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German Pages 355 Year 1993
CHRISTIAN HEITSCH
Genehmigung kerntechnischer Anlagen nach deutschem und US-amerikanischem Recht
Schriften zum Umwelt recht Herausgegeben von Prof. Dr. M ich a e I Klo e p fe r, Trier
Band 32
Genehmigung kerntechnischer Anlagen nach deutschem und US-amerikanischem Recht
Von
Christian Heitsch
Duncker & Humblot . Berlin
Die Deutsche Bibliothek - CIP-Einheitsaufnahme Heitsch, Christian: Genehmigung kemtechnischer Anlagen nach deutschem und US-amerikanischem Recht / von Christi an Heitsch. Berlin : Duncker und Humblot, 1993 (Schriften zum Umweltrecht ; Bd. 32) Zug!.: Regensburg, Univ., Diss., 1992 ISBN 3-428-07751-2 NE:GT
Alle Rechte vorbehalten © 1993 Duncker & Humblot GmbH, Berlin 41 Fotoprint: Wemer Hildebrand, Berlin 65 Printed in Germany ISSN 0935-4247 ISBN 3-428-07751-2
Inhalt Einleitung
19
A. Die Genehmigung kemtechnischer Anlagen in der Bundesrepublik Deutschland l. Geserzeszwecke und Regelungsbereichdes ArG
1. Die Zielsetzungen des AtG a) Der Förderzweck
......................................... 21
.............................................. 21
b) Der Schutzzweck . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ..
21
c) Weitere Gesetzeszwecke .......................................... 22 d) Verhältnis von Schutz- und Förderzweck
............................. 22
aa) Verfassungsrechtliche Legitimation des Förderzwecks .................. 23 bb) Verfassungsrechtliche Legitimation des Schutzzwecks ..................
24
cc) Vorrang des Schutzzwecks . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ..
24
2. Der Regelungbereich des § 7 AtG a) Abgrenzung
.................................... 25
.................................................. 25
b) Der Anlagenbegriff ............................................. 26 c) Der Genehmigungspflicht unterliegende Tätigkeiten ...................... 28 d) Wesentliche Veränderungen ....................................... 28 e) Die Genehmigungsvoraussetzungen des § 7 ß AtG
...................... 29
11. Die eiforderliche Schade1lS\lorsorge (§ 711 Nr. 3 ArG)
1. Gesetzliche Regelung .............................................. 30 a) Aussagen des BVertU im Kalkar-Beschluß
............................ 31
b) Widerspruche und Unklarheiten .................................... 33 8a) Die "Dynamik" des Grundrechtsschutzes
........................... 33
bb) Der Maßstab für das Restrisiko ................................. 34 c) Zur Lehre vom Situationsvorbehalt .................................. 35
6
Inhalt
2. Konkretisierung durch die Strahlenschutzverordnung a) Dosisgrenzwerte
....................... 37
. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 38
aa) Dosisgrenzwerte für den bestimmungsgemäßen Betrieb ................ 38 bb) Störfallplanungsdosen
............ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ..
39
b) Strahlenschutzgrundsätze
.........................................
40
3. Weitere Konkretisierung der erforderlichen Vorsorge ........... . . . . . . . . . . .. 42 a) Allgemeine Verwaltungsvorschriften
.................................
42
b) Verwaltungsinterne Regelungen und ihre Merkmale . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ..
43
c) Einzelne verwaltungsinterne Regelungen ..............................
45
aa) Die "Sichemeitskriterien für Kernkraftwerke" ........................ 45 (1) Entstehung und Funktion ....................................
45
(2) Inhalt .................................................. 46 (3) Konkretisierungsbedürftigkeit
.................................
48
......... . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ..
48
(1) Anwendungsbereich ........................................
48
(2) Auslegungsstörflille
........................................
49
(3) Bedeutung ...............................................
51
bb) Störfall-Leitlinien
cc) Leitlinien der RSK ........................................... 52 (1) Aufgabe und Ameitsweise der RSK und der SSK . . . . . . . . . . . . . . . . . ..
52
(2) Inhalt und Bedeutung der RSK-Leitlinien für Druckwasserreaktoren .....
54
d) Bindung der Verwaltungsgerichte an verwaltungsinterne Regelungen .......... 54 aa) Das Regelwerk als Empfehlungen
................................
bb) Das Regelwerk als antizipiertes Sachverständigengutachten
55
.............. 55
cc) Das Regelwerk als Abschätzung des Standes von Wissenschaft und Technik ..
57
dd) Das Regelwerk als "nonnkonkretisierende Verwaltungsvorschriften"
57
e) Merkmale der Fachgremien .......................................
59
aa) Keine nonnative Legitimation ................................... 59 bb) Dominanz von Naturwissenschaft und Technik bei der Entscheidung über das Restrisiko .......................................... 59 cc) Nonnkonkretisierung durch Private ............................... 61
Inhalt dd) Publizitätsdeftzite
7
... . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ..
ee) Auswahl der Mitglieder
.......................................
f) Konkretisierung in technischen Regelwerlc:en
61 62
...........................
63
aa) Arten technischer Regelwerlc:e . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
63
bb) Die Regeln des KTA . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
64
(I) Der KTA: Funktion und Verfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
64
(2) Inhalt der KT A-Regeln
......................................
66
(3) Überbriickung eines regelfreien Zustands . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
66
(4) Bewertung des Aufstellungsverfahrens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
67
cc) Rechtliche Bedeutung der technischen Regelwerlc:e ....................
68
(I) Keine unmittelbare Bindungswirkung
...........................
68
..................................
68
4. Klagebefugnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
69
a) Das Prinzip der VerietztenIc:lage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
69
b) Klagebefugnis bei § 7 ß Nr. 3 AtG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
71
aa) Klagebefugnis im Gefahrenbereich der Anlage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
71
bb) Drittschützende Wirkung des Strahlenminimierungsgebots
..............
72
cc) Das Stade-Urteil des BVerwG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
73
dd) Klagebefugnis hinsichtlich potentieller SlÖrfallrisilc:en
..................
75
ee) Klagebefugnis hinsichtlich befürchteter Unfallrisilc:en
..................
75
..........................
76
(2) Beweisrechtliche Bedeutung
ft) Inhaltliche Grenzen des Individualschutzes
5. Die Staatspraxis in der neueren Rechtsprechung des BVerwG
................
77
6. Gerichtliche Kontrolldichte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
79
a) Unbeschränkte Nachpriifung bis 1985 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ..
79
b) Die neue Linie des BVerwG zur Kontrolldichte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
80
[ll. Weitere anlagen- und standortbezogene Genehmigungsvorausserzungen und sonstige Einwirkungen Dritter (§ 7 ß Nr. 5 AtG)
82
a) Vemältnis zu § 7 ß Nr. 3 AtG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
82
b) Konkretisierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
83
1. Schutz gegen störmaßnahmen
Inhalt
8
aa) Rechtsverordnungen ..........................................
83
bb) Regelungen unternalb der Rechtsverordnung ........................
83
cc) Sabotagescilutz ..............................................
85
c) Rechtsschutzfragen
.............................................
88
aa) Schutzniveau ...............................................
88'
..............................................
88
cc) Individualschutz bei § 7 D Nr. 5 AtG ..............................
89
bb) Kontrolldichte
2. Berücksichtigung der Umweltauswirkungen der Anlage (§ 7 D Nr. 6 AtG)
90
a) Regelungsbereich ...............................................
90
b) Rechtscharakter
...............................................
92
c) Individualschützende Wirkung .....................................
92
d) Zum Gesetz über die Umweltverträglichkeitsprüfung
. . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 92
IV. Das Genehmigungsveifahren 1. Überblick ...................................................... 94
a) Rechtsgrundlagen
.............................................. 94
b) Ablauf des Genehmigungsverfahrens ................................. 95 2. Einzelfragen .................................................... 95 a) Infonnelle Kontakte aa) Vorvemandlungen
............................................ 95 ........................................... 95
bb) Verfahrensbegleitende infonnelle Kontakte b) Verfahrensvorschriften als Schutznonnen
......................... 96
............................. 96
aa) Bedeutung des Verfahrens für den Grundrechtsschutz bb) Klagebefugnis bei Verfahrensfehlern
.................
96
.............................. 97
cc) Beschränkte Relevanz von Verfahrensfehlern
......................... 99
dd) Kein selbständiger Rechtsschutz gegen Verfahrensfehler ................ 100 c) Die Öffentlichkeitsbeteiligung aa) Auslegung von Unterlagen
lOS 105
(I) Die Antragsunterlagen
lOS
(2) Der Sichemeitsbericht
106
Inhalt (3) Die Kurzbeschreibung
9
...................................... 107
bb) Die Bekanntmachung ......................................... 109 cc) Die Auslegung .............................................. 110 dd) Die materielle Präklusion ...................................... 110 ee) Akteneinsicht nach Ennessen
................................... 114
(1) Ennessensrichtlinien
114
(2) Ausnahmen .............................................. 115 (3) Insbesondere: Die Behandlung von Betriebs- und Geschäftsgeheimnissen
116
(4) Bewertung der Vorschriften über die Akteneinsicht ................. 118 ft) Der Erorterungstennin
119
(1) Zweck .................................................. 119
(2) Durchführung
............................................ 120
gg) Die Entscheidung ............................................ 122 hh) Erneute Öffentlichkeitsbeteiligung bei wesentlichen Änderungen
123
ii) Gesamtbewertung der Öffentlichkeitsbeteiligung
125
d) Die Sachverständigentätigkeit
. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 126
aa) Rechtlicher Rahmen .......................................... 126 bb) Praxis der Sachverständigentätigkeit
128
cc) Die Mehrfachtätigkeit von Sachverständigen
128
dd) Bekanntgabe der Gutachten an Verfahrensbeteiligte ................... 131 3. Die Verfahrensstufung ............................................. 132 a) Grunde und Rechtsgrundlagen ..................................... 132 b) Inhalt der 1. TEG .............................................. 133 aa) Der gestattende Teil . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 133 bb) Zur Standort- und Konzeptgenehmigung cc) Das vorläufige positive Gesamturteil
........................... 133
.............................. 136
(1) Rechtsnatur .............................................. 136 (2) Inhalt .................................................. 137 (3) Bindungswirkung .......................................... 138
(4) Drittschützende Wirkung .................................... 139
10
Inhalt dd) Zu Freigabe und Vorabzustimmung
.............................. 139
B. Die Genehmigung kemtechDischer Anlagen in den USA I. Gerichts- und BehördenorganisaJion
1. Die Nuclear Regulatory Comrnission (NRC) ....•....................•... 141
a) Aufgaben und verfassungsrechtliche Stellung ........................... 141 aa) Die Neuordnung der Atombehörden
141
bb) Verhältnis der NRC zum Präsidenten ............................. 141 cc) Verhältnis zum Kongreß; "Rulemaking"- Befugnisse ................... 142 b) Abteilungen der NRC ........................................... 143 c) Die Beratungskomrnission für Reaktorsicherheit (Advisory Comrnittee on Reactor Safeguards - ACRS) ............................................. 144 d) Die Genehrnigungsausschüsse
145
2. Gerichtsverfassung ................................................ 146 a) Instanzenzug .................................................. 146 aa) Erstinstanzielle Zuständigkeit der Federal Courts of Appeals
............ 146
bb) Überprüfung durch den Supreme Court im "certiorari"-Verfahren b) Grundsatz der bindenden Präzedenzfälle
147 147
11. Die Genehmigungsvoraussetzungen
1. Keine verfassungsrechtlichen Vorgaben ................................. 148
2. Bestimmungen im Atornic Energy Act .................................. 149 a) Gleichrang der Gesetzeszwecke
149
b) Gcnehrnigungsarten; zweistufiges Genehrnigungsverfahren
150
c) Konkretisierung der durch § 103(d) AEA geschützten Rechtsgüter
........... 150
aa) Nationale Verteidigung und Sicherheit ............................. 151 bb) Gesundheit und Sicherheit der Allgemeinheit ........................ 151 3. Konkretisierung in "rules" .......................................... 152 a) Inhalt des Antrags .............................................. 152 aa) Betreiber- und standortbezogene Angaben (§ 50.33) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 153 bb) Anlagenbezogene Angaben ..................................... 153
Inhalt
11
ce) Pflicht zu wahrheitsgemäßen Angaben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 155 b) "Endgültigkeit" der sicherheitsbezogenen Feststellungen ................... 155 c) Keine Standardisierung
157
d) Einzelne "ruIes" . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 158 aa) Die "General Design Criteria" . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 158 (1) Funktion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 158 (2) Inhalt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 159 (3) Auslegung gegen Störfiille und Naturereignisse bb) Qualitätssicherung ce) Strahlenschutz
.................... 161
. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 162
. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 164
(l) Grenzwerte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 164
(2) Der ALARA- Grundsatz
. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 165
(3) Richtwerte rur "postulated accidents" . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 166 dd) Standortwahl . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 166 (I) Faktoren der Standortbewertung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 167 (2) Insbesondere: die Bevölkerungssituation
. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 169
ee) Sabotageschutz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 171 (l) Auslegungsbedrohung
. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 171
(2) Komponenten des Sicherungssystems . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 172 ft) Kstastrophenschutzplanung
........ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 172
(1) Anforderungen an die Kstastrophenschutzplanung (2) Umsetzungsprobleme
.................. 173
. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 175
4. Konkretisierung der "rules" . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 178 a) Verweisung auf technische Regelwerke . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 178 b) "Regulatory Guides"
. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 180
c) Der Standard Review Plan . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 180
12
Inhalt
111. Das Gesetz über die nationale Umweltpolilik (National Environmenlal Policy Act -NEPA) 1. Überblick
181
a) Die Gesetzcsziele des NEPA
181
b) Pflichten der Bundesbehörden
183
c) Der Council on Environmental Quality . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 184 2. Insbesondere: Das Environmental Impact Statement (EIS) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 185 a) Verfahren bei der Aufstellung des EIS . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 185 aa) Der Umweltbericht des Antragstellers
. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 186
bb) Die Festlegung des Untersuchungsrahmens ("scoping process") ........... 187 cc) Erstellung eines Entwurfs (Draft Environmental Impact Statement - DEIS) dd) Das Final Environmental Impact Statement (FElS) b) Verhältnis von AEA und NEPA
.. 188
. . . . . . . . . . . . . . . . . . . 188
. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 190
c) Inhalt des EIS
191
aa) Übersicht
191
bb) Einzelheiten
192
(1) Vollständigkeit und Detailliertheit der Darstellung .................. 192 (2) Alternativen
194
(a) Mitwirkungslasten der Parteien
. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 195
(b) Alternativstandorte
195
(3) Auswirkungen des Betriebs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 197 (a) Radioaktivitätsabgaben
im Normalbetrieb . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 197
(b) Auswirkungen von "Unfällen" ("accidents") . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 197
(4) Abwägung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 199 d) Gerichtliche Kontrolle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 201 e) Neueste Entscheidungen zum EIS-Verfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 202 f) 20 Jahre NEPA - Versuch einer Bilanz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 204
IV. Quellen des Veifahrensrechls 1. Verfahrensrechtlicher Mindestschutz in der Verfassung: Die "Due Process Clause" .. 205 a) Herkunft und Stellenwert . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 205
Inhalt
13
b) Anwendungsbereich ............................................. 206 c) Anforderungen
................................................ 207
aal Abwägung ................................................. 207 bb) Anzahl der Betroffenen
....................................... 208
2. Vorgaben des Verwaltungsverfahrensgeselzes (Administrative Procedure Act - APA) 208 a) "Informal rulernalcing" ........................................... 209 aa) Merkmale und Funktion ....................................... 209 bb) Ausnahmen von den Verfahrensanforderungen b) "Formal adjudication"
...................... 210
........................................... 211
c) "Formal rulemalcing" ............................................ 212 3. Verfahrensanforderungen im AEA .................................... 213
v. Das Genehmigungsveifahren 1. Überblick ...................................................... 214
a) Der Normalfall ................................................ 214 b) Verfahrensbeschleunigung
........................................ 217
c) Öffentlichkeitsbeteiligung bei Änderungsgenehmigungen 2. Einzelheiten
.................. 218
.................................................... 219
a) Zulassung der Einwender ......................................... 219 aa) "Intervention of right" ......................................... 220 (1) Die Klagebefugnis in der Rechtsprechung des Supreme Court .......... 220 (2) Die vom AEA und vom NEPA geschützten Interessen ............... 222 bb) "Discretionary Intervention"
.................................... 223
cc) "Limited Appearancc" ......................................... 224 dd) Besondere Voraussetzungen der nachträglichen Zulassung .............. 225 b) Rechts- und Tatsachenbehauptungen ("contentions") aa) Rechtmäßigkeit
..................... 226
............................................. 226
bb) Anforderungen nach 10 C.F.R. § 2.714(b) a. F. . ..................... 226 cc) Die Neufassung von 10 C.F.R. § 2.714(b) ........................... 228 dd) Verspätete "contentions " ...................................... 229
Inhalt
14
ee) Allgemeine ungelöste Sicherheitsprobleme
......................... 230
(1) Erfassung und Analyse ...................................... 230
(2) Behandlung der USIs in Genehmigungsverfahren ................... 231 (3) Streitige Verhandlung über USIs .............................. 233 c) Die mündliche Verhandlung ....................................... 234 aa) Umfang der Prüfung durch das ASLB ............................. 234 (1) Errichtungsgenehmigungen
................................... 234
(2) Betriebsgenehmigung ....................................... 235 (3) Verweisung allgemeiner Probleme in "rulemaking"- Verfahren
......... 236
bb) Beweislast ................................................. 237 cc) Verfahrensrechte
237
(1) Unterscheidung nach der Beteiligungsart ......................... 237 (2) Möglichkeiten der Parteien, ihren Standpunkt darzulegen ............. 238 (3) Kreuzverhör
............................................. 239
dd) Das Fachpersonal der NRC .................................... 240 (1) Herkunft ................................................ 240 (2) Stellung in der mündlichen Verhandlung ......................... 240 (3) Verhinderung von Interessenkonflikten
.......................... 241
ee) Obliegenheit der Parteien, Vorschläge für die Entscheidung zu verfassen .... 242 ft) Neutralität des ASLB ......................................... 243
(1) Verhot der "ex parte communications"
.......................... 243
(2) Funktionentrennung innerhalb der NRC ......................... 245 gg) Der Schutz geheimhaltungsbedürftiger Angaben ...................... 245 (1) Auslegung im Public Document Room
(2) Zugang für Verfahrensbeteiligte
.......................... 246
............................... 247
hh) Bedeutung der "Rules" der NRC ................................. 248 ii) Rechtsschutz gegen Verfahrensfehler ............................... 249 (1) Beschwerden gegen verfahrenslenkende Entscheidungen .............. 249 (2) Nachweis eines Nachteils .................................... 250
15
Inhalt VI. "Infonnal Rulemaking": Einzelheiten 1. Das normale "Notice and Comment"- Verfahren
.......................... 252
a) Angaben in der Bekanntmachung ................................... 252 aa) Ort. Zeit und Art der Öffentlichkeitsbeteiligung
..................... 252
bb) Angaben zum Inhalt der geplanten "rule" ........................... 253 b) Erläuterung
.................................................. 255
2. Abschließende Regelung des "informal rulemaking" in § 553 APA
............. 256
a) Der Ansatz des "D.C. circuit": "Hybrid rulemaking" ...................... 256 b) Die Reaktion des Supreme Court ................................... 257 VII. Die "Open Govemmenl Legislalion " 1. Der Freedom of Information Act ..................................... 258 a) Anliegen ..................................................... 258 b) Informations- und Akteneinsichtsrechte ............................... 259 aa) Veröffentlichung im Federal Register
............................. 259
bb) Leichter Zugang zu behördlichen Entscheidungen cc) Zugang zu sonstigen "Behördenakten"
.................... 260
............................. 261 263
c) Grenzen der Informationsrechte
aa) Interne Vorschriften und Verfahrensweisen ffir da. Personal ............. 263 bb) Betriebsgeheimnisse und vertrauliche geschäftsbezogene Angaben ......... 264 cc) Schriftverkehr innerhalb der Behörde oder zwischen verschiedenen Behörden
266
dd) Schutz der Privatsphäre
....................................... 267
ee) Weitere Beschränkungen
...................................... 268
d) Rechtsschutzfragen
............................................. 269
aa) Strikte gerichtliche Kontrolle .................................... 269 bb) "Umgekehrte" FOIA-Prozesse ................................... 270 2. Der Government in the Sunshine Act .................................. 271 a) Öffentliche Sitzungen ........................................... 271 aa) Begriff der "Sitzung" .......................................... 271 bb) Verfahren und gerichtliche Überprüfung
.......................... 272
Inhalt
16
b) Einschränkungen des Öffentlichkeitsgrundsatzes
................•....... 273
aal Unterschiede zum FOIA ...............................•....... 273 bb) Umgehung durch Umlaufverfahren ............................... 274 VIII. Gerichlliche Oberpriifung
1. Zulässigkeitsfragen
............................................... 274
a) Ausschöpfung der verwaltungsintemen Rechtsbehelfe
.................... 274
b) Abschließende Wirkung der Maßnahme .............................. 275 2. Kontrolldichte ................................................... 276 a) Vorbemerkung
................................................ 276
b) Gesetzliche Regelung ............................................ 276 aal Tatsachenfeststellungen ........................................ 278 (1) Eigenständige Ermittlung der Tatsachen ......................... 278 (2) "Hinreichende Anhaltspunkte"
................................ 278
(3) "Willkürlich und unberechenbar"
.............................. 279
(4) Weitere Abstufung bei der Anwendung der Prüfungsmaßstäbe
......... 279
bb) Rechtsfragen ............................................... 280 cc) Politisch-wertende Entscheidungen ................................ 281 dd) Rechtsschutz gegen Verfahrensfehler .............................. 283 ee) Der Grundsatz des nicht nachteiligen Fehlers ........................ 283 c) Besondere Zurückhaltung der Gerichte gegenüber den Atombehörden ........ 284 aal "Power Resctor Development Co." als Präzedenzfall ................... 284 bb) Zurückhaltung gegenüber "Tatsachenfeststellungen" der NRC ............ 286
c. Bewertung und Folgerungen I. Dogmatische Grundlagen der WyhJ-Entscheidwag
1. Die Kontrolldichte im Spiegel der Verfassung ............................ 289
a) Bessere Ausrüstung der Verwaltung? ................................ 289 b) Kontrolldichte und Gewaltenteilung
................................. 291
aal Die Gewaltenteilung im Grundgesetz .............................. 291 bb) Verhältnis von Zweiter und Dritter Gewalt im GG
................... 292
17
Inhalt cc) Kein nonnativ eröffneter Beurteilungsspielraum im Atomrecht
........... 294
dd) Keine Kontrollrestriktion mit Kompensation durch Verfahren ............ 295 c) Grenzen rational möglicher Kontrolle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 295 aa) Erkenntnistheoretisch begründete Kontrollschranken?
295
bb) Kontrollgrenzen wegen der Besonderheiten naturwissenschaftlich-technischer Erkenntnisprozesse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 297 2. Zulässigkeit verbindlicher Verwaltungsvorschriften im Umweltrecht a) Verfassungsgeschichtliche Wurzel' der Unterscheidung
300 300
b) Originäre Befugnis der Exekutive, Außenrecht zu setzen .................. 301 c) Der Vorbehalt des Gesetzes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 302 aa) Verfassungsgeschichtliche Grundlagen bb) Reichweite des Vorbehalts
. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 302
. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 302
3. Verbindlichkeit der Verwaltungsvorschriften und verwaltungsinternen Regelungen des Atomrechts?
. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 305
a) Die allgemeinen Verwaltungsvorschriften nach § 48 BImSchG aa) Entstehungsgeschichte
306 306
bb) Sinn und Zweck . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 307 cc) Legitimation, Zustimmungserfordernis, Verfahren
308
dd) Naturwissenschaftlicher Gehalt der Festsetzungen
311
b) Die verwaltungsinternen Regelungen im Atomrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 312 aa) Keine allgemeinen Verwaltungsvorschriften
312
bb) BMU-Richtlinien als Verwaltungsabkommen?
313
cc) Die BMU-Richtlinien als Weisungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 313 dd) Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 316 11. Thesen und rechtspolitische Vorschläge
1. Unterschiede der beiden Rechtssysteme
. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 317
2. Anregungen zur Änderung von Rechtsvorschriften . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 326 a) Ansatzpunkte
. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 326
b) Änderungen des AtG
. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 327
aa) Nonnative Grundlagen für Fachgremien 2 Heitsch
. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 327
18
Inhalt
bb) Verfabrensregeln ............................................ 329 ce) Änderung des § 7 AtG .......................................• 330 c) Änderungen der AtVfV .......................................... 330 aal Auslegung ................................................. 330 bb) Akteneinsicht ............................................... 331 ce) Erörterungstennin
........................................... 332
d) Überführung des untergesetzlichen Regelwerks ......................... 332
AnJuma 1. Law Reports (US-Entscheidungssammlungen)
............................ 334
2. List of eases .................................................... 334 3. List of Abbreviations .............................................. 338 4. FundsteIlenverzeichnis der verwaltungsinternen Regelungen Literatunerzeiclmis
.................. 339 342
Einleitung Im Sondervotum zum Mühlheim-Kärlich-Beschluß' haben die Richter Simon und Heußner die Auffassung vertreten, daß es sich wahrscheinlich "nur über das Verfahrensrecht verbindern" lasse, daß "der Bereich zwischen Recht und Technik zum juristischen Niemandsland" werde. Zudem ermögliche eine faire Anwendung des Verfahrens es den Gerichten, "den Schwerpunkt ihrer Nachprüfung von der schwierigen Beurteilung technischer und wissenschaftlicher Streitfragen mehr auf eine Verhaltens- und Verfahrenskontrolle der eigentlichen Entscheidungsträger zu verlagern und damit auf eine Aufgabe, für die die Gerichte besser gerüstet sind und deren sorgfältige Erfüllung zugleich dem Bürger angemessenen Rechtsschutz gewährt. " Diese Gedanken waren möglicherweise beeinflußt vom Vorbild amerikanischer Verwaltungskontrollen. Amerikanische Gerichte überprüfen Maßnahmen der Verwaltung inhaltlich nur eingeschränkt. Das Verwaltungsverfahren ist in den USA jedoch sehr viel stärker formalisiert. Ziel dieser Arbeit soll sein, die unterschiedlichen Strukturen des deutschen und amerikanischen Atomrechts herauszuarbeiten und darzustellen, auf welche Weise die beiden Rechtssysteme den Schutz vor den Gefahren der Kernenergie gewährleisten. Zugleich soll untersucht werden, ob amerikanische Lösungen auf das deutsche Recht zu übertragen sind. Teil A dient der Bestandsaufnahme des deutschen materiellen Atomrechts und des atomrechtlichen Genehmigungsverfahrens. Dabei soll insbesondere die Entwicklung der Rechtsprechung nachgezeichnet werden, da sie vor allem für die Praxis maßgeblich ist. Auf eine Auseinandersetzung mit der sehr umfangreichen Literatur wird dagegen, soweit vertretbar, verzichtet. Teil B befaßt sich mit der Genehmigung kerntechnischer Anlagen in den USA. Dabei werden die Behörden- und Gerichtsorganisation sowie die materiellen Vorgaben des Atomic Energy Act nur kurz umrissen. Die konkreten Anforderungen für die sicherheitstechnische Auslegung, die Qualitätssicherung, den Strahlenschutz, die Sicherung gegen Sabotage und die Katastrophenschutzpläne sind in untergesetzlichen Vorschriften festgelegt, von denen die wichtigsten in groben Zügen vorgestellt werden. Die Öffentlichkeitsbeteiligung im Genehmigungsverfahren ist als kontradiktorische mündliche Verhandlung ausgestaltet. Auch beim Erlaß untergesetzlicher Vorschriften ist eine Beteiligung der Öfffentlichkeit vorgeschrieben. Beide Verfahrensarten werden ausführlich erläutert. Bestandteil eines jeden Geneh-
'BVerfGE 53,30,76,82.
20
Einleitung
migungsverfahrens ist eine Darstellung der Umweltauswirkungen, deren Grundzüge und Verfahren ebenfalls dargestellt werden. Die Öffentlichkeitsbeteiligung in den Genehmigungs- und Rechtssetzungsverfahren wird ergänzt durch die weitreichenden Informations- und Akteneinsichtsrechte der "Open Government Legislation" , d. h. des Freedom of Information Act und des Government in the Sunshine Act. Nach welchen Maßstäben die amerikanischen Gerichte Verwaltungsmaßnahmen überprüfen und wie diese Grundsätze im Atomrecht angewendet werden, wird am Ende des Teils B geschildert. In Teil C werden die wesentlichen Unterschiede der beiden Rechtssysteme im Überblick herausgestellt und rechtspolitische Folgerungen gezogen. Außerdem wird untersucht, ob die neuere Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts zur gerichtlichen Kontrolldichte und zur Verbindlichkeit normkonkretisierender Verwaltungsvorschriften dogmatisch haltbar ist. Rechtsprechung und Literatur sind bis Ende 1991 berücksichtigt. 2
2Daß ich diese Arbeit schreiben konnte, verdanke ich meinen akademischen Lehrern an den Universitäten Göningen und Regensburg. Von ihnen hat Hennann Soell das Thema gesteilt und die Ausführung mit Rat und Kritik begleitet, Rainer Amold das Zweitgutachten übernommen. Einen siebenmOl18tigen Aufenthalt in den USA hat der DAAD finanziell gefördert. Den Zugang zu den Beständen der Washington College of Law Library, Arnerican University, eröffnete mir mit amerikanischer Liberalität Patrick Kehoe; besonders zu Beginn haben mir sehr geholfen Harold Green von der George Washington University sowie Gary McCann und Fred Anderson. Michael Kloepfer hat veranlaßt, daß die Arbeit in die Reihe "Schriften zum Umweltrecht" aufgenommen wurde. Ihnen allen danke ich herzlich.
A. Die Genehmigung kerntechnischer Anlagen in der Bundesrepublik Deutschland 1. Gesetzeszwecke und Regelungsbereich des AtG 1. Die Zielsetzungen des AtG a) Der Förderzweck Nach § 1 Nr. 1 AtG ist Zweck des Gesetzes, die "Erforschung, Entwicklung und die Nutzung der Kernenergie zu friedlichen Zwecken zu fördern. " Mit dieser Vorschrift hat der Gesetzgeber die Grundentscheidung getroffen, daß die Kernenergienutzung zulässig ist. I Nach Ansicht des BVerfG wird diese Entscheidung durch die Kompetenzvorschrift des Art 74 Nr. Ha GG verfassungsrechtlich abgesichert. Denn auch aus Kompetenzvorschriften der Verfassung folge, daß der darin genannte Gegenstand von der Verfassung selbst grundsätzlich gebilligt werde; deshalb könne seine Verfassungsmäßigkeit nicht aufgrund anderer Vorschriften der Verfassung grundsätzlich in Frage gestellt werden. 2 Ausdruck des Förderzwecks ist es, wenn §§ 3 - 7,9 AtG ein präventives Verbot mit Erlaubnisvorbehalt aufstellen und dadurch die friedliche Nutzung der Atomkraft für die Wirtschaft konstitutiv eröffnen. 3 Außerdem greift der Förderzweck insbesondere dann ein, wenn die materiellen und personellen Ressourcen der Wirtschaft nicht ausreichen, z. B. in der Grundlagenforschung oder im Bereich der Haftung für nukleare Schäden: Höchstgrenze der Deckungsvorsorge (§ 13 III 2 AtG); FreisteIlungsverpflichtung (§ 34 AtG); begrenzter Rückgriff (§ 37 AtG).4 b) Der Schutzzweck § 1 Nr. 2 AtG erhebt den Schutz von Leben und Gesundheit des Menschen sowie von Sachgütern vor den Gefahren der Kernenergie und der Ivgl. BVerfGE 49,89,129. lygl. BVerfGE 53,30,56; in diesem Sinne auch Lawrence (1989), 129. 3ebenso
Luckow (1988), 81 m. w. N.
4vgl. Haedrich (1986), Nr. 3 zu § 1.
22
A. Genehmigung kemtechnischer Anlagen in der BRD
schädlichen Wirkung ionisierender Strahlen zum Gesetzeszweck. Zu den Gefahren der Kernenergie gehört v. a. das Kritikalilätsrisiko aus unkontrollierten oder unkontrollierbaren Kettenreaktionen. S Weiterer Zweck des Gesetzes ist nach § 2 Nr. 2 AtG der Ausgleich von durch Kernenergie oder ionisierende Strahlen verursachten Schäden. Der Realisierung dieser Zwekke dienen v. a. die als präventive Verbote mit Erlaubnisvorbehalt ausgestalteten Überwachungsvorschriften (§§ 3 - 7, 9 AtG) , die Ermächtigung, Schutzmaßnahmen in Rechtsverordnungen festzulegen (§ 12 AtG), die Vorschriften über nachträgliche Auflagen, Rücknahme und Widerruf von Genehmigungen (§ 17 AtG), die staatliche Aufsicht nach Erteilung einer Genehmigung (§ 19 AtG) sowie die Haftungsvorschriften (§§ 13,25 ff AtG).6 c) Weitere Gesetzeszwecke
Der in § 1 N r. 3 AtG geforderte Schutz der inneren und äußeren Sicherheit der BRD vor (gezielter) Anwendung und (unbeabsichtigtem) Freiwerden von Kernenergie wird durch die soeben genannten Überwachungs- und Aufsichtsvorschriften sowie durch die internationalen Sicherheitskontrollen gewährleistet. Im Vertrag über die Nichtweiterverbreitung von Kernwaffen 01. 07. 1968 hat die BRD auf Erwerb, Besitz und Herstellung von Atomwaffen verzichtet. Die Einhaltung dieser Verpflichtungen wird durch international vereinbarte Kontrollen überwacht, die für die BRD im Euratomvertrag vom 25. 03. 1957 und im Verifikationsabkommen vom 05. 04. 1973 zwischen der Europäischen Atomgemeinschaft, ihren kernwaffenlosen Mitgliedsstaaten und der IAEO niedergelegt sind.' Die Genehmigungs- und Aufsichtsvorschriften gewährleisten gemeinsam mit der Pflicht des Staates, bei den vertraglich vereinbarten Kontrollen mitzuwirken, daß die internationalen Verpflichtungen der BRD auf dem Gebiet der Kernenergie und des Strahlenschutzes erfüllt werden; dies verlangt § 1 Nr. 4 AtG. d) Verhältnis von Schutz- und Förderzweck
Die in § 1 AtG aufgelisteten Zielsetzungen sind bei der Auslegung des Gesetzes zu berücksichtigen. 8 Aus dem Wortlaut des § 1 AtG geht allerdings nicht hervor, welches Rangverhältnis zwischen den Gesetzeszwecken besteht, insbesondere zwischen dem Schutz- und dem Förderzweck. Um
Svgl. Luckow (1988), 181; Haedrich (1986), Nr. 4 zu § 1. 6vgl.
Luckow (1988), 81.
'dazu näher Haedrich (1986), Einführung Nr. 8 sowie Nr. 6 zu § 1 m. w. N. 8so
ausdrücklich die amtl. Begründung, BT-Drs. 31759, 18.
I. Gesetzeszwecke und Regelungsbereich des AtG
23
dies ZU klären, bedarf es eines kurzen Blicks auf den verfassungsrechtlichen Hintergrund der Zweckbestimmungen. aa) Verfassungsrechtliche Legitimation des Förderzwecks Soweit sich der Förderzweck auf Erforschung und Entwicklung der Kernenergienutzung bezieht, ist er durch das Grundrecht der Forschungsfreiheit (Art 5 III GG) abgesichert. Die gesetzliche Vorgabe, die Nutzung der Kernenergie zu fördern, soll auch dann Ausprägung der wirtschaftlichen Betätigungsfreiheit (Art 12 I, 14 I GG) sein, wenn es um Energieerzeugung geht. 9 Für diese Ansicht spricht auf den ersten Blick, daß die Unternehmen, die Kernkraftwerke betreiben, privatrechtlich, in der Regel als Aktiengesellschaften organisiert sind. Zudem wird geltend gemacht, daß die Unternehmen in einem Subjektionsverhältnis zur staatlichen Gewalt stünden, und daß auf die grundrechtlich geschützten Interessen privater Anteilseigner abzustellen sei. IO Allerdings sind die Energieversorgungsunternehmen (EVU) in der Mehr-
zahl entweder öffentliche Betriebe des Bundes, der Länder oder Kommu-
nen oder von der öffentlichen Hand beherrschte gemischtwirtschaftliche Betriebe. Lediglich 17 % des 1987 in der BRD erzeugten Stroms stammten von privaten Unternehmen mit einem privaten Kapitalanteil von mehr als 75 %. Die öffentliche Hand besitzt in den gemessen am Marktanteil wichtigsten gemischtwirtschaftlichen Unternehmen durchweg die Stimmenmehrheit. Dies gilt z. B. rur die Badenwerk AG, die Bayemwerk AG, aber auch rur die RWE, bei der zwar Private 62 % des Kapitals halten, die öffentliche Hand aber ein 20-faches Stimmrecht besitzt. 11 Hinzu kommt, daß die EVU öffentliche Aufgaben der Daseinsvorsorge erfiillen und gemäß § 6 I EnWiG i. V. m. der ABEltV weitreichenden öffentlichrechtlichen Bindungen unterliegen, v. a. was die Versorgungspflicht und die Versorgungsbedingungen betrifft. Deshalb sind EVU nach der neuesten Rspr. des BVerfG dann nicht grundrechtsfähig i. S. v. Art 19 III GG, wenn die öffentliche Hand über einen so großen Kapitalanteil verrur:t, daß sie entscheidenden Einfluß auf die Geschäftsfiihrung nehmen kann. 2 Soweit diese Voraussetzung bei den Betreibergesellschaften der Kernkraftwerke errullt ist, wird der Förderzweck nicht durch grundrechtliche Positionen der Betreiber gedeckt, eher
980 die h.M.: Haedrich (1986), Nr. 3 zu § I; Luckow (1988), 79; apodiktisch Weber (1984), 73; s. a. Mahlmann (1973),270; Richter (1985),58 ff; Sante (1990),96 ff; Wilting (1985),23. 1080
v. a. K1ante (1984), 261 ff.
II vgl.
Hofmann (1989),31 f m. w. N.; Richter (1985),60.
12BVertU, ET 1989,853 f; dazu kritisch Koppensteiner, NIW 1990,3108 f; gegen Grundrechtsfähigkeit der EVU auch Ipsen (1990), 183; Degenhart (1982), 184 ff; Lawrence (1989), 120 ff.
24
A. Genehmigung kemtechnischer Anlagen in der BRD
schon durch das in Art 109 GO und dem Stabilitätsgesetz verankerte Gebot zur Wachstumsvorsorge und der daraus abzuleitenden Pflicht des Staates, die Energieversorgung zu sichern. 13 bb) Verfassungsrechtliche Legitimation des Schutzzwecks Der Schutzzweck wird legitimiert durch die Grundrechte der von den potentiellen Gefährdungen durch kerntechnische Anlagen Betroffenen. Einschlägig sind Art 2 II 1 GG (Leben und körperliche Unversehrtheit) sowie Art 14 I GG (Eigentum). ce) Vorrang des Schutzzwecks Das Grundrecht auf Leben und körperliche Unversehrtheit hat einen besonders hohen Stellenwert. Deshalb hat der Schutzzweck, obwohl im AtG erst an zweiter Stelle genannt, Vorrang vor dem Förderzweck. 14 Hieraus wird aber nicht gefolgert, daß mit absoluter Sicherheit Grundrechtsgefährdungen durch kerntechnische Anlagen ausgeschlossen sein müssen, denn diese Forderung würde angeblich nahezu jede Nutzung und Entwicklung von Technik verbieten. IS Aus dem objektiv-rechtlichen Gehalt des Grundrechts auf Leben und körperliche Unversehrtheit folgt aber eine Pflicht der staatlichen Organe, diese Rechtsgüter gegen Eingriffe von Seiten Dritter zu schützen. Infolge der Art und des Umfangs der bei der friedlichen Nutzung der Kernenergie möglichen Schäden genügt bereits eine entfernte Wahrscheinlichkeit ihres Eintritts, um diese Schutzpflicht auszulösen. 16 Aus dem Demokratieprinzip und der Gewaltenteilung folgt jedoch, daß der demokratisch legitimierte Gesetzgeber für die Erfüllung seiner Schutzpflicht einen hinreichenden Spielraum haben muß. Grundrechtliche Schutzpflichten können daher nur dann verletzt sein, wenn der Staat seinen Schutzauftrag entweder überhaupt nicht erfüllt, oder Mittel einsetzt, die offensichtlich gänzlich ungeeignet oder völlig unzulänglich sind, das Schutzziel zu erreichen. 17 Hinsichtlich der Wahrnehmung grundrechtlicher Schutzpflichten kann es
13dazu 14std.
Degenhart (1982), 172 ff.
Rspr. seit BVeIWG, DVBI 1972,678,680; s. a. BVerlUE 53,30,58.
ISvgl.
BVerlUE 49,89, 143; ebenso die h.M., vgl. Lukesl Backhenns, AöR 103,342; Wagner, DVBI 1978,841; Breuer, DVBI 1978,836; Pelzer (1975),252 mit Pn. 4; Schattke, DVBI 1979,655 f. 16vgl.
BVerlUE 49,89,142; BVerlUE 53,30,57.
17vgl.
BVerlUE 77,170,214 f; 77,381,405.
I. Gesetzeszwccke und Regelungsbereich des AtG
25
mithin nur eine verfassungsgerichtliche Evidenzkontrolle geben, da anderenfalls das BVerfG zum Ersatzgesetzgeber würde. 1I
2. Der Regelungbereich des § 7 AtG a) Abgrenzung § 7 AtG regelt die Genehmigung aller Anlagen, die bei der Kernenergienutzung eine Rolle spielen. Sämtliche Anlagen zur Uranerzaufbereitung, Konversion und Anreicherung 'Sind "Anlagen zur Erzeugung von Kernbrennstoffen" gemäß § 7 I Alt 1 AtG!9 Brennelementfabriken sind als "Anlagen zur Bearbeitung oder Verarbeitung von Kernbrennstoffen" (§ 7 I Alt 2 AtG) genehmigungsbedürftig. Ihre Genehmigungsfähigkeit richtet sich seit der Dritten Novelle zum AtG von 197520 ausschließlich nach § 7, nicht nach § 9 AtG. 21 Zu den "Anlagen zur Spaltung von Kernbrennstoffen" (§ 7 I Alt 3 AtG) gehören alle gängigen Typen von Kernkraftwerken, also solche mit Leichtwasserreaktor , mit Hochtemperaturreaktor und mit Brutreaktor. 22 "Anlagen zur Aufarbeitung bestrahlter Kernbrennstoffe" (§ 7 I Alt 4 AtG) sind nicht nur die Wiederaufarbeitungsanlagen i.e.S, sondern auch Fabriken zur Herstellung von MOX-Brennelementen. Denn die Herstellung neuer Brennelemente aus Plutonium und Uran, das in einer Wiederaufarbeitungsanlage gewonnen wurde, ist nur eine Stufe der Aufarbeitung. Die Gewinnung der beiden Stoffe aus den bestrahlten Brennelementen ist dazu nur eine Vorstufe. 23 Im Interesse des umfassenden Schutzes vor den möglichen Gefahren der Kernenergie nimmt das Gesetz Überschneidungen zwischen den vier Alternativen des § 7 I in Kauf. 24
Gemäß § 9a III 1 AtG haben die Länder für die auf ihrem Gebiet anfallenden radioaktiven Abfälle Sammelstellen zur Zwischenlagerung einzurichten. Für die Errichtung und den Betrieb dieser Sammelstellen verlangt § 9c AtG eine Genehmigung nach § 9 AtG oder § 3 StrlSchV. Die vom Bund zu errichtenden Endlagerstätten (§ 9a III AtG) bedürfen gemäß § 9b AtG einer Planfeststellung.
Ilvgl. Papier (1991-1),40; Wahl, VVDStRL 41,168. 1990
auch Luckow (1988), 97 f.
211sGBI 1,3162. 21 vgl.
die amtl. Begründung, BT-DrS. 7/3125,3; VGH Kassel, NVwZ-RR 1990,128,130.
22zu letzteren BVerfGE 49,89 ff. 23vgl.
2490
BVerwG, DVBI 1988,973,974; s. a. Luckow (1988),102.
BVerwG, DVBI 1988,973,974; s. a. Luckow (1988), 101; Kloepfer (1989), § 8, Nr. 21.
26
A. Genehmigung kemtechnischer Anlagen in der BRD
Bestrahlte Brennelemente sind so lange keine radioaktiven Abfälle, sondern Kernbrennstoffe gemäß § 2 I Nr. 1 AtG, wie sie noch nicht endgültig aus dem Brennstoffkreislauf ausgeschieden und für die Endlagerung vorgesehen sind. Deshalb fällt die Zwischenlagerung bestrahlter Brennelemente in externen Lagern nicht unter die §§ 9a ff AtG. 25 Zwar sind die Risiken, die von Landessammelstellen ausgehen, vergleichbar mit dem Gefahrenpotential eines Zwischenlagers für abgebrannte Brennelemente. Trotzdem wendet das BVerwG mit einem lakonischen Hinweis auf Wortlaut, Systematik und Entstehungsgeschichte die §§ 9a ff AtG auf externe Zwischenlager nicht analog an. Denn dadurch, daß die Errichtung von Landessammeistellen nach § 9c AtG zu genehmigen sei, werde nur ein Ausgleich dafür geschaffen, daß staatliche Bauvorhaben in der Regel nach Landesrecht keine Baugenehmigung benötigten. Außerdem werde der Strahlenschutz bei Brennelementezwischenlagern durch die Transportbehälter , bei Landessammelstellen jedoch auch durch die Gebäude gewährleistet. Somit bedürfe die Errichtung eines Transportbehälterlagers für bestrahlte Brennelemente nur einer Baugenehmigung. Darin müsse allerdings die beabsichtigte Nutzung der Anlage, d. h. die Einlagerung der Transportbehälter mit den bestrahlten Brennelementen unter den Vorbehalt der Genehmigung nach § 6 AtG gestellt werden. 26 b) Der Anlagenbegriff
Weder das AtG noch die AtVfV enthalten eine nähere Umschreibung des Anlagenbegriffs. Der Anlagenbegriff des AtG ist funktionsbezogen, nicht auf bestimmte Techniken zugeschnitten. v Was alles zur nach § 7 AtG genehmigungspflichtigen Anlage gehört, war daher lange Zeit umstritten. 28 Die Rspr. des BVerwG hat jedoch in den letzten Jahren viel zur Klärung beigetragen. Zunächst hat sich das BVerwG im Wybl-Urteil gegen den von einigen OVG vertretenen weiten und für einen "sicherheitstechnischen" Anlagenbegriff entschieden. Der Schutzzweck aus § 1 Nr. 2 AtG präge nämlich den Anlagenbegriff entscheidend. Zur Anlage gehören deshalb nach Ansicht des BVerwG neben dem Reaktor auch die mit diesem in einem räumlichen und betrieblichen Zusammenhang stehenden Einrichtungen, die einen gefahrlosen Betrieb des Reaktors erst ermöglichen. Hierzu zählen diejenigen Vorrichtungen, die erforderlich sind, um eine unzulässige radioaktive Strahlung 2580
BVcrwG, DVBI 1989,1056,1057.
:26ygl. BVcrwG, DVBI 1989,1058; so auch schon OVG Münster, NVwZ 1985,590; OVG Lüneburg, ET 1983,54. vvgl.BT-DrS 7/3125,3. 28Nachweise zum Streitstand bei Hacdrich (1986), Nr. 7 fzu § 7.
I. Gesetzcszwccke und Regelungsbereich des AtG
27
sowohl beim bestimmungsgemäßen Betrieb als auch bei einem Störfall auszuschließen. Beim Kernkraftwerk Wyhl wurde der Kühlturm nicht zu den Bestandteilen der Anlage nach § 7 I AtG gezählt. Denn wenn er ausfalle, müsse das Kernkraftwerk zwar abgeschaltet werden; für die dann erforderliche Nachwärmeabfuhr werde der Kühlturm aber nicht benötigt. 29 In diesem Fall der sog. Wechselkühlung sind die Auswirkungen des Kühlturms atomrechtlich nur im Rahmen der (nicht drittschützenden) Genehmigungsvoraussetzung des § 7 11 Nr. 6 AtG zu berücksichtigen. Die Errichtung und der Betrieb der Kühltürme bedarf einer immissionsschutzrechtlichen Genehmigung.30 § 7 I AtG unterscheidet die einzelnen Anlagentypen nach den darin ablaufenden kerntechnischen Prozessen Erzeugung, Verarbeitung, Spaltung und Aufarbeitung von Kernbrennstoffen, die mit spezifischen Gefahren verbunden sind. Diese Prozesse können aus mehreren Verfahrensschritten bestehen. Wenn nach dem konkreten Konzept des Errichters solche Verfahrensschritte räumlich und betrieblich zu einer Gesamtanlage zusammengefaßt werden, bildet diese die nach § 7 I AtG zu genehmigende "Anlage", auch wenn die einzelnen Verfahrensschritte in verschiedenen, allerdings durch den einheitlichen Betriebszweck verbundenen Teilanlagen ablaufen. Es kommt nicht darauf an, ob die Teilanlagen abstrakt auch räumlich und betrieblich getrennt angeordnet werden können und dann möglicherweise jeweils selbständig rechtlich zu beurteilen sind. Insoweit bestimmt der Genehmigungsantrag des Errichters im Rahmen des gesetzlichen Anlagenbegriffs den Genehmigungsgegenstand. Soweit sie der Abwehr nuklearspezifischer Gefahren dienen, prägen auch die Genehmigungsvoraussetzungen des § 7 11 AtG den Anlagenbegriff mit. Da die Umzäunung und die Anlagenwache auch den erforderlichen Schutz einer Wiederaufarbeitungsanlage gegen Störmaßnahmen und sonstige Einwirkungen Dritter gewährleisten sollen (§ 7 11 Nr. 5 AtG) , sind diese Einrichtungen Teile der Anlage gemäß § 7 I AtG. Diese Auslegung des Anlagenbegriffs gestattet es, in einem möglichst frühen Stadium des Verfahrens zu prüfen, ob ein aus mehreren, durch einen einheitlichen Betriebszweck verbundenen Teilanlagen bestehendes Vorhaben im ganzen genehmigungsfähig ist. Damit wird insbesondere dem Interesse der Drittbetroffenen an effizientem, d. h. frühzeitigem Rechtsschutz Genüge getan. 31
~VetwG OVBI 1986,190,198 gegen VGH Mannheim, OVBI 1976,538,545 und ET 1982, 849, 859 sowie gegen BayVGH, OVBI 1979, 673, 677; für den sichemeitstechnischen Anlagenbegriff auch Ronellenfitsch (1983),177 ff; Kröncke (1982),14. 3Oso
auch Rengeling, OVBI 1986,265 f.
JI SO
BVctwG, OVBI 1988,973,974 f gegen BayVGH, ET 1987,766,767 f.
A. Genehmigung kemtechnischer Anlagen in der BRD
28
c) Der Genehmigungspjlichl unterliegende TiUigkeiren
Gemäß § 7 I AtG braucht derjenige eine Genehmigung, der eine Anlage "errichtet, betreibt oder sonst innehat". Um der Sicherheit und um des 10vestitionsschutzes für den Antragsteller willen ist der Begriff der Errichtung weit auszulegen. Schon die ersten Arbeitsschritte vom Aushub der Baugrube an sind am Maßstab des AtG zu überprüfen. 32 "Betrieb" bedeutet, daß eine der in § 7 I genannten Tätigkeiten an oder mit Kernbrennstoffen aufgenommen wird, sei es auch nur zur Erprobung. 33 Mit dem "Innehaben" einer Anlage hat der Gesetzgeber einen Auffangtatbestand geschaffen, um die lückenlose staatliche Kontrolle für den gesamten Zeitraum sicherzustellen, in dem die Anlage vorhanden ist. Auch wenn die Anlage nicht mehr errichtet oder betrieben wird, soll eine atomrechtliche Verantwortung begründet werden. Träger dieser Verantwortung ist diejenige natürliche oder juristische Person, die die tatsächliche Sachherrschaft über die Anlage ausübt und die das wirtschaftliche Risiko trägt. 34 Die (dauernde und endgültige) Stillegung, der sichere Einschluß und die Beseitigung von Anlagen sind nach § 7 III AtG ebenfalls genehmigungspflichtig. d) Wesentliche Veritnderungen
Auch wenn eine Anlage oder deren Betrieb wesentlich verändert wird, bedarf dies nach § 7 I AtG einer Genehmigung. Gemeint sind nachträgliche Änderungen an einer bereits genehmigten Anlage. Denn die Formulierung des Regierungsentwurfs "Veränderungen an einer bestehenden Anlage" ist nur aus redaktionellen Gründen geändert worden. Genehmigungspflichtigen Änderungen können sich auf die Anlage, auf technische Einrichtungen oder auf den Betrieb beziehen. 3s Dadurch, daß auch für wesentliche Änderungen eine Genehmigung gefordert wird, soll sichergestellt werden, daß alle sicherheitsrelevanten Anlagenteile und Einrichtungen dem vorgeschriebenen Prüfverfahren unterzogen werden. Als "wesentlich" sieht die Rspr. deshalb solche Änderungen an, die mehr als nur offensichtlich unerhebliche Auswirkungen auf das Sicherheitsniveau der Anlage haben können und deshalb Anlaß zur erneuten Prüfung der Genehmigungsvoraussetzungen geben. Keine Rolle spielt, ob sie sicherheitsmindernd oder sicherheitserhöhend sind. Als wesentliche und damit genehmigungsbedürftige Änderung ist v. a. die Verwirklichung einzelner Maßnahmen des anlageninternen Notfallschutzes anzusehen, z. B. die Vorbereitung der Druckentlastung des Sicher-
3280
auch Haedrich (1986), Nr. 11. zu § 7 m. w. N.
33vgl.
Haedrich (1986), Nr. 12b zu § 7.
~gl. OVG Koblenz, ET 1983,155,156 m. w. N. 3Svgl.
zum Begriff der Änderung BT-DrS 31759, 23,50.
I. Gesetzeszwecke und Regelungsbereich des AtG
29
heitsbehälters über ein Filtersystem. 36 Die Errichtung von Kompaktlagergestellen für bestrahlte Brennelemente im Abklingbecken eines Kernkraftwerks bedarf ebenfalls einer Änderungsgenehmigung. 37 Die Genehmigungstähigkeit der Kompaktlagerung ist nur vom VG Darmstadt mit der Begründung verneint worden, daß das angeblich eindimensionale Anlagenkonzept des § 7 AtG die Zusammenfassung unterschiedlicher Anlagentypen in einer Anlage nicht zulasse. J8 Zwar könnten bestrahlte Brennelemente, solange sie wegen fehlender Wiederaufarbeitungskapazitäten nicht gemäß § 9a I Nr. 1 AtG wiederverwertet werden können, wegen ihres Anteils an Spaltprodukten auch als radioaktive Abtälle angesehen werden. Deshalb unterliegen sie grundsätzlich der Ablieferungspflicht aus § 9a 11 1 AtG. Allerdings kann gemäß § 9a 11 2 AtG auch etwas hiervon abweichendes, z. B. die Kompaktlagerung im Kernkraftwerk, bereits aufgrund des AtG selbst genehmigt werden. Dies kann in Form einer Zusatzgenehmigung gemäß § 7 AtG geschehen. 39 e) Die Genehmigungsvoraussetzungen des § 7 Il AtG
Die Genehmigungsvoraussetzungen des § 7 11 AtG richten sich unmittelbar an den Betreiber. Eine Genehmigung darf nur erteilt werden, wenn - keine Tatsachen vorliegen, aus denen sich Bedenken gegen die Zuverlässigkeit des Antragstellers und der für die Errichtung, Leitung und Beaufsichtigung des Betriebs der Anlage verantwortlichen Personen ergibt, und die für die Errichtung, Leitung und Beaufsichtigung des Betriebs der Anlage verantwortlichen Personen die hierfür erforderliche Fachkunde besitzen (Nr. 1); - gewährleistet ist, daß die beim Betrieb der Anlage sonst tätigen Personen die notwendigen Kenntnisse über einen sicheren Betrieb der Anlage, die möglichen Gefahren und die anzuwendenden Schutzmaßnahmen besitzen (Nr.2); - die nach dem Stand von Wissenschaft und Technik erforderliche Vorsorge gegen Schäden durch die Errichtung und den Betrieb der Anlage getroffen ist (Nr. 3);
36ebenso
Lukes (1989),63,76; vgl. auch Rengeling, DVBI 1988,261.
37so auch OVG Lüneburg, ET 1978,34,42; BayVGH, DVBI 1982,35,36; s. a. Kröncke (1982),52 f; Haedrich (1986), Nr. 6 zu § 6 je ffi. w. N.
J8vgl.
ET 1981,883,884; ähnlich auch G1eiml Winter, NIW 1980,1088 f.
39vgl. Fischerbof, ET 1981, 886; für Genehmigungsfähigkeit von Kompa1ctlagem auch Pelzer, NIW 1980,1505; Degenhart, ET 1983,237; Breuer, VerwArch 1981,276 f.
A. Genehmigung kemtechnischer Anlagen in der BRD
30
- die erforderliche Vorsorge für die Erfüllung gesetzlicher Schadensersatzverpflichtungen getroffen ist (Nr. 4); - der erforderliche Schutz gegen Störmaßnahmen oder sonstige Einwirkungen Dritter getroffen ist (Nr. 5); - überwiegende öffentliche Interessen, insbesondere im Hinblick auf den Schutz der Umwelt, der Wahl des Standorts der Anlage nicht entgegenstehen (Nr. 6). Wenn diese Voraussetzungen erfüllt sind, steht es im Ermessen der Behörde, die Genehmigung zu erteilen. Für andere atomrechtliche Verwaltungsakte bestehen vom Wortlaut her nahezu identische Vorschriften. Insbesondere finden sich Parallelvorschriften zu § 7 11 Nr. 3 in §§ 411 Nr. 3 Alt 2,6 11 Nr. 2, 9 11 Nr. 3 AtG und zu § 7 11 Nr. 5 in §§ 4 11 Nr. 5, 6 11 Nr. 4 und 9 11 N r. 5 AtG. Im folgenden sollen die drei anlagenbezogenen Genehmigungsvoraussetzungen in § 7 Nr. 3,5 und 6 näher betrachtet werden. Besonderes Augenmerk gilt dabei der Konkretisierung der in diesen Bestimmungen enthaltenen unbestimmten Rechtsbegriffe durch untergesetzliche Vorschriften. Außerdem ist zu untersuchen, inwieweit der Erlaß dieser untergesetzlichen Regelungen verfahrensrechtlich abgesichert ist. Ferner soll nachgezeichnet werden, wie sich insbesondere die Rspr. des BVerwG zu diesen Vorschriften entwickelt hat.
11. Die erforderliche Schadensvorsorge (§ 7 11 Nr. 3 AtG) 1. Gesetzliche Regelung Besondere praktische Bedeutung hat in atomrechtlichen Genehmigungsverfahren die Frage, ob die "erforderliche Vorsorge gegen Schäden durch die Errichtung und den Betrieb der Anlage" getroffen ist. Welche Vorsorge gegen Schäden erforderlich ist, dafür soll nach des § 7 11 Nr. 3 AtG der "Stand von Wissenschaft und Technik" maßgeblich sein. Auf einen vom OVG Münster gemäß Art 100 GG gefaßten Vorlagebeschluß 1 hin hatte das BVerfG zu prüfen, ob die Verwendung derart unbestimmter Rechtsbegriffe mit dem Bestimmtheitsgrundsatz sowie mit den Grundrechten vereinbar ist. Das BVerfG hat diese Fragen positiv beantwortet und sich dabei um eine verfassungskonforme Auslegung des § 7 11 Nr. 3 AtG bemüht.
lNIW 1978,439.
11. Die erforderliche Schadensvorsorge
31
a) Aussagen des BVeifG im Kalkar-Beschluß NormaleIWeise werden im technischen Sicherheitsrecht gesetzliche Anforderungen, mit denen Schäden durch technische Anlagen oder Verfahren vermieden werden sollen, nach dem Prinzip von Versuch und Irrtum aufgestellt. Der Ablauf von in der Vergangenheit liegenden Schadensfällen wird dazu analysiert, und die Ergebnisse dieser Untersuchungen werden in neue Sicherheitsvorkehrungen umgesetzt, damit gleichartige Unfälle in Zukunft ausgeschlossen sind. Im Atomrecht ist diese Methode jedoch nicht anwendbar. Denn angesichts der potentiell katastrophalen Schadensausmaße darf es gar nicht erst zu einem schweren Unfall in einer kerntechnischen Anlage kommen. Die kerntechnische "Sicherheitsphilosophie " erhebt deshalb den Anspruch, alle vernünftigeIWeise möglichen Fehlerquellen durch Systemanalysen gedanklich vOlWegzunehmen und ausreichende Sicherheitsvorkehrungen bei der Auslegung der Anlage vorzusehen. 2 Das BVerfG war der Ansicht, daß dieser Prozeß einer fortlaufenden Optimierung der Sicherheitsanstrengungen durch die Anknüpfung an den Stand von Wissenschaft und Technik normativ gesteuert werden könnte, und daß deshalb dem Bestimmtheitsgrundsatz Genüge getan sei. Denn wenn ein Gesetz auf den Stand der Technik Bezug nimmt, wird nach Ansicht des BVerfG3 vermieden, daß "die Rechtsordnung ... stets hinter der technischen Entwicklung hinterberbinkt." ... "Der Maßstab für das Erlaubte und Gebotene wird hierdurch an die Front der technischen Entwicklung verlagert, da die allgemeine Anerkennung und die praktische Bewährung allein für den Stand der Technik nicht ausschlaggebend sind .... Mit der Bezugnahme auch auf den Stand der Wissenschaft übt der Gesetzgeber einen noch stärkeren Zwang dahin aus, daß die rechtliche Regelung mit der wissenschaftlichen und technischen Entwicklung Schritt hält. Es muß diejenige Vorsorge gegen Schäden getroffen werden, die nach den neuesten wissenschaftlichen Erkenntnissen für erforderlich gehalten wird." ... "Diein die Zukunft hin offene Fassung des § 7 11 Nr. 3 AtG dient einem dynamischen Grundrechtsschutz. Sie hilft, den Schutzzweck des § I Nr. 2 AtG jeweils bestmöglich zu verwirklichen. Die gesetzliche Fixierung eines bestimmten Sicherbeitsstandards ... würde demgegenüber ... die technische Weiterentwicklung wie die ihr jeweils angemessene Sicherung der Grundrechte eher hemmen als fördern. . .. Mit der Anknüpfung an den Stand von Wisscnschaft und Technik legt das Gesetz ... die Exekutive auf den Grundsatz der bestmöglichen Gefahrenabwehr und Risikovorsorge fest .... Nur eine fortlaufende Anpassung der für eine Risikobeurteilung maßgeblichen Umatände an den jeweils neuesten Erkenntnisstand vermag ... dem Grundsatz der bestmöglichen Gefahrenabwehr und Risikovorsorge zu genügen. Diesc Beurteilung in die Hand der Exekutive zu geben, deren rechtliche Handlungsformen sie für die erforderliche Anpassung sehr viel besser ausrusten als den Gesetzgeber, dient auch insoweit einer Dynamisierung des Rechtsgüterschutzes. Daß die Exekutive dabei alle wisschaftlich und technisch vertretbaren Erkenntnisse heranzuziehen und willkürfrei zu verfahren hat, bedarf keiner besonderen Betonung." ... "Durch die Verwendung unbestimmter Rechtsbegriffe werden die Schwierigkeiten der verbindlichen Konkretisierung und der laufenden Anpassung an die wisscnschaftli-
~gl. zur "Sicherbeitsphilosophie" ausführlich Birkhofer (1989),25 ff; zu deren Wandlungen vom Ziel inhärenter Sicherheit hin zum Konzept der "technischen Sicherbeitsvorkehrungen" Radbu (1989),94 ff. 3vgl.
BVerfUE 49,89,134 ff (Kalbr); Hervorbebungen im Original.
32
A. Genehmigung kerntechnischer Anlagen in der BRD
che und technische Entwicklung mehr oder weniger auf die administrative und - soweit es zu Rechtsstreitigkeiten kommt - auf die judikstive Ebene verlagert. Behörden und Gerichte müssen mithin das Regelungsdeftzit der normativen Ebene ausgleichen." ... "Dabei kann hier offenbleiben, wo im Hinblick auf Art 19 IV GG bei der Bewertung technischer Normen und Standards für die Einschätzung künftiger Schadensmöglichkeiten die Grenzen richterlicher Nachprüfungspflicht liegen, und ob sich die Gerichte ... darauf beschränken dürfen zu prüfen, ob bei Kenntnislücken und Unsicherheiten im Bereich der naturwissenschaftlichen und technischen Feststellungen und Beurteilungen die Grenzen der sich hieraus ergebenden "Bandbreite" eingehalten worden sind." ... § 7 n Nr. 3 AtG nimmt "einen Restschaden aus der Errichtung oder dem Betrieb einer Anlage nicht in Kauf." Die Vorschrift läßt allerdings eine Genehmigung dann zu, "wenn die Wahrscheinlichkeit eines künftigen Schadens nicht mit letzter Sicherheit auszuschließen ist. Das Gesetz trim nicht selbst die Bestimmung darüber, welches Restrisiko ... noch hingenommen werden darf; für bestimmte Risikobereiche enthält es insoweit Ermächtigungen zum Erlaß von Rechtsverordnungen (vgl. §§ 10 bis 12 AtG). Das Gesetz überläßt es damit weithin der Exekutive, sei es im Wege der Rechtsverordnung nach Maßgabe der einschlägigen Ermächtigung, sei es bei der Einzeientscheidung über eine Anlage, über Art und insbesondere über das Ausmaß von Risiken, die im Einzelfall hingenommen ... werden, zu befinden." ... Das Gesetz schließt "die Genehmigung dann aus, wenn die Errichtung oder der Betrieb der Anlage zu Schäden führt, die sich als Grundrechtsverletzungen darstellen. Das Gesetz nimmt insoweit jedenfalls keinen anlagespezifischen Rest- oder Mindestschaden irgendwelcher Art in Kauf, der im Lichte dea Grundrechts des Art 2 n I GG oder anderer Grundrechte als Grundrechtsverletzung anzusehen wäre." "Aus dem Schutzzweck des § I Nr. 2 und 3 AtG sowie aus den damit verbundenen Grundsätzen der Gefahrenabwehr und der Schadensvorsorge in § 7 n AtG" ergibt sich "hinreichend deutlich, daß die ... Wahrscheinlichkeit eines Schadenseintritts so gering wie möglich ... sein muß, und zwar umso geringer, je schwerwiegender die Schadensart und die Schadensfolgen ... sein können." ... "Vom Gesetzgeber im Hinblick auf seine Schutzpflicht eine Regelung zu fordern, die mit absoluter Sicherheit Grundrechtsgefährdungen ausschließt, ... , hieße die Grenzen menschlichen Erkenntnisvermögens verkennen und würde weithin jede staatliche Nutzung von Technik verbannen .... Für die Gestaltung der Sozialordnung muß es insoweit bei Abschätzungen anband praktischer Vernunft bewenden. Was Schäden an Leben, Gesundheit und Sachgütern anbetrim, so hat der Gesetzgeber durch die ... Grundsätze der bestmöglichen Gefahrenabwehr und Risikovorsorge einen Maßstab aufgerichtet, der Genehmigungen nur dann zuläßt, wenn es nach dem Stand von Wissenschaft und Technik praJaisch ausgeschlossen erscheint, daß solche Schadensereignisse eintreten werden .... Ungewißheiten jenseits dieser Schwelle praktischer Vernunft haben ihre Ursache in den Grenzen menschlichen Erkenntnisvermögens; sie sind unentrinnbar und insofern als sozialadäquate Lasten von allen Bürgern zu tragen. "
Mit dem Kalkar-Beschluß steht für die Praxis fest, daß die Genehmigung einer kerntechnischen Anlage nicht zu einem Restschaden führen darf, der als Grundrechtsverletzung oder erhebliche Grundrechtsgefährdung4 anzusehen wäre. Daß Grundrechtsgefährdungen mit absoluter Sicherheit ausgeschlossen sind, ist jedoch verfassungsrechtlich nicht geboten. Vielmehr läßt das GG es zu, der Bevölkerung und dem einzelnen Bürger ein "Restrisiko" aufzuerlegen. 5 Deshalb darf die Errichtung und der Betrieb kerntechnischer Anlagen gemäß § 7 AtG genehmigt werden, ohne daß diese Genehmigun-
"vgl. BVerfUE 49, 141. 5vgl. BVcrfUE 49,141,143; vgl auch Schattke, DVBI 1979,658; Breuer, DVBI 1978,835 ff; Ronellenfitsch (1983), 219,260; s. a. Degenbart (1982), 146 ff; Ossenbühl, DÖV 1981,3; Marburger (1983),71; Richter (1985),49; Lawrence (1989), 124 ff; Weber (1984),88.
ß. Die erforderliche Schadensvorsorge
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gen bereits mit der Begründung angegriffen werden könnten, daß eine solche Anlage absolut sicher sein müsse, diese Sicherheit auf dem Gebiet der Kerntechnik allerdings nicht erreicht werden könne. 6 Auf die allgemein mit der Kernenergienutzung verbundenen Risiken kann sich also ein Kläger regelmäßig nicht berufen. Das Restrisiko, das bleibt, wenn gegen alle erkannten Ursachen für Störfälle effektive Vorkehrungen getroffen sind, begründet keine Klagebefugnis. 7 Außerdem bestehen nach Ansicht des BVerfG keine verfassungsrechtlichen Bedenken dagegen, daß § 7II Nr. 3 AtG es in weitem Umfang der Exekutive und, sofern es zum Prozeß kommt, den Gerichten überläßt, die erforderlichen Sicherheitsvorkehrungen festzulegen und sie an die naturwissenschaftliche und technische Entwicklung anzupassen. b) Widersprüche und Unklarheiten
Die Kalkar-Entscheidung hat jedoch mehrere Fragen von großer praktischer Bedeutung offengelassen. Ausdrücklich nicht entschieden ist, daß die Gerichte nur prüfen dürfen, ob die Entscheidung der Genehmigungsbehörde innerhalb der "Bandbreite" vertretbarer Auffassungen der Naturwissenschaften liegt. Aber auch was die Dynamik des Grundrechtsschutzes und die Höhe des von Verfassungs wegen hinzunehmenden Restrisikos angeht, findet sich in dem Beschluß manche Unklarheit. aa) Die "Dynamik" des Grundrechtsschutzes8 Durch die Kalkar-Entscheidung ist nicht geklärt, ob nach dem Prinzip des "dynamischen Grundrechtsschutzes" lediglich die jeweils neuesten wissenschaftlichen Erkenntnisse und technischen Möglichkeiten zur Aufrechterhaltung eines gleichbleibenden Sicherheitsstandards heranzuziehen sind. Für diese Interpretation spricht, daß die Entscheidung z. B. die "jeweils angemessene Sicherung der Grundrechte" und die "laufende Anpassung an den jeweils neuesten Entwicklungsstand" verlangt sowie fordert, daß "die rechtliche Regelung mit der technischen und wissenschaftlichen Entwicklung Schritt" hält. Dann würde der begriffliche Aufwand, den das BVerfG betrieben hat, nur dazu dienen, auch für das Atomrecht die Geltung des selbstverständlichen Grundsatzes zu betonen, daß bei der Gefahrenabwehr alle jeweils vorhandenen Erkenntnisse zu berücksichtigen sind.
690 Z. B. OVG Koblenz, Er 1982,251 f; BayVGH, Er 1979,490 f; VG Schleswig, NIW 1980,1296. 7vg l.
BVerwG, Er 1980,506 f.
8vg l.
dazu Roßnagel, NVwZ 1984,138 ff m. w. N.
3 Heitsch
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A. Genehmigung kerntechnischer Anlagen in der BRD
Allerdings deutet v. a. der vom BVerfG postulierte Zweck des "dynamischen Grundrechtsschutzes" , den Schutzzweck des § 1 Nr. 2 AtG "jeweils bestmöglich zu verwirklichen" eher darauf hin, daß es dem BVerfG auf eine Erhöhung des Sicherheitsniveaus entsprechend den neuesten Erkenntnissen der sicherheitstechnischen Forschung ankommt. Da all diese Formeln in der Entscheidung unverbunden nebeneinanderstehen, ergibt sich kein eindeutiges Bild. Auch mit Hilfe des "Stands von Wissenschaft und Technik" läßt sich nur bestimmen, welche Risiken von einem bestimmten Anlagentyp ausgehen. Ob jedoch die Sicherheitsvorkehrungen derart an neue technische Entwicklungen oder naturwissenschaftliche Erkenntnisse anzupassen sind, daß das Sicherheitsniveau konstant bleibt, oder ob das Risiko entsprechend den neuesten technisch-wissenschaftlichen Möglichkeiten ständig weiter reduziert werden muß, dafür gibt diese Formel keinerlei Hinweise. Schließlich muß auch offenbleiben, ob der "dynamische Grundrechtsschutz" Gefahrenabwehr im Sinne einer Erhaltung des vorhandenen Bestands an Rechtsgütern oder Vorsorge im Sinne einer ständigen Verminderung der von der Technik ausgehenden Risiken fordert. Denn das BVerfG hat diese bei den einander widersprechenden Begriffe zum "Grundsatz der bestmöglichen Gefahrenabwehr und Risikovorsorge" verbunden. bb) Der Maßstab für das Restrisiko9 Die Grundsätze der "bestmöglichen Gefahrenabwehr und Risikovorsorge" sowie des "dynamischen Grundrechtsschutzes" sind gemäß der Kalkar-Entscheidung begrenzt durch das als sozialadäquat hinzunehmende Restrisiko. § 7 11 Nr. 3 AtG läßt eine Genehmigung nämlich zu, solange es "praktisch ausgeschlossen erscheint, daß ... Schadensereignisse eintreten", 10 oder anders ausgedruckt, "wenn die Wahrscheinlichkeit eines künftigen Schadens nicht mit letzter Sicherheit auszuschließen ist. "li Demnach gehören zum Restrisiko anscheinend diejenigen erkannten oder erkennbaren Schadensmöglichkeiten, die wegen ihrer äußerst geringen Eintrittswahrscheinlichkeit als vernachlässigbar angesehen werden können. Mit dieser Deutung unvereinbar ist es jedoch, wenn das BVerfG als Begründung anführt, daß "Ungewißheiten jenseits dieser Schwelle praktischer Vernunft" ihre Ursache "in den Grenzen des menschlichen Erkenntnisvermögens" hätten. 12 Nach dieser Formulierung wären Restrisiko nur die nicht erkannten Schadensmöglichkeiten. Dagegen müßten alle Ereignisabläufe verhindert werden, bei denen
9vg l.
dazu Roßnagel, NVwZ 1984,140 f.
llIsVerfGE 49,89,143 unter Verweisung auf Breuer, DVBI 1978,835. llBVerfGE 49,89,137. 12BVerfGE 49,89,143.
ß. Die erforderliche Schadensvorsorge
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über die schadensstiftende Kausalkette Erkenntnisse oder wenigstens Hypothesen bestehen, unabhängig von ihrer Eintrittswahrscheinlichkeit. Auch gegen extrem unwahrscheinliche Schadensfälle (Absturz eines Großraumflugzeugs, Kernschmelzunfall mit Dampfexplosion) wären effektive Sicherheitsvorkehrungen zu treffen. Wenn solche Ereignisse als "praktisch ausgeschlossen" angesehen werden, dann nicht deshalb, weil ihr Eintritt jenseits der Grenzen menschlichen Erkenntnisvermögens liegt, sondern weil Sicherheitsvorkehrungen angesichts der äußerst geringen Wahrscheinlichkeit, daß so ein Ereignis stattfindet, unwirtschaftlich sind. Das BVerfG hat sich nicht für eine dieser einander ausschließenden Definitionen des Restrisikos entschieden, sondern sie nebeneinandergestellt. Dadurch bleibt es den Genehmigungsbehörden, wissenschaftliche Beratungsgremien und Verwaltungsgerichten überlassen festzulegen, nach welchem Maßstab das Restrisiko bemessen werden soll. Die Formel vom Schadensausschluß nach dem Maßstab praktischer Vernunft ist auch deshalb problematisch, weil sie verschleiert, daß Grundrechtsgefährdungen wegen möglicher Groß schäden in Wirklichkeit doch nicht ausgeschlossen sind; außerdem entbindet sie die Genehmigungsbehörden von der ihnen und den Gerichten durch das normative Regelungsdefizit zugewiesenen Aufgabe, den verhältnismäßigen Ausgieich 1J zwischen den hingenommenen Grundrechtsgefährdungen und den die Kernenergienutzung rechtfertigenden Verfassungswerten zu rechtfertigen. 14
c) Zur Lehre vom Situationsvorbehalt Daß die Genehmigung kerntechnischer Anlagen den Schutzbereich des Grundrechts auf Leben und körperliche Unversehrtheit berührt, wird mit dem Hinweis auf die grundrechtliche Situationsbedingtheit durch technischzivilisatorische Risiken bestritten. 1S In der Grundsatzentscheidung für die Nutzung der Kernenergie, der politisch-planerischen Entscheidung für bestimmte Technologien sowie der Bestimmung des Bedarfs an Kernenergie in Energieprogrammen liege die Zulassung der damit notwendig verbundenen Risiken. 16 Die für den Inhalt grundrechtlicher Schutzanforderungen und subjektiver Abwehrrechte maßgebliche Situation der technisch-zivilisatorischen Entwicklung werde durch diese Entscheidungen dahingehend ge-
13S •
dazu aIlgemein Hesse (1990), Rdnr. 317 fm. s. N.
14vgl. zu diesem Auftrag Steinberg (1991),103 ff m. w. N.; als die Tatsachen verschleiernde Leerfonnel sehen den Standard der praktischen Vernunft auch Murswiek (1991), 157; Sommer, DöV 1981,660; Hofmann, BayVBI 1983,37;vgl.auch Kloepfer (1989), § 18,Rdnr. 16; Lukes (1989),66,73.
lSinsbesondere von Degenhart (1982),147 ff; ihm folgend Weber (1984),66. 16vgl.
Degenhart (1982), 117 ff, 121 f.
36
A. Genehmigung kemtechnischer Anlagen in der BRD
prägt, daß die mit ihnen verbundenen Risiken kein Grundrechtseingriff, sondern eine sozialadäquate immanente Begrenzung grundrechtlicher Positionen seien. Das Grundrecht aus Art 2 11 1 GG stehe unter dem Vorbehalt dieser sozialadäquaten technisch-zivilisatorischen Risiken. 17 Da somit grundrechtliche Individualansprüche ihre Schutzwirkung auf der Grundlage der vorgegebenen Grundrechtssituation entfalteten, liege in der Gestaltung dieser Situation durch die einzelne Anlagenfenehmigung keine Beeinträchtigung individueller Grundrechtspositionen. 1 Diese Ansicht soll dem vom BVerfG postulierten "dynamischen Grundrechtsschutz" entsprechen, da diese Formel auch die mit der technisch-zivilisatorischen Entwicklung verbundenen neuartigen Grundrechtsrisiken erfasse. 19 Im Zusammenhang mit dem "dynamischen Grundrechtsschutz" redet das BVerfG in der Tat von der der technischen Weiterentwicklung "jeweils angemessenen Sicherung der Grundrechte";~ die Formel vom "dynamischen Grundrechtsschutz" ist damit für sich genommen auch für die von Degenhart vorgeschlagene Interpretation offen. Mit der Entscheidung zugunsten der Kernenergienutzung hat der Gesetzgeber die damit verbundenen Risiken jedoch gerade nicht akzeptiert. Denn das AtG ist hinsichtlich der Risikoakzeptanz offen. Das Gesetz überläßt es nämlich der Exekutive, das hinzunehmende Restrisiko festzulegen. Damit enthält es sich gerade einer eigenen Risikoakzeptanz. 21 Und die rechtlich unverbindlichen22 Energieprogramme und Bedarfspläne können keine immanente Begrenzung für das unter Gesetzesvorbehalt stehende Grundrecht aus Art 2 11 1 GG sein. Angesichts möglicher Großschäden23 und auch bei kleinsten Strahlendosen nicht auszuschließender stochastischer Effekte24 in Gestalt von strahleninduziertem Krebs, Leukämie und genetischen Mutationen bleibt es dabei, daß die Nutzung der Kernenergie den Schutzbereich des Grundrechts auf Leben und körperliche Unversehrtheit berührt. 2S Die Frage, in welchem Verhältnis die von kerntechnischen Anlagen ausgehenden Risiken zu anderen Lebensrisiken stehen, hat nichts damit zu tun, ob durch künstliche Strahlenbelastungen der Schutzbereich des Grundrechts berührt wird. Ein Vergleich mit anderen Risiken spielt erst bei der Prüfung eine Rolle, ob die 1790
Oegenhart (1982), 148.
18vgl.
Degcnhart (1982), 154 f.
I~n diesem Sinne Degenhart (1982), 148 mit Fn. 20. ~vgl. BVerfGE 49,89, 134. 21 90
auch Luckow (1988),90 f.
220ies
23vgl.
räumt Degenhart (1982), 122 selbst ein.
BMFf (1980),206, 21l.
24vgl.Streffer (1989),143,145 f; Steinberg (1991),70 m.w.N. 2Sso
auch Steinberg (1991),91 m. w. N; Baumann, JZ 1982,755; Papier (1991-1),39.
n.
Die erforderliche Schadensvorsorge
37
mit der Kernenergienutzung verbundene Grundrechtsgefährdung durch die Förderung anderer Rechtsgüter von Verfassungsrang gerechtfertigt wird. 26 Daß die Risiken der Kernenergienutzung Grundrechtsgefährdungen sind, läßt sich auch nicht unter Berufung auf Art 74 Nr Ha GG verneinen. 21 Zwar mögen Kompetenzvorschriften als Sekundärfunktion die verfassungsrechtliche Möglichkeit begründen, die zugewiesene Kompetenz überhaupt wahrzunehmen. Aber bei Ausübung seiner Befugnis muß der Gesetzgeber seine Pflicht zum Schutz von Leben und körperlicher Unversehrtheit beachten; diese Verpflichtung ist mit anderen Verfassungsgütern zum Ausgleich zu bringen und kann z. B. die Beschränkung auf Anlagen mit gegenüber heutigen Druckwasserreaktoren geringerem Schadenspotential fordern. 28
2. Konkretisierung durch die Strahlenschutzverordnung In § 12 I AtG hat der Gesetzgeber die Exekutive u. a. dazu ermächtigt, die unbestimmten Rechtsbegriffe in § 7 11 Nr. 3 AtG durch Rechtsverordnung zu konkretisieren. Ermächtigungsadressat ist die Bundesregierung, die ihre Normsetzungsbefugnis auf den für kerntechnische Sicherheit und Strahlenschutz zuständigen Bundesminister delegieren kann (§ 54 I i. V. m. III AtG). Die Rechtsverordnungen bedürfen gemäß § 54 11 AtG der Zustimmung des Bundesrats; dies gilt nicht, wenn in den Rechtsverordnungen festgelegte physikalische, technische oder strahlenbiologische Werte durch andere Werte ersetzt werden. Aufgrund der Ermächtigung des § 12 I AtG ist bislang nur29 die Strahlenschutzverordnung30 ergangen. Für weitere sicherheitsrelevante Rechtsverordnungen ist § 12 I AtG bisher nicht genutzt worden. Insbesondere ist die nach § 7 11 N r. 3 AtG •erforderliche Vorsorge gegen Schäden· nicht in einer Reaktorsicherheitsverordnung festgeschrieben worden, obwohl § 12 I Nr. 1 AtG hierzu ausdrücklich ermächtigt. 31
260ies verkennt Weber (1984),68 f; richtig Hofmann (1981),307; Steinberg (1991),97. 2180 aber Lawrence (1989), 130 f.
28ebenso Steinberg (1991),99 f. 2980
auch Marburger (1983),129; Luckow (1988),180.
~.d.F.der Bek. vom 30.06.1989, BGBI I, 1962. 31 ebenso
Luckow (1988), 180.
38
A. Genehmigung kemtechnischer Anlagen in der BRD
a) Dosisgrenzwerte
Die Strahlenschutzverordnung legt Dosisgrenzwerte für die unterschiedlichen Betriebszustände fest. Man unterscheidet drei Betriebszustände, nämlich den bestimmungsgemäßen Betrieb, den Störfall und den Unfall. 32 "Störfall" ist in Anlage I zu § 2 I StrlSchV definiert als "Ereignisablauf, bei dessen Eintreten der Betrieb der Anlage ... aus sicherheitstechnischen Gründen nicht fortgeführt werden kann und für den die Anlage auszulegen ist. "Ein "Unfall" ist dagegen ein "Ereignisablauf, der für eine oder mehrere Personen eine die Grenzwerte der Anlage X Tabelle X 1 Spalte 2 übersteigende Strahlenexposition zur Folge haben kann." Zum "bestimmungsgemäßen Betrieb" zählen die "Sicherheitskriterien für Kernkraftwerke" den Normalbetrieb, den anomalen Betrieb, dessen Fortführung sicherheitstechnisch unbedenklich ist, sowie Instandhaltungsvorgänge (Inspektion, Wartung, Instandsetzung). 33 aa) Dosisgrenzwerte für den bestimmungsgemäßen Betrieb
Für den bestimmungsgemäßen Betrieb kerntechnischer Anlagen setzt § 45 I 1 StrlSchV für Bereiche, die nicht Strahlenschutzbereiche sind, folgende Dosisgrenzwerte pro Jahr fest: - effektive Dosis, Teilkörperdosis für Keimdrüsen, Gebärmutter, Knochenmark: 0,3 mSv;34
rotes
- Teilkörperdosis für alle Organe und Gewebe, soweit nicht unter oder Nr. 3 genannt: 0,9 mSv;
Nr. 1
- Teilkörperdosis für Knochenoberfläche, Haut: 1,8 mSv. In Anlage X Tabelle X 1 Fußnote 1 und Tabelle X 2 zu § 45 StrlSchV ist das Verfahren zu Berechnung der effektiven Dosis bei einer Ganz- oder Teilkörperdosis geregelt. Die Summe der hiernach ermittelten Beiträge zur effektiven Dosis darf den Grenzwert der effektiven Dosis nicht überschreiten. Die Summe der Teilkörperdosen eines Körperteils darf den zugehörigen Grenzwert der Teilkörperdosis nicht überschreiten. Mit der Novellierung der StrlSchV im Jahre 1989 wurde das Strahlenschutzkonzept der effektiven Dosis eingeführt. In Anlage I zu § 2 I StrlSchV ist die effektive Dosis definiert als "die Summe der nach Anlage X Tabelle X 2 gewichteten mittleren Äquivalentdosen in den einzelnen Organen und Geweben." Das bis 1989 geltende Konzept der Ganzkörperdosis beruhte auf der Annahme 3~gl. Marlmrger (1983), 76. 33vgl. die "Sicherheitskriterien für Kernkraftwerke", BMU-Handbuch (=Anhang), Nr.3.1.
341 mSventspricht
100 mrem.
ß. Die erforderliche Schadensvorsorge
39
einer gleichmäßigen Belastung des Körpers durch eine bestimmte Strahlendosis. Nunmehr wird dagegen die besondere Empfindlichkeit bestimmter Organe und Gewebe gegenüber gewissen Radionukliden berücksichtigt. 35 Die effektive Dosis gibt damit die Ganzkörperbelastung einer exponierten Person wirklichkeitsnäher wieder als die Ganzkörperdosis. Der BMU hat Dosisfaktoren bekanntgemacht, die bestimmen, wie die dem Körper zugeführte oder auf ihn einwirkende Radioaktivität zu Körperdosen umgerechnet wird. 36 In Anlage XI zu § 45 11 StrlSchV sind die Grundzüge des radioökologischen Berechnungsverfahrens festgelegt, u. a. die Expositionspfade und die Lebens- und Ernährungsgewohnheiten des zu betrachtenden Durchschnittsmenschen ("Referenzperson"). Die Bundesregierung wird in § 45 11 2 StrlSchV ermächtigt, in allgemeinen Verwaltungsvorschriften mit Zustimmung des Bundesrates die erforderlichen Detailregelungen über das Berechnungsverfahren zu treffen. Gemäß § 45 11 StrlSchV können die Genehmigungsbehörden davon ausgehen, daß die Dosisgrenzwerte eingehalten werden, wenn "das unter Zugrundelegung der allgemeinen Verwaltungsvorschriften nachgewiesen wurde."
Die Strahlenexposition ist nach § 45 11 1 StrlSchV rur eine Referenzperson an den ungünstigen Einwirkungsstellen zu berechnen. Wenn an diesen Stellen Vorbelastungen durch andere nach den §§ 6, 7, 9 AtG oder §§ 3,4 I, 16, 17 StrlSchV genehmigungspflichtige Anlagen oder Vorhaben bestehen, sind diese bei der Berechnung zu berücksichtigen. § 45 StrlSchV soll nach der Systematik der Verordnung vor schädlichen Wirkungen ionisierender Strahlen schützen, die beim bestimmungsgemäßen Betrieb kerntechnischer Anlagen abgegeben werden. Deshalb sollen nach h. M. Vorbelastungen aus Stör- oder Unfällen nicht zu berücksichtigen sein. Da die StrlSchV gemäß ihrem § 1 I Nr. 2 nur rur inländische kerntechnische Anlagen gilt, sollen erst recht die Vorbelastungen außer Betracht bleiben, die aus dem Unfall im sowjetischen Kernkraftwerk Tschernobyl herrühren. 37 bb) Störfallplanungsdosen Für Srorfälle gelten gemäß § 28 III 1 StrlSchV die Grenzwerte der Anlage X Tabelle X 1 Spalte 2, die sogenannten Srorfallplanungsdosen. Die Teilkörperdosis rur die Schilddrüse darf in Abweichung von der Tabelle nur 150 mSv betragen (§ 28 III 2 StrlSchV). Diese Werte sind ausdrücklich nur
35vg l.
czajka, NVwZ 1989,1126.
36vg l.
BAnz Nr. 185A vom 30.09.1989.
3790 OVG Lüneburg, NVwZ 1987,75 f; BVerwG, DVBI 1991,883 ff; a. A. VG Regensburg, NVwZ 1989,1195 ff.
40
A. Genehmigung kemtechnischer Anlagen in der BRD
für Stärfälle in oder an einem Kernkraftwerk in dessen Umgebung verbindlich. Für andere Anlagen nach § 7 AtG ist die Genehmigungsbehörde ermächtigt, "auch andere Grenzwerte" festzusetzen. Dabei muß sie insbesondere das Gefährdungspotential dieser Anlagen sowie die Eintrittswahrscheinlichkeit für einen Störfall berücksichtigen (§ 28 III 5 StrlSchV). Um Störfallplanungswerte für andere Anlagen als für Kernkraftwerke zu bestimmen, muß die Genehmigungsbehörde also einen Risikovergleich durchführen. Sie muß jeweils das Risiko, d. h. das Produkt aus dem Schadensausmaß und der Eintrittswahrscheinlichkeit für beide Anlagen ermitteln und die Ergebnisse miteinander vergleichen. Ist das Risiko der anderen Anlage kleiner als dasjenige eines Kernkraftwerks, können die Werte für diese Anlage größer sein als die in § 28 III 1 StrlSchV festgelegten; im umgekehrten Fall müssen die Grenzwerte für die andere Anlage kleiner sein als diejenigen für ein Kernkraftwerk. 38 b) .Strahlenschutzgrundstitze § 28 I StrlSchV verpflichtet dazu,
- "jede unnötige Strahlenexposition oder Kontamination von Personen, Sachgütem oder der Umwelt zu vermeiden" (Nr. 1; Vermeidungsgebot) sowie - "jede Strahlenexposition oder Kontamination unter Beachtung des Standes von Wissenschaft und Technik und unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls auch unterhalb der in dieser Verordnung festgelegten Grenzwerte so gering wie möglich zu halten" (Nr. 2; Minimierungsgebot). Die Vermeidungspflicht setzt voraus, daß eine Strahlenexposition oder Kontamination "unnötig" ist, Dies ist der Fall, wenn - das angestrebte Ziel auch ohne oder - mit geringerer Strahlenexposition oder Kontamination erreichbar isr9 , oder - das angestrebte Ziel die Strahlenexposition oder Kontamination nicht rechtfertigt, d. h. wenn das mit der Strahlenexposition oder Kontamination verbundene Risiko größer ist als der Nutzen des angestrebten Ziels. 40
38vgl. 39so
Luckow (1988), 18S f.
auch Luckow (1988), 186 m. w. N.
4Oebenso
Luckow (1988), 186 f; Lukes (1980), 180 f.
11. Die erforderliche Schadensvorsorge
41
Demgegenüber ist die Minimierungspflicht enger. Hier geht es nur darum, jede Strahlenexposition oder Kontamination so gering wie möglich zu halten. 41 Daß § 28 I StrlSchV alle Tätigkeiten i. S. v. § 1 StrlSchV42 in Bezug nimmt, ist ein erstes Argument dafür, daß für Errichtung und Betrieb von Anlagen (§ 7 AtG) nicht nur die Minimierungspflicht43 , sondern auch die Vermeidungspflicht gilt. 44 Dies folgt auch aus der amtlichen Begründung zur ursprünglichen Fassung der StrlSchV, wonach •diese Forderungen· auch bei der Planung von Anlagen gelten sollen. 45 Angesichts der Tatsache, daß § 28 I StrlSchV hiernach ausdrücklich als Interpretationsmaxime für alle strahlenschutzrechtlichen Vorschriften dienen soll, verlieren die systematischen Erwägungen, die Luckow46 für seine Auffassung sprechen läßt, stark an Gewicht. Dadurch, daß § 28 I auf § 1 StrlSchV verweist, werden alle in § 1 Nm. 1 bis 3 StrlSchV genannten Tätigkeiten bei der Anwendung der beiden Strahlenschutzgrundsätze vorausgesetzt. Es kann also keine dieser Aktivitäten mit der Begründung für grundsätzlich unzulässig erklärt werden, daß die mit ihr verbundene Strahlenexposition oder Kontamination unnötig sei. 41 Vielmehr sind das Vermeidungs- und das Minimierungsgebot bei der Planung dieser Aktivitäten zu berücksichtigen. 48 Bei jedem Tätigkeitsschritt, bei jedem Errichtungs- oder Betriebsvorgang einer Anlage i. S. v. § 7 AtG ist im Rahmen seiner Planung zu untersuchen, ob damit notwendigerweise eine Strahlenexposition oder Kontamination verbunden ist. Alle Vorgänge, bei denen dies der Fall ist, sind darauf zu überprüfen, ob sie durch eine weniger belastende Verfahrensweise ersetzt werden können. 49 Das Strahlenminimierungsgebot gilt gemäß § 28 III 1 StrlSchV insbesondere bei der Auslegung von Anlagen gegen Störfälle. Auch beim bestimmungsgemäßen Betrieb ist die Minimierungspflicht zu beachten. In der Neufassung des § 45 StrlSchV wird zwar nicht mehr auf § 28 Nr. 2 StrlSchV verwiesen. Mit dieser Änderung ist aber keine Veränderung der ma41 vgl.
Luckow (1988), 187 m. w. N.
42nicht 43 so
nur die in § 1 Nr. 2 genannten; so jedoch Luckow (1988), 188.
aber Luckow (1988), 188 f.
44richtig also Lukes (1980), 188 f; Marburger (1983), 82. 45s.
BR-DrS. 375176, 34.
46(1988), 188. 41so
für Errichtung und Betrieb von Anlagen auch Luckow (1988),187.
48vgl.
BR-DrS. 375176, 34.
49so auch Luckow (187), allerdings - von seinem Ansatz aus konsequent - nur für Anlagen nach § 7 AtG.
42
A. Genehmigung kemtechnischer Anlagen in der BRD
teriellen Rechtslage verbunden. Damit ist § 28 I Nr. 2 StrlSchV auch weiterhin bei der Anwendung des § 45 StrlSchV heranzuziehen. so Im folgenden Abschnitt soll die Konkretisierungsebene Rechtsverordnung näher betrachtet werden.
unterhalb der
3. Weitere Konkretisierung der erforderlichen Vorsorge a) Allgemeine Verwaltungs vorschriften
Gemäß Art 87c GG i. V. m. § 24 AtG handelt es sich bei der Genehmigung kerntechnischer Anlagen um Bundesauftragsverwaltung der Länder. Die Bundesregierung kann daher mit Zustimmung des Bundesrats für diese Genehmigungstätigkeit allgemeine Verwaltungsvorschriften erlassen (arg. Art 85 11 1 GG). Diese Möglichkeit hat die Bundesregierung bislang jedoch kaum genutzt. Im Bereich Reaktorsicherheit und Strahlenschutz sind nämlich erst ganze zwei allgemeine Verwaltungsvorschriften ergangen: - eine Allgemeine Verwaltungsvorschrift zu § 45 Strahlenschutzverordnung: Ermittlung der Strahlenexposition durch die Ableitung radioaktiver Stoffe aus kerntechnischen Anlagen oder Einrichtungen;51 - die Allgemeine Verwaltungsvorschrift zu § 62 Abs. 2 Strahlenschutzverordnung (" AVV Strahlenpaß "). 52 Hier ist nur auf die erstgenannte Vorschrift etwas näher einzugehen. Sie regelt in Ergänzung zu den Vorgaben in Anlage XI zu § 45 11 StrlSchV und den vom BMU bekanntgemachten Dosisfaktoren die übrigen Berechnungsvorgaben von der Ableitung radioaktiver Stoffe bis zur Zufuhr oder äußeren Einwirkung dieser Stoffe auf die Referenzperson. 53 Sie enthält insbesondere Vorgaben für die Berechnung der äußeren und inneren Strahlenexposition jeweils getrennt für die Ableitung radioaktiver Stoffe mit Luft und mit Wasser. Für die Ableitung mit Luft werden Modelle und Parameter für die Ausbreitung radioaktiver Stoffe und für die Umgebungskontamination festgelegt, für die Ableitung mit Wasser Modelle und Parameter für die Ausbreitung solcher Stoffe in Fließgewässern und für die Ablagerung in Sediment und Spülfeldern. Die Modelle und Parameter sind so gewählt, daß bei ihrer Anwendung die tatsächlich zu erwartende Strahlenexposition des Menschen nicht unterschätzt wird.
SOlO
die amtl. Begriindung der Neufassung, BR-DrS. 594/88, 116 f.
51vom 21.02.1990 (BAnz Nr.64a). 52yom 03.05.1990 (BAnz Nr.94a). 53vgl. dazu UMWELT Nr. 411990, 202.
ß. Die erforderliche Schadensvorsorge
43
Die Allgemeine Verwaltungsvorschrift löst die" Allgemeine Berechnungsgrundlage für die Strahlenexposition bei radioaktiven Ableitungen mit der Abluft und in Oberflächengewässer"54 ab. Wie diese, beruht die Allgemeine Verwaltungsvorschrift auf Parametern und Rechenmodellen, die von der Strahlenschutzkommission (SSK) erarbeitet wurden, und die in einer Stellungnahme der SSK näher erläutert werden. Auffällig ist, daß der "Allgemeinen Berechnungsgrundlage " ein Quellenverzeichnis beigefügt war, 55 mit dessen Hilfe sich die naturwissenschaftlichen Grundlagen der Rechenverfahren und Parameter ermitteln und überprüfen ließen. Entgegen der Ankündigung in UMWELT 4/1990 ist die Stellungnahme der SSK zu den Rechenmodellen und Parametern bislang nicht veröffentlicht. Deshalb ist im Gegensatz zu früher jetzt nicht mehr nachprüfbar, ob die Berechnungsverfahren tatsächlich dem neuesten Erkenntnisstand entsprechen und inwieweit sie durch Forschungsergebnisse abgesichert sind. Die Berechnungsverfahren sind vor Erlaß der allgemeinen Verwaltungsvorschrift mit den Ländern und den Verbänden beraten worden. b) Verwaltungsinterne Regelungen und ihre Merkmale Neben den allgemeinen Verwaltungsvorschriften existieren auf der Ebene unterhalb der Rechtsverordnung eine Vielzahl von verwaltungsinternen Regelungen. Diese tragen unterschiedliche, anscheinend mehr oder weniger frei gewählte und nicht zur Strukturierung oder Systematisierung beitragende Bezeichnungen: Anforderungen, Empfehlungen, Leitlinien, Merkpostenaufstellungen, Kriterien, Richtlinien, Praxisbeschreibungen usw. 56 Urheber der verwaltungsinternen Regelungen sind teils die Regierungschefs des Bundes und der Länder, der für Reaktorsicherheit zuständige Bundesminister, der Bund-Länderauschuß für Atomenergie, bestehend aus Vertretern des zuständigen Bundesministeriums sowie der Genehmigungsund Aufsichtsbehörden der Länder, sowie die Beratungsgremien Reaktorsicherheitskommission (RSK) und SSK. Aber auch private Organisationen haben verwaltungsinterne Regelungen erlassen, z. B. die Gesellschaft für Reaktorsicherheit (GRS) mbH oder die Technischen Überwachungsvereine (TÜV).57 Die GRS mbH ist eine Sachverständigenorganisation, die laut ihrer Satzung den für Reaktorsicherheit zuständigen Bundesminister in Fragen der kerntechnischen Sicherheit und des Umgebungsschutzes berät
54vg l. BMU-Handbuch (=Anhang), Nr.3.37. 55vgl. GMBI 1979,434 f; ergänzt durch GMBI 1982,737. 56vg l. Luckow (1988), 192; die "verwirrende Vielzahl" von Bezeichnungen konstatiert auch Lukes (1985), 37.
57vg l. Luckow (1988), 192 f.
A. Genehmigung kemtechnischer Anlagen in der BRD
44
sowie in atomrechtlichen Verwaltungsverfahren Gutachten erstellt. Der Bund und die Länder Bayern und Nordrhein-Westfalen halten zusammen 53,8% des Stammkapitals. Weitere Gesellschafter sind die 11 TÜV und der Germanische Lloyd. 58 Alle Regelungen des Bund-Länderausschusses für Atomenergie, der RSK und SSK sowie diejenigen der vom BMU gebildeten Ad-hoc-Arbeitsgruppen werden vom BMU bekanntgemacht. Das gleiche gilt für Regelungen, die die GRS mbH im Auftrag des BMU erarbeitet hat. Dagegen werden insbesondere die Praxisbeschreibungen der GRS und die Weisungsbeschlüsse der TÜV -Leitstelle Kerntechnik von ihren Urhebern selbst bekanntgemacht. 59 Die Praxis der Veröffentlichung verwaltungsinterner Regelungen ist gleichermaßen uneinheitlich. ro Vom BMU bekanntgemachte Regelungen werden teils im Bundesanzeiger oder im Gemeinsamen Ministerialblatt, teils im vom BMU herausgegebenen Mitteilungsblatt "UMWELT", teils jedoch auch in Schriften Privater oder privater Verlage veröffentlicht. Eine Systematik ist dabei nicht zu erkennen. Die privaten Urheber verwaltungsinterner Regelungen veröffentlichen ihre Erzeugnisse selbst oder über private Verlage. Seit 1978 besteht mit dem "Handbuch Reaktorsicherheit und Strahlenschutz" eine Zusammenstellung der verwaltungsinternen Regelungen. Herausgegeben wird das Handbuch seit 1986 vom BMU, davor vom BMI. Für Druck und Vertrieb ist die GRS mbH verantwortlich. Das Handbuch besteht aus drei Teilen, gegliedert in sechs Abschnitte und einen Anhang. Abschnitt 1 enthält ein FundsteIlenverzeichnis aller Rechtsvorschriften, die im Bereich der kerntechnischen Sicherheit und des Strahlenschutzes anwendbar sind, sowie bilateraler Vereinbarungen über die Zusammenarbeit in Fragen der nuklearen Sicherheit und der gegenseitigen Katastrophenhilfe. Abschnitt 2 enthält die allgemeinen Verwaltungsvorschriften. Die Bekanntmachungen des BMU und seines Vorgängers sind in Abschnitt 3 zusammengestellt. Im Abschnitt 3a, Bekanntmachungen der Länder, sind bislang 61 nur Regelungen aus Bayern und Nordrhein-Westfalen in einem FundsteIlenverzeichnis zusammengetragen. Die Abschnitte 4 und 5 enthalten die Empfehlungen der RSK und der SSK. Ein FundsteIlenverzeichnis der Technischen Regeln des Kerntechnischen Ausschusses (KTA) findet sich in Abschnitt 6. Von privaten Organisationen (TüV, DIN, Arbeitsgemeinschaft Druckbehälter usw.) erlassene Regelungen sind, teils jedoch nur
~gl. Nolte (1984), 95. 59vgl.
Luckow (1988), 193 f.
rovgl. Luckow (1988), 194 6l Stand :
November 1990.
11. Die erforderliche Schadensvorsorge
45
als Fundstellenverzeichnis, im Anhang des Handbuchs aufgeführt. Außerdem sind dort "Beschreibungen der gegenwärtigen Praxis" zu einzelnen "Sicherheitskriterien für Kernkraftwerke" zusammengestellt. Ein Verzeichnis der in dieser Arbeit zitierten verwaltungsinternen Regelungen enthält der Anhang der Arbeit. Das Handbuch erscheint als Loseblattsammlung, weshalb keine Gewähr für seine Vollständigkeit besteht. In dem Exemplar, das ich in einer Gerichtsbibliothek eingesehen habe, fehlten von der "Richtlinie Strahlenschutz Medizin "62 die Seiten 7 bis 24. 63 Bei weitem am meisten verwaltungsinterne Regelungen sind zu Kernkraftwerken mit Leichtwasserreaktoren erlassen. Der Bestand an Regelungen für andere Reaktortypen und andere kerntechnische Anlagen (Brennelementfabriken, Zwischenlager , Konditionierungsanlagen) weist dagegen noch Lücken auf. c) Einzelne verwaltungsinterne Regelungen
Im folgenden Abschnitt sollen einige besonders wichtige sicherheitsrelevante verwaltungsinteme Regelungen etwas ausführlicher vorgestellt werden. aa) Die "Sicherheitskriterien für Kernkraftwerke" (1) Entstehung und Funktion Die derzeit gültige Fassung der "Sicherheitskriterien für Kernkraftwerke" wurde am 12.10.1977vom Bund-Länderausschuß für Atomenergie verabschiedet. 64 Vor dem Beschluß des Ausschusses über die Kriterien fand eine Anhörung statt, über deren Teilnehmer und Ergebnisse sich dem Vorwort der Sicherheitskriterien allerdings nichts entnehmen läßt. Nach § 28 III 4 StrlSchV kann die Genehmigungsbehörde die erforderliche Vorsorge gegen Störfälle insbesondere dann als getroffen ansehen, wenn der Antragsteller nachweist, daß er bei der Auslegung seiner Anlage gegen Störfälle die Sicherheitskriterien zugrunde gelegt hat. Damit stehen die Sicherheitskriterien innerhalb der verwaltungsinternen Regelungen an
62BMU-Handbuch (=Anhang), Nr.3.17. 63ähnliche Erfahrungen auch bei Luckow (1988), 196; die dort gleichfalls beschriebenen Anhaltspunkte für einen über Druck und Vertrieb hinausgehenden Einfluß der GRS mbH kann ich nicht bestätigen. 64sMU-Handbuch (=Anhang), Nr.3.1.
46
A. Genehmigung kemtechnischer Anlagen in der BRD
herausgehobener Stelle. 65 Die Sicherheitskriterien gelten für Kernkraftwerke mit Leichtwasserreaktoren ohne Einschränkung. Für andere Kernkraftwerkstypen gelten sie uneingeschränkt nur in ihren nicht anlagespezifischen Forderungen; in den anlagespezifischen Forderungen gelten sie sinngemäß. 66 Die Begriffe "anlagespezifisch "und "nicht anlagespezifisch " sind in den Sicherheitskriterien nicht definiert. Man wird unter letzteren solche Forderungen verstehen müssen, die nicht auf ein bestimmtes technisches System bezogen sind und deshalb auf jeden Kernkraftwerkstyp anwendbar sind. Als "anlagespezifisch" wird man dagegen alle Forderungen ansehen müssen, die sich auf das bestimmte technische System "Leichtwasserreaktor" beziehen, und die deshalb auf andere Kernkraftwerkstypen nicht oder nicht vollständig anwendbar sind. 67 Die Sicherheitskriterien enthalten Grundsätze für die sicherheitstechnischen Anforderungen, die der Auslegung von Kernkraftwerken zugrunde gelegt werden, v. a. um die nach dem Stand von Wissenschaft und Technik erforderliche Vorsorge gegen Schäden (§ 7 11 Nr. 3 AtG) und den erforderlichen Schutz gegen Störmaßnahmen und sonstige Einwirkungen Dritter (§ 711 Nr. 5 AtG) zu gewährleisten. 68 (2) Inhalt
In Kriterium 1.1. sind die drei Basisaufgaben der Sicherheit,69 d. h. sichere Abschaltung, Nachwärmeabfuhr, Einschluß der radioaktiven Stoffe, und die Grundsätze der "Sicherheitsphilosophie" niedergelegt. Der erste und vorrangige Grundsatz der Schadensvorsorge ist "hohe Anforderungen an die Auslegung und die Qualität der Anlage". Bereits hierdurch muß auch ohne Inanspruchnahme von Sicherheitseinrichtungen ein möglichst störfallfreier Betrieb der Anlage durchführbar sein. Bei Auslegung, Fertigung und Betrieb sind insbesondere die folgenden sicherheitsfördernden Grundsätze anzuwenden: ausreichende Sicherheitszuschläge, Verwendung überprüfter Werkstoffe, Instandhaltungsfreundlichkeit von Systemen und Anlageteilen, ergonomische Maßnahmen an den Arbeitsplätzen, Qualitätssicherung, wiederkehrende Prüfungen, Überwachung der Betriebszustände, Auswertung von Betriebserfahrungen. Ferner sind Betriebsführungs- und Überwachungssysteme vorzusehen, damit Störfälle als Folge anomaler Betriebszustände hinreichend zuverlässig vermieden werden. 6580
auch Marburger (1983), 134; Rittstieg (1982), 80.
6680
ausdrücklich das
6780
auch Birkenstockl Gabrie1 (1975), 126.
68 80
das
VOIWort
VOIWOrt
der Kriterien.
69Smidt (1980), 41.
der Kriterien.
11. Die erforderliche Schadensvorsorge
47
Als zweiten Grundsatz der Sicherheitsvorsorge verlangt Kriterium 1.1.2. die "Beherrschung von Störfällen ", d. h. ausreichend zuverlässige technische Sicherheitseinrichtungen, um Personal und Bevölkerung vor den Auswirkungen von Störfällen zu schützen. Dabei sind u. a) folgende Auslegungsgrundsätze zu berücksichtigen: Redundanz (Mehrfachauslegung wichtiger technischer Systeme), Diversität (physikalisch oder technisch verschiedenartige Auslegung), weitgehende Entmaschung von Teilsystemen, räumliche Trennung redundanter Teilsysteme, sicherheitsgerichtetes Systemverhalten bei Fehlfunktionen, Bevorzugung passiver vor aktiven Sicherheitsfunktionen. Die Gesamtbeurteilung der Sicherheit des Kernkraftwerks soll dabei aufgrund deterministischer Methoden durchgeführt werden. Ergänzend dazu sind die Zuverlässigkeiten sicherheitstechnisch wichtiger Systeme mit Hilfe probabilistischer Methoden zu bestimmen, soweit dies nach dem Stand von Wissenschaft und Technik mit hinreichender Genauigkeit möglich ist. 70 Für den hypothetischen Fall, daß trotz Einhaltung dieser Grundsätze die Sicherheitseinrichtungen im Anforderungsfall versagen, sind vorsorglich angemessene organisatorische und technische Maßnahmen vorzusehen, damit Unfall folgen festgestellt und eingedämmt werden können. Im Anschluß an die Grundsätze der Sicherheitsvorsorge in Kriterium 1.1. finden sich Kriterien für einzelne sicherheitsrelevante Gesichtspunkte und sicherheitstechnisch wichtige Anlageteile. Eine besondere Rolle innerhalb des Sicherheitskonzepts spielt das Einzelfehlerkriterium. Seine Erfüllung wird in Kriterium 4.2. und 4.3. für die Nachwärmeabfuhr, in Kriterium 6.1. für das Reaktorschutzsystem, in Kriterium 7.1. für die Notstromversorgung sowie in Kriterium 8.5 für die Wärmeabfuhr aus dem Sicherheitseinschluß gefordert. Nach dem Einzelfehlerkriterium wird unterstellt, daß ein Teil eines zur Störfallbeherrschung erforderlichen Sicherheitssystems im Bedarfsfall ausfällt. Hieraus folgt, daß alle beweglichen Komponenten zweifach vorzusehen sind. Bei den Kriterien 4.3.,6.1. und 7.1. muß zusätzlich unterstellt werden, daß sich ein Teilsystem im Bedarfsfall in Reparatur befindet. Dies führt zu einer dreifachen Redundanz oder zu vier Teilsystemen, von denen jedes 50% der erforderlichen Leistung liefert. 71 Im Ergebnis wird damit das postulierte Versagen bestimmter sicherheitsbedeutsamer Anlagenkomponenten durch das postulierte Funktionieren redundanter Komponenten überbrückt. Umgekehrt wird der gleichzeitige Ausfall redundanter Komponenten als unvorstellbar angesehen und zum hinzunehmenden Restrisiko gezählt. 72
70S•
Kriterium 1.1, Anmerkung zur Methodik; ausführlich Rengeling (1986), 103 ff.
71 yg l.
Smidt (1980),42; s. a. Lukes (1980), 187.
~gI.Sommer, DöV 1981,658.
A. Genehmigung kemtechnischer Anlagen in der BRD
48
(3) Konkretisierungsbedürftigkeit Die Sicherheitskriterien enthalten ausschließlich sicherheitsrelevante Zielvorgaben. Dagegen wird dort nicht angegeben, mit welchen technischen Maßnahmen die Ziele erreicht werden sollen. 7J Soweit gelegentlich von bestimmten "Systemen"," Anlagen" usw. die Rede ist, wird nur abstrakt deren Funktion beschrieben. Außerdem sind die Schutzziele in den Sicherheitskriterien in unbestimmte, ihrerseits wiederum konkretisierungsbedürftige Begriffe gefaßt. Zu manchen, längst nicht zu allen, dieser Ausdrucke sind Interpretationen ergangen,74 die die gleiche Bedeutung und Verbindlichkeit haben wie die Sicherheitskriterien selber. 75 Die Interpretationen enthalten teilweise auch Angaben über die Notwendigkeit bestimmter technischer Maßnahmen. Eine weitere Ergänzung der Sicherheitskriterien bilden die "Beschreibungen der gegenwärtigen Praxis zu den Sicherheitskriterien für Kernkraftwerke". Diese Regelungen werden von der GRS mbH im Rahmen des vom BMI - neuerdings vom BMU - veranIaßten Programms zur Förderung der Eearbeitung sicherheitstechnischer Regeln erarbeitet und veröffentlicht. Sie behandeln diejenigen Gebiete der Kerntechnik, für die insbesondere das vom KTA zu erstellende Regelwerk noch unvollständig ist. Sie dienen einerseits dazu, Informationen und Material als Basis der Sicherheitsbeurteilung und Regelerstellung zu sammeln. Zum anderen werden darin konkrete Maßnahmen dargelegt, mit denen die in den Sicherheitskriterien definierten Ziele erreicht werden. '6 Sie haben daher erhebliche Bedeutung für die Konkretisierung der im Sinne von § 7 11 Nr. 3 AtG erforderlichen Vorsorge. bb) Störfall-Leitlinien (1) Anwendungsbereich Die Störfall-Leitlinienn gelten für diejenigen Kernkraftwerke mit Druckwasserreaktor, die ihre erste Teilerrichtungsgenehmigung nicht vor dem 01.07.1982erhalten haben, d. h. für die sog. Konvoi-Anlagen der KWU. 18 Für diese Anlagen dienen sie gemeinsam mit den Sicherheitskriterien der 7J so
auch Luckow (1988),202 f.
14BMU-Handbuch (=Anhang), Nr. 3.49 bis 3.51. 7S so ausdriicldich z. B. die Interpretation (=Anhang), Nr.3.49.
zum Einzelfehlerkriterium,
BMU-Handbuch
1690 jeweils die Einleitung zu den Praxisbeschreibungen, z. B. Nr. A.I0.1 im Anhang des BMU-Handbuchs. nBMU-Handbuch (=Anhang), Nr.3.33. 18vgl. Teil
1 Ziffer 2.l.der Leitlinien; Birkhoferl Köberlein (1985),55 Fn. 1.
11. Die erforderliche Schadenavorsorge
49
Konkretisierung der gern. § 28 III StrlSchV erforderlichen Vorsorge gegen Störfälle. 79 Sie sind bei der Planung von Schutzmaßnahmen gegen Störfälle anzuwenden, nicht dagegen auf die Betriebsphase der Kernkraftwerke. Für andere als die Konvoi-Anlagen müssen die Auslegungsstörfälle nach dem Stand von Wissenschaft und Technik gesondert ermittelt werden. Zu den Störfall-Leitlinien sind die Genehmigungsbehörden der Länder, die TüV, die GRS mbH, die RSK und die SSK, die Gewerkschaften, die Ersteller und Betreiber von Kernkraftwerken sowie die Umweltverbände angehört worden. 80 (2) Auslegungsstörfälle ·Wegen ihres geringen Risikos· sind folgende Ereignisse keine Auslegungsstörfälle: 81 Ereignisse infolge Flugzeugabsturzes, äußerer Einwirkungen gefährlicher Stoffe, äußerer Druckwellen aus chemischen Reaktionen sowie äußerer Einwirkungen von Mehrblockanlagen; Betriebstransienten82 mit unterstelltem Ausfall des Schnellabschaltsystems. Maßnahmen hiergegen • dienen der Restrisikominimierung und damit dem Schutz der Allgemeinheit;· sie sind gemäß den Sicherheitskriterien, den zugehörigen Interpretationen, der Richtlinie für den Schutz von Kernkraftwerken gegen Druckwellen aus chemischen Reaktionen83 , den RSK-Leitlinien84 und den geltenden Regeln des KTA zu treffen. Mit dieser Feststellung ziehen die Störfall-Leitlinien die Grenze zwischen Störfällen und Unfällen. Erstere Ereignisse berühren das Individualrisiko; Maßnahmen hiergegen sind solche der Gefahrenabwehr als der nach § 7 11 Nr.3 AtG erforderlichen Vorsorge gegen Schäden, die Dritte im Klagewege durchsetzen können. Unfälle betreffen dagegen das Bevölkerungsrisiko; Vorkehrungen gegen sie sind der gefahrenunabhängigen Restrisikominimierung zuzuordnen. Die Genehmigungsbehörde entscheidet nach Ermessen unter Wahrung der Verhältnismäßigkeit; da die Maßnahmen gegen Unfälle dem Schutz der Allgemeinheit dienen, steht Dritten mangels Ver79so
Teil I Ziffer 1 der Leitlinien.
8Ovgl. die Bekanntmachung durch den BMI, BMU-Handbuch (=Anhang), Nr. 3.33,3; zum Verfahren auch Bochmann (1985),50 f.
81 vgl.
das Vorwort der Leitlinien.
82Unter Transienten versteht man jede wesentliche Abweichung der Betriebsparameter eines Kernkraftwerks (u. a. Leistung, Druck, Temperatur, Kühlrnitteldurchsatz) von den Sollwerten, die zu einem Ungleichgewicht zwischen Wänneerzeugung und Wänneabfuhr im Reaktor führen kann, soweit diese Abweichung nicht durch Lecks in Leitungen und Behältern bedingt ist; vgl. Koelzer (1988), 158.
83BMU-Handbuch (=Anhang), Nr.3.6. 84BMU-Handbuch (=Anhang), Nr.4.1.1. 4 Heitsch
50
A. Genehmigung kemtechnischer Anlagen in der BRD
letzung eigener, individueller Rechte insoweit keine Klagebefugnis zu. 85 Gefahrenabwehr und Risikominimierung können durch einen Vergleich mit anderen als sozialadäquat akzeptierten zivilisatorischen oder natürlichen Risiken voneinander abgegrenzt werden. Maßnahmen der Restrisikominimierung müssen verhältnismäßig, d. h. geeignet, erforderlich und proportional sein. Geeignet ist eine Schutzvorkehrung dann, wenn sie tatsächlich zu einem Sicherheitsgewinn führt. Erforderlichkeit und Proportionalität bedeuten, daß der mit der Maßnahme verbundene Aufwand nicht außer Verhältnis zum Sicherheitszuwachs stehen darf. Hierbei wird auch wirtschaftlichen Erwägungen Rechnung getragen. Das hinzunehmende Restrisiko beginnt dann, wenn seine weitere Verminderung nur bei unverhältnismäßigem Investitionsaufwand möglich wäre. Es ist praktisch identisch mit der Anlage, so wie sie nach der Genehmigung dasteht. Diese Trennung zwischen Gefahrenabwehr und Risikominimierung entspricht der "Staatspraxis" der Genehmigungsbehörden. 86 Bei der Risikominimierung spielt auch der Grundsatz der Ausgewogenheit eine Rolle. Danach erfordert ein Risikobeitrag dann keine besonderen Vorsorgemaßnahmen, wenn er isoliert vorkommt, sich also nicht mit vielen gleichartigen zu einem nennenswerten Beitrag aufaddiert, und sich sein Betrag innerhalb der unvermeidlichen Bandbreite eines anderen, größeren Risikobeitrags bewegt. Damit verbietet dieser Grundsatz Maßnahmen, die zwar die Sicherheit eines Einzelteils erhöhen, sich jedoch auf die Gesamtsicherheit der Anlage nachteilig oder überhaupt nicht auswirken. 87 Die Störfall-Leitlinien unterscheiden zwischen radiologisch relevanten und sonstigen Störfällen. 88 Gegen heide Gruppen von Störfällen muß anlagentechnische Schadensvorsorge getroffen werden. Die radiologisch relevanten Störfälle sind zudem hinsichtlich ihrer radiologischen Auswirkungen auf die Umgebung von Bedeutung. Innerhalb dieser beiden Gruppen werden drei Störfallklassen unterschieden. Als "radiologisch repräsentativ" werden diejenigen der radiologisch relevanten Störfälle bezeichnet, für die die Einhaltung der Störfallplanungsdosen des § 28 III StrlSchV rechnerisch nachzuweisen ist. 89 Die Berechnung richtet sich nach Teil 1, Ziffer 4.2. bis 4.9. der Leitlinien sowie nach den von RSK und SSK gemeinsam erarbeiteten Störfallberechnungsgrundlagen. Die radiologisch repräsentativen Störtälle sind durch Kursivdruck be8580
Bochmann (1985),49; ders. (1983),27.
86zu dieser Staatspraxis vgl. Luckow (1988), 205 m. w. N.; Hoblefelder, ET 1983,394 f; Rengeling (1986),69 ff; Haedrich (1986), Nr. 34 zu § 7; Breuer, DVBI 1978,837; Schattke, DVBI 1979,657; Marourger (1983), 102 ff.
87vgl.Smidt (1980),44 ff; Hohlefelder, ET 1983,395;Ronellenfitsch (1983),256. 88vgl. Teil
1 Ziffer 4.1. i. V. m. Teil 2, Tabelle I und
89vgl. Teil
I Ziffer 4.1., Teil 2 der Leitlinien.
n.
11. Die erforderliche Schadensvorsorge
51
sonders hervorgehoben und in Tabelle I der Leitlinien mit "RA" gekennzeichnet. Zur zweiten Klasse gehören die mit "AS" oder "SI" gekennzeichneten Störfälle. Sie kommen in beiden Störfallgruppen vor, d. h. auch unter den "sonstigen" Störfällen. Die mit "AS" gekennzeichneten Störfälle sind zu analysieren hinsichtlich der Auslegung von Sicherheitseinrichtungen oder von Gegenmaßnahmen, die mit "SI" gekennzeichneten zur Auslegung von Komponenten oder baulichen Anlagen auf Standsicherheit oder Integrität; nachzuweisen ist die Wirksamkeit der baulichen oder sonstigen technischen Schutzmaßnahmen. 90 Bei der dritten Störfallklasse, in Tabelle 11 der Leitlinien mit "VOR gekennzeichnet, ist keine Störfallanalyse erforderlich, wenn die dort im einzelnen genannten Vorsorgemaßnahmen als getroffen nachgewiesen werden. 91 Die Störfall-Leitlinien beruhen auf dem Konzept der "abdeckenden" oder "einhüllenden" Störfälle. Die in den Leitlinien aufgelisteten Störfälle sind repräsentativ für die bestimmenden anlagendynamischen und physikalischen Prozesse, einschließlich anlageninterner und -externer Folgen, sowie für die Wahrscheinlichkeiten, mit denen die repräsentativen Abläufe zu Schäden führen können. Beispielsweise wird für die radiologischen Auswirkungen bei einem Primärkühlmittelverlust innerhalb des Sicherheitsbehälters ein großes Leck in der Hauptkühlmittelleitung (2F-Bruch) als repräsentativ betrachtet. Ein gesonderter Nachweis der radiologischen Folgen für kleinere Leckquerschnitte ist entbehrlich, weil diese Auswirkungen durch diejenigen eines 2F-Bruchs abgedeckt werden. Da aber je nach Lage des Lecks und Leckquerschnitt unterschiedliche Anforderungen auf die Sicherheitssysteme zukommen, muß die Wirksamkeit des Notkühlsystems für große und kleine Lecks getrennt nachgewiesen werden. Je nachdem, um welchen sicherheitstechnischen Zusammenhang es gerade geht, sind unterschiedliche Störfälle repräsentativ. 92 (3) Bedeutung
Ob die Störfall-Leitlinien die Genehmigungsbehörden der Länder tatsächlich als rechtmäßige allgemeine Weisung binden können,93 ist zweifelhaft. Denn allgemeine Weisungen gemäß Art 85 III GG müssen von auf Zustim90S• Teil
1, Ziffern 4.l.und 4.10.sowie Teil 2 der Leitlinien.
9l vg l. Teil
1, Ziffer 4.10. und Teil 2 der Leitlinien.
92Be ispiele von Birkhoferl Köberlein (1985), 64 f; zum Störfallkonzept auch Haedrich (1986), Nr. 59b zu § 7 m. w. N.
93dies nimmt Bochmann (1985),49 an.
52
A. Genehmigung kemtechnischer Anlagen in der BRD
mung des Bundesrates angewiesenen allgemeinen Verwaltungsvorschriften (Art 85 11 1 GG) abgegrenzt werden. Auf diese Frage wird später noch näher eingegangen, ebenso darauf, ob § 28 III 4 StriSchV tatsächlich eine die Beweislast im Verwaltungsprozeß umkehrende Vermutungsklausel ist. 94 Die Störfall-Leitlinien bezeichnen die Grenze zwischen Störfiillen und Unfällen und damit zwischen individual schützender Gefahrenabwehr und dem Schutz der Allgemeinheit dienender Risikovorsorge. Ob ein bestimmtes Ereignis als Störfall oder als Unfall bewertet wird, richtet sich nach seinem Risiko 9S , d. h. nach dem Produkt aus Schadensausmaß und Eintrittswahrscheinlichkeit dieses Ereignisses. Bemerkenswert ist dann allerdings, daß die Leitlinien keinerlei quantitative Angaben über Eintrittswahrscheinlichkeiten der in den Tabellen zusammengestellten Auslegungsstörfälle enthalten. Sie beschränken sich darauf, in ihrem Vorwort auf das "geringe Risiko" der ausgeklammerten Ereignisse hinzuweisen. Außerdem entspreche die Einteilung der Störfallklassen der "bisherigen Praxis und Erfahrungen bei der sicherheitstechnischen Analyse, der Begutachtung und dem Betrieb von Druckwasserreaktoren."96 Die Begründung der Leitlinien erschöpft sich damit in einer bloßen Behauptung, die nicht überprüfbar ist. 97 cc) Leitlinien der RSK (1) Aufgabe und Arbeitsweise der RSK und der SSK
Aufgaben und Grundzüge des Verfahrens der öffentlich-rechtlichen Beratungsgremien RSK und SSK sind in einer Satzung98 festgelegt, die als bundesinterne Verwaltungsvorschrift einzuordnen ist; sie wendet sich an die Mitglieder und Beschäftigte der Kommmissionen sowie an Bundesbedienstete und bedarf daher nicht der Zustimmung des Bundesrats. 99 Gemäß ihrem § 1 werden beide Kommissionen beim BMU gebildet. Die RSK berät den BMU in den Angelegenheiten der Sicherheit und der Sicherung vom Anlagen zur Spaltung von Kernbrennstoffen sowie des Kernbrennstoffkreislaufs (§ 2 I), die SSK in den Angelegenheiten des Strahlenschutzes (§ 2 11). Die "in der Regel 18" Mitglieder der RSK (§ 3 I) und "in der Regel 17" Mitglieder der SSK (§ 3 11) sind unabhängig und nicht an Weisungen gebunden (§ 4 I 2). Sie werden vom BMU in der Regel für drei Kalender-
94dies
behauptet Bochmann (1985),50.
9Svg l. das
Vorwort der Störfall-Leitlinien.
9680 ausdrücklich Teil n der Leitlinien. 97ebenso
Luckow (1988), 209 f.
98BMU-Handbuch (=Anhang), Nr.4.0. 9980
auch larass (1991),407.
11. Die erforderliche Schadensvorsorge
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jahre berufen (§ 4 11); eine vorzeitige Abberufung ist nur aus besonderen Gründen zulässig, allerdings nicht wegen einer fachlichen Ansicht (§ 4111). Die Kommissionen tagen nichtöffentlich (§ 13 I), und die Mitglieder dürfen Dritten keine Auskünfte über den Ablauf und die Ergebnisse der Beratungen geben. Die Kommissionen können aber Vertreter anderer Bundesoder Landesbehörden (§ 13 11), in Genehmigungs- und Aufsichtsverfahren herangezogene Sachverständige sowie sachverständige Vertreter der Antragsteller oder der von Aufsichtsmaßnahmen Betroffenen (§ 13 III) zu den Sitzungen laden und sie anhören. Eine Beteiligung sachverständiger Vertreter von Umweltverbänden ist dagegen nicht vorgesehen. In der Regel genügt zur Beschlußfassung die Mehrheit der Stimmen der berufenen Mitglieder (§ 16 I); für Empfehlungen zum Standort oder zur Konzeption einer Anlage sowie zur Inbetriebnahme bedarf es jedoch einer Zweidrittelmehrheit (§ 16 11). Überstimmte Mitglieder sind berechtigt, ihre abweichende Meinung im Ergebnisprotokoll oder bei der Veröffentlichung von Empfehlungen zum Ausdruck zu bringen (§ 16 III). Befangene Mitglieder können zwar in der Sitzung gehört werden, dürfen jedoch bei der Beratung oder Beschlußfassung nicht anwesend sein. Über den Ausschluß eines Mitglieds wegen Befangenheit entscheidet die Kommission (§ 10 I - 111). Die Kommissionen beschließen als Ergebnis ihrer Beratung Empfehlungen oder Stellungnahmen für den BMU, die zu begründen sind (§ 11 I). Veröffentlicht werden die "Empfehlungen" der Kommissionen im Bundesanzeiger (§ 11 III). Die Stellungnahmen der Kommissionen fließen zum Teil in andere Regelungen ein. Die allgemeine Verwaltungsvorschrift zu § 45 11 StrlSchV 100 beruht z. B. auf Stellungnahmen der SSK. Über jede Sitzung der Kommission wird ein Ergebnisprotokoll angefertigt, das insbesondere den Wortlaut der Beschlüsse einschließlich der Begründung und ggf. der Minderheitenvoten enthält sowie die schriftlichen und mündlichen Informationen, die Grundlage der Beratung waren; die Abstimmungsergebnisse sind in einer Anlage beizufügen (§ 15 I). Der BMU kann weiteren Behörden das Protokoll über die Beratungsgegenstände übersenden, zu denen diese Behörden geladen waren; diese Behörden können die Auszüge des Protokolls an die von ihnen in anhängigen Verwaltungsverfahren zugezogene Sachverständige weitergeben sowie an Antragsteller oder von Aufsichtsmaßnahmen Betroffene, soweit diese durch die Beratungsergebnisse berührt sind (§ 15 IV). Im übrigen werden die Protokolle nicht veröffentlicht.
IOOvom 21.02.1990 (BAnz Nr.64a).
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A. Genehmigung kemtechnischer Anlagen in der BRD
(2) Inhalt und Bedeutung der RSK-Leitlinien für Druckwasserreaktoren In den Leitlinien für DruckwasserreaktorenlOi sind die sicherheitstechnischen Anforderungen zusammengefaßt, die nach Ansicht der RSK "bei der Auslegung, dem Bau und dem Betrieb eines Kernkraftwerks mit Druckwasserreaktor erfüllt werden sollen." Die Leitlinien sollen v. a. dazu dienen, den Prozeß der Beratung innerhalb der RSK zu vereinfachen und bereits frühzeitig Hinweise zu geben auf die von der RSK für notwendig gehaltenen sicherheitstechnischen Anforderungen. I02 Die DWR-Leitlinien werden von der RSK seit Oktober 1981 den Beratungen über Standort und Sicherheitskonzept der zur Errichtungsgenehmigung heranstehenden Kernkraftwerke mit Druckwasserreaktor zugrunde gelegt; sie sind nicht ohne weiteres gedacht für die Anpassung bestehender oder im Bau befmdlicher Anlagen.
Die DWR-Leitlinien enthalten überwiegend Schutzziele, die allerdings enger und präziser gefaßt sind als diejenigen in den Sicherheitskriterien für Kernkraftwerke. 103 Die technischen Mittel, mit denen die Ziele erreicht werden sollen, bleiben jeweils ungenannt. Stattdessen wird insoweit auf andere Regelwerke verwiesen, z. B. auf die Technischen Regeln des KTA. I04 Die Leitlinien haben erhebliche praktische Bedeutung. Denn in seinen Weisungen gemäß Art 85 III GG, mit denen er die Genehmigungsverfahren steuert, verlangt der BMU von den Genehmigungsbehörden der Länder, die Leitlinien einzuhalten. lOS Auch die sonstigen Empfehlungen der RSK zu einzelnen kerntechnischen Anlagen gehen in Weisungen des BMU ein. 106 d) Bindung der Verwaltungsgerichte an verwaltungsinterne Regelungen
Die Rspr. zur Frage, inwieweit verwaltungsinterne Regelungen für die Verwaltungsgerichte verbindlich sind, hat sich mehrfach geändert. Vorläufiges Ende der Entwicklung ist die Kreation "verbindlicher normkonkretisierender Verwaltungsvorschriften" durch das BVerwG. I07 Die einzelnen Phasen der Rspr. sollen im folgenden nachgezeichnet werden.
IOIBMU-Handbuch (=Anhang), Nr.4.1.1. I~gl. das Vorwort der DWR-Leitlinien. 10380 1048 .
auch Luckow (1988), 212. z. B. Punkt 3.1,4.1,5,5.5,5.6 der Leitlinien.
losebenso Nolte (1984),101; Luckow (1988), 213 m. w. N. l06ygl. Pfaffelhuber, ET 1978,153 und dort das Schaubild. l07ygI.BVerwG, DVBI 1986,190,196.
11. Die erforderliche Schadensvorsorge
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aa) Das Regelwerk als Empfehlungen In seinem Wyhl-Urteil 108 hat sich das VG Freiburg zur Bindungswirkung von Stellungnahmen der RSK wie folgt geäußert: "Die Ansichten einzelner Sachverständiger und sachverständiger Gremien ... sowie v. a. die Stellungnahmen der Reaktorsicherheitskommission haben selbst gegenüber der allein zur Entscheidung berufenen Verwaltung nur empfehlenden Charakter. Das Gewicht solcher Empfehlungen wird insbesondere dann relativiert, wenn es nicht um Probleme geht, die nur mit naturwissenschaftlich-technischem Sachverstand zu lösen sind, sondern um wertende Entscheidungen wie die, ob ein Risiko vermieden werden muß oder ob es in Kauf genommen werden kann ... " Und nach Verweisung auf die herangezogenen RSK-Stellungnahmen fährt das VG fort: "Die Wertung der verbleibenden Gefahr" eines Druckbehälterversagena "als unbedenklich und ihre Abdrängung in den Bereich des Restrisikos ... ist ... nicht am Gesetz orientiert. Welche Vorsorge im Sinne des § 7 11 Nr. 3 AtG erforderlich ist, muß nach Meinung des Gerichts anband eines grundsätzlich anderen Maßstabs beurteilt werden, als ihn die Genehmigungsbehörde angelegt hat."
Verwaltungsinterne Regelungen sind nach Ansicht des VG Freiburg also für die Gerichte nicht bindend. 109 bb) Das Regelwerk als antizipiertes Sachverständigengutachten Eine gesteigerte Bedeutung verwaltungsinterner Regelungen auch für die Gerichte hat das BVerwG im Voerde-Urteil angenommen. IIO Es hat die in der TA Luft festgelegten Immissionsgrenzwerte wegen der in §§ 48, 51 BlmSchG vorgeschriebenen Art und Weise ihrer Ermittlung als geeignete Erkenntnisquelle für die Frage angesehen, ob Immissionen gemäß § 3 I BlmSchG geeignet sind, schädliche Umwelteinwirkungen hervorzurufen. Wegen ihres naturwissenschaftlich fundierten fachlichen Aussagegehalts seien die Werte als "antizipierte Sachverständigengutachten" auch für das kontrollierende Gericht bedeutsam. Da sie die bei ihrem Erlaß bestehenden Erkenntnisse über die Eignung bestimmter Stoffe zur Herbeiführung schädlicher Umwelteinwirkungen wiedergäben, seien sie auch der gerichtlichen Entscheidung zugrundezulegen. Die Gerichte dürften nur dann niedrigere als die in der TA Luft enthaltenen Immissionswerte festlegen, wenn dies aufgrund gesicherter Erkenntnisse oder bei einem atypischen Sachverhalt erforderlich sei, um die Grenze zwischen schädlichen und unschädlichen Umwelteinwirkungen an der richtigen Stelle zu ziehen.
I08 NlW l09so
1977,1648.
auch OVG Münster, DVBI 1976,790 ff zur TA Luft.
lI~lW 1978,1451 ff unter Berufung auf Breuer, DVBI 1978,35 f.
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Diesen Ansatz hat z. B. das OVG LÜDeburg auf das Atomrecht übertragen. 111 Die Bestimmung eines Auslegungsstörfalls diene der Konkretisierung der "Schwelle der praktischen Vernunft." Die Sicherheitskriterien und Leitlinien mr Kernkraftwerke, die auf Empfehlungen der RSK über die Auslegung der Anlagen zurückgingen, seien von den Gerichten als "antizipierte Sachverständigengutachten" zu beachten. Damr, daß die in ihnen getroffene Regelung über Auslegungsstörtälle und Maßnahmen zu deren Vermeidung dem Stand von Wissenschaft und Technik entsprächen, bestehe eine widerlegliche Vermutung. Denn auch die in § 28 III 4 AtG genannten Richtlinien seien nur eine Momentaufnahme des Standes wissenschaftlicher Erkenntnisse. Deshalb dürften sie nur vorbehaltlich neuer besserer Erkenntnisse der gerichtlichen Entscheidung zugrunde gelegt werden. Den gerichtlichen Kontrollumfang hat das OVG LÜDeburg in einem späteren Urteil näher eingegrenzt. ll2 In der Regel dürften die Gerichte von den Festlegungen in den Richtlinien und Regelwerken ausgehen. Wenn jedoch ein Kläger substantiiert behaupte, daß die Festlegungen nicht dem Stand von Wissenschaft und Technik im Zeitpunkt ihrer Bekanntgabe oder nicht mehr den Stand der Erkenntnisse im Zeitpunkt der Genehmigungserteilung entsprächen, müßten die Gerichte die Angaben in den verwaltungsinternen Regelungen anband § 7 11 Nm. 3 und 5 AtG auf ihre Rechtmäßigkeit überprüfen. Wenn der Stand von Wissenschaft und Technik im maßgeblichen Zeitpunkt durch eine Vielzahl unterschiedlicher Meinungen verkörpert werde, ohne daß sich ein bestimmtes Forschungsergebnis als allein gesicherte Erkenntnis durchgesetzt habe, könne sich die gerichtliche Prüfung nur darauf erstrecken, ob sich die Auffassung, der die Behörde gefolgt sei, innerhalb der Bandbreite der Meinungen halte, die dem Stand der Erkenntnisse entspreche. Im Ergebnis wird durch die Figur des "antizipierten Sachverständigengutachtens" die materielle Beweislast im Verwaltungsprozeß von der beklagten Behörde auf den Kläger verlagert. ll3 Entscheidender Einwand gegen diese Figur ist, daß die verwaltungsinternen Regelungen nicht nur mit Sachverstand getroffene Feststellungen enthalten, sondern auch politische Beurteilungen der Zumutbarkeit von Risiken. Deshalb können sie nicht als reine "Sachverständigengutachten" angesehen werden. 114
lll vgl. Er 1982,949,956; vgl. auch VGH Mannheim, Er 1982,878; aus der Lit. Degenhart (1982), 140; Schattke (1980), 122 f; vgl. auch Czajka, Er 1981,540 f; für Einordnung der verwaltungsinternen Regelungen als "qualifIZierte Erfahrungssätze" mit ähnlichen Ergebnissen für die gerichtliche Prüfung Ronellenfitsch (1983), 201 ff.
II~gl. DVBI 1984,887,890. 113vgl. 11450
Czajka, Er 1981, 541.
inzwischen die h. M, stellvertretend Iarass (1991),380 m. w. N.
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cc) Das Regelwerk als Abschätzung des Standes von Wissenschaft und Technik Eine demgegenüber noch weitergehende Bindung an verwaltungsinterne Regelungen hat das VG Schleswig in seinem Urteil zum Kernkraftwerk Brokdorf angenommen. 115 Das gesamte Regelwerk bilde die generelle Abschätzung der Exekutive darüber, welche Vorsorgemaßnahmen nach dem Stand von Wissenschaft und Technik erforderlich seien. Es sei das Ergebnis der derzeitigen Beurteilung jener Fragen der Reaktorsicherheit und des Strahlenschutzes, die nicht in Rechtsnormen geregelt seien. Sachgerecht sei, wenn auch die Gerichte das Regelwerk bei ihrer Kontrolle zugrunde legen würden. Im Einzelfall hätten sie dann zu prüfen, ob Anhaltspunkte dafür bestünden, daß die Regeln und Leitlinien fehlerhaft oder willkürlich zustande gekommen seien. Ferner sei zu ermitteln, ob es wegen eines atypischen Sachverhalts notwendig erscheine, von den Regelungen abzuweichen. Im übrigen sei die konkrete Einzelentscheidung der Genehmigungsbehörde darauf zu untersuchen, ob das Regelwerk bei der Ausfüllung der unbestimmten Rechtsbegriffe des § 7 11 Nr. 3 AtG angewendet worden sei. Nach Auffassung des VG Schleswig rechtfertigen es neue wissenschaftliche Erkenntnisse demnach nicht, von den Regelungen abzuweichen. Dies ist jedoch mit dem Standpunkt des BVerfG unvereinbar, daß Grundlage der Risikoermittlung und -bewertung die neuesten wissenschaftlichen Erkenntnisse und technischen Möglichkeiten sein müssen. 116 dd) Das Regelwerk als "normkonkretisierende Verwaltungsvorschriften" Im Wyhl-Urteil hat das BVerwG einen völlig neuen Weg eingeschlagen, um zu begründen, weshalb verwaltungsinterne Regelungen Bindungswirkungen auch im Verwaltungsprozeß haben können. Gegenstand dieser Erwägungen war die "Allgemeine Berechnungsgrundlage"117. Diese Richtlinie wurde entgegen Art 85 11 1 GG nicht von der Bundesregierung mit Zustimmung des Bundesrates erlassen, sondern nur im Bund-Länderausschuß verabschiedet. Sie soll nach Meinung des BVerwG "... sicherstellen, daß die Einhaltung der Dosisgrenzwerte nach Maßgabe des § 45 StrlSchV auf der Basis hinreichend konservativer Rechenmodelle und Datensätze geprüft wird, damit es beim späteren Betrieb der Anlage zu keiner ... Überschreitung dieser Grenzwerte gegenüber dem einzelnen kommt. Damit hat die Richtlinie eine normkonkretisierende Funktion und ist im Gegensatz zu lediglich norminterpretierenden Verwaltungsvorschriften für die VerwalI1~JW 1980,1296,1298. 116vgl.
dazu BVerfGE 49,89, 135 f.
I17BMU-Handbuch (=Anhang), Nr.3.37.
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tungsgerichte innerhalb der von der Norm gesetzten Grenzen verbindlich.· Sie ist von den Gerichten "nur darauf zu überprüfen ... , ob sie auf willkürfreien Ermittlungen beruht und die Genehmigungsbehörden davon ausgehen dürfen, daß die auf solche Weise berechnete Strahlenexposition unbeschadet bestehender Unsicherheiten bei einzelnen Parametern zu hinreichend konservativen Abschätzungen führt. "118 Unter Bezugnahme auf das Wyhl-Urteil hat das OVG Münster die Bindungswirkung normkonkretisierender Verwaltungsvorschriften dahingehend umschrieben, daß neue Forschungsergebnisse unbeachtlich seien, wenn hierdurch lediglich die Erkenntnislücken geschlossen würden, die beim Erlaß der Verwaltungsvorschriften berücksichtigt worden seien. Erst wenn die der Verwaltungsvorschrift zugrunde liegende Risikobetrachtung durch neue gesicherte wissenschaftliche Erkenntnisse überholt seien, verliere die Verwaltungsvorschrift ihre Verbindlichkeit!19 Das BVerwG hat die gegen die Nichtzulassung der Revision gerichtete Beschwerde zurückgewiesen, sich allerdings zur ·Verbindlichkeit" normkonkretisierender Verwaltungsvorschriften betont zurückhaltend geäußert. l20 Die Gerichte hätten zu prüfen, ob die Verwaltungsvorschrift die im Gesetz getroffenen Wertungen beachte, und ob die Feststellungen und Meßverfahren nicht durch gesicherte Erkenntnisse in Wissenschaft und Technik überholt seien. Mit der Erfindung der normkonkretisierenden Verwaltungsvorschrift ist die Bindung der Gerichte an verwaltungsinterne Regelungen im Vergleich zum "antizipierten Sachverständigengutachten· nur unwesentlich verstärkt worden. 121 Denn auch nach der neuen Rspr. können Besonderheiten des konkreten Sachverhalts l22 und neuere Erkenntnisse die Verbindlichkeit der Richtlinien beseitigen. Die neuen wissenschaftlichen Erkenntnisse müssen allerdings "gesichert" sein und die in den Richtlinien festgelegten Werte und Meßverfahren als überholt erscheinen lassen. Problematisch ist die Figur der "normkonkretisierenden" Verwaltungsvorschrift aus zwei Gründen. Einmal sind die atomrechtlichen Richtlinien in der Mehrzahl entgegen Art 85 11 1 GG nicht von der Bundesregierung mit Zustimmung des Bundesrates erlassen, weshalb es zweifelhaft ist, ob es sich dabei überhaupt um allgemeine Verwaltungsvorschriften handelt. Daß normkonkretisierende Verwaltungsvorschriften auch für die Gerichte ver-
BVelWG, DVBI 1986,190, 196; für Verallgemeinerung dieses Ansatzes auf die in 4 StriSchV genannten Sicherheitskriterien und SlÖrfall-Leitlinien Sellner (1990), 53; Ronellenfitsch, DVBI 1989,863. 118vgl.
§ 28
m
119vgl.
NVwZ 1988,173; ebenso BayVGH, BayVBI 1989,530,531.
120vgl.
NVwZ 1988,824 f.
121 so auch Sellner, NVwZ 1986,619; Schmidt, K1 1986,478; Guay, DVBI 1987,505; Kloepfer (1989), § 2, Nr. 44; A1bers (1987),542. l~gl. BVelWG, DVBI 1986,196.
ß. Die erforderliche Schadensvorsorge
S9
bindlich sein können, hängt zweitens davon ab, ob das Grundgesetz für den Bereich des Umweltrechts eine originäre Rechtssetzungsbefugnis der Exekutive kennt. Auf beide Fragen wird zurückzukommen sein. e) Merkmale der Fachgremien
Die verwaltungsinternen Regelungen sind nunmehr grundsätzlich auch für die Verwaltungsgerichte verbindlich. Deshalb verdient die Zusammensetzung und das Verfahren der Fachgremien, unter deren Beteiligung diese Regelungen zustandekommen, besonderes Augenmerk. aa) Keine normative Legitimation Keines der an der Ausarbeitung des Regelwerks beteiligten Fachgremien ist normativ, d. h. durch Gesetz oder Rechtsverordnung, legitimiert. l23 Die RSK und die SSK sind immerhin durch einen exekutiven Organisationserlaß gebildet worden. Jedoch ist die Mitgliederzahl dort nicht genau festgelegt, denn gemäß § 3 der Satzung besteht die RSK "inder Regel" aus 18, die SSK "in der Regel" aus 17 Mitgliedern. l2A bb) Dominanz von Naturwissenschaft und Technik bei der Entscheidung über das Restrisiko Die Konkretisierung sicherheitsrelevanter Genehmigungsvoraussetzungen vollzieht sich idealtypisch in zwei Phasen: 12.5 Zunächst müssen die sicherheitsrelevanten Tatsachen festgestellt werden. Dazu ist zu ermitteln, - welche Schäden über welche Kausalketten von einer kerntechnischen Anlage ausgehen können; - welche Mittel diese Schäden ausschließen können, und falls ein Schadenseintritt nicht ausgeschlossen werden kann: - welches Mittel die Eintrittswahrscheinlichkeit verringern kann, oder - durch welche Mittel das Schadensausmaß begrenzt werden kann; - welche Schäden diese Mittel ihrerseits hervorrufen können.
l23so auch Luckow (1988), 217; vgl. auch Degenhart (1982),213 sowie den Gesetzentwurf des Arbeitskreises Umweltrecht, NVwZ 1989,1007 f.
l2Avgl.
BMU-Handbuch (=Anhang), Nr.4.0.
12.5vgl.Luckow (1988), 157fm. w.N.
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A. Genehmigung kemtechnischer Anlagen in der BRD
Für die Feststellung dieser sicherheitsrelevanten Tatsachen sind NatUlwissenschaftler und Techniker zuständig. In der zweiten Phase ist unter Berücksichtigung der ermittelten sicherheitsrelevanten Tatsachen wertend zu entscheiden,
- welche Mittel für erforderlich gehalten werden, um Schäden auszuschließen, und, falls ein Schadensausschluß unmöglich ist, - welche Mittel für erforderlich gehalten werden, um das Schadensausmaß oder die Eintrittswahrscheinlichkeit zu begrenzen. Dabei sind zugleich die Nachteile gegeneinander abzuwägen, die das jeweilige Mittel abwehren soll und die es seinerseits hervorruft. In dieser zweiten Phase fällt die Entscheidung darüber, welches Sicherheitsniveau erreicht werden soll, oder anders ausgedrückt, welches Risiko hingenommen wird. Diese wertende Entscheidung von gesamtgesellschaftlicher Relevanz obliegt im demokratisch verfaßten Rechtsstaat der staatlichen Gewalt. Der Naturwissenschaft und Technik kommt dabei nur eine vorbereitende Hilfsfunktion zu. 126 Zweifelhaft ist, ob diese Funktionsverteilung zwischen Naturwissenschaft und Technik einerseits und den staatlichen Organen andererseit immer gewahrt wird. Die RSK, deren Mitglieder nach § 3 der Satzung ausnahmslos Naturwissenschaftler und Techniker sind,l27 trifft z. B. Entscheidungen darüber, welche Ereignisse zum Restrisiko gehören. In der "Empfehlung zum Kernkraftwerk Biblis C"I28 heißt es z. B. unter Ziffer 1.1.: "Nach Meinung der RSK stellt der Flugzeugabsturz keine erhebliche Gefährdung für ein Kernkraftwerk dar .... Es ist festzustellen, daß der Risikobeitrag aus chemischen Reaktionen im Restrisikobereich liegt." Und in der "Empfehlung zu hypothetischen Kernzerstörungsunfällen in Schnellen Natriumgekühlten Reaktoren "129 führt die RSK aus, daß "der hypothetische Kernzerstörungsunfall dem Restrisiko und nicht den Auslegungsstörfällen zuzuordnen" ist. In den Genehmigungsbehörden und im Bundesumweltministerium sind zwar Personen mit Fachkunde und Sachverstand tätig; allerdings haben sie meist nicht den nötigen engen Kontakt zur Praxis, um über die neuesten technischen Entwicklungen und wissenschaftlichen Erkenntnisse infor-
12680 auch Luckow (1988), 159 m. w. N.; Kloepfer (1989); Nolte (1984), 41 ff; Murswiek, VVDStRL 48,219; Papier (1985), 65; BVerwG, DVBI 1986, 195; dagegen, daß Sachverständige die mit FBchverstand gewonnenen Erkenntnisse selbst bewerten, auch Ronellenfitsch (1983), 300.
l27vgl. BMU-Handbuch (=Anhang), Nr. 4.0, § 3. I28BMU-Handbuch (=AnhBng), Nr.4.6.5. I29sMU-Handbuch (=Anhang), Nr. 4.6.28,5.19.
ß. Die erforderliche Schadensvorsorge
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miert ZU sein. l30 Deshalb bleibt der Exekutive oftmals gar nichts anderes übrig, als die von Natutwissenschaft und Technik getroffenen Wertungen nach Durchführung einer Plausibilitätskontrolle zu übernehmen. Faktisch spielen daher Natutwissenschaft und Technik die Hauptrolle bei der (eigentlich den staatlichen Organen zugewiesenen) wertenden Entscheidung über die Erforderlichkeit von Schutzvorkehrungen und die Höhe des Restrisikos. 131 ce) Normkonkretisierung durch Private Der Einfluß von Privaten auf den Inhalt vetwaltungsinterner Regelungen ist beträchtlich. Gelegentlich werden privatrechtlich organisierte Fachgremien von der Exekutive beauftragt, solche Regelungen aufzustellen. Die •Sicherheitsanforderungen an Kernbrennstoffversorgungsanlagen· wurden z. B. von der GRS mbH im Auftrag des BMI erarbeitet. Sie sollen "eine nähere Bestimmung des Stands vonm Wissenschaft und Technik im Hinblick auf die nach § 7 AtG erforderliche Vorsorge· ermöglichen. 132 Auch bei den Beratungen der dem öffentlichen Recht zuzuordnenden RSK und SSK stehen die Auffassungen Privater im Vordergrund. Sie werden nur in einer Kommission zusammengefaßt. 133 dd) Publizitätsdefizite Es ist nicht vorgeschrieben, daß die Fachöffentlichkeit beim Erlaß verwaltungsinterner Regelungen beteiligt werden muß. l34 Zwar hat die Exekutive gelegentlich, z. B. bei der Beratung der Sicherheitskriterien für Kernkraftwerke und der Störfall-Leitlinien, auf freiwilliger Basis Anhörungen durchgeführt, teils sogar unter Beteiligung von Umweltverbänden. 13S Aus diesen vetwaltungsinternen Regelungen geht aber nicht hervor, inwiefern sich deren Urheber mit Einwänden auseinandergesetzt haben, die ja vermutlich bei der Anhörung geäußert worden sind. Außerdem werden verwaltungsinterne Regelungen meist nicht begründet oder wenigstens mit
13080
Lukes, NIW 1978,243; vgl. auch Albers (1987),532 f.
131 80 auch Luckow (1988), 218 ff; eine "Vorprägung" oder "Vorstrukturierung" der Risikobewertung durch Naturwissenschaft und Technik stellen fest Marourger (1983), 146; Degenhart (1982), 136; vgl. auch Ronellenfitsch (1983), 194; Murswiek, VVDStRL 48,220. 13280
deren Vorwort, s. BMU-Handbuch (=Anhang), Nr.3.11.
133ebenso
Luckow (1988), 218.
ll4uitisch dazu auch Klocpfer (1989), § 2, Rdnr. 51. 135vgl.BMU-Handbuch
(=Anhang), Nr.3.1,3.33.
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A. Genehmigung kemtechnischer Anlagen in der BRD
einem FundsteIlenverzeichnis der ihnen zugrunde liegenden wissenschaftlichen Untersuchungen versehen. l36 Dadurch ist für Gerichte oder Betroffene nur schwer kontrollierbar, inwieweit die Regelungen tatsächlich auf dem aktuellen Erkenntnisstand beruhen. Die Sitzungen der RSK und SSK sind nichtöffentlich. Zwar können Vertreter von Bundes- und Landesbehörden, in Verwaltungsverfahren beigezogene Sachverständige und Vertreter der Antragsteller oder von Ausichtsmaßnahmen Betroffenen zu den Sitzungen geladen werden, Vertreter von Umweltverbänden allerdings nicht. 137 Die Ergebnisprotokolle werden nicht veröffentlicht; sie können beteiligten Behörden und der beteiligten Industrie zugänglich gemacht werden. Die übrige Öffentlichkeit ist auch insoweit ausgeschlossen. 138 Was die Veröffentlichung von Minderheitsvoten angeht, ist die Satzung nicht ganz eindeutig. Überstimmte Mitglieder der Kommissionen können ihre abweichende Meinung im Ergebnisprotokoll und bei der Veröffentlichung von Empfehlungen zum Ausdruck bringen (§ 16 III). Laut § 15 I 2 der Satzung enthält das Ergebnisprotokoll auch "eventuelle Minderheitenvoten" . In § 11 III, der Satzungsbestimmung über die Veröffentlichung von Empfehlungen, steht allerdings nichts über Minderheitenvoten. Damit gibt wohl die Zivilcourage des jeweils überstimmten Kommissionsmitglieds den Ausschlag, ob sein Sondervotum veröffentlicht wird oder nicht. Das einzige, was im Bundesanzeiger erscheint, sind damit die Beratungsergebnisse (Empfehlungen). Über den Ablauf der BeratunBen und das Stimmenverhältnis bei der Abstimmung dringt nichts an die Offentlichkeit. Damit können Außenstehende nicht überprüfen, ob die Verfahrensbestimmungen der RSK/SSK-Satzung eingehalten wurden. Insbesondere ist jede Kontrolle ausgeschlossen, ob befangene Kommissionsmitglieder tatsächlich nicht mit abgestimmt haben, wie von § 10 der Satzung gefordert. Ferner bleibt im Dunkeln, ob Empfehlungen zum Standort, zur Konzeption oder zur Inbetriebnahme einer Anlage tatsächlich gemäß § 1611 der Satzung mit Zweidrittelmehrheit verabschiedet wurden. ee) Auswahl der Mitglieder Nach § 4 11 der Satzung beruft der BMU die Mitglieder der Kommissionen für die Dauer von jeweils drei Jahren. Die Kommissionen oder wissenschaftliche Fachvereinigungen haben dabei kein Mitspracherecht. Eine vorzeitige Abberufung ist laut § 4 III der Satzung möglich; sie darf aber nicht 136anders nur die·Allgemeine Berechnungsgrundlage, vgl. GMBI 1979,434 f; 1982,737. 137s. §
13 der Satzung, BMU-Handbuch (=Anhang), Nr.4.0.
138vgl. § 15 der Satzung.
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wegen einer fachlichen Ansicht erfolgen. Für die Dauer der Amtszeit ist die Unabhängigkeit der Kommissionsmitglieder also gewährleistet. Bei der Entscheidung darüber, wen er in die Kommission beruft, ist der Minister jedoch nur an das Verzeichnis der Fachgebiete in § 3 der Satzung gebunden. Im übrigen kann er sich die Mitglieder seiner "Hausgremien " nach deren Einstellung zur Kernenergienutzung aussuchen. Denn Gesichtspunkte der Interessenrepräsentanz oder der Berücksichtigung unterschiedlicher Auffassungen über Art und U mfan~ der Kernenergienutzung haben bei der Auswahl keine Rolle zu spielen. I 9 Die Mitglieder der RSK sind zwar ausschließlich Fachleute, die sich mit der Errichtung und dem Betrieb von Anlagen beschäftigen. Fachleute für die davon primär betroffenen Rechtsgüter, also Ökologen, Biologen oder Mediziner sind jedoch in der SSK vertreten. Damit besteht keine Gefahr, daß die Auswirkungen der Technik nicht gebührend geprüft werden. 140 f) Konkretisierung in technischen Regelwerken
Im Gegensatz zu verwaltungsinternen Regelungen, in denen Schutzziele festgelegt sind, enthalten die technischen Regelwerke konkrete technische Maßnahmen, mit denen die Schutzziele erreicht werden sollen. 141 Die technischen Regelwerke stehen damit auf der untersten Konkretisierungsstufe des atomrechtlichen Regelwerks. aa) Arten technischer Regelwerke Auch bei Errichtung und Betrieb kerntechnischer Anlagen werden in großem Umfang technische Regelwerke aus der konventionellen Technik herangezogen. Dazu gehören z. B. die DIN-Normen, VDI-Richtlinien, VDE-Bestimmungen, VdTüV-Werkstoffblätter, DVGW-Arbeitsblätter oder die Vorschriften der Ausschüsse nach § 24 IV GewO!42 Außerdem gibt es besondere kerntechnische Regelwerke. Neben ausländischen und internationalen Regelwerken, 143 auf die gelegentlich in verwaltungsinternen Regelungen verwiesen wird, spielen naturgemäß die nationalen kerntechnischen Regelwerke eine besondere Rolle. Hierzu gehören v. a. die Regeln des
13990 auch Nolte (1984), 98; für ausgewogene Zusammensetzung der Gremien Kloepfer (1989), § 2 Rdnr. 51. l40a.
A. wohl Iarass (1991),411.
141ebenso Birkenstockl Gabriel (1975),117. 14"gl. Luckow (1988),220 m. w. N; Nolte (1984), 109. 143dazu Luckow (1988), 221; Nolte (1984), 113 f.
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A.
Genehmigung kemtechnischer Anlagen in der BRD
KTA, die DIN-Normen Kerntechnik, Strahlenschutz und Radiologie l44 des Normenausschusses Kerntechnik (NKe) , die Merkblätter der Arbeitsgemeinschaft Druckbehälter l4S sowie die Normen der Deutschen Elektrotechnischen Kommission. l46 Anders als § 7 IV BImSchG schreibt das AtG nicht vor, daß die zur Konkretisierung herangezogenen technischen Regelwerke leicht zugänglich sein müssen. bb) Die Regeln des KTA (1) Der KTA: Funktion und Verfahren
Der KT A wurde durch einen Organisationserlaß des Bundesministers für Bildung und Wissenschaft gegründet l41 und ist inzwischen beim BMU angebunden. l48 Sein Vorbild sind die technischen Ausschüsse gemäß § 24 IV 3 GewO; anders als diese ist der KTA aber nicht normativ legitimiert. 149 Insbesondere wegen seiner Gründung durch einen Organisationserlaß der Exekutive ist der KTA ein öffentlich-rechtliches Gremium. ISO Der KTA hat gemäß § 2 der BekanntmachungISI die Aufgabe, "auf Gebieten der Kerntechnik, bei denen sich auf Grund von Erfahrungen eine einheitliche Meinung von Fachleuten der Hersteller, Ersteller und Betreiber von Atomanlagen, der Gutachter und der Behörden abzeichnet, für die Aufstellung von sicherheitstechnischen Regeln zu sorgen und deren Anwendung zu fördern .• Er besteht gemäß § 3 der Bekanntmachung aus 50 Mitgliedern. Je 10 Vertreter entfallen auf Hersteller und Ersteller von Atomanlagen, Betreiber von Atomanlagen, atomrechtliche Vollzugsbehörden der Länder (7 Vertreter) und das zuständige Bundesministerium (3 Vertreter) sowie auf Gutachter- und Beratungsorganisationen. Dazu kommen insgesamt 10 weitere Mitglieder, die von weiteren Behörden und verschiedenen Organisationen (Gewerkschaften, Versicherungen) gestellt werden. Die Mitglieder und ihre Stellvertreter werden von den verschiedenen Gruppen oder Stellen für die Dauer von vier Jahren benannt und vom BMU beru-
l44yelZCichnis im Anhang des BMU-Handbuchs unter Nr. A.2; zu diesen Normen ausführlich Nolte (1984),110 ff. 145yeIZCichnis im Anhang des BMU-Handbuchs unter Nr. A.3. l46zu den zwei letztgenannten Regelwerken Nolte (1984), 109 f. 141vgl. Bek. v. 01.09.1972, BAnz Nr. 172 v. 13.09.1972. l48vg l. BMU-Handbuch (=Anhang), Nr. 6.0, § 1. 14gebenso Luckow (1988),222 m. w. N; Jarass (1991),418. ISOso auch Luckow (1988),223 m.w.N;Nolte (1984), 105; Jara88 (1991),418. ISIBMU-Handbuch (=Anhang), Nr. 6.0.
D. Die erforderliche SchadensvorlOrJe
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fen. Umweltverbände sind gar nicht und die Beschäftigten kerntechnischer Anlagen nur durch einen Gewerkschaftsvertreter repräsentiert. 152 Die Mitglieder des KTA sind Vertreter ihrer Interessengruppe oder Stelle und als solche abhängig, vertretbar und nicht zur Neutralität ve!"Eflichtet. Damit ist auch der KTA als ganzer nicht unabhängig und neutral. 1 3 Das Verfahren zur Aufstellung sicherheitstechnischer Regeln ist in § 7 der Bekanntmachung in den Grundzügen geregelt. Einzelheiten finden sich in einer keinerlei externe Rechtwirkungen entfaltenden lS4 Verfahrensordnung. Danach beschließt der KTA zunächst, welches Regelvorhaben in Angriff genommen werden soll, und zugleich, welche Stelle den Regelentwurf vorbereiten soll. Mit der Vorbereitung können Unterausschüsse des KTA, aber auch externe Stellen wie der NKe beauftragt werden. ISS Der Ausschuß beschließt sodann über den fertig ausgearbeiteten Regelentwurf. Anschließend veröffentlicht der BMU im Bundesanzeiger die Überschrift und eine Inhaltsangabe des Entwurfs unter Hinweis darauf, wo der Wortlaut des Entwurfs gegen eine Schutzgebühr bezogen werden kann. Die Veröffentlichung im Bundesanzeiger setzt eine Frist von drei Monaten in Gang, innerhalb der Änderungsvorschläge bei der Geschäftsstelle des KTA eingereicht werden können. Nach Beratung der Änderungsvorschläge beschließt der KTA die endgültige Regel, die danach vom BMU nach Überprüfung des Verfahrens im Bundesanzeiger publiziert wird. Eine Begründung der Regel wird allerdings nicht veröffentlicht. Auch die Änderung einer sicherheitstechnischen Regel erfolgt nach diesem Verfahren. Alle im Verlauf des Aufstellungsverfahrens ergehenden Beschlüsse des KT A oder seiner Unterausschüsse bedürfen gemäß § 6 III 1 der Bekanntmachung einer Mehrheit von fünf Sechsteln der Mitglieder. Keine der Mitgliedergruppen kann daher überstimmt werden, sofern sie geschlossen abstimmt. 156 Gegen die 28 Stimmen privater Organisationen (je 10 Vertreter der Betreiber sowie der Hersteller/Ersteller; 6 Vertreter der VdTÜV; 2 der GRS mbH) kann keine sicherheitstechnische Regel erarbeitet werden. Deshalb wird gar nicht erst versucht, ein Aufstellungsverfahren einzuleiten, wenn das Vorhaben bei den Privaten nicht durchsetzbar erscheint. 157 Da aber auch die Vertreter der Behörden als potentielle Wahrer des Allgemeininteresses eine Sperrminorität besitzen, können sich die Ansichten der
15280
auch Nolte (1984),104; Iarass (1991),421; Denninger (1990),71.
15380
richtig Luckow (1988),224 gegen Vieweg (1982),240 f, 245.
lS4so
auch Iarass (1991),422.
155vg l.
Nolte (1984), 107.
I~olte (1984),107; Vieweg (1982), 148; Berg (1975),100. 15780
auch Luckow (1988),224.
5 Heitsch
66
A. Genehmigung kemtechnischer Anlagen in der BRD
Industrievertreter nicht in vollem Umfang durchsetzen. ISS Das Erfordernis der qualifizierten Mehrheit übt also gemeinsam mit der Zusammensetzung des KTA einen heilsamen Zwang zum Kompromiß aus. Allerdings ist das Aufstellungsverfahren dadurch auch sehr langwierig: im Durchschnitt braucht der KTA fünf Jahre, um eine neue Regel zu verabschieden. ls9 (2) Inhalt der KTA-Regeln Aufgabe der KTA-Regeln ist es, "die sicherheitstechnischen Anforderungen anzugeben, bei deren Einhaltung die nach dem Stand von Wissenschaft und Technik erforderliche Vorsorge gegen Schäden durch die Errichtung oder den Betrieb der Anlage (§ 7 AtG) getroffen ist, um insbesondere die im Atomgesetz und in der Strahlenschutzverordnung festgelegten Schutzziele zu erreichen. "160 Die KTA-Regeln legen also detaillierte Lösungsmodelle für bestimmte sicherheitstechnische Probleme fest. Damit die Schutzziele "sichere Abschaltbarkeit, ausreichende WärOleabfuhr und sicheres Schließen der Isolationsventile (SWR)" erfüllt werden, trifft die KTARegel 3204 z. B. Festlegungen zur Konstruktion der ReaktordruckbehälterEinbauten, ihrer Festigkeit, Werkstoffwahl und Werkstoffprüfung, über Fertigung und Fertigungsüberwachung sowie zu Prüfungen während der Betriebszeit der Anla~e. Das Regelwerk umfaßt inzwischen 80 Regeln, 7 Regelentwürfe und 6 Anderungsentwürfe. 161 (3) Überbrückung eines regel freien Zustands In den Bereichen der Kerntechnik, in denen keine sicherheitstechnischen Regeln bestehen, erläßt die TÜV-Leitstelle Kerntechnik seit Mai 1975 sog. Weisungsbeschlüsse. Diese Übergangsregelungen werden außer Kraft gesetzt, sobald entsprechende Regeln des KT A verabschiedet sind. Für die Übergangszeit sollen sie gewährleisten, daß die Sachverständigen in den atomrechtlichen Genehmigungsverfahren gleiche technische Sachverhalte einheitlich beurteilen und prüfen. Ihre praktische Bedeutung für die Konkretisierung der Genehmigungsvoraussetzungen aus § 7 II AtG ist daher ähnlich hoch wie diejenige der Praxisbeschreibungen zu den Sicherheitskriterien für Kernkraftwerke.
ISSebenso Vieweg (1982), 148 f. lS9vgl.
Luckow (1988),225 m. w. N.
16080 ausdriicklich jeweils der erste Absatz der KTA-Regeln, stellvertretend KTA 3204, Beil. zum BAnz Nr. 52/84. 161Verzeichnis in Teil 6 des BMU-Handbuchs; Stand November 1990.
ß. Die erforderliche Schadensvorsorge
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Die Genehmigungsbehörden entscheiden im Einzelfall, ob sie die Weisungsbeschlüsse anwenden wollen. Im Interesse einer einheitlichen Verfahrensabwicklung streben die Behörden an, die Beschlüsse einheitlich heranzuziehen oder von ihnen abweichende Entscheidungen einheitlich zu treffen. Deshalb sollen die Behörden Bedenken gegen die Weisungsbeschlüsse unverzüglich der TüV-Leitstelle und dem zuständigen Bundesminister mitteilen, damit der Minister im Bund/Länderausschuß Einheitlichkeit herstellen kann. l62 Daß hier anscheinend eine privatrechtlich organisierte Stelle staatlichen Behörden Verhaltensempfehlungen gibt, ist angesichts der verfassungsrechtlich gebotenen Aufgabenverteilung zwischen Verwaltung und Sachverständigen163 keineswegs selbstverständlich. Die TÜV-Leitstelle Kerntechnik besteht aus je einem Vertreter der im Bereich der Kerntechnik tätigen acht TÜV. Bezogen werden können die Weisungsbeschlüsse beim Verlag TüV Rheinland GmbH. (4) Bewertung des Aufstellungsverfahrens Die Öffentlichkeitsbeteiligung ist bei der Aufstellung der KT A-Regeln stärker ausgeprägt als beim Erlaß verwaltungsinterner Regelungen. Zwar wird nicht der Wortlaut, aber immerhin die Inhaltsangabe eines Regelentwurfs im Bundesanzeiger veröffentlicht. Für die interessierte Öffentlichkeit besteht während einer dreimonatigen Frist Gelegenheit, Änderungsvorschläge einzureichen. Eine Begründung der technischen Regeln, die sich insbesondere mit den Änderungsvorschlägen auseinandersetzt, wird allerdings nicht publiziert. Insgesamt ist daher das Verfahren des KTA nicht wesentlich transparenter als der Beratungsmodus der RSK/SSK oder des Bund/Länderausschusses. Durch die lange Verfahrensdauer ist zweifelhaft, ob die am Ende erlassenen Regeln tatsächlich dem sich fortentwickelnden Stand von Wissenschaft und Technik entsprechen. l64 Das Verfahren des Normenausschusses Kerntechnik ist ähnlich strukturiert wie das des KTA)I6S Allerdings werden Normentwürfe und Einspruchsmöglichkeiten nicht in einem amtlichen Mitteilungsblatt bekannt gemacht, sondern in einer Schrift eines privaten Verlags.
16280 ausdlÜcklich die "Zusanunenfassende Information über die TüV-Leitstelle Kerntechnik", vgl. Nr. A.9.2.im Anhang des BMU-Handbuchs. 163dazu
16480
BVerwG, DVBI 1986,190,195.
auch Luckow (1988),227; Jaf8SS (1991),419.
16S näher
dazu Nolte (1984), 11 0 ff
68
A. Genehmigung kerntechnischer Anlagen in der BRD
ce) Rechtliche Bedeutung der technischen Regelwerke (1) Keine unmittelbare Bindungswirkung Da sich die Genehmigungsbehörden in der Praxis an den technischen Regelwerken orientieren, ist deren faktische Bedeutung beträchtlich. l66 Die Regeln entfalten aber keinerlei unmittelbare Rechtswirkung. Als schlichte Verwaltungshandlungen binden sie weder die Genehmigungsbehörden, noch die Verwaltungsgerichte, noch Verfahrensbeteiligte unmittelbar. l67 Wenn sich der BMU in seinen Weisungen i. R. d. Bundesauftragsverwaltung auf die Regeln bezieht, werden diese für die Länderbehörden verbindlich. Mittelbare rechtliche Bedeutung erhalten die Regeln, wenn die Genehmigungsbehörden in ihren Entscheidungen darauf verweisen. 168 (2) Beweisrechtliche Bedeutung Aussagen des BVerwG zu einer erhöhten beweisrechtlichen Relevanz technischer Regeln fehlen, soweit ersichtlich. Manche Autoren sprechen sich jedoch dafür aus, v. a. die Regeln des KTA wegen des besonderen Aufstellungsverfahrens und der nachfolgenden Überprüfung durch die Exekutive als Grundlage eines Anscheinsbeweises zu betrachten. Es bestehe eine widerlegliche Vermutung, daß die Festlegungen in den Regeln dem Stand von Wissenschaft und Technik entsprächen. l69 Alle diese in der Terminologie uneinheitlichen Ansätze sind von dem Bestreben geleitet, an die Mitwirkungspflicht des Klägers im Anfechtungsprozeß erhöhte Anforderungen zu stellen. Das Gericht soll nicht befugt sein, die technischen Regeln von sich aus auf Unzulänglichkeiten zu überprüfen. Bei entgegenstehenden Sachverständigengutachten soll der Richter die in den kemtechnischen Regeln getroffenen abstrakten Festlegungen wegen ihrer "erhöhten Richtigkeitsgewähr" dem Individualgutachten vorziehen müssen. I'lO Hinsichtlich der KTA-Regeln treffen diese Auffassungen schon deshalb nicht zu, weil diese Regeln eher auf den Standard der "allgemein anerkannten Regeln der Technik" als auf den "Stand von Wissenschaft und Technik" bezogen sind. Denn nach § 2 der Bekanntmachung111 ist erst dann ein Aufl66ebenso Luckow (1988),229 m.w.N;Nolte (1984),168. 16790
auch Luckow (1988),229 f m.w.N;Nolte (1984), 137; Ronellenfitsch (1983), 199.
16890
auch Luckow (1988),230 m.w.N;Ronellenfitsch (1983),201.
16990 z. B. Rittstieg (1982), 212; Breuer, NJW 1977, 1126 f; Ronellenfitsch (1983), 201 ff: "allgemeine Erfahrungsgrundsätze"; aus der Rspr. VG Schleswig, NJW 1980,1296,1297.
l~so ausdriicklich Rittstieg (1982),214; vgl. auch Kloepfer (1989), § 8, Rdnr. 30.
mBMU-Handbuch (=Anhang), Nr.6.0.
ll. Die erforderliche Schadensvorsorge
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stellungsverfahren einzuleiten, wenn sich hinsichtlich des ins Auge gefaßten Regelungsgegenstands eine einheitliche Meinung der Fachleute abzeichnet. Hinzu kommt, daß die technischen Regelungen außer Tatsachenfeststellungen auch Werturteile enthalten, die für Außenstehende nicht voneinander zu trennen sind. Ein Anscheinsbeweis kommt aber nur hinsichtlich Tatsachen in Betracht. Damit können die technischen Regeln beweisrechtlich nur als Anhaltspunkte eine gewisse Indizwirkung entfalten. In
4. Klagebefugnis a) Das Prinzip der Verletztenklage
Nach § 42 II VwGO ist eine Anfechtungsklage nur zulässig, wenn der Kläger geltend macht, durch den Verwaltungsakt in seinen Rechten verletzt zu sein. Diese Behauptung einer Rechtsverletzung darf sich nicht in einer bloßen Formalbehauptung erschöpfen, sondern muß substantiiert sein: Der Kläger muß Tatsachen vorbringen, die eine Verletzung seiner Rechte möglich erscheinen lassen!73 Die atomrechtliche Genehmigung oder der Vorbescheid ist ein Verwaltungsakt mit Doppelwirkung; er begünstigt den Errichter oder Betreiber und belastet den von den möglichen Auswirkungen der Anlage Betroffenen. Bei Verwaltungsakten mit Doppelwirkung muß der klagende Drittbetroffene nach der sog. Schutmormtheorie geltend machen, daß solche Rechtsvorschriften verletzt sind, die nach dem objektivierten Willen des Gesetzgebers ausschließlich oder doch jedenfalls neben dem mit ihnen verfolgten Interesse der Allgemeinheit zumindest auch dem Schutz von Individualinteressen zu dienen bestimmt sind. Ob ein Rechtssatz des objektiven Rechts dem Schutz von Individualinteressen dienen soll, ist mit den üblichen Auslegungsmethoden zu beantworten. Dabei genügt es jedoch nicht, daß das gefährdete Rechtsgut durch die Vorschrift in irgendeiner Weise geschützt wird; es muß vielmehr gerade in Richtung auf den angefochtenen Verwaltungsakt geschützt sein. Dies richtet sich v. a. nach dem Zweck der zum Erlaß des Verwaltungsakts ermächtigenden Norm und nach der Individualisierbarkeit des Kreises der Betroffenen. Sogenannte Rechtsreflexe begründen die Klagebefugnis nicht. Ein Rechtsreflex liegt dann vor, wenn die einschlägige Norm nach ihrer Zwecksetzung ausschließlich dem öffentlichen Interesse dient und nur in ihrer rein tatsächlichen, von der Zwecksetzung nicht mit umfaßten Nebenwirkung auch dem Individualinteresse zugute kommt. 174 Inebenso Jarass (1991),432 f; vgl. auch Vieweg (1982),239 ff, 247. 173vgl.Kopp (1986-1), Nr. 98 zu § 42; Redeker/v. Oertzen (1988), Nr. 15 zu § 42,jeweils m. w.N. 114vgl. Kopp (1986-1), Nr. 48 ff zu § 42; Redeker I v.Oertzen (1988), Nr. 16, 132 zu § 42, je m. w.N.
70
A. Genehmigung kemtechnischer Anlagen in der BRD
Gegen die Schutmormtheorie sind mancherlei Einwände erhoben worden. Wenn ein Kläger im Umkreis der Anlage wohnt, dann sollen seine individualrechtlich geschützten Interessen identisch sein mit den Interessen aller Bürger in diesem Gebiet, d. h. mit (latent) öffentlichen Interessen. In atomrechtlichen Streitigkeiten seien die Individualinteressen des Klägers daher zwar noch abstrakt individualisierbar, konkret zur Begründung der Klagebefugnis aber nicht mehr individualisierungsbedürftig. 175 Außerdem soll aus Art 2 I GG ein Abwehrrecht gegen alle Beeinträchtigungen aus objektiv rechtswidrigen Verwaltungsakten abzuleiten sein. Auf eine einfachrechtliche Schutmorm komme es daher nicht an. Die Klagebefugnis sei bereits gegeben, wenn der Kläger durch den Verwaltungsakt konkret betroffen sei. 176 Die Rspr. zum Atomrecht hält jedoch an der Schutmormtheorie fest. !TI Auch im Atomrecht wird eine RVerbandsklage R eines Vereins, der sich nach seiner Satzung für den Schutz der Lebensgrundlagen des Menschen einsetzt, für unzulässig gehalten. l78 Denn durch Art 19 IV GG werde eine zu schützende Rechtsposition nicht begründet, sondern vorausgesetzt; auf diese Verfassungsnorm könne der Verein seine Klagebefugnis daher nicht stützen. Vielmehr müsse er eine Verletzung seiner eigenen Rechte geltend machen. Das einschlägige Grundrecht der Vereinigungsfreiheit schütze jedoch nur die der Verwirklichung der Vereinsziele dienende Betätigung, jedoch nicht ein bestimmtes Ergebnis dieser Betätigung. Die Vereinigungsfreiheit sei daher nicht berührt, wenn z. B. durch eine atomrechtliche Genehmigung nur rein faktisch die Verwirklichung von Vereinszwecken erschwert oder unmöglich gemacht werde, die Vereinstätigkeit als solche durch diese Maßnahme aber nicht administrativ behindert werde. Auf Art 2 11 1 GG, das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit, könne sich der Verein wegen Art 19 III GG nicht berufen. § 7 11 Nr. 3 AtG schütze Vereine nur insoweit, als sie Verletzungen ihres Eigentums geltend machen könnten. Insgesamt sei daher keine die Rechte des Vereins schützende Norm ersichtlich, die durch die Erteilung einer atomrechtlichen Genehmigung verletzt sein könnte. Der Kläger muß auch dann geltend machen, durch den Verwaltungsakt in seinen eigenen Rechten verletzt zu sein, wenn er keine Anfechtungsklage erhebt, sondern die Feststellung beantragt, der Verwaltungsakt sei nichtig. l79 Ohne Gefolgschaft geblieben ist die Ansicht des OVG LÜfieburg,
175vgl. Schmidt, NIW 1978, 1773 f. 176vgl.Zuleeg, DVBI 1976,514f. !TIvgl.BVerfGE 53,30,49; BVerwG, DVBI 1981,405. 178vgI.BVerwG, NIW 1981,362 f. 179vgl.
z. B. OVG Koblenz, ET 1982,250 f.
11. Die erforderliche Schadensvorsorge
71
wonach bei Nichtigkeitsklagen ein berechtigtes individuelles Interesse an der Feststellung der Nichtigkeit ausreicht, die Klagebefugnis zu begründen. l80 Auch diese Auffassung will eine Popularklage im Bereich der Feststellungsklage ausschließen; der Kläger soll sich nicht zum Sachwalter der Allgemeinheit machen können. Die Tatsache, daß es sowohl für die Zulässigkeit als auch für die Begründetheit der Klage auf die Verletzung individual schützender Normen ankommt, ermöglicht es, den Stoff eines Atomprozesses erheblich zu begrenzen. Denn nur soweit ein Verstoß gegen Schutmormen geltend gemacht werden kann, wird die Einhaltung der objektiven Rechtsordnung von den Gerichten überprüft. 181 b) Klagebefugnisbei § 711 Nr. 3 ArG Je nachdem, ob sich der Kläger gegen die potentiellen Gefahren des des bestimmungsgemäßen Betriebs, eines Auslegungsstörfalls oder gegen befürchtete Unfallrisiken wendet, werden an sein Vorbringen unterschiedliche Anforderungen gestellt. Die Zuordnung der einzelnen Betriebszustände zu speziellen untergesetzlichen Schutmormen hat sich jedoch erst im Laufe der Zeit herausgebildet. aa) Klagebefugnis im Gefahrenbereich der Anlage Im Würgassen-Urteil l82 hat das BVerwG dem § 7 11 Nr. 3 AtG allgemein drittschützende Wirkung für die Menschen im Gefahrenbereich der Anlage zugesprochen. Damit war für die Klagebefugnis ausschlaggebend, ob der Kläger in diesem Bereich seinen Wohn- oder Aufenthaltsort hatte. Der Gefahrenbereich wurde von den Verwaltungsgerichten überwiegend "aus der Natur der Sache" bestimmt. So weit wie die möglichen Auswirkungen der Anlage vermutlich reichten, sei der Kreis der klagebefugten Personen zu ziehen. l83 Dabei spielte auch eine Rolle, zu welchem Betriebszustand die Gefahren zu rechnen waren, die der Kläger befürchtete. Die Gerichte waren dabei gelegentlich sehr großzügig. In einer seiner ersten atomrechtlichen Entscheidungen hat das BVerfG die Klage eines 375 km vom Standort der Anlage entfernt wohnenden Klägers für "zweifelsfrei zulässig" gehalten, der nur vorgebracht hatte, daß die vorgesehen Auslegung der Anlage I~ 1982,592 f; strenger Er 1983,683,684. 181 vgl Redeker/v. Oertzen (1988), Nr. 2a zu § 113; Haedrich (1986), Nr. 16a vor § 3 m. w. N; zu den praktischen Auswirkungen Deiseroth (1986),233 ff. I 82DVBI
l83vgl.
1972,678.
Haedrich (1986), Nr. 16b vor § 3 m. w. N.
72
A.
Genehmigung kemtechnischer Anlagen in der BRD
einen Unfall nicht ausschließe und sich dieser Unfall auch noch am Wohnort des Klägers auswirken könne. Damit mache der Kläger geltend, durch den Verwaltungsakt in seinen Rechten verletzt zu sein. l84 Sofern es um potentielle Störfall- oder Unfallrisiken ging, umfaßte der Kreis der Klagebefugten in der Regel jedoch nur Personen, deren Wohn- oder Aufenthaltsort etwa 50 km vom Standort der Anlage entfernt lag. Bei Klagen gegen angenommene Gefahren des bestimmungsgemäßen Betriebs lag die Grenze bei einigen wenigen Kilometern. IIIS Die Praxis, den Kreis der klagebefugten Personen aus der Natur der Sache zu bestimmen, ist auf schärfste Kritik gestoßen: Dies bedeute "die Einführung der Popularklage, die weder im Atomgesetz noch in der Verwaltungsgerichtsordnung vorgesehen" sei. Sie sei "eine Schöpfung, oder wenn man so will: eine Erfindung der Gerichte. "186 Allerdings sind z. B. durch den Reaktorunfall in Tschernobyl auch noch in der mehrere Tausend Kilometer vom Unfallort entfernten BRD Strahlenwerte aufgetreten, die zu Ganzkörperdosen zwischen 0,03 und 0,15 mSv geführt haben. l87 Da auch derart niedrige Strahlendosen den Schutzbereich des Grundrechts auf Leben und körperliche Unversehrtheit berühren,l88 scheint es nicht völlig unvertretbar, einer mehrere Hundert Kilometer vom Standort eines Kernkraftwerks wohnenden Person die Klagebefugnis zuzusprechen. bb) Drittschützende Wirkung des Strahlenminimierungsgebots Soweit nicht überhaupt nur die möglichen faktischen Auswirkungen der Anlage zur Begründung der Klagebefugnis herangezogen wurden, wurde jedenfalls das Strahlenminimierungsgebot (§ 28 I Nr. 2 StrlSchV) von der Mehrzahl der Gerichte als Schutmorm betrachtet. 189 Das Strahlenminimierungsgebot habe gegenüber den Dosisgrenzwerten eine vorrangige Bedeutung. l90 Es gewähre daher dem Nachbarn einer kerntechnischen Anlage ein IB4sVenvG, B. v. 03.02.1967,zitiert nach Alben (1980), 18; sehr großzügig auch OVG Lüneburg, DVBI 1975,190 ff: 100 km. 185s. VGH Mannheim, DVBI 1976,538,541; BayVGH, DVBI 1975, 199, 203; OVG Koblenz, ET 1976,539,540. l86s.0ssenbühl, DVBI 1978,1,4; den, DÖV 1981,7; s. auch Schmitt Glaeser, Landkreis 1976,445. l87s. UMWELT 611986,32. l88 so auch Czajka, DÖV 82,104 und dort Fn. 26; vgl. auch o. S. 35 ff. l89z. B. von OVG Münster, ET 1975,220,223 f noch zu § 21 1. SSVO; OVG Lüneburg, DVBI 1978,67 ff; zustimmend Winter, NJW 1979,397 f; Baumann, BayVBI 1982,294 ff; Nolte (1984),92. 190so OVG Münster, ET 1975, 224 unter Hinweis auf Systematik und Entstehungsgeschichte.
D. Die erforderliche Schadensvorsorge
73
subjektiv-öffentliches Abwehrrecht gegen die Genehmigung einer solchen Anlage, bei der nicht sichergestellt sei, daß die Strahlenbelastung seiner Person auch unterhalb der Dosisgrenzwerte so gering wie möglich gehalten werde. Denn auch im Bereich kleinster Dosen seien Gesundheits- und Erbschäden nicht auszuschließen, wenn auch die Wahrscheinlichkeit solcher Schäden mit abnehmender Dosis immer kleiner werde. Die Dosisgrenzwerte kennzeichneten daher eine eben noch vertretbare Risikogrenze, die unterschritten werden sollte. Außerdem gäben sie einen Orientierungsmaßstab für das Verständnis des Grundsatzes an, daß die Strahlenbelastung "so gering wie möglich" sein müßte. Sofern eine weitere Verminderung einer unterhalb der Dosisgrenzwerte liegenden Strahlenbelastung überhaupt technisch möglich sei, habe der Nachbar darauf nur dann einen Anspruch, wenn diese Verminderung "wesentlich" sei, d. h. in einem beachtlichen, vernünftigen Vrhältnis zu den Grenzwerten stehe. Dies sei dann nicht mehr der Fall, wenn die Größenordnung der noch zu erwartenden Strahlenbelastung im Vergleich zu den Grenzwerten vernachlässigbar sei. ce) Das Stade-Urteil des BVerwG Die Praxis, den Kreis der klagebefugten Personen rein räumlich zu umgrenzen, hat das BVerwG im Stade-Urteil 191 verworfen. In der gleichen Entscheidung hat das BVerwG klargestellt, daß das Strahlenminimierungsgebot, jedenfalls soweit es um den bestimmungsgemäßen Betrieb geht, Dritten kein Recht auf weitere Verminderung einer unterhalb der Dosisgrenzwerte liegenden Strahlenexposition verleiht. 192 Die rein tatsächliche Betroffenheit des Klägers von den Auswirkungen der Anlage könne nur ein Indiz dafür sein, daß eine Schutznorm verletzt sei. Für sich allein genüge der Umstand, daß potentielle Auswirkungen der Anlage auch noch am Aufenthaltsort des Klägers spürbar seien, nicht, die Klagebefugnis zu begründen. Schutznorm sei nur § 45 StrSchV, der Dosisgrenzwerte enthalte. Deren Funktion sei es, Rechtssicherheit zu gewährleisten und die Grenze festzulegen, an der das vom einzelnen hinzunehmende Restrisiko beginne. Diese Grenze sei mit den Dosisgrenzwerten des § 45 StrlSchV in verfassungsrechtlich zulässiger Weise bestimmt worden. Diese Grenzwerte lägen nämlich weit unterhalb der Werte, die von der Internationalen Strahlenschutzkommission ICRP empfohlen würden. Sie bewegten sich zudem innerhalb der Schwankungsbreite der natürlichen Strahlenexposition. Die ihnen zugrunde liegende Hypothese einer linearen Dosis-Wirkungsbeziehung könne eher zu einer Über- als zu einer Unterschätzung des mit ihnen
191 DVBI
1981,405,406 f; ebenso dann DVBI 1982,960,963.
192so auch die h. M.: LukeslRichter, NIW 1981,1407; Degenhart, Er 1983,232; Feldmann, Er 1983,386; Hohlefelder, Er 1983,394; Rengeling, DVBI 1981,324; Hansmann, DVBI
1981,902; Martens, DÖV 1982,93; Schattke, ET 1982,1084 f.
74
A. Genehmigung kemtechnischer Anlagen in der BRD
verbundenen Risikos führen. Dieses Risiko sei kleiner als das aus der natürlichen Strahlenbelastung resultierende und um mehrere Größenordnungen geringer als andere Lebens- und Zivilisationsrisiken. Deshalb könne es nach dem Maßstab praktischer Vernunft vernachlässigt werden. Im übrigen beruhe die angenommene lineare Dosis-Wirkungsbeziehung im Bereich kleinster Strahlendosen nur auf einer Hypothese; hiermit werde keine Wahrscheinlichkeit im Sinne des juristischen Gefahrbegriffs angegeben. Es handle sich vielmehr nur um ein Risiko, das auf einem Gefahrverdacht beruhe. 193 Maßnahmen zur Reduzierung einer unterhalb der Dosisgrenzwerte liegenden Strahlenbelastung dienten nur der Verminderung des Bevölkerungsrisikos; deshalb habe der einzelne hierauf keinen Anspruch. Wer sich gegen potentielle Gefahren aus dem bestimmungsgemäßen Betrieb einer kerntechnischen Anlage wehren will, muß nunmehr geltend machen, daß an einem für ihn relevanten Ort, d. h. seinem Wohn-, Aufenthalts- oder Arbeitsort, die Dosisgrenzwerte aus § 45 StrlSchv überschritten werden. l94 Das BVerwG bestimmt im Stade-Urteil das Restrisiko anhand des vom BVerfG im Kalkar-Beschluß offerierten Maßstabs hinreichend geringer Eintrittswahrscheinlichkeit, ohne sich näher mit der widersprüchlichen Grenzziehung des BVerfG l9S auseinanderzusetzen. Der Individualschutz ist gegenüber den alten Rspr. zwar eingeschränkt; er erfaßt jedoch immer noch die Fälle des Gefahrenverdachts. Die übliche Staatspraxis mit der strikten Trennung von drittschützender Gefahrenabwehr und nicht drittschützender Risikovorsorge l96 ist mit dem Stade-Urteil schwerlich vereinbar. dd) Klagebefugnis hinsichtlich potentieller Störfallrisiken Das BVerwG hat sich bislang nicht dazu geäußert, ob das Strahlenminimierungsgebot bei der Auslegung gegen Störfälle drittschützend ist. Dritte können jedoch im Bereich der Auslegungsstörfälle keine standortbezogene Vorsorge verlangen, wenn die im Auslegungsstörfall zu erwartende Strahlenbelastung unterhalb der Grenzwerte für den bestimmungsgemäßen Betrieb bleibt. l97 Außerdem ist die erforderliche Vorsorge gegen Störfälle dann getroffen, wenn die Störfallplanungsdosen (§ 28 III 1 StrlSchV) beim
193so auch Schaub, DVBI 1979,657. 194sVerwG DVBI 1981,407. 19Svgl. dazu oben S. 34 ff. 196s. dazu oben S. 49 f. 197vgl. BVerwG, DVBI 1982,960,963.
ß. Die
erforderli~he
Schadensvorsorge
75
ungünstigsten Störfall eingehalten werden können. l98 Diese Ausführungen deuten darauf hin, daß das BVerwG die Störfallplanungsdosen - wie von der Literatur gefordert l99 - im Zweifel als Grenze des vom einzelnen hinzunehmenden Restrisikos ansehen und dem Strahlenminimierungsgebot im Zusammenhang mit der Auslegung gegen Störfälle keine drittschützende Wirkung zuerkennen würde. Zugunsten dieser Auffassung läßt sich zwar anführen, daß die gegenüber den Werten für den bestimmungsgemäßen Betrieb höheren Störfallplanungsdosen durch die geringe Eintrittswahrscheinlichkeit von Störfällen rechtlich ausgeglichen wird. Außerdem bewegen sich die Störfallplanungsdosen in dem Bereich, für den der Nachweis somatischer oder genetischer Schäden nicht geführt werden kann. Deshalb liegt keine Gefahr, sondern nur ein Gefahrenverdacht vor. 2IJO Nach dem Stade-Urteil 201 umfaßt der Drittschutz aber auch solche Fälle des Gefahrenverdachts. ee) Klagebefugnis hinsichtlich befürchteter Unfallrisiken Die Behauptung des Klägers, ein bei der Auslegung der Anlage nicht berücksichtigter Unfall könne zu einer Freisetzung von erheblichen Mengen an radioaktiven Stoffen führen, begründet für sich allein die Klagebefugnis nicht. Dies gilt auch dann, wenn in einem solchen Fall am Wohnort des Klägers mit Radioaktivitätskonzentrationen zu rechnen wäre, die erheblich über den Störfallplanungsdosen liegen. Die Höhe eines befürchteten Schadens allein macht die Klage noch nicht zulässig. Zusätzlich muß der Kläger vielmehr substanziert behaupten, ein zu einem solchen Schaden führender Ereignisablauf sei so hinreichend wahrscheinlich, daß dagegen Vorsorge getroffen werden muß. Diese Voraussetzung ist jedenfalls dann erfüllt, wenn von den übrigen Verfahrensbeteiligten nicht bestritten wird, daß die vom Kläger befürchtete Schadensmöglichkeit in Betracht zu ziehen ist. 202 Auch wenn die Genehmigungsbehörde sich in einem Einzelfall, wenn auch unter Hinweis auf dessen Besonderheiten, zu der von ihr im übrigen bei der Konkretisierung der Schadensvorsorge vertretenen Auffassung in Widerspruch setzt, besteht die Möglichkeit einer Rechtsverletzung i. S. v. § 42 11 VwGO. 203
198vgl. BVerwG, DVBI 1986,190,196. 199s. z. B. Schattke, ET 1982,1085 f; LukeslRichter, NIW 1981,1408; aus der Rspr. OVG Lüneburg, DVBI 1984,887 f. 2IJOdies sehen auch Schattke, ET 1982,1086; LukeslRichter NIW 1981,1408, die jedoch zu Unrecht annehmen, der Drittschutz erstrecke sich nur auf die Gefahrenabwehr. Zu Wissenslücken über die Dosis-Wirkungsbeziehung im Bereich kleiner Strahlendosen Rausch (1976), 279 f. 201BVerwG, DVBI1981,405ff. 202BVerwG, DVBI 1985,401. 203vGH Kassel, NVwZ-RR 1990,128,129.
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A. Genehmigung kerntechnischer Anlagen in der BRD
ff) Inhaltliche Grenzen des Individualschutzes
Einige Probleme, die in der öffentlichen Diskussion über die friedliche Nutzung der Kernenergie eine große Rolle spielen, werden von den Gerichten durchweg nicht berücksichtigt, wenn über die Rechtmäßigkeit atomrechtlicher Verwaltungsakte zu befinden ist. Nach § 7 11 AtG ist nicht Genehmigungsvoraussetzung, daß das betreffende Kernkraftwerk benötigt wird, um den Energiebedarf zu decken. 2D4 Was die Entsorgung der bestrahlten Brennelemente betrifft, verlangt § 7 11 Nr. 3 AtG nur Vorsorge gegen das anlagenimmanente Risko des Anfalls und Verbleibs radioaktiver Abfälle und Reststoffe, d. h. gegen solche Risiken, die wegen des Umgangs mit radioaktivem Material unmittelbar von der betreffenden Anlage ausgehen. Damit eine Genehmigung erteilt werden kann, muß die Entsorgung nicht gesichert sein. Denn der Gesetzgeber hat mit der 4. Novelle zum AtG vom 30.08.1976 die Sicherheit der Entsorgung gerade nicht zur Genehmigungsvoraussetzung erhoben. 211S Außer Betracht bleiben im Rahmen der Prüfung gemäß § 7 11 Nr. 3 AtG alle Tätigkeiten, die nicht Teil des Betriebs oder der Errichtung der konkreten Anlage sind, d. h. der Umgang mit bestrahlten Brennelementen außerhalb der Anlage, der Transport radioaktiver Stoffe, die Wiederaufarbeitung bestrahlter Kernbrennstoffe, die Endlagerung radioaktiver Abfälle sowie die Stillegung und Beseitigung der Anlage. 206 An diesem Ergebnis ändert auch § 9a AtG nichts. Denn die dort vorgeschriebene Entsorgungsvorsorge ist keine Genehmigungsvoraussetzung, sondern eine Handlungspflicht, die zudem nicht drittschützend ist; denn der Kreis der Drittbetroffenen ist nicht bestimmbar. Allerdings kann die Genehmigungsbehörde die SichersteIlung der Entsorgung im Rahmen ihres nicht drittschützenden317 Ermessens berücksichtigen. 2D8 Die Erteilung einer atomrechtlichen Genehmigung hängt ferner nicht davon ab, ob für die Umgebung des Standorts besondere Katastrophenschutzmaßnahmen wie z. B. Verhaltensmaßregeln für die Bevölkerung, Ausgabe von Iodtabletten oder Evakuierung geplant sind oder durchführbar erscheinen. Diese Aspekte sind Bestandteil der behördlichen Ermessenserwägungen; da diese Maßnahmen das Restrisiko mindern sollen, kann der einzelne sie
2ll4sVerwG, DVBI 1982,960,961;OVG Lüneburg, Er 1982,949,954;VGH Mannheim, Er 1982,849. 211Svg l.
Ronellenfitsch (1983),263; Wagner/Ziegler, DVBI 1981,146.
206yGH Mannheim, Er 1982,849,884; OVG Lüneburg, DVBI 1983,187,188; BayVGH, BayVBI 1984,592,594; Haeusler, Er 1977,310;Dcgenhart, Er 1983,237;Breuer, VerwArch 1981,276 f. 2D7BVerwG. DVBI 1986,190,195. 2D8stellvertretend BayVGH, BayVBI 1984,592,594; ebenso Marburger (1983), 128; Kuhnt (1980), 364; Knüppel, Er 1979,469; Lukesl Dauk, Er 1979,674f; Degenhart, Er 1983,236 f;Osscnbühl, DOV 1982,867; Brcuer, VerwArch 1981,277.
11. Die erforderliche Schadenavorsorge
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nicht im Klageweg durchsetzen. 319 Zum Katastrophenschutz in der U mgebung kerntechnischer Anlagen sind mehrere verwaltungsinterne Regelungen ergangen, in denen u. a. radiologische Grundlagen für die Entscheidung über Schutzmaßnahmen sowie Grundsätze für die Aufstellung besonderer Katastrophenschutzpläne in der Umgebung kerntechnischer Anlagen festgelegt sind. 210 Außerhalb eines Kreises mit einem Radius von bis zu etwa 25 km um die kerntechnische Anlage sind besondere, auf die Anlage bezogene Katastrophenschutzplanungen danach nicht erforderlich. 211 5. Die Staatspraxis in der neueren Rspr. des BVerwG Im Wyhl-Urteil hat das BVerwG zum Vorsorgebegriff des § 7 II Nr. 3 AtG erneut eingehend Stellung genommen. 212 Hiernach ist Vorsorge gegen Schäden nicht identisch mit Gefahrenabwehr im Sinne des klassischen Polizeirechts. Dies ergibt sich bereits aus dem Wortlaut; denn § 7 II Nr. 3 AtG spricht von "Vorsorge gegen Schäden" und nicht von "Gefahrenabwehr" . Im Bereich der Gefahrenabwehr, d. h. "wenn aus bestimmten gegenwärtigen Zuständen nach dme Gesetz der Kausalität gewisse andere Schaden bringende Zustände oder Ereignisse erwachsen würden", sind - so das BVerwG unter Bezugnahme auf die klassische Gefahrendefinition des PrOVG - auf jeden Fall Schutzmaßnahmen gefordert. Bei der Auslegung des § 7 II Nr. 3 AtG berücksichtigt das Gericht besonders den Schutzzweck des Gesetzes und kommt zu dem Ergebnis, daß darüberhinaus auch gegen Fälle des Gefahrenverdachts oder "Besorgnispotentials" Maßnahmen der Vorsorge zu treffen sind. Ein Besorgnispotential oder ein Gefahrenverdacht besteht, wenn sich eine bestimmte Schadensmöglichkeit deshalb nicht ausschließen läßt, "weil nach dem derzeitigen Wissensstand Ursachenzusammenhänge weder bejaht noch verneint werden können." Bei der Prüfung, welche Schadensmöglichkeiten bestehen, kommt es nicht nur auf das vorhandene ingenieursmäßige Erfahrungswissen an. Vielmehr erfordert die Vorsorge, Schutzmaßnahmen auch anband "bloß theoretischer Überlegungen" in Betracht zu ziehen. Sowohl für den Individualschutz als auch für den Kollektivschutz gilt, daß Schutzmaßnahmen nicht von einem Kausalitätsnachweis abhängig gemacht werden dürfen. Zusätzlich sind auch Risiken aufgrund noch vorhandener Wissenslücken und Unsicherheiten hinreichend zuverlässig auszuschließen. Erst dann ist die gemäß § 7 II Nr. 3 AtG erforderliche Vorsorge als getroffen anzusehen, wenn Gefahren und Risiken praktisch ausgeschlossen sind.
3I9yG Koblenz, ET 1984,702,710; Feldmann, ET 1983,392. 21~gl. BMU-Handbuch (=Anhang), Nr.3.15.
211 80 ausdlÜcklich Teil C 11 6.8 der "Rahmenempfehlungen Katastrophenschutz", BMUHandbuch (=Anhang), Nr.3.15. 212DVB1 1986,190,194 f; s. a. NVwZ 1989,1169.
A. Genehmigung kemtechnischer Anlagen in der BRD
78
Nach Ansicht des BVerwG müssen also nicht nur Schäden ausgeschlossen sein. Schäden treten erst ein, wenn sich eine Gefahr oder ein Risiko realisiert. Wenn das BVerwG den praktischen Ausschluß nicht nur von Schäden, sondern sogar von Gefahren und Risiken verlangt, stellt es somit äußerst strenge Anforderungen an den Sicherheitsstandard. 213 Das BVerwG will anscheinend gegen alle Ereignisse Vorsorge getroffen wissen, die nicht jenseits der Grenze des menschlichen Erkenntnisvermögens liegen. Durch das Wyhl-Urteil wurde der Tatbestand des § 7 11 Nr. 3 AtG auf Fälle des Gefahrenverdachts ausgedehnt. Dies geschah zu Lasten des Ermessensbereichs, in den nach bisher üblicher Staatspraxis Maßnahmen der Restrisikominimierung fielen. Das BVerfG hat es im Kalkar-Beschluß wegen der nach Art und Ausmaß neuartigen Gefahren der Kerntechnik für verfassungsgemäß gehalten, daß § 7 II AtG der Genehmigungsbehörde ein Versagungsermessen gewährt. 214 Deshalb sind vermutlich Maßnahmen, die einer über die weit gefaßte Vorsorge des Wyhl-Urteils hinausgehenden Restrisikominimierung dienen, weiterhin von der Ermessensermächtigung gedeckt. 21S Das BVerwG hatte keinen Anlaß, sich im Wyhl-Urteil zu dieser Frage zu äußern. Denn es hat das Ermesen, der bisherigen Staatspraxis entsprechend, als nicht drittschützend angesehen. 216 Zweifelhaft ist, ob Maßnahmen des "anlageninternen Notfallschutzes" zur Vorsorge und damit zum Tatbestand des § 7 II Nr. 3 AtG gehören, oder ob es dem Ermessen der Behörden anheimgestellt ist, die Vorbereitung solcher Maßnahmen zu verlangen. Zum sog. "anlageninternen Notfallschutz" gehören alle Maßnahmen, die in einem Kernkraftwerk getroffen werden, um auslegungsüberschreitende Störfälle frühzeitig und sicher zu erkennen, zu kontrollieren und mit möglichst geringen Schäden zu beenden. Unter einem auslegungsüberschreitenden Störfall vesteht man einen Ereignisablauf, bei dem die Sicherheitssysteme ihre in der Auslegung vorgesehene Funktion wegen zusätzlicher Fehlerpostulate nicht erfüllen können. Der "anlageninterne Notfallschutz" soll bei solchen Ereignissen v. a. den Schutz der druckführenden Umschließung und der Integrität des Sicherheitsbehälters gewährleisten sowie die Freisetzung radioaktiver Stoffe an die Umgebung begrenzen. 217 Unter Hinweis darauf, daß diese Maßnahmen die Auswirkungen einer nach praktischer Vernunft ausgeschlossenen Kemschmelze begrenzen sollen, werden sie der im Ermessen der Behörden liegenden Restrisikominimierung zugerechnet, und Dritten werden insoweit jegliche einklagba-
21380
auch Albers (1987), 536.
214vg l. 21580
BVerfGE 49,89,146 f.
auch Rengeling (1986), 89 f.
216vgl.
DVBI 1986,195.
217vgl.
Birkhofer, Er 1989,830 f; ders. (1989),36 f.
n. Die erforderliche Schadensvorsorge
79
ren Rechte abgesprochen. 218 Dagegen spricht jedoch, daß das Wyhl-Urteil eine umfassende Vorsorge auch gegen Ereignisse verlangt, die anband bloß theoretischer Überlegungen und Berechnungen in Betracht gezogen werden. Die Maßnahmen des "anlageninternen Notfallschutzes" sind darauf gerichtet, den Eintritt von Schäden zu verhindern und gehören daher zur Vorsorge im Sinne des Wyhl_Urteils. 219 Drittschützend ist nach dem Wyhl-Urteil aber nicht der gesamte Vorsorgebereich. Vielmehr kann ein Dritter nur die "dem einzelnen gegenüber erforderliche Vorsorge" verlangen, die durch "den praktischen Ausschluß eines sich als Grundrechtsverletzung darstellenden Schadens" begrenzt sein soll.ZlD Die Forderung nach dem "praktischen Ausschluß" eines Schadens erinnert an den Maßstab der "praktischen Vernunft" aus dem Kalkar-BeSChluß;221 dieser Maßstab wird nach bisheriger Praxis durch den Vergleich der Risiken kerntechnischer Anlagen mit anderen, als sozialadäquat betrachteten Gefahren bestimmt. Nach bisherigem Verständnis grenzt er die Gefahrenabwehr von der Restrisikominimierung ab. Der Drittschutz reicht deshalb nach dem Wyhl-Urteil zwar nicht weiter als früher. Die Bedenken, ob die Staatspraxism von der Rspr. des BVerwG in vollem Umfang gedeckt wird, bleiben dennoch bestehen. 223
6. Gerichtliche Kontrolldichte a) UnbeschränkJe Nachprajung bis 1985 Bis etwa 1985 war es nahezu einhellige Praxis der Verwaltungsgerichte, die Auslegung und Anwendung der unbestimmten Rechtsbegriffe in § 7 11 Nr. 3 AtG durch die Genehmigungsbehörden in vollem Umfang nachzuprüfen; ein Beurteilungsspielraum wurde der Verwaltung nicht zugebilligt. 224 Im KalkarBeschluß sprach das BVerfG zwar von einem "eigenen Beurteilungsbereich" der Exekutive, ließ es jedoch ausdrücklich offen, ob die Risikoermittlungen und -bewertungen der Exekutive etwa nur einer begrenzten gerichtlichen
218vgl.Rengeling, DVBI1988,260;OVG Lüneburg, NVwZ 1987,76; BVerfGE 81,310,344 (obiter dictum). 219so richtig Steinberg (1991),76 f ZlDvgl. DVBI 1986,195. 221BVerfGE 49,143. m dazu s. o. S. 49 f. 223diesc
Bedenken teilen nicht Rengeling (1986),221; Sellner, NVwZ 1986,617.
224vgl. z. B.
NJW
BVerwG, DVBI 1972,678,680;OVG Münster, Er 1975,220,229;VG Freiburg, 1977,1645,1648; VG Würzburg, NJW 1977,1649,1650.
80
A. Genehmigung kerntechnischer Anlagen in der BRD
Kontrolle unterlägen. 22S Die Mehrzahl der VelWaltungsgerichte hielt deshalb an der gerichtlichen Vollüberprüfung fest. 226 b) Die neue Linie des BVerwG zur Kontrolldichte An.&eregt durch deutlichere Hinweise des BVerfG in einem obiter dictum der Sasbach-Entscheidung228 hat das BVerwG im Wyhl-Urteil den Umfang der gerichtlichen Überprüfung eingeschränkt. Nach der Normstruktur des § 7 11 Nr. 3 AtG trage die Exekutive die Verantwortung für die Risikoermittlung und -bewertung; sie müsse dabei die Wissenschaft zu Rate ziehen. Dabei habe sie alle vertretbaren wissenschaftlichen Erkenntnisse in ElWägung zu ziehen und bei Unsicherheiten nach Abwägung des Gewichts der einzelnen Meinungsäußerungen stets die sicherere Annahme zu Grunde zu legen. Die Gerichte dürften diese der Exekutive zugewiesene Wertung wissenschaftlicher Streitfragen und die hieraus folgende Risikoabschätzung nicht durch ihrer eigene Bewertung ersetzen. Allein diese Auffassung entspreche der verfassungsrechtlichen Lage. Denn die Exekutive verfüge auch gegenüber den VelWaltungsgerichten über Handlungsformen, die sie für die VelWirklichung der bestmöglichen Gefahrenabwehr und Risikovorsorge sehr viel besser ausrüsteten. Wegen des Grundsatzes der Gewaltenteilung dürften die Gerichte die von der Exekutive aufgrund willkürfreier Ermittlungen vorgenommene Bewertung nur auf ihre Rechtmäßigkeit überprüfen und nicht durch ihre eigene Bewertung ersetzen. Art 19 IV GG stehe dem nicht entgegen. Denn diese Bestimmung verlange nicht mehr als die Kontrolle des VelWaltungshandelns. Wo daher ein der Exekutive zugewiesener Vorbehalt vor der verfassungsrechtlichen Kompetenzordnung Bestand habe, könne er nicht durch eine mit ihm unvereinbare Ausweitung der gerichtlichen Kontrolldichte wieder in Frage gestellt werden. Z29 Ob dies alles so zutrifft, wird noch genauer zu untersuchen sein. Den Umfang der noch verbleibenden gerichtlichen Kontrollbefugnisse hat das BVerwG im Brokdorf-Urteil230 verdeutlicht. Die Genehmigung ist danach aufzuheben, wenn der Genehmigungsbehörde Ermittlungsdefizite unterlaufen sind, d. h. wenn sie Risiken nicht nachgegangen ist, denen sie hät-
22SBVerfUE 49,89,136 ff. 226z .
B. VGH Mannheim, ET 1982,849,862; a. A. nur VG Schleswig, NIW 1980,1296,1298.
227ebenso A1bers (1987),542; ders, DVBI 1983,1047. 228 BVerfUE Z29vgl.
61,82,114 f.
BVerwG, DVBI 1986,190,195; Hervorhebung im Original.
2lOoVBI 1988,148,149 f.
ß. Die erforderliche Schadensvorsorge
81
te nachgehen müssen, und wenn dieser Mangel (auch) Rechte des Klägers betrifft. Entscheidend sei, ob die Genehmigungsbehörde die Datenbasis ihrer Entscheidung als den Anforderungen des § 7 11 Nr. 3 AtG genügend habe ansehen dürfen, und ob die damit verbundenen Bewertungen ihr als hinreichend vorsichtig erscheinen konnten. Um dies festzustellen, müsse das Gericht zunächst die gedanklichen Operationen der Behörde nachvollziehen, die Grundlagen der Genehmigung gewesen seien. Einwände hiergegen seien zunächst mit den Beteiligten zu erörtern. Eine Beweisaufnahme komme erst dann in Betracht, wenn sich aus dem Vorbringen eines Verfahrensbeteiligten entnehmen lasse, daß die Annahmen und Bewertungen der Genehmigungsbehörde im Hinblick auf den Stand von Wissenschaft und Technik als widerlegbar erscheinen. Das Gericht muß Sachverständige demnach nur anhören, wenn es Zweifel hat oder sich Zweifel aufdrängen, ob die Sicherheitsbewertungen der Behörde auf einer ausreichenden Datenbasis beruhen und dem zur Zeit der Behördenentscheidung gegebenen Stand von Wissenschaft und Technik Rechnung trägt. An den allgemeinen Regeln über die materielle Beweislast ändert sich dadurch allerdings nichts. Die Nichterweislichkeit von Tatsachen, die für die Genehmigungsvoraussetzungen des § 7 11 AtG von Bedeutung sind, geht zu Lasten der Behörde. Es gibt keine Beweislastumkehr in dem Sinne, daß die Kläger nachweisen müßten, die behördlichen Annahmen und Bewertungen entsprächen nicht dem Stand von Wissenschaft und Technik. 231 Wenn Ermittlungs- und Bewertungsdefizite der Behörde festzustellen sind, weil die Behörde z. B. angesichts eines bestimmten Standes von Wissenschaft und Technik notwendige Untersuchungen nicht angestellt hat, dürfen die Gerichte diesen Mangel nicht durch eigene Ermittlun§en heilen. Dies verbietet der Funktionsvorbehalt zugunsten der Behörde. 23 Die Durchführung probabilistischer Risikoanalysen ist nicht als Voraussetzung der Genehmigung einer jeden Anlage, Teilanlage oder Einrichtung zwingend vorgeschrieben. 233
231so BVerwG, NVwZ 1989,670; ebenso Schmitz (1973), 304; Nolte (1984), 82; a. A. Mahlmann (1973),286. 23\.gl. BVerwG, DVBI 1988,149; DVBI 1988,1174; so auch schon VG Schleswig, NIW 1980, 1298. 233vgl. BVerwG, NVwZ 1989,1169. 6 Heitsch
82
A. Genehmigung kerntechnischer Anlagen in der BRD
III. Weitere anlagen- und standonbezogene Genehmigungsvoraussetzungen 1. Der Schutz gegen Stönnaßnahmen und sonstige Einwirkungen Dritter (§ 711 Nr. 5 AtG) a) Verhältnis zu § 7 II Nr. 3 AtG § 7 11 Nr. 5 AtG macht die Erteilung einer Genehmigung davon abhängig, daß der "erforderliche Schutz gegen Stönnaßnahmen und sonstige Einwir-
kungen Dritter gewährleistet" ist. Das Verhältnis dieser Bestimmung zu § 7 11 Nr. 3 AtG ist für die Praxis durch die neueste Rspr. des BVerwG weitgehend geklärt. Demnach ist die Auslegung einer kerntechnischen Anlage gegen Gefahren, die durch ihren Zustand oder Betrieb an sich verursacht werden, an § 7 II Nr. 3 AtG zu messen.! Auch natürliche externe Einwirkungen berücksichtigt das BVerwG im Rahmen der Nr. 3. 2 Dagegen betrifft Nr. 5 den Schutz vor Gefahren, die entstehen, wenn Dritte unbefugt auf die Anlage einwirken können. Die Begriffe "Stönnaßnahmen" und "sonstige Einwirkungen" hat das BVerwG nicht voneinander abgegrenzt. In der Literatur werden diese beiden Verhaltensweisen über den subjektiven Tatbestand voneinander unterschieden. Stönnaßnahmen sind alle Einwirkungen auf die Anlage mit der Absicht und dem Ziel zu stören. 3 Sonstige Einwirkungen Dritter sind alle unbeabsichtigten und ungezielten Einwirkungen auf die Anlage. Auch das BVerwG subsumiert sowohl terroristische oder sonstige rechtswidrige Akte (gleich ob von innerhalb oder außerhalb der Anlage) als auch unbeabsichtigte zivilisatorische Einwirkungen von außerhalb der Anlage unter § 7 11 Nr. 5 AtG. Ebenso wird die Mitwirkung von Betriebsangehörigen bei Sabotageakten von dieser Bestimmung erfaßt. 4 Nach der Systematik des § 7 II AtG werden unbeabsichtigte und ungezielte interne Einwirkungen durch das Betriebspersonal (Bedienungsfehler) teils durch technische Sicherheitsvorkehrungen im Rahmen von § 7 II Nr. 3 AtG, teils durch die Anforderungen abgedeckt, die § 7 11 Nr. 1 und 2 AtG an das Personal stellen. Diese Handlungen fallen also nicht unter § 7 11 Nr. 5 AtG, im Gegensatz zu internen unbeabsichtigten Einwirkungen Betriebsfremder. 5
IBVeIWG, DVB1 1989,517 ff; zur Abgrenzung vgl. auch Luckow (1988), 166; Ronellenfitsch (1983),275 je ffi. w. N. ~gl. für Hochwasser BVeIWG, DVB1 1988,148,149. 3vgl.
Luckow (1988), 162 f; Ronellenfitsch (1983),273.
4sVeIWG, DVB1 1989,519; ebenso Luckow (1988), 164. 5ebenso Luckow (1988), 165; Ronellenfitsch (1983),277 f.
m.
Weitere Genehmigungsvoraussctzungen
83
b) Konkretisierung aa) Rechtsverordnungen Gemäß § 12 I 1 Nr. 10 AtG kann durch Verordnung näher festgelegt werden, auf welche Weise der erforderliche Schutz gegen Störmaßnahmen und sonstige Einwirkungen Dritter zu gewährleisten ist. Hiermit befassen sich §§ 34 I Nr. 6, 74 I StrlSchV. Beide Vorschriften tragen allerdings nicht viel zur Konkretisierung des § 7 11 Nr. 5 AtG bei. § 34 I Nr. 6 StrlSchV ermächtigt die zuständige Behörde, vom Strahlenschutzverantwortlichen die Aufstellung einer Strahlenschutzanwelsung zu verlangen. Diese Anweisung kann insbesondere Maßnahmen zum Schutz gegen Einwirkungen i. S. v. § 7 11 Nr. 5 AtG enthalten. § 74 I StrlSchV regelt die Lagerung näher bezeichneter radioaktiver Stoffe und ordnet an, daß diese Stoffe gegen Abhandenkommen und den Zugriff durch unbefugte Personen zu sichern sind. Die Ermächtigung des ~ 12 I 1 Nr. 10 AtG ist damit weitgehend ungenutzt geblieben. bb) Regelungen unterhalb der Rechtsverordnung Anstelle Rechtsverordnungen oder gemäß Art 85 11 1 GG allgemeine Verwaltungsvorschriften zu erlassen, hat die Exekutive die nach § 7 11 Nr. 5 AtG erforderlichen Schutzvorkehrungen in verwaltungsinternen Regelungen niedergelegt. Grundsätze für die sicherheitstechnischen Anforderungen, die der Auslegung von Kernkraftwerken zugrunde gelegt weden sollen, um v. a. den im Sinne von § 7 11 Nr. 5 AtG erforderlichen Schutz zu gewährleisten, enthalten die "Sicherheitskriterien für Kernkraftwerke" . 6 Aus den Sicherheitskriterien ergibt sich jedoch nicht, welche Anforderungen zu § 7 11 Nr. 3 AtG und welche zu Nr. 5 zu rechnen sind. Kriterium 2.6. schreibt vor, daß alle Anlagenteile, die zur sicheren Abschaltung, zur Nachwärmeabfuhr oder zum Einschluß radioaktiver Stoffe erforderlich sind, u. a. gegen "sonstige Einwirkungen von außen" ausgelegt werden müssen. Zu diesen Einwirkungen werden Störmaßnahmen Dritter, Flugzeugabstürze, Einwirkungen explosionsgefährlicher und sonstiger gefährlicher Stoffe sowie Bergschäden gezählt. Der Auslegung sind die jeweils folgenschwersten derartigen Einwirkungen zugrunde zu legen, die nach dem Stand von Wissenschaft und Technik am Standort zu berücksichtigen sind. Kombinationen mehrerer derartiger Einwirkungen untereinander und mit Störfällen sind in Rechnung zu stellen, soweit das gleichzeitige Eintreten aufgrund der Wahrscheinlichkeit und des Schadensumfangs in Betracht gezogen werden muß.
6vgl.deren Vorwort, BMU-Handbuch (=Anhang), Nr.3.1.
84
A. Genehmigung kerntechnischer Anlagen in der BRD
Die "Interpretationen zu den Sicherheitskriterien " enthalten Grundsätze zur Bestimmung gefährlicher Stoffe im Sinne von Kriterium 2.6. und zur Festlegung von Schutzmaßnahmen gegen diese Substanzen. 1 Außerdem ist dort vorgeschrieben, welche Kombinationen zwischen zivilisatorischen Einwirkungen und Störtällen bei der Auslegung zu unterstellen sind. 8 Die RSK hat in ihren "Leitlinien für Druckwasserreaktoren" weitere Anforderungen zum Schutz von Kernkraftwerken gegen die in Kriterium 2.6. genannten zivilisationsbedingten Einwirkungen aufgestellt. 9 Zum Schutz vor Druckwellen aus chemischen Reaktionen existiert eine besondere Richtlinie des BMU. 10 Sie enthält u. a. den bei der Auslegung zu unterstellenden Druckverlauf und eine Formel zur Berechnung des Sicherheitsabstandes zwischen dem Kernkraftwerk und den Orten, an denen mit explosionsgefährlichen Stoffen hantiert wird. Die Sicherheitsabstände sind zusätzlich zur baulichen Auslegung vorgeschrieben. Können sie nicht eingehalten werden, so sind an die bauliche Auslegung höhere Anforderungen zu stellen. Laut ihrem Vorwort beschränken sich die KTA-Regeln zwar grundsätzlich darauf, sicherheitstechnische Anforderungen anzugeben, bei deren Einhaltung die nach dem Stand von Wissenschaft und Technik erforderliche Vorsorge gegen Schäden (§ 7 11 Nr. 3 AtG) getroffen ist. 11 Zum Teil enthalten die KTA-Regeln jedoch auch Anforderungen zum Schutz gegen Einwirkungen Dritter. Die Regel KTA 3904 bestimmt z. B. in ihrem Abschnitt 3.7. Abs. 2, daß die Warte baulich so auszulegen ist, daß sie u. a. durch Flugzeugabsturz, Gaswolkenexplosion oder Einwirkung gefährlicher Stoffe nicht ausfallen kann. Für den Fall, daß eine Notsteuerstelle vorhanden ist, ist gemäß Abschnitt 4.1. derselben KTA-Regel die Auslegung so zu wählen, daß durch eines dieser Ereignisse nur die Warte oder nur die Notsteuerstelle ausfallen kann. Diese Regelungen enthalten allesamt überwiegend Schutzziele und schreiben keine technischen Mittel vor, mit denen diese Vorgaben erfüllt werden können. Konkrete Maßnahmen werden von anderen Regelwerken bestimmt. Zu Kriterium 2.6, Teilaspekt Flugzeugabsturz, hat das Institut für Reaktorsicherheit der TÜV z. B. eine Praxisbeschreibung erarbeitet, in der u. a. Angaben über die erforderlichen Wandmindeststärken gemacht werden. Ausgangspunkt ist der Absturz einer "Phantom RF-4E" mit einer Masse von 20 Mg und einer Absturzgeschwindigkeit von 215 mJS. 12 Bautechni1vgl.
BMU-Handbuch (=Anhang), Nr.3.50.
Svgl. BMU-Handbuch (= Anhang), Nr. 3.51. 9vgl.
BMU-Handbuch (=Anhang), Nr.4.1.1.
10vgl. BMU-Handbuch (=Anhang), Nr.3.6. II s.
z. B. KTA 3904,KTA 3095; Beil. z. BAnz Nr. 37a v. 22. 02.1989.
l'vgl. den Anhang des BMU-Handbuchs unter der Nr. A.1O.3.
m. Weitere
Genehmigungsvoraussetzungen
85
sche Einzelheiten finden sich in einer ·Richtlinie für die Bemessung von Stahlbetonbauteilen von Kernkraftwerken für außergewöhnliche äußere Belastungen (Erdbeben, äußere Explosion, Flugzeugabsturz) ., die vom •Ausschuß kerntechnischer Ingenieurbau· des ·Instituts für Bautechnik· ausgearbeitet wurde. \3 Was die Konkretisierung auf untergesetzlicher Ebene betrifft, ergibt sich damit insgesamt bei § 7 11 Nr. 5 AtG ein ähnlicher Befund wie bei Nr. 3: Ansatzweise Regelung in der StriSchV; Aufstellung konkreter Schutzziele in verwaltungsinternen Regelwerken unter maßgeblicher Beteiligung normativ nicht legitimierter Gremien und in einem wenig transparenten Verfahren; Beteiligung Privater und privatrechtlich verfaßter Organisationen v. a. bei der Entscheidung über die Schutzziele und über die Vorkehrungen zu ihrer Erfüllung. cc) Sabotageschutz § 7 11 Nr. 5 AtG erfaßt auch den erforderlichen Schutz gegen Sabotage, der in der Praxis durch eine Kombination aus baulich-technischen, organisatorischen und personellen Maßnahmen gewährleistet wird. Insbesondere das Prinzip der räumlichen Trennung dient auch dem Sabotageschutz. Hiernach sind die redundanten Systeme zur Abschaltung und Nachkühlung in getrennten Räumen so anzuordnen, daß die Zerstörung mehr als eines Systems durch die gleiche Ursache ausgeschlossen werden kann. 14 Zu den organisatorischen Maßnahmen gehört insbesondere die Sicherheitsüberpcüfung. Sie wird von der entsprechenden Richtlinie für alle Personen vorgesehen, die aufgrund ihrer Weisungsbefugnisse, ihres innerbetrieblichen Verantwortungsbereichs, der für sie vorgesehenen Zugangsberechtigung oder ihrer jeweiligen Tätigkeit in der Lage sind, kriminelle Handlungen mit nuklearspezifischem Bezug zu begehen. 15 Als personelle Schutzmaßnahme wird vom Betreiber in der Praxis verlangt, einen bewaffneten Objektsicherungsdienst aufzustellen. 16 Dieser ·Werkschutz· hat den Auftrag, die kerntechnische Anlage zu bewachen, Zugangskontrollen durchzuführen sowie Störmaßnahmen Dritter zu erkennen, zu behindern und den zuständigen Stellen zu melden. Seine Mitglieder sind arbeitsvertraglich zu verpflichten, gegen Störer so lange hinhaltenden Widerstand zu leisten, bis die Polizei
13vgl.
den Anhang des BMU-Handbuchs unler Nr. A.15.
l~gl. die RSK-Leitlinien, BMU-Handbuch (=Anhang), Nr.4.1.1, Abschnitt 19.4.
lSvgl. BMU-Handbuch (= Anhang) , Nr.3.57.1. l~gl. BMU-Handbuch (=Anhang), Nr. 3.57; zu den Sicherungsmaßnahmen burg, ET 1984,138 f.
auch Straß-
86
A. Genehmigung kerntechnischer Anlagen in der BRD
wirksam eingreifen kann. 17 Diese Verpflichtung umfaßt auch, im äußersten Notfall im Rahmen der jedermann zustehenden Befugnisse Schußwaffen anzuwenden. Ein solcher Fall ist nach der Richtlinie, die sich als Dienstanweisung versteht, gegeben, wenn - Leben oder Gesundheit Dritter durch Störer gefährdet wird; - das Eindringen eines Störers in besonders sicherheitsempfindliche Anlagenteile zu besorgen ist;
- die Gefahr der Zerstörung von Anlagenteilen mit der möglichen Folge der Freisetzung radioaktiver Stoffe besteht; oder - die Gefahr der Entwendung relevanter Mengen an Kernbrennstoffen besteht, und wenn diese Gefahren nicht auf andere Weise beseitigt werden können. li Bedenken dagegen, daß § 7 II Nr. 5 AtG die Genehmigungsbehörde ermächtigt, vom Betreiber die Einrichtung eines bewaffneten Werkschutzes zu verlangen, hat sich das BVerwG nicht angeschlossen.1 9 Nach Art 33 IV GG ist die Ausübung hoheitsrechtlicher Befugnisse als ständige Aufgabe in der Regel Angehörigen des öffentlichen Dienstes zu übertragen, die in einem öffentlich-rechtlichen Dienst- und Treueverhältnis stehen. Der Anlagenhetreiber hatte in dem vom BVerwG entschiedenen Fall geltend gemacht, er werde durch die Bewaffnungsauflage unzulässigerweise zu polizeilichen Aufgaben herangezogen. Das BVerwG hielt dieses Vorbringen nicht für stichhaltig. Denn der Werkschutz sei nur befugt, im Rahmen der allgemeinen Notwehr- und Nothilfebefugnisse zu handeln, und stehe im privatrechtlichen Dispositionsbereich des Anlagenbetreibers. 3I Die Polizei nehme dagegen weitergehende hoheitliche Befugnisse war; insbesondere dürfe sie nicht erst bei einem gegenwärtigen Angriff Gewalt anwenden. Damit definiert das BVerwG den Begriff der "hoheitsrechtlichen Befugnisse" hier nach der Handlungsform und nicht nach der wahrgenommenen Funktion. 21 Das Gericht erkennt zwar an, daß die Störmaßnahmen, die der Objektsicherungsdienst verhindern soll, ihre Ursache in der sich in der Gesellschaft allgemein bildenden Kriminalität und nicht in der Existenz der
17nicht näher beglÜndete Zweifel an der Wirksamkeit einer solchen Verpflichtung im Hinblick auf § 1388GB bei Lukes, ET 1975,27. livg1. Abschnitt 2 der Richtlinie Objektsicherungsdienst, BMU-Handbuch (=Anhang), Nr. 3.57,insbesondere Punkt 2.5.
19v91.
BVerwG, DVBI 1989,217 ff.
3Imit dieser Maßgabe wird es allgemein für zulässig gehalten, daß die Behörde im Rahmen von § 7 11 Nr. 5 AtG einen Werkschutz verlangt, s. Ronellenfitsch (1983),278 m. N.
21 80 auch Bracher, DVBI 1989,520.
m. Weitere GenehmigungsvorauS8etzungen
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kerntechnischen Anlage haben. Solche Gefahren abzuwehren, sei typischerweise Aufgabe der Polizei und nicht Sache des Betreibers. Durch die Auflage, einen bewaffneten Objektschutz aufzustellen, wird der Schutz der kemtechnischen Anlage aber nach Meinung des BVerwG nicht privatisiert; vielmehr dient diese Anordnung dazu, den Schutz gegen Störmaßnahmen außer durch baulich-technische Vorkehrungen für eine Übergangszeit bis zum Eintreffen der alarmierten Polizei auch durch organisatorische Maßnahmen zu gewährleisten. Es stehe im Ermessen des Gesetzgebers, ob die Polizei den Objektschutz bei gefährlichen Anlagen wahrnehmen soll, oder ob diese Aufgabe für die besagte Übergangszeit dem Hausrecht des Betreibers überlassen wird. Auf Grund von § 7 11 Nr. 5 AtG könne der Betreiber auch dazu verpflichtet werden, sein "Hausrecht" durch Bereitstellung eines bewaffneten Werkschutzes zu organisieren. Auch dadurch, daß die Sicherungskräfte bewaffnet zu sein hätten, werde die Objektsicherung nicht faktisch zu einer polizeilichen Aufgabe. Denn das Sicherungspersonal dürfe seine Waffen ja nur im Rahmen der allgemeinen Gesetzte einsetzen, d. h. zur Notwehr und Nothilfe. 22 Zur Beratung der Bundesregierung in Fragen der Sicherung kerntechnischer Anlagen ist ein "Sachverständigenkreis Sicherung des Brennstoffkreislaufs" (SSB) gebildet worden, der ähnlich wie die RSK und die SSK aus unabhängigen Experten unterschiedlicher Fachrichtungen besteht. 23 Als Grundlage für die Beurteilung sämtlicher baulicher und sonstiger technischer, personeller und administrativ-organisatorischer Sicherungsmaßnahmen dient die "Richtlinie für den Schutz von Kernkraftwerken mit Druckwasserreaktor gegen Störmaßnahmen und sonstige Einwirkungen Dritter. "14 Darin sind die Schutzziele, die Sicherungsanforderungen und die einzelnen Sicherungsmaßnahmen im Detail festgelegt. Zu der Richtlinie sind die zuständigen Landesbehörden, Arbeitsgremien der Innenministerkonferenz, die RSK, die GRS mbH sowie die Gewerkschaften, Hersteller und Betreiber gehört worden. 2S Aus Gründen der Geheimhaltung ist der Text der Richtlinie im GMBl nicht abgedruckt.
22kritisch zu dieser Entscheidung Bracher, DVBI 1989,520 m. w. N; dem BVerwG zustimmend Ehlers (1989),348. 23vgl. Haedrich (1986), Nr. 117c zu § 7; Ronellenfitsch (1983),303; Pfaffelhuber, ET 1978, 153.
14BMU-Handbuch (=Anhang), Nr.3.57.3. 2Svgl.
die Bekanntmachung der Richtlinie.
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A. Genehmigung kemtechnischer Anlagen in der BRD
c) RechJsschutifragen
aa) Schutmiveau Da das Gefährdungspotential, um dessen Beherrschung es jeweils geht, bei § 7 II Nr. 3 und Nr. 5 AtG dasselbe ist, verlangt das BVerwG für beide Genehmigungsvoraussetzungen auch gleich weit reichende Sicherheitsvorkehrungen. Ziel ist jeweils die bestmögliche Gefahrenabwehr und Risikovorsorge. Bei "bestehenden Unsicherheiten" muß die sicherere Annahme zugrunde gelegt werden. Der "erforderliche" Schutz ist als "vorsorgender" Schutz zu verstehen. Was erforderlich ist, richtet sich wie bei § 7 II Nr. 3 AtG nach dem Stand von Wissenschaft und Technik. Ebenso wie im Rahmen der Nr. 3 müssen Gefahren und Risiken, auch soweit sie durch Störmaßnahmen verursacht werden, "praktisch" ausgeschlossen sein. Wegen des besonderen Gefahrenpotentials eines Kernkraftwerks sind auch gegen Störmaßnahmen und sonstige Einwirkungen Dritter Mehrfachsicherungen zu fordern. 26 bb) Kontrolldichte Wie bei § 7 II Nr. 3 AtG hat das BVerwG auch bei Nr. 5 den Grundsatz aufgegeben, daß die behördliche Auslegung und Anwendung der in dieser Bestimmung enthaltenen unbestimmten Rechtsbegriffe von den Gerichten uneingeschränkt nachzuprüfen ist. Nunmehr sollen die Gerichte nur noch befugt sein zu kontrollieren, ob die Bewertungen der Genehmigungsbehörde auf willkürfreien Annahmen und ausreichenden Ermittlungen beruhen. rT Diese Restriktion der gerichtlichen Kontrolldichte sei deshalb angebracht, weil beide Genehmigungsvoraussetzungen der Beherrschung des gleichen Gefahrenpotentials dienten. Außerdem enthalte die Beurteilung, welcher Schutz gegen Einwirkungen Dritter erforderlich sei, prognostische Elemente. Die Behörde müsse z. B. abschätzen, ob die Gefahr eines Terroranschlags auf eine kerntechnische Anlage in Zukunft wachsen werde oder nicht. Aus Geheimhaltungsgründen werden Fragen des Sabotageschutzes oft aus der Erörterung vor Gericht ausgeklammert. Es sei Aufgabe der Behörden
~gl. BVerwG, DVBI 1989,518 f.
rTvgl. BVerwG, DVBI 1989,518 f (das BVerwG spricht dort ausdlÜck:1ich von einem "Beurteilungsspielraum" der Behörden); so auch schon BVerfUE 61,82, 114 f; anders noch VG Wünburg, ET 1977,444,458 ff (n. abgedr. NJW 1977,1649 ft); VGH Mannheim, ET 1982, 868;OVG Münster, ET 1975,220,233.
m. Weitere
Genehmigungsvoraussctzungen
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und Betreiber, die Maßnahmen zu ergreifen, die einen sabotagebedingten Störfall nach menschlichem Ermessen ausschlössen. 28 cc) Individualschutz bei § 7 II Nr. 5 AtG Was den Umfang des Individualschutzes angeht, hat sich die Rspr. zu § 7 II Nr. 5 AtG in ähnlicher Weise entwickelt wie zu Nr. 3. Zunächst hat das BVetwG der Genehmigungsvoraussetzung des § 711 Nr. 5 AtG undifferenziert drittschützende Wirkung für die Menschen im Gefahrenbereich der Anlage zugesprochen. 29 Mit der Aussage, § 7 11 Nr. 3 und 5 ATG seien "(auch) drittschützend",JO wurde den Instanzgerichten die Möglichkeit eröffnet, die individualschützende Wirkung dieser Vorschriften auf einen Teilbereich zu begrenzen. Daraufhin wurden wesentliche Elemente der bei § 7 11 Nr. 3 AtG üblichen "Staatspraxis"31 auf § 7 11 Nr. 5 AtG übertragen. Hiernach dienen auch Maßnahmen gegen bestimmte Einwirkungen Dritter nur der Reduzierung des Restrisikos, wenn diese Einwirkungen nur mit einer äußerst geringen Wahrscheinlichkeit zu einem Schaden führen. Flugzeugabstürze auf kerntechnische Anlagen sind wegen ihrer sehr niedrigen Eintrittswahrscheinlichkeit nach den Maßstäben praktischer Vernunft nicht mehr zu berücksichtigen. Deshalb können potentiell Betroffene Schutzmaßnahmen hiergegen nicht gerichtlich durchsetzen;32 in welchem Umfang die Anlage gegen ein solches Ereignis ausgelegt werden muß, soll die Behörde nach Ermessen entscheiden dürfen. Nur vereinzelt ist Personen, die von den Auswirkungen eines Flugzeugabsturzes auf die Anlage betroffen sein können, ein subjektiv-äffentliches Recht auf Schutzvorkehrungen dagegen eingeräumt worden. Für ein solches Recht spricht, daß diese Schutzvorkehrungen zumindest, soweit sie von der RSK gefordert werden, vermutlich eine nach dem Stand von Wissenschaft und Technik erforderliche Vorsorgemaßnahme sind, die auch dem Umgebungsschutz dient. 33 Hinsichtlich der Gefahr eines militärischen Angriffs auf kerntechnische Anlagen besteht unter den Gerichten weitgehende Übereinstimmung, daß dieses Risiko die Rechtsgemeinschaft insgesamt betrifft, und daß entsprechende Sicherheitsvorkehrungen deshalb nicht durch Klage verlangt werden
28vgl. z.
B. VG Würzburg, ET 1977,459; OVG Münster, ET 1975,233.
290VBI 1972,678.
~VerwG, DVBI 1982, 960, 961. 31dazu
oben S. 49 f.
3280 z. B. BayVGH, UPR 1982,133,135; VG Koblenz, ET 1984,702,712 f. 3380
zu Recht OVG Lüneburg, ET 1982,949,958.
90
A. Genehmigung kemtechnischer Anlagen in der BRD
können. 34 Im übrigen schützt die übliche Auslegung kemtechnischer Anlagen in gewissem Umfang auch gegen die Wirkung konventioneller Waffen. 35 2. Berücksichtigung der Umweltauswirkungen der Anlage (§ 711 Nr. 6 AtG)
a) Regelungsbereich § 7 11 Nr. 6 AtG ist 1990 geändert worden. Nunmehr macht diese Vorschrift die Erteilung einer atomrechtlichen Genehmigung davon abhängig, daß "überwiegende öffentliche Interessen, insbesondere im Hinblick auf die Umweltauswirkungen, der Wahl des Standorts der Anlage nicht entgegenstehen."36 Mit dieser Neufassung sollte nach der amtlichen Begründung verdeutlicht werden, daß standortbezogene Umweltauswirkungen umfassend geprüft werden müssen. 37 Die vor der Gesetzesänderung umstrittene Frage, ob in die nach § 7 11 Nr. 6 AtG erforderliche Abwägung - "überwiegende öffentliche Interessen" - nur nuklearspezifische Interessen einfließen, oder ob hier gerade auch die nicht nuklearspezifischen Belan§e zu prüfen sind,38 dürfte damit im letztgenannten Sinne entschieden sein. 3
Behörden und Gerichte berücksichtigen, daß zwischen § 7 11 Nr. 3 und 6 AtG eine Wechselwirkung besteht. Denn der Umfang der erforderlichen Vorsorge kann von den Eigenschaften des Standorts beeinflußt werden. «J Dementsprechend weisen die "Kriterien zur Vorauswahl von Standorten"41 darauf hin, daß gewisse ungünstige Standortfaktoren durch zusätzliche Slcherheitstechnische Maßnahmen ausgeglichen werden können.
34yG KoblellZ, ET 1984,702,714;VG WÜlZburg, ET 1977,444,458,n.abgedr. NIW 1977, 1649 ff; VG Oldenburg, ET 1979,652,655; VGH Mannheim, DVBI 1976,538,544; ET 192, 849,875; ET 1984,219; Lukes/Backhenns, AöR 103,342; Feldmann, ET 1983,392; Breuer, DVBI 1978,836; Ronellenfitsch (1983),280; a. A. nur OVG KoblellZ, ET 1976,539,545. 35vgl. Ronellenfitsch (1983), 280.
36Art 3 Nr. 3a des G. v. 12.02.1990, BGBI 1,205. 37BT_DrS. 1113919,31.
38vgl. dazu Haedrich (1986), Nr. ll9a, b zu
§ 7.
39in diesem Sinne schon zum alten Recht BVeIWG, DVBI 1986,190, 198; vgl auch Klante (1984),244; Luekow (1988), 169. 4080 z. B. OVG Lüneburg, ET 1978,34,38; VG Würzburg, NIW 1977,1649,1651; VG Sehleswig, ET 1980,305,307, n. abgedr. NIW 1980,1296 ff; vgl. auch Ronellenfitsch (1983), 286; Luckow (1988),170.
41BMU-Handbueh (=Anhang), Nr.3.12;3.28.
m. Weitere Genehmigungsvoraussetzungen
91
Für die Abwägung gemäß § 7 II Nr. 6 AtG können folgende Gesichtspunkte relevant sein: 42 - meteorologische Verhältnisse (hinsichtlich der Ausbreitung radioaktiver Emissionen; v. a. Häufigkeit austauscharmer Wetterlagen); - radiologische Vorbelastung am Standort; - topographische Merkmale; - hydrologische Verhältnisse (hinsichtlich der Strahlenexposition über den Ausbreitungspfad Wasser, des Trinkwasserschutzes und der Nachwärmeabfuhr über Oberflächengewässer); , - Bevölkerungsdichte und -verteilung nach Sektoren; - Eigenschaften des Untergrundes (Häufigkeit und Intensität von Erdbeben; zivilisationsbedingte Einflüsse: Bergbau, Bergschäden, Gebirgsschläge); - gefährliche Einwirkungen von außen (Hochwasser, Explosionsdruckwellen, Flugzeugabsturz); - Verkehrswege (mehrfacher Anschluß an Femstraßen- und Eisenbahnnetz); - Abstand zu bestimmten Anlagen der militärischen und zivilen Verteidigung; - Aspekte der Raumordnung und Landesplanung (z. B. Lage des Standorts bezüglich Versorgungsleitungen, Verkehrs- und Kommunikationsanlagen, Hochwasserschutzanlagen und Talsperren, Bodenschätzen, unterirdischen Energiespeichem, Flächen mit günstigen landwirtschaftlichen Erzeugungsbedingungen, Erholungs- und Fremdenverkehrsgebieten, Gewerbe- und Industriegebieten); - Belange des Umweltschutzes (z. B. Wasserwirtschaft; Forstwirtschaft: Waldflächen mit besonderer Funktion; Luftreinhaltung; Lärmschutz; Natur- und Landschaftsschutz). Gegenstand des Verfahrens ist nur der vom Errichter oder Betreiber gestellte Genehmigungsantrag und der darin vorgesehene Standort. Deshalb sind die Genehmigungsbehörden nicht befugt, im Rahmen der Untersuchung, ob überwiegende öffentliche Interessen gegen die Standortwahl sprechen, Alternativstandorte zu prüfen. 43
42Grundlagen der AufLählung: BMU-Handbuch (=Anhang), Nr. 3.12; 3.28; ferner "RSKLeitlinien für die SlAndortüberpriifung" v. 03.11.1971 ,soweit ersichtlich, unveröffentlicht, vgl.jedoch VG Schleswig, ET 1973,321,323 sowie VG Würzburg, ET 1974,587. 43vgl.OVG Koblenz, ET 1976,539, 546; VG Würzburg, ET 1977,444,451,n.abgedr. NIW 1977,1649 ff; BayVGH, DVBI 1985,199; Haedrich (1986), Nr. 119d zu § 7 m. w. N.
92
A. Genehmigung kemtechnischer Anlagen in der BRD
b) Rechtscharakter
Über zahlreiche der in die Abwägung einzustellenden Belange entscheiden abschließend Fachbehörden in einem speziellen Verfahren. Umstritten ist daher, in welchem Verhältnis die von der atomrechtlichen Genehmigungsbehörde nach § 7 11 Nr. 6 AtG durchzuführenden Prüfungen zu den Entscheidungen der Fachbehörden stehen. 44 In der neueren Rspr. und Literatur überwiegt die Ansicht, daß Aufgabe der atomrechtlichen Genehmigungsbehörden eine "Standortverträglichkeitsprüfung" ist: sie haben in einer Interessenabwägung zu untersuchen, ob die Anlage mit den Eigentümlichkeiten des Standorts zu vereinbaren ist. § 7 11 Nr. 6 AtG begründet jedoch keinen Zuständigkeitstransfer im Sinne einer Prüfungs- und Entscheidungskonzentration bei der Atombehörde. Vielmehr müssen die "öffentlichen Belange" von ihren jeweiligen Trägem im Rahmen der von § 7 IV AtG vorgeschriebenen Beteiligung in das atomrechtliche Genehmigungsverfahren eingeführt werden. Die atomrechtliche Genehmigungsbehörde hat die Stellungnahmen der Fachbehörden zu übernehmen und zur Grundlage ihrer Entscheidung zu machen. 45 c) Individualschatzende Wirkung § 7 11 Nr. 6 AtG stellt ausdrücklich auf "öffentliche Belange" ab. Aus dieser nicht personenbezogenen Formulierung wird allgemein gefolgert, daß diese Bestimmung keine nachbarschützende Wirkung hat. Damit können potentiell Betroffene ihre Klagebefugnis nicht mit der Behauptung begründen, die Behörde habe zu Unrecht angenommen, daß der Standortwahl keine überwiegenden öffentlichen Belange entgegenstehen. 46
d) Zum Gesetz aber die Umweltvertrdglichkeitsprafung
Durch das Gesetz zur Umsetzung der EG-Richtlinie über die Umweltverträglichkeitsprüfung bei bestimmten öffentlichen und privaten Projekten hat sich die Rechtslage im Atomrecht auf den ersten Blick nicht geändert. 47 Die Anwendung des Art 1 dieses Gesetzes, d. h. des UVPG, im Atomrecht ist 44zum Streitstand Haedrich (1986), Nr. 120 zu § 7 m. w. N; ausfiihrlich zur Beteiligung der Fachbehörden Kröncke (1982),59 ff.
4svgl BayVGH, BayVBI 1988,332,336; Klante (1984), 251; Ronellenfitsch (1983), 287. 4680 z. B. VG Schleswig, Er 1980,305,307, n. abgedr. NlW 1980,1296 ff; VG Würzburg, NlW 1977,1649,1651; BVerwG, DVBI 1986,190,199; BayVGH, Er 1979,583,586 f; a. A. nur VG Freiburg, NlW 1977,1645 f.
47Artikelgesetz (ArtG). v.12.02.1990,BGBI I, 205; dazu skeptisch Soell/Dimberger, NVwZ 1990,707 f.
m. Weitere Genehmigungsvoraussetzungen
93
nämlich vom Erlaß einer Rechtsverordnung aufgrund von § 7 IV 3 AtG abhängig (Art 14 11 ArtG). Über die Ermächtigung zur UVP-gerechten Novellierung der AtVfV in Art 3 Nr. Ib ArtG soll erreicht werden, daß die novellierte AtVfV dem UVPG gemäß dessen § 4 vorgeht. Um bis zur Neufassung der AtVfV die Geltung des UVPG auszuschließen, bestimmt Art 1411 ArtG, daß das UVPG erst nach Inkrafttreten der novellierten AtVfV in atomrechtlichen Genehmigungsverfahren anwendbar ist. Dann aber wird das UVPG gemäß dessen § 4 verdrängt. Daraus folgt, das die UVP bei atomrechtlichen Verfahren durch § 7 11 Nr. 6 AtG und die Neufassung der AtVfV abschließend geregelt sein wird. 48 Die UVP-Richtlinie ist somit bislang im Atomrecht nicht umgesetzt. Die Umsetzungsfrist ist am 03.07.1988 abgelaufen. Wenn eine Richtlinie von einem Mitgliedsstaat der Europäischen Gemeinschaft nicht fristgemäß umgesetzt wird, gelten die Verpflichtungen, die sich aus den Bestimmungen der Richtlinie nach der Rspr. des EuGH49 dennoch für alle Behörden dieses Mitgliedsstaats. Voraussetzung ist, daß diese Bestimmungen als unbedingt und hinreichend deutlich erscheinen. Insbesondere müssen die Behörden Vorschriften des nationalen Rechts unangewendet lassen, die mit den Bestimmungen der Richtlinie nicht in Einklang stehen.Nach Art 2 I der Richtlinieso haben die Mitgliedsstaaten die erforderlichen Maßnahmen zu treffen, damit vor Erteilung der Genehmigung Projekten, bei denen mit erheblichen Umweltauswirkungen zu rechnen ist, einer UVP unterzogen werden. Zu diesen Projekten gehören nach Anhang I Nr. 2 und 3 der Richtlinie Kernkraftwerke und Anlagen zur Endlagerung radioaktiver Abfälle. Die UVP umfaßt gemäß Art 3 der Richtlinie die Auswirkungen des Projekts auf Mensch, Flora und Fauna, Boden Wasser, Luft, Klima und Landschaft sowie die Wechselwirkungen zwischen diesen Faktoren; ferner die Auswirkungen auf Sachgüter und das kulturelle Erbe. Diese Bestimmungen der Richtlinie sind unbedingt und hinreichend deutlich, so daß die deutschen Behörden daran gebunden sind. Dies gilt auch für die Vorschrift über die Bekanntmachung des Projekts, Art 5 11 der Richtlinie. Bestandteil des Genehmigungsverfahrens für ein Kernkraftwerk ist daher auch eine UVP. Da insbesondere die Folgen des Projekts für die Wechselwirkungen zwischen den Umweltfaktoren untersucht werden müssen, geht die UVP über die bislang i. R. v. § 7 11 Nr. 6 AtG üblichen Prüfungen hinaus. Fehlt die UVP, so ist eine dennoch erteilte Genehmigung wegen Ermittlungsdefizits rechtswidrig.
4880 auch Papier (1991), 143 f, der jedoch die Frage, inwieweit deutache Behörden unmittelbar an die UVP-Richtlinie gebunden sind, nicht erörtert. 49s. EuGH, DVBI 1990,689 ff; kritisch dazu Pieper, DVBI 1990,684 ff. S. a. Beutler I Bieber I Pipkom I Streil (1987),229 f. Das BVerfU hat entachicden, daß diese Rspr. mit Art 24 I GG vereinbar ist, BVerfUE 75,223,233 ff.
S0851337/EWG, ABI. Nr. L 175,40 f; abgedruckt in DVBI 1987,829 ff.
94
A. Genehmigung kcmtechnischcr Anlagen in der BRD
Die Darstellung der anlagenbezogenen Genehmigungsvoraussetzungen (§ 711 Nm. 3,5,6 AtG) ist hiermit abgeschlossen. Gegenstand des folgenden Kapitels wird das Verfahrensrecht sein.
IV. Das Genehmigungsveifahren 1. Überblick a) Rechtsgrundlagen Für Anlagen im Sinne von § 7 I AtG ist das Genehmigungsverfahren in der AtVfV in der Fassung vom 31.03.1982 1 geregelt. Durch § 6 III AtG, der durch Gesetz vom 09.10.1989 2 angefügt wurde, ist der Anwendungsbereich der AtVfV ausgedehnt worden. Die Bestimmungen der AtVfV über die Bekanntmachung des Vorhabens, die Auslegung von Unterlagen, die Erhebung von Einwendungen, die Durchführung eines Erörterungstermins und die Zustellung der Entscheidung gelten nunmehr entsprechend für die Genehmigung von Zwischenlagern für bestrahlte Brennelemente und verfestigte hochradioaktive Spaltproduktlösungen aus der Wiederaufarbeitung. Gemäß § 9b IV Nr. 1 AtG sind diese Vorschriften auch im Planfeststellungsverfahren für Endlager gemäß § 9a III 1 HS 2 AtG anzuwenden. Soweit die AtVfV keine Spezialregelungen enthält, gelten für die atomrechtlichen Genehmigungsverfahren das VwVfG des Bundes sowie nach Maßgabe des § 1 III VwVfG die Verwaltungsverfahrensgesetze der Länder. Nicht anwendbar sind die Vorschriften über das "ffirmliche Verfahren", d. h. die §§ 63 ff VwVfG. Denn dieses Verfahren ist nach dem BVwVfG und den Verwaltungsverfahrensgesetzen der Länder mit Ausnahme Berlins nur in den Fällen durchzuführen, in denen es durch Rechtsvorschrift angeordnet ist. Dies ist, außer im Lande Berlin, hinsichtlich des atomrechtlichen Genehmigungsverfahrens nicht geschehen. 3 Für Genehmigungen nach § 7 AtG und Planfeststellungsbeschlüsse nach § 9b AtG sind die von den Landesregierungen bestimmten obersten Landesbehörden zuständig, § 24 11 1 AtG. In Bayern ist dies gemäß §§ 1, 2 AtZustV das Staatsministerium für Landesentwicklung und Umweltfragen. Atomrechtliche Genehmigungen für Zwischenlager nach § 6 III AtG erteilt das Bundesamt für Strahlenschutz, § 23 I 1 Nr. 4 AtG.
I BGBt
I, 411.
2BGBt
I, 1830.
3zum
ganzen Ronellenfitsch (1983),289 ff; Haedrich (1986), Nr. 8b vor § 3.
IV. Das Genehmigungsverfahren
9S
b) Ablauf des Genehmigungsveifahrens Das förmliche Genehmigungsverfahren nach der AtVfV beginnt damit, daß bei der Genehmigungsbehörde ein schriftlicher Antrag gestellt wird (§ 2 AtVfV). Dem Antrag müssen bestimmte, zur Prüfung der Genehmigungsvoraussetzungen erforderliche Unterlagen beigefügt werden, insbesondere ein Sicherheitsbericht und eine Kurzbeschreibung (§ 3 AtVfV). Sobald der Antrag, der Sicherheitsbericht und die Kurzbeschreibung vollständig vorliegen, macht die Genehmigungsbehörde das Vorhaben in ihrem amtlichen Veröffentlichungsblatt und in örtlichen Tageszeitungen bekannt, die im Standortbereich der Anlage verbreit sind (§§ 4 f AtVfV). Mindestens eine Woche nach der Bekanntmachung werden Antrag, Sicherheitsbericht und Kurzbeschreibung bei der Genehmigungsbehörde und einer geeigneten Stelle in der Nähe des Standorts zur Einsicht ausgelegt. Die Auslegungsfrist beträgt noch 2 Monate (§ 6 AtVfV). Während dieser Zeit kann jedermann schriftlich oder zur Niederschrift Einwendungen erheben. Nach Fristablauf sind alle Einwendungen ausgeschlossen, die nicht auf besonderen privatrechtlichen Titeln beruhen (§ 7 AtVfV). Mindestens ein Monat nach Ende der Auslegungsfrist findet ein Erörterungstermin statt, auf dem die Behörde die rechtzeitig erhobenen Einwendungen mit den Einwendern, dem Antragsteller und beigezogenen Gutachtern mündlich erörtert, soweit dies für die Prüfung der Genehmigungsvoraussetzungen von Bedeutung sein kann (§§ 8 ff AtVfV). Über den Termin ist eine Niederschrift anzufertigen (§ 13 AtVfV). Schließlich entscheidet die Behörde unter Würdigung des Gesamtergebnisses des Verfahrens. Dabei erstreckt sich die Sachprüfung nicht nur auf die Genehmigungsvoraussetzungen nach § 7 11 AtG, sondern auch auf die "Beachtung" der übrigen, die Anlage betreffenden öffentlich-rechtlichen Vorschriften (§§ 14 f AtVfV).
2. Einzelfragen a) Informelle Kontakte aa) Vorverhandlungen Bevor der Antrag auf Erteilung einer Genehmigung gestellt wird, finden regelmäßig umfangreiche Vorverhandlungen statt. Daran nehmen teil Vertreter der Genehmigungsbehörde, des Herstellers und des Betreibers der Anlage sowie schon jetzt hinzugezogene Sachverständige. Zweck dieser informellen Gespräche ist es zu klären, ob das Vorhaben des Antragstellers überhaupt genehmigungs fähig ist. 4 Ein Antrag wird überhaupt nur gestellt, wenn diese vorläufige Untersuchung positiv ausfällt. Das Risiko, daß der
4vgl.
Ronellenfitsch (1983),309 f; BeckmannlHoppe (1989), § 29, Rdnr. 44.
96
A. Genehmigung kemtechnischer Anlagen in der BRD
Betreiber Fehlinvestitionen tätigt, wird dadurch zwar ausgeschlossen. Allerdings besteht die Gefahr, daß in den Vorverhandlungen auch bereits die wesentlichen Vorentscheidungen getroffen werden, obwohl die im förmlichen Verfahren nach § 7 IV 1 AtG einzuholenden Stellungnahmen der Fachbehörden noch nicht vorliegen, desgleichen nicht die Sachverständigengutachten. Außerdem haben die von dem Vorhaben potentiell Betroffenen noch nicht Gelegenheit gehabt, ihre Bedenken vorzubringen. Nach der Rücknahme der gerichtlichen Kontrolldichte durch das BVerwG können die Gerichte solche Vorentscheidungen nicht mehr ohne weiteres umstoßen. Deshalb droht das eigentliche förmliche Genehmigungsverfahren • zur Farce zu werden.·s bb) Verfahrensbegleitende informelle Kontakte Die AtVfV enthält keinerlei Beschränkungen für informelle Kontakte zwischen der Genehmigungsbehörde und Vefahrensbeteiligten für die Zeit während des förmlichen Verfahrens, auch nicht für den Zeitraum des Erörterungstermins. Dies führt in der Praxis dazu, daß häufig verfahrensbegleitende Beratungen der Behörde mit dem Antragsteller und den Gutachtern stattfinden. Vertreter der potentiell von der Anlage Betroffenen werden nicht hinzugezogen. Zweck dieser Unterredungen ist es v. a, eventuelle Bedenken der Gutachter gegen die Sicherheit der Anlage zu erörtern und notfalls durch sicherheitstechnische Kompromisse auszuräumen. 6 Bevor der Erörterungstermin beginnt, hat sich damit schon eine einheitliche Beurteilung der Anlagensicherheit durch die Behörde, den Antragsteller und die Gutachter herausgebildet. Damit besteht erst recht die Gefahr, daß Einwendungen nicht mehr genügend ernst genommen werden.
b) Veifahrensvorschriften als Schutznonnen aa) Bedeutung des Verfahrens für den Grundrechtsschutz Nach Ansicht des BVerfG ist Grundrechtsschutz weitgehend auch durch die Gestaltung von Verfahren zu bewirken. Deshalb beeinflussen die Grundrechte neben dem gesamten materiellen Recht auch das Verfahrensrecht, soweit es für einen effektiven Grundrechtsschutz von Bedeutung ist. Insbesondere beeinflußt das Grundrecht auf Leben und körperliche Unversehrtheit (Art 211 1 GG) die Anwendung der Vorschriften über das atomrechtliche Genehmigungsverfahren. Deren Zweck ist es gerade, Leben und
Sso wörtlich UJell.aubinger (1978), 75; vgl. auch Wilting (1985), 74 f; Hoffmann-Riem, VVDStRL 40,204 ff; diese Gefahr übersieht Ronellenfitsch (1983),309 f.
6ygl. de Witt, DVBI 1980,1008.
IV. Das Genehmigungsverfahren
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Gesundheit vor den Gefahren der Kernenergie m schützen. Zwar ist deshalb nicht jeder Verstoß gegen Bestimmungen der AtVfV eine Grundrechtsverletmng. Wenn allerdings die Behörde solche Verfahrensvorschriften außer acht läßt, die der Staat in Erfüllung seiner Schutzpflicht für das Grundrecht aus Art 2 11 1 GG erlassen hat, kann dies als Grundrechtsverletmng m beurteilen sein. In diesem Sinne verfassungsrechtlich relevant sind v. a. die Bestimmungen über die Beteiligung klagebefugter Dritter am Genehmigungsverfahren. Im verwaltungsgerichtlichen Verfahren können sich diese Personen daher auch auf Verfahrensverstöße berufen. 7 bb) Klagebefugnis bei Verfahrensfehlern Aus der Verletmng von Verfahrensvorschriften allein folgt nicht ohne weiteres, daß derjenige, der eine solche Verletmng rügt, klagebefugt ist. Vielmehr muß sich aus dem Vorbringen des Klägers zusätzlich ergeben, daß sich der Verfahrensfehler auf seine materiellrechtlich geschützte Position ausgewirkt haben kann. 8 Und materiellrechtlich geschützte Positionen gewähren § 7 11 Nr. 3 und Nr. 5 AtG nur teilweise, § 7 II Nr. 6 AtG überhaupt nicht. 9 Der Antragsteller könnte dagegen gemäß der Adressatentheorie ggf. bereits daraus, daß die Ablehnung seines Antrags z. B. wegen fehlerhafter Abwägung der Belange gemäß § 7 11 Nr. 6 AtG objektiv rechtswidrig ist, seine Klagebefugnis herleiten. 10 So, wie die Schutmormtheorie im Anlagenrecht angewandt wird, führt sie im Ergebnis meiner wenig befriedigenden Waffenungleichheit zwischen dem Antragsteller und den Einwendern, die sich bis in das Verfahrensrecht hinein fortsetzt. Insbesondere eröffnet die in § 4 AtVfV vorgeschriebene Öffentlichkeitsbeteiligung Dritten nur die Möglichkeit, ihre eigenen Bedenken schon im Genehmigungsverfahren vormbringen. Der Dritte hat das Recht, durch rechtzeitiges Vorbringen seiner individuellen Belange auf die Bewertungen der Genehmigungsbehörde Einfluß m nehmen. Er hat jedoch keinen Anspruch darauf, daß alle anderen gleichermaßen betroffenen Dritten oder gar die interessierte Öffentlichkeit insgesamt hierm in der Lage sind. Die Erwägung, nur eine umfassende Öffentlichkeitsbeteiligung gewährleiste eine "richtige" Entscheidung, kann einen solchen Anspruch nicht begründen. Denn der Kläger hat keinen Anspruch auf eine richtige Entscheidung, son-
7grundlegend BVerfGE 53, 30,65; s. a. BVerwG, DVBI 1981,405,409; die Auffassung Rauschnings, DVBI 1980,831,832, wonach die Ausführungen des BVerfG zur Bedeutung des Verfahrens für den Grundrechtsschutz obiter dicta seien, blieb ohne Gefolgschaft. 8 sld . Rspr. seit BVerwG, DVBI 1981,405,409; stellvertretend BVerwG, NIW 1987,1154, 1155.
9s.
o. S. 71 ff (zu Nr. 3), 89 f (zu Nr. 5), 92 (zu Nr. 6).
10zur Adressatentheorie stellvertretend Hufen (1991), Rdnr. 538. 7 Heitsch
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A. Genehmigung kemtechnischer Anlagen in der BRD
dem nur auf eine, die ihn nicht in seinen Rechten verletzt. Verfahrensfehler, die in Bezug auf Dritte begangen sein können, sind ihm gegenüber deshalb unbeachtlich. 1I Die Möglichkeit, daß Verfahrensvorschriften für sich allein eine geschützte Rechtsposition vermitteln könnten, wurde also von der Rspr. bislang ausgeschlossen. Das Wyhl-Urteil könnte jedoch insoweit einen Wandel einleiten. Gemäß dieser Entscheidung trägt die Exekutive die Verantwortung für die von § 7 11 Nr. 3 AtG geforderte Risikoermittlung und -bewertung, wobei sie dazu die Wissenschaft zu Rate zu ziehen hat. 12 Zu den Erkenntnisquellen der Exekutive gehört auch der in der interessierten Öffentlichkeit vorhandene Sachverstand. Wenn § 7 11 Nr. 3 AtG drittschützend ist, muß dies auch für die darin statuierten Ermittlungs- und Bewertungspflichten gelten und folglich auch für die Verfahrensvorschriften, die die Ermittlungstätigkeit der Behörde leiten. Wenn die Behörde eine fehlerhafte Öffentlichkeitsbeteiligung durchführt, vergibt sie die Möglichkeit, sich den in der interessierten Öffentlichkeit vorhandenen Sachverstand zu erschließen. Damit verengt sie die Grundlage für ihr Urteil über das Ausmaß der erforderlichen Vorsorge und verletzt zugleich eine drittschützende Pflicht. 13 Außerdem liegt dann ein Ermittlungsdefizit vor. Diejenigen Dritten, die durch § 7 11 Nr. 3 AtG geschützt sind, werden damit durch jeden Verfahrensfehler in ihren Rechten verletzt, der zu Ermittlungs- und bewertungsdefiziten führen kann. Zu diesen Fehlern gehören insbesondere Mängel der Öffentlichkeitsbeteiligung sowie die Mitwirkung befangener Amtsträger im Verfahren. Darauf, daß sich der Verfahrensfehler konkret auf die materiellrechtlich geschützte Position gerade des Klägers ausgewirkt hat, kommt es in Konsequenz des Wyhl-Urteils nicht an. Ebensowenig spielt es eine Rolle, ob sich die durch Verfahrensfehler ausgelösten Ermittlungsdefizite auf sog. "restrisikorelevante" Sachverhalte oder auf den Bereich der Schadensvorsorge beziehen. Denn die Entscheidung, ob ein bestimmtes Schadensereignis zum "Restrisiko" gehört, oder ob dagegen Vorsorge gemäß § 7 11 Nr. 3 AtG zu treffen ist, kann erst am Ende des Verfahrens fallen. Verfahrensfehler können nach Ansicht des BVerwG dadurch geheilt werden, daß der verfahrensfehlerhafte Erstbescheid durch einen nach korrektem Verfahren erlassenen Zweitbescheid ersetzt wird. Dies soll auch dann gelten, wenn der erneut genehmigte Anlagenteil bereits errichtet ist. Der Gefahr, daß die Behörde bei der Würdigung der Einwendungen im "Zweitverfahren " unter dem Eindruck der bereits vollendeten Tatsachen steht, sollen die Einwender dadurch begegnen können, daß sie im Zweitverfahren gebührend auf diesen möglicherweise gegebenen Legalisierungsdruck hin-
IIBVerwG, NVwZ 1985,745. IZvgl. BVerwG, DVBI 1986,190,196 = BVerwGE 72,300,316. 13vgl. VGR Kassel, NVwZ-RR 1990,128,133.
IV. Das GenehmigungllVerfahren
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weisen. Da die Behörde zudem an Recht und Gesetz gebunden sei (Art 20 III GG), dürfe erwartet werden, daß sie sich von vollendeten Tatsachen nicht beeindrucken lasse. 14 cc) Beschränkte Relevanz von Verfahrensfehlern Die Relevanz von behördlichen Verfahrensfehlern im Anfechtungsprozeß wird weiter eingeschränkt durch § 46 VwVfG. Danach kann die Aufhebung eines nicht nach § 44 VwVfG nichtigen Verwaltungsakts insbesondere "nicht allein deshalb beansprucht wenJen, weil er unter Verletzung von Vorschriften über das Verfahren ... zustande gekommen ist, wenn keine andere Entscheidung in der Sache hätte getroffen werden können.· Über den Anwendungsbereich dieser Bestimmung bestehen Zweifel. Abzulehnen ist die Ansicht, die im Rahmen von § 46 VwVfG das durch die Grundrechte des Antragstellers geschützte Interesse, Verzögerungen des Verfahrens zu verhindern, gegen das Gewicht des konkreten Verfahrensfehlers abwägen will. Denn abgesehen davon, daß diese Auffassung mit dem Wortlaut von § 46 VwVfG unvereinbar ist, dient das Verfahren gerade dem Ausgleich der gegensätzlichen, zum Teil grundrechtlich geschützten Interessen aller Beteiligter. 15 Daß § 46 VwVfG nicht auf "grundrechtsrelevante" Verfahrensfehler anwendbar sein soll, findet ebenfalls keine Stütze im Wortlaut der Vorschrift. Außerdem ist das Kriterium der Grundrechtsrelevanz viel zu vage. 16 Vom Wortlaut her schließt § 46 VwVfG die Aufhebung eines Verwaltungsakts wegen Verfahrensfehlers nur dann aus, wenn die Behörde die gleiche Entscheidung aus materiellrechtlichen Gründen sogleich wieder treffen müßte, wenn der Behörde also keine Alternative offensteht. 17 Diese Alternativlosigkeit muß zudem bereits zu Beginn und nicht erst am Ende des Verwaltungsverfahrens vorliegen. 1B Denn bei Ermessensentscheidungen ebenso wie bei der Anwendung unbestimmter Rechtsbegriffe im Bereich der sogenannten gebundenen Verwaltung geht der Entscheidung ein Prozeß der schrittweisen Verengung zulässiger Alternativen aufgrund von Normanwendung und Ermittlung der Tatsachen sowie v. a. der berührten Belange der Beteiligten voraus. Erst am Ende dieses Prozesses steht die Auswahl 14SO
BVerwG, UPR 1986,183,184.
15so richtig Hufen (1991), Rdnr. 626; Steinberg, DÖV 1982,629 gegen Degenhart, DVBI 1981,206 ff. 16so auch de Witt, DVBI 1981,650 gegen VG Arnsberg, DVBI 1981,648 f; Pietzcker, VVDStRL 41,225. 17vgl.
IB so
Hufen (1991), Rdnr. 619; Meyer, NVwZ 1982,520 f.
Hufen (1991), Rdnr. 627; ders, DVBI 1988,75 ff; vgl. auch Hill (1986),126.
100
A. Genehmigung kemtechnischer Anlagen in der BRD
der sachgerechten Alternative oder ggf. die Erkenntnis, daß das Ermessen auf Null geschrumpft ist. 19 Verfahrensvorschriften sollen diesen Prozeß steuern und sicherstellen, daß die Behörde die Tatsachen so aufbereitet, wie es für eine sachgerechte Entscheidung nötig ist. Daß die Verletzung von Verfahrensvorschriften diesen Prozeß in eine andere Richtung lenkt, liegt auf der Hand. Nur die Einschränkung des § 46 VwVfG auf Fälle anfänglicher Alternativlosigkeit wird der Bedeutung des Verfahrens für die Entscheidungsfindung gerecht. Trotzdem wendet die h. M. den § 46 stets dann an, wenn die Behörde weder einen Ermessens- noch einen Beurteilungsspielraum hat; wenn die Entscheidung dagegen im Ermessen der Behörde steht oder einem Beurteilungsspielraum zugänglich ist, dann soll § 46 VwVfG grundsätzlich nicht eingreifen. Wenn jedoch angesichts der besonderen Umstände des Falls jede andere als die getroffene Entscheidung ermessensfehlerhaft oder eine Überschreitung des Beurteilungsspielraums wäre, und der Ermessens- oder Beurteilungsspielraum daher im konkreten Fall auf Null reduziert ist, soll § 46 VwVfG wieder anwendbar sein:lO; denn in diesen Fällen habe sich der Verfahrensmangel nachweislich nicht auf die Entscheidung ausgewirkt. Was den Nachweis des Kausalzusammenhangs zwischen dem Verfahrensmangel und der Entscheidung angeht, reicht die abstrakte Möglichkeit des Einflusses nach Meinung des BVerwG nicht aus. Andererseits gehe es zu weit, den in der Praxis kaum möglichen positiven Nachweis der Kausalität zu verlangen. Vielmehr soll es genügen, wenn aufgrund naheliegender oder erkennbarer Umstände die konkrete Möglichkeit besteht, daß sich der Verfahrensfehler auf die Entscheidung ausgewirkt hat;21 dann ist § 46 VwVfG nicht anwendbar, der Verfahrensfehler also beachtlich. dd) Kein selbständiger Rechtsschutz gegen Verfahrensfehler Gemäß § 44a S. 1 VwGO sind im übrigen Rechtsbehelfe gegen Verfahrensfehler grundsätzlich gleichzeitig mit den gegen die Sachentscheidung zulässigen Rechtsbehelfen geltend zu machen. Verfahrenshandlungen der Behörde können also grundsätzlich nicht selbständig vor Gericht angegriffen werden. Damit soll verhindert werden, daß Verfahrensvorschriften dazu mißbraucht werden, die Sachentscheidung durch Angriffe gegen Verfah19ao v. a. Hufen (1991), Rdnr. 621 ff; den, NlW 1982,2167; s. a. Wahl, VVDStRL 41,176; allgemein zum Ablauf der juristischen Entscheidungsbildung Easer (1972),54,62 ff. :lOao - ausgehend von der amtlichen Begründung, BT-DrS. 7/910, 66 - v. a. die Rspr.: BVerwGE 61,45,50; 62, 108, 116; 56, 230, 233; VGH Kassel, NVwZ-RR 1990, 128, 133; OVG Münster, DVBI 1987,1023, 1027; Kopp (1986), Nr. 24 f zu § 46; Ossenbühl, NlW 1981,376; den, NVwZ 1982,471; Pietzcker, VVDStRL 41,224; wohl auch v. Mutius, NlW 1982,2159; s. a. de Witt, DVBI 1981,650; Wahl VVDStRL 40,177. 21 80 BVerwGE 69,256,269 f; vgl. auch OVG Lüneburg, DVBI 1984,229,235.
IV. Das Genehmigungsverfahrcn
101
renshandlungen ZU verzögern oder zu erschweren. 22 Dieses Verbot von Zwischenstreits über Verfahrensfehler ist nach h. M. umfassend; es erstreckt sich insbesondere auch auf Anträge im vorläufigen Rechtsschutz nach § 123 VwGO. 23 Bei Großverfahren führt das Zusammenspiel von § 46 VwVfG und § 44a VwGO dazu, daß alle Verfahrensfehler bis nach Ende des Verfahrens aufgespart werden, die Sachentscheidung eventuell "bloß" wegen eines Verfahrensfehlers aufzuheben ist, und das ganze umständliche Verfahren wiederholt werden muß. Nach Abschluß eines Großverfahrens kann der Druck auf Behörde und Gericht übermächtig sein, diese Wiederholung des Verfahrens wegen eines Verfahrensfehlers zu vermeiden; das Gericht kann eher geneigt sein, § 46 VwVfG anzuwenden. Deshalb besteht infolge der §§ 46 VwVfG, 44a VwGO die Gefahr, daß die Verfahrensvorschriften bei Großverfahren an Relevanz verlieren. 2A Das Mühlheim-Kärlich-Urteil des BVerwG2S allein kann diese Bedenken nicht zerstreuen. Dort war die 1. TEG eines Kernkraftwerks aufgehoben worden, nachdem die Anlage bereits in Betrieb gegangen war. Die Behörde hatte die Frage, ob die Billigung des großräumigen Standorts auch nach Änderung des kleinräumigen Standorts und des auf die Standortsituation insgesamt bezogenen Anlagenkonzepts bestehen bleiben durfte, überhaupt nicht geprüft. Die nunmehr aufgehobene Genehmigung wies also einen schwerwiegenden Ermittlungsmangel auf. Der Legalisierungsdruck dürfte sich dagegen insbesondere bei Fehlern bemerkbar machen, die für das Gesamtergebnis vermutlich weniger bedeutsam sind, die aber die Rechtsverfolgung für einzelne Betroffene erheblich erschweren können. Würde ein in einem Großverfahren ergangener Verwaltungsakt nach jahrelangem Prozeß und Investitionen in vielfacher Millionenhöhe tatsächlich aufgehoben werden, nur weil die Behörde einem einzelnen Betroffenen-Einwender seinerzeit rechtswidrig die Akteneinsicht verweigert hat? Oder weil der Leiter der Genehmigungsbehörde befangen war?U> Der Konflikt zwischen Wirksamkeit der Verfahrensbestimmungen und Verfahrensbeschleunigung dürfte wie folgt zu lösen sein: Die einzelnen Phasen der Öffentlichkeitsbeteiligung sind zeitlich lang gestreckt und folgen mit einem gewissen zeitlichen Abstand aufeinander. Die Einwendungsfrist z. B. beträgt mehrere Wochen; zwischen ihrem Ende und dem Beginn
22S•
BT-DrS. 7/910,97; vgJ. auch Hufen (1991), Rdnr. 633 m. w. N.
23 s.
z. B. BayVGH, DVBI 1988, 1179 m. w. N.
24so
auch Wahl, VVDStRL 41,180 f.
2SoVBI 1988,1171 ff. U>vgJ. dazu BVerwG, NVwZ 1987,578,581: PIanfeststellungsbeschluß wird nach 7 lahren Prozeßdauer bestätigt; ob Arntsträger befangen waren, bleibt offen; jedenfalls soll Kausalität fehlen.
102
A. Genehmigung kemtechnischer Anlagen in der BRD
des Erörterungstermins soll mindestens ein Monat liegen (§ 5 III AtVtV). Auch zwischen dem Abschluß des Erörterungstermins und der Sachentscheidung vergeht einige Zeit. Deshalb bestehen hinreichende Spielräume, 27 den Streit um Verfahrensfehler durch unverzüglich gestellte Anträge auf vorläufigen Rechtsschutz gerichtlich klären zu lassen, ohne das dadurch der Zweck des § 44a VwGO, Verzögerungen der Sachentscheidung zu vermeiden, vereitelt würde. Diese Art von Zwischenstreit dürfte bereits de lege lata nicht von § 44a VwGO ausgeschlossen sein, sofern der Verfahrensfehler den Rechtsschutz des Einwenders ernstlich in Frage stellt.2l! § 44a S. 2 Alt 2 VwGO läßt ausnahmsweise selbständige Rechtsbehelfe gegen Verfahrenshandlungen zu, sofern diese Verfahrenshandlungen "gegen einen Nichtbeteiligten ergehen." Grund dieser Ausnahme ist, daß "Nichtbeteiligte durch die Entscheidung in der Sache regelmäßig nicht betroffen werden und ihnen somit gegen diese Entscheidung ein Rechtsbehelf nicht zusteht. "29 Diese amtliche Begründung spricht dafür, § 44a S. 2 Alt 2 VwGO auf Rechtsbehelfe von Jedermann-Einwendern gegen Verfahrensfehler zumindest analog anzuwenden; denn Jedermann-Einwender sind hinsichtlich der Sachentscheidung nicht gemäß § 42 11 VwGO klagebefugt; ihnen steht "gegen diese Entscheidung ein Rechtsbehelf nicht zu. " Wenn sie also Rechtsbehelfe gegen sie betreffende Verfahrensfehler einlegen, sollte dies nicht an § 44a 1 VwGO scheitern. 30 Die Rspr. sieht dagegen Einwender im atomrechtlichen Genehmigungsverfahren stets als "Beteiligte" an, unabhängig davon, ob sie eigene oder öffentliche Belange geltend machen; § 44 a S. 1 VwGO wird daher auf alle Einwender gleichermaßen angewandt. 31
Das BVerfG hat es für mit Art 19 IV GG vereinbar gehalten, daß sich Jedermann-Einwender nach dieser Rspr. überhaupt nicht gegen sie betreffende Verfahrensfehler wehren können. Denn der Schutzbereich des Art 19 IV GG sei nur berührt, wenn das einfache Recht dem Bürger eine wehrfähige Position verleihe. 32 Bei näherem Hinsehen scheint allerdings die Annahme nicht unvertretbar, daß die Beteiligungsvorschriften der AtVtV denjenigen Jedermann-Einwendern, die besonderen Sachverstand haben, ein subjektives Recht verleihen. Die zu diesem Ergebnis führende Argumentation soll hier nur skizziert werden.
2780
auch Wahl, VVDStRL 41,181.
2l!8O auch Sellner (1988), Rdnr. 143. 298 .
BT-Drs. 7/910,97.
30allgemein für restriktive Anwendung des § 44a VwGO Hufen (1991), Rdnr. 635,637 f. 31 s. BayVGH, NVwZ 1989, 1179 f; DVBI 1988, 1179 f; zur BeteiligtensteIlung der Einwender BVerwG, DVBI 1987,1027 f.
32s.
BVerfU, NVwZ 1988,1017; vgl. auch BVerfUE 61,82,110.
IV. Das Genehmigungsverfahren
103
Die Auffassung des BVerfG, daß Art 19 IV GG nur eingreift, wenn der Bürger nach einfachem Recht eine wehrf"ahige Position hat, wird dem Verhältnis des einzelnen zum Staat, wie es im GG ausgestaltet ist, nicht voll gerecht. Denn zum einen bedarf nach dem GG nicht das Freisein des einzelnen von staatlichem Zwang, sondern die Beschränkung dieser Freiheit einer besonderen Legitimation (Art 2 I, 20 III GG). Vor allem aber versteht das GG den einzelnen nicht als bloßes Objekt der Rechtsordnung, sondern als ein zur aktiven Teilnahme an der Verwirklichung der Staatsund Rechtszwecke berufenes, mit entsprechender Rechtsmacht ausgestattetes Rechtssubjekt (Art 1 I, 19 IV GG). Aus dieser Gesamtsicht des GG vom Verhältnis des einzelnen zum ,Staat folgt, daß im Zweifel diejenige Auslegung einer Rechtsnorm den Vorzug verdient, die dem Bürger ein subjektives Recht einräumt. 33 Zwar wird vertreten, daß diese Regel in mehrpoligen Rechtsverhältnissen nicht gelten könne, da sie dort angeblich denjenigen privilegiere, der als erster den Prozeßweg beschreite; außerdem könne die Regel allzu leicht die bei mehrpoligen Rechtsverhältnissen notwendige materielle Wertung aller beteiligten Interessen überspielen. 34 Hinsichtlich der Beteiligungsvorschriften dringen diese Bedenken allerdings nicht durch. Die soeben eingeführte Auslegungsregel ist bei Verfahrensvorschriften anwendbar. Denn diese Bestimmungen dienen gerade dazu, das Gewicht zu ermitteln, das den gegensätzlichen Rechtspositionen der Einwender und des Antragstellers sowie den schutzwürdigen Allgemeininteressen zukommt, und einen verhältnismäßigen Ausgleich dieser Positionen herbeizuführen. Welche der Interessen im Einzelfall Vorrang haben, kann erst am Ende des Verfahrens entschieden werden, wenn alle wesentlichen Fakten feststehen. 35 Wenn man den Beteiligungsvorschriften eine eigenständige drittschützende Wirkung zuerkennt, wird gerichtlich kontrollierbar, ob alle für die Sachentscheidung relevanten Gesichtspunkte in einem korrekten Verfahren ermittelt wurden. Das Risiko einer Fehlgewichtung der gegensätzlichen Interessen wird dadurch eher verringert. Voraussetzung dafür, daß die oben vorgestellte Auslegungsregel eingreift, ist jedoch stets, daß Vorschriften des einfachen Rechts dem einzelnen eine objektivrechtlich gewollte Begünstigung gewähren. 36 Eine solche Begünstigung ist offenkundig die durch §§ 7 I 1, 8, 12 I AtVfV für jedermann eröffnete Möglichkeit, zunächst Einwendungen zu erheben und danach auch am Erörterungstermin teilzunehmen. Zwar ist die Beteiligung in erster Linie deshalb für jedermann gestattet, damit die Behörde ein möglichst
3390 auch Bachof (1955), 301 f; ihm folgend BVertUE 15,281 f, insoweit nicht wiedergegeben in der atomrechtlichen Entscheidung BVertUE 61,82,110. 34vgl.
Schmidt-Aßrnann in Maunz-Dürig, Nr. 143 f zu Art 19.
35zur
Verfahrensabhängigkeit der Entscheidung allgemein Hufen (1991), Rdnr. 13 ff; 46 ff.
3690
auch Bachof (1955),301.
104
A. Genehmigung kemtechnischer Anlagen in der BRD
umfassendes Bild von den Auswirkungen des Vorhabens erhält. 31 Aber auch wenn Beteiligungsrechte vorwiegend im öffentlichen Interesse bestehen, schließt das nicht aus, daß sie zu einem isolierten subjektiven Verfahrensrecht erstarken. 38 Kehrseite der Ermittlungsaufgabe der Behörde ist gemäß der oben erörterten Auslegungsregel ein subjektives Recht des materiell nicht betroffenen Einwenders, seinen besonderen Sachverstand im Verfahren zur Geltung zu bringen. Dieses Recht wird von Wortlaut und Entstehungsgeschichte der Beteiligungsvorschriften nicht ausgeschlossen. Um die Frage zu beantworten, ob die Beteiligungsrechte sachkundiger Jedermann-Einwender gerichtlich durchsetzbar sind, ist der Wortlaut der §§ 7 I 1,8 und 12 AtVfV ersichtlich unergiebig. In der amtlichen Begründung der AtVfV und ihrer Neufassung wird nur als "vorrangiger Zweck" der Öffentlichkeitsbeteiligung der Rechtsschutz für materiell Betroffene genannt und erläutert, daß der Erörterungstermin "hauptsächlich" zur Entscheidungsvorbereitung und -optimierung dient. 39 Diese Formulierungen lassen den Schluß zu, daß die Beteiligung daneben noch weitere vom Verordnungsgeber nicht eigens genannte Zwecke erfüllen soll. Dazu kann auch gehören, den sachkundigen Jedermann-Einwendern ein subjektives Recht auf Berücksichtigung ihrer sachkundigen Beiträge im Verfahren einzuräumen. So ein Recht würde auch der Entscheidungsoptimierung dienen. Im übrigen ist dieses Recht auch grundrechtlich verankert, und zwar zumindest als Teil der Allgemeinen Handlungsfreiheit in Art 2 I GG. Es besteht nur, wenn und soweit der Jedermann-Einwender tatsächlich besondere Sachkunde hat, d. h. wenn er von seiner Ausbildung und seinen beruflichen Kenntnissen und Fähigkeiten her in der Lage ist, einen Beitrag zur Entscheidung der im Verfahren erheblichen Sachfragen zu leisten. Im Gerichtsverfahren muß der Einwender außerdem substanziert behaupten, die Behörde habe sich wegen eines Verfahrensfehlers der Möglichkeit beraubt, gerade seinen sachkundigen Beitrag hinreichend zu berücksichtigen. 40 Insoweit kommen vor allem solche Mängel der Öffentlichkeitsbeteiligung in Betracht, die den Einwender daran gehindert haben, seine Verfahrensrechte wahrzunehmen, sowie die Mitwirkung befangener Amtsträger oder Gutachter. Gegen dieses selbständig gerichtlich durchsetzbare Vefahrensrecht "qualifizierter", materiell rechtlich aber nicht betroffener Einwender wird sicherlich eingewandt werden, es widerspreche dem Grundsatz, daß Verfahrensrechte vom materiellen Recht abhängig sind. Die Alternative, den durch die
37S•
38 so 39s.
BR-DrS. 524176, 5, 8. auch Schmidt-Aßmann in Maunz-Oürig, Nr. 149 zu Art 19. BR-DrS. 467/81,6 sowie BR-DrS. 524176,8.
«Joaß das Beteiligungsrecht aus der AtVfV sogar unabhängig von der Sachkunde des Einwenden selbständig einklagbar sei, vertreten Wolff-Bachof (1978), § 133, Rdnr. 30; mit Blick auf die Funktion der Einwendungsbefugnis, die Sachentscheidung zu optimieren, geht das jedoch zu weit.
IV. Das Genehmigungsverfahren
lOS
Sachentscheidung nicht in ihren Rechten betroffenen Einwendern zwar Einwendungs- und Erörterungsrecht zu geben, diese Befugnisse aber nicht durch entsprechende Klagemöglichkeiten abzusichern, ist jedoch aus allgemeinen Gerechtigkeitserwägungen unbefriedigend. Außerdem ist sie nicht mit der aus der Sicht des Grundgesetzes von der Stellung des einzelnen zum Staat folgenden Vermutung vereinbar, wonach objektivrechtlich gewollten Begünstigungen im Zweifel subjektive Rechte entsprechen. 41 Prozessual können "qualifizierte" Jedermann-Einwender ihre Verfahrensrechte im vorläufigen Rechtsschutz durchsetzen. § 44a 1 VwGO steht dem nicht entgegen. 42 c) Die Öffentlichkeitsbeteiligung
aa) Auslegung von Unterlagen (1) Die Antragsunterlagen
Gemäß § 3 AtVfV hat der Antragsteller dem Antrag die Unterlagen beizufügen, die zur Prüfung der Genehmigungsvoraussetzungen erforderlich sind. Zu den Unterlagen, die der Feststellung anlagen- und standortbezogener Genehmigungsvoraussetzungen dienen, gehören insbesondere - ein Sicherheitsbericht (§ 3 I Nr. 1 AtVfV); - ergänzende Pläne, Zeichnungen und Beschreibungen der Anlage und ihrer Teile (§ 3 I Nr. 2 AtVfV); - Angaben über Maßnahmen, die zum Schutz der Anlage und ihres Betriebs gegen Störmaßnahmen und sonstige Einwirkungen Dritter nach § 7 11 Nr. 5 AtG vorgesehen sind (§ 3 I Nr.3 AtVfV); - eine Aufstellung, die alle für die Sicherheit der Anlage und ihres Betriebs bedeutsamen Angaben, die für die Beherrschung von Stör- und Schadensfällen vorgesehenen Maßnahmen sowie einen Rahmenplan für die vorgesehenen Prüfungen an sicherheitstechnisch bedeutsamen Anlagenteilen enthält (Sicherheitsspezifikationen; § 3 I Nr. 6 AtVfV). Die Anforderungen an diese Sicherheitsspezifikationen legt eine Richtlinie fest, die ein vom BMI berufenes Arbeitsgremium aus Vertretern der Hersteller und Betreiber, der Sachverständigen und der Behörden erarbeitet hat. 43 Zweck der Sicherheitsspezifikationen ist es gemäß Ziffer I der Richtlinie, jederzeit einen raschen und lückenlosen Nachweis aller für die Sicherheit des 41 dazu 428 •
oben S. 103.
o. S. 101 f.
43vg l.
BMU-Handbuch (=Anhang), Nr.3.4.
106
A. Genehmigung kemtechnischer Anlagen in der BRD
Kernkraftwerks und seines Betriebs wichtigen Daten, Grenzwerte und Maßnahmen in ihrer jeweils letztgültigen Fassung zu gewährleisten, einschließlich der notwendigen Hinweise auf Auslegungsgrundlagen. Die Spezifikationen bilden eine verbindliche und aktuelle Dokumentation des sicherheitstechnisch unbedenklichen und genehmigten Rahmens für den Zustand und die Betriebsweise der Anlage. Ferner sind sie die Grundlage für die Festlegung wesentlicher Veränderungen der Anlage; - eine Aufstellung der vorgesehenen Maßnahmen zur Reinhaltung des Wassers, der Luft und des Bodens (§ 3 I Nr. 8 AtVfV). Diese Unterlage ermöglicht es zu prüfen, ob gemäß § 7 11 Nr. 6 AtG keine überwiegenden öffentlichen Interessen der Wahl des Standorts entgegenstehen; - eine allgemein verständliche Kurzbeschreibung der Anlage und ihrer voraussichtlichen Auswirkungen auf die Allgemeinheit und die Nachbarschaft (§ 3 11 1 AtVfV); - ein Verzeichnis der dem Antrag beigefügten Unterlagen, in dem die Unterlagen besonders gekennzeichnet sind, die Betriebs- oder Geschäftsgeheimnisse enthalten (§ 3 11 2 AtVfV). Von diesen Unterlagen werden neben dem Antrag nur der Sicherheitsbericht und die Kurzbeschreibung zur Einsicht ausgelegt (§ 6 I AtVfV). (2) Der Sicherheitsbericht Der Sicherheitsbericht erfüllt zwei Funktionen. Einerseits ist er die Unterlage, anband der die Genehmigungsbehörde prüft, ob die nach dem Stand von Wissenschaft und Technik: erforderliche Vorsorge gegen Schäden (§ 7 11 Nr. 3 AtG) getroffen ist. Andererseits ist er die wesentliche Informationsquelle für potentiell von den Auswirkungen der Anlage Betroffene. 44 Dazu ist im Sicherheitsbericht die Anlage und ihr Betrieb zu beschreiben und anband von Lageplänen und Übersichtszeichnungen darzustellen. Im einzelnen müssen aus dem Sicherheitsbericht die Konzeption der Anlage (die grundlegenden Auslegungsmerk:male), die sicherheitstechnischen Auslegungsgrundsätze und die Funktion der Anlage einschließlich ihrer Betriebs- und Sicherheitssysteme hervorgehen. DafÜberhinaus sind die Auswirkungen der Anlage und ihres Betriebs, einschließlich deIjenigen von Auslegungsstörfällen i. S. v. § 28 11 4 StrlSchV, zu beschreiben und die vorgesehenen Maßnahmen der Vorsorge nach § 7 11 Nr. 3 AtG darzulegen. Die Angaben im Sicherheitsbericht müssen so ausführlich sein, daß Dritte beurteilen können, inwieweit sie durch die mit der Anlage und ihrem Betrieb verbundenen Auswirkungen in ihren Rechten verletzt werden können (§ 3 I AtVfV).
44vgl.
BR-DrS 467/81,6; Ronellenfitsch (1983),312 f.
IV. Das Genehmigungsvcrfahrcn
107
Der Inhalt des Sicherheitsberichts ist in einer "Merkpostenaufstellung mit Gliederung"4S vereinheitlicht. Demnach besteht der Bericht aus sechs Teilen, die Angaben zu folgenden Problemkreisen enthalten: Standort, Kraftwerksanlage, radioaktive Stoffe und Strahlenschutzmaßnahmen, Betrieb des Kraftwerks, Srorfallanalyse und Stillegung. Bei einem Kernkraftwerk umfaßt der Sicherheitsbericht inzwischen sechs Aktenordner. Die Darstellung ist in einer für Laien nahezu unverständlichen Fachsprache abgefaßt. Was z. B. die Emissionen radioaktiver Stoffe betrifft, stehen im Sicherheitsbericht nur die Abgaberaten. Die Information, daß ein Kernkraftwerk "3,6 Ci/a radioaktive Edelgase" emittieren wird, kann der nicht sachverständige Bürger nicht würdigen. 46 Der von der amtlichen Begründung der AtVfV als Ausnahme betrachtete Fall, daß der Dritte "gegebenenfalls" der "Mitwirkung eines sachkundigen Beraters" bedarf, um das tatsächliche Ausmaß nachteiliger Auswirkungen oder Gefahren erkennen zu können,41 wird daher eher die Regel sein. Trotzdem ist durch Art 4 des Gesetzes vom 12.02.199048 die Auslegungsfrist von bisher zwei Monaten auf einen Monat und die Einwendungsfrist von bisher ebenfalls zwei Monaten auf einen Monat und zwei Wochen verkürzt worden. Unrichtigkeiten im Sicherheitsbericht führen nur zur Rechtswidrigkeit der Genehmigung, wenn sie Einfluß auf die Genehmigungsentscheidung gehabt haben können. 49 Ist der Sicherheitsbericht derart unvollständig, daß Dritte nicht beurteilen können, ob sie möglicherweise von den Auswirkungen der Anlage betroffen sind, verringert sich die den Kläger gemäß § 42 11 VwGO treffende Substanzierungslast. Die Klagebefugnis besteht in diesem Fall schon dann, wenn die Behauptungen des Klägers über angeblich von der Anlage ausgehende Gefahren nicht "offensichtlich und eindeutig unmöglich" sind. so (3) Die Kurzbeschreibung
Mit Rücksicht darauf, daß technisch nicht vorgebildete Bürger den Sicherheitsbericht kaum verstehen können, schreibt § 3 III AtVfV vor, daß der Antragsteller eine Kurzbeschreibung des Vorhabens einzureichen hat.
4SBMU-Handbuch (=Anhang), Nr.3.5. 46vg l.
de Witt (1977),275; ders. (1984), 169; Wilting (1985),79.
41vg l. BR-DrS. 48 8GB1
467/81,7.
I, 205 ff.
49vgl. OVG Kob1enz,
ET 1986,444,446 f.
SOso BVcIWG, NJW 1983,1507,1508 zu § 1011 2 8ImSchG, der Panlleivorschrift zu § 3 I Nr.l AtVfV.
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A. Genehmigung kcrntechnischcr Anlagen in der BRD
Sie soll in einer zusammenfassenden und allgemein verständlichen Darstellung der Allgemeinheit und den Nachbarn ein Bild von der geplanten Anlage und ihren Auswirkungen geben. Eine hinreichend detaillierte Kurzbeschreibung könnte dem nicht sachverständigen Publikum den Umgang mit dem Sicherheitsbericht wesentlich erleichtern. Wenn in der Kurzbeschreibung z. B. nicht nur die geplanten Sicherheitsvorkehrungen beschrieben, sondern auch in aller Offenheit Probleme bei deren Realisierung angesprochen würden, könnten potentielle Einwender nach Lektüre der Kurzbeschreibung gezielt bestimmte Passagen des Sicherheitsberichts studieren. Die Angaben in einer Kurzbeschreibung sind jedoch regelmäßig eher geeignet, besorgte Bürger zu beruhigen: In der Kurzbeschreibung für die inzwischen aufgegebene Wiederaufarbeitungsanlage in Wackersdorf z. B. wird im Abschnitt "Vorsorgemaßnahmen bei bestimmungsgemäßem Betrieb" zum Thema "Einhaltung der Unterkritikalität" folgendes ausgeführt: "Die Maßnahmen zur Gewährleistung der Unterkritikalität beruhen alle auf einer Begrenzung der Neutronenmultiplikation und erfüllen das Prizip des "double contingency". Nach diesem Prinzip wird sichergestellt, daß mindestens zwei voneinander unabhängige und gleichzeitig wirkende, im bestimmungsgemäßen Betrieb nicht zu erwartende Ereignisabläufe eintreffen müssen, ehe ein Kritikalitätsstörfall auftreten könnte. Die Kritikalitätssicherheit der Komponenten beruht auf der Beschränkung bestimmter Parameter, wie z. B. geometrischer Bedingungen, Spaltstoftkonzentrationen und Anreicherungsgrad. In einigen Fällen kommen auch Neutronenabsorber in heterogener Form, z. B. Bleche aus Hafnium, zur Anwendung. Die ausreichende Begrenzung der Neutronenmultiplikation wird durch Berechnungen nachgewiesen, deren Ausgangsdaten durch experimentelle Untersuchungen abgesichert sind und die aus dem international verfügbaren Wissen über den Umgang mit spaltbaren Isotopen stammen. Einflußgrößen wie Spaltstoffinventar, Moderationsgrad und Reflexionsvermögen werden bei den Nachweisen berücksichtigt. Prozeßbereiche, für die gleiche Kritikalitätsparameter gelten, werden zu Bereichen mit gleicher Auslegung für die Einhaltung der Unterkritikalität zusammengefaßt. Die Übergänge werden durch Doppelanalysen oder zuverlässige Neutronenmonitore auf Einhaltung der Kritikalitätsparameter überwacht. "51 Ob diese Maßnahmen zur Einhaltung der Unterkritikalität technisch realisierbar sind, ist nicht unumstritten. Es gibt Stimmen, wonach die Kritikalitätssicherheit insbesondere wegen großer Meß- und Regelprobleme nicht gewährleistet werden kann;52 andere Autoren halten diese Probleme jedoch
51 vgl. DWK
(1988),50.
52ygl. Strohm (1981),669 ff.
IV. Das Genehmigungsverfahren
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für lösbar. S3 Hinweise auf diese Meinungsverschiedenheiten fehlen in der Kurzbeschreibung völlig. Damit verfehlt die Kurzbeschreibung ihren Zweck, der Öffentlichkeit ein zutreffendes Bild von der Anlage und ihren möglichen Auswirkungen zu geben. bb) Die Bekanntmachung Wenn die zur Auslegung erforderlichen Unterlagen, also der Antrag, der Sicherheitsbericht und die Kurzbeschreibung, vollständig sind, muß die Behörde das Vorhaben in ihrem amtlichen Veröffentlichungsblatt und in "örtlichen Tageszeitungen" öffentlich bekanntmachen, die "im Bereich des Standorts der Anlage verbreitet" sind (§ 4 I 1 AtVfV). Im Interesse einer umfassenden Unterrichtung der Öffentlichkeit ist die Formulierung "im Bereich des Standorts" weit auszulegen. Die Bekanntmachung muß daher in denjenigen Zeitungen veröffentlicht werden, die im voraussichtlichen Einwirkungsbereich der Anlage erscheinen. Der "Bereich des Standorts" beschränkt sich nicht auf das Gebiet der unmittelbar an den Standort angrenzenden Gemeinden. Um des Informationszwecks der Bekanntmachung willen wird man alle in diesem Bereich erscheinenden regionalen Tageszeitungen als "verbreitet" ansehen müssen, ausgenommen Blätter mit einem völlig unbedeutenden Leserkreis. S4 Wenn die Behörde die Bekanntmachung fälschlich nicht in alle diese Zeitungen einschaltet, kann sich der Kläger auf diesen Verfahrensmangel nicht berufen, wenn er auf andere Weise vom gesamten Text der Bekanntmachung Kenntnis erlangt hat. ss Neben Angaben über den Antragsteller und sein Vorhaben muß die Bekanntmachung eine Reihe von Ankündigungen über den weiteren Verfahrensablauf enthalten (§ 5 I AtVtv). Hierzu gehören v. a.: - die Angabe von Frist und Ort der Auslegung der Unterlagen; dabei ist der erste und der letzte Tag der Frist zu nennen; - die Bekanntgabe der Stellen, bei denen innerhalb der Frist Einwendungen vorzubringen sind, verbunden mit dem Hinweis, daß mit Ablauf der Einwendungsfrist alle Einwendungen ausgeschlossen sind, die nicht auf besonderen privatrechtlichen Titeln (Vertrag; Dienstbarkeit) beruhen; - die Ankündigung des Erörterungstermins, der später in derselben Weise öffentlich bekannt zu machen ist wie das Vorhaben selbst.
S3vgl. Münch S4zur
(1980), 92; BayStMLU (1987),254 f.
Bekanntmachung vgl. Ronellenfitsch (1983), 322 f m. w. N; Wilting (1985), 72.
sSyG Koblenz, ET 1985,360,365.
110
A. Genehmigung kerntechnischer Anlagen in der BRD
cc) Die Auslegung Zwischen der Bekanntmachung und dem Beginn der Auslegungsfrist soll gemäß § 5 II AtVfV eine Woche liegen, gerechnet vom voraussichtlichen "Tag der Ausgabe des Veröffentlichungsblatts oder der Tageszeitung, die zuletzt erscheint." Diese sprachlich mißglückte Formulierung soll es der Genehmigungsbehörde nicht ermöglichen, zwischen den heiden Zeitpunkten zu wählen. Maßgeblicher Zeitpunkt soll vielmehr das Erscheinen des letzten Publikationsorgans sein, das die Bekanntmachung enthält. 56 Zur Einsicht ausgelegt wird nur ein geringer Teil der vom Antragsteller einzureichenden Unterlagen, nämlich der Antrag, der Sicherheitsbericht und die Kurzbeschreibung, § 6 I Nr. 1 - 3 AtVfV. Die Einsichtnahme ist zu ermöglichen am meist standortfemen Sitz der Genehmigungsbehörde und "bei einer geeigneten Stelle in der Nähe des Standorts". Letztere wird zumeist eine Dienststelle der Gemeinde oder des Landkreises sein, wo das Vorhaben durchgeführt werden soll. In Betracht kommt aber auch, eigens für die Auslegung Räumlichkeiten einzurichten. j7 § 6 I AtVfV schreibt vor, daß Einsicht in die Unterlagen "während der Dienststunden" zu gewähren ist. Das BVerwG hält es für zulässig, im Interesse der Arbeitsfähigkeit der Auslegungsbehörden die Einsichtnahme auf einen Teil der Dienststunden zu beschränken, solange die Möglichkeit, Einsicht zu nehmen, nicht unzumutbar erschwert wird. ss Ronellenfitsch59 stimmt dem BVerwG insoweit zu, verkennt aber, daß § 6 I AtVfV diese Unterscheidung zwischen Dienst- und Schalterstunden gerade nicht trifft. dd) Die materielle Präklusion Während der dafür vorgesehenen Frist können bei den in der Bekanntmachung genannten Stellen Einwendungen schriftlich oder zur Niederschrift erhoben werden (§ 7 I 1 AtVfV). Einwendungsberechtigt ist jedermann, gleichgültig, ob er in seinen Rechten oder Interessen betroffen ist. Diese sog. Popularbeteiligung im behördlichen Genehmigungsverfahren ermöglicht auch die Mitwirkung von Verbänden. 60 Unter Einwendungen wird ein sachliches, auf die Verhinderung oder Modifikation des geplanten Vorhabens abzielendes Gegenvorbringen verstanden. 61 Das bloße "Nein", der
5690
auch Ronellenfitsch (1983),324 f unter Hinweis auf die amtliche Begtiindung.
57ebenso Roncllenfitsch (1983),326. ssDVBI1981,405,408gegenOVG Lüneburg, ET 1978,612,616. 59(1983),328; wie hier dagegen Wilting (1985),80. 6Ovg l. Kloepfer 61 BVerwG,
(1989), § 4, Rdnr. 69.
DVBI 1980,1001,1002.
N. Das Genehmigungsverfahren
111
nicht näher spezifizierte Protest oder die bloße Mitteilung, es würden Einwendungen erhoben, genügt nicht. Gemäß § 7 I 2 AtVfV sind mit Ablauf der Einwendungsfrist alle Einwendungen ausgeschlossen, die nicht auf besonderen privatrechtlichen Titeln beruhen. Dieser Einwendungsausschluß erstreckt sich nach h. M. auch auf das gerichtliche Verfahren, sog. materielle Präklusion. Wer also nicht rechtzeitig Einwendungen erhebt, verliert die Möglichkeit, Genehmigungsabwehransprüche gerichtlich durchzusetzen. Für diese Deutung spricht nach Ansicht des BVerwG v. a, daß § 7 I 2 AtVfV eine Ausgleichsfunktion innerhalb eines mehrpoligen Rechtsverhältnisses hat. Diese Bestimmung grenze nämlich die Rechtssphären der Antragsteller und der potentiell betroffenen Dritten ab, indem sie das Abwehrrecht des Dritten aus § 7 11 Nr. 3 AtG beschränke. Diese Beschränkung sei gerechtfertigt als Ausgleich für das Mehr an vorverlagertem Rechtsschutz, das aus der Beteiligung des Dritten am Genehmigungsverfahren und der Möglichkeit resultiere, auf den Inhalt der Genehmigung Einfluß zu nehmen. Die materielle Präklusion steigere die Bestandskraft der Genehmigung gegenüber Dritten, die nicht rechtzeitig Einwendungen erhoben hätten; gleichzeitig mache sie das Risiko überschaubarer, das der Betreiber eingehe, wenn er von der Genehmigung vor Eintritt der Unanfechtbarkeit Gebrauch mache. 62 Begrenzt wird die Präklusion in mehrfacher Hinsicht. 63 Im Anwendungsbereich der Bestimmungen über die erneute Öffentlichkeitsbeteiligung bei wesentlichen Änderungen (§ 411 AtVfV) ist die Präklusion ausgeschlossen. Wenn also eine solche Änderung ohne die erforderliche erneute Bekanntmachung und Auslegung genehmigt wird, kann auch ein am Verfahren bislang nicht beteiligter Dritter dagegen klagen. Verspätete Einwendungen hat die Genehmigungsbehörde im Rahmen ihrer Amtsermittlungspflicht zu berücksichtigen. Auch die gesetzliche Regelung über die Bestandskraft einmal erteilter Genehmigungen begrenzt den Umfang der Präklusion. Diese erstreckt sich daher nicht auf Ansprüche auf Widerruf oder Rücknahme von Genehmigungen oder auf Erlaß nachträglicher Auflagen nach § 17 AtG. Außerdem erfaßt der Einwendungsausschluß nicht Klagen auf Feststellung der Nichtigkeit einer Genehmigung, da nichtige Verwaltungsakte überhaupt keine Bestandskraft entfalten können. 64 Der Kläger kann die Präklusion jedoch nicht dadurch unterlaufen, daß er während der Anfechtungsfrist statt der
62gnmdlegend BVetwG, DVBI 1980, 1001, 1003; vgl. auch Mutschler, ET 1980, 168 ff; Redeker, NIW 1980,1597 f. 63dazu BVetwG, DVBI 1980.1004 f. ~VetwG, DVBI 1980,1009.
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A. Genehmigung kerntechnischer Anlagen in der BRD
präkludierten Anfechtungsklage Verpflichtungsklage auf Rücknahme der Genehmigung erhebt. 65 Schließlich erfaßt die Präklusion nicht solche Tatsachen, die erst nach Ablauf der Einwendungsfrist eingetreten sind und daher nicht fristgerecht vorgebracht werden konnten. Hierzu gehören insbesondere neue technischwissenschaftliche Erkenntnisse. Im übrigen muß der Dritte hinreichend substanzierte Einwendungen erheben, um der Präklusion zu entgehen. Dazu muß der Einwender sein Rechtsgut bezeichnen, das er für gefährdet hält, und die befürchteten Beeinträchtigungen darlegen. Er muß aber nicht darstellen, weshalb er die Beeinträchtigungen für möglich hält. Um dem Substanzierungserfordernis zu genügen, müssen die Einwendungen einen Rechts- und einen Tatsachenvortrag enthalten. Diese Auslegung der Präklusionsvorschriften durch das BVerwG hat das BVerfG gebilligt und dabei hervorgehoben, daß an sachlichem Vorbringen nicht mehr verlangt werden dürfe als das durchschnittliche Wissen eines nicht sachkundigen Bürgers über mögliche Beeinträchtigungen seiner Rechtsgüter durch das geplante Vorhaben. 66 Trotz dieser Einschränkung der Substanzierungslast durch das BVerfG haben Instanzgerichte gelegentlich sehr hohe Anforderungen an den Inhalt von Einwendungen gestellt. 61 Einwendungen seien nur dann ausreichend substanziert, wenn sie eine anlagenbezogene Thematisierung enthielten. Der Einwender müsse sich mit den Informationen aus dem Sicherheitsbericht und den sonstigen ihm zugänglichen Unterlagen auseinandersetzen und seine Bedenken in Bezug auf konkrete Themen darlegen. Ob dies trotz der kurzen Einwendungsfrist und der Komplexität der Materie tatsächlich zumutbar ist, mag man bezweifeln. Im Mühlheim-Kärlich Urteil hat das BVerwG denn auch erneut ausgeführt, daß die Einwendungen nur erkennen lassen müssen, welches seiner Rechtsgüter der Einwender als gefährdet ansieht. 68 Er braucht seine Bedenken aber nicht zu begründen. Nicht erläutern muß er z. B, welche konstruktiven Merkmale der Anlage die Gefahr eines Störfalls begründen. Um den Einwendungsausschluß zu vermeiden, muß der Einwender nicht nach Art einer technischen Vorprüfung auf erkennbare Mängel im Sicherheitssystem der Anlage hinweisen. Er muß allerdings in seinem persönlichen Bereich liegende Besonderheiten darlegen, wie z. B. eine besondere gesundheitliche Disposition. Sonst braucht die
6SvGH Kassel, NVwZ 1985,764. 66sVertUE 61,82,112ff. 61v . a.
VG Koblenz, Er 1984,702,717 f; OVG Koblenz, Er 1986,446 f.
68BVeIWG, DVBI 1988,1170,1174 f.
N. Das Genehmigung8verfahren
113
Behörde Gefahren der Anlage für die Gesundheit nur nach den im Gefahrenbereich allgemein zu elWartenden Gegebenheiten zu prüfen. Wenn er dem Einwendungsausschluß entgehen will, ist es also nicht mehr erforderlich, daß der nicht fachkundige Einwender innerhalb der Auslegungsfrist den Sicherheitsbericht durcharbeitet und versteht. Wegen der hohen Darlegungslast im Rahmen des § 42 11 VwG069 wird er sich jedoch weiterhin intensiv mit den technischen Details der Anlage befassen müssen, um ggf. einen hinreichend substanzierten Klagevortrag formulieren zu können. Außerdem besteht nur bei Erhebung auch technisch spezifizierter Einwendungen die Möglichkeit, daß sich die Einwender effektiv am Verwaltungsverfahren beteiligen können. Denn eine bloße pauschale Benennung eines als gefährdet angesehenen Rechtsguts verpflichtet die Behörde auch nur zu einer ebenso pauschalen Prüfung der Einwendung. 10 Der Untersuchungsgrundsatz wird nämlich durch die Mitwirkungslasten der Verfahrensbeteiligten71 begrenzt. Die ·Sachverhaltsfeststellung" besteht im Atomrecht im wesentlichen aus Abschätzungen und Bewertungen in einer Vielzahl natulWissenschaftlicher und technischer Fachgebiete. Die Amtsermittlungspflicht dürfte hier - wie sonst auch - nur dann verletzt sein, wenn sich der Behörde angesichts des ihr bereits vorliegenden Materials die Notwendigkeit weiterer Untersuchungen aufdrängen mußte. 12 Im atomrechtlichen Verfahren legt der Antragsteller in seinen Unterlagen ausgehend von den amtlichen velWaltungsintemen Regelungen und den technischen Regelwerken dar, daß die Dosisgrenzwerte aus § 45 StrlSchV eingehalten sind, daß die Vorsorge gegen Störfälle gemäß § 28 III StrlSchV ausreicht usw. Auch die von der Behörde eingeholten Sachverständigengutachten orientieren sich an den Vorgaben des amtlichen Regelwerks. Wenn der Einwender ohne nähere Erläuterungen nur behauptet, die Festlegungen in den Regelwerken seien nicht hinreichend konservativ und er sei trotz der Ausführungen des Antragstellers und der Gutachter in seinem Grundrecht auf körperliche Unversehrtheit gefährdet, dürfte sich für die Behörde nicht die Notwendigkeit weiterer Ermittlungen aufdrängen. Um die Ermittlungspflicht der Behörde auszulösen, wird der Einwender zumindest auf wissenschaftliche Studien velWeisen müssen, die die Festlegungen in den Regelwerken angreifbar erscheinen lassen. Erst durch so einen auch wissenschaftlich hinreichend fundierten Vortrag dürfte die Behörde zu weiteren Ermittlungen veranlaßt werden, erhält der Einwender damit die Möglichkeit, das Ergebnis des Verfahrens zu beeinflussen. Und um solche wissenschaftlich untermauerten Angriffe gegen das Vorhaben führen zu kön-
698.
dazu o. S. 124 ff.
1Ovgl.BVerwG, DVBI 1980,1005;OVG Lüneburg, DVBI 1984,233. 71 8.
dazu - teils kritisch - Kopp (1986), Nr. 17 ffzu § 24 VwVfU, 41 ffzu § 26 VwVfU.
12in diesem Sinne für Verfahren außemalb des Atomrechts BVerwGE 74,223 f. 8 Heitsch
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A. Genehmigung kerntechnischer Anlagen in der BRD
nen, muß sich der Einwender zunächst intensiv mit den aus den Unterlagen ersichtlichen Details der Anlage befassen. Einwendungen müssen vorhabensbezogen sein. Deshalb ist die Bezugnahme auf ein Vorbringen in einem anderen Verfahren und gegenüber einem anderen Vorhaben keine Einwendung gemäß § 7 I 1 AtVfV. 73 Da die Einwendungen überdies einen Bezug zu den Rechtsgütem des Klägers haben müssen, hindert ein auch noch so detailliertes Vorbringen den Einwendungsausschluß nicht, wenn der Einwender damit nur Belange der Allgemeinheit verfolgt. 74 Die materielle Präklusion führt dazu, daß die Klage gegen die Genehmigung als unbegründet abgewiesen wird. Die Klagebefugnis bleibt bestehen. Der Kläger muß allerdings die Rechtmäßigkeit des Einwendungsausschlusses - sei es prinzipiell, sei es für seinen konkreten Fall - in Fra~e stellen und behaupten, er sei (auch) dadurch in seinen Rechten verletzt. 7 ee) Akteneinsicht nach Ermessen (1) Ermessensrichtlinien Im atomrechtlichen Genehmigungsverfahren besteht kein Anspruch darauf, die Behördenakten einsehen zu dürfen. Stattdessen bestimmt § 6 III HS 1 AtVfV, daß die Genehmigungsbehörde Akteneinsicht nach pflichtgemäßem Ermessen gewähren kann. § 6 III HS 2 AtVfV erklärt § 29 I 3, II, III VwVfG für entsprechend anwendbar. Grundsätze für die Ermessensausübung sind nicht leicht zu ermitteln. Am Genehmigungsverfahren beteiligt sind außer dem Antragsteller alle Personen, die rechtzeitig Einwendungen erhoben haben, und zwar von dem Zeitpunkt an, zu dem ihre Einwendungen bei der Behörde eingegangen sind. Dies gilt unabhängig davon, ob die Einwender durch die möglichen Auswirkungen der Anlage in ihren Rechten betroffen sind oder nicht. 76 Denn die Vorschriften über die Einwendungen im atomrechtlichen Genehmigungsverfahren verdrängen die Bestimmung des VwVfG über die Beteiligung an Verwaltungsverfahren. Daher ist es unzulässig, bei der Entscheidung über die Akteneinsicht zwischen in ihren Rechten betroffenen Perso-
73ygI.BVerwG, DVBI 1987,258,259. 74yg l. OVG Münster, DVBI 1989,527. 75BVerwG, BayVBI 1983,408. 7680 zum Inunissionsschutzrecht BVerwG, DVBI 1987,1027,1028.
IV. Das Genehmigungsverfahren
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nen als Beteiligten i. S. v. § 13 I VwVfG und Jedermann-Einwendern zu unterscheiden und letzteren die Akteneinsicht generell zu verweigern. n Praktikabel sein dürfte, Akteneinsicht v. a. denjenigen Einwendern zu gestatten, die durch Einschaltung von Sachbeisländen gemäß § 14 IV VwVfG oder von Rechtsanwälten gezeigt haben, daß sie ihre Einwendungen ernsthaft weiterverfolgen werden. Eine solche Differenzierung wäre ein Ausgleich dafür, daß diese Personen erhöhte Anstrengungen unternommen haben, ihrer Mitwirkungslast im Verfahren78 gerecht zu werden. Die Möglichkeit, Akteneinsicht auf Vertreter nach §§ 17, 18 VwVfG zu beschränken,79 mildert die Schwierigkeiten erheblich, die dadurch entstehen, daß atom rechtliche Genehmigungsverfahren meist Massenverfahren sind. 80 Denn die Einwendungen sind typischerweise in der weitaus überwiegenden Mehrzahl "Sammeleinwendungen", d. h. Unterschriftslisten mit vorgefertigtem Text. § 17 VwVfG ist gerade auf diese Fälle zugeschnitten. 81 Der Fall, daß die Unterzeichner nach ihrer Unterschrift unter die Einwendungen die Vertretungswirkung wieder beseitigen und sich aktiv am Verfahren beteiligen, dürfte kaum praktische Bedeutung erlangen. 82 Im Ermessen der Behörde steht, ob sie auf Kosten der Beteiligten Kopien der Akten erstellt und sie den Einwendern, denen sie die Akteneinsicht gestattet hat, aushändigt. 83 Anspruch haben die Einwender nur darauf, ein Exemplar der Kurzbeschreibung zu erhalten (§ 611 AtVfV). (2) Ausnahmen
§ 29 11 VwVfG, der im atomrechtlichen Genehmigungsverfahren entsprechend anwendbar ist, enthält Ausnahmen vom im allgemeinen Verwaltungsverfahren existierenden eingeschränkten Recht auf Akteneinsicht. Diese Ausnahmen können als Richtlinien für den Vollzug des § 6 III
n 80 jedoch Ronellenfitsch (1983),332 f. 78 dazu
BVeIWG, DVBI 1980,1001,1004.
79§ 6 m HS 2 AtVfV
i. V. m. § 29 I 3 VwVfG.
80zweifelnd Ronellenfitsch (1983), 333. 81 vgl.
Kopp (1986), Nr. 12 zu § 17.
82dies räumt auch Ronellenfitsch (1983), 333, Fn. 26 ein; vgl. auch Hoffmann-Riem I Rubbert (1984), 3: nur etwa jeder achtzigste Einwender erscheint tatsächlich zum Erörterungstermin. 8380
auch Ronellenfitsch (1983),337.
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A. Genehmigung kemtechnischer Anlagen in der BRD
AtVfV herangezogen werden. 84 Demnach ist die Akteneinsicht m drei Fällen ausgeschlossen: - wenn durch sie die ordnungsgemäße Erfüllung der Behördenaufgaben beeinträchtigt wird; das ist v. a. dann denkbar, wenn eine Vielzahl von Personen Akteneinsicht begehrt, so daß die personellen und räumlichen Möglichkeiten der Behörde übermäßig belastet werden oder die Akten längere Zeit nicht zur Sachbearbeitung zur Verfügung stehen. Insbesondere auf die zweite Alternative kann sich jedoch die Behörde nur im Ausnahmefall und nicht gegenüber Betroffenen-Einwendern berufen; denn um des Rechtsschutzes dieser Personen willen ist von der Behörde zu verlangen, daß sie von allen für den Rechtsschutz bedeutsamen Akten eine Abschrift oder Kopie anfertigt, um die Akteneinsicht zu erleichtern.8.S - wenn die Bekanntgabe des Akteninhalts Nachteile für das Wohl des Bundes oder eines Landes bereiten würde; hier ist in erster Linie an eine Verletzung der Zielsetzungen aus § 1 Nr. 3 und 4 AtG zu denken. - wenn die Vorgänge... insbesondere wegen der berechtigten Interessen Beteiligter oder dritter Personen geheimgehalten werden müssen; hierzu zählen neben Angaben über den Schutz gegen Störmaßnahmen oder sonstige Einwirkungen Dritter (§ 7 11 Nr. 5 AtG) sowie die Personalakten der Mitarbeiter des Betreibers. Sofern solche Unterlagen allerdings Rückschlüsse auf die Zuverlässigkeit und Fachkunde des Personals (§ 7 11 Nr. 1 und 2 AtG) zulassen, überwiegt das Interesse der Einwender an ausreichender Information. Außerdem sind Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse nach § 6 III HS 2 AtVfV i. V. m. § 29 11 VwVfG geheimzuhalten. Alle diese Ausnahmen gelten nur für diejenigen Unterlagen, die der Ausnahmegrund abdeckt. 86 (3) Insbesondere: Die Behandlung von Betriebs- und Geschäftsgeheimnissen Die Auseinandersetzung um den angemessenen Schutz der Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse spielt sich in einem grundrechtlichen Rahmen ab. Als Teil der "informationellen Selbstbestimmung des Unternehmers" sind diese Geheimnisse durch Art 14 GG gegen unbegrenzte Erhebung, Speicherung, Verwendung und Weitergabe geschützt. Dieser Schutz darf nur im überwiegenden Interesse der Allgemeinheit und unter Beachtung des Grund8480 auch Ronellenfitsch (1983), 320; allgemein zu den Ausnahmen von der Akteneinsicht Ronellenfitsch (1983),334 f; Ulel Laubinger (1986), 180.
8.Sden Konflikt zwischen Rechtsschutzinteresse und störungsfreier Arbeit der Behörden löst zugunsten der Behörde Ronellenfitsch (1983), 334 f. 8680
ausdriicklich auch Ronellenfitsch (1983), 335.
IV. Das Genehmigungsverfahren
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satzes der Verhältnismäßigkeit durch Gesetz oder auf Grund eines Gesetzes eingeschränkt werden; die Einschränkung darf nicht weiter gehen, als sie zum Schutz anderer Rechtsgüter von Verfassungsrang unerläßlich ist. 87 Der informationellen Selbstbestimmung des Unternehmers steht die objektivrechtliche Schutzpflicht des Staates für die in Art 2 11 1 GG genannten Grundrechte der Drittbetroffenen gegenüber. Dieser Grundrechtsschutz wird auch durch die Gestaltung von Verfahren bewirkt;88 ihm dienen auch Vorschriften des Verfahrensrechts, die den Zugang zu für den Rechtsschutz erforderlichen Informationen regeln. Zwischen den kollidierenden Grundrechten muß ein Ausgleich hergestellt werden, d. h. die Grundrechte sind verhältnismäßig so zuzuordnen, daß jedes von ihnen Wirklichkeit gewinnt. 89 Diesem Ausgleich dient eine Reihe von Vorschriften der AtVfV. Wenn die einzureichenden Unterlagen ein Betriebs- und Geschäftsgeheimnis enthalten, sind sie zu kennzeichnen und getrennt vorzulegen. Soweit dies ohne Preisgabe des Geheimnisses möglich ist, muß ihr Inhalt in den gemäß § 6 I AtVfV auszulegenden Unterlagen so ausführlich dargestellt werden, daß Dritte beurteilen können, inwieweit sie von den Auswirkungen der Anlage möglicherweise betroffen sind (§ 3 11 2, 3 AtVfV). Der Antragsteller, der sich auf § 3 11 3 AtVfV beruft, muß den Nachweis führen, daß eine Preisgabe des Geheimnisses auch bei Umschreibung möglich ist. 90 Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse sind alle Tatsachen, die erstens in Zusammenhang mit einem wirtschaftlichen Unternehmen stehen, zweitens nur einem eng begrenzten Personenkreis bekannt sind, drittens nach dem bekundeten Willen des Unternehmers geheim gehalten werden sollen und viertens den Gegenstand eines berechtigten Geheimhaltungsinteresses des Unternehmers bilden. Das zuletzt genannte Merkmal ist ein wertausfiillungsbedürftiges Kriterium. Allerdings ist an dieser Stelle noch nicht zwischen den Belangen des Geheimnisschutzes und denjenigen des Rechtsschutzes Drittbetroffener abzuwägen. Für die Feststellung, ob ein Betriebsund Geschäftsgeheimnis vorliegt, ist nur die Interessenlage des Unternehmers maßgeblich. 91 Als Betriebsgeheimnis schutzwürdig sind neue, noch nicht zum Patent angemeldete Verfahren und nicht patentfähiges Wissen (know-how).92 Denn sobald ein neues Verfahren zum Patent angemeldet ist, kann der Schutz des Antragstellers auf andere Weise sichergestellt 87vg l.
BVerfUE 67,100,142 f; Breuer, NVwZ 1986,171 f.
88vgl. BVerfUE 53,30,65. 89vg l.
Hesse (1990), Nr. 317 f.
9Oebenso 91 zum
Ronellenfitsch (1983), 319 ff.
Begriff des Betriebs- und Geschäftsgeheimnisses s. Breuer, NVwZ 1986,172 f.
92ebenso Steinberg, UPR 1988,3; Ronellenfitsch (1983),320.
A. Genehmigung kemtechnischer Anlagen in der BRD
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werden. Darüber zu entscheiden, ob eine bestimmte Tatsache ein Betriebsund Geschäftsgeheimnis ist, obliegt der Behörde. Sie muß dabei auch berücksichtigen, daß es bei der Errichtung von Atomanlagen in der BRD nur wenig Wettbewerb gegeben hat. Denn mit der KWU existierte überhaupt nur ein Anbieter. 93 Die gelegentlich geäußerte Befürchtung, daß durch überzogene Offenlegung sicherheitserhöhende Maßnahmen unterbleiben könnten,94 beruht auf der in dieser Allgemeinheit unzutreffenden Hypothese, daß alle neuen Verfahren gleichsam automatisch die Anlagensicherheit verbessern. Für den Fall, daß Einsicht in Akten beantragt wird, die Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse enthalten, ermöglicht § 6 III HS 2 AtVfV i. V. m. § 2911 VwVfG die grundrechtlich gebotene einzelfallbezogene Abwägung zwischen den Geheimhaltungs- und Rechtsschutzinteressen. Der Antragsteller muß ein Verzeichnis der dem Antrag beigefügten Unterlagen vorlegen und darin Unterlagen, die Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse enthalten, besonders kennzeichnen (§ 3 III 2 AtVfV). Dieses Verzeichnis wird aber nicht ausgelegt. Die Behörde ist obendrein nicht ausdrücklich verpflichtet zu begründen, weshalb sie bestimmte Angaben als Betriebs- oder Geschäftsgeheimnisse ansieht. Die Behandlung dieser Sachverhalte im atomrechtlichen Genehmigungsverfahren ist also wenig transparent. Unter pauschaler Berufung auf Betriebs- oder Geschäftsgeheimnisse könnten sicherheitstechnisch problematische Details der Anlage leicht der Öffentlichkeit und den potentiell Betroffenen vorenthalten werden. 95 (4) Bewertung der Vorschriften über die Akteneinsicht
Dadurch, daß im atomrechtlichen Genehmigungsverfahren ein Anspruch auf Akteneinsicht ausgeschlossen ist, wird der Informationsvorsprung der Dreiheit aus Behörde, Antragsteller und Gutachtern gegenüber den Einwendern gefestigt. Die Anlage beruht auf Planungen, die in jahrelanger Arbeit von zahlreichen Fachleuten entworfen wurden. Über die sicherheitstechnischen Einzelheiten können sich der Antragsteller und die Gutachter in informellen Gesprächen einigen. Die potentiell Betroffenen haben nur während bisher zweier Monate, demnächst nur noch während eines Monats, Gelegenheit, sich über das Projekt zu informieren. Die ihnen zugänglichen Unterlagen sind entweder für den Laien kaum verständlich oder wenig aussagekräftig. Insgesamt besteht damit ein geschlossenes Informa-
93vg l.
Hofmann (1989),29 m. w. N.
94vgl. Ronellenfitsch (1983),320. 95in
diesem Sinne auch de Win, DVBI 1980,1008; 8. a. Wilting (1985),82 m. w. N.
N. Das Genehmigungsvcrfahren
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tionssystem der Behörde mit dem Antragsteller und den Gutachtern, von dem die anderen Verfahrensbeteiligten ausgeschlossen sind. 96 ff) Der Erörterungstermin (1) Zweck Den letzten Schritt der Öffentlichkeitsbeteiligung bildet der Erörterungstermin. Er hat den Zweck, die rechtzeitig erhobenen Einwendungen zu erörtern, soweit dies für die Prüfung der Genehmigungsvoraussetzungen von Bedeutung sein kann. Diejenigen Personen, die fristgerecht Einwendungen erhoben haben, sollen Gelegenheit erhalten, ihre Einwendungen mündlich zu erläutern (§ 811 AtVfV). Im Termin behandelt werden nur Einwendungen, die nicht auf besonderen privatrechtlichen Titeln beruhen (§ 9 AtVfV). Maßgeblich dafür, ob die Einwendungen "rechtzeitig" erhoben sind, ist, daß sie während der Einwendungsfrist bei den in der Bekanntmachung genannten Stellen eingegangen sind (§ 8 I 2 AtVfV). Nach der Konzeption der AtVtv, wie sie aus der amtlichen Begründung hervorgeht, ist der Erörterungstermin v. a. ein Mittel der Entscheidungsvorbereitung und -optimierung. Die Einwender sollen dazu Gelegenheit erhalten, die ihren Einwendungen zugrunde liegenden Bedenken näher darzulegen. Außerdem sollen sie sich darüber ein Bild machen können, inwieweit ihre Befürchtungen berechtigt sind, und welche (ihnen möglicherweise noch nicht bekannt gemachten) Maßnahmen des Antragstellers diesen Bedenken Rechnung tragen. 97 Die gelegentlich angegriffene Praxis, daß bei Erörterungsterminen auf die Einwender nur beruhigend eingewirkt wird, ohne daß ihre Anliegen hinreichend gewürdigt werden,98 entspricht also genau der Intention des Verordnungsgebers. Sie wird jedoch der weiteren Funktion des Erörterungstermins, den von den möglichen Auswirkunäen der Anlage Betroffenen vorverlagerten Rechtsschutz zu gewähren, nicht gerecht. Nicht nur das Einwendungs- sondern auch das Erörterungsrecht dient nämlich auch dazu, den Einwendern rechtliches Gehör zu gewähren. Denn nachdem die Gerichte nunmehr Ermittlungs- und Bewertungsdefizite der Behörden nicht mehr heilen können, muß den Einwendern von Verfassungs wegen die Möglichkeit gewährt werden, auch durch mündlichen
96ebenso 97yg l.
de Witt (1977),277; s. a. Wilting (1985), 128 f.
BR-DrS. 524176,8.
98ygl. Baumann (1989),306; de Witt, DVBI 1980,1008 99yg l.
dazu BVcrfUE 53,30,60,66; Blümcl (1977),229 f; Kimminich (1977),266.
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A.
Genehmigung kemtechnischer Anlagen in der BRD
Vortrag auf die Ermittlungen und Bewertungen der Behörden Einfluß zu nehmen. 100 Auch im atomrechtlichen Genehmigungsverfahren ist die Ermittlung der maßgeblichen Tatsachen gemäß dem Untersuchungsgrundsatz (§ 24 I, 11 VwVfG) primär Aufgabe der Behörde. Deshalb haben die Einwender im Erörterungstermin kein Beweisantragsrecht in dem Sinne, daß die Behörde über gestellte Beweisanträge förmlich entscheiden muß. 101 Sie wird aber spätestens in der Begründung der am Ende des Verfahrens stehenden Entscheidung darlegen müssen, weshalb sie eine entsprechende Beweiserhebung abgelehnt hat,l02 zu einem Zeitpunkt also, in dem die Einwender darauf nicht mehr reagieren können. Die Schutzfunktion des Untersuchungsgrundsatzes besteht darin, daß die dem öffentlichen Interesse verpflichtete Behörde, ohne von der Mitwirkung der Beteiligten abhängig zu sein, den Sachverhalt ermittelt. Diese Funktion wird durch die Vorverhandlungen der Genehmigungsbehörde mit dem Antragsteller und den Gutachtern zumindest teilweise vereitelt. Deshalb ist der Erörterungstermin nur bedinl!t geeignet, die ihm zugeschriebene Rechtsschutzaufgabe zu erfüllen. IID (2) Durchführung Der Erörterungstermin ist nichtöffentlich und wird von einem Vertreter der Genehmigungsbehörde geleitet. Teilnehmer sind außer dem Antragsteller alle Personen, die rechtzeitig Einwendungen erhoben haben. Einwender haben nach dem Wortlaut des § 12 I AtVfV keinen Anspruch darauf, daß ihre Rechts- oder SachbeistäDde zum Termin zugelassen werden. 104 Vielmehr darf der Verhandlungsleiter nach § 12 I 2 AtVfV darüber entscheiden, wem er außer den Einwendern und dem Antragsteller die Teilnahme gestattet. Wegen der Rechtsschutzfunktion der Öffentlichkeitsbeteiligung und der Komplexität der Sachfragen wäre es jedoch ermessensfehlerhaft, wenn der Verhandlungsleiter SachbeistäDde oder bevollmächtigte Rechtsanwälte eines Betroffenen-Einwenders zurückweisen würde. Im übrigen bietet es sich an, daß SachbeistäDde Einwendungen im eigenen Namen verfassen. 10080 i. E. auch BVerwG, UPR 1987,347. Unzutreffend Ronellenfiisch (1983),343; zu den gerichtlichen Kontrollbefugnissen s. o. S. 80 ff. 10Iebenso MUischler, ET 1978,507; VGH Mannheim, ET 1982,849,861; allgemein zum Untenuchungsgrundsatz Kopp (1986), Nr. 2 zu § 24 VwVIU. llIlygl. Kopp (1986), Nr. 42 zu § 24 VwVIU; Stelkell8 I Bonk I Leonhardt (1983), Nr. 13 zu a. VGH Mannheim, ET 1982,849,861.
§ 39, Nr. 12 zu § 24; s.
10380 auch Hoffmann-Riem I Rubbert (1984),36,45. 10480 auch Alben (1987), 551.
N. Das Genehmigungsverfahren
121
Um den Ablauf der Verhandlung in geordneten Bahnen zu halten, hat der Verhandlungsleiter die weitreichenden Befugnisse aus § 12 11 - IV AtVfV. lOS Er kann z. B. Einwendungen zusammengefaßt erörtern lassen, dazu die Teilnahme auf bestimmte Gruppen von Einwendern beschränken, Redezeiten festsetzen oder die Reihenfolge der Erörterungen bestimmen. Wenn der Verlauf der Erörterung nach Themen strukturiert wird, also die Einwendungen vieler Personen zusammengefaßt werden, können die Einwender am wirkungsvollsten am Termin teilnehmen. 106 Sofern es für eine sachgerechte Erörterung zweckmäßig ist, kann der Verhandlungsleiter Sachverständige hinzuziehen. 107 Bei Überschreitung der Redezeit oder nicht mit der zu behandelnden Einwendung zusammenhängenden Ausführungen kann er das Wort entziehen. Personen, die seine Anordnungen nicht befolgen, kann er entfernen lassen und den Termin ohne sie fortsetzen. Bei fortlaufenden massiven Störungen kann der Termin nach Maßgabe des § 12 V AtVfV zunächst vertagt und ggf. auch vorzeitig beendet werden. Die zu diesem Zeitpunkt nicht oder nicht vollständig erörterten Einwendungen können innerhalb eines Monats gegenüber der Genehmigungsbehörde schriftlich erläutert werden. Im übrigen wird der Termin beendet, sobald sein Zweck erreicht ist, d. h. wenn alle entscheidungserheblichen Einwendungen behandelt worden sind (§ 12 V 1 AtVfV). Jedem Einwender ist ausreichend Gelegenheit zu geben, seine Einwendungen mündlich zu erläutern. Zur Beantwortung der Frage, ob dies geschehen ist, kann nur auf objektive Kriterien abgestellt werden, wie z. B. die Anzahl der vom Kläger erhobenen Einwendungen, deren Thematik und Detailliertheit und die dem Kläger eingeräumte Zeit. Der Kläger kann gerichtlich nur prüfen lassen, ob diese Anforderung hinsichtlich seiner eigenen Einwendungen erfüllt ist, aber nicht, ob alle Einwendungen ausreichend erörtert worden sind. 108 Wenn der Verhandlungsleiter am letzten Tag des Erörterungstermins nach zwölfstündiger Verhandlungsdauer einem Vertagungsantrag der Einwender nicht stattgibt, ist dies nur dann ein beachtlicher Verfahrensfehler, wenn die Einwender zeigen, daß sie bei einer Vertagung noch etwas Substanzielles vorzubringen gehabt hätten. 109 Über den Erörterungstermin ist gemäß § 13 I AtVfV eine Niederschrift anzufertigen, die insbesondere den Verlauf und die Ergebnisse der Erörterung wiedergeben muß. Sie soll es ermöglichen, nachträglich zu überprüfen,
lOSdazu Ronellenfitsch (1983),345. l06ygl.
Haffmann-Riem / Rubbert (1984),4.
l07ygl.
BR-DrS. 524176,9.
I~G Kablenz, ET 1984,702,709.
1000G Kablenz, ET 1984,702,710.
122
A.
Genehmigung kemtechnischer Anlagen in der BRD
ob das Verfahren ordnungsgemäß abgelaufen ist. IIO Dem Antragsteller ist stets, Einwendern auf Anforderung eine Abschrift des Protokolls zu überlassen (§ 13 I AtVfV). gg) Die Entscheidung Gemäß § 15 I AtVtv entscheidet die Genehmigungsbehörde über den Antrag "unter Würdigung des Gesamtergebnisses des Verfahrens. " Grundlage der Entscheidung ist damit keineswegs allein die Niederschrift über den Erörterungstermin. Das hängt damit zusammen, daß die Behörde den Sachverhalt gemäß § 24 I 1 VwVfG von Amts wegen zu ermitteln hat, während im Erörterungstermin nur die rechtzeitig erhobenen Einwendungen behandelt werden. Folge ist aber, daß die Entscheidung auch auf Informationen beruht, zu denen sich die Verfahrensbeteiligten nicht haben äußern können. Notwendige Folge des § 24 VwVfG ist die freie Beweiswürdigung.lll Demnach ist die Behörde frei bei der Würdigung und Abwägung der für die Feststellung des Sachverhalts erforderlichen Tatsachen und Schlußfolgerungen. Insbesondere ist sie nicht an starre Beweisregeln gebunden, sondern sie darf und muß alle erheblichen Gesichtspunkte und Argumente allein nach deren sachlicher Überzeugungskraft sowie nach den Grundsätzen der Logik und anerkannten ErfahrunBssätzen beurteilen. Sie darf die Genehmigung erteilen, wenn nach ihrer Uberzeugung die Genehmigungsvoraussetzungen mit einem so hohen Grad an Wahrscheinlichkeit vorliegen, daß eine andere Auffassung bei vernünftiger Überlegung nicht möglich ist. Die Beteiligten trifft dabei keine Behauptungs- oder Beweisführungslast. Es gibt nur die materielle Beweislast des "non liquet" , d. h. die Frage, zu wessen Lasten die Unerweislichkeit erheblicher Tatsachen geht. Grundsätzlich trägt jeder Beteiligte die Beweislast für die Voraussetzungen der ihm günstigen Norm. ll2 Im Atomrecht hat der Gesetzgeber durch die Genehmigungspflicht gemäß § 7 I AtG und den Bestimmungen des § 711 Nr. 3 und 5 AtG präventiv das Vorliegen einer Gefahr bejaht. Daraus folgt, daß es zu Lasten des Antragstellers geht, wenn der Beweis für Tatsachen nicht erbracht werden
llOvgl. BR-DrS. 524/76, 10. llldazu Kopp (1986), Nr. 20 ff zu § 24; Ulell.aubinger (1986), 201; Stelkens I Bonk I Leonhardt, Nr. 4 f zu § 24. ll~gl. Mahlmann (1973),284; allg. zur Beweislastverteilung im Verwaltungsverfahrcn Kopp (1986), Nr. 25 ffzu § 24; Ule/Laubinger (1986),201.
N. Das Genehmigungsverfahren
123
kann, aus denen sich ergibt, daß die Genehmigungsvoraussetzungen vorliegen. 113 Außer den Voraussetzungen aus § 7 11 AtG erfaßt die Sachprüfung auch die "Beachtung" der übrigen für das Vorhaben einschlägigen öffentlichrechtlichen Vorschriften (§ 14 AtVfV). Diese Beachtenspflicht bedeutet, daß die Behörde summarisch zu prüfen hat, welche zusätzlichen Genehmigungen, Erlaubnisse oder Bewilligungen nach öffentlichem Recht eingeholt werden müssen, und ob mit ihrer Erteilung durch die zuständigen Fachbehörden zu rechnen ist. 114 hh) Erneute Öffentlichkeitsbeteiligung bei wesentlichen Änderungen .. Unter welchen Voraussetzungen die Öffentlichkeit bei wesentlichen Anderungen des Vorhabens erneut zu beteiligen ist, bestimmt § 4 11 AtVfV. Diese Vorschrift gilt gleichermaßen bei wesentlichen Änderungen innerhalb desselben Genehmigungsschritts wie bei solchen innerhalb aufeinander folgender (Teil-)Genehmigungsschritte. Nach § 4 III AtVfV gilt Abs. 11 entsprechend, wenn nachträglich die wesentliche Änderung einer bereits genehmigten Anlage oder ihres Betriebs genehmigt werden soll. Die Behörde darf in all diesen Fällen von einer zusätzlichen Bekanntmachung und Auslegung von Unterlagen absehen, wenn im Sicherheitsbericht "keine zusätzlichen oder anderen Umstände darzustellen wären, die nachteilige Auswirkungen für Dritte besorgen lassen" (§ 4 11 1 AtVfV). Eine erneute Öffentlichkeitsbeteiligung kann insbesondere unterbleiben, "wenn erkennbar ist, daß nachteilige Auswirkungen für Dritte durch die zur Vorsorge gegen Schäden getroffenen oder vom Träger des Vorhabens vorgesehenen Maßnahmen ausgeschlossen werden oder die sicherheitstechnischen Nachteile der Änderung im Verhältnis zu den Vorteilen gering sind" (§ 411 2 AtVfV). § 4 11 3 AtVfV enthält Sachverhalte, bei denen stets eine erneute Öffentlichkeitsbeteiligung erforderlich ist. § 4 11 AtVfV wurde 1982 neu gefaßt. Nach der alten Fassung war eine erneute Öffentlichkeitsbeteiligung entbehrlich, wenn sie "keine zusätzlichen Umstände offenbaren würde, die für die Belange Dritter erheblich sein können" (§ 4 11 Nr. 2 AtVfV 1977).115 Unter der Geltung dieser Fassung wurden insbesondere vom OVG LÜDeburg äußerst strenge Anforderungen an die Zulässigkeit eines Verzichts auf erneute Bekanntmachung und Aus-
113ebenso - jedenfal1s für das behördliche Verfahren - Mahlmann (1973), 285 f; Schmitz (1973), 302. 114vgl. Ronel1enfitsch (1983),347 f ffi. w. N; zu den sonst noch erforderlichen Genehmigungen ausführlich Kröncke (1983), 20 ff. 115BGBI
1,280 ff.
A. Genehmigung kemtechnischer Anlagen in der BRD
124
legung gestellt. Die Behörde dürfe insbesondere nicht zunächst eigenverantwortlich die Vor- und Nachteile einer sicherheitsrelevanten Änderung des Vorhabens saldieren und auf dieser Grundlage darüber entscheiden, ob die Öffentlichkeit nochmals zu beteiligen sei oder nicht. Das Gericht neigte der Auffassung zu, daß dies unabhängig davon zu gelten habe, ob die fragliche Änderung im Bereich der Restrisikominderung anzusiedeln sei, in einem Bereich also, wo Dritten keine materiellrechtlich geschützten Positionen zukommen. Denn die Beteiligung Dritter am atomrechtlichen Verwaltungsverfahren solle ihnen ein Mehr an Rechtsschutz gewähren und ihnen daher ermöglichen, ihre rechtlich geschützten Interessen schon im Vorfeld einer möglichen Rechtsverletzung offensiv zu verteidigen und die bloß objektive Rechtswidrigkeit einer Maßnahme zu rogen, die sie jedenfalls tatsächlich beschwere. Außerdem solle die Verfahrensbeteiligung den potentiell Betroffenen die Gelegenheit geben, ihren Standpunkt persönlich vor der behördlichen Entscheidung zur Geltung zu bringen. 116 Zwar ist auch in der Neufassung des § 4 11 AtVfv nicht von "Rechten" Dritter die Rede, sondern von "nachteiligen Auswirkungen" für Dritte. Und dies kann vom Wortlaut her auch eine durch die Änderung verursachte Erhöhung des Restrisikos sein. Allerdings verweist § 4 11 1 AtVfV (1982) auf den Sicherheitsbericht, der nach § 3 I Nr. 1 AtVfV Dritten die Beurteilung ermöglichen soll, ob sie durch die Auswirkungen der Anlage und ihres Betriebs in ihren Rechten verletzt werden können. Deshalb sollen "nachteilige Auswirkungen" gemäß § 4 11 1 AtVfV nur solche sein können, die materiellrechtlich geschützte Positionen Dritter betreffen. Die in § 4 11 2 AtVfV (1982) angesprochene "Vorsorge gegen Schäden" verweise nur insoweit auf § 7 II Nr. 3 AtG, wie letztere Norm Drittschutz vermittle. Denn der Satz 2 sei nur eine Konkretisierung des § 4 II 1 AtVfV und baue daher auf der dort vorgenommenen Beschränkung auf den Individualschutz auf. Aus diesen Gründen soll unter der Neufassung des § 4 II AtVfV niemals eine erneute Öffentlichkeitsbeteiligung erforderlich sein, wenn nachteilige Auswirkungen einer wesentlichen Änderung nur den Restrisikobereich betreffen. 111 Ob eine Änderung der Anlage nur restrisikorelevant ist oder neue Gefahren oder Risiken schafft, soll jedoch eigentlich erst im Laufe des Verfahrens festgestellt werden.
116vgl.
77
nt.
OVG Lüneburg, DVBI 1981,644,646; DVBI 1984,229,232; ebenso Wilting (1985), w. N; de Witt, DVBI 1981,650.
111so BayVGH, BayVBl 1984,592 f; vgl. auch Ossenbühl, DVBI 1981,70 f; ders, DÖV 1981,10.
IV. Das Genehmigungsverfahrcn
125
ii) Gesamtbewertung der Öffentlichkeitsbeteiligung Der von Art 19 IV GG geforderte effektive Rechtsschutz ist nur möglich, wenn auch das Verwaltungsverfahren bestimmte Mindestanforderungen erfüllt. Insbesondere müssen Verfahrensvorschriften im Hinblick auf einen wirksamen Rechtsschutz geeignet und angemessen sowie für den Rechtsschutz suchenden zumutbar sein; sie dürfen keine unangemessen hohen verfahrensrechtlichen Hindernisse aufstellen. 118 Die Bestimmungen der AtVfV über die Öffentlichkeitsbeteiligung werden diesen Anforderungen in mehrfacher Hinsicht nicht gerecht. Der Erörterungstermin ist nicht geeignet, wirkungsvollen Rechtsschutz zu gewähren, solange die Einwender kein förmliches Beweisantragsrecht haben. 119 Zumindest muß der Begriff des "Erörtems" in § 8 I 1 AtVfV verfassungskonform weit ausgelegt werden. Erörterung bedeutet demnach mehr als die von der amtlichen Begründung genannte "Erläuterung der den Einwendungen zugrunde liegenden Erwägungen. "Vielmehr ist dieser Begriff im Sinne von "Betrachten der in den Einwendungen angesprochenen Sachprobleme von mehreren Standpunkten aus" zu verstehen. 110 Was die Bestimmungen über die Auslegungs- und Einwendungsfrist sowie über die materielle Präklusion verspäteter Einwendungen betrifft, war das BVerfG der Ansicht, sie seien keine unangemessen hohen verfahrensrechtlichen Hürden; deshalb seien sie mit Art 191V GG vereinbar. 121 Dabei hat das Gericht jedoch einseitig auf den zur Vermeidung der Präklusion nötigen Inhalt der Einwendungen abgestellt, insoweit allerdings die Darlegungslast zu Recht begrenzt: Ausreichend sei, wenn die Einwendungen in groben Zügen erkennen ließen, welche Rechtsgüter als gefährdet angesehen und welche Beeinträchtigungen befürchtet würden; es dürfe nur "das durchschnittliche Wissen eines nicht sachverständigen Bürgers" über von der Anlage möglicherweise ausgehende Beeinträchtigungen gefordert werden. Um dem Einwendugnsausschluß zu entgehen, braucht der Einwender damit den Sicherheitsbericht nicht mehr im Detail zu studieren; deshalb ist nach Auffassung des BVerfG die kurze Auslegungs- und Einwendungsfrist sowie die materielle Präklusion keine unzumutbare Erschwerung des Rechtsschutzes. 122 Dabei hat das BVerfG jedoch nicht berücksichtigt, daß der Einwender sowohl im Verwaltungsverfahren als auch vor Gericht wirksamen Rechts118S • BVerfGE 53,115,128; 60, 253,269; vgl. auch v. Münch-Hendrichs, Nr. 52 f zu Art 19
m.w.N.
119s. dazu S. 190. 11080 i. E. auch Baumann (1989),306. 121BVerfGE 61,82,110 ff. l22s . BVerfGE 61,82,116 ff,
126
A. Genehmigung kemtechnischer Anlagen in der BRD
schutz nur erhalten kann, wenn er einen auch naturwissenschaftlich-technisch hinreichend fundierten Sachvortrag formuliert. Dazu ist es aber doch erforderlich, daß er innerhalb der kurzen Frist den in Fachterminologie verfaßten Sicherheitsbericht durcharbeitet und versteht und dann aufgrund der so gewonnenen Kenntnisse substanzierte Einwendungen erhebt. l23 Daraus folgt, daß das BVerfG die kurze Auslegungs- und Einwendungsfrist in Verbindung mit der materiellen Präklusion zu Unrecht für mit Art 19 IV GG vereinbar gehalten hat. 124 Dies umso mehr, als die Kurzheschreibung zu wenig aussagekräftig ist, um die Verständnisschwierigkeiten der Einwender zu beheben. Anstatt den Einwendern Rechtsschutz zu gewähren, wirkt das Genehmigungsverfahren damit im Ergebnis eher wie ein Filter, der das Anfechtungsrisiko für den Antragsteller herabsetzt.
d) Die Sachverständigenttitigkeit aa) Rechtlicher Rahmen § 20, 1 AtG gestattet den Genehmigungs- und Aufsichtsbehörden, in Verwaltungsverfahren Sachverständige heranzuziehen. Zwar verfügen die Behörden über einen gewissen Bestand an sachverständigen Mitarbeitern. Da in den Genehmigungsverfahren jedoch eine Vielzahl an Fragen aus unterschiedlichen Fachgebieten zu prüfen ist,l25 sind die Behörden auf die Unterstützung durch Sachverständige angewiesen. Der Begriff des Sachverständigen wird vom AtG vorausgesetzt. Sachverständige sind Personen, die besondere Kenntnisse auf einem bestimmten Fachgebiet besitzen und diese Kenntnisse Dritten beratend zur Verfügung stellen. Das Fachwissen wird in der Regel benötigt zur Feststellung von Tatsachen, Darstellung von Erfahrungssätzen und Ableitung von Schlußfolgerungen aus den Erfahrungssätzen und Tatsachen. l26 Im atomrechtlichen 123S • dazu o. S. 179 ff. 124Auch Papier, NJW 1980,318 ff meint, die Präklusion sei eine unzumutbare Erschwerung des Rechtsschutzes. 125insbesondere aus den Bereichen Bautechnik (bauliche Anlagen, Druckbehälter und Sicherheitsbehälter aus Spannbeton, Bauwerksabdichtung, StrahleßllChutzbeton, Brandschutz); Neutronenphysik und thermohydraulische Kernauslegung (Neutronenspektrum, Abbrandrechnungen, Unterkritikalität, Neutronenfluenz, Heißkanaianalyse, Kühlmittelverteilung usw.); Verfahrenstechnik, Systemtechnik und Betriebsüberwachung (Thermodynamik, Thermohydraulik, Störfallanalysen, Systemtechnik und Betriebsüberwachung); Elektrotechnik (elektrische Energieversorgung, Leittechnik und Kommunikationsmittel); Strahlenschutz (Strahlenmeßtechnik, Aktivitätsfluß, Hydrologie, Radioökologie, physikalische und biologische Strahlenwirkungen, Notfallschutzplanung, Strahlenabschirmung, radiologischer Arbeitsschutz) usw, vgl. Lukes / Bischof / Pelzer (1980),53 mit Fn. 142. 126zum Begriff des Sachverständigen vgl. Ronellenfitsch (1983), 300; Haedrich (1986), Nr. 2 zu § 20 je m. w. N.
IV. Das Genehmigungsverfahren
127
Genehmigungsverfahren werden Sachverständige benötigt, um Gutachten zu erstellen und die errichtungsbegleitende Kontrolle durchzuführen. In Gutachten soll aufgrund der vom Antragsteller eingereichten Sicherheitsund Störfallanalyse die Frage beantwortet werden, welchen sicherheitstechnischen Anforderungen die Anlage genügen muß und ob diese Anforderungen erfüllt werden können. Im Rahmen der begleitenden Kontrolle wird geprüft, ob die Ausführung der Anlage die in den Gutachten aufgestellten Voraussetzungen erfüllt. 127 Die Heranziehung und Auswahl von Sachverständigen steht im pflichtgemäßen Ermessen der Behörde. Bislang ist die Ermächtigung in § 12 I Nr. 11 AtG, die Anforderungen an die Sachkunde, Zuverlässigkeit und Unabhängigkeit der Sachverständigen in einer Verordnung zu regeln, nicht ausgenutzt. § 12 I Nr. 1 AtG erlaubt allerdings Rückschlüsse auf die vom AtG geforderte Qualifikation der Sachverständigen. l28 Gesichtspunkte für die Auswahl sind Nachweise der Fachkunde durch Aus- und Fortbildung, Berufserfahrung, Vorträge, Publikationen und frühere Gutachtertätigkeit. Bei der Auswahl von Sachverständigenorganisationen spielen deren Personalund Sachausstattung und deren Leitungsorganisation eine besondere Rolle. Ob die Unabhängigkeit der Sachverständigen innerhalb einer Organisation gewährleistet ist, hängt von der Satzung und Organisationsstruktur , der wirtschaftlichen Stellung der Sachverständigen sowie davon ab, inwieweit der Einzelsachverständige dem Einfluß der Auftraggeber oder Interessenten ausgesetzt ist!29 Je nachdem, inwieweit die Sachverständigen im Verfahren Kenntnis über sicherheitsrelevante Anlagenteile erhalten, sind an ihre Zuverlässigkeit ggf. ähnlich hohe Anforderungen zu stellen, wie an diejenige des Betriebspersonals kemtechnischer Anlagen. 130 Die Äußerungen der Sachverständigen unterliegen der freien Beweiswürdigung durch die Behörde. Dazu muß die Behörde sich inhaltlich mit den Gutachten auseinandersetzen und aufgrund eigenen Urteils entscheiden. Sie darf nicht nur in der Begründung der Genehmigung auf die Gutachten Bezug nehmen. Vielmehr muß sie darlegen, weshalb sie sich einem Gutachten anschließen will oder nicht. Bei divergierenden Gutachten hat sie zu begründen, weshalb sie der gewählten Auffassung folgt. Soweit die Behörde bei schwierigen technischen Sachverhalten nicht in der Lage ist, sich mit dem erforderlichen Grad an Wahrscheinlichkeit ihre Überzeugung zu bilden, hat sie aufgrund der materiellen Beweislast zu entscheiden. 131 Fraglich ist nur, ob sie in allen einschlägigen Fachbereichen den nötigen 127vg l.
Ronellenfitsch (1983), 301 m. w. N.
l28vg l.
Lukes/Bischof/Pelzer (1980),37; Haedrich (1986), Nr. 8 zu § 20.
l29vg l.
Lukes/Bischof/Pelzer (1980), 15 f,71 f; Haedrich (1986), Nr. 8 zu § 20 a. E.
13Ovgl. Ronellenfitsch
(1983), 305 f.
I3l vg l. Lukes/Bischof/Pelzer
(1980),27; Haedrich (1986), Nr. 4 zu § 20.
128
A. Genehmigung kemtechnischer Anlagen in der BRD
Sachverstand hat, sich ein über eine bloße Plausibilitätskontrolle hinausgehendes eigenes Urteil zu bilden. bb) Praxis der Sachverständigentätigkeit132 Als Sachverständige werden privatrechtliche und öffentlichrechtliche Organisationen sowie Einzelpersonen herangezogen. Ganz im Vordergrund stehen die privatrechtlich organisierten Technischen Überwachungsvereine (TÜV e. V.). Sie führen ungefähr 75% der gesamten Gutachtertätigkeit bei einem Projekt durch. In erster Linie prüfen sie, ob die gemäß § 7 II Nr. 3 AtG erforderliche Vorsorge getroffen ist. Zur Begutachtung, ob der Schutz gegen Einwirkungen Dritter i. S. v. § 7 11 Nr. 5 AtG gewährleistet ist, wird v. a. die GRS mbR herangezogen. Daneben werden Ingenieurbüros als Sachverständige zu Einzelfragen oder auch größeren Komplexen im Unterauftrag tätig. An öffentlichrechtlichen Organisationen werden Fachbehörden des Bundes und der Länder sowie Universitätsinstitute mit Gutachten zu Spezial fragen beauftragt. Einzelpersonen, v. a. Professoren an Universitäten und technischen Hochschulen äußern sich nur zu Detailfragen aus ihrem Fachgebiet. Sie arbeiten in der Regel im Auftrag des als Gesamtgutachter tätigen TÜV. Die Beratungsgremien des BMU sind keine Sachverständigen gemäß § 20 AtG, da ihre Beratungstätigkeit nicht einzelfallbezogen ist. 133 ce) Die Mehrfachtätigkeit von Sachverständigen Häufig werden in atomrechtlichen Verwaltungsverfahren oder Prozessen Sachverständige beauftragt, die bereits vorher für einen Verfahrensbeteiligten, in der Regel den Hersteller oder Betreiber der kerntechnischen Anlage, privat tätig geworden sind, oder die bereits in einem vorangegangenen Abschnitt des Verfahrens ein Gutachten abgegeben haben. Für diese sog. Mehrfachtätigkeit von Sachverständigen enthält § 20 I Nr. 6 VwVfG eine Ausschlußhestimmung, die aber ihrem Wortlaut nach nur für behördenangehörige Gutachter gilt. Zwar soll § 20 VwVfG gemäß der amtlichen Begründung die "Tätigkeit für eine Behörde" regeln, während § 21 VwVfG sich nach der amtlichen Begründung auf "Amtsträger" bezieht. 134 Obwohl also der Gesetzgeber anscheinend § 20 VwVfG einen weiteren Anwendungsbereich geben wollte als § 21 VwVfG, wird aus dem Wortlaut von l3\.gl.Lukes/Bischof/Pelzer (1980),45 f; Ronellenfitsch (1983),302 f; Haedrich (1986), Nr. 13 zu § 20. 13380
auch Haedrich (1986), Nr. 7 zu § 20 m. w. N.
BT-DrS 7/910, 45 (zu § 16 d. Entw.= § 20 Vwvro), 47 (zu § 17 d. Entw.= § 21 Vwvro) l34vgl.
IV. Das Genehmigungsverfahren
129
§ 20 I Nr. 6 VwVfG geschlossen, daß dieses Verbot für private Sachverständige nicht gilt. 135
Dafür, daß die Mehrfachtätigkeit von Sachverständigen zulässig sein soll, wird hinsichtlich Einzelsachverständiger ins Feld geführt, daß die Vielzahl der in der Regel an einem Gutachten beteiligten Personen eine gegenseitige Kontrolle sicherstelle. l36 Bei Gutachterorganisationen schließe schon die übliche Rechtsform des rechtsfähigen Vereins ein wirtschaftliches Eigeninteresse der Organisation am Ergebnis des Gutachtens aus. 137 Die angestellten Sachverständigen speziell des TÜV seien zudem wirtschaftlich unabhängig, da sie wie Angestellte des öffentlichen Dienstes bezahlt würden; außerdem sei durch die Satzung der TÜV ausgeschlossen, daß die Hersteller und Betreiber kerntechnischer Anlagen ihre Mitgliedschaft im TÜV dazu ausnutzten, auf die Gutachtertätigkeit Einfluß zu nehmen; schließlich sei die Organisation nicht befugt, den angestellten Sachverständigen fachliche Weisungen zu erteilen. l38 Gegen die Gefahr der Parteilichkeit soll ferner das Ansehen und die Wertschätzung sprechen, die dem TÜV als einer Organisation entgegengebracht würden, der der Staat in Teilbereichen hoheitliche Aufgaben habe übertragen können. 139 Im übrigen ließen die Besonderheiten technischer Gutachten, nämlich daß die Aussagen durch Messungen oder den Vergleich mit verwaltungsinternen Regelungen und technischen Regelwerken objektiv nachprüfbar seien, Vortätigkeiten von Gutachtern als unschädlich erscheinen; denn der Gegenstand des Gutachtens gewährleiste dessen Objektivität. Nur dieser Gedanke könne es z. B. rechtfertigen, daß die Verwaltungsvorschrift nach § 3 des Gesetzes über technische Arbeitsmittel dem VDE o. dgl. erlaube, Prüfungsanforderungen für technische Arbeitsmittel selbst festzusetzen und danach aufgrund dieser Festlegungen die Prüfungen selbst vorzunehmen. l40 Für den Bereich der konventionellen Technik ist dieses Argument in der Tat plausibel. Im Zusammenhang mit der Genehmigung kerntechnischer Anlagen sind aber auch Gutachten in Fachrichtungen zu erstatten, in denen nicht nur mit objektiv nachvollziehbaren Berechnungen und Messungen gearbeitet werden kann. Vielmehr sind Annahmen zu treffen und Rechenverfahren erst zu entwickeln, so daß beträchtliche Einschätzungsspielräume
135Haedrich (1986), Nr. 10 zu § 20. l~gl. Lukes/Bischof/Pelzer (1980),72; Lukes (1971),52 f; ders. (1973),237 f; Kellennann (1973),247 ff; für Zulässigkeit der Mehrfachtätigkeit auch Ronellenfitsch (1983), 306.
137Lukes (1971),45; ders. (1973),236; ders. I Bischof I Pelzer (1980),77. 138Lukes (1971), 46 ff; ders. (1973), 237; ders.!Bischof/Pelzer (1980), 74 ff; Kellennann (1973),248; vgl. auch BayVGH, Er 1984,726,727. 139r.ukes (1971),50 f; ders. (1973),238; ders.! Bischofl Pelzer (1980),75. 14Dr.ukes (1971),53 ff; ders. (1973),238 f; ders.!Bischof/Pelzer (1980),75. 9 Heitsch
130
A. Genehmigung kemtechnischer Anlagen in der BRD
bestehen. 141 Dementsprechend ist gemäß § 10 I Nr. 3 der RSK/SSK-Satzung l42 ein Mitglied der Kommissionen von der Beratung und Abstimmung ausgeschlossen, wenn es "außerhalb seiner Tätigkeit in der Kommission in der Angelegenheit, die in der Kommission beraten wird oder werden soll, für den Antragsteller oder denjenigen, der einer Aufsichtsmaßnahme unterliegt, ein Gutachten abgegeben, diesen beraten hat, oder für diesen sonst tätig geworden ist.· Der BMI, der seinerzeit die Satzung geprüft und bekannt gemacht hat, scheint also zumindest die private Vortätigkeit eines Kommissionsmitglieds für den Hersteller oder Betreiber einer kemtechnischen Anlage als Grund zu bewerten, der den Ausschluß von der Beratung gebietet. Hintergedanke ist vermutlich, daß zumindest in den Fachrichtungen, in denen Einschätzungs- oder Wertungsspielräume bestehen, eine Person als befangen anzusehen ist, wenn sie sich zu ihrer eigenen vorangegangenen Tätigkeit äußern muß. Hinzu kommt, daß im Bereich von Sachverständigenorganisationen trotz den die Objektivität und Unabhängigkeit postulierenden Satzungsbestimmungen zahlreiche Möglichkeiten der Einflußnahme auf die angestellten Sachverständigen bestehen, z. B. die Rekrutierung der Sachverständigen durch die Geschäftsleitung, die konkreten Aufstiegschancen des angestellten Gutachters innerhalb der Organisation sowie informelle Mitarbeitereinweisungen. 143 Die Grenze zwischen unzulässigen fachlichen und zulässigen organisatorischen Weisungen ist außerdem fließend. Die Weisung an einen TüV -Sachverständigen, die Überprüfung der von einem bestimmten Betrieb gefertigten Kessel aus wirtschaftlichen Gründen auf einen einzigen Kessel zu beschränken und dennoch die gesamte Kesselproduktion mit der Prüfbescheinigung zu versehen ist z. B. vom ArbG Hannover für rechtmäßig erklärt worden. 144 Hinweise auf Ansehen und Wertschätzung bestimmter Sachverständigenorganisationen überzeugen nicht angesichts der Tatsache, daß die Kommunalgesetze der Länder für vermutlich genau so honorige Mitglieder kommunaler Vertretungsorgane Ausschlußvorschriften für den Fall privater Vortätigkeit enthalten. I Lediglich der Gesichtspunkt der gegenseitigen Überwachung innerhalb eines Sachverständigenteams schwächt die Bedenken gegen die Mehrfachtätigkeit etwas ab, aber eben auch nur im Hinblick auf Gutachtergemeinschaften.
141vgl. Basse (1973), 244; Beispiele: Radioökologie, vgl. Albers (1987), 542; Materialverhalten unter wechselnden Betriebsbedingungen, vgl. Czajka, (1984), 185. 142BMU-Handbuch (=Anhang), Nr. 4.0. 143vgl. Basse (1973),243; Deiseroth (1986),354 f. 144vgl. Deiseroth (1986), 355 f m. w. N. 145ebenso Basse (1973),244; vgl. Art 48 I 2 BayGO, 43 I 2 UrO, 40 I 2 BezO.
IV. Das Genehmigungsverfahren
131
Im Ergebnis ist ein Sachverständiger daher als befangen anzusehen, wenn er vorher privat für einen Verfahrensbeteiligten in einem Fachgebiet tätig war, in dem Wertungsspielräume bestehen, und im Verwaltungsverfahren oder Prozeß als Einzelsachverständiger zu den gleichen Sachthemen herangezogen werden soll. dd) Bekanntgabe der Gutachten an Verfahrensbeteiligte § 6 I AtVfV legt abschließend fest, welche Unterlagen ausgelegt werden müssen. Sachverständigengutachten gehören nicht dazu. Auch der Grundsatz des rechtlichen Gehörs (§ 28 VwVfG) soll nach verbreiteter Meinung den Betroffenen kein Recht auf Auslegung der Gutachten verleihen. Nach diesem Grundsatz muß Betroffenen, in deren Rechte eingegriffen werden kann, vorher Gelegenheit gegeben werden, sich zu den entscheidungserheblichen Tatsachen zu äußern. Dies soll jedoch in ausreichender Weise durch Auslegung der in § 6 I AtVfV genannten Unterlagen geschehen, da insbesondere der Sicherheitsbericht die notwendigen Angaben enthalte. 146 Dementsprechend wird es auch für unschädlich gehalten, wenn die Behörde ihre Entscheidung auf Gutachten stützt, die erst nach Ende der Auslegungsfrist bei ihr eingegangen sind. 147 Damit richtet es sich nach den allgemein für die Akteneinsicht geltenden Bestimmungen, inwieweit den Betroffenen Gutachten zugänglich gemacht werden. l48 Was die Bekanntgabe der Gutachten an den Antragsteller angeht, so wird vertreten, daß sie vom Grundsatz des rechtlichen Gehörs geboten sei. 149 Weshalb dieser Grundsatz es rechtfertigen soll, die von den potentiellen Gefahren betroffenen Einwender und die beteiligte Industrie unterschiedlich zu behandeln, ist allerdings schwer nachvollziehbar. Da die Genehmigungsbehörde sich bei ihrer Entscheidung in weitem Umfang auf die Gutachten stützt, ist Voraussetzung für eine hinreichend problembezogene Erörterung, ISO daß den Einwendern vor dem Erörterungstermin die Gutachten zugänglich gemacht werden. Umgekehrt darf die Behörde die Erörterung nach pflichtgemäßem Ermessen erst dann beginnen, wenn alle eingeholten Gutachten vorliegen, die sich auf die in den Einwendungen aufgeworfenen Fragen beziehen.
l46vg l. z. B. OVG Koblenz, ET 1976,539,541; VGH Mannheim, ET 1982,849,861; Fischerhof (1978), Nr. 15 zu § 20. 147VGH
Mannheim, ET 1982,861.
l48zur
Alcteneinsicht s. oben bei Fn. 374 ff.
149vg l.
Fischerhof (1978), Nr. 15 zu § 20; Haedrich (1986), Nr. 21 zu § 20 je m. w. N.
Isodiese fordert BVerwG, UPR 1987, 347 mit Rücksicht auf die grondrechtsschützende Funktion des Verwaltungsverfahrens.
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A. Genehmigung kemtechnischer Anlagen in der BRD
3. Die Verfahrensstufung Für kerntechnische Großanlagen wird in der Regel keine Vollgenehmigung erteilt. Stattdessen ergehen in einem gestuften Verfahren mehrere Teilgenehmigungen. a) Gründe und Rechtsgrundlagen Die Verfahrensstufung soll dadurch, daß über den Verfahrensstoff nicht auf einmal, sondern abschnittsweise entschieden wird, die Entscheidungsvorgänge weniger unübersichtlich machen und dadurch v. a. die Aufgaben der Behörde erleichtern. 151 Daneben dient die Teilgenehmigungspraxis in erster Linie den Interessen des Antragstellers. Denn kerntechnische Anlagen zeichnen sich durch lange Bauzeiten verbunden mit hohen Kosten für Planung und Errichtung aus. Aus Sicht des Errichters und Betreibers bietet es sich daher an, die Anlage abschnittsweise zu planen, um rechtzeitig Korrekturen anbringen und Kosten sparen zu können. Hinzu kommt, daß gelegentlich Anlagenkomponenten zur Zeit des Baubeginns noch im Versuchsstadium stecken oder im konkreten Anlagentyp noch nicht erprobt sind. Die Verfahrensstufung ermöglicht es in dieser Situation, mit dem Bau bereits zu beginnen, ohne daß die Genehmigungsvoraussetzungen für alle Details der Anlage bereits erfüllt sein müssen. 152 In gewissem Umfang kommt die Verfahrensstufung auch den durch die Anlage potentiell Gefährdeten zugute. Denn sie ermöglicht, in Erfüllung des Schutzzwecks des AtG während des Genehmigungsverfahrens neue Erkenntnisse aus Wissenschaft und Technik zu berücksichtigen. 153 Die Verfahrensstufung ist im AtG nur ansatzweise geregelt. § 7a AtG gestattet, über einzelne Fragen, von denen die Genehmigung einer Anlage abhängt, insbesondere über den Standort, durch Vorbescheid zu befinden. Sonderregeln über den Antrag und dessen Bekanntmachung sowie Vorschriften über den Inhalt des Vorbescheids enthält § 19 AtVfV. Laut § 18 I AtVfV darf eine Teilgenehmigung (TG) nur ergehen, wenn ein berechtigtes Interesse daran besteht und die Behörde aufgrund einer vorläufigen Prüfung festgestellt hat, daß die Genehmigungsvoraussetzungen im Hinblick auf Errichtung und Betrieb der gesamten Anlage vorliegen werden, sog. vorläufiges positives Gesamturteil. Was den notwendigen Inhalt und die Bindungswirklung insbesondere der ersten Teilerrichtungsgenehmigung (TEG) sowie insbesondere die Rechtsnatur und Bindungswirkung des vorläufigen positiven Gesamturteils betrifft, hatte sich im Schrifttum ein brei151vgl. Schmidt-Aßmann (1978), 570 f; Wilting (1985), 17 ff; zweifelnd Baumann (1987), 135. 15~gl. Baumann (1987), 134 f.
15390 auch Baumann (1987), 135.
133
IV. Das Genehmigungsverfahren
tes Meinungsspektrum ergeben. In den letzten Jahren hat das BVerwG viele der umstrittenen Fragen für die Praxis geklärt.
b) Inhalt der 1. TEG
aa) Der gestattende Teil Dem Antrag entsprechend werden durch die TG bestimmte Tätigkeiten erlaubt, z. B. die Aushebung der Baugrube, der Bau von Gebäudefundamenten, die Errichtung von Gebäuden, der Einbau bestimmter Anlagenkomponenten usw. Soweit die TG in diesem Sinne über einen Abschnitt des Vorhabens definitiv entscheidet, hat sie eine der Vollgenehmigung entsprechende Bindungswirkung. Die abschließend entschiedene Materie steht damit in einem späteren Verfahrensabschnitt nicht mehr zur Regelung offen. Deshalb können spätere TG nicht mehr mit einem Vorbringen angegriffen werden, das sich auf eine in einer früheren TG gestattete Materie bezieht. Ein solches Vorbringen kann nur noch im Rahmen von § 17 AtG berücksichtigt werden. Dies gilt auch, wenn sich zwischen den einzelnen TGen der Stand von Wissenschaft und Technik fortentwickelt hat. 154 Maßgeblich für die gerichtliche Überprüfung ist dabei der Stand von Wissenschaft und Technik zur Zeit der behördlichen Entscheidung. Dabei spielt es keine Rolle, daß von der für sofort vollziehbar erklärten Teilgenehmigung jahrelang kein Gebrauch gemacht wird und inzwischen zur Zeit der gerichtlichen Entscheidung ein fortschrittliches Sicherheitskonzept existiert. ISS Denn nach Ansicht des BVerwG dient das Gebot des "dynamischen Grundrechtsschutzes" nur dazu, die Unbestimmtheit des § 7 11 Nr. 3 AtG vor dem Vorbehalt des Gesetzes zu rechtfertigen; es verlangt hingegen nicht, die Sicherheitsanforderungen innerhalb eines einzelnen Teilgenehmigungsschritts zu dynamisieren. Außerdem soll der Antragsteller keinen Nachteil haben, wenn er die sofort vollziehbare Genehmigung nicht ausnutzt, sondern lieber den Ausgang des Anfechtungsprozesses abwartet. bb) Zur Standort- und Konzeptgenehmigung Ob die 1. TEG außer der Gestattung bestimmter Errichtungsarbeiten noch weitere verbindliche Entscheidungen enthalten kann, darüber gingen die Ansichten in der Literatur auseinander. Als notwendiger zusätzlicher Inhalt der 1. TEG wurde die endgültige Billigung des Standorts angese-
154BVerwG, DVBI 1981,405,408 f; BüdenbenderlMutschler (1982), 219 f. I5Svgl. BVerwG,
DVBI 1982,960,962; DVBI 1986,190,193 f.
(1979), Rdnr. 177; Degenhart
134
A. Genehmigung kemtechnischer Anlagen in der BRD
hen;l56 diese "Standortgenehmigung" brauche nicht eigens tenoriert zu werden. Denn Errichtungsmaßnahmen könnten nur für einen bestimmten Standort erlaubt werden. Außerdem bestehe ein untrennbarer sicherheitstechnischer Zusammenhang zwischen dem Standort und der Anlage. Schließlich sei es auch um des Investitionsschuu.es des Antragstellers willen geboten, in der 1. TEG verbindlich über den Standort zu entscheiden. Nicht angängig sei, den Standort nur im Rahmen des vorläufigen positiven Gesamturteils zu betrachten; eine vorläufige Prüfung sei nur zulässig, soweit tatsächlich bestimmte Fragen noch offen seien. Der Standort liege aber mit Beginn der Bauarbeiten fest. Das BVerwG ist dagegen der Ansicht, daß die endgültige, nur durch einen - ggf. ausdrücklich zu erklärenden - Vorbehalt einschränkbare Billigung des Standorts nur dann Inhalt einer 1. TEG ist, wenn sie ausdrücklich in deren Entscheidungsteil steht. Anderenfalls entscheidet die 1. TEG über den Standort endgültig nur hinsichtlich der genehmigten Anlagenteile, hinsichtlich des noch nicht genehmigten Restes nur im Rahmen des vorläufigen positiven Gesamturteils. 157 Denn daraus, daß Baumaßnahmen genehmigt sind, folgt nicht, daß jede notwendige Vorfeststellung zu den einzelnen Genehmigungsvoraussetzungen gemäß § 35,1 VwVfG auf unmittelbare Rechtswirkung nach außen gerichtet ist; inwoweit kann daher gar kein Verwaltungsakt vorliegen. Und wenn durch entsprechende Tenorierung der behördliche Wille hervortritt, die Standorteignung bindend festzustellen, ist zu berücksichtigen, daß ein Verwaltungsakt die angestrebte Rechtsfolge nicht herbeiführen kann, sofern nicht eine Gültigkeitsanordnung in Form eines Gesetzes oder einer Verordnung besteht. Die Gültigkeitsanordnung für die Feststellung, der Standort sei geeignet, ist jedoch § 7a AtG, der insbesondere diese Feststellung in Form eines Vorbescheids ausdrücklich vorsieht, und nicht § 7 AtG i. V. m. § 18 AtVfV.1.S8 Die mit Außenwirkung versehene Feststellung, der Standort sei geeignet, ist nach der Systematik des AtG Merkmal des Vorbescheids, während die TEG nur gestattenden Inhalt hat. 159 Gegenstand einer TG soll auch eine Konzeptgenehmigung im Sinne einer bindenden Entscheidung über das Anlagenkonzept sein können. l60 Diese
156vg l. z. B. Osscnbühl, NIW 1980, 1354 ff; Büdenbenderl Mutschler (1979), Rdnr. 198; Mutschler (1980), 285 f; Degenhart, ET 1983,240; Rengeling, NVwZ 1982,218; Ronellenfitsch (1983),412; OVG Koblenz, ET 1981,881; OVG Lüneburg, DVBI 1980,1013. 157BVerwG, DVBI 1988,148,149; ebenso Klante (1984),75 f. 158vg l. Klante (1984), 65 m. w. N. 159vgl. Klante (1984),74. 160vg l. OVG Lüneburg, DVBI 1982,32; ET 1982,949,950; ET 1984,65,71; Rengeling, NVwZ 1982,219; Richter, ET 1981,687; HawickhontlStubbe, ET 1982,509 f; Haedrich (1986), Nr. 40 zu § 7.
IV. Das Genehmigungsverfahren
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Konzeptgenehmigung soll ihrem rechtlichen Gehalt nach mehr als eine förmliche Bekanntgabe des vorläufigen positiven Gesamturteils sein, da sie nicht nur eine Zusage künftiger Genehmigungen oder eine Entscheidungsprognose bilde. Vielmehr wird sie als ausfüllungsbedürftige Rahmengenehmigung betrachtet. Sie soll zwar keine konkreten Errichtungstätigkeiten gestatten; hierzu sollen vielmehr zusätzlich ausdrückliche TGen nötig sein. Allerdings soll durch die Konzeptgenehmigung der Prüfungs- und Entscheidungsumfang bei späteren TGen eingeschränkt werden. Was die Behörde als Bestandteil des Anlagenkonzepts gebilligt habe, dürfe sie bei folgenden TGen nicht mehr abweichend beurteilen. Sie habe bei nachfolgenden TGen § 7 11 Nr. 3 AtG als erfüllt anzusehen, sofern die dort zur Genehmigung gestellten Anlagenteile dem bewilligten Konzept entsprächen. Was die Zulässigkeit der in AtG oder AtVfV nicht erwähnten Konzeptgenehmigung betrifft, soll sie vom BVerwG im Würgassen-Urteil 161 anerkannt sein. Die dortigen Ausführungen über den Inhalt einer "Grundgenehmigung" der "grundlegenden Auslegungsmerkmale" beziehen sich jedoch, wie bei genauem Lesen deutlich wird, auf einen Vorbescheid. 162 So nimmt es nicht Wunder, daß das BVerwG die sog. Konzeptgenehmigung, weil sie nur feststellenden Charakter habe, nicht als TG, sondern als Konzeptvorbescheid betrachtet hat. 163 Der Konzeptvorbescheid legt definitiv einen Ausschnitt, nämlich das Anlagenkonzept, aus dem feststellenden, nicht aus dem gestattenden oder verfügenden Teil einer TG fest. Dies sei, so das BVerwG, eine "einzelne Frage" gemäß § 7a AtG. Diese Bestimmung verbiete nur, den feststellenden Teil einer TG, d. h. das vorläufige positive Gesamturteil, insgesamt in einem Vorbescheid vorwegzunehmen. Ein Konzeptvorbescheid kann auch mit einer TG verbunden werden. Dann muß er jedoch wegen der mit ihm verbundenen definitiven Billigung des Konzepts im verfügenden Teil der Genehmigung ausdrücklich als Konzeptvorbescheid gekennzeichnet werden. Er kann nicht durch Interpretation der 1. TEG entnommen werden. l64 So ein ausdrücklicher Konzeptvorbescheid steht dann nicht unter dem Vorbehalt veränderter Sach- oder Rechtslage. Seine Bindungswirkung entfällt also nicht, wenn eine spätere Detailprüfung ergibt, daß das Konzept nicht in Übereinstimmung mit § 7 11 AtG zu verwirklichen ist. In diesem Fall steht nur der Weg über § 17 AtG offen. Deshalb darf ein Konzeptvorbescheid auch nur ergehen, wenn die Behörde sich durch hinreichend detail-
161DVB1 1972,678,680. 16280 auch K1ante (1984),151; v. Mutius/Schoch, DVBI 1983,157. 163BVerwG, DVBI 1985,401, 402; vgl. auch K1ante (1984),153 f. 164so BVerwG, DVBI 1986, 190, 191 gegen VGH Mannheim, ET 1982,849,858 und dazu Sellner, NVwZ 1986,616; Rengeling, DVBI 1986,271.
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A. Genehmigung kemtechnischer Anlagen in der BRD
lierte Prüfungen vergewissert hat, daß sich offen gebliebene Einzelheiten im Rahmen des Konzepts regeln lassen. 165 Was zum Konzept der Anlage gehört, ergibt sich aus dem Genehmigungsantrag. Damit bestimmt der Unternehmer, was von der Behörde als Konzept abschließend gebilligt werden soll, und wie detailliert das Konzept sein soll. 166 Das Anlagenkonzept ist im Sicherheitsbericht darzustellen, und zwar aus Gründen der Rechtsklarheit im einem besonderen Abschnitt. 167 Anderenfalls ist ein Konzeptvorbescheid, der zur näheren FestIegung des Konzepts auf den Sicherheitsbericht verweist, wegen fehlender Bestimmtheit (§ 37 I VwVfG) rechtswidrig. ce) Das vorläufige positive Gesamturteil Rechtlicher Anknüpfungspunkt hierfür ist § 18 I AtVfV, wonach eine TG nur erteilt werden kann, wenn eine vorläufige Prüfung ergibt, daß die Genehmigungsvoraussetzungen im Hinblick auf Errichtung und Betrieb der gesamten Anlage vorliegen werden. (1) Rechtsnatur Über Rechtsnatur und Bindungswirkung des Gesamturteils ist äußerst kontrovers diskutiert worden. l68 Im Wyhl-Urteil l69 hat sich das BVerwG zu diesen Fragen erstmals grundsätzlich geäußert. Zunächst hat es die Auffassung des VGH 110 zurückgewiesen, wonach das Gesamturteil nur eine Verfahrensvoraussetzung ähnlich dem Antrag und dem berechtigten Interesse an einer TG sei. Vielmehr gehört das positive Gesamturteil zum Regelungsgehalt im Sinne der Definition des Verwaltungsakts. 171 Denn es stellt die von der Struktur des Genehmigungsgegenstands her notwendige Verklammerung zwischen dem abschließend genehmigten Anlagenteil und der GesamtanIage her. l12 Die einzelnen Anlagenteile sind nämlich einander 165BVeIWG, DVBI 1985,401,402. 166vgl BVeIWG, DVBI 1988,1170,1172; so auch Klante (1984), 144. 167so auch Kräutle, ET 1986,646; vgl. auch Klante (1984),145. 168vgl. die Übersichten bei Klante (1984), 105 ff, 161 ff. 1690vBI 1986,190,192 f. IIOyGH Mannheim, ET 1982,849,853; ebenso Klante (1984), 119ff, 123. 171so bereits Ronellenfitsch (1983),400 ff; Osscnbühl, NIW 1980,1357 f; Rengeling, NVwZ, 1982,220 f; a. A. z. B. Büdenbenderl Mutschler (1979), Rdnr. 191; OVG Lüneburg, ET 1984,65,71.
l~gl. dazu Schmidt-Aßmann (1978),278.
IV.
Das GenehmigungllVerfahren
137
zugeordnet und in ihrer jeweiligen Funktion nur aus dieser Zuordnung zu begreifen. Deshalb kann ein Anlagenteil nur abschließend genehmigt werden, wenn sich die Behörde vorher hinreichend darüber Klarheit verschafft hat, daß die TG nicht den Anforderungen zuwiderläuft, die § 7 11 AtG an das Gesamtprojekt stellt. Voraussetzung dafür, daß eine TG erteilt werden darf, ist daher ein Urteil über die Genehmigungstähigkeit der Anlage als solcher. (2) Inhalt
"Vorläufig" ist das Gesamturteil, weil es nur auf vorläufigen Aussagen zu beruhen braucht, nicht weil die Intensität der Prüfung geringer ist. Die Behörde darf sich nicht mit einer flüchtigen oder unvollständigen Prüfung oder gar einer Evidenzkontrolle zufrieden geben. 113 Dies gebietet das Interesse des Antragstellers am Investitionsschutz und § 18 I AtVtv, wonach die Genehmigungstähigkeit zuverlässig positiv zu beurteilen ist. Die Angaben, auf denen das positive Gesamturteil beruht, müssen "hinreichend aussagekräftig" sein, mithin ein Mindestmaß an Detailliertheit aufweisen. 174 Die Behörde muß sich anband der Unterlagen im Sinne von § 18 I AtVtv davon überzeugen können, daß die Genehmigungsvoraussetzungen hinsichtlich Errichtung und Betrieb der gesamten Anlage vorliegen werden. Diese Prüfung bezieht sich auf die konkrete, zur Genehmigung gestellte Anlage, nicht abstrakt auf einen Anlagentyp. Es genügt nicht, abstrakt festzustellen, daß es grundsätzlich möglich ist, eine kemtechnische Anlafse zu bauen und dabei die Genehmigungsvoraussetzungen einzuhalten. 1 S Vielmehr ist die Genehmigungstähigkeit eines konkreten Projekts festzustellen. Dazu müssen die Unterlagen so detailliert sein, daß sich die Behörde daraus "ausreichende Kenntnis der maschinellen und apparativen Einrichtungen oder Systeme"176 verschaffen kann. Nicht ausreichend ist, wenn in den Unterlagen nur Schutzziele oder allgemeine Systembeschreibungen stehen. Die Angaben müssen vielmehr die Feststellung zulassen, daß konkrete Planungen die Schutzziele einhalten. 177 Das BVerwG verdient Zustimmung, wenn es das positive Gesamturteil umschreibt als" Prüfung der Sicherheit der gesamten Anlage auf der Grundlage eines für diese verfolgten Grundkonzepts, das allerdings noch unter dem Vorbehalt von Ergänzun-
113ebenso Ossenbühl,
NIW
1980,1357; Büdenbenderl Mutschler (1979), Rdnr. 179 ff, 185.
17"BVeIWG, DVBI 1986,192;DVBI 1982, 962; vgl. auch Kräutle, 17Ss.
ET
1986,644.
ET
1982,512 ff.
Baumann (1987),147 f; vgl. auch Klante (1984),111.
17680 BVeIWG, DVBI 1986,192. 17780
richtig Baumann (1987),148 f gegen Hawickhorstl Stubbe,
138
A. Genehmigung kemtechnischer Anlagen in dcr BRD
gen und Änderungen im Detail ... steht. "118 Die Abgrenzung dessen, was zu diesem Grundkonzept gehört, ist schwierig. Deshalb ist zu fordern, daß auch die Grundlagen des positiven Gesamturteils im Sicherheitsbericht in einem besonderen Abschnitt dargestellt werden. (3) Bindungswirkung Das vorläufige positive Gesamturteil hat nach Auffassung des BVerwG Bindungswirkung, 179 die allerdings unter zwei Einschränkungen steht. Sie entfällt einmal, wenn die spätere Detailprüfung ergibt, daß ein Anlagenteil nicht so wie geplant ausgeführt werden kann. Außerdem wird die Bindungswirkung durch Änderung der Sach- oder Rechtslage beseitigt, wenn deshalb an noch nicht genehmigte Anlagenteile neue Anforderungen gerichtet werden müssen. 110 Wenn sich das vorläufige positive Gesamturteil wegen eines fortgeschrittenen Stands von Wissenschaft und Technik nicht mehr aufrechterhalten läßt, dürfen um des Schutzes der betroffenen Dritten willen weitere TGen nicht mehr ergehen, ohne daß bereits ergangene TGen widerrufen werden müssen. 181 Insoweit führt der vom BVerfG postulierte "dynamische Grundrechtsschutz· auch nach der Rspr. des BVerwG zu einer Dynamisierung der Sicherheitsanforderungen. Im Umfang der Bindungswirkung löst das positive Gesamturteil auch Präklusionswirkungen aus. Denn soweit vorläufige Unterlagen ausgelegt sind, besteht auch eine Einwendungsmöglichkeit und damit eine Mitwirkungslast. 182 (4) Drittschützende Wirkung Das BVerwG hat dem positiven Gesamturteil insoweit drittschützende Wirkung zuerkannt, als es die Einhaltung drittschützender, vorhabensbezogener Genehmigungsvoraussetzungen sicherstellen soll. Zweck des Gesamturteils ist nämlich sicherzustellen, daß die gebotenen Schutzvorkehrungen bereits bei Planung und Errichtung der Anlage berücksichtigt werden, und damit ein effektiver Schutz gegen nuklearspezifische Gefährdungen
118BVCIWG, DVBI 1988,973,976. 179vgl. BVeIWG, DVBI 1986,193; so auch Ossenbühl, NJW 1980,1357 f; Rengeling, NVwZ 1982,220 f; Degenhart, ET 1983,241. 11lOso auch Ronellenfitsch (1983),403,414; Brcuer (1980),253 ff. 181so BVeIWG, DVBI 1986, 194; für Vcrbindlichkeit des Gesamturteils hinsichtlich des Anlagenkonzepts, die nur über § 17 AtG zu bcseitigen sei, jedoch Osscnbühl, NlW 1980, 1357f; Rengeling, NVwZ 1982,220 f; Dcgenhart, ET 1983,241. 182ebenso Sellner, NVwZ 1986, 617.
IV. Das Genehmigungsverfahren
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stattfindet. 183 Dritte haben damit zugleich ein subjektives Recht auf Bildung eines positiven Gesamturteils, soweit sich dieses auf drittschützende, vorhabensbezogene Genehmigungsvoraussetzungen bezieht. l84 Denn mit der Verklammerungsfunktion des positiven Gesamturteils ist es unvereinbar, daß der Dritte den Bau einer Anlage hinnehmen muß, die - wie bereits vor Baubeginn feststeht - ihm gegenüber nicht betrieben werden darf. Die Verpflichtung, eine TG mit einem vorläufigen positiven Gesamturteil zu versehen, enthält ein Gebot zur Vollständigkeit dieses Urteils. Denn nur wenn die Behörde die Errichtung und den Betrieb der gesamten Anlage berücksichtigt, können die Zwecke des positiven Gesamturteils erreicht werden. ISS dd) Zu Freigabe und Vorabzustimmung Die Genehmigungsbehörden in Bayern und Rheinland-Pfalz haben das gestufte Verwaltungsverfahren durch sog. Freigabebescheide noch weiter untergliedert. Dazu erging die erste TEG für die gesamte Anlage mit all ihren Teilen und Systemen, obwohl die Detailplanung noch nicht abgeschlossen war und deshalb von der Behörde noch nicht vollständig geprüft werden konnte. Die TEG erhielt einen ausdrücklichen Freigabevorbehalt, wonach sicherheitstechnisch bedeutsame Anlagenteile erst nach einer Freigabeentscheidung der Genehmigungsbehörde errichtet werden durften. l86 Die erste TEG wurde mithin erteilt, obwohl die Anlage nur in einem dem vorläufigen positiven Gesamturteil entsprechenden Umfang geprüft war. Die neuere Rspr. des BVerwG trennt strikt zwischen gestattenden Teilgenehmigungen und rahmenmäßigen Konzeptvorbescheiden. Konsequenterweise hat das BVerwG diese Freigabepraxis als Teilgenehmigung für eine erst im Konzept geprüfte Anlage eingeordnet und für rechtswidrig erklärt. 181 Ebenso folgerichtig ist es, wenn der VGH Kassel die sog. Vorabzustimmungen, d. h. ohne Öffentlichkeitsbeteiligung erteilte Zustimmungen der 18~VerwG, OVBI 1986,193.
184yGH Kassel, NVwZ-RR 1990, 128, 133; OVG Berlin, NVwZ 1988, 181, 182; gemäß OVG Koblenz, ET 1991,605 ff gilt dies auch, wenn mit einer 1. TEG (neu) eine 1. TEG (alt) ersetzt werden soll, die aufgrund einer gerichtlichen Entscheidung aufgehoben wurde und Bestandteil eines durch im übrigen bestandskräftige TGen abgeschlossenen Genehmigungsverfahrens war; in diesem Fall kann nicht angenonunen werden, daß der Inhalt des vorläufigen positiven Gesamturteils der 1. TEG (alt) gewissermaßen in die bestandskriftigen TGen "hineingewachsen" ist mit der Folge, daß für die 1. TEG (neu) ein positives Gesamturteil nicht mehr zu bilden wäre. 18S0VG Berlin, NVwZ 1988,182. 186vgI. dazu Haedrich (1986), Nr. 42 ff zu § 7 m. w. N. 181vgI. BVerwG, OVBI 1988,1170,1172 ff.
140
A. Genehmigung kerntechnischer Anlagen in der BRD
Behörde zu wesentlichen Änderungen an einer ursprünglich nach § 9 AtG genehmigten Brennelementfabrik, als (Änderungs)Genehmigung im Sinne des § 7 I AtG ansieht. 188 Verfehlt ist es, diese Akte als Aufsichtsmaßnahmen nach § 19 AtG zu betrachten. l89 Denn Aufsichtsmaßnahmen dienen der Beseitigung gesetzeswidriger Zustände; sie können nicht dazu herhalten, den Gestattungsrahmen einer Genehmigung zu erweitern. Außerdem dürfen die Verfahrensvorschriften der AtVfV nicht umgangen werden, auch nicht um der flexiblen Verfahrensgestaltung willen. l90 Mit diesen kurzen Anmerkungen zu Sonderformen der Verfahrensstufung sei die Bestandsaufnahme des deutschen Atomrechts beendet. In Teil B der Arbeit wird das Atomrecht der USA mit seiner Vorliebe für verfahrensmäßige Lösungen in den Grundzügen dargestellt.
l88vg l. VGH
Kassel, NVwZ-RR 1990,128,132 f.
18980
aber Ronellenfitsch, ET 1«186,806.
19080
zu Recht K10epfer (1989), § 8, Nr. 57.
B. Die Genehmigung kerntechnischer Anlagen in den USA I. Gerichts- und Behördenorganisation 1. Die Nuclear Regulatory Commission (NRC) a) Aufgaben und verfassungsrechtlicheSteIlung
aa) Die Neuordnung der Atombehörden Bis 1974 lag der Vollzug des US-Atomrechts in den Händen der Atomic Energy Commission (ABC). Diese Behörde sollte nicht nur die Nutzung der Kernenergie erforschen, entwickeln und fördern, sondern gleichzeitig durch Aufstellung und Durchsetzung entsprechender Standards für ausreichende Sicherheit sorgen. I Nicht zuletzt, um die Förderungs- und Entwicklungstätigkeit von der Genehmigungs- und Kontrollfunktion zu trennen2 , wurde die ABC durch den Energy Reorganization Act von 1974 aufgelöst. Die neu gegründete NRC erhielt die Aufgabe, kerntechnische Anlagen und den Umgang mit radioaktiven Stoffen zu genehmigen und zu überwachen sowie sicherheitsbezogene Forschungsarbeiten durchzuführen. 3 Die übrigen, früher von der ABC wahrgenommenen Tätigkeiten wurden zunächst der Energy Research and Development Agency und 1977 dem Department of Energy zugewiesen. Die NRC ist damit eine durch Fachgesetz geschaffene und mit dem Vollzug des Atomrechts beauftragte Spezialbehörde. bb) Verhältnis der NRC zum Präsidenten Wie schon die ABC, so ist auch die NRC eine "independent regulatory commission" . 4 An der Spitze der Behörde stehen 5 Commissioners, die für die Dauer von jeweils 5 Jahren vom Präsidenten mit Zustimmung des Senats ernannt werden. Der Präsident darf die Commissioners nur wegen Unl zum
Rechtszustand vor 1974 ausführlich Dauses (1975),21 ff.
~gl. 42 U.S.C.A § 5801 (2)(c). 342 U.S.C.A.§ 5841 (f), (g). 4ebenso Dauses (1975),32.
142
B. Genehmigung kemtechnischer Anlagen in den USA
fähigkeit, Vernachlässigung ihrer Pflichten oder Amtspflichtverletzung vorzeitig ihres Amtes entheben. s Zwar hat der Präsident gemäß der Verfassung "dafür zu sorgen, daß die Gesetze getreu ausgeführt werden". 6 Aus dieser Bestimmung wird jedoch nicht gefolgert, daß der Präsident gegenüber den "independent regulatory agencies" ein Weisungsrecht hat. 1 Einen der Commissioners hat der Präsident zum Vorsitzenden zu bestimmen. Dieser ist zuständig für die gesamten Exekutiv- und Verwaltungsaufgaben der Commission, einschließlich der Aufsicht über ihr Personal, der Geschäftsverteilung, der Verwaltung der Finanzen und der Ernennung der Leiter wichtiger Abteilungen; letztere bedarf allerdings der Zustimmung der Commission. Für die Beschlußfähigkeit bei laufenden Geschäften ist die Anwesenheit von drei Commissioners nötig. Nicht mehr als drei Commissioners dürfen derselben politischen Partei angehören. ce) Verhältnis zum Kongreß; "Rulemaking"- Befugnisse Der Kongreß überwacht die Tätigkeit der "independent regulatory agencies" in erster Linie durch das Budgetbewilligungsrecht. Es ist in der Verfassung verankert und hinsichtlich der NRC nochmals ausdrücklich im Atomic Energy Act (AEA) bestätigt. 8 Die NRC muß ihre Haushaltsanforderungen genau begründen und in Anhörungen vor dem Kongreß verteidigen. Außerdem unterliegen die "independent regulatory agencies" der Kontrolle durch ständige oder von Fall zu Fall eingesetzte AusschÜ8e des Kongresses. 9 Schließlich muß die NRC einmal im Jahr dem Kongreß über ihre Tätigkeit berichten und dabei Empfehlungen für die Gesetzgebung abgeben; vierteljährlich hat sie ferner den Kongreß über ungewöhnliche Ereignisse in Anlagen innerhalb ihres Zuständigkeitsbereichs zu unterrichten. 10
Szu Stellung und Aufgaben der Commissioneu vgl. 42 U.S.C.A. § 5841; zum Sprachgebrauch im Text: mit "NRC" wird die NRC als Behörde, mit "Commission" die Behördenleitung, d.h. die 5 Commissioners, bezeichnet. 6"He shall take care that the laws be faithfully executed", U.S.Const. Art D, § 3. 1ebenso
Mahlmann (1974),76 m.w.N.,84; Albert (1971),47; Iarass,DÖV 1985,379.
8U.S.Const. Art. I § 9 clause 7:" No money shall be drawn from the Treasury, but in consequence ofappropriations made by law; § 261 AEA = 42 U.S.C.A.§ 2017; vgl. auch Mahlmann (1974),86; Albert (1971),58 f. 9vgl.
Albert (1971), 60 f.
10vgl. § 251 AEA = 42 U.S.C.A.§ 2016;42 U.S.C.A.§ 5848.
I. Gerichts- und Behöroenorganisation
143
Die Verfassung weist alle gesetzgebende Gewalt einem aus Senat und Repräsentantenhaus bestehenden Kongreß zu. 11 Damit scheint auf den ersten Blick unvereinbar zu sein, daß die "independent regulatory agencies" regelmäßig in ihren Fachgesetzen ermächtigt werden, untergesetzliche Rechtsvorschriften ("roles") zu erlassen. Der AEA z.B. gibt der NRC die Befugnis, "die nach ihrer Ansicht notwendigen "roles" zu verabschieden, um alle nach diesem Gesetz genehmigten Tätigkeiten, einschließlich der Maßstäbe und Beschränkungen für die Planung, den Standort und den Betrieb der bei diesen Tätigkeiten benutzten Anlagen, zum Schutz der Gesundheit und zur weitestmöglichen Verringerung der Gefahren für Leben und Eigentum zu regeln. "12 Außerdem darf sie "roles erlassen, widerrufen und ändern, soweit dies zur Erfüllung der Gesetzeszwecke notwendig ist"l3. Der Supreme Court beurteilt Ermächtigungen zum Erlaß von "roles" allerdings äußerst großzügig; ihm genügt, wenn der Kongreß "policies and standards" (politische Grundsätze und Maßstäbe) im Gesetz aufstellt, an denen sich die Behörde orientieren kann. 14 Nur in zwei Fällen sind Ermächtigungsvorschriften wegen Verstoßes gegen das Delegationsverbot ("nondelegation doctrine") aus U.S.Const. Art. I § 1 aufgehoben worden!S Beide Fälle betrafen die fast das gesamte Wirtschaftsleben umfassende und nicht verfahrensrechtlich abgesicherten Ermächtigungen im National Industry Recovery Act. Ob eine Ermächtigung hinreichend genaue Maßstäbe enthält, richtet sich außer nach ihrer sachlichen Reichweite nach den verfahrensrechtlichen Sicherungen und auch nach den oftmals in der Präambel zum jeweiligen Gesetz aufgezählten Gesetzeszwecken. 16 Auch die Ermächtigungen im AEA sind gerichtlich bestätigt. 17 b) Abteilungen der NRC Von den zahlreichen Abteilungen der NRC, die den Commissioners direkt Bericht erstatten können, sind im Energy Reorganization Act nur die
11U.S.Const. Art I § 1:"Alllegislative powers herein granted sball be vested in a Congress ...whichshall consist of a Senate and a Housc of Represcntatives." 12§ 161(i)(3) AEA
= 42 U.S.C.A.§ 2201(i)(3).
13§ 161(P) AEA = 42 U.S.C.A. § 2201 (P) 14 vgl. Albert (1971),113; Vogel (1971),124;Currie (1988),36; s. a. Pierce(l985),55 f. IS
Panama Refining Co. v. Ryan, 293 U.S. 388; Schechter Poultry v. U.S, 295 U.S. 495.
16vgl. Pierce (1985),55 f. Die Unterschiede zur Rspr. des BVerfU zu Art 80 I 1 GG sind gering. Denn dem BVerfU genügt insbesondere bei wirtschaftslenkenden Gesetzen, daß wenigstens der Zweck der Ennächtigung hinreichend bestimmt ist; dann sollen Inhalt und Ausmaß der Ennächtigung durch Auslegung zu ennitteln sein, B. BVerfUE 4,7,22; 8, 274, 318; 10,20,41 ff; vgl. 8. v. Münch-Bryde, Nr. 21 zu Art 80. 17s. Pauling v. McElroy, 164 F.Supp. 390,393.
B. Genehmigung kemtechnischer Anlagen in den USA
144
drei "program offices" genannt. Dem "Office of Nuclear Reactor Regulation" obliegt gemäß 42 U.S.C.A. § 5843 die Genehmigung und Regelung der Errichtung und des Betriebs kerntechnischer Anlagen sowie des damit zusammenhängenden Umgangs mit radioaktiven Stoffen. Außerdem hat diese Abteilung die Sicherheit all dieser Anlagen, Stoffe und Tätigkeiten zu überwachen und Empfehlungen für sicherheitsbezogene Forschungsarbeiten zu geben. Aufgabe des "Office of Nuclear Material Safety and Safeguards" ist es, den Umgang mit radioaktiven Stoffen, deren Verarbeitung und Transport zu genehmigen sowie Vorkehrungen gegen Sabotage und Diebstahl anzuordnen und deren Einhaltung zu überwachen. 18 Die Durchführung von Forschungsarbeiten, die für die Tätigkeit der NRC notwendig sind, ist nach 42 U.S.C.A. § 5845 Sache des "Office of Nuclear Regulatory Research". Ein "Executive Director for Operations" bat nach 42 U.S.C.A. § 5849 die Aufgabe, die Arbeit dieser und weiterer Abteilungen l9 der NRC zu überwachen und zu koordinieren. c) Die Beratungskommission jar Reaktorsicherheit (Advisory Committee on Reactor Safeguards - ACRS)
Gesetzliche Grundlage der ACRS ist § 29 AEA20 • Danach bat die ACRS bis zu 15 Mitglieder, die von der Commission für die Dauer von jeweils vier Jahren ernannt werden. Der ACRS werden alle Genehmigungsanträge und Sicherheitsstudien zur Überprüfung vorgelegt. Zweck dieser Regelung soll sein, die Unterstützung, die die Fachabteilungen der NRC typischerweise einem Genehmigungsantrag im Verfahren zuteil werden lassen, dadurch teilweise auszugleichen, daß eine unabhängige zweite Meinung über die Sicherheit der Anlage eingeholt wird. 21 Ferner hat die ACRS die Commission darüber zu beraten, welche Gefährdungen von vorhandenen oder geplanten ReaktoranIagen ausgehen, und ob Entwürfe für Reaktorsicherheitsstandards angemessen sind. Dem Kongreß hat die ACRS jährlich einen Bericht über die Ergebnisse der von ihr durchzuführenden Studie über Reaktorsicherheitsforschung vorzulegen. Schließlich ist die ACRS befugt, sicherheitsrelevante Fragen, die ihr besonders wichtig erscheinen, in eigener Initiative zu untersuchen. 22
18vgl.
42 U.S.C.A. § 5844.
19zur
"Feingliederung" der NRC vgl. 10 C.F.R. Part 1 Subpart B.
2042
U.S.C.A.§ 2039.
21 vgl.
Schoenbaum (1988),42 und dort
22ygl. 10 C.F.R. § 1.13.
FR.
6.
I.
Gerichts- und Behördenorganisation
145
Auf das Beratungsverfahren der ACRS ist der Federal Advisory Committee Act anwendbar. 23 Nach dessen § 10 sind Sitzungen der ACRS öffentlich. Sie sind rechtzeitig im Federal Register, dem amtlichen Mitteilungsblatt der Bundesbehörden, anzukündigen und interessierten Personen ist die Möglichkeit zu geben, an den Sitzungen teilzunehmen und Stellungnahmen abzugeben. Uber jede Sitzung der ACRS ist ein Protokoll anzufertigen, in dem die Teilnehmer, eine vollständige und genaue Beschreibung der Beratungsgegenstände und -ergebnisse sowie Kopien aller von der ACRS entgegengenommenen, verabschiedeten oder bewilligten Berichte enthalten sein müssen. Die Protokolle sind im Public Document Room der NRC in Washington D.C. zur Einsichtnahme und Anfertigung von Kopien auszulegen. 24 Die ACRS ist darauf beschränkt, zu jedem Genehmigungsantrag für eine kerntechnische Anlage Stellung zu nehmen. Eine ausdrückliche Zustimmung ist allerdings nicht Voraussetzung dafür, daß die NRC die Genehmigung erteilen kann. Vielmehr darf sie dies auch gegen Bedenken der ACRS tun. Außerdem ist die ACRS nicht berechtigt, in den förmlichen Genehmigungsverfahren als Partei aufzutreten. Zwar hat die von Präsident Carter eingesetzte Kommission zur Untersuchung des Reaktorunfalls in Three Mile Island sich dafür ausgesprochen, die Stellung der ACRS zu stärken. Insbesondere sollte ihr nach Ansicht der Kommission die Befugnis gegeben werden, in Genehmigungsverfahren als Partei mitzuwirken und dort jede beliebige Frage der Anlagensicherheit aufzuwerfen. Die NRC sollte verpflichtet werden, auf das Vorbringen der ACRS förmlich zu erwidern.:Z:S Diese Empfehlung wurde jedoch nicht umgesetzt. d) Die Genehmigungsausschüsse Die Durchführung der mündlichen Verhandlungen ("adjudicatory hearings") im Rahmen der Genehmigungsvefahren obliegt besonderen Gremien, den "Genehmigungsausschüssen " (Atomic Safety and Licensing Boards - ASLBs). Diese Gremien bestehen aus einem Juristen als Vorsitzendem und zwei Naturwissenschaftlern als Beisitzern. 2tS Die Commission beruft fachkundige Personen in ein "Atomic Safety and Licensing Board Panel", aus dem sich wiederum die einzelnen ASLBs rekrutieren. Über die Zusammensetzung der einzelnen Boards entscheidet der Vorsitzende des Panel. Dadurch hat die Commission keinen unmittelbaren
vg l. 5 U.S.C.A.App. 2 § 3(2)(A) und dazu Hunt v. NRC, 486 F. Supp. 817.
23
vg1. 10 C.F.R. § 7.14.
24
:Z:SU.S. President's Comrnission (1979), Recomrnendation A.3. 2tSgesetzliche Grundlage ist 10 Heitsch
§
191 AEA= 42 U.S.C.A.§ 2241.
146
B. Genehmigung kemtcchnischer Anlagen in den USA
Einfluß darauf, welches Panel-Mitglied im Einzelfall tätig wird.1:1 Die früher als Berufungsinstanz tätigen "Beschwerdeausschüsse" (Atomic Safety and Licensing Appeal Boards - ASLABs) wurden 1991 abgeschafft, um bei zukünftigen Genehmigungsverfahren unnötige Verzögerungen zu vermeiden. 28 2.~rich~v~~ung
a) Instanzenzug
Für die gerichtliche Überprüfung von Entscheidungen der NRC stehen zwei Instanzen zur Verfügung. Dabei ist allerdings der Zugang zur zweiten Instanz, dem Supreme Court, infolge des "certiorari"-Verfahrens eingeschränkt. aa) Erstinstanzielle Zuständigkeit der Federal Courts of Appeals Nach § 189(b) AEA29 unterliegen der gerichtlichen Kontrolle die endgültigen Entscheidungen ("final orders"), die die NRC in Genehmigungs- und "rulemaking"- Verfahren erläßt. Zuständig sind die Federal Courts of Appeals. 30 Dies sind die allgemeinen Berufungsgerichte innerhalb des Systems der US-Bundesgerichte. Sie sind keine besonderen Verwaltungsgerichte, sondern entscheiden Fälle aus allen Bereichen des Bundesrechts; insbesondere überprüfen sie Entscheidungen der "federal regulatory agencies", die damit gewissermaßen in ihrem Zuständigkeitsbereich Gericht erster Instanz sind. 31 Auf der Ebene der Courts of Appeals gibt es zur Zeit 12 Bezirke ("circuits"). 32 Örtlich zuständig ist nach 28 U.S.C.A. § 2343 detjenige "circuit", in dem der Kläger seinen Wohnsitz hat, oder der Court of Appeals for the District of Columbia Circuit ("D.C. circuit"). Die Courts of Appeals entscheiden in Spruchkörpern ("panels") von je drei Berufsrichtern. Es besteht die Möglichkeit, eine Entscheidung dieses "panel" durch das Plenum der Richter eines "circuit"überprüfen zu lassen; dies geschieht jedoch nur, wenn es notwendig ist, um die Einheitlichkeit der Rechtspre-
1:190 auch Goodrich, Nuclear Safety 15 (1974),384. 289 .56
2942
U.S.C.A. § 2239(b).
3Ovgl. 31 90
F.R. 29403 (JUDe 27,1991).
28 U.S.C.A. § 2342(4).
Wasby (1984),41.
32der Court of Appeals for the Federal Circuit ist ein Fllchgericht für Patcnt- und Warcnzcichenrccht, vgl. 28 U.S.C.A. § 1295; 15 U.S.C.A. § 1071(b).
I. Gerichta- und Behördenorganisation
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chung ZU gewährleisten, oder wenn eine Frage von außerordentlicher Wichtigkeit berührt ist. 33 bb) Überprüfung durch den Supreme Court im "certiorari"-Verfahren Die Entscheidungen der Courts of Appeals werden vom Supreme Court im Rahmen des "certiorari" -Verfahrens überprüft. 34 Die vor dem Court of Appeals unterlegene Partei kann dazu einen "writ of certiorari" beantragen, d. h. eine Anordnung des Supreme Court an den Court of Appeals, dem Supreme Court die Akten vorzulegen. Wenn der Supreme Court diese Anordnung erläßt, hat er die Sache damit zur Entscheidung angenommen. Dies steht im Ermessen des Supreme Court. Er wird einen Fall vor allem dann zur Entscheidung annehmen, wenn es zu derselben Fallkonstellation divergierende Urteile verschiedener "circuits" gibt oder wenn dem Court of Appeals schwere Verfahrensfehler unterlaufen sind. Auch wenn sich ein Court of Appeals zu einer wichtigen Frage des Bundesrechts geäußert hat, die vom Supreme Court geklärt werden sollte, oder wenn so eine Frage von der Vorinstanz in Abweichung von einschlägigen Urteilen des Supreme Court entschieden wurde, wird dem "certiorari "-Antrag stattgegeben werden. 3s Wenn vier der neun Richter des Supreme Court zustimmen, ergeht die "certiorari"-Anordnung. In der Regel geschieht dies pro Jahr nur in weniger als 5 % aller Anträge, d. h. bei etwa 160 von mehr als 4000 Fällen. Dadurch ist die Kontrolle, die der Supreme Court über die Tätigkeit einer konkreten Behörde ausüben kann, äußerst beschränkt. Denn er erhält innerhalb von zehn Jahren nur ein oder zweimal Gelegenheit, Fälle aus dem Tätigkeitsbereich der Behörde zu entscheiden. 36 b) Grundsatz der bindenden Priizeden7/iille
Die Urteilsbegründungen des Supreme Court haben Bindungswirkung für alle Gerichte und Behörden hinsichtlich aller Fragen, die zu entscheiden für die Lösung des Falles notwendig war ("ratio decidendi "). Außer diesen "tragenden Gründen" enthalten die Urteile jedoch oft Äußerungen zu
338Og.
"rehearing en banc", vgl. Federal Rules of Appellate Procedure, Rule 35.
34:z8 U.S.C.A.§§ 1254,2350. 3Svgl.
im einzelnen Supreme Court Rule 10, abgedruckt in 28 U.S.C.A.
36ygl. Strauss (1989), 81 f; zum atomrechtlichen Genehmigungs- und "rulemaking"-Verfahren sind fünf Entscheidungen ergangen: Power Reactor Development Co. v. International Union of Electrical, Radio, and Machine Workers, 367 U.S. 396; Northem Indiana Public Service Co. v. Porter County Chapter of Izaak Walton League, 423 U.S. 12; Vermont Yankee Nuclear Power Corp. v. NRDC, 435 U.S. 519; Metropolitan Edison Co. v. People Against Nuclear Energy, 460 U.S. 766; Baltimore Gas and Electric Co. v. NRDC, 462 U.S. 87.
B. Genehmigung kemtechnischer Anlagen in den USA
148
Rechtsfragen, auf die es für die UrteilsbegfÜndung nicht ankam ("dicta"). Diese "dicta" sind nicht bindend, geben aber deutliche Hinweise auf die Ansicht, die der Supreme Court über die darin angesprochenen Rechtsprobleme hat. Deshalb werden sie von den Untergerichten und Behörden häufig deren eigenen Entscheidungen zugrundegelegt. Die Zurückweisung eines "certiorari"- Antrags entfaltet dagegen überhaupt keine Bindungswirkung; sie schließt nicht einmal aus, daß der Supreme Court dieselbe Rechtsfrage zu einem späteren Zeitpunkt doch zur Entscheidung annimmt. 36 Die Entscheidungen der Courts of Appeals binden nur die Untergerichte und Behörden innerhalb des jeweiligen "circuit ".Dadurch, daß der Court of Appeals for the District of Columbia Circuit gemeinsam mit zahlreichen US-Bundesbehörden seinen Sitz in Washington D.C. hat, können ihn theoretisch Fälle aus dem Tätigkeitsbereich nahezu aller Bundesbehörden erreichen. Seine besondere Erfahrung im Verwaltungsrecht verleiht seinen Entscheidungen im Verhältnis zu den anderen Courts of Appeals besonderes Gewicht, obwohl letztere streng genommen nicht daran gebunden sind. 31 Wie sich aus der Entscheidungssammlung der NRC ergibt, gilt auch im innerbehördlichen Instanzenzug der NRC der Grundsatz der bindenden Präzedenzfälle. Die ratio decidendi in Verfügungen der Commission ist daher bindend für die Licensing Boards.
II. Die Genehmigungsvoraussetzungen 1. Keine verfassungsrechtlichen Vorgaben Materiellrechtliche Vorgaben für die Ausgestaltung des Umweltrechts werden in der amerikanischen Rechtspraxis nicht aus der Verfassun, abgeleitet, obwohl dies von der Literatur gelegentlich gefordert wurde. Insbesondere dienen die Grundrechte im V., IX. und XIV. Amendment nicht als Grundlage für Ansprüche des einzelnen gegen den Staat, Leben oder Eigentum vor Gefährdungen von Seiten Dritter zu schützen. Das hängt vor allem damit zusammen, daß es nach amerikanischem Verständnis keine staatliche Schutzpflicht für die Grundrechte gibt. Außerdem enthalten die umweltrechtlichen Fachgesetze selbst hochgesteckte Schutzziele, so daß es
36
zur Bindungswirlrung von Entscheidungen des Supreme Court vgl. Strauss (1989),82.
31vgl. IZ•
dazu Strauss (1989), 84 f.
B. von Roberts, 55 Comell L.Rev. 674,691.
ß. Die Genehmigungsvoraussctzungen
149
nicht notwendig scheint, das Ziel des Umwelt- und Gesundheitsschutzes zusätzlich verfassungsrechtlich zu untermauern. 2
2. Bestimmungen im Atomic Energy Act a) Gleichrang der Gesetzeszwecke
Gemäß § 3(d) ABA3 enthält das US-Atomgesetz "ein Programm, das eine weitgestreute Beteiligung an der Entwicklung und Verwendung der Atomenergie für friedliche Zwecke in möglichst großem Umfang anregt, soweit dies mit der nationalen Verteidigung und Sicherheit sowie mit der Gesundheit und Sicherheit der Allgemeinheit vereinbar ist." Demnach verfolgt das Gesetz zwei, tendenziell miteinander unvereinbare Ziele: Einerseits soll die Entwicklung und Verwendung der Kernenergie zu friedlichen Zwecken gefördert, andererseits ein hinreichendes Sicherheitsniveau gewährleistet werden. Zwischen diesen Zielsetzungen besteht vom Wortlaut des Gesetzes her ein Gleichrang. Bis in jüngste Zeit hat die Rspr. immer wieder betont, daß die Förderung der Kernenergie auch weiterhin ein wesentlicher Zweck des ABA ist. 4 Zwar habe der Kongreß mit dem Energy Reorganization Act 1974 die ABC aufgelöst und ihre Förderungs- und Überwachungsaufgaben jeweils unterschiedlichen Behörden zugewiesen. Offenkundig sei auch Ziel dieser Neuregelung gewesen zu verhindern, daß die Sicherheit durch Förderungsinteressen gefährdet werde. Dies bedeute jedoch nicht, daß der Kongreß das Ziel aufgegeben habe, die Kernenergienutzung zu fördern. Andererseits sei richtig, daß dieses Ziel nicht "um jeden Preis" erreicht werden soll. 5 Diese Ausführungen deuten darauf hin, daß der Supreme Court die Ziele Förderung und Sicherheit als grundsätzlich gleichrangig ansieht. Ausdrückliche Stellungnahmen dazu fehlen.
'zum ganzen Giebeler (1991),67 f m.w.N.;aus der Rspr. z. B. Ely v. Velde, 451 F.2d 1130, 1139. 342 U .S.C.A. § 2013(d). \.gl. Pacific Gas and Electric Co. v. State Energy Resources Conservation and Devclopment Commission, 461 U.S. 190,221; s. a. San Luis Obispo Mothers for Peace v. NRC, 751 F.2d 1287,1294: Gerichte dürfen die Verpflichtung der Nation ("tbc nation's commitment") zur Förderung der Kernenergie nicht in Frage stellen. 580
461 U.S. 222; zum Vorrang des Schutzzwecks nach deutschem Recht s. o. S. 24 f.
150
B. Genehmigung kemtechnischer Anlagen in den USA
b) Genehmigungsarten; zweistufiges Genehmigungsveifahren
Daß Errichtung und Betrieb kerntechnischer Anlagen in den USA der Genehmigung bedürfen, ergibt sich aus § 101 AEA6 • Je nach Verwendungszweck der geplanten Anlage wird entweder eine Klasse- 103- oder eine Klasse-104-Genehmigung erteilt. Anders als im deutschen Recht sind die Genehmigungsvoraussetzungen des AEA nicht unmittelbar an den Betreiber , sondern an die Behörde gerichtet. Wer eine kerntechnische Anlage fiir industrielle oder kommerzielle Zwekke im zwischenstaatlichen Handee veräußern oder erwerben, herstellen, besitzen oder verwenden will, bedarf einer Genehmigung der Klasse 103. Klasse-l04-Genehmigungen sind vorgeschrieben fiir Anlagen, die medizinischen Zwecken dienen, sowie fiir Forschungs- und Entwicklungsanlagen. Zwar stellen die §§ 103, 104 AEA8 fiir diese Genehmigungsklassen jeweils unterschiedliche Voraussetzungen auf; heutzutage unterscheidet die NRC in ihrer Genehmigungspraxis allerdings nicht mehr zwischen den beiden Anlagenklasssen. 9 Die praktisch wichtigste Genehmigungsvoraussetzung ist in § 103 (d) AEA negativ formuliert: Die NRC darf auf keinen Fall eine Genehmigung erteilen, wenn dies der nationalen Verteidigung und Sicherheit oder der Gesundheit und Sicherheit der Allgemeinheit abträglich wäre. 10 Unabhängig von der Genehmigungsklase erhält der AntragssteIler zunächst eine Errichtungsgenehmigung ("construction permit" - CP). Erst wenn die Errichtung und Erprobung der Anlage abgeschlossen sind, erteilt die NRC eine Betriebsgenehmigung ("operating license" - OL) in der beantragten Klasse, sofern nicht geltend gemacht wird, daß wichtige Gründe dagegen sprechen. 11 c) Konkretisierungder durch § 103(d) AEA geschUlZIen Rechtsgater
Die Gerichte haben den Auftrag der NRC, die nationale Verteidigung und Sicherheit sowie die Gesundheit und Sicherheit der Allgemeinheit ausreichend zu schützen, in zahlreichen Entscheidungen präzisiert, wobei
642 U.S.C.A.§ 2131. 7d.
h. im Handel zwischen mehreren Staaten der USA.
842 U.S.C.A.§§ 2133,2134. 9vgl.
HanselI, 3 UCLA J. of Env. L. and Pol. 43.
10vgl. § 103(d) AEA= 42 U.S.C.A.§ 2133(d):"in any event, no license may be issued to sny person within the United States if, in the opinion of the Commission, the issuance of s Iicense to such person would be inimical to the cornmon defense snd security or to the health snd safety of the public." llZUm zweistufigen Verfahren § 185 AEA= 42 U.S.C.A.§ 2235; 10 C.F.R. §§ 50.23,50.56.
11. Die Genehmigungsvoraul8elzungen
ISI
merkwürdigerweise gelegentlich nicht § 103(d), sondern § 182(a) AEA I2 den gesetzlichen Anknüpfungspunkt bildete. 13 Nach dieser Bestimmung muß die NRC die Feststellung treffen, "daß die Verwendung der Kernbrennstoffe im Einklang mit der nationalen Verteidigung und Sicherheit steht und ausreichenden Schutz für Gesundheit und Sicherheit der Allgemeinheit bietet." aa) Nationale Verteidigung und Sicherheit Die Anforderung, daß die Atombehörden Genehmigungsanträge auf Vereinbarkeit mit der nationalen Verteidigung und Sicherheit zu prüfen hat, bezieht sich auf folgende Gesichtspunkte: 14 Der Bedarf der Industrie an spaltbaren Stoffen darf den Anforderungen des Militärs nicht im Rang vorgehen; diese Stoffe müssen vor Verlust und Abzweigung geschützt werden; schließlich dürfen solche Stoffe und geheimhaltungsbedürftige Informationen nicht in die Hände von Personen fallen, die den USA feindlich gesonnen sind. Dagegen sind die Atombehörden ebenso wie im deutschen Recht15 nicht verpflichtet, in Genehmigungsverfahren unter der Rubrik "common defense and security" Gefahren zu berücksichtigen, die durch mögliche kriegerische Angriffe auf kerntechnische Anlagen drohen. bb) Gesundheit und Sicherheit der Allgemeinheit Mit "Schutz der Gesundheit und Sicherheit der Allgemeinheit" ist der Schutz vor den Gefahren gemeint, die durch das Freiwerden radioaktiver Stoffe beim Normalbetrieb oder bei einem Unfall in einer kerntechnischen Anlage verursacht werden können. 16 Die gesetzliche Pflicht, Gesundheit und Sicherheit der Allgemeinheit zu schützen, bedeutet nicht, daß die NRC sich vor Erteilung von Betriebsgenehmigungen in einem "rulemaking"-Verfahren vergewissern muß, daß hochradioaktive Abfälle (HAW) auf Dauer sicher "entsorgt" werden können. Nach Ansicht des "2d circuit" hat der Kongreß
1242 U.S.C.A. § 2232 (a), requiring the NRC to find "that the utilization of special nuclear material will be in accord with the common defense and security ,nd will provide adequate protection of the health and safety of the public". 13z .
B. Union of Concerned Scientists v. NRC, 824 F.2d 108, 109.
14vg l.
15s.
dazu Siegel v. ABC, 400 F.2d 778,783 f.
o. S. 76 f.
16s. Virginia Electric and Power Co (North Anna Units 1 and 2), NRR § 30096 (1976); Siegel v. ABC, 400 F.2d 778, 784.
152
B. Genehmigung kemtechnischer Anlagen in den USA
die Praxis der AEC stillschweigend gebilligt, wonach im Genehmigungsverfahren die Probleme der Endlagerung von HAW außer Betracht bleiben. 17 Eine risikofreie Umwelt oder ein "Nullrisiko" verlangt § 103(d) AEA nicht. Nach ständiger Rspr. läßt der Maßstab des "ausreichenden Schutzes" vielmehr ein gewisses Risikoniveau ZU. 18 Da die einschlägigen Bestimmungen des AEA selbst "adequate protection" nicht definieren, drangen Umweltverbände nicht mit der Behauptung durch, die NRC sei von Gesetzes wegen verpflichtet, in "roles " objektive Beurteilungsmaßstäbe, z. B. in Form von Risikozahlen, dafür aufzustellen, wann ausreichender Schutz i. S. d. AEA getroffen ist. 19 Allerdings gilt dann, wenn eine geplante Anlage die in den "roles"der NRC aufgestellten sicherheitstechnischen Anforderungen erfüllt, die Vermutung, daß ausreichender Schutz für Gesundheit und Sicherheit der Allgemeinheit getroffen ist. Diese Vermutung ist widerlegbar dadurch, daß die Kläger darlegen, daß neue Erkenntnisse oder besondere Umstände des Einzelfalls das bei Einhaltung der "roles" noch bestehende Risiko als nicht akzeptabel erscheinen lassen. 20
3. Konkretisierung in "ruIes" Die äußerst vage gesetzliche Vorgabe, für ausreichenden Schutz von Gesundheit und Sicherheit der Allgemeinheit zu sorgen, haben die AEC und die NRC in zahlreichen untergesetzlichen Vorschriften mit Inhalt gefüllt. Zur Aufstellung von Sicherheitsstandards ist die NRC durch § 161 (i), (P) AEA / 42 U.S.C.A. § 2201 (i), (P) ermächtigt. a) Inhalt des Antrags
Die Vorschriften über den Inhalt des Genehmigungsantrags (10 C.F.R. §§ 50.33,50.33a und 50.34) werden durch 10 C.F.R. § 50.45 zu materiellen
17vgl NRDC v. NRC, 582 F.2d 166, 170 ff; auch das deutsche Recht verlangt nicht, daß bei Ertcilung einer Genehmigung für eine kemtechnische Anlage die Endlagerung gesichert sein muß, s. o. S. 119 f.
l~gl. z. B. Union of Concemed Scientists v. NRC, 824 F.2d 108,118; Carstens v. NRC, 742 F.2d 1546,1557. 19s. Union of Concemed Scientists v. NRC, 880 F.2d 552,557; quantitative und qualitative Sichemeitsziele sind inzwischen in einem Policy Statement aufgestellt, vgl. Safety Goals for the Operation of Nuclear Power Plants, 51. F.R. 30028 (Aug. 21, 1988); diese Ziele sind jedoch kein Ersatz für verbindliche "rules' und können in Genehmigungsverfahren nur unter besonderen Umständen als Entscheidungshilfe dienen, vgl. 51 F.R. 30032.
2Oso Citizens for Safe Power v. NRC, 524 F.2d 1291,1299 f; Union of Concemed Scientists v. NRC, 880 F.2d 552,558; die Rspr. des BVerwG zur Verbindlichkeit sog. "normkonkretisierender Verwaltungsvorschriften läuft auf dasselbe hinaus, s. o. S. 57 ff.
n. Die Genehmigungsvorau88Ctzungen
153
Genehmigungsvoraussetzungen erhoben. 21 Dabei regelt § 50.33aFragen des Wettbewerbsrechts ("antitrust"), die hier nicht weiter verfolgt werden sollen. aa) Betreiber- und standortbezogene Angaben (§ 50.33) Jeder Antrag muß Angaben zur Person oder Rechtsform des Antragstellers, zur Genehmigungsart, zum geplanten Verwendungszweck der Anlage sowie über den Zeitraum enthalten, für den die Genehmigung beantragt wird. Im Antrag für eine Errichtungs- oder Änderungsgenehmigung muß der genaue Zeitraum genannt werden, in dem die Errichtung oder Änderung ausgeführt werden soll. Anträge auf Betriebsgenehmigung müssen zusätzlich die besonderen Katastrophenschutzpläne der Staaten und Kommunen enthalten, die ganz oder teilweise in den beiden Notfallplanungszonen liegen. Außerdem muß der Antragsteller für eine OL darlegen, daß begründete Gewähr besteht, daß ausreichende Finanzmittel vorhanden sind, die Anlage stillzulegen und zu beseitigen. 22 Dabei sind die nachzuweisenden Summen je nach Reaktortyp und thermischer Leistung unterschiedlich hoch. Als Minimum werden US$ 85,56 Millionen (1986) verlangt, wobei eine laufenden Anpassung an die Entwicklung der Löhne, Energiepreise und des Aufwands für die Beseitigung radioaktiver Abfälle vorgesehen ist. bb) Anlagenbezogene Angaben Je nachdem, ob eine CP oder eine OL beantragt wird, muß der Antragsteller einen vorläufigen bzw. endgültigen Sicherheitsbericht vorlegen ("preliminary/final safety analysis report" -PSARIFSAR). Der Inhalt der Sicherheitsberichte ist durch § 50.34 bis ins Detail vorgegeben. Insbesondere sind Angaben über folgende Bereiche erforderlich: - Beschreibung und Sicherheitsbeurteilung des Standorts an Hand der Kriterien aus 10 C.F.R. Part 100, wobei besonderes Augenmerk denjenigen Eigenschaften des Standorts gilt, die Einfluß auf die technische Auslegung der Anlage haben; - Erläuterung der sicherheitstechnischen Auslegung der Anlage anband der "General Design Criteria" (10 C.F.R. Part 50 App. A); Information über Werkstoffe, allgemeine Anordnung und Abmessungen der Einzelteile; - Bewertung von Auslegung und Leistung der Strukturen, Systeme und Komponenten der Anlage, um das Risiko für Gesundheit und Sicherheit
21 ebenso
Feldmann (1980),204.
22ygl. 10 C.F.R. § 50.75.; in Deutschland soll eine vergleichbare Regelung im Zuge der Novellierung des AtG eingeführt werden, vgl. Hohlefelder, Er 1991,405.
154
B. Genehmigung kemtcchnischer Anlagen in den USA
der Allgemeinheit abzuschätzen, Sicherheitsspannen für den Normalbetrieb und anomale Anlagenzustände ("transient conditioos") zu bestimmen sowie zu entscheiden, ob die Strukturen, Systeme und Komponenten, die Unfälle verhindern oder deren Folgen mildem sollen, ausreichend sind; - Beschreibung des Qualitätssicherungsprogramms für die Auslegung, Fertigung, Errichtung und Prüfung gemäß 10 C.F.R. Part 50 App. B; - Benennung der Strukturen, Systeme und Komponenten, deren Auslegung noch durch Forschungs- und Entwicklungsarbeiten auf Angemessenheit zu überprüfen ist; die entsprechenden Forschungs- und Entwicklungsprogramme sind unter Vorlage eines Zeitplans zu beschreiben. - Technische Spezifikationen der Anlage, insbesondere niemals zu überschreitende Sicherheitsgrenzwerte, ferner Auslösewerte für automatische Sicherheitssysteme und Grenzbedingungen für den Betrieb. 23 Der FSAR, der vor Erteilung der OL einzureichen ist, enthält eine abschließende Beschreibung der Anlage, eine Darlegung der Auslegungsgrundlagen ("design bases") und der Grenzwerte für den Betrieb sowie eine abschließende Sicherheitsanalyse der Strukturen, Systeme und Komponenten und der Anlage als ganzer. Maßgeblich ist der aktuelle Erkenntnisstand, d. h. nach Erstellung des PSAR liegende neue Erkenntnisse sind zu berücksichtigen, einschließlich der Forschungs- und Entwicklungsarbeiten, zu denen sich der Antragsteller im Verfahren um die CP verpflichtet hatte. Nach dem Unfall in Three Mile Island 2 wurden zusätzliche Anforderungen für Anträge auf Betriebsgenehmigungen für Leichtwasserreaktoren aufgestellt. Diese Bestimmungen24 verlangen u. a. eine probabilistische Risikoanalyse mit dem Ziel, wesentliche und praktikable Verbesserungen der Verläßlichkeit der Systeme zur Wärmeabfuhr aus dem Reaktorkern und dem Sicherheitseinschluß zu ermitteln. Außerdem werden zusätzliche Einrichtungen zur Wasserstoftbegrenzung, eine verbesserte Gestaltung und Instrumentierung der Reaktorwarte sowie verbesserte Maßnahmen der Qualitätssicherung gefordert. Vor dem Unfall in Three Mile Island 2 wurde die Gestaltung und Instrumentierung der Reaktorwarte von der NRC nicht als sicherheitsrelevant angesehen; die Betreiber und Hersteller hatten insoweit völlig freie Hand. 25 Dem Antrag auf OL sind außerdem Angaben über Maßnahmen zum Sabotageschutz beizufügen. 2C5 Schließlich muß der Antragsteller die Anlage an Hand des Standard Review Plan (SRP) bewer23yg l. 24 10
10 C.F.R. § 50.36.
C.F.R. § 50.34(f).
25Yg1 U.S. Nuclcar Regulatory Commission (1979), 75 f; U.S. President's Commislion (1979), Findings A.8.,G.8.e. 2C5vg l.
10 C.F.R. § 50.34(d).
ß. Die Genehmigungsvorauuetzungen
ISS
ten. Wenn zwischen den Akzeptanzkriterien ("acceptance criteria") des SRP und der Anlage ein Unterschied besteht, muß dargelegt werden, weshalb die "rules" der NRC, die dem SRP zugrundeliegen, dennoch erfüllt sind. Der SRP enthält Kriterien, die das NRC-Fachpersonal verwendet, um zu prüfen, ob ein Antrag mit den "rules" vereinbar ist. Er ist kein Ersatz für "rules" ; deshalb ist es nicht zwingend geboten, ihn einzuhalten. 27 ce) Pflicht zu wahrheitsgemäßen Angaben § 186 AEA28 verpflichtet die Antragsteller, in den Unterlagen alle wesentlichen Informationen offenzulegen. Wenn der Antrag eine wesentliche falsche Angabe ("material false statement") enthält, kann die Genehmigung widerrufen werden. Wie weit die Informationspflicht der Unternehmen reicht, hat die Commission in einer Grundsatzentscheidung erläutert. 29 Demnach kommt es nicht darauf an, ob der Antragsteller wußte, daß die Angabe unrichtig war. Ob eine Angabe wesentlich ist, richtet sich danach, ob sie einen besonnenen, fachkundigen Mitarbeiter der NRC zu beeinflussen in der Lage ist. Unerheblich ist, ob sich die Behörde tatsächlich auf die Angabe verlassen hat. Schließlich werden auch unvollständige Angaben als "falsch"i. S. v. § 186 AEA angesehen; denn es sei Hauptaufgabe der NRC, Gesundheit und Sicherheit der Allgemeinheit zu schützen; deshalb sei die Formulierung "material false statement" denkbar weit auszulegen.
In der gleichen Entscheidung der Commission ist auch dem Fachpersonal der Behörde aufgetragen worden, dem ASLB, den Parteien und der Öffentlichkeit sofort jede Information mitzuteilen, die wesentliche Auswirkungen auf die Sicherheit haben kann. So eine Mitteilung sollte nach Ansicht der Commission der Auswertung des betreffenden Problems durch das Fachpersonal vorausgehen und unabhängig davon stattfinden, ob die Akte des Verfahrens bereits abgeschlossen ist oder nicht. b) "Endgaltigkeit" der sicherheitsbezogenen Feststellungen Gemäß 10 C.F.R. § 50.35(a) muß die NRC vor Erlaß einer CP die Feststellung treffen, daß begründete Gewähr ("reasonable assurance") besteht, daß offene Sicherheitsprobleme spätestens zum in der CP gesetzten Termin für die Errichtung der Anlage gelöst sein werden und unter Berücksichti-
27vgl. 2842
10 C.F.R. § SO.34(g).
U.S.C.A.§ 2236.
29yirginia Electric and Power Co. (North Anna, Unit& 1 and 2), NRR § 30121 (1976), bestätigt durch Virginia Electric and Power Co. v. NRC 571 F.2d 1289; insoweit der NRC zustimmend Laverty, 35 Adm. L. Rev. 171,180 ff.
156
B. Genehmigung kerntechnischer Anlagen in den USA
gung der Standortkriterien aus 10 C.F.R. Part 100 die geplante Anlage am vorgesehenen Standort ohne übermäßiges Risiko ("without undue risk") für Gesundheit und Sicherheit der Allgemeinheit errichtet und betrieben werden kann. Jede Errichtungsgenehmigung unterliegt nach 10 C.F.R. § 50.35 (c) der Einschränkung, daß die Betriebsgenehmigung erst erteilt wird, wenn der Antragsteller den vollständigen endgültigen Sicherheitsbericht vorgelegt hat und die NRC festgestellt hat, daß die endgültige Auslegung ("final design") der Anlage begründete Gewähr dafür bietet, daß die Gesundheit und Sicherheit der Allgemeinheit durch den Betrieb der Anlage nicht gefährdet wird (" ...will not be endangered"). Demnach ist es nicht erforderlich, vor Erteilung einer Errichtungsgenehmigung und damit vor dem Baubeginn endgültig zu entscheiden, ob die Anlage sicher betrieben werden kann. Vielmehr darf die Errichtung aufgrund einer vorläufigen Beurteilung der Sicherheit genehmigt werden, und es darf darauf vertraut werden, daß bislang ungelöste Sicherheitsprobleme durch gleichzeitig mit der Errichtung durchgeführte Forschungsprogramme gelöst werden. Die endgültige Feststellung, daß begründete Gewähr für die Sicherheit des Betriebs besteht, muß erst im Verfahren um die Betriebsgenehmigung erfolgen. 30 Diese Regelung ist schon 1960 vom Supreme Court für rechtmäßig erklärt worden. 31 Aus dem Wortlaut der §§ 182, 185 AEA ergibt sich nach Meinung des Supreme Court nicht, welche Feststellung hinsichtlich der Sicherheit die Atombehörden vor Erlaß einer Errichtungsgenehmigung treffen müssen. Unter diesen Umständen sah sich das Gericht gezwungen, das in 10 C.F.R. § 50.35 ausgedrückte Verständnis des Gesetzes durch die AEC zu billigen. Für diese Auslegung sprächen nämlich gute Gründe: "Kernreaktoren unterliegen schneller Entwicklung und schnellem Wandel. Was heute dem neuesten Stand entsprechen mag, ist möglicherweise morgen nicht mehr zu akzeptieren. Probleme, die heute unüberwindlich erscheinen, werden womöglich morgen schon gelöst, vielleicht sogar im Lauf der Errichtung selbst. "32 Im übrigen sei diese Auslegung dem "Joint Committee on Atomic Ener~'y"33 (JCAE) seit Jahren bekannt gewesen, ohne daß der Ausschuß eine Anderung verlangt habe.
300er "construction permit" entspricht damit von der Prüfungstiefe her am ehesten einer Konzeptgenehmigung, die nach deutschem Recht unzulässig ist, s. o. S. 139. Das deutsche Recht ist also insofern strenger als das amerikanische, als die Genehmigungsfähigkeit derjenigen Anlagenteile, deren Errichtung die TEG gestattet, aufgrund endgültiger Angaben zuverlässig positiv beurteilt werden muß.
31 8 • Power Reactor Development Co. v. International Union of Electrical, Radio, and Machine Workers, 367 U.S. 396,406 ff. 32so 367 U.S. 408. 33ein 1977 abgeschaffier gemeinsamer Ausschuß mit Vertretern beider Häuser des Kongresses, der die Atombehörden beaufsichtigen sollte, vgl. §§ 201 ff AEA a.F.
ll. Die Genehmigungsvoraussetzungen
157
Mit Billigung des Supreme Court findet also eine detaillierte Prüfung der Anlagensicherheit nicht im Verfahren über die Errichtungsgenehmigung statt, sondern erst vor Erteilung der Betriebsgenehmigung. Zu diesem Zeitpunkt ist die Anlage schon fast vollständig errichtet; deshalb sind Änderungen zur Verbesserung der Sicherheit nunmehr sehr kostspielig. Solche Änderungen werden daher nur bei äußerst gravierenden Sicherheitsbedenken von der NRC verlangt werden. Das Ergebnis der Sicherheitsbeurteilung im Verfahren um die OL steht insoweit unter dem Einfluß der bereits getätigten Investitionen. 34 Die Praxis, vor Erteilung der CP die Sicherheit nur aufgrund vorläufiger Angaben des Antragstellers zu bewerten, ist vom Kongreß allerdings auch nach dem Unfall im Kernkraftwerk Three Mile Island 2 nicht geändert. 3s Hinzu kommt, daß bereits vor Erteilung der CP aufgrund einer "Limited Work Authorization" vorbereitende Bauarbeiten begonnen werden dürfen. Diese "beschränkte Arbeitsgestattung" kann erteilt werden, sobald die Eignung des Standorts und die Umweltauswirkungen Gegenstand der mündlichen Verhandlung waren. Sie erlaubt, die Baustelle und Serviceeinrichtungen anzulegen sowie solche Strukturen, Systeme und Komponenten der Anlage zu errichten, die nicht dazu dienen, Störfälle Q>stulated accidents") zu verhindern oder deren Auswirkungen zu mildem. c) Keine Standardisierung
Die US-Atombehörden haben lange Zeit keine Anstalten unternommen, aktiv auf eine Standardisierung der amerikanischen Kernkraftwerke hinzuwirken. Zwar gibt es seit den siebziger Jahren Bestimmungen über die Sicherheitsbeurteilung standardisierter Anlagenkonzepte. 37 Insbesondere kann die NRC auf Antrag ein Konzept in einem "rulemaking"-Verfahren billigen mit der Folge, daß diese Konzeptbilligung für nachfolgende Genehmigungsverfahren weitgehend bindend ist. 38 Die NRC hat es jedoch der Industrie überlassen zu entscheiden, inwieweit diese Variante genutzt wird. Möglicherweise wurden Bemühungen der Behörde, die Verwendung standardisierter Anlagenkonzepte anzuregen, als unzulässige Eingriffe in den Markt 34vgl. u.s. Nuclear Regulatory Commission (1979), 42 f; U.S. President's Commission (1979), Finding G.6.
3Sunzutreffend Grad (1989), § 6.2.(3)(a), wonach diese Praxis im Jahre 1970 durch Änderung des 42 U.S.C.A. § 2232(b) abgeschaffi sei. 36vg l.
im einzelnen 10 C.F.R. §50.10(e).
37vg l. 10 C.F.R. Part 50 App. M, N, 0; zusätzlich seit 1990 Möglichkeit der ·Standard Design Certification" gemäß 10 C.F.R. Part 52 Subpart B. 38vgl. 10 C.F.R. App. 0 Section 7; ungenau daher Schoenbaum (1988), 91: "NRC rules lIeirher permit nor require a Iicense applicant to offer in the PSAR a "standard" design."
158
B. Genehmigung kemtcchnischer Anlagen in den USA
angesehen. Ergebnis dieser Politik ist, daß die amerikanischen Kernkraftwerke "eine Generation von Prototypen"39 bilden, und daß daher Betriebserfahrungen nicht ohne weiteres von einer Anlage auf eine andere übertragen werden können. 40 Erst im Jahre 1987 hat die NRC ein Policy Statement (Grundsatzerklärung) verabschiedet, das unter Hinweis auf 10 C.F .R. Part 50 App. 0 anregt, standardisierte Kernkraftwerkskonzepte zu verwenden;41 außerdem enthält es Informationen über das Verfahren der Konzeptbilligung ("design approval") gemäß App. o.
d) Einzelne "rules • Im folgenden sollen einige besonders wichtige sicherheitsrelevante "rules " der NRC etwas ausführlicher dargestellt werden. aa) Die "General Design Criteria"
Die "General Design Criteria for Nuclear Power Plants" wurden 1971 erlassen42 und sind seitdem mehrfach geändert und ergänzt. Sie waren Vorbild für "Sicherheitskriterien" des Instituts für Reaktorsicherheit vom 28.05. 1969, die ihrerseits Vorläufer der "Sicherheitskriterien für Kernkraftwerke" von 1974 waren. 43 (1) Funktion
Gemäß 10 C.F.R. § 50.34 muß der Antragsteller die "wichtigsten Auslegungskriterien" ("principal design criteria") der geplanten Anlage im PSAR und FSAR darstellen, d. h. die notwendigen Anforderungen an Planung, Herstellung, Einbau und Leistung der Strukturen, Systeme und Komponenten, die für die Sicherheit wichtig sind. Das sind diejenigen Strukturen, Systeme und Komponenten, die begründete Gewähr bieten, daß die Anlage ohne übermäßiges Risiko für Gesundheit und Sicherheit der Allgemeinheit betrieben werden kann. Für die Hauptauslegungskriterien solcher
39so ausdrücklich U.S. Nuc1ear Regulatory Comrnission (1979), 15. 40diesen Vorteil einer Standardisierung betont besonders Muntzing, 15 ABU (1973174), 26 f; vgl. auch Golay I Todreas, Scientific Arnerican (April 1990),60.
41 vgl. Policy Statement:
Nuclear Power Plant Standardization, 52 F.R. 34884, Sept. 15,1987.
4~6 F.R. 3256, Feb. 20, 1971; kodifIZiert als 10 C.F.R. Part 50 App. A.
43vgl. Berg (1975), 93 f.
11. Die Genehmigungsvoraussetzungen
159
wassergekühlter Kernkraftwerke, deren technische Auslegung und deren Standort Ähnlichkeit mit Anlagen hat, für die die NRC bereits Errichtungsgenehmigungen erteilt hat, stellen die "General Design Criteria" Mindestanforderungen auf. 44 Für andere Kernkraftwerkstypen werden die "General Design Criteria" als in der Regel anwendbar angesehen; sie sollen für diese Anlagen zumindest Orientierung bei der Aufstellung der wichtigsten Auslegungskriterien geben. Die Entwicklung der "General Design Criteria" ist noch nicht abgeschlossen. Manche der konkreten Anforderungen an sicherheitsrelevante Strukturen, Systeme und Komponenten sind noch nicht ausreichend festgelegt. Dieser Umstand befreit die Antragsteller aber nicht von der Pflicht, die entsprechenden Problembereiche bei der Planung einer konkreten Anlage zu berücksichtigen und die nötigen Sicherheitsanforderungen zu erfüllen. Zu diesen noch nicht (abschließend) geregelten Bereichen gehört z. B. die Berücksichtigung der Möglichkeit, daß redundante Elemente systematisch, nicht zufällig, und gleichzeitig versagen, bei der Planung von Schutz- und Reaktivitätssteuerungssystemen. Im Einzelfall kann es geboten sein, von den "General Design Criteria" abzuweichen oder sie zu ergänzen, um ungewöhnlichen Standort- und Umweltbedingungen oder dem fortschrittlichen Konzept eines Kernkraftwerks Rechnung zu tragen. 4S (2) Inhalt Die "General Design Criteria" enthalten Schutzziele, die von den einzelnen Strukturen, Systemen und Komponenten, die für die Sicherheit wichtig sind, erfüllt sein müssen. Nur dann, wenn eine Einrichtung als für die Sicherheit von Bedeutung angesehen wird, unterliegt ihre Planung, Fertigung, Einbau und Funktionsprüfung einem Qualitätsstandard, und wird ihre Funktion bei der Analyse von S1Örfallereignissen berücksichtigt. 46 Das elektrisch betriebene Sicherheitsventil (Power Operated Relief Valve - PORV), das sich beim Unfall in Three Mile Island 2 nicht wieder geschlossen hatte, galt als nicht sicherheitsrelevant, weil es durch ein Absperrventil vom Primärsystem isoliert werden konnte; und das Absperrventil wurde nicht als sicherheitsrelevant angesehen, weil das PORV mit ihm in Reihe angebracht war. Deshalb war die Möglichkeit, daß das PORV offen stehen bleibt, nicht einkalkuliert worden. 47 44zur Funktion der "General Design Criteria" vgl. 10 C.F.R. Part 50 App. A, introduction; vgl. zur - identischen - Funktion der deutschen "Sichemeitskriterien" o. S. 45 ff.
4Svgl.
die Introduction a. E.
46ygl. 10 C.F.R. Part 50 App.A, Criterion One; s. a. Feldmann (1980),206 f. 47vgI. U.S. Nuclear Regulatory Commission (1979),65; U.S. President's Commission (1979), Finding G.8.b.;vgI. a. Note, 7 CoI. J. Env. L., 69 ff; nunmehr verlangt 10 C.F.R. § 50.34(f)(1) (iv), (2)(x), daß dieser Ereignisablauf im Sichemeitsbericht behandelt wird.
160
B. Genehmigung kemtechnischer Anlagen in den USA
Allgemein ist die in den "General Design Criteria" angelegte, strikte Zweiteilung zwischen sicherheitserheblichen und nicht sicherheitserheblichen Systemen ("safety/non-safety systems") nach dem Unfall in Three Mile Island 2 teilweise durchbrochen worden. 48 Nunmehr hält die NRC eine begrenzte Hochstufung ("Iimited upgrading") der vorher als nicht sicherheitserheblich eingestuften Systeme für erforderlich. Diejenigen "non-safety systems", die direkt oder indirekt die Reaktivität sowie Temperatur, Druck und Durchsatz des Reaktorkühlmittels beeinflussen können, brauchen demnach grundsätzlich nicht so weit hochgestuft zu werden, daß sie die für "safety systems" geltenden Kriterien erfüllen. Dies ist nur nötig, wenn der Ausfall oder die Fehlfunktion eines dieser "non-safety systems" für sich allein, ohne Versagen eines "safety systems", eine Verschlechterung des Reaktorkerns ("core degradation") verursachen würde. Im übrigen sollen begrenzte Verbesserungen an "non-safety systems" dann durchgeführt werden, wenn dadurch die Anforderungsrate für" safety systems" wesentlich reduziert würde; diese begrenzten Verbesserungen müssen nicht unbedingt zu einem vollen "safety system" führen. Außerdem haben die Fachabteilungen der NRC eine langfristige Untersuchung von Systeminteraktionen eingeleitet. Die Schutzziele in den "General Design Criteria" sind in unbestimmte Formulierungen gefaßt. Criterion 10 z. B. fordert, daß "der Reaktorkern und zugehörige Kühl-, Steuerungs-und Schutzsysteme mit ausreichendem Sicherheitszuschlag konstruiert werden, um sicherzustellen, daß spezifizierte akzeptable Grenzwerte für den Reaktorkern unter keinen Bedingungen des Normalbetriebs, einschließlich der Auswirkungen antizipierter Betriebsereignisse ("anticipated operational occurences"), überschritten werden." Als "anticipated operational occurrences"sind definiert diejenigen Zustände des Normalbetriebs, mit deren ein- oder mehrmaligem Auftreten während der Lebensdauer der Anlage zu rechnen ist; dazu gehören u. a. Stromausfall bei allen Umwälzpumpen, Turbinenschnellschluß und der vollständige Ausfall der Stromversorgung aus dem öffentlichen Versorgungsnetz. Insgesamt sind 64 Kriterien zu den Bereichen Allgemeine Anforderungen, Schutz durch mehrfache Spaltproduktbarrieren, Schutz- und Reaktivitätssteuerungssysteme , Flüssigkeitssysteme , Sicherheitseinschluß , sowie Umgang mit Brennstoff und Radioaktivitätsüberwachung ergangen. Für die Auslegung von in den "General Design Criteria" genau benannten sicherheitsrelevanten Strukturen, Systeme und Komponenten sind die Prinzipien der Redundanz, Diversität, Entmaschung und räumlichen Trennung sowie des fail-safe-Verhaltens anzuwenden. 49 Soweit in den "General Design Criteria" ausdrücklich angeordnet, sind sicherheitsrelevante Systeme gegen
""gI. Metropolitan Edison (Three Mile Island, Unit 1), 14 NRC 1211,1343 ff, 1348 (1981); Metropolitan Edison (Three Mile Island, Unit 1), NRR § 30790 (1983). 49zur
deutschen Praxis Kriterium 1.1.2.der "Sicherheitskriterien" , s. o. S. 46 f.
ß. Die Genehmigungsvoraussetzungen
161
einen Einzelfehler ("single failure") auszulegen. Als Einzelfehler ist in den "General Design Criteria" ein Ereignis definiert, als dessen Folge eine Komponente die Fähigkeit verliert, ihre vorgesehene Sicherheitsfunktion zu erfüllen. Mehrfache Ausfälle, die Folge eines einzelnen Ereignisses sind, gelten dabei als Einzelfehler. Flüssigkeits- und elektrische Systeme gelten als gegen einen Einzelfehler ausgelegt, wenn weder ein Einzelfehler einer aktiven Komponente (unter der Annahme, daß passive Komponenten ordnungsgemäß funktionieren), noch ein Einzelfehler einer passiven Komponente (angenommen, aktive Komponenten funktionieren ordnungsgemäß) dazu führt, daß das System seine Sicherheitsfunktion nicht erfüllen kann. Das Einzelfehlerkriterium ist anzuwenden gemäß - Criterion 17 für die Notstromversorgung; - Criteria 21,24,25 für das Reaktorschutzsystem; - Criterion 34 für das Nachkühlsystem; - Criterion 35 für das Notkühlsystem; - Criterion 36 für die Wärmeabfuhr aus dem Sicherheitseinschluß; - Criterion 41 für Systeme zur Reinigung der Sicherheitsbehälteratmosphäre; - Criterion 44 für den Kühlwasserkreislauf. Hinsichtlich des Reaktorschutzsystems wird das Einzelfehlerkriterium ergänzt durch ein "Stillegungskriterium", wonach die Stillegung einer beliebigen einzelnen Komponente des Reaktorschutzsystems (Criterion 21) oder einer beliebigen Komponente, die dem Schutz- und Steuerungssystem gemeinsam ist (Criterion 24), nicht zum Verlust der geforderten minimalen Redundanz führen darf. Ereignisse, die über die Tragweite des Einzelfehler- und des Stillegungskriteriums hinausgehen, werden bei der Störfallanalyse nicht berücksichtigt. so (3) Auslegung gegen Störfälle und Naturereignisse Die NRC unterscheidet zwischen "design basis accidents" oder "postulated accidents", gegen die eine kemtechnische Anlage auszulegen ist, und "incredible accidents", gegen die keine Auslegung gefordert wird. Nach deutschem Sprachgebrauch entsprechen die "design basis accidents" oder "postulated accidents" den "Störfällen " .51
SOebenso Feldmann (1980), 209; kritisch zu dieser Begrenzung der Störfallanalysen U.S. President's Comrnission, Finding G.8.a. Zum Anwendungsbereich des Einzelfehler- und des Reparaturkriteriums in Deutschland s. o. s. 47. Si so
auch Feldmann (1980),205 und dort Fn.6.
11 Heitsch
162
B. Genehmigung kemtechnischer Anlagen in den USA
Gemäß 10 C.F.R. § 50.46 muß jeder Druckwasser- und Siedewasserreaktor mit einem Notkühlsystem ("emergency core cooling system" -ECCS) versehen sein. Das ECCS ist so auszulegen, daß bei Kühlmittelverluststörfällen ("postulated loss-of-coolant accidents") die in 10 C.F.R. § 50.46 (b) festgelegten Grenzwerte für den Reaktorkern nicht überschritten werden. Das Spektrum der zu berücksichtigenden Ereignisse reicht dabei bis zum doppelendigen Abriß der größten Leitung im Reaktorkühlsytem. Die Leistungsfähigkeit des ECCS ist mittels Rechenmodellen nachzuweisen, die in 10 C.F.R. Part 50 App. K "ECCS Evaluation Models" näher beschrieben sind. Die Berechnungen sind nach 10 C.F.R. § 50. 46(a)(I)(i) für eine Auswahl von Kühlmittelverluststörfällen unterschiedlicher Größe, Lage und Beschaffenheit durchzuführen, so daß Gewähr besteht, daß die schwerstwiegenden Kühlmittelverluststörfälle berücksichtigt sind. Neben den Kühlmittelverluststörfällen rechnen die "General Design Criteria" noch folgende Ereignisse zu den Auslegungsstörfällen: unkontrolliertes Ausfahren bzw. Auswurf eines Steuerelements, Dampfleitungsabriß, Kühlmitteltemperatur- und -drucktransienten sowie Kaltwassereinspeisung. 52 Außer gegen anlageninterne Störfälle sind Kernkraftwerke auch gegen Naturerscheinungen auszulegen. Strukturen, Systeme und Komponenten, die für die Sicherheit wichtig sind, müssen so geplant werden, daß sie den Auswirkungen von Erdbeben, Tornados, Hurricanes, Hochwasser, Tsunamis usw. standhalten können, ohne die Fähigkeit zu verlieren, ihre Sicherheitsfunktion zu erfüllen. Bei der Auslegung sind die schwerstwiegenden Naturerscheinungen angemessen zu berücksichtigen, die für den Standort und seine Umgebung historisch überliefert sind; außerdem sind in ausreichendem Umfang Kombinationen von normalen und unfallbedingten Anlagenzuständen ("normal and accident conditions") mit den Auswirkungen von Naturerscheinungen in die Betrachtung einzubeziehen; ferner ist die Bedeutung der von den einzelnen Einrichtungen zu erfüllenden Sicherheitsfunktionen zu beachten. 53 bb) Qualitätssicherung Fragen der Qualitätssicherung sind in den Genehmigungsverfahren von großer praktischer Bedeutung. Gemäß 10 C.F.R. § 50.34muß der Sicherheitsbericht eine Beschreibung des Qualitätssicherungsprogramms enthal-
5'vgl. Criterion
28 a.E.: "postulated reactivity accidents".
53zur Auslegung gegen Naturerscheinungen vgl. 10 C.F.R. Part 50 App. A, Criterion 2; zur deutschen Praxis s. o. S. 82 f, 83 ff.
11. Die Genehmigungsvoraussctzungen
163
ten. Vorgaben hierfür sind in 10 C.F.R. Part 50 App. B niedergelegt. Diese Anforderungen beziehen sich nur auf diejenigen Strukturen, Systeme und Komponenten eines Kernkraftwerks oder einer Wiederaufarbeitungsanlage, die Störfälle ("postulated accidents"), die ein übermäßiges Risiko für Gesundheit und Sicherheit der Allgemeinheit verursachen können, verhindern oder deren Folgen mildem sollen. Dazu gehören die Einrichtungen, die nötig sind, um - die Unversehrtheit der druckführenden Umschließung zu gewährleisten; - die Anlage abzuschalten und sicher in abgeschaltetem Zustand zu halten; - Folgen von Störfällen zu verhindern, die außerhalb des Standorts zu radioaktiven Belastungen vergleichbar den Orientierungswerten aus 10 C.F .R. Part 10054 führen könnten. Keineswegs jedoch soll App. B auf sämtliche Strukturen, Systeme und Komponenten anwendbar sein, die irgendeine Sicherheitsfunktion erfüllen. ss Die Qualitätssicherung soll damit - ähnlich wie nach der deutschen Praxisgewährleisten, daß besonders wichtige "Basisaufgaben der Sicherheit erfüllt werden. 56 Die Anforderungen an die Qualitätssicherung sind bei allen Tätigkeiten zu beachten, die die sicherheitsbezogene Funktion der genannten Strukturen, Systeme oder Komponenten berühren. Dazu gehören Planung, Erwerb, Herstellung, Bearbeitung, Transport, Lagerung, Reinigung, Montage, Einbau, Prüfung, Funktionskontrolle, Betrieb, Wartung, Instandsetzung und Änderung. s7 Unübersehbar ist das Bemühen der NRC, eine umfassende Qualitätssicherung zu gewährleisten. Im Anschluß an die Introduction fordert App. B in 18 Abschnitten weitreichende Maßnahmen der Qualitätssicherung, die zum frühestmöglichen Zeitpunkt in einem Qualitätssicherungsprogramm vorzubereiten sind. Insbesondere muß der Antragsteller dafür sorgen, daß die anwendbaren Vorschriften korrekt in Spezifikationen, Entwürfe, Verfahren und Anweisungen umgesetzt werden. Die Durchführung der Qualitätssicherungsmaßnahmen ist durch Inspektionen und Prüfungen zu überwachen und in Qualitätssicherungsprotokollen nachzuweisen. Der Antragsteller muß außerdem gewährleisten, daß das mit Aufgaben der Qualitätssicherung betraute Personal über ausreichende Befugnisse und Organisationsfreiheit verfügt, um Schwierigkeiten bei der Qualitätssicherung zu beheben. Dies Personal muß ferner direkten Zugang zu ausreichend hohen Ebenen der Unternehmenshierarchie haben, so daß ggf.
~5 rern Ganzkörperdosis und 300 rern Schilddriiscndosis durch Iod; vgl 10 C.F.R. § 100. 11 (a). SSvg!. Public Service Co. of New Hampshire (Seabrook, Unit& 1 and 2), NRR § 31032
(1987).
56zur Qualität&sicherung als Bestandteil der deutschen "Sicherheit&philosophie" s. o. S. 46. S7vg!. die Introduction des App. B.
164
B. Genehmigung kemtechnischer Anlagen in den USA
der Vorrang der Qualitätsgewähr vor finanziellen Erwägungen und vor der Einhaltung des Zeitplans für die einzelnen Arbeiten durchgesetzt werden kann. Auch wenn der Antragsteller Aufgaben der Qualitätsgewähr an beauftragte Unternehmen delegiert, behält er selbst die Verantwortung für Aufstellung und Umsetzung des gesamten Programms. ce) Strahlenschutz Der AEA ermächtigt die NRC nicht ausdrücklich, Strahlenschutzstandards in "rules" aufzustellen. Allerdings ist von den Gerichten anerkannt, daß diese Aufgabe zwar keine gesetzliche Pflicht der NRC ist, es aber auch ohne ausdrückliche Ermächtigung ihrer Einschätzung überlassen ist, solche Standards vorzuschreiben. 58 (1) Grenzwerte In 10 C.F.R. Part 20 hat die NRC Dosisgrenzwerte sowie Grenzwerte für die Konzentrationen radioaktiver Stoffe in Abluft und Abwasser kerntechnischer Anlagen aufgestellt.
Der Antragsteller muß in seinem Sicherheitsbericht gemäß 10 C.F.R. § 20.105 (a) Grenzwerte für Aktivitätsniveaus in "unrestricted areas"59 vorschlagen. Wenn er nachweist, daß diese Werte wahrscheinlich für keine Person zu einer Ganzkörperdosis führen, die über 0,5 remJa liegt, wird die NRC die Grenzwerte genehmigen. Außerdem darf der Umgang mit radioaktiven Stoffen nicht zu Aktivitätsniveaus in "unrestricted areas" führen, die zur Folge haben könnten, daß - eine Person, die sich dauernd in dem "unrestricted area" aufhält, eine Dosis von mehr als 2 mremJh erhält; und - eine Person, die sich dauernd in dem Gebiet aufhält, eine Dosis von mehr als 100 mrem innerhalb von 7 aufeinanderfolgenden Tagen erhält. /iO Die Konzentrationen radioaktiver Stoffe in Abluft und Abwasser dürfen gemäß 10 C.F.R. § 20.106(a) die in Part 20 App. B Table 11 stehenden Grenzwerte nicht überschreiten. Diese Tabelle enthält Abgabewerte für einzelne Radionuklide in Mikrocurie/ml Abluft oder Abwasser. Bei An58vgl. Blaber v. U.S., 212 F.Supp. 95,98: die NRC sei gemäß 42 U.S.C.A. § 2201 allgemein ennächtigt, diejenigen Standards zu erlassen, die sie rur nötig erachte, um die Gesundheit zu achützen und Gefahren rur Leben und Eigentum zu minimieren.
S9das sind Bereiche, in denen der Antragsteller keine Zugangskontrollen zum Zweck des Strahlenschutzes durchtührt, 10 C.F.R. § 20.3(a)(7). /iOvgl.
10 C.F.R. § 20.105(b).
n.
Die GenehmigungsvorauS8etzungen
165
wendung dieser Werte ist ein Durchschnitt der Konzentration für einen Zeitraum von nicht mehr als einem Jahr zu bilden. 61 Die NRC kann auf Antrag höhere Konzentrationen genehmigen. Dazu muß der Antragsteller nachweisen, daß er zumutbare Anstrengungen ("reasonable effort") unternommen hat, um die Radioaktivität in Abluft und Abgas zu minimieren und daß die höheren Abgabewerte wahrscheinlich nicht dazu führen, daß eine Person Aktivitätskonzentrationen ausgesetzt wird, die über den Grenzwerten aus 10 C.F.R. Part 20 App. B. Table 11 liegen. Der Dosisgrenzwert von 500 mremla ist gerichtlich bestätigt. 62 Er stimme überein mit den von internationalep (ICRP und lAEA) und nationalen (NCRP, FRC) Fachgremien ausgesprochenen Empfehlungen. Seine Grundlage sei die konservative Annahme einer linearen Dosis-Wirkungsbeziehung im Bereich niedriger und sehr niedriger Strahlendosen. Ferner gebe es neuere wissenschaftliche Erkenntnisse, die auf die Existenz eines Schwellenwerts der Dosis oder Dosisleistung hindeuteten, unterhalb dem der Reparaturmechanismus lebender Zellen eventueller Schäden Herr werde. Die Anhaltspunkte für diese Theorie seien bei der Verabschiedung der Strahlenschutzstandards nicht mehr berücksichtigt worden. Deshalb seien die Standards hinreichend vorsichtig. Im übrigen hätten die Kläger keine Anhaltspunkte für einen Kausalzusammenhang zwischen derart niedrigen Strahlendosen und genetischen Schäden vorgebracht. (2) Der ALARA- Grundsatz Die Menge der radioaktiven Stoffe, die über Abgas und Abwasser an die Umgebung abgegeben werden, ist nach 10 C.F.R. § 50.34ai.V.m.§ 50.45 so niedrig wie vernÜDftigerweise erreichbar ("as low as reasonably achievable" - "ALARA") zu halten. Bei der Beurteilung, ob dieses Gebot eingehalten wird, spielt eine Rolle der Stand der Technik ("state of technology") sowie die Wirtschaftlichkeit von technischen Verbesserungen im Verhältnis zu ihren Vorteilen für Gesundheit und Sicherheit der Allgemeinheit und zur im Allgemeininteresse stehenden Nutzung der Atomenergie. Damit das ALARA-Gebot eingehalten wird, hat jede Betriebsgenehmigung technische Spezifikationen über Betriebsabläufe und Einrichtungen zur Begrenzung der Abgabe radioaktiver Stoffe zu enthalten. 63 Das ALARA-Gebot gilt beim Normalbetrieb einschließlich "anticipated operational occurrences". In 10 C.F .R. Part 50 App. I sind numerische Richtwerte zusammengestellt, bei deren Einhaltung angenommen wird, das ALARA-Gebot sei erfüllt. Neben um mehrere Größenordnungen unter den Grenzwerten aus 10 C.F.R. § 20. 61 ygl.
10 C.F.R. § 20.106(b).
62erowther 63ygl.
Y.
Seaborg, 312 F.Supp. 1205,1231 ff.
10 C.F.R. § 50.36•.
B. Genehmigung kemtechnischer Anlagen in den USA
166
105 liegenden Richtwerten für Strahlendosen und Vorgaben für die Berechnungsverfahren enthält App. I Richtlinien zur angemessenen Reduzierung der Kollektivbelastung für die im Umkreis von 50 mi um die Anlage wohnende Bevölkerung. Außerdem muß der Betreiber gemäß App. I Abhilfemaßnahmen planen und einleiten, wenn die tatsächlichen Abgaben innerhalb eines Kalendervierteljahres so hoch sind, daß die daraus resultierenden Strahlendosen mehr als die Hälfte der Richtwerte erreichen. Über die Einhaltung des ALARA-Gebots durch eine geplante Anlage wird in Genehmigungsverfahren vielfach streitig verhandelt. 64 Für den Strahlenschutz hat damit das ALARA-Prinzip größere praktische Bedeutung als die Dosisgrenzwerte aus 10 C.F.R. § 20.105. (3) Richtwerte für "postulated accidents" Anhaltspunkte für die Begrenzung der Strahlenbelastung bei "postulated accidents" sind die Werte aus 10 C.F.R. § 100.11 (a)(2). Demnach muß ein Kernkraftwerk so ausgelegt werden, daß bei einer postulierten hypothetischen massiven Freisetzung von Spaltprodukten Personen an der äußersten Grenze einer "Zone geringer Bevölkerung" ("lowpopulation zone") um den Reaktor nicht mehr als 25 rem Ganzkörperdosis und 300 rem Schilddrusendosis durch Jod erhalten.6!i Als Ursache der postulierten Freisetzung von Spaltprodukten ist dabei ein sehr schwerer Unfall anzunehmen, dessen Gefahrenpotential nicht von demjenigen eines der noch als denkbar ("credible") anzusehenden Unfälle überschritten werden sollte. 66 Da die Richtwerte an einen hypothetischen Unfall ("hypothetical accident") anknüpfen67 , sind sie keine akzeptablen "Störfallplanungsdosen ". Sie dienen nur als Ausgangspunkte für die Berechnungen im Zusammenhang mit der Standortwahl. dd) Standortwahl Neben den technischen Sicherheitsvorkehrungen (engineered safeguards) ist die Standortwahl die zweite Säule des amerikanischen Sicherheitskonzepts. Die Standortkriterien für Kernkraftwerke finden sich in 10 C.F.R. 64S• Z. B. Tennessee Valley Authority (Hartaville, Units lA, IB, 2A, and 2B), NRR § 30278 (1978); Public Service Co. of Oklahoma (Black Fox, Units 1 and 2), NRR § 30525 (1980). Zur Rechtslage in Deutschland - sehr viel niedrigere Dosisgrenzwerte, keine drittschützende Wirkung des Strahlenminimierungsgebots - s. o. S. 37 ff. sowie S. 73 ff.
6!ivgl. Southem California Edison (San Onofre, Units 2 and 3),8 ABC 957,961 (1974); s. auch Feldmann (1980) 213. 66vgl.lO
61vgl.
C.F.R. § lOO.ll,footnote 1.
die Erläuterung von 10 C.F.R. Part 100,40 F.R. 26526 (lune 24,1975).
ß. Die Genehmigungsvoraussctzungen
167
Part 100. Sie sind als flexible vorläufige Richtlinie ("interim guide") gedacht, die eine Reihe von nach Ansicht der NRC bei der Bewertung von Standorten für Kernkraftwerke relevanten Umständen nennt. Angesichts der begrenzten Erfahrung ist es nach Meinung der NRC bislang nicht möglich, detaillierte Maßstäbe aufzustellen, die eine quantitative Beziehung aller für die Standortwahl wesentlichen Gesichtspunkte festlegen. 68 (1) Faktoren der Standortbewertung69
Bei der Untersuchung, ob ein Standort für ein Kernkraftwerk geeignet ist, wird das vorgesehene Reaktorkonzept immer im Zusammenhang mit den Merkmalen des geplanten Standorts betrachtet. ~ Dabei ist das Kernkraftwerk so zu entwerfen, zu errichten und zu betreiben, daß die Wahrscheinlichkeit von Unfällen mit massiven Freisetzungen von Spaltprodukten extrem gering ist. Zusätzlich muß der Standort in Verbindung mit den technischen Vorkehrungen zum Schutz vor den Auswirkungen eines denkbaren Unfalls gewährleisten, daß das Risiko einer Strahlenbelastung für die Allgemeinheit gering ist. Dementsprechend berücksichtigt die NRC bei der Standortbewertung insbesondere folgende Gesichtspunkte: 11 - Merkmale des Kraftwerkskonzepts, v. a) den vorgesehenen Verwendungszweck, die Maximalleistung und das radioaktive Inventar; - inwieweit anerkannte Regeln der Technik beim Entwurf für das Kernkraftwerk angewandt werden; - inwieweit das Kernkraftwerk einzigartige oder ungewöhnliche Merkmale aufweist, die einen wesentlichen Bezug zur Wahrscheinlichkeit oder den Auswirkungen einer unfallbedingten Freisetzung radioaktiver Stoffe haben; - die technischen Sicherheitsvorkehrungen der Anlage und die Barrieren, die bei einem Unfall durchbrochen werden müssen, bevor radioaktive Stoffe in die Umwelt freigesetzt werden können; - die Bevölkerungsdichte und die in der Umgebung üblichen Nutzungsarten von Grund und Boden;
68ygl. 10 C.F.R. § lOO.I(b). 69Ge mäß 10 C.F.R. Part 52 Subpart A kann die NRC auf Antrag die Eignung eines Standorts nunmehr vor Einleitung eines Genehmigungsverfahrens bestätigen. Diescr "Early Site Permit" gibt seinem Inhaber unter bestimmten Voraussctzungen das Recht, bereits zu einem frühen Zeitpunkt mit vorbereitenden Arbeiten am Standort zu beginnen. Die im "Early Site Permit" getroffenen Feststellungen sind für das weitere Verfahren grundsätzlich bindend.
~gl. 10 C.F.R. § lOO.IO;Schoenbaum (1988),91. 11 s.
10 C.F.R. § lOO.lO(a)-(c); zu § 7 ß Nr. 6 AtG s. o. S. 90 ff.
168
B. Genehmigung kemtechnischer Anlagen in den USA
- geologische und seismische Verhältnisse in der Umgebung des Standorts; - meteorologische Verhältnisse am Standort und in der Umgebung; - geologische Wld hydrologische Merkmale des Standorts; besondere Vorsicht ist geboten, wenn bei einem Unfall radioaktive Stoffe leicht in nahegelegen Wasserläufe oder in Grundwasserstockwerke gelangen können. Die Vorschriften über die Standortbewertung sehen ausdrücklich vor, daß der Antragsteller ungünstige Eigenschaften des Standorts durch ausreichende technische Sicherheitsvorkehrungen ausgleicht. 72 10 C.F.R. Part 100 App. A beschreibt, welche Untersuchungen zur Sammlung der für die Beurteilung des Standortes erforderlichen geologischen und seismologischen Daten notwendig sind. Danach ist ein "Operating Basis Earthquake" zu ermitteln, mit dem aufgrund der Merkmale des Standorts und seiner Umgebung vernÜDftigerweise während der Lebensdauer der Anlage zu rechnen ist; gegen die dabei zu erwartenden Belastungen sind diejenigen Teile der Anlage auszulegen, die nötig sind, damit der Betrieb ohne übermäßiges Risiko für Gesundheit und Sicherheit der Allgemeinheit fortgesetzt werden kann. Außerdem ist das "Safe Shutdown Earthquake" zu bestimmen aufgrund einer Bewertung des maximalen Erdbebenpotentials in der Umgebung des Standorts. Gegen das "Safe Shutdown Earthquake" sind alle Strukturen, Systeme und Komponenten auszulegen, die nötig sind zur Gewährleistung - der Unversehrtheit der druck führenden Umschließung; - der Fähigkeit, die Anlage abzuschalten und sicher in abgeschaltetem Zustand zu halten; sowie - der Fähigkeit, die Folgen von Untällen zu verhindern oder zu mildem, die außerhalb des Standorts zu Strahlenbelastungen vergleichbar den Richtwerten aus 10 C.F.R. Part 100 führen können. Ferner muß untersucht werden, inwieweit das Kernkraftwerk gegen die Auswirkungen von Oberflächenverwerfungen ausgelegt werden muß. Über all diese Gesichtspunkte der Standortbewertung kann im förmlichen Genehmigungsverfahren streitig verhandelt werden und die Feststellungen der NRC darüber unterliegen gerichtlicher Nachprüfung. 73
"l2vgl. 10 C.F.R. § l00.10(d). 73vgl. z. B. Carste1l8 v. NRC, 742 F.2d 1546, 1555 f, wo das Gericht die Bestimmung des ·Safe Shutdown Earthquake für das Kernkraftwerk San Onofre kontrolliert. § 7 n Nr. 6 AtG hat dagegen keine drittschützende Wirkung mit der Folge, daß das Gericht auf Klage eines Drittbetroffenen hin die Anwendung dieser Vorschrift nicht prüft, vgl. o. S. 92.
11. Die Genehmigungsvorausaetzungen
169
(2) Insbesondere: die Bevölkerungssituation Nähere Angaben darüber, wie die Bevölkerungssituation in die Standortbewertung einfließt, enthält 10 C.F.R. § 100. l1.Füc jedes Kernkraftwerk muß demnach ein "Exclusion Area", eine "Low Population Zone" und eine "Population Center Distance" ermittelt werden. "Exclusion Area" ist das Gebiet, das das Kraftwerk unmittelbar umgibt. Der Betreiber hat die Befugnis, über alle dort ausgeübten Tätigkeiten zu bestimmen, einschließlich des Ausschlusses und der Entfernung von Personen und Sachgütern. Verkehrswege dürfen durch dieses Gebiet führen. Normalerweise hat es unbesiedelt zu sein; jedenfalls unterliegen etwaige Bewohner sofortiger Evakuierung bei einem Notfall. Tätigkeiten, die nicht mit dem Betrieb der Anlage zusammenhängen, können ausnahmsweise gestattet werden. 74 Die "Low Population Zone" umschließt die "Exclusion Area" unmittelbar. Aufgrund der Anzahl der Bewohner und der Besiedlungsdichte in diesem Gebiet muß eine hinreichende Wahrscheinlichkeit bestehen, daß bei einem schweren Unfall ausreichende Maßnahmen zum Schutz der dort lebenden Bevölkerung getroffen werden können. Welche Bevölkerungsdichte und Gesamtzahl der Bewohner zulässig ist, hängt vom Einzelfall ab. Unter "Population Center Distance" wird die Entfernung von der Anlage zur nächtstgelegenen Grenze eines dicht besiedelten Zentrums mit mehr als etwa 25000 Einwohnern verstanden. Dabei kommt es nicht auf politische Gemeindegrenzen an, sondern auf den tatsächlichen Rand der dichten Besiedelung. "Population Center" kann auch ein Badestrand sein, an dem sich im Sommer vorübergehend bis zu 37000 Badegäste aufhalten. 7s Bei einer Siedlung ist die Einwohnerzahl maßgeblich, die für den Zeitpunkt, in dem die Anlage in Betrieb gehen soll, zu erwarten ist. 76 Ausgangspunkt für die Bestimmung von "ExclusionArea" und "LowPopulation Zone" ist gemäß 10 C.F.R. § 100.11 ein hypothetischer Kernschmelzunfall mit nachfolgender massiver Freisetzung von Spaltprodukten. Die Folgen dieses hypothetischen Unfalls müssen diejenigen aller noch als denkbar anzusehenden Unfälle abdecken. Die "Exclusion Area" muß so groß sein, daß eine Person, die sich an der Außengrenze dieses Bereichs für zwei Stunden unmittelbar nach Beginn der angenommenen Freisetzung aufhält, eine Ganzkörperdosis von nicht mehr als 25 rem und eine SchilddfÜsendosis von nicht mehr als 300 rem durch Jod erhalten würde. Die "Low Population Zone" ist so zu bemessen, daß eine Person, die sich an
74segriffserläuterungen in 10 C.F.R. § l00.3(a)-(c). 7Svg l.
New England Coalition v. NRC, 582 F.2d 87,91 f.
76vgl. Southem California Edison Co. (San Onofre, Unita 2 and 3),8 ABC 957,960 (1974).
B. Genehmigung kemtechnischer Anlagen in den USA
170
der äußeren Grenze der Zone aufhält und der durch den angenommenen Unfall verursachten radioaktiven Wolke während der gesamten Dauer ihres Durchzugs ausgesetzt ist, keine Strahlendosen oberhalb der genannten Werte erhält. Zusätzlich muß aufgrund der örtlichen Verhältnisse innerhalb der Zone gewährleistet sein, daß ihre Bewohner durch Evakuierung oder andere Maßnahmen vor hohen Strahlendosen geschützt werden können. T7 Die "Population Center Distance" muß mindestens 4/3 mal so groß sein wie die Entfernung von der Anlage zum äußeren Rand der "Low Population Zone". Wenn das "Population Center" eine sehr große Stadt ist, kann eine größere Entfernung zur Reduzierung der Kollektivdosis notwendig sein. Die "Population Center Distance" soll sicherstellen, daß die Strahlenbelastung größerer Gruppen der Bevölkerung bei dem angenommenen Unfall auch ohne Schutzmaßnahmen unterhalb der Vergleichswerte liegt. Dabei wird angenommen, daß sich während der gesamten Dauer der Freisetzung der Wind nicht dreht. Wenn sich die Windrichtung aber dennoch ändern sollte, wäre jeder einzelne Ort in der Umgebung des Standorts nur einem Teil der freiwerdenden Radioaktivität ausgesetzt; dort lebende Personen erhielten daher auf jeden Fall unterhalb der Werte liegende Strahlendosen. Deshalb ist es nicht erforderlich, drei im Halbkreis um den für ein Kernkraftwerk vorgesehenen Standort gelegene Ortschaften mit zusammen mehr als 25000 Einwohnern als ein einziges "Population Center" zu betrachten. 78 In der Praxis wird als erstes ermittelt, welche Ortschaft das vom vorgesehenen Standort aus nächstgelegene "Population Center" ist und wie groß die Entfernung von dort zum geplanten Standort ist. Die Außengrenze der "Low Population Zone", an der die Vergleichswerte eingehalten werden müssen, darf nicht weiter als 3/4 mal so weit von der Anlage entfernt liegen. 79 Welche technischen Sicherheitsvorkehrungen der Antragsteller einbauen muß, hängt davon ab, in wie geringer Entfernung von der Anlage die Vergleichswerte aus 10 C.F.R. §100. 11 erreicht werden müssen. So ergibt sich ein unmittelbarer Zusammenhang zwischen der "Population Center Distance" und den nötigen technischen Vorkehrungen. Berechnungsverfahren und Beispiele zur Bestimmung der "Exclusion Area", "Low Population Zone" und der "Population Center Distance" sind im Technical Information Document 14844 zusammengestellt, das beim Public Document Room der NRC bezogen werden kann. Die dort vorgeführten Berechnungen ergeben Werte, die die gegenwärtige Praxis der NRC bei der Standortbeurteilung widerspiegeln. Sie können als AusgangsT7vgl.
New England Power Co. (NEP, Units land 2), NRR § 30173 (1977).
78vg l.
New England Coalition v. NRC, 582 F.2d 87, 91 f.
79vg l. Southem
California Edison Co. (San Onofre, Units 2 and 3),8 ABC 957,960 (1974).
11. Die Genehmigungsvonussctzungen
171
punkt für die Standortbeurteilungen für eine konkrete Anlage benutzt werden. so ee) Sabotageschutz Gemäß 10 C.F.R § SO.34(c) muß jeder Antrag auf Betriebsgenehmigung für eine kerntechnische Anlage einen "physical security plan" enthalten. Darin hat der Antragsteller insbesondere darzulegen, wie er die Bestimmungen über den Sabotageschutz aus 10 C.F.R. Part 73 zu erfüllen beabsichtigt. (1) Auslegungsbedrohung Kernkraftwerke sind gegen radiologische Sabotage ("radiological sabotage") zu schützen. BI Darunter wird neben der Bedrohung durch einen Beschäftigten in beliebiger Position innerhalb der Belegschaft ein gewaltsam oder mit List vorgetragener Angriff mehrerer Personen verstanden, deren angenommene Fähigkeiten und Ausrüstung in 10 C.F.R. § 73.1a näher beschrieben sind. Anzunehmen ist danach, daß die Angreifer hochmotiviert sind und über gute militärische Ausbildung und Fähigkeiten verfügen und außerdem Unterstützung von innerhalb der Anlage erhalten. Diese Hilfe kann von einer gut über die Anlage informierten Person kommen, die versucht, z. B. durch Weitergabe von Informationen, Erleichterung des Zugangs und des Verlassens der Anlage, Lähmen von Alarm- und Femmeldegeräten oder durch aktive Beteiligung am gewaltsam vorgetragenen Angriff mitzuwirken. Weiter ist damit zu rechnen, daß die Angreifer über automatische Handwaffen mit Schalldämpfern und hoher Zielgenauigkeit auf große Entfernung verfügen sowie über kampfunfähig machende chemische Wirkstoffe und über Sprengmittel. Die vom Betreiber gegen diese "Auslegungsbedrohung" ("design basis threat") aufzustellende und zu unterhaltende Sicherungsorganisation hat das Ziel, hohe Gewähr ("high assurance") dafür zu bieten, daß der Umgang mit Kernbrennstoffen der nationalen Verteidigung und Sicherheit nicht abträglich ist und kein übermäßiges Risiko für Gesundheit und Sicherheit der Allgemeinheit darstellt. 82 Der Maßstab der "hohen Gewähr" entspricht dabei dem Grad an Gewähr ("degree of assurance"), den die NRC beim Schutz gegen schwere Störfälle ("major post-
BOvgl. die Anmerkung nach 10 C.F.R. § 100.11. Bl vgl.
10 C.F.R. § 73.55(8) i.V.m.§ 73.1a.
B2ygl. 10 C.F.R. § 73.55(8).
172
B. Genehmigung kemtechnischer Anlagen in den USA
ulated accidents") verlangt, deren Auswirkungen deIijenigen radiologischer Sabotage ähnlich sind. 83 (2) Komponenten des Sicherungssystems Zum Schutz gegen Sabotage ist eine Kombination aus aufeinander abgestimmten organisatorischen (Zugangskontrollen, Sicherheitsüberprüfungen, Begleitung betriebsfremder Besucher usw.), materiellen (zwei zugangshemmende Barrieren um sicherheitsrelvante Anlagenteile u. dgl.) und personellen Maßnahmen bis ins Detail vorgeschrieben. 804 Ein bewaffneter Werkschutz hat ggf. Angreifern hinhaltenden Widerstand zu leisten und zugleich von der Polizei Unterstützung anzufordern. Der Betreiber muß das Wachpersonal ausdrücklich anweisen, Versuche radiologischer Sabotage zu verhindern oder zumindest zu verzögern; dazu hat die Wachmannschaft dasjenige Maß an Gewalt anzuwenden, das ausreicht, die von den Angreifern ausgehende Gewalt abzuwehren. Dies schließt den Gebrauch tödlicher Gewalt ("use of deadly force") ein, wenn der betreffende Wachposten vernünftigerweise annimmt, daß dies zur Selbstverteidigung oder zur Verteidigung anderer notwendig ist. ss Bedenken gegen diese Regelung hat die NRC zurückgewiesen: Das Wachpersonal sei nach "common law" nicht verpflichtet zurückzuweichen, wenn sein Leben bei Erfüllung seiner Aufgaben in Gefahr gerate. Angesichts der Tatsache, daß das Wachpersonal Störungen oder ein unerlaubtes Eindringen in das Betriebsgelände zu untersuchen habe, sei es wesentlich für den Schutz des Wachpersonals, daß ihm der Waffengebrauch gestattet werde, wenn es vernünftigerweise annehmen könne, der Schußwaffeneinsatz sei notwendig, um den Tod oder eine schwere Körperverletzung einer Person zu verhindern. Daß jemand in so einer Lage von der Waffe Gebrauch macht, entspreche dem "common law" .86 ff) Katastrophenschutzplanung Neben technischen Sicherheitsvorkehrungen und Standortwahl hat die Katastrophenschutzplanung seit 1980 erheblich an Bedeutung gewonnen als Mittel, ausreichenden Schutz für Gesundheit und Sicherheit der Allgemein-
83vgl. Pacific Gas and Electric Co. (Diabio Canyon, Units 1 and 2), NRR § 30689 (1982); ganz ähnlich die Rspr. des BVelWG zu § 7 n Nr. 5 AtG, s. o. S. 88.
'\ogl im einzelnen 10 C.F.R. § 73.55(b)-(f), (h). SSvgl. 10 C.F.R. § 73.55(h)(5). ~gl.die Stellungnahme der NRC in 43 F.R. 35323 f, Aug. 9, 1978; ähnlich pragmatisch die deutsche Praxis, s. o. S. 85 ff.
11. Die Genehmigungsvoraus&etzuogen
173
heit ZU gewährleisten. Grund dafür sind die Erkenntnisse der Kommission zur Untersuchung des Unfalls in Three Mile Island 2. Sie hatte insbesondere bemängelt, daß das Zusammenwirken der NRC mit dem Betreiber und den Behörden des Staates Pennsylvania bei der Aufstellung, Überprüfung und Übung von Katastrophenschutzplänen nicht ausgereicht hätte, um bei einem schweren Unfall in der Anlage ein hinreichendes Ausmaß an Vorbereitung zu gewährleisten. Die vorhandenen Pläne waren nicht aufeinander abgestimmt, sondern enthielten unterschiedliche Systeme für die Klassifikation von Unfällen und die Benachrichtigung staatlicher Stellen. 81 In Reaktion auf diese Kritik hat die NRC ihre Vorschriften über Katastrophenschutzplanung 1980 grundlegend überarbeitet. Die Katastrophenschutzplanung wird nunmehr im Hinblick auf den Schutz der Allgemeinheit als gleichwertig mit, nicht mehr als sekundär zu Standortwahl und technischen Sicherheitsvorkehrungen angesehen. Der Schutz, den die Wahl des Standorts und eine ausgefeilte Sicherheitstechnik bieten, muß nach Auffassung der NRC ergänzt werden durch die Möglichkeit, bei einem Unfall Schutzmaßnahmen zu treffen. 88
(1) Anforderungen an die Katastrophenschutzplanung Abgesehen von Betriebsgenehmigungen für die Beladung des Reaktorkerns ("fuelloading") und den Probebetrieb bei kleiner Leistung wird keine Betriebsgenehmigung erteilt, solange die NRC nicht folgende Feststellung getroffen hat: Es besteht begründete Gewähr, daß im Fall einer radiologischen Notlage ausreichende Schutzmaßnahmen vorgesehen und durchführbar sind ("reasonable assurance that adequate protective measures can and will be taken "). 89 Grundlage dieser Beurteilung sind die Katastrophenschutzpläne des Betreibers für den Standort selbst und die Pläne der Gemeinden und Einzelstaaten, die ganz oder teilweise innerhalb der beiden Planungszonen liegen. Die innere dieser Zonen ("plume exposure pathway emergency planning zone") ist in der Regel ein Kreis von etwa 10 mi (16 km) Radius und die äußere ("ingestion pathway emergency planning zone") in der Regel ein Kreis von etwa 50 mi (80 km) Radius. Gemäß 10 C.F.R. § 50.47 (c)(2) ist die genaue Größe und Form der Planungszonen im Einzelfall unter Berücksichtigung der Bevölkerungsverteilung, Topographie, der Verkehrswege und anderer für die Planung bedeutsamer Umstände festzulegen.
81vgl.
u.s. President's
Conunission, Findings D.1.,D.7. ff.
88vgl. die "Notice of Proposed Rulemaking", 44 F.R. 75169 (Dec. 19,1979); s. a. das "Statement of Coosiderations", 45 F.R. 55403 (Aug. 19, 1980); zu Stellenwert und Praxis der Katastropheoschutzplanung in Deutschland s. o. S. 77.
89vgl.
10 C.F.R. § 50.47 (a) i.V. m. (d).
174
B. Genehmigung kemtechnischer Anlagen in den USA
Die NRC überprüft im Genehmigungsverfahren die Entscheidung der Federal Emergency Management Agency (FEMA), einer für Katastrophenschutz und Zivilverteidigung zuständigen Bundesbehörde90 , ob die Katastrophenschutzpläne der Einzelstaaten und Gemeinden ausreichen und ob begründete Gewähr besteht, daß sie umgesetzt werden können. 91 Dabei begründet eine entsprechende Feststellung der FEMA eine widerlegliche Vermutung. Die Pläne des Betreibers werden von der NRC in eigener Regie auf Angemessenheit und Umsetzbarkeit kontrolliert. 10 C.F.R. § 50.47(b) enthält 16 Standards, denen die Katastrophenschutzpläne genügen müssen. Dabei wird besonderer Wert darauf gelegt, daß der Betreiber und die beteiligten Gemeinden und Einzelstaaten ihre Planungen aufeinander abstimmen. Insbesondere müssen die Berührungspunkte der einzelnen am Standort ("onsite") und außerbalb des Standorts ("offsite") zu treffenden Maßnahmen genau bezeichnet und die Unterbringung von Verbindungspersonal der Gebietskörperschaften in der Notfalleitstelle ("Emergency Operations Facility") des Betreibers vorbereitet werden. Die erforderlichen Planungen reichen von der Verteilung der Zuständigkeiten über die Information der Öffentlichkeit, Strahlenmessung und Vorbereitungen zur Behandlung kontaminierter Verletzter bis hin zu Katastrophenschutzübungen und der Ausbildung von Personen, die zur Unterstützung der Schutzmaßnahmen herangezogen werden sollen. 10 C.F .R. Part 50 App. E enthält in 8 Abschnitten (Organisation, Maßnahmen zur Unfallbewertung, Aktivierung des Katastrophenschutzes, Benachrichtigungsverfahren, Einrichtungen und Material, Ausbildung, Aufrechterhaltung der Bereitschaft und Wiederbetreten verseuchter Flächen) Minimalanforderungen an Katastrophenschutzpläne, die ein hinreichendes Maß an Bereitschaft sicherstellen sollen. Fragen der Katastrophenschutzplanung werden von Einwendern in Genehmigungsverfahren häufig aufgeworfen und haben wiederholt die Gerichte beschäftigt. Es wurde z.B. klargestellt, daß "Vorbereitungen zur medizinischen Versorgung kontaminierter Verletzter" ("arrangements for medical services for contaminated injured individuals") i. S. v. 10 C.F. R. § 50.47(b)(12) nicht nur bedeutet, daß in den Katastrophenschutzplan ein Verzeichnis der entsprechenden medizinischen Einrichtungen aufgenommen wird; vielmehr muß bereits im Rahmen der Planung geprüft werden, ob die vorhandenen Einrichtungen ausreichen. Außerdem sind mit den betreffenden Krankenhäusern o. dgl. Absprachen zu treffen. 92 Im Verfahren um die OL für das Kernkraftwerk Diabio Canyon hielt der "D.C.
9Ovgl. Executive Order 12148,44 F.R. 43239 (July 20, 1979); Reorganization Plan No. 3 of 1978,43 F.R. 41943 (June 19,1978). 91zu
den Prüfungen durch die NRC vgl.lO C.F.R. § 50.47(a)(2).
92ygl. GUARD v. NRC, 753 F.2d 1144, 1147f.
11. Die Genehmigungsvoraussetzungen
175
circuit" die NRC nicht für verpflichtet, die Auswirkungen eines gleichzeitig mit einem Reaktorunfall auftretenden Erdbebens auf den Ablauf von Katastrophenschutzmaßnahmen bei der Planung einzukalkulieren; zwar liege der Standort der Anlage nur 3 mi von einer erst nach Baubeginn entdeckten Verwerfung entfernt; es bestünden jedoch hinreichende Anhaltspunkte ("substantial evidence"), daß die Anlage dennoch nicht in einem Gebiet mit hoher Erdbebentätigkeit errichtet sei und daß sie hinreichend gegen ein "Safe Shutdown Earthquake" der Stärke 7,5 auf der Richterskala ausgelegt sei. Dieses "Safe Shutdown Earthquake" sei im Hinblick auf das maximale Erdbebenpotential der Gegend bestimmt, stärkere Erdbeben seien daher so unwahrscheinlich, daß sie rechtlich unbeachtlich seien. Außerdem sei die Annahme der NRC vertretbar, daß der Katastrophenschutzplan hinreichend flexibel sei. Viele der durch ein Erdbeben verursachten Störungen der Katastrophenschutzmaßnahmen, insbesondere der Ausfall von Verkehrs- und Femmeldeverbindungen, seien nämlich bereits bei der Planung berücksichtigt, da sie auch als Folge anderer, häufiger zu erwartender Naturereignisse eintreten könnten. 93 (2) Umsetzungsprobleme Schon während des "rulemaking"- Verfahrens um den Erlaß von 10 C.F.R. § 50.47 wurde die Befürchtung geäußert, daß dadurch, daß die Katastrophenschutzvorschriften die Zusammenarbeit der Einzelstaaten und Gemeinden mit dem Betreiber verlangten, diesen Gebietskörperschaften praktisch ein Vetorecht über die Inbetriebnahme eines Kernkraftwerks eingeräumt werde. Sie könnten nämlich verhindern, daß ein Kernkraftwerk die Betriebsgenehmigung erhält, indem sie sich einfach nicht an der Aufstellung der Katastrophenschutzpläne beteiligten. 94 Der Kongreß hat versucht, diesen Bedenken bei der Verabschiedung des Bewilligungsgesetzes für das Haushaltsjahr 1980 Rechnung zu tragen. § 109(a)(2) dieses Gesetzes schreibt vor, daß die NRC bewilligte Fioanzmittel nur unter folgenden Voraussetzungen für die Erteilung von Betriebsgenehmigungen verwenden darf: Wenn kein allen einschlägigen "rules" der NRC entsprechender Plan des Einzelstaats oder der Gemeinde vorhanden ist, muß zumindest ein Plan des Einzelstaats, der Gemeinde oder des Betreibers existieren, der begründete Gewähr bietet, daß die Gesundheit und Sicherheit der Allgemeinheit nicht durch den Betrieb der Anlage gefährdet wird. 95 Nach ihrem Wortlaut be-
93San Luis Obispo Mothers for Peaee v. NRC, 751 F.2d 1287,1307 f; affirmed en bane 789 F.2d 26, 37 f.
94vgl. 95vgl.
die Wiedergabe der Stellungnahmen in 45 F.R. 55404 (Aug. 19,1980).
NRC Authorization Aet for Fiscal Year 1980, Pub.L.No. 96-295; die Geltungsdauer dieser Vorschrift wurde zweimal verlängert, vgl. Pub.L.No. 97-415, § 5 (1982/83 Authorization Aet); Pub.L.No. 98-553, § 108 (1983/84 Authorization Aet).
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B. Genehmigung kemtechnillCher Anlagen in den USA
zieht sich diese Bestimmung nur auf das Fehlen von "Plänen, die allen einschlägigen Vorschriften entsprechen", und nicht auf den Fall, daß überhaupt keine Pläne der Einzelstaaten oder Gemeinden vorhanden sind. Der Entstehungsgeschichte läßt sich jedoch immerhin entnehmen, daß die Bestimmung verhindern soll, daß ein Antragsteller "bestraft" wird, wenn ein Einzelstaat oder eine Gemeinde keinen Katastrophenschutzplan einreicht oder ein vorgelegter Plan nicht allen Vorschriften genügt. 96 Nach der ursprünglichen Fassung von 10 C.F. R. § 50.47(c) war die Genehmigung nicht automatisch zu verweigern, wenn Katastrophenschutzpläne unvollständig waren. Vielmehr hatte die NRC in diesem Fall zu entscheiden, ob die OL trotz gewisser Mängel der Pläne erteilt werden konnte. Dabei waren insbesondere folgende Gesichtspunkte zu berücksichtigen: die Bedeutung der Mängel für die konkrete Anlage; die Angemessenheit vorläufiger Ausgleichsmaßnahmen ("interim compensating actions") sowie zwingende Gründe für die Betriebsaufnahme. 97 Nach Ansicht der NRC stand diese Regelung im Einklang mit § 100(a)(I) des Bewilligungsgesetzes.9t! Als 1983 Suffolk County und der Staat New York die weitere Mitwirkung bei der Katastrophenschutzplanung für das Kernkraftwerk Shoreham auf Long Island aufkündigten, lag es für die NRC daher nahe, einen vom Betreiber Long Island Lighting Co. allein zu erstellenden Katastrophenschutzplan als "interim compensating action" in Betracht zu ziehen. Zwar war deutlich zu erkennen, daß Staat und Gemeinde ihre Zusammenarbeit bei der Planung endgültig verweigert hatten, so daß 10 C.F.R. § 50.47 (1982) vom Wortlaut her schwerlich anwendbar war. Die NRC sah sich jedoch durch diese Bestimmung und mehr noch durch das Bewilligungsgesetz verpflichtet, einen vom Betreiber vorgelegten Plan für Schutzmaßnahmen außerhalb der Anlage zu prüfen. 99 Um in Zukunft ähnliche Schwierigkeiten wie im Fall Shoreham zu vermeiden, änderte die NRC 1988 die Vorschriften, indem sie darin die sog. "realism doctrine" aufnahm. Nach diesem Ansatz muß die NRC dann, wenn Einzelstaaten oder Gemeinden sich nicht an der Planung beteiligen, prüfen, ob der vom Antragsteller eingereichte Katastrophenschutzplan dem grundlegenden Prüfungsmaßstab entspricht, d. h. begründete Gewähr bietet, daß bei einem Unfall in der Anlage ausreichende Schutzmaßnahmen vorgesehen und durchführbar sind. Dabei werden grundsätzlich die 16 Standards aus 10 C.F.R. § 50.47(b) herangezogen; allerdings wird gebührend berücksichtigt, inwieweit die Einhaltung dieser Standards mangels Mitwirkung der Einzelstaaten oder Gemeinden unmöglich ist. Bei der Ent~g. House Confercnce Report No. 96-1070,27. 97vgl.
10 C.F.R. § 50.47(c)(I) (1981).
~gl. die Erläuterung in 45 F .R. 55406 f. 99vgl.
Long Island Lighting Co. (Shoreham, Unit I), 17 NRC 741,743 (1983).
D. Die Genehmigungsvoraull8etzungen
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scheidung, ob die Pläne des Antragstellers ausreichen, wird die NRC ferner berücksichtigen, daß bei einem tatsächlichen Notfall die Einzelstaaten und Gemeinden alle Anstrengungen unternehmen werden, um Gesundheit und Sicherheit der Allgemeinheit zu schützen. Dabei wird vermutet, daß sie sich in diesem Fall an den Plan des Antragstellers halten werden. Diese Vermutung ist widerlegbar z. B. dadurch, daß rechtzeitig ein Plan des Einzelstaats oder der Gemeinde vorgelegt wird, der im Ernstfall als Grundlage für Schutzmaßnahmen dienen würde. 100 Anträge auf gerichtliche Überprüfung dieser Vorschriftenänderung blieben ohne Erfolg. Der "1st circuit" kam zum Ergebnis, daß die Maßnahme der NRC nicht "willkürlich und unberechenbar" ("arbitrary and capricious") i. S. v. 5 U.S.C.A. § 706(2)(A) sei. lol Denn die Annahme, daß Einzelstaaten oder Gemeinden ggf. dem vom Betreiber aufgestellten Katastrophenschutzplan folgen würden, stütze sich auf die in der Akte vermerkte, unbestrittene Tatsache, daß Behörden allgemein eine geplante Reaktion auf einen Unfall einer improvisierten vorzögen. Zwar sei die NRC von ihrem ursprünglichen, die Zusammenarbeit des Betreibers mit den Gemeinden und Einzelstaaten betonenden Konzept abgegangen; diese Änderung sei jedoch vertretbar; denn sie sei angesichts der Tatsache, daß diese Zusammenarbeit in der Praxis verweigert worden sei, notwendig gewesen, um dem Willen des Kongresses nachzukommen. 102 Auch den Bedenken der Kläger, daß die NRC zum Erlaß von Vorschriften über Katastrophenschutz außerhalb der Anlage (" offsite") nicht ermächtigt sei, hat sich das Gericht nicht angeschlossen. Zweifel an einer solchen Kompetenz der NRC ergeben sich aus dem Gedanken des Föderalismus ("federalism"). Denn immerhin gehören die in den Katastrophenschutzplänen zu regelnden Schutzmaßnahmen für die Sicherheit der Bewohner zum "Kernbereich" der den Einzelstaaten und Gemeinden zustehenden "Polizeibefugnisse" ("police powecs").I03 Der Supreme Court hat zwar in ständiger Rspr. die Ansicht vertreten, daß der AEA dem Bund die ausschließliche Kompetenz ("preemptive powers") zuweist, Vorschriften im Bereich der nuklearen Sicherheit zu erlassen. 104 Ob die Befugnis des Bundes, die Sicherheit kerntechnischer Anlagen zu regeln, auch Vorschriften über die lOOS. 10 C.F.R. § 50.47(c)(I)(iii)(B) (1988); vgl. schon Long Island Lighting Co. (Shorcham, Unit 1),24 NRC 22,29 f (1986).
IOivgl. Commonwealth of Massachusetts v. U.S., 856 F.2d 378, 382 ff. 10280 856 F.2d 383 unter Hinweis auf das Bewilligungsgesetz für 1981 und dessen Verlängerungen.
l03vgl. z. B. Kelly v. Johnson, 425 U.S. 238,247; ausführlich zu den durch die Katastr0phenschutzbestimmungen berührten Kompetenzfragen Note, 66 Boston Univ. L. Rev. 250 ff. 100vgl. zuletzt Pacific Gas and Electric Co. v. State Energy Resources Conscrvation and Development Commission, 461 U.S. 190,212 unter Berufung auf § 271 AEA= 42 U.S.C.A.§ 2018. 12 Heitsch
178
B. Gcnchmigung kcmtcchnischcr Anlagcn in dcn USA
Wahrnehmung der "Polizeibefugnisse" abdeckt, erschien jedoch zweifelhaft. Daß damit weitreichende Eingriffe in die Rechte der Einzelstaaten verbunden wären, war bei der Beratung des Bewilligungsgesetzes für das Haushaltsjahr 1980 im Kongreß mehrfach angemerkt worden. I05 Trotzdem hat das Gericht alle kompetenzrechtlichen Argumente der Kläger als nicht überzeugend angesehen, weil sie den Spielraum mißachteten, den der AEA der NRC eingeräumt habe. Die NRC sei ermächtigt, diejenigen "rules" zu erlassen, die sie für notwendig erachte, um ihre gesetzlichen Aufgaben zu erfüllen. Die Auffassung der NRC darüber, was in ihren Zusländiffl!'eitsbereich falle, verdiene große Zurückhaltung seitens der Gerichte. I Die FEMA ist angewiesen, Energieversorgungsunternehmen bei der Aufstellung von Katastrophenschutzplänen für den Bereich außerhalb des Standorts ("off-site") zu unterstützen, wenn sich Staaten oder Gemeinden weigern sollten, eigene Pläne aufzustellen. 107 4. Konkretisierung der "rules" Da die GDC und andere sicherheitsrelevante "Rules" meist nur Schutzziele enthalten, bedürfen sie weiterer Konkretisierung. Mittel zur Erfüllung der Schutzziele finden sich in technischen Regelwerken, "regulatory guides" der NRC sowie im Standard Review Plan. a) Verweisung auf technische Regelwerke An verschiedenen Stellen verweisen die "rules" der NRC auf technische Regelwerke. lOB Diese Regelwerke sind von Berufsverbänden und Vereinigungen wie z. B. der ASME, der ANS oder dem IEEE erarbeitet, wobei das Nuclear Technical Advisory Board des American National Standards Institute die Tätigkeit dieser Organisationen im Bereich der Kerntechnik koordiniert. 109 Damit diese Regelwerke rechtliche Wirkung entfalten können, müßten sie eigentlich gemäß 5 U.S.C.A. § 552(a)(I) im Federal Register veröffentlicht werden; die Veröffentlichung kann jedoch ersetzt werden, indem die Regelwerke mit Zustimmung des Director of the Federal Regi-
100vgl.
Note, 66 Boston Univ. L. Rcv. 259 ff.
l06vgl. 856 F.2d 384 unter Bezug auf Public Service Co. of New Hampshire v. NRC, 582 F.2d 82.
l07vgl.
Executive Order 12657,53 F.R. 47513 (Nov. 23, 1988).
IOBz. B. 10 C.F.R. § 50.55(a) auf den "Boilcr and Pressure Vcsscl Codc" der American Society of Mechanical Engineers (ASME) und auf die "Criteria for Proteetion Systems for Nuclear Power Gencrating Stations" des Institute of Electrical and Elcctronics Engincera.
I09vgl.Rogers,14 ABU, 175.
ß. Die Genehmigungsvoraus8Ctzungen
179
ster "durch Verweisung aufgenommen" werden. 110 Die Zustimmung des Director ist gemäß 1 C.F.R. § 51.7.an drei Voraussetzungen geknüpft: Bei den Regelungen, die durch Verweisung aufgenommen werden sollen, muß es sich um Daten, Kriterien, Standards, Spezifikationen, technische Verfahren, Illustrationen o. ä. handeln; durch die Verweisung muß sich der Umfang der im Federal Register zu veröffentlichenden Regelungen wesentlich verringern; außerdem müssen die durch Verweisung aufzunehmenden Regelungen für die betroffenen Kreise leicht zugänglich und verwendbar sein. Die Form der Aufnahme durch Verweisung ist in 1 C.F.R. § 51.9 festgelegt. Danach muß im Federal Register insbesondere Titel, Datum, Auflage, Autor, Herausgeber und ggf. die Kennummer der Regelungen genau angegeben werden. Ferner muß im Federal Register stehen, wo und auf welche Weise Exemplare der Publikation eingesehen und angefordert werden können, wobei insoweit dem Benutzer weitestmöglich entgegenzukommen ist. Wird eine durch Verweisung aufgenommene Regelung geändert, ist dies im Federal Register bekannt zu machen und die Verweisung im Code of Federal Regulations anzupassen. 11I Die technischen Regelwerke enthalten konkrete Maßnahmen, mit denen die Sicherheitsziele erfüllt werden sollen. Im "Boiler and Pressure Vessel Code" der ASME stehen z. B. detaillierte Anforderungen an Material, das für Reaktordruckbehälter verwendet wird. Wenn der Reaktordruckbehälter eines Kernkraftwerks den in 10 C.F.R. § 50.55aund 10 C.F.R.Part 50 App. G durch Verweisung aufgenommenen Anforderungen des "Boiler and Pressure Vessel Code" entspricht, ist in der Regel ein weiterer Schutz gegen Versagen des Behälters entbehrlich. Nur wenn im Einzelfall Gesichtspunkte von spezieller Sicherheitsrelevanz vorgebracht werden, sind weitere Schutzmaßnahmen gegen ein potentielles Behälterversagen ein zulässiges Thema für das Genehmigungsverfahren. Solche besonderen Gesichtspunkte müssen allerdings glaubhaft gemacht werden. 112 Im Ergebnis wird damit vermutet, daß bei Einhaltung der technischen Regelwerke die Genehmigung erteilt werden darf, es sei denn, Umstände des Einzelfalls sprechen dagegen.
110sog. "incorporation by reference", vgl. 5 U.S.C.A. § 552(8)(1) a. E. Vergleichbare Vorschriften fehlen im deutschen Atomrecht, s. o. S. 64. IIl vgll
C.F.R. § 51.11.
lI\.gl. grundlegend Consolidated Edison of New York (Indian Point, Unit 2) 5 ABC 20 f (1972) und dazu Feldmann (1980),209 ff.
180
B. Genehmigung kerntechnischer Anlagen in den USA
Eine weitere Quelle für konkrete Maßnahmen zur Erfüllung der Sicherheitsziele bilden die "regulatory guides" der NRC. l13 Darin werden von den Fachabteilungen der NRC gebilligte Methoden für die Umsetzung einzelner "mIes" der NRC sowie Verfahren für die Bewertung besonderer Sicherheitsprobleme oder postulierter Störtälle beschrieben. Die "regulatory guides" bilden keinen Ersatz für "mIes", ihre Einhaltung ist daher nicht zwingend vorgeschrieben. Sie sollen lediglich den Antragstellern Hinweise auf die konkreten technischen Anforderungen geben. Methoden und Lösungen, die von den "guides" abweichen, werden von den Fachabteilungen akzeptiert, wenn sie eine Grundlage für die Feststellungen bieten, die Genehmigungsvoraussetzung sind. 114 Die NRC fordert dazu auf, jederzeit Stellungnahmen zu den "regulatory guides" einzureichen. Gelegentlich werden die "guides" geändert, um Stellungnahmen gerecht zu werden und neue Erkenntnisse oder Erfahrungen einzuarbeiten. Im Nuclear Regulation Reporter ist genau angegeben, bei welcher Abteilung der NRC Stellungnahmen abgegeben und vorhandene "regulatory guides" bezogen werden können. Bei Fehlen entgegenstehender Anhaltspunkte kann die Einhaltung der "regulatory guides" ausreichen, um nachzuweisen, daß die Anlage mit den "mIes" übereinstimmt. In der Regel werden die "regulatory guides" jedoch nur als Beweismittel für die Einhaltung der "mIes" behandelt, und die Fachabteilungen müssen ihre Stichhaltigkeit beweisen, wenn sie im Genehmigungsverfahren angegriffen werden. 1lS c) Der Standard Review Plan
Eine ähnliche Funktion wie die "regulatory guides" hat der "Standard Review Plan" .116 Auch er ist keine verbindliche "mle" .Die darin zusammengestellten Akzeptanzkriterien sollen eine Möglichkeit - nicht notwendigerweise die einzige Möglichkeit - aufzeigen, wie die "mIes" eingehalten werden können. ll7 Das Verhältnis von General Design Criteria, "mIes" und "regulatory guides" versteht die NRC wie folgt: Die General Design Criteria sind breit gefaßte Sicherheitsziele, die die Mindestanforderungen für die Auslegung von Kernkraftwerken festlegen. Sonstige "mIes" stellen detailliertere Anforderungen auf. Die weniger formellen Unterlagen wie z. B. "regu-
l13dazu
NRR, 801.
114vgl. Northeast Utilities Service Co. et al. , 13 NRC 778, 782 (1981); Pacific Gas and Electric Co. (Diabio Canyon, Units 1 and 2), 13 NRC 903 (1981).
llSvgl Metropolitan Edison Co. (Three Mile bland, Unit 1), 16 NRC 1290 (1982). 116s.
10 C.F.R. § 50.34(g) und o. S. 248.
117vgl. 47
F.R. 11651 (March 18, 1982).
ill. Der National Environmentsi Policy Act
181
latory guides" oder Bestimmungen im Standard Review Plan geben nur Hinweise, wie die "General Design Criteria" eingehalten werden können. 1I8
III. Das Gesetz über die nationale Umweltpolitik (National Environmental Policy Act - NEPAj 1. Überblick Der NEPAl bildet einen Kompromiß zwischen unterschiedlichen Bestrebungen und Auffassungen. Der Gesetzentwurf des Repräsentantenhauses sah in erster Linie vor, einen Rat für UmweltquaIität (Council on Environmental Quality - CEQ) einzurichten; nicht vorgesehen war die Bestimmung, daß die Behörden vor der Durchführung von Maßnahmen, die wesentliche Umweltauswirkungen haben, eine Erläuterung der Umweltauswirkungen (Environmental Impact Statement - EIS) erarbeiten müssen. Nach dem Entwurf des Senats sollte dagegen ein CEQ mit weit über die bloße Beratung des Präsidenten hinausgehenden Aufgaben errichtet werden; außerdem war darin ein Recht jedes einzelnen auf eine saubere Umwelt enthalten. 2 Der NEPA enthält nunmehr neben Gesetzeszielen und Grundsatzerklärungen eine Verpflichtung der Bundesbehörden, EIS aufzustellen, und Vorschriften über einen vom Wortlaut des Gesetzes her auf Beratung beschränkten CEQ. a) Die Gesetzesziele des NEPA
Ziel des NEPA ist gemäß seinem § 23 die Erklärung einer nationalen Politik der Förderung einer "produktiven und erfreulichen Harmonie zwischen den Menschen und ihrer Umwelt". Zudem sollen Bemühungen zur Verhütung von Umweltschäden unterstützt werden, um Gesundheit und Wohlfahrt zu fördern. Schließlich bezweckt das Gesetz, die für die Nation wichtigen Erkenntnisse über die Ökosysteme und natürlichen Ressourcen zu erweitern. In Erkenntnis der "weitreichenden Auswirkungen der Tätigkeiten des Menschen auf die Wechselbeziehungen aller Elemente der natürlichen Umwelt" und der "entscheidenden Notwendigkeit, die Qualität der Umwelt für das Gemeinwohl und die Entwicklung der Menschen wiederlI\.gl. Pacific Gas and Electric Co. (Diabio Canyon, Units 1 and 2), 29 NRC 449,458 und dort Pn. 11 (1987).
142 U.S.C.A.§§4321-4347. ~ den unterschiedlichen Entwürfen und dem Kompromißcharakter (1989), § 9.01(1). 342
U.S.C.A.§ 4321.
des NEPA Grad
182
B. Genehmigung kemtechnischer Anlagen in den USA
herzustellen und zu erhalten·, erklärt das Gesetz folgende Grundsätze zur ständigen Politik der Bundesregierung: 4 In Zusammenarbeit mit den Einzelstaaten und Gemeinden sowie sonstigen betroffenen öffentlichen und privaten Organisationen sollen alle praktikablen Mittel und Maßnahmen, einschließlich finanzieller und technischer Unterstützung so genutzt werden, daß das Gemeinwohl gefördert und gepflegt wird; daß Bedingungen geschaffen werden, unter denen Mensch und Natur in produktiver Harmonie leben und die sozialen, wirtschaftlichen und anderen Voraussetzungen für gegenwärtige und zukünftige Generationen von Amerikanern erfüllen können. Diese Zielsetzungen werden in § 101(b) NEPA5 näher erläutert. Die Bundesregierung muß demnach die ständige Verantwortung dafür übernehmen, daß der Schutz der Umwelt in Übereinstimmung mit den übrigen wichtigen Belangen der nationalen Politik vebessert wird, so daß - die Verantwortung jeder Generation als Treuhänder der Umwelt für zukünftige Generationen erfüllt wird; - allen Amerikanern eine sichere, gesunde, produktive sowie ästhetisch und kulturell annehmliche Umgebung gewährt wird; - in weitestmöglichem Ausmaß eine vorteilhafte Nutzung der Umwelt ohne Verschlechterung oder Gefährdung von Gesundheit oder Sicherheit und ohne sonstige unerwünschte und unbeabsichtigte Folgen erzielt wird; - wichtige historische, kulturelle und natürliche Aspekte des nationalen Erbes bewahrt werden, und, wo immer möglich, eine Umwelt erhalten wird, die die Verschiedenheit und Mannigfaltigkeit der individuellen Entscheidung begünstigt; - ein Gleichgewicht zwischen Bevölkerung und Nutzung der natürlichen Ressourcen erreicht wird, das einen hohen Lebensstandard ermöglicht und allen Menschen erlaubt, an den Annehmlichkeiten des Lebens teilzunehmen; und - die Qualität der erneuerbaren natürlichen Ressourcen angehoben und die höchstmögliche Wiederverwertung erschöpfbarer Vorkommen erreicht wird. Außerdem erkennt das Gesetz an, daß jeder Mensch in einer gesunden Umwelt leben sollte und zugleich eine Verantwortung trägt, zur Erhaltung und Verbesserung der Umwelt beizutragen. 6
48 •
§ 101(a)= 42 U.S.C.A.§ 4331(a).
542 U.S.C.A.§ 4331(b). 6vg l.
§ 101(c) NEPA= 42 U.S.C.A. § 4331(c).
m.
Der National Environmental Poliey Aet
183
b) Pflichten der Bundesbehörden
Die in der Praxis wichtigsten Bestimmungen des NEPA stehen in § 102. 7 Danach sind im weitestmöglichen Umfan~. die politischen Grundsätze ("policies"), "rules" und Gesetze der USA in Ubereinstimmung mit den Grundsätzen des NEPA auszulegen und anzuwend~n und von allen Bundesbehörden bei Planungen und Entscheidungen, die Umweltauswirkungen haben können, systematische und interdisziplinäre Methoden anzuwenden, die die einheitliche Nutzung der Natur- und Sozialwissenschaften sicherstellen. Ferner sind die Bundesbehörden verpflichtet, im weitestmöglichen Umfang nach Beratung mit dem CEQ Methoden und Verfahren zu entwickeln, die sicherstellen, daß zur Zeit nicht quantifizierbare Umweltwerte zusammen mit wirtschaftlichen und technischen Erwägungen gebührend beachtet werden. Außerdem müssen die Behörden zu Gesetzesvorlagen und anderen wichtigen Vorhaben des Bundes, die die Qualität der menschlichen Umwelt erheblich berühren, eine detaillierte Erläuterung erarbeiten, 8 worin darzulegen sind: - die Umweltauswirkungen des Vorhabens; - alle bei Verwirklichung des Vorhabens unvermeidlichen schädlichen U mweltauswirkungen; - Alternativen zu dem Vorhaben; - die Beziehung zwischen örtlichen kurzfristigen Nutzungen der Umwelt und der Erhaltung und Steigerung einer langfristigen Produktivität; - alle unumkehrbaren und unwiderruflichen Beanspruchungen natürlicher Ressourcen, die mit der Verwirklichung des Vorhabens verbunden sind. Schließlich enthält § 102 NEPA u. a. noch Bestimmungen über die Beratung und den Informationsaustausch zwischen Bundesbehörden, dem CEQ sowie den Organen der Einzelstaaten und Gemeinden im Bereich des Umweltschutzes, über die Stärkung der internationalen Zusammenarbeit zum Schutz der Umwelt sowie über die Entwicklung und Beschreibung von Alternativen zur Lösung von Konflikten über die Nutzung natürlicher Ressourcen. 9
742
U.S.C.A.§ 4332.
8§ 102(2)(C)(i)(V) NEPA= 42 U.S.C.A. § 4332(2)(C)(i) (V). 9vgl.
§ 102(2)(0) - (I) = 42 U.S.C.A.§ 4332(2)(0) - (1).
B. Genehmigung kemtechniacher Anlagen in den USA
184
c) Der Council on Environmental Quality Mit dem NEPA wurde ein Rat für Umweltqualität geschaffen. Er hat insbesondere die Aufgabe, den Präsidenten bei der Abfassung des jährlichen "Berichts über die Qualität der Umwelt" an den Kongreß zu unterstützen. 10 Daneben hat er Entwicklungstendenzen der Umweltqualität zu beobachten und zu untersuchen, inwieweit diese Tendenzen die Ausführung der Grundsätze aus §§ 101 ff NEPA stören können; entsprechende Untersuchungen hat der CEQ dem Präsidenten vorzulegen. Der CEQ hat außerdem die Befugnis, dem Präsidenten Empfehlungen zu unterbreiten, einmal um sicherzustellen, daß die Tätigkeiten der Bundesregierung zur Ausführung der Zielsetzungen des NEPA beitragen, zum anderen um die Verbesserung der Umweltqualität zu fördern. Durch Executive Order No. 11991 11 wurde dem CEQ ferner die Befugnis verliehen, rechtlich verbindliche "rules" für die Umsetzung der Verfahrensvorschriften des NEPA durch die Bundesbehörden zu erlassen. Die Frage, ob ein Executive Order, d. h. eine Durchführungsanweisung des Präsidenten, ausreicht, den CEQ zum Erlaß bindender "rules" zu ermächtigen, ist für die Praxis seit der Entscheidung "Andrus v. Sierra Club"12 erledigt. 13 Dort hat der Supreme Court die "rules" des CEQ bestätigt, ohne allerdings auf die Frage der ausreichenden Ermächtigung einzugehen. Diese "rules" haben nach Meinung des Supreme Court Anrecht auf beträchtliche richterliche Zurückhaltung, wobei zur Begründung nur auf § 204(3) NEPA 14 verwiesen wird. Dort wird der CEQ freilich nur beauftragt, Empfehlungen abzugeben. Die NRC ist der Ansicht, daß sie als unabhängige Behörde ("independent regulatory agency") n!lr insoweit an die "rules" des CEQ gebunden ist, wie diese das Verfahren oder untergeordnete Formalitäten regeln. Sie hält sich dagegen für berechtigt, Vorschriften des CEQ außer Acht zu lassen, die inhaltliche Vorgaben für die Erfüllung behördlicher Aufgaben enthalten. 15 Ob diese Auffassung rechtmäßig ist, kann bezweifelt werden. Zwar hat der "3rd circuit" entschieden, daß die "rules" des CEQ für eine Behörde nur verbindlich sind, wenn die Behörde sie ausdrücklich übernommen hat. 16
10zu den Aufgaben des CEQ § 204 NEPA= 42 U.S.C.A. § 4334; zum "Bericht über die Umweltqualität" § 201 NEPA= 42 U.S.C.A.§ 433l. 11 s.
42 F.R. 26967 (May 24, 1977), Section 1.
12442 U.S. 347,356 ff. 1380 auch Grad (1989), § 9.01 (3)(a) und dort Fn. 1l. 1442 U .S.C.A. § 4344(3). 15vg l.
49 F.R. 9352 (March 12,1984).
16vg l. Limerick Ecology Action v. NRC, 869 F.2d 719,743.
m. Der National Environrnental Poliey Aet
185
Dabei beruft das Gericht sich jedoch auf ein wdictum w17 ,das seinerseits auf eine Entscheidung verweist, die zeitlich vor Executive Order No. 11991 liege S und daher nicht WruiesW sondern Richtlinien (wguidelines W ) des CEQ betrifft. Außerdem haben die Bundesbehörden gemäß Executive Order No. 11991, Section 2, die WruiesW des CEQ einzuhalten, es sei denn, dies wäre mit gesetzlichen Vorschriften unvereinbar. 19 Weitere Aufgabe des CEQ ist es, Forschungsarbeiten über ökologische Zusammenhänge und Umweltqualität durchzuführen. Gemäß § 202NEPA:1D besteht der CEQ aus drei Personen, die des Vertrauens des Präsidenten bedürfen und von ihm mit Zustimmung des Senats ernannt werden. Der CEQ ist berechtigt, die zur Erfüllung seiner gesetzlichen Aufgaben notwendigen Beamten und Angestellten zu beschäftigen. 21 Sitzungen des CEQ müssen gemäß dem Govemment in the Sunshine Act grundsätzlich öffentlich sein. 22
2. Imbesondere: Das Environmental Impact Statement (EIS) Die in § 102(2)(C) NEPA23 statuierte Verpflichtung der Bundesbehörden, zu Vorhaben, die die Qualität der Umwelt wesentlich berühren, eine detaillierte Erläuterung der Umweltauswirkungen zu erarbeiten, ist für den Bereich der NRC in 10 C.F.R. Part 51 näher geregelt. Gemäß 10 C.F.R. § 51.20(b) muß ein EIS in allen Genehmigungsverfahren für Anlagen erstellt werden, die im Rahmen des Uranbrennstoffkreislaufs eingesetzt werden, von der Aufbereitungsanlage für Uranerz bis hin zu Lagern für bestrahlte Brennelemente und Wiederaufarbeitungsanlagen. Dabei ist ein EIS bereits dann erforderlich, wenn eine wLimited Work Authorization w oder eine Errichtungsgenehmigung erteilt werden soll. a) Verfahren bei der Aufstellung des EIS
Die NRC hat für ihren Zuständigkeitsbereich in 10 C.F.R. Part 51 die entsprechenden Vorschriften erlassen. 17Township of Lower A1loways Creek v. Public Service Electric and Gas Co., 687 F.2d 732,740n. 16. Is Hiram Clarke Civic Club v. Lynn, 476 F.2d 421,424.
19v9 l. 42 F.R. 26968. :1D42
U .S.C.A. § 4342.
21 s. § 203 NEPA= 42 U.S.C.A.§ 4343. 22s. 2342
Pacific Legal Foundation v. Council on Environrnental Quality, 636 F.2d 1259. U.S.C.A.§ 4332(2)(C).
186
B. Genehmigung kemtechnischer Anlagen in den USA
aa) Der Umweltbericht des Antragstellers Das EIS- Verfahren beginnt damit, daß der Antragsteller der NRC einen Umweltbericht ("Environmental Report" - ER) vorlegt. 204 Die Verfahrensvorschriften sehen ausdrücklich vor, daß der Antragsteller im Rahmen seines Planungsprozesses so früh wie möglich informell mit dem Fachpersonal der NRC Kontakt aufnimmt. 2S Auf diese Weise soll er sich insbesondere darüber informieren können, welche Angaben in den ER gehören, und wie ausführlich die Darstellung sein muß. Der Inhalt des ER ist in 10 C.F.R. § 51.50 im einzelnen festgelegt. Demnach hat der Antragsteller sein Vorhaben und die davon berührte Umwelt zu beschreiben sowie die Zwecke des Vorhabens zu erläutern. Zusätzlich muß er folgende Gesichtspunkte erörtern: - die Umweltauswirkungen des Vorhabens in einem ihrer Bedeutung angemessenen Umfang; - alle bei Verwirklichung des Vorhabens unvermeidlichen nachteiligen Umweltauswirkungen; - Alternativen zu dem Vorhaben; dabei sind die Umweltauswirkungen des Vorhabens und der Alternativen soweit wie möglich im Vergleich darzustellen; - die Beziehungen zwischen örtlichen kurzfristigen Nutzungen der Umwelt und der Erhaltung und Steigerung einer langfristigen Produktivität; sowie - alle unwiderruflichen und unumkehrbaren Beanspruchungen natürlicher Ressourcen, die mit der Verwirklichung des Vorhabens verbunden sind. Die Umweltauswirkungen des Vorhabens sowie der Alternativen, die zur Vermeidung nachteiliger Umweltauswirkungen in Frage kommen, sind gegeneinander sowie gegen die Vorteile des Vorhabens abzuwägen. Dabei sollen die einzelnen Gesichtspunkte soweit wie möglich quantifiziert werden. Die Angaben im ER sollen die NRC in die Lage versetzen, die Umweltauswirkungen eigenständig zu analysieren. Auch die gegen das Vorhaben sprechenden Umstände sollen im ER erörtert werden. Für Kernkraftwerke mit Leichtwasserreaktoren hat Tabelle S-3 die Grundlage für die Bewertung zu bilden, welchen Beitrag die Tätigkeiten im Rahmen des Brennstoffkreislaufs26 zu den nachteiligen Umweltauswirkungen des Kernkraftwerks leisten. Die in der Tabelle S-3 enthaltene Annahme, daß die
204 10
C.F.R. § 51.50.
2SvgJ.
10 C.F.R. § 51.40,eben90 § 5 Satz 3 und 4 UVPG.
~on der Uranerzgewinnung und -autbereitung über UFI)"" Erzeugung, Anreicherung, Brennelementherstellung, Wiederaufarbeitung und Abfallbehandlung bis zur Abfallsgerung, vgJ.I0 C.F.R. § 51.51.
ill. Der National Environrnental Policy Act
187
Endlagerung hochaktiver Abfälle keine wesentlichen Umweltauswirkungen haben wird, ist vom Supreme Court in verfahrens- und materiell rechtlicher Hinsicht gebilligt. TI Inwieweit der Beitrag des Transports von Brennelementen und radioaktiven Abfällen zu den Umweltauswirkungen eines einzelnen Kernkraftwerks zu berücksichtigen ist, bestimmt 10 C.F.R. § 51.52. Wenn das Kernkraftwerk bestimmte Bedingungen hinsichtlich der thermischen Höchstleistung, der Brennelementform, des Abbrands, des Abklingzeitraums und der Abfallbehandlung erfüllt, beschränken sich demnach die Beiträge der Transportvorgänge auf die Werte in Tabelle S-4; anderenfalls müssen die Umweltauswirkungen dieser Tätigkeiten detailliert dargelegt werden. Im Verfahren um die Betriebserlaubnis ist der ER zu ergänzen, soweit sich seit dem Verfahren um die Errichtungsgenehmigung etwas geändert hat oder neue Erkenntnisse vorliegen. Das gleiche gilt für das Verfahren um die Stillegung und Beseitigung sowie um die Abfallagerung im Kernkraftwerk nach Ablauf der Betriebsgenehmigung. 28 bb) Die Festlegung des Untersuchungsrahmens (Wscoping process W ) Nachdem der Antragsteller den ER eingereicht hat, veröffentlicht die NRC im Federal Register eine WNotice of Intent W . 29 Darin wird angekündigt, daß ein EIS angefertigt werden soll. Außerdem werden das Vorhaben und die Alternativen kurz vorgestellt. Schließlich wird bekanntgegeben, wo der ER zur Einsichtnahme ausliegt, und wie der W scoping process Wablaufen soll. Teilnehmer am wscoping Wsind laut 10 C.F.R. § 51.28 neben dem Antragsteller sowie Personen, die einen Antrag auf Zulassung als Partei im Genehmigungsverfahren gestellt haben oder bereits zugelassen sind, alle Behörden des Bundes, der Einzelstaaten und der Gemeinden, deren Zuständigkeitsbereich berührt ist. DafÜberhinaus hat jederman das Recht, auf Antrag am wscoping Wteilzunehmen, ohne daß er dazu eine Interessenverletzung geltend zu machen braucht. Die Teilnahme am wscoping Wverleiht dem Betreffenden aber nicht das Recht, Partei des förmlichen Genehmigungsverfahrens zu werden. 3O Zweck des wscoping Wist es, den Umfang des EIS festzulegen, die eingehend zu prüfenden wichtigen Fragen zu ermitteln sowie festzustellen, welche Fragen nebensächlich oder bereits in einem vorhergehenden EIS behandelt sind; außerdem sollen die Mittel festgelegt werden, mit denen das EIS erstellt werden soll, v. a. inwieweit private Tlvgl. Vennont Yankee Nuclear Power Corp. v. NRDC, 435 U.S. 519; Baltimore Gas and E1ectric Co. v. NRDC, 462 U.S. 87. 28zu
den ggf. nötigen Ergänzungen des ER vgl. 10 C.F.R. § 51.53(a), (b).
29vgl. 3080
10 C.F.R. § 51.27.
ausdrücklich 10 C.F.R. § 51.28(c).
B. Genehmigung kemtechnischer Anlagen in den USA
188
Unternehmer beauftragt werden sollen. In der Regel sind die Teilnehmer am wscopingWauf schriftliche Eingaben beschränkt; die NRC kann jedoch auch eine öffentliche Sitzung epublic scoping meeting W ) halten. Am Ende des wscoping Wwerden die Ergebnisse schriftlich zusammengefaßt und den Teilnehmern zugesandt. Die Zusammenfassung kann bis zur Veröffentlichung des Draft Environmental Impact Statement nach Bedarf geändert werden, wenn das Vorhaben geändert wird oder sich wesentliche neue Erkenntnisse über seine Umweltauswirkungen ergeben. 31 Während demnach in den USA die Öffentlichkeitsbetieligung bei der Festlegung des Untersuchungsrahmens obligatorisch ist, ist sie gemäß § 5 S. 2 UVPG fakultativ. Dies ist bedauerlich, da in diesem Verfahrensabschnitt bereits wichtige Vorentscheidungen fallen können, die später v. a. aus tatsächlichen Gründen kaum noch zu ändern sind. 32 ce) Erstellung eines Entwurfs (Draft Environmental Impact Statement DEIS) Aufgrund der Ergebnisse des wscopingWfertigt das Fachpersonal der NRC das DEIS an. Sodann wird das DEIS an die EPA, alle Behörden, deren Zuständigkeit berührt ist, an die Parteien des Genehmigungsverfahrens sowie auf Anforderung an diejenigen interessierten Gruppen und Organisationen verteilt, die in einer besonderen, von der NRC geführten Liste verzeichnet sind. Einzelpersonen ist das DEIS gemäß dem Freedom of Information Act auf besonderen Antrag hin zugänglich zu machen. 33 In das Federal Register ist gemäß 10 C.F .R. § 51.117 eine WNotice of Availabilityw aufzunehmen; darin ist anzugeben, wo das DEIS eingesehen werden kann, wo und bis zu welchem Termin Stellungnahmen zum DEIS eingereicht werden können, und daß die abgegebenen Stellungnahmen zur Einsicht ausgelegt werden. Eine entsprechende Mitteilung ist auch in geeigneten Massenmedien zu veröffentlichen. 34 Die Frist für Stellungnahmen muß gemäß 10 C.F .R. § 51.73 mindestens 45 Tage betragen; sie kann um bis zu 15 Tage verlängert werden. dd) Das Final Environmental Impact Statement (FElS) Das FElS enthält die Reaktion der NRC auf alle Stellungnahmen zum DEIS, zumindest jeweils die Begründung, weshalb eine bestimmte Stellung-
31 zum
3280
Ablauf des "scoping" vgl. 10 C.F.R. §§ 51.29,51.26(b).
auch SoelllDimberger, NVwZ 1990,707.
33vgl.
im einzelnen 10 C.F.R. §§ 51.70,51.74.
~gl. 10 C.F.R. § 51.74(d).
m. Der National Environmental Poliey Aet
189
nahme keine weitere Auseinandersetzung verdient. Sämtliche wesentlichen Stellungnahmen - gleich, ob sie im Text des FElS einzeln erörtert werden müssen dem FElS beigefügt werden. Im FElS werden die Umweltauswirkungen des Vorhabens abschließend analysiert und es wird eine endgültige Empfehlung abgegeben, ob das Vorhaben, ggf. in modifizierter Form, durchgeführt werden kann oder nicht. 3s Das FElS ist gemäß 10 C.F.R. §§ 51.93,51. 118 in gleicher Weise wie das DEIS bekanntzumachen und zu verteilen, mit dem einzigen Unterschied, daß jedem, der eine Stellungnahme abgegeben hat, ein Exemplar des FElS zusteht. In der förmlichen Anhörung führt das Fachpersonal das FElS als Beweismittel ein. Das ASLB muß gemäß 10 C.F.R. § 51.105 - feststellen, ob § 102(2)(A), (C), (E) NEPA sowie 10 C.F.R. Part 51 eingehalten sind; - eigenständig die endgültige Abwägung der Umweltauswirkungen gegen die Vorteile des Vorhabens überprüfen; - aufgrund der Anhörung entscheiden, ob die beantragte Genehmigung erteilt, verweigert oder zum Schutz der Umwelt angemessen modifiziert werden muß; sowie - in unstreitigen Verfahren entscheiden, ob das Fachpersonal der NRC die Umweltschutzfragen hinreichend untersucht hat. Im Verfahren um die Betriebsgenehmigung wird gemäß 10 C.F.R. § 51.95 (a) das anläßlich der Errichtungsgenehmigung angefertigte FElS insoweit ergänzt oder geändert, als sich die Verhältnisse geändert haben oder neue Erkenntnisse vorliegen; dabei ist der Öffentlichkeit Gelegenheit zu geben, zu den Änderungen Stellung zu nehmen. 10 C.F.R. § 51.105 ist eine nahezu wörtliche Übernahme der Vorgaben, die der "D.C. circuit" in "Calvert Cliffs Coordinating Committee v. AEC"36 den Atombehörden gestellt hat. Bis zu dieser Entscheidung war es Praxis der AEC gewesen, daß Gesichtspunkte des Umweltschutzes von den ASLBs überhaupt nur dann geprüft wurden, wenn sie von den Parteien angesprochen waren. Wenn dagegen keine Partei derartige Fragen aufgeworfen hatte, sollten die Pflichten, die der NEPA der AEC auferlegt hatte, vollständig außerhalb des Anhörungsverfahrens erfüllt werden. Diese Verfahrensweise hielt das Gericht in "Calvert Cliffs" für unvereinbar mit der Bestimmung des NEPA, daß das EIS "das Vorhaben durch das bestehende behördliche Überprüfungsverfahren zu begleiten" hat. 31
3Sallgemein zum Inhalt des FElS vgl. 10 C.F.R. § 51.91.
36449 F.2d 1109,1117 f. 31vgl. § 102(2)(C)= 42 U.S.C.A. § 4332(2)(C) a. E.: "[the statement] sball aeeompany the proposal through the existing ageney review processes. "
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Im Gegensatz zum NEPA verlangt § 11 UVPG kein eigenes UVP-Dokument, sondern gestattet, die zusammenfassende Darstellung der Umweltauswirkungen als Teil der Entscheidung über die Zulassung des Vorhabens anzufertigen. Ein eigenes UVP-Dokument hätte jedoch möglicherweise die hinreichende Bewertung und Berücksichtigung der Umweltauswirkungen bei der nachfolgenden Entscheidung erleichtert. 38 b) Verhliltnis von AEA und NEPA Durch den NEPA ist das Spektrum der Fragen, denen die NRC in den Genehmigungsverfahren nachzugehen hat, erheblich erweitert worden. Vorher sahen die US-Atombehörden ihre Aufgabe mit gerichtlicher Billigung darauf beschränkt, den Schutz der Allgemeinheit vor den Gefahren radioaktiver Strahlung sicherzustellen. 39 Der NEPA dagegen erfaßt neben diesen nuklearspezifischen Gesichtspunkten auch nichtnuklearspezifische Belange. Dabei ist es allerdings nicht nötig, daß die NRC die Einhaltung des AEA ausschließlich anband von Beweismitteln prüft, die in speziellen "Verhandlungen über Gesundheits- und Sicherheitsfragen" ("health and safety hearings") vorgebracht wurden, und daß sie daneben eigens "Verhandlungen über Umweltschutzfragen" ("environmental hearings") abhält, um die nuklearspezifischen Belange gemäß dem NEPA zu bewerten; dies zu verlangen, wäre überzogener Formalismus. 40 Soweit die vom NEPA und die vom AEA geforderten Untersuchungen sich auf dieselben Gesichtspunkte beziehen, braucht die NRC also nur eine einheitliche Anhörung zu veranstalten. Die Formulierung, daß die Behörden den NEPA "im weitestmöglichen Umfang w41 einhalten müssen, wird von den Gerichten so verstanden, daß jede Bundesbehörde sich nach dem NEPA zu richten hat, soweit nicht ihr Fachgesetz dies ausdrücklich verbietet oder unmöglich macht. Da das AEA kein solches explizites Verbot enthält, geht es dem NEPA nicht als Spezialgesetz vor. Die Feststellung der NRC, daß eine Anlage ausreichenden Schutz i. S. d. AEA bietet, schließt es daher nicht aus, daß das noch verbleibende Risiko gemäß dem NEPA im EIS erörtert werden muß. 42 Der NRC wurde es deshalb insbesondere auferlegt, Maßnahmen zur Abmilderung schwerer Unfälle ("Severe Accident Mitigation Design Alternatives")
38 so
auch Soell/Dimberger, NVwZ 1990,707.
39vgJ. 4Oso
State of New Hampshire v. AEC, 406 F.2d 170,175.
Citizena for Safe Power v. NRC, 533 F.2d 1291,1299.
41"to the fullest eJdent possible", vgJ. § 102 NEPA= 42 U.S.C.A.§ 4332. 42ygJ. Limerick Ecology Action v. NRC, 869 F.2d 719,729 f.
m.
Der National Environmental Policy Act
191
im EIS zu behandeln, z. B. eine mit Filtern ausgestattete Druckbegrenzung für den Sicherheitsbehälter ("filtered-vented containment").43 Dies ist ein wesentlicher Unterschied zum UVPG, dessen § 12 vorschreibt, daß die Bewertung der Umweltauswirkungen zwar im Hinblick auf eine wirksame Umweltvorsorge im Sinne von §§ 1,2 I 2 und 4 UVPG, aber nach Maßgabe der geltenden Gesetze bei der Entscheidung über die Zulassung des Vorhabens zu berücksichtigen ist. Wegen dieser Einbindung der UVP in die geltenden Gesetze bietet das UVPG keine Ansatzpunkte für eine erweiterte gerichtliche Überprüfung umweltrechtlicher Entscheidungen. Im Atomrecht z. B. wird die zusammenfassende Darstellung der Umweltauswirkungen entweder als Belang in die Abwägung gemäß § 7 II Nr. 6 AtG einzustellen oder als Ermessensdirektive gemäß § 7 I AtG zu berücksichtigen sein. Beide Vorschriften sind nach h. M. nicht drittschützend. c) Inhalt des EIS
Der Inhalt der EIS ist in Vorschriften des CEQ und der NRC geregelt. aa) Übersicht Im EIS muß detailliert dargelegt werden, wie sich die Errichtung und der Betrieb der Anlage auf die Umwelt auswirken. 44 Dazu ist der Standort, die Anlage und die von ihr beeinflußte Umwelt zunächst genau zu beschreiben. Anschließend müssen die Umweltauswirkungen der Bauplatzvorbereitung und der Errichtung der Anlage einschließlich derjenigen ihrer Anbindung an das Hochspannungsleitungsnetz analysiert werden. Auch die Folgen des Betriebs und denkbarer Stör- und Unfälle ("accidents") sind darzulegen. Große Bedeutung hat die Erörterung von Alternativen zur Errichtung der Anlage; regelmäßig werden der Verzicht auf die Anlage, die Verschiebung des Baubeginns, der Einsatz anderer Energieträger, Alternativstandorte und technische Änderungen an der Anlage geprüft. Letztere betreffen v. a. das Hauptkühlwassersystem sowie die Systeme zur Behandlung der Abfälle. 4S Beim Vergleich unterschiedlicher Energieträger sind nicht nur monetäre Kosten, sondern auch die Umweltauswirkungen zu berücksichtigen.46
4lniese Maßnahmen werden in Deutschland als "anlagenintemer Notfallschutz" bezeichnet, s. o. S. 28 f, 78 f. 44allgemein zum Inhalt des EIS Schoenbaum (1988), 112; Hinweise zur Gliederung des EIS in 10 C.F.R. Part 51 App. A. 4Svg1
49 F.R. 9354 (March 12,1984).
46ygJ. Tennes&ee Valley Authority (Hartsville, Units lA, IB, 2A, and 2B), NRR § 30139 (1977).
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Schließlich müssen die wirtschaftlichen und technischen Vorteile der Anlage gegen die nachteiligen Folgen für die Umwelt abgewogen werden. Wenn die Vorteile überwiegen und das Vorhaben im Vergleich zu verfügbaren Alternativen vertretbar ("reasonable") ist, wird das EIS die Errichtung befürworten. 41 bb) Einzelheiten (1) Vollständigkeit und Detailliertheit der Darstellung Gemäß § 102(2)(C)(i) NEPA48 müssen die Behörden die Umweltauswirkungen eines Vorhabens detailliert erläutern. Wie ausführlich die Darstellung zu sein hat, richtet sich nach der Wesentlichkeit der Umweltauswirkungen. 49 Bei der Bewertung, ob Umweltauswirkunge wesentlich sind, sollten folgende Gesichtspunkte berücksichtigt werden: so - Auswirkungen, die sowohl vorteilhaft als auch nachteilig sind; eine wesentliche Auswirkung kann selbst dann vorliegen, wenn die Behörde annimmt, daß die Auswirkung im Ergebnis von Vorteil sein wird; - inwieweit das Vorhaben Gesundheit oder Sicherheit der Allgemeinheit berührt; - inwieweit die Umgebung des Vorhabens einzigartige Merkmale aufweist, z. B. Nähe zu historisch oder kulturell bedeutsamen Stätten, Parks, für die Landwirtschaft besonders geeigneten Flächen, Feuchtgebieten, landschaftlich schönen Wasserläufen oder sonstigen ökologisch bedeutsamen Gebieten; - inwieweit die Auswirkungen auf die Qualität der Umwelt wahrscheinlich umstritten sein werden; - inwieweit die möglichen Umweltauswirkungen ungewiß sind oder einzigartige oder unüberschaubare Risiken darstellen; - inwieweit das Vorhaben eine Präjudizwirkung für zukünftige Maßnahmen mit wesentlichen Umweltauswirkungen hat oder eine Grundsatzentscheidung darstellt; - ob das Vorhaben in Verbindung mit anderen Maßnahmen steht, die für sich genommen unbedeutende, kumulativ jedoch wesentliche Umweltaus-
41vgl. Schoenbaum (1988),112 m. w. N. 4842
U.S.C.A. § 4332(2)(C)(i).
49vgl1O
C.F.R. Part 51 Subpart A, App. A, section 6.
SOvgl. die Aufz.ählung in 40 C.F.R. § 1508.27(b); dazu auch Mezger (1989), 150 f.
m. Der
National Envirorunental Policy Act
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wirkungen haben. Insoweit ist Wesentlichkeit schon dann zu bejahen, wenn vernÜBftigerweise wesentliche Umweltauswirkungen anzunehmen sind. Sie kann nicht dadurch ausgeschlossen werden, daß ein Vorhaben als zeitweilig bezeichnet oder in kleine Abschnitte aufgespalten wird; - inwieweit das Vorhaben Örtlichkeiten oder Gegenstände nachteilig betreffen kann, die im "National Register of Historie Places" verzeichnet sind oder deren Aufnahme darin in Betracht kommt; oder inwieweit das Vorhaben den Verlust oder die Zerstörung wesentlicher wirtschaftlicher, kultureller oder historischer Schätze herbeiführen kann; - inwieweit die Maßnahme eine gefährdete oder bedrohte Art oder ein Biotop nachteilig berührt, die für "entscheidend" i. S. d. Endangered Species Act of 1973 erklärt sind; - ob das Vorhaben eine Verletzung des Rechts des Bundes, eines Einzelstaats oder einer Gemeinde oder von Anforderungen verursachen kann, die zum Schutz der Umwelt aufgestellt sind. Im EIS müssen Auswirkungen ökologischer, ästhetischer und sozialer Art sowie Folgen für die Gesundheit, Wirtschaft, Kultur und für historisch bedeutsame Stätten erörtert werden, soweit diese Auswirkungen noch vernÜBftigerweise vorhersehbar sind. SI Als die NRC darüber entscheiden wollte, ob der von dem Unfall im Jahre 1979 nicht betroffene Reaktorblock Three Mile Island 1 wieder in Betrieb gehen könnte, verlangten die Bewohner der Umgebung, im EIS auch die psychischen Auswirkungen dieser Maßnahme auf sie zu betrachten. Der Supreme Court bestätigte jedoch die Auffassung der NRC, daß diese Erörterung vom NEPA nicht gefordert sei: s2 Das Gesetz verlange einen hinreichend engen Zusammenhang zwischen einer Veränderung der natürlichen Umwelt und der betreffenden Auswirkung, denn es spreche ausdrücklich von "Umweltauswirkungen " ("environmental" impact). Das Risiko eines erneuten Unfalls sei keine solche Auswirkung auf die natürliche Umwelt, da es definitionsgemäß nicht in der natürlichen Umwelt verwirklicht sei. In einer Kausalkette von der erneuten Betriebsaufnahme des Reaktorblocks zu psychischen Gesundheitsschäden seien das Element des Unfallrisikos und seine Wahrnehmung durch die Bewohner der umliegenden Orte notwendige Zwischenglieder. Das Element des Risikos verlängere jedoch die Kausalkette über die Reichweite des NEPA hinaus.
Slvgl40 C.F.R. § 1508.8.§ 2 I 2 Nr. I UVPG versteht die "Umweltauswirkungen" ähnlich weit, nämlich als "Auswirkungen auf Menschen, Tiere und Pflanzen, Boden, Wasser, Luft, Klima und Landschaft einschließlich der jeweiligen Wechselwirkungen sowie auf Kultur- und sonstige Sachgüter". Mit der Einbeziehung auch der Wechselwirkungen dürfte das UVPG sogar über den NEPA hinausgehen. Slygl. Metropolitan Edison Co. v. People Against Nuclear Energy, 460 U.S. 766,773 fT; a. A. noch die Vorinstanz, People Against Nuclear Energy v. NRC, 678 F.2d 222. 13 Heitsch
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Wie weit die Behörde bei der genauen Abschätzung der Umweltauswirkungen gehen muß, richtet sich nach einer "Regel der Vernunft" ("rule of reason "); gefordert ist weder Perfektion im Detail noch die Betrachtung von Auswirkungen, die femliegend sind und in hohem Ausmaß auf Spekulationen beruhen ("remote and highly speculative consequences").53 (2) Alternativen § l02(2)(i)(V) NEPA54 verlangt ausdrücklich, daß im EIS Alternativen zum Vorhaben zu erörtern sind. Dagegen enthält § 6 IV Nr. 3 UVPG keine Pflicht des Vorhabensträgers, Alternativen zu seinem Projekt zu prüfen. Unabhängig davon dürfte aber die Erlaubnisbehörde nach dem UVPG verpflichtet sein, von sich aus Alternativen zu untersuchen und ggf. die Genehmigung zu verweigern, sofern eine Alternativlösung weniger umweltbelastend ist. Auch wenn diese Verpflichtung nicht ausdrücklich im UVPG steht, folgt sie doch v. a. aus dem Zweck der UVP, die Auswirkungen von Vorhaben auf die Umwelt so gering wie möglich zu halten. Dieser Zweck kann insbesondere bei Standortentscheidungen vielfach ohne Alternativenprüfung gar nicht erreicht werden. Außerdem wird die wegen des Mangels geeigneter Kriterien äußerst schwierige Bewertung der Umweltauswirkungen erheblich erleichtert, wenn Alternativen als Vergleich zur Verfügung stehen. Denn die Entscheidung, welche von mehreren Alternativen am verträglichsten für die Umwelt ist, läßt sich allemal leichter treffen als die abstrakte Bewertung der Umweltauswirkungen eines Projekts. 55
Der Supreme Court hat in ·Vermont Yankee Nuclear Power Corp. v. NRDC· dazu Stellung genommen, in welchem Umfang das EIS Alternativen zum Vorhaben behandeln muß. 56 Diese Untersuchung ist nach Meinung des Supreme Court begrenzt durch ein Mindestmaß an Machbarkeit ("bounded by some notion of feasibility"). Ein EIS kann daher nicht für unvollständig befunden werden, bloß weil die Behörde nicht jede denkbare Alternative erörtert hat. Entscheidend ist, inwieweit die jeweilige Alternative nach dem Stand der Erkenntnis zur Zeit der behördlichen Entscheidung sinnvollerweise untersucht werden kann.
53vg l. Grad (1989), § 9.03(3)(a) m. w. N.; San Luis Obispo Mothers for Peace v. NRC, 751 F.2d 1287,1300; Limerick Eco1ogy Action v. NRC, 869 F.2d 719, 739. 5442
U.S.C.A.§ 4332(2)(i)(V).
55zum
ganzen Soell/Dimberger, NVwZ 1990,710 f.
56vg1.435 U.S. 519,551 ff.
m. Der National Environmental Policy Act
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(a) Mitwirkungslasten der Parteien Unter Berufung auf den NEPA hat der "D.C. circuit" versucht, die Mitwirkungslasten der Parteien im Verfahren zu verringern. Der NEPA habe, so das Gericht bereits in "Calvert Cliffs Coordinating Committee v. AEC"'7, den Umweltschutz zur Aufgabe der Atombehörden erhoben. Die Behörden selbst trügen in erster Linie die Verantwortung, diese Aufgabe zu erfüllen. Sie dürften daher nicht nur passiv das Vorbringen der Parteien entgegennehmen. Vielmehr müßten sie selbst die Initiative ergreifen. Aufgrund dieser Erwägungen hat der Court of Appeals entschieden, daß die Stellungnahmen der Parteien zum DEIS nur ausreichend deutliche Hinweise auf anscheinend denkbare, noch nicht erörterte Alternativen zu enthalten bräuchten, um die Behörde bereits zur Prüfung dieser Alternative zu veranlassen. 58 Die Einwender bräuchten keine Anhaltspunkte dafür vorzutragen, daß die angesprochene Alternative tatsächlich eine genauere Untersuchung verdiene. Dies zu prüfen, sei vielmehr die Behörde verpflichtet, die zudem ggf. im EIS kurz zu begründen habe, weshalb eine weitere Erörterung der von den Einwendern angeregten Alternative nicht angezeigt sei. Diese "einwenderfreundliche " Ansicht ist jedoch vom Supreme Court verworfen worden. 39 Auch unter der Geltung des NEPA seien die Parteien verpflichtet, ihre Mitwirkung im Verfahren sinnvoll zu strukturieren, so daß die Behörde auf die Ansichten der Parteien aufmerksam werde. Deshalb sei die Auffassung der NRC vertretbar, daß die Stellungnahmen zum DEIS hinreichende Anhaltspunkte zu enthalten hätten, so daß besonnene Menschen zu weiteren Untersuchungen der darin genannten Alternativen veranlaßt würden. (b) Alternativstandorte Im Rahmen der Prüfung von Alternativen spielen Alternativstandorte eine besondere Rolle. Normalerweise werden 15 bis 20 solche anderen Standorte untersucht. 60 Dabei benutzt die NRC einen zweistufigen Bewertungsmaßstab. Zunächst muß der Antragsteller ein Verzeichnis von Alternativstandorten vorlegen, die "zu den besten gehören, die vernÜDftigerweise zu fmden sind" in dem Gebiet, in dem es sinnvoll ist, zur Deckung des Energiebedarfs ein Kernkraftwerk zu bauen. Auf der zweiten Stufe wird der vom Antragsteller gewünschte Standort nur gebilligt, wenn kein "offensicht-
57449
F.2d 1109,1119.
58vgl. Aeschliman v. NRC, 547 F.2d 622, 627 f (reversed 435 U.S. 519). 59vgl. Vennont Yankee Nuclear Power Corp. v. NRDC, 435 U.S. 519, 553 f und dazu Mezger (1989), 175. 6Ovg l. Schoenbaum
(1988), 114.
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B. Genehmigung kemtechnischer Anlagen in den USA
lieh überlegener" ("obviously superior") Alternativstandort gefunden wurde. 61 Der Umfang des Standortvergleichs wird durch 7JIhlreiche Faktoren begrenzt, u. a. durch das Erfordernis, den festgestellten Energiebedarf durch zeitgerechte Inbetriebnahme der Anlage zu decken, Kostenvorteile der Errichtung am vom Antragsteller gewünschten Standort und das Verhalten der Einwender bei der Präsentation von Alternativstandorten. 6l Wenn die Einwender das Thema Alternativstandorte erst nach Ablauf der Frist für Stellungnahmen zum DEIS aufwerfen, müssen sie besondere Vorteile der Alternativstandorte glaubhaft machen, damit weitere Untersuchungen veranlaßt sind. Dies gilt umso mehr dann, wenn die vorgebrachten Altemativstandorte außerhalb des Versorgungsbereiehs des Antragstellers liegen. Die Vorteile eines jeden der in die Untersuchung einbezogenen Alternativstandorte sind aufzulisten und abzuwägen. Dabei haben die Gerichte gebilligt, daß die NRC den vom Antragsteller vorgesehenen Standort nur dann verwirft, wenn ein Alternativstandort offensichtlich überlegen ist. 63 Dieser Maßstab solle sicherstellen, daß nur dann auf einen Alternativstandort ausgewichen wird, wenn die NRC sicher sein kann, dies sei notwendig. Angesichts der unvermeidbaren Ungenauigkeit der Abwägung und der Tatsache, daß der vom Antragsteller geplante Standort wahrscheinlich viel genauer geprüft sei als die Alternativstandorte, sei es nicht unvertretbar , auf einer verstärkten Gewähr dafür zu bestehen, daß es angemessen ist, den Antrag für den geplanten Standort abzulehnen. Denn der NEPA verlange nicht, daß das Kernkraftwerk am aus Gründen des Umweltschutzes besten Standort gebaut werde. Es genüge, wenn Alternativstandorte betrachtet und wenn die Umweltauswirkungen, die die Errichtung der Anlage an diesen Standorten haben könnte, genau untersucht und in die endgültige Entscheidung eingestellt würden. Bei der Prüfung von Alternativstandorten wägen die ASLBs die Kosten der Vollendung der Anlage am geplanten Standort ab gegen den Aufwand für den Bau am Alternativstandort. Damit werden die Kosten, die am geplanten Standort bereits aufgewendet sind, zugunsten dieses Standorts berücksichtigt. 64
61 vgl.
49 F.R. 9352,9354 (March 12,1984).
62ygl. Seacoast Anti-Pollution League v. NRC, 598 F.2d 1221,1229. 63vgl.
New England Coalition v. NRC, 582 F.2d 87,95.
64vgl.
- bestätigend - New England Coalition v. NRC, 582 F.2d 95 f.
m. Der National Environmental Poliey Ael
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(3) Auswirkungen des Betriebs Das EIS muß auch zu den Umweltauswirkungen des Betriebs ausführlich Stellung nehmen. Zu betrachten sind insbesondere die radiologischen Auswirkungen des Normalbetriebs und die Umweltfolgen von Unfällen ("accidents") in der Anlage. (a) Radioaktivitätsabgaben im Normalbetrieb Gemäß 10 C.F.R. Part 50 App. I sind die Radioaktivitätsabgaben über Abluft und Abwasser während des Normalbetriebs "so niedrig wie vernÜDftigerweise erreichbar" ("as low as reasonably achievable" - ALARA) zu halten. Über die Auswirkungen der dem ALARA-Gebot entsprechenden Abgaben auf die Gesundheit darf in den einzelnen Genehmigungsverfahren streitig verhandelt werden. 65 Allerdings sollten nach Meinung der Commission unnötige Auseinandersetzungen darüber vermieden werden. Wenn die ASLBs die Auswirkungen der sich i. R. d. Richtwerte des App. I haltenden Abgaben auf die Gesundheit anband des NEPA bewerteten, sollten sie daher von Amts wegen Unterlagen berücksichtigen, die die NRC zu einem früheren Zeitpunkt in Ausführung des NEPA erstellt habe. Hierzu gehöre v. a. die Betrachtung der Umweltauswirkungen, die aus Anlaß des Verfahrens um den Erlaß von App. I erarbeitet sei. Das ASLB solle insbesondere von Amts wegen zur Kenntnis nehmen, daß die nach App. I zulässigen Abgaben zu Strahlenbelastungen führten, die Bruchteile der natürlichen Strahlenbelastung ausmachten. (b) Auswirkungen von "Unfällen" ("accidents")
Leitlinie dafür, wie die Umweltauswirkungen von "Unfällen" ("accidents") in EIS zu behandeln waren, bildete bis 1980 ein niemals verabschiedeter Entwurf für eine "rule ".&SDort waren neun Unfallklassen gebildet worden. Die Auswirkungen der Ereignisse in Klasse 1 wurden für so geringfügig erachtet, daß ihre Erörterung im EIS nicht notwendig war. Klasse-8-Ereignisse waren diejenigen Unfälle, die in den SARs der Antragsteller und den SERs des Fachpersonals untersucht werden; sie sind die "design basis accidents" (" Auslegungsstörfälle"), anband derer die Leistungsanforderungen für technische Sicherheitsvorkehrungen aufgestellt werden. Dazu gehörten insbesondere Kühlmittelverluststörfälle sowie Frischdampfleitungs-
65vgl. Publie Service Co. of Oklaboma (Blaek Fox Station, Unils 1 and 2), NRR § 30525 (1980).
&S"Consideration of Aeeidenls in Implementation of the National Environmental Poliey Ael of 1969" ,36 F.R. 22851 ff (December 1, 1971).
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B. Genehmigung kemtechnischer Anlagen in den USA
brüche. Während für Zwecke der Sicherheitsanalyse konservative Annahmen gemacht werden, schrieb der "rule"-Entwurf vor, daß die Klasse-8Unfälle für Zwecke des NEPA aufgrund von "realistischen" Annahmen zu untersuchen waren. Klasse-9-Unfälle umfaßten die Folgen von angenommenen nacheinander auftretenden Mehrfachfehlern, die über die Auslegungsstörfälle hinausgehen. Ihre möglichen Folgen wurden als schwerwiegend angesehen. Allerdings wurde angenommen, daß ihre Eintrittswahrscheinlichkeit so gering sei, daß ihre Umweltauswirkungen extrem niedrig seien. Denn die "Verteidigung in der Tiefe" ("defense in depth~) durch mehrer Spaltproduktbameren, Qualitätssicherung, fortlaufende Uberwachung und Prüfung sowie konservative Auslegung boten nach Ansicht der NRC die notwendige Gewähr, daß solche schweren Unfälle eine hinreichend entfernte Eintrittswahrscheinlichkeit hätten. Deshalb wurde es nicht für notwendig gehalten, solche Ereignisse im ER oder im EIS zu behandeln. 67 Diese Praxis ist gerichtlich bestätigt worden. 68 Da die Erläuterung der Umweltauswirkungen stets nur fundierte Prognosen anstelle von Gewißheiten enthalten könne, sei es völlig richtig, sowohl die Wahrscheinlichkeit als auch die Auswirkungen bestimmter Ereignisse zu berücksichtigen, wenn man deren Umweltauswirkungen ermitteln wolle. Dabei gebe es einen Punkt, an dem die Wahrscheinlichkeit eines Ereignisses so gering werde, daß es fast nicht mehr beachtenswert sei. Unter Berufung auf diese Entscheidung hat der "7th circuit" es für vertretbar gehalten, daß die ABC wegen der geringen Wahrscheinlichkeit eines Klasse-9-Unfalls der niedrigeren Bevölkerungsdichte an einem vorgeschlagenen Alternativstandort keine wesentliche Bedeutung zugemessen hatte. 69 Im Gefolge des Unfalls in Three Mile Island 2 erließ die NRC 1980 ein "Policy Statement" ,10 in dem der "rule"-Entwurf von 1971 zurückgezogen wurde und zugleich neue Grundsätze für die Behandlung von Unfällen im EIS verkündet wurden. Für die Rücknahme des "rule"-Entwurfs führte die NRC vier Gründe an: Der Entwurf habe die Erörterung von Unfallarten (Klasse 9) untersagt, die gemäß der Reactor Safety Study71 das Unfallrisiko maßgeblich mitbestimmten; die Definition des Klasse-9-Unfalls sei nicht hinreichend präzise, um ihre weitere Verwendung durch die NRC zu rechtfertigen; die im Entwurf vorgeschriebenen Annahmen für die Untersuchung der Umweltauswirkungen von Unfällen trügen nicht zu einer objektiven Betrachtung bei; der Entwurf berücksichtige nicht genügend die ge-
67vgl.
36 F.R. 22852.
68vgl.
Carolina Environmental Study Group v. ABC, 510 F.2d 796, 798 ff.
69vgl.Portcr County Chapter ofthe Izaak Walton League v.ABC, 533 F.2d 1011, 1017f. 1Ovgl.
45 F.R. 40101 ff (June 13, 1980).
71 sog. Rasmussen Report: An Assessment of Accident Risks in U.S. Comrnercial Nuclear Power Planta; WASH-I400 (NUREG 75/014).
m. Der National Environmental Policy Act
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naue Behandlung der Maßnahmen zur Vermeidung oder Abmilderung von Unfällen in der Sicherheitsüberprüfung jedes einzelnen Antrags. In zukünftigen Untersuchungen gemäß dem NEPA sollen nicht nur zu Spaltproduktfreisetzungen führende Unfallabläufe einbezogen werden, mit deren Eintritt vernÜDftigerweise zu rechnen ist. Vielmehr sind auch Ereignisse zu erörtern, die zu nicht ausreichender Kühlung und damit zu einem Schmelzen des Reaktorkerns führen können. n Die Umweltauswirkungen dieser Vorgänge sind im Hinblick auf mögliche Strahlenbelastungen für Einzelpersonen und Bevölkerungsgruppen zu beschreiben. Außerdem müssen sie mit den radiologischen Auswirkungen normaler und Wantizipierter betriebsbedingter W Abgaben verglichen werden. Die NRC stellt ausdrücklich fest, daß die Änderung der Praxis nicht als Zeichen mangelnden Vertrauens in die Ergebnisse früherer Analysen der Folgen von Unfällen für die Umwelt verstanden werden soll; außerdem sollte die Änderung nur dann rückwirkend auf bereits abgeschlossene FElS anwendbar sein, wenn wichtige Gründe dafür vorgetragen würden. Als Wwichtige Gründe w angesehen wurden bereits vor Verabschiedung des Wpolicy Statement Wvon 1980 eine besonders hohe Bevölkerungsdichte, die Nähe der Anlage zu künstlichen oder natürlichen Gefahrenquellen, ungewöhnliche Merkmale des Standorts oder ungewöhnliche technische Merkmale der Anlage, soweit dadurch das Risiko eines Klasse-9-Unfalls für die Umwelt wesentlich größer erschien als bei einer durchschnittlichen Anlage. 73 Unter dieser Voraussetzung mußten bereits vor 1980 Klasse-9-Unfälle berücksichtigt werden. Nach der neueren Rspr. liegen wwichtigeGründe\ die zur rückwirkenden Anwendbarkeit des Wpolicy Statement W führen, vor, wenn die Folgen eines Unfalls ungewöhnlich schwer wären oder wenn seine Eintrittswahrscheinlichkeit besonders hoch ist. 74
(4) Abwägung Welche Anforderungen an die abgewogene Bewertung im Rahmen der EIS zu stellen sind, hat der wD.C. circuit Wbereits in einem der ersten Urteile zum NEPA entwickelt. Demnach müssen in jedem Einzelfall die besonderen wirtschaftlichen und technischen Vorteile einer geplanten Maßnahme ermittelt und gegen die Kosten für die Umwelt abgewogen werden. Die Größe der mit dem Vorhaben möglicherweise verbundene Vorteile und Kosten kann an beliebiger Stelle innerhalb eines breiten Spektrums liegen. In manchen Fällen werden die Vorteile hinreichend groß sein, um ein gewisses Maß an Kosten für die Umwelt zu rechtfertigen. In anderen ~gl. 45 F.R. 40103. 73vgl.
Public Service Co. (Black Fox Station, Unila 1 and 2), 11 NRC 433,434 f (1980).
74vgl.
z . B. San Luis Obispo Mothers for Pcace v. NRC, 751 F.2d 1287, 1304.
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Fällen werden sie nicht so groß sein; dann muß das Vorhaben aufgegeben oder wesentlich geändert werden, um Vorteile und Kosten in ein angemessenes Verhältnis zu bringen. Zur Darstellung der Umweltauswirkungen haben die Behörden eine Reihe von Methoden entwickelt, deren Anwendung von der Rspr. zwar nicht gefordert aber akzeptiert wird. Bei der Matrix-Analyse werden die Bestandteile des Vorhabens auf der horizontalen und die Umweltfaktoren auf der vertikalen Achse der Matrix aufgeführt; die Bedeutung der einzelnen Bestandteile und der Umweltauswirkungen wird durch Zahlen dargestellt. Die Network-Methode ermöglicht, Ursache-Folge-Verbindungen zwischen den Segmenten des Vorhabens und den Umweltauswirkungen aufzuzeigen. Die Umweltauswirkungen graphisch darzustellen, erlaubt die Overlay-Methode; mit diesen beiden Techniken können jedoch die Umweltauswirkungen nicht bewertet werden. Eine Abwägung der Vor- und Nachteile ermöglicht die Kosten-Nutzen-Analyse, die jedoch einseitig auf wirtschaftliche Folgen gerichtet ises. Als Zeichen für eine hinreichend abgewogene Bewertung der U mweltauswirkungen verlangen die Gerichte, daß das EIS nicht nur Auffassungen enthält, die für die Verwirklichung des Vorhabens sprechen. Vielmehr müssen auch diejenigen seriösen ("reasonable") Ansichten wiedergegeben werden, die der verantwortlichen Behörde unterbreitet wurden und ihren Standpunkt in Frage stellen. Dabei braucht die Behörde jedoch Ansichten, denen sie nicht zustimmt, nicht in voller Länge darzustellen. Es genügt, wenn im EIS ein ausreichender Hinweis steht, der das Problem für den mit der abschließenden Entscheidung betrauten Beamten deutlich macht. 16 Der zu erwartende Strombedarf ist ein wichtiger, in der Abwägung zugunsten des geplanten Kernkraftwerks ins Gewicht fallender Gesichtspunkt. 11 Der Antragsteller führt dazu eigene oder von den Energieaufsichtsbehörden der Einzelstaaten ("state utility commissions") erstellte Strombedarfsprognosen als Beweismittel ein. In der Regel versucht er so zu zeigen, daß der Energiebedarf zunehmen wird und der steigende Bedarf ganz oder zum Teil durch zusätzliche Kraftwerkskapazitäten gedeckt werden muß. Ausreichend ist aber auch, wenn der Antragsteller die Notwendigkeit darlegt, durch ein Kernkraftwerk konventionelle Kraftwerke zu ersetzen, da fossile Brennstoffe in absehbarer Zukunft knapp würden. 78 Weil Strombedarfsprognosen mit erheblichen Unsicherheiten behaftet sind, überprüft die NRC 1Sgrundlegend zur Abwägung Calvert Cliffs Coordinating Comminee v. ABC, 449 F.2d 1109,1123; vgl. dazu Grad (1989), § 9.03(3)(b); zu den Darstellungs- und Analysemethoden Mezger (1989), 180 ff. 16vgl. Comminee for Nuc1ear Responsibility v. Seaborg, 463 F.2d 783,787. 11zu Fragen der Strombedarfsprognosen vgl. z.B. Kansas Gas and Electric Co. et al. (Wolf Creek, Unit 1), NRR § 30277 (1978); Carolina Power and Light Co. (Shearon Harris Nuclear Power Plant, Units 1,2,3, and 4), NRR § 30320 (1980). 78vgl.
New England Coalition v. NRC, 582 F.2d 87, 95.
m.
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nur, ob die Prognose im Lichte der zum Zeitpunkt ihrer Aufstellung vorliegenden Erkenntnisse vertretbar ist. Aus dem gleichen Grund rechtfertigt die Behauptung, der Antragsteller habe bei planmäiger Betriebsaufnahme der Anlage größere Kapazitätsreserven als nötig, es nicht, die Errichtungsgenehmigung zu verweigern. Gelegentlich weichen die Prognosen des Antragstellers und der Energieaufsichtsbehörden voneinander ab. Damit in so einem Fall der Bedarf für das Kernkraftwerk nachgewiesen ist, muß die Schlußfolgerung vertretbar sein, daß die zu erwartende Steigerung des Strombedarfs sich in einem Rahmen bewegen wird, der den Bau der Anlage gerechtfertigt erscheinen läßt. 19 d) Gerichtliche Kontrolle
In der unmittelbar auf die Verabschiedung des NEPA folgenden Zeit hat die Mehrzahl der Courts of Appeals für sich das Recht beansprucht, die EIS inhaltlich zu überprüfen. 80 Ansatzpunkte dafür im Gesetz waren die Zielsetzungen in §§ 2, lOl(a) NEPA. 81 Dabei wurde oftmals ein zweistufiger Prüfungsmaßstab angewendet. 82 Im ersten Schritt wurde kontrolliert, ob die Behörde ihre Entscheidung nach einer vollständigen und aufrichtigen ("good faith") Betrachtung und Abwägung der Umweltauswirkungen gefiillt hatte. Danach untersuchten die Gerichte auf einer zweiten Stufe, ob die Abwägung willkürlich war oder den Gesichtspunkten des Umweltschutzes eindeutig zu wenig Gewicht eingeräumt hatte. Der Supreme Court hat sich jedoch seit den späten Siebziger Jahren mit zunehmender Deutlichkeit dagegen ausgesprochen, daß die Gerichte aus dem NEPA materiellrechtliche Vorgaben für die Verwaltungstätigkeit ableiten. Den Abschluß dieser Entwicklung bildet "Stryckers Bay Neighborhood Council v. Karlen" .83 Demnach setzt der NEPA zwar der Nation wesentliche materiellrechtliche Ziele, erlegt den Behörden jedoch nur verfahrensrechtliche Pflichten auf. Insbesondere muß die Behörde nicht von vornherein den Umweltauswirkungen mehr Gewicht einräumen als ande19v9l.
Carolina Power and Light Co, NRR § 30320 (1980).
8Ovgl.
Grad (1989), § 9.04(l)(b)(II) m.w. N.; Kausch (1972), 105; Mezger (1989),217 ff.
81 42
U.S.C.A.§§ 4321,4331(A).
Blygl. stellvertretend EDF v. Corps of Engineers (1), 470 F.2d 289, 300; Calvert Cliffs Coordinating Committee v. AEC, 449 F.2d 1109, 1115; für begrenzte, aber dennoch substanzielle inhaltliche Kontrolle auch EDF v. Corps of Engineers (11), 492 F.2d 1123,1139. 83444 U.S. 223,227 f; dazu kritisch Banks/Goldsmith, 7 Harvard Bnv. L. R. 6 ff; Yellin, 94 Harvard L. R. 545; vgl. auch das Sondervotum MarshalI, 444 U.S. 231: Durch diese Entscheidung seien die Gerichte in Zukunft auf die praktisch sinnlose Aufgabe beschränkt zu entacheiden, ob die Behörde Umweltauswirkungen "betrachtet" habe, obwohl die Behörde MÖglicherweise im Ergebnis beschlossen habe, diese Gesichtspunkte bei ihren Schlußfolgerungen zu ignorieren.
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ren, für ihre Entscheidung relevanten Gesichtspunkten. Die Gerichte haben nur sicherzustellen, daß die Behörde die Auswirkungen ihrer Entscheidung für die Umwelt "betrachtet" ("considered") hat. 84 Sie dürfen sich nicht in den Spielraum der Exekutive hineindrängen, die darüber entscheidet, welche Maßnahme angemessen ist. Daß der NEPA vor den Courts of Appeals und vor dem Supreme Court ein unterschiedliches Schicksal hatte, überrascht nicht. Denn was das Gesetz konkret erreichen sollte, geht aus seinem Wortlaut nicht klar hervor. Auch die Entstehungsgeschichte ist wenig ergiebig. 1S Aus ihr läßt sich nur entnehmen, daß das Gesetz weitreichende Grundsätze der nationalen Politik aufstellt, die alle Maßnahmen des Bundes mit Auswirkungen auf die Umwelt leiten sollen. Deutlich wird auch, daß das Gesetz allen Behörden eine Verpflichtung auferlegen soll, die Folgen ihrer Tätigkeit für die Umwelt zu betrachten, und daß es bei der Koordination aller Maßnahmen zum Umweltschutz helfen soll. Was sowohl im Gesetz selbst als auch in der Entstehungsgeschichte gänzlich fehlt, sind Angaben über den Umfang der gerichtlichen Kontrolle. Der NEPA selbst bietet seit "Stryckers Bay" keine Handhabe mehr, eine behördliche Maßnahme anzugreifen, deren verheerende Folgen für die Umwelt im EIS "betrachtet" worden sind. So eine Entscheidung kann allenfalls dann aufgehoben werden, wenn der Kläger das Gericht überzeugt, die Entscheidung der Behörde sei "willkürlich und unberechenbar" im Sinne des APA. 1I6 Da die Rspr. gemäß dem "arbitrary and capricious"- Standard prüft, ob eine rationale Verbindung zwischen den von der Behörde ermittelten Tatsachen und ihrer Entscheidung erkennbar ist, wird immerhin sichergestellt, daß die Behörde die Ergebnisse des EIS bei der Entscheidung über die Maßnahme selbst nicht willkürlich ignoriert. a7 e) Neueste Entscheidungen zum EIS-Veifahren
In zwei Urteilen aus dem Jahre 1989 hat der Supreme Court dazu Stellung genommen, in welchem Umfang im EIS Ausgleichsmaßnahmen ("mitigating measures") erörtert werden müssen. 88 Ausgleichsmaßnahmen sind
II\tgl. auch Robertson v. Methow Valley Citizens Council, 109 S.Ct. 1835, 1846: "NEPA merely prohibits uninformed - rather than unwise - agency decision." ISvgl. dazu Grad (1989), § 9.01(4)(a) ff und die Zusammenfassung bei (h). auch Grad (1989), § 9.04(I)(b)(D); KelIy, 10 Boston Coll. Env. Aff. L. Rev. 106; JörissenlCoenenlFranz (1988), 215. 11680
a7ebenso
Mezger (1989),222 f.
~obertson v. Mehow Valley Citizens Council, 490 U.S. 332; Marsh v. Oregon Natural Resources Council, 490 U.S. 360.
m.
Der National Environmental Policy Act
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ein wichtiges Mittel, um ein Vorhaben genehmigen zu können und zugleich seine Umweltauswirkungen zu begrenzen; denn sie können unerwünschte Umweltauswirkungen auch dann verhindern, wenn die Abwägung der Vorund Nachteile eines Projekts ergibt, daß es trottz unvermeidlicher Umweltbelastungen durchgeführt werden soll. 89 Daß Ausgleichsmaßnahmen im EIS zu untersuchen sind, hatte der CEQ aus der Bestimmung in § 102(2) (C)(ii) NEPA abgeleitet, wonach das EIS "alle nachteiligen Umweltauswirkungen, die nicht vermieden werden können", darlegen muß. 90 Unter Berufung auf geltende "rules" des CEQ hatte der "9th circuit" von einer Behörde verlangt, im EIS konkrete Maßnahmen, die zum Ausgleich nachteiliger Umweltauswirkungen "angewandt werden" (which "will be employed"), genau zu erläutern. Nicht ausreichend sei, wenn sich die Erörterung der Ausgleichsmaßnahmen sehr im Allgemeinen bewege, anstatt die erforderlichen und möglichen Maßnahmen genau zu beschreiben, und wenn die Absprachen der federführenden Behörde mit anderen staatlichen Stellen keine Gewähr höten, daß die vage umschriebenen Ausgleichsziele jemals erreicht würden. 91 Auch nach Ansicht des Supreme Court ist die Erörterung möglicher Ausgleichsmaßnahmen zwar ein wichtiger Bestandteil des EIS. Der Court of Appeals sei jedoch in zweifacher Hinsicht einem Irrtum erlegen. Unzutreffend sei erstens, daß der NEPA verlange, Ausgleichsmaßnahmen tatsächlich durchzuführen, und zweitens, daß das EIS eine detaillierte Erläuterung konkreter Maßnahmen enthalten müsse, die zum Ausgleich von Umweltbelastungen "angewandt werden". Der Court of Appeals habe nicht ausreichend berücksichtigt, daß der NEPA als ein verfahrensrechtliches und nicht als ein auf ein bestimmtes Ergebnis gerichtetes Gesetz zu verstehen sei. 92 An diesen neuesten Entscheidungen zum NEPA wird kritisiert, daß der Supreme Court nunmehr die Behörden von der Verpflichtung entbunden habe, die Wirksamkeit geplanter Ausgleichsmaßnahmen darzulegen. Anstelle einer gründlichen Analyse der Ausgleichsmaßnahmen erfüllten bereits bloße Auflistungen solcher Maßnahmen die Anforderungen des Supreme Court an ein dem NEPA entsprechendes Verfahren. 93
8980 90s.
auch Mezger (1989), 177 f. 40 C.F.R. §§ 1502. 14(f), 1502.16(h).
91Methow Valley Citizens Council v. Regional Forester, 833 F.2d 810,819 f. 92s. Robertson v. Methow Valley Citizens Council, 490 U.S. 351 ff, 353; Marsh v.Oregon Natural Re80urces Council, 490 U.S. 369 f. 93s.
Sheldon, 25 Land and Water L. Rev. 83,95 f; vgl. auch Blumm, 20 Envtl. Law 447,452.
B. Genehmigung Icemtcchnischer Anlagen in den USA
204
.f) 20 Jahre NEPA - Versuch einer Bilanz
Anläßlich des zwanzigsten Jahrestages seines Inkrafttretens hat sich die amerikanische Literatur bemüht festzustellen, welche konkreten Effekte der NEPA gehabt hat. Die wichtigsten Ergebnisse dieser Untersuchungen sollen hier kurz referiert werden. Vollkommen ohne praktische Auswirkungen blieben die - teilweise UlDweltethisch geprägten - materiellen Zielbestimmungen in § 101 NEPA, obwohl der Wortlaut von § 102(1) NEPA darauf hindeutet, daß diese Gesetzesziele materielle Vorgaben für die Auslegung und Anwendung anderer Gesetze sein sollten. C)4 Allerdings sind die Gesetzesziele wohl zu vage formuliert, als daß sich aus ihnen praktikable Maßstäbe oder Direktiven für die Lösung konkreter umweltrechtlicher Streitigkeiten ableiten lassen. 9S Aufgrund des NEPA müssen die Behörden nunmehr bei der Erfüllung ihrer fachgesetzlichen Aufgaben zusätzliche Gesichtspunkte berücksichtigen. Vorhaben, die vor Inkrafttreten des NEPA bereits bei Vereinbarkeit mit den Fachgesetz, z. B. dem AEA, velWirklicht werden konnten, hängen nun zusätzlich von einer Bewertung der Umweltauswirkungen ab.\16 Dabei wird nach dem NEPA geprüft, ob es überhaupt Gründe gibt, die es rechtfertigen, die mit dem Vorhaben verbundenen Umweltbeeinträchtigungen in Kauf zu nehmen; die umweltrechtlichen Fachgesetze untelWerfen das Vorhaben dagegen bestimmten Standards, die mit Hilfe vorhandener Technologien eingehalten werden müssen. '17 Zwar enthält der NEPA nach Ansicht des Supreme Court keine inhaltlichen Vorgaben für die Sachentscheidung. Der offene, pluralistische Entscheidungsprozeß, den das Gesetz ermöglicht, hat jedoch manche Einzelvorhaben verhindert und zahlreiche andere weniger umweltschädlich ausfallen lassen als ursprünglich geplant; vor allem aber hat er einer gewissen umweltpolitischen Betriebsblindheit der durch ihr Fachgesetz auf einen bestimmten Auftrag fixierten Behörden entgegengewirkt. 98 Angesichts der zunehmenden Umweltprobleme ist zu elWarten, daß das Konzept des NEPA, vor der VelWirklichung eines Projekts dessen Umweltauswirkungen zu untersuchen, an Bedeutung gewinnen wird.
C)48. Blumm, 20 Envtl. Law 450 f; zu den Gesctzcszielen •. o. S. 292 ff. 9Sdies
gibt Shilton, 20 Envtl. Law 551,565 zu bedenken.
\168. Sheldon, 25 Land and Water L. Rev. 91. '17••
Parcntcau, The Envtl. Forum 5/1989, 16.
988• Blumm, 20 Envtl. Law 453; Parcntcau, The Envtl. Forum 5/1989, 16 f; Sheldon, 25 Land and Water L. Rev. 92.
IV. Quellen dcs Verfaht"enst"echta
205
IV. Quellen des Veifahrensrechts Verfahrensrechtliche Anforderungen können aus vier Quellen stammen: aus der Verfassung, dem Common Law, d. h. den bindenden Präzedenzentscheidungen, förmlichen Gesetzen sowie "rules" der Behörden.! Die Bedeutung der behördlichen Verfahrensvorschriften kann gar nicht hoch genug eingeschätzt werden. Denn wenn eine Behörde darin ein Verfahren für die Vorbereitung bestimmter Maßnahmen festgelegt hat, muß sie dieses Verfahren einhalten, auch wenn es über das hinausgeht, was Verfassung oder Gesetz an verfahrensrechtlichen Sicherungen verlangen. 2 Zwar kann die Behörde solche zusätzlichen Verfahrensschritte jederzeit durch Aufhebung der Verfahrensordnung wieder abschaffen; sie darf jedoch ihre eigene Verfahrensordnung nicht verletzen, solange diese in Kraft ist.
1. Verfahrensrechtlicher Mindestschutz in der Verfassung: Die "Due Process Clause" a) Herkunft und Stellenwert Der Gedanke, daß der Staat in bestimmte Rechte nur nach einem gebührenden Verfahren eingreifen darf, findet sich bereits im englischen Recht des Mittelalters/ und wurde im 17. und 18. Jahrhundert in Gesetze der englischen Kolonien an der amerikanischen Ostküste aufgenommen. Von dort gelangte er schließlich auch in die Verfassung der USA. Deren V. Amendment bestimmt, daß "keiner Person Leben, Freiheit oder Eigentum ohne ein gebührendes Verfahren entzogen" werden darf. 4 Diese Bestimmung gilt unmittelbar nur gegenüber dem Bund. Deshalb wurde in das die Einzelstaaten bindende XIV. Amendment 1868 eine nahezu identische Formulierung aufgenommen. 5 Dem "gebührenden Verfahren" kommt nach amerikanischem Verständnis ein sehr hoher Stellenwert zu, wie auch in Entscheidungen des Supreme Court erkennbar ist. Darin wird z. B. das Recht auf Anhörung vor Entzie-
!vgl. Piercc (1985),219; Strauss (1989), 133 ff. lygl. United Statcs v. Nixon, 418 U.S. 683,694 ff. 3vgl.
Gon (1977), I; Albert (1971), 153.
4u.s. Const. Arnend. V: "No person ... shall be deprived of life, liberty, or property, without due process of law." 5U.S. Const. Amend. XIV:" ... nor shall any Statc deprive any person of Iife, liberty, or property, without duc proces8 of law;"
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B. Genehmigung kemtechnischer Anlagen in den USA
hung einer Rechtsposition als wprinciple basic to our societyW bezeichnet6 und ausgeführt, es sei der erste Schritt in Richtung Totalitarismus, wenn der Regierung erlaubt würde, die Anforderungen der wOue Process Clause w außer Acht zu lassen. 1 In der Praxis werden allerdings nur relativ wenige verwaltungsrechtliche Fälle durch Anwendung der wOue Process Clause wgelöst. Meistens stützen sich die Gerichte auf gesetzliche Verfahrensvorschriften oder die Verfahrensordnungen der Behörden. Wie die Gerichte diese Vorschriften anwenden, richtet sich jedoch maßgeblich danach, wie der Supreme Court die wOue Process Clause Wder Verfassung versteht. 8 b) Anwendungsbereich
Nach der Verfassung ist ein gebührendes Verfahren edue process W ) erforderlich, wenn einer Person Leben, Freiheit oder Eigentum entzogen werden soll. Keine Verwaltungsbehörde ist befugt, einem Bürger das Leben zu entziehen. Insoweit, als sie auch das Leben schützt, spielt die WOue Process Clause Wdaher im Verwaltungsrecht keine Rolle. 9 Ein verfassungsmäßiges Recht auf gebührendes Verfahren vor möglicherweise gesundheitsgefährdenden Maßnahmen der Behörden wird in der Praxis nicht anerkannnt. 10 Oer Supreme Court hat bislang keinen einheitlichen Maßstab gefunden, mit dem zu prüfen wäre, welche Positionen als wliberty or property interests Wvon der wOue Process Clause wgeschützt werden. Vielmehr finden sich in den Entscheidungen eine Fülle von einander widersprechenden Grundsätzen. Keiner davon ist jedoch verläßlich, da das Gericht sie gelegentlich auch wieder ausdrücklich verwirft. Gelegentlich löst sich die Rspr. auch weitgehend vom Wortsinn der Begriffe wLibertyW und wProperty w.l1 Eine Tendenz ist allerdings erkennbar: Oer Supreme Court neigt eher dazu, die WOue Process Clause w anzuwenden, wenn das geltend gemachte Freiheitsoder Eigentumsinteresse im positiven Recht verankert ist, sei es in der
6vg l. Ioint Anti-Fascist Refugee Committee v. McGnth, 341 U.S. 123, 168 (abweichende BeglÜndung); s. a. Mathews v. Eldridge, 424 U.S. 319,333.
1vgl
341 U.S., 177 (abweichende BeglÜndung).
8vgl.
Pierce (1985),224; s. a. Mahlmann (1974),90 f.
9vgl.
Pierce (1985), 227 f.
lllygl. z. B. Tanner v. Annco Steel Corp. 340 F.Supp. 532,536; s. a. Pinkney v. Ohio Environmental Protection Agency, 375 F.Supp. 305.
l1 vgl. zur Due-Process-Rspr. kritisch Davis (1978 ft),
§§
11.2.,11.3.;Pierce (1985),227.
IV. Quellen des Verfahrensrechts
207
Verfassung, in Präzedenzentscheidungen oder in Gesetzen. 12 Manchmal werden auch ausdrückliche Vereinbarungen der Beteiligten ("mutually explicit understandings") für ausreichend angesehen, um ein geschütztes Interesse zu begründen. 13 Auch der AEA enthält Interessen, für die theoretisch der Schutz durch die "Oue Process Clause" in Betracht käme. Denn die Atombehörden haben zu verhindern, daß Gesundheit und Sicherheit der Allgemeinheit durch kerntechnische Anlagen gefährdet werden. 14 Die Gerichte neigen jedoch dazu, Umweltschutzinteressen vom Anwendungsbereich der "Oue Process Clause" auszunehmen; dabei spielt es keine Rolle, ob diese Interessen in verallgemeinerter Form oder genau dokumentiert vorgetragen werden. 15 Und nach Ansicht der NRC ist das Recht, vom Betrieb einer Anlage verschont zu bleiben, die nachteilige Auswirkungen auf die Umwelt haben kann, nicht durch "Oue Process" geschützt. 16 c) Anforderungen
aa) Abwägung Welche verfahrensrechtlichen Vorkehrungen in einem konkreten Fall einzuhalten sind, richtet sich nach einer Interessenabwägung. Zwei Elemente gehören allerdings stets zu "due process": die Ankündigung der belastenden Maßnahme ("notice") und die Möglichkeit für den Betroffenen, angehört zu werden ("opportunity to be heard").17 Je nach Gewicht der berührten öffentlichen und privaten Interessen müssen diese Elemente unterschiedlich stark formalisiert sein. 18 In die Abwägung sind folgende drei Faktoren einzustellen: erstens das Interesse des Betroffenen, das durch die staatliche Maßnahme berührt wird; zweitens das Risiko, daß dieses Interesse aufgrund des von der Behörde ursprünglich durchgeführten Verfahrens 1280 für "liberty interests" z. B. NAACP v. Alabama, 357 U.S. 449,460; Wolff v. McDonnell, 418 U.S. 539, 557; Stsnley v. D1inois, 405 U.S. 645,651 f; für "property interests" Board of Regents v. Roth, 408 U.S. 564,572 ff; Paul v. Davis, 424 U.S. 693. 13vgl. z. B. Perry v. Sindermann, 408 U.S. 593,601. I~gl. z. B. §§ 3(d), 103 (b)(2) AEA= 42 U.S.C.A. §§ 2013(d), 2133(b)(2). 15vgl. Izaak Walton League of America v. Marsh, 655 F .2d 346,361; West Chicago v. NRC, 701 F.2d 632,645.
16Sequoiah Fuels Corp. LId. (Sequoiah UF6 to UF4 Facility), NRR § 30988 (1986). 17s. Albert (1971), 155 f. 18s. z. B. Goldberg v. Kelly 397 U.S. 254 (bei drohender Entziehung von Sozialhilfeleistungen Anhörung mit Recht auf Kreuzvemör, mündliche Darlegung von Gegenargumenten und anwaltliche Beratung); Goss v. Lopez, 419 U.S. 565 (bei kurzzeitigem Ausschluß eines Schülers vom Unterricht informelle mündliche Anhörung).
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B. Genehmigung kemtcchnischer Anlagen in den USA
zu Unrecht entzogen wird; drittens das öffentliche Interesse, insbesondere der Stellenwert der berührten öffentlichen Aufgabe und der finanzielle und verwaltungstechnische Aufwand, den die zusätzlichen oder anstatt des ursprünglichen Verfahrens durchzuführenden Verfahrensschritte nach sich ziehen würden. 19 Zusätzliche verfahrensrechtliche Sicherungen sind nur erforderlich, wenn die ersten beiden Faktoren gemeinsam den zusätzlichen Aufwand überwiegen. bb) Anzahl der Betroffenen Nur wenn einer einzelnen Person geschützte Interessen entzogen werden sollen, stellt sich die Frage, ob ein gebührendes Verfahren eingehalten wurde. Wenn dagegen eine größere Gruppe von Personen betroffen ist, berührt dies die "Due Process"-Problematik nicht. Diese Unterscheidung ist vom Supreme Court in zwei Grundsatzentscheidungen31 entwickelt worden. Wenn eine Maßnahme mehr als nur ein paar Personen betreffe, sei es praktisch unmöglich und von Verfassungs wegen nicht erforderlich, jeden einzelnen an der Entscheidung mitwirken zu lassen. Ausschlaggebend ist dabei die Zahl der potentiell von der Entscheidung Betroffenen ("those potentially affected"), nicht, wieviele Personen sofort betroffen sind ("those immediately affected").21
2. Vorgaben des Verwaltungsverfahrensgesetzes (Administrative Procedure Act - APA) Der AP A wurde 1946 vom Kongreß verabschiedet. Er hatte zwei Ziele. 22 Einerseits sollte er ein Verfahren festlegen, das geeignet erschien, Rechte des einzelnen vor willkürlicher Entziehung zu schützen und zu gewährleisten, daß die Entscheidungen der Behörden das öffentliche Wohl fördern. Außerdem sollte das von allen Bundesbehörden anzuwendende Verfahren vereinheitlicht werden. Das Gesetz enthält Vorschriften für die drei Verfahrensarten "informal rulemaking", "formal adjudication" und "formal rulemaking". Die Anforderungen, die der APA an das Verwaltungsverfahren stellt, reichen wesentlich
1980 grundlegend Mathews v. Eldridge, 424 U.S. 693. 2nr.ondoner v. Denver, 210 U.S. 373; Bi-Metallic Investment Co. v. State Board of Equalization, 239 U.S. 441.
21 vg l. Anaconda Co. v. Ruckelshaus, 482 F.2d 1301. 22ygl. dazu Pierce (1985),278.
IV. Quellen des Verfahrcnsrechta
209
weiter als diejenigen der "Due Process Clause".23 Welches Verfahren im Einzelfall durchzuführen ist, ergibt sich nicht aus dem AP A, sondern aus den Fachgesetzen der Behörden. 24 Gemäß § 181 AEA25 ist der APA auf die Verwaltungsverfahren der NRC anwendbar. a) "Informal rulemaking"
aa) Merkmale und Funktion "Rule" ist nach 5 U.S.C.A. § 551(4) eine "Erklärung der Behörde, die allgemein oder auf einen Einzelfall anwendbar ist und Wirkung für die Zukunft hat. Sie dient dazu, Recht oder politische Grundsätze ("law or policy") zu vollziehen, zu interpretieren oder vorzuschreiben." Entscheidend für die Abgrenzung von "adjudication" und "rulemaking" ist, ob die betreffende Maßnahme der Verwaltung Wirkung für die Zukunft ("future effect") hat. "Informal rulemaking" umfaßt drei Verfahrensschritte. Als erstes muß die Behörde die Absicht, ein "rulemaking"-Verfahren durchzuführen, im Federal Register ankündigen. 26 Dabei müssen angegeben werden die Art des "rulemaking"-Verfahrens, das ermächtigende Gesetz und entweder der Wortlaut eines "rule"-Entwurfs oder eine Beschreibung der zu regelnden Gegenstände und Probleme. Nach der Ankündigung muß die Behörde interessierten Personen Gelegenheit geben, sich durch Einsendung schriftlich fixierter "Daten, Ansichten oder Argumente" am Verfahren zu beteiligen. 27 Eine mündliche Verhandlung ist fakultativ. Die endgültige "rule" ist mit einer kurzen allgemeinen Erläuterung ihrer Grundlagen und ihres Zwecks zu versehen. 28 Diese drei Verfahrensschritte stehen in engem Zusammenhang miteinander. 29 Die Erläuterung ist Grundlage der gerichtlichen Überprüfung der "rule". Sie besteht in erster Linie aus einer Erörterung der Stellungnahmen, die auf die Ankündigung hin abgegeben wurden. Ohne eine angemessene Ankündigung ist es der Öffentlichkeit nicht möglich, sinnvolle Stellungnahmen abzugeben. Die von der Behörde verabschiedeten
23ebenso Pierce (1985), 281. 24vg l. 5 2542
U.S.C.A. §§ 553(c), 554(a).
U.S.C.A.§ 2231.
26"notice of proposed IUlemaking", 5 U .S.C.A. § 553(b). 27vgl.
5 U .S.C.A. § 553(c).
28"concise general statement of basis and pUlpose", 5 U.S.C.A.§ 553(c). 2gebenso Pierce (1985),321. 14 Heitsch
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B. Genehmigung kemtechnischer Anlagen in den USA
"rules" werden zunächst im Federal Register veröffentlicht und dann in den jährlich ergänzten Code of Federal Regulations aufgenommen. "Informal rulemaking" mit seinen drei Elementen Ankündigung, Gelegenheit zur Stellungnahme und Erläuterung des Ergebnisses ist gut geeignet, "quasi-gesetzgeberische" Aufgaben wahrzunehmen, d. h. untergesetzliehe Vorschriften zu erlassen, die auf eine größere Anzahl von Personen anwendbar sind. Das Verfahren ist so ausgestaltet, daß die Wahrscheinlichkeit dafür relativ groß ist, daß das Ergebnis dem Allgemeinwohl entsprechen wird. JO Im Vergleich zum parlamentarischen Gesetzgebungsverfahren ist "Informal rulemaking" stärker formalisiert. Diese strikteren Verfahrensvorschriften verbunden mit der gerichtlichen Nachprüfung des Ergebnisses sind ein gewisser Ausgleich dafür, daß die "independent regulatory ageneies" nur indirekt demokratisch legitimiert sind und einer abgeschwächten politischen Kontrolle unterliegen. 31 bb) Ausnahmen von den Verfahrensanforderungen Es gibt drei Arten von "rules " ,die ohne verfahrensrechtliche Vorkehrungen verabschiedet werden dürfen. 32 "Informal" oder "formal rulemaking" ist nur vorgeschrieben, wenn die Behörde "materiellrechtliche Verordnungen" ("substantive" oder "legislativerules") erlassen will. Diese Vorschriften sind bindend für Behörden, Privatpersonen und Gerichte; sie begründen rechtlich durchsetzbare Pflichten, die vor ihrem Erlaß nicht bestanden. 33 Nach 5 U.S.C.A. § 553(b)(A) sind "interpretative rules" die erste Ausnahme von den Vorschriften über "informal rulemaking". Diese Art von "rules" hat keine Bindungswirkung für Gerichte und Privatpersonen; "interpretative rules" haben jedoch gewissen Einfluß auf die Rechtsanwendung der Gerichte. Inwieweit die Gerichte eine "interpretative rule" berücksichtigen, hängt ab von der Sorgfalt und dem Umfang der behördlichen Erwägungen, die sich in der Vorschrift widerspiegeln. Im Ergebnis ist die gerichtliche Kontrolle bei "interpretative rules" strenger als bei "substantive rules".34 Auch "general statements of policy" ,d. h. "allgemeine Grundsat.zerklärungen" bedürfen zu ihrer Verabschiedung keines "informal rulemaking"-Verfahrens. Sie sind Absichtserklärungen oder Erklärungen darüber, was die
JOvgl. Pierce (1985), 23. 31ebenso Pierce (1985),322. 3\'g1.5 U .S.C.A. § 553(b)(A). 33vgl. Pierce (1985),322; zu den einzelnen "role"-Typen auch Strau88 (1989), 157 f.
34vgl. Pierce (1985), 309 f.
IV. Quellen des VerfahRnsrechta
211
Behörde erst noch als Rechtssatz formulieren will. Wenn die Behörde die im "policy statement" enthaltenen Grundsätze auf einen Einzelfall anwendet, wird diese Entscheidung von den Gerichten genau so streng überprüft, wie wenn das "policystatement" nicht existierte. Maßgeblich dafür, um was für eine Handlungsform es sich gerade handelt, ist die in erster Linie aus dem Wortlaut der Äußerung zu erschließende Absicht der Behörde. 35 "Procedural rules" , d. h. Verfahrensordnungen, unterliegen ebenfalls nicht den "informal-rulemaking"-Bestimmungen. Eine Verfahrensordnung in diesem Sinne liegt nur dann vor, wenn ausschließlich Formalitäten geregelt werden. Wenn die "rule" dagegen wegen ihrer Auswirkungen auf den entscheidungserheblichen Sachverhalt vermutlich das Ergebnis eines Verfahrens mitbestimmen wird, behandelt die Rspr. sie als "substantive rule" und prüft, ob das "informal rulemaking" -Verfahren durchgeführt wurde. 36 "Interpretative" und "procedural rules" sowie rlicy statements" müssen veröffentlicht werden, um Wirkung zu entfalten. 3 Auch "substantive rules" können ohne die Sicherungen des "informal rulemaking" erlassen werden, wenn "die Behörde aus triftigem Grund zu der Feststellung gelangt, daß Ankündigung und Öffentlichkeitsbeteiligung undurchführbar, unnötig oder nicht im öffentlichen Interesse" sind. 38 Diese Bestimmung wird von den Gerichten sehr eng ausgelegt. Sie betrifft nur Notstandsmaßnahmen, bei denen die Lage sofortiges Handeln erfordert oder die vorherige Ankündigung der Maßnahme dem öffentlichen Interesse schaden würde. Wenn die "good cause exception" tatsächlich einmal angewendet wird, begrenzen die Gerichte die Geltungsdauer der "rule" auf den Zeitraum, der erforderlich ist, um die Notstandsmaßnahme durch eine in ordnungsgemäßem Verfahren zustandegekommene "eule" zu ersetzen. 39 Die Behörde muß übrigens von Gesetzes wegen die Feststellung, daß ein "triftiger Grund" vorliegt, und ihre Begründung dafür der "rule" beifügen. b) "Fonnal adjudication"
"Adjudication" ist das Verfahren, an dessen Ende der Erlaß einer "order", d. h. Verfügung, steht. 40 "Order" ist gesetzlich definiert als endgültige 35vg l. Pierce (1985),312. 36vgl.
Pierce (1985),313 m. w.N.
37vgl.
5 U .S.C.A. §552(a)(I), (2).
38 80g. "good causc exception", 5 U .S.C.A. § 553(b)(B); vgl. dazu Union of Concemed Scientists v. NRC, 711 F .2d 370,382. 39vgl.
Pierce (1985),313 m. w. N.
4Os.5
U.S.C.A.§ 551(7).
B. Genehmigung kemtechnischer Anlagen in den USA
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Erledigung aller Angelegenheiten, die nicht "rulemaking" sind; ausdrücklich erfaßt die Definition jedoch die Erteilung von Genehmigungen ("licensing"). 41 Erster Schritt ist auch bei dieser Verfahrensart die Ankündigung im Federal Register. 42 Wenn sich die Parteien nicht auf einen Vergleich einigen können, folgt eine prozeßähnliche mündliche Verhandlung vor einer zur Neutralität verpflichteten Entscheidungsperson. 43 Die Beweislast trägt die Partei, die die Verfügung beantragt hat. Jede Partei ist berechtigt, Beweis durch Zeugenaussagen oder durch Urkunden anzutreten und ein Kreuzverhör durchzuführen, soweit zur vollständigen Ermittlung der Tatsachen nötig. Sobald die mündliche Verhandlung angekündigt ist, sind sämtliche informellen Kontakte der Parteien mit den zur Entscheidung berufenen Bediensteten der Behörde unzulässig, sofern solche Kontakte den Sachverhalt betreffen und nicht allen Parteien rechtzeitig angekündigt wurden. Wenn eine Partei wissentlich bei solchen informellen Kontakten mitwirkt, kann die Behörde dies als ausreichenden Grund für eine Entscheidung zulasten dieser Partei ansehen." Das Protokoll der Zeugenaussagen und Beweismittel bildet zusammen mit allen Unterlagen und Gesuchen, die im Lauf des Verfahrens eingereicht wurden, die Verfahrensakte ("record"). Diese Akte ist die einzige Entscheidungsgrundlage. Damit besteht die Gewähr, daß bei der Entscheidung keine Angaben berücksichtigt werden können, zu denen sich nicht alle Beteiligten haben äußern können. Die beantragte "order" darf nur ergehen, wenn sie vereinbar ist mit "verläßlichen, glaubwürdigen und hinreichenden Anhaltspunkten". 4S Das "formal adjudication" -Verfahren enthält zahlreiche Vorkehrungen zum Schutz privater Rechte und ermöglicht es, umstrittene Tatsachen aufzuklären. Damit eignet es sich besonders dazu, Streitigkeiten zwischen Einzelpersonen, deren Verhalten von der Behörde reguliert wird, und Kontroversen zwischen der Behörde und solchen Personen zu entscheiden. 46
c) "Fonnal rulemaking" In Fachgesetzen kann angeordnet werden, daß "substantive rules" nur "aufgrund der Akte nach Gelegenheit für eine mündliche Verhandlung"47
41 vg1.5 U.S.C.A.§ 551(6). 42s.5 U.S.C.A. § 554(b). 43 s.
5 U.S.C.A.§ 556(d) und zum ganzen auch Strauss (1989),144.
"s.5 U.S.C.A. § 557(d). 4S"in accordance with the reliable, probative, and substantial evidence", 5 U .S.C.A. § 556(d). 46vg l.
Pierce (1985), 278 f.
47"on the record after opportunity (or an agency hearing".
IV. Quellen des VerfahrensrcchtB
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erlassen werden dürfen. Bei dieser Verfahrensart, die "formal rulemaking" genannt wird, muß vor Verabschiedung einer "rule"eine vollständige mündliche Verhandlung mit all ihren Förmlichkeiten stattfinden. Alleinige Entscheidungsgrundlage ist die Verfahrensakte. 48 Diese Verfahrensart ist jedoch nahezu undurchführbar. Bei "rulemaking"-Verfahren gibt es meist eine Vielzahl von Beteiligten, und jeder Zeuge müßte von jeder dieser Parteien zu allen von ihm angesprochenen Fragen ins Kreuzverhör genommen werden. So ein Verfahren kann weit über 10 Jahre dauern und die Verfahrensakte ist dann nicht mehr zu überschauen. Es kann zum Stillstand der Verwaltung führen, wenn eine Behörde in ihrem Fachgesetz dazu verpflichtet wird, "formal rulemaking" anzuwenden. Deshalb sind die Gerichte äußerst zurückhaltend mit der Annahme, ein Gesetz verlange diese Verfahrensart. 49
3. Verfahrensanforderungenim AEA Vorgaben für die atomrechtlichen Verwaltungsverfahren enthält § 189(a) (1) ABA. Demnach "hat die NRC injedem Verfahren aufgrund dieses Gesetzes über die Erteilung, die Aussetzung, den Widerruf oder die Änderung einer Genehmigung oder einer Errichtungsgenehmigung ... und in jedem Verfahren über den Erlaß oder die Änderung von "rules", die die Tätigkeiten von Genehmigungsinhabern zum Gegenstand haben, ...jeden, dessen Interessen berührt sein können, auf Antrag zu hören. "so Diese Bestimmung unterscheidet, was die Öffentlichkeitsbeteiligung betrifft, nicht zwischen "adjudication" und "rulemaking"; außerdem verlangt sie für keine der beiden Verfahrensarten ausdrücklich, daß die Anhörung förmlich - "on the record" - sein muß. Die ABC hat jedoch von Beginn ihrer Tätigkeit an zwischen den beiden Verfahrenstypen differenziert. In Verfahren um Anlagengenehmigungen hat sie förmliche mündliche Verhandlungen gewährt, während sie in "rulemaking"-Verfahren die Öffentlichkeitsbeteiligung auf schriftliche Äußerungen und informelle mündliche Anhörungen beschränkt hat. Diese Praxis haben die Gerichte gutgeheißen, wobei offengelassen wurde, ob sie auf einer gesetzlichen Verpflichtung beruht. SI
48vg1.5
49vgl.
U.S.C.A. § 553(c) a. E.
Pierce (1985),316; Strauss (1989),158 f.
so"in any proceeding under this Act, for the granting, suspending, revoking, or amending of any Iicense or construction penrut, ... , and in any proceeding for the issuance or modification of mies or regulations dealing with the activities of Iicensees, ... the Commisaion &hall grant a hearing upon the request of any person whose interestB may be affected" , 42 U.S.C.A. § 2239(a)(1). Sl vg l. Siegel v. ABC, 400 F.2d 778, 785; West Chicago v. NRC, 701 F.2d 632, 641 f; Union of Concemed ScientistB v. NRC, 920 F .2d 50, 54 note 3.
B. Genehmigung Icemtechnischer Anlagen in den USA
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Die Einzelheiten des Genehmigungs- und "Rulemaking"-verfahrens sind in den "Rules of Practice"s2 der NRC festgelegt und gehen weit über die Vorgaben des APA hinaus.
V. Das Genehmigungsveifahren 1. Überblick
a) Der Normalfall
Das Verfahren beginnt damit, daß das Energieversorgungsunternehmen bei der NRC einen Antrag auf Erteilung der Genehmigung stellt. Davor darf das Unternehmen informell mit dem Fachpersonal der NRC verhandeln. l Wenn der Antrag vom Fachpersonal für vollständig befunden ist, wird er offiziell registriert ("docketing").2Bereits vor der Registrierung wird ein Exemplar des Antrags im Public Document Room ausgelegt. Gleichzeitig wird in Standortnähe ein Local Public Document Room eingerichtet, 3 in den der Antrag und alle sich auf die geplante Anlage beziehenden Unterlagen aufzunehmen sind. Sobald wie möglich nach der Registrierung wird eine Ankündigung der mündlichen Verhandlung im Federal Register veröffentlicht. 4 Zwischen Ankündigung und Beginn der Anhörung müssen bei Anlagen der Klasse 103 mindestens 30 Tage liegen. In der Praxis ist dieser Zeitraum viel länger; er kann nämlich bis zu zwei Jahre betragen. S Aus der Ankündigung muß insbesondere hervorgehen, bis zu welchem Termin Anträge auf Zulassung zum Verfahren gestellt werden müssen. 6 Parallel zur Sicherheitsbewertung des Antrags durch das Fachpersonal und der Beteiligung der ACRS bereitet das für das Verfahren gebildete ASLB die mündliche Verhandlung in "prehearing conferences" vor. Die erste dieser Besprechungen findet in der Regel 90 Tage nach der Ankündigung des Verfahrens im Federal Register statt. Diejenigen Fragen, über die die Einwender im Verfahren verhandeln wollen, müssen sie spätestens 15 Tage vor dieser
52 10
C.F.R. Part 2.
lvgl. 10 C.F.R. § 2.101(a)(I); zur Einführung in das Verfahren s. Schoenbaum (1988),42 ff; Straus8 (1977), 280 f. 2 10
C.F.R. § 2. 101 (a)(3) , (4).
3 10
C.F.R. § 50.30(a)(6).
4"hearing notice", vgl. 10 C.F.R. § 2.104. Svgl. Schoenbaum (1988),42. 6"petitions 10 intervene" , 10 C.F.R. § 2.714(a).
V. Das Genehmigungsverfahren
215
Konferenz mitteilen. 7 Die erste "prehearing conference" dient v. a. dazu, über die Zulassungsanträge zu entscheiden, die wesentlichen Streitfragen des Verfahrens festzulegen und einen Zeitplan für den weiteren Ablauf aufzustellen. Danach beginnt die "discovery" ,d. h. die Sachaufldärung zur Vorbereitung der mündlichen Verhandlung. In diesem Verfahrensabschnitt sollen die Parteien sich einen Überblick über alle möglicherweise entscheidungserheblichen Tatsachen und Beweismittel verschaffen; zu diesem Zweck unterliegen Parteien und Dritte weitreichenden Aufldärungs- und Mitwirkungspflichten. 8 Die Vorschriften über die "discovery" in den Verfahren der NRC sind den Federal Rules of Civil Procedure angeglichen. 9 Grundsätzlich erstreckt sich die Sachaufldärung auf alle Umstände, die für den Verfahrensgegenstand bedeutsam ("relevant to the subject matter involved in the proceedings") sind. Dabei spielt keine Rolle, ob sie den Standpunkt derjenigen Partei untermauern können, die ihre "discovery" beantragt, oder den einer anderen Partei; dazu gehören v. a. die Existenz, Beschreibung, Art, Zustand und Aufbewahrungsort von Büchern, Urkunden und anderen Sachen sowie die Identität und der Aufenthaltsort von Personen, die Kenntnis über der "discovery" unterliegende Umstände haben. IO Folgende Mittel der Sachaufldärung stehen den Parteien zur Verfügung: - "Depositions ",d. h. die Protokollierung der eidlichen mündlichen Zeugenaussage einer Partei oder eines Dritten aufgrund mündlicher Vernehmung oder schriftlich eingereichter Fragen; dabei darf ein Kreuzverhör durchgeführt und gegen einzelne Fragen Einspruch erhoben werden. Die Absicht, eine "deposition" aufzunehmen, ist allen Parteien rechtzeitig anzukündigen, wobei der Name des Zeugen, der Gegenstand der Vernehmung und die Stelle, vor der die Vernehmung stattfinden soll, anzugeben ist (10 C.F.R. § 2.740a); - schriftlich gestellte Fragen ("written interrogatories") an die Parteien (10 C.F.R. § 2.740b); - Antrag auf Vorlage von Urkunden oder Augenscheinsobjekten (10 C.F.R. § 2.741(a)(1»; - Antrag auf Erlaubnis zum Betreten von Grundstücken zur Augenscheinnahme (10 C.F.R. § 2.741(a)(2»; - Aufforderung zum Zugeständnis ("request for admission"); jede Partei kann die Gegenpartei schriftlich auffordern, die Echtheit näher zu beschreibender relevanter Unterlagen oder die Wahrheit bestimmter erheblicher
7sog. "list 8zurn
of contentiona", vgl. 10 C.F.R. § 2.714 (b).
Begriff der "discovery"vgI.Stümer I Brand, Jura 1983,424.
9cbenso
Schocnbaurn (1988),44.
IOvgl. 10 C.F.R. § 2.740(a)(l).
216
B. Genehmigung kemtechnischer Anlagen in den USA
Tatsachen zuzugestehen; wenn die Gegenpartei nicht innerhalb einer vom Vorsitzenden festgesetzten Frist die betreffenden Tatsachen substanziert bestreitet oder substanziert Einwendungen gegen die Zulässigkeit der Aufforderung erhebt, gilt das gewünschte Zugeständnis als abgegeben (10 C.F.R. § 2.742). In der Regel 60 Tage, nachdem die "discovery " abgeschlossen ist, findet eine zweite "prehearing conference" statt. Dort sollen die strittigen Fragen vereinfacht und klargestellt werden, die zu hörenden Zeugen festgelegt und deren Anzahl begrenzt werden sowie die Beweisaufnahme durch Vereinbarungen, daß bestimmte Sachverhalte als unstreitig anzusehen sind ("stipulations") o. dgl. vereinfacht werden. Außerdem dient diese Konferenz dazu, einen Arbeitsplan für die mündliche Verhandlung aufzustellen. 11 Am Ende der "prehearing conferences" ergeht jeweils eine Verfügung, die den weiteren Verfahrensablauf bindend festlegt; sie wird nur aus wichtigem Grund geändert. Wenn der Antragsteller die Planung der Anlage während des Verfahrens ändert, muß er den Sicherheitsbericht entsprechend anpassen. Dadurch wird jeweils eine neue Runde aus "discovery" und "~rehearing conferences" ausgelöst, was das Verfahren stark verzögern kann! Die mündliche Verhandlung selbst läuft ab wie ein anglo-amerikanisches Gerichtsverfahren. Die Verhandlungsleitung hat das ASLB inne. Die Einwender, das Fachpersonal der NRC und der Antragsteller treten vor diesem Gremium als Parteien auf und führen Zeugenaussagen und Urkunden als Beweismittel ein. Insbesondere muß das Fachpersonal seine Sicherheitsbewertung ("Safety Evaluation Report" - SER) als Beweismittel in das Verfahren einführen und ~egen Einwände verteidigen. Der Antragsteller trägt dabei die Beweislast. 3 Grundlage der vom ASLB zu fällenden vorläufigen Entscheidung ("initial decision") ist nur die Verfahrensakte, die aus dem Wortprotokoll ("transscript") der mündlichen Verhandlung und den förmlich in das Verfahren eingeführten Unterlagen besteht. 14 Die "initial decision" wird grundsätzlich sofort wirksam, sofern nicht eine Partei einen wichtigen Grund dafür darlegt, daß die Entscheidung erst nach Überprüfung durch die Commission wirksam werden soll. IS Nach der Abschaffung des ASLAB steht den Parteien nunmehr als Rechtsmittel gegen die "initial decision" nur noch der Antrag auf Überprüfung durch die Commission ("petition for Commission review") zu. Ob diesem Antrag stattgegeben wird, steht im Ermessen der Commission. Bei der Ausübung des Ermessens berücksichtigt die Commission v. a., ob durch den Antrag Rechts- oder llvgl. 10 C.F.R. § 2.752. 12ygl. Schoenbaum (1988),44; CoUer, 34 Adm. L. Rev. 504. 13vgl.
10 C.F.R. § 2.732.
14vgl. 10 C.F.R. § 2.760. ISs. die Neufassung von 10 C.F.R. § 2.764durch 56 F.R. 26408 (June 27,1991).
V. Das Genehmigungsverfahren
217
Tatsachenfragen von grundsätzlicher Bedeutung aufgeworfen werden und ob im Verfahren vor dem ASLB Fehler unterlaufen sind, durch die der Rechtsmittelführer einen Nachteil erlitten hat. 16 Etwa sechs bis acht Jahre nach Erteilung der Errichtungsgenehmigung findet das Verfahren um die Betriebsgenehmigung statt. 17 Es läuft im wesentlichen genau so ab wie das Verfahren um die CP. Eine mündliche Verhandlung findet aber nur statt, wenn sie beantragt wurde; sie erstreckt sich dann nur auf die Themen, die die Einwender ausdrücklich aufgeworfen haben. 18 b) Veifahrensbeschleunigung
Bereits die Kommission zur Untersuchung des Reaktorunfalls in Three Mile Island 2 hatte empfohlen, als Alternative zum zwei stufigen Genehmigungsverfahren eine kombinierte Errichtungs- und Betriebsgenehmigung ("combined license") einzuführen. 19 Der Ende 1992 verabschiedete "Energy Policy Act"20 enthält die gesetzliche Grundlage für diese Verfahrensbeschleunigung. Die kombinierte Genehmigung darf erteilt werden, wenn der Antrag die dazu nötigen Angaben enthält und die NRC feststellt, daß begründete Gewähr dafür besteht, daß die Anlage in Übereinstimmung mit der Genehmigung, dem AEA und den "rules" der NRC errichtet und betrieben werden wird. In der kombinierten Genehmigung sind deren Inhaber bestimmte Tests, Inspektionen und Analysen vorzuschreiben, die nach Errichtung der Anlage durchzuführen sind. Außerdem sind die Anforderungen ("acceptance criteria") zu benennen, die in diesen Erprobungen erfüllt werden müssen, damit die NRC begründete Gewähr dafür feststellen kann, daß Errichtung und Betrieb den einschlägigen Vorschriften entsprechen. Die NRC hat sicherzustellen, daß die vorgeschriebenen Tests und Erprobungen durchgeführt werden. Vor Betriebsaufnahme muß sie förmlich feststellen, daß die in der kombinierten Genehmigung aufgestellten Anforderungen erfüllt sind. Da diese Feststellung grundsätzlich keiner Öffentlichkeitsbeteiligung bedarf, wird erwartet, daß das Verfahren um eine "combind license" erheblich kürzer sein wird als bisherige zweistufige Gel6vgl. im einzelnen die Änderungen von 10 C.F.R. § 2.786(b) in 56 F.R. 29409 (June 27, 1991). l7vgl. Schoenbaum
(1988), 43.
l8vgl.
§ 189(a)(1) AEA= 42 U.S.C.A.§ 2239(a)(I).
19v9l.
U.S. President's Cornmission (1979), Recornrnendation A.I0.c.
~blic Law 102-486, Title xvm (amending 42 U.S.C.A. §§ 2235,2239). Vor Inkrafttreten dieses Gesetzes war umstritten, ob die "combined Iicense" mit dem AEA vereinbar ist, vgl. Nuelcar Information and Re80urce Service v. NRC, 918 F.2d 189, affinned in part and reversed in part en bane, 969 F.2d 1169.
218
B. Genehmigung kerntechnischer Anlagen in den USA
nehmigungsverfahren. Zwar muß die NRC die geplante Betriebsaufnahme 180 Tage vorher im Federal Register ankündigen ("notice of intended operation"). Und innerhalb von 60 Tagen nach Erscheinen dieser Ankündigung können Personen, deren Interessen durch den Betrieb berührt werden können, eine mündliche Verhandlung über die Frage beantragen, ob die Anlage die Anforderungen aus der Genehmigung erfüllt. Der Antrag muß jedoch glaubhaft machen, daß zumindest eine Anforderung aus der "combined license" nicht erfüllt ist, und daß dies bestimmte Auswirkungen auf den Betrieb der Anlage hat, die die Feststellung begründeter Gewähr dafür, daß Gesundheit und Sicherheit der Allgemeinheit ausreichend geschützt werden, nicht zulassen. Wenn die NRC so einem Antrag stattgibt, kann sie das weitere Verfahren nach Ermessen festlegen und den Betrieb der Anlage für die Dauer des Verfahrens vorläufig gestatten. Die Ablehnung eines Antrags auf mündliche Verhandlung unterliegt gerichtlicher Überprüfung. 21 c) Öjfentlichkeitsbeteiligung bei Änderungsgenehmigungen
Die Änderung bereits erteilter Errichtungs- oder Betriebsgenehmigungen bedarf gemäß § 189 (a)(I) AEA stets eines Verfahrens mit Öffentlicbkeitsbeteiligung. Das Änderungsverfahren wird eingeleitet durch einen Antrag des Energieversorgungsuntemehmens, der eine Sicherheitsanalyse der geplanten Anderung enthalten muß. 22 Das Fachpersonal der NRC erstellt daraufhin nach Konsultation der ACRS seinen SER und entscheidet, ob infolge der Änderung wesentliche Gefährdungen in Betracht kommen. 23 Wenn dies der Fall ist, wird die geplante Änderung im Federal Register angekündigt mit dem Hinweis, daß Personen, deren Interessen berührt sein können, vor Erlaß der Änderungsgenehmigung eine mündliche Verhandlung beantragen können. Die Verhandlung findet nur statt, wenn mindestens ein Einwender innerhalb von 30 Tagen einen Zulassungsantrag mit hinreichend detailliertem sachlichem Vorbringen ("contentions") einreicht. Kommt die NRC zum Ergebnis, daß infolge der Änderung keine wesentliche Gefährdung in Betracht kommt, so ist vor Erteilung der Änderungsgenehmigung keine mündliche Verhandlung erforderlich, auch wenn sie beantragt ist. 24 In diesem Fall wird die geplante Änderung durch schlichte
21 vgl. 228•
Nuclear Infonnation and Resource Service v. NRC, 969 F.2d 1169.
10 C.F.R. § 50.90.
23"whether the amendment involves significant hazards consideration", vgl. dazu Schoenbaum (1988),57. 24vgl. § 189(a)(2) AEA= 42 U.S.C.A. § 2239(a)(2); 10 C.F.R. § 50.91(a)(4); in der Bru> findet eine erneute Öffentlichkeitabeteiligung bei Änderungsgenehmigungen nur ausnahmaweise statt, s. o. S. 123 ff.
V. Das Gcnebmigungsvcrfahrcn
219
Bekanntgabe im Federal Register ~~nehmigt, und die Öffentlichkeitsbeteiligung findet nach Inkrafttreten der Anderung statt, sofern sich innerhalb von 30 Tagen nach Ankündigung der geplanten Änderung Einwender gemeldet haben. Die Feststellung, daß wesentliche Gefährdungen in Betracht kommen oder nicht, ist nur ein Verfahrensschritt, von dem abhängt, ob Einwender verlangen können, daß vor Erteilung der Änderungsgenehmigung die mündliche Verhandlung stattfindet. 2S Kriterien für diese Feststellung enthält 10 C.F.R. § 50.92(c). Demnach kommen keine wesentlichen Gefährdungen in Betracht, wenn weder - die Änderung die Wahrscheinlichkeit oder die Folgen eines bereits bewerteten "Unfalls" ("accident") wesentlich erhöht; noch - die Möglichkeit besteht, daß sich als Folge der Änderung ein im Vergleich zu den bereits bewerteten Unfällen neuer oder andersartiger Unfall ereignet; noch - die Änderung zu einer wesentlichen Reduzierung eines Sicherheitszuschlags führt. Die Genehmigung nicht fest angebrachter Kompaktlagergestelle für bestrahlte Brennelemente im Abklingbecken eines in einem erdbebengefährdeten Gebiet liegenden Kernkraftwerks bedarf z. B. einer vorherigen Öffentlichkeitsbeteiligung. Denn durch diese Art der Lagerung erhöht sich die Wahrscheinlichkeit einer Kettenreaktion im Abklingbecken. Damit sind die Voraussetzungen von 10 C.F.R. § 50.92(c) nicht erfüllt. 2l5
2. Einzelheiten a) Zulassung der Einwender Die Prüfung, ob eine Person zum Verfahren zugelassen werden soll, umfaßt gewöhnlich drei Stufen. Als erstes ermittelt das ASLB, ob der Betreffende von Rechts wegen teilnehmen darf ("intervention of right"). Ist dies nicht der Fall, kann das ASLB ihn nach Ermessen zulassen ("intervention at the Licensing Board's discretion"). Wenn das ASLB auch dies ablehnt, bleibt noch die beschränkte Teilnahme ("limited appearance"). Besondere Vorschriften gelten für verspätete Zulassungsanträge.
2Scbcnso Scbocnbaum (1988),59. 2.6ygl. San Luie Obispo Motbcrs for Pcacc v. NRC, 799 F.2d 1268,1270 f.
B. Genehmigung kemtechnischer Anlagen in den USA
220
aa) "Intervention of right" Wer als Partei am Genehmigungsverfahren teilnehmen will, muß innerhalb der in der Ankündigung gesetzten Frist einen schriftlichen Zulassungsantrag ("petition to intervene") einreichen. Darin muß der Betreffende sein Interesse am Verfahren genau darlegen, erläutern, inwiefern es durch den Ausgang des Verfahrens berührt sein kann, und die konkreten Aspekte des Verfahrens genau darlegen, hinsichtlich der er die Zulasssung wünscht. Z1 Der letzte Punkt ist besonders wichtig, da die Verfahrensrechte von den bekundeten Interessen abhängen. Ob eine Person Einwendungsbefugnis ("standing to intervene") besitzt, hängt nach ständiger Praxis der NRC davon ab, ob sie diejenigen Maßstäbe erfüllt, die zur Zeit von den Gerichten zur Beurteilung der Klagebefugnis ("standing to sue") herangezogen werden. 2lI (1) Die Klagebefugnis in der Rechtsprechung des Supreme Court Gemäß U.S. Const. Art III sind die Gerichte nur befugt, über "Fälle und Streitigkeiten" ("cases and controversies") zu entscheiden. Im Bereich des Verwaltungsrechts gewährt 5 U.S.C.A. § 702 einer Person nur dann ein Recht auf gerichtliche Kontrolle, wenn sie "infolgeeiner behördlichen Maßnahme eine Rechtsverletzung erleidet oder durch eine solche Maßnahme nachteilig betroffen oder beschwert ist. "29 Daß das amerikanische Recht keine Popularklage kennt, wird von den Gerichten immer wieder betont: "Undifferenzierte Beeinträchtigungen", die "alle Bürger gleichermaßen betreffen", genügten nicht, um den Zugang zu den Gerichten zu eröffnen; denn U.S. Const. Art III verlange eine "konkrete Auseinandersetzung" ("a concrete adverseness").30 Die Rspr. zur Frage, welche Anforderungen an die Beeinträchtigung zu stellen sind, hat sich mehrfach durchgreifend geändert. In "Data Processing Service Organizations v. Camp "31 hat der Supreme Court den heute üblichen zwei stufigen Prüfungsmaßstab entwickelt. Der Kläger muß demnach
Z1zum
Inhalt des Zulassungsantrags vgl. 10 C.F.R. § 2.714(a)(I).
2lI s.
Portland General Electric Co. (pebble Springs, Units land 2), NRR § 30127 (1976); Florida Power and Light Co. (St. Lucie, Units 1 and 2), NRR § 31121 (1989); zum ganzen auch Schoenbaum (1988),47 ff. 29"a person suffering legal wrong becausc of agency action, or adversely affected or aggrieved by agency action", 5 U.S.C.A.§ 702. 3Ovgl. Pierce (1985), 152 m. w. N.; zur Klagebefugnis auch Strauss (1989),225 ff; Jörisscn I Coenen I Franz (1988), 44 ff. 31 397
U.S. 150,152.
V. Das Genehmigungsverfahren
221
zum einen geltend machen, daß er durch die Maßnahme der Behörde tatsächlich in seinen wirtschaftlichen oder anderen Interessen verletzt wird ("injury in fact, economic or otherwise"). Außerdem muß er geltend machen, daß das Interesse, dessen Schutz er begehrt, im Bereich der vom einschlägigen Gesetz geschützten Interessen liegt. In den nach "Data Processing" ergangenen Entscheidungen ist der Kreis der Klageberechtigten, v. a. im Umweltrecht, immer mehr ausgeweitet worden. Zunächst wurde anerkannt, daß auch die Verletzung ästhetischer Interessen oder des Interesses am Schutz der Umwelt eine "injury in fact" sein kann. 32 Allerdings seien nur diejenigen Personen klagebefugt, die eine Landschaft tatsächlich nutzten, oder eine Organisation, die die Interessen dieser Personen vertrete. 33 Der Supreme Court hat also ohne weiteres eine Verbandsklage zugelassen. Im Ergebnis wurde dem Sierra Club jedoch die Klagebefugnis nicht zuerkannt, da er nicht dargelegt hatte, daß seine Mitglieder das Mineral King Valley, dessen landschaftlicher Reiz durch die geplante Errichtung eines Skigebiets beeinträchtigt zu werden drohte, zu irgendeinem Zweck nutzten. "United States v. SCRAP"34 betraf eine behördlich genehmigte Erhöhung der Tarife für den Eisenbahntransport wiederverwertbarer Stoffe. SCRAP, eine Vereinigung von Jurastudenten aus Washington D.C. machte geltend, daß dadurch ihre Mitglieder als Nutzer der Umwelt im Raum Washington D.C. beeinträchtigt würden. Wenn nämlich für wiederverwertbare Stoffe höhere Bahntarife gelten würden, würde weniger Recycling stattfinden, der Rohstoffverbrauch zunehmen und die Luftverschmutzung im ganzen Land steigen. Der Supreme Court hielt die Klage aufgrund dieses Vorbringens für zulässig. Im Gegensatz zum Sierra Club hätte SCRAP geltend gemacht, daß die Maßnahme der Behörde die Mitglieder der Organisation in ihrer Nutzung der Umwelt in der Umgebung von Washington D.C. unmittelbar beeinträchtige. Zwar könnten sich praktisch alle Bürger der USA auf ähnliche Beeinträchtigungen berufen. Jedoch könne die Klagebefugnis nicht einfach deshalb abgelehnt werden, weil viele Personen die gleiche Beeinträchtigung erlitten hätten. Personen, deren Interessen tatsächlich verletzt seien, deshalb die Klagebefugnis abzusprechen, weil viele andere auch beschwert seien, liefe darauf hinaus, daß gerade die besonders weitreichenden und schwerwiegenden Entscheidungen der Verwaltung von niemandem angegriffen werden könnten. Während es sich bei "Mineral King" um ein konkretes Projekt gehandelt habe, das mit unmittelbaren Eingriffen in Natur und Landschaft verbunden gewesen sei, gehe es hier um eine Maßnahme, deren Folgen für die Umwelt weiterreichend, aber zwangsläufig weni-
J~gl. Sierra Club v. Morton, 405 U.S. 727. 33404
U.S. 735; anders im deutschen Recht, 8. o. S. 70.
34412 U.S. 669.
B. Genehmigung kemtechnischer Anlagen in den USA
222
ger direkt und weniger eindeutig nachweisbar seien. Das Gericht müsse sich daher mit einem Kausalverlauf zufrieden geben, der weitaus weniger stringent sei als detjenige im "Mineral King "-Fall. 35 Als "injury in fact" wurde auch die Erwärmung zweier vom Kläger zu Erholungszwecken genutzter Seen durch die Einleitung von Kühlwasser aus einem Kernkraftwerk sowie die Abgabe kleiner Mengen künstlicher Radioaktivität an Luft und Wasser angesehen. 36 In dieser Entscheidung bat der Supreme Court allerdings angedeutet, daß andere, ebensfalls vorgebrachte Beeinträchtigungen für sich allein keine Klagebefugnis begründen würden, nämlich die Möglichkeit eines Unfalls im Kernkraftwerk mit Freisetzung großer Mengen an Spaltprodukten und die gegenwärtige Angst des Klägers vor einem solchen Ereignis. Auf Vermutungen beruhende oder hypothetische Beeinträchtigungen ("conjectural or hypothetical injuries") sollen anscheinend auch im Umweltrecht außer Betracht bleiben. 37 Die Tendenz, den Kreis potentieller Kläger weit zu fassen, hat der Supreme Court bis in jüngste Zeit durchgehalten. J8 Insbesondere muß der Kläger nicht nachweisen, daß es Absicht des Kongresses war, gerade ihn zu begünstigen. Die Frage, ob der Kläger tatsächlich in eigenen Interessen verletzt ist, spielt übrigens nur bei der Prüfung der Klagebefugnis eine Rolle. Wenn die Klage zulässi2 ist, darf der Kläger sich auch auf Interessen der Allgemeinheit berufen. j~ (2) Die vom AEA und vom NEPA geschützten Interessen Im atomrechtlichen Verfahren muß detjenige, der als Beteiligter zugelassen werden will, sich auf Interessen stützen, deren Verletzung abzuhelfen die NRC befugt ist. Welche Belange dazu gehören, richtet sich nach den Gesetzen, die die Tätigkeit der NRC regeln, d. h. nach dem AEA und dem 35vgl.
412 U.S. 687 f.
36vgl.
Duke Power Corp. v. Carolina Environmental Study Group, 438 U.S. 59, 73.
37•.
438 U.S. 73 mit Berufung auf O'Shea v. Littleton, 414 U.S. 488,494.
J8vgl.
Clarke v. Securities Industry Association, 107 S.Ct. 750. Möglicherweise bahnt sich jedoch eine Trendwende an. Kürzlich hat der Supreme Court die auf den Endangered Species Act gestützte Klage eines Umweltschutzverbandes gegen mit Haushaltamitteln der USA finanzierte Bauvorhaben in Sri Lanka abgewiesen. Die Kläger hatten vorgetragen, durch die Projekte seien die Lebensriume bedrohter Tierarten gefährdet; die Kläger hätten vor, irgendwann einmal nach Sri Lanka zu reisen und seien dadurch in ihren Interessen verletzt, daß sie dann diese Tierarten nicht mehr sehen könnten. Unter Berufung auf U.S. Const. Art m entschied der Supreme Court, daß dies keine die Klagebefugnis begründende "tatsächliche oder unmittelbar bevorstehende Verletzung" ("actual or imminent injury") sei, Lujan v. Defenders of Wildlife, No. 90-1424,lune 12,1992, vgl. New Vork Times, lune 13, 1992,page A 12. 39vgl.
Sierra Club v. Molton, 405 U.S. 727,740.
V. Das Genehmigungsverfahren
223
NEPA. «I Der AEA schützt vor Gefährdungen für Gesundheit und Sicherheit, die Folge der Abgaben ("releases") von Radioaktivität im Normalbetrieb oder bei einem Unfall sein können. 41 Zum Schutzbereich des NEPA gehören alle Interessen, die eine Beziehung zu den Umweltauswirkungen der Errichtung oder des Betriebs der Anlage haben. 42 Dabei verlangen weder der AEA noch die "rules" der NRC vom Einwender den Nachweis, daß seine Interessen tatsächlich berührt werden. Der Einwender muß nur zeigen, daß sie berührt werden können. 43 Dazu muß er darlegen, daß er als Folge des Verfahrens eine "konkrete und bestimmte Verletzung" ("concrete and specific injury") erleiden kann. Nur vage Verweisungen auf Grundrechte ("civilliberties") ohne Versuche zu bestimmen, welche einzelnen Grundrechte verletzt werden könnten, sind nicht ausreichend. Wenn der Einwender es unterläßt, die Verletzung oder den Zusammenhang zwischen ihr und dem Verfahren mit einem Mindestmaß an Genauigkeit ("specificity") zu beschreiben, wird er nicht als Partei zugelassen. Die allgemeine Befürchtung, daß das Verfahren zu Problemen führen kann, genügt ebensowenig, wie die allgemeine Gegnerschaft gegen die geplante Genehmigung." Eine große Rolle spielt in der Praxis, wie weit entfernt vom Standort der Anlage der Einwender wohnt. Personen, die bis zu 50 mi (80 km) von der Anlage entfernt wohnen, werden ohne weiteres als Parteien zugelassen. 45 bb) "Discretionary Intervention" Ausgehend von der Erwägung, daß die Öffentlichkeitsbeteiligung unbedingt notwendig ist, um die im Genehmigungsverfahren aufgeworfenen Fragen offen und umfassend zu erörtern, hat die Commission die ASLBs ermächtigt, Einwender nach Ermessen zuzulassen, die nicht von Rechts wegen einwendungsbefugt sind. 46 Dabei sollen die ASLBs alle Umstände des Einzelfalls abwägen.
«Ivgl. Schoenbaum (1988),48 f. 41vgl. Virginia Electric and Power Co. (North Anna, Units 1 and 2), Nuclear Regulation Reporter (=NRR) § 30096 (1976). 4\gl. Long Island Lighting Co. (Jamesport, Units 1 and 2), NRR § 30022 (1975); Detroit Edison Co. (Fenni, Unit 2), NRR § 30291 (1978). 43vgl. § 189(a) AEA= 42 U.S.C.A. § 2239(a): "whose interests msy be affected", und dazu Long Island Lighting Co. (Jamesport, Units 1 and 2), NRR § 30022 (1975); Virginia E1ectric and Power (North Anna, Units 1 and 2), NRR § 30077 (1976).
"vgl. Allied General Nuclear Services (Bamwell Ststion), NRR § 30059 (1976). 45vgl. Schoenbaum
(1988),50 m. w. N.; Manso, 21 U.S.F. L.Rev. 126 note 43.
grundlegend Portland General Electric Co. (pebble Springs, Units 1 and 2), NRR § 30127 (1976). 46vgl.
224
B. Genehmigung leemtcchnischer Anlagen in den USA
Für die Zulassung nach Ermessen spricht v. a, inwieweit die Teilnahme gerade dieses Einwenders vermutlich dazu beiträgt, eine umfassende Verfahrensakte ("a sound record") zu entwickeln; die Art und der Umfang des Interesses, das der Einwender am Verfahren hat; und welche Auswirkungen das Verfahrensergebnis vermutlich auf die Interessen des Einwenders haben wird. Zulasten der Zulassung ist zu berücksichtigen, inwieweit andere Mittel vorhanden sind, um das Interesse des Einwenders zu schützen; inwieweit das Interesse des Einwenders bereits durch andere Parteien vertreten wird, und inwieweit die Teilnahme des Einwenders das Verfahren unangemessen ausweiten oder verzögern würde. Im Ergebnis sollen Einwender dann nach Ermessen zugelassen werden, wenn sie ihre Fähigkeit darlegen, wesentliche Beiträge zu erheblichen Tatsachen- oder Rechtsfragen zu leisten, die anderenfalls nicht angemessen vorgebracht würden; wenn sie ferner diese Beiträge hinreichend detailliert erläutern, so daß eine Bewertung möglich ist; und wenn sie schließlich die Bedeutung und Dringlichkeit dieser Probleme aufzeigen, so daß der zusätzliche Zeitaufwand gerechtfertigt ist. Von den Faktoren, die in die Ermessensausübung einfließen, ist am wichtigsten, ob die Teilnahme gerade dieses Einwenders einen wertvollen Beitrag zum Entscheidungsprozeß liefern wird. 41 Die Teilnahme nach Ermessen kann inhaltlich auf diejenigen Fragen beschränkt werden, die die Einwender als für sie besonders bedeutsam angegeben haben. 48 ce) "Limited Appearance" Personen, die weder von Rechts wegen noch nach Ermessen des ASLB als Partei zugelassen sind, können auf Antrag die Erlaubnis zu "beschränkter Teilnahme" ("Iimited appearance") erhalten. 49 Sie dürfen dann in der mündlichen Verhandlung oder in den "prehearing conferences" innerhalb der Beschränkungen und Auflagen, die der Vorsitzende des ASLB festlegt, mündliche oder schriftliche Stellungnahmen abgeben. Weitergehende Verfahrensrechte haben sie nicht. Die Möglichkeit, die Interessen eines potentiellen Einwenders durch "beschränkte Teilnahme" zu wahren, ist bei der
41s. Publie Service Co. of Oklahoma (Blaele Fox, Unil8 I .nd 2), NRR § 30183 (1977); Tennessec Valley Authority (Watts Bar, Unil8 1 and 2), NRR § 30201 (1977). 48vg l. Portland General E1ectrie Co. (pebble Springs, Unil8 1 and 2), NRR § 30127 (1976); s. a. Virginia Electrie and Power Co. (North Anna, Unil8 1 and 2), NRR § 30131 (1976).
49s.
10 C.F.R. § 2.715.
V. Das Genehmigungsverfahrcn
225
Entscheidung zu berücksichtigen, ob dieser Einwender nach Ermessen als Partei zugelassen werden soll. so dd) Besondere Voraussetzungen der nachträglichen Zulassung Ob einem verspäteten Zulassungsantrag stattgegeben wird, hängt von zwei Feststellungen ab. Erstens muß der Einwender "standing to intervene" haben. Zweitens findet eine Abwägung statt, in die folgende Faktoren eingestellt werden: 51 - ob ein wichtiger Grund dafür besteht, daß der Zulassungsantrag zu spät gestellt wurde; - ob das Interesse des Einwenders durch andere Mittel geschützt werden kann; - inwieweit die Teilnahme des Einwender vermutlich dazu beiträgt, eine umfassende Verfahrensakte zu erarbeiten; - inwieweit die Interessen des Einwenders durch bereits zugelassene Parteien vertreten sind; - inwieweit die Teilnahme des Einwenders das Verfahren verzögern oder inhaltlich ausweiten wird. Wenn der Einwender die für die Begründung des Zulassungsantrags notwendigen Informationen ohne Verschulden zu spät erhalten hat, ist dies ein hinreichender Grund dafür, daß der Antrag erst nach Fristablauf gestellt wurde. 52 Kein ausreichender Grund für die Verspätung ist es, wenn der Einwender während der gesamten Frist für die Zulassungsanträge im Ausland war und den Antrag nicht unverzüglich nach seiner Rückkehr eingereicht hat. Wenn andere Parteien das Interesse vertreten, und wenn der Zulassungsantrag erst in der mündlichen Verhandlung gestellt wird, ist dem Antrag nicht stattzugeben. 53 Ob ein wichtiger Grund für die Verspätung vorliegt, ist aufgrund einer Abwägung zu entscheiden. Dabei ist sowohl das Gewicht der vom Einwender für die Verspätung gegebenen Begründung zu berücksichtigen als auch die vier anderen Faktoren aus 10 C.F.R. § 2.714(a)(I). Einwender, die die Frist versäumt haben, trifft eine beträchtliche Darlegungslast, was die Rechtfertigung der Verspätung angeht. Und der notwendige Aufwand, um
SOvgl. Tennessee Valley Authority (Browns Ferry, Unils 1 and 2), NRR § 30093 (1976) 51vgl. 10 C.F.R. § 2.714(a)(I) 52ygl. Virginia Electric and Power Co. (North Anna, Units 1 and 2), NRR § 30077 (1976). 53vgl. Tennessee Valley Authority (Browßs Ferry, Units 1 and 2), NRR § 30093 (1976). 15 Heitsch
226
B. Genehmigung kemtcchniacher Anlagen in den USA
die Teilnahme aufgrund der vier anderen Faktoren zu rechtfertigen, ist viel größer, wenn der Einwender keine stichhaltige Erklärung für seine Verspätung hat. 54 Ein verspäteter Einwender kann folgendermaßen zeigen, daß er vermutlich dazu beitragen wird, eine vollständige Akte zu entwickeln: Er muß mindestens einen Zeugen benennen, den er zu laden beabsichtigt; außerdem muß er hinreichend detaillierte Angaben darüber machen, was der Zeuge voraussichtlich aussagen wird, so daß das ASLB den vermutlichen Wert der Aussage abschätzen kann. 55
b) Rechts- und Tatsachenbehauptungen ("contentions") aa) Rechtmäßigkeit Spätestens 15 Tage vor der ersten, im Verfahren angesetzten "prehearing conference" muß der Einwender seinen Zulassungsantrag mit einer Liste der Behauptungen ("list of contentions") ergänzen, über die er im Verfahren streitig verhandeln will. 56 Daß die Einwender somit außer der möglichen Interessenverletzung noch eine weitere Voraussetzung erfüllen müssen, um als Parteien zulelassen zu werden, ist nicht selbstverständlich. Denn § 189 (a) (1) AEA5 schreibt vor, daß alle Personen, deren Interessen berührt sein können, auf Antrag im Verfahren mitwirken dürfen. Von einer "list of contentions" als weiterer Teilnahmevoraussetzung steht dort nichts. Trotzdem hat der "D.C. circuit" 10 C.F.R. § 2.714(b)(1) für rechtmäßig erklärt. 58 Neben der weitgefaßten Ermächtigung an die Atombehörden, "roles " zu erlassen, war für dieses Ergebnis ausschlaggebend, daß das JCAE die Einführung der neuen Zulassungsvoraussetzung kommentarlos hingenommen hatte. bb) Anforderungen nach 10 C.F.R. § 2.714(b) a. F. Gemäß 10 C.F.R. § 2.714(b) a. F. hatte der Einwender seine Rechts- und Tatsachenbehauptungen mit angemessener Detailliertheit ("with reasonable specificity") darzulegen. Damit sollte verhindert werden, daß die mündliche Verhandlung für unerlaubte Zwecke mißbraucht wird, z. B. für Angriffe auf gesetzliche Anforderungen oder auf "roles" der NRC, und daß Fragen vor54vgl. Metropolitan
Edison Co. (Three Mile Island, Unit 2), NRR § 30167 (1977).
55vgl. Washington Public Power Supply System (wpPSS Nuclear Project No. 3), NRR § 30853 (1984). 56vgl.
5742
10 C.F.R. § 2.714(b)(1).
U .S.C.A. § 2239(&)(1).
58vgl.
BPI v. AEC, 502 F.2d 424.
V. Das Genehmigungsverfahren
227
gebracht werden, die im konkreten Verfahren nicht geeignet für die Behandlung ("inappropriate for litigation") sind. Außerdem sollten die anderen Parteien zumindest in groben Zügen wissen, wogegen sie sich ggf. verteidigen müssen. 59 Sicherheitsbezogene "contentions" müssen die Behauptung enthalten, daß irgendein einschlägiger Sicherheitsstandard nicht eingehalten wird, und ein bestimmtes Szenario beschreiben, das den vom Einwender befürchteten Unfall auslösen kann. Insoweit genügt es, wenn sich aus dem Text der "contentions" ergibt, daß der Einwender über angebliche Sicherheitsmängel verhandeln will, die in einem als Anlage beigefügten Bericht angesprochen sind, und wenn dieser Bericht Unfallszenarien enthält. 60 Wenn der Einwender die "contentioos" auf schriftliche Unterlagen stützen will, muß er diese Unterlagen den Parteien und dem ASLB zur Verfügung stellen oder sie so genau beschreiben, daß sie leicht zu finden sind. 61 Zitieren Einwender in der ersten Fassung ihrer "contentions" den genauen Wortlaut einer "role" und weichen sie in einer späteren, geänderten Fassung geringfügig vom Wortlaut der "role" ab, so ist es rechtswidrig, wenn die NRC die Einwender nicht zuläßt, weil sie angeblich nicht deutlich gemacht hätten, sie wollten über das in der "role" geregelte Problem verhandeln. 62 Den Einwender trifft eine unumstößliche Verpflichtung ("ironclad obligation"), die öffentlich zugänglichen Unterlagen über die geplante Anlage, v. a. den SAR und den ER des Antragstellers, mit hinreichender Sorgfalt zu studieren und ihnen die Angaben zu entnehmen, die Grundlage für hinreichend detaillierte "contentions" sein können. Die Behauptung, diese Materialien seien zu umfangreich und in einer unverständlichen Fachsprache abgefaßt, ist unvereinbar mit den Obliegenheiten, die mit der Teilnahme an Verfahren der NRC verbunden sind. Deshalb wird ein Einwender mit diesem Vorbringen nicht gehört. Vielmehr müssen die Einwender sorgfältig alle öffentlich zugänglichen Informationen über die Anlage sammeln und auswerten, um ihre "contentions" unverzüglich zu formulieren. 63 Bei der Entscheidung darüber, ob die "contentioos" zugelassen werden können, darf das ASLB nicht prüfen, ob die Angaben des Einwenders zutreffen, oder ob
59vgl. Texas Utilities (Comanche Peak, Unit 1), NRR § 31022 (1987); vgl. auch Union of Concemed Scientists v. ABC, 499 F.2d 1069,1087 ff: "contentions", die Angriffe auf "mies" enthalten, dürfen zurückgewiesen werden.
60Sierra
Club v. NRC, 862 F.2d 222,227 f.
61Philadelphia Electric Co. (Limerick, Units 1 and 2), NRR § 30914 (1985). ~gl. Limerick Ecology Action v. NRC, 869 F.2d 719, 751. 63vgl. Duke Power Co. (Catawba, Units 1 and 2), NRR § 30797 (1983). Eine allgemein verständliche Kunbeschreibung der Anlage und ihrer Auswirkungen (vgl. § 3 n 1 AtVfV) gibt es im amerikanischen Genehmigungsverfahren nicht.
228
B. Genehmigung kerntechnischer Anlagen in den USA
die "contentions " letztlich bewiesen werden können. 64 Dementsprechend war es nach altem Recht nicht erforderlich, daß der Einwender in den "contentions " selbst die Beweismittel angibt, auf die er sich zu stützen gedenkt. 6S Die NRC ist die einzige "regulatory agency·, die derart hohe Anforderungen an den Sachvortrag der Einwender zur Zulassungsvoraussetzung erhoben hat. 66 ce) Die Neufassung von 10 C.F.R. § 2.714(b) Durch die Änderung von 10 C.F.R. § 2.714(b) ist die Entscheidung im Fall "Houston Lighting and Power Co." überholt. 67 Nunmehr hat jede "contention" aus einer detaillierten Erläuterung der Rechts- oder Tatsachenfrage zu bestehen, die im Verfahren vorgebracht werden soll. Zusätzlich muß der Einwender zu jeder seiner "contentions" die folgenden Informationen liefern: - eine kurze Erläuterung ihrer Grundlagen; - eine kurze Darlegung der Tatsachen oder Expertenmeinungen, die die "contention" stützen, und mit denen der Einwender die "contention" in der mündlichen Verhandlung beweisen will, einschließlich Verweisungen auf bestimmte Quellen oder Unterlagen, die dem Einwender bekannt sind und mit deren Hilfe er die Tatsachen oder Expertenmeinungen nachweisen will; - ausreichende Angaben, um zu zeigen, daß tatsächlich eine Meinungsverschiedenheit mit dem Antragsteller hinsichtlich einer erheblichen Rechtsoder Tatsachenfrage besteht. 68 Dazu muß der Einwender genau auf diejenigen Stellen im Antrag, SAR oder ER verweisen, die er angreift, und die Gründe für jede Meinungsverschiedenheit nennen. Wenn der Einwender meint, der Antrag enthalte von Rechts wegen erforderliche Angaben nicht, muß er jede Unvollständigkeit nennen und Gründe für seine Auffassung anführen. Wenn der Einwender Umweltschutzfragen aus dem Bereich des NEPA ansprechen will, muß er
64vgl. Carolina Power and Light Co. and North Carolina Eastern Municipal Power Agency (Shearon Harris) , NRR § 30970 (1986); s. a. Sierra Club v. NRC, 862 F .2d 222,228 f.
6Svgl.
Houston Lighting and Power Co. (Allens Creek, Unit 1), NRR § 30473 (1980).
66vgl.
HanselI, 3 UCLA I. of Env. L. and Pol., 37, note 56.
67so
ausdrücklich die Erläuterung der Neufassung, 54 F.R. 33170(1989).
68 mit dieser Anforderung dürfte das Problem emeblich entschärft sein, daß Einwender gelegentlich kurz vor Fristablauf zahlreiche, nur wenig fundierte "contentions" einreichen und so nur das Verfahren verzögern, ohne einen nennenswerten Sichemeitagewinn zu bewirken, vgl.dazu Manso, 21 U.S.F.L.Rev.121 ff.
V. Das Genehmigungsverfahrcn
229
"contentions" aufgrund des ER formulieren. Er kann diese "contentions" ändern oder neue einreichen, wenn im EIS der NRC Angaben oder Schlußfolgerungen stehen, die von den Unterlagen des Antragstellers abweichen. 69 Als Partei wird nur zugelassen, wer mit mindestens einer • contention " diese Voraussetzungen erfüllt. Wenn ein Einwender ein bereits von einer zugelassenen Partei in das Verfahren eingeführtes Problem in seinen eigenen "contentions· erneut vorbringen will, braucht die NRC diesen zweiten Einwender nicht als Partei zuzulassen.'" dd) Verspätete "contentions " Ob verspätete ·contentions· zugelassen werden, bemißt sich nach einer Abwägung der gleichen fünf Faktoren, die auch bei der Entscheidung über verspätete Zulassungsanträge einschlägig sind. 71 Keinen wichtigen Grund dafür, daß ·contentions" verspätet eingereicht werden, bildet die Tatsache, daß die Sicherheitsbewertung (SER) und das DEIS vom Fachpersonal der NRC erst nach Fristablauf fertiggestellt werden. Denn die maßgeblichen Unterlagen sind der SAR und der ER des Antragstellers. 12 Die "contentions" müssen zu einem Zeitpunkt eingereicht werden, in dem der Antrag und die Bewertung durch das Fachpersonal oftmals noch nicht vollständig sind. Deshalb bringen die Einwender in der Regel so viele ·contentions· wie möglich vor, um nur ja keines der Probleme auszulassen, die häufig umstritten sind, die aber noch nicht durch den Antrag offengelegt sind. Die erste Fassung der "contentions" ist daher oft nur eine schlüssige Behauptung. In dem Maße, in dem der Antrag nach und nach vollständig wird, müssen die ·contentions" immer wieder überarbeitet werden, bis schließlich die tatsächlich einschlägigen Sicherheits- und Umweltschutzprobleme klar herausgearbeitet sind. Dieser Prozeß kostet viel Zeit und Aufwand. 1J Die Neufassung von 10 C.F.R. § 2.714(b) hat diese Schwierigkeiten noch verschärft. Denn nunmehr müssen zusätzlich die Beweismittel genannt werden, auf die die ·contentions" gestützt werden sollen. Außerdem müssen die Einwender zeigen, daß tatsächlich in relevanten Sachfragen eine Meinungsverschiedenheit mit dem Antragsteller besteht. Derart detaillierte "contentions " müssen bereits zu einem Zeitpunkt erhoben wer-
69so schon zum alten Recht Duke Power Co. (Catawba, Unita 1 and 2), NRR § 30797 (1983); die Neufassung des § 2.714(b) wurde vom "D.C. circuit" als mit § 189(a) AEA vereinbar angesehen, vgl. Union of Concemed Scientista v. NRC, 920 F.2d 50.
"'vgl. Cities of Statesville v. ABC, 441 F .2d 962, 976 f. 71 vgl.
10 C.F.R. § 2.714(b)(1).
"72ygl. Duke Power Corp. (Catawba, Unita 1 and 2), NRR § 30797 (1983). 1Jvgl.
Cotter, 34 Admin. L. Rev. (1982), 497 ff; Schoenbaum (1988), 52 f.
230
B. Genehmigung kemtechnischer Anlagen in den USA
den, zu dem der Antrag und der Sicherheitsbericht noch nicht vollständig ist und die vorbereitende Sachaufklärung ("discovery") noch nicht stattgefunden hat. Ob diese Zulässigkeitsvoraussetzungen für "contentions" überhaupt noch erfüllbar sind, wird in der amerikanischen Literatur bezweifelt. 14 Die inhaltlichen Anforderungen an die "contentions" sind erheblich höher als die Substanzierungslast derjenigen deutschen Einwender, die die Behörde im Verfahren zu weiteren Ermittlungen veranlassen wollen. 15 Für amerikanische Einwender kommt noch hinzu, daß die "contentions" immer wieder an Änderungen der ausgelegten Unterlagen angepaßt werden müssen. ee) Allgemeine ungelöste Sicherheitsprobleme (1) Erfassung und Analyse Im Jahre 1977 erteilte der Kongreß in einer Ergänzung des Energy Reorganization Act der NRC den Auftrag, einen Plan zur Erfassung und Analyse ungelöster Sicherheitsprobleme ("unresolved safety issues" - USIs) aufzustellen und die notwendigen Abhilfemaßnahmen hinsichtlich dieser Probleme umzusetzen. Die NRC wurde außerdem verpflichtet, den Kongreß in ihren jährlichen Berichten über den Stand dieser Arbeiten zu informieren. 16 Als "unresolved safety issues" im Sinne dieser Vorschrift betrachtet die NRC "Probleme mit potentiell beträchtlichen Auswirkungen auf Gesundheit und Sicherheit der Allgemeinheit. "11 Ausgehend von Berichten der ACRS, eigenen Untersuchungen der Fachabteilungen sowie Meldungen der Betreiber über besondere Vorkommnisse, hat die NRC über 130 solcher ungelöster Sicherheitsprobleme erfaßt. Diese Probleme wurden unter Anwendung von Fehlerbaumanalysen je nach ihrer Bedeutung für die Sicherheit und ihrer Dringlichkeit in vier Kategorien eingeteilt. Dabei haben die Probleme der Kategorie A höchste Priorität. Dazu gehören z. B. Betriebstransienten bei Ausfall des Schnellabschaltsystems (ATWS) , Systeminteraktionen in Kernkraftwerken sowie die Auslegung von Kernkraft-
14S•
Goldsmith, 20 Hofstra L. R. 194 ff.
15zur 1642
Substanzierungslast nach deutschem Recht s. o. S. 112 ff. U.S.C.A.§ 5850.
11zum gemäß 42 U.S.C.A. § 5850 von der NRC eingeleiteten Aktionsprogramm vg!. Note, 7 Co!. J. of Env. L. 103 f; s. a. Tennessee Valley Authority (Yellow Creek, Units 1 and 2) 8 NRC 602,625 ff, 629 ff
V. Das Genehmigungsverfahren
231
werken gegen Sabotage. 78 Für die Lösung jedes einzelnen in Kategorie A enthaltenen Problems wurde sodann ein Aktionsplan aufgestellt und Aufträge zur Ausführung dieser Pläne verteilt. (2) Behandlung der USls in Genehmigungsverfahren Die USls spielen in Genehmigungsverfahren für einzelne Anlagen eine erhebliche Rolle. Denn es muß jeweils geprüft werden, ob eine Errichtungs- oder gar eine Betriebsgenehmigung erteilt werden darf, obwohl noch Sicherheitsprobleme "ungelöst" sind. Auch wenn keine zulässigen "contentions" über die USls eingereicht sind, muß das ASLB kontrollieren, ob sich das Fachpersonal ausreichend mit der Relevanz der einzelnen USls für die konkrete Anlage befaßt hat. 19 Die Sicherheitsbeurteilung des Fachpersonals (SER) muß eine zusammenfassende Beschreibung derjenigen USls enthalten, die für die betreffende Anlage einschlägig sind und möglicherweise wesentliche Auswirkungen auf die Sicherheit der Allgemeinheit haben. In der Beschreibung ist anzugeben, ob ein Forschungsprogramm über die einzelnen Probleme in Angriff genommen oder vorgesehen ist, und wieviel Zeit das Programm vermutlich benötigen wird. Außerdem sind ggf. die vorläufigen Maßnahmen zur Behandlung des Problems darzulegen, die während der Dauer des Forschungsprogramms geplant sind. Schließlich sind die Alternativen zu benennen, die für den Fall bereitstehen, daß das Programm nicht das gewünschte Ergebnis hat. Durch die Ausführungen im SER sollen das ASLB und die Allgemeinheit, ohne daß sie auf andere Unterlagen zurückgreifen müssen, in die Lage versetzt werden festzustellen, inwiefern jedes einzelne USI nach Meinung des Fachpersonals für den Betrieb der betreffenden Anlage bedeutsam ist. Eine Errichtungsgenehmigung darf erteilt werden, wenn sich aus dem SER ergibt, daß entweder das Problem hinsichtlich der konkreten Anlage schon gelöst ist; oder daß eine ausreichende Grundlage für die Annahme besteht, eine zufriedenstellende Lösung werde vor der Betriebsaufnahme gefunden; oder daß das Problem erst einige Jahre nach Betriebsbeginn Auswirkungen auf die Sicherheit hat und daß dann, wenn es bis dahin nicht gelöst sein sollte, andere Mittel zur Verfügung stehen, um zu gewährleisten, daß eine Fortsetzung des Betriebs kein übermäßiges Risiko für die Allgemeinheit darstellt.
"lIIvollsländige Liste der Kategorie A in 8 NRC 626 f; einige dieser Problembereiche werden im deutschen Recht zum "Restrisiko" gezählt mit der Folge, daß illllOweit Schutzmaßnahmen nicht gerichtlich durchsetzbar sind (s. o. S. 49 f, 77 ft), und daß den Einwendem nach h. M. illllOweit auch keine durchsetzbaren Verfahrensrechte zustehen (I. o. S. 97 ft). 19dazu
grundlegend Gulf States Utilities (River Bcnd, UnilS 1 and 2), NRR § 30250 (1977).
232
B. Genehmigung kemtcchnischer Anlagen in den USA
In der "River Bend"-Entscheidung wurde dargelegt, wie USIs im Verfahren um eine Errichtungsgenehmigung zu behandeln sind. Daß der Bau eines Kernkraftwerks genehmigt werden darf, obwohl noch Sicherheitsprobleme einer Lösung harren, ist vom "D.C. circuit" mehrmals ausdrücklich bestätigt worden. 80
Gemäß einer Entscheidung zum Kernkraftwerk "North Anna "81 muß der SER für eine Betriebsgenehmigung ähnliche Analysen enthalten, wobei die Rechtfertigung dafür, den Betrieb zu gestatten, natürlich nicht sein kann, daß Forschungsarbeiten zur Lösung der USIs im Gange sind. Die beiden anderen in "River Bend" genannten Gesichtspunkte zugunsten der Betriebsaufnahme sind aber durchaus anwendbar. Wenn über USIs nicht streitig verhandelt wurde, kann das ASLB nur prüfen, ob diese Probleme in einer Weise betrachtet sind, die zumindest plausibel ist und die, wenn sie inhaltlich bewiesen würde, ausreichen würde, um die Betriebsaufnahme zu rechtfertigen. Im "Yellow Creek"- Fall82 wurde die bisherige Rspr. über die USIs wie folgt zusammengefaßt: Der SER muß erstens eine Beschreibung des einzelnen USI und seiner Beziehung zur konkreten Anlage enthalten; zweitens eine Erläuterung des Programms für die Lösung des Problems; und drittens eine rationale Grundlage ("rational basis") dafür, daß trotz dem Problem das Kernkraftwerk genehmigt oder der Betrieb fortgesetzt werden kann. So eine rationale Grundlage liegt vor, wenn einer oder mehrere der folgenden Aussagen für die konkrete Anlage zutreffen: Das Problem ist im Hinblick auf diese Anlage schon gelöst; eine Lösung kann vernÜDftigerweise vor Betriebsaufnahme erwartet werden; Auswirkungen auf die Sicherheit wird das Problem erst nach einigen Betriebsjahren haben, und es werden Alternativen zur Verfügung stehen, um ein übermäßiges Risiko für die Allgemeinheit zu vermeiden; derzeit geltende Sicherheitsstandards werden für ausreichend gehalten, aber bestätigende Untersuchungen sind wünschenswert, während die Genehmigungstätigkeit weitergehen kann; das Problem hat eine so geringe Eintrittswahrscheinlichkeit, daß es ein "unglaubhaftes Ereignis" ("incredible event") ist; das Problem betrifft die Beseitigung von Unklarheiten, Widersprüchen oder undurchführbaren Anforderungen in den "rules"; oder es betrifft mögliche Verbesserungen der gegenwärtig als ausreichend angesehenen Sicherheitsstandards. In der gleichen Entscheidung hat es das ASLB gebilligt, daß das Fachpersonal die Anforderungen aus "River Bend· auf die USIs der Kategorie A beschränkt hat. Denn die in Klasse B zusammengestellten Probleme seien
8OZ •
B. in Scacoast Anti-Pollution Lcague v. NRC, 690 F.2d 1025,1031 f.
81Virginia Electric and Power Co. (North Anna, Unitll 1 and 2), 8 NRC 245,248 f (1978); vgl. auch - für die Zeit nach dem Unfall in Thrce Mile Island 2 - Loog laland Lightiog Co. (Shorcham, Unit 1), 20 NRC 1102, 1137 (1984); Vermont Yankee Nuclcar Power Corp. (Vermont Yankee Nuclcar Power Station), 25 NRC 838,840 (1987). nrennessce Valley Authority (Yellow Creek, Unitll 1 and 2),8 NRC 602,625 fT (1978).
V. Das Genehmigungsverfahren
233
zwar zum Teil wichtig für die Sicherheit. In Klasse B seien aber keine USls enthalten, deren Lösung nötig sei, um wesentliche Mängel in Planung und Betrieb der Anlagen zu beseitigen. Deshalb hätte die Kategorie B nicht die wesentlichen Auswirkungen auf die Sicherheit, die Auslöser für die im "River Bend" - Fall geforderten Erläuterungen seien. 83 (3) Streitige Verhandlung über USls Grundsätzlich kann über USls in Genehmigungsverfahren ebenso streiti~ verhandelt werden, wie über jede andere sicherheitsrelevante Frage auch. "Contentions" über ungelöste Sicherheitsprobleme unterliegen jedoch besonderen Maßstäben. Es genügt nicht, wenn der Einwender darin einfach ein Verzeichnis der USls aufnimmt, die seiner Meinung nach für die konkrete Anlage relevant sind. &S Denn die Untersuchungen der USls in den Aktionsplänen hätten nicht immer auch Bedeutung für die Sicherheit einzelner Anlagen, v. a. wenn es darin nur um die Methodik der Sicherheitsbewertungen durch das Fachpersonal gehe. Deshalb müßten die Einwender eine Verbindung zwischen der konkreten Anlage und einzelnen USls glaubhaft machen. Dazu müßten sie zeigen, daß die allgemeine Untersuchung für die Sicherheit der konkreten Anlage von Bedeutung sei, und daß die Art, in der der Genehmigungsantrag die USls abhandle, unzureichend sei. Insoweit genüge es, wenn die Einwender darlegten, daß deshalb, weil eine bestimmte Frage nicht betrachtet sei, ein besonderes Risiko für die konkrete Anlage nicht ausreichend untersucht sei, oder daß die kurzfristige Lösung, die in den Genehmigungsunterlagen für ein USI vorgeschlagen werde, ungeeignet sei. Trotz dieser beträchtlichen Darlegungslast ist es Einwendem gelegentlich gelungen, USls zum Gegenstand der mündlichen Verhandlung zu machen und das ASLAB davon zu überzeugen, daß eine solche Frage in den Antragsunterlagen oder dem SER nicht vertieft behandelt ist. In diesem Fall wird die Sache zur Ergänzung an das ASLB zuruckverwiesen. 86 Es ist daher wohl leicht übertrieben, wenn gelegentlich behauptet wird,87 USIs seien der Erörterung in der mündlichen Verhandlung praktisch entzogen, wenn sie im Genehmigungsantrag erwähnt und als voraussichtlich rechtzeitig lösbar hingestellt seien.
83vg!.
8 NRC 631 ff; dazu kritisch Note, 7 Co!. J. of Env. L., 107.
84vg l. z.
B. Long Island Lighting Co. (Shoreham, Unit 1),20 NRC 1102,1137 (1984).
&Svg!. grundlegend Gulf States Utilities (River Bcnd, Units 1 and 2), NRR § 30250 (1977); a. Metropolitan Edison Co. (Thrcc Mile Island, Unit 1), 17 NRC 814,889 (1983).
&.
86&.
z. B. Long Island Lighting Co. (Shoreham, Unit 1),20 NRC 1102,1127 ff, 1137 (1984).
878 • z. B. Note, 7 Co!. 1. of Env. L. 108.
234
B. Genehmigung kemtechnischer Anlagen in den USA
c) Die mUndliehe Verhandlung
aa) Umfang der Prüfung durch das ASLB Je nachdem, ob es um die Erteilung einer Errichtungs- oder einer Betriebsgenehmigung geht und ob das Verfahren streitig ist oder nicht, muß das ASLB unterschiedlich umfangreiche Prüfungen durchführen. (1) Errichtungsgenehmigungen In Verfahren um Errichtungsgenehmigungen ist die Anhörung obligatorisch und muß sich auf alle entscheidungserheblichen Umstände erstrek:ken. 88 In streitigen Fällen, d. h. wenn entweder zwischen dem Antragsteller und dem Fachpersonal der NRC Meinungsverschiedenheiten über die Erteilung oder den Inhalt der Genehmigung bestehen, oder wenn ein Antrag auf Zulassung als Partei erfolgreich war oder eint:reicht wurde, muß das ASLB folgende fünf Themenbereiche untersuchen:
- ob begründete Gewähr besteht, daß Sicherheitsfragen, über die noch Forschungs- und Entwicklungsarbeiten nötig sind, mit Abschluß der Errichtung gelöst sein werden; und daß die geplante Anlage am vorgesehenen Standort ohne übermäßiges Risiko für Gesundheit und Sicherheit der Allgemeinheit errichtet und betrieben werden kann; - ob der Antragsteller fachlich qualifiziert ist, die Anlage zu entwerfen und zu errichten; - ob der Antragsteller über die nötigen finanziellen Mittel verfügt; - ob die Erteilung der Errichtungsgenehmigung der nationalen Verteidigung und Sicherheit abträglich sein wird; - wenn die geplante Anlage nach Ansicht der NRC beträchtliche Umweltauswirkungen i. S. d. NEPA haben kann: ob die Errichtungsgenehmigung in Übereinstimmung mit 10 C.F.R. Part 51 Subpart A erteilt werden kann. Wenn das Verfahren um die CP nicht streitig ist, hat das ASLB nur zu prüfen, ob der Antrag und die Verfahrensakten ausreichende Angaben enthalten und die Bewertung des Antrags durch die Fachabteilungen ausreichend ist, um die entsprechenden Feststellungen zu den fünf Themenbereichen zu ermöglichen. Das ASLB ist nicht verpflichtet, die vom Fachper-
88§ 189(a) AEA= 42 U.S.C.A. § 2239(a); Siegel v. AEC, 400 F.2d 778,784; Union of Concemed Scientists v. NRC, 735 F.2d 1437,1443. 89vgl.
10 C.F.R. § 2.104(b)(1).
V. Das Genehmigungsverfahrcn
235
sonal und der ACRS durchgeführten Prüfungen zu wiederholen. 9O Es muß sich nur vergewissern, ob die Akte vollständig ist, und ob die darin enthaltenenen Feststellungen durch hinreichende Analysen abgesichert sind. Dies gilt auch dann, wenn in einem ansonsten streitigen Verfahren einzelne sicherheitserhebliche Fragen unstreitig sind. 91 (2) Betriebsgenehmigung Vor dem Erlaß einer Betriebsgenehmigung ist eine Anhörung nur in streitigen Fällen vorgeschrieben. Inhaltlich ist sie grundsätzlich auf diejenigen entscheidungserheblichen Fragen beschränkt, die die Einwender in ihren "contentions" angesprochen haben. 92 Diese Fragen müssen aber auch tatsächlich alle behandelt werden. Wenn die Entscheidung über die Betriebsgenehmigung u. a. von der Auswertung einer Katastrophenschutzübung abhängt, darf die NRC den Einwendern eine mündliche Verhandlung über dieses Thema nicht verweigern, sofern die Einwender es ausdrücklich aufgeworfen haben. 93 Neben den von Einwendern vorgebrachten Gesichtspunkten darf das ASLB aber von sich aus weiteren Fragen nachgehen, wenn es feststellt, ein schwerwiegendes Problem der nationalen Verteidigung und Sicherheit, des Umweltschutzes oder der Anlagensicherheit sei von den Parteien nicht angesprochen. 94 Diese zusätzliche Untersuchung kann sich auf folgende Bereiche erstrecken: - ob begründete Gewähr besteht, daß die Errichtung rechtzeitig und in Übereinstimmung mit der Errichtungsgenehmigung, dem Antrag in der neuesten Fassung und den Bestimmungen des AEA und der NRC-"rules" abgeschlossen wird; - ob die Anlage in Übereinstimmung mit dem Antrag in der neuesten Fassung und den Bestimmungen des AEA und der NRC-"rules" betrieben werden wird; - ob begründete Gewähr besteht, daß die Tätigkeiten, die durch die OL gestattet werden sollen, durchgeführt werden können, ohne Gesundheit und Sicherheit der Allgemeinheit zu gefährden, und daß diese Tätigkeiten in Übereinstimmung mit den "rules" der NRC durchgeführt werden; 9O"no de novo evaluation of the application", vgl. 10 C.F.R. § 2.104(b)(2), bestätigt durch Union of Concemed Scientists v. AEC, 499 F.2d 1069,1074 ff. 91 8.
Gulf States Utilities (River Send, Units 1 and 2), NRR § 30250 (1977).
~gl. § 189(a)(I) AEA= 42 U .S.C.A. § 2239(a)(I); 10 C.F.R. § 2.104(c). 93vgl. Union
of Concemed Scienti8ts v. NRC, 735 F.2d 1437 ff.
~g1.10 C.F.R. §§ 2.104(c),2.760(a).
236
B. Genehmigung kemtechnischer Anlagen in den USA
- ob der Antragsteller fachlich qualifiziert ist; - ob die Vorschriften über die Haftung für außergewöhnliche nukleare Ereignisse (10 C.F. R. Part 140) eingehalten werden; - ob die Erteilung der OL der nationalen Verteidigung und Sicherheit abträglich sein wird; - sofern einschlägig, ob in Übereinstimmung mit 10 C.F.R. Part 51 die OL so wie vorgesehen erteilt werden darf. Die Befugnis, von sich aus Fragen aufzugreifen, soll das ASLB nur im Ausnahmefall gebrauchen. Das scheinbare Bedürfnis, ein Verfahren zu beschleunigen oder den Fortschritt der Fachabteilungen bei der Identifikation und Bewertung potentieller Umweltschutz- oder Sicherheitsprobleme zu überwachen, ist kein Grund, der das ASLB ermächtigt, eine Frage ohne Veranlassung durch die Parteien zu prüfen. Die Feststellung, ein schwerwiegendes Problem der nationalen Verteidigung und Sicherheit, des Umweltschutzes oder der Anlagensicherheit sei unerörtert geblieben, muß das ASLB ggf. in einer gesonderten Verfügung treffen, in der die Gründe dafür kurz zu erläutern sind. Die Commission selbst überprüft sodann diese Entscheidun.; und bestimmt endgültig, ob das Problem im Verfahren bleibt oder nicht. Der Prüfungsumfang kann in der Regel nicht durch die Institute der Rechtskraft ("resjudicata") oder des Ausschlusses von Tatsachenbehauptungen und Einwendungen, die den Feststellungen einer früheren rechtskräftigen Entscheidung widersprechen ("collateral estoppel"), eingeschränkt werden. Diese beiden Institute sind zwar grundsätzlich in Verwaltungsverfahren anwendbar; ihre Anwendung soll jedoch nicht die Erfüllung der einer Behörde vom Kongreß zugewiesenen Aufgaben beeinträchtigen. Rechtskraft und "collateral estoppel" sind daher nicht anzuwenden, wenn dadurch die Funktion der NRC gestört würde, ausreichenden Schutz für GesUndheit und Sicherheit der Allgemeinheit sicherzustellen. 96 (3) Verweisung allgemeiner Probleme in "rulemaking"- Verfahren Wenn das Fachpersonal der Auffassung ist, ein sicherheitstechnisches Problem sei allen Anlagen eines bestimmten Typs gemeinsam, darf es die Lösung dieses Problems in einem "rulemaking"-Verfahren erarbeiten. Die dort getroffene Entscheidung ist dann in nachfolgenden Genehmigungsver9Svgl. Vennont Yankee Nuclear Power Corp. (Vennont Yankee Nuclear Power Station), NRR § 31025 (1987). 96zum ganzen vgl. Toledo Edison Co., et al. (Davis-Besse Nuclear Power Station, Units 1, 2, and 3) and Cleveland Electric D1uminating Co., et al. (pell)' Nuclear Power Plant, Units 1 and 2), NRR § 30118 (1976).
V. Das Genehmigungsverfahren
237
fahren bindend. 97 Die Wahl des wrulemaking W _ anstelle des wadjudication wVerfahrens kann vom Gericht nur darauf kontrolliert werden, ob sie wwillkürlich und unberechenbar w (Warbitrary and capricious W ) war. 98 bb) Beweislast Grundsätzlich trägt der Antragsteller oder derjenige, der eine Verfügung ) gemäß 10 C.F .R. § 2.732 die beantragt hat (wthe proponent of an order W Beweislast. Ursprünglich hat die NRC die Ansicht vertreten, daß der Einwender deshalb, weil er Wcontentions w einreicht, zum wproponent of an order wwird und aus diesem Grund die Richtigkeit der wcontentions win der mündlichen Verhandlung beweisen muß. Diese Auffassung ist jedoch vom wD.C. circuit Wzurückgewiesen worden. 99 Nunmehr trägt die Partei, die behauptet, die Genehmigungsvoraussetzungen lägen nicht vor, die Last, Anhaltspunkte vorzubringen (wthe burden of going forward with evidence W ), die ) dazu veranlassen, die jeweiligen besonnene Menschen Creasonable minds W Probleme genauer zu untersuchen. Wenn der Anlagengegner genügend Anhaltspunkte vorgebracht hat, ist es Sache des Antragstellers, das ASLB Waufgrund des überwiegenden BeweiseswCon a preponderance of the evidenceW) davon zu überzeugen, daß die Genehmigung dennoch erteilt werden darf. Ein Nachweis der Genehmigungsfähigkeit, der jeden Zweifel aus), ist nicht gefordert. 100 schließt (Wproof beyond reasonable doubt W ce) Verfahrensrechte Die Verfahrensrechte der Einwender hängen ab von der Beteiligungsart und davon, ob das jeweilige Problem in ihren eigenen Wcontentions wangesprochen ist. (1) Unterscheidung nach der Beteiligungsart Am wenigsten Möglichkeiten, auf den Verfahrensablauf und das Ergebnis Einfluß zu nehmen, haben Personen, denen nur die wbeschränkte Teilnah97vgl. Minnesota v. NRC, 606 F.2d 412, 416 f; Ecology Action v. AEC, 492 F.2d 998,1002; San Luis Obispo Mothers for Peace v. NRC, 751 F.2d 1287,1308.
~gl. San Luis Obispo Mothers for Peace, 751 F.2d 1309. 99vgl.
York Comrnittee for a Safe Environment v. NRC, 527 F.2d 812.
100zur Beweislastverteilung Consolidated Edison Co. of New York (Indian Point, Unit 3), NRR § 30004.02(1975), aff'd. NRR § 30027 (1975); Consumers Power Co. (Midiand, Units 1 and 2), NRR § 30050 (1976); North Anna Environmental Coalition v. NRC, 533 F.2d 655, 667 f; zur Rechtslage in Deutschland s. o. S. 122 f.
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B. Genehmigung kemtechniacher Anlagen in den USA
me" ("limited appearance") gestattet wurde. Ihre Äußerungen sind keine Beweismittel. Sie dienen vielmehr nur dazu, das ASLB und die Parteien auf Bereiche hinzuweisen, in denen eine Beweiserhebung angebracht sein kann. Nur insoweit dürfen die "limited appearance statements" überhaupt vom ASLB berücksichtigt werden. 101 Wenn der Einwender aufgrund einer Ermessensentscheidung des ASLB als Partei zugelassen ist, kann seine Mitwirkung auf die Fragen beschränkt werden, die er in seinem Zulassungsantrag als für ihn besonders bedeutsam angegeben sind. Dagegen haben diejenigen, die von Rechts wegen einwendungsbefugt sind, das Recht, hinsichtlich aller strittigen Fragen am Verfahren teilzunehmen. 102 (2) Möglichkeiten der Parteien, ihren Standpunkt darzulegen Auf welche Weise die Einwender in der mündlichen Verhandlung ihren Standpunkt darlegen können, hängt v. a. von ihren "contentions" ab. Für ihre Auffassung sprechende Beweismittel ("affirmative evidence") dürfen die Einwender nur hinsichtlich deIjenigen Fragen in das Verfahren einführen, die sie in ihren "contentions" angesprochen haben. Zu anderen Fragen dürfen sie nur die vom Antragsteller oder von den Fachabteilungen der NRC gestellten Zeugen ins Kreuzverhör nehmen. Voraussetzung ist,daß der Einwender ein erkennbares Interesse ("discernible interest") an der Entscheidung gerade dieser Fragen hat. Dies ergibt sich aus seinem Zulassungsantrag ("petition to intervene"), soweit er angenommen wurde. Deshalb ist es unbedingt notwendig, im Zulassungsantrag genau darzulegen, an welchen Fragen man interessiert ist. Die Einwender sind allerdings nicht gehindert, ihren Standpunkt vollständig "defensiv" ,d. h. nur mit Hilfe des Kreuzverhörs, darzulegen. Auf diese Möglichkeit sind viele der in den Genehmigungsverfahren auftretenden Umweltschutzgruppen und praktisch alle Einzeleinwender schlichtweg angewiesen, da sie oftmals nicht über die notwendigen Mittel und den Sachverstand verfügen, um "offensiv" Beweismittel einzuführen. IOl Durch
100Iowa Electric and Power Co. (Duane Amold Energy Center), 6 ABC 195, 196 (1973). Von der Funktion her kommen die "Iimitcd appearance staternen18" dem deUtlIChen Einwendungs- und Erörtcrungsrecht wohl am nächsten. Denn die EinflußRlÖglichkeiten der deUtlIChen Einwender beschränken sich darauf, die Behörde zu weiteren Prüfungen anzuregen. Ill2ygl. PortIand General E1ectric Co. (pebble Springs, Uni18 1 and 2), NRR §§ 30127 (1976), 30329 (1978). 100dazu Project Management Corp. (Clinch River Plant), NRR § 30110 (1976); Tennes&ee Valley Authority (HartBville, Uni18 lA, IB, 2A, and 28), NRR § 30279 (1978); Houston Lighting and Power Co. (South Texas Project, Uni18 1 and 2), NRR § 30903 (1985); Northem States Power Co. (Prairie Island, Uni18 1 and 2), 8 ABC 857,868 (1974); Cottcr, 34
V. Das Genehmigungsverfahren
239
Kreuzverhör können immmerhin Schwachstellen in der Argumentation der Gegenseite aufgedeckt werden. Außerdem werden Verlauf und Ergebnis des Kreuzverhörs Bestandteil der Akte, so daß angreifbare fachliche Bewertungen gewissermaßen schon für die gerichtliche Überprüfung vorgemerkt werden können. 104 Wenn das ASLB von sich aus eine Frage aufgreift, stehen den Parteien insoweit alle Verfahrensrechte m, einschließlich der Möglichkeit, "offensiv" Beweismittel mgunsten ihrer Auffassung einmffihren. Diesen Verfahrensrechten der amerikanischen Einwender würde in der deutschen Rechtsordnung am ehesten ein förmliches Beweisantragsrecht entsJrechen. Dieses Recht steht den deutschen Einwendern jedoch nicht m. 1 (3) Kreuzverhör Das Recht, ein Kreuzverhör durchmffihren, ist in mehrfacher Hinsicht eingeschränkt. 106 Die Vernehmung darf sich nur auf Gesichtspunkte beziehen, m denen sich der Zeuge vorher während der Befragung durch diejenige Partei geäußert hat, von der er benannt wurde. Gemäß 10 C.F.R. §§ 2.757(c), 2.718(e) kann das ASLB alle notwendigen Maßnahmen treffen, um ein unsachliches, sich wiederholendes oder ein bereits erzieltes Ergebnis noch bestätigendes Kreuzverhör m verhindern ("to prevent argumentative, repetitious, or cumulative cross-examination"). Es ist berechtigt, ein Kreuzverhör sofort m beenden, das offensichtlich keinen Beitrag mr Erörterung der umstrittenen Fragen leistet, sondern nur auf Verzögerung des Verfahrens und Überfrachtung der Akte gerichtet ist. Wenn Zweifel am möglichen Wert eines von einem Einwender m von einem anderen Einwender aufgeworfenen Fragen veranstalteten Kreuzverhörs bestehen, darf das ASLB verlangen, daß der Einwender vorher erläutert, was er durch das Verhör herausfinden oder nachweisen will. Wenn daraufhin das Kreuzverhör ganz oder teilweise als unerheblich, sich wiederholend oder sonst als ohne Wert für die Erstellung einer umfassenden Akte erscheint, kann das ASLB es entsprechend beschränken oder untersagen. Über den angemessenen Umfang des Kreuzverhörs durch die Einwender wird in den Genehmigungsverfahren heftig gestritten. Gemäß 10 C.F.R. § 2.733 kann die Vernehmung von Fachleuten ("experts") auf Antrag Sachbeiständen mr Durchführung im Namen der Partei übertragen werden. Eine selbst nicht sachkundige Partei braucht also den
Adm. L.Rev. 508; Tourtellotte, 33 Adm. L. Rev. 374 ff.
I~gl. Giebeler (1991), ll9. 100s.
o. S. 120.
1068•
Northem States Power Co. Prairie Island, Unils 1 and 2), 8 ABC 857,867 ff.
240
B. Genehmigung kemtechnillCher Anlagen in den USA
Experten nicht persönlich zu vernehmen. Die vorgeschlagenen Sachbeistände müssen dem ASLB vorher glaubhaft machen, daß sie fachlich qualifiziert und so auf das Verfahren vorbereitet sind, daß sie ein Verhör sinnvoll durchführen können. Den Einwender treffen im Genehmigungsverfahren erhebliche Mitwirkungslasten. Denn wenn er nicht an der mündlichen Verhandlung teilnimmt, können seine zugelassenen Wcontentionswohne weiteres abgewiesen werden. 107 dd) Das Fachpersonal der NRC (1) Herkunft Das Fachpersonal der NRC wird an Universitäten, aus der Privatwirtschaft und von anderen W federal agencies Wangeworben. Dabei stellt die NRC sehr hohe Anforderungen an die fachliche Qualifikation. Etwa 250 Personen bilden den für die Prüfung von Genehmigungsanträgen zuständigen wtechnical stafr;je nach Umfang der nötigen Untersuchungen arbeiten 10 bis 50 Personen an einem Antrag. Daneben werden auch Fremdexperten herangezogen. 108 (2) Stellung in der mündlichen Verhandlung Das Fachpersonal muß den Bericht der ACRS, seine eigene Sicherheitsbewertung (SER) und die Darstellung der Umweltauswirkungen (FElS) als Beweismittel in das Verfahren einführen. 109 Es besitzt grundsetzlich keine herausgehobene Stellung im Rahmen der mündlichen Verhandlung. Das ASLB muß bei der Entscheidung umstrittener Fragen die Ausführungen und Beweismittel des NRC-Personals nach den gleichen Grundsätzen würdigen, wie das Vorbringen der anderen Parteien. Prinzipiell sind die Ansichten der Fachabteilungen also in keiner Weise bindend für die ASLBs. Dies gilt v. a. dann, wenn die Auslegung von Rechtsvorschriften oder Präzedenzentscheidungen umstritten ist. In Ausnahmefällen kann allerdings die Tatsache, daß die Fachabteilungen auch gewissermaßen ein verlängerter Arm der Commission sind, nicht unberücksichtigt bleiben. Wenn z. B. die Fachabteilungen auf ausdrückliche Anweisung und nach Vorgaben der Commission eine Studie erarbeitet haben und während dieser Arbeiten
l07vgl.
Boston Edi90n Co. (Pilgrim, Unit 2),3 NRC 156,157 (1976).
1000vgl. Lukes I BillChof I Pelzer (1980), 129 ff. l09vgl.
10 C.F.R. § 2.743(g).
V. Das Genehmigungsverfahrcn
241
laufend der Lenkung durch die Commission unterlagen, wäre es falsch, diese Studie nur als das Werk einer interessierten Partei anzusehen. 110 Die Fachabteilungen sind in allen Stadien des Verfahrens mit der Anlage befaßt. Sie erstellen die Sicherheitsbewertung zunächst im Verfahren um die CP, dann im Verfahren um die OL. Sie werden tätig, wenn Umweltschutzverbände beantragen, gemäß 10 C.F.R. Part 2 Subpart B ein atomrechtliches Aufsichtsverfahren einzuleiten. In Atomprozessen ist öfter versucht worden, mit der Tatsache, daß sich die Fachabteilungen bereits in einem früheren Verfahrensabschnitt eine Meinung über die Anlage gebildet haben, in einem späteren Stadium des Verfahrens die Befangenheit der NRC insgesamt oder der Fachabteilungen zu begründen. Mit dieser Argumentation ist jedoch kein Kläger durchgedrungen. Denn nach Meinung der Gerichte ist es vom Kongreß eben so vorgesehen, daß die NRC und ihre Fachabteilungen in sämtlichen Abschnitten eines Genehmigungsverfahrens tätig werden. 111 (3) Verhinderung von Interessenkonflikten Die NRC hat umfangreiche Vorschriften erlassen, die Interessenkonflikte des Fachpersonals verhindern sollen. 112 Ein Interessenkonflikt besteht dann, wenn die privaten, v. a. die wirtschaftlichen Interessen eines Bediensteten mit seinen amtlichen Verpflichtungen in Widerspruch stehen oder erfahrungsgemäß in Widerspruch stehen können. Für die Bediensteten gilt ein Verbot, ihre privaten Interessen und ihre Obliegenheiten gegenüber der NRC zu vermengen sowie finanzielle Transaktionen vorzunehmen, die auf dienstlich erlangten Informationen beruhen. Eine Reihe von Einzelvorschriften konkretisieren dieses grundsätzliche Verbot: - Beteiligungsverbot an Entscheidungen und Verfahren, an denen der Bedienstete selbst, seine nahen Angehörigen oder seine Geschäfts- oder Vertragspartner ein finanzielles Interesse haben; - Verbot von Vertragsverhandlungen oder -abschlüssen über eine private Tätigkeit des Bediensteten für eine Person, mit der er in seiner amtlichen Eigenschaft Angelegenheiten zu regeln hat, an denen diese ein finanzielles Interesse hat; von diesen beiden Vorschriften können Bedienstete jedoch 1I0vgl. zur Rolle der Fachableilungen Consolidated Edi80n Co. of New York (Indian Point, Units 1,2, and 3), NRR § 30033 (1976); Public SelVice Co. of New Hampshirc (Scabrook, Units 1 and 2), NRR § 30113 (1976). IIl vg l. Northem Indiana Public SelVice Co. (Bailly Nuclcar 1), NRR § 30287 (1978), bestätigt durch Porter County Chapler of the Izaac Walton Lcague v. NRC, 606 F.2d 1363,1371 ff; s. a. Carslens v. NRC 742 F.2d 1546,1561 f.
lI\.gl. 10 C.F.R. Part 0 Subpart E und dazu Lukes / Bischof / Pelzcr (1980), 133 ff, 143 ff. Im deutschen Recht fehlen Vorschriften dieser Art. 16 Heitsch
242
B. Genehmigung kerntechnischer Anlagen in den USA
durch ausdrückliche schriftliche Erlaubnis ihrer Vorgesetzten freigestellt werden. - Verbot, als Bevollmächtigte oder Anwälte bei der Durchsetzung von Rechtsansprüchen gegen die USA oder vor ihren Behörden aufzutreten; - Verbot, Aktien oder sonstige Beteiligungspapiere an bestimmten Gesellschaften zu besitzen; dazu gehören alle EVU, einschließlich deren Muttergesellschaften, sowie alle Gesellschaften, die in irgendeiner Weise mit der Planung, Herstellung, Errichtung oder dem Verkauf von Kernreaktoren befaßt sind; ferner alle Gesellschaften, deren Hauptzweck die Beratung von Unternehmen ist, die von der NRC Genehmigungen erhalten haben. Diese Vorschriften gelten grundsätzlich auch für Fremdsachverständige, sofern diese "special govemment employees" werden; dies geschieht, falls sie nicht mehr als 130 Tage im Jahr für die NRC tätig werden. 113 Auf Fremdsachverständige, die keine "special govemment employees" sind, darf die NRC grundsätzlich nur zurückgreifen, wenn sie unter Auswertung aller zugänglicher Informationen festgestellt hat, daß ein Interessenkonflikt unwahrscheinlich ist. Eine Ausnahme besteht dann, wenn die Heranziehung einer bestimmten Person oder Organisation im besten Interesse der USA liegt und wenn die NRC zur Minderung des Konflikts angemessene Bedingungen in den Vertrag aufnimmt. 114 ee) Obliegenheit der Parteien, Vorschläge für die Entscheidung zu verfassen Das ASLB kann von den Parteien verlangen, daß sie nach Schließung der Akte Vorschläge für Tatsachenfeststellungen oder rechtliche Schlußfolgerungen abgeben. Dem Antragsteller stehen hierfür 30 Tage, den anderen Parteien 40 Tage zur Verfügung. 115 Diese Vorschläge können für das ASLB eine wesentliche Hilfe sein, die im Verfahren umstrittenen Fragen zu entscheiden. Zumindest werden sie die Feststellung erleichtern, in welchen Bereichen tatsächlich Meinungsverschiedenheiten bestehen und welche Fragen unstreitig oder nicht entscheidungserheblich sind. 116 Wenn eine Partei keine Vorschläge für Tatsachenfeststellungen oder für rechtliche Schlußfolgerungen einreicht, kann dies als Säumnis ("default") angesehen werden, und die vorläufige Entscheidung ("initial decision") des 113vgl. 114s.
Il5zu
Lukes I Bischof I Pelzer (1980), 135.
§ 170a ARA = 42 U.S.C.A.§ 2210a.
diesen ·proposed findings of fact or conclusions of law· vgl. 10 C.F.R. § 2.754(a).
116vgl.
Consumers Power Co. (Midiand, Units 1 and 2), 6 ABC 331,332 f.
V. Das Genehmigungsverfahren
243
ASLB kann diesen Umstand angemessen berücksichtigen. 1I7 Welche Sanktion für diese Säumnis angebracht ist, bestimmt das ASLB nach Abwägung aller Umstände des Einzelfalls. Besonderes Gewicht hat das Ausmaß, in dem sich die betreffende Partei ansonsten am Verfahren beteiligt hat. Die Versäumnis, Vorschläge zu erarbeiten, wird in der Regel nicht zum Ausschluß der Partei vom weiteren Verfahren führen, aber bei der Entscheidung über Einsprüche ge~en die vorläufige Entscheidung gebührend in Rechnung gestellt werden. 1 8 ft) Neutralität des ASLB
Verschiedene Vorschriften der "Rules of Practice" sollen sicherstellen, daß das ASLB seine Aufgaben unparteiisch erfüllt. Dazu gehört das Verbot einseitiger Mitteilungen einer Partei an das ASLB ("ex parte communications") sowie die Funktionentrennung innerhalb der NRC.
(1) Verbot der "ex parte communications" Gemäß 10 C.F.R. sind alle "ex parte communications" über den entscheidungserheblichen Sachverhalt zwischen interessierten Personen außerhalb der NRC und den Mitarbeitern der NRC, die zur Entscheidung eines Falls befugt sind ("commission adjudicatory employees"), untersagt. 1I9 Dieses Verbot gilt entweder vom Zeitpunkt der Ankündigung des Verfahrens im F ederal Register an, oder sobald die für die "ex parte communication" verantwortliche Person oder der entscheidungsbefugte Mitarbeiter Kenntnis erlangt hat, daß eine Ankündigung im Federal Register veröffentlicht werden wird. Es endet mit Ablauf der Frist, innerhalb der die Commission die Entscheidung des ASLB gemäß 10 C.F.R. § 2.786überprüfen kann. Erfaßt wird jede Mitteilung, die nicht in der Akte vermerkt ist, und die nicht allen Parteien in angemessener Form angekündigt ist. Zu den von dem Verbot betroffenen Personen innerhalb der NRC zählen insbesondere die Mitglieder des Gremiums, aus dem die einzelnen ASLBs iebildet werden, sowie die Commissioners und deren engste Mitarbeiter. 1 Wenn an eine dieser Personen eine verbotene Mitteilung gerichtet wird, muß sie deren Aufnahme in die Akte veranlassen. Für eine Partei des Verfahrens kann es gravierende Folgen haben, wenn sie wissentlich eine verbotene Mitteilung verursacht. Denn das ASLB kann in diesem Fall - soweit dies mit den Bel17ygl.
10 C.F.R. § 2.754(b).
1I8ygl.
Consumers Power Co., 6 AEC 333.
119gesetzliche Grundlage dafür ist der APA, 5 U .S.C.A. § 557(d). 131yg l.
10 C.F.R. § 2.4.
B. Genehmigung kemtcchnischer Anlagen in den USA
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langen der Rechtspflege ("interests of justice") und den Zielen der einschlägigen Gesetze vereinbar ist - von der Partei verlangen, daß sie Gründe vorbringt, weshalb ihre Forderung oder ihr Interesse am Verfahrensausgang nicht abgewiesen oder sonst außer Acht gelassen werden soll. Mit dieser Regelung soll jegliche unlautere Einflußnahme auf die zur Entscheidung berufenen Personen vermieden werden. Außerdem soll ausgeschlossen werden, daß Informationen als Entscheidungsgrundlage dienen, zu denen sich nicht alle Parteien haben äußern können. 10 C.F.R. § 2.780verbietet nur Kontakte zwischen den Parteien und dem ASLB, bei denen entscheidungserhebliche Tatsachen besprochen werden, sofern bei diesen Kontakten nicht alle Parteien anwesend oder vertreten sind. Zulässig ist es dagegen, daß der Antragsteller informell mit den Fachabteilungen der NRC konferiert. 121 Parteien und ASLBs sind aufgefordert, das Verbot von "ex parte communications" sehr ernst zu nehmen. Deshalb sollten Besprechungen oder Telephonkonferenzen, von denen einzelne Parteien ausgeschlossen bleiben, grundsätzlich vermieden werden, auch wenn dabei nicht über entscheidungserhebliche Tatsachen verhandelt wird. Selbst wenn nämlich alle Teilnehmer einer solchen Konferenz genau dem Buchstaben und Geist von 10 C.F .R. § 2.780 folgen, gibt allein die Tatsache, daß nicht alle Parteien teilnehmen, Anlaß zu Zweifeln und Verdächtigungen. Wenn jedoch in einer Telephonkonferenz des ASLB mit dem Antragsteller und den Fachabteilungen der NRC unter Ausschluß der Einwender keine entscheidungserheblichen Dinge besprochen wurden, ist keine Sanktion angebracht. 122 Im Fall einer unzulässigen "ex parte communication" nach Ende der mündlichen Verhandlung und Schließung der Akte ist die von der NRC ausdrücklich vorgesehene Abhilfe, daß die Mitteilung im Public Document Room ausgelegt und den Parteien zugestellt wird. Wenn ein Anwalt eine solche verbotene Mitteilung verursacht, ist dies kein "ungebührliches Verhalten" ("contemptuous conduct") i.S.v.l0 C.F.R. § 2.713(c). Deshalb ist es nicht geboten, den Anwalt vom Verfahren auszuschließen. Die Wiederöffnung der Akte ("reopening of the record"), d. h. der Wiedereintritt in die mündliche Verhandlung, ist in diesem Fall nur angebracht, wenn die Parteien dartun, daß der Entscheidungsprozeß durch die verbotene Mitteilung kompromittiert ist. 123
121 vgl.
Public Sevice Co. of Indiana (Marille Hill, UnilB 1 and 2), NRR § 30323 (1978).
I22Puerto
Rico Watcr Resource8 Authority (North Coast, Unit I), NRR § 30048 (1976).
lZi>hiladelphia Electric Co. (Limerick, UnilB land 2), NRR § 30976 (1986).
V. Das Genehmigungsverfahren
245
(2) Funktionentrennung innerhalb der NRC 10 C.F.R. § 2.781 soll die Trennung der Funktionen des Fachpersonals und der Personen sicherstellen, die zur Entscheidung eines Falls befugt sind. Nach dieser Bestimmung darf kein Mitarbeiter der NRC, der eine Ermittlungs- oder Prozeßführungsfunktion ("investigative or litigating function") ausübt, in irgendeiner Weise an der vorläufigen oder endgültigen Entscheidung über eine im Verfahren umstrittene Frage mitwirken; insbesondere darf er einer möglicherweise mit der Entscheidung eines Falls befaßten Person ("adjudicatory employee") keinerlei Entscheidungsempfehlungen geben. Ausgenommen ist das Auftreten als Zeuge, die schriftliche Mitteilung, die allen Parteien zuzustellen und in die Akte aufzunehmen ist, sowie die mündliche Mitteilung, die vorher angekündigt worden ist, und auf die zu antworten alle Parteien Gelegenheit hatten. Von diesem Verbot betroffen sind alle Personen, die selbst beteiligt sind an der Planung, Durchführung oder Leitung einer Ermittlung, an der Planung, Entwicklung oder Beibringung von Zeugenaussagen, eines Vorbringens oder einer Verfahrenstaktik, oder an der Beaufsichtigung dieser Tätigkeiten. l24 Jede möglicherweise mit der Entscheidung eines Falls befaßte Person, die eine hiernach untersagte Mitteilung erhält, hat sicherzustellen, daß diese Mitteilung und alle Antworten darauf in der Akte vermerkt und den Parteien zugestellt werden. Die Vorschriften über "ex-parte-communications" und über die Funktionstrennung unterliegen zahlreichen Ausnahmen. Insbesondere sind Zwischenberichte zulässig, außerdem Mitteilungen über allgemeine, mit den gesetzlichen Aufgaben der NRC zusammenhängende Fragen, die nichts mit der Entscheidung anhängiger "adjudication"- Verfahren zu tun haben; ferner soll die Beaufsichtigung der Bediensteten nicht behindert werden, um die Einhaltung der allgemeinen Grundsätze und Verfahrensweisen der NRC sicherzustellen. l2S Durch diese Ausnahmen soll auch vermieden werden, daß die Commission, die gleichzeitig Behördenleitung und Beschwerdeinstanz ist, innerhalb der NRC isoliert wird. gg) Der Schutz geheimhaltungsbedürftiger Angaben Was den Schutz geheimhaltungsbedürftiger Informationen in Genehmigungsverfahren angeht, ist zu unterscheiden zwischen der Auslegung im Public Document Room und der Einsichtnahme durch Verfahrensbeteiligte.
12\.gl. 10 C.F.R. § 2.4. 12Svgl. i. e. 10 C.F.R. §§ 2.780(f), 2.781(d).
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B. Genehmigung kemtechnischer Anlagen in den USA
(1) Auslegung im Public Document Room Gemäß 10 C.F.R. § 2.790 126 werden Akten und Unterlagen der NRC, insbesondere der Schriftwechsel über die Erteilung, Verweigerung, Änderung, Erneuerung, Modifikation, Übertragung, Aussetzung oder Rücknahme einer Genehmigung im Public Document Room ausgelegt. Ausgenommen hiervon sind Unterlagen, die "Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse" ("trade secrets or commercial or financial information obtained from a person and privileged or confidential") enthalten. In diesem Fall muß derjenige, der an der Geheimhaltung seiner Angaben interessiert ist, einen Antrag stellen, daß diese Angaben nicht ausgelegt werden sollen. Bei der Entscheidung, ob tatsächlich ein Betriebs- oder Geschäftsgeheimnis vorliegt, berücksichtigt die NRC folgende Gesichtspunkte: 127 - ob die Information von ihrem Inhaber tatsächlich geheimgehalten wird; - ob eine Information dieser Art gewöhnlich geheimgehalten wird, und ob es dafür eine rationale Begründung gibt; - ob die Information vertraulich an die NRC übermittelt und von ihr ebenso entgegengenommen wurde; - ob die Information aus öffentlich zugänglichen Quellen erhältlich ist; - ob die öffentliche Auslegung der Information die Wettbewerbsposition des Inhabers wesentlich beeinträchtigen kann; dabei ist der Wert der Information für den Inhaber, die für ihre Entwicklung aufgewendete Summe und die Schwierigkeit oder Leichtigkeit zu berücksichtigen, mit der die Information von anderen Personen in zulässiger Weise erhalten oder nachvollzogen werden kann. Kommt die NRC zu dem Schluß, daß tatsächlich ein Betriebs- oder Geschäftsgeheimnis vorliegt, muß sie abwägen, ob das Recht der Allgemeinheit, vollständig Kenntnis über die Grundlagen und Auswirkungen des Vorhabens zu erhalten, das Interesse am Schutz der Wettbewerbsposition überwiegt und ob daher die Information ausgelegt werden soll oder nicht. Der Beschluß, daß eine bestimmte Unterlage nicht im Public Document Room ausgelegt werden soll, hindert nicht, daß die Parteien eines Verfahrens die Unterlage im Rahmen einer Schutzanordnung ("protective order") einsehen dürfen, und daß die Unterlage bei Ausschluß der Öffentlichkeit Gegenstand der mündlichen Verhandlung wird. l28 Schutzanordnungen und der Ausschluß der Öffentlichkeit können auch als vorläufige
126ala rechtmäßig bestätigt in Westinghouse v. NRC, 555 F.2d 82; zur Behandlung der Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse nach deutschem Recht s. o. S. 116 ff.
127vgl.
10 C.F.R. § 2.790(b)(4).
128vgl.
10. C.F.R. § 2.744(e).
V. Das Genehmigungsverfahren
247
Maßnahmen ergehen, um eine Verzögerung des Verfahrens bis zur endgültigen Entscheidung über die Geheimhaltung bestimmter Angaben zu vermeiden. 129 (2) Zugang fiir Verfahrensbeteiligte Verfahrensbeteiligte können beantragen, daß ihnen eine gemäß 10 C.F.R. § 2.790 nicht auszulegende Unterlage zugänglich gemacht wird. Dazu müssen sie gemäß 10 C.F.R. § 2.744(c) darlegen, daß die betreffende Unterlage relevant, fiir die ordnungsgemäße Entscheidung des Verfahrens nötig, und ihr Inhalt nicht aus anderen Informationsquellen erhältlich ist. Dieser Nachweis kann schwer zu fUhren sein, da die Parteien ja den Inhalt des Dokuments vorher nicht kennen. 13O Ob der Zugang gewährt wird, entscheidet der Vorsitzende. 131 Praktische Bedeutung hat diese Regelung insbesondere hinsichtlich der Pläne über den Schutz von Anlagen gegen Sabotage. Gemäß 10 C.F.R. § 2790(d) gelten diese Sicherheitspläne als Betriebs- oder Geschäftsgeheimnisse und werden nur gemäß den Bestimmungen über diese Art von Informationen offengelegt. Bei der Entscheidung, ob ein Sicherheitsplan zugänglich gemacht werden soll, muß das Interesse des Antragstellers an der Geheimhaltung abgewogen werden gegen das Interesse der Allgemeinheit am Zugang. In der Regel ist folgendes Verfahren einzuhalten: Der Einwender muß darlegen, daß der Plan fiir seine "contentions" von Bedeutung ist. Soweit der Plan zugänglich gemacht wird, ist eine Schutzanordnung zu erlassen. In einen Sicherheitsplan darf keinem Zeugen Einsicht gewährt werden, der nicht über die nötigen Fachkenntnisse verfiigt, um ihn auszuwerten. Dabei muß die Partei ggf. die Fachkenntnisse ihres Zeugen nachweisen. Auch wenn Tatsachen dafiir sprechen, daß eine Person die Schutzanordnung nicht befolgen wird, darf dieser Person der Sicherheitsplan nicht zugänglich gemacht werden. 132 Eine Schutzanordnung kann z. B. folgenden Inhalt haben: 133 Zugang zu den geheimhaltungsbedürftigen Informationen erhalten nur die Anwälte und Sachbeistände ("experts") der Einwender, soweit es fiir sie nötig ist ("who have a need to know"). Sie dürfen sich Notizen über die geheimzuhaltenden Angaben ma-
129vgl. 10 C.F.R. §2.790(b)(6)(iii) und dazu Metropolitan Edi80n Co. (Three Mile Island, Unit 1), NRR § 30921 (1985). 13Ovgl. Cherry, 13 ABU 268. 131vgl. 10 C.F.R. § 2.744(e). 13\.gl. zum Umgang mit Sicherheitsplänen im Verfahren Pacific Gas and Electric Co. (DiabIo Canyon, Unita 1 and 2), NRR § 30197 (1977), petition for Comminion review denied, NRR § 30228 (1977). 133vgl. Kansas Gas and Electric Co. and Kansas City Power and Light Co. (Wolf Creek, Unit 1), NRR § 30038 (1976).
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chen, die Notizen sowie die Angaben selbst allerdings Dritten nicht zugänglich machen. VelWenden dürfen sie die Angaben nur zur Aufbereitung der Sachfragen im Verfahren, für keinen anderen Zweck. Nach Abschluß des Verfahrens müssen sie die Unterlagen dem Antragsteller zurückgeben und alle Notizen darüber vernichten. Jeder Verstoß gegen eine solche Schutzanordnung kann mit einer Geldbuße von bis zu $ 10000,- geahndet werden. l34 Daneben besteht die Möglichkeit, dieses Verhalten als "contempt of court" strafrechtlich zu verfolgen. Das Verfahren, das dazu durchgeführt werden muß, ist allerdings langwierig,13S denn es muß zunächst eine gerichtliche Untersagungsanordnung ergehen, deren Verletzung dann als "contempt" bestraft werden kann. hh) Bedeutung der "Rules" der NRC Im allgemeinen können "rules" der NRC nicht in einzelnen Genehmigungsverfahren angegriffen werden. Dementsprechend werden "contentions" ,die gegen "rules" gerichtet sind, stets zurückgewiesen. l36 Jede Partei eines Genehmigungsverfahrens ist allerdings berechtigt, einen Antrag auf Ausnahme oder Befreiung ("exception or waiver") von der Anwendung einer beliebigen "rule" oder eines Teils davon zu stellen. Voraussetzung so einer Befreiung ist, daß besondere Umstände des Einzelfalls so liegen, daß die Anwendung der "rule" nicht dem Zweck dienen würde, für den die "rule" ursprünglich erlassen wurde. lJ1 Welche Umstände die Anwendung einer "rule" zweckwidrig erscheinen lassen, ist insbesondere an Hand der "Erläuterung von Grundlage und Zweck" zu ermitteln, die zusammen mit der "rule" im Federal Register veröffentlicht wurde. lJ8 Zur Begründung ihres Antrags auf Befreiung muß die Partei erläutern, welche besonderen Aspekte des Verfahrensgegenstandes die Anwendung der "rule" in diesem konkreten Verfahren zweckwidrig erscheinen lassen, und welche Umstände die Ausnahme oder Befreiung rechtfertigen. Eine Ausnahme oder Befreiung soll nach Ansicht der Commission nur bei Vorliegen außergewöhnlicher und zwingender Umstände ausgesprochen werden. 139 Die anderen Parteien dürfen zum Antrag auf Ausnahme oder Befreiung Stellung beziehen. Wenn das ASLB aufgrund des Antrags, seiner Begründung und der Stellungnahmen der anderen Parteien feststellt, daß die den Antrag stellen134vgl.10
C.F.R. §§ 2.744(e), 2.205 i. V. m. § 234 AEA= 42 U.S.C.A.§ 2282.
13Svgl. 10 C.F.R. § 2.744(e) i. V. m. § 233 AEA= 42 U.S.C.A. § 2281. 1365• z.
B. Union of CODCerned Scientists v. AEC, 499 F.2d 1069,1087 ff.
lJ1vgl.
10 C.F.R. § 2.758(b).
IJ8Public Service Co. of New Hampshirc (Scabrook, Uniu 1 and 2), NRR § 31060 (1988). IJ9vgl. Northern Statcs Power Co. (Monticello, Unit 1),5 AEC 25,26.
V. Das Gcnehmigungsvcrfahren
249
de Partei keine besonderen, die Ausnahme oder Befreiung rechtfertigenden Umstände glaubhaft gemacht hat ("no prima facie showing"), ist der Antrag ohne weitere Beweiserhebung zurückzuweisen.l«I Ein ·prima facie showing" ist erbracht, wenn die von der Partei vorgetragenen Anhaltspunkte von Rechts wegen ausreichen, den Nachweis für eine Tatsache zu erbringen, sofern sie nicht widerlegt werden. 141 Wenn Umstände, die eine Ausnahme oder Befreiung rechtfertigen, glaubhaft gemacht sind, ist der Antrag der Commission zur Entscheidung vorzulegen. 142 Unabhängig von einem Antrag auf Ausnahme oder Befreiung kann jede Partei eines Genehmigungsverfahrens gemäß 10 C.F.R. § 2.758(e) jederzeit einen Antrag auf Einleitung eines Verfahrens zur Änderung bestehender "rules" stellen. ii) Rechtsschutz gegen Verfahrensfehler (1) Beschwerden gegen verfahrenslenkende Entscheidungen
Es ist nur äußerst begrenzt möglich, verfahrenslenkende Beschlüsse der ASLBs selbständig mit Rechtsmitteln anzugreifen. 10 C.F.R. § 2.730(f) erklärt solche Beschwerden für grundsätzlich unzulässig. Einzige Ausnahme sind Beschwerden gegen Entscheidungen über Anträge auf Zulassung als Einwender. Diese Rechtmittel sind jedoch nur im Hinblick auf genau festgelegte Fragen erlaubt. 143 Und zwar kann der Einwender, dessen Zulassungsantrag vollständig abgewiesen wurde, Beschwerde einlegen und dabei vortragen, daß dem Antrag in vollem Umfang oder zum Teil hätte stattgegeben werden müssen. Wenn umgekehrt ein Einwender zugelassen wurde, können andere Parteien Beschwerde einlegen mit der Begründung, daß der Zulassungsantrag in vollem Umfang hätte zurückgewiesen werden müssen. Das Energieversorgungsunternehmen z. B., das die Genehmigung beantragt hat, muß demnach behaupten, daß der Einwender vollständig vom Verfahren hätte ausgeschlossen werden müssen. Es genügt nicht vorzubringen, daß das ASLB den Einwender zwar zu Recht als Partei zugelassen hat, jedoch einzelne der vom Einwender erhobenen "contentions" zurückzuweisen waren. 144
l«Ivgl. 10 C.F.R. § 2.758(c). 141vgl. Public Scrvicc Co. of Ncw Hampshire (Seabrook,Units 1 and 2), NRR § 31060 (1988); Pacific Gas 8nd Electric Co. (DiabIo C8nyon, Units 1 and 2), 16 NRC 55,72(1981). 14~gl. 10 C.F.R. § 2.758(d).
143vgl. 10 C.F.R. § 2.714&. 144vgl. Public Service Co. of New Hampshire (Seabrook, Unita 1 and 2), NRR §31062
(1988).
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B. Genehmigung kemtechniacher AnIaaen in den USA
(2) Nachweis eines Nachteils Ein Verfahrensfehler führt nur dann zur Aufhebung der vorläufigen Entscheidung einitial decision") und Zurückverweisung der Sache an das ASLB, wenn der Beschwerdeführer nachweist, daß er als Folge des Verfahrensfehlers einen wesentlichen Nachteil erlitten hat. Dazu muß die Partei zeigen, daß die angegriffene verfahrenslenkende Entscheidung einen erheblichen Einfluß auf das Ergebnis des Verfahrens hatte. Wenn z. B. der Vorsitzende das Kreuzverhör deshalb abgebrochen hat, weil die dafür festgesetzte Zeit abgelaufen war, muß die davon betroffene Partei darlegen, welche zusätzlichen Angaben sie noch von dem betreffenden Zeugen erhalten wollte. l4S Oder wenn die "discovery"gemäß 10 C.F.R. § 2.740(a), (b) oder (c) auf bestimmte Methoden beschränkt wurde, obliegt es der Partei nachzuweisen, daß diese Einschränkung es ihr unmöglich gemacht hat, zusätzliche äußerst bedeutsame Beweismittel zu benutzen, d. h. daß durch die Beschränkung eine umfassende "discovery" verhindert wurde. Wenn der Einwender von den Zeugen keine "depositions" 146 einholen konnte, ist das für ihn nicht von Nachteil, solange er diese Zeugen während der mündlichen Verhandlung einem Kreuzverhör unterziehen durfte. 141 Die Auffassung der NRC, daß eine Entscheidung nur dann wegen Verfahrensfehler aufgehoben werden muß, wenn der Einwender einen Nachteil darlegen kann, wurde vom "D.C. circuit" gebilligt. l48 Das Gericht gestand dem Kläger zwar zu, daß das ASLB den Sicherheitsbericht des Antragstellers zu Unrecht als Beweismittel für alle darin enthaltenen Angaben benutzt hatte. Dies sei jedoch unschädlich, solange das ASLB daneben auch andere, zulässige Grundlagen für seine Schlußfolgerungen herangezogen habe. Die Ansicht des Klägers sei unzutreffend, wonach in solchen Fällen ein Nachteil vermutet werden müßte, da sein Fehlen nicht klar erkennbar sei. Besonders zurückhaltend wird der vom ASLB für ein Verfahren aufgestellten Zeitplan kontrolliert. l49 Diese Entscheidung wird nur insoweit überprüft, wie es nötig ist, um zu gewährleisten, daß keiner Partei die Möglichkeit genommen wird, ihren Standpunkt vorzubringen. Deshalb ob-
l4Svg l. Houston Lighting and Power Co. (South Texas Project, Units 1 and 2), NRR § 30903 (1985).
l46vgl.
dazu oben nach Fn. 776
141vgl.
Northem lndiana Public Service Co. (Bailly Nuclear 1), NRR § 30031 (1975).
I48Carstens v. NRC, 742 F.2d 1546,1558. l49vg l. dazu Duke Power Co. (Catswba, Units 1 and 2), NRR § 30929 (1985); Pennsylvania Electric Co. (Limerick, Units 1 and 2), NRR § 31013 (1987); Public Service Co. of New Hampshire (Seabrook, Units 1 and 2), NRR § 31014 (1987); Houston Lighting and Power Co. (South Texas Project, Units 1 and 2), NRR § 30903 (1985).
V. Das Genchmigungsverfahren
251
liegt es den Einwendern zu zeigen, daß z. B. die Zeit für die "discovery" derart knapp war, daß sie aufgrund des Zeitplans einen erheblichen Nachteil erlitten haben. Dabei sind alle aus der Akte ersichtlichen Umstände zu berücksichtigen. ISO Dazu zählt die Zeit, die für die vor der mündlichen Verhandlung liegenden Verfahrensschritte eingeräumt wurde, sowie die Anzahl und Komplexität der zu behandelnden Fragen. Außerdem kann das Bedürfnis für eine Beschleunigung des Verfahrens berücksichtigt werden. Dieser Gesichtspunkt kann jedoch keinen Zeitplan rechtfertigen, der so gedrängt ist, daß eine ausreichende Vorbereitung der mündlichen Verhandlung praktisch unmöglich ist. Wenn das ASLB nicht bereit ist, einen von ihm verfügten, extrem engen Zeitplan zu ändern, obwohl es selbst den festgesetzten Termin für die Entscheidung über die "contentions" nicht einhalten konnte, und dadurch nur 11 Tage für "discovery"verblieben, ist die Aufhebung der Entscheidung und die Zurückverweisung der Sache an das ASLB angemessen. Soweit die Verfahrensvorschriften Angaben über zeitliche Abstände zwischen aufeinander folgenden Verfahrensschritten enthalten, existiert oftmals eine Ausnahmeklausel. 10 C.F. R. § 2.752 z. B. bestimmt, daß "60 Tage nach Abschluß der 'discovery' oder zu einem anderen, von der Commission oder dem Vorsitzenden festgelegten Zeitpunkt" eine "prehearing conference" stattzufinden hat. Zweck dieser Besprechung ist u. a., die entscheidungserheblichen Streitfragen für die mündliche Verhandlung zu vereinfachen und genau festzulegen, sowie Maßnahmen zu treffen, um die Beweiserhebung zu beschleunigen. 151 Die Erläuterung der Grundlagen und des Zwecks 152 versteht diese Bestimmung so, daß die "prehearing conference" üblicherweise 60 Tage nach Abschluß der "discovery"stattfinden soll. Die Möglichkeit, die Konferenz vor das Ende der "discovery"zu legen, wird von der Erläuterung nicht vorgesehen. Trotzdem hat der "0. C. circuit" die Behauptung der Kläger als jeder Grundlage entbehrend zurückgewiesen, es sei ein Verstoß gegen 10 C.F.R. § 2.752, daß die Konferenz vor Ende der "discovery" anberaumt worden sei. 153 Die Kläger hätten, als sie die Vorschrift zitierten, die entscheidende Klausel "oder zu einem anderen, von der Commission oder dem Vorsitzenden festgelegten Zeitpunkt" übersprungen. Damit räumen die Verfahrensvorschriften mit Billigung der Gerichte den ASLBs viel Spielraum ein, wenn es darum geht, Zeitpläne aufzustellen.
lSOvgl. Public Service Co. of New Hampshire (Seabrook, UnitB 1 and 2), NRR § 31014 (1987). 15lvgl. 10 C.F.R. 2.752(a)(I), (3). 15~7 F.R. 9332 (May 9, 1972); 37 F.R. 15128 (July 28,1972).
153vgl. Carstens v. NRC, 742 F.2d 1546,1558.
252
B. Genehmigung kemtechnischer Anlagen in den USA
VI. "Informal Rulemaldng": Einzelheiten Die sicherheitstechnischen Vorschriften, Bestimmungen über Aufstellung und Inhalt des EIS sowie die "Rules of Practice" der NRC stehen in "substantive rules". Zum Erlaß oder zur Änderung dieser Vorschriften hat die NRC jeweils ein "informal rulemaking"- Verfahren durchzuführen.
1. Das nonnale "Notice and Comment"-Verfahren Elemente dieses Verfahrens sind die Bekanntmachung des Entwurfs, die Gelegenheit zur Stellungnahme und die Verabschiedung der endgültigen "rule" mit einer Erläuterung ihrer Grundlage und ihres Zwecks. 1 Im Laufe der Zeit hat die Rspr. immer weiter über den Gesetzeswortlaut hinausgehende Anforderungen an den Inhalt der Bekanntmachung und der Erläuterung aufgestellt. a) Angaben in der Bekanntmachung
Aus der Bekanntmachung muß gemäß 5 U.S.C.A. § 553(b) hervorgehen erstens die gesetzliche Grundlage des Entwurfs, zweitens Ort, Zeit und Art der Öffentlichkeitsbeteiligung sowie drittens entweder der Wortlaut oder Inhalt eines Entwurfs oder eine Beschreibung der zu regelnden Themen und Sachfragen. Während das erste Element der Bekanntmachung aus sich heraus verständlich ist, bedürfen die beiden anderen einer kurzen Erläuterung. 2 aa) Ort. Zeit und Art der Öffentlichkeitsbeteiligung Der APA schreibt nicht vor, wie lang die Frist für Stellungnahmen aus der Öffentlichkeit mindestens sein muß. Wenn in Fachgesetzen nichts anderes bestimmt ist, hat die Bekanntmachung mindestens 15 Tage vor Ablauf der Frist oder vor einer eventuellen Anhörung zu erscheinen. 3 Die NRC setzt in der Regel eine Äußerungsfrist von mindestens 30 Tagen fest. Der Supreme Court hat zu dieser Frage nur angemerkt, daß der Entwurf so rechtzeitig vor Erlaß der endgültigen "rule" publiziert werden muß, daß interessierte Kreise genügend Zeit haben, Einwände gegen den Entwurf zu
lvgl. 5 U.S.C.A. § 553 und die weitgehend identischen Vorschriften in 10 C.F.R. §§ 2.804ff. \.gl. zur Bekanntmachung jüngst Giebeler (1991),56 ff. 3vgl.
den Federal Register Act, 44 U.S.C.A. § 1508.
VI. "Infonnal Rulemaking:" Einzelheiten
253
formulieren und einzureichen. 4 In welcher Form die Öffentlichkeit beteiligt werden soll, ist in der Bekanntmachung genau zu erläutern. So ist mitzuteilen, wann und wo ggf. informelle mündliche Anhörungen stattfinden oder wo schriftliche Stellungnahmen eingereicht werden können. Außerdem muß angegeben werden, wo die Akte ("public record") des Verfahrens ausgelegt wird. s In der Praxis beteiligen sich hauptsächlich Industrieverbände, einzelne Unternehmen und Umweltschutzverbände mit Stellungnahmen an "rulemaking" -Verfahren. 6 bb) Angaben zum Inhalt der geplanten "rule" Am meisten Schwierigkeiten bereitet die dritte Anforderung aus 5 U.S.C.A. § 553(h). Danach muß die Behörde Auskunft über den möglichen Inhalt der "rule" geben entweder dadurch, daß der Wortlaut eines Entwurfs genannt wird, oder indem die Themen und Sachfragen, die geregelt werden sollen, beschrieben werden. An die vom Supreme Court gestellte Vorgabe, daß die Bekanntmachung ausreichend darüber unterrichten muß, "was genau" die Behörde zu tun gedenkt,7 haben sich die Courts of Appeals nicht streng gehalten. Es wurde z. B. für ausreichend gehalten, wenn die Bekanntmachung interessierte Kreise ausreichend darüber unterrichtete, um welche Sachfragen es geht, ohne daß jedoch jede einzelne Alternative genau benannt zu werden werden braucht, für die sich die Behörde am Ende entscheiden könnte. 8
Die Frage, wie präzise die Bekanntmachung sein muß, spielt v. a. dann eine große Rolle, wenn die Behörde am Ende des Verfahrens eine "rule" verabschiedet, die wesentlich anders ist als der veröffentlichte Entwurf. In diesem Fall hat die Behörde dann eine erneute Bekanntmachung zu veranlassen, wenn die Änderungen so wesentlich sind, daß die ursprüngliche Bekanntmachung die ZU regelnden Sachfragen nicht mehr angemessen beschreibt. Zweck der erneuten Bekanntmachung ist es, der interessierten Öffentlichkeit die Möglichkeit zu geben, zur endgültigen Fassung der "rule" Stellung zu nehmen. Eine erneute Bekanntmachung kann unterbleiben, wenn die Änderungen logisch aus dem ursprünglich veröffentlichten Entwurf folgen oder ihn in vorhersehbarer Weise weiterentwickeln. Denn die Öffentlichkeitsbeteiligung soll nicht ewig dauern, sondern ein echter Mei-
4vgl.
United States v. Florida Bast Coast Railroad Co., 410 U.S. 224,243 f.
Svgl.Koch (1990), § 4.6. 6vgl.
Giebeler (1991),60 f.
7vgl.
United States v.Florida Bast Coast Railroad Co., 410 U.S. 243 f.
Svgl. z. B. Action for Children's Television v. FCC, 564 F.2d 458,470.
B. Genehmigung kemtechnischer Anlagen in den USA
254
nungsaustausch sein, der schließlich zu verbesserten • rules· führt. 9 Insbesondere wenn Änderungen der Endfassung gegenüber dem Entwurf eine Reaktion auf eingegangene Stellungnahmen sind, ist eine neuerliche Bekanntmachung entbehrlich. 10 Die Gerichte wägen also ab zwischen dem Informationsinteresse der Öffentlichkeit und der Aussicht, daß die erneute Öffentlichkeitsbeteiligung noch zu Verbesserungen der Entscheidung führt einerseits, sowie der durch erneute Bekanntmachung und zusätzliche Stellungnahmen verursachten Verzögerung des Verfahrens andererseits. Dieselben Gesichtspunkte sind ausschlaggebend, wenn im Anwendungsbereich der wDue Process Clause w der Verfassung die erforderlichen Verfahrensschritte bestimmt werden. 11 Insofern prägen die Grundsätze, die bei Anwendung der WDue Process Clause wgelten, auch die Bereiche des Verfahrensrechts, wo die wDue Process Clause wnicht unmittelbar einschlägig ist. Der AP A selbst verlangt nicht, daß die Tatsachen bekanntgemacht werden, die die Grundlage für den Entwurf der wrolew bilden. Diese Anforderung ist jedoch von den Gerichten in den Siebziger Jahren entwickelt worden. Dadurch wurde die Öffentlichkeitsbeteiligung in wrulemakingW-Verfahren erheblich verbessert, ohne daß die relative Formlosigkeit des Verfahrens allzu sehr eingeschränkt wurde. 12 Grundsätzlich muß die Behörde die wissenschaftlichen Untersuchungen und Daten nennen und zugänglich machen, die sie zur Entscheidung für einen bestimmten Entwurf veranlaßt haben. Denn die interessierte Öffentlichkeit soll Gelegenheit haben, Informationen, Bedenken und Kritik zu äußern. Dazu muß die Bekanntmachung ein genaues Bild der Erwägungen bieten, die die Behörde bei der Erarbeitung des Entwurfs angestellt hat. Mit dieser Forderung ist es unvereinbar, wenn die Behörde sich auf wissenschaftliche Daten stützt, die nur ihr selbst bekannt sind. 13 Nicht sämtliches Material, auf dem der wrulew-Entwurfberuht, muß jedoch stets in der Bekanntmachung erwähnt werden. Wenn z. B. das Verfahren vor dem Hintergrund einer fünf Jahre dauernden Materialsammlung abläuft, während der die Behörde Vorschläge für die Gestaltung der wrulew öffentlich untersucht und die wesentlichen wissenschaftlichen Studien kritischen Stellungnahmen ausgesetzt hat, ist es unschädlich, wenn nicht alle diese Studien einzeln in der Bekanntmachung erwähnt werden. 14 In der Regel genügt es auch, wenn 9vgl.
Connecticut Light aod Power Co. v. NRC, 673 F.2d 525,533.
I~gl. International Harvester Co. v. Ruckelahaus, 478 F.2d 615, 632. II vgl.
dazu Mathews v. Eldridge, 424 U.S. 319.
12ebenso
Koch (1990), § 4.7.
erstmals Portland Cernent Association v. Ruckelahaus, 486 F.2d 375, 393; vgl. auch Connecticut Light and Power v. NRC, 673 F.2d 530; F10rida Power and Light Co. v. United States, 846 F.2d 765. 1380
I~gl. Connecticut Light and Power v. NRC, 673 F .2d 531 f.
VI. "Infonnal Rulemaking:" Einzelheiten
255
die Bekanntmachung den Hinweis enthält, daß wissenschaftliche Untersuchungen, die die Behörde herangezogen hat, in einem Public Document Room ausliegen. 15 Bisher wurden Entwürfe für "rules" von den Abteilungen der Behörden ohne Beteiligung der Öffentlichkeit erarbeitet. Der "Negotiated Rulemaking Act of 1990"16 erlaubt nunmehr der Behörde, aufgrund einer keiner gerichtlichen Überprüfung unterliegenden Entscheidung ein "negotiated rulemaking committee" einzurichten, in dem sodann der Entwurf für die "rule" im Einvernehmen mit Vertretern der berührten Interessen ausgearbeitet wird. Das Gesetz sieht dieses Verfahren nur für Fälle vor, in denen die Interessen, die von der geplanten "rule" wesentlich berührt werden, überschaubar sind.
b) Erli1uterung Hinsichtlich der Erläuterung von Grundlage und Zweck hat sich die Rspr. am meisten vom Wortlaut des AP A entfernt. Das Gesetz verlangt nur eine "kurze, allgemeine Erläuterung von Grundlage und Zweck". 17 Um einer wirksamen gerichtlichen Kontrolle willen fordern die Courts of Appeals jedoch, daß die Erläuterung erkennen läßt, welche wesentlichen Grundsatzfragen im Verfahren erörtert wurden, und weshalb die Behörde sie so und nicht anders gelöst hat. 18 Gesetzlicher Anknüpfungspunkt ist 5 U.S.C.A. § 553(c). Nach dieser Bestimmung ist die Behörde verpflichtet, vor dem Erlaß der endgültigen "rule" das vorgebrachte Material zu betrachten. Die Erläuterung gemäß 5 U.S.C.A. § 553(c) muß zwar nicht umfassend, jedoch hinreichend detailliert und informativ sein, so daß das Gericht die Erwägungen der Behörde genau nachvollziehen kann. 19 Im Umweltrecht beruhen Entwürfe für "rules" oftmals auf naturwissenschaftlichen Untersuchungen. In der Erläuterung muß sich die Behörde mit in den Stellungnahmen geäußerter fundierter Kritik an solchen Studien auseinandersetzen. aI Die Behörde muß allerdings nicht auf jeden Einwand zur Richtigkeit der schließlich festgesetzten Grenzwerte oder zur Methodik oder zu den wissenschaftlichen Grundlagen für deren Formulierung eingeJ5vgl.
Mid-Tex Electric corp. v. FERC, 773 F.2d 327,343 f.
165 U.S.C.A.chapter 5, subchapter IV, §§ 581 - 590 . 17vgl. 5 U.S.C.A. § 553(c): "a concise general statement of basis and purpoae". IBygl. z. B. Automotive Parts and Acces80ries v. Boyd, 407 F.2d 330, 338. 19v9l.Arnoco Oil Co. v. EPA, 501 F.2d 722, 739; Connecticut Light and Power Co. v. NRC, 673 F.2d 525, 534 f. a1dazu grundlegend Portland Cement Association v. Ruckelshaus, 486 F.2d 375, 392 ff; s. a. Thomp80n v. Clark, 741 F.2d 401,408 f.
B. Genehmigung kemtcchniacher Anlagen in den USA
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hen. Vielmehr müssen die Stellungnahmen ein Mindestmaß an Wesentlichkeit aufweisen, bevor von einem Mangel der von der Behörde angestellten Erwägungen die Rede sein kann. Aus den Stellungnahmen muß z. B. nicht nur hervorgehen, daß bei der Aufnahme von Stichproben ein bestimmter Fehler unterlaufen ist, sondern auch weshalb dieser Fehler möglicherweise das Ergebnis der Untersuchung verfälscht hat. 21 Um ihrer Verantwortung vor der Öffentlichkeit gerecht zu werden, muß die Behörde relevante Tatsachen benennen, die politischen Wertungen darlegen, die die Grundlage der Rechtssetzungsentscheidung bilden, alle Annahmen offenlegen, auf die sie sich verläßt, und Gründe dafür vorbringen, weshalb sie wesentliche Gegenargumente zurückweist. 22 Hierzu muß die Behörde zwar in "rolemaking"-Verfahren keine derart genauen und detaillierten Feststellungen und Schlußfolgerungen treffen wie in formellen "adjudication"-Verfahren. Sie hat jedoch die vorhandenen Anhaltspunkte zu prüfen und eine rationale Verbindung zwischen diesen und ihrer Entscheidung herzustellen. Diese Erläuterung muß so detailliert sein, daß eine sinnvolle gerichtliche Überprüfung möglich ist. 23
2. Abschließende Regelung des "infonnal rulemaking" in § 553 APA a) Der Ansatz des "D.C.circuit":"Hybridrulemaldng" In einer Reihe von Entscheidungen hat der "D.C. circuit" die Ansicht vertreten, daß die Gerichte befugt seien, das normale "notice and comment"-Verfahren in bestimmten Fällen durch prozeßähnliche Verfahrensschritte zu ergänzen,24 sog. "hybrid rolemaking". Dies sei insbesondere in Situationen angebracht, in denen die "role" auf umstrittenen Tatsachen beruhe. Den Beteiligten müsse vor allem gestattet werden, solche TatsachenfeststeIlungen der Behörde durch Kreuzverhör anzugreifen. Denn nur die "Feuerprobe der Debatte" und "das Aufeinanderprallen wohlfundierter aber unterschiedlicher wissenschaftlicher Standpunkte" gewährleiste eine durchdachte Entscheidung. 2S
21 vgl.
Portland Cemcnt, 486 F.2d 393 f.
22ygl. Environmental Dcfensc Fund v. EPA, 636 F.2d 1267, 1279; kaum zutreffend daher Giebeler (1991),65, wonach die Einwendungen nur summarisch erörtert werden. 23vgl. Shoreham Cooperative Apple Producers Ass. v. Donovan, 764 F.2d 135, 140; New England Coalition on Nuclear Pollution v. NRC, 727 F.2d 1127,1131; s. a. NRDC v. EPA, 824 F.2d 1258,1268: blo-ße schlüssige Behauptungen reichen nicht.
24,. v. a. Mobil Oil Corp. v. FPC, 483 F.2d 1238,1257 f; Walter Holm and Co. v. Hardin, 449 F.2d 1009, 1015 f; International Harvester Co. v. Ruckelshaus, 478 F.2d 615,631 f; Friends of the Earth v. AEC, 485 F .2d 1031 ff. 2580
Friends ofthe Earth v.AEC, 485 F.2d 1033.
VI. "Infonnal Rulcmaking:" Einzelheiten
257
b) Die Reaktion des Supreme Court Diese Bestrebungen, durch gerichtliche Anordnung stärker kontradiktorische Elemente in das "informal rulemaking" einzufügen, fanden ein Ende mit "Vermont Yankee Nuclear Power Corp. v. NRDC".26 Gegenstand des Verfahrens war eine "rule" der NRC, in der gemäß dem NEPA die Umweltauswirkungen des Kembrennstofflcreislaufs einschließlich der Endlagerung radioaktiver Abfälle bewertet wurden; der "D.C. circuit" batte aufgehoben und zurückverwiesen. 27 Der Supreme Court bat daraufhin klargestellt, daß es in Abwesenheit verfassungsrechtlicher Beschränkungen oder extrem zwingender Umstände den Behörden überlassen ist, ihre Verfahrensregeln festzusetzen und diejenigen Ermittlungsmethoden anzuwenden, mit denen sie ihre vielfältigen Aufgaben am besten erfüllen können. Wann über "notice and comment" hinausgehende Verfahrensschritte anzuwenden seien, hätten die Behörden und nicht die Gerichte zu bestimmen. Ein Gericht dürfe eine "rule" nicht wegen Verfahrensfehlern aufheben, solange die Behörde 5 U.S. C.A. § 553 eingehalten habe. Diese Auffassung hat der Supreme Court v. a. mit Erwägungen der Rechtssicherheit und der Gesetzessystematik begründet: Angesichts der vagen Vorgabe des "D.C. circuit" , das "am besten geeignete" Verfahren durchzuführen, sei zu befürchten, daß die Behörden sichergehen wollten und deshalb vermutlich in jedem Fall ein vollständiges prozeßartiges Verfahren veranstalten würden; dadurch würde der vom Kongreß gewollte Unterschied zwischen informellen und prozeßartigen Verfahren beseitigt. 28 Auch der NEPA ermächtige die Gerichte nicht, den Behörden zusätzliche Verfahrensschritte für die Untersuchung bedeutsamer Fragen des Umweltschutzes im Wege des "in_ formal rulemaking" vorzuschreiben. 29 Daß Gerichte berechtigt sein sollen, den Behörden "hybrid rulemaking" vorzuschreiben, ist damit vom Supreme Court sehr entschieden zurückgewiesen worden. Allerdings richtet sich "Vermont Yankee" wohl gegen ein "obiter dictum" des "D.C. circuit".3O Denn der Court of Appeals hat die "rule" zumindest auch aus materiell rechtlichen Erwägungen aufgehoben und ausdrücklich darauf verzichtet, der NRC vorzuschreiben, wie sie das Verfahren zu gestalten hat. 31
26435
U.S. 519,539 ff.
27NRDC v. NRC, 547 F.2d 633. 28vgl . 435
U.S. 546 ff; zustimmend Bysc, 91 Harv .L.Rev. 1831 f.
29vgl. 435 U.S. 548 und dazu die Kontroverac SchocnbaumNerkuil, 55 Tulane Law Review ,428 ff; 424 ff.
3080 auch Davis (1978), § 6.35;Rodgers, 67 Gcorgelown L.l. 713 f; Shobe, Environmental Law 1979,653. 31 vgl.
NRDC v. NRC, 547 F.2d 633, 646 ff, 653 f.
17 Heitsch
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B. Genehmigung kemtechnischer Anlagen in den USA
Manche Äußerungen des Supreme Court in "Vermont Yankee" gaben Anlaß, daran zu zweifeln, ob die richterrechtlichen Verschärfungen des "notice and comment"-Verfahrens weiterhin geltendes Recht sind. 32 Der Supreme Court hat jedoch oft genug selbst den Behörden genaue Anweisungen über die Verfahrensgestaltung gegeben. 33 Außerdem umfaßt der in "Vermont Yankee" bestätigte Auftrag an die Gerichte, Verwaltungsmaßnahmen anband des APA zu kontrollieren, gemäß 5 U.S.C.A. § 706(2) (D) ggf. auch die Nachprüfung, ob die Maßnahme "ohne die Einhaltung des vom Recht geforderten Verfahrens"304 zustande gekommen ist. "Law"besteht außer aus den Gesetzen auch aus dem "common law". Deshalb sind die von den Courts of Appeals entwickelten Verbesserungen des "informal rulemaking" weiterhin anwendbar. 35
VII. Die "Open Govenunent Legislation" Die Vorschriften über die Öffentlichkeitsbeteiligung in den Genehmigungs- und "rulemaking"-Verfahren werden ergänzt durch die sog. "Open Government Legislation". Dazu gehören der Freedom of Information Act (FOIA)1 und der Government in the Sunshine Act. 2
1. Der Freedom of Infonnation Act a) Anliegen Der FOIA von 1966 ersetzt die alte Bestimmung über die Akteneinsicht, § 3 AP A. Diese Vorschrift gewährte nur Personen, die unmittelbar von einer Maßnahme der Behörde betroffen waren, ein Akteneinsichtsrecht. Sie enthielt außerdem generalklauselartige Ausnahmen. Informationen konnten z. B. "im öffentlichen Interesse" oder "aus wichtigem Grund" zurückgehal-
3;'gl. z. B. 435 U .S. 524: •Agencies Are free to grant additional procedunl rights in the exercise of their discretion, but reviewing courts Are genenlly not free to impose them if the agencies have not chosen to gnnt them.· 33s. stellvertretend Goldberg v. Kelly, 397 U.S. 524. 304·without observance of procedure required by law·, 5 U .S.C.A. § 706(2)(0). 3580 auch Davis (1978), § 6.37.; Stewart, 91 Harv.L. Rev. 1816; s. a. die nach ·Vermont Yankee· ergangenen einschlägigen Urteile, z. B. Connecticut Light and Power v. NRC, 673 F.2d 525. 15 U.S.C.A.§ 552; Ausführungsbestimmungen der NRC in 10 C.F.R. Part 9 Subpart A. 25 U.S.C.A. § 552b; Ausführungsbestimmungen der NRC in 10 C.F.R. Part 9 Subpart C.
VII. Die "Open Govenuncnt Lcgis1ation"
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ten werden. 3 Im Ergebnis war § 3 AP A der wichtigste Rechtfertigungsgrund, Akten der Behörden der Öffentlichkeit vorzuenthalten. Der FOIA enthält dagegen jedermann zustehende und nur durch eng auszulegende Ausnahmen beschränkte Informations- und Akteneinsichtsrechte. Hintergedanke des FOIA ist die typisch amerikanische Vorstellung, daß Offenheit als wirkungsvolles Korrektiv der Verwaltungstätigkeit dienen kann, und daß eine gut informierte Wählerschaft für das Funktionieren der Demokratie lebenswichtig ist. 4 Mit dem FOIA verfolgte der Kongreß folgende wichtige AnIiegen: s Die Offenlegung von Informationen soll nunmehr das übergeordnete Ziel sein, das nur gegenüber so zwingenden Erwägungen zurückstehen darf, wie sie in den Ausnahmebestimmungen niedergelegt sind; jede Person soll das gleiche Recht auf Zugang haben; die Last, die Zurückhaltung einer Akte zu rechtfertigen, soll bei der Behörde liegen und nicht bei der Person, die die Einsichtnahme wünscht; Personen, denen der Zugang zu Akten zu Unrecht verweigert wurde, soll gerichtlicher Rechtsschutz zustehen; schließlich soll sich die Einstellung der Behörden zum Recht auf Akteneinsicht wandeln. b) Informations- und Akteneinsichlsrechle 5 U.S.C.A. § 552(a) enthält drei unterschiedliche Bestimmungen, und zwar über die Veröffentlichung von "rules" o. dgl. im Federal Register, den Zugang zu Entscheidungen der Behörden und über das Akteneinsichtsrecht. aa) Veröffentlichung im Federal Register Gemäß 5 U.S.C.A. § 552(a)(1) müssen alle Behörden im Federal Register insbesondere folgende Materien veröffentlichen: - Verfahrensordnungen ("procedural rules"); - allgemein anwendbare und aufgrund einer rechtlichen Ermächtigung erlassene "substantive rules"; - allgemeine Grundsatzerldärungen ("statements of general policy"); - allgemein anwendbare Auslegungsrichtlinien ("interpretations of general applicability").
3ZU
§ 3 APA vgl.Koch (1990), §§ 11.2.,I1.3.;Gurlit (1989),54.
4vgl. Strauss (1989), 195: "sunshine is the best disinfcctant"; Wald, 33 Emory L.I. 652 ff; Koch (1990), § 11.3.
Svgl. Koch (1990), § 11.3.
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B. Genehmigung kemtechnischer Anlagen in den USA
Niemand darf auf solche Vorschriften velWiesen werden oder durch sie nachteilig betroffen werden, wenn sie entgegen § 552(a)(I) nicht im Federal Register publik gemacht sind, es sei denn, die betreffende Person hat tatsächlich Kenntnis von den Vorschriften. Wenn die Vorschriften weder die bestehende VelWaltungspraxis ändern, noch sich vom Wortlaut des jeweils einschlägigen Fachgesetzes entfernen, noch die Behörde rechtlich binden, können sie den Bürger nicht "nachteilig betreffen"; damit können sie angewandt werden, ohne daß sie im Federal Register veröffentlicht werden müssen. 6 Als veröffentlich gelten Regelungen, die durch VelWeisung aufgenommen (sog. "incorporation by reference") und den betroffenen Personengruppen in zumutbarer Weise zugänglich sind. bb) Leichter Zugang zu behördlichen Entscheidungen Drei wichtige Arten behördlicher Entscheidungen sind gemäß 5 U.S.C.A. § 552(a)(2) zur Einsichtnahme und Anfertigung von Kopien bereitzuhalten. Hierzu gehören endgültige Ansichten und Verfügungen ("finalopinions and orders"), die bei der Entscheidung von Fällen ("adjudication of cases") erlassen wurden, einschließlich abweichender Begründungen und Sondervoten. Aus der Entstehungsgeschichte des FOIA ergibt sich, daß "adjudication of cases" nicht nur "formal adjudication" im Sinne des APA meint. Vielmehr erfaßt diese Formulierung alle strukturierten, relativ formellen Verfahren, in denen eine Behörde eine quasi-richterliche Funktion wahrnimmt, und bei denen die Entscheidung auf rechtlichen Maßstäben beruht. 7 Bereitzuhalten sind ferner diejenigen Grundsatzerklärungen ("policystatements") und Auslegungsrichtlinien ("interpretations"), die nicht bereits gemäß 5 U.S.C.A. §552(a)(I) im Federal Register publiziert werden müssen. Da allgemeine Grundsatzerklärungen ("statements of general policy") im Federal Register zu erscheinen haben, muß sich 5 U.S.C.A. §552(a)(2)(B) auf andere Unterlagen beziehen. Und zwar sind sämtliche Grundsatzerklärungen und Auslegungsrichtlinien von der Vorschrift erfaßt, gleichgültig, ob sie nur für einen Einzelfall beachtlich sind. Über die Bedeutung der Klausel "whichhave been adopted by the agency" in 5 U.S. C.A. § 552(a)(2)(B) bestehen manche Zweifel. Fest steht jedoch, daß nicht nur Äußerungen der Behördenleitung offenzulegen sind, sondern auch solche von Mitarbeitern, sofern sie ein gewisses Maß an Verbindlichkeit haben. B Ferner sind Handbücher und Anweisungen an die Mitarbeiter der Behörde zur Einsicht bereitzuhalten, sofern diese Materialien die Öffentlichkeit betreffen. Rein interne Vorgänge ohne Außenwirkung werden nicht erfaßt. 6vgl.Guriit (1989),56 m. N. aus der US-Rspr. 7vgl.
Koch (1990), § 11.4.
Bvgl. Koch (1990), § 11.4; Beispiel: "regulatory guides" der NRC.
Vll. Die "Open Government Legislation"
261
Alle diese Unterlagen darf die Behörde nur geltend machen, anwenden oder als Präzedenzentscheidung zitieren, wenn sie zugänglich gemacht sind, oder die betreffende Person tatsächlich von ihnen Kenntnis hatte. Bei Offenlegung dieser Materien dürfen zum Schutz der Privatsphäre die zur Identifikation geeigneten Details gelöscht werden, wobei jede einzelne Löschung gesondert begründet werden muß. Außerdem hat die Behörde Verzeichnisse der offengelegten Materialien anzufertigen und zumindest vierteljährlich zu ergänzen. Die NRC hat in Ausführung von 5 U.S.C.A. § 552(a)(2)(B) den Public Document Room eingerichtet. 9 ce) Zugang zu sonstigen "Behördenakten" Für alle von den vorhergehenden Bestimmungen des FOIA nicht erfaßten Akten enthält 5 U.S.C.A. § 552(a)(3) eine Auffangklausel. Hiernach kann jede Person, ohne ein berechtigtes Interesse o. dgl. nachweisen zu müssen und ohne Beteiligter eines anhängigen Verwaltungsverfahrens zu sein, von den Behörden Zugang zu grundsätzlich jeder beliebigen Unterlage ("agency record") verlangen. Dieses Zugangsrecht wird ergänzt durch ein Recht auf Überlassung von Kopien. Wenn es darum geht festzustellen, ob eine bestimmte Unterlage "agency record" im Sinne von 5 U.S.C.A. § 552(a)(3) ist, spielen vier Gesichtspunkte eine Rolle: 10 Entstehung der Unterlagen innerhalb der Behörde; Vorhandensein der Unterlagen in den Akten der Behörde; Ausübung der Sachherrschaft über die Unterlagen sowie Benutzung der Unterlagen für amtliche Zwecke. Wenn die Behörde die Unterlagen zum Gebrauch erhalten hat und sie sich daher in ihren Akten befinden, werden sie als "agency record" angesehen, auch wenn die Behörde die Unterlagen nicht selbst erzeugt hat. Nur wenn das Material nicht in amtlicher Verfügungsgewalt ist und eher in Beziehung zur Person eines Behördenmitarbeiters steht als zur Behörde als solcher, wird es nicht als "agency record" betrachtet. Vom Antragsteller verlangt der FOIA nur, daß er die Unterlagen "ausreichend beschreibt" ("reasonably describe"). Dabei genügt es, wenn die Beschreibung es einem Mitarbeiter der Behörde, der mit dem Sachgebiet des Antrags vertraut ist, ermöglicht, die Unterlagen mit zumutbarem Aufwand zu finden. ll Die NRC fordert dazu auf, wenn MÖglich, im Antrag genaue Angaben über Datum, Titel, Registernummer oder Aktenzeichen der gewünschten Unterlagen zu machen; wenn die Unterlagen nicht hinrei-
9vgl.
10 C.F.R. § 9.21(b), (c).
10vgI.Strauss(1989), 197; Gurlit (1989),150 f je m. w. N.; s. a. General Electric Co. v. NRC, 750 F.2d 1394,1399 f. ll vg l.
O'Reilly (1990), § 7.4. und dort Fn. 12; Gurlit (1989), 152 m. w. N.
262
B. Genehmigung kemtechnischer Anlagen in den USA
chend genau beschrieben werden, und ihre Identifizierung daher nicht möglich ist, ist dies dem Antragsteller binnen 10 Werktagen mitzuteilen, und er ist um zusätzliche Angaben zu bitten. 12 Zur Bearbeitung von Anträgen nach dem FOIA hat die NRC eine besondere Abteilung gebildet, die "Divisionof Freedom of Information and Publication Services". Insbesondere in "rulemaking"-Verfahren ist der FOIA ein wichtiges Mittel, von der Behörde zusätzliche Angaben zu erhalten. Denn ein Antrag "for all documents the agency regards as bearing upon its proposed rulemaking ... "ist bereits hinreichend bestimmt, so daß die Behörde ihm entsprechen muß. Inzwischen rechnen die Behörden schon mit solchen Anträgen und machen bereits zu Beginn des "rulemaking"-Verfahrens Angaben zugänglich, die sie auf entsprechenden Antrag hin später ohnehin freigeben müßten. Allerdings gewährt der FOIA nur Zugang zu bereits existierenden Unterlagen der Behörden. Er kann nicht dazu benutzt werden, Angaben von anderen Verfahrensbeteiligten zu erhalten oder die Behörde dazu zu zwingen, Unterlagen erst noch zu erarbeiten. Außerdem sind die Behörden nicht verpflichtet, ein laufendes Verfahren zu unterbrechen, damit ein Beteiligter die Antwort auf sein FOIA-Gesuch so rechtzeitig erhält, daß er sie noch im Verfahren verwenden kann. 13 In der Regel muß die Behörde auf einen Antrag gemäß dem FOIA innerhalb von 10 Werktagen antworten. Wenn die Behörde nicht fristgerecht reagiert, gelten die verwaltungsintemen Rechtsbehelfe des Antragstellers als ausgeschöpft, und er darf sofort das Gericht bemühen. Die Frist kann um bis zu 10 Werktage verlängert werden, wenn die Behörde schriftlich darlegt, daß außergewöhnliche Umstände vorliegen. 14 Der FOIA nennt drei solche Umtände: 15 die Notwendigkeit, die Unterlagen bei Zweigstellen oder anderen, von dem den Antrag bearbeitenden Büro getrennten Einrichtungen zu suchen; die Notwendigkeit, eine große Anzahl getrennter Unterlagen zu suchen und ausreichend zu prüfen, die in einem einzigen Gesuch angefordert wurden; die Notwendigkeit von Beratungen mit anderen Behörden, die ein wesentliches Interesse an der Entscheidung über den Antrag haben, oder mit verschiedenen Abteilungen innerhalb der zuständigen Behörde. Daneben hat der "D.C. circuit" aber auch schwere Arbeitsüberlastung als Grund für eine Fristverlängerung anerkannt. 16
I\.gl. 10 C.F.R. § 9.23(b)(2). I3zur Bedeutung des FOIA in "rulemaking"-Verfahren vgl. Koch (1990), § 4.46; Stnus8 (1989), 163 f.
14vg1.5
155
U.S.C.A.§ 552(8)(6); 10 C.F.R. §§ 9.25(d), 9.31.
U.S.C.A.§ 552(a)(6)(B(9(i)-(iii); 10 C.F.R. § 9.13.
16vgl. Open
America v. Watergate Special Prosecution Force, 547 F.2d 605,616.
VII. Die "Open Govenunent Legislation"
263
Für die Suche nach den Unterlagen, die Anfertigung von Kopien und, soweit es sich um Anträge zu kommerziellen Zwecken handelt, auch für die Überprüfung der Unterlagen werden angemessene Gebühren erhoben. Dabei dürfen von Antragstellern, die die Unterlagen für Zwecke der Wissenschaft oder des Journalismus verlangen, nur die Gebühren für die Vervielfältigung verlangt werden. Die Behörde darf die Gebühren herabsetzen oder ganz erlassen, wenn die Offenlegung der Unterlagen im Allgemeininteresse erfolgt, weil sie wahrscheinlich wesentlich zum Verständnis der Allgemeinheit für die Arbeit der Behörden beiträgt und nicht in erster Linie dem kommerziellen Interesse des Antragstellers dient. 17 c) Grenzen der Infonnationsrechle
Grundsätzlich gewährt der FOIA Zugang zu allen Unterlagen der Behörden. Gesichtspunkte, die es im Einzelfall rechtfertigen können, Unterlagen zurückzuhalten, sind in neun eng gefaßten Ausschlußtatbeständen genannt. Diese gelten für sämtliche von 5 U.S.C.A.§ 552(a) gewährten Informationsund Akteneinsichtsrechte. 18 Dabei beruhen fünf Ausnahmen auf staatlichen Geheimschutzinteressen; vier schützen Privatpersonen und Unternehmen vor Schäden, die durch die Offenlegung auf sie bezogener oder von ihnen eingereichter Unterlagen entstehen können. 19 Nach ständiger Rspr. des Supreme Court sind alle Ausnahmen des FOIA eng auszulegen. 31 Von den neun Ausnahmen sollen hier die vier im Umweltrecht besonders bedeutsamen etwas ausführlicher, die fünf anderen nur sehr knapp vorgestellt werden. aa) Interne Vorschriften und Verfahrensweisen für das Personal Exemption 2 des FOIA betrifft ."interne Vorschriften und Verfahrensweisen für das Personal". 21 Der genaue Anwendungsbereich dieser Bestimmung ist vom Wortlaut her nicht eindeutig zu ermitteln. Die Vorschrift kann alle "rules"und Entscheidungen meinen, die mit dem Personal zu tun haben, z. B. auch Vorschriften darüber, wie Eingaben von Bürgern inhaltlich zu behandeln sind. Ebensogut kann sich die Vorschrift Dur auf banale interne "roles" beziehen, an denen diejenigen Personen, die nicht bei der 17vgl.
5 V.S.C.A. § 552(a)(4)(A).
18vgl.
5 V .S.C.A. § 552(b): "!his section does not apply to matten !hat are ... "
19v9l.
Strauss (1989), 197.
:lDvgl. stellvertretend Department of Air Force v. Rose, 425 V.S. 352,361; EPA v. Mink, 410 V.S. 73,79. 21 5
V.S.C.A.§ 552(b)(2):" internal penonnel rules and practices".
264
B. Genehmigung kemtechnischer Anlagen in den USA
Behörde tätig sind, kein Interesse haben. Beide Auslegungen sind im Gesetzgebungsverfahren tatsächlich vertreten worden, im Repräsentantenhaus die "weite" Auslegung, im Senat die "enge".22Der Supreme Court hat sich schließlich für die "enge" Auslegung entschieden: 23 Ausnahme 2 sei nicht anwendbar, wenn an den Unterlagen ein echtes und wesentliches Interesse der Allgemeinheit bestehe. Diese Bestimmung ermächtige nicht dazu, Unterlagen geheimzuhalten, die sich unmittelbar darauf beziehen, ob das Verhalten des Bürgers rechtmäßig ist oder nicht. Vielmehr solle sie die Behörden nur von der Last befreien, Unterlagen zu sammeln und zur Einsichtnahme bereitzuhalten, an denen die Allgemeinheit voraussichtlich kein Interesse habe. bb) Betriebsgeheimnisse und vertrauliche geschäftsbezogene Angaben Betriebsgeheimnisse und vertrauliche geschäftsbezogene Angaben offenzulegen, wird durch Exemption 4 des FOIA ausgeschlossen. 24 Als Betriebsgeheimnis ("trade secret") wird jede Formel, Muster, Vorrichtung oder Sammlung von Informationen verstanden, die in einem Betrieb verwendet wird und die dem Inhaber die Möglichkeit gibt, einen Vorteil über Konkurrenten zu erlangen, die es nicht kennen oder verwenden. 2S Diese Definition enthält drei Elemente: Vertraulichkeit, Benutzung im Betrieb sowie das Fehlen einer allgemeinen Kenntnis innerhalb des Wirtschaftszweigs. Daneben berücksichtigen Gerichte und Behörden bei der Entscheidung, ob Exemption 4 Alt. 1 anwendbar ist, den Wert des Geheimnisses für den Inhaber und für Konkurrenten, den Aufwand des Inhabers für die Entwicklung sowie den Aufwand für Konkurrenten, die sich auf zulässige Weise Kenntnis verschaffen wollen. Die zweite Alternative der Exemption 4 schützt "vertrauliche betriebsoder geschäftsbezogene Angaben, die von einer Person stammen". 26 Die drei Tatbestandsmerkmale müssen kumulativ erfüllt sein. 27 Das erste Merkmal beschränkt den Anwendungsbereich auf "commercial or financial" Angaben. Die Entstehungsgeschichte legt den Schluß nahe, daß nicht nur betriebsbezogene Angaben, sondern auch Informationen aus
22vgl. Koch 23vg l.
(1990), § 11.6.(2).
Department of Air Force v. Rose, 425 U.S. 352,369.
245
U.S.C.A § 552(b)(4): "trade secrets and commercial or financial information obtained from a person and privileged or confidential". 2SvgI. O'Reilly
(1990), § 14.04m. w.N.
26"commercial or financial information obtained from a person and privileged or confidential",5 U.S.C.A.§ 552(b«4) Alt. 2. 27vgl.
z. B. National Parks and Conservation Association v. Morton, 498 F.2d 765,766.
Vll. Die "Open Govemment Legislation"
265
dem Verhältnis zwischen Anwalt und Mandant, Arzt und Patient o. dgl. erfaßt werden sollten. Trotzdem haben sich die Gerichte mehr an den Wortlaut gehalten und die Bestimmung auf im engeren Sinne betriebsbezogene Angaben beschränkt. 28 Unterlagen über den Schutz von Kernbrennstoffen vor Sabotage sowie über ihre Kontrolle und ihren Nachweis gelten als "commercial or financial information" gemäß Exemption 4 Alt. 2, sofern sie nicht überhaupt amtlich geheimgehalten sind. 29 Zweite Voraussetzung der Exemption 4 ist, daß die Unterlagen von außerhalb der Behörde stammen. Dokumente, die die Behörde selbst erstellt hat, werden nicht erfaßt, selbst wenn sie auf Angaben beruhen, die der Behörde von außerhalb unterbreitet wurden. 30 Schließlich ist noch zu prüfen, ob die Angaben "privileged or confidential" sind. 31 Dazu wird in einem ersten Schritt festgestellt, ob die Angaben von der Person, die sie der Behörde mitgeteilt hat, tatsächlich nicht der Allgemeinheit zugänglich gemacht werden. Außerdem muß ein berechtigtes Interesse an der Geheimhaltung bestehen. Angaben werden deshalb nur dann als "vertraulich" im Sinne von Exemption 4 Alt. 2 angesehen, wenn ihre Offenlegung die Fähigkeit der Behörde beeinträchtigen kann, in Zukunft von Außenstehenden die für ihre Tätigkeit notwendigen Informationen zu erhalten. Dies kann nie der Fall sein, wenn die Behörde die entsprechenden Auskünfte erzwingen kann. Nach der neuesten Rspr. kann auch das Interesse am rationellen und effizienten Vollzuf der Behördentätigkeit die Zurückhaltung von Unterlagen rechtfertigen. 3 Ein berechtigtes Interesse an der Geheimhaltung besteht ferner, wenn durch die Offenlegung die Wettbewerbsposition der Person, die die Angaben gemacht hat, einen wesentlichen Schaden nehmen kann. Die Berufung auf Wettbewerbsinteressen ist ausgeschlossen, wenn die Angaben von einem Monopolisten stammen, oder wenn in dem betreffenden Wirtschaftszweig so gut wie keine Konkurrenz herrscht. Auch daß die Angaben bereits veraltet sind, spricht gegen einen Schaden für die Wettbewerbsposition. 33 Informationen, die bereits veröffentlicht sind oder aus anderen Quellen als aus Behördenakten zugänglich sind, werden ebenfalls nicht von Exemption 4 geschützt. 34 28vgJ.
Koch (1990), § 11.6.(4) m. w. N.
29vg l. \0 C.F.R. § 2.790(d) und dazu Porter County Chapter of the Izaalc: Walton League v. AEC, 380 F.Supp. 630,634,637.
3OvgJ.
Consumers Union of United States v. V.A, 301 F.Supp. 796,803.
31dazu grundlegend National Parks and Conservation Association v. Morton, 498 F.2d, 765, 766 Cf. 3~gJ. Critical Mass Energy Project v. NRC, 830 F.2d 278,286 f; 9 to 5 Organization v.
Board of Govemors of the Federal Reserve, 721 F .2d I, 7 Cf.
33vgJ. General Electric v. NRC, 750 F.2d 1394,1403. 34vg l.
Hughes Aircraft Co. v. Schlesinger, 384 F.Supp. 292,297.
B. Genehmigung kerntechnischer Anlagen in den USA
266
ce) Schriftverkehr innerhalb der Behörde oder zwischen verschiedenen Behörden Exemption 5 ist sprachlich nicht geglückt. Sie nimmt Denkschriften und Briefe des inner- oder zwischenbehördlichen Verkehrs von der Offenlegung aus, die einer Partei, die nicht selbst Behörde ist, im Rechtsstreit mit der Behörde von Rechts wegen nicht zugänglich wären. 3S Diese Bestimmung soll den freien Fluß der Gedanken innerhalb der Behörde schützen, indem sie die Betrachtung und Erörterung von Sachfragen außerhalb des Lichts der Öffentlichkeit ermöglicht. Wenn der Schriftwechsel innerhalb der Behörde später offengelegt werden müßte, wäre ein freier Gedankenaustausch v. a. über rechtliche und politische Grundsatzfragen ausgeschlossen. Deshalb ist Exemption 5 in einer Weise zu interpretieren, die sowohl dem im FOIA verankerten Grundsatz der Aktenöffentlichkeit als auch der Funktionsfähigkeit der Behörden Rechnung trägt. 36 Der Supreme Court hat Exemption 5 denkbar eng ausgelegt und nur behördeninterne Unterlagen über Beratungen und über den Prozeß der politischen Wertentscheidung dem Schutz dieser Vorschrift unterwofen; interne Unterla8en über Tatsachen sind dagegen offenzulegen. 37 Denn der Zugang der Offentlichkeit zu Angaben über Tatsachen werde die Beratung innerhalb der Behörde nicht stören und auch nicht dazu führen, daß Auffassungen und Entscheidungen der Behörden vorzeitig bekannt werden. Wenn die Angaben über Tatsachen, ohne daß ihr Sinn verloren geht, von den geschützten Abschnitten eines Dokuments getrennt werden können, muß die Behörde das Dokument redigieren und soweit vorgeschrieben zugänglich machen. Nur wenn Tatsachen und die politisch-wertende Erörterung untrennbar miteinander verbunden sind, dürfen auch die Tatsachen zurückgehalten werden. Sogar Angaben über politisch-wertende Erörterungen müssen offengelegt werden, wenn sie anderenfalls •geheime Rechtsauffassungen • der Behörde darstellen würden. 38 Dies ist der Fall, wenn sie zeitlich nach der Entscheidung einer Sache liegen und diese Entscheidung den Bediensteten der Behörde erläutern sollen. Wenn sie zeitlich vor dem Abschluß des Verwaltungsverfahrens liegen, sind sie durch Exemption 5 Beschützt. Nicht offenzulegen sind damit Gutachten, Empfehlungen und Uberlegungen, die Bestandteil des Prozesses sind, in dem die Entscheidung der Behörde entworfen oder formuliert wird. Ferner erfaßt Exemption 5 die Unterlagen, die, wenn es sich um eine private Partei handeln würde, als Schriftverkehr des Anwalts mit dem Mandanten geheimzuhalten wären; bei einer Behörde 3S5 U.S.C.A. § 552(b)(5): "inter-agency or intra-agency memorandums or letten which would not be available by law to a party other than an agency in litigation with the agency". 36vg l.
Koch (1990), § 11.6.m. N. aus der Entstehungsgeschichte.
37EPA
v. Mink, 410 U.S. 73, 87 ff.
38NLRB
v. Sean, Roebuck and Co. 421 U.S. 132,150 ff.
VII. Die "Open Govemmcnt Legislation"
267
sind dies v. a. die Akten der Rechtsabteilung, aus denen die Verhandlungsstrategie oder die Auffassungen der Abteilung über ein anhängiges Verfahren hervorgehen.~ In einer neueren Entscheidung zu Exemption 5 hat der "D.C. circuit" angedeutet, daß entgegen dem Gesetzeswortlaut die Identität und die Motive der Personen berücksichtigt werden können, die Antrag auf Aktenzugang gestellt haben: "Die Kläger stellten den vorliegenden Antrag, um auf die Behörden während deren Beratungen besser Einfluß zu nehmen und um die Ursache für angeblich unvertretbare Verzögerungen beim Erlaß von "rules" festzustellen. . .. Der Prozeß spiegelt die Unzufriedenheit der Kläger mit den Ergebnissen der vom Präsidenten ausgeübten formellen Beaufsichtigung der "rulemaking"-Tätigkeit wider. "«I Außerdem hat das Gericht in diesem Urteil den Schutz der Exemption 5 von Unterlagen über die innerbehördliche Meinungsbildung auf den PlOzeß dieser Meinungsbildung selbst ausgedehnt. 41 Die umstrittenen Unterlagen gaben nur Auskunft darüber, ob und zu welchem Zeitpunkt "rule"-Entwürfe der FDA an andere Behörden zur Überprüfung weitergeleitet worden waren; Überlegungen der Behörde oder deren Ergebnisse gingen daraus nicht hervor. In einem Sondervotum ist das Urteil denn auch als "gefährliche Abweichung von der bisherigen Rspr. zu Exemption 5" kritisiert worden. 42 dd) Schutz der Privatsphäre Gemäß Exemption 6 erstrecken sich die Informations- und Akteneinsichtsrechte nicht auf "Personal- und Krankenakten sowie ähnliche Unterlagen, deren Offenlegung einen eindeutig ungerechtfertigten Eingriff in die Privatsphäre darstellen würde. "43 Bereits der Wortlaut dieser Bestimmung gebietet nach Ansicht des Supreme Court eine Abwägung,44 denn die Formulierung "clearly unwarranted" verlangt, personenbezogene Unterlagen offenzulegen, wenn der damit verbundene Eingriff in die Privatsphäre durch das Informationsinteresse der Allgemeinheit gerechtfertigt ist. Um zu ermitteln, was alles vom Begriff "ähnliche Akten" umfaßt ist, stellt der Supreme Court auf die Belange der Privatsphäre ab, die durch die 39vgl. NLRB v. Sears .. .421 U.S. 154; s. a. Porter County Chapter of the Izaak Walton Lcague v. AEC, 380 F. Supp. 630,637. «Ivgl. Wolfe v. Department of Health and Human Services, 839 F.2d 768, 770 f. 41vgl. 839 F.2d 773 f 42ygl. 839 F.2d, 778; kritisch auch Comment, 1989 Duke Law Journal, 696 ff. 435 U .S.C.A. § 552(b)(6): "personnel and medical files and similar files the disclosure of which would constitute a clearly unwarranted invasion of personal privacy". ~gl. Department of Air Force v. Rose, 425 U .S. 352,370 ff, 373.
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Freigabe der Unterlagen berührt wären. Wenn diese Belange dieselben sind wie diejenigen, die von den Ausdrücken "personnei" und "medical" abgeleitet werden können, sind die Akten "ähnlich"und damit von Exemption 6 geschützt. 45 Dabei besteht die Tendenz, den Anwendungsbereich der Exemption 6 auf alle Angaben auszudehnen, die sich erkennbar auf eine bestimmte Person beziehen. 46 ee) Weitere Beschränkungen Der FOIA enthält noch fünf andere Beschränkungen der Informationsund Akteneinsichtsrechte. Daß Angaben, die von Banken o. dgl. eingereicht sind, sowie geologische und geophysikalische Daten über Ölquellen besonders geschützt sind, ist wohl auf den Einfluß der entsprechenden Lobbies zurückzuführen. 47 Unterlagen, die gemäß Kriterien, die in einem Executive Order niedergelegt sind, zu Recht im Interesse der nationalen Verteidigung oder der Außenpolitik geheimgehalten werden, fallen unter Exemption 1. Wenn deren Voraussetzungen vorliegen, dürfen auch anscheinend ganz unwichtige Details nicht freigegeben werden. 48 Akten und Angaben, die zum Zwecke der Rechtsdurchsetzung ("law enforcement") zusammengestellt wurden, sind von Exemption 7 geschützt. Diese Bestimmung wäre einschlägig, wenn der Zugang zu den Akten eines atomrechtlichen Aufsichtsverfahrens beantragt würde. Denn "law enforcement" meint nicht nur strafrechtliche Ermittlungen, sondern auch die Wahrnehmung von Aufsichtsfunktionen durch "regulatory agencies" . 49 Exemption 3 schließlich betrifft Unterlagen, die kraft Gesetzes zurückgehalten werden dürfen, sofern das Gesetz insoweit der Behörde keinen Spielraum läßt oder genaue Kriterien für die Geheimhaltung von Unterlagen enthält. 50 Der "7th circuit" war damit befaßt, ob § 103(b)(3) AEA diesen Anforderungen gerecht wird. 51 § 103(b)(3) AEA erlaubt der NRC, 45vg l.
425 U.S. 376.
46vg l.
z . B. Department of State v. Washington Post Co., 102 S.Ct. 1957,1959 ff.
47Exemption 8 und 9,5 U.S.C.A.§ 552(b)(8), (9); dazu Strau88 (1989),198. 48vgl.
Abbotta v. NRC, 766 F.2d 604, 607 f.
49vgl. zu 5 U.S.C.A.§ S52(b)(7) Koch (1990), § 11.6.(7). 505 U.S.C.A. § 552(b)(3): "matten specifically exempted by statute ... provided that such statute (A) requires that the matten be withheld from the public in such a manner as to leave no discretion on the issue, or (8) establishes particular criteria for withholding or refen to particular types of matten to be withheld. " 51 42
U.S.C.A.§ 2133(b)(3); General Electric v. NRC, 750 F.2d 1394,1401.
Vß. Die "Open Government Legislation"
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die von den Antragstellern in Genehmigungsverfahren vorgelegten Informationen ausschließlich für Zwecke der nationalen Verteidigung und Sicherheit sowie zum Schutz der Gesundheit und Sicherheit der Allgemeinheit zu verwenden. Das Gericht war der Ansicht, § 103(b)(3) AEA schütze das Eigentumsrecht, das wirtschaftliche Interesse, das dem Antragsteller als dem Erfinder eines neuen technischen Verfahrens zustehe. Damit reiche der Schutz dieser Vorschrift für Betriebsgeheimnisse nicht weiter als der von Exemption 4 des FOIA vermittelte. Als "Geheimhaltungsgesetz" i. S. v. Exemption 3 des FOIA wird dagegen § 147(a) AEA betrachtet, wonach Angaben über Vorkehrungen zum Schutz kerntechnischer Anlagen und Transporten bestrahlter Brennelemente vor Sabotage zurückzuhalten sind. 52 d) Rechtsschutifragen
aa) Strikte gerichtliche Kontrolle Gemäß 5 U.S.C.A. § 552(a)(4)(B) sind die United States District Courts, d. h. die Bundesgerichte erster Instanz, zuständig, den Behörden die Zurückhaltung von Unterlagen zu verbieten und die Freigabe zu Unrecht zurückgehaltener Unterlagen anzuordnen. Bemerkenswert ist, daß das Gericht eigenständig entscheidet ("de novo review"), ob die Ablehnung eines Antrags nach dem FOIA rechtmäßig war. Das Gericht ist ferner berechtigt, die Unterlagen bei Ausschluß auch der Parteiöffentlichkeit ("in camera") zu inspizieren, um festzustellen, ob eine der Ausnahmen des FOIA anwendbar ist. Wenn das Gericht zu dem Ergebnis gelangt, daß keine dieser Bestimmungen einschlägig ist, muß es die Freigabe der Unterlagen anordnen; insoweit steht dem Gericht oder der Behörde kein Spielraum ZU. 53 Die Behörde muß nachweisen, daß es rechtmäßig war, den Zugang zu den Unterlagen zu verweigern. Dabei kommt ihren" Affidavits" ,d. h. ihren eidlichen Erklärungen, wesentliches Gewicht zu. 54 Darin hat sie genau darzulegen, welche Abschnitte einer Unterlage offengelegt werden müssen und welche dem Schutz des 5 U.S.C.A. § 552(b) unterfallen. Wenn die verlangten Akten sehr umfangreich sind, kann diese Darlegung die Form eines Verzeichnisses erhalten, das für jeden Abschnitt des Dokuments die nach Meinung der Behörde einschlägige Ausnahme des FOIA angibt. Die Erklärung der Behörde muß hinreichend detailliert sein; eine bloße schlüssige Behauptung reicht nicht. 55 Enthält nur ein Teil der Unterlage geschützte Informationen, rechtfertigt dies nicht, das gesamte Dokument zurückzuhal5242 U.S.C.A.§ 2167(8); vgl. Virginia Sunshine Alliance v. NRC, 509 F.Supp. 863 f. 53vgl.Koch (1990), § 11.4.m.w.N. ~gl. Abbotts v. NRC, 766 F.2d 604, 606.
55vgl. Vaughn v. Rosen, 484 F.2d 820, 826 f.
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ten. Vielmehr müssen die nicht geschützten, vemÜDftigelWeise abtrennbaren Teile freigegeben werden, nachdem die geschützten Angaben gelöscht sind. Nur wenn geschützte und freizugebende Angaben untrennbar miteinander verbunden sind, darf die gesamte Unterlage zurückgehalten werden. 56 bb) "Umgekehrte" FOIA-Prozesse Als "umgekehrte" FOIA-Prozesse ("reverse FOIA suits") werden Gerichtsverfahren bezeichnet, die von den Personen angestrengt werden, von denen die Behörde Angaben erhalten hat, deren Freigabe gemäß dem FOIA beantragt wird. Dabei behaupten die Kläger regelmäßig, daß ihnen aus den Beschränkungen in 5 U.S.C.A. § 552(b) ein Recht auf Geheimhaltung zustehe. 57 Der Supreme Court hat dieser Auffassung allerdings eine deutliche Absage erteilt. SII Wortlaut, Aufbau und Entstehungsgeschichte des FOIA zeigten, daß die Behörden durch § 552(b) nur ermächtigt, aber nicht verpflichtet seien, ggf. den Zugang zu ihren Akten zu velWeigem. Denn § 552 (b) begrenze nur die Verpflichtung der Behörde, Akteneinsicht zu gewähren, schließe jedoch die Einsichtnahme nicht aus. Der Kongreß habe den Behörden in bestimmten Situationen die Befugnis geben wollen, die Vertraulichkeit zu gewährleisten, die dem Willen der Personen entspreche, von denen die Behörden Informationen erhalten. Dieses Geheimhaltungsinteresse werde aber nur insoweit geschützt, als die Behörde es sich zu eigen mache. Damit bleibt für die Personen, die der Behörde Informationen zur Verfügung stellen, nur die Möglichkeit, die Entscheidung der Behörde, ihre Akten freizugeben, gerichtlich auf "Mißbrauch des Handlungsspielraums" kontrolieren zu lassen. 59 In Executive Order No. 12600 ist den Bundesbehörden inzwischen ein Verfahren zum Schutz von "Betriebs- und Geschäftsgeheimnissen" vorgeschrieben. 60 Danach muß die Behörde Personen, von denen sie solche Geheimnisse mitgeteilt erhält, benachrichtigen, wenn ein Antrag auf Offenlegung gestellt wird. Der Inhaber des Geheimnisses erhält Gelegenheit zur Stellungnahme und ist ggf. darüber zu unterrichten, 56vgl. 5 U.S.C.A. § 552(b) a. E. und dazu EPA v. Mink, 410 U.S. 73, 92; ganz ähnlich Art 3 11 2 der EG-Umwelt-Informationsrichtlinie, wonach die Behörde die bei ihr vorhandenen Informationen auszugsweise zu übermitteln hat, sofern es möglich ist, die Informationen, die unter einen Ausnahmetatbestand fallen, auszusondern.
57zum
Begriff "reverse FOIA suit" vgl. Koch § 11.7.
SIIvgl. Chrysler Corp. v. Brown, 441 U.S. 281, 290 ff. 59"abuse of discretion", vgl. 5 U.S.C.A. § 706(2)(A) und dazu Koch (1990), § 11.7.a.E.; Strauss (1989),200. 6Ovgl.
52 F.R. 23781 (Iune 23,1981).
VU. Die "Open Government Legislation"
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weshalb die Behörde dem Antrag stattgegeben, sich also über die Bedenken des Geheimnisinhabers hinweggesetzt hat. Durch den Executive Order werden jedoch keine gerichtlich durchsetzbaren materiellen oder verfahrensmäßigen Rechtspositionen geschaffen. 61
2. Der Govemment in the Sunshine Act a) Öffentliche Sitzungen
Der Sunshine Act62 bestimmt, daß die Kollegialorgane, die an der Spitze der "independent regulatory agencies" stehen, ihre Sitzungen grundsätzlich öffentlich abhalten müssen. aa) Begriff der "Sitzung" Unter Sitzung ("agency meeting") versteht 10 C.F.R. § 9.101(a) die Beratungen des laut § 201 Energy Reorganization Act63 beschlußfähigen Quorums von drei Commissioners sowie einer Unterabteilung ("subdivision") davon, die ermächtigt ist, im Namen der Commission zu handeln. Gerichtlich entschieden wurde, daß der Sunshine Act nicht auf die Tätigkeit von ASLBs anwendbar ist. 64 Das Gebot der Öffentlichkeit gilt nur, wenn diese Gremien über amtliche Geschäfte der Commission beschließen, d. h. wenn in den Beratungen offizielle Maßnahmen der Behörden praktisch vorentschieden werden. 6S Dies ist der Fall, wenn die Beratungen hinreichend auf konkrete Voschläge gerichtet sind, so daß die beteiligten Mitglieder der Behördenleitung wahrscheinlich dazu veranlaßt werden, über vor den Behörde anhängige oder wahrscheinlich demnächst anhängige Gegenstände hinreichend feste Standpunkte einzunehmen. 66 Damit brauchen informelle Hintergrundgespräche, in denen Sachfragen herausgearbeitet und unterschiedliche Standpunkte beleuchtet werden, nicht öffentlich geführt zu werden.
61 so 625
U.S.C.A. § 552b; Ausfiihrungsbestinunungen der NRC in 10 C.F.R. Part 9 Subpart C.
6342 64s.
ausdriicldich dessen Section 10.
U .S.C.A. § 5841. Hunt v. NRC, 468 F.Supp. 817,820.
6Svgl.
FCC v.
rrr
World Conununications Inc. 466 U.S. 463,469 ff.
~gl. 466 U.S. 471; so nunmehr auch 10 C.F.R. § 9. 101(c).
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bb) Verfahren und gerichtliche Überprüfung So früh wie möglich vor einer Sitzung hat der Secretary of the Commission deren Zeit, Ort und Tagesordnung öffentlich bekannt zu machen, und zwar durch Auslegung im Public Document Room, durch Mitteilung an in einer besonderen Adressenliste aufgeführte Personen sowie durch eine Pressemitteilung an mindestens zwei im Raum Washington D.C. verbreitete Zeitungen. Die vorherige Ankündigung der Sitzung darf nur unterbleiben, wenn das Erfordernis, die nationale Verteidigung und Sicherheit oder die Gesundheit und Sicherheit der Allgemeinheit zu schützen, das Interesse an der rechtzeitigen Bekanntmachung der Sitzung überwiegt. 61 Nur wenn eine der Ausnahmen aus 5 U.S.C.A. § 552b(c) anwendbar ist, darf eine Sitzung nichtöffentlich stattfinden. Dies muß von der Behördenleitung zudem förmlich beschlossen werden. Die Entscheidung, eine Sitzung ganz oder in Abschnitten nichtöffentlich zu halten, muß außerdem noch begründet und veröffentlicht werden. 68 Unabhängig davon, ob die Sitzung öffentlich ist oder nicht, ist ein Wortprotokoll oder eine Tonbandaufzeichnung der Sitzung anzufertigen. Das Wortprotokoll einer öffentlichen Sitzung wird im Public Document Room ausgelegt. (ß Jedermann ("any person") kann eine Verletzung des Sunshine Act durch Klage vor dem United States Distriet Court angreifen. Die Behörde trägt die Last, ihre Maßnahme zu rechtfertigen. 1O Wenn die Behörde die Öffentlichkeit zu Unrecht ausgeschlossen hat, ordnet das Gericht in der Regel nur die Freigabe des Wortprotokolls an; die Verletzung des Sunshine Act läßt damit die in der Sitzung beschlossenen Maßnahmen nicht rechtswidrig werden. 11 Der Sunshine Act kann aber auch Grundlage dafür sein, bei Gericht die Zuziehung des Protokolls einer nichtöffentlichen Sitzung zu beantragen, um zu prüfen, ob eine Entscheidung der Behörde auf sachfremden Erwägungen beruht. Das Gericht wird einem solchen Antrag jedoch nur stattgeben, wenn der Antragsteller gewichtige Anhaltspunkte dafür glaubhaft macht, daß sachfremde Erwägungen eine Rolle gespielt haben. 72
61vgl.IO 68vgl.
C.F.R. § 9.107;5 U.S.C.A.§ 552b(e).
10 C.F.R. §§ 9.105(a), 9.108(a) zum Verfahren beim Ausschluß der Öffentlichkeit.
(ßzum Protokoll vgl. 5 U.S.C.A. § 552b(f); 10 C.F.R. § 9.108(b). 1Ovg1.5
U.S.C.A. § 552b(b).
11 vgl. z.
B. Common Cause v. NRC, 674 F.2d 921,939.
72"a strong showing of bad faith or improper behavior", s. San Luis Obispo Mothers for Peaee v. NRC, 751 F.2d 1287,1324 ff, aff'd en bane 789 F.2d 26, 44.
VD. Die "Open Govemment Legislation"
273
b) Einschränkungen des Öffentlichkeitsgrundsatzes
5 U.S.C.A. § SS2b(c) enthält zehn Ausnahmen, die die Behörden dazu berechtigen, die Öffentlichkeit von den Sitzungen auszuschließen. Diese Bestimmungen sind weitgehend identisch mit den Schranken des FOIA. Jeden Tagesordnungspunkt müssen die Behörden gesondert darauf überprüfen, ob die Öffentlichkeit ausgeschlossen werden darf. Wie beim FOIA sind die Ausnahmen eng auszulegen. Sie gestatten nicht, deshalb eine ganze Sitzung nichtöffentlich zu halten, w~il ein den Ausschluß der Öffentlichkeit rechtfertigendes Thema im Laufe einer Sitzung möglicherweise immer wieder angesprochen wird, die in erster Linie der Erörterung anderer, nicht geschützter Themen dient. Vielmehr müssen die Behörden alle zumutbaren Anstrengungen unternehmen, um öffentliche und nichtöffentliche Beratungen zu trennen. Nur wenn die Behörde trotz solcher Anstrengungen zeigen kann, daß diese Trennung eine zusammenhängende Diskussion verhindert, darf sie unter Umständen die gesamte Sitzung für nichtöffentlich erklären. 7J Gemäß § lO(d) FACA begrenzen die Ausnahmen des Sunshine Act auch den Zugang der Öffentlichkeit zu den Sitzungen von Beratungsgremien wie z. B. der ACRS. aa) Unterschiede zum FOIA Im Gegensatz zum FOIA unterliegen Informationen über die innerbehördliche Willensbildung dem Schutz des Sunshine Act nur insoweit, als es um die Vorbereitung von "adjudication" -Verfahren geht. 74 Beratungen der Behördenleitungen über "rulemaking" müssen nach dem Sunshine Act dagegen öffentlich sein. Einen weiteren Unterschied zum FOIA enthält 5 U.S.C.A. § SS2b(c)(9). Hiernach ist es gestattet, eine Sitzung nichtöffentlich zu halten, wenn die Zulassung der Offentlichkeit Informationen offenlegen würde, deren vorzeitiges Bekanntwerden wahrscheinlich die Durchführung einer geplanten Maßnahme der Behörde in wesentlichem Umfang vereiteln würde. Diese Bestimmung erlaubt der NRC insbesondere, Gutachten über Rechtsfragen und politische Bewertungen mit Einfluß auf bevorstehende Prozesse oder Verhandlungen zu schützen sowie vertrauliche Informationen, die ihr von Außenstehenden übermittelt wurden. 75 5 U.S.C.A. § SS2b(c)(9) erlaubt der Commission grundsätzlich nicht, deshalb unter Ausschluß der Öffentlichkeit über den Haushaltsentwurf der NRC zu
7Jvgl
Philadelphia Newspapers Inc. v. NRC, 727 F.2d 1195,1200 f.
74vgl. 5 U.S.C.A. § 552(b)(5) einerseits, § 552b(c)(l0) andererseits; dazu Strauss (1989), 164. 75vgl.
10 C.F.R. § 9.104(b).
18 Heitsch
B. Genehmigung kemtechnischer Anlagen in den USA
274
beraten, weil anläßlich dieser Beratungen konkrete Programme oder Maßnahmen der Behörde diskutiert werden könnten. 76 bb) Umgehung durch Umlaufverfahren Die Rspr. hat den Behörden gestattet, den Sunshine Act auf einfache Weise zu umgehen. Denn unabhängig davon, ob das betreffende Thema umstritten ist oder nicht, dürfen Behördenleitungen ein Umlaufverfahren durchführen, anstatt Sitzungen abzuhalten. n Der Sunshine Act verlange nämlich nicht, daß die Behördenleitungen ihre amtlichen Angelegenheiten stets in Sitzungen erledigen. Wenn sie sich allerdings für eine Sitzung entscheiden, muß diese grundsätzlich öffentlich sein. Bislang nicht geklärt ist, ob eine Behördenleitung eine in öffentlicher Sitzung gefällte Entscheidung anschließend unter Ausschluß der Öffentlichkeit im Umlaufverfahren ändern darf. 78
VIII. Gerichtliche Überprajung 1. Zulässigkeitsfragen In der Praxis besonders wichtig sind die Klagebefugnis ("standing"), 1 die Ausschöpfung aller verwaltungsinternen Rechtsbehelfe ("exhaustion") und die das Verfahren abschließende Wirkung ("finality")der Verwaltungsmaßnahme.
a) Ausschöpfung der verwaltungsinternen Rechtsbehelfe
Der Kläger kann grundsätzlich nur dann gerichtliche Überprüfung behördlicher Maßnahmen verlangen, wenn er vorher alle verfügbaren Rechtsbehelfe im Verwaltungsverfahren ausgeschöpft hat. 2 Nur wenn die Einhaltung dieser "exhaustion doctrine" dem Kläger einen schweren, nicht wiedergutzumachenden Nachteil bringen würde, kommt eine Ausnahme in Betracht. In Anwendung dieses Grundsatzes wägt der Supreme Court das 76Common Cause v. NRC, 674 F.2d 921, 936. nvgl.Railroad Commission ofTexas v. United States, 765 F.2d 221, 230; Common Cause v. NRC, 674 F.2d 921,935; Communications Systems Inc. v. FCC, 595 F.2d 797, 799 f. 788•
1s.
Thornas, 37 Adm. L. R. 267.
dazu o. S. 220 ff.
~gl. McKart v. United States, 395 U.S. 185; Baston Utilities Commission v. ABC, 424 F.2d 847,851 f; Nader v. NRC, 513 F.2d 1045,1054; s. a. Koch (1990), § 1O.24m. w. N.
Vill. Gerichtliche Überprüfung
275
Interesse des Klägers, daß ein Gericht sein Anliegen hört, gegen die Ziele der "exhaustion doctrine" ab. Für diesen Grundsatz der Ausschöpfung sprechen folgende Gesichtspunkte: Er hält davon ab, daß die Verwaltungsverfahren häufig und mit Absicht umgangen werden; er schützt die Autonomie der Behörde, indem er ihr Gelegenheit gibt, in erster Instanz, vor Einschaltung des Gerichts, ihren Sachverstand anzuwenden, ihren Einschätzungsspielraum auszunutzen und ihre eigenen Fehler zu korrigieren. Drittens erleichtert der Grundsatz der Ausschöpfung die gerichtliche Kontrolle, denn die Parteien und die Behörde können im Verwaltungsverfahren alle erheblichen Tatsachen zusariunentragen. Schließlich entlastet er die Gerichte, da die Behörde auf den verwaltungsinternen Rechtsbehelf hin eine zusätzliche Gelegenheit hat, Fehler in ihrer Entscheidung zu korrigieren. Eine wichtige Folge der "exhaustion doctrine" ist, daß vor Gericht nur Sachfragen vorgebracht werden können, die im Verwaltungsverfahren jedesmal dann angesprochen wurden, wenn nach der Verfahrensordnung der Behörde dazu Gelegenheit war. Nicht erforderlich ist allerdings, daß der Kläger selbst die Sachfragen angesprochen hat, solange nur die Behörde sie während des Verwaltungsverfahrens berücksichtigen konnte. 3 Damit wirkt die "exhaustion doctrine" ähnlich wie die materielle Präklusion verspäteter Einwendungen nach deutschem Recht. 4 Anders als diese ist sie jedoch nicht personen- sondern sachbezogen. Der Grundsatz der Ausschöpfung gilt auch innerhalb des behördeninternen Instanzenzugs. s b) Abschließende Wirkung der Maßnahme § 189(b) AEA6 unterwirft nur abschließende Entscheidungen der NRC einer gerichtlichen Überprüfung. In Genehmigungsverfahren ist das die Erteilung oder Versagung der Genehmigung selbst. Verfahrensleitende Entscheidungen und Beweisbeschlüsse sind grundsätzlich nicht selbständig angreifbar. Verfahrensfehler können in der Regel nur im Prozeß um die das Verfahren abschließende Entscheidung gerügt werden. 7 Ausnahmen hiervon haben die Gerichte nur für ganz extreme Fälle anerkannt, z. B. wenn die verfahrensleitende Verfügung als endgültige Entziehung der Rechte des Klägers zu bewerten wäre. 8 Beispiel dafür ist nach einem "ob3vgl. 48 •
NRDC v. EPA, 824 F.2d 1146,1151; Pierce (1985),195.
dazu o. S. 110 ff.
S8. z. B. Detroit Edison Co. (Fermi, Unit 2), 17 NRC 17,22 (1983) sowie Limerick Ecology Action v. NRC, 869 F.2d 719,751. 642
U.S.C.A. § 2239(b).
7vgl. Ecology Action v. AEC, 492 F.2d 998, 1001; Thermal Ecology Must Be Preserved v. AEC, 433 F.2d 524,526 .
Bvgl. Thermal Ecology, 433 F.2d 526.
276
B. Genehmigung kemtcchnischer Anlagen in den USA
iter dictum" eine Verfügung, mit der ein Antrag auf Zulassung als Partei des Verwaltungsverfahrens zurückgewiesen wird. 9 Eine verfahrensleitende Entscheidung soll auch dann selbständig angegriffen werden können, wenn sie ganz offensichtlich falsch und eindeutig bedenklich ist. 10 Funktionell entspricht das Prinzip der "finality· damit dem § 44a VwGO, wird jedoch weniger starr angewendet als dieser. 11
2. Kontrolldichte a) Vorbemerkung Case law entzieht sich seiner Natur nach einer Systematisierung. Dies macht sich besonders bemerkbar bei der großen Zahl z. T. widersprüchlicher gerichtlicher Äußerungen zur angemessenen Kontrolldichte. Der Verfasser der umfangreichsten Darstellung des "Administrative Law" faßt die Rspr. zu diesem Thema mit folgender, von einer gewissen Resignation zeugender Formulierung zusammen: ·Courts usually substitute judgment on the kind of questions of law that are within their special competence, but on other questions they limit themselves to deciding reasonableness; they do not clarify the meaning of reasonableness but retain full discretion in each case to stretch it in either direction .• 12 Wenn trotzdem im folgenden Grundsätze beschrieben werden, von denen die Gerichte sich bei der Überprüfung behördlicher Maßnahmen leiten lassen, geschieht dies im Bewußtsein, daß dadurch möglicherweise das Bild etwas verzerrt wird.
b) Gesetzliche Regelung § 189(b) AEA 13 verweist auf die Regelung der gerichtlichen Kontrolldichte im APA. 14 Diese Vorschrift soll hier in wörtlicher Übersetzung wiedergegeben werden: • § 706 Umfang der Kontrolle
9vgl. Thermal
Ecology, 433 F.2d 526.
10vgl.
Ecology Action, 492 F .2d 1001; ebenso Ohio Citizens for Responsible Energy v. NRC, 803 F.2d 258, 260. ll zu
§ 44 VwGO
8.
o. S. 100 ff.
Ilygl. Davis (1978), Volume 5,332. 1342 145
U.S.C.A.§ 2289(b).
U.S.C.A.§ 706.
Vill. Gerichtliche Überprüfung
277
Soweit für die Entscheidung nötig und sofern von den Parteien vorgebracht, hat das Gericht alle relevanten Rechtsfragen zu entscheiden, Bestimmungen der Verfassung und der Gesetze auszulegen und über die Bedeutung und die Anwendbarkeit einer behördlichen Maßnahme zu befinden. Das Gericht hat (1) eine zu Unrecht verweigerte oder unangemessen verzögerte behördliche Maßnahme zu erzwingen; und (2) Maßnahmen, Feststellungen und Schlußfolgerungen einer Behörde für rechtswidrig zu erklären und aufzuheben, wenn es feststellt, daß sie (A) willkürlich, unberechenbar, ein Mißbrauch des Entscheidungsspielraums oder sonst nicht in Übereinstimmung mit dem Recht sind; (B) in Widerspruch zu einem verfassungsmäßigen Recht, einer Befugnis, einem Vorrecht oder einer Immunität stehen; (C) die gesetzliche Zuständigkeit, Ermächtigung oder Begrenzung überschreiten oder hinter einem gesetzlichen Recht zurückbleiben; (D) ohne Einhaltung des rechtlich geforderten Verfahrens zustandegekommen sind;
(E) sich nicht auf hinreichende Anhaltspunkte in der Akte stützen, falls 5 U.S.C.A. §§ 556,557 anwendbar sind oder sonst die gerichtliche Kontrolle aufgrund der Akte einer gesetzlich vorgeschriebenen Anhörung stattfindet; oder (F) nicht durch die Tatsachen veranlaßt sind, sofern das Gericht die Tatsachen eigenständig ermittelt. Wenn es die vorgenannten Feststellungen trifft, hat das Gericht die gesamte Akte oder die Teile davon, auf die sich eine Partei beruft, zu überprüfen; und dem Grundsatz des nicht nachteiligen Fehlers ist angemessen Rechnung zu tragen .• Absatz (2) ~richt drei unterschiedliche Gegenstände der gerichtlichen Kontrolle an. I Aus den Sätzen (E), (F) und (A) lassen sich drei unterschiedliche Prüfungsmaßstäbe für behördliche Tatsachenfeststellungen entnehmen. Sätze (B), (C) und (D) betreffen die .Berichtliche Entscheidung von Rechtsfragen. Satz (A) regelt ferner die Uberprüfung behördlicher Werturteile oder Abschätzungen. Bei der folgenden Darstellung der gerichtlichen Kontrollpraxis wird nach den drei Prüfungsgegenständen differenziert.
1580 auch Strau88 (1989), 244.
278
B. Genehmigung kemtechnischer Anlagen in den USA
aa) Tatsachenfeststellungen (1) Eigenständige Ermittlung der Tatsachen Nur wenn es gesetzlich angeordnet ist, darf das Gericht die Tatsachen i. S. v. § 706(2)(F) eigenständig ermitteln ("de novo review"). Diese Art der gerichtlichen Uberprüfung ist z. B. im FOIA vorgeschrieben. 16 Bei "de novo review" ist das Gericht in keiner Weise an behördliche Tatsachenfeststellungen gebunden. (2) "Hinreichende Anhaltspunkte" Wenn Tatsachenfeststellungen in einem formellen Verfahren ("formal/on the record proceeding") getroffen sind, muß das Gericht sie bestätigen, wenn sie auf "hinreichenden Anhaltspunkten" in der Akte beruhen. 17 "Hinreichende" Anhaltspunkte sind nach einer oft gebrauchten Formel des Supreme Court l8 solche, die besonnene Menschen ("reasonable minds") für ausreichend halten, um eine Schlußfolgerung zu rechtfertigen. Die Tatsache, daß sich aus den Anhaltspunkten zwei einander widersprechende Schlüsse ziehen lassen, hindert nicht, daß eine behördliche Feststellung auf "hinreichenden" Anhaltspunkten beruht, sofern sie sich innerhalb der durch die Anhaltspunkte vorgegebenen "Bandbreite" hält. 19 Das Gericht muß die Akte als ganze berücksichtigen und die Anhaltspunkte, die für und gegen die Schlußfolgerungen der Behörde sprechen, abwägen; es darf aber nicht die Beweiswürdigung wiederholen oder die Bewertung der Behörde durch seine eigene ersetzen. 20 Deshalb können die Kläger im Prozeß nicht geltend machen, daß Feststellungen der NRC nicht auf "hinreichenden" Anhaltspunkten beruhen, indem sie nur auf die Anhaltspunkte hinweisen, die gegen die Feststellungen sprechen, während sie die zugunsten der Feststellungen wiegenden Anhaltspunkte außer Acht lassen. 21
16S • o. S. 269. 17"supported by substantial evidence", 5 U.S.C.A. § 706(2)(E); übemolt Schwab, UPR 1987, 97, wonach Tataachenfeststellungen grundsätzlich der gerichtlichen Kontrolle entzogen seien. 18s. z. B. Richardson v. Perales, 402 U.S. 389,401; Quivira Mining Co. v. EPA, 765 F.2d 126,128. 19"zone of choice"; vgl. Quivira Mining Co. v. EPA, 765 F.2d 126, Bland v. Bowen, 861 F.2d 533,535. 2Ovgl. Winans v. Bowen, 853 F.2d 643,647; vgl. auch Farrel v. Sullivan, 878 F.2d 985,989; Sierra Club v. NRC, 862 F.2d 222, 230; Limerick Ecology Action v. NRC, 869 F.2d 719,753.
21 90 ausdrücklich Carstens v. NRC, 742 F.2d 1546,1557.
vm.
Gerichtliche Überprüfung
279
(3) "Willkürlich und unberechenbar" Behördliche Tatsachenfeststellungen aus einem informellen Verfahren ("informal proceeding") unterliegen der Kontrolle, ob sie "willkürlich und unberechenbar"22 sind. Das Gericht darf dabei seine Bewertung nicht an die Stelle der von der Behörde angestellten setzen. Die Feststellungen der Behörde sind zu bestätigen, wenn eine rationale Verbindung zwischen ihnen und dem der Behörde vorliegenden Material erkennbar ist. 23 Grundlage der gerichtlichen Kontrolle ist dabei die bereits bestehende, von der Behörde angelegte Akte, d. h. die im Verwaltungsverfahren erarbeitete Begründung der Entscheidung. 24 Die Behörde kann eine unzureichende Begründung nicht in der Gerichtsverhandlung ergänzen. 2S Willkürlich kann insbesondere die Art und Weise sein, in der die Behörde die Tatsachen ermittelt. Fehlerhafte Meß- und Untersuchungsmethoden z. B. können Anhaltspunkte dafür sein, daß die Ermittlungen bei der Festsetzung umweltrechtlicher Standards nicht den Anforderungen genügen. 26 Ob in der Praxis noch ein Unterschied zwischen dem "arbitrary and capricious"- und dem "substantial evidence"-Maßstab besteht, ist zweifelhaft,27 soll hier aber offen bleiben. Entscheidend ist, daß die gerichtliche Überprüfung behördlicher Tatsachenfeststellungen bereits vom Wortlaut des Gesetzes her stark eingeschränkt ist. (4) Weitere Abstufung bei der Anwendung der Prüfungsmaßstäbe
Je nachdem, ob "Iegislative"oder "adjudicative facts" zu untersuchen sind, wenden die Gerichte den "arbitrary and capricious" - und den "substantial evidence"-Maßstab unterschiedlich streng an. 2B "Adjudicative facts" beziehen
22"arbitrary and capricious", 5 V .S.C.A. § 706(2)(A). 23vgl. Citizens to Preserve Overton Park v. Volpe, 401 V.S. 402,416; Bowrnan Transportation v. Arkansas Best Freight System, 419 V.S. 281,285 f; Seatrain International v. FMC, 598 F.2d 289,292. 24vgl.
Camp v. Pitts, 411 V.S. 138,142 f.
2Svgl.
Citizens to Preserve Overton Park v. Volpe, 401 V.S. 402,419.
26vgl.
South Temünal Corp. v. EPA, 504 F.2d 646,662 ff.
27vgl. Koch (1990), § 9.6. einerseits; Association of Dats Processing Services v. Board of Govemors, 745 F. 2d 677,684, sowie Jarass, DöV 1985,386 andererseits; charakteristisch für die amerikanische Literatur Davis, Vol. 5,356: "Tbe best response to this question might be that quibbling about it shou1d be avoided because whatever the technical answer , the courts will go on substituting judgment on the kind of questions of law that are within their special competence and using a reasonableness test on other questions. " 2BvgI.Koch, § 9.16.m. w.N.
280
B. Genehmigung kemtechnischer Anlagen in den USA
sich auf die unmittelbaren Parteien eines Verfahrens, dazu zählen z. B. die Antworten auf die Fragen "wer hat was, wo, wann, wie und mit welchen Motiven und Absichten getan." Dagegen sind "legislative facts" allgemeiner Natur; sie sind unabhängig von den unmittelbaren Parteien eines Verfahrens und bilden die Grundlage für politische Wertentscheidungen der Behörden. Die Grenze zwischen den beiden Typen ist fließend. Bei der Kontrolle von "legislative facts" sind die Gerichte zurückhaltender als dann, wenn es um "adjudicative facts" geht. bb) Rechtsfragen Der Eingangssatz von 5 U.S.C.A. § 706 und die Sätze (B), (C) und (D) des Absatzes (2) deuten darauf hin, daß die Gerichte über alle Rechtsfragen eigenständig entscheiden sollen, ohne die Rechtsauffassungen der Behörde berücksichtigen zu müssen. Dies würde auch der Grundsatzentscheidung des Supreme Court zur - in der Verfassung nicht geregelten gerichtlichen Prüfungsbefugnis entsprechen. Darin hat der Supreme Court erklärt, daß es "ausdrücklich Befugnis und Pflicht der richterlichen Gewalt ist festzustellen, was das Recht ist. "29 10 der Praxis messen die Gerichte den Rechtsauffassungen der Behörden jedoch oftmals erhebliches Gewicht bei. JO Im "Administrative law" sind Rechtsfragen fast ausschließlich Probleme der Gesetzesauslegung. Die Gerichte stellen dabei auf Wortlaut und Systematik einer Bestimmung ab, v. a. jedoch auf ihre Entstehungsgeschichte: Wenn vom Wortlaut und der Systematik her mehrere Bedeutungen möglich sind, wird sich das Gericht für diejenige entscheiden, die dem vom Kongreß verfolgten Zweck des Gesetzes am ehesten entspricht. 31 Dabei bleiben Rechtsauffassungen der Behörden in der Regel außer Betracht, wenn die einschlägige Rechtsfrage über den Verantwortungsbereich einer einzelnen Behörde hinausgeht. Die Gerichte entscheiden z. B. eigenständig, ob ein Gesetz oder seine Auslegung im Einzelfall verfassungsmäßig ist, oder wie ein Gesetz zu verstehen ist, das die Tätigkeit mehrerer Behörden regelt und für das nicht eine besondere Fachbehörde allein zuständig ist. 32 Für die Auslegung eines Fachgesetzes durch die zuständige Fachbehörde spricht jedoch häufig die Vermutung der Richtigkeit. Denn die Behörde ist vom Kongreß eigens mit der Umsetzung gerade dieses Gesetzes betraut worden
29vgl. Marbury v. Madison, 1 U.S. 368, 389: "it ia emphatically the province and duty of the judicial department to say what the law is."
JOvgl. Koch (1990), § 9. 18; Strauss (1989),249 ff je m. w. N. 31 vg l. Strauss (1989), 251 f. 32ygl. Strauss (1989), 257.
vm. Gerichtliche Überprüfung
281
und verfügt über besonderen Sachverstand. 33 Immer behalten sich die Gerichte allerdings die Möglichkeit vor festzustellen, welche Möglichkeiten der Bedeutung Wortlaut, Systematik und Entstehungsgeschichte eines Gesetzes eröffnen. Nur wenn es darum geht, eine der möglichen Bedeutungen auszuwählen, wird ggf. die Rechtsauffassung der Behörde berücksichtigt. Anders ausgedrückt: Die Behörde kann sich für eine der möglichen Bedeutungen eines Gesetzes entscheiden; das Gericht gibt jedoch vor, welche Bedeutungen möglich sind. J.4 Diese Funktionsverteilung wird besonders deutlich in "Chevron USA v. NRDC. "35 Gegenstand der Entscheidung war die Einführung des sog. "bubble concept" durch die EPA. Ursprünglich hatte die EPA jede einzelne Emissionsquelle in einer Anlage als "stationary source" i. S. d. Clean Air Act angesehen. Für die Inbetriebnahme oder die Änderung einer solchen "source" gelten strenge Voraussetzungen. 1981 verabschiedete die EPA jedoch neue "rules" , nach denen eine Anlage mit mehreren Emissionsquellen eine einzige "stationary source" bildet. Danach kann innerhalb einer Anlage eine einzelne Emissionsquelle neu in Betrieb genommen oder geändert werden, ohne daß sie dabei die rechtlichen Voraussetzungen erfüllen muß, solange nur die Änderung die Gesamtemissionen aus der Anlage nicht erhöht. Der Supreme Court entschied eigenständig, daß dieses neue Konzept für die Emissionsbegrenzung vom Wortlaut und der Entstehungsgeschichte des Gesetzes her weder vorgeschrieben noch ausgeschlossen war, sondern eine von mehreren Möglichkeiten bildete. 36 Nachdem das Gericht dieses Ergebnis gefunden hatte, bestätigte es die von der EP A getroffene Wahl. ce) Politisch-wertende Entscheidungen Politisch-wertende Entscheidungen ("policy decisions, judgment, exercise of discretion") der Behörden haben stärkere gesamtgesellschaftliche Auswirkungen als einfache einzelfallbezogene Tatsachenfeststellungen. Sie gehören jedoch in den Verantwortungsbereich der Behörde und berühren nicht die allgemeinen Rechtsfragen, die eindeutig den Gerichten zur Entscheidung zugewiesen sind. Bei der Kontrolle solcher wertender Entscheidungen haben die Gerichte einerseits zu beachten, daß die Behörden, nicht sie selbst, kraft besonderen Fachgesetzes ermächtigt sind, politische Werturteile zu rallen. Andererseits wird der Entscheidungsspielraum der Behör-
33yg l. Strauss
34zu
(1989), 250.
dieser Funktionsverteilung Strauss, (1989), 259 f.
35467
U.S. 837.
36ygl.
467 U.S., 842 f, 865 f.
282
B. Genehmigung kemtechnischer Anlagen in den USA
den begrenzt durch Verfahrensbestimmungen und materielles Recht, sowie durch die Forderung der Öffentlichkeit nach Rationalität und Offenheit der Entscheidung. Die Gerichte müssen sicherstellen, daß die Behörden diese Grenzen einhalten. 37 Welche Grundsätze bei der Kontrolle politisch-wertender Entscheidungen gelten, hat der Supreme Court in "Citizens to Preserve Overton Park v. Volpe"3I! entwickelt. Zu prüfen war, ob der Verkehrsminister zu Recht Finanzhilfen des Bundes für den Bau einer Schnellstraße bewilligt hatte, deren geplante Trasse quer durch einen öffentlichen Park führen sollte. Nach dem einschlägigen Gesetz war er hierzu nur ermächtigt, wenn keine machbare und wohlüberlegte Alternative ("feasible and prudent alternative") vorhanden war. Der Supreme Court umriß zunächst das Spannungsverhältnis, mit dem die Gerichte konfrontiert sind, wenn sie politischwertende Entscheidungen nachprüfen: "Sicherlich hat die Maßnahme des Ministers Anrecht auf eine Vermutung ihrer Rechtmäßigkeit. Diese Vermutung soll sie jedoch nicht vor einer eingehenden, forschenden und sorgfältigen Kontrolle bewahren." Sodann stellte der Supreme Court folgende Vorgaben auf: Zunächst müsse das Gericht feststellen, ob die Behörde im Rahmen ihrer Ermächtigung gehandelt habe. Dazu habe das Gericht den Umfang der Ermächtigung und den Handlungsspielraum zu ermitteln, d. h. welche Bandbreite der Wahlmöglichkeiten der Kongreß der Behörde eröffnet habe. Auf dieser ersten Stufe müsse ferner geprüft werden, ob es nach dem Sachverhalt vertretbar ist, daß die Maßnahme der Behörde innerhalb der Bandbreite liegt. Zweitens müsse das Gericht feststellen, daß die tatsächlich von der Behörde getroffene Entscheidung nicht "willkürlich, unberechenbar, ein Mißbrauch des Entscheidungsspielraums oder sonst nicht in Übereinstimmung mit dem Recht" ist. Hierzu müsse das Gericht prüfen, ob die Entscheidung auf einer Betrachtung der wesentlichen Umstände beruhe und ob kein eindeutiger Bewertungsirrtum vorliege. Das schließt die Frage ein, ob die Behörde sich vielleicht von sachfremden Erwägungen hat leiten lassen. 39 Obwohl diese Untersuchung sorgfältig und forschend sein solle, sei der Prüfungsmaßstab letztlich eng. Das Gericht sei nicht befugt, seine Bewertung an die Stelle derjenigen der Behörde zu setzen. Drittens habe das Gericht zu untersuchen, ob die Maßnahme der Behörde den notwendigen verfahrensrechtlichen Anforderungen gerecht werde.
37ZU diesem Dilemma Strauss
3I!401
(1989), 261; Koch, § 9.17.
U .S. 402,415 ff; vgl. dazu Strauss
3geben80 Strau88
(1989),263.
(1989),262 f.
VID. Gerichtliche Überprüfung
283
Diese Ausführungen lassen den Untergerichten einen beträchtlichen Spielraum, den diese auch voll ausgeschöpft haben. 40 Wenn eine politisch-wertende Entscheidung ohne Begründung von der bisher für gleichartige Fälle üblichen Praxis der Behörde abweicht, wird die Verwaltungsmaßnahme in der Regel aufgehoben. dd) Rechtsschutz gegen Verfahrensfehler Die zur "Due Process Clause" der Verfassung entwickelten Grundsätze prägen auch außerhalb ihres direkten Anwendungsbereichs die gerichtliche Prüfung von Verfahrensfehlern. Das Interesse daran, von denkbaren Gefährdungen durch kerntechnische Anlagen verschont zu bleiben, ist z. B. nicht durch die "Due Process Clause" geschützt. Trotzdem kehren die im Anwendungsbereich der "Due Process Clause" geltenden Regeln in der Rspr. zu Verfahrensfehlern der Atombehörden wieder. Vor allem wägen die Gerichte auch im Atomrecht ab zwischen der Aussicht, daß die korrekte Durchführung des Verfahrens zu einem anderen, vermutlich richtigen Ergebnis führt, und dem mit der Durchführung des vorgeschriebenen Verfahrens verbundenen Aufwand. In einem Urteil des "D.C. circuit" z. B. wurde den Klägern zwar bestätigt, daß die NRC ihnen zu Unrecht eine mündliche Verhandlung über bestimmte Fragen der Qualitätssicherung bei Errichtung des Kernkraftwerks DiabIo Canyon verweigert hatte. Diese Verhandlung nachzuholen, erschien dem Gericht jedoch im konkreten Fall nicht geboten. Denn die Kläger hätten sich ggf. nur auf Beweismittel stützen können, die die NRC in einem anderen Verfahrensabschnitt zu Recht zurück~ewiesen hatte, da sie nicht zu einem anderen Ergebnis geführt hätten. I ee) Der Grundsatz des nicht nachteiligen Fehlers Wenn die Gerichte Maßnahmen der Behörden prüfen, haben sie dem Grundsatz des nicht nachteiligen Fehlers angemessen Rechnung zu tragen. 42 Nach dieser Regel darf eine rechtswidrige behördliche Entscheidung dann ausnahmsweise nicht aufgehoben werden, wenn der Mangel eindeutig keine Auswirkung auf das angewendete Verfahren oder den Inhalt der Entschei-
40zu den unterschiedlichen Deutungen von "Overton Park" durch die Courts of Appeals z. B. Koch, § 9.6. 41 vgl. San Luis Obispo Mothers for Peace v. NRC, 751 F.2d 1287,1316 f; zur Abwägung nach der "Due Process Clause" s. Mathews v. Eldridge, 424 V.S. 319.
42sog.
"rule of nonprejudicial error", 5 V .S.C.A. § 706
I.
E.
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dung hatte. Damit der Grundsatz des nicht nachteiligen Fehlers eingreifen kann, muß eindeutig sein, daß der Kläger keinen Nachteil hatte. 43 c) Besondere Zurackhaltung der Gerichte gegenaberden AtombeMrden Von Beginn der Nutzung der Kernenergie zu friedlichen Zwecken an haben die amerikanischen Gerichte der AEC und später der NRC einen besonders großen Spielraum zugestanden. Dies gilt sowohl hinsichtlich der Interpretation des AEA durch die Behörden als auch hinsichtlich Tatsachenfeststellungen. aa) "Power Reactor Development Co." als Präzedenzfall "Power Reactor Development Co. v. Int'1. Union of Electrical, Radio, and Machine Workers"44 ist von den Courts of Appeals bis in jüngste Zeit als Aufforderung verstanden worden, Rechtsauffassun.§en der AEC oder NRC mit besonders großer Zurückhaltung zu behaneln. In zahlreichen Urteilen wird unter ausdrücklicher Berufung auf "Power Reactor" ausgeführt, daß das AEA "in praktisch einzigartigem Umfang einen breiten Verantwortungsbereich auf die zuständige Behörde übertragen hat, die frei von engen Vorschriften in ihrem Fachgesetz darüber ist, wie sie bei der Umsetzung der gesetzlichen Ziele vorgehen soll. "46 Ausgehend von dieser Feststellung haben die Courts of Appeals die Auslegung, die die Atombehörden dem AEA und ihren eigenen "rules" beigelegt haben, in den meisten Fällen bestätigt. Wenn die Auslegung jedoch "der klaren Bedeutung der Bestimmung Gewalt antut", findet die richterliche Zurückhaltung ihre Grenzen. 47 Der Supreme Court hat in "Power Reactor" nicht unberücksichtigt gelassen, daß es sich dort nur um eine Errichtungsgenehmigung handelte, und daß es in diesem frühen Verfahrensstadium noch unsicher war, ob die vom 43vgl. 358.
u.s. Steel
corp. v. EPA, 595 F.2d 207,215; Buschmann v. Schweiker, 676 F.2d 352,
~67 U.S. 396, dazu o. S. 251. 4Sso auch Yellin, 94 Harv.L.Rev. 515; Note, 21 New EngI.L. Rev. 110; Siegel, 11 Harv. Envtl. L.Rev. 362.
~e AEA "is virtually unique in the degree to which broad responsibility is reposed in the administering agency, free of close prescription in its charter as to how it shall proceed in achieving the ststutory objectives", vgl. z. B. Siegel v. ABC, 400 F.2d 778,783; North Anna Environmentsi Coalition v. NRC, 533 F.2d 655, 662; Union of Concemed Scientists v. ABC, 499 F.2d 1069,1079 f; Carstens v. NRC, 742 F.2d 1546,1551; San Luis Obispo Mothers for Peace v. NRC, 751 F.2d 1287,1294; Union of Concemed Scientists v. NRC, 920 F.2d 50,54. 47s. z. B. GUARD v. NRC, 753 F.2d 1144,1147 f; Union of Concerned Scientists v. NRC, 711 F.2d 370,381.
Vill. Gerichtliche Überprüfung
285
Kläger befürchteten Risiken jemals Wirklichkeit werden. 48 Deshalb ist es wohl nicht recht angebracht, die von "Power Reactor" geforderte gerichtliche Zurückhaltung auch in Verfahren um Betriebsgenehmigungen zu zeigen, wo es ja um die unmittelbare Schaffung von Risiken geht. 49 Dennoch wird der NRC auch, wenn Betriebsgenehmigungen umstritten sind, sehr viel Freiraum gewährt, wobei die Gerichte ausdrücklich auf "Power Reactor" Bezug nehmen. 50 In manchen Urteilen haben die Courts of Appeals, dem Supreme Court folgend, auch daraus, daß der Kongreß oder das JCAE eine bestimmte Praxis der NRC ohne Beanstandung hingenommen hat, eine Billigung dieser Praxis durch die Legislative gefolgert. 51 Ein solcher Schluß ist jedoch keineswegs zwingend. Denn daß der Kongreß z. B. auf bestimmte Verfahrensgestaltungen einer Behörde nicht reagiert, kann u. a. auch an mangelnder Aufmerksamkeit des Parlaments liegen, 52 oder daran, daß das Problem politisch so umstritten ist, daß kein Kompromiß zwischen der Parlamentsmehrheit und dem von der Parlamentsminderheit gestellten Präsidenten zustandekommt. Da der Kongreß und der Präsident bei der Gesetzgebung mitwirken, führt letzteres dazu, daß das betreffende Problem nicht im Wege der Gesetzgebung gelöst werden kann. Aus der Untätigkeit des JCAE auf die Billigung von Maßnahmen der AEC zu schließen, erweist sich in der Rückschau als problematisch. Denn die AEC und das JCAE waren sich einig darüber, daß die Kernkraftnutzung notwendig, wünschenswert und hinreichend sicher sei. Deshalb haben sie sich gemeinsam bemüht, eine Offenlegung der Risiken zu vermeiden, um die Öffentlichkeit nicht zu beunruhigen und die Opposition gegen die Kernkraft nicht zu Wort kommen zu lassen. Dies gelang, da das JCAE ein funktionell vom Kongreß als ganzem unabhängiges Machtzentrum bildete, das die Diskussion über Fragen der Kernenergienutzung im Kongreß kontrollierte. Dadurch war es den Gegnern der Kernkraft unmöglich, ihre Bedenken im politischen Bereich geltend zu machen. 53 Diese "Symbiose· zwischen der Atombehörde und dem JCAE war ein Grund für die Neuorganisation von 1974/1977.
48vg l. 367 4gebenso
U.S. 414 f. Yellin, 94 Harv.L.Rev. 516.
5Ovgl. Nader v. NRC, 513 F.2d 1045,1055; Citizens for Safe Power v. NRC, 524 F.2d 1291, 1297. 51 vgl. z.
B. BPI v. ABC, 502 F.2d 424.
52so auch Strauss (1989),254; gegen voreilige Schlüsse aus der Untätigkeit des Kongresses auch Tribe (1985),29 ff,36. 53vg l.
dazu Green, 15 Wrn. and M.L.Rev.507.
286
B. Genehmigung kemtechnischer Anlagen in den USA
bb) Zurückhaltung gegenüber "Tatsachenfeststellungen" der NRC "Tatsachenfeststellungen" sind im Umweltrecht oftmals Abschätzungen oder Bewertungen auf unsicherer oder unvollständiger Erkenntnisgrundlage. Was das Atomrecht angeht, hat der Supreme Court in "Baitimore Gas and Electric Co. v. NRDC"54 die Untergerichte dazu angehalten, bei der Kontrolle solcher Bewertungen den Behörden besonders viel Freiraum zu lassen. Gegenstand des Urteils war eine "rule" der NRC, wonach die ASLBs anzunehmen haben, daß die Endlagerung bestimmter radioaktiver Abfälle keine wesentlichen Umweltauswirkungen i. S. d. NEPA haben wird und daher keinen Einfluß auf die Entscheidung über einzelne Genehmigungen haben soll. Zu diesem Ergebnis war die NRC gelangt, obwohl noch kein Standort für ein Endlager verfügbar war. Außerdem war die Annahme der NRC, daß in absehbarer Zeit geeignete Endlagerungstechniken entwickelt werden und aus dem Endlager nach dessen Verschluß keine Radioaktivität freigesetzt wird, mit erheblichen Unsicherheiten behaftet. Der Supreme Court hat diese Annahmen als "Vorhersagen an der Grenze der Wissenschaft" charakterisiert. Wenn das Gericht diese Art von Vorhersagen überprüfe, müsse es, anders als bei einfachen Tatsachenfeststellungen, ganz besonders zurückhaltend ("at its most deferential") sein. Dafür spricht, daß die über ein hohes Maß an eigenem Sachverstand verfügende Fachbehörde besser als das aus Generalisten bestehende Gericht dafür ausgerüstet ist, naturwissenschaftliche Untersuchungen durchzuführen und deren Ergebnisse zu bewerten. Auch ist die stärkerer politischer Kontrolle unterliegende Behörde eher für diese Art politischer Wertentscheidung zuständig als die Gerichte. 55 Allerdings beruht die Forderung nach einer besonders reduzierten Kontrolldichte für wissenschaftliche Abschätzungen auf einem unzutreffenden Präzedenzfall. 56 Der Supreme COUlt berief sich nämlich auf ein Urteil, in dem ein Grenzwert für die Benzolkonzentration in der Luft am Arbeitsplatz zur Überprüfung anstand. 57 Dort war die Annahme der Behörde, daß eine Benzolkonzentration von 10 ppm zur Entstehung von Leukämie beiträgt und die Anzahl der Erkrankungen verringert werden kann, wenn der Grenzwert auf 1 ppm reduziert wird, gerade nicht auf richterliche Zurückhaltung gestoßen. Die Tatsache, daß die Ansicht der Behörde auf unsicherer Erkenntnisgrundlage stand, hatte den Supreme Court im Gegenteil eher dazu veranlaßt, den Benzolgrenzwert besonders genau zu überprüfen. 58
54462 U.S. 87, 103. 55eben80 Pierce (1985),367. 56vg l. Siegel,
11 Harv. Envtl. L. Rev. 354 ff.
57Industrial Union Department v. American Petroleum Institute, 448 U.S. 607. 58vgl.
Siegel, 11 Harv. Envtl. L. Rev. 354.
vm. Gerichtliche
Überprüfung
287
Aus mehreren Gerichtsentscheidungen zum Atomrecht, die nach "Baltimore Gas" ergangen sind, ergibt sich, daß die Courts of Appeals die Aufforderung des Supreme Court beherzigen und atomrechtliche Verwaltungsmaßnahmen sehr zurückhaltend überprüfen. Die Feststellung der NRC, daß das Sabotagerisiko nicht im EIS erörtert werden muß, weil es mit probabilistischen Methoden nicht quantifizierbar, mithin nicht sinnvoll zu analysieren sei, wurde z. B. unter ausdrücklicher Berufung auf "Baltimore Gas" bestätigt. S9 Präzedenzfälle erlaubten zwar, Umweltauswirkungen nicht zu berücksichtigen, die "fernliegend sind und in hohem Ausmaß auf Spekulationen beruhen ("remote and highly speculativeR); allerdings war dies nirgendwo mit "nicht quantifizierbar" gleichgesetzt. 60 Die Erlaubnis, das seinerzeit nicht vom Unfall betroffene Kernkraftwerk Three Mile Island 1 wieder in Betrieb zu nehmen, wurde von der NRC nicht als Änderungsgenehmigung i. S. d< AEA angesehen. Die NRC hatte zwar der Betriebsgenehmigung für die Anlage 155 Bedingungen beigefügt und im Prozeß eingeräumt, daß die Genehmigung "geändert" sei. 61 Das Gericht bestätigte jedoch unter Berufung auf "Baitimore Gas" und den "einzigartig breiten Spielraum" der NRC deren Auffassung, die Erlaubnis zum Wiederanfahren sei keine Änderungsgenehmigung nach § 189(a) AEA. 62 Deshalb war die NRC nicht gesetzlich verpflichtet, ein förmliches Verfahren durchzuführen. Gerade die letztgenannte Entscheidung hat die Kritik des amerikanischen Schrifttums herausgefordert. Haupteinwand ist, daß "Baltimore Gas" die Courts of Appeals dazu verleiten kann, Maßnahmen der NRC nur höchst oberflächlich zu kontrollieren. Auch wenn die NRC über mehr Sachverstand verfüge als die Gerichte, sollten die Gerichte doch die Anwendung dieses Sachverstands wirksam überprüfen; nur unter dieser Voraussetzung könne das amerikanische System der Aufgabenverteilung zwischen Kongreß, Fachbehörden und Gerichten tatsächlich funktionieren. Wenn die Gerichte dagegen entsprechend dem Vorbild von "Baitimore Gas" fachliche Entscheidungen der Behörden automatisch bestätigten, bestehe die Gefahr, daß die Behörden wichtige und umstrittene politisch-wertende Entscheidungen als mit Unsicherheiten behaftete Vorhersagen bezeichneten und sie dadurch einer wirksamen gerichtlichen Kontrolle entzögen. 63
S9vg J. Limerick Ecology Action v. NRC, 869 F.2d 719,743; sehr zurückhaltend auch San Luis Obispo Mothers for Peace v. NRC, 751 F.2d 1287,1308; Carstens v. NRC, 742 F.2d 1546,1548,1551,1557. 6OvgJ.
Limerick Ecology Action, 869 F.2d 754 ff (dissenting opinion).
61 vg J. Three
6242
Mile bland Alert v. NRC, 771 F.2d 720, 742 (dissenting opinion).
U.S.C.A.§ 2239(a); vgl. Three Mile Island Alert, 771 F.2d 727 ff.
63vgl.
Siegel, 11 Harv. Envtl. L. Rev. 379 f; Yellin, 92 Yale L. I. 1322 f.
288
B. Genehmigung kemtechnischer Anlagen in den USA
Hiermit ist die Darstellung des amerikanischen Atomrechts abgeschlossen. Im dritten Teil der Arbeit wird unter Berücksichtigung der in der BRD und den USA jeweils völlig unterschiedlichen Gestaltung der Verwaltungsverfahren zunächst die Wyhl-Entscheidung des BVerwG analysiert. Zum Abschluß werden die wichtigsten Unterschiede beider Rechtsordnungen thesenartig gegenübergestellt und rechtspolitische Vorschläge formuliert.
c. Bewertung und Folgerungen I. Dogmatische Grundlagen der Wyhl-Entscheidung 1. Die Kontrolldichte im Spiegel der Verfassung Im folgenden Abschnitt sollen die Argumente, mit denen das BVerwG im Wyhl-Urteil 1 die Reduzierung der gerichtlichen Kontrolldichte begründet hat, gewürdigt und die verbliebenen Kontrollspielräume ausgelotet werden. Zweck dieser Erörterung ist nicht, die Debatte um Einschätzungsspielräume bei der Anwendung unbestimmter Rechtsbegriffe2 erneut aufzurollen; vielmehr gilt das Augenmerk allein der Lage im Atomrecht. a) Bessere Ausrüstung der Verwaltung?
Zunächst behauptet das BVerwG, die Exekutive sei im Vergleich zu den Gerichten besser dafür ausgerüstet, eine bestmögliche Gefahrenabwehr und Risikovorsorge zu verwirklichen. Ob dies zutrifft, ist jedoch sehr zweifelhaft. Zwar ist die Reduzierung der Kontrolldichte immer wieder mit der Begründung gefordert worden, daß die Behörden über größere Sachkunde verfügen als die Gerichte, und daß deshalb die gerichtliche Kontrolle keine zusätzliche Gewähr für die Richtigkeit der Entscheidung biete. Die Richter seien nicht einmal in der Lage, die in Atomprozessen unvermeidlichen Sachverständigengutachten verständig zu würdigen. 3 Sicherlich sind die Erkenntnisprobleme beträchtlich, vor denen die Gerichte in Atomprozessen stehen. Denn die Richter können aus eigener Sachkunde eine kerntechnische Anlage und deren mögliche Gefahren nicht beurteilen, da bei dieser Beurteilung Fragen aus zahlreichen unterschiedlichen naturwissenschaftlichen und technischen Fachrichtungen eine Rolle IBVelWGE 72,300,316 f
= DVBI
1986,190,195.
2dazu z. B. Rudisile (1987), 340 ff; Weber (1984), 167 ff; Soell (1973), 144 ff; 199 ff; U1e (1955),324 ff; Franßen (1987); Rupp (1987). 3vgl. Schmitt Glaeser, Landkreis 1976,446 f, 449; Ossenbühl, DVBI 1978,2 ff; Fischemof, ET 1977,252; Lukes, NIW 1978,245;Weber (1984), 218; Brohm, DVBI 1986,330. 19 Heilsch
290
C. Bewertung und Folgerungen
spielen. Erschwerend kommt hinzu, daß sich im Prozeß oftmals konträre wissenschaftliche Lehrmeinungen gegenüberstehen, und das Gericht dann über "richtig" oder "falsch" in einem naturwissenschaftlichen Streit entscheiden soll. Diese Schwierigkeiten werden jedoch gerade von Praktikern als zwar gravierend, aber grundsätzlich lösbar angesehen. 4 Grundvoraussetzung dafür, daß der Richter Sachverständigengutachten zumindest auf Schlüssigkeit prüfen kann, ist natürlich ein gewisses Selbststudium, das wegen der Vielzahl der berührten Fachgebiete freilich nur zu rudimentären und punktuellen Kenntnissen führen kann. Daß Juristen mit Problemen konfrontiert werden, die in ihrer Ausbildung nicht vorkommen, ist allerdings keine Besonderheit der Atomprozesse. Man denke nur an die Verfolgung der Wirtschaftskriminalität oder an mittels naturwissenschaftlichen Indizienbeweises zu entscheidende Arzthaftungsprozesse. Ein Verwaltungsrichter, der jahrelang mit Atom- oder Immissionsschutzrecht zu tun hatte, wird nicht weniger mit den Sachfragen vertraut sein als z. B. der juristische Beamte, der die Genehmigungsbehörde vor Gericht vertritt. Zwar sind an der Prüfung des Genehmigungsantrags durch die Behörde eine Vielzahl von selbst sachkundigen Beamten beteiligt. Dieser Vorteil relativiert sich jedoch insofern, als die Behörde das Vorhaben insgesamt prüfen muß, während vor Gericht in der Regel nur einzelne Aspekte nochmals behandelt werden. S Angesichts der Menge von Einzelfragen aus weit gestreuten Fachgebieten sind zudem auch die Behörden noch dringend auf externen Sachverstand angewiesen. 6 Und der Landesminister, in dessen Auftrag der Genehmigungsbescheid unterzeichnet wird, und der dafür theoretisch die politische Verantwortung trägt, hat vermutlich keine andere Wahl, als sich darauf zu verlassen, daß seine Beamten mit ihren Bewertungen richtig liegen. Charakteristisch insbesondere für das Atomrecht und Teilbereiche des Immissionsschutzrechts ist gerade das durch die unvermeidliche Heranziehung externen Sachwissens bedingte Auseinanderfallen von Verantwortung für die Entscheidung und Sachverstand; 7 und dies gilt in nahezu gleichem Umfang für die behördliche wie für die gerichtliche Ebene. Mit einem entscheidenden Vorsprung der Behörde an eigenem Sachverstand läßt sich damit die Kontrollrestriktion nicht begründen. Hinzu kommt, daß den Beamten von der politischen Führung hinsichtlich der beantragten Genehmigung eine Marschrichtung vorgegeben wird. Bei der Durchführung des Genehmigungsverfahrens unterliegt die Verwaltung den Weisungen der politischen Führung und kann die im Bereich der Kerntechnik vielfach vorhandenen wissenschaftlichen Bewertungsspielräume da4vg l. v. 8. Czajk8 ET 1981,539 f; ders, DÖV 1982,100; s. 8. Schmidt (1985),77; Breuer, NIW 1977,1125 f.
Sebenso Czajk8, ET 1981,539; ders. (1984),190 f. 6s.
o. S. 126.
7dazu
schon Forsthoff (1973),77 f; s.
8.
Albers (1987),532.
I. Dogmatische Grundlagen der Wyhl-Entscheidung
291
zu nutzen, ein politisch gewünschtes Projekt nicht scheitern zu lassen. S Die Behörde ist damit im atomrechtlichen Genehmigungsverfahren weniger neutrale Instanz als vielmehr Partei. Dagegen sind die Richter sachlich und persönlich unabhängig. 9 Daneben sollte man die edukativen Vorauswirkungen der gerichtlichen Kontrolle nicht zu gering schätzen. Zwar wird sie keine Fortentwicklung des Stands von Wissenschaft und Technik bewirken können, wohl aber übt sie auf die Verwaltung einen heilsamen Zwang aus, ihre Entscheidungen zum Zweck des rationalen Nachvolzugs sorgfältig zu begründen. Außerdem kann sich die Verwaltung mit dem Hinweis auf eine nachfolgende strenge gerichtliche Überprüfung leichter politischen Pressionen entziehen. 10 Gelegentlich hat die Tätigkeit der Gerichte auch mittelbare sicherheitserhöhende Folgen. Denn Genehmigungsbehörden haben in Einzelfällen noch im Prozeß z. B. die Abgabewerte herabgesetzt und Berechnungsvorschriften oder Anlagenkomponenten geändert, um die Aufhebung der Genehmigung zu vermeiden. 11 Insgesamt ist die Judikative daher eher geeignet als die Verwaltung, letztverbindlich darüber zu entscheiden, ob dem Grundsatz der bestmöglichen Gefahrenabwehr und Risikovorsorge Genüge getan ist. b) Kontrolldichte und Gewaltenteilung
Zur Begründung dafür, daß atomrechtliche Genehmigungen nur einer beschränkten gerichtlichen Kontrolle unterliegen, beruft sich das BVerwG sodann auf den Grundsatz der Gewaltenteilung. 12 aa) Die Gewaltenteilung im Grundgesetz Nach traditionellem Verständnis enthält das Gewaltenteilungsprinzip vier Elemente: die Unterscheidung der Staats funktionen Legislative, Exekutive Szu wissenschaftlichen Bewertungsspielräumen oben S. 129 f; rur Schaffung eines nicht bürokratisch strukturierten, weisungs freien EntscheidungsorgaßS im Atomrecht vor Reduzierung der gerichtlichen Kontrolldichte sogar Schmitt Glaeser, Landkreis 1976, 451; ähnlich Ossenbühl, DVBI 1978,9; zur organisatorischen Trennung der Fachabteilungen und der zur Entscheidung berufenen Licensing Boards im amerikanischen Recht s. o. S. 214; 243 ff. 9zur Unabhängigkeit als rechtsstaatlichem "Mehrwert" des Richterspruchs vgl. Ossenbühl, DVBI 1978,9; Schmidt (1985),79.
10vgl. v. a. Albers (1987) mit dem Bild von der Gerichtskontrolle als "fleet in being"; keine Edukationseffekte sieht Ossenbühl, DVBI 1978,9. II vg l.
Winter, NJW 1979,399.
12BVerwGE 72, 300, 317; vgl. schon Ossenbühl, DVBI 1978,8.
292
C. Bewertung und Folgerungen
und Judikative; die Zuweisung dieser Funktionen an besondere Organe; das Verbot, Funktionen wahrzunehmen, die einem anderen Organ zugewiesen sind (Gewaltentrennung) sowie die gefenseitige Hemmung und Kontrolle der Gewalten (Gewaltenbalancierung).1 Normiert ist die Gewaltenteilung in Art 20 II 2 GG. Diese Vorschrift besagt jedoch nur, daß die drei Funktionen Rechtssetzung, Vollziehung und Rechtsprechung unterschieden und von besonderen Organen wahrgenommen werden sollen. Sie enthält dagegen keine Aussagen über Gewaltentrennung und Gewaltenbalancierung. l