Die Ausgestaltung des Anklageprinzips nach amerikanischem Strafverfahrens- und Verfassungsrecht [1 ed.] 9783428492589, 9783428092581

Der Autor untersucht die Ausgestaltung des Anklageprinzips nach amerikanischem Recht. Dabei beschränkt er sich allerding

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German Pages 231 Year 1998

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Die Ausgestaltung des Anklageprinzips nach amerikanischem Strafverfahrens- und Verfassungsrecht [1 ed.]
 9783428492589, 9783428092581

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MARKUS GEISLER

Die Ausgestaltung des Anklageprinzips nach amerikanischem Strafverfahrens- und Verfassungsrecht

Schriften zum Internationalen Recht

Band 101

Die Ausgestaltung des Anklageprinzips nach amerikanischem Strafverfahrensund Verfassungsrecht

Von

Markus Geisler

Duncker & Humblot · Berlin

Gefördert mit Forschungsmitteln des Landes Niedersachsen

Die Deutsche Bibliothek- CIP-Einheitsaufnahme

Geisler, Markus:

Die Ausgestaltung des Anklageprinzips nach amerikanischem Strafverfahrens- und Verfassungsrecht I von Markus Geisler. Berlin : Duncker & Humblot, 1998 (Schriften zum Internationalen Recht; Bd. 101) Zugl.: Osnabrück, Univ., Diss., 1997 ISBN 3-428-09258-9

Alle Rechte vorbehalten Humblot GmbH, Berlin Fotoprint: Berliner Buchdruckerei Union GmbH, Berlin Printed in Germany

© 1998 Duncker &

ISSN 0720-7646 ISBN 3-428-09258-9 Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier entsprechend ISO 97068

Vorwort Die vorliegende Untersuchung beschreibt die Information des Beschuldigten, den Gegenstand der Hauptverhandlung und den Umfang der Rechtskraft im U .S.-amerikanischen Strafverfahren. Die Arbeit entstand vor dem Hintergrund, daß die Fragen nach dem Prozeßgegenstand und dem Umfang der Rechtskraft zu den schwierigsten Problemen des geltenden deutschen Strafverfahrens gehören. Im Mittelpunkt des deutschen Rechts steht der Begriff der Tat der §§ 151, 155, 264 StPO einerseits und des Art. 103 Abs. 3 GG andererseits. Zu diesem Themenkomplex sind insgesamt fünf Dissertationen vorgelegt worden sind, doch eine rechtsvergleichende Abhandlung fehlt bislang. Diese Lücke vermag auch die vorliegende Arbeit nicht zu schließen. Zwar war es das ursprüngliche Ziel des Autors, die im Titel dieser Untersuchung aufgeführten Themenkomplexe unter Heranziehung des U.S.-amerikanischen Rechts rechtsvergleichend unter dem Stichwort des "Anklageprinzips" zu analysieren. Dieses Vorhaben erwies sich jedoch im Lauf der Zeit als undurchführbar, und zwar schlicht deshalb, weil die zum amerikanischen Recht greifbaren Informationen einfach zu spärlich waren. Ein Rechtsvergleich macht jedoch nur dann Sinn, wenn Klarheit über die zu untersuchenden Objekte besteht, während alles andere bloße Makulatur wäre. Aus diesem Grund mußte das Ziel der Untersuchung geändert werden. Statt auf der Grundlage eines Rechtsvergleichs einen Vorschlag für eine Reform des deutschen Rechts zu entwerfen, trat mehr und mehr die Aufgabe in den Vordergrund, vorab eine systematische Darstellung des amerikanischen Rechts zu erstellen. Das Resultat meiner Forschungen zum amerikanischen Recht liegt nunmehr vor. Die Arbeit ist unter anderem das Ergebnis eines einjährigen LL.M.-Studiums an der University of Wisconsin-Madison und eines dreimonatigen Praxisaufenthaltes in der Rechtsanwaltssozietät Passman & Jones in Dallas. Die Arbeit basiert auf einer Anregung von Prof. Dr. Joachim Schulz (Universität Osnabrück), dem ich deshalb zu ganz besonderem Dank verpflichtet bin. An dieser Stelle möchte ich mich auch bei Prof. Walter Dickey (University of Wisconsin-Madison) bedanken, der mir als mein legal advisor den Einstieg in die schwierige Materie des amerikanischen Strafprozeßrechts wesentlich erleich-

Vorwort

6

tert hat. Danken möchte ich zudem dem attomey at law Bill Hart von der Anwaltssozietät Passman & Iones für die gleichermaßen angenehme wie lehrreiche Zeit in Dallas. Besonderer Dank gilt schließlich meiner gesamten Familie, vor allem meiner Ehefrau Karin und meiner Tochter Sarah-Isabel, die stets geduldig mancherlei Entbehrungen mitgetragen haben. Das Manuskript wurde im August 1995 fertiggestellt Das Schlußkapitel wurde nach der Disputation im Frühjahr 1997 angehängt.

Rinteln, den 28. November 1997 Markus Geister

Inhaltsverzeichnis Erstes Kapitel

Das amerikaDisehe Strafverfahren I.

13

Die Grundlagen 0 0 o o 0 0 o 0 o o o 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 13

II. Die Einleitung des Verfahrens 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 15 A. Citation, Summons, Arrest 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 15

Bo Post-arrest Procedures 0 0 0 o 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 17 Co Decision to Charge 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 • 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 18

III. Die Vorverfahren 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 19 A. Initial Appearance 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 19

Bo Preliminary Examination 0 0 0 0 0 0 0 o 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 21 Co Grand Jury Review 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 24

IV. Das Hauptverfahren 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 26 Ao Arraignment 0 0 0 0 • 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 • 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 26 Bo Pre-Trial Motions 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 o 0 0 0 29 Co Pretrial Conference 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 32 Do Trial o o o o o o 0 o o o o o o o o o o o o o o o o o o o o o o o o o o o o o o o o o o o 0 o o o o o o 33 lo

Die Auswahl der Geschworenen 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 34

20

Die Eröffnungsplädoyers 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 35

30 Die Beweisaufnahme 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 36 40 Die Schlußplädoyers 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 • 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 40 5o Die Instruktion der Geschworenen 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 40 60 Die Beratung der Geschworenen 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 41 7 0 Der Spruch der Geschworenen 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 • 0 0 0 0 0 0 41 E. Post-Trial Motions 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 43

I.

Der Antrag auf eine neue Verhandlung über die Schuld 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 43

20

Der Antrag auf einen Freispruch trotz Schuldspruch 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 44

8

Inhaltsverzeichnis 3. Der Antrag auf ein Absehen von der Straffestsetzung ........ . .. . 44 F. Sentencing ......... . ....... . ...... . ............ . ...... 45

V. Die Rechtsmittelverfahren ............... . . ... . ........... . .. 47 A. Appellate Review ... ... ............. . . .... . ...... . . . . . .. 47 B. Collateral Attacks .................... . .................. 50

Zweites Kapitel

Die Information des Beschuldigten I.

52

Einführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 52 A. Formelle und informelle Information . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 52 B. Das Recht .,to be informed" . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 53 C. Überblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 54

II. Die Anklage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 55 A. .,Long form"-Anklagen .... .. ......... . .. . . ......... . . .. ... 56 B. .,Essential elements"-Anklagen .. . .. .. .. . ... . .. . . .... . . ...... 58 I. Das .,essentials elements"-Erfordemis .. ... . ... . .. . .. . ..... . . 60

2.

Das .,factual specifity"-Erfordemis .... . .. . ............. . ... 61

3.

Musteranklagen .. . ......... . . . .... .... .. . ... . .... . ... 62

C. .,Short form"-Anklagen . .. .. ........... . . . .... .. ...... . . . . . 63 D. Anklagepunkte ..... . .. . ............ .. ... . ......... . .. . . 63 I.

.,Same act or transaction"-Test . . ....... . .. ....... . .. .. ... 66

2. .,Connected together" und .,common scheme or plan"-Test ... . . .. . 67 3. .,Same or similiar character"-Test .. . .... . ............ . .. . . 68 E. Das Ermittlungsergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 69 F. Die Beweismittel . ..... . ... . .... . ..... . ............. . . . .. 71 III. Discovery and Disdosure . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 72 A. Einführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 72 I.

Die Gefahr der übermäßigen Bevorteilung des Beschuldigten . . .. . . 74

2. Die Gefahren des Meineides und der Einschüchterung von Zeugen . . 76 3. Resümee . ............ ... . .. .................. . ..... 77 B. Das Bundesrecht . . . . . . . . . . .. ..... . ... .. .. . . . .. . . .. . .. . . . 78

Inhaltsverzeichnis

9

1. Die Abänderungsbefugnis der Gerichte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 78 2. Das Verfahren der Akteneinsicht ...... .. ................. . 79 3. Der Umfang der Akteneinsicht nach Regel 16 FRCP ... . . . ..... . 81 a) Erste Kategorie: Einsichtsrechte des Beschuldigten, die keine Gegeneinsichtsrechte des Anklägers auslösen . . . . . . . . . . . . . . 82 b) Zweite Kategorie: Einsichtsrechte des Beschuldigten, die Gegeneinsichtsrechte des Anklägers auslösen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 84 c) Exkurs: Die Pflicht des Beschuldigten, dem Ankläger gewisse Verteidigungen vor Beginn der Hauptverhandlung anzuzeigen .. . 87 d) Aktenteile, für die ein Anspruch der Verteidigung auf Einsichtnahme nicht besteht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 88 4. Die Offenlegung von Zeugenaussagen nach dem Jencks Act .. .... . 90 5.

Die Offenlegung von Zeugenaussagen nach Regel 26.2 FRCP ...... 93

6. Die Nachteile des Systems .............................. 94 7. Das "omnibus procedure" .... . ....... . . . ........... . . . . . 95 C. Das Staatenrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 96 I. Texas .......... . .................................. 97

2. Wisconsin ....... . .............. . ... .. .... . . ... . .. . 100 3. Zeugenprotokolle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 101 D. Zwischenergebnis ... ... .... ..... . .. .... . .... ....... . .. . 102 IV. Die Brady-Doktrin . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 103 A. Die Pflicht zur Offenlegung entlastender Beweise . . . . . . . . . . . . . . . . 103 I.

Das Ersuchen der Verteidigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 105

2. Das Kriterium des begünstigenden Beweismittels . . . . . . . . . . . . . . 106 3. Das Kriterium des wesentlichen Beweises . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 109 B. Die Sorgfaltspflicht des Beschuldigten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 115 C. Die Aufbewahrungspflicht des Anklägers . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 116

D. Der Zeitpunkt der Offenlegung .. .... . . . . . .. ... . .. . ..... . . .. 120 E. Praktische Probleme .. . ... . .. . .... . .. . ........ . .. . .. . .. . . 121

Drittes Kapitel

Der Gegenstand der Hauptverhandlung I.

122

Die Korrespondenzregel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 122 A. Das Gewohnheitsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 123

10

Inhaltsverzeichnis B. Das Bundesrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 125 1. Unbeachtliche Abweichungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 126 2. Beachtliche Abweichungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 129 C. Das Staatenrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 130 D. Verfahrensrecht ...... . .. . .......... . ... . ......... . .. .. . 131

II. Klageänderungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 132 A. Änderungen des Strafgesetzes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 133 1.

Die "lesser included offense"-Regel ..... . ...... .. ..... . ... 133

2.

Einzelfallentscheidung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 134

3.

Verfahrensrecht ..... . ......... . .... . .......... . ... . . 136

B. Änderungen des Sachverhaltes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 137

111. Die "Bain"-Regel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 142

Viertes Kapitel

Der Umfang der Rechtskraft I.

146

Grundlagen ...... . ............. . ...... . ...... . .......... 146

II. Das Verbot der Mehrfachbestrafung ...... . . . ............. . .. . . 147 A. Die Anwendung des Verbotes bei abermaliger Bestrafung . . . . . . . . . . 148 B. Die Anwendung des Verbotes bei erstmaliger Bestrafung ........... 149 C. Der Begriff des "same offence" . ......... . . ...... . ..... . .. . . 150

111. Das Verbot der Doppelverfolgung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 153 A. Der Schutz des Beschuldigten nach einem Freispruch . . . . . . . . . . . . . 155 B. Der Schutz des Beschuldigten nach einer Verurteilung ........ . .. . . 157 C. Der Schutz des Beschuldigten nach vorzeitiger Prozeßbeendigung . . . . . 160 l.

Nolle prosequi . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 161

2.

Mistrial . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 163

3. Dismissal . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 166 D. Der Begriff des "same offence" ....... .... ...... . ... .... .. . . 167 1. Die "Blockburger"-Regel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 168 2. Die "colleteral estoppel"-Doktrin . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 171 3.

Das "Grady v. Corbin"-Präjudiz

173

Inhaltsverzeichnis

II

4. Der "same transaction"-Test . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 176 IV. Die "dual sovereignty"·Theorie ... ... . .. . .... .. .

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178

Fünftes Kapitel

Schlußbemerkungen I.

181

Das Anklageprinzip . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

0





























181

A. Das Prinzip der funktionellen Trennung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 181 B. Das Prinzip der thematischen Bindung .................... . ... 182 II. Die Information des Beschuldigten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 183 A. Die Anklageschrift . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 183

B. Das Akteneinsichtsrecht

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C. Die Offenlegungspflicht

184 186

III. Der ProzeHgegenstand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

0

























A. Der Prozeßgegenstand und die Zulässigkeil von Klageänderungen ....



o

186 186

1.

Das deutsche Modell ......... . ... . ........

2.

Das amerikanische Modell . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 187

0















B. Ansätze für eine Reform des deutschen Rechts nach amerikanischem Vorbild . . . . . . 0

















































1. Klageänderungen rechtlicher Art . . . . . . . . . . 2.

Klageänderungen tatsächlicher Art . . . . . . .

Anhang ....

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Literaturverzeichnis ....

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Rechtsprechungsverzeichnis .... Sachverzeichnis

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187

188 189 189 192 211

221 227

Erstes Kapitel

Das amerikanische Strafverfahren I. Die Grundlagen Zu Beginn dieser Untersuchung soll ein Überblick über den Ablauf eines amerikanischen Strafverfahrens gegeben werden. Hierzu ist jedoch vorab darauf · hinzuweisen, daß das Strafverfahrensrecht in den Vereinigten Staaten nicht nur Sache des Bundes ist, sondern wie das materielle Strafrecht der Regelungsgewalt sowohl des Bundes als auch der 50 Einzelstaaten der U.S.A. unterliege. Aus dem hieraus resultierenden Dualismus von Bundes- und Staatenrecht ergibt sich eine starre Trennung dergestalt, daß die Bundesstrafprozeßordnung - die "Federal Rules of Criminal Procedure" - lediglich für das Bundesstrafverfahren gilt, während sich die Strafverfahren der insgesamt 50 Bundesstaaten nach den jeweiligen einzelstaatlichen Prozeßordnungen richten (z.B. in Wisconsin nach dem "Criminal Procedure Code" oder in Texas nach dem "Code of Criminal Procedure"). Es ist deshalb sachlich nicht ganz richtig, vom dem amerikanischen Strafverfahren zu sprechen, denn tatsächlich existieren 51 eigenständige Strafverfahren. In diesem Sinn heißt es bei LaFave I IsraeJZ: "A useful description of the American criminal justice process must begin by acknowledging that there is no single set of criminal justice procedures applied uniformly throughout this country. [...] Just as each state can shape its substantive criminal code to fit the value judgments and traditions shared by its people it can also shape the procedures that will be used in administering that code. As a result, in many respects, we have fifty-one different criminal justice processes, one for each of the states and one for the federal government". Wenn in diesem Kapitel dennoch der Versuch unternommen wird, das amerikanische Strafverfahren zu beschreiben, so geschieht dies vor dem Hintergrund,

1 Die Gesetzgebungskompetenzen des Bundes sind in der U.S. Constitution enumerativ aufgeführt. Sie erstrecken sich u.a. auf die Bereiche Zoll, Münzwesen, zwischenstaatlicher Handel, Konkurswesen, Post und geistiges Eigentum. Soweit eine Materie dem Bund nicht übertragen worden ist, liegt die Kompetenz zum Erlaß von Strafbestimmungen bei den Staaten. Zu den Einzelheiten der Kompetenzverteilung siehe Schmid, Das arnerikanische Strafverfahren, S. 22. f. (m.w.N.). 2

LaFave I Israel, Crirninal Procedure, § 1.2, S. 3 f.

14

1. Kapitel: Das amerikanische Strafverfahren

daß alle 51 Strafverfahren jedenfalls in ihren Grundzügen übereinstimmen3• Grundlegende Gemeinsamkeit aller 51 Strafverfahren ist die Ausgestaltung als Parteiprozeß (adversary system of adjudication). Im Parteiprozeß ist die Ermittlung des Sachverhaltes und das Beschaffen der Beweise - anders als im deutschen Strafprozeß - nicht Aufgabe des Gerichtes, sondern eine Obliegenheit der Parteien4 • Es liegt demzufolge am Staatsanwalt, das für eine Verurteilung notwendige Belastungsmaterial zu sammeln, und Sache des Beschuldigten ist es, dem Gericht mögliche Entlastungsbeweise zu präsentieren. Demgegenüber besteht die vorrangige Aufgabe des Richters darin, in einer Art "Schiedsrichterfunktion" darüber zu wachen, daß die Parteien in ihrer Auseinandersetzung die in Betracht kommenden Verfahrensregeln einhalten5. Im übrigen läßt sich das amerikanische Strafverfahren in vier Abschnitte einteilen, wobei der erste Abs~:hnitt die Einleitung des Verfahrens ist6 •

3 Hierfür dürfte vor allem die gemeinsame geschichtliche Entwicklung aller Staaten verantwortlich sein. Hierzu heißt es bei Cook I Marcus, Criminal Procedure, S. 1-1 : ,.The crirninal justice system in the United States is the product of centuries of gradual development in England in combination with modern Constitutional theory and interpretation. The crirninal justice process in this country ist not, however, perfectly uniform. A majorurban center and a rural town share the same heritage and Constitution, yet their operations may vary considerably. Differences may exist between states, between a state and the federal system, and even between localities within a single state. Still, the basic pattem ist the same ...". Von Bedeutung ist aber auch, daß der Gestaltungsspielraum der einzelstaatlichen ProreSgesetzgeber stets durch den von der Bundesverfassung vorgegeben Rahmen begrenzt ist und namentlich die Bill of Rights zahlreiche das Strafverfahren betreffende Bestimmungen enthalten; siehe lAFave I Israel, Crirninal Procedure, § 1.2a, S. 3. 4 Hinter diesem Prozeßmodell steckt die im anglo-amerikanischen Rechtskreis vorherrschende Überzeugung, daß ein offen ausgetragener Streit zwischen den unmittelbar am Streit Beteiligten (nämlich den Parteien) am ehestens geeignet sei, die Wahrheit ans Licht zu bringen.

5 Zum Unterschied zwischen Parteiverfahren und Inquisitionsprozeß heißt es bei LAngbein, Comparative Crirninal Procedure: Germany, S. l:,.The crux of the difference between [American] common law and Continental procedure can be simply stated. It is the contrast between adversarial and nonadversarial fact-finding and law-applying. In the Anglo-American criminal (and civil) procedure the court takes virtually no responsibility for producing evidence and shaping legal issues. The parties and especially their lawyers - the adversaries - gather and produce evidence for a passive trier. In the Continental systems the court that decides the case also has the active role in investigating the facts and formulating the issues in dispute". 6 Die anderen drei Abschnitte sind die Vorverfahren (unten III.), das Hauptverfahren (unten IV.) und die Rechtsmittelverfahren (unten V.).

II. Die Einleitung des Verfahrens

15

II. Die Einleitung des Verfahrens A. Citation, Summons, Arrest In den Vereinigten Staaten kann ein Strafverfahren auf verschiedenen Wegen eingeleitet werden. In der Praxis spielen drei Alternativen eine Rolle7 • Ein Strafverfahren kann zunächst durch eine polizeiliche oder ordnungsbehördliche Ladung des Verdächtigen eingeleitet werden 8 • Mit einer solchen Ladung (notice to appear, citation) wird der Empfänger aufgefordert, zu dem angegebenen Termin vor Gericht zu erscheinen; lediglich bei leichten Übertretungen (z.B. Parken im Halteverbot) kann von einem persönlichen Erscheinen abgesehen und ein schriftliches Verfahren durchgeführt werden. Die Ladung ist an besondere Formen nicht gebunden und kann von Polizeibeamten oder den sonst zuständigen Personen auch mündlich ausgesprochen werden. Es liegt auf der Hand, daß diese Art der Verfahrenseinleitung nur bei minderschweren Schuldvorwürfen Erfolg verspricht. In der Praxis spielen polizeiliche oder behördliche Ladungen deshalb vor allem bei Verkehrsverstößen (traftic violations) und ähnlich geringfügigen Rechtsverstößen eine Rolle. Bei mittelschweren Delikten kann ein Strafverfahren auch durch eine gerichtliche Ladung des Verdächtigen eingeleitet werden9 • Anders als polizeiliche oder behördliche Ladungen wird die gerichtliche Ladung (summons) dem Betroffenen förmlich zugestellt. Das Gericht kann einen Verdächtigen nur auf Antrag förmlich laden. Zur Antragstellung sind in der Regel die zuständige Polizeibehörde und der staatliche Ankläger berechtigt. Eine Ladung des Beschuldigten wird vom Gericht nur erteilt, wenn der Antragsteller - d.h. der Polizeibeamte oder Mitarbeiter der Anklagebehörde - dem zuständigen Richter glaubhaft

7 Eine vierte Alternative, nämlich die Einleitung des Verfahrens durch die Zustellung einer auf eigenen - d.h. selbst initiierten - Ermittlungen der Grand Jury beruhenden Anklageschrift dieses Gremiums, der sog. "presentment", ist dagegen heute kaum noch von praktischer Bedeutung. Zusammenfassend heißt es bei Torcia, Wharton' s Crirninal Procedure, § 206 (S. 6 f.): "A presentment is a written accusation of a crime found by a grand jury of its own motion and presented by it to the court [ ...]. The presentrnent, as known to the common Iaw, is almostobsolete in the United States. Although it is still apart of the machinery of crirninal justice in a nurober of jurisdictions, the practice of finding presentments has fallen largely into disuse". Vgl. auch 41 Am. Jur.2d lndictments and Informations § 1.

• Stuckey, Procedures in the Justice System, S. 42 f.; Cook I Marcus, Crirninal Procedure, S. 1-4; vgl. auch Karlen I Schultz, Justice in the Accusation, S. 116, in: The Rights of the Accused. • Stuckey, Procedures in the Justice System, S. 54; Cook I Marcus, Crirninal Procedure, S. 1-4; siehe auch Karten I Schultz, Justice in the Accusation, S. 116, in: The Rights of the Accused.

16

1. Kapitel: Das amerikanische Strafverfahren

macht, daß die verdächtige Person eine strafbare Tat begangen haben könnte. Das Gericht muß ferner davon überzeugt sein, daß der Beschuldigte sich dem weiteren Verfahren nicht entziehen wird. Anderenfalls kommt die Erteilung eines Haftbefehls (warrant) in Betracht. Erteilt das Gericht die förmliche Ladung, so erfolgt deren Zustellung für gewöhnlich durch den Gerichtsboten. Bei schweren Delikten wird das Strafverfahren dagegen in der ganz überwiegenden Zahl der Fälle durch die Festnahme (arrest) des Verdächtigen eingeleitet10. Dasselbe gilt bei mittelschweren Delikten, wenn die Verfahrenseinleitung durch behördliche, polizeiliche oder gerichtliche Ladung keinen Erfolg verspricht sowie in nahezu allen Fällen (mit Ausnahme leichter Verkehrsverstöße), in denen der Delinquent auf frischer Tat betroffen wird. Die Festnahme des Tatverdächtigen ist damit die für das amerikanische Strafverfahren typische Form der Verfahrenseinleitung 11 • Zur Festnahme sind Beamte der Bundes-, Staaten-, Bezirks- oder Stadtpolizei befugt12 ; in engen Grenzen steht daneben auch Privatleuten das Recht zur Festnahme zu (citizen's anest) 13 • Die meisten Festnahmen sind "on-view arrests", d.h. sie beruhen auf einer eigenständigen Entscheidung des festnehmenden Polizeibeamten. Die Festnahme kann aber

10 Schmid, Das amerikanische Strafverfahren, S. 38; Saltzburg, American Criminal Procedure, S. 17; Kasimir I LaFave I Israel, Modem Criminal Procedure, S. 4 f.- mit dem zutreffenden Hinweis, daß der Festnahme in aller Regel eine Strafanzeige und polizeiliche Voruntersuchungen vorausgehen. 11 Siehe aber auch Weigend, Funktion und Tätigkeit der Staatsanwaltschaft in den U.S.A., in: Funktion und Tätigkeit der Anklagebehörde im ausländischen Recht, S. 602, der in Fußnote 67 auf ~inc unveröffentliche Untersuchung aus dem Jahr 1977 hinweist, nach der in Chicago (Bundesstaat Illinios) nur 33 % der Bundesstrafverfahren durch eine Festnahme des Verdächtigen eingeleitet worden sind.

12 Die Organisation des amerikanischen Polizeiwesens ist komplex und kaum zu überschauen, denn bis auf Hawaii verfügen alle Staaten über eigenständige Polizeiorganisationen. Auf der Bundesebene sind neben den U.S. Marshalls auch Beamte spezieller "law enforcement agencies" zur Festnahme berechtigt, etwa Beamte des Federal Bureau of Investigation (FBI) oder des Alcohol, Tabacco, and Firearm Service (ATF) sowie zahlreicher weiterer Behörden; siehe Stuckey, Procedures in the Justice System, S. 46, 47. Zur Organisation des Polizeiwesens der Vereinigten Staaten siehe auch Schmid, Das amerikanische Strafverfahren, S. 36 f.

n Die Gesetze "are restriktiv to discourage the private person from making arrests. Arrests should be made by the professional, the law enforcement officer. A private person arrest generally requires that the crime for which the arrest is made must have been committed, or attempted, in the presence of the arresting person. The statutes of some states provide for the arrest of a felon even though the crime occured in the absence of the private party. A felony must have in fact been committed, and the private person had reasonable cause to believe that the person arrested committed the felony"; siehe Stuckey, Procedures in the Justice System, S. 42.

li. Die Einleitung des Verfahrens

17

auch auf einem Haftbefehl (warrant) beruhen, für dessen Erlaß - wie bereits erwähnt - die Gerichte zuständig sind.

B. Post-arrest Procedures

Da die Festnahme des Verdächtigen die für das amerikanische Strafverfahren typische Form der Verfahrenseinleitung ist, soll für den weiteren Gang dieser Form der Verfahrenseinleitung ausgegangen werden. Unmittelbar nach seiner Festnahme wird der Betroffene nach Waffen und Beweismitteln durchsucht und über sein Recht zu Schweigen belehrt sowie darüber, daß alles, was er dennoch sagt, vor Gericht gegen ihn verwandt werden kann; außerdem wird der Festgenommene darauf hingewiesen, daß er das Recht auf einen Anwalt hat und ihm auf sein Verlangen ein Pflichtverteidiger zur Seite gestellt wird, falls er sich selbst keinen Anwalt leisten kann 14 • Anschließend wird der Festgenommene zur Polizeistation verbracht, wo seine Personalien, das ihm vorgeworfene Delikt sowie Zeit und Ort seiner Festnahme im polizeilichen Tagebuch vermerkt werden (booking) 15 • Jedenfalls bei schweren Verbrechen werden zudem Lichtbilder von dem Festgenommenen angefertigt und seine Fingerabdrücke abgenommen. Für gewöhnlich wird der Festgenommene während seines Aufenthaltes in der Polizeidienststelle mündlich über den gegen ihn erhobenen Vorwurf unterrichtet. Wird ihm lediglich ein geringfügiges Vergehen zur Last gelegt, wird der Verdächtige häufig gegen Hinterlegung einer bestimmten Geldsumme und Abgabe des Versprechens, sich dem weiteren Verfahren nicht zu entziehen, von der Polizei gegen Kaution entlassen (stationhouse bail) 16• Wo das nicht der Fall ist, ist dem Festgenommenen gestattet, zumindest ein Telefongespräch (telephone call) zu führen, um einen Verwandten oder den Anwalt seiner Wahl von der Festnahme zu informieren 17• Anschließend wird der Festgenommene in seine Zelle geführt.

14

Miranda v. Arizona, 384 U.S. 436, 86 S.Ct. 1602, 16 L.Ed. 694 (1966).

Kasimir I LaFave I Israel, Modem Criminal Procedure, S. 6; Stuckey, Procedures in the Justice System, S. 51 f.; Cook I Marcus, Criminal Procedure, S. 1-4. 1~

"· Kasimir I LaFave I Israel, Modem Criminal Procedure, S. 6. 17 Das Recht auf ein Telefonat ist allerdings von Staat zu Staat unterschiedlich geregelt. Die Regelungsunterschiede betreffen vor allem Anzahl erlaubter Gespräche sowie die Fragen, wer, zu welchem Zeitpunkt und auf wessen Kosten angerufen werden darf und ob eine Aufzeichnung des Gesprächs durch die Polizei zulässig ist. Zu den Einzelheiten siehe Stuckey, Procedures in the Justice System, S. 52.

2 Geisler

18

1. Kapitel: Das amerikanische Strafverfahren

C. Decision to Charge

Im Anschluß an die Verhaftung muß auf der Grundlage des rasch angefertigten polizeilichen Festnahmeberichtes entschieden werden, ob gegen den Inhaftierten formell Anklage erhoben werden soll (decision to charge) 18. Dabei spielt die Beweislage eine wesentliche Rolle, doch sind - da es sich bei der Anklageentscheidung im amerikanischen Recht um eine reine Ermessensentscheidung handelt - auch andere Faktoren zu berücksichtigen, etwa der Wille des Geschädigten, das Vorstrafenregister des Täters, sein Verhalten nach der Tat oder das Ausmaß des eingetretenen Schadens. Soll Anklage erhoben werden, so wird eine erste- oft nur vorläufige- Anklageschrift (complaint) angefertigt19. Wer die Complaint anfertigt, läßt sich nicht allgemeinverbindlich sagen. In manchen Bezirken geschieht dies durch die Polizei, in anderen Bezirken fertigt ein Assistent des staatlichen Anklägers oder - in besonderen Fällen - der Ankläger selbst die Complaint. Nach manchen Prozeßordnungen ist auch eine Klageerhebung durch Privatpersonen (private accusation) möglich20. Praktisch spielt diese Form der Anklageerhebung jedoch keine Rolle21 . Für gewöhnlich wird eine von der Polizei angefertigte Complaint vom staatlichen Ankläger (prosecutor) vor Einreichung bei Gericht überprüft, doch ist dies nicht immer und nicht überall der Fall. Hier hängt vieles von den lokalen Gepflogen-

18 Kasimir I LaFave I Israel, Modem, Criminal Procedure, S. 6 ff; LaFave I Israel, Criminal Procedure, § 1.4(f}, S. 21 f.

9 Die Complaint ist nur bei geringen Schuldvorwürfen (i.d.R. Vergehen) eine ausreichende Verfahrensgrundlage. Bei schwereren Delikten (i.d.R. Verbrechen) wird sie - wie sogleich gezeigt werden wird - im Laufe des Verfahrens durch ein anderes - zweites und endgültiges - Anklageinstrument ersetzt; siehe z.B. Kasimir I LaFave I Israel, Modem Criminal Procedure, S. 8 f.; Stuckey, Procedures in the Justice System, S. 63.

w Siehe 42. C.J.S. 1ndictments and Information, § 2; Karlen, Anglo-American Crirninal Justice, S. 19 f; LaFave I Israel, Criminal Procedure, § 13.3(b), S. 629 f.; Herrmann, Reform der Hauptverhandlung, S. 193; Weigend, Funktion und Tätigkeit der Staatsanwaltschaft in den U.S.A., S. 612, in: Funktion und Tätigkeit der Anklagebehörde im ausländischen Recht (1 979); Comment, Private Prosecution: A Remedy for Distriel Attomey' s Unwarranted Inaction, 65 Yale Law Youmal, 209 (1955); Austin W. Scott, Fairness in the Accusation of Crime, 41 Minnesota Law Review, 509, 512 (Fußn. 4); Fellman, The Defendant's Right's Today, S. 67. 21 Gegen das Instrument der Privatklage wird vor allem die Gefahr der mißbräuchlichen Benutzung vorgebracht. So heißt es bei LaFave I Israel, Criminal Procedure, § 13.3(b), S. 630: "lt has sometimes been argued that private criminal prosecution when the public prosecutor fails to act is desirable and ought to be recognized by more jurisdictions. But the generally accepted view is that the prosecution function should be performed by a public prosecutor because prosecution by a private party without authorization or approval of the prosecutor presents a serious danger of the vindictive use of the criminal process".

III. Die Vorverfahren

19

heiten, der personellen Ausstattung der Anklagebehörde und dem persönlichen Engagement des jeweiligen Anklägers ab. Während in einigen Bezirken die von der Polizei gefertigten Anklagen vor Einreichung bei Gericht in nahezu allen Fällen vom staatlichen Ankläger überprüft werden, findet in anderen Bezirken eine Überprüfung der Anklage durch den staatlichen Ankläger nur dann statt, wenn die Polizei ausdrücklich darum bittet22 • Vom Aufbau und Inhalt her handelt es sich bei der Complaint in der Regel um ein relativ einfaches Schriftstück23 • Es bezeichnet den Namen des Beschuldigten, enthält eine kurze Beschreibung der konkreten Tathandlung, benennt Ort und Zeit der behaupteten Tat und weist auf die verletzte Strafbestimmung hin. Die Complaint wird allerdings häufig unter großem Zeitdruck angefertigt, da der Festgenommene das Recht hat, unverzüglich nach seiner Verhaftung einem Gericht vorgeführt zu werden. Nicht zuletzt deshalb ist die Complaint nur bei geringeren Schuldvorwürfen während des gesamten Verfahrens formelle Prozeßgrundlage. Bei der Verfolgung schwererer Delikte wird die Complaint dagegen nach Beendigung der Vorverfahren durch ein anderes - zweites und endgültiges - Anklageinstrument ersetzt. Dabei kann es sich entweder um eine Anklageschrift (information) des öffentlichen Anklägers oder um einen Anklagebeschluß (indictment) der Grand Jury handeln24•

111. Die Vorverfahren A. Initial Appearance

Wie bereits angedeutet worden ist, muß die Complaint innerhalb weniger Stunden beim örtlich und sachlich zuständigen Gericht eingereicht werden, da der Festgenommene sowohl auf Bundesebene als auch in allen Einzelstaaten einen Rechtsanpruch darauf hat, unverzüglich (without unnecessary delay) nach seiner Verhaftung einem Gericht vorgeführt und über den gegen ihn erhobenen

22

LaFave I Israel, Criminal Procedure, § 1.4(f), S. 21.

23

Siehe das Beispiel im Anhang XI.

Im Bundesrecht ist die Complaint nur für die Verfolgung von Vergehen (misdeamenor) ausreichende Grundlage für das gesamte Strafverfahren, während sie bei der Verfolgung eines Verbrechen (felony) lediglich zur Durchführung der Vorverfahren dient und nach deren Beendigung- sofern das Verfahren weiterbetrieben wird- durch ein anderes Anklageinstrument ersetzt wird. 24

2*

20

1. Kapitel: Das amerikanische Strafverfahren

Vorwurf durch Verlesung des Schuldvorwurfs informiert zu werden 25 • Häufig enthalten die Prozeßordnungen sogar exakte Fristen von 24, 48 oder bisweilen auch 72 Stunden, innerhalb derer das sog. Initial Appearance durchgeführt worden sein muß. Geschieht dies nicht, ist der Festgenommene freizulassen 26• Zuständig für die erste Vorführung ist in der Regel das Magistratsgericht Dabei handelt es sich um einen im Rang unterhalb der allgemeinen Prozeßgerichte angesiedelten Spruchkörper, dessen Hauptaufgabe in der Entlastung des übergeordneten Prozeßgerichtes bestehe7 • Die Aufgaben der Magistratsgerichte werden durch Einzelrichter erfüllt, die im Bundesrecht als Magistrate (U.S. magistrates) und auf der Staatenebene oft als Friedensrichter (justice of peace) bezeichnet werden. Anders als ihre Bundeskollegen müssen die einzelstaatlichen Friedensrichter nicht unbedingt über eine juristische Ausbildung verfügen. Zu Beginn des Verfahrens wird der Beschuldigte formell über den gegen ihn erhobenen Vorwurf (charge) unterrichtet. Dies geschieht durch Verlesung der Complaint durch den Richter. Zwar sollte der Beschuldigte schon bei seiner Festnahme über den Schuldvorwurf informiert worden sein, doch ist dies nicht immer der Fall. Zudem kann sich der Vorwurf in der Zeit zwischen Festnahme und erster Vorführung geändert haben, etwa dadurch, daß das Opfer einer Körperverletzung zwischenzeitlich an den Folgen der Tat verstorben ist. Die Verlesung der Complaint durch den Richter soll deshalb den verfassungsrechtlich garantierten Anspruch des Beschuldigten gewährleisten, über den gegen ihn erhobenen Schuldvorwurf informiert zu werden28 • Anschließend muß der Richtt::· über eine Haftentlassung gegen Kaution (bail) entscheiden. Durch die Kaution soll sichergestellt werden, daß der Beschuldigte zu der später stattfindenden Hauptverhandlung auch tatsächlich erscheint. Auf der Bundesebene hat der

25 Siehe etwa Fed. Rules of Crim. Proc. Rule 5(a), Califomia Penal Code § 849; Michigan Statutes Ann. § 28876, Pennsylvania Rules of Crim. Proc. Rule 130), die allesamt bestimmen, daß die erste Vorführung "without unnecessary delay" zu erfolgen hat. Andere Prozeßordnungen verlangen - sachlich gleichbedeutend - die Durchführung des Verfahrens "within reasonable time", siehe etwa Wisconsin Rules of Crim. Proc. Rute 970.01. 26 Stuckey, Procedures in the Justice System, S. 59. Auf die Einhaltung der Fristen wird gewöhnlich streng geachtet, und schon Verzögerungen von wenigen Stunden sind von den Gerichten beanstandet worden, vgl. Commonwealth v. Morton, 380 A.2d 769 (1977); Commonwealth v. Davenport, 370 A.2d 301 (1977), United States v. Klapholz, 17 FRD 19 (1955). 27 Ausführlicher zu den Magistratsgerichten und zum Gerichtsaufbau im Allgemeinen z.B. Stuckey, Procedures in the Justice System, S. 34 ff.; Schmid, Das amerikanische Strafverfahren, S. 46 ff. und S. 56 ff. 28 Sixth Amendment of the U.S. Constitution (abgedruckt im Anhang I). Näheres zum Recht "to be informed" im Zweiten Kapitel unter I B.

Ill. Die Vorverfahren

21

Beschuldigte einen Rechtsanspruch darauf, gegen Kaution auf freien Fuß gesetzt zu werden, es sei denn, es handelt sich um ein Kapitaldelikt; die Einzelheiten sind im Bail Reform Act von 1984 geregelt (18 U.S.C. §§ 3146-3151). Auf der Staatenebene ist die Kautionsentscheidung dagegen häufig in das Ermessen des Richters gestellt. Kautionen dürfen von Verfassungs wegen nicht exzessiv sein (Amend. VIII der U.S.Verfassung), doch dürfen sehr wohl Kautionen festgesetzt werden, bei denen von vornherein feststeht, daß der Beschuldigte sie nicht aufbringen kann. Schließlich klärt der Richter den Beschuldigten über den weiteren Gang des Verfahrens auf. Dabei ist wie folgt zu unterscheiden: Wird dem Beschuldigten ein Delikt zur Last gelegt, daß der Spruchgewalt des Magistratsgerichts unterfällt, findet lediglich ein verkürztes Strafverfahren statt. Das trifft in der Regel für Vergehen (misdeamenor) zu. Das verkürzte Strafverfahren ist vor allem dadurch gekennzeichnet, daß keine weiteren Vorverfahren durchgeführt werden, sondern - wenn der Beschuldigte auf Freispruch plädiert - unmittelbar der Termin für die Hauptverhandlung anberaumt wird; eine weitere Beschleunigung des Verfahrens wird dadurch erreicht, daß die Complaint im verkürzten Strafverfahren nicht durch ein anderes Anklageinstrument ersetzt, sondern während des gesamten Verfahrens die alleinige Verfahrensgrundlage bleibt. Bei der Verfolgung von Verbrechen (felony) sind dagegen zwei weitere Anklageprüfungsverfahren vorgesehen, nach deren Beendigung die Complaint zunächst durch eine Anklageschrift (information) des öffentlichen Anklägers oder einen Anklagebeschluß (indictment) der Grand Jury ersetzt wird, ehe es zur Hauptverhandlung kommen kann.

B. Preliminary Examination Das erste Anklageprüfungsverfahren ist die sog. Preliminary Examination29 • Dabei handelt es sich um ein zeitnah an die Festnahme des Beschuldigten durchzuführendes und regelmäßig öffentliches Anklageprüfungsverfahren, das wiederum vor dem Magistratsgericht durchgeführt wird. Im Bundesrecht beispielsweise muß die Anklageprüfung - wenn sich der Beschuldigte noch in Arrest befindet - grundsätzlich innerhalb von 10 Tagen nach dem initial appea-

29 Die Preliminary Examination wird auch als Preliminary Hearing, Examining Trial oder Probable Cause Hearing bezeichnet. Ausführlich zur Preliminary Examination vor allem Campbel/, The Preliminary Examination, in: Criminal Defense Techniques, Chapter 8 (1992).

22

I. Kapitel: Das amerikanische Strafverfahren

rance stattgefunden haben; im Fall der Haftverschonung gegen Kaution gilt eine Frist von 20 Tagen30. Ziel dieser relativ frühen Anklageprüfung ist es, zu verhindern, daß sich ein Unschuldiger - gleich ob er sich noch in Haft befindet oder gegen Kaution auf freien Fuß gesetzt worden ist - unnötig lange den Belastungen eines Strafverfahrens ausgesetzt wird. Aus diesem Grund muß der Ankläger dem Richter in der Preliminary Examination nachweisen, daß genügend Grund (probable cause) für den gegen den Beschuldigten erhobenen Vorwurf bestehe 1• Anders als im englischen Recht präsentiert der Ankläger dem Gericht zu diesem Zweck allerdings nicht sein gesamtes Belastungsmaterial, sondern für gewöhnlich nur seinen Hauptbelastungszeugen.32. Der Beschuldigte, der sich anwaltlicher Hilfe bedienen darf, hat das Recht, den Zeugen des Staatsanwaltes einem Kreuzverhör zu unterziehen, um Widersprüche in seinen Aussagen aufzuzeigen oder die Glaubwürdigkeit des Zeugen in anderer Weise zu erschüttern. Der Beschuldigte hat in der Regel auch das Recht, dem Gericht eigenes Entlastungsmaterial zu präsentieren. In seinen Grundzügen gleicht die Preliminary Examination damit einer kleinen Hauptverhandlung33 . Allerdings bestehen auch wesentliche Unterschiede. Beispielsweise ist die Öffentlichkeit in vielen Staaten auf Antrag des Beschuldigten auszuschließen 34• Zudem sind auf der Bundesebene und in der Mehrzahl der einzelstaatlichen Verfahren die allgemeinen Beweisregeln und Beweisverbote uuanwendbar, d.h. das Magistratsgericht kann seine Entscheidung auch auf sol-

30 Siehe Rule 5(c) der Fed. Rules of Crim Proc. Beide Fristen können auf Antrag des Anklägers vom Gericht verlängert werden, sofern gute Gründe vorliegen und der Beschuldigte der Verschiebung der Anklageprüfung zustimmt. Ohne Zustimmung des Beschuldigten müssen jedoch ganz außergewöhnliche Gründe vorliegen, um die Verschiebung der Anklageprüfung durch das Magistratsgericht zu rechtfertigen.

31 Wann genügender Grund für die Schuld des Betroffenen besteht, ist umstritten, siehe LaFave/ Israel, Criminal Procedure, § 14.3(a). S. 667 ff. Allzu hoch sind die Anforderungen jedoch nicht: "Almost everywhere [...] the showing is he1d to be sufficient if the prosecution presents a skeletal outline of evidence admissible in court to support each element of the offense", Goldstein, The State and the Accused: Balance of Advantage in Criminal Procedure, 69 Yale Law Journal 1149, 1166 (1960).

32 Dadurch will der Ankläger verhindern, daß der Beschuldigte von dem Belastungsmaterial zu früh zu viel erfahrt. Zu den dahinterstehenden Gründen später mehr (Zweites Kapitel, III A).

" Stuckey, Procedures in the Justice System, S. 89 (" ... very much like a junior trial"). 34

Stuckey, Procedures in the Justice System, S. 90.

111. Die Vorverfahren

23

ehe Beweise stützen, die in der Hauptverhandlung einem Beweisverbot unterliegen würden35 • Kommt das Gericht zu dem Ergebnis, daß für den Vorwurf gegen den Beschuldigten kein genügender Grund besteht, wird die Complaint des Anklägers zurückgewiesen (disrnissal). Damit ist das Strafverfahren beendet und der Beschuldigte kann das Gericht als freier Mann verlassen; eine ggfs. hinterlegte Kaution wird zurückgewährt Ist das Magistratsgericht dagegen der Auffassung, daß genügend Grund (probable cause) für den gegen den Beschuldigten erhobenen Vorwurf besteht, läßt der Richter die Strafsache zur nächsten Verfahrensstufe zu36• Worin diese nächste Verfahrensstufe besteht, läßt sich allerdings nicht einheitlich beantworten: In einem Teil der Staaten (den sog. "information"-Staaten) ist der staatliche Ankläger berechtigt, sämtliche Verbrechen und Vergehen unmittelbar selbst vor Gericht zur Anklage zu bringen; hier besteht der nächste Verfahrensschritt in der Anfertigung der endgültigen - als "information" bezeichneten - Klageschrift durch den Ankläger. Im Bund und dem anderen Teil der Staaten (den sog. "indictment"-Staaten) ist der staatliche Ankläger dagegen bei der Verfolgung von Verbrechen (felonies) in seiner Anklagebefugnis beschränkt. Statt unmittelbar selbst Anklage erheben zu dürfen, ist der öffentliche Ankläger gezwungen, zunächst einen als 'Indictment' betitelten Anklagebeschluß einer Grand Jury zu erwirken.

Js Auf der Bundesebene beispielsweise bestimmen die Federal Rules of Evidence, daß Beweisregeln "other than with respect to privileges, do not apply in[...] preliminary examinations in criminal cases" (Rule 1101 d 3). Zudem wird der Beschuldigte im Anklageprüfungsverfahren nicht mit dem Argument gehört, daß das vom Ankläger präsentierte Beweismaterial in rechtswidriger Weise zusammengetragen worden sei und deshalb unverwertbar ist, denn: "Objections to evidence on the ground that it was acquired by unlawful means are not properly made at the preliminary examination" (Rule 5.1a FRCP). Schließlich stellen Federal Rules of Criminal Procedure klar, daß das Verbot des Beweises vom Hörensagen in der Preliminary Examination keine Anwendung findet, vielmehr das Magistratsgericht berechtigt ist, dieses für die Hauptverhandlung im Prinzip untaugliche Beweismittel sogar zur alleinigen Grundlage seiner Entscheidung zu machen: "The finding of probable cause may be based upon hearsay evidence in whole or in part ..." (Rule 5.la). 3•

Diese Zulassung wird gemeinhin als "bound over"-Entscheidung bezeichnet.

24

1. Kapitel: Das amerikanische Strafverfahren

C. Grand Jury Review Die Grand Jury ist ein dem Prozeßgericht beigeordnetes Geschworenengremium, das sich aus 12 bis 23 auf Zeit gewählten Juroren zusammensetze7 • Die Hauptaufgabe der Grand Jury besteht darin zu entscheiden, ob in den vom staatlichen Ankläger vorgelegten Strafsachen genügend Grund für die Durchführung einer Hauptverhandlung gegen den Beschuldigten besteht und deshalb ein Anklagebeschluß (indictment) zu erlassen ist. In welchen Fällen der staatliche Ankläger einen Anklagebeschluß der Grand Jury zu erwirken hat, ist recht unterschiedlich geregelt. Auf der Bundesebene zum Beispiel ist ein Anklagebeschluß für alle Verbrechen erforderlich, die mit einer Freiheitsstrafe von mindestens einem Jahr bedroht sind38 • In Florida, Louisiana, Minnesota und Rhode Island dagegen hat der Beschuldigte nur bei solchen Verbrechen Anspruch auf ein Grand Jury-Verfahren, die mit dem Tode bedroht sind oder eine lebenslange Freiheitsstrafe nach sich ziehen können 39• Demgegenüber besteht in South Carolina bereits dann Anspruch auf ein Grand Jury-Verfahren, wenn eine Strafe von mehr als 100 Dollar oder 30 Tage Gefängnis möglich ist'10• Das Verfahren der Grand Jury ist geheim (secret), d.h. grundsätzlich sind nur die Geschworenen zur Teilnahme berechtigt41 • Die Heimlichkeit des Verfahrens dient vor allem dem Schutz der Zeugen. Diese sollen den Geschworenen ihr Wissen über eine Straftat preisgeben können, ohne Repressalien von solchen Personen befürchten zu müssen, die sie mit ihrer Aussage belasten. Der Grundsatz der Heimlichkeit gilt allerdings nicht absolut42 • Die vielleicht wichtigste Durchbrechung besteht darin, daß die vor der Grand Jury auftretenden Zeugen in vielen Staaten nicht zur Geheimhaltung verpflichtet sind. Zudem

' 7 Die genaue Rechtsnatur der Grand Jury ist nur schwer zu bestimmen (siehe etwa McNamara, Constitutional Liminations on Criminal Procedure, S. 144). Ein Autor hat sie gar als "ein Mittelding zwischen Untersuchungs-, Anklage- und Gerichtsbehörde" bezeichnet (Schmid, Dasamerikanische Strafverfahren, S. 45). Jedenfalls darf die Grand Jury nicht mit der Petit Jury verwechselt werden, derjenigen Geschworenenbank also, die in der Hauptverhandlung über die Schuld oder Unschuld des Angeklagten entscheidet. 'g

Fifth Amendment of the U.S. Constitution (siehe Anhang 1).

39

LaFave I Israel, Criminal Procedure, § 15.l(b), S. 687, Fn. 7.

° Karlen, Anglo-American Criminal Justice, S.

4

149.

Karten, Anglo-American Criminal Justice, S. 150-151; McNamara, Constitutional Limitations n!! Criminal Justice, S. 114; 9 Fed. Proc.L.Ed. § 22:440 - § 22:442; LaFave I Israel, Criminal Procedure. § 8.4, S. 386 ff.; Schmid, Das amerikanische Strafverfahren, S. 45 u. 58. 41

42

Zu den Durchbrechungen im Bundesrecht siehe vor allem 9 Fed. Proc.L.Ed. § 22:443 -

§ 22:457).

III. Die Vorverfahren

25

werden die Geschworenen bei ihren Ermittlungen - d.h. bei dem Verhör der geladenen Zeugen - von dem staatlichen Ankläger unterstützt, der als rechtlicher Berater des Gremiums ebenfalls zur Teilnahme an dem Verfahren der Grand Jury berechtigt ist. Schließlich ist nach den meisten Prozeßordnungen die Anwesenheit bestimmter Hilfspersonen, beispielsweise die von Stenographen, gestattet. Dagegen hat der Beschuldigte -jedenfalls von Verfassungs wegen keinen Anspruch auf eine Beteiligung am Verfahren43 • Er kann von den Geschworenen jedoch als Zeuge geladen und vernonunen werden. In diesem Fall ist der Beschuldigte allerdings nicht verpflichtet, solche Fragen zu beantworten, die ihn strafrechtlich belasten würden. Die Vernehmung des Beschuldigten ist damit nur selten von wirklichem Wert, so daß auf eine Vorladung des Beschuldigten häufig verzichtet wird. In der Praxis ist es darüber hinaus selten, daß die Geschworenen andere als die vom Ankläger vorgeschlagenen Zeugen laden und vernehmen, obwohl sie das Recht dazu haben. Im Ergebnis ist das Grand JuryVerfahren daher häufig ein reines Einparteienverfahren (ex parte procedure), dessen Inhalt, Ablauf und Umfang weitgehend vom Ankläger bestimmt wird44 • Nach Abschluß der Ermittlungen, d.h. nach Vernehmung aller Zeugen und Sichtung des übrigen Beweismaterials ziehen sich die Geschworenen zur Beratung (deliberation) zurück. Diese Beratung ist absolut geheim. Weder der staatliche Ankläger noch Hilfspersonen wie der Stenograph dürfen anwesend sein. Wieviel Stimmen für einen Anklagebeschluß notwendig sind, ist unterschiedlich 43 Vgl. etwa United States v. Ciambrone, 601 F.2d 616, 623 (1979); McNamara, Constitutional Limitations on Criminal Procedure, S. 122. In einigen Staaten besteht allerdings ein einfachgesetzlicher Anspruch des Beschuldigten, vor den Geschworenen aussagen zu dürfen, siehe LaFave I Israel, Criminal Procedure, § 15.2(b}, S. 689 f. Doch auch in den Fällen, in denen der Beschuldigte durch den Ankläger in Form eines "target Ietter" über ein bevorstehendes Verfahren der Grand Jury informiert worden ist, verzichtet der Beschuldigte nicht selten auf dieses Recht. Ein wesentlicher Grund dafür dürfte sein, daß der Beschuldigte wegen der Heimlichkeit des Jury-Verfahrens auf der Bundesebene und in der Mehrzahl der Staaten kein Recht hat, seinen Anwalt zur Befragung durch die Geschworenen mitzunehmen. Zwar darf der Beschuldigte, bevor er eine Frage der Geschworenen beantwortet, den Sitzungsaal verlassen und sich im Vorraum mit seinem Anwalt beraten; vgl. United States v. Mandujano, 425 U.S. 564, 96 S.Ct. 1768, 48 L.Ed.2d 2I2 (1976); In re Groban, 352 U.S. 330,77 S.ct. 510, 1 L.Ed.2d 376 (1957); United States v. Corallo, 281 F.Supp. 24 (1968); Gollaher v. United States, 419 F.2d 520 (1969); 9 Fed. Proc.L.Ed. § 22:434; McNamara, Constitutional Limitations on Criminal Procedure, S. 121-122; LaFave I Israel. Criminal Procedure, § 8.15(b}, S. 455 f. Dieses Verfahren ist jedoch sehr aufwendig und birgt die Gefahr von Mißverständnissen in sich. Als Folge verzichten viele Beschuldigte auf ein freiwilliges Auftreten vor der Grand Jury. 44 In der amerikanischen Wissenschaft ist der Wert des Grand Jury-Verfahrens deshalb wiederholt in Frage gestellt worden. Einen Überblick über die Debatte geben LaFave I Israel, Criminal Procedure, § 15.3, S. 692 ff.

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1. Kapitel: Das amerikanische Strafverfahren

geregelt. In solchen Staaten, in denen die Grand Jury aus 19 Geschworenen besteht, sind manchmal 14 Stimmen für einen Anklagebeschluß erforderlich, während anderenorts bereits 12 Stimmen genügen. In anderen Staaten, in denen das Geschworenengremium aus 23 Juroren besteht, werden oft 16 Stimmen für erforderlich gehalten, während manchenortes bereits 14 Stimmen ausreichen45 • Ist die für einen Anklagebeschluß notwendige Stimmenzahl nicht erreicht, wird der vom staatlichen Ankläger gefertigte Beschlußentwurf vom Vorsitzenden der Geschworenen mit den Worten "no bill" beschrieben und unterzeichnet. Damit ist der Anklagebeschluß abgelehnt. Sind die Geschworenen dagegen der Auffassung, daß genügend Grund für eine Hauptverhandlung gegen den Beschuldigten gegeben ist, wird der Beschlußentwurf vom Vorsitzenden als "true bill" unterzeichnet und dem Prozeßgericht zur weiteren Veranlassung (in open court) vorgelegt.

IV. Das Hauptverfahren A. Arraignment Der nächste Verfahrensschritt ist das Arraignment46 • Dabei handelt es sich um die erste Vorführung des Angeklagten vor dem Prozeßgericht. Während dieses Verfahrens nimmt das Gericht die Sachanträge (pleas) der Parteien entgegen. Der Sachantrag des Anklägers ist die Anklage, mit der die Sache zugleich der Strafgewalt des Gerichtes unterstellt wird. Mit der Information oder lndictment stellt der Ankläger den Antrag, daß Gericht möge den Beschuldigten für die in der Anklage geschilderte Tat bestrafen. Einen konkreten Antrag zum Strafmaß enthält die Anklage jedoch nicht. Anders als dem Ankläger stehen dem Beschuldigten mehrere inhaltlich verschiedene Sachanträge zur Auswahl, obgleich in manchen Staaten nicht alle der nachfolgend aufgeführten Sachanträge statthaft sind. Der Angeklagte kann sich zunächst schuldig bekennen (plea of guilty)41 , was in der überwiegenden Zahl aller Fälle geschieht. Damit räumt der Angeklagte

·~ Stuckey, Procedures in the Justice System, S. 86.

Kasimir I l..aFave I Israel, Modem Criminal Procedure, S. 12 f; Cook I Marcus, Criminal Procedure, S. 1-7 ff.; Sa/tzburg, American Criminal Procedure, S. 20. 46

47 Siehe dazu Stuckey, Procedures in the Justice System, S. 74 ff; Cook I Marcus, Criminal Procedure, S. 1-7.

IV. Das Hauptverfahren

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ein, daß der gegen ihn erhobene Schuldvorwurf in tatsächlicher Hinsicht in vollem Umfang zutrifft. Eine Beweisaufnahme ist dann nicht mehr erforderlich. Dieser Antrag ist - soweit ersichtlich - nach allen Prozeßgesetzen zulässig, doch sind die Sicherungen, die wegen der beträchtlichen Folgen einer Guilty Plea vorgesehen sind, von Staat zu Staat durchaus verschieden. Für gewöhnlich ist weder eine Vertretung durch den Verteidiger statthaft noch genügt eine mittelbare - etwa telefonische - Mitteilung. Vielmehr muß die Guilty Plea von dem Angeklagten persönlich vor dem Prozeßgericht ("in open court") abgegeben werden. Auf diese Weise soll sichergestellt werden, daß die Guilty Plea auf einem eigenen und freien Willensentschluß des Angeklagten beruht. Zudem ist eine Guilty Plea häufig erst zulässig, nachdem der Richter den Angeklagten nochmals ausdrücklich über sein Recht auf einen Anwalt informiert hat. Des weiteren muß das Gericht den Angeklagten in aller Regel ausdrücklich darüber belehren, daß er mit der Guilty Plea auf bestimmte Verfassungsgarantien verzichtet, etwa das Privileg sich nicht selbst belasten zu müssen, das Recht auf eine Hauptverhandlung oder das Recht auf Gegenüberstellung des Anklägers. Schließlich ist der Richter häufig zur Prüfung der Frage verpflichtet, ob tatsächlich eine hinreichende sachliche Grundlage für die Guilty Plea gegeben ist. Doch selbst wenn die vorgenannten Erfordernisse allesamt erfüllt sind, ist daß Gericht regelmäßig frei, eine Guilty Plea zurückzuweisen, wenn es an der Schuld des Angeklagten berechtigte Zweifel hat. Nach einigen Prozeßordnungen kann der Angeklagte die Strafsache auch streitlos stellen (plea of nolo contenderet8• Das Streitlosstellen der Strafsache gleicht der Guilty Plea darin, daß eine Beweisaufnahme nicht mehr durchgeführt wird, weil der Angeklagte den Schuldvorwurf des Ankläger einräumt. Der Unterschied zur Guilty Plea besteht nun darin, daß die Plea of Nolo Contendere in anhängigen oder zukünftigen Zivilrechtsstreitigkeiten nicht gegen den Angeklagten verwandt werden kann, weil dieser mit dem Streitlosstellen der Strafsache seine Schuld nicht ausdrücklich - positiv - zugestanden hat. Das Streitlosstellen der Strafsache ist allerdings nicht überall erlaubt. In den Staaten, in denen dieser Sachantrag zulässig ist, wird er häufig in Verkehrsstrafsachen gestellt, wenn der Angeklagte einen Dritten bei einem Unfall im Straßenverkehr verletzt oder gar getötet hat und deshalb mit zivilrechtliehen Haftungsansprü-

411 Siehe dazu Stuckey, Procedures in the Justice System, S. 77 f .; Cook I Marcus, Criminal Procedure, S. 1-9. Zugelassen ist die Plea of Nolo Contendere beispielsweise in den Bundesstaaten Texas und Wisconsin; vgl. Art. 27.02 der Texas Rules of Criminal Procedure sowie Sec. 971 .06( I)(c) des Wisconsin Code of Criminal Procedure.

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1. Kapitel: Das amerikanische Strafverfahren

eben rechnen muß. Ist das Beweismaterial des Anklägers eindeutig, mag sich der Angeklagte mit dem Straflosstellen der Strafsache die Kosten für eine Hauptverhandlung ersparen und sich - auf der anderen Seite - zugleich die Möglichkeit offenhalten, in dem zivilrechtliehen Haftungsprozeß aus anderen Gründen zu obsiegen. Wegen dieser inneren Widersprüchlichkeit ist es allerdings für gewöhnlich in das Ermessen des Prozeßgerichtes gestellt, ob es ein Streitlosstellen der Strafsache durch den Angeklagten akzeptiert, d.h. ein Rechtsanspruch auf eine Plea of Nolo Contendere besteht nicht. Selbstverständlich kann der Angeklagte auch auf nicht schuldig plädieren (plea of not guilty)49 • In diesem Fall muß eine Hauptverhandlung mit Beweisaufnahme durchgeführt werden. Dasselbe gilt, wenn der Angeklagte auf nicht schuldig wegen vorübergehender Unzurechnungsfähigkeit plädiert (plea of not guilty by reason of insanity)50• In diesem Fall ist der Umfang der Beweisaufnahme jedoch begrenzt. Die einzige Frage, über die Beweis erhoben wird, ist, ob der Angeklagte zur Zeit der Tat zurechnungsfähig war oder nicht (die Begehung der Tat als solche gilt dagegen als zugestanden). Die Beweislast für solche Fälle ist uneinheitlich geregelt. Einige wenige Staaten fordern vom Ankläger den positiven Beweis, daß der Angeklagte zur Zeit der Tat zurechnungsfähig war. In der überwiegenden Zahl der Staaten ist dagegen der Angeklagte verpflichtet, den Beweis für die von ihm behauptete vorübergehende Unzurechnungsfähigkeit zu erbringen. In diesen Staaten kann sich der Ankläger deshalb damit begnügen, die Beweisführung des Angeklagten in Zweifel zu ziehen. Der Einwand, zur Zeit der Tat unzurechnungsfähig gewesen zu sein, ist allerdings nicht in allen Prozeßgesetzen als Sachantrag (plea) ausgestaltet, sondern - wie etwa im Bundesrecht51 - als besondere Form der Verteidigung (defense). Wo dies der Fall ist, hat der Angeklagte bei vermeintlicher Unzurechnungsfähigkeit zunächst auf nicht schuldig (plea of not guilty) zu plädieren und diesen Sachantrag anschließend in der Hauptverhandlung mit seiner zeitweiligen Unzurechnungsfähigkeit zu begründen. Schließlich kann der Angeklagte die Abweisung der Klage wegen Verstoßes gegen das Verbot der Doppelverfolgung beantragen (plea of former j eopar-

49

Vgl. dazu Stuckey, Procedures in the Justice System, S. 74; Cook I Marcus, Criminal Procedure,

s. 1-7. 50

Siehe dazu Stuckey, Procedures in the Justice System. S. 78 f.

Siehe Rute 12.2 der Federal Rules of Criminal Procedure (näher dazu im Zweiten Kapitel unter III. B 3 c. 51

IV. Das Hauptverfahren

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dy) 52 • In diesem Fall muß das Gericht vor Durchführung einer Hauptverhand-

lung prüfen, ob der Angeklagte den Einwand der Doppelverfolgung zu Recht erhoben hat. Ob eine Hauptverhandlung durchgeführt wird, ist vom Ergebnis dieser Prüfung abhängig. In etwa der Hälfte der Staaten ist ein weiterer Antrag vorgesehen, der in engem Zusammenhang mit der Plea of Former Jeopardy steht: der Antrag auf Klagabweisung wegen früherem Endurteil (plea offarmer judgment of conviction or acquittal)53 • Dieser Antrag beruht auf der Kuriosität, daß in den Vereinigten Staaten ein und dieselbe Tat, sofern sie gleichzeitig bundes- und staatenrechtliche Straftatbestände erfüllt, sowohl auf Bundesebene als auch auf Staatenebene verfolgt werden darf. Das Verbot der Doppelverfolgung gilt hier also - wie noch ausführlich gezeigt werden wird54 - nicht. Dementsprechend kann der Beschuldigte gezwungen sein, sich für ein und dieselbe Tat zweimal verantworten zu müssen, nämlich sowohl vor Staaten- als auch vor Bundesorganen. Das ist der Grund, warum in einigen Staaten die Plea of Former Judgment of Conviction or Acquittal eingeführt wurde. In diesen Staaten herrscht die Auffassung vor, daß die doppelte Verfolgung ein und derselben Tat mit dem Streben nach Gerechtigkeit nicht in Einklang zu bringen ist. Wo die Plea of Former Judgment of Conviction or Acquittal zugelassen ist, kann der Angeklagte mit der Geltendmachung dieses Sachantrages die weitere Durchführung des staatlichen Strafverfahrens unterbinden, wenn in derselben Sache bereits das Urteil eines Bundesgerichtes vorliegt, der Angeklagte sich also bereits auf Bundesebene zu verantworten hatte.

B. Pre·Trial Motions

Die Bundesstrafprozeßordnung und die überwiegende Zahl der einzelstaatlichen Prozeßgesetze sehen vor, daß sich die Parteien mit bestimmten Verfahrensanträgen (motions) bereits vor Beginn der Hauptverhandlung an das Gericht wenden müssen55 • Unterbleibt dies, obwohl die Partei zur Stellung des Antrages in der Lage gewesen wäre, wird dies gewöhnlich als Verzicht (waiver) auf das hinter dem Antrag stehende Verfahrensrecht gewertet, weshalb die

ll

Siehe dazu Stuckey, Procedures in the Justice System, S. 79 ff.

lJ

Siehe dazu Stuckey, Procedures in the Justice System, S. 82 f.

l•

Viertes Kapitel (dort IV.).

ll Siehe etwa Rule l2(b) der Federal Rules of Criminal Procedure; Kasimir I l..aFave I Israel, Modem Criminal Procedure, S. 13.

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1. Kapitel: Das amerikanische Strafverfahren

Grundregel für Strafverteidiger hier lautet, "if you have a plausible argument ... make a motion" 56• Der primäre Zweck solcher Verfahrensanträge ist es, das Gericht zu einer frühzeitigen Entscheidung über bestimmte, zwischen den Parteien strittige Verfahrensfragen zu bewegen und die spätere Hauptverhandlung von solchen Vorfragen zu befreien (Beschleunigungseffekt). Der Katalog der in Betracht kommenden Verfahrensanträge ist lang, doch spielen in der Rechtspraxis zwei Anträge eine hervorgehobene Rolle. Der erste Antrag ist die Motion to Suppress Evidence51 • Mit diesem Verfahrensantrag der Verteidigung soll ein Beschluß des Gerichts erwirkt werden, der es dem Ankläger verbietet, bestimmtes Belastungsmaterial in die Hauptverhandlung einzuführen. Gibt das Gericht dem Antrag statt, darf der Ankläger das fragliche Beweismaterial der Jury weder direkt präsentieren noch ist es ihm gestattet, die Geschworenen in der Hauptverhandlung auf die bloße Existenz dieses Belastungsmaterials hinzuweisen. Eine Motion to Suppress Evidence hat Erfolg, wenn die Verteidigung das Gericht davon überzeugen kann, daß der Ankläger das strittige Beweismaterial in gesetzwidriger Weise erhalten hat, etwa einen Zeugen durch Drohung mit einem Übel oder das Versprechen einer Belohnung zu einer Aussage bewegt hat oder ein Beweisstück unter Verletzung von Beschlagnahmevorschriften sichergestellt worden ist. Von besonderer Bedeutung für den Ausgang eines Verfahrens ist die Entscheidung über die Motion to Suppress Evidence in den Fällen, in denen das umstrittene Beweismaterial für die Beweisführung des Anklägers von tragender Bedeutung ist. Gibt das Gericht dem Verfahrensantrag der Verteidigung statt, fällt in solchen Fällen die Beweisführung des Anklägers in sich zusammen. Zwar ist nicht jedes Beweisstück und nicht jede Zeugenaussage für die Beweisführung von solch grundlegender Bedeutung, doch wird die Position des Anklägers auch durch die Zurückweisung von weniger wichtigem Belastungsmaterial geschwächt. Nicht selten wird daher das Ergebnis eines Strafverfahrens durch die Entscheidung über eine Motion to Suppress Evidence vorbestimmt.

56 Arkin I Barg man, Introduction to Motion Practice, in: Criminal Defense Techniques, Chapter 101, S. 3 (1992). Zur Erläuterung dieser Grundregel heißt es a.a.O. weiter: "This fundamental strategy flows from a number of considerations. The danger of waiver must always be considered. In addition, rulings on pretrial motions frequently shape the entire course of trial (...]. By the same token, the greater the range of issues a dedendant has raised by pretrial motion, the better will be his posture to formulate a succcessful appeal in the event of conviction". 57 Siehe Stuckey, Procedures in the Justice System, S. 161 ff. Gemäß Rule 12(b)(3) der Federal Rules of Criminal Procedure muß - will die Verteidigung keinen Rechtsverlust erleiden - eine Motion to Suppress Evidence vor Beginn der Hauptverhandlung gestellt werden.

IV. Das Hauptverfahren

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Von entscheidender Bedeutung für den Ausgang eines Strafverfahrens kann zweitens die Motion to Produce Evidence sein58 • Mit diesem Antrag wendet sich eine der Parteien mit dem Ziel an das Gericht, einen Beschluß zu erwirken, der es ihr (der antragstellenden Partei) gestattet, Einsicht in bestimmte Aktenteile der Gegenseite zu nehmen. Die Motion to Produce Evidence wird in der Regel von der Verteidigung gestellt. Dazu muß man wissen, daß es in den Vereinigten Staaten - anders als in der Bundesrepublik - kein generelles Akteneinsichtsrecht des Verteidigers gibt, sondern Akteneinsichtsrechte immer nur in Bezug auf ganz bestimmte Aktenteile bestehen59• Deshalb kann es zwischen Anklage und Verteidigung zum Streit darüber kommen, ob bestimmte Teile der staatsanwaltliehen Ermittlungsakten einem dieser speziellen Akteneinsichtsrechte unterliegen oder vom Recht der Einsichtnahme ausgeschlossen sind. Verweigert der staatliche Ankläger die Einsichtnahme, kann die Verteidigung mit der Motion to Produce Evidence den Streit gerichtlich klären lassen und auf diese Weise die ihr zustehenden Akteneinsichtsrechte verwirklichen. Gibt das Gericht dem Verfahrensantrag des Angeklagten statt, ist der Ankläger zur Duldung der Einsichtnahme verpflichtet. Neben der Motion to Suppress Evidence und der Motion to Produce Evidence gibtes-wie bereits gesagt- eine ganze Reihe weiterer wichtiger Verfahrensanträge60. Über den Verfahrensantrag einer Partei entscheidet das Gericht in

5' Siehe Stuckey, Procedures in the Justice System, S. 156 ff. Gemäß Rule 12(b)(4) der Federal Rules of Criminal Procerlure muß eine Partei ein Verlangen auf Akteneinsicht (im Bundesrecht als "Discovery Request" bezeichnet) rechtzeitig vor Beginn der Hauptverhandlung stellen, will sie vermeiden, mit dem Antrag später nicht mehr gehört zu werden. 59

Dazu ausführlich in Zweiten Kapitel (unter III.).

Der Katalog ist- wie bereits gesagt- lang. Beispielsweise kann die Verteidigung mit einer Motion to Dismiss eine frühzeitige Abweisung der Anklage erwirken. Das setzt voraus, daß die Anklageschrift an einem schwerwiegenden Mangel leidet. Ein schwerwiegender Mangel der Anklageschrift liegt vor, wenn die Anklageschrift entweder in dem Sinne unvollständig ist, daß die Tatschilderung nicht alle Merkmale des angeklagten Straftatbestandes erfüllt oder aber derart vage formuliert ist, daß eine dem Vorwurf angemessene Vorbereitung der Verteidigung unmöglich ist. Von Bedeutung ist ferner z.B. die Motion for Severance. Mit diesem Verfahrensantrag kann die Verteidigung die getrennte Verhandlung verschiedener Strafsachen in solchen Fällen verlangen, in denen eine Anklageschrift entweder mehrere Personen gemeinsam angeklagt oder einer Person die Begehung mehrerer Verbrechen zur Last gelegt hat. Führt eine dieser Klagehäufungen zu einer individuellen Benachteiligung von gewissem Gewicht, kann der Betroffene durch die Motion for Severance eine Verfahrenstrennung durch das Gericht erwirken. Ist der Geisteszustand des Angeklagten fraglich, kann die Verteidigung die Verhandlungsunfahigkeit des Angeklagten im Wege einer Motion to Derermine Present Sanity gerichtlich feststellen lassen. Hält das Gericht den Angeklagten für nicht verhandlungsfahig, wird das Verfahren bis zur Wiederherstellung der Verhandlungs::-ahigkeit unterbrochen. Schließlich soll die Motiontor a Continuance nicht unerwähnt bleiben, mit 60

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1. Kapitel: Das amerikanische Strafverfahren

aller Regel nach Anhörung beider Parteien61 • Die Anhörung wird naturgemäß vor Beginn der Hauptverhandlung durchgeführt lind deshalb als Pretrial Hearing bezeichnet. Während eines Pretrial Hearings erhalten beide Parteien Gelegenheit, ihren Standpunkt darzutun, ehe das Gericht über die strittige Verfahrensfrage entscheidet. Die Entscheidung trifft der Richter allein, d.h. ohne Beteiligung einer Geschworenenbank Gury). Die Entscheidung des Prozeßgerichts ist in der Regel unanfechtbar, doch kann der Angeklagte, falls er verurteilt wird, das Rechtsmittelgericht anrufen und vortragen, daß die Entscheidung des Prozeßgerichtes über den Verfahrensantrag der Verteidigung rechtswidrig war und den Ausgang des Verfahrens beeinflußt hat.

C. Pretrial Conference

Von den Pretrial Hearings ist die Pretrial Conference zu unterscheiden. Dabei handelt es sich um eine formlose Zusammenkunft von Ankläger, Verteidiger und Richter, in der die zur Hauptverhandlung stehende Strafsache vorbesprochen wird. Ob eine Pretrial Conference stattfindet, liegt im alleinigen Ermessen des Richters. Die Parteien können die Durchführung einer Pretrial Conference lediglich anregen. Während der Zusammenkunft bespricht der Richter mit den Parteien (oder ihren Vertretern) die Stärken und Schwächen des Falles, um eine Vorstellung von der notwendigen Zahl der Verhandlungstage zu bekommen62 • Während dieses Gesprächs haben die Parteien aber auch die Möglichkeit, bestimmte Tatsachen streitlos zu stellen (stipulation), um das Verfahren zu beschleunigen und Prozeßkosten einzusparen. Die Pretrial Conference kann des weiteren Anlaß für die Parteien sein, nochmals über Inhalt und Umfang des Schuldvorwurfs zu verhandeln (plea bargaining). Dabei können die Parteien übereinkommen, daß als Gegenleistung für eine Guilty Plea des Angeklagten der Ankläger Teile des Schuldvorwurfs fallenläßt Schließlich wird der Rieb-

der eine Partei - sei es der Ankläger oder der Angeklagte - bei Gericht die Unterbrechung des Verfahrens erwirken kann, etwa dann, wenn zusätzliche Zeit gebraucht wird, um einen besonders wichtigen (Kron-)Zeugen ausfindig zu machen. 61 Das Bedürfnis für eine Anhörung entfällt nur in den - seltenen - Fällen, in denen der Antragsgegner einem Verfahrensantrag der Gegenseite nicht widersprochen hat. Damit der Antragsgegner in der Lage ist, einem Verfahrensantrag der Gegenseite zu widersprechen, wird ihm über das Gericht eine Kopie des Antrages zugestellt.

62 Anders als im deutschen Recht werden dem Gericht mit der Anklage die Ermittlungsakten des Anklägers nicht vorgelegt. Für den Richter ist es daher bisweilen schwierig, die Zahl der erforderlichen Verhandlungstage einzuschätzen.

IV. Das Hauptverfahren

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ter - der dem Plea Bargaining nicht beiwohnen darf - die Erschienenen befragen, ob sie zur Durchführung der Hauptverhandlung bereit sind und - falls die Parteien ihre Bereitschaft signalisieren - den Termin für die Hauptverhandlung festsetzen.

D. Trial

Die Hauptverhandlung besteht in den Vereinigten Staaten aus zwei Teilverhandlungen, nämlich die Verhandlung über die Schuld des Angeklagten (trial) und die Verhandlung über das zu verhängende Strafmaß (sentencing)63• Hier soll zunächst die Verhandlung über die Schuld des Angeklagten dargestellt werden. Die Verhandlung über die Schuld kann in zwei Formen durchgeführt werden, nämlich als Geschworenenverhandlung (jury trial) und als Verhandlung vor einer reinen Richterbank (bench trial). Bei einer Geschworenenverhandlung entscheidet ein Laiengremium über die streitigen Tatsachen und der Richter über Fragen des Rechts, während bei der Verhandlung vor einer reinen Richterbank sowohl Rechts- als auch Tatsachenfragen von den (Berufs-)Richtern entschieden werden. Nach der Bundesverfassung hat der Beschuldigte Anspruch auf Durchführung einer Geschworenenverhandlung für alle Delikte, die mit einer Freiheitsstrafe von mehr als 6 Monaten oder mit einer Geldstrafe von mehr als 500 U.S. Dollar bestraft werden können64 • Obwohl der Beschuldigte auf diesen Anspruch verzichten kann, ist die Geschworenenverhandlung damit der gesetzliche NormalfalL Deshalb soll im folgenden der Ablauf einer Geschworenenverhandlung skizziert werden, die sich aus sieben Abschnitten zusammensetzt.

63 Zwischen beiden Teilverhandlungen liegt in der Regel ein Zeitraum von einigen Wochen. Durch diese klare Trennung ("Schuldinterlokut") sollen die Geschworenen in die Lage versetzt werden, die Frage der Schuld unabhängig von solchen Faktoren entscheiden zu können, die allein für die Höhe der zu verhängenden Strafe von Bedeutung sind, wie etwa Art und Umfang der Vorstrafen oder die berufliche, familiäre und finanzielle Situation des Angeklagten.

" Vgl. die Interpretation des Sixth Amendment der Bundesverfassung in der Entscheidung Duncan v. Louisiana, 391 U.S. 145 (1968) sowie 18 U.S.C. § 1. Siehe auch Stuckey, Procedures in the Justice System, S. 118 f. 3 Geisler

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I. Kapitel: Das amerikanische Strafverfahren 1. Die Auswahl der Geschworenen

In einer Geschworenenverhandlung besteht der erste Abschnitt der Verhandlung über die Schuld in der Auswahl der Geschworenen (selection of the jury)65. Die Auswahl der Geschworenen beginnt damit, daß der Gerichtsdiener aus einer Art Lostrommel (jury wheel), in der sich Zettel mit den Namen aller in der Geschworenenliste des betreffenden Gerichtsbezirks verzeichneten Geschworenen befinden, die nach dem Gesetz erforderliche Anzahl von Geschworenen und eine ausreichende Anzahl von Ersatzmännern zieht66 • Im Anschluß daran werden die ausgewählten Personen vom Ankläger und Verteidiger befragt. Das Ziel dieser Befragung (voir dire exarnination) ist, festzustellen, ob die ausgewählten Personen tatsächlich neutral und unbefangen an den Fall herangehen67. Zu diesem Zweck werden den potentiellen Juroren diverse Fragen mit dem Ziel gestellt, die Persönlichkeit der Geschworenen und ihre Einstellungen zu ergründen68 . Stellt sich heraus, daß eine der ausgewählten Persollen voreingenommen ist, muß sie auf Antrag einer Partei vom Gericht als Juror abgelehnt werden. Das Recht zu solchen begründeten Ablehnungen eines Geschworenen (challenge for cause) stehtjeder Partei in unbegrenztem Umfang zu. Darüber hinaus sehen die Prozeßordnungen eine bestimmte Anzahl willkürlicher, d.h. keiner Begründungspflicht unterliegender Ausschlußanträge (peremptory challenges) vor. In der Regel stehen Anklage und Verteidigung jeweils zehn Peremptory Challenges zur Verfügung, doch gibt es auch Staaten, in denen dem Ankläger lediglich fünf unbegründete Ausschlußanträge zustehen; bei Kapitalverbrechen stehen beiden Seiten häufig die doppelte Anzahl zur Verfügung. Die Bedeutung der Geschworenenauswahl ist nicht zu unterschätzen: nicht selten werden bereits hier die Weichen für den Ausgang des Verfahrens gestellt.

M Stuckey, Procedures in the Justice System, S. 192 ff; Saltzburg, American Criminal Procedure, S. 21.

"" Im Bundesstrafverfahren und in der überwiegenden Zahl der Einzelstaaten besteht die Geschworenenbank aus 12 Juroren, während in manchen Staaten eine geringere Zahl festgesetzt ist. Die Mindestgröße beträgt derzeit sechs Geschworene, siehe Bailew v. Georgia, 55 L.Ed.2d 234 (1978). "' Das ist allerdings nicht der alleinige Zweck der Befragung. Ankläger und Verteidiger nutzen die Befragung mehr oder weniger offensichtlich auch dazu, die Geschworenen bereits in diesem frühen Stadium des Verfahrens für sich zu gewinnen, etwa dadurch, daß sie ihnen mit ihren Fragen ganz bewußt Gelegenheit geben, von den positiven Dingen und Erfolgen in ihrem Leben zu berichten. •R Norris, A Casebook of Complete Criminal Trials, liefert eine Liste mit 15 Fragevorschlägen. Die Liste ist in Anhang XII wiedergegeben.

IV. Das Hauptverfahren

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2. Die Eröffnungsplädoyers

Ist die Befragung und Auswahl der Geschworenen abgeschlossen, wird die Jury vereidigt und die Anklage verlesen69 . Im Anschluß daran folgen die Eröffnungsplädoyers (opening statements), die den zweiten Abschnitt der Hauptverhandlung darstellen70 • Es beginnt der Ankläger, der den Geschworenen die wesentliche Einzelheiten seiner Version des Falles sowie Art und Umfang der von ihm beabsichtigten Beweisführung darlegt. Die inhaltliche Gestaltung des Eröffnungsplädoyers ist Sache des Ankläger. Manche Ausführungen sind jedoch verboten. Beispielsweise ist dem Ankläger nicht gestattet, in seinem Eröffnungsplädoyer auf Beweise einzugehen, von denen er weiß (oder wissen muß), daß sie in der Hauptverhandlung nicht verwendet werden dürfen, weil sie einem Beweisverbot unterliegen. Ebensowenig ist dem Ankläger der Hinweis gestattet, daß der Angeklagte bereits wegen früherer Verbrechen verurteilt worden ist, denn der Angeklagte muß auf der Grundlage des zur Verhandlung anstehenden Falles abgeurteilt werden und nicht für früheres Fehlverhalten. Überschreitet der Ankläger in seinem Eröffnungsplädoyer die ihm gesetzten Grenzen, kann das Gericht auf Antrag der Verteidigung ein ergebnisloses Verfahren (mistrial) ~rklären. Wird dieser Antrag abgelehnt und der Angeklagte verurteilt, kann das Rechtsmittelgericht die Verurteilung aufheben, wenn es zu der Überzeugung gelangt, daß das fehlerhafte Plädoyer des Anklägers für die Verurteilung des Beschuldigten mitursächlich war71 • Im Anschluß an das Eröffnungsplädoyer des Anklägers fragt der Richter die Verteidigung, ob auch sie ein Plädoyer halten will. In der Regel ist die Verteidigung berechtigt, auf das ihr zustehende Plädoyer zu verzichten; in einigen

•• Allein die Geschworenen entscheiden über Schuld oder Unschuld des Täters. Deshalb müssen die Geschworenen vor einer Beeinflußung durch Dritte geschützt werden. In spektakulären Fällen, in denen Anlaß zu der Befürchtung besteht, die Geschworenen könnten durch die Öffentlichkeit und Medien in ihrer Entscheidung beeinflußt werden, kann der Richter deshalb die Sequestration der Geschworenen anordnen. Mit einer solchen Anordnung können den Juroren weitreichende Belastungen und Einschränkungen auferlegt werden. Neben dem Verbot, das Verfahren betreffende Presseund Fernsehberichte zu verfolgen, kann sogar eine isolierte Unterbringung in Hotels oder anderen Räumlichkeiten angeordnet werden. Ist das der Fall, haben oft nur die Angehörigen ein - zeitlich begrenztes - Besuchsrecht und selbst bei dieser Gelegenheit dürfen die Geschworenen nicht über den Fall sprechen. Die Kosten der Sequestration, die durchaus mehrere Monate dauern kann, trägt der Staat. 70 Stuckey, Procedures in the Justice System, S. 216 ff; Saltzburg, American Criminal Procedure, S. 21.

71

3•

Stuckey, Procedures in the Justice System, S. 216.

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1. Kapitel: Das amerikanische Strafverfahren

Staaten hat sie das Recht, ihr Plädoyer zu einem späteren Zeitpunkt zu halten. Von diesen Rechten wird auch durchaus Gebrauch gemacht, denn manche Strafverteidiger halten es für einen groben taktischen Fehler, zu dem Fall des Anklägers Stellung zu beziehen, ehe dieser sein Belastungsmaterial offengelegt hat. Anderenfalls -so wird argumentiert- bestünde die Gefahr, nach der Präsentation der Beweismittel des Anklägers die im Eröffnungsplädoyer der Verteidigung aufgezeigte Verteidigungsstrategie abändern zu müssen - was ohne Frage einen ungünstigen Eindruck auf die Geschworenen haben würde. Außerdem kann die Verteidigung durch den Verzicht oder einen Aufschub ihres Eröffnungsplädoyers den Ankläger daran hindern, die Strategie der Verteidigung schon bei der Präsentation seiner Beweise zu durchkreuzen. Taktisch klüger sei es - so wird argumentiert -, zunächst die Offenlegung der belastenden Beweismittel abzuwarten, um die vom Ankläger aufgezeigte Beweisführung seinerseits schon im Eröffnungsplädoyer widerlegen zu können. Auf der anderen Seite halten zahlreiche Verteidiger den Verzicht auf ein frühes Eröffnungsplädoyer für nachteilig. Diese Verteidiger fürchten, daß sich die Geschworenen von Anfang an zu sehr auf die Behauptungen des Anklägers verlassen, wenn die Verteidigung dessen Ausführungen nicht unmittelbar widerspricht. Durch ein frühes Eröffnungsplädoyer der Verteidigung soll also eine vorzeitige Festlegung der Geschworenen verhindert werden.

3. Die Beweisaufnahme

Nach den Eröffnungspläydoyers beginnt die Beweisaufnahme (taking of the evidence ). Die erste Stufe der Beweisaufnahme ist die Präsentation der Beweise d