»Substitut oder Komplement?«: Die Videofernvernehmung von Zeugen gem. § 247a StPO [1 ed.] 9783428510221, 9783428110223

Vor allem seit dem Kinderschändungsprozess von Worms ist die Frage, ob eine audiovisuelle Fernvernehmung im Strafprozess

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German Pages 339 Year 2003

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»Substitut oder Komplement?«: Die Videofernvernehmung von Zeugen gem. § 247a StPO [1 ed.]
 9783428510221, 9783428110223

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PATRICK J. RIECK

"Substitut oder Komplement?"

Schriften zum Strafrecht Heft 139

"Substitut oder Komplement?" Die Videofemvernehmung von Zeugen gemäß § 247 a StPO

Von

Patrick J. Rieck

Duncker & Humblot . Berlin

Die Juristische Fakultät der Universität Bonn hat diese Arbeit im Jahre 2002 als Dissertation angenommen.

Bibliografische Information Der Deutschen Bibliothek Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über abrufbar.

Alle Rechte vorbehalten

© 2003 Duncker & Humblot GmbH, Berlin

Fremddatenübernahme und Druck: Berliner Buchdruckerei Union GmbH, Berlin Printed in Germany ISSN 0558-9126 ISBN 3-428-11022-6 Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier entsprechend ISO 9706 §

In dankbarer Verehrung Herrn Prof Dr. Hans-Ullrich Paeffgen gewidmet

Vorwort Die vorliegende Untersuchung wurde im Sommersemester 2002 von der Rechtsund Staatswissenschaftlichen Fakultät der Universität Bonn als Dissertationsschrift angenommen. Der Arbeit wurden Rechtsprechung und Schrifttum bis Februar 2002 zugrunde gelegt. Neuerscheinungen im Schrifttum wurden bis zu diesem Zeitpunkt beriicksichtigt. Zum Gelingen dieser Arbeit haben viele Personen beigetragen. Besonderer Dank gilt zunächst meinem verehrten Doktorvater, Herrn Prof. Dr. Hans-Ullrich Paeffgen, der diese Arbeit mit Verständnis betreut und unterstützt hat. Herrn Privatdozenten Dr. v. Danwitz danke ich für die zeitnahe Erstellung des Zweitgutachtens. Dank gebührt weiterhin Herrn Prof. Dr. K. Buse, Physikalisches Institut der Universität Bonn, sowie Herrn J. Herrmann, Videoconferencing Telekom AG und seinem Team in Münster/Bonn, für die technische Unterstützung, die Durchführung von Videokonferenzen und die kostenlose Zurverfügungstellung des Videokonferenzraumes. Herrn Dipl. Theolog. und Dipl. Psych. Otto-Paul Hessel bin ich für die vielfältigen Tipps hinsichtlich der mit der Arbeit verbundenen psychologischen Sachfragen sowie die weiterführenden Hinweise sehr verbunden. Für die (Korrektur)Ratschläge - sowie die Inanspruchnahme ihrer wertvollen Zeit - stehe ich vor allem bei meinen Freunden, insbesondere bei Frau Dr. Petra Otto, aber auch bei Frau Dr. Barbara Goy, Herrn Dr. Christian Wolf sowie Herrn Dr. Klaus F. Gärditz in tiefer Schuld. Nicht vergessen, dankend zu erwähnen, möchte ich Herrn Dr. c.-F. Stuckenberg, L.LM (Harvard) für die vielen anregenden Gespräche betreffend die dogmatischen Grundlagen der Arbeit, aber auch die überobligationsmäßige Unterstützung bei meinen eigenen Lehrstuhlaufgaben, insbesondere den AG's und dem Repetitorium im Strafprozessrecht im WS 2001 /02. Meinem Lehrer, Herrn Prof. Dr. Paeffgen, bin ich über diese Arbeit hinausgehend zum tiefsten Dank verpflichtet. Durch wichtige Denkanstöße, Ratschläge und Hilfen hat er nicht nur die ersten eigenen "juristischen Schritte" geleitet. Er war (und ist) dariiber hinaus auch bei allgemeinen Fragen immer ein fürsorgevoller "Berater" (gewesen). Seine gelegentliche wohlwollende Kritik war mir stets Ermutigung und Herausforderung, und all dies war für das Gelingen von Studium und der hier vorliegenden Arbeit unerläßlich. Als einer seiner (studentischen und später wissenschaftlichen) Mitarbeiter am - Dresdener und Bonner - Institut seit 1995 kam ich dariiber hinaus nicht nur in den Genuss glänzender Arbeitsbedingungen sowie vielfältiger wissenschaftlicher Anregungen, sondern vor allem auch steter

8

Vorwort

persönlicher Förderung. Dafür bin ich Herrn Prof. Dr. Paeffgen besonders verbunden. Ihm ist die hier vorliegende Arbeit gewidmet. Bonn, im Frühjahr 2003

Pa trick J. Rieck

Inhaltsverzeichnis 1. Kapitel

Einleitung

25

A. Allgemeine Ausgangspunkte ................ . .............. .. .....................

25

I. Der Zeuge als bedeutendes persönliches Beweismittel ..........................

25

H. Zeugenschutz und Wahrheitsermittlung im deutschen Strafprozess. . . . . . . . . . . . . .

26

III. Grenzen der Wahrheitsermittlung und des Zeugenschutzes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

27

1. Strafverfahrensrecht als konkretisiertes Verfassungsrecht ....................

28

a) Grundrechte der Prozessbeteiligten in ihrer subjektiv- und objektiv-rechtlichen Funktion ..........................................................

28

b) Schutzpflichten des Staates ..............................................

30

2. Staatliche Verpflichtung zu einem Ausgleich des grundrechtlichen Spannungsverhältnisses ..........................................................

31

IV. Zwischenergebnis ....... . ........ . . . ... . .......................................

32

B. Die Verhinderung der "Flucht" des Zeugen im Hinblick auf die Möglichkeit der Videovernehmung . . . .. . . .. . . . . .. . . . . . .. . . . .. . . .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. . . .. . . .. . .

32

I. Die Regelungen des Einsatzes von Videotechnik im deutschen Strafprozess ....

33

1. Die Möglichkeit der Video-Aufzeichnung einer Zeugenaussage, sog. "videotaped evidence", gern. §§ 58a, 255a sowie § 247a S. 4 .......................

34

2. Die Möglichkeit der Video-Sirnultanübertragung einer Zeugenaussage, sog. "audiovisuelle Fernvernehmung", gern. §§ l68e, 247a .......................

37

3. Zwischenergebnis ...... . .......... . ..... . ........................... . .......

38

II. Der Übereinkommensvorschlag des Rates der Europäischen Union vom 29.05.2000 ....................................................................

39

C. Ziele der Arbeit im Hinblick auf den Einsatz von Videotechnik im Strafprozess bei der Vernehmung von Zeugen .................................................

41

10

Inhaltsverzeichnis I. Bedürfnis für eine Untersuchung zu § 247a? ........... .. ... . ................. . .

41

11. Beschränkung der Untersuchung auf die Videosimultanübertragung der Zeugenaussage in der Hauptverhandlung unter Ausklammerung von §§ 58a, 255a . . . . . .

43

III. Videovernehmung bei Auslandszeugen und praktische Relevanz des freien Geleits ........................ .. ............ . ....... .. ... .. ... . ... .. .. .. ... .. .. .. .

44

IV. Zusammenfassung ....... . . . ............ . ... . ... . ..... . ....... . .... . ..... . . . ...

46

D. Überblick über den Gang der Untersuchung

46

2. Kapitel

Anwendung von Videotechnik im Hauptverfahren des deutschen Strafprozesses A. Rechtsgenese der Regelungen in der StPO zum Einsatz von Videotechnik im Gerichtssaal . .. ... . ... . .......... . ..................... . ....... .. .................. I. Wegbereiter zum Einsatz von Videotechnik, insbesondere das sog. "Mainzer

48

48

Verfahren" .....................................................................

48

11. Gesetzgebungsverfahren ........................ . ..............................

49

I. Gesetzesentwurf der SPD-Fraktion ..........................................

49

2. Gesetzesentwurf des Bundesrates ............................................

50

3. Erwiderung der Bundesregierung und Gesetzesentwurf der CDU I CSU I FDP-Fraktion............ . ...................................................

51

4. Anrufung des Vermittlungsausschusses durch den Bundesrat und Zustandekommen des Gesetzes in der weitgehend ursprünglichen Fassung .. ... .. .....

55

III. Erste Ergebnisse ... . . . . . .... . . . ..... . .... . .... . . .. ....... . .....................

56

IV. Schlussfolgerungen ....... ... ... . .... . ....... . ......... . . . ......... .. ..........

57

B. Die gesetzlichen Regelungen der §§ 247a, 168e StPO im einzelnen. . . . . . . . . . . . . . .

57

I. Voraussetzungen .. . .... . ........ . ... .. .. .. ............ . .... . ... .. ... . ....... . ..

57

I. § 247a S. 1, I. Alt - Videovernehmung aus Gründen des Zeugenschutzes ....

57

a) Die Voraussetzungen des § 247 S. 2 und systematische Stellung des § 247a S. 1, I. Alt.... . ............ .. ... . ........ . ................. . ......

58

Inhaltsverzeichnis

11

b) Die Voraussetzungen im einzelnen ................................... . ...

59

aa) Das Vorliegen einer "dringenden Gefahr" ................. . . . . . . . . . . .

59

bb) Der Begriff des "Zeugenwohls" .....................................

63

cc) Der "schwerwiegende" sowie der "erhebliche" Nachteil .............

65

dd) Zwischenergebnis ............................................. . .....

69

c) Die Subsidiaritätsklausel .................................................

70

aa) Schutzbedürftiger Zeuge unter sechzehn Jahren (= Kinderzeugen) ...

70

bb) Schutzbedürftiger Zeuge ab sechzehn Jahren (= Erwachsener Zeuge)

73

d) Zusammenfassung .......................................................

74

e) Schlussfolgerungen de lege ferenda ......................................

76

2. § 247a S. 1, 2. Alt - Videovernehmung zur Verbesserung der Wahrheitsfindung und der Verfahrensbeschleunigung .....................................

76

a) § 251 Abs. 1 Nr. 2 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

77

aa) Personenkreis - Audiovisuelle Fernvernehmung des Sachverständigen oder Mitbeschuldigten? .........................................

77

bb) Hindernis zu "Erscheinen" ..........................................

79

(1) Möglichkeit der Protokollverlesung und! oder Videovernehmung bei erheblicher Gefährdung der Aussageperson über den Weg des §§ 247a S. 1,2. Alt., 251 Abs. 1 Nr.2? ..........................

81

(2) Unerreichbarkeit von Gesetzes wegen - §§ 49, 50 StPO .........

83

(3) Zeugen mit zurückgenommener oder verborgener Identität - Verdeckte Ermittier, V-Personen und sonstige Informanten ..........

83

(4) Kinder sowie psychisch-kranke, behinderte oder sonst hilfsbedürftige Zeugen .................................................

86

(5) Auslandszeugen .................................................

89

(6) Zwischenergebnis ...............................................

90

cc) Hindernis "für eine längere oder ungewisse Zeit" ....................

90

b) § 251 Abs. 1 Nr. 3 ........................................................

91

c) § 251 Abs. 1 Nr.4 ........................................................

92

d) Zur Erforschung der Wahrheit erforderlich ...............................

92

e) "Unter den Voraussetzungen des § 251 Abs. 1 Nr. 2, 3 oder 4" - Übertragbarkeit der Kriterien auf § 247a S. 1,2. Alt? ..............................

93

f) Zusammenfassung und Schlussfolgerungen ..............................

95

11. Die "Übertragung" der Aussage gern. § 247a S. 3 ...............................

96

1. Audiovisuelle Datenübertragung in eine Richtung ...........................

97

2. Audiovisuelle Datenübertragung in beide Richtungen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

98

3. Zwischenergebnis: Bei § 247a S. 3 geht es um sog. "Videokonferenzen" .....

99

12

Inhaltsverzeichnis 3. Kapitel

Verhältnis des § 247a zur unmittelbaren Vernehmung des Zeugen in der Hauptverhandlung sowie zu anderen Beweismitteln

102

A. Die Kritik am Einsatz von Videotechnik im Strafverfahren . .. ....... .. . . . . . . . . . . 102 I. Die erste Videovernehmungsentscheidung des BGH bei Auslandszeugen - 1 StR

286/99, Urteil v. 15.09. 1999 .. . ........ . . . ...... . ........ .. ....... . ........ . .. 102

11. Die Kritik in der Literatur .. .. .. . ... ... .. . ... .. ... . ... .... ...... .. . . . . .. ... .. . .. 103 1. Bedenken im Hinblick auf den "Videozeugen" . . ...... .. .. . .... . .. . ... . . . .... 103

2. Bedenken im Hinblick auf die Vernehmungsperson (Richter) .. ......... . . .. . 105 3. Würdigung der benannten Einwände . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 107 4. Auf Kosten-, Qualitäts- sowie Zeitargumenten beruhende Einwände .. ..... .. 111 a) Anschaffungs- und Übertragungskosten bei Videokonferenzen .. .. ...... . 112 b) Qualitätsdefizite bei der Bild-Ton-Übertragung - Abhängigkeit von der Art der verwendeten Technik und der Übertragungsbandbreite . . . . . . . . . . . . 113 c) Videokonferenzen im Strafprozess benötigen eine gewisse "Vorlaufzeit" 115 111. Zwischenergebnis.. . . . ...... . . . ... . .. .. . . ... . . . . ........ ... .... .. .. .. . . .. ... ... 116

B. (Strafjustizpraktische) Erfahrungen im Umgang mit Videokonferenztechnik . .. 117 I. Fallbeispiel: Ein Videokonferenz-Verfahren des LG Dresden mit dem nicht-EUAusland..... . . .. .... .. . ... .... . ... . ... .. ..... . ...... . .... .. .... .. .. ... ..... ... . 118 1. Verfahrenshistorie . ................................... . ........ ... ...... . ....

118

2. Die im Verfahren verwendete Videotechnik und die entstandenen Kosten . .. . 119 3. Geschilderte positive Erfahrungen.. . ........ . ................ . .......... . ... 121 11. Eigene Erfahrungen bei Videokonferenzen .. . ... .... . ... . . . .. ......... . . . ... ... 121 1. Erfahrungs-Historie .................. . ........ . ...... .. . . .... ... . . .... . ..... 122

2. Überblick über die verwendete Technik, die Datenübertragung und die technischen Eigenschaften................................ .... .... ... ...... .. .... 123 a) Die Videokornmunikations-Systeme und die Datenübertragung.. .. .. . ... . 123 b) Technische Eigenschaften ...... .. . . ....... .. ........ . .............. . . . ... 125 aa) "Anwahlfunktion" . . . .. ... . .. ... ... . ... ... ........ .. ... . . . .. . . . .... .. 125 bb) Möglichkeit zur Steuerung von Bild und Ton auf der Gegenseite..... 125 cc) (Selbst-)Kontrollmöglichkeiten . .... . ... ... . ... .... . .... .. .. . ... .. ... 126

Inhaltsverzeichnis dd) "Downspeeding"

13 126

ee) "freeze"-Funktion .. .. . .... ......... .. ..... . .... . . . . ..... . . . . . . . ... . . 127 ff) "Plug- and Play-Multifunktionsfahigkeit" ........................... 127

3. Eigene Erfahrungen ........... ... . .. ......... ..... ... . . . ........ ... ......... 128 a) Bild-Ton-Verzögerungen? ... .... .. .... ..... .. . .... .. . .... .. .. .. ... . . ... .. 128 b) Durchgehender Blickkontakt mit einem Gesprächspartner.... . ..... . .... . 129 c) (Qualitäts-)Steuerungsmöglichkeiten ........ .. ................ ... ........ 130 d) Einblenden von Schriftstücken und Bildern ...... .. ...... .. .... .. ........ 130 e) "Multifunktionsfähigkeit" . ... . ..... ..... . . .... . ...... . .. .. . .. .. . .. . .. ... . 131 f) "Handling" .................. . ....................... .. ............ . .....

131

g) Gesamteindruck............ .. ... . .......... . .. .. ... .. ...... . ...... .. ..... 131 III. Zusammenfassung ... . . . .. . ....... . . .... . .. ... . . .. ..... .. .. . ... . .. . .. .. . ... . . .. 132 C. Unmittelbarkeitsprinzip, § 250 ..... . ............... . . . . . .... . ......... .... ....... 133 I. Unmittelbarkeit der Beweistatsachenerschließung sowie der Beweisaufnahme in der Hauptverhandlung ....... .. . ..... .. .. ........ ...... ..... .. .. . . ..... ... . .. 133 1. Grundsatz formeller Unmittelbarkeit........................... .. ....... . .... 134 2. Die materielle Unmittelbarkeit der Tatsachenerschließung ........ ..... ...... 139 3. Unmittelbarkeit der Beweisaufnahme in der Hauptverhandlung im engeren Sinne ...... ... . .. .... ... ..... .. . .... .. . ..... .. . .. .. .. ... .... ...... . .. .. .. ... . 144 II. Keine Beeinträchtigung der formellen wie materiellen Unmittelbarkeit der Beweistatsachenerschließung durch die Video vernehmung ............. . ... ... .... 145 III. Würdigung der Einwände einer beeinträchtigten Unmittelbarkeit der Beweisaufnahme bei der Videovernehmung durch Exkurs auf den "Zeugen vom Hörensagen" .......... .. ..... . .......... . ............... . .... . ... . ............. . . .. .... 147 IV. Schlussfolgerungen für den "dritten Unmittelbarkeitsaspekt" ...... . . . . . ........ 151 1. § 247a S. 1, 1. Alt ... . .. ...... ........ ...... . .... ....... .. . ... ... . .. . .. .. .. . . 152 2. § 247a S. 1,2. Alt iVm. § 251 Abs. 1 Nr. 2 .... .. ...... .. .................... 152 3. §§ 247a S. 1,2. Alt iVm. § 251 Abs. 1 Nr. 3, Nr. 4 . .. ................. . . . .... 153 4. Zwischenergebnis . . .. . . .... ..... ...... . ...... . .. .. ... . . . ... . .. ...... ........ 153 V. Zusammenfassung der Ergebnisse und Schlussfolgerungen . .. . .. . . ... .. .... . ... 154

14

Inhaltsverzeichnis 4. Kapitel

Glaubwürdigkeitsbeurteilung des Zeugen bei audiovisueller Fernvernehmung

157

A. Audiovisuelle Kommunikation als Ausgangspunkt der Glaubwürdigkeitsbeurteilung ....•...•...••..•.•.•...•••...•........•....•.•••..••....••.•.....••..••..•.. 157 I. Veränderungen des Kommunikationsverhaltens bei Videokonferenzen... . ...... 158 1. Kommunikation, Kommunikationskanäle und Videokonferenz. .. ... ... ...... 158 a) Verbaler und nonverbaler Kommunikationskanal ... . .. . ....... . .......... 158 b) Weitere Kommunikationskanäle und Videokonferenz. .. ... .. .... ..... . ... 160 2. Inwieweit verändert das technische Medium das verbale wie nonverbale Kommunikationsverhalten? ................................................. 161 a) Übertragbarkeit der Ergebnisse? ......... .. ..... . .......... . .............. 162 b) Hypothesen und ihre Begriindungen ...................................... 163 aa) Verminderte verbale wie nonverbale Gesprächsdynamik bei Videokonferenzen.................. ... ..................... .. ............. 163 bb) Negative Situationsempfindungen .... . ................. . ............ 164 c) Überblick über die Untersuchungsergebnisse ............................. 164 aa) Falsifizierung der Hypothesen für die Kommunikationskanäle auf der Zeichen ebene .................................. .. ................... 164 bb) Verifizierung der Hypothese für die subjektive Situationsempfindung

165

d) Bewertung der Untersuchungsergebnisse ................................. 166 3. Zwischenergebnis ............ . ........ . .......................... . .. . ....... 168 11. Richterliche Kommunikationsverantwortung und Kommunikationsoptimierung bei einer Videokonferenz....................................................... 169 1. Anzahl der Interaktionsteilnehmer bei einer Videokonferenz .. ... .... . ... . ... 171 2. Positionierung der Kommunikationspartner .................................. 172 3. Gesprächsdisziplin ............. .. .................................. . ........ 173 4. Gesprächslautstärke ......................................................... 174

Inhaltsverzeichnis

15

B. Glaubwürdigkeitsbeurteilung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 175

I. Begriff und Anknüpfungspunkt der "Glaubwürdigkeitsbeurteilung"

176

11. Kriterienorientierte "Glaubwürdigkeitsbeurteilung" ............................ 178 1. Glaubwürdigkeitsbeurteilung erfolgt zunächst anhand der Kommunikationsverbalinfonnationen ......................................................... 179 2. Verhaltensorientierte Glaubwürdigkeitsbeurteilung .... . .... . ...... . . . ....... 181 a) Rechtsprechung zur Glaubwürdigkeitsanalytik ........................... 182 aa) Erfordernis visueller Infonnationen und nonverbale Einzelkriterien in der Rechtsprechung des BGH ..................................... 182 bb) Das Postulat der "unbewaffneten" Sinnesorgane als Grenze der Apperzeption nonverbalen Ausdrucksverhaltens ........................ 185 cc) Grenze für den allgemeinen Technikeinsatz bei der Glaubwürdigkeitsbegutachtung, insbesondere für die Anwendung von Videokonferenztechnik bei der Zeugenvernehmung? .......................... 186 dd) Zwischenergebnis

189

b) Die kriteriengeleitete Glaubwürdigkeitsbeurteilung nonverbalen Ausdrucksverhaltens in der Literatur ......................................... 190 aa) Verhaltenskategorien ................................................ 190 bb) Verhaltenskorrelate der "Glaubwürdigkeitsbeurteilung" in EinzeIuntersuchungen ........................................................ 191 cc) Statistische Zusammenhänge zwischen nonverbalem Verhalten und "Glaubwürdigkeit" .................................................. 194 (l) Starke Veränderungseffekte .....................................

194

(2) Mittlere Veränderungseffekte .................................... 194 (3) Schwache Veränderungseffekte .................................. 195 (4) Keine Veränderungseffekte ...................................... 195 dd) Bewertung der Ergebnisse und etwaige Einflussbedingungen ........ 195 (l) Zielorientierte strategische Selbstpräsentation ................... 196

(2) Differentielle Kontrollierbarkeit des Verhaltens. . . . . . . . . . . . . . . . . . 198 (3) Interaktionssituation ............................................ 199 (4) Stereotyp- bzw. Standard- bzw. Referenz-Vorstellungen ......... 200 (5) "Channel Effects" ............................................... 201 3. Zusammenfassung ........................... .. .............................. 201 III. Schlussfolgerungen und Ergebnisse für die Videokonferenz gern. § 247a........ 203

16

Inhaltsverzeichnis 5. Kapitel

Verhältnis des § 247a zu weiteren Vorschriften sowie einzelne, damit verbundene Probleme

206

A. § 247a und die Entfernung des Angeklagten aus der Hauptverhandlung gern. § 247 ............................................................................... 206 I. Die Situation vor dem Zeugenschutzgesetz 1998 ............................... 207 II. Die derzeitig gesetzliche Situation (nach dem Zeugenschutzgesetz) ............. 208 1. Das Anwesenheitsrecht des Angeklagten .................................... 208

2. Vorübergehende Entfernung des Angeklagten als Eingriff in Verfassungsrechte ....................................................................... 209 a) Eingriff in das Recht auf richterliches Gehör gern. Art 103 Abs. 1 GG .... 209 b) Ausschluss des Angeklagten und Fairnessprinzip ............ . ............ 212 3. Rechtfertigung des Eingriffs in das Anwesenheitsrecht? ..................... 214 III. Zwischenergebnis ........ . ........ . ...... . ........................ . . . .......... 220 IV. Schlussfolgerungen und Ergebnisse ............................................ 221 B. Videofernvernehmung und kommissarische Zeugenvernehmung gern. § 223 .... 222 I. Die kommissarische Vernehmung gern. § 223 Abs. 1 ........................... 223 1. Kommissarische Vernehmung als Beweisaufnahme außerhalb der Hauptverhandlung .................................................................... 223 2. Mit der kommissarischen Zeugenvernehmung verbundene Nachteile. . . . . . . .. 224 11. Die Kombination der kommissarischen Zeugenvernehmung mit der audiovisuellen Übertragung der Zeugenaussage in die Hauptverhandlung? ............. 225 1. Vorteile im Hinblick auf § 223 Abs. 1 ........................................ 225

2. Vorteil im Hinblick auf § 247a ............................................... 226 3. Der aufzufindende Meinungsstand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 228 III. Würdigung der vorgebrachten Positionen ....................................... 230 1. Für die Maßnahme-"Verquickung" sprechende Gründe ...................... 230

a) Der sich aus dem Gesetzeswortlaut ergebende Anwendungsbereich von § 223 und § 247a . . .. . ... . . .. . . .... . . . . . ... . . . . . . .. . . .. . . . . . . .. . . . ... . .. .. 230

Inhaltsverzeichnis

17

b) Sinn und Zweck des § 223 ............................................... 231 c) Entstehungsgeschichte des § 247a ........................................ 232 d) Unmittelbarkeitsprinzip .................................................. 233 e) Amtsaufklärungspflicht .................................................. 234 f) Interventionsrechte und die Gewährleistung einer effektiven Verteidigung,

Art 6 EMRK ............................................................. 235

g) Zeugenschutz ............................................................ 236 h) Zwischenergebnis ...................... . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 237 2. Gegen die Maßnahme-"Verquickung" sprechende Gründe ................... 238 a) Der Gesetzeswortlaut von § 247a S. 3 ........................ . ........... 238 b) Sinn und Zweck des § 223 und Systematik............................... 239 c) Sachleitungsbefugnis des Vorsitzenden ................................... 240 d) Bedürfnis für eine Maßnahme-"Verquickung"? ............... . ...... . .... 241 IV. Schlussfolgerungen und Ergebnisse ............................................ 242 C. Durchführung der Zeugenvernehmung durch Sachverständige als "Vernehmungsgehilfen"? .................................................................. 243 I. Gründe für die Vernehmung durch einen Sachverständigen ..................... 243 II. Durchführung einer Vernehmung durch den Sachverständigen? ................. 245 1. Befugnis zur Vernehmung gern. § 80? ....................................... 245

2. Unzulässigkeit der Delegation der Vernehmungsbefugnis an einen Sachverständigen? ................................................................... 246 III. Ergebnis ........................................... . .................... . ...... 248 D. Zulässigkeit der Abschirmung des Zeugen? ...................................... 249 I. Allgemeine Ausgangspunkte ................................................... 249

1. Erhebliche praktische Bedeutung verdeckter Ermittlungen ................... 249

2. Mit der Anonymisierung des Zeugen korrespondiert eine besondere Einschränkung der Verteidigungs-! Verfahrensrechte ............................ 251 3. V-Personen als problematische Beweismittel ................................ 252 4. Erste Schlussfolgerung für die audiovisuelle Abschirmung von "Zeugen mit zurückgenommener oder verborgener Identität" ............................. 253 2 Rieck

18

Inhaltsverzeichnis 11. Die (Un-)Zulässigkeit einer optischen und / oder akustischen Abschirmung persönlicher Beweismittel ......................................................... 254 1. Die Sichtweise des BGH und die wohl h. M. in der Literatur ................. 254

2. Die Gegner dieser Sichtweise . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 255 3. Würdigung .. .. ... . ............. .. ...... ... ........ ....... ............. . . .... 256 a) Erst-recht-Schluss-Argument ................ .... ................ . ........ 256 b) Mit der Abschirmung geht eine geringfügige Verbesserung der Grundlagen für die Glaubwürdigkeitsbeurteilung einher .......................... 256 c) Die gesetzgeberische Wertentscheidung der StPO ........................ 258 d) Unmittelbarkeitsprinzip ........................................... . ...... 260 e) Verteidigungsrechte und die EMRK ............................... .. ..... 260 III. Schlussfolgerungen und Ergebnisse ...... . ........ ... .......................... 262

E. § 247a und revisionsgerichtliche Überprütbarkeit tatgerichtlicher Entscheidungen ....................................................................... .... .. 263 I. Unterscheidung zwischen Voraussetzungen und Rechtsfolge des § 247a ........ 263 11. Vollständiger Ausschluss der revisionsgerichtlichen Nachpriifbarkeit im Rahmen der gern. § 247a zu treffenden Ermessensentscheidung nach der Konzeption des Gesetzgebers ................................................... . ........ 265 111. Würdigung ..................................................................... 266 IV. Schlussfolgerungen und Ergebnisse ............................................ 268

6. Kapitel Die Anwendung der Videotechnik bei Auslandszeugen

270

A. Begriff und Bedeutung des ,,Auslandszeugen" ...................... ... .......... 270 B. Gründe und rechtliche Kriterien für die Videofernvernehmung von Auslandszeugen ............................................................................. 270 I. Griinde für die Durchführung grenzüberschreitender Videokonferenzen . . . . . . . .. 271

11. Rechtliche Kriterien für selbständige Beweisaufnahmen im Ausland . . . . . . . . . . .. 274

Inhaltsverzeichnis

19

1. Exkurs: Einschränkung der Hoheitsgewalt durch die staatliche Souveränität des ausländischen Staates.................................................... 274 2. Grundsatz der Beweisaufnahme nach dem Recht des ersuchten Staates. . . . . .. 276 3. Ausnahmen vom Grundsatz der Beweisaufnahme nach dem Recht des ersuchten Staates .............................................................. 278 C. Die grenzüberschreitende Videokonferenz gem. Art 10 Ergänzungs-Übereinkommen zum EuRhÜbk v. 29. 05. 2000 ........................................... 281 I. Die Einzelregelungen des Art 10 ErgÜbk . . .. . . . . . . ... . . . . . . .. . ... . .. . . .. . . .. . .. 281

11. Zusammenfassung ............................................................. 288 D. Mangelnde Sanktionierbarkeit der Falschaussage des "Videozeugen" ........... 289 I. Allgemeines zur "stellvertretenden Strafrechtspflege" .............. . ........... 289

11. Anwendung der § 153 f. StGB auf hoheitliche Rechtsgüter im Ausland.. . ... . .. 290 1. Die Sichtweise der Rechtsprechung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 290 2. Die Sichtweise der Literatur ................................................. 291 3. Kritik und eigene Sichtweise ................................................ 292 111. Zusammenfassung ............................................................. 296 E. Videofernvernehmung von Auslandszeugen und freies Geleit . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 297 I. Das nationale Recht kennt nur das "sichere Geleit" ............................. 298 11. Kein freies Geleit im vertraglosen Rechtshilfeverkehr .......................... 300 III. Insoweit: Besondere Relevanz der Videofernvernehmung im Bereich außerhalb eines RHV ..................................................................... 302

7. Kapitel

Zusammenfassung der wesentlichen Ergebnisse der Untersuchung

303

A. Gesamtergebnis ................................................................... 303 B. Forderungen de lege ferenda . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 306 C. Ausblick .............. . ............................................................ 308 2*

20

Inhaltsverzeichnis

Anhang

309

A. Pressemitteilungen des LG Dresden ...... . ............................. . ..... . ... 309 B. Annähernde Kosten für Videokonferenzen in Deutschland . . ... .. .. . . ...... . ... . 311

c. Informationen zu Videokonferenzen und Videokonferenzsystemen im Internet

312

D. Länder, in die Videokonferenzen etwa durch die Telekom AG geschaltet werden können .... .. .. .. ... . .......... . ... . . . ... . .... . ... . ... . ... . . . .... . ..... . .... . ... . .. . 313

Literaturverzeichnis . . .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 317

Glossar .. .. . ...... . ...... . ... . ...... ...... ... . . . ........ . . . . ..... .. . . . ..... .. . . ....... 333

Sachwortverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 336

Abkürzungsverzeichnis a. a. A./A. A.

a. a.O. Abb. Abg. ab!. Abs. a. E. AK Alt. a.M. Anm. AnwBl AöR APR ARHG Art BB Bd. BGH BGH (D.) BGH st BMJ BR BT BT-Drs. BtMG BVerfG BVerfGE DJT DRiZ

EGMR EKMR EMRK ErgÜbk EU

auch andere Ansicht bzw. anderer Ansicht am angegebenen Ort Abbildung Abgeordneter des Bundestages ablehnend Absatz am Ende Alternativer Kommentar zur StPO Alternative amMain Anmerkung Anwaltsblätter Archiv des öffentlichen Rechts Allgemeines Persönlichkeitsrecht Auslieferungs- und Rechtshilfegesetz (Österreich) Artikel Betriebsberater (Zeitschrift) Band/Bände Bundesgerichtshof Bundesgerichtshofsentscheidungen bei Dallinger Amtliche Entscheidungen des Bundesgerichtshofs Bundesministerium der Justiz Bundesrat Bundestag Bundestagsdrucksachen Betäubungsmittelgesetz Bundesverfassungsgericht Bundesverfassungsgerichtsentscheidung Deutscher Juristentag Deutsche Richterzeitung Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte Europäische Kommission für Menschenrechte Europäische Menschenrechtskonvention Ergänzungsübereinkommen Europäische Union

22

Abkürzungsverzeichnis

EuRhÜbk

Europäisches Rechtshilfeübereinkommen

Fn.

Fußnote

FS

Festschrift

ggf.

gegebenenfalls

GS

Gedenkschrift / Gedächtnisschrift

HK

Heidelberger Kommentar zur StPO

hM

herrschende Meinung

IPBPR

Internationaler Pakt für bürgerliche und politische Rechte

IRG

Internationales Rechtshilfegesetz (Deutschland)

IRSG

Internationales Rechtshilfegesetz der Schweiz

iSv.

im Sinne von

i. ü.

im übrigen

iVm.

in Verbindung mit

JA

Juristische Ausbildung

JM

Justizminister

JR

Juristische Rundschau

JuS

Juristische Schulung

JZ

Juristische Zeitung

li. Sp.

linke Spalte

lit.

littera

Kap.

Kapitel

KK-StP04 -

Karlsruher Kommentar zur StPO

LR

Löwe-Rosenberg, Kommentar zur StPO

m.

mit

m.Anm.

mit Anmerkung

m.a.W.

mit anderen Worten

MdJ

Minister der Justiz

MDR

Monatsschrift des Deutschen Rechts

MSchrKrim

Monatsschrift für Krimologie

m.w.Nw.

mit weiteren Nachweisen

NJW

Neue Juristische Wochenschrift

Nr.

Nummer

NStZ

Neue Zeitschrift für Strafrecht

Nw.

Nachweis / Nachweise

NW

Nordrhein-Westfalen

OLG

Oberlandesgericht

RdErl.

Runderlass

RdJB

Recht der Jugend- und des Bildungswesen

re. Sp.

rechte Spalte

RiStBV

Richtlinien für das Straf- und Bußgeldverfahren

RiVASt

Richtlinien für den Verkehr mit dem Ausland

Rn.

Randnummer

Abkürzungsverzeichnis

S. SK-StGB SK-StPO sog. StPO str. StV Urt. VBlBW VE Verf. vgl. VP VRS w. ZRP ZSchr. f. exp. u. angew. Psych ZStW z.T. zust.

23

im Zusammenhang mit Gesetzen Satz, sonst Seite Systematischer Kommentar zum StGB Systematischer Kommentar zur StPO sogenannte I sogenannter Strafprozessordnung strittig Strafverteidiger Urteil Verwaltungsblätter Baden-Würtemberg Verdeckter Ermittler Verfasser vergleiche V-Person Verkehrsrechtssammlung weitere Zeitschrift für Rechtspolitik Zeitschrift für experimentelle und angewandte Psychologie Zeitschrift für die gesamte Strafrechtswissenschaft zum Teil zustimmend

1. Kapitel

Einleitung Im Mittelpunkt der vorliegenden Arbeit steht der Zeuge als persönliches Beweismittel im Strafverfahren. Dabei wird das "Ob" und "Wie" seiner Aussage in der Hauptverhandlung unter einem recht neuen, nunmehr in der StPO eingefügten Gesichtspunkt Berücksichtigung finden: der "audiovisuellen Fernvernehmung" eines Zeugen von einem anderen Ort als demjenigen der Hauptverhandlung. Bevor umfassend auf den hiermit angesprochenen Untersuchungsgegenstand der Arbeit, die Norm des § 247a StPO, l eingegangen wird, sollen einführend zunächst "allgemeine Ausgangspunkte" kurz beleuchtet werden, die die Bedeutung des "Videozeugen" verdeutlichen. Weiterhin soll ein Überblick über die 1998 geschaffenen Regelungen zum Einsatz von Videotechnik gegeben werden. Im Anschluss daran wird der Gang der Untersuchung näher strukturiert und erläutert, warum trotz der mittlerweile beträchtlich angestiegenen Zahl literarischer Stellungnahmen zu § 247a, eine erneute, und zwar umfassende Untersuchung dringend notwendig erscheint.

A. Allgemeine Ausgangspunkte I. Der Zeuge als bedeutendes persönliches Beweismittel In den neueren Gesetzesentwürfen der Bundestagsfraktionen und des Bundesrates findet sich immer wieder die Forderung, dass der "Flucht des Zeugen aus seiner Zeugenrolle" präventiv entgegen gewirkt werden müsse? Unter "Flucht" wird dabei der Verlust des Beweismittels, etwa wegen Unerreichbarkeit für das erkennende Gericht bzw. die jeweilige Ermittlungsbehörde verstanden. Als Ausgangspunkt dient hierfür zunächst die Überlegung, dass dem Zeugenbeweis im deutschen, aber auch im ausländischen 3 Strafprozess eine erhebliche BeGesetzesangaben ohne nähere Bezeichnung sind solche der StPO. Vgl. insbesondere Bundesrat BT-Drs. 12/989, S. 34 (OrgKG-Entwurf); CDUICSUI FDP-Fraktion BT-Drs. 617165, S. 4 (ZSchutzG). 3 Vgl. Europarat Recommendation No. R (83) 12 concerning the application of the European Convention of Mutual Assistance in Criminal Matters (1959). 1

2

26

1. Kap.: Einleitung

deutung zuzuerkennen ist: 4 Dies folgt zunächst aus dem fundamentalen Unmittelbarkeitsprinzip5 der deutschen Strafprozessordnung, wonach Entscheidungen in materieller Hinsicht6 grundsätzlich auf einer Verwendung des besten zur Verfügung stehenden Beweismittels beruhen müssen. Es gilt weiterhin erst recht, wenn man beriicksichtigt, dass der Zeuge über persönliche Wahrnehmungen Auskunft gibt. 7 Insoweit kann er offensichtlich nicht beliebig durch andere Zeugen oder Beweismittel ersetzt werden. 8 Und schließlich wird der Zeuge auch als wichtigstes Beweismittel bei der Bekämpfung des Terrorismus bzw. international operierender organisierter Kriminalität angesehen, da hier regelmäßig nur die aus dem "Milieu" stammende Beweisperson wegen etwaiger Nähe zum Tatgeschehen oder zu bestimmten Personen Aussagen machen kann, die der Überführung dienen; ein "Sachbeweis" hier also kaum zu führen ist. 9 Insoweit handelt es sich gerade beim Zeugen um ein sehr bedeutendes, weil grundsätzlich unersetzbares Beweismittel. 11. Zeugenschutz und Wahrheitsermittlung im deutschen Strafprozess

Mit dieser überaus hohen Bedeutung des persönlichen Beweismittels ,,Zeuge" korrespondieren zahlreiche Vorschriften zu dessen Schutze. 10 Beispielhaft benannt seien etwa §§ 52, 55, 58a Abs. 1 Nr. 1,68 Abs. 2 u. 3, 68b, 96 analog, 147 Abs. 2, 168c Abs. 3, 168e, 241a, 247 f. StPO; 172 GVG. Die Anwendung von Zeugenschutzmaßnahmen beruht hierbei regelmäßig auf einem weiteren Fundamentalprinzip des Strafprozesses - seil.: die, aus dem Untersuchungsgrundsatz folgende staatliche Verpflichtung zur umfassenden Aufklärung (§§ 244 Abs. 2, 160) des Tatgeschehens, m. a. W.: die möglichst umfassende materielle Wahrheitsermittlung (vgl. §§ 147 S. 2, 247 S. 1) von Amts wegenY In diesem Sinne gleiches gilt auch 4 BGHst 32, 115, 127: "Der Zeugenbeweis ist eines der wichtigsten Beweismittel, das die Strafprozessordnung der Wahrheitserforschung zur Verfügung stellt"; vgl. a. RGst 47, 100, 104 f.; Weigend (1998), S. 14 f.; Zacharias, S. 44 ff. 5 Dazu vgl. an dieser Stelle nur: BVerfGE 1, 418, 429; Kühne Strafprozessrecht, § 55 Rn. 914 ff.; Meurer JuS 1999, 937, 939; LR-StP0 25 -Rieß Einl. H Rn. 60 ff.; SK-StPOSchlüchter § 250 Rn. 1 ff. Zum Unmittelbarkeitsprinzip im Hinblick auf § 247a vgl. Ausführungen im 3. Kapitel, sub C. 6 Zu diesem Aspekt des Unmittelbarkeitsprinzips, vgl. § 250 S. 1. 7 Eisenberg Persönliche Beweismittel, S. 225 Rn. 500. 8 RGst 47, 100, 104 f.; BGHst 32, 115, 127; KK4 -Senge Vor § 48 Rn. 1; KK4 -Pfeiffer Einl. Rn. 95. 9 Krauß (1999), S. 16. Vgl. hierzu auch die Kronzeugenregelung in § 31 BtMG sowie die friihere bis zum 31. 12. 1999 geltende Kronzeugenregelung bei terroristischen Gewaltakten (Gesetz vom 09. 06. 1989, BGBl. I, S. 1094; verlängert durch Gesetz vom 19. 01. 1996, BGBl. I, S. 58). 10 Und zwar strafprozessualer Art. Zum polizeilichen Zeugenschutz vgl. nur Zacharias, S. 157 ff. 11 Vgl. Griesbaum NStZ 1998,433,434; Zacharias, S. 85.

A. Allgemeine Ausgangspunkte

27

für das als ,,zeugenschutzgesetz" bezeichnete Gesetz vom 30. 04. 1998,12 das entgegen vorangegangener Gesetzesentwürfe l3 nicht allein Regelungen zum Schutze persönlicher Beweismittel enthält, sondern vielmehr hiermit auch dem Beweismittelverlust entgegengewirkt werden sollte. 14 Gerade die Schaffung zeugenschützender Regelungen unterstreicht insoweit die besondere Bedeutung des Beweismittels ,,zeuge". III. Grenzen der Wahrheitsermittlung und des Zeugenschutzes

Dient das Strafverfahren auch in erster Linie der Wahrheitsfindung 15 - durch Rekonstruktion des tatsächlich Geschehenen von Amts wegen - und bildet der Zeuge hierfür in der Mehrzahl der Fälle das wichtigste Mittel, so wäre es ungenau, Wahrheitsfindung und Zeugenschutz, als bloßen Nebeneffekt der Aufklärungspflicht, gleichzusetzen. Gerade das Erfordernis des Zeugenschutzes kann dem Gebot der umfassenden Wahrheitsfindung Grenzen setzen, was Hassemer anschaulich auf den Punkt bringt: "Das Strafverfahrensrecht stellt den szenisch verstehenden Richter vor eine Aufgabe, die er nicht glatt lösen kann: die Wahrheit zu suchen, aber nicht um jeden Preis. Der Preis sind die Rechte von Menschen, die als Beweismittel dienen. Diese Rechte kosten die volle Wahrheitsermittlung [ .. . ] Das Recht selber hindert ihn daran, so viel zu erfahren, wie er müsste, um sein Urteil auf einen wahren Fall zu gründen".16

Mit der Anwendung von Zeugenschutzmaßnahmen kann aber nicht nur der Umfang der Wahrheitsfindung begrenzt, sondern auch eine Beeinträchtigung der Interessen anderer Prozessbeteiligter verbunden sein. Denkt man etwa an den praktisch häufigen Fall der Sperrung eines behördlichen Zeugen für eine Aussage in der Hauptverhandlung, beispielsweise wegen gemutmaßter Gefahren für dessen Leib und Leben, so wird exemplarisch das Fragerecht (Art 6 Abs. 3 lit. d EMRK, § 240 StPO) des Angeklagten beschnitten, wenn statt dessen die Wahrheitsfindung durch die Aussage der Vernehmungsperson des gesperrten Zeugen, dem sog. "Zeugen BGBI. I S. 820 - Inkraftgetreten arn 31. 12.98. BT-Drs. 6/4938. 14 Vgl. §§ 58a Abs. 1 Nr. 2, 247a S. 1, 2.Hs. Weiterhin Weigend (1998), S. 46 f.: "Am Ausgangspunkt der aktuellen Debatte stand das Mitgefühl mit Kindern, die (meist als Opfer von Straftaten) im Strafverfahren aussagen mussten.[ ... ] Es ist jedoch zu begrüßen, dass das Gericht die Möglichkeit der Vernehmung außerhalb des Gerichtssaals nicht auf Kinder begrenzt hat, sondern sie für alle Zeugen vorsieht. [ ... ] Im Vordergrund steht bei dem Zeugenschutzgesetz (entgegen seinem Titel) allerdings ein anderer Gedanke, nämlich das Interesse an der Ermittlung der Wahrheit." 15 Umfassend dazu nur Paeffgen Vorüberlegungen (1986), S. 17 ff.; vgl. dens. a. in SKStPO §§ 420 Rn. 11 f. 16 Hassemer Grundlagen des Strafrechts 2 , S. 153. Vgl. a. BGHst 14,358,365: "Es ist kein Grundsatz der StPO, dass die Wahrheit um jeden Preis erforscht werden müsste". 12 13

1. Kap.: Einleitung

28

vom Hörensagen" erfolgt. Zeugenschutzmaßnahmen stehen also regelmäßig in einem Spannungsverhältnis zu den Rechten anderer Prozessbeteiligter, insbesondere des Beschuldigten bzw. Angeklagten 17 als dem zentralen, weil im Mittelpunkt stehenden Prozesssubjekt. 18 Da Wahrheitsfindung also immer nur bei gleichzeitiger Berücksichtigung divergierender "Interessen" der Prozess beteiligten möglich ist, liegt das Erfordernis eines sachgerechten Interessenausgleichs auf der Hand. Zum besseren Verständnis, aber auch im Hinblick auf die vorzunehmende Auslegung der mit dem Zeugenschutzgesetz vom 30. 04. 1998 geschaffenen Vorschriften, bedarf dies jedoch einer näheren Begründung, soll weiterhin auch der hinter jeglichen "Ausg1eichsbemühungen" des Gesetzgebers stehende Hintergrund deutlich werden. 1. Strafverfahrensrecht als konkretisiertes Verfassungsrecht

Strafverfahrensrecht ist nichts anderes als angewandtes, durch den einfachen Gesetzgeber konkretisiertes Verfassungsrecht. 19 Dies wird etwa deutlich, wenn man sich den durch Eb. Schmidt im Lehrkommentar geprägten Satz vor Augen hält, die Strafprozessordnung sei "Ausführungsgesetz zum Grundgesetz".2o Für das Strafverfahrensrecht von besonderer Bedeutung sind insoweit, neben den unmittelbar in der Verfassung niedergelegten und für das Verfahren bedeutsamen Grundprinzipien,21 die Grundrechte der Prozessbeteiligten. a) Grundrechte der Prozessbeteiligten in ihrer subjektivund objektiv-rechtlichen Funktion Das Grundgesetz garantiert dem Bürger als besondere Ausprägung der durch Art. 1 Abs. 1 GG geschützten Menschenwürde Grundrechte, deren Achtung oberstes Gebot staatlichen HandeIns ist (Art. 1 Abs. 3, 20 Abs. 3 GG). Als subjektive Abwehr-Rechte räumen die Grundrechte dem Bürger in erster Linie die Rechtsrnacht ein, vom Staat ein Unterlassen zu verlangen. Für staatliches Handeln, welches den Bürger in seinen subjektiven Grundrechtspositionen betrifft und die Grundrechtsausübung erschwert bzw. sogar unmöglich macht, bedarf es daher eiZu den Begriffen vgl. § 157. Etwa Fischer JZ 1998, 816, 821 ; Meyer-Mews NJW 2002, 103, 107; Weigend (1998) , S. 46: "Dabei muss man davon ausgehen, dass Entlastungen des (Opfer-) Zeugen jedenfalls tendenziell die Verteidigungsmöglichkeiten des Beschuldigten einschränken. Wie sie sich auf die Möglichkeit der Wahrheitsfindung auswirken, hängt davon ab, welche Alternativen zur Verfügung stehen, insbesondere ob der Zeuge gar nicht befragt werden kann, wenn man keine Maßnahmen zu seinem Schutz ergreift." 19 Vgl. dazu nur Paeffgen Vorüberlegungen (1986), S. 1 m. w. Nw. in Fn. 1. 20 Eb. Schmidt, Lehrkommentar I, Rn. 99. 21 Vgl. etwa die Prozessgrundrechte des Art 103 Abs. 2 GG. 17

18

A. Allgemeine Ausgangspunkte

29

ner besonderen Rechtfertigung. 22 Dabei muss der Gesetzgeber alle wesentlichen Entscheidungen durch ein Gesetz selbst treffen, wobei als wesentlich diejenigen Entscheidungen anzusehen sind, die Grundrechtsrelevanz besitzen?3 Aus diesem Grunde enthält die StPO ein feingefächertes Instrumentarium gesetzlicher Eingriffsermächtigungen für das staatliche Verhalten im Hinblick auf die Wahrheitsfindung im Strafprozess. Insbesondere wenn der Staat dem Bürger gegenübertritt, beispielsweise weil er in ihm einen Beschuldigten einer Straftat vermutet, konkretisiert die Strafprozessordnung die verfassungsrechtlichen Vorgaben und ermöglicht so die Wahrheitsfindung, d. h. die Aufklärung der Vermutung, nur im Rahmen der vom verfassungskonkretisierenden Gesetzgeber förmlich aufgestellten Voraussetzungen. 24 Eng mit der Abwehrfunktion verbunden ist die sog. "objektiv-rechtliche Funktion" der Grundrechte. Damit gemeint ist zunächst nichts anderes als ein Perspektivenwechsel von den (Abwehr-)Grundrechten des Einzelnen hin zum Staat: "Was die Grundrechte dem Einzelnen an Entscheidungs- und Handlungsspielraum geben, das nehmen sie dem Staat, und zwar objektiv, d. h. unabhängig davon, ob der Einzelne es geltend macht oder auch nur unbewusst wahrnimmt. ,,25 Mit dem Wechsel der Blickrichtung wird sogleich die weitere, im Kontext auch mit dem Zeugenschutz im Strafverfahren stehende Funktion der Grundrechte deutlich, nämlich die aus der objektiv-rechtlichen Funktion der Grundrechte folgende objektive Wertentscheidung für das Gemeinwesen in seiner Gesamtheit. 26 Diese Funktion, in der eine Verstärkung der subjektiv-rechtlichen Bedeutung der Grundrechte zum Ausdruck kommt, gilt als verfassungsrechtliche Grundentscheidung für alle Bereiche des Rechts: "Gesetzgebung, Verwaltung und Rechtsprechung empfangen von ihm Richtlinien und Impulse"?? Insoweit wirken die materiellen Grundrechte auch auf das bestehende Organisations- und Verfahrensrecht ein. Denn gerade dort, wo es in der Regel um den Ausgleich kollidierender Grundrechtspositionen bzw. um die Zuordnung des Bereichs menschlicher Freiheit geht, muss eine auf die Effektuierung der Grundrechte ausgerichtete Verfahrensgestal22 BVerfGE 49,89, 126 f.; 53, 30, 56; 61, 260, 275; 88, 103, 116; 98, 218, 251; Pierothl Schlink Grundrechte 14 Rn. 43 ff., 228. Vgl. a. lsensee in: FS-Eichenberger (1982), S. 23, 25, 30; Paeffgen Vorüberlegungen (1986), S. 13. 23 Sog. Wesentlichkeitstheorie, vgl. dazu BVerfGE 47,295,321; 49, 89, 127; 57, 295, 321 m. w. Nw.; JarasslPieroth Art 20 Rn. 46 m. w. Nw. 24 Sog. "status negativus", KMR-Lesch Vor § 133 Rn. 14; ders. Strafprozessrecht 2 , S. 118, bzw. "staatsabwehrender Negativaspekt", so /sensee in: FS-Eichenberger (1982), S. 23,29. 25 Stern Staatsrecht III/ 1 § 69 II 2 a, S. 909 (objektiv-rechtliche Beschränkungen der Staatsgewalt). Vgl. a.lsensee (in: FS-Eichenberger (1982), S. 23, 28), der hier zwischen dem "Staat als Sicherheitsrisiko" und dem "Staat als Sicherheitsgarant" differenziert. 26 Vgl. nur BVerfGE 7, 198,205 (Lüth-Urteil); 33, 303, 330 f. (Numerus-clausus); 35,79, 114 (Hochschulurteil); 49, 89, 141 (Kalkar I); Stern Staatsrecht HI/l § 69 H 2, S. 908 ff. m. w.Nw. 27 BVerfGE 7, 198,205 (Lüth-Urteil); 53, 30, 65 (Mühlheim-Kärlich).

30

1. Kap.: Einleitung

tung gegeben sein. 28 Andernfalls könnten die Grundrechtspositionen der Prozessbeteiligten schlichtweg "leerlaufen". Man spricht hier kurz und bündig vom "Grundrechtsschutz durch Verfahren". Die subjektiv-rechtliche Bedeutung der Grundrechte und die daraus abzuleitende objektive Wertentscheidung bedingen sich damit gegenseitig: "Indem die Grundrechte besonders sensible Bereiche menschlicher Persönlichkeitsentfaltung vor dem ungerechtfertigten Zugriff des Staates absichern, definieren sie zugleich deren generelle Schutzbedürftigkeit und begründen dadurch die Pflicht des Staates, seinen Bürgern die Möglichkeit zu gewähren, diese Werte in Funktion zu setzen".29 b) Schutzpflichten des Staates Mit der Verpflichtung des Staates, durch verfassungskonforme Verfahrensgestaltung die Grundrechtsausübung des Einzelnen zu gewährleisten, ist eine staatliche Schutzpflicht für die Prozessbeteiligten des Gerichtsverfahrens verbunden (Fürsorgepflicht). 30 Die gilt primär hinsichtlich des Angeklagten, aber auch der Zeugen,31 stehen auch diese Personen im Mittelpunkt des Prozessgeschehens. Neben der oben benannten Verpflichtung zum Unterlassen besteht insoweit auch die staatliche Verpflichtung zu einem Tun. Denn obliegt dem Staat die umfassende Gewährleistung der Funktionsmöglichkeit von Grundrechten, muss er sich dort schützend vor den Einzelnen stellen, wo jene Grundrechtsausübung durch das Verfahren (ungerechtfertigt) beeinträchtigt wird?2 Dies gilt unproblematisch zunächst für unmitte/bar staatliches Verhalten. Unter Zugrundelegung des heute geltenden "weiten" Eingriffsbegriffs33 besteht eine Verantwortung des Staates aber auch für das Ver28 V gl. nur Sondervotum Verfassungsrichter Simon und Heußner, BVerfGE 53, 3D, 72 im Anschluss an BVerfGE 49,220,235 (Zwangsversteigerung). 29 Zacharias, S. 114 f. Man spricht hier sodann vom sog. "status positivus" bzw. vom "staatsfordernden Positivaspekt", Isensee in: FS-Eichenberger (1982), S. 23, 29. 30 Wobei es sich freilich nur um einen Ausschnitt aus dem Gebiete staatlicher Schutzpflichten handelt. Damit einher geht weiterhin die Aufgabe des sog. ,,klassischen Eingriffsbegriffs". Danach war in staatlichem Handeln nur dann ein Eingriff in Grundrechtspositionen zu erblicken (der auch verfassungsrechtlich besonderer Legitimation bedurfte), wenn staatliches Handeln final auf Grundrechtsbeschränkung intendiert und durch Befehl und Zwang angeordnet, sich dem Bürger als unmittelbare Folge des Staatshandelns in einem hoheitlichen Rechtsakt (also mit rechtlicher, nicht bloß tatsächlicher Wirkung) darstellte. Demgegenüber erblickt man heute bereits einen Eingriff, wenn staatliches Handeln das Verhalten des Einzelnen, das in den Schutzbereich eines Grundrechts fällt, erschwert oder unmöglich macht, sog. "weiter Eingriffsbegriff', vgl. dazu Pierothl Schlink Grundrechte 14 Rn. 238 ff. 31 Vgl. nur Griesbaum NStZ 1998,433,434. 32 Stern Staatsrecht III/ I, § 69 IV 5, S. 946: ,,Er (der Staat) wird vom potentiellen Grundrechtsgegner zum Grundrechtsschützer. Es ist das Verblüffendste an der Schutzpflichtenargumentation, dass die Staatsgewalten plötzlich in die Position eines Grundrechtsfreundes einrücken. Nur sie können die Gefährdungen der Grundrechtsgüter verhindern". Vgl. dazu a. Isensee in: FS-Eichenberger (1982), S. 23, 28 f. 33 Vgl. dazu die Ausführungen bei Fn. 30.

A. Allgemeine Ausgangspunkte

31

halten dritter Personen, wenn sie Grundrechte anderer bedrohen (bzw. beeinträchtigen) und der Staat hierfür zumindest eine mittelbare Ursache setzt. 34 Die Verpflichtung des Staates reicht dabei soweit, dass er - ausgehend von der objektivrechtlichen Wertentscheidung der Verfassung _35 das Risiko künftiger Schäden, also die Grundrechtsgefährdung, verhindern muss. Denn Grundrechtsschutz käme zu spät und wäre damit ineffektiv, wenn man erst an der Grundrechtsverletzung ansetzt, nicht aber bereits an der Grundrechtsgefährdung. 36 Andernfalls könnten Risiken in ihrer Entwicklung unbeherrschbar werden und insoweit wären dann auch irreparable Grundrechtsschäden denkbar. 2. Staatliche Verpflichtung zu einem Ausgleich des grundrechtlichen Spannungsverhältnisses

Im gerichtlichen Verfahren ist der Staat also auch zum Schutze der Prozessbeteiligten verpflichtet. Das oben benannte Spannungsverhältnis zwischen den Rechten der Prozessbeteiligten ergibt sich letztlich also aus der Inanspruchnahme von Grundrechten durch die Prozessbeteiligten als Grundrechtsberechtigte. 37 Dies wiederum bedingt die staatliche Verpflichtung zum nach allen Seiten hin schonenden und verhältnismäßigen Ausgleich 38 etwaiger (Grundrechts-)Konflikte, d. h. - was damit umschrieben wird: - der Herstellung praktischer Konkordanz im Einzelfall. 39 Trifft diese Verpflichtung in erster Linie den Gesetzgeber bei der Schaffung der Vorschriften, so erlangt die staatliche Verpflichtung aber auch Bedeutung bei der Anwendung der jeweiligen Vorschriften, so etwa bei der Auslegung unbestimmter Rechtsbegriffe oder im Rahmen einer durch den Richter vorzunehmenden Abwägung bei ins Ermessen des Gerichts gestellten Entscheidungen. 4o

34 Für den Zeugen folgt dies aus seiner Verpflichtung zur wahrheitsgemäßen Aussage (§ 57), zwingt der Staat den Zeugen so in eine Situation, in der er Gefährdungen durch den Beschuldigten oder dritten Personen ausgesetzt sein kann. Ruft der Staat insoweit mittelbar eine Schwächung der Grundrechtsposition des Zeugen hervor, so ist er auch zur Kompensation verpflichtet, indem er die Handlungsspielräume der Prozessbeteiligten normativ abgrenzt und Überschreitungen ahndet, Zacharias, S. 116 f. Diese Begründung entspricht dem Rechtsgedanken der materiellrechtlichen Ingerenzhaftung (§ 13 StGB), die den Verursacher einer Gefahr zur Gefahrenabwehr verpflichtet. 35 BVeifGE 49,89, 141 (Kalkar I). 36 Pierothl Schlink Grundrechte 14, Rn. 92. 37 Stern Staatsrecht III / 1, § 69 III 5, S. 928 ff. 38 Lerche Übermaß und Verfassungsrecht, S. 125 ff., 153. 39 Vgl. nur SK-StPO-Rogall Vor § 48 Rn. 93; Rupp AöR 101 (1976), 161, 17l. 40 Zacharias, S. 139.

32

1. Kap.: Einleitung

IV. Zwischenergebnis Beim "Zeugen" handelt es sich um ein bedeutendes persönliches Beweismittel, das nicht ohne weiteres durch andere Beweismittel ersetzt werden kann. Dies verdeutlichen nicht zuletzt auch zahlreiche zeugenschützende Vorschriften, etwa die Einfügung des § 247a S. 1, 1. Alt in die StPO. Bereits aus dieser Relevanz des "Zeugen" lässt sich ansatzweise ableiten, warum der Gesetzgeber des Zeugenschutzgesetzes 1998 mit dem "Videozeugen" ein neues Beweismittel in der StPO vorgesehen hat. U. a. durch die Schaffung zeugen schützender Vorschriften konkretisiert der Gesetzgeber die verfassungsrechtlichen, aus der materiell-rechtlichen Funktion der Grundrechte ableitbaren Direktiven. In der Untersuchung wird insoweit darauf einzugehen sein, ob dem Gesetzgeber die Harmonisierung der unterschiedlichen Interessen bei § 247a gelungen ist. Weil die staatliche Verpflichtung zur Herstellung praktischer Konkordanz zwischen etwaigen konfligierenden Interessen der Prozessbeteiligten einerseits, dem Gebot der umfassenden Wahrheitsfindung von Amts wegen andererseits, auch bei der Anwendung der jeweiligen Norm im Strafprozess besteht, muss auch die Norm-Auslegung sowie jegliche in das Ermessen gestellte richterliche Entscheidung vor dem Hintergrund der Verpflichtung zur Herstellung praktischer Konkordanz erfolgen.

B. Die Verhinderung der "Flucht" des Zeugen im Hinblick auf die Möglichkeit der Videovernehmung In dem benannten Kontext stehen nunmehr auch die mit dem Zeugenschutzgesetz vom 30. 04. 1998 eingeführten, dem Zeugenschutz und der umfassenden Wahrheitsermittlung dienenden Vorschriften zur Durchführung einer Videovemehmung gern. §§ 58a, 255a, 168e, 247a StPO. Gleiches gilt für Art. 10 des Übereinkommensvorschlages des Rates der Europäischen Union vom 29. 05. 2000,41 womit das geltende europäische Rechtshilfeübereinkommen (EuRhÜbk) vom 20. 04. 1959 ergänzt wird. 42 Auf diese Vorschriften soll nunmehr zunächst im Überblick eingegangen werden, um erste Unterschiede zu verdeutlichen. 41 Im folgenden ErgÜbk. Vgl. dazu EGAbl. 2000/C19711 v. 12.07.2000, S. 1 ff. sowie den erläuternden Bericht des Rates der Europäischen Union v. 30. 11. 2000, EGAbl. 2001 C379102 v. 29. 12.2000, S. 7 ff. Das ErgÜbk tritt 90 Tage nach der Notifizierung durch den 8. Mitgliedstaat der EU in Kraft (Art 27 Abs. 3 ErgÜbk). Derzeit (Stand: 01. 02. 2002) hat nur Portugal am 5. 11. 2001 den Abschluss des verfassungsrechtlichen Verfahrens zur Annahme des Übereinkommens beim Generalsekretär des Rates der EU (Art 27 Abs. 2 ErgÜbk) notifiziert. 42 EuRHÜbk vom 20.04. 1959 [BT-Drs. 4/382]- Inkraftgetreten am 01. 01. 1977 - i. V. m. Zusatzprotokoll zum EuRHÜbk vom 17. 03. 1978 [BT-Drs. 11/1822] - BGBI. 1964 11, S. 1369, S. 1386; 197611, S. 1799; 1982 I, S. 2071. Abgedruckt u. a. in: Schomburg/ Lagodny Internationale Rechtshilfe in Strafsachen3 , S. 511 ff.

B. Die Verhinderung der "Flucht" des Zeugen

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I. Die Regelungen des Einsatzes von Videotechnik im deutschen Strafprozess

Der Einsatz von Videotechnik im deutschen Strafprozess ist in zweierlei Weisen denkbar, nämlich einerseits zur Aufzeichnung und damit "Konservierung" einer Zeugenaussage auf Videoband sowie andererseits zur simultanen Übertragung der Zeugenaussage von einem Ort zum anderen. Die Anwendung ist dabei nicht auf das Hauptverfahren beschränkt und gerade im Ennittlungsverfahren von besonderer Bedeutung. Dies gilt insbesondere, wenn man bedenkt, dass eine frühzeitige Vernehmung des Zeugen verbunden mit der Konservierung seiner Aussage auf Videoband regelmäßig eine weitgehendere Rekonstruktion materieller Wahrheit ermöglicht, als die Vernehmung des Zeugen zu einem späteren Zeitpunkt, etwa dem der Hauptverhandlung. 43 Denn begreift man die Aussage des Zeugen als ein Produkt geistiger Leistung, wie es dem Axiom heutiger Aussagepsychologie entspricht,44 so braucht nicht weiter ausgeführt zu werden, dass mit fortschreitender Zeit die menschliche Erinnerungsfähigkeit natürlichen Veränderungen unterliegt,45 die der Suche nach der materiellen Wahrheit mit Gewissheit abträglich sind. Berücksichtigt man darüber hinaus, dass wiederholte Befragungen von Opferzeugen, die mit der Strafverfolgung des Taters regelmäßig verbunden sind, gegebenenfalls zu weiteren Folgeschädigungen führen können,46 so wird auch daraus die nicht un43 Was jedenfalls für kindliche Zeugen in der Literatur als ganz herrschende Meinung anzusehen ist, vgl. nur: Bohlander ZStW 107 (1995), 82, 114; Geppert Jura 1996, 550, 555; Laubenthal JZ 1996, 335, 342. 44 Die Konzeptualisierung einer Aussage als geistige Leistung wird auf William Stern im Jahre 1904 zurückgeführt. Sie findet sich in allen aussagepsychologischen Publikationen wieder, vgl. Steiler /Volbert in: Steiler /Volbert Psychologie im Strafverfahren, S. 12 f. 45 Herkömmlich unterscheidet man in der Aussagepsychologie drei Phasen der Aussageentstehung, in denen bestimmte Einflüsse eine Modifikation der "Realität" bewirken können, nämlich die "Wahrnehmungsphase", die "Speicherungsphase" sowie die "Phase der Reproduktionssituation", vgl. dazu Steller/Volbert in: Steller/Volbert Psychologie im Strafverfahren, S. 13. 46 Was unter dem Stichpunkt "sekundäre Traumatisierung" vor allem im Hinblick auf Kinder als Zeugen im Strafverfahren diskutiert wird, vgl. dazu etwa BT-Drs. 6/4983, S. 6, S. 9; 13/7165, S. I, S. 4, S. 6 ff.; Bohlander ZStW 107 (1995), 82, 85 f.; Busse/Volpert/Steller Belastungserleben von Kindern in Hauptverhandlungen (1996), S. 196 f.; Denger ZRP 1991, 48, 50; Hasdenteufel, S. 6 ff., 14; Keiser Kindeswohl, S. 160 f.; Köhnken StV 1995, 376 ff.; Laubenthal JZ 1996, 335, 338; B.-D. Meier RdJB 1996,451 ff.; Pfäfflin StV 1997,95,97; Rieß StraFo 1999, 1, 5; Schlüchter/Greff Kriminalistik 1998, 530, 534; Schünemann StV 1998, 391, 399; Störzer in: Hess/Störzer/Streng Sexualität und Soziale Kontrolle, S. 101, 103. Zur Empirie derartiger Belastungen bei kindlichen Opferzeugen vgl. auch Maier Audiovisuelle Vernehmung, S. 71 ff. Vgl. weiterhin a. die Regelungen in den RiStBV, explizit Nr. 19 Abs. 1 RiStBV: "Eine mehrmalige Vernehmung von Kindern und Jugendlichen vor der Hauptverhandlung ist wegen der damit verbundenen seelischen Belastungen dieser Zeugen nach Möglichkeit zu vermeiden". Weil die RiStBV bereits nach ihrer sprachlichen Abfassung ("soll" und "sofern") sowie ihrer Funktion ("Anleitung für den Regelfall", Kleinknecht 1Meyer-Goßner StP045 Anhang A15 Einleitung, S. 1830) keinerlei Verpflichtung der Adressaten zu einer bestimmten Handlungsweise begründen, können sie einen ausreichenden Opfer- bzw. Zeugenschutz aber nicht begründen, so Mildenberger, S. 47.

3 Rieck

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1. Kap.: Einleitung

erhebliche Bedeutung der sog. tatnahen Erstvemehmung des Zeugen im Ermittlungsverfahren bei gleichzeitigem Einsatz von Videotechnik deutlich. 47 Bereits frühzeitig finden sich wegen der - hier nur ansatzweise - benannten Gründe insoweit Stellungnahmen in der Literatur,48 die den Vorteil des Einsatzes von Videotechnik bei Kinderzeugen gerade darin erblicken, dass die (späte) unmittelbare Aussage des Zeugen in der Hauptverhandlung durch das Abspielen seiner "BildTon-Aufzeichnung" völlig "ersetzt" werden kann. 49 1. Die Möglichkeit der Video-Aufzeichnung einer Zeugenaussage, sog. "videotaped evidence",5o gem. §§ 58a, 255a sowie § 247a S. 4

a) Die Möglichkeit der Videoaufzeichnung im Ermittlungsverfahren,51 also der "Konservierung" einer Zeugenaussage auf einem Videoband, verbunden mit der 47 Die Forderung, Kinder aus dem Hauptverfahren herauszuhalten, ist keine neue. So finden sich bereits im Jahre 1935 Ausfiihrungen in der Literatur (vgl. Rathsam Kriminalistische Monatshefte 1935, 103 ff.), wonach im Prozess geäußert wurde, man könne unverfälschte Kinderaussagen im Prozess dadurch erhalten, dass man ihre Aussagen auf Schallplatten aufnehme und diese anstelle der Kinder "vor Gericht sprechen lasse". Vgl. weiterhin a. Hanack Gutachten, Rn. 164; Lempp NJW 1968,2265,2268; Störzer in: HesslStörzerlStreng Sexualität und Soziale Kontrolle, S. 101, 105 ff. 48 Dazu etwa Keiser Kindeswohl, S. 166; Laubenthai JZ 1996, 335, 342; Maier Audiovisuelle Vernehmung, S. 104, 112 f., 115 ff.; B.-D. Meier GA 1995, 164; ders. RdJB 1996,451; Mildenberger. S. 32 ff., 61 ff., 149 ff., 248 ff. Vgl. weiterhin Nr. 19 Abs. 2 RiStBV: "Bei Zeugen unter sechzehn Jahren soll zur Vermeidung wiederholter Vernehmung von der Möglichkeit der Aufzeichnung auf Bild-Ton-Träger Gebrauch gemacht werden (§ 58a Abs. 1 Satz 2 Nr. 1, § 255a Abs. 1 StPO). 49 Auch im Gesetzgebungsverfahren zum Zeugenschutzgesetz stand im Mittelpunkt der parlamentarischen Diskussionen, wie der Schutz von Kinderzeugen verbessert werden kann, wobei man die richterliche Zeugenvernehmung im Ermittlungsverfahren in Verbindung mit der gleichzeitigen Aufzeichnung der Aussage als das Mittel erster Wahl ansah, vgl. etwa Abg. Beck BT-Plenarprotokoll13/163 v. 13.03.1997, S. 14632 f.; ders. BT-Plenarprotokoll13/ 204 v.14. 11. 1997, S. 18439; Abg. Geis BT-Plenarprotokoll 13/163, S. 14630; Abg. 1. Meyer BT-Plenarprotokoll13/163, S. 14661; MdJ. Schmidt-lortzig BT-Plenarprotokoll 13/204 v. 14. 11. 1997, S. 18448. Gerade die Ausweitung der Vorschriften auf alle Zeugen durch die Regierungsfraktionen wurde von der Opposition erheblich kritisiert, weil man damit den Kinderschutz verwässert, vgl. etwa Abg. Beck BT-Plenarprotokoll 13/163 v. 13. 03. 1997, S. 14632 f.; denselben BT-Plenarprotokoll13/204 v. 14. 11. 1997, S. 18439; Abg. Grießhaber BT-Plenarprotokoll13/204 v. 14. 11. 1997, S. 18454; Abg. Leeb BT-Plenarprotokoll13/ 204v.14.11.1997,S. 18457. 50 Zum Begriff vgl. etwa Geppert Jura 1996, 550, 555; Eisenberg Beweisrecht, Rn. 1328h; Maier Audiovisuelle Vernehmung, S. 116. 51 Die Beschränkung auf das Ermittlungs- bzw. auch Zwischenverfahren ergibt sich aus einem Urnkehrschluss zu § 58a Abs. 1 S. 2 Nr. 2, wonach die Aufzeichnung erfolgen soll, wenn zu besorgen ist, dass der Zeuge in der Hauptverhandlung nicht vernommen werden kann. Insoweit ist es m. E. unzutreffend, wenn etwa Meyer-Mews (NJW 2002, 103, 106) annimmt, "der Standort des § 58a StPO im Sechsten Abschnitt des Ersten Buches, der sich mit den Rechten und Pflichten der Zeugen befasst, [deute] auf eine Anwendung in der Hauptverhandlung hin".

B. Die Verhinderung der "Flucht" des Zeugen

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beliebigen Reproduzierbarkeit der aufgenommenen Aussage in weiteren Verfahrensabschnitten, besteht gern. § 58a. Nach dessen Abs. 1 S. 1 "kann" jede staatsanwaltliche- oder richterliche Zeugen vernehmung im Ermittlungsverfahren 52 ohne weitere Voraussetzungen ! - auf "Bild- und Tonträger", also regelmäßig einem Videoband, aufgezeichnet werden. 53 Für polizeiliche Vernehmungen gilt dies de lege lata nicht. 54 Demgegenüber "soll" eine Aufzeichnung der Zeugenaussage Vgl. §§ 161a Abs. 1 S. 2, 168 c Abs. 2. Einschränkendes Regulativ bildet aber der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, so dass nicht jeder "Alltagsfall" (Rieß StraFo 1999, I, 2) zu einer Bild-Ton-Aufzeichnung führen kann, HK-StP0 3 -Lemke § 58a Rn. 7; Rieß NJW 1998, 3240, 3241. 54 Darüber, ob § 58a auch für polizeiliche Vernehmung gilt, herrscht Uneinigkeit. Mangels eines entsprechenden Verweises in § 163a Abs. 5 auf die Vorschrift des § 58a wird die Konservierung der Zeugenaussage auf Videoband durch die Vernehmungs beamten der Polizei überwiegend für unzulässig erachtet, so: Eisenberg Beweisrecht, Rn. 1328h; Kleinknechtl Meyer-Goßner StP045 § 58a Rn. 1; Lagodny (2000), S. 167, 171, Rieß NJW 1998, 3240, 3241; ders. StraFo 1999, 1,4 Fn. 44; SK-StPO-Rogall § 58a Rn. 3. Demgegenüber wendet Griesbaum (in: NStZ 1998, 433, 439) ein, diese Sichtweise könne nicht überzeugen. Denn bereits vor Einfügung des Zeugenschutzgesetzes in die StPO konnte "gemäß §§ 168a II, 168b II StPO das Protokoll einer richterlichen, staatsanwaltlichen und polizeilichen Vernehmung mit einer Videokamera als Tonaufnahmegerät vorläufig aufgezeichnet und die Vernehmungsniederschrift mit Videoaufzeichnung in der Hauptverhandlung unter den Voraussetzungen des § 251 StPO als Urkunde nebst Augenscheinsobjekt verwertet werden" (vgl. BGHst 34,39,52 sowie a. Kurth NJW 1978, 2481, 2484 Fn. 40). Insoweit habe die Vorschrift des § 58a nur klarstellende Bedeutung - i. Erg. ebenso Pfeiffer StP0 3 § 58a Rn. 1; Seitz JR 1998, 312; KKStP04 -Senge § 58a Rn. 3 - allerdings ohne nähere Begriindung. Gegen die erstgenannte Auffassung könnte man ggf. einwenden, dass an sich kein Bedürfnis besteht, zwischen polizeilichen und staatsanwaltlichen Vernehmungen zu differenzieren. Denn für die Verwendung einer Bild-Ton-Aufzeichnung ergibt sich ein klarer Differenzierungsmaßstab aus § 255a (Abs. 2). Und schließlich kann es doch kaum einen Unterschied machen, ob der jeweilige Staatsanwalt bei der Zeugenvernehmung durch seine Hilfsbeamten anwesend ist oder nicht. Andererseits vermag die mit der Auffassung von Grießbaum verbundene Annahme, § 58a habe nur "KlarsteIlungsfunktion", aber noch weniger zu überzeugen. Dies gilt insbes., wenn man Wortlaut wie Te1eologik der Vorschrift des § 168a betrachtet: Zunächst verdeutlicht der Wortlaut des § 168a, dass es hier nur um vorläufige Aufzeichnungen zum Zweck der Protokollerstellung geht, wobei das Protokoll gern. § 168a Abs. 2 S. 2 "unverzüglich", d. h. im Anschluss an die Vernehmung, fertigzustellen ist. Weiterhin geht es hier nur um Ton-Aufnahmen. Und das ist hinsichtlich § 58a auch das Wesentliche: Im Hinblick auf den Eingriff in das Persönlichkeitsrecht (vgl. a. HK-StP0 3-Lemke § 58a Rn. 4: "erheblicher Eingriff') besteht doch ein Unterschied, ob nur das ,Gesprochene' (Recht am eigenen Wort) oder daneben auch das ,Erscheinungsbild' des Zeugen (Recht am eigenen Wort + Recht am eigenen Bild) aufgezeichnet wird. Jedenfalls vor dem Hintergrund des Gesetzesvorbehaltes einerseits, des klaren Wortlauts und der Funktion des § 168a andererseits, spricht vieles dafür, § 58a besitze konstitutive Wirkung. Und insoweit ist dann der Argumentationsschluss von § 168a auf die Vorschrift des § 58a für polizeiliche Bild-Ton-Aufzeichnungen nicht unproblematisch. Die friihere, mehr aus der Not einer mangelnden Ermächtigungsgrundlage geborene Rechtspraxis kann demgegenüber wohl kaum hinreichende Legitimationsgrundlage sein. Wäre anderes richtig, so fragte sich, wieso die Polizei einen Zeugen nicht zum Erscheinen (vgl. § 161a), ihn dann aber, wenn er freiwillig erscheint, zur Duldung der Bild-Ton-Aufzeichnung zwingen können soll. Eine weitere Diskussion mag hier nun mit dem Hinweis darauf dahinstehen, dass es dem Zeugen freilich unbenommen bleibt, in den Eingriff einzuwilligen. Und gerade dieses Einver52 53

3*

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1. Kap.: Einleitung

(durch den Richter oder Staatsanwalt) erfolgen, wenn es sich bei dem Zeugen entweder um den Verletzten der Straftat handelt, der im Zeitpunkt der Vernehmung jünger als sechzehn Jahre ist (§ 58a Abs. 1 S. 2 Nr. 1),55 oder wenn befürchtet werden muss, dass der Zeuge in der Hauptverhandlung nicht vernommen werden kann, exemplarisch weil er lebensgefährlich erkrankt oder sehr gebrechlich ist oder eine längere unaufschiebbare Auslandsreise bevorsteht,56 soweit "die Aufzeichnung zur Erforschung der Wahrheit erforderlich ist" (§ 58a Abs. 1 S. 2 Nr. 2). Die Voraussetzungen für die Verwendung der Videoaufzeichnung im Rahmen der Beweisaufnahme in der Hauptverhandlung regelt § 255a. Nach dessen Abs. 2 "kann", in Abweichung vom Grundsatz der persönlichen Vernehmung des Zeugen in der Hauptverhandlung (§ 250 S. 1), die (grundsätzlich) unmittelbare Zeugenvernehmung durch das Abspielen der "Bild-Ton-Aufzeichnung" einer früheren richterlichen Vernehmung ersetzt werden, wenn es sich bei der Aussageperson um einen Zeugen unter sechzehn Jahren handelt, der persönliche Wahrnehmungen zu bestimmten Deliktsgruppen, nämlich Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung (§§ 174 ff. StGB), das Leben (§§ 211 ff. StGB) oder wegen der Misshandlung von Schutzbefohlenen (§ 225 StGB), gemacht hat und sowohl der Verteidiger als auch der Angeklagte Gelegenheit hatten, an der richterlichen Vernehmung des Zeugen im Ermittlungsverfahren mitzuwirken. 57 Demgegenüber gelten nach ständnis wird auch bei § 58a pragmatisch sinnvoll - und insoweit nötig - sein, wenn eine für die Beweisgewinnung ,verwertbare' Bild-Ton-Aufzeichnungen angefertigt werden soll, SKStPO-Rogall § 58a Rn. 7, mag sich die Notwendigkeit der Einwilligung für den einen oder anderen Gesetzesexeget auch in normativer Hinsicht nicht zwingend aus den benannten Vorschriften ergeben. 55 Gegen die Einmalvernehmung insbes. von Kinderzeugen und der "Konservierung" der Aussage werden in der psychologischen wie juristischen Literatur erhebliche Zweifel vorgebracht. So wird es etwa als unrealistisch angesehen, dass durch die Ermittiungsbehörden bereits bei der Erstvernehmung des Kindes alle Fragen gestellt werden können, die für das Strafverfahren von Bedeutung sind, weil die Erfahrung lehre, dass erst im Verlaufe des Verfahrens und durch die Vernehmung weiterer Zeugen regelmäßig neue Fragen auftauchen, die einer Klärung bedürfen, so v. Knobloch zu Hatzbach ZRP 2000, 276, 278; Strate StraFo 1996,2,3. A.A. demgegenüber Maier Audiovisuelle Vernehmung, S. 66. Vgl. a. KK-StP04 Senge § 58a Rn. 7: ,,zu bedenken ist aber, dass das Ermittlungsverfahren ein empirischer Prozess ist; Aussagen die aufgrund eines augenblicklichen Ermittiungsstandes als unbedeutend erscheinen, können bei fortschreitendem Erkenntnisstand wichtig werden." 56 So die gebildeten Fallgruppen bei KK-StP0 4 -Senge § 58a Rn. 3. 57 Dies setzt voraus, dass diese auch rechtzeitig über den Termin benachrichtigt wurden, § 168c Abs. 5 S. 2. Weiterhin muss dem Verteidiger vollständige Akteneinsicht gewährt worden sein, Eisenberg Beweisrecht, Rn. 1328 I. § 255a kommt insoweit - im Umkehrschluss im Falle des § 168c Abs. 5 S. 2 nicht zur Anwendung, Eisenberg a. a. O. Der Begriff "Gelegenheit" verdeutlicht, dass es nach dem Willen des Gesetzgebers nicht darauf ankommen kann, dass der Beschuldigte und sein Verteidiger ihre Mitwirkungsrechte auch tatsächlich wahrgenommen haben, BT-Drs. 13 / 4983, S. 8. Im Falle ihres Ausbleibens trotz Benachrichtigung wird dann auch kein Konventionsverstoß gegen Art. 6 Abs. 1 iVm. Abs. 3 lit. d. EMRK angenommen, vgl. KK-StP04 -Diemer § 255a Rn. 10. Erforderlich ist aber, dass dem unverteidigten Beschuldigten vor der ermittlungsrichterlichen Vernehmung

B. Die Verhinderung der "Flucht" des Zeugen

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§ 255a Abs. 1 für die Vorführung einer anderen, nicht dem § 255 Abs. 2 unterfallenden "Bild-Ton-Aufzeichnung" die §§ 251, 252, 253, 255 entsprechend. 58

b) Während der Hauptverhandlung ermöglicht § 247a S. 4 die "Konservierung" einer Zeugenaussage auf Bild-Ton-Träger, wenn die Aussageperson als Zeuge in einer weiteren Hauptverhandlung in Betracht kommen kann und dafür die Befürchtung besteht, der Zeuge könne zum späteren Zeitpunkt nicht mehr vernommen werden. Maßstab hierfür ist, wie der weitere Gesetzeswortlaut ("zur Erforschung der Wahrheit erforderlich") nahelegt, die gerichtliche Amtsaufklärungspflicht gern. § 244 Abs. 2. 2. Die Möglichkeit der Video-Simultanübertragung einer Zeugenaussage, sog. "audiovisuelle Fernvernehmung", gem. §§ 168e, 247a

Die simultane, also zeitgleiche Übertragung der Zeugenaussage von einem anderen Ort ermöglichen die §§ 168e, 247a bei einer richterlichen Vernehmung des Zeugen, und zwar in recht unterschiedlicher Weise für das Ermittlungsverfahren (§ 168e) wie der Hauptverhandlung (§ 247a). a) Bei der richterlichen Vernehmung eines Zeugen im Ermittlungsverjahren59 besteht gern. § 168c Abs. 2 im Grundsatz ein Recht der Staatsanwaltschaft, des Beschuldigten sowie des Verteidigers auf Anwesenheit. Gern. § 168e S. 1 "soll" der Richter die Vernehmung aber aus Gründen des Zeugenschutzes ausnahmsweise dann getrennt von den Anwesenheitsberechtigten durchführen, wenn bei der Vernehmung des Zeugen in deren Gegenwart die "dringende Gefahr eines schwerwiegenden Nachteils für das Wohl des Zeugen" besteht und diese Gefahr "nicht in anderer Weise abgewendet" werden kann. Die Vernehmung des Zeugen durch den Richter ist dann den Anwesenheitsberechtigten in "Bild und Ton", etwa in das Nebenzimmer, zu übertragen, wobei die Mitwirkungsbefugnisse der Anwesenheitsberechtigten gewahrt werden müssen (§ 168e S. 3). Dies setzt geeignete technische Einrichtungen voraus, die es ermöglichen, dass insbesondere das Nachfragerecht des Beschuldigten (Art 6 Abs. 3 lit.d EMRK, § 240 StPO), im Regelfall derartiger Vernehmungen über den Vorsitzenden (§§ 168e S. 4, 241a), während der Zeugenvernehmung ausgeübt werden kann. 6O eines Belastungszeugen auch ein Verteidiger bestellt wurde, wenn der Beschuldigte von der Anwesenheit bei dieser Vernehmung ausgeschlossen ist, BGH NStZ 2001, 212 ff. 58 Im Vordergrund des Interesses stehen hier nicht Gesichtspunkte des Zeugenschutzes, sondern der Verfahrensbeschleunigung wie der Beweissicherung, KK-StP04-Diemer § 255a Rn. 2. 59 Vgl. dazu §§ 162, 168c, 251 Abs. 1. Weil gerade der richterlichen Untersuchungshandlung für das Hauptverfahren besondere Bedeutung zuerkannt wird (vgl. § 251 Abs. 1), wie man auch den Regelungen zu den Anwesenheitsrechten entnehmen kann, wird die ermittlungsrichterliche Vernehmung auch als "kleine Hauptverhandlung" bezeichnet, vgl. etwa Fezer JuS 1977,382,383.

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1. Kap.: Einleitung

b) Im Rahmen der Hauptverhandlung ennöglicht § 247a S. 1, 1. Alt unter denselben Voraussetzungen wie § 168e S. 1 ("dringende Gefahr eines schwerwiegenden Nachteils für das Zeugenwohl" sowie "nicht in anderer Weise" abwendbar) die audiovisuelle Videoübertragung der Zeugenaussage von einem anderen Ort aus Gründen des Zeugenschutzes. Dieser Ort kann im gleichen Gerichtsgebäude eingerichtet sein; möglich ist aber auch ein beliebig anderer Ort im In- oder Ausland. 61 Wie sich aus einem Vergleich des Gesetzeswortlauts von § 168e S. 2 mit § 247a S. 3 ergibt, besteht aber im Hinblick auf die Vernehmung im Ennittlungsverfahren ein grundlegender Unterschied: Im Rahmen der Videovernehmung des Zeugen in der Hauptverhandlung wird nicht die "Vernehmung" (§ 168e S. 2) des Zeugen, sondern allein dessen "Aussage" (§ 247a S. 3) von einem anderen Ort audiovisuell übertragen. Daraus wird ersichtlich, dass sich der Richter bei der audiovisuellen Vernehmung in der Hauptverhandlung nicht an dem Ort aufhält, an welchem sich auch der Zeuge befindet. Gerade der Einsatz von Videotechnik erlangt hier insoweit besonders große Bedeutung, weil, anders als im Falle der Videovernehmung im Ermittlungsverfahren, bereits das "Ob" der Kommunikation zwischen der Vernehmungsperson und dem Zeugen vollständig vom (effektiven) Videotechnikeinsatz abhängig ist. Über die Gründe des Zeugenschutzes hinausgehend ist die audiovisuelle Fernvernehmung des Zeugen gern. § 247a S. 1, 2. Alt weiterhin "unter den Voraussetzungen des § 251 Abs. 1 Nr. 2-4", also bei einem Erscheinenshindernis (Nr. 2), der Unzumutbarkeit des Erscheinens (Nr. 3) oder beim Einverständnis von Staatsanwalt, Verteidiger und Beschuldigten (Nr. 4) zulässig, "soweit dies zur Erforschung der Wahrheit erforderlich ist". Maßstab dafür ist auch hier die gerichtliche Amtsaufklärungspflicht gern. § 244 Abs. 2.

3. Zwischenergebnis

Mit den durch das Zeugenschutzgesetz vom 30. 04. 1998 eingeführten Videovernehmungsvorschriften hat der Gesetzgeber in umfassender Weise, nämlich sowohl für das Ermittlungs- wie auch das Hauptverfahren, den Einsatz von Videotechnik im Strafverfahren geregelt. Möglich ist so einerseits die "Konservierung" der frühzeitig aufgenommenen Zeugenaussage, andererseits die "simultane Übertragung" der Zeugenaussage von einem Ort zum anderen, gegebenenfalls bei gleichzeitiger Aufzeichnung / Speicherung auf einem "Bild-Ton-Träger" (§§ 247a S. 4, 168e S. 4). 60 Auch die "Konservierung" der Zeugenaussage ist - wie bereits ausgeführt - unter den Voraussetzungen des § 58a möglich, worauf § 168e S. 4 explizit verweist, so dass bei der richterlichen Vernehmung im Ermittlungsverfahren - das Vorliegen der vorbenannten Voraussetzungen unterstellt - in umfassender Weise, nämlich als Mittel zur Speicherung und Übertragung, Videotechnik eingesetzt werden kann. 61 Vgl. KMR-Lesch § 247a Rn. 4; SK-StPO-Schlüchter § 247a Rn. 16; Rieß NJW 1998, 3240,3242.

B. Die Verhinderung der "Flucht" des Zeugen

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Weil die Kommunikation zwischen Vernehmungsperson und Zeuge nach der Gesetzesfassung des § 247a vollständig vom optimalen Funktionieren der Videotechnik abhängig ist, bedarf die Beweisführung mittels "Videozeugen" per se einer gewissen Rechtfertigung dort, wo der Zeuge grundsätzlich auch ,in Person' in der Hauptverhandlung vernommen werden könnte. Darauf soll im Rahmen der Voraussetzungen des § 247a näher eingegangen werden. Demgegenüber liegt der Vorteil des Technikeinsatzes dort offen auf der Hand, wo die Vernehmung des Zeugen in der Hauptverhandlung andernfalls nur durch bloße (Beweis-)Surrogate, etwa einem Vernehmungsprotokoll aus dem Ermittlungs- oder Zwischenverfahren62 oder der bereits oben angesprochene ,,zeuge vom Hörensagen", ersetzt werden kann, was es auf den ersten Blick zu rechtfertigen scheint, dass besondere Voraussetzungen für den Einsatz von Videotechnik hier nicht erforderlich sind, soweit jedenfalls auch der benannte Unmittelbarkeitsgrundsatz die Videofernvernehmung des Zeugen in der Hauptverhandlung (anstelle der Surrogatverwendung) gebietet. 63 Da gerade die "Unmittelbarkeit" der Kommunikation beim Einsatz vom Videotechnik nicht unerheblich von der technischen Ausgestaltung im einzelnen abhängig ist, muss im folgenden auch darauf eingegangen werden, in welcher Art und Weise die Videotechnik einzusetzen ist. Dabei wird aufzuzeigen sein, dass der heutige Stand der Technik Videoübertragungen ermöglicht, die einer "unmittelbaren Vernehmung" des Zeugen in der Hauptverhandlung weitgehend entsprechen. 11. Der Übereinkommensvorschlag des Rates der Europäischen Union vom 29. 05. 2000

Liegt der Vorteil des Einsatzes von Videotechnik, wie soeben ausgeführt, dort offen zutage, wo der Zeuge in der Hauptverhandlung nicht erscheinen kann oder will und "seine Wahrnehmungen" allenfalls durch Surrogate in die Hauptverhandlung eingeführt werden können, so wird die Bedeutung des Technikeinsatzes bei der Zeugenvernehmung besonders augenscheinlich, wenn es sich bei dem Zeugen um eine Person handelt, die sich im Ausland aufhält und deren Erscheinen nicht erzwungen werden kann. 64 Ist dieser Zeuge im Grundsatz zwar zur Aussage, nicht 62 Zur kommissarischen .Zeugenvernehmung durch einen beauftragten bzw. ersuchten Richter (§ 223) siehe Fn. 65. 63 Was ersichtlich im Falle des § 255 Abs. 2 nicht der Fall ist, wonach die gern. § 58a aufgezeichnete "Videokonserve" der Zeugenaussage bei Opferzeugen unter sechzehn Jahren bei bestimmten Deliktsgruppen als Beweismittel in der Hauptverhandlung - anstelle der unmittelbaren Vernehmung des Zeugen (§ 250) - verwendet werden ,,kann", wenn der Beschuldigte und sein Verteidiger Gelegenheit hatten, an der Vernehmung mitzuwirken. Hier ist dann allein die "ergänzende Vernehmung des Zeugen" in der Hauptverhandlung zulässig (§ 255 Abs. 2 S. 2). Dazu im einzelnen im 3. Kapitel, Abschnitt C. 64 Rose (1998), S. 113, 150. Die Hoheitsgewalt und damit die Möglichkeit zur Zwangsausübung endet an den eigenen Hoheitsgrenzen. Dahinter beginnt diejenige des ausländischen Staates, der regelmäßig jegliche hoheitliche "Handlungen" auf seinem Gebiet als Eingriff in

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1. Kap.: Einleitung

aber zum Erscheinen in der Hauptverhandlung des - für ihn ausländischen - Gerichts bereit, konnte bisher nur - die Zulässigkeit dieser Vorgehensweise unterstellt - die kommissarische Vernehmung des Zeugen durch einen beauftragten oder ersuchten Richter (§ 223 Abs. 1) vorgenommen werden, wenn eine entsprechende Rechtshilfeleistung, sei es die Gestattung der Vernehmung durch den beauftragten Richter oder die selbständige Vernehmung des Zeugen durch den ausländischen Staat, erfolgt. 65 Weil hierbei gleichermaßen nur ein Vernehmungsprotokoll als sachliches Beweismittel in der Hauptverhandlung zu Verfügung steht,66 erlangt die, nach innerstaatlichem Recht unter gleichen Voraussetzungen wie eine kommissarische Vernehmung durchführbare,67 simultane Vernehmung des Zeugen von seinem Aufenthaltsort in den Sitzungssaal der Hauptverhandlung nicht nur für das Tatgericht, sondern wegen der Gewährleistung existentieller Verteidigungsrechte, wie etwa dem Fragerecht zur Erschütterung der Glaubwürdigkeit eines Belastungszeugen, auch für den Beschuldigten und seinen Verteidiger große Bedeutung. Gerade im Lichte dieser Bedeutung einer grenzüberschreitenden Videosimultanübertragung von Zeugenaussagen steht der Übereinkommensvorschlag des Rates die eigene Souveränität empfindet. Darauf wird ausführlich noch im 6. Kapitel zurückzukommen sein, das sich ausschließlich der Vernehmung von Auslandszeugen widmet. 65 Beim beauftragten Richter handelt es sich um ein Mitglied des jeweiligen Gerichts, vgl. § 361 ZPO, während die Beweisaufnahme vor dem ersuchten Richter durch ein anderes Gericht erfolgt, vgl. § 362 ZPO. Da die Beweisaufnahme im Ausland - regelmäßig - nach den Verfahrensvorschriften des ausländischen (= ersuchten) Staates vorgenommen wird (vgl. etwa Art. 3 Abs. 1 EuRHÜbk; Nr. 138 Abs. 2 RiVASt [1993] sowie die eigenen Ausführungen dazu im 6. Kapitel) und Amtshandlungen durch deutsche Strafverfolgungsbehörden und Gerichte auf fremden Hoheitsgebiet nur höchst ausnahmsweise dann möglich sind, wenn der jeweilige Aufenthaltsstaat des Zeugen die hoheitliche Tätigkeit auf eigenem Gebiet erlaubt (was jedoch nicht der Regel entspricht), kommt der Selbstvornahme der Beweiserhebung durch einen deutschen Richter im Hoheitsbereich eines anderen Staates absoluten Ausnahmecharakter zu. Regelmäßig handelt es sich bei der kommissarischen Beweisaufnahme gern. § 223 insoweit um eine solche durch einen ersuchten Richter (dazu Nagel Beweisaufnahme im Ausland, S. 255 ff.). Diese Vernehmung ist nun entweder durch die Einschaltung der entsprechenden konsularischen Vertretung im Ausland möglich (vgl. dazu Nm. 128 ff. RiVASt [1993]; §§ 15, 19, 24 KonsularG), wenn der jeweilige Staat der Vornahme der Rechtshilfehandlung durch deutsche Konsularbeamte zugestimmt hat, oder - im Regelfall - im Wege der Vernehmung durch ausländische Behörden bzw. ein ausländisches Gericht. Auch wenn das Gesetz von der (kommissarischen) Vernehmung durch einen Richter spricht, muss es sich nach der Rechtsprechung dabei nicht durchweg auch um eine richterliche Vernehmung im Ausland handeln, um das bei der Vernehmung erstellte Protokoll gern. § 251 Abs. 1 in die Hauptverhandlung einzuführen. Denn man könne "nicht erwarten, dass bei der Ausführung eines Rechtshilfeersuchens deutsches Strafverfahrensrecht angewendet wird; sie [die um Rechtshilfe ersuchenden Gerichte] müssen sich vielmehr mit der Beachtung der am Vernehmungsort geltenden Zuständigkeits- und Verfahrensvorschriften begnügen", BGHst 7, 15, 16 unter Verweis auf RGst 11, 391; 15,409,413; 46, 50, 53. Die Vernehmung muss dann aber im Ergebnis einer richterlichen Vernehmung, insbesondere im Hinblick auf die Belehrungsund Wahrheitspflichten, vergleichbar sein, BGHst 7, 15, 17. 66 Vgl. insbes. §§ 223 Abs. 1,251 Abs. I Nr. 2. 67 Vgl. §§ 223 Abs. I und 2; 251 Abs. I Nr. 1 und Nr. 2 iVm. § 247a S. 1,2. Alt.

C. Ziele der Arbeit

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der Europäischen Union vom 29. 05. 2000, der eine Verbesserung der justiziellen Zusammenarbeit in Strafsachen zwischen den Mitgliedstaaten herbeiführen soll.68 Er regelt unter dem Titel 11, "Ersuchen um bestimmte spezifische Formen der Rechtshilfe", in Art 10 des Übereinkommensvorschlags detailliert die grenzüberschreitende "Vernehmung per Videokonferenz" zwischen ersuchendem und ersuchten Mitgliedstaat. Darüberhinaus wird in Art 11 die "Vernehmung von Zeugen oder Sachverständigen per Telefonkonferenz" vorgesehen. Muss gerade auf die Regelung des Art 10 ErgÜbk wegen ihrer Bedeutung im einzelnen näher eingegangen werden, so drängt sich bereits hier eine erste Vermutung auf: Die audiovisuelle Fernvernehmung des Zeugen mittels Videotechnik wird dem Gebot umfassender Wahrheitsermittlung dienen und bei entsprechend sachgerechter Ausgestaltung der technischen Durchführung auch die "Flucht des Zeugen aus seiner Zeugenrolle" verhindern können. Ob diese Hypothese nun tatsächlich zutrifft, bedarf einerseits zunächst der Darlegung der bisherigen Situation beim Umgang mit Auslandszeugen. Andererseits wird die Vermutung auch mit der Antwort auf die Frage stehen und fallen, inwieweit eine "Unmittelbarkeit" der Kommunikation zwischen Vernehmungsperson und Zeugen hergestellt werden kann. Und gerade auf die letztgenannte Frage wird sich die folgende Untersuchung besonders zu konzentrieren haben.

c. Ziele der Arbeit im Hinblick auf den Einsatz von Videotechnik im Strafprozess bei der Vernehmung von Zeugen Wurden damit bereits erste Ziele benannt, soll nunmehr zunächst der Frage nachgegangen werden, warum ein Bedürfnis für eine weitere Untersuchung zum "Videozeugen" besteht. Denn daraus wird es möglich werden, weitere Ziele der Untersuchung zu benennen. Und schließlich dürften die bereits benannten Ziele auch besser verständlich werden.

I. Bedürfnis für eine Untersuchung zu § 247a? Die Notwendigkeit einer weiteren Untersuchung basiert auf den offensichtlich gegebenen Schwierigkeiten der Verfahrenspraxis im Umgang mit dem nunmehr in der StPO vorgesehenen "Videozeugen".69 Dies gilt in nationaler Hinsicht für das Vorverfahren und die Hauptverhandlung, genauso wie für den grenzüberschreiten68 Rat der Europäischen Union EGABl. 2000/C 379/02 v. 29. 12.2000. Vgl. dazu bereits Nw. in Fn. 41. 69 V gl. dazu nur die zusammenfassenden Ausführungen v. Knobloch zu Hatzbach ZRP 2000, 276 ff. - betreffend die Anwendung von Videotechnik bei Kinderzeugen.

42

1. Kap.: Einleitung

den (europaweiten) Anwendungsbereich. Denn es dürften derzeit weder alle nationalen Gerichte, geschweige denn alle Mitgliedstaaten des EuRhÜbk,7o technisch in der Lage sein, eine Videofemvernehmung von Zeugen durchzuführen. Abgesehen davon scheint dariiber hinausgehend im einzelnen offensichtlich unklar, wie die Videovernehmung in technischer Hinsicht abläuft, insbesondere was der jeweilige Richter für ein technisches Vorverständnis benötigt, welcher Aufwand bei der Durchführung einer Videovernehmung einzukalkulieren ist, in welcher Qualität der Zeuge im Gerichtssaal "erscheint" oder wie Aktenbestandteile, Bilder oder Personen dem Zeugen "gegenübergestellt" werden können. Dies wird etwa auch daraus deutlich, dass der deutsche Gesetzgeber zwar den "Videozeugen" in die StPO eingefügt, das konkrete "Wie" seiner "Femvernehmung" jedoch nicht geregelt hat. 71 Blickt man nun in die literarischen Stellungnahmen zu § 247a, so ergibt sich aus ihnen überwiegend ein zusammenhängendes und insoweit nachvollziehbares theoretisches Konstrukt zum "Videozeugen". Man kann dann den Ausführungen weiterhin entnehmen, dass der Wert dieses Beweismittels - wegen der postulierten verfahrenspraktischen Schwierigkeiten - erheblich zu relativieren sei, ja insoweit auf einer Stufe mit bloßen Beweissurrogaten stehe. Und dem wiederum scheint dann auch die Verfahrenspraxis Glauben zu schenken, was die bisher vereinzelt gebliebenen Entscheidungen der Rechtsprechung zu § 247a verdeutlichen. Im Hinblick auf den Praxisbezug der Vorschrift ruft es nunmehr besondere Verwunderung hervor, dass sich weder in den Gesetzesbegründungen zum Zeugenschutzgesetz, noch in den (bisher) erschienenen Stellungnahmen zu § 247a Ausführungen zu empirischen Erfahrungen finden; nichtsdestotrotz aber gerade die Frage nach der systematischen Stellung des "Videozeugen" im Beweismittelkatalog der StPO durchweg ohne weiteres beantwortet wird. 72 Denn gerade die Aufklärung dieser praktischen Unsicherheiten scheint doch unabdingbar, bildet sie die Basis für jegliche weitere (theoretische) Argumentation. So kann man die Frage, in welchem Verhältnis der "Videozeuge" zu anderen Beweismitteln, wie dem Vernehmungsprotokoll oder der Bild-Ton-Aufzeichnung, steht, nicht sachgerecht beantworten, ohne dass das Fundament des § 247a, also die technische Durchführung der Videofemvernehmung, vor allem aber auch die Qualität der jeweiligen Übertragung, näher betrachtet wird. Gerade weil bei der neugeschaffenen Regelung des § 247a Praxis und Theorie ganz eng miteinander verbunden sind, muss jegliche Argumentation bei Einzelproblemen zum "Videozeugen" völlig in der Luft schweben, wenn hier auf bloße Vermutungen, an statt auf empirische Tatsachen zuriickgegriffen wird. 73 70 Als Beispiel sei hier etwa die Tschechische Republik benannt, vgl. dazu BGB NStZ 2000,385; BGBNIW 2000, 2517, 2519. 71 Vgl. dazu die Ausführungen im nächsten Kapitel sub Abschnitt B 11. Zu weiteren Unklarheiten im Hinblick auf § 247a vgl. a. die Ausführungen im 3. Kapitel. 72 Vgl. dazu insbesondere die Ausführungen im 3. Kapitel.

C. Ziele der Arbeit

43

Mit diesem Mangel an Ausführungen zum praktischen Fundament, also zur Basis der weiteren Argumentation, mangelt es einer Mehrzahl der Stellungnahmen zu § 247a nunmehr auch an Überzeugung in ihrer theoretischen Begründung. Und gerade im Hinblick darauf besteht ein dringendes Bedürfnis zu einer erneuten Untersuchung, die auf einem Fundament von Erfahrungen aufbaut, von dem die Lösung der Einzelprobleme zum "Videozeugen" vorgenommen wird. Möchte die vorliegende Arbeit nun einerseits die praktischen wie theoretischen Unsicherheiten beim Umgang mit dem "Videozeugen aufzeigen und bewerten sowie andererseits auch diese Unklarheiten im Umgang mit dem "Videozeugen" beseitigen, soll für das erforderliche "Fundament" der Ausführungen zunächst auf die ersten nationalen Erfahrungen im Umgang mit der Videotechnik im Strafprozess eingegangen werden. 74 Dafür wird beispielhaft auf die - dem Verfasser vom Vorsitzenden und den beisitzenden Richtern geschilderten - Erlebnisse zurückgegriffen, welche in einem Strafverfahren des LG Dresden gesammelt werden konnten, bei dem ein in norwegischer Haft befindlicher deutscher Zeuge, dessen Aussage entscheidende Bedeutung für die Verurteilung des Angeklagten zukam, mittels Videotechnik audiovisuell vernommen wurde. 75 Weiterhin werden die Erfahrungen des Verf. bei selbst durchgeführten Videokonferenzen wiedergegeben, wobei auch unterschiedliche technische Systeme, ihre Wirkungsweise sowie die damit verbundenen Kosten näher beleuchtet werden. Schließlich sollen die eigenen Erlebnisse durch empirische Ergebnisse grundiert werden, die einer kommunikationswissenschaftlichen Arbeit entnommen werden, welche der Frage nachgeht, ob und inwieweit der Einsatz von Videokonferenztechnik Kommunikation beeinflusst. 11. Beschränkung der Untersuchung auf die Videosimultanübertragung der Zeugenaussage in der Hauptverhandlung unter Ausklammerung von §§ 58a, 255a

Wurde nun der Vorteil des Einsatzes von Videotechnik in der Literatur fast einhellig in der Anwendung als Speichermedium erblickt,76 wie dies gerade ausge73 Beispielhaft dazu nur die Ausftihrungen bei Fischer JZ 1998, 816, 820: "Die Beurteilung der Glaubwürdigkeit einer Person setzt eine Unmittelbarkeit der Kommunikation voraus, die durch Bild-Ton-Übertragungen in keinem Fall erreicht werden kann." (Hervorhebungen nicht im Original). Warum er zu dieser Sichtweise gelangt, wird demgegenüber nicht deutlich gemacht. 74 Zur Verwendung von Videotechnik im Verwaltungsprozess zur Verfahrensbeschleunigung, vgl. etwa Focus vom 14. 04. 2001, S. 180. Zum Planspiel "Gerichtsverfahren per Videokonferenz" im Zivilprozess vgl. Anonymus DRiZ 1996, 289 f., vgl. a. Splietorp AnwBl. 1996, 160 f.; ScherffNlW-CoR 1999,32,33. 75 Vgl. dazu LG Dresden Pressemitteilung Nr. 42/00 vom 18.08.2000 - abgedruckt im Anhang. 76 Vgl. dazu die Ausführungen bei Fn. 48 f. in diesem Kapitel.

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1. Kap.: Einleitung

führt wurde, um einerseits eine "tatnahe Erstvernehmung" von Opferzeugen zu ermöglichen, andererseits traumatische Folgebelastungen durch Mehrfachvernehmungen, die mit gegebenenfalls wiederholter Konfrontation mit dem Beschuldigten verbunden sind, zu vermeiden,77 so wird der Bereich der im Ermittlungsverfahren angefertigten sog. "videotaped evidence" in der vorliegenden Arbeit weitgehend ausgeblendet. Denn die Übereinstimmung über die Sinnhaftigkeit einer Verlagerung der Beweisaufnahme in das Ermittlungsverfahren bei bestimmten (Opfer-)Zeugen, die sich der Gesetzgeber mit der Schaffung des § 255a (hier Abs. 2) zu Eigen gemacht hat, legt es nahe, den Blick dorthin zu wenden, wo der Einsatz von Videotechnik im Strafverfahren trotz der geschaffenen Regelungen teilweise für - völlig - überflüssig gehalten wird. Angesprochen ist damit allein der Bereich der audiovisuellen Simultanübertragung einer Zeugenaussage von einem anderen Ort als dem der Hauptverhandlung,78 also dort, wo der Technikeinsatz überhaupt erst das "Ob" einer Kommunikation zwischen der Vernehmungsperson und dem Zeugen ermöglicht. 79 Diese Beschränkung auf die Hauptverhandlung wird auch notwendig, soll die Arbeit eine übersichtliche Anleitung zur Durchführung von Videovernehmungen sein. Es wird sich dabei noch zeigen, dass allein mit den hierzu geschaffenen Vorschriften eine Menge von Problemen verbunden sind. Im Mittelpunkt der Untersuchung steht insoweit § 247a, der die Abwesenheit des Zeugen - trotz grundsätzlicher Erscheinenspflicht - ermöglicht und die Übertragung der "Aussage" des Zeugen von einem anderen Ort in die Hauptverhandlung vorsieht. Wenn hier im folgenden also vom "Videozeugen" die Rede ist, wird damit auf denjenigen Zeugen Bezug genommen, der sich an einem anderen Ort aufhält und dessen Aussage mittels Videokonferenztechnik in die Hauptverhandlung übertragen wird.

III. Videovernehmung bei Auslandszeugen und praktische Relevanz des freien Geleits Die Videovernehmung gern. § 247a steht im Falle ihrer Anwendung gegebenenfalls in einem engen Zusammenhang mit einem anderen Rechtsinstitut, dem des sog. "freien Geleits". Dieses Rechtsinstitut dient, wie die Möglichkeit zur audiovisuellen Femvernehmung von Auslands-Zeugen auch, vordergründig dazu, dem Tatgericht einen unmittelbaren Eindruck von der Aussageperson, die im Ausland geladen werden muss, in der Hauptverhandlung zu ermöglichen. 77 Bohlander ZStW 107 (1995), 82, 115 bezeichnet diese als "Grundübel" der Belastung kindlicher Zeugen. 78 So etwa Eisenberg Beweisrecht, Rn. 1328e; Mehle StraFo 1996, 2; Strate StraFo 1996, 2,4 f.; vgl. a. KK-StP0 4 -Senge § 58a Rn. 3. 79 Anders als bei der "Konservierung" der Aussage des Zeugen auf Videoband und ihrer späteren Verwendung im Prozess, muss man bis heute nach Strafverfahren geradezu suchen, bei denen die Zeugenaussage mittels Videotechnik simultan in die Hauptverhandlung übertragen wurde.

C. Ziele der Arbeit

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Unter "freiem Geleit", das im internationalen Sprachgebrauch als "safe conduct" bezeichnet wird, versteht man heute 80 die - in der Regel schriftliche - Zusicherung eines zeitlich und inhaltlich beschränkten Verfolgungshindernisses an einen - regelmäßig sich im Ausland aufhaltenden - Zeugen,81 dessen Nichterscheinen mit Blick auf die völkerrechtliche Souveränität des Aufenthaltsstaates nicht erzwungen (und sanktioniert) werden kann. 82 Der Zeuge, der im Falle seines Erscheinens auf dem Hoheitsgebiet des fremden Staates eigene Strafverfolgung befürchtet, soll damit der Ladung vor den inländischen Gerichten oder Errnittlungsbehörden freiwillig nachkommen und nicht aus Angst vor eigener Strafverfolgung das Erscheinen von vornherein ablehnen. Denn dann wäre gegebenenfalls ein Beweismittelverlust zu beklagen, was für die Bekämpfung organisierter Kriminalität bzw. der Terrorismusbekämpfung gravierende Auswirkungen hat (s. 0.).83

Selbst wenn also trotz mangelnder Erscheinensbereitschaft, aber bei bestehendem Aussagewillen des Zeugen andere Wege der Beweisgewinnung möglich sind, man denke etwa an die Zeugenvernehmung durch einen ersuchten oder beauftragten Richter (§ 223), so gebietet der bereits benannte Unmitte1barkeitsgrundsatz (§ 250) die Vernehmung des Zeugen in der Hauptverhandlung. Der Grund dafür wird im Rahmen der Ausführungen zum Unmittelbarkeitsprinzip noch näher beleuchtet. 84 Hier nun gerät sogleich die Frage in den Mittelpunkt, ob und in welchen FäHen dem "freien Geleit" beim Auslandszeugen überhaupt noch praktische Relevanz zukommen wird. Denn bedenkt man, dass Videovernehmungen gern. Art. 10 ErgÜbk zumindest "europaweit" grundsätzlich möglich sind, dariiberhinaus Videovernehmungen bereits seit Ende der achtziger Jahre erfolgreich auch in den USA, Großbritannien, Australien und Neuseeland85 sowie anderem Ländern durchgeführt wurden, so fragt sich doch, ob hierdurch dem Topos von der "Verhinderung der Flucht des Zeugen aus seiner ZeugenroIIe" nicht ausreichend Genüge getan werden kann, m. a. W. das freie Geleit in diesem Bereich sogar als obsolet zu betrachten wäre. Weil auch diese Frage nur beantwortet werden kann, wenn etwaige Unklarheiten im Umgang mit § 247a beseitigt werden bzw. hinreichende Klarheit über die Gren80 Heutige Stellungnahmen bezeichnen nur noch einen kleinen Teil des früher unter dem Begriff verstandenen "freien Geleits". Zum früheren Begriffsverständnis vgI. nur Thiele Das völkerrechtliche freie Geleit in den Auslieferungsverträgen des deutschen Reiches (1900), S. 15 ff. 81 Linke EuGRZ 80, 155, 156; Nagel Beweisaufnahme im Ausland, S. 226 ff. 82 VgI. nur Nagel Beweisaufnahme im Ausland, S. 18 ff., 221. Dies gilt nach Nagel a. a. 0., S. 222 auch unabhängig von der Staatsangehörigkeit, so dass danach auch ein sich im Ausland aufhaltender Deutscher bei der "Flucht aus der Zeugenrolle" nicht mit Sanktionen belegt werden darf, str. 83 Ausführlich zum "freien Geleit" für Zeugen die Ausführungen im 6. Kapitel, Abschnitt E. 84 VgI. dazu im 3. Kapitel, Abschnitt C. 85 VgI. dazu hier zunächst nur Bohlander ZStW 107 (1995), 82,97 ff., 99 f. (USA), 107 f. (Australien). Gerade im Hinblick auf Art. 10 ErgÜbk wird darauf noch zurückzukommen sein.

46

1. Kap.: Einleitung

zen der audiovisuellen Zeugen vernehmung bestehen, wird daraus nur deutlich, dass in der vorliegenden, den Zeugen als persönliches Beweismittel in den Mittelpunkt stellenden Arbeit, gegebenenfalls auch die Gesichtspunkte des "freies Geleits" und der "Videovernehmung" miteinander zu verknüpfen sind. Auch auf dieses Rechtsinstitut wird im Rahmen der Arbeit insoweit näher einzugehen sein.

IV. Zusammenfassung

Im Gesamtergebnis soll die Arbeit in theoretischer Hinsicht bezogen auf nationale und internationale Videovernehmungen eine Präzisierung leisten, in praktischer Hinsicht eine Anleitung für die z.T. noch unklare Anwendung der gesetzlichen Vorschriften der Videovernehmung sein. Dabei soll hinsichtlich der oben angesprochenen Ausgangspunkte ein sachgerechter Ausgleich zwischen dem Gebot der umfassenden Wahrheitsfindung sowie den Rechten der Prozessbeteiligten gefunden werden. Anschließend kann dann auch festgestellt werden, ob und inwieweit man vermittels des neugeschaffenen § 247a die "Flucht des Zeugen aus der Zeugenrolle" hinreichend vermeiden kann.

D. Überblick über den Gang der Untersuchung Ergaben sich aus den benannten Ausführungen bereits gewisse "Eckpunkte", auf die in einer Untersuchung zu § 247a unbedingt eingegangen werden muss, so kann der weitere Fortgang der Untersuchung an dieser Stelle grob gegliedert werden: - Zur Aufklärung der behaupteten Unklarheiten beim Umgang mit dem "Videozeugen" soll § 247a nach der Darstellung seiner Entstehungsgeschichte zunächst daraufhin untersucht werden, unter welchen Voraussetzungen und damit für welche Fälle die Zeugen vernehmung von einem anderen Ort in Betracht kommen kann. Aus einer Analyse der in Betracht kommenden Anwendungsfalle sollten sich erste Anhaltspunkte der Bedeutung des "Videozeugen" für die Beweisführung im Strafprozess ergeben (vgl. 2. Kapitel). - Im Anschluss daran soll das Verhältnis des "Videozeugen" zu anderen Beweismitteln, insbesondere dem unmittelbar erschienenen Zeugen wie dem richterlichen Vernehmungsprotokoll (vgl. §§ 250, 251 iVm. § 247a S. 1,2. Alt) geklärt werden. Dabei muss zunächst auf die, in Rechtsprechung wie Literatur geäußerten Bedenken gegen den Einsatz von "Videozeugen" im Strafprozess eingegangen werden, während denen sodann die eigenen Erfahrungen bei Videokonferenzen gegenübergestellt werden. Daran wird anschließend das Prinzip der Unmittelbarkeit erläutert und - durch die eigenen Erfahrungen fundamentiert - das Verhältnis des "Videozeugen" zu anderen Beweismitteln bestimmt (vgl. 3. Kapitel).

D. Überblick über den Gang der Untersuchung

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Um das "Ob" und "Wie" von "Kommunikation" bei Videokonferenzen sowie die Möglichkeit der Beurteilung von "Glaubwürdigkeit" des Zeugen bzw. der "Glaubhaftigkeit" seiner Aussage geht es im nachfolgenden Kapitel (vgl. 4. Kapitel). Hier muss zunächst näher ausgeführt werden, was unter "Kommunikation" zu verstehen ist und ob bzw. inwieweit die Veränderung der Kommunikationssituation bei einer Videofernvernehmung die Beurteilung von "Glaubwürdigkeit" bzw. "Glaubhaftigkeit" unmöglich macht. Ausgehend von den festgestellten Ergebnissen in den vorangegangenen Abschnitten der Arbeit sollen sodann weitere, um § 247a kreisende Einzelprobleme näher untersucht werden (5.Kapitel). Dazu zählt zunächst das Verhältnis des § 247a zu § 247, wofür entgegen dem eindeutigen Gesetzeswortlaut in der Literatur vereinzelt behauptet wird, die Aufklärungspflicht (§ 244 Abs. 2) stelle es dem Gericht im Einzelfall anheim, eine Videofernvernehmung des Zeugen auch dann vorzunehmen, wenn die Voraussetzungen des § 247 vorliegen. 86 Weiterhin soll hier auf die Frage eingegangen werden, ob die Vernehmung bei § 247a immer durch den Richter des erkennenden Gerichts vorgenommen werden muss, oder ob es für § 247a im Ausnahmefall, etwa bei kleinen Kindern oder anderen "Videoproblemzeugen", ausreicht, dass das Gericht an der Vernehmung durch einen beauftragten oder ersuchten Richter (§ 223) am Zeugenaufenthaltsort videovermittelt "beteiligt" wird. Schließlich soll geklärt werden, ob eine Abschirmung von Zeugen bei der Videovernehmung gern. § 247a erfolgen darf. In einem gesonderten weiteren Kapitel (vgl. 6. Kapitel) soll auf die Videofernvernehmung von Auslandszeugen zurückgekommen werden, wobei die z.T. andersgelagerten Probleme87 grenzüberschreitender Videofernvernehmungen geschildert werden. Dabei wird sodann auch das freie Geleit und sein Verhältnis zu § 247a näher besprochen. - Die Arbeit schließt im 7. Kapitel mit einer Zusammenfassung der wesentlichen Ergebnisse sowie den Forderungen de lege ferenda.

Vgl. nurHK-StP03 -Julius § 247aRn. 7. Zu beachten ist etwa, dass bei nationalen Videofernvernehmungen von Zeugen die Verfolgbarkeit einer Falschaussage unproblematisch gegeben ist. Die in der Literatur vereinzelt geäußerte Vermutung, mangels "unmittelbarer" Konfrontation des Zeugen mit dem Gericht sei eine Gefährdung der Wahrheitsfindung zu befürchten, kann insoweit allenfalls bei grenzüberschreitenden Videofernvernehmungen gelten, bei der der Zeuge die Verfolgung seiner Falschaussage nicht in der Weise befürchten muss, wie er sie befürchten müsste, wenn er sich auf dem Gebiet des Staates aufuält, dessen Gericht die Vernehmung durchführt. Auf diese Frage braucht daher nur bei internationalen Videokonferenzen näheres Augenmerk gerichtet zu werden. Vgl. zu den bereits hier angesprochenen Fragen die Ausführungen im 6. Kapitel, Abschnitt D. 86 87

2. Kapitel

Anwendung von Videotechnik im Hauptverfahren des deutschen Strafprozesses In diesem Kapitel stehen die durch den Gesetzgeber 1997 geschaffenen Regelungen für die Vernehmung des Zeugen von einem anderen Ort unter Einsatz von Videotechnik im Mittelpunkt der Betrachtung. Bevor hier nun auf die Voraussetzungen des § 247a (§ 168e) näher eingegangen werden kann, soll die Entstehungsgeschichte der Videovernehmungs-Vorschriften nachgezeichnet werden, um die hinter dem heutigen Gesetzeswortlaut stehenden Absichten des Gesetzgebers erkennbar werden zu lassen.

A. Rechtsgenese der Regelungen in der StPO zum Einsatz von Videotechnik im Gerichtssaal I. Wegbereiter zum Einsatz von Videotechnik, insbesondere das sog. "Mainzer Verfahren"

Der Wunsch nach einem Einsatz von Videotechnik im Strafverfahren entstand frühzeitig. Die Vernehmung von kindlichen Zeugen außerhalb des Gerichtssaals bei zeitgleicher Übertragung der Aussage mittels Videotechnologie war bereits Gegenstand eines Gesetzgebungsverfahrens in den siebziger Jahren.! In den achtziger Jahren wurde im Schrifttum sodann verstärkt die Verwendung von Videotechnik als Übertragungsmedium im Strafprozess zum Schutz gefährdeter Vertrauenspersonen und verdeckter Ermittler als Zeugen gefordert? Unter dem Eindruck der positiven praktischen Erfahrungen und wissenschaftlichen Erkenntnisse des Auslands hielten es im Jahre 1993 sodann die JustizministerInnen der Länder auf ihrer in Leipzig durchgeführten Herbstkonferenz für not1 Vgl. Entwurf eines Zweiten Gesetzes zur Reform des Strafverfahrensrechts der Bundesregierung v. 06. 09.1974, BT-Drs. 7/2526, S. 17. 2 So etwa die Forderungen des damaligen Generalbundesanwalts Rebmann (in: NStZ 82, 315,319). Vgl. a. RebmannlSchnarr NJW 1989, 1185, 1191. Der Einsatz von Video-Technik zum Zweck der Anonymisierung wurde aber erheblich kritisiert und konnte sich letztlich nicht durchsetzen, vgl. etwa Gommolla Schutz des Zeugen im Strafprozess, S. 162; TiedemannlSieber NJW 1984, 753, 756. Ein vorläufige Abebben der Diskussionen erfolgte sodann durch die Entscheidung des Großen Senats BGHst 32, 115 ff.

A. Rechtsgenese der Regelungen in der StPO

49

wendig, die Möglichkeiten für eine Verbesserung der Rechtsstellung von kindlichen Zeugen im Strafverfahren zu überprüfen. Die durch den beauftragten Strafrechtssausschuss anschließend erarbeiteten Diskussionsvorschläge beinhalteten u. a. Bild-Ton-Übertragungen von Zeugenvernehmungen, die ein psychologischer Sachverständiger durchführen sollte. Weiterhin forderte man die Einführung von Bild-Ton-Aufzeichnungen bei Kinderzeugen als Beweismittel. 3 Ähnliche Vorschläge fanden sich dann in der Folgezeit immer wieder. 4 Das "Mainzer Verfahren" des LG Mainz vom 15.05. 19955 bildete sodann den "Meilenstein" für die Anwendung von Videotechnik in der Rechtsprechungshistorie. Eine Bild-Ton-Übertragung der Zeugenaussage wurde in diesem - wohl noch besser bekannt als "Wonnser-Kinderschänder-Verfahren,,6 erstmals und ohne gesetzliche Grundlage bei einem zehnjährigen Jungen angewandt, der sonst zu einer Aussage vor den Prozessbeteiligten nicht bereit gewesen wäre. Dabei hielt sich der vorsitzende Richter mit dem Zeugen in einem Nebenraum auf. Die dort durchgeführte Vernehmung wurde mittels Videoprojektion auf eine Leinwand in den Sitzungssaal übertragen, von wo aus die Prozessbeteiligten über eine Telefonverbindung dem Vorsitzenden Anträge, Beanstandungen etc. übennitteIn konnten. Dieses Verfahrensmodell bezeichnet man als das "Modell der gespaltenen- bzw. geteilten Hauptverhandlung ". 7 11. Gesetzgebungsverfahren

1. Gesetzesentwurf der SPD-Fraktion

Beeinflusst durch das vorangegangene "Mainzer Verfahren" erfolgte bereits im November des Jahres 1995 ein Gesetzesentwurf der SPD-Fraktion8 zur "Verbesserung der Rechtsstellung von Deliktsopfern und zum Einsatz von Videogeräten bei der Zeugenvernehmung in der Hauptverhandlung". Danach sollte dem bisherigen § 250 ein zweiter Absatz angefügt und die Videovernehmung von Zeugen unter sechzehn Jahren oder von Zeugen in den Fällen der §§ 174 bis 184b des Strafgesetzbuches durch den Richter außerhalb der Hauptverhandlung ennöglicht werden, wenn ein erheblicher Nachteil für das Wohl der zu vernehmenden Person zu beVgl. Block DRiZ 1994, 55; Wegner ZRP 1995,406,409. Vgl. Wegner ZRP 1995,406,409 betreffend die Vorschläge des Deutschen luristinnenbundes 1995 und des 60. Deutschen Juristentags. 5 LG Mainz NJW 1996,208 = StV 1995,354 f. Zum Prozessbericht s. Jansen StV 1996, 123 f. Vgl. weiterhin a. Strate StraFo 1996,2 ff. 6 Vgl. dazu G. Friedrichsen Der Spiegel 26 (1997), 78. 7 Dieses Modell liegt der richterlichen Vernehmung gern. § 168e im Ermittlungsverfahren zugrunde, vgl. dazu im I. Kapitel, Abschnitt B I 2 a). V gl. a. CDU / CSU / FDP-Fraktion BTDrs. 617165, S. 5. 8 BT-Drs. 6/3128. Explizit die Bezugnahme auf das Mainzer Verfahren, vgl. Begründung, BT-Drs. a. a. 0., S. 6. 3 4

4 Rieck

2. Kap.: Anwendung von Videotechnik im Hauptverfahren

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fürchten sei. In der Begründung wurde hierzu ausgeführt, dass an den Grundsätzen der persönlichen Vernehmung und der Unmittelbarkeit der Beweisaufnahme nicht "gerüttelt" werden dürfe, jedoch aus dem Strafverfahren, in denen Frauen und Kinder als (Opfer-)Zeugen auftreten müssen, die Verpflichtung zur schonenden Vernehmung folge. Hierbei ermögliche die Kommunikationstechnik die Übertragung der Vernehmung des Vorsitzenden, ohne die Rechte des Angeklagten, der Verteidigung oder der Staatsanwaltschaft, einzuschränken. 9 2. Gesetzesentwurf des Bundesrates

Der nachfolgende Gesetzesentwurf des Bundesrates lO vom 29. 06. 1996 beließ im Grundsatz zunächst die von der SPD-Fraktion vorgeschlagene Regelung in ihrem Inhalt (jetzt) als § 241b Entwurf, explizit also die Vernehmung durch den Richter in einem anderen Raum während der Hauptverhandlung sowie das Erfordernis eines erheblichen Nachteils für das Wohl des Zeugen (in ausdrücklicher Anlehnung an § 247. Es schränkte aber den Anwendungsbereich der Videovernehmung allein auf Kinder unter sechzehn Jahren ein. Gleichzeitig wurde der Anwendungsbereich der Videovernehmung für dieses Zeugenklientel auch ausgeweitet, da nunmehr bereits im Vorverfahren die Videovernehmung bei erheblichen Nachteil für das Wohl des (kindlichen) Zeugen durch den Untersuchungsrichter Anwendung finden konnte (§ 168c Abs. 2 Entwurf). Im Falle von Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung, gegen das Leben oder bei einer Misshandlung von Schutzbefohlenen, sollte die richterliche Vernehmung vom Untersuchungsrichter aufgezeichnet werden (§ 168e Abs. 1 Entwurf) müssen, wobei die Aufzeichnung (gern. § 250 Abs. 2 Entwurf) als "Beweis über seine Wahrnehmung durch Abspielen einer Bild-Ton-Aufzeichnung über seine frühere richterliche Vernehmung"lJ in die Hauptverhandlung eingeführt werden konnte. Generell wurde das Abspielen von Bild-Ton-Aufzeichnungen dem Verlesen von Protokollen gleichgestellt (§§ 251 ff. Entwurf). Bei der Durchführung der Vernehmung durch den Vorsitzenden sollte der Vertreter (gern. § 21 f. Abs. 2 GVG) oder ein hinzugezogener Richter (§ 29 Abs. 2 S. 1 GVG) die Verhandlungsleitung übernehmen. In der Begründung 12 zum Gesetzesentwurf wird zum Anlass und zum Ziel des Entwurfs ausgeführt, dass mit dem Unmittelbarkeitsgrundsatz gelegentlich erhebliche Belastungen korrespondieren, diese jedoch im Interesse der Wahrheitsfindung generell hinzunehmen seien. Eine Abmilderungen der Belastungen könne aber bei Kindern erfolgen. 13 Bis auf die Beschränkung des Videoverfahrens auf kollegial BT-Drs. 6/3128, S. 6. BT-Drs. 6/4983, sog. "Gesetz zum Schutz kindlicher Zeugen". 11 § 250 Abs. 2 in der Fassung des Entwurfs. 12 BT-Drs. 6/4983, S. 4 ff. 13 Schon aus der Beschränkung des Gesetzesentwurfes auf Kinderzeugen wird deutlich, dass der Gesetzesentwurf allein auf den aus den Mainzer Verfahren gewonnenen Eindrücken 9

10

A. Rechtsgenese der Regelungen in der StPO

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eingerichtete 14 Land- und erweitere Schöffengerichte werden dabei in der folgenden Begründung nur die Vorteile der Videovernehmung auf Zeugen- wie Rezipientenseite hervorgehoben: 15 So diene das Modell einem erhöhten Opferschutz durch die Ausblendung vielfältiger Störungen (Anblick der Verfahrensbeteiligten, unmittelbare Wahrnehmung der verfahrensrechtlichen Auseinandersetzungen) und damit der Verbesserung der Wahrheitsfindung. Das Modell verschaffe den Verfahrensbeteiligten weiterhin einen unmittelbaren Eindruck von der aktuellen Erinnerung des Zeugen. 16 Sämtliche (!) Verfahrensbeteiligte könnten die Vernehmung des Kindes beim Einsatz der entsprechenden Technik optisch und akustisch besser verfolgen. Und auch für den Angeklagten könne eine Verbesserung entstehen, wenn dieser während der Übertragung im Verhandlungssaal anwesend bleiben könnte und nicht gern. § 247 S. 2 entfernt werden müsste. 3. Erwiderung der Bundesregierung und Gesetzesentwu1j" der CDU / CSU / FDP-Fraktion

Gegenüber den vorangegangenen Gesetzesentwürfen zum Schutze kindlicher Zeugen erwiderte die damalige Bundesregierung, 17 es sei zu fragen, ob die Anwendung der Videotechnik nicht auch anderen Zeugen zugute kommen könne. Insbesondere sei an Opfer von Gewalttaten, alte, kranke und gebrechliche Aussagepersonen sowie extrem gefahrdete Zeugen, denen eine Bedrohung für wesentliche Rechtsgüter bereits aus der Zeugenrolle selbst erwachse, zu denken. 18 Von der Videotechnik als zeugenschützende Verfahrensweise solle dann allerdings nur Gebrauch gemacht werden, wenn die "dringende Gefahr eines schwerwiegenden Nachteils für das Wohl des Zeugen" drohe. Dabei trat die Bundesregierung der Festschreibung des "Mainzer Modells" entschieden entgegen, da sich das Regelungskonzept der geteilten Hauptverhandlung nicht bruchlos in die Strafprozessordnung einfüge. Insoweit sollte geprüft werden, ob nicht das in England bewährte und Erfahrungen beruhte. Dies wird dann in der Begründung auch allgemein umschrieben, wonach die "in jüngster Zeit bekanntgewordenen Strafprozesse wegen sexuellen Mißbrauchs von Kindern, auch wenn valide Forschungsergebnisse noch nicht vorliegen, erkennen" ließen, dass für kindliche Zeugen erhebliche psychische Belastungen entstehen können, BT-Drs. 13 / 4983, S. 4. Gleiches folgt aus der mehrmaligen Berufung auf das Mainzer Modell. 14 Vgl. §§ 76 Abs. 1 S. 1,25,28 f. GVG. 15 BT-Drs. 6/4983, S. 6. 16 Dass damit aber nicht die Unmittelbarkeit der Beweisaufnahme gemeint sein dürfte, wird daraus deutlich, dass eingangs ja mittelbar gerade von einer Beschränkung des Unmittelbarkeitsgrundsatzes ausgegangen wird, vgl. a. BT-Drs. 6/4983, S. 8: "Satz 1 begrenzt die neue Durchbrechung des Unmittelbarkeitsgrundsatzes auf Zeugen unter 16 Jahren". 17 In: BT-Drs. 6/4983, S. 9 ff. 18 Eine nähere Festlegung sollte explizit nicht erfolgen, da man ein, im Sommer des Jahres 1994 von der Bundesregierung in Auftrag gegebenes Forschungsvorhaben zum "Belastungserleben von Kindern in der Hauptverhandlung" abwarten wollte, vgl. BT-Drs. 6/4983, S. 9. 4*

2. Kap.: Anwendung von Videotechnik im Hauptverfahren

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"Closed-Circuit-Television"-Vernehmungsmodell 19 den Vorzug verdiene,20 bei welchem der vernehmende Richter im Sitzungssaal des Gerichts verbleibt und die Vernehmung des Zeugen von dort mittels Videotechnik vorgenommen wird. Diese Einwände wurden sodann auch im Gesetzesentwurf der CDU / CSU / FDP-(Regierungs-)Fraktionen21 (zu einem Zeugenschutzgesetz) vom 11. 03. 1997 beriicksichtigt, welcher bereits im wesentlichen den heutigen Regelungen zum Einsatz von Videotechnik im Strafverfahren entsprach. 22 Die Anwendung von Videotechnik im Ermittlungs- wie auch Hauptverfahren wurde danach beibehalten, nunmehr aber auf alle schutzdürftigen Zeugen erweitert. 23 Exemplarisch wurde dazu in der Begriindung ausgeführt, dass neben alten und gebrechlichen Zeugen sowie Opfern von (Sexual-)Straftaten auch besonders gefährdete Ermittlungsbeamte und Personen, die sich von ihrer kriminellen Vergangenheit (explizit aus der Organisierten Kriminalität)24 losgesagt haben, gleichen Anspruch auf Schutz, Fürsorge und gegebenenfalls Beistand genießen. Verbunden mit der Ausweitung erfolgte die Im folgenden kurz CCTV- oder auch Live Link-Vernehmungsmodell genannt. BT-Drs. 6/4983, S. 10. Vgl. a. Abg. van Essen BT-Plenarprotokoll 13/163 v. 13.03. 1997, S. 14635; Funke BR-Plenarprotokoll Nr. 720 v. 19. 12. 1997, S. 593 f. 21 BT-Drs. 6/7165 v. 11. 03. 1997. 22 Veränderungen erfolgten durch BT-Drs. 18/8990, S. 3 (Beschlussempfehlung des 6. Rechtsausschusses) bei § 247a, wonach in S. 1 der heutige zweite Halbsatz eingefügt (Verweis auf § 251 Abs. 1 Nr. 2 bis 4 heutige Fassung) und im Rahmen des § 168e S. 1, wo die alte Kann-Bestimmung durch eine Soll-Bestimmung ersetzt wurde. Dazu sogleich. 23 Nach einer gegenüber dem Verf. mündlich bekräftigten Aussage eines Angehörigen des BMI war das Ergebnis des in Auftrag gegebenen Forschungsvorhabens für die Ausweitung ganz erheblich entscheidend, vgl. dazu Busse/Volbert/Steller Belastungserleben von Kindern in der Hauptverhandlung (1996), vgl. a. BT-Drs. 13/7165, S. 4, S. 9. Busse/Volbert/ Steiler gelangten in ihrem Gutachten zu dem Ergebnis, dass das Hauptverfahren zwar eine signifikante Belastung für kindliche Zeugen bedeute, welche insbesondere in der Anwesenheit des Angeklagten bestehe, die Videovernehmung aber nicht als "Allheilmittel" für kindliche Zeugen angesehen werden könne. Wenn auch von einer Reihe der Kinder geäußert wurde, sie hätten lieber nur in Gegenwart des Richters oder einiger weniger Personen ausgesagt, und auch bei Fremdbeobachtern der Eindruck entstand, dass weitergehende Schutz- und Unterstützungsmaßnahmen, insbesondere die Zuhilfenahme von Videotechnologie, hilfreich gewesen wären, dürfe die Bedeutung einer derartigen Schutzmaßnahme aber keinesfalls überschätzt werden. So sei der entlastende Effekt möglicherweise gering, wenn Grundvoraussetzungen fehlten, die exemplarisch im unterstützenden Richterverhalten, in der Entscheidung über die Anwendung der Maßnahme im Einvernehmen mit dem Kinde, die friihzeitige Sicherheit des Kindes über die Anwendung der Maßnahme, usw. zu erblicken seien, Busse / Volbert/Steller a. a. 0., S. 205 f. 24 Dass nunmehr ein Perspektivenwechsel (weg vom Kinde) hin zum bedrohten Zeugen gegen die Organisierte Kriminalität erfolgte, wird nicht zuletzt dadurch deutlich, dass die Prozesse wegen sexuellen Missbrauchs gegen Kinder als spektakulär bezeichnet werden (verbunden mit der Fokussierung auf diesen Bereich) und ausgeführt wird, dass wesentlich älter als die Diskussionen über sexuelle Missbrauchsprozesse die Ziele umfassender Verbesserungen des Opfer- und Zeugenschutzes seien, um der Gefahr der Flucht des Zeugen aus der Zeugenrolle (vgl. BT-Drs. 12/989, S. 34) zu begegnen, CDU/CSU/FDP-Fraktionen BT-Drs. 13/7165, S. 4. 19

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A. Rechtsgenese der Regelungen in der StPO

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von der Bundesregierung geforderte Verschärfung der Anwendungsvoraussetzungen, wobei über den anfänglichen Vorschlag der Bundesregierung hinausgehend auf einer zweiten Stufe der Einsatz von Videotechnologie im Vor- und Hauptverfahren nur dann ermöglicht werden sollte, wenn die Gefahr "nicht in anderer Weise" abgewendet werden kann (Ultima-ratio-Anordnung). Gerade zum "Warum" einer zweiten Stufe der Verschärfung der Anwendungsvoraussetzungen für das Hauptverfahren finden sich in den Gesetzesmaterialien kaum Hinweise. So bleibt offen, wieso etwa der Einsatz von Videotechnik nicht als gleichrangiges Mittel zum Ausschluss des Angeklagten ausgestaltet wurde, resümierte man doch für die Anwendung des § 247 einen erheblichen Eingriff in die Verteidigungsrechte 25 und wurde doch in vorangegangenen Gesetzesentwürfen hervorgehoben, dass einer der Vorteile von Videovernehmungen im Hauptverfahren in der Verbesserung der Rechtsstellung des Angeklagten zu erblicken sei. 26 Hier müssen insoweit Vermutungen herhalten, etwa diejenige, dass der Gesetzgeber in der Anwendung von Videotechnik eine erhebliche Beeinträchtigung des Unmittelbarkeitsgrundsatzes erblickte. Um gerade einen Einbruch in dieses althergebrachte Fundamentalprinzip zu vermeiden, ist dann die Ultima-ratio-Anordnung auch psychologisch gut nachvollziehbar. Nur fragt sich dabei, wie der Gesetzgeber von einer erheblichen Beeinträchtigung des Prinzips ausgehen kann, wenn man sich mit der Basis der Beeinträchtigung, der technischen Durchführung der Video vernehmung im Hauptverfahren, nur nebenbei beschäftigte. Wie die meisten literarischen Stellungnahmen zu § 247a trifft insoweit gerade ihn die an früherer Stelle angedeutete Kritik?7

Weiterhin führte man aus, dass es für den Einsatz von Videotechnik in der Hauptverhandlung vorzugswürdig erscheine, auf das in Großbritannien "erprobte und bewährte Modell zurückzugreifen, bei dem der Vorsitzende den Sitzungssaal nicht verlässt und das Kind mittels einer wechselseitigen Bild-Ton-Übertragung,,28 vernommen werde. 29 Denn Kinder seien (als Zeugen) oft wesentlich unbefangener im Umgang mit neuen Medien, so dass sie nicht darunter leiden werden, wenn Fragen an sie über Monitor gestellt werden. Von weitergehenden technischen Regelungen sei aber abzusehen, könne dies gegebenenfalls in den RiStBV geregelt werden. Veränderungen des vorangegangenen Gesetzesentwurfs der CDU / CSU / FDPFraktionen erfolgten sodann durch die Beschlussempfehlung des 6. Rechtsausschusses vom 12. 11. 1997.30 Danach wurde der Einsatz von Videotechnik im Hauptverfahren durch den Einbezug der Fälle des § 250 Abs. 1 Nr. 2 bis 4 erweitert und die Vorschrift für das Vorverfahren (§ 168e) durch Ersetzung der Kann- in 25 26 27 28 29

Vgl. etwa Eggert BR-Plenarprotokoll Nr. 720 v. 19. 12. 1997, Anlage 9, S. 618 . Vgl. BR-Gesetzesentwurf BT-Drs. 13/4983, S. 6. Vgl. dazu die Ausführungen im 1. Kapitel, Abschnitt C. I. BT-Drs. 1317165, S. 10 (Hervorhebungen nicht im Original). Vgl. etwa Abg. van Essen BT-Plenarprotokolle 13/204 v. 14. 11. 1997, S. 18441. 30 BT-Drs. 13/8990 v. 12. 11. 1997 (Beschlussempfehlung) sowie BT-Drs. 13/9063 v. 13. 11. 1997 (Bericht des Rechtsausschusses durch Berichterstatter Eylmann/J. Meyer/van Essen/ Pick).

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2. Kap.: Anwendung von Videotechnik im Hauptverfahren

eine Soll-Bestimmung verändert?' Im Bericht des Rechtsausschusses 32 verwies man erneut auf den hohen Stand der Übertragungstechnologie, wobei auch hier davon ausgegangen wurde, dass "die Schaffung einer entspannten Vernehmungsatmosphäre nicht daran scheitere, dass der Zeuge mit dem Vorsitzenden nicht persönlich, sondern - gegebenenfalls über eine große Entfernung hinweg - nur über den Bildschirm kommuniziert".33 Dies, so wurde weiterhin ausgeführt, "gilt insbesondere auch für Kinder". Im Hinblick auf die Erweiterung der Videovernehmung im Hauptverfahren bezog man sich neben alten und gebrechlichen Zeugen explizit auch auf den Auslandszeugen, bei dem aus Griinden seines persönlichen Schutzes oder der Vermeidung von Reisekosten die Möglichkeit zur Vernehmung unter Einsatz der Videotechnologie bestehen müsse. 34 Bei der anschließenden zweiten Beratung - u. a. des Zeugenschutzgesetzes - im Bundestag35 spitzte sich der "Streit" sodann auf die Frage zu, inwieweit das anfängliche Ziel der eingebrachten Gesetzesentwürfe zum Zeugenschutzgesetz, den umfassenden Schutz von Kindern im Strafprozess zu verbessern, nicht dadurch völlig konterkariert werde, dass man nunmehr die Vorschriften auf alle Zeugen, insbesondere auch verdeckte Ermittler, erweitere. Insbesondere der Abg. Beck (Bündnis 90/ Die Griinen) wiederholte hier die bereits vorgebrachte Kritik,36 wonach die Ausweitung der (Videovernehmungs-)Vorschriften durch den Gesetzesentwurf der Regierungsfraktionen dazu führe, dass der maximal mögliche Schutz von Kinderzeugen nicht mehr ausgeschöpft wird. 37 Ungeachtet dieser Einwände wurde der Gesetzesentwurf der Regierungsfraktionen (BT-Drs. 13/7165) in der Fassung der Beschlussempfehlung des 6. Rechtsausschusses (BT-Drs. 13/8990 sowie 13/9063) vom Bundestag am 14. 11. 1997 angenommen und die vorangegangenen Gesetzesentwürfe der SPD-Fraktion (BTDrs. 13 / 3128) sowie des Bundesrates (BT-Drs. 4983) für erledigt erklärt. 38 BT-Drs. 13/8990, S. 3. BT-Drs.13/9063. 33 BT-Drs. 13/9063, S. 5. Hier wird - erneut - weiterhin ausgeführt, dass dies "insbesondere auch für Kinder" gelte. Denn Kinder seien "oft wesentlich unbefangener im Umgang mit den neuen Medien und werden daher nicht darunter leiden, wenn über den Monitor Fragen an sie gestellt werden", vgl. dazu bereits BT-Drs. 1317165, S. 10. Zur a.A. des Federführenden Rechtsausschusses sowie des Ausschuss für Frauen und Jugend, BR-Drs. 933/1/97, S. 4 sogleich. 34 BT-Drs. 13/9063, S. 4. 35 DazuBT-Plenarpotokoll13/204v. ~4.11.1997,S.18432ff. 36 Vgl. Abg. Beck BT-Plenarprotokoll 13/163 v. 13.03. 1997, S. 14633: "Das Vorhaben der Koalition, im Windschatten der Diskussion um die Verbesserung der Situation kindlicher Opferzeugen zugleich die Videovernehmung verdeckter Ermittier mit zu regeln, ist an Zynismus kaum noch zu überbieten [ ... l". 37 Vgl. Abg. Beck BT-Plenarprotokoll 13/204 v. 14. 11. 1997, S. 18439. Ähnlich auch Abg. Grießhaber BT-Plenarprotokoll13/204 v. 14. 11. 1997, S. 18454 sowie Leeb BR-Plenarprotokoll Nr. 720 v. 19. 12. 1997, S. 591 f. bei den anschließenden Diskussionen im Bundesrat. Zur gegenteiligen Auffassung vgl. nur van Essen BT-Plenarprotokoll 13/204 v. 14. 11. 1997, S. 18441. 31

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A. Rechtsgenese der Regelungen in der StPO

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4. Anrufung des Vermittlungsausschusses durch den Bundesrat und Zustandekommen des Gesetzes in der weitgehend ursprünglichen Fassung

Bezugnehmend auf die Beschlussempfehlungen des "federführenden Rechtsausschusses" sowie des "Ausschusses für Frauen und Jugend" vom 05. 12. 199739 beschloss der Bundesrat am 19. 12. 199740 nunmehr die Anrufung des Vermittlungsausschusses. 41 Kernziel des erstrebten Vermittlungsverfahrens war die Schaffung differenzierter Regelungen für Kinder- und Opferzeugen, womit der anfängliche Gesetzesentwurf des Bundesrates erneut aufgegriffen wurde. Insbesondere sollte es danach ausreichen, dass der Einsatz von Videotechnik für Zeugen unter 16 Jahren bei einem erheblichen Nachteil für das Wohl des Zeugen angewendet wird, weil die vorgesehene Gesetzesformulierung der "dringenden Gefahr eines schwerwiegenden Nachteils" den Anwendungsbereich für kindliche Zeugen zu weit einschränke. Weiterhin sollte bei Kinderzeugen das "Mainzer Modell der geteilten Hauptverhandlung" Anwendung finden, wofür diametral zum Gesetzesentwurf von CDU I CSU / FDP ausgeführt wurde: "Bei erwachsenen Zeugen scheint es im allgemeinen akzeptabel, dass der Vorsitzende während der Vernehmung des Zeugen im Gerichtssaal bleibt und die Vernehmung über Bildschirm erfolgt. Bei kindlichen Zeugen sollte der Vorsitzende - entsprechend dem ,Mainzer Modell' - ein persönliches Gespräch mit dem Kind führen können. Dies ist nur möglich, wenn er sich mit dem Zeugen in einern gesonderten Vernehmungszimmer befindet und die Vernehmung durch den Vorsitzenden zeitgleich in Bild und Ton in den Sitzungssaal übertragen wird. Es wäre lebensfremd davon auszugehen, dass Kinder in eine Kamera hinein vernommen werden könnten.,,42

Im Vermittlungsausschuss43 wurde das Zeugenschutzgesetz in der vom Bundestag am 14. 11. 1997 beschlossenen Fassung weitgehend belassen. Es erfolgten Änderungen für die Bild-Ton-Aufzeichnung von Kinder- und Opferaussagen (§ 58a) sowie ihrer Verwendung als Beweismittel im Hauptverfahren (§ 255a Abs. 2). Für die Videosimultanvernehmung gern. § 247a wurden demgegenüber keine Veränderungen vorgenommen. Es blieb also bei der Gesetzesformulierung, wonach die audiovisuelle Fernvernehmung für alle Zeugen dann vorgenommen werden kann, wenn die "dringende Gefahr eines schwerwiegenden Nachteils für das Zeugenwohl" droht. Das insoweit veränderte Zeugenschutzgesetz wurde vom Bundestag am 04. 03. 1998, nunmehr auch weitgehend mit den Stimmen ihrer Kritiker, angenommen44 und trat am 01. 12. 1998 in Kraft. Vgl. im einzelnen BT-Plenarprotokoll13/204 v. 14. 11. 1997, S. 18465. Vgl. BR-Drs. 9331 l/97 v. 05.12.1997. 40 BR-Drs. 933/97 v. 19. 12. 1997. 41 BR-Plenarprotokoll Nr. 720 v. 19. 12. 1997, S. 594. 42 Begriindung in der Beschlussempfehlung 9331 1 197 v. 05. 12.1997, S. 4. 43 BT-Drs. 13/10001 v. 02. 03. 1998. 44 Dazu im einzelnen BT-Plenarprotokolll3 1221 v. 04. 03. 1998, S. 20216 f. 38

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2. Kap.: Anwendung von Videotechnik im Hauptverfahren

IH. Erste Ergebnisse

Der Entstehungsgenese der heutigen (Videovemehmungs-) Vorschriften des Zeugenschutzgesetzes kann man entnehmen, dass der Gesetzgeber unter Bezugnahme auf die guten Erfahrungen im Ausland zum Einsatz von Videotechnologie im Strafverfahren, dem Opfer- und Zeugenschutz umfassend Genüge tun wollte.45 Dabei trat im Verlaufe der Zeit ein Perspektivenwechsel "weg vom Kinde und hin zum bedrohten Jedermann-Zeugen" (unter besonderer Berücksichtigung desjenigen aus dem Bereich der Organisierten Kriminalität) ein, wobei über die zunächst intendierte Vermeidung von reinen Verfahrensbelastungen für den Opfer-Zeugen hinausgehend, nunmehr auch eine Reihe weiterer Interessen unter dem gemeinsamen ,,Dach" der Videovernehmungsvorschriften berücksichtigt wurden. 46 - Im Gesetzgebungsverfahren ging man weiterhin davon aus, dass mit dem Einsatz von Videotechnologie im Hauptverfahren eine Verletzung des Unmittelbarkeitsprinzips korrespondierte. Gerade unter diesem Blickpunkt sollten erhebliche (Videotechnologie-)Anwendungsvoraussetzungen notwendig sein, was schließlich durch eine Verschärfung der anfänglichen Regelungen auf "zwei Stufen" umgesetzt wurde. 47 - Wahrend jedenfalls im Hauptverfahren nach der explizit geäußerten Vorstellung des Gesetzgebers das sog. "Mainzer Modell der geteilten Hauptverhandlung" keine Anwendung finden könne48 , sollte die technische Ausgestaltung des Verfahrens im einzelnen der richterlichen Praxis überantwortet werden. Trotz der Gestaltungsoffenheit ist dabei den Gesetzesmaterialien die Tendenz zu einer sog. "two-way"-Übertragung der Zeugenaussage (und des Geschehens im Gerichtssaal in umgekehrter Richtung) zu entnehmen. 49 Dabei wurde von einem hohen technischen Stand ausgehend geschlussfolgert, dass mit dem Einsatz von Videotechnologie die Möglichkeit bestehe, eine entspannte Vernehmungssituation mit dem Zeugen - wie bei der unvermittelten Kommunikation auch - zu schaffen. Nur für Kinder als Zeugen im Strafverfah45 Dies wird nicht zuletzt auch dadurch deutlich, dass der Einsatz von Videotechnik in der Hauptverhandlung nicht auf besondere Deliktstypen beschränkt wurde. 46 Geht es bei den Opferzeugen in der Regel um die Vermeidung sekundärer Traumatisierung (Viktimisierung) durch das Strafverfahren, so geht es bei den durch die Ausweitung ins Auge gefassten Zeugen in erster Linie um den Schutz vor unmittelbarer physischer Verletzung durch den Angeklagten oder seiner Angehörigen, dariiberhinaus ggf. auch um die Geheimhaltung der Identität von behördlichen Zeugen und um Kosten-Nutzen-Erwägungen etwa bei Auslandszeugen, etc. 47 Einerseits durch die Hochzonung auf dringende Gefahren eines schwerwiegenden Nachteils für das Zeugenwohl, andererseits durch die Ultima ratio Anordnung, vgl. §§ 168e, 247a geltende Fassung. 48 A.A. - allerdings ohne nähere Begründung - Vassilaki JZ 2000, 474. 49 Vgl. eingehend dazu im Abschnitt B 11 dieses Kapitels.

B. Die gesetzlichen Regelungen der §§ 247a, 168e StPO

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ren war dies bis zuletzt umstritten, was einzelne Kritiker noch in der parlamentarischen Diskussion über das Vermittlungsausschussergebnis zu der Äußerung bewegte, der Spielraum für den Schutz kindlicher Zeugen im Strafverfahren sei nicht ausgenutzt. 50

IV. Schlussfolgerungen

Bereits aus den vorangegangenen ersten Ergebnissen lassen sich weitere Punkte schlussfolgern, die in der Untersuchung näher berücksichtigt werden müssen. Bei der Betrachtung der Anwendungsvoraussetzungen werden diese daraufhin zu untersuchen sein, für welche Ausnahme-Fälle § 247a Anwendung findet. Weil die Steigerung der Anwendungsvoraussetzungen im Zusammenhang mit der vermuteten erheblichen Beeinträchtigung des Prinzips der Unmittelbarkeit steht, wird weiterhin die Frage zu beantworten sein, ob und inwieweit dieses Prinzip beeinträchtigt wird. Weil dies, wie oben bereits ausgeführt wurde, aber voraussetzt, dass Klarheit darüber herrscht, wie § 247a technisch ausgestaltet wird und welche technischen Mittel für diese Ausgestaltung zur Verfügung stehen, müssen zunächst diese Aspekte näher beleuchtet werden. War man sich weiterhin im Gesetzgebungsverfahren unsicher, inwieweit Kinder als Zeugen, gegebenenfalls begleitet durch einen Zeugenanwalt51 und einer Person des Vertrauens,52 auch über Monitor befragt werden können, so muss in der Untersuchung darauf eingegangen werden, welche Alternativen auch über den Weg des § 247a denkbar sind, falls sich die vorgebrachte Vermutung, dass Kinder nicht in eine Kamera hinein vernommen werden können, in der Praxis bewahrheiten sollte. 53

B. Die gesetzlichen Regelungen der §§ 247a, 168e StPO im einzelnen I. Voraussetzungen

1. § 247a S. 1, 1. Alt. - Videovernehmung aus Gründen des Zeugenschutzes

Der Gesetzgeber entschied sich bei § 247a S. 1, 1. Alt. - entgegen den anfänglichen Absichten im Gesetzgebungsverfahren - 54 also für eine weite, alle schutzbedürftige Zeugen umfassende Regelung. Jedermann, dem schwerwiegende Nach50 51

52 53 54

Abg. Beck BT-Plenarprotokoll v. 04. 03. 1998, S. 20209. Vgl. §§ 68b, 406 f. Abs. l. Vgl. § 406 f. Abs. 3. V gl. eingehend dazu die Ausführungen im Abschnitt B des 5. Kapitels. V gl dazu die Ausführungen in diesem Kapitel sub Abschnitt A 11.

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2. Kap.: Anwendung von Videotechnik im Hauptverfahren

teile dadurch drohen, dass er in Gegenwart der in der Hauptverhandlung Anwesenden vernommen wird, kann daher "Video-Zeuge" sein, wenn die weiteren Voraussetzungen vorliegen. Nach dem Gesetzeswortlaut ist hierfür zunächst die dringende Gefahr eines schwerwiegenden Nachteils für das Wohl des Zeugen erforderlich. Weiterhin darf die Gefahr nicht durch andere zeugenschützende Mittel abwendbar sein. Was unter den benannten Voraussetzungen im einzelnen zu verstehen ist, lässt sich möglicherweise aus einem Vergleich mit § 247 S. 2 herauskristallisieren. Denn kann man bereits aus dem Wortlaut und der Systematik beider Normen eine gewisse Ähnlichkeit von § 247 S. 2 sowie § 247a S. 1, 1. Alt vermuten, so folgt dies auch, wie ausgeführt, aus der Gesetzeshistorie, wurden die Voraussetzungen des § 247a im Gesetzgebungsverfahren doch explizit in Anlehnung an § 247 geschaffen. 55 Wollte der Gesetzgeber insoweit auf das "Altbewährte" zurückgreifen, so liegt es hier nahe, zunächst etwaige Gemeinsamkeiten und Unterschiede zu betrachten. Im folgenden wird daher auch auf die Voraussetzungen der ersten und zweiten Alternative des § 247 S. 2 näher eingegangen. a) Die Voraussetzungen des § 247 S. 2 und systematische Stellung des § 247a S. 1, 1. Alt Nach dem Wortlaut des § 247 S. 2, 1. Alt. kann ein Ausschluss des Angeklagten aus dem Sitzungssaal während der Hauptverhandlung erfolgen, wenn durch die Vernehmung einer Person unter sechzehn Jahren in Gegenwart des Angeklagten ein erheblicher Nachteil für das Zeugenwohl zu befürchten ist. Eine Ähnlichkeit zu § 247a S. 1, 1. Alt. besteht insoweit im Nachteil .. . für das Zeugenwohl. Darüber hinaus fordert § 247a S. 1, 1. Alt. anstatt der bloßen Befürchtung eines Nachteils die dringende Gefahr, quantitativ also ersichtlich etwas mehr als bei § 247 S. 2, 1. Alt. Betrachtet man nunmehr § 247 S. 2, 2. Alt., so wird auch hier die Ähnlichkeit zu § 247a S. 1, 1. Alt. sichtbar. Nach § 247 S. 2, 2. Alt. besteht für den Richter die

Möglichkeit zum Ausschluss des Angeklagten aus dem Gerichtssaal während der Vernehmung eines erwachsenen Zeugen, wenn durch die Anwesenheit des Angeklagten der Aussageperson eine dringende Gefahr eines schwerwiegenden Nachteils für . .. die Gesundheit droht. Dieser Alternative ist § 247a S. 1, 1. Alt. offensichtlich näher angelehnt als der ersten Alternative des § 247, besteht die Gemeinsamkeit doch sowohl im Erfordernis der dringenden Gefahr als auch im schwerwiegenden Nachteil.56 Die Differenz zu § 247 wird bei § 247a sodann aber 55 Siehe dazu oben im Abschnitt A II 2. Vgl. weiterhin BT-Drs. 13/4983, S. 7 (Gesetzesentwurf des BRates), S. 10 (Stellungnahme der BReg.); KK-StP04 -Diemer § 247a Rn. 9; LR-StP025 -Gollwitzer § 247a Rn. 8. 56 Was ersichtlich durch die Hinwendung zum ,,Jedermann-Zeugen" auch aus der Gesetzesgenese folgt.

B. Die gesetzlichen Regelungen der §§ 247a, 168e StPO

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dadurch deutlich, dass der Ausschluss des Angeklagten vom Nachteil in der Gesundheit des Zeugen abhängig ist, während die Videovernehmung einen Nachteil für das Wohl des Zeugen erfordert. Geht man bei einem unbefangenen Vergleich der Regelungen des § 247 S. 2, 1. Alt. und 2.Alt einerseits, § 247a S. 1, 1. Alt. andererseits davon aus, dass der Begriff des Zeugenwohls eine größere Schnittmenge zu berücksichtigender Nachteile umfasst als der gesundheitliche Nachteil, so wird deutlich, dass § 247a in seiner ersten Anwendungsmodalität quantitativ ersichtlich zwischen den beiden Modalitäten des § 247 S. 2 angesiedelt ist. Denn für die Bejahung der hier interessierenden Voraussetzungen des § 247a ist (quantitativ) etwas mehr als bei § 247 S. 2, 1. Alt. (schwerwiegend / erheblich und dringende Gefahr / Befürchtung) und - unter der vorangegangenen Annahme - etwas weniger als bei § 247 S. 2, 2. Alt. (Zeugenwohl/Gesundheit des Zeugen) erforderlich. b) Die Voraussetzungen im einzelnen Kann man in dem Vorbenannten eine gewisse Lozierung der äußeren, von § 247a S. 1, 1. Alt. möglicherweise nicht berührten Grenzen einer bisher noch unklaren Querschnittsmenge feststellen, so soll nunmehr zunächst versucht werden, eine Präzisierung an diesen Grenzbarrieren zu leisten, um daraus einigermaßen verlässlich die Fälle des § 247a S. I, 1. Alt. ableiten zu können. Damit angesprochen ist zunächst die "erste Stufe,,57 der Anwendungsvoraussetzungen bei § 247a S. I, 1. Alt. Auf die Subsidiaritätsanordnung des § 247a S. 1, 1. Alt., d. h. auf die oben so benannte "zweite Stufe", wird im Anschluss näher einzugehen sein. aa) Das Vorliegen einer "dringenden Gefahr"

Noch relativ einfach handhabbar scheint dabei das Erfordernis einer dringenden Gefahr im Sinne der §§ 247a S. 1, 1. Alt., 247 S. 2, 2. Alt. in Abgrenzung zur Befürchtung eines Nachteils für den Zeugen bei § 247 S. 2, 1. Alt. Zunächst umschreiben beide Begriffe - herkömmlich - eine (Prognose-)Situation zu einem Zeitpunkt, in welchem nach dem subjektiven Urteil einer Entscheidungsperson Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass sich das weitere (zukünftige) Geschehen zum Nachteil der Aussageperson verändert. 58 Ist die Zukunft jedem unbekannt, besteht 57 Vgl. zur "ersten-" und "zweiten Stufe" der Anwendungsvoraussetzungen oben sub Abschnitt A 11 3. 58 Allgemeine Erwägung oder der bloße Wunsch des Zeugen, in Abwesenheit des Angeklagten auszusagen, können insoweit nicht ausreichen, vgl. nur BGHst 22, 18, 21 = NJW 1968,806,807; BGHNStZ 1999,419,420; Granderath MDR 1983,797,799 f.; Rieß/Hilger NStZ 1987, 145, ISO; SK-StPO-Schlüchter § 247 Rn. 8. Insoweit kann die Entfernung des Angeklagten nicht darauf gestützt werden, dass ein gern. § 1897 BGB bestellter Betreuer der Vernehmung des Zeugen in Gegenwart des Angeklagten widerspricht, BGH NStZ 2001, 46 f. Und auch der Angeklagte selbst kann auf die Anwesenheit nicht verzichten, etwa weil Angehörige des Zeugen den Wunsch auf die Vernehmung in Abwesenheit äußern, BGH NStZ 2001,48 f.

2. Kap.: Anwendung von Videotechnik im Hauptverfahren

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für das Gericht bei einer derartigen (Prognose-)Entscheidung nur die Möglichkeit, aus den konkreten Tatsachen und Entwicklungen der Vergangenheit und Gegenwart, aufgrund gesammelter Erfahrungssätze, auf die Ereignisse der Zukunft zu schließen. 59 Denn die Vielseitigkeit der Konstellationen 6o bei der Anordnung einer Zeugenschutzmaßnahme verbieten es, die (Entscheidungs-)Aufgabe des Richters abstrakt zu präjudizieren. 61 Wird man dabei aus dem richterlichen Erkenntnismaterial oftmals eindeutige Ergebnisse nicht ableiten können,62 bleibt nichts anderes übrig, als eine (intersubjektive) Abwägung der Gefahrindizien mit den Gegenindizien vorzunehmen. Für diesen Vorgang liefert das Gesetz durch seinen unterschiedlichen Wortlaut in §§ 247a S. 1, I. Alt, 247 S. 2, 2. Alt. einerseits sowie in § 247 S. 2, I. Alt. andererseits eine gewisse Orientierung. Geht es bei einer Prognoseentscheidung also immer um ein (subjektives) Wahrscheinlichkeitsurteil,63 so differiert bei den Begriffen "Befürchtung" und "dringende Gefahr" nichts anderes als der, für das Vorliegen des Nachteilseintritts beim Zeugen notwendige, Grad der Wahrscheinlichkeit. 64 Hat man dabei unter einer "Befürchtung" dasselbe wie unter dem Begriff einer "einfachen" Gefahr zu verstehen, so reicht für die Prognose des zukünftigen Nachteils hier eine ,,hinreichende" oder auch "bloße" Wahrscheinlichkeit. 65 Die (Prognose-) Voraussetzung des § 247 S. 2, I. Alt. ist also bereits dann erfüllt, wenn für den Richter die nicht völlig entfernte Möglichkeit eines Schadenseintritts 66 bei der (beispielsweise kindlichen) Aussageperson, die in Anwesenheit des Angeklagten vernommen werden soll, besteht. Demgegenüber wird eine Gefahr als dringend herkömmlich nur dann angenornrnen, wenn eine hohe Wahrscheinlichkeit für den (Nachteil-)Schadenseintritt vorliegt. 67 Eine "bloße" Wahrscheinlichkeit im Sinne der nicht völlig ausgeschlossenen Möglichkeit reicht dafür also gerade nicht. 68 Dies wird man für §§ 247a S. 1, Gusy Polizeirecht 3 (1996), Rn. 111 ff. Nämlich die jeweilige Fallgestaltung, die begangenen Delikte, die Konstitution des Zeugen usw. 61 Auch bloße Allgemeinerwägungen reichen insoweit nicht, OLG Düsseldorf StV 1989, 772,773. 62 Paeffgen Vorüberlegungen (1986), S. 194, 196 betreffend den "Tatverdacht" bei § 112, dessen Überlegungen wegen der Vergleichbarkeit der Situation auch hier herangezogen werden können. 63 Zum subjektiven Gefahrbegriff, vgl. nur Denninger in: LiskenlDenninger Polizeirecht, E 29 ff. 64 Wenn in der Kornrnentarliteratur ausgeführt wird, der erforderliche Nachteil müsse wahrscheinlich sein, so SK-StPO-Schlüchter § 247 Rn. 16, so wird damit nur auf das grundlegende Erfordernis eines Wahrscheinlichkeitsurteils hingewiesen, nicht aber der jeweilig erforderliche Grad näher präzisiert. 65 Vgl. dazu BVerwGE 28, 310, 315; BVerwG DÖV 1970,714. 66 Vgl. Götz Polizei- und Ordnungsrecht l2 , § 7 Rn. 142. 67 KK4 -Diemer § 247 Rn. 11 und § 247a Rn. 9; ders. NJW 1999, 1667, 1669; ders. NStZ 2001,393,394; Hanack JR 1989,255; HK-StP0 3 -Julius § 247a Rn. 5; SK-StPO-Schlüchter § 247 Rn. 17 und § 247a Rn. 5; Kleinknechtl Meyer-Goßner-StP0 45 , § 247 Rn. 12. 59

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B. Die gesetzlichen Regelungen der §§ 247a, 168e StPO

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1. Alt., 247 S. 2, 2. Alt. dann annehmen können, wenn sich dem Richter die - aus der Vergangenheit und der Gegenwart zu schlussfolgernden - Umstände der Gefrundung des Zeugen geradezu aufdrängen. 69 Gefordert ist hier also eine subjektiv stärkere Vermutung 70 des Richters, als das bloße "Fürmöglichhalten" eines zukünftigen Nachteils für das Wohl des Zeugen. Die jeweiligen Anknüpfungstatsachen können sich dabei aus dem Anklagegegenstand, 71 wie auch der Person des Zeugen ergeben. 72 Nach der gesetzlichen Subsidiaritäts-Anordnung ist dagegen die Person des Angeklagten sowie die Beziehung des Zeugen zu ihm73 nur für § 247, nicht aber für die audiovisuelle Fernvernehmungsmöglichkeit gern. § 247a S. 1, 1. Alt. von Bedeutung. Wird aus der benannten Auslegung der Begriffe "Befürchtung" und "dringende Gefahr" insoweit auch ein gewisser Unterschied auf der Rechtsvoraussetzungsseite der jeweiligen Zeugenschutzvorschriften deutlich, so ist der in der Literatur vereinzelt zu findende Begriffsbildung der "dringenden Gefahr" bei § 247a zu widersprechen, wenn ausgeführt wird, es müsse im Hinblick auf den Schutzzweck bei § 247a genügen, dass bei der Vorauswürdigung aller bekannten konkreten Umstände, einschließlich der Persönlichkeitsstruktur des Zeugen, der Eintritt des erheblichen Nachteils für das Zeugenwohl durch die Vernehmung im Gerichtssaal nur wahrscheinlich ist. 74 Denn zwar wird durch eine derartige Definition der Anwendungsbereich erweitert und damit dem Zeugenschutz bedeutend besser Genüge getan. Doch steht diese Auslegung weder mit dem Willen des Gesetzgebers, noch mit der Systematik des Gesetzes im Einklang. Durch die Formulierung "dringende Gefahr" bei § 247a S. 1, 1. Alt. hat der Gesetzgeber explizit zum Ausdruck gebracht, dass die bloße Möglichkeit des Gefahreintritts, also das Vorliegen einer "einfachen Gefahr", nicht ausreichen soll. Denn mit der Ausweitung der Vorschrift auf alle Zeugen sollte eine Einschränkung des Anwendungsbereichs korrespondieren, welche sodann in einer Orientierung an der zweiten Alternative des § 247 S. 2 gefunden wurde. Warum aber gerade der Schutzzweck bei § 247a S. 1, 1. Alt. eine andere Auslegung der "dringenden Gefahr" ermöglichen soll, als dies bei § 247 S. 2, 2. Alt. der Fall ist, wird dabei nicht verständlich gemacht. Dies wäre aber notwendig, dienen beiden Normen doch demselben Ziel, nämlich dem Schutz des fürsorgebedürftigen Zeugen. Nun wird man zwar zugegeben müssen, dass durch die Postulate einer "hinreichenden" und "hohen" Wahrscheinlichkeit wiederum nur unbestimmte Begriffe SK-StPO-Schlüchter § 247 Rn. 17. A.A. LR-StP025 -Gollwitzer § 247a Rn. 9. Paeffgen Voriiberlegungen (1986), S. 194. Vgl. a. BGBNStZ 1999,420. 70 Vgl. Paeffgen Voriiberlegungen (1986), S. 194. 71 So kann sich etwa daraus, dass der Anklagevorwurf ein Sexualverbrechen bildet, die hohe Wahrscheinlichkeit eines schwerwiegenden Nachteils bereits daraus ergeben, dass es sich bei dem Zeugen um das geschädigte Opfer der Tat handelt, BGB NStZ 1999,420. 72 BGB NStZ 1999, 420. 73 Worauf der BGB in: NStZ 1999, 420 weiterhin verweist. 74 So: LR_StP025 -Gollwitzer § 247a Rn. 9. 68 69

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eingeführt werden, denen man nicht ohne Schwierigkeiten wird entnehmen können, wann der Intensitätsbereich auf der Risikoskala für den jeweiligen Zeugen erreicht ist bzw. wann nicht. Doch scheint mittels dieser Begriffe jedenfalls eine gewisse Präzisierung des (interpersonalen) richterlichen Abwägungsvorgangs möglich. 75 So wird verdeutlicht, dass bei der richterlichen Prognoseentscheidung für §§ 247a, 247 S. 2, 2. Alt. eine quantitativ größere Zahl von Gefahrindizien vorliegen bzw. ein wesentliches Überwiegen der Gefahrindizien über die Gegenindizien anzunehmen sein muss, als bei einer "einfachen" Wahrscheinlichkeit. Welche Quantität dabei im einzelnen zu erreichen ist, kann abstrakt nicht festgelegt werden, entzieht sich doch der richterliche Erkenntnisakt nicht nur im Prognose-Bereich einer mathematisierenden Genauigkeit. 76 Angesichts der benannten Definition fragt sich jedoch, warum der Anwendungsbereich der Videovernehmungsvorschrift zum Zweck des Zeugenschutzes (§ 247a S. 1, 1. Alt) qua "dringender Gefahr" nur auf wenige Fälle, nämlich diejenigen, bei denen eine massive Belastung des Zeugen77 (für sein Wohl!) durch die Aussage im Gerichtssaal mit hoher Wahrscheinlichkeit zu erwarten ist, beschränkt wurde. Denn sprechen sowohl der Gesetzeswortlaut als auch der Wille des Gesetzgebers für diese Auslegung, so ist die Situation von § 247a S. 1, 1. Alt. sowie § 247 S. 2, 2. Alt. jedenfalls im Hinblick auf den Angeklagten wesentlich unterschiedlich. So kann in dem Fall der Durchführung einer Videokonferenz mit dem Zeugen der Beschuldigte von seinen Verteidigungsrechten vollen Gebrauch machen, wird die Zeugenaussage für alle Prozessbeteiligten wahrnehmbar in den Sitzungssaal übertragen. In dem anderen Fall dagegen muss der Angeklagte den Raum verlassen, und zwar zu einem Zeitpunkt, der für ihn eminente Bedeutung haben kann. 78 Berücksichtigt man zudem, dass in dieser Fallsituation, anders als bei den weiteren Ausschlussgründen der StPO, der Ausschluss des Angeklagten von der "Vernehmung" des Zeugen regelmäßig von seinem momentanen Verhalten im Prozess völlig unabhängig erfolgt, so wird hierdurch der 75 A.A. wohl Störzer (in: HesslStörzerlStreng Sexualität und Soziale Kontrolle, S. 101, S. 113), der bezweifelt, dass ein Richter per se den prognostischen Anforderungen, die an ihn gestellt werden, gerecht werden kann. 76 Vgl. dazu etwa Kindhäuser Jura 1988,290,292, KMR-Stuckenberg § 261 Rn. 21 (beide im Hinblick auf § 261). 77 CDUICSUIFDP-Fraktion BT-Drs. 6/7165, S. 9. Diemer NStZ 2001,393,394. Dazu sogleich. 78 Ohne hier auf weitere Einzelheiten eingehen zu wollen, folgt dies aus der psychologischen Situation des Angeklagten. Bei der ihm drohenden Beschränkung elementarster Grundrechte (bspw. Art. 2 Abs. 1,6, 12 GG) durch das richterliche Urteil, dürfte er den Ausschluss gerade dann aus dem Sitzungssaal für einen gravierenden Eingriff in sein Anwesenheitsrecht empfinden, wenn es um diejenigen Indizien des Verfahrens geht, auf die der Richter sein richterliches Urteil gründet. Explizit bei der Einvernahme des Belastungszeugen besteht insoweit ein erhebliches Interesse des Angeklagten an der eigenen Anwesenheit. V gl. nur Basdorf in: FS-Salger (1995), S. 203, 206; EisenberglSchlüter JR 2001, 341, 342. Dazu im einzelnen noch später im 5. Kapitel, Abschnitt A.

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besondere Ausnahmecharakter der Vorschrift deutlich, der eine normative Beschränkung der Vorschrift an sich eher rechtfertigen würde, als bei § 247a S. 1, 1. Alt. Gegen eine unterschiedliche Auslegung von § 247a und § 247 spricht nun aber, dass bereits der Gesetzeswortlaut eine Evidenz für die Auslegung aufweist, die sich an § 247 orientiert. Denn bereits durch die Ultima-ratio-Anordnung in § 247a S. 1, 1. Alt. stehen beide Vorschriften in untrennbarem Zusammenhang. Im Hinblick auf das Unmittelbarkeitsprinzip hat der Gesetzgeber damit der unmittelbaren Vernehmung des Zeugen im Gerichtssaal für die Wahrheitsfindung Vorrang vor den Rechten des Angeklagten eingeräumt und insoweit die oben bereits aufgezeigte verfassungsrechtliche Spannungslage zu dessen Lasten konkretisiert. Zudem würde verkannt, dass - auf den ersten Blick - ein gewisser Unterschied zwischen § 247a S. 1, 1. Alt. und § 247 S. 2, 2. Alt. dadurch hergestellt ist, dass sich die eine Norm am allgemeinen Zeugenwohl, die andere dagegen am gesundheitlichen Nachteil orientiert. Bei § 247a ist daher de lege lata am Erfordernis einer hohen Wahrscheinlichkeit (iSe. einer subjektiv starken Vermutung) für das Eintreten eines schwerwiegenden Nachteils für das Zeugenwohl festzuhalten. Anders als bei § 247 S. 2 braucht die Gefahr dabei aber nicht - nur - vom Angeklagten zu drohen. bb) Der Begriff des" Zeugenwohls " Fordert § 247a S. 1, 1. Alt. als Bezugspunkt der "dringenden Gefahr" zunächst einen "Nachteil für das Zeugenwohl", so soll im folgenden zunächst dieser Begriff im Mittelpunkt der Betrachtung stehen. Versteht man unter Zeugenwohl im Sinne der §§ 247 S. 2, 1. Alt., 247a S. 1, 1. Alt. nach seinem Wortsinn ein "Wohlbefinden" (seelisch) bzw. ein "Wohlsein" (körperlich), so kann dieses in mehrfacher Hinsicht beeinträchtigt werden. In besonders intensiver Weise wird das "Wohlbefinden" durch eine Beeinträchtigung von Leib und Leben betroffen sein. Schon daraus folgt, dass das "Zeugenwohl" auch den gesundheitlichen Nachteil, also eine medizinisch konstatierbare Minderung, die durch die Vernehmung in Anwesenheit der Prozessbeteiligten (bei § 247: des Angeklagten) entsteht, umfassen muss. 79 Dariiberhinaus sind Beeinträchtigungen aber auch unterhalb der Schwelle eines gesundheitlichen Nachteils denkbar. Denn bereits bloße Unannehmlichkeiten, die sich etwa daraus ergeben, dass ein (Opfer) Zeuge über peinliche Details im Gerichtssaal aussagen soll, könnte "Unwohlsein" begründen; insoweit auch das Zeugenwohl tangieren. Angst vor dem Angeklagten braucht dabei noch nicht einmal erforderlich zu sein. Nun führte eine derartige Begriffsweite aber zum völligen Unterlaufen der gesetzgeberischen Intention. Denn niemand wird in der Verhinderung bloßen "Un79 LR-StP025 -Gollwitzer § 247 Rn. 26. Dabei wird jeder gesundheitliche Nachteil umfasst, unabhängig ob er sich psychisch oder physisch auswirkt, Böttcher JR 1987, 133, 140; AK-StPO-Maier § 247 Rn. 8.

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2. Kap.: Anwendung von Videotechnik im Hauptverfahren

wohlseins" die Notwendigkeit zu Zeugenschutzmaßnahmen erblicken. 8o Erst wenn das Unwohlsein auf einem erheblichen (im Falle des § 247 S. 2, 1. Alt) oder schwerwiegenden Nachteil (im Falle der §§ 247 S. 2, 2. Alt., 247a S. 1, 1. Alt) beruht,81 kann daher nach dem Willen des Gesetzgebers eine (Schutz-)Bedürftigkeit überhaupt in den Blick geraten. Dies verdeutlicht jedoch, dass im Mittelpunkt des Interesses bei § 247a S. 1, 1. Alt. die Abgrenzung der Begriffe "schwerwiegend" und "erheblich" steht. Demgegenüber gibt der Begriff des "Zeugenwohls" nichts für die Präzisierung der (Anwendungs-)Untergrenze her, außer vielleicht, dass der Nachteil auf die Person des Zeugen bezogen sein muss. 82 Insoweit lässt sich ein Resümee nur für die Obergrenze des § 247a S. 1, 1. Alt. (§ 247 S. 2, 1. Alt) ziehen, und zwar aus einem Umkehrschluss zu § 247 S. 2, 2. Alt: Wenn dort nur ein gesundheitlicher Nachteil für die Erfüllung der Voraussetzungen ausreichend ist, kann hier der Nachweis eines medizinisch feststellbaren Gesundheitsschadens nicht zur (Mindest-)Voraussetzung gereichen. § 247a S. 1, 1. Alt. muss insoweit auch eine Minderung des (körperlichen oder seelischen) "Wohlbefindens", bei dem eine konstatierbare Gesundheitsgefahr im vorbenannten Sinne nicht besteht, umfassen 83 . 80 Dies ist gerade bei § 247 evident, korrespondiert hier mit der Zeugenschutzmaßnahme der vorübergehende Ausschluss des Angeklagten von der Hauptverhandlung, was als gravierende Maßnahme auch im Gesetzgebungsverfahren zum Zeugenschutzgesetz resümiert wurde, vgl. Ausführungen im 2. Kapitel, Abschnitt A II 2. 81 Vorausgesetzt, dass hierdurch eine Differenzierung bestimmter Anwendungsfälle möglich ist. Dazu sogleich im Anschluss. 82 Damit verbunden taucht - sowohl bei § 247 S. 2 als auch bei § 247a S. 1 - die Frage auf, ob nur unmittelbar aus der Vernehmungssituation beim Zeugen auftretende Nachteile (welcher Qualität auch immer) von §§ 247 S. 2, 1. Alt, 247a S. 1, 1. Alt erfasst werden, oder ob hierfür auch mittelbare, außerhalb der Vernehmungssituation stehende Nachteile ausreichen. Eine derartige Situation wäre beispielsweise durch Vergeltungsmaßnahmen denkbar, die etwa Verdeckten Errnittlern oder V-Leuten, aber auch deren Familien drohten, wenn der Angeklagte Kenntnis von ihrem Aussehen erhält. Die wohl ganz hM befürwortet einen umfassenden Zeugenschutz und will daher den Blick nicht nur auf Einflüsse aus der Vernehmungssituation, die unmittelbar auf den Zeugen einwirken, konzentrieren, vgl. BGH NJW 1985, 1478; NStZ 1993, 350 [Einbezug auch der Familie]; AK-Meier § 247 Rn. 7; SK-StPOSchlüchter § 247 Rn. 18; Kleinknecht/Meyer-Goßner-StP045 , § 247 Rn. 12. Hassemer (JuS 1986, 25, 27) hält dem entgegen, dass die benannte Auffassung unzulässig den Schutzzweck der Enttarnung in § 247 hineininterpretiere. Denn § 247 sei eine Ausnahmevorschrift und dürfe nicht erweiternd ausgelegt werden. Insoweit sei die Beschränkung der Norm allein auf "Vernehmungen" (und nicht auf Enttarnungen) als vernünftig anzusehen. Für diese Auffassung spricht, dass sie (im Gegensatz zur wohl herrschenden Auffassung) die mit dem Zeugenschutz korrespondierenden Rechte des Angeklagten in den Blick nimmt (dazu später) und hierauf beruhend ihre Ergebnisse ableitet. Dagegen wird man aber einwenden müssen, dass mit der Einfügung des § 247 S. 2, 2. Alt - für den Schutz des erwachsenen Zeugen erhebliche Voraussetzungen aufgestellt wurden (dazu sogleich), so dass der Richter den Ausschluss des Angeklagten von der Vernehmung des Zeugen nur dann anordnen kann, wenn ganz konkrete Tatsachen für eine Gefahr des Zeugen vorliegen. Dies wird tatsächlich nur in wenigen Einzelfällen gegeben sein. Weiterhin legt weder der Wortlaut noch der Sinn und Zweck des § 247 eine restriktive Interpretation im benannten Sinne nahe.

B. Die gesetzlichen Regelungen der §§ 247a, 168e StPO

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ce) Der "schwerwiegende" sowie der "erhebliche" Nachteil

Kommt es für die "Untergrenze" des § 247a S. 1, 1. Alt., also für die Frage des Ob der Anwendung von Zeugenschutzmaßnahmen qua Einsatz von Videotechnik, ganz entscheidend darauf an, was unter einem "schwerwiegenden" Nachteil (für das Zeugen wohl) zu verstehen ist, so wird damit gleichermaßen auch die Abgrenzung zum "erheblichen" Nachteil angesprochen. Denn wie die unterschiedliche gesetzgeberische Anordnung der Begriffe in der ersten und zweiten Alternative des § 247 S. 2 nahelegt, scheint zwischen den Begriffen "erheblich" und "schwerwiegend" ein qualitatives Stufenverhältnis von einem Weniger zum Mehr zu bestehen. 84 Insoweit fragt sich, ob und welche Fälle hiermit differenziert werden können. Ausgehend vom Wortlaut charakterisiert das Adjektiv "erheblich" zunächst eine Steigerung gegenüber der bloßen Geringfügigkeit des Nachteils. Normale seelische Belastungen durch das Verfahren, explizit durch die Vernehmung des Zeugen in Angesicht des Angeklagten, sind insoweit hinzunehmen und können niemals zu einer Zeugenschutzmaßnahme führen. 85 Dies folgt vorrangig aus dem besonderen Ausnahmecharakter der Vorschrift. 86 Herkömmlich wird von einem "erheblichen" Nachteil daher dann ausgegangen, wenn der Nachteil in zeitlicher Hinsicht über die Vernehmungssituation hinaus noch fortwirkt,87 m. a. W. es sich um keine auf die Vernehmungssituation beschränkte, und daher nur kurzfristige, vorübergehende nachteilige Situation handelt. Dies wird folgerichtig (bei § 247 S. 2, 1. Alt. für Kinderzeugen) immer dann bejaht, wenn durch die Aussage im Angesicht des / der Angeklagten die künftige psychische oder sittliche Lebensentwicklung - "erheblich" - belastet werden kann. 88 Muss der Richter dabei im Rahmen seiner (Zukunfts antizipations-)Prognoseentscheidung auf konkrete Tatsachen der Vergangenheit und Gegenwart zurückgreifen, so sollen sich Anhaltspunkte für die künftige Entwick83 LR-StP025 -Gollwitzer § 247a Rn. 8. Insoweit müssten dann beispielsweise auch bloße Angstzustände von § 247a S. 1, 1. Alt. erfasst werden, doch handelt es sich bei nichtkrankmachender Angst wirklich um einen schwerwiegenden Nachteil? Dazu sogleich. 84 Wovon ersichtlich auch in der Literatur ausgegangen wird, vgl. LR-StP025 -Gollwitzer § 247 Rn. 26; ders. § 247a Rn. 8 i. V. m. Fn. 34; AK-StPO-Meier § 247 Rn. 8. 85 KK4 -Diemer § 247 Rn. 11. 86 Der besondere Ausnahmecharakter des § 247 ergibt sich - anders als bei anderen Ausschlussgründen - daraus, dass die Entfernung des Angeklagten aus der Hauptverhandlung regelmäßig nicht Folge eigener Verantwortlichkeit ist, Hassemer JuS 1986, 25, 28; Rieß JZ 1975,265,272. Vgl. dazu umfassend die Ausführungen im 5. Kapitel, sub Abschnitt A. 87 LR-StP025 -Gollwitzer § 247 Rn. 24; Laubenthai JZ 1996, 335, 339; AK-StPO-Meier § 247 Rn. 7; SK-StPO-Schlüchter § 247 Rn. 16; Kleinknecht/Meyer-Goßner-StP045 § 247 Rn. 11. 88 LR-StP025 -Gollwitzer § 247 Rn. 24; SK-StPO-Schlüchter § 247 Rn. 16. Als konkrete Umstände, die einen erheblichen Nachteil auslösen, werden u. a. benannt: Abhängigkeitsverhältnis zwischen dem Zeugen und Angeklagten (Kleinknecht/Meyer-Goßner-StP045 § 247 Rn. 11), Furcht des Zeugen vor Rache oder anderen konkreten Nachteilen (Kleinknecht / Meyer-Goßner-StP045 § 247 Rn. 11).

5 Rieck

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lung neben der Persönlichkeits struktur des Zeugen (Belastbarkeit, Neigung zu Hysterie) vor allem aus der Art der - dem Beschuldigten vorgeworfenen - Delikte89 und der Beziehung des Zeugen zur gesamten De1iktssituation (einschließlich des Täters)90 ergeben. Hauptanwendungsfall für die Anordnung der Zeugenschutzmaßnahme nach § 247 S. 1 1. Alt sind - insoweit gut nachvollziehbar - vorrangig Verfahren gegen Angeklagte wegen sexuellen Missbrauchs des Zeugen. 91 Wird mit dem Begriff "erheblich" also eine gewisse Eingrenzung der Anwendungsfälle erreicht, so dass nicht bei jeder Zeugenvernehmung ein Ausschluss des Angeklagten vorgenommen werden kann, so fragt sich, ob und welche Situationen hiervon nun durch den Begriff "schwerwiegend" unterschieden werden können. Ähnlich wie die "Erheblichkeit" charakterisiert das Eigenschaftswörtchen "schwerwiegend" zunächst eine Einschränkung des Anwendungsbereichs von Zeugenschutzmaßnahmen auf bestimmte, und zwar besondere Fälle. Auch hier kann insoweit nicht jede - einfache - Beeinträchtigung des Wohls (§ 247a S. 1, 1. Alt) oder der Gesundheit (§ 247 S. 2, 2. Alt) des Zeugen zur Vernehmung von einem anderen Ort (§ 247a) oder zum Ausschluss des Angeklagten (§ 247) führen. Bei einer Beriicksichtigung des unterschiedlichen Wortlauts einerseits, wie auch bei genauerer Betrachtung des gesetzgeberischen Willens andererseits, wurde bisher schon deutlich, dass über den "Erheblichkeitsbegriff' hinausgehend weiterhin nur eine geringe Teilmenge von Anwendungsfällen erfasst werden soll. Dies muss für § 247 S. 2, 2. Alt. (,jede Aussageperson") auch einleuchten, korrespondiert mit der 89 Nach dem BGH NStZ 1993, 500 soll es bei Delikten gegen die sexuelle Selbstbestimmung von Kindern (hier 15-jährige Zeugin) für § 247 StPO ausreichen, wenn in der Begründung nur der Gesetzeswortlaut wiederholt wird. Denn der ,,Nachteil in gesundheitlichen Angelegenheiten" liege bei Sexualdelikten der vorliegenden Art immer nahe, so dass ein Beschluss, jedenfalls nach einer eingehenden Erörterung der Situation in der Hauptverhandlung, keiner weiteren Begründung bedürfe. Dem zustimmend BGH JR 2001, 340, 341 m. abI. Anm. Eisenberg/Schlüter JR 2001,341 f. Vgl. a. BGHNStZ 2001, 48: Mord am Vater durch die Mutter. 90 So wurde die Erheblichkeit beispielsweise bejaht: bei tödlichen Gewalttaten gegen die Mutter des ll-jährigen Zeugen, der beim Geschehen zugegen war, BGH StV 1987, 6 und BGH JR 2001, 340 f. Gleiches gilt bei einem 5-jährigem Zeugen, der (nichttödliche) Misshandlungen an der Mutter beobachtete und selbst massiven Misshandlungen ausgesetzt war, BGH NJW 1998, 2541 = NStZ 1998,425 = StV 2000, 238. Nicht in jedem Fall muss der Zeuge aber unmittelbar die Tatausführung erlebt haben. Allein die Beziehung des Zeugen zum Täter wie zum Tatopfer unter Berücksichtigung des Anklagegegenstandes soll für die Erheblichkeit ausreichen, dazu BGH NStZ 2001, 48, 49 (Tötung des Vaters durch die Mutter); BGH JR 2001, 340 f. (Tötung der Mutter). 91 Vgl. etwa Basdorfin: FS-Salger (1995),203; KK-StP04-Diemer § 247 Rn. 11 sowie die umfangreichen Nw. in der (Revisions-)Rechtsprechung, exemplarisch nur aus dem Jahre 1992: BGH Beschl. v. 21. 02. 92 - 2 StR 46/92; BGH Beschl. v. 18.03. 1992 - 3 StR 39/92 - NStZ 1992, 346; BGH Beschl. v. 20. 03. 92 - 3 StR 52/92; BGH Vrt .. v. 25. 03. 92 - 3 StR 519/91 - NStZ 1992,450; BGH Vrt. v. 15.04.92 - 2 StR 574/91 - NStZ 1992,447; BGH Beschl. v. 12.08.92 - 5 StR 361/92 - StV 1992,550; BGH Beschl. v. 10. 11. 92 - 1 StR 762/92; BGH Beschl. v. 22. 12. 92 - 5 StR 618/92 (unveröffentliehe Entscheidungen entstammen CD-Nack).

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Anordnung der Zeugenschutzmaßnahme doch immer der Ausschluss des Angeklagten, und zwar gerade von demjenigen Teil der Verhandlung, der für ihn eminente Bedeutung haben kann. Wo die Grenze nun aber im einzelnen verläuft, explizit welche Fälle unter den Begriff "schwerwiegend" zu subsumieren, nicht mehr aber unter "erheblich" zu fassen sind, liegt dem Gesetzesanwender dagegen nicht mehr so offen zutage. Versucht man zunächst eine abstrakte Definition des "schwerwiegenden" Nachteils zu finden, so bleibt mangels anderweitiger Verwendung des Begriffes im Gesetz nichts anderes übrig, als auch hier eine Orientierung an der zweiten Alternative des § 247 S. 2 vorzunehmen. Nach einer ersten Durchsicht von Rechtsprechung und Literatur zu § 247 wird dann aber sehr schnell deutlich, dass dieses Vorhaben mehr enttäuscht als befriedigt. So findet sich eine abstrakte Definition des "schwerwiegenden" Nachteils überwiegend nicht. 92 Es wird allenfalls versucht, kasuistisch die Bedeutung des "schwerwiegenden" Nachteils dem Gesetzesanwender zu veranschaulichen. 93 Vereinzelt wird sogar ausdrücklich darauf hingewiesen, dass der Begriff des "schwerwiegenden Nachteils" ganz offen sei und in praxi erhebliche Abgrenzungsbemühungen erfordert. 94 Findet man sodann vereinzelt eine 92 Vgl. nur die Ausführungen im Schrifttum, etwa: Böttcher JR 1987, 133, 140; KK4 -Diemer § 247 Rn. 11; HK-StP0 3-1ulius § 247 Rn. 3; AK-StPO-Meier § 247 Rn. 8. Soweit davon gesprochen wird, dass etwa "massive Belastungen", Diemer NStZ 2001,393,394, bzw. "extreme Belastungen", Weigend NJW 1987, 1170, 1171, erforderlich seien, hilft dies nicht weiter, weil damit nicht beantwortet wird, wie "massiv" bzw. "extrem" der Nachteil sein muss. 93 Was freilich für § 247 S. 2, 2. Alt. durch die Orientierung am gesundheitlichen Nachteil gewissermaßen auch gelingt, vgl. etwa Rspr: BGHst 22, 289, 295 f. sowie OLG Hamburg NJW 1975, 1574: drohender amtsärztlich bestätigter Nervenzusammenbruch im Falle einer Vernehmung. BGH JR 1989, 254: Zeugin befand sich aufgrund der Vorfalle, die Gegenstand der Anklage waren, seit über einem Jahr in psychotherapeutischer Behandlung. BGH NStZ 1993,500: Gefahr psychosomatischer Störungen, die anlässlich einer Konfrontation mit dem Geschehen bei der vorangegangenen Glaubwürdigkeitsbeurteilung bereits aufgetreten waren. BGHNStZ 2001,261,262: Psychisch sehr labiles Vergewaltigungsopfer, die an einer psychischen Erkrankung aus dem schizophrenen Formenkreis litt und die trotz durchgeführter Psychotheraphie nicht überwunden worden waren. Vgl. a. Literatur: Böttcher JR 1987, 133, 140: Fälle, in denen der Zeuge in der Hauptverhandlung nervlich zusammenbricht und I oder die Zeugenvernehmung anhaltende gesundheitliche Störungen (Schlafstörungen, Angstzustände usw.) nach sich zieht. Krey GS-Mayer, S. 239,246: Schwere psychische Beeinträchtigungen, so a. KleinknechtIMeyer-Goßner-StP045 § 247 Rn. 12. SK-StPO-Schlüchter § 247 Rn. 17: Der Anwendungsbereich der Vorschrift beginnt nicht erst bei Lebensgefahr; auch müssen nicht Schäden bleibender Art zu erwarten sein. Bezeichnend ist etwa eine Angstneurose. Weiterhin zu § 247a: HK-StP0 3-1ulius § 247a Rn. 4: Bei erwachsenen Zeugen kommen vornehmlich psychische Leiden in Betracht, wie angstneurotische Erscheinungen bei Auftreten vor Publikum. 94 Hanack JZ 1989,255; HK-StP0 3 -1ulius § 247 Rn. 3. Soweit sich daher die Gefahr nicht bereits aus dem Anklagegegenstand und den Einzelheiten der Tat, etwa die Art der Vergewaltigung, ergebe, müsse die Einschaltung eines Sachverständigen zur Feststellung der Voraussetzungen daher wohl in der Mehrzahl der Fällen unerlässlich sein, so Hanack a. a. O. sowie a. B.-D. Meier JZ 2001, 415, 417, wonach der "erhebliche Nachteil" für das Wohl des Zeugen im einzelnen durch amtsärztliches Attest belegt werden muss.

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2. Kap.: Anwendung von Videotechnik im Hauptverfahren

Begriffsdefinition, wird ihre Untauglichkeit dem Interessierten deutlich vor Augen geführt. Denn wenn etwa eine (Gesundheits-)Beeinträchtigung dann als schwerwiegend anzusehen sei, wenn ihr nach der konkreten Art und Beschaffenheit erhebliches Gewicht beizumessen ist,95 wird ein etwaiger Unterschied zwischen beiden Begriffen offensichtlich eingeebnet, da man "schwerwiegend" einfach mit "erheblich" - et vice versa - definiert. 96 Bei diesem Befund fragt sich nunmehr, ob, wie hier zunächst vennutet wurde, wirklich eine Differenzierung von (unterschiedlichen) Fällen anhand der Begriffe "erheblich" und "schwerwiegend" erfolgen kann. Ist dies möglicherweise für die unterschiedlichen Alternativen des § 247 S. 2 zu bejahen, da man hier berücksichtigen muss, dass neben der Unterscheidung anhand der Adjektive "erheblich" bzw. "schwerwiegend" auch die Orientierung am Zeugen wohl und der Gesundheit eine gewisse Orientierungshilfe bietet, so scheint dies im Bereich des § 247a S. 1, 1. Alt. durch die alleinige Inbezugnahme auf das Zeugenwohl zweifelhaft. Dies verdeutlicht folgende Überlegung aus der Situation des Gerichts bei der ex ante zu treffenden Prognoseentscheidung: Geht es bei einer derartigen Entscheidung, wie bereits ausgeführt, um die Schlussfolgerung auf eine zukünftige Situation aus Tatsachen der Vergangenheit oder der Gegenwart, so wird man zu berücksichtigen haben, dass das (Nicht- bzw.) Vorliegen quantitativ nah beieinander angesiedelter Voraussetzungen bei Prognoseentscheidungen kaum hinreichend eindeutig bejaht bzw. verneint werden kann. Dies wäre allenfalls dann möglich, wenn bei den zu treffenden Entscheidungen auch statistisch überprüfbare Grundlagen, auf denen sich die Entscheidungen zu stützen vennögen, vorliegen und die etwa im vorliegenden Fall erkennen ließen, was als "schwerwiegender-" oder "erheblicher Nachteil" für das Wohl des Zeugen anzusehen ist. Solange aber gerade die, die ursprüngliche Schaffung der Video-Vernehmungsvorschriften tragende und heute der 95 LR-StP025 -Gollwitzer § 247 Rn. 26; vgl. a. BGH IR 1989, 254 und HK-StP0 3 -Julius § 247a Rn. 4 u. 5. Auf die Dauer der Beeinträchtigung soll es hier - anders insoweit als bei der Erheblichkeit - nach der überwiegenden Auffassung nicht oder nur sekundär ankommen, LR-StP025 -Gollwitzer § 247 Rn. 26; SK-StPO-Schlüchter § 247 Rn. 17; KleinknechtlMeyerGoßner-StP045 § 247 Rn. 12. Nach HK-StP0 3-Julius § 247 Rn. 3 sollte dagegen in jedem Fall durch Auskunft eines Sachverständigen festgestellt werden, dass die Beeinträchtigungen nicht allein auf die Zeit der Vernehmung beschränkt sind. 96 Vereinzelt findet sich in der Literatur der Hinweis, dass es beim schwerwiegenden Nachteil des § 247 S. 2, 2. Alt. anders als beim erheblichen Nachteil des § 247 S. 2, 1. Alt. auf die Dauer der Beeinträchtigung nicht ankommen soll; es genügt also, wenn der schwerwiegende Nachteil den Zeitraum der Vernehmung erfasst, KleinknechtIMeyer-GoßnerStP045 § 247 Rn. 11; SK-StPO-Schlüchter § 247 Rn. 17. Danach ginge es in dem einen Fall also um die Zeitdauer der - gegebenenfalls auch - geringfügigen Belastung. In dem anderen Fall dagegen um den Grad der Massivität der jeweiligen Belastung. Ob man dadurch die Begriffe "erheblich" und "schwerwiegend" voneinander trennen kann, mag aber bezweifelt werden. Auch ein schwerwiegender Nachteil wird sich regelmäßig nie auf den Zeitraum der Vernehmung allein beschränken und - vice versa - ein erheblicher, weil über die Vernehmungssituation hinausgehender Nachteil für das Zeugenwohl, wäre danach auch immer als ein schwerwiegender Nachteil anzusehen.

B. Die gesetzlichen Regelungen der §§ 247a, l68e StPO

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ersten Alternative des § 247a unterstellte, sekundäre Viktimisierung des Zeugen noch nicht einmal wissenschaftlich belegt ist,97 kann auch keine verläßliche Exante-Entscheidung getroffen werden, die die Einordnung des Nachteils für das Zeugen wohl als nur "erheblich" bzw. als "schwerwiegend" klassifiziert. Wird man insoweit in der Entscheidungssituation des Gerichts - etwa mittels eines Sachverständigen - noch feststellen können, ob ein die Gesundheit (§ 247 S. 2, 2. Alt) oder nur die bloße Gefühlswelt (§ 247 S. 2, 1. Alt) des Zeugen betreffender Nachteil durch die Vernehmung des Zeugen in Anwesenheit des Angeklagten droht, so scheint eine derartige Entscheidung - auch mittels Sachverständigen - dann ausgeschlossen, wenn es um die Quantitätsfrage geht, ob ein "schwerwiegender" oder nur "erheblicher" Nachteil für das Zeugenwohl vorliegt. Hinsichtlich der Untergrenze des § 247a S. 1, 1. Alt. handelt es sich daher mehr um eine semantische Ausschmückung des Gesetzestextes als um eine klar handhabbare Unterscheidungsvoraussetzung. Die kritisierte Leere bei der Begriffsbildung des "schwerwiegenden Nachteils" braucht insoweit dann auch nicht zu verwundern. dd) Zwischenergebnis

Eine sachgerechte Abgrenzung von Anwendungsfallen wird sich also kaum anhand der Begriffe "erheblich" oder "schwerwiegend" vornehmen lassen, weil beide Begriffe im Rahmen einer Prognoseentscheidung nicht auseinander zu halten sind. Unter Berücksichtigung des Erfordernisses der dringenden Gefahr ist daher zu schlussfolgern, dass § 247a S. 1, 1. Alt. de lege lata bejaht werden kann, wenn bei einer Prognose ex ante die bei der Ermessensentscheidung zu berücksichtigenden Faktoren des Einzelfalles mit einer "hohen" Wahrscheinlichkeit dafür sprechen, dass bei der Vernehmung des Zeugen in Gegenwart des Angeklagten oder der anderen Verfahrensbeteiligten ein seelischer oder körperlicher Nachteil eintritt, welcher einerseits das Maß eines Gesundheitsschadens erreichen kann, aber nicht 97 Dippel in: FS-Tröndle, S. 599, 601 ff.; Kintzi DRiZ 96, 184, 185; Pfäfflin StV 97, 95, 97. Dabei ist allerdings hervorzuheben, dass hier nicht im Ansatz angezweifelt wird, es bestehe die Möglichkeit der "sekundären" Schädigung durch das Strafverfahren, gibt es in der Praxis dafür doch viele Beispiele - angesichts der vielfältigen Stellungnahmen hierzu vgl. nur Dippel in: FS-Tröndle, S. 599, 606 f. Insbesondere im kriminologischen Schrifttum gilt unangefochten, dass bei schweren Gewalt- und Sexualdelikten beachtliche Risiken für eine sekundäre Viktimisierung im Ermittlungs- und Strafverfahren bestehen (vgl. nur Göppinger S. 169 m. w. Nw.). Zur Konsequenz etwa: RdErl. d. IM NW v. 10.07. 1989 - IV A4-6503, Nr. 3 und Nr. 4 zur Bearbeitung aktueller Gewaltdelikte gegen Frauen und dem dort angeführten Grundsatz, regelmäßig von einer direkten Gegenüberstellung des Opfer mit dem Tatverdächtigen abzusehen. Wegen einer Vielzahl der dafür ggf. ursächlichen sog. Moderatorvariablen (wie die Einstellung der Prozessbeteiligten, Art und Schwere des Delikts, Beziehung zwischen Zeugen und Angeklagten, soziale Unterstiitzung, Reaktionen der Familie, Alter, Ausmaß emotionaler Stabilität, Selbstsicherheit usw.) ist m. E. aber ex ante nicht immer hinreichend exakt feststellbar, ob durch die Vernehmung in Gegenwart des Angeklagten oder anderer Verfahrensbeteiligter eine Belastung für den Zeugen droht, die als erheblich oder sogar als schwerwiegend anzusehen ist. Insoweit wird immer nur eine annähernde, keinesfalls eine eindeutige Entscheidung möglich sein, worauf auch Dippel, a. a. O. S. 606 f. verweist.

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2. Kap.: Anwendung von Videotechnik im Hauptverfahren

muss; sich andererseits aber auch als ein für den Zeugen nachteiliger Zustand darstellt, der über die mit der Vernehmung in Gegenwart der Prozessbeteiligten verbundenen Normalbelastungen deutlich hinausgeht. 98 Ob dies in concreto der Fall ist, obliegt nach dem Gesetzeswortlaut dem Ermessen des erkennenden Gerichts, das in dieser Hinsicht insoweit eine nicht nur unerhebliche Einschätzungsprärogative besitzt. c) Die Subsidiaritätsklausel Liegen die Voraussetzungen des § 247a S. 1, 1. Alt. vor, so kann das Gericht die Anwendung der Video-Technik im Strafverfahren nach der Gesetzesfassung aber nur dann anordnen, wenn die Gefahr des schwerwiegenden Nachteils für das Wohl des Zeugen nicht in anderer Weise abgewendet werden kann ("zweite Stufe"). Bei dieser Formulierung handelt es sich um eine formelle Subsidiaritätsklausel. 99 Sie verdeutlicht, dass die Videovernehmung bei der Möglichkeit anderer, dem Zeugenschutz zumindest gleich geeigneter Mittel nicht in Betracht kommen kann. Verbunden durch das Wörtchen "namentlich" benennt das Gesetz explizit zwei Maßnahmen, die der Gesetzgeber vorrangig im Blick hatte und die ihm so wichtig erschienen, dass trotz der Ultima ratio-Anordnung des § 247a S. I, 1. Alt. eine gesonderte Erwähnung erfolgte. Gemeint sind der Ausschluss des Angeklagten gern. § 247 sowie der Ausschluss der Öffentlichkeit gern. §§ 171 b, 172 - 174 GVG. Beriicksichtigt man, welche "altbewährten" Zeugenschutzmaßnahmen aus Fürsorgegesichtspunkten in praxi angewendet werden, so wird deutlich, dass das Gesetz mit dem Verweis auf §§ 247 StPO, 171b ff. GVG die beiden wohl eingriffsschwersten Maßnahmen benennt. 1oo Wegen der Orientierung des § 247a an der Vorschrift des § 247 im Gesetzgebungsverfahren sollen an dieser Stelle die mit der Anlehnung an diese Vorschrift - augenscheinlich - verbundenen Probleme kurz betrachtet werden. Eine tiefergehende Untersuchung der Frage, ob die gesetzgeberische Entscheidung betreffend die Subsidiaritätsanordnung des § 247a S. 1, 1. Alt. überzeugt, wird dagegen an späterer Stelle vorgenommen, nachdem eine Lozierung des Verhältnisses von "Videozeugen" zu anderen Beweismitteln erfolgen konnte. aa) SchutzbedürJtiger Zeuge unter sechzehn Jahren (= Kinderzeugen)

Eine gewisse Befremdlichkeit wird bei der Anwendung der zeugenschützenden Norm des § 247a S. I, 1. Alt. zunächst auf jugendliche Zeugen, d. h. Zeugen unter 98 Dies ist unproblematisch anzunehmen, um mit den Worten des BGH zu sprechen, wenn der Nachteil ,,klar auf der Hand [liegt)", BGH JR 2001, 340, 341 [bzgl. der Gesundheitsgefahr § 247 S. 2, 2. Alt]. 99 Jescheck/Weigend § 69 II 2, S. 734 f.; SK-StPO-Schlüchter § 247a Rn. 7. 100 KK4 -Diemer § 247a Rn. 11; ders. NStZ 2001,393,394.

B. Die gesetzlichen Regelungen der §§ 247a, 168e StPO

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sechzehn Jahren, deutlich. Wahrend - wie ausgeführt - der Angeklagte gern. § 247 S. 2, 1. Alt. bei einem Zeugen unter sechzehn Jahren von der Hauptverhandlung allein bei der "Befürchtung" eines "erheblichen Nachteils" ausgeschlossen werden kann (und diese Voraussetzung im Gesetzgebungsverfahren zunächst auch ein Bestandteil der Videovernehmungs-Vorschriften für das Hauptverfahren bildete),101 ist der Einsatz der Videotechnik zum Schutz des Zeugen im Hauptverfahren nach der heutigen Regelung des § 247a S. 1, 1. Alt. nur unter sehr engen Voraussetzungen möglich. Dies muss verwundern, wurde der Zeugenschutz doch gerade für Kinderzeugen als unzureichend angesehen. 102 Gerade dies bildete - jedenfalls anfänglich - auch den Anlass, die heute bestehenden Vorschriften, zum Einsatz von Videotechnik bei der Zeugen vernehmung, zu schaffen. Stellt man insoweit eine - nicht ganz nachvollziehbare - Diskrepanz der Regelung des § 247a S_ I, 1. Alt. zu § 247 für Kinderzeugen fest, so steht die Subsidiaritätsanordnung des § 247a jedenfalls in gesetzesmethodischer Hinsicht damit aber im Einklang. Denn soll nach dem gesetzgeberischen Willen der Ausschluss des Angeklagten aus dem Sitzungssaal bei einer bloßen "Befürchtung" des "erheblichen Nachteils" für das Zeugen wohl, die Anordnung der Videovernehmung dagegen nur bei der "dringenden Gefahr" desselben Nachteils Anwendung finden, so harmonieren die Anwendungsvoraussetzungen - durch die intendierte qualitative Steigerung - beider Normen jedenfalls in systematischer Hinsicht. Denn durch den bei § 247 S. 2, 1. Alt. verwendeten Begriff der "Befürchtung" wird - nach der hier vorgenommenen Auslegung - ein größerer Querschnitt von Anwendungsfällen erfasst, als dies bei § 247a S. I, 1. Alt. der Fall ist. Insoweit ist es prima facie auch nachvollziehbar, dass § 247 a S. I, 1. Alt. als ultima ratio-Vorschrift hier auf § 247 verweist. Berücksichtigt man demgegenüber die praktischen Auswirkungen dieser Diskrepanz der unterschiedlichen Anwendungsvoraussetzungen für jugendliche Zeugen, so fragt sich, warum in dem einen Falle, in welchem der Nachteil vom Angeklagten droht, Zeugenschutzmaßnahmen viel eher Anwendung finden können als in dem Fall, in welchem die "Gefahr" nicht (allein) durch den Angeklagten, sondern etwa durch die Anwesenheit anderer Prozessbeteiligter hervorgerufen wird. Ist der Zeuge in dem einen Fall, in welchem ihm Nachteile aus der Konfrontation mit dem Angeklagten drohen, schutzwürdiger als in dem für ihn vergleichbaren Fall, bei dem sich die Gefahren aus der Anwesenheit einer Vielzahl von Prozessbeteiligten ergeben? Die Antwort lautet ganz sicher: Nein!. Die unterschiedliche Behandlung durch den Gesetzgeber des Zeugenschutzgesetzes 1998 vermag daher auf den ersten Blick nicht zu überzeugen. Dies gilt jedenfalls, wenn man allein die jugendliche Aussageperson in den Blick nimmt und berücksichtigt, dass der Gesetzgeber des Jahres 1986 mit dem 2. Opferschutzgesetz lO3 in § 247 S. 2 einen Maßstab für Vgl. die Erläuterungen zur Entstehungsgenese des § 247a im 2. Kapitel, Abschnitt A. 11. Vgl. Laubenthai JZ 1996, 335, 339. 103 BT-Drs. 10/6124, S. I ff., S. 14. Bemerkenswert ist allerdings, dass in der Begründung auf die erste Alternative des § 247 S. 2 überhaupt nicht eingegangen wurde. 101

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2. Kap.: Anwendung von Videotechnik im Hauptverfahren

die unterschiedliche Behandlung jugendlicher und erwachsener Zeugen festgelegt hat, welcher aus der - wegen des Alters des Zeugen - unterschiedlichen Schutzbedürftigkeit resultiert. Insoweit hätte es nahe gelegen, auch bei § 247a S. 1 eine nach dem Alter differenzierte Behandlung des Zeugen vorzunehmen. I04 Indem nunmehr auch bei Kinderzeugen an die besonderen Anwendungsvoraussetzungen (des § 247 S. 2, 2. Alt) für erwachsene Zeugen angeknüpft wurde, wird - an sich systemwidrig - eine "Grauzone" rechtlich unanwendbaren Zeugenschutzes geschaffen. Denn erfordert die audiovisuelle Fernvernehmung gern. § 247a S. 1, 1. Alt., wie dies die Gesetzesauslegung nahelegt, eine "hohe Wahrscheinlichkeit", also eine gewisse Evidenz, eine Deutlichkeit des drohenden Eintritts eines (erheblichen / schwerwiegenden) Nachteils beim Zeugen, dürfte diese Voraussetzung nur in seltenen Fällen gegeben sein. Damit wird aber die ursprüngliche, die Schaffung der Videovernehmungsvorschriften anfänglich tragende, gesetzgeberische Intention des verbesserten Zeugenschutzes jedenfalls für das Hauptverfahren untenniniert. Nun wird man dem entgegenhalten müssen, dass die Gleichbehandlung aller Zeugen bei der audiovisuellen Fernvernehmung im Hauptverfahren sehr wohl dadurch gerechtfertigt werden kann, dass man die weiteren, mit dem Zeugenschutzgesetz geschaffenen Regelungen zum Einsatz von Videotechnik berücksichtigt. Denn schließlich "soll" ja gern. § 58a die Zeugenaussage eines Zeugen unter sechzehn Jahren bereits im Ennittlungsverfahren "konserviert" werden, damit weitere, den Zeugen gegebenenfalls beeinträchtigende Vernehmungen nicht mehr notwendig sind. Weiterhin "kann" das angefertigte Videoband als Beweismittel gern. § 255a in die Hauptverhandlung eingeführt werden, wenn die weiteren Voraussetzungen (richterliche Vernehmung, Gelegenheit zur Mitwirkung durch den Verteidiger und den Angeklagten, bestimmte Deliktskategorie) gegeben sind. Insoweit wird der erhöhten Schutzbedürftigkeit des jugendlichen Zeugen an anderer Stelle, und zwar im Hinblick auf das Unmittelbarkeitsprinzip, wie noch näher auszuführen sein wird, in sehr weitgehender Weise Rechnung getragen. Und daher wird durch den Gesetzgeber des Zeugenschutzgesetzes 1998 auch in gewisser Weise die vorangegangene gesetzgeberische Differenzierung des Jahres 1986 angeknüpft. Nun folgt daraus aber keine völlige Rechtfertigung der oben geäußerten "Grauzone" des Zeugenschutzes in der Hauptverhandlung. Denn bedenkt man etwa, dass angesichts der beschränkten öffentlichen Mittel ein Video-Technikeinsatz nicht bei jeder, außerhalb der Hauptverhandlung vorgenommenen Zeugen vernehmung zur Verfügung stehen wird, oder, was wahrscheinlicher ist, dass im Rahmen einer richterlichen Vernehmung im Ennittlungsverfahren im Einzelfall keine Gelegenheit zur Mitwirkung für den Angeklagten sowie seinen Verteidiger bestand (vgl. § 255a), so bleibt die benannte Diskrepanz bestehen. Gleiches gilt, wenn etwaige Hinweise für die Notwendigkeit von Zeugenschutzmaßnahmen erst in der Haupt104 Wie dies im Gesetzgebungsverfahren auch von der Opposition gefordert wurde. V gl. dazu die Hinweise bei der Entstehungsgeschichte des § 247a im 2. Kapitel. Abschnitt A 11.

B. Die gesetzlichen Regelungen der §§ 247a, 168e StPO

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verhandlung offenkundig werden. Denn dem Richter bleibt es dann untersagt, die Vernehmung des Zeugen von einem anderen Ort vorzunehmen, wenn allenfalls nur die "nicht ganz entfernte Möglichkeit" eines Schadenseintritts vorliegt. Und insoweit besteht die oben angenommene Unstimmigkeit der gesetzlichen Voraussetzungen für jugendliche Zeugen unter sechzehn Jahren bei einem Vergleich des § 247 S. 2 mit § 247a S. 1, 1. Alt. für bestimmte, hier nur ansatzweise ausgeführte Anwendungsfälle, weiterhin fort. Diese "Unstimmigkeit" ließe sich schließlich nur dann rechtfertigen, wenn ein verbesserter Schutz des jugendlichen Zeugen auch durch den vermehrten Einsatz von Videotechnik im Hauptverfahren nicht erreicht werden kann. 105 Denn dann wäre jegliche Differenzierung wie im Falle des § 247 S. 2 sinnlos. Da sich diese Frage aber erst sachgerecht beantworten lässt, wenn Näheres zur technischen Ausgestaltung der audiovisuellen Fernvernehmung sowie zu den vorgebrachten Bedenken gegen den Einsatz von Videotechnik im Strafverfahren dargelegt wurde, 106 soll an geeigneter späterer Stelle darauf zurückgekommen werden. bb) SchutzbedürJtiger Zeuge ab sechzehn Jahren (= Erwachsener Zeuge)

Ähnlich unstimmig stellt sich die Situation beim erwachsenen Zeugen für diejenigen Fälle dar, in denen die Gefahr - unmittelbar oder mittelbar - (auch) durch den Angeklagten droht. Wie dargelegt wurde, ist gern. § 247 S. 2, 2. Alt. der Ausschluss des Angeklagten nur bei einer "dringenden Gefahr" eines "gesundheitlichen Nachteils" möglich. Die Videovernehmung als Zeugenschutzmaßnahme soll dagegen - nach der oben vorgenommenen und unproblematisch im Einklang mit der Literatur stehenden Auslegung - bereits bei Nachteilen für den Zeugen Anwendung finden, die (auch) unterhalb der Schwelle des gesundheitlichen Nachteils angesiedelt sind. Ordnet § 247 S. 1 I.Alt a. E. nun aber an, dass die Videovernehmung als Zeugenschutzmaßnahme nur dann fungieren könne, wenn die Gefahr (explizit) durch den Ausschluss des Angeklagten aus dem Sitzungssaal nicht abwendbar sei, so bleibt (allein beim erwachsenen Zeugen) nichts anderes übrig, als die - engeren - Voraussetzungen des § 247 S. 2, 2. Alt. in die Vorschrift des § 247a S. 1, 1. Alt. hineinzulesen. Denn allenfalls dann kann ja die Videovernehmung im Hauptverfahren zum Zweck des Zeugenschutzes ultima ratio sein. In dem Fall also, wo die Gefahr für den Zeugen - unmittelbar oder mittelbar - durch den Angeklagten droht, muss auch für den Einsatz der Videotechnik bei der Zeugenvernehmung die "dringende Gefahr" eines "schwerwiegenden" (i. S. e. hier verstandenen "erheblichen") Nachteils für die "Gesundheit" des Zeugen drohen. Und damit wird die oben qua Auslegung festgestellte Ansiedlung der Voraussetzungen des § 247 S. 1 1. Alt inmitten der ersten und zweiten Alternative des § 247, ja die Präzisierung 105 Darauf wurde etwa in der Gesetzesbegründung der CDUICSUIFDP-Fraktion BTDrs. 617165, S. 4 verwiesen. 106 Vgl. dazu die Ausführungen betreffend das Bedürfnis für eine Untersuchung im 1. Kapitel, Abschnitt C I.

2. Kap.: Anwendung von Videotechnik im Hauptverfahren

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der Voraussetzungen im einzelnen, völlig obsolet. Das stellt weiterhin einen gewissen Anwendungsunterschied zwischen dem jugendlichen Zeugen (Nachteil für das Zeugenwohl) und dem erwachsenen Zeugen (Nachteil für die Gesundheit) als Analagon zur Differenzierung bei § 247 S. 2 her. Ob das freilich auch vom Gesetzgeber beabsichtigt war, mag bezweifelt werden. Nur, die unbefangene Gesetzesauslegung führt zu diesem Ergebnis. Wenn nun gerade in Rechtsprechung und Literatur - im Sinne einer herrschenden Meinung - unter Bezugnahme auf den Wortlaut sowie den Willen des Gesetzgebers auf die Ultima-ratio-Anordnung des § 247a S. 1, 1. Alt. besonders hingewiesen wird, muss es Verwunderung hervorrufen, dass nirgends näher dargelegt wird, wie sich dies zu den Anwendungsvoraussetzungen der Video-Zeugenschutzvorschrift des § 247a verhält. Auch wenn unter ausdrücklicher Missachtung des Gesetzeswortlauts ausgeführt wird, das Gericht habe im Einzelfall sorgsam zu prüfen, "ob nicht trotz des Vorrangs des § 247 S. 2 eine audiovisuelle Vernehmung bereits gern. § 244 Abs. 2 anzuordnen ist, weil der Angeklagte dann die Gelegenheit erhält, die Vernehmung unmittelbar zu verfolgen und von seinem Fragerecht direkt Gebrauch zu machen", \07 so wird damit - im Gegensatz zur erwähnten hM - zwar auf den besonderen Ausnahmecharakter des § 247 hingewiesen. Dies würde aber für die hier vorliegenden Kalamitäten wegen des eindeutigen Gesetzeswortlautes keinen gangbaren Weg eröffnen. Denn missachtete man die Ultima-ratioAnordnung, wäre wegen der geringeren Anwendungsvoraussetzungen dargetan, dass die Videovernehmung jedenfalls bei Gefahren (durch den Angeklagten) unterhalb der Schwelle einer Gesundheitsgefahr vorrangiges Mittel des Zeugenschutzes sei. Dafür müsste aber auch dargelegt werden können, dass die Videofernvernehmung als ein gleich geeignetes oder sogar besseres Mittel (für den Zeugenschutz) anzusehen ist, was bei den Vertretern dieser Sichtweise in Gedanken offensichtlich mitspielte. Jedenfalls aus der Perspektive des Gesetzgebers ist dies wegen der Zweifel im Gesetzgebungsverfahren an den technischen Möglichkeiten aber unproblematisch zu verneinen. Ob diese Bedenken nun wiederum überzeugen, wird dem nächsten Kapitel \08 zu entnehmen sein.

d) Zusammenfassung Der Vergleich des § 247a S. 1, 1. Alt. mit der ersten und zweiten Alternative des § 247 S. 2 ergibt, dass die Vorschrift ersichtlich zwischen den beiden Modalitäten des § 247 S. 2 angeordnet ist. Bei der "dringenden Gefahr für das Zeugenwohl" geht es um das Vorliegen einer, auf tatsächliche Umstände der Vergangenheit oder der Gegenwart begründeten, ,,hohen" Wahrscheinlichkeit eines (körperlichen oder seelischen) Nachteils der 107 108

HK-StP03-Julius § 247a Rn. 7; Laubenthai JZ 1996,335,344. Siehe dazu die Ausführungen im 3. Kapitel.

B. Die gesetzlichen Regelungen der §§ 247a, 168e StPO

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Aussageperson (Unterschied zu § 247 S. 2, 1. Alt). Bei der richterlichen Prognoseentscheidung müssen dabei die Gefahrindizien die Gegenindizien eindeutig überwiegen, so dass sich das erforderliche Maß der Gefahr dem Richter (intersubjektiv) geradezu aufdrängt. Zumindest erforderlich ist dafür eine subjektiv starke Vermutung. Das bloße "Fürmöglichhalten" eines Nachteils für das Wohl des Zeugen ist dagegen nicht ausreichend. Der Begriff des ,,zeugenwohls" ist isoliert gesehen geradezu schillernd, weil jede Aussage in der Hauptverhandlung das Wohl der Aussageperson in irgendeiner Weise betrifft. Aus dem Begriff lässt sich daher nicht mehr herleiten, als die auf einem argurnenturn e contrario zu § 247 S. 2, 2. Alt. beruhende Erkenntnis, dass auch Minderungen des Wohlbefindens, bei denen es sich um keinen pathologischen Nachteil handelt, von § 247a mitumfasst sein müssen (Unterschied zu § 247 S. 2, 2. Alt). Für die Frage nach der Untergrenze des § 247a S. 1, 1. Alt. wurde daher zunächst vermutet, eine Abgrenzung könne anhand der Begriffe "erheblich" und "schwerwiegend" erfolgen. Die Auslegung der Adjektive enttäuschte dann aber. Vielmehr wurde schnell deutlich, dass eine Präzisierung der Untergrenze etwaiger Anwendungsfälle des § 247a S. 1, 1. Alt. nicht anhand derartiger Begrifflichkeiten erfolgen kann. Anders als bei § 247 S. 2, wo der "erhebliche" Nachteil mit dem "Zeugenwohl" und der "schwerwiegende" Nachteil mit dem Rechtsgut "Gesundheit" verknüpft wird, hilft diese Unterscheidung bei § 247a S. 1, 1. Alt. nicht weiter. Denn im Rahmen einer Prognoseentscheidung ist es nicht möglich, zwischen einem "erheblichen Nachteil" und einem "schwerwiegenden Nachteil" für ein und dasselbe Rechtsgut, nämlich das "Zeugenwohl", zu unterscheiden. Bei dem Wörtchen "schwerwiegend" in § 247a S. I, 1. Alt. handelt es sich insoweit offensichtlich nur um eine semantische Ausschmückung des Gesetzestextes. Unter Beriicksichtigung des Erfordernisses der dringenden Gefahr ist daher erforderlich, dass die Vernehmung des Zeugen in der Hauptverhandlung zu einem (irgendwie gearteten) nachteiligen Zustand beim Zeugen führt, der über die Normalbelastungen einer Hauptverhandlung deutlich hinausgeht. Dies jedenfalls ist zu verlangen, will man den Wortlaut des Gesetzes ernst nehmen. Die Subsidiaritäts-Anordnung des § 247a S. 1, 1. Alt. offenbart weitere Probleme. Angesichts der unterschiedlichen gesetzlichen Voraussetzungen von § 247 S. 2 und § 247a führt sie bei Kinderzeugen zu einer Grauzone rechtlich unanwendbaren Zeugenschutzes. Bei erwachsenen Zeugen werden dagegen Unstimmigkeiten im Gesetzeswortlaut offenkundig. Allein durch die Auslegung des Gesetzestextes werden die Voraussetzungen des § 247a S. I, 1. Alt. verändert, wenn die Gefahr für den Zeugen (auch) von dem Angeklagten ausgeht. Denn dann sind aufgrund der gesetzlichen Anordnungen die Voraussetzungen des § 247 S. 2, 2. Alt. in § 247a S. 1, 1. Alt. hineinzulesen, so dass in diesem Falle - im Einklang mit § 247 - eine Zeugenschutzmaßnahme mittels Videotechnik an höhere Voraussetzungen gebunden ist.

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2. Kap.: Anwendung von Videotechnik im Hauptverfahren

e) Schlussfolgerungen de lege ferenda Bereits die schiere Auslegung des § 247a S. 1, 1. Alt. zeigt Unklarheiten auf, welche Fallgruppen im einzelnen erfasst werden. Dies sollte de lege ferenda klargestellt werden, wobei auf die semantische Ausschmückung des Gesetzestextes verzichtet wird. Demgegenüber scheint es geradezu unausweichlich vom Gesetzgeber eine Überarbeitung der gesetzlichen Voraussetzungen zu verlangen, wenn, im Falle einer von den Prozessbeteiligten wie den Angeklagten drohenden Gefahr für den Zeugen, vermieden werden soll, dass über den Umweg des § 247 S. 2, 2. Alt. für die Videofernvernehmung doch die "dingende Gefahr eines schwerwiegenden Nachteils für die Gesundheit des Zeugen" erforderlich ist.

2. § 247a S. 1,2. Alt. - Videovemehmung zur Verbesserung der Wahrheitsfindung und der Verfahrensbeschleunigung Gern. § 247a S. 1,2. Alt. ist die Anordnung einer Videovernehmung des Zeugen in der Hauptverhandlung weiterhin auch unter den Voraussetzungen des § 251 Abs. 1 Nr. 2, 3 oder 4 möglich, wenn dies zur Erforschung der Wahrheit erforderlich ist. Die Vernehmung des Zeugen von einem anderen Ort mittels videovermittelter Übertragung seiner Aussage kann dann anstelle der - nur ausnahmsweise zulässigen _109 richterlichen Protokollverlesung bzw. dem Abspielen einer auf Videoband konservierten Zeugenaussage (§ 255a Abs. 1) durchgeführt werden. Anders als im Fall des § 247a S. 1, 1. Alt., der die audiovisuelle Fernvernehmung aus Gründen des Zeugenschutzes regelt, soll mittels § 247a S. 1, 2. Alt. iVm. §§ 251 Abs. 1 Nr. 2-4 die Vernehmung des Zeugen zum Zweck recht unterschiedlicher Gründe ermöglicht werden. Diese Gründe ergeben sich aus dem strukturellen Unterschied der Ursachen, die die unmittelbare Vernehmung des Zeugen in der Hauptverhandlung unmöglich bzw. verzichtbar machen. HO SO wird nach unbefangener Durchsicht des § 251 Abs. I in Nr. 2 das Ziel der" Verbesserung der Wahrheitsfindung" erkennbar,111 weil hier, anstelle der allenfalls zur Verfügung stehenden sachlichen Beweismittel "Urkunde" bzw. "Bild-Ton-Aufnahme", der "Videozeuge" zur Beweisführung herangezogen werden kann. Demgegenüber wird in Nr. 3 und Nr. 4 - in geradezu umgekehrter Hinsicht - der an sich in der Hauptverhandlung zur Verfügung stehende Zeuge durch den "Videozeugen" substituiert, weil dem Zeugen wegen der Entfernung zum Gericht einerseits das ErVgl. § 250 StPO. Zum einen die in der Person des Zeugen liegenden, der Vernehmung zum Zeitpunkt der Hauptverhandlungjaktisch wie rechtlich entgegenstehende Gründe, § 251 Abs. I Nr. 13, Abs. 2 S. 2, sowie das unabhängig von solchen Gründen zu erklärende Einverständnis der Beteiligten gern. § 251 Abs. I Nr. 4. Dazu etwa Keiser Das Kindeswohl, S. 193 m. w. N. 111 BGHs! 10, 186, 189; 26, 18,20. 109 110

B. Die gesetzlichen Regelungen der §§ 247a, 168e StPO

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scheinen nicht zugemutet werden kann (Nr. 3) oder weil andererseits der Staatsanwalt, der Verteidiger und der Angeklagte mit der Durchführung einer Videovernehmung einverstanden sind (Nr. 4). Im Vordergrund des gesetzgeberischen Interesses dieser beiden Alternativen steht insoweit offensichtlich der Gesichtspunkt einer " Veifahrensbeschleunigung" und damit auch der "Veifahrensvereinfachung", 112 nicht aber die verbesserte Wahrheitsfindung. Im folgenden soll nun auf die Voraussetzungen des § 251 Abs. 1 Nr. 2-4 im Überblick näher eingegangen werden. a) § 251 Abs. 1 Nr. 2 Nach § 251 Abs. 1 Nr. 2 darf die Vernehmung des Zeugen, des Sachverständigen oder Mitbeschuldigten in der Hauptverhandlung durch die Verlesung eines bei einer friiheren Vernehmung niedergeschriebenen (richterlichen) Protokolls verlesen werden, wenn "dem Erscheinen .. . in der Hauptverhandlung für eine längere oder ungewisse Zeit Krankheit, Gebrechlichkeit oder andere nicht zu beseitigende Hindernisse entgegenstehen". Unter gleichen Voraussetzungen kann auch die kommissarische Zeugenvernehmung gern. § 223 Abs. 1 durchgeführt werden. aa) Personenkreis - Audiovisuelle Fernvernehmung des Sachverständigen oder Mitbeschuldigten?

Ermöglicht § 247a allein die Zeugenvernehmung von einem anderen Ort, so ist der Wortlaut des § 251 hinsichtlich des gerade umschriebenen Personenkreises, welcher für Zeugen und Sachverständige auch mit § 223 übereinstimmt, im Lichte des § 247a auszulegen. Die Videovernehmung ist daher nur bei einem "Zeugen", nicht aber auch bei "Sachverständigen" und "Mitbeschuldigten" möglich, wie dies für die Protokollverlesung angeordnet ist. 113 Einschränkend ist dem jedoch für die Vernehmung von Sachverständigen anzumerken, dass diese sehr wohl zu dem von § 247a umrissenen Personenkreis zu zählen sind, wenn sie über Geschehnisse der Vergangenheit l14 berichten sollen, die nur aufgrund ihrer Fachkunde erkannt bzw. besonders differenziert erkannt werden können. 115 Denn der Sachverständige ist dann (nicht Sachverständiger, sondern) sachverständiger Zeuge im Sinne des § 85, wonach die Vorschriften über den Zeugenbeweis (unmittelbar) gelten. § 247a S. 1, 2. Alt. ist also immer nur dann anwendbar, wenn die für eine Fernvernehmung in BGH StV 2000, 345 =NJW 2000, 2517. Vgl. a. Diemer NStZ 2001, 393, 395. So die ganz h. M.: KK4 -Diemer § 247a Rn. 12; ders. NJW 1999, 1667, 1670; LRStP025 -Gollwitzer § 247a Rn. 12; Kleinknecht/Meyer-Goßner44 § 247a Rn. 6. 114 Demgegenüber bekundet der Sachverständige regelmäßig über gegenwärtige Tatsachen sachkundig, vgl. etwa KK-StP04 -Senge § 85 Rn. 1. 115 Ein Beispiel ist der Arzt, der sich zufällig am Tatort aufhält und dem angeschossenen Opfer erste Hilfemaßnahmen zukonunen lässt. Vgl. dazu Kühne Strafprozessrecht, § 53 Rn. 858. 112 113

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2. Kap.: Anwendung von Videotechnik im Hauptverfahren

Betracht kommende Aussageperson im aktuellen Verfahren die Stellung eines Zeugen inne hat. 116 Fragt man nach dem Grund für die Einschränkung, so wird man zu berücksichtigen haben, dass § 247a primär den Aufenthalt des Zeugen an einem anderen Ort regelt. Nur sekundär wird - als denknotwendiges obiter dictum - der Einsatz von Videotechnik bei der Vernehmung normiert. Findet sich im Verweis des § 247a S. 1,2. Alt. auf die Voraussetzungen der §§ 251 Abs. 1 Nm. 2 bis 4 nun die Fonnulierung "eine solche Anordnung", so wird dadurch auf den ersten Halbsatz des § 247a Bezug genommen und unmissverständlich dargelegt, dass der Einsatz von Videotechnik allein die Aussage des Zeugen, der sich an einem anderen Ort aufhält, betreffen kann. Dürften angesichts des eindeutigen Gesetzeswortlauts insoweit keine Fragen mehr offenbleiben, so verwundert die getroffene Regelung dennoch. Denn berücksichtigt man, dass das Erscheinenshindernis sogar die Verlesung eines richterlichen Vernehmungsprotokolls ennöglicht und damit auf das unmittelbare Erscheinen des Sachverständigen / Mitbeschuldigten wegen eines nicht zu beseitigenden Hindernisses völlig verzichtet werden kann, so fragt sich doch, warum Videovernehmungen nicht auch bei diesem Personenkreis Anwendung finden sollen. Dies gilt jedenfalls, soweit dies "zur Erforschung der Wahrheit" angezeigt ist (Mündlichkeit! / Unmittelbarkeit?! 117) und anders das "unmittelbare" Erscheinen nicht erreicht werden kann. Ist aus der Situation de lege lata auch zu schlussfolgern, dass der Gesetzgeber einem inflationären Einsatz des § 247a entgegenwirken wollte, indem die Prozessbeteiligten nicht, wie nunmehr etwa im Zivil- und Finanzgerichtsprozess vorgesehen, 118 nur noch über Videokonferenztechnik miteinander kommunizieren (Stichwort: Virtuelle Gerichtsverhandlung durch "multipoint"-Konferenzen); das "Ob" einer Kommunikation gerade im Strafverfahren, in dem über gegebenenfalls einschneidende Konsequenzen für den Angeklagten entschieden wird, nur höchst ausnahmsweise von technischen Mitteln abhängen soll, so ist dies ganz sicher zu begrüßen. Nur wird hierdurch der Widerspruch nicht aufgelöst, warum im Ausnahmefall, und dafür ist § 247a ja konzipiert, nicht auch der Sachverständige sein Gutachten vermittels Videokonferenz in die Hauptverhandlung einbringen kann, man demgegenüber aber de lege lata auf die Gutachtenerstattung durch den Sachverständigen selbst völlig verzichten kann und stattdessen seine richterliche Vernehmung (§ 223 Abs. 1) durchführt, deren Protokoll dann in der Hauptverhandlung verlesen wird. Mit der Höherwertigkeit des richterlichen Protokolls gegenüber einer Videofemvernehmung wird sich dies wohl kaum begründen lassenY9 Etwa Diemer NStZ 2001,393,395. Darauf wird im Rahmen des 3. Kapitels noch umfassend einzugehen sein. 118 Vgl. § 128a ZPO id. Fassung des Entwurfs 6. Rechtsausschuss BT-Drs. 14/6036 v. 15. 05. 2001, S. 9 sowie §§ 91a, 93a FGO. 119 Wie im Rahmen der Ausführungen zum Unmittelbarkeitsprinzip (im: 3. Kapitel, Abschnitt C) noch näher darzulegen sein wird. 116 117

B. Die gesetzlichen Regelungen der §§ 247a, l68e StPO

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Und insoweit lässt sich auch nicht aus dem Unmittelbarkeitsprinzip herleiten, warum der Gesetzgeber etwa im Zivilprozess,12o nicht aber im Strafprozess die Videofernvernehmung von Sachverständigen - im Ausnahmefall - zulässt. 121 Dies gilt gleichermaßen vor dem Hintergrund des Art 10 ErgÜbk zum EuRhÜbk, wo die Videofernvernehmung von Sachverständigen im Gegensatz zu § 247a im Ausnahmefall vorgesehen wurde. Die Einschränkung des Personenkreises bei § 247a allein auf Zeugen durch den Gesetzgeber ist insoweit unverständlich. Dennoch bleibt nur ihm bleibt eine baldige Abänderung dieses Widerspruchs vorbehalten. bb) Hindernis zu "Erscheinen" Nach dem Wortlaut des § 251 Abs. I Nr. 2 ist die Protokollverlesung zunächst immer bei einem (tatsächlichen wie rechtlichen) "Erscheinens"-Hindernis möglich. Handelt es sich bei § 251 auch um eine Ausnahmevorschrift, die grundsätzlich restriktiv auszulegen ist,122 würde man die Vorschrift jedoch zu eng verstehen, wenn man strikt auf den Wortlaut abstellend nur absolute (objektive wie rechtliche) ,,Erscheinens-" Hindernisse durch die Vorschrift erfasst. Denn auch wenn das Erscheinen des Zeugen tatsächlich möglich ist, wäre die Anwesenheit doch völlig sinnlos, wenn der erschienene Zeuge in der Hauptverhandlung nicht vernehmbar ist oder möglicherweise hierdurch sogar erst vernehmungs unfähig wird. Für § 251 Abs. I Nr. 2 kommt es daher vorrangig auf die "Vernehmungsfähigkeit" bzw. die drohende "Vernehmungsunfähigkeit", nicht allein auf die "Erscheinensmöglichkeit" der Aussageperson in der Hauptverhandlung an. 123 Auch die in der Vorschrift 120 Vgl. § l28a Abs. 2 ZPO: "Im Einverständnis mit den Parteien kann das Gericht gestatten, dass sich ein Zeuge, ein Sachverständiger oder eine Partei während der Vernehmung an einem anderen Ort authält. Die Vernehmung wird zeitgleich in Bild und Ton in das Sitzungszimmer übertragen." 121 Zu einem Pilotprojekt in Australien, bei dem Sachverständige ihr Gutachten im Rege/fall via Videokonferenz erstatten, weil dadurch viel Zeit und vor allem Kosten gespart werden: Meadows Law Institute Journal Vol. 70 (1996), 17. Zum Kostenaspekt im deutschen Strafverfahren: vgl. die Ausführungen von Kühne zur Wirtschaftlichkeit und Sparsamkeit im Strafverfahren (Strafprozessrecht, § 14 Rn. 279 ff., 285). Danach kann im Hinblick auf §§ 244 Abs. 2, 250 einem "Grundsatz der Wirtschaftlichkeit" allenfalls eine beschränkte Bedeutung zuerkannt werden, wobei der rechtlichen Situation zugegebenermaßen eine geradezu diametral verlaufende faktische Sachlage gegenübersteht. Gerade weil mit der hier postulierten Kostenerspamis zudem auch eine Qualitätsverbesserung gegenüber der Protokollverlesung korrespondieren wird (Möglichkeit zu weiteren Nachfragen an den Fachmann durch das Gericht) kann es bei der Videofernvernehmung nicht entscheidet darauf ankommen, was diese kostet. Würde im Einzelfall daher die Protokollverlesung auch billiger sein, ist dies also kein ausschlaggebener Gesichtspunkt. 122 HK-StP03-Julius § 251 Rn. 1. 123 BGHst 9, 297, 300. Dies freilich führt nunmehr nicht dazu, dass in den Fällen eines absoluten Erscheinenshindernisses § 247a nicht angewendet werden kann. Einen interessanten Beispielsfall aus der amerikanischen Rechtspraxis schildert Davis Trial 2000, 48, 49. So wurde hier der bettlägerige Kläger, ein Opfer falscher ärztlicher Behandlung, mittels Video-

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2. Kap.: Anwendung von Videotechnik im Hauptverfahren

enthaltene Zeitkomponente ("für eine längere oder ungewisse Zeit") verdeutlicht dies, wonach die §§ 251 Abs. 1 Nr. 2, 223 Abs. 1 keine absolute Unmöglichkeit der Herbeischaffung des Zeugen in der Hauptverhandlung verlangen, vielmehr eine relative Unmöglichkeit der unmittelbaren Zeugenvernehmung ausreichend ist. Für § 247a S. 1, 2. Alt. ist dabei zu berücksichtigen, dass die Möglichkeit der Durchführung einer audiovisuellen Fernvernehmung des Zeugen gern. § 247a das "Hindernis" für das Erscheinen des Zeugen im § 251 Abs. 1 Nr. 2 formal nicht beseitigt. Dies betont etwa der 4. Strafsenat des BGH in seinem Urteil vom 18. 05. 2000. 124 De lege lata ist danach also die Verlesung eines angefertigten richterlichen Protokolls bereits dann zulässig, wenn der körperlichen Anwesenheit des Zeugen eines der im Gesetz benannten Hindernisse entgegensteht. Denn andernfalls würde das für § 251 Abs. 1 Nr. 2 erforderliche "Hindernis" niemals vorliegen, wenn die Durchführung einer Videovernehmung als ein "Erscheinen des Zeugen in der Hauptverhandlung" zu bewerten wäre. Weiterhin würde auch der dem Gesetz unterstellte Sinn und Zweck der verbesserten Wahrheitsfindung und Verfahrenserleichterung völlig unterlaufen, wenn die Möglichkeit einer kommissarischen Vernehmung (§ 223) und die Verlesung von Vernehmungsniederschriften in dem Fall per se ausgeschlossen wäre, in dem die Videovernehmung des Zeugen möglich iSt. 125 Ob dies nun freilich zu überzeugen vermag, wird im Rahmen des Unmittelbarkeitsprinzips noch näher darzulegen sein. 126 Wann insoweit - abgesehen von dem tatsächlichen, unüberwindbaren, nicht bereits von § 251 Abs. 1 Nr. 1 erfassten Erscheinenshindernis _127 im einzelnen ein "nicht zu beseitigendes Hindernis" im Sinne des § 251 Abs. 1 Nr. 2 vorliegt, für das das Gesetz beispielhaft die "Gebrechlichkeit" sowie die "Krankheit" benennt, kann hierbei nicht für alle Fälle in genereller Weise festgelegt werden. Maßgeblich sind also immer die jeweiligen Umstände des Einzelfalls. In neuerer Zeit wurde der Meinungsstand zum Vorliegen eines "Erscheinenshindernisses" vor allem von Rose anhand der in der Rechtsprechung wie Literatur zu findenden Kasuistik umfassend nachgezeichnet. 128 Für die maßgebliche Frage, ob ein Zeuge unmittelbar in der Hauptverhandlung vernommen werden muss oder nicht, ist danach von dem link in den Gerichtssaal projiziert. Die hier wiedergegebene Äußerung des Richters aus New Jersey, die Verfahrensweise "perrnit handicapped individuals access to [ ... ] courts", gilt insoweit auch für deutsche Gerichte. 124 BGH Urt. v. 18.05.2000 - 4 StR 647/99 - StV 2000, 345 ff. = NJW 2000, 2517 ff. = JZ 2001, 49 ff. = JR 2001,343 ff. 125 BGH NJW 2000,2517,2518 mit zust. Anm. Albrecht StV 2001, 364 f.; Sinn JZ 2001, 51 f. 126 Stichwort: Prinzip des bestmöglichen Beweismittels. Siehe beim Unmittelbarkeitsprinzip (im: 3. Kapitel, Abschnitt C). 127 Einigkeit besteht dariiber, dass § 251 Abs. 1 Nr. 2 nur dann Anwendung finden kann, wenn der Aufenhalt des Zeugen bekannt ist. Die Fälle unbekannten Aufenthaltortes des Zeugen werden von § 251 Abs. 1 Nr. 1 erfasst, Rose (1998), S. 166 f. 128 Rose (1998), S. 167 ff. Vgl. a. dens. JR 2001,345,347.

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jeweiligen Gericht nach einer Abwägung mehrerer Gesichtspunkte zu entscheiden. Diese finden sich in der analysierten Rechtsprechung wie Literatur bis heute immer wieder. "Erforderlich ist [insoweit] eine Abwägung der Bedeutung der Sache und der Wichtigkeit der Aussage des Zeugen für die Wahrheitsfindung einerseits, mit dem Interesse an einer beschleunigten Durchführung des Verfahrens andererseits unter Berücksichtigung der Pflicht zur erschöpfenden Sachaujklärung".129 Je bedeutender die Aussage des Zeugen für das Ergebnis der Beweisaufnahme ist, umso größere Bemühungen hat das Gericht also auch vorzunehmen, damit der Zeuge (unmittelbar) in der Hauptverhandlung vernommen werden kann. Handelt es sich etwa um einen maßgeblichen Belastungszeugen, so muss er gerade durch das erkennenden Gericht in der Hauptverhandlung vernommen werden, weil nur dadurch eine Beurteilung seiner Glaubwürdigkeit sachgerecht möglich ist. 130 Von maßgeblicher Bedeutung ist daher, ob für das Beweisergebnis auch ein persönlicher (visueller) Eindruck des erkennenden Gerichts vom Zeugen notwendig ist. Trotz des grundsätzlich offenen Abwägungsergebnisses lässt sich eine gewisse Präzisierung durch mehrere (Grenz-)Fallgruppen vornehmen,131 die im folgenden auch daraufhin untersucht werden sollen, inwieweit hier die Videovernehmung des Zeugen von einem anderen Ort durchführbar erscheint. (1) Möglichkeit der Protokollverlesung und / oder Videovernehmung bei erheblicher Gefährdung der Aussageperson über den Weg des §§ 247a S. 1,2. Alt., 251 Abs. 1 Nr.2? Ein Vernehmungs-Hindernis wird etwa bei der Gefahrdung der Beweisperson in "Grundpositionen" durch die Vernehmung in der Hauptverhandlung angenommen. Hauptbeispiel dafür ist die ernsthaft drohende und nicht anderweitig abwendbare Gefahr für Leib und Leben der Aussageperson, falls sie in der Hauptverhandlung erscheint und hier gemäß ihrer Verpflichtung aussagt. 132 Exemplifiziert der Gesetzeswortlaut weiterhin die Krankheit als "Hindernis", so ist darüberhinaus auch jeg129 BGHst 32, 68, 73; 22, 118, 120; BGH NJW 1953, 1522; vgl. weiterhin BGH StV 1999, 196; KK-StP04 -Diemer § 251 Rn. 4; Hanack JZ 1972,236,237; Kühne Strafprozessrecht, § 52 Rn. 783. Zu den Abwägungs-Kriterien im einzelnen: Rose (1998), S. 173 [betreffend den Aspekt der" Wichtigkeit der Zeugenaussage für die Wahrheitsfindung"J, S. 174 f. [betreffend die "Bedeutung der Sache "], S. 175 f. [betreffend das "Interesse an einer reibungslosen und beschleunigten Durchführung des Verfahrens"] sowie S. 176 ff. [betreffend die "Pflicht zur erschöpfenden Sachaufklärung"J. Zu den Abwägungskriterien im Schrifttum: vgl. dens. a. a. 0., S. 182 ff. Zum Verhältnis der Voraussetzungen der §§ 251,223 und §§ 244 Abs. 2, Abs. 5 S. 2 und § 244 Abs. 3 S. 2: vgl. dens. a. a. 0., S. 176 ff. 130 Darauf wird an späterer Stelle noch näher einzugehen sein. Vgl. insoweit Ausführungen in diesem Abschnitt sub 11 3 sowie im 3. Kapitel, Abschnitt C. 131 Vgl. nur KMR-Paulus § 223 Rn. 10 ff. 132 BVerfGE 57, 250, 285; BGHst 17, 337, 345 ff.; 33, 70, 74; BGH (H.) MDR 83, 987; BGH NStZ 93, 350; KK-StP04 -Diemer § 251 Rn. 5; LR-StP025 -Gollwitzer § 251 Rn. 38; Griesbaum NStZ 98, 433, 440; Hanack JZ 72, 236, 237.

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lich zu befürchtende Verschlimmerung eines bereits krankhaften status quo unter diese Fallgruppe zu fassen. 133 Dies wurde - freilich in Abhängigkeit von der soeben benannten Abwägung - im Einzelfall auch bei fortgeschrittener Schwangerschaft 134 sowie hochgradiger Nervosität der / des Zeugen bejaht. 135 Insoweit ist nicht in jedem Falle gerade die Verschlimmerung eines krankhaften Zustands erforderlich. Geht es in der benannten Fallgruppe, abgesehen von den Fällen des tatsächlichen unüberwindbaren Erscheinenshindernisses, vorrangig um eine Frage des Zeugenschutzes, so könnte man zu der Idee gelangen, hier berühre sich nun die Regelung des § 251 Abs. 1 Nr. 2 (und damit zwingend auch § 247a S. 1, 2. Alt) mit derjenigen des § 247a Abs. 1, 1. Alt. Denn ist nach § 247a S. 1,2. Hs. die Anordnung der audiovisuellen Vernehmung des Zeugen von einem anderen Ort unter den Voraussetzungen der §§ 251 Abs. 1 Nm. 2 bis 4 möglich, und wird bei § 251 Abs. 1 Nr. 2 die Gefährdung von Beweispersonen als zulässiger Fall einer Protokollverlesung angesehen, so scheint es auf den ersten Blick, man könnte die Subsidiaritätsanordnung bei § 247a S. 1, 1. Alt. durch eine Anwendung des § 247a Abs. 1,2. Alt iVm. § 251 Abs. 1 Nr. 2 umgehen. Diese Vermutung greift aber zu kurz. Sie beachtet nicht, dass die Voraussetzungen des § 251 Abs. 1 Nr. 2 nur dann vorliegen, wenn das auf der Gefährdung des Zeugen beruhende "Hindernis" weiterhin "nicht anderweitig abwendbar" ist. Besteht daher die Möglichkeit der Zeugenvernehmung unter Anwendung von zeugenschützenden Maßnahmen, beispielsweise durch den Ausschluss des Angeklagten gern. § 247 oder die Anordnung der audiovisuellen Femvernehmung gern. § 247a S. 1, 1. Alt.,·so ist das Hindernis "abwendbar"; die Ersetzung des Personalbeweises durch den Urkundsbeweis wegen Fehlens der Voraussetzungen des § 251 Abs. 1 Nr. 2 damit von vornherein unzulässig und ein Fall des § 247a S. 1,2. Alt. nicht ersichtlich. Wird hieraus deutlich, dass die Protokollverlesung gern. § 251 Abs. 1 Nr. 2 auch im Falle der Gefährdung von Beweispersonen möglich ist, nunmehr genau diese Fallgruppe aber von der ersten Alternative des § 247a erschöpfend erfasst wird, so bleibt kein Raum mehr für die Anwendung des § 247a S. 1,2. Alt. Die zur Protokollverlesung führende "Gefährdung von Beweispersonen" ermöglicht daher nicht auch die audiovisuelle Vernehmung des Zeugen über den Weg der §§ 251 Abs. 1 Nr. 2, 247a S. 1, 2. Alt. Und insoweit kann auch die hier als unklar empfundene Subsidiaritätsanordnung des § 247a S. 1, 1. Alt.,136 die weiterhin auch zur Unflexibilität des Richters im Hinblick auf die Anordnung von Zeugenschutzmaßnahmen führt, nicht über diesen Weg umgangen werden.

Vg!. a. BGHst 9, 297, 300; KK-StP04-Diemer § 251 Rn. 5. Wegen der Gefahr einer Fehlgeburt, SK-StPO-Schlüchter § 223 Rn. 10. 135 Eh. Schmidt Lehrkornrnentar 11, § 223 Er!. 6; KK-StP04 -Tolksdoif § 223 Rn. 4; Zschockelt I Wegner NStZ 96, 305, 308. 136 Siehe dazu in diesem Kapitel sub Abschnitt I I c). 133

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(2) Unerreichbarkeit von Gesetzes wegen - §§ 49, 50 StPO § 251 Abs. 1 Nr. 2 ist weiterhin bei einem rechtlichen (Vernehmungs-)Hindernis zu bejahen. Davon umfasst werden zunächst die Fälle der §§ 49, 50.

Sowohl der Bundespräsident als auch die Mitglieder der Bundes- oder Landesregierungen, des Bundestages, des Bundesrates sowie der Landtage unterliegen in Abweichung von §§ 48, 51 keiner Erscheinenspflicht in der Hauptverhandlung (§§ 49 S. 2, 50 Abs. 4 S. 1). Ihre - bisher gern. § 223 durchzuführende - Vernehmung ist vielmehr immer durch eine Protokollverlesung in die Hauptverhandlung einzuführen. Berücksichtigt man - vom persönlichen Privileg des Bundespräsidenten gern. § 49 abgesehen - die ratio legis der hierdurch angeordneten "rechtlichen Unerreichbarkeit", so besteht auch beim Einsatz von Videotechnik bei der Zeugenvernehmung im Falle des § 50 keine Gefahr der Unterbrechung effektiver Regierungs- und Parlamentstätigkeit während der Sitzungswochen, etwa bedingt durch notwendige Reisen der Mitglieder zu auswärtigen Vernehmungsorten. Denn der Zeuge verbleibt ja am Parlamentssitz; nur seine Aussage und sein Erscheinungsbild wird audiovisuell in die Hauptverhandlung übertragen. Allerdings darf die Hauptverhandlung zeitlich nicht mit wichtigen Sitzungen zusammenfallen. Nur dann läuft die audiovisuelle Vernehmung des Zeugen während der Hauptverhandlung dem benannten Zweck der Befreiung von der Erscheinenspflicht nicht zuwider. Da sich dieses Problem aber gleichermaßen auch bei der Vernehmung gern. § 223 stellt, kann es nicht gegen die Durchführung einer Videokonferenz gern. § 247a S. 1,2. Alt. angeführt werden. Vielmehr scheint insoweit die Behauptung nicht unrichtig, die Videovernehmung sei in den Fällen der §§ 49, 50 als das am besten geeignete Mittel der Zeugenvernehmung anzusehen, wenn der Aussage des jeweiligen Zeugen eine nicht nur unerhebliche Bedeutung zukommt. Denn sie ermöglicht - jedenfalls im Gegensatz zum Fall des § 49 _137 auch die "Anwesenheit" anderer Prozessbeteiligter bei der Zeugenvernehmung. 138 Darüberhinaus können die Prozessbeteiligten auch von ihren Nachfragerechten Gebrauch machen. Also wird die Anordnung der Videovernehmung in diesen Fällen auch zur Erforschung der Wahrheit erforderlich sein. (3) Zeugen mit zurückgenommener oder verborgener Identität l39 Verdeckte Errnittler, V-Personen und sonstige Informanten Ein Fall eines "Hindernisses" im Sinne des § 251 Abs. 1 Nr. 2 kann weiterhin dann vorliegen, wenn es sich bei dem Zeugen um eine Person des öffentlichen KK-StP04-Senge § 49 Rn. 5. Im Falle des § 49, nicht aber bei § 50, haben die Verfahrensbeteiligten keinen Anwesenheitsanspruch; die Vorschriften der §§ 168 c Abs. 2, 223, 224 sind nicht anwendbar - vgl. KK-StP0 4-Senge § 49 Rn. 5. 139 Die Begrifflichkeit geht zurück auf: SK-StPO-Schlüchter § 251 Rn. 58 ff. 137 138

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Dienstes handelt oder er solchen Personen gleichgestellt ist, die gern. Art 42 EGStGB dem Verpflichtungs gesetz 140 unterliegen und insoweit zur Verschwiegenheit verpflichtet (und berechtigt) sind. Für eine gerichtliche Zeugenaussage bedürfen derartige Personen einer Aussagegenehmigung durch den Leiter der Dienststelle, die die Verpflichtung der Person übernommen hat. 141 Einer der Hauptanwendungsfälle des § 251 Abs. 1 Nr. 2 ist die Zeugenvernehmung von sog. ,,zeugen mit zuriickgenommener (oder sogar völlig verborgener) Identität", etwa verdeckt ermittelnde Polizeibeamte, Vertrauensleute, Informanten 142 etc. Verweigert nun die zuständige (oberste Dienstaufsichts-) 143 Behörde die Aussagegenehmigung für den Zeugen oder bereits die Auskunftserteilung über eine ladungsfähige Anschrift, etwa weil entsprechend l44 § 96 die Vernehmung zu Nachteilen für das Wohl des Bundes oder eines Landes führen kann, oder, was gleichermaßen darunter gefasst wird, wenn dem Zeugen für den Fall seiner Aussage konkrete Gefahren für Leib und Leben drohen,145 so liegt ein "nicht zu beseitigendes Hindernis" im Sinne der §§ 251 Abs. 1 Nr. 2, 223 Abs. 1 vor. Dies gilt immer dann, wenn es dem Gericht - trotz entsprechender, nach der Bedeutung der Aussage vorzunehmender - Bemühungen nicht gelingt, die Sperrerklärung aufzuheben 146 bzw. die erwünschte Auskunft zu erhalten. Ob nun allerdings gerade in dieser Fallgruppe, die man als sog. dritte (und höchste)147 Geheimhaltungsstufe bezeichnet, die Videovernehmung gern. §§ 247a S. 1,2. Alt., 251 Abs. 1 Nr. 2 durchführbar ist, erscheint mehr als zweifelhaft. Für die Vielzahl der Fälle, bei denen eine Sperrung des Zeugen aufgrund einer Gefahr für Leib und Leben erfolgt, wird die Gefahr für die Aussageperson gerade aus der Offenbarung seiner Identität begriindet. 148 In diesen Fällen hilft sodann auch die Durchführung einer Videovernehmung des Zeugen, wie sie im § 247a vorgesehen ist, nicht weiter, wurde der Vorteil einer derartigen Vernehmung doch bereits im Gesetzgebungsverfahren darin erblickt, dass man neben der Aussage des Zeugen auch sein Erscheinungsbild in den Gerichtssaal überträgt,149 damit alle Prozessbeteiligten einen "unmittelbaren" Eindruck Gesetz vom 02. 03. 1974 (BGBI. I, 469, 547). VgI. §§ 54 Abs. 1,96 StPO, § 39 Abs. 3 S. 1 BRRG. 142 Zur Definition und Abgrenzung im einzelnen vgI. nur: Lesch JA 1995,691,697 f.; SKStPO-Schlüchter § 251 Rn. 58a. 143 Dazu BVerfGE 57, 250, 289 =NJW 1981, 1719, 1725. 144 Zur entsprechenden Anwendung des § 96 StPO, etwa: BGHst 30, 34; 32, 115, 123; Grünwald Beweisrecht, S. 121 f. 145 VgI. dazu nur BVeifGE 57, 250 ff. = NJW 1981, 1719 ff.; SK-StPO-Schlüchter § 251 Rn. 61 m. umfangreichen Nw. 146 Im einzelnen zu den gerichtlich erforderlichen Bemühungen betreffend die Aufhebung der - als ultima ratio erfolgenden - Sperrerklärung, vgI. nur BVerfGE 57, 250, 283 ff. = NJW 1981,1719,1724 ff.; KK-StP04 -Senge Vor § 48 Rn. 56 f. 147 VgI. zu den drei Stufen der Geheimhaltung: BVerfGE 57, 250, 285 ff.; Lesch JA 1995, 691, 698 ff.; ders. Strafprozessrecht2 , S. 80 ff.; Renzikowski StV 1999, 605, 606 ff.; SKStPO-Schlüchter § 251 Rn. 58a a. E. 148 VgI. nur § 110b Abs. 3 S. 2. 140 141

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von dem Zeugen erhalten. Obwohl man im Gesetzgebungsverfahren explizit auch an die Videovernehmung von gefährdeten behördlichen Ermittlern dachte, wäre eine Vernehmung dieser Personen insoweit nur dann denkbar und gegebenenfalls zur Verhinderung einer Sperrerklärung möglich, wenn die Anonymität des Zeugen gewahrt wird. Dies wiederum setzt aber voraus, dass die Vernehmung unter optischer und gegebenenfalls auch akustischer Abschirmung des Zeugen erfolgt. Und gerade über diese Frage wird seit Jahrzehnten erbittert gestritten, worauf an späterer Stelle umfassend einzugehen sein wird. 15o Damit wurde bisher aber nur auf die höchste, die sog. "dritte Geheimhaltungsstufe" abgestellt, bei der die Identität des Zeugen durch eine Sperrerklärung vollauf geheim gehalten wird. 151 Nicht berücksichtigt wurde dagegen die erste wie die zweite Geheimhaltungsstufe. Diese sind dadurch gekennzeichnet, dass hier im Gegensatz zur "höchsten Geheimhaltungsstufe" nach Maßgabe des Verhältnisrnäßigkeitsgrundsatzes l52 im Einzelfall eine Aussagegenehmigung unter bestimmten, und zwar nach ihrer Eingriffsstärke gestuften Bedingungen erteilt wird. Dabei wird im Rahmen der ersten Stufe auch das unmittelbare Erscheinen in der Hauptverhandlung gestattet, im Rahmen der zweiten Stufe dagegen nur die kommissarische Vernehmung gern. § 223 (gegebenenfalls iVrn. §§ 224 Abs. 1 S. 2, 168c Abs. 3, 5 S. 2, d. h. unter Ausschluss des Angeklagten und ohne Benachrichtigung des Verteidigers) durch einen ersuchten oder beauftragten Richter ermöglicht. Weil insoweit nur bei der zweiten Geheimhaltungsstufe der Fall eines "nicht anders abwendbaren Hindernisses" anzunehmen ist,153 gerät grundsätzlich auch nur hier die Möglichkeit einer Videovernehmung über den Weg der §§ 247a S. 1,2. Alt., 251 Abs. 1 Nr. 2 in den Blick. Bei dieser Videovernehmung des Zeugen gern. §§ 247a S. 1,2. Alt., 251 Abs. 1 Nr. 2 werden nun nicht etwa die besonderen Voraussetzungen des 149 Weider StV 2000, 48, 51: "Im Hinblick darauf sind auch bei dem Angebot einer Videovernehmung gern. § 247a StPO durch das Gericht die üblichen Sperrerklärungen wegen der noch bestehenden Enttarnungsgefahr zu erwarten"; vgl. a. KK-StP04 -Senge Vor § 48 Rn. 67; KK-StP04 -Wache § 168e Rn. 4. A.A. Griesbaum NStZ 1998,433,440: "In Betracht zu ziehen ist [ ... ] die Abgabe einer bedingten Sperrerklärung durch die Staatsanwaltschaft im Benehmen mit der Zeugenschutzdienststelle, dass der Zeuge nur für eine Vernehmung nach § 247a S. I Halbs. 2 StPO zur Verfügung steht". 150 Vgl. dazu die Ausführungen im 5. Kapitel, im Abschnitt D. 151 Dazu SK-StPO-Schlüchter § 251 Rn. 59 ff., 61. 152 Rechtsgrundlage dafür soll ein "argumentum a maiore ad minus" aus §§ 54, 96; § 62 Abs. 1 BBG; § 39 Abs. 3 BRRG sein, weil die bloße Beschränkung der Aussagegenehmigung gegenüber der in den Vorschriften vorgesehenen vollständigen Versagung als milderes Mittel erscheint, vgl. dazu HansOLG Hamburg NStZ 1994,98; Lesch JA 1995,691,699; SK-StPOSchlüchter § 251 Rn. 60. Nach dem Verhältnismäßigkeitsprinzip darf die jeweils nächste, dem Zeugenschutz dienende Stufe nur beschritten werden, wenn die vorangegangene nicht ausreicht, vgl. Miebach ZRP 1984, 81, 85; Renzikowski StV 1999,605,606. 153 So jedenfalls die h. M.: etwa Lesch JA 1995,691,699; Rebmann NStZ 1982,315,317. A.A. Lüderssen in: FS-Klug (1983), Band 2, S. 527, 528; Seelmann StV 1984,477,478. Die benannte dritte Geheimhaltungsstufe ist freilich - wie ausgeführt - ebenfalls ein Fall des § 251 Abs. 1 Nr.2.

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§ 247a S. 1, 1. Alt., insbesondere also die "Ultima-ratio-Anordnung", umgangen. Denn die der Videovernehmung hier vorgehenden Zeugen schutz-Maßnahmen werden allesamt bereits als Elemente der "ersten Geheimhaltungsstufe" begriffen. 154 Bei dieser kommt aber die Anwendung des § 251 (=§ 223), wie gerade ausgeführt wurde, nicht in Betracht. Ob nun allerdings auch für die "zweite Geheimhaltungsstufe" eine Videovernehmung des Zeugen gern. § 247a anstelle einer kommissarischen Vernehmung gern. § 223 eingesetzt werden kann, erscheint im Ergebnis ähnlich zweifelhaft wie bei der oben ausgeführten vollständigen Sperrerklärung des Zeugen. Denn auch hier gilt zu berücksichtigen, dass die bedingte Aussagegenehmigung aus ähnlichen Gründen erfolgt wie die völlige Sperrerklärung, scil. zum Schutz der Identität des jeweiligen Zeugen. Dieses Ziel würde aber die unabgeschirmte Videovernehmung in der Hauptverhandlung geradezu konterkarieren.

Damit bleibt festzustellen, dass die Videovernehmung gern. § 247a entgegen den Absichten im Gesetzgebungsverfahren wohl in den meisten Fällen der erwünschten "unmittelbaren" Vernehmung eines "Zeugen mit zurückgenommener oder verborgener Identität" jedenfalls dann nicht so recht weiterhilft, wenn die optische wie akustische Abschirmung nicht zugelassen wird. Wäre diese jedoch möglich, so ergäbe sich wohl ein weitgehend optimaler Ausgleich der divergierenden Interessen. Denn einerseits könnte so die Identität des jeweiligen Zeugen gewahrt und damit seiner Sicherheit gedient werden, andererseits wird das für die Erschütterung der Glaubhaftigkeit des Zeugen so grundlegende Fragerecht des Beschuldigten gewährleistet, worin gegenüber dem Vernehmungsprotokoll ein wesentlicher Vorteil zu erblicken ist. Auf all diese Aspekte wird bei den Ausführungen zum Unmittelbarkeitsprinzip zurückzukommen sein. 155 Soweit die vorbrachten Vermutungen hier Bestätigung finden, werden sie bei der Auseinandersetzung mit der Frage der Zulässigkeit einer Abschirmung von Zeugen vertieft. 156 (4) Kinder sowie psychisch-kranke, behinderte oder sonst hilfsbedürftige Zeugen Ein "nicht anders abwendbares Hindernis" im Sinne des § 251 Abs. 1 Nr. 2 könnte sich weiterhin daraus ergeben, dass der Erziehungs- bzw. Betreuungsberechtigte kraft seines Aufenthaltsbestimmungsrechts (§§ 1631, 1800 BGB) der Vernehmung des Zeugen in der Hauptverhandlung widerspricht,157 etwa weil er 154 Etwa: Entfernung des Angeklagten aus dem Sitzungssaal, § 247 S. I, S. 2, 2. Alt; Ausschluss der Öffentlichkeit, §§ 172 Nr. 1 und Nr. la GVG; Verpflichtung des Verteidigers zur Verschwiegenheit, § 174 Abs. 3 S. 1 GVG entsprechend; Verlegung der Hauptverhandlung an einen anderen Ort in einen besonders gesicherten Raum. Dazu vgl. SK-StPO-Schlüchter § 251 Rn. 59. 155 Siehe im nächsten Kapitel, Abschnitt C. 156 Siehe im 5. Kapitel im Abschnitt D. 157 Zu dieser Konstellation vgl. BGH JR 2001 , 340 ff.; OLG Stuttgart NJW 1974, 1959, 1960. Weiterhin: HK-StP0 3-Julius § 247a Rn. 8; KMR-Lesch § 247a Rn. 29; B.-D. Meier JZ

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der Auffassung ist, die Vernehmung vor Gericht führe zu nachteiligen Folgen, weil hierdurch beim Kind "alles wieder hochkomme". 158 Denn soweit nachvollziehbare Tatsachen durch den Erziehungs- bzw. Betreuungsberechtigten angegeben werden, kann das Gericht die faktische Unerreichbarkeit des Zeugen kaum überwinden: Weil die Auferlegung der Kosten (§ 51 Abs. 1 S. 1) oder die Anordnung von Ordnungsmitteln, also Ordnungsge1d und Ordnungshaft (§ 51 Abs. 1 S. 2), wegen ihres Sanktionscharakters immer Verschulden des Zeugen voraussetzen, kommen derartige Maßnahmen gegenüber dem minderjährigen- bzw. einem betreuten Zeugen selbst nicht in Betracht. 159 Und auch gegenüber der Person, welche das Erscheinen und damit die Vernehmung des Zeugen in der Hauptverhandlung faktisch verhindert, lassen sich derartige Maßnahmen nicht ergreifen. Denn diese Person ist ja nicht Zeuge, so dass sie nicht den damit einhergehenden staatsbürgerlichen Verpflichtungen unterliegt. 160 Zwar kann sich das Strafgericht im Falle der Weigerung von Eltern, ihr Kind zur Einhaltung seiner Zeugenpflichten anzuhalten, wegen eines Missbrauchs des Sorgerechts an das Familiengericht wenden und für die Dauer der Vernehmung die Entziehung - allein - des Rechts zur Aufenthaltsbestimmung anregen (§ 1666 Abs. 1 BGB). Doch müssten dann die Motive der Eltern als sachfremd anzusehen sein. 161 Dies aber ist nicht der Fall, wenn - wie im Regelfall nachvollziehbare Tatsachen dafür angegeben werden, dass gerade im Interesse des Kindes gehandelt wird, etwa weil ein (weiterer) Schaden abgewendet werden soll. In Betracht käme insoweit allenfalls die verschuldensunabhängige Vorführung des Zeugen durch das Gericht (§ 51 Abs. 1 S. 3). Als staatliche (Zwangs-)Vollstreckungsmaßnahme gegenüber dem Zeugen, muss die Vorführung aber dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz entsprechen, was jedenfalls bei kleinen Kindern 162 wegen den mit einer Vorführung korrespondierenden psychischen Belastungen, nach herrschender Auffassung zu verneinen ist. 163 Ob dies nun bei erwachsenen Zeugen, die gern. §§ 1896 ff. BGB einer Betreuung unterstehen, gleichermaßen gilt, kann nicht für alle Fälle in genereller Weise beantwortet werden. Denn nicht jede psychische Erkrankung oder Labilität wird einer Vorführung widersprechen. l64 Im Umkehr1991, 638, 641. Auch im Gesetzgebungsverfahren wurde auf diesen Aspekt hingewiesen, vgl. BT-Drs. 1317165, S. 7. 158 So die Formulierung der EItern eines zehnjährigen Mädchens, das in der Hauptverhandlung vor dem LG Dortmund in einem Verfahren wegen sexuellen Missbrauchs aussagen sollte und wegen der Tat längere Zeit an Schlafstörungen litt. Dazu vgl. B.-D. Meier JZ 1991, 638 ff. 159 Vgl. zu den unvertretbaren Konsequenzen der früher vertretenen Gegenauffassung nur LG Bremen NJW 1970,1429,1430. 160 OLG Harnm NJW 1965, 1613; B.-D. Meier JZ 1991,638,640. 161 B.-D. Meier JZ 1991, 638. 162 Zur Abwägung bei Jugendlichen, etwa einem 17-einhalbjährigen Zeugen: Keiser Kindeswohl, S. 95 ff. 163 LG Bremen NJW 1970, 1429, 1430; B.-D. Meier JZ 2001, 415, 416; ders. JZ 1991, 638,640. 164 B.-D. Meier JZ 2001, 415, 416.

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schluss daraus sind nun aber etwaige Fälle gut denkbar, in denen der Betreuungsberechtigte die Vernehmung auch hier faktisch verhindert, weil eine Vernehmung in der Hauptverhandlung nach seiner Auffassung zu Nachteilen beim Zeugen führt und die Vorführung wegen der Art der Beeinträchtigung des Zeugen als unverhältnismäßig anzusehen wäre. In diesen Fällen, in der sich die staatsbürgerliche Verpflichtung des Zeugen nicht anders durchsetzen lässt, wird die Videovernehmung gegebenenfalls über den Weg der §§ 247a S. 1,2. Alt., 251 Abs. 1 Nr. 2 in Betracht zu ziehen sein, auch wenn das Gericht auf einer unmittelbaren Vernehmung eines Kindes oder des psychisch kranken- oder behinderten Zeugen in der Hauptverhandlung besteht und aus diesem Grunde zunächst nicht mal an eine Vernehmung gern. § 247a S. 1, 1. Alt. gedacht wurde. Denn die mangelnde Durchsetzbarkeit der Zeugen verpflichtung lässt dem Gericht keine andere Wahl, außer freilich, auf die Vernehmung des Zeugen völlig zu verzichten. Der Weigerung des Erziehungsberechtigten bzw. der Betreuungsperson wird das Gericht insoweit entgegenzuhalten haben, dass anstelle einer Vernehmung des Zeugen im gegebenenfalls einschüchternden Hauptverhandlungssaal - verbunden mit der Anwesenheit aller Verfahrensbeteiligten _165 die Möglichkeit besteht, die Vernehmung des Kindes außerhalb des Sitzungssaales bei gleichzeitigem Einsatz von Videotechnik schonend durchzuführen. 166 Dass diese Verfahrensweise nun allerdings auch der oben benannten Weigerung nicht abhelfen wird, die darauf beruht, der Zeuge könne sich folgenfrei nicht erneut mit dem Tatgeschehen auseinandersetzen, mag dabei nicht verschwiegen werden. Nur kann in allen anderen Fällen durch diese Verfahrensweise eine sehr schonende Vernehmungsprozedur des Zeugen geschaffen werden, was freilich näherer Begriindung noch bedarf. 167 Nur unterstellt man hier zunächst die Richtigkeit dieser Sichtweise, so wird man den Eltern/Betreuern (bzw. dem Farniliengericht im Ausnahmefall) die Unbegriindetheit der vorgebrachten Befürchtungen (besser) verständlich machen können. Und insoweit brauchte ein Beweismittelverlust nicht mehr in einer Vielzahl von Fällen befürchtet zu werden.

165 Vgl. dazu Davies International Journal ofLaw and Psychiatry 22 (1999), 241: "Studies that have questioned child witnesses in Britain [ ... ] and the United States [ ... ] have suggested that one of their primary fears is of giving evidence in front of the acused; another is of testifying in the invariably novel and frequently intimidating arena of the courtroom. One solution of these twin concerns is to exploit the power of closed circuit television [ ... ]". Dazu vgl. a. Störzer in: Hessl StörzerlStreng Sexualität und Soziale Kontrolle, S. 101, S. 116 ff.: "Sicher ist jedenfalls, dass die Situation im Gerichtssaal während einer Hauptverhandlung denkbar ungeeignet ist, eine innere seelische Verbindung zwischen dem Vernehmenden und Vernommenen entstehen zu lassen" (a. a. 0., S. 118 m. w. Nw.). 166 Siehe a. dazu Davies International Journal ofLaw and Psychiatry 22 (1999), 243, 250 167 Vgl. dazu die Ausführungen im 5. Kapitel, Abschnitt Bund C.

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(5) Auslandszeugen Für die Videovernehmung gern. §§ 247a S. 1, 2. Alt., 251 Abs. 1 Nr. 2 wohl wichtigste und daher in praxi derzeit vermutlich häufigste Fallgruppe dürfte sich daraus ergeben, dass sich der Zeuge nicht im deutschen Hoheitsbereich, sondern im Ausland aufhält. Denn völkerrechtliche Grundsätze verbieten hier die Androhung von Zwangsmitteln für den Fall des Nichterscheinens, ja z.T. bereits die unmittelbare Ladung des Zeugen durch das deutsche Gericht. Andernfalls würde in den Hoheitsbereich des ausländischen Staates und damit in seine Zuständigkeiten und Kompetenzen (Souveränität) eingegriffen. 168 Die denkbaren Fälle des "nicht anders abwendbaren Hindernisses" bei einem sich im Ausland aufhaltenden Zeugen sind nun vielfältiger Art.!69 Sie können sich beispielsweise daraus ergeben, dass sich der Zeuge, dessen Aufenthaltsort bekannt ist, trotz zumutbarer und nach Bedeutung der Sache angemessener Bemühungen des jeweiligen Gerichts nicht bereit erklärt,170 unmittelbar in der Hauptverhandlung zu erscheinen. 17 ! Dabei muss die Ablehnung des Zeugen nicht in jedem Fall ausdrücklich erklärt werden, sondern kann sich auch aus den Gesamtumständen ergeben. Ein Beispiel dafür ist etwa die Nichtreaktion des Zeugen auf mehrfache gerichtliche Ladungen. 172 Denkbar ist aber auch, dass das Erscheinenshindernis nicht allein vom Willen der Aussageperson, sondern von Bedingungen seines Aufenthaltsstaates abhängig ist 173 oder sich der Zeuge hier in Haft befindet und die um vorübergehende Überstellung des Inhaftierten ersuchte Behörde das Rechtshilfeersuchen negativ bescheidet. Gleiches gilt, wenn Bedingungen für die Überstellung benannt werden, die die zuständige deutsche Behörde nicht erfüllen kann oder will. 174 Die audiovisuelle Fernvernehmung des Zeugen könnte nun geradezu die 168 Vgl. dazu umfassend die Ausführungen im 6. Kapitel, das sich allein der Videofernvernehmung des Auslandszeugen und den Unterschieden zu national erfolgenden Videofernvernehmungen widmet. 169 Vgl. dazu etwa im einzelnen Rose (1998), S. 158 ff. 170 BGHSt 7, 15, 16; 13,300; 32, 68, 72; ter Veen StV 1985,295,300. 171 Zu diesem Fall im Hinblick auf die audiovisuelle Videovernehmungsmöglichkeit: vgl. BGHst 45, 188 =BGH NJW 1999, 3788 =StV 1999,580 =JZ 2000, 471. 172 Vgl. nur BGHst 32,68,74 f. 173 Etwa der Erteilung einer Reisegenehmigung oder der Hinterlegung eines Geldbetrages, vgl. dazu Rose (1998), S. 164 Fn. 334 f. Gleiches gilt für die Erteilung des "freien Geleits" außerhalb des Anwendungsbereichs eines Rechtshilfevertrages, wenn der Aufenthaltsstaat des Zeugen das Erscheinen seines Staatsbürgers im darum ersuchenden Staat davon abhängig macht, innerstaatlich im ersuchenden Staat ein Recht auf freies Geleit jedoch nicht existiert, dazu umfassend im 6. Kapitel, Abschnitt E. Zu einem Beispielsfall aus der amerikanischen Rechtspraxis vgl. a. Davis Trial 2000, 48, 49. 174 Siehe dazu Rose (1998), S. 166, Fn. 341. Ein derartiger Fall tauchte etwa vor der Änderung des Art. 16 GG auf, wenn es sich bei dem im Ausland Inhaftierten um einen deutschen Staatsbürger handelte, der für eine Zeugenaussage vor einem deutschen Gericht benötigt wurde. Weil eine Auslieferung eigener Staatsangehöriger nicht möglich war, wurde daher beispielsweise die voriibergehende ÜbersteIlung des Inhaftierten nach Deutschland vom König-

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Beweisgewinnung in diesen Fällen optimieren, wenn einerseits beim Zeugen die Bereitschaft zur Aussage vorauszusetzen ist, andererseits auch die um Rechtshilfe ersuchte Behörde willens und tatsächlich in der Lage ist, die Videovernehmung zugunsten des ausländischen Strafverfahrens durchzuführen. Darauf, wie dies grenzüberschreitend bestmöglichst geschehen kann und welche Rechtsgrundlage für den europäischen Raum existieren, wird im 6. Kapitel der Arbeit näher eingegangen. Weil die Beweisantragsablehnungsgründe des § 244 Abs. 3- 5 gleichzeitig auch die Reichweite der gerichtlichen Aufklärungspflicht des § 244 Abs. 2 (außerhalb eines gestellten Beweisantrages) konkretisieren, würde dies allerdings voraussetzen, dass das Gericht von der Vernehmung des Zeugen nicht bereits gern. § 244 Abs.5 S. 2 absehen kann. 175 (6) Zwischenergebnis Die Betrachtung einiger, nicht abschließend aufgezählter Fallgruppen, welche vor der Einfügung des § 247a in die StPO regelmäßig zur Protokollverlesung (§ 251 Abs. 1) führten, ergab, dass bei ihnen weitgehend auch die Möglichkeit zum Einsatz von Videotechnik besteht. "Videozeuge" und ,,richterliches Vernehmungsprotokoll" treten nach der derzeitigen Gesetzlage also in Konkurrenz zueinander. Dienten die hier vorgenommenen Ausführungen nur einem ersten Überblick über § 251 Abs. 1 Nr. 2 und musste daher die Reichweite der Anwendungsmöglichkeit von Videotechnik noch weitgehend offen gelassen werden, weil hiermit weitere (Vor-)Fragen verbunden sind, die einer Vertiefung bedürfen, so sollen die letztgenannten drei Fallgruppen (V-Personen, Kinder und Auslandszeugen) an späterer Stelle erneut aufgegriffen und einer vertieften Untersuchung zugeführt werden. cc) Hindernis "für eine längere oder ungewisse Zeit"

Das "Erscheinenshindernis" muss weiterhin "für eine längere oder ungewisse Zeit" bestehen, wobei die Zeitdauer, soweit sie feststellbar ist, von Fall zu Fall unterschiedlich und insoweit nicht abstrakt präjudizierbar ist. Die Frage nach der Zeitdauer des Hindernisses wird, wie diejenige nach dem "Ob" des Vorliegens eines Hindernisses, nach der bereits oben benannten Abwägungsformel bestimmt. 176 Nicht ausreichend ist jedenfalls, dass lediglich die Fristen für eine Unterbrechung der Hauptverhandlung (§ 229) nicht eingehalten werden können.

reich Norwegen verweigert, weil die Nichtvornahme der RückübersteIlung durch deutsche Behörden - ungerechtfertigt - bezweifelt wurde. Gerade diese Situation führte zum erstmaligen Einsatz von Videotechnik im Verfahren des LG Dresden gern. § 247a, worauf im anschließenden Kapitel näher einzugehen sein wird. 175 LR-StP025 -Gollwitzer § 251 Rn. 37. 176 Vgl. die obigen Ausführungen sub 2, a), bb).

B. Die gesetzlichen Regelungen der §§ 247a, 168e StPO

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b) § 251 Abs. 1 Nr.3 Gern. § 251 Abs. 1 Nr. 3 kann weiterhin die Vernehmung des Zeugen in der Hauptverhandlung durch Verlesung eines richterlichen Vernehmungsprotokolls ersetzt werden, "wenn dem Zeugen das Erscheinen in der Hauptverhandlung wegen großer Entfernung unter Beriicksichtigung der Bedeutung seiner Aussage nicht zugemutet werden kann". Auch diese Vorschrift stimmt mit § 223 weitgehend überein. 177 Wird aus dem Wortlaut der §§ 251 Abs. 1 Nr. 3, 223 Abs. 2 deutlich, dass für den Zeugen primär eine Härte vermieden werden soll, die sich daraus ergibt, dass der persönliche, zeitliche und finanzielle Aufwand nicht außer Verhältnis zum Gegenstand der Untersuchung gerät, so gilt dies gleichermaßen auch für den zur Kostenerstattung verpflichteten Angeklagten. Denn dieser soll nicht mit Kosten von "reisefreudigen" Zeugen belastet werdenYs Ähnlich wie bei § 251 Abs. 1 Nr. 2 wird die Frage, ob ein persönliches Erscheinen des Zeugen in der Hauptverhandlung notwendig ist, auch im Rahmen von Abs. 1 Nr. 3 anhand der bereits oben benannten Abwägungskriterien entschieden. Die Abwägungsformel wird aber um das sich aus dem Gesetz ergebende Kriterium der "persönlichen Zumutbarkeit für den Zeugen" ergänzt. 179 Für die im Rahmen des § 251 Abs. I Nr. 3 zu treffende Entscheidung maßgeblich ist insoweit die Abwägung der Bedeutung der Sache und der Wichtigkeit der Aussage des Zeugen für die Wahrheitsfindung einerseits, mit dem Interesse an einer beschleunigten Durchführung des Verfahrens sowie den persönlichen. zeitlichen wie finanziellen Belastungen des Zeugen andererseits unter Berücksichtigung der Pflicht zur erschöpfenden Sachaujklärung.

Geht es daher bei § 251 Abs. 1 Nr. 3 sowohl um Zumutbarkeitserwägungen, wie auch um Griinde der Konzentration und der Beschleunigung des Verfahrens als "Gegenpole" zur Wichtigkeit des Zeugen und seiner Aussage, so gilt gleiches wie bei § 251 Abs. 1 Nr. 2 auch hier. Je bedeutender die Aussage des Zeugen für das Beweisergebnis ist, umso eher muss auch die Vernehmung des Zeugen in der Hauptverhandlung durch das erkennende Gericht erfolgen und desto mehr "Unbequemlichkeiten" (wie eine lange Reise, die damit notwendig werdende Beurlaubung von der Berufstätigkeit sowie den finanziellen, zunächst vom Zeugen zu tragenden Aufwand) sind auch dem Zeugen zuzumuten. ISO Auf die Vernehmung des Zeugen in der Hauptverhandlung darf daher nur dann verzichtet werden, wenn es dem erkennenden Gericht nicht (wesentlich) auf den persönlichen Eindruck vom Zeugen ankommt. Und wie die gesetzliche Konzeption des § 247a S. 1, 2. Alt. 177 Zur Unerheblichkeit des Umstandes für Protokollverlesungen, dass § 223 nach seinem Wortlaut nur auf die Unzumutbarkeit des Erscheinens wegen großer Entfernung abstellt und nicht auch die Bedeutung der Aussage als Abwägungskriterium benennt, OLG Neustadt VRS 9,465,466. 178 Vgl. Rose (1998), S. 189 f. Maßgeblich ist danach also ein objektiver Zumutbarkeitsmaßstab, nicht die subjektive Einschätzung durch den Zeugen selbst. 179 Vgl. nur Rose (1998), S. 196. 180 Vgl. etwa LR25 -Gollwitzer § 251 Rn. 41.

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("unter den Voraussetzungen des § 251 Abs. 1 Nr. 2, 3 oder 4") nahelegt, scheint auch nur dann die Möglichkeit zur audiovisuellen Fernvernehmung des Zeugen zu bestehen. 181 c) § 251 Abs. 1 Nr.4 Gern. § 251 Abs. 1 Nr. 4 kann das unmittelbare Erscheinen des Zeugen weiterhin dann substituiert werden, wenn der Staatsanwalt, der Verteidiger und der Angeklagte mit der Verlesung (bzw. dem Abspielen) der Zeugenaussage einverstanden sind. Durch die Einverständniserklärungen zwischen den Verfahrensbeteiligten kann aber nicht die gerichtliche Pflicht zur möglichst umfassenden Wahrheitsfindung unterlaufen werden. Insoweit muss das erkennende Gericht stets priifen, ob nicht trotz des Einverständnisses der Verfahrensbeteiligten die persönliche Vernehmung des Zeugen in der Hauptverhandlung geboten iSt. 182 Es bleibt zu vermuten, dass der Verweis auf § 251 Abs. 1 Nr. 4 nur geringe Auswirkungen auf die Anwendung des § 247a in praxi haben wird. Denn bei einer Durchführung einer Videovernehmung sind einerseits nicht unerhebliche Vorbereitungen zu treffen, andererseits führt jede Bild-Ton-Übertragung zu Verbindungskosten. Der mit einer Videofernvernehmung verbundene Verfahrensaufwand sowie die entstehenden Kosten werden sich nur dann lohnen, wenn es gerade um den persönlichen Eindruck vom Zeugen geht, der anders nicht erhalten werden kann. Dies aber ist kein Fall des § 251 Abs. 1 Nr. 4, weil hier eine persönliche Vernehmung anders als bei §§ 251 Abs. 1 Nr. 2-3 stets möglich ist; die Aufklärungspflicht (§ 244 Abs. 2) aber diese Art der Aufklärung im Einzelfall gerade nicht gebietet. 183 Die gesetzgeberische Verknüpfung des § 247a S. 1,2. Alt. mit § 251 Abs. 1 Nr. 4 ist daher als überflüssig anzusehen. Sie sollte daher de lege ferenda gestrichen werden. d) Zur Erforschung der Wahrheit erforderlich Die Aussage des Zeugen muss gern. § 247a S. 1,2. Alt. schließlich noch zur Erforschung der Wahrheit erforderlich sein. Diese Formulierung, die sich in negativer Hinsicht auch im § 244 Abs. 5 wiederfindet, ist - ausgehend von den zu § 244 Abs. 5 a. F. entwickelten Grundsätzen - immer dann zu bejahen, wenn durch die audiovisuelle Fernvernehmung des Zeugen eine weiterführende oder bessere SachDazu sogleich näher sub Gliederungspunkt e). Zum Verhältnis des § 251 Abs. I Nr. 4 zu § 244 Abs. 2 vgl. BGH NStZ 1988,283; RießIHilgerNStZ 1987,145,151. 183 Vgl. RießI Hilger NStZ 1987, 145, 151: Bei § 251 Abs. 1 Nr. 4 geht es allenfalls um Beweisaufnahmen zum "Randgeschehen". 181

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aufklärung erwartet werden kann. 184 Die Erlangung allein von neuen Beweistatsachen ist dafür nicht erforderlich. 185 Liegt bereits ein richterliches Vernehmungsprotokoll vor und reicht dessen Heranziehung für die Wahrheitsfindung völlig aus, etwa weil angesichts der Bedeutung der Aussage der persönliche Eindruck des Tatgerichts vom Zeugen nicht notwendig ist oder weil die zur Videovernehmung des Zeugen erforderlichen Maßnahmen außer Verhältnis zur Bedeutung der Aussage des Zeugen stehen, so ist die audiovisuelle Fernvernehmung des Zeugen nicht erforderlich. 186 Dies verdeutlicht, dass es auf den abstrakten Wert des Beweismittels Zeuge gerade nicht ankommen kann. 187 Mit der Gesetzesformulierung wird also an die gerichtliche Amtsaufklärungspflicht des § 244 Abs. 2 angeknüpft und diese zum Maßstab der richterlichen Entscheidung gemacht. e) "Unter den Voraussetzungen des § 251 Abs. 1 Nr. 2, 3 oder 4"Übertragbarkeit der Kriterien auf § 247a S. 1,2. Alt? Es wurde ausgeführt, dass bei §§ 251 Abs. 1 Nr. 2 und 3 kein absolutes Erreichbarkeitshindernis vorliegen muss, sondern die relative Unerreichbarkeit anhand einer (flexiblen) Abwägungsformel festgestellt wird. Im Hinblick darauf stellt sich dann die Frage, ob die Abwägungskriterien in gleicher Weise auch auf § 247a S. 1, 2. Alt. übertragen werden können, wie dies die gesetzliche Konzeption nahelegt. Denn es gilt zu berücksichtigen, dass eine Gewichtung der Abwägungskriterien im Hinblick auf einen völligen Verzicht der (unmittelbaren) Vernehmung des Zeugen in der Hauptverhandlung erfolgt. Im Vordergrund der § 251 Abs. 1 Nr. 2, Nr. 3 steht also die Frage, wann es ausnahmsweise (§ 250 S. I!) zulässig sein soll, die an sich sogar mögliche Vernehmung durch ein Beweissurrogat, nämlich das richterliche Vernehmungsprotokoll, zu ersetzen. Die Videofernvernehmung soll demgegenüber gerade der Gewährleistung eines audiovisuellen Eindrucks vom Zeugen während der Beweisaufnahme in der Hauptverhandlung dienen. Insoweit können aber die benannten Abwägungskriterien kaum sachgerecht herangezogen werden. Denn sie dienen der Beantwortung einer anderen - seil. der gegenteiligen - Frage. Nach der Konzeption des Gesetzgebers dienen gleiche Voraussetzungen nunmehr also sich selbst widersprechenden Zielsetzungen. Soll gern. § 247a S. 1,2. Alt. die audiovisuelle Fernvernehmung auch unter den Voraussetzungen zulässig sein, nach denen das erkennende Gericht ein richterliches Protokoll anstelle der unmittelbaren Vernehmung des Zeugen in der Hauptverhandlung verlesen kann, so wird damit zunächst der durch den Gesetzgeber eingeschätzte "Stellenwert" der Videovernehmung im Gesetz verdeutlicht. Er verläuft dort, wo eine Beweissubstitution des Zeugen durch bloße Beweisreproduktion möglich ist, also, wie die Anknüpfung an 184 185 186 187

BGH StPO § 244 Abs. 5 Augenschein 2. Albrecht StV 2000, 364, 366. BGHUrt. v. 18.05.2000, StV 2000, 345 =NJW 2000, 2517, 2518. BGHNJW 2000, 2517, 2518; SK-StPO-Schlüchter § 251 Rn. 3.

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2. Kap.: Anwendung von Videotechnik im Hauptverfahren

§ 251 zeigt, im Bereich der Ausnahmen vom Prinzip der Unmittelbarkeit der Beweisaufnahme (§§ 250 ff.). Liegen die Voraussetzungen für die Verlesung eines richterlichen Protokolls (und damit auch für das Abspielen einer auf Videoband konservierten Zeugenaussage, § 255a) vor, dann "kann" das Gericht gern. § 247a (auch) eine audiovisuelle Fernvernehmung des Zeugen in der Hauptverhandlung durchführen, wenn dies "zur Erforschung der Wahrheit erforderlich" erscheint.

Im Hinblick auf die benannten Abwägungskriterien der bei § 251 Abs. 1 Nr. 2 f. anzuwendenden Abwägungsformel ergäbe sich für § 247a S. 1, 2. Alt. nun kein Unterschied, wenn es dem Gericht im Rahmen einer audiovisuellen Fernvernehmung nicht möglich wäre, sich einen ausreichenden persönlichen Eindruck vom Zeugen zu bilden. Nur dann überzeugte auch die Anknüpfung des § 247a S. 1, 2. Alt. an die Voraussetzungen des §§ 251 Abs. 1 Nm. 2ft.. Analog zu den bisherigen von § 251 umfassten Fällen der Protokollverlesung wäre dann, wenn das Erscheinen des Zeugen nicht zumutbar ist, weil seiner Aussage nur geringe Bedeutung zukommt, auch an eine Videofernvernehmung des Zeugen über den Weg der § 251 Abs. 1 Nr. 3 -4 zu denken, die anstelle der Protokollverlesung oder dem Abspielen einer konservierten Zeugenaussage vorgenommen wird. Demgegenüber müsste der Zeuge bei erheblicher Bedeutung der Aussage auch die benannten "Unbequemlichkeiten" auf sich nehmen und unmittelbar in der Hauptverhandlung erscheinen. Und insoweit wäre auch die Übertragung seiner Aussage von einem anderen Ort mittels Videotechnik gern. § 247a S. 1, 2. Alt. - an sich - ausgeschlossen, weil ja auch eine Verlesung eines richterlichen Protokolls in Anwendung der O.g. Abwägungsformel nicht möglich ist und die Voraussetzungen des § 251 Abs. 1 Nr. 2 f. nicht vorliegen. Ob dies zutreffend erscheint, hängt nun ganz erheblich davon ab, inwieweit die schon wiederholt angezogene Negativ-Hypothese zutrifft. Entscheidend ist also, inwieweit sich das Gericht einen persönlichen Eindruck vom Zeugen auch dann bilden kann, wenn sich der Zeuge an einem anderen Ort als dem der Hauptverhandlung aufhält und seine Aussage audiovisuell in die Hauptverhandlung übertragen wird. Damit verbunden stellt sich dann auch die weitere Frage, ob die gesetzgeberische Einordnung des § 247a in den Kreis bloßer Beweissurrogate überzeugt. Wäre dies zu verneinen, dann müssten die benannten Abwägungskriterien der oben genannten Abwägungsformeln auch anders als bisher gewichtet werden. Denn insoweit käme dann gegebenenfalls auch bei erheblicher Bedeutung der Aussage des Zeugen eine audiovisuelle Fernvernehmung in Betracht. Wie nunmehr schon mehrfach ausgeführt wurde, lässt sich diese Frage aber erst beantworten, wenn einerseits die Art und Weise einer Videovernehmung näher präzisiert und andererseits festgestellt wurde, inwieweit der "Videozeuge" die Rechtsgrundlagen zur Erhebung des bestmöglichen Beweises ergänzt. Nach einer Zusammenfassung der bisher (vorläufig) gefundenen Ergebnisse soll dem im Anschluss nachgegangen werden. Davor wird im nächsten Abschnitt aber zunächst überprüft, in welcher Weise die (Video-)"Übertragung" bei § 247a erfolgen muss. Denn ge-

B. Die gesetzlichen Regelungen der §§ 247a, l68e StPO

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rade darüber bestand ja bereits im Gesetzgebungsverfahren keine Einigkeit, sollte dies der Verfahrenspraxis, insbesondere durch eine Regelung in den RiStBV, überlassen bleiben. 188

f) Zusammenfassung und Schlussfolgerungen

- Durch die Verknüpfung des § 247a mit § 251 wird die audiovisuelle Fernvernehmung von Zeugen auch unter den Voraussetzungen ermöglicht, die für die Verlesung von richterlichen Protokollen gelten. Im Vordergrund stehen dabei allein § 251 Abs. 1 Nr. 2 und (zunächst auch) § 251 Abs. 1 Nr. 3. Weil die Einverständnisregelung des § 251 Abs. 1 Nr. 4 demgegenüber nur dann in Betracht kommt, wenn die Amtsaufklärungspflicht die (mögliche) Vernehmung des Zeugen in der Hauptverhandlung nicht zwingend erfordert, wird ihr entgegen der gesetzlichen Anordnung keine Bedeutung für § 247a zuzuerkennen sein. Denn der mit einer Videofernvernehmung verbundene (zumeist nicht unerhebliche) Verfahrensaufwand wird in praxi von keinem Gericht in Kauf genommen, das - unter Berücksichtigung seiner Aufklärungspflicht - eine unmittelbare Vernehmung des Zeugen in der Hauptverhandlung nicht für notwendig erachtet. - § 247a S. 1,2. Alt. ist allein auf Zeugen beschränkt. Hierzu zählen auch Sach-

verständige, wenn sie als sachverständige Zeugen über Wahrnehmungen der Vergangenheit berichten. Diese Restriktion überzeugt nicht für Sachverständige, die über Wahrnehmungen der Gegenwart berichten, weil der Richter hier allein ein richterliches Protokoll verlesen kann, die gegebenenfalls (qualitativ-)weiterreichende Videofernvernehmung aber nicht anwenden darf.

- Die Feststellung der Voraussetzungen bei §§ 251 Abs. 1 Nr. 2 f. erfolgen weitgehend über eine Abwägungsformel. Die in die Abwägung einfließenden Abwägungskriterien sind auf der einen Seite: die Bedeutung der Sache und die Wichtigkeit der Aussage des Zeugen; auf der anderen Seite: das Beschleunigungsinteresse und - bei § 251 Abs. 1 Nr. 3 zusätzlich - die persönlichen Belastungen des Zeugen. Die Abwägung erfolgt vor dem Hintergrund der staatlichen Verpflichtung zur möglichst weitgehenden Aufklärung materieller Wahrheit (§ 244 Abs.2). - Dienen die Voraussetzungen der §§ 251 Abs. 1 Nr. 2 f. dazu, festzustellen, wann (ausnahmsweise) auf die unmittelbare Vernehmung eines Zeugen in der Hauptverhandlung verzichtet und an seiner Stelle ein bereit angefertigtes richterliches Vernehmungsprotokoll verlesen werden darf, so liegt nach der gesetzlichen Konzeption des § 247a S. 1, 2. Alt. die Annahme nahe, die Videofernvernehmung könne bei einem relativen Erreichbarkeitshindemis des Zeugen nur dann erfolgen, wenn es sich bei der Aussage des Zeugen um keine besonders bedeutende Aussage handelt. Angesichts des mit der Durchführung einer Videofern188

Vgl. dazu die Ausführungen im Abschnitt A. II. 3. dieses Kapitels.

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2. Kap.: Anwendung von Videotechnik im Hauptverfahren

vernehmung verbundenen Verfahrensaufwands wird die audiovisuelle Fernvernehmung des Zeugen tatsächlich aber nur dann Anwendung finden, wenn ein absolutes Erreichbarkeitshindernis gegeben ist. Hauptanwendungsfall für § 247a S. 1, 2. Alt. wird in praxi daher allein die Vorschrift des § 251 Abs. 1 Nr. 2 sein. - Die Videofernvernehmung kommt also "unter den Voraussetzungen des § 251 Abs. 1 ... " (§ 247a S. 1,2. Alt) regelmäßig nur dann in Betracht, wenn die Aussage des Zeugen für die Wahrheitsfindung als gewichtig angesehen wird und insoweit an sich die Vernehmung des Zeugen im Sitzungssaal der Hauptverhandlung erforderlich ist; diese Vernehmung aber tatsächlich nicht durchführbar erscheint. Gründe dafür wurden im vorangegangenen Abschnitt aufgezeigt. Damit unvereinbar wäre allerdings die Einordnung der Videofernvernehmung in den Kreis der bloß reproduzierenden Beweismittel. Läge der Stellenwert des § 247a wirklich im Bereich der Ausnahmen vom Prinzip der Unmittelbarkeit, wie es die gesetzliche Konzeption nahelegt, so wird die Videofernvernehmung auch bei bedeutenden Aussagen des Zeugen, wie gerade angenommen, keine Anwendung finden können. Dass diese Einordnung des "Videozeugen" in den Kreis der möglichen Beweismittel nicht überzeugt, wird im nächsten Kapitel näher aufzuzeigen sein. Insoweit handelt es sich hier nur um die Feststellung eines vorläufigen Ergebnisses.

11. Die "Übertragung" der Aussage gern. § 247a S. 3 Es wurde oben bereits ausgeführt, dass dem § 247a nicht das (Mainzer-)"Modell der geteilten Hauptverhandlung" zugrunde liegt, sondern für § 247a in grundlegender verfahrenstechnischer Hinsicht vielmehr auf das sog. "englische Modell" zurückgegriffen wurde. Bei dieser Verfahrensgestaltung verlässt der vernehmende Richter nicht den Hauptverhandlungssaal, sondern er verbleibt im Sitzungssaal, wie bei einer "normal" erfolgenden Zeugenvernehmung auch. Von dort aus wird sodann die Vernehmung des Zeugen, der sich an einem anderen Ort aufhält, durchgeführt. Gerade mit Blick auf den Wechsel des Gesetzgebers von der einen Verfahrensgestaltung zur anderen 189 stellt sich für die Anwendung des § 247a in der Praxis eine grundlegende Frage, die man weder den Gesetzesmaterialien der StPO, noch den RiStBV klar entnehmen kann, nämlich: Was verbirgt sich hinter dem Begriff der "Übertragung" in § 247a S. 3, bzw. exakter, erfolgt eine "Übertragung" der Bild- und Tondaten grundsätzlich immer "beidseitig simultan" vom Zeugenzimmer in den Sitzungssaal und gleichzeitig andersherum ("two-way"-Prinzip) oder reicht es gegebenenfalls aus, wenn nur die Aussage des Zeugen - wie beim Mainzer Ver-

189

pitels.

Vgl. dazu die Ausftihrungen zur Gesetzesgenese des § 247 a im Abschnitt A. dieses Ka-

B. Die gesetzlichen Regelungen der §§ 247a, 168e StPO

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fahrensmodell auch - ("one way") audiovisuell in den Sitzungs saal übertragen wird? 190 Der Antwort auf dieser Frage kommt gerade im Hinblick darauf, inwieweit der "Videozeuge" das strafprozessuale Instrumentarium des bestmöglichen Beweises ergänzt, eine erhebliche Bedeutung zu. Ihr soll nunmehr an dieser Stelle näher nachgegangen werden.191

1. Audiovisuelle Datenübertragung in eine Richtung

Auf den ersten Blick ist zu vermuten, dass unter "Übertragung" bei § 247a die audiovisuelle Übertragung in eine Richtung, nämlich allein vom Vernehmungszimmer in den Sitzungssaal, gemeint sei. Dafür könnte zunächst die Entstehungsgeschichte der Vorschrift sprechen, wurde doch beim "Mainzer Modell" nur die richterliche Vernehmung audiovisuell übertragen. 192 Dariiberhinaus könnte möglicherweise auch der Wortlaut des § 247a S. 3 ein solches Ergebnis bestätigen: Hiernach kann "die Aussage des Zeugen" übertragen und sie soll gern. S. 4 unter den dort benannten Voraussetzungen aufgezeichnet werden. Und weiterhin spricht gegebenenfalls auch die Systematik für diese Vermutung, wird der Begriff "Übertragung" doch analog bei § 168e verwendet und steht hier außer Frage, dass allein die richterliche Vernehmung audiovisuell übertragen werden soll.193 Schlussendlich könnte man möglicherweise auch mit dem zunächst intendierten Sinn und Zweck der Einfügung der §§ 58a, 168e, 247a, 255a argumentieren, wollte man doch zunächst gerade dem Gesichtspunkt der sekundären Viktimisierung 194 des Zeugen vorbeugen,195 wobei dieser Prävention eine audio-visuelle Übertragung des Beschuldigten oder anderer Verfahrensbeteiligter in das Zeugenvernehmungszimmer klar entgegen tritt. Auch den friiheren Ausführungen der Literatur, die sich jedoch fast durchweg einer ausdriicklichen Stellungnahme zur Frage der "Mono"- oder "Stereophonie" 190 Wahrend zum Zeugen nur eine Telefonverbindung besteht, dieser also nur "hört", nicht aber "sieht", was im Sitzungssaal vorgeht. 191 Vgl. umfassend zu dieser Frage bereits Rieck StraFo 2000, 400 ff. 192 Eine vorsichtige grundlegende Festlegung der technischen Abwicklung in dieser Richtung enthält BT-Drs. 13/4983, S. 3: "Die Vernehmung wird [ ... ] zeitgleich durch Bild und Ton in den Sitzungssaal übertragen. Der Vernehmende muss durch eine Tonübertragungsanlage vom Sitzungssaal aus erreichbar sein."; so a. Empfehlung federführender Rechtsausschuss sowie Ausschuss für Frauen und Jugend BR-Drs. 933/1/97 v. 05. 12. 1997, S. 4. Vgl. dann allerdings Drs. 13/4983, S. 7: "Der Entwurf sieht von einer Regelung der technischen Einzelheiten ab, sondern überlässt dies der Praxis." 193 KK-StP04 -Wache § 168e Rn. 7. 194 Siehe dazu die Ausführungen im 1. Kapitel, Abschnitt B. I. 1. 195 Was sich schon aus einer Kondensierung der gesetzlichen Regelungen ergibt: vgl. §§ 58a Abs. I Nr. I, 168e S. I, 247a S. I, I.Hs., 255a Abs. 2 S. 1.

7 Rieck

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2. Kap.: Anwendung von Videotechnik im Hauptverfahren

audiovisueller Übertragungen enthalten,196 ist zu entnehmen, dass vorrangig von einer audiovisuellen Übertragung allein der Zeugenaussage in den Sitzungssaal auszugehen sei. 197 wobei man nur vereinzelt l98 anführt, aus dem Gesetzeswortlaut folge nicht eindeutig, ob auch die Ereignisse der Hauptverhandlung "stereophon" in vollem Umfang in Bild und Ton in das (Zeugen-)Vernehmungs-Zimmer übertragen werden müssen. Insoweit begnügen sich einige Autoren dann zunächst mit einer umfangreichen Kasuistik zu den Erfordernissen des sog. "Setting" der Aufzeichnungen, weil diese einen nicht nur unerheblichen Einfluss auf die Glaubwürdigkeitsbeurteilung des "Videozeugen" haben. 199 Nur Leitner führt explizit aus, unter "Übertragung iSd. § 247a S. 3 sei eine audiovisuelle "one-way"-Simultanübertragung (des Zeugen) zu verstehen. 2OO 2. Audiovisuelle Datenübertragung in beide Richtungen

Neuere Stellungnahmen zur audiovisuellen Fernvernehmung gern. § 247a gehen dagegen ohne weiteres von einer "stereophonen Übertragung", d. h. einer zeitgleichen Übertragung von Bild und Ton mit der Möglichkeit wechselseitiger Kommunikation in beider Richtung, aus. 201 Insbesondere der erste Strafsenat des BGH spricht in der Grundsatzentscheidung zur videovermittelten Fernvernehmung von Auslandszeugen 202 nicht mehr von einer "Vernehmung", sondern der Möglichkeit nach § 247a eine "Videokonferenz" durchzuführen, wobei er für § 247a ausdrücklich auf das sog. "two-way c10sed circuit television"-Mode1l 203 hinweist. Und auch das Bundesministerium für Justiz fordert expressis verbis in der im Internet 204 erhältlichen Handreichung zum Schutz kindlicher (Opfer-)Zeugen eine Zwei-WegeÜbertragung.205 196 Mit Ausnahme Leitner StraFo 1999,45,47. Dazu sogleich. Vgl. Caesar NJW 1998, 2313,2315; Griesbaum NStZ 1998, 433,440; Janovsky Kriminalistik 1999,453; Kühne Strafprozessrecht, § 53 Rn. 840; Leitner StraFo 1999, 45,47 ; Rieß NJW 1998, 3240, 3241; ders. StraFo 1999, 1,5; Schlothauer StV 1999, 47,50; Weiner/ Foppe Kriminalistik 1998,536,537. 198 Rieß StraFo 1999, 1,6; ders. NJW 1998,3240,3242; Meurer JuS 1999,937,938; SKStPO-Schlüchter § 247a Rn. 19. 199 Vgl. LR25 -Gollwitzer § 247a Rn. 3; Schlothauer StV 99, 47, 48. 200 Leitner StraFo 1999,45,47. 201 BGH v. 23. 03. 2000-1. StrR 657/99 - NStZ 2000, 385; Artlcämper NJ 2000, 100, 101 ; Diemer StraFo 2000, 217 ff.; Duttge NStZ 2000, 157, 160; LR 25 -Gollwitzer § 247 a Rn. 3; HK-StP0 3 -Julius § 247a Rn. 12; KMR-Lesch § 247a Rn. 6; Kleinknechtl Meyer-Goßner-StP045 § 247a Rn. 10; Renzikowski JZ 99,605,607; Schlothauer JZ 2000, 180, 182; vgl. bereits SeitzJR 1998,309,311 Rn. 38. 202 BGHv. 15.09. 1999-1. StrR 286/99 - StV 1999,580 ff. 203 Abgekürzt CCTV- Modell. Diese Art der Video-Vernehmung wird analog auch als " live-link"-Modell bezeichnet, vgl. Bohlander ZStW 107 (1995), 82, 89. 204 Unter der Internetadresse: ..http://www.bundesjustizministerium.de.. (ggf. anfordern). 205 Bundesministerium der Justiz Handreichung, S. 35. 197

B. Die gesetzlichen Regelungen der §§ 247a, 168e StPO

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3. Zwischenergebnis: Bei § 247a S. 3 geht es um sog. " Videokonferenzen"

a) Bereits ohne vertiefte weitere Auseinandersetzung mit dem Begriff der "Übertragung" in § 247a S. 3 folgt das Erfordernis einer sog. "two-way"-Verbindung, also der Übertragung des Zeugen und seiner Aussage in den Sitzungssaal, sowie damit verbunden, die simultane Übertragung der jeweiligen Vernehmungsperson auf einen Zeugenmonitor in das Zeugenzimmer, aus der sich erst daraus ergebenden Möglichkeit freier Kommunikation zwischen den jeweiligen Kommunikationspartnern. 206 Wird das Kommunikationsverhältnis im Strafverfahren, ja insbesondere "Kommunikation" im videovermittelten Gespräch noch näher präzisiert,207 soll folgendes bereits hier vorweggenommen werden: "Kommunikation" im benannten Sinne umfasst nicht nur bloßen Verbalinformationsaustausch. Es geht daher nicht nur um das Miteinandersprechen, sondern gerade auch um die visuell wahrnehmbaren nonverbalen Informationen, wie die jeweiligen körperlichen Reaktionen des Gegenüber, etwa in Mimik und Gestik. Kommt diesen Informationen herkömmlich maßgebliche Bedeutung - jedenfalls - für den Kommunikationsprozess ZU,208 so gilt dies für die Vernehmungsperson (Stichwort: Glaubwürdigkeitsbeurteilung) wie für den Zeugen gleichermaßen. Gerade bei der Vernehmung im Strafverfahren, wo jeder Zeuge auf seine Wahrheitspflicht hingewiesen wird, wird ihm damit auch verdeutlicht, dass das Gericht seine Aussage gegebenenfalls auf den (Glaubhaftigkeits-)Prüfstand stellt und die eigene Person einer Glaubwürdigkeitsüberprüfung unterzieht. Insoweit muss ein Zeuge auch ein Interesse daran besitzen, erkennen zu können, wie die jeweilige Vernehmungsperson in nonverbaler Hinsicht, also gerade durch mimische oder gestische Reaktionen, auf seine Aussagen reagiert. Denn nur so kann er die eigenen Ausführungen im Bedarfsfalle bekräftigen und sein Verhalten danach auszurichten. Allein eine derart "unbeschränkte" Kommunikationssituation ist Garant optimaler Wahrheitsermittlung. Und sie findet insoweit auch Niederschlag unmittelbar im Gesetz (§ 244 Abs. 2). Erst durch eine aus der "two-way"-Verbindung sich ergebenden Möglichkeit zur Videokonferenz kann eine derartige, der unmittelbare Vernehmung des Zeugen angenäherte Situation geschaffen werden. Dabei kann durch die entsprechende Ausrichtung der Sitzungssaal-Kameras der Angeklagte bzw. die Öffentlichkeit bei Bedarf ausgeblendet werden können. Insoweit wird dem Zeugenschutz dort, wo notwendig, auch vollauf genüge getan. b) Nichts anderes folgt auch aus verfahrenspraktischen Überlegungen: Es ist zu bedenken, dass dem sich auf sein Zeugnisverweigerungsrecht (§§ 252, 52 ff.) beruVgl. nur Leitner StraFo 1999,45,47. Vgl. dazu die Ausführungen im 4. Kapitel, Abschnitt A sowie im 3. Kapitel, Abschnitt C. 208 Siehe dazu im 4. Kapitel, Abschnitt A. I. 1. a). Eine andere Frage ist, ob diese Informationen auch sachgerecht für eine Glaubwürdigkeitsbeurteilung herangezogen werden können. Darauf wird umfassend im 4. Kapitel eingegangen. 206 207

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2. Kap.: Anwendung von Videotechnik im Hauptverfahren

fenden Zeugen Vorhalte in der Hauptverhandlung gemacht werden dürfen,209 die im Einzelfall ja auch mittels Beweisgegenständen erfolgen können.210 Daraus wird deutlich, dass im Rahmen des § 247a derartige Vorhalte sachgerecht nur im Falle einer audiovisuellen "two-way"-Übertragung möglich sind. Wie soll der Zeuge auch anders als visuell auf bestimmte nonverbale Umstände, etwa das unten rechts oder oben links Geschriebene, den Tatgegenstand etc. hingewiesen werden? Gleiches gilt für die Vernehmungsgegenüberstellung,2l1 etwa mit anderen Zeugen. 212 Und erfolgt durch die Verpflichtung des Zeugen, auch im Rahmen einer Videovernehmung über eigene Wahrnehmungen und gegebenenfalls persönliche Verhältnisse auszusagen, ein Eingriff in das allgemeine Persönlichkeitsrecht des Zeugen,213 der nur unter strenger Wahrung des Verhältnismäßigkeitsprinzips möglich ist,214 so muss doch im Hinblick auf die bezweckte Zeugenaussage das mildeste, den Zeugen am wenigsten beeinträchtigende Mittel angewandt werden, was in der mit einer two-way-Übertragung verbundenen Möglichkeit "freier Kommunikation" zu erblicken ist. Schließlich werden auch nur durch eine "two-way"-Videokonferenz nicht nur die - abgeleiteten - Rechte eines den Zeugen begleitenden Beistands215 effektiver gewahrt, sondern auch für diesen bzw. weiteren Personen, etwa dem Dolmetscher bei Auslandsvernehmungen, bietet sich eine der unmittelbaren Vernehmung im Sitzungssaal entsprechende Situation. Weil demgegenüber für die Durchführung einer "one-way"-Übertragung allein der Zeugenaussage keine sachgerechte Gründe ersichtlich sind, unterliegt dem Begriff der "Übertragung" im Sinne des § 247a S. 3 also nur eine "two-way"-ÜberBeulke Strafprozessrecht, § 21 IV Rn. 421. Kleinknecht / Meyer-Goßner -StP044 § 69 Rn. 7. 211 Die Vernehmungsgegenüberstellung, welche ausdrücklich nur für das Vorverfahren in § 58 Abs. 2 vorgesehen ist, wird in der Hauptverhandlung auf der Grundlage des § 244 Abs. 2 für zulässig erachtet. Sie dient der Aufklärung von Widersprüchen zwischen Aussagen des Zeugen und Angaben des Beschuldigten oder anderer Zeugen und stellt eine besondere Art der Vernehmung dar, vgl. Eisenberg Beweisrecht, Rn. 1223. 212 Dazu Eisenberg Beweisrecht, Rn. 1222; Kleinknecht/Meyer-Goßner-StP044 § 247a Rn. 10. 213 Was jedenfalls für den Fall der Aufzeichnung der Video-Vernehmung - § 247a S. 4ausdrücklich auch vom Gesetzgeber bedacht wurde, vgl. BT-Drs. 1317165, S. 5, gleichermaßen aber auch für die bloße Video-Vernehmung gilt. Denn das APR hat spätestens seit dem Volkszählungsurteil (BVerfGE 65, I ff.) eine Ausweitung erfahren, die sich in ihrer Weite der allgemeinen Handlungsfreiheit aus Art. 2 Abs. I GG annähert, was dazu führt, dass die Frage der Zulässigkeit staatlicher Eingriffe vorrangig als Problem der Schranken anzusehen ist, vgl. dazu Mildenberger S. 326 ff.; SK-StPO-Rogali Vor § 48 Rn. 92; Weigend (1998), S. 18 Fn. 19. 214 Explizit dazu vgl. nur v. Mangoldt/Klein/Strack, Bonner GG-Kommentar4 (1999), Bd. 1, Art. 2 Abs. 1 Rn. 87; Pieroth/Schlink, Grundrechte 14 (1998) § 8 ll/lII Rn. 377, 379. Im Zusammenhang sind dann auch die Fundamentalentscheidungen des BVerfG zu lesen, etwa: BVerfGE 34, 239 ff. [Heimliche Tonbandaufnahme] ; 35, 202 ff. [Lebach]; 65, 1,42 ff. [Volkszählung]. 215 Vgl. § 68 b. 209

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B. Die gesetzlichen Regelungen der §§ 247a, 168e StPO

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tragung. Gemeint ist damit also die wechselseitige, simultan erfolgende Übertragung sowohl des Zeugen in den Sitzungssaal wie der Vernehmungsperson in das Zeugenzimmer. Explizit der mit einer Simultanübertragung verbundene umfassende - und notwendig teurere 216 - Technikeinsatz bildete demgegenüber kein vernünftiges Gegenargument für die gegenteilige Sichtweise. Die weiteren Ausführungen erfolgen insoweit immer vor dem Hintergrund einer durchführbaren audiovisuellen Videokonferenz zwischen zwei Kommunikationspartnern im Strafverfahren.

216 Zu Fragen im Hinblick auf die Kosten und die Wirtschaftlichkeit des Strafverfahren vgl. die Ausführungen in Fn. 121 in diesem Kapitel.

3. Kapitel

Verhältnis des § 247a zur unmittelbaren Vernehmung des Zeugen in der Hauptverhandlung sowie zu anderen Beweismitteln Im vorangegangenen Kapitel wurden die aus der Gesetzesauslegung des § 247a sich ergebenden wesentlichen Weichen gestellt. Daraus wurde deutlich, dass im Mittelpunkt des Interesses zunächst vor allem die (empirische) Frage steht, inwieweit die Herstellung einer optimalen Vernehmungssituation auch im Rahmen einer Videokonferenz mit Zeugen möglich ist. Denn nur dann kann auch beantwortet werden, inwieweit der "Videozeuge" den unmittelbaren, im Gerichtssaal erscheinenden Zeugen substituiert und welches Verhältnis zu anderen Beweismitteln existiert. Dem soll nunmehr in diesem Kapitel umfassend nachgegangen werden. Dafür werden zunächst die in Rechtsprechung wie Literatur vorgebrachten Bedenken gegen den Einsatz von "Videozeugen" im Strafprozess überblicksweise dargestellt (Abschnitt A). Einer theoretischen Würdigung dieser Einwände wird sich dann eine Schilderung eigener und fremder empirischer Erfahrungen zu Videokonferenzen im Strafprozess anschließen (Abschnitt B), wobei hier auch umfassend auf die Funktionsweise des technischen Mediums "Videokonferenz" eingegangen wird. Und schließlich sollte es dann möglich sein, festzustellen, ob der Einsatz von "Videozeugen" wirklich eine Ausnahme vom Unmittelbarkeitsprinzip bildet, wie dies die schiere Gesetzesauslegung nahelegte (Abschnitt C).l

A. Die Kritik am Einsatz von Videotechnik im Strafverfahren I. Die erste Videovernehmungsentscheidung des RGH bei Auslandszeugen - 1 StR 286/99, Urteil v. 15. 09. 1999 In seiner Grundsatzentscheidung für die Anwendung des § 247a bei Auslandszeugen nimmt der erste Strafsenat des BGH2 eine Einordnung der einzelnen Modalitäten der Beweiserhebung unter Berücksichtigung des "Videozeugen" vor. Der Einsatz des "Videozeugen" kommt danach dann in Betracht, wenn die unmittelbare 1

2

Dazu siehe die Ausführung im 2. Kapitel, Abschnitt B, I., 2., e). BGHst 45,188 ff. = StV 1999,580 ff. = NJW 1999,3788.

A. Die Kritik am Einsatz von Videotechnik im Strafverfahren

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Vernehmung des Zeugen nicht möglich und die audiovisuelle Fernvernehmung tatsächlich wie rechtlich durchführbar sowie für die Wahrheitsforschung auch als ausreichend anzusehen ist. Scheide jedoch auch die Videovernehmung des Zeugen aus, sei dann die kommissarische Zeugenvernehmung in Betracht zu ziehen. Und erst wenn auch diese nicht durchführbar oder wegen der Notwendigkeit eines persönlichen Eindrucks von dem Zeugen ohne Beweiswert ist, könne ein Beweisantrag wegen Unerreichbarkeit des Zeugen (§ 244 Abs. 3 S. 2) abgelehnt werden? Im Anschluss daran versäumt der BGH aber nicht, die aus seiner Sicht möglichen Defizite der Durchführung einer audiovisuellen Fernvernehmung des Zeugen besonders zu betonen: "Bei der Entscheidung, ob das Gericht von der Möglichkeit des § 247a StPO Gebrauch machen will oder nicht, ist insbesondere die durch das technische Medium und die fehlende körperliche Anwesenheit des Zeugen eingeschränkte Unmittelbarkeit der Beweisaufnahme (§ 250 Satz I StPO) zu beachten. Zu berücksichtigen wird auch sein, daß sich eine auf Distanz befragte Person dem durch Frage und Antwort entstehenden Spannungsverhältnis eher wird entziehen können als in direktem Kontakt in ein und demselben Raum. Durch die technisch bedingte Distanz wird es zudem schwieriger sein, im Vorfeld der Aussage Hemmungen abzubauen, Vertrauen zu erwecken und sich selbst einen hinreichenden Eindruck von der individuellen Eigenart der Auskunftsperson und ihrem non-verbalen Aussageverhalten zu verschaffen. Solange die Frage der strafrechtlichen Verantwortlichkeit für eine Falsch- oder pflichtwidrige Nichtaussage im konkreten zwischenstaatlichen Verhältnis nicht im Sinne einer effektiven Sanktionierbarkeit geklärt ist, ist auch dieses Defizit in Bedacht zu nehmen. Ergebnis einer solchen dem Tatrichter auferlegten Abwägung kann durchaus sein, daß eine audiovisuelle Vernehmung wegen ihrer dargelegten Defizite gegenüber einem präsenten Zeugen im Einzelfall für die Wahrheitsfindung wertlos, der Zeuge mithin auch unter Beachtung der Möglichkeiten des § 247a StPO ein ungeeignetes Beweismittel ist. ,,4

11 . Die Kritik in der Literatur Die benannten Ausführungen des BGH stehen weitgehend im Einklang mit der in der Literatur geäußerten Kritik, deren Einwände hier ausschnittsweise und daher nur kurz sowie im Hinblick auf alle "Videozeugen" skizziert werden sollen. Dabei stehen Zeuge und Befragungsperson in gleicher Weise im Mittelpunkt der Betrachtung. 1. Bedenken im Hinblick auf den" Videozeugen " In der Literatur werden für die audiovisuelle Fernvernehmung des Zeugen - z.T. weit über die durch den BGH vermuteten Defizite hinausgehend - Zweifel an der effektiven Einsatzmöglichkeit von Videotechnik im Strafprozess geäußert. 3 4

So die Zusammenfassung bei Schlothauer StV 2000, 180, 182. BGHst 45, 188, 196 f.

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3. Kap.: Verhältnis des § 247a zur unmittelbaren Vernehmung des Zeugen

So wird etwa vorgebracht, dass eine "natürliche" Gesprächssituation beim Einsatz von Videotechnik nicht zustande kommen kann, denn es sei für den Richter unmöglich, etwaige Hemmungen beim Zeugen abzubauen. Gerade die für die Videovernehmung erforderlichen technischen Mittel, wie Mikrofone, Kamera und Monitore, bedingten danach eine Verstärkung derartiger Hemmungen. 5 Insbesondere werden bei kindlichen Zeugen Erfahrungen geäußert, wonach die befragten Kinder nicht vergessen könnten, dass der Angeklagte ihnen zuhöre. 6 Darüberhinaus könne es bei diesen sogar zu Angstzuständen kommen, die bei der Durchführung einer Videovernehmung etwa dann ausgelöst werden, wenn der befragende Vorsitzende sich während der Befragung einer anderen Person zuwendet, die der Zeuge nicht sehen kann.? Weiterhin wird eingewandt, der Einsatz von Videotechnik steigere die Selbstdarstellung des Betroffenen,8 d. h. bewirke - in der Fachsprache ausgedrückt - eine Verstärkung der Selbstpräsentation, eine Erhöhung des "self-monitoring,,9 und damit eine Verhaltensänderung beim Zeugen. 1O Weil der Zeuge in dem besonderen 5 So Amtzen ZRP 1995,241; KK-StP04 -Diemer § 247a Rn. 5; ders. NStZ 2001,393,396; Eisenberg Beweisrecht, Rn. 1328 f.; Kilian-Herklotz, S. 195,213. Vgl. a. Fischer JZ 1998, 816, 820; Davies International Journal of Law and Psychiatry 22 (1999), 241, 246; Hasdenteufel, S. 96,101,109; Kintzi DRiZ 1996 184, 191; v. Knobloch zu Hatzbach ZRP 2000, 276, 277. A.A. (betreffend Tonbandmitschnitte): Bender/Nack Tatsachenfeststellung, Bd. 2 (1995), S. 202 Rn. 833: "Manche glauben, Zeugen [ ... ] würden gehemmt, wenn sie wüssten, dass ihre Aussagen auf Tonband aufgenommen werden. [ ... ] Wir haben bei unseren Experimenten die Erfahrung gemacht, dass die Beteiligten nach ganz kurzer Zeitspanne völlig verdrängen, dass ein Band mitläuft. Sie reden genauso ,frisch von der Leber weg' wie auch sonst". 6 v. Knobloch zu Hatzbach ZRP 2000, 276; Maier Audiovisuelle Vernehmung, S. 149. Damit verbunden sein kann auch die Angst davor, wie der Angeklagten reagieren wird bzw. welche Personen noch alles zuschauen und zuhören, v. Knobloch zu Hatzbach a. a. O. 7 v. Knobloch zu Hatzbach ZRP 2000, 276. 8 v. Knobloch zu Hatzbach ZRP 2000, 276. 9 Die Theorie des "self-monitoring" wurde von Snyder (in: Journal of Personality and Social Psychology Vol. 30 (1974), 526 ff.; ders. in: Berkowitz Advances in Experimental Social Psychology Vol. 12 (1979), 85 ff.) begründet. Self-Monitoring bezieht sich auf die Überwachung des eigenen Verhaltens gegenüber anderen Personen, also der sozialen Umwelt gegenüber, mit der Folge eines geänderten Ausdrucksverhaltens, d. h. von Mimik, Gestik und Sprache. Im einzelnen dazu vgl. Mummendey, S. 89 ff. 10 Kilian-Herklotz, S. 195, 217. Gegen die Ausführungen a. a. o. ist einzuwenden, dass hier bloße Vermutungen als wissenschaftlich feststehend deklariert werden, ohne dass - darüber hinausgehend - sachgerecht aufgezeigt wird, warum der Einsatz von Videotechnik zu einer Verhaltens änderung führen soll, vgl. dazu insbesondere a. a. O. S. 217 Fn. 107: "Zu den konkreten Veränderungen kann an dieser Stelle nichts ausgesagt werden, da es bisher zu dieser Interaktionssituation keine systematischen Verhaltensbeobachtungen gibt". Dazu, dass die hier zitierte Behauptung nicht zutrifft, vgl. die Ausführungen im nächsten Kapitel, wo eine systematische Untersuchung zu dieser Frage aus dem Jahre 1997 vorgestellt wird. Soweit hier unter Berufung auf die im psychologischen Schrifttum vertretenen Theorien vom "self-impression-management" angenommen wird, die Beobachtung des Zeugen führe zu einer erhöhten Selbstkontrolle, so fragt sich, wo der Unterschied zur unmittelbaren Ver-

A. Die Kritik am Einsatz von Videotechnik im Strafverfahren

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Bewusstsein seiner Beobachtung handele, würden seine Aussagen "in Richtung sozialer Erwünschtheit verzerrt". 11 Dies gelte ganz besonders dann, wenn der Zeuge weiss, dass man seine Aussage aufzeichne und diese damit ,,(theoretisch) unkontrollierbar unbekannten Dritten zugänglich gemacht werden" könnte. 12 Im Rahmen der audiovisuellen Fernvernehmung des Zeugen sei es weiterhin auch möglich, dass "die Motivation zur wahrheitsgemäßen Aussage nachlasse", weil die direkte Konfrontation des Zeugen mit dem Gericht und den Verfahrensbeteiligten entfällt. 13

2. Bedenken im Hinblick auf die Vemehmungsperson (Richter)

Die - überwiegenden - weiteren Bedenken finden sich im Hinblick auf die jeweilige Vernehmungsperson, wobei die Einwände im Ergebnis gleichermaßen darauf hinauslaufen, dass eine "natürliche" Gesprächssituation auch seitens der Vernehmungsperson nicht entstehen könne und - im Gegenzug zu der vermuteten nachlassenden Motivation zur Wahrheit geradezu katastrophal - eine sachgerechte Beurteilung des Zeugen bzw. seiner Aussage unmöglich sei. 14 So wird etwa vorgebracht, dass die befragende Person im Umgang mit der neuen Technik oftmals unsicher sein werde,15 was gegebenenfalls dazu führe, das sie selbst möglicherweise sehr laut spreche und auch den Zeugen ermahne, lauter in das Mikrofon zu sprechen. Insoweit werde dem Zeugen dann gegebenenfalls das nehmung im Gerichtssaal bestehen soll, bei der in gleicher Weise und nunmehr für den Zeugen sogar noch offensichtlicher eine Vielzahl von Prozessbeteiligten ihn beobachten. Dass das "Charakteristikum technischer Medien" nun darin zu erblicken sei, dass "sie ähnlich einem Spiegel zu einer erhöhten Selbstaufmerksamkeit und den damit verbundenen Verhaltensänderungen führen" (a. a. 0., S. 217), bleibt insoweit - jedenfalls mir selbst - unverständlich, worauf an späterer Stelle noch zurückzukommen sein wird. Dies gilt gerade im Hinblick darauf, wenn a. a. O. richtigerweise ausgeführt wird, "zu jeder Interpretation gehört als Interpretationsgrundlage die Situation" (a. a. 0., S. 217). Denn die Situation (= Beobachtung des Zeugen) ist - wie aufgezeigt - vom Einsatz der Videotechnik unabhängig. Und dass das Vorhandensein technischer Apparate zu einer Verhaltensänderung führt, ist jedenfalls derzeit, wie die Verf. a. a. O. selbst ausführt, eine (noch) nicht verifizierbare Konstante. Geradezu das Gegenteil scheint vielmehr richtig zu sein, wie empirische Erfahrungen im Ausland lehren, dazu aus deutscher Sicht nur Köhnken StV 1995, 376, 379 sowie die Nw. in Fn. 28 in diesem Kapitel. 11 Kilian-Herklotz, S. 195,213. 12 Kilian-Herklotz, S. 195,214. 13 KK-StP0 4 -Diemer § 247a Rn. 5; ders. NStZ 2001,393,396. 14 Vgl. dazu BottinglTrenchard The Advocate 55 (1997),523,534: "The standard argument against [ ... ]". 15 Vgl. dazu etwa die Ausführungen in den parlamentarischen Beratungen zum Zeugenschutzgesetz, etwa Abg. Alm-Merk BT-Plenarprotokoll 13/163 v. 13. 03. 1997, S. 14659: "Ich habe mir von allen Praktikern sagen lassen müssen, dass sie sehr ungeübt bei der Arbeit mit der Videokamera sind, dass sie Angst vor der Videokamera haben [ ... ]. Unsere Richter und Staatsanwälte sind nicht geübt genug [ ... ], mit neuen Technologien umzugehen".

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3. Kap.: Verhältnis des § 247a zur unmittelbaren Vernehmung des Zeugen

Gefühl der Unsicherheit vermittelt und dieser möglicherweise in seinem Redefluss unterbrochen. 16 Durch den Einsatz der Videotechnik könne es weiterhin zu einer Beeinflussung der Beurteilungsperson kommen. Denn weil jede Beurteilung aufgrund einer vorangegangenen Hypothesenbildung erfolge,17 könnten wegen der Betonung visueller Elemente bei der Videovernehmung, etwa die im Hintergrund des Zeugen auf dem Videomonitor sichtbare Umgebung sowie die Darstellung des Aussagenden hinsichtlich Kleidung und Perspektive sowie auch die empfundene Distanz zum Zeugen beim Richter, Vorurteile aktivieren. 18 Weiterhin wird eingewandt, der Richter müsse neben der Vielzahl der ihm obliegenden Aufgaben nunmehr sein Augenmerk auch noch auf die ordnungsgemäße technische Durchführung der Videovernehmung des Zeugen stützen, was zur Ablenkung und gegebenenfalls zur Beeinträchtigung seiner ohnehin nicht einfachen Arbeit führe. 19 Schließlich wird, und das ist wohl der wesentlichste Haupteinwand der Kritiker, auch die sachgerechte Beurteilungsmöglichkeit des Zeugen durch den Richter über einen Bildschinn angezweifelt, da man "von einem Richter, gerade auch vom Laienrichter, ... schwerlich verlangen [kann], was im Alltag niemanden gelingt", nämlich ,,sich der ,nonnativen' Gültigkeitskraft von Fernsehbildern zu entziehen.,,2o So setze die Beurteilung der Glaubwürdigkeit einer Person "eine Unmittelbarkeit der Kommunikation voraus, die durch Bild-Ton-Übertragungen in keinem Fall erreicht werden" könne. 21 Denn je nach der Übertragungsqualität seien die für die Beurteilung der Glaubwürdigkeit wesentlichen körperlichen Reaktionen des Zeugen, wie Mimik, Gestik, ja die gesamte Körpersprache, nicht oder nur unzulänglich wahrnehmbar. 22 Vgl. v. Knobloch zu Hatzbach ZRP 2000, 276, 277. Zum sog ...Perseveranz-Effekt" (= ..Beharrlichkeitseffekt" bzw. dem ..Mechanismus der Selbstbestätigung von Hypothesen"): vgl. Meyer-Mews NJW 2002, 104, 105; Schade StV 2000, 165, 166; Schünemann StV 2000, 159 ff. Zu den hiermit verbundenen Fragen im Hinblick auf die richterliche Aktenkenntnis vor der Hauptverhandlung und dem sich daraus ergebenden sog ...Inertia-Effekt", vgl. Geppert Grundsatz der Unmittelbarkeit (1979), S. 159. 18 Kilian-Herklotz, S. 195,214. 19 Edinger DRiZ 1996, 290: .. Der Richter wäre dann nicht mehr derjenige, der die Verhandlung insbesondere geistig leitet und sich in der Hauptsache auf das formelle und materielle Recht konzentrieren kann und soll. Er wäre eine Art Technoanimateur, der vorwiegend die Bedienung der elektronischen Geräte im Auge haben müsste und nebenbei noch einen Rechtsfall zu behandeln hätte." 20 Fischer JZ 1998, 816, 820. Dem zustimmend Mehle in: FS-Grünwald (1999), S. 351, 363; Rose JR 2000, 77, 78 Fn. 15. Vgl. a. Hasdenteufel, S. 102. 21 Eisenberg Beweisrecht, Rn. 1328 f.; Fischer JZ 1998, 816, 820. Ähnlich a. Eggert BRPlenarprotokoll Nr. 720 v. 19. 12. 1997, Anlage 9, S. 616, 617 (Hervorhebungen nicht im Original). 22 KK-StP04 -Diemer § 247a Rn. 5; ders. NStZ 2001,393,396; Edinger DRiZ 1996,290; Eisenberg Beweisrecht, Rn. 1328 f. Vgl. a. BottinglTrenchardThe Advocate 55 (1997),523, 524; Kintzi DRiZ 1996, 184, 191 und Lagodny (2000), S. 167, 178 betreffend die von ihm vermutete justizpraktische Sichtweise: ..Einen Zeugen muss ich live vor mir haben, ich muss ihn riechen, sehen, schmecken". Vgl. weiterhin a. Weider StV 2000, 48, 51: ..Trotz der Mög16 17

A. Die Kritik am Einsatz von Videotechnik im Strafverfahren

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3. Würdigung der benannten Einwände

Träfen die soeben skizzierten Einwände in ihrer Gesamtheit zu, so fragte sich, warum der Gesetzgeber mit dem Zeugenschutzgesetz 1998 eine derartig bedenkliche Möglichkeit der Beweisführung in der StPO vorgesehen hat. Denn könnte durch eine Videovernehmung eine Unmittelbarkeit der Kommunikationssituation nicht erreicht werden bzw. werde eine solche nur "simuliert", und zwar verstanden im Sinne von "vorgegaukelt", und führte dies wiederum zu einer nachlassenden Wahrheitsmotivation beim Zeugen, die mangels Möglichkeit einer Glaubwürdigkeitsbeurteilung andererseits nicht erkannt werden könnte, so wäre die Gefährdung der Wahrheitsfindung evident. Das grundlegende Ziel des Strafprozesses, die Aufklärung objektiver Wahrheit, hätte gerade der Gesetzgeber selbst mit der Schaffung der Videovernehmungsvorschriften, insbesondere also des § 247a, in sein Gegenteil verkehrt Dass dies nicht richtig sein kann, ist evident und wurde in dieser Hinsicht wohl auch nicht von allen Kritikern intendiert. So dürfte ihr Ziel vielmehr gewesen sein, nachteilige Einzelaspekte des Einsatzes von Videotechnik aufzuzeigen und auf die möglicherweise im konkreten Einzelfall auftauchende Problemsituationen hinzuweisen. 23 Denn die benannten Einwände lassen sich keinesfalls für jegliche Videovernehmungen generalisieren. Sie sind von einer Vielzahl von Faktoren, wie der jeweiligen Person des Zeugen, der jeweiligen technischen Ausgestaltung, insbesondere aber auch von den Fähigkeiten und dem Willen der Vernehmungsperson abhängig. Insoweit scheint etwa die Behauptung in ihrer Absolutheit nicht richtig, die audiovisuelle Fernvernehmung von Kindern gern. § 247a sei per se ein ungelichkeit der Videovernehmung besteht jedoch auch in diesem Falle die - wenn auch im Vergleich zur unmittelbaren Vernehmung in der Hauptverhandlung geringere - Gefahr der Enttarnung, da der Zeuge (teilweise) optisch und akustisch wahrzunehmen ist". Wieso bei der Videovernehrnung gern. § 247a aber nur eine "teilweise" optische und akustische Erkennbarkeit gegeben sein soll, wird dann aber nicht weiter ausgeführt. Auch Diemer a. a. O. scheint in neueren Ausführungen in einen Widerspruch zu geraten. So wird etwa in NStZ 2001,393, 396 im Hinblick auf die Glaubwürdigkeitsbeurteilung (betreffend § 244 Abs. 2) zunächst ausgeführt, dass wesentliche nonverbale Reaktionen nicht wahrnehmbar wären, um anschließend auf S. 398 a. a. O. betreffend die Abschirmung von Zeugen sodann genau das Gegenteil zu behaupten, wonach die wesentlichen nonverbalen Reaktionen - freilich nur teilweise - wahrnehmbar sind. 23 Dafür spricht jedenfalls, dass man letztlich doch den Vorteil des Einsatzes von Videotechnik hervorhebt, vgl. Kilian-Herklotz, S. 195,218 f.: Letztlich sind nur zwei Fallgestaltungen denkbar, bei denen die in § 247a StPO dem Tatrichter auferlegte Abwägung dazu führen kann, dass eine audiovisuelle Vernehmung wegen der dargelegten Defizite gegenüber einern präsenten Zeugen im Einzelfall für die Wahrheitsfindung wertlos ist. Zum einen, wenn der zu Vernehmende bereits negative Erfahrungen im Umgang mit der Videotechnik gemacht haben sollte und ihn die Situation deshalb besonders emotional belastet. Dann werden die aufgezeigten Hemmungen grundsätzlich nicht abzubauen sein. Zum anderen, wenn die Aussagetüchtigkeit [ ... ] beeinträchtigt ist, so dass auch im Rahmen der herkömmlichen Situation die Aussage kein Gewicht hätte. In den übrigen (Anm. P.R. also wohl in fast allen) Fällen wird gerade die Vernehmung mittels Videokonferenz zu umfassenderen Aussagen führen."

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3. Kap.: Verhältnis des § 247a zur unmittelbaren Vernehmung des Zeugen

eignetes Mittel, weil es nicht denkbar sei, dass es dem Richter, der sich an einem anderen Ort aufhält, gelänge, eine entspannte Vernehmungs- / Kommunikationssituation zu schaffen. 24 Genauso vermag die umgekehrte Behauptung nicht zu überzeugen, alle Kinder der heutigen Zeit seien im Umgang mit der Technik viel unbefangener und es sei insoweit kein Nachteil dadurch zu befürchten, wenn man diese über einen Monitor durch den sich am anderen Ort aufhaltenden Richter vernehme?5 Weder für die eine noch die andere (Extrem-)Position werden sich überzeugende empirische Befunde finden lassen. Dies wird etwa durch eine Befragungen von Gerichtspsychologinnen bestätigt, welche zu der Frage, ob Kinder durch den Einsatz von Videotechnik verstärkt gehemmt werden und sich nicht so unbefangen äußern wie ohne den Einsatz der Videotechnik, uneinheitlich äußerten: "Wahrend einige Kinder trotz des Videoeinsatzes und der Übertragung in einen Nachbarraum während ihrer Aussage unbefangen wirkten, schienen andere Kinder dadurch stärker gehemmt zu sein und weniger zu sagen, als ihnen vielleicht sonst möglich gewesen wäre".26 Zu beriicksichtigen ist weiterhin, dass es den kritischen Stellungnahmen durchweg an einer empirischen Absicherung fehlt, was angesichts der recht neuen Vorschriften ja auch nicht verwundert. Insoweit handelt es sich überwiegend um bloße Vermutungen der Kritiker. Dabei werden die Einwände in der Mehrzahl jedoch nicht von einem neutralen Standpunkt formuliert. 27 Gerade dieser Standpunkt wäre aber erforderlich, wenn es wirklich darum ginge, unpolemisch und sachgerecht aufzuzeigen, wo die wirklichen Nach-, aber auch Vorteile des Einsatzes von Videotechnik im Strafprozess liegen. Insoweit braucht dann auch die mangelnde Beriicksichtigung der durchweg positiven Erfahrungen des Auslands beim Umgang mit "Videozeugen" nicht zu verwundern. 28 Vgl. etwa CaesarNJW 1998, 2313, 2315: "Keine kindgerechte Gesprächsatmosphäre". Dies entspricht der im Gesetzgebungsverfahren zum Zeugenschutz durch den 6. Rechtsausschuss geäußerten Auffassung, vgl. BT-Drs. 13/9063, S. 5; weiterhin auch BT-Drs. 13/ 7165, S. 10. A.A. Federführender RechtsausschussIA usschussfür Frauen und Jugend BRDrs. 933/ 1 /97, S. 4. 26 V. Knobloch zu Hatzbach ZRP 2000, 276, 278. 27 Dies wird etwa verdeutlicht, wenn in der Literatur pauschal ausgeführt wird, "im ganzen gesehen [müsse] die Erleichterung über den scheinbar erreichten Schutz der Entwicklung kindlicher Zeugen doch wohl der Skepsis weichen, ob hier nicht das Tor zu einern elektronisierten Strafprozess geöffnet [werde], der de facto im Verhandlungssaal ohne Zeugen ablaufen würde", so frühzeitig Dahs NJW 1996, 178, 179. Vgl. a. Fischer JZ 1998,816,820: "Vertraut man der Echtzeit-Ubertragung [betreffend Videokonferenzen] grundsätzlich, so ist eine Grenze nicht in Sicht; dann könnte man, um allen Forderungen nach Schutz, Effektivität, Diskurs und Gerechtigkeit nachzukommen, statt hochkomplizierter Regelungen über die Teilhabe nicht beschuldigter Personen arn Strafprozess zu schaffen, eine definitive Lösung ins Auge fassen, die den letzten Störungsfaktor aus dem Strafprozess entfernt, nämlich die beschuldigte Person." Von unsachlicher Polemik in diesem Zusammenhang spricht zutreffend auch Maier Audiovisuelle Vernehmung, S. 66 m. w. N. 28 Vgl. etwa Australian Law Reform Commission Report Nr. 63, S. 1 ff.; Bohlander ZStW 107 (1995), 82 ff., 88 ff. [Großbritannien], 96 ff. [USA], 106 ff. [Australien]; BottinglTren24 25

A. Die Kritik am Einsatz von Videotechnik im Strafverfahren

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Wenn exemplarisch gegen den Einsatz von Videotechnik im Strafprozess vorgebracht wird, es erfolge hierdurch eine Beeinflussung des Richters wie des Zeugen, so ist dies ohne weiteres sehr zweifelhaft, wird damit doch gleichermaßen erklärt, dass diese Personen den Einflussfaktoren des veränderten "Setting" der Vernehmung ohne Gegensteuerungsmöglichkeit - ähnlich willenlosen, an veränderte Situationen nicht anpassungsfähigen Menschen - erliegen. Wenn man dem "Videozeugen" im Gegenzug dann aber unterstellt, seine Motivation zur Wahrheit nehme ab,29 so unterstellt man ihm im gleichen Atemzug dann plötzlich ein willentliches Tun. Denn über seine Verpflichtung zur Wahrheit, verbunden mit der ihm andernfalls drohenden Strafbarkeit gern. §§ 153 ff. StGB, ist auch der "Videozeuge" vor der Vernehmung zu belehren, so dass eine durch den Videotechnikeinsatz bedingte (unbewußte) Motivationsabnahme jedenfalls bei nationalen Videofernvernehmungen höchst unwahrscheinlich ist. 3o Wenn weiterhin ausgeführt wird, wegen des Technikeinsatzes werde der Richter zu einer Art "Technoanimateur",31 der hierdurch genötigt wird, den Rechtsfall in formeller wie materieller Hinsicht (quasi) nebenbei mit abzuhandeln, so liegt darin sicherlich ein richtiger Gedanke zusätzlicher Belastung des Richters. Doch scheinen diese Belastungen nur vorübergehende zu sein, wenn man bedenkt, dass die "Bedienung einer Videokonferenzanlage" für die meisten nur anfänglich eine grochard The Advocate 55 (1997), 523 ff. [Canada + w. Nw. zu anderen Staaten]; Davies International Journal of Law and Psychiatry 22 (1999), 241 ff. [Großbritannien + w. Nw. zu anderen Staaten]; Köhnken StV 1995,376 ff. [Großbritannien + Schottland]. Vgl. a. Rieck StraFo 2000, 400, 402. Kommen Kinder als Zeugen in Betracht, gelangen die benannten Untersuchungen zu einem Grundkonsens: "Fernsehkinder", die als Zeugen mit ihrem Einverständnis mittels CCTV vernommen wurden, wirken entspannter und weniger belastet. Sie berichten insoweit auch mehr Details und sprechen flüssig und zusammenhängender. Die australische ,Law Reform Commission' berichtete bereits im Jahre 1992 zu den "observed effects of using c10sed circuit TV" folgendes: "Children who used the system when they wanted to were rated by the researchers, and by the other professionals involved, as less anxious than those who did not use the system [ ... ] They were also rated by the researchers, and by other professionals except defence lawyers, as ,more effective' as witnesses. There was no opportunity to evaluate children who used the system against their wishes, but children who reported not having been given a choice, or who were indifferent, reported after using the system that they were comfortable with it. " (Australian Law Reform Commission Report Nr. 63, S. 3 - Hervorhebungen nicht im Original.). Darüber hinausgehend wird durch die Australian Law Reform Commission weiterhin die Anwendung des CCTV für alle "vulnerable witnesses" empfohlen (a. a. 0., S. 13). Zum benannten Grundkonsens für deutsche Verfahren vgl. frühzeitig a. Kintzi DRiZ 1996, 184, 191 f. Zur Möglichkeit, Kindern als "Videozeugen" im deutschen Verfahren zu vernehmen, vgl. insbes. die Ausführungen im 5. Kapitel, Abschnitt B. 29 Vgl. nur DiemerNStZ 2001, 393, 396. 30 Eine durch die Wörtchen "an und für sich" gekennzeichnete Einschränkung ist aber dort zu machen, wo eine etwaige Strafbarkeit betreffend die Begehung von Falschaussagedelikten bisher nicht geklärt ist, also insbesondere beim Auslandszeugen. Auf dieses Problem wird im 6. Kapitel gesondert zurückzukommen sein. 31 Vgl. dazu Edinger DRiZ 1996, 290 sowie Abg. Alm-Merk BT-Plenarprotokoll13/ 163 v. 13.03. 1997,S. 14659C.

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3. Kap.: Verhältnis des § 247a zur unmittelbaren Vernehmung des Zeugen

ße Hürde bilden dürfte; mit fortschreitender Anwendung aber die Bedienung / Tätigkeit für sich gesehen sehr bald keine besonders große Konzentration mehr erfordert. 32 Daher wird es sich auch bei den geäußerten Unsicherheiten der Vernehmungsperson im Umgang mit der Technik allenfalls um anfängliche handeln. Dies gilt erst recht, wenn man berücksichtigt, dass heutige Videokonferenzsysteme tatsächlich "kinderleicht" zu bedienen und hierfür nicht etwa vertiefte technische Kenntnisse und Fähigkeiten notwendig sind. 33 Weiterhin kann der Richter, was bisher ja völlig außer Betracht gelassen wurde, jeglichen Problemen dadurch aus dem Weg gehen, dass er sich von Anfang versierter technischer Hilfe bedient. Hier ist es nun beispielsweise denkbar, dass die Durchführung von Videovernehmungen auf private Firmen übertragen werden, die an den Grundsätzen der Marktwirtschaft orientiert, professionell und bestmöglichst, dem Richter die technische Verantwortung (und insoweit seine zusätzlichen Belastungen) im Gerichtssaal nehmen. 34 Denkbar ist schließlich auch die Verlagerung der Gerichtsverhandlung in einen Videokonferenzraum, der in jeder größeren Stadt, komplett eingerichtet und mit der neuesten Technik versehen, von jedem Gericht angemietet werden kann. Dazu finden sich auch in der amerikanischen Literatur Hinweise, wonach die Nutzung "öffentlicher" Videokonferenzräume kostengünstiger ist, als die Anschaffung und Nutzung eigener, ISDN-basierender Videokonferenzsysteme. 35 Soweit schließlich gegen die Durchführung von Videovernehmungen vorgebracht wird, eine "Unmittelbarkeit" der Kommunikationssituation sei nicht möglich, so fragt sich zunächst, in weIchem Kontext der Begriff gebraucht wird. Berücksichtigt man, dass einerseits die Kritiker des Einsatzes von Videotechnik im Strafprozess die (mangelnde) Unmittelbarkeit in den Zusammenhang mit der mangelnden Möglichkeit der Glaubwürdigkeitsüberprüfung bringen sowie andererseits, 32 Vgl. dazu Weinig, S. 119 Fn. 31: "Menschen [lernen] automatisch, ,medienadäquat' miteinander zu kommunizieren." 33 Vgl. dazu die anschließenden Ausführungen im Abschnitt B dieses Kapitels. 34 Stichwort "Outsourcing". Dazu bereits Rieck StraFo 2000, 400, 404 Fn. 68. 35 Vgl. dazu nur Cohen American Lawyer 19 (1997), S. 55, 56: "Using commercial equipment may not be quite as convenient as sitting down in your own conference room, but it is a whole lot cheaper - and more readily available than you might think. When Bass Berry's Lee Barfield had to depose an expert witness in Kansas City, Missouri, for example, he drove down to the local Kinko's. For an hourly charge of $ 300 ($ 150 at each end), Barfield and other Nashville-based lawyers working on the case were able to interact with the witness, who was seated in a Kinko's in Kansas City. While Barfield says he can't yet justify the cost of buying a videoconferncing system for his finn, he was impressed by the technology. And, he adds, ,it's no big deal to travel to Kinko's'." (Anrn.: "Kinko's" ist eine weit verbreitete amerikanische "Copy-Shop"-Kette). Vgl. a. Botting I Trenchard The Advocate 55 (1997), 523, 525; Davis Trial 2000, 48. Auch wenn im kontinentaleuropäischen Bereich derzeit Videokonferenzen nicht als Massendienstieistung für Privatanwender im Kopiergeschäft verkauft werden, sind die geschilderten Erfahrungen ansatzweise auch auf § 247a übertragbar. Denn auch in Deutschland können in jeder größeren Stadt Videokonferenzräumen vom Privatanwender, aber auch von Gerichten usw. gemietet werden (dazu im Anhang). Insoweit ist die Schilderung kein bloßer Ausblick in die (ferne) Zukunft.

A. Die Kritik am Einsatz von Videotechnik im Strafverfahren

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dass man es als "Binsenweisheit,,36 ansehen muss, wenn eine von einem anderen Ort übertragene Zeugenaussage als weniger "unmittelbar" angesehen wird als die Vernehmung des Zeugen im Gerichtssaal, so scheint damit offensichtlich das fundamentale Unmitte1barkeitsprinzip der StPO angesprochen zu sein. "Ob" und "inwieweit" die audiovisuelle Fernvernehmung des Zeugen das Unmittelbarkeitsprinzip nun beeinträchtigt bzw. ob wegen der behaupteten mangelnden bzw. verminderten "Unmittelbarkeit" wirklich eine Glaubwürdigkeitsbeurteilung des Zeugen undurchführbar ist, bedarf wegen der grundlegenden Bedeutung der vorgebrachten Einwände, denen man im Gegensatz zu den Vorbenannten nicht bereits mit bloßen Allgemeinerwägungen abhelfen kann, einer tieferen Auseinandersetzung. Dem soll, wie bereits ausgeführt wurde, im Anschluss an die Darstellung strafjustizpraktischer Erfahrungen beim Umgang mit Videokonferenztechnik, also der empirischen Ausgangsbasis, näher nachgegangen werden. Kurzum: Die in der Literatur geäußerten Bedenken lassen sich zum Teil bereits mit logischen Erwägungen entkräften. Zum Teil kann man ihnen entnehmen, dass sie keinesfalls für alle Videovernehmungen in abstrakt genereller Weise Gültigkeit beanspruchen. Und zum Teil bedürfen sie weiterer Untersuchung. Bevor darauf näher eingegangen wird, sollen weitere, aus dem Technikeinsatz ableitbare Einwände gegen die Anwendung von Videotechnik bei der Zeugenvernehmung dargelegt werden, die man gegenüber den benannten Vermutungen zutreffend auch als "echte", weil nachweisbare Nachteile der Anwendung von Videotechnik zur Simultanübertragung von Zeugenaussagen im Strafprozess ansehen muss. 4. Auf Kosten-, Qualitäts- sowie Zeitargumenten beruhende Einwände

Im wesentlichen handelt sich dabei um Kosten-, Qualitäts- sowie Zeitargumente. Weil gerade die Qualität der Bild-Ton-Übertragung, also der zweitgenannte Aspekt, von der technischen Ausgestaltung im konkreten Einzelfall abhängig ist, werden die Ausführungen hier zunächst allgemein gehalten. Sie bedürfen einer weiteren empirischen Überpriifung unter Zugrundelegung eines oder mehrerer konkreter technischer Systeme. Soll damit auch ein erster Einblick in die Funktionsweise eines - ISDN-basierenden _37 Videokonferenzsystems vermittelt werden, wird darauf also noch vertiefend zuriickzukommen sein. Insoweit geht es hier beim zweiten Aspekt zunächst nur darum, aufzuzeigen, warum welche Defizite offensichtlich auftreten können, damit etwaige darauf beruhende Einwände auch besser verständlich werden.

So Vassilaki JZ 2000, 474, 476. Diese Videokonferenzen benutzen zur Übertragung ISDN-Telefonleitungen. Weil allein dieses Übertragungsmedium derzeit hochwertige Videokonferenzen ennöglicht, werden andere Videokonferenzmöglichkeiten, etwa vennittels mehrerere Computer, die über Wege des Internets oder auch eines Intranets kommunizieren, ausgeblendet. 36

37

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3. Kap.: Verhältnis des § 247a zur unmittelbaren Vernehmung des Zeugen

a) Anschaffungs- und Übertragungskosten bei Videokonferenzen Gegen den Einsatz von Videotechnik im Prozess wird zunächst zutreffend eingewandt, der wechselseitige Austausch von Bild- und Ton-Informationen könne nur dann simultan erfolgen, wenn dafür auch die entsprechende Technik zur Verfügung stehe. Ist mit dem heutigen Stand der Technik an sich "alles" möglich,38 so ist mit der Frage nach der Reichweite der technischen Möglichkeiten proportional auch diejenige nach den Kosten verbunden. Denn um so besser die Qualität der Übertragung sein soll, um so teurer ist regelmäßig die dafür erforderliche VideoTechnik. 39 Für die Anschaffung eines Videokonferenzsystems finden sich Preisangaben von DM 5000, - bis weit über DM 100.000, - Videokonferenzsysteme, bei denen eine simultane und wechselseitige Kommunikationssituation zwischen mehr als zwei Gesprächsteilnehmern erreicht werden soll (sog. "Multi-Point-Conferencing Fähigkeit") benötigen einen Videokonferenzserver, sog. "Multi-Point-Conferencing Unit", der die wechselseitige Kommunikation zwischen den sich an unterschiedlichen Orten aufhaltenden Gesprächsteilnehmern steuert, und dessen Anschaffung regelmäßig mehr als DM 50.000, - kostet. 4o Benötigt man ein derartig teures System nicht zwingend für die Zeugenvernehmung im Strafprozess, weil es hier nur um eine Bild-Ton-Verbindung zwischen zwei Orten geht, so wird die Anschaffung eines preisgünstigen, aber sehr hochwertigen Systems, dennoch bei mindestens DM 10.000, - anzusiedeln sein. 41 Selbst dann, wenn bei den Gerichten die Anschaffung der entsprechenden technischen Mittel vorgenommen wird, ist weiterhin zu bedenken, dass auch der Einsatz der Technik regelmäßig mit nicht nur unerheblichen Kosten verbunden ist. Denn bei der simultanen "Two-way"-Übertragung von Bild- und Ton-Daten fallen riesige Datenmengen an, die von einem Ort zum anderen übermittelt werden müssen. 42 Zur Übertragung der Daten ist es daher notwendig, herkömmliche ISDN-Basis-Telefonleitungen miteinander zu bündeln,43 was nachvollziehbar auch entspreSo etwa die Äußerung eines Mitarbeiters der Telekom AG. Vgl. etwa Davis Trial 2000, 48, 50: "Don't try to economize in this area. Poor audio or video or an interruption of the transmission will ruin the videoconference' s value." 40 Vgl. dazu etwa Hohenegg/Tauschek BB 1997, 1541. Die in der Literatur angegebenen Kostenangaben für die Anschaffung von Videotechnik bewegen sich dann regelmäßig auch in diesen Grenzen: So kostete die in den Mainzer Prozessen verwendete Videoübertragungsanlage etwa DM 60.000, - (vgl. Mildenberger; S. 115). DM 63.739, - wurde für die mobil einsetzbare Videovernehmungsanlage der ordentlichen Gerichte in Dresden ausgegeben (vgl. dazu Pressemitteilung Nr. 11/00 des LG Dresden vom 22. 02. 2000 - abgedruckt im Anhang). 41 Zu speziellen Videokonferenzsystemen vgl. die Abbildungen im nachfolgenden Abschnitt B sowie die Angaben im Anhang. 42 Bei farbigen Videosequenzen wird von einer "Datenmenge" von 200.000 Kilobit (kb) Daten pro Sekunde ausgegangen, vgl. Hohenegg/Tauschek BB 1997, 1541. Dazu sogleich. 43 Sog. "channel bundling". 38 39

A. Die Kritik am Einsatz von Videotechnik im Strafverfahren

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chend mehrfache Übertragungskosten verursacht. 44 Gerade die Übertragungskosten, man denke hier nur an Zeugenvernehmungen, die mehrere Stunden dauern, könnten nun im konkreten Einzelfall gegen den Einsatz von Videotechnik sprechen. 45 b) Qualitätsdefizite bei der Bild-Ton-Übertragung Abhängigkeit von der Art der verwendeten Technik und der Übertragungsbandbreite Neben den mit dem Einsatz von hochwertiger Videokonferenztechnik verbundenen (Anschaffungs- und Übertragungs-)Kosten scheinen weiterhin die Befürchtungen betreffend die negative Qualität der jeweiligen Bild-Ton-Übertragung auf den ersten Blick nicht unzutreffend zu sein. Denn diese Nachteile lassen sich zunächst aus einer theoretischen Betrachtung der Funktionsweise des ISDN-Übertragungsmediums schlussfolgern. Wurde gerade ausgeführt, dass bei einer audiovisuell durchzuführenden (Echtzeit-)Videokonferenz erheblich große Datenmengen entstehen, bei der man in etwa von einer "Datenmasse" von annähernd 200.000 Kilobit Daten pro Sekunde (= kbitlsec) ausgeht, so stellt sich bei einer derartigen Videokonferenz in erster Linie das Problem der Übertragung dieser Daten. 46 Denn herkömmliche ISDN-Telefonleitungen besitzen eine Übertragungsbandbreite von nur 128 kbitlsec,47 wenn beide Übertragungskanäle eines ISDN-Basis-Anschlusses48 für die Videokonferenz genutzt werden. Dies macht einerseits das sog. "channel bundling" mehrerer Leitungen notwendig. 49 Andererseits erfordert es auch eine Datenkompression 44 Cohen American Lawyer 19 (1997), S. 55, 56. Heutige Videokonferenzen werden herkömmlich mit einer Datenrate von 384 kbit I sec durchgeführt, wofür 6 B-Nutzkanäle, d. h. drei ISDN-Basisanschlüsse notwendig sind, dazu im einzelnen sogleich. Insoweit wird auch das sechs/ache Verbindungsentgelt eines herkömmlichen ISDN-Telefonats zur Gegenstelle pro Minute fällig. Die Übertragung mittels Satellitentechnik, vgl. dazu BGHst 45, 188, 193, verursacht weitaus höhere Kosten, sodass es entgegen der von Rieck StraFo 2000, 400, 401, Fn. 34 (anfänglich) geäußerten Ansicht zutreffend erscheint, wenn in der Handreichung des BMJ darauf verwiesen wird, dass regelmäßig eine ,,kabelgebundene Übertragung" stattfinden soll. 45 Davis Trial 2000, 48, 50, der hervorhebt, dass diese Kosten vor der Zeugenvernehmung auch nur schwer zu kalkulieren sind. Zur Wirtschaftlichkeit im Strafverfahren und den Kosten im Hinblick auf § 244 Abs. 2 vgl. die Ausführungen in Fn. 121 im 2. Kapitel. 46 Vgl. etwa MorrislSchaifIntemational Criminal Tribunal for Rwanda, Band 1 (1998), S.551. 47 Vgl. HohenegglTauschek BB 1997, 1541. 48 Damit angesprochen sind die beiden sog. B-Kanäle, mit denen Nutzdaten mit einer Übertragungsrate von jeweils 64 kbit I s übertragen werden können. Davon zu unterscheiden ist der Daten (= D-)Kanal, über den mit einer Datenrate von 16 kbitls der Verbindungsaufbau und -abbau sowie die Steuerung erfolgt. Vgl. dazu im einzelnen im Verzeichnis Abkürzungen I Glossar. 49 Heutige Videokonferenzen werden herkömmlich mit einer Übertragungsbandbreite von 384 kbitl sec durchgeführt. Erforderlich sind also drei ISDN-Basisanschlüsse. Zu den Quali-

8 Rieck

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3. Kap.: Verhältnis des § 247a zur unmittelbaren Vernehmung des Zeugen

durch entsprechende Software,50 damit farbige Videosequenzen simultan übertragen werden können. 51 Trotz der Komprimierung der Bild- und Ton-Daten kann es nunmehr zeitweilig zu Überlastungen der Übertragungsleitungen kommen, was zu Störungen bei den Übertragungsvorgängen führt. Insoweit sind Verzerrungen von Bild und Ton, Zeitlupeneffekte52 bei der Bildwiedergabe oder auch eine Unschärfe der übertragenen Bilder durchaus möglich. 53 Lässt man die auf der Notwendigkeit einer Übertragung riesiger Datenmengen beruhenden Qualitätsmängel außen vor und vergleicht man die in einem Raum stattfindende sog. "face to face"-Kommunikation zwischen zwei Personen mit der videovermittelten, auf zwei unterschiedliche Orte verteilten Kommunikationssituation, so sind offensichtlich weitere (Qualitäts-)Unterschiede zu konstatieren. Dies wurde bereits an früherer Stelle als "Binsenweisheit" angesehen. Ob diese Unterschiede nun aber das "Ob" bzw. das "Wie" der Interaktion zwischen den Kommunikationspartnern wesentlich beeinträchtigen, kann dabei aber nicht für jede Videokonferenz abstrakt generell beurteilt werden. Maßgeblich sind insoweit immer die Umstände des jeweiligen Einzelfalls, wobei das Kommunikationsverhältnis bei der Zeugenvernehmung noch umfassend beleuchtet werden sol1. 54 Es lassen sich aber bereits hier erste Kriterien benennen, die die Qualität der Videokonferenz beeinflussen können. Als solche sind etwa anzusehen: die jeweilig technischen Eigenschaften des verwendeten Videokonferenzsystems,55 insbesondere inwieweit der Zeitlupeneffekt bei der Datenübertragung vermieden werden kann, tätsunterschieden vgl. die nachfolgenden Ausführungen zu eigenen Erfahrungen bei Videokonferenzen. 50 Bei der Datenkompression werden die jeweiligen Daten durch die sendende "conferencing unit" ähnlich einer "Datenquetsche" komprimiert und von der empfangenden "conferencing unit" dekomprimiert. Dadurch wird die Masse der Daten "verkleinert" und es insoweit ermöglicht, bereits mit drei handelsüblichen ISDN-Telefonleitungen, die gebündelt eine Übertragungsrate von 384 kbitl sec besitzen, zur Echtzeit-Übertragung zu verwenden. 51 Vgl. dazu etwa Cohen American Lawyer 19 (1997), S. 55, 56: "Advances in microprocessor technology have enabled vendors to deve10p sophisticated computer pro grams that, combined with multiple ISDN lines, produces surprisingly good video via the phone". 52 C. Meier (in: Boos/Kai/Sassenberg Computervermittelte Kommunikation in Organisationen (2000), S. 153, 156), der als Beobachter einer Fallstudie der Fa. Technics im Jahre 1995 die "Test-Videokonferenzen" zwischen den sich in Karlsruhe und Wesse1ing aufhaltenden Firmen-Mitgliedern audiovisuell dokumentierte, spricht von einer Zeitverzögerung der Bild-/Tonsignale von ca. 0,25 Sekunden. Diese Zeitverzögerung beruht, wie ausgeführt, auf der Notwendigkeit einer analog-digitalen Wandlung der Daten bei ISDN-basierten Videokonferenzsystemen. Vgl. a. Cohen American Lawyer 19 (1997), S. 55, 56: "However, even highspeed ISDN lines cannot keep up with a lot of movement in the conference room [ ... ] While the user on the other end was seated, the picture was sharp [ ... ] But when that person stood up, the picture blurred until the movement ended". 53 Hohenegg/TauschekBB 1997, 1541, 1542. 54 Vgl. dazu die Ausführungen im nächsten Kapitel.

A. Die Kritik am Einsatz von Videotechnik im Strafverfahren

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die Anzahl der Teilnehmer auf beiden Seiten, die in das videovermittelte Kommunikationsverhältnis einzubinden sind und die hiermit verbundene Möglichkeit eines direkten Blickkontakts als wesentliches nonverbales Kommunikationselement, 56 die körperliche Positionierung der jeweiligen Interaktionspartner,57 die Ausgestaltung der Wahmehmungsebenen in den jeweiligen, durch Videotechnik audiovisuell miteinander verbundenen Räumen, und die Fähigkeiten der Interaktionspartner, sich auf die veränderte, weil technisierte Kommunikationssituation einzustellen. Weil gerade die technischen Eigenschaften des jeweiligen Videovernehmungssystems, wie ausgeführt, die Qualität der "Bild-Ton-Übertragung" maßgeblich bestimmen, werden im folgenden Abschnitt die Qualitätsmerkmale heutiger Videokonferenzsysteme näher beschrieben und verglichen, "ob" und "inwieweit" die theoretisch begründeten Qualitätsdefizite vermieden werden. Daraus wird, insoweit soll hier vorgegriffen werden, deutlich, dass die benannten Qualitätsmängel im Ausnahmefall zwar möglich, wohl kaum aber bei jeder Videokonferenz zwingend einzukalkulieren sind. 58 c) Videokonferenzen im Strafprozess benötigen eine gewisse "Vorlaufzeit" Im Hinblick auf die mit dem Technikeinsatz verbundenen erforderlichen Voraussetzungen findet sich weiterhin der zutreffende Hinweis, dass eine audiovisuelle Fernvernehmung mitunter eine erhebliche "Vorlaufzeit" erfordert, insbesondere dann, wenn sie nicht innerhalb desselben Gerichtsgebäudes durchgeführt, sondern der Zeuge von einem anderen Ort außerhalb des Gerichtssitzes vernommen werden sol1.59 Denn für das Gelingen einer Videofernvernehmung des Zeugen müssen die 55 Davis Trial 2000, 48, 50; C. Meier in: Boos 1 Kai! Sassenberg Computervermittelte Kominunikation in Organisationen (2000), S. 153, 161, Fn. 7 m. w. N. Angesichts der Notwendigkeit einer Datenkompression ist von maßgeblicher Bedeutung, inwieweit und wie schnell das jeweilige Konferenzsystem die Daten "verpackt" und "entschlüsselt". 56 Steigt die Anzahl der miteinander kommunizierenden Interaktionsteilnehmer auf der jeweiligen Seite, so wird die Chance zur nonverbalen Adressierung einer bestimmten Person durch Blickzuwendung, wie sie in der herkömmlichen "face to face"-Interaktionssituation möglich ist, reduziert bzw. völlig unmöglich. Kann eine Person an einem anderen Standort insoweit nicht durch dieses wesentliche Kommunikationselement angesprochen werden, so gewinnen ausdrückliche Adressierungsformen und die Lautstärke der jeweils sprechenden Person an erheblicher Bedeutung, vgl. etwa C. Meier in: Boosl Kai/Sassenberg Computervermittelte Kommunikation in Organisationen (2000), S. 153, 158. 57 Was freilich vorrangig die technisch-audiovisuell vermittelte Kommunikation von mehr als zwei Interaktionspartner untereinander betrifft. 58 Evidenzbeispiel dafür wäre etwa die Videofemvernehmung von Auslandszeugen. 59 Davis Trial 2000, 48, 50; LR-StP025 -Gollwitzer § 247a Rn. 5.

8*

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3. Kap.: Verhältnis des § 247a zur unmittelbaren Vernehmung des Zeugen

organisatorischen, technischen und personellen Voraussetzungen geschaffen, also exemplarisch eine erforderliche Amtshilfe abgesprochen, Ort und Zeit der Übertragung festgelegt, der jeweilige Zeuge kontaktiert und der Terminplan der Hauptverhandlung auf die Videovernehmung abgestimmt werden. Wegen dieser Griinde ist es in der Mehrzahl der Fälle insoweit unumgänglich, bereits vor der Hauptverhandlung die Durchführung einer Videovernehmung gern. § 247a zu planen. Dies gilt in besonderer Weise dann, wenn eine Vernehmung eines sich im Ausland aufhaltenden Zeugen durchgeführt werden soll.60 Wird demgegenüber erst im Rahmen der Hauptverhandlung deutlich, dass etwa ein im Ausland zu ladender Zeuge gegebenenfalls mittels Videotechnik audiovisuell von seinem Aufenthaltsort vernommen werden soll, etwa weil ein Beweisantrag auf die Vernehmung eines sich im Ausland befindlichen Zeugen gestellt wurde, so folgt im Umkehrschluss daraus, dass die Hauptverhandlung analog dem Fall des unmittelbaren Erscheinens des Zeugen, für längere Zeit unterbrochen werden muss. Denn auch hier sind umfangreiche Maßnahmen, insbesondere die Durchführung eines Rechtshilfeverfahrens mit dem jeweiligen ausländischen Aufenthaltsstaat des Zeugen, notwendig. 61 Eine Verfahrensbeschleunigung bei der audiovisuelle Fernvernehmung des Zeugen lässt sich insoweit allenfalls dadurch erreichen, dass nicht auch noch die - gegebenenfalls weite und in der Regel daher nicht immer dem Willen des jeweiligen Zeugen entsprechende - Anreise abgewartet werden muss. Der Zeuge wird insoweit zu einer Aussage vor dem für ihn ausländischen Gericht eher bereit sein, wenn für ihn die mit der Anreise verbundenen Belastungen wegfallen. IH. Zwischenergebnis Gegen den Einsatz von Videotechnik im Gerichtssaal finden sich zahlreiche, oben ausgeführte Bedenken, die es in ihrer Gesamtheit auf den ersten Blick fragwürdig erscheinen lassen, warum sich der Gesetzgeber mit dem Zeugenschutzgesetz 1998 für die Möglichkeit der Beweisführung mittels "Videozeugen" entschieden hat. Den meisten der vorgebrachten Einwände ist aber entgegen zu halten, dass sie nicht von einem neutralen Standpunkt formuliert werden, sondern wegen der Voreingenommenheit viel mehr - überspitzt und pauschalisiert - ihre Angst vor Neuerungen im Strafprozess, bis hin zu Visionen von einem Strafprozess als bloße "ISDN-vermittelte Chat-Group",62 zur Schau tragen. Dennoch ist manchem kritisch geäußerten Einwand auch ein richtiger Kern zu entnehmen. So ist es im konkreten Einzelfall beim einzelnen Zeugen sehr wohl LR-StP025 -Gollwitzer § 247a Rn. 5. 61 Zum Begriff und Erfordernis eines Rechtshilfeverfahrens bei der Vernehmung von Zeugen, die sich im Ausland aufhalten, vgl. im 6. Kapitel, Abschnitt B, 11., 1. 62 Dieser Topos findet sich etwa bei Fischer JZ 1998, 816, 820. 60

B. (Strafjustizpraktische) Erfahrungen im Umgang mit Videokonferenztechnik

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denkbar, dass im Rahmen der Durchführung einer audiovisuellen Fernvernehmung Hemmungen auftreten und es dem Richter nicht gelingt, eine entspannte Vernehmungssituation zu schaffen. Ob dies nun aber der Regelfall sein wird, ist zu bezweifeln, weil - jedenfalls erwachsene - Menschen in der Lage sind, sich auf veränderte Situationen einzustellen. Gerade für Kinderzeugen soll demgegenüber an geeigneter Stelle überlegt werden, inwieweit trotz des § 247a, der eine Vernehmung über Monitor vorsieht, eine persönliche Vernehmung gewährleistet werden kann. 63 Was aus den Einwänden bereits deutlich wird, ist aber das Erfordernis der Herstellung eines gewissen Konsens zwischen der Vernehmungsperson und dem Zeugen von Anfang an. Weil die Durchführung einer Videovernehmung jedenfalls organisatorisch wie zeitlich per se einen gewissen Aufwand erfordert, dürfte die vorherige Kontaktaufnahme des Richters mit dem an den Aufnahmeort zu ladenden Zeugen nicht nur zweckmäßig,64 sondern in jedem Fall geradezu verpflichtend sein. Dies gilt unabhängig davon, ob die Videofernvernehmung gern. § 247a S. 1, I. Alt. aus Zeugenschutzgründen oder aus den anderen Zielen (§ 247a S. 1,2. Alt) angeordnet wird. Denn nur dann kann eine sachgerechte Vorbereitung des Zeugen auf die veränderte Situation erfolgen 65 und nur insoweit kann auch für ihn erkennbar werden, dass er nicht "bloßes Mittel zum Zweck der Beweisführung",66 und daher - auf der Rangstufe der am Prozess beteiligten Personen - niedrigstes Wesen im Strafprozess ist. 67 Wird dies beachtet, so bleibt ausgehend von einem neutralen Standpunkt zu vermuten, dass sich die audiovisuelle Fernvernehmung durchsetzt, soweit - was zu unterstellende Voraussetzung wäre - auch eine Beurteilung der Glaubwürdigkeit des Zeugen möglich ist.

B. (Strafjustizpraktische) Erfahrungen im Umgang mit Videokonferenztechnik In diesem Abschnitt sollen nun die ersten justizpraktischen Erfahrungen im Umgang mit § 247a geschildert werden. Eine Umschreibung von Erfahrungen ist nun aber denknotwendig subjektiv. Um trotz dieser Subjektivität ein gewisses neutrales Maß, eine gewisse Verobjektivierung der Sichtweise zu erreichen, werden hier sowohl fremde als auch eigene Erlebnisse bei Videokonferenzen wiedergegeben. Es handelt sich dabei zunächst um ein Verfahren des LG Dresden, bei dem ein in Norwegen inhaftierter Zeuge deutscher Staatsangehörigkeit audiovisuell durch den Vorsitzenden des Dresdner Landgerichts vernommen wurde. Zum besseren Ver63 Vgl. dazu die Ausführungen im 5. Kapitel, Abschnitt B sowie Abschnitt C. 64 So LR-StP025 -Gollwitzer § 247a Rn. 5. 65 Vgl. dazu Davis Trial 2000, 48. 66 Weigend (1998), S. 13. 67 Vgl. dazu Fischer JZ 1998,816.

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3. Kap.: Verhältnis des § 247a zur unmittelbaren Vernehmung des Zeugen

ständnis dieses "Fallbeispiels" wird umfassend die - dem Verfasser durch den vorsitzenden Richter mitgeteilte - Historie des Verfahrens dargestellt. Anschließend werden die eigenen Erfahrungen des Verfassers bei Videokonferenzen beschrieben und auch hier die verwendete Videokonferenztechnik näher präzisiert. Bereits die folgende Schilderung wird, um das Ergebnis bereits vorwegzunehmen, die vorgebrachte Vermutung partiell belegen, dass oben geäußerte Einwände nicht in vollster Schärfe zutreffend sind. Den - fremden wie den eigenen - Erfahrungen kann weiterhin entnommen werden, dass die Vernehmung eines "Videozeugen" weitgehend der unmittelbaren Vernehmung des Zeugen im Gerichtssaal entspricht. Denn die heutige Technik ermöglicht eine hervorragende Übertragung des Zeugen in Bild und Ton, was den oben benannten Vermutungen der Kritiker widerspricht. I. Fallbeispiel: Ein Videokonferenz-Verfahren des LG Dresden mit dem nicht-EU-Ausland68

Bei dem Videokonferenz-Verfahren des LG Dresden handelt es sich konkret um wiedergegebene Erfahrungen des vorsitzenden Richters, der beiden beisitzenden Richter sowie des bei der Zeugenvernehmung als Zuschauer anwesenden Regierungsdirektors des Sächsischen Staatsministeriums der Justiz. Alle Beteiligten wurden vom Verfasser mündlich befragt, worauf sie trotz ihrer zeitlichen Angespanntheit dankenswerterweise bereitwillig ihre Empfindungen beschrieben. 1. Veifahrenshistorie

Im Rahmen eines Strafverfahrens des Landgerichts Dresden kontaktierte am 20. 07. 2000 der Vorsitzende der 14. Strafkammer das Sächsische Staatsministerium der Justiz mit der Bitte um Feststellung, ob im Wege der Rechtshilfe mit dem Königreich Norwegen die Möglichkeit bestünde, einen in Oslo inhaftierten Zeugen deutscher Staatsangehörigkeit unmittelbar für eine Vernehmung vor dem Landgericht zu überstellen, gegebenenfalls hilfsweise dessen Videovernehmung durchzuführen. Dafür wurde dem Sächsischen Staatsministerium der Justiz eine - recht kurze - Frist bis zum 21. 08. 2000 gesetzt. Der zuständige Regierungsdirektor im Sächsischen Staatsministerium der Justiz kontaktierte sogleich die norwegischen Behörden, welche aber der Überstellung des deutschen Zeugen nicht ohne weiteres zustimmten, weil sie Probleme bei der Rücklieferung des in Oslo wegen Betäubungsmittelhandels verurteilten und nun68 Das erste deutsche Videostrafverfahren mit dem europäischen Ausland wurde wohl durch das LG Limburg mit Österreich im Dezember 1998 durchgeführt, wie dem Verfasser durch den Vorsitzenden einer Strafkammer des LG Dresden mitgeteilt wurde.

B. (Strafjustizpraktische) Erfahrungen im Umgang mit Videokonferenztechnik

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mehr - da Rechtsmittel eingelegt wurden - in Untersuchungshaft befindlichen Zeugen befürchteten. Obwohl die technischen Möglichkeiten zur Durchführung einer grenzüberschreitenden Videovernehmung auf norwegischer Seite nicht bestanden, wurde der angebotenen Videovernehmung des deutschen Zeugen aus Norwegen von norwegischer Seite mit der Maßgabe zugestimmt, dass man sich um die Ermöglichung des Technikeinsatzes bemühe. Im Verlaufe des sodann ca. nur dreiwöchig (!) andauernden Rechtshilfeverfahrens wurden die deutschen Anregungen zur Durchführung des Verfahrens (unkompliziert und vollauf) von norwegischer Seite gebilligt,69 nachdem die norwegische lustizbehörde für die Vernehmung des Zeugen ein Videostudio der Firma Telenor in Osl070 angemietet hatte und insoweit nunmehr auch dort die tatsächliche Möglichkeit zur Videovernehmung bestand. Beruhend auf § 247a S. 1,2. Alt. iVm. § 251 Abs. 1 Nr. 2 erfolgte nach einem erfolgreichen "Probelauf' am 15. 08. 2000 (also noch nicht einmal einen Monat später!) die - ca. zweieinhalbstündige - Übertragung des Zeugen aus Oslo in das laufende Verfahren des Dresdner Landgerichts, das im Ergebnis, wie man bereits der Pressemitteilung entnehmen konnte, zur vollsten Zufriedenheit aller Verfahrensbeteiligten veriieC' 2. Die im Verfahren verwendete Videotechnik und die entstandenen Kosten

In diesem Verfahren kam das für DM 63.739, - vom Land Sachsen72 angeschaffte, mobile sog. "Integral Master Vision 8000", ein Videokonferenz-System der norwegischen Firma Tandberg, das sich in ähnlicher "Machart" als kompatibles Gerät "Vision 5000" auch im Osloer Videovernehmungsstudi0 73 befand, zum Einsatz?4 69 Insbesondere also die Verhandlungsleitung durch den deutschen Richter aus der Hauptverhandlung heraus; die Identitätsfeststellung des Person des Zeugen durch norwegische Polizisten, die Beobachtung des Verfahrensablaufs auf norwegischer Seite durch eine Angehörige der deutschen Botschaft in Oslo (welche i. ü. auch einen Praktikanten mitbrachte). 70 Telenor ist die größte vom Königreich Norwegen betriebene und insoweit staatliche Telefongesellschaft. 71 Vgl. dazu Pressemitteilung Nr. 42/00 des LG Dresden vom 18. 08. 2000 - abgedruckt im Anhang. 72 Vgl. dazu Pressemitteilung Nr. 11/00 des LG Dresden vom 22. 02. 2000 - abgedruckt im Anhang. 73 Die Einheitlichkeit der Videovernehmungssysteme, etwa der Fa. Tandberg, ist dabei nicht unbedingt notwendig. Erforderlich ist aber, dass die unterschiedlichen Systeme einen einheitlichen Videokonferenz-Standard unterstützen, vgl. dazu auch Hohenegg I Tauschek BB 1997, 1541. 74 Die Angaben resultieren im wesentlichen aus persönlichen Gesprächen des Verfassers mit den am Verfahren involvierten Personen. Informationen zu einzelnen technischen Angaben heutiger Videokonferenzsysteme finden sich im Internet. Siehe dazu die im Anhang angegebenen Nw.

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3. Kap.: Verhältnis des § 247a zur unmittelbaren Vernehmung des Zeugen

(Quelle: "Tandberg 6000" entspricht "Vision 5000")

Abb. 1: Herkömmliches Videokonferenzsystem

Mittels des benannten Systems erblickten der Vorsitzende sowie die beisitzenden Richter den Zeugen auf einen Monitor am Richtertisch, während die Staatsanwaltschaft und die Verteidigung sowie die - zahlreich erschienene - Öffentlichkeit die Vernehmung des Zeugen auf einer großen Leinwand mitverfolgen konnten. Derjenige, der im Verfahren gerade sprach, erschien in Oslo auf dem Zeugen-Monitor, wobei das stimmaktivierte automatische Umschwenken der um 190 Grad horizontal drehbaren Kamera durch den Vorsitzenden bei Bedarf, etwa im Falle von Unruhe im Sitzungssaal, manuell durch einen einzigen Handgriff unterbrochen werden konnte. Gleichermaßen der Regulierungsmöglichkeit des Richters unterlag die Steuerung der Nah- und Weit- Einstellungen der auf norwegischer Seite befindlichen Zeugen-Kamera. Bei Bedarf konnte der Vorsitzende des LG Dresden insoweit das Gesicht bzw. den Körper des Zeugen durch eine, wie die Herstellerangaben des Videovernehmungssystems nahelegen, 75 zwölffache Vergrößerung oder Verkleinerung (heran- oder weg-)"zoomen".76 Die Übertragung der audiovisuellen Daten erfolgte durch die Bündelung mehrerer ISDN-Leitungen, wofür hausinterne ISDN-Basisanschlüsse des Landgerichts Dresden verwendet wurden. Mittels einer dadurch ermöglichten "Übertragungsbandbreite" von 384 kbit/ sec war es insoweit möglich, den Zeugen audiovisuell fast zeitgleich und - so den Aussagen des Richters und anderer Verfahrens beobachter nach - nur mit geringer Verzögerung auf beiden Seiten zu verstehen, wobei die Tonqualität, exemplarisch die Rausch- und Echounterdrückung sowie die Lautstärke, automatisch (bei manueller Eingriffsmöglichkeit) eingestellt wurden. 75 Zu den technischen Angaben vg!. die im Anhang angebenen Nw. zu Fundstellen im Internet. 76 "Zoom" (eng!.) meint das nahe Herangehen oder auch Entfernen an bzw. von einen! einem Gegenstand etc., vg!. Neubert/Gräger, S. 955 f.

B. (Strafjustizpraktische) Erfahrungen im Umgang mit Videokonferenztechnik

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Die Kosten der Anmietung betrugen NoK 350, - pro Stunde (etwa 45, - Euro) sowie für die "Übertragungslinie" von Oslo nach Dresden NoK 1850, - pro Stunde (etwa 230, - Euro).

3. Geschilderte positive Erfahrungen Die in der Pressemitteilung des Landgerichts Dresden veröffentlichten überwiegend positiven Ergebnisse der Dresdner Videozeugenvernehmung 77 wurden sodann dem Verfasser gegenüber durch den vorsitzenden Richter, den beiden beisitzenden Richtern sowie darüberhinaus auch dem bei der Zeugenvernehmung anwesenden Regierungsdirektor des Sächsischen Staatsministeriums der Justiz mündlich durchweg bestätigt. Unter Verweis auf den kooperationswilligen Zeugen 0) schilderte man eine entspannte Vernehmungsatmosphäre, welche durch den Vorsitzenden dadurch eingeleitet wurde, dass zunächst alle Beteiligten auf beiden Seiten sich gegenseitig vorstellten. Im Anschluss daran wurde der Zeuge gern. § 57 belehrt. Durch den Vorsitzenden wurde besonders hervorgehoben, dass der Zeuge über die Leinwand sehr gut, weil virtuell größer als tatsächlich, erkennbar war und daher sogar eine Verbesserung der Beurteilungssituation für die Richter eingetreten sei, als wenn der Zeuge unmittelbar erschienen wäre und in einiger Entfernung vom Richtertisch gesessen hätte. Negativ angemerkt wurde dagegen, dass der "Videozeuge" die vom Verteidiger des Beschuldigten vorgelegte - nach der Äußerung des Vorsitzenden nicht ganz klar fotografierte - Lichtbildvorlage nicht erkannte, wobei man allerdings erklärend sogleich hinzufügte, dass es bei dem Lichtbild auch um die Feststellung bestimmter Farben ging, was nach Vorstellung der Beteiligten von vornherein nicht durch den Einsatz der Videotechnik exakt gewährleistet werden konnte. Die subjektiven Empfindungen des Zuschauers zusammenfassend wurde u. a. weiterhin erklärt: "Es war Klasse. Als wenn sich Ulrich Wickert mit seinem Korrespondenten in Paris unterhielte". Die Videoübertragung wurde insoweit als voller Erfolg bewertet. 78

11 • Eigene Erfahrungen bei Videokonferenzen

Die geschilderten Empfindungen der Prozess beteiligten im Dresdner Verfahren entsprechen weitgehend denjenigen Erfahrungen, die der Verfasser selbst bei nationalen Videokonferenzen sammeln konnte. Diese Erfahrungen werden insoweit der Arbeit im weiteren Fortgang, insbesondere bei der Bestimmung des Verhältnisses des "Videozeugen" zu anderen Beweismitteln, zugrundegelegt. 77 78

Vgl. dazu Pressemitteilung Nr. 42/00 des LG Dresden vom 18.08.2000 - a. a. O. Vgl. dazu Pressemitteilung Nr. 42/00 des LG Dresden vom 18. 08. 2000 - a. a. O.

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3. Kap.: Verhältnis des § 247a zur unmittelbaren Vernehmung des Zeugen

Weil bei den durchgeführten Videokonferenzen die Möglichkeit bestand, umfassend die Funktionsweise der Videokonferenzsysteme kennenzulernen, werden im folgenden Abschnitt auch die technischen Eigenschaften der Systeme näher umschrieben. Dabei geht es um keine vollständige Darstellung, sondern nur um das Aufzeigen derjenigen Funktionen, die für eine Zeugenvernehmung Bedeutung erlangen können. Wird dabei vereinzelt auf empirisch-technische Gesichtspunkte vorgegriffen, die an späterer Stelle noch einer vertieften juristischen Untersuchung bedürfen, so erscheint diese Vorgehensweise geradezu zwingend. Denn wie ausgeführt kann eine Untersuchung zu juristischen Einzelproblemen sachgerecht kaum durchgeführt werden, ohne dass die Argumentationsbasis, also das technische Fundament, festgestellt wird. 1. Erfahrungs-Historie

Die Erfahrungen des Verfassers beruhen auf der Teilnahme an- sowie der Durchführung von eigenen Videokonferenzen, die unter persönlich- und zeitlich großen Aufwand mehrerer Mitarbeiter der Telekom AG,79 mehrfach zwischen Bonn und St. Augustin in Nordrhein-Westfalen mit einem Standort in Münster im Oktober 2001 durchgeführt wurden. Im Rahmen dieser Videokonferenzen wurden zunächst Schaltungen aus einem Videokonferenzraum der Telekom AG in Bonn vorgenommen, bei der eine Videokonferenz-KomplettsystemlösungSO vorgestellt wurde. Im Anschluss daran erfolgten Schaltungen zwischen St Augustin und Münster, bei denen zwei mobil einsetzbare Kompakt-(Videokonferenz-)Systeme S1 (vgl. dazu die nachfolgenden beiden Abbildungen) Anwendung fanden. Dadurch wurde ein umfassender Qualitäts-, aber auch ein Kostenvergleich ennöglicht.

79 Ihnen allen sei an dieser Stelle ganz herzlich für die freundliche und umfangreiche Unterstützung gedankt, ohne die diese Arbeit - in technischer und empirischer Hinsicht - nie hätte angefertigt werden können. Explizit für die kostenfreie Zurverfügungsstellung des Videokonferenzraumes in Bonn sowie für die überobligationsmäßige Vermittlung aller Hilfen danke ich ganz besonders Herrn J. Herrmann, Productmanager Video Conferencing Services, Telekom AG. 80 Komplettsysteme sind voll ausgestattete Videokommunikationssysteme mit einem oder mehreren Monitoren, gegebenenfalls auf Rollwagen (,,roll abouts"). Sie unterstützen alle gängigen internationalen Video- und Audiostandards und sind interoperabel mit anderen, dem Standard entsprechenden Systemen (anderer Hersteller). Dem Preis stehen hier hervorragende Bild- und AudioquaIitäten gegenüber, die auch einer komplexen Raumakustik individuell angepasst werden können. 81 Kompaktsysteme sind Videokommunikationseinrichtungen zur Aufrüstung eines vorhandenen, handelsüblichen TV-Apparates / Monitors mit SCART-Anschluss. Auch diese Systeme sind voll interoperabel mit anderen, dem jeweiligen Standard entsprechenden Systemen.

B. (Strafjustizpraktische) Erfahrungen im Umgang mit Videokonferenztechnik

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(Quelle: "Tandberg 500")

Abb. 2: Mobiles Videokonferenzsystem, das mit handelsüblichen TV-Geräten etc. kombiniert wird

2. Überblick über die verwendete Technik, die Datenübertragung und die technischen Eigenschaften

Im Hinblick auf die heutigen Videokonferenzsysteme und deren wesentlichen technischen Eigenschaften, die sogleich näher beschrieben werden sollen, darf angesichts der rasanten technischen Entwicklung in der heutigen Zeit der Hinweis nicht fehlen, dass hier nur Eigenschaften resümiert werden können, die auf dem Entwicklungsstand Anfang 2002 beruhen. Insoweit wird der Leser dieser Arbeit im Jahre 2005 oder später, die folgenden Ausführungen allenfalls noch als Reminiszenz einer historischen Entwicklung betrachten dürfen. a) Die Videokommunikations-Systeme und die Datenübertragung Geprägt von dem vorangegangenen Erfahrungen des LG Dresden kamen, primär auf Wunsch des Verfassers, bei den Videokonferenzen zwischen St.Augustin und Münster mobile Videokommunikationssysteme der norwegischen Fa. Tandberl 2 zum Einsatz. 83 Bei den Videokonferenz-Kompaktlösungen handelte es sich dabei um die Systeme" Tandberg 500" sowie" Tandberg 1000". Beide Systeme sind dadurch gekennzeichnet, dass sie überall dort, wo ISDN-B-Anschlüsse vorhanden 82 Zu marktgängigen Videokonferenzsystemen: vgl. die im Anhang angegebenen Intemetadressen einiger Hersteller. 83 Die Arbeit will keinesfalls Werbung für einen bestimmte Anbieter von Videokonferenzsystemen betreiben. Angesichts einer mittlerweile Vielzahl von Anbietern, bei denen Videokonferenzsysteme erhältlich sind, die denen der Fa. Tandberg in technischer und qualitativer Hinsicht entsprechen, musste jedoch eine Festlegung auf bestimme Systeme erfolgen. Diesen Anknüpfungspunkt gerade bei den Videokonferenzlösungen der Fa. Tandberg zu suchen, bot sich hier an, da dem Verfasser, wie ausgeführt, die positiven Erfahrungen der Richter und Prozessbeteiligten im Verfahren des LG Dresden, in dem man entsprechende Videokonferenztechnik einsetzte, geschildert wurden. Zu Systemen anderer Anbieter und weiterführenden Informationen: vgl. die Angabe der Internetadressen im Anhang.

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sind, mobil eingesetzt werden können. Während die erstgenannte Videokommunikationseinrichtung mit handelsüblichen Fernsehapparaten bzw. Monitoren "betrieben" wird und aus drei Bestandteilen, nämlich einer schwenkbaren Kamera, einem Raummikrofon sowie einer Fernbedienung, besteht, handelt es sich bei dem letztgenannten System (siehe Abb. 3) um ein hochwertiges "Business"-System, bei dem Kamera und Lautsprecher in einem 15 Zoll-TFI-Flatscreen-Monitor integriert sind, an dem ein externes Raummikrofon angeschlossen wird und das innerhalb von wenigen Minuten einsatzbereit ist. Im Videokonferenzraum der Telekom AG befand sich eine festinstallierte Videokonferenzeinrichtung, die in etwa dem "Tandberg 5000"-System entspricht. 84

-

(Quelle: "Tandberg 1000")

Abb. 3: Mobiles Videokonferenzsystem

Bei allen Systemen erfolgte die Übertragung der Bild- und Ton-Daten mittels herkömmlicher ISDN-Basis-Telefonanschlüsse. Zum Qualitäts-Vergleich wurde das oben beschriebene "channel bundling" durchgeführt. Die Videokonferenzen erfolgten also unter Verwendung einer Anzahl unterschiedlich vieler ISDN-Nutzkanäle. 85 Qualitätsbeurteilungen der Videokonferenzen waren dem Verfasser bei einer Übertragungsbandbreite von 128 kb/s 86 , 256 kb/s 87 sowie - bei heutigen Videokonferenzen allgemein üblich - 384 kb/s 88 möglich. Vgl. dazu Abb. loben. Zu den Begriffen im einzelnen siehe die Angaben im Glossar. 86 Dies entspricht einem ISDN-B-Anschluss, der sich im heutigen Geschäftsverkehr in (fast) jedem Büro bzw. Gericht befindet. Ein ISDN-B-Anschluss verfügt über zwei B-Nutzkanäle, so dass bei einer Videokonferenz das doppelte Verbindungsentgelt fällig wird. 87 Erforderlich sind insoweit zwei ISDN-B-Anschlüsse, für die im Falle des channel bundling das vierfache Verbindungsentgelt fällig wird. 84 85

B. (Strafjustizpraktische) Erfahrungen im Umgang mit Videokonferenztechnik

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b) Technische Eigenschaften Die Umschreibung der Eigenschaften heutiger Videokonferenzsysteme erfolgt hier untechnisch und primär für den juristischen Leser. Dabei geht es, wie gerade ausgeführt, nur um einen Überblick, der den Stand der Technik am Anfang des Jahres 2002 grob skizzieren und erste Einblicke geben soll, wie videovermittelte Kommunikation in technischer Hinsicht erfolgt. Bei den Eigenschaften, die im folgenden umrissen werden, handelt es sich um die hier so bezeichnete "Anwahl"-, die ,,steuerungs"-, die "Selbstkontroll"-, die "Downspeeding"-, die "Freeze"- sowie die "Plug and Play"-Funktion. aa) "Anwahlfunktion"

Die als "Anwahlfunktion" bezeichnete Eigenschaft der Videokonferenzsysteme betrifft den Beginn einer Videokonferenz. Um den Gesprächspartner der Videokonferenz zu erreichen, muss dieser zunächst angewählt werden. Die Anwahl des Gesprächspartners erfolgt wie beim Telefonieren, also durch die Eingabe der entsprechenden Telefonnummer über eine Fernbedienung. Nach dem Wahlen wird der Status der Verbindung auf dem Monitor angezeigt, etwa indem das Wörtchen "Verbinde" erscheint bzw., nachdem die Verbindung steht, in welcher Übertragungsbandbreite ("Verbindung mit: 128 kb/s - 384 kb/s") die momentane Verbindung erfolgt. Im Anschluss erscheint der Gesprächspartner in Bild und Ton auf dem Monitor. Die "Anwahlfunktion" sichert nun das Erreichen des Gesprächspartners auch dann, wenn das Videokonferenzsystem an der Gegenstelle ausgeschaltet ist oder noch gar nicht angeschlossen wurde. Das anwählende Videokonferenzsystem verbindet dann automatisch (!) mit dem jeweiligen ISDN-Telefonanschluss des Gesprächspartners, so dass etwaige Startschwierigkeiten bei einer Videokonferenz kaum denkbar sind. Denn Kommunikation ist, wie beim Telefonieren auch, jedenfalls immer verbal möglich. Von den Benutzern heutiger Videokonferenzsysteme wird diese Funktion gern vorsätzlich "missbraucht", weil sie die Nutzung von Videokonferenzgeräten als komfortable "Freisprecheinrichtungen" ermöglicht. bb) Möglichkeit zur Steuerung von Bild und Ton auf der Gegenseite

Wahrend einer laufenden Videokonferenz bestehen, wie zum Verfahren des LG Dresden schon ausgeführt wurde, weitgehende Steuerungsmöglichkeiten. Erscheint der Gesprächspartner auf dem Monitor, dann besteht bei allen Systemen etwa die Möglichkeit zur wechselseitigen Fernsteuerung der Kamera. Dies meint, dass die Größe des Gesprächspartners auf dem eigenen Monitor durch das "Heran"- oder "Wegzoomen" manuell eingestellt und bei Bedarf jederzeit wieder ver88 Erforderlich sind dafür drei ISDN-B-Anschlüsse, für die insoweit auch das sechsfache Verbindungsentgelt fällig wird.

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3. Kap.: Verhältnis des § 247a zur unmittelbaren Vernehmung des Zeugen

ändert werden kann. Positioniert wird also die Kamera an der Gegenstelle. Bewegt sich der Gesprächspartner nun in dem Raum, wo er sich aufhält, etwa weil er zum Aktenschrank läuft, um wichtige Unterlagen einem Aktenordner zu entnehmen, so besteht auch die Möglichkeit zur "Verfolgung". Die Kamera an der Gegenstelle lässt sich von ihrer Position also auch beliebig nach links oder rechts wenden. Die Systeme ermöglichen teilweise sogar einen "Rundumblick" in dem jeweiligen Raum des Gesprächspartners um bis zu 360°. Auch die Fernsteuerung der Systeme von der Gegenstelle erfolgt mittels einer handelsüblichen, auf das Videosystem angepassten Fernbedienung. Diese Fernsteuerung kann bei Bedarf durch die jeweilige Gegenseite auch ausgeschaltet werden. ce) (Selbst- )Kontrollmöglichkeiten

Während einer laufenden Videokonferenz ermöglichen die heutigen Systeme auch weitgehende Kontrollmöglichkeiten. Damit man man einen Eindruck davon vermittelt bekommt, welche Sicht der Gesprächspartner an der Gegenstelle besitzt,89 verfügen die teureren Videokonferenz-Komplett-Systeme über einen zweiten Monitor, auf dem u. a. permanent die Einstellung der ferngesteuerten Kamera, die sich am eigenen Videokonferenzsystem befindet, durch bloße Blickwendung überprüft werden kann. Würde man im Rahmen einer Videokonferenz also die Hände bzw. Füße des Gesprächspartners an der Gegenstelle näher betrachten wollen,9o so ist dies bei entsprechender Positionierung der Beteiligten zwar unproblematisch möglich. An der Gegenstelle würde dies jedoch auf dem zweiten Monitor bemerkt. Insoweit könnte das heimliche Betrachten des aufreizenden Dekolletes einer Videokonferenzteilnehmerin also nicht erfolgen, ohne dass dieses unsittliche Verhalten an der Gegenstelle sogleich wahrgenommen würde. Systeme, bei denen ein zweiter Monitor nicht zum Einsatz kommt, verfügen demgegenüber über die "Quartersplit"-Funktion. Dabei wird ein Teil des auf dem Einzelmonitor dargestellten Sichtfeldes mit einem Bild-Ausschnitt versehen, in welchem man sich selbst erblicken und insoweit eine Selbstkontrolle sowie die Positionierung der eigenen Kamera überprüft werden kann. Dieser Bildausschnitt kann an jeder Stelle des Monitors positioniert sowie hinzu- oder weggeschaltet werden. dd) "Downspeeding"

Alle vorgestellten Kompakt- wie Komplettsysteme verfügen weiterhin über das sog. "Downspeeding". Hierbei handelt es sich um eine Sicherungseinrichtung, welche bei dem Ausfall eines Teils der für die Kommunikation benötigten ISDN-Kanäle, beispielsweise für grenzüberschreitende Videovernehmungen wichtig, auto89 Das Heran- oder Weg-"zoomen" der Kamera wird am eigenen Standort nicht bemerkt, da anders als bei handelsüblichen Fotoapparaten keine Linse aus dem Gehäuse heraus bzw. in das Gehäuse hinein fährt. 90 Zu diesen, im Einzelfall gegebenenfalls auftretenden Interessen vgl. die folgenden Ausführungen zur Unmittelbarkeit wie der Glaubwürdigkeitsbeurteilung.

B. (Strafjustizpraktische) Erfahrungen im Umgang mit Videokonferenztechnik

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matisch die Videokonferenz auf der Basis der verbleibenden Kanäle fortführt. Eine Bild- und Tondatenübertragung bei den Systemen, die Übertragungsbandbreiten von 256 kb / s bzw. 384 kb / s. nutzen, wird insoweit nie komplett unterbrochen, sondern allenfalls auf eine verminderte Übertragungsqualität "heruntergefahren". Damit wird also die bestmögliche Kommunikationssicherheit gewährleistet, so dass nicht befürchtet zu werden braucht, eine etwaige Überlastung der Datenleitungen führe gegebenenfalls zu einem "Systemabsturz" der Videokonferenz. ee) "Jreeze"-Funktion

Die "freeze"-Einrichtung, die von allen Videokonferenzsystemen unterstützt wird, ermöglicht den Gesprächsteilnehmern, allein die ("incoming"- )Bildsignale für eine bestimmte Zeit auf dem Monitor festzuhalten und die Übertragung von weiteren Bild-Daten zu unterbrechen. Man spricht hier vom Einfrieren des Bildes. Hält beispielsweise einer der Gesprächsteilnehmer ein beschriebenes Blatt oder ein Bild hoch, damit es der Gesprächsteilnehmer an der Gegenstelle betrachten kann, etwa um die Schriftart oder eine Person auf dem Bild zu individualisieren, so ist eine Kenntnisnahme ohne die "Freeze"-Funktion vom jeweiligen Dokument kaum möglich. Denn der Tremor in den Händen jedes Menschen lässt das Bild an der Gegenstelle "verwackeln". Das "Einfrieren" der Bild-Daten ist insoweit immer sehr sinnvoll, wenn im Rahmen einer Videokonferenz auch auf Bilder und Schriftstücke verwiesen werden muss und eine Dokumentenkamera nicht zur Verfügung steht. 91 Jf) "Plug- and Play-MultifunktionsJähigkeit"

Alle Videokonferenzsysteme ermöglichen das "Plug and Play" von weiteren Endgeräten. Insoweit ist es also möglich, dass ("incoming"-)Bild- und Tonsignale vom vorhandenen Videokonferenz-Monitor "weitergeschliffen,,92 werden. Dies bedeutet, dass man im Bedarf weitere Monitore oder auch einen "Videobeamer", der das Bild überdimensional auf eine (Lein-)Wand projiziert, verwenden kann, um die / den Gesprächspartner der Videokonferenz auch anderen Personen zu übertragen, die selbst nicht unmittelbar an der Videokonferenz teilnehmen. 93 Möglich ist schließlich auch der Anschluss von einem oder mehreren Videorecordern, um die Bild- und Tonsignale auf Videoband festzuhalten. 94 Und schließlich ermöglichen die Systeme auch den Anschluss eines Computers, der die "eingefrorene" Momentanaufnahmen des Gesprächspartners speichert, welche man sodann auf CD-Rom Zur "Dokumentenkarnera" sogleich. Bzw. ,weiterverteilt'. Das Schleifen eines Signals bedeutet in der Fachsprache nicht anderes, als die Weiterleitung bzw. Aufteilung des Signals, hier also der Bild- und Toninformationen. 93 Für das Strafgerichtsverfahren etwa wichtig im Hinblick auf § 169 GVG. 94 Für das Strafgerichtsverfahren wichtig im Hinblick auf §§ 247a S. 4; 168e i. V. ffi. § 58a Abs.1. 91

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"brennt" oder auf einem Farblaserdrucker vervielfältigt, um die Bilder zu den Akten zu nehmen. Bei allen vorgestellten Systemen ist weiterhin auch die Übertragung von Daten, möglich, die nicht von der jeweiligen Videokonferenz-Kamera als Signalquelle "eingefangen" werden. So können an die Videokonferenz systeme weitere handelsübliche technische Geräte angeschlossen werden, um von deren Datenträgern, Daten vermittels Videokonferenz an die Gegenstelle zu übertragen. Möglich ist insoweit der Anschluss eines TV-Gerätes, eines Videorecorders, eines DVD-Players, eines Computers, einer speziellen Kamera, eines Whiteboards oder anderer technischer Geräte mit entsprechender Schnittstelle als zwischenzeitliehe Signalquelle für eine Videokonferenz. Für einen Gerichtsprozess von ganz erheblicher Bedeutung ist nunmehr die Anschlussmöglichkeit einer "Dokumentenkamera". Bei dieser Kamera handelt es sich um eine zigarren- bzw. stiftförmige Kamera,95 die im Regelfall in einer schreibtischlampenähnlichen, freibeweglichen Halterung angebracht ist und die es ermöglicht, Aktenbestandteile, Bilder o.ä. vermittels Videokonferenz an die Gegenstelle zu übertragen. Dort können die Bilder "eingefroren" und - je nach dem zur Verfügung stehenden Speichermedium - vervielfältigt werden. 3. Eigene Erfahrungen

Es wurde bereits oben ausgeführt, dass die miterlebten und selbst durchgeführten Videokonferenzen auch durch den Verfasser sehr positiv bewertet wurden. Sind subjektiv geprägte Erfahrungen nun immer relativ, weil sie je nach dem Standpunkt des Betrachters auch unterschiedlich ausfallen, soll dennoch an dieser Stelle versucht werden, anband einiger Beispiele wiederzugeben, dass heutige Videokonferenzen durch eine hervorragende Bild-Ton-Übertragungsqualität gekennzeichnet sind. Dabei werden die Empfindungen beschrieben, die sich aus der Gesamtschau aller durchgeführten Videokonferenzen ergaben. a) Bild-Ton-Verzögerungen? Geprägt durch die vorangegangenen Schilderungen sowie den Einwänden in der Literatur wurde bei den Videokonferenzen besonders darauf geachtet, wann und inwieweit Bild- und / oder Ton-Verzögerungen auftraten. Aus diesem Grunde wurde der Gesprächspartner in Münster während des Gesprächs mehrfach darum gebeten, sich ruckartig auf seinem Platze zu bewegen sowie von diesem aufzustehen und sich im Raume zu bewegen. Leichte Verzögerungen des Bildes, und zwar in Form von leichten Schatten, waren nur dann offensichtlich bemerkbar, wenn die 95

Die Dokumentenkamera wird wegen ihres Aussehens auch als ,,zigarre" bezeichnet.

B. (Strafjustizpraktische) Erfahrungen im Umgang mit Videokonferenztechnik

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Videokonferenzen mit einer Übertragungsrate von < = 256 kbit/s durchgeführt wurden. Wählte man dagegen die herkömmliche Übertragungsrate von 384 kbit/s für die Videokonferenz, so waren Bildverzögerungen nur ganz selten wahrnehmbar, dann allerdings nicht mehr als Schatten, so dass man sich auf die Verzögerungsmomente besonders konzentrieren musste, wollte man sie wahrnehmen. Verzögerungen des Gesprochenen konnten demgegenüber bei keiner Videokonferenz festgestellt werden, unabhängig davon, ob sie mit 256 kbit/s oder mit 384 kbit/s durchgeführt wurden. Um etwaige Tonverzögerungen festzustellen, fiel der Verfasser seinem Gesprächspartner, wie von Anfang an geplant, mitten im Satz mit den Worten "Entschuldigen Sie bitte" ins Wort. Der Gesprächspartner hielt dabei augenblicklich inne und schaute den Verfasser irritiert an, wobei offensichtlich wurde, dass eine Differenz zur unvermittelten Gesprächssituation kaum bestehen konnte. b) Durchgehender Blickkontakt mit einem Gesprächspartner Es wurde oben bereits ausgeführt, dass der Blickkontakt als wesentliches Element nonverbaler Kommunikation anzusehen ist. Insoweit wurde bei den Videokonferenzen auch darauf besonders geachtet. Obwohl der Verfasser seinen Gesprächspartner auf dem Monitor durchgehend anschaute, d. h. nicht unmittelbar in die darüber montierte Kamera blickte, bestätigte dieser auf mehrmaliges Nachfragen, er hätte den Eindruck, man schaue ihm direkt ins Gesicht. Dies entsprach vollständig dem eigenen Eindruck über die Blickrichtung des Gesprächspartners. Als der Verfasser darum bat, an der Gegenstelle einen weiteren Gesprächspartner zu positionieren, um zu überprüfen, inwieweit der Blickkontakt verloren ginge, wenn ein Gespräch mit mehreren Gesprächspartnern gleichzeitig geführt werde, wurde die Kameraeinstellung so verändert, dass zwei Personen auf dem Sichtfeld des eigenen Monitors "Platz" hatten. Weil die Personen nunmehr verkleinert auf den Monitor dargestellt wurden, schien es, als säßen sie nunmehr in einiger Entfernung zur Kamera, wobei beide einem durchweg in das Gesicht schauen können. Der Blickkontakt beider Gesprächspartner wurde also auch hier weitgehend simuliert. Ob dies in umgekehrter Richtung ähnlich wahrnehmbar war, konnte aber nicht beurteilt werden. Denn es bestand für den Verfasser, der seine Gesprächspartner, ähnlich einem Richter bei der Zeugenbefragung, mit Frage für Frage "verhörte", schon aus Höflichkeit nur das Bedürfnis zu einer Verbaladressierung mit dem Namen des jeweiligen Gesprächspartners. Die theoretische Vermutung, bei steigender Anzahl der Gesprächsteilnehmer schwindet auch der durch die Videokonferenztechnik simulierte Blickkontakt, wird jedoch als zutreffend anzusehen sein, selbst wenn nur zwei Gesprächspartner an der Gegenstelle in die Konferenz eingebunden werden.

9 Rieck

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3. Kap.: Verhältnis des § 247a zur unmittelbaren Vernehmung des Zeugen

c) (Qualitäts-)S teuerungs möglichkeiten Nachdem der Eindruck entstand, dass der / die Gesprächspartner in einwandfreier Qualität auf dem Monitor dargestellt werden, selbst dann noch, wenn sie sich im Raum bewegten, wurde während einer Videokonferenz probiert, inwieweit die Kamera an der Gegenstelle gesteuert werden kann. Als der Verfasser darum bat, die bunten Bilder im Hintergrund des Raumes an der Gegenstelle auf dem eigenen Monitor im Großbildformat darzustellen,96 geschah dies durch einen kurzen Druck auf die (oben - unten-)Pfeiltasten der Fernbedienung, was den ,,zoomfaktor" der Kamera in Münster veränderte. Dadurch wurden die bunten Bilder sekundenschnell als Kinderzeichnungen identifizierbar. Als der Verfasser überrascht reagierte und äußerte, er hätte eine derartige Qualität der Übertragung nicht erwartet, wurde die Kamera vermittels der (links - rechts) Fernbedienungs-Pfeiltasten weiterhin auf das Fenster geschwenkt. Videovermittelt konnte nunmehr aus dem Fenster in der Gegenstelle geschaut werden, wobei in einiger Entfernung ein Kirchturm zu sehen war. Durch einen weiteren Druck auf die Fernbedienung, die den Zoomfaktor der Kamera an der Gegenstelle erneut veränderte, wurde anschließend die Kirchturmuhr eingeblendet, so dass nunmehr, gut erkennbar, die Zeit abzulesen war. d) Einblenden von Schriftstücken und Bildern Weil Zeugen im Gerichtsverfahren gelegentlich auch Einblick in bestimmte Schriftstücke bzw. Bilder erhalten müssen, bat der Verfasser auch darum, ihm an der Gegenstelle ein Bild in die Kamera zu halten. Weil man damit nicht gerechnet hatte, wurde erst nach einigem Suchen ein altes Polaroid-Foto gefunden, auf dem mehrere Personen in zwei Reihen standen und der gemeinsame Betriebsausflug festgehalten war. Der Verfasser bat darum, die in der Mitte stehende Person, welche keine Haare auf dem Kopf hatte, so zu vergrößern, dass eine Identifikationsmöglichkeit bestand. Dafür wurde das Bild an der Gegenstelle zunächst in eine Dokumentenkamera "gespannt". Weil nunmehr auch diese Kamera vermittels der eigenen Fernbedienung gesteuert wurde, konnte die gewünschte Person in einer Größe und Qualität auf dem Monitor abgebildet werden, die mit absoluter Sicherheit die Originalqualität des Polaroidbildes weit übertraf. Als der Verfasser den Gesprächspartner im Verlaufe der Videokonferenz weiterhin darum bat, ihm einschlägige Literatur zur technischen Seite der ISDN-Übertragung zu benennen, hielt dieser zunächst ein Buch, sodann die erste Seite desselben in die Kamera. Durch einen Druck auf der Fernbedienung wurde nunmehr das Bild "eingefroren", so dass etwa die "ISBN-Nummer" des Buches einwandfrei vom eigenen Monitor abzulesen war. 96 Bei der Gegenstelle handelte es sich um keinen Videokonferenzraum, sondern um ein normales Büro der Telekom AG, in der sich ein mobiles Videokommunikationssystem befand.

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e) "Multifunktionsfähigkeit" Neben dem beschriebenen Anschluss der Dokumentenkamera wurde weiterhin auch das Einspielen von Computerdaten demonstriert. Zu diesem Zweck wurde das Videokonferenzsystem an der Gegenstelle mit einem Notebook verbunden. Mit einern Druck auf die Fernbedienung an der Gegenstelle diente nunmehr die entsprechende Schnittstelle des Computers als Signalquelle. Der Gesprächspartner war nicht mehr bildlich sichtbar; mit ihm konnte jedoch weiterhin verbal kommuniziert werden. Sichtbar wurde nunmehr die "Windows-Arbeitsoberfläche" mit einigen Ordersymbolen sowie der Mauszeiger. Als der Verfasser auf seinem Monitor den Ordner "DVD-Filme" entdeckte, bat er um das Abspielen eines derartigen Filmes. Nachdem durch den Gesprächspartner an der Gegenstelle eine entsprechende DVD-CD in das Laufwerk des Computers eingelegt wurde, begann das videokonferenzvermittelte Einspielen von Filmsequenzen, die in einwandfreier Fernsehqualität auf dem eigenen Monitor in Bild und Ton wahrgenommen werden konnten. f) "Handling"

Wie bereits beschrieben, war auch der Umgang mit den Videokonferenzsystemen recht einfach, jedenfalls soweit dies die Anwahl des Gesprächspartners sowie die Steuerung der Kamera betraf. Menügesteuerte Bedienführung sowie Pfeiltasten auf der Fernbedienung erübrigten ein langes "Einarbeiten" auf die Systeme. Jegliche vorgenommene Veränderungen der Einstellungen wurden eingeblendet. 97 Insoweit schien die Vermutung nicht unzutreffend zu sein, dass jeder, der einen Fernseher oder einen Videorecorder vermittels Fernbedienung bedienen kann, auch heutige Videokonferenzsysteme wird bedienen können, soweit es sich um eine Verbindung zwischen zwei Orten handelt und nicht mehrere Personen von unterschiedlichen Standorten auf einern Monitor darzustellen sind. Dies gilt im übrigen auch für den eigenhändigen Anschluss eines mobilen Videokonferenzsystems. So konnte beispielsweise das Tandberg 1000-Videokonferenzsystem, dass sich in einem Behältnis (sog. "Case") von der Größe eines Pilotenkoffers befand, innerhalb einiger Minuten (!) in Betrieb genommen werden. g) Gesamteindruck Zusammenfassend ließ sich feststellen, dass die anfanglichen, von den Bedenken der Literatur geprägten Erwartungen des Verfassers von der Qualität der Bild97 Durch Diskonnektion eines ISDN-Kabels aus der Telefondose wurde beispielsweise das "Downspeeding" simuliert. Dabei weist das Videokonferenzsystem den Anwender sofort darauf hin, dass die Übertragung nunmehr auf den verbliebenen Nutzkanälen mit X kbitJs fortgeführt wird.

9*

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3. Kap.: Verhältnis des § 247a zur unmittelbaren Vernehmung des Zeugen

Ton-Übertragung bei weitem übertroffen wurden. Da man den Gesprächspartner sowie alles, was an der Gegenstelle vor sich ging, sehr gut sehen und hören konnte, entstand bei dem Verfasser der Gesamteindruck, dass die videovermittelten Gespräche weitgehend einem unvermittelten Gespräch entsprachen. Schon nach kurzer Zeit lief das Gespräch sehr locker. Man fragte sich gegenseitig aus, lachte, scherzte und sah gewisse Sympathien für die eigene Person im Gesicht des anderen. Als plötzlich ein weiterer Mitarbeiter an der Gegenstelle den Raum betrat, der über die laufende Videokonferenz nicht informiert war, konnte dieser ohne weiteres in das videovermittelte Gespräch eingebunden werden. Als das Gespräch mit den zwei Gesprächsteilnehmern gleichzeitig erfolgte, die Kamera zeitweilig aber nur auf einen von beiden ausgerichtet wurde, konnte exakt lokalisiert werden, ob er von der linken oder von der rechte Seite angesprochen wurde. Als er sich abwandte und an der Gegenstelle einige Worte mit dem zweiten Gesprächspartner wechselte, war offensichtlich, was geschah. Keinesfalls entstanden dadurch, dass der Gesprächpartner den Verfasser kurzfristig nicht anschaute, ein gehemmtes Gespräch im weiteren etc. Deutlich wurde dies erneut, als plötzlich das Telefon während der Videokonferenz an der Gegenstelle klingelte. Weil das Telefon nicht im Sichtfeld des eigenen Monitors zu sehen war, wurde das Geräusch als linksseitig von dem Monitor der Gegenstelle wahrgenommen, was sodann bestätigt wurde, als der Gesprächspartner sich kurz abwandte, zu seiner rechten Seite griff und die "Telefonstrippe" samt Hörer in das Sichtfeld zog.

IH. Zusammenfassung Die fremden wie eigenen Erfahrungen beim Umgang mit Videokonferenztechnik sind also durchweg als positiv zu bewerten. Wie oben bereits vermutet, wurde dabei deutlich, dass die in der Literatur vorgebrachten Einwände nur zum Teil zutreffen. Bestätigt wurde damit auch, dass viele Kritiker des Einsatzes von Videotechnik im Gerichtsverfahren sich entweder überhaupt keinen Eindruck von den heutigen technischen Möglichkeiten gemacht haben können oder dieser Eindruck auf einem technischen Stand vergangener Jahre beruht. Insbesondere der oben geäußerte Fundamentaleinwand, bei Videokonferenzen seien körperliche Reaktionen des Gesprächspartner nicht wahrnehmbar; ist insoweit offensichtlich unzutreffend. 98 Gerade das Gegenteil scheint der Fall zu sein, weil der Gesprächspartner beliebig vergrößert werden kann. Handelt es sich insoweit um einen Zeugen, der audiovisuell durch einen Richter vernommen wird, so ist dieser viel größer und im Bedarfsfalle auch besser wahrnehmbar als bei der Vernehmung im Gerichtssaal. Und insoweit scheint auch die Vermutung fragwürdig, die Videofernvernehmung gern. § 247a führe zu einer Beeinträchtigung der "Unmittelbarkeit". 98 So a. Botting I Trenchard The Advocate 55 (1997), 523, 524, die darauf hinweisen, dass die gegenteilige Auffassung nicht den Erfahrungen entsprechen, die mit der neuesten Videotechnologie möglich sind.

C. Unmittelbarkeitsprinzip, § 250

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Dem, was darunter im einzelnen zu verstehen ist, soll nunmehr im folgenden Abschnitt der Arbeit näher nachgegangen werden. Daran anschließend wird das videovermittelte Gespräch mit der unvermittelten Kommunikation verglichen und darauf aufbauend bestimmt, ob eine Glaubwürdigkeitsbeurteilung bei einer Videokonferenz wirklich unmöglich ist.

C. Unmittelbarkeitsprinzip, § 250 Es wurde bereits umfassend ausgeführt, dass zahlreiche Stimmen bei einem Einsatz von Videotechnik im Strafprozess eine Beeinträchtigung des Unmittelbarkeitsprinzips befürchten. Es soll daher zunächst gefragt werden, was hierunter im einzelnen zu verstehen ist und ob bzw. inwieweit diese Befürchtungen tatsächlich zutreffen.

I. Unmittelbarkeit der Beweistatsachenerschließung sowie der Beweisaufnahme in der Hauptverhandlung Der Unmittelbarkeitsgrundsatz, dessen Wurzeln sich in der gerichtlichen Aufklärungspflicht gern. § 244 Abs. 2 finden, ist gesetzeshistorisch ein fundamentales Prinzip der Strafprozessordnung. 99 Bei diesem Prinzip, das - nach teilweiser Auffassung neben dem Grundsatz der freien Beweiswürdigung und der Mündlichkeit jedenfalls auch in § 261 verankert ist _100 seine Ausgestaltung in den §§ 250 ff. findet,101 handelt es sich um ein abstrakt begriffliches Denkprinzip, 102 oder klarer, um verschiedene, auf die Optimierung der strafprozessualen Beweisgewinnung gerichtete Erfahrungssätze. 103 Weil sich ein (Beweisgewinnungs-)Optimierungsgebot auch aus dem Grundsatz - bestmöglicher - gerichtlicher Aufklärung materieller Wahrheit von Amts wegen (§ 244 Abs. 2) ergibt, überschneidet sich der Unmittelbarkeitsgrundsatz als lex specialis 104 mit § 244 Abs. 2. 105 99 BVerfGE 1,418,429; RGst 12, 105; Kühne Strafprozessrecht, § 55 Rn. 914 ff.; Meurer JuS 99, 937, 939; LR25 -Rieß Ein!. H Rn. 60 ff.; SK-StPO-Schlüchter § 250 Rn. 1 ff.; Eb. Schmidt Lehrkornrnentar I, Rn. 451. 100 BGH NStZ 1988, 374; KK-StP04-Engelhardt § 261 Rn. 1; Roxin Strafverfahrensrecht, § 44 Rn. 3. 101 BGHst 6, 209, 210; Dahs StV 1988, 169; Grünwald Beweisrecht, S. 114 ff. 102 Geppert Grundsatz der Unmittelbarkeit (1979), S. 162 ff. 103 Dahs StV 1988, 169; Wegner ZRP 1995, 406. 104 Vg!. dazu Dahs StV 1988, 169, 170; Laubenthai JZ 1996, 335, 341; Mitsch JZ 1992, 174, 175, Paulus JuS 1988,873,877; Peters Strafprozess, § 39 Il, S. 317; SK-StPO-Schlüchter § 250 Rn. 5. Das aus § 244 Abs. 2 folgende Gebot, die Wahrheit von Amts wegen möglichst umfassend zu erforschen, gilt nicht nur für die Beweisaufnahme in der Hauptverhandlung, sondern ist ein "die Handhabung aller Verfahrensvorschriften" (BGH st 1,94,96; BVerfGE 57, 250, 276) beherrschender Grundsatz des gesamten Strafverfahren. Demgegenüber

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3. Kap.: Verhältnis des § 247a zur unmittelbaren Vernehmung des Zeugen

Blickt man auf die, durch die Videovernehmungsvorschriften geschaffene "virtuelle", weil nur technisierte Erscheinensmöglichkeit des Zeugen, so kann man in Abweichung von der herkömmlichen Unterscheidung eines formalen - und materiellen - Kriteriums lO6 wohl drei Aspekte des Unmittelbarkeitsgrundsatzes unterscheiden: die formelle und die materielle Unmittelbarkeit der Beweistatsachenerschließung sowie die Unmittelbarkeit der Beweisaufnahme in der Hauptverhandlung im engeren Sinne. 107

1. Grundsatzformeller Unmittelbarkeit

a) Die formelle Unmittelbarkeit meint zunächst das Erfordernis, dass das Gericht seine Überzeugungen nur auf solche Tatsachen stützen darf, die auf der eigenen Wahrnehmung des Gerichts beruhen (§§ 264 Abs. 1,261,226).108 Anders als im schriftlich und geheim geführten Inquisitionsprozess, bei dem der inquirierende Richter dem urteilenden Richter die Akten übersandte,I09 soll durch die gerichtliche Wahrnehmung des Angeklagten, sämtlicher Beweispersonen sowie der Beweisgegenstände das Gericht in den Stand versetzt werden, aus seinem lebendigen unmittelbaren Eindruck der Tat, "wie sie sich nach dem Ergebnis der Verhandlung darstellt" (§ 264), zu urteilen. 110 Darüber, in welcher Form ein Beweis zu erheben ist, sagt dieser Aspekt aber nichts aus. l11 Dementsprechend verstieße die Ersetzung einer Zeugenvernehmung durch die Verlesung eines Vernehmungsprotokolls oder das Abspielen einer - im Ermittlungsverfahren oder bei der kommissarischen Verbetrifft das Unmittelbarkeitsprinzip, wie die systematische Stellung der §§ 250 ff. im sechsten Abschnitt der StPO zeigt, allein die Beweisaufnahme der Hauptverhandlung. Die Amtsaufklärungspflicht wird hier also durch das Unmittelbarkeitsprinzip als lex specialis konkretisiert. 105 Mitsch JZ 1992, 174, 175: ,,Interessengleichklang". Vg!. a. Geppen Grundsatz der Unmittelbarkeit (1979), S. 130: "Dem materiellen Verständnis der Unmittelbarkeit liegt die Forderung nach dem bestmöglichen Beweis zugrunde [ ... ]. So verstanden handelt es sich bei dem Grundsatz der Unmittelbarkeit tatsächlich um eine nahezu ,selbstverständlich prozessuale Regel', deren ausdriickliche gesetzliche Festschreibung man in einem erkennbar auf materielle Wahrheitsfindung ausgerichteten Strafverfahren [§ 244 Abs. 2] an sich gar nicht vermißt hätte." 106 Vg!. nur Meurer JuS 1999,937,939. 107 Drei Aspekte des Unmittelbarkeitsprinzips in dieser Weise unterscheidet etwa Schuster, S.112. 108 Dazu Eisenberg Beweisrecht, Rn. 65; Geppen Grundsatz der Unmittelbarkeit (1979), S. 122 ff., 136 ff.; Meurer JuS 1999, 937, 939; KK-StP04-Pfeiffer Ein!. Rn. 9; Eb. Schmidt Lehrkommentar I, Rn. 444. 109 Verbunden mit der Entscheidungsfindung auf der schriftlichen - vom inquirierenden Richter versandten - Akte, vg!. dazu im einzelnen: Eb. Schmidt Lehrkommentar I, Rn. 426 ff. llO Geppen Grundsatz der Unmittelbarkeit (1979), S. 122 ff.; Roxin Strafverfahrensrecht, § 44 Rn. 3. III Explizit so Schuster, S. 112.

C. Unmittelbarkeitsprinzip, § 250

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nehmung - auf Videoband konservierten Zeugenaussage in der Hauptverhandlung jedenfalls nicht gegen das Prinzip formeller Unmittelbarkeit, solange jedenfalls das Gericht mit dem jeweiligen Beweismittel in der Hauptverhandlung konfrontiert wird und insoweit auch eine sinnliche Wahrnehmung möglich ist. 1l2 Das Gericht muss also "im Rahmen der Beweisaufnahme den Angeklagten, die Zeugen und die Sachverständigen in der Hauptverhandlung mit eigenen Augen sehen und hören sowie Augenscheinsobjekte in der Hauptverhandlung selbst wahrnehmen".113 Dies setzt wiederum voraus, dass das Gericht zur Wahrnehmung auch willig und in der Lage ist. 114 Setzt explizit beim Zeugenbeweis die Wahrnehmung des Gerichts durch Hören das Sprechen auf der Gegenseite voraus, so bedingt dies die Mündlichkeit der Hauptverhandlung. Insoweit ist das die Hauptverhandlung beherrschende Prinzip der Mündlichkeit grundlegende Voraussetzung formeller Unmittelbarkeit. 115 Da eine richterliche Urteilsbildung (§ 261) bei der Wahrnehmung im Sinne bloßer Entgegennahme von auditiven und visuellen Informationen (Perzeption) ohne sinnliche Verarbeitung und Erfassung des Geschehens (Apperzeption) nicht möglich ist,II6 bedarf es für den Verstehensprozess der (mündlichen) Kommunikation, also einer gegenseitigen Interaktion zwischen Aussageperson und Gericht (et vice versa), worauf noch näher einzugehen sein wird. Damit "gemeint ist die dialektische Seite des Mündlichkeitsprinzips, wie sie gerade durch das Mittel des Dialogs - also durch Rede und Gegenrede, Frage und Antwort, Zustimmung und Ablehnung, Argument und Gegenargument - wirkt und auf diese Weise durch die Anschaulichkeit des gesprochenen Wortes, den persönlichen Eindruck der Aussageperson, den Tonfall ihrer Rede, die Möglichkeit schneller Berichtigung oder sofortiger Ergänzung, kurz: durch die Aussprache gewissermaßen ,Auge in Auge' der Wahrheitsfindung besonders förderlich sein kann".117 Gehört, wie sich daraus ergibt, zu dieser Interaktion neben dem "Hören" auch das "Sehen", so folgt aus dem Grundsatz formeller Unmittelbarkeit wie der Mündlichkeit, über den engen Wortsinn hinaus, das Erfordernis einer Nichtbeschränkung jeglicher Kommunikation in der Verhandlung. 118 Gemeint ist damit, dass zwischen den In1I2 Vgl. dazu nur Geppert Grundsatz der Unmittelbarkeit (1979), S. 125; Mitsch JZ 1992, 174, 176 m.w. Nw.; KMR-Paulus § 244 Rn. 187 f. 113 So Geppert Grundsatz der Unmittelbarkeit (1979), S. 123. 114 Geppert Grundsatz der Unmittelbarkeit (1979), S. 147; Roxin Strafverfahrensrecht, § 44 Rn. 30; KK-StP04 -Tolksdolj§ 226 Rn. 3. 115 Geppert Jura 1996, 550, 553 spricht hier vom Überschneidungsbereich des Mündlichkeitsprinzips mit dem der formellen Unmittelbarkeitsmaxime. Vgl. a. Eb. Schmidt Lehrkommentar I, Rn. 430 m. w. N. sowie Rn. 432: "Und ohne Mündlichkeit ist Unmittelbarkeit nicht in der Weise erreichbar, wie sie gerade im Interesse der Wahrheitsermittlung erforderlich ist." 116 Peters Strafprozess, § 44 II 1, S. 377; Eb. Schmidt Lehrkommentar I, Rn. 435. Vgl. a. Kühne (1978), S. 89; Laubenthai JZ 1996, 335, 343. l17 So Geppert Jura 1996, 550, 554. Vgl. dens. Grundsatz der Unmittelbarkeit (1979), S.140. 118 Kühne Strafprozessrecht, § 42 I Rn. 710 (Hervorhebung nicht im Original).

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3. Kap.: Verhältnis des § 247a zur unmittelbaren Vernehmung des Zeugen

teraktionspartnern in der Hauptverhandlung grundsätzlich alle möglichen Sinneswahrnehmungen gewährleistet werden müssen,1l9 so dass exemplarisch die optische Trennung der Verfahrens beteiligten durch Sichtblenden etc. auch dann gegen den Grundsatz der Mündlichkeit (und damit auch formeller Unmittelbarkeit) verstieße,120 wenn zwischen den jeweiligen Interaktionspartnern jedenfalls eine perfekte akustische Verbindung besteht. 121 b) Damit wird sogleich auch ein weiterer (zweiter) Aspekt formeller Unmittelbarkeit sichtbar, nämlich die, aus dem Grundsatz der persönlichen Vernehmung gern. § 250 folgende "Forderung, dass insbesondere die Beweisaufnahme durch das erkennende Gericht selbst zu erfolgen hat".122 Denn muss nach diesem Grundsatz die Vernehmung in der Hauptverhandlung vorgenommen werden, wenn die zu beweisende Tatsache auf der Wahrnehmung einer Person beruht (§ 250 S. 1) und versteht man unter Vernehmung - wie soeben ausgeführt - "die mündliche Befragung mit mündlicher Antwort"123, so kann es sich bei einer Vernehmung - an sich - nur um eine solche durch das erkennende Gericht handeln. 124 Im Hinblick auf die Fragestellung: "Wer darf Subjekt der Beweisaufnahme sein?", gilt also ein grundsätzliches Verbot durch das "Auge oder Ohr eines Vertreters Kenntnis von den Beweisen zu erlangen", um "eine Vertauschung der beweisaufnehmenden Subjekte,,125 zu verhindern. 126 Demgegenüber ist die Heranziehung einer "Kommunikationshilfe", etwa ein Fremdsprachen- oder Gebärden-Dolmetscher (vgl. §§ 185 ff. GVG, 259 StPO) geradezu geboten, wenn hierdurch Gründe, die der Verhandlungsfähigkeit eines Beteiligten entgegenstehen, ausgeräumt werden können. 127 In concreto muss also danach unterschieden werden, ob sich der Richter bei der Beweisaufnahme vertreten lässt oder ob er sich bei der Wahrnehmung allenfalls einer "Verkehrshilfe,d28 zur Verständnis-Unterstützung bedient. Weil diese Frage eine erhebliche Bedeutung im Hinblick auf § 247a aufweist, nämlich darauf, ob sich das erkennende Gericht bei der audiovisuellen Fernvernehmung der Aussageperson auch eines um eine kommissarische Vernehmung ersuchten Richters oder eines Sachver119 Vgl. etwa Henkel JZ 1957, 152; Laubenthai JZ 1996, 335, 341; Eb. Schmidt GS-Jellinek (1955), S. 625, 629. 120 Auf die optische und akustische Abschirmung von Aussagepersonen wird noch näher einzugehen sein. Vgl. dazu die Ausführungen im 5. Kapitel, Abschnitt D. 121 Kühne Strafprozessrecht, § 42 I Rn. 710: "Mündlichkeit ist [damit] zu verstehen als Synonym fiir eine unvermittelte Kommunikation zwischen mehreren sich von Person zu Person gegenüberstehenden Individuen". (Hervorhebungen im Original). 122 Geppert Grundsatz der Unmittelbarkeit (1979), S. 124; Mitsch JZ 1992, 174, 176. 123 KK-StP04 -Tolksdoif§ 243 Rn. 44. 124 So explizit BGH NStZ 1989,382; Mildenberger, S. 198. 125 Beide vorbenannten Zitate: Geppert Grundsatz der Unmittelbarkeit (1979), S. 124. 126 In diesem Sinn kann man von subjektiver oder persönlicher oder örtlicher Unmittelbarkeit sprechen, Geppert a. a. O. 127 Eb. Schmidt Lehrkommentar I, Rn. 436. 128 So explizit Eb. Schmidt Lehrkommentar I, Rn. 436.

C. Unmittelbarkeitsprinzip, § 250

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ständigen bedienen darf, um die mit § 247a verbundenen, explizit im Hinblick auf Kinderzeugen geäußerten Nachteile der getrennten und vom Technikeinsatz abhängigen Vernehmung auszugleichen, soll an späterer Stelle auf diesen Aspekt formaler Unmittelbarkeit erneut eingegangen werden. 129

Insbesondere der letztgenannte Aspekt fonneller Unmittelbarkeit spricht - über die Subjektfrage bei der Beweisaufnahme hinausgehend - auch gegen das Mainzer (Video-) Verfahrensmodell der "geteilten Hauptverhandlung 130 Dies ergibt sich primär l3l aus § 226 StPO. 132 Nach dieser Vorschrift muss die Hauptverhandlung "in ununterbrochener Gegenwart der zur Urteilsfindung berufenen Personen sowie der Staatsanwaltschaft und eines Urkundsbeamten der Geschäftsstelle" durchgeführt werden. Zweck ist die Gewährleistung (umfassender) Wahrnehmungen des erkennenden Gerichts von der Hauptverhandlung gerade als geschlossene Verfahrenseinheit, in der der gesamte Prozessstoff zwischen den Verfahrensbeteiligten erörtert und schließlich von den "zur Urteilsfindung berufenen Personen" entschieden wird. 133 Die Wahrnehmungen müssen also aus dem "Inbegriff der Verhandlung" geschöpft werden (vgl. § 261).134 Weil neben den Verhaltensweisen aller Verfahrensbeteiligten zum "Inbegriff der Hauptverhandlung" gerade auch etwaige - verbale wie nonverbale - Reaktionen des Angeklagten gehören, die während einer Zeugenvernehmung - bzw. im Falle des § 247 im unmittelbaren Anschluss an die Vernehmung - wahrnehmbar sind,135 ist die Fonnulierung "ununterbrochene Gegenwart" bei § 226 ernst zu nehmen. Dies folgt nicht zuletzt daraus, dass es sich bei der gerichtlichen Entscheidung um eine solche über den Angeklagten handelt. "Ununterbrochene Gegenwart" im Sinne des § 226 bedeutet daher gleichzeitige körperliche Anwesenheit der Richter des erkennenden Gerichts für den Zeitraum des Aufrufs der Sache (Beginn der Hauptverhandlung, § 243 Abs. 1 S. 1) bis zur Entscheidung und Verkündung des Urteils (§§ 261, 264).136 Eine auch nur voriibergehende Abwesenheit führt zu einem absoluten Revisionsgrund gern. § 338 Nr. 1. H.

Dazu im 5. Kapitel, Abschnitt B und Abschnitt C. Dazu siehe oben im 2. Kapitel, Abschnitt A, I. 131 Zu den weiteren Problemen, insbesondere §§ 238 StPO, 176 GVG, vgl. etwa Mehle StraFo 1996,2; Strate StraFo 1996,2,4. 132 So die wohl ganz herrschende Auffassung in der Literatur, etwa Hasdenteufel, S. 89; Laubenthal JZ 1996, 335, 343; B.-D. Meier RdJB 1996, 451, 455. Demgegenüber ist das Problem nach Eisenberg (in: Beweisrecht, Rn. 1328e.) noch nicht abschließend geklärt. 133 Geppert Grundsatz der Unmittelbarkeit (1979), S. 143. 134 B.-D. Meier RdJB 1996, 451, 454; Geppert Grundsatz der Unmittelbarkeit (1979), S. 144: So gesehen stellt sich auch § 226 StPO zum Teil als Beweisprinzip dar und ist zusammen mit § 261 StPO gesetzliche Grundlage für das, was wir als formelle Seite des Unmittelbarkeitsprinzips bezeichnen". 135 Vgl. etwa RGst 39, 303, 304; Jansen StV 1996, 125; Hasdenteufel, S. 91, 95; Keiser Kindeswohl, S. 364; Laubenthal JZ 1996,335,343; B.-D. Meier RdJB 1996,451,455 136 Laubenthal JZ 1996, 335, 343; KK-StP04 -Tolksdoif§ 226 Rn. 2 f. 129 130

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3. Kap.: Verhältnis des § 247a zur unmittelbaren Vernehmung des Zeugen

Hiergegen könnte man nun einwenden, bei einer Vernehmung des Zeugen im Nebenzimmer durch den Vorsitzenden seien dann alle Richter anwesend, wenn die Vernehmung simultan audiovisuell in den Gerichtssaal übertragen wird. Obwohl sich die Hauptverhandlung tatsächlich über zwei Räume erstreckte, wären beide Räume dann als einziger (= virtueller) Gerichtssaal anzusehen. Und wegen der Kommunikationsmöglichkeit zwischen den beiden Räumen (im virtuellen Gerichtssaal) bestünde dann auch eine "ununterbrochene Gegenwart" von allen Verfahrensbeteiligten, so dass auch keine Beeinträchtigung formeller Unmittelbarkeit zu gewärtigen wäre. 137 Einer derartigen Argumentation ist jedoch entgegenzuhalten, dass die Möglichkeit der Wahrnehmung für den vorsitzenden Richter eine akustische und visuelle Übertragung der Vorgänge aus der Hauptverhandlung in das Zeugenzimmer bedingen würde. Sieht man zunächst einmal davon ab, dass dies technisch kaum realisierbar ist, weil nicht alle Verfahrens beteiligten für den Vorsitzenden gleichzeitig in Bild und Ton auf einem Monitor im Zeugenzimmer dargestellt werden können,138 wäre gerade die Bildübertragung der Vorgänge aus dem Hauptverhandlungssaal im Zeugenzimmer darüberhinaus völlig kontraindiziert. Denn die Vernehmung des Zeugen soll ja gerade deswegen außerhalb des Sitzungssaales stattfinden, weil der Zeuge nicht in Gegenwart der Verfahrensbeteiligten aussagen kann. 139 Insoweit können beim Mainzer Verfahrensmodell der geteilten Hauptverhandlung Fragen aus dem Sitzungssaal regelmäßig immer nur vermittels Tonverbindung an den Vorsitzenden gestellt werden, so dass für diesen in umgekehrter Richtung auch keine Wahrnehmung, geschweige denn eine Kontrolle der Vorgänge im Sitzungssaal der Hauptverhandlung, möglich ist. Der Vorsitzende wäre daher auf die Mitteilungen der visuellen Wahrnehmungen durch andere Kammermitglieder beschränkt; er stünde einem blinden, d. h. abwesenden Richter gleich. 14o Insoweit verstößt die Anwendung des Mainzer (Video-)Vernehmungsverfahrens einer geteilten Hauptverhandlung auch gegen den Grundsatz der Verhandlungseinheit und beeinträchtigt damit den formalen Aspekt des Unmittelbarkeitsprinzips.

137 So im Ergebnis Mildenberger, S. 127 f. Mildenberger verweist dann a. a. O. in Fn. 39 auch auf die wechselseitige Videokonferenz, die eine freie Kommunikation zwischen den Beteiligten ermöglicht. 138 Man denke dabei gerade an das Mainzer Verfahren, wo 13 Angeklagte und deren 25 Verteidiger in drei Reihen vor den Zuschauerplätzen saßen und mehrere Staatsanwälte, Sachverständige und Nebenkläger am Prozess teilnahmen, dazu Jansen StV 1996, 123. 139 Exakt auf diesen Aspekt verweist Mildenberger, S. 121 ff., so dass nicht verständlich wird, wieso sie dann a. a. 0., S. 128 Fn. 39, darauf verweist, dass die sich in zwei unterschiedlichen Räumen aufhaltenden Personen im Wege einer Videokonferenz frei miteinander kommunizieren können und insoweit ja auch eine Wahrnehmung des Richters von den Vorgängen in der Hauptverhandlung möglich sei. 140 Keiser Kindeswohl, S. 365. Auf den Vergleich mit blinden Richtern im Strafverfahren und die Fragen der Zulässigkeit des Einsatzes wird später noch näher einzugehen sein. V gl. dazu die Ausführungen im 4. Kapitel, Abschnitt B., II., 2., a), aa).

c. Unmittelbarkeitsprinzip, § 250

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c) Zusammenfassend lässt sich feststellen, dass es beim formellen Aspekt der Unmittelbarkeit um die Herstellung der denkbar innigsten Beziehung des erkennenden Gerichts - als Subjekt der Beweisaufnahme - zum jeweiligen Beweismittel geht, ohne dass sich im Hinblick auf das Objekt der Beweisaufnahme die Frage beantworten lässt, welches Beweismittel zum Gegenstand des Beweises gemacht werden soll (oder nicht). Gegenstand ist insoweit allein "die formale Frage ,Wie soll das erkennende Gericht sich von den (gleichgültig: welchen) Beweismitteln Kenntnis verschaffen?". 141

2. Die materielle Unmittelbarkeit der Tatsachenerschließung

a) Die Frage nach dem zu verwendenden Beweismittel ergibt sich aber aus dem Grundsatz materieller Unmittelbarkeit bzw. der Unmittelbarkeit der (Beweis-)Tatsachenerschließung. Dahinter verbirgt sich die Forderung, dass sich das Gericht bei der Feststellung des jeweiligen Sachverhalts auch in die denkbar innigste (= unmittelbarste) Beziehung zu den beweiserheblichen Tatsachen setzen soll; gemeint ist also die Herstellung direkter Nähe des Gerichts zum jeweiligen Beweisthema. 142 Dies wiederum kann grundsätzlich nur geschehen, wenn das Gericht bei der Auswahl der zur Verfügung stehenden Beweismittel dasjenige verwendet, welches - nicht der Tat 143 sondern genauer _144 dem Beweisthema selbst am nächsten steht und die gerichtliche Erkenntnis insoweit "aus erster Hand", aus dem "Original" geschöpft wird. 145 Geht es beim materiellen Aspekt der Unmittelbarkeit also um die Distanz der Beziehung des Gerichts zu den jeweiligen beweiserheblichen "Tatsachen", so ist im Hinblick auf die vorangegangene Formulierung, es komme auf das Beweisthema, nicht auf die Tatnähe an, zur Verdeutlichung der Reichweite materieller Unmittelbarkeit wichtig, auf eine Differenzierung in der Praxis einzugehen. Hier wird zwischen sog. Haupttatsachen, indizierende Tatsachen sowie Hilfstatsachen unterschieden. 146 "Haupttatsachen" sind Tatsachen, die den gesetzlichen Unrechtstatbestand betreffen oder für die Schuld- und Rechtsfolgenfrage von Bedeutung sind. Als "indizierende Tatsachen" bzw. - kurz "Indizien" - bezeichnet man demgegenüber Tatsachen, aus denen vermittels (richterlicher) Gedankenoperation ein Rückschluss auf die Haupttatsachen gezogen werden kann. "Hilfstatsachen" sind nun wiederum Tatsachen, So Geppert Grundsatz der Unmittelbarkeit (1979), S. 127; ders. Jura 1991,538,541. Vgl. nur Geppert Grundsatz der Unmittelbarkeit (1979), S. 127; Eh. Schmidt Lehrkommentar I, Rn. 445. 143 So etwa die Formulierung von Löhr Der Grundsatz der Unmittelbarkeit im deutschen Strafprozessrecht (1972), S. 24. 144 Vgl. dazu die anschließenden Ausflihrungen im nächsten Absatz. 145 Beling, S. 315 f.; Dahs StV 1988, 169; Geppert Grundsatz der Unmittelbarkeit (1979), S. 129, 166; Mitsch JZ 1992, 174, 176; KMR-Paulus § 244 Rn. 190; Eh. Schmidt Lehrkommentar I, Rn. 445; Wegner ZRP 1995,406,407. 146 Vgl. Grünwald Beweisrecht, S. 86 f.; Lesch Strafprozessrecht2 , S. 8; Roxin Strafverfahrensrecht, § 24 Rn. 7. 141

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3. Kap.: Verhältnis des § 247a zur unmittelbaren Vernehmung des Zeugen

die für die Beweiskraft eines Beweismittels, also etwa die Glaubwürdigkeit einer Aussageperson, von Bedeutung sind. 147 Ist einer Haupttatsache, wie etwa die Täterschaft einer bestimmten Person, eine "unmittelbarere" (Beweis-)Beziehung immanent als einer indizierenden Tatsache, exemplarisch das Blut des Opfers an Kleidungsstücken einer bestimmten Person, so sind "unmittelbare" Haupttatsache und "mittelbare" Indiztatsache dennoch nicht mit dem materiellen Aspekt der Unmittelbarkeit zu verwechseln. Denn soweit Haupt- wie Indiztatsachen dieselbe Sache betreffen, gehören sie zu einem Beweisthema, wobei es dem Richter freisteht, wie der Grundsatz der freien richterlichen Beweiswürdigung (§ 261) zeigt, ob er seine Überzeugung aus einer Indiztatsache statt aus einer Haupttatsache gewinnt. Betrifft eine (tatnähere) Haupttatsache nun das gleiche Beweisthema wie ein (tatferneres) Indiz, so ist die Formulierung einer unmittelbaren Beweisführung durch Verwendung des tatnächsten Beweismittels nicht ganz korrekt, weil hiermit auf dasjenige Beweismittel abgestellt wird, dass der jeweiligen (tatnächsten) Haupttatsache am nächsten steht. Für die materielle Unmittelbarkeit entscheidend ist aber allein die Nähe des Beweismittels zur erweisenden (Haupt- oder Indiz-)Tatsache; m. a. W, ob das Beweismittel die jeweilige (Haupt- oder Indiz-)Tatsache originär und insoweit aus erster Hand vermittelt oder ob das originäre Beweismittel - insoweit mittelbar - in der Hauptverhandlung nur reproduziert wird.148

Abstrakt besehen liegt also eine Verletzung materieller Unmittelbarkeit immer dann vor, wenn die Beweisführung in der Hauptverhandlung durch mittelbare, weil nur abgeleitete Beweissurrogate erfolgt. Dies folgt aus der Erkenntnis, dass der sachnähere Beweis der bessere (zuverlässigere) ist,149 da die Zuverlässigkeit des produzierten Beweisergebnisses (erfahrungsgemäß) mit der wachsenden Zahl der (Beweisführungs-)Zwischenglieder abnimmt. 150 Beruht die zu beweisende Tatsache nun auf der persönlichen Wahrnehmung einer Person, so ergibt sich dies aus § 250, wonach die - in der Hauptverhandlung durch das erkennende Gericht durchzuführende mündliche - Vernehmung (§ 250 S. 1) nicht - ohne weiteres (vgl. §§ 251, 255a) - durch Verlesung eines früher aufgenommenen Vernehmungsprotokolls "ersetzt" werden (§ 250 S. 2) darf (sog. Reproduktionsverbot).151 Dieses Reproduktions verbot reicht aber nur soweit, wie sich bereits aus dem Wort "ersetzen" in § 250 S. 2 ergibt, solange die Vernehmung der Aussageperson in der Hauptverhandlung (tatsächlich wie rechtlich) möglich ist. Bei Unmöglichkeit der Vernehmung ist der Rückgriff auf bloß reproduzierende Beweissurrogate nicht nur zulässig, sondern wegen der gerichtlichen Aufklärungsverpflichtung sogar geboten, weil "das zweitbeste Beweismittel immer noch besser als gar kein Beweismittel,,152 iSt. 153 Insoweit kann dann auch die - oben postulierte abstrakte - Verletzung materieller Unmittelbarkeit nicht vorliegen. Dazu im einzelnen vgl. Eb.Schmidt Lehrkommentar I, Rn. 448 Fn. 240. Vgl. die Nw. in Fn. 145. 149 Dahs StV 1988, 169; Geppert Grundsatz der Unmittelbarkeit (1979), S. 186; Wegner ZRP 1995,406,407. 150 BGHst 29, 109, 111; Dahs StV 1988, 169; Grünwald Beweisrecht, S. 118; Mehle in: FS-Griinwald (1999), S. 351. 151 Mehle in: FS-Griinwald (1999), S. 351 , 359. 152 MitschJZ 1992, 174, 176. 147 148

C. Unmittelbarkeitsprinzip, § 250

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b) Die Vorteile der Vernehmung eines - "originären" - Zeugen in der Hauptverhandlung gegenüber einer bloßen Beweisreproduktion liegen auf der Hand. Weil die Vernehmung in der Hauptverhandlung die Stellung von Nach- und Zusatzfragen ennöglicht, können Unklarheiten im Bericht beseitigt und notwendige Ergänzungen erwirkt werden. Insoweit wird eine weitgehende (gerichtliche) Aufklärung materieller Wahrheit gewährleistet. 154 Gleiches gilt für die Interventions- und Verteidigungsrechte, denn exemplarisch das Fragerecht des Angeklagten an den (Belastungs-)Zeugen (Art 6 Abs. 3 lit. d MRK, § 240 Abs. 2) wird unterlaufen, wenn derjenige, auf dessen Wahrnehmung die entsprechende Angabe beruht, der Hauptverhandlung fernbleibt. 155 Aus dem Inbegriff der Verhandlung (§ 261) gewinnen das Gericht und die anderen Verfahrensbeteiligten, wie ausgeführt, einen "lebendigen Eindruck von der Aussageperson". Und nur so werden dem Gericht auch (eigene) Schlussfolgerung auf die Glaubwürdigkeit des Zeugen und den Wahrheitsgehalt der Aussage möglich. 156 Auch der "urteilsnahe[n] Situation der Hauptverhandlung",157 explizit einer "Konfrontation" des Zeugen mit den Verfahrensbeteiligten, insbesondere dem Angeklagten selbst, dürfte im Grundsatz 158 ein wahrheitsfördemder Charakter zuzuerkennen sein. 159

153 Vgl. RG st 71, 11; Geppert Grundsatz der Unmittelbarkeit (1979), S. 185. Vgl. Mitsch a. a. 0.: "Das Prinzip der materiellen Unmittelbarkeit verhängt daher über das Vernehmungsprotokoll kein absolutes Beweisverbot, sondern weist ihm den Rang eines "subsidiären Beweismittels" hinter der Zeugenvernehmung zu." 154 Siehe dazu die obigen Ausführungen im 3. Kapitel, Abschnitt c., 1., 1. 155 Vgl. nur BGHst 29,109,111; Grünwald in: FS-Dünnebier (1982),347,359. 156 Dahs StV 1988, 169, 170; Geppert Grundsatz der Unmittelbarkeit (1979), S. 187; Mitsch JZ 1992, 174, 176; Morris / SchaifInternational Criminal Tribunal for Rwanda, Band 1 (1998), S. 547; Peters ZStW 87 (1975), 663, 669. 157 Mitsch JZ 1992, 174, 176; Morris / SchaifInternational Criminal Tribunal for Rwanda, Band 1 (1998), S. 547. Vgl. a. Davies International Journal of Law and Psychiatry 22 (1999), 241,246. 158 Angesichts der gesetzlichen Regelung des § 255a Abs. 2 S. 1 gilt dies allerdings nicht für Kinder als Opferzeugen zu den in der Norm näher benannten Deliktsgruppen. Darauf wird sogleich aber noch einzugehen sein. 159 So Mitsch a. a. O. Vgl. a. Davies International Journal of Law and Psychiatry 22 (1999), 241, 246; KK-StP04 -Dierner § 247a Rn. 5; KMR-Lesch § 247a Rn. 10. Dieser Gesichtspunkt lässt sich auch daraus ableiten, dass im anglo-amerikanischen Rechtsraum das Konfrontationsrecht als grundlegender Verfassungsgrundsatz ausgestaltet ist. Vgl. dazu Amendment VI der US-Verfassung: "In all criminal prosecutions, the accused shall enjoy the right to a speedy and public trial, by an impartial jury of the State and district wherein the crime shall have been committed; which shall have been previously ascertained by law, and to be informed of the nature and cause of the accusation; to be confronted with the witnesses against hirn, to have compulsory process for obtaining witnesses in his favor, and to have the assistance of counsel for his defence". Zur Problematik von CCTV im Hinblick auf "the sixt amendment of the US-Constitution" vgl. insbes. Suprerne Court-Entscheidungen Coy v. lowa (1988) sowie Maryland v. Craig (1990) - im Internet abrufbar: sub http://supct.law.comell.

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3. Kap.: Verhältnis des § 247a zur unmittelbaren Vernehmung des Zeugen

aa) Vergleicht man demgegenüber die Beweisführung mittels Vemehmungsprotokoll, so entfallen diese wahrheitsfördernden Vorteile, insbesondere die Möglichkeit der Stellung von Nach- und Zusatzfragen sowie der unmittelbare Eindruck des Gerichts. Hinzu kommt, dass bei der Protokollierung einer Zeugenaussage eine Trübung des Beweiswerts per se durch eine "doppelte Verrnittlung,,160 der zu beweisenden Tatsachen eintritt. 161 Da weiterhin im Protokoll die Aussage in ihrer Gesamtheit nicht wörtlich wiedergegeben wird, 162 kann es zu Unvollständigkeiten, Modifikationen oder sogar zu fehlerhaften Dokumentationen kommen. 163 Handelt es sich dabei um ein polizeiliches Vernehmungsprotokoll, so besteht von Gesetzes wegen keine Verpflichtung zur Beteiligung des Beschuldigten an der Vernehmung. l64 Diese wäre in praxi auch so nicht immer durchführbar, dienen frühzeitige (polizeiliche oder staatsanwaltliche) Vernehmungen doch zunächst der Feststellung des Tatverdachts. 165 Damit werden aber die Möglichkeiten zur Wahrnehmung von Interventions- / Verteidigungsrechten beschränkt, wenn ein derartiges Protokoll in der Hauptverhandlung verlesen wird. 166 Kurzum: dem Vernehmungsprotokoll sind bestimmte Fehlerquellen immanent,167 die Gefahren für die Aufklärung materieller 160 Geppert Grundsatz der Unmittelbarkeit (1979), S. 128 Fn. 49: "Das Originalbeweismittel (= die Aussageperson) wird von einer Verhörsperson vernommen ("erste Vermittlung"). Die Verhörsperson gibt das von ihr Gehörte aber nicht unmittelbar an das erkennende Gericht weiter, sondern bedient sich einer vermittelnden Schrift, des Vernehmungsprotokolls ("zweite Vermittlung"). 161 Vgl. dazu Geppert Grundsatz der Unmittelbarkeit (1979), S. 128 Fn. 49, 169; Laubenthai JZ 1996, 335, 341; Kühne Strafprozessrecht, § 22 Rn. 364: "Diese [auf der Vermittlung durch die Vernehmungsperson beruhende] Selektion macht aus dem Protokoll ein verkleinertes Abbild des Vernehmungsablaufs, wobei immer die Gefahr besteht, dass das reduzierte Abbild zum Zerrbild gerät. Der Selektion haftet per se ein potentielles Moment der Verfälschung an". 162 Vgl. dazu nur Nr. 45 Abs. 2 S. 1 RiStBV, wonach es sich "für bedeutsame Teile der Vernehmung empfiehlt [ ... ], Fragen, Vorhalten und Antworten möglichst wörtlich in die Niederschrift aufzunehmen". 163 Vgl. dazu Bender/Nack Tatsachenfeststellung, Bd. 2 (1995), S. 172 Rn. 759, S. 205 ff. Rn. 838 ff.; KMR-Escheibach § 223 Rn. 16; Geppert Grundsatz der Unmittelbarkeit (1979), S. 169 f.; Kühne Strafprozessrecht, § 22 Rn. 363 f.; Steinke Kriminalistik 1993,330; Weigend (1998), S. 60. Dies gilt i. Ü. für polizeiliche wie richterliche Protokolle gleichermaßen, so Kühne Strafprozessrecht, § 22 Rn. 365. Im Hinblick auf die kommissarische Vernehmung vgl. den Hinweis des BGH NJW 2000, 1204, 1206: "Gewichtige Aufklärungslücken [sind] durch sorgfältige Führung der Niederschrift über die kommissarische Vernehmung vielfach zu vermeiden" (Hervorhebungen nicht im Original). 164 Vgl. dazu a. Grünwaid Beweisrecht, S. 53; ders. in: FS-Dünnebier, 347, 356 f. 165 Kühne Strafprozessrecht, § 22 Rn. 353: "Den schwierigeren Teil bei den Vernehmungen hat wohl die Polizei, die im sog. ersten Angriff, d. h. beim Beginn gezielter Ermittlungstätigkeit, gleichsam ins Ungewisse hineinfragen muss." 166 Vgl. § 251 Abs. 2 S. 2! Siehe hierzu KK-StP04 -Diemer § 251 Rn. 26 f.; LR_StP025 _ Gollwitzer § 251 Rn. 60 f. Kritisch zu dieser Vorschrift Grünwaid Beweisrecht, S. 118. 167 Geppert Grundsatz der Unmittelbarkeit (1979), S. 169: "Dass hier (selbst bei an sich ordnungsgemäßen Vernehmungsablauf) zahlreiche Fehlerquellen vorhanden sind, ist hinlänglich bekannt [ ... ]".

C. Unmittelbarkeitsprinzip, § 250

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Wahrheit bilden können. Vor diesem Hintergrund wird auch das Reproduktionsverbot des § 250 S. 2 verständlich. bb) Berücksichtigt man in diesem Kontext nun weiterhin die mit dem Zeugenschutzgesetz geschaffenen Möglichkeiten zur Konservierung der Zeugenerscheinung und seiner Aussage auf einem Bild-Ton-Träger, also einem Videoband bzw. einem Videoprotokoll, 168 so werden die, im Vergleich zur unmittelbaren Vernehmung des Zeugen in der Hauptverhandlung, beim "stummen Vernehmungsprotokoll" angeschnittenen Nachteile nicht völlig ausgeglichen, wenngleich die Gefahren für die Wahrheitsfindung auch weit weniger offensichtlich sind. Obzwar auch das Abspielen einer Videoaufnahme von der Zeugenvernehmung "wie eine lebendige Aussage" wirkt,169 weil das Gericht hören und sehen kann und daher die Möglichkeit besteht, sich einen Eindruck vom Zeugen und seiner Reaktion, ja von der gesamten Vernehmungssituation zu bilden, so fehlt es beim "Abspielen" der konservierten Zeugenaussage in der Hauptverhandlung aber am zweiten Charakteristikum formeller Unmittelbarkeit. Gemeint ist die Vernehmung gerade durch das erkennende Gericht. Der Eindruck von der Aussageperson beruht insoweit, wie beim Protokoll auch, auf einem Akt der Vermittlung, so dass für das erkennende Gericht allenfalls ein "fremder", auf der Vernehmung durch eine andere Vernehmungsperson beruhender Eindruck in die Hauptverhandlung übertragen wird. Dieser Gesichtspunkt scheint auch gemeint zu sein, wenn man in der Literatur im Hinblick auf den Einsatz von Videotechnik im Strafprozess von der Gefahr für die Wahrheitsfindung spricht, weil die suggestive Kraft von Fernsehbildern nicht zu unterschätzen seiYo Weiterhin sind direkte (unmittelbare) Nachfragen in der Hauptverhandlung nicht bzw. nur erschwert möglich, steht doch der Zeuge für Fragen des Gerichts oder anderer Verfahrens beteiligter nicht ohne weiteres zur Verfügung, weil eine Nachvernehmung regelmäßig erst nach Unterbrechung der Hauptverhandlung und Ladung des Zeugen möglich ist. Insoweit können Unklarheiten nicht sofort aufgeklärt und eine Ergänzung des Berichts der Aussageperson nicht ohne weiteres unmittelbar erwirkt werden. 171 Die auf BildTon-Träger "konservierte Zeugenaussage" reiht sich deshalb, wenn auch offensichtlich vor dem "stummen Vernehmungsprotokoll und dem "Zeugen vom Hörensagen",I72 gleichermaßen unproblematisch in den Kreis (nur) reproduzierender Beweismittel ein. c) Ob man unter dem Gesichtspunkt materieller Unmittelbarkeit nunmehr jedoch von einem "Stufenverhältnis der Beweismittel,,173 in der Weise sprechen Vgl. dazu im einzelnen Mildenberger; S. 194 ff. So Mildenberger; S. 195. 170 Fischer JZ 1998, 816, 820; Mehle in: FS-Grünwald (1999), S. 351, 363. Vgl. a. Eisenberg Beweisrecht, Rn. 1328h. 171 Vgl. dazu Davis Trial 2000, 48, 49: "A videotaped witness cannot adress new facts or issues, and this limitation can destroy the [ ... ] value." 172 Zum ,,zeugen vom Hörensagen" sogleich im Anschluss. 168 169

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3. Kap.: Verhältnis des § 247a zur unmittelbaren Vernehmung des Zeugen

kann, wonach der unmittelbaren Vernehmung der Aussageperson die Möglichkeit der Verwendung bloß reproduzierender Beweisgegenstände generell nachfolgt und zwischen diesen wiederum nach der Reichweite ihrer Aufklärungsmöglichkeiten zu unterscheiden wäre,174 ist im Hinblick auf - den durch das Zeugenschutzgesetz 1998 in die StPO eingefügten - § 255a fragwürdig. Wie ausgeführt kann nach Abs. 2 dieser Vorschrift die unmittelbare Vernehmung des Zeugen in der Hauptverhandlung durch das Abspielen der auf Videoband konservierten Zeugenaussage völlig ersetzt werden, wenn Kinder als Opferzeugen zu bestimmten - in der Norm näher aufgeführten - Deliktsgruppen vernommen werden. Rechtshistorischer Hintergrund war die jahrzehntelange Forderung nach einem verbesserten Schutz - insbesondere - kindlicher Opferzeugen sowie das Ziel einer Verbesserung der Aufklärungsmöglichkeiten. Traumatisierende Mehrfachvernehmungen sollen vermieden werden, indem die friihzeitig gewonnene "tatnahe Erstvernehmung" auf Videoband konserviert und - in Durchbrechung des § 250 S. 1 - in der Hauptverhandlung abgespielt wird. Stellt es das Gesetz bei bestimmten Zeugen und Deliktsgruppen in das gerichtliche Ermessen, ob der lebendige Eindruck der Hauptverhandlung durch die Verwendung eines reproduzierenden Beweisgegenstandes ersetzt wird, so kann - jedenfalls insoweit - die bisherige Erkenntnis nicht (mehr) aufrechterhalten werden, wonach die Schöpfung der (Tatsachen) Erkenntnis aus erster Hand in der Hauptverhandlung die Zuverlässigkeit des produzierten Beweisergebnisses bestmöglichst gewährleistet. Selbst wenn also betreffend der audiovisuellen Videosimultanvernehmung eines Zeugen eine Durchbrechung des Unmittelbarkeitsgrundsatzes anzunehmen wäre, scheint damit nicht gleichzeitig auch gesagt, dass die gegebenenfalls vorzunehmende - Einordnung des § 247a in den Kreis bloßer (mittelbarer) Beweisreproduktionen zu einer Behinderung der Wahrheitsfindung führt. Dass diese Konzession den Kritikern des Einsatzes von Videokonferenztechnik im Strafprozess aber letztlich nicht zugestanden werden muss, soll nach einem kurzen Verweis auf einen - hier als solchen bezeichneten - dritten Aspekt der Unmittelbarkeit näher ausgeführt werden. 175

3. Unmittelbarkeit der Beweisaufnahme in der Hauptverhandlung im engeren Sinne Insbesondere dem formellen wie materiellen Unmittelbarkeitsaspekt immanent, zur besseren Veranschaulichung aber davon zu trennen, ist weiterhin der hier als 173 Vgl. etwa Wegner ZRP 1995, 406, 407. Weiterhin a. Dahs StV 1988, 169, 170: ,,§ 250 S. 1 gebietet die verlässlichste Beweiserhebung in Form der Vernehmung einer Person [ ... ]". 174 Etwa in der Reihenfolge des Abspielens einer auf Bild-Ton-Träger konservierten Zeugenaussage vor der Verlesung des Vernehmungsprotokolls bzw. der Vernehmung des Zeugen vom Hörensagen. 175 Siehe dazu im nachfolgenden Abschnitt IV dieses Kapitels.

c. Unmittelbarkeitsprinzip, § 250

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dritte Aspekt bezeichnete Grundsatz der Unmittelbarkeit der Beweisaufnahme in der Hauptverhandlung. Danach muss sich das Gericht den grundsätzlich auf eigener Wahrnehmung beruhenden persönlichen Eindruck vom grundsätzlich der Tat am nächsten stehenden persönlichen Beweismittel grundsätzlich auch unmittelbar (im engeren Wortsinn) in der Hauptverhandlung verschaffen. Das bedeutet nichts anderes, als dass der Zeuge in personam in der Hauptverhandlung zu erscheinen hat. Wohl auf diesen Aspekt, der herkömmlich wegen der fehlenden Möglichkeit der Übertragung einer Zeugenaussage von einem anderen Ort keiner näheren Ausführungen bedurfte, 176. 177 wird (nunmehr) rekurriert, wenn die "Unmittelbarkeit der Beweisgewinnung" durch den Einsatz von Videotechnik im Strafprozess durch den BGW78 und Stimmen in der Literatur 179 in Frage gestellt wird, weil durch die mittels der Videotechnik mediatisierte Vernehmung des Zeugen von einem anderen Ort die Beweisperson nur "virtuell unmittelbar" in der Hauptverhandlung "erscheint". Insoweit ist es zutreffend, wenn etwa Eisenberg 180 von einer "simulierten Unmittelbarkeit" der Zeugenaussage in der Hauptverhandlung spricht. Der Frage, ob dies jedoch zu einer Beeinträchtigung gerade des - herkömmlich verstandenen - Unmittelbarkeitsprinzips führt, ist nunmehr nachzugehen.

11. Keine Beeinträchtigung der formellen wie materiellen Unmittelbarkeit der Beweistatsachenerschließung durch die Videovemehmung Soweit zunächst eine Beeinträchtigung des Unmittelbarkeitsgrundsatzes in formeller wie materieller Hinsicht behauptet wird,181 greift die hieran geäußerte Kritik schon im Ansatz nicht durch. Beim "Videozeugen" handelt es sich in materieller Hinsicht um keine Erkenntnisquelle außerhalb der Hauptverhandlung, da die 176 Welcher dennoch aber bereits früher vereinzelt angeführt wurde, vgl. etwa Schuster, S.112. 177 Ein deutlicher Hinweis darauf findet sich etwa bei B.-D. Meier RdJB 1996,451,454: "Aus § 250 Satz 1 StPO ergibt sich, dass ein Zeuge in der Hauptverhandlung zu vernehmen ist. Unklar ist, ob mit dieser Formulierung gemeint ist, dass der Zeuge im Sitzungssaal (vgl. § 243 Abs. 2 Satz 1 StPO) vernommen werden muss oder ob auch die Vernehmung in einem vom Sitzungssaal getrennten besonderen Vernehmungszimmer zulässig ist" (Hervorhebungen nicht im Original). 178 BGHs, 45, 188, 196. 179 Nach zum Teil vertretener Auffassung kann dem Unmittelbarkeitserfordernis durch eine Bild-Ton-Übertragung keinesfalls Genüge getan werden, Fischer JZ 1998,816,820; Tiedemann/Sieber NJW 1984, 753, 756. Teilweise wird in Übereinstimmung mit dem BGH a. a. O. von einer (nur) eingeschränkten Unmittelbarkeit ausgegangen, etwa: Eisenberg Beweisrecht, Rn. 1328 f.; Hussels ZRP 1995,242,243; Leitner StraFo 1999,45,48; Mehle in: FS-Grünwald (1999), S. 351, 363 ff.; Renzikowski JZ 1999,605,611; Schlothauer StV 2000, 180, 182; Strate StraFo 1996,2,3. 180 Eisenberg Beweisrecht, Rn. 1328 f. 181 Vgl. die Nw. in Fn. 178.

10 Rieck

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3. Kap.: Verhältnis des § 247a zur unmittelbaren Vernehmung des Zeugen

Form der Vernehmung nichts daran ändert, dass die zu beweisenden Tatsachen aus der Quelle selbst und insoweit nicht aus zweiter Hand, aus bloßen Beweissurrogaten, geschöpft werden. Eine nähere Beziehung des Beweismittels zum Beweisthema l82 ist insoweit nicht ersichtlich. Und auch in formeller Hinsicht beruht die jeweilige, auf einem "Videozeugen" beruhende Entscheidung des Richters auf der eigenen Wahrnehmung, kann dieser während der Vernehmung die Reaktion des Angeklagten auf die Zeugenaussage beriicksichtigen, genauso wie er, weil grundsätzlich auditive und visuelle Informationen zur Verfügung stehen, das verbale wie nonverbale Verhalten des Zeugen beurteilen kann. Denn entgegen oben benannter Einwände sind in dieser Hinsicht die technischen Möglichkeiten nicht zu unterschätzen. 183 Dies kann man etwa den oben geschilderten Erfahrungen wie neueren Praxisberichten in der Literatur entnehmen, wonach der Zeuge sogar größer und daher besser sichtbar verrnittels Videoprojektion im Gerichtssaal "erscheint". 184 Betont man bei § 250 S. 1,185 der Vorzug der Zeugenvernehmung in der Hauptverhandlung bestehe darin, dass sich das erkennende Gericht aufgrund des persönlichen Eindrucks über die Glaubwürdigkeit einigermaßen zuverlässig ein Urteil machen kann, andererseits der Richter in die Lage versetzt werde, durch Fragen an die Auskunftsperson auf Lücken oder Widerspriichlichkeiten der Aussage aufmerksam zu machen, so findet sich jedenfalls der letztgenannte Aspekt unproblematisch auch bei der Videovernehmung gern. § 247a. Dass sich darüber hinaus der Richter auch - ähnlich der unmittelbaren Vernehmung des Zeugen im Gerichtssaal - zuverlässig bei der Videovernehmung aufgrund seines ihm hier möglichen persönlichen Eindrucks über die Glaubwürdigkeit ein Urteil über die Aussageperson bilden kann,I86 wird im nächsten Kapitel noch aufzuzeigen sein. Selbst wenn im Einzelfall die jeweils durchzuführende Videokonferenz an qualitativen Mängeln leidet, ist der "Videozeuge" also einem bloß reproduzierten Beweismittel, einem Beweissurrogat, offensichtlich überlegen. 187 Die Videovernehmung gern. § 247a dominiert überdies l88 auch vor einer Bild-Ton-(Video-)Aufnahme der Zeugenvernehmung, wenn sie bei etwaigen Qualitätsmängeln im Einzelfall auch nicht der unmittelbaren Vernehmung des Zeugen in der Hauptverhandlung entspricht. 189 Vgl. dazu nur Eh. Schmidt Lehrkommentar I, Rn. 447. Was ersichtlich aber nur von jüngeren, den technischen Möglichkeiten wohl unkritischer gegenüberstehenden Autoren vertreten wird, vgl. Zacharias, S. 255; vgl. auch die Gesetzesmaterialien - BT-Drs. 13/9063, S. 4: ,,hoher Stand der Übertragungstechnologie". Vgl. demgegenüber in neuerer Zeit aber a. Sinn JZ 2001,51,52. 184 Vgl. Heckel VBIBW 2001, 1. Darauf verwiesen frühzeitig auch schon Geppert Jura 1996,550,555 sowie B.-D. Meier RdJB 1996,451,454. 185 Vgl. erneut nur Geppert Grundsatz der Unmittelbarkeit (1979), S. 187. 186 So explizit Sinn JZ 2001, 51, 52. 187 Vgl. LG Mainz NJW 1996,209; Meurer JuS 1999,937,939; Vassilaki JZ 2000, 474, 476; Weigend (1998), S. 55. A.A. - offensichtlich - Diemer NStZ 2001,393,397. 188 Zum Ausnahmefall des § 255a vgl. die Ausführungen im 1. Kapitel, Abschnitt B., 1., 1. 189 Vgl. Morris/Scharj' International Criminal Tribunal for Rwanda, Band 1 (1998), S. 550 f.: "In the Yugoslavia Tribunal's first experience with a video-link in the Tadic case, 182 183

C. Unmittelbarkeitsprinzip, § 250

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Bei der Vernehmung des Zeugen unter dem Einsatz von Videotechnik handelt es sich insoweit um eine dem formalen wie materiellen Aspekt des Unmittelbarkeitsgrundsatzes entsprechende Vernehmung. 111. Würdigung der Einwände einer beeinträchtigten Unmittelbarkeit der Beweisaufnahme bei der Videovernehmung durch Exkurs auf den "Zeugen vom Hörensagen"

Sieht man trotz all dem die Unmittelbarkeit der Beweisaufnahme durch die Anwendung von Videokonferenztechnik im Strafprozess beeinträchtigt, indem man also auf einen "dritten Aspekt" der Unmittelbarkeit rekurriert, so fragt sich, inwieweit die Beweisaufnahme des heutigen Strafprozesses in der richterlichen Praxis überhaupt durch das Prädikat "unmittelbar" gekennzeichnet werden kann. Es geht also darum, wo bisher im Sinne eines "common sense" die Grenze der Unmittelbarkeit der Beweisaufnahme verläuft. Denn hierdurch kann festgestellt werden, ob die Kritik von Rechtsprechung und Literatur im Hinblick auf den Widerspruch des § 247a mit dem "dritten Aspekt" der Unmittelbarkeit wirklich überzeugt. Dies mag eine Diskussion der richterrechtlich geprägten Fallgruppe des "Zeugen vom Hörensagen" offenlegen. a) Bei der Beweisführung durch einen "Zeugen vom Hörensagen" erfolgt die Vernehmung einer anderen Person in der Hauptverhandlung anstelle derjenigen, deren Wahrnehmungen über bestimmte beweiserhebliche Tatsachen bedeutsam sind. Praktisch wichtigster Fall ist die Vernehmung von Polizei- oder Kriminalbeamten über Tatsachen, die sie von verborgen gehaltenen oder anonym bleibenden Personen, also "Zeugen mit zuriickgenommener oder verborgener Identität", erhalten haben, sei es durch eigene förmliche Vernehmung dieser Personen oder in formloser Weise. 190 Wurde bereits ausgeführt, man könne dem Gesetz neben dem Gebot der the picture was grainy and produced a strobe effect resembling the television broadcast of Neil Armstrong's first steps on the moon in 1969. Because of the poor quality of the transmission over the United Nations global satellite system, the judges were prevented from clearly observing such possible signs of untruthfulness as facial ticks, awkward smiles, or even a sweaty brow. Thus, the Trial Chamber correctly concluded that the evidentiary value of testimony provided by video-link, although weightier than that of testimony given by deposition, is not as weighty as testimony given in the courtroom". ["Bei den ersten Erfahrungen des Jugoslawien-Tribunals mit Videoübertragungen im Fall Tadic war das Bild grobkörnig und produzierte einen stroboskobischen Effekt, ähnlich der Fernsehübertragungen von Neil Armstrongs ersten Schritten auf dem Mond im Jahre 1969. Aufgrund der schlechten Qualität der Übertragung verrnittels des globalen Satellitsystems der Vereinten Nationen, waren die Richter in der klaren Wahrnehmung möglicher Zeichen der Unwahrheit, wie Gesichtszuckungen, peinlich beriihrtem Lächeln oder einer schweißbedeckten Stirn, verhindert. Die Verfahrenskarnmer entschied folglich korrekt, dass der offensichtliche Wert der mittels Videoübertragung ermöglichten Zeugenaussage, obwohl gewichtiger als die (in einem friiheren Stadium aufgenommene) Aussage, nicht gewichtiger ist als die im Gerichtssaal abgegebene Zeugenaussage"]. 190 LR25 _Dahs Vor § 48 Rn. 18; KK-StP0 4 -Pfeiffer Ein!. Rn. 98. 10*

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3. Kap.: Verhältnis des § 247a zur unmittelbaren Vernehmung des Zeugen

Vernehmung derjenigen Person in der Hauptverhandlung, deren Wahrnehmung betroffen ist, explizit nur das Verbot entnehmen, dass der mögliche Personalbeweis grundsätzlich nicht durch den Urkundsbeweis ersetzt werden darf, so kann man daraus nicht die Unzulässigkeit der mittelbaren 191 persönlichen Beweisführung schlussfolgern. Gerade das Gegenteil, so dann auch die herrschende Auffassung in Rechtsprechung wie Literatur, sei der Fall, wonach auf einem argurnenturn e contrario der Regelung des § 250 S. 2 beruhend angenommen wird, die "Unmittelbarkeit" sei immer nur dann zu verneinen, wenn die Urteilsfindung nicht auf einem - unmittelbaren oder mittelbaren - persönlichen Beweismittel basiert. Denn das in § 250 S. 2 ausgesprochene Verbot der Protokollverlesung umreiße gleichzeitig auch die Tragweite des in § 250 S. 1 niedergelegten Gebots. 192 Bei der Vernehmung des mittelbaren Zeugen, exemplarisch des Verhörsbeamten anstelle des - gegebenenfalls gesperrten - Zeugen, bestehe auch für die Verteidigungsrechte des Beschuldigten kein Nachteil. Denn Belastungszeuge in der Hauptverhandlung sei der Verhörsbeamte, nicht der gesperrte Informant, und der "Zeuge vom Hörensagen" könne ja in der Hauptverhandlung vom Beschuldigten vollauf befragt werden. 193 b) Dieser Auffassung ist entgegen zu halten, dass es tatsächlich doch nur vordergriindig um die Wahrnehmungen des mittelbaren Zeugen geht. Denn der mittelbare Zeuge wird ja nur deswegen in der Hauptverhandlung vernommen, weil die durch den unmittelbaren Zeugen geäußerten Tatsachen für den strafrechtlichen Vorwurf an den Beschuldigen von erheblichen Interesse sind. Insoweit geht es doch realiter um die Wahrnehmungen des "unmittelbaren" Zeugen, welche über die Verhörsperson - "mediatisiert" - in den Prozess eingeführt werden sollen. 194 aa) Dass die gegenteilige Auffassung nicht überzeugt, folgt zunächst aus der Rechtsprechung des EGMR. Es wird im übrigen auch durch das Gesetz selbst belegt: So gilt entgegen dem BGH, der von einem "formalen Zeugenbegriff.I95 ausgeht, nach der Rechtsprechung des EGMR 196 derjenige als Zeuge, auf dessen 191 Ist jeder Zeugenbeweis ein mittelbarer, weil durch die subjektive Wahrnehmung der Aussageperson dem Gericht vennittelter Beweis und unterliegt der Zeugenbeweis insoweit auch den Regeln des Indizienbeweises, so explizit Bender / Nack Tatsachenfeststellung, Bd. 1 (1995), Rn. 382 f., so handelt es sich beim "Augenzeugen" jedenfalls im Hinblick auf das Beweisthema um ein "materiell unmittelbares" Beweismittel, während der ,,zeugen vom Hörensagen", der in der Hauptverhandlung nur diejenigen Tatsachen reproduziert, die er etwa vom Augenzeugen erfahren hat, im Vergleich dazu als mittelbares persönliches Beweismittel anzusehen ist. Ob es sich insoweit um eine "unmittelbare" oder "mittelbare" Beweiserhebung handelt, muss von der jeweils zu erweisenden Tatsache aus gesehen beurteilt werden, so Eb.Schmidt Lehrkommentar I, Rn. 448, 452. 192 Vgl. etwa BGHst 6,209,210. Krit. dazu bereits GTÜnwald Beweisrecht, S. 119. 193 Vgl. nur BGHst 17, 382, 388; SK-StPO-Schlüchter § 250 Rn. 21 m. w. Nw. 194 So Grünwald JZ 1966,489,494; Schuster, S. 117. 195 Zeuge ist nur derjenige, der formal geladen und erschienen ist und über die Wahrnehmungen berichtet, wie beispielsweise der ,,zeuge vom Hörensagen". 196 Vgl. nur EGMR StV 1990,481 ff. [Kostovski . /. Niederlande]; StV 1991, 193 ff. [Windisch./. Österreich]; StV 1992,499 [Lüdi./. Schweiz]; StV 1997,617 ff. [van Mechelen./. Niederlande ].

C. Unmittelbarkeitsprinzip, § 250

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Wahrnehmung die interessierenden Tatsachen beruhen. Denn die mit der Einschränkung von Verteidigungsrechten korrespondierende Frage der "Fairheit des Verfahrens,,197 wird selbstverständlich im Hinblick auf den "unmittelbaren Zeugen" (und daher nur mittelbar im Hinblick auf den "Zeugen vom Hörensagen") bestimmt. Im Vordergrund steht also ein "materieller" und kein "formeller" Zeugenbegriff. Wäre der StPO in § 250 S. 1 - mit der Auffassung des BGH - ein "formeller Zeugenbegriff' zugrunde zu legen, d. h. würde der "unmittelbare", weil gesperrte Zeuge, nicht als wirklicher "Zeuge" (im materiellen Sinn) anzusehen sein, wenn seine Identität geheimgehalten wird, so bliebe die Regelung des § 200 S. 4 StPO l98 geradezu unverständlich. Denn nach den Gesetzgebungsmaterialien soll sie auch für die Fälle des § 96 gelten. 199 Angeklagter und Gericht sollen sich danach nämlich darauf einstellen können, dass sie mit Aussagen einer Person konfrontiert werden, deren Identität geheimgehalten wird. Wird insoweit die Aussage des unmittelbaren Zeugen durch den "Zeugen vom Hörensagen" (oder auch durch die Verlesung von Protokollen) in die Verhandlung vor dem erkennenden Gericht eingeführt, so lässt doch gerade § 200 erkennen, dass letztlich doch die Wahrnehmungen des unmittelbaren Zeugen im Mittelpunkt des Interesses stehen. Und insoweit führt das Gesetz selbst mit der Vorschrift des § 200 einen "materiellen Zeugenbegriff' ein, wie er dem Verständnis des EGMR zu Art 6 Abs. 3 lit. d EMRK entspricht. 200 Deshalb ist etwa die Auffassung des BGH, der StPO liege ein "formeller Zeugenbegriff' zugrunde, weder stringent noch überzeugend. bb) Betrachtet man nun, auch von dieser Prämisse ausgehend, erneut die Regelung des § 250, so wird man aus dem Wortlaut des Satzes 1, wenn man ihn ernst nimmt, und der Systematik von Satz 1 und 2 die Unzulässigkeit des mittelbaren Zeugenbeweises schlussfolgern müssen. Denn gern. § 250 S. 1 muss die Person, um dessen Wahrnehmung von Tatsachen es in der Hauptverhandlung geht. in dieser vernommen werden. Allein diese Vernehmung darf nach den §§ 251 ff. (ausnahmsweise) ersetzt werden, und zwar - wie hier sodann der Wortlaut nahelegt durch die Verlesung von Protokollen; nicht aber durch die Einführung des mittelbaren Zeugen in die Hauptverhandlung. 201 197 Zum Fairnessprinzip umfassend im 5. Kapitel, Abschnitt A., 11., 2., b). 198 § 200 [Inhalt der Anklageschrift] S. 4 lautet: "Wird ein Zeuge benannt, dessen Identität ganz oder teilweise nicht offenbart werden soll, so ist dies anzugeben; für die Geheimhaltung des Wohn- oder Aufenthaltsortes des Zeugen gilt dies entsprechend." 199 Vgl. BT-Drs. 12/989, S. 44. 200 Zaczyk in: 17. Strafverteidigertag - Rechtsstaatliche Antworten auf neue Kriminalitätsformen (1993), S. 221, 231. 201 Vgl. zu dieser höchst umstrittenen Frage etwa Amdt NJW 1963, 432, 433 [vgl. a. Fn. 11]; Grünwald Beweisrecht, S. 120; ders. 1Z 1968, 489, 494; ders. in: FS-Dünnebier (1982),347, 353 ff., 360; Mehle in: FS-Griinwald (1999), S. 351, 359 f. A.A. die wohl ganz hM, wonach, wie ausgeführt, auch der ,,Zeuge vom Hörensagen" über eigene Wahrnehmungen berichtet und § 250 S. 1 nach seinem Wortlaut insoweit nicht die Vernehmung anstelle des direkten Zeugen verbietet. So etwa: BGHst 6,209,210; 22, 268, 270 f.; LR-StP025-Goll-

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3. Kap.: Verhältnis des § 247a zur unmittelbaren Vernehmung des Zeugen

Nun wird diese streng am Wortlaut des § 250 S. 1 haftende Sichtweise nach dem oben Ausgeführten jedenfalls dann nicht überzeugen, wenn die Vernehmung des ,,zeugen vom Hörensagen" der Protokollverlesung qualitativ überlegen ist. Gerade daran bestehen aber erhebliche Zweifel: So ist festzustellen, dass die Gefahr von vermehrten Fehlerquellen beim ,,zeugen vom Hörensagen" genauso zutreffen wie für die Protokollverlesung. Denn auch bei ihm handelt es sich nur um ein (Beweisführungs-)Zwischenglied, d. h. ein bloßes "Ersatzmittel", um Beweisverluste zu verhüten. Darüberhinaus dürften dem mittelbaren ,,zeugen vom Hörensagen" regelmäßig sogar mehr Fehlerquellen anzulasten sein. Denn berücksichtigt man, dass zwischen der ersten Vernehmung und der Hauptverhandlung ein gewisser Zeitraum liegen dürfte, im Falle einer Verhörsperson gegebenenfalls in dieser Zeit eine Vielzahl weiterer Vernehmungen vorliegen können, so erscheint das - jedenfalls richterliche - Protokoll als ein viel zuverlässigeres Beweismittel im Vergleich zur Erinnerung der Verhörsperson.202 Dass demgegenüber auch keine Beschränkung der Verteidigungsrechte vorliegt, weil der Beschuldigte den unmittelbaren Zeugen wird befragen können, kann dabei kaum überzeugen. Denn zu Fragen, die etwaige Unklarheiten in der Sachverhaltsschilderung betreffen, wird der mittelbare Zeuge nie etwas sagen können, weil er ja tatsächlich nur das berichten kann, was er selbst - durch den unmittelbaren Zeugen - gehört (und gegebenenfalls gesehen) hat. 203 Insoweit kann man die Beweisführung durch den ,,zeugen vom Hörensagen" jedenfalls nicht ohne erhebliche Bedenken für zulässig erachten. 204 Es mag hier nun aber eine weitere Auseinandersetzung dahinstehen. Denn mit der Fallgruppe des ,,zeugen vom Hörensagen" wurde hinreichend deutlich, dass man unter Zugrundelegung der Rechtsprechungs- wie herrschenden Literaturauffassung nicht von einer "engen Unmittelbarkeit" ausgeht: Die Grenze der materiellen Unmittelbarkeit verläuft vielmehr zwischen dem Personal- und Urkundsbeweis. c) Blickt man nunmehr von dieser Grenzziehung bei der Beweisführung durch den "Zeugen vom Hörensagen" auf die geäußerten Zweifel bei der Videovernehmung des unmittelbaren Zeugen, so stellt sich die Frage, wieso - unter Zugrundelegung insbesondere der Rechtsprechungsauffassung - hier von einer Einschränkung der Unmittelbarkeit ausgegangen wird, dort aber der Grundsatz gewahrt sein soll. Wenn die Unmittelbarkeit nach herrschender Auffassung solange bejaht wird, witzer § 250 Rn. 24; Kühne Strafprozessrecht, § 55 Rn. 915; SK-StPO-Schlüchter § 251 Rn. 21 ff. [Letztgenannte m. w. Nw. auch zur Gegenauffassung]. 202 Grünwald Beweisrecht, S. 120; Mehle in: FS-Grünwald (1999), S. 351, 359; Mitsch JZ 1992, 174, 178 m. w. N. in Fn. 89; Schuster, S. 116. Vgl. a. Kühne Strafprozessrecht, § 55 Rn. 936. Kritisch demgegenüber Geppert Jura 1991,538,542. 203 V gl. dazu a. Grünwald in: FS-Dünnebier (1982), 347, 359 ff. 204 Was freilich auch nach der oben benannten Rechtsprechungsauffassung nicht der Fall ist, weil danach für die Beurteilung der Aussage eines Zeugen vom Hörensagen für § 261 die Bestätigung durch wichtige Beweisanzeichen erforderlich ist, BGHs, 42, 15, 25; 39, 141, 145 f.; 36,159,166; 33,178,181; 33, 83, 88; 17,382,385 f.; BGHR StPO § 261 Zeuge 13, 15, 17; BVeifG NStZ 1995, 600.

C. Unmiuelbarkeitsprinzip, § 250

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wie die Beweisführung mittels Personalbeweis erfolgt, so dürften doch bei der Videovernehmung überhaupt keine Zweifel an der Unmittelbarkeit bestehen!? Denn hier wird detjenige Zeuge vernommen, dessen Wahrnehmungen betroffen sind, wobei - unter Zugrundelegung des heutigen technischen Standes - einerseits die verbalen wie nonverbalen Aspekte des Zeugen Berücksichtigung finden können und andererseits die Wahrung der Verteidigungsrechte vollauf möglich ist, kann der Angeklagte doch den unmittelbaren Zeugen (gegebenenfalls über den Richter) zu ihm unklaren Gegebenheiten des Sachverhalts befragen. Gerade dies war ja letztendlich auch einer der Gründe für die Ausweitung des heutigen § 247a auf alle Zeugen im Gesetzgebungsverfahren. d) Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass die Ausführungen des BGH in der ersten Auslandszeugen-Videoentscheidung,2°5 jedenfalls bei einem Vergleich mit der Situation des ,,zeugen vom Hörensagen", kaum überzeugen. Auch hier werden die Wahrnehmungen des unmittelbaren Zeugen - über den ,,zeugen vom Hörensagen" - mediatisiert. Nur zweifelt man in dieser Fallgruppe nach herrschender Auffassung nicht bereits in grundsätzlicher Hinsicht an der Geeignetheit des Beweismittels. Jedenfalls unter Zugrundelegung des heutigen technischen Standards hat man vielmehr davon auszugehen, dass die Videovernehmung des unmittelbaren Zeugen weit weniger weitreichend den Grundsatz der Unmittelbarkeit betrifft als die Vernehmung des mittelbaren ,,zeugen vom Hörensagen". Soweit daher die audiovisuelle Videovernehmung des Zeugen gern. § 247a durchführbar ist, muss sie grundsätzlich auch anstelle eines "Zeugen vom Hörensagen" eingesetzt werden. 206 IV. Schlussfolgerungen für den "dritten Unmittelbarkeitsaspekt"

Ist also festzustellen, dass die audiovisuelle Fernvernehmung gern. § 247a nicht gegen die herkömmlich benannten Aspekte formeller und materieller Unmittelbarkeit verstößt, wird mit der z.T. behaupteten Beeinträchtigung der Unmittelbarkeit nur der oben benannte dritte, bisher aber als solcher nicht gesondert angeführte, weitere Aspekt angesprochen: nämlich detjenige einer Vernehmung des Zeugen im Sitzungssaal der Hauptverhandlung. Tatsächlich fehlt es ja auch bei der audiovisuellen Fernvernehmung eines Zeugen von einem anderen Ort an einer Konfrontation des Zeugen mit allen Verfahrensbeteiligten, insbesondere dem Angeklagten selbst, worin ein Teilaspekt des wahrheitsfördernden Charakters der Hauptverhandlung gesehen wurde. 207 Unabhängig davon, ob ein "dritter Aspekt" des Unmittelbarkeitsprinzips als wesentlicher Bestandteil dieser Maxime anzuerkennen ist, BGH StV 1999,581,582; vgl. a. KK-StP04-Diemer § 247a Rn. 5. Vgl. nur Nack/ AG Sozialdemokratischer Juristen, S. 307, 319, 321. Die rechtliche Zulässigkeit und tatsächliche Möglichkeit sei dabei unterstellt, worauf für den gesperrten Zeugen noch an späterer Stelle zurück zu kommen sein wird. 207 Siehe dazu sub C. I. 2. b). 205

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3. Kap.: Verhältnis des § 247a zur unmittelbaren Vernehmung des Zeugen

wird man im Hinblick auf das postulierte Wahrheitsmanko zwischen den unterschiedlichen Alternativen des § 247a unterscheiden müssen: 1. § 247a S. 1, 1. Alt Soll im Rahmen des § 247a S. 1, 1. Alt. durch die Möglichkeit der Trennung des Zeugen von den übrigen Verfahrensbeteiligten ein verbesserter Schutz des (Opfer-) Zeugen möglich sein, so dient diese Maßnahme auch einer verbesserten Aufklärung materieller Wahrheit. 208 Denn angesichts der oben benannten Voraussetzungen des § 247a S. 1, 1. Alt. wird - und soll - die audiovisuelle Fernvernehmung aus Zeugenschutzgründen nur in wenigen Ausnahmefällen Anwendung finden, etwa dann, wenn durch die Vernehmung des Zeugen im Sitzungssaal sein "Zusammenbruch" zu befürchten ist. Dient im Einzelfall gerade die audiovisuelle Fernvernehmung gern. § 247a S. 1, 1. Alt. einer Verbesserung der Wahrheitsfindung, dann kann aber die eingangs benannte These "Unmittelbarkeit = bestmögliche Sachaufklärung" - wie beim Videoprotokoll gern. § 255a Abs. 2 auch - (allein hier) nicht durchweg aufrechterhalten werden. Die Kritik an der Videovernehmung wegen eines Mangels an Unmittelbarkeit greift hier insoweit offensichtlich nicht durch, mag man auch den dritten Aspekt als wesentlichen Bestandteil dieser Maxime ansehen. Das gerade beschriebene Wahrheitsmanko ist daher im Falle des § 247a S. 1, 1. Alt. nur ein scheinbares. 2. § 247a S. 1,2. Alt. iVm. § 251 Abs. 1 Nr. 2 Demgegenüber könnte sie im Hinblick auf den "dritten Aspekt" dort zutreffen, wo sich der Zeuge aus anderen Gründen als denjenigen drohender Nachteile für das Zeugenwohl außerhalb der Hauptverhandlung aufhält, also in den Fällen der §§ 247a S. 1,2. Alt., 251 Abs. 1 Nr. 2 bis Nr. 4. Doch gilt auch hier zu differenzieren: Soweit der Zeuge aufgrund von Krankheit, Gebrechlichkeit oder anderer vergleichbarer Hindernisse an einem eigenen Erscheinen in der Hauptverhandlung völlig - im Sinne von absolut - gehindert ist, § 251 Abs. 1 Nr. 2, dient gerade seine Videovernehmung, wie im Falle des § 247a S. 1, 1. Alt. auch, wegen der Möglichkeit, den Zeugen durch das erkennende Gericht in der Hauptverhandlung zu vernehmen, dem Gebot der Optimierung der Beweisaufnahme. Gleiches gilt, wenn das Gericht das Erscheinen des Zeugen faktisch nicht erreichen kann. Denn andernfalls wäre allein ein "stummes" richterliches Protokoll verlesbar bzw. könnte nur eine auf Videoband festgehaltene richterliche Vernehmung des Zeugen abgespielt werden. Dies aber führt, wie oben aufgezeigt wurde, zu Nachteilen für die Wahrheitsfindung. Auch bei der Videofernvernehmung des Zeugen über den Weg des § 251 Abs. 1 Nr. 2 wird daher das Unmittelbarkeitsprinzip nicht durchbrochen. 208

So a. die Erfahrungen im Ausland. Vgl. dazu nur die Nw. in Fn. 28 in diesem Kapitel.

c. Unmittelbarkeitsprinzip, § 250

153

Denn es handelt sich hier vielmehr um einen Fall eines " Beweisnotstands ", 209 der es bei entsprechender Bedeutung der Aussage des Zeugen gerade erfordert (und rechtfertigt), die audiovisuelle Fernvernehmung des Zeugen durchzuführen. 3. §§ 247a S. 1,2. Alt. iVm. § 251 Abs. 1 Nr. 3, Nr. 4 Als (echte) Durchbrechung der Unmittelbarkeit, versteht man sie als Beweisoptimierungs-Prinzip, lassen sich daher nur die Nm. 3 und 4 des § 251 Abs. 1 ansehen. Denn hier kann - vorrangig aus Gründen der Prozessökonomie, aber auch als Ausdruck des allgemeinen Bemühens, den Bürger vor unnötigen strafprozessualen Inpflichtnahmen zu bewahren _210 entweder wegen der Unwichtigkeit der Aussage auf die persönliche Befragung des Zeugen in der Hauptverhandlung verzichtet werden, § 251 Abs. 1 Nr. 3, oder weil neben dem Gericht auch die Staatsanwaltschaft, die Verteidigung wie der Angeklagte mit Videovernehmung (bzw. der Durchführung der Verlesung bzw. dem Abspielen der Bild-Ton-Aufnahme der Zeugenaussage) einverstanden sind, § 251 Abs. 1 Nr. 4. Da es aber mehr als fraglich erscheint, wie zu §§ 251 Abs. 1 Nm. 2 ff. bereits ausgeführt wurde,211 ob in den letztgenannten beiden Fällen wegen des Verfahrensaufwandes, der mit einer Videofernvernehmung verbunden ist, wirklich eine audiovisuelle Fernvernehmung des Zeugen durchgeführt wird, kann die hier zutreffende Kritik am Mangel der Unmittelbarkeit der Beweisaufnahme in der Hauptverhandlung im engeren Sinne (dritter Aspekt) nicht dazu führen, dass auch für alle anderen Anwendungsfälle des § 247a in ihrer Gesamtheit eine Beeinträchtigung der Unmittelbarkeit als Beweisoptimierungs-Prinzip angenommen wird. 4. Zwischenergebnis Dient also die, auf den spezifischen Einzelfall ausgerichtete, audiovisuelle Fernvernehmung gerade in ihren Hauptanwendungsfällen einer Verbesserung der Aufklärung, durchbricht sie nicht das Prinzip der Unmittelbarkeit. Dies gilt jedenfalls, soweit man in den benannten Unmittelbarkeitsaspekten letztlich ein Optimierungsgebot des bestmöglichen Beweises erblickt. Bei § 247a handelt es sich daher um eine Ergänzung und keine Ausnahme des Prinzips der Unmittelbarkeit. Nichts anderes verdeutlicht auch die zu § 244 Abs. 2 zu findende Formulierung, wonach § 247a die "Rechtsgrundlagen zur Erhebung des bestmöglichen Beweises ergänzt".212 Insoweit ist es zu kritisieren, wenn in der Literatur angenommen wird,

209

210 2ll

212

So Weigend ZStW 113 (2001), 271, 283. Kühne Strafprozessrecht, § 55 Rn. 928. Siehe dazu die Ausführungen im 2. Kapitel, Abschnitt B. I. 2. e). Vgl. nur KK-StP04 -Diemer § 247a Rn. 6; ders. NJW 1999, 1667, 1671.

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3. Kap.: Verhältnis des § 247a zur unmittelbaren Vernehmung des Zeugen

die Videovernehmungsvorschrift wäre systematisch besser als ein dem § 250 nachfolgender Tatbestand loziert worden. 213 Was ist es also, so muss man fragen, das den BGH und einen Teil der Literatur dazu bewegt, eine Beeinträchtigung der Unmittelbarkeit anzunehmen? Etwa die Einschränkung der Beurteilungsmöglichkeiten bei Glaubwürdigkeitsfragen, weil der Zeuge via Monitor regelmäßig nicht in seiner körperlichen Gesamtheit im Gerichtssaal "erscheint", so dass, wie man vereinzelt ausführt, wesentliche nonverbale Reaktionen des Zeugen auf der Seite des erkennenden Gerichts nicht wahrnehmbar wären?214 Dann müssten aber bestimmte nonverbale Reaktionen auch Bedeutung für die Glaubwürdigkeitsbeurteilung besitzen. Oder ist eine Glaubwürdigkeitsbeurteilung des Zeugen gegebenenfalls sogar völlig unmöglich, wie von anderer Seite215 vereinzelt behauptet wird? Im Anschluss an die zusammenfassende Darstellung der hier gefundenen Ergebnisse soll dem im nächsten Kapitel näher nachgegangen werden. V. Zusammenfassung der Ergebnisse und Schlussfolgerungen Beim Unmittelbarkeitsprinzip differenziert man herkömmlich zwei Aspekte: den Grundsatz formeller- und materieller Unmittelbarkeit. Das Fehlen der Anwesenheit des Zeugen (in Person) im Sitzungssaal der Hauptverhandlung wurde hier als "dritter Aspekt" der Unmittelbarkeit, als Unmittelbarkeit der Beweisaufnahme in der Hauptverhandlung im engeren Sinn, bezeichnet. Durch die audiovisuelle Femvernehmung von Zeugen konnte eine Beeinträchtigung des Unmittelbarkeitsprinzips in seinem formellen wie materiellen Aspekt nicht festgestellt werden. Ein Exkurs auf den ,,zeugen vom Hörensagen" zeigte demgegenüber, dass in der Rechtsprechungspraxis wie der Literatur die Grenze der Unmittelbarkeit nicht so eng gezogen wird, wie dies die Einwände im Hinblick auf den Mangel an Unmittelbarkeit bei der Videofemvernehmung zunächst nahelegten. Sie verläuft zwischen dem Personal- und Urkundsbeweis. Eine Beeinträchtigung der Unmittelbarkeit wäre bei Anwendung von Videosimultantechnik insoweit nur dann anzunehmen gewesen, wenn die bereits oben postulierte Einordnung des § 247a (S. 1., 2. Alt) in den Kreis der reproduzierenden Beweissurrogate überzeugte. - Wie ein Vergleich mit dem Vernehmungsprotokoll sowie der Bild-Ton-Aufnahme einer Zeugenaussage zeigte, ist der "Videozeuge" aber auf der Stufe der Beweismittel bloßen reproduzierenden Beweismitteln weit überlegen. Denn diese KMR-Lesch § 247a Rn. 9 m. w. Nw. Für eine darauf beruhende Einschränkung der Glaubwürdigkeitsbeurteilung etwa BOB StV 1999,581,582; KK-StP04 -Diemer § 247a Rn. 5; ders. NJW 1999, 1667, 1671. 215 Etwa Fischer 1Z 1998,816,820 und Mehle in: FS-Grünwald (1999), S. 351, 363. 213

214

C. Unmittelbarkeitsprinzip, § 250

155

Beweismittel sind "stumm" gegenüber Nachfragen, vor allem von Seiten der Verteidigung. Gerade auch unter dem Gesichtspunkt der heutigen technischen Möglichkeiten wurde dabei davon ausgegangen, dass durch die Videofernvernehmung von Zeugen eine Vernehmungssituation geschaffen werden kann, die der unmittelbaren Vernehmung des Zeugen (in Person) im Gerichtssaal weitestgehend entspricht. 216 - Betrachtet man darüberhinaus den vom Gesetz vorgesehenen, durch Auslegung im 2. Kapitel kondensierten Anwendungsbereich für Videofernvernehmungen, so wurde aufgezeigt, dass die Fälle des Einsatzes von Videokonferenztechnik für die Zeugenaussage immer Fälle eines andernfalls eintretenden "Beweisnotstands" sind. Gerade vor diesem Hintergrund braucht nicht befürchtet zu werden, der "unmittelbare Zeuge" werde durch einen "Videozeugen" substituiert. Und insoweit braucht erst recht kein Verstoß gegen das Unmittelbarkeitsprinzip, verstanden als materielles Gebot zur Verwendung des bestmöglichen Beweismittels, befürchtet zu werden. Im Hinblick auf den andernfalls eintretenden Beweisnotstand gilt gleiches auch für den dritten Aspekt. Die mangelnde Anwesenheit des Zeugen im Sitzungssaal der Hauptverhandlung führt insoweit nicht zur Verletzung des Prinzips der Unmittelbarkeit. - Gleiches gilt sodann auch für die Aufklärungspflicht des Gerichts (§ 244 Abs. 2), als deren spezieller Anwendungsfall das Unmittelbarkeitsprinzip angesehen wurde, wenn die Videofernvernehmung, wie im Normalfall, in den Fällen des "Beweisnotstands" angeordnet wird. Insoweit überzeugt dann aber kaum die Anknüpfung des § 247a S. 1,2. Alt. an § 251 Abs. 1. Dies gilt zunächst für § 251 Abs. 1 Nr. 3 und Nr. 4, weil hier Anwendungsfälle geregelt werden, die unter dem Gesichtspunkt der Wahrheitsfindung (§ 244 Abs. 2) Sachverhalte umschreiben, in denen es dem Gericht nicht wesentlich auf den persönlichen Eindruck des Zeugen ankommen kann.217 Es gilt in gleicher Weise auch für § 251 Abs. 1 Nr. 2, jedenfalls soweit hier in der Rechtspraxis eine "relative Unerreichbarkeit" des Zeugen anhand flexibler Abwägungskriterien festgestellt wird. Denn wie bereits an friiherer Stelle dargelegt wurde, dienen die hier verwendeten Kriterien einem diametralen Ziel. Während es dort um die Frage geht, wann auf den persönlichen Eindruck des Zeugen trotz des Gebots zur umfassenden Wahrheitsfindung (§ 244 Abs. 2) verzichtet werden darf, geht es hier darum, dem Gericht gerade diesen persönlichen Eindruck vom Zeugen zu erhalten. - Der durch den Gesetzgeber mit der Anknüpfung an § 251 Abs. 1 angedeutete Stellenwert der Videofernvernehmung 218 gern. § 247a überzeugt insoweit nicht. 216 Darüberhinaus wird im Bereich des Zeugenschutzes sogar eine Situationsverbesserung hervorgerufen, weil sich gleichzeitig auch die Interessen des betroffenen (Opfer-)Zeugen besser schützen lassen. 217 Dazu bereits die Ausführungen im 2. Kapitel, Abschnitt B., 1., 2. 218 Dazu im 2. Kapitel, Abschnitt B., I., 2., e).

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3. Kap.: Verhältnis des § 247a zur unmittelbaren Vernehmung des Zeugen

De lege ferenda sollte eine Vorschrift geschaffen werden, die für jedermann klarstellt, dass der "Videozeuge" vor dem richterlichen Vernehmungsprotokoll und der Bild-Ton-Aufzeichnung rangiert. Denn die dem Richter an die Hand gegebene Flexibilität, anstelle der Vernehmung eines "Videozeugen" auch das bereits angefertigte Vernehmungsprotokoll aus vorangegangenen Verfahrensabschnitten zu verlesen, widerspricht dem Gebot des bestmöglichen Beweismittels, und damit einem fundamentalen Aspekt des Prinzips der Unmittelbarkeit.

4. Kapitel

Glaubwürdigkeitsbeurteilung des Zeugen bei audiovisueller Fernvernehmung Wie man den vorangegangenen Ausführungen entnehmen konnte, müssen die gefundenen Ergebnisse noch fundamentiert werden. Denn bisher wurde aus formalen Gründen der Übersichtlichkeit für zwei weitere Aspekte mit bloßen Unterstellungen gearbeitet. Gemeint ist einerseits die Behauptung, auch bei Videokonferenzen sei "Kommunikation" im herkömmlichen Sinne möglich, sowie andererseits, auch die Glaubwürdigkeitsbeurteilung des Zeugen sei nicht bzw. nicht verschlechtert durchführbar. Der Verifizierung dieser beiden Hypothesen dienen nunmehr die weiteren Ausführungen in diesem Kapitel.

A. Audiovisuelle Kommunikation als Ausgangspunkt der Glaubwürdigkeitsbeurteilung Grundbedingung der Glaubwürdigkeitsbeurteilung ist zunächst die "Kommunikation" zwischen der Vernehmungsperson und dem Vernehmenden. Denn die Beurteilung von Glaubwürdigkeit ist kein Bestandteil der "Kommunikation", sondern ein gesonderter Akt der Bewertung von Kommunikationsergebnissen. 1 Bevor insoweit auf etwaige Kriterien, die für die Glaubwürdigkeitsbeurteilung von Bedeutung sind, eingegangen werden kann, muss zunächst das Kommunikationsverhältnis kurz betrachtet werden. Dabei ist von besonderem Interesse, ob im Rahmen einer Videokonferenz "Kommunikation" durchgeführt werden kann, und bejahendenfalls, inwieweit Veränderungen auftreten, wenn "Kommunikation" unter Zwischenschaltung technischer Hilfsmittel, die eine wechselseitige Bild- und TonÜbertragung der Gesprächspartner ermöglichen, erfolgt.

1 So Barton in: Barton et ai. Redlich aber falsch (1995), S. 23, 25; Kühne (1978), S. 106. Vgl. Barton a. a. 0.: "Ob sich eine Aussage als falsch oder wahr oder ob sich ein Verhalten als unredlich oder redlich darstellt, kann sich nur im Zusammenhang mit einer entsprechenden Attribution durch Menschen ergeben; ist also jeweiliges konkretes Resultat menschlicher Kommunikation [ ... ]".

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4. Kap.: Glaubwürdigkeitsbeurteilung des Zeugen

I. Veränderungen des Kommunikationsverhaltens bei Videokonferenzen Wurde oben bereits ausgeführt, dass in der rechts wissenschaftlichen- und aussagepsychologischen Literatur Vermutungen geäußert werden, wonach eine "natürliche" Gesprächssituation bei einer Videokonferenz nicht zustande kommen könne, so soll auf diese Bedenken hier näher eingegangen werden. Von besonderem Interesse ist dabei, inwieweit in der technisch vermittelten Gesprächssituation die Kommunikationspartner gehemmt werden und ob für einen Richter wirklich ausreichende Wahrnehmungsmöglichkeiten des sich an einen anderen Ort aufhaltenden Zeugen bestehen. Vorsichtige Anhaltspunkte dafür werden einer neueren empirischen Untersuchung entnommen. Zunächst muss aber beleuchtet werden, was unter "Kommunikation" im herkömmlichen Sinn zu verstehen und inwieweit diese "Kommunikation" bei einer Vernehmung des Zeugen überhaupt möglich ist. 1. Kommunikation, Kommunikationskanäle und Videokoriferenz

Im Hinblick auf § 247a steht im Mittelpunkt die Individualkommunikation. (Individual-)Kommunikation ist zwischenmenschliche Interaktion, verstanden als ein dynamischer Austauschprozess,2 bei dem mindestens zwei wechselseitig agierende Individuen Informationen mittels Zeichen untereinander austauschen. 3 a) Verbaler und nonverbaler Kommunikationskanal Im Gerichtsverfahren erfolgt Kommunikation zwischen einer Vernehmungsperson und einem Zeugen zunächst verbal, also durch Worte und Wortbildungen, durch Sprache, wodurch ein Verständigungsprozess über einen, vom Zeugen erlebten, Sachverhalt geführt werden soll.4 Eine Zeugenvernehmung kann in grundlegender Hinsicht insoweit nur dann Erfolg haben, wenn der Vernommene auch aussagt, was durch eine Verpflichtung des Zeugen zur Aussage in der Strafprozessordnung sichergestellt wird. 5 Basisvoraussetzung für die Kommunikation ist dabei die gegenseitige Rezeption und Apperzeption des Geäußerten, also ein Verstehensprozess mit korrespondierender adäquater verbaler Reaktion bei der Kommunikations2 Die Reziprozität der Kommunikation betonen sozial wissenschaftliche und linguistische Ansätze, während aus mathematischer Sicht hierin nur eine einseitige Übermittlung von Informationen verstanden wird. Letztgenannte Sichtweise wird hier völlig ausgeklammert. Vgl. dazu nur Weinig, S. 17 f. 3 Weinig, S. 16,20; Schreiber; S. 221. 4 Kühne (1978), S. 13. 5 §§ 52 ff.; 69 f., 161a Abs. 1 S. 1.

A. Audiovisuelle Kommunikation als Ausgangspunkt

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partner. Denn sobald ein Gesprächspartner die Rezeption ablehnt, etwa indem er dem Sprecher nicht mehr zuhört und "abschaltet", kann keine Kommunikation mehr stattfinden. 6 Dem trägt die StPO dadurch Rechnung, dass sie (Nach-)Fragerechte der Prozessbeteiligten bei der Einvernahme eines Zeugen vorsieht. 7 Primär angesprochen wird damit der verbale Kommunikationskanal (= Wahrnehmungsund Austauschebene) des Menschen. Dazu gehören auch die sog. paraverbalen Botschaften. Etwa Betonungen, Lautdehnungen, Stimmhöhe, Sprechtempo, Lachen oder Stimmklänge. Sie übermitteln als das "Wie" der Sprache ebenso Informationen wie das Gesprochene selbst. Die Subsumtion unter die Kategorie "verbaler Kommunikationskanal" ist zwar nicht zwingend, erscheint aber vorzugswürdig, da es sich immer um vokale, also mit der Stimme verbundene Äußerungen handelt. 8

Augenscheinlich beschränkt sich Kommunikation aber nicht nur auf einen Prozess der Verständigung und des Verstehens durch Verbalinformationen. 9 Denn neben dem Sprechen ist gerade auch das Sehen wesentlicher Bestandteil von Kommunikation. Optisch rezipierbare Informationen werden dabei über den nonverbalen Kanal ausgetauscht, den man teilweise auch als non vokalen Kanal bezeichnet. 10 Den nonverbalen Informationen, also etwa dem Aussehen des Zeugen, dem Blickkontakt zwischen den Gesprächspartnern,l1 dem Gesichtsausdruck (Mimik), der Gestik, der Körperposition (Körperhaltung, Körperorientierung, Körperbewegung) usw., kommt eine fundamentale Bedeutung für den Kommunikationsprozess zu. 12 Denn neben der Sprache werden regelmäßig auch das Gesicht, die Augen, die Extremitäten, ja der gesamte Körper bewusst und unbewusst zur Informationsübertragung eingesetzt. Erst diese "nonverbalen Faktoren" machen die Aussage des Zeugen zu einer individuellen, nicht wiederholbaren "ureigensten" Leistung der Aussageperson selbst, so dass man den Aussagetext nicht mehr einer Vielzahl von unbestimmten Personen zuordnen kann. 13 Durch Beobachtung des Gesprächspartners lässt sich viel über seinen "inneren Zustand" erfahren. 14 Beispielhaft wird Weinig, S. 18,27. §§ 69 Abs. 2, 240 ff. 8 Vgl. dazu Weinig, S. 31 Fn. 58-60. 9 Man denke nur an die Spruchweisheit: "Ein Blick sagt mehr als tausend Worte". Zur Begriindung dieses Aphorismus im Hinblick auf die analoge und digitale Kodierung von Sprachzeichen vgl. Flammer, S. 24. Vgl. dazu a. Mummendey, S. 200. \0 Weinig, S. 31. 11 So bezeichnet man die Augen im Volksmund auch als "Fenster zur Seele". 12 Döhring, S. 68; Lagodny (2000), S. 167, 178. Vgl. a. v. Kries Strafprozessrecht (1892), § 48 S. 379. Dies wurde an friiherer Stelle bereits vorweggenommen und führte dazu, dass es sich bei § 247a S. 3 nur um eine Videokonferenz handeln kann, siehe dazu im 2. Kapitel, Abschnitt B., 11. 13 Schneider, S. 15, S. 63, S. 140. 14 So liefert der Gesichtsausdruck (Mimik) Informationen über den inneren Zustand (Freude, Ärger, Interesse, Enttäuschung, Ekel, Überraschung, usw.). Auch interpersonale Bezie6

7

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4. Kap.: Glaubwürdigkeitsbeurteilung des Zeugen

dies bei einem normalen Gespräch zwischen Menschen dadurch verdeutlicht, dass eine mündliche Einladung durch ein freundliches Lächeln bestärkt oder andersherum eine scheinbar fröhliche Begrüßung durch ein gequältes Lächeln völlig relativiert werden kann. 15 Zwischen dem verbalen- und dem nonverbalen Kommunikationskanal bestehen also Interdependenzen, d. h. engmaschige Vemetzungen. Denn beide Kommunikationskanäle werden im Regelfall gleichzeitig und komplementär genutzt. 16 Diese Erkenntnis wurde an früherer Stelle bereits vorweggenommen und führte zu der Annahme, dass die Kommunikationsbasis optimiert werde, wenn die Vernehmungssituation audio-visuell gestaltet ist. Und dies wiederum führte zu der Schlussfolgerung, bei § 247a könne es sich nur eine Videokonferenz handeln, bei der eine Übertragung von Bild und Ton wechselseitig zwischen den Interaktionspartnern erfolgt. Schließlich wurde dies auch beim Unmiuelbarkeitsprinzip angesprochen, wonach die dialektische Seite der Mündlichkeit bei der Zeugenvernehmung die Wahrheitsfindung besonders fördert. b) Weitere Kommunikationskanäle und Videokonferenz Die Individualkommunikation von Angesicht zu Angesicht beschränkt sich nun (theoretisch) nicht allein auf die Wahmehmungssinne "Hören" und "Sehen", wie dies an früherer Stelle zunächst angedeutet wurde. I? Denn je nach Kommunikationssituation nutzt der Mensch auch andere, ihm weitere, von der Natur gegebenen Möglichkeiten zum Informationsaustausch. So erfolgt Kommunikation auch über den olfaktorischen-, gustatorischen-, taktilen- und / oder thermalen Kommunikationskanal. 18 Kommt diesen Kommunikationskanälen im alltäglichen Umgang zwischen Menschen eine große Bedeutung ZU,19 so können sie für die hier interessiehungen, wie Sympathie, Ablehnung oder Zustimmung können sich in der Mimik eines Menschen widerspiegeln. Durch die Gestik können Gespräche strukturiert, das Gesprochene untermalt, unterstützt und sogar ersetzt werden. Handbewegungen können auch dem Ausdruck von Gefühlen und der Persönlichkeit dienen. Kopjbewegungen, wie das Kopfschütteln oder das Nicken, bringen innere Zustimmung oder Ablehnung zum Ausdruck. Durch die Zuwendung des Blickkontakts kann Interesse, durch seine Abwendung Desinteresse signalisiert werden. Der Körperhaltung kommt etwa Bedeutung für die Betonung und Akzentuierung des Gesprochenen, aber auch für die Darstellung interpersonaler Einstellungen (Zuneigung, Zusammengehörigkeit) zu. Zum Ganzen Weinig, S. 82 f. Zur Mimik umfassend a. Flammer, S. 32 ff. 15 Weinig, S. 36 f. 16 Flammer, S. 109; Weinig, S. 38. Dies muss freilich so nicht immer sein. Es können auch nur einzelne Kommunikationskanäle zum Informationsaustausch genutzt werden. So kann man sich nur mit Gesten unterhalten. Manchmal reicht auch nur ein Blickkontakt zur Verständigung. Und Telefongespräche erfolgen immer nur mittels verbaler Kommunikation. 17 Vgl. dazu die vorweggenommenen Ausführungen im 2. Kapitel, Abschnitt B., H. 18 Damit angesprochen sind der Geruchssinn, der Geschmackssinn, der Tastsinn sowie der Temperatursinn. 19 Etwa zur Bedeutung der Kommunikationssinne bei einem Handschlag, vgl. Scherer, S. 76: "da Festigkeit, Dauer sowie Wärme und Trockenheit des Händeschüttelns nicht selten

A. Audiovisuelle Kommunikation als Ausgangspunkt

161

rende Frage aber völlig außer Acht gelassen werden. Denn bei der unmittelbaren von Angesicht zu Angesicht erfolgenden - Vernehmung des Zeugen im Sitzungssaal des Gerichts ist der Informationsaustausch zwischen den beteiligten Gesprächspartnern immer nur auf die Mitteilung von verbalen und nonverbalen Informationen beschränkt. Auch beim Einsatz von Videokonferenztechnik als vermittelndes Kommunikationsmedium kann daher ein etwaiger Einfluss auf das Kommunikationsverhältnis nur auftreten, soweit es den verbalen- wie den nonverbalen Kommunikationskanal betrifft. Und nur insoweit fragt sich also, welche Veränderungen der Relation zu beobachten sind, wenn die Kommunikation der Gesprächspartner über einen Monitor erfolgt. 2. Inwieweit verändert das technische Medium das verbale wie nonverbale Kommunikationsverhalten?

Eine empirische Untersuchung, inwieweit das Medium "Videokonferenz" Kommunikationsbeziehungen zwischen Gesprächsteilnehmern verändert, wurde in neuerer Zeit etwa von Weinig durchgeführt. 2o In ihrer 1996 erfolgten kommunikationswissenschaftlichen Dissertation wird versucht, "Kommunikation" durch bestimmte Kriterien zu strukturieren, um anschließend die Häufigkeit des Auftretens dieser Strukturkriterien bei einer "Videokonferenz" mit der sog. "Face-to-Face"Konferenz zu vergleichen. 21 Ermittelt wird dabei auch, welche subjektiven Empbedeutende kommunikative Funktionen erfüllen, die durchaus Einfluss auf den weiteren Ablauf der Interaktion haben können." 20 Katja Weinig Wie Technik Kommunikation verändert, Diss. 1996. 21 Unterschieden wird hierbei zwischen der Zeichen-, der Inhalts-, der Beziehungs- und der subjektiven Wahrnehmungsebene. Diese vier Ebenen werden durch Unterkategorien ausdifferenziert, die bestimmte Indikatoren enthalten. Auf der "Zeichenebene " wird zunächst untersucht, in welchem Ausmaß die Gesprächspartner die ihnen zur Verfügung stehenden verbalen sowie nonverbalen Zeichensysteme zum Austausch von Informationen nutzen. Indikatoren verbalen Verhaltens sind Gesprächsschritte (= Abgrenzung danach, was ein Sprecher in einem Zug äußert) und Gesprächsbeiträge (= Abgrenzung nach dem Inhalt), Überschneidungen (gleichzeitiges Sprechen zweier Konferenzteilnehmer), Unterbrechungen ("in das Wort fallen") sowie Gesprächspausen. Beim nonverbalen Verhalten werden Gestik und Mimik sowie Kopj- und Körperbewegungen beobachtet. Demgegenüber werden auf der "Inhaltsebene " alle verbalen und nonverbalen Äußerungen nach ihrer inhaltlichen Funktion klassifiziert. Es geht also nicht um das Auftreten einer bestimmten (verbalen oder nonverbalen) Verhaltensweise, wie bei der Zeichenebene, sondern um den Zweck, den ein Gesprächspartner mit einer Äußerung verfolgt. Als Indikatoren werden unterschieden: aujgabenorientierte Äußerungen (Gesprächsbeiträge, die der Lösung eines Problems dienen), sozioemotionale Äußerungen (Begrüßungen, Entschuldigungen, Aufforderungen, Beleidigungen), gesprächsorganisatorische Äußerungen (etwa die Fragen der Festlegung einer Rednerfolge) sowie Äußerungsjragmente (unvollständige oder nicht erfasste Äußerungen). Auf der "Beziehungsebene " geht es um die Kommunikationskontakte zwischen den jeweiligen Gesprächspartnern. Unterschieden wird hier die Sender-Empjänger-Relation (Kontakthäufigkeit: an wen wendet sich ein Gesprächspartner - als Sender - und wie oft wendet sich jemand an ihn - als Empfänger) sowie die Rollenverteilung. Für die" Wahrnehmungsebene" werden die 11 Rieck

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4. Kap.: Glaubwürdigkeitsbeurteilung des Zeugen

findungen die Versuchsteilnehmer äußerten, insbesondere, ob sich die Versuchsteilnehmer durch die indirekte Kontaktmöglichkeit in ihrem Kommunikationsverhalten beeinträchtigt fühlen. 22 a) Übertragbarkeit der Ergebnisse? Die Ergebnisse der Untersuchung von Weinig beruhen auf einer Durchführung von "Problemlösungskonferenzen", bei denen mehrere Versuchteilnehmer mit unterschiedlichen Interessen "ausgestattet" wurden und eine Aufgabe in beschränkter Zeit lösen mussten (Rollenspiel).23 Dieser Gesichtspunkt verhindert die durchgehende Übertragung der Ergebnisse auf § 247a. Denn im Rahmen einer videovermittelten, auf § 247a beruhenden Kommunikation zwischen dem Richter und einem Zeugen muss die Schilderung des wahrgenommenen Geschehens nicht gegenüber anderweitigen Interessen sowie unter gewissen Zeitdruck durchgeführt werden. 24 Insoweit herrschen auch weitgehend andere Kommunikationsbedingungen zwischen den Gesprächspartnern?S Im Zusammenhang damit gilt auch zu berücksichtigen, dass die Untersuchung von Weinig mehr als 6 Jahre zurückliegt. Angesichts der rasanten Weiterentwicklung der Videokonferenztechnik in den letzten Jahren dürften die gefundenen, insbesondere subjektiv geschilderten, Ergebnisse in dieser Hinsicht sogar zu relativieren sein. 26

subjektiven Empfindungen der Versuchsteilnehmer (Werturteile) mittels Befragung ermittelt. Kriterien sind die subjektive Bewertung der Gesprächsorganisation, die subjektive Bewertung der Problerniäsung sowie die subjektive Situationsempfindung. 22 Sog. Wahmehmungsebene. Dazu vorangegangene Fn. 23 Es ging hier um den Einkauf mehrerer Fahrzeuge für eine Firma, der die Konferenzteilnehmer hypothetisch angehören und der nur ein begrenztes Budget für diesen Einkauf zur Verfügung steht. Weil alle Gesprächsteilnehmer in unterschiedlichen Beschäftigungsebenen arbeiten, vertreten sie auch unterschiedliche Interessen im Hinblick auf Fahrzeugtyp, Anzahl der Wagen, Fahrzeugausstattung, usw. Die (,,Face-to-Face"- sowie Video-)Konferenzzeit wurde auf eine halbe Stunde begrenzt. 24 Insoweit kann hier nicht danach differenziert werden, ob der Inhalt einer Äußerung aufgaben-, gesprächs- oder sozioemotional-orientiert ist, was die Übertragung der zur Inhaltsebene gefundenen Ergebnisse auf § 247a verhindert. 25 Dies folgt auch daraus, dass in der Untersuchung von Weinig, Konferenzen zwischen mehr als zwei Versuchsteilnehmern durchgeführt wurden, während § 247a herkömmlich auf die Kommunikation zwischen zwei Personen, nämlich der Vernehmungsperson und einem Zeugen, beschränkt sein sollte. Insoweit können auch die Ergebnisse der Beziehungsebene nicht auf § 247a übertragen werden. 26 So äußerten einige Versuchteilnehmer, dass die Bewegungen der Personen auf dem Bildschirm zeitlich verzögert, das Fernsehbild manchmal verzerrt und manchmal sogar ein Echo zu vernehmen war. Diese Äußerungen verdeutlichen, dass die eingesetzte Videokonferenztechnik nicht (mehr) dem heutigen Stand entspricht, was angesichts dem Zeitpunkt der Untersuchung sowie der schnellen technischen Entwicklung auch nicht besonders verwundert.

A. Audiovisuelle Kommunikation als Ausgangspunkt

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Den Untersuchungsergebnissen kommt für § 247a daher nur partielle, dort aber nichtdestotrotz erhebliche Bedeutung zu. Diese Bedeutung ist gegeben, wo neben den eigenen Erfahrungen weiterhin nachgewiesen werden kann, dass entgegen den Bedenken in der Literatur27 sehr wohl "Kommunikation" im verbalen wie nonverbalen Sinn möglich ist, m. a. W. die Kommunikationspartner in ihren verbalen wie nonverbalen Handlungen nicht gehemmt werden. Damit angesprochen ist die, von Weinig so bezeichnete, Zeichenebene, 28 anband derer die Häufigkeit des Auftretens bestimmter verbaler sowie nonverbaler Indikatoren bei "Face-to-Face"- sowie videovermittelten Konferenzen festgestellt wird. Darüberhinaus kommt den Untersuchungsergebnissen auch dort Bedeutung zu, wo die subjektiven Empfindungen der Versuchteilnehmer geschildert werden, verdeutlichen diese, inwieweit die räumliche Trennung der Gesprächspartner als "unnatürlich", einem strikt subjektiven Kriterium, empfunden wird. Wiederum damit angesprochen ist die von Weinig so bezeichnete Ebene der subjektiven Wahrnehmung, hier speziell das Kriterium der Situationsempfindung. b) Hypothesen und ihre Begriindungen Ausgehend von den zitierten Vermutungen in der Literatur, die sich weitgehend am Bildtelefon, einem der Videokonferenz nur ansatzweise vergleichbaren technischen Medium, orientieren, werden durch Weinig zunächst Hypothesen aufgestellt. Diese Hypothesen sollen hier, für das verbale- und nonverbale Verhalten der Kommunikationspartner - auf der Zeichenebene sowie für die Situationsempfindung kurz benannt und ihre Herleitung begriindet werden: aa) Verminderte verbale wie nonverbale Gesprächsdynamik bei"'deoko~erenzen

Die zunächst für verbale "Handlungen" aufgestellte Hypothese lautet, dass bei einer Videokonferenz längere Gesprächsschritte und Gesprächsbeiträge, weniger Unterbrechungen und Überschneidungen sowie längere Pausen zu erwarten seien. Dies wird aus einem Forschungsergebnis der Telekom zu Videokonferenzen geschlussfolgert, wonach die Zwischenschaltung des technischen Mediums eine höhere Disziplin bei der Gesprächsführung bedinge?9 Gerade das technische Medium, so die geschlussfolgerte Vermutung, führe daher zu einem ruhigeren und geordneten Gesprächsverlauf zwischen den Gesprächsteilnehmern. 30

Vgl. dazu die obigen Ausführungen im 3. Kapitel, sub A., 11., 1. Zu den Kategorien, Unterkategorien sowie Indikatoren vgl. die Ausführungen bei Pn. 21. 29 Weinig, S. 80 m. w. Nw. in Pn. 27. 30 Dazu Weinig, S. 80 f. 27

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4. Kap.: Glaubwürdigkeitsbeurteilung des Zeugen

Die für das nonverbale Verhalten angenommene Hypothese basiert demgegenüber auf den Bedenken der Literatur zum Technikeinsatz. Es wird vermutet, dass die technikvermittelte Kommunikation zu einer Abnahme der nonverbalen "Äußerungen" führe. Dies beruht wiederum auf der Annahme, dass die technikvermittelte visuelle Übertragung des eigenen Verhaltens vom Kommunikator als negativ empfunden wird, weil er sich beobachtet fühlt. Dadurch entstehende Hemmungen sowie die vermehrte Selbstkontrolle3! bedingten nun eine Abnahme nonverbaler Reaktionen, insbesondere der Gestik, bei der die beste Möglichkeit zur Selbstkontrolle besteht. Schließlich soll diese Hypothese auch aus der Erkenntnis folgen, welche auf der Relation von Distanz und nonverbalen Verhalten beruht: So kommt dem nonverbalen Kommunikationskanal des Menschen für die Kommunikation über geringe Entfernungen eine sehr große Bedeutung zu. Mit der Distanzierung und räumlichen Trennung der Gesprächspartner verliert er aber an Bedeutung, während der verbale Kommunikationskanal in den Vordergrund riickt. Wegen der, bei einer Videokonferenz nur mediatisierten, räumlich getrennten Kommunikationsbeziehung der Gesprächspartner, müsste auch danach eine Abnahme nonverbaler Verhaltensweisen erfolgen. 32 bb) Negative Situationsempfindungen

Mit den benannten, in der Literatur aufzufindenden Zweifeln liegt dann auch die nächste Hypothese offen, die die subjektive Wahmehmungsebene betrifft. Wegen der (angenommenen) "unnatürlichen" Gesprächssituation bei einer nur technikvermittelten und daher indirekten Videokonferenz liegt hier die Vermutung nahe, dass bei den Versuchsteilnehmern eine negativere Situationsempfindung bei einer Videokonferenz entsteht, als sie im Rahmen einer Konferenz festzustellen ist, die von Angesicht zu Angesicht geführt wird?3 c) Überblick über die Untersuchungsergebnisse Im folgenden soll auf die Untersuchungsergebnisse im Überblick kurz eingegangen werden, soweit sie auch für § 247a Bedeutung haben. Angegeben werden nur die prozentualen Durchschnittswerte, die sich aus der Zusammenschau aller "Faceto-Face"-Konferenzen bzw. Videokonferenzen ergaben. aa) Falsifizierung der Hypothesen für die Kommunikationskanäle auf der Zeichenebene

Entgegen den in den Hypothesen für den verbalen- sowie nonverbalen Kommunikationskanal benannten Erwartungen, zeigte sich beim Vergleich mehrerer video31 32 33

Siehe dazu bereits die Nw. in Fn. 308. Dazu Weinig, S. 84 f., S. 38 Fn. 87. Dazu Weinig, S. 104 f.

A. Audiovisuelle Kommunikation als Ausgangspunkt

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konferenzvermittelter- sowie "Face-to-Face"-durchgeführter Konferenzen, dass die für das verbale wie nonverbale Verhalten auf der Zeichenebene aufgestellten Hypothesen vollständig falsifiziert werden mussten. 34 So wurde beim verbalen Kommunikationskanal anstelle der vermuteten höheren Gesprächsdisziplin bei den Videokonferenzen ein Anstieg von Gesprächsschritten (+64,98%), Gesprächsbeiträgen (+ 50,43%), Unterbrechungen (+ 56,67%) sowie Gesprächsüberschneidungen (+ 71,14 %) beobachtet, während die Gesprächspausen (- 75,86%) in umgekehrter Richtung abnahmen. Bis auf die Gesprächsunterbrechungen waren dabei auch alle Ergebnisse weitgehend homogen, d. h. sie traten so oder in ähnlicher Weise auch bei den weiteren Konferenzen auf. Für den nonverbalen Kommunikationskanal ergab sich im Durchschnitt sogar eine Verdoppelung der nonverbalen Verhaltensweisen (+108,80% pro Minute). Am höchsten war die Steigerung der Gestik (+128,48%), gefolgt von Körperbewegungen (+100%), Kopfbewegungen (+ 91,18%) sowie der Mimik (+83,12%). Und auch hier konnte, mit Ausnahme der Mimik, für alle durchgeführten Konferenzen eine weitgehende Homogenität der Ergebnisse festgestellt werden. bb) Verifizierung der Hypothese für die subjektive Situationsempfindung Demgegenüber gelangt Weinig in ihrer Untersuchung zur weitgehenden Bestätigung ihrer Hypothese für die subjektive Situationsempfindung. Die Verifizierung erfolgte durch offene, an 12 Versuchsteilnehmer gerichtete Fragen in einem Fragenkatalog. 35 Die erste Frage bezog sich auf die, bei allen Konferenzen vorhandenen Kameras. Dazu gaben acht Videokonferenz-Teilnehmer an, sich durch die Kameras ,überhaupt nicht' gestört zu fühlen. Drei Personen fühlten sich ,etwas' gestört. Eine Person fühlte sich ,sehr' gestört. Die weitere Frage, inwieweit sich dies auf das eigene Verhalten auswirkt, wurde von keinem der Teilnehmer beantwortet. Bei der zweiten Frage, inwieweit das Fehlen des unmittelbaren Kontakts zu den Gesprächspartnern bei einer Videokonferenz empfunden wurde, äußerten sieben Teilnehmer, es habe sie ,überhaupt nicht' bzw. ,nur wenig' gestört, die übrigen fünf Teilnehmer geben an, es habe sie ,etwas' oder ,sehr' gestört. Begründet wird dies mit dem Fehlen des unmittelbaren Blickkontakts sowie den auf Übertragungsmängeln beruhenden Verständigungsproblemen zwischen den Gesprächsteilnehmern. Bei einer dritten Frage zu den situativen Rahmenbedingungen, wo es den Teilnehmern freigestellt wurde, sich positiv und I oder negativ anband vorgegebener Eigenschaftswörter allgemein zu äußern,36 wurden für unvermittelte Konferenzen 10 Positiv- und 6 Negativwertungen festgestellt, während bei den Videokonferenzen Vgl. im einzelnen dazu: Weinig, S. 124 ff. Vgl. im einzelnen dazu: Weinig, S. 154 ff. 36 Den Versuchsteilnehmern wurden neun positive, neun negative sowie zwei neutrale Adjektive als mögliche Antwort vorgegeben. 34

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4. Kap.: Glaubwürdigkeitsbeurteilung des Zeugen

nur 6 Positiv- und 17 Negativbewertungen benannt wurden. 9 Negativäußerungen betrafen die technischen Geräte sowie die technisch beeinflusste Kommunikation, wonach die zeitlich verzögerten Bewegungen auf dem Bildschirm, das Echo der Stimmen und das verzerrten Fernsehbild besonders bemängelt wurden. Und auch bei den weiteren Fragen, betreffend die Empfindungen bezüglich Gesamtsituation und Atmosphäre während der Diskussionen sowie zu einem Vergleich der vermittelten und unvermittelten ,Konferenz' mit dem ,Alltagsgespräch ., schnitt die Videokonferenz gegenüber der unvermittelten Konferenz durchschnittlich schlechter ab. d) Bewertung der Untersuchungsergebnisse Die für den verbalen und nonverbalen Kommunikationskanal festgestellten Ergebnisse haben nunmehr, wie ausgeführt, eine erhebliche Bedeutung im Hinblick auf § 247a. Obwohl sie verdeutlichen, dass der Technikeinsatz offensichtlich Kommunikation verändert, wird aus den Ergebnissen auch deutlich, dass verbale- und nonverbale Kommunikation bei Videokonferenzen sehr wohl möglich ist. Dies gilt erst recht, wenn man berücksichtigt, dass der Untersuchung ein technischer Standard zugrunde zu legen ist, der offensichtlich nicht dem heutigen entspricht. Aus den Ergebnissen muss sogar geschlussfolgert werden, dass Videokonferenzen im Regelfall von einer größeren Gesprächsdynamik gekennzeichnet sind, als unvermittelt durchgeführte Konferenzen. Denn gerade die nonverbalen "Äußerungen" werden mit erheblich gesteigerter Intensität zwischen den Gesprächspartnern ausgetauscht. Insoweit scheint die Annahme, der Zeuge werde bei einer Videokonferenz regelmäßig in seinem Verhalten gehemmt, so nicht ohne weiteres haltbar. Fragt man nach dem Grund für die Steigerung nonverbaler Äußerungen bei technikvermittelter Kommunikation, so findet sich eine mögliche Erklärung in der "doppelten Informationsübermittlung", die Videokonferenzpartner bei etwaigen Übertragungsdefiziten wechselseitig vornehmen. So ist anzunehmen, dass sich die Gesprächspartner bei der technisch vermittelten Übertragung ihrer "Bild- und Ton"-Daten nicht immer himeichend sicher seien, ob sie selbst von dem Kommunikationspartner durchweg "verstanden" werden. Aus diesem Grunde senden sie ihre Informationen zur Sicherheit doppelt, d. h. sowohl über den verbalen- wie den nonverbalen Kommunikationskanal. Bei Videokonferenzen bestünde die Hauptfunktion nonverbaler Kommunikation daher vor allem in der Unterstützung und Bekräftigung der verbalen Aussagen. Und dies wiederum erklärte auch den rapiden Anstieg von Gestik sowie Kopfbewegungen, kommt gerade diesen beiden Verhaltenselementen primär die Funktion der Sprachunterstützung, Sprachuntermalung sowie Sprachergänzung ZU. 37 Überzeugt die Annahme vermehrter Hemmungen bei den Videokonferenzpartnern insoweit kaum, soweit damit jedenfalls der Regelfall umschrieben wird, gilt 37

Dazu Weinig, S. 162 f.

A. Audiovisuelle Kommunikation als Ausgangspunkt

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ähnliches wohl auch für weitere, vor allem in der Literatur vorgebrachte Einwände. So wird sich eine Aussageperson bei einer Videokonferenz, was mit der Vermutung vermehrter Hemmungen eng verbunden ist, im Regelfall auch nicht anders beobachtet fühlen, als dies der Fall wäre, wenn sie unmittelbar im Sitzungssaal vernommen wird. Denn im Sitzungssaal sind die Blicke einer Vielzahl von Personen viel offensichtlicher als bei der Vernehmung des Zeugen über Monitor. 38 Und insoweit braucht gleichermaßen nicht befürchtet zu werden, dass beim Zeugen eine andere - scil. verstärkte - Selbstkontrolle im Rahmen von Videokonferenzen erfolgt, was wiederum zu gehemmter Kommunikation führen würde. 39 Und was demgegenüber die Person des Richters angeht, so wurde bereits ausgeführt, dass die Vermutung eingeschränkter Wahrnehmungs- und Beurteilungsmöglichkeiten unzutreffend ist. Denn bedenkt man, dass der Zeuge im Gerichtssaal regelmäßig in einiger Entfernung vom Richtertisch sitzt und Kommunikation insoweit über den nonverbalen Kommunikationskanal nur vermindert erfolgen kann,4o wird demgegenüber bei einer Videokonferenz die volle visuelle Wahrnehmbarkeit ermöglicht, weil trotz der räumlichen Trennung das technische Medium die visuelle Distanz zwischen den Gesprächsteilnehmern überwindet (Stichwort: "Zoom-Technik"). Dies wurde bei den eigenen Erfahrungen des Verfassers bereits umfassend ausgeführt. Ist daher also festzustellen, dass "Kommunikation" im obigen Sinn bei einer Videokonferenz zwischen dem Richter und dem Zeugen erfolgen kann, so muss den subjektiven Wahrnehmungen der Versuchsteilnehmer jedoch weiterhin entnommen werden, dass das Mittel "Videokonferenz" die unmittelbare Kommunikation nicht durchweg vollwertig ersetzt. Mögen hier auch die technischen Eigenschaften der in der Untersuchung verwendeten Videokonferenzsysteme eine entscheidende Rolle gespielt haben, so sind die technischen Mittel, die die räumliche Trennung der Kommunikationspartner "überbriicken", immer Bestandteil der Interaktion zwischen den Gesprächspartnern. Mit anderen Worten ausgedriickt: Obwohl aus den Äußerungen der Versuchsteilnehmer in der Untersuchung von Weinig deutlich wird, dass die dort verwendete Videokonferenztechnik kaum dem heutigen Stand der Technik entspricht, kann es trotz des Einsatzes hochmodernster Technik, wie sie oben vorgestellt wurde, Situationen geben, in denen sich die Form technisch vermittelter Kommunikation auf das subjektive Empfinden eines Zeugen negativ auswirkt. Dies wurde in der Untersuchung von Weinig etwa durch Äußerungen einzelner (!) Versuchsteilnehmer, die nicht allein die technischen Defizite betrafen, belegt. 41 Darin liegt auch der richtige Gedanke in den vorgebrachten Bedenken der 38 Gerade dies soll ja bei Kinderzeugen die Qualität ihrer Aussage verbessern, wie die Erfahrungen im Ausland zeigen, dazu Fn. 28 im vorangegangenen Kapitel. 39 Vgl. zu diesem Aspekt auch die weiterführende Begründung im Abschnitt B., 11., 2., b), dd) in diesem Kapitel. 40 Vgl. etwa Schneider; S. 62: "Public distance". 41 So wurde etwa ausgeführt, dass es sich bei den videovermittelten Gesprächpartnern um "Fernsehmenschen" handelt. Im Zusammenhang damit wurde bemängelt, dass "die Art der

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4. Kap.: GlaubwÜIdigkeitsbeurteilung des Zeugen

Kritiker. Insoweit ist eine videovermittelte Kommunikation zwischen einem Richter und dem Zeugen immer davon abhängig, inwieweit das technische Medium von der jeweiligen Person des Zeugen, aber auch des Richters, "angenommen" wird. Ob diese besondere Abhängigkeit der Kommunikation von der Individualität des Zeugen, die in gewisser Weise auch bei einer Vernehmung im Gerichtssaal besteht, nun aber dazu führen kann, dass man technikvermittelte Kommunikation aus dem Strafprozess "verbannen" sollte, ist jedoch zu bezweifeln. Denn obwohl die Versuchsteilnehmer in der Untersuchung von Weinig die Videokonferenzen mit mehr negativen Attributen bedachten als unvermittelte Konferenzen, wurde bei keinem Versuchsteilnehmer beobachtet, dass mit ihm eine videovermittelte Kommunikation überhaupt nicht durchführbar war. Bei etwaigen Hemmungen des Zeugen wird es sich insoweit nicht um den Regelfall handeln. 42 Dies sei erneut hervorgehoben. Darüber hinaus gilt auch zu berücksichtigten, dass hier keinem inflationären Einsatz von Videokonferenztechnik das Wort geredet werden soll. Doch geht es bei § 247a nicht um einen - in der Untersuchung erfolgten - Vergleich der "indirekten Videokonferenz" mit der "direkt" erfolgenden Kommunikationssituation, sondern darum, anstelle völliger Nichtkommunikation in der Hauptverhandlung, also in den Fällen des "Beweisnotstands", wenigstens technikvermittelte Kommunikation zwischen dem Richter und dem Zeugen durchzuführen.

3. Zwischenergebnis

Unter "Kommunikation" wurde hier ein Interaktionsprozess zwischen zwei oder mehreren Individuen, die wechselseitig Informationen über mehrere Kommunikationskanäle austauschen, verstanden. Im Gerichtsverfahren erfolgt Kommunikation mit dem Zeugen allein über den verbalen- wie den nonverbalen Kommunikationskanal. Im Hinblick auf das Prinzip der Unmittelbarkeit muss der Zeuge also "gesehen" und "gehört" werden. Demgegenüber spielen die dem Menschen gegebene Wahrnehmungssinne zum "Riechen", "Schmecken" und "Fühlen" in der gerichtlichen Kommunikation keine Rolle, unabhängig davon, ob sie von Angesicht zu Angesicht oder videovermittelt erfolgt. Und insoweit ist die Aussage: "Einen Zeugen muss ich live vor mir haben, ich muss ihn riechen, sehen und schmecken",43 partiell falsch bzw. nur partiell richtig. Kommunikation ... zu indirekt" war. Insoweit findet sich auch die Äußerung, dass Telefonieren "teilweise persönlicher" sei, usw. Vgl. dazu Weinig, S. 153 ff. 42 Dass es sich bei den Hemmungen dariiberhinaus auch nur um anfängliche handeln wird, verdeutlicht die Aussage einer Versuchsteilnehmerin: "am Anfang ist es merkwürdig, mit einern Fernseher zu reden, aber man gewöhnt sich schnell daran", vgl. Weinig, S. 155, 168 Fn.57. 43 Dazu Lagodny (2000), S. 167, 178.

A. Audiovisuelle Kommunikation als Ausgangspunkt

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Einer Untersuchung zum videovermittelten- sowie unvermittelten Verhalten von Gesprächspartnern konnte entnommen werden, dass "Kommunikation" im benannten Sinn auch bei Videokonferenzen möglich ist. Die These, der Einsatz technischer Mittel sowie die indirekte, weil videovermittelte Gesprächssituation führe zu einer Verstärkung der Hemmungen beim Zeugen, kann daher für den Regelfall nicht aufrechterhalten werden. Gleiches gilt auch für weitere Annahmen, etwa diejenige, dass die Videokonferenz zu einer erhöhten Selbstaufmerksamkeit und Selbstkontrolle führt, was wiederum die Wahmehmungs- und Beurteilungsmöglichkeiten des Richters vermindert. - Durch den Technikeinsatz offensichtlich verändert wird aber das "Wie" der Kommunikation zwischen den Gesprächspartnern. Anstelle verminderter verbaler- sowie nonverbaler Äußerungen tritt eine Veränderung der Kommunikation in umgekehrter Richtung auf. Insbesondere bei den nonverbalen Äußerungen kommt es zu einem nicht unerheblichen Anstieg der Verhaltenselemente, wofür die "doppelte Informationsübertragung" über beide Kommunikationskanäle verantwortlich scheint. Auf die Frage, ob gerade durch den Anstieg nonverbaler Verhaltenselemente die Beurteilung der Glaubwürdigkeit des Zeugen unmöglich wird, soll im Anschluss näher eingegangen werden. - Weil die "Natürlichkeit" der empfundenen Gesprächssituation, also die subjektive Wahrnehmung von Videokonferenzteilnehmern, ganz erheblich davon abhängt, in welcher Weise die räumliche Trennung der Gesprächspartner durch die Technik "überbrückt" werden kann, kommt es einerseits darauf an, in welcher Qualität Videokonferenzen durchgeführt werden. Angesichts des oben beschriebenen hohen Standards heutiger Videokonferenzen ist dabei zu vermuten, dass die Ergebnisse der Untersuchung von Weinig heute in positiver Richtung hin korrigiert werden müssen, jedenfalls soweit es die subjektive Situationseinschätzung der Versuchsteilnehmer betrifft. Andererseits muss den Ergebnissen der Untersuchung auch entnommen werden, dass im Einzelfall auch das "Ob" der Kommunikation beeinträchtigt sein kann, weil technikvermittelte Kommunikation ganz erheblich von der Individualität des Zeugen abhängt. Dass es sich bei der Annahme von Hemmungen aber nicht um den Regelfall handelt, zeigen weiterhin die weitgehend homogenen Ergebnisse in der benannten Untersuchung.

11. Richterliche Kommunikationsverantwortung und Kommunikationsoptimierung bei einer Videokonferenz

Wurde die Kommunikation im Gerichtsverfahren gerade als ein verbal- wie nonverbal geführter Verstehensprozess gekennzeichnet, so wurde bisher immer von einem dialogischen, auf Gleichrangigkeit der Interaktionspartner beruhenden Kommunikationsprozess ausgegangen. Eine derartige Gleichrangigkeit der Interaktionspartner kann aber bei einer Vernehmung von Zeugen im Ermittlungs- oder Haupt-

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4. Kap.: Glaubwürdigkeitsbeurteilung des Zeugen

verfahren tatsächlich so nicht angenommen werden. 44 Denn Zeugen berichten über ihre Wahrnehmungen von Tatsachen. Sie sind "Mittel" zum Beweis und dienen zunächst allein der Informationsgewinnung, m. a. W. der strafprozessualen Wahrheitsfindung. Insoweit geht es vordergriindig hier also nicht um gegenseitiges Verstehen. Vielmehr sind die Interaktionsrollen im Strafprozess aufgrund des Machtverhältnisses der jeweiligen Vernehmungsperson zum Zeugen offensichtlich auch unterschiedlich verteilt. Dies hemmt die Interaktionsfreiheit zwischen den Beteiligten und weist dem Richter in der Hauptverhandlung die Kommunikationsverantwortung ZU. 45 Weil der Grundsatz vom rechtlichen Gehör, Art. 103 Abs. 1 GG, den Richter im Rahmen der vom Gesetz vorgegebenen Grenzen auch zur Kommunikationsoptimierung verpflichtet,46 muss der Richter versuchen, insbesondere die für die Kommunikation nicht unerhebliche Einflussgröße der unterschiedlichen Machtverteilung (soweit wie möglich) auszugleichen. 47 Bei anfänglichen Hemmungen des Zeugen muss er daher, etwa durch ein längeres Vorgespräch, Vertrauen des Zeugen gewinnen, um diese Hemmungen abzubauen. Die Vernehmung soll auf Kooperation, Freundlichkeit und weiteren Prinzipien48 beruhen, die eine Kommunikation nicht überhaupt, sondern auch in einer bestimmten, nämlich optimierten Weise ermöglicht. Der Richter muss also "eine dialogische Existenz sein, sonst habe er seinen Beruf verfehlt".49 Der Vorsitzende ist insoweit also auch für die optimale Ausgestaltung des Verfahrens bei der Durchführung einer Videofernvernehmung verantwortlich. Trotz des Technikeinsatzes und der körperlichen Abwesenheit des Zeugen muss der Richter also versuchen, eine annähernd analoge Situation zur unvermittelten Kommunikation im Sitzungs saal herzustellen. Wurde bei den möglichen Mängeln einer Videokonferenz bereits auf etwaige Faktoren der Interaktionsdynamik hingewiesen, so sollen nun einige erneut herausgegriffen werden, auf die der Richter bei der 44 Rzepka, S. 308: "Herrschaftsfreiheit, das Fehlen von Zwang und Privilegien, gleiche Chancen und Redefreiheit, Wahrhaftigkeit und gemeinsames Bemühen um Konsens sind keine Charakteristika, die die strafgerichtliche Hauptverhandlung kennzeichnen."; vgl. a. Hassemer Grundlagen2 § 18 S. 133 ff.; Undeutsch Handbuch der Psychologie, Bd. 11 (1967), S.49. 45 Umfassend dazu Kühne (1978), S. 64 ff., 106 f. 46 Kühne (1978), S. 65, 88 ff.; ders. Strafprozessrecht, Rn. 265,733; Rzepka, S. 308. Vgl. a. Wassermann ZRP 1969, 169, 170. 47 Dieses allgemeinbekannte Desiderat der Gesprächspsychologie soll hier erneut Erwähnung finden, hat es gerade im Hinblick auf den Einsatz von Videotechnik im Strafverfahren nicht unerhebliche Bedeutung. Wenn Wegener (1992), S. 50 ausführt, "die Rolle, die der Zeuge übernimmt, hängt [ ... ] weitgehend von dem Verhalten des Vernehmenden ab. Er kann Widerstand oder Aussagebereitschaft, Angst oder Vertrauen mobilisieren, indem er verbale und nonverbale Signale entsprechender Art an den Zeugen übermittelt", so fragt sich natürlich, ob dies dem gewillten Richter auch beim Einsatz von Videotechnik gelingt, worauf insbesondere angesichts der Zweifel des BGH - noch näher einzugehen sein wird. 48 Vgl. dazu nur Bender/Nack Tatsachenfeststellung, Bd. 2 (1995), S. 2 Rn. 492 ff. 49 So Redeker NJW 2002, 192, 193.

A. Audiovisuelle Kommunikation als Ausgangspunkt

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Durchführung einer audiovisuellen Fernvernehmung des Zeugen besonders zu achten hat: 1. Anzahl der 1nteraktionsteilnehmer bei einer Videokonferenz

a) Aus den oben benannten Untersuchungen, aber auch aus der Schilderung eigener Erfahrungen, wurde bereits deutlich, dass der Anzahl der Videokonferenzteilnehmer eine entscheidende Bedeutung für das Gelingen der Kommunikation zukommt. Denn mit der steigenden Zahl der Kommunikationspartner werden regelmäßig die Beteiligungschancen reduziert, weil der Einzelne nicht mehr wie im "Zwei-Personen-Gespräch" vollauf in die Kommunikation eingebunden ist. Soll nunmehr mit einer bestimmten Person Kommunikation erfolgen, gewinnen bestimmte verbale ("Herr Meier, könnte Sie uns bitte im Zusammenhang mitteilen, was Sie am besagten Sommertag erlebt haben?") sowie nonverbale (beispielsweise das Handheben oder der Blickkontakt zum gewünschten Gesprächspartner etc.) Adressierungsformen eine besondere Bedeutung. Und auch die Lautstärke spielt bei der Verbaladressierung eine gewichtige Rolle, kann bei der unvermittelten Kommunikation etwa durch ein Sichhinüberbeugen zum Sitznachbarn und dem Zuflüstern eine Beteiligungskonstellation geschaffen werden, von der andere Personen ausgeschlossen sind. 50 b) Derartige Adressierungsformen (Blickkontakt, andere ausschließendes flüstern) bestehen regelmäßig nicht, wenn eine Videokonferenz durchgeführt wird, bei der sich jedenfalls auf einer Seite mehrere Interaktionsteilnehmer aufhalten, mit denen gleichzeitig kommuniziert werden soll. Auf der Seite des Zeugen könnten dies beispielsweise der Dolmetscher sowie Personen der lustizbehörde eines um die Videofernvernehmung ersuchten Staates, aber gegebenenfalls auch der Zeugenanwalt (§ 68b) oder eine Person des Vertrauens (§ 406f Abs. 3) sein. Auf der Seite des Gerichts sind dies alle Prozess beteiligten, die zur Vernehmung bzw. Fragestellung an den Zeugen berechtigt sind. c) Soll hier nun eine annähernde Situation zur Vernehmung im Gerichtssaal erfolgen, muss die gesetzliche Formulierung des § 247a, wonach die audiovisuelle Fernvernehmung des Zeugen von einem Ort erfolgen kann, ernst genommen werden. Im Strafprozess nicht erlaubt sind daher videovermittelte "Multipoint-Konferenzen ", d. h. Videokonferenzen, bei denen mehrere Gesprächsteilnehmer zeitgleich von mehreren Orten miteinander verbunden werden, wie sie derzeit etwa vereinzelt im Zivilprozess Anwendung finden. Weil jedenfalls bei nationalen Videovernehmungen auch kein Bedürfnis dafür besteht, dass eine gleichzeitige Kommunikation mehrerer Gesprächsteilnehmer (> 2 Personen) untereinander erfolgt, sollte die videovermittelte Kommunikation bei § 247a, soweit möglich, immer nur auf zwei Personen, nämlich den Zeugen und die Vernehmungsperson, beschränkt 50 Dazu C. Meier in: Boos / Kai! Sassenberg Computervermittelte Kommunikation in Organisationen (2000), S. 153, 158.

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4. Kap.: Glaubwürdigkeitsbeurteilung des Zeugen

sein, während den weiteren (Prozess-)Beteiligten die videovermittelte Kommunikation der Gegenstelle mittels "Videobeamer" auf eine Leinwand projiziert wird. 51 Beide Personen sollten sich dabei in voller Größe auch gegenseitig wahrnehmen können. Denn es versteht sich eigentlich von selbst, dass dem Zeugen allein ein Ansprechpartner zur Verfügung steht, mit dem er Blickkontakt halten kann und der die Kommunikation mit ihm über Monitor führt, nämlich der Vorsitzende oder auch detjenige, der anstelle des Vorsitzenden die Befragung des Zeugen durchführt (vgl. §§ 240, 241a Abs. 2 S. 2). Dann gewinnen die oben benannten Adressierungsformen für ihn keine Bedeutung und ein etwaiger Unterschied zur "Face-to-Face"Situation wird eingeebnet. 52 Dass die heutige Technik auch das Umschwenken der Kamera auf andere Personen ermöglicht, beispielsweise auf Verteidiger und Staatsanwalt, damit diese ihre Fragerechte ausüben können, wurde oben bereits umfassend erläutert. Es scheint aber vorzugswürdiger zu sein, wenn für den "Videozeugen" an der Gegenstelle eine Kameraposition beibehalten wird und statt dessen die Personen, die Fragen an den Zeugen stellen, im Gerichtssaal um den "Befragungsplatz" rotieren. Denn es wurde gleichermaßen schon erwähnt, das es bei einigen Zeugen geradezu kontraindiziert wäre, die Vorgänge im Hauptverhandlungssaal an die Gegenstelle zu übertragen. Dies aber ließe sich ggf. nicht mit Sicherheit vermeiden, wenn man die Kamera im Sitzungssaal bewegt. 2. Positionierung der Kommunikationspartner

Sollen dennoch weitere Interaktionspartner auf der Seite des Zeugen im Rahmen einer Videokonferenz permanent sichtbar bleiben, etwa weil es sich um eine grenzüberschreitende Videofemvernehmung handelt, bei der jedenfalls auch der Dolmetscher von dem Vorsitzenden wahrgenommen werden soll,53 so kommt der Ausgestaltung der Wahrnehmungsebenen, exakter der körperlichen Positionierung der Beteiligten, eine erhebliche Bedeutung zu. Im Rahmen unvermittelter Kommunikation genießt der Platz am Kopfende eines Tisches größte Bedeutung. Hier sitzt man unmittelbar niemanden gegenüber. Der Blickkontakt zu anderen wird als besondere Handlung wahrnehmbar, weil die jeweilige Person selbst von allen gut gesehen werden kann. Im Rahmen einer Videofemvernehmung wäre die Platzierung des Zeugen nun an dieser Stelle aber nach51 Dies gilt freilich auch für die Öffentlichkeit, vgl. dazu sowie zur gegenteiligen Auffassung des BMJ: Rieck StraFo 2000, 400, 404. 52 Da bei den herkömmlichen Videovernehmungssystemen für den Richter die Möglichkeit besteht, den Zoomfaktor an der Zeugenkamera von seinem Schreibpult aus zu verändern, kann bei Bedarf, etwa wenn der Zeugenanwalt oder andere Personen Einwände geltend machen, der Faktor verändert und so die anderen Verfahrensbeteiligten neben dem (nunmehr verkleinerten) Zeugen ins Bild gebracht werden. 53 Vgl. zur Anordnung von Dolmetscher bei grenzüberschreitenden Videokonferenzen die Ausführungen im 6. Kapitel, Abschnitt C., I., 3., c).

A. Audiovisuelle Kommunikation als Ausgangspunkt

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teilig, weil dieser Platz regelmäßig von der Kamera am weitesten entfernt ist und der Zeuge daher auf dem Monitor im Sitzungssaal auch schlechter wahrnehmbar wäre als andere Interaktionsteilnehmer, die an der Seite des Tisches, dafür aber näher an der Kamera sitzen. a) Bei der videovermittelten Kommunikation sind nun mehrere Positionierungen des Zeugen denkbar: Einerseits könnte man die weiteren Prozessbeteiligten zur linken und rechten Seite des Zeugen, der selbst unmittelbar dem Monitor und der darauf befindlichen der Kamera gegenübersitzt, positionieren. Allein durch die Veränderung der Nah- und Weiteinstellungen der Zeugenkamera wären dann alle Prozessbeteiligten bei Bedarf "ein"- oder "ausblendbar", während der Zeuge immer im Bild bleibt. Dies entspricht etwa der Ausgestaltung der Wahrnehmungsebenen in heutigen Videokonferenzräumen, wie etwa dem der Telekom AG in Bonn. Besteht der Vorteil dieser Ausgestaltung nun darin, dass der Richter auf dem Zeugenmonitor unmittelbar den Zeugen "anblickt", an der Gegenstelle des Gerichts aber auch die anderen Prozessbeteiligten, mit denen kein unmittelbarer Blickkontakt gehalten werden muss, sichtbar sind, so führt die notwendige Veränderung der Nah- und Weiteinstellungen der Zeugenkamera jedoch dazu, dass auch die Größe des Zeugen auf dem Richtermonitor variiert. Um so mehr Prozessbeteiligte auf dem Richtermonitor wahrnehmbar sind, um so kleiner "wirkt" also der in der Mitte positionierte Zeuge. b) Sollen nun mehrere Personen an der Gegenstelle für den Richter auf seinem Monitor sichtbar sein, ohne dass sich auch die Größe des Zeugen auf dem Monitor verändert, so wird sich demgegenüber eine Positionierung anbieten, die derjenigen von Besprechungsleitern bei herkömmlichen Videokonferenzen entspricht. Es handelt sich dabei um die Positionierung des Zeugen in unmittelbarer Nähe zu Kamera und Monitor. Schräg hinter ihm aufgereiht sitzen die weiteren (Prozess-)Beteiligten. 54 3. Gesprächsdisziplin

Marktgängige Videovernehmungssysteme verfügen über ein elektronisch gesteuertes Tonsystem. Hat sich dieses System auf einen gegenwärtigen Sprecher justiert, dann verstärkt es Geräusche aus anderen Richtungen desselben Raumes (bei mehreren Interaktionsteilnehmern) oder des anderen Standpunktes erst, wenn diese einen gewissen Schwellenwert in Lautstärke und Länge des Gesprochenen überschreiten. Kommt es nun zum "Downspeeding" des Videokonferenzsystems,55 etwa wegen des Ausfalls einer oder mehrerer ISDN-Leitung(en), oder ist von vorn54 Bei grenzüberschreitenden Videokonferenzen könnten dies neben dem Zeugen, einem Dolmetscher, auch Mitglieder der Iustizbehörde des um Rechtshilfe ersuchten Staates sein. Dazu umfassend im 6. Kapitel, im Abschnitt C. 55 Siehe dazu im 3. Kapitel, Abschnitt B., H., 2., b), dd).

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4. Kap.: Glaubwürdigkeitsbeurteilung des Zeugen

herein nur ein veraltetes Videokonferenzsystem verfügbar, so führt dies, wie oben bereits ausgeführt wurde, dazu, dass Bild- und Tondaten nur auf einer geringen Bandbreite übertragen werden. Sind bei einer Videovernehmung nun Verzögerungen bei der Bild-Ton-Übertragung bemerkbar, was freilich heute nicht mehr dem Regelfall entspricht (!),56 so erfordert dies ausnahmsweise die Einhaltung einer besonderen Gesprächsdisziplin. Wegen der technisch bedingten Zeitverzögerung bei der Datenübertragung kann es nämlich dazu kommen, dass der Sprecherwechsel, der aus der Perspektive des Sprechers am Standort B als koordiniert empfunden wird, nunmehr vom momentan Sprechenden am Standort A als Unterbrechung interpretiert und insoweit als unkoordiniert empfunden wird, wenn dieser mit seinen Ausführungen tatsächlich noch nicht fertig war. Denn wegen der Verzögerung erscheint der Sprecherwechsel vom anderen Standpunkt (hier) nun mitten im nächsten Satz. Dies kann im Negativfall, so wird in der Literatur vermutet, 57 zu einer veränderten Interpretation der (Unterbrechungs-)Handlung beim Interaktionspartner, und zwar als "ungeduldig" oder sogar als "skeptisch", führen. Mag es sich hier nicht um den Regelfall handeln, so gilt dies bei der Vernehmung von Zeugen nun gerade dort zu berücksichtigen, wo der Zeuge gehemmt wirkt und besonderes Vertrauen hergestellt werden muss. Im gerade beschriebenen Ausnahmefall sollte man den Zeugen daher unbedingt ausreden lassen, als ihn einmal zu viel zu unterbrechen. Dies gilt in gleicher Weise ja bereits bei der unmittelbar im Sitzungssaal erfolgenden Vernehmung. 58 Denn dann wird der Gefahr am besten vorgebeugt, dass der Richter dem Zeugen als "skeptisch" oder "unruhig" erscheint. Erforderlich ist daher eine durchgehende Gewährleistung von Gesprächsdisziplin. Dies gilt in gleicher Weise, wenn Nachfragen an den Zeugen aus dem Sitzungs saale erfolgen.

4. Gesprächslautstärke

Ist darüberhinaus auch ein gewisses Lautstärkeniveau für die videovermittelte Kommunikation notwendig, so ist damit regelmäßig ein weiteres Problem verbunden. Weil dem jeweiligen Sprecher regelmäßig die aktuelle Justierung des Mikrofons nicht bekannt ist, kommt es bei Videoübertragungen anfänglich zu Situationen, wo die Beteiligten davon ausgehen, dass sie auf der anderen Seite (nicht) gut verstanden werden, während das Gegenteil dann oftmals der Realität entspricht. Es fehlt insoweit an dem, in einer "face to face"-Situation jedermann gegebenen Gespür, wie laut wir zu unserem Kommunikationspartner in der konkreten Situation 56 VgJ. dazu die Schilderung der eigenen Erfahrungen des Verf. im 3. Kapitel, Abschnitt B.,II. 57 Etwa C. Meier in: Boos/KaiiSassenberg Computervermittelte Kommunikation in Organisationen (2000), S. 153, 157. 58 VgJ. nur Döhring, S. 33: ,,Man tut gut, den Aussagenden gewähren zu lassen, solange es irgend geht [ ... J".

B. Glaubwürdigkeitsbeurteilung

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sprechen müssen. Die Konsequenz könnte sein, dass einer der Interaktionspartner entweder viel zu laut oder viel zu leise spricht. Weil das - auch versehentliche - Anschreien des Zeugen im Rahmen einer Videovernehmung für den Vernehmungserfolg geradezu wahrheitsschädlich sein kann, weil offensichtlich ist, dass hierdurch auch Hemmungen des Zeugen verstärkt werden können, sollte bei jeder Vernehmung der Videozeuge, etwa im Rahmen eines anfänglichen unverbindlichen Gesprächs, auf die Feinheiten des technischen Systems hingewiesen werden. Der aktuelle Regelungszustand der Tontechnik muss für die Beteiligten der Videokonferenz von vornherein durchschaubar sein, was immer nur durch einen "Testlauf', und zwar mit dem jeweiligen Zeugen selbst (!), erfolgen kann. Nur so werden etwaige Störungen und Missverständnisse zwischen den Gesprächspartnern von Anfang an vermieden. Und so wird letztlich auch die sachgerechte, weil ununterbrochene Kommunikation zwischen den Interaktionspartnern gewährleistet. Was aus dem Erfordernis eines gewissen Lautstärkeniveaus weiterhin deutlich wird, ist aber, dass die herkömmliche, in der StPO gern. § 247a vorgesehene Videovernehmungsmöglichkeit, bei der der Vorsitzende die Kommunikation mit dem Zeugen über den Monitor durchführt, nicht unbedingt für kleine Kinder geeignet erscheint, die sich nur leise und gegebenenfalls auf die Fragen des Vorsitzenden nur kurz äußern. Denn derartige Äußerungen können nur dann in den Sitzungssaal übertragen werden, wenn die Tontechnik besonders sensibel ist. Auch aufgrund des Alters der Kinder müssen hier bereits aus technischen Gesichtspunkten Alternativen zur herkömmlichen ,,§ 247a-Vernehmung" geschaffen werden, worauf in den Abschnitten Bund C des nächsten Kapitels gesondert zurückzukommen sein wird.

B. Glaubwürdigkeitsbeurteilung Kann man beim Einsatz von Videotechnik im Gerichtssaal von sachgerechter Kommunikation zwischen der Vernehmungsperson und dem Zeugen ausgehen, wenn sich der jeweilige Richter seiner Kommunikationsverantwortung bewusst ist und die veränderten Einflussfaktoren berücksichtigt, so fragt sich nunmehr, ob beim "Videozeugen" eine Glaubwürdigkeitsbeurteilung möglich ist. In Erinnerung ist zu rufen, dass dies von denjenigen verneint wird, die beim Einsatz von Videotechnik im Gerichtssaal eine erhebliche Beeinträchtigung der Unmittelbarkeit der Vernehmungssituation erblicken. 59 Der Richtigkeit dieser Behauptung soll hier nunmehr näher auf den Grund gegangen werden. 59 Vgl. erneut nur Fischer JZ 1998, 816, 820: ,,Die Beurteilung der Glaubwürdigkeit einer Person setzt eine Unmittelbarkeit der Kommunikation voraus, die durch eine Bild-Ton-Übertragung in keinem Fall erreicht werden kann". Vgl. a. Amtzen ZRP 1995,241,242.

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4. Kap.: Glaubwürdigkeitsbeurteilung des Zeugen

I. Begriff und Anknüpfungspunkt der "Glaubwürdigkeitsbeurteilung" 1. Die Zuverlässigkeit der Aussagen von Zeugen vor Gericht wird von zwei Seiten bedroht: vom Irrtum und von der Lüge. 6o Bei dem, was bisher als "Glaubwürdigkeitsbeurteilung" bezeichnet wurde, geht es dabei um die Scheidung dieser beiden Aspekte von der objektiven Wahrheit. 61 Dafür können zwei Anknüpfungspunkte gefunden werden, die bisher auch überwiegend nebeneinander benannt wurden, einerseits der Zeuge selbst sowie andererseits seine Aussage. Dem entspricht die friihere Unterscheidung zwischen der allgemeinen und der besonderen Glaubwürdigkeit der Aussageperson62 bzw. heute gebräuchlicher, zwischen der Glaubwürdigkeit des Zeugen sowie der Glaubhaftigkeit seiner Aussage. 63 Die ("allgemeine") Glaubwürdigkeit knüpft also an die Umstände an, die unabhängig von der konkreten Aussage in der Person des jeweiligen Zeugen begriindet sind. 64 Dem lag die friihere Auffassung zugrunde, wonach die Bereitschaft zur wahrheitsgemäßen Aussage primär durch die Persönlichkeit des Menschen bestimmt werde,65 so dass etwa der gute Ruf, die soziale Stellung, usw. als wesentliche Beurteilungsfaktoren anzusehen waren. 66 Dieser Auffassung wurde vorgeworfen, sie sei unsinnig,67 da jeder Mensch in eine Situation kommen könne, wo er bewusst oder auch unbewusst die Unwahrheit sage, wie umgekehrt auch charakterlich zweifelhafte Personen die Wahrheit schilderten. 68 Insoweit vollzog sich im Laufe der Zeit ein Perspektivenwechsel zur "speziellen Glaubwürdigkeit", also zur Glaubhaftigkeitsbeurteilung der Aussage des Zeugen. 69

2. Gegen die mit dem Perspektivenwechsel verbundene Gefahr des Übergriffs von Sachverständigen in den Strafprozess70 wendet sich aus justizpraktischer Sicht 60

H.-u. Bender Merkmalskombinationen, S. 2.

Jansen StV 2000, 224. Gemeint ist damit aber nicht die "simple Alternative zwischen Lüge und Wahrheit" (Schade StV 2000, 165, 166), sondern die Feststellung einer "Wahrheitswahrscheinlichkeit" . 62 BGB StV 1994,64; Jansen StV 2000, 224; Peters Fehlerquellen im Strafprozess, Band 2 (1972), S. 149 f.; Prahm in: Schaffstein/Schüler-Springarum (Hrsg.) Kriminologische Studien, Bd. 10 (1972), S. 11. 63 Dazu BGB NJW 1991,3284 ff. Vgl. a. Anders/Gehle Rn. 129: ,,[ ... ] nur eine Person, nicht eine Sache kann würdig sein". 64 Vgl. Eisenberg Beweisrecht, Rn. 1426. 65 Vgl. Peters ZStW 87 (1975), 663, 666. 66 Köhnken, Glaubwürdigkeit, S. 141; Littmann/Szewczyk Forensia 4 (1983), 55, 58. 67 Vgl. etwa Maisch MSchrKrim 57 (1974), 267, 277. 68 Vgl. nur Bender/Nack Tatsachenfeststellung, Bd. 1 (1995), S. 67 ff. Rn. 173 ff.; Döhring, S. 136; Steller/Valpert in: Steller/Valpert et al. Psychologie im Strafverfahren, S. 15. 69 Dieser Perspektivenwechsel ging vor allem von Undeutsch (in: Handbuch der Psychologie, Bd. 11 (1967), S. 48 ff., 51) aus, der die Auffassung vertrat, die "allgemeine Glaubwürdigkeit" interessiere im Rahmen eines Gerichtsverfahrens überhaupt nicht, sondern nur die Glaubhaftigkeit seiner konkreten, hic et nunc gemachten Aussage zur Sache. Dazu sogleich. 61

B. Glaubwürdigkeitsbeurteilung

177

in neuerer Zeit vor allem Fischer. 71 Er betont unter Berufung auf den Grundsatz, die Glaubwürdigkeitsprüfung sei "ureigene richterliche Aufgabe,,72 sowie unter Hinweis auf seine Zweifel an der Validität aussagepsychologischer Kriterien,73 dass der Sachverständige allein auf die Beibringung empirischen (Wirklichkeits-) Materials zu beschränken sei und nicht die, dem Richter übertragene, Wertung der Wirklichkeit vornehmen dürfe. 74 Da weiterhin auch nach Art 92 GG die Wahrheitsfindung allein dem Richter anvertraut ist, dürfe der Sachverständige nur zur Beurteilung der (allgemeinen) Glaubwürdigkeit des Zeugen, nicht aber auch zur Glaubhaftigkeitsbeurteilung der Aussage herangezogen werden. Gegen diese Auffassung ist einzuwenden, dass mit der Heranziehung von Sachverständigen zur Aussagebegutachtung nicht (denknotwendig) auch die Wertung der Wirklichkeit durch den psychologischen Sachverständigen im vorangegangenen Sinne verbunden ist. Denn wenn deutsche Gerichte nur in etwa 2/3 aller Fälle den Argumenten der Sachverständigen folgen,75 ja selbst bei "positivem" Ergebnis der Begutachtungen dem jeweiligen Gericht oftmals letzte Zweifel nicht ausgeräumt erscheinen,76 so verdeutlicht dies, dass die Wertung der Wirklichkeit letztlich vom Richter und nicht von einem Sachverständigen vorgenommen wird. Das Postulat Fischers, in praxi bestehe eine Abhängigkeit des Richters von der "Entscheidungsfindung" des Sachverständigen, ist damit weit überzogen. Es impliziert zudem, der Richter müsse immer auf dem neuesten Stand der forensischen Aussagepsychologie, dem Sachverständigen vergleichbare Kenntnisse haben, die es ihm ermöglichten, intersubjektive Gewißheit (vgl. § 261) in allen Fällen zu erlangen. Dies wird der Richter aber schon wegen der Arbeitsbelastung deutscher Gerichte nicht allumfassend leisten können. 77 Etwaige evaluierte (Glaubhaftigkeits-)Kriterien dürfen daher nicht unbeachtet gelassen werden, etwa weil bereits die Trefferquote richterlicher Intuition nicht zu unterschätzen sei, wie Fischer meint. 78 Denn tatsächlich, so wird jedenfalls von psychologischer Seite eingewandt, seien die Kriterien weitgehend verifiziert. Darüberhinaus fragt sich, ob man die "allge70 Und damit verbunden gegen die Rechtsprechung des BGH, wonach die Sachkunde des Richters eine Grenze im (unbestimmten) Fall der "Besonderheiten" findet. Dazu sogleich. 71 Fischer NStZ 1994, 1 ff. n ROSt 3, 176; 25, 326; 52, 61; 57, 158; BOBSt 2, 163, 165; 3,52 f.; 8, 130, 131; BOB NStZ 1994,503; 1998,366,367; KMR-Stuckenberg § 261 Rn. 57. Die Grenze ist nach der Rechtsprechung aber dort erreicht, wo der Sachverhalt Besonderheiten aufweist, die Zweifel aufkommen lassen, ob die Sachkunde des Gerichts zur Beurteilung der Glaubwürdigkeit unter den gegebenen Umständen ausreicht, vgl. etwa BOB NStZ 1981,400; 1985,420; 1994, 503; BOHR StPO § 244 Abs. 4 Satz 1 Sachkunde 4; KMR-Stuckenberg a. a. O. 73 Fischer NStZ 1994, 1,4,5. 74 FischerNStZ 1994,1,2. 75 So Wegener (1992), S. 39. 76 Prahm in: Schajfstein/Schüler-Springorum (Hrsg), Kriminologische Studien, Bd. 10 (1972),23 ff., 25. 77 Schneider; S. 30. 78 FischerNStZ 1994, 1,5.

12 Rieck

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4. Kap.: Glaubwürdigkeitsbeurteilung des Zeugen

meine" und die "besondere" Glaubwürdigkeit des Zeugen strikt voneinander trennen kann. Dies erscheint zweifelhaft, wenn man bedenkt, dass sowohl die Sprachverwendung, als auch das nonverbale Bewegungs- und Ausdrucksverhalten eines Menschen durch seine Persönlichkeit determiniert wird?9 Insoweit hat auch der BGH in einem neueren Urteil vom 30. 07. 1999s0 das psychologische Verfahren der Glaubhaftigkeitsbegutachtung durch Sachverständige für wissenschaftlich begründet anerkannt. Wenn hier im Hinblick auf die Anforderungen an ein Glaubhaftigkeitsgutachten weiterhin ausgeführt wird, die Aussageanalyse dürfe nicht schematisch erfolgen, es müsse vielmehr die Ausprägung der Glaubhaftigkeitsmerkmale in einer Aussage in Bezug gesetzt werden zu den individuellen Fähigkeiten und Eigenarten eines Zeugen, d. h. zu seiner ("allgemeinen") Glaubwürdigkeit,SI so wird daraus weiterhin deutlich, dass eine Trennung zwischen der "allgemeinen"- und "besonderen" Glaubwürdigkeit eines Zeugen nicht wirklich vorgenommen werden kann. 82 3. Insoweit geht es bei dem, was bisher als "Glaubwürdigkeitsbeurteilung" bezeichnet wurde, immer um die Beurteilung der Glaubhaftigkeit der Aussage wie auch der Glaubwürdigkeit der Person des Zeugen selbst. Und insoweit erlangen etwaige Beurteilungskriterien für den "Videozeugen" auch Bedeutung in zweifacher Hinsicht. 11. Kriterienorientierte "Glaubwürdigkeitsbeurteilung"

Es soll nunmehr dazu Stellung bezogen werden, anhand welcher Kriterien eine Glaubwürdigkeits- und Glaubhaftigkeitsbeurteilung erfolgt. Denn nur, wenn diese Frage beantwortet wird, kann weiterhin festgestellt werden, inwieweit die Vennutung zutrifft, bei einer Videokonferenz sei eine derartige Beurteilung nicht oder nur unzureichend möglich. Im Hinblick darauf ist nun weiterhin von Interesse, ob sich die etwaige Steigerung nonverbaler Verhaltenselemente, wie sie für Videokon79 Jansen StV 2000, 224, 225; Schneider; S. 15, S. 63 . Dies spricht dann auch gegen den völligen Perspektivenwechsel zur "besonderen Glaubwürdigkeit", wie er etwa von Undeutsch a. a. o. propagiert wird. 80 BGHNJW 1999,2746 ff. 81 BGH NJW 1999,2746,274 m. zust. Anm. Offe NJW 2000, 929, 930. Vgl. a. Jansen StV 2000, 224, 225. 82 Wenn etwa Peters in seinem Lehrbuch (Stafprozess, § 44 II, S. 384 ff.) entgegen der psychologisch hersehenden Auffassung dennoch am Primat der "allgemeinen" Glaubwürdigkeit festhält, so ist zu beachten, dass seine Meinung vorrangig durch den eigenen Erfahrungsbereich aus der Untersuchung der Wiederaufnahmeverfahren (dazu Peters Fehlerquellen im Strafprozess, Band 1-3, 1970, 1972, 1974) geprägt sein dürfte. Da 99% aller Wiederaufnahmeverfahren zugunsten des Verurteilten stattfinden, handelt es sich notwendigerweise um Fälle, in welchen ein Unschuldiger zu Unrecht belastet wurde. Dass Peters bei den falschen Belastungszeugen Anhaltspunkte für schwere charakterliche Mängel fand, ist insoweit nicht weiter verwunderlich, gehört doch ein gehöriges Maß Skrupellosigkeit dazu, einen anderen unschuldig hinter Gitter zu bringen, so Bender / Nack Tatsachenfeststellung, Bd. 1 (1995), S. 69.

B. Glaubwürdigkeitsbeurteilung

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ferenzen gerade 83 festgestellt wurde, auf die Beurteilung auswirkt. Dies setzt nun wiederum voraus, dass der nonverbale Kommunikationskanal überhaupt Relevanz für die "allgemeine" bzw. "besondere" Glaubwürdigkeitsbeurteilung erlangt. 1. Glaubwürdigkeitsbeurteilung eifolgt zunächst anhand der Kommunikationsverbalinformationen

a) Fragt man nach dem "Wie" der Ergründung einer Lüge bzw. eines Irrtums bei der Aussage eines Zeugen vor Gericht, so stößt man zunächst auf die von Undeutsch 1967 geprägte Hypothese, man könne wahre, weil erlebnisgebundene, von falschen, weil nicht erlebnisgebundenen Aussagen strukturell und qualitativ unterscheiden. 84 Diese Hypothese beruht auf dem Konzept der "Aussage als menschliche Leistung".85 Sie geht davon aus, dass es für einen Zeugen eine schwierige Aufgabe sei, eine Aussage über ein komplexes Handlungsgeschehen ohne entsprechende Wahrnehmungsgrundlage zu konstruieren. Sei dafür eine erhebliche kognitive Leistungsfahigkeit des Zeugen erforderlich, so folge hieraus, dass eine erfundene Handlungsschilderung im intraindividuellen Vergleich eine geringere inhaltliche Qualität aufweisen müsse, als eine wahre Bekundung über ein Erlebnis. 86 Beruhend auf dieser Erkenntnis wurden aussagepsychologische Kriterienkataloge, sog. "Real-" bzw. "Phantasiekennzeichen",87 entwickelt, deren Validität durch eine Reihe von experimentellen (Feld- und Labor-)Untersuchungen bewiesen werden konnten und welche die benannte Eingangshypothese stützen.88 Siehe oben sub A., 1., 2., c). Undeutsch Handbuch der Psychologie, Bd. 11 (1967), S. 125. 85 Die Konzeptualisierung der Aussage als menschliche, d. h. mit allen Fehlern und Irrtümern behaftete Geistesleistung beruht auf W Stern (vgl. dens. in: Stern et al. Beiträge zur Psychologie der Aussage, S. 269 ff.), dessen These sich in allen aussagepsychologischen Publikationen wiederfindet. 86 Köhnken Glaubwürdigkeit, S. 17; Steller/Volbert in: Steller/Volbert et al. Psychologie im Strafverfahren, S. 16. Diese auf die intellektuelle Leistung des Zeugen abstellende Theorie nennt man Kognitionstheorie, vgl. Schneider, S. 181. 87 Zur Kritik an der Bezeichnung ,,Realitätskriterien" bzw. "Realkennzeichen vgl. Stadler in: Greuel / Fabian/ Stadler Psychologie der Zeugenaussage (1997), S. 59. Danach suggerierten die Begriffe, dass ein bestimmtes Ereignis, über das vom Zeugen berichtet wird, in der objektiven Realität tatsächlich stattgefunden habe, was tatsächlich aber nicht stimmen könne, da man die objektive Realität nicht durch die Sinnesorgane unmittelbar ablesen kann (,,naiver Realismus"), sondern die kognitiven Ungenauigkeiten der Wahrnehmung (Aussagegenauigkeit) sowie die motivationalen Verzerrungen (motivational bestimmte Glaubhaftigkeit) zu beachten sind. 88 Fabian/GreuellStadtler StV 1996, 347, 348 m. w. Nw.; Steller/Volpert in: Steller/ Volpert et al. Psychologie im Strafverfahren, S. 19 m. w. Nw. Die Entwicklung von objektiven Glaubwürdigkeitsmerkmalen begann sehr früh, und zwar, wohl aus der Not geboren, durch die Juristen selber. Von der ersten systematischen Umschreibung berichtet Amtzen (in: Psychologie der Zeugenaussage, S. 17) durch den Strafrechtler Curt Leonhard ab dem Jahre 1930. Und fast hundert Jahre früher beschrieb auch Mittermaier (in: Die Lehre vom Beweise 83

84

12*

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4. Kap.: Glaubwürdigkeitsbeurteilung des Zeugen

Blickt man auf die angegebenen "Real-" bzw. "Phantasiekennzeichen" wichtiger Vertreter der "Wahrheitsanalyse", etwa bei Undeutsch,89 Trankell,90 Arntzen91 und Köhnken 92 von psychologischer Seite sowie Bender und Nack 93 aus justizpraktischer Sicht, so wird eine Gemeinsamkeit schnell deutlich. Trotz der Verwendung unterschiedlicher Terminologie, der differenten Unterkriterien und Kategorien, ja unterschiedlicher Gesamtbeurteilungssysteme, ist bei allen Arbeiten benannter Autoren eine weitgehende Übereinstimmung darin festzustellen, welche Aussageeigenarten und -gestaltungen zur "Glaubwürdigkeits"-Beurteilung primär heranzuziehen sind: 94 So wird der Realitätsgehalt einer Aussage des Zeugen durch weitgehend ähnliche sog. Singulär-,95 Global-,96 Wiederholungs- 97 und Kontrollkriterien 98 erim Deutschen Strafprozess, 1834) erste Analysekriterien zur Glaubwürdigkeitsbeurteilung, dazu: H.-U. Bender Merkmalskombinationen, S. 45; Bender/Nack Tatsachenfeststellung, Bd. 1 (1995), S. 97. 89 Undeutsch in: Undeutsch et aL Handbuch der Psychologie, Bd. 11 (1967). 90 TrankeIl Realitätsgehalt von Zeugenaussagen (1971). 91 Amtzen Psychologie der Zeugenaussage (1993). 92 Etwa in: Steiler / Köhnken in: Raskin Psychological Methods (1989), S. 217 ff. 93 Bender/Nack Tatsachenfeststellung, Bd. 1/2 (1995). 94 So explizit Bender; H.-U. Merkmalskombinationen, S. 79; Köhnken Glaubwürdigkeit (1990), 107; Wegener (1992),54 f. VgL auch die Inbezugnahme bei Steller/Volpert in: Steiler /Volpert et al. Psychologie im Strafverfahren, S. 17 ff. Wenn Steiler / Köhnken in: Raskin Psychological Methods (1989), S. 217, 219 ausführen, dass eine direkte Vergleichbarkeit der Realitätskriterien des ganzheitlichen Ansatzes TrankeIls a. a. O. mit denen von Undeutsch und Amtzen a. a. O. nicht gegeben sei, so mag dies i. e. S. seine Richtigkeit haben. Nur festzustellen ist, dass sich die benannten (Realitäts-)Kriterien in synoptischer wie definitorischer Hinsicht weitgehend ähneln, so dass für den Zweck der vorliegenden Untersuchung, einen Überblick über die Glaubwürdigkeitsanalytik zu vermitteln und auf den Einsatz von Videotechnik zu übertragen, auf die Unterschiede im einzelnen nicht eingegangen werden braucht. 95 Beispielsweise die Aussagedetaillierung (i. S. e. Angabe von Einzelheiten, vgL Amtzen a. a. 0., S. 27 ff.; Bender/Nack a. a. 0., S. 106 ff.; Köhnken/Wegener ZSchr f. exp. und angew. Psych. 1982, S. 92, S. 104, S. 108; TrankeIl a. a. 0., S. 125 f.); die Einzigartigkeit (i. S. e. Ausgefallenheit der Details, vgL Amtzen a. a. 0., S. 32 ff.; vgL a. Bender/Nack a. a. 0., S. 119 f.; Steller/Köhnken a. a. 0., S. 223; TrankeIl a. a. 0 .. S. 126 f.; Undeutsch a. a. 0., S. 138); der Emotionen (i. S. e. einer Steigerung der Wahrheitswahrscheinlichkeit bei Gefühlsbeschreibungen, die nicht allein aus dem geschilderten Ablauf, sondern erst aus der psych. Eigensituation des Zeugen verständlich werden, TrankeIl a. a. 0., S. 124 f.; vgL a. Amtzen a. a. 0., S. 29 ff.; S. 70 ff.; Bender/Nack a. a. 0., S. 120 ff.; Undeutsch a. a. 0., S. 140, 143); der Komplikationen (i. S. v. den geschilderten Handlungsablauf störenden Geschehnisse, die im Gegensatz zur Zielstrebigkeit für subjektive Wahrheit sprechen, Bender / Nack a. a. 0., S. 113 ff.; vgL a. Amtzen a. a. 0., S. 36 f.); der Verflechtung (i. S. e. Beziehung der geschilderten Kernhandlung mit äußerlichen - bewiesenen - Umständen, Bender/Nack a. a. 0., S. 124 ff.; vgL a. Amtzen a. a. 0., S. 38 ff.; Steller/ Köhnken a. a. 0., S. 224; TrankeIl a. a. 0., S. 126 f.; Undeutsch a. a. 0., S. 127); der Unverständlichkeit (i. S. v. Berichten, die außerhalb der Planungskapazität bzw. des Verständnishorizontes des betreffenden Erzählers liegen, Undeutsch a. a. 0., S. 141; vgL a. Amtzen a. a. 0., S. 31; Trankell a. a. 0., S. 125); dem Selbstbelastungskriterium (i. S. d. Schilderung von Unvorteilhaften oder Einwänden gegen die Richtigkeit der eigenen Darstellung, Undeutsch a. a. 0., S. 153; vgL a. Steller/Köhnken a. a. 0., S. 229 f.).

B. Glaubwürdigkeitsbeurteilung

181

forscht,99 wobei man primär auf den Aussageinhalt, die Aussageentwicklung, die Aussageweise und die Aussagemotivation für "Wahrheitsanalyse" abstellt. 100 Im Vordergrund steht also die Überpriifung der Glaubhaftigkeit der Zeugenaussage, die auf dem auditiven Teil der Zeugenvernehmung beruht. b) Da ein Verlust von auditiven Informationen bei einer Videofemvernehmung des Zeugen nicht zu befürchten ist, ist auch die Glaubhaftigkeitsbeurteilung der Aussage des Zeugen möglich. Insoweit kann es bei der angeführten Vermutung, die Anwendung von Videotechnik bei einer gerichtlichen Zeugenvernehmung führe zu einer Beschränkung der "Glaubwürdigkeitsbeurteilung", nur um den Verlust von visuellen Informationen gehen, die es normalerweise dem Richter erlauben, sich von der "individuellen Eigenart der Auskunftsperson und ihrem Aussageverhalten" einen hinreichenden Eindruck zu verschaffen. tOt Insoweit fragt sich nunmehr, inwieweit nonverbale Verhaltenselemente, die oben als Grundlage einer jeden Kommunikationssituation gekennzeichnet wurden, auch für die Beurteilung der Wahrheitswahrscheinlichkeit der Aussage des Zeugen, d. h. für die Glaubwürdigkeitsbeurteilung, von Bedeutung sind. 2. Verhaltensorientiene Glaubwürdigkeitsbeurteilung

Ist es nicht möglich, die "allgemeine" Glaubwürdigkeit der Zeugenpersönlichkeit von der "besonderen" der Aussage zu trennen,102 liegt es nahe, die oben formulierte These von der Unterscheidbarkeit (nicht-)erlebnisfundierter Aussagen auch bei der Ausdrucksdeutung des Verhaltens anzuwenden. 103 Im Mittelpunkt der 96 Beispielhaft: der Homogenität (i. S. e. Zusammenfügens verschiedener Details einer Aussage zu einem stimmig einheitlichen Ganzen, BenderlNack a. a. 0., S. 127 ff., S. 134 ff.; vgl. a. Amtzen a. a. 0., S. 34, S. 50 ff.; TrankeIl a. a. 0., S. 126; Undeutsch a. a. 0., S. 138) und der Nicht-Steuerung (im Hinblick auf die nach Chronologie und anderen Gesichtspunkten zu beobachtende Geordnetheit, BenderlNack a. a. 0., S. 132 f.; vgl. a. Amtzen a. a. 0., S. 73 ff.). 97 Beispielhaft: die Aussagekonstanz (i. S. e. gleichbleibenden subjektiven Kerns im Verlaufe mehrerer Vernehmungen, Amtzen a. a. 0., S. 53 ff.; vgl. a. BenderlNack a. a. 0., S. 137 ff.; Undeutsch a. a. 0., S. 154; krit. dazu KöhnkenlWegener ZSchr f. exp. und angew. Psych. 1982, S. 92, S. 108) und die Erweiterbarkeit (i. S. v. Ergänzungen des ursprünglichen Berichts bei Wiederholungen, Amtzen a. a. 0., S. 41 ff.). 98 V gl. dazu Bender I Nack a. a. 0., S. 276 ff. 99 Im Umkehrung dazu werden dann Phantasie-Erklärungen ausgeschieden. So ist - nach Undeutsch a. a. O. S., 159 ff. und Amtzen a. a. 0 ., S. 24 f. , S. 113 ff. - die unglaubhafte Aussage durch ihren defizienten Charakter gekennzeichnet, was nichts anderes bedeutet, als das die unglaubwürdige Aussage ihr Gepräge durch das Fehlen von Glaubwürdigkeits-(Realitäts-)Merkmalen erhält. Z.T. finden sich aber darüberhinaus auch gesonderte Kriterien; vgl. dazu Bender I Nack a. a. 0., S. 100 f., S. 150 ff. 100 Vgl. Amtzen Psychologie der Zeugenaussage (1993), S. 16. 101 Vgl. dazu bereits die obigen Ausführungen im 3. Kapitel, Abschnitt c.1. 2. 102 Siehe dazu oben: in diesem Kapitel sub Abschnitt B., I.

182

4. Kap.: Glaubwürdigkeitsbeurteilung des Zeugen

Betrachtung steht also die Frage, ob man den Wahrheitsgehalt der Aussage auch an den nonverbalen körperlichen Reaktionen des Zeugen zuverlässig erschließen kann. 104 Diesem Bereich widmet sich die sog. verhaltensorientierte Glaubwürdigkeitsbeurteilung. Dabei sollen aus dem reichhaltigen Spektrum nonverbaler Informationen sogleich aber all diejenigen ausgeschieden werden, die in Verbindung mit dem auditiven Teil der Aussage selbst stehen und bei denen auch durch den Einsatz von Videotechnik eine richterliche Perzeption und Apperzeption möglich erscheint. Hierzu gehören insbesondere alle sprachbegleitende Merkmale im Sinne unterschiedlicher Stimm- und Sprachführungen, beispielsweise die Art der verwendeten Sprache, die Lautstärke, Tonhöhe, das Sprechtempo, der Sprechrhythmus, Sprechfehler, das verwendete Vokabular USW. 105

a) Rechtsprechung zur Glaubwürdigkeitsanalytik Weist der BGH in seiner Grundsatzentscheidung zur Videofernvernehmung von Auslandszeugen lO6 insoweit auf ein apodiktisches Allgemeinkriterium hin, nämlich die fundamentale Bedeutung nonverbaler Verhaltense1emente für den Kommunikationsprozess, so lassen die weiteren Ausführungen aber offen, inwieweit das nonverbale- und nur visuell feststell bare Ausdrucksverhalten als Bestandteil der Glaubwürdigkeitsbegutachtung anzusehen ist. Daraufhin soll nunmehr zunächst die bisher ergangene Rechtsprechung näher untersucht werden. aa) Erfordernis visueller Informationen und nonverbale Einzelkriterien in der Rechtsprechung des BGH (1) Vermutet der BGH durch den Einsatz von Videotechnik in seiner VideoGrundsatzentscheidung einen Verlust von visuellen nonverbalen Informationen, so wurde diese Befürchtung nicht immer in der Rechtsprechung des BGH geteilt. Ein Beispiel dafür findet sich etwa in der "Blindenrichter-Rechtsprechung" des BGH: 107 103 Köhnken Glaubwürdigkeit (1990), S. l3, S. 43; Kühne Strafprozessrecht, § 54 III Rn. 901 (für die Polygraphie): "Ausgangspunkt [ ... ] ist die Überlegung, dass Lügen eine bestimmte Anstrengung erfordern, die ihrerseits stärkere physiologische Veränderungen hervorrufen als zutreffende Antworten." 104 Im wesentlichen werden vier theoretische Modelle zur Erklärung von Verhaltenskorrelaten der Glaubwürdigkeit in der Literatur vorgeschlagen: "Arousal-" "Affekt-", "Kognitiv-" sowie "Selbstkontrolltheorie". Darauf wird sogleich näher eingegangen. 105 Diese Verhaltenselemente, die oben als paraverbale Botschaften bezeichnet wurden, werden teilweise auch dem nonverbalen Kommunikationskanal zugerechnet, dazu Weinig, S. 31 Fn. 58-60, weshalb sie hier erneut Erwähnung finden. 106 BGHst 45, 188 =BGH NJW 1999,3788 = StV 1999,580 = JZ 2000,471. 107 Vgl. dazu aus früherer Zeit: RG st 39, 303, 304; 60, 63, 64; JW 1928, 821 (Blindheit führt zur Verhandlungsunfähigkeit) sowie aus neuerer Zeit: Rechtsprechung des 5. Senats: BGHst 4, 191, 193; 5, 354, 355 ff.; 11,74,78 (Blindheit führt in der Funktion als Beisitzer in

B. Glaubwürdigkeitsbeurteilung

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In einer Entscheidung zum Einsatz eines blinden Strafrichters als Beisitzer in einem Kollegialgericht äußerte der 5. Strafsenat in einem Urteil vom 28. 04. 1953 "blindenfreundlich", dass etwaigen visuellen Informationen bei der Urteilsbildung allenfalls geringe Bedeutung zukomme, wenn keine Augenscheinseinnahme vorgenommen werden muss. Aus diesem Grunde sei nicht einzusehen, warum beim Richter das Fehlen des "Gesichtssinnes" zur Verhandlungsunfähigkeit führe. Denn die Hauptverhandlung sei vom Grundsatz der Mündlichkeit beherrscht, "der die ganze Verhandlung zu einem in Erklärungen, Rede und Gegenrede bestehenden Vorgang"108 gestalte. Hiergegen wendet sich explizit sodann der 4. Strafsenat in seinem Urteil vom 17. 12. 1987 109 unter Berufung auf den Grundsatz der Unmittelbarkeit sowie § 261. Es wird hervorgehoben, "nicht nur die zwischen den Verfahrensbeteiligten gesprochenen Worte", sondern auch die "visuellen Eindriicke [seien] von maßgebender Bedeutung"Yo Insbesondere müsse der Richter "auch von der Haltung und den Reaktionsweisen der Prozessbeteiligten, vor allem des Angeklagten, durch aufmerksame Beobachtung Eindriicke gewinnen können, die möglicherweise für seine Beweiswürdigung von Bedeutung werden". 11 1 So könne in jedem Augenblick der Hauptverhandlung Optisches indizielle Bedeutung erhalten, was zu einer Umschreibung der gesamten Hauptverhandlung als "fortgesetzte Augenscheinseinnahme" führe. 112 Mit Blick auf die oben genannten Ausführungen muss dem grundsätzlich zugestimmt werden. Kommt dem nonverbalen Verhalten für die Individualisierung der Aussageperson erhebliche Bedeutung zu, so kann das Erfordernis (auch) der visuellen Interaktion im Strafprozess nicht außer Frage stehen. Auch aus dem Grundsatz der Kommunikationsoptimierung folgt die Notwendigkeit der Apperzeption visueller Informationen. Denn nicht immer wird es den Verfahrensbeteiligten gelingen, das was verbal ausgedriickt werden soll, auch verständlich allein im Rahmen des verbalen Kommunikationsprozesses zu verdeutlichen. 1I3 Wäre anderes einem Kollegialgericht nicht zur Verhandlungsunfähigkeit) und des 4. Senats: BGHst 18, 51, 54; 34, 236, 237; 35, 164, 165 ff. (Blindheit führt auch in der Funktion als Beisitzer im Kollegialgericht zur Verhandlungsunfähigkeit). 108 BGHst 4, 191, 194. 109 BGHst 35,164,166. 110 So auch Fezer NStZ 1987, 335, 336; Geppert Grundsatz der Unmittelbarkeit (1979), S. 148 f., die darin eine deutliche Unterbewertung der formellen Seite des Unmitte1barkeitsprinzips erblicken. III BGHst 35, 164, 166. ll2 BGH a. a. O. unter Verweis auf Wimmer JZ 1953,671,672. 113 Auf diesen Aspekt verweist etwa BGHst 35, 164, 167 f. für den Angeklagten: "Der Angeklagte, für den der Ausgang eines solchen Verfahrens nicht selten lebensentscheidende Bedeutung haben kann, wird erwarten, daß der Richter ihn nicht nur anhört, sondern auch ansieht. Nicht jeder Mensch besitzt die Fähigkeit, seine Gedanken und Gefühle präzise in Worten auszudrücken, seine Taten und die ihnen zugrunde liegenden Überlegungen in passende Worte zu fassen; dies gilt in verstärktem Maße bei den häufig aus gestörten Familienverhält-

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4. Kap.: Glaubwürdigkeitsbeurteilung des Zeugen

richtig, so fragte sich, warum eine Beweisführung im Strafprozess mittels Tonbandaufnahme bisher als äußerst umstrittene Frage l14 anzusehen war. Und wenn weiterhin nach der Rechtsprechung des BGH ein Berufungsgericht eine abweichende Glaubwürdigkeitsbeurteilung eines Zeugen nur dann vornehmen kann, wenn es die Aussage "selbst gesehen und gehört hat,,115 so wird daraus deutlich, dass hinsichtlich des Ob der visuellen Erfassbarkeit nonverbaler Aspekte in der Judikatur des BGH an sich überhaupt keine Frage besteht. 116 (2) Die Ausführungen des BGH zur Auslandszeugen-Videovernehmung liegen weiterhin auch auf einer Linie mit Entscheidungen betreffend die gutachterliche Glaubwürdigkeitsanalyse. ll7 In einem neueren Urteil vom 09. 12. 1999 wird ausgeführt, dass "der Eindruck, den ein möglicher Entlastungszeuge bei seiner Vernehmung - verbal durch seine Aussage und nonverbal durch sein Auftreten - vermittelt, für die Beurteilung der Glaubwürdigkeit seiner Aussage und damit mittelbar für die Beurteilung der Schuldfrage von Bedeutung sein,,118 kann. Für die richterliche Beobachtung und damit "die Beweiswürdigung, insbesondere die Beurteilung der Glaubwürdigkeit des Zeugen" seien dabei "das Erscheinungsbild des Zeugen, Körpersprache, zögernde oder flüssige Aussage, oder erkennbare Emotionen des Zeugen,,119 zu beachten.

Wird mit diesem Urteil erstmalig näher (!) auf nonverbale Verhaltens signale für die Glaubwürdigkeitsbeurteilung hingewiesen, so bleibt die Begriffsbildung dennoch in einem Rahmen, der eine gewisse Verwunderung hervorruft. Wenn man von dem Allgemeinpostulat ausgeht, eine Individualisierung der konkreten Aussage könne erst durch die visuelle Erfassbarkeit nonverbalen Verhaltens ermöglicht werden,120 insoweit also den visuellen Informationen eine nicht nur unerhebliche nissen kommenden oder nach nur unzureichenden Schulleistungen aus der Schule entlassenen Tätern einer Straftat. Deshalb wird ein Angeklagter oftmals hoffen, daß ein Richter ihn auch ohne Worte auf Grund seines Mienenspiels und seiner Gesten versteht. Die Unmittelbarkeit der Verhandlung wird aber eingeschränkt, wenn dieser direkte Kontakt zwischen Angeklagtem und Richter nicht besteht, der "sehend-verstehende Austausch" nicht zustande kommt, der Angeklagte somit befürchten muß, daß sich der Richter nicht ein sicheres Bild über seine Persönlichkeit machen kann, und somit letztlich möglicherweise das "Vertrauensverhältnis", das grundsätzlich zu dem Gericht bestehen sollte, nicht entstehen kann." 114 Kühne Strafprozessrecht, § 53 IV Rn. 877. Vgl. a. Eh. Schmidt GS-Jellinek (1955), S. 625 ff. 115 BGH NJW 1968, 1138 m. w. Nw. Gleiches gilt für die Protokollveriesung in der Tatsacheninstanz, wofür etwa BGH NJW 1982, 33 ausführt: "Das Verhalten des Zeugen, das sich auch außerhalb der sprachlichen Aussage seiner Beurkundung ausdrückt, bleibt ebenfalls außer Betracht [ ... ]". 116 Bei der benannten Entscheidung des 5. Strafsenats v. 28. 04. 1953 handelt es sich daher um eine vereinzelt gebliebene Ausnahme. 117 Vgl. dazu BGHs! 23,8 ff.; 40,337 ff.; BGHNStZ-RR 1999, 108; BGHNStZ 1994,503. 118 BGHNJW 2000,1204,1205. 119 BGHNJW2ooo, 1204, 1206. 120 Siehe dazu die vorangegangenen Ausführungen.

B. Glaubwürdigkeitsbeurteilung

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Bedeutung für die richterliche Urteilsbildung zuerkannt wird, so fragt sich, warum der BGH eine - zumindest gewisse - Präzisierung der Nonverbalkriterien unterlässt. Dies muss erst recht vor dem Hintergrund der Glaubwürdigkeitsprüfung "als ureigenste richterliche Aufgabe"121 gelten. Denn dient die Glaubwürdigkeitsbeurteilung der richterlichen Feststellung der Wahrheitswahrscheinlichkeit einer Aussage, so ist doch das "Wie" der Berücksichtigung nonverbaler Kriterien von ganz erheblichem Interesse. Dass dagegen die körperliche Erscheinung, die Körpersprache sowie die Emotionen zum Bestandteil des nonverbalen Ausdrucksverhaltens gehören, leuchtet dagegen auf den ersten Blick ein. Es brauchte insoweit auch keiner näheren Erläuterung. (3) Als Ergebnis lässt sich insoweit festhalten, dass das "Ob" visueller Informationen im Strafprozess für die Glaubwürdigkeitsbeurteilung nach der Rechtsprechung des BGH außer Frage steht. Dagegen wird nicht verdeutlicht, "wie" das nonverbale Ausdrucksverhalten Eingang in die Urteilsbildung finden soll. Dies erscheint aber gerade auch im Hinblick auf die Videovernehmung verwunderlich, wurde doch gleichermaßen in der Rechtsprechung behauptet, durch den Einsatz von Videotechnik im Strafprozess sei eine sachgerechte Glaubwürdigkeitsbeurteilung nicht in jedem Einzelfall gewährleistet. Liegt eine Erklärung möglicherweise darin, dass eine Umschreibung der Konnexität von Lüge und Verhalten kaum möglich ist, weil - aussagepsychologische - Erfahrungssätze dazu nicht bzw. nicht übereinstimmend genug existieren? Dieser Schein wird jedenfalls hervorgerufen, wenn man im Anschluss an das Reichsgericht 122 die Bedeutung nonverbaler Verhaltenselemente für die Glaubwürdigkeitsbeurteilung postuliert, ohne aber aufzuzeigen, in welcher Weise welche Kriterien heranzuziehen sind.

bb) Das Postulat der" unbewaffneten" Sinnesorgane als Grenze der Apperzeption nonverbalen Ausdrucksverhaltens Eine nähere Präzisierung, und zwar in negativer Hinsicht, wurde für das nonverbale Ausdrucksverhalten in der Rechtsprechung aber dort geleistet, wo es um die Grenzen der gegebenenfalls für die Glaubwürdigkeitsbeurteilung verwertbaren Eindrücke vom nonverbalen Verhalten eines Aussagenden geht. Im sog. "Lügendetektor-Urteil" des BGH vom 16.02. 1954 123 wurde beispielsweise die Anwendung der "Polygraphen-Technik", 124 mit der "vom Beschuldigten mehr und andere AusDazu siehe Nw. bei Fn. 72. Vgl. nur RGst 39, 303, 304. 123 BGHst 5, 332 ff. 124 Der Begriff der Polygraphie stammt aus den USA und ist auf das jeweilige Aufzeichnungsgerät bezogen. BGH NJW 1999,657,658: "Bei einem Polygraphen handelt es sich um ein technisches Gerät, dass mittels Sensoren auf ,mehreren Kanälen' körperliche Vorgänge mißt, die der direkten willentlichen Kontrolle des Untersuchten weitgehend entzogen sind. In der Regel werden - in wechselnder Zusammenstellung - Werte für Veränderungen von arteriellem Blutdruck, Herz- und Pulsfrequenz, Atemfrequenz und -amplitude sowie elektrische Leitfähigkeit der Haut, gelegentlich auch von Muskelspannungen und Oberflächentemperatu121

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4. Kap.: Glaubwürdigkeitsbeurteilung des Zeugen

sagen als beim üblichen Verhör zu erlangen" seien, nämlich "solche, die er unwillkürlich macht und ohne das Gerät gar nicht machen kann", als mit den im Strafverfahren zu beachtenden Grundsätzen unvereinbar angesehen. Denn "zur Erhaltung und Entwicklung der Persönlichkeit gehört ein lebensnotwendiger und unverzichtbarer seelischer Eigenraum, der im Strafverfahren unangetastet bleiben muss". Daraus leitet der BGH ab, dass "bewusste und unbewusste Ausdrucksvorgänge, die in der Hauptverhandlung in üblicher Weise hervortreten, bei der Beweiswürdigung mit Vorsicht, Zurückhaltung und Menschenkenntnis,,125 berücksichtigt werden können. Demgegenüber seien "diesen recht groben Sinneseindrücken des täglichen Lebens [ ... ] solche, die durch Messung unbewußter und verborgener Körpervorgänge gewonnen und dann zur seelenkundlichen Deutung benutzt werden", nicht gleichzustellen. Denn "die Erforschung des Unbewussten - im Gegensatz zu offen hervortretenden Ausdrucksbewegungen - ist unzulässig". 126 Wurde der BGH insbesondere für den letzten Satz der angeführten Ausführungen in der Literatur stark kritisiert,127 weil doch die meisten nonverbalen Reaktionen der Aussagepersonen aus der Sphäre des Unbewussten resultieren dürften, so wird allerdings die Intention des BGH wie auch die Grenze für eine Berücksichtigung nonverbaler Kriterien im Rahmen der Glaubwürdigkeitsbeurteilung deutlich: 128 Intracorporale, visuell nicht bzw. nicht ohne weiteres zu erfassende Faktoren, wie Pulsfrequenz, Blutdruck, Atemfrequenz, Körpertemperaturen usw., können und dürfen nicht Bestandteil der Glaubwürdigkeitsbegutachtung sein, wenn die Subjektsqualität der jeweiligen Aussageperson nicht in Frage gestellt werden soll. Um Eindrücke für die Beurteilung der Glaubhaftigkeit der Aussage zu erlangen, darf der Richter insoweit seine Sinnesorgane nicht "bewaffnen". Dies nun könnte auch für § 247a Bedeutung erlangen, wie sogleich aufzuzeigen sein wird. ce) Grenze für den allgemeinen Technikeinsatz bei der Glaubwürdigkeitsbegutachtung, insbesondere für die Anwendung von VideokonJerenztechnik bei der Zeugenvemehmung?

Der dem "Polygraphen-Urteil" entnommene Grundsatz der Wahrnehmung des Zeugen durch "unbewaffnete Sinnesorgane" führt nun zu einer interessanten und grundlegenden Frage für den Einsatz von Videotechnik im Strafprozess. Gern. ren des Körpers erfasst und auf einem mitlaufenden, mit einem Linienraster versehen Papierstreifen graphisch dargestellt". Die Begriffsbildung Polygraph wird dort angewendet, wo negative Konnotationen, die mit der Bezeichnung Lügendetektion verbunden sind, vermieden werden soHen; Steiler in: Steiler/Volbert et al Psychologie des Strafverfahrens (1997), S. 89 Fn. 1. Vgl. a. Riil/Vossel NStZ 1998,481 ff. 125 BGHSt 5, 332, 335. 126 BGHSt 5, 332, 335 f. 127 Knögel DRiZ 1954,234,236; Kühne (1969), S. 59; Schwabe NJW 1979,576,578 f.; Undeutsch ZStW 87 (1975), 650, 659. 128 Vgl. a. Kühne (1969), S. 60.

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§§ 58a, 247a besteht nämlich die Möglichkeit zur Aufzeichnung der Zeugenvernehmung, freilich zum Zweck der Beweismittelsicherung für die Hauptverhandlung oder weiterer Teile derselben. Würde man nun, wie dies auch die im Gesetz niedergelegte Formulierung "zur Erforschung der Wahrheit erforderlich,,129 nahelegt, die Aufzeichnung der Zeugenaussage zur näheren Begutachtung des nonverbalen Verhaltens vornehmen, so könnte man apparative Techniken einsetzen, die die begrenzten sensitiven Fähigkeiten des Menschen unterstützen und vor allem ergänzen. Man denke dabei nur an die oben geschilderte mehrfache Zoommöglichkeit, \30 die es ermöglicht, das Gesicht, die Augen, den Halsbereich in Großbildformat festzuhalten. Damit könnten also die ,,recht groben Sinneseindrücke des täglichen Lebens,,13\ fast beliebig verfeinert werden. Visuell nicht ohne weiteres wahrnehmbare nonverbale Reaktionen, insbesondere die Gesichtsmimik, die Schweissperlen auf der Stirn, die Lidschlagfrequenz, das Straffen der Nasenflügel, das Pulsieren des Blutes in der Halsschlagader oder die Dilatation der Pupillen könnten filmisch aufgenommen und sodann photographisch abgebildet werden. Möglich ist weiterhin die beliebige Reproduzierbarkeit. Kurzum: Es wird ein Weg eröffnet, bei dem während einer normalen Zeugen vernehmung die Möglichkeit zur vertieften analytischen Diagnostik besteht. Dies gilt freilich auch für das Gesprochene.

Dass es sich hierbei nicht um bloße Zukunftsmutmaßungen handelt, zeigen die geschilderten Erfahrungen. Sowohl bei den durchgeführten Videokonferenzen des Verf. wie im Verfahren des LG Dresden bestand die Möglichkeit, Personen oder Gegenstände am anderen Ort heran- oder wegzuzoomen. Ausgeführt wurde auch, dass der Umfang der Vergrößerungsmöglichkeiten bei weitem die anfänglichen Erwartungen übertraf, wie sich etwa im "Kirchturmuhr-Beispiel"132 verdeutlichte. Sitzt nun der Zeuge in der Regel bei einer unmittelbaren Vernehmung im Gerichtssaal in einiger Entfernung zum Richter, so würde man gerade unter Verwendung der benannten Technik bei Zeugenvernehmungen "mittels einer Apparatur sonst nicht wahrnehmbare, unwillkürliche körperliche Reaktionen [ ... ] registrieren können, um daraus Schlüsse auf die subjektive Richtigkeit des Ausgesagten zu ziehen"Y3 Im Gegensatz zu den Mutmaßungen des BGH in der "Auslandszeugen-Videoentscheidung"134 sowie den Bedenken in der Literatur würde (und wird so) die Glaubwürdigkeitsbeurteilung beim Einsatz von Videotechnik sogar verbessert, weil hierdurch die Möglichkeit zur Betonung visuell nicht ohne weiteres erfassbarer, nonverbaler Informationen 135 besteht. 136 Vgl. §§ 58a Abs. 1 Nr. 2 a. E.; 247a S. 4. Dazu vgl. etwa die Ausführungen im 3. Kapitel, Abschnitt B., I. sowie 11. 131 BGHst 5, 332, 335. 132 Vgl. dazu im 3. Kapitel, Abschnitt B., 11., 3., c). 133 Im Wortlaut das BVerfG NJW 1982, 375 zur Verwendung eines Lügendetektors im Strafverfahren. 134 BGH StV 1999,580 ff. 135 Diese Betonung nonverbaler Informationen hebt etwa auch Kilian-Herklotz, S. 214, explizit hervor. 129

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Gerade dies aber soll nach einer Entscheidung des BVerfG vom 18.08. 1981 137 sowie dem BGH im benannten "Polygraphen-Urteil"I38 für den Einsatz eines Lügendetektors beim Beschuldigten (!) als Verstoß gegen die Menschenwürde (Art 1 GG), das Persönlichkeitsrecht (Art 2 Abs. 1 GG iVm. Art 1 Abs. 1 GG) sowie E1ementargrundsätze im Strafverfahren (§ 136a) zu bewerten sein, was unabhängig von der Einwilligung des Betroffenen gilt. Insoweit erneut: "Ausdrucksvorgänge, die in üblicher Weise hervortreten",139 d. h. ohne weiteres erkennbar sind,140 dürfen bei der Beweisverwertung berücksichtigt werden. Die Einbeziehung und Verwertung des Unüblichen, visuell nicht ohne weiteres Wahrnehmbaren sprengt dagegen die Grenzen der Zulässigkeit. Folgt hieraus nun, dass Video-200m-Technik im Strafverfahren keine Anwendung finden darf, weil sich der Richter hiermit unzulässig "bewaffnet"? Und unterliegt insoweit auch die, die umfassende Reproduzierbarkeit ermöglichende, Aufzeichnung der Zeugenaussage im Vorverfahren (§ 58a) sowie in der Hauptverhandlung (§ 247a S. 4) nicht ganz unerheblichen Bedenken? Diese Auffassung wurde im Anschluss an das "Polygraphen-Urteil" insbesondere von Peters vertreten. 141 Danach berechtige der Einsatz moderner Technik im Gerichtssaal den Richter nicht zur "apparativen Aufnahme und Zerlegung der Sprache zum Zwecke der Feststellung innerpersönlicher Vorgänge",142 und zwar des Beschuldigten wie des Zeugen (!). Und was für die Stimme gelte, gilt danach "auch für den Blick", so dass eine "photographische oder filmische Aufnahme der Gesichtsmimik wie Pantomimik im Strafverfahren zum Zwecke der Beweisauswertung,,143 als unzulässig anzusehen sei. Ist der Tendenz vorgenannter Auffassung, nämlich die Subjektstellung der jeweiligen Aussageperson im Strafverfahren zu gewähren, umfassend beizupflichten, so überzeugt die von Peters benannte Grenze der Zulässigkeit anhand des "allgemein Üblichen" nicht. Zunächst ist festzuhalten, dass die benannte Rechtsprechung den Polygraphen-Einsatz explizit nur im Hinblick auf den Angeklagten verneinte. Denn den Ausgangspunkt der Argumentation bildete die Annahme, bei Anwendung der entsprechenden Technik werde das dem Angeklagten zustehende Schweigerecht (§ 243 Abs. 4) unterlaufen. 144 In einer derartig "komfortablen Rol136 Dies entspricht der vorwiegend in der psychologischen Literatur geäußerten Auffassung, wonach eine verhaltensorientierte Glaubwürdigkeitsbetrachtung ohne entsprechenden Technikeinsatz überhaupt nicht möglich ist, vgl. nur Köhnken Glaubwürdigkeit (1990), S. 46. 137 BVerfG NJW 1982,375. 138 BGH a. a. O. 139 BGH a. a. 0., S. 335; Peters ZStW 87 (1975), 663, 670. 140 Beispielhaft: Starke Schweißbildung, Erröten, Sprechstörungen oder andere Orientierungs-, Anstrengungs- und Verlegenheitsreaktionen, vgl. BGH NJW 1999,657,659. 141 In: ZStW 87 (1975), 663 ff. 142 Peters ZStW 87 (1975), 663, 671 f. 143 Peters ZStW 87 (1975), 663, 672. 144 BGH a. a. O. S. 335.

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le,,145 befindet sich ein Zeuge aber nicht. Ihn trifft eine Aussageverpflichtung, bei der er, entgegen dem Angeklagten,l46 ausnahmslos einer Wahrheitspflicht unterliegt (§ 57 iVm. § 153 StGB). Ein etwaiges Schweige- oder gar ein Lügerecht kann bei ihm - vorbehaltlich der §§ 52 ff. - insoweit nicht übergangen werden. Nun ist aber nicht zu verkennen, dass auch in Bezug auf die Person des Zeugen, die Wahrheitsfindung nicht um jeden Preis erfolgen darf. Darauf wurde ja mehrfach hingewiesen. Berücksichtigt man jedoch, dass im Hinblick auf das grundsätzliche Verbot des Polygraphen-Einsatzes in der Rechtsprechung des BGH mittlerweile eine Meinungsänderung durch ein Urteil vom 17. 12. 1998 147 erfolgte, wonach die freiwillige Mitwirkung des Beschuldigten an einer polygraphischen Untersuchung nicht (mehr) gegen die Verfassung oder Elementargrundsätze des Strafverfahrens verstößt,148 so scheint es, als könne man diesen Gedanken auch auf die Anwendung anderer apparativer Techniken zur Glaubwürdigkeitsbeurteilung von Zeugen übertragen. Erblickt man (nunmehr) bei freiwilliger Mitwirkung des Beschuldigten an der Erforschung nonverbaler körperlicher Reaktionen keinen Eingriff in seine Menschenwürde sowie das Persönlichkeitsrecht, so muss dies erst recht für den aussage- und wahrheitspflichtigen Zeugen gelten. 149 Die Einwilligung und nicht das Übliche, das bereits Gewohnte, bestimmt danach die Grenze der Zulässigkeit. Nur diese Auffassung ermöglicht auch, nonverbale Verhaltensreaktionen einer näheren Evaluierung und Validierung zuzuführen. Denn ohne die Verwendung apparativer Techniken ist eine sachgerechte Erfassung nonverbal feinmotorischen Verhaltens überhaupt nicht möglich. 150 dd) Zwischenergebnis Bild-Zoom-"Aufnahmen" zur Wahrheitsanalyse im o.g. Sinne haben insoweit bei einem entgegenstehenden Willen des Zeugen grundsätzlich zu unterbleiben, was voraussetzt, dass dieser auch darüber informiert und belehrt wird. Etwaige Ausnahmen hiervon wären danach erst nach einer Abwägung der widerstreitenden Schutzgüter und Interessen im Einzelfall zulässig und restriktiv zu handhaben. 151 145 146

So Meyer-Mews NJW 2000, 916. BGH StV 1985, 356 - Auch wenn der Angeklagte der Lüge überführt wird, darf dies

nicht als Beweis seiner Schuld bewertet werden. 147 BGHNJW 1999,657 ff. 148 So bereits Amelung NStZ 1982,38; zust. a. Prittwitz MDR 1982, 886. Demgegenüber abI. Grünwald Beweisrecht, S. 72. 149 Dem möglicherweise vorgebrachte Einwand, dass es auf die Freiwilligkeit des Zeugen nicht ankommen kann, weil die richterliche Anordnung der sachverständigen Glaubwürdigkeitsbeurteilung auch keiner Einwilligung des Zeugen unterlieg~, ist entgegenzuhalten, dass es in dem einen Fall um die Analyse der Aussage, also um das Ubliche geht, in dem anderen jedoch das visuell nicht ohne weiteres feststellbare nonverbale Reaktionsverhalten der Exploration unterliegt. 150 Köhnken Glaubwürdigkeit (1990), S. 46; Kühne (1978), S. 164; Schneider; S. 163. Darauf wird noch zuriickzukommen sein.

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4. Kap.: Glaubwürdigkeitsbeurteilung des Zeugen

Dies würde aber voraussetzen, dass durch den Einsatz von entsprechender Technik bzw. die Berücksichtigung der entsprechenden nonverbalen Merkmale überhaupt ein sachgerechter Rückschluss auf die Wahrhaftigkeit des Zeugen und seiner Aussage möglich erscheint. Daraufhin wird nunmehr die Literatur zu untersuchen sein, die gegenüber der Rechtsprechung hoffentlich die Frage beantworten wird, welche Verhaltens~eisen wahrnehmbar als Begleiterscheinungen von Täuschungen auftreten und inwieweit diese auch als verlässliche Täuschungsindikatoren anzusehen sind. b) Die kriteriengeleitete Glaubwürdigkeitsbeurteilung nonverbalen Ausdrucksverhaltens in der Literatur Es stellt sich zunächst also die Frage, welche Täuschungsindikatoren in der Literatur benannt werden. Sodann fragt sich, ob aus den Verhaltenselementen sachgerechte Rückschlüsse auf den Wahrheitsgehalt einer Aussage bzw. die Glaubwürdigkeit des Zeugen möglich sind. Und anschließend ist das Verhältnis des technischen Mediums Videokonferenz zu den gefundenen Ergebnissen näher zu begründen. aa) Verhaltenskategorien

In der Literatur 152 werden für die verhaltensorientierte Glaubwürdigkeitsbeobachtung verschiedene Verhaltenskategorien systematisch danach geordnet, in welchem Bereich und in welchem Zusammenhang sie anzutreffen sind: Unterschieden werden insoweit die sich im Kopf)53 und Körperbereich 154 der jeweiligen AussaExplizit Schneider, S. 165. Übersicht nach Köhnken Glaubwürdigkeit (1990), S. 10 f. 153 Die Pupillendilatation: Veränderungen des Pupillendurchmessers, meistens gemessen mit einem Pupillometer genannten Gerät; der Blickkontakt: Häufigkeit und Dauer des Blickkontaktes mit dem Rezipienten; der Lidschlag: Häufigkeit des reflexhaften Schließen des Augenlids; das Lächeln: Häufigkeit und Dauer des Lächelns; gelegentlich auch durch eine Globaleinschätzung der "Freundlichkeit" des Gesichtsausdrucks durch Beurteiler erfaßt; der Segmentierung der Gesichtsmimik: Anzahl der durch Beurteiler unterscheidbaren Einheiten oder Abschnitte des Verhaltensstroms in der Gesichtsmimik. Die Beurteiler geben an, wann nach ihrem Eindruck ein Verhaltensabschnitt beendet ist und ein neuer beginnt; der Kopjbewegungen: Häufigkeit und Intensität des Kopfnickens bzw. Kopfschüttelns. 154 Die Gestik: Häufigkeit und I oder Dauer von Arm- und Handbewegungen, die das jeweils Gesagte ergänzen oder modifizieren; häufig auch als Illustratoren bezeichnet; das Achselzucken: Anheben und Fallenlassen der Schultern zum Zeichen des Nichtwissens; die Adaptoren: Häufigkeit und I oder Dauer von Selbstmanipulationen am eigenen Körper, wie Kratzen, Streicheln oder Haarzupfen sowie Objektmanipulationen (z. B. mit einem Bleistift hantieren); die Bein- und Fußbewegungen: Häufigkeit der Bewegung von Beinen und Füßen; die Körperbewegungen: Häufigkeit der Veränderung der Körper- oder Rumpfhaltung; die Segmentierungen im Körperbereich: Anzahl der durch Beurteiler unterscheidbaren Einheiten- oder Abschnitte des Verhaltensstroms im Bereich des Rumpfes und der Extremitäten. Die Beurteiler geben an, wann nach ihrem Eindruck ein Verhaltensabschnitt beendet ist und ein neuer beginnt. 151

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geperson befindlichen nonverbalen "Kommunikationskanäle", weiterhin, neben inhaltlichen Aussagemerkmalen, 155 die in Verbindung mit der Aussage des Zeugen stehenden extralinguistischen Verhaltenskorrelate, 156 sowie schlussendlich die sich aus einer Gesamtschau aller "Kommunikationskanäle" ergebenden sog. "Kanaldiskrepanzen".157

bb) Verhaltenskorrelate der" Glaubwürdigkeitsbeurteilung " in Einzeluntersuchungen In der Literatur finden sich mehrere Erklärungsmodelle, 158 die basierend auf der benannten Annahme, wahre und falsche Äußerungen seien auch von unterschiedlichen Verhaltenskorrelaten begleitet, 159 eine Beschreibung der Verhaltensmerkmale 155 Dazu gehören die negativen Äußerungen: Anzahl einzelner negativer Äußerungen in einem Bericht, die Kälte, Ablehnung oder Indifferenz ausdrücken; gelegentlich auch durch Beurteiler eingeschätzte globale Negativität des Berichts; die Irrelevanz von Details: Anzahl der Details, die im Hinblick auf das Kernthema überflüssig oder nebensächlich sind; gelegentlich auch durch Beurteiler global eingeschätzte Relevanz der Äußerung; die Selbstreferenzen: Anzahl der selbstbezogenen Äußerungen (z. B. ich, mein); die Unmittelbarkeit: Grammatische oder semantische Aspekte von Außerungen, die die Enge/Intimität einer Interaktion reflektieren sowie etwaige Übergeneralisierungen: Anzahl übergeneralisierter Äußerungen wie z. B. immer, alle, niemand, nie u. a. 156 Die Reaktionslatenz: Zeitdauer zwischen dem Ende einer Frage und dem Beginn der Antwort; die Antwortlänge: Zeitliche Dauer einer Äußerung oder Anzahl der in einer Äußerung verwendeten Worte; die Sprechrate: Anzahl der gesprochenen Worte je Zeiteinheit; die Sprechstörungen: Sammelkategorie für die Häufigkeit von Störungen im Sprechfluss, z. B. durch grammatische Fehler, überflüssige Wiederholungen von Worten oder Satzteilen, unvollständige Worte oder Sätze, Versprecher u. a.; die Verzögerungen: Anzahl und/ oder Dauer der Verzögerungen der Sprechproduktion, z. B. durch stille und gefüllte Pausen ("mhm", "äh"); die Stimmhöhe: Mithilfe entsprechender Geräte gemessene Grundfrequenz der Stimme. 157 Durch Beurteiler eingeschätztes Ausmaß der Unterschiedlichkeit der in verschiedenen Kommunikationskanälen (d. h. verbal, nonverbal, extralinguistisch) vermittelten Informationen. 158 Im wesentlichen geht es um vier theoretische Modelle: (I) "Arousal-Theorie": Täuschungen erzeugen bei der Aussageperson eine Erhöhung nervlicher Aktivität, sog. Arousal. (2) "Selbstkontroll-Theorie": Aussagepersonen, die eine falsche Darstellung geben, versuchen durch eine verstärkte Kontrolle ihres Verhaltens potentielle Anzeichen für Unglaubwürdigkeit zu verbergen. Da sie von einer Stereotype der Unaufrichtigkeit ausgehen, welche in der Intensitätszunahme bestimmter Verhaltensweisen bestehe, versuchen "self-controller" ihr Verhalten zu dämpfen, was zu starren, eintrainierten und wenig spontanen Verhaltensmustern führt. (3) "Affekt-Theorie": Danach rufen Täuschung affektive Reaktionen hervor, insbesondere Angst vor Entdeckung und Schuldgefühle. (4) "Kognitions-Theorie": Da die Konstruktion einer unwahren Aussage eine kognitiv schwierigere Aufgabe ist, als die wahrheitsgemäße Rekonstruktion eines Sachverhalts aus der Erinnerung, werden Verhaltensweisen vermutet, die für eine (Über-) Belastung des Informationsverarbeitungssystems sprechen. Vgl. dazu Köhnken Glaubwürdigkeit (1990), S. 14 ff. 159 Dabei wird freilich kein unmittelbarer Zusammenhang zwischen einer Täuschung und dem (Täuschungs-) Verhalten postuliert, sondern davon ausgegangen, dass Täuschungen grundlegend andere psychische Prozesse und Faktoren involvieren, die ihrerseits Auswirkungen aufbeobachtbares Verhalten haben, vgl. Köhnken Glaubwürdigkeit (1990), S. 13.

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4. Kap.: Glaubwürdigkeitsbeurteilung des Zeugen

bei der Aussageperson vornehmen. Eine tiefgehende Auseinandersetzung mit den durch namhafte Autoren aus juristisch-kriminologischer Sicht 160 sowie forensischpsychologischer Perspektive 161 dargestellten Ausführungen zu nonverbalen Täuschungsanzeichen nimmt in neuerer Zeit Lothar Schneider in seiner Dissertation über "nonverbale Zeugnisse" vor. 162 Die wesentlichen Kernaussagen seiner Arbeit sollen hier stark verkürzt wiedergegeben werden, weil sie die Relevanz nonverbaler Kriterien für die "Wahrheitswahrscheinlichkeit" der Aussage des Zeugen verdeutlichen und daher auch für § 247a Bedeutung erlangen: Für die in seiner Arbeit analysierten Untersuchungen, die sich mit nonverbalen Verhaltenselementen als Täuschungsindikatoren beschäftigen, stellt Schneider im Ergebnis durchweg gravierende methodische Mängel fest. 163 So gelänge es den Untersuchungen, trotz ihres Bemühens um eine Objektivierung der Methoden und Kriterien, nicht, "die Ausdrucksdeutung der Sphäre der bloßen Intuition zu entziehen".I64 Denn den in den Arbeiten geprägten Hypothesen fehle es durchgängig an einer Absicherung, könne man den Ausführungen nicht entnehmen, inwieweit eine empirische oder sonstige Validierung des Erkenntnismaterials stattgefunden habe. 165 - Die jeweiligen Positionen der Autoren differierten weiterhin untereinander im Ergebnis. Daher sei auch keine Bestimmung der Relevanz nichtsprachlicher Aussagebegleiterscheinungen für die Glaubwürdigkeit der Aussageperson möglich. Es bleibe daher offen, ob man die Täuschung von bloßem Erregungsverhalten der Aussageperson unterscheiden könne und ob den unterschiedlichen nonverbalen Signalen auch wirkliche Verlässlichkeitsunterschiede zwischen den einzelnen Kommunikationskanälen zu entnehmen sind. 166 160 So die Einzelstudien von Bars Die Vulgärlüge in der gerichtlichen Praxis (1977); BenderlNack Tatsachenfeststellung, Bd. 1 (1981); Gerbert Ausdruckspychologie und Vernehmungstechnik im strafrechtlichen Ermittlungsverfahren (1954); InbaulReidlBuckley Tbe Value of direct observation and evaluation of behavior symptoms (1986) sowie Leonardt ZSchr. für angewandte Psychologie 46 (1934), 358; ders. MSchr. für Kriminalpsychologie 25 (1934), 115. 161 So die Arbeiten von Amtzen Psychologie der Zeugenaussage (1983); LittmannlSzewczyk Forensia 4 (1983), 55 ff.; Undeutsch Handbuch der Psychologie, Bd. 11 (1967). 162 Schneider Nonverbale Zeugnisse gegen sich selbst (1991). 163 Vgl. dazu auch Döhring, S. 68 [Im Hinblick auf das von Schneider gefundene Ergebnis l: .. Das ist verständlich; denn unsere Kenntnis dieses Bereichs weist trotz guter fachpsychologischer Arbeiten noch viele Lücken auf, so dass exakte Darlegungen erschwert sind und jeder, der sich in dieser Hinsicht versucht, mit dem Vorwurf des Dilettantismus rechnen

muss".

Schneider, S. 80. Schneider, S. 75, S. 81, S. 84, S. 100: .. Die referierten Studien sind großteils reine Beurteiler- und Feldstudien, d. h. ausgewertet wurden subjektive Eindrücke aus der polizeilichen bzw. forensischen Praxis. Ob damit jeweils das tatsächliche objektive Verhalten der Auskunftspersonen korrekt erfaßt wurde, ist nicht gewährleistet." 166 Schneider, S. 127. 164

165

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193

- Ein umfassendes und systematisch verständliches Kriteriensystem finde sich weiterhin nur bei BenderlNack,167 die jedoch betonen, dass es sich dabei um bloße Wamsymptome handele, die wiederum nur in wenigen Fällen in der forensischen Praxis Bestätigung gefunden haben. 168 - Und schließlich wird im Hinblick auf die Verlässlichkeit der Verhaltensanalyse für die Glaubwürdigkeitsbeurteilung aus forensisch-psychologischer Sicht festgestellt, dass nonverbale Reaktionen überhaupt nur bezugnehmend auf den Aussageinhalt für bedeutsam gehalten werden, wobei auch hier durchweg eine fehlende empirische Erforschung der Verhaltenskorrelate zu konstatieren sei. Mit Blick darauf wendet sich Schneider sodann der experimentell ausgerichteten Sozialpsychologie zu, wo er auf die Zusammenfassung und Erläuterung der Ergebnisse durch Köhnken 169 verweist. Köhnken wiederum bezieht sich in seinen Ausführungen auf die in sog. "Sekundär"- bzw. "Meta"-Analysen gefundenen Ergebnisse. Dabei handelt es sich um Verfahren, welche die relative Auftretenshäufigkeit bestimmter Indikatorreize aus einer Mehrzahl von Einzeluntersuchungen ermitteln. Zur Gewinnung eines Eindrucks über die Stärke des Zusammenhangs von "Glaubwürdigkeit" und Verhalten wird hier die Differenz der relativen Auftretenshäufigkeit zwischen wahren und falschen Aussagen in Standardabweichungen - gemittelt über eine größere Anzahl von Einzeluntersuchungen - berechnet. 17o Darauf aufbauend entwickelt Köhnken ein Erklärungsmodell, das neben der Aussageperson, dem sog. Kommunikator, auch die Attributions- und Urteilsprozesse des Rezipienten in die Betrachtung miteinbezieht. Wurde im Rahmen der oben dargestellten Einwände gegen den Einsatz von Videotechnologie im Strafverfahren bereits deutlich, dass primär eine Verschlechterung der Beurteilungssituation für den Richter als Rezipienten der Zeugenvemehmung vermutet wurde, so liegt es nahe, auf das "bilaterale" Erklärungsmodell Köhnkens auch hier näher einzugehen. 171 Dafür spricht im wesentlichen auch sein Beruhen auf empirisch experimentell verifizierten Daten. Denn empirische Befunde über Tauschungskorrelate bilden eine grundlegende Basis für "Glaubwürdigkeitsbeurteilungen", sind zutreffende Einschätzungen der "Glaubwürdigkeit" durch einen Rezipienten allenfalls dann zu erwarten, wenn valide Indikatorreize gegeben sind. l72 Dies eriibrigt aber das weitere Eingehen auf die in den juristischkriminologischen bzw. forensisch-psychologischen Einzeluntersuchungen gefundenen Ergebnisse. Denn diese basieren, wie von Schneider ausgeführt, vorrangig auf "Intuition". Insoweit kann ihnen auch keine hinreichende Verlässlichkeit für Schneider, S. 99 f. Bender/Nack et al. Tatsachenfeststellung, Bd. 1 (1995), S. 85. 169 Köhnken Glaubwürdigkeit als psychologisches Konstrukt (1990), S. 13 ff. 170 Vgl. im einzelnen dazu Köhnken Glaubwürdigkeit (1990), S. 23. 171 Was mangels neuerer Stellungnahmen zur Problematik insoweit auch von juristischer Seite bereits durchgeführt wurde, vgl. dazu etwa Kilian-Herklotz, S. 195 ff. 172 So Köhnken Glaubwürdigkeit (1990), S. 26. 167 168

13 Rieck

194

4. Kap.: Glaubwürdigkeitsbeurteilung des Zeugen

angegebene nonverbale Täuschungskorrelate entnommen werden, die den Schluss rechtfertigen würden, bei § 247a sei eine Beurteilung dieser nonverbalen Täuschungsindikatoren wegen der Mediatisierung der Aussage nicht möglich. cc) Statistische Zusammenhänge zwischen nonverbalem Verhalten und" Glaubwürdigkeit" Köhnken stützt sich bei seinen Ausführungen primär auf die Sekundäranalyse von Zuckermann / Driver et al., 173 die nachwiesen, dass jedenfalls statistische Zusammenhänge zwischen der "Glaubwürdigkeit" und einer Reihe von nonverbalen Verhaltensweisen bestehen. 174 So gelang bei 58% der untersuchten Verhaltenselemente eine Unterscheidung von "wahren" und "erlogenen" Aussagen, wobei folgende Täuschungskorrelate als signifikant bis nicht signifikant aus dem Durchschnitt von 45 experimentellen Untersuchungen ermittelt wurden: 175 (1) Starke Veränderungseffekte

Starke Veränderungen finden sich danach bei: der Pupillendilatation, also der Ausdehnung der Pupillen; - der zunehmende Segmentierung der Körperbewegungen während der Täuschung, d. h. dem Anstieg der Anzahl unterscheidbarer Einheiten im Verhaltensstrom, sowie - der Zunahme negativer inhaltlicher Äußerungen. (2) Mittlere Veränderungseffekte Mittlere Veränderungen ergaben sich dagegen aus: der erhöhten Lidschlagfrequenz, d. h. dem vermehrten Blinzeln während der Täuschung; einer Antwortverzögerung in Form zahlreicherer und längerer Pausen während des Sprechvorganges; einer erhöhte Grundfrequenz der Stimme, die aus dem Sprechen mit höherer Stimme wahrnehmbar sein soll; der Abnahme von Unmittelbarkeit der (inhaltlichen) Äußerungen; sowie - der Zunahme sog. Kanaldiskrepanzen, also Widersprüchen zwischen den einzelnen Verhaltenskanälen.

173

ZuckermannlDriver in: SiegmannlFeldstein rnultichannel integrations (1985), S. 129,

174

Köhnken Glaubwürdigkeit (1990), S. 29. Systernatisierung nach Schneider, S. 200.

137.

175

B. Glaubwürdigkeitsbeurteilung

195

(3) Schwache Veränderungseffekte Und schließlich nur schwachen Veränderungseffekten unterliegt: die Zunahme der unterscheidbaren Verhaltensabschnitte in der Gesichtsmimik; die Zunahme des Achselzuckens; die Zunahme der Se1bst- oder Objektberiihrungen (sog. Adaptorentätigkeit); die Zunahme der Sprechstörungen; der Anstieg irrelevanter (inhaltlicher) Angaben; sowie - die steigende Zahl übergeneralisierender Äußerungen. (4) Keine Veränderungseffekte Eine Reihe von Verhaltensweisen unterliegt dagegen keiner bzw. keiner signifikanten Verhaltensänderung in Abhängigkeit von einer wahren oder falschen Aussage. Dazu zählten insbesondere: die Aufrechterhaltung oder Meidung des Blickkontakts; Lächeln und Kopfbewegungen: Während einer Tauschungssituation lächelten Versuchspersonen genauso häufig oder genauso selten wie in wahren Teilen ihrer Aussage. Gleiches gilt für die Veränderungen von Kopfbewegungen, etwa dem Kopfschütteln, bei denen kaum Veränderungen eintraten; Verhaltensweisen im motorischen Bereich, explizit von Körperbewegungen, Bewegungen der Hände, Arme, Füße und Beine, erschienen als insignifikant, so dass die Anzahl illustrierender Arm- und Handgesten als auch die Häufigkeit unterscheidbarer Bein-, Fuß- und Rumpfbewegungen kaum Bedeutung für die Glaubwürdigkeitsbeurteilung zukommen dürfte; - Reaktionslatenz, Antwortlänge, Sprechrate: Zumindest nach den experimentellen Untersuchungen geben auch bestimmte extralinguistische Verhaltensweisen keine Hinweise auf eine Verhaltensänderung. So blieben die Reaktionslatenz, also die Zeitdauer bis zum Beginn einer Antwort, sowie die Länge der Antwort und die Sprechdauer fast unverändert gleich. dd) Bewertung der Ergebnisse und etwaige Einflussbedingungen

Gegen die durch Sekundäranalysen vorgegebene "Konsistenz" der Daten wendet Köhnken selbst ein, dass die in einer Metaanalyse gefundenen Verhaltensmuster nicht in gleicher Weise bei jedem Kommunikator erwartet werden können. So sei es möglich, dass unter bestimmten Umständen Indikatorreize aufträten, die sich in Sekundäranalysen nicht als signifikant erwiesen und andersherum signifikant diskriminierende Verhaltenskorrelate nicht bei jedem Kommunikator in jeder Kommunikationssituation ersichtlich sind. So werde bei einer Betrachtung der empirischen Einzelbefunde auch deutlich, dass die Befundlage tatsächlich doch einem mehr ver13*

196

4. Kap.: Glaubwürdigkeitsbeurteilung des Zeugen

wirrenden als klaren Bild ähnele. I ?6 Sekundäranalysen verdeutlichten daher zwar generelle Veränderungstendenzen, täuschten tatsächlich jedoch über die bereits oben benannte Widersprüchlichkeit der Ergebnisse von Einzelstudien hinweg. I?? Zur Erklärung der Diskrepanz zwischen dem Verhalten beim (Nicht-)Vorliegen einer Täuschung beschreibt Köhnken Faktoren, die Einfluss auf die Variation der Ergebnisse haben können. Dazu gehören etwa die bereits oben angesprochene Selbstpräsentation von Menschen, eng verbunden damit die differentielle Kontrollierbarkeit menschlichen Verhaltens, die Interaktionssituation, die gegenseitigen Stereotypvorstellungen vom Kommunikationspartner sowie die Abhängigkeit der beobachtbaren Verhaltenkorrelate von der Verfügbarkeit des jeweiligen Kommunikationskanals ("channel effect"). Da sich aus dem Erklärungsmodell Köhnkens wichtige Anhaltspunkte für jede Glaubwürdigkeitsbeurteilung, gerade aber auch für die audiovisuelle Femvernehmung des Zeugen,178 ergeben können, sollen die hier angenommenen Einflussfaktoren für das Verhalten einer Aussageperson kurz näher ausgeführt werden. (I) Zielorientierte strategische Selbstpräsentation Für die Variation nonverbaler Verhaltensweisen verantwortlich wird neben dem Alter, dem Geschlecht und der Motivation l ?9 des Kommunikators vor allem die "strategische Selbstpräsentation " hervorgehoben. Unabhängig von der Wahrheit im gegebenen Zusammenhang sei für den ,,selfMonitorer", 180 neben der sog. "primären Täuschung" über den Aussageinhalt, 176 So wird exemplarisch von Hocking/Leathers (in: Communication Monographs 47 (1980), 119 ff.) für die Lidschlagfrequenz eine täuschungsbedingte Verringerung angenommen, während Hemsley/Doob (1979) eine Zunahme der Lidschlagfrequenz postulieren. Ähnliches gilt für die Annahme einer täuschungsbedingt reduzierten Gestik durch Ekman / Friesen (Journal of Personality and Social Psychology 29 (1974), 288 ff.), während Kraut (in: Journal of Personality and Social Psychologie 39 (1980), 784 ff.) demgegenüber eine täuschungsbedingt vermehrte Gestik annimmt. Eine täuschungsbedingte Verringerungen der Sprechrate wiederum nehmen Knapp et al. (in: Human Communication Research 1974, 15 ff.) an, während Motley (in: Western Speech 38 (1974), 81 ff.) demgegenüber das Gegenteil behauptet, usw. Vgl. dazu Köhnken Glaubwürdigkeit (1990), S. 29. 177 Köhnken Glaubwürdigkeit (1990), S. 29 ff. 178 Explizit auf diese Einflussgrössen für die Videovernehmung bezieht sich Kilinan-Herklotz, S. 195 ff. 179 Dazu vgl. Köhnken Glaubwürdigkeit (1990), S. 31 f., 32 ff., 36 ff. Hervorzuheben ist, dass auch nach der Metaanalyse von Zuckermann/Driver (in: Siegmann/Feldstein multichannel integrations (1985), S. 129 ff.) bei hoher Motivation die Lidschlagfrequenz abnahm, während sie bei geringer Motivation des Kommunikators zunahm. Lächeln und Adaptoren wiesen nur bei geringer Motivation eine Beziehung zur Glaubwürdigkeit auf. Umgekehrt ergaben sich im Bereich des extralinguistischen Verhaltens erst bei höherer Motivation signifikante Differenzen zwischen wahren und falschen Aussagen. 180 Die Bezeichnung geht zurück auf Snyder (in: Journal of Personality and Social Psychology Vol. 30 (1979), S. 526 ff. sowie in: Berkowitz Advances in experimental Social Psychology, Val. 12 (1979), S. 85 ff.).

B. Glaubwürdigkeitsbeurteilung

197

wichtigstes Ziel die glaubwürdige Selbstdarstellung bzw. Selbstpräsentation. 181 Bei der Selbstdarstellung, die in allen sozialen Interaktionen wirksam sei, gehe es um die Beeinflussung der Zuschreibungsergebnisse des Kommunikationspartners vom Charakter, von Eigenschaften, Fähigkeiten, Schwächen des Kommunikators usw. Erzeugt werden soll regelmäßig also ein positiver Eindruck der "Glaubwürdigkeit". Hierfür müsse der Kommunikator aber zunächst einmal Vorstellungen darüber haben, welche Verhaltensweisen "Eindruck" beim Rezipienten bewirken, 182 wofür auf sog. Stereotype, d. h. auf Verhaltensweisen, die der jeweilige Kommunikator selbst als Täuschungs- bzw. Wahrheitsanzeichen bewertet, zurückgegriffen wird. Bei der Aktivierung derartiger Verhaltens standards setze in der Kommunikationssituation nun ein Vergleich der eigenen, antizipiert dem Rezipienten unterstellten Standards mit den tatsächlich wahrgenommenen Standards des Kommunikationspartners ein. Dabei werden die durch Beobachtung des Rezipientenverhaltens gewonnenen Diskrepanzen im Wege der Selbstkontrolle permanent reguliert. 183 Gerade die Dynamik des Geschehens bei dieser Verhaltensregulation erkläre nun eine geringe Konstanz empirisch gefundener Verhaltenskorrelate von Täuschungen. 184 Denn man könne kaum mit Verhaltenskorre1aten rechnen, die während einer längeren Kommunikationssequenz konstant blieben. Folgt gerade aus dem letztgenannten Aspekt, der Dynamik des Geschehens, dass etwaige Verhaltenskorrelate einer Täuschung weder durchweg signifikant, noch für eine längere Zeit konstant sind, so gilt dies für die Analyse der "Wahrheitswahrscheinlichkeit" bei unverrnittelter- wie technikvermittelter Kommunikation in gleicher Weise. Dies spricht gegen die Vermutung, nur bei der Videovernehmung von Zeugen sei ein Mangel der Beurteilungsmöglichkeiten des nonverbalen Verhaltens gegeben. Ein ähnlicher Einwand ist für die Annahme verstärkter Selbstpräsentation bei einer Videofemvernehmung zu formulieren. Geht es bei der Selbstpräsentation 181

S.73.

Sog. sekundäre Tauschung, Köhnken Glaubwürdigkeit (1990), S. 154. Vgl. a. Döhring,

Dies wird auch als sog. "interne Feedbackschleife" bezeichnet. Dies wird auch als sog. "negative Feedbackschleife" bezeichnet. 184 Köhnken (Glaubwürdigkeit (1990), S. 161, 159 f.) erblickt gerade in der Antizipation der Verhaltensstandards des Rezipienten einen Anhaltspunkt für Glaubwürdigkeitskriterien, die dadurch gekennzeichnet sind, dass spontane Selbstkorrektoren, Zugeben von Erinnerungslücken, Selbstbelastungen sich nur in geringem Ausmaß bei falschen Aussagen finden. So glaube der Kornmunikator gerade dadurch besonders glaubwürdig zu wirken, dass er sich insgesamt als kompetent (keine Erinnerungslücken) und moralisch makellos (keine unvorteilhaften Äußerungen) präsentiere, womit er sich aber solange im Irrtum befinde, wie der Rezipient diese Strategie durchschaue. Wenn aber der Kornmunikator andererseits diese Überlegungen des Rezipienten gleichermaßen antizipiere und bei der Selbstdarstellung berücksichtige, so wird er genau solche Verhaltensweisen produzieren, die vom Rezipienten als Glaubwürdigkeitsindikatoren gewertet werden. Daraus folge, dass Glaubwürdigkeitskriterien nicht generell zur Unterscheidung von waiJren und falschen Aussagen taugen, diese sich geradezu in ihr Gegenteil verkehren können. 182 183

198

4. Kap.: Glaubwürdigkeitsbeurteilung des Zeugen

um das Erwecken eines "guten Eindrucks", so ist hierfür absichtliches Handeln der betreffenden Person erforderlich. Der dafür erforderliche Wille der Person wird sich aber kaum verstärken oder abschwächen, wenn die Kommunikation nunmehr technikvermittelt erfolgt. (2) Differentielle Kontrollierbarkeit des Verhaltens Das Ergebnis mangelnder Konstanz von bestimmten Verhaltenskorrelaten, die als Täuschungsindikatoren dienen, wird weiterhin auch aus dem Gedanken der "differentiellen Kontrollierbarkeit" des Verhaltens geschlussfolgert. 185 Als Ausgangspunkt dient hierbei zunächst die benannte These, eine Täuschung durch den Kommunikator sei eine kognitiv schwierigere Aufgabe, als die unbefangene, der Wahrheit entsprechende Vermittlung subjektiver Informationen. Denn der jeweilige Kommunikator müsse je nach der Komplexität des Basissachverhalts zunächst eine Reihe von inhaltlichen Kontrollprozessen einsetzen, um sich nicht in Widerspriiche, Unklarheiten usw. zu verwickeln. Dariiberhinaus erfordere auch die Wahrnehmung von Fremd- sowie die Regulation von Eigenverhalten bei der strategischen Selbstpräsentation fortlaufende Kontrollprozesse. Gehe man nun davon aus, dass kognitive Ressourcen beim Durchschnittsmenschen nur beschränkt zur Verfügung stehen, so müssen beim "Lügen" differentielle Kontrollbemühungen in Abhängigkeit von der Öffentlichkeit l86 des Kommunikationskanals (und dem externen Feedback), also nach der erlernten phänomenologischen Bedeutung des jeweiligen Verhaltensbereichs, erfolgen. 187 Kommt dabei gerade der Mimik aufgrund der differenzierten Gesichtsmuskulatur einerseits und der sozialen Auffälligkeit des Gesichts andererseits, eine nicht nur unerhebliche Bedeutung zu, wird kognitive Kapazität neben der Inhaltskontrolle der Aussage vor allem auf die Beherr185 Die Komponente der differentiellen Kontrollierbarkeit von Verhalten geht auf zahlreiche Publikationen von Ekman et al. zurück, die eine Glaubwürdigkeitshierarchie der einzelnen Verhaltenskanäle postulieren. Danach soll beispielsweise eine Handlung die wahre innere Stimmung widerspiegeln, um so weiter entfernt sie vom Gesicht abläuft, vgl. dazu Schneider, S. 177. 186 Vgl. Schneider, S. 210: "Meßbare Abweichung von Normalverhalten während einer Lüge vollziehen sich zumeist bei den Verhaltenssegmenten, die scheinbar nur von geringer Relevanz für die Glaubwürdigkeitsbeurteilung sind. Beurteiler müssen sich davor hüten, ihre Aufmerksamkeit auf bestimmte ,augenfällige' Verhaltensweisen zu richten und dabei die tatsächlich sensitiven Bereiche zu übersehen. Am offenkundigsten ist dies im Bereich der Gesichtsmimik. Hier tragen jedenfalls nach den Experimenten die Häufigkeit des Lächelns und die Aufrechterhaltung bzw. Meidung des Blickkontakts zur Diskriminierung wahrer und falscher Aussagen nichts bei, während sich bei vermeintlich nebensächlichen Symptomen, wie der Pupillendilatation und der Zunahme der Lidschlagfrequenz bedeutsame Veränderungen während der Lüge zeigten." 187 Die empirischen Daten bestätigten dabei, dass differentielle Kontrollbemühungen in Abhängigkeit von der "Öffentlichkeit" der verschiedenen Kommunikationskanäle bestehen. So wurde festgestellt, dass Personen, die sich unbeobachtet fühlen, die ansonsten intensive Kontrolle ihres Gesichtsausdrucks (durch welchen sie sich ja vermeintlich nicht verrieten) vernachlässigten, vgl. Köhnken Glaubwürdigkeit (1990), S. 36 f.

B. GJaubwürdigkeitsbeurteilung

199

schung dieser "offenen" Verhaltenskanäle verwendet. Dies führe nunmehr aber im Einzelfall dazu, dass Verhaltensbereiche außerhalb des primären Aufmerksamkeitsfokus, etwa die Beine und Füße, von der "Ressourcenverknappung" betroffen sind. Daher werden Kontrollbemühungen in diesem Bereich nachlassen, solange bis eine Diskrepanz zu den Sollvorstellungen vom Kommunikator bemerkt und sogleich reguliert wird. Weil für die Kontrolle diesen Bereichs nunmehr erneut kognitive Energie verwendet werden muss, treten Diskrepanzen zwischen den "Soll"und "Ist"- Vorstellungen dann wieder kurzfristig an anderer Stelle auf. Dies bewirke im Gesamtprozess also eine fortlaufende Regulierung. 188 Gerade die Dynamik des ablaufenden Prozesses verbiete auch hier die Feststellung generell empirisch feststehender Verhaltenskorrelate. Und darin liegt nun wieder die Bedeutung für § 247a, lässt sich feststellen, dass man gegen die technikvermittelte Kommunikation nicht Einwände gelten machen kann, die in gleicher Weise für das unvermittelte Gespräch zwischen Richter und Zeugen gelten. Spricht insoweit auch der Aspekt "differentieller Kontrollbemühungen" gegen die Annahme, bei § 247a sei keine bzw. eine verschlechterte Glaubwürdigkeitsbeurteilung möglich, so lässt sich für die technikvermittelte Kommunikation hieraus eine weitere Erkenntnis ableiten: Wenn bestimmte Menschen willentliche Kontrollbemühungen in Abhängigkeit von der Öffentlichkeit des Kommunikationskanals vornehmen, dann sollte bei der Videovernehmung ein Gesamtbild, nicht aber etwa nur das Gesicht und der Oberkörper des Zeugen auf dem jeweiligen Monitor im Gerichtssaal sichtbar sein. Gerade von den geschilderten Möglichkeiten des Einsatzes von Zoomtechnik sollte daher nur ausnahmsweise Gebrauch gemacht werden, jedenfalls soweit man damit bestimmte Körperpartien des Zeugen für längere Zeit "herausgegreift". Denn dann wird auch für den Zeugen, der sich im Regelfall ja selbst auf einem zweiten Monitor sehen kann, ersichtlich, dass die Videovernehmung weitgehend einer Vernehmung im Gerichtssaal entspricht. Und insoweit wären etwaige Kontrollbemühungen des Zeugen, die Verhalten im Vergleich zur "Face-to-Face"-Situation verändern, keinesfalls zu befürchten. (3) Interaktionssituation Im Lichte des Selbstkontrollansatzes und der differentiellen Verhaltenskontrollierbarkeit wird auch der Interaktionssituation erhebliche Bedeutung als Einflussfaktor zugemessen. So konnte in Experimenten nachgewiesen werden, dass sich die Selbstkontrolle des Verhaltens dann verstärkte, wenn sich die Personen bei der Tauschung beobachtet fühlten bzw. einer Tauschung verdächtig wurden. 189 Dage188 Vgl. Köhnken Glaubwürdigkeit (1990), S. 161 f.: "Bildlich ausgedrückt ist der Kommunikator in einer Situation, in der er eine zu kurze Decke hat. Wenn irgendwo eine Stelle bloß liegt, zieht er die Decke dorthin, entblößt damit aber gleichzeitig einen anderen Bereich. Nach kurzer Zeit wird es dort kalt und die Decke wird erneut verzogen. Einige Bereiche aber, und dies hat bedeutende Implikationen für die Glaubwürdigkeitsbeurteilung, bleiben möglichst weitgehend bedeckt. Es sind diejenigen Verhaltensbereiche, die im Prototyp des unglaubwürdigen Kommunikators einen besonders hohen Stellenwert haben.

200

4. Kap.: Glaubwürdigkeitsbeurteilung des Zeugen

gen ließ die ansonsten intensive Kontrolle insbesondere der Gesichtsmimik nach, wenn sich die Personen unbeobachtet fühlten. Darauf wurde bereits oben hingewiesen und erwähnt, dass durch die Videovernehmung kein Unterschied zur "face to face"- Konfrontation im Gerichtssaal auftreten kann. (4) Stereotyp- bzw. Standard- bzw. Referenz-Vorstellungen

Ist davon auszugehen, dass sich Kommunikator wie auch Rezipient von ähnlichen Stereotyp-Vorstellungen leiten lassen, so scheint als Einflussgrösse interessant, wie Verhaltenskorrelate nach der subjektiven Perspektive der Interaktionspartner als Täuschungsanzeichen gewertet werden. 190 Aus einer Auswertung von Fragebogenuntersuchungen 191 ergab sich hierfür die interessante Tendenz, dass die Vermutung der "Unglaubwürdigkeit" durch Versuchspersonen mit einem vermehrten Auftreten nonverbaler Verhaltensweisen in Verbindung gebracht wurde. Die Versuchspersonen gingen dabei von der unzutreffenden Vorstellung aus, dass mehr Verhaltenselemente als Täuschungskorrelate anzusehen sind, als dies in Wirklichkeit statistisch der Fall iSt. 192 So wurden 80% der beobachteten Verhaltensänderungen von Versuchspersonen als Täuschungsindizien gewertet,193 während tatsächlich nur 58% der Fälle signifikante - und zwar unter Einbeziehung von starken bis geringen [!] - Veränderungen aufwiesen. Insoweit wurde von den (Versuchs-)Beurteilerpersonen bestimmten Kommunikationskanälen, etwa dem Blickkontakt, den Adaptoren, den Sprechstörungen und Verzögerungen, Bedeutungen beigemessen, die experimentell tatsächlich nicht nachweisbar sind. Zum Teil wurde den Kommunikationskanälen auch eine völlig andere Bedeutung zugeschrieben und die Auftretenshäufigkeit von Verhaltenselementen weit überschätzt. 194 Bei einzelnen Versuchsteilnehmern musste daher eine groteske Selbstüberschätzung der eigenen (Rezipienten-)Urteilskompetenz konstatiert werden. Wird beim "Videozeugen" unterstellt, hier sei eine Beurteilung der Wahrheitswahrscheinlichkeit seiner Aussage anhand des nonverbalen Verhaltens nicht möglich, so setzt dies doch stillschweigend voraus, in der unvermittelten Kommunikationssituation sei eine sachgerechte Beurteilung durchführbar. Darauf wurde gerade verwiesen. Tritt hier wie da nun aber noch neben der Interaktionsdynamik 189 Zum damit verbundenen sog. "Otbello-Fehler" bei der Vernehmung der Aussageperson, Köhnken Glaubwürdigkeit (1990), S. 67,159. 190 Dazu im einzelnen: Köhnken Glaubwürdigkeit (1990), S. 47 ff., S. 162 ff. 191 Ausgewertet wurden die Fragebogenuntersuchungen von Hocking I Leathers in: Communication Monographs, Vol. 47 (1980), 119 ff. sowie von ZuckermannlKoestnerlDriver in: Journal of Nonverbal Behaviour 1981, 105 ff. 192 Kraut I Poe Journal of Personality and Social Psychologie 39 (1980), 784 ff. 193 Zuckermannl Paulol Rosenthai in: Berkowitz Advances in experimental social psycho10gy, Vol. 14 (1981), 16. 194 Köhnken Glaubwürdigkeit (1990), S. 56 f.

B. Glaubwürdigkeitsbeurteilung

201

eine Selbstüberschätzung des Beurteilers nonverbaler Verhaltensweisen hinzu, dann kann davon wohl keine Rede sein. Dies gilt für Vernehmungen im Gerichtssaal gleichermaßen. Gerade für die Vernehmung von "Videozeugen" ist nun aber von erheblicher Bedeutung, dass das vermehrte Auftreten nonverbaler Verhaltensweisen vereinzelt mit "Unglaubwürdigkeit" in Verbindung gebracht wird. Würde sich die Vernehmungsperson des "Videozeugen" nicht von diesem Vorurteil befreien, so hätte dies geradezu katastrophale Konsequenzen für die Wahrheitsfindung bei § 247a. Denn wie oben ausgeführt wurde, ist bei videokonferenzvermittelter Kommunikation zu erwarten, das nonverbale Informationen verstärkt an den Gesprächspartner übermittelt werden, weil der jeweilige Kommunikator sicher gehen will, dass an der Gegenstelle alles richtig verstanden werde. (5) "Channel Effects" Als weitere Einflussgrösse wurde experimentell weiterhin festgestellt, dass sich die Urteils güte dann verändert, wenn dem Beobachter "zuverlässigere Kanäle" für sein Glaubwürdigkeitsurteil zur Verfügung stehen, als wenn das Urteil auf stärker manipulierbare Kanäle, wie etwa die Mimik, begriindet wird. So bestätigten experimentelle Untersuchungen die Vermutungen, dass dem Gesicht allein keine signifikante Bedeutung bei der Glaubwürdigkeitsbeurteilung zukomme, sich dariiberhinaus auch die Urteilsgüte bei Vorgabe anderer Verhaltenskanäle konsistent verschlechtert, wenn zusätzlich das Gesicht beobachtbar war. 195 Eine durchgehende Verbesserung der Urteilsgüte wurde demgegenüber nachgewiesen, wenn zusätzlich oder anstelle des Gesichts nonverbale Verhaltensweisen im Körperbereich (Rumpf und Extremitäten) betrachtet werden konnten, wobei die höchsten Trefferquoten unter Einbezug des Sprechverhaltens festzustellen waren. Die Konsequenz für die Videofernvernehmung wurde bereits ausgeführt: Nicht das Gesicht oder der Oberkörper des Zeugen allein sollten auf dem Monitor sichtbar sein. Vielmehr sollte durch entsprechende Positionierung des Zeugen sowie eine sachgerechte Nah-/Ferneinstellung der Zeugenkamera ein Gesamtbild vom Zeugen übertragen werden, wo gut manipulierbare Verhaltensbereiche auf ein der Vernehmung im Gerichtssaal entsprechendes Maß reduziert werden. 3. Zusammenfassung

Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass es bei dem, was hier als "Glaubwürdigkeitsbeurteilung" bezeichnet wurde, vordergriindig um die Beurteilung der Glaubhaftigkeit der Zeugenaussage geht. Da die in den unterschiedlichen Arbeiten zur Wahrheitsanalyse angegebenen Beurteilungskriterien primär an 195

Vgl. dazu bereits Döhring. S. 69.

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4. Kap.: Glaubwürdigkeitsbeurteilung des Zeugen

den auditiven Teil der Zeugenvernehmung anknüpfen, schien die zunächst erfolgende Behauptung nicht unzutreffend, eine Beurteilung der Aussage-Wahrheitswahrscheinlichkeit sei auch dann möglich, wenn die Zeugenvernehmung technikvermittelt erfolgt. Jedoch kommt auch der Art und Weise, wie der verbale Text vorgebracht wird, d. h. dem Auftreten der Aussageperson, eine erhebliche Bedeutung für die Bildung eines Gesamteindrucks vom konkreten Zeugen zu. Deshalb lag die weitere Vermutung nahe, der Wahrheitsgehalt einer Aussage könne (daneben) auch bei der Videofernvernehmung anhand der visuell erfassbaren körperlichen Reaktionen des Zeugen erschlossen werden. Dies scheinen demgegenüber gerade die Kritiker des Einsatzes von Videotechnik im Strafprozess zu bezweifeln, wobei die Richtigkeit ihrer Einwände voraussetzen würde, dass nonverbale Verhaltenselemente auch als zuverlässige Beurteilungskriterien anzusehen seien. - Die Durchsicht der Rechtsprechung zu etwaigen nonverbalen Beurteilungskriterien ergab dabei in positiver Hinsicht nichts. Bestätigt wurde hier nur, dass dem Erscheinungsbild des Zeugen, seiner Körpersprache sowie seinen Emotionen Bedeutung auch für die Beweiswürdigung zukomme. Die Nichtbeantwortung der Frage, in welcher Weise die Nonverbalkriterien für die richterliche Beweiswürdigung Bedeutung erlangen, rief gerade vor dem postulierten Grundsatz, "Glaubwürdigkeitsbeurteilung als ureigenste richterliche Aufgabe", eine gewisse Verwunderung hervor. - Der Rechtsprechung zum "Polygrapheneinsatz" konnte dann jedoch eine Grenze in negativer Hinsicht entnommen werden, wonach die Aufzeichnung von Ausdrucksvorgängen, die visuell nicht ohne weiteres festgestellt werden können, nur dann möglich ist, wenn der Zeuge hierüber aufgeklärt wird und seine Einwilligung dazu erteilt. Andernfalls hat die Aufzeichnung derartiger Körpervorgänge, die visuell nicht ohne weiteres wahrnehmbar sind, scil. auch nicht durch das bloße Herantreten des Richters an den Zeugenstand für die Situation einer Vernehmung im Gerichtssaal, grundsätzlich zu unterbleiben. Anders als bei der Rechtsprechung finden sich demgegenüber in der Literatur Angaben zu konkreten Verhaltenskorrelaten von Täuschungen. Diese Angaben sind aber als sehr unzuverlässig anzusehen. So kann man etwa einer Arbeit von Schneider; der sich umfassend mit nonverbalen Ausdrucksvorgängen als Bestandteil von "Glaubwürdigkeit" beschäftigt, entnehmen, dass sich Einzeluntersuchungen zu (Täuschungs-)Verhaltenskorrelaten im Ergebnis sogar widersprechen. Waren insoweit etwaige Hoffnungen auf bestimmte "Lügensymptome", die eine Unterscheidung der wahren von der falschen Aussage ermöglichen, von vornherein zu begraben,l96 so konnte dieser Befund nicht verwundern, wenn man die geschilderten Einflussbedingungen näher betrachtete. Denn daraus wur196 Explizit Kilinan-Herklotz. S. 195,203; Steller/Volpert in: Steller/Volpert Psychologie im Strafverfahren, S. 16.

B. Glaubwürdigkeitsbeurteilung

203

de deutlich, dass sich jegliche Generalisierung in diesem Bereich verbietet. So ist das Kommunikationsgeschehen von einer pennanent ablaufenden Dynamik wechselseitiger Zuschreibungsprozesse gekennzeichnet, bei denen eine, im konkreten Einzelfall nicht feststellbare Vielzahl von persönlichen und situativen Variablen von Kommunikator wie Rezipienten das Ergebnis der Eindrucksbildung und insoweit die "Glaubwürdigkeitsbeurteilung" bestimmt. - Da man jedoch den sog. Sekundäranalysen eine gewisse Veränderungstendenz und insoweit vorsichtig zu würdigende Anhaltspunkte entnehmen konnte, sind etwaige Verhaltenskorrelate insoweit allenfalls als "informierende Hypothesen" zu bewerten, die jedoch beweisrechtlich, wenn überhaupt, nur auf unterstem Range angesiedelt sind. 197 III. Schlussfolgerungen und Ergebnisse für die Videokonferenz gern. § 247a

1. Es wurde deutlich, dass gerade im Hinblick auf das nonverbale Täuschungsverhalten eine derart große Unsicherheit über das "Ob" und "Wie" von möglichen Verhaltenskorrelaten besteht, dass es mehr als fraglich erscheint, ob der Richter diese Infonnationen sachgerecht für eine "Glaubwürdigkeitsbeurteilung" verwenden kann. Wegen der Abhängigkeit der Eindrucksbildung von einer Vielzahl unbestimmter Faktoren des Einzelfalls und der damit einhergehenden Insignifikanz sowie Inkonstanz bestimmter Verhaltenselemente verbietet sich im Hinblick auf § 247a offensichtlich die Schlussfolgerung, nur bei der Videokonferenz sei eine sachgerechte Beurteilung des nonverbalen Verhaltens nicht möglich. Denn der Mangel sachgerechter Beurteilungsmöglichkeiten besteht bei unvennittelten wie technikvennittelten Gesprächssituationen in gleicher Weise. Und insoweit ist es auch als schlichtweg irreführend anzusehen, wenn primär in der Literatur gegen den Einsatz von Videotechnik bei der Zeugenvernehmung im Strafprozess ausgeführt wird, es mangele an der Möglichkeit zur Beurteilung des Zeugen durch den Richter über einen Bildschinn. 2. Gerade beim Einsatz von Videokonferenztechnik für die Zeugenvernehmung ist vielmehr das Gegenteil der benannten Einwände zutreffend. Denn hält man sich vor Augen, dass vermittels des Technikeinsatzes die Distanz zwischen Richter und Zeugen beliebig verkleinert werden kann, ohne dass der Richter den Richterplatz verlässt und dem Zeugen unmittelbar gegenübertritt, womit er ja Misstrauen etc. viel offensichtlicher signalisieren würde als wenn nur (kurzfristig) der Kamera197 So Bender/Nack TatsachenfesteIlung, Bd. 1 (1995), Rn. 208. Döhring, S. 75. Demgegenüber ist die Formulierung von Döhring a. a. 0., S. 68 verwirrend, wenn davon gesprochen wird, dass das Ausdrucksverhalten dem Richter Beweisindizien an die Hand gibt. Denn aus dem Verhalten kann ja gerade keine Wahrscheinlichkeitsaussage auf das Vorliegen oder Fehlen unmittelbar rechtserheblicher Umstände (dazu etwa: Grünwald Beweisrecht, S. 86) erfolgen.

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4. Kap.: Glaubwürdigkeitsbeurteilung des Zeugen

zoom verändert wird, so ist es hierdurch möglich, und das ist das Wesentliche, den Zeugen überlebensgroß darzustellen. Weil nur beim Technikeinsatz auch die Möglichkeit zur Aufzeichnung des Zeugen sowie seines Ausdrucksverhaltens besteht und dies wiederum notwendig ist, sollen körperlichen Reaktionen, wie die Pupillendilatation (starker Veränderungseffekt) oder die Lidschlagfrequenz (mittlerer Veränderungseffekt) überhaupt visuell wahrnehmbar werden,198 werden die Beurteilungsmöglichkeiten des Zeugen durch den Richter verbessert. Denn "ohne BildTonaufnahmen geht es [überhaupt] nicht".199 Sind derzeit also nonverbale Verhaltenselemente kaum als zuverlässige "Tauschungsindikatoren" anzusehen, so wurden dennoch vorsichtig zu würdigende Anhaltspunkte in den Untersuchungen sichtbar. 2OO Gerade für die Anwendung von Videotechnik im Gerichtssaal wichtig, kann man der Empirie entnehmen, dass einige Kommunikationskanäle, explizit das Sprechverhalten sowie der Bereich der Körperregion, viel zuverlässigere Hinweise auf Verhaltenskorrelate geben als andere, beispielsweise die Mimik und der Blickkontakt. Diese Verlässlichkeitsunterschiede bringt etwa Golemann mit einem Satz auf den Punkt: "Das Gesicht kann am besten lügen".201 Weiterhin wurde deutlich, dass gerade dem Aussageinhalt eine überragende Bedeutung zuzuerkennen ist,202 was auch die umfassende Kriterienbildung bei der inhaltlichen Aussageanalyse erklärt. Kurzum: Die Beurteilung der Wahrheitswahrscheinlichkeit einer Aussage basiert (bisher!) hinreichend übereinstimmend nur auf der verbalen Aussagetätigkeit, 198 Dieser Feststellullg liegen Erfahrungen Schneiders zugrunde, die er als Hospitant bei Verfahren des OLG Stuttgart über einen längeren Zeitraum sammelte: "Denn obzwar sich der Verfasser ausschließlich auf die Beobachtung des nonverbalen und extralinguistischen Ausdrucksverhaltens von Auskunftspersonen - deren Zuverlässigkeit nach der gesamten Prozeßsituation zumindest fraglich war - zu konzentrieren hatte und durch keine sonstigen (prozessualen) Aufgaben beansprucht war, so gelang es ihm doch oftmals nicht, während der relevanten Aussagepassagen höhere oder niedrigere Auftretenshäufigkeiten bei bestimmten Verhaltenssymptomen - und nur darauf kommt es beweismäßig an - zuverlässig zu entdecken oder umgekehrt deren Ausbleiben mit hinreichender Sicherheit festzustellen. Bei manchen Erscheinungen, wie z. B. der Lidschlagfrequenz (Blinzeln) oder der Stimmhöhe ,scheiterte' der Verfasser bereits daran, dass er die - oft geringfügigen - Abweichungen vom Normalverhalten mit bloßem Auge (bzw. mit ,bloßem Ohr') nicht eindeutig erkennen konnte. In anderen Fällen, wo das einigermaßen sichere Wahrnehmen der Auftretenshäufigkeiten sensitiv möglich wäre, etwa bei der Anzahl der Selbst- oder Objektberiihrungen oder der Anzahl der Sprechstörungen, ergab sich die Überforderung des Verfassers aus der Menge der in die Auswertung einzubeziehenden Erscheinungen [ ... l" (a. a. 0., S. 230 f. [Hervorhebungen im Original]). 199 So Schneider a. a. 0., S. 228. Vgl. a. Köhnken Glaubwürdigkeit (1990), S. 46. 200 Insoweit ist es nur folgerichtig, wenn BenderlNack von "Warnsymptomen" der Körpersprache sprechen. Kritisch dagegen: Kilinan-Herklotz, S. 195,203, Fn. 41. 201 Golemann Psychologie Heute 4 (1983), 29 ff. Vgl. a. Döhring, S. 69 ff., der trotz seiner Ausführungen im Hinblick auf Problematik des Mienenspiels dann i. Erg. - m. E. unzutreffend - die gegenteilige Sichtweise vertritt. 202 Zuckermannl Driver in: Siegmannl Feldstein multichannel integrations (1985), S. 129, 144).

B. Glaubwürdigkeitsbeurteilung

205

nicht aber auf dem nonverbalen Verhalten des Zeugen. Eine Verschlechterung der Beurteilungssituation beim Einsatz des § 247a braucht daher nicht befürchtet zu werden. 203 Demgegenüber können" wesentliche nonverbale Reaktionen des Zeugen,,204 nunmehr endlich "festgehalten" und einer umfassenden Beurteilung zugeführt werden können, so dass die Annahme zutreffend erscheint, gerade hierdurch werde die Wahrheitsfindung verbessert.

203 Im Ergebnis ebenso Bohlander ZStW 107 (1995), 82, 100 m. w. Nw.; Kilian-Herklotz, S. 197,221. 204 Vgl. dazu nur KK-StP04-Diemer § 247a Rn. 5; ders. NStZ 2001,393,396.

5. Kapitel

Verhältnis des § 247a zu weiteren Vorschriften sowie einzelne, damit verbundene Probleme Wurde im vorangegangenen Abschnitt allein zur Stellung des "Videozeugen" in der Hauptverhandlung Position bezogen, so soll davon ausgehend nunmehr das Verhältnis des § 247a zu weiteren Vorschriften der StPO bestimmt werden. Dabei soll auch auf die mit § 247a verbundenen und gegebenenfalls nur einzelne Zeugen betreffenden Probleme näher eingegangen werden, auf die in den vorangegangenen Abschnitten immer wieder hingewiesen wurde.

A. § 247a und die Entfernung des Angeklagten aus der Hauptverhandlung gern. § 247 Nach dem Gesetzeswortlaut der ersten Alternative des § 247a S. I kann das Gericht eine Videovernehmung nur dann anordnen, wenn die Gefahr des schwerwiegenden Nachteils für das Zeugenwohl nicht in anderer Weise, namentlich durch den Ausschluss des Angeklagten von der Hauptverhandlung gern. § 247, abgewendet werden kann. Wird durch die Formulierung nicht in anderer Weise - wie oben bereits ausgeführt - verdeutlicht, dass die Vernehmung des Zeugen mittels Videotechnik als ultima ratio, d. h. als letztes Mittel bei der gerichtlichen Ermessensausübung anzusehen ist, so wird durch den Nachsatz, verbunden durch das Wörtchen namentlich, explizit dargelegt, woran der Gesetzgeber bei der Schaffung der Vorschriften gedacht hatte: Die Entfernung des Angeklagten aus dem Sitzungszimmer während einer Vernehmung des Zeugen in der Hauptverhandlung sei allemal besser geeignet, dem Spannungsverhältnis korrespondierender Interessen im Strafprozess l zu einem sachgerechten Ausgleich zu verhelfen, als die Entfernung des Zeugen. Denn im Hinblick auf das Unmittelbarkeitsprinzip kann die Ermöglichung der Wahrheitsfindung nur durch die Entfernung des Angeklagten, nicht aber des Zeugen aus dem Sitzungszimmer erfolgen, steht hier eine Verletzung bzw. Beeinträchtigung des Unmittelbarkeitsgrundsatzes 2 der allenfalls geringfügigen Beeinträchtigung I

2

Dazu die einleitenden Ausführungen im I. Kapitel. Vgl. dazu die Ausführungen im 2. Kapitel, Abschnitt A., 11., 2. und 3.

A. § 247a und die Entfernung des Angeklagten aus der Verhandlung

207

von Rechten des Angeklagten durch den Ausschluss von der Vernehmung gegenüber. 3 Wurde oben bereits dargelegt, dass durch die audiovisuelle Fernvernehmung des Zeugen eine Beeinträchtigung des Unmittelbarkeitsgrundsatzes gern. § 250 S. 2 nicht erfolgt, darüber hinaus auch Einschränkungen bei der Glaubwürdigkeitsbeurteilung der Zeugenaussage kaum befürchtet zu werden brauchen, so stellt sich im unmittelbaren Zusammenhang damit die Frage, ob die der gesetzlichen Regelung des § 247a S. 1, 1. Alt. zugrundeliegende und soeben ausgeführte Sichtweise wirklich zu überzeugen vermag. Es geht also um die Frage, ob gerade die Entfernung des Angeklagten gern. § 247 aus der Hauptverhandlung für den Zeitraum der Vernehmung des Zeugen tatsächlich milderes und insoweit per se vorzugswürdiges Mittel ist. Dem wird hier nunmehr auf den Grund gegangen. I. Die Situation vor dem Zeugenschutzgesetz 1998

Berücksichtigt man zunächst die Situation vor der Einfügung des § 247a S. 1, 1. Alt. durch das Zeugenschutzgesetz 1998, so war die Entfernung des Angeklagten anstelle derjenigen des Zeugen aus der Hauptverhandlung offensichtlich zu rechtfertigen. Denn weil § 250 S. 1 die mündlich- persönliche Vernehmung des Zeugen vor dem erkennenden Gericht erfordert, stand damit nach der alten Gesetzeslage die alternativ gedachte Entfernung des Zeugen nicht im Einklang. Denn die Vernehmung des Zeugen an einem anderen Ort außerhalb der Hauptverhandlung wäre in diesem Falle nur durch einen ersuchten bzw. kommissarischen Richter möglich gewesen (§ 223), so dass im Rahmen der Beweisführung in der Hauptverhandlung der an sich mögliche Personalbeweis durch den Urkundsbeweis ersetzt worden wäre. 4 Insoweit verwundert es keinesfalls, dass in der Rechtsprechung und Literatur weitgehend die Entfernung des Angeklagten aus dem Sitzungssaal ohne vertiefte Auseinandersetzung mit seinen Rechten als das "kleinere Übel" im Hinblick auf die Entfernung des Zeugen angesehen wurde. 5 3 Vgl. zu den Ausführungen im Gesetzgebungsverfahren erneut: BT-Drs.13/4983, S. 9: "Der Einsatz von Video technologie kann [ ... ] nur ergänzende Möglichkeiten der Entlastung bieten" sowie BT-Drs.13 17165, S. 5. Demgegenüber vgl. a. BT-Drs. 13 /4983, S. 6: "Eine Verbesserung für den Angeklagten kann allerdings entstehen, wenn dieser während der Übertragung im Verhandlungssaal anwesend bleibt und nicht gern. § 247 S. 2 entfernt werden

muss." 4

Dazu vgl. nur Mildenberger; S. 295 f.

5

BGHSt 32, 32, 36 f.: ,,§ 247 StPO gestattet es, durch eine solche Entfernung dem Interes-

se an vollständiger und wahrheitsgemäßer Aufklärung des Sachverhalts Rechnung zu tragen, wenn bestimmte Gründe vorliegen. Offensichtlich sieht das Gesetz in der vorübergehenden Einschränkung des Rechts des Angeklagten, bei allen in der Hauptverhandlung sich abspielenden Vorgängen dabei zu sein und auf Gang und Ergebnis des Strafverfahrens durch unmittelbares Befragen der Zeugen Einfluß zu nehmen, ein kleineres Übel als im Verzicht auf den Grundsatz der Unmittelbarkeit (§ 250 StPO). Die Wahrung dieses Grundsatzes ermöglicht es

208

5. Kap.: Verhältnis des § 247a zu weiteren Vorschriften

11. Die derzeitig gesetzliche Situation (nach dem Zeugenschutzgesetz)

Mit der Einfügung des § 247a in die Strafprozessordnung hat sich diese Situation - jedenfalls nach dem Willen des Gesetzgebers - offensichtlich nicht geändert. Denn für den Fall, bei dem die Gefahr für den Zeugen vom Angeklagten ausgeht, hat die Entfernung des Angeklagten aus dem Sitzungssaal weiterhin vor derjenigen des Zeugen zu erfolgen. Denkt man sich nunmehr die Situation, in der beim jeweiligen Gericht eine hochwertige Videovernehmungsanlage existiert und der Zeuge, etwa weil ein Vorgespräch mit ihm darauf hindeutet, dem Richter auch für die Durchführung einer audiovisuellen Videovernehmung aus einem (Zeugen-)Nebenraum des Gerichts gut geeignet erscheint, so ist dem Richter nach der Gesetzesfassung die Überlegung verwehrt, die audiovisuelle Fernvernehmung gerade im Hinblick darauf anzuwenden, dass hierdurch den Verfahrensinteressen aller Prozessbeteiligten optimal Rechnung getragen werden könnte. Dies wäre aber nun - ähnlich wie nach der alten Gesetzesfassung - nur dann überzeugend, wenn der mit der Gewährleistung der Anwesenheit des Zeugen im Gerichtssaal verbundenen Unmittelbarkeit eine mit dem Ausschluss des Angeklagten aus dem Sitzungssaal verbundene geringe Rechtsbeeinträchtigung korrespondieren würde; zudem der Ausschluss des Angeklagten aus dem Sitzungssaal als bewährte, weil unproblematisch praktische Maßnahme anzusehen ist. Gerade daran bestehen aber gewisse Zweifel, worauf im folgenden näher eingegangen werden soll. 1. Das Anwesenheitsrecht des Angeklagten

Fragt man nach dem Recht des Angeklagten, welches durch seine Entfernung aus dem Sitzungssaal zentral betroffen ist, so fällt die Antwort darauf nicht schwer: Unmittelbar betroffen ist das Recht des Angeklagten auf Anwesenheit während der Zeugenvernehmung. Das Recht auf Anwesenheit des Angeklagten während der gesamten Verhandlung folgt zunächst aus den einfachgesetzlichen Vorschriften der StPO, die explizit nur die Pflicht des Angeklagten zur Anwesenheit während der Hauptverhandlung normiert (etwa § 231), in § 338 Nr. 5 aber erkennen lässt, dass die mangelnde Anauch im Falle des vorübergehenden Ausschlusses des Angeklagten dem erkennenden Gericht selbst, dem Staatsanwalt und dem Verteidiger, das Beweismittel voll auszuschöpfen und durch eigene Wahrnehmung Eindrücke zu gewinnen, die für die umfassende Beurteilung der Glaubwürdigkeit eines Zeugen unerläßlich sind. Deshalb verdient die Beweisaufnahme in der Hauptverhandlung, auch wenn sie in Abwesenheit des Angeklagten erfolgt, den Vorzug gegenüber der nur kommissarischen Vernehmung unter Ausschluß (in Abwesenheit) des Angeklagten zur Gewinnung eines nach § 251 Abs. 1 Nr. 2 StPO verlesbaren Protokolls. Bei dieser Vernehmung müssen die Nachteile der Nichtanwesenheit und der Durchbrechung des Unmittelbarkeitsgrundsatzes in Kauf genommen werden."

A. § 247a und die Entfernung des Angeklagten aus der Verhandlung

209

wesenheit des Angeklagten zu einem absoluten Revisionsgrund führt. Weil es sich bei der Anwesenheitsverpflichtung insoweit um eine "zwingende Grundnorm des Strafprozessrechts,,6 handelt, korrespondiert mit der Verpflichtung auch die Berechtigung, die gegebenenfalls mit einer Verfahrensrüge in der Revision geltend gemacht werden kann. Da mit dem Recht des Angeklagten auf Anwesenheit in der Hauptverhandlung die Möglichkeit zur effektiven Wahrnehmung von Verteidigungsrechten, insbesondere das Fragerecht an Belastungszeugen, untrennbar verbunden ist, dient die Anwesenheit - aus der Verfassung unmittelbar abzuleiten der Verwirklichung der Subjektstellung im Strafprozess. Neben der ausdrücklichen Anordnung in Art 14 Abs. 3 lit. d. IPBPR folgt das Recht auf Anwesenheit insoweit bereits aus den Prozessgrundrechten des Art 103 Abs. 1 GG, also dem Recht auf Gehör, sowie dem Fairnessprinzip des Art 6 EuMRK, hier insbesondere Art 6 Abs. 3 lit. c.

2. Vorübergehende Entfernung des Angeklagten als Eingriff in Verfassungsrechte Da § 247 einen Ausschluss des Angeklagten "nur" vorübergehend, nämlich für den Zeitraum der Vernehmung des Zeugen zulässt, wobei die Vorschrift wegen ihres Ausnahmecharakters restriktiv interpretiert werden muss und daher unter "Vernehmung" nicht auch die Vereidigung bzw. die Verhandlung über die Vereidigung 7 sowie über die Entlassung des Zeugen8 zu fassen ist, fragt sich, ob der dadurch zeitlich nur beschränkte Ausschluss des Angeklagten den grundsätzlich eröffneten Schutzbereich der vorbenannten Prozessgrundrechte wirklich tangiert, also in diese auch eingreift.

a) Eingriff in das Recht auf richterliches Gehör gern. Art 103 Abs. 1 GG Blickt man hierfür zunächst auf Art 103 Abs. 1 GG, aus dessen knappen Wortlaut, "Vor Gericht hat jedermann Anspruch auf rechtliches Gehör", das Erfordernis einer Gelegenheit für die Verfahrens beteiligten abgeleitet wird, sich vor dem Erlass jeder richterlichen Entscheidung zu der Sache zu äußern (vgl. § 33) und Anträge zu stellen,9 darüber hinaus - zur Effektuierung des Prozessgrundrechts in erweiterter Auslegung - auch nur diejenigen Tatsachen und Beweisergebnisse zur Grund6 Vgl. KK-StP0 4 -Kuckein § 338 Rn. 2. Auf das Anwesenheitsrecht kann der/die Angeklagte insoweit auch nicht verzichten und etwa den Sitzungssaal einverständlich verlassen, BGH NStZ 2001, 48. 7 BGHNJW 1986,267 rn. w. Nw.; SK-StPO-Schlüchter § 247 Rn. 12,20 rn. w. Nw. 8 SK-StPO-Schlüchter § 247 Rn. 12 rn.w. Nw. 9 BVeifGE 6, 12, 14; 29, 345, 347; 55, 95, 98; 60, 305, 310; Rüping Grundsatz des rechtlichen Gehörs, S. 144 ff., 177.

14 Rieck

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5. Kap.: Verhältnis des § 247a zu weiteren Vorschriften

lage einer richterlichen Entscheidung gemacht werden dürfen, zu denen sich die Beteiligten äußern konnten und die der Richter wahrgenommen hat,1O so scheint im Falle des vorübergehenden Ausschlusses des Angeklagten gern. § 247 der Schutzbereich auf den ersten Blick nicht berührt. Denn einerseits ist, wie gerade ausgeführt wurde, der Ausschluss des Angeklagten auf die Vernehmung des Zeugen beschränkt, andererseits hat der Vorsitzende den Angeklagten, sobald dieser wieder anwesend ist, von dem "wesentlichen Inhalt dessen zu unterrichten, was während seiner Abwesenheit ausgesagt oder sonst verhandelt worden ist" (§ 247 S. 4). Damit wird der Angeklagte trotz des Ausschlusses wieder in den Stand versetzt, sich zu den rechtlich erheblichen Tatsachen zu äußern. Eine Gelegenheit im O.g. Sinne kann insoweit an sich nicht bezweifelt werden. Nun scheint diese Auslegung aber der hohen Bedeutung des Grundsatzes vom rechtlichen Gehör nicht zu genügen, wird dieser doch als Gewährleistung der Menschenwürde im Gerichtsverfahren begriffen. II Er kennzeichnet einerseits den Angeklagten als ein mit umfassenden Rechten ausgestatteten Aktivprozessbeteiligten und stellt andererseits auch Anforderungen an die Verfahrensgestaltung für den Richter. Wurde gerade ausgeführt, dass "Gehör" iSd. Art 103 Abs. 1 GG nicht allein das Recht zur Stellungnahme für den Prozessbeteiligten bedeutet, sondern korrespondierend damit der Richter das auf der "Rede" beruhende "Gehörte" auch wahrnehmen und verstehen - also gegebenenfalls auch nachfragen - muss,12 so folgt aus dem Anspruch auf rechtliches Gehör zunächst das grundlegende Erfordernis einer primär auf Rede und Gegenrede beruhenden Kommunikationssituation im Strafverfahren. Ist der Richter dabei zur umfassenden Sachverhaltsaufklärung von Amts wegen verpflichtet, so kann dies nur durch die entsprechende Ergründung des Vorbringens der Prozessbeteiligten geschehen, wobei jeder Zweifel bei der Sachverhaltsaufklärung dem Angeklagten zugute kommen muss. 13 Dies wurde bereits an früherer Stelle angesprochen und daraus die Pflicht des Vorsitzenden zur Kommunikationsoptimierung abgeleitet. 14 Denn nur durch eine "optimale" Anwendung entsprechender Kommunikationstechniken wird der Richter die in der Regel belastende Situation des Verfahrens für die Prozessbeteiligten ausgleichen IO BVeifGE 11, 218, 220; 14, 320, 323; 18, 380, 383; 20, 347; 22, 267, 273; 25, 137; 28, 378; 29, 345; 36, 92, 97;46,185;46,315; 50, 32; 50, 280; 54,43; 55, 95,98; 58, 353; 60, 305. Bei Bedarf muss ein Dolmetscher hinzugezogen werden: BVeifGE 40,95,98 f.; 64, 135; vgl. §§ 185 f. GVG, Art 6 Abs. 3e EuMRK. 11 Degenhart Handbuch des Staatsrechts, Bd. 3 (1988), § 76 Rn. 12, 22; Hassemer JuS 1986, 25, 28. 12 Kühne (1978), S. 89: "Der Verfassungsgeber hat nicht von ungefähr die Formulierung ,Recht auf Gehör' der ebenfalls denkbaren Formulierung ,Recht auf Rede' vorgezogen. Die Benutzung des Wortes Gehör setzt zum einen das Recht auf Rede notwendig voraus und verlegt zum anderen die Betonung des Rechtsgebots auf die Pflicht des Gerichts, das Gesprochene zu rezipieren." I3 Dies folgt aus der Unschuldsvermutung und dem daraus folgenden in dubio-Grundsatz. Grundlegend dazu vgl. nur Stuckenberg Unschuldsvermutung (1998). Ders. JA 2000, 568 ff. 14 Vgl. dazu die Nw. in Fn. 46 im vorangegangenen Kapitel.

A. § 247 a und die Entfernung des Angeklagten aus der Verhandlung

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und sich hierdurch eine umfassende Vorstellung von dem Vorbringen der Interaktionsteilnehmer machen können. Und dies wiederum ist notwendig, damit die Subjektstellung der Verfahrensbeteiligten wirksam gewährleistet wird. Zieht man insoweit den Schutzbereich des Rechts auf rechtliches Gehör, wie hier, sehr weit und erblickt man in Art 103 Abs. 1 GG auch den Grundsatz der Kommunikationsoptimierung, so beeinträchtigt dieses Recht jegliches staatliches Verhalten, mit dem eine Verminderung von Kommunikationschancen korrespondiert. Wurde das Anwesenheitsrecht für das gesamte Hauptverfahren bereits als Essentialbestandteil des rechtlichen Gehörs benannt, so greift also auch der nur vorübergehende Ausschluss des Angeklagten von der Hauptverhandlung in den Schutzbereich des Rechts ein. Denn denkt man sich etwa den Fall des einzigen Belastungszeugen, dessen Miterleben in der Hauptverhandlung für den Angeklagten eine ganz erhebliche Bedeutung zukommen kann, wenn dieser eine die Glaubwürdigkeit erschütternde Verteidigung ausüben will, so wird der Eingriff in das auf optimaler Kommunikation im Strafverfahren beruhende Recht auf Gehör augenscheinlich. Denn die Überzeugung bei der Rechtsfindung im Strafverfahren "schöpft" der Richter gern. § 261 aus dem "Inbegriff der Hauptverhandlung". Dabei ergeht die strafrichterliche Entscheidung, beruhend auf dem Prinzip der Unmittelbarkeit, in der Regel ohne hinreichende schriftliche Fixierung des Verhandlungsstoffes. Zudem wurde ausgeführt, das Kommunikation auch nonverbal erfolgt. Insoweit beruht das Ergebnis der Verhandlung auch auf Eindrücken, die anderen nur beschränkt mitteilbar sind. 15 Zudem erfordert das Gesetz, dass der Richter nur über den wesentlichen Inhalt der Aussage (§ 247 S. 4) eine Unterrichtungspflicht besitzt. Dasjenige, was als wesentlich anzusehen ist, unterliegt dabei aber der subjektiven Einschätzung des Richters. 16 Dem unmittelbaren Miterleben der Verhandlung, explizit der Zeugenvernehmung, kommt damit für die Möglichkeit, zu allen entscheidungserheblichen Tatsachen und Rechtsfragen Stellung nehmen zu können, gesteigerte Bedeutung ZU. 17 Und insoweit kann das "Miterleben" kaum durch eine bloße Unterrichtung über den wesentlichen Inhalt sowie durch die Möglichkeit, über Dritte auf den Verhandlungsablauf einzuwirken, gleich wirksam ersetzt werden. 18 15 Die im vorangegangenen Kapitel gefundenen Ergebnisse werden damit nicht konterkariert. Denn für den Kommunikationsprozess besteht im nonverbalen Verhalten eine fundamentale Bedeutung. Nicht aber für die Beurteilung der Glaubwürdigkeit. Dies ist hier - erneut - zu unterscheiden! Im Hinblick darauf denke man erneut nur an die bereits benannten Ausführungen des BGH, dass es nicht jedem Angeklagten möglich sein werde, das was er sagen möchte, auch in Worten auszudrücken, weshalb die Beobachtung seiner Person, insbesondere seiner Gestik und Mimik, wesentliche Anhaltspunkte für Wahrheitsfindung liefern könne (vgl. BGHSt 35, 164, 167, dazu Fn. 113 im vorangegangenen Kapitel). Denn dies betrifft zunächst den Aspekt der Kommunikation. Mit der Beurteilung der Glaubwürdigkeit des Zeugen hat dies dagegen in erster Linie nichts zu tun. 16 RG st 32, 88; BGH (D.) MDR 1957, 267; Kleinknechtl Meyer-Goßner45 § 247 Rn. 16. 17 EisenberglSchlüter JZ 2001,341,342; Riess JZ 1975,265, 267. Vgl. a. Basdorfin: FSSaiger (1995), S. 203, 205 f. 18 Eisenberg ISchlüter JZ 2001,341,342; Riess JZ 1975,265, 267; Rzepka, S. 430: Verteidiger "niemals adäquater Ersatz" für die Anwesenheit des Angeklagten. Vgl. a. Hassemer

14*

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5. Kap.: Verhältnis des § 247a zu weiteren Vorschriften

Aus dem Recht auf Gehör des Art 103 Abs. 1 GG folgt daher im Grundsatz ein Recht zur Anwesenheit in der Hauptverhandlung "wann immer der Angeklagte auch Will".19 Die Entfernung des Angeklagten aus dem Sitzungssaal greift wegen der hiermit verbundenen Verminderung der Kommunikationschancen also in das Prozessgrundrecht ein. b) Ausschluss des Angeklagten und Fairnessprinzip Erfolgt ein Ausschluss des Angeklagten aus dem Sitzungssaal während der Vernehmung des Zeugen gem. § 247, so liegt es nahe, entsprechend dem Recht aus Art 103 Abs. 1 GG auch einen Eingriff in das Fairnessprinzip anzunehmen. Der Fairnessgrundsatz, der durch den Gesetzgeber nur vereinzelt niedergelegt wurde20• 21 findet seine Ausprägung in vielfältiger Hinsicht vor allem durch die frühere Rechtsprechung der Europäischen Kommission (EKMR) sowie der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR) auf europäischer- sowie durch das BVerfG22 auf nationaler Ebene. 23 Gleichermaßen wie der Grundsatz vom rechtlichen Gehör, dient das Prinzip der Sicherung der Subjektstellung des Beschuldigten, damit der Garantie der Menschenwürde im Gerichtsverfahren. 24 Es wird daher durch das Bundesverfassungsgericht als wesentlicher Grundsatz "eines rechtsstaatlichen Verfahrens" angesehen und aus Art 2 Abs. 1 GG iVm. dem Rechtsstaatsprinzip, ferner auch aus Art 1 Abs. 1 GG unmittelbar abgeleitet. 25 Dem Prozessgrundrecht auf ein "faires Verfahren" kommt insoweit eine nicht unerhebliche Bedeutung ZU. 26

Greift man einen der wichtigsten Einzelgesichtspunkte heraus, soll Fairness im Strafverfahren durch die umfassende Gewährleistung von (Selbst-)VerteidigungsJuS 1986,25,28: "Der Verteidiger ist [P.R. abgesehen vom Fall des § 234] nicht Vertreter des Beschuldigten; der Beschuldigte hat vielmehr einen eigenen Anspruch, als Subjekt des Verfahrens seine eigenen Interessen zur Geltung zu bringen." 19 So explizit Riess JZ 75, 265, 267. 20 Art 6 EuMRK, Art 52 Abs. 4 S. 1 Verfassung Land Brandenburg sowie Art 78 Abs. 3 S. 1 Verfassung Freistaat Sachsen. Während in der derzeitigen deutschen Fassung des Art 6 Abs. 1 EuMRK noch von einer Anhörung in "billiger Weise" die Rede ist, soll eine Angleichung an die nach der SchlussklauseI für die Auslegung entscheidende englische Fassung, in welcher sich an entsprechender Stelle die Worter "fair trial" finden, erfolgen, Rzepka, S. 23. 21 Wegen seiner Konturenlosigkeit wird das "Fairnessprinzip" auch als ,,Fass ohne Boden" umschrieben, vgl. dazu Esche/bach StV 2000, 390, 394 sowie Rzepka, S. 1, die auf den ff. Seiten ausgehend von dieser Eingangsthese eine umfassende Bestandsaufnahme zum Begriff und der Reichweite des Prinzips vornimmt. Vgl. dazu a. Heubel Fair Trial, S. 27 ff. 22 BVerfGE 26, 66, 71: "Das Recht auf Verteidigung und das Recht auf ein faires Verfahren gehören zu den wesentlichen Grundsätzen eines rechtsstaatlichen Strafverfahrens." 23 Vgl. dazu nur die umfassenden Ausführungen von Rzepka, S. 11 ff. [EKMR und EGMR], 115 ff. [Rechtsprechung, insbesondere BVerfG und BGH]. 24 Vgl. nur BVeifGE 26, 66, 71 m.w. Nw. 25 Vgl. BVerfGE 38, 105, 111; 39, 156, 163; 57, 250, 274; 63, 45, 60; BVeifG StV 1983, 489; 1992,283; NStZ 1997,94. 26 A.A. Heubel Fair-Trial, S. 145.

A. § 247a und die Entfernung des Angeklagten aus der Verhandlung

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rechten gewährleistet werden. Dazu zählt auch das Recht des Beschuldigten, Belastungszeugen - unmittelbar oder zumindest mittelbar - zu befragen. 27 Für diese benannten Rechte wird das Anwesenheitsrecht in der Hauptverhandlung als selbstverständlich angesehen und der - das Anwesenheitsrecht nicht explizit benennenden - Regelung des Art 6 Abs. 1 EMRK entnommen. 28 Insoweit leitet der EGMR in seiner Rechtsprechung zum anonymen Zeugen aus dem Recht des Angeklagten, Fragen an den Belastungszeugen zu stellen, den Grundsatz ab, dass "alle Beweise in Gegenwart des Angeklagten in öffentlicher Verhandlung in Blickrichtung auf eine kontradiktorische Argumentation erhoben werden" müssen?9 Eine kontradiktorische Argumentation ist aber nur dann möglich, wenn man dem Fairnessprinzip auch eine auf Gleichrangigkeit ausgerichtete Verfahrens stellung des Angeklagten in der Kommunikations-Interaktion zuerkennt. 3o Will man weiterhin dem Fairness-Prinzip auch einen Grundsatz der "Waffen,,_31 bzw. "Chancengleichheit,,32 entnehmen, wonach der Anklagebehörde wie der Verteidigung gleichermaßen die Möglichkeit eröffnet werden muss, Stellungnahmen oder Beweise der Gegenseite zur Kenntnis zu nehmen und zu erörtern,33 so wird die "Parität des Wissens,,34 durch den Ausschluss des Angeklagten von einem wesentlichen Teil der Hauptverhandlung, man denke auch hier wieder an den einzigen Belastungszeugen, jedenfalls im Grundsatz betroffen. 35

27 BGB StV 1996,471. Vgl. weiterhin die Einzelausprägungen des Fairness-Grundsatzes in Art 6 Abs. 3 lit. c. und d. EuMRK; Art 14 Abs. 3 lit. e. IPBPR. 28 EKMR EuGRZ 1982,448; 1997, 154; EGMR EuGRZ 1985,542; 1992,540 f. 29 Vgl. nur EGMR StV 1990,481,482 [Kostovski ./. Niederlande]. 30 Rzepka, S. 431; vgl. a. BGHst StV 1997,562. 31 Vgl. BVerfGE 36, 380, 393 f.; 38, 105, lll; 45, 272, 296; 52, 131, 144; 63, 45, 61; BGHst 36, 305, 309; BGH StV 1984, 100; Jarass / Pieroth Art 20 Rn. 96. 32 Rzepka, S. 346 Fn. 56. 33 EGMR EuGRZ 1991, 194; 1991,520; 1992, 194; 1993,457. 34 BGHst 36, 305, 309. 35 Von der hier behandelten Frage des Eingriffs in das Prozessgrundrecht zu unterscheiden ist diejenige nach einem Konventionsverstoß, wobei der erste Strafsenat des BGH im Urteil vom 25. 07. 2000 die Rechtsprechung des EGMR umfassend darlegt. Danach kommt es "für die Frage eines Konventionsverstoßes [ ... ] nach ständiger Rechtsprechung des EGMR darauf an, ob das Verfahren in seiner Gesamtheit, einschließlich der Art und Weise der Beweiserhebung fair gewesen ist." Demnach müsse "die Beweisgewinnung [ ... ] grundsätzlich in Anwesenheit des Angeklagten in einer öffentlichen Verhandlung mit dem Ziel einer kontradiktorischen Erörterung erfolgen", was aber nicht bedeute, "dass die Zeugenaussage stets vor Gericht und öffentlich gemacht werden muss". Auch könne "aus Art 6 Abs. 3 lit. b EuMRK kein Recht abgeleitet werden, bei der Zeugenvernehmung im Vorverfahren anwesend zu sein". Allerdings, so wird weiterhin ausgeführt, müsse "dem Angeklagten [ ... ] - entweder zu dem Zeitpunkt, in dem der Zeuge seine Aussage macht oder in einem späteren Verfahrensstadium - eine angemessene und geeignete Gelegenheit gegeben werden, den Zeugen entweder selbst zu befragen oder befragen zu lassen", wobei "unter Umständen die Einschränkung des Fragerechts seiten des Angeklagten dadurch kompensiert werden kann, dass wenigstens der Verteidiger bei der Zeugenvernehmung anwesend ist und den Zeugen befragen kann",

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5. Kap.: Verhältnis des § 247a zu weiteren Vorschriften

3. Rechtfertigung des Eingriffs in das Anwesenheitsrecht?

Damit ist freilich nicht gesagt, eine Entfernung des Angeklagten aus der Hauptverhandlung dürfte nie erfolgen, bzw. exakter: § 247 sei wegen Verstoßes gegen grundlegendes Verfassungsrecht verfassungswidrig. Denn sowohl das Fairnessprinzip als auch der Grundsatz vom rechtlichen Gehör unterliegen verfassungsimmanten Schranken, d. h. sie können zugunsten anderer von der Verfassung gewährleisteter Rechtsgüter bzw. durch kollidierende Grundrechte Dritter ihrerseits wieder eingeschränkt und in einen verhältnismäßigen Ausgleich gebracht werden. 36 Beriicksichtigt man daraufhin nun die Regelung des § 247, so wird deutlich, zugunsten welcher Rechtsgüter der Gesetzgeber sich für einen Nachrang der Anwesenheit des Angeklagten entschieden hat: nämlich einerseits zugunsten der staatlichen Verpflichtung zur umfassenden Aufklärung materieller Wahrheit im Strafprozess (§ 247 S. 1), andererseits zugunsten der durch Art 2 Abs. 2 GG gewährleisteten Rechte aufLeben und körperliche Unversehrtheit des Zeugen (§ 247 S. 2) bzw. des Angeklagten selbst (§ 247 S. 3). Interessiert hier nun allein die Einschränkung des Anwesenheitsrechts des Angeklagten aus Zeugenschutzgriinden, so dient die ,Entfernung des Angeklagten' gern. § 247 S. 2 der Verhinderung einer Gefährdung des Zeugen in "Leib und Leben". Gleiches gilt für die audiovisuelle Fernvernehmung gern. § 247a S. 1, 1. Alt. Angesichts des hohen Ranges der damit geschützten Rechtsgüter (Art 2 Abs. 2 GG) ist die Anordnung der jeweiligen Zeugenschutzmaßnahme bereits bei einer Betrachtung der abstrakten Rechtsgüterwertigkeit offensichtlich gut legitimierbar, soweit man die Anordnung auch als geeignet, erforderlich und angemessen ansehen kann?7 a) Beriicksichtigt man hierfür zunächst die Gesetzeslage vor der Einfügung des Zeugenschutzgesetzes 1998 in die StPO, so führte der mit einer alternativ gedachten Entfernung des Zeugen verbundene Verlust des persönlichen Beweismittels zu einer erheblichen Beeinträchtigung des staatlichen Interesses an möglichst umfassender materieller Wahrheitsaufklärung. Insoweit unterlagen auch die Verhältnismäßigkeitskriterien der Geeignetheit, der Erforderlichkeit wie der Angemessenheit der Zeugenschutzmaßnahme des § 247 S. 2 keinen besonderen Zweifeln. 38 Geeignet war die Entfernung des Angeklagten aus dem Sitzungs saal, weil man hierdurch vgl. BGHst 46,93 ff. m. Anm. Eiseie JA 2001, 100; Fezer JZ 2001,363; Kunert NStZ 2001, 217; Martin JuS 2001, 194. 36 Dazu siehe die Ausführungen im 1. Kapitel, Abschnitt A., III., 2. 37 ]arass/ Pieroth Art 20 Rn. 81: "V. a. bildet der Grundsatz der VerhäItnismäßigkeit eine Grenze für die Beschränkung von Grundrechten aufgrund von Gesetzesvorbehalten und kollidierendem Verfassungsrecht". Vgl. weiterhin EGMR StV 1997, 617, 619 [v. Mechelen . /. Niederlande]: Angesichts der erheblichen Bedeutung einer funktionierenden Rechtspflege in einer demokratischen Gesellschaft muss eine die Verteidigung einschränkende Maßnahme unerlässlich sein. Sobald eine weniger einschneidende Maßnahme ausreichend ist, muss sie ergriffen werden [ ... ]". 38 Anders dagegen wohl Hassemer JuS 1986, 25 ff.

A. § 247a und die Entfernung des Angeklagten aus der Verhandlung

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der Wahrheitsfindung wie dem Zeugenschutzinteresse bestmöglichst zum Durchbruch verhelfen konnte. Erforderlich war die Entfernung, da ein milderes, aber mindestens gleich geeignetes Mittel nicht ersichtlich war. Und auch die Angemessenheit war schließlich nicht wirklich anzuzweifeln, stand der alternativ gedachten Beeinträchtigung der durch die Entfernung des Angeklagten geschützten Interessen eine "nur" auf einen Teil der Hauptverhandlung, nämlich allein die "Vernehmung" des Zeugen betreffende Abwesenheit des Angeklagten gegenüber, wobei die Rechtsbeeinträchtigung zudem dadurch abgemildert wird, dass dem Richter eine Unterrichtungspflicht über den wesentlichen Inhalt der Zeugenaussage obliegt. b) Blickt man nunmehr auf die durch den Gesetzgeber 1998 erfolgte Einfügung des § 247a S. 1, 1. Alt., so fragt sich, ob die mit der "Übernahme" der alten Rechtslage in den § 247a S. 1, 1. Alt. verbundene gesetzgeberische Wertung, nämlich das Vorliegen insbesondere des Verhältnismäßigkeitskriteriums der ,Erforderlichkeit' bei § 247, tatsächlich noch zu überzeugen vermag. Angesichts der Gesetzesfassung des § 247a S. 1, 1. Alt. a. E. müsste sich dafür aber - an sich recht unzweifelhaftaufzeigen lassen, dass die audiovisuelle Fernvernehmung des Zeugen gerade im Hinblick auf das verfassungsrechtliche Interesse an umfassender Aufklärung materieller Wahrheit einerseits sowie den Verteidigungsrechten des Angeklagten andererseits,39 nicht als ein milderes, also zur Harmonisierung der in einer Spannungslage stehenden Interessen mindestens gleich geeignetes Mittel als die ,Entfernung des Angeklagten aus dem Sitzungssaal ' anzusehen ist. Gerade über diese Frage lässt sich aber recht trefflich streiten. Tritt man einer Videovernehmung des Zeugen per se recht kritisch gegenüber, wie dies der dargestellten Auffassung in Rechtsprechung und Literatur im Anschluss an die gesetzliche Regelung des § 247a S. 1, 1. Alt. entspricht,40 und nimmt man (unzutreffenderweise) an, sie führe zu einer Beeinträchtigung der Wahrheitsfindung, so wird dies immer den Ausschlag dafür geben, dass die ,Entfernung des Angeklagten' gegenüber der ,Entfernung des Zeugen' auch als eine mildere Maßnahme angesehen wird. Soweit man demgegenüber mit dem hier vertretenen Standpunkt davon ausgeht, die audiovisuelle Fernvernehmung des Zeugen sei jedenfalls dann, wenn der seiner Kommunikationsverantwortung bewusste Richter einen gewissen Konsens mit dem Zeugen über die audiovisuelle Fernvernehmung herstellt, der unmittelbaren Vernehmung des Zeugen im Gerichtssaal weitestgehend vergleichbar, so richtet sich das Augenmerk ganz wesentlich auf den Unterschied für die Verteidigungsrechte des Angeklagten bei der Anwendung des § 247a S. 1, 1. Alt. einerseits, des § 247 S. 2 andererseits. Denn dieser Unter39 Dass es hier nur um den Ausgleich des Spannungsverhältnisses zwischen diesen bei den im Strafprozess zu beachtenden Interessen geht, folgt aus der gleichen Schutzrichtung von § 247a S. I, I. Alt. und § 247 S. 2 (Zeugenschutz) sowie der Unterstellung, dass die Anwendung des § 247a zu keinem verschlechterten Zeugenschutz führt, worauf noch näher einzugehen sein wird. 40 Vgl. dazu oben.

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5. Kap.: Verhältnis des § 247a zu weiteren Vorschriften

schied ist doch ein ganz wesentlicher: Während der Angeklagte in dem einen Fall seiner zwanghaften Entfernung aus dem Sitzungssaal nur über den wesentlichen Inhalt der Zeugenaussage unterrichtet wird und gerade die Wesentlichkeit der eigenen Einschätzung des Richters unterliegt, so dass Fragen an den Zeugen nur auf der richterlichen Zusammenfassung der Aussage basieren können, ist es ihm im anderen Fall möglich, die Vernehmung des Zeugen in Bild- und Ton zu verfolgen und daher seine, auf der unmittelbaren Wahrnehmung des Zeugen beruhenden Fragen an diesen zu richten. 41 Es wurde bereits ausgeführt, dass dem unmittelbaren Erleben des Zeugen, also seiner Erscheinung in Bild und Ton, Bedeutung für die richterliche Wahrheitsfindung zuerkannt wird. 42 Dies gilt gleichermaßen aber auch für den Angeklagten. Für ihn wird nämlich häufig eine effiziente und auf Erschütterung der Glaubwürdigkeit des Belastungszeugen ausgerichtete Verteidigung nur dann möglich sein, wenn ihm nicht nur der wesentliche Inhalt der Zeugenaussage zugänglich gemacht wird, sondern er gerade auch auf die - für den am aufzuklärenden Geschehen unbeteiligten Richter gegebenenfalls nur - unwesentlichen Umstände der Zeugenaussage, darüberhinaus auch auf die visuell wahrnehmbaren Reaktionen des Zeugen43 hinweisen kann. 44 Der Angeklagte wird dabei keinesfalls wirksam durch seinen Verteidiger "vertreten". Denn bei diesem handelt es sich im Regelfall - ähnlich wie beim Richter - um einen am jeweilig aufzuklärenden Geschehen Unbeteiligten, der ohne das präsente Wissen seines Mandaten im Nachfragerecht erheblich beeinträchtigt ist. 45 Betrachtet man weiterhin die in der StPO vorgesehenen Ausnahmen vom Prinzip ständiger Anwesenheit des Angeklagten, so wird schnell deutlich, dass § 247 als eine rechtspolitisch nicht unbedenkliche Vorschrift angesehen werden muss. 46 Denn anders als die anderen in der StPO vorgesehenen Ausnahmen vom Prinzip ständiger Anwesenheit in der Hauptverhandlung,47 ist die Entfernung des Ange41 Gleiches gilt für die Möglichkeit der Beratung mit dem Verteidiger während der Zeugenvernehmung zur Vorbereitung weiterer Fragen, was als weiteres wesentliches Element der Verteidigung anzusehen ist, exemplarisch Weider StV 2000, 48, 53. 42 Vgl. dazu die Ausführungen beim Unmittelbarkeitsprinzip im 3. Kapitel, Abschnitt C. 43 Darauf stellt auch der EGMR StV 1997,617,619 [v. Mechelen ./. Niederlande] ab, wonach eine Verständigung allein vermittels akustischer Übertragung des Gesprochenen das Fairnessprinzip des Art 6 Abs. 1 iVm. Abs. 3 lit. d verletzt, wenn dabei nicht auch die Möglichkeit besteht, die Reaktion auf direkte Fragen zu erkennen. 44 Explizit so Eisenberg/Schlüter IR 2001,341,342. Dies gilt auch vor dem Hintergrund, dass in der vorliegenden Untersuchung den nonverbalen Verhaltenselementen für die Glaubwürdigkeitsbeurteilung die Zuverlässigkeit abgesprochen wurde. Denn dies bedeutet freilich nicht, dass es auf visuelle Informationen im Strafprozess nicht ankommt, würde diese Annahme doch §§ 250 S. I, 247a völlig konterkarieren. Vgl. dazu insbesondere a. die Ausführungen in Fn. 15. 45 So Eisenberg/SchlüterJR 2001,341,342; Müller DRiZ 1987,469,472. Vgl. a. Basdorf in: FS-Salger (1995), S. 203, 205 f. 46 Explizit so HK-StP0 3 -Julius § 247 Rn. 1. 47 Vgl. §§ 231 Abs. 2, 231aAbs. I, 231b Abs. 1,232 Abs. 1 S. 1,329 Abs. 2.

A. § 247a und die Entfernung des Angeklagten aus der Verhandlung

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klagten gern. § 247 regelmäßig keine Folge selbstverantwortlichen Verhaltens. Insoweit erfährt der Angeklagte, für den bis zur Widerlegung des Gegenteils ja die Unschuldsvermutung gilt, "wenn man so will, seine Abwesenheit nicht als Täter, sondern als Opfer". Damit greift die zwangsweise Entfernung aus dem Sitzungssaal "tief in die Autonomie des Angeklagten ein".48 Und dies wiederum erfordert eine besondere Rechtfertigung der Anwendung der Vorschrift. 49 Diese Rechtfertigung erleidet jedoch dort eine gewisse Not, wo - wie im oben bereits angesprochenen Fall einer unproblematisch durchführbaren Videovernehmung - das Interesse an umfassender Wahrheitsfindung einerseits wie das Zeugenschutzinteresse andererseits vollauf gewahrt werden kann. Das wird nicht zuletzt auch dadurch deutlich, dass vereinzelt in der Literatur im Einzelfall (trotz der strikten Gesetzesfassung des § 247a S. I, l. Alt) über den Umweg der richterlichen Aufklärungspflicht gern. § 244 Abs. 2 ein Vorrang der ,Entfernung des Zeugen' anstelle der ,Entfernung des Angeklagten' aus dem Sitzungssaal gefordert wird, "weil der Angeklagte dann die Gelegenheit erhält, die Vernehmung unmittelbar zu verfolgen und von seinem Fragerecht direkt Gebrauch zu machen".50 Nicht in jedem Falle scheint die Entfernung des Angeklagten der Entfernung des Zeugen also überzeugend vorzugehen. 51 Und insoweit ist auch die Erforderlichkeit gerade der Entfernung des Angeklagten aus dem Sitzungssaal nicht in jedem Falle zu bejah~n.52 Wird dies freilich denjenigen kaum überzeugen, der mit Blick auf das Interesse an umfassender Wahrheitsfindung der audiovisuellen Fernvernehmung des Zeugen per se kritisch gegenübersteht, so spricht für das gefundene Ergebnisse aber weiterhin, dass sich durch eine audiovisuelle Fernvernehmung des Zeugen gern. § 247a S. I, l. Alt. auch die "gefährliche Nähe zum Angeklagten,,53 viel besser vermeiden lässt. Ermöglicht würde also eine Verbesserung des Zeugenschutzes. Denn wegen des besonderen Ausnahmecharakters des § 247 muss man die Vorschrift grundsätzlich äußerst restriktiv interpretieren. Dies nun führt dazu, dass jegliche Ausdehnung der Abwesenheit des Angeklagten über die "Vernehmung" des Zeugen hinaus unzulässig ist. Unter "Vernehmung" darf insoweit nicht auch die Verhandlung über 48 Hassemer JuS 1986,25,28. Vgl. a. Eggert BR-Plenarprotokoll Nr. 720 v. 19. 12. 1997, Anlage 9, S. 616, 618. 49 Rieß JZ 1975, 265, 272. Vgl. a. Hassemer JuS 1986,25,28. 50 HK-StP0 3 -Julius § 247a Rn. 7. 51 Vgl. KMR-Lesch § 247a Rn. 16: "Die rigorose Regelung ist im Hinblick auf die Legitimationsfunktion des Verfahrens höchst bedenklich [ ... ]." 52 Geppert Grundsatz der Unmittelbarkeit (1979), S. 158 f.: "Gegenüber jedwedem Verfahren in Abwesenheit des Angeklagten (insbesondere §§ 230 bis 234 und 247 StPO) [ist] größte Skepsis angebracht. Die Person des Angeklagten selbst, mag er sich zur Sache einlassen oder nicht, ist für die Wahrheitsfindung nur schwer zu ersetzen. Bei allem Verständnis für die Nöte der täglichen Strafrechtspflege [ ... ]; jegliches Verfahren bei (völliger oder partieller) Abwesenheit des Angeklagten ist eine schwerwiegende Einbuße an formeller Unmittelbarkeit und damit (auch und gerade im Hinblick auf die gesuchte Wahrheit) eine ,Notlö-

sung'''. 53

Vgl. Hassemer JuS 1986,25.

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5. Kap.: Verhältnis des § 247a zu weiteren Vorschriften

die Vereidigung, die Vereidigung selbst oder die Verhandlung über die Entlassung des Zeugen gefasst werden. 54 Die frühere, mehr aus der Not eines andernfalls drohenden Verlusts des Beweismittels geborene Rechtsprechungsauffassung,55 die eine analoge Anwendung des § 247 über den Wortlaut "Vernehmung" hinausgehend auch auf die Vereidigung des Zeugen befürwortete, kann mit Blick auf § 247a S. 1, 1. Alt. nicht mehr hinnehmbar sein. 56 Denn handelt es sich bei der Einschränkung der Anwesenheit des Angeklagten in der Hauptverhandlung um eine sehr wesentliche Beschränkung seiner Prozessgrundrechte, dann kann ein Eingriff auch nur auf einer hinreichend bestimmten Ermächtigungsgrundlage beruhen, was gegen eine analoge Anwendung von Ausnahmevorschriften spricht. Will der Richter nun über den Weg des § 247 einen etwaigen gefährlichen Kontakt zwischen Angeklagten und Zeugen völlig vermeiden, so führt dies in praxi zu einen abwechselnden "Auf'- und "Abtreten" der beiden Prozessbeteiligten, was insbesondere Krel 7 näher verdeutlicht: 58 "Demgemäss kann sich jedenfalls dann, wenn § 247 S. 2 StPO in unmittelbarer Anwendung die Ausschließung des Angeklagten bei der Vernehmung eines Zeugen und in analoger Anwendung die Ausschließung des Angeklagten bei der Zeugenvereidigung erlaubt, weil jede Kenntnis des Angeklagten vom Aussehen und der Person des Zeugen diesen in Leibes- oder Lebensgefahr bringen würde, folgendes Szenario entwickeln: Erstens: Das Gericht ordnet die Entfernung des Angeklagten aus dem Sitzungssaal während der Vernehmung des Zeugen XY an [ ... ] Zweitens: Nach der Zeugenvernehmung wird der Angeklagte - nach Abtreten des Zeugen, da jedes Zusammentreffen mit dem Angeklagten zu vermeiden ist - wieder zugelassen und gemäß § 247 S. 4 StPO durch den Vorsitzenden von dem wesentlichen Inhalt dessen unterrichtet, was während seiner Vernehmung ausgesagt oder sonst verhandelt worden ist. Dabei ist dem Angeklagten eine ergänzende Befragung des Zeugen gestattet (§ 240 I, 11 StPO). Indes ist das Gericht nicht verpflichtet, ihm eine unmittelbare Befragung des Zeugen zu ermöglichen. 59 [ •.. ] Drittens: Die Verhand54 So BOH NJW 1986,267; BOH StV 1993,287 = wistra 1992, 347; BOH NStZ 1986, 133; 1987,335. ss Vgl. BOH NJW 1985, 1478 f. =NStZ 1985, 136; BOH NJW 1986, 267 = NStZ 1986, 133 f.; BOHNStZ 1987, 519; BOHNStZ 1988,469. S6 Vgl. AK-StPO-Meier § 247 Rn. 2 (betreffend die Gesetzeslage vor dem Zeugenschutzgesetz 1998): "Die erweiternde Auslegung des § 247 mag rechtspolitisch insoweit akzeptabel erscheinen, als sie für die Problematik der Einführung getarnter oder gefahrdeter Zeugen in der Hauptverhandlung eine prozessuale Lösung schafft, die gegenüber der kommissarischen Vernehmung des V-Mannes sicherlich das kleinere Übel darstellt. Es kann jedoch nicht übersehen werden, dass die Gerichte, indem sie eine Aufgabe übernehmen, die an sich vom Gesetzgeber zu leisten wäre, den Ausnahmecharakter des § 247 zugunsten einer allgemeinen Interessenabwägung verwischen und dadurch einer Erosion der prozessualen Rechte des Angeklagten Vorschub leisten." 57 Krey GS-Meyer (1990), S. 239 ff. 58 Vgl. dazu auch die Ausführungen betreffend das wechselseitige Auf- und Abtreten im Urteil des BOH v. 15.04.92 - 2 StR 574/91 - NStZ 1992,447. S9 Vgl. BOHSt 22, 289, 296: "Das Schwurgericht war unter den gegebenen Umständen nicht gehindert, die Vernehmung der Zeugin in einer Art und Weise durchzuführen, die jedes Zusammentreffen mit dem Angeklagten vermied. Es war nicht gehalten, den Angeklagten in

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lung über die Vereidigung des Zeugen muss dann wieder in Anwesenheit des Angeklagten erfolgen - wobei das Gericht vorher den Zeugen abtreten lassen durfte bzw. (Fürsorgepflicht!) musste [ ... ] Viertens: Die eigentliche Vereidigung des Zeugen geschieht dann wieder analog § 247 S. 2 StPO in Abwesenheit des Angeklagten. Fünftens: Bei der Entscheidung des Vorsitzenden über die Entlassung des Zeugen (§ 248 S. 1,2 StPO) muss der Angeklagte wieder anwesend sein.,,60

Kann man den Ausführungen bereits die ungemeine Kompliziertheit des Verfahrens entnehmen,61 so erscheint die Durchführung einer audiovisuellen Fernvernehmung gern. § 247a S. 1, 1. Alt. zur Vermeidung "gefährlicher Nähe" geradezu als "Kinderspiel". Hier kann der Zeuge völlig unproblematisch von dem Angeklagten "abgeschirmt" werden 62 und es besteht darüberhinaus auch nicht die bisher noch unberücksichtigt gebliebene recht hohe Wahrscheinlichkeit, dass sich Angeklagter und Zeuge beim "Auf'- und "Abtreten" bzw. auf dem Gerichtsflur einander begegnen. Von ganz erheblicher Bedeutung ist weiterhin das mit der Anwendung des § 247 verbundene hohe Revisionsrisiko. 63 Denn muss der Richter den Angeklagten zur Vermeidung gefährlicher Nähe wechselseitig aus dem Sitzungssaal auf- und abtreten lassen, kann es, wie die umfangreiche Revisionsrechtsprechung zu § 247 zeigt, sehr schnell zu Verfahrensfehlern kommen, die über den Weg der §§ 230, 338 Nr. 5 einen absoluten Revisionsgrund bilden. 64 Würde der Richter dagegen etwaigen Zeugenschutz missachten, riskierte er grundsätzlich nicht das Revisionsrisiko. 65 Dies nun führt wohl in praxi dazu, dass ein effektiver Zeugenschutz über den Weg des § 247 nicht in jedem Fall erwartet werden kann. 66 Indem der Gesetzgeber die ihrer Gegenwart über den Inhalt der in seiner Abwesenheit gemachten Aussage zu unterrichten und ihm eine unmittelbare Befragung der Zeugin zu ermöglichen. Die Ausübung des Fragerechts nach § 240 StPO ordnet sich dem Vorgang der Vernehmung mit den für diesen geltenden Regeln im ganzen ein. Ist nach den Umständen die Entfernung des Angeklagten während der ganzen Vernehmung eines Zeugen geboten, so liegt darin notwendigerweise auch der Ausschluß einer unmittelbaren Befragung des Zeugen durch den Angeklagten im persönlichen Gegenüber und ist die Ausübung des Fragerechts nach § 240 StPO durch den Angeklagten zwangsläufig nur noch in der Weise möglich, daß er nach seiner Rückkehr in den Gerichtssaal und seiner Unterrichtung über die Aussage des Zeugen seine Fragen stellt und diese Fragen dann in seiner Abwesenheit an den wieder herbeigerufenen Zeugen gerichtet werden." 60 Krey GS-Meyer (1990), S. 239, 248 f. 61 Vgl. a. Mildenberger, S. 52; Weigend (1998), S. 36: "Äußerst komplizierte Dramaturgie des abwechselnden Auf- und Abtretens von Zeugen und Angeklagten." 62 Freilich unterstellt, dass durch eine entsprechende Kameraausrichtung im Sitzungssaal der Zeuge den Angeklagten auf seinem Zeugenmonitor nicht wahrnehmen kann. 63 Etwa Weigend (1998), S. 35, 53. 64 Krey GS-Meyer (1990), S. 239, 249. 65 Bötcher JR 1987, 133, 140: "revisionsrechtliches Ungleichgewicht". Vgl. a. Krey GSMeyer (1990), S. 239, 246 u. 249: "einseitiges Revisionsrisiko". 66 Krey GS-Meyer (1990), S. 239, 246. Vgl. a. Basdorfin: FS-Salger (1995), S. 203, 214: "Insbesondere kann der Verteidiger, wenn die Anwendung des § 247 StPO im Raum steht, im

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5. Kap.: Verhältnis des § 247a zu weiteren Vorschriften

Möglichkeit zur audiovisuellen Fernvernehmung des Zeugen nur unter der einschränkenden Voraussetzung eröffnet, dass insbesondere die Maßnahme des § 247 nicht zur Gefahrabwendung hinreicht, verlagert er so die vorbenannten Probleme mittelbar auch in den § 247a S. 1, 1. Alt. hinein. Und dies wiederum führt dazu, dass die Effizienz des tatsächlich möglichen Zeugenschutzes in seiner Gesamtheit erheblich vermindert wird.

IH. Zwischenergebnis Folgt man der hier vertretenen Sichtweise, wird man jedenfalls für einen Ausschnitt von bestimmten Fällen zu dem Ergebnis gelangen, dass die ,Entfernung des Angeklagten aus dem Sitzungssaal ' nicht milderes Mittel im Hinblick auf die ,Entfernung des Zeugen' bei gleichzeitiger audiovisueller Übertragung seiner Aussage in die Hauptverhandlung ist. Dies gilt, obwohl gegebenenfalls die Gefahr für den Zeugen im konkreten Fall bereits durch die Anwendung des § 247 ausgeschlossen werden kann. Für diese Fälle könnte man nun, wie dies die bereits oben benannte Literaturauffassung67 vorgibt, eine Korrektur der Situation dadurch erreichen, dass die Anwendung der jeweiligen zeugenschützenden Maßnahme, insbesondere der audiovisuellen Fernvernehmung des Zeugen, unter Berücksichtigung des § 244 Abs. 2 durchgeführt wird. Dann wäre gegebenenfalls die Entfernung des Zeugen aus dem Sitzungssaal anstelle derjenigen des Angeklagten vorzunehmen, wenn sich hierdurch die Möglichkeit weiterer Sachaufklärung dem Richter aufdrängt68 bzw. - nach weiterer Auffassung zu § 244 Abs. 2 - diese Möglichkeit nicht völlig ausgeschlossen ist. 69 Gegen diese Gesetzeskorrektur spricht aber der sich im Gesetzeswortlaut des § 247a S. 1, 1. Alt. manifestierte Wille des Gesetzgebers. Denn ähnlich wie im Falle der analogen Anwendung von Ausnahmevorschriften würde der Richter hier ein Geschäft des Gesetzgebers führen, weil man den eindeutigen Wortlaut des § 247a S. 1, 1. Alt. als äußerste Grenze der Ausiegung70 missachtete. Insoweit bleibt zunächst nichts als die Forderung an den Gesetzgeber übrig, dem durch die Übernahme der alten Rechtslage in den § 247a S. 1, 1. Alt. verdeutlichten Misstrauen an die Richter zu begegnen, indem die zwingende Subsidiaritätsanordnung in § 247a S. 1, 1. Alt. völlig gestrichen und es dem jeweiligen Richter bzw. dem Gericht überlassen wird, je nach Lage des Einzelfalls entweder den AusInteresse seines Mandaten, der keine Ausschließung wünscht, Auswege aufzuzeigen versuchen. Um eine solche Verfahrensweise bemühen sich erfahrene und besonnene Strafkammervorsitzende, die ein sensibles Gespür für die negative Wirkung einer Abwesenheitsverhandlung auf den Angeklagten wie für die Revisionsträchtigkeit in diesem Bereich haben, ohnehin öfter von selbst, als es der Natur der Sache publik werden kann [ ... ]." 67 HK-StP0 3 -Julius § 247aRn. 7. 68 Vgl. etwa BGB StV 1993, 114. 69 Vgl. etwa BGBst 23,176,188; BGB StV 1989,518,519. 70 Dazu vgl. etwa BVerfGE 47,109,120; 71,108,114; BVerfG NJW 1995, 1141; BGBst 4, 144, 148; 10, 157, 160; 37, 226, 230; 39, 112, 114 f.

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schluss des Angeklagten aus dem Sitzungssaal anzuordnen oder die Entfernung des Zeugen in Kombination mit der audiovisuellen Übertragung seiner Aussage vorzunehmen. Denn nur dann könnte der Vielgestaltigkeit des Geschehens optimal Rechnung getragen und dem Zeugenschutz bei gleichzeitiger Wahrung der Belange des Angeklagten effektiv zum Durchbruch verholfen werden. Und im Hinblick auf die Verteidigungsrechte wäre der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit gewahrt sowie ein Verstoß gegen Art 6 Abs. 1 iVm. Abs. 3 lit. d. EMRK nicht zu befürchten.?l

IV. Schlussfolgerungen und Ergebnisse - Der vorübergehende Ausschluss des Angeklagten gern. § 247 greift in das (Prozess-)Grundrecht des Art 103 Abs. 1 GG sowie das Fairnessprinzip ein. Die Rechtfertigung des Eingriffs ist davon abhängig, ob die in § 247a S. 1, 1. Alt. a. E. getroffene gesetzgeberische Entscheidung zu überzeugen vermag, d. h. ob der Gesetzgeber einen sachgerechten, weil harmonischen Ausgleich zwischen den miteinander konkurrierenden Interessen, nämlich der staatlichen Verpflichtung zur Aufklärung materieller Wahrheit, der Verpflichtung zum Schutz des Zeugen sowie der möglichst umfassenden Gewährleistung von Verteidigungsrechten, geschaffen hat. - Mit Blick auf den besonderen Ausnahmscharakter des § 247, dem sehr hohen Revisionsrisiko bei der Anwendung dieser Zeugenschutzmaßnahme und der damit verbundenen Konsequenz einer häufigen Nichtanwendung der Vorschrift in praxi, um das (nur!) bei der Anordnung der Zeugenschutzmaßnahme drohende Revisionsrisiko zu vermeiden, überzeugt die "Übernahme" der Subsidiaritätsanordnung in den neuen § 247a S. 1, 1. Alt. nicht. Gerade weil die Entfernung des Zeugen aus dem Sitzungssaal anstelle des Angeklagten auch die "gefährliche Nähe" viel besser vermeidet, hätte bei der Vielgestaltigkeit der denkbaren Fallgestaltungen eine Regelung nahe gelegen, die es dem Gericht ermöglicht, gegebenenfalls auch anstelle der Entfernung des Angeklagten den Zeugen von einem anderen Ort als dem der Hauptverhandlung (video-)fern zu vernehmen. Dafür spricht gerade auch die damit einhergehende umfassende Gewährleistung der Verteidigungsrechte. - Die in der Literatur vereinzelt anzutreffende Auffassung, die trotz der Subsidiaritätsanordnung einen derartigen Vorrang des § 247a S. 1, 1. Alt. vor der Anwendung des § 247 im Einzelfall aus der gerichtlichen Amtsaufklärungsverpflichtung herleitet, widerspricht dem eindeutigen Gesetzeswortlaut und ist daher abzulehnen. Hier würde ein Geschäft geführt, zu dem allein der Gesetzgeber aufgerufen ist.

71

Vgl. dazu EGMR StV 1997,617,619 [v. Mechelen ./. Niederlande].

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5. Kap.: Verhältnis des § 247a zu weiteren Vorschriften

Soll insoweit praktische Konkordanz zwischen den miteinander konkurrierenden Interessen geschaffen werden, muss eine Änderung der durch das Zeugenschutzgesetz 1998 geschaffenen gesetzlichen Situation erfolgen. Eine Alternative zu der hier vorgeschlagenen Regelung könnte gegebenenfalls auch darin erblickt werden, dass beim Ausschluss des Angeklagten gern. § 247 S. 2, die in der Hauptverhandlung erfolgenden Zeugenaussage - entsprechend der im Ermittlungsverfahren gern. § 168e S. 2 möglichen Situation bei der untersuchungsrichterlichen Zeugenvernehmung - dem Angeklagten in ein Nebenzimmer übertragen wird. 72 Auch für diese Alternative spricht eine optimale Harmonisierung der im Spannungsverhältnis stehenden Interessen. So könnte - wie bisher - dem staatlichen Interesse an umfassender Aufklärung materieller Wahrheit bestmöglichst Genüge getan werden, wird der Zeuge doch im Sitzungssaal vernommen. Besteht für den Angeklagten weiterhin auch eine geeignete akustische Verbindung zu seinem Verteidiger oder gegebenenfalls sogar zum Richter, so kann er sein Fragerecht analog zur eigenen Anwesenheit im Sitzungssaal während der Zeugenvernehmung ausüben, ist er wegen der audiovisuellen Wahrnehmungsmöglichkeit des Zeugen nicht mehr nur auf den "wesentlichen Inhalt" dessen beschränkt, was während seiner Abwesenheit ausgesagt oder sonst verhandelt worden ist" (§ 247 S. 4). Und schließlich könnte dadurch wohl- wie bisher auch - dem Zeugenschutz Genüge getan werden, wird man nicht in jedem Fall behaupten können, die Gefahr für den Zeugen drohe tatsächlich nicht durch die visuelle Wahrnehmungsmöglichkeit der körperlichen Anwesenheit des Angeklagten in der Hauptverhandlung, sondern deswegen, weil der Angeklagte dem Zeugen "zuhören" kann. Hilfsweise zur Veränderung der gesetzlichen Voraussetzungen des § 247a S. 1, 1. Alt. könnte insoweit - etwa als § 247 S. 5 - geregelt werden, dass (allein) die Zeugenaussage im Falle des § 247 S. 2 audiovisuell zum Angeklagten übertragen wird, wobei (nur) ausnahmsweise von der Übertragung abzusehen ist, wenn konkrete Anhaltspunkte dafür bestehen, dass im Falle der Übertragung der Aussage an den ausgeschlossenen Angeklagten der Zeuge nicht bzw. nicht wahrheitsgemäß aussagen wird.

B. Videofernvernehmung und kommissarische Zeugenvernehmung gern. § 223 Im folgenden Abschnitt soll nunmehr Stellung dazu bezogen werden, welches Verhältnis zwischen § 247a und der kommissarischen Zeugenvernehmung gern. § 223 Abs. 1 besteht. Besonderes Interesse erweckt dabei die Frage der Zulässigkeit einer "Kombination" der kommissarischen Zeugenvernehmung mit der audio72 V gl. dazu nun a. Meyer-Mews NJW 2002, 103, 107: "Es ist nicht einzusehen, weswegen der ausgeschlossene Angeklagte die Zeugenvernehmung nicht online aus einem Nebenraum verfolgen können soll."

B. § 247a und kommissarische Zeugenvernehmung gern. § 223

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visuellen Übertragung der Zeugenaussage in die Hauptverhandlung gern. § 247a. Denn möglicherweise könnten gerade durch eine "Verquickung"73 der Maßnahmen des § 223 sowie des § 247a Schwierigkeiten überwunden werden, wie sie bei der Videofernvernehmung für bestimmte "Problemzeugen" bestehen. Man denke hier an kleine Kinder, ältere- oder einer Betreuung unterstehende Menschen, bei denen es im Einzelfall nicht möglich ist, sie über einen Monitor zu vernehmen. Schließlich könnten gegebenenfalls auch Nachteile ausgeglichen werden, wie sie für die Beweisführung in der Hauptverhandlung bei kommissarischer Zeugenvernehmung bestehen. Dem soll nunmehr in den folgenden Abschnitten näher auf den Grund gegangen werden.

I. Die kommissarische Vernehmung gern. § 223 Abs. 1 Es wird hierfür zunächst die "kommissarische Vernehmung" näher gekennzeichnet, damit die darauf aufbauende Argumentation durchweg verständlich wird. 1. Kommissarische Vernehmung als Beweisaufnahme außerhalb der Hauptverhandlung

Eine kommissarische Vernehmung ist in zwei Varianten denkbar: Durch einen beauftragten oder ersuchten Richter. Beim beauftragten Richter handelt es sich um ein Mitglied des jeweiligen Gerichts, während die Beweisaufnahme vor dem ersuchten Richter durch ein anderes Gericht bzw. einen anderen Richter erfolgt. 74 Regelmäßig wird der Zeuge von einem Richter des erkennenden Spruchkörpers vernommen, der aber selbst nicht notwendig an der Hauptverhandlung mitwirken muss. 75 Zweck der kommissarischen Vernehmung, bei der ein wesentlicher Teil der Hauptverhandlung, nämlich die Beweisaufnahme, partiell vorweggenommen wird,76 ist die Gewinnung einer Niederschrift über die Vernehmung eines Zeugen. 77 Die kommissarische Vernehmung gern. § 223 gehört formell also nicht zur Hauptverhandlung.78 Die grundsätzlich in der Hauptverhandlung durchzuführende Der Begriff geht zurück auf LR-StP025 -Gollwitzer § 247a Rn. 20. Vgl. dazu §§ 361 f. ZPO sowie die Nw. in Fn. 65 des ersten Kapitels zur kommissarischen Zeugenvernehmung im Ausland. 75 BGHst 2, 1 ff. =NJW 1952,478 ff.; Kleinknechtl Meyer-Goßner _StP0 45 § 223 Rn. 15. 76 Vgl. dazu die systematische Stellung der Vorschrift im 5. Abschnitt der StPO: ,,vorbereitung der Hauptverhandlung"; weiterhin a. Kühne Strafprozessrecht, § 37 Rn. 637; Rose JR 2001,345,347. 77 Kleinknechtl Meyer-Goßner _StP045 § 223 Rn. 1. 78 BGHst 45,354 = NJW 2000, 1204, 1205 = StV 2000, 121 = wistra 2000, 148 m. zust. Anm. Rose wistra 2000,231; KMR-Stuckenberg § 261 Rn. 5. 73

74

224

5. Kap.: Verhältnis des § 247a zu weiteren Vorschriften

Vernehmung des Zeugen wird durch eine Verlesung des bei der kommissarischen Zeugenvernehmung zustande gekommenen Protokolls über den Weg des § 251 Abs. 1 Nr. 2 ersetzt. In der Hauptverhandlung, die gern. § 261 alleinige Grundlage der Urteilsfindung ist, steht damit also nur ein Surrogat für den jeweiligen Zeugen in Form eines reproduzierenden Beweismittels, nämlich der Vernehmungsniederschrift als Berichtsurkunde, zur Verfügung. 2. Mit der kommissarischen Zeugenvemehmung verbundene Nachteile Damit liegen die Nachteile der kommissarischen Zeugenvernehmung gern. §§ 223, 251 Abs. 1 Nr. 2 auf der Hand. Sie wurden beim materiellen Aspekt des Unmittelbarkeitsprinzips bereits beleuchtet79 und brauchen daher nur kurz in Erinnerung gerufen werden: Der Urkundsbeweis ist gegenüber dem unmittelbar im Gerichtssaal vernommenen Zeugen als ein Beweismittel von minderer Qualität anzusehen. so Dies gilt für das Vernehmungsprotokoll auch im Verhältnis zum "Videozeugen", wenn man die Fälle offensichtlicher Ungeeignetheit von Aussagepersonen als "Videozeugen" außer Betracht lässt. 81 Mit der kommissarischen Zeugenvernehmung kann dariiberhinaus auch eine Beschränkung der Verteidigungsrechte verbunden sein. Denn obzwar bei der kommissarischen Vernehmung von Zeugen zu beachten ist, dass sowohl dem Angeklagten wie dem Verteidiger grundsätzlich ein Anwesenheitsrecht zusteht (§ 224 Abs. S. 1 1. Hs.), ergibt sich daraus in praxi häufig keine Situationsverbesserung. Denn die Benachrichtigung dieser Prozess beteiligten kann gern. § 224 Abs. 1 S. 2 unterbleiben, wenn durch die Anwesenheit Vgl. dazu die Ausführungen im 3. Kapitel, Abschnitt c., 1., 2. Explizit zu den mit einer kommissarischen Zeugenvernehmung verbundenen Einschränkungen vgl. BGH NJW 2000, 1204, 1206: "Sie [die Grenzen des § 223] ergeben sich zwangsläufig aus der Natur dieses Rechtsinstituts, das dadurch gekennzeichnet ist, dass die Vernehmung außerhalb der Hauptverhandlung und damit außerhalb der unmittelbaren Einflussnahme und Erkenntnismöglichkeit aller Prozessbeteiligten durchgeführt wird. Daraus entstehende Defizite mögen verstärkt den nonverbalen Teil der Vernehmung betreffen, sind aber keineswegs auf diesen Bereich beschränkt. Sie in vollem Umfang auszugleichen, wäre selbst durch die protokollergänzende mündliche Erklärung eines Mitglieds des erkennenden Gerichts, das an der kommissarischen Vernehmung teilgenommen hat [Anm.: Wobei die rechtliche Zulässigkeit zunächst unterstellt, im Hinblick auf § 261 durch den 5. Senat sodann aber verneint wird], nicht möglich." 81 Vgl. etwa Albrecht StV 2001, 364, 366. Exakt auf diese Fälle verweist aber Diemer StraFo 2000, 217, 219; ders. NStZ 2001,393,396, wenn ausgeführt wird, es sei unzutreffend, die Videovernehmung gegenüber der bloßen Protokollverlesung immer als das bessere Beweismittel anzusehen, weil dies sich weder mit der Eigenart der Videokonferenz noch dem Willen des Gesetzgebers vereinbaren lasse, was etwa bei der Anhörung von Kindern oder geistig Behinderten oder sogenannten zweifelhaften Zeugen auf der Hand liege. V gl. dagegen a. Duttge NStZ 2000, 157, 160: Es "wird sich nur selten bereits von vornherein die Prognose treffen lassen, dass die Aussage des Zeugen mittels Videotechnik für die Wahrheitsfindung wertlos und damit gänzlich ungeeignet ist." 79

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B. § 247a und kommissarische Zeugenvernehrnung gern. § 223

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der Untersuchungserfolg gefährdet wird. Wenn die mangelnde Unterrichtung vom Vernehmungstermin nun am Anwesenheitsrecht der benannten Prozessbeteiligten nichts ändert,82 so führt die Nichtbenachrichtigung des Verteidigers tatsächlich aber zu einem Teilnahmehindernis, selbst wenn dieser das Anwesenheitsrecht ausüben will. Sind dagegen Verteidiger und Beschuldigter bei der kommissarischen Vernehmung anwesend, so kann der Beschuldigte in entsprechender Anwendung des § 247 von der kommissarischen Vernehmung ausgeschlossen werden,83 wobei im Unterschied zur Hauptverhandlung dann aber keine Verpflichtung des kommissarischen Richters zur Unterrichtung des Beschuldigten gern. § 247 Abs. 1 S. 4 angenommen wird. 84 Und befindet sich der Angeklagte weiterhin in Haft, so steht ihm ein Anspruch auf Teilnahme nur an solchen Terminen zu, die am Gericht des Ortes der Haftanstalt abgehalten werden, § 224 Abs. 2. 11. Die Kombination der kommissarischen Zeugenvernehmung mit der audiovisuellen Übertragung der Zeugenaussage in die Hauptverhandlung?

Wie bereits angedeutet wurde, sprechen etwaige praktische Vorteile für die Maßnahme-"Verquickung". Bevor nunmehr auf den Meinungstand in der Literatur näher eingegangen wird, sollen diese Vorteile geschildert werden. 1. Vorteile im Hinblick auf § 223 Abs. 1

So würde, auch wenn die kommissarische Vernehmung auf die Produktion einer Vernehmungsniederschrift gerichtet ist, die Übertragung der kommissarisch zu gewinnenden Zeugenaussage in die Hauptverhandlung zum Erhalt des persönlichen Beweismittels und den damit verbundenen Vorteilen für die Qualität des Beweisergebnisses führen. Für das erkennende Gericht (im Falle eines Kollegialgerichts in seiner Gesamtheit) wäre es so - vermittelt über den um die kommissarische Vernehmung ersuchten Richter - möglich, sich einen wirklichkeitsnahen "unmittelbaren" Eindruck vom Zeugen in der Vernehmungssituation zu bilden. Damit wäre einerseits eine weitgehende Glaubwürdigkeitsbeurteilung des Zeugen durchführbar, andererseits eine gewisse Kontrolle der Vernehmung (korrekte Vernehmungsführung oder gegebenenfalls Suggestivbefragungen?) möglich. Weil die Heranziehung eines Vernehmungsprotokolls in der Hauptverhandlung dann obsolet ist, entfiele freilich auch die auf der "doppelten Vermittlung" beruhende Minderung der BeBGHst 32, 115, 129 f.; 33, 70, 72. BGHst 32,32 rn. Anrn. Geerds JZ 1984,46. Vgl. a. KleinknechtiMeyer-Goßner-StP045 § 223 Rn. 20. 84 Vgl. KK-StP04 -Diemer § 247 Rn. 18; Kleinknechtl Meyer-Goßner-StP0 45 § 223 Rn. 20. 82

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15 Rieck

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5. Kap.: Verhältnis des § 247a zu weiteren Vorschriften

weisqualität des nur "reproduzierenden Beweisobjekts". Und schließlich wären erst in der Hauptverhandlung auftauchende - Unklarheiten im Bericht des Zeugen im Anschluss aufklärbar, weil sich im Rahmen der "Verquickung" von Maßnahmen des § 223 wie des § 247a eine technische Ausgestaltung denken lässt, die es ermöglicht, Nach- und Zusatzfragen an den Zeugen - vermittelt über den kommissarischen Richter - durch das Gericht wie auch die Verteidigung zu stellen. Dabei wäre auch die unmittelbare Reaktion des Zeugen wahrnehmbar, soweit darauf für die Glaubwürdigkeitsbeurteilung Wert gelegt wird. Kurzum: Im Bedarfsfalle würde gegebenenfalls eine viel weitgehendere Aufklärung des Sachverhaltes ermöglicht, so dass auch die Wahrheitsfindung bei der kommissarischen Zeugenvernehmung verbessert wird. 2. Vorteil im Hinblick auf § 247a

Blickt man nunmehr auch zuriick auf die mit § 247a verbundenen Probleme, so wurde zu den Nachteilen der audiovisuellen Femvernehmung des Zeugen gern. § 247a in der Rechtsprechung 85 wie Literatur86 bereits ausgeführt, dass das hier festgelegte sog. "englische (Videovemehmungs-)Modell", bei dem sich der Zeuge getrennt vom Richter und den anderen Prozessbeteiligten in einem anderen Raum aufhält, gerade denjenigen Zeugen besondere Probleme bereiten dürfte, für die urspriinglich die Schaffung der Videovernehmungsvorschriften vorgesehen war: Gemeint sind die kleinsten, und wie empirische Evaluationen zeigen,87 von der Durchführung einer Hauptverhandlung oftmals besonders verängstigte Aussagepersonen, nämlich Kinder,88 welche ab entsprechender Reife - wie Erwachsene auch - der Zeugenpflicht unterliegen. 89 Denn entgegen der im Gesetzgebungsverfahren geäußerten Auffassung erscheint es nur schwer vorstellbar, dass kein Kind darunter zu leiden hätte, wenn Fragen über einen Monitor gestellt werden, weil Kinder heute "oft wesentlich unbefangener mit neuen Medien,,9o umgehen. 91 WurVgl. nur BGHst 45, 188, 196 betreffend alle vennittels § 247a vernommenen Zeugen. Etwa Caesar NJW 1998, 2313, 2315; Diemer NStZ 2001, 393, 396; Meier JZ 1991, 638,639; Mildenberger, S. 289 f.; Schlothauer StV 1999,47,51; vgl. a. bereits Kintzi DRiZ 1996,184,191. 87 Vgl. nur Busse/Volpert/Steller Belastungserleben von Kindern in Hauptverhandlungen (1996). 88 Vgl. nur Kintzi DRiZ 1996, 184, 185, Maier Audiovisuelle Vernehmung, S. 71 ff. 89 Die Zeugenstellung des Kindes entsteht, wenn von dem Kind eine verständliche Aussage über seine Wahrnehmungen zu erwarten ist, was nach Erkenntnissen der Aussagepsychologie bei normalentwickelten Kindern zwischen drei (Laubenthai JZ 1996, 335, 337) und fünf Jahren (Michaelis-Amtzen in: Amtzen Vernehmungspsychologie, S. 44) angenommen wird und - über die gesetzlichen Vertreter - eine Ladung des Kindes gern. § 48 erfolgt. 90 Vgl. CDU/CSU/FDP-Fraktion BT-Drs. 1317165, S. 10 sowie Rechtsausschuss BTDrs. 13/9063, S. 5. Zur Kritik daran vgl. bereits die Ausführungen des federführenden Rechtsausschusses sowie des Ausschusses für Frauen und Jugend BR-Drs. 933/1/97 v. 85

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B. § 247a und kommissarische Zeugenvernehmung gern. § 223

227

de bereits ausgeführt, dass sich hier jegliche Generalisierung verbietet, so dürfte in der Mehrzahl der in praxi auftauchenden Fälle mit Kindesbezug 92 wohl die audiovisuelle Fernvernehmung des Zeugen nach dem "Mainzer Verfahrensmodell",93 das hier mit der Maßnahme-Kombination von § 223 und § 247a weitgehend (wieder-)hergestellt würde, eine Ideallösung darstellen. 94 Denn auf diesem Weg kann unproblematischer eine persönliche Atmosphäre zwischen der Vernehmungs person und dem - insbesondere kindlichen - Zeugen hergestellt werden. 95 Damit ließen sich auch etwaige Hemmungen bei jungen verängstigten Zeugen besser abbauen. Gegebenenfalls wäre über diesen Weg auch die Vernehmung von Zeugen möglich, die an einer geistigen Behinderung leiden und aus diesem Grund weder in der Hauptverhandlung noch über Monitor vernommen werden können.96 Und weil 05. 12. 1997, S. 2: "Dem Kind sollte - auch wenn es von einer Vertrauensperson begleitet wird - nicht zugemutet werden, dass es den Vernehmenden nur auf dem Bildschirm sehen und sich mit ihm nur über Mikrofon und Kamera unterhalten kann. Eine kindgerechte Gesprächsatmosphäre kann so kaum entstehen", sowie a. a. O. S. 4: "Es wäre lebensfremd davon auszugehen, dass Kinder in eine Kamera hinein vernommen werden könnten". Vgl. dazu weiterhin auch die ersten empirischen Nachweise aus deutschen Gerichten bei : v. Knobloch zu Hatzbach ZRP 2000, 276 ff. 91 Völlig zutreffend Caesar NJW 1998, 2313, 2315: "Schwächen weist diese Regelung jedoch für die Vernehmung kindlicher Zeugen auf [ ... ]. Der Vorsitzende befindet sich [ ... ] nicht bei dem Kind. Das ist für den jungen Zeugen nachteilig, da es via Kamera ausgeschlossen, zumindest schwieriger sein dürfte, ein Vertrauensverhältnis zu dem Kind aufzubauen und ihm die Beantwortung der Fragen zu erleichtern. Es erscheint nur schwer vorstellbar, dass ein sechs oder acht Jahre altes Kind in der Lage sein soll, die Fragen des Vorsitzenden aus dem "off' zu beantworten. Das ist keine kindgerechte Gesprächsatmosphäre. Hier muss in der praktischen Ausgestaltung nachgebessert werden". Dazu bereits die Ausführungen im 3. Kapitel, Abschnitt A., 11. (insbes. sub 3.). 92 Wenn im folgenden vordergründig von Kindern die Rede ist, gelten die folgenden Ausführungen in gleicher Weise auch für andere "Problemzeugen". Damit angesprochen sind Aussagepersonen, die weder unmittelbar im Gerichtssaal aussagen können, noch in der vom Gesetz vorgesehen Konzeption des § 247a über Monitor vernehmbar sind. 93 Dazu die Ausführungen im 2. Kapitel, Abschnitt A., 1. 94 Eine andere Frage ist es freilich, inwieweit die Vernehmung von kindlichen Zeugen gerade durch einen kommissarischen Richter erfolgen muss, denn gegebenenfalls könnte die Vernehmung ja auch durch einen Kinder- / Jugendpsychologen durchgeführt werden, der im Einzelfall eine kindgerechte Vernehmungsweise viel besser beherrscht als der jeweilige Richter. Wird auf diese Frage noch näher einzugehen sein, so soll im vorliegenden Abschnitt nur untersucht werden, ob ein Richter des erkennenden Gericht die Vernehmung eines Zeugen einem kommissarischen Richter überlassen darf, wenn anders, d. h. auch nicht über den Weg des § 247a, eine Aufklärung der Wahrheit möglich ist. 9S Vgl. zur Kritik an der Durchführung einer Videofernvernehmung des Zeugen im Hinblick auf die Gesprächssituation erneut: BGHst 45, 188, 196; Amtzen ZRP 1995, 241; KKStP04 -Diemer § 247a Rn. 5; Eisenberg Beweisrecht, Rn. 1328 f.; Kilian-Herklotz, S. 195, 213. Vgl. a. Strate StraFo 1996,2,3 f. 96 Vgl. dazu etwa BGH Vrt. v. 03. 11. 1998 - 1 StR 331/98 - NStZ-RR 1999, 80. In diesem Verfahren stellte die Staatsanwaltschaft den Antrag auf Vernehmung einer geistig behinderten Zeugin durch den Vorsitzenden außerhalb des Sitzungssaals bei gleichzeitiger audiovisueller Übertragung der Vernehmung in die Hauptverhandlung. Zur Aussageverpflichtung 15*

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5. Kap.: Verhältnis des § 247a zu weiteren Vorschriften

schließlich auch die Nachteile des gleichlautenden Mainzer Verfahrens-"Modells der geteilten Hauptverhandlung ,,97, 98 vermieden werden, fragt sich insoweit, ob die "Verquickung" des § 247a mit § 223 Abs. I nach derzeitiger Gesetzeslage als zulässig anzusehen ist. 3. Der aufzufindende Meinungsstand a) Gerade wegen der Nachteile bei einer Vernehmung etwa von kindlichen Zeugen gern. § 247a befürwortet die wohl überwiegende Auffassung im Schrifttum99 die Kombination der Maßnahmen der §§ 223, 247a. Denn hierdurch werde die audiovisuelle Fernvernehmung auch desjenigen Zeugen ermöglicht, dessen "Aussage in die Kamera hinein so erhebliche Hindernisse entgegenstehen, dass die durch eine kommissarische Vernehmung erreichbare persönliche Atmosphäre zur Erforschung der Wahrheit unerläßlich ist".IOO Im Rahmen der Maßnahme-"Verquickung" könnte dann aber die kommissarische Vernehmung nur durch einen ersuchten Richter vorgenommen werden, 101 weil man andernfalls eine Verfahrensweise wählen würde, die dem Mainzer (Video-)Vernehmungsmodell der "geteilten Hauptverhandlung" entspräche. 102 Würde die kommissarische Vernehmung durch einen beauftragten Richter, also einen Richter desselben Spruchkörpers des Gerichts vorgenommen, so müsste einer der Richter des erkennenden Gerichts den Sitzungssaal mit dem Zeugen verlassen. Dabei brauchte es sich freilich nicht unbedingt um den Vorsitzenden selbst handeln. Zwischen dem Hauptverhandund Vernehmung geistig erkrankter Zeugen in der Hauptverhandlung, vgl. a. BGH NStZ 2001,48,49. 97 Verlässt ein Richter des erkennenden Gerichts den Sitzungssaal während der Hauptverhandlung und wird er mit den anderen Verfahrensbeteiligten durch audiovisuelle Übertragungstechnik verbunden, so stellt sich die Frage der Vereinbarkeit dieser Vorgehensweise mit § 226 (ununterbrochene Gegenwart der Richter) sowie § 261 (vollständige Wahrnehmung des "Inbegriffs der Hauptverhandlung"). Handelt es sich bei dem Richter um den Vorsitzenden, so ist weiterhin auch § 238 (Verhandlungsleitung durch den Vorsitzenden) betroffen. Das Mainzer Verfahrensmodell wäre weiterhin nur auf Kollegialgerichte beschränkt gewesen. Zu den mit der "geteilten Hauptverhandlung" verbundenen praktischen Problemen vgl. insbes. den Prozessbericht von Jansen StV 1996, 123 ff. Vgl. weiterhin a. Dahs NJW 1996, 178 f.; Geppert Jura 1996,550,553 ff.; Mehle StraFo 1996,2 (alle m. w. N.). 98 Zur eigenen Sichtweise vgl. die Ausführungen im 3. Kapitel, Abschnitt c., 1., 1., b). 99 KK-StP04 -Diemer § 247a Rn. 3; ders. NJW 1999, 1667, 1668; HK-StP0 2 -Julius § 247a Rn. 3 a. E.; KMR-Lesch § 247a Rn. 5; Schlüchter/GreffKriminalistik 1998,530,532; Weigend (1998), S. 56, 129 unter Verweis auf den Vorschlag des Deutschen Juristinnenbundes Reform der Nebenklage und anderer Verletztenrechte (1997), S. 18, 25 sowie Kintzi DRiZ 1996, 184, 187. 100 Diemer NJW 1999, 1667, 1668; KK-StP0 4 -Diemer § 247a Rn. 3. 101 A.A. HK-StP0 3 -Julius § 247a Rn. 3; Weigend (1998), S. 56. Wohl a. Vassilaki JZ 2000,474. 102 So im Ergebnis a. KMR-Lesch § 247a Rn. 5.

B. § 247a und kommissarische Zeugenvernehmung gern. § 223

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lungssaal und dem Zeugenvernehmungszimmer wäre dann wohl eine "Verbindung" in der Weise herzustellen, dass jedenfalls die im Hauptverhandlungssaal verbliebenen Verfahrensbeteiligten die Vernehmung des Zeugen audiovisuell wahrnehmen können. Weil es wegen der Schutzbedürftigkeit des Zeugen aber als geradezu kontraindiziert anzusehen ist, wenn in umgekehrter Richtung auch für ihn (wie dann auch für den vernehmenden Richter!) die Vorgänge im Hauptverhandlungssaal vollständig audiovisuell wahrnehmbar wären, kann es sich bei der "Maßnahme-Verquickung" nicht um eine stereophone "two-way" Verbindung handeln. Insoweit könnte der beauftragte Richter dann aber seine Entscheidung nicht mehr aus dem vollen "Inbegriff der Verhandlung" (§ 261) schöpfen, zu der, neben der von ihm durchgeführten Zeugenvernehmung, auch die Reaktionen der anderen Verfahrensbeteiligen, insbesondere des Angeklagten, gehören. Dariiberhinaus wäre diese Vorgehensweise wiederum nur auf Kollegialgerichte beschränkt. Wie ausgeführt ist dieses Modell aber nach der hier vertretenen Auffassung mit dem formellen Aspekt des Unmittelbarkeitsprinzips sowie §§ 226, 238, 261 nicht vereinbar. 103 Inwieweit diese pragmatische Sichtweise auch aus dem Gesetz ableitbar ist, wird von deren Vertretern nicht näher begriindet.

b) Die Gegenposition \04 nimmt mehr das Gesetz als die praktischen Vorteile in den Blick. \05 Sie argumentiert, dass die "Verquickung" der Verfahrensweisen von § 223 sowie § 247a den Erfordernissen der Verfahrensklarheit widerspreche und insoweit abzulehnen seL 106 So bleibe unklar, ob es sich bei der Vernehmung um eine solche in der Hauptverhandlung gern. § 261 handele, was § 247a im Gegensatz zu § 223 aber voraussetze. Weiterhin schaffe eine derartige Vorgehensweise erhebliche praktische Probleme, weil die Befugnis zur Vernehmung nicht zwei verschiedenen Richtern gleichzeitig zustehen könne. \07 Schließlich habe § 223 systematisch auch eine andere Funktion in Bezug auf die Hauptverhandlung. \08 Und dariiberhinaus sei eine derartige Konstruktion auch völlig entbehrlich. \09 Vgl. dazu die Ausführungen im 3. Kapitel, Abschnitt C., 1., 1., b). Etwa Eisenberg Beweisrecht, Rn. 1328e; LR-StP025 -Gollwitzer § 247a Rn. 20; Kleinknecht/ Meyer-Goßner _StP045 § 223 Rn. 20; Rieß StraFo 1999, 1,7. 105 Zum Teil ist die Begriindung aber ähnlich lapidar, Vgl. etwa Rieß NJW 1998, 3240, 3242: "Ob, wie teilweise angenommen wird, § 247a StPO auch dergestalt angewendet werden kann, dass auf ihn eine zeitgleich in die Hauptverhandlung übertragene echte kommissarische Vernehmung nach § 223 durch einen ersuchten Richter gestützt werden kann, erscheint sehr zweifelhaft und dürfte wohl abzulehnen sein. " (Hervorhebungen nicht im Original). Vgl. weiterhin aber sodann die nachgeschobene Begriindung desselben in: StraFo 1999, 1,7. 106 LR-StP0 25 -Gollwitzer § 247a Rn. 20. 107 Kleinknecht/ Meyer-Goßner _StP045 § 223 Rn. 20; Rieß StraFo 1999, 1, 7 i. V. m. Fn. 96. 108 So explizit Eisenberg Beweisrecht, Rn. 1328e; Kleinknecht/ Meyer-Goßner _StP045 § 223 Rn. 20. 109 LR-StP025 -Gollwitzer § 247a Rn. 20. Vgl. weiterhin dens. a. a. 0 ., a. E.: "Wenn das erkennende Gericht sich aus der Hauptverhandlung heraus selbst in die Vernehmung des an einem anderen Ort befindlichen Zeugen einschalten kann und will, kann es dies nur auf der Grundlage des § 247a. Damit aber wird die Vernehmung Teil der Hauptverhandlung und obliegt allein dem Vorsitzenden des erkennenden Gerichts, auch wenn dieses vorher als Ersatz \03

\04

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5. Kap.: Verhältnis des § 247a zu weiteren Vorschriften

III. Würdigung der vorgebrachten Positionen

Mehr als die hier angeführten Gründe finden sich in den Stellungnahmen der Literatur nicht. Dies muss mit Blick auf die erhebliche Bedeutung verwundern, die die Frage der Zulässigkeit einer Maßnahme-"Verquickung" besitzt. Es ist daher im folgenden umfassend zu untersuchen, welche Gründe für und gegen die Kombination von § 223 und § 247a anzuführen sind. 1. Für die Maßnahme-" Verquickung" sprechende Gründe Zunächst wird dabei auf etwaige dafür sprechenden Gründe eingegangen, die mit den oben benannten Vorteilen der Maßnahme-Kombination teilweise eng verbunden sind. a) Der sich aus dem Gesetzeswortlaut ergebende Anwendungsbereich von § 223 und § 247a Berücksichtigt man zunächst den Wortlaut der Regelungen des § 223 Abs. I wie des § 247a S. 1, so wird schon auf den ersten Blick eine Überschneidung der Anwendungsbereiche deutlich. Verweist § 247a S. 1,2. Alt. auf die Voraussetzungen des § 251 Abs. 1 Nr. 2, die sich wiederum mit § 223 Abs. 1 decken, so liegen insoweit die Anwendungsvoraussetzungen des § 223 Abs. 1 wie des § 247a S. 1 nebeneinander vor. 110 Erblickt man nun im Falle der beeinträchtigten Aussagetüchtigkeit von Zeugen in der Hauptverhandlung ein "anderes nicht zu beseitigendes Hindernis" im Sinne von §§ 223 Abs. 1,251 Abs. 1 Nr. 2 und kann unter gleichen Voraussetzungen auch die audiovisuelle Fernvernehmung des Zeugen von einem anderen Ort gern. § 247a durchgeführt werden, so wird daraus zunächst deutlich, dass das erkennende Gericht sich alternativ in der Hauptverhandlung entweder eines schon vorliegenden - und zwar kommissarisch gewonnenen - Vernehmungsprotokolls bedienen oder die audiovisuelle Fernvernehmung des Zeugen durchführen kann, wenn sich das erkennende Gericht hierdurch weitergehende Aufklärung des Tatgeschehens verspricht. Weil für das erkennende Gericht auch die Möglichkeit besteht, eine kommissarische Zeugenvernehmung noch während der Hauptverhandlung anzuordnen, III liegt weiterhin die Annahme nahe, nach der Gesetzeslage sei für die Vernehmung in der Hauptverhandlung die kommissarische Vernehmung angeordnet haben sollte. Letztere Anordnung wird gegenstandslos, wenn die ursprünglich als kommissarische Einvernahme gedachte Vernehmung des Zeugen an einem anderen Ort durch die nach § 247a beschlossene audiovisuelle Vernehmung tatsächlich in die Hauptverhandlung einbezogen wird." 110 Vgl. dazu a. Weigend (1998), S. 56 Fn. 168. 111 So KMR-Eschelbach § 223 Rn. 90; LR-StP025-Gollwitzer § 223 Rn. 7; Kleinknechtl Meyer-Goßner-StP0 45 § 223 Rn. 25 (alle m. w. Nw.).

B. § 247a und kommissarische Zeugenvernehmung gern. § 223

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es dem erkennenden Gericht auch möglich, kumulativ die audiovisuelle Fernvernehmung der Aussage des Zeugen vorzunehmen, auch wenn die Vernehmung kommissarisch, nämlich durch einen ersuchten Richter,1I2 erfolgt. b) Sinn und Zweck des § 223 Soll die Unzulässigkeit der Maßnahme-"Verquickung" weiterhin daraus folgen, dass § 223 eine andere Funktion für die Hauptverhandlung habe, dann ist zunächst einmal ein näherer Blick auf die - von den Vertretern dieser Auffassung nicht genauer präzisierte - Funktion des § 223 notwendig, um einen etwaigen Unterschied zu erkennen. Wie ausgeführt ist die kommissarische Zeugenvernehmung gern. § 223 regelmäßig nichts anderes als die Vorwegnahme der Beweisaufnahme. \13 Diese - den Grundsatz der Unmittelbarkeit der Beweisaufnahme in der Hauptverhandlung durchbrechende - vorweggenommene Beweisaufnahme dient dabei dem Zweck der Gewinnung einer Niederschrift über die Vernehmung eines ZeugenY4 Denn da der Zeuge in der Hauptverhandlung nicht persönlich vernommen werden kann, soll wenigstens seine in der Niederschrift festgehaltene Aussage in der Hauptverhandlung verlesen werden können (§ 251 Abs. 1 Nr. 2). Die Funktion des § 223 besteht also in der Verhinderung eines völligen Verlusts des Beweismittels. Berücksichtigt man nun die Voraussetzungen des § 247a wie die Entstehungsgeschichte, 115 so wird angesichts der partiell gleichlautenden Voraussetzungen, wenig verwunderlich, deutlich, dass § 247a S. I in beiden Alternativen letztlich demselben Ziele wie § 223 Abs. I dient: der Verhinderung des Beweismittelverlustes. 1l6 Der Unterschied zwischen den Vernehmungsmöglichkeiten gern. § 223 sowie § 247a besteht also nur darin, dass es sich in dem einen Fall um eine der Beweisaufnahme in der Hauptverhandlung regelmäßig vorgelagerte Beweisaufnahme handelt, in dem anderen Falle dagegen um die eigentliche Beweisaufnahme der Hauptverhandlung selbst. Ob dieser Unterschied nun die Unzulässigkeit der kumulativen Anwendung beider Maßnahmen rechtfertigt, um also allein die vom Gesetz vorgesehene "Vorverlagerung" der Beweisaufnahme nicht einzuebnen, ist zu bezweifeln. Schließlich kann die kommissarische Zeugenvernehmung - wie soVgl. dazu die Ausführungen im vorangegangenen Abschnitt II. dieses Kapitels. Und zwar in den Zeitraum der Vorbereitung der Hauptverhandlung, so Kühne Strafprozessrecht, § 37 Rn. 637. 114 Kleinknecht / Meyer-Goßner-StP045 § 223 Rn. 1. 115 Siehe dazu im 2. Kapitel, Abschnitt A. 116 Vgl. Weigend (1998), S. 46 f.: "Am Ausgangspunkt der aktuellen Debatte stand das Mitgefühl mit Kindern, die (meist als Opfer von Straftaten) in Strafverfahren aussagen mussten". Weiterhin a. a. 0., S. 47: ,,Es (ist jedoch) zu begrüßen, dass das Gericht die Möglichkeit der Vernehmung außerhalb des Gerichtssaals nicht auf Kinder begrenzt hat, sondern sie für alle Zeugen vorsieht [ .. . ]. Im Vordergrund steht bei dem Zeugenschutzgesetz (entgegen seinem Titel) allerdings ein anderer Gedanke, nämlich das Interesse an der Ermittlung der Wahrheit". 112

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5. Kap.: Verhältnis des § 247a zu weiteren Vorschriften

eben ausgeführt - auch während der Hauptverhandlung angeordnet werden. Gerade der Sinn und Zweck des § 223, m. a. W. die von o.g. Position vorgebrachte Funktion im Verfahren, könnte daher gegen die Auffassung sprechen, wonach die Kombination der Maßnahmen der §§ 223, 247a als unzulässig anzusehen ist. c) Entstehungsgeschichte des § 247a Berücksichtigt man weiterhin die Regelungsabsicht des Gesetzgebers bei der Schaffung des Zeugenschutzgesetzes 1998, so wollte man hierdurch zunächst dem Zeugenschutz umfassend Genüge tun. Das wurde im Hinblick auf die Videovernehmungsvorschriften etwa dadurch deutlich, dass man den Anwendungsbereich der anfänglich auf Kinder- sowie - bestimmte Deliktsbereiche betreffende - Opferzeugen beschränkten Regelungen 117 im Verlaufe des Gesetzgebungsverfahrens auf alle schutzbedürftigen Zeugen ausdehnte. 118 Wie ausgeführt wurde, sollte damit vor allem einem fundamentalen Ziel jeden Strafprozesses Rechnung getragen werden: dem staatlichen Interesse an möglichst umfassender Aufklärung materieller Wahrheit. 119 Explizit diesem Ziel diente sodann auch die Erweiterung des § 247a S. 1 über den Zeugenschutz (1. Alt) hinaus auf die Fälle des § 251 Abs. 1 Nr. 2 bis Nr. 4 in seiner zweiten Alternative. Es finden sich im Rahmen der Begründungen zu den Gesetzesentwürfen und den parlamentarischen Diskussionen zwar vorwiegend Ausführungen zur Anwendung von Videotechnik als Mittel zur Simultanübertragung wie zur Aufzeichnung der Zeugenaussage, und zwar für das Ermittlungsverfahren wie die Beweisaufnahme in der Hauptverhandlung. 12o Aber es findet sich in den Gesetzesmaterialien auch der Hinweis auf die für zulässig erachtete Kombination der Maßnahmen des § 223 und des - später so beschlossenen § 247a. Im Rahmen der parlamentarischen Beratungen über eine Anfrage der SPDFraktion wurde exemplarisch vom MdB Irmer als einhellige Meinung des Vermittlungsausschusses folgendes ausgeführt: "Es ging letzten Endes um zwei Streitpunkte. Der eine Streitpunkt war: Wie hält man es, wenn ein Zeuge - hier ist insbesondere an Kinder gedacht - außerhalb des Gerichtssaals vernommen werden soll? Es gab einige, die gesagt haben: Das muss in jedem Fall der Vorsitzende tun. Aber es gibt das Modell aus Österreich und Großbritannien, wo dies nicht der Vorsitzende macht. Vielmehr bleibt der Vorsitzende im Gerichtssaal, weil er beobach117 Vgl. Gesetzesentwurf der SPD-Fraktion v. 28. 11. 1995, BT-Drs. 13/3128 ("Gesetz zur Verbesserung der Rechtsstellung von Deliktsopfern und zum Einsatz von Videogeräten bei der Zeugenvernehmung in der Hauptverhandlung") sowie den nachfolgenden Gesetzesentwurf des Bundesrates v. 29. 06. 1996, BT-Drs. 13/4983 ("Gesetz zum Schutz kindlicher Zeugen"), vgl. dazu umfassend die Ausführungen im 2. Kapitel, Abschnitt A., 11., 2. 118 Durch Gesetzesentwurf der damaligen CDU/CSU/FDP-(Regierungs-) Fraktionen v. 11. 03.1997, BT-Drs. 13/7165. 119 Vgl. dazu Weigend (1998), S. 46. 120 Vgl. etwa die Ausführungen des damaligen MdJ Schmidt-lortzig BT-Plenarprotokoll 13/163 v. 13.03. 1997, S. 14638B.

B. § 247a und kommissarische Zeugenvernehmung gern. § 223

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ten soll, wie die Reaktion beispielsweise des Angeklagten auf die in den Gerichtssaal überspielte Zeugenaussage ist. Bei der Frage, wer mit dem Zeugen außerhalb des Gerichtssaales die Zeugenbefragung durchführt bzw. unmittelbar die Fragen an den Zeugen stellt das betone ich jetzt, weil das aus dem Gesetzestext nicht hervorgeht -, sind sich alle Beteiligten des Vermittlungsverfahrens darüber einig, das hier theoretisch auch ein nicht zum Spruchkörper gehörender ersuchter Richter die Fragen an den Zeugen stellen kann".121

Kurzum: Ging es dem Gesetzgeber neben dem Zeugen schutz gerade auch um die Verbesserung der Aufklärungsmöglichkeiten und damit der Wahrheitsfindung im Strafprozess und verwies man im Zuge der Gesetzesberatungen auch darauf, dass die hier diskutierte Frage explizit nicht aus dem Gesetzestext hervorgehe, über die Frage der Zulässigkeit der Maßnahmen-Kombination aber Einigkeit - jedenfalls im Vermittlungsausschuss - bestand, so widerspricht die kombinierte Anwendung von § 247a und § 223 Abs. I an sich nicht dem historischen Willen des Gesetzgebers. Im Gegenteil, es könnte gerade die Bezugnahme auf die in Frage stehende Möglichkeit einer Kombination von §§ 247a, 223 in den parlamentarischen Beratungen gegen die eine Maßnahme-"Verquickung" ablehnende Auffassung sprechen. d) Unmittelbarkeitsprinzip Wie ausgeführt wurde, folgt aus dem Prinzip der formellen Unmittelbarkeit die grundsätzliche Verpflichtung des erkennenden Gerichts, das Beweismittel selbst wahrzunehmen. Die Entscheidung soll nicht auf einer Erkenntnisquelle außerhalb der Hauptverhandlung beruhen. 122 Daraus könnte man ableiten, dass auch die Wahrnehmung des Zeugen durch das erkennende Gericht erfolgen müsse, wenn der Zeuge nicht "unmittelbar,,123 vor dem erkennenden Gericht, sondern nur durch einen ersuchten Richter an einem anderen Ort vernommen werden kann, die technischen Möglichkeiten (nunmehr) aber eine Übertragung des Zeugen wie seiner Aussage in die jeweilige Hauptverhandlung ermöglichen. Ein Hinweis für die Richtigkeit darauf liefert gerade die Einfügung des § 247a in die StPO. Denn ist eine Vernehmung und damit die "Wahrnehmung" des Zeugen durch das erkennende Gericht in der Hauptverhandlung (selbst) nicht durchführbar, so ermöglicht das Gesetz in § 247a S. I - auf nächster Stufe - die audiovisuelle Einführung der Zeugenaussage von einem Ort außerhalb dem der Hauptverhandlung, weil hiermit verbunden auch die Wahrnehmung vom Zeugen durch das erkennende Gericht möglich bleibt. Insoweit handelt es sich immer noch um eine Vernehmung in der Hauptverhandlung. 124 Gerade die ratio formaler Unmittelbarkeit, einen individuel121 MdB Irmer BT-Plenarprotokoll 13 / 221 v. 04. 03. 1998, S. 20205 D (Hervorhebung hinzugefügt). 122 Vgl. dazu im 3. Kapitel, Abschnitt c., 1., 1. 123 Sei es im Wege einer Vernehmung des Zeugen im Sitzungssaal der Hauptverhandlung oder vermittels des § 247a von einem anderen Orte. 124 Vgl. nur KK-StP0 4 -Diemer § 247a Rn. 8 = NJW 1999, 1667, 1668 f.

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5. Kap.: Verhältnis des § 247a zu weiteren Vorschriften

len "lebendigen Eindruck" vom Zeugen zu erlangen, könnte daher dafür sprechen, die Maßnahmen der §§ 223, 247a miteinander zu kombinieren. Dagegen ließe sich auch nicht einwenden, der Grundsatz der persönlichen Vernehmung gern. § 250 erfordere nach seinem klaren Wortlaut, diejenige Person "in der Hauptverhandlung" zu vernehmen (§ 250 S. 1), auf deren Wahrnehmung die zu beweisende Tatsache beruht; die Vernehmung durch den kommissarischen Richter an einem anderen Ort als dem der Hauptverhandlung sei aber keine Vernehmung "in der Hauptverhandlung", weil diese "die mündliche Befragung mit mündlicher Antwort,,125 durch das erkennende Gerichts voraussetze. 126 Denn selbst diese strikte Wortlautauslegung des § 250 S. I verstieße gegen den Grundsatz, dass man nicht (allein) am buchstäblichen Wortlaut des Gesetzes haften solle und der eindeutigen "ratio", also dem ,,sinn und Zweck" des Gesetzes, Vorrang gegenüber seinem Wortlaut einzuräumen hat. 127 Berücksichtigt man weiterhin die sich aus dem Prinzip materieller Unmittelbarkeit der Beweistatsachenerschließung für das Gericht ergebende Verpflichtung, grundsätzlich das beweisthemanächste Beweismittel zu verwenden, also die zu beweisenden Tatsachen aus der Quelle selbst zu schöpfen, bevor auf bloße Beweismittelsurrogate zurückgegriffen wird, so spricht auch dieser Aspekt für die "Verquickung" der Maßnahmen des § 223 und des § 247a. Denn ist die kommissarische Vernehmung - an sich - auch auf die Gewinnung einer Niederschrift über die Zeugenaussage gerichtet, so würde, wie ausgeführt, gerade die Übertragung der kommissarisch zu gewinnenden Zeugenaussage in die Hauptverhandlung zum Erhalt des persönlichen Beweismittels und den damit verbundenen Vorteilen für die Qualität des Beweisergebnisses führen. e) Amtsaufklärungspflicht Die Verpflichtung des Gerichts, sich des bestmöglichen und insoweit originären Beweismittels zu bedienen, folgt, wie bereits ausgeführt wurde, weiterhin auch aus der gerichtlichen Amtsaufklärungspflicht gern. § 244 Abs. 2. 128 Soweit die Möglichkeit besteht, die Vernehmung des Zeugen im Rahmen der Hauptverhandlung vorzunehmen, hat das Gericht, wie das BVerfG in der "V-Mann Entscheidung,,129 ausführt, "alle der Bedeutung der Beweisaufnahme entsprechenden Anstrengungen zu unternehmen, um die Vernehmung des Zeugen in der Hauptverhandlung zu ermöglichen". 130 Ist die unmittelbare Vernehmung des Zeugen in der Hauptverhand125 126

127 128 129 130

Siehe dazu KK-StP04-Tolksdo!f§ 243 Rn. 44. Mildenberger, S. 198. Vgl. dazu Engisch Einführung in das juristischen Denken (1983), S. 83,238 Fn. 82a. Vgl. dazu im 3. Kapitel, Abschnitt c., I. BVerfGE 57,250 ff. NJW 1981, 1719 ff. BVerfG NJW 1981, 1719, 1724.

=

B. § 247a und kommissarische Zeugenvemehmung gern. § 223

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lung nicht durchführbar, so muss das Gericht vor dem Rückgriff auf sachfernere Beweismittel entsprechende Maßnahmen treffen, damit der Zeuge "in der nach den Umständen bestmöglichen Form sein Wissen mitteilen kann".131 Insoweit "muss das Gericht aufgrund seiner Aufklärungspflicht [auch] versuchen, [ ... ] die Vernehmung so zu gestalten, dass Hemmungen (des Zeugen) überwunden werden".132 Handelt es sich bei der jeweiligen Aussage daher um eine für die Wahrheitsfindung bedeutende Aussage, so könnte gerade die Amtsaufklärungspflicht das erkennende Gericht zu einer Kombination der Maßnahmen des § 247a mit § 223 Abs. 1 verpflichten, wenn einerseits dem Erscheinen des Zeugen im Gericht ein Hindernis entgegensteht, andererseits dieses Hindernis auch nicht durch eine gern. § 247a - allein durch den Vorsitzenden des erkennenden Gerichts vorzunehmende - audiovisuelle Fernvernehmung ausgeräumt werden kann.

f) Interventionsrechte und die Gewährleistung

einer effektiven Verteidigung, Art 6 EMRK

Werden durch die "Verquickung" der Maßnahmen von § 247a mit § 223 Abs. 1 weiterhin auch die Interventionsrechte, insbesondere das Konfrontations- 133 wie das Fragerecht, weitgehend gewährleistet, so gilt dies für alle Prozessbeteiligten in gleicher Weise. Im Falle der Übertragung der kommissarisch vorgenommenen Zeugenvernehmung in die Hauptverhandlung ist es sowohl für das Gericht, die Staatsanwaltschaft, den Verteidiger und den Angeklagten möglich, sich einen Eindruck vom Zeugen zu bilden. Für die Beurteilung seiner Glaubwürdigkeit stehen daher für alle Prozessbeteiligten ein und dieselben Ausgangsinformationen zur Verfügung, so dass im Ergebnis auch dem (u. a.) in Art 6 EMRK normierten Fairnessprinzips wegen der Gewährleistung von "Waffengleichheit" zwischen den Prozessbeteiligten vollauf Genüge getan wird. 134 Wenn weiterhin exemplarisch der EGMR betreffend Art 6 Abs. 3 lit. d EMRK in der Entscheidung" van Mechelen . / . Niederlande ,.135 ausführt, die im konkreten Fall vorgenommene Vernehmungsprozedur [bei der sich die Zeugen mit dem Untersuchungsrichter allein in einem Zimmer aufhielten und die Vernehmung dem Angeklagten, seinem Verteidiger sowie der Staatsanwaltschaft in ihren Aufenthaltsraum nur akustisch übertragen wurSo Weider StV 2000, 48, 52 unter Verweis auf Herdegen NStZ 1984,200, 202. So explizit BGH - 3 Str 256/98 - NStZ 1999, 94. 133 Zum Grundsatz, dass nach der Rechtsprechung des EGMR alle Beweise in Gegenwart des Angeklagten in öffentlicher Verhandlung mit Blickrichtung auf eine kontradiktorische Argumentation erhoben werden müssen, vgl. nur EGMR StV 1990, 481, 482 [Kostovski . /. Niederlande]; StV 1991, 193, 194 [Windisch./. Österreich]; StV 1997,617,619 [v. Mechelen . / . Niederlande]. 134 A.A. - allerdings ohne nähere Begründung - neuerdings Meyer-Mews NJW 2002, 103, 106. l35 EGMR StV 1997,617 ff. [v. Mechelen ./. Niederlande] m. Anm. WattenberglViolett StV 1997,620 ff. 131

132

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5. Kap.: Verhältnis des § 247a zu weiteren Vorschriften

de] verstieße gegen den Grundsatz des fairen Verfahrens, da "dem Gerichtshof [ ... ] keine ausreichenden Erklärungen vorgetragen (wurden), warum nicht weniger einschneidende Maßnahmen vorgesehen wurden", 136 so ist im Hinblick auf das hier vorgetragene Prinzip einer verhältnismäßigen Einschränkung von Verteidigungsrechten zu konstatieren, dass die Kombination der Maßnahmen des § 223 Abs. 1 mit der audiovisuellen Übertragung der Aussage gern. §§ 247a - bei einem Vergleich mit der Alternativsituation der Protokollverlesung - geradezu als eine die Verteidigungsrechte am geringsten beeinträchtigende Maßnahme anzusehen ist. Bei einer Kombination der Maßnahmen des § 223 und des § 247a würde wegen der Gewährleistung der für die Wahrheitsfindung unerlässlichen Gegenkontrolle 137 daher auch der Forderung des EGMR nach effektiver Gewährleistung von Verteidigungsrechten in idealtypischer Weise zum Durchbruch verholfen, wenn anders eine "unmittelbare" Aussage des Zeugen in der Hauptverhandlung nicht erreicht werden kann. g) Zeugen schutz Weil die Konfrontation des Beschuldigten mit etwaigen Belastungszeugen, was für die Wahrheitsfindung gern. Art 6 Abs. 3 lit. d EMRK grundsätzlich für unerläßlich angesehen wird, im Rahmen der Kombination der §§ 223, 247a nur vermittelt über den kommissarischen Richter geschehen kann, der sich weiterhin mit dem Zeugen an einem anderen Ort als dem der Hauptverhandlung aufhält, erfolgte die Gewährleistung der Verteidigungsrechte nicht - einseitig - zu Lasten des jeweiligen Zeugen. Gerade bei der Vernehmung von jungen Opferzeugen wichtig, könnte durch die Maßnahme-Kombination der §§ 223, 247a eine sehr schonende Vernehmung der Aussageperson erfolgen,138 und zwar ohne dass etwaige Rechte anderer Prozessbeteiligter in erheblicher Weise beeinträchtigt werden. Vergleicht man demgegenüber die Alternativsituation der Vernehmung des kindlichen Zeugen in der Hauptverhandlung, und zwar bei Außerachtlassung der Möglichkeit einer audiovisuellen Fernvernehmung gern. § 247a, so kann ein derartig weitreichender Schutz hier keinesfalls erreicht werden. Denn obwohl der Gesetzgeber exemplarisch die Vernehmungssituation von kindlichen Zeugen bis zum Alter von 16 Jahren bspw. durch § 241a im Hauptverfahren zu verbessern suchte, ist dagegen einzuwenden, dass die alleinige Befragung durch den Vorsitzenden im Hinblick darauf, dass der Zeuge im Sitzungssaal anwesend ist und - grundsätzlich - den Angeklagten bzw. seinen Verteidiger sieht sowie den "Originalton" der gestellten Frage EGMR StV 1997,617,619 [v. Mechelen .1. Niederlande]. Vgl. dazu BGHSt 45, 188, 196 unter Verweis auf HK-StP02-Julius § 247a Rn. 2; Schünemann StV 1998,391,399. 138 Auf diesen Aspekt verweist exemplarisch der Gesetzesentwurf der SPD-Fraktion zur "Verbesserung der Rechtsstellung von Deliktsopfern und zum Einsatz von Videogeräten bei der Zeugenvernehmung in der Hauptverhandlung", BT-Drs. 13/3128, hier vgl. insbes. Begründung: a. a. 0., S. 6. 136

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hört, bevor der Vorsitzende die Frage erneut schonender an den Zeugen formuliert, zur Verminderung von Belastungen kaum tauglich ist. Denn hierdurch kann allein die Anzahl der befragenden Personen, nicht aber der belastende Inhalt von Fragen reduziert werden. 139 Berücksichtigt man weiterhin, dass bei der kommissarischen Vernehmung von Kindern auch auf die Auswahl des um die Vernehmung ersuchten Richters besser Einfluss genommen werden kann, als etwa im Rahmen der Hauptverhandlung, so könnte die Vernehmung regelmäßig 140 durch einen in der Vernehmung von Kindern besonders geschulten Richter durchgeführt werden. 141 Damit würde dem Zeugen- wie Opferschutz bestmöglichst zum Ausgleich verholfen und die das Zeugenschutzgesetzes vom 30. 04. 1998 anfänglich tragenden Absichten des Gesetzgebers umgesetzt. h) Zwischenergebnis Die Betrachtung fundamentaler strafprozessualer Prinzipien ergibt, dass durch die audiovisuelle Übertragung der kommissarisch gewonnenen Zeugenaussage in die Hauptverhandlung zwischen den - in jedem Strafprozess maßgeblichen drei grundlegenden Verjahrenszielen ein bestmöglicher Ausgleich, also praktische Konkordanz im Einzelfall, hergestellt werden kann: So wird (1) dem Interesse an möglichst umfassender Aufklärung materieller Wahrheit bestmöglichst zum Durchbruch verholfen, wenn sich anders die "unmittelbare" Aussage des Zeugen in der Hauptverhandlung nicht erreichen lässt. Die Maßnahme-Kombination von §§ 223, 247a führte (2) weiterhin auch zur umfassenden Gewährleistung von Verteidigungsrechten. Denn es kann exemplarisch das mit dem Anwesenheitsrecht des Angeklagten eng verbundene Fragerecht beruhend auf hinreichender Konfrontation mit dem Zeugen ausgeübt werden, wie es andererseits dem Angeklagten auch möglich bleibt, sich während der Zeugenvernehmung mit seinem Verteidiger - zur Vorbereitung weiterer Fragen - zu beraten. 142 Weiterhin wird - wie ausgeführt 139 Vgl. dazu nur Weigend (1998), S. 57 unter Verweis auf Staiger-Allroggen Auswirkungen des Opferschutzgesetzes, S. 90, wonach die befragten Opferzeugen das "Befragungsmonopol" des Vorsitzenden kaum als hilfreich empfanden. Ähnlich a. Störzer in: HesslStörzerl Streng Sexualität und Soziale Kontrolle, S. 101, 119. 140 Denn gern. §§ 26, 74b OVO finden Verfahren ja nur dann vor einem Jugendrichter statt, wenn der Zeuge auch Verletzter der Straftat ist. 141 Vgl. dazu etwa Lorenz DRiZ 1999, 253, 255: "Die Beurteilung der Glaubhaftigkeit von Kinderzeugen ist ein [ ... ] schwieriges Feld." 142 Zum letztgenannten Aspekt vgl. Weider StV 2000, 48, 53: ,,[ ... ] ein wesentliches Element der Verteidigung". Wohl entgegen der Auffassung des Vorbenannten (vgl. a. a. 0.) lässt sich durch eine Kombination der Maßnahmen der §§ 223, 247a aber nicht die Anwendung des § 247 umgehen, so exemplarisch aber HK-StP02-Julius § 247a Rn. 7; LaubenthaI JZ 1996,335,344, wenn die Herstellung einer sachgerechten Oesprächsatmosphäre allein durch die Anwesenheit des Angeklagten nicht hergestellt werden kann. Denn dies verstieße gegen die gesetzgeberische Ultima-ratio-Anordnung in § 247a S. 1, 1. Alt und überschritte insoweit den eindeutigen Wortlaut.

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5. Kap.: Verhältnis des § 247a zu weiteren Vorschriften

auch der Forderung des EGMR nach effektiver und weitgehendster Gewährleistung von Verteidigungsrechten Genüge getan. Und schließlich könnte (3) durch die Maßnahme-Kombination auch dem Schutz des jeweiligen Zeugen vollauf Rechnung getragen werden, weil hierdurch eine besonders schonende Vernehmung problematischer Zeugen bei gleichzeitiger Herstellung einer entsprechenden Gesprächsatmosphäre möglich ist. Kurzum: Auf den ersten Blick scheinen also recht gute Gründe für die Auffassung zu sprechen, die eine "Verquickung" der Maßnahmen des § 223 und des § 247a befürwortet. 2. Gegen die Maßnahme-" Verquickung" sprechende Gründe

Sprechen eine Reihe von Gründen für die Maßnahme-"Verquickung", so soll nunmehr auf die gegen eine kumulative Anwendung von §§ 223, 247a sprechenden Gründe näher eingegangen werden. Wurden oben bereits Wortlaut und Funktion von §§ 223, 247a als befürwortende Gründe benannt, so lässt sich - auf einen zweiten Blick - daraus auch das gegenteilige Ergebnis schlussfolgern. Weiterhin muss genauer darauf eingegangen werden, ob und inwieweit die Verfahrensklarheit durch die Maßnahme-Kombination beeinträchtigt ist. Schließlich soll beleuchtet werden, ob wirklich ein so starkes verfahrenspraktisches Bedürfnis für die kumulative Anwendung von §§ 223, 247a besteht, dass die ursprüngliche Konzeption des § 223 durch das Zeugenschutzgesetz 1998 gegebenenfalls eine Neuinterpretation erfahren muss. a) Der Gesetzeswortlaut von § 247a S. 3 Studiert man den (weiteren) Wortlaut des § 247a, so wird deutlich, dass die oben benannte Annahme überschneidender Anwendungsbereiche von § 223 sowie § 247a 143 nicht exakt mit § 247a S. 3 144 in Einklang zu bringen ist. Denn vergleicht man die benannte Norm mit der Regelung des - im Ermittlungsverfahren geltenden und insoweit hier offensichtlich nicht anwendbaren _145 § 168e S. 2,146 woSiehe dazu in diesem Kapitel, Abschnitt B., III., 1., a). § 247a S. 3 lautet: "Die Aussage wird zeitgleich Bild und Ton in das Sitzungszimmer übertragen." 145 Denn die kommissarische Vernehmung bildet jedenfalls ihrem Wesen nach ein Teil der Hauptverhandlung, so BGHSt 9, 24, 27; KMR-Lesch § 247a Rn. 5. Darüberhinaus ist auch die Verfahrensgestaltung hier gewissermaßen eine andere, wonach sich entsprechend dem sog. Mainzer Verfahrensmodell die Anwesenheitsberechtigten getrennt vom Richter und Zeugen aufhalten und diese Vernehmung audiovisuell an den Aufenthaltsort der anderen Prozessbeteiligten übertragen wird, die sodann von dort über eine Tonverbindung zum Richter Nachund Zusatzfragen stellen können. 146 § 168e S. 2 lautet: "Die Vernehmung wird diesen zeitgleich in Bild und Ton übertragen." 143

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nach in dem einen Falle die "Aussage" (des sich an einem anderen Ort aufhaltenden Zeugen, § 247a S. 3), in dem anderen Fall die" Vernehmung" (des von den Anwesenheitsberechtigten getrennten Richters mit dem Zeugen, § l68e S. 2) audiovisuell zu "übertragen" ist, so wird daraus erkennbar, dass sich der vernehmende Richter bei der audiovisuellen Vernehmung des Zeugen gern. § 247a nicht an dem Ort aufhält, an welchem sich der Zeuge befindet. Aus der gesetzlichen Konzeption folgt vielmehr, wie bereits ausgeführt wurde, dass bei § 247a die Vernehmungsperson die Vernehmung über einen Monitor durchführt und insoweit das "Ob" der Kommunikation vom Technikeinsatz abhängig ist. Nimmt man den Wortlaut des § 247a bei einem Vergleich mit § l68e daher ernst, so ist vielmehr derjenigen Auffassung zustimmen, wonach die audiovisuelle Übertragung der Zeugenaussage gern. § 247a nicht (gleichzeitig) auch die kommissarische Zeugenvernehmung mitumfassen kann.

b) Sinn und Zweck des § 223 und Systematik Wurde der Sinn und Zweck des § 223 oben bereits näher beleuchtet und hierzu ausgeführt, Funktion der kommissarischen Zeugenvernehmung sei die Verhinderung eines Beweismittelverlusts, so trifft dies ganz sicher zu. Gerade weil es sich bei der kommissarischen Zeugenvernehmung nach der Konzeption der StPO aber grundsätzlich um eine Beweisaufnahme außerhalb der eigentlichen Hauptverhandlung handelt, wäre die Funktion "Beweismittelverlustverhütung" gegebenenfalls nicht hinreichend präzise angegeben. Denn auch die Vernehmung des jeweiligen Zeugen im Ermittlungsverfahren durch die Beamten der Polizei oder der Staatsanwaltschaft verhütet den Verlust von Beweismitteln, wie man etwa dem § 251 Abs. 2 entnehmen kann. Neben der Verhinderung von Beweisverlusten besteht die Ratio des § 223 insoweit vor allem darin, die besondere "Dignität" der Vernehmungsperson zu gewährleisten; eine "Dignität", die sich daraus ableitet, dass der (weisungs-)unabhängige Richter eine besondere Gewähr für die Wahrheitsfindung bietet. Und wie man der Konzeption der StPO nun wiederum in § 251 Abs. 1 - bei einem Vergleich mit Abs. 2 - entnehmen kann, handelt es sich dabei gerade um die besondere Gewähr des (beauftragten oder ersuchten) Richters im Hinblick auf das in der Hauptverhandlung heranzuziehende Beweismittel Vernehmungsprotokoll. Betrifft die Ratio des § 223 insoweit (auch) die Gewährleistung besonderen Vertrauens hinsichtlich der Vernehmungsperson, so muss man sich für die Maßnahme"Verquickung" fragen, ob gerade dieses besondere Vertrauen auch beim Ausgleich der zu § 247a geschilderten Nachteile in Anspruch genommen werden muss. Anders ausgedriickt: Muss gerade ein (ersuchter) Richter dem Zeugen als Vernehmungsperson gegenüberstehen? Reicht für die angesprochenen Kinderzeugen, die weder unmittelbar in der Hauptverhandlung, noch über einen Monitor durch den Vorsitzenden gern. § 247a vernommen werden können, nicht auch ein "Bote", der als "Vernehmungsgehilfe" des sich im Hauptverhandlungssaal befindlichen Rich-

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5. Kap.: Verhältnis des § 247a zu weiteren Vorschriften

ters agiert und die Fragen des Vorsitzenden wiederholt bzw. in eine kindgerechte Sprache übersetzt? Darauf wird sogleich näher einzugehen sein (vgl. anschließenden Abschnitt c.). Es scheint aber jedenfalls die Verknüpfung des besonderen Vertrauens der Vernehrnungsperson mit dem Beweismittel Urkunde gegen die Maßnahme-"Verquickung" von § 223 und § 247a zu sprechen. Denn nach der Konzeption der StPO steht § 223 in untrennbar engen Zusammenhang mit dem Urkundsbeweis. § 247a soll dagegen den Zeugenbeweis in der Hauptverhandlung ennöglichen, obwohl der Zeuge sich nicht körperlich im Sitzungssaal aufhält. Beide Nonnen haben also trotz ihrer Gemeinsamkeit ("Beweismittelverlustverhütung") nach der ursprünglichen Konzeption der StPO eine unterschiedliche Funktion in Bezug auf die Hauptverhandlung. Dieser Einwand der eine Kombination ablehnenden Sichtweise ist also offensichtlich zutreffend. c) Sachleitungsbefugnis des Vorsitzenden Die Verbindung beider Maßnahmen passt weiterhin kaum mit der Sachleitungsbefugnis des § 238 Abs. 1 zusammen. Danach erfolgt "die Leitung der [Haupt-] Verhandlung [ ... ] und die Aufnahme des Beweises durch den Vorsitzenden", nicht also etwa durch die beisitzenden Richter oder andere Verfahrens beteiligte. Daraus ergibt sich, dass nach der Konzeption der StPO während der Hauptverhandlung nur einer der Richter der Vernehmende sein kann. Damit unvereinbar wäre insoweit eine Verfahrensgestaltung, wonach der kommissarische Richter den Zeugen in eigener Verantwortung und Befugnis vernimmt und im Anschluss daran der audiovisuell an der Befragung beteiligte Vorsitzende (ergänzend) die Befragung weiterführt bzw. die Fragen anderer Verfahrensbeteiligter an den kommissarischen Richter übennittelt. Richtig ist also auch der Einwand, wonach die Befugnis zur Vernehmung in der Hauptverhandlung gleichzeitig nicht zwei verschiedenen Richtern zustehen kann. Wenn der Vorsitzende die Vernehmung noch nicht einmal einem beisitzenden Richter überlassen darf,147 dann kann insoweit nichts anderes für den (ersuchten oder beauftragten) Richter gelten. Entweder vernimmt der ersuchte Richter oder der Vorsitzende, nicht aber beide zusammen oder hintereinander. Denn der Unterschied ist bei der Beweiswürdigung wesentlich. So schafft die alleinige Beobachtung der Vernehmung des kommissarischen Richters durch das erkennende Gericht einen Augenschein. Nur die Vernehmung durch den Vorsitzenden wäre dagegen Personalbeweis. Soll es sich insoweit auch dann um Personalbeweis handeln, wenn etwa im Anschluss an die audiovisuell wahrnehmbare Vernehmung des kommissarischen Richters weitere Fragen aus dem Hauptverhandlungssaal nicht gestellt werden, m. a. W. an sich allein der kommissarische Richter den Zeugen (wie im herkömmlichen Sinne) vernommen hat? Und bejahendenfalls: Wie verhält sich dies zu § 223, der nach der gesetzlichen Konzeption auf die Herstellung eines Vernehmungsprotokolls durch eine für die Wahrheitsfindung beson147

LR-StP025-Gollwitzer § 238 Rn. 15

ffi.

w. Nw.

B. § 247a und kommissarische Zeugenvernehmung gern. § 223

241

ders zuverlässige Person gerichtet ist? Führte die Kombination von §§ 223, 247a nicht zu einer Vermischung der gesetzlich zugelassenen Beweismittel im Strengbeweis? Mit Blick auf diese Fragen scheint auch der Einwand nicht unzutreffend zu sein, wonach die Maßnahme-"Verquickung" auch der Verfahrensklarheit widersprechen könnte. d) Bedürfnis für eine Maßnahme-"Verquickung"? Wird von der die Maßnahme-Verbindung befürwortenden Auffassung geltend gemacht, die Kombination des § 223 mit § 247a ermögliche die Herstellung einer persönlichen Atmosphäre, so bestünde ein Bedürfnis für die Maßnahme-Kombination nur dann, wenn diese Atmosphäre nicht anders, als durch die Heranziehung eines kommissarischen Richters herstellbar wäre. Gerade daran bestehen aber erhebliche Zweifel. Ermöglicht § 247a die Vernehmung eines Zeugen durch den vorsitzenden Richter über einen Monitor, so kommt die Verbindung von § 247a mit § 223 nur für bestimmte Zeugen in Betracht, nämlich diejenigen, die entweder wegen ihres Alters oder wegen geistigen Defiziten nicht in der Lage sind, der Vernehmung durch den Vorsitzenden über den Monitor zu folgen. Gerade für diese Zeugen bietet es sich aber besonders an, dass ein psychologischer Sachverständiger die Vernehmung des Zeugen durchführt. 148 Denn hierdurch können etwaige Hemmungen zwischen der Vernehmungsperson und dem Zeugen sicherlich eher abgebaut und die Herstellung einer adäquaten Gesprächsatmosphäre besser gewährleistet werden. 149 Unterstellt man zunächst die rechtliche Zulässigkeit dieser Vorgehensweise, 150 dann bestünde also gerade in den Fällen, in denen die MaßnahmeKombination nach der befürwortenden Auffassung durchgeführt werden soll, kein Bedürfnis für ein solches Verfahren, dass der Konzeption der StPO offensichtlich nicht entspricht. Berücksichtigt man die weiteren, in Betracht zu ziehenden Fälle einer kommissarischen Vernehmung, etwa die Vernehmung von Auslandszeugen, die in der Hauptverhandlung des erkennenden Gerichts nicht erscheinen können, dann scheinen diejenigen Fälle vernachlässigbar, in denen es sich bei dem im Ausland aufhaltenden Zeugen um einen solchen handelt, der nicht über den Weg des § 247a durch einen Vorsitzenden des erkennenden Gerichts via Monitor vernommen werden kann. Durch das Zeugenschutzgesetz 1998 hat § 223 also keine Neuinterpretation erfahren. Die kommissarische Zeugenvernehmung braucht vielmehr in der Hauptverhandlung nicht mehr angeordnet werden, wenn über den Weg des § 247a eine weitergehende Sachaufklärung zu erwarten ist. 148 Vgl. dazu etwa für Kinderzeugen Nr. 222 Abs. 1 S. 2 RiStBV. Gleiches gilt auch für andere "Problernzeugen". 149 Dazu sogleich im anschließenden Abschnitt D. 150 Im einzelnen dazu die anschließenden Ausführungen im Abschnitt D.

16 Rieck

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5. Kap.: Verhältnis des § 247a zu weiteren Vorschriften

IV. Schlussfolgerungen und Ergebnisse

- Beruhend darauf, dass eine kommissarische Zeugenvernehmung im Einzelfall auch noch während der Hauptverhandlung angeordnet werden kann, sprechen zunächst gute Gründe für die "Kombination" der §§ 223, 247a. Diese Gründe bauen letztlich darauf auf, dass das nur reproduzierende Beweissurrogat Vernehmungsprotokoll in der Hauptverhandlung nicht herangezogen werden muss, weil das erkennende Gericht durch die audiovisuelle Übertragung der kommissarisch vorgenommenen Zeugenaussage in die Hauptverhandlung einen "lebendigen Eindruck" vom Zeugen und der Vernehmungssituation erhält. Dies folgt primär aus dem Unmittelbarkeitsprinzip wie der Verpflichtung zur Aufklärung materieller Wahrheit von Amts wegen. Insoweit wurde zunächst auch angenommen, durch die Maßnahme-"Verquickung" könnte ein optimaler Ausgleich mit den Verteidigungsinteressen wie Erfordernissen des Zeugenschutzes gefunden werden. Gegen eine Verknüpfung der kommissarischen Zeugenvernehmung mit der audiovisuellen Übertragung der Zeugenaussage in die Hauptverhandlung sprechen dann aber eine Reihe von Gegengründe. Diese orientierten sich daran, dass die Beweisaufnahme bei § 223 nach der Konzeption der StPO immer eine Beweisaufnahme außerhalb der Hauptverhandlung ist. Gerade die Kombination der Maßnahmen der §§ 223, 247a ist mit der Funktion des § 223 im engeren Sinne unvereinbar. Denn obzwar sowohl § 223 wie § 247a der Verhinderung von Beweisverlusten dienen, geht es bei § 223 nach der gesetzlichen Konzeption um die Gewährleistung besonderen Vertrauens der Vernehmungsperson im Hinblick auf das Beweismittel Vernehmungsprotokoll. Das Ergebnis kann dabei aber nicht als offensichtlich unverrückbar festgestellt werden. So ist das Ergebnis ganz erheblich davon abhängig, ob in verfahrenspraktischer Sicht wirklich ein Bedürfnis für die Maßnahme-Kombination besteht. Dies wurde hier verneint, weil es der eine Maßnahme-"Verquickung" befürwortenden Auffassung allein darauf ankommt, die mit § 247a verbundenen Nachteile zu beseitigen. Gerade dafür benötigte man aber nicht die besondere Gewähr eines Richters für die Wahrheitsfindung; es reichte vielmehr die Heranziehung eines "Vernehmungsgehilfen". Wurde die rechtliche Zulässigkeit der Heranziehung einer solchen Person unterstellt, so muss und soll im folgenden Abschnitt darauf sogleich näher eingegangen werden. - Das Zeugenschutzgesetz 1998 führt damit nicht zu einer Neuinterpretation der Konzeption der StPO bei § 223. Dies verdeutlichte etwa der Vergleich des Wortlauts von § 247a S. 3 mit § 168e, woraus geschlussfolgert werden muss, dass man dem Gesetzgeber nicht ohne weiteres den Willen unterstellen kann, es sei von der Möglichkeit der kumulativen Anwendung von § 247a und § 223 ausgegangen worden, auch wenn dies zunächst im Rahmen der Entstehungsgeschichte angedeutet wurde. 151

C. Sachverständige als "Vernehmungsgehilfen"?

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c. Durchführung der Zeugenvernehmung durch Sachverständige als" Vernehmungsgehilfen"?

Wurde gerade ausgeführt, dass das "Ob" einer Kombination der §§ 223, 247a ganz erheblich von dem praktischen Bedürfnis nach einer derartigen Verfahrensweise abhängig ist, so wäre diese Frage offensichtlich zu verneinen, wenn sich der Vorsitzende bei der Vernehmung eines "Vernehmungsgehilfen" - bereits de lege lata - bedienen könnte, um die mit § 247a verbundenen, oben bereits näher umrissenen Nachteile der technischen Distanz zwischen dem befragenden Richter und dem Zeugen zu überwinden. Als derartige "Vernehmungsgehilfen" des Richters kommen nun insbesondere Sachverständige in Betracht, die für die Vernehmung von hilfsbedürftigen Zeugen besonders ausgebildet sind. I. Gründe für die Vernehmung durch einen Sachverständigen

Die Forderung, explizit bei Kindern als Zeugen im Strafverfahren die Vernehmung einem Sachverständigen zu überlassen, der besondere Erfahrungen auf dem Gebiet der Kinder- und Aussagepsychologie aufweist, ist nicht neu. Sie findet sich im Schrifttum 152 wie im Gesetzgebungsverfahren zum Zeugenschutzgesetz 1998. 153 Und exemplarisch auch der Strafverfahrensordnung von Österreich kann man entnehmen, dass ein Richter einen Sachverständigen mit der Vernehmung des Zeugen beauftragen kann, (insbesondere) wenn der Zeuge das vierzehnte Lebensjahr nicht vollendet hat. 154 Im Rahmen der Begründungen für eine Delegation der Vernehmung an einen Sachverständigen, wenn Kinder als Opferzeugen betroffen sind, wird (primär) auf justizpraktische Erfahrungen hingewiesen. So verfügten die Strafverfolgungsbe151 Vgl. a. Rieß StraFo 1999, 1,7 Fn. 94, der ausführt, dass entgegen den Äußerungen des MdB [rmer (in: BT-Plenarprotokoll 13/221 v. 4. 03. 1998, S. 20205D, zitiert auf S. 199) nicht erkennbar wurde, ob sich der Vennittlungsausschuss wirklich mit der "dogmatischen und systematischen Problematik befasst hat". 152 Vgl. nur Krauß ZStW 85 (1973), 320, 358; Mildenberger; S. 140 f. 153 Gesetzesentwurf des Bundesrates v. 19.06. 1996, BT-Drs. 13/4983, S. 7. Vgl. dazu auch die Ausführungen zur Herbstkonferenz der lustizministerlnnen 1993 im 2. Kapitel, Abschnitt A., I. 154 § 250 Abs. 3 iVm. § 162a Abs. 2 S. 2 StPO Österreich. § 162a Abs. 2 StPO Österreich lautet: "Im Interesse des Zeugen, besonders mit Rücksicht auf sein geringes Alter oder seinen seelischen oder gesundheitlichen Zustand, oder im Interesse der Wahrheitsfindung kann der Untersuchungsrichter die Gelegenheit zu Beteiligung derart beschränken, dass die Parteien und ihre Vertreter die Vernehmung des Zeugen, erforderlichenfalls unter Verwendung technischer Einrichtungen zur Wort- und Bildübertragung, mitverfolgen und ihr Fragerecht ausüben können, ohne bei der Befragung anwesend zu sein. Mit einer solchen Befragung kann der Untersuchungsrichter auch einen Sachverständigen beauftragen, insbesondere, wenn der Zeuge das vierzehnte Lebensjahr noch nicht vollendet hat". Dazu vgl. Hinterhofer; S. 223, 230.

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5. Kap.: Verhältnis des § 247a zu weiteren Vorschriften

hörden nach den Befürwortern der Delegationsbefugnis nicht in allen Fällen über hinreichende Erfahrungen im Umgang mit jungen Zeugen. 155 Denn gerade die Vernehmung von kleinen Kindern bereite besondere Schwierigkeiten, setze dies das sichere Beherrschen einer suggestionsfreien Vernehmungstechnik sowie fundierte Kenntnisse zu aussage-, gedächtnis- und entwicklungspsychologischen Zusammenhängen voraus. 156 Demgegenüber sei die Kompetenz vieler Richter trotz langjähriger Berufserfahrung nicht immer ausreichend, was nicht verwundere, werden Richter - vor und während ihrer Ausbildung - weder kinderaussage- noch entwicklungspsychologisch geschult. 157 Deswegen haben sie oftmals nicht erlernt, auf welche Art und Weise die Vernehmung von kindlichen Zeugen durchzuführen ist. 158 Auch die Angebote zur Weiterbildung während der richterlichen Tätigkeit würden mangels Verbindlichkeit kaum wahrgenommen. Insoweit fehle es manchen Richtern an ausreichenden Einfühlungsvermögen l59 ; häufig folgten bei typischen Stressreaktionen von Kindern im Gerichtssaal, etwa beim hilflosen Lachen eines Kindes, Vorträge über die Würde des Gerichts und den Ernst der Sache anstelle adäquat verstehendem Reagierens. 160 Wegen der gegebenenfalls eintretenden Qualitätsverbesserung der Aussage wird daher die Vernehmung des (kindlichen) Zeugen durch einen psychologischen Sachverständigen auch für die Aufklärung materieller Wahrheit im Einzelfall als vorzugswürdiger angesehen. 161 Weil der psychologische Sachverständige nun bei eigenen Explorationen regelmäßig auch das Tatgeschehen zu rekonstruieren pflegt, indem er gegebenenfalls mehrere Auskunftsperson selbst befragt, worauf insbesondere der 4. Strafsenat des BGH im Jahre 1959 hinweist/ 62 könnte man - über die herkömmliche Frage der Verwertbarkeit der (außerhalb einer Hauptverhandlung) erlangten Informationen hinausgehend - daran anknüpfen und fragen, ob der Sachverständige nicht auch die Vernehmung von Zeugen, also die Aufklärung des Tatgeschehens, "in der Hauptverhandlung" vornehmen kann. Gerade dies solle ja der Wahrheitsfindung 155 Etwa B.-D. Meier JZ 1991,638,645: "Mögen auch viele Vorsitzende im Umgang mit Kindern und Jugendlichen besonders erfahren sein, so gibt es doch immer wieder Verfahren, in denen dies ganz offensichtlich nicht der Fall ist". Vgl. a. Abg. Däubler-Gmelin BT-P1enarprotokoll 13/204 v. 14. 11. 1997, S. 18437; Abg. J. Meyer BT-Plenarprotokoll 13/163 v. 13.03. 1997,S. 14662. 156 Keiser Kindeswohl, S. 370. 157 Zu diesem Aspekt vgl. KMR-Stuckenberg § 261 Rn. 27 a. E. 158 Hasdenteufel, S. 27; Mildenberger; S. 53; Denger ZRP 1991,48,49. 159 Vgl. a. Mildenberger; S. 270 Fn. 304: ,,Nur selten kommt es vor, dass ein Richter in Zivilkleidung dem kindlichen Zeugen vor der Hauptverhandlung erklärt, wer er ist, welche Funktion er bekleidet und warum er eine schwarze Robe tragen muss." 160 Dazu und zu weiteren Einwänden vgl. Mildenberger; S. 53. 161 Vgl. BGHst 7,82, 83 f.; Heinitz in: FS-Engisch, S. 693, 697. Vgl. a. Keiser Kindeswohl, S. 371, wonach der Sachverständige aufgrund seiner Qualifikation am besten geeignet ist, das Kindeswohl während der Befragung zu wahren. 162 BGHst 13, 1, 2 f. unter Hinweis auf Undeutsch in: v. Ponsold Lehrbuch der gerichtlichen Medizin2 , S. 200.

C. Sachverständige als "Vemehmungsgehilfen"?

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dienlich sein, wie von den Befürwortern behauptet wird. Da hier im Mittelpunkt die Frage steht, "inwieweit" sich die (Distanz-)Nachteile bei § 247a für "Problemzeugen" überwinden lassen, sei dabei an eine Vernehmung gedacht, die durch den Sachverständigen an einem Ort außerhalb der Hauptverhandlung vorgenommen und gern. § 247a audiovisuell in den Sitzungssaal der Hauptverhandlung übertragen wird. Auf die Situation de lege lata soll hier nunmehr näher eingegangen werden. 11. Durchführung einer Vernehmung durch den Sachverständigen?

Nach der Konzeption der StPO erfolgt die Vernehmung von Zeugen unter sechzehn Jahren in der Hauptverhandlung, wie bereits ausgeführt wurde, grundsätzlich "allein" durch den Vorsitzenden (§§ 241a Abs. 1,238 Abs. 1). Denn nur der Vorsitzende soll dem kindlichen Zeugen als Gesprächspartner gegenüberstehen, weil das Gesetz davon ausgeht, dass der Vorsitzende die meiste Gewähr dafür bietet, dass bei der Befragung des Zeugen in der Hauptverhandlung auf die kindliche Psyche größte Rücksicht genommen wird. 163 Zwar kann der Richter einem Sachverständigen gestatten, unmittelbar Fragen an den Zeugen zu stellen; hierbei soll es sich, so liest man, aber nur um die Wahrnehmung der sich aus § 80 ergebenden Befugnis handeln. l64 Auf die Voraussetzungen des § 80 soll deshalb kurz eingegangen werden. 1. Befugnis zur Vernehmung gern. § 80?

Gern. § 80 kann dem Sachverständigen zur" Vorbereitung eines Gutachtens" erlaubt werden, die Akten einzusehen sowie bei der Vernehmung von Zeugen (unmittelbar) Fragen zu stellen (§ 80 Abs. 2). Weiterhin kann ihm "durch Vernehmung von Zeugen oder des Beschuldigten weitere Aufklärung verschafft werden" (§ 80 Abs. 1), um sog. "Anknüpfungstatsachen" zu erhalten, also Tatsachen, auf denen das Gutachten beruht. 165 Die sich daraus ergebenden "Befundtatsachen", sog. Tatsachen, die der Sachverständige gerade aufgrund seiner Sachkunde erkennt, 166 werden sodann durch das Gutachten in die Hauptverhandlung eingeführt. 167 Wie die Zweckverknüpfung des § 80 Abs. 1 erkennen lässt, folgt aus dieser Norm keine Befugnis des Sachverständigen zur Vornahme von eigenen Ermittlungen über prozessual erhebliche Tatsachen, den sog. "Zusatztatsachen", 168 die das 163 So etwa KK4 _Tolksdorf § 241a Rn. 2. Demgegenüber zweifelnd Störzer in: Hess / Störzer/Streng Sexualität und Soziale Kontrolle, S. 101, 122 ff. (vgl. insbes. die dort angegebenen Beispielsfälle). 164 § 241a berührt nicht die Befugnis aus § 80 Abs. 2, so KK4 -Tolksdorf§ 241a Rn. 2. 165 Beulke Strafprozessrecht, Rn. 198. 166 Kühne Strafprozessrecht, § 53 Rn. 858. 167 BGHst 18, 107, 108;

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5. Kap.: Verhältnis des § 247a zu weiteren Vorschriften

Gericht auch mit den ihm selbst zur Verfügung stehenden Erkenntnis- oder Beweismitteln feststellen kann. Das Wort "Verschaffen" in § 80 Abs. 2 ist insoweit ernst zu nehmen; die Aufklärung materieller Wahrheit durch förmliche Vernehmungen obliegt also immer allein der jeweiligen Strafverfolgungsbehörde und dem Gericht. 169 Der Sachverständige ist kein Strafverfolgungsorgan. Er vertritt auch nicht seinen Auftraggeber bei der Sachverhaltsermittlung. 170 Er ist vielmehr Erfüllungsgehilfe, 171 der den Zugang zu solchen Tatsachen verschaffen soll, die ohne sein Spezialwissen nicht sachgerecht bewertet werden können. Schlaglichtartig ist der Sachverständige also das erweiterte, weil auf fachfremde Disziplinen erstreckte, Gehirn des Richters. l72 Die Beweiswürdigung und damit auch jegliche Vernehmungen von Zeugen obliegt insoweit immer allein den Strafverfolgungsbehörden.

2. Unzulässigkeit der Delegation der Vernehmungsbefugnis an einen Sachverständigen?

Folgt aus der Zweckverknüpfung des § 80 über die Unzulässigkeit eigener Ermittlungen (von Zusatztatsachen) hinausgehend, dass eine Vernehmung von Zeugen immer nur durch die Strafverfolgungsorgane bzw. das Gericht (als ureigenste Aufgabe 173) zu erfolgen hat und ergibt sich dies auch aus dem Wortlaut des § 24la für die Hauptverhandlung, wonach der Vorsitzende die Vernehmung von Kinderzeugen durchführt, ja diese Vernehmung noch nicht einmal einem beisitzenden Kühne Strafprozessrecht, § 53 Rn. 858. Einhellige Meinung: vgl. nur BGHst 13, 1, 4; Dippel Die Stellung des Sachverständigen, S. 148, 152; AK-KirchnerlWassermann § 80 Rn. 2; KleinknechtIMeyer-Goßner-StP045 § 80 Rn. 2; KK-StP0 4 -Pelchen § 80 Rn. 1; Weigend JZ 1990,48,49. Kritisch demgegenüber Heinitz in: FS-Engisch, S. 693, 696 f. 170 BGHst 13, 1,4. 171 BGHst 11,97,99 f.; Dippel Die Stellung des Sachverständigen, S. 20. Vgl. a. Krauß ZStW 85 (1973), 320, 321 (Fn. 1). 172 Kühne Strafprozessrecht, § 53 Rn. 856. 173 Dazu siehe die Nw. in Fn. 72 im vorangegangenen Kapitel. Weiterhin: Keiser Kindeswohl, S. 371 m. w. Nw. Weil der Sachverständige ohne eine Befragung von Personen aus dem Umfeld des Zeugen (Angehörige, Lehrer, Erzieher, usw.) regelmäßig nicht in der Lage sein dürfte, einen § 80 Abs. 2 entsprechenden Antrag auf die Vernehmung von bestimmen Aussagepersonen zu stellen, um etwa eine Glaubwürdigkeitsbeurteilung des Zeugen vorzunehmen, können sog. informatorische Befragungen durch § 80 aber nicht verboten sein (Heinitz in: FS-Engisch, S. 693, 699). Gewinnt der Sachverständige bei einer solchen vorbereitenden Befragung der Aussageperson (zufällig) Kenntnisse über den Ablauf des Tatgeschehens, sog. "Zusatztatsachen", so werden diese durch die Vernehmung des Sachverständigen als "Zeugen vom Hörensagen" in die Hauptverhandlung eingeführt, wenn die betreffende Aussageperson nicht unmittelbar in der Hauptverhandlung vor dem erkennenden Gericht vernommen werden kann (BGH st 13, 1,3 f.). Trotz der hier beschriebenen Ausnahme für "eigene Ermittlungen" des Sachverständigen, darf dieser dem Gericht nach der Konzeption der StPO die Ermittlung von beweiserheblichen Tatsachen insoweit aber nie abnehmen. 168

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C. Sachverständige als "Vernehmungsgehilfen"?

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Richter überlassen werden darf (§ 238),174 so scheint es, als sei auch eine Übertragung der Befugnis zur Vernehmung an den Sachverständigen in der Hauptverhandlung, wie im österreichischen Recht, de lege lata nicht möglich. 175 Würde eine Befragung zur Sache dennoch durch einen Sachverständigen vorgenommen, käme ihr insoweit keinerlei Bedeutung ZU. 176 Fraglich ist aber, ob diese Annahme überzeugt; m. a. W. ob die (völlige) Übertragung der Vernehmungs befugnis auf einen psychologischen Sachverständigen nur de lege ferenda möglich ist. Unter Berücksichtigung der Ratio des § 24la sowie der Gründe, die gegen die Vernehmung durch einen Sachverständigen sprechen, ist dies jedoch zu verneinen, wenn die Vernehmung audiovisuell simultan in die Hauptverhandlung übertragen wird und der Sachverständige, ähnlich einem Dolmetscher, nur die Fragen des Vorsitzenden in eine (kinder-)zeugengerechte Weise "übersetzt". Denn blickt man auf die benannte Vorschrift des § 80 sowie die vorzufindenden Gründe, die hinter einem etwaigen Verbot de lege lata stehen, die Vernehmungen von Zeugen einem Sachverständigen zu überlassen, wird daraus deutlich, dass sie allenfalls für eine der richterlichen Kontrolle entzogene Vernehmung des Sachverständigen Gültigkeit beanspruchen, welche außerhalb der Hauptverhandlung durchgeführt wird. So führt etwa der BGH aus, dass die überlegenen Erkenntnismethoden von Sachverständigen auf der Möglichkeit einer mehrfachen Befragung von Zeugen im "nichtförmlichen" Rahmen, also nicht innerhalb einer Hauptverhandlung, beruhen. 177 Und gleiches ergibt sich auch aus den Hinweisen in der Literatur, etwa wenn auf die Unvereinbarkeit der Vernehmungsdelegation mit dem Grundsatz der Unmittelbarkeit hingewiesen wird. 178 Soweit man gegen die Vernehmungsdelegation weiterhin einwendet, der Sachverständige biete nicht die entsprechende verfahrensrechtliche Garantie für die Wahrheitsfindung im Strafprozess;179 die Durchführung einer förmlichen Vernehmung durch 174 175

LR_StPo25 -Gol/witzer § 238 Rn. 15 m. w. Nw. Für das Ermittlungsverfahren so ebenfalls: Maier Audiovisuelle Vernehmung, S. 118;

Mildenberger; S. 140. 176 KK4 -Senge § 80 Rn. 2 für die Befragung im Rahmen der Exploration des Zeugen durch

den Sachverständigen.

177 BGHs .7, 82, 83 f.: "Es besteht allgemeine Übereinstimmung darüber, dass dem medizinischen, nach mancher Auffassung auch dem psychologischen Sachverständigen Erkenntnismittel zu Gebote stehen, die das Gericht jedenfalls in der Hauptverhandlung nicht haben kann. Diese überlegenen Erkenntnismittelliegen hauptsächlich darin, dass der Sachverständige das Kind im vertrauten Gespräch zu zweit oder höchstens zu dritt, gegebenenfalls wiederholt, zu hören pflegt, wobei mindestens häufig eine ganz andere innere Beziehung zwischen dem Kind und dem vernehmenden Sachverständigen gebildet werden kann, als bei der notwendig mehr förmlichen gerichtlichen Vernehmung. Das Kind ist also bei der Vernehmung gegenüber dem Sachverständigen in einer Lage, die der seines täglichen Lebens wesentlich näher ist, als bei der Vernehmung vor Gericht. Es gibt sich natürlicher und entspannter. Deshalb ist sein Verhalten für die Beurteilung seiner Aussagetüchtigkeit ergiebiger." 178 Dippel Die Stellung des Sachverständigen, S. 155. 179 Etwa Dippel Die Stellung des Sachverständigen, S. 159 f.; Maier Audiovisuelle Vernehmung, S. 118; KK4 -Senge § 80 Rn. 2 unter Verweis auf BGH NJW 1951,771; BGH GA

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5. Kap.: Verhältnis des § 247a zu weiteren Vorschriften

einen Sachverständigen widerspräche darüberhinaus auch rechtsstaatlichen Gesichtspunkten, weil der Sachverständige nicht in seiner Rolle als Gehilfe des Gerichts belassen, sondern an die Stelle des Richters gesetzt werde,180 so greifen diese Bedenken nicht durch, soweit das Verfahren eine Ausgestaltung findet, bei welchem dem vorsitzenden Richter jederzeit die Kontrolle und der Einfluss auf die Vernehmung möglich ist. 181 Würde nun eine - bei § 223 für den kommissarischen Richter bereits erwogene - Verfahrensgestaltung vorgenommen, bei der etwa die Belehrung und Befragung des Zeugen durch den Sachverständigen erfolgt; die Befragung sich aber so gestaltet, dass Fragen des Vorsitzenden (sowie ggf. anderer Verfahrensbeteiligter) vom Sachverständigen "kindgerecht" übersetzt werden, so widerspricht diese Verfahrensweise nicht dem Grundsatz der Verhandlungsleitung (§ 238 Abs. 1). Und ist das Gericht, wie die anderen Verfahrensbeteiligten auch, an der Vernehmung des Zeugen audiovisuell beteiligt, wäre doch wegen der Möglichkeit, sich einen "lebendigen Eindruck" von der Aussageperson zu machen, auch ein Verstoß gegen den Grundsatz der Unmittelbarkeit nicht zu befürchten. Soweit man demgegenüber auf den Wortlaut des § 241a ("allein durch den Vorsitzenden") verweist, erschiene die daraus abgeleitete Annahme einer Unzulässigkeit der Delegation geradezu funktionswidrig. Denn nach der ratio dieser Norm soll doch die Befragung durch den Vorsitzenden erfolgen, weil man sich hierdurch eine "Schonung" des Zeugen verspricht. Gerade mit dieser Norm-Funktion im Einklang steht es, wenn sich der Vorsitzende eines Sachverständigen bedient, um eine nur hierdurch mögliche "unmittelbare" Vernehmung des Zeugen durchzuführen, die diesen gleichzeitig auch weitestgehend schont. Und wie ausgeführt wurde, spricht dafür auch die Amtsaufklärungsverpflichtung (§ 244 Abs. 2), wenn hierdurch eine weitergehende Aufklärung des Tatgeschehens erreicht werden kann, wie dies die Befürworter der Delegationsbefugnis behaupten. III. Ergebnis

Im Anschluss an die von B.-D. Meier geäußerte Auffassung wird man insoweit schlussfolgern müssen, dass es "keine Gründe [gibt], die dagegen sprechen, die 1963, 18; BGH MDR 1966,283; LR24 -Dahs § 80 Rn. 24. Zu befürchten sei daher, dass selbständige Ermittlungen des Sachverständigen die (sich grundsätzlich an die Strafverfolgungsorgane richtenden) Belehrungspflichten der StPO unterliefen und eine Gefahr für die verfahrensrechtlichen Freiheitsgarantien geschaffen würde, vgl. Dippel Die Stellung des Sachverständigen, S. 156. 180 Dippel Die Stellung des Sachverständigen, S. 155, 160; Maier Audiovisuelle Vernehmung, S. 118. 181 Soweit der Sachverständige nur die Fragen des Vorsitzenden, die er über eine Tonverbindung (Stichwort "Knopf im Ohr") der Befragungsperson übermittelt, in eine zeugengerechte Art und Weise "übersetzt", handelt es sich beim Sachverständigen weiterhin (nur) um einen Gehilfen des Gerichts. Insoweit braucht dann auch keine unzulässige Rollenvertauschung befürchtet werden, dazu vgl. Keiser Kindeswohl, S. 188.

D. Zulässigkeit der Abschirmung des Zeugen?

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Vernehmung von dem - mit Aktenkenntnis ausgestatteten - Sachverständigen durchführen zu lassen". 182 Dies gilt jedenfalls, soweit anders die Aussage des Zeuge nicht erreicht werden kann. Der Einsatz des Sachverständigen kommt insoweit immer bei "Problemzeugen" in Betracht, bei denen VOn vornherein abzusehen ist, dass mit ihnen eine videokonferenzvermittelte Kommunikation über Bildschirm nicht durchführbar erscheint.

D. Zulässigkeit der Abschirmung des Zeugen? Es wurde weiterhin an früherer Stelle darauf hingewiesen,183 dass sich für eine Durchführung audiovisueller Fernvernehmungen von ,,zeugen mit zurückgenommener oder verborgener Identität" die Frage stellt, ob die audiovisuelle "Tarnung" bzw. "Abschirmung" des Zeugen für zulässig zu erachten ist. Dem wird nunmehr nach der Darstellung allgemeiner Ausgangspunkte, die den Einstieg in die Diskussion erleichtern sollen, im folgenden Abschnitt auf den Grund gegangen. I. Allgemeine Ausgangspunkte 1. Erhebliche praktische Bedeutung verdeckter Ermittlungen

Wird über die Frage der audiovisuellen "Abschirmung" von Zeugen seit Jahrzehnten mehr als unerheblich gestritten, verdeutlicht dies auch die besondere Bedeutung des "Zeugen mit zurückgenommener oder verborgener Identität" für die Beweisführung gerade im Bereich der mittleren und der schweren organisierten Kriminalität. 184 Über die Notwendigkeit des Einsatzes von sog. "V-Personen" zur Ermittlung und Aufklärung von Straftaten gerade auch der jeweiligen "Drahtzieher" und "Hintermänner" besteht insoweit kaum Zweifel,185 worauf auch der Große Senat des BGH bereits im Jahre 1983 hingewiesen hat 186 "Die Entwicklung der Kriminalität im mittleren und schweren Bereich in den vergangenen Jahren ist nicht nur durch einen zahlenmäßigen Anstieg der Straftaten gekennzeichnet, sie

182 B.-D. Meier JZ 1991,638,645. 183 Vgl. dazu die Ausführungen im 2. Kapitel, Abschnitt B., I., 2., a), bb), (3). 184 Vgl. nur Lüderssen Jura 1985, 113; Weider StV 2000, 48: "Der Einsatz von Vertrauens-

personen durch die Ermittlungsbehörden gehört zu deren klassischen Instrumentarium. Gerade im Bereich der sog. organisierten Kriminalität gibt es kaum ein Verfahren, in dem nicht auch Vertrauenspersonen und / oder verdeckt arbeitende Polizeibeamte eingesetzt waren. Heimliche Ermittlungsmethoden haben Hochkonjunktur, wenn man nicht gar von einem inflationären Einsatz sprechen will." 185 Explizit so BGHst 32, 115, 122 m. w. Nw.; Bruns MDR 1984, 177, 181; Geppert Jura 1992, 244, 246; Lesch JA 1995, 691, 698. Demgegenüber zweifelnd Lüderssen Jura 1985, 113,114. 186 BGHst 32, 115 ff. Vgl. a. BVerfGE 57, 250, 284 [V-Mann] .

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läßt vielmehr auch eine qualitative Veränderung insoweit erkennen, als in verstärktem Maße kriminelle Organisationen in Erscheinung treten, durch die die Verbrechensaufklärung wesentlich erschwert wird. [ ... ] Die Vorgehensweise der Tater im Rahmen dieses ,organisierten Verbrechens' ist darauf angelegt, die Hauptpersonen möglichst nicht nach außen in Erscheinung treten zu lassen. Die Polizei kann mit herkömmlichen Ermittlungsmethoden bei derart organisierten Gruppierungen häufig nur solche Straftäter überführen, die innerhalb der Gruppierung eine untergeordnete Rolle spielen. Da diese Straftäter in der Regel beliebig austauschbar und ersetzbar sind, werden die kriminellen Aktivitäten der Organisation durch eine Aufdeckung der Taten dieser Randfiguren im Kern nicht gestört, zumal die Randtäter in der Regel keinen Einblick in Aufbau und Zusammensetzung der Gesamtorganisation haben. [ ... ] Der Erfolg der Verbrechensbekämpfung hängt daher letztlich davon ab, inwieweit die hauptverantwortlichen Straftäter, die Organisatoren, Finanziers und im Hintergrund agierenden Drahtzieher der Begehung von Straftaten überführt werden können. Um diesem Ziel näher zu kommen, sind die Ermittlungsbehörden dazu übergegangen, verdeckt operierende Polizeibeamte in die Organisationen einzuschleusen und V-Leute einzusetzen. "

Weil gerade die ..Einschleusung" von verdeckt ermittelnden Polizeibeamten in die betreffende .. Szene" nicht ohne weiteres möglich ist und im Regelfall eine erhebliche Zeit sowie größte persönliche wie materielle Kosten erfordert, liegt das .. Verbrennen" der betreffenden V-Person durch die Offenbarung der Identität im Strafverfahren niemals im Interesse der jeweiligen (Exekutiv-)Behörde. Diese beabsichtigt vielmehr einen sicheren, aber vor allem auch langen und effektiven Einsatz ..ihrer" V-Person. Bedenkt man darüber hinaus, dass bei einer Offenbarung der wirklichen Identität des Zeugen in der Regel auch Gefahren für Leib und Leben drohen können, etwa da man Racheakte am Zeugen oder dessen familiärem Umfeld befürchten muss, und sich nie hinreichend verlässlich bei der ex ante zu treffenden Prognoseentscheidung eine derartige Gefahr ausschließen lässt bzw. im Falle der behördlichen Sperrerklärung widerlegt werden kann, so verdeutlicht dies den damit verbundenen Normalfall der gerichtlichen Praxis: Beruht die jeweilige Tatsache auf der Wahrnehmung einer V-Person, so wird dieser ..Zeuge" regelmäßig für eine Aussage in der Hauptverhandlung gesperrt. 187 Die Einführung der durch die V-Person wahrgenommenen Tatsachen erfolgt sodann durch bloße Beweisführungs-Substitute, wie dem ..Zeugen vom Hörensagen" oder dem richterlichen bzw. polizeilichen Vemehmungsprotokoll. Und dadurch wird jedenfalls der Unmittelbarkeitsgrundsatz beeinträchtigt.

187 Vgl. dazu etwa Fezer JZ 1984,433,434; WeiderlStaechelin StV 1999,51,53: ,,[ ... ] auch dann, wenn das Gericht den Ausschluss der Öffentlichkeit und die Entfernung der Angeklagten aus dem Gerichtssaal zu ihrer Sicherung angeboten hatte"; Zaczyk in: 17.Strafverteidigertag - Rechtsstaatliche Antworten auf neue Kriminalitätsformen (1993), S. 221, 231.

D. Zulässigkeit der Abschinnung des Zeugen?

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2. Mit der Anonymisierung des Zeugen korrespondiert eine besondere Einschränkung de r Verteidigung s- / Ve rfahrensrechte

Beruht die zu beweisende Tatsache weiterhin auf der Wahrnehmung einer gesperrten V-Person, so geht mit der Beweisführung regelmäßig auch eine besondere Beschränkung der Verteidigungsrechte einher. Denn weder im Vor- noch im Hauptverfahren wird das zur Aufklärung des vermeintlichen Tatgeschehens eingeräumte Fragerecht des Beschuldigten sachgerecht gewährleistet. Zwar besteht in der Hauptverhandlung grundsätzlich das Fragerecht des Angeklagten fort. Doch ist das Fragerecht zumeist eingeschränkt. Denn hier kann nur ein "Zeuge vom Hörensagen" vernommen werden. Und dieser wird (und kann) nur das wiedergeben, was ihm selbst vom unmittelbaren Zeugen (V-Person) berichtet wurde. Auf die gegebenenfalls wesentlichen Nachfragen des Angeklagten bzgl. weiterer, nicht mitgeteilter Tatumstände, kann er insoweit nie "Rede und Antwort" stehen. Dass demgegenüber die, in der deutschen Rechtspraxis - im Gegensatz zur weiterhin möglichen Protokoll verlesung - für zulässig erachtete, schriftliche Befragung der anonymen V_Person l88 zu keinem Ausgleich führt, bedarf dabei keiner vertieften Ausführung. Denn eine Glaubwürdigkeitserschütterung im Wege der schriftlichen Befragung ist schlechterdings undenkbar. 189 Weil darüber hinaus auch die hohe Wahrscheinlichkeit besteht, dass an die Stelle der richterlichen Vernehmung die polizeiliche Vernehmung tritt, bei der der Verteidiger kein zwingendes Anwesenheitsrecht besitzt, besteht bei der Einführung von Tatsachen, die auf der Wahrnehmung einer V-Person beruhen, die Gefahr der Entziehung von grundlegenden Verfahrensgarantien. 190 Auf diese Problematik wurde im Rahmen der Ausführungen zum Unmittelbarkeitsprinzip bereits hingewiesen. 191 188 Dazu etwa BVeifG NJW 1996, 3408; BVerfGE 57, 250, 287; OLG Düsseldoif StV 1992,558,560; Gollwitzer GS-Meyer (1990), S. 147, 163; Weigend (1998), S. 63. 189 Vgl. Renzikowski StV 1999,605,610 Fn. 55 [a. E.]; Lesch JA 1995,691,701 m. w. Nw. in Fn. 112: "Der Beschuldigte und sein Verteidiger haben gegen einen letztlich unbekannten Gegner zu kämpfen, der nicht selbst vor Gericht und nicht unter Eideszwang steht, der nicht durch bohrende Zusatzfragen u.ä. in Widersprüche verwickelt sowie in die Enge getrieben werden kann, und dessen Glaubwürdigkeit als eigentlicher Belastungszeuge aus der Sicht des Angeklagten kaum zu erschüttern ist". Vgl. a. Bruns MDR 1984, 177, 178: "Für die Beurteilung seiner Aussage kommt es entscheidend auf seine Glaubwürdigkeit an, und die lässt sich sinnvoll und sachgerecht [ ... ] nur in öffentlicher Verhandlung (prüfen)." Weiterhin Asbrock in: 17.Strafverteidigertag - Rechtsstaatliehe Antworten auf neue Kriminalitätsformen (1993), S. 251, 257. 190 BGHst 33, 70, 73 f. unter Verweis auf Fezer JZ 1984,433,434. Vgl. weiterhin a. (betreffend die Situation in Italien) Moccia in: 17. Strafverteidigertag - Rechtsstaatliche Antworten auf neue Kriminalitätsfonnen (1993), S. 37, 59: "Die Verteidiger befürchten eigentlich, dass das Verfahren zu einem Prozess mit Gespenstern wird - und diese Gespenster sind die wichtigsten Zeugen der Anklage, die allzu leichtfertig für unerreichbar erklärt werden. Die Aussagen werden dann von übereifrigen und kooperationswilligen Angehörigen der Kriminalpolizei berichtet. Das System der prozessualen Sicherheiten und der Echtheit der Beweise wird so auf dem Altar der Schnelligkeit geopfert."

252

5. Kap.: Verhältnis des § 247a zu weiteren Vorschriften

3. V-Personen als problematische Beweismittel Da das Einschleusen von V-Personen in kriminelle Strukturen nicht ohne weiteres möglich ist, ist der Staat auf die Mitwirkung von Personen aus dem Umkreis der organisierten Kriminalität angewiesen. Daher gehören V-Leute "erfahrungsgemäß [ ... ] zu einem großen Teil dem kriminellen Milieu an. Sie haben häufig Zugang zu dem Kreis der Straftäter, ohne daß sie mit dem Gegenstand des Ermittlungsverfahrens in direktem Zusammenhang stehen".192 In der Mehrzahl der Fälle handeln V-Personen insoweit nicht aus altruistischen Motiven. Ein Eigeninteresse an der Mitwirkung kann sich daher etwa aus erhofften Vorteilen für ein eigenes Strafverfahren oder anderen rechtlichen Angelegenheiten, bspw. bei Fragen betreffend die Aufenthalts- oder Arbeitserlaubnis, ergeben. Oftmals bildet auch das (angemessene) Honorar den Beweggrund des Handelns. 193 Insoweit steht im Vordergrund des Tuns einer V-Person häufig eine irgendwie geartete "Belohnung", was die V-Person per se zu einem nicht unproblematischen persönlichen Beweismittel macht. 194 Diese Problematik gilt entgegen dem BGH 195 - wenn auch nicht in dieser Schärfe - auch bei der behördlichen V-Person, also dem Verdeckten Ermittier gern. § llOa Abs. 2. Denn zutreffend weist der EGMR in der Entscheidung van Mechelen . /. Niederlande 196 darauf hin, dass sich die Situation für verdeckt ermittelnde Beamte der Polizei von derjenigen desinteressierter Zeugen oder gar eines Opfers unterscheidet. So stehen Polizei beamte unter einer generellen Gehorsamspflicht gegenüber der staatlichen Exekutive und sind üblicherweise mit der Staatsanwaltschaft verbunden. Gerade wegen des polizeilichen Eigeninteresses könne man den Ermittlungsbeamten im Rahmen der Beweiswürdigung daher auch keine höhere Zuverlässigkeit als anderen Zeugen einräumen. 197 Insoweit müssen sie erst recht 191 192

114 ff.

Vgl. dazu die Ausführungen im 3. Kapitel, Abschnitt C., III. BGHst 32, 115, 121. Vgl. a. die angeführten Beispiele bei Lüderssen Jura 1985, 113,

Eschelbach StV 2000,390,391 und 396 f.; Weider StV 2000, 48, 49. Eschelbach StV 2000, 390, 396 f.: "Beweismittel von zweifelhaften Beweiswert". Explizit im Bereich der BtM-Kriminalität bestimmt sich die Höhe des Entgelts für den Einsatz der V-Person in erster Linie nach der jeweiligen Größe der Sicherstellungsmenge. Insoweit sind in der Praxis Fälle aufgetaucht, bei denen V-Personen "Mengensteuerungen" in der Weise vorgenommen haben, dass sie die sichergestellte Menge Rauschgift aus eigenen Beständen erhöhten, vgl. dazu Weider StV 2000, 48, 49. Vgl. a. Grünwald in: FS-Dünnebier (1982), 347,358. 195 Vgl. nur BGH NJW 1991,646 f.: "Bei ihnen (den verdeckt operierenden Polizeibeamten) besteht schon allgemein eine wesentlich größere Gewähr für die Zuverlässigkeit ihrer Angaben als bei sonstigen Informanten. Die GefalJr, dass der Angeklagte das Opfer ungerechtfertigter Verdächtigungen oder persönlicher Feindschaft wird, ist bei dieser Sachlage im wesentlichen ausgeschaltet." 196 EGMR StV 1997,617,619. 197 Vgl. dazu das häufig anzutreffende Zitat von Eb. Schmidt (in: MDR 1951, 5): Die Polizei betrachtet es leicht als Erfolg, wenn sie, gleichgültig mit welchen Mitteln, die Statistik 193 194

D. Zulässigkeit der Abschirmung des Zeugen?

253

einer unmittelbaren Befragung der Verteidigung ausgesetzt werden und dürfen nur unter außergewöhnlichen Umständen als anonyme Zeugen eingesetzt werden. 198 Schließlich gehört es doch "von Natur aus zu ihren Pflichten, [ ... ] Zeugnis in öffentlicher Sitzung abzugeben".199 4. Erste Schlussfolgerung für die audiovisuelle Abschirmung von "Zeugen mit zurückgenommener oder verborgener Identität"

Aus den hier nur überblicksweise dargestellten allgemeinen Ausgangspunkten wird bereits deutlich, dass im Falle der Einführung von Tatsachen in den Strafprozess, weIche letztlich auf der Wahrnehmung eines für die Aussage in der Hauptverhandlung gesperrten Zeugen beruhen, - insoweit erneut - mehrere gegenläufige Interessen in einem Spannungsverhältnis stehen, die miteinander in einen harmonischen Ausgleich zu bringen sind. 2OO Neben den oben benannten drei miteinander korrelierenden Interessen, seil. (1) dem Interesse an möglichst umfassender Ermittlung materieller Wahrheit, (2) dem Interesse des Zeugen an Schutz vor Gefährdungen seines Lebens und seiner Gesundheit sowie (3) dem Interesse des Beschuldigten an der umfassenden Gewährleistung von Verteidigungsrechten, tritt bei der Anonymisierung des Zeugen - wie ausgeführt - regelmäßig ein weiteres Interesse hinzu, nämlich (4) das Interesse der staatlichen Exekutive, dass der jeweilige Zeuge für weitere Einsätze nicht "unbrauchbar" wird, d. h. - im Fachjargon ausgedrückt: - "verbrennt". der von ihr Überführten vermehrt, und achtet nicht gern der unschuldigen Späne, die bei ihrem tatkräftigen Hobeln fliegen". Dazu a. Meyer-Mews NJW 2000, 916; Zaczyk StV 1993, 490,491. 198 EGMR StV 1997,617,619; Renzikowski JZ 1999, 60S, 610. 199 EGMR a. a. O. Vgl. weiterhin a. Zaczyk in: 17.Strafverteidigertag - Rechtsstaatliche Antworten auf neue Kriminalitätsformen (1993), S. 221, 227: "Der zweite Hinweis gilt der empirischen Seite des Einsatzes. Aus den Bestimmungen der StPO wird deutlich, dass es beim VE um das Einschleusen eines Polizeibeamten in einen Organisationskreis geht: der Einsatz ist auf Dauer angelegt. Nun handelt es sich um Beamte, und es ist gewiß grundsätzlich richtig, was das BVerfG dazu gesagt hat (BVerfGE 57, 281): Es gibt im Staat des Grundgesetzes keinen prinzipiellen Vorbehalt gegen die Tätigkeit der Polizei; ein Beamter ist vertrauenswürdig. Wenn man sich aber einmal realistisch vorstellt, dass er für eine längere Zeit in eine Szene eintaucht, in der wie etwa beim Rauschgifthandel auf verhältnismäßig einfache Weise viel Geld zu verdienen ist, dann sollte man sich doch einmal klarmachen, dass es hier zu verlockenden Situationen kommen kann. Auch Beamte haben Träume. Das ist wohlgemerkt kein genereller Verdacht, aber es kann eben zu Verstrickungen kommen, deren Konsequenzen dann bis hinein in die Hauptverhandlung wirken können". Weiterhin Asbrock in: 17.Strafverteidigertag - Rechtsstaatliche Antworten auf neue Kriminalitätsformen (1993), S. 251, 257: ,,Mit dem vermehrten Einsatz von Polizeibeamten im Milieu der Organisierten Kriminalität öffnet man zwangsläufig den Polizeiapparat dem Organisierten Verbrechen. Angesicht der großen Attraktivität eines vollständigen ,Seitenwechsels', der im Zwielicht der fingierten Identitäten nicht einmal überprüfbar wäre, besteht die Gefahr, dass Teile des Polizeiapparates vom Organisierten Verbrechen unterwandert werden." 200 Siehe dazu die einleitenden Ausführungen im 1. Kapitel.

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5. Kap.: Verhältnis des § 247a zu weiteren Vorschriften

Insoweit stellt sich die Frage, ob gerade im Hinblick auf die nunmehr mögliche Fernvernehmung des Zeugen gern. §§ 168e, 247a nicht ein bestmöglicher Ausgleich zwischen allen vier Interessen geschaffen werden könnte, was wegen der offensichtlich gegebenen Individualisierungsmöglichkeit des Zeugen beim Einsatz von Videokonferenztechnik davon abhängig ist, ob man die audiovisuelle Abschirmung des Zeugen für zulässig erachtet.

11. Die (Un-)Zulässigkeit einer optischen und I oder akustischen Abschirmung persönlicher Beweismittel 1. Die Sichtweise des BGH und die wohl h. M. in der Literatur

Die Frage der "Tarnung" eines Zeugen in der Hauptverhandlung wurde früher in der Rechtsprechung des BGH201 sowie der Instanzgerichte 202 zunächst für zulässig erachtet, bis der Große Senat im Jahre 1983 postulierte: "Ebensowenig erkennt das geltende Recht die Möglichkeit an, die Anonymität eines Zeugen zu wahren, der richterlich vernommen werden soll. Auch eine Beweisaufnahme unter optischer oder akustischer Abschirmung eines Zeugen, sieht das geltende Recht nicht vor".203 In der Gefolgschaft dieser Auffassung, dem sich trotz der marginalen Begründung des Großen Senats auch das überwiegende frühere Schrifttum204 anschloß, brauchte eine behördliche Sperrerklärung insoweit - im Rahmen der dritten Geheimhaltungsstufe _205 nicht die Möglichkeit der Abschirmung des Zeugen in den Blick zu nehmen bzw. konnte die - nach der Auffassung des BGH vom jeweiligen Gericht vorzunehmende - Piausibilitätsprüfung206 nicht zu dem Ergebnis der Rechtswidrigkeit der Sperrerklärung gelangen, wenn eine unmittelbare Vernehmung des Zeugen in der Hauptverhandlung nur unter Preisgabe seiner Identität möglich war. Im Hinblick auf die mit dem Zeugenschutzgesetz 201 BGRSt 31, 148, 156; 31, 290, 293; offengelassen in BGR NStZ 1982,42; zustimmend etwa Rebmann NStZ 1982, 315, 318 f. 202 Vgl. nur die Entscheidung des LG Bremen StV 1981, 19. 203 BGRst 32, 115, 124 f. 204 Vgl. etwa OLG Stuttgart NJW 1991, 1072; Bruns MDR 1984, 177, 178; Engels NJW 1983, 1530, 1532; Fezer JZ 1984,433; Grünwald in: FS-Dünnebier (1982), S. 348; Günther NStZ 1984, 34; Kreysel MDR 1996,991,992; Roxin Strafverfahrensrecht25 § 44 Rn. 8; Seelmann StV 1984,477 ff.; Tiedemann/Sieber NJW 1984,753,756. A.A. etwa Rerdegen NStZ 1984,97,101; Rebmann NStZ 1982,315,319. 205 Dazu siehe oben im 2. Kapitel, Abschnitt B.,l., 2., a), bb), (3). 206 Zur Nachprüfung der Sperrerklärung vgl. BGRst 36, 159, 162; 33, 178, 180; 29, 109, 112; Fezer in: in: FS-Kleinknecht, S. 113, 123; Geppert Jura 1992,244,249 ff. Der Tatrichter muss danach selbst eine von ihm für rechtswidrig angesehene Sperrerklärung hinnehmen, sofern diese nicht willkürlich oder offenkundig fehlerhaft ist. Eine willkürliche oder offenkundig fehlerhafte Sperrerklärung führt demgegenüber zu einem Beweisverwertungsverbot wegen Eingriffs der Verwaltungsentscheidung in den Grundsatz des fairen Verfahrens des Angeklagten.

D. Zulässigkeit der Abschirmung des Zeugen?

255

1998 geschaffene Möglichkeit der audiovisuellen Fernvernehmung des Zeugen gern. § 247a wurde dieser Standpunkt im Schrifttum überwiegend wiederholt, wobei über die Inbezugnahme der benannten Entscheidung des Großen Senats hinausgehend, eine nähere Begründung bei den Vertretern dieser Auffassung kaum zu finden ist. 207 Blickt man unter Berücksichtigung der alten Rechtslage auf das damit gefundene Ergebnis, so scheint dieses insoweit zu befriedigen, als eine Abschirmung des Zeugen durch Maske, Schminke, Verkleidung 208 oder der Verwendung eines Paravents 209 nicht in jeden Fall eine hinreichende Sicherheit bietet, dem behördlichen Interesse an der Wahrung der Identität der V-Person zu genügen. 210 Denn zu beachten ist, dass der Angeklagte die V-Person im Regelfall ja bereits anhand ihres Aussehens und ihrer Stimme kennt. 211 Selbst für den Fall der Verkleidung oder der Verwendung von Schminke usw. bestehen insoweit immer ex ante nicht sicher einschätzbare Möglichkeiten, dass die Aussageperson anhand ihrer Gestalt oder Stimme doch individualisiert werden kann.

2. Die Gegner dieser Sichtweise

Derartige Unsicherheiten im Hinblick auf die Möglichkeit der Identitätswahrung bestehen aber nicht bei einer audiovisuellen Fernvernehmung des Zeugen, wenn diese mit einer optischen und / oder akustischen Abschirmung verbunden wird. Denn die heutige Technik ermöglicht das Unkenntlichmachen der Gesichtszüge, des gesamten Gesichts, ja der gesamten Erscheinung des Zeugen. Darüberhinaus besteht auch die Möglichkeit einer Verfremdung der Sprache, und zwar in einer Weise, in der weder die Würde des Gerichts, noch die Würde der jeweiligen Aussageperson beeinträchtigt wird?12 Wohl aus diesem Grunde findet sich im neueren Schrifttum auch die Gegenauffassung zur gerade geäußerten, die Abschirmung ablehnenden Sichtweise. Unter expliziter Bezugnahme auf die durch das Zeugen207 Vgl. etwa Caesar NJW 1998, 2313, 2318; Eisenberg Beweisrecht, Rn. 1040; Kleinknecht I Meyer-Goßner -StP044 § 68 Rn. 18; Laubenthai StV 1996, 343; Mehrens Die Kronzeugenregelung (2001), S. 122; Renzikowski StV 1999,605,607 (vgl. a. Fn. 15); KK-StP04 Senge Vor § 48 Rn. 71; SchlüchterlGreffKrirninalistik 1998,530,533. 208 Vgl. dazu EGMR StV 1999,617,619 [van Mechelen .1. Niederlande] zur niederländischen Rechtslage des am 11. 11. 1993 in Kraft getretenen Zeugenschutzgesetzes. 209 Dazu Rebmann NStZ 1982, 315, 319. 210 Auf diesen Gesichtspunkt verweisen etwa TiedemannlSieber NJW 1984,753,756. 211 KMR-Lesch § 247a Rn. 19; Meyer ZStW 95 (1983), 834, 855. 212 Dazu etwa Rruns MDR 1984, 177, 179, wonach die Abschirmung als "entwürdigendes Justizspektakel" bzw. als das "Rebmannsche Gruselkabinett" (benannt nach dem damaligen, die Abschirmung befürwortenden Generalbundesanwalt) bezeichnet wird. Vgl. Tiedemannl Sieber NJW 1984, 753, 756, wonach die "Verbannung von Geheimniskrämerei und Mummenschanz aus dem Gerichtssaal [ ... ] auch der Würde des Gerichtsverfahrens" diene. Vgl. a. Abg. Reck BT-Plenarprotokoll 13/204 v. 14. 11. 1997, S. 18439.

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5. Kap.: Verhältnis des § 247a zu weiteren Vorschriften

schutzgesetz geschaffene Rechtslage wird danach auch die akustische und optische Abschirmung des Zeugen für zulässig erachtet. 213

3. Würdigung

Vergleicht man die Situation der optischen und / oder akustischen Abschirmung, soweit sie als ultima ratio eingesetzt wird, mit den dann zur Verfügung stehenden Alternativen, so wird schnell deutlich, dass die Auffassung, die eine audiovisuelle Abschirmung von Zeugen (jedenfalls) vermittels Videotechnik ablehnt, kaum überzeugen kann. Dies wird sich aus Gründen deutlich ableiten lassen, die sich aus der StPO wie der EMRK ergeben. Soweit diese Gründe bereits in anderem Zusammenhang benannt wurden, sollen sie dennoch kurz resümiert werden. Denn aus der Gesamtheit der zu benennenden Gründe ergibt sich klar und deutlich die Unhaltbarkeit der Sichtweise des BGH und seiner Anhänger?14 a) Erst-recht-Schluss-Argument Bedenkt man, dass neben der Abschirmung des Zeugen, so das vorgebrachte Argument des Großen Senats des BGH, auch andere in der Praxis geübte Verfahrensweisen in der StPO - bisher - keine explizite Regelung erfahren haben, man denke etwa an Urteilsabsprachen,215 den ,,zeugen vom Hörensagen,,216 oder die Verlegung der Hauptverhandlung an einen anderen Ort als Zeugenschutzmaßnahme, 217 so wird daraus deutlich, dass die Unzulässigkeit der audiovisuellen Abschirmung nicht einfach mit einer solchen Begründung behauptet werden kann. 218 Mehr als eine derartige Begründung findet sich bei den meisten Anhängern dieser Sichtweise aber kaum. b) Mit der Abschirmung geht eine geringfügige Verbesserung der Grundlagen für die Glaubwürdigkeitsbeurteilung einher Wenn weiterhin ausgeführt wird, die Abschirmung von Zeugen sei als unzulässiger Verstoß gegen das Gebot der körperlichen Anwesenheit und der unmittelbar 2I3 Etwa KK-StP04-Diemer § 247a Rn. 14; ders. NJW 1999, 1667, 1670; Weider StV 2000,48,52 ff.; WeiderlStaechelin StV 1999,51, 53. Vgl. weiterhin Jung GA 1998,313, 326; Weigend (1998), S. 128. 214 Zu den folgenden Gründen vgl. nur die umfassende und tiefgehende Analyse bei Weider StV 2000, 48, 52 ff. 215 Dazu vgl. nur BGHst 43,195 ff. m. w. Nw. 216 Dazu oben, im 3. Kapitel, Abschnitt c., 111. 217 V gl. dazu etwa Schomburg / Lagodny IRG3 Vor § 68 Rn. 34 m. w. Nw. 218 Weider StV 2000, 48, 52.

D. Zulässigkeit der Abschirmung des Zeugen?

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mündlichen Vernehmung des Zeugen anzusehen,219 so überzeugt dies für den Regelfall der völligen Sperrung des Zeugen von der Hauptverhandlung nicht. Denn andernfalls stehen bloße Beweismittel-Substitute für die Beweisgewinnung zur Verfügung. Bei der Einführung von beweisbedürftigen Tatsachen durch den ,,zeugen vom Hörensagen" kann für die Bewertung der Zuverlässigkeit der jeweiligen V-Person nur auf die Angaben des jeweiligen "V-Person-Führers" zurückgegriffen werden. Diese attestieren jedoch "erfahrungsgemäß [ ... ] ihren V-Leuten [immer] Zuverlässigkeit und Glaubwürdigkeit,mo. Es wäre weiterhin nur eine aussageimmanente Schlüssigkeitsprüfung der vorgebrachten Angaben möglich, und zwar ohne die Einbeziehung des Aussageverhaltens der Vemehmungsperson bei Sachbericht und Befragung. 221 Und zum Urkundenbeweis wurde an früherer Stelle schon ausgeführt, dass sich das Gericht einen persönlichen Eindruck über den Zeugen nicht bilden kann und eine Glaubwürdigkeitsbeurteilung des (gesperrten) Zeugen insoweit nicht möglich ist. 222

Insoweit kann die Abschirmung wenigstens dazu dienen, die mündliche Vernehmung des Zeugen in der Hauptverhandlung zu ermöglichen. Allenfalls, wenn die Unzulässigkeit der Abschirmung mit dem Einwand begründet wird, das Gericht könne sich "bei derartigen Verzerrungen der Persönlichkeit eines Zeugen kein eigenes Bild von der Glaubwürdigkeit der zu vernehmenden Person verschaffen,,223, handelt es sich zunächst um einen nicht unerheblichen Einwand. Denn zu beriicksichtigen gilt, dass sich ein Gericht in dem Falle, in dem die Aussageperson im Gerichtssaal nur im Gegenzug zur Nichtoffenbarung ihrer Identität aussagt, einen über die Vernehmung hinausgehenden Eindruck vom Zeugen nicht bilden kann. Insoweit wird die Möglichkeit zur Glaubwürdigkeitsbeurteilung bereits dadurch erheblich beschränkt. 224 Und dies gilt natürlich erst recht, wenn - beruhend auf einer So etwa Tiedemannl Sieber NJW 1984,753,756 f. Weider StV 2000, 48, 53. Vgl. weiterhin dens. a. a. 0.: "Es entsteht nicht selten der Eindruck, als ob die Erfolg der VP, ihre Zuverlässigkeit und Glaubwürdigkeit geschönt werden, denn in den Angaben der VP-Führer zu ihren V-Leuten fehlen in aller Regel negative Momente, etwa eigenständiges, unabgesprochenes Vorgehen, Abweichungen von Anweisungen, Auseinandersetzungen um die Entlohnung und Art und Weise des Einsatzes und fehl geschlagene Einsätze. Die VP erscheint in den Schilderungen als stets korrekt und perfekt funktionierendes Werkzeug, der menschliches Fehlverhalten oder Versagen fremd ist. Dies mag vor dem Hintergrund, dass die VP-Führer ihre eigene Arbeit durch negative Schilderungen nicht diskreditieren wollen, verständlich sein. Eine sorgfältige und gewissenhafte eigene Überprüfung der Glaubwürdigkeit einer VP und der Glaubwürdigkeit ihrer Angaben ermöglichen die Angaben der VP-Führer zu den V-Leuten jedoch nicht." Vgl. a. Lüderssen Jura 1985,113,114 f. sowie den Fall "Bullerjahn" bei Hirschberg Fehlurteil, S. 179 f. 221 Weider StV 2000, 48, 53. 222 Eschelbach StV 2000,390,397. 223 Kreysel MDR 1996,991,992. Vgl. a. Caesar NJW 1998, 2313, 2318; Eisenberg Beweisrecht, Rn. 1040. Dagegen Weider StV 2000, 48, 53. 224 Über Personen mit fehlenden oder falschen Angaben betreffend die eigene Identität können - anders als beim Urkundsbeweis - keine persönlichen Dokumente, etwa Strafregisterauszüge oder Geburtsurkunden, angefordert werden. Aus diesem Grunde hielt man vor 219

220

17 Rieck

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5. Kap.: Verhältnis des § 247a zu weiteren Vorschriften

Abschinnung - nun auch noch die audiovisuelle Wahrnehmbarkeit des Zeugen während seiner Aussage im Gerichtssaal erschwert bzw. unmöglich wird, weil allenfalls die Umrisse einer Gestalt sowie eine veränderte Stimme auf einen Monitor wahrnehmbar sind. Vergleicht man demgegenüber aber erneut die Alternative, nämlich die mit der Sperrung des Zeugen verbundene Heranziehung von bloßen Beweismittelsurrogaten, so trägt auch dieser Einwand nicht die Auffassung des BGH und der ihm folgenden Literaten. Trotz der Abschinnung bleibt ja zumindest die Beurteilung der (Aussage-)Zuverlässigkeit soweit möglich, als dass das auditiv wahrnehmbare Aussageverhalten, das man für die Glaubwürdigkeitsbeurteilung als nicht unerheblich anzusehen hat,225 im Rahmen des Sachberichts und der Befragung des Zeugen durch Gericht, Verteidiger bzw. Angeklagten wahrnehmbar ist. Insoweit könnte gerade die Abschinnung des Zeugen, wenn nur sie die Vernehmung der V-Person ennöglicht, sogar zu einer - geringfügigen - Verbesserung der Beurteilungsmöglichkeiten für das Gericht führen. 226 Und deshalb kann der vorgebrachte Einwand nicht gegen die Zulässigkeit einer derartigen Zeugenschutzmaßnahme sprechen. 227 c) Die gesetzgeberische Wertentscheidung der StPO Zur Entstehungsgeschichte des § 247a S. 1, 1. Alt. wurde bereits umfassend ausgeführt, dass gleichennaßen extrem gefährdete ErrniUlungsbeamte sowie Personen, die sich von ihrer kriminellen Vergangenheit losgesagt haben, vom Schutze der Vorschrift mitumfasst sein sollten. 228 Insoweit kann man dem heutigen, auf dem vorbenannten Perspektivenwechsel des Gesetzgebers beruhenden Gesetzesder Einfügung des § 68 Abs. 3 in die Strafprozessordnung die völlige Identitätsverweigerung auch für unzulässig und eine unter solchen Umständen gewonnene Aussage für unverwertbar, vgl. Kreysel MDR 1996, 991, 992. Vgl. a. Joachim StV 1992,245,247. 225 Vgl. dazu oben, im 4. Kapitel, Abschnitt B., II., 1. 226 Weider StV 2000, 48, 53: "Das vereinzelt vorgebrachte Argument gegen eine akustische und optische Abschirmung, die Verfahrensbeteiligten müssten Zeugen mit seiner Reaktion auf Fragen sehen können, um seine Glaubwürdigkeit richtig beurteilen zu können bzw. eine solche Tarnung würde gegen Art 103 GG verstoßen, da weder Verteidiger noch Angeklagte die Möglichkeit hätten, einen audiovisuellen Eindruck vorn Zeugen zu erhalten und dementsprechend Ausführungen zur Glaubwürdigkeit zu machen, erweist sich geradezu als absurd. Bei einern Verzicht auf die optische und akustische Abschirmung käme nur die Einführung der polizeilichen Vernehmung durch einen Zeugen vorn Hörensagen in Betracht, ohne dass die Verfahrensbeteiligten überhaupt eine Möglichkeit hätten, den Zeugen unmittelbar zu befragen. Erst das Verbot der audiovisuellen Abschirmung verhindert, überhaupt einen Eindruck von dem Zeugen zu gewinnen, seine Angaben einer kritischen Hinterfragung zu unterziehen und damit eine Glaubwürdigkeitsüberprüfung vorzunehmen. Es steht außer Zweifel, dass nur eine unmittelbare Befragung des Zeugen in der Hauptverhandlung den Ansatz für eine eigene Glaubwürdigkeitsprüfung bietet." 227 Im Ergebnis ebenso Grünwald StV 1984,56; Lesch JA 1995,691,702 Fn. 123. 228 Vgl. dazu die Ausführungen im 2. Kapitel, Abschnitt A., 11., 3.

D. Zulässigkeit der Abschinnung des Zeugen?

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wortlaut des § 247a S. 1, 1. Alt229 entnehmen, dass die Vorschrift offensichtlich (auch) auf die Vernehmungen von gefährdeten V-Personen zugeschnitten ist. 23o Weil im Regelfall ein effektiver Schutz dieser Zeugen aber nur dann möglich ist, wenn die - gegebenenfalls völlige - audiovisuelle Abschirmung dieser Personen für zulässig erachtet wird, könnte die in § 247a S. 1, 1. Alt. zum Ausdruck kommende gesetzgeberische Entscheidung - trotz einer mangelnden expliziten Stellungnahme im Gesetzgebungsverfahren zu dieser Frage - als Indiz für die Zulässigkeit der audiovisuellen Abschirmung interpretiert werden. Dies gilt jedenfalls, wenn man im Zusammenhang eine weitere, nämlich die im Jahre 1992 durch das OrgKG 231 bei § 68 getroffene (Abwägungs-)Wertentscheidung des Gesetzgebers berücksichtigt. 232 So kann dem Zeugen nach § 68 Abs. 3, I.Alt gestattet werden, die Angabe seiner Identität völlig zu unterlassen, wenn andernfalls "Leben, Leib oder Freiheit des Zeugen oder einer anderen Person gefährdet" wird. Weil in diesem Fall beim Vorliegen der Voraussetzungen, die bei einer V-Person regelmäßig zur Sperrung für eine Aussage in der Hauptverhandlung führen, die mit der mangelnden Identitätsoffenbarung - mangels Kenntnis der persönlichen Verhältnisse einhergehende Erschwerung der Glaubwürdigkeitsüberprüfung nunmehr explizit von Gesetzes wegen für zulässig erachtet wird,233 scheint es naheliegend, den sich daraus ergebenden Wertgedanken auch auf die Frage der Zulässigkeit einer audiovisuellen Abschirmung des Zeugen bei der Fernvernehmung zu übertragen. So spricht vieles dafür, in dem Fall, wo eine erhebliche Gefährdung des Zeugen droht, 229 Dazu, dass über den Umweg des § 247a S. 1,2. Alt nicht die besondere Subsidiaritätsanordnung des § 247a S. I, 1. Alt umgangen werden kann, m.a.w. § 247a S. 1, 1. Alt lex specialis für diejenigen Fälle ist, die den Zeugenschutz betreffen, vgl. Ausführungen im 2. Kapitel, Abschnitt B., 1., 2., a), bb). 230 So Caesar NJW 1998, 2313, 2315: ,,§ 247a StPO sieht vor, dass sich ein Zeuge während seiner Vernehmung in der Hauptverhandlung an einem anderen Ort - gegebenenfalls auch im Ausland - aufhalten kann und seine Vernehmung zeitgleich in Bild und Ton in den Sitzungssaal übertragen wird. Diese Lösung ist erkennbar auf die Vernehmung von Vertrauensleuten oder anderen höchstgefährdeten Zeugen zugeschnitten. Diese können sich zum Zeitpunkt der Hauptverhandlung im Rahmen eines Zeugenschutzprograrnms an einem unbekannten Ort im In- oder Ausland aufhalten und dennoch als Beweismittel in der Hauptverhandlung zur Verfügung stehen." 231 OrgKG v. 15.07. 1992-BGBl.I, S. 1302, 1306. 232 Darauf verweisen etwa KK-StP04 -Diemer § 247a Rn. 14; KMR-Lesch § 247a Rn. 20; Weider StV 2000, 48, 54. 233 Gerade auf diesen "Wertgedanken" hatte sich auch der Große Senat in BGHs ! 32, 115 ff. (127 f.) bezogen, wonach § 68 a.F. zwar hauptsächlich den Zweck habe, Personenverwechselungen zu venneiden, darüberhinaus aber auch eine verlässliche Grundlage für die Glaubwürdigkeitsbeurteilung geschaffen werden sollte. Insoweit war es nach damaliger Rechtslage allein möglich, den Wohnort, nicht aber die Identität bei Gefahren für den Zeugen zu verschweigen, so dass - in der Konsequenz der Auffassung des BGH - erst recht auch die Abschinnung nicht für zulässig erachtet werden konnte, vgl. a. Tiedemannl Sieber NJW 1984, 753, 755. Ob der BGH unter Bezugnahme auf die gesetzgeberische Entscheidung bei § 68 heutiger Fassung immer noch so urteilen würde, mag daher ernst und ehrlich bezweifelt werden.

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5. Kap.: Verhältnis des § 247a zu weiteren Vorschriften

die ohne entsprechende Zeugenschutzmaßnahmen zum Verlust des persönlichen Beweismittels führt, neben der Identitätswahrung auch weitergehende Zeugenschutzmaßnahmen (explizit die audiovisuelle Abschirmung) jedenfalls dann für zulässig zu erachten, wenn nur dieses Mittel den Verlust des persönlichen Beweismittels verhüten kann. Dagegen spricht jedenfalls nicht, dass "Identitätswahrung" und "völlige Abschirmung des Zeugen" im Hinblick auf die Reichweite der Einschränkung einer Glaubwürdigkeitsbeurteilung - wie gerade aufgezeigt - recht unterschiedliche "Seiten einer Medaille" sind. Denn die StPO erfordert, wie etwa die Unmittelbarkeits-Ausnahmevorschriften der §§ 251, 223, 255a zeigen, nicht in jedem Fall einen audiovisuellen Eindruck des Zeugen in der Hauptverhandlung, kann danach unter bestimmten Voraussetzungen auf die Vernehmung des Zeugen in der Hauptverhandlung sogar völlig verzichtet werden. So spricht gerade auch der in der StPO an verschiedenen Stellen zum Ausdruck gekommene Wille des Gesetzgebers für die Zulässigkeit einer audiovisuellen Abschirmung des Zeugen als ultima ratio. 234 d) Unmittelbarkeitsprinzip Im Hinblick auf den materiellen Aspekt des Unmittelbarkeitsprinzips ist der audiovisuell abgeschirmte Zeuge immer noch besseres Beweismittel als der ,,zeuge vom Hörensagen" oder ein Vernehmungsprotokoll. Gerade das Unmittelbarkeitsprinzip spricht insoweit für die Zulässigkeit seiner audiovisuellen Abschirmung, soweit andernfalls eine völlige Sperrung des Zeugen für die Hauptverhandlung erfolgen würde. Dann wären lediglich die benannten Beweissurrogate in der Hauptverhandlung verwertbar, mit der Folge, dass neben der eingeschränkten Glaubwürdigkeitsbeurteilung auch die - bei Abschirmung - mögliche unmittelbare und aktuelle Schilderung der Tatsachen durch den Zeugen in der Hauptverhandlung durch die Reproduktion der im Ermittlungsverfahren erlangten Aussagen ersetzt wird. Gerade dies verbietet aber das fundamentale Prinzip der Unmittelbarkeit. Und dies spricht wiederum evident gegen die Auffassung des BGH und seiner Anhängerschaft. 235 e) Verteidigungsrechte und die EMRK Wird bei der audiovisuellen Fernvernehmung des Zeugen in der Hauptverhandlung gerade das Fragerecht der Verteidigung, wie des Beschuldigten, auch bei der Abschirmung vollauf gewährleistet, gilt gleiches, wie es gerade benannt wurde, 234 Im Hinblick auf die geänderte Wertentscheidung des Gesetzgebers bei § 68 vgl. a. LG Frankfurt StV 1994,475,476; Lesch JA 1995,691,699; Zaczyk StV 1993,490,496. 235 Vgl dazu nur Weider StV 2000, 48, 53, entgegen Tiedemann/Sieber NJW 1984,753, 756.

D. Zulässigkeit der Abschinnung des Zeugen?

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auch hier. Andernfalls wäre nur eine schriftliche Befragung des jeweiligen Zeugen möglich und die unmittelbare Befragung der Beweisperson ausgeschlossen. Weil im Falle der Abschirmung - neben Verteidiger und Angeklagten - auch dem Gericht und der Staatsanwaltschaft die Möglichkeit der Befragung eingeräumt wird, kann der Grundsatz möglichst umfassender Aufklärung materieller Wahrheit bestmöglichst verwirklicht werden (§ 244 Abs. 2). Und wenn im Ausnahmefall sogar der völlige Verzicht auf eine (audiovisuelle) Vernehmung von Zeugen in der Hauptverhandlung möglich ist, explizit bei der Gefährdung von Beweispersonen aus Zeugenschutzgriinden, so muss doch "erst recht" die audiovisuelle Abschirmung des Zeugen für zulässig erachtet werden, wenn dadurch die Interaktionsrechte der Prozessbeteiligten gewährleistet werden. Entscheidend für die Zulässigkeit der audiovisuellen Abschirmung des Zeugen in der Hauptverhandlung - anstelle seiner alternativ gedachten Sperrung - spricht aber die Auslegung des Art 6 Abs. 3 lit. d EMRK, wie sie durch den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte in der Entscheidung van Mechelen . / . Niederlande Ausdruck gefunden hat. Es wurde bereits ausgeführt, dass der EGMR die hier gewählte Vernehmungsprozedur bemängelte, bei der sich die Zeugen mit dem Untersuchungsrichter allein in einem Zimmer aufhielten und man die Vernehmung dem Angeklagten und seinem Verteidiger sowie der Staatsanwaltschaft in einen anderen Raum (nur!) akustisch übertrug. Denn "dem Gerichtshof wurden keine ausreichenden Erklärungen vorgetragen, warum nicht weniger einschneidende Maßnahmen vorgesehen wurden".236 Im Hinblick auf die Beeinträchtigung der Verteidigungsrechte erscheint nun die gegebenenfalls völlige (audiovisuelle) Abschirmung des Zeugen im Wege der Vernehmungsprozedur des § 247a als eine weniger einschneidende Maßnahme. Denn im Hinblick auf die vom Gerichtshof bemängelte Einhaltung der Fairness des Verfahrens bietet sich für alle Verfahrensbeteiligten der gleiche Eindruck vom Zeugen, explizit die gleiche Möglichkeit der Beurteilung der Glaubwürdigkeit. Insoweit wird dem "Fair trial"-Prinzip wegen der Gewährleistung von "Waffengleichheit" zwischen den Prozessbeteiligten vollauf Genüge getan. 237 Dass wegen der Abschirmung des Zeugen nur eine akustische Verbindung besteht, steht dem nicht entgegen, weil sich die "Fairness" nach der Rechtsprechung des EGMR danach bestimmt, ob bei einer Betrachtung des Verfahrens als Ganzes "der Angeklagte eine angemessene und geeignete Gelegenheit enthält, einen gegen ihn aussagenden Zeugen in Frage zu stellen und zu befragen".238 Gerade mit Blickrichtung auf die mit einer völligen Sperrung des Zeugen EGMR StV 1997,617,619. Vgl. dazu nur Weider StV 2000, 48, 54. 238 EGMR StV 1990, 481[Kostovski ./. Niederlande]. In dieser Entscheidung stellt der EGMR fest, dass die Einvernahme eines "mittelbaren Zeugen" dem Angeklagten und seinem Verteidiger die Möglichkeit verwehre, Fragen an den Belastungszeugen zu stellen und durch eine unmittelbare Konfrontation mit dem Zeugen entweder im Vor- oder Hauptverfahren dessen Glaubwürdigkeit zu überprüfen. Weil die Verurteilung des Angeklagten in diesem Fall entscheidend auf der Aussage des anonymen Zeugen beruhte, wurde eine erhebliche Be236

237

262

5. Kap.: Verhältnis des § 247a zu weiteren Vorschriften

verbundene Einschränkung der Verteidigungsrechte einerseits, des Mangels einer Befragungsmöglichkeit der V-Person in der Hauptverhandlung wie in anderen Verfahrensabschnitten andererseits, muss die für alle Prozessbeteiligten sich aus der Abschirmung ergebende gleiche (verschlechterte) Beurteilungsmöglichkeit dem Fairnessprinzip und insoweit Art 6 EMRK genügen. 239 Insoweit widerspricht die optische und / oder akustische Abschirmung des Zeugen nicht den grundlegenden Vorgaben der EMRK, deren Beachtung für die Auslegung und Anwendung deutschen Strafprozessrechts verbindlich ist. Weil die Abschirmung als ultima ratio auch zu einer Stärkung der Verteidigungsrechte führt, muss ihre Anwendung - jedenfalls im Rahmen der audiovisuellen Videovernehmung - für zulässig erachtet werden.

IH. Schlussfolgerungen und Ergebnisse Die optische und/ oder akustische Abschirmung von Zeugen ist bereits nach der lex lata zulässig, wenn die Einführung von Tatsachen in den Strafprozess andernfalls nur durch einen "Zeugen vom Hörensagen" oder die Verlesung eines bei der Vernehmung der V-Person im Ermittlungsverfahren entstandenen Protokolls möglich ist. - Weil die Abschirmung des Zeugen zu einer weitgehenden Beeinträchtigung der Beurteilungsmöglichkeiten des Gerichts im Hinblick auf die Zuverlässigkeit des Zeugen führt, kann es sich bei dieser Zeugenschutzmaßnahme aber allenfalls um eine - im strengsten Sinne verstandene - ultima ratio handeln. Insoweit sind nach derzeitiger Gesetzeslage - notwendig - andere zeugenschützende Mittel, die zur Abwendung der Gefahr hinreichend sind, vorrangig anzuwenden. 24o Die völlige Sperrung des Zeugen iVm. mit der dann vorgenommenen Beweissurrogatverwertung wird insoweit in praxi nicht mehr aufrecht zu erhalten sein, wenn nicht an eine akustische und optische Abschirmung gedacht wurde. Daraufhin ist nunmehr auch eine behördliche Sperrerklärung zu überpriifen. Inwieweit durch die optische und/ oder akustische Abschirmung auch ein Ausschluss des Angeklagten von der Hauptverhandlung gern. § 247 - verbunden schränkung der Verteidigungsrechte gern. Art 6 EMRK angenommen. Vgl. weiterhin a. EGMR StV 1991, 193 [Windisch./ . Österreich]. 239 Weider StV 2000, 48, 54: "Wenn jedoch die audiovisuelle Abschirmung des Zeugen die Möglichkeit einer unmittelbaren und aktuellen Befragung durch den Angeklagten eröffnet, steht es außer Frage, dass dadurch der Forderung des EGMR nach einer effektiven Verteidigung durch die Möglichkeit einer Befragung des Zeugen eher entsprochen wird." Vgl. dazu a. Grünwald in: FS-Dünnebier (1982), 347, 360. 240 Also insbesondere die Entfernung des Angeklagten aus dem Sitzungssaal gern. § 247 und/ oder der Ausschluss der Öffentlichkeit gern §§ 172 ff. GVG, was freilich schon der Gesetzeswortlaut von § 247a S. 1, I. Alt nahelegt.

E. § 247a und Überprüfbarkeit tatgerichtlicher Entscheidungen

263

mit der Einschränkung der Verteidigungsrechte - vermieden werden kann,241 ist einerseits davon abhängig, von wem die zu befürchtenden Gefahr ausgeht (Angeklagten sowie Verteidiger?) und ob durch die gegebenenfalls audiovisuelle Abschirmung allein die Gefahr beseitigt werden kann. Erfolgt die Sperrerklärung des Zeugen trotz der angebotenen Möglichkeit einer optischen und akustischen Abschirmung etwa mit der Begründung, dem Angeklagten sei (auch) die Sprechweise des Zeugen bekannt,242 so dass selbst die Verfremdung der Stimme keine hinreichende Sicherheit der Gefahrabwendung biete, so muss - nach der derzeitigen Gesetzeslage - an eine Kombination der zeugenschützenden Maßnahmen (§ 247 + § 247a) gedacht werden. Wenn sich weiterhin die volle, insbesondere akustische Abschirmung des Zeugen dadurch verhindern lässt, dass man den Angeklagten aus dem Sitzungssaal entfernt, so kann auch in diesem Fall die explizit vom Gesetz vorgesehene Maßnahme nicht vermieden werden.

E. § 247a und revisionsgerichtliche Überprütbarkeit tatgerichtlicher Entscheidungen Gern. § 247a S. 2 ist die gerichtliche, durch Beschluss243 zu treffende Anordnung, dass der Zeuge sich während der Vernehmung an einem anderen Ort aufhält und die Aussage audiovisuell in die Hauptverhandlung übertragen wird, unanfechtbar. Dieser Regelung kommt lediglich revisionsrechtliche Bedeutung zu, weil sich der Ausschluss der Beschwerde bereits aus § 305 S. I StPO ergibt. 244 Damit, so scheint es, sei jegliche (Nicht-)Anordnung einer Videofernvernehmung der Revision grundsätzlich entzogen (§ 336 S. 2). Und gern. § 34 bräuchte das Gericht seinen Beschluss auch nicht mit (näheren) Gründen zu versehen. I. Unterscheidung zwischen Voraussetzungen und Rechtsfolge des § 247a

Dass diese, dem Gesetzeswortlaut voreilig entnommene Annahme nicht richtig sein kann, folgt bereits daraus, dass die Videofernvernehmung in einem engem Zusammenhang mit anderen Verfahrensvorschriften steht. So würde beispielsweise dann, wenn das Tatgericht eine audiovisuelle Fernvernehmung einer Aussageper241 So etwa KMR-Lesch § 247a Rn. 20; Weider StV 2000, 48, 53; WeiderlStaechelin StV 1999,51,53. 242 Dazu LG Frankfurt StV 1994,475,476; KMR-Lesch § 247a Rn. 19. 243 Dies lässt der Gesetzeswortlaut des § 247a zwar offen. Für die Erforderlichkeit des Gerichtsbeschlusses spricht aber, dass schon die gern. § 255a Abs. 1 iVm. § 251 Abs. 4 zu treffende Entscheidung über die Vorführung im Beschlusswege erfolgen muss, so Leitner StraFo 1999,45,48. 244 Rieß StraFo 1999, 1, 7 (Bei der Angabe des § 306 S. 1 handelt es sich offensichtlich um einen Druckfehler. Gemeint ist § 305 S. 1).

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5. Kap.: Verhältnis des § 247a zu weiteren Vorschriften

son vornimmt, ohne dass die tatbestandlichen Voraussetzungen der §§ 247a, 251 Abs. 1 Nr. 2-4 vorliegen, der Grundsatz der Unmittelbarkeit und insoweit auch die richterliche Aufklärungspflicht verletzt. Hierfür nun kann eine Revision nicht ausgeschlossen sein. Denn § 247a S. 2 vennag keinen Rechtmittelausschluss für die Verletzung anderer verfahrensrechtlicher Vorschriften zu begründen;245 im Beispielsfalle also §§ 250 S. 1,244 Abs. 2 StPO. Trotz § 247a S. 2 ist die revisionsgerichtliche Überprüfung der Entscheidung also möglich, wenn die Videofernvernehmung gern. § 247a S. 1, 1. Alt. bzw. §§ 247a S. 1, 2. Alt., 251 Abs. 1 Nr. 2 anstelle einer Vernehmung des Zeugen (in Person) im Sitzungssaal erfolgt, obwohl ein erheblicher Nachteil für das Zeugenwohl nicht droht246 bzw. die Voraussetzungen des § 251 Abs. 1 nicht vorliegen. 247 Gleiches wäre anzunehmen, wenn das Tatgericht die (bisherige) Subsidiaritätsanordnung der ersten Alternative des § 247a S. 1 nicht ernst nehme und mit der Begründung, es lasse sich hierdurch ein bestmöglicher Ausgleich zwischen den im Strafprozess konfligierenden Interessen finden, anstelle der Entfernung des Angeklagten aus dem Sitzungssaal (§ 247) den Zeugen von einem anderen Ort mittels Videotechnik vernimmt. 248 Und schließlich gilt dies etwa auch für die Ablehnung eines Beweisantrages wegen Unerreichbarkeit des Zeugen (§ 244 Abs. 3 S. 2 5.Alt), wenn der Gerichtsbeschluss erkennen lässt, dass das Tatgericht die Möglichkeit der audiovisuellen Fernvernehmung gern. § 247a außer Acht gelassen hat249 und das Urteil auf diesem Fehler beruht (§ 337 Abs. 1)?50 Denn auch dann wäre der Verstoß auf eine andere Vorschrift, nämlich § 244 Abs. 3, zurückzuführen. Die tatrichterliche Entscheidung zu § 247a muss daher immer dann der revisionsgerichtlichen Kontrolle unterliegen, wenn die gesetzlichen Tatbestandsmerkmale des § 247a durch das Tatgericht unzutreffend bejaht, verneint oder überhaupt nicht berücksichtigt wurden, weil hiermit im Regelfall eine Beeinträchtigung ande245 DiemerNStZ 2001,393,394; ders. StraFo 2000,217,219; KMR-Lesch § 247a Rn. 37; Rieß StraFo 1999, 1,7; Schlothauer StV 2000, 180, 183. 246 Etwa weil die Eltern eines kindlichen Zeugen die Vernehmung nur unter der Bedingung wünschen, dass sie in einem kindgerechten Zeugenzimmer erfolgt - und sie insoweit dann audiovisuell in die Hauptverhandlung übertragen werden müsste (siehe dazu im 2. Kapitel, Abschnitt B., 1., 2., a), bb), [4]). Zu den Begriffen des "erheblichen" und "schwerwiegenden" Nachteils vgl. im 2. Kapitel, Abschnitt B., I., 1., b), cc). 247 Diemer NStZ 2001, 393, 396; LR-StP025-Gollwitzer § 247a Rn. 32: "Hat das Gericht die audiovisuelle Vernehmung erkennbar aus anderen Gründen, als in § 247a angeführt, angeordnet, liegt sachlich gar kein Beschluss nach § 247a vor, der die Revision ausschließen könnte." 248 SK-StPO-Schlüchter § 247a Rn. 25. Dazu vgl. die Ausführungen betreffend das Verhältnis von § 247a und § 247 in diesem Kapitel, sub A., 11., 3. 249 Zum erweiterten Erreichbarkeitsbegrijf und der damit verbundenen Verpflichtung des Gerichts, die Möglichkeit einer Videofernvernehmung von Zeugen auch ohne einen entsprechend darauf gerichteten Antrag zu überprüfen vgl. nur Rose IR 2000, 77, 78. 250 BGH StV 1999, 580 ff.; BGH StV 2000, 345 (LG Offenburg); KMR-Lesch § 247a Rn. 12; Schlothauer StV 2000, 180, 182. Vgl. a. BGH StV 2000, 345, 346 f. (LG Essen).

E. § 247a und Überprüfbarkeit tatgerichtlicher Entscheidungen

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rer verfahrensrechtlicher Vorschriften korrespondiert. Der Rechtsmittelausschluss des § 247a S. 2 kann sich damit nur auf die Frage beziehen, ob das dem Gericht zustehende Ermessen bei der Anordnung oder der Ablehnung einer Videofernvernehmung sachgerecht ausgeübt wurde, nachdem das Vorliegen der tatbestandlichen Voraussetzungen außer Frage steht. 251 Doch wird man auch hier zu differenzieren haben, wie sogleich aufzuzeigen sein wird. 11. Vollständiger Ausschluss der revisionsgerichtlichen Nachprütbarkeit im Rahmen der gern. § 247a zu treffenden Ermessensentscheidung nach der Konzeption des Gesetzgebers

Aus dem Wörtchen "kann" sowie dem weiteren Wortlaut des § 247a S. 1 ("zur Erforschung der Wahrheit erforderlich") folgt eine Ermessensermächtigung für das Gericht. Demzufolge besteht nach der gesetzlichen Konzeption des § 247a keine gerichtliche Verpflichtung zur Durchführung einer Videofernvernehmung. Darauf wurde ja oben schon hingewiesen. 252 Vielmehr soll, so legt es jedenfalls die gesetzliche Auslegung nahe, durch das Gericht im konkreten Einzelfall entschieden werden, ob nicht anstelle eines "Videozeugen" bloße (reproduzierende) Beweissurrogate, insbesondere also das richterliche Vernehmungsprotokoll (§§ 251 Abs. 1, 223) oder die auf Bild-Ton-Träger konservierte Zeugenaussage (§ 255 Abs. 1), zur Beweisführung in der Hauptverhandlung herangezogen werden können. Nur auf diese, von der tatgerichtlichen Beurteilung der Aufklärungstauglichkeit abhängige (Ermessens-)Entscheidung, kann sich demnach der Revisionsausschluss des § 247a S. 2 beziehen. 253 Sowohl die anordnende wie die ablehnende, auf der Grundlage des § 247a S. 1 ergangene, Ermessensentscheidung des Gerichts wäre danach unanfechtbar und insoweit der revisions gerichtlichen Überprüfbarkeit entzogen, wenn das Gericht eine Auswahl zwischen mehreren (zulässigen) Beweismitteln trifft. Eine Aufklärungsrüge wäre dagegen (ausnahmsweise) möglich, wenn das Tatgericht die Vornahme einer audiovisuellen Vernehmung des Zeugen ablehnt und hierdurch überhaupt keine (verwertbare) Aussage des Zeugen mehr vorliegt. 254 Denn dann träfe das Gericht keine Auswahl zwischen zwei zulässigen Verfahrensweisen, sondern entschiede sich gegen die Beweiserhebung selbst. 255 Jede auf die Auswahl von mehDiemer NStZ 2001, 393, 395. Vgl. dazu die Ausführungen im 2. Kapitel, Abschnitt B., I., 2., a), bb) sowie Abschnitt B., I., 2., e). 253 Dazu vgl. KK-StP04-Diemer § 247a Rn. 22; ders. NStZ 2001, 393, 395 ff.; ders. StraFo 2000, 217 ff. 254 Die tatsächliche Möglichkeit zur Anwendung des § 247a unterstellt. 255 Diemer NStZ 2001, 393, 397: Gleichbehandlung mit den Fällen, in denen entgegen § 244 Abs. 2 ein Zeuge nicht vernommen oder die audiovisuelle Vernehmung überhaupt nicht geprüft wird. 251

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5. Kap.: Verhältnis des § 247a zu weiteren Vorschriften

reren Beweismitteln gerichtete Aufklärungsrüge sowie die Rüge einer unzulässigen Beschränkung der Verteidigung (§ 338 Nr. 8) können demgegenüber nicht möglich sein, weil sie eine Umgehung des § 247a S. 2 bedeuten würden?56 III. Würdigung

1. Es fragt sich aber, ob diese, sich zugegebenermaßen aus dem Gesetz ergebende Beschränkung der gerichtlichen Überprüfbarkeit überzeugt. Dies wird sie nur denjenigen, der sich im Hinblick auf die gesetzgeberische Verknüpfung des § 247a S. 1, 2. Alt. mit - dem Ausnahmetatbestand des - § 251 Abs. 1 auf den Standpunkt stellt, die Videofernvernehmung reduziere die Grundlagen der richterlichen Überzeugungsbildung ganz erheblich, weil "ihr Nutzen für die Sachaufklärung aufgrund ihrer Defizite nur als eingeschränkt beurteilt werden kann,,?57 Insoweit ist dann auch nachvollziehbar, dass man den "Videozeugen" (nur) auf der Stufe eines Beweissurrogats ansiedelt; die Videovernehmung also etwa der Verlesung von (Vernehmungs-)Protokollen gleichzustellen ist. Und gleichermaßen verständlich wird dann auch die Interpretation der Regelung des § 247a S. 2 in der Weise, dass die revisions gerichtliche Überprüfbarkeit tatgerichtlicher Entscheidung sich nicht auf die Fragen erstreckt, ob - im Falle der Anordnung einer Videofernvernehmung - die Verlesung von Vernehmungsniederschriften bessere Ergebnisse für die Wahrheitsfindung erbringt, als die "unmittelbare" Vernehmung eines "Videozeugen" bzw. andersherum, ob - im Falle der Ablehnung einer Videofernvernehmung - die Vernehmung des "Videozeugen" für die Sachaufklärung besser geeignet ist, als das Abspielen der konservierten Zeugenaussage oder die Protokoll verlesung in der Hauptverhandlung. 2. Soweit man demgegenüber mit der hier vertretenen Auffassung in der Videovernehmung keine Ausnahme, sondern eine (sinnvolle) Ergänzung des Unmittelbarkeitsprinzips erblickt, weil der heutige Stand der Technik eine annähernd analoge Vernehmung des (Durchschnitts-)Zeugen erlaubt und nicht befürchtet zu werden braucht, dass weitgehende Nachteile für die Wahrheitsfindung eintreten, so folgt daraus auch die Möglichkeit zu einer anderen Interpretation des Rechtsmittelausschlusses in § 247a S. 2. Bei einem Vergleich des "Videozeugen" mit den nur reproduzierenden Beweismitteln wurde oben bereits umfassend ausgeführt, dass die Videovernehmung wegen ihrer Möglichkeit, von dem (Durchschnitts-)Zeugen und seinem Aussageverhalten einen "lebendigen Eindruck" zu erhalten, per se eine viel weitgehendere Aufklärung materieller Wahrheit ermöglicht als die Beweisführung mittels Beweissurrogaten. 258 Insoweit trifft es nicht zu, wenn vor allem Diemer - in seinen Publikationen immer wieder - die Nachteile zu § 247a (in generelDiemer NStZ 2001, 393, 397. So Diemer NStZ 2001, 393, 397. 258 Vgl. dazu bereits oben. A.A. Diemer NStZ 2001, 393, 396 entgegen Schlothauer StV 1999,47,53 und Sinn JZ 2001, 51, 52. 256

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E. § 247a und Überprüfbarkeit tatgerichtlicher Entscheidungen

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ler Weise!) besonders betont und damit auf nichts anderes verweist, als auf die Sichtweise, der "Videozeuge" stehe auf gleicher Stufe mit Vernehmungsniederschriften. 259 Und auch der Anknüpfung des § 247a S. 1, 2. Alt. an § 251 Abs. 1 Nr. 2-4 muss dies nicht zwingend entnommen werden. Denn "während es in den Fällen des nicht zu beseitigenden Hindernisses, das dem Erscheinen des Zeugen in der Hauptverhandlung entgegensteht (§ 251 Abs. 1 Nr. 2), darum geht, die Aussage des Zeugen unter ausnahmsweiser Einebnung des Unmittelbarkeitsgrundsatzes doch noch in die Hauptverhandlung einzuführen, weil sie auf anderem Wege nicht erreicht werden kann, ist dies bei § 247a StPO anders. Hier kann die Zeugenaussage anders erreicht werden und dies "sogar in prozessual besserer Art und Weise [ ... ]".260 Besteht also sehr wohl ein "Stufenverhältnis der Beweismittel" zwischen dem "Videozeugen" und bloßen Beweissurrogaten und kann daher entgegen dem 4. Strafsenat des BGH keine echte "Konkurrenz,,261 zwischen ihnen bestehen, so muss das Tatgericht bei einer ablehnenden Entscheidung zu § 247a auch darlegen, warum es die Vernehmung des "unmittelbaren" Videozeugen in der Hauptverhandlung für die Wahrheitsfindung nicht als ausreichend / erforderlich ansieht und sich mit einem - außerhalb der Hauptverhandlung angefertigten - Beweissurrogat zufrieden gibt. Denn dies ergibt sich unmittelbar aus der Amtsaufklärungspflicht des § 244 Abs. 2. Insoweit überzeugte dann aber auch kein Ausschluss revisionsgerichtlicher Überprüfbarkeit dieser Entscheidung gern. § 247a S. 2, etwa weil in der Zulassung der Aufklärungsrüge eine Umgehung des § 247a S. 2 zu erblicken wäre. 262 Und demzufolge ist der Rechtsmittelausschluss des § 247a S. 2 allein auf die gerichtliche Entscheidung reduziert, die eine (positive) Anordnung des § 247a, also die Vornahme einer Beweisführung mittels "Videozeugen", betrifft. Für diese restriktive Interpretation des § 247a S. 2 findet sich ein gewisser Anhaltspunkt in den Gesetzesmaterialien des Koalitationsentwurfs der Regierungsfraktionen. Danach soll die "Anordnung der Videovernehmung" nicht anfechtbar sein, "um Verfahrensverzögerungen und Unsicherheiten im Prozess zu vermeiden".263 Eine "Anordnung" ist aber etwas anderes als die "Ablehnung". Weiterhin spricht dafür, dass man hierdurch eine revisions gerichtliche Ungleichbehandlung von § 247a einerseits, §§ 247, 251 andererseits vermeidet, die nicht zu rechtferti259 Was dann explizit so auch angenommen wird, vgl. Diemer NStZ 2001, 393, 397 (li. Sp. 5. Zeile). 260 So Sinn JZ 2001, 51, 52. Vgl. dazu bereits die obigen Ausführungen im 2. Kapitel, Abschnitt B., 11., 2., e). 261 BGH Vrt. v. 18.05.2000 - 4 StR 647/99 - NJW 2000,2517,2518 = StV 2000, 345, 346 =JZ 2001, 49, 50. Vgl. a. Diemer NStZ 2001,393,396. 262 So Leitner StraFo 1999,45,48; KMR-Lesch § 247a Rn. 36 f.; HK-StP0 3-Julius § 247a Rn. 19; Rieß StraFo 1999, 1,7; Rose JR 2000, 77, 78; SK-StPO-Schlüchter § 247a Rn. 25: "Wenn das Gericht [ ... ] seine ihm durch § 244 Abs. 2 aufgegebene Pflicht verletzt, den Sachverhalt bestmöglichst aufzuklären, eröffnet dies grundsätzlich die Aufklärungsrüge. Dies gilt vor allem für das Verbleiben im Vrkundenbeweis unter Verstoß gegen § 244 Abs. 2, obwohl § 247a S. 1 die der Wahrheitsermittlung dienlichere Videoübertragung geboten hat." 263 CDU/CSU/FDP-Fraktion BT-Drs. 13/7165, S. 10 (re. Sp.).

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5. Kap.: Verhältnis des § 247a zu weiteren Vorschriften

gen wäre. Denn einerseits steht § 247a im engen Zusammenhang mit §§ 247, 251 , welche die rechtsstaatliche Wahrheitsfindung und die Verteidigungsinteressen des Angeklagten nicht stärker berühren, deren Verletzung aber mit der Revision angegriffen werden kann. 264 Andererseits tritt die Fragwürdigkeit einer revisionsrechtlichen Ungleichbehandlung auch bei einem Vergleich der Voraussetzungen der §§ 247, 247a, die partiell übereinstimmen und woran § 247a angelehnt wurde, offen zu Tage. 265 Und schließlich wäre nur schwer verständlich, warum etwa die (rechtsfehlerhafte) Ablehnung der kommissarischen Vernehmung eines Zeugen nach §§ 244 Abs. 2 und 3 zum Gegenstand einer Revision gemacht werden könnte, nicht aber die Ablehnung der - offensichtlich effektiveren - Möglichkeit einer audiovisuellen Fernvernehmung des Zeugen in die jeweilige Hauptverhandlung. 266 Obzwar das jeweilige Tatgericht im Einzelfall also - anders als im Falle des

§ 250 S. 2 für die Vernehmung des Zeugen im Sitzungssaal der Hauptverhandlung - bei der Wahl der Beweismittel freier ist und der Wortlaut des § 247a S. 1,2. Alt. ("zur Erforschung der Wahrheit") erkennen lässt, dass § 247a nicht in jedem Fall

der Verlesung eines richterlichen Protokolls oder dem Abspielen einer Bild-Ton Aufzeichnung vorgeht, so muss das Gericht im Rahmen des Gerichtsbeschlusses zu § 247a S. 1 auch die Tatsachen angeben, auf die es die Heranziehung von bloßen Beweissurrogaten stützt. Solche Tatsachen können sich derzeit nun etwa daraus ergeben, dass sich das Tatgericht mangels entsprechender zur Verfügung stehender (moderner) Technik, momentan (noch) nicht in der Lage sieht, eine Videofernvernehmung durchzuführen und ein Videokonferenzraum nicht angemietet werden konnte. Und gleiches gilt etwa auch, wenn die übrigen, bereits durch das Gericht erhobenen Beweise nach der Auffassung des Gerichts die Gewähr ausreichender Sachaufklärung bieten, so dass die Videofernvernehmung eines (weiteren) Zeugen keine Veränderung der gerichtlichen Überzeugung (§ 261) mehr zu begründen vermag. IV. Schlussfolgerungen und Ergebnisse

- Für die Frage nach der revisionsgerichtlichen Überprüfbarkeit der zu § 247a getroffenen gerichtlichen Entscheidung, ist zunächst zwischen der Voraussetzungsseite und der Rechtsfolge des § 247a zu unterscheiden. Der Rechtsmittelausschluss des § 247a S. 2 bezieht sich allenfalls auf die Frage, ob das dem Gericht zustehende Ermessen sachgerecht ausgeübt wurde, nachdem das Vorliegen der tatbestandlichen Voraussetzungen außer Frage steht.

264 265 266

KMR-Lesch § 247a Rn. 36. KMR-Lesch § 247a Rn. 36. Schlothauer StV 2000, 180, 183.

E. § 247a und Überprütbarkeit tatgerichtlicher Entscheidungen

269

- § 247a S. 2 steht einer revisionsgerichtlichen Überprüfbarkeit der gerichtlichen Entscheidung nur entgegen, soweit sie eine (positive) Anordnung der audiovisuellen Fernvernehmung betrifft.

- Die Revision kann demgegenüber nicht ausgeschlossen werden, wenn das Gericht die Vornahme einer Videofernvernehmung ablehnt und sich mit einem (reproduzierenden) Beweissurrogat begnügt. Denn eine etwaige Verletzung des Gebots des bestmöglichen Beweises muss auch die Möglichkeit zur Aufklärungsrüge nach sich ziehen, soll keine revisionsrechtliche Ungleichbehandlung mit anderen Verfahrensweisen bei der Beweiserhebung hergestellt werden. Aus dem Gerichtsbeschluss muss sich also erkennen lassen, warum das Gericht von der Fernvernehmung des Zeugen absieht. - Sowohl die Rüge über die Verletzung des § 250 S. 1 oder die Rüge der unzulässigen Beschränkung der Verteidigung (§ 338 Nr. 8) sind insoweit möglich. Gleiches gilt, wenn das Gericht einen Beschluss über die Nichtanordnung des § 247a überhaupt nicht trifft. - Irreversibel ist dagegen die Anordnung der Aufzeichnung gern. § 247a S. 4 bzw. deren Unterlassung. Dies folgt nicht aus § 247a S. 2, der nach Wortlaut und systematischer Stellung allein auf § 247a S. 1 bezogen ist, sondern aus der mangelnden Beschwer des Zeugen. 267

267

LR-StP025 -Gollwitzer § 247a Rn. 33.

6. Kapitel

Die Anwendung der Videotechnik bei Auslandszeugen Den bisherigen Überlegungen wurde zugrundegelegt, dass die Videofernvernehmung allein auf deutschem Territorium stattfindet. Nur vereinzelt wurde bisher auf die Fragen eingegangen, die sich stellen, wenn es sich bei der Aussageperson um den Bürger eines anderen Staates handelt, der sich nicht auf deutschem Staatsgebiet autbält. In diesem Kapitel soll nun abschließend der grenzüberschreitenden Videofernvernehmung nähere Aufmerksamkeit gewidmet werden. Dabei soll im Anschluss auch zum Rechtsinstitut des "freien Geleits" Stellung bezogen werden, das bereits an friiherer Stelle als zeitlich beschränktes prozessuales Verfolgungshindernis gekennzeichnet wurde. 1

A. Begriff und Bedeutung des "Auslandszeugen" Wenn von einem Auslandszeugen die Rede ist, so ist damit derjenige Zeuge gemeint, der sich im Ausland aufhält und dessen Ladung im Ausland zu bewirken (§ 244 Abs. 5 S. 2) ist. Mit der permanent fortschreitenden Internationalisierung aller gesellschaftlichen Bereiche macht auch die Kriminalität an den Grenzen der Staaten nicht Halt. Was für die Bekämpfung der Organisierten Kriminalität sowie des Terrorismus bereits hervorgehoben wurde, gilt daher auch für andere "Bereiche" des Strafrechts. 2 In der Verfahrenspraxis der Gerichte, Staatsanwälte und Strafverteidiger kommt der Vernehmung von Auslandszeugen insoweit auch eine steigende Bedeutung zu. 3

B. Gründe und rechtliche Kriterien für die Videofernvernehmung von Auslandszeugen Im Hinblick darauf interessiert zunächst, welche Griinde gerade für die Durchführung einer grenzüberschreitenden Videofernvernehmung von Auslandszeugen 1 2

3

Vgl. dazu die einleitenden Ausführungen im 1. Kapitel, Abschnitt C .• III. So Rose wistra 1998, 11. Rose wistra 1998, 11.

B. Die Videofernvernehmung von Auslandszeugen

271

sprechen. Im Anschluss daran steht im Mittelpunkt, welche Zulässigkeitskriterien de lege lata et ferenda erfüllt sein müssen, damit eine Vernehmung von Zeugen mittels Videokonferenztechnik durchgeführt werden kann. I. Gründe für die Durchführung grenzüberschreitender Videokonferenzen

1. Die Durchsetzbarkeit der gerichtlichen Verpflichtung gern. §§ 250 S. 1, 244 Abs. 2, einen Zeugen in der Hauptverhandlung zu vernehmen, ist bei einer Aussageperson, die sich im Ausland aufhält, nicht ohne weiteres möglich. Es bestehen dafür rechtliche wie verfahrenspraktische Hindernisse: Zunächst kann das Erscheinen des Zeugen vor dem deutschen Gericht nicht erzwungen werden. 4 Anders als beim Aufenthalt der Beweisperson auf deutschem Staatsgebiet ist man insoweit auf ihr freiwilliges Erscheinen angewiesen. 5 Gerade diese Bereitschaft besteht aber in einer Vielzahl von Fällen nicht. 6 Denn zunächst ist eine Auslandsreise für den Zeugen oftmals mit einem erheblichen zeitlichen Aufwand verbunden. Beruflich stark eingebundene Personen werden daher ihren (Erholungs-)Urlaub kaum investieren wollen, um in einem Strafverfahren auszusagen, das in einem anderen Staat durchgeführt wird. Weil die Zahlung eines Reisekostenvorschusses regelmäßig nur auf (umständlichem) Wege gewährt wird, steht der Erscheinensbereitschaft weiterhin auch die ggf. mangelnde Vorfinanzierung von Reisekosten7 entgegen. Hat der Zeuge darüber hinaus Strafverfolgung seitens deutscher (Strafverfolgungs-)Behörden zu befürchten, so ist die Erscheinensbereitschaft oftmals von vornherein ausgeschlossen. Denn obwohl der Aussageperson jedenfalls im Geltungsbereich des Europäischen Rechthilfeübereinkommens "freies Geleit" zugesichert wird, 8 ist das schlichte Nichterscheinen viel sicherer und unproblematischer. Und auch sonst hat das Nichterscheinen keinerlei Konsequenzen, weil der Aufenthaltsstaat des Zeugen das Nichterscheinen vor dem fremden Gericht nicht mit Nachteilen belegt. 9 Es bedarf insoweit keiner langwierigen Teilnahme an Gerichtsverhandlungen mit Auslandsbezug, um zu beobachten, wie deutsche Richter oftmals feststellen müssen, dass der ordnungsgemäß geladene Auslandszeuge (erneut) zur Hauptverhandlung nicht erschienen ist. Vgl. nur Lagodny StV 1989,92. Lagodny StV 1989,92; Linke EuGRZ 1980, 155, 156. 6 Dazu etwa Wenger Beweisanträge, S. 19; S. 64. 7 Vgl. dazu Nr. 79 RiVASt. 8 Vgl. Art 12 Abs. I EuRHÜbk. 9 Vgl. a. Art 8 EuRHÜbk: "Der Zeuge oder Sachverständige, der einer Vorladung, um deren Zustellung ersucht worden ist, nicht Folge leistet, darf selbst dann, wenn die Vorladung Zwangsandrohungen enthält, nicht bestraft oder einer Zwangsmaßnahme unterworfen werden, sofern er sich nicht später freiwillig in das Hoheitsgebiet des ersuchenden Staates begibt und dort erneut ordnungsgemäß vorgeladen wird." 4

5

272

6. Kap.: Die Anwendung der Videotechnik bei Auslandszeugen

Ein Ausweg aus dieser Situation folgt nun weiterhin nicht daraus, dass das jeweilige (Tat-)Gericht zur Wahrung eines unmittelbaren Eindrucks von der Aussageperson den Weg zum Zeugen sucht. Denn abgesehen von der rechtlichen Zulässigkeit einer Vernehmung des Zeugen durch das deutsche Gericht im Ausland, werden die verfahrenspraktischen Schwierigkeit nur verlagert. Darüber hinaus bestehen benannte Umständlichkeiten oftmals in größerem Ausmaß, wenn das Gericht ins Ausland reist: 10 Ein kurzer Blick in die Justizpraxis reicht, um eine gewisse Vorstellung von den angesprochenen Umständen zu erhalten, die eintreten können, wenn das Gericht den Weg zum (Auslands-)Zeugen sucht. Dies mag ein Beispiel verdeutlichen, das dem Verfasser geschildert wurde: In einem Prozess der großen Strafkammer eines deutschen Landgerichts gegen einen Angeklagten, dem u. a. erhebliche Verstöße gegen das BtMG vorgeworfen worden, suchte das gesamte Gericht nebst Staatsanwalt und den beiden Pflichtverteidigern einen Zeugen in der Türkei auf, der zum unmittelbaren Erscheinen vor dem Gericht nicht bereit gewesen war. Weil bereits im Vorfeld des Prozesses Morddrohungen gegen das Gericht wie den Staatsanwalt aus dem Umfeld des Angeklagten bekannt geworden waren, erfolgte jeder Prozesstag nur unter erheblichen Sicherheitsvorkehrungen. Und dies nun bedingte bei der Zeugenvernehmung des Tatgerichts im Ausland auch die Mitreise mehrerer Polizeibeamte als Personenschützer, damit die Sicherheit gewährleistet werden konnte. Bereits auf dem Hinweg zum Flughafen kam es zu einem Zwischenfall, weil ein Verkehrsteilnehmer vorschriftswidrig die Kolonne von mit Sondersignal fahrenden gepanzerten Limousinen "berührte". Weil aufgrund der Vielzahl von Personen die Buchung eines Liniendirektfluges "erster Klasse" vom nächstgelegenen Flughafen nicht möglich war, musste auf der Hinreise ein Zwischenstopp eingelegt und umgestiegen werden. Hier nun wurde wegen eintretender Verspätungen unglücklicherweise der Anschlussflug verpasst, so dass das Gericht und der Staatsanwalt gezwungen waren, umzubuchen und stundenlang auf dem Flughafen auszuharren. In der Türkei sodann angekommen, fehlte schließlich das gesamte Gepäck der "Reisenden", so dass das Gericht gezwungen war, sich in der Türkei mit entsprechender anderer Kleidung auszuhelfen.

Berücksichtigt man weiterhin, dass nach der deutschen Verfahrensordnung ll grundsätzlich auch andere Verfahrens beteiligte ein Recht zur Anwesenheit bei der Zeugenvernehmung besitzen, so wird auch die Reise des Verteidigers (und gegebenenfalls sogar des Angeklagten) zum Vernehmungsort im Ausland notwendig. Denn nur dann besteht ja die Möglichkeit, Verteidigungsrechte umfassend wahrzunehmen. Gestaltet sich demgegenüber die Vernehmung des Zeugen im Ausland durch einen ersuchten - ausländischen - Richter, Konsularbeamten 12 bzw. einer 10 Zur Wirtschaftlichkeit des Strafverfahrens im Hinblick auf § 244 Abs. 2 sowie den Unterschieden zwischen der rechtlichen und der faktischen Bedeutung vgl. nur Kühne Strafprozessrecht, § 14 Rn. 279 ff., 285. Dazu a. die Ausführungen in Fn. 121 im zweiten Kapitel. II Gern. § 224 Abs. 1 StPO sowie Art 6 Abs. 3 lit.d EMRK. Demgegenüber kennen andere Verfahrensordnungen eine kommissarische Zeugenvernehmung außerhalb der Hauptverhandlung nur im Rahmen der gerichtlichen Voruntersuchung, die jedoch grundsätzlich geheim durchgeführt wird, so dass die Anwesenheit des Angeklagten und seines Verteidigers ausdrücklich untersagt ist. Vgl. etwa Belgien: Art 73 Code d' instruction criminelle; Frankreich: Art 102 Abs. 1 Code de procedure penale sowie Österreich: Art 162 Abs. 1 StPO.

B. Die Videofernvernehmung von Auslandszeugen

273

nach dem jeweiligen Recht zuständigen ausländischen Behörde I3 gern. § 223 einfacher, so hilft dies bei bedeutenden Zeugen nicht weiter. Denn wie an früherer Stelle umfassend ausgeführt wurde, führt dies zu Nachteilen bei der Beweisführung. 14 Richtigerweise hat insoweit auch der BGH entschieden, dass auf die kommissarische Vernehmung verzichtet werden muss, wenn es sich um eine für das Verfahren bedeutende Aussage des Zeugen handelt. 15 2. Gerade die Videofernvernehmung des Zeugen könnte nunmehr der Ausweg für alle Beteiligten sein. 16 Sowohl das Gericht als auch die anderen Verfahrensbeteiligten erhalten ohne (umständliche,17 kostenintensivel 8 und gegebenenfalls gefahrvolle 19) Reise ins Ausland einen "unmittelbaren" Eindruck von dem sich im Ausland aufhaltenden Zeugen. Die Vernehmung des Zeugen könnte zudem aufgezeichnet und die Aufzeichnung könnte bei Unklarheiten im Verlaufe des weiteren Verfahrens erneut herangezogen werden. Und auch für den Zeugen entfielen etwaige Nachteile, wird bei einer Videofernvernehmung vom Aufenthaltsort Zeit und Geld der Aussageperson geschont. Dies dürfte wiederum mit einer erleichterten Zusage korrespondieren, die Aussage audiovisuell vor dem "ausländischen Gericht" zu tätigen. Insoweit wird einer "Flucht des Zeugen aus seiner Zeugenrolle"2o bestmögliehst vorgebeugt. Schließlich könnte weiterhin auch die Beweisaufnahme in gewohnter Art und Weise, nämlich nach den Verfahrensvorschriften des erkennenden Gerichts, erfolgen, wobei zu vermuten ist, dass die Videokonferenz mit dem Auslandszeugen insgesamt zu einer Verfahrensbeschleunigung führt. 21 Gerade diese Gründe führten wohl dazu, dass sowohl in den Statuten der Internationalen UN-Gerichtshöfe 22 als auch in Art 10 des Übereinkommens zur Ergänzung des Vgl. § 15 KonsularG. KK-StP0 4 -Tolksdolj"§ 223 Rn. 25. 14 Vgl. dazu die Ausführungen im 3. Kapitel, Abschnitt C., I., 2. sowie im 5. Kapitel, Abschnitt B., I., 2. 15 BGBs! 13, 300, 302; BGB StV 1992,548. Vgl. a. Schomburg/Lagodny IRG 3 Vor § 68 Rn. 33. 16 Dies legen bereits literarische Stellungnahmen nahe, die sich - z.T. - weit vor der Schaffung des § 247a finden. Vgl. etwa Lammasch Auslieferungspflicht und Asylrecht (1887), S. 863. Aus neuerer Zeit etwa: Unger NJW 1984, 416; Vogler bei: Krümpelmann ZStW 79 (1967), 390, 395. 17 Vgl. dazu die Fallbeispiele bei Botting I Trenchard The Advocate 55 (1997), 523. 18 Vgl. nur BottinglTrenchard The Advocate 55 (1997), 523; Meadows Law Institute Journal Vol. 70 (1996), 17 zur Einsparung von Kosten durch ISDN-vennittelte Videokonferenzen: "ISDN will make it possible to take evidence für the price of a phone call instead of an airfare." 19 Gerade in der amerikanischen Literatur wird dort, wo die Anwendung von Videokonferenztechnik im Strafprozess diskutiert wird, immer wieder auf diesen Aspekt hingewiesen, vgl. etwa: Anonymus Chigago Daily Law Bulletin Vol. 142 (11. 12. 1996), S. 1/20; Dillworth Tria11996, 88, 90; Goetsch in: Wisconsin Lawyer July 1997 (zit. nach Westlaw). 20 Vgl. dazu die einleitenden Ausführungen im 1. Kapitel, Abschnitt A., I. 21 Explizit so etwa Schlüchter GA 1994, 397 ff. 12 13

18 Rieck

274

6. Kap.: Die Anwendung der Videotechnik bei Auslandszeugen

EuRhÜbk v. 29. 05. 2000 23 die Vernehmung von Zeugen per Videokonferenz vorgesehen wurde. 11. Rechtliche Kriterien für selbständige Beweisaufnahmen im Ausland

Nimmt man zunächst an, die grenzüberschreitende Videofernvernehmung eines deutschen Gerichts sei eine Beweisaufnahme deutscher Richter im Ausland, so liegt in der weiteren Annahme, eine derartige Vorgehensweise sei ohne weiteres nicht möglich, eine gewisse Schlüssigkeit. Im Mittelpunkt steht insoweit die Frage, welche Kriterien erfüllt sein müssen, damit eine Beweisaufnahme in Form einer grenzüberschreitenden Videofernvernehmung durchgeführt werden kann. Hierfür soll die Rechtslage beleuchtet werden, wie sie im kontinentaleuropäischen Rechtsraum derzeit besteht. Denn daraus wird ersichtlich werden, warum eine Regelung wie Art 10 des Übereinkommens zur Ergänzung des EuRhÜbk dringend notwendig ist.

1. Exkurs: Einschränkung der Hoheitsgewalt durch die staatliche Souveränität des ausländischen Staates a) Den Ausgangspunkt für eine zwischenstaatliche, videokonferenzvermittelte Beweisaufnahme bildet zunächst der "Grundsatz der Souveränität". Wurde oben bereits ausgeführt, dass sich ein Staat völkerrechtswidrig verhält, wenn er ohne entsprechende Gestattung Amtshandlungen auf dem Gebiet eines anderen Staates vornähme, so folgt dies aus der sog. "Gebietsausschließlichkeit".24 Danach besitzt jeder Staat nur innerhalb seines eigenen Staatsgebietes die umfassende und ausschließliche Zuständigkeit zur Vornahme von hoheitlichen Handlungen. Im Umkehrschluss dürfen Hoheitsakte außerhalb des eigenen Staatsgebietes nur dann vorgenommen werden, wenn der von der Amtshandlung auf seinem Gebiet betroffene Staat auf die eigene Souveränität "verzichtet", d. h. eine "Ermächtigung" zur Vornahme der jeweiligen Hoheitshandlung für den darum ersuchenden Staat besteht. Und diese "Ermächtigung" zur Ausübung von Hoheitshandlungen auf fremdem 22 V gl. Rule 71 bis Statute International Criminal Tribunal former Yugoslawia (ICTY) sowie die Rule 67 in den Materialien der UN-Preparatory Commission for the International Criminal Court (PCNIC) v. 12.07.2000 - Finalized draft text of the roles of procedure and evidence - C / 2000 / INF / 3 / Add.I). Rule 71 bis ICTY lautet: "At the request of either party, a Trial Chamber may, in the interest of justice, order that testimony be received via video-conference link." Auch nach Rule 67 ICT kann das Gericht die mündliche Zeugenaussage unter Einsatz von Videotechnik gestatten, wenn die technische Gestaltung des Verfahrens dem Gericht, der Verteidigung und dem Staatsanwalt die zeitgleiche Wahrnehmbarkeit ermöglicht. 23 Dazu sogleich im folgenden Abschnitt. 24 Kimminichl Hobe, S. 98.

B. Die Videofernvernehmung von Auslandszeugen

275

Staatsgebiet kann regelmäßig nur im Wege der zwischenstaatlichen Rechtshilfe erfolgen. b) Unter Rechtshilfe versteht man eine Vielzahl von Formen grenzüberschreitender Unterstützung in rechtlichen Angelegenheiten (§ 59 Abs. 2 IRG), die auf ausdrückliches Verlangen des darum ersuchenden Staates geleistet wird. Beispiele sind etwa die Auslieferung von Personen an einen anderen Staat als klassische Form, die Übernahme der Strafverfolgung oder auch der Strafvollstreckung als neuere Formen der Rechtshilfe. Die gegenseitige Hilfe durch Prozess- oder andere Amtshandlungen für die Rechtspflege eines fremden Staates, welche die Durchführung eines dort rechtshängigen Strafverfahrens fördern, ja gegebenenfalls erst ermöglichen, bezeichnet man als "kleine-", "akzessorische-" oder auch "sonstige Rechtshilfe,,?5 In diesem Sinne umfasst die Rechtshilfe etwa die Befragung von Zeugen, Auskunftspersonen oder des Beschuldigten, die Herausgabe oder Sicherstellung von Beweismitteln, Durchsuchungen, Beschlagnahmen, Gegenüberstellungen sowie die Zustellungen von Vorladungen, Urteilen und anderen Gerichtsakten. 26 Rechtshilfe ist damit völkerrechtliche Angelegenheit. 27 Der Verkehr einer deutschen Behörde mit einer deutschen diplomatischen oder konsularischen Vertretung im Ausland (sog. konsularische Rechtshilfe),28 die im Einzelfall auch Zeugenvernehmungen durchführen, wenn dies nach dem Recht des Empfangsstaates zulässig ist, zählt hierzu nicht. 29 Nach kontinentaleuropäischer Sichtweise ist im System der internationalen Rechtshilfe eine Bestätigung des Souveränitätsprinzips zu erblicken. 30 c) Grundlegende Voraussetzung ist zunächst, dass die grenzüberschreitende Videofernvernehmung gern. § 247a S. I, 2. Alt. überhaupt als Hoheitsakt auf dem Gebiet eines ausländischen Staates anzusehen ist, was eine zwischenstaatliche Rechtshilfe erfordert. Dies wiederum kann unproblematisch bejaht werden. 31 Denn stellte bereits die unmittelbare Ladung eines Zeugen im Ausland eine Souveränitätsbeeinträchtigung des Aufenthaltsstaates dar, wenn die entsprechenden Stellen des ausländischen Staates hierfür nicht eingeschaltet werden bzw. keine völkerrechtliche Regelung existiert, die eine derartige Vorgehensweise erlaubt,32 so kann 25 Vgl. etwa Schultz ZStW 96 (1984), 595, 610; Vogler ZStW 96 (1984), 615. 26 Vgl. dazu nur Art 63 Abs. 1 IRSG (Schweiz). 27 Sie darf insoweit nicht verwechselt werden mit der innerstaatlichen Rechtshilfe gern. §§ 156 ff. GVG. 28 Vgl. Nr. 129 Abs. 3 S. 3 RiVASt. 29 BGHst 26, 140, 141 f.; Schomburgl Lagodny IRG 3, Vor § 59 Rn. 2. Vgl. a. Nagel Beweisaufnahme im Ausland, S. 7: "Die konsularische Rechtshilfe kommt nur in den Staaten des ,Common law' in größerem Umfang zum Einsatz und ist im übrigen von recht geringer praktischer Bedeutung." 30 Nagel Beweisaufnahmen im Ausland (1988), S. 22, 28 - dort umfassend zu den Unterschieden im Hinblick auf die Staaten des "Common law"-Rechtskreises. 31 Vgl. insoweit nur BGHst 45, 188, 192. 32 So etwa Rose wistra 1998, 11, 12; Verdross/Simma Völkerrecht 3, S. 277; Wenger Beweisanträge, S. 14. Vgl. weiterhin Nr. 121 Abs. I, Abs. 4lit. c RiVASt (1993). Etwas anderes gilt, wenn der Auslandszeuge im Inland, d. h. auf deutschem Staatsgebiet, angetroffen wird. Dann kann ihm unproblematisch eine Ladung gern. §§ 37 Abs. 1 S. 1 StPO, 180 ZPO zugestellt werden. Für die Frage einer Souveränitätsbeeinträchtigung ist insoweit auf den Aufenthaltsort, nicht auf den Wohnsitz des Zeugen abzustellen, da sich letztgenannter Ort auch auf deutschem Staatsgebiet befinden kann. 18*

276

6. Kap.: Die Anwendung der Videotechnik bei Auslandszeugen

auch der hoheitliche Charakter einer Videokonferenz deutscher Richter zum Zweck der Zeugenvernehmung nicht in Frage stehen. Unzutreffend wäre daher etwa der Hinweis, der Richter erscheine ja rein physisch nicht zur Vornahme einer Amtshandlung auf dem Gebiet des jeweiligen Staates. Denn eine Befragung der Aussageperson im Wege der Videofernvernehmung wirkt sich wie eine in Person vorgenommene Amtshandlung auf dem Gebiet des ausländischen Staates aus. So geht es einerseits um eine mit der Ladung vergleichbare Einvernahme eines ausländischen Zeugen. Andererseits ist das Betreten des ausländischen Hoheitsgebiets tatsächlich nur dann vermeidbar, wenn der ausländische Staat auch die entsprechende Technik für die Durchführung einer Videofernvernehmung zur Verfügung stellt. Die "Einwilligung" des um die Durchführung einer Videokonferenz ersuchten Staates in Form einer Rechtshilfegewährung ist also in jedem Fall der beabsichtigten Vernehmung eines "Videozeugen" notwendig?3 Im Hinblick auf das durchzuführende Rechtshilfeverfahren fragt sich also, nach welchen Regeln die zwischenstaatliche Beweisaufnahme erfolgt. Dabei steht im Mittelpunkt des Interesses, ob es der Rechtshilfeleistung entgegensteht, wenn die (Videokonferenz-)Vernehmung des Zeugen nach dem Verfahrensrecht des Staates erfolgt, dessen nationales Gericht die Videofernvernehmung durchführen möchte. 2. Grundsatz der Beweisaufnahme nach dem Recht des ersuchten Staates

Während das "Ob" der Rechtshilfe umfassend in völkerrechtlichen Verträgen, wie dem EuRhÜbk vom 20. 04. 1959, sowie in nationalen Rechtshilfegesetzen, wie dem deutschen IRG vom 23. 12. 1982, dem österreichischen ARHG vom 4. 12. 1979 oder dem schweizerischen IRSG vom 20.03. 1981, detailliert geregelt wurde, beschränkt sich das "Wie" der Beweisaufnahme im Ausland überwiegend auf die Feststellung des Grundsatzes, der Vollzug eines Rechtshilfeersuchens richte sich nach dem Recht des darum ersuchten Staates. 34 , 35 Auch für die Vernehmung von Zeugen maßgeblich ist grundsätzlich also immer das (nationale) Verfahrensrecht des um die Beweisaufnahme ersuchten Staates. 36 Vgl. nur BGHst 45, 188, 192; Rose JR 2000, 77, 78; Vassilaki JZ 2000, 474, 475. So a. Nagel Beweisaufnahme im Ausland, S. 149 ff., 150 m. w. N. in Fn. 4 bis 10; GIeß NStZ 2000,57; VoglerZStW 96 (1984), 531, 544. 35 Vgl. im einzelnen: Art 3 Abs. 1 und 2 EuRhÜbk; Art 8 Abs. 1 S. 2 EuTerrÜbk v. 27.01. 1977 (BOBl. 197811, S. 321; 197811, S. 907; 198911, S. 857); Art 22 EuAuslÜbk v. 13.12.1957 (BOBl. 1964 11, S. 1369, 1371; 197611, S. 1778). Vgl. weiterhin auch die deutschen Auslieferungsverträge, etwa: Art 24 AuslieferungsV mit Australien v. 14. 04. 1987 (BOBl. 199011, S. 111,716); Art 28 AuslieferungsV mit Kanada v. 11. 07. 1977 (BOB!. 197911, S. 665, 1049); Art 27 AuslieferungsV mit den USA v. 20. 06. 1978 (BOBl. 198011, S.646, 1300; 198811, S. 1087). Vgl. a. § 58 S. 1 ARHO (Österreich) und Art 12 Abs. 1 S. 2 IRSO (Schweiz). Vgl. demgegenüber nunmehr aber Art 4 Abs. 1 ErgÜbk v. 29. 05. 2000. 36 So explizit etwa BGHst 20, 198,202; KG NJW 1972, 1018; OLG Nümberg NJW 1982, 533,534; Vogler in: Grütznerl Pötz IntRHV2 , Band 1, § 73 IRO Rn. 14. 33

34

B. Die Videofernvernehmung von Auslandszeugen

277

Fragt man nach dem Sinn, der dahinter steht, werden vordergründig praktische Gründe offenbar: Kann von den per se überlasteten lustizbehörden nicht die durchgehende Kenntnis und damit ordnungsgemäße Anwendung von ausländischen Verfahrensvorschriften erwartet werden, sollen nationale Behörden auch nur diejenigen Regelungen anwenden, deren Umgang sie gewöhnt sind?7 Weiterhin werden auch Gründe der Gleichbehandlung und Gerechtigkeit angeführt. Denn die fortwährende Anwendung des eigenen Strafverfahrensrechts dient dem Schutz der Staatsbürger. Diese sollen dann, wenn sie von einer Rechtshilfemaßnahme betroffen werden, zumindest ähnliche Rechtsgarantien besitzen. 38 Gerade dies kommt bei grenzüberschreitenden Beweisaufnahmen zum Tragen, wenn das Verfahrensrecht des um die Rechtshilfe ersuchten Staates ein Zeugnis- oder Aussageverweigerungsrecht kennt, das sich in der Verfahrensordnung des ersuchenden Staates nicht findet. Berücksichtigt man, dass im Falle des § 247a S. I, 2. Alt. die Zeugenvernehmung durch den deutschen Richter erfolgt, m. a. W. im Falle einer grenzüberschreitenden Videofernvernehmung die lustizbehörden des um Rechtshilfe ersuchten Staates nur eine beobachtende Funktion besitzen, läuft dies dem weiteren, mit dem Grundsatz der Souveränität eng verbundenen Regelfall entgegen, wonach die Beweisaufnahme grundsätzlich durch die Behörden des um Rechtshilfe ersuchten Staats erfolgt. 39 Und dies wiederum berechtigte den um Rechtshilfe ersuchten Staat, wie man etwa dem EuRHÜbk oder dem SuchtstoffÜbk40 entnehmen kann,41 die erwünschte Rechtshilfeleistung an sich zu verweigern, wenn eine audiovisuelle Zeugenvernehmung durchgeführt werden soll. Denn wie gerade ausgeführt wurde, üben die Richter im Falle einer "aktiven" Teilnahme an der Beweisaufnahme im Ausland amtliche Funktionen aus. Und dies gilt dann freilich auch für die grenzüberschreitende Videovernehmung, wurde diese gerade als ein Hoheitsakt auf dem Gebiet eines anderen Staates charakterisiert. Fraglich ist daher, ob und welche Ausnahmen davon nach der bisherigen Rechtslage anzuerkennen waren, um darauf basierend grenzüberschreitende Videokonferenzen dennoch durchzuführen. 37 Nagel Beweisaufnahme im Ausland, S. 169 f. Als Evidenzbeispiel benennt Nagel das Ersuchen an einen deutschen Richter, ein Kreuzverhör nach den Regeln des amerikanischen Rechts zu leiten. 38 Nagel Beweisaufnahme im Ausland, S. 171. 39 GIeß NStZ 2000, 57. V gl. dazu auch: Bundesamt für Justiz der Schweizerischen Eidgenossenschaft Wegleitung zur Rechtshilfe 8 , S. 36. Ähnlich für die Beweisaufnahme ausländischer Richter oder Beamter in Deutschland: Nr. 138 Abs. 2 RiVASt (1993). Zur Ausnahme dort, wo durch entsprechende Vereinbarungen die Zeugenvernehmung durch eine deutsche Stelle im Ausland, einem Konsulat, vorgenommen wird, vgl. Nr. 129 Abs. 3 S. 2 RiVASt (1993): ,,Im allgemeinen beschränkt sich die Befugnis zur Amtshilfe auf die Erteilung von Auskünften, die Vornahme von Zustellungen an Deutsche und die Vernehmung von Deutschen als Zeugen, Sachverständige oder Beschuldigte". 40 UN-Suchtstoffübereinkommen v. 20. 12. 1988 (BGBI. 199311, S. 1137; 199411, S. 496). 41 Vgl. Art 2 Abs. 2 EuRHÜbk sowie Art 7 Abs. 15 und Abs. 17 UN-SuchtstoffÜbk.

278

6. Kap.: Die Anwendung der Videotechnik bei Auslandszeugen

3. Ausnahmen vom Grundsatz der Beweisaufnahme nach dem Recht des ersuchten Staates

Bei der zwischenstaatlichen Leistung von "kleiner Rechtshilfe" gilt zu berücksichtigen, dass kein eigenes Strafverfahren durchgeführt, sondern ein fremdes Strafverfahren (des um Rechtshilfe ersuchenden Staates) unterstützt wird. 42 Das Rechtshilfeverfahren ist daher ein "Verfahren sui generis".43 Bei der Anwendung nationaler Verfahrensvorschriften geht es also um keinen direkten, sondern nur um einen analogen Gebrauch. 44 Eine Vorschrift, die für das jeweilige nationale Strafverfahren eine bestimmte Verhaltensweise zwingend vorschreibt, beansprucht demnach nicht immer auch strikte Geltung bei der Leistung von "kleiner Rechtshilfe".45 Dies wiederum erlaubt es, dass in einem gewissen Rahmen das Recht des um Rechtshilfe ersuchenden Staates bei der Beweisaufnahme durch den ersuchten Staat berücksichtigt wird. a) Im EuRhÜbk finden sich nur partielle Ausnahmen von dem benannten Grundsatz (Art 3 Abs. 1 EuRhÜbk), so etwa für die Frage, wann die Aussagevereidigung des Zeugen nach dem Recht des um Rechtshilfe ersuchenden Staates vorzunehmen ist (Art 3 Abs. 2 EuRHÜbk).46 Eine weitergehende Einschränkung enthält demgegenüber u. a. das SuchtstoffÜbk der Vereinten Nationen in Art 7 Abs. 12, 2. Hs., worauf etwa die Rechtshilfe1eistung "Videofernvernehmung" im Verfahren des LG Dresden gestützt wurde. 47 Danach wird etwaige Rechtshilfe entsprechend dem im (Rechtshilfe-)Ersuchen bezeichneten Verfahren erledigt, soweit das innerstaatliche Recht des ersuchten Staates nicht entgegensteht. Ähnliche Regelungen finden sich in einigen bilateralen, von der Bundesrepublik Deutschland abgeschlossenen Rechtshilfeverträgen, wonach in unterschiedlicher Reichweite die Möglichkeit nicht aber die Verpflichtung - besteht, das Recht der ersuchenden Vertragspartei bei der Rechtshilfemaßnahme zu berücksichtigen. 48 Für die Anwesenheit von deutschen Behörden bei Untersuchungshandlungen im europäischen Rechtsraume maßgeblich ist Art 4 S. 2 EuRhÜbk. Danach "können" die beteiligten Behörden oder Personen bei der Erledigung des Rechtshilfeersuchens vertreten sein, wenn So etwa Oehler ZStW 96 (1984), 555, 572; Vogel JZ 2001, 937, 942. Nagel Beweisaufnahme im Ausland, S. 60 ff. 44 Nagel Beweisaufnahme im Ausland, S. 60 f., S. 165 f., S. 174, S. 183 f. m. w. Nw. 45 Nagel Beweisaufnahme im Ausland, S. 166: "Dieser Gesichtspunkt wird in der Praxis vielfach übersehen." 46 Erforderlich hierfür ist ein ausdrückliches Ersuchen. Wie der Wortlaut der Vorschrift erkennen lässt, ist dem ersuchten Staat kein (Anwendungs-) Ermessen eingeräumt, wenn die Vereidigung des Zeugen nicht (ausdrücklich) dem nationalen Recht widerspricht. 47 So die mündliche Mitteilung gegenüber dem Verf. durch Herrn Regierungsdirektor Gorial, Sächsisches Staatsministerium für Justiz. 48 Vg!. dazu Art 15 Abs. 2 RHV Jugoslawien-Deutsch!. ; Art 37 Ausl./RH-V PortugalDeutsch!. Vg!. weiterhin auch Art 65 IRSG (Schweiz), der in weitgehendem Maße die Anwendung und Berücksichtigung ausländischen Rechts gestattet, dazu Schultz ZStW 96 (1984),595,611. 42

43

B. Die Videofernvernehmung von Auslandszeugen

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der ersuchte Staat zustimmt. Weil diese Vorschrift die ohnehin bestehende Rechtslage nur bestätigt, kommt ihr allenfalls KlarsteIlungsfunktion zu. Denn eine völkerrechtliche Verpflichtung der Mitgliedstaaten des EuRhÜbk, die Teilnahme zu gestatten, wird dadurch nicht geschaffen. Im Hinblick auf die im Einzelfall gegebene hohe Bedeutung von Anwesenheitsrechten bei der Beweisaufnahme im Ausland (Unmittelbarkeitsprinzip), hat sich deshalb die Bundesrepublik Deutschland bemüht, in den Ergänzungsverträgen zum EuRhÜbk weitergehende Bestimmungen aufzunehmen. Abweichend von der Ermessenvorschrift des Art 4 S. 2 EuRhÜbk "ist" daher die Anwesenheit von am Verfahren beteiligter Personen und Behörden bei Untersuchungshandlungen in Frankreich, 49 Italien,5o Österreich,51 den Niederlanden52 sowie der Schweiz,53 zu gestatten,54 auch wenn das Recht des ersuchten Staates die Anwesenheit von Verfahrensbeteiligten bei Untersuchungsverhandlungen nicht vorsieht. 55 b) Den benannten, nur partiell geltenden Ausnahmen lässt sich aber nicht entnehmen, dass den Behörden des ersuchenden Staates auch eine "aktive Anwesenheit" bei der Zeugenvernehmung iSe. selbständigen Tätigwerdens durch eigenständige Befragung des Zeugen (gegebenenfalls sogar zwingend) einzuräumen wäre. Gerade dies ist aber - neben der Möglichkeit der Beweisaufnahme nach dem Verfahrensrecht des um Rechtshilfe ersuchenden Staates - erforderlich, soll eine Videofernvernehmung in der Konzeption des § 247a S. 1,2. Alt. möglich sein. Wie man nun vielmehr den deutschen Ergänzungsverträgen zum EuRhÜbk entnehmen kann, geht es bei einer Teilnahme ausländischer Behörden an Untersuchungshandlungen in dem um Rechtshilfe ersuchten Staat nur um eine "passive", weil "supplementäre" Beteiligung. In concreto dürfen daher etwa "ergänzende" Anregungen vorgebracht werden, damit die Behörden des um Rechtshilfe ersuchten Staates 49 Vg!. Art. 4 Zusatzvertrag EuRhÜbk Frankreich-Deutsch!. v.24. 10. 1974 - BOB!. 1978 I1, 329; 1980 I1, S. 1435. 50 Vg!. Art 4 S. 1 Zusatzvertrag EuRhÜbk Italien-Deutsch!. v. 24. 10. 1979 - BOB!. 1982 I1, S. 111; 1985 11, S. 836. Eine Verpflichtung zur Oestattung besteht hiernach aber nur dann, wenn die Anwesenheit von Vertretern der jeweiligen Behörden in den Vorschriften des ersuchenden Staates vorgesehen ist. 51 Vg!. Art 6 Abs. 1 S. 1 Zusatzvertrag EuRhÜbk Österreich-Deutsch!. v. 31. 01. 1972 BOB!. 197511, S. 1157; 1976 I1, S. 1818. 52 Vg!. Art 5 Zusatzvertrag EuRhÜbk Niederlande-Deutsch!. v. 30. 08. 1979 - BOB!. 1981 II, S. 1158; 1983 II, S. 32. 53 Vg!. Art 3 Zusatzvertrag EuRhÜbk Schweiz-Deutsch!. v. 13. 11. 1969 (BOB!. 1975 I1, S. 1171; 1976 I1, S. 1818). Die Oestattung erfolgt auch, wenn das Recht die Anwesenheit bei Untersuchungshandlungen nicht vorsieht, dies aber nach den innerstaatlichen Vorschriften des ersuchten Staates zulässig ist. 54 Nur klarstellende Bedeutung wie Art 4 S. 2 EuRhÜbk hat die Ermessensregelung in Art 5 Zusatzvertrag EuRhÜbk Israel-Deutsch!. v. 20. 07. 1977 - BOB!. 198011, S. 1334; 1981 I1, S.94. 55 Wie etwa in Belgien: Art 73 Code d' instruction criminelle, Frankreich: Art 102 Abs. 1 Code de procedure penale oder Österreich: Art 162 Abs. 1 StPO.

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6. Kap.: Die Anwendung der Videotechnik bei Auslandszeugen

weitere Fragen an die Beweisperson stellen. 56 Darüber hinausgehend wird eine "aktive" Anwesenheit in der Weise, dass die Richter des ersuchenden Staates eine Zeugenvernehmung selbst vornehmen, normalerweise 57 nicht gestattet. 58 c) Soll die Videofernvernehmung des Zeugen in der Konzeption des § 247a, bei welcher der vorsitzende Richter des Tatgerichts den Zeugen vernimmt, grenzüberschreitend durchgeführt werden, kann sie bisher also nur unzureichend auf bestehende multi- wie bilaterale Verträge, die zwischen Deutschland und anderen europäischen Staaten bestehen, gestützt werden. 59 Mag dies auch kein striktes Hindernis für die Durchführung grenzüberschreitender Videofernvernehmungen sein, weil zwischenstaatliche Verträge nur Mindestpflichten begründen und weitergehende Rechtshilfeleistungen im politischen Ermessen des jeweiligen Staates stehen,6o so hindert diese Unsicherheit betreffend das "Ob" der Rechtshilfegewäh56 Vgl. etwa Art 5 Abs. 2 Zusatzvertrag EuRhÜbk mit Israel sowie Art 4 S. 2 Zusatzvertrag EuRhÜbk mit Italien. 57 Rechtshilfeverträge begründen nur Mindestpflichten. Die Regelungen sind insoweit nicht abschließend. Dazu vgl. nur Nagel Beweisaufnahme im Ausland, S. 88, 163. Insoweit gibt es Einzelfälle, wo die "aktive" Zeugenbefragung durch die Richter des Tatgerichts im für sie ausländischen Staat gestattet wird, vgl. Nagel,S . 193 sowie die geschilderten Fallbeispiele auf den S. 201- 206. 58 Vgl. dazu beispielhaft Bundesamt für Justiz der Schweizerischen Eidgenossenschaft Wegleitung zur Rechtshilfe, S. 36: "Anwesenheit bedeutet nur, dass die ausländischen Prozessbeteiligten dem Vollzug des Rechtshilfeersuchens beiwohnen dürfen. Die Herrschaft dariiber bleibt aber in der Hand der zuständigen schweizerischen Beamten oder Magistraten. Diese Rechtslage ist vor allem bei der Abfassung von Vernehmungsprotokollen zu beriicksichten." Gleiches folgt etwa auch aus § 59 Abs. 1 ARHG (Österreich): "Die Vornahme von Erhebungen und Verfahrenshandlungen nach diesem Bundesgesetz durch ausländische Organe auf dem Gebiet der Republik Österreich ist unzulässig. Dem zuständigen ausländischen Richter, Staatsanwalt und anderen am Verfahren beteiligten Personen sowie ihren Rechtsbeiständen ist jedoch die Anwesenheit und Mitwirkung bei Rechtshilfehandlungen zu gestatten, wenn dies zur sachgemäßen Erledigung des Rechtshilfeersuchens erforderlich erscheint" (Hervorhebungen nicht im Original). 59 Vgl. Nagel Beweisaufnahme im Ausland, S. 167: "Große Unsicherheit bei der Frage [ .. . ], in welchem Umfang das Strafprozessrecht des ersuchenden Staates bei der Durchführung einer Beweisaufnahme beriicksichtigt werden kann." 60 Wird die Möglichkeit zum Verzicht auf die eigene Souveränität des Staates nicht durch das Völkerrecht begrenzt, so ergibt sich die Beschränkung des jeweiligen Staates aber auf innerstaatlicher Ebene: für die Bundesrepublik Deutschland also insbesondere aus dem IRG. Denn nach rechtsstaatlicher Auffassung ist ein Staat zu belastenden (Rechtshilfe-)Maßnahmen gegenüber seinen Staatsbürgern nur dann befugt, wenn er sein Handeln auch auf eine Errnächtigungsgrundlage stützen kann. Daraus folgt aber im Urnkehrschluss, dass die jeweiligen innerstaatlichen Vorschriften der Gewährung von Rechtshilfe über den völkervertraglich geregelten Bereich (Art 25 GG) hinaus dann nicht entgegenstehen werden, wenn die erwünschte Rechtshilfemaßnahme keine Zwangsmaßnahmen erfordert bzw. die jeweils von der Maßnahme betroffene Person freiwillig an dem Verfahren mitwirkt. Und nichts anderes lässt sich bei der audiovisuellen Videofernvernehmung annehmen. Denn es wurde bereits angesprochen, dass sich eine Videofernvernehmung von Zeugen kaum durchführen lässt, wenn der Zeugen hierzu unwillig ist und nicht mit der Vernehmungsperson kooperiert, also nicht einmal mit der Vernehmung von einem anderen Ort gern. § 247a einverstanden ist.

C. Die grenzüberschreitende Videokonferenz gern. Art 10 EuRhÜbk

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rung doch die praktische Durchsetzung grenzüberschreitender Videofernvernehmungen erheblich. Und insoweit macht dies auf europäischer Ebene eine Novellierung notwendig, soll mehr als eine theoretisch- bestehende Möglichkeit transnationaler Kooperation durch Zeugenvernehmungen mittels Videokonferenz 61 bestehen. Diese Novellierung, die für die grenzüberschreitende Videofernvernehmung von Zeugen in Art 10 des Ergänzungsübereinkomrnens 62 zum EuRhÜbk Ausdruck gefunden hat, wird nunmehr im Überblick näher betrachtet.

C. Die grenzüberschreitende Videokonferenz gern. Art 10 Ergänzungs-Übereinkommen zum EuRhÜbk

v. 29. OS. 2000

Wie bereits ausgeführt wurde, sollte das EuRhÜbk durch das ErgÜbk des Rates der EU v. 29. 05. 2000 modernisiert und insoweit auch an den technischen Fortschritt angepasst werden. Im Hinblick darauf regelt die benannte Vorschrift des Art 10 ErgÜbk die grenzüberschreitende Videofernvernehmung von Zeugen und Sachverständigen. 63

I. Die Einzelregelungen des Art 10 ErgÜbk 1. Abs. 1 gibt zunächst eine einführende Erläuterung, wann an den Einsatz von Videokonferenztechnik zu Vernehmungszwecken gedacht wurde: "Befindet sich eine Person im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats und soll diese Person als Zeuge oder Sachverständiger von den lustizbehörden eines anderen Mitgliedstaats vernommen werden, so kann letzterer, sofern ein persönliches Erscheinen der zu vernehmenden Person in seinem Hoheitsgebiet nicht zweckmäßig oder möglich ist, darum ersuchen, dass die Vernehmung per Videokonferenz nach Maßgabe der Absätze 2 bis 8 erfolgt".

Bereits aus der Formulierung, "sofern ein persönliches Erscheinen [ ... ] nicht zweckmäßig oder möglich ist", wird deutlich, dass die Videofernvernehmung von Zeugen auch nach dem ErgÜbk grundsätzlich nur als "ultima ratio" Anwendung finden soll. Analog zur deutschen Rechtslage wird insoweit das "unmittelbare" Erscheinen des Zeugen im Gerichtssaal für den Regelfall nicht "substituiert". Und 61 So die Formulierung in BGHst 45, 188, 193: ,,[ .. . ] und mehr kann im vertraglosen Rechtshilfebereich nie ausgesagt werden." 62 Im folgenden abgekürzt: ErgÜbk. 63 Zur Kritik an der deutschen Regelung, die nur eine Videovernehmung von Zeugen, nicht aber auch eine Videofernvernehmung von Sachverständigen im Ausnahmefall vorsieht, vgl. die Ausführungen im 2. Kapitel, Abschnitt B., 1., 2., a), aa).

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6. Kap.: Die Anwendung der Videotechnik bei Auslandszeugen

nichts anderes folgt auch aus dem Begriff der "Zweckmäßigkeit". Denn damit sind Fälle gemeint, in denen das Erscheinen des Zeugen an sich zwar möglich ist, wegen besonderer Gründe aber als unzumutbar anzusehen wäre (relatives Erscheinenshindernis).64 Dies kann man etwa auch der Regelung des Art 10 Abs. 3 ErgÜbk entnehmen, wonach das Rechtshilfeersuchen eine Begründung dafür enthalten muss, dass "ein persönliches Erscheinen des Zeugen oder des Sachverständigen nicht zweckmäßig oder möglich ist". Denn eine derartige Begründung wäre nicht notwendig, wollte man damit einem "inflationären" Einsatz des "Videozeugen" nicht entgegen treten. Und deshalb scheint die Annahme offensichtlich zutreffend, auch auf europäischer Ebene sei der Einsatz von Videotechnik zur Zeugen vernehmung auf die Fälle eines anderweitig eintretenden "Beweisnotstands" beschränkt. 2. Art 10 Abs. 2 ErgÜbk bestimmt die VoraussetzungenJürdie Gewährung von Rechtshilfe zur Durchführung einer Videokonferenz. Danach "bewilligt" der "ersuchte Mitgliedstaat [ ... ] die Vernehmung per Videokonferenz, wenn der Rückgriff auf Videokonferenzen den Grundprinzipien seiner Rechtsordnung nicht zuwiderläuft und er über die technischen Vorrichtungen für eine derartige Vernehmung verfügt." An sich nur klarstellende Bedeutung hat S. 2, wonach die technischen Vorrichtungen zur Durchführung einer Videokonferenz dem ersuchten Staat zur Verfügung gestellt werden können, wenn diese nicht vorhanden sind. Aus der Formulierung des Abs. 2 S. 1 wird zunächst deutlich, dass das "Ob" der Rechtshilfeleistung "Videofernvernehmung" dem Ermessen des ersuchten (Mitglied-)Staats entzogen ist. Nur bei einem Widerspruch mit den eigenen Grundprinzipien ("ordre public,,)65 darf eine Verweigerung der speziellen Rechtshilfeleistung erfolgen. Steht dieser Vorbehalt auch in der Tradition vorangegangener europäischer Übereinkommen, so ist seine Formulierung dennoch nicht zweifelsfrei. Denn die Problematik eines solchen Vorbehalts liegt in der Schwierigkeit der Bestimmung seiner Tragweite. 66 Insbesondere im Hinblick auf Art 10 Abs. 2 ErgÜbk bleibt unklar, inwieweit gerade "der Rückgriff auf Videokonferenzen", so die entsprechende Formulierung, als spezifische Form der Rechtshilfe 67 in grundlegende Rechtsprinzipien eingreifen soll:

64 Vgl. Rat der Europäischen Union EGAbl. 2000/C 379/02, S. 16. ",Nicht zweckmäßig' ist dies beispielweise in Fällen, in denen der Zeuge besonders jung oder alt oder aber in schlechtem Gesundheitszustand ist; ,nicht möglich' ist dies z. B. in Fällen, in denen der Zeuge bei einern Erscheinen im ersuchten Mitgliedstaat einer ernsten Gefahr ausgesetzt wäre." 65 Dazu Vogel JZ 2001, 937, 941. Gemeint ist der nationale "ordre public", der als "Kern rechtsstaatlicher Grundsätze" bzw. als "Inbegriff elementarer Mindestgarantien" vorn BVerjG umschrieben wird, vgl. BVerfGE 59,280,283; 63, 332, 338; 75, 1, 16. 66 So Nagel Beweisaufnahme im Ausland, S. 165 f., im Hinblick darauf, dass es bei der Anwendung nationaler Beweisaufnahmeprinzipien und -vorschriften für das Rechtshilfeverfahren nur um eine analoge Anwendung geht. 67 Vgl. die Überschrift des Titel 11 im Ergänzungsüberkornrnen.

C. Die grenzüberschreitende Videokonferenz gern. Art 10 EuRhÜbk

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Die staatliche Souveränität des ersuchten Staates kann damit jedenfalls nicht gemeint sein. Denn Art 10 Abs. 5 lit. c ErgÜbk bestimmt im Anschluss an die allgemeine Regelung des Art 4 Abs. I ErgÜbk, dass die Videofernvernehmung des Zeugen nach den Verfahrensvorschriften des um Rechtshilfe ersuchenden Staates durchgeführt wird. Daher darf die erstrebte Rechtshilfemaßnahme nicht mit dem Einwand abgelehnt werden, die Videofernvernehmung sei mit den Grundsätzen des nationalen (Rechtshilfe-)Rechts, dass eine "aktive" Beweisaufnahme ausländischer Amtsträger auf dem Gebiet des ersuchten Staates nicht kennt oder sogar ausdrücklich verbietet,68 unvereinbar. Gleiches gilt vor dem Hintergrund des Art 10 Abs. 5 lit. e ErgÜbk, wonach der "Videozeuge" ein Aussageverweigerungsrecht geltend machen kann, das ihm "nach dem Recht des ersuchten oder des ersuchenden Mitgliedstaates zusteht". Denn durch die kumulative Anwendung beider Rechtsordnungen im Hinblick auf die Rechte des Zeugen wird die Aussageperson gegenüber Staatsbürgern, die in einem nationalen Strafverfahren aussagen müssen, nicht benachteiligt. Insoweit werden auch keine Gerechtigkeitserwägungen zur Ablehnung der Rechtshilfeleistung führen können, was erst recht gilt, wenn man sich vor Augen hält, dass die über Monitor erfolgenden Fernvernehmung ausgeschlossen erscheint, wenn der Zeuge dazu nicht willens oder in der Lage ist. 69

Durch die Verknüpfung der "Videokonferenz" mit den "Grundprinzipien der Rechtsordnung" in Art 10 Abs. 2 ErgÜbk scheint es, als sei die Durchführung einer grenzüberschreitenden Videofernvernehmung davon abhängig, inwieweit die Möglichkeit zur Beweisführung mittels "Videozeugen" auch im nationalen Recht vorgesehen ist. Gerade dies soll man aber dem Wortlaut des Übereinkommensentwurfs nicht entnehmen dürfen, wie der erläuternde Bericht des Rates der Europäischen Union vom 20. 11. 2000 verdeutlicht: 70 "In diesem Zusammenhang bedeutet die Bezugnahme auf die ,Grundprinzipien seiner Rechtsordnung', dass ein Ersuchen nicht mit der alleinigen Begründung abgelehnt werden kann, dass die Vernehmung von Zeugen und Sachverständigen per Videokonferenz nach dem Recht des ersuchten Mitgliedstaats nicht vorgesehen ist oder dass eine oder mehrere Detailvoraussetzungen für eine Vernehmung per Videokonferenz nach seinem innerstaatlichen Recht nicht erfüllt sind.'m

Trotz des Verweises auf die "Grundprinzipien der Rechtsordnung", und nicht etwa auf das geltende (Verfahrens- bzw. Rechtshilfe-)Recht, ist die Fonnulierung des Art 10 Abs. 2 S. 1 ErgÜbk also nicht eindeutig. Denn die Vorbehaltsklausel wird mit Blick auf die benannte Erläuterung an sich nur dann verständlich, wenn anstelle der jeweiligen "Videokonferenz", das der Videokonferenz zugrundeliegende Strafverfahren im ersuchten Mitgliedstaat in Bezug genommen wird. Nur soweit dieses Strafverfahren, nicht aber die Videofernvernehmung, den Grundsätzen 68 Dazu vgl. § 59 Abs. I S. I ARHG (Österreich). 69 Siehe dazu bereits die Ausführungen in Fn. 60. Insoweit hätte auch im Rahmen des Art 10 ErgÜbk eine Regelung nahegelegen, wie sie in Art 11 Abs. 2 ErÜbk für die Telefonkonferenz Ausdruck gefunden hat. Danach ,,kann" die "Vernehmung per Telefonkonferenz [ ... ] nur mit Zustimmung des Zeugen oder des Sachverständigen erfolgen." (Hervorhebungen nicht im Original). 70 Vgl. dazu Rat der Europäischen Union EGAbl. 2000/ C 379/02, S. 7 ff. 71 Rat der Europäischen Union EGAbl. 2000/C 379/02, S. 15.

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6. Kap.: Die Anwendung der Videotechnik bei Auslandszeugen

der eigenen Rechtsordnung widerspricht, darf die erstrebte Rechtshilfeleistung verweigert werden. Für die so verstandene Vorbehaltsregelung ist nun an dieser Stelle zu wiederholen, was bereits friiher kritisiert wurde: So ist es "sehr problematisch, wenn unter Berufung auf den nationalen ordre public Grundsätze geltend gemacht werden, die lediglich im Prozessrecht des ersuchten Staates verankert sind und in dem des ersuchenden Staates durch andere, ebenso wirksame Institutionen ersetzt sind. Eine anmaßende ,Verabsolutierung der eigenen Rechtsordnung' könnte die Folge sein".72 Gerade weil es in der Praxis oftmals verkannt wird,73 dass es bei der Rechtshilfeleistung um die Unterstützung eines fremden, nicht aber um die Durchführung eines eigenen Strafverfahrens geht, bei dem die eigenen Grundprinzipien zwingend zu beachten sind, wäre - anstelle der zweideutigen Fonnulierung - doch der völlige Verzicht auf die Vorbehaltsregelung sinnvoller gewesen?4 3. Die konkrete Art und Weise der Durchführung einer grenzüberschreitenden Videofernvernehmung von Zeugen oder Sachverständigen regelt Art 10 Abs. 5 lit. a -lit. e ErgÜbk. Diese Nonn versucht die jeweiligen Interessen von ersuchenden und ersuchtem Mitgliedstaat umfassend zu hannonisieren. a) Wie oben bereits ausgeführt wurde, soll nach Art 10 Abs. 5 lit. c ErgÜbk die Vernehmung "unmittelbar von oder unter Leitung der Iustizbehörde des ersuchenden Mitgliedstaats nach dessen innerstaatlichen Rechtsvorschriften durchgeführt" werden. 75 Blickt man genau auf den Wortlaut der Vorschrift, so spricht die ,Oder-Verknüpfung' in den Worten: "von oder unter Leitung der Iustizbehörde" dafür, dass die Fernvernehmung nicht zwingend auch in der bei § 247a erläuterten Weise, also im 72 Nagel Beweisaufnahme im Ausland, S. 117 unter Verweis auf Vogler ZStW 96 (1984), 531,550. Dies veranschaulicht gerade das weiterhin von Nagel vorgebrachte Beispiel: Danach wurde im Jahre 1960 ein italienisches Rechtshilfeersuchen um Vernehmung von Zeugen in einem Sicherungsverfahren von einem amerikanischen Gericht mit der Begriindung abgelehnt, die erbetenen Maßnahmen verstießen gegen Verfassungsgrundsätze, nach denen der Angeklagte das Recht habe, den Belastungszeugen von "Angesicht zu Angesicht" gegenübergestellt zu werden. 73 Wie Nagel umfassend (S. 165 ff.) mit konkreten Beispielen aus der Auslieferungskartei belegt. 74 Dies gilt gerade vor dem Hintergrund der Regelung des Art 4 Abs. 1 ErgÜbk, der als allgemeine Regelung einen derartigen Vorbehalt bereits enthält. Danach ,,hält der ersuchte Mitgliedstaat die vom ersuchenden Mit&~iedstaat ausdriicklich angegebenen Formvorschriften und Verfahren ein, soweit in diesem Ubereinkommen nichts anderes bestimmt ist und sofern die angegebenen Formvorschriften und Verfahren nicht den Grundprinzipien des Rechts des ersuchten Mitgliedstaats zuwiderlaufen" (Hervorhebungen nicht im Original). 75 Weil diese Regelung die Ausgangsbasis für das weitere Verfahren bildet, hätte es aus formal-logischen Griinden näher gelegen, den Grundsatz der Beweisaufnahme nach dem Verfahrensrecht des ersuchenden Staates voranzustellen. Gerade weil es sich gegenüber den vorangegangenen Übereinkommen um ein "Novum" handelt, irritiert die Erwähnung des Grundsatzes als lit. c., nachdem zunächst dargelegt wurde, inwieweit die Justizbehörden des ersuchten Staates tätig (lit. a) und dass Maßnahmen zum Schutz der zu vernehmenden Person vereinbart (lit. b) werden können.

c. Die grenzüberschreitende Videokonferenz gern. Art 10 EuRhÜbk

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Regelfall allein durch den Vorsitzenden des Tatgerichts, durchgeführt werden muss. Verdeutlicht an sich auch die Regelung in lit. a, dass die Tätigkeit der lustizbehörde während der Vernehmung weitgehend "passiv" bleibt, weil die Vertreter danach anwesend sind, um die Einhaltung der Grundprinzipien der Rechtsordnung zu überwachen, so ermöglicht die Formulierung in lit. c eine gewisse Gestaltungsfreiheit für die Durchführung der jeweiligen Videokonferenz. Insoweit scheint die Annahme richtig, dass der Wortlaut des Art 10 Abs. 5 lit. c eine Verfahrensgestaltung für die Videoübertragung ermöglicht, die bereits im Rahmen der "Maßnahme-Kombination" von § 223 und § 247a angesprochen wurde. 76 Insoweit könnte etwa in dem Fall, in dem die lustizbehörde auf eine weitgehende, weil ihrer Kontrolle so am besten unterliegende "aktive" Teilnahme besteht, die Vernehmung des Zeugen auch durch die lustizbehörde des ersuchten Staates erfolgen. Dies gilt jedenfalls solange, wie sie sich bei dieser Vernehmung von den ersuchenden Behörden "leiten" lässt. Und schließlich könnte sich diese Verfahrens weise im Ausnahmefall auch dann anbieten, wenn entsprechend modeme Videokonferenztechnik nicht bzw. nicht schnell genug77 zur Verfügung steht. Insoweit könnte etwa die Vernehmung des Zeugen durch die lustizbehörden des ersuchten Staates "one way" in Bild und Ton in den ersuchenden Mitgliedstaat übertragen werden, wobei der jeweilige (Tat-)Richter (ggf. unter Zuhilfenahme eines Dolmetschers) die Vernehmungsperson im ersuchten Mitgliedstaat über eine Telefonverbindung lenkt. Weil diese Verfahrensweise aber die Unmittelbarkeit der Beweisaufnahme (erheblich) vermindert, ja gerade die intendierten Vorteile von Videokonferenzen unterminiert, darf von einer solchen Verfahrensgestaltung allenfalls im Ausnahmefall Gebrauch gemacht werden, nämlich dann, wenn anders weder der Zeuge erreicht, noch eine Videokonferenz mit ihm durchgeführt werden kann. Der Wortlaut des Art 10 ErgÜbk verbietet diese Verfahrensweise jedenfalls nicht. b) Wurde gerade darauf hingewiesen, dass die Tätigkeit der lustizbehörden des ersuchten Staates während der Vernehmung mehr - oder weniger - "passiv" ist, so ist damit der Regelungsgehalt des Art 10 Abs. 5 ErgÜbk nur unvollständig wiedergegeben. Neben der wichtigen Funktion der Identitätsfeststellung des Zeugen, hat ein Vertreter der lustizbehörden des ersuchten Staates gern. Art 10 Abs. 5 lit. a weiterhin das Recht, während der Vernehmung die erforderlichen Maßnahmen zu treffen, wenn nach seiner Auffassung die Grundprinzipien der eigenen Rechtsordnung verletzt werden. Wurde die Vorbehaltsklausel, die aus dem gleichen Gesichtspunkt die Ablehnung der Rechtshilfeleistung ermöglichte, oben kritisiert, so gilt dies nicht für das hier beschriebene Interventionsrecht während einer Videokonferenz. Denn etwa im Hinblick auf unterschiedliche (Zeugen- oder Sachverständigen-)Rechte in den Verfahrensordnungen muss im Bedarfsfalle auch die Möglichkeit bestehen, in das Geschehen der Vernehmung durch den ersuchten Staat einzugreifen, um grundlegende Rechte der Auskunftsperson zu wahren. 76 77

Vgl. dazu oben im 5. Kapitel, Abschnitt B. Vgl. Art 10 Abs. 2 S. 2 ErgÜbk.

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6. Kap.: Die Anwendung der Videotechnik bei Auslandszeugen

Wohl aus diesem Grunde findet sich in der Erläuterung des Rates der EU auch der Hinweis, wonach der um die Videokonferenz ersuchende Mitgliedstaat darum ersuchen kann, "dass ein Verteidiger die zu vernehmende Person bei der Vernehmung unterstützt".78 c) Regelungen zum Einsatz von Dolmetschern bei grenzüberschreitenden Videokonferenzen finden sich in Art 10 Abs. 5 lit. asowie lit. d ErgÜbk. Nach lit. a können die lustizbehörden des ersuchten Mitgliedstaates im Bedarfsfalle von einem Dolmetscher unterstützt werden. Und nach lit. d gilt gleiches für den Zeugen, wobei der ersuchte Mitgliedstaat auf Wunsch des ersuchenden Mitgliedstaates oder der Aussageperson Sorge für die Bestellung des Dolmetschers trägt. Aus den Regelungen wird deutlich, dass die (Videokonjerenz- )Vernehmung in der Gerichtssprache des jeweiligen Tatgerichts durchgeführt wird. Unabhängig davon, ob es sich um einen Zeugen handelt, der die Sprache der Vernehmungsperson beherrscht, wird für die Behörden des ersuchten Staats insoweit grundsätzlich immer ein Dolmetscher zu bestellen sein. 79 Denn andernfalls wäre eine sachgerechte Kontrolle der Einhaltung eigener Rechtsprinzipien kaum möglich. Weil dieser Dolmetscher nun gleichzeitig auch die Übersetzung für den Zeugen wahrnehmen kann, wenn dieser der Sprache des Tatgerichts nicht mächtig ist, überzeugt die getroffene Regelung, wonach der ersuchte Mitgliedstaat die Sorge für die Bestellung des Dolmetschers trägt. Darüberhinaus wäre es ja auch für den ersuchenden Mitgliedstaat oftmals kaum möglich, an der Gegenstelle der Videokonferenz im Ausland einen geeigneten Dolmetscher zu finden. Damit nun eine "unmittelbare" Kommunikation allein zwischen dem Zeugen sowie dem vernehmenden Richter grenzüberschreitend möglich ist, wird sich über die geschaffenen Regelungen hinausgehend auch die Bestellung eines weiteren Dolmetschers auf Seiten des Tatgerichts empfehlen, der die Simultanübersetzung des vom Zeugen Gesprochenen an der Gegenstelle vornimmt. 80 Denn bei der Anwesenheit von Dolmetschern am jeweiligen Sende- wie Empfangsort einer Videokonferenz bräuchte dann nicht auch der Dolmetscher auf der Zeugenseite in das Bild auf den Richtermonitor miteingeblendet werden. Und dies wiederum ermöglichte dem vernehmenden Richter im Bedarfsfalle, eine umfassende (visuelle) Kenntnisnahme von den nonverbalen Reaktionen des Zeugen, soweit dies - entgegen der hier vertretenen Auffassung _81 in concreto für erforderlich erachtet wird. d) Was die Gewährleistung unterschiedlicher Aussagevenveigerungsrechte angeht, so wurde bereits ausgeführt, dass die Verfahrensordnungen des ersuchten und des ersuchenden Mitgliedstaates gern. Art 10 Abs. 5 lit. e ErgÜbk kumulativ angeRat der Europäischen Union EGAbl. 2000/C 379/02, S. 15. Dies ist freilich nicht erforderlich, wenn es sich um eine Zeugenvemehmung im deutschsprachigen Ausland, wie Österreich oder dem deutschsprachigen Kanton der Schweiz, handelt. 80 In dieser Richtung auch BGHst 45, 188,195. 81 Vgl. dazu oben: im 4. Kapitel, Abschnitt B., Ir., 2. 78

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C. Die grenzüberschreitende Videokonferenz gern. Art 10 EuRhÜbk

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wandt werden sollen. Die Aussageperson kann sich also auf diejenigen Aussageverweigerungsrechte berufen, die ihr im Recht des ersuchten oder des ersuchenden Mitgliedstaates gewährleistet werden. Im Hinblick auf den Verfahrensaufwand, der mit einer Videokonferenz verbunden ist, wird man nun bereits vor der jeweiligen Vernehmung ergründen müssen, ob der videokonferenzvermittelten Vernehmung des Zeugen - tatsächliche wie rechtliche - Gründe entgegenstehen. Dies macht eine vorherige Kontaktaufnahme mit dem Zeugen erforderlich. Wird ein rechtlicher Grund geltend gemacht, so ist nach einer gegenseitigen Konsultierung der lustizbehörden in den jeweiligen Mitgliedstaaten, "dariiber durch die lustizbehörde, die die Vernehmung durchführt, zu entscheiden". 82 e) Auf den wichtigen Aspekt des Zeugenschutzes wird in Art 10 Abs. 5 lit. b ErgÜbk hingewiesen. Danach werden im Bedarfsfalle zwischen den jeweils zuständigen Behörden Maßnahmen zum Schutz der zu vernehmenden Person vereinbart. Im Einzelfalle kann insoweit auch die Vernehmung von Zeugen erfolgen, deren unmittelbares Erscheinen vom ersuchten Mitgliedstaat selbst verhindert worden wäre. Damit gemeint sind u. a. behördliche V-Leute des ersuchten Mitgliedstaates, deren "Verbrennen" durch eine Identitätsoffenbarung verhindert werden soll. Wurde oben ausgeführt, dass die Strafverfolgung durch den Einsatz von V-Leuten gerade im Bereich der Organisierten Kriminalität in Betracht kommt, so wird dem internationalen Operationsfeld dieser Kriminalitätsform Rechnung getragen und mit dem ErgÜbk ein weiterer Beitrag zur Bekämpfung derartig schwerer Kriminalität geleistet. 4. Über die Vernehmung per Videokonferenz hat die lustizbehörde des ersuchten Mitgliedstaates ein Protokoll anzufertigen und dem ersuchenden Mitgliedstaat zu übermitteln. Art 10 Abs. 6 ErgÜbk normiert diese Verpflichtungen sowie den Mindestinhalt (Angabe von Zeit und Ort der Vernehmung, der Identität der Aussageperson, der Identität und Funktion weiterer Verfahrensbeteiligter im ersuchten Mitgliedstaat, der Vereidigung sowie den technischen Bedingungen) des Protokolls. Wie der Wortlaut in S. 1, "unbeschadet etwaiger zum Schutz von Personen vereinbarter Maßnahmen", verdeutlichen soll, braucht beispielhaft die Identität von bestimmten Personen im Protokoll nicht angegeben werden, wenn die Identitätswahrung als vereinbarte Schutzmaßnahme zwischen den Mitgliedstaaten anzusehen ist. In diesem Fall soll dann aber die Funktion der jeweiligen Person (bspw. behördlicher V-Mann) angegeben werden,83 was dem Regelungsgehalt des § 68 entspricht. 5. Weitere Regelungen enthält Art 10 ErgÜbk für die Kosten einer Videokonferenz sowie die Entschädigung von Zeugen und Sachverständigen (Abs. 7: grundsätzlich ersuchender Mitgliedstaat), für die Ladung der Aussagepersonen (Abs. 4: durch lustizbehörde des ersuchten Staates nach dessen innerstaatlichem Recht) so-

82 83

Rat der Europäischen Union EGAbl. 2000/C 379/02, S. 15. Rat der Europäischen Union EGAbl. 2000/C 379/02, S. 16.

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6. Kap.: Die Anwendung der Videotechnik bei Auslandszeugen

wie im Hinblick auf die Vernehmung des Beschuldigten per Videokonferenz (Abs. 9). Nach Art 10 Abs. 8 ErgÜbk trifft jeder Mitgliedstaat die erforderlichen Maßnahmen, damit für Zeugen oder Sachverständige, die "trotz Aussagepflicht die Aussage verweigern oder falsch aussagen, [das] innerstaatliche Recht genauso gilt, als ob die Vernehmung in einem innerstaatlichen Verfahren erfolgen würde".

11. Zusammenfassung Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass Art 10 ErgÜbk in umfassender Weise Regelungen für die Durchführung einer Videokonferenz bereitstellt. So finden sich von der Ladung der jeweiligen Aussageperson über die Art und Weise der Durchführung einer Videokonferenz bis hin zur Kostentragung überwiegend klare Vorgaben, die etwaige unterschiedliche Interessen der Mitgliedstaaten weitgehend zu harmonisieren versuchen. Gerade mit Blick darauf, dass das ErgÜbk mit Art 10 den Weg zur "aktiven" Anwesenheit bei der Beweisaufnahme im Ausland eröffnet, sowie dass eine Videofervernehmung "die ungeschmälerte Ausübung der prozessualen Befugnisse aller Prozess beteiligten gewährleistet",84 bleibt zu vermuten, dass sich diese spezielle Form der Rechtshilfe zwischen den europäischen Mitgliedstaaten schnellstmöglich durchsetzen wird. Weil Art 10 ErgÜbk auch die Vorgaben umsetzt, die der BGH in seiner Grundsatzentscheidung zur grenzüberschreitenden Videofernvernehmung für den vertragslosen Rechtshilfeverkehr aufgestellt hat,85 kommt dem ErgÜbk dariiberhinaus auch Indizwirkung außerhalb seines Anwendungsbereiches, etwa im rechtshilfevertragsfreien Raum, zu. Ob sich demgegenüber die Videofernvernehmung auch des Beschuldigten selbst durchsetzen wird, wie dies in Art 10 Abs. 9 ErgÜbk vorgesehen wurde, bleibt abzuwarten. Denn jedenfalls zum deutschen Unmittelbarkeitsprinzip gehört die Regelung des § 230 StPO,86 wonach der Angeklagte für die Durchführung einer Hauptverhandlung im Gerichtssaal anwesend sein muss (und darf).87

84 So die entsprechende Formulierung in der Grundsatzentscheidung des BGH zur Videofernvernehmung von Auslandszeugen, BGHst 45, 188, 195. 85 Vgl. dazu BGHst 45, 188, 194 f. 86 Zur Frage der Auswirkung von Abwesenheitsurteilen auf die Gewährleistung von Rechtshilfe, vgl. Schomburgl Lagodny IRG3 , § 73 IRG Rn. 70 ff. 8? Kleinknechtl Meyer-Goßner StP045 § 230 Rn. 14. Für die Durchführung des Hauptverfahrens gegen einen Beschuldigten ist insoweit immer seine "Gestellung" notwendig (vgl. § 276).

D. Mangelnde Sanktionierbarkeit der Falschaussage des "Videozeugen"

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D. Mangelnde Sanktionierbarkeit der Falschaussage des" Videozeugen" Wurde insbesondere vom BG1f'8 in seiner Grundsatzentscheidung zur grenzüberschreitenden Videofernvernehmung geäußert, ein grundlegendes Problem der Beweisführung mit "Videozeugen" bestehe darin, dass der wahrheitsfördernde Charakter auch deshalb entfalle, weil die Strafbarkeit einer etwaigen Falschaussage ungeklärt sei, so gilt dies nur für grenzüberschreitende Videokonferenzen. Darauf wurde an früherer Stelle bereits hingewiesen. 89 Mit Blick auf die Sonderkonstellation, dass die jeweilige Aussageperson im Rahmen einer videokonferenzvermittelten Vernehmung (i.d.R.) vor einem Gericht aussagt, dessen nationale Vorschriften aber an dem Ort nicht gelten, wo sich der Zeuge aufhält, m. a. W. der "Aufenthaltsort" und die "Wirkung" des Zeugen auseinanderfallen, fragt sich, ob nicht wenigstens von deutscher Seite bereits de lege lata die Möglichkeit besteht, die Falschaussage eines deutschen Zeugen, der durch einen anderen europäischen Staat per Videokonferenz auf deutschem Hoheitsgebiet vernommen wird und vor den ausländischen lustizbehörden pflichtwidrig falsch aussagt, zu sanktionieren. Dieser Frage lohnt sich nachzugehen, weil über den damit angesprochenen Anwendungsbereich der §§ 153 f. StGB bisher weitgehende Uneinigkeit besteht und für den Fall mangelnder Anwendbarkeit interessiert, warum keine Ausdehnung der Tatbestände qua bloßer Auslegung vorgenommen werden kann.

J. Allgemeines zur "stellvertretenden Strafrechtspflege" Die Sanktionierung einer Falschaussage, die im Rahmen einer Videofernvernehmung ausländischer lustizbehörden durch einen deutschen Zeugen begangen wurde, wäre stellvertretende Strafrechtspflege zugunsten des Staates, der um die Rechtshilfeleistung, "Videofernvernehmung eines deutschen Zeugen", ersuchte. Eine stellvertretende Übernahme der Strafverfolgung ist eine mögliche Alternative zur Auslieferung,90 die mit der Ergänzung des Art 16 Abs. 2 GG durch verfassungsänderndes Gesetz vom 29. 11. 200091 nunmehr auch auf Deutsche erstreckt werden kann. 92

Vgl. nur BGHst 45, 188, 196 f. Siehe dazu oben in Fn. 87 im ersten Kapitel. 90 Pappas Stellvertretende Strafrechtspflege, S. 9, S. 130. 9! ÄndG v. 29. 11. 2000 - BGBI. I, S. 1633. Vgl. dazu im einzelnen Zimmermann JZ 2001, 233 ff. Damit ist also der "problematischste Punkt, [das] Auslieferungshindernis mit Verfassungsrang" (Schombur8,1Lagodny IRG3 § 1 Jugoslawien-StGH-G Rn. 23) ausgeräumt. Vgl. a. Art 7 Abs. 1 EU-AuslUbk v. 27.09. 1996. 92 Soweit die Auslieferung an Staaten der Europäischen Union oder internationaler Strafgerichtshöfe erfolgen soll. 88 89

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Rieck

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6. Kap.: Die Anwendung der Videotechnik bei Auslandszeugen

Eine Grundvoraussetzung stellvertretender Strafrechtspflege wäre aber, dass eine identische Tatortnonn existiert, die die Erstreckung der Strafgewalt auf die "Auslandstat"93 ennöglicht. 94 Für die Sanktionierung von Falschaussagen, die im Rahmen einer grenzüberschreitenden Videofernvernehmung durch einen deutschen "Videozeugen" verwirklicht werden, rückt insoweit also die bereits benannte Frage in den Vordergrund, ob die §§ 153 f. StGB, die vordergründig dem Schutz der Rechtspflege des deutschen Staates dienen,95 auch zum Schutz der Rechtspflege eines anderen europäischen Staates angewendet werden können. Dazu findet sich, wie gerade ausgeführt wurde, wohl wegen des neutral fonnulierten Gesetzeswortlauts der §§ 153 f. StGB 96 nicht verwunderlich, ein recht inhomogenes Meinungsbild. 11. Anwendung der § 153 f. StGB auf hoheitliche Rechtsgüter im Ausland 1. Die Sichtweise der Rechtsprechung

Bereits im Jahre 1881 vertrat das Reichsgericht die Auffassung, das deutsche Strafgesetzbuch gebe "keinen Anhaltspunkt für die Annahme, dass nur ein vor einer inländischen Behörde geleisteter Meineid strafbar" sei. Denn der Wortlaut der §§ 153 ff. StGB enthalte keine derartige Beschränkung. Auch die Natur des Verbrechens rechtfertige nicht die Annahme, dass der Staat bei dieser Vorschrift nur an inländische Rechtsgutsobjekte gedacht habe. 97 93 Weil die Falschaussage auf deutschem Hoheitsgebiet begangen wird, ist sie an sich keine "Auslandstat". Sie stellt sich aber wie eine "Auslandstat" dar. Denn die Wirkungen treten dort ein, von wo die Vernehmung erfolgt, scil. bei einer grenzüberschreitenden Videofernvernehmung im Ausland. Obwohl man insoweit von einer "Auslandstat" sprechen muss, folgt das ,ius puniendi' recht unproblematisch aus dem "Territorialitätsprinzip" des § 3 StGB. Erforderlich ist dafür nun aber weiterhin, dass die grenzüberschreitend wirkende Falschaussage auch als "Tat" iSd. §§ 153 f. StGB angesehen werden kann. Eine "Tat" im Sinne der Vorschriften liegt wiederum nur dann vor, wenn der Schutzbereich der in Betracht kommenden Strafrechtsnorm erfüllt ist. Zum Streit, ob die Normen für das ,ius puniendi' dem jeweiligen Tatbestand vorgehen oder nicht, vgl. einerseits bejahend: BGHst 21,277,280; 29, 85, 88; 40, 79,81; Sch/Sch26 -Eser Vorbem. §§ 3-7 Rn. 13; NK-Lemke Vor §§ 3-7 Rn. 23, sowie andererseits verneinend: SK-Hoyer Vor § 3 Rn. 3; Jescheck/Weigend AT, § 18 I I, S. 167 f.; LK Il-Gribbohm Vor § 3 Rn. 3. Entgegen der erstgenannten Aufassung scheint sich m. E. aber bereits ein logischer Vorrang der Priifungsstufe "Tatbestandsreichweite" aufzudrängen, so a. Lehle Erfolgsbegriff, S. 47 Fn. 110. 94 Dies ist ein logisches Erfordernis, vgl. Pappas Stellvertretende Strafrechtspflege, S. 10 Fn. 11. 95 Dass die §§ 153 f. StGB den Staat als Hoheitsträger schützen, darf als einhellige Auffassung bezeichnet werden, so Arzt/Weber BT, § 47 Rn. 4 Fn. 2 m. w. Nw. Dazu, inwieweit die Vorschriften auch individuelle Rechtsgüter schützen, sogleich. 96 Derartige Neutralformulierungen finden sich auch in anderen Staaten, vgl. nur: § 288 StGB Österreich sowie Art 307 StGB Schweiz. 97 RGSt 3, 70, 72, 8, 53, 57 f.

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An diese Rechtsprechung des Reichsgerichts wurde im Jahre 1951 durch den BGH in einem Fall angeknüpft, in welchem der Täter als Zeuge vor einem russischen Militärtribunal andere Deutsche fälschlich belastet hatte. Danach, so der BGH, dienten die §§ 153 ff. StGB zwar primär dem Schutz der staatlichen Rechtspflege. Die erstattete falsche Aussage vor dem ausländischen Gericht sei aber dann nach den §§ 153 ff. StGB strafbar, wenn die Falschaussage den arn Verfahren Beteiligten zum Nachteil gereiche. 98 Dies wiederum wird von den Instanzgerichten, insbesondere dem OLG Düsseldorf,99 als Einschränkung der reichsgerichtlichen Auffassung angesehen. Es interpretiert daher, die Strafbarkeit von Falschaussagen vor ausländischen Gerichten ergebe sich nicht aus einer Verpflichtung zum Schutz der ausländischen Rechtspflege, sondern folge aus einer Verletzung von individuellen Rechtsgütern. 100

2. Die Sichtweise der Literatur

Demgegenüber wendet sich die wohl vorherrschende Auffassung in der Literatur ganz entschieden gegen die (Tatbestands-)Erstreckung der §§ 153 ff. StGB auf die ausländische Rechtspflege. 101 So wird etwa vorgebracht, es gebe keinen völkerrechtlichen Grundsatz, der die Bundesrepublik verpflichte, die Verletzung ausländischer Rechtsgüter zu kriminalisieren. Vielmehr "läge in solcher Anmaßung eine unzulässige Einmischung in die Angelegenheiten fremder Souveränität". 102 In der neueren Kommentarliteratur lO3 findet sich weitergehend der Hinweis, es sei dem deutschen Strafrichter - auch bei Berücksichtigung der Möglichkeit unterschiedlicher Entscheidungen unterschiedlicher Gerichte - nicht zumutbar, die für die Anwendung der nationalen Rechtspflegetatbestände erforderliche Integrität und darauf beruhende Schutzwürdigkeit der Rechtspflege des ausländischen Staates zu überprüfen. 104 Und schließlich wird für dieses Ergebnis auch an die Ausführungen Bindings im Jahre 1905 angeknüpft, wonach die Rechtspflegetatbestände wegen BGH LM § 3 StOB Nr. 2. Dazu OLG DüsseldorfNIW 1982,1242 ff. 100 OLG DüsseldorfNJW 1982, 1242, 1243 m. zust. Anm. Bottke JR 1983,76. Vgl. a. BGHst 22, 282, 285. 101 Sch/Sch 26 -Eser Vorbem. §§ 3-7 Rn. 16 ff.; Tröndle/Fische,-5° Vor § 3 Rn. 9; LK ll Gribbohm Vor § 3 Rn. 164; Jescheck/Weigend AT, § 18 III 8, S. 176 f.; Linke EuORZ 1980, 155, 157; Lüttger in: FS-Jescheck (1985), S. 121, 143, 160; Meyer-Goßner Jura 1989, 322, 326; Oehler Internationales Strafrecht 2 , S. 203; ders. in: FS-Mezger (1954), S. 83, 99; SKStOB-Samson § 3 Rn. 13; Schlüchter in: FS-Oehler (1985),307,314 f.; LKIO-Trändle Vor § 3 Rn. 28; Vogler FS-Oriitzner (1970), S. 149, 150 u. 153; ders. ZStW 96 (1984), 531, 540; NKVormbaum Vor § 153 Rn. 28, 34. 102 Bottke JR 1983,76 im Anschluss an Oehler in: FS-Mezger (1954),83,99. 103 Sch/Sch 26 -Eser Vorbem. §§ 3-7 Rn. 17,21; LKll-Gribbohm Vor § 3 Rn. 181; SKHoyer Vor § 3 Rn. 35; NK-Vormbaum Vor § 153 Rn. 36 f. 104 Vgl. a. H. Schröder JZ 1968, 241, 244 f.; F.-c. Schroeder JZ 1976, 100. 98

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der dann drohenden Umfunktionalisierung zu "Blankettgesetzen von geradezu unheimlichen Umfange,d05 ihre tatbestandliehe Garantiefunktion verlören. 106 Daher sei die in früherer Zeit vertretene Gegenauffassung, 107 wonach die Aussagedelikte auch die ausländische Rechtspflege schützten, abzulehnen. 3. Kritik und eigene Sichtweise

a) Der zunächst vorgebrachte Einwand einer Beeinträchtigung der Souveränität anderer Staaten überzeugt nicht. Denn eine Souveränitätsbeeinträchtigung wäre allenfalls dann möglich, wenn mit der Ausdehnung der Strafgewalt durch die extensive Auslegung nationaler Tatbestände das ureigenste Recht der Staaten, über die Reichweite ihrer eigenen Strafgewalt zu bestimmen,108 berührt werden würde. Als ein derartiger Eingriff in das völkerrechtliche Einmischungsverbot wäre es beispielsweise anzusehen, wenn ein Staat durch sein Strafrecht ein Verhalten im Ausland verbietet, das dort gesetzlich ausdrücklich vorgeschrieben wird. Gleiches gilt, wenn eine entsprechende Norm im Ausland fehlt, so dass das pönalisierte Verhalten dort erlaubt ist. 109 Gerade dies ist aber bei den Delikten gegen die Rechtspflege nicht der Fall. Denn jeder (europäische) Staat hat seine staatlichen Rechtsgüter, und damit auch die Rechtspflege als staatliche Institution, mit dem besonderen Schutz des Strafrechts versehen. Darüberhinaus wird kein fremder Staat etwas dagegen einzuwenden haben, dass sein eigenes Strafrecht auch außerhalb seiner eigenen Grenzen gedeckt und unterstützt wird. llo Dies gilt jedenfalls, soweit das ausländische Strafrecht nicht das eigene überlagert, etwa weil man ein bestimmtes Binding Bd. II/2 (1905), § 190 II, S. 373. Dazu etwa Oehler Internationales Strafrecht2 , S. 483 f. Rn. 782; LKIO-Tröndle Vor § 3 Rn. 28; kritisch dazu Lüttger in: FS-Jescheck (1985), S. 121. 107 So noch LK9 -Tröndle Vor § 3 Rn. 24 (unter der Bedingung, dass die ausländische Rechtspflege nach allgemein anerkannten rechtstaatlichen Grundstätzen verfahrt); Frank StGB 1 § 153 Anm. I sowie § 154 Anm. I 1; Jescheck in: FS-Rittler (1957), S. 275, 285; Reschke, S. 28 ff.; Sandweg, S. 124 ff., 131 f.; Wetzet Strafrecht 11 , § 6 II 1, S. 27. 108 Anerkannt seit der sog. "Lotusfallentscheidung" des Ständigen Internationalen Gerichtshofs vom 07. 09. 1927 (PCIJ Sero A No. 10, StiGHE 5, S. 71 ff.), wo der Gerichtshof entscheiden musste, ob ein türkisches Gericht einen französischen Schiffsoffizier bestrafen durfte, der auf hoher See bei einer Kollision zwischen dem französischen Postdampfer "Lotus" und dem türkischen Schiff "Boz Kourt" den Tod von acht türkischen Seeleuten fahrlässig verursacht hatte. Zu dieser bisher einzigen Entscheidung für das internationale Strafrecht, vgl. LK11-Gribbohm Vor § 3 Rn. 145; Pappas Stellvertretende Strafrechtspflege, S. 75 Fn. 22 m.w.Nw. 109 Eine historische Reminiszenz in dieser Hinsicht bildet etwa § 90 StGB DDR: "Wer im Widerspruch zum Völkerrecht maßgeblich oder mit besonderer Aktivität daran mitwirkt, unter Ausdehnung der Gerichtshoheit der Bundesrepublik Deutschland Bürger der Deutschen Demokratischen Republik wegen der Ausübung ihrer verfassungsmäßigen Staatsbürgerrechte zu verfolgen, zu ihrer Verfolgung aufzufordern oder die Verfolgung anzuordnen oder zu veranlassen, wird [ ... ] bestraft." 110 So Lüttger in: FS-Jescheck (1985), 121, 135. 105

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Verhalten viel härter pönalisiert. Den weiteren Integritätsbedenken wird man wohl entgegen halten können, dass jedenfalls auf EU-Ebene nicht per se Veranlassung besteht, an der Integrität und Vertrauenswürdigkeit der ausländischen Staaten zu zweifeln. Denn die Mitgliedstaaten der EU sind kraft ihrer Definition 111 pluralistische Demokratien und Rechtsstaaten, die einen effektiven Schutz der - in der Europäischen Menschenrechtskonvention niedergelegten - Menschenrechte gewährleisten. Diese Gemeinsamkeit bedingt und beherrscht weiterhin auch die internationale Zusammenarbeit im Bereich des Strafrechts,112 so dass man hier von einem (weitgehenden) rechtsstaatlichen Verfahren ausgehen kann. 1l3 Eine Erstreckung der neutral formulierten Rechtspflegetatbestände auf den Schutz der ausländischen Rechtspflege unterläge danach - entgegen der hierzu vorgebrachten Gründe - an sich keinerlei Bedenken. Dies gilt an sich auch gegenüber nicht-europäischen Staaten. Will man dem nicht folgen, müsste man nämlich dem nationalen Recht einen Rechtsgrundsatz entnehmen können, wonach fremde öffentliche Rechtsgüter wegen präsumtiv mangelnder Vertrauenswürdigkeit der fraglichen Staatstätigkeit pauschal aus dem eigenen Strafschutz zu eliminieren seien. I 14 Ein derartiger Rechtsgrundsatz folgt aber weder aus dem nationalen Rechtshilferecht noch aus dem materiellen Recht. lls Soweit im Rahmen des Rechtshilfeverkehrs gern. § 73 IRG die Leistung von Rechtshilfe dann unzulässig ist, wenn sie wesentlichen Grundsätzen der deutschen Rechtsordnung widersprechen würde, geht es nur um eine auf den konkreten Einzelfall bezogene, also nicht pauschale "Leistungsverweigerung". Hinzu kommt, dass der deutsche "ordre public" eine sehr weite Ausdehnung erfährt. 1l6 Wenn weiterhin die materiellrechtliehen Tatbestände der §§ 102-104 StGB alle ausländischen Staaten umfassen, mit denen die Bundesrepublik diplomatische Beziehungen unterhält (§ l04a StGB), ergibt sich auch daraus keine Stütze für eine Unterscheidung nach der Vertrauenswürdigkeit der Staaten. ll7 Schließlich stimmt die Unterscheidung auch sehr nachdenklich, weil gegebenenfalls von vornherein "gestandene Rechtsstaaten mit demselben Misstrauen behandelt werden wie berüchtigte Unrechtssysteme".1l8

b) Nichtdestotrotz spricht gegen die Ausdehnung der neutral formulierten nationalen Rechtspflegetatbestände vor allem die Befürchtung eines Verlusts der Garantiefunktion (Art 103 Abs. 2 GG, § 1 StGB). Gemeint ist explizit der Einbruch in das Gebot der hinreichenden Gesetzesbestimmtheit. Weiterhin spricht aber auch 111 Vgl. Art 6 Abs. 1 EUV in der Fassung vom 02. 10. 1997. Explizit CorveslBartsch ZStW 96 (1984),505,508. 113 Vgl. a. JarasslPieroth Art 16 Rn. 17. 114 Lüttger in: FS-Jescheck (1985), S. 121, 136. 115 Lüttger in: FS-Jescheck (1985), S. 121, 136 f. 116 Sinn und Zweck ist der Gedanke, dass das Grundgesetz kein Werturteil über eine fremde Rechtsordnung fällt und insoweit nicht über den Umweg der Auslieferung und sonstigen Rechtshilfe den eigenen Vorstellung vom Rechtsstaat Allgemeinverbindlichkeit zukommen kann, so Lüttger in: FS-Jescheck (1985), S. 121, 136. 117 Lüttger in: FS-Jescheck (1985), S. 121,137. Vgl. a. §§ 132a Abs. 1 Nr. 1; 146 ff., 152 StGB. 118 Lüttger in: FS-Jescheck (1985), S. 121, 138. 112

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die geübte Verfahrenspraxis sowie Art 10 Abs. 9 ErgÜbk gegen die extensive Auslegung der §§ 153 ff. StGB: Dem Gebot hinreichender Bestimmtheit von Strafgesetzen entnimmt man herkömmlich ein Zweifaches. Durch die Ermöglichung der Vorausberechenbarkeit des Rechts soll das Prinzip einerseits dem Schutz des Normadressaten dienen. 119 Denn normgerechtes Verhalten kann nur dann erwartet werden, wenn für den Einzelnen auch hinreichend klar erkennbar ist, was wie (straf-)rechtlich missbilligt wird. Mit dem Schutz des Normadressaten eng verbunden ist andererseits auch die Wahrung der staatsorganisationsrechtlichen Entscheidungszuständigkeit des Gesetzgebers. 12o Denn im grundrechtlich hochsensiblen Bereich des Strafrechts darf nur er über das "Ob" und "Wie" der Einschränkung von Grundfreiheiten durch das Strafrecht entscheiden. 12 ! aa) Der Gesichtspunkt der Erkennbarkeit des Rechts für den Normadressaten unterliegt keinem Zweifel: Weil die Rechtspflegedelikte eine Falschaussage vor einem Gericht oder einer entsprechenden Stelle pönalisieren und die Videovernehmung - wo sie denn zu diesem Zweck auch eingesetzt wird - für die Aussageperson mit einer besonderen Rechtsstellung als Zeuge verbunden ist, muss die Aussageperson darüber in jedem Fall belehrt werden. Die §§ 153 f. StGB werden insoweit auch bei Videokonferenzen des Auslands mit deutschen Zeugen verhaltensdeterminierende Wirkung entfalten, wenn sie zugunsten der ausländischen Rechtspflegeinstitution angewandt werden.

bb) Anders als bei dem Gesichtspunkt der Vorausberechenbarkeit des Rechts stellt sich die Situation für die Entscheidungszuständigkeit der Legislative dar. Beriicksichtigt man, dass das deutsche Strafrecht als innerstaatliches Ordnungsrecht in erster Linie dem Schutze inländischer Rechtsgüter dient,122 so muss gerade im Hinblick auf den Grundsatz des Gesetzesvorbehaltes näher dargelegt werden, warum der jeweilige Tatbestand auch auf hoheitliche Rechtsgüter ausländischer Staates zu erstrecken ist. Denn anders als bei Individualrechtsgütern, wie Leib, Leben, Freiheit, Ehre, Privatgeheimnisse, Farnilienrechte und Vermögen, entspricht der Schutz von hoheitlichen Rechtsgütern keinem "minimum standard of justice". 123 Dies gilt gerade vor dem Hintergrund der positivrechtlichen Regelung des § 5 Nr. 10 StGB. Denn hier wird verdeutlicht, dass die "im Ausland begangenen Falschaussagen,,124 dann den §§ 153 f. StGB unterliegen, wenn im räumlichen Geltungsbereich des StGB ein Verfahren anhängig ist, für das die Aussage im Ausland erfolgt. Nur in diesem Fall tangiert die Falschaussage auch die nationale Rechtspflege. Ermöglicht dies zwar eine Erstreckung der deutschen Strafgewalt 119

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a).

Vgl. nur Callies NJW 1985, 1506, 1508. Vgl. nur Callies NJW 1985, 1506, 1512. Vgl. dazu bereits die einleitenden Ausführungen im 1. Kapitel, Abschnitt A., III., 1.,

122 BGHst 8, 349, 355; 21, 277, 280; 22, 282, 285; 40, 79, 81; OLG Saarbrücken NJW 1975,506,507; OLG Stuttgart NJW 1977,1601,1602. 123 So Jescheck/Weigend AT, § 18 III 8, S. 176. 124 Vgl. dazu bereits die Ausführungen in Fn. 93.

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auf "Videozeugen", die durch ein deutsches Gericht im Ausland vernommen werden, so gilt dies jedoch nicht in umgekehrter Richtung. Denn bei einer Vernehmung eines deutschen Zeugen durch eine ausländische lustizbehörde per Videokonferenz fehlt es regelmäßig an einem Bezug zu einem deutsches Gerichtsverfahren. Denn die Tatigkeit deutscher lustizbehörden wird sich allein auf die Bereitstellung der entsprechenden Technik, die Ladung der Aussageperson sowie die Beobachtung einer Einhaltung der eigenen Grundprinzipien beschränken. 125 Wenn nun von der Rechtsprechung eine Anwendung der §§ 153 f. StGB auch dann vorgenommen wird, wenn durch die Falschaussage vor dem ausländischen Gericht individuelle Rechtsgüter beeinträchtigt werden,126 so überzeugte dies nur, wenn die §§ 153 ff. StGB auch dem Schutz von Individualrechtsgütern dienten. Gerade diese Schutzzweckverdoppelung widerspricht aber positivrechtlichen als auch rechtsstaatlichen Erwägungen. Denn zunächst ist der in § 5 Nr. 10 StGB "ausgesprochenen Ausweitung des Anwendungsbereichs [ ... ] die ausdrückliche Begrenzung auf Taten mit [hoheitlichem] Inlandsbezug hinzugefügt".127 Dies muss insoweit auch für die Videofernvernehmung gelten, obwohl der Gesetzgeber bei der Schaffung der Vorschriften des Internationalen Strafrechts die entstehende Verfahrensgestaltung nicht bekannt sein konnte, bei der ein Zeuge an einem Ort im Ausland "wirkt", an dem er sich aber nicht aufhält. Die benannte positivrechtliche Regelung ist insoweit "Ausfluss des Staatsschutzprinzips", 128 was eine Ausdehnung der §§ 153 f. StGB qua bloßer Auslegung verbietet. Die Schutzzweckverdoppelung missachtet zudem in rechtsstaatlich bedenklicher Weise zu Lasten des Beschuldigten den aus der Garantiefunktion des Strafgesetzes resultierenden fragmentarischen Charakter des Strafrechts. 129 Für die Richtigkeit der Annahme, dass die nationalen Rechtspflegedelikte nicht ohne weiteres auf den Schutz überindividueller Rechtsgüter anderer Staaten zu erstrecken sind, spricht im übrigen auch die Verfahrenspraxis vor supra- und internationalen Gerichten. Würde man unter Berufung auf den Wortlaut der innerstaatlichen (Rechtspflegeschutz-)Vorschriften behaupten, dass nicht nur innerstaatliche Rechtsgüter vom Schutz umfasst werden, so wäre nicht recht verständlich, warum über den umständlichen Weg völkerrechtlicher Vereinbarungen zwischen den Mitgliedstaaten Regelungen geschaffen wurden (und werden), die die nationalen Strafvorschriften auf Aussagedelikte, welche vor dem jeweiligen Gerichtshof begangen 125 Vgl. dazu die vorangegangenen Ausführungen zu Art 10 Abs. 5 ErgÜbk in diesem Kapitel, Abschnitt c., I., 3., a). 126 Das ,ius puniendi' folgte dann aus § 7 Abs. 1 StGB, so NK-Vonnbaum Vor § 153 Rn. 28. 127 NK-Vonnbaum Vor § 153 Rn. 38. 128 NK-Vonnbaum Vor § 153 Rn. 28: "Ginge es den Aussagetatbeständen (auch) um den Schutz einzelner (deutscher) Staatsbürger vor Auswirkungen von Falschaussagen, so hätte eine umfassendere Regelung oder ein auf § 7 Abs. 1 vertrauendes Stillschweigen näher gelegen, denn unter diesem Gesichtspunkt erscheint der Zuschnitt von § 5 Ziff. 10 willkürlich." 129 NK-Vonnbaum Vor § 153 Rn. 27.

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werden, ausdehnenYo Und schließlich stützt dieses Ergebnis auch Art 10 Abs. 8 ErgÜbk, 131 wo zum Ausdruck gebracht wird, dass die nationalen Regelungen der europäischen Staaten bisher nur für innerstaatliche Verfahren gelten. Insoweit können also die nationalen Rechtspflegetatbestände trotz ihres neutralen Gesetzeswortlauts nicht im Wege schierer Auslegung auf den Schutz ausländischer Rechtspflegeorgane erstreckt werden. IH. Zusammenfassung

De lege lata kommt derzeit keine Anwendung der nationalen Rechtspflegetatbestände für deutsche Zeugen in Betracht, die im Rahmen einer grenzüberschreitenden Videofernvernehmung auf deutschem Boden, aber vor ausländischen Justizbehörden pflichtwidrig falsch aussagen. - Mit Blick auf die Regelung des Art 10 Abs. 8 ErgÜbk ist davon auszugehen, dass diese Situation (momentan) in allen Mitgliedstaaten des EuRHÜbk besteht. 132 Die stellvertretende Strafrechtspflege durch Übernahme der Strafverfolgung kommt demnach also nicht in Betracht. Sie bildet derzeit insoweit auch keine "Alternative zur Auslieferung", die für deutsche "Videozeugen" bislang zudem daran scheitert, dass die notwendigen innerstaatlichen Regelungen 133 für die Auslieferung Deutscher an einen Mitgliedstaat der EU (noch) nicht existieren. Soll die praktische Effizienz grenzüberschreitender Videokonferenzen zum Zweck der Zeugenvernehmung (§ 247a S. 1,2. Alt) nicht beeinträchtigt werden, müssen also schnellstmöglich die entsprechenden Regelungen durch den Gesetzgeber geschaffen werden. Andernfalls bliebe man auf halbem Wege stehen, 130 Dazu vgl.: Art 27 des Protokolls über die Satzung des Gerichtshofs der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft vom 17. 04. 1957 (BGBL 195711, S. 1166; 196211, S. 1127); gleichlautend Art 28 des Protokolls über die Satzung des Gerichtshofs der Europäischen Atomgemeinschaft vom 17.04. 1957 (BGBL 195711, S. 1194; 1972 11, S. 1144); Art 28 Abs. 4 des Protokolls über die Satzung des Gerichtshofs der EG für Kohle und Stahl v. 18. 04. 1951 (BGBL 1952 11, S. 482); Art 109 der Verfahrensordnung des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaften vom 03.03. 1959 (BGBL 195911, S. 1205; 196011, S. 452; 196211, S. 1030) i. V. m. Art 6 Zusätzliche Verfahrensordnung des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaften vom 09.03. 1962 (BGBL 196211, S. 770) sowie Art 57 Verfahrensordnung der Europäischen Kommission ftir Menschenrechte vom 02. 04. 1959 (BGBL 196311, S. 333) - in der Neufassung allerdings nicht mehr enthalten. 131 Art 10 Abs. 8 ErgÜbk lautet: ,,Jeder Mitgliedstaat trifft die erforderlichen Maßnahmen, um sicherzustellen, dass in Fällen, in denen Zeugen oder Sachverständige gemäß diesem Artikel in seinem Hoheitsgebiet vernommen werden und trotz Aussagepflicht die Aussage verweigern oder falsch aussagen, sein innerstaatliches Recht genauso gilt, als ob die Vernehmung in einem innerstaatlichen Verfahren erfolgen würde." 132 Vgl. dazu die vorangegangenen Ausftihrungen. 133 Vgl. Art 16 Abs. 2 S. 2 GG.

E. Videofemvernehmung von Auslandszeugen und freies Geleit

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weil man dem "Videozeugen" nicht (auch) darüber belehren könnte, dass die etwaig begangene pflichtwidrige Nicht- bzw. Falschaussage an Ort und Stelle vom Aufenthaltsstaat selbst verfolgt werden kann. Demgegenüber folgt aus der gesetzlichen Situation nichtdestotrotz keine (völlige) Ungeeignetheit des "Videozeugen" als Beweismittel. Denn aus den Ausführungen ergibt sich, dass trotz des Auseinanderfallens von "Wirkung" und "Aufenthaltsort" des Zeugen eine Verfolgung etwaiger Falschaussagen durch den Staat erfolgen kann, der die jeweilige Videofemvernehmung durchführt. Ist diese Verfolgung derzeit auch darauf beschränkt, dass der Zeuge irgendwann das Hoheitsgebiet des jeweiligen Staates betritt, so wird sich ein "Videozeuge" wohl im Regelfall auch von dieser ihm drohenden (beschränkten) Strafverfolgung zur Wahrheit motivieren lassen. 134 Dass damit derzeit freilich ein Unterschied zu demjenigen Zeugen besteht, der unmittelbar im Gerichtssaal des ausländischen Gerichts erscheint, ist den Kritikern von Videokonferenzen im Strafprozess zuzugestehen. Angesicht der Schaffung europaweiter Regelungen für die Durchführung grenzüberschreitender Videokonferenzen wird es sich aber nur um einen voriibergehenden Unterschied handeln.

E. Videofernvernehmung von Auslandszeugen und freies Geleit Es wurde bereits ausgeführt, dass das freiwillige Erscheinen eines Zeugen vor einem Gericht im Ausland weitgehend ausgeschlossen ist, wenn der Zeuge in dem Staat, der um sein Erscheinen ersucht, Strafverfolgung zu befürchten hat. Hier nun soll abschließend noch auf das Rechtsinstitut des "freien Geleits" zuriickgekommen werden. Bereits an friiherer Stelle wurde dafür die Frage gestellt, ob die Möglichkeit der Videofemvernehmung nicht die praktische Relevanz des Rechtsinstituts relativieren könnte. Die Antwort darauf scheint mit Blick auf die Ausführungen zum Unmittelbarkeitsprinzip trivial: Weil das "freie Geleit" das unmittelbare Erscheinen des Zeugen vor einem Gericht sichern soll, kann die Möglichkeit der Videofemvernehmung die Bedeutung des "freies Geleits" für Zeugen nicht mindern. Denn eine audiovisuelle Femvernehmung kommt gern. § 247a S. 1,2. Alt. immer erst dann in Betracht, wenn ein "Erscheinenshindernis" iSd. § 251 Abs. 1 Nr. 2 besteht. Und diese Voraussetzung ist u. a. wiederum erst erfüllt, wenn der Zeuge, dessen Vernehmung ein Gebot der Aufklärungspflicht ist,135 zuvor - unter Hinweis auf den Strafverfolgungsschutz des Art 12 EuRhÜbk, soweit anwendbar _136 ordnungsgemäß geladen wurde und dennoch nicht erscheinen will. 134 Soweit dies überhaupt für möglich angesehen wird. Denn es gibt "keinen Erfahrungssatz, dass Aussagen von Zeugen wegen deren Wahrheitspflicht glaubhafter seien als Einlassungen des Angeklagten", KMR-Stuckenberg § 261 Rn. 47. 135 Vgl. § 244 Abs. 5 S. 2 sowie dazu BVerfG NJW 1997,999.

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6. Kap.: Die Anwendung der Videotechnik bei Auslandszeugen

Scheinen insoweit entgegen vorangegangener Ausführungen "Videofemvernehmung" und "freies Geleit" keinen Bedeutungszusamrnenhang aufzuweisen, so gilt dies aber nur, wenn das Rechtsinstitut "quasi-automatisch" mit der Ladung des Zeugen zur Anwendung gelangt. 137 Etwas anderes wird aber dann gelten, wenn sich der Zeuge, der sein Erscheinen von der Erteilung "freien Geleits" abhängig macht, in einem Staat aufhält, mit dem ein Rechshilfeabkomrnen nicht besteht. 138 Dies soll ein kurzer Ausblick auf die Situation de lege lata verdeutlichen. I. Das nationale Recht kennt nur das "sichere Geleit" 1. Vorangegangenen Begriffsbildungen konnte man entnehmen, dass es sich beim "freien Geleit" zwar um ein zeitlich 139 und inhaltlich 140 beschränktes, innerhalb seines Anwendungsbereiches jedoch umfassendes Strafverfolgungshindernis für Zeugen handelt. Dies wird aus der Formulierung des Art 12 EuRHÜbk deutlich, wonach "der Zeuge [ ... ] weder verfolgt, noch in Haft gehalten, noch einer sonstigen Beschränkung seiner persönlichen Freiheit unterworfen werden" darf, wenn ihm "freies Geleit" erteilt wurde.

Etwaige Rechtsgrundlagen für ein "freies Geleit" für Auslandszeugen finden sich aus deutscher Sicht nur in multi- wie bilateralen Rechtshilfeverträgen, die zwischen der Bundesrepublik Deutschland und anderen Staaten bestehen. Eine nationale Regelung hat demgegenüber das "freie Geleit", anders als in § 43 des deutschen Auslieferungsgesetzes von 1929, heute nicht mehr erfahren. 141 Insoweit wird einem Auslandszeugen zwar in der Schweiz,142 in Österreich 143 oder in Italien l44 generell "freies Geleit" gewährt, wenn er zur Aussage vor einem Gericht erscheint, nicht aber in der Bundesrepublik Deutschland.

136 Siehe Nr. 116 Abs. 4 RiVASt. Vgl. a. BGHst 32, 68, 74 m. w. Nw.; Schomburg/ Lagodny IRG3 Art 12 EuRHÜbk Rn. 5; Schomburg/Klip StV 1993,208,210; Schomburg/Lagodny IRG 3 Vor § 68 Rn. 30. 137 Etwa im Geltungsbereich des EuRHÜbk, wo gern. Art 12 das "freie Geleit" für Zeugen ohne besondere Zusicherung und nur durch die Zustellung der Ladung entsteht. 138 Präzedenzbeispiel ist hierfür BGHst 35, 216 ff., wo ein Zeuge aus Kolumbien sein Erscheinen von der Erteilung "freien Geleits" abhängig machte. 139 In der Regel während fünfzehn aufeinanderfolgender Tage, vgl. Art 12 EuRHÜbk. 140 Das "freie Geleit" betrifft nur "Handlungen oder Verurteilungen aus der Zeit vor seiner [des Zeugen] Abreise aus dem Hoheitsgebiet des ersuchten Staates", Art 12 EuRhÜbk. Im Falle einer Falschaussage vor dem Gericht, das um das unmittelbare Erscheinen des Zeugen ersucht, wäre Strafverfolgung insoweit nicht ausgeschlossen. 141 §§ 70, 62 Abs. 1 S. 1 Nr. 3 IRG regeln nur Vorkehrungen für freies Geleit bei der Überstellung eines in der Bundesrepublik Deutschland inhaftierten Zeugen in das Ausland. 142 Vgl. Art 73 IRSG. 143 Vgl. § 72 Abs. 2 ARHG. 144 Vgl. Art 728 Codice di procedura penale (v. 31. 01. 1991).

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In der Regierungsbegriindung zum Entwurf des deutschen Rechtshilfegesetzes (IRG) liest man vielmehr, es sei "hinsichtlich der Problematik des ,freien Geleits' für Zeugen und Sachverständige [ ... 1außerhalb des strafprozessualen Bereichs ein Bedürfnis für eine gesetzliche Regelung nicht aufgetreten.'d45 Diese Situation ruft Verwunderung hervor. 146 Denn angesichts der Internationalisierung aller gesellschaftlichen Bereiche, insoweit auch der Kriminalität (s.o.), muss der gestiegenden Bedeutung des Auslandszeugen Rechnung getragen werden. Dabei kann gerade das "freie Geleit" ein sehr sinnvolles Rechtsinstrument sein. Denn ein Interesse für die Gewährung "freien Geleits" besteht doch gerade in dem Staat, der um die Vernehmung des Zeugen ersucht. Denn mit der Erteilung "freien Geleits" wird kein fremdes, sondern das eigene Strafverfahren unterstützt, wenn hier das Erscheinen des Zeugen aus dem Ausland wegen des Prinzips der Unmittelbarkeit der Beweisaufnahme für erforderlich erachtet wird. Im Ergebnis ist also "mehr verloren, als gewonnen", wenn man dem Zeugen "freies Geleit" nicht erteilt. Denn dem Legalitätsprinzip kann auf keinem Fall zum Durchbruch verholfen werden. Darüberhinaus muss nunmehr aber noch auf den persönlichen Eindruck eines ggf. wichtigen 147 (Be- oder Entlastungs-)Zeugen verzichtet werden, was die Wahrheitsfindung (§ 244 Abs. 2) im Einzelfall erheblich beeinträchtigen kann.

2. Eine nationale Rechtsgrundlage für eine "Geleitsform" findet sich demgegenüber in § 295 StPO. Hier wurde das sog. "sichere Geleit" normiert. 148 Das "sichere Geleit" befreit einen abwesenden Beschuldigten "von der Untersuchungshaft", und weiterhin "nur wegen der Straftat, für die es erteilt ist" (§ 295 Abs. 2). Soll die Norm des § 295 für Zeugen auch entsprechend anwendbar sein, 149 so gewährleistet das "sichere Geleit" nur einen Teilbereich dessen, was das "freie Geleit" umfasst. Denn nur vor der Vollstreckung eines Haftbefehls, nicht aber vor etwaigen ErmiUlungsmaßnahmen oder vor der Vollstreckung von Strafuaft 150 etc. kann der Zeuge gern. § 295 "gesichert" werden. 151 Das "sichere Geleit" verbrieft also keine umfassende (zeitlich sowie inhaltlich beschränkte) Strafverfolgungsimmunität. Darüber hinaus ist § 295 nach seinem Wortlaut nicht anwendbar, wenn ein 145 BT-Drs. 9/1338, S. 32 f. Vgl. dazu a. Lagodny StV 1989,92,93. 146 In ähnlicher Richtung Lagodny StV 1989, 92, 93, der darauf beruhend einen Regelungsbedarf erblickt. Vgl. a. Nagel Beweisaufnahme im Ausland, S. 229 Fn. 49; Schamburg / Klip StV 1993,208,211. 147 Vgl. § 244 Abs. 5 S. 2! 148 Vgl. dazu die Ausführungen bei Henke Handbuch des Criminalrechts, 4. Teil, § 102, S. 645 ff., Vgl. a. §§ 419, 420 StPO Österreich oder a. § 61 StPO Schweiz. 149 Vgl. BGHst 35, 216, 217; Schomburg/Klip StV 1993,208,210; Eb. Schmidt Lehrkommentar 11, § 295 Rn. 2. 150 Schomburg/Klip StV 1993,208,210. Vgl. demgegenüber die Versuche von Lagodny StV 1989,92,93 f., dieser Situation durch eine sehr weitgehende Analogie von § 455a abzuhelfen. Diese Versuche müssen m. E. scheitern, weil entgegen Lagodny der Begriff der "Vollzugsorganisation" allein auf den jeweiligen"vollzugsorganisatorischen Bereich" (KK -StP04Fischer § 455a Rn. 2) abzielt und insoweit nicht für jegliche Bedürfnisse der Strafrechtspflege eine sachgerechte Analogiebasis eröffnet. Nichts anderes folgt auch aus den öffentlichen Interessen, die § 455a ausdrücklich auf Sicherheitsinteressen, also nicht auf jegliche andere Belange der Strafrechtspflege, beschränkt. 151 Vgl. Lagodny StV 1989,92,94.

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6. Kap.: Die Anwendung der Videotechnik bei Auslandszeugen

Verfahren gegen den Zeugen nicht besteht. 152 Insoweit könnte man also einem Zeugen kein Geleit über den Weg des § 295 erteilen, der dieses allein aus bloßen Sicherheitsbedenken erstrebt. Darüberhinaus besteht ein weiterer Nachteil zunächst l53 darin, dass das Gericht, das die unmittelbare Vernehmung des Zeugen erreichen will, für die Geleitserteilung nicht zuständig ist. 154 Denn dies obliegt derjenigen Strafverfolgungsbehörde, die den Haftbefehl erlassen hat (bzw. noch erlassen Will).155 Diese auseinanderfallende Befugnis zur Geleitserteilung bedingt aber offensichtlich zeitliche Verzögerungen. 156 Angesichts der beschänkten Möglichkeiten zur Anwendung des § 295 für Auslandszeugen, zeigt insoweit bereits ein kurzer Blick ins Gesetz, dass das "sichere Geleit" in der Verfahrenspraxis der Gerichte nur höchst selten für Auslandszeugen von Nutzen sein dürfte. 157

11. Kein freies Geleit im vertraglosen Rechtshilfeverkehr Gibt es also mangels Gesetzes oder zwischenstaatlicher Vereinbarung kein "freies Geleit" im vertraglosen Rechtshilfeverkehr, so könnte möglicherweise ein völkerrechtlich allgemein anerkannter Grundsatz existieren, wonach ein Zeuge, der vor einem Gericht im Ausland zur Aussage erscheint, ein Recht auf "freies Geleit" per se genießt. Ein solcher Grundsatz würde dann gern. Art 25 S. 1 GG als unmittelbarer Bestandteil des Bundesrechts anzusehen sein. Und insoweit wäre dann auch die Auffassung des Gesetzgebers in der Entwurfsbegründung zum IRG verständlich, warum ein Bedürfnis für eine innerstaatliche Regelung des freien Geleits nicht besteht. Diese Sichtweise zur Existenz eines solchen völkerrechtlichen Grundsatz wurde in der früheren Literatur vereinzelt vertreten. 158 Spätestens mit einer Entscheidung des BGH im Jahre 1988, der die Frage eines Rechts auf freies Geleits für einen Entlastungszeugen aus Kolumbien verneinte, findet sich heute aber niemand mehr,159 der die Sichtweise des BGH nicht teilt. Entgegen der früheren Auffassung 152 Schomburg/Klip StV 1993,208,210. Dies ist allerdings nicht ganz unumstritten. Vgl. dazu weiterhin etwa KK-StP04 -Engelhardt § 295 Rn. 6 einerseits, Nagel Beweisaufnahme im Ausland, S. 230 m. w. Nw. andererseits. 153 Nach Art 35 GG soll für die am Hauptverfahren nicht beteiligte Behörde eine Bindung an die Aufklärungspflicht des Tatgerichts bestehen, so Lagodny StV 1989,92,93. 154 BGHst 35, 216, 217; Nagel Beweisaufnahme im Ausland, S. 230 m. w. Nw. 155 Vgl. dazu §§ 114 Abs. I, 125. 156 Lagodny StV 1989,92,94; Nagel Beweisaufnahme im Ausland, S. 230. 157 So Schomburg/Klip StV 1993,208,210. 158 Vgl. etwa KK-StP0 3 -Engelhardt § 295 Rn. 12; Linke EuGRZ 1980, 155, 156; Mettgenberg Freies Geleit und Exterritorialität (1929), 10, 12. Ähnlich a. Schultze-Willebrand Die Rechtshilfe in Strafsachen in und mit Osteuropa (1982), S. 206. 159 Bezeichnend dafür ist die Änderung der Kommentierung zu § 295 im Karlsruher Kommentar zur StPO. Während sich in den Vorauflagen zur derzeit aktuellen 4. Auflage der Satz findet: .. Für Zeugen und Sachverständige besteht der allgemein anerkannte Grundsatz des

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besteht danach also "keine Regel des allgemeinen Volkerrechts, derzufolge ein Zeuge, der im Ausland zur Vernehmung in einern Strafverfahren vor ein inländisches Gericht geladen wird, bei vertragslosern Rechtshilfeverkehr auch ohne Zusicherung oder sonstige Gewährleistung ein Recht auffreies Geleit hat". 160 Ob diese Sichtweise allerdings überzeugt, mag - jedenfalls - angezweifelt werden. So finden sich in den meisten Rechtsordnungen des europäischen Auslands Regelungen, die das "freie Geleit" von Zeugen betreffen (s.o.). Durchweg ähnliche Regelungen finden sich weiterhin auch in - fast allen - multi- wie bilateralen Rechtshilfeverträgen. Insoweit scheint es jedenfalls nicht unvertretbar, hier mit der früheren Auffassung anzunehmen, "im Hinblick auf die zahlreichen übereinstimmenden gesetzlichen und vertraglichen Regelungen kann das freie Geleit auch ohne ausdrückliche Zusicherung des ersuchenden Staates aufgrund des völkerrechtlichen Gewohnheitsrechtes als gewährleistet angesehen werden".161 Denn warum sollte man auch danach differenzieren, ob der jeweilige Auslandszeuge sich in einem Staat aufhält, mit dem ein Rechtshilfevertrag besteht oder nicht. 162 So ist beispielsweise Nagel 163 entgegen zu halten, dass die Tatsache, dass das "freie Geleit" in Rechtshilfeverträgen stets immer wieder ausdrücklich vereinbart wird, nicht zwingend auch gegen die Annahme von Völkergewohnheitsrecht spricht. l64 Denn eine Kodifizierung kann auch deklaratorisch erfolgen. Dies bedeutet, dass die Bestimmung von den jeweiligen Vertragspartnern in der Überzeugung aufgenommen wird, dass man hiennit einer Verpflichtung des allgemeinen Gewohnheitsrecht nachkommt. 165 Auch die unterschiedliche Länge der Fristen, für die die Strafverfolgungsimmunität gewährleistet wird, sprechen nicht zwingend gegen das Erfordernis ständiger Übung. l66 Denn im Vordergrund dieser Übung steht doch die Gewährleistung des Verfolgungshindernisses. Demgegenüber sind die unterschiedlich bemessenen Fristen letztlich nur kodifiziertes Ergebnis der Einschätzung der Vertragsstaaten, wie lange ein Zeuge zur Ein- und Ausreise aus dem eigenen Hoheitsgebiet benötigt. Darüber, dass diese Frist ausreichend lang bemessen sein muss, besteht demgegenüber keine Uneinigkeit. Insoweit taugt auch der Unterschied der Fristenregelungen, die sich in der Regel von 10 bis 15 Tagen vom Zeitpunkt der Einreise des Zeugen erstrecken, nicht dafür, eine ausgeübte Staatenpraxis zu widerlegen. Letztlich soll hier nun eine weitere Diskussion dahinstehen, ist hier weder der Ort noch der Platz für eine umfassende Untersuchung des "freien Geleits". Diese umfassende Untersuchung wäre aber notwendig, wenn der überzeugende Nachweis geführt werden soll, dass eine ,,regelmäßige einheitlichen Übung", die sog. consuetudo, sowie die einheitliche Völkerrechts, dass ihnen - auch ohne ausdriickliche Zusicherung - freies Geleit fewährt gilt, wenn sie in einer Strafsache aus dem Ausland vorgeladen werden" (KK-StP021 -Engelhardt § 295 Rn. 12) wird nunmehr in der aktuellen (vierten) Auflage der Satz in sein Gegenteil verkehrt, indem a. a. O. das Wörtchen "nicht" eingefügt wurde, ohne dass dies - über den Verweis auf die Entscheidung BGHst 35, 216 hinausgehend - näher begriindet wird. 160 So der amtliche Leitsatz der Entscheidung BGHst 35, 216 ff. 161 Linke EuGRZ 1980, 155, 156. 162 Dazu a. Wenger Beweisanträge, S. 28: "seltsam anmutende Zersplitterung der Möglichkeit, freies Geleit zuzusichern." 163 Nagel Beweisaufnahme im Ausland, S. 228. 164 Zu den Voraussetzungen der Entstehung von Völkergewohnheitsrecht vgl. Kimminichl Hobe, S. 178 ff. 165 Vgl. dazu nur Kröger Völkerrecht, S. 258; Seidl-HohenJeldemIStein, Rn. 508. 166 So aber Nagel Beweisaufnahme im Ausland, S. 228.

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6. Kap.: Die Anwendung der Videotechnik bei Auslandszeugen

subjektive Überzeugung der Staaten, zu diesem Verhalten verpflichtet zu sein (opinio iuris sive necessitatis), auch für das "Recht auf freies Geleit" besteht. Dies verdeutlicht etwa der BGH - in seiner Entscheidung zum freien Geleit für einen kolumbianischen Zeugen - durch einen Hinweis auf ein Gutachten des Max Planck Instituts zu dieser Frage. 167 Darüberhinaus scheint eine weitere Diskussion auch unergiebig. Denn aus Griinden der Rechtssicherheit einerseits,168 des sinnvollen Gehalts eines derartigen Rechtsinstituts andererseits, sollte der langjährigen Forderung im Schrifttum 169 baldmöglichst durch den Gesetzgeber nachgekommen und ein "freies Geleit" auch für den Bereich außerhalb eines Rechtshilfevertrages vorgesehen werden. Dann eriibrigte sich aber auch die Diskussion, ob sich ein Recht auf "freies Geleit" bereits aus dem Völkergewohnheitsrecht ergibt.

III. Insoweit: Besondere Relevanz der Videofernvernehmung im Bereich außerhalb eines RHV

Existiert also im rechtshilfevertragsfreien Raum kein Recht des Zeugen auf "freies Geleit", so besteht für ein Gericht, wie § 295 zeigt, de lege lata auch nicht die Möglichkeit, ein derartiges Strafverfolgungshindernis für einen Zeugen zu garantieren. Weil demgegenüber die Regelung des § 295 StPO nicht ausreicht, um Zeugen zum Erscheinen vor einem deutschen Gericht zu veranlassen, wenn sie Strafverfolgungsmaßnahmen für friihere Taten befürchten müssen; dariiberhinaus die Veranlassung der Erteilung "freien Geleits" durch das um die Zeugenvernehmung ersuchende Gericht erhebliche Zeitverzögerungen mit sich bringen kann, fehlt aus deutscher Sicht im außervertraglichen Bereich derzeit ein wichtiger Anreiz, im Ausland geladene Zeugen oder Sachverständige zum freiwilligen Erscheinen zu veranlassen.170 Hier nun erlangt die Möglichkeit zur grenzüberschreitenden Videofernvernehmung von Zeugen eine besondere Bedeutung. Denn dadurch besteht ja für das Gericht - jedenfalls nach der hier vertretenen Auffassung - die Möglichkeit, sich einen "unmittelbaren" Eindruck vom Zeugen zu bilden. Die Wichtigkeit der Diskussion um das "Ob" und "Wie" des "freien Geleits" für Auslandszeugen, die nicht zuletzt auch durch Versuche gekennzeichnet wird, Normen der StPO entsprechend heranzuziehen, um eine dem "freien Geleit" vergleichbare Situation für den Zeugen zu schaffen, damit diese veranlasst werden, vor deutschen Gerichten unmittelbar zu erscheinen, wird damit erheblich entschärft. Und insoweit ist dann auch die These nicht unzutreffend, die Videofernvernehmung werde die hohe Bedeutung eines "freien Geleits", insbesondere die bisher darum geführte Diskussion, erheblich reduzieren. 167 Vgl. BGHSt 35, 216, 223. 168 Damit angesprochen sind etwa Fragen, für welche Zeitdauer das Geleit erteilt wird, ob ein schriftlicher Geleitsbrief erforderlich ist oder auch das Verhältnis zu asylrechtlichen Aufenthaltsverboten. 169 Dazu etwa Schomburg / Klip StV 1993, 208, 211; Wenger Beweisanträge, S. 58 f. 170 Nagel Beweisaufnahme im Ausland, S. 231.

7. Kapitel

Zusammenfassung der wesentlichen Ergebnisse der Untersuchung A. Gesamtergebnis I. Wurde an früherer Stelle ausgeführt, dass momentan (noch) nicht alle Mitgliedstaaten des EuRHÜbk in der Lage sind, Videokonferenzen mit Zeugen durchzuführen, so gilt dies in ähnlicher Weise auch in nationaler Hinsicht. Dabei wird es sich allerdings in der Mehrzahl der Fälle um keine objektive Unmöglichkeit handeln, die sich etwa daraus ergibt, dass entsprechende Videokonferenztechnik nicht zur Verfügung steht oder nationale Rechtsvorschriften nicht existieren. Obwohl sich statistische Grundlagen bisher nicht finden, wie oft bei deutschen Gerichten Videokonferenztechnik zur Zeugenvernehmung eingesetzt wurde, ist zu vermuten, dass § 247a in der Rechtspraxis derzeit keine besonders große Rolle spielt. Dies jedenfalls kann man der spärlichen Rechtsprechung zu § 247a entnehmen. Es folgt weiterhin aus den eigenen Erfahrungen des Verfassers. Und schließlich ergibt sich dies auch aus den meisten Stellungnahmen der Literatur, wo der Einsatz von Videotechnik in der Hauptverhandlung für überflüssig l bzw. kaum für sinnvoll erachtet wird. 2 Vor dem Hintergrund der hier gefundenen Ergebnisse muss diese Situation und die Sichtweise der meisten Literaten sehr verwundern. Dies verdeutlichten einige Kernpunkte der Untersuchung, die an dieser Stelle in aller Kürze resümiert werden sollen: - So wurde zunächst aufgezeigt, dass der heutige Stand der Technik videovermittelte Vernehmungen von Zeugen ermöglicht, die im Regelfall (kein Problemzeuge, neueste Technik, etc.) einer unmittelbaren Vernehmung im Sitzungssaal des Gerichts weitgehend entspricht. Wurde darüber hinaus verdeutlicht, dass § 247a nach seinen gesetzlichen Voraussetzungen für den Ausnahmefall konzipiert ist, nämlich weil die Aussage des Zeugen im Sitzungssaal zu deutlichen Belastungen führen (§ 247a S. 1, 1. Alt) oder weil man das Erscheinen des Zeugen nicht erzwingen kann (§ 247a S. 1,2. Alt), so überzeugt die gesetzgeberische Einordnung des "Videozeugen" in den Kreis bloßer Beweissurrogate nicht. Denn ge-

1

2

Siehe dazu die Nw. in Fn. 78 im ersten Kapitel. Nw. im dazu im 3. Kapitel, Abschnitt A.

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7. Kap.: Zusammenfassung der wesentlichen Ergebnisse der Untersuchung

rade in den vom Gesetz vorgesehenen Anwendungsfallen wird die Möglichkeit zur umfassenden Wahrheitsfindung verbessert, wenn die Vernehmung des jeweiligen Zeugen audiovisuell von einem anderen Ort als dem Sitzungs saal der Hauptverhandlung vorgenommen wird. Und auch die Verteidigungsrechte werden besser gewahrt, wenn die Beweisführung dann nicht durch Beweissurrogate, wie dem Vernehmungsprotokoll oder dem ,,zeugen vom Hörensagen", sondern durch den "Videozeugen" erfolgt. Gerade vor dem Hintergrund der §§ 261, 250 S. 1,244 Abs. 2 trifft insoweit die These nicht zu, aus der gesetzgeberischen Einordnung folge ein Konkurrenzverhältnis zwischen "Videozeugen" und bloßen Beweissurrogaten. 3 Denn der "Videozeuge" ist vielmehr das bestmögliche Beweismittel in derjenigen Situation, in der die Aussage des Zeugen im Sitzungssaal der Hauptverhandlung aus faktischen- (Beweisnotstand) oder rechtlichen Griinden unmöglich ist. Und insoweit ist ein Gericht auch gehalten, einen Zeugen von einem anderen Ort unter Einsatz von Videokonferenztechnik zu vernehmen, wenn anders eine "unmittelbare" Aussage des Zeugen im Gerichtssaal nicht erreicht werden kann. - Dass dies in gleicher Weise auch für Kinder, aber auch für alte- oder behinderte Menschen, kurzum etwaige "Videoproblemzeugen" gilt, wurde im Anschluss an die grundsätzliche Einordnung des "Videozeugen" erläutert. 4 So konnte festgestellt werden, dass ein Gericht im Ausnahmefall nicht zwingend an das "Englische Verfahrensmodell" des § 247a gebunden ist. So ist es zwar gegenüber einer in der Literatur vertretenen Ansicht nicht möglich, einen weiteren (ersuchten) Richter mit der Vernehmung des Zeugen am Aufenhaltsort zu beauftragen und diese Vernehmung gern. § 247a in die Hauptverhandlung zu übertragen. Es sind jedoch keine Griinde ersichtlich, die die Heranziehung eines bloßen Vernehmungsgehilfen, und hier ist insbesondere an einen psychologischen Sachverständigen gedacht, bei "Problemzeugen" in dieser Verfahrenskonstellation verbietet. Dafür spricht jedenfalls, dass man hierdurch die Vorteile des "Mainzer Verfahrensmodells" erhält, demgegenüber die damit verbundenen Nachteile der "geteilten Hauptverhandlung" vermeidet. Und insoweit werden dann auch die anfänglich tragenden Absichten des Gesetzgebers umgesetzt, der in dem - dem § l68e heute unterliegenden - Videovernehmungsmodell des LG Mainz eine besonders schonende Verfahrensweise erblickte, weil hierdurch ein Vertrauensverhältnisses zum Zeugen unproblematisch(er) hergestellt werden kann. Es wurde weiterhin hervorgehoben, dass § 247a eine besondere Rolle bei der Verbrechensaufklärung spielt, wenn beweiserhebliche Erkenntnisse und Beobachtungen von V-Leuten in den Prozess eingeführt werden. Kann die Verbrechensbekämpfung in bestimmten Kriminalitätsbereichen ohne verdeckte Ermittlungen und den Einsatz von V-Personen nicht auskommen, so muss es jedoch vor dem Hintergrund des Verfassungsrechts wie der EMRK, die auf die Gewähr3 4

Siehe dazu erneut nur die Ausführungen im 2. Kapitel, Abschnitt B., 1., 2., e). Vgl. dazu die Ausführungen im 5. Kapitel, Abschnitt B.

A. Gesamtergebnis

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leistung der SubjektsteIlung des Beschuldigten abzielen, bedenklich erscheinen, wenn man den jeweiligen Zeugen aus Gründen der Geheimhaltung sperrt und statt dessen eine Beweisführung mittels bloßer Beweissurrogate in der Hauptverhandlung erfolgt. Denn hier bestehen keine effektiven Möglickeiten des Angeklagten, seine Verteidigungsrechte umfassend auszuüben. Hier nun bildet der Einsatz des § 247a iVm. der audiovisuellen Abschirmung des Zeugen geradezu das Idealmittel. Denn dadurch werden zunächst die unterschiedlichen Interessen des Staates, nämlich die Pflicht zur umfassenden Aufklärung materieller Wahrheit einerseits, Zeugen schutz und behördliches Geheimhaltungsinteresse andererseits, vollständig miteinander harmonisiert. Und dies gilt andererseits erst recht für die Verteidigungsrechte. Denn eine Möglichkeit für den Angeklagten, im Beisein des Gerichts sowie anderer Verfahrensbeteiligter, eine V-Person kontradiktorisch zu befragen, besteht nur dann, wenn der für die Hauptverhandlung gesperrte Zeuge audiovisuell und abgeschirmt über den Weg des § 247a vernommen wird. - Es wurde schließlich a. E. der Untersuchung festgestellt, dass § 247a auch bei Auslandszeugen die Wahrheitsfindung verbessern, das Verfahren beschleunigen und darüberhinaus auch Kosten sparen kann. Dabei wurde die besondere Bedeutung der neugeschaffenen Regelungen des Ergänzungsübereinkommens zum Europäischen Rechtshilfeübereinkommen herausgestellt. Denn diesen Regelungen konnte eine Harmonisierung der Interessen des ersuchten wie des ersuchenden Staates einerseits, des jeweiligen in Aussicht stehenden "Videozeugen" andererseits, entnommen werden. Und gerade im Hinblick darauf scheint die Annahme nicht unberechtigt, die Vernehmung von Auslandszeugen werde in naher Zukunft häufiger Fall des § 247a sein. Dies gilt jedenfalls, soweit baldmöglichst Regelungen geschaffen werden, verrnittels derer eine pflichtwidrige Falschaussage des Zeugen effektiv verfolgt werden kann (Art 10 Abs. 8 ErgÜbk). Und es gilt freilich nur dann, wenn in praxi etwa die Auskunft von BKA-Verbindungsleuten im Ausland nicht ohne weiteres hingenommen wird, mit dem entsprechenden Staat sei eine Videokonferenz derzeit nicht möglich. Denn fast weltweit existieren private Videokonferenzräume, etwa bei den Telefongesellschaften, die eine technische einwandfreie Durchführung von Videofernvernehmungen ermöglichen. 11. Hinsichtlich der aufgefundenen theoretischen Bedeutung des § 247a muss also geradezu eine gravierende Differenz zur verfahrenspraktischen Situation angenommen werden, in welcher ein "Videozeuge" derzeit nur minderes Ansehen genießt. Dabei ist hervorzuheben, dass gerade vor dem Hintergrund von Aufklärungspflicht und Unmittelbarkeitsprinzip, Zeugenschutzinteressen sowie den Verteidigungsbelangen, also letztlich im Hinblick auf die staatliche Verpflichtung zum Ausgleich grundrechtlicher Spannungsverhältnisse, die Verpflichtung der Verfahrenspraxis besteht, sich einen umfassenden Eindruck von den technischen Möglichkeiten heutiger Videokonferenzsysteme zu bilden. Denn andernfalls scheint es schlichtweg ausgeschlossen, dass deutsche Strafrichter in der Lage sind, darüber 20 Rieck

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7. Kap.: Zusammenfassung der wesentlichen Ergebnisse der Untersuchung

zu entscheiden, ob die Anwendung des § 247a aus Zeugenschutzgründen (§ 247a S. 1, 1. Alt) oder "zur Erforschung der Wahrheit erforderlich ist" (§ 247a S. 1, 2. Alt) oder nicht. Dies gilt in gleicher Weise auch für die meisten Autoren literarischer Stellungnahmen zu § 247a. Denn es wurde ausgeführt, man könne ihnen teilweise entnehmen, dass ihre Ausführungen kaum auf einem sachgerechten empirisch-praktischen Fundament begründet sind. Dafür nun will die vorliegende Untersuchung eine Anregung geben. Sie soll darüberhinaus auch Diskussionsgrundlage sein und Widerspruch herausfordern. Denn auch dies hielte die recht spärliche Diskussion im Gange. Und bereits das wäre doch - im Hinblick auf die Sinnhaftigkeit einer Beweisführung vermittels "Videozeugen" - ein beachtlicher Erfolg.

B. Forderungen de lege ferenda Zusammenfassend sollen weiterhin auch die Forderungen de lege ferenda resümiert werden. Diese beruhten primär auf dogmatischen Überlegungen, die aus einer Abwägung der jeweiligen strafprozessualen Interessen hergeleitet wurden. Sie werden darüber hinaus auch durch die positiven Erfahrungen im In- und Ausland beim Umgang mit Videozeugen flankiert. - So sollte de lege ferenda zunächst der Gesetzeswortlaut des § 247a S. 1, 1. Alt. überarbeitet werden. Insbesondere sollte hier eine Herabstufung der Anwendungsvoraussetzungen (auf die "Befürchtung" des Nachteils anstelle einer "dringenden Gefahr") erfolgen, wobei man auch auf die semantische Ausschmückung des Gesetzestextes ("erheblicher" bzw. "schwerwiegender Nachteil") verzichtet. Denn gerade vor dem Hintergrund der Erkenntnis, dass die Anwendung von Zeugenschutzmaßnahmen oftmals daran scheitert, weil Richter Verfahrensfehler befürchten, die bei der Nichtanwendung entsprechender Zeugenschutzmaßnahmen nicht entstehen, liegt jedenfalls das Erfordernis einer klar handhabbaren Vorschrift für den Richter auf der Hand. Schließlich führte die Nichtveränderung des § 247a auch zu einer Grauzone rechtlich unanwendbaren Zeugenschutzes für Kinderzeugen, was sich aus einem Vergleich der Regelungen des § 247 S. 2, 1. Alt. und § 247a S. 1, 1. Alt. im Hinblick auf die "ultima ratio"Anordnung in § 247a S. 1, 1. Alt. ergibt. 5 - Es sollte de lege ferenda weiterhin auf die Subsidiaritätsanordnung in § 247a S. 1, 1. Alt. verzichtet werden. Denn hierdurch nimmt man dem Richter die Möglichkeit, Zeugenschutzmaßnahmen flexibel und insoweit effektiv einzusetzen. Dies gilt gerade im Hinblick auf den Ausschluss des Angeklagten aus dem Sitzungssaal während der Zeugenvernehmung gern. § 247, was als besonders gravierender und insoweit auch besonders legitimationsbedürftiger Eingriff in die Rechte des Angeklagten angesehen wurde. Diese Legitimation der Anwendung des § 247 leidet aber gewisse Not, wo die Videofernvernehmung des Zeu5

Vgl. dazu 2. Kapitel, Abschnitt B., 1.,1., b), cc).

B. Forderungen de lege ferenda

307

gen möglich ist. 6 Die Subsidiaritätsanordnung führt weiterhin auch zu Unstimmigkeiten bei schierer Gesetzesauslegung. Denn droht die Gefahr für einen erwachsenden Zeugen sowohl vom Angeklagten wie anderen Personen, sind die engeren Voraussetzungen des § 247 S. 2 2. Alt. in § 247a S. 1, 1. Alt. hineinzulesen, was vom Gesetzgeber wohl kaum so beabsichtigt war. - Die Anknüpfung des § 247a S. 1,2. Alt. an die §§ 251 Abs. 1 Nr. 2 ff. überzeugte nicht. Denn die hierdurch verdeutlichte Ansiedlung des "Videozeugen" in den Kreis bloßer reproduzierender Beweismittel wäre nur dann nachvollziehbar, wenn es einem Gericht nur eingeschränkt möglich wäre, sich bei der audiovisuellen Fernvernehmung einen hinreichenden Eindruck vom Zeugen und seiner Aussage zu bilden. 7 Dies widerspricht aber den empirischen Tatsachen, wie etwa die Erfahrungen des LG Dresden und des Verf. lehrten. 8 Im Hinblick an die Anknüpfung an § 251 Abs. 1 Nr. 2 ff. erscheint dariiberhinaus bedenklich, dass hier im Einzelfall anhand von Abwägungskriterien entschieden wird, die für § 247a überhaupt keine Bedeutung erlangen können. Denn während es bei § 251 Abs. 1 Nr. 2 ff. um die Frage geht, wann ausnahmsweise auf den persönlichen Eindruck des Zeugen durch das Gericht verzichtet werden darf, geht es bei § 247 a gerade um die Ermöglichung einer solchen Eindrucksbildung für das Gericht und andere Prozessbeteiligte. Nach der Konzeption des Gesetzgebers dienen gleiche Voraussetzungen insoweit völlig unterschiedlichen Zielsetzungen. 9 Dies kann nicht richtig sein. Diese gesetzessystematische Unklarheit sollte der Gesetzgeber de lege ferenda beseitigen, wobei berücksichtigt wird, dass die audiovisuelle Videofernvernehmung des Zeugen das Unmittelbarkeitsprinzip ergänzt und nicht durchbricht. Dann aber dürfte die neu zu schaffende Vorschrift keine Anknüpfung an Regelungen vorsehen, die als klare Ausnahme des Prinzips der Unmittelbarkeit anzusehen sind. - Auch im Hinblick auf den von einer Videofernvernehmung erfassten Personenkreis wurden Forderungen de lege ferenda erhoben. So überzeugte es nicht, dass Sachverständige im Ausnahmefall ihr Gutachten nicht im Wege einer Videokonferenz erstatten können, statt dessen jedoch über § 251 Abs. I Nr. 2 die Verlesung eines richterlichen Vernehmungsprotokolls ermöglicht wird. Denn einerseits werden auch die gerichtlichen Beurteilungsmöglichkeiten - und insoweit die Wahrheitsfindung - erweitert, wenn die Möglichkeit zur Befragung des Fachmanns in der Hauptverhandlung besteht. Andererseits könnten dadurch gegebenenfalls sogar erhebliche Kosten eingespart werden, wie Erfahrungen im Ausland zeigten. 1O Und schließlich wird die Videofernvernehmung von Sach6 Siehe dazu die Ausführungen im 5. Kapitel, Abschnitt A. S. a. auch im 2. Kapitel, Abschnitt B., 1., 1., c). 7 Vgl. dazu im 2. Kapitel, Abschnitt B., 1., 2., e). 8 Vgl. dazu die Ausführungen im 3. Kapitel, Abschnitt B. 9 Vgl. dazu im 2. Kapitel, Abschnitt B., 1., 2., e). 10 Vgl. dazu Nw. in Fn. 121 im zweiten Kapitel.

20'

308

7. Kap.: Zusammenfassung der wesentlichen Ergebnisse der Untersuchung

verständigen - recht selbstverständlich - auch durch Art 10 ErgÜbk vorgesehen, so dass sich die Frage stellt, warum Videokonferenzen mit Sachverständigen im nationalen Raume nicht möglich sind, grenzüberschreitend aber für zulässig erachtet werden. Gerade im Hinblick auf die hier wiederholten Gründe sollte de lege ferenda also eine Ergänzung des § 247a erfolgen.

c. Ausblick Bildet man sich einen eigenen Eindruck über den Stand der Technik und wird darauf beruhend die weitere Diskussion geführt, so bleibt zu prognostizieren, dass es sich bei der unterschiedlichen Bedeutung des § 247a in Theorie und Praxis nur um einen zeitlich vorübergehenden Unterschied handeln wird. Denn gerade die Verfahrens praxis kann sich den benannten Vorteilen einer audiovisuellen Videofemvernehmung von Zeugen in der Hauptverhandlung nicht für alle Zukunft verschließen. Insoweit wird eine "Flucht des Zeugen" aus seiner Zeugenrolle zukünftig noch besser vermieden werden können, wenn nur die Bereitschaft der Verfahrenspraxis dazu besteht, die "neuen Medien" auch für den Strafprozess nutzbar zu machen.

Anhang A. Pressemitteilungen des LG Dresden Nr. 11/00 v. 22. 02. 2000 Aktiver Zeugenschutz durch Videotechnik Für die ordentlichen Gerichte in Dresden wurde eine modeme mobile Videokonferenzanlage im Wert von 63.739, - DM zur Verbesserung des Opferschutzes im Strafverfahren angeschafft. Damit werden vor allem Bild-Ton-Aufzeichnungen von Vernehmungen im Ermittlungsverfahren und die Bild-Ton-Direktübertragung in strafrechtlichen Hauptverhandlungen ennöglicht, die durch das am 01. 12. 1998 in Kraft getretene Zeugenschutzgesetz eingeführt wurden. Grund für die Gesetzesänderung war die starke Belastung von Opferzeugen durch die Vernehmung in der Hauptverhandlung, da diese grundsätzlich nach der Strafprozeßordnung unter Anwesenheit des Angeklagten zu erfolgen hatte. Insbesondere um Kindern, die Opfer sexueller Straftaten geworden sind, und besonders schutzwürdigen Zeugen von Gewalttaten, die aus einer Zeugenvernehmung entstehenden Belastungen zu ersparen, wurde durch Einfügung neuer Regelungen in die Strafprozeßordnung die Möglichkeit von Videovernehmungen geschaffen. Hierzu zählt z. B. die sogenannte Bild-Ton-Aufzeichnung einer Zeugenvernehmung vor der Hauptverhandlung. Diese ist beispielsweise dann von Nutzen, wenn der Zeuge lebensgefährlich erkrankt ist oder sich aus der Organisierten Kriminalität gelöst hat und nun zu seiner eigenen Sicherheit für die Hauptverhandlung "gesperrt" werden soll - das Gleiche gilt für einen als verdeckten Ermittler agierenden Zeugen. Für die Vernehmung von kindlichen Opferzeugen sexueller Straftaten in der Hauptverhandlung ist nun die getrennte Vernehmung möglich. Das Kind muß nicht in den Sitzungssaal, sondern sitzt in einem anderen Raum, während der Vorsitzende Richter den Verhandlungssaal nicht verläßt und das Kind mittels einer wechselseitigen Bild-Ton-Übertragung vernimmt. So wird eine unbeeinflusste Vernehmung ennöglicht, wobei sich das Kind auch außerhalb des Gerichtsgebäudes befinden kann. Für die Beschaffung von Videotechnik zur Zeugenvernehmung in Strafverfahren sind bisher im Oberlandesgerichtsbezirk Dresden rund 150 TDM investiert worden. Ausgestattet sind mittlerweile alle sechs Landgerichte sowie die drei Präsidialamtsgerichte. Die technisch anspruchsvollste Videokonferenzanlage ist insbesondere für das Land- und das Amtsgericht Dresden beschafft worden und ennöglicht sowohl getrennte Videovernehmungen in der Hauptverhandlung, als auch externe Vernehmungen vom Land- oder Amtsgericht zu einem anderen Ort, beispielsweise im Ausland. Aufgrund ihrer Mobilität kann die Anlage durch das Land- und Amtsgericht Dresden gemeinsam genutzt und ggf. auch nachgeordneten Gerichten zur Verfügung gestellt werden.

310

Anhang Nr. 42/00 v.IS. OS. 2000 Erfolgreiche Videovernehmung eines im Ausland inhaftierten Zeugen

Das Landgericht Dresden hat in einem Strafverfahren gegen drei als Mittäter wegen Handeltreibens von Heroin in nicht geringer Menge Angeklagte die mobile Videokonferenzanlage des Oberlandesgerichts Dresden (siehe Pressemitteilung Nr. 11/2000) eingesetzt und einen in Oslo inhaftierten Zeugen im Wege einer Bild-Ton-Direktübertragung in der Hauptverhandlung am 15. 08. 2000 vernommen. Nach Angaben des Strafkammervorsitzenden verlief die Videovernehmung ohne technische Probleme zur Zufriedenheit aller Prozessbeteiligten einwandfrei. In dem Strafverfahren vor dem Landgericht ist besondere Eile geboten, da sich zwei Angeklagte bereits über ein Jahr in Untersuchungshaft befinden. Ein mutmaßlicher Mittäter der Angeklagten, der als Fahrer das Heroin von Tschechien über Sachsen nach Oslo lieferte, wurde wegen dieser Tat in Norwegen zu 5 Jahren und 6 Monaten Freiheitsstrafe verurteilt (nicht rechtskräftig) und ist derzeit in Oslo inhaftiert. Seine Vernehmung wurde in dem Strafverfahren vor dem Landgericht Dresden erforderlich, ohne dass eine Überführung zum Zwecke der Vernehmung in Dresden in absehbarer Zeit möglich gewesen wäre. Der Zeuge sollte deshalb nach §§ 247a, 251 Abs. 1 Nr. 2 Strafprozeßordnung mit Hilfe der Ende letzten Jahres angeschafften modernen mobilen Videokonferenzanlage im Wege einer Bild-Ton-Direktübertragung vernommen werden. Die Übertragung erfolgt über ISDN-Leitung. Da die Justizbehörden in Oslo nicht über eine entsprechende Anlage verfügen, wurde dort ein Studio angemietet. Nach einem Probelauf fand in der Hauptverhandlung am 15. 08. 2000 die Videovernehmung statt. Der Zeuge wurde über eine große Leinwand und zwei weitere Fernseher, von denen einer vor dem Zuschauerraum stand, in den Sitzungssaal des Landgerichts Dresden übertragen. Der Zeuge war für alle Anwesenden gleichennaßen samt Oberkörper sichtbar, das Bild entsprach damit nahezu dem eines anwesenden Zeugen. Der Zeuge selbst konnte das Gericht sehen und wenn eine Person im Sitzungssaal eine Frage an ihn richtete, schwenkte die Kamera automatisch auf den Fragesteller. Auf diese Weise war es auch möglich, den Zeugen zu fragen, ob er die Angeklagten wiedererkenne. Im Studio in Oslo war neben zwei norwegischen Polizisten eine Vertreterin der Deutschen Botschaft anwesend. Nach ihren Angaben machte der Zeuge auf sie einen nonnalen Eindruck und das Verfahren sei ordnungsgemäß durchgeführt worden. Der Vorsitzende der 14. Strafkammer zeigte sich nach der Hauptverhandlung außerordentlich zufrieden. Die Tonqualität sei sehr gut gewesen und die leichte zeitliche Verzögerung bei der Bildübertragung sei von keinem der Prozessbeteiligten als störend empfunden worden. Die Videovernehmung sei in jeder Hinsicht ein voller Erfolg gewesen.

Anhang

311

B. Annähernde Kosten für Videokonferenzen in Deutschland I. Kosten für eine Punkt-zu-Punkt Verbindung Punkt-zu-Punkt Verbindungen dial-in 1 (national I international) 1 Grundpreis (Datenrate: 56-128 kbitl s)

EURO,61

2

Grundpreis (Datenrate: 168 - 384 kbitl s)

EUR 1,12

3

Anpassungen (Standards, Datenraten)

4

Gatewayschaltungen (z. B. zu US Sprint)

je Minute und Lokation

dial-out2 national EURO,81

EUR 1,63

je Minute und Lokation

international siehe Länderliste

EUR 2,04 IMin.

EUR 2,04 IMin. zzgl. Kosten anderer Service Provider

Quelle: Telekom AG.

11. Videokonferenstudios im In- oder Ausland Die Kosten für die Anmietung eines Videokonferenzstudios erfolgen bei den meisten Firmenanbietern auf Anfrage. Etwa bei der Telekom AG können sowohl nationale- sowie im Ausland befindliche Videokonferenzräume gebucht werden. Schnellstmöglicher Weg zu weiteren Informationen bietet dabei das Internet (etwa http://www.twsc.de). Soll eine Videokonferenz durch Gerichte durchgeführt und dafür ein Videokonferenzraum sowie die entsprechende Technik gemietet werden, empfiehlt sich eine friihzeitige Kontaktaufnahme. Denn für die Durchführung hochwertiger Videokonferenzen mit einer Datenrate von 384 kbitl s muss im Ausland auch der entsprechende Videokonferenzraum mit entsprechender Technik zur Verfügung stehen, was verständlicherweise eine gewisse Organisationsdauer bedingt. Verbindung werden fast weltweit geschaltet (dazu Anhang E). Möglich sind auch Verbindungen mit anderen (Telefon-)Netzen im Ausland.

1 "Dial-Out Service": Verbindungsaufbau erfolgt durch die Telekom AG für die jeweiligen Videokonferenzteilnehmer. 2 "Dial-In Service": Videokonferenzteilnehmer erhält spezielle Rufnummer und wählt sich mit dieser selbst in eine Videokonferenz ein.

312

Anhang

C. Informationen zu Videokonferenzen und Videokonferenzsystemen im Internet Im folgenden Abschnitt finden sich einige allgemein bekannte Nachweisstellen, die eine Vertiefung der Thematik "Videokonferenz" ermöglichen. Weitere Nachweise finden sich im Internet etwa durch die Eingabe des Stichworts "Videokonferenzraum" in einem Suchportal.

I. Informationen zu Herstellern ISDN-basierender Videokonferenzsysteme Siehe im Internet etwa unter folgenden Adressen: • Fa. Tandberg:

http://www.tandberg.net

• Fa. Picturetel:

http://www.picturetel.com

• Fa. Polycom:

http://www.polycom.com

11. Informationen allgemein zu Videokonferenzen Siehe im Internet etwa unter: • Telekom AG:

http://www.twsc.de

• Vitec:

http://www.vitec.de

• "Wainhouse":

http://www.wainhouse.com

111. Buchung von Videokonferenzen und Videokonferenzräumen in Deutschland • Act Visual GmbH :

http://www.actvisual.com/service / vermietung. php

• NCSGmbH:

http://www.nisslbeck.de/VKRaum/ oder http://www.videokonferenzraum.de

• Telekom AG:

http://www.twsc.de

Anm.: Weitere Anbieter finden sich über Suchportale im Internet.

313

Anhang

D. Länder, in die Videokonferenzen etwa durch die Telekom AG geschaltet werden können Die Liste benennt die jeweilige Länder und den Preis für den sog. Dial-out Service durch die Telekom AG. Preis (ohne USt) je Minute

Länder Audio

56-128 kbit/s

168-384 kbit/s

Andorra

EUR 0,41 DM 0,80

EURO,92 DM 1,80

EUR 1,90 DM 3,72

Argentinien

EUR 1,36 DM 2,66

EUR2,82 DM 5,52

EUR 7,60 DM 14,86

Australien

EURO,99 DM 1,94

EUR2,08 DM 4,07

EUR5,38 DM 10,52

Bahrain

EUR 1,68 DM 3,29

EUR3,45 DM 6,75

EUR9,50 DM 18,58

Barbados

EUR 1,68 DM 3,29

EUR 3,45 DM 6,75

EUR 9,50 DM 18,58

Belgien

EURO,41 DM 0,80

EURO,92 DM 1,80

EUR 1,90 DM 3,72

Bermuda

EUR 1,68 DM 3,29

EUR3,45 DM 6,75

EUR9,50 DM 18,58

Bosnien-Herzegowina

EURO,57 DM 1,11

EUR 1,23 DM 2,41

EUR 2,85 DM 5,57

Brasilien

EUR 1,20 DM 2,35

EUR2,50 DM 4,89

EUR6,65 DM 13,01

Bulgarien

EURO,67 DM 1,31

EUR 1,44 DM 2,82

EUR3,48 DM 6,81

Chile

EUR 1,36 DM 2,66

EUR2,82 DM 5,52

EUR 7,60 DM 14,86

China (Republik) I Taiwan

EUR 1,36 DM 2,66

EUR2,82 DM 5,52

EUR 7,60 DM 14,86

Dänemark

EUR 0,41 DM 0,80

EURO,92 DM 1,80

EUR 1,90 DM 3,72

Estland

EURO,83 DM 1,62

EUR 1,76 DM 3,44

EUR4,43 DM 8,66

Finnland

EUR 0,41 DM 0,80

EURO,92 DM 1,80

EUR 1,90 DM 3,72

Frankreich

EURO,41 DM 0,80

EURO,92 DM 1,80

EUR 1,90 DM 3,72

Gibraltar

EUR 0,41 DM 0,80

EURO,92 DM 1,80

EUR 1,90 DM 3,72

Griechenland

EURO,52 DM 1,02

EUR 1,13 DM 2,21

EUR2,53 DM 4,95

314

Anhang Preis (ohne USt) je Minute

Länder Audio

56-128 kbitl s

168-384 kbit/s

Großritannien

EURO,41 DM 0,80

EURO,92 DM 1,80

EUR 1,90 DM 3,72

Hongkong

EURO,99 DM 1,94

EUR2,08 DM 4,07

EUR 5,38 DM 10,52

Indien

EUR 1,68 DM 3,29

EUR3,45 DM 6,75

EUR9,50 DM 18,58

Indonesien

EUR 1,68 DM 3,29

EUR3,45 DM 6,75

EUR9,50 DM 18,58

Iran

EUR 1,52 DM 2,97

EUR 3,13 DM 6,12

EUR 8,55 DM 16,72

Irland

EUR 0,41 DM 0,80

EURO,92 DM 1,80

EUR 1,90 DM 3,72

Island

EURO,52 DM 1,02

EUR 1,13 DM 2,21

EUR2,53 DM 4,95

Israel

EURO,73 DM 1,43

EUR 1,55 DM 3,03

EUR 3,80 DM 7,43

Italien

EURO,41 DM 0,80

EURO,92 DM 1,80

EUR 1,90 DM 3,72

Japan

EURO,99 DM 1,94

EUR2,08 DM 4,07

EUR5,38 DM 10,52

Kanada

EURO,41 DM 0,80

EURO,92 DM 1,80

EUR 1,90 DM 3,72

Katar

EUR 1,68 DM 3,29

EUR3,45 DM 6,75

EUR9,50 DM 18,58

Korea (Republik)

EURO,99 DM 1,94

EUR2,08 DM 4,07

EUR5,38 DM 10,52

Kroatien

EURO,52 DM 1,02

EUR 1,13 DM 2,21

EUR2,53 DM 4,95

Litauen

EURO,83 DM 1,62

EUR 1,76 DM 3,44

EUR4,43 DM 8,66

Luxemburg

EURO,41 DM 0,80

EURO,92 DM 1,80

EUR 1,90 DM 3,72

Malaysia

EUR 1,62 DM3,17

EUR3,34 DM 6,53

EUR 9,18 DM 17,95

Marokko

EURO,83 DM 1,62

EUR 1,76 DM 3,44

EUR4,43 DM 8,66

Mazedonien

EURO,73 DM 1,43

EUR 1,55 DM 3,03

EUR3,80 DM 7,43

Monaco

EUR 0,41 DM 0,80

EURO,92 DM 1,80

EUR 1,90 DM 3,72

Namibia

EUR 1,68 DM 3,29

EUR3,45 DM 6,75

EUR9,50 DM 18,58

Anhang

315

Preis (ohne USt) je Minute

Länder Audio

56-128kbitls

168 - 384 kbitl s

Neuseeland

EUR 1,26 DM 2,46

EUR 2,61 DM 5,10

EUR6,97 DM 13,63

Niederlande

EURO,41 DM 0,80

EURO,92 DM 1,80

EUR 1,90 DM 3,72

Norwegen

EURO,41 DM 0,80

EURO,92 DM 1,80

EUR 1,90 DM 3,72

Österreich

EURO,41 DM 0,80

EURO,92 DM 1,80

EUR 1,90 DM 3,72

Philippinen

EUR 1,52 DM 2,97

EUR3,13 DM 6,12

EUR8,55 DM 16,72

Polen

EURO,52 DM 1,02

EUR 1,13 DM 2,21

EUR2,53 DM 4,95

Portugal

EURO,41 DM 0,80

EURO,92 DM 1,80

EUR 1,90 DM 3,72

Russische Föderation

EURO,62 DM 1,21

EUR 1,34 DM 2,62

EUR 3,17 DM 6,20

Schweden

EURO,41 DM 0,80

EURO,92 DM 1,80

EUR 1,90 DM 3,72

Schweiz

EURO,41 DM 0,80

EURO,92 DM 1,80

EUR 1,90 DM 3, 72

Singapur

EUR 1,26 DM 2,46

EUR2,61 DM 5,10

EUR6,97 DM 13,63

Slowakische Rep.

EURO,52 DM 1,02

EUR 1,13 DM 2,21

EUR2,53 DM 4,95

Slowenien

EURO,52 DM 1,02

EUR 1,13 DM 2,21

EUR2,53 DM 4,95

Spanien

EURO,41 DM 0,80

EURO,92 DM 1,80

EUR 1,90 DM 3,72

Südafrika

EUR 1,47 DM 2,88

EUR3,03 DM 5,93

EUR8,23 DM 16,10

Taiwan

EURO,99 DM 1,94

EUR2,08 DM 4,07

EUR5,38 DM 10,52

Thailand

EUR 1,68 DM 3,29

EUR3,45 DM 6,75

EUR9,50 DM 18,58

Tschechische Rep.

EURO,52 DM 1,02

EUR 1,13 DM 2,21

EUR2,53 DM 4,95

Tunesien

EURO,83 DM 1,62

EUR 1,76 DM 3,44

EUR4,43 DM 8,66

Türkei

EURO,52 DM 1,02

EUR 1,13 DM 2,21

EUR2,53 DM 4,95

Ukraine

EURO,73 DM 1,43

EUR 1,55 DM 3,03

EUR3,80 DM 7,43

Anhang

316 Länder

Preis (ohne USt) je Minute Audio

56-128 kbitl s

168-384 kbit/s

Ungarn

EURO,52 DM 1,02

EUR 1,13 DM 2,21

EUR2,53 DM 4,95

USA

EUR 0,41 DM 0,80

EURO,92 DM 1,80

EUR 1,90 DM 3,72

Vereinige Arabische Emirate

EUR 1,52 DM 2,97

EUR3,13 DM 6,12

EUR8,55 DM 16,72

Weißrußland (Belarus)

EURO,67 DM 1,31

EUR 1,44 DM 2,82

EUR 3,48 DM 6,81

Zypern

EURO,52 DM 1,02

EUR 1,13 DM 2,21

EUR2,53 DM 4,95

Quelle: Telekom AG.

Anm.: Weitere Anbieter finden sich im Internet etwa durch die Eingabe des Stichworts "Videokonferenzraum" in einem Suchportal.

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Glossar Bandbreite

Übertragungskapazität, die in Bit pro Sekunde (bit! s) angegeben wird. Siehe dazu auch Übertragungsbandbreite.

B-Kanal

Abkürzung für Bearer-Kanal, engl. "bearer,,=Träger. Digitaler, duplexfähiger Überragungskanal zur Übertragung von ISDN-Nutzdaten (siehe ISDN) mit einer Übertragungsrate von 64 kbit! s.

BRl

Abk. für "Basic Rate Interface". Siehe dazu ISDN-Basisanschluss

"channel bundling"

engl. = Kanalbünde1ung. Bezeichnet die Zusammenfassung mehrerer B-Kanäle. Diese werden zu einem virtuellen Kanal mit einer höheren Datenübertragungsrate (siehe Übertragungsbandbreite) zusammengefasst, d. h. gebündelt.

Continuous Presence

Unterteilung des Videokonferenz-Monitors in mehrere Abschnitte, so dass man gleichzeitig mit mehreren Konferenzteilnehmer kommunizieren kann, siehe a. bei Quartersplit.

CD-Rom

Speichermedium Compact Disc. CD, auf der Bild- und Ton- Daten gespeichert werden können.

CD-Rom "brennen"

Als "Brennen" einer CD bezeichnet man den Kopiervorgang, bei dem Daten auf einer Compact Disc gespeichert werden.

D-Kanal

Abkürzung für Daten-Kanal. Bezeichnet den Signalisierungkanal im ISDN. Der D-Kanal hat eine Datenrate von 16 kb/s beim Basisanschluss. Über den D-Kanal erfolgt der Verbindungsaufbau und -abbau sowie die Steuerung.

Downspeeding

Sicherheitsfunktion, welche bei Ausfall eines Teils der B-Kanäle einsetzt, um die Übertragung der Daten nicht komplett zu unterbrechen

DVD-Player

Abspielgerät für sog. "DVD's". DVD ist die Abkürzung für "Digital Video Disc". Sie ähnelt einer CD, besitzt aber eine höhere Speicherkapazität, so dass sich darauf umfangreiche Datenmassen, beispielweise Videos, digital abspeichern lassen. Als DVD-Player bezeichnet man das Abspielgerät für DVD's.

"einfrieren"

Datenunterbrechung bei der Videokonferenz, siehe dazu bei "freeze"-Funktion

334

Glossar

Euro-AV

Steckverbindung zur Datenübetragung. Siehe bei "SCART".

Flatscreen

Bezeichnung für einen Monitor. Siehe bei "TFT-Flatscreen".

"freeze"-Funktion

Eine wesentliche Funktion heutiger Videokonferenzsysteme, die es ermöglichen, die fortlaufende Bild-Datenübertragung zu unterbrechen. Wird ein Bild etc. in die Kamera gehalten, kann vermittels dieser Funktion das Bild an der Gegenstelle in Ruhe betrachtet werden, ohne dass etwa zitternde Hände die Wiedergabe "verwakkein".

incoming

eng!. = hereinkommend. Bezeichnung für diejenigen Bild- und Ton-Daten im Rahmen einer Videokonferenz, die an der jeweiligen Gegenstelle ankommen und die durch Darstellungs- oder Speichermedien "abgegriffen" werden.

ISDN

Integrated Services Digital Network. Digitales Netz, das alle Dienste (Sprache, Text, Bilder, Daten) über einen Telefonanschluss anbietet.

ISDN-Basisanschluss

Eine Variante eines Teilnehmeranschlusses im ISDN. Der ISDNBasisanschluss besteht aus zwei Nutzkanälen (sog. B-Kanäle, s. dort) zu je 64 kbitl s und einem Signalisierungskanal (sog. D-Kanal, s. dort) zu 16 kbit I s. Man bezeichnet diesen Anschluss auch als So-Anschluss bzw. international: BRI (=Basic Rate Interface).

Kanalbündelung

Nutzung mehrerer ISDN-Kanäle zur Datenübertragung. Siehe bei "channe1 bundling".

multi point-Konferenz

Bei einer "multipoint"-Konferenz handelt es sich um Videokonferenzen, die zwischen mehr als zwei Orten geschaltet werden. Multipoint-Konferenzen bedingen dann zumeist auch das "Quartersplit" des Bildschirms.

Plug and Play

Kurzbezeichnung für die Situation, dass die Installation von Technik oder auch Software problemlos und sehr einfach möglich ist.

Quartersplit

Unterteilung des Bildschirms in mehrere Abschnitte. Im Rahmen einer Multipoint-konferenz, also einer Videokonferenz zwischen mehr als zwei Standorten, können alle Standorte in Bild und Ton miteinander kommunizieren, indem der Bildschirm aller Teilnehmer in bis zu 9 Abschnitte unterteilt wird (Continuous Presence).

,,roll abouts"

Videokommunikationssysteme mit Rollwagen und mobiler Einsetzbarkeit.

SCART

Auch Euro-AV genannt. Bezeichnet eine Steckverbindung von TV-Apparaten bzw. Videorecordern, o.ä.

Glossar Standard

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Übereinstimmung bestimmter technischer Eigenschaften von Videokonferenzsystemen, die das Funktionieren gewährleisten. In der Bildkommunikation gibt es verschiedene technische Parameter und Standards, etwa die jeweilige Bandbreite, der Audiostandard, der Videostandard, die Bildwiederholungsrate, die Auflösung, usw. siehe ISDN-Basisanschluss. So ist die Abkürzung für "Smali Office", d. h. für ein Büro oder einen Arbeitsplatz zu Hause, der herkömmlich mit einern ISDN-Basis-Anschluss ausgestattet ist.

TFf-Flatscreen

Oder auch TFf-Display. Es handelt sich hierbei um Flachbildschirme (Monitore) mit aktiver Innenbeleuchtung, die trotz ihrer geringen Größe hervorragende Bildqualitäten ermöglichen.

Übertragungsbandbreite Begriff für die Übertragungskapazität, etwa des jeweiligen Videokonferenzsystems. Die Kapazitätseinheit wird in Bit pro Sekunde (bit / s) angegeben. Videobeamer

Gerät, dass Bild-Daten an eine Leinwand projiziert. Die Funktionsweise ist mit der (derzeitigen !) Bildprojektion im Kino vergleichbar.

Sachwortverzeichnis § 49 f. StPO 83 § 58a StPO 34 ff., 43 f. § 168e StPO 37 ff. § 223 Abs. 1 StPO 223 ff. § 247 StPO 58 ff., 70 ff. § 247a S. I, 1. Alt StPO 38, 57 ff., 152 § 247a S. I, 2. Alt StPO 38, 76 ff., 93 ff., 152 § 247a S. 4 StPO 34 ff. § 251 Abs. I, Nr. 2 StPO 77 ff., 93 ff., 152 § 251 Abs. I, Nr. 3 StPO 91 f., 93 ff., 153 § 251 Abs. I, Nr. 4 StPO 92, 93 ff., 153 § 255a StPO 34 ff., 43 f., 76

Abschirmung von V-Leuten 254 ff. Abwägungsformel 80 f., 91 Amtsaufklärungspflicht 26, 76, 133, 234 f., 248,267 Anwesenheit 279 f., 285 Auslandszeuge 89 ff., 270 ff. Auslieferung 289 Aussage - als geistige Leistung 33 - Übertragung der - 96 ff. Aussagedelikte bei Videokonferenzen 289 ff. Aussageentstehung, Phasen der - 33 Aussageverweigerungsrechte, unterschied!.286f. Beauftragter Richter 40, 223 ff. Beschuldigtenvernehmung und V-konferenz 77, 287 f. Bestimmtheitsprinzip 293 ff. Beweisaufnahme - im Ausland 274 ff. - Beteiligung ausländischer Behörden 278 ff., 285 - vorweggenomme - 223 Beweismittel - Konkurrenz der - 267

- Reproduktionsverbot 140 f. - Stufenverhältnis der - 144 f. - Verlust des - 32 ff., 45 - Vernehmungsprotokoll 142 f. - Videoprotokoll143 Beweisnotstand 153, 155, 168,282 Bild-Ton-Aufzeichnung 34 ff. Bild-Ton-Verzögerung 128 f. Blinder Richter 182 ff. Bundesrat-Gesetzesentwurf 50 f. Bundesregierung-Erwiderung 51 ff. CCTV 51 f., 98 CDU / CSU-Fraktion-Gesetzesentwurf 51 ff. Channel Effects 201 Differentielle Kontrollierbarkeit 198 ff. Dolmetscher 136, 286 Eigenschaften, technische - bei VK 125 ff. Entstehungsgeschichte 232 f. Ergänzungsübereinkommen zum EuRHÜbk 32,39,281 ff. Ermessensentscheidung und Revision 265 Erscheinenshindernis 79 ff. Erstvernehmung des Zeugen 34 Ersuchter Richter 40, 223 ff. Fairnessprinzip 235, 260 f. Falschaussage bei Videokonferenz 289 ff. Feedbackschleife 197 Forderungen, - de lege ferenda 306 f. freies Geleit 44 ff., 271, 297 ff. Garantiefunktion 292 ff. Gebietsausschließlichkeit 274 Gefahr - dringende - 58 ff. Geleit 44 ff., 271, 297 ff. Gerichtssprache 286

Sachwortverzeichnis

337

Gesetzesentwurf - Bundesrat 50 f. - CDU / CSU-Fraktion 51 f. - SPD-Fraktion 49 f. - Vennittlungsausschuss 55 Gesprächsdisziplin 163, 173 Gesprächsdynamik 163 Glaubhaftigkeit der Aussage 176 Glaubwürdigkeit - al1gemeine und besondere - 176 Glaubwürdigkeitsbeurteilung 106, 157 ff., 175 ff. - kriterien orientierte - 178 ff., 190 ff. - Real- bzw. Phantasiekennzeichen 179 ff. - u. statistische Zusammenhänge 194 f. - verhaltensorientierte - 106, 181 ff., 190 ff. Grundrechte 28 ff.

Kommunikationskanäle 157 ff., 201 - Interdependenzen 160 Kommunikationsoptimierung, - Verpflichtung zur - 169 ff. Konservierung einer Zeugenaussage 33 f. Kosten einer Videokonferenz 79, 111 f., 119 ff., 287

Haupttatsachen 139 f. Hauptverhandlung - gespaltene - 49, 51, 137 f. - Verlegung der - 256 Hilfstatsache 139 f.

One-way-Prinzip 97 ff. Opferschutzgesetz, zweites - 71 f. ordre public 282 Othe110 Fehler 200

Indiztatsache 139 f. Kinderzeuge 70 ff., 86 ff. , 104, 107 f. - und Erziehungsberechtigte 87 f. Kommissarische Zeugenvemehmung 233 ff., 268 - Nachteile der - 223 ff. Kommunikation 135, 157 ff. - als Verstehensprozess 158, 170 - Anzahl der Kommunikationspartner 171 f. - audiovisuelle - 98 f., 157 - Beobachtung 99, 104 f. , 136, 164, 166 - dialogische - 169 - doppelte Informationsübennittlung 166 - Empfindungen 105 f., 162, 164 ff. - Gesprächsdisziplin 163, 173 - Gesprächslautstärke 105, 174 f. - Interaktionssituation 105 ff., 198 f., 199 ff. - nonverbale - 99, 106, 159 - richterliche Verantwortung 169 ff. - Se1bstkontrol1e 164, 167, 197 - Selbstpräsentation 196 ff. - Veränderungen der - 104 ff., 161, 164 ff., - Zeichenebene 164 ff.

Lügendetektor-Urteil 185 Mainzer Verfahren 48 ff., 51, 96 f., 137 f. minimum standard of justice 294 Model1 der gespaltenen Hauptverhandlung 49 Nachteil - schwerwiegend und erheblicher - 65 ff.

Polizeiliche Vernehmung 35 Polygraphen-Urteil 185 Postulat unbewaffneter Sinnesorgane 185 f., 188 Protokol1 287 Qualitätsdefizite bei VK 113 ff. Rechtshilfe 275 ff. - als Verfahren sui generis 278 Reproduktionsverbot 140 f. Revision 263 ff. revisionsgerichtliche Ungleichbehandlung 267 f. Sachverständige 77 f. - Gefahr des Übergriffs in den Strafprozess 176 f . Sachverständiger Zeuge 77 Schutzpflichten des Staates 30 ff. Schutzzweckverdopplung bei §§ 153 f. StGB 295 Sekundäranalysen 195 f. Sekundäre Traumatisierung 33

338

Sachwortverzeichnis

Selbstpräsentation, strategisch zielorientierte- 196 ff. Selfmonitoring 104,196 Sicheres Geleit 271, 297 ff. Souveränität, staatliche - 274 f. SPD-Fraktion-Gesetzesentwurf 49 Stereotype 197,200 ff. Strafrechtspflege, stellvertretende - 289 ff. StufenverhäItnis der Beweismittel 144 f. Subsidiaritätsklausel 53 70 ff. Täuschung, primäre - 196 Technische Eigenschaften bei VK 125 ff. Traumatisierung, sekundäre - 33 Two-way-Prinzip 96 ff. Übertragung der Aussage 96 ff. Uitima-ratio-Anordnung 53, 70 ff. Unmittelbarkeit, Prinzip der - 133 ff., 153, 233 ff., 248, 260, 266 f. - Durchbrechungen 147 ff., 153 - formelle - 134 ff., 145 ff. - - im engeren Sinn 144 f. - materielle - 139 ff., 145 ff., 150 - Verbesserung Aufklärung 133, 153 Untersuchungshaft, Befreiung von - 299 Urteilsabsprache 256 Verdeckter Ermittier 83 f., 252 Verfahrensbeschleunigung 76 Verfassungsrecht 28 ff. Vernehmung, kommissarische - 223 ff.

Vernehmung, polizeiliche - 35 Vernehmungsprotokoll142 Videotaped evidence 34 ff. ~deovernehmung

- als Hoheitsakt 275 f. - Erfahrungen bei - 117 ff. - Kosten der - 112, 119 ff. - Kritik an - 102 ff. - Qualität der - 113 ff. - Vorlaufzeit der - 115 f. V-Mann 83, 234, 249 ff., 287 - u. Abschirmung 85, 254 ff. - u. Geheimhaltungsstufen 84 f. Vorführung 87 Vorhalt, - in der Hauptverhandlung 100 Wesentlichkeitstheorie 29 Zeuge, - Auslands- 89 ff. - Gefährdung des - 81 f. - Kinder u. sonst hilfsbedürftige - 70 ff., 86 ff., 104, 107 f. Zeuge vom Hörensagen 147 ff., 250 f., 256 f. Zeugenbegriff - formaler und materieller - 148 f. Zeugenschutz 26 ff. 236 f., 256, 287 - Grauzone des - 72 Zeugenschutzgesetz 27, 32, Zeugenwohl, Begriff 63 ff. Zielsetzungen, sich widersprechende - 93 f.