSt 19, 85,86; 23, 221, 222. 114 KMR-Paulus § 81 c, Rdnr. 20. 111
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5. Ausschluß des gesetzlichen Vertreters
Der Grundsatz, daß der gesetzliche Vertreter die Entscheidung des verstandesunreifen Minderjährigen ersetzt, erfährt durch die Verweisung in § 81 c Abs. 2 Satz 2 Halbsatz 2 StPO auf § 52 Abs. 2 Satz 2 StPO eine Unterbrechung: Ist der gesetzliche Vertreter des Minderjährigen, den die Untersuchung betrifft, in diesem Verfahren angeklagt, kann er nicht über die Ausübung des Untersuchungsverweigerungsrechtes entscheiden. Dies gilt unabhängig davon, ob der Minderjährige Opfer der Tat war. Wenn die gesetzliche Vertretung beiden Elternteilen zusteht, ist zudem der nicht angeklagte Elternteil ausgeschlossen. Das gleiche ist anzunehmen, wenn die gesetzliche Vertretung nur einem Elternteil zusteht, dessen angeklagter Ehegatte aber ein leiblicher Elternteil oder ein Stiefelternteil des Minderjährigen ist, weil auch dann von einem vergleichbaren erheblichen Interessengegensatz auszugehen ist. 115 Für die Entscheidung über das Untersuchungsverweigerungsrecht muß jeweils ein Ergänzungspfleger nach § 1909 BGB bestellt werden, der an die Stelle des gesetzlichen Vertreters tritt.
6. Die Durchsetzung der Untersuchung
Die Anordnung der körperlichen Untersuchung obliegt nach Eröffnung des Hauptverfahrens dem erkennenden Gericht. Die Anordnung geschieht auf Antrag eines Prozeßbeteiligten oder von Amts wegen. Der Betroffene ist zu der Untersuchung vorzuladen. 116 Nach den Erkenntnissen dieser Arbeit sind Kinder zu Händen ihrer gesetzlichen Vertreter zu laden. Falsch wäre es, nur die Eltern mit der Auflage zu laden, sich mit ihrem Kind zur Untersuchung einzufinden. 117 Sie sind gerade nicht die richtigen Adressaten. Jugendliche sind selbst zu laden. Eine Abschrift der Ladung soll an die gesetzlichen Vertreter gehen, damit diese von einer derartigen Maßnahme gegenüber ihrem Kind erfahren und ihrer Elternpflicht genüge tun können. 118 Hinsichtlich der Durchsetzung der Untersuchung verweist § 81 c Abs.6 Satz 1 StPO auf § 70 StPO. Erneut gilt im Rahmen der repressiven Ordnungsmittel, daß die Festsetzung von Ordnungsgeld und Ordnungshaft gegenüber Kindern unzulässig ist. Gegenüber Jugendlichen ist sie dagegen rechtmäßig, so115 Eisenberg, Beweisrecht, Rdnr. 1676. Vgl. auch die Ausfiihrungen zu dem ähnlich gelagerten Problem beim Zeugnisverweigerungsrecht, 4. Kap. 4 C. 11. 4. d) ff). 116 Zur Ladung Minderjähriger gelten die Ausfiihrungen zur Zeugenladung entsprechend; vgl. Seite 72 ff. 117 So aber LR-Dahs § 81 c, Rdnr. 53. 118 Vgl. Ausfiihrungen zur Zeugenladung, 4. Kap. C. I. 2. b) cc) (2).
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fern diese über die notwendige Altersreife verfugen. 1I9 Gegen den gesetzlichen Vertreter dürfen Ordnungsmittel nicht festgesetzt werden. Da § 81 c Abs. 6 Satz 2 StPO die Möglichkeit der Anwendung unmittelbaren Zwangs erlaubt, darf im Gegenzug keine Beugehaft nach § 70 Abs. 2 StPO gegen den Betroffenen verhängt werden. 120 Grundsätzlich setzt die Anordnung des repressiven unmittelbaren Zwangs keine Schuldfähigkeit voraus und ist daher auch gegenüber Kindern denkbar. Je jünger der MindeIjährige allerdings ist, desto wahrscheinlicher kann von einer Unverhältnismäßigkeit des Zwangsmittels ausgegangen werden. Im Regelfall setzt die Zwangsanordnung voraus, daß der Betroffene trotz eines festgesetzten Ordnungsgeldes bei seiner Weigerung verharrt. 121 Da die Möglichkeit der Festsetzung von Ordnungsgeld bei Kindern von vornherein ausscheidet, käme es bei ihnen nicht auf die Einhaltung dieser Reihenfolge an.
III. Die Glaubwürdigkeitsbegutachtung Die Begutachtung der Glaubwürdigkeit des Zeugen ist für die Hauptverhandlung von besonderem Belang,122 körperliche Untersuchungen haben dagegen zumeist schon vorher stattgefunden. Eine Körperverletzung beispielsweise ist bis zur Hauptverhandlung zumeist längst verheilt; eine Untersuchung auf unmittelbare Spuren oder Folgen der Tat würde dann keinen Sinn mehr machen. Paradoxerweise gibt es keine ausdrückliche Gesetzesvorschrift für die Untersuchung der Glaubwürdigkeit eines Zeugen. Diese wichtige und oft prozeßentscheidende Untersuchung ist ungeregelt geblieben, obwohl allein die hohe praktische Relevanz dieser Explorationen die Schaffung einer speziellen Rechtsgrundlage schon lange rechtfertigen würde. 123 Eine Aburteilung von Sexualdelikten findet regelmäßig unter Hinzuziehung eines Glaubwürdigkeitsgutachters statt. 124 Es muß auf die Vorschrift der körperlichen Untersuchung gemäß § 81 c StPO zurückgegriffen werden. Aus dem Umkehrschluß zu § 81 c StPO ist allgemein anerkannt, daß die Begutachtung nur mit Einwilli119 Eisenberg, Beweisrecht, Rdnr. 1680. V gl. hierzu auch die Ausführungen 4. Kap. C. I. 4. b) und 4. Kap. C. 11. 6. 120 Meyer-Gaßner § 81 c, Rdnr. 30. 12\ KMR-Paulus § 81 c, Rdnr. 38. \22 Wenn es auch sinnvoller ist, Gutachter zu einem frühestmöglichen Zeitpunkt, also bereits im Ermittlungsverfahren, zu bestellen; vgl. Schalz / Endres NStZ 1995, 6, 10; Gunder, Umgang, S. 69 f. 123 Dippel macht hierzu einen entsprechenden Vorschlag, FS Tröndle, S. 599, 622 f. 124 Langen, Gutachten, S. 149.
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5. Kap.: Die Nebenpflichten des minderjährigen Zeugen
gung des Betroffenen erfolgen kann, da von ihm ein aktives Tun - etwa die Beantwortung von Fragen des Gutachters - verlangt wird. 125 Eine Untersuchung ohne die erteilte Einwilligung des Zeugen ist unzulässig. Die Begutachtung selbst erfolgt regelmäßig räumlich von der Hauptverhandlung ausgelagert und nur das Ergebnis der Exploration wird von dem Sachverständigen in der Hauptverhandlung vorgetragen, der soweit es sich um Befundtatsachen handelt als Sachverständiger vernommen wird. Über Zusatztatsachen, zu deren Wahrnehmung keine besondere Sachkunde erforderlich ist, wird auch der Sachverständige als Zeuge vernommen. 126
1. Gründe der sachverständlichen Begutachtung, insbesondere die Suggestibilität minderjähriger Zeugen
Schon vor nunmehr knapp 30 Jahren befurchtete man eine "Einsturzgefahr der StPO" im Zusammenhang mit dem Vordringen der Glaubwürdigkeitsbegutachtungen von Zeugen durch Sachverständige,127 bisweilen ist von einer "Inflation der Sachverständigen im Gerichtssaal" die Rede. 128 Die Stratprozeßordnung steht noch fest in ihren Fundamenten. Das Mißtrauen der Juristen gegenüber den psychologischen Sachverständigen ist über die Jahre geblieben. "Die Problematik des Sachverständigenbeweises als Problem der Strafrichter" überschreibt Dippel eine Untersuchung der Beziehung von Richtern und Sachverständigen. 129 Undeutsch stellt die spezielle Abneigung der Gerichtsjuristen gegen die psychologischen Sachverständigen an vielen Beispielen dar und versucht, Ursachen zu benennen. 130 Fakt ist, daß die Einschätzung der Glaubwürdigkeit von Zeugenaussagen "ureigene" Aufgabe des Strafrichters ist. l3l Insbesondere dem Tatrichter gesteht der BGH zu, daß "die Beurteilung des Wertes von Zeugenaussagen [... ] von jeher zum Wesen richterlicher Rechtsfindung gehört.'''32 Wie der Bundesgerichtshof schon wiederholt hervorgehoben hat, gilt der Grundsatz der ureigenen Richteraufgabe selbst bei Aussagen mindeIjähriger Zeugen. 133 Die Hinzuzie125 BGHSt 40,336; LR-Dahs § 81 c, Rdnr. 8.
Gössel, Strafverfahrensrecht, S. 228; weiterfiihrend hierzu Gössel DRiZ 1980, 363 ff. 127 Krauß ZStW 85 (1973), 321, 327. 128 Schnetz, Kind, S. 9. 129 Dippel, Sachverständiger, S. 47 ff. 130 Undeutsch, FS Lange, S. 703 ff. 131 BGHSt 3,52,53; 8, 130,131. 132 BGHSt 8,130,131. 133 BGHSt 8,130,131. 126
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hung eines Gutachters zur Beurteilung solcher Aussagen wäre daher nach diesem Grundverständnis nur in außergewöhnlichen Fällen angezeigt. 134 Und selbst wenn ein Sachverständiger mit der Erstellung eines Gutachtens beauftragt worden ist, hat das Gericht das "letzte Wort" bei der Beurteilung der Glaubwürdigkeit einer Aussage. 135 "In dieser heutigen Welt, die bestochen ist von spitzfindigem Stadtvolk, sprechen nur mehr Kinder und Einfältige die Wahrheit.,,136 Wäre dieser Satz von Konfuzius wahr oder würde ihm zumindest mehr Glauben geschenkt werden, gäbe es im Zusammenhang mit minderjährigen Zeugen nicht eine besondere Häufung von Explorationen der Glaubwürdigkeit.!37 Doch junge Menschen gelten als generell problematische Zeugen, deren Aussagen besondere Aufmerksamkeit zuteil werden muß. 138 Die Zweifel an der Glaubwürdigkeit minderjähriger Zeugen haben sich formal in den Eidvorschriften niedergeschlagen. Der Gesetzgeber verzichtet von vornherein auf deren Vereidigung. Empirisch äußert sich dieses Mißtrauen in der zusätzlichen Inanspruchnahme der Minderjährigen in Form der Glaubwürdigkeitsbegutachtung. Aus dem Handbuch des Strafverteidigers von Dahs ergibt sich unter dem Stichwort "Aussage von Kindern und Jugendlichen" folgende programmatische Assoziationskette: Scheinbar glaubhafte Aussagen, die sich nachher als notorisch falsch erwiesen haben. 139 Untersucht man die Fehleranfälligkeit von Aussagen, kommt man zu dem Ergebnis, daß der Beweiswert jedes Zeugen kritisch einzustufen ist. 140 Doch ein grundsätzlicher Verdacht nicht zutreffender, erfundener oder phantasierter Aus134 BGHSt 8, 130. So auch BGHSt 45, 164,182: "Hält der Tatrichter ausnahmsweise die Einholung eines Glaubhaftigkeitsgutachten fiir erforderlich [... ]". 135 BGHSt 21,62,63. 136 Kanfuzius (500 v. ehr.), zitiert nach Schnetz, Kind, S. 9. 137 Wenn auch über die Anzahl der Glaubwürdigkeitsuntersuchungen bei mindeIjährigen Zeugen keine exakten Zahl genannt werden kann, weil keine entsprechenden Untersuchungen existieren. Eine Studie von Busse / Valbert hat sämtliche Akten aus Ermittlungs- und Strafverfahren wegen sexuellen Mißbrauchsdelikten aus dem Jahr 1991 in Berlin ausgewertet. In 1109 analysierten Akten mit insgesamt 1826 Geschädigten fanden sich nur 34 Glaubwürdigkeitsgutachten über 33 Geschädigte. Es ergibt sich ein Anteil begutachteter Zeugen von nur 2%; vgl. Busse / Valbert, Glaubwürdigkeitsgutachten, S. 131, 133. Auf der anderen Seite ist Walke in ihrer ebenfalls 1991 in Köln durchgefiihrten Aktenanalyse zu dem Ergebnis gekommen, daß hier 20% der geschädigten Kinder begutachtet worden sind; zit. nach Grunder, Umgang, S. 59. Das Ergebnis dieser Diplomarbeit entspricht auch der schon einige Jahre zurückliegenden Studie von Prahm: 1964 bis 1966 sind im Landgerichtsbezirk Marburg 22% der Kinder in Strafverfahren wegen Sexualdelikten begutachtet worden, Prahm MschKrim 97 (1974), 193. 138 Undeutsch, Entwicklung, S. 5 139 Dahs, Handbuch, Rdnr. 569. 140 Vgl. 2. Kapitel D. - Seite 37 ff.
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sagen gerade gegenüber minderjährigen Zeugen ist nach neueren Erkenntnissen nicht gerechtfertigt. Doch die Brauchbarkeit der Aussagen von Minderjährigen wurde entweder strikt abgelehnt l41 oder befürwortet; eine differenziertere Betrachtungsweise setzt sich erst in aktuellerer Zeit durch. 142 Stern stellte zwar schon 1926 fest, daß er die Glaubwürdigkeit jugendlicher Zeugen nicht allgemein diskreditieren möchte. Selbst wenn er nach eigenem Bekunden eine "General-Entwertung" dieses Beweismittels nicht anstrebte, so verlangte er doch nach der Beiziehung eines psychologischen Gutachters für fast alle Zeugenaussagen Minderjähriger. 143 Erst Undeutsch brachte den Glauben an die Glaubwürdigkeit dieser Aussagen zurück: "Ich wage den Satz, daß bei Bekundungen, die zum Inhalt haben, daß der Zeuge Opfer einer sittlichen Verfehlung geworden ist, die glaubhafte Aussage die Regel iSt.,,144 Dieses Vertrauen in die Aussage mag zu weit gehen. Doch jedenfalls sind die minderjährigen Zeugen nach neueren Erkenntnissen per se kein Unsicherheitsfaktor, auf deren Aussagen nur deshalb nicht verzichtet werden kann, weil sie beispielsweise bei Sexualdelikten die einzigen Zeugen einer Tat sind. 14s Die aussagepsychologische Begutachtung wird demnach zu Lasten vor allem der kindlichen Zeugen zu häufig durchgeführt; diese deuten die Begutachtung oft als eine Form von Mißtrauen. 146 Spontane, tatnahe Aussagen von Kindern sind nach einer Ansicht sogar zu 92 bis 95% glaubhaft. 147 Prinzipiell bedarf es zur Beurteilung der Glaubwürdigkeit einer Aussage eines Minderjährigen daher nur in Ausnahmefällen der Hilfe eines Sachverständigen. 148 Allerdings ist hier auch kein Platz für Empörung, warum die Glaubhaftigkeit gerade von minderjährigen Opferzeugen in Verdachtsfällen des sexuellen Kindesmißbrauchs überhaupt in Frage gestellt wird. Selbst wenn bei jüngeren Kindern in der Tat schon zweifelhaft ist, ob sie bereits die Fähigkeit zur bewußten Falschaussage haben. 149 Die hohe Suggestibilität von Kindern im Vergleich zu Erwachsenen ist aber oft ein berechtigter Grund, an deren Zeugentauglichkeit zu zweifeln. ISO Bei minderjährigen Zeugen ist jeweils entscheidend die Vgl. auch Szewczyk, Psychologie der Aussage, S. 775 ff. Döhring, Erforschung. S. 85 f. 143 Stern, Jugendliche Zeugen, Vorrede S. VI. 144 Undeutsch, Entwicklung, S. 5. 145 So aber Prahm, Glaubwürdigkeit, S. 1. 146 Gunder, Umgang, S. 55. 147 Endres / Scholz NStZ 1994,466, 470; Kintzi DRiZ 1996, 184, 185. 148 Frommel, Möglichkeiten, S. 31, 49. 149 Eisenberg, Beweisrecht, Rdnr. 1411. 150 Endres / Scholz / Summa, Aussagesuggestibilität, S. 189 ff.; Scholz / Endres berichten von einem Fall, bei dem Erzieherinnen in einer Kindertagesstätte einen wahrscheinlich unzutreffenden Fall von sexuellem Mißbrauch durch die eigene Großmutter 141
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Entstehungsgeschichte der Aussage mit in die Glaubwürdigkeitsabwägung einzubeziehen. 151 Da Kinder in sie projizierte Erwartungen eher zum Inhalt ihrer Aussage machen, als Erwachsene dies tun würden, müssen immer suggestionsbedingte Erinnerungsveränderungen der jungen Zeugen erwogen werden. 152 Sobald vor allem jüngere Kinder vor ihrer ersten amtlichen Aussage beispielsweise über Mißbrauchserlebnisse Einflüssen unterschiedlicher Art ausgesetzt waren, kann nicht mehr ohne weiteres davon ausgegangen werden, daß diese Aussage erlebnisbegründet und somit wahr iSt. 153 Waren die Kinder intensiven Befragungen ihrer Eltern oder privaten Initiativen unterzogen, sind suggestive Befragungen oft zu vermuten, aber zumeist mangels Aufzeichnung der Gespräche nicht nachzuvollziehen. 154 Es heißt sogar, daß "unsachgemäße Explorationen durch Laien [... ], die hochmotiviert sind, Fälle sexuellen Mißbrauchs aufzudecken, [... ] wohl eher die Regel als die Ausnahme" sind. 155 Wertvoll für die Beurteilung der Aussage wäre - neben einer auf Video aufgezeichneten Erstvernehmung - die Dokumentation früherer "Sitzungen" mit dem Minderjährigen. 156 Nur so könnten später mögliche suggestive Befragungen des Kindes ausgeschlossen werden. 157 Als Schulbeispiel für die Suggestibilität minderjähriger Zeugen gelten inzwischen die sogenannten Wormser Prozesse (drei Parallelverfahren Worms I, 11 und III), die vor dem Landgericht Mainz erstmals mit dem Einsatz von Vi-
in ein 7jähriges labiles Mädchen "hineingefragt" haben. Das Kind befand sich schon ein Jahr bei einer Pflegefamilie, als ein Gutachter feststellte, daß das Kind nicht zur Abgabe einer verwertbaren Aussage in der Lage war, NStZ 1995,6, 9jJ. Vgl. auch MichaelisArntzen, Suggestibilität, die rur Kleinkinder zu dem Ergebnis kommt, daß diese aufgrund der Art ihrer Gedächtnisreproduktion zum Teil nur beinhaltet befragt werden können. Daß gleichzeitig aber gerade diese Art von Fragen, die einen Teil der wahrscheinlichen Antwort schon enthalten, aber leicht in das Erinnerungsgut der Kinder eingreifen und dieses umgestalten können, S. 205 ff. 151 BGH StV 1995,451,452. 152 Eisenberg, Beweisrecht, Rdnr. 1892. 153 Niehaus, Glaubhaftigkeitsmerkmale, S. 13; zu dem Begriff der Erlebnisbegründetheit, vgl. 5. Kap. C. III. 2. 154 Scholz / Endres NStZ 1995, 6, 9 jJ. stellen die Folgen unprofessioneller Vorabexplorationen dar. 155 Scholz / Endres NStZ 1995, 6, 9; Frommel sieht durch diese pauschale Kritik "Opfervertreterinnen" von den Initiativen "Wildwasser" und "Zartbitter", die Beratungsstellen betreiben und auch Prozeßbegleitung anbieten, angegriffen, Möglichkeiten, S.31,46. 156 Jones, Sexueller Mißbrauch, S. 28 mit Vorschlägen zum Gesprächsaufbau je nach Alter des Kindes oder Jugendlichen, S. 36 ff. 157 Schäch, FS Meyer-Goßner, S. 365,371.
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deotechnik geführt wurden. 158 Bei Worms I ging es um Vorwürfe wegen des sexuellen Mißbrauchs von Kindern gegen sechs Angeklagte, die freigesprochen wurden. Die Kinder gerieten im Laufe des langen Verfahrens (Anfang 1994 bis Juni 1997) in einen eigenen psychologischen Prozeß, an dessen Ende nicht mehr verwertbare Aussagen standen. 159 Zumal man inzwischen weiß, daß je länger der Zeitabstand zu der Tat wird, desto anfälliger Kinder für Suggestivfragen werden. 160 Die Kinder waren von so vielen Institutionen mit entsprechendem Aufklärungseifer vernommen worden, daß sie kurz bevor der Prozeß endete, sogar schon die beiden Staatsanwältinnen ebenfalls des sexuellen Mißbrauchs beschuldigten. 161 Vergleichbares passierte im sogenannten ,,Montessori- Verfahren" vor dem LG Münster gegen einen in einem Coesfelder Montessori-Kinderhaus tätigen Erzieher, der nach 26 Monaten Untersuchungshaft und weit über 120 Sitzungstagen mit mehr als 120 gehörten Zeugen freigesprochen werden mußte. 162 Auch hier verselbständigten sich durch die vielfachen Befragungen der Kinder im Vorfeld deren Aussagen und wurden letztendlich gänzlich unbrauchbar. 163 Die Kinder waren mit zweifelhaften Techniken wie: "Was könnte der Mann noch mit Dir gemacht haben?" befragt worden. 164 Das Beweismittel Zeuge wurde wertlos gemacht, indem etwas hineingefragt wurde. 165 Dies ist jeder Hinsicht ein unnötiges Ergebnis: War der Angeklagte wirklich frei von Schuld, dann kann ein solches Verfahren mit seiner großen Medienpräsenz dennoch sein Leben zerstören. Es droht trotz des Freispruchs die gesellschaftliche Ächtung. Waren die Tatvorwürfe gerechtfertigt, ist dieser Angeklagte seiner Strafe entgangen, obwohl die entsprechenden Beweise vorhanden gewesen wären. Sowohl im Montessori-Verfahren als auch bei den Wormser Prozessen haben die Aussagen eine gruppendynamische Entwicklung mit zusätzlichen suggestiven Einflüssen durchlaufen, die sich häufiger in sogenannten Massenbe158 LG Mainz StV 1995,354 ff. Dem Zeugen in dem Verfahren Worms 11 wurde so die direkte Vernehmung vor immerhin 43 Prozeßbeteiligten (mit allein 13 Angeklagten und deren 20 Verteidiger) erspart. Vgl. 3. Kap. Fn. 103. 159 Einen Überblick über den Zeitraum von der Erstaussage bis zur Hauptverhandlung gibt Schade StV 2000, 165 ff. 160 Wegner ZRP 1997,404,408 mit weiteren Nachweisen. 161 Schade StV 2000, 165,168. 162 Urteil des Landgerichtes Münster vom 16.05.1995, Az. 34 Js 711 /91; Schreiber, Zeugenbefragung,S.5. 163 Die Kinder waren auch unter Verwendung sogenannter anatomisch korrekter Puppen befragt worden. Kritisch zum Beweiswert therapeutischer Sitzungen mit Zuhilfenahme dieser Puppen BGH StV 1995,563 und OLG Bamberg NJW 1995, 1684 f. Einen Überblick verschafft auch Schlathauer, Glaubwürdigkeitsbegutachtung, S. 143,147 164 Vgl. Schreiber, Zeugenbefragung, S. 4 ff. 165 Schalz / Endres NStZ 1995, 6, 9 f.
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schuldigungsverfahren beobachten läßt,166 also immer dann, wenn mehrere Kinder beispielsweise in einer Kindergartensituation einen Erzieher beschuldigen. Die Notwendigkeit einer aussagepsychologischen Begutachtung in Fällen, in denen mehrere Kinder oder Jugendliche Aussagen machen, die einen gemeinsamen Erlebnishintergrund und eine gemeinsame Entstehungsgeschichte haben, ist daher inzwischen anerkannt. 167 Als gesicherte These gilt ebenfalls, daß eine Aussage durch ,,Aufdeckungsgespräche" verändert wird. 168 Nach den Ergebnissen dieser Arbeit sind die Aussagen von Kindern grundsätzlich nicht weniger glaubhaft als die von Erwachsenen, sofern man die Entstehungsgeschichte der Aussage gründlich berücksichtigt hat. Die erwiesenermaßen hohe Suggestibilität dieser Zeugengruppe muß schon im Vorfeld ausgeschaltet werden,169 indem diese Zeugen mit Hilfe nicht suggestiver Vernehmungstechniken befragt werden. 170 Man erhält dann auch von sehr jungen Kindern verläßliche Angaben, sofern sie in möglichst wenig Terminen mit möglichst wenig direkten Fragen unvoreingenommen befragt werden. 171 Dies setzt jedoch gute Fertigkeiten der Interviewtechnik der Vernehmungsperson voraus. l72 Gross formulierte schon 1898 überspitzt "Der Zeuge ist wie ein Instrument, das wertlos ist in der Hand des Stümpers, mit dem aber alles geleistet werden kann in der Hand des Meisters.,,173 Welcher Richter kann von sich be166 Deckers NJW 1996, 3105, 3111; aufschlußreich zu Massenbeschuldigungsverfahren auch Schreiber, Zeugenbefragung. 167 Schlathauer, Glaubwürdigkeitsbegutachtung, S. 143, 144. 168 Schatz NStZ 2001, 572 ff., der mögliche interaktionale Bedingungen für nicht glaubhafte Zeugenaussagen aufzeigt. So wird eine Aussage wohl auch durch die Anwesenheit mehrerer Fragesteller beeinträchtigt, da es zu einer unsymmetrischen Gesprächssituation kommt und die aussagende Person leicht in eine Abwehrhaltung gerät. Ferner wird die Aussage durch das Gesprächsverhalten der befragenden Person beinflußt, wenn diese etwa wiederholt darauf insistiert, das Ereignis gemeinsam besprechen zu wollen oder die befragte Person mit Vennutungen konfrontiert. Sehr kritisch zur Arbeit "professioneller" Mißbrauchsaufdecker auch Steiler / Valbert, Glaubwürdigkeitsbegutachtung, S. 12,27 ff. 169 Inzwischen sind einige standardisierte Verfahren zur Erfassung individueller Unterschiede in der Aussagesuggestibilität entwickelt worden; vgl. Endres / Schatz / Summa, Aussagesuggestibilität, S. 189,197 ff. 170 Hingewiesen werden muß kurz noch auf ein neu aufgetretenes Problem im Bereich der Venneidung suggestive Fragetechniken: Je größer und strenger die Anforderungen an eine nichtsuggestive Untersuchungsdurchführung gestellt werden, desto größer ist wohl auch die Gefahr, daß ein zutreffender Verdacht nicht bestätigt werden kann; Endres / Schalz NStZ 1994, 466, 472. 171 Eisenberg, Beweisrecht, Rdnr. 1413, aufschlußreich zur Bedeutung der Suggestibilität bei kindlichen Zeugen auch Langen, Gutachten, S. 160 ff. 172 Weiterführend zur Vernehmung von Kindern und Jugendlichen: Arntzen, Vernehmungspsychologie, S. 34 ff. und derselbe, Kindervernehmung, S. 11 ff. 173 Grass, Criminalpsychologie, S. 330.
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5. Kap.: Die Nebenpflichten des minderjährigen Zeugen
haupten, auf dem Gebiet der Vernehmungspsychologie über die entsprechende Kompetenz zu verfugen? Dann stünde einer gut verwertbaren Zeugenaussage von MindeIjährigen nichts im Wege. 174 Gerade jüngere Kinder können ein sogar hervorragendes Erinnerungsvermögen haben, wenn sie noch über eine in diesem Alter übliche eidetische Sichtweise (visueller Gedächtnistyp ) verfUgen. 175 Das Problem ist damit nicht die Kinderaussage an sich, sondern die unsachgemäße Befragung. Selbst, wenn der Richter über die notwendige Kompetenz verfugt, wer garantiert, daß der MindeIjährige durch entsprechende Vorbefragungen nicht schon als guter Zeuge "verbraucht" wurde. Insofern ist die Forderung, "dem weiteren Vordringen psychologisch-professioneller Sachkunde in diesen Kernbereich richterlicher Tätigkeit entgegenzutreten", derzeit noch zum Scheitern verurteilt. 176 Erst wenn sich die Befragungstechniken der Richter verbessert haben und sich die Einsicht durchgesetzt hat, daß die Vermeidung von Mehrfachvernehmungen nicht nur dem Wohl des Zeugen dient, sondern zudem einen unmittelbaren Bezug zur Wahrheitsfindung hat, wird man diese Forderung wieder aufnehmen dürfen. 177 Allerdings beruht die Existenz vieler Glaubwürdigkeitsgutachten auf dem "skurrilen Motto des eher Zuviel.,,178 Kein Richter will nur aufgrund eines fehlenden Gutachtens in der nächsten Instanz aufgehoben werden. Die Ausübung der "ureigensten" Aufgabe ist dem Sachverständigen übergeben worden. 179 Nur die Beurteilung geistig gesunder erwachsener Zeugen ist "so ziemlich die letzte Bastion eigener Sachkunde" des Richters. 18o Ein berechtigter Anlaß zur Hinzuziehung eines Sachverständigen besteht jedoch nur, wenn "Eigenart und besondere Gestaltung des Einzelfalls" eine Sachkunde verlangen, über die der Richter trotz spezifisch forensischer Erfahrungen nicht verfUgt. 181 Entsprechend ist Eisenberg, Beweisrecht, Rdnr. 1415. Eil, Kinder, S. 45; Bender / Räder / Nack, Tatsachenfeststellung Band 11, Rdnr.858. 176 Fischer NStZ 1994, 1,5; Fabian/Greuel/Stadler vermuten, daß "die Vertreter derartiger Positionen mit dem methodischen Vorgehen einer sachgerechten, hypothesengeleiteten, forensisch-psychologischen Glaubwürdigkeitsdiagnostik wie auch mit deren empirischen Grundlagen nur wenig vertraut sind,. StV 1996, 347, 348. l77 Vgl. auch Wegner ZRP 1997, 404 ff. 178 Fischer NStZ 1994, 1,2; KK-Herdegen § 244, Rdnr. 31, der als Beispiele BGH NStZ 1985,420,421; BGH StV 1991,547; BGH StV 1994, 173; BGH JZ 1990,52, BGHR StPO § 244 Abs. 2 Glaubwürdigkeitsgutachten 1; OLG Düsseldorf JR 1994,379 mit Anmerkung Blau anführt. 179 Fischer spricht von der "Farce" der Ausübung der ureigensten Aufgabe, NStZ 1994, 1,2. 180 G. Schäfer, Praxis des Strafverfahrens, S. 311 (Rdnr. 723). 181 BGHSt 8,130,131; 23, 8, 12; BGH StV 1991,245; BGH 1991,547. 174
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dies in den Richtlinien rur das Strafverfahren fonnuliert: Nach Nr. 19 Abs. 7 RiStBV ist dann ein Sachverständiger, der über besondere Kenntnisse und Erfahrungen auf dem Gebiet der Kinderpsychologie verrugt, hinzuzuziehen, wenn die Glaubwürdigkeit zweifelhaft bleibt. Eine nachvollziehbare Linie rur die Notwendigkeit der Beauftragung eines Sachverständigen hat sich in der Rechtsprechung bislang nicht herauskristallisiert. Der BGH stellt selbst klar, daß es sich hierbei um "keine unverrückbaren Rechtsgrundsätze" handeln kann, sondern um "nachgiebige Regeln."I82 Noch 1952 hatte der BGH entschieden, daß der Richter imstande ist, ohne Hilfe die Aussage eines kindlichen oder jugendlichen Zeugen zu würdigen, auch im Sittlichkeitsprozeß. 183 Doch schon zwei Jahre später ist nach einem Urteil des BGH immer dann ein Sachverständiger zu bestellen, wenn die Zeugenaussagen von Kindern und Jugendlichen die alleinigen oder wesentlichen Beweismittel, also die Hauptgrundlage, darstellen. 184 Diese Entscheidung gilt als Trendwende, die den Sachverständigen "die Türe zum Strafprozeß" geöffnet hat,185 denn diese Konstellation wird gerade in Verfahren wegen sexuellen Mißbrauchs von Kindern und Jugendlichen der Regelfall sein. Gleichzeitig betonte der BGH jedoch in derselben Entscheidung, "daß Kinderaussagen nicht häufiger unglaubwürdig sind als die Aussagen von Erwachsenen, daß vielmehr die Kinder oft sogar die besten Zeugen sind.'''86 1981 entschied der BGH dann wieder, daß "die Aufklärungspflicht [... ] regelmäßig nicht (verlangt), daß zur Beurteilung der Glaubwürdigkeit eines kindlichen Zeugen ein Sachverständiger zugezogen wird", obwohl die Aussage des Kindes die Hauptgrundlage der Verurteilung bildete. 187 Etwas anderes solle nur gelten, wenn das Kind aus dem "gewöhnlichen Erscheinungsbild des Kindesalters hervorstechende Züge oder Eigentümlichkeiten aufweist, deren Beurteilung eine besondere Sachkunde voraussetzt, die ein Richter nonnalerweise nicht besitzt.,,188 Der BGH hatte in der Revision den Fall einer neunjährigen Opferzeugin eines sexuellen Mißbrauchs zu entscheiden, bei der die Jugendschutzkam-
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BGH NJW 1961, 1636.
183 BGHSt 3, 52 und BGHSt 3, 27 mit der Einschränkung, daß bei Kindern im Zu-
sammenhang mit Ereignissen, die sich auf geschlechtliche Vorgänge beziehen, die Zuziehung eines Sachverständigen zur Beurteilung der Glaubwürdigkeit oft nicht zu umgehen ist. 184 BGHSt 7, 82 ff.; kritisch hierzu Bockelmann GA 1955, 321 ff, der dem BGH vorwirft, das Selbstvertrauen des Instanzrichters "tunlichst zu erschüttern", indem er darlegt, wie sehr der Sachverständige dem Richter "überlegen" ist. 185 Roesen NJW 1964,442. 186 BGHSt 7,82,83. 187 BGH NStZ 1981,400. 188 BGH NStZ 1981,400.
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mer die Hinzuziehung eines Sachverständigen zur Beurteilung der Glaubwürdigkeit der Zeugin für entbehrlich hielt. Nach Auffassung des BGH wäre nur anders zu entscheiden gewesen, wenn sich die Zeugin beispielsweise bereits in der Pubertät befunden hätte. Da sich bezüglich der Zeugin aber keinerlei AuffäHigkeiten aufdrängten, hatte die Kammer nach Ansicht des BGH richtig entschieden. Zusammenfassend kann gefolgert werden, daß der - allerdings nicht immer durchgehaltene - Grundsatz gilt, daß nur besondere Umstände sachverständliehe Hilfe erforderlich machen. 189 Eine Besonderheit, die ein Gutachten verlangt, kann bei entwicklungsunauffälligen Kindern und Jugendlichen ein langer Zeitablauf zwischen dem mutmaßlichen Tatgeschehen und der Aussage sein, wenn also deren Erinnerungsfähigkeit zweifelhaft ist,190 ferner wenn ein Zeuge besondersjung 191 oder geistig behindert iSt. l92 Die Tatsache, daß es sich um ein Verfahren wegen des sexuellen Mißbrauchs von Kindern und Jugendlichen handelt, bedeutet wohl nicht, daß die Hinzuziehung eines Sachverständigen obligatorisch ist, aber die Frage der Notwendigkeit soll dennoch zumindest geprüft werden. 193 Ein Sachverständiger muß dagegen dann hinzugezogen werden, wenn die mindeljährigen Zeugen Persänlichkeitszüge und Verhaltensweisen zeigen, die sie von Gleichaltrigen unterscheiden. 194 Einen solchen Umstand hatte der BGH allerdings bei einer Zeugin, die immerhin einen Suizidversuch hinter sich hatte, nicht angenommen. 195 Ferner muß nach Ansicht des BGH die Aussage eines mindeljährigen Zeugen besonders kritisch geprüft werden, wenn vor Beginn der Ermittlungen private Befragungen zu den Tatvorwürfen stattgefunden haben. 196 Erneut ist eine Glaubwürdigkeitsbegutachtung jedoch selbst dann nicht in jedem Fall in Auftrag zu geben. Die Schaffung einheitlicher Kriterien für Gründe, die die Hinzuziehung eines Sachverständigen nötig machen, scheint somit nahezu unmöglich, kann aber auch gar nicht gewünscht sein. Es "werden der Bericht eines 12jährigen Jungen über einen zufällig als nichtbeteiligter Augenzeuge beobachteten Verkehrsunfall und der Bericht eines gleichaltrigen Mädchens von Übergriffen, die sich ein erwachsener Mann ihm gegenüber angeblich zuschulden kommen ließ, 189 BGH NStZ 1985,420; BGH NStZ 1994,503; BGH NStZ 1997,355,356. 190 BGH StV 1994, 173; ähnlich schon BGH NJW 1967,313. 191 OLG Zweibrücken StV 1995,398.
BGH NStZ-RR 1997, 171. RG JW 37,1360; BGHSt 7,82; BGH NJW 1961, 1636, BGH NStZ 1981,400. 194 BGHSt 3,54; 8, 130; 23, 8, 12j; BGH NJW 1959,2315; BGH NStZ 1981,400; BGH NStZ 1985,420,421; BGH NStZ-RR 1997, 171; vgl. auch KK-Herdegen § 244, Rdnr. 31 mit weiteren Nachweisen. 195 BGH NStZ 1997, 355 f.; kritisch hierzu Eisenberg, Beweisrecht, Rdnr. 1861. 196 Schäfer I Sander, Glaubhaftigkeit, S. 52, 55. 192 193
c. Die einzelnen Nebenpflichten des minderjährigen Zeugen
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durch eine Kluft getrennt sein, die es fast verbietet, solche Sachverhalte unter dem gemeinsamen Gesichtspunkt der Kinderaussage zu betrachten.'''97 Dem Richter bleibt stets das letzte Wort im Rahmen der Gesamtwürdigung des Beweisstoffs. "Nimmt er einfach hin, was der Sachverständige ihm sagt, liegt der Kompetenzverstoß bei ihm, nicht beim Sachverständigen.'''98
2. Glaubwürdigkeit und Glaubhaftigkeit
Für die Beurteilung des Wahrheitsgehaltes der Aussagen von minderjährigen Zeugen können die Glaubwürdigkeit der Beweisperson und die Glaubhaftigkeit der Aussage maßgeblich sein; es besteht insoweit kein Unterschied zu erwachsenen Zeugen. Diese Begriffiichkeiten werden in der Literatur unreflektiert verwendet und teilweise sogar verwechselt. Zumeist ist zwar von der Glaubwürdigkeit die Rede, gemeint ist jedoch die Glaubhaftigkeit einer Aussage. Glaubwürdigkeit im engeren Sinne bedeutet dagegen die Glaubwürdigkeit einer Person im allgemeinen: 199 Ist der Zeuge möglicherweise ein notorischer Lügner, sind Zweifel an seiner allgemeinen Glaubwürdigkeit angebracht. Die Glaubhaftigkeit fragt hingegen nach dem Wahrheitsgehalt der konkreten Aussage. 200 Nichts deutet auf eine wie auch immer geartete Hierarchie zwischen Glaubwürdigkeit und Glaubhaftigkeit hin; es gibt daher auch keinen praktischen Bezug zwischen beiden Konzepten. 20l Richtig ist vielmehr, daß es in der aussagepsychologischen Beurteilung eines Zeugen nicht um die Frage seiner allgemeinen Glaubwürdigkeit im Sinne einer dauerhaften personalen Eigenschaft geht, sondern um die Beurteilung, ob auf ein bestimmtes Geschehen bezogene Angaben zutreffen, also einem tatsächlichen Erleben der untersuchten Person entsprechen. 202 Für die Begutachtung ist in erster Linie die Glaubhaftigkeit der Aussage entscheidend;203wenn auch bei Minderjährigen die Zeugentüchtigkeit, insbesondere das intellektuelle Leistungsvermögen, die Erinnerungsfahigkeit und die Sprachentwicklung untersucht werden muß. 204 Die grundlegende von Undeutsch entwickelte These der Aussageanalyse lautet, daß sich wahre - erlebnisgebundene - Aussagen von falschen - nicht erlebnisgebundenen - Aussagen 197 Beispiel von Bach, Kindliche Zeuginnen, S. 5. KK-Herdegen § 244, Rdnr. 31. 199 KK-Herdegen § 244, Rdnr. 31. 200 Streng getrennt sind die Begriffe bei Eisenberg, Beweisrecht, Rdnr. 1882 ff. 201 Kilian-Herklotz, Strafprozess, S. 195,201. 202 BGHSt 45, 164,167; BGH NStZ 2001, 45, 46. 203 Deckers NJW 1996, 3105, 3107; Müller-Luckmann, Beurteilung, S. 789, 795. 204 Jansen StV 2000, 224, 225. 198
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5. Kap.: Die Nebenpflichten des minderjährigen Zeugen
strukturell und qualitativ in charakteristischer Form unterscheiden. 20s Hierzu sind gewisse Merkmalskataloge entwickelt worden, um Aussagen herauszufiltern, die nicht auf eigenem Erleben beruhen. 206 Dies darf nicht mit einer Art Checkliste verglichen werden,z07 doch die DetailIierung, die Homogenität der Aussage, aber auch die Gefühlsbeteiligung des Zeugen können zu Glaubhaftigkeitsmerkmalen werden?08 Allerdings wird zu Skepsis gegenüber diesen einschlägigen Kriterien aufgerufen, solange zweifelhaft bleibt, inwieweit diese ihren Anspruch als glaubwürdigkeitsdiagnostisches Instrument einlösen können?09 Zudem bedarf es in der modemen Aussagepsychologie in jedem Fall der Prüfung von Alternativhypothesen?IO Überschätzt wird jedenfalls derzeit noch das Merkmal der Aussagekonstanz für die Glaubwürdigkeit. 211 Vor allem mangelt es im Bereich der forensischen Sachverständigen jedoch an Qualitätsmanagement und Qualitätssicherung. 2!2 Im schon erwähnten W ormser Mißbrauchsverfahren hatte der zunächst beauftragte Sachverständige den mehr als 40 Jahre veralteten Prüfungsansatz gewählt, es komme auf die allgemeine Persönlichkeit des Kindes an. 213 Erst die späteren Gutachter brachten Erkenntnisse der Suggestionsforschung mit in das Verfahren ein und deckten die eklatante Fehlleistung des Erstgutachters auf. Eine Analyse von Bus-
205 Undeutsch, Glaubhaftigkeit, S. 26 ff.; darauf aufbauend Busse / Valbert, Glaubwürdigkeitsbegutachtung, S. 131; Fabian / Greuel / Stadler StV 1996,347,348. 206 Eine Übersicht über die Glaubhaftigkeitsmerkmale verschiedener Modelle gibt Eisenberg, Beweisrecht, S. 528 f.; Jansen StV 2000, 224, 228. 207 Weitergehend zu den Methoden der Analyse von Zeugenaussagen, TrankelI, Realitätsgehalt. Vgl. auch Gley StV 1987, 403 ff. Aufschlußreich zudem die Simulationsstudie mit kindlichen Verkehrsunfallopfern von Niehaus, Glaubhaftigkeitsmerkmale, die zu dem Ergebnis kommt, daß ein modifiziertes Merkmalsystem gut zwischen erlebnisbegründeten und falschen Aussagen diskriminieren konnte, S. 311. 208 Arntzen, Psychologie, S. 27 ff. 209 Eisenberg, Beweisrecht, Rdnr. 1469; KK-Herdegen § 244, Rdnr. 31. 210 DeckersNJW 1999, 1365,1370. 211 Mehrfachvernehmungen sind daher keinesfalls notwendig, um die Glaubwürdigkeit einer Aussage hinreichend beurteilen zu können, Wegner ZRP 1997, 404, 408. Arntzen hat das Merkmal der Konstanz in einer Zusammenfassung von 14 Fallgruppen ebenfalls relativiert, Psychologie der Zeugenaussage, S. 56 ff. 212 Von "Glück und Pech im forensischen Lotteriespiel" spricht demzufolge auch Rode im Zusammenhang mit der Auswahl von Sachverständigen, Sachverständige, S. 7, 8. Sie erklärt dies am Beispiel der Frage der Schuldfahigkeit: "Gerät der sexuell abnorme Straftäter an Gutachter A, wird er für voll schuldfahig erklärt und landet im GefangniS. Gerät er an Gutachter B, so gilt er als vermindert schuldfahig und bekommt eine reduzierte Gefangnisstrafe. Hat er das Glück, bei Gutachter C zu landen, so wird ihm Schuldunfahigkeit attestiert, das Gericht spricht ihn frei, und Patient und Sachverständiger bemühen sich gemeinsam um einen Therapieplatz." 213 Jansen StV 2000, 224.
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se / Volbert belegt, daß viele der untersuchten Gutachten noch nicht einmal wissenschaftliche Minimalstandards erfüllten. 214 Der BGH hat inzwischen gewisse Mindestanforderungen an die Begutachtung der Glaubhaftigkeit von Zeugenaussagen aufgestellt, die zu beachten sind. 215 Endlich sind damit Vorgaben geschaffen worden, die eine einheitlichere und bessere Qualität der Gutachten garantieren können. Demnach fällt es in die grundsätzliche Zuständigkeit des Tatrichters, "die Einhaltung der dargelegten wissenschaftlichen Mindestanforderungen sicherzustellen,,;216 Dies beginnt mit einer präzisen Auftragsbeschreibung für den Gutachter, der sich seinerseits für die Verfahrensbeteiligten um eine transparente und nachvollziehbare hypothesengeleitete Diagnostik mit einer Auflistung der angewandten diagnostischen Maßnahmen und der verwendeten Literatur bemühen muß. 217 Die Validitätsprüfung von Gutachten hat ebenfalls Fortschritte gemacht, so daß inzwischen Realkriterien begründet werden können, die nicht mehr allein auf die individuellen Besonderheiten des Einzelfalls zugeschnitten sind, sondern eine quantitative Einschätzung der Sicherheit eines diagnostischen Urteils ermöglichen. 218 Allerdings ist die Trefferquote von Beurteilungen der Glaubwürdigkeit empirisch längst noch nicht gesichert. 219 Die Zeiten in denen Glaubwürdigkeitsprüfungen aber am besten nichts mit "reiner Wissenschaft" zu tun haben sollen, weil die Kinder und Jugendlichen so nur zum Objekt einer "mehr oder minder zweifelhaften wissenschaftlichen Methode" gemacht würden, sind vorbei. Die, in denen der "einfühlsame Strafrichter der berufenste Sachverständige ist", ebenfalls. 220 Fest steht, daß die Bedeutung langjähriger Erfahrung eines Richters bei der Beurteilung von Zeugenaussagen überschätzt wird. 221 Die Begutachtung der Glaubwürdigkeit eines Zeugen muß auch in Zukunft noch oft einem Sachverständigen überlassen werden. 214 Busse / Volbert, Glaubwürdigkeitsgutachten, S. l31, 141. Zu den Mindeststandards für Glaubhaftigkeitsgutachten auch Schäfer / Sander, Glaubhaftigkeit, S. 52, 61 ff. 215 BGHSt 45, 164 = BGH NJW 1999,2746 ff. = StV 1999,473; BGH NStZ 2001, 45; vgl. auch Martinius, Kinderpsychiatrische Gutachten, S. 8 ff. Einen guten Überblick mit vielen weiterführenden Nachweisen zu den Anforderungen an Glaubwürdigkeitsgutachten geben Boetticher, Glaubhaftigkeitsgutachten, S. 55 ff. und Greuel, Qualitätsstandards, S. 67 ff. 216 BGHSt 45, 164 = BGH NJW 1999, 2746 ff. 217 Jansen StV 2000, 224; Offe NJW 2000, 929; weiterführend auch Köhnken, Methodik, S. 29 ff. 218 Dahle / Wolf, Realkennzeichen, S. 101, 115 ff. 219 KK-Herdegen § 244, Rdnr. 31. 220 Diese Forderungen stellte noch Knögel NJW 1959, 1663, 1666 auf. 221 Eisenberg, Beweisrecht, Rdnr. 1469. Kritisch zur Validität der von Laien verwendeten Glaubwürdigkeitskriterien auch Oswald, Glaubwürdigkeit, S. 181 ff. Dennoch müssen sich die Tatrichter um ein psychiatrisch-psychologisches Basiswissen bemühen,
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5. Kap.: Die Nebenpflichten des minderjährigen Zeugen
3. Einwilligung in die Begutachtung
Der Zeuge muß in seine Glaubwürdigkeitsbegutachtung einwilligen. Er muß eine freiwillige, ernstliche und in Kenntnis der Sachlage und des Weigerungsrechts ausdrückliche Zustimmung erteilen. 222 Fehlt es ihm an der notwendigen Verstandesreife, ist die Einwilligung des gesetzlichen Vertreters notwendig. Willigen die Eltern in die Begutachtung ein, ist ein eventueller Widerstand des Kindes nach der h.M. rechtlich unerheblich. 223 Diese Verfahrensweise wird Gegenstand einer kritischen Überprüfung sein. Kohlhaas vergleicht die Situation mit einem Kind, das von seinen Eltern gegen seinen Willen zum Zahnarzt gebracht wird/ 24 auch hier ist der entgegenstehende Wille des Kindes bedeutungslos. Es ist strittig, ob in der Ausübung eines Zeugnisverweigerungsrechtes nach § 52 StPO zugleich die Ablehnung einer Glaubwürdigkeitsuntersuchung zu sehen ist. Da Fragen an den Zeugen, die seine allgemeine Glaubwürdigkeit betreffen, seine Aussagewilligkeit hinsichtlich der dem Angeklagten vorgeworfenen Taten nicht voraussetzen, kann nicht automatisch auf eine fehlende Einwilligung auch bezüglich einer Glaubwürdigkeitsbegutachtung geschlossen werden. 225 Der Zeuge muß speziell zur Freiwilligkeit der Untersuchung erneut belehrt werden und kann dann daraufhin eine Entscheidung hinsichtlich der Glaubwürdigkeitsbegutachtung treffen. Sinn hätte eine entsprechende Untersuchung jedoch sowieso nur, wenn der Zeuge in einer früheren richterlichen Vernehmung ausgesagt hätte. Liegt überhaupt keine Aussage des Zeugen vor, kann es auf dessen Glaubwürdigkeit nur schwerlich ankommen. 226
4. Belehrung bezüglich der Einwilligung
Jeder Zeuge, der auf seine Glaubwürdigkeit untersucht werden soll, muß darüber belehrt werden, daß sein Mitwirken freiwillig erfolgt. Ein Fehlen einer entsprechenden Belehrung könnte sogar als Täuschung nach § 69 Abs. 3 StPO in Verbindung mit § 136 a StPO bewertet werden. 227 Man stelle sich die Situation vor, daß das Gericht mit einem minderjährigen Zeugen, der möglicherweium Widersprüchlichkeiten in den Gutachten aufspüren zu können; vgl. Boetticher, Glaubhaftigkeitsgutachten, S. 55, 65. 222 BGH NJW 1964, 1177. Vgl. im einzelnen hierzu auch 5. Kap. C. I. 2. 223 BGHSt 40, 336. 224 Kohlhaas JR 1974, 89, 92. 225 BGH bei Holtz MDR 1979, 989. 226 Denkbar wäre allenfalls eine Vernehmung der richterlichen Verhörsperson. 227 Eisenberg, Beweisrecht, Rdnr. 1867.
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se ohne Rechtsbeistand erschienen ist, die Notwendigkeit einer Glaubwürdigkeitsbegutachtung bespricht, ohne ihn ausdrücklich darauf hinzuweisen, daß eine solche Exploration freiwillig wäre. Führt ein Schüler schon Vorschläge seines Lehrers aus, ohne diese immer zu hinterfragen, so wird das Verhältnis des Minderjährigen zu einem Richter noch mehr von Autorität geprägt sein, da sich die Gerichtssituation für den Zeugen auch noch außerhalb des normalen Alltags abspielt. Selbstverständlich muß daher der Minderjährige von dem Richter deutlich über die Freiwilligkeit einer solchen Untersuchung belehrt werden. 228
5. Belehrung bezüglich eines Verweigerungsrechts
Nach gefestigter Rechtsprechung müssen die Belehrungspflichten aus §§ 81 c Abs. 3 Satz 2 Halbsatz 2, 52 Abs. 2 Satz 2, Abs. 3 StPO analog angewendet werden, wenn Glaubwürdigkeitsgutachten über Personen eingeholt werden, die als Angehörige zur Untersuchungsverweigerung berechtigt sind. 229 Die Belehrung des Minderjährigen darf erneut nur dann unterbleiben, wenn der Zeuge mangels Verstandesreife von der Bedeutung des Verweigerungsrechtes keine genügende Vorstellung hat. An seine Stelle tritt dann der gesetzliche Vertreter, der nunmehr belehrt werden muß. Diese Analogie wird bisher fast ohne Diskussion hingenommen. Bei näherer Betrachtung fallen jedoch einige Ungereimtheiten ins Auge. So fragt denn auch Weigend, worin die zur entsprechenden Anwendung berechtigende Ähnlichkeit zwischen der in § 81 c StPO geregelten körperlichen Untersuchung und der psychologischen Begutachtung der Glaubwürdigkeit liege. 23o Seiner Meinung nach verbirgt sich "hinter dem raschen Griff' zu einer entsprechenden Vorschrift möglicherweise das Bedürfnis "eine peinliche Tatsache zu verdecken", nämlich die, daß derzeit keine Vorschrift existiert, die die Glaubwürdigkeitsbegutachtung regelt. Damit sich diese nicht im rechtsfreien Raum zutragen muß, wird auf § 81 c StPO verwiesen. 231 Auch Eisenberg sieht nur eine eingeschränkte Rechtsähnlichkeit zwischen der körperlichen Untersuchung und einer Glaubwürdigkeitsuntersuchung. 232 Die Begutachtung der Glaubwürdigkeit ist jedoch weder eine körperliche Untersuchung im herkömmlichen Sinn noch eine
228 Siehe zur Belehrung hinsichtlich der Freiwilligkeit 5. Kap. C. 1. 2. Dort finden sich auch die Verweise zu der hier nicht vertretenen Gegenansicht. 229 BGHSt 13, 398; 36, 220, 40, 336. 230 Weigend JZ 1990,48 in seiner Anmerkung zu BGH JZ 1990,47. 231 Weigend JZ 1990,48 in seiner Anmerkung zu BGH JZ 1990,47. 232 Eisenberg StV 1995, 625 in seiner Anmerkung zu BGHSt 40, 336.
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5. Kap.: Die Nebenpflichten des minderjährigen Zeugen
Vernehmung, und daher - wie dargestellt - nur auf der "Basis strikter Freiwilligkeit" zulässig. 233 Es stellt sich spätestens an dieser Stelle die Frage, wofür es einer Belehrung bezüglich eines Untersuchungsverweigerungsrechtes überhaupt bedarf. Schließlich besteht schon keine Pflicht zur Mitwirkung. Die Angehörigeneigenschaft des betroffenen Zeugen ändert hieran nichts. Sie ist daher für die Pflicht zur Mitwirkung an einer Glaubwürdigkeitsuntersuchung bedeutungslos, denn die Entscheidungsfreiheit des Zeugen ist gerade keine Folge der Angehörigeneigenschaft, sondern sie besteht für jedermann. 234 Ein Untersuchungsverweigerungsrecht mit einer entsprechenden Belehrungspflicht will doch demjenigen die Konfliktlage ersparen oder zumindest erleichtern, der sich in eine Situation manövriert sieht, in der er seinem Angehörigen schaden könnte. Doch diese Konfliktlage kommt bei der Glaubwürdigkeitsbegutachtung niemals zum Entstehen: Der Zeuge ist von vornherein zu nichts verpflichtet. Er ist ein freiwilliger Mitspieler. Das Argument, daß bei dieser Untersuchung der Betroffene zu einem Sprechen veranlaßt wird, so daß auch seine Aussagebereitschaft vorliegen muß,235 geht deshalb ebenfalls ins Leere. Demnach müßte immer eine Belehrung direkt nach § 52 Abs.2 und 3 StPO und nicht über den Umweg des § 81 c Abs. 3 StPO erfolgen, weil die Glaubwürdigkeitsuntersuchung eher mit einer aktiven Zeugenaussage zu vergleichen ist. 236 Dies mag vom Grundsatz her richtig sein: Bei der körperlichen Untersuchung muß die Beweisperson sich zwar zu dem Termin einfinden, sich dann möglicherweise noch ausziehen und eine bestimmte Körperhaltung einnehmen, aber ansonsten wird von ihm keine aktive Mitwirkung gefordert. Ganz anders stellt sich dies bei der Begutachtung der Glaubwürdigkeit dar: Der Zeuge muß erscheinen und aktive Testleistungen erbringen, zum Beispiel eine ganze Reihe von Fragen beantworten. Im Regelfall schildert er dem Sachverständigen frei und selbständig den wahrgenommenen Sachverhalt, der auch Inhalt seiner eigentlichen Aussage ist. Dieser Bericht wird durch Fragen des Sachverständigen präzisiert. 237 Erst im Anschluß daran beginnt die eigentliche Glaubwürdigkeitsprüfung, die schon im Hinblick auf diesen Ablauf sehr viel mehr mit einer Zeugenvernehmung als mit einer körperlichen Untersuchung vergleichbar ist. Dies zeigt sich zudem im Sprachgebrauch, denn gelegentlich
Weigend JZ 1990,48 in seiner Anmerkung zu BGH JZ 1990,47. Welp JR 1996, 76, 77 in seiner Anmerkung zu BGHSt 40, 336. 235 Eisenberg, Beweisrecht, Rdnr. 1867. 236 So auch Dölling in seiner Anmerkung zu BGH NStZ 1997, 77, 78. 237 Friedrichs, Exploration, S. 3, 10 ff. 233
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ist in der Literatur schon von einer "Vernehmung" von seiten des Sachverständigen die Rede,238 wenn auch rechtlich dieser Ausdruck nicht stimmt. Diese Argumente mögen vordergründig stichhaltig sein und dafür sprechen, eine Belehrung im Rahmen der Glaubwürdigkeitsuntersuchung gemäß § 52 Abs.2 und Abs.3 StPO analog zu verlangen. 239 Der Umweg über §§ 81 c Abs. 3 Satz 2 Halbsatz 2, 52 Abs. 2 Satz 2 und Abs. 3 StPO analog müßte nicht eingeschlagen werden. Konsequenz dieser Verfahrensweise wäre dann, daß die Belehrung des verstandesunreifen Zeugen nicht unterbleiben darf. Anders als bei § 81 c Abs. 3 Satz 2 Halbsatz 2 StPO, der zwar auf Satz 2 von § 52 Abs. 2 StPO verweist, müßte nun bei der Belehrung auch der maßgebliche Satz 1 von § 52 Abs. 2 StPO berücksichtigt werden. 240 Es würde gerade nicht das Modell des Alleinentscheids des gesetzlichen Vertreters gelten,241 sondern der verstandesunreife Zeuge hätte eine Art "Vetorecht". Er könnte die Mitwirkung trotz einer Einwilligung seines gesetzlichen Vertreters verweigern und müßte darüber entsprechend belehrt werden. Gänzlich übersehen in dieser Diskussion wird aber, daß doch, anders als bei der echten Zeugenpflicht, hier erst gar keine Aussagepflicht mit den entsprechenden Durchsetzungsmöglichkeiten zum Entstehen kommt. Der Minderjährige kann niemals zur aktiven Mitwirkung an einem Glaubwürdigkeitsgutachten verpflichtet werden. Konsequenter ist es daher, nur eine umfassende Belehrung zur Freiwilligkeit zu verlangen, unabhängig sowohl von § 52 StPO als auch von § 81 c StPO. Damit dem Minderjährigen seine Freiwilligkeit deutlich wird und er sich nicht doch der Last der Autorität des Gerichts unbewußt beugt, muß in dieser Belehrung jedoch darauf hingewiesen werden, daß er durch eine Glaubwürdigkeitsuntersuchung indirekt seinen Angehörigen belasten und er - vielleicht erst in einigen Jahren - eine entsprechende Konfliktlage empfinden könnte. Insofern fließen Elemente einer Belehrung bezüglich eines echten Untersuchungsverweigerungsrechtes, aber auch des echten Aussageverweigerungsrechtes durchaus wieder in die Belehrung hinsichtlich der Freiwilligkeit der Untersuchung ein. Doch der entscheidende Beweggrund einer Belehrung ist der der Freiwilligkeit an der Mitwirkung der Begutachtung. Als weiteres Argument für die hier vertretene Meinung muß die Tatsache herangezogen werden, daß eine Belehrung bezüglich eines Untersuchungs- oder eines Zeugnisverweigerungsrechtes einen falschen Eindruck beim Probanden entstehen lassen kann; näm238 Vgl. zum Beispiel Russ NJW 1963,385, der allerdings zu bedenken gibt, ob der Sachverständige gelegentlich nicht über den Rahmen seines Auftrages hinausgeht. 239 So auch Eisenberg StV 1995, 625, 626 in seiner Anmerkung zu BGHSt 40, 336. 240 5. Kap. C. H. 3. 241 Siehe Anmerkung von Welp JR 1996, 76, 78 zu BGHSt 40, 336.
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5. Kap.: Die Nebenpflichten des minderjährigen Zeugen
lich den, daß ihm eine tatsächlich nicht vorhandene Mitwirkungspflicht suggeriert wird?42 Zusammenfassend bleibt festzustellen, daß der Zeuge einen - je nach seinem Alter unterschiedlich umfangreichen - Injormationsanspruch darüber hat, daß er zur Teilnahme an der Glaubwürdigkeitsuntersuchung nicht verpflichtet ist. Je jünger der Zeuge ist, desto ausführlicher muß er belehrt werden. Explizit hat der BGH zu der Frage des Informationsanspruchs bisher nicht Stellung genommen. 243 Die Belehrung hinsichtlich der Freiwilligkeit darf konsequenterweise nicht auf Exploranden beschränkt sein, die mit dem Angeklagten verwandt sind. 244 Vielmehr muß jedem Betroffenen die Wahlmöglichkeit zwischen Mitwirkung und Verweigerung geboten werden und das setzt eine entsprechende Belehrung über die Einwilligungspflicht voraus. Im Falle eines verstandesunreifen Kindes ist nunmehr allerdings fraglich, ob nur die Belehrung des gesetzlichen Vertreters geboten ist oder zusätzlich auch die des MindeIjährigen selbst. Daß der gesetzliche Vertreter in jedem Fall an der Entscheidung mitzuwirken hat, ergibt sich schon aus den allgemeinen Regeln zur gesetzlichen Vertretung. Fraglich ist nur, ob mit der Rechtsprechung bezüglich des Vertretenen das Modell des Alleinentscheides 245 - vgl. § 81 c Abs. 3 Satz 2 StPO - oder das Modell des Mitentscheides des verstandesunreifen MindeIjährigen - vgl. § 52 Abs. 2 Satz I StPO - gilt. Da die Begutachtung der Glaubwürdigkeit in ihrer Struktur vielmehr einer Zeugenvemehmung als einer körperlichen Untersuchung gleicht, muß dem Modell des Mitentscheides der Vorzug eingeräumt werden. Dafür spricht, daß sich die Frage nach der Glaubwürdigkeit eines Zeugen unmittelbar als Hilfstatsache auf die Beweiskraft der Aussage selbst bezieht. 246 Die überzeugenderen Argumente hat das Belehrungsmodell des § 52 Abs. 2 Satz I StPO auf seiner Seite. Es ist für den Fall der Glaubwürdigkeitsuntersuchung anzuwenden: Der Vertretene und sein gesetzlicher Vertreter müssen mit der Begutachtung einverstanden sein. Von einem Belehrungsmodell ist deshalb die Rede, weil die Belehrungspflicht - wie dargestellt - nicht mit einer echten Analogie zu § 52 StPO mangels wirklicher Vergleichbarkeit begründet werden kann. 247 Vielmehr muß das Institut der Belehrungspflichten analog angewandt werden, weil nur dann von einer umfassenden Information des Exploranden Anmerkung Welp JR 1996, 76,77 zu BGHSt 40,336. V gl. BGH JZ 1990, 48 ff. mit kritischer Anmerkung Weigend. 244 Anmerkung Welp JR 1996, 76, 77 zu BGHSt 40, 336. 245 BGHSt 40, 336. 246 So Peters, Strafprozeß, S. 293. 247 Anmerkung Welp JR 1996,76,78 zu BGHSt 40,336. 242 243
C. Die einzelnen Nebenpflichten des mindeIjährigen Zeugen
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und seines gesetzlichen Vertreters und damit von einer tatsächlichen Freiwilligkeit der Entscheidung über eine Mitwirkung an der Begutachtung ausgegangen werden kann.
6. Unterbleiben der Belehrung
An eine unterbliebene Belehrung des Personensorgeberechtigten ist nicht in jedem Fall ein Verwertungsverbot des Untersuchungsergebnisses zu knüpfen. Vielmehr ist nach der Ansicht des BGH das Fehlen einer Belehrung dann unerheblich, wenn der gesetzliche Vertreter das Recht zur Verweigerung der Untersuchung kannte und davon auch bei ordnungsgemäßer Belehrung keinen Gebrauch gemacht hätte. 248 Nach den Erkenntnissen dieser Arbeit bedarf es allerdings dieses Rechts zur Verweigerung der Untersuchung strenggenommen nicht, da es schon an einer entsprechenden Pflicht zur Mitwirkung fehlt. War der gesetzliche Vertreter ohne entsprechende Belehrung dennoch in Kenntnis aller Fakten, kann von der Freiwilligkeit seines Handeins und damit von der Rechtswirksarnkeit seiner Einwilligung ausgegangen werden. Beim Kind selbst stellt sich die Beurteilung der Lage schwieriger dar. Es bleiben Zweifel bestehen, ob bei einem Fehlen der Belehrung die Einwilligung wirklich auf einem freien Entschluß beruhte und in Kenntnis der Sachlage abgegeben wurde. Zudem wird zu einer vorsichtigen Anwendung dieser Grundsätze gemahnt. Wenn beispielsweise Mitarbeiter des Jugendamtes an die Stelle des natürlichen gesetzlichen Vertreters rücken, geht der BGH - so Eisenberg - zu leichtfertig von der Annahme aus, daß es sich bei diesen Amtspersonen nicht mehr um juristische Laien handelt, die daher nur sporadisch belehrt werden müßten. Doch seines Erachtens ist die Hemmung gerade dieser Mitarbeiter, einen Minderjährigen auf seine Glaubwürdigkeit hin untersuchen zu lassen, geringer als die der Eltern, weil es rur den erstgenannten Personenkreis berufliche Routine ist. 249 Das Gericht müßte daher die Mitarbeiter des Jugendamtes besonders aus ruhrlich belehren, um die Hemmung, ein Kind begutachten zu lassen, wieder auf das Maß der Hemmung, die gewöhnliche Eltern in dieser Lage hätten, zu steigern.
248 249
So BGHSt 40, 336. Anmerkung von Eisenberg StV 1995, 625, 627 zu BGHSt 40, 336.
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5. Kap.: Die Nebenpflichten des minderjährigen Zeugen 7. Fehlen der Einwilligung
Wird die Einwilligung zu einer Glaubwürdigkeitsuntersuchung verweigert, wird in der Praxis oft mit folgendem schon erwähntem "Trick" gearbeitet: 250 Nach h.M. dürfen Erkenntnisse zur Glaubwürdigkeit des Zeugen in der Weise gewonnen werden, daß der Zeuge richterlich vernommen wird und ein Sachverständiger dieser Vernehmung beiwohnt, der bei dieser Gelegenheit sogar den Zeugen unmittelbar gemäß § 80 Abs. 2 StPO befragen darf.251 Der Sachverständige äußert sich auf der Basis dieser nur in der Hauptverhandlung gewonnenen Erkenntnisse dann gutachterlich zur Glaubwürdigkeit des Zeugen. 252 Die Möglichkeit der Stellung von Fragen durch den Sachverständigen unmittelbar an den Zeugen liegt im Ermessen des Gerichts. 253 Strenggenommen wird aus der Aussagepflicht des Zeugen nunmehr zudem die Pflicht des Zeugen zur Duldung der Beurteilung seiner Glaubwürdigkeit nicht nur durch den Richter, sondern durch einen eigens hinzugezogenen Sachverständigen?54 Daß der Zeuge die Prüfung seiner Glaubwürdigkeit durch den Richter dulden muß, kann schon durch § 68 Abs. 4 StPO belegt werden. Daß der Sachverständige unter Aufsicht und im Beisein des Richters eine Art Vernehmungsperson sein kann, folgt aus § 80 Abs. 2 StPO. Insoweit bestehen keine rechtlichen Bedenken gegen diese Vorgehensweise. Der Sachverständige selbst darf allerdings nicht im eigentlichen Sinne vernehmen, denn nach dem Wortlaut des § 80 Abs. 1 StPO soll er nur "weitere Aufklärung verschaffen". Das heißt, ihm darf die gesamte Befragung nicht allein überlassen werden, vielmehr ist ein abgestimmtes Vorgehen zwischen Richter und Aussagepsychologen erforderlich. 255 Da die Duldung der Glaubwürdigkeitsbegutachtung so zur echten Nebenpflicht des Zeugen wird, bedarf es seiner Einwilligung nicht. Es liegt zudem keine die Belehrungspflicht nach § 81 c Abs. 3 StPO oder § 52 Abs. 2, 3 StPO
Meier JZ 1991,638,642. Wegner ZRP 1997,404,407. 252 BGHSt 23, I mit ablehnender Anmerkung Peters JR 1970, 68, 69; BGH NStZ 1982,432; BGH StV 1990,246; BGH StV 1991,405 mit kritischer Anmerkung Blau; BGH JR 1996,75,76; Meier JZ 1991,638,643; Anmerkung Heinitz JR 1960,225,226 f.; LR-Dahs § 81 c, Rdnr.9; Meyer-Goßner § 81 c, Rdnr.8; KMR-Paulus § 81 c, Rdnr. 7; KK-Senge § 81 c, Rdnr. 9; Eh. Schmidt, Nachtrag I, § 81 c, Rdnr. 8; a.A. OLG Hamm JZ 1957, 186. 253 BGH NJW 1969,437. 254 BGHSt 23, 1,2; BGH NStZ 1982,432; LR-Dahs § 81 c, Rdnr.9 f.; Schlüchter, Strafverfahren, Rdnr. 203.2 255 LR-Dahs § 80, Rdnr. 4. 250
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auslösende Untersuchung vor, wenn der Sachverständige den Zeugen nur während der Hauptverhandlung beobachtet und daraufhin ein Gutachten erstattet. 256 Die Gegner dieser Gutachten kritisieren daher insbesondere, daß in unzulässiger Weise die gesetzlichen Vorschriften umgangen werden. 257 Dippel sieht in dieser Verfahrensweise sogar eine Nähe zu solchen Vemehmungsmitteln, die nach § 136 a StPO verboten sind?58 Doch eine Umgehung der gesetzlichen Vorschriften ist in dieser Art der Gutachtengewinnung gerade nicht zu sehen; der Gesetzgeber selbst hat hierzu in § 80 Abs. 2 StPO die entsprechenden Weichen gestellt. Vielmehr ist der fragwürdige Wert einer solchen Glaubwürdigkeitsbegutachtung 2. Klasse in den Vordergrund zu stellen. Die Kritiker zweifeln denn auch an der Aussagekraft der Gutachten. Dahs äußert Bedenken dahingehend, ob so eine "ausreichende Grundlage" für die Beurteilung des Zeugen gewonnen werden kann?59 Eisenberg räumt ein, daß es zwar keine gesetzliche Vorschrift gibt, die das Vorgehen verbietet, es aber gleichwohl als unzulässig anzusehen ist, da es allein dem Zweck dient, die Weigerung des Zeugen zu umgehen. 26o Seiner Ansicht nach ist ein Sachverständiger berechtigt oder gar verpflichtet, die Gutachtenerstattung wegen unzureichender Erhebungsmöglichkeiten abzulehnen?61 Eines solchen Appells an das Gewissen des Gutachters bedarf es nicht. Vielmehr muß ein gewissenhafter Sachverständiger bei Erstellung seines Gutachtens die besonderen Voraussetzungen der Entstehung berücksichtigen?62 Er muß seine unzureichenden Arbeitsbedingungen mit in die Bewertung der Glaubwürdigkeit einfließen lassen. Der verantwortungsvolle Gutachter zeichnet sich doch vor allem dadurch aus, nicht immer Antworten geben zu können. Möglicherweise kann der Sachverständige in diesem Fall die Glaubwürdigkeit des Zeugen nicht besser beurteilen, als der Richter selbst in der Lage ist. 263 Dies darf er sich dann nicht scheuen zuzugeben. Der Richter muß einem in der
256 BGHSt 23, 1; BGH NStZ 1982,432; BGHSt 40,336.
257 Peters JR 1970, 69; derselbe, Strafprozeß, S.327; Dippel, Sachverständiger, S. 178 f. 258 Dippel, FS Tröndle, S. 599, 621. 259 LR-Dahs § 81 c, Rdnr. 10. 260 Eisenberg, Beweisrecht, Rdnr. 1868; vgl. auch Anmerkung Blau StV 1991,406, 407. 261 SteUer / Volbert, Glaubwürdigkeitsbegutachtung, S. 12, 36; Eisenberg, Beweisrecht, Rdnr. 1661, 1869. 262 Maisch StV 1985, 517, 518 spricht im Zusammenhang mit Sachverständigen allgemein vom Tabuthema "Gütekontrolle". 263 Meier JZ 1991,638,643.
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5. Kap.: Die Nebenpflichten des minderjährigen Zeugen
Hauptverhandlung gewonnenen Gutachten von vornherein mit deutlich größerer Skepsis gegenüberstehen. Es besteht jedoch kein Grund, warum auf diese Gutachten gänzlich verzichtet werden soll. Als Argument auf einen Verzicht überzeugt auch nicht die Tatsache, daß der Zeuge Fragen eines Sachverständigen außerhalb eines privaten, therapeutischen Gesprächs nunmehr in aller Öffentlichkeit beantworten muß/ 64 denn § 68 a StPO entfaltet in dieser Vernehmungssituation volle Wirkung. Es bleibt die Möglichkeit, ein Gutachten mit dieser Entstehungsgeschichte als von vornherein wertlos einzustufen, da es keine sachgerechte Beurteilungsgrundlage rur die Glaubwürdigkeit bieten kann?65 Dann wären nur unnötige Kosten produziert und die Beweisaufnahme in sachlich nicht zu rechtfertigender Weise ausgeweitet worden, weil das Gericht selbst die erforderliche Sachkunde gemäß § 244 Abs. 4 Satz I StPO besitzt. 266 Dies kann hier nicht abschließend beurteilt werden, weil schon rur die herkömmlichen Glaubwürdigkeitsgutachten zuverlässige Erkenntnisse über die "Trefferquote", also Befunde zu ihrer Gültigkeit, fehlen?67
8. Auswahl des Sachverständigen
Zuständig rur die Bestellung von Sachverständigen ist im gerichtlichen Hauptverfahren nur der Richter gemäß § 73 Abs. I Satz I StPO. 268 Innerhalb der Hauptverhandlung sind die Auswahl und Ernennung des Sachverständigen sachleitende Anordnungen im Sinne des § 238 StPO, die jedoch auch in einem förmlichen Beweisbeschluß angeordnet werden können. 269 Ein Beschluß wird dann immer erforderlich, wenn die richterliche Verfügung über die Auswahl und Ernennung des Sachverständigen gemäß § 238 StPO angefochten worden ist. Im Gesetz sind mögliche Ablehnungsrechte abschließend geregelt. Ein solches Recht steht nach § 74 Abs. 2 StPO lediglich dem Angeklagten, dem Pri-
So aber Blau StV 1991,406,407 in seiner Anmerkung zu BGH StV 1991,405. So auch Schmoll, Videovernehmung, S. 37 f. 266 Meier JZ 1991, 638, 643. 267 Eisenberg, Beweisrecht, Rdnr. 1860. 268 Gössel DRiZ 1980, 363, 365 f.: So kommt jedoch noch im Vorverfahren auch der Staatsanwaltschaft und der Polizei eine Bestellungskompetenz zu, da sich § 73 Abs. 1 Satz 1 StPO nach etwas strittiger, aber überwiegender Ansicht nur auf das gerichtliche Verfahren bezieht. Vgl. zudem KK-Senge § 73, Rdnr. 1 mit weiteren Nachweisen auch zur Gegenansicht. 269 Gössel DRiZ 1980, 363, 367. 264 265
c. Die einzelnen Nebenpflichten des minderjährigen Zeugen
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vatkläger und der Staatsanwaltschaft zu. Nach § 397 Abs. I Satz 3 StPO wird das Ablehnungsrecht zudem auf den Nebenkläger erweitert. Der minderjährige Zeuge (oder dessen gesetzlicher Vertreter) hat damit kein Ablehnungsrecht. Die gesetzliche Regelung ist eindeutig und abschließend. De facto wird sie umgangen: Nach einem Beschluß des Kammergerichtes "kann das Gericht ungeachtet der in § 73 Abs. I Satz I StPO getroffenen Regelung in Erfüllung der ihm obliegenden Aufklärungspflicht gehalten sein, einen anderen Sachverständigen auszuwählen", falls ,,[ ... ] der gesetzliche Vertreter eines mindetjährigen Opfers einer Sexualstraftat dessen notwendige Untersuchung durch einen bestimmten Sachverständigen" verweigert. 270 IV. Weitere Nebenpflichten Da sich auf dem Gebiet der weiteren Nebenpflichten fiir mindetjährige Zeugen kaum Besonderheiten ergeben, ist dieser Abschnitt seiner Wertigkeit entsprechend knapp gehalten.
1. Die Beantwortung von Generalfragen
Echte Nebenpflicht des Zeugen ist die, Generalfragen gemäß § 68 Abs. 4 StPO zu beantworten. Generalfragen dürfen nach strittiger Ansicht nur sehr zurückhaltend gestellt werden,27I nämlich dann, wenn die Beurteilung der Glaubwürdigkeit des Zeugen dazu überhaupt Anlaß gibt. In der Praxis ist es jedoch üblich, jeden Zeugen zu möglichen verwandtschaftlichen Beziehungen zu dem Angeklagten zu befragen. 272 Es entscheidet der Vorsitzende im Rahmen seiner Sachleitung. Der Zeuge selbst kann eine Entscheidung nach § 238 Abs. 2 StPO herbeifiihren; dies ist mittelbar aus § 304 Abs. 2 StPO zu folgern. 273 Generalfragen gehören nach ebenfalls strittiger Ansicht zur Vernehmung zur Person. 274 Dies hat zur Folge, daß der Zeuge die Fragen selbst dann beant-
270 271
sen.
KG StV 1997,65 mit Anmerkung Düring / Eisenberg StV 1997,456 ff. Dies ist strittig; vgl. Eisenberg, Beweisrecht, Rdnr. 1218 mit weiteren Nachwei-
Meyer-Goßner § 68, Rdnr. 21. LR-Dahs § 68, Rdnr. 20; KK-Senge § 68, Rdnr. 10; Meyer-Goßner § 68, Rdn, 19; a.A. AK-Lemke § 68, Rdnr. 11, wonach der Zeuge nur eine Entscheidung anregen kann, da er nicht Prozeßbeteiligter ist. 274 A.A. Gössel, Strafverfahrensrecht, S. 210 mit der Folge, daß § 52 StPO zur Verweigerung der Beantwortung von Generalfragen berechtigt. Ebenso LR-Dahs § 68, 272
273
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5. Kap.: Die Nebenpflichten des minderjährigen Zeugen
worten muß, wenn ihm ein Zeugnisverweigerungsrecht zusteht. 275 Insbesondere darf er die Beantwortung zudem nicht deshalb verweigern, weil es darauf seiner Meinung nach für die Entscheidung des Gerichts nicht ankommt. Dies ist insofern konsequent, als daß die Generalfragen nicht nur der Klärung der Glaubwürdigkeit, sondern darüber hinaus der Entscheidung über das Zeugnisverweigerungsrecht nach § 52 StPO, über das Auskunftsverweigerungsrecht nach § 55 StPO und über die Vereidigung nach § 61 Nr.2 und § 63 StPO dienen. Eine Verweigerung der Beantwortung ist nur zulässig, wenn die Voraussetzungen des § 55 StPO vorliegen. Doch nur die Verweigerung der Personalangaben ist nach § 111 OWiG bußgeldbewehrt. 276
2. Die Duldung der Gegenüberstellung, die der Augenscheinseinnahme und die einer Videoaufzeichnung der Vernehmung
Alle Zeugen haben unabhängig von ihrem Alter die Pflicht, die Gegenüberstellung mit anderen Zeugen oder dem Angeklagten zur Aufklärung von Vernehmungswidersprüchen oder zur Identifizierung in der Hauptverhandlung auf der Grundlage des § 244 Abs. 2 StPO zu dulden. 277 Die Vernehmungsgegenüberstellung ist eine besondere Art der Vernehmung, ein sogenannter Vernehmungsbehelf, der Ungereimtheiten zwischen verschiedenen Aussagen aufklären soll. Sie ist strenggenommen daher ein echter Bestandteil der Aussagepflicht des Zeugen und unterliegt somit dem Vorbehalt eines eventuellen Zeugnisverweigerungsrechtes. 278 Der Zeuge muß demzufolge über ein entsprechendes Verweigerungsrecht belehrt werden; es gelten die gleichen Durchsetzungsmöglichkeiten wie bei der Aussagepflicht. 279 Verweigert der Zeuge die Aussage ohne gesetzlichen Grund, so kann dies Maßnahmen nach § 70 StPO zur Folge haben. Die Identijizierungsgegenüberstellung, bei der es um das Wiedererkennen einer zu identifizierenden Person geht, stellt sich in der Hauptverhandlung für den Zeugen, der die andere Person zu identifizieren hat, ebenfalls als Teil der Vernehmung mit den entsprechenden Rechten, Pflichten und Durchsetzungs-
Rdnr. 22, der aber trotzdem - dann aber inkonsequenterweise - ein Recht auf Zeugnisverweigerung ablehnt. 275 Pfeiffer § 68, Rdnr. 1. Der Schutz der Absätze 1 bis 3 der Vorschrift darf durch Fragen zur Glaubwürdigkeit jedoch nicht unterlaufen werden; vgl. Pfeiffer § 68, Rdnr. 4. 276 LR-Dahs § 68, Rdnr. 21. 277 Im Vorverfahren ist § 58 Abs. 2 StPO die entsprechende Rechtsgrundlage. 278 KMR-Paulus § 58, Rdnr. 12. 279 Kapitel 4 C. 11. 6. - Seite 168.
c. Die einzelnen Nebenpflichten des mindeIjährigen Zeugen
219
möglichkeiten dar?80 Erneut verhindert somit ein Zeugnisverweigerungsrecht das Entstehen dieser Pflicht. 281 Die Identifizierungsfahigkeit von Mindetjährigen ist im übrigen bis heute wenig erforscht. 282 Es gibt Erkenntnisse dahingehend, daß sich Kinder bereits im Alter ab 6 Jahren genauso gut an Gesichter erinnern können wie Erwachsene?83 Erneut entwerten jedoch schon geringfügige suggestive Hinweise das Wiedererkennen völlig. 284 Zudem haftet der Hauptverhandlung von vornherein eine suggestive Situation an, die beispielsweise in einer Einzelgegenüberstellung noch verstärkt werden würde - entsprechend wertlos wäre der Beweiswert einer solchen Identifizierung. 285 Ist der Zeuge dagegen die andere Person, die von einem weiteren Zeugen identifiziert werden soll, so trifft ihn die passive Mitwirkungspjlicht, sich in Augenschein nehmen zu lassen?86 Er kann gegen seinen Willen anderen Personen zum Zwecke des Wiedererkennens gegenübergestellt werden. Die Pflicht, Augenscheinseinnahmen zu dulden, besteht selbst dann, wenn der Zeuge in der Hauptverhandlung von seinem Zeugnisverweigerungsrecht Gebrauch gemacht hat,287 denn schon die Belehrung des Zeugen ist Gegenstand der Hauptverhandlung. Andere Zeugen können an dieser Stelle des Verfahrens daher den Zeugen in Augenschein nehmen. Diese Pflicht ist aus der allgemeinen Präsenzpflicht des Zeugen zu folgern?88 Veränderungen der äußeren Erscheinung wie das Anlegen bestimmter Kleidungsstücke dürfen dabei von ihm nicht verlangt werden. Er ist zudem nicht verpflichtet, sich fotografieren zu lassen. 289 Diese Verbote sind Ausdruck des verfassungsrechtlich garantierten Persönlichkeitsrechts des Zeugen gemäß Art. 2 Abs. 1, 1 Abs. 1 GG.
280 LR-Dahs § 58, Rdnr. 12; KK-Senge § 58, Rdnr. 8; Meyer-Goßner § 58, Rdnr. 9; vgl. auch Gössel, Strafverfahrensrecht, S. 206. 281 KMR-Paulus § 58, Rdnr. 13. 282 Eisenberg, Beweisrecht, Rdnr. 1418 ff. mit weiteren Nachweisen. 283 Jones, Sexueller Mißbrauch, S. 18 mit dem Nachweis auf entsprechende Studien. 284 Odenthai, Gegenüberstellung, S. 39. 285 Odenthai, Gegenüberstellung, S. 118; weiterfiihend auch Köhnken, Personenidentifizierung, S. 63 ff. 286 LR-Dahs § 58, Rdnr. 12. 287 BGH GA 1965, 108; Alsberg / Nüse / Meyer S.452; Eisenberg, Beweisrecht, Rdnr. 1226; a.A. Rogall MDR 1975, 814; SK-Rogall Vor § 48, Rdnr. 124, der kritisiert, daß man sich bei der Bejahung einer solchen Pflicht über das Fehlen einer entsprechenden Rechtsgrundlage hinwegsetzt. 288 KMR-Paulus Vorb. § 48, Rdnr.28 mit weit. Nachweisen; kritisch SK-Rogall Vor § 48, Rdnr. 24. 289 LR-Dahs Vor § 48, Rdnr. 7.
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5. Kap.: Die Nebenpflichten des minderjährigen Zeugen
Das Gericht hat immer das Recht und die Pflicht, die Erscheinung des Zeugen zu beobachten und zu würdigen. Wird der Zeuge in der Hauptverhandlung vernommen, gehört das Betrachten seiner Erscheinung zur Vernehmung. 29o Steht der Beweisperson ein Zeugnisverweigerungsrecht zu, entfaltet dieses wie dargestellt - gerade kein absolutes Verwertungsverbot. 291 Nur das Verhalten des Zeugen muß dann unberücksichtigt bleiben.292 Allerdings bedarf die Berücksichtigung des äußeren Erscheinungsbildes des Zeugen jedoch wegen des geschlossenen Kreises der Beweismittel einer förmlichen Augenscheinseinnahme. 293 Dies ist beispielsweise der Fall, wenn ein mindeIjähriger Zeuge von dem Gericht betrachtet wird, der die Aussage befugt verweigerr 94 oder wenn sich die Zeugnisunfähigkeit der Aussageperson erst im Laufe der Hauptverhandlung herausstellt und das Gericht dann auf das Beweismittel Zeuge verzichten muß. Der Zeuge scheidet mit seiner Verweigerung oder aufgrund seiner Zeugnisunfähigkeit jedoch nur als Aussageperson aus, nicht zugleich als Augenscheinsobjekt. 295 Weitere Nebenpflicht des Zeugen ist es, an Augenscheinseinnahmen auch außerhalb des Gerichtssaals teilzunehmen und mitzuwirken. 296 Dazu muß der Zeuge erforderlichenfalls bestimmte Örtlichkeiten und Gegenstände bezeichnen; dies stellt sich dann erneut als Teil der Aussage dar. 297 Zeugen haben im übrigen die relativ neue Nebenpflicht, die Aufzeichnung ihrer Vernehmung zu dulden, falls diese vom Vorsitzenden, dem die entsprechende Kompetenz zusteht, angeordnet wurde. 298 Die Einwilligung des zu Vernehmenden oder seines gesetzlichen Vertreters in diesen Eingriff in das Recht am eigenen Bild ist nicht erforderlich,z99 Wendet sich der Zeuge gegen die Anfertigung der Aufzeichnung, so kann er zwangsweise zur Erfüllung dieser 290 Alsberg / Nüse / Meyer S. 236; vgl. Abgrenzung des Zeugen zu anderen Beweismitteln, 2. Kap. B. 29\ LR-Dahs § 86, Rdnr. 21. 292 Alsberg / Nüse / Meyer S. 452; OLG Köln VRS 1957,425,426. 293 Alsberg / Nüse / Meyer S.236 f.; a.A. BGH GA 1965, 108; OLG Schleswig SchlHA 1972, 160, die die Berücksichtigung des äußeren Erscheinungsbildes ohne förmliche Augenscheinseinnahme rur zulässig halten. 294 Alsberg / Nüse / Meyer S. 237; a.A. Rogall MDR 1975,813, der auch in diesem Fall eine Belehrung des Zeugen über das Zeugnisverweigerungsrecht rur geboten hält; so wohl auch SK-Rogall Vor § 48, Rdnr. 133. 295 BGH GA 1965, 108; OLG Hamm MDR 1974, 1036; OLG Köln VRS 1957,426; OLG Karlsruhe DAR 1983, 93; Nüse JR 1966, 281, 283; KMR-Paulus Vorb. § 48, Rdnr. 90; Meyer / Goßner § 52, Rdnr. 23; a.A. Rogall MDR 1975, 813. 296 BGH GA 1965, 108. 297 Offengelassen bei LR-Dahs Vor § 48, Rdnr. 7 am Ende. 298 SK-Rogall § 58 a, Rdnr. 7. 299 Meyer-Goßner § 58 a, Rdnr. 8; Eisenberg, Beweisrecht, Rdnr. 1328 h.
C. Die einzelnen Nebenpflichten des minderjährigen Zeugen
22 I
Pflicht gemäß §§ 51, 70 StPO - mit den entsprechenden Besonderheiten für minderjährige Beweispersonen - angehalten werden, denn denkbar ist eine Weigerung realistischerweise nur in der Form, daß er erst gar nicht zur Vernehmung erscheint oder das Zeugnis unberechtigt verweigert. 3DD Grundsätzlich wird jedoch gefordert, daß der Richter von den Ordnungsmitteln nur schonend Gebrauch machen sollten, um ein kooperatives Verhalten der Zeugen nicht zu gefährden. 3DI
300 SK-Rogall § 58 a, Rdnr.7. Möglich wäre eine Weigerung eventuell noch in der Art, daß der Zeuge während der Videoaufzeichnung seiner Vernehmung eine Hand vor das Gesicht hält. Dies würde jedoch schon die Beweiskraft der Vernehmung an sich beeinträchtigen, da das Gericht aus der Mimik des Zeugen wichtige Rückschlüsse ziehen kann. Erneut können zur Durchsetzung der Pflicht §§ 51, 70 StPO herangezogen werden. 301 Meyer-Goßner § 58 a, Rdnr. 8; SK-Rogall § 58 a, Rdnr. 7 am Ende.
Schluß betrachtung Die Ergebnisse der vorliegenden Arbeit lassen sich wie folgt zusammenfassen: Der Staat kann einem Minderjährigen genauso wie einem Erwachsenen die Pflicht auferlegen, als Zeuge in einem Strafverfahren auszusagen. Es ist nicht geboten, den Minderjährigen als Beweisperson gänzlich aus dem Strafprozeß herauszunehmen. Vor allem die These der Sekundärschädigung durch eine Vernehmung in der Hauptverhandlung ist nicht haltbar. I Selbst kindliche Opferzeugen sind den Anforderungen eines Strafprozesses psychisch gewachsen, wenn auf sie Rücksicht genommen wird. Der zu ihrem Schutz vorhandene Nonnenbestand muß nur konsequenter herangezogen werden. Die Einruhrung sogenannter Gerichtsvorbereitungsprogramme rur minderjährige Zeugen an den Gerichten muß forciert werden. Diese Kurse knüpfen an der Feststellung an, daß die jungen Zeugen nur ein geringes Wissen über das Strafverfahren haben und daß aus diesem Defizit Ängste gegenüber ihrer bevorstehenden Vernehmung resultieren. Die Teilnahme an einem solchen Programm soll dazu beitragen, diese Vorbehalte schon im Vorfeld der Verhandlung abzubauen. Diese Programme gehören aber ausschließlich in die Hände spezifisch ausgebildeter Zeugenbetreuer, um mögliche Gefahren etwa rur die Wahrheitsfindung von vornherein zu minimieren. Das Strafverfahren trägt dieser sensiblen Zeugengruppe weitaus besser Rechnung als gemeinhin angenommen wird. Man muß sich wohl erst an den Gedanken gewöhnen, daß Zeugenschutz und Wahrheitssuche sich nicht gegenseitig ausschließen, sondern darüber hinaus sogar befruchten können. Zeugen, die unter einem großen psychischen Druck stehen, machen eher unklare, inkonsistente Angaben. Es konnte gezeigt werden, daß nicht nur der Zeugenschutz, sondern vor allem die Suche nach der Wahrheit dazu zwingt, die Belastungen rur die Zeugen so gering wie möglich zu halten. Trotz dieser positiven Bilanz wird es in Einzelfällen Minderjährige geben, die eine Zeugenrolle in einem Strafprozeß psychisch nicht bewältigen können. 2 Der Staat darf dann aufgrund seiner Fürsorgepflicht diesen Verfahrensbeteiligten gegenüber und insbesondere aus Gründen des Kindeswohls, die Erfiillung der Zeugenpflicht nicht einfordern. Das Kindeswohl ist als ein Ausdruck des I 2
Vgl. 3. Kap. C. IV. 3. Vgl. 3. Kap. C. IV. 4.
Schlußbetrachtung
223
allgemeinen Persönlichkeitsrechts eines Minderjährigen und als ein Sammelbegriff für dessen Grundrechtspositionen zu verstehen und somit bei allen Maßnahmen des Staates zu berücksichtigen. Es ist eine spezifische Ausprägung des Grundsatzes der Unantastbarkeit der Menschenwürde und des Rechtes auf eine freie Entfaltung der Persönlichkeit und ein im Strafverfahren beachtliches Prinzip staatlichen Handeins. Selbst wenn Zeugen, deren Kindeswohl durch die Vernehmung verletzt wird, die Hauptgrundlage einer Verurteilung bilden würden und ohne sie eine Einstellung des Verfahrens oder ein Freispruch des Angeklagten zu erwarten wäre, muß auf sie verzichtet werden. Diese Gruppe von Zeugen wird jedoch die Ausnahme sein: Der minderjährige Zeuge wird zum klassischen gefahrdeten Zeugen. 3 Er könnte sich sogar auf ein übergesetzliches Zeugnisverweigerungsrecht berufen, falls das Gericht auf seiner Vernehmung beharrt. Zeuge kann sein, wer die zu bekundende Tatsache wahrnehmen konnte, wer sie in Erinnerung behalten hat und wer imstande ist, darüber Auskunft zu geben. 4 Diese Fähigkeit hat nicht jeder Mensch, doch Minderjährige können in der Regel Zeuge sein. Fehlt die Zeugnisfahigkeit, entfallt dennoch nicht die Erscheinenspflicht des Zeugen - neben der Aussage- und der Eidespflicht eine der drei Hauptpflichten. Die Frage der Zeugnisfahigkeit stellt sich in erster Linie für Minderjährige, die noch nicht sprechen können. Doch schon normal entwikkelte 3jährige Kinder sind von ihren kognitiven und sprachlichen Fähigkeiten oft in der Lage, von Erlebnissen zu berichten und auf altersgerecht formulierte Fragen zu antworten. 5 Sie können daher Zeugen in einem Strafverfahren sein. Der Minderjährige ist jedoch nicht dem erwachsenen Zeugen gleichzusetzen. Vielmehr muß auf die besonderen Gegebenheiten Rücksicht genommen werden, die auch daraus resultieren, daß neben dem Verhältnis des Staates zu dem Minderjährigen durch die Zeugenladung darüber hinaus eine Beziehung des Staates zu den Eltern begründet wird. Die Elternrechte werden durch die Verpflichtung eines Minderjährigen, in einer Hauptverhandlung auszusagen, tangiert. De lege lata wird zu wenig auf diese Elternrechte Rücksicht genommen. Unbedingt sollte daher beispielsweise eine Zweitschrift der Zeugenladung eines Jugendlichen an dessen gesetzlichen Vertreter gehen. 6 Den gesetzlichen Vertretern muß zumindest die Chance eingeräumt werden, ihr Kind für den Fall zu unterstützen, daß es sie nicht selbst um eine entsprechende Hilfe ersucht und über die Vernehmung unterrichtet hat. Mit einer solchen Mitteilung erhöht sich zudem die Gewähr, daß der Jugendliche erscheint und er vor möglichen OrdVgl. 4. Kap. C. 11. 4. j). Vgl. 2. Kap. A. und 4. Kap. C. I. 3. a). 5 Vgl. 4. Kap. C. 11. 3. a). 6 Vgl. 4. Kap. C. I. 2. b) ce) (2). 3
4
224
Schlußbetrachtung
nungsmitteln bewahrt bleibt. Der Fortgang des Verfahrens ist allerdings nicht vom tatsächlichen Erscheinen der Eltern abhängig zu machen. Wird eine Benachrichtigung der Eltern ausnahmsweise unterlassen, soll davon zudem die Wirksamkeit der Ladung des jugendlichen Zeugen unberührt bleiben. Grundsätzlich werden Jugendliche selbst geladen; Zeugen unter 14 Jahren dagegen zu Händen ihrer gesetzlichen Vertreter. 7 Die Einruhrung einer starren Altersgrenze ist hier ausnahmsweise notwendig, da die Gerichte das hinreichende Verständnis eines minderjährigen Zeugen vom Inhalt einer Ladung nicht - ohne unverhältnismäßig großen Aufwand zu betreiben - feststellen können. Ein Grundprinzip dieser Arbeit ist es jedoch, das Abstellen auf eine vorgegebene Altersregelung ansonsten weitestgehend zu vermeiden und sich lieber einen Spielraum rur Einzelfallentscheidungen offenzuhalten, weil rur das Erreichen bestimmter kognitiver Entwicklungsstufen von Minderjährigen keine von vornherein festen Vorgaben gemacht werden können. Die Ladung selbst sollte bei minderjährigen Zeugen im Unterschied zum erwachsenen Zeugen zumeist den Gegenstand des Verfahrens und den Namen des Angeklagten enthalten, um den Elternrechten erneut genüge zu tun. Kommen Minderjährige ihrer Erscheinenspflicht nicht nach, ist die Auferlegung repressiver Ungehorsamsfolgen des § 51 StPO, nämlich die der Kosten und die Festsetzung von Ordnungsmitteln, von vornherein nur gegenüber Jugendlichen zulässig. 8 Da mit diesen Zwangsmitteln ein Rechtsverstoß geahndet wird, muß dem Betroffenen sein Handeln vorgeworfen werden können. Voraussetzung ist daher die Schuldfähigkeit des Zeugen, die analog § 19 StGB zu beurteilen ist. Gegen Jugendliche ab 14 Jahren dürfen diese Zwangsmittel dann angewandt werden, wenn sie über den dazu notwendigen Reifegrad verrugen. 9 Diese Verantwortungsreife entspricht strukturell der Vorschrift des § 20 StGB.
Nicht vorschnell sollte bei Kindern allerdings auf den Einsatz der präventiven Ungehorsamsfolge der zwangsweisen Vorruhrung verzichtet werden. Die Verhängung dieses Zwangsmittels ist gerade nicht an eine Schuldfähigkeit im strafrechtlichen Sinne gebunden. Zwar wird sie regelmäßig unverhältnismäßig sein, doch sind durchaus Einzelfälle denkbar, in denen die zwangsweise Vorruhrung ein sachgerechtes Mittel zur Gewinnung einer Aussage darstellt. 1o In der Prüfung der Verhältnismäßigkeit ist jedoch die Gefahr schädlicher Beeindruckung durch staatliche Zwangsanwendung zu berücksichtigen, da sie das Vertrauen einer Familie in den Rechtsstaat erschüttern kann. Die Verhängung von Ordnungsstrafen gegenüber den Eltern im Falle des Nichterscheinens des Vgl. 4. Kap. C. I. 2. b) ce) (1). 4. Kap. C. I. 4. b) aa). 9 Vgl. 4. Kap. C. I. 4. c). 10 Vgl. 4. Kap. C. I. 4. b) bb). 7
8 Vgl.
Schluß betrachtung
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mindeIjährigen Zeugen trotz ordnungsgemäßer Ladung ist rechtswidrig. 11 Insofern sind entsprechende Hinweise in den Ladungen, in denen die Eltern aufgefordert werden, für das pünktliche Erscheinen ihrer Kinder Sorge zu tragen, fragwürdig, da sie diesen das Vorhandensein einer Pflicht suggerieren können, die tatsächlich nicht existiert. Hauptausnahmegrund von der Aussagepflicht ist das Zeugnisverweigerungsrecht aus persönlichen Gründen gemäß § 52 StPO. Der Angehörigenbegriff ist nach derzeitiger Gesetzeslage zu eng gefaßt ist. 12 Kinder, die in einer nichtehelichen Lebensgemeinschaft groß werden, empfinden jedoch die gleiche Konfliktlage beispielsweise gegenüber dem langjährigen Partner der Mutter, wie gegenüber dieser selbst. Der Gewissenskonflikt mag sogar noch größer sein, als er es gegenüber einem leiblichen Vater wäre, den die Kinder vielleicht gar nicht kennen. Noch härter trifft die aktuelle Gesetzessituation Pflegekinder, die kein Zeugnisverweigerungsrecht gegenüber ihren Pflegeeltern haben, obwohl sie sogar im Sinne des Strafgesetzbuches gemäß § 11 Abs. 1 Nr. 1 b StGB Angehörige sind. 13 Es verbietet sich wegen des klaren Gesetzeswortlauts dennoch eine Analogie. Der Schutzbereich der zur Zeugnisverweigerung Berechtigten ist daher vom Gesetzgeber im Bereich der mindeIjährigen Zeugen zu erweitern. Soll ein mindeIjähriger Zeuge aussagen, der von der Bedeutung seines Zeugnisverweigerungsrechtes noch keine genügende Vorstellung hat, so ist die Einwilligung des gesetzlichen Vertreters einzuholen. Das Vorliegen der Verstandesreife muß vom Richter im Einzelfall festgestellt werden; die Einführung einer festen Altersregelung ist nicht geboten. Da Kinder etwa ab dem Alter von 4 bis 6 Jahren beginnen, Rollenverteilungen im Strafverfahren zu verstehen und erkennen, daß ihre Aussage Wirkung im Hinblick auf eine etwaige Bestrafung des Angeklagten haben kann, muß das Alter des Zeugen von 8 Jahren, bei dem die Rechtsprechung regelmäßig die notwendige Verstandesreife unterstellt, etwas nach unten korrigiert werden. 14 Das heißt, selbst noch jüngere Kinder können entgegen der Rechtsprechung oft schon über die erforderliche Verstandesreife verfügen, es kann jedoch keine generalisierende Aussage darüber getroffen werden. Ist der gesetzliche Vertreter in dem Verfahren selbst angeklagt, so kann er gemäß § 52 Abs. 2 Satz 2 StPO nicht über die Ausübung des Zeugnisverweigerungsrechtes entscheiden. 15 In diesem Fall wird zudem der nicht angeklagte ElVgl. Vgl. 13 Vgl. 14 Vgl. 15 Vgl. 11
12
4. 4. 4. 4. 4.
Kap. Kap. Kap. Kap. Kap.
C. I. 4. d). C.II. 4. b) ee). C. II. 4. b) fi). C. Ir. 4. d) aa). C. II. 4. d) ee).
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Schlußbetrachtung
ternteil von der Entscheidungsbefugnis ausgeschlossen, wenn die gesetzliche Vertretung beiden Elternteilen zusteht. Das Gesetz vermutet in dieser Konstellation ebenfalls zwingend einen Interessenkonflikt des gesetzlichen Vertreters, der sich zu Lasten des Minderjährigen auswirken könnte. Dieses Prinzip der Ersetzung der Einwilligung durch einen Ergänzungspfleger hat zudem für den allein vertretungsberechtigten Elternteil zu gelten, wenn der andere Elternteil in dem Strafverfahren angeklagt ist, obwohl das Gesetz diesen Fall nicht ausdrücklich regelt. l6 Insofern ist jedoch eine berichtigende Auslegung des Wortlauts der Vorschrift vorzunehmen, da den Interessen des Kindes in dieser Konstellation ebenfalls nur ein Ergänzungspfleger gerecht werden kann, der seiner Entscheidung nur sachgerechte Erwägungen ohne persönliche Rücksichtnahmen zugrundelegt. Besteht die Gefahr der Verfolgung wegen einer Straftat oder Ordnungswidrigkeit für ihn selbst oder einen Angehörigen, so kann sich der minderjährige Zeuge auf ein Auskunftsverweigerungsrecht nach § 55 StPO berufen. Nicht geteilt werden kann die herrschende Meinung, wonach sich Zeugen in eigenen Angelegenheiten dann nicht auf § 55 StPO berufen können, wenn sie bei Begehung der Tat noch strafunmündig waren. Eine entsprechende Anwendung von § 55 StPO auf Kinder als Zeugen trotz ihrer Strafunmündigkeit ist vielmehr dann geboten, sofern nach Alter und sonstigen Umständen Belastungen im Rahmen eines späteren Strafverfahrens nicht auszuschließen sind. Es hat sich erwiesen, daß kinderdelinquentem Vorverhalten bei späteren Strafverfahren eine einstellungserschwerende Bedeutung zukommt. l7 Anders als in § 52 StPO sieht der Gesetzgeber im Rahmen des Auskunftsverweigerungsrechtes keine besondere Regelung für den verstandesunreifen Zeugen vor. Nach dem Ergebnis dieser Arbeit muß § 52 Abs. 2 StPO jedoch für den Bereich des § 55 StPO entsprechend angewendet werden, wenn Angehörige belastet werden, ebenso bei einer Selbstbelastung des Mindeljährigen. l8 Der Zeuge, der wegen seiner mangelnden Verstandesreife von der Bedeutung des Auskunftsverweigerungsrechtes keine genügende Vorstellung hat, darf demnach nur vernommen werden, wenn er zur Aussage bereit und gleichzeitig sein gesetzlicher Vertreter der Beantwortung der verfänglichen Fragen zustimmt. Wichtigste Nebenpflicht des Zeugen ist die Duldung seiner körperlichen Untersuchung gemäß § 81 c StPO. Angehörigen des Angeklagten steht ein Untersuchungsverweigerungsrecht zu: § 81 c Abs. 2 StPO knüpft eng an das
Vgl. 4. Kap. C. H. 4. d) ff). Vgl. 4. Kap. C. II. 5. b). 18 Vgl. 4. Kap. C. II. 5. c).
16
17
Schlußbetrachtung
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Zeugnisverweigerungsrecht gemäß § 52 Abs. 2 und Abs. 3 StPO an. 19 Der Zeuge soll nicht dazu beitragen müssen, einen nahen Angehörigen einer Straftat zu überfUhren. Allerdings wird vom Gesetzgeber verkannt, daß der Konflikt im Vergleich zu § 52 StPO ein geringerer ist. Die Beweisperson hat im Fall des § 81 c StPO nicht die Wahl zwischen Wahrheit, Lüge und gänzlicher Verweigerung, sondern entscheidet sich allein zwischen einer Untersuchungsbereitschaft, die der Feststellung wahrer Tatsachen dient, und der Verweigerung der Untersuchung. Besser ist es, die Rechtsgrundsätze der beiden Vorschriften getrennt voneinander zu entwickeln mit dem Ziel eines engeren Anwendungsbereichs des Untersuchungsverweigerungsrechtes. Negativ war die häufige Einholung der Glaubwürdigkeitsgutachten zu Aussagen minderjähriger Zeugen zu beurteilen?O Der Mythos der generell unglaubwürdigen Aussage von Minderjährigen ist widerlegt. Dennoch macht vor allem die Möglichkeit suggestiver Vorbefragungen eine aussagepsychologische Untersuchung der minderjährigen Beweisperson oft notwendig. Dem Gesetzgeber ist aufzugeben, eine eigene Vorschrift fUr die Glaubwürdigkeitsuntersuchung zu schaffen. Der Rückgriff auf § 81 c StPO ist unbefriedigend, da die Norm, die die körperliche Untersuchung anderer Personen als des Beschuldigten regelt, nicht auf die Begutachtung der Glaubwürdigkeit paßt. Diese steht von ihrem Wesensgehalt her einer Aussage näher als einer körperlichen Untersuchung. Die Schwäche der jetzigen Verfahrensweise hat sich vor allem bei der Frage der Belehrung des Zeugen gezeigt. Es werden die Belehrungspflichten aus §§ 81 c Abs. 3 Satz 2 Halbsatz 2, 52 Abs. 2 Satz 2, Abs. 3 StPO analog angewendet, wenn Glaubwürdigkeitsgutachten über Zeugen eingeholt werden sollen, die als Angehörige zur Untersuchungsverweigerung berechtigt wären. Doch einer solchen Belehrung bedarf es nicht. Sie könnte beim Zeugen sogar die falsche Vorstellung wecken, daß er ohne eine solche Angehörigeneigenschaft zur aktiven Teilnahme an der Exploration verpflichtet sei. Richtig ist es vielmehr, den Zeugen völlig unabhängig davon, ob er mit dem Angeklagten verwandt ist, deutlich von seiten des Gerichts über die völlige Freiwilligkeit seiner Mitwirkung an einem Gutachten zu belehren. 21 Der Zeuge hat den Anspruch auf eine umfassende Information darüber, daß er zur Teilnahme an der Glaubwürdigkeitsuntersuchung nicht verpflichtet ist. Nur dann kann er eine echte Wahl zwischen Mitwirkung und Verweigerung treffen.
19 20
21
Vgl. 5. Kap. C. 11. I. Vgl. 5. Kap. C. IIl. Vgl. 5. Kap. C. IIl. 5.
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Schlußbetrachtung
Erteilt der Zeuge diese Einwilligung nicht, bleibt die Möglichkeit der Gutachtenerstellung im Rahmen der Hauptverhandlung gemäß § 80 Abs. 2 StPO.22 Die Begutachtung der Glaubwürdigkeit erfolgt dann nur aufgrund der Erkenntnisse, die der Sachverständige dadurch gewinnt, daß er der Vernehmung des Zeugen in der Hauptverhandlung beiwohnt. Diese Verfahrensweise ist keine Umgehung der gesetzlichen Vorschriften, sondern von dem Gesetzgeber ausdrücklich gewollt. Hervorzuheben ist dabei einzig der fragwürdige Wert eines auf diese Art gewonnenen Gutachtens. Insgesamt leiden zu viele - auch solche auf klassischem Weg gewonnene - Gutachten an eklatanten Mängeln. Qualitätsmanagement und -sicherung sind auf diesem Gebiet verstärkt durchzusetzen. Der BGH hat inzwischen Mindestanforderungen für die Begutachtung von Zeugenaussagen aufgestellt, die die Sachverständigen zu erfüllen haben. Für den Richter bedeutet dies, dem beauftragten Gutachter eine deutlich präzisere Aufgabenbeschreibung an die Hand zu geben.
22
Vgl. 5. Kap. C. III. 7.
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Sachverzeichnis Adressat der Zeugen ladung
- Ausnahmen 119
- Altersabstufung 76
- Durchsetzung 168
- bei Jugendlichen 84 ff. - bei Kindern 83 ff. - Meinungsstand 79 ff. - Rechtsprechung und Praxis 77 ff. - Stellungnahme zur Frage des richtigen Adressaten 82 ff. Alternativ-Entwurf Zeugnisverweigerungsrechte und Beschlagnahmefreiheit 71, 131
Belastungserieben von Minderjährigen 64 Belastungsfaktoren, potentielle 63 Belehrung 150 ff. - Heilung einer unterbliebenen Belehrung 154 - Rechtsfolgen des Unterbleibens 152 - Verzicht und Widerruf 155
Augenscheinseinnahme 32
Benachrichtigung der Eltern 85 ff.
Auskunftsverweigerungsrecht 162 ff.
Beugehaft 169
- Belehrung 167
Beweismittel, persönliches 30, 32
- Gefahr der Verfolgung 164
Beweiswert der Zeugenaussage 37 ff.
- Verhältnis zu § 52 StPO 162
Beweiswürdigung, freie 27,90,101
- verstandesunreifer Zeugen 166 Aussagefahigkeit 89,119, 139
Childrens Rights Convention 53 ff.
- von 7- bis lOjährigen Zeugen 122
Constitutio Criminalis Carolina 26
- von 11- bis 14jährigen Zeugen 122 - von Jugendlichen 123
Eid 24,25, 34, 170 ff.
- von Kindergartenkindern 121
- Zweck und Bedeutung 170
- von Kleinkindern 120
Eidespflicht 170 ff.
Aussagenotstand 136
- Absehen von Vereidigung 174
Aussagepflicht 114 ff.
- Durchsetzung 176
Sachverzeichnis - Vereidigungsverbote, absolute 172
- Suggestibilität 196 ff.
Elternrechte 40, 70, 75, 83, 85
- Unterbleiben der Belehrung 213
Elternverantwortung 86
- Validitätsprüfung 207
Enumerationsprinzip der §§ 52 ff. StPO 129
Grundsatz des fairen Verfahrens 37
Erkundigungs- bzw. Vergewisserungspflicht 178 Erscheinenspflicht 72 ff. - Ausnahmen 88 ff. - bei Zeugnisunfähigkeit 88 - Durchsetzung 93
249
Hauptpflichten - Aussagepflicht 114 ff. - Eidespflicht 170 ff. - Erscheinenspflicht 72 ff. Hindernis, anderes nicht zu beseitigendes 108
Erziehungsprimat, elterlicher 41, 54 Kindeswohl 40,53 ff., 101, 110 Fortsetzungszusammenhang 23 Fragerecht des Vorsitzenden 114
- Geltung des Prinzips im Strafverfahren 53 ff. Konservierung der Erstaussage 113
Gebärdensprache 89 Gefährdung des Zeugen 110
Ladung 72 ff.
Gegenüberstellung 218
- Adressat 73, 76 ff.
Generalfragen 117, 217 ff.
- Benachrichigung der Eltern 86 ff.
Gerichtsvorbereitungsprogramm siehe Zeugenprogramm
- Folgen der Unkenntnis 94
Glaubwürdigkeit und Glaubhaftigkeit 205
- Hinweis auf die gesetzlichen Folgen des Ausbleibens 76
Glaubwürdigkeitsgutachten 195 ff.
- jugendlicher Zeugen 84 ff.
- Auswahl des Sachverständigen 216
- kindlicher Zeugen 83 ff.
- Belehrung 208
- Meinungsstand 79 ff.
- Einwilligung 208
- ordnungsgemäße 73
- Fehlen der Einwilligung 214
- Rechtsprechung und Praxis 77 ff.
- Mindestanforderungen des BGH an die Gutachten 207
- Stellungnahme zur Frage des richtigen Adressaten 82 ff.
- Fristen 74
250
Sachverzeichnis
- Zweck, Form und Inhalt 74 Lebensgemeinschaft, nichteheliche 128 ff. Lebenspartnerschaft, gleichgeschlechtliche 126
Ordnungsstrafen siehe Zeugenzwang Personalbeweis siehe Beweismittel, persönliches Persönlichkeitsrecht 34, 36, 56 Pflegekinder 134
Massenbeschuldigungsverfahren 200 Mehrfachvemehmung 18,63,66, 113, 202 Mimik des Zeugen 89
Prinzip des Kindeswohls siehe Kindeswohl Quasi-Zeugen 25
Mißbrauch, sexueller - Dunkelziffer 20
Recht auf Gehör 37
- Mißbrauch mit dem Mißbrauch 143
Rechtskreistheorie 153
Montessori-Verfahren 200
Reifegrad des Jugendlichen 104 Renaissance des Opfers 35
Nebenpflichten 177 ff. - Beantwortung von Generalfragen 217
Sachsenspiegel 26
- Duldung der Gegenüberstellung, der Augenscheinseinnahme und der Videoaufzeichnung der Vernehmung 218
Sachverständiger 33,157,195 ff., 206 ff.
- körperliche Untersuchung 180 ff.
Schädigung, sekundäre 23,41,53,57 ff.
- Wahrheitspflicht 177
- aktuelle Studien 64
Nichteheliche Lebensgemeinschaft siehe Lebensgemeinschaft, nichteheliche
- Alternativhypothesen 61 - Begriff 57
Nichterscheinen 94
- Belastungserleben, tatsächliches 64
- Entschuldigungsgründe 94 ff.
- Belastungsfaktoren, potentielle 63
- Unkenntnis von der Zeugenladung 94
- Ergebnisse 65
- Verbot der Eltern 95
Schweigen, beredtes 90
Säugling 182 Säumnisfolgen 93 ff.
Sperrerklärung der Eltern 70, 107 Öffentlichkeitsausschluß 35
Sprache 89
Opferzeugen 41
Staatsbürgerpflicht, allgemeine 42 ff.
Sachverzeichnis Stieffamilie 146 Suggestibilität minderjähriger Zeugen 196 Traumatisierung siehe Schädigung, sekundäre
Unerreichbarkeit des Zeugen 107 Unmittelbarkeitsprinzip 102, 105 Untersuchung, körperliche 180 ff.
251
Videovernehmung 23,33,35,36,91 ff., 99, 102, 112 - Duldung der Aufzeichnung 220 - Verhältnis zur Verlesung von Vernehmungsniederschriften 112 Viktimisierung siehe Schädigung, sekundäre Vorbereitungspflicht 178 Vorfiihrung, zwangsweise 98 ff. Vormundschaftsgericht 107, 149
- auf Spuren und Tatfolgen 182 - Durchsetzung 194
Wächteramt des Staates 40, 54
- einer Frau 183
Wahrheitspflicht 71, 177
- Einwilligung, Belehrung und Widerruf 185
Wartezimmer 22
- Entnahme von Blutproben und Untersuchung zur Feststellung der Abstammung 184 Untersuchungsverweigerungsrecht 187 ff. - Belehrung 191 - Koppelung an § 52 StPO 187 - Verstandesreife 189 Verhandlungs- oder Vernehmungsfahigkeit siehe Aussagefahigkeit
Wissen über Strafverfahren 67 Wormser Prozesse 60, 199
Zeuge - Abgrenzung zu anderen Beweismitteln 31 ff. - Begriff 29 ff. - Beweiswert der Aussage 37 - Schutz 34 - Stellung 29 Zeugenbelehrung 116, 118, 150 ff., 167
Vernehmungsbeistand 37, 115
Zeugenbetreuer 66
- Befugnisse 115
Zeugenladung siehe Ladung
Verstandesreife 138
Zeugenpflicht
- Defekte, psychische 140
- Ansatzpunkt Ladung 46, 49
- Feststellung 138
- Ansatzpunkt Staatsbürgerpflicht 49, 50
- Verhältnis zur Aussagefähigkeit 139
- Aussagepflicht 114 ff.
252
Sachverzeichnis
- Eidespflicht 170 ff.
- Folgen für die Erscheinenspflicht 91
- Einzelfallentscheidung 68
Zeugnisverweigerungsrecht 123 ff.
- Erscheinenspflicht 72
- Ausnahmen vom Verwertungsverbot 157
- Grundsatz 40 - Hauptpflichten 71 - Konkretisierung 42 ff. - Nebenpflichten 177 ff. - Rechtsquelle 42 - Rechtstradition 44 - Wahrheitspflicht 71
- Ausübung l3 7 - übergesetzliches 159 Zeugnisverweigerungsrecht aus beruflichen Gründen 159 Zeugnisverweigerungsrecht, persönliches 123 ff.
Zeugenprogramm 22, 67
- Ausübung beim allein vertretungsberechtigten Elternteil 143 ff.
Zeugenschutz 34
- Belehrung 150
Zeugenschutzgesetz 36
- Berechtigte 125 ff.
Zeugenvernehmung 116
- Einwilligung des gesetzlichen Vertreters 141
- Angaben zur Person 117 - Angaben zur Sache 116 - Belehrung 116, 118 - Generalfragen 117
- Kinder in einer Lebenspartnerschaft 126 - Kinder in einer nichtehelichen Lebensgemeinschaft 128 ff. - Pflegekinder 134
Zeugenvernehmung, audiovisuelle siehe Videovernehmung
- Verlobter 125
Zeugenzwang 93 ff.
- Verstandesreife 138
- gegenüber den Eltern 106 - gegenüber Jugendlichen 104
- Verwandtschaft und Schwägerschaft 127
- gegenüber Kindern 96 ff.
- Rechtsfolgen 156
- Verhältnismäßigkeit 100 ff.
Zufallszeugen 41
Zeugnisunfähigkeit 24 f., 88
Zwangsmittel siehe Zeugenzwang