Die verfassungsrechtlichen Grundlagen des sogenannten Tendenzschutzes im Betriebsverfassungsrecht und im Unternehmensverfassungsrecht: Zugleich ein Beitrag zur Bestimmung des Verhältnisses der Grundrechte und der Kirchenautonomie gegenüber dem Sozialstaatsprinzip [1 ed.] 9783428459650, 9783428059652


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German Pages 445 Year 1986

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Die verfassungsrechtlichen Grundlagen des sogenannten Tendenzschutzes im Betriebsverfassungsrecht und im Unternehmensverfassungsrecht: Zugleich ein Beitrag zur Bestimmung des Verhältnisses der Grundrechte und der Kirchenautonomie gegenüber dem Sozialstaatsprinzip [1 ed.]
 9783428459650, 9783428059652

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Schriften zum Sozial- und Arbeitsrecht Band 77

Die verfassungsrechtlichen Grundlagen des sogenannten Tendenzschutzes im Betriebsverfassungsrecht und im Unternehmensverfassungsrecht Zugleich ein Beitrag zur Bestimmung des Verhältnisses der Grundrechte und der Kirchenautonomie gegenüber dem Sozialstaatsprinzip

Von

Gerhard Marino

Duncker & Humblot · Berlin

GERHARD

MARINO

Die verfassungsrechtlichen Grundlagen des sogenannten Tendenzschutzes im Betriebsverfassungsrecht und im Unternehmensverfassungsrecht

S c h r i f t e n zum Sozial- u n d A r b e i l s r e c h l Band 77

Die verfassungsrechtlichen Grundlagen des sogenannten Tendenzschutzes im Betriebsverfassungsrecht und im Unternehmensverfassungsrecht Zugleich ein Beitrag zur Bestimmung des Verhältnisses der Grundrechte und der Kirchenautonomie gegenüber dem Sozialstaatsprinzip

Von

Dr. Gerhard Marino

D U N C K E R

&

H U M B L O T

/

B E R L I N

C I P - K u r z t i t e l a u f n a h m e der Deutschen B i b l i o t h e k

Marino, Gerhard: D i e verfassungsrechtlichen G r u n d l a g e n des sogenannten Tendenzschutzes i m Betriebsverfassungsrecht u n d i m Unternehmensverfassungsrecht: zugl. e. B e i t r . zur B e s t i m m u n g d. Verhältnisses d. Grundrechte u. d. K i r c h e n a u t o n o m i e gegenüber d. Sozialstaatsprinzip / v o n G e r h a r d M a r i n o . — B e r l i n : Duncker u n d H u m b l o t , 1986. (Schriften z u m Sozial- u n d Arbeitsrecht; Bd. 77) I S B N 3-428-05965-4 NE: GT

Alle Re eilte vorbehalten © 1986 Duncker & Humblot GmbH, Berlin 41 Gedruckt 1986 bei Berliner Buchdruckerei Union GmbH, Berlin 61 Printed in Germany ISBN 3-428-05965-4

Für Romanie , Christine und Julia

Inhaltsverzeichnis Α. Problemstellung I. Gegenstand und Anliegen der Arbeit 1. Gegenstand der Untersuchung

1 1

2. Meinungsstand zum Verfassungsbezug der Tendenzschutzbestimmungen . .

10

2.1 Meinungsstand zur verfassungsrechtlichen Legitimation der §§118 Abs. 1 BetrVG, 1 Abs. 4 Satz 1 MitbestG und 81 Abs. 1 BetrVG 52 . . .

10

2.1.1 These vom Fehlen einer verfassungsrechtlichen Legitimation . . .

10

2.1.2 These vom Grundrechtsbezug der Tendenzschutzbestimmungen .

12

2.1.3 These einer Güterabwägung zwischen den Grundrechten und dem Sozialstaatsprinzip

13

2.2 Meinungsstand zur Maßgeblichkeit des Verfassungsrechts für die §§ 118 Abs. 1 BetrVG, 1 Abs. 4 Satz 1 MitbestG und 81 Abs. 1 BetrVG 52 .. .

15

2.3 Meinungsstand zur Legitimation und Maßgeblichkeit des Verfassungsrechts für die §§ 118 Abs. 2 BetrVG, 1 Abs. 4 Satz 2 MitbestG und 81 Abs. 2 BetrVG 52

16

3. Anliegen der Arbeit

Π. Verfassungsrechtliche und arbeitsrechtliche Ausgangslage und Folgerungen für den Aufbau und die Methode der Untersuchung 1. Verfassungsrechtliche Problematik 1.1 Verfassungsrechtliche Ausgangslage

18

19 19 19

1.1.1 Die Verfassung als materiale Legitimationsbasis des einfachrechtlichen Tendenzschutzes?

19

1.1.2 Bindende Vorgaben der Verfassung für den einfachrechtlichen Tendenzschutz (Maßgeblichkeit)?

20

1.2 Folgerungen aus dieser Ausgangslage

22

1.2.1 Grundsätzliche Eignung von Grundrechtsnormen, verfassungsrechtlichen Einrichtungsgarantien und Strukturprinzipien als Legitimation für den Tendenzschutz

22

1.2.2 Anforderungen an die Eignimg von Verfassungsnormen als Rechtfertigungsnormen

23

1.2.3 Problem: Schutzform einer Verfassungsbestimmung

25

Vili

Inhaltsverzeichnis 1.2.4 Problem: mehrfacher Verfassungsbezug bei den Tendenzschutzbestimmungen

27

1.2.5 Problem: BindungsWirkung von verfassungsrechtlichen Legitimationsnormen

28

1.2.6 Problem: Kollision von Verfassungsnormen

29

2. Arbeitsrechtliche Problematik

29

2.1 Arbeitsrechtliche Ausgangslage

29

2.2 Problem: Tendenzschutzbestimmungen - einheitliche Rechtsnormen für jeweils mehrere Arten von Tendenzunternehmen?

31

2.3 Problem: Regelungsbereich und Regelungszweck 3. Methodik und Aufbau der Untersuchimg

33 36

3.1 Methodik der Untersuchung

36

3.2 Aufbau der Untersuchimg

39

B. Die Maßgeblichkeit des Verfassungsrechts für einfachrechtliche Gestaltungsprinzipien (objektive Rechtswerte) im Tendenzschutz I. Regelungsbereich und Regelungsgegenstände der §§ 118 BetrVG, 1 Abs. 4 MitbestG und 81 BetrVG 52

40

1. Tatbestand und Rechtsfolgen der einzelnen Tendenzschutzbestimmungen .

40

1.1 Die Übereinstimmung der Rechtsbegriffe der §§ 118 BetrVG, 1 Abs. 4 MitbestG und 81 BetrVG 52

40

1.1.1 Die Begriffe „gewerkschaftliche" und „ähnliche Bestimmungen" in § 81 Abs. 1 BetrVG 52

41

1.1.2 Die Begriffe „Unternehmen" und „Betrieb"

42

1.1.3 „Unternehmen ..., die unmittelbar und überwiegend ... Bestimmungen (Zwecken) ... dienen"

43

1.2 Die Tatbestandsmerkmale der einzelnen Tendenzschutzbestimmungen .

45

1.2.1 „Religionsgemeinschaften"

45

1.2.2 Inhalt und Verhältnis der Rechtsbegriffe „karitativ oder erzieherisch bestimmte Unternehmen" und „karitative und erzieherische Einrichtungen von Religionsgemeinschaften"

46

1.2.2.1 „Unternehmen, die unmittelbar und überwiegend karitativen Bestimmungen dienen" 1.2.2.2 „Unternehmen, die unmittelbar und überwiegend erzieherischen Bestimmungen dienen" 1.2.2.3 „Karitative und erzieherische Einrichtungen von Religionsgemeinschaften" und ihr Verhältnis zu „karitativ oder erzieherisch bestimmten Unternehmen"

46 47

48

Inhaltsverzeichnis 1.2.3 „Unternehmen, die unmittelbar und überwiegend konfessionellen Bestimmungen dienen"; Verhältnis zu „Religionsgemeinschaften und deren erzieherischen und karitativen Einrichtungen" sowie zu „Unternehmen, die karitativen oder erzieherischen Bestimmungen dienen"

50

1.2.4 „Unternehmen, die immittelbar und überwiegend politischen Bestimmungen dienen"

52

1.2.5 „Unternehmen, die unmittelbar und überwiegend koalitionspolitischen Bestimmungen dienen"

53

1.2.6 „Unternehmen, die unmittelbar und überwiegend wissenschaftlichen oder künstlerischen Bestimmungen dienen"

54

1.2.7 „Unternehmen, die unmittelbar und überwiegend Zwecken der Berichterstattung und Meinungsäußerung dienen"; Verhältnis zu „konfessionellen Unternehmen", „politischen Unternehmen", „koalitionspolitischen Unternehmen" und „wissenschaftlichen oder künstlerischen Unternehmen"

58

1.3 Rechtsfolgen der einzelnen Tendenzschutzbestimmungen

62

1.3.1 Rechtsfolgen der Tendenzschutzbestimmungen in der betriebsbezogenen und unternehmensbezogenen Mitbestimmung

62

1.3.2 Unterschiede i n den Rechtsfolgen der jeweiligen Tendenzschutzbestimmungen

63

2. Regelungsbereich und Regelungsgegenstände der Tendenzschutzbestimmungen

64

2.1 Regelungsbereich der Tendenzschutzbestimmungen

64

2.1.1 Zugehörigkeit der Tendenzschutzbestimmungen zum Regelungsbereich der betriebs- bzw. unternehmensbezogenen Mitbestimmung

64

2.1.2 Regelungsbereich der Tendenzschutzbestimmungen der betriebsbezogenen Mitbestimmung

67

2.1.3 Regelungsbereich der Tendenzschutzbestimmungen der unternehmensbezogenen Mitbestimmung

68

2.2 Regelungsgegenstände der Tendenzschutzbestimmungen 2.2.1 Regelungsgegenstände der betriebsbezogenen Mitbestimmung

71 ..

72

2.2.2 Regelungsgegenstände der unternehmensbezogenen Mitbestimmung

78

Π. Interessen und Gestaltungsprinzipien des einfachrechtlichen Tendenzschutzes 1. Die Interessenlage bei den Regelungsgegenständen der Tendenzschutzbestimmungen 1.1 I n der betriebsbezogenen Mitbestimmung

84

84 84

1.2 I n der unternehmensbezogenen Mitbestimmung

86

2. Gestaltungsprinzipien der Tendenzschutzbestimmungen

87

Inhaltsverzeichnis 2.1 Gestaltungsprinzipien für den Regelungsgegenstand betriebliche Struktur

88

2.1.1 Objektiver Rechtswert: Alleiniges Bestimmungsrecht des Arbeitgebers über die betriebliche Struktur aufgrund privatrechtlicher Sachherrschaft und Vertragsautonomie

88

2.1.2 Objektiver Rechtswert: Alleiniges Bestimmungsrecht des Arbeitgebers über die betriebliche Struktur aufgrund der Verfolgung besonderer Unternehmenszwecke

89

2.1.3 Objektiver Rechtswert: Schutzraum (Entfaltungsspielraum) für die Arbeitnehmer während ihrer Tätigkeit im Betrieb

90

2.1.4 Ergebnis

93

2.2 Gestaltungsprinzipien für den Regelungsgegenstand Entscheidungen auf betrieblicher Ebene

93

2.2.1 Ob j ektiver Rechtswert : Alleinentscheidungsrecht des Arbeitgebers aufgrund der Privatautonomie und privatrechtlicher Sachherrschaft

93

2.2.2 Objektiver Rechtswert: Alleinentscheidungsrecht des Arbeitgebers aufgrund der Verfolgung besonderer Unternehmenszwecke

94

2.2.3 Objektiver Rechtswert: Förderung der beruflichen Entwicklung, Arbeitsplatzbestandsschutz und (wirtschaftliche) Absicherung des Arbeitsplatzes der Arbeitnehmer im Betrieb

95

2.2.4 Ergebnis

97

2.3 Gestaltungsprinzipien für den Regelungsgegenstand innere Struktur von Unternehmen

98

2.3.1 Objektiver Rechtswert: Ausschließliche rechtliche Anerkennung der Anteilseigner als Mitglieder des Unternehmens aufgrund der Privat- und Verbandsautonomie

98

2.3.2 Objektiver Rechtswert: Ausschließliche rechtliche Anerkennung der Anteilseigner als Mitglieder des Unternehmens aufgrund der Verfolgung besonderer Unternehmenszwecke 100 2.3.3 Objektive Rechtswerte: Rechtliche Anerkennimg der Arbeitnehmer und der im Unternehmen vertretenen Gewerkschaften als M i t glieder des sachlich-personellen Verbunds Unternehmen

101

2.3.4 Ergebnis

103

2.4 Gestaltungsprinzipien für den Regelungsgegenstand unternehmerische Entscheidungen in Fremdorganschaft

104

2.4.1 Objektiver Rechtswert: Alleiniges Einfluß- und Kontrollrecht der Anteilseigner bei unternehmerischen Entscheidungen in Fremdorganschaft aufgrund der Verbandsautonomie 104 2.4.2 Objektiver Rechtswert: Alleiniges Einfluß- und Kontrollrecht der Anteilseigner bei unternehmerischen Entscheidungen in Fremdorganschaft aufgrund der Verfolgung besonderer Unternehmenszwecke 105

Inhaltsverzeichnis 2.4.3 Objektiver Rechtswert: Berücksichtigung der Arbeitnehmerinteressen auf (wirtschaftliche) Absicherung des Arbeitsplatzes und sonstige Förderung ihrer „Berufsausübung" bei unternehmerischen Entscheidungen in Fremdorganschaft 105 2.4.4 Vorgebliche weitere Gestaltungsprinzipien der unternehmensbezogenen Mitbestimmung

114

2.4.5 Ergebnis

116

ΙΠ. Die Maßgeblichkeit von Grundrechtsnormen und Kirchenautonomie für die Beachtung objektiver Rechtswerte im Tendenzschutz 1. Die möglichen Schutzformen von Grundrechtsnormen

117 117

1.1 Schutzform Abwehrrecht

117

1.2 Schutzform Einrichtungsgarantie

117

1.3 Schutzform objektive Rechtsnorm

119

1.4 Schutzformen „Originäre Teilhaberechte" und „Soziale Grundrechte"?

120

1.5 Das Verhältnis mehrerer Schutzformen zueinander

122

2. Legitimation von objektiven Rechtswerten beim Regelungsgegenstand betriebliche Struktur durch Grundrechtsnormen und Kirchenautonomie . . . . 123 2.1 Legitimation des objektiven Rechtswertes: Alleinbestimmungsrecht des Arbeitgebers aufgrund privatrechtlicher Sachherrschaft und Vertragsautonomie 124 2.1.1 Grundrechtsnormen, die das Eigentumsrecht des Arbeitgebers (Unternehmensträgers) legitimieren

124

2.1.2 Grundrechtsnormen, die die Vertragsautonomie des Arbeitgebers legitimieren

126

2.2 Legitimation des objektiven Rechtswertes: Alleinbestimmungsrecht des Arbeitgebers aufgrund der von § 118 BetrVG erfaßten Unternehmenszwecke 128 2.2.1 Legitimation des Alleinbestimmungsrechts des Arbeitgebers bei „Religionsgemeinschaften" 129 2.2.1.1 Die grundsätzliche Eignung des Artikel 4 Abs. 1 GG als Legitimationsnorm 2.2.1.2 Die grundsätzliche Eignung des Artikel 4 Abs. 2 GG als Legitimationsnorm 2.2.1.3 Die grundsätzliche Eignung des Artikel 137 Abs. 3 WRV als Legitimationsnorm 2.2.1.4 Verhältnis der Artikel 4 Abs. 1, Artikel 4 Abs. 2 GG und Artikel 137 Abs. 3 WRV

129 132 137 141

2.2.2 Legitimation des Alleinbestimmungsrechts des Arbeitgebers bei „erzieherischen, konfessionellen und karitativen Unternehmen" sowie bei „karitativen und erzieherischen Einrichtungen von Religionsgemeinschaften" 143

Inhaltsverzeichnis

XII

2.2.2.1 Legitimation des Alleinbestimmungsrechts des Arbeitgebers bei „karitativen Unternehmen" 2.2.2.2 Legitimation des AHeinbestimmungsrechts des Arbeitgebers bei „erzieherischen Unternehmen" 2.2.2.3 Legitimation des Alleinbestimmungsrechts des Arbeitgebers bei „konfessionellen Unternehmen" 2.2.2.4 Legitimation des Alleinbestimmungsrechts des Arbeitgebers bei „karitativen und erzieherischen Einrichtungen von Religionsgemeinschaften" 2.2.2.5 Ergebnis

143 146 150

152 155

2.2.3 Legitimation des Alleinbestimmungsrechts des Arbeitgebers bei „politisch bestimmten Unternehmen" 156 2.2.4 Legitimation des Alleinbestimmungsrechts des Arbeitgebers bei „koalitionspolitischen Unternehmen" 162 2.2.5 Legitimation des Alleinbestimmungsrechts des Arbeitgebers bei „wissenschaftlichen oder künstlerischen Unternehmen" 167 2.2.5.1 Die ausschließliche Eignung des Artikel 5 Abs. 3 GG und dessen Schutzformen 2.2.5.2 Legitimation bei „wissenschaftlichen Unternehmen" durch Artikel 5 Abs. 3 GG 2.2.5.3 Legitimation bei „künstlerischen Unternehmen" durch Artikel 5 Abs. 3 GG 2.2.5.4 Schutzbereich des Artikel 5 Abs. 3 GG bei der kommunikativen Vermittlung von wissenschaftlichen Erkenntnissen oder von Kunstwerken

168 169 172

173

2.2.6 Legitimation des Alleinbestimmungsrechts des Arbeitgebers bei „Unternehmen, die Zwecken der Berichterstattung oder Meinungsäußerung dienen" 175 2.2.6.1 Die ausschließliche Eignung des Artikel 5 Abs. 1 Satz 2 GG und dessen Schutzformen 175 2.2.6.2 Die Legitimation durch Artikel 5 Abs. 1 Satz 2 GG 177 2.2.6.3 Ergebnis 182 2.3 Legitimation des objektiven Rechtswertes: Schutzraum für die Arbeitnehmer durch betriebsverfassungsrechtliche Strukturnormen

182

2.4 Ergebnis

186

3. Legitimation von objektiven Rechtswerten beim Regelungsgegenstand Entscheidungen auf betrieblicher Ebene durch Grundrechtsnormen und K i r chenautonomie 187 3.1 Legitimation des objektiven Rechtswertes: Alleinentscheidungsrecht des Arbeitgebers aufgrund Vertragsautonomie und privatrechtlicher Sachherrschaft 187 3.2 Legitimation des objektiven Rechts wertes: Alleinentscheidungsrecht des Arbeitgebers aufgrund der von § 118 BetrVG erfaßten Unternehmenszwecke

191

3.2.1 Legitimation des Alleinentscheidungsrechts des Arbeitgebers bei „Religionsgemeinschaften" 191

Inhaltsverzeichnis 3.2.2 Legitimation des Alleinentscheidungsrechts des Arbeitgebers bei „karitativen und erzieherischen Einrichtungen von Religionsgemeinschaften" 192 3.2.3 Legitimation des Alleinentscheidungsrechts des Arbeitgebers bei „karitativen Unternehmen" 194 3.2.4 Legitimation des Alleinentscheidungsrechts des Arbeitgebers bei „erzieherischen Unternehmen" 194 3.2.4.1 Für den Entscheidimgsbereich des § 80 BetrVG 196 3.2.4.2 Für den Entscheidungsbereich soziale Angelegenheiten . 196 3.2.4.3 Für den Entscheidungsbereich Gestaltung von Arbeitsplätzen, Arbeitsablauf und Arbeitsumgebung 196 3.2.4.4 Für den Entscheidungsbereich personelle Angelegenheiten 197 3.2.4.5 Für den Entscheidimgsbereich wirtschaftliche Angelegenheiten 198 3.2.4.6 Ergebnis 198 3.2.5 Legitimation des Alleinentscheidungsrechts des Arbeitgebers bei „konfessionellen Unternehmen" 199 3.2.5.1 3.2.5.2 3.2.5.3 3.2.5.4 3.2.5.5

Für den Entscheidimgsbereich des § 80 BetrVG Für den Entscheidimgsbereich soziale Angelegenheiten . Für den Entscheidungsbereich des § 90 BetrVG Für den Entscheidungsbereich berufliche Bildung Für den Entscheidungsbereich allgemeine personelle Angelegenheiten 3.2.5.6 Für den Entscheidungsbereich personelle Einzelmaßnahmen 3.2.5.7 Für den Entscheidungsbereich wirtschaftliche Angelegenheiten 3.2.5.8 Ergebnis

199 200 201 201 202 202 202 203

3.2.6 Legitimation des Alleinentscheidungsrechts des Arbeitgebers bei „politischen Unternehmen" 204 3.2.7 Legitimation des Alleinentscheidungsrechts des Arbeitgebers bei „koalitionspolitischen Unternehmen" 205 3.2.8 Legitimation des Alleinentscheidungsrechts des Arbeitgebers bei „wissenschaftlichen oder künstlerischen Unternehmen" 208 3.2.9 Legitimation des Alleinentscheidungsrechts des Arbeitgebers bei den von § 118 Abs. 1 Nr. 2 BetrVG erfaßten Unternehmen 208 3.3 Legitimation des objektiven Rechtswertes: Förderung der beruflichen Entwicklung und der (wirtschaftlichen) Absicherung des Arbeitsplatzes der Arbeitnehmer bei betrieblichen Entscheidungen

211

3.3.1 Förderung der beruflichen Entwicklung

211

3.3.2 Wirtschaftliche Absicherung des Arbeitsplatzes der Arbeitnehmer

213

3.4 Ergebnis

215

4. Legitimation von objektiven Rechtswerten beim Regelungsgegenstand innere Struktur von Unternehmen durch Grundrechtsnormen und Kirchenautonomie 216

V

Inhaltsverzeichnis

4.1 Legitimation des objektiven Rechtswertes: ausschließliche Anerkennimg der Anteilseigner als Mitglieder des Unternehmens aufgrund privatrechtlicher Sachherrschaft und Satzungsautonomie 216 4.1.1 Grundrechtsnormen, die die dingliche Sachherrschaft der Anteilseigner am Unternehmen legitimieren 217 4.1.2 Grundrechtsnormen, die die Satzungsautonomie der Anteilseigner legitimieren 218 4.2 Legitimation des objektiven Rechtswertes: ausschließliche Mitgliedschaftsrechte der Anteilseigner am Unternehmen aufgrund der von § 1 Abs. 4 MitbestG und § 81 BetrVG 52 erfaßten Unternehmenszwecke . . 220 4.2.1 Legitimation ausschließlicher Mitgliedschaftsrechte der Anteilseigner am Unternehmen bei „Religionsgemeinschaften" 220 4.2.2 Legitimation ausschließlicher Mitgliedschaftsrechte der Anteilseigner am Unternehmen bei „karitativen und erzieherischen Einrichtungen von Religionsgemeinschaften 222 4.2.3 Legitimation ausschließlicher Mitgliedschaftsrechte der Anteilseigner am Unternehmen bei „karitativen Unternehmen" 223 4.2.4 Legitimation ausschließlicher Mitgliedschaftsrechte der Anteilseigner am Unternehmen bei „erzieherischen Unternehmen" . . . . 223 4.2.5 Legitimation ausschließlicher Mitgliedschaftsrechte der Anteilseigner am Unternehmen bei „konfessionellen Unternehmen" . . . 225 4.2.6 Legitimation ausschließlicher Mitgliedschaftsrechte der Anteilseigner am Unternehmen bei „politischen Unternehmen" 226 4.2.7 Legitimation ausschließlicher Mitgliedschaftsrechte der Anteilseigner am Unternehmen bei „koalitionspolitischen Unternehmen" 227 4.2.8 Legitimation ausschließlicher Mitgliedschaftsrechte der Anteilseigner am Unternehmen bei „wissenschaftlichen oder künstlerischen Unternehmen" 228 4.2.9 Legitimation ausschließlicher Mitgliedschaftsrechte der Anteilseigner am Unternehmen bei den von §§ 1 Abs. 4 Nr. 2 MitbestG und 81 Abs. 1 BetrVG 52 erfaßten Unternehmen 229 4.3 Legitimation des objektiven Rechtswertes: rechtliche Anerkennung der Arbeitnehmer (Gewerkschaften) als Mitglieder des Unternehmens . . . . 230 4.3.1 Rechtliche Anerkennung der Arbeitnehmer als Mitglieder des Unternehmens 230 4.3.2 Rechtliche Anerkennung der im Unternehmen (Konzern) vertretenen Gewerkschaften als Mitglieder des Unternehmens (Konzerns) 231 4.4 Ergebnis

232

5. Legitimation von objektiven Rechts werten beim Regelungsgegenstand unternehmerische Entscheidungen in Fremdorganschaft durch Grundrechtsnormen und Kirchenautonomie 233 5.1 Legitimation des objektiven Rechtswertes: ausschließliches Kontrollund Einflußrecht der Anteilseigner auf unternehmerische Entscheidun-

Inhaltsverzeichnis gen i n Fremdorganschaft aufgrund privatrechtlicher Sachherrschaft und Verbandsautonomie 234 5.2 Legitimation des objektiven Rechtswertes: ausschließliches Kontrollund Einflußrecht der Anteilseigner bei unternehmerischen Entscheidungen in Fremdorganschaft aufgrund der von § 1 Abs. 4 MitbestG und § 81 BetrVG 52 erfaßten Unternehmenszwecke 235 5.2.1 Legitimation des ausschließlichen Kontroll- und Einflußrechts der Anteilseigner bei „Religionsgemeinschaften" 236 5.2.2 Legitimation des ausschließlichen Kontroll- und Einflußrechts der Anteilseigner bei „karitativen und erzieherischen Einrichtungen von Religionsgemeinschaften" 236 5.2.3 Legitimation des ausschließlichen Kontroll- und Einflußrechts der Anteilseigner bei „karitativen Unternehmen" 237 5.2.4 Legitimation des ausschließlichen Kontroll- und Einflußrechts der Anteilseigner bei „erzieherischen Unternehmen" 237 5.2.5 Legitimation des ausschließlichen Kontroll- und Einflußrechts der Anteilseigner bei „konfessionellen Unternehmen" 238 5.2.6 Legitimation des ausschließlichen Kontroll- und Einflußrechts der Anteilseigner bei „politischen Unternehmen" 239 5.2.7 Legitimation des ausschließlichen Kontroll- und Einflußrechts der Anteilseigner bei „koalitionspolitischen Unternehmen" 240 5.2.8 Legitimation des ausschließlichen Kontroll- und Einflußrechts der Anteilseigner bei „wissenschaftlichen oder künstlerischen Unter, nehmen"

241

5.2.9 Legitimation des ausschließlichen Kontroll- und Einflußrechts der Anteilseigner bei den von §§ 1 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 MitbestG und 81 Abs. 1 BetrVG 52 erfaßten Unternehmen 241 5.3 Legitimation des objektiven Rechtswertes: Förderung der beruflichen Entwicklung und der (wirtschaftlichen) Absicherung des Arbeitsplatzes der Arbeitnehmer 242 5.3.1 Berücksichtigung der beruflichen Förderung von Arbeitnehmern .

242

5.3.2 Berücksichtigimg der Arbeitnehmerinteressen auf (wirtschaftliche) Absicherung des Arbeitsplatzes i m Unternehmen (Konzern)

243

5.4 Ergebnis

243

6. Zusammenfassung der bisherigen Ergebnisse und Folgerungen 6.1 Regelungsgegenstände BetrVG

der

Tendenzschutzbestimmungen

244 des

§ 118 244

6.1.1 Regelungsgegenstand betriebliche Struktur

244

6.1.2 Regelungsgegenstand Entscheidungen auf betrieblicher Ebene . .

245

6.2 Regelungsgegenstände der Tendenzschutzbestimmungen der §§ 1 Abs. 4 MitbestG und 81 BetrVG 52 248 6.2.1 Regelungsgegenstand innere Unternehmensstruktur

248

V I n h a l t s v e r z e i c h n i s 6.2.2 Regelungsgegenstand Fremdorganschaft

unternehmerische

Entscheidungen

in 250

6.3 Folgerungen

251

7. Die Maßgeblichkeit von Grundrechtsnormen und Kirchenautonomie für die Beachtimg objektiver Rechtswerte im Tendenzschutz 252 7.1 Bei objektiven Rechtswerten zugunsten der Arbeitgeber (Unternehmensträger) bzw. zugunsten der Anteilseigner 252 7.2 Bei objektiven Rechtswerten zugunsten der Arbeitnehmer

253

7.3 Ergebnis

256 IV. Die Maßgeblichkeit von verfassungsrechtlichen Strukturprinzipien für die Beachtung objektiver Rechtswerte im Tendenzschutz

257

1. Die grundsätzliche Eignung des DP, RP und SP als Legitimationsnormen für die Beachtung objektiver Rechtswerte im Tendenzschutz

258

1.1 Die Rechtsnormqualität der verfassungsrechtlichen Strukturprinzipien

258

1.2 Die eigenständige Bedeutung der verfassungsrechtlichen Strukturprinzipien

261

1.3 Die materialen Werte (Schutzgüter) der verfassungsrechtlichen Strukturprinzipien 262 1.4 Ergebnis

262

2. Die Eignung des DP, RP und SP, objektive Rechtswerte im Tendenzschutz nach Schutzbereich, Schutzgut und Schutzform zu legitimieren 263 2.1 Die ausschließliche Eignung des RP und SP als Legitimationsnormen für objektive Rechtswerte

263

2.2 Eignung des RP und SP aufgrund ihrer Schutzform

265

2.3 Eignung des RP und SP aufgrund ihrer Schutzgüter

265

2.3.1 Das Schutzgut des RP

265

2.3.2 Das Schutzgut des SP

267

2.4 Die Konkretisierung des Schutzgutes des SP soziale Gerechtigkeit

...

268

2.4.1 Konkretisierung des Schutzgutes mit Hilfe des Grundsatzes der Subsidiarität 268 2.4.2 Konkretisierung des Schutzgutes aufgrund der „statisch-konservierenden Funktion" des SP 270 2.4.3 Konkretisierung des Schutzgutes durch Grundrechtsnormen und sonstige verfassungsrechtliche Einrichtungsgarantien 274 2.5 Ergebnis

278

3. Die grundsätzliche Eignung von RP und SP, die Beachtung objektiver Rechtswerte i m Tendenzschutz bindend vorzugeben 279 3.1 Bindungswirkung der konkretisierten Schutzgüter des RP

280

3.2 Bindungswirkung der konkretisierten Schutzgüter des SP

281

Inhaltsverzeichnis 3.2.1 Bindungswirkung des SP aufgrund seiner statisch-konservierenden Funktion

282

3.2.2 Bindungswirkung des SP aufgrund seines „Auftragscharakters" . 3.3 Ergebnis

284 287

4. Inhalt und Umfang der Maßgeblichkeit des RP für objektive Rechtswerte im Tendenzschutz 287 5. Leitgrundsätze des SP, die eine Beachtung objektiver Rechtswerte im Tendenzschutz erfordern 289 5.1 Die verfassungsrechtliche Ausgangslage

289

5.2 Leitgrundsätze des SP, die eine Beachtung objektiver Rechtswerte beim Tendenzschutz für „Religionsgemeinschaften und ihre karitativen und erzieherischen Einrichtungen" erfordern 291 5.2.1 Bereich des § 118 Abs. 2 BetrVG

291

5.2.2 Bereich der §§ 1 Abs. 4 Satz 2 MitbestG und 81 Abs. 2 BetrVG 52 .

292

5.3 Leitgrundsätze des SP, die eine Beachtung objektiver Rechtswerte beim Tendenzschutz für „karitative Unternehmen" erfordern 293 5.4 Leitgrundsätze des SP, die eine Beachtung objektiver Rechtswerte beim Tendenzschutz für „erzieherische Unternehmen" erfordern 294 5.4.1 Für den Regelungsgegenstand betriebliche Struktur

294

5.4.2 Für den Regelungsgegenstand Entscheidungen auf betrieblicher Ebene

294

5.4.3 Für den Regelungsgegenstand innere Unternehmensstruktur

295

...

5.4.4 Für den Regelungsgegenstand unternehmerische Entscheidungen in Fremdorganschaft 296 5.5 Leitgrundsätze des SP, die eine Beachtung objektiver Rechtswerte beim Tendenzschutz für „konfessionelle Unternehmen" erfordern 296 5.5.1 Für den Regelungsgegenstand betriebliche Struktur

297

5.5.2 Für den Regelungsgegenstand Entscheidungen auf betrieblicher Ebene 297 5.5.3 Für den Regelungsgegenstand innere Unternehmensstruktur

...

298

5.5.4 Für den Regelungsgegenstand unternehmerische Entscheidungen in Fremdorganschaft 298 5.6 Leitgrundsätze des SP, die eine Beachtung objektiver Rechtswerte beim Tendenzschutz für „politische Unternehmen" erfordern 299 5.7 Leitgrundsätze des SP, die eine Beachtung objektiver Rechtswerte beim Tendenzschutz für „koalitionspolitische Unternehmen" erfordern . . . . 300 5.7.1 Für den Regelungsgegenstand betriebliche Struktur

301

5.7.2 Für den Regelungsgegenstand betriebliche Entscheidungen

....

301

5.7.3 Für den Regelungsgegenstand innere Unternehmensstruktur

...

302

5.7.4 Für den Regelungsgegenstand unternehmerische Entscheidungen in Fremdorganschaft 303

Inhaltsverzeichnis 5.8 Leitgrundsätze des SP, die eine Beachtung objektiver Rechtswerte beim Tendenzschutz für „wissenschaftliche oder künstlerische Unternehmen" erfordern 303 5.9 Leitgrundsätze des SP, die eine Beachtung objektiver Rechtswerte beim Tendenzschutz der §§ 118 Abs. 1 Nr. 2 BetrVG, 1 Abs. 4 Nr. 2 MitbestG und 81 Abs. 1 BetrVG 52 erfordern 304 5.9.1 Für den Regelungsgegenstand betriebliche Struktur

304

5.9.2 Für den Regelungsgegenstand Entscheidungen auf betrieblicher Ebene 304 5.9.3 Für den Regelungsgegenstand innere Unternehmensstruktur

...

305

5.9.4 Für den Regelungsgegenstand unternehmerische Entscheidungen in Fremdorganschaft 305 6. Zusammenfassung der bisherigen Ergebnisse

306

6.1 Interessen und objektive Rechtswerte für die einfachrechtliche Gestaltung der Regelungsgegenstände in den Tendenzschutzbestimmungen 306 6.1.1 I n der betriebsbezogenen Mitbestimmimg

306

6.1.2 In der unternehmensbezogenen Mitbestimmung

307

6.2 Verfassungsrechtliche Rechtswerte

Legitimation

für

die Beachtung

objektiver 308

6.3 Die bindende Vorgabe des Verfassungsrechts, bei einer Gestaltung des Tendenzschutzes objektive Rechtswerte zu beachten 309 6.3.1 Maßgeblichkeit des Verfassungsrechts für die Beachtung objektiver Rechtswerte zugunsten der Arbeitnehmer 309 6.3.2 Maßgeblichkeit des Verfassungsrechts für die Beachtung objektiver Rechtswerte zugunsten der Arbeitgeber bzw. Anteilseigner . 309 6.4 Folgerungen

310

C. Die Legitimation und die Maßgeblichkeit der Verfassung für die einfachgesetzlichen Wertentscheidungen im Tendenzschutz I. Die einfachgesetzlichen Wertentscheidungen der Tendenzschutzbestimmungen und ihr Wertmaßstab 1. Bestimmung der Wertentscheidungen

311 312

1.1 I n den Tendenzschutzbestimmungen der betriebsbezogenen Mitbestimmung 312 1.1.1 Die Wertentscheidung (ratio) des § 118 Abs. 2 BetrVG

312

1.1.2 Die Wertentscheidungen (ratio) des § 118 Abs. 1 BetrVG

313

1.1.2.1 Bei Bereichen, die i n engem Zusammenhang mit der Unternehmensebene stehen 313 1.1.2.2 Beim Entscheidungsbereich Sozialplan 314

Inhaltsverzeichnis 1.1.2.3 Bei den übrigen Bereichen der betrieblichen Struktur und der Entscheidungen auf betrieblicher Ebene 315 1.2 In den Tendenzschutzbestimmungen der unternehmensbezogenen M i t bestimmung 318 1.3 Ergebnis

318

2. Bestimmung des Bewertungsmaßstabes der Tendenzschutzbestimmungen

.

320

2.1 Einfachgesetzliche Bewertungsmaßstäbe außerhalb der Verfassimg . . .

321

2.1.1 Bewertungsmaßstab Funktionsfähigkeit des Unternehmens

....

321

2.1.2 Bewertungsmaßstab qualitative Unterschiede zwischen den einzelnen Arten von Unternehmenszwecken 322 2.2 Bewertungsmaßstab Verfassungsrecht

324

Π. Die Maßgeblichkeit des Verfassungsrechts für die Wertentscheidungen der einzelnen Tendenzschutzbestimmungen

327

1. Für die Tendenzschutzbestimmungen für „Religionsgemeinschaften und ihre karitativen und erzieherischen Einrichtungen" 328 1.1 Bei karitativen und erzieherischen Einrichtungen von „Religionsgemeinschaften", deren Unternehmensziele weder ein weltanschauliches Bekenntnis noch die Erfüllung einer transzendenten Weisung darstellen . 328 1.2 Bei religiösen und nichtreligiösen Weltanschauungsgemeinschaften und deren karitativen und erzieherischen Einrichtungen, soweit deren sachliches Unternehmensziel ein weltanschauliches Bekenntnis oder deren sachliches und/oder formales Unternehmensziel die Erfüllung einer transzendentalen Weisung darstellt 328 1.2.1 Verfassungsrechtliche Ausgangslage

328

1.2.2 Verhältnis des SP zu Artikel 137 WRV und zum RP

329

1.2.3 Die ausschließliche Maßgeblichkeit des Artikel 137 WRV und des RP 335 1.2.4 Folgerungen für die Auslegung des Rechtsbegriffs gemeinschaften"

„Religions335

1.2.5 Die Einschränkung der verfassungsrechtlich gebotenen Wertentscheidungen in Extremfällen 336 1.3 Ergebnis

338

2. Für die Tendenzschutzbestimmungen für „karitative Unternehmen"

339

2.1 Inhalt der verfassungsrechtlichen Maßgeblichkeit

340

2.2 Gleichstellung der karitativen Unternehmen mit Nichttendenzunternehmen?

341

2.3 Ergebnis

342

3. Für die Tendenzschutzbestimmungen für „erzieherische Unternehmen"

..

344

3.1 Die verfassungsrechtliche Grundproblematik aller Regelungsgegenstände des Tendenzschutzes für Privatschulen und von Eltern getragene Erziehungseinrichtungen 346

Inhaltsverzeichnis 3.1.1 Verhältnis des SP zu den Grundrechtsnormen in der Schutzform als Abwehrrechte 346 3.1.2 Wertungswiderspruch innerhalb des SP

349

3.1.3 Inhalt der verfassungsrechtlichen Maßgeblichkeit, soweit ausschließlich objektive Rechts werte zugunsten der Arbeitnehmer legitimiert sind 350 3.2 Inhalt der verfassungsrechtlichen Maßgeblichkeit für die übrigen Bereiche der Regelungsgegenstände bei Privatschulen und von Eltern getragene Erziehungseinrichtungen in der betriebsbezogenen Mitbestimmung 351 3.2.1 Beim Regelungsgegenstand betriebliche Struktur

351

3.2.1.1 Bereich der betriebsverfassungsrechtlichen Organisationsnormen 351 3.2.1.2 Bereich des § 87 Abs. 1 Nr. 1 BetrVG (betriebliche Ordnung) 353 3.2.1.3 Ergebnis 354 3.2.2 Beim Regelungsgegenstand betriebliche Entscheidungen

354

3.3 Inhalt der verfassungsrechtlichen Maßgeblichkeit für die Tendenzschutzbestimmungen für Privatschulen und von Eltern getragene Erziehungseinrichtungen i n der unternehmensbezogenen Mitbestimmimg . . 362 3.3.1 Beim Regelungsgegenstand innere Unternehmensstruktur 3.3.1.1 Regelungsbereich Errichtung und Kompetenzen des Aufsichtsrates 3.3.1.2 Regelungsbereich Wahlrecht der Arbeitnehmer zum Aufsichtsrat und Zusammensetzung des Aufsichtsrates . . . .

362 363 364

3.3.2 Beim Regelungsgegenstand unternehmerische Entscheidungen in Fremdorganschaft 367 3.4 Ergebnis

368

4. Für die Tendenzschutzbestimmungen für „konfessionelle Unternehmen" . . 4.1 In der betriebsbezogenen Mitbestimmung

371

4.1.1 Beim Regelungsgegenstand betriebliche Struktur 4.1.2 Beim Regelungsgegenstand Entscheidungen auf Ebene

370 371

betrieblicher

4.2 In der unternehmensbezogenen Mitbestimmung 4.2.1 Beim Regelungsgegenstand innere Unternehmensstruktur

372 374 374

4.2.2 Beim Regelungsgegenstand unternehmerische Entscheidungen in Fremdorganschaft 375 5. Für die Tendenzschutzbestimmungen für „politische Unternehmen" 5.1 Bei politischen Parteien und ihnen gleichzuwertenden Unternehmen

377 377

5.1.1 Verfassungsrechtliche Ausgangslage

377

5.1.2 Das Verhältnis des SP zu Artikel 21 Abs. 1 GG

378

Inhaltsverzeichnis 5.1.3 Folgerungen für den Inhalt der Maßgeblichkeit des Verfassungsrechts

380

5.2 Bei sonstigen Unternehmen, die den Tendenzschutzbestimmungen für „politische Unternehmen" unterfallen 6. Für die Tendenzschutzbestimmungen für „koalitionspolitische Unternehmen" 6.1 Verfassungsrechtliche Ausgangslage

381 382 382

6.2 Das Verhältnis des SP zu Artikel 9 Abs. 3 GG

384

6.3 Folgerungen für den Inhalt der verfassungsrechtlichen Maßgeblichkeit .

386

6.3.1 Tendenzschutzbestimmung des § 118 Abs. 1 BetrVG

386

6.3.1.1 Regelungsgegenstand betriebliche Struktur 386 6.3.1.2 Regelungsgegenstand Entscheidungen auf betrieblicher Ebene 387 6.3.2 Tendenzschutzbestimmungen der §§ 1 Abs. 4 Nr. 1 MitbestG und § 81 Abs. 1 BetrVG 52 388 6.3.2.1 Regelungsgegenstand innere Unternehmensstruktur . . . . 388 6.3.2.2 Regelungsgegenstand unternehmerische Entscheidungen i n Fremdorganschaft 388 6.4 Ergebnis

389

7. Für die Tendenzschutzbestimmungen für „wissenschaftliche oder künstlerische Unternehmen" 389 8. Für die Tendenzschutzbestimmungen der §§118 Abs. 1 Nr. 2 BetrVG, 1 Abs. 4 Nr. 2 MitbestG und 81 Abs. 1 BetrVG 52

394

8.1 Verfassungsrechtliche Ausgangslage

394

8.1.1 Regelungsbereiche, die sowohl Artikel 2 Abs. 1 bzw. 12 Abs. 1 GG als auch Artikel 5 Abs. 1 Satz 2 GG erfassen 395 8.1.2'Regelungsbereiche, die ausschließlich Artikel 2 Abs. 1 und/oder 12 Abs. 1 GG erfassen 396 8.2 Inhalt der verfassungsrechtlichen Maßgeblichkeit für § 118 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 BetrVG

397

8.2.1 Regelungsgegenstand betriebliche Struktur

397

8.2.2 Regelungsgegenstand Entscheidungen auf betrieblicher Ebene . .

398

8.3 Inhalt der verfassungsrechtlichen Maßgeblichkeit für § 1 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 MitbestG und § 81 Abs. 1 BetrVG 52 399 8.3.1 Regelungsgegenstand innere Unternehmensstruktur 399 8.3.2 Regelungsgegenstand unternehmerische Entscheidungen in Fremdorganschaft 399 8.4 Ergebnis

400 ΙΠ. Zusammenfassung der wesentlichen Ergebniese

402

1. Regelungsbereich, Regelungsgegenstände, Struktur und Wertentscheidungen der Tendenzschutzbestimmungen 402

Inhaltsverzeichnis 1.1 Der Regelungsbereich der Tendenzschutzbestimmungen

402

1.2 Die Regelungsgegenstände der Tendenzschutzbestimmungen

402

1.2.1 Die Regelungsgegenstände der betriebsbezogenen Mitbestimmung

402

1.2.2 Die Regelungsgegenstände bestimmung

402

der unternehmensbezogenen

Mit-

1.3 Die Struktur der Tendenzschutzbestimmungen

403

1.4 Die einfachgesetzlichen Wertentscheidungen der Tendenzschutzbestimmungen 403 1.4.1 Die Wertentscheidungen des § 118 BetrVG

403

1.4.2 Die Wertentscheidungen der §§ 1 Abs. 4 MitbestG und 81 BetrVG 52 404 2. Der Einfluß von Verfassungsnormen auf die Tendenzschutzbestimmungen .

406

2.1 Die grundsätzlichen Einwirkungsmöglichkeiten von Verfassungsnormen

406

2.1.1 Die Einwirkungsmöglichkeit auf die Grundlagen und Bewertungsmaßstäbe der Wertentscheidungen der Tendenzschutzbestimmungen 406 2.1.2 Die grundsätzlichen Voraussetzungen für solche Einwirkungsmöglichkeiten von Verfassungsnormen 406 2.2 Der Einfluß der einzelnen Verfassungsnormen auf die Tendenzschutzbestimmungen 408 2.2.1 Legitimation und bindende Vorgabe für die Beachtung der objektiven Rechtswerte zugunsten der Arbeitnehmer im Tendenzschutz durch Grundrechtsnormen 408 2.2.2 Legitimation und bindende Vorgabe für die Beachtung der objektiven Rechtswerte zugunsten der Arbeitnehmer i m Tendenzschutz durch das SP 408 2.2.3 Legitimation und bindende Vorgabe für die Beachtung der objektiven Rechtswerte zugunsten der Arbeitgeber bzw. Anteilseigner durch Grundrechtsnormen und Kirchenautonomie 410 2.2.4 Problematik der verfassungsrechtlich bindend vorgegebenen, aber sich widersprechenden objektiven Rechtswerte 412 3. Das Verhältnis des SP und des RP zu den einzelnen Schutzformen der Grundrechtsnormen und zur Kirchenautonomie 412 3.1 Das Verhältnis des SP zu Grundrechten (Abwehrrechten) und verfassungsrechtlichen Einrichtungsgarantien

412

3.2 Das Verhältnis des SP zu Grundrechtsnormen, soweit diese konkrete Ausformungen des SP sind 413 3.3 Das Verhältnis des SP zu Grundrechtsnormen in der Schutzform als objektive Rechtssätze 413 3.4 Das Verhältnis des RP zu den Grundrechtsnormen

Allgemeines Literatur- und AbkûrzungsVerzeichnis

414

415

Α. Problemstellung I. Gegenstand und Anliegen der Arbeit 1. Gegenstand der Untersuchung Die vorliegende Arbeit befaßt sich mit dem Verhältnis des Verfassungsrechts zu einem Teilbereich des sogenannten Tendenzschutzes. Sie geht der Frage nach den verfassungsrechtlichen Grundlagen des Tendenzschutzes im Betriebsverfassungs- und im Unternehmensverfassungsrecht 1 nach. Gegenstand der Untersuchung ist der Einfluß des Verfassungsrechts auf die Vorschriften des § 118 BetrVG sowie der §§ 1 Abs. 4 MitbestG und 81 BetrVG 52. Das deutsche Recht kennt keine allgemeine gesetzliche Regelung des „Tendenzschutzes".2 Der Rechtsbegriff Tendenzschutz wurde bislang weder von Rechtsprechung noch von Rechtslehre inhaltlich hinreichend bestimmt. 3 Der Tendenzschutz läßt sich jedoch als Rechtstypus 4 näher beschreiben, dem Rechtsprechung und Rechtslehre die besondere rechtliche Gestaltung bestimmter Lebenssachverhalte in den Rechtsbereichen des kollektiven Arbeitsrechts und des Individualarbeitsrechts sowie des Personalvertretungsrechts zuordnen. So werden im kollektiven Arbeitsrecht üblicherweise5 die Bestimmungen der §§ 118 Abs. 1 BetrVG, 1 Abs. 4 Satz 1 M i t bestG und 81 Abs. 1 BetrVG 52 als Tendenzschutzbestimmungen bezeichnet. 1 Im Schrifttum werden die gesetzlichen Regelungen für die Mitbestimmung auf betrieblicher Ebene als Betriebsverfassung und die gesetzlichen Regelungen für die Mitbestimmung auf Unternehmensebene als Unternehmensverfassung bezeichnet. Vgl. Zöllner, Arbeitsrecht, § 44, S. 400 ff. Zum Begriff der Unternehmensverfassung s. auch Krieger, Α., Unternehmensverfassung im Handbuch des Verfassungsrechts 1983, S. 694 und S. 698, mit weiteren Literaturnachweisen. 2 Zur Frage des Inhalts und der Tragweite des gesetzlich nicht geregelten allgemeinen Tendenzschutzes vgl. Rüthers, Tendenzschutz und Kirchenautonomie im Arbeitsrecht, in: NJW 1978, 2066ff. 3 Vgl. z.B. Galperin / Löwisch, Bd. 2, Rn. 31 und 71ff. zu § 118 BetrVG. 4 Zum Begriff Rechtstypus vgl. Larenz, Methodenlehre der Rechtswissenschaft, S. 423ff. (427 ff.) mit weiteren Nachweisen. 5 Die Bezeichnung Tendenzschutzbestimmungen für die Vorschriften der §§118 Abs. 1 BetrVG, 1 Abs. 4 Satz 1 MitbestG und 81 Abs. 1 BetrVG 52 wird in allen Kommentaren zum Betriebsverfassungsgesetz und zum Mitbestimmungsgesetz verwandt. Vgl. z.B. Dietz / Richardi, Bd. 2, in Vorbemerkung zu § 118, Rn. 2 sowie Rn. 20, 22 zu § 118 BetrVG; Galperin / Löwisch, Anmerkung 1 6 zu § 118 BetrVG; Hanau / Ulmer, Rn. 50 zu § 1 MitbestG.

1 Marino

2

Α. I. Gegenstand und Anliegen der Arbeit

Im Personalvertretungsrecht werden die Vorschriften der §§77 und 95 Bundespersonalvertretungsgesetz sowie die entsprechenden Bestimmungen der Landespersonalvertretungsgesetze als Tendenzschutzbestimmungen aufgefaßt. 6 Im Individualarbeitsrecht sehen Rechtsprechung und Rechtslehre in der Frage, ob und inwieweit Arbeitnehmer in sogenannten Tendenzunternehmen besondere Verhaltenspflichten treffen, ebenfalls ein Problem des Tendenzschutzes.7 Aus der Zuordnung der aufgeführten Bestimmungen und Rechtsprobleme zum Tendenzschutz können die prägenden Elemente des Rechtstypus Tendenzschutz ermittelt werden. Beim Tendenzschutz geht es - je nach Rechtsbereich unter verschiedenen Aspekten - um die besondere Rechtsstellung von Arbeitnehmern (Beamten) in sogenannten Tendenzunternehmen 8 („Tendenzbehörden"). Eine besondere Rolle spielen dabei die sogenannten Tendenzträger 9 . Die Begriffe Tendenzunternehmen und Tendenzträger sind in allen Rechtsbereichen inhaltsgleich und hinreichend bestimmt. Nach allgemeiner Meinung sind unter Tendenzunternehmen solche Unternehmen zu verstehen, die den in § 118 Abs. 1 BetrVG genannten „Bestimmungen" („Zwekken") „unmittelbar und überwiegend dienen". Zwar spricht das BetrVG in der Überschrift des dritten Abschnitts seines fünften Teils von „Tendenzbetrieben". In der Rechtslehre besteht aber insoweit Übereinstimmung, daß der legislatorische Begriff „Tendenzbetrieb" - zumindest auch - 1 0 als Tendenzunternehmen zu lesen ist, da nur Unternehmen und nicht Betriebe die in § 118 Abs. 1 BetrVG aufgeführten Bestimmungen und Zwecke verwirklichen können. Obwohl im kollektiven Arbeitsrecht 11 , im Personalvertretungsrecht 12 und im Individualarbeitsrecht 13 auch den Arbeitnehmern in Religionsgemein6

Vgl. z.B. Dietz / Richardi, BPersVG, Rn. 20 zu § 77. Vgl. z.B. KR, Rn. 261 zu § 1 KSchG mit Nachweisen aus Literatur und Rechtsprechung. 8 Zum Begriff des Tendenzunternehmens s. Kunze, Zum Begriff des sogenannten Tendenzbetriebes, in: Festschrift für Ballerstedt 1975, S. 79. Zum Begriff des Unternehmens vgl. Raiser, Th., Unternehmen als Organisation, 1966 und Ballerstedt, in: Festschrift für K. Duden, 1977, S. 15ff.. 9 Zum Begriff des Tendenzträgers s. Müller, G., Überlegungen zur Tendenzträgerfrage, in: Festschrift für Marie-Luise Hilger und Hermann Stumpf 1983, S. 477 mit weiteren Nachweisen aus Rechtsprechung und Literatur. 10 s. Dietz / Richardi, Bd. 2, Rn. 23 und 24 zu § 118 BetrVG mit weiteren Nachweisen aus Literatur und Rechtsprechung. 11 Vgl. § 118 Abs. 2 BetrVG, § 1 Abs. 4 Satz 2 MitbestG und § 81 Abs. 2 BetrVG 52. 12 Vgl. § 112 BPersVG sowie die entsprechenden Vorschriften in den einzelnen Länderpersonalvertretungsgesetzen. 13 Vgl. Ruland, Die Sonderstellung der Religionsgemeinschaften im Kündigungsschutzrecht und in den staatlichen Mitbestimmungsordnungen, in: NJW 1980, 89ff. mit weiteren Nachweisen. 7

1. Gegenstand der Untersuchung

3

schaften und deren karitativen und erzieherischen Einrichtungen eine besondere Rechtsstellung zukommt, die der in anderen Tendenzunternehmen vergleichbar ist, werden üblicherweise weder Religionsgemeinschaften noch deren karitative und erzieherische Einrichtungen als Tendenzunternehmen aufgefaßt. Bei diesen Bestimmungen sprechen die überwiegende Literatur und die Rechtsprechung nicht von Tendenzschutzbestimmungen. Allenfalls werden diese Bestimmungen als Religionsschutzbestimmungen bezeichnet. 14 Wenn man jedoch mit der überwiegenden Meinung des Schrifttums und der Rechtsprechung 15 die besondere Rechtsstellung der Arbeitnehmer in Tendenzunternehmen als durch das Verfassungsrecht gerechtfertigt ansieht und ebenfalls in Übereinstimmung mit Rechtslehre und Rechtsprechung auch die arbeitsrechtliche Sonderstellung der Religionsgemeinschaften und deren karitativer und erzieherischer Einrichtungen mit dem Verfassungsrecht begründet, so können auch Religionsgemeinschaften und deren karitative und erzieherische Einrichtungen den Tendenzunternehmen zugeordnet werden. Im Schrifttum wird gelegentlich auch so verfahren, ohne daß dabei auf die Terminologie näher eingegangen wird. 1 6 In Abweichung vom weithin üblichen Sprachgebrauch werden daher nachfolgend auch die Bestimmungen der §§118 Abs. 2 BetrVG, 1 Abs. 4 Satz 2 MitbestG, 81 Abs. 2 BetrVG 52 und 112 BPersVG (nebst entsprechenden Landesbestimmungen) als Tendenzschutzbestimmungen bezeichnet. Soweit Religionsgemeinschaften und deren karitative und erzieherische Einrichtungen arbeitsrechtlich relevant werden, werden sie somit in dieser Untersuchung als Tendenzunternehmen qualifiziert. Im Bereich des Tendenzschutzes kommt neben dem Rechtsbegriff Tendenzunternehmen („Tendenzbetrieb") auch dem Rechtsbegriff Tendenzträger Bedeutung zu. Rechtsprechung und Rechtslehre haben diesen Rechtsbegriff ebenfalls für alle Rechtsbereiche inhaltsgleich bestimmt. Tendenzträger sind danach diejenigen Arbeitnehmer, die die Tätigkeit verrichten oder beeinflussen, um derentwillen der Tendenzschutz gewährt wird. 1 7 Nachfolgend wird der Begriff Tendenzträger in diesem Sinne verwandt, allerdings 14 So z.B. Rüthers, NJW 1978, 2068. 15 Eine Rechtfertigung der besonderen Rechtsstellung der Arbeitnehmer in Tendenzunternehmen durch das Verfassungsrecht nehmen sowohl das Bundesverfassungsgericht als auch das Bundesarbeitsgericht an. Vgl. BVerfGE 53, 367 (399) und 46, 73 sowie BAG AP Nr. 5 und 10 zu § 118 BetrVG. Auch die herrschende Meinung im arbeitsrechtlichen Schrifttum nimmt eine solche verfassungsrechtliche Rechtfertigung an. Vgl. z.B. Dietz / Richardi, Bd. 2, Rn. 158, 166 und 167 zu § 118 BetrVG mit weiteren Nachweisen des Schrifttums. 16 Vgl. z.B. Ruland, NJW 1980, 89 (97), der vom Schutz der religiösen Tendenz spricht und Hanau, in: Hanau / Ulmer, der in Rn. 49 zu § 1 Abs. 4 MitbestG vom konfessionellen Tendenzbereich spricht. 17 s. hierzu Müller, G., in: Festschrift für Hilger und Stumpf, S. 477. r

4

Α. I. Gegenstand und Anliegen der Arbeit

mit der Erweiterung, daß von ihm auch die „Tendenzträger" in Religionsgemeinschaften und deren karitativen und erzieherischen Einrichtungen erfaßt werden. Hingegen werden nachfolgend die Träger von Tendenzunternehmen 18 entgegen einer manchmal anzutreffenden terminologischen Nachlässigkeit nicht als Tendenzträger bezeichnet. 19 Der Tendenzschutz ist kein dogmatisch geklärtes und abgesichertes Rechtsinstitut. Das dürfte mit ein entscheidender Grund 2 0 dafür sein, daß der Tendenzschutz in allen Rechtsbereichen Gegenstand zahlreicher Streitfragen ist. 2 1 Rüthers 22 beklagt zu Recht, daß eine „das Einzelvertragsrecht und Kollektivrecht umfassende Begründung der Sonderstellung von Tendenzunternehmen und Religionsgemeinschaften kaum in Ansätzen vorhanden ist". Zwar besteht in der Rechtslehre weitgehend Übereinstimmung 23 , daß die Sonderstellung der Tendenzunternehmen durch verfassungsrechtliche Wertentscheidungen zumindest gerechtfertigt ist. Über den Inhalt dieses Verfassungsbezugs besteht aber keine Klarheit. 2 4 Dogmatisch abgesicherte Aussagen und Folgerungen über Begründung und Inhalt des Tendenzschutzes können jedoch erst getroffen werden, wenn Art und Intensität des Verfassungsbezugs des Tendenzschutzes geklärt sind. Die von Rüthers geforderte Dogmatik des Tendenzschutzes setzt daher die Bestimmung von Art und Intensität des verfassungsrechtlichen Einwirkens auf den Tendenzschutz voraus. Es ist Anliegen der vorliegenden Arbeit, hierzu einen Beitrag für den Tendenzschutz im Betriebsverfassungsrecht und Unternehmensverfassungsrecht zu leisten. Die Beschränkung der vorliegenden Arbeit auf die verfassungsrechtlichen Grundlagen des Tendenzschutzes im Betriebsverfassungsrecht und Unternehmensverfassungsrecht erfolgt aus arbeitsökonomischen und sachlichen Gründen. Eine Untersuchung der verfassungsrechtlichen Begründbarkeit 18 Zu den Begriffen Unternehmen und Träger von Unternehmen Schilling, Rechtsform und Unternehmen, in: Festschrift für K. Duden, 1977, S. 537 (538, 539); vgl. auch Wiedemann, Gesellschaftsrecht, Bd. 1, S. 307 ff. mit weiteren Nachweisen. 19 So verwenden z.B. die Materialien des BetrVG (z.B. im schriftlichen Bericht des Bundestagsausschusses für Arbeit und Sozialordnung zu Bundestagsdrucksache VI/2729, S. 17) und das Bundesarbeitsgericht (z.B. BAG AP Nr. 4 zu § 118 BetrVG) den Begriff des Tendenzträgers in diesem Sinne. 20 Damit wird nicht bestritten, daß oft auch politische Auseinandersetzungen über die Rechtfertigung und über den Zweck des Tendenzschutzes eine große Rolle spielen. 21 Die umfangreiche Rechtsprechung des BAG zu § 118 BetrVG und zum Kündigungsschutzgesetz, soweit es um Tendenzschutzfragen geht, ist ein eindrucksvoller Beleg für diese Feststellung. Sie wird auch durch einen Blick in die umfangreiche Kommentierung der §§118 BetrVG, 1 Abs. 4 MitbestG sowie der Personalvertretungsgesetze bekräftigt. 22 Rüthers, NJW 78, 2066 (2069). 23 Anderer Auffassung sind allenfalls gelegentliche Einzelstimmen wie Fabricius, in: GK zum BetrVG, Rn. 35 zu § 118. 24 Zum Stand der Diskussion vgl. Ruland, NJW 80, 89 sowie Ihlefeld, Verfassungsrechtliche Probleme des § 118 BetrVG in RdA, 1977, 223 ff. sowie in AuR, 1980, 257.

1. Gegenstand der Untersuchung

5

des Tendenzschutzes muß nämlich mit der Möglichkeit rechnen, daß der Verfassungsbezug des Tendenzschutzes in den einzelnen Rechtsbereichen, in denen er relevant ist, jeweils unterschiedlich ist. Der Tendenzschutz im Personalvertretungsrecht, im Individualarbeitsrecht, im ' Betriebsverfassungs- und Unternehmensverfassungsrecht ist jeweils in andere Normenkomplexe eingebettet, die unterschiedliche Interessenlagen nach verschiedenen Zwecksetzungen gestalten dürften. Unterschiedliche Interessenlagen und einfachrechtliche Wertungen machen aber auch einen unterschiedlichen Verfassungsbezug wahrscheinlich. So dürfte etwa dem verfassungsrechtlich verankerten Demokratieprinzip im Personalvertretungsrecht eine erheblich größere Bedeutung zukommen als in den Mitbestimmungsregelungen für privatrechtlich organisierte Unternehmen. 25 Dies könnte wiederum für den Verfassungsbezug des Tendenzschutzes im Personalvertretungsrecht von Bedeutung sein. Auch der im Personalvertretungsrecht des Bundes und der Länder enthaltene Ausschluß der Religionsgèmeinschaften und deren karitativer und erzieherischer Einrichtungen könnte verfassungsrechtlich anders zu bewerten sein als der entsprechende Ausschluß im Betriebsverfassungs- und Unternehmensverfassungsrecht. Schelter 26 weist zu Recht darauf hin, daß nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts und der herrschenden Meinung im Staatskirchenrecht Religionsgemeinschaften keine Körperschaften des öffentlichen Rechts sind, die der Staatsaufsicht unterstehen und Staatsaufgaben wahrnehmen. Ihr Ausschluß im Personalvertretungsrecht habe daher nur deklaratorischen Charakter. 27 Dieser staatskirchenrechtliche Aspekt spielt mit Sicherheit bei der Betriebsverfassung und Unternehmensverfassung keine Rolle, weil das Regelungsobjekt beider Rechtsbereiche privatrechtliche Organisationen (Betriebe bzw. Unternehmen) sind. Die Frage nach den verfassungsrechtlichen Grundlagen des Tendenzschutzes dürfte auch für das Individualarbeitsrecht und das kollektive Arbeitsrecht - zumindest teilweise - unterschiedlich zu beantworten sein. Der Tendenzschutz des Individualarbeitsrechts stellt auf die Rechtsstellung des einzelnen Arbeitnehmers gegenüber dem Träger eines Tendenzunternehmens in seiner Eigenschaft als Arbeitgeber ab. Der Tendenzschutz des Betriebsverfassungs- und Unternehmensverfassungsrechts hat hingegen die Frage nach der Rechtsstellung aller Arbeitnehmer (Belegschaft) innerhalb des Betriebes oder Unternehmens zu beantworten. Diese unterschiedlichen Aspekte könnten sehr wohl zu dem Ergebnis führen, daß der Verfassungsbe25 Vgl. Scheiter, Personalvertretung - ein Stück Demokratisierung der Verwaltung?, in: RdA 1977, 349 und Zuleeg, Unternehmerische Mitbestimmung und Demokratie, in: NJW 78, 2066. 26 Scheiter, Bayerisches Personalvertretungsgesetz, 1978, Rn. 8 zu Artikel 1. 27 Anderer Auffassung Richardi in seiner Kommentierung zu § 112 Bundespersonalvertretungsgesetz, in: Dietz / Richardi, Rn. 2 und 9 zu § 112.

6

Α. I. Gegenstand und Anliegen der Arbeit

zug des Tendenzschutzes im Individualarbeitsrecht eine stärkere Differenzierung zwischen den einzelnen Arbeitnehmern eines Tendenzunternehmens erfordert, als dies im kollektiven Arbeitsrecht der Fall ist. Es ist beispielsweise fraglich, ob das Verfassungsrecht beim Tendenzschutz des kollektiven Arbeitsrechts erfordert, daß innerhalb der Belegschaft eine weitreichendere Differenzierung vorgenommen wird, die über die Unterscheidung zwischen Tendenzträger und Nichttendenzträger hinausgeht. 28 Im Individualarbeitsrecht ist es jedoch naheliegend, daß gerade die Berücksichtigung des Verfassungsrechts eine stärkere Differenzierung auch unter den Tendenzträgern erfordern könnte. 29 Die wahrscheinlich jeweils unterschiedlichen Einwirkungen des Verfassungsrechts auf den Tendenzschutz des Personalvertretungsrechts, des Individualarbeitsrechts sowie des Betriebsverfassungs- und Unternehmensverfassungsrechts rechtfertigen es somit, daß die vorliegende Untersuchung nur der Frage nach den verfassungsrechtlichen Grundlagen des Tendenzschutzes im Betriebsverfassungsrecht und Unternehmensverfassungsrecht nachgeht. Andererseits erscheint es zweckmäßig, daß die Arbeit die verfassungsrechtlichen Grundlagen des Tendenzschutzes im Betriebsverfassungsrecht und Unternehmensverfassungsrecht zusammen klärt. Für dieses Vorgehen sprechen sowohl die weitgehende Übereinstimmung in den Hegelungsobjekten von Betriebsverfassungsrecht und Unternehmensverfassungsrecht als auch die weitgehende Übereinstimmung von Tatbestand und Rechtsfolgen der Tendenzschutzbestimmungen beider Rechtsbereiche. Das Betriebsverfassungsrecht regelt teilweise die innere Struktur des sachlich-personellen Verbunds Betrieb und teilweise die Rechtsstellung der Arbeitnehmer (Belegschaft) innerhalb dieses Verbunds. Das Unternehmensverfassungsrecht regelt teilweise die innere Struktur des sachlich-personellen Verbunds Unternehmen und teilweise die Rechtsstellung der Arbeitnehmer (Belegschaft) innerhalb dieses sachlich-personellen Verbunds. In Rechtsprechung 30 und Rechtslehre 31 besteht mittlerweile insoweit weitgehend Übereinstimmung, daß es sich bei den Rechtsbegriffen Betrieb und Unternehmen nicht um zwei wesensmäßig verschiedene Organisationen 28 Die Anhänger der sogenannten Tendenzträgertheorie stellen bei der Eigenartklausel des § 118 Abs. 1 BetrVG ausschließlich auf die Tendenzträgereigenschaft ab. So z.B. Mayer-Maly, in: AR-Blattei, Tendenzbetrieb I, Η I I I 3. Soweit bei der Anwendung der Eigenartklausel darüber hinausgehend differenziert wird, w i r d nicht auf den Arbeitnehmer selbst, sondern auf andere Momente (tendenzbezogene Maßnahme entsprechend der Maßnahmetheorie) abgestellt. 29 So dürfte es beispielsweise bei Kündigungen von Tendenzträgern eine Rolle spielen, welches Gewicht die von den Tendenzträgern ausgeübte Funktion in Tendenzunternehmen hat. Vgl. dazu KR, Rn. 261 zu § 1 Kündigungsschutzgesetz. 30 Vgl. BAG, AP Nr. 3 zu § 118 BetrVG. Das BAG stellt in dieser Entscheidung fest, daß Betrieb und Unternehmen nicht wesensmäßig verschiedene Organisationen sein müssen. 31 So z.B. Richardi, in: Dietz / Richardi, Bd. 1, Rn. 53 zu § 1 BetrVG.

1. Gegenstand der Untersuchung

7

handeln muß. Zöllner 32 betont zu Recht, daß die Unterscheidung zwischen Unternehmen und Betrieb nicht an „real analytisch gewonnene Ergebnisse der Soziologie" anknüpft. Richardi 33 hat darauf hingewiesen, daß eine reale Unterscheidung zwischen Betrieb und Unternehmen nur in einem dezentralisiert organisierten Unternehmen möglich ist. Rechtlich ist es irrelevant, ob Betrieb und Unternehmen real unterschieden werden können. Rechtlich erheblich ist ausschließlich die ideelle Trennung zwischen Betrieb und Unternehmen, die nach der unterschiedlichen Zwecksetzung von Betrieb und Unternehmen vorgenommen wird. Betrieb ist nach allgemeiner Meinung 34 der sachlich-personelle Verbund, der einen bestimmten arbeitstechnischen Zweck verfolgt. Das Unternehmen ist der sachlich-personelle Verbund, der einen darüber hinausgehenden übergreifenden - zumeist wirtschaftlichen - Zweck verfolgt. Ein arbeitstechnischer Zweck wird in keinem sachlich-personellen Verbund (Organisation) für sich allein verfolgt, es handelt sich hierbei immer um einen Unteroder Teilzweck zur Erreichung dahinterstehender Zwecke, die von der Organisation Unternehmen verfolgt werden. Mithin ist der reale Regelungsgegenstand von Betriebsverfassung und Unternehmensverfassung trotz der Anknüpfung an die unterschiedlichen Rechtsbegriffe Betrieb und Unternehmen in beiden Fällen das privatrechtlich organisierte Unternehmen. Es ist daher Th. Raiser 35 zuzustimmen, daß die Betriebsverfassung immer zugleich auch ein Teil der Unternehmensverfassung ist. Aus Gründen der begrifflichen Klarheit werden in dieser Untersuchung anstatt der Begriffe Betriebsverfassung und Unternehmensverfassung (auch) die Begriffe betriebsbezogene und unternehmensbezogene Mitbestimmung verwandt. Der Begriff Unternehmensverfassung kennzeichnet das Wesen der unternehmensbezogenen Mitbestimmung insofern ungenau, als die betriebs- und unternehmensbezogene Mitbestimmung allenfalls einen Teil der im geltenden Recht noch nicht allgemein geregelten Unternehmensverfassung gestaltet 36 . Umgekehrt erleichtern es die Begriffe betriebs- und unternehmensbezogene Mitbestimmung, den Sinn und Zweck der Anknüpfung der betriebsbezogenen Mitbestimmung an den Rechtsbegriff Betrieb und der unternehmensbezogenen Mitbestimmung an den Rechtsbegriff Unternehmen zu erkennen. Sinn und Zweck der beiden verschiedenen Rechtsbegriffe ist es nicht, real häufig nur scheinbare Unterschiede der Organisation Betrieb und Unternehmen zu kennzeichnen. Mit 32

Zöllner, Arbeitsrecht, § 44 I I 2. So Richardi, in: Dietz / Richardi, Bd. 1, Rn. 53 zu § 1 BetrVG. 34 s. Dietz / Richardi, Bd. 1, Rn. 58ff. zu § 1 BetrVG mit weiteren Nachweisen. 35 Raiser, Th., in: Festschrift für K. Duden, 1977, S. 423 (426) mit weiteren Nachweisen. 36 Ballerstedt, in: Festschrift für K. Duden, 1977, S. 15 ff. (16) und Kunze, in: Festschrift für Ballerstedt, S. 200 ff. 33

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Α. I. Gegenstand und Anliegen der Arbeit

dem Rechtsbegriff Betrieb sollen vielmehr Entscheidungen über den arbeitstechnischen Zweck erfaßt werden, während der Rechtsbegriff Unternehmen die Entscheidungen über unternehmerische Zwecke erfassen will. Die betriebsbezogene Mitbestimmung w i l l die Ebene eines Unternehmens erfassen, auf der entweder als Auswirkung unternehmerischer Zwecke oder selbständig - allerdings immer im Blick auf das Unternehmen - über die arbeitstechnischen Zwecke und deren Auswirkungen entschieden wird. Die unternehmensbezogene Mitbestimmung gestaltet hingegen Struktur und Entscheidungsprozesse über unternehmerische Zwecksetzungen. Sowohl die betriebsbezogene als auch die unternehmensbezogene Mitbestimmung regeln die innere Struktur und Entscheidungsprozesse in Unternehmen. Der Unterschied besteht somit darin, daß die betriebs- und die unternehmensbezogene Mitbestimmung jeweils Entscheidungsprozesse auf verschiedener Ebene treffen wollen. Angesichts dieser weitgehenden Übereinstimmung im Regelungsgegenstand erscheint es zweckmäßig, den verfassungsrechtlichen Aspekten des Tendenzschutzes in beiden Bereichen der Mitbestimmung gemeinsam nachzugehen. Für die Zweckmäßigkeit dieses Vorgehens spricht auch, daß beide Mitbestimmungsbereiche die autonomen Befugnisse des Trägers eines Unternehmens einschränken. Unter dem Träger eines Unternehmens wird nachfolgend in Übereinstimmung mit Rechtsprechung und Rechtslehre 37 diejenige (natürliche oder juristische) Person oder Personen Vereinigung verstanden, der der sachlich-personelle Verbund Unternehmen rechtlich zugeordnet ist. Wenn und soweit daher die Tendenzschutzbestimmungen der betriebs- und unternehmensbezogenen Mitbestimmung diese Autonomie nicht einschränken, ist es wahrscheinlich, daß diese einfachgesetzliche Wertentscheidung in den Tendenzschutzbestimmungen der betriebs- und unternehmensbezogenen Mitbestimmung auf die gleichen verfassungsrechtlichen Gewährleistungen zugunsten der Träger von Tendenzunternehmen zurückzuführen ist. Schließlich spricht für die gemeinsame Untersuchung der verfassungsrechtlichen Grundlagen des Tendenzschutzes in der betriebs- und unternehmensbezogenen Mitbestimmung auch der Umstand, daß die Tendenzschutzbestimmungen beider Rechtsbereiche die Mitbestimmung in den gleichen Arten von Unternehmen einschränken bzw. ausschließen. Das läßt darauf schließen, daß der einfache Gesetzgeber bei den Tendenzschutzbestimmungen in der betriebs- und unternehmensbezogenen Mitbestimmung - zumindest teilweise - Entscheidungen getroffen hat, die auf die gleichen verfassungsrechtlichen Gründe zurückzuführen sind. Die betriebsbezogene Mitbestimmung wird durch die Tendenzschutzbestimmungen des § 118 BetrVG teils relativ, teils absolut (§118 Abs. 1 37 Vgl. Schilling, in: Festschrift für K. Duden, 1977, S. 537.

1. Gegenstand der Untersuchung

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BetrVG) oder absolut (§118 Abs. 2 BetrVG) in betriebsratsfähigen Betrieben solcher Unternehmen ausgeschlossen, die „unmittelbar und überwiegend" bestimmten „Bestimmungen" bzw. „Zwecken" „dienen" oder die „Religionsgemeinschaften" und deren „karitative und erzieherische Einrichtungen" sind. Der Tendenzschutz in der unternehmensbezogenen Mitbestimmung ist in den §§ 1 Abs. 4 MitbestG und 81 BetrVG 52 geregelt. In der unternehmensbezogenen Mitbestimmung des Montanmitbestimmungsgesetzes vom 21.5.1951 und des Mitbestimmungsergänzungsgesetzes vom 7.8.1956 gibt es keine Tendenzschutzregelungen. Die Vorschriften des Montanmitbestimmungsgesetzes und des Mitbestimmungsergänzungsgesetzes werden daher nicht in diese Untersuchung mit einbezogen. Die Tendenzschutzbestimmungen der §§ 1 Abs. 4 MitbestG und 81 BetrVG 52 schließen in mitbestimmungspflichtigen Unternehmen eine unternehmensbezogene Mitbestimmung absolut aus, wenn diese Unternehmen „unmittelbar und überwiegend" bestimmten „Zwecken" bzw. „Bestimmungen" „dienen" oder „Religionsgemeinschaften" bzw. deren „karitative und erzieherische Einrichtungen" sind. Obwohl die Tendenzschutzbestimmungen der §§ 1 Abs. 4 MitbestG und 81 BetrVG 52 in ihrem Wortlaut nicht übereinstimmen, geht die herrschende Meinung 38 davon aus, daß beide Tendenzschutzbestimmungen die gleichen Arten von Tendenzunternehmen erfassen. Ein Vergleich der Tendenzschutzbestimmungen der betriebs- und unternehmensbezogenen Mitbestimmung zeigt, daß die Tendenzschutzbestimmungen beider Mitbestimmungsbereiche mit Hilfe der gleichen Tatbestandsmerkmale die gleichen Arten von Tendenzunternehmen erfassen 39. Die Sonderstellung der Tendenzunternehmen besteht sowohl in der betriebsbezogenen als auch in der unternehmensbezogenen Mitbestimmung darin, daß bei ihnen die entsprechenden Mitbestimmungsregelungen (relativ oder absolut) ausgeschlossen sind. Die Sonderstellung der Tendenzunternehmen in der betriebs- und unternehmensbezogenen Mitbestimmung unterscheidet sich nur darin, daß die Tendenzschutzbestimmungen der betriebsbezogenen Mitbestimmung neben dem absoluten Ausschluß von Mitbestimmungsregelungen auch einen relativen Ausschluß kennen. Regelungsgegenstand und typische Wirkungsweise der betriebs- und unternehmensbezogenen Mitbestimmung sowie Tatbestand und Rechtsfolgen der Tendenzschutzbestimmungen in beiden Mitbestimmungsbereichen 38 Frey, AuR 1972, 167; Mayer-Maly, AfP 1972, 199. 39 Das Schrifttum zu § 1 Abs. 4 MitbestG geht deshalb davon aus, daß die Aussagen der Rechtslehre zu § 118 Abs. 1 BetrVG grundsätzlich auch zur Auslegung des § 1 Abs. 4 MitbestG anzuziehen sind; so z.B. Hanau, in: Hanau / Ulmer, Rn. 50 zu § 1.

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Α. I. Gegenstand und Anliegen der Arbeit

legen es daher nahe, der Frage nach den verfassungsrechtlichen Grundlagen des Tendenzschutzes für die Bereiche der betriebs- und unternehmensbezogenen Mitbestimmung gemeinsam nachzugehen. 2. Meinungsstand zum Verfassungsbezug der Tendenzschutzbestimmungen In der Rechtslehre 40 besteht heute eine breite Übereinstimmung darüber, daß die Tendenzschutzbestimmungen in der betriebs- und unternehmensbezogenen Mitbestimmung durch das Verfassungsrecht sachlich (material) legitimiert sind. Für den Bereich der betriebsbezogenen Mitbestimmung haben sowohl das Bundesarbeitsgericht (nachfolgend abgekürzt BAG) 4 1 als auch das Bundesverfassungsgericht (nachfolgend abgekürzt BVerfG) 42 diesen Standpunkt eingenommen. Diese weitgehende Übereinstimmung über den Verfassungsbezug der Tendenzschutzbestimmungen darf aber nicht darüber hinwegtäuschen, daß die Art und die Intensität dieses Verfassungsbezugs kaum geklärt sind. Das gilt für die Frage, welche Verfassungsbestimmungen und in welchem Umfange die Sonderstellung der jeweils verschiedenen Arten von Tendenzunternehmen in der betriebs- und unternehmensbezogenen Mitbestimmung rechtfertigen können (Art und Umfang der verfassungsrechtlichen Legitimation). Das gilt aber auch für die Frage, ob und inwieweit solche verfassungsrechtlichen Rechtfertigungsnormen die einfachrechtliche Ausgestaltung des Tendenzschutzes als Schranken oder Gebote verfassungsrechtlich bindend festlegen (Maßgeblichkeit des Verfassungsrechts). 2.1 Meinungsstand zur verfassungsrechtlichen Legitimation der §§ 118 Abs. 1 BetrVG, 1 Abs. 4 Satz 1 MitbestG und 81 Abs. 1 BetrVG 52

In der Rechtswissenschaft werden zu diesem Fragenkreis - mit jeweils verschiedenen Variationen - folgende Grundpositionen eingenommen: 2.1.1 These vom Fehlen einer verfassungsrechtlichen

Legitimation

Vor Inkrafttreten des Betriebsverfassungsgesetzes 1972 war für den Bereich der betriebsbezogenen Mitbestimmung eine beachtliche Mindermeinung der Auffassung, daß die betriebsverfassungsrechtliche Sonderstellung der Tendenzunternehmen zwar sachlich gerechtfertigt, aber nicht 40 Vgl. Mayer-Maly / Löwisch, Bemerkungen zur neueren Rechtsprechung zum Tendenzschutz, BB 1983, 193f. und Dietz / Richardi, Bd. 2, Rn. 13 zu § 118 BetrVG jeweils m.w.N. 41 So BAG in AP Nr. 4 zu § 118 BetrVG. 42 So Bundesverfassungsgericht, in: BVerfGE 52, 296.

2. Meinungsstand zum Verfassungsbezug des Tendenzschutzes

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verfassungsrechtlich legitimiert sei. 43 Nikisch 44 sah den sachlichen Differenzierungsgrund des Gesetzes in der Sicherung des „ungestörten Betriebsablaufs" von Tendenzunternehmen. Für Maurer, Fabricius u.a. war der Differenzierungsgrund die fehlende Gewinnerzielungsabsicht der Tendenzunternehmen. 45 Im Unterschied zur Zeit vor Inkrafttreten des BetrVG 72 gibt es heute nur noch vereinzelte Stimmen 46 , die einen Verfassungsbezug der Tendenzschutzbestimmungen in der betriebsbezogenen Mitbestimmung leugnen. Fabricius 47 tritt mit Nachdruck für die Auffassung ein, daß für den Bereich der Betriebsverfassung die Differenzierung zwischen Tendenzunternehmen und anderen Unternehmen nicht durch das Verfassungsrecht, sondern durch die fehlende Gewinnerzielungsabsicht der Tendenzunternehmen gerechtfertigt sei. Das B A G 4 8 gab unter der Geltung des Betriebsverfassungsgesetzes 1952 seine ursprüngliche Auffassung vom Verfassungsbezug auf. Nach dem Inkrafttreten des Betriebsverfassungsgesetzes 1972 erkannte jedoch das B A G 4 9 einen Verfassungsbezug der Tendenzschutzbestimmungen in der betriebsbezogenen Mitbestimmung an. Für den Bereich der unternehmensbezogenen Mitbestimmung ist - zumindest seit Inkrafttreten des Mitbestimmungsgesetzes - der Verfassungsbezug der entsprechenden Tendenzschutzbestimmungen ohnehin allgemeine Meinung. 50 Für diese Auffassung der Rechtslehre zu den Tendenzschutzbestimmungen der unternehmensbezogenen Mitbestimmung dürfte der Umstand eine Rolle spielen, daß die Tendenzschutzbestimmungen des § 1 Abs. 4 Satz 1 MitbestG der Vorschrift des § 118 Abs. 1 BetrVG nachgebildet wurden. Dementsprechend geht die herrschende Meinung davon aus, daß die Aussagen von Rechtsprechung und Rechtslehre zu § 118 Abs. 1 BetrVG grundsätzlich auch auf die Bestimmung des § 1 Abs. 4 Satz 1 MitbestG anzuwenden seien. 51

43

Vgl. z.B. Neumann-Duesberg, Betriebsverfassungsrecht, S. 104. So Nikisch, Arbeitsrecht, Bd. 3, § 93 II, S. 47. 45 Maurer, AR-Blattei, Tendenzbetrieb I (1955) Β I; Fabricius in GK zum BetrVG, Rn. 22 zu § 118 BetrVG. 46 So Fabricius, in: GK zum BetrVG, Bd. 2, Rn. 35, 60ff. und Rn. 142 zu § 118 BetrVG (Fabricius lehnt einen Verfassungsbezug sowohl für die Tendenzschutzbestimmungen des § 118 Abs. 1 BetrVG als auch für die Tendenzschutzbestimmungen des § 118 Abs. 2 BetrVG ab). Ebenfalls ablehnend Wendeling-Schröder, AuR 1984, 328f. (329, 330, 331). 47 So Fabricius, in: GK zum BetrVG, Rn. 91 zu § 118 BetrVG. 48 So BAG in AP Nrn. 2, 3, 4 und 5 zu § 118 BetrVG. 49 So BAG in AP Nr. 4 zu § 118 BetrVG. 50 Vgl. Hanau / Ulmer, Rn. 49 zu § 1 MitbestG. 51 Vgl. Hanau / Ulmer, Rn. 50 zu § 1 MitbestG; Dietz / Richardi, Bd. 2, Rn. 4 zu § 81 BetrVG 52. 44

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Α. I. Gegenstand und Anliegen der Arbeit

2.1.2 These vom Grundrechtsbezug der Tendenzschutzbestimmungen Die weit überwiegende Meinung des Schrifttums vertritt heute die Auffassung, daß die Tendenzschutzbestimmungen der §§118 Abs. 1 BetrVG, 1 Abs. 4 Satz 1 MitbestG und 81 BetrVG 52 einfachgesetzliche Konkretisier rungen von Grundrechtsgewährleistungen (grundrechtsausgestaltende Regelungen) zugunsten der Träger von Tendenzunternehmen seien. 52 Auch das BAG 5 3 und das BVerfG 54 vertreten in einschlägigen Entscheidungen zu § 118 Abs. 1 BetrVG diesen Standpunkt. Im Schrifttum wird allerdings nicht näher untersucht und begründet, welche konkreten Grundrechtsgewährleistungen die Sonderstellung einer bestimmten Art von Tendenzunternehmen in der betriebs- und unternehmensbezogenen Mitbestimmung rechtfertigen. 55 Zumeist begnügt man sich mit einer Auflistung aller für die §§ 118 Abs. 1 BetrVG und 1 Abs. 4 Satz 1 MitbestG in Frage kommenden Grundrechtsartikel. So wird in den meisten Kommentierungen zu § 118 Abs. 1 BetrVG nicht angegeben, welche Grundrechtsgewährleistung die Sonderstellung von Unternehmen mit karitativen Bestimmungen rechtfertigen soll. Lediglich G. Müller hat diese Frage eingehend erörtert. 56 Darüber hinaus wird im Schrifttum nicht zu dem Problem Stellung genommen, in welchem Umfange eine bestimmte verfassungsrechtliche Gewährleistung für den Träger eines Tendenzunternehmens die Sonderstellung einer bestimmten Art von Tendenzunternehmen rechtfertigen kann. Dies wird bei den einschlägigen Kommentierungen über Unternehmen mit politischen Bestimmungen besonders deutlich. Die weit überwiegende Mehrheit geht davon aus, daß unter die in §§ 118 Abs. 1 BetrVG, 1 Abs. 1 MitbestG und 81 Abs. 1 BetrVG 52 genannten Unternehmen mit politischen Bestimmungen auch sozialpolitische und wirtschaftliche Vereinigungen fallen. 57 Zugleich nimmt die herrschende Meinung an, daß diese Tendenzschutzbestimmungen der betriebs- und unternehmensbezogenen 52 Vgl. zur betriebsbezogenen Mitbestimmung Dietz / Richardi, Bd. 2, Rn. 13 zu § 118 BetrVG mit weiteren Nachweisen aus der Literatur. - Zur unternehmensbezogenen Mitbestimmung vgl. Hanau / Ulmer, Rn. 49 zu § 1 MitbestG; Hoffmann / Lehmann/Weinmann, Kommentar zum Mitbestimmungsgesetz, Rn. 53; Wiedemann, Gesellschaftsrecht, S. 618 ff. 53 So BAG in AP Nrn. 2, 3, 4, 5 zu § 118 BetrVG. 54 So Bundesverfassungsgericht in: BVerfGE 52, 283. 55 Vgl. die Ausführungen zum Verfassungsbezug in den Kommentaren zum Betriebsverfassungsgesetz; so z.B. Dietz / Richardi, Bd. 2, Rn. 13, 14, 15 sowie die Kommentierung zu einzelnen Tendenzen, z.B. Rn. 52 mit 54 zu § 118 BetrVG, Galperin / Löwisch, Bd. 2, Rn. 3 zu § 118 BetrVG sowie die Kommentierung zu einzelnen Tendenzen, z.B. Rn. 8 mit 11; Fitting / Auffarth / Kaiser, Rn. 2 zu § 118 sowie die Kommentierung zu einzelnen Tendenzen, Rn. 9, 11, 12 zu § 118 BetrVG. 56 Müller, G., in: Das Arbeitsrecht der Gegenwart, 1.982, Die Unternehmen mit karitativen Bestimmungen im Sinne des § 118 Abs. 1 BetrVG, S. 49f. (57, 58). 57 So z.B. Fitting / Auffarth, Rn. 9 zu §118 BetrVG; Kammann / Hess / Schlochauer, Rn. 14 zu § 118; Dietz / Richardi, Bd. 2, Rn. 45 zu § 118; Galperin / Löwisch, Rn. 9 und 10 zu § 118.

2. Meinungsstand zum Verfassungsbezug des Tendenzschutzes

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Mitbestimmung durch Art. 21 Abs. 1 GG sachlich gerechtfertigt seien. 58 Art. 21 Abs. 1 GG erfaßt jedoch nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts und der herrschenden Meinung 59 im Verfassungsrecht nur politische Parteien. Somit könnte durch Art. 21 Abs. 1 GG nur ein Teil der von den §§118 Abs. 1 BetrVG, 1 Abs. 4 Satz 1 MitbestG und 81 Abs. 1 BetrVG 52 erfaßten politischen Tendenzunternehmen verfassungsrechtlich gerechtfertigt sein. In der Rechtslehre wird jedoch die Frage nicht diskutiert, in welchem Umfange Art. 21 Abs. 1 GG die Tendenzschutzbestimmung für Unternehmen mit politischen Bestimmungen sachlich rechtfertigt. Soweit daher in der Rechtslehre ein Grundrechtsbezug der Tendenzschutzbestimmungen angenommen wird, bleibt festzuhalten, daß diese These vom Grundrechtsbezug für die einzelnen Arten von Tendenzunternehmen weder nach Art noch nach Umfang des Grundrechtsbezugs hinreichend untersucht und geklärt ist. 2.1.3 These einer Güterabwägung zwischen den Grundrechten und dem Sozialstaatsprinzip Die herrschende Meinung vertritt die Auffassung, daß sowohl die betriebsbezogene als auch die unternehmensbezogene Mitbestimmung durch das in Art. 20 Abs. 1 GG verankerte Sozialstaatsprinzip (nachfolgend abgekürzt SP) verfassungsrechtlich legitimiert seien. 60 Auch das B A G 6 1 vertritt diese Meinung für den Bereich der betriebsbezogenen Mitbestimmung. Der Bundesgerichtshof ist in seinen Entscheidungen zur unternehmensbezogenen Mitbestimmung auf diese Frage bislang nicht eingegangen. Das BVerfG 62 hat sich über die verfassungsrechtliche Legitimation der betriebsund unternehmensbezogenen Mitbestimmung bislang noch nicht geäußert. Geht man mit der herrschenden Meinung davon aus, daß das SP die betriebs- und unternehmensbezogene Mitbestimmung als Teil einer „sozial 58 Vgl. Dietz / Richardi, Bd. 2, Rn. 15 zu § 118 unter Berufung auf die Materialien des BetrVG 72. 59 So das Bundesverfassungsgericht, in: BVerfGE 3, 403 und Maunz, in: Maunz / Dürig, Rn. 9 zu Artikel 21 GG mit Nachweisen aus der staatsrechtlichen Literatur. 60 Für die betriebsbezogene Mitbestimmung vgl. Dietz / Richardi, Bd. 1, Rn. 22 zu § 1 BetrVG mit weiteren Nachweisen; für die unternehmensbezogene Mitbestimmung vgl. Wiedemann, Gesellschaftsrecht, S. 595 mit weiteren Nachweisen, vgl. auch Schwerdtfeger, Unternehmerische Mitbestimmung, 1972, S. 158ff. 61 So BAG in AP Nr. 4, 5 zu § 118 BetrVG. 62 Das Bundesverfassungsgericht ist weder in seinem Mitbestimmungsurteil BVerfGE 50, 290 noch in seiner Entscheidung BVerfGE 52, 283 ff. auf diese Frage eingegangen. In den Entscheidungen BVerfGE 52, 283 und 59, 231 ff. wird lediglich festgestellt, daß das SP keine Schranken für Grundrechte und grundrechtsausgestaltende Regelungen bilden könne. Das Problem der Eignung einer Verfassungsbestimmung als Schranke hat aber mit dem Problem nichts zu tun, ob eine Verfassungsbestimmung als Legitimationsnorm geeignet ist.

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Α. I. Gegenstand und Anliegen der Arbeit

gerechten Ordnung" 6 3 verfassungsrechtlich legitimiert, so könnte das SP auch die betriebs- und unternehmensbezogene Mitbestimmung in den Tendenzunternehmen im Sinne des § 118 Abs. 1 BetrVG verfassungsrechtlich legitimieren. Die Anhänger eines Grundrechtsbezugs der Tendenzschutzbestimmungen müßten daher zu dem Problem Stellung nehmen, ob und inwieweit neben den Grundrechtsgewährleistungen auch das SP als verfassungsrechtliche Legitimationsbasis für die Tendenzschutzbestimmungen in der betriebs- und unternehmensbezogenen Mitbestimmung in Frage kommt. Umgekehrt müßten die Gegner eines Grundrechtsbezugs dazu Stellung nehmen, ob nicht zumindest für die Tendenzschutzbestimmungen das SP eine verfassungsrechtliche Legitimationsbasis ist. Ein beachtlicher Teil der Rechtslehre 64 und das B A G 6 5 sind der Auffassung, daß Sinn der Tendenzschutzbestimmungen sei, „einen verfassungskonformen angemessenen Ausgleich zwischen dem in Art. 20 Abs. 1 GG niedergelegten Grundsatz der Sozialstaatlichkeit, den das BetrVG für seinen Bereich verwirklichen w i l l und den Freiheitsrechten der Tendenzträger herzustellen". Das BAG und die überwiegende Meinung im Schrifttum nehmen an, daß die Tendenzschutzbestimmungen der betriebsbezogenen Mitbestimmung sowohl einen Bezug zu den Grundrechtsgewährleistungen für die Träger von Tendenzunternehmen als auch einen Bezug zum SP haben. Diese Auffassung hat auch der Gesetzgeber geteilt, wie sich aus dem Bericht des Bundestagsausschusses für Arbeit und Sozialordnung im Rahmen des Gesetzgebungsverfahrens für das Betriebsverfassungsgesetz 1972 ergibt. 66 Die Vertreter dieser Auffassung gehen dabei davon aus, daß sich die Wertungen von SP und Grundrechten widersprechen und die Tendenzschutzbestimmungen deshalb eine einfachgesetzliche verfassungskonforme Güterabwägung darstellen. Für den Bereich der unternehmensbezogenen Mitbestimmung hat sich die Rechtslehre mit dieser Frage kaum auseinandergesetzt. 67 Möglicherweise deshalb, weil die allgemeine Meinung ohnehin davon ausgeht, daß die verfassungsrechtliche Problematik der Tendenzschutzbestimmungen in der unternehmensbezogenen Mitbestimmung grundsätzlich die gleiche sei wie in der betriebsbezogenen Mitbestimmung. Aber auch für den Bereich der betriebsbezogenen Mitbestimmung w i r d die These von der Güterabwägung zwischen SP und den Grundrechten nicht 63

So BVerfGE 59, 231 ff. So z.B. Fitting / Auffarth, Rn. 2 zu § 118 BetrVG. 65 So BAG, AP Nr. 4 und 5 zu § 118 BetrVG. ββ BT-Drs. VI/2729, S. 17. 67 Eine Ausnahme bildet die Kommentierung des § 1 MitbestG im GK zum M i t bestG. Naendrup legt dar, daß man bei den Regelungen der Tendenzschutzbestimmungen der unternehmensbezogenen Mitbestimmung nicht nur die Grundrechte zugunsten der Unternehmensträger, sondern auch das SP sehen müsse. 64

2. Meinungsstand zum Verfassungsbezug des Tendenzschutzes

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von all denjenigen vertreten, die einen Grundrechtsbezug der Tendenzschutzbestimmungen bejahen. So rückt etwa Richardi in der 6. Auflage seines Kommentars zum BetrVG davon ab, daß § 118 Abs. 1 BetrVG einen notwendigen Ausgleich zwischen den Grundrechtsgewährleistungen und dem SP darstelle. 68 Soweit in der Rechtslehre ein Grundrechtsbezug der Tendenzschutzbestimmungen bestritten wird, wird das Problem eines Bezugs zum SP nicht diskutiert. Weder Weiß 69 noch Fabricius 70 setzen sich mit dieser Frage auseinander. Ihlefeld 71 bejaht zwar einen Verfassungsbezug der Tendenzschutzbestimmungen, er sieht diesen Verfassungsbezug vor allem aber in den Grundrechtsgewährleistungen zugunsten der Arbeitnehmer. 2.2 Meinungsstand zur Maßgeblichkeit des Verfassungsrechts für die §§ 118 Abs. 1 BetrVG, 1 Abs. 4 Satz 1 MitbestG und 81 Abs. 1 BetrVG 52

Die weit überwiegende Meinung im Schrifttum sieht in den Grundrechtsgewährleistungen zugunsten der Träger von Tendenzunternehmen nicht nur eine verfassungsrechtliche Legitimation der einfachgesetzlichen Tendenzschutzbestimmungen, sondern auch eine bindende Schranke für den Gesetzgeber. Sie geht übereinstimmend davon aus, daß zwar die einfachrechtliche Ausgestaltung der Tendenzschutzbestimmungen im einzelnen verfassungsrechtlich nicht bindend geboten ist. Die herrschende Meinung ist aber der Auffassung, daß es wegen der Grundrechte zugunsten der Träger von Tendenzunternehmen verfassungswidrig wäre, wenn das einfache Recht in Tendenzunternehmen die gleiche betriebs- und unternehmensbezogene Mitbestimmung einführen wollte, wie sie für die übrigen Unternehmen gilt. 7 2 Die herrschende Meinung stützt ihre Auffassung neuerdings vor allem auf eine Entscheidung des BVerfG zum Tendenzschutz in Presseunternehmen. 73 Eine systematisch und dogmatisch hinreichende Begründung für diese Auffassung wird jedoch nicht gegeben. Vereinzelt wird im Schrifttum auch eine andere Auffassung vertreten. Neben Fabricius sind dies vor allem Weiß 74 , Ihlefeld' 75 und Wendeling-Schröder 16. es Vgl. Dietz / Richardi, 5. Aufl., Bd. 2, Rn. 2 zu § 118 BetrVG mit Rn. 14 und 15 zu § 118 BetrVG in der 6. Auflage. 69 Weiss, Rn. 2 zu § 118 BetrVG. 70 Fabricius, in: GK zum BetrVG, Rn. 34 zu § 118 BetrVG. 71 Ihlefeld, RdA 77, 223 f. (227) und AuR 80, 257 f. (265). 72 Dietz / Richardi, Bd. 2, Rn. 20 zu § 118 BetrVG; Galperin / Löwisch, Bd. 2, Rn. 4 zu § 118 BetrVG; Mayer-Maly, AR-Blattei, Tendenzbetrieb I, G; Kammann / Hess / Schlochauer, Rn. 2 zu § 118 BetrVG. BVerfGE 52, 283ff. 74 Weiß, Rn. 2 zu § 118 BetrVG. 7 * Ihlefeld, RdA 77, 223 f. und AuR 80, 257 f. 76 Wendeling-Schröder, AuR 84, 328f. (330, 331).

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Α. I. Gegenstand und Anliegen der Arbeit

Kaum untersucht wird die Frage, ob bei den Tendenzschutzbestimmungen neben den Grundrechten auch das SP und andere Verfassungsbestimmungen in Tendenzunternehmen eine betriebsbezogene Mitbestimmung und eine unternehmensbezogene Mitbestimmung zwingend gebieten. Richardi und Löwisch' 77 lehnen eine solche Maßgeblichkeit des SP zugunsten der betriebs- und unternehmensbezogenen Mitbestimmung in Tendenzunternehmen unter Berufung auf die Rechtsprechung des BVerfG entschieden ab. Der Rechtsprechung des BAG zu § 118 Abs. 1 BetrVG kann hingegen entnommen werden, daß es sowohl von einer Maßgeblichkeit des SP als auch der Grundrechte für die Tendenzschutzbestimmungen des §118 Abs. 1 BetrVG ausgeht. 78 Die vom BAG immer wieder betonte verfassungskonforme Güterabwägung des einfachen Gesetzgebers bei den Tendenzschutzbestimmungen zwischen den Freiheitsrechten einerseits und dem SP andererseits setzt nämlich inzidenter eine Maßgeblichkeit des SP und der Grundrechte der Träger von Tendenzunternehmen für die Tendenzschutzbestimmungen voraus. 79 Das BVerfG 80 hat im Gegensatz zum BAG ausdrücklich verneint, daß dem SP die Funktion einer verfassungsrechtlichen Schranke oder eines verfassungsrechtlich bindenden Gebots dahingehend beigemessen werde, daß auch in Tendenzunternehmen eine betriebs- und unternehmensbezogene Mitbestimmung eingeführt werden soll. Diese unterschiedlichen Auffassungen über die Maßgeblichkeit des Verfassungsrechts für die Tendenzschutzbestimmungen, vor allem über die Maßgeblichkeit des SP, erfordern daher ebenfalls eine nähere Durchleuchtung des Problems Verfassungsbezug bei Tendenzschutzbestimmungen. 2.3 Meinungsstand zur Legitimation und Maßgeblichkeit des Verfassungsrechts für die §§ 118 Abs. 2 BetrVG, 1 Abs. 4 Satz 2 MitbestG und 81 Abs. 2 BetrVG 52

In der Rechtslehre wird weit überwiegend die Meinung vertreten, daß die Tendenzschutzbestimmungen der §§118 Abs. 2 BetrVG, 1 Abs. 4 Satz 2 MitbestG und 81 Abs. 2 BetrVG 52 durch die Art. 4 GG und 140 GG in Verbindung mit 137 WRV verfassungsrechtlich legitimiert sind. 81 Die Rechtslehre ist weiter überwiegend der Auffassung, daß diese Tendenzschutzbestimmungen wegen des Bezugs zu Art. 4 Abs. 1 und 2 GG und 140 GG in Verbindung mit 137 Abs. 3 WRV nicht nur sachlich gerechtfertigt, sondern 77 s. Dietz / Richardi, Bd. 2, Rn. 19 zu § 118 BetrVG und Galperin / Löwisch, Bd. 2, Rn. 2 zu § 118 BetrVG. 78 BAG, AP Nr. 13 zu § 118 BetrVG. 79 Vgl. BAG, AP Nr. 5 zu § 118 BetrVG. 80 BVerfGE 52, 283; vgl. auch BVerfGE 59, 231 (262 und 263). 81 Vgl. Dietz / Richardi, Bd. 2, Rn. 162 zu § 119 mit weiteren Nachweisen.

2. Meinungsstand zum Verfassungsbezug des Tendenzschutzes

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auch verfassungsrechtlich zwingend geboten sind. 82 Nach dieser Auffassung stellen die genannten Verfassungsbestimmungen eine für das einfache Recht bindende Schranke dar, die eine betriebs- und unternehmensbezogene Mitbestimmung in Religionsgemeinschaften und deren karitativen und erzieherischen Einrichtungen verfassungsrechtlich zwingend verbietet. Eine beachtliche Mindermeinung meldet allerdings Zweifel an, ob die genannten Verfassungsbestimmungen auch für die karitativen und erzieherischen Einrichtungen der Religionsgemeinschaften den völligen Ausschluß der Regeln der betriebs- und unternehmensbezogenen Mitbestimmung verfassungsrechtlich zwingend gebieten. Ein Teil ihrer Vertreter ist der Auffassung, daß die genannten Verfassungsbestimmungen lediglich eine Einschränkung der betriebs- und unternehmensbezogenen Mitbestimmung bindend fordern, nicht hingegen den vollständigen Ausschluß der betriebsund unternehmensbezogenen Mitbestimmung. Vertreter dieser Auffassung sind vor allem Her schei, Ruland und Schwerdtner. 83 Das BVerfG hat in mehreren Entscheidungen 84 betont, daß die Tendenzschutzbestimmungen für Religionsgemeinschaften und deren karitative und erzieherische Einrichtungen auf das „verfassungsrechtlich Gebotene" Rücksicht nehmen. Nach Auffassung des BVerfG gebieten daher die Art. 4 GG und 140 GG in Verbindung mit 137 Abs. 3 WRV den Ausschluß der betriebs- und unternehmensbezogenen Mitbestimmung in Religionsgemeinschaften und deren karitativen und erzieherischen Einrichtungen. Auch das BAG betont in seinen Entscheidungen zu § 118 Abs. 2 BetrVG 8 5 die Maßgeblichkeit der Art. 4 GG und 140 GG in Verbindung mit 137 WRV. In der Literatur ist vor allem G. Müller 86 auf das Problem näher eingegangen, ob für die Tendenzschutzbestimmungen der §§118 Abs. 2 BetrVG, 1 Abs. 4 Satz 2 MitbestG und 81 Abs. 2 BetrVG 52 die „Kirchenautonomie" 87 und das SP relevant sind und wie sie sich zueinander verhalten. Im übrigen 82

Dietz / Richardi, Bd. 2, Rn. 166 und 167 zu § 118 BetrVG sowie Müller, G., RdA 1979, 71 (74). 83 Herschel, Kirchliche Einrichtungen und Betriebsverfassung, in: AuR 1979, 172ff.; Schwerdtner, Kirchenautonomie und Betriebsverfassung, in: AuR 1979, Sonderheft „Kirche und Arbeitsrecht", S. 21ff. (27); Ruland, NJW 80, 99 ff.; Fabricius, in: GK zum BetrVG, Rn. 142 zu § 118 BetrVG. 84 BVerfGE 46, 73 und 53, 367 (399). 85 BAG AP Nr. 10 zu § 118 BetrVG. 86 Müller, G., Staatskirchenrecht und normatives Arbeitsrecht - eine Problemskizze, in: RdA 1979, 71 ff. (74). 87 Für den Regelungsinhalt der Artikel 4 Abs. 1 und 2 GG und 140 GG in Verbindung mit Artikel 137 Abs. 3 WRV w i r d üblicherweise die Bezeichnung „Kirchenautonomie" verwandt. Die Bezeichnung Kirchenautonomie gibt den Gehalt dieser Regelungen nur verkürzt wieder, weil sich das Selbstbestimmungsrecht nicht nur auf die christlichen Kirchen bezieht. Aus Gründen der Abkürzung wird jedoch nachfolgend anstelle des Begriffes Selbstbestimmungsrecht der Religionsgesellschaften auch die Bezeichnung Kirchenautonomie verwandt. 2 Marino

Α. I. Gegenstand und Anliegen der Arbeit

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Schrifttum wird dieses Problem augenscheinlich als geklärt in dem Sinne angesehen, daß für die Tendenzschutzbestimmungen der §§118 Abs. 2 BetrVG, 1 Abs. 4 Satz 2 MitbestG und 81 Abs. 2 BetrVG 52 ausschließlich die verfassungsrechtlichen Bestimmungen über die Kirchenautonomie maßgebend sind. 88 Für den Bereich dieser Tendenzschutzbestimmungen kann somit festgestellt werden, daß deren verfassungsrechtliche Aspekte zumindest insoweit nicht geklärt sind, als das SP in Rede steht. 3. Anliegen der Arbeit Die unterschiedlichen Aussagen von Rechtslehre und Rechtsprechung zu der verfassungsrechtlichen Legitimation und der verfassungsrechtlichen Maßgeblichkeit für die Tendenzschutzbestimmungen belegen, daß das Problem der verfassungsrechtlichen Grundlagen der Tendenzschutzbestimmungen in vielerlei Hinsicht noch einer dogmatischen Klärung bedarf. Strittig und ungeklärt sind vor allem folgende Grundfragen - in welchem Umfange können welche Verfassungsbestimmungen die Tendenzschutzbestimmungen sachlich legitimieren ' - welche Maßgeblichkeit kommt diesen Verfassungsbestimmungen für die einfachgesetzlichen Tendenzschutzbestimmungen zu und - wie verhalten sich mehrere Verfassungsbestimmungen zueinander, wenn sie auf die gleiche Tendenzschutzbestimmung einwirken. Die zuletzt aufgeführte Frage beinhaltet vor allem das Problem, wie sich das SP zu den Grundrechtsgewährleistungen und zu der Kirchenautonomie zugunsten der Träger von Tendenzunternehmen verhält. Es ist Anliegen dieser Untersuchung, diesen Fragen näher nachzugehen.

es Vgl. Dietz / Richardi, Bd. 2, Rn. 166 zu § 118 BetrVG.

Π . Verfassungsrechtliche und arbeitsrechtliche Ausgangslage und Folgerungen für den Aufbau und die Methode der Untersuchung Art und Intensität der verfassungsrechtlichen Grundlagen der Tendenzschutzbestimmungen in der betriebs- und unternehmensbezogenen Mitbestimmung können nur geklärt werden, wenn dabei auch Fragen gelöst werden, die aufs engste mit der Bestimmung von Sinn und Zweck unserer Verfassung 1 und der Bestimmung von Sinn und Zweck der Tendenzschutzbestimmungen verknüpft sind. Diese Probleme beinhalten wiederum methodologische Probleme. Aus dieser verfassungsrechtlichen und arbeitsrechtlichen Ausgangsproblematik ergeben sich Folgerungen, die Aufbau und Methode der Arbeit bestimmen. 1. Verfassungsrechtliche Problematik 1.1 Verfassungsrechtliche Ausgangslage

1.1.1 Die Verfassung als materiale Legitimationsbasis des einfachrechtlichen Tendenzschutzes? Nach der herrschenden Meinung 2 im Staatsrecht und der Rechtsprechung des BVerfG 3 stellt unsere Verfassung keine umfassende materiale Legitimationsbasis für einfachrechtliche Gestaltungen dar. Stern 4 weist darauf hin, daß es ein Fehlverständnis der Verfassung wäre, „dieser einen Gehalt zu imputieren, aufgrund dessen der Inhalt der Gesetze gleichsam aus der Verfassung abgeleitet werden könne". Die Verfassung kann somit einfaches Recht immer formal 5 , aber nicht immer material legitimieren. Mithin kann nicht ohne weiteres davon ausgegangen werden, daß die Tendenzschutzbestimmungen durch die Verfassung sachlich legitimiert seien. 1

s. hierzu Stern, Staatsrecht, unter § 3 I I I (S. 61 ff.). Vgl. Herzog, in: Maunz / Dürig, Rn. 117 ff. zu Artikel 20 GG mit weiteren Nachweisen. 3 So das Bundesverfassungsgericht, in: BVerfGE 2, 266 (280); 4, 219 (244). 4 Stern, Staatsrecht, S. 66. 5 Ständige Rechtsprechung des BundesVerfassungsgerichts, vgl. z.B. BVerfGE 3, 225 (237); 15, 313 (319); 22, 322 (329); 25, 269 (290ff.); 35, 41 (47) und herrschende Meinung im Schrifttum, vgl. Hesse, Grundzüge, § 6 I I (Rn. 187 und 197) und Stern, Staatsrecht, § 20 IV 4, S. 631. 2

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Α. II. Verfassungs- u. arbeitsrechtliche Ausgangslage und Folgerungen

In der Rechtslehre besteht allerdings weitgehend darüber Übereinstimmung, daß das Grundgesetz bei aller „Offenheit" punktuell sehr wohl in einzelnen Verfassungsbestimmungen materiale Wertentscheidungen für die Ordnung bestimmter Lebenssachverhalte enthält. 6 So hat das BVerfG 7 in ständiger Rechtsprechung ausgeführt, daß die Grundrechtsnormen der Verfassung objektive Prinzipien für die gesamte Rechtsordnung enthalten. Es hat jedoch bei aller Betonung des „Wertsystems" 8 der Grundrechte keinen Zweifel daran gelassen, daß diese „Wertordnung" nur innerhalb des grundrechtsgeschützten Raumes gilt. Da auch die Grundrechte bei weitem nicht alle Lebenssachverhalte und Lebensbezüge erfassen, können sie nicht zur Legitimation jeder einfachrechtlichen Regelung herangezogen werden. Es ist daher eine wesentliche Aufgabe der Untersuchung, jeweils für die einzelnen von den Tendenzschutzbestimmungen geregelten Lebenssachverhalte und Lebensbereiche festzustellen, ob und welche Verfassungsbestimmungen für diese Lebensbereiche eine materiale Wertentscheidung enthalten. Dabei wird auch zu untersuchen sein, ob neben Grundrechtsnormen auch andere Verfassungsbestimmungen als Rechtfertigungsnormen der Tendenzschutzbestimmungen geeignet sind.

1.1.2 Bindende Vorgaben der Verfassung für den einfachrechtlichen Tendenzschutz (Maßgeblichkeit)? Auch soweit Verfassungsbestimmungen für den von den Tendenzschutzbestimmungen geregelten Lebenssachverhalt materiale Wertentscheidungen enthalten sollten und somit Rechtfertigungsnormen für die Tendenzschutzbestimmungen sein könnten, folgt hieraus nicht, daß die in den verfassungsrechtlichen Legitimationsnormen enthaltenen Wertungen zwingend und bindend den Regelungsinhalt der einfachrechtlichen Tendenzschutzbestimmungen vorschrieben. Auch wenn sich der Regelungsgehalt der Tendenzschutzbestimmungen mit den Wertungen der entsprechenden verfassungsrechtlichen Legitimationsnormen nicht deckte, wären die Tendenzschutzbestimmungen nicht verfassungswidrig. Die Inhalte der verfassungsrechtlichen Rechtfertigungsnormen müßten nur im Rahmen der Auslegung der einfachrechtlichen Tendenzschutzbestimmungen berücksichtigt werden. 9 6

s. hierzu Hesse, Grundzüge, § 1 III, Rn. 19 ff. und § 9 I I mit weiteren Nachweisen. Vgl. Bundesverfassungsgericht, in: BVerfGE 6, 55; 7, 198; 8, 210; 13, 296; 24, 135; 25, 263; 27, 254; 30, 189; 34, 280; 35, 79; 42, 144; 42, 148 (170). » Vgl. z.B. BVerfGE 50, 290 (336, 337). 9 Die herrschende Lehre im Schrifttum (vgl. Dürig, in: Maunz / Dürig, Rn. 162 zu Artikel 3 Abs. 1 GG mit weiteren Nachweisen) und die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (vgl. z.B. BVerfGE 7, 230 (233/234) und 24, 278ff. sowie 34„269ff. 7

1. Verfassungsrechtliche Problematik

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Aus Art. 1 Abs. 3 und Art. 20 Abs. 3 GG folgt, daß sich die Gesetzgebung im Rahmen der verfassungsmäßigen Ordnung, vor allem der von den Grundrechten gesetzten Schranken, halten muß. Innerhalb dieses Rahmens hat der Gesetzgeber aber nach der herrschenden Meinung 10 und der Rechtsprechung des BVerfG 11 „einen weiten Gestaltungsspielraum". Einfache Gesetze sind demnach grundsätzlich keine Verfassungsvollzugsnormen. Verfassungsbestimmungen können daher den Regelungsgehalt der Tendenzschutzbestimmungen nur insoweit bindend vorgeben, als ihre materialen Wertentscheidungen einen anderen Regelungsgehalt als verfassungsrechtliche Schranke verbieten oder sonst einen für die einfache Gesetzgebung bindenden Leitgrundsatz enthalten. Das BVerfG 12 hat in ständiger Rechtsprechung anerkannt, daß die Grundrechte bindende Schranken gegenüber einer beliebigen einfachrechtlichen Gestaltung bilden. Dieser Auffassung folgt auch die herrschende Meinung im Staatsrecht 13 . Daneben hat das BVerfG 14 festgestellt, daß auch andere Verfassungsbestimmungen durch Gebote und Leitgrundsätze eine einfachrechtliche Gestaltung für bestimmte Lebenssachverhalte ganz oder teilweise bindend vorgeben können. So enthält unsere Verfassung vor allem in den sogenannten Verfassungsaufträgen wie z.B. in den Art. 3 Abs. 2 in Verbindung mit Art. 117 GG oder Art. 6 Abs. 5 GG solche bindenden verfassungsrechtlichen Leitgrundsätze für die Gestaltung des einfachen Rechts. Allerdings sind solche bindenden Leitgrundsätze die Ausnahme und nicht die Regel. Es muß daher bei jeder möglichen verfassungsrechtlichen Rechtfertigungsnorm für die Tendenzschutzbestimmungen eingehend und gesondert geprüft werden, ob und inwieweit die in diesen verfassungsrechtlichen Rechtfertigungsnormen enthaltenen Wertentscheidungen für den Regelungsgehalt der Tendenzschutzbestimmungen bindend (maßgebend) sind.

(280)) gehen davon aus, daß die Grundrechte in ihrer Funktion als Elemente objektiver Ordnung und Grundsatznormen bei der Auslegung des einfachen Rechts berücksichtigt werden müssen (Sogenannte mittelbare Drittwirkung der Grundrechte). 10 Vgl. Herzog, in: Maunz / Dürig, Rn. 117 ff. zu Artikel 20 mit weiteren Nachweisen. 11 Vgl. hierzu die grundsätzlichen Ausführungen des Bundesverfassungsgerichts, in: BVerfGE 5, 85 ff. (197 ff.). 12 Vgl. BVerfGE 7, 198 (204/205); 50, 290 (337 ff.). 13 Bleckmann, Allgemeine Grundrechtslehren, § 6 (S. 45 ff.). 14 Vgl. z.B. die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zum Gebot der Chancengleichheit politischer Parteien, in: BVerfGE 1, 208 (242, 252); 3, 19 (26); 6, 273 (280ff.).

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Α. II. Verfassungs- u. arbeitsrechtliche Ausgangslage und Folgerungen 1.2 Folgerungen aus dieser Ausgangslage

1.2.1 Grundsätzliche Eignung von Grundrechtsnormen, verfassungsrechtlichen Einrichtungsgarantien und Strukturprinzipien als Legitimation für den Tendenzschutz Verfassungsnormen kommen als Legitimationsnormen für die Tendenzschutzbestimmungen oder gar als Normen, die einen bestimmten Regelungszweck und eine bestimmte Wertentscheidung im Tendenzschutzbereich gebieten und verbieten, nur in Frage, wenn sie überhaupt materiale Wertentscheidungen enthalten können. Bestimmte Arten von Verfassungsnormen erfüllen diese Anforderungen von vornherein nicht. Sie scheiden daher aus. Zu nennen sind hier etwa verfassungsrechtliche Organisations-, Kompetenz- und Verfahrensnormen 15 . So kann m.E. aus der Kompetenznorm des Art. 74 Nr. 12 GG allein nicht hergeleitet werden, daß durch diese Bestimmung das Rechtsinstitut „Betriebsverfassung" geschützt und gerechtfertigt sei. 16 Als materiale Legitimationsnormen für die Tendenzschutzbestimmungen sind vielmehr nur Grundrechtsnormen, sonstige Verfassungsbestimmungen, die verfassungsrechtliche Einrichtungsgarantien 17 enthalten, und verfassungsrechtliche Strukturprinzipien 1 8 grundsätzlich geeignet. Es wurde schon dargelegt, daß nach der Rechtsprechung des BVerfG und der weit überwiegenden Meinung im Staatsrecht Grundrechtsnormen objektive Wertentscheidungen über die rechtliche Gestaltung bestimmter Lebensbereiche enthalten. Nach der Rechtsprechung des BVerfG 19 und der herrschenden Meinung im Staatsrecht 20 gehört es mit zum Wesen einer Ein15 Zu den einzelnen Arten von Verfassungsrechtsätzen siehe Stern, Staatsrecht, unter § 4 I I (S. 92 ff.). 16 Dies ist auch die herrschende Meinung im Schrifttum zum Betriebsverfassungsgesetz, vgl. z.B. Dietz / Richardi, Bd. 1, Rn. 21 und 22 der Vorbemerkung zu § 1 BetrVG. - In der staatsrechtlichen Literatur sind die Meinungen darüber geteilt, ob verfassungsrechtliche Kompetenznormen eine sachliche Legitimation für die von ihnen erfaßten Rechtsbereiche und Rechtsinstitute begründen können. Vgl. hierzu v. Mangoldt / Klein, Bd. II, Vorbemerkung 6b vor Artikel 70 ff. mit Literaturnachweisen. Vgl. auch BVerfGE 12, 45 (50). 17 Die Lehre von den verfassungsrechtlichen Einrichtungsgarantien ist im wesentlichen von Carl Schmitt in der Weimarer Republik entwickelt worden und unter dem Grundgesetz von der Rechtslehre weitgehend akzeptiert worden. - Zum Begriff und Wesen der verfassungsrechtlichen Einrichtungsgarantien (institutionelle Garantien und Institutsgarantien) s. Carl Schmitt, Verfassungsrechtliche Aufsätze aus den Jahren 1924 - 1954, 2. Aufl., S. 140ff. und 181ff. sowie Klein, in: v. Mangoldt / Klein, Bd. 1, Vorbemerkung, S. 84 ff. 18 Zum Begriff „verfassungsrechtliche Strukturprinzipien" s. Stern, Staatsrecht, Bd. I, 2. Kapitel, Strukturprinzipien, Vorbemerkung vor § 16. 19 Vgl. vor allem die Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts zur Institutsgarantie des Artikel 6 Abs. 1 GG in BVerfGE 10, 59 (66); zur Institutsgarantie des Artikel 5 Abs. 1 Satz 2 GG in: BVerfGE 12, 205 (259) und zur Institutsgarantie des Artikel 14 Abs. 1 Satz 1 GG, in: BVerfGE 24, 367 (389).

1. Verfassungsrechtliche Problematik

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richtungsgarantie, daß sie die Wertentscheidungen bestimmter einfachrechtlicher Normenkomplexe (z.B. Ehe) verfassungsrechtlich absichert. Soweit daher Verfassungsnormen Einrichtungsgarantien enthalten, enthalten sie materiale Wertentscheidungen und kommen grundsätzlich auch als Legitimationsnormen für die Tendenzschutzbestimmungen in Frage. Schließlich enthalten nach der Rechtsprechung des BVerfG 2 1 und der herrschenden Meinung 22 auch die - hier allein in Frage kommenden 23 - und in Art. 20 und 28 GG verankerten verfassungsrechtlichen Strukturprinzipien der Demokratie (nachfolgend abgekürzt DP), des Rechtsstaates (nachfolgend abgekürzt RP) und des Sozialstaates (SP) eigenständige materiale Wertentscheidungen. So entnimmt die Rechtsprechung des BVerfG 2 4 dem SP die materiale Wertentscheidung für eine „gerechte" Sozialordnung. Als verfassungsrechtliche Grundlage der Tendenzschutzbestimmungen sind somit Grundrechtsnormen, sonstige Verfassungsnormen, die Einrichtungsgarantien enthalten und die verfassungsrechtlichen Strukturprinzipien der Demokratie, des Rechtsstaates und des Sozialstaates grundsätzlich geeignet. 1.2.2 Anforderungen an die Eignung von Verfassungsnormen als Rechtfertigungsnormen Verfassungsnormen kommen als Rechtfertigungsnormen nur in Frage, soweit sie den Lebensbereich erfassen, den die Tendenzschutzbestimmungen regeln. Der Lebenssachverhalt oder Ausschnitt aus der sozialen Wirklichkeit, den ein Normenkomplex oder eine Rechtsnorm erfassen und rechtlich gestalten (regeln), wird nachfolgend als Regelungsbereich 25 bezeichnet. 20 Vgl. Abel, Die Bedeutung der Lehre von den Einrichtungsgarantien für die Auslegung des Grundgesetzes, 1964 und Böckenförde, Grundrechtstheorie und Grundrechtsinterpretation, in: NJW 1974, 1529ff. 21 Zu den Wertentscheidungen, die nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts im DP enthalten sind, vgl. z.B. BVerfGE 1, 14 (33); 1, 178; 2, 1 (13, 69); 29, 154 (165). Zu den Wertentscheidungen, die nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts im RP enthalten sind, vgl. BVerfGE 2, 403; 3, 273; 7, 92 (196); 13, 271; 15, 319; 20, 331; 25, 290. Zu den Wertentscheidungen, die das Bundesverfassungsgericht dem SP entnimmt, vgl. z.B. BVerfGE 5, 85 (198); s. auch die Nachweise der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts in Schreiber, Das Sozialstaatsprinzip des Grundgesetzes in der Praxis der Rechtsprechung, 1974. 22 Vgl. die umfangreichen Nachweise über den Meinungsstand in der Rechtslehre bei Stern, Staatsrecht, unter § 18, § 20 und § 21. 23 Die weiteren in Artikel 20 GG verankerten verfassungsrechtlichen Strukturprinzipien der Bundesstaatlichkeit und der Republik scheiden als verfassungsrechtliche Legitimationsnormen für die Tendenzschutzbestimmungen offenkundig aus. 24 So das Bundesverfassungsgericht, in: BVerfGE 59, 231 (262 und 263). 25 Der Begriff Regelungsbereich wird von F. Müller übernommen, vgl. Müller, F., Juristische Methodik, S. 20.

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Α. II. Verfassungs- u. arbeitsrechtliche Ausgangslage und Folgerungen

Einen solchen Regelungsbereich gestalten Rechtsnormen oftmals nur teilweise, indem sie nur bestimmte tatsächliche Gegebenheiten regeln, diese Gegebenheiten können auch außerhalb des geregelten Lebenssachverhalts (Regelungsbereichs) bestehen. 26 Sie werden nachfolgend als Regelungsgegenstände einer Norm bezeichnet. Regelungsbereich und Regelungsgegenstände der Tendenzschutzbestimmungen müssen in den „Schutzbereich" der Verfassungsbestimmung fallen. Nachfolgend wird im Anschluß an die Terminologie des BVerfG 27 die Bezeichnung Schutzbereich von Verfassungsnormen verwandt. Gemeint ist damit der Ausschnitt aus der sozialen Wirklichkeit, für den eine Verfassungsnorm Wertentscheidungen zur einfachrechtlichen Gestaltung dieser sozialen Wirklichkeit enthält. Sollte festgestellt werden können, daß der Schutzbereich einer oder mehrerer Verfassungsbestimmungen den oder die Regelungsbereiche und Regelungsgegenstände der Tendenzschutzbestimmungen ganz oder teilweise erfaßt, so folgt hieraus jedoch noch nicht, daß diese Verfassungsbestimmungen die Tendenzschutzbestimmungen ganz oder teilweise rechtfertigen. Eine verfassungsrechtliche Legitimation der Tendenzschutzbestimmungen kommt auch dann nur in Frage, soweit die Regelungszwecke und Wertentscheidungen der Tendenzschutzbestimmungen mit den Wertungen der Verfassungsbestimmungen übereinstimmen. Die Wertentscheidungen der Verfassungsbestimmungen werden im Anschluß an eine in der Rechtslehre und der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts 28 verwandte Bezeichnung nachfolgend als Schutzgut einer Verfassungsbestimmung bezeichnet. Schutzgut einer Verfassungsbestimmung meint den Wert oder das Rechtsgut, die eine Verfassungsbestimmung bei der rechtlichen Gestaltung bestimmter Lebenssachverhalte zur Geltung bringen w i l l . 2 9 Sollte die Untersuchung ergeben, daß bestimmte Verfassungsbestimmungen ganz oder teilweise nach Schutzbereich und Schutzgut den Regelungs26 So kann ζ. B. eine Norm oder ein Normenkomplex den Lebenssachverhalt Unternehmen (Regelungsbereich) in der Weise gestalten, daß nur Entscheidungen im Unternehmen (Regelungsgegenstand) erfaßt werden. Den Regelungsgegenstand Entscheidungen gibt es aber auch außerhalb des Regelungsbereichs Unternehmen. 27 Vgl. BVerfGE 6, 55 (72); 7, 377 (410); 32, 54 (71); 43, 154 (167); 51, 97 (110). 28 Vgl. v. Münch, Grundgesetzkommentar, Bd. 1, Rn. 1 zu Artikel 5 GG; vgl. auch BVerfGE 6, 32 (36). 29 Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts bilden die Grundrechte eine „objektive Wertordnung" (vgl. BVerfGE 6, 55; 7, 198; 8, 210; 13, 296; 24, 135; 25, 263; 27, 254; 30, 189; 34, 280; 35, 79; 42, 148 (170). Mit Hilfe dieser Auffassung begründet das Bundesverfassungsgericht die weiteren Funktionen der Grundrechtsnormen neben ihrer Funktion als Abwehr- und Freiheitsrechte des einzelnen. Den Grundrechten entnimmt das Bundesverfassungsgericht Werte oder Rechtsgüter, die absolut und in jeder Richtung geschützt sind. Hieraus kann dann die Funktion der Grundrechte als objektive Rechtsnormen begründet werden. Solche in einer Grundrechtsnorm oder in einer anderen Verfassungsbestimmung enthaltenen Werte werden auch als Schutzgut einer Verfassungsbestimmung bezeichnet.

1. Verfassungsrechtliche Problematik

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bereich bzw. Regelungsgegenstand und den Regelungszweck bzw. die Wertentscheidungen der Tendenzschutzbestimmungen mit umfassen, so kann aber auch hieraus noch nicht zwingend gefolgert werden, daß die entsprechende Verfassungsnorm eine verfassungsrechtliche Rechtfertigungsnorm der Tendenzschutzbestimmungen ist. Eine solche Feststellung erfordert darüber hinaus noch das Vorliegen einer dritten Voraussetzung. Die Verfassungsbestimmungen müssen nämlich auch nach ihrer „Schutzform" das einfachgesetzliche Normenprogramm der Tendenzschutzbestimmungen erfassen „wollen". Die Notwendigkeit des Vorliegens der nachfolgend als Schutzform einer Verfassungsnorm bezeichneten Voraussetzung zur Feststellung einer verfassungsrechtlichen Legitimation ergibt sich aus der „Multifunktionalität" der Verfassungsbestimmungen. Mithin kann eine Verfassungsbestimmung die Tendenzschutzbestimmungen ganz oder teilweise nur dann rechtfertigen, soweit sie nach ihrem Schutzbereich, ihrem Schutzgut und ihrer Schutzform den Regelungsbereich, Regelungsgegenstand und die Wertentscheidungen bzw. den Regelungszweck der Tendenzschutzbestimmungen mit umfaßt.

1.2.3 Problem: Schutzform einer Verfassungsbestimmung Die Rechtsprechung des BVerfG 30 und die Rechtslehre 31 haben herausgearbeitet, daß die Grundrechtsnormen nicht nur die Aufgabe haben, staatliche Eingriffe - sei es durch Gesetze, sei es durch Verwaltungsakte oder Urteile - in die individuelle Lebenssphäre abzuwehren. Es ist mittlerweile allgemeine Meinung, daß die Grundrechtsnormen noch weitere Funktionen haben. Nach der ständigen Rechtsprechung des BVerfG 32 sind die Grundrechtsnormen nicht nur subjektive Abwehrrechte, sondern auch objektive Normen, in denen eine objektive Wertordnung enthalten ist. Dies ist auch die Ansicht der herrschenden Meinung in der Staatsrechtslehre 33 . Das 3° So z.B. BVerfGE 6, 55 (71ff.); 7, 198 (204ff.) und 30, 173 (188). 31 Smend hat schon in der Weimarer Republik die Auffassung vertreten, daß die Grundrechte eine subjektiv-rechtliche und objektiv-rechtliche Seite haben. Vgl. Smend, in: Staatsrechtliche Abhandlungen, 2. Aufl., 1968, S. 260ff. Häberle, in: Die Wesensgehaltsgarantie des Artikel 19 Absatz 2 Grundgesetz, S. 70ff. begründet, daß die Grundrechtsnormen durchweg neben der Eigenschaft als subjektiv-öffentliche Rechte auch eine objektiv-institutionelle Ausprägung haben. - Nachweise über den Stand der Rechtslehre zur Frage der Multifunktionalität der Grundrechte bei Hesse, Die Bedeutung der Grundrechte, in: Handbuch des Verfassungsrechts, 1983, S. 90ff. 32 Diese Auffassung des Bundesverfassungsgerichts ist seit dem Lüth-Urteil in BVerfGE 7, 198 (204ff.) ständige Rechtsprechung, vgl. BVerfGE 35, 79 (114) und 39, Iff. (41). 33 Nachweise über die Haltung der Rechtslehre zur „Werttheorie" des Bundesverfassungsgerichts bei Grabitz, in: Freiheit und Verfassungsrecht 1976, S. 209. Nachweise für die herrschende Meinung in der Rechtslehre, daß die Grundrechte auch objektive Normen enthalten, bei Dürig, in: Maunz / Dürig, Rn. 99 zu Artikel 1 GG.

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Α. II. Verfassungs- u. arbeitsrechtliche Ausgangslage und Folgerungen

BVerfG 34 und die herrschende Meinung 35 erkennen auch an, daß die Grundrechtsnormen Einrichtungsgarantien enthalten können. Vom BVerfG 36 noch nicht endgültig entschieden und in der Rechtslehre 37 umstritten ist, ob die Grundrechtsnormen auch originäre Teilhaberechte 38 enthalten können. Die h.M. lehnt eine generelle Umdeutung der Grundrechte in originäre Teilhaberechte ab. Das Grundgesetz kennt im Unterschied zu einzelnen Landesverfassungen 39 auch keine sozialen Grundrechte. Den sozialen Grundrechten der Landesverfassungen kommt wegen des Grundsatzes „Bundesrecht bricht Landesrecht" keine Bedeutung zu (Art. 142 GG). Auch wenn man die zuletzt erwähnte Funktion der Grundrechte als originäre Teilhaberechte ablehnt, so kommt den Grundrechten Multifunktionalität zu. Grundrechtsnormen können in jeweils anderer Funktion als Rechtfertigungsnormen für die Tendenzschutzbestimmungen in Betracht kommen oder ausscheiden. Bei der Überprüfung der Frage, ob eine Grundrechtsnorm als Rechtfertigungsnorm für die Tendenzschutzbestimmungen in Betracht kommt, müssen daher die jeweiligen Funktionen (z.B. Abwehrrecht, objektive Norm) gesondert geprüft werden. So ist es naheliegend, daß Grundrechtsnormen als Rechtfertigung der betriebs- und unternehmensbezogenen Mitbestimmung in ihrer Eigenschaft als Abwehrrechte der Arbeitnehmer ausscheiden. Es könnte aber sein, daß sie in ihrer Eigenschaft als objektive Normen, die Werte enthalten/ als Rechtfertigungsnormen für die betriebs- und unternehmensbezogene Mitbestimmung in Tendenzunternehmen sehr wohl geeignet sind. Eine Verfassungsbestimmung kann somit in einer Eigenschaft (Funktion) eine einfachrechtliche Regelung legitimieren, mit einer anderen ihr gleichfalls innewohnenden Eigenschaft (Funktion) aber nicht. Diese jeweils festzustellende Eigenschaft wird nachfolgend als Schutzform bezeichnet.

34 Vgl. BVerfGE 4, 97 (106); 12, 205 (259ff.); 20, 162 (175ff.); 24, 367 (389); 35, 79 (114 ff .)• 35 s. die Literaturnachweise bei Bleckmann, Allgemeine Grundrechtslehren, unter § H i l l (S. 170ff.). 36 Vgl. BVerfGE 33, 303 (330ff.) und 35, 79 (115ff.). 37 Vgl. Badura, Staat 14 (1975), S. 17ff.; Brunner, Die Problematik der sozialen Grundrechte, 1971; Martens / Häberle, W D S t R L 30 (1972), S. 7ff. und 43ff. 38 Unter sogenannten „derivativen" Teilhaberechten werden Teilhabeansprüche auf die Teilhabe (gleiche Zuteilung) an bestehenden Leistungssystemen verstanden. Nach allgemeiner Meinung können solche derivativen Teilhaberechte aus Grundrechten in Verbindung mit Artikel 3 GG begründet werden. Die Auffassung, daß Grundrechte auch originäre Teilhaberechte enthalten, würde dazu führen, daß die Grundrechte Teilhabeansprüche auch dann begründen, „wenn die Voraussetzungen der Erfüllung dieser Ansprüche erst neu geschaffen werden müßten". (s. Hesse, in: Handbuch des Verfassungsrechts, S. 97). 39 z.B. Bayerische Verfassung, Art. 166ff.; Hessische Verfassung, Art. 27ff.

1. Verfassungsrechtliche Problematik

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Als verfassungsrechtliche Rechtfertigungsnormen der Tendenzschutzbestimmungen kommen somit nur Verfassungsbestimmungen in Betracht, deren Schutzbereich, Schutzgut und Schutzform den Regelungsbereich, Regelungsgegenstand und die Wertungen bzw. Regelungszwecke der Tendenzschutzbestimmungen mit umfassen.

1.2.4 Problem: mehrfacher Verfassungsbezug bei den Tendenzschutzbestimmungen Die überwiegende Meinung 40 im arbeitsrechtlichen Schrifttum sieht den Normzweck der Tendenzschutzbestimmungen der §§118 Abs. 1 BetrVG, 1 Abs. 4 Satz 1 MitbestG und 81 Abs. 1 BetrVG 52 in der Gewährleistung von Grundrechtsentfaltungen für Unternehmen, die politischen und geistigideellen Zielsetzungen dienen. Nach dieser Auffassung würde die volle betriebs- und unternehmensbezogene Mitbestimmung in den von den Bestimmungen erfaßten Tendenzunternehmen gegen die bindenden Schranken von Grundrechtsnormen in ihrer Eigenschaft als Freiheits- und Abwehrrechte der Tendenzunternehmen verstoßen 41 . Da das Unternehmen kein Rechtssubjekt ist, sondern die Organisation Unternehmen dem Träger eines Unternehmens zugeordnet ist, geht die herrschende Meinung dabei wohl davon aus, daß die Grundrechte der Träger von Tendenzunternehmen den Normzweck der Tendenzschutzbestimmungen begründen. Nach der Rechtsprechung des B A G 4 2 haben die Tendenzschutzbestimmungen zusätzlich noch einen Bezug zum SP. Es kann auch nicht ausgeschlossen werden, daß für die Tendenzschutzbestimmungen die Grundrechtsnormen neben ihrer von der herrschenden Meinung angenommenen Eigenschaft als Abwehrrechte auch mit ihrer Schutzform als objektive Rechtssätze Legitimationsnormen der Tendenzschutzbestimmungen sind. Der mögliche Bezug der Tendenzschutzbestimmungen nicht nur zu mehreren Verfassungsbestimmungen, sondern auch zu Verfassungsbestimmungen mit mehrfachen Schutzformen muß bei der Untersuchung der verfassungsrechtlichen Grundlagen der Tendenzschutzbestimmungen ständig berücksichtigt werden. Dies geschieht in der nachfolgenden Untersuchung in der Weise, daß bei Grundrechtsnormen immer geprüft wird, ob sie mit einer oder mehreren Schutzformen Rechtfertigungsnormen für die Tendenzschutzbestimmungen sein können.

40 Für die betriebsbezogene Mitbestimmung: vgl. die Literaturnachweise bei Dietz / Richardi, Bd. 2, Rn. 13 zu § 118 BetrVG. - Für die unternehmensbezogene Mitbestimmung: s. die Literaturnachweise bei Hanau / Ulmer, Rn. 49 zu § 1 MitbestG. 41 So Richardi, in: Dietz / Richardi, Bd. 2, Rn. 20 zu § 118 BetrVG. 42 BAG AP Nr. 4 und 5 zu § 118 BetrVG.

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Α. II. Verfassungs- u. arbeitsrechtliche Ausgangslage und Folgerungen

1.2.5 Problem: Bindungswirkung von verfassungsrechtlichen Legitimationsnormen Sollte die Untersuchung ergeben, daß Grundrechtsnormen verfassungsrechtliche Rechtfertigungsnormen für die Tendenzschutzbestimmungen der betriebs- und unternehmensbezogenen Mitbestimmung sind, so sind sie für die Tendenzschutzbestimmungen auch bindend, soweit sie Rechtfertigungsnormen in ihrer Eigenschaft (Schutzform) als Abwehrrechte der Träger von Tendenzunternehmen sind. Das BVerfG hat die Bindungswirkung der Grundrechte als Schranke für das einfache Recht in ständiger Rechtsprechung betont. 43 Problematisch wird die Feststellung einer Bindungswirkung von Grundrechtsnormen hingegen, soweit sie als Rechtfertigungsnormen für die Tendenzschutzbestimmungen in ihrer Eigenschaft als objektive Normen in Frage kommen. In diesem Falle muß in der Untersuchung auf die Frage eingegangen werden, ob bei dieser Schutzform eine Bindung durch „ D r i t t w i r k u n g " 4 4 oder auf andere Weise möglich ist. Soweit die Untersuchung ergeben sollte, daß Verfassungsnormen, die Einrichtungsgarantien enthalten, Rechtfertigungsnormen für die Tendenzschutzbestimmungen sind, so muß nach der Rechtsprechung des BVerfG und der herrschenden Meinung 45 im Staatsrecht davon ausgegangen werden, daß der Kernbereich der jeweils garantierten Rechtsinstitute verfassungsfest und damit von der Verfassung bindend vorgegeben wird. Hingegen dürfte es wiederum erhebliche Schwierigkeiten bereiten, eine Bindungswirkung von verfassungsrechtlichen Strukturprinzipien nachzuweisen, falls diese Legitimationsnormen der Tendenzschutzbestimmungen sein sollten. Diese Schwierigkeit besteht vor allem beim SP. Das BVerfG hat es ausdrücklich abgelehnt 46 , dem SP die Wirkung einer verfassungsrechtlichen Schranke gegenüber von Grundrechten gebotenen einfachrechtlichen Regelungen zuzubilligen. Es wird daher ebenfalls eine wesentliche Aufgabe der Untersuchung sein, sich mit der Frage auseinanderzusetzen, ob und in 43

BVerfGE 52, 283 (296ff.) mit Nachweisen der früheren Rechtsprechung. Zur Frage der Drittwirkung von Grundrechten vgl. Schwabe, Drittwirkung und kein Ende?, NJW 1973, 229 ff. mit weiteren Nachweisen; Müller, G., Drittwirkung von Grundrechten und Sozialstaatsprinzip, in: RdA 1964, 121 sowie derselbe, in: Festschrift für Fred Kummer, 1965. 45 In BVerfGE 24, 367 (389) führt das Bundesverfassungsgericht über die Institutsgarantie des Art. 14 Abs. 1 GG aus: „Die Institutsgarantie verbietet jedoch, daß solche Sachbereiche der Privatrechtsordnung entzogen werden, die zum elementaren Bestand grundrechtlich geschützter Betätigung im vermögensrechtlichen Bereich gehören ...". Bleckmann, S. 198 betont, daß es eine in der Rechtslehre anerkannte Rechtsfolge einer verfassungsrechtlichen Einrichtungsgarantie sei, daß sie auch dem Gesetzgeber Schranken zöge. 46 So das Bundesverfassungsgericht, in: BVerfGE 52, 283 (298) und 59, 231 (262 und 263). 44

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welcher Weise dem SP Bindungswirkung für das einfache Recht zugemessen werden kann. 1.2.6 Problem: Kollision von Verfassungsnormen Es kann nicht ausgeschlossen werden, daß mehrere Verfassungsnormen mit unterschiedlichen, möglicherweise sich widersprechenden Wertentscheidungen Rechtfertigungsnormen für die Tendenzschutzbestimmungen sind. Das BAG 4 7 geht bei den Tendenzschutzbestimmungen der betriebsbezogenen Mitbestimmung von einem solchen Widerspruch zwischen SP und Grundrechtsnormen aus. Sollte den einzelnen verfassungsrechtlichen Rechtfertigungsnormen der Tendenzschutzbestimmungen auch noch jeweils eine Bindungswirkung zukommen, so muß sich die Untersuchung mit der Problematik der Konkurrenz von Verfassungsbestimmungen auseinandersetzen. Hierbei dürfte die Frage eine zentrale Rolle spielen, ob es sich bei solchen Konkurrenzen um eine echte Kollision handelt oder nicht.

2. Arbeitsrechtliche Problematik 2.1 Arbeitsrechtliche Ausgangslage

Die Ausführungen im Schrifttum zum Regelungsbereich und Regelungszweck der Tendenzschutzbestimmungen erwecken den Anschein, als ob hierüber weitgehend Übereinstimmung herrsche. Die Tendenzschutzbestimmungen finden danach Anwendung auf Unternehmen 48 , die bestimmte geistig-ideelle Ziele 4 9 verfolgen oder die Religionsgemeinschaften oder deren karitative und erzieherische Einrichtungen sind. Während die Tendenzschutzbestimmungen der betriebsbezogenen Mitbestimmung nach dieser Auffassung nur die Religionsgemeinschaften und deren karitative und erzieherische Einrichtungen aus dem Regelungsbereich (Geltungsbereich) 50 herausnehmen und für die übrigen Tendenzunternehmen eine „Sonderbetriebsverfassung" 51 regeln, schließen die Tendenzschutzbestimmungen der unternehmensbezogenen Mitbestimmung alle Tendenzunternehmen aus dem Anwendungsbereich der unternehmensbezogenen Mitbestimmung aus 52 . 47

BAG AP Nrn. 5, 10, 13 und 16 zu § 118 BetrVG. Nach allgemeiner Meinung stellen auch die Tendenzschutzbestimmungen in der betriebsbezogenen Mitbestimmung (§118 BetrVG) auf das Unternehmen und nicht auf den Betrieb ab. Vgl. Dietz / Richardi, Bd. 2, Rn. 22 zu § 118 BetrVG mit weiteren Literaturnachweisen. 49 Dietz / Richardi, Bd. 2, Rn. 1 zu § 118 BetrVG mit weiteren Literaturnachweisen, so Dietz / Richardi, Bd. 2, Rn. 1 zu § 118 BetrVG. 51 Dietz / Richardi, Bd. 2, Rn. 2 zu § 118 BetrVG. 52 Hanau / Ulmer, Rn. 49 zu § 1 MitbestG. 48

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Α. II. Verfassungs- u. arbeitsrechtliche Ausgangslage und Folgerungen

Auch über den Regelungszweck der Tendenzschutzbestimmungen besteht anscheinend breite Übereinstimmung. Zweck der Bestimmungen der §§118 Abs. 2 BetrVG, 1 Abs. 4 Satz 2 MitbestG und 81 Abs. 2 BetrVG 52 ist danach die Berücksichtigung der verfassungsrechtlichen Schranken, die sich aus Art. 4 GG und 140 GG in Verbindung mit 137 Abs. 3 WRV ergeben. 53 Der Zweck der übrigen Tendenzschutzbestimmungen (§§118 Abs. 1 BetrVG, 1 Abs. 4 Satz 1 MitbestG und 81 Abs. 1 BetrVG 52) w i r d in der Gewährleistung von Grundrechtsentfaltungen für Unternehmen mit geistig-ideellen Zielsetzungen gesehen.54 Dieser weitgehenden grundsätzlichen Übereinstimmung über den allgemeinen Regelungsbereich und Regelungszweck der Tendenzschutzbestimmungen stehen jedoch eine Fülle von Streitfragen hinsichtlich des Regelungsbereichs und des Regelungszwecks bei den von den Tendenzschutzbestimmungen erfaßten einzelnen Arten von Tendenzunternehmen gegenüber. So gibt es unterschiedliche Auffassungen über die inhaltliche Tragweite der einzelnen Tatbestandsmerkmale der §§118 Abs. 1 BetrVG, 1 Abs. 4 Satz 1 MitbestG und 81 Abs. 1 BetrVG 52. Löwisch 55 und Hess 56 sehen z.B. Zirkusunternehmen als Unternehmen mit künstlerischen Bestimmungen an, während Auffarth 57 und Richardi 58 dies verneinen. Nicht anders verhält es sich mit zahlreichen Streitfragen, die mit dem Regelungszweck der Tendenzschutzbestimmungen für die einzelnen Arten von Tendenzunternehmen zusammenhängen. So wird vom B A G 5 9 und von der herrschenden Meinung im Schrifttum 6 0 anerkannt, daß ein Gewinnstreben eines Tendenzunternehmens dessen „Tendenzeigenschaft" nicht entge53 Bei § 118 Abs. 2 BetrVG wird diese Auffassung über den Regelungszweck von der weit überwiegenden Meinung vertreten. Vgl. Löwisch, in: Galperin / Löwisch, Rn. 2 zu § 118 BetrVG mit weiteren Literaturnachweisen. Bedenken gegen diese Auffassung melden Herschel, in: AuR 1978, 173ff.; Weiß, in: AuR 1979 Sonderheft, S. 21 ff.; Ruhland, in: NJW 1980, 97ff. und Fabricius, in: GK zum BetrVG, Rn. 142 zu § 118 BetrVG an. Bei den entsprechenden Tendenzschutzbestimmungen der unternehmensbezogenen Mitbestimmimg (§§1 Abs. 4 Satz 2 MitbestG und 81 Abs. 2 BetrVG 52) ist diese Auffassung allgemeine Meinung. Vgl. Hanau / Ulmer, Rn. 63 zu § 1 MitbestG sowie Dietz / Richardi, Bd. 2, Rn. 5 zu § 81 BetrVG 52. 54 Bei § 118 Abs. 1 BetrVG w i r d diese Auffassung von der weit überwiegenden Meinung vertreten. Vgl. Dietz / Richardi, Rn. 8 ff. zu § 118 BetrVG mit weiteren Nachweisen; anderer Auffassung Fabricius, in: GK zum BetrVG, Anmerkung 7 ff. und 42 ff. zu §118 BetrVG. Bei den entsprechenden Tendenzschutzbestimmungen der unternehmensbezogenen Mitbestimmung ist diese Auffassung allgemeine Meinung. Vgl. Hanau / Ulmer, Rn. 48 zu § 1 MitbestG und Naendrup, in: GK-MitbestG, Rn. 20 zu § 1 Abs. 4 MitbestG. 55 So Löwisch, in: Galperin / Löwisch, Rn. 23 zu § 118 BetrVG. 56 So Hess, in: Kammann / Hess / Schlochauer, Rn. 2 zu § 118 BetrVG. 57 So Auffarth, in: Fitting / Auffarth, Rn. 15 zu § 118 BetrVG. 58 So Richardi, in: Dietz / Richardi, Bd. 2, Rn. 37 zu § 118 BetrVG. 59 So BAGE 22, 360 (371 und 372) und BAG AP Nr. 5 zu § 118 BetrVG 72. 60 Dietz / Richardi, Bd. 2, Rn. 21 zu § 118 BetrVG; Fitting / Auffarth, Rn. 7 zu § 118 BetrVG mit weiteren Nachweisen.

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genstehe. Gleichwohl lehnt die herrschende Meinung es ab, private Krankenhäuser, Kinderheime und Altenheime, die mit Gewinnerzielungsabsicht geführt werden, als Unternehmen mit karitativen Bestimmungen zu qualifizieren. 61 Einen weiteren Beleg für die Unklarheiten und Streitfragen, die bei der Bestimmung des Regelungszwecks der Tendenzschutzbestimmungen für die einzelnen Arten von Tendenzunternehmen bestehen, liefern die Rechtsprechung des B A G 6 2 und die Rechtslehre 63 in ihren Stellungnahmen zu dem Problem der Mischunternehmen und Mischbetriebe, also derjenigen Unternehmen, die mehrere Unternehmenszwecke verfolgen. Sowohl die einzelnen Regelungsbereiche als auch die ratio der einzelnen Tendenzschutzbestimmungen müssen aber geklärt sein, wenn beurteilt werden soll, ob und welche Verfassungsbestimmungen für die Tendenzschutzbestimmungen maßgebend sind. Es ist daher auch Aufgabe der Untersuchung, den Regelungsbereich, die Regelungsgegenstände und die ratio der einzelnen Tendenzschutzvorschriften zu bestimmen. 2.2 Problem: Tendenzschutzbestimmungen - einheitliche Rechtsnormen für jeweils mehrere Arten von Tendenzunternehmen?

Es ist nicht auszuschließen, daß die oben unter 2.1 dargestellten Meinungsverschiedenheiten und Probleme auch darauf zurückzuführen sind, daß die Rechtslehre und die Rechtsprechung des BAG - wenn auch unausgesprochen - die Tendenzschutzbestimmungen der §§118 Abs. 1 BetrVG, 1 Abs. 4 Satz 1 MitbestG und 81 Abs. 1 BetrVG 52 sowie die der §§ 118 Abs. 2 BetrVG, 1 Abs. 4 Satz 2 MitbestG und 81 Abs. 2 BetrVG 52 jeweils als eine Norm auffassen. Gegen diesen Ausgangspunkt ist zwar bei den Tendenzschutzbestimmungen der §§118 Abs. 2 BetrVG, 1 Abs. 4 Satz 2 MitbestG und 81 Abs. 2 BetrVG 52 nichts einzuwenden, für die übrigen Tendenzschutzbestimmungen ist diese Auffassung aber problematisch. Es ist einzuräumen, daß die Vorschriften der §§ 118 Abs. 1 BetrVG, 1 Abs. 4 Satz 1 MitbestG und 81 Abs. 1 BetrVG 52 in sich und im Vergleich zueinander eine Reihe von Gemeinsamkeiten aufweisen. So sind die Rechtsfolgen der Tendenzschutzregelungen in den genannten Bestimmungen zwar für die unternehmens61 So Löwisch, in: Galperin / Löwisch, Rn. 17 zu § 118 BetrVG mit weiteren Nachweisen. An dieser Auffassung der herrschenden Meinung übt G. Müller Kritik, s. Müller, G., in: Die Unternehmen mit karitativen Bestimmungen im Sinne des § 118 Abs. 1 BetrVG; zugleich eine Erörterung sonstiger Fragen der Vorschrift in: Arbeitsrecht der Gegenwart, 1982. 62 Das BAG hat zu dieser Frage unterschiedliche Standpunkte eingenommen. Vgl. BAG AP Nr. 13 zu § 81 BetrVG und BAG AP Nrn. 3 und 7 zu § 118 BetrVG. 63 Vgl. die Nachweise über die unterschiedlichen Auffassungen in der Rechtslehre bei Galperin / Löwisch, Bd. 2, Rn. 45 und 46 zu § 118 BetrVG.

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Α. II. Verfassungs- u. arbeitsrechtliche Ausgangslage und Folgerungen

und betriebsbezogene Mitbestimmung unterschiedlich, sie sind jedoch für die einzelnen Arten von Tendenzunternehmen gleich. Auch der Kreis der rechtlich relevanten „Bestimmungen" („Zwecke") ist in den genannten Vorschriften zur betriebs- und unternehmensbezogenen Mitbestimmung übereinstimmend und gleich gezogen. Wie weiter unten noch dargelegt w i r d 6 4 , ist diese Feststellung zutreffend, obwohl die §§ 118 Abs. 1 BetrVG, 1 Abs. 4 Satz 2 MitbestG und 81 Abs. 2 BetrVG 52 teilweise im Wortlaut abweichen. Die Rechtsprechung des B A G 6 5 und die Rechtslehre 66 gehen auch übereinstimmend davon aus, daß die §§118 Abs. 1 BetrVG, 1 Abs. 4 Satz 1 MitbestG und 81 Abs. 2 BetrVG 52 auf das Unternehmen und nicht auf den Betrieb abstellen, obwohl der Wortlaut der §§118 Abs. 1 BetrVG und 81 Abs. 1 BetrVG 52 dem entgegenzustehen scheint. Rechtsprechung 67 und Rechtslehre 68 sehen darüber hinaus in den in allen Tendenzschutzbestimmungen zur betriebs- und unternehmensbezogenen Mitbestimmung aufgeführten unterschiedlichen Bestimmungen eine wesentliche Gemeinsamkeit. Danach beinhalten all diese Tendenzen geistig-ideelle Zielsetzungen. Aus dieser Qualifizierung werden für alle rechtlich relevanten Bestimmungen gemeinsame Folgerungen gezogen. Sie betreffen einmal die Frage, welche Voraussetzungen gegeben sein müssen, damit ein Unternehmen einer bestimmten „Tendenz" dient (Feststellung der Tendenzeigenschaft). 69 Auch das in Rechtsprechung und Rechtslehre strittige Problem 70 , unter welchen Voraussetzungen eine Gewinnerzielungsabsicht des Unternehmens die Anwendung der Tendenzschutzbestimmungen ausschließt, wird von diesem Ausgangspunkt ausgehend erörtert. Die Frage, ob Tendenzschutzbestimmungen als Ausnahmevorschriften restriktiv auszulegen sind oder nicht, wird ebenfalls für die unterschiedlichen Bestimmungen dienenden Unternehmen gemeinsam erörtert. 71 Schließlich werden von diesem Ausgangspunkt ausgehend oftmals auch der Inhalt und die Tragweite der in den Tendenzschutzbestimmungen aufgeführten Art von Tendenzunternehmen bestimmt. 72 Die Handhabung des Begriffs „geistig-ideelle Ziele" in der Rechtslehre läßt erkennen, daß ihr dieser Begriff zur Umschreibung eines angenommenen einheitlichen Tatbestandes in den §§ 118 Abs. 1 BetrVG, 1 Abs. 4 Satz 1 64

s. unter B.I.1.1.1. BAG AP Nrn. 1,4 und 13 zu §81 BetrVG. 66 Fitting / Auffarth, Rn. 4 zu § 118 BetrVG mit weiteren Nachweisen. 67 BAG AP Nr. 5 zu § 118 BetrVG. es Vgl. Fitting / Auffarth, Rn. 9 zu § 118 BetrVG. 69 s. Dietz / Richardi, Bd. 2, Rn. 32 zu § 118 BetrVG. ™ Vgl. Dietz / Richardi, Bd. 2, Rn. 37 zu § 118 BetrVG. 7 1 Vgl. Fitting / Auffarth, Rn. 22 zu § 118 BetrVG und Hanau, in: BB 73, 902. 72 Ein Beispiel für diese Vorgehensweise der Rechtslehre liefert etwa die Bestimmung der inhaltlichen Tragweite des Tatbestandsmerkmals künstlerisch bei Dietz / Richardi, Bd. 2, Rn. 61 zu § 118 BetrVG. 65

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r s r e c h t l i c h e Problematik

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MitbestG und 81 Abs. 1 BetrVG 52 dient, der alle in diesen Tendenzschutzbestimmungen geregelten Arten von Tendenzunternehmen erfaßt. Eine solche Sicht war aber allenfalls unter der Geltung des BetrVG 52 berechtigt, da damals auch das Tatbestandsmerkmal „ähnliche Bestimmungen" zum Tatbestand gehörte. Die Schwierigkeiten in Rechtsprechung und Rechtslehre, jeweils für die einzelnen in den Tendenzschutzbestimmungen aufgeführten Arten von Unternehmen den Anwendungsbereich festzulegen, und die Annahme eines Verfassungsbezugs der Tendenzschutzbestimmungen durch Rechtsprechung und Rechtslehre legen es jedoch nahe, erst nach einer gründlichen Überprüfung des Regelungsbereichs und Regelungszwecks der Tendenzschutzbestimmungen diesem Vorgehen der Rechtslehre zu folgen und aus . dem Begriff geistig-ideelle Zielsetzung Folgerungen für Inhalt und Tragweite der rechtlichen Gestaltung der betriebs- und unternehmensbezogenen Mitbestimmung für alle Arten von Tendenzunternehmen abzuleiten. Es ist sehr wohl möglich, daß ein unterschiedlicher Verfassungsbezug für die einzelnen Arten von Tendenzunternehmen auch zu der Annahme führen kann, daß diese Tendenzschutzbestimmungen für die einzelnen Arten von Tendenzunternehmen unterschiedliche Zwecke und Wertungen enthalten. Die Untersuchung geht daher davon aus, daß die Bestimmungen der §§ 118 Abs. 1 BetrVG, 1 Abs. 4 Satz 1 MitbestG und 81 Abs. 1 BetrVG 52 jeweils für jede Art von Unternehmenszwecken (Bestimmungen) eigenständige Rechtsnormen enthalten. Erst wenn sich ergeben sollte, daß die hinter diesen Normen stehende einfachgesetzliche Zwecksetzung und Wertung jeweils gleich sein sollte, erscheint die Bildung eines Oberbegriffs, der die gesamten Rechtsnormen umfaßt, aus systematischen und rechtsdogmatischen Gründen gerechtfertigt. In diesem Falle könnte dann auch die Bildung des Oberbegriffs „geistig-ideelle Zielsetzung" als gemeinsamer Nenner für die §§ 118 Abs. 1 BetrVG, 1 Abs. 4 Satz 1 MitbestG und 81 Abs. 1 BetrVG 52 sinnvoll und gerechtfertigt sein. 2.3 Problem: Regelungsbereich und Regelungszweck

Die Feststellung des Regelungsbereichs der Tendenzschutzbestimmungen bereitet insofern Schwierigkeiten, als in der Rechtslehre nicht hinreichend untersucht wurde, ob ein Unternehmen zu den von den Tendenzschutzbestimmungen erfaßten Tendenzunternehmen gehört, wenn sein sachliches und/oder sein formales Unternehmensziel den in den Tendenzschutzbestimmungen genannten Bestimmungen oder Zwecken entspricht. 73 Die Betriebs73 Hierauf wird in der Rechtslehre auch bei den Auseinandersetzungen um die sog. Geprägetheorie und die sog. Identifikationstheorie nur am Rande eingegangen. Vgl. z.B. Dietz / Richardi, Bd. 2, Rn. 26 mit 41 zu § 118 BetrVG; Galperin / Löwisch, Bd. 2, Rn. 46 zu § 118 BetrVG.

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Α. II. Verfassungs- u. arbeitsrechtliche Ausgangslage und Folgerungen

wirtschaftslehre teilt die Unternehmenszwecke in sachliche und formale Unternehmensziele ein. 74 Das sachliche Unternehmensziel entspricht dabei der Zwecksetzung, die die §§ 3 Abs. 2 GmbHG und 23 Abs. 2 AktG als Unternehmensgegenstand und die § 1 Abs. 2 HGB als Geschäftsgegenstand umschreiben. Die formalen Unternehmensziele sind hingegen die Zwecke des Unternehmens, derentwillen ein Unternehmen seinen Unternehmensgegenstand betreibt oder - anders ausgedrückt - seine sachlichen Unternehmensziele verfolgt. Das formale Unternehmensziel kann auf Gewinnerzielung oder auch auf andere Zwecke gerichtet sein. Für die Feststellung des Regelungsbereichs der Tendenzschutzbestimmungen kommt dieser Unterscheidung Bedeutung zu. Wird die karitative Bestimmung eines Unternehmens etwa ausschließlich durch den sachlichen Unternehmensgegenstand verwirklicht („dient"), so kann es auf die Art des formalen Unternehmensziels nicht mehr ankommen (Gewinnerzielung oder sonstige Ziele). Entgegen der herrschenden Meinung müßten dann auch private Krankenhäuser mit Gewinnerzielungsabsicht als Unternehmen aufgefaßt werden, die einer karitativen Bestimmung dienen. Wie ungeklärt die Frage ist, ob die Tendenzeigenschaft durch ein formales oder sachliches Unternehmensziel bestimmt wird, beweisen die Ausführungen von Richardi. Zwar betont er in seinem Kommentar zum Betriebsverfassungsgesetz 75, daß die Sonderstellung als Tendenzunternehmen durchaus mit der Absicht, Gewinn zu erzielen, vereinbar sei, auch betont er an anderer Stelle 76 , daß entscheidend sei, ob der Gegenstand des Unternehmens der Verwirklichung der Bestimmung dient; gleichwohl lehnt er es ab, private Krankenhäuser als Unternehmen mit karitativer Bestimmung zu qualifizieren, wenn diese ausschließlich unter kommerziellen Gesichtspunkten geführt werden 77 . Er mißt hier also dem formalen Unternehmensziel entscheidende Bedeutung bei, obwohl er betont, daß es auf das sachliche Unternehmensziel ankomme. Möglicherweise kommen unterschiedliche Verfassungsbestimmungen als Rechtfertigungsnormen oder als Gebote oder Schranken für die Tendenzschutzbestimmungen in Frage, je nachdem, ob das Tatbestandsmerkmal „Bestimmungen" als formales und/oder sachliches Unternehmensziel zu qualifizieren ist. Bei den Tendenzschutzbestimmungen des § 118 Abs. 2 BetrVG bzw. der §§ 1 Abs. 4 MitbestG und 81 BetrVG 52 könnte fraglich sein, ob sie überhaupt zum Regelungsbereich der betriebs- bzw. unternehmensbezogenen Mitbestimmung gehören. Die genannten Bestimmungen legen nämlich ausdrücklich fest, daß die entsprechenden Vorschriften der betriebs- und 74 Zu diesen Begriffen siehe Wiedemann, Gesellschaftsrecht, § 6 I I I 1 a und b, S. 326ff. 75 Dietz / Richardi, Bd. 2, Rn. 40 zu § 118 BetrVG. 76 Dietz / Richardi, Bd. 2, Rn. 32 zu § 118 BetrVG. 77 Dietz / Richardi, Bd. 2, Rn. 52 zu § 118 BetrVG.

2. Arbeitsrechtliche Problematik

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unternehmensbezogenen Mitbestimmung nicht anzuwenden sind. Sie könnten daher überhaupt nicht als Regelungen über die betriebs- und unternehmensbezogene Mitbestimmung aufgefaßt werden. In diesem Falle hätten Verfassungsnormen für die Tendenzschutzbestimmungen allenfalls dann Bedeutung, wenn sie als Auftragsnormen für oder gegen eine Einführung der betriebs- und unternehmensbezogenen Mitbestimmung aufzufassen sind. Die genaue Bestimmung der Regelungszwecke des § 118 Abs. 1 BetrVG könnte sowohl die Festlegung der umstrittenen inhaltlichen Tragweite der einzelnen Rechtsbegriffe wie karitativ oder konfessionell erleichtern, als auch die Schwierigkeiten bei der Auslegung der Eigenartklausel des § 118 Abs. 1 BetrVG mildern. Weiß 78 beklagt, daß die Begriffsinhalte der einzelnen rechtlich relevanten Tendenzen in der betriebs- und unternehmensbezogenen Mitbestimmung noch weitgehend ungeklärt sind. Diese K r i t i k trifft zumindest insoweit zu, als in der Rechtslehre die inhaltliche Tragweite der Tatbestandsmerkmale der einzelnen Tendenzschutzbestimmungen und das Verhältnis der einzelnen Tendenzschutzbestimmungen zueinander kaum untersucht wurde. Lediglich G. Müller 79 ist dieser Problematik für einzelne Tendenzschutzbestimmungen näher nachgegangen. Er hat die Rechtsbegriffe konfessionelle Unternehmen, karitative Unternehmen und erzieherische Unternehmen näher untersucht und das Verhältnis der Tendenzschutzbestimmungen für konfessionelle, karitative und erzieherische Unternehmen zueinander erörtert. Die inhaltliche Tragweite der Rechtsbegriffe der einzelnen Tendenzschutzbestimmungen muß jedoch geklärt sein, wenn festgestellt werden soll, welche Verfassungsbestimmung jeweils die einzelne Tendenzschutzbestimmung nach Schutzbereich, Schutzgut und Schutzform legitimiert oder gar bindende Vorgaben für die inhaltliche Gestaltung dieser Tendenzschutzbestimmungen enthält. Zu Recht betont Richardi 80, daß es nicht Sinn der Eigenartklausel sein kann, eine konkrete Grundrechtsverletzung auszuschließen. Für diesen Fall wäre die Eigenartklausel überflüssig. Rechtsprechung 81 und Rechtslehre 82 mußten sich eingehend mit der Auslegung der Eigenartklausel befassen. Überwiegend wird auf eine abstrakt-konkrete Betrachtungsweise abgestellt. Die Eigenartklausel soll insoweit eingreifen, als durch das jeweilige Beteiligungsrecht des Betriebsrates die Verwirklichung der Tendenz verhin78

Weiß, in: Maus, Arbeitsrecht, unter Χ Β Rn. 9. Müller, G., Die Unternehmen mit karitativen Bestimmungen im Sinne des § 118 Abs. 1 BetrVG; zugleich eine Erörterung sonstiger Fragen dieser Vorschrift, in: Arbeitsrecht der Gegenwart, 1982. 80 So Dietz / Richardi, Bd. 2, Rn. 16 zu § 118 BetrVG. 81 Vgl. BAGE 27, 322 (329). 32 Vgl. Dütz, BB 75, 1267. 79

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Α. II. Verfassungs- u. arbeitsrechtliche Ausgangslage und Folgerungen

dert werden kann. Diese Auffassung ist gerechtfertigt, wenn für die Tendenzschutzbestimmungen ausschließlich die Grundrechtsgewährleistungen für die Träger von Tendenzunternehmen maßgebend sein sollten. Sollten auch andere Verfassungsbestimmungen maßgebend sein, so ist es fraglich, ob sich diese Auffassung verfassungsrechtlich halten läßt.

3. Methodik und Aufbau der Untersuchung 3.1 Methodik der Untersuchung

Verfassungsbestimmungen können die Tendenzschutzbestimmungen der betriebsbezogenen und unternehmensbezogenen Mitbestimmung sachlich legitimieren, soweit ihr Schutzbereich den Regelungsbereich und die Regelungsgegenstände der Tendenzschutzbestimmungen erfaßt und soweit die rechtliche Gestaltung der Tendenzschutzbestimmungen den Zweck verfolgt, das Schutzgut solcher Verfassungsbestimmungen zu berücksichtigen. Verfassungsbestimmungen können auch bindende Gebote und Schranken für den Regelungsinhalt der Tendenzschutzbestimmungen enthalten. Inhalt und Umfang einer verfassungsrechtlichen Legitimation der Tendenzschutzbestimmungen oder gar bindender verfassungsrechtlicher Gebote für die Tendenzschutzbestimmungen können erst festgestellt werden, wenn der Regelungsbereich, die Regelungsgegenstände und der Regelungszweck (ratio) der Tendenzschutzbestimmungen feststehen. Es wäre eine petitio principii, wollte man mit Hilfe eines angenommenen Verfassungsbezugs aus dem Schutzbereich und Schutzgut angeblicher verfassungsrechtlicher Legitimationsnormen den Regelungsbereich und Regelungszweck einer Tendenzschutzbestimmung der betriebsbezogenen oder unternehmensbezogenen Mitbestimmung festlegen. Die zuvor angeführten offenen Fragen über die Regelungsbereiche und Regelungszwecke der Tendenzschutzbestimmungen legen den Schluß nahe, daß die notwendige Bestimmung der Regelungsbereiche, Regelungsgegenstände und Regelungszwecke der Tendenzschutzbestimmungen mit Hilfe der grammatischen, der genetisch-historischen und der teleologischen Auslegungsmethoden 83 augenscheinlich nicht eindeutig möglich ist. Die lange Geschichte der Auseinandersetzung über den Zweck der Tendenzschutzbestimmungen zeigt 84 , daß auch mit Hilfe der teleologischen Methode eine eindeutige Klärung von Regelungsbereich, Regelungsgegenständen und Regelungszwecken der Tendenzschutzbestimmungen der betriebsbezogenen und 83 Zu diesen klassischen juristischen Auslegungsmethoden vgl. Larenz, Juristische Methodenlehre, S. 301 ff. 84 Vgl. die Nachweise aus Rechtsprechung und Schrifttum bei Dietz / Richardi, Bd. 2, Rn. lOff. zu § 118 BetrVG.

3. Methodik und Aufbau der Untersuchung

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unternehmensbezogenen Mitbestimmung nicht möglich ist. Über den Wert der teleologischen Auslegungsmethode sind die Meinungen in der Rechtswissenschaft ohnehin geteilt. Hesse resigniert hinsichtlich der teleologischen Auslegungsmethode völlig, wenn er ausführt 85 : „Die teleologische Interpretation ist kaum mehr als ein Blankett, weil mit der Regel, daß nach dem Sinn eines Rechtssatzes zu fragen ist, nichts für die entscheidende Frage gewonnen ist, wie dieser Sinn zu ermitteln ist." F. Müller 86 wertet die teleologische Auslegungsmethode ähnlich. Dennoch kann die teleologische Fragestellung nach dem Zweck einer Norm bzw. eines Normenkomplexes einen Beitrag zur Klärung dogmatischer Streitfragen über Inhalt und Zweck einer Norm bzw. Normengruppe liefern, wenn man in dem Zweck, in der ratio einer Norm bzw. eines Normenkomplexes im Sinne einer Wertungsjurisprudenz 87 eine Wertentscheidung sieht, mit der das Recht (Gesetz) bei einem Lebenssachverhalt (Regelungsbereich und Regelungsgegenstände) anhand eines bestimmten Wertungsmaßstabes über die Interessen der betroffenen Personen und über Rechtsprinzipien bzw. „objektive Rechtswerte oder Rechtsgüter" 88 entscheidet, die die Rechtsordnung für die Regelung dieses Lebenssachverhaltes bereits vorhält. So könnten beispielsweise die Tendenzschutzbestimmungen der betriebs- und unternehmensbezogenen Mitbestimmung nicht nur über die Interessen der Arbeitnehmer, der Träger von Tendenzunternehmen bzw. der Anteilseigner dieser Tendenzunternehmen entscheiden, sondern zugleich über die Rechtsprinzipien der betriebs- und unternehmensbezogenen Mitbestimmung für Nichttendenzunternehmen und über Rechtsprinzipien wie Vertragsautonomie, gesellschaftsrechtliche Satzungsautonomie, Eigentumsrecht (Mitgliedschaftsrechte) der Anteilseigner, die unsere Rechtsordnung zur Gestaltung des Lebenssachverhaltes vorhält, den die Tendenzschutzbestimmungen regeln. Man kann daher die ratio einer Norm nicht wie die ältere Interessentheorie 8 9 als gesetzliche Sanktionierung nicht näher differenzierter Interessen (Zwecke) sehen. Vielmehr müssen bei der Bestimmung der ratio einer Norm bzw. eines Normenkomplexes sowohl die Interessen im Sinne von „Begehrensvorstellungen" der betroffenen Personen 90 , als auch die objektiven Rechtswerte herausgearbeitet werden, über die eine Norm oder ein Normenkomplex eine Entscheidung trifft. Dies verlangt auch, daß der Wertungsmaßstab ermittelt wird, mit dessen Hilfe eine Norm oder ein Normenkom85

Hesse, Grundzüge, unter § 2 I I 2, Rn. 57. Müller, F., Juristische Methodik, S. 163. 87 Larenz, Juristische Methodenlehre, S. 128ff. 88 Vgl. Esser, Wertung, Konstruktion und Argument im Zivilurteil 1965, S. 8. 89 Zu dieser Sicht der älteren Interessentheorie, s. Larenz, S. 128f. 90 Vgl. Westermann, Wesen und Grenzen richterlicher Streitentscheidung im Zivilrecht, 1955, S. 14ff. 86

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Α. II. Verfassungs- u. arbeitsrechtliche Ausgangslage und Folgerungen

plex über Interessen und objektive Rechtswerte entscheidet. Eine so verstandene teleologische Auslegungsmethode verlangt somit, daß der Regelungsbereich (Lebenssachverhalt), die rechtlichen Gestaltungsprinzipien, die die Rechtsordnung für diesen Lebenssachverhalt vorhält, und der Wertungsmaßstab genau ermittelt werden, bevor Aussagen über die ratio einer Norm bzw. eines Normenkomplexes getroffen werden können. Die teleologische Methode zwingt daher zumindest zu einer genauen Fragestellung. Soweit Regelungsbereich, Regelungsgegenstände und gesetzliche Bewertungsfaktoren (Interessen, objektive Rechtswerte und Bewertungsmaßstab) der Tendenzschutzbestimmungen nicht mit Hilfe der grammatischen, historisch-genetischen, systematischen und teleologischen Auslegungsmethode eindeutig geklärt werden können, sollen die offenen Fragen mit Hilfe eines rechtsfunktionellen Typenvergleichs 91 und einer Sachbereichsanalyse 92 bestimmt werden. Die zuletzt genannten Auslegungsmethoden sind keine soziologischen Methoden, da sie nicht darauf abstellen, ob und wie die in Rede stehenden Vorschriften tatsächlich wirken, sondern darauf, in welchen rechtlichen Bereichen (z.B. Vertragsautonomie) typischerweise eine andere rechtliche Gestaltung erreicht werden soll. F. Müller 93 hat bei seinen Untersuchungen der methodischen Praxis des Bundesverfassungsgerichts eingehend dargelegt, daß das Bundesverfassungsgericht ebenfalls die Auslegungsmethoden des Typenvergleichs und der Sachbereichsanalyse verwendet, obwohl es sich ausdrücklich nur zu den herkömmlichen Auslegungsmethoden bekennt. Bei der erforderlichen Bestimmung des Regelungsbereiches, der Regelungsgegenstände, der objektiven Rechtswerte und des Wertungsmaßstabes der Tendenzschutzbestimmungen wird schließlich auch der Grundsatz der Einheit der Rechtsordnung 94 berücksichtigt. Bei der Ermittlung der verfassungsrechtlichen Grundlagen der so bestimmten Regelungsbereiche, der Regelungsgegenstände und der Regelungszwecke der Tendenzschutzbestimmungen ist weiter zu beachten, daß die Verfassungsbestimmungen sowohl die Interessen und objektiven Rechtswerte, über die eine Norm entscheidet, nach Schutzbereich, Schutzgut und Schutzform legitimieren können als auch den Wertungsmaßstab, mit dessen Hilfe eine Norm über Interessen und objektive Rechtswerte entscheidet. Die Verfassungsbestimmungen können schließlich die Wertentscheidung (ratio) einer Norm insgesamt legitimieren. Bei der hierfür notwendigen Interpretation des Verfassungsrechts wird in dieser Untersuchung auch die Interpre91 Vgl. hierzu Zippelius, Einführung in die juristische Methodenlehre, 2. Aufl. 1974, unter III.12 (S. 73 ff.). 92 s. Müller, F , S. 34 ff. 93 Vgl. Müller, F., S. 34. 94 Vgl. hierzu Engisch, Die Einheit der Rechtsordnung, 1935.

3. Methodik und Aufbau der Untersuchung

39

tationsregel der Einheit der Verfassung 95 herangezogen. Außerdem wird das Prinzip der praktischen Konkordanz 96 angewandt. 3.2 Aufbau der Untersuchung

Die dargelegten verfassungsrechtlichen und arbeitsrechtlichen Probleme der Tendenzschutzbestimmungen der betriebsbezogenen und unternehmensbezogenen Mitbestimmung und die zuvor erörterten methodischen Probleme legen folgenden Aufbau der Untersuchung nahe: In Teil Β der Arbeit werden zunächst die Regelungsbereiche und die Regelungsgegenstände der Tendenzschutzbestimmungen der betriebsbezogenen und unternehmensbezogenen Mitbestimmung geklärt. Auch die Interessen werden dargelegt, die die einzelnen Tendenzschutzbestimmungen gestalten. Sodann werden die Rechtsprinzipien („objektive Rechtswerte") ermittelt, die die Rechtsordnung für die Gestaltung der Regelungsgegenstände der Tendenzschutzbestimmungen vorhält. Schließlich wird untersucht, welche Verfassungsnormen die Beachtung dieser objektiven Rechtswerte bei der einfachrechtlichen Gestaltung der Tendenzschutzbestimmungen legitimieren. Soweit Verfassungsbestimmungen die objektiven Rechtswerte legitimieren, über die die Tendenzschutzbestimmungen entscheiden, wird auch erörtert, ob und inwieweit die entspechenden Verfassungsbestimmungen den Tendenzschutzbestimmungen bindend vorgeben, bestimmte objektive Rechtsprinzipien zu beachten. In Teil C der Untersuchung wird anschließend versucht, die einfachgesetzlichen Wertentscheidungen und deren Bewertungsmaßstab bei den einzelnen Tendenzschutzbestimmungen zu ermitteln. Im Anschluß daran werden der Inhalt und die Maßgeblichkeit der einzelnen Verfassungsbestimmungen für die Wertentscheidungen der einzelnen Tendenzschutzbestimmungen der betriebsbezogenen und unternehmensbezogenen Mitbestimmung untersucht. Hierbei muß auch auf die Frage eingegangen werden, wie sich mehrere maßgebliche Verfassungsbestimmungen zueinander verhalten.

95 Nachweise über die Handhabung dieses Auslegungsprinzips durch Rechtslehre und Bundesverfassungsgericht bei Müller, F., S. 170ff. 96 Vgl. Lerche, Übermaß und Verfassungsrecht, 1961, S. 125ff.; sowie Hesse, Grundzüge, unter § 2 I I I 2, Rn. 72.

Β. Die Maßgeblichkeit des Verfassungsrechts für einfachrechtliche Gestaltungsprinzipien (objektive Rechtswerte) im Tendenzschutz Die Frage nach der Maßgeblichkeit des Verfassungsrechts für die Berücksichtigung von Interessen und Rechtsprinzipien bei der einfachrechtlichen Gestaltung der Tendenzschutzbestimmungen kann erst beantwortet werden, wenn Regelungsbereich und Regelungsgegenstände der Tendenzschutzbestimmungen feststehen. I. Regelungsbereich und Regelungsgegenstände der §§ 118 BetrVG, 1 Abs. 4 MitbestG und 81 BetrVG 52 Unter A.II.2. wurde bereits darauf hingewiesen, daß bislang noch nicht hinreichend geklärt ist, - inwieweit der Tatbestand der einzelnen Tendenzschutzbestimmungen der betriebsbezogenen und unternehmensbezogenen Mitbestimmung übereinstimmt, - welche inhaltliche Tragweite die Rechtsbegriffe im Tatbestand der Tendenzschutzbestimmungen haben und wie sie sich zueinander verhalten, - welche inhaltliche Tragweite den Rechtsfolgen der Tendenzschutzbestimmungen zukommt, - ob und inwieweit die Tendenzschutzbestimmungen des § 118 BetrVG bzw. der §§ 1 Abs. 4 MitbestG und 81 BetrVG 52 überhaupt zum Regelungsbereich der betriebsbezogenen bzw. unternehmensbezogenen Mitbestimmung gehören und schließlich - welche Gegenstände die Tendenzschutzbestimmungen regeln. 1. Tatbestand und Rechtsfolgen der einzelnen Tendenzschutzbestimmungen 1.1 Die Übereinstimmung der Rechtsbegriffe der §§ 118 BetrVG, 1 Abs. 4 MitbestG und 81 BetrVG 52

Ein Vergleich der Vorschrift des § 118 BetrVG mit den Vorschriften der §§ 1 Abs. 4 MitbestG und 81 BetrVG 52 zeigt, daß im Tatbestand dieser Vorschriften weitgehend die gleichen Rechtsbegriffe enthalten sind. So ver-

1. Tatbestand und Rechtsfolgen

41

wenden etwa alle Tendenzschutzbestimmungen der betriebsbezogenen und unternehmensbezogenen Mitbestimmung die Rechtsbegriffe „politisch" und „Religionsgemeinschaften". Soweit im Wortlaut der Tendenzschutzbestimmungen unterschiedliche Begriffe verwandt werden, ergibt eine nähere Analyse, daß diese unterschiedlichen Begriffe den gleichen Bedeutungsinhalt haben. 1.1.1 Die Begriffe „gewerkschaftliche" und „ähnliche Bestimmungen" in § 81 Abs. 1 BetrVG 52 Im Unterschied zu § 81 Abs. 1 BetrVG 52 enthalten weder § 1 Abs. 4 Satz 1 MitbestG noch § 118 Abs. 1 BetrVG die Rechtsbegriffe „gewerkschaftlich" und „ähnliche Bestimmungen". Die §§ 1 Abs. 4 MitbestG und 118 Abs. 1 BetrVG verwenden stattdessen die Rechtsbegriffe „koalitionspolitisch" und „Zwecke(n) der Berichterstattung oder Meinungsäußerung". In Übereinstimmung mit der herrschenden Meinung im Schrifttum 1 sind die Rechtsbegriffe „koalitionspolitisch" und „Zwecke(n) der Berichterstattung oder Meinungsäußerung" in den §§ 118 Abs. 1 BetrVG und 1 Abs. 4 Satz 1 MitbestG als legislatorische Interpretationen der entsprechenden Begriffe „gewerkschaftlich" bzw. „ähnliche Bestimmungen" in § 81 Abs. 1 BetrVG 52 aufzufassen. Der Rechtsbegriff „gewerkschaftlich" wurde auch unter der Geltung des BetrVG 52 von der Rechtslehre 2 (die Rechtsprechung mußte hierzu nicht Stellung nehmen)3 so ausgelegt, daß er auch die Arbeitgeberverbände mit umfaßte. Wie die Entstehungsgeschichte der §§ 118 Abs. 1 BetrVG und 1 Abs. 4 Satz 1 MitbestG belegt, soll der Begriff „koalitionspolitisch" in diesen Bestimmungen nur klarstellen, daß auch die Arbeitgebervereinigungen den Tendenzschutzbestimmungen unterfallen. 4 Rechtslehre und Rechtsprechung hatten unter der Geltung des BetrVG 52 unter den Rechtsbegriff „ähnliche Bestimmungen" im BetrVG 52 vor allem Presse- und Verlagsunternehmen subsumiert. 5 Die Ersetzung dieses Rechtsbegriffes in den §§ 118 Abs. 1 BetrVG und 1 Abs. 4 MitbestG durch „Zwek1 So Richardi, in: Dietz / Richardi, Bd. 2, Rn. 3 zu § 81 BetrVG 52 mit weiteren Literaturnachweisen. 2 Vgl. Neumann-Duesberg, Betriebsverfassungsrecht, S. 102 und Hueck / Nipperdey, Arbeitsrecht, Bd. I I 2, S. 1123 mit Nachweisen. 3 Vgl. Mayer-Maly, in: DB 1971, 2259, der von einer „bisher nur akademisch diskutierten Frage" spricht. 4 s. Bericht des Bundestagsausschusses für Arbeit und Sozialordnung zu BTDrs. VI/2729, S. 17. 5 Zur Rechtsprechung des BAG unter der Geltung des BetrVG 52 zu Unternehmen, die Zwecken der Berichterstattung und Meinungsäußerung dienen, vgl. BAG AP Nr. 1 zu § 81 BetrVG 52. - Zur Auffassung der Rechtslehre vgl. Neumann-Duesberg, Betriebsverfassungsrecht, S.103 und Nikisch, Arbeitsrecht, Bd. 3, S. 50 und 51.

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Β. I. Regelungsbereich u. Regelungsgegenstände des Tendenzschutzes

ke(n) der Berichterstattung oder Meinungsäußerung" sollte einerseits der Klarstellung dienen, daß unter „ähnliche Bestimmungen" im Sinne des § 81 Abs. 1 BetrVG 52 auch der Rechtsbegriff „Zwecke der Berichterstattung oder Meinungsäußerung" fällt und darüber hinaus eine unsachgemäße Ausweitung der Tendenzschutzbestimmungen verhindern. 6 Da die abschließende Aufzählung der „Tendenzen" in §§ 118 Abs. 1 BetrVG und 1 Abs. 4 Satz 1 MitbestG nach der herrschenden Meinung 7 kein Analogieverbot enthält, besteht daher zwischen den Rechtsbegriffen „ähnliche Bestimmungen" des § 81 Abs. 1 BetrVG 52 und den Rechtsbegriffen „Zwecken der Berichterstattung oder Meinungsäußerung" sachlich kein Unterschied. 1.1.2 Die Begriffe

„Unternehmen"

und „Betrieb"

Die Tendenzschutzbestimmungen der betriebsbezogenen Mitbestimmung in § 118 Abs. 1 BetrVG enthalten in ihrem Tatbestand die Begriffe „Unternehmen" und „Betriebe", die Tendenzschutzbestimmungen der unternehmensbezogenen Mitbestimmung enthalten hingegen in § 81 Abs. 1 BetrVG 52 nur den Begriff „Betrieb" und in § 1 Abs. 4 Satz 1 MitbestG ausschließlich den Rechtsbegriff „Unternehmen". In Rechtslehre und Rechtsprechung 8 besteht Übereinstimmung, daß in den Tendenzschutzbestimmungen der betriebsbezogenen und unternehmensbezogenen Mitbestimmung der Begriff „Betrieb" die gleiche Bedeutung hat wie der ebenfalls in den Tendenzschutzbestimmungen verwandte Rechtsbegriff „Unternehmen". Die in den §§ 118 Abs. 1 BetrVG, 1 Abs. 4 Satz 1 MitbestG und 81 Abs. 1 BetrVG 52 aufgeführten „Bestimmungen" oder „Zwecke" können nämlich nur Zwecke von Unternehmen und nicht die arbeitstechnischen Zwecke eines Betriebes sein. Mit dem Begriff „Betrieb" im Sinne der Tendenzschutzbestimmungen kann daher nicht der Rechtsbegriff „Betrieb" im Sinne des Betriebsverfassungsgesetzes gemeint sein. Vielmehr hat der Begriff ^Betrieb" bei den Tendenzschutzbestimmungen die gleiche Bedeutung wie der Rechtsbegriff „Unternehmen". Der Tatbestand in den Tendenzschutzbestimmungen der betriebs- und unternehmensbezogenen Mitbestimmung stimmt daher trotz der unterschiedlichen Verwendung der Bezeichnungen „Betrieb" und „Unternehmen" insoweit überein, als er jeweils Unternehmen erfaßt. Tatbestandsmerkmal aller Tendenzschutzbestimmungen der betriebsbezogenen und unternehmensbezogenen Mitbestimmung ist der Rechtsbegriff Unternehmen und nicht der Rechtsbegriff Betrieb. 6 Vgl. Bericht des Bundestagsausschusses für Arbeit und Sozialordnung zu BT-Drs. VI/2729, S. 17. 7 Vgl. Dietz / Richardi, Bd. 2, Rn. 43 zu § 118 BetrVG mit weiteren Nachweisen. 8 Nachweise bei Dietz / Richardi, Bd. 2, Rn. 22 zu § 118 BetrVG.

1. Tatbestand und Rechtsfolgen

43

1.1.3 „Unternehmen die unmittelbar und überwiegend ... Bestimmungen (Zwecken) ... dienen" Der Tatbestand der Tendenzschutzbestimmungen der betriebsbezogenen und unternehmensbezogenen Mitbestimmung stimmt auch insoweit überein, als er jeweils Unternehmen erfaßt, die unmittelbar und überwiegend bestimmten Bestimmungen oder Zwecken dienen. Nach allgemeiner Meinung 9 sind die Rechtsbegriffe „Bestimmungen" und „Zwecke" von Unternehmen inhaltlich deckungsgleich. Beide Rechtsbegriffe meinen Zwecke von Unternehmen. Nach der h. M. im Schrifttum 1 0 sind die Erfordernisse der Unmittelbarkeit und des Überwiegens als ungeschriebene Tatbestandsmerkmale auch in § 81 Abs. 1 BetrVG 52 enthalten. Sowohl die h.M. in der Rechtslehre als auch die Rechtsprechung des BAG hatten nämlich auch vor Inkrafttreten des BetrVG 72 die betriebsverfassungsrechtlichen Tendenzschutzbestimmungen des BetrVG 52, die diese Tatbetandsmerkmale nicht enthielten, in diesem Sinne ausgelegt. 11 Mit der inhaltlichen Tragweite der Tatbestandselemente „Bestimmungen (Zwecke) ... dienen" haben sich die Rechtsprechung des B A G 1 2 und die Rechtslehre 13 eingehend auseinandergesetzt. Es besteht mittlerweile Übereinstimmung, daß es für das Tatbestandsmerkmal „dienen" nicht auf die Einstellung und Motive des Unternehmers ankommt. Die persönliche Einstellung des Trägers des Unternehmens oder der hinter dem Träger des Unternehmens stehenden Anteilseigner ist rechtlich unerheblich. Vielmehr muß sich die „Bestimmung" im Unternehmen objektivieren, sie muß im Unternehmen verwirklicht werden. 14 Da das sachliche Unternehmensziel, also der Unternehmensgegenstand bzw. Geschäftsgegenstand im Sinne der §§ 23 Abs. 2 AktG, 3 Abs. 2 GmbHG und 1 Abs. 1 HGB im Unternehmen realisiert wird, sind mit den in den Tendenzschutzbestimmungen aufgeführten Bestimmungen oder Zwecken zumindest die entsprechenden sachlichen Unternehmensziele gemeint. 15 9

Vgl. Dietz / Richardi, Bd. 2, Rn. 26 zu § 118 BetrVG mit weiteren Nachweisen. Vgl. Dietz / Richardi, Bd. 2, Rn. 26 zu § 118 BetrVG mit weiteren Nachweisen. 11 Das BAG hatte auch unter der Geltung des Betriebsverfassungsgesetzes von 1952 mit Zustimmung der Rechtslehre auf die Unmittelbarkeit der Tendenzverwirklichung abgestellt. So z.B. BAG AP Nr. 13 zu § 81-BetrVG 52. - Ebenso bedeutete die Auslegung der früheren Tendenzschutzbestimmung im Sinne der sog. Geprägetheorie nichts anderes als ein Abstellen auf das Tatbestandsmerkmal des Uberwiegens. Vgl. BAGE 18, 159 (162); 21, 130 (136); 22, 360 (371). Auch die Rechtslehre stimmte dieser Auslegung des BAG überwiegend zu. 12 So BAGE 18, 159 (163); 22, 360 (371). 13 Richardi, in: Dietz / Richardi, Bd. 2, Rn. 32 zu § 118 BetrVG mit weiteren Nachweisen. 14 s. hierzu die Ausführungen G. Müllers, in: Arbeitsrecht der Gegenwart, 1982, S. 49 und 50 mit Nachweisen aus Rechtsprechung und Schrifttum. 15 So auch Richardi, in: Dietz / Richardi, Bd. 2, Rn. 32 zu § 118 BetrVG. 10

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Β. I. Regelungsbereich u. Regelungsgegenstände des Tendenzschutzes

Im Unterschied zu den Tendenzschutzbestimmungen der §§118 Abs. 1 BetrVG, 1 Abs. 4 Satz 1 MitbestG und 81 Abs. 1 BetrVG 52 enthält der Tatbestand der Tendenzschutzbestimmungen der §§ 118 Abs. 2 BetrVG, 1 Abs. 4 Satz 2 MitbestG und 81 Abs. 2 BetrVG 52 nicht ausdrücklich die Tatbestandsmerkmale „Unternehmen ... die ... Bestimmungen ... dienen". Auch die in den Tendenzschutzbestimmungen der §§118 Abs. 2 BetrVG, 1 Abs. 4 Satz 2 MitbestG und 81 Abs. 2 BetrVG 52 aufgeführten Religionsgemeinschaften und deren karitative und erzieherische Einrichtungen sind aber final ausgerichtet. Sie dienen wie jede menschliche Gemeinschaft und Organisation bestimmten Zwecken. Da jedoch bei Religionsgemeinschaften und deren karitativen und erzieherischen Einrichtungen die Zwecksetzung offenkundig ist, war das Tatbestandsmerkmal „Unternehmen, die bestimmten Bestimmungen dienen" entbehrlich. Ein sachlicher Unterschied zwischen den Bestimmungen der §§118 Abs. 1 BetrVG, 1 Abs. 4 Satz 1 MitbestG, 81 Abs. 1 BetrVG 52 und der §§ 118 Abs. 2 BetrVG, 1 Abs. 4 Satz 2 MitbestG und 81 Abs. 2 BetrVG 52 besteht somit nicht. Mithin erfassen alle Tendenzschutzbestimmungen der betriebsbezogenen und unternehmensbezogenen Mitbestimmung Unternehmen, deren sachliches Unternehmensziel einem oder mehreren der in den Tendenzschutzbestimmungen aufgeführten Bestimmungen oder Zwecken dient. Die Rechtsbegriffe „Bestimmung" oder „Zwecke" meinen daher nun einmal zumindest die sachlichen Unternehmensziele. Die Rechtsbegriffe „Bestimmung" oder „Zwecke" im Tatbestand der Tendenzschutzbestimmungen der betriebsbezogenen oder unternehmensbezogenen Mitbestimmung könnten darüber hinaus auch die formalen Unternehmensziele erfassen. So kann z.B. nicht von vornherein ausgeschlossen werden, daß bei Unternehmen, die unmittelbar und überwiegend politischen oder koalitionspolitischen Bestimmungen dienen, auch Unternehmen gemeint sind, deren formales Unternehmensziel einen politischen oder koalitionspolitischen Inhalt hat. Solche Unternehmen könnten ein sachliches Unternehmensziel (z.B. erzieherische Dienstleistungen) verfolgen, das nicht ohne weiteres als politisch oder koalitionspolitisch geprägt erkennbar ist. Auch in diesem Falle könnte aber das sachliche Unternehmensziel Erziehung unmittelbar und überwiegend dem formalen Unternehmensziel politisch oder koalitionspolitisch dienen. Im arbeitsrechtlichen Schrifttum 1 6 w i r d auf dieses Problem nur am Rande und im Zusammenhang mit der Frage eingegangen, ob Tendenzunternehmen Gewinnerzielung (als formales Unternehmensziel) anstreben dürfen. Da die Annahme, daß unter „Bestimmung" oder „Zwecke" auch formale Unternehmensziele zu verstehen sind, interpretatorisch vertretbar ist, wird im folgenden als Arbeitshypothese davon ausgegangen, daß die Rechtsbe« Vgl. Dietz / Richardi, Bd. 2, Rn. 40 zu § 118 BetrVG.

1. Tatbestand und Rechtsfolgen

45

griffe „Bestimmungen" und „Zwecke" im Tatbestand der Tendenzschutzbestimmungen auch formale Unternehmensziele meinen können. 1.2 Die Tatbestandsmerkmale der einzelnen Tendenzschutzbestimmungen

1.2.1 „Religionsgemeinschaften" Im arbeitsrechtlichen Schrifttum besteht über den Kern des Rechtsbegriffs „Religionsgemeinschaften" im Sinne der §§ 118 Abs. 2 BetrVG, 1 Abs. 4 Satz 2 MitbestG und 81 Abs. 2 BetrVG 52 Übereinstimmung. 17 Die Rechtslehre geht davon aus, daß der Rechtsbegriff Religionsgemeinschaft in all den genannten Bestimmungen identisch ist. Es besteht auch Übereinstimmung, daß der Rechtsbegriff die christlichen Kirchen und Sekten, aber auch nichtchristliche „religiöse" 18 Zusammenschlüsse, wie etwa die israelitische Kultusgemeinde meint. Nach der Rechtsprechung des BAG und der Rechtslehre 19 unterfallen dem Rechtsbegriff Religionsgemeinschaften auch die rechtlich ausgegliederten und rechtlich selbständigen Teile einer religiösen Gemeinschaft. Das BAG hat dies für die Säkularinstitute der römisch-katholischen Kirche ausdrücklich festgestellt. 20 Unbestritten ist auch, daß der Begriff Religionsgemeinschaften der §§ 118 Abs. 2 BetrVG, 1 Abs. 4 Satz 2 MitbestG und 81 Abs. 2 BetrVG 52 mit dem Rechtsbegriff „Religionsgesellschaften" im Sinne des Artikel 137 WRV identisch ist. 2 1 Übereinstimmung besteht weiter darüber, daß eine Religionsgemeinschaft keine einzelne natürliche Person sein kann. Vielmehr muß es sich immer um einen Personenverband handeln, dessen „Verbandszweck" die Verfolgung der gemeinsamen transzendenten Überzeugungen ist. 2 2 Es ist dabei rechtlich unerheblich, ob sich eine solche Religionsgemeinschaft als juristische Person oder in anderer Form rechtlich organisiert hat. 2 3 Strittig ist jedoch, ob der Rechtsbegriff Religionsgemeinschaften auch nichtreligiöse Weltanschauungsgemeinschaften 24 erfaßt. Während G. Müller, Auffarth, Hess und Löwisch 25 religiöse und nichtreligiöse Weltanschauungs17 Vgl. hierzu die Ausführungen von Löwisch, in: Galperin / Löwisch, Bd. 2, Rn. 87 zu § 118 BetrVG und Richardi, in: Dietz / Richardi, Bd. 2, Rn. 172 ff. zu § 118 BetrVG. 18 Zum Begriff „religiös" s. Obermayer, in: BK, Rn. 44 ff. zu Art. 140 GG. 19 Nachweise bei Galperin / Löwisch, Bd. 2, Rn. 89 zu § 118 BetrVG. 20 BAG AP Nr. 12 zu § 81 BetrVG 52. 21 So Löwisch, in: Galperin / Löwisch, Bd. 2, Rn. 87 zu § 118 BetrVG. 22 Vgl. Richardi, in: Dietz / Richardi, Bd. 2, Rn. 173 zu § 118 BetrVG. 23 So Richardi, in: Dietz / Richardi, Bd. 2, Rn. 174 zu § 118 BetrVG. 24 Zum Begriff der Weltanschauungsgemeinschaft, siehe Obermayer, in: BK, Rn. 42 zu Art. 140 GG. 25 s. Müller, G., RdA 1979, 74; Auffarth, in: Fitting / Auffarth, Rn. 31 zu § 118 BetrVG; Hess, in: Kammann / Hess / Schlochauer, Rn. 43 zu §118 BetrVG und Löwisch, in: Galperin / Löwisch, Bd. 2, Rn. 88 zu § 118 BetrVG.

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Β. I. Regelungsbereich u. Regelungsgegenstände des Tendenzschutzes

gemeinschaften als Religionsgemeinschaften im Sinne der Tendenzschutzbestimmungen auffassen, wird dies von Richardi und Fabricius verneint 26 . Für die hier interessierende Frage nach den verfassungsrechtlichen Grundlagen der Tendenzschutzbestimmungen braucht zu diesem Streit nicht Stellung genommen zu werden. Als Arbeitshypothese kann nämlich davon ausgegangen werden, daß der Rechtsbegriff Religionsgemeinschaften im Sinne der §§ 118 Abs. 2 BetrVG, 1 Abs. 4 Satz 2 MitbestG und 81 Abs. 2 BetrVG 52 religiöse und nichtreligiöse Weltanschauungsgemeinschaften umfassen kann. Eine andere und später zu untersuchende Frage ist, ob Verfassungsbestimmungen die ratio der §§ 118 Abs. 2 BetrVG, 1 Abs. 4 Satz 2 MitbestG und 81 Abs. 2 BetrVG 52 nur für religiöse oder auch für nichtreligiöse Weltanschauungsgemeinschaften rechtfertigen oder gar bindend vorgeben können. 1.2.2 Inhalt und Verhältnis der Rechtsbegriffe „karitativ oder erzieherisch bestimmte Unternehmen" und „karitative und erzieherische Einrichtungen von Religionsgemeinschaften" Die Tendenzschutzbestimmungen der §§118 BetrVG, 1 Abs. 4 MitbestG und 81 BetrVG 52 enthalten übereinstimmend die Rechtsbegriffe „karitativ", „erzieherisch" und „karitative und erzieherische Einrichtungen" von („ihre") „Religionsgemeinschaften". In Rechtsprechung 27 und Rechtslehre 28 besteht insoweit Übereinstimmung, daß die Tendenzschutzbestimmungen für karitative und erzieherische Einrichtungen von Religionsgemeinschaften den Tendenzschutzbestimmungen für Unternehmen, die unmittelbar und überwiegend karitativen und/oder erzieherischen Zwecken dienen, als leges speciales vorgehen. Nicht hinreichend geklärt ist jedoch, welche Voraussetzungen vorliegen müssen, daß ein Unternehmen, das unmittelbar und überwiegend karitativen und/oder erzieherischen Bestimmungen dient, als eine karitative und/oder erzieherische Einrichtung von Religionsgemeinschaften zu qualifizieren ist. 1.2.2.1 „Unternehmen, die unmittelbar und überwiegend karitativen Bestimmungen dienen" Nach der Rechtsprechung des B A G 2 9 und der Rechtslehre 30 erfaßt der Tatbestand „Unternehmen, die unmittelbar und überwiegend karitativen 26 s. Richardi, in: Dietz / Richardi, Bd. 2, Rn. 87 zu § 118 BetrVG und Fabricius, in: GK zum BetrVG, Rn. 144 zu § 118 BetrVG. 27 s. BAGE 29, 405 (410). 28 Vgl. Galperin / Löwisch, Bd. 2, Rn. 90ff. zu § 118 BetrVG und Dietz / Richardi, Bd. 2, Rn. 176 zu § 118 BetrVG. 29 s. BAG AP Nr. 14 zu § 81 BetrVG 52 und AP Nr. 16 zu § 118 BetrVG.

1. Tatbestand und Rechtsfolgen

47

Bestimmungen ... dienen", Unternehmen, deren sachliches Unternehmensziel eine „Tätigkeit im Dienste Hilfsbedürftiger, insbesondere körperlich, geistig und seelisch kranker Menschen" ist. Dementsprechend werden vor allem Krankenhäuser, Altersheime und Behinderteneinrichtungen als solche karitativen Unternehmen qualifiziert. 31 Nach allgemeiner Meinung kommt es dabei nicht darauf an, aus welchen Motiven heraus ein Unternehmen eine solche karitative Tätigkeit betreibt. Unstreitig ist weiter, daß der Rechtsbegriff karitativ nicht jedwede humanitäre Handlung und Dienstleistung umfaßt, sondern nur Dienstleistungen für hilfsbedürftige, kranke oder behinderte Menschen. 32 Nach der herrschenden Meinung und der Rechtsprechung des BAG sollen die Tendenzschutzbestimmungen für karitative Unternehmen nur solche Unternehmen erfassen, deren formales Unternehmensziel nicht auf Gewinnerzielung gerichtet ist. 3 3 Für die vorliegende Untersuchung kann diese Frage zunächst dahingestellt bleiben. Als Arbeitshypothese wird davon ausgegangen, daß der einfachgesetzliche Tatbestand der Tendenzschutzbestimmung für Unternehmen, die karitativen Bestimmungen dienen, auch solche Unternehmen erfaßt, deren formales Unternehmensziel auf Gewinnerzielung ausgerichtet ist. 1.2.2.2 „Unternehmen, die unmittelbar und überwiegend erzieherischen Bestimmungen dienen" Die inhaltliche Tragweite des Tatbestands dieser Tendenzschutzbestimmungen der betriebsbezogenen und unternehmensbezogenen Mitbestimmung haben Rechtsprechung 34 und Rechtslehre 35 hinreichend bestimmt. Danach unterfallen diesem Tatbestand Unternehmen, deren sachliches Unternehmensziel in der Persönlichkeitsentwicklung eines größeren Personenkreises durch planmäßige und methodische Unterweisung in einer Mehrzahl allgemeinbildender oder berufsbildender Fächer besteht (z.B. Privatschulen, überbetriebliche Lehrwerkstätten). Darüber hinaus unterfallen diesem Tatbestande auch sonstige Erziehungseinrichtungen, z.B. Kindergärten. Unternehmen, die nur eine bestimmte Fertigkeit vermitteln, wie z.B. Fahrschulen, werden hingegen nicht von diesen Tendenzschutzbestimmungen erfaßt.

30 Nachweise bei Müller, G., Unternehmen mit karitativen Bestimmungen im Sinne des § 118 Abs. 1 BetrVG, in: Arbeitsrecht der Gegenwart, 1982, S. 52. 3 * Vgl. Fitting / Auffarth, Rn. 12, zu § 118 BetrVG. 32 s. Müller, G., in: Arbeitsrecht der Gegenwart, 1982, S. 52. 33 Nachweise bei Galperin / Löwisch, Bd. 2, Rn. 17 zu § 118 BetrVG. 34 Vgl. BAG AP Nrn. 12 und 17 zu § 118 BetrVG. 35 Vgl. Galperin / Löwisch, Bd. 2, Rn. 19 zu § 118 BetrVG.

48

Β. I. Regelungsbereich u. Regelungsgegenstände des Tendenzschutzes

1.2.2.3 „Karitative und erzieherische Einrichtungen von Religionsgemeinschaften" und ihr Verhältnis zu „karitativ oder erzieherisch bestimmten Unternehmen" Nach allgemeiner Meinung 3 6 sind karitative und/oder erzieherische Einrichtungen von Religionsgemeinschaften ebenfalls Unternehmen, die karitativen und/oder erzieherischen Bestimmungen unmittelbar und überwiegend dienen. Der Tatbestand der Tendenzschutzbestimmungen für karitative und erzieherische Einrichtungen von Religionsgemeinschaften ist jedoch enger als der Tatbestand für karitativ und/oder erzieherisch bestimmte Unternehmen, da er nur solche karitative oder erzieherische Unternehmen erfaßt, die als Einrichtungen zu qualifizieren sind und die darüber hinaus Religionsgemeinschaften zugeordnet werden können. 37 Der Sinnbegriff „Einrichtung" 3 8 hat nach allgemeinem Sprachgebrauch die Bedeutung einer dauerhaften Zuordnung von sachlichen und/oder personellen Mitteln zu einem ebenfalls auf Dauer festgelegten Zweck. Eine karitative und/oder erzieherische Einrichtung kann daher nicht vorliegen, wenn der Träger eines Unternehmens die karitative bzw. erzieherische Zwecksetzung beliebig ändern kann. Ein Unternehmen, das karitativen und/oder erzieherischen Bestimmungen dient und dessen Träger eine einzelne natürliche Person ist, kann deshalb m.E. nicht als karitative und/oder erzieherische Einrichtung aufgefaßt werden. Anders verhält es sich, wenn der Träger des karitativen und/oder erzieherischen Unternehmens eine juristische Person oder ein Zweckverband ist. In beiden Fällen ist der erzieherische bzw. karitative Zweck in der Satzung festgelegt und kann nur unter erschwerten Bedingungen oder, wie bei Stiftungen, überhaupt nicht geändert werden. Karitative und erzieherische Einrichtungen im Sinne der §§ 118 Abs. 2 BetrVG, 1 Abs. 4 Satz 2 MitbestG und 81 Abs. 2 BetrVG 52 können daher nur Unternehmen sein, deren Träger eine juristische Person oder ein Personenverband ist. Der Tatbestand der §§ 118 Abs. 2 BetrVG, 1 Abs. 4 Satz 2 MitbestG und 81 Abs. 2 BetrVG 52 verlangt des weiteren, daß solche Einrichtungen einer Religionsgemeinschaft zugeordnet sind. Die herrschende Meinung 39 faßt dabei Religionsgemeinschaften als religiöse und nichtreligiöse Weltanschauungsgemeinschaften auf, denen die karitativen und/oder erzieherischen Einrichtungen zugeordnet werden können. Richardi 40 hat entgegen 36

Vgl. Dietz / Richardi, Bd. 2, Rn. 54, 55 und 176ff. zu § 118 BetrVG. Vgl. Galperin / Löwisch, Bd. 2, Rn. 91 mit weiteren Nachweisen der Rechtsprechung und der Rechtslehre. 38 Vgl. Der große Brockhaus, 18. Aufl., 16. Band, „Brockhaus-Wahrig, Deutsches Wörterbuch": unter den Stichworten „Einrichten" und „Einrichtung". 39 Vgl. Fitting / Auffarth, Rn. 31 zu § 118 BetrVG; Kammann / Hess / Schlochauer, Rn. 43 zu § 118 BetrVG; Galperin / Löwisch, Rn. 88 zu § 118 BetrVG. 40 Dietz / Richardi, Bd. 2, Rn. 182 zu § 118 BetrVG. 37

1. Tatbestand und Rechtsfolgen

49

der herrschenden Meinung mit beachtlichen Gründen dargetan, daß unter erzieherischen und karitativen Einrichtungen von Religionsgemeinschaften nur solche Einrichtungen zu verstehen sind, die einer religiösen Weltanschauung zugeordnet werden können. Das Erfordernis der Zuordnung einer solchen Einrichtung zu einer Religionsgemeinschaft ergibt sich bereits aus dem Wortlaut der §§18 Abs. 2 BetrVG, 1 Abs. 4 Satz 2 MitbestG und 81 Abs. 2 BetrVG 52. Es heißt dort übereinstimmend „Religionsgemeinschaften und ihre karitativen und erzieherischen Einrichtungen". Die karitativen und erzieherischen Einrichtungen müssen daher zwar nicht im Rechtssinne, wohl aber bei einer Gesamtschau als Teil der Religionsgemeinschaften aufgefaßt werden können. Ebenfalls aus dem Wortlaut „unbeschadet ihrer Rechtsform" folgt ferner, daß die karitativen und erzieherischen Einrichtungen im Verhältnis zur jeweiligen Weltanschauungsgemeinschaft rechtlich selbständig sein können. Auch auf die von der Einrichtung gewählte Rechtsform kommt es bereits nach dem Wortlaut der Tendenzschutzbestimmungen nicht an. Träger der Einrichtung kann daher sowohl eine Stiftung, ein Verein, eine juristische Person des Gesellschaftsrechts als auch eine Personengemeinschaft sein. Über diese Auslegung besteht im Schrifttum und in der Rechtsprechung Einigkeit. 4 1 Rechtsprechung 42 und Rechtslehre 43 stimmen auch darin überein, daß eine solche von den Tendenzschutzbestimmungen geforderte Zuordnung zu einer Religionsgemeinschaft vorliegt, wenn die karitative und/oder erzieherische Einrichtung zwar rechtlich selbständig, aber mit der Religionsgemeinschaft organisatorisch verknüpft ist. Strittig ist hingegen, ob eine solche Zuordnung auch dann vorliegt, wenn die karitative oder erzieherische Einrichtung ohne organisatorische Verknüpfung mit der Religionsgemeinschaft deren erzieherische oder karitative Teilziele verfolgt. Diese Frage kann zunächst dahingestellt bleiben. Als Arbeitshypothese w i r d in der Untersuchung davon ausgegangen, daß es mit der herrschenden Meinung genügt, wenn die karitative oder erzieherische Einrichtung von der Religionsgemeinschaft anerkannte karitative oder erzieherische Teilziele dieser Religionsgemeinschaft verfolgt, ohne daß eine organisatorische Verbindung mit der Religionsgemeinschaft vorliegen muß. Mithin können karitative und erzieherische Einrichtungen von Religionsgemeinschaften nur solche karitative oder erzieherische Unternehmen sein, deren Träger keine einzelne natürliche Person ist und die entweder organisatorisch mit einer Weltanschauungsgemeinschaft verbunden sind oder die nach ihrem Unternehmenszweck Zielsetzungen verwirklichen, die von der entsprechenden Weltanschauungsgemeinschaft als ihre weltanschaulichen 41 42 43

Vgl. Dietz / Richardi, Bd. 2, Rn. 176 zu § 118 BetrVG mit weiteren Nachweisen. Vgl. BAG AP Nr. 6 zu § 118 BetrVG. Vgl. Löwisch, in: Galperin / Löwisch, Bd. 2, Rn. 91 zu § 118 BetrVG.

4 Marino

50

Β. I. Regelungsbereich u. Regelungsgegenstände des Tendenzschutzes

(Teil-)Ziele anerkannt sind. Soweit karitative und/oder erzieherische Unternehmen diesen Anforderungen genügen und somit als Einrichtungen von Religionsgemeinschaften (Weltanschauungsgemeinschaften) zu qualifizieren sind, unterfallen sie dem Tatbestand der §§118 Abs. 2 BetrVG, 1 Abs. 4 Satz 2 MitbestG bzw. 81 Abs. 2 BetrVG 52. Die genannten Vorschriften gehen den Vorschriften der Tendenzschutzbestimmungen für karitative und erzieherische Unternehmen als leges speciales vor. 4 4

1.2.3 „Unternehmen, die unmittelbar und überwiegend konfessionellen Bestimmungen dienen"; Verhältnis zu „Religionsgemeinschaften und deren erzieherischen und karitativen Einrichtungen" sowie zu „Unternehmen, die karitativen oder erzieherischen Bestimmungen dienen" In der Rechtslehre besteht insoweit Einigkeit, daß der Tatbestand dieser Tendenzschutzbestimmungen Unternehmen erfaßt, deren Unternehmensgegenstand (sachliches Unternehmensziel) „Ausdruck einer bestimmten religiösen Überzeugung" ist. 4 5 G. Müller hat eingehend begründet, daß das Christlich-Konfessionelle zwar den Kern des Tatbestandes darstellt, daß seine inhaltliche Tragweite aber größer ist. 4 6 Dementsprechend unterfallen nach der herrschenden Meinung dem Tatbestand z.B. jüdische, römischkatholische und evangelische Eheanbahnungsinstitute. Strittig ist, ob der Tatbestand nur Unternehmen erfaßt, in deren Unternehmensgegenstand sich religiöse Überzeugungen realisieren, oder ob darüber hinaus auch die Verwirklichung nichtreligiöser weltanschaulicher Überzeugungen eines Unternehmens vom Tatbestand erfaßt wird. Richardi 47 ist der Auffassung, daß auch bei einer extensiven Auslegung des Begriffs konfessionell nicht angenommen werden kann, daß Unternehmen, deren Unternehmensgegenstand Ausdruck einer nichtreligiösen weltanschaulichen Überzeugung ist, von dem Begriff konfessionell abgedeckt werden. Er schlägt deshalb vor, solche Unternehmen dem Tatbestand der Tendenzschutzbestimmungen für konfessionell bestimmte Unternehmen im Wege der Analogie zuzuordnen. Für die vorliegende Untersuchung braucht diese Streitfrage nicht geklärt zu werden. Es wird vielmehr davon ausgegangen, daß konfessionell bestimmte Unternehmen alle Unternehmen sind, 44 So BAG AP Nr. 15 zu § 118 BetrVG; vgl. auch Dietz / Richardi, Bd. 2, Rn. 54 und 56 zu § 118 BetrVG. 45 Vgl. Mayer-Maly, AR-Blattei Tendenzbetrieb I D III; Galperin / Löwisch, Bd. 2, Rn. 14 zu § 118 BetrVG und Dietz / Richardi, Bd. 2, Rn. 31 zu § 118 BetrVG. 46 Müller, G., in: Arbeitsrecht der Gegenwart, 1982, S. 50 und 51 mit weiteren Nachweisen. 47 Richardi, in: Dietz / Richardi, Bd. 2, Rn. 51 zu § 118 BetrVG.

1. Tatbestand und Rechtsfolgen

51

deren sachliches Unternehmensziel Gegenstand einer religiösen oder nichtreligiösen weltanschaulichen Überzeugung ist. Mithin wird in der vorliegenden Untersuchung auch davon ausgegangen, daß Unternehmen, deren sachliches Unternehmensziel Ausdruck einer antroprosophisch geprägten Weltanschauung ist, unter diesen Tatbestand fallen. Ebenfalls nicht hinreichend geklärt ist die Frage, ob vom Tatbestand der Tendenzschutzbestimmungen für konfessionell bestimmte Unternehmen auch Unternehmen erfaßt werden, bei denen lediglich das formale Unternehmensziel Ausdruck einer weltanschaulichen Überzeugung ist. Da eine solche Erfassung zumindest interpretatorisch vertretbar ist, wird im folgenden davon ausgegangen, daß unter den Tatbestand der Tendenzschutzbestimmungen für konfessionell bestimmte Unternehmen auch Unternehmen fallen können, bei denen lediglich das formale Unternehmensziel weltanschaulich geprägt ist. Entsprechend den allgemeinen Grundsätzen über die Gesetzeskonkurrenz 48 ist davon auszugehen, daß Unternehmen, die karitativen und/oder erzieherischen Bestimmungen dienen, dem Tatbestand der Tendenzschutzbestimmungen für konfessionelle Unternehmen unterfallen, wenn das sachliche Unternehmensziel solcher Unternehmen (karitative oder erzieherische Dienstleistungen) weltanschaulich geprägt ist. Solche karitative und erzieherische Unternehmen sind nämlich ein Unterfall eines konfessionellen Unternehmens. Der Tatbestand für konfessionell bestimmte Unternehmen steht daher in einem Spezialitätsverhältnis zu den Tendenzschutzbestimmungen für karitative und erzieherische Unternehmen (leges generales). Die Tendenzschutzbestimmungen für karitative und erzieherische Unternehmen sowie die Tendenzschutzbestimmungen für konfessionelle Unternehmen werden ihrerseits von dem Tatbestand für karitative und erzieherische Einrichtungen von Religionsgemeinschaften verdrängt. Für die Anwendung des Tatbestandes der Tendenzschutzbestimmungen für konfessionelle Unternehmen bleibt auch in einem solchen Falle Raum zur Anwendung, wenn ein Unternehmen weltanschaulich geprägte karitative oder erzieherische sachliche Unternehmensziele verwirklicht, die Teilziel einer Weltanschauung sind, falls der Träger des Unternehmens eine Einzelperson sein sollte. Ein solches Unternehmen kann nämlich nicht als Einrichtung aufgefaßt werden und kann daher nicht unter den Tatbestand der §§118 Abs. 2 BetrVG, 1 Abs. 4 Satz 2 MitbestG bzw. 81 Abs. 2 BetrVG 52 fallen.

48

4'

Vgl. hierzu Larenz, Methodenlehre, S. 207.

52

Β. I. Regelungsbereich u. Regelungsgegenstände des Tendenzschutzes

1.2.4 „Unternehmen, die unmittelbar und überwiegend politischen Bestimmungen dienen" Übereinstimmend wird angenommen 49 , daß der Tatbestand der Tendenzschutzbestimmungen für „Unternehmen, die ... politischen Bestimmungen dienen" nicht nur politische Parteien im Sinne des § 2 Abs. 1 Parteiengesetz vom 24.7.1967 erfaßt. So sollen diese Tendenzschutzbestimmungen nicht nur auf selbständige Organisationen anwendbar sein, die nicht in politische Parteien eingegliedert sind, soweit sie von den Parteien „getragen sind" und den Zielen der Parteien dienen (z.B. rechtlich selbständige Jugendorganisationen politischer Parteien und Parteizeitungen), sondern auch Unternehmen, deren Träger Vereinigungen sind, die keine parteipolitischen, sondern allgemeinpolitische Zielsetzungen verfolgen (z.B. Vertriebenenverbände und Wirtschaftsverbände). Die Rechtslehre geht davon aus, daß Unternehmen politischen Bestimmungen dienen, wenn sie „Einfluß auf das politische Leben nehmen wollen". Demnach genügt die Zwecksetzung, das politische Leben des Staates beeinflussen zu wollen, auch dann, wenn sich diese Zwecksetzung auf Teilbereiche bezieht und/oder politische Teilziele zum Inhalt hat (z.B. Sozialpolitik; Besserstellung der Kriegsopfer). Vor allem braucht die Zielsetzung keine parteipolitische im Sinne des Parteiengesetzes zu sein. Der weiten Auslegung des Rechtsbegriffs „politisch" ist zuzustimmen. Grammatikalische, systematische, historische und teleologische Argumente sprechen dafür. Frey und Auffarth 50 weisen darauf hin, daß „politisch" im allgemeinen Sprachgebrauch zunehmend einen Inhalt angenommen hat, der weit über den engen Begriff des Parteipolitischen hinausgeht. 51 Nahezu alle Kommentatoren zum Betriebsverfassungsgesetz beziehen sich zudem auf die Materialien des Betriebsverfassungsgesetzes, die in der Tat für eine weite Auslegung des Begriffs „politisch" sprechen. Löwisch 52 betont nicht nur den systematischen Gesichtspunkt, daß § 118 Abs. 1 BetrVG von politisch spreche, während § 74 Abs. 2 Satz 2 BetrVG den Begriff des Parteipolitischen verwendet. Er begründet die weite Auslegung des Begriffs politisch auch damit, daß die Einflußnahme auf das politische Leben des Staates „allgemein ein legitimer zum Verfassungsleben gehörender und damit schützenswerter Zweck" sei. Die herrschende Meinung lehnt es jedoch ab, unter „politischen Unternehmen" Vereinigungen zu subsumieren, die sich auf die Interessenvertretung ihrer Mitglieder beschränken (z.B. Mieter- oder Haus- und Grundbesitzervereine). Die Aufgabe und Tätigkeit 49 Fitting / Auffarth, Rn. 9 zu § 118 BetrVG; Mayer-Maly, AR-Blattei, G I; Galperin / Löwisch, Bd. 2, Rn. 9 zu § 118 BetrVG und Dietz / Richardi, Bd. 2, Rn. 28 zu §118 BetrVG jeweils mit weiteren Nachweisen. 50 Vgl. Frey, Der Tendenzschutz im Betriebsverfassungsgesetz 1972 und Fitting / Auffarth, Rn. 9 zu § 118 BetrVG. 51 Der Sache nach hat dies allerdings schon immer gegolten. 52 Löwisch, in: Galperin / Löwisch, Bd. 2, Rn. 9 zu § 118 BetrVG.

1. Tatbestand und Rechtsfolgen

53

des Technischen Überwachungsvereins ist zwar staatsentlastend, der Technische Überwachungsverein bezweckt aber keine Einflußnahme auf das politische Leben des Staates, so daß das BAG 5 3 es abgelehnt hat, den Technischen Überwachungsverein als politisches Unternehmen zu qualifizieren. Den Tendenzschutzbestimmungen der betriebs- und unternehmensbezogenen Mitbestimmung für „politische Unternehmen" unterfallen daher alle privatrechtlich organisierten Unternehmen, gleich welcher Rechtsform, deren sachliches und/oder formales Unternehmensziel auf die Verwirklichung auch allgemeinpolitischer (nicht nur parteipolitischer) Ziele gerichtet ist. 1.2.5 „Unternehmen, die unmittelbar und überwiegend koalitionspolitischen Bestimmungen dienen" Nach der allgemeinen Meinung im arbeitsrechtlichen Schrifttum 5 4 erfaßt dieser Tatbestand der Tendenzschutzbestimmungen Arbeitgeber- oder Arbeitnehmervereinigungen, aber auch selbständige Einrichtungen wie z.B. Forschungsinstitute, Schulungsinstitute und Bildungseinrichtungen, die von Koalitionen getragen und geprägt sind. Auf die Rechtsform kommt es nicht an. Hingegen werden nach dieser Meinung Unternehmen nicht als koalitionspolitische Unternehmen gewertet, wenn sie zwar von den Koalitionen abhängen oder beeinflußt sind, aber ihr Unternehmensgegenstand und/oder formales Unternehmensziel auf andere Zwecke als die „Förderung der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen" im Sinne des Artikel 9 Abs. 3 GG abstellt. Das trifft etwa auf von Koalitionen abhängige Banken und sonstige Wirtschaftsunternehmen zu. Löwisch 55 betont, daß es bei diesen Unternehmen am Tatbestandsmerkmal der Unmittelbarkeit fehle. Auch Mieterverbände und Hausbesitzervereine sowie gemeinsame Einrichtungen der Tarifvertragsparteien (z.B. Lohnausgleichskassen, Zusatzversorgungskassen) werden nach der herrschenden Meinung (a.A. Mayer-Maly 56) nicht von den Tendenzschutzbestimmungen für koalitionspolitisch bestimmte Unternehmen erfaßt. Richardi 57 begründet diese Auffassung damit, daß solche Vereinigungen nicht als Koalitionen im Sinne des Artikel 9 Abs. 3 GG zu qualifizieren sind. Der Tatbestand der Tendenzschutzbestimmungen für koalitionspolitische Unternehmen erfaßt demnach Arbeitgeber- und Arbeitnehmervereinigun53

BAG AP Nr. 14 zu § 81 BetrVG 52. So Dietz / Richardi, Bd. 2, Rn. 47 zu § 118 BetrVG mit weiteren Nachweisen. 55 So Löwisch, in: Galperin / Löwisch, Bd. 2, Rn. 12 zu § 118 BetrVG. 56 Mayer-Maly wertet in: AR-Blattei Tendenzbetrieb I, D I I solche Einrichtungen als Koalitionen im Sinne des Artikel 9 Abs. 3 GG. 57 Richardi, in: Dietz / Richardi, Bd. 2, Rn. 48 zu § 118 BetrVG. 54

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Β. I. Regelungsbereich u. Regelungsgegenstände des Tendenzschutzes

gen, aber auch davon rechtlich unabhängige Unternehmen, deren sachliches und/oder formales Unternehmensziel als Teilziel von Arbeitgeber- bzw. Arbeitnehmervereinigungen aufgefaßt werden kann und von den Arbeitgeber- bzw. Arbeitnehmervereinigungen auch als solches Teilziel anerkannt ist.

1.2.6 „ Unternehmen, die unmittelbar und überwiegend wissenschaftlichen oder künstlerischen Bestimmungen dienen" Im arbeitsrechtlichen Schrifttum besteht lediglich über den Kerninhalt dieses Tatbestandes Einigkeit. Die inhaltliche Tragweite des Tatbestandes hängt letztlich von der Bestimmung der Rechtsbegriffe Kunst und Wissenschaft ab. Gerade über den Inhalt dieser Rechtsbegriffe gibt es aber in der Rechtslehre unterschiedliche Auffassungen, die bei der Anwendung des Tatbestandes „für wissenschaftliche und künstlerische Unternehmen" zu abweichenden Ergebnissen führen und von praktisch erheblicher Bedeutung sind. 58 Die überwiegende Meinung 59 bestimmt die inhaltliche Tragweite dieses Tatbestandes durch Rückgriff auf den Inhalt der verfassungsrechtlichen Rechtsbegriffe Wissenschaft und Kunst im Sinne des Artikel 5 Abs. 3 GG. Dementsprechend geht sie davon aus, daß Wissenschaft der Oberbegriff für die Rechtsbegriffe Forschung und Lehre ist 6 0 , da die besondere Erwähnung der Begriffe Forschung und Lehre neben dem Begriff Wissenschaft in Artikel 5 Abs. 3 GG nur deklaratorische Bedeutung habe. Hierbei wird unter Forschung das Streben nach neuen Erkenntnissen und unter Lehre die 58 Wegen der beachtlichen Zahl an Arbeitnehmern und wegen der Ziele staatlicher Forschungspolitik hat z.B. die Frage, ob sog. Großforschungseinrichtungen den Tendenzschutzbestimmungen der betriebs- und unternehmensbezogenen Mitbestimmung unterfallen, erhebliche praktische und politische Bedeutung. Vgl. hierzu WendelingSchröder, WSI, 1983, S. 561 f. Der Bundesminister für Bildung und Wissenschaft hat 1971 „Leitlinien zu Grundsatz-, Struktur- und Organisationsfragen von rechtlich selbständigen Forschungseinrichtungen" veröffentlicht, die auch die fachliche Mitwirkung der wissenschaftlichen und technischen Mitarbeiter an wissenschaftlich-technischen Entscheidungen betreffen und die Bedeutung dieser Frage dokumentieren (s. Schriftenreihe des Bundesministeriums für Bildung und Wissenschaft, Forschungsplan 2, 1970). 59 Für den Bereich der betriebsbezogenen Mitbestimmung: vgl. Fitting / Auffarth, Rn. 14 und 15 zu § 118 BetrVG und Dietz / Richardi, Bd. 2, Rn. 57f. und 60f. zu § 118 BetrVG m.w.N. - Für den Bereich der unternehmensbezogenen Mitbestimmung: Hanau / Ulmer, Rn. 56 zu § 1 MitbestG. - a. A. für betriebsbezogene Mitbestimmung Wendeling-Schröder, AuR 1984, 328 (330f.), die von einem eigenständigen betriebsverfassungsrechtlichen Wissenschaftsbegriff ausgeht. Fabricius, in: GK zum BetrVG, Bd. 2, Rn. 56 zu § 118 BetrVG. - Für die unternehmensbezogene Mitbestimmung Naendrup, in: GK zum MitbestG, Rn. 20 zu § 1 Abs. 4 MitbestG. 60 Vgl. Dreier, in: DVB1 1980, 471 und Scholz, in: Maunz / Dürig, Rn. 9 und 85 zu Art. 5 Abs. 3 GG.

1. Tatbestand und Rechtsfolgen

55

systematisch angelegte Verbreitung der Erkenntnisse 61 verstanden. Unter Wissenschaft versteht die arbeitsrechtliche Literatur entsprechend der Definition des Bundesverfassungsgerichts 62 „alles was nach Inhalt und Form als ernsthafter, planmäßiger Versuch zur Ermittlung der Wahrheit anzusehen ist." Der verfassungsrechtliche Wissenschaftsbegriff umfaßt nach allgemeiner Meinung 63 auch anwendungsorientierte und interessenmäßig gebundene Forschung und/oder Lehre. Aus der Auffassung der h.M. im Arbeitsrecht, die den Rechtsbegriff Wissenschaft der §§ 118 Abs. 1 Nr. 1 BetrVG, 1 Abs. 4 Satz 1 Nr. 1 MitbestG und 81 Abs. 1 BetrVG 52 dem verfassungsrechtlichen Wissenschaftsbegriff gleichsetzt, folgt somit, daß der Tatbestand der genannten Tendenzschutzbestimmungen für „wissenschaftliche Unternehmen" alle Unternehmen erfaßt, die entsprechend ihrem sachlichen Unternehmensziel (Unternehmensgegenstand) grundlagenund/oder anwendungsorientierte Forschung und/oder wissenschaftliche Lehre betreiben. Auch kommerziell ausgerichtete Forschungseinrichtungen (formales Unternehmensziel) müssen nach dieser Meinung konsequenterweise dem Tendenzschutztatbestand für „wissenschaftliche Unternehmen" unterfallen. Nach der überwiegenden Meinung des arbeitsrechtlichen Schrifttums 64 erfaßt deshalb der Tatbestand für „wissenschaftliche Unternehmen" der §§ 118 Abs. 1 Nr. 1 BetrVG, 1 Abs. 4 Satz 1 Nr. 1 MitbestG bzw. 81 Abs. 1 BetrVG 52 privatrechtlich organisierte 65 außeruniversitäre Forschungseinrichtungen (z.B. Max-Planck-Institut für Plasmaphysik GmbH; Kernforschungszentrum Karlsruhe GmbH) auch dann, wenn sie Auftragsforschung 61 So Küchenhoff, in: DÖV 64, 663. e2 BVerfGE 35, 79 (113). 63 So Scholz, in: Maunz / Dürig, Rn. 98 zu Art. 5 Abs. 3 GG m.w.N.. 64 Für die betriebsbezogene Mitbestimmung: vgl. E. J. Meusel, Sind Großforschungseinrichtungen Tendenzbetriebe?, in: Wissenschaftsrecht, Wissenschaf tsverwaltung, Wissenschaftsförderung (1984), Bd. 17, S. 15ff. m.w.N.; Mayer-Maly, AR Blattei Tendenzbetrieb I, D VI; Galperin / Löwisch, Bd. 2, Rn. 20 - 20c zu §118 BetrVG; Dietz / Richardi, Bd. 2, Rn. 57. - Für die unternehmensbezogene Mitbestimmung: vgl. Meilicke / Meilicke, Kommentar zum MitbestG, 2. Aufl., Rn. 29 zu § 1 MitbestG; Hof mann / Lehmann / Weinmann, MitbestG, Rn. 56 zu § 1 MitbestG; Hanau / Ulmer, Rn. 56 zu § 1 MitbestG. 65 Soweit der Träger solcher Forschungseinrichtungen eine natürliche oder juristische Person oder eine Personengesamtheit des Privatrechts ist, werden solche Forschungseinrichtungen vom Geltungsbereich des BetrVG erfaßt. Sie können daher auch dem Tatbestand für „wissenschaftliche Unternehmen" des § 118 Abs. 1 Nr. 1 BetrVG unterfallen. Soweit der Träger einer Forschungseinrichtung in den in § 1 Abs. 1 Nr. 1 MitbestG und/oder in den in §§ 76 Abs. 1 und 77 BetrVG 52 aufgeführten Rechtsformen organisiert ist, können solche sog. Großforschungseinrichtungen auch in den Geltungsbereich der unternehmensbezogenen Mitbestimmung fallen. Sie können daher auch vom Tatbestand für wissenschaftliche Unternehmen des § 1 Abs. 4 Satz 1 Nr. 1 MitbestG oder des § 81 Abs. 1 BetrVG erfaßt sein. Es ist dabei unerheblich, ob und in welchem Umfang Körperschaften des öffentlichen Rechts an der Trägergesellschaft beteiligt sind, und ob der Staat aufgrund ihrer Abhängigkeit von ihm mit ihnen und durch sie „staatliche" Wissenschafts- und Wirtschaftspolitik betreibt. Vgl. hierzu Dietz / Richardi, Bd. 2, Rn. 2 zu § 130 BetrVG.

56

Β. I. Regelungsbereich u. Regelungsgegenstände des Tendenzschutzes

und zweckgebundene Industrieforschung betreiben. Auch rein kommerzielle Forschungsgesellschaften unterfallen diesem Tatbestand. 66 Nach einer Mindermeinung fallen hingegen Forschungseinrichtungen in privatrechtlicher Trägerschaft nicht unter den Tatbestand der Tendenzschutzbestimmungen für wissenschaftliche Unternehmen, wenn sie zweckgebunden (und abhängig) im Aufrag Dritter Forschung betreiben 67 und/oder Forschung „rein kommerziell" betreiben 68 , ihr formales Unternehmensziel also in Gewinnerzielung besteht. Die Rechtslehre stimmt allerdings darin überein 69 , daß die Tendenzschutzbestimmungen für „wissenschaftliche Unternehmen" nicht auf solche Unternehmen anzuwenden sind, bei denen lediglich in einzelnen Abteilungen Forschung betrieben wird. Da in solchen Unternehmen die Forschung nicht Unternehmensgegenstand (sachliches Unternehmensziel) ist, ist dieser Auffassung zuzustimmen. Neben den außeruniversitären Forschungseinrichtungen subsumiert die h. M. auch private Hochschulen 70 , Versuchsgüter, wissenschaftliche Bibliotheken und Museen 71 , aber auch wissenschaftliche Buch- und Zeitschriftenverlage den Tendenzschutzbestimmungen der betriebs- und unternehmensbezogenen Mitbestimmung für „wissenschaftliche Unternehmen". Letztere sollen sowohl vom Tatbestand für „wissenschaftliche Unternehmen" als auch vom Tatbestand für Unternehmen, die der „Berichterstattung oder Meinungsäußerung" dienen, erfaßt sein. 72 Das arbeitsrechtliche Schrifttum 7 3 wertet als künstlerisch bestimmte Unternehmen i.S. dieser Tendenzschutzbestimmungen alle Unternehmen, 66

s. die unter Fn. 64 aufgeführten Autoren. In diesem Sinne ist wohl Wendeling-Schröder, AuR 84, 328f. (332) zu verstehen, die darauf abstellen will, ob die Ergebnisse der wissenschaftlichen Forschung in solchen Forschungseinrichtungen „aus Gründen fremder Interessen verschlossen" werden können. Forschungseinrichtungen unter fallen ihrer Meinung nach nur dann den Tendenzschutzbestimmungen, wenn deren Arbeit keinen „übergeordneten wissenschaftsfremden Zwecken dient". 68 Für die betriebsbezogene Mitbestimmung: so Fitting / Auffarth, Rn. 14 zu § 118 BetrVG; Gnade / Kehrmann / Schneider-Blanke, BetrVG 2. Aufl., Rn. 19 zu §118; Kammann / Hess / Schlochauer, Rn. 19; Fabricius, in: GK zum BetrVG, Rn. 56, 60ff.; Wendeling-Schröder, AuR 1984, 328 (334). - Für die unternehmensbezogene Mitbestimmung: so Naendrup, in: GK zum MitbestG, Rn. 40 zu § 1 Abs. 4 MitbestG; Fitting / Wlotzke / Wißmann, Rn. 34 zu § 1 MitbestG; Raiser, MitbestG 2. Aufl. 1984, Rn. 39 zu § 1 MitbestG. 69 So Dietz / Richardi, Bd. 2, Rn. 57 zu § 118 BetrVG m. w.N. 70 So Dietz / Richardi, Bd. 2, Rn. 59 zu § 118 BetrVG, der zu Recht betont, daß sog. Tendenzuniversitäten (vgl. hierzu Scholz, in: Maunz / Dürig, Rn. 97 zu Art. 5 Abs. 3 GG) keine wissenschaftlichen Zielsetzungen verfolgen und daher allenfalls anderen Tendenzschutzbestimmungen als der für „wissenschaftliche Unternehmen" unterfallen können. 71 Vgl. Mayer-Maly, AR Blattei, Tendenzbetrieb I, D IV. 72 So Dietz / Richardi, Bd. 2, Rn. 58 zu § 118 BetrVG m.w.N. des Schrifttums und der Rechtsprechung. 67

1. Tatbestand und Rechtsfolgen

57

deren sachliches Unternehmensziel (Unternehmensgegenstand) auf Herstellung und/oder Verbreitung von Kunst gerichtet ist. Bei der Bestimmung des Tatbestandsmerkmals „künstlerisch" wird dabei von verfassungsrechtlichen Definitions versuchen des Begriffes Kunst im Sinne des Artikel 5 Abs. 3 GG ausgegangen. Der verfassungsrechtliche Kunstbegriff ist jedoch strittig 7 4 , so daß auch in der arbeitsrechtlichen Literatur die Meinungen über die inhaltliche Tragweite des Rechtsbegriffs „künstlerisch" erheblich voneinander abweichen. Zum Teil wird ein gewisses Mindestmaß an Ästhetik und Phantasie verlangt. Die Vertreter dieser Auffassung zählen daher z.B. Zirkusunternehmen nicht zu künstlerischen Unternehmen. 75 Immerhin stimmt die arbeitsrechtliche Literatur darin überein, daß Theater, Filmateliers, Orchesterbetriebe, Konzertagenturen, Buchverlage, die literarische Werke verlegen, oder Musikverlage von dem Tatbestand der Tendenzschutzbestimmungen für „künstlerische Unternehmen" erfaßt sind. Nach der herrschenden Meinung 76 erfaßt dieser Tatbestand jedoch keine Unternehmen, die Schallplatten herstellen und vertreiben sowie keine Buchhandlungen und Filmtheater. Bei den Tendenzschutzbestimmungen für „künstlerische Unternehmen" ist strittig, ob urheberrechtliche Verwertungsgesellschaften wie GEMA und WORT vom Tatbestand der Tendenzschutzbestimmungen für Unternehmen, die „künstlerischen Bestimmungen dienen", erfaßt werden. 77 Trotz einer weitgehenden Übereinstimmung über den Kerninhalt des Tatbestands der Tendenzschutzbestimmungen für „wissenschaftliche oder künstlerische Unternehmen" sind demnach noch viele Einzelfragen strittig. Ähnlich wie bei der ebenfalls strittigen inhaltlichen Tragweite des Tatbestands der Tendenzschutzbestimmungen für Religionsgemeinschaften, konfessionelle Unternehmen, karitative und erzieherische Einrichtungen von Religionsgemeinschaften wird auch beim Tatbestand der Tendenzschutzbestimmungen für wissenschaftliche oder künstlerische Unternehmen als Arbeitshypothese in der nachfolgenden Untersuchung von einer interpretatorisch gerade noch vertretbaren extensiven Auslegung ausgegangen. Der Tatbestand der Tendenzschutzbestimmungen für „wissenschaftliche oder künstlerische Unternehmen" umfaßt danach alle Unternehmen, deren sachliches Unternehmensziel (Unternehmensgegenstand) wissenschaftliche For73 Vgl. Galperin / Löwisch, Bd. 2, Rn. 23 zu § 118 BetrVG mit weiteren Literaturnachweisen sowie Hanau / Ulmer, Rn. 56 zu § 1 MitbestG. 74 Vgl. hierzu die Ausführungen unter B.III.2.2.5.3. 75 Dietz / Richardi, Bd. 2, Rn. 37 zu § 118 BetrVG und Fitting / Auffarth, Rn. 15 zu §118 BetrVG. 76 Dietz / Richardi, Bd. 2, Rn. 62 zu § 118 BetrVG mit weiteren Nachweisen. 77 So wertet Neumann-Duesberg, in: BB 73, 949 die GEMA als künstlerisches Unternehmen; für die gegenteilige herrschende Meinung vgl. Dietz / Richardi, Bd. 2, Rn. 62 zu § 118 BetrVG.

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Β. I. Regelungsbereich u. Regelungsgegenstände des Tendenzschutzes

schung und Lehre bzw. Herstellung oder Verbreitung von Kunst ist. Bei dem Begriff Kunst wird davon ausgegangen, daß er nicht durch bestimmte Anforderungen an die Ästhetik oder Phantasie eingeschränkt ist. 1.2.7 „Unternehmen, die unmittelbar und überwiegend Zwecken der Berichterstattung und Meinungsäußerung dienen"; Verhältnis zu „konfessionellen Unternehmen", „politischen Unternehmen", „koalitionspolitischen Unternehmen" und „wissenschaftlichen oder künstlerischen Unternehmen" Die herrschende Meinung 78 in der Arbeitsrechtswissenschaft bestimmt die inhaltliche Tragweite dieses Tatbestandes entsprechend dem Schutzbereich des Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG. Diese Auffassung ist zutreffend, da der Wortlaut der Tendenzschutzbestimmungen der §§118 Abs. 1 Nr. 2 BetrVG und 1 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 MitbestG auf Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG verweist. Nach der herrschenden Meinung erfaßt dieser Tatbestand daher grundsätzlich alle Unternehmen, deren Unternehmensgegenstand dem verfassungsrechtlichen Begriff der Presse oder dem verfassungsrechtlichen Tatbestandsmerkmal der Berichterstattung durch Rundfunk und Film unterfällt. Nach der herrschenden Meinung 79 des Staatsrechts und der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts 80 ist der Pressebegriff des Grundgesetzes formal aufzufassen. Es kommt daher nicht darauf an, ob die vervielfältigte Meinungsäußerung oder Berichterstattung nach irgendeinem Maßstab wertvoll ist oder nicht. 8 1 Dem Tatbestand müßten demnach alle Unternehmen, deren sachliches Unternehmensziel die Vervielfältigung und/oder Verbreitung des „stehenden" oder „gedruckten" Wortes für eine unbestimmte Anzahl von Personen beinhaltet, unterfallen. Die Herstellungsmethoden (z.B. Druck) sind dabei gleichgültig. Gleichwohl lehnt es die herrschende Meinung ab 8 2 , diese Tendenzschutzbestimmungen auf Zeitungsund Zeitschriftenverlage anzuwenden, die ausschließlich Anzeigenblätter, Adreßbücher oder Formulare herausgeben. Auch bei Buchverlagen ist strittig 8 3 , ob sie den Tendenzschutzbestimmungen unterfallen, wenn sie ein viel78

Vgl. Dietz / Richardi, Bd. 2, Rn. 67 zu § 118 BetrVG mit weiteren Nachweisen. So Maunz / Dürig, Rn. 137 zu Art. 5 GG mit weiteren Nachweisen. 80 BVerfGE 39, 159 (164). 81 Vgl. Herzog, in: Maunz / Dürig, Rn. 128 und 129 zu Art. 5 Abs. 1 und 2 GG und BVerfGE 34, 269 (283). 82 Für die unternehmensbezogene Mitbestimmung z.B. Ulmer, in: Hanau / Ulmer, Rn. 58 zu § 1 MitbestG mit weiteren Nachweisen der herrschenden Meinung. - Für die betriebsbezogene Mitbestimmung z.B. Richardi, in: Dietz / Richardi, Rn. 42 zu § 118 BetrVG mit weiteren Nachweisen. - a. A. vor allem Löwisch, in: Galperin / Löwisch, Bd. 2, Rn. 27 zu § 118 BetrVG. 83 In der unternehmensbezogenen Mitbestimmung lehnt die weit überwiegende Meinung (vgl. Naendrup, in: GK zum MitbestG, Rn. 23 ff. zu § 1 MitbestG) eine solche 79

1. Tatbestand und Rechtsfolgen

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fältiges Verlagsprogramm aufweisen. Schließlich lehnt die herrschende Meinung auch den Tendenzschutz für Lohndruckereien ab. 84 In ähnlicher Weise wie bei „Presseunternehmen" bestimmt die herrschende Meinung in der arbeitsrechtlichen Literatur auch den Kreis der Unternehmen, die Zwecken der „Berichterstattung durch Rundfunk und Film" dienen. Durch die Verweisung der §§ 118 Abs. 1 Nr. 2 BetrVG und 1 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 MitbestG auf Artikel 5 Abs. 1 Satz 2 GG werden auch Rundfunk und Film von diesem Tatbestand erfaßt. Entsprechend der herrschenden Meinung des Staatsrechts und der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts 85 sind auch die verfassungsrechtlichen Begriffe Rundfunk und Film formal zu bestimmen. Unter den Begriff Rundfunk fällt nicht nur das Fernsehen, sondern jede Übermittlung (visuell oder akustisch) von Gedankeninhalten für eine unbestimmte Anzahl von Personen. Auf das Übertragungsmittel (z.B. elektromagnetische Wellen) kommt es hierbei sowenig an wie darauf, ob der übermittelte Gedanke nach irgendeinem Maßstab wertvoll ist oder nicht. Der verfassungsrechtliche Begriff Film umfaßt alle projizierbaren belichteten Streifen, die einer unbestimmten Personenzahl sichtbar gemacht werden. 86 Der Unterschied zwischen Rundfunk und Film besteht lediglich in der Technik der Darbietung. 87 Obwohl auch die verfassungsrechtlichen Begriffe Rundfunk und Film formal sind und es dementsprechend nicht darauf ankommen kann, ob die für die Öffentlichkeit bestimmten Übermittlungen von Gedankeninhalten wertvoll sind oder nicht, ist es im arbeitsrechtlichen Schrifttum strittig, ob Unternehmen, die solche Übermittlung betreiben (z.B. Filmgesellschaften) unter die Tendenzschutzbestimmungen fallen, wenn sie ausschließlich auf dem sogenannten Unterhaltungssektor tätig sind. Nach der wohl überwiegenden Meinung 88 sind sie nicht als Unternehmen aufzufassen, die Zwecken der Berichterstattung und Meinungsäußerung dienen. Die herrschende Meinung betont auch 89 , daß der Tatbestand nicht auf das formale Unterneheinschränkende Auslegung ab. - In der betriebsbezogenen Mitbestimmung befürwortet hingegen eine Mindermeinung diese Einschränkung wie z.B. Fabricius, in: GK zum BetrVG, Rn. 86ff. zu § 118 BetrVG; Weiß, Rn. 15 zu § 118 BetrVG; Ihlefeld, in: AuR 1975, 236ff. - Für die herrschende Meinung vgl. Dietz / Richardi, Bd. 2, Rn. 62 zu §118 BetrVG. 84 So z.B. Ulmer, in: Hanau / Ulmer, Rn. 58 zu § 1 MitbestG mit weiteren Nachweisen. - Fitting / Auffarth, Rn. 21 zu § 118 BetrVG mit weiteren Nachweisen, Dietz / Richardi, Bd. 2, Rn. 53 zu § 118 BetrVG; a. A. Löwisch, in: Galperin / Löwisch, Bd. 2, Rn. 29 zu § 118 BetrVG. ss Vgl. BVerfGE 12, 205 (260); v. Münch, in: GG-Kommentar, Rn. 32 zu Art. 5 GG mit weiteren Literaturnachweisen. 86 Herzog, in: Maunz / Dürig, Rn. 198 zu Art. 5 Abs. 1 und 2 GG. 87 Vgl. Sturck, in: NJW 80, 1359 (1363). 88 Vgl. Dietz / Richardi, Bd. 2, Rn. 78 zu § 118 BetrVG. 89 Dietz / Richardi, Bd. 2, Rn. 73 zu § 118 BetrVG mit weiteren Nachweisen.

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Β. I. Regelungsbereich u. Regelungsgegenstände des Tendenzschutzes

mensziel abstellt. Es ist daher rechtlich unerheblich, ob das Unternehmen erwerbswirtschaftlich orientiert ist oder nicht. Dem Tatbestand unterfallen alle Unternehmen, deren sachliches Unternehmensziel den verfassungsrechtlichen Begriffen Presse, Rundfunk und Film zuzuordnen ist. Die herrschende Meinung 90 und die Rechtsprechung des B A G 9 1 schränken den wegen des verfassungsrechtlichen Bezugs weiten Anwendungsbereich des Tatbestandes der Tendenzschutzbestimmungen für Unternehmen, die Zwecken der Berichterstattung oder Meinungsäußerung dienen, mit Hilfe der einfachgesetzlichen Tatbestandsmerkmale der Unmittelbarkeit und des Überwiegens wiederum ein. So sollen Unternehmen, die Anzeigenblätter, amtliche Mitteilungen, Formulare und Telefonbücher herausgeben, zumindest dann nicht dem Tatbestand unterfallen, wenn diese Verlagsunternehmen keine Auswahl unter den Anzeigen, amtlichen Mitteilungen und Formularen treffen. Nach der herrschenden Meinung und der Rechtsprechung des B A G 9 2 dienen nämlich solche Unternehmen nicht den Zwecken der Meinungsäußerung oder Berichterstattung. Auch der Buchhandel, Buchgemeinschaften, soweit sie keine eigenen Bücher verlegen, der Handel mit Zeitschriften und Zeitungen (Lesezirkel) unterfallen nach der herrschenden Meinung 9 3 nicht den Tendenzschutzbestimmungen, da sie nicht unmittelbar und überwiegend Zwecken der Meinungsäußerung oder Berichterstattung dienen. Bei solchen Unternehmen vertritt die herrschende Meinung die Auffassung, daß nicht der Zweck der Meinungsäußerung, sondern das Gewinnstreben im Vordergrund stünde, so daß die Berichterstattung und Meinungsäußerung „Warencharakter" habe. Strittig ist auch, ob Presse- und Nachrichtenagenturen den Tendenzschutzbestimmungen unterfallen, da sie nicht für den „Endverbraucher" tätig sind. Bei ihnen fehlt es nach einer beachtlichen Meinung 9 4 am Merkmal der Unmittelbarkeit. Nach der herrschenden Meinung 95 und der Rechtsprechung des B A G 9 6 unterfallen auch rechtlich selbständige Druckereien nicht den Tendenzschutzbestimmungen. Ihr Zweck sei unmittelbar auf die technische Herstellung gerichtet, nicht aber auf Zwecke der Berichterstattung oder Meinungsäußerung. Das BAG vertritt mit der herrschenden Meinung 97 diese Auffassung konsequenterweise nicht nur bei sogenannten Lohn- und Auftrags90

s. die Nachweise unter 83 mit 85. 1 Vgl. BAG AP Nrn. 3 und 15 zu § 118 BetrVG. 92 BAGE 22, 360 (371 ff.). 93 Vgl. Dietz / Richardi, Bd. 2, Rn. 69 zu § 118 BetrVG. 94 Vgl. Galperin / Löwisch, Bd. 2, Rn. 29 zu § 118 BetrVG. 95 Vgl. Dietz / Richardi, Bd. 2, Rn. 79 zu § 118 BetrVG mit weiteren Nachweisen. 96 BAGE 27, 301 (309ff.). 97 Dietz / Richardi, Bd. 2, Rn. 79 zu § 118 BetrVG. 9

1. Tatbestand und Rechtsfolgen

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druckereien, sondern auch dann, wenn das rechtlich selbständige Unternehmen im Konzern mit Verlagsunternehmen verbunden ist. Auch hier kann die Frage zunächst dahingestellt bleiben, ob diese Einschränkungen, die die herrschende Meinung und die Rechtsprechung des BAG entweder durch Abstellen auf das formale Unternehmensziel Gewinnerzielung oder durch das Abstellen auf die einfachgesetzlichen Tatbestandsmerkmale der Unmittelbarkeit und des Überwiegens vornehmen, zutreffend sind. Als Arbeitshypothese wird auch beim Tatbestand der Tendenzschutzbestimmungen der betriebs- und unternehmensbezogenen Mitbestimmung für „Unternehmen, die unmittelbar und überwiegend Zwecken der Berichterstattung oder Meinungsäußerung dienen", davon ausgegangen, daß dieser Tatbestand auch Unternehmen erfaßt, die ausschließlich den formalen Unternehmenszweck der Gewinnerzielung verfolgen oder die Druckereien, Adreßbuchverlage usw. sind. Der Unternehmensgegenstand dieser Unternehmen ist nämlich ebenfalls die Berichterstattung oder Meinungsäußerung. Diese Auffassung wird im Schrifttum auch vertreten 98 , so daß sie als Arbeitshypothese für die hier interessierende Frage der verfassungsrechtlichen Grundlagen dieses Tatbestandes der Tendenzschutzbestimmungen geeignet ist. Die vorliegende Untersuchung geht daher davon aus, daß der Tatbestand der Tendenzschutzbestimmungen für Unternehmen, die der Berichterstattung oder Meinungsäußerung dienen, alle Unternehmen erfaßt, deren sachliches Unternehmensziel (Unternehmensgegenstand) entweder den genannten Bereich der Vervielfältigung und Verbreitung des „stehenden" Wortes an eine Vielzahl von Personen (Presse) bzw. die (visuelle oder akustische) Vervielfältigung und Verbreitung von Gedankeninhalten (Rundfunk und Film) oder einen Teil dieses Gesamtbereiches (z.B. Verbreitung) erfaßt. Hingegen ist es rechtlich irrelevant, welches formale Unternehmensziel (z.B. Gewinnerzielung) solche Unternehmen verfolgen. Der Tatbestand für Unternehmen, die Zwecken der Berichterstattung oder Meinungsäußerung dienen, überschneidet sich mit dem Tatbestand der Tendenzschutzbestimmungen für Unternehmen, die politischen, koalitionspolitischen, konfessionellen und wissenschaftlichen oder künstlerischen Zwecken dienen. So können beispielsweise wissenschaftliche Buchverlage sowohl als wissenschaftliche Unternehmen als auch als Unternehmen, die Zwecken der Berichterstattung oder Meinungsäußerung dienen, aufgefaßt werden. Da die Rechtsfolgen des Tatbestandes dieser Tendenzschutzbestimmungen jeweils für den Bereich der betriebsbezogenen Mitbestimmung und für den Bereich der unternehmensbezogenen Mitbestimmung gleich sind, kann nicht angenommen werden, daß diese Tendenzschutzbestimmungen nebeneinander zum Zuge kommen sollen. Es liegt somit jeweils für den 98

Vgl. zu dieser Frage bei Lohndruckereien: Mayer-Maly, in: AfP 1969, 843.

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Β. I. Regelungsbereich u. Regelungsgegenstände des Tendenzschutzes

Bereich der betriebsbezogenen und der unternehmensbezogenen Mitbestimmung eine sogenannte Gesetzeskonkurrenz 99 vor. Der Tatbestand für Unternehmen, die der Berichterstattung oder Meinungsäußerung dienen, ist insoweit entweder im Tatbestand der Tendenzschutzbestimmungen für wissenschaftliche, politische, koalitionspolitische oder konfessionelle Unternehmen enthalten. Die Tendenzschutzbestimmungen für diese Unternehmen gehen daher den Tendenzschutzbestimmungen für Unternehmen, die Zwekken der Berichterstattung und Meinungsäußerung dienen, als leges speciales vor. 1.3 Rechtsfolgen der einzelnen Tendenzschutzbestimmungen

Die Rechtsfolgen der Tendenzschutzbestimmungen ändern die „normative Situation" 1 0 0 für Tendenzunternehmen im Vergleich zu Nichttendenzunternehmen. Ohne die Rechtsfolgen der Tendenzschutzbestimmungen würden die Tendenzunternehmen im gleichen Umfang und unter den gleichen Voraussetzungen wie Nichttendenzunternehmen voll den Regelungen der betriebsbezogenen Mitbestimmung bzw. den Regelungen der einfachen oder erweiterten 101 Mitbestimmung unterliegen. 1.3.1 Rechtsfolgen der Tendenzschutzbestimmungen in der betriebsbezogenen und unternehmensbezogenen Mitbestimmung Der Kreis der Tendenzunternehmen, für die die Rechtsfolgen der Tendenzschutzbestimmungen zur betriebsbezogenen und zur unternehmensbezogenen Mitbestimmung Rechtswirkungen entfalten, ist nicht deckungsgleich. Die Rechtsfolgen der Tendenzschutzbestimmungen zur unternehmensbezogenen Mitbestimmung entfalten nur Rechtswirkungen für Tendenzunternehmen, die in der Rechtsform der Aktiengesellschaft, der Kommanditgesellschaft auf Aktien, der GmbH, einer bergrechtlichen Gesellschaft 102 , einer Erwerbs- und Wirtschaftsgenossenschaft oder eines Versicherungsvereins auf Gegenseitigkeit betrieben werden, wenn solche 99 Vgl. zum Problem der Konkurrenz von Rechtssätzen und der sog. Gesetzeskonkurrenz: Larenz, Methodenlehre, S. 206ff. 100 v g l zippelius, Einführung in die juristische Methodenlehre, unter II.5b (S. 34). 101 Die Regelungen der unternehmensbezogenen Mitbestimmung im BetrVG 52 werden üblicherweise als einfache Mitbestimmung, die entsprechenden Regelungen des Mitbestimmungsgesetzes werden als erweiterte Mitbestimmung bezeichnet; vgl. z.B. Wiedemann, Gesellschaftsrecht, S. 598ff. und 600ff. 102 Auch bergrechtliche Gewerkschaften können den Tendenzschutzbestimmungen des § 1 Abs. 4 MitbestG unterfallen (vgl. § 1 Abs. 1 Nr. 1 MitbestG). Auf bergrechtliche Gewerkschaften wird aber in der nachfolgenden Untersuchung nicht näher eingegangen, da bergrechtliche Gewerkschaften, die bis zum 1. Januar 1986 nicht umgewandelt, verschmolzen oder aufgelöst sind, von Gesetzes wegen aufgelöst sind (§ 163 Bundesberggesetz).

1. Tatbestand und Rechtsfolgen

63

Tendenzunternehmen eine bestimmte Mindestzahl von Beschäftigten haben. (Abgesehen von Aktiengesellschaften, die keine Familiengesellschaft sind, und abgesehen von der Kommanditgesellschaft auf Aktien in der einfachen Mitbestimmung.) Hingegen entfalten die Rechtsfolgen der Tendenzschutzbestimmungen in der betriebsbezogenen Mitbestimmung Rechtswirkungen für alle privatrechtlich organisierten Unternehmen, die betriebsratsfähig sind. Die Rechtsfolgen der Tendenzschutzbestimmungen in der betriebsbezogenen und in der unternehmensbezogenen Mitbestimmung unterscheiden sich auch in ihrer Intensität. Während die Rechtsfolgen der Tendenzschutzbestimmungen für die betriebsbezogene Mitbestimmung, mit Ausnahme der Rechtsfolgen der Tendenzschutzbestimmungen für Religionsgemeinschaften und deren karitative und erzieherische Einrichtungen, die Normen der betriebsbezogenen Mitbestimmung nur teilweise, teils absolut, teils relativ, einschränken, schließen die Rechtsfolgen der Tendenzschutzbestimmungen in der unternehmensbezogenen Mitbestimmung die Normen der unternehmensbezogenen Mitbestimmung völlig und absolut aus. 1.3.2 Unterschiede in den Rechtsfolgen der jeweiligen Tendenzschutzbestimmungen Die Rechtsfolgen der Tendenzschutzbestimmungen sind auch innerhalb der betriebsbezogenen Mitbestimmung verschieden. Während die Tendenzschutzbestimmungen für Religionsgemeinschaften und deren karitative und erzieherische Einrichtungen die Bestimmungen der betriebsbezogenen M i t bestimmung völlig ausschließen, schränken die Tendenzschutzbestimmungen des § 118 Abs. 1 BetrVG die Normen der betriebsbezogenen Mitbestimmung nur teilweise, teils absolut, teils relativ, ein. Darüber hinaus kann auch die sogenannte „Eigenartklausel" 1 0 3 des § 118 Abs. 1 Satz 1 2. Halbsatz BetrVG bei den einzelnen Tendenzschutzbestimmungen des § 118 Abs. 1 BetrVG zu abweichenden Rechtsfolgen führen. Es ist nämlich denkbar, daß die „Eigenart" eines konfessionell bestimmten Tendenzunternehmens generell-abstrakt den Ausschluß anderer betriebsverfassungsrechtlicher Normen erfordert, als die „Eigenart" eines Unternehmens, das politischen Zwecken dient. Auf diese Frage w i r d in späterem Zusammenhang noch näher eingegangen. Die Rechtsfolgen der Tendenzschutzbestimmungen zur unternehmensbezogenen Mitbestimmung weichen in ihren Wirkungen insoweit voneinander 103 In der arbeitsrechtlichen Literatur wird der „Soweit-Satz" des § 118 Abs. 1 Satz 1 BetrVG häufig als Eigenartklausel (vgl. z.B. Fitting / Auffarth, Rn. 22 zu § 118 BetrVG) oder als Relativklausel (vgl. z.B. Dietz / Richardi, Bd. 2, Rn. 103 zu § 118 BetrVG) bezeichnet. Nachfolgend wird die Bezeichnung Eigenartklausel verwandt.

64

Β. I. Regelungsbereich u. Regelungsgegenstände des Tendenzschutzes

ab, als die Tendenzschutzbestimmungen des § 81 BetrVG 52 die normative Situation für einen teilweise anderen (z.B. Versicherungsverein auf Gegenseitigkeit) und größeren Kreis von Tendenzunternehmen ändern als die des § 1 Abs. 4 MitbestG. Wie anschließend unter B.I.2. zu zeigen sein wird, ändern die Rechtsfolgen der §§ 81 BetrVG 52 bzw. 1 Abs. 4 MitbestG jeweils eine andere normative Situation, da der Inhalt der Regelung der einfachen Mitbestimmung nach §81 BetrVG 52 nicht mit den Regelungen der erweiterten Mitbestimmung des Mitbestimmungsgesetzes übereinstimmt.

2. Regelungsbereich und Regelungsgegenstände der Tendenzschutzbestimmungen Die Tendenzschutzbestimmungen der betriebsbezogenen Mitbestimmung (§118 BetrVG) könnten für die Tendenzunternehmen den gleichen Ausschnitt aus der sozialen Wirklichkeit rechtlich gestalten (Regelungsbereich), wie dies die übrigen Bestimmungen des BetrVG für Nichttendenzunternehmen tun. Auch könnten die Gegenstände, die beim Regelungsbereich der betriebsbezogenen Mitbestimmung für Tendenzunternehmen und Nichttendenzunternehmen rechtlich gestaltet werden, dieselben sein (z.B. betriebliche Struktur des Unternehmens). Nicht anders könnte es sich bei den Tendenzschutzbestimmungen der unternehmensbezogenen Mitbestimmung für den von der unternehmensbezogenen Mitbestimmung erfaßten und gestalteten Lebenssachverhalt verhalten. 2.1 Regelungsbereich der Tendenzschutzbestimmungen

2.1.1 Zugehörigkeit der Tendenzschutzbestimmungen zum Regelungsbereich der betriebs- bzw. unternehmensbezogenen Mitbestimmung Die Tendenzschutzbestimmungen des § 118 Abs. 1 BetrVG gehören zum Regelungsbereich der betriebsbezogenen Mitbestimmung, da sie in den von § 118 Abs. 1 BetrVG erfaßten Tendenzunternehmen eine betriebsbezogene Mitbestimmung vorschreiben („regeln"). § 118 Abs. 1 BetrVG schränkt die betriebsbezogene Mitbestimmung für diese Tendenzunternehmen nämlich nur ein, schließt die betriebsbezogene Mitbestimmung jedoch nicht aus. Dementsprechend spricht Richardi 104 von einer Sonderbetriebsverfassung für die von § 118 Abs. 1 BetrVG erfaßten Tendenzunternehmen. Die übrigen Tendenzschutzbestimmungen sowohl der betriebsbezogenen Mitbestimmung (§118 Abs. 2 BetrVG) als auch alle Tendenzschutzbestim104

So Richardi, in: Dietz / Richardi, Bd. 2, Rn. 2 zu § 118 BetrVG.

. Regelungsbereich u

Regelungsgegenstände

mungen zur unternehmensbezogenen Mitbestimmung (§§1 Abs. 4 MitbestG und 81 BetrVG 52) legen jedoch ausdrücklich fest, daß die Normen der betriebsbezogenen bzw. der unternehmensbezogenen Mitbestimmung „nicht anzuwenden" sind bzw. „keine Anwendung finden". Bei diesen Tendenzschutzbestimmungen ist daher fraglich, ob es sich überhaupt um mitbestimmungsrechtliche Regelungen handelt. Bei den Tendenzschutzbestimmungen für Religionsgemeinschaften und deren karitative und erzieherische Einrichtungen in der betriebsbezogenen bzw. unternehmensbezogenen Mitbestimmung sind die Ansichten darüber geteilt 1 0 5 , ob der Staat für diese Tendenzunternehmen einen von gesetzlichen Mitbestimmungsregelungen rechtsfreien Raum gelassen hat, oder ob er eine Regelung der betriebs- und unternehmensbezogenen Mitbestimmung auch für diese Tendenzunternehmen getroffen hat. Sollte letzteres der Fall sein, so würde es sich um eine „negative" (Ausschluß der Mitbestimmung) Regelung handeln. Mit diesem Problem eng zusammen hängt die Frage, ob den Religionsgemeinschaften eine staatliche Verpflichtung obliegt, eine der betriebsbezogenen oder unternehmensbezogenen Mitbestimmung entsprechende „kirchliche Dienstverfassung" zu schaffen. 106 Für die nicht „religionsrechtlichen" Tendenzschutzbestimmungen der unternehmensbezogenen Mitbestimmung (§§1 Abs. 4 Satz 1 MitbestG und 81 Abs. 1 BetrVG 52) wird diese Frage nicht näher diskutiert. 1 0 7 Aber auch für diese Vorschriften besteht das Problem, ob für die von diesen Tendenzschutzbestimmungen erfaßten Arten von Tendenzunternehmen ein von gesetzlichen Regelungen der unternehmensbezogenen Mitbestimmung rechtsfreier Raum gelassen wurde oder ob die unternehmensbezogene M i t bestimmung auch für diese Tendenzunternehmen - wenn auch mit negativem Inhalt - geregelt ist. Das Bundesverfassungsgericht 108 hat mehrmals zu der Frage Stellung genommen, ob und inwieweit der Bundesgesetzgeber bei der Regelung eines Sachbereiches von seinem Gesetzgebungsrecht Gebrauch gemacht hat. Gemäß Artikel 72 GG ist im Bereich der konkurrierenden Gesetzgebung eine landesrechtliche Regelung nicht mehr zulässig, wenn und soweit der Bundesgesetzgeber für einen Sachbereich der konkur105 So gehen Richardi, in: Dietz / Richardi, Bd. 2, Rn. 166, 167 und 183 zu § 118 BetrVG und Müller, G., in: Staatskirchenrecht und normatives Arbeitsrecht, in: RdA 1979, 71 ff. (74) davon aus, daß insoweit ein rechtsfreier Raum bestehe. 106 Richardi, in: Dietz / Richardi, Bd. 2, und Müller, G., nehmen an, daß die Religionsgemeinschaften nicht verpflichtet sind, eine kirchliche Dienstverfassung zu erlassen, a.A. Mayer-Maly, in: BB 1977, Beilage 3, S. 12ff. 107 Vgl. hierzu die Ausführungen in Hanau / Ulmer, Rn. 60 zu § 1 MitbestG, Fitting / Wlotzke / Wißmann, Mitbestimmungsgesetz, Rn. 33 zu § 1 MitbestG und GK zum MitbestG, Rn. 2 zu § 1 Abs. 4 MitbestG. Die Aussagen der Kommentare beschränken sich im wesentlichen darauf, daß die Tendenzunternehmen aus der unternehmensbezogenen Mitbestimmung herausgenommen seien. los v g L BVerfGE 7, 342ff. (347); 20, 238 (248); 34, 9 (28).

5 Marino

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Β. I. .Regelungsbereich u. Regelungsgegenstände des Tendenzschutzes

rierenden Gesetzgebung eine abschließende Regelung getroffen hat. Das Bundesverfassungsgericht mußte nun feststellen, ob ein der konkurrierenden Gesetzgebung unterliegender Sachbereich erschöpfend auch dann geregelt ist, wenn die Regelung für diesen Sachbereich Bestimmungen enthält, wonach ein Teilbereich „künftig nicht geregelt bleiben soll". Nach'der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts 109 muß auch eine ausdrückliche „Nichtregelung" eines Teilbereiches als Regelung aufgefaßt werden, wenn und soweit der Gesetzgeber subjektiv eine staatliche „Nichtregelung" dieses Teilbereichs wollte und dies aus den gesetzlichen Bestimmungen für diesen Teilbereich auch objektiv erkennbar ist. Die Leitgedanken des Bundesverfassungsgerichts zur Beurteilung dieser Problematik der konkurrierenden Gesetzgebung können auch zur Beurteilung der Frage herangezogen werden, ob die Bestimmungen der §§118 Abs. 2 BetrVG bzw. 1 Abs. 4 MitbestG und 81 BetrVG 52 Regelungen der betriebsbezogenen bzw. der unternehmensbezogenen Mitbestimmung enthalten oder nicht. In beiden Problembereichen geht es um die Frage, ob ein Teil eines Sachbereichs durch die Entscheidung des Gesetzgebers, diesen Teilbereich nicht rechtlich zu gestalten, also offen zu lassen, gesetzlich geregelt ist oder nicht. Entsprechend dem Grundgedanken des Bundesverfassungsgerichts müssen demnach die Tendenzschutzbestimmungen der §§118 Abs. 2 BetrVG bzw. 1 Abs. 4 MitbestG und 81 BetrVG 52 als Regelungen der betriebsbezogenen bzw. der unternehmensbezogenen Mitbestimmung qualifiziert werden, wenn die Entscheidung des Gesetzgebers bei diesen Tendenzschutzbestimmungen subjektiv und objektiv erkennbar dahin geht, daß in den von den genannten Tendenzschutzbestimmungen erfaßten Tendenzunternehmen künftig keine rechtlich geregelte betriebsbezogene bzw. unternehmensbezogenen Mitbestimmung bestehen soll. Der Wortlaut der Bestimmungen (objektives Moment) und die Gesetzesmaterialien zu den §§ 118 Abs. 2 BetrVG bzw. 1 Abs. 4 Satz 2 MitbestG und 81 Abs. 2 BetrVG 52 belegen, daß der Gesetzgeber ausdrücklich und damit objektiv („keine Anwendung") entschieden hat, daß die staatlichen Regelungen der betriebsbezogenen bzw. unternehmensbezogenen Mitbestimmung „künftig" nicht bei Religionsgemeinschaften und deren karitativen und erzieherischen Einrichtungen zur Geltung kommen sollen. Diese Entscheidung entsprach auch dem erklärten Willen des Gesetzgebers (subjektives Moment), wie den Materialien zum BetrVG 72, zum Mitbestimmungsgesetz und zum BetrVG 52 zu entnehmen ist. 1 1 0 In den Gesetzgebungsverfahren zu 109

Vgl. BVerfGE 34, 9 (28) sowie die Nachweise bei v. Münch, Grundgesetzkommentar, Bd. 3, Rn. 6, 7, 8 zu Art. 72 GG. 110 Zum Willen des Gesetzgebers: s. zum BetrVG 72 BT-Drs. VI/1786, S. 27 und Anhörung des Bundestagsausschusses für Arbeit und Sozialordnung, 6. Wahlperiode, Protokolle Nr. 57 und 58. - Zum MitbestG s. Reg. Begr. BT-Drs. 7, 2171. - Zum BetrVG 52 s. RdA 50, S. 349 und RdA 52, S. 295ff.

2. Regelungsbereich und Regelungsgegenstände

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den genannten Gesetzen wurde jeweils darüber diskutiert, ob und inwieweit gesetzliche Regelungen zur betriebsbezogenen bzw. unternehmensbezogenen Mitbestimmung bei Religionsgemeinschaften und deren karitativen und erzieherischen Einrichtungen künftig zur Geltung kommen sollen. Der Gesetzgeber hat daher für die von den Bestimmungen der §§118 Abs. 2 BetrVG, 1 Abs. 4 MitbestG und 81 BetrVG 52 erfaßten Arten von Tendenzunternehmen subjektiv und objektiv erkennbar entschieden, daß sie künftig keiner staatlichen Regelung der betriebsbezogenen bzw. unternehmensbezogenen Mitbestimmung unterliegen sollen. Die von den Tendenzschutzbestimmungen der §§ 118 Abs. 2 BetrVG, 1 Abs. 4 MitbestG und 81 BetrVG 52 erfaßten Tendenzunternehmen gehören somit ebenfalls zum Regelungsbereich der betriebsbezogenen bzw. der unternehmensbezogenen Mitbestimmung. Das BetrVG bzw. die Gesetze zur einfachen und erweiterten Mitbestimmung regeln infolgedessen auch bei den von den Tendenzschutzbestimmungen jeweils erfaßten Tendenzunternehmen den gleichen Lebenssachverhalt (Regelungsbereich) wie bei den Nichttendenzunternehmen. Auch für die Tendenzunternehmen wird eine Regelung der betriebsbezogenen bzw. der unternehmensbezogenen Mitbestimmung getroffen. Der Umstand, daß die Regelungen der betriebsbezogenen bzw. unternehmensbezogenen Mitbestimmung für Tendenzunternehmen teilweise oder völlig anderen Inhalt (Negativregelung) haben, ändert hieran nichts. Mithin kann der Regelungsbereich der Tendenzschutzbestimmungen der betriebsbezogenen bzw. unternehmensbezogenen Mitbestimmung durch eine Analyse des Regelungsbereiches der betriebsbezogenen bzw. unternehmensbezogenen Mitbestimmung für Nichttendenzunternehmen bestimmt werden. 2.1.2 Regelungsbereich der Tendenzschutzbestimmungen der betriebsbezogenen Mitbestimmung Die Bestimmungen des Betriebsverfassungsgesetzes erfassen Betriebe 111 von Unternehmen 112 , deren Träger 1 1 3 privatrechtlich organisiert sind, soweit 111 Wie sich aus §§ 1 und 130 BetrVG ergibt, stellt die betriebsbezogene Mitbestimmung ausschließlich auf Betriebe ab, die in privatrechtlichen Rechtsformen organisiert sind. So auch BAGE 27, 316 (319). - Zum Rechtsbegriff des Betriebes vgl. Dietz / Richardi, Bd. 1, Rn. 58ff. zu § 1 BetrVG mit Literaturnachweisen sowie die Anmerkung unter 34. zu Kapitel A.I. 112 Nach der Rechtsprechung des BAG und der h. M. ist der Betrieb immer ein ideeller oder realer Teil eines Unternehmens. Vgl. hierzu die Anmerkungen 30. und 31. zu Kapitel A.I. Mithin kann gesagt werden, daß das BetrVG auf Betriebe abstellt. - Zum juristischen Begriff des Unternehmens siehe die Anmerkung 18. zu Kapitel A.I. 113 Unter dem Träger eines Unternehmens wird dasjenige Rechtssubjekt verstanden, dem das Unternehmen als sachlich-personeller Verbund rechtlich zugeordnet ist. Vgl. hierzu Schilling, Rechtsform und Unternehmen, in: Festschrift für K. Duden, S. 537ff. (538). Das Rechtssubjekt oder der Träger eines Unternehmens kann eine natürliche Person, ein Personenverband oder eine juristische Person sein.

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Β. I. Regelungsbereich u. Regelungsgegenstände des Tendenzschutzes

in den Betrieben in der Regel mindestens fünf ständige wahlberechtigte Arbeitnehmer beschäftigt sind, von denen drei zum Betriebsrat wählbar sein müssen 114 . Auf die Rechtsform des Trägers des Unternehmens, in dem die betriebsratsfähigen Betriebe enthalten sind, kommt es nicht an. Wegen der Zugehörigkeit der Tendenzunternehmen zum Regelungsbereich der betriebsbezogenen Mitbestimmung regeln die Tendenzschutzbestimmungen des § 118 BetrVG die betriebsbezogene Mitbestimmung in allen Tendenzunternehmen, die den zuvor genannten Anforderungen genügen. Die Tendenzschutzbestimmungen erfassen daher alle betriebsratsfähigen Tendenzunternehmen, ohne daß es auf die Rechtsform der Tendenzunternehmen ankäme. Auch Tendenzunternehmen, deren Träger eine Einzelperson, ein rechtsfähiger oder nichtrechtsfähiger Verein, eine privatrechtliche Stiftung, eine BGB-Gesellschaft, eine OHG oder eine K G ist, werden von den Rechtsfolgen der Tendenzschutzbestimmungen der betriebsbezogenen Mitbestimmung erfaßt. 2.1.3 Regelungsbereich der Tendenzschutzbestimmungen der unternehmensbezogenen Mitbestimmung Die unternehmensbezogene Mitbestimmung ist durch das Montan-Mitbestimmungsgesetz vom 21.5.1951, das Gesetz zur Ergänzung des Gesetzes über die Mitbestimmung der Arbeitnehmer in den Aufsichtsräten und Vorständen der Unternehmen des Bergbaus und der Eisen und Stahl erzeugenden Industrie vom 7.8.1956 (MitbestErgG), das Mitbestimmungsgesetz und das BetrVG 52 gesetzlich geregelt. Für die Bestimmung des Regelungsbereichs der Tendenzschutzbestimmungen der unternehmensbezogenen Mitbestimmung ist es jedoch nicht erforderlich, auf das Montan-Mitbestimmungsgesetz und das Mitbestimmungsergänzungsgesetz näher einzugehen. Die Montan-Mitbestimmung erfaßt nämlich Unternehmen, die aufgrund ihrer sachlichen Unternehmensziele keine Tendenzunternehmen sein können. 1 1 5 Auf die Regelungen der unternehmensbezogenen Mitbestimmung nach den Montan-Mitbestimmungsgesetzen braucht daher nach der Aufgabenstellung der vorliegenden Untersuchung im nachfolgenden nicht mehr eingegangen zu werden. Die Vorschriften der unternehmensbezogenen Mitbestimmung im BetrVG 52 und im MitbestG erfassen Unternehmen, deren Träger juristische Personen des Privatrechts sind, 1 1 6 die in einer bestimmten gesellschaftsrecht114 Dieser Regelungsbereich (Geltungsbereich) der betriebsbezogenen Mitbestimmung ist durch § 1 BetrVG i.V. mit § 130 BetrVG festgelegt. 115 s. § 1 Abs. 1 des Montan-Mitbestimmungsgesetzes vom 21.5.1951. 116 Auf die Besonderheit des § 4 MitbestG, wonach auch die GmbH & Co. K G bzw. AG & Co. K G mittelbar in den Geltungsbereich der unternehmensbezogenen Mitbestimmung einbezogen sind, w i r d im Rahmen der vorliegenden Untersuchimg nicht

. Regelungsbereich u

Regelungsgegenstände

liehen Rechtsform organisiert sind 1 1 7 . Der Regelungsbereich beider Mitbestimmungsformen erfaßt die Unternehmen in der Rechtsform einer AG, einer KGaA, einer GmbH, einer bergrechtlichen Gewerkschaft 118 und einer Erwerbs- und Wirtschaftsgenossenschaft 119 . Der Regelungsbereich der einfachen Mitbestimmung erfaßt darüber hinaus - soweit dort ein Aufsichtsrat besteht - auch Versicherungsvereine auf Gegenseitigkeit. 120 Unternehmen, deren Träger eine einzelne natürliche Person oder ein personalistisch strukturierter Zweckverband (BGB-Gesellschaft, OHG oder KG) sind, unterliegen nicht der unternehmensbezogenen Mitbestimmung. Auch juristische Personen, die Stiftungen, Idealvereine oder wirtschaftliche Vereine sind, werden von den Normen der unternehmensbezogenen Mitbestimmung nicht erfaßt. Eine weitere Einschränkung des Regelungsbereichs ergibt sich für beide Mitbestimmungsformen daraus, daß Unternehmen nur dann der unternehmensbezogenen Mitbestimmung unterliegen, wenn in ihnen eine bestimmte Mindestzahl von Arbeitnehmern in der Regel beschäftigt ist 1 2 1 . Die Anforderungen an die Beschäftigtenzahl des Unternehmens sind in der einfachen und in der erweiterten Mitbestimmung unterschiedlich. Die Anwendung der Mitbestimmungsregeln des BetrVG 52 setzt voraus, daß in den Unternehmen in der Regel mindestens 500 Arbeitnehmer beschäftigt sind. Nur bei Unternehmen, deren Träger eine Aktiengesellschaft oder eine Kommanditgesellschaft auf Aktien sind, werden die Mitbestimmungsregelungen unabhängig von der Beschäftigtenzahl angewandt. Lediglich bei den sogenannten Familiengesellschaften 122 ist auch bei der AG und der KGaA eine Mindestbeschäftigtenzahl von 500 Arbeitnehmern zur Anwendung der Mitbestimmung erforderlich. Der Regelungsbereich der erweiterten Mitbestimmung ist enger gezogen, da eine erweiterte Mitbestimmung nur zum Zuge kommt, wenn die Unternehmen in der Regel mindestens 2000 Arbeitnehmer beschäftigen. näher eingegangen. Auch § 4 MitbestG hält am Grundsatz fest, daß der unternehmensbezogenen Mitbestimmung nur juristische Personen unterliegen. Vgl. hierzu Hanau / Ulmer, Rn. 1 zu § 4 MitbestG. 117 Vgl. hierzu Wiedemann, Gesellschaftsrecht, S. 608 ff. und 319. - Zu dem Prinzip, die unternehmensbezogene Mitbestimmung rechtsformabhängig zu gestalten, vgl. Hanau / Ulmer, Rn. 5 und 10 der Einleitung. 118 Die unternehmensbezogene Mitbestimmung in bergrechtlichen Gewerkschaften mit eigener Rechtspersönlichkeit wird, was noch einmal bemerkt sei, praktisch bedeutungslos, da nach § 163 Bundesberggesetz bis zum 1.1.1986 nicht umgewandelte, verschmolzene oder aufgelöste bergrechtliche Gewerkschaften von Gesetzes wegen aufgelöst sind. 119 Für die einfache Mitbestimmung vgl. §§76 Abs. 1 und 77 Abs. 1 und 3 BetrVG 52. Für die erweiterte Mitbestimmung vgl. § 1 Abs. 1 Nr. 1 MitbestG. 120 Vgl. § 77 Abs. 2 BetrVG 52. 121 Vgl. für die einfache Mitbestimmung § 77 BetrVG 52 und für die erweiterte M i t bestimmung § 1 Abs. 1 Nr. 2 MitbestG. 122 s. § 76 Abs. 6 BetrVG 52. - Zum Begriff der Familiengesellschaft i.S. des § 76 Abs. 6 BetrVG 52 vgl. Dietz / Richardi, Bd. 2, Rn. 212ff. zu § 76 BetrVG 52.

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Β. I. Regelungsbereich u. Regelungsgegenstände des Tendenzschutzes

Sowohl für die einfache als auch für die erweiterte Mitbestimmung ist der Regelungsbereich der unternehmensbezogenen Mitbestimmung ausgeweitet 1 2 3 , wenn Unternehmen, die zwar nach ihrer Rechtsform, aber nicht nach der Zahl der Beschäftigten mitbestimmungsfähig sind, herrschende Unternehmen eines Konzerns sind. Die Zahl der Arbeitnehmer der abhängigen Konzernunternehmen w i r d in diesen Fällen den herrschenden Unternehmen zugerechnet. Unterschiede im Regelungsbereich zwischen der einfachen und der erweiterten Mitbestimmung bestehen jedoch insofern, als die Regelungen der erweiterten Mitbestimmung im Unterschied zur einfachen Mitbestimmung auch den sogenannten faktischen Unterordnungskonzern erfassen. 124 Darüber hinaus ist der Anwendungsbereich der erweiterten unternehmensbezogenen Mitbestimmung auch noch insoweit vergrößert, als für Unternehmen in der Form der GmbH (AG) & Co. K G unter bestimmten Voraussetzungen die Arbeitnehmer dieser K G den Arbeitnehmern des persönlichen Gesellschafters (einer GmbH oder AG) zugerechnet werden. 125 Die Bestimmungen des BetrVG 52 und des MitbestG gestalten insoweit weitgehend den gleichen Lebenssachverhalt, als sie Unternehmen erfassen, deren Träger in der gleichen Rechtsform organisiert sind. Unterschiede gibt es nur hinsichtlich des Versicherungsvereins auf Gegenseitigkeit, der mit einer Beschäftigtenzahl von mehr als 500 Arbeitnehmern ausschließlich den Bestimmungen der unternehmensbezogenen Mitbestimmung des BetrVG 52 unterworfen ist. Die Regelungsbereiche beider Mitbestimmungsformen sind daher qualitativ, d.h. bezogen auf die erfaßten Rechtsformen, weitgehend identisch. Der Regelungsbereich der einfachen Mitbestimmung ist nur quantitativ weiter, als er - bezogen auf die Beschäftigtenzahl - auch kleinere Unternehmen erfaßt. § 85 Abs. 2 BetrVG 52 bestimmt daher für das Verhältnis der beiden Mitbestimmungsformen, daß bei Konkurrenz der Regelungsbereiche beider Formen der Mitbestimmung die Normen der erweiterten Mitbestimmung zwingend anzuwenden sind. Mithin kommen die Regelungen der einfachen Mitbestimmung nur in Unternehmen zum Zuge, die nach der Zahl ihrer Beschäftigten und damit zumeist auch nach ihrer wirtschaftlichen und sozialen Bedeutung kleiner sind als die von der erweiterten Mitbestimmung erfaßten Unternehmen. Aufgrund der Identität der Regelungsbereiche der erweiterten bzw. einfachen Mitbestimmung für Tendenzunternehmen und Nichttendenzunternehmen erfassen die Tendenzschutzbestimmungen des § 1 Abs. 4 MitbestG bzw. des § 81 BetrVG 52 daher nur solche Tendenzunternehmen, die nach 123

Vgl. § 77 a BetrVG 52 und § 5 MitbestG. Zu diesen Unterschieden vgl. Dietz / Richardi, Bd. 2, Rn. 3 und 6 zu §77a BetrVG 52. 125 s. die Anmerkung unter 106. 124

. Regelungsbereich u

Regelungsgegenstände

Rechtsform und Beschäftigtenzahl den zuvor dargelegten Erfordernissen genügen. Den Tendenzschutzbestimmungen der unternehmensbezogenen Mitbestimmung kommt aufgrund dieser Anforderungen praktisch nur Bedeutung in den Bereichen des Presse- und Verlagssektors, der außeruniversitären Forschung sowie bei Krankenhäusern zu. 1 2 6 Nicht auszuschließen ist, daß künftig bei einer privatrechtlichen Organisation von Rundfunk und Fernsehen den Tendenzschutzbestimmungen auch in diesen Bereichen erhöhte Bedeutung zukommt. Im übrigen dürften jedoch die meisten Tendenzunternehmen schon aufgrund ihrer Rechtsform und geringen Beschäftigtenzahl nicht von den Regelungen der Tendenzschutzbestimmungen der unternehmensbezogenen Mitbestimmung erfaßt sein. Die Vorschriften des § 81 BetrVG 52 und des § 1 Abs. 4 MitbestG stehen zueinander im gleichen Verhältnis, wie dies zuvor für das Verhältnis von MitbestG zum BetrVG 52 allgemein dargelegt wurde. Mithin kommen die Tendenzschutzbestimmungen des § 81 BetrVG 52 in der Regel nur dann zum Zuge, wenn die Tendenzunternehmen nach der Zahl ihrer Beschäftigten kleiner sind als die von den Tendenzschutzbestimmungen des § 1 Abs. 4 MitbestG erfaßten Unternehmen. 2.2 Regelungsgegenstände der Tendenzschutzbestimmungen

Weder die Normen der betriebsbezogenen noch die Normen der unternehmensbezogenen Mitbestimmung regeln den gesamten Ausschnitt aus der sozialen Wirklichkeit, der in die Regelungsbereiche der betriebsbezogenen bzw. unternehmensbezogenen Mitbestimmung fällt. Vielmehr ordnen die Normen der betriebsbezogenen bzw. unternehmensbezogenen Mitbestimmung im Rahmen ihrer Regelungsbereiche jeweils nur bestimmte Gegebenheiten (Regelungsgegenstände) in dem Lebenssachverhalt privatrechtlich organisierte Unternehmen (z.B. Entscheidungen auf Betriebs- bzw. Unternehmensebene) . Wie bereits dargelegt wurde 1 2 7 , sind auch die Tendenzschutzbestimmungen Nonnen der betriebsbezogenen bzw. unternehmensbezogenen Mitbestimmung. Soweit sich daher aus den Tendenzschutzbestimmungen selbst kein anderer Anhaltspunkt ergibt, können die Gegenstände der Regelungen der Tendenzschutzbestimmungen keine anderen sein als die Gegenstände der Regelungen der Normen der betriebsbezogenen Mitbestimmung für Nichttendenzunternehmen. Mithin können die Regelungsgegenstände der Tendenzschutzbestimmungen der betriebsbezogenen bzw. unternehmensbezogenen Mitbestimmung 126

hin.

127

Hierauf weist Naendrup, in: GK zum MitbestG, Rn. 20 zu § 1 Abs. 4 MitbestG s. die Ausführungen unter B.I.2.1.1.

72

Β. I. Regelungsbereich u. Regelungsgegenstände des Tendenzschutzes

durch eine Analyse der Regelungsgegenstände der betriebsbezogenen bzw. unternehmensbezogenen Mitbestimmung für Nichttendenzunternehmen ermittelt werden. Allerdings kann nicht ausgeschlossen werden, daß die Tendenzschutzbestimmungen sowohl in der betriebsbezogenen als auch in der unternehmensbezogenen Mitbestimmung für Tendenzunternehmen noch zusätzliche Regelungsgegenstände haben (z.B. Regelung einzelner Unternehmenszwecke). 2.2.1 Regelungsgegenstände der betriebsbezogenen Mitbestimmung Die Vorschriften des Betriebsverfassungsgesetzes regeln einen Teilbereich der inneren Struktur der von ihnen erfaßten Unternehmen, nämlich den Teil der inneren Unternehmensstruktur, der sich auf einen arbeitstechnischen Zweck bezieht (Betrieb). Ein Regelungsgegenstand der Normen der betriebsbezogenen Mitbestimmung ist somit die Festlegung der inneren Struktur des Betriebes und der Einfluß der Arbeitnehmer auf die Festlegung dieser betrieblichen Struktur. Die Normen der betriebsbezogenen Mitbestimmung gestalten des weiteren den Teilbereich der Entscheidungsprozesse in einem Unternehmen, der sich unmittelbar auf den arbeitstechnischen Zweck und dessen unmittelbare Auswirkungen auf den Arbeitnehmer im Betrieb bezieht. 128 Dieser Regelungsgegenstand betrifft somit in erster Linie die betriebliche Entscheidungstätigkeit des Arbeitgebers gegenüber den im Betrieb eingegliederten Arbeitnehmern. 129 Der Arbeitgeber ist mit dem Träger des Unternehmens identisch. 130 Die Feststellung, daß ein Regelungsgegenstand der betriebsbezogenen Mitbestimmung die Festlegung der Struktur des Betriebes und damit eines Teils der Struktur des Unternehmens 131 ist, ergibt sich aus folgenden Vorschriften des BetrVG: In einem „Betrieb" eines betriebsratsfähigen Unter128 Eine Beteiligung der Arbeitnehmer an Entscheidungen im Unternehmen legen sowohl die Normen der betriebsbezogenen als auch die Normen der unternehmensbezogenen Mitbestimmung fest (dualistisches Mitbestimmungsmodell). Wenngleich in der Rechtslehre strittig ist, ob sich die Beteiligungsrechte der betriebsbezogenen und der unternehmensbezogenen Mitbestimmung auf jeweils zu trennende Entscheidungsbereiche beziehen (vgl. zu dieser Frage Raiser, Th., Mitbestimmung in Betrieb und Unternehmen, in: Festschrift für K. Duden, S. 423 ff. (424 ff.) und Richardi, in: Dietz / Richardi, Bd. 1, Rn. 51 zu § 1 BetrVG jeweils mit weiteren Nachweisen), so besteht doch insoweit Übereinstimmung, daß die Normen der betriebsbezogenen Mitbestimmung sich auf die Entscheidungsbereiche im Unternehmen beziehen, die unmittelbar die Arbeitnehmer betreffen und auf der betrieblichen Ebene getroffen werden (vgl. Raiser, Th., S. 423ff. (425, 426) und Dietz / Richardi, Bd. 1, Rn. 51 zu § 1 BetrVG). 129 In der Rechtslehre besteht zumindest insoweit Übereinstimmung, daß die Beteiligungsrechte der betriebsbezogenen Mitbestimmung die arbeitsrechtlich relevanten Entscheidungen im Unternehmen erfassen; vgl. hierzu Fitting / Auffarth, Rn. 26ff. zu § 1 BetrVG. 130 Allgemeine Meinung, vgl. z.B. Dietz / Richardi, Bd. 1, Rn. 27 zu § 1 BetrVG. 131 Vgl. Raiser, Th., in: Festschrift für K. Duden, S. 426.

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Regelungsgegenstände

nehmens muß auf Verlangen der Arbeitnehmer oder einer im Betrieb vertretenen Gewerkschaft ein Betriebsrat errichtet werden. 132 Das BetrVG legt zwingend die Errichtung 1 3 3 , Funktion und Zusammensetzung dieses betrieblichen Strukturelements fest. Das Betriebsverfassungsgesetz weist dem Betriebsrat in einzelnen Bestimmungen zwingend bestimmte Aufgaben und Befugnisse zu. 1 3 4 Andere Bestimmungen des BetrVG legen zwingend fest, wie der Betriebsrat und seine Ausschüsse zu bilden sind. 1 3 5 In Unternehmen mit mehreren Betrieben ist auf Unternehmensebene ein Gesamtbetriebsrat zu bilden. 1 3 6 § 54 BetrVG eröffnet sogar die Möglichkeit, die Organisation eines Konzerns im Sinne des § 18 Abs. 1 Aktiengesetz in der Weise mitzugestalten, daß ein Konzernbetriebsrat gebildet werden kann. Tatsächlich und auch rechtlich liegt jedoch das Schwergewicht beim Gesamtbetriebsrat. Unter den Voraussetzungen des § 106 Abs. 1 BetrVG ist des weiteren in einem Unternehmen ein Wirtschaftsausschuß zu bilden. Andere Bestimmungen des BetrVG regeln zwingend Art, Umfang und Inhalt der Beziehungen zwischen bestimmten vom BetrVG vorgeschriebenen Institutionen (z.B. Betriebsrat, Jugendvertretung, Wirtschaftsausschuß) untereinander und mit dem Arbeitgeber und der Belegschaft. 137 Betriebsratsfähigen Unternehmen, die einen Betriebsrat gebildet haben, wird außerdem vorgeschrieben, daß zu bestimmten Zeiten Betriebsversammlungen und Abteilungsversammlungen abzuhalten sind. 1 3 8 Die Stellung der Arbeitnehmer (Belegschaft) im Betrieb und ihr weiterer Einfluß auf die Festlegung der Struktur des Betriebes wird durch die Vorschriften des BetrVG über die Betriebsratswahlen der Arbeitnehmer 139 , über den Ausschluß von Betriebsratsmitgliedern bzw. die Auflösung des Betriebsrates 140 sowie durch die Beteiligungsrechte der §§87 Abs. 1 Nr. 1 (Betriebliche Ordnung und Verhalten der Arbeitnehmer) rechtlich zwingend vorgegeben. Eine rechtsfunktionelle Betrachtung von Wirkungsbereich und Wirkungsweise der zuvor aufgeführten Vorschriften ergibt somit, daß Regelungsgegenstand der betriebsbezogenen Mitbestimmung die zwingende gesetzliche Ordnung eines Teils der betrieblichen Struktur (betriebsverfassungsrechtliche Organisationsnormen) und die Regelung des Einflusses der Arbeitnehmer auf die Festlegung von Strukturen in diesen Teilbereichen ist. 132 s. §§ 17 und 16 BetrVG i.V. mit § 1 BetrVG. 133 vgl. §§ i f 16, 17 und 18 BetrVG. 134 vgl. §§ 74ff. BetrVG, vor allem § 80 BetrVG (Aufgaben des Betriebsrates) und §§ 87 ff. BetrVG (Befugnisse des Betriebsrates). 135 vgl. §§ 9 mit 12, 15 und 26ff. BetrVG. 136 vgl. § 47 BetrVG.

137 vgl. §§ 42, 60f., 74ff. und 106ff. BetrVG. 138 vgl. § 43 BetrVG. 139 vgl. §§ 7, 8, 14, 16ff. BetrVG. "o Vgl. § 23 BetrVG.

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Β. I. Regelungsbereich u. Regelungsgegenstände des Tendenzschutzes

Die zuvor erwähnten betriebsverfassungsrechtlichen Organisationsnormen (z.B. Vorschriften über die Errichtung und Zusammensetzung des Betriebsrates) schaffen auch die rechtlichen und tatsächlichen Voraussetzungen für die gesetzliche Gestaltung (Regelung) des zweiten Regelungsgegenstandes der betriebsbezogenen Mitbestimmung. Dieser Regelungsgegenstand betrifft die betriebliche Entscheidungstätigkeit des Arbeitgebers bzw. Unternehmensträgers. Das BetrVG räumt nämlich dem Betriebsrat Beteiligungsrechte 141 bei der betrieblichen Entscheidungstätigkeit des Arbeitgebers ein. Der Betriebsrat hat sie nach bestimmten Maximen - wie etwa dem Gebot der vertrauensvollen Zusammenarbeit - wahrzunehmen 142 . Gegenstand der Beteiligungsrechte sind bestimmte Entscheidungen in folgenden Sachbereichen: - Soziale Angelegenheiten (§§ 87 mit 89 BetrVG) - Gestaltung der arbeitstechnischen Organisation (§§ 90 mit 91 BetrVG) - personelle Angelegenheiten (§§ 92 mit 104 BetrVG) - wirtschaftliche Angelegenheiten (§§ 106 mit 113 BetrVG). Die in den §§ 81 bis 83 BetrVG aufgeführten Rechte der Arbeitnehmer können nicht zu diesen Beteiligungsrechten gezählt werden. Sie gewähren dem einzelnen Arbeitnehmer nämlich keine originären Rechte. Vielmehr stehen dem Arbeitnehmer diese Rechte bereits nach allgemeinen individualarbeitsrechtlichen Grundsätzen zu. 1 4 3 Sie können daher auch nicht zu den Regelungsgegenständen der betriebsbezogenen Mitbestimmung gezählt werden. Das BetrVG legt Inhalt und Wirkungsgrad der einzelnen Beteiligungsrechte jeweils gesondert fest. Der Wirkungsgrad der Beteiligungsrechte ist bei einzelnen Entscheidungstätigkeiten des Arbeitgebers verschieden. Er reicht von bloßen Unterrichtungsrechten über Anhörungsrechte mit unterschiedlichen Sanktionsfolgen, Widerspruchsrechten bis hin zu echten Mitbestimmungsrechten. 144 Der Wirkungsgrad der betriebsverfassungsrechtlichen Beteiligungsrechte ist im Bereich der sozialen Angelegenheiten am stärksten und im Bereich der wirtschaftlichen Angelegenheiten - vom Sozialplan und in gewisser Hinsicht auch vom Interessenausgleich abgesehen 1 4 5 - am schwächsten ausgeprägt. 141 Die Rechtslehre gebraucht als Oberbegriff für die Informations-, Mitwirkungsund Mitbestimmungsrechte den Begriff Beteiligungsrechte. Vgl. Dietz / Richardi, Bd. 2, Rn. 23 zu Vorbemerkung § 74 BetrVG. 142 Diese Maximen sind in den §§ 2 Abs. 1, 74 und 75 BetrVG festgelegt. 143 Vgl. hierzu die Ausführungen von Galperin, in: BB 71, 138 und von Hanau, in: BB 71, 409. 144 Zu den einzelnen Formen der Beteiligungsrechte s. Dietz / Richardi, Bd. 2, Rn. 24 mit 34 zu Vorbemerkung § 74 BetrVG. 145 Obwohl der Interessenausgleich nur freiwillig Zustandekommen kann, kommt dem Beteiligungsrecht beim Interessenausgleich im Hinblick auf die Sanktionen des §113 BetrVG besonderes Gewicht zu.

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Regelungsgegenstände

So verschieden diese Beteiligungsrechte nach dem Gegenstand der Entscheidung und nach dem Wirkunsgrad auch sein mögen, so stimmen sie doch darin überein, daß sie die Teilhabe aller Arbeitnehmer des Betriebes (Belegschaft) an bestimmten betrieblichen Entscheidungen des Arbeitgebers gestalten, die entweder unmittelbar oder nach unternehmerischen Vorgaben in dem auf einen arbeitstechnischen Zweck ausgerichteten sachlich-personellen Verbund Betrieb getroffen werden und sich unmittelbar auf die Arbeitnehmer auswirken. Der Regelungsgegenstand der betriebsbezogenen Mitbestimmung, nämlich die betriebliche Entscheidungstätigkeit des Arbeitgebers, erfaßt nicht die gesamte betriebliche Entscheidungstätigkeit des Arbeitgebers. Er ist vielmehr, wie bereits dargelegt, auf einzelne Entscheidungstätigkeiten gegenständlich eingeschränkt. Zudem beinhaltet der Regelungsgegenstand der betriebsbezogenen Mitbestimmung nur die Teilhabe aller Arbeitnehmer des Betriebes (der Belegschaft) an solchen Entscheidungstätigkeiten. Regelungsgegenstand der betriebsbezogenen Mitbestimmung ist hingegen nicht die Teilhabe eines einzelnen Arbeitnehmers an betrieblichen Entscheidungen des Arbeitgebers. An der Feststellung, daß ein Regelungsgegenstand der betriebsbezogenen Mitbestimmung die Teilhabe aller Arbeitnehmer an betrieblichen Entscheidungen des Arbeitgebers bei bestimmten Gegenständen sei, könnte man aus folgendem Grunde zweifeln: Das BetrVG räumt ausschließlich dem Betriebsrat und nicht den einzelnen Arbeitnehmern oder der Belegschaft die betriebsverfassungsrechtlichen Mitwirkungsrechte ein. Ausschließlich der Betriebsrat übt sie aus. Normadressat der betriebs verfassungsrechtlichen Bestimmungen ist der Betriebsrat. Die Ausgestaltung der betriebsverfassungsrechtlichen Beteiligungsrechte könnte somit darauf hinweisen, daß zumindest rechtlich der Betriebsrat und nicht die Arbeitnehmer die Begünstigten der betriebsverfassungsrechtlichen Beteiligungsrechte sind. Im Schrifttum 1 4 6 gibt es unterschiedliche Auffassungen darüber, wem die betriebsverfassungsrechtlichen Beteiligungsrechte als Rechtssubjekt zuzuordnen sind. Trotz des noch andauernden Theorienstreits sind sich Rechtsprechung und Rechtslehre jedoch insoweit einig 1 4 7 , daß der Betriebsrat nicht Träger der Beteiligungsrechte ist. Für diese einhellige Auffassung spricht bereits der Wortlaut der Überschrift des vierten Teils des Betriebsverfassungsgesetzes („Mitwirkung und Mitbestimmung der Arbeitnehmer"). Rechtsprechung 148 und Rechtslehre 149 gehen daher zu Recht davon aus, daß der Betriebsrat zwar ausschließlich funktionell zuständig ist und daher aus146 Vgl. hierzu Weitnauer, Zivilrechtliche Grundstrukturen im Betriebsverfassungsrecht, in: Festschrift für K. Duden, S. 705ff. (707) und Richardi, in: Dietz/ Richardi, Bd. 1, Rn. 5 ff. zu § 1 BetrVG. 147 Vgl. Weitnauer, S. 707. 14 8 Vgl. BAGE 22, 448 (457). 149 So Fitting / Auffarth, Rn. 32 und 33 zu § 1 BetrVG.

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Β. I. Regelungsbereich u. Regelungsgegenstände des Tendenzschutzes

schließlich die Mitwirkungsrechte wahrnimmt, daß er aber nicht Träger der Beteiligungsrechte ist. Darüber hinaus gehen die Theorien über das Rechtssubjekt der betriebsverfassungsrechtlichen Beteiligungsrechte weitgehend von dem Ansatz aus, daß die betriebsverfassungsrechtlichen Mitwirkungsrechte den Arbeitnehmern des Betriebes in ihrer Gesamtheit (Belegschaft) zugeordnet werden müssen. 150 Soweit andere Auffassungen 151 die betriebsverfassungsrechtlichen Beteiligungsrechte den einzelnen Arbeitnehmern des Betriebes als Rechtssubjekte zuordnen, gehen sie zumindest davon aus, daß diese Mitwirkungsrechte nur die Arbeitnehmer als Gesamtheit ausüben können und der einzelne Arbeitnehmer des Betriebes keinen - rechtlich wie auch immer zu bewertenden - verfügbaren Anteil an den Beteiligungsrechten hat. Damit rechtfertigen die verschiedenen Theorien die für den weiteren Gang der Untersuchung allein erhebliche Feststellung, daß die Arbeitnehmer des Betriebes auch rechtlich die Träger der Mitwirkungsrechte sind. Das BetrVG gestaltet also die Rechtsstellung und Teilhabe aller Arbeitnehmer (Belegschaft) an betrieblichen Entscheidungsprozessen. Es ist dabei unerheblich, ob die Beteiligungsrechte dogmatisch der Belegschaft oder den einzelnen Arbeitnehmern zugeordnet werden. Wesentlich ist allein, daß den Arbeitnehmern des Betriebes letztlich die betriebsverfassungsrechtlichen Beteiligungsrechte - in welcher Weise auch immer - zuzuordnen sind, und daß der Betriebsrat diese Beteiligungsrechte im fremden rechtlichen Interesse ausübt. Die Grundsatznormen der §§2 Abs. 1 und 75 BetrVG legen die Schranken der Rechtsmacht des Betriebsrates bei der Wahrnehmung der betriebsverfassungsrechtlichen Beteiligungsrechte fest. Der Betriebsrat darf die Beteiligungsrechte ausschließlich und nur zum Wohle der Arbeitnehmer und des Betriebes ausüben (§ 2 Abs. 1 BetrVG). Er hat sie auch in der Weise sowie als allgemeine Aufgabe derart auszuüben, daß die freie Entfaltung der Persönlichkeit der im Betrieb beschäftigten Arbeitnehmer geschützt und gefördert w i r d (§ 75 Abs. 2 BetrVG), und daß die Arbeitnehmer des Betriebes nach den Grundsätzen von Recht und Billigkeit behandelt werden (§75 Abs. 1 BetrVG). Auch die typische Wirkungsweise der einzelnen betriebsverfassungsrechtlichen Beteiligungsrechte belegt, daß rechtlich und tatsächlich Begünstigte der Teilhaberechte des Betriebsrates entweder alle Arbeitnehmer des Betriebes als Solidargemeinschaft oder der einzelne Arbeitnehmer sind. So bringt die Teilhabe an den von § 87 Abs. 1 Nr. 1 bis 12 BetrVG erfaßten Entscheidungen Vorteile für alle Arbeitnehmer des Betriebes und mit Sicherheit nicht nur für den Betriebsrat. Die Mitbestimmung bei Kündigungen nach § 102 Abs. 1 BetrVG bringt typischerweise Vorteile für den betroffenen Arbeitnehmer und nicht für den Betriebsrat. Auch die 150 vgl. Dietz / Richardi, Bd. 1, Rn. 2 und 3 zu § 1 BetrVG. 151 So Thiele, in: GK zum BetrVG, Einleitung, Rn. 71 und Weitnauer, S. 706.

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Regelungsgegenstände

Bestimmungen des BetrVG über Betriebsratswahlen und den Ausschluß von Betriebsratsmitgliedern bzw. die Auflösung des Betriebsrates belegen, daß die Arbeitnehmer mittelbar über das Repräsentationsorgan 152 Betriebsrat an der betrieblichen Entscheidungstätigkeit teilhaben sollen. Ein Regelungsgegenstand der betriebsbezogenen Mitbestimmung ist nach alldem nicht die Teilhabe des Betriebsrates, sondern die Teilhabe aller Arbeitnehmer des Betriebes an der betrieblichen Entscheidungstätigkeit des Arbeitgebers. Fraglich könnte allenfalls noch sein, ob die betriebsbezogene Mitbestimmung als Regelungsgegenstand auch die Rechtsstellung und Beziehung der im Betrieb vertretenen Gewerkschaften zu betrieblichen Entscheidungsprozessen gestaltet. Mit der herrschenden Meinung 1 5 3 ist davon auszugehen, daß das Betriebsverfassungsgesetz den Gewerkschaften kein Teilhaberecht an betrieblichen Entscheidungen einräumt. Weder das Zugangsrecht der Gewerkschaften nach § 2 Abs. 2 BetrVG noch die in § 2 Abs. 1 BetrVG festgelegte Maxime („im Zusammenwirken mit den im Betrieb vertretenen Gewerkschaften") können eine gegenteilige Auffassung rechtfertigen. Ein Regelungsgegenstand der betriebsbezogenen Mitbestimmung ist somit die zwingende gesetzliche (staatliche) Ordnung eines Teils der betrieblichen Struktur (betriebsverfassungsrechtliche Organisationsnormen) sowie die Teilhabe der Arbeitnehmer an bestimmten Entscheidungen des Arbeitgebers über die betriebliche Struktur. Ein weiterer Regelungsgegenstand der betriebsbezogenen Mitbestimmung ist die Regelung der Teilhabe der Arbeitnehmer (Belegschaft) an bestimmten betrieblichen Entscheidungen des Arbeitgebers (Unternehmensträgers). Aus dem Umstand, daß die Tendenzschutzbestimmungen auch auf bestimmte Unternehmenszwecke abstellen, kann nicht hergeleitet werden, daß die Regelungen der betriebsbezogenen Mitbestimmung für Tendenzunternehmen anders als diejenigen für Nichttendenzunternehmen den zusätzlichen Regelungsgegenstand Unternehmenszwecke enthielten. Alle Tendenzschutzbestimmungen sind Teile des BetrVG. Darüber hinaus verweisen alle Tendenzschutzbestimmungen auch auf die Normen der betriebsbezogenen Mitbestimmung für Nichttendenzunternehmen und damit auf deren Regelungsgegenstände. Offenkundig w i r d dies bei den Tendenzschutzbestimmungen des § 118 Abs. 1 BetrVG. Diese Tendenzschutzbestimmungen ordnen ausdrücklich die 152 D e r Betriebsrat ist nach der herrschenden Lehre und nach der Rechtsprechung des BAG als Repräsentationsorgan der Arbeitnehmer des Betriebes aufzufassen. Vgl. hierzu Fitting / Auffarth, Rn. 32 zu § 1 BetrVG und Dietz / Richardi, Rn. 24 zu § 1 BetrVG jeweils mit Nachweisen. 153 So Richardi, in: RdA 72, 8; Müller, G., ZfA 1972, 213; Kraft, ZfA 1973, 243.

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Β. I. Regelungsbereich u. Regelungsgegenstände des Tendenzschutzes

eingeschränkte Geltung der Normen der betriebsbezogenen Mitbestimmung für Nichttendenzunternehmen an. Die im Tatbestand der Tendenzschutzbestimmungen aufgeführten Unternehmenszwecke werden nämlich durch die Tendenzschutzbestimmungen nicht rechtlich gestaltet und geordnet. Die im Tatbestand der Tendenzschutzbestimmungen aufgeführten Unternehmenszwecke sind somit nur Anknüpfungspunkte, aber keine Regelungsgegenstände der Tendenzschutzbestimmungen. Die Regelungsgegenstände der Tendenzschutzbestimmungen der betriebsbezogenen Mitbestimmung sind daher keine anderen als die Regelungsgegenstände der Normen der betriebsbezogenen Mitbestimmung für Nichttendenzunternehmen. 2.2.2 Regelungsgegenstände der unternehmensbezogenen Mitbestimmung Die Normen der einfachen und erweiterten unternehmensbezogenen Mitbestimmung regeln nicht die gesamte soziale Wirklichkeit der von ihnen erfaßten Unternehmen. So regeln die Normen der unternehmensbezogenen Mitbestimmung nicht die Beziehungen der von ihnen erfaßten Unternehmen gegenüber Dritten. Auch die Bereiche, die das Innenverhältnis von Unternehmen bestimmen, nämlich die Sachbereiche innere Struktur des Unternehmens und unternehmerische Entscheidungen werden nur teilweise geregelt. Die beiden genannten Sachbereiche erfassen folgende Arten von Strukturen und Entscheidungen: Bei jedem Unternehmen müssen dessen Rechtsform sowie dessen formale und sachliche Unternehmensziele festgelegt werden. Auch über den Erwerb und die Ausübimg von Beteiligungsrechten an anderen Unternehmen muß entschieden werden. Soweit das Gesellschaftsrecht dies bei einzelnen Rechtsformen nicht bereits zwingend vorgibt, muß darüber hinaus für jedes Unternehmen festgelegt werden, in welchen Unternehmensorganen und in welcher Form (Selbstorganschaft oder Fremdorganschaft) 154 bestimmte Arten von Entscheidungen gefällt werden sollen. Diese Festlegungen werden üblicherweise als unternehmerische Grundlagen- und Strukturentscheidungen 155 bezeichnet. Auch Entscheidungen, die der Planung und dem Vollzug der zuvor genannten Grundlagen- und Strukturentscheidungen dienen, sind unternehmerische Entscheidungen. Sie werden üblicherweise als Geschäftsführungsmaßnahmen bezeichnet. 156 Schließlich sind auch die Kontroll- und Überwachungsmaßnahmen über die zuvor genannten unter154 Zu den Begriffen Selbst- und Fremdorganschaft vgl. Wiedemann, Gesellschaftsrecht, S. 343 f. 155 Zum Begriff der Grundlagen- und Strukturentscheidungen vgl. Wiedemann, Gesellschaftsrecht, S. 323 ff. (324). 156 Zum Begriff der Geschäftsführungsmaßnahmen vgl. Wiedemann, Gesellschaftsrecht, S. 341.

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Regelungsgegenstände

nehmerischen Entscheidungen unternehmerische Entscheidungen. Für die von der unternehmensbezogenen Mitbestimmung erfaßten Unternehmen sehen die Vorschriften des Gesellschaftsrechts vor, daß alle Grundlagenund Strukturentscheidungen eines Unternehmens von dem Unternehmensorgan der Anteilseignerversammlung, mithin von den Anteilseignern selbst oder deren Vertretern, getroffen werden. Die übrigen unternehmerischen Entscheidungen treffen hingegen die Anteilseigner nicht selbst, sondern sie werden nach dem Prinzip der Fremdorganschaft durch Dritte in den Unternehmensorganen Geschäftsführungsorgan (Vorstand) und - soweit ein solches besteht 157 - im Überwachungs- und Kontrollorgan (Aufsichtsrat) getroffen. Ein Regelungsgegenstand der unternehmensbezogenen Mitbestimmung bezieht sich auf die (teilweise) Festlegung der Kompetenzen und des Verhältnisses der beiden in Fremdorganschaft verfaßten Unternehmensorgane: Geschäftsführungsorgan (Vorstand) und Aufsichtsrat und die Rechtsstellung der Arbeitnehmer des Unternehmens (Konzerns) gegenüber diesen Unternehmensorganen. Die Normen der erweiterten Mitbestimmung regeln darüber hinaus auch die Rechtsstellung der im Unternehmen (oder im Konzern) vertretenen Gewerkschaften gegenüber diesen Unternehmensorganen. Hingegen regeln die Normen der unternehmensbezogenen Mitbestimmung keine weiteren Strukturbereiche (z.B. Kompetenz und Verhältnis der Anteilseignerversammlung gegenüber den Unternehmensorganen Geschäftsführung und Aufsichtsrat) des Unternehmens. Sie unterfallen nach wie vor ausschließlich gesellschaftsrechtlichen Normen. Ein weiterer Regelungsgegenstand der unternehmensbezogenen Mitbestimmung erfaßt den Bereich unternehmerische Entscheidungen, die in Fremdorganschaft in den Unternehmensorganen Geschäftsführung (Vorstand) und Aufsichtsrat (Überwachung und Kontrolle) getroffen werden. Diese Aussagen über die Regelungsgegenstände der Tendenzschutzbestimmungen ergeben sich aus den nachfolgenden Überlegungen: Soweit es nicht bereits nach gesellschaftsrechtlichen Bestimmungen erforderlich ist, muß aufgrund der Mitbestimmungsregeln jedes mitbestimmungspflichtige Unternehmen einen Auf sichtsrat bilden. 1 5 8 Die Normen der unternehmensbezogenen Mitbestimmung führen somit in allen erfaßten Unternehmen gleich welcher Rechtsform - das sogenannte dualistische System (Vorstand und Aufsichtsrat 159 ) des Aktienrechtes für die innere Organisation eines Unternehmens ein. Dem Unternehmensorgan Aufsichtsrat wird durch die Normen der unternehmensbezogenen Mitbestimmung ein Kernbereich an 157

Das Gesellschaftsrecht sieht z.B. für die GmbH nicht zwingend die Errichtung eines Aufsichtsrates vor. Vgl. § 52 GmbHG. iss vgl. §§ 77 BetrVG 52 und 6 Abs. 1 MitbestG. 159 Vgl. hierzu Wiedemann, Gesellschaftsrecht, S. 342 und 343.

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Β. I. Regelungsbereich u. Regelungsgegenstände des Tendenzschutzes

Aufgaben und Befugnissen zugewiesen. 160 Darüber hinausgehende Befugnisse des Aufsichtsrates können sich je nach der Rechtsform des Unternehmens aus den jeweils einschlägigen gesellschaftsrechtlichen Bestimmungen ergeben. Der mitbestimmungsrechtlich festgelegte Kernbereich an Befugnissen des Aufsichtsrats besteht darin, das Geschäftsführungsorgan (Vorstand, Geschäftsführer) des Unternehmens zu überwachen und zu kontrollieren. Die Normen der erweiterten Mitbestimmung gewähren darüber hinaus - wiederum unabhängig von der Rechtsform - die Befugnis, die Mitglieder des Geschäftsführungsorgans zu wählen und abzuberufen (Personalkompetenz des Aufsichtsrates). 161 Die Normen der unternehmensbezogenen Mitbestimmung legen des weiteren die Zusammensetzung des Aufsichtsrates insoweit fest, als im Aufsichtsrat auch gewählte Arbeitnehmervertreter des Unternehmens sitzen müssen und auch das Zahlenverhältnis der Arbeitnehmervertreter zu den Vertretern der Anteilseigner im Aufsichtsrat vorgeschrieben w i r d . 1 6 2 Im Bereich der erweiterten Mitbestimmung müssen auch noch sogenannte Vertreter von Gewerkschaften im Aufsichtsrat sitzen, die aufgrund von Wahlvorschlägen der im Unternehmen (im Konzern) vertretenen Gewerkschaften von den Arbeitnehmern gewählt werden. 163 Die Vorschriften der unternehmensbezogenen Mitbestimmung gestalten daher die innere Struktur eines von ihnen erfaßten Unternehmens insoweit, als sie die Errichtung eines Überwachungs- und Kontrollorgans (Aufsichtsrat) vorschreiben, dessen Zusammensetzung (teilweise) regeln und diesem Organ einen Kernbereich an Befugnissen (Überwachung der Geschäftsführung) zuschreiben. Zu diesem Regelungsgegenstand der unternehmensbezogenen Mitbestimmung gehört dabei auch die Festlegung der Rechtsstellung der Arbeitnehmer (Belegschaft) im sachlich-personellen Verbund Unternehmen. Den Arbeitnehmern eines Unternehmens (oder Konzerns) wird das aktive Wahlrecht für einen Teil der Aufsichtsratsmitglieder dieses Unternehmens (oder herrschenden Konzernunternehmens) eingeräumt. 164 Die Aufsichtsratsmitglieder der Arbeitnehmer werden nach beiden Mitbestimmungsgesetzen für höchstens fünf Jahre gewählt. 1 6 5 In beiden Mitbestimmungsformen können die Aufsichtsratsmitglieder der Arbeitnehmer - ohne Grund - durch einen Beschluß von drei Viertel der für sie maßgeblichen wahlberechtigten Arbeitnehmer oder Wahlmänner abberufen werden. 166 ιβο Für die einfache Mitbestimmimg vgl. § 77 BetrVG 52; für die erweiterte Mitbestimmung vgl. § 25 MitbestG. 161 Vgl. § 31 MitbestG. 162 Für die einfache Mitbestimmung vgl. §§ 76 A b s . l und 77 BetrVG 52; für die erweiterte Mitbestimmung vgl. § 7 MitbestG. 163 vgl. §§ 7 und 16 MitbestG. 164 Für die einfache Mitbestimmung vgl. §§ 76 Abs. 3 und 77 BetrVG 52; für die erweiterte Mitbestimmung vgl. §§9, 10 ff. MitbestG. iss vgl. §§ 77 Abs. 1 BetrVG 52 i.V. mit 102 Aktiengesetz und 6 MitbestG i.V. mit 102 Aktiengesetz.

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Regelungsgegenstände

Das Wahlvorschlagsrecht der Gewerkschaften 167 für die von den Arbeitnehmern des Unternehmens (Konzerns) zu wählenden sogenannten Gewerkschaftsvertreter im Aufsichtsrat sowie die Antragsbefugnis der Gewerkschaften zur Abberufung der von ihnen vorgeschlagenen Aufsichtsratsmitglieder 1 6 8 in der erweiterten Mitbestimmung belegen, daß Regelungsgegenstand der erweiterten Mitbestimmung auch die Ordnung der Rechtsstellung der im Unternehmen (im Konzern) vertretenen Gewerkschaften ist. Eine rechtsfunktionelle Analyse der typischen Wirkungen der Normen der unternehmensbezogenen Mitbestimmung zeigt, daß diese Vorschrift nicht nur den Gegenstand Teilbereiche der inneren Struktur in mitbestimmungspflichtigen Unternehmen regeln. Die „Strukturnormen" der unternehmensbezogenen Mitbestimmung, hinsichtlich der rechtsformunabhängigen Verpflichtung, das Unternehmensorgan Aufsichtsrat zu errichten, hinsichtlich der zwingenden Vorschriften über die Zusammensetzung des Aufsichtsrates und hinsichtlich der zwingenden Vorschriften über einen Kernbestand von Aufsichtsratsbefugnissen haben die typische, vom Gesetzgeber prognostizierte und damit rechtlich gewollte Wirkung 1 6 9 , daß der Ablauf unternehmerischer Entscheidungsprozesse bei Entscheidungen, die entsprechend den gesellschaftsrechtlichen Normen (z.B. Aktiengesetz und GmbH-Gesetz) dem Unternehmensorgan Aufsichtsrat vorbehalten sind, geändert wird. Aufgrund der Mitbestimmungsgesetze müssen nämlich im Aufsichtsrat auch gewählte Arbeitnehmervertreter sitzen. Jede rechtliche Ordnung der Zusammensetzung eines Entscheidungsgremiums hat typischerweise Einfluß auf die Entscheidungen in diesem Gremium. Diese Erfahrung berücksichtigt das Recht in allen entsprechenden Organisationsnormen für die Zusammensetzung von Gremien. Mit den Normen der unternehmensbezogenen Mitbestimmung über die Zusammensetzung des Aufsichtsrates sollen daher auch unternehmerische Entscheidungen im Aufsichtsrat geregelt werden. Regelungsgegenstand der Normen der unternehmensbezogenen Mitbestimmung ist daher auch die unternehmerische Entscheidung im Aufsichtsrat. Die Mitbestimmungsregelungen räumen durch Verweisungen auf das Aktiengesetz dem Aufsichtsrat in allen mitbestimmungspflichtigen Unternehmen ohne Rücksicht auf deren Rechtsform eine Minimalkompetenz als Überwachungs- und Kontrollorgan für das Geschäftsführungsorgan (Vorstand) ein. Für alle der unternehmensbezogenen Mitbestimmung unterfallenden Unternehmen befindet sich daher das Geschäftsführungsorgan in 166 Für die einfache Mitbestimmung vgl. §§ 76 Abs. 5 und 77 BetrVG 52; für die erweiterte Mitbestimmimg vgl. § 23 MitbestG. 167 Vgl. § 16 Abs. 2 MitbestG. 168 Vgl. § 23 Abs. 1 Nr. 4 MitbestG. 169 Zu dem Problem gesetzlicher Prognosen vgl. BVerfGE 50, 290 (331 ff.).

6 Marino

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Β. I. Regelungsbereich u. Regelungsgegenstände des Tendenzschutzes

einer gewissen Abhängigkeit vom Aufsichtsrat. Das Informations-, Prüfungs- und Einsichtsrecht des Aufsichtsrates stellt in Verbindung mit Haftungsvorschriften 170 ein wirkungsvolles Mittel dar, mit dem der Aufsichtsrat dem Geschäftsführungsorgan seine Vorstellungen über die Zielsetzungen nachdrücklich ans Herz legen kann, an denen Geschäftsführungsmaßiiahmen ausgerichtet werden sollen. Diese rechtlich gewollte typische Wirkung der Normen der unternehmensbezogenen Mitbestimmung, die die Befugnisse des Aufsichtsrates gegenüber dem Geschäftsführungsorgan (Vorstand) regeln, rechtfertigen daher den Schluß, daß auch die Gestaltung der unternehmerischen Entscheidungen im Geschäftsführungsorgan ein Regelungsgegenstand der Normen der unternehmensbezogenen Mitbestimmung ist. Regelungsgegenstände der Normen der unternehmensbezogenen Mitbestimmung sind daher Teilbereiche der unternehmensinternen Struktur einschließlich der Rechtsstellung der Arbeitnehmer (in der erweiterten Mitbestimmung auch der im Unternehmen vertretenen Gewerkschaften) innerhalb des Unternehmens und die unternehmerischen Entscheidungen in Fremdorganschaft. Diese Gegenstände werden in den Mitbestimmungsgesetzen sowohl für Nichttendenzunternehmen als auch für Tendenzunternehmen - wenn auch in unterschiedlicher Weise - geregelt. Wie bereits dargelegt, sind nämlich die Tendenzschutzbestimmungen negative Regelungen der unternehmensbezogenen Mitbestimmung. Die Normen der Tendenzschutzbestimmungen regeln daher ebenfalls die zuvor dargestellten Gegenstände der unternehmensbezogenen Mitbestimmung. Ähnlich wie bei den Tendenzschutzbestimmungen der betriebsbezogenen Mitbestimmung könnte auch bei den Tendenzschutzbestimmungen der unternehmensbezogenen Mitbestimmung fraglich sein, ob die Tendenzschutzbestimmungen der einfachen und erweiterten Mitbestimmung einen im Vergleich zur unternehmensbezogenen Mitbestimmung für Nichttendenzunternehmen zusätzlichen Gegenstand regeln, nämlich bestimmte unternehmerische Zwecke. Die in den §§ 1 Abs. 4 MitbestG und 81 BetrVG 52 aufgeführten Bestimmungen und Zwecke von Unternehmen sind jedoch nur Anknüpfungsmoment und nicht Regelungsgegenstand. Anders könnte es sich höchstens dann verhalten, wenn die Normen der unternehmensbezogenen Mitbestimmung grundsätzlich auch bei Nichttendenzunternehmen nur Unternehmen mit bestimmten Unternehmenszwecken erfaßten. Für die Anwendung der unternehmensbezogenen Mitbestimmung für Nichttendenzunternehmen ist es aber unerheblich, welche formalen und sachlichen Unternehmensziele ein Unternehmen verfolgt. Es kommt nicht darauf an, ob das Unternehmen auf Gewinnerzielung, Kostendeckung, auf Bedarfsdeckung bestimmter Gruppen (z.B. Genossenschaften) oder auf geistig170

Vgl. hierzu Ulmer, in: .Hanau / Ulmer, Rn. 52, 53 und 54 zu § 25 MitbestG.

2. Regelungsbereich und Regelungsgegenstände

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ideelle Ziele ausgerichtet ist. Aus der Beschränkung des Regelungsbereiches der unternehmensbezogenen Mitbestimmung auf die Rechtsformen des Handelsrechts (z.B. Aktiengesellschaft und GmbH) kann nichts anderes geschlossen werden. Wie sich aus § 3 Aktiengesetz und § 3 GmbH-Gesetz ergibt, können auch Unternehmen, deren Träger eine AG oder GmbH ist, nicht-monetäre Ziele verfolgen. 171 Die Regelungsgegenstände der Normen der unternehmensbezogenen Mitbestimmung sind daher in beiden Mitbestimmungsformen für Tendenzunternehmen und Nichttendenzunternehmen jeweils die gleichen.

171 Wiedemann, Gesellschaftsrecht, S. 340 weist auf die Satzung der Axel-Springer-Beteiligungs-AG, Berlin, hin, die in ihrer Satzung u.a. festgelegt hat, daß ein Unternehmensgrundsatz dieser Aktiengesellschaft die Herbeiführung der Aussöhnung zwischen Juden und Deutschen ist.

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Π . Interessen und Gestaltungsprinzipien des einfachrechtlichen Tendenzschutzes Die Wertentscheidungen und damit die Zielsetzungen (ratio) der Tendenzschutzbestimmungen können nur bestimmt werden, wenn zuvor geklärt ist, über welche Interessen und „objektiven Rechtswerte" die Tendenzschutzbestimmungen der betriebsbezogenen bzw. der unternehmensbezogenen Mitbestimmung entscheiden.1 1. Die Interessenlage bei den Regelungsgegenständen der Tendenzschutzbestimmungen Wie bei allen Regelungsgegenständen des Rechts wird auch bei den Tendenzschutzbestimmungen der betriebsbezogenen und unternehmensbezogenen Mitbestimmung über die rechtliche Gestaltung eines Ausschnittes der sozialen Wirklichkeit entschieden, in dem einzelne oder Gruppen von Menschen wirken, die bestimmte Interessen, also „Begehrensvorstellungen" darüber haben, wie dieser Ausschnitt aus der sozialen Wirklichkeit „richtig" gestaltet werden soll. 2 Der Frage, über welche Interessen die Tendenzschutzbestimmungen entscheiden, soll zunächst nachgegangen werden. 1.1 In der betriebsbezogenen Mitbestimmung

Die Regelungsgegenstände der Tendenzschutzbestimmungen der betriebsbezogenen Mitbestimmung, nämlich innere Struktur des Betriebes und betriebliche Entscheidungstätigkeit, berühren die Interessen von zwei Personengruppen : Es sind dies zum einen die Arbeitnehmer - genauer die verschiedenen Gruppen von Arbeitnehmern 3 - , die im Betrieb, entsprechend ihrer Zuordnung zu bestimmten Tätigkeiten, den arbeitstechnischen Zweck des Betrie1 Der V. d. A. folgt der Auffassung Essers, wonach die ratio einer Norm immer eine Wertentscheidung über Interessen und über „objektive Rechtswerte" im Sinne von Rechtsgütern, Rechtswerten und Rechtsprinzipien ist. Vgl. hierzu Esser, in: Interessenjurisprudenz heute, in Juristenjahrbuch 1960, S. 111 ff. (116). - Auch nach der Auffassung von Larenz, Methodenlehre, S. 132 ff., entscheidet eine Norm über Interessen im Sinne von Begehrensvorstellungen anhand von objektiv vorgegebenen Rechtsgütern und Rechtsprinzipien. Diese objektiven Rechtswerte können sowohl Bewertungsgegenstand als auch Bewertungsmaßstab sein. 2 Vgl. hierzu Westermann, Wesen und Grenzen der richterlichen Streitentscheidung im Zivilrecht, 1955, S. 14ff.

1. Die Interessenlage bei den Regelungsgegenständen

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bes verwirklichen. Sie werden von den betrieblichen Entscheidungen (z.B. über Arbeitsplatzgestaltung, Versetzung oder über betriebliche Ordnung) unmittelbar betroffen. Auf der anderen Seite ist dies der Arbeitgeber, der die innere Struktur des Betriebes, also die Zuordnung der Arbeitnehmer zueinander, zu den Aufgaben des Betriebes und zu den sachlichen Mitteln desselben, festlegt und der betriebliche Entscheidungen trifft. Der Arbeitgeber ist rechtlich zugleich der Träger des jeweiligen Unternehmens, dessen realer oder ideeller Teil der Betrieb ist. Die Interessen der Arbeitnehmer einerseits und des Arbeitgebers andererseits sind bei den Regelungsgegenständen der betriebsbezogenen Mitbestimmung ohne weiteres erkennbar. Während der Arbeitgeber als Träger des Unternehmens „seine" Betriebsstruktur allein festlegen w i l l und die betrieblichen Entscheidungen allein treffen will, geht das Interesse der Arbeitnehmer dahin, an der Festlegung der betrieblichen Struktur und an den betrieblichen Entscheidungen zumindest beteiligt zu werden. Im Betrieb entfaltet sich nämlich unmittelbar das berufliche Leben der Arbeitnehmer. Die Arbeitnehmer wollen einen wichtigen Teil ihres Lebens, nämlich das berufliche Leben, zumindest mitgestalten und hierbei nicht bloß eine passive Rolle spielen.4 Die Interessen der Betroffenen bei den Regelungsgegenständen der betriebsbezogenen Mitbestimmung von Arbeitgeber einerseits und Arbeitnehmern andererseits sind gegensätzlich. Dieser Interessenkonflikt ist bei den Regelungsgegenständen der betriebsbezogenen Mitbestimmung in Tendenzunternehmen und in Nichttendenzunternehmen gleichermaßen anzutreffen. 5 Auch in Unternehmen, die den in § 118 BetrVG genannten Zwecken 3

Das BetrVG berücksichtigt die unterschiedlichen Interessen einzelner Gruppen von Arbeitnehmern (Angestellten, Arbeitern, Frauen, Männern und jugendlichen Arbeitnehmern) durch den Grundsatz der Gruppenwahl (§14 Abs. 3 BetrVG), den Gruppenschutz der §§10 und 15 BetrVG sowie durch die Vorschriften über die Jugendvertretung (vgl. §§ 60ff. BetrVG). 4 Die bis in die Mitte des vorigen Jahrhunderts zurückreichende Geschichte der betriebsbezogenen Mitbestimmung und die Bemühungen und Kämpfe um deren gesetzliche Regelung belegen, daß diese Interessenanalyse zutrifft. Vgl. hierzu Teuteburg, Geschichte der industriellen Mitbestimmung in Deutschland, 1961, und Neumann-Duesberg, Betriebsverfassungsrecht, S. 26 mit 30. 5 Von den Gewerkschaften wird immer wieder gefordert, den Tendenzschutz in der betriebsbezogenen und unternehmensbezogenen Mitbestimmung zu beseitigen oder zumindest einzuschränken. So wurde etwa im Gesetzgebungsverfahren für das BetrVG 1972 von Gewerkschaftsseite die ersatzlose Streichung der Tendenzschutzbestimmungen für Religionsgemeinschaften und deren karitative und erzieherische Einrichtungen gefordert. Vgl. Anhörung des Bundestagsausschusses für Arbeit und Sozialordnung, Deutscher Bundestag, 6. Wahlperiode, Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung, Protokoll-Nummer 57 und 58, S. 39 und 40. Die Hartnäckigkeit der Forderung der Gewerkschaften dürfte sich nicht zuletzt damit erklären lassen, daß diese Forderungen auch von den betroffenen Arbeitnehmern selbst voll unterstützt werden. Die gewerkschaftlichen Forderungen würden somit belegen, daß die Arbeitnehmer auch in Tendenzunternehmen an der Festlegung der betrieblichen Struktur (vor allem betriebliche Ordnung) und an den betrieblichen Entscheidungen beteiligt sein wollen.

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Β. II. Interessen und Gestaltungsprinzipien des Tendenzschutzes

dienen, w i l l der Arbeitgeber die Struktur „seines Betriebes" festlegen und die betrieblichen Entscheidungen allein treffen. Andererseits wollen auch in Tendenzunternehmen die Arbeitnehmer als die unmittelbar Betroffenen an der Festlegung der betrieblichen Struktur und an den betrieblichen Entscheidungen beteiligt sein. 1.2 In der unternehmensbezogenen Mitbestimmung

Die rechtliche Regelung der Gegenstände der unternehmensbezogenen Mitbestimmung, nämlich innere Struktur des Unternehmens und unternehmerische Entscheidungen, gestaltet im wesentlichen die Interessen von drei Personengruppen : Es sind dies zum einen die Anteilseigner der juristischen Verbandspersonen, die Träger mitbestimmungspflichtiger Unternehmen sind. Wenngleich rechtlich juristische Personen die Träger mitbestimmungspflichtiger Unternehmen sind und die Anteilseigner trotz ihrer Mitgliedschaftsrechte in der juristischen Person dieser rechtlich als „Dritte" gegenüberstehen, darf dieses Trennungsprinzip nicht den Blick dafür trüben, daß der Zweckverband der Anteilseigner der eigentliche Träger eines mitbestimmungspflichtigen Unternehmens ist. 6 Die Anteilseigner haben die juristische Person zur Verfolgung bestimmter Ziele geschaffen und betreiben sie durch ihre Mitgliedschaftsrechte. Die Regelungen der unternehmensbezogenen Mitbestimmung über die innere Struktur des Unternehmens und die unternehmerischen Entscheidungen berühren daher das Interesse der Anteilseigner an der ungeschmälerten Ausübung ihrer Mitgliedschaftsrechte. Die zweite Personengruppe, die von den Regelungen der unternehmensbezogenen Mitbestimmung betroffen wird, ist die der Geschäftsführer (Vorstand). Zumindest in der Aktiengesellschaft wird ihnen durch § 76 Abs. 1 Akt G eine Eigenzuständigkeit zur Unternehmensleitung eingeräumt. 7 Die dritte Gruppe von Betroffenen sind die Arbeitnehmer, die ihrerseits wiederum in einzelne Gruppen zerfallen (leitende Angestellte, Angestellte, Arbeiter). Bei den Regelungsgegenständen der unternehmensbezogenen Mitbestimmung ist die Interessenlage dieser Personengruppen ohne weiteres erkennbar. Die Anteilseigner wollen als diejenige Gruppe, die das Unternehmen zur Verfolgung bestimmter Zwecke (wirtschaftlicher oder ideeller) organisiert hat, die Struktur des Unternehmens allein festlegen. Sie wollen in der 6 Wiedemann, Gesellschaftsrecht, S. 214 betont zu Recht, daß man die Trennung zwischen juristischer Person und Anteilseignern nicht überstrapazieren solle. 7 Vgl. hierzu Duden, in: Festschrift für Kunze, 1969, S. 127 und 140.

2. Gestaltungsprinzipien der Tendenzschutzbestimmungen

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Regel8 auch die unternehmerischen Entscheidungen unmittelbar oder mittelbar treffen. In mitbestimmungspflichtigen Unternehmen ist die Geschäftsführung grundsätzlich i n der Form der Fremdorganschaft organisiert. 9 Ausschließlich die Anteilseigner wollen kraft ihrer Mitgliedschaftsrechte die in Fremdorganschaft getroffenen Entscheidungen kontrollieren und beeinflussen. Die Gruppe der Geschäftsführer (Manager) w i l l nach ihrem Selbstverständnis als eigentliche Unternehmer 10 ihrerseits möglichst die Struktur des Unternehmens festlegen und die unternehmerischen Entscheidungen eigenverantwortlich treffen. Schließlich wollen die Arbeitnehmer, deren Tätigkeit im sachlich-personellen Verbund Unternehmen die Ziele des Unternehmens verwirklicht und deren Tätigkeit im Unternehmen ihre wirtschaftliche Existenzgrundlage ist, durch entsprechende Gestaltung der inneren Struktur des Unternehmens an den unternehmerischen Entscheidungen beteiligt werden. 11 Die Interessen der genannten Personengruppen sind gegensätzlich. Dieser Interessengegensatz besteht in Tendenzunternehmen und Nichttendenzunternehmen in gleicher Weise. 12 Die Regelungen der unternehmensbezogenen Mitbestimmung mußten daher sowohl für Tendenzunternehmen als auch für Nichttendenzunternehmen über diesen Interessenkonflikt entscheiden. 2. Gestaltungsprinzipien der Tendenzschutzbestimmungen Unter A.II.3. wurde bereits darauf hingewiesen, daß die Rechtsordnung für die rechtliche Gestaltung der Lebenssachverhalte bzw. der Interessenlagen, die die Normen der betriebsbezogenen bzw. unternehmensbezogenen 8 Das gilt nicht für sog. institutionelle Anlieger; vgl. Immenga, Aktiengesellschaft, Aktionärsinteressen und institutionelle Anlieger, 1971, S. 24ff., und für die sog. „Publikums-AG" bei der das gesamte Aktienkapital unter einer Vielzahl durchwegs kleiner Aktionäre gestreut ist. 9 Vgl. §§ 76 Aktiengesetz und 35 GmbH-Gesetz. Zum Begriff der Fremdorganschaft oder Drittorganschaft vgl. Wiedemann, Gesellschaftsrecht, S. 344. 10 Bei der Fremdorganschaft üben nicht die Anteilseigner, sondern die von den Anteilseignern mittelbar oder unmittelbar bestimmten Geschäftsführer die eigentliche Unternehmerfunktion aus. 11 Die unternehmerischen Entscheidungen haben Auswirkungen auf das essentielle Interesse der Arbeitnehmer auf Erhaltung des Arbeitsplatzes und auf berufliches Fortkommen. Auch wenn die unternehmensbezogene Mitbestimmung mit einer Reihe weiterer rechtsethischer, sozialpolitischer und ordnungspolitischer Überlegungen begründet werden kann (vgl. hierzu die Darstellung bei Wiedemann, Gesellschaftsrecht, S. 592 ff.), so folgt m.E. bereits aus den zuvor genannten objektiven Bedingungen das Interesse der Arbeitnehmer auf Beteiligung an unternehmerischen Entscheidungen und auf gesetzliche Strukturregelungen, die eine solche Beteiligung der Arbeitnehmer ermöglichen. 12 Die Richtigkeit dieser Feststellung folgt aus den unter Anmerkung 5 zur betriebsbezogenen Mitbestimmung dargelegten Gründen.

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Β. II. Interessen und Gestaltungsprinzipien des Tendenzschutzes

Mitbestimmung für Nichttendenzunternehmen und Tendenzunternehmen rechtlich regeln, Gestaltungsprinzipien vorhält. Den Normen der betriebsbezogenen bzw. der unternehmensbezogenen Mitbestimmung liegen Rechtsprinzipien zugrunde, die dem Schutz bestimmter Rechtswerte, oder Rechtsgüter dienen. Diese Rechtsprinzipien lassen sich bei den Normen der betriebsbezogenen bzw. unternehmensbezogenen Mitbestimmung für Nichttendenzunternehmen am besten erkennen, da die Normen der betriebsbezogenen bzw. unternehmensbezogenen Mitbestimmung bei Nichttendenzunternehmen uneingeschränkt gelten. Dieselben Rechtsprinzipien müssen aber auch bei den Tendenzschutzbestimmungen der betriebsbezogenen bzw. unternehmensbezogenen Mitbestimmung eine Rolle spielen, da auch die Tendenzschutzbestimmungen Normen der betriebsbezogenen bzw. unternehmensbezogenen Mitbestimmung sind. Das Privatrecht enthält zudem auch außerhalb des BetrVG bzw. des MitbestG und BetrVG 52 Rechtsprinzipien zur Gestaltung des von den Normen der betriebsbezogenen bzw. unternehmensbezogenen Mitbestimmung rechtlich geregelten Lebenssachverhalts, die dem Schutz objektiver Rechtswerte dienen. Solche Rechtsprinzipien können z.B. den Normen des Individualarbeitsrechts, des Gesellschaftsrechts und des Sachenrechts entnommen werden. Diese Rechtsprinzipien zur Gestaltung des Regelungsbereichs der betriebsbezogenen bzw. unternehmensbezogenen Mitbestimmung können miteinander in einem Spannungsverhältnis stehen, wenn sie unterschiedliche objektive Rechtswerte schützen. Die ratio einer Tendenzschutzbestimmung der betriebsbezogenen bzw. der unternehmensbezogenen Mitbestimmung stellt somit eine Wertentscheidung über die Geltung der verschiedenen Rechtsprinzipien dar, die das Privatrecht im und außerhalb des BetrVG bzw. des MitbestG und BetrVG 52 zur Gestaltung des von den Tendenzschutzbestimmungen geordneten Lebenssachverhalts (Regelungsgegenstände) vorhält. Nachfolgend werden diese Rechtsprinzipien und die von ihnen geschützten objektiven Rechtswerte für die einzelnen Regelungsgegenstände der Tendenzschutzbestimmungen näher bestimmt. 2.1 Gestaltungsprinzipien für den Regelungsgegenstand betriebliche Struktur

2.1.1 Objektiver Rechtswert: Alleiniges Bestimmungsrecht des Arbeitgebers über die betriebliche Struktur aufgrund privatrechtlicher Sachherrschaft und Vertragsautonomie Für die rechtliche Gestaltung des Regelungsgegenstandes der Tendenzschutzbestimmungen der betriebsbezogenen Mitbestimmung betriebliche Struktur sind sowohl dem Sachenrecht als auch dem Individualarbeitsrecht

2. Gestaltungsprinzipien der Tendenzschutzbestimmungen

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Rechtsprinzipien zu entnehmen, die ein alleiniges Bestimmungsrecht des Arbeitgebers über die betriebliche Struktur begründen. Der Träger des Unternehmens (Arbeitgeber) hat aufgrund seines Eigentums· oder Besitzrechtes an den sachlichen Betriebsmitteln das alleinige Bestimmungsrecht darüber, wie und auf welche Weise diese sachlichen Betriebsmittel eingesetzt und in welcher Weise sie den Arbeitnehmern des Betriebes zugeordnet werden. Aus der dem Arbeitsvertragsrecht zugrundeliegenden Vertragsautonomie 1 3 folgt nach allgemeinen individualarbeitsrechtlichen Grundsätzen das Weisungsrecht des Arbeitgebers 14 . Mit Hilfe dieses Gestaltungsrechtes kann der Arbeitgeber das Zusammenwirken von sachlichen und personellen M i t teln zur Erreichung des von ihm bestimmten arbeitstechnischen Zwecks festlegen. Mit dem Weisungsrecht kann der Arbeitgeber auch das Verhalten der Arbeitnehmer untereinander regeln. Das dem Arbeitgeber im Rahmen der gesetzlichen, kollektiwertraglichen und einzelvertraglichen Schranken zustehende Weisungsrecht und sein Eigentums- bzw. Besitzrecht an den Betriebsmitteln rechtfertigen somit ein alleiniges Bestimmungsrecht des Arbeitgebers über die betriebliche Struktur. Für die rechtliche Gestaltung des Regelungsgegenstandes betriebliche Struktur der Tendenzschutzbestimmungen der betriebsbezogenen Mitbestimmung halten somit das Sachenrecht und das Individualarbeitsrecht das Rechtsprinzip vor, das alleinige Bestimmungsrecht des Arbeitgebers über die betriebliche Struktur zu beachten. 2.1.2 Objektiver Rechtswert: Alleiniges Bestimmungsrecht des Arbeitgebers über die betriebliche Struktur aufgrund der Verfolgung besonderer Untemehmenszwecke Aus den Rechtsfolgen des § 118 BetrVG und aus dem systematischen Zusammenhang dieser Tendenzschutzbestimmungen mit den übrigen Normen der betriebsbezogenen Mitbestimmung muß gefolgert werden, daß das Rechtsprinzip alleiniges Bestimmungsrecht des Arbeitgebers für die Gestaltung des Regelungsgegenstandes betriebliche Struktur in diesen Tendenzschutzbestimmungen nicht nur auf der privatrechtlichen Sachherrschaft des Arbeitgebers und der Vertragsautonomie beruhen kann. Diese Grundla13 Wenngleich im Individualarbeitsrecht die Vertragsautonomie durch Gesetze und Kollektiwereinbarungen eingeschränkt ist, so besteht dennoch in der Rechtslehre Übereinstimmung, daß der aus der Vertragsautonomie folgende Arbeitsvertrag die Grundlage des Arbeitsverhältnisses zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer ist. Vgl. hierzu Zöllner, Arbeitsrecht, S. 107 mit Nachweisen. 14 Zur dogmatischen Begründung und Einordnung des Weisungsrechts vgl. Söllner, AcP 171 (1971), 560ff. und Bötticher, AuR 67, 321 (325).

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Β. II. Interessen und Gestaltungsprinzipien des Tendenzschutzes

gen des objektiven Rechtswertes Alleinbestimmungsrecht des Arbeitgebers über die betriebliche Struktur hält nämlich die Rechtsordnung sowohl für die einfachrechtliche Gestaltung des Regelungsgegenstandes betriebliche Struktur bei Tendenzunternehmen als auch bei Nichttendenzunternehmen vor. Gleichwohl wird das Rechtsprinzip alleiniges Bestimmungsrecht des Arbeitgebers bei der einfachrechtlichen Gestaltung der betriebsbezogenen Mitbestimmung i n Nichttendenzunternehmen durch die betriebsverfassungsrechtlichen Organisationsnormen (z.B. Normen über die Bildung des Betriebsrates), aber auch durch betriebsverfassungsrechtliche Beteiligungsrechte hinsichtlich der Gestaltung der betrieblichen Ordnung und der Gestaltung von Arbeitsplatz, Arbeitsablauf und Arbeitsumgebung erheblich eingeschränkt, während das Rechtsprinzip bei Tendenzunternehmen entweder voll (§118 Abs. 2 BetrVG) oder zumindest in erheblich größerem Umfange (§118 Abs. 1 BetrVG) als bei Nichttendenzunternehmen zur Geltung kommt. Die Rechtsordnung sieht somit das Rechtsprinzip Alleinbestimmungsrecht des Arbeitgebers über die betriebliche Struktur auch dadurch als gerechtfertigt an, daß die besonderen von § 118 BetrVG erfaßten Unternehmenszwecke in einem Betrieb verfolgt werden. Aus den Rechtsfolgen der Tendenzschutzbestimmungen des § 118 BetrVG folgt daher, daß die Rechtsordnung für die einfachrechtliche Gestaltung des Regelungsgegenstandes betriebliche Struktur den Rechtswert Alleinbestimmungsrecht des Arbeitgebers auch dann als gerechtfertigt ansieht, wenn es um die Verfolgung der von § 118 BetrVG erfaßten Unternehmenszwecke geht. 2.1.3 Objektiver Rechtswert: Schutzraum (Entfaltungsspielraum) für die Arbeitnehmer während ihrer Tätigkeit im Betrieb Für die Gestaltung des Regelungsgegenstandes innere Struktur des Betriebes ist den Normen der betriebsbezogenen Mitbestimmung ein Rechtsprinzip zu entnehmen, das dem Schutz eines anderen Rechtsgutes dient. Dieser objektive Rechtswert kann aus einer Analyse des Wirkungsbereiches und der Wirkungsweise der Normen der betriebsbezogenen Mitbestimmung für die Nichttendenzunternehmen gefolgert werden. Die Organisationsnormen des Betriebsverfassungsrechts schränken das Alleinbestimmungsrecht des Arbeitgebers und Unternehmensträgers über die betriebliche Struktur zwingend ein. Betriebsverfassungsrechtliche Organisationsnormen sind z.B. die Vorschriften über die Wahl, Errichtung und Zuständigkeit des Betriebsrates, aber auch des Wirtschaftsausschusses. Das Alleinbestimmungsrecht des Arbeitgebers über die betriebliche Struktur schränken auch die Beteiligungsrechte des § 87 Abs. 1 Nr. 1 BetrVG ein. Die betriebsverfassungsrechtlichen Organisationsnormen wirken sich so

2. Gestaltungsprinzipien der Tendenzschutzbestimmungen

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aus, daß für Entscheidungen über das Verhältnis des Arbeitgebers zu den Arbeitnehmern, aber auch über das Verhältnis der Arbeitnehmer untereinander von „außen", nämlich durch zwingende Normen, Zuständigkeiten festgelegt und Schranken für Richtlinien und Einzelanordnungen des Arbeitgebers geschaffen werden. Die betriebsverfassungsrechtlichen Organisationsnormen beschneiden damit Befugnisse des Arbeitgebers gegenüber den im Betrieb eingegliederten Arbeitnehmern. Sie bewirken, daß das notwendige Zusammenwirken von Arbeitgeber und Arbeitnehmern im Betrieb nicht mehr ausschließlich durch vom Arbeitgeber festgelegte Strukturen bestimmt werden kann. Vielmehr ist ein Teil der Strukturen und Schranken für Arbeitgeber und Arbeitnehmer eines Betriebes durch das Betriebsverfassungsgesetz vom Recht vorgegeben. Der „Vorteil", den die betriebsverfassungsrechtlichen Organisationsnormen den Arbeitnehmern bringen, besteht darin, daß ihre Arbeitsaufgabe, ihr Verhalten und ihr Arbeitsablauf im einzelnen nicht mehr ausschließlich vom Arbeitgeber determiniert werden können, soweit der Betriebsrat auch rechtlich (insbesondere § 2 Abs. 1 BetrVG) und faktisch dem Betrieb dient. 15 Der Entscheidungsspielraum des Arbeitgebers bei Einzelanweisungen und die Möglichkeiten zu Einzelanweisungen werden eingeschränkt. Die Mitbestimmungsrechte im Bereich der sozialen Angelegenheiten nach § 87 Abs. 1 Nr. 1 und 2 BetrVG und die Beteiligungsrechte der §§ 90 und 91 BetrVG bei der Arbeitsplatzgestaltung, Arbeitsvorbereitung und Arbeitsumgebung bewirken, daß der Arbeitgeber nicht mehr die formellen Arbeitsbedingungen 16 , also Dienst- und Ordnungsvorschriften, für die Arbeitnehmer seines Betriebes kraft seines Direktionsrechts einseitig festlegen kann. Der Arbeitgeber kann z.B. nicht mehr einseitig und ohne Mitwirkung des Betriebsrates Arbeitsplätze umgestalten, das Tragen von Haarnetzen anordnen und Pausen festsetzen. Diese Beteiligungsrechte des Betriebsrates bewirken, daß für die Arbeitnehmer der Rahmen, in dem sich ihr betrieblicher Alltag abspielt, vorhersehbar und - wegen der Verfahrensvorschriften zur Abänderung eben dieses Rahmens - stabiler wird. Zudem wirken die Arbeitnehmer des Betriebs - wenn auch mittelbar - durch ein von ihnen gewähltes Repräsentationsorgan an einer Veränderung dieser Rahmenbedingungen mit. Die Arbeitnehmer haben innerhalb dieses vorgegebenen Rahmens einen geschützten Entfaltungsspielraum, der weder willkürlich noch einseitig abgeändert werden kann. 15 Die betriebsverfassungsrechtlichen Organisationsnormen eröffnen dem Betriebsrat die rechtliche Möglichkeit und die Pflicht, die Einhaltung der in § 75 BetrVG niedergelegten Grundsätze zu überwachen. Zu dem Problem des Rechtsschutzes für den Arbeitnehmer, wenn eine Verletzung der Grundsätze des § 75 BetrVG vom Betriebsrat ausgeht, vgl. Dietz / Richardi, Bd. 2, Rn. 47 zu § 75 BetrVG. 16 Zum Begriff der formellen Arbeitsbedingungen vgl. Dietz / Richardi, Bd. 2, Rn. 25 zu § 87 BetrVG mit Nachweisen.

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Β. II. Interessen und Gestaltungsprinzipien des Tendenzschutzes

Die Unterrichtungs- und Beratungsrechte des § 90 BetrVG über die Planung arbeitstechnischer Betriebsänderungen legen dem Arbeitgeber Informationspflichten auf, die in der Regel privatrechtlich nicht begründet sind. Diese Unterrichtungs- und Beratüngsrechte verändern tatsächlich und rechtlich die Lage der Arbeitnehmer im Betrieb nicht in der Weise, daß ihr Handlungsspielraum oder ihre Einwirkungsmöglichkeiten im Betrieb größer würden. Aufgrund der Informationspflichten des Arbeitgebers erfahren die Arbeitnehmer „lediglich", ob und was sich in ihrem engeren Arbeitsumfeld und damit bei ihrer Tätigkeit ändern soll. Dennoch dienen auch diese betriebsverfassungsrechtlichen Mitwirkungsrechte der Persönlichkeitsentfaltung der Arbeitnehmer. In einer großen Zahl von Fällen kann der Mensch erst durch Informationen und aufgrund von Informationen agieren und reagieren. Es gehört zu den schlimmsten und entwürdigendsten Lebensumständen in (Willkür-)Diktaturen, daß die Beherrschten nicht erfahren, was um sie und damit mit ihnen geschieht. Menschenwürde verlangt Informationen darüber, was im sozialen und persönlichen Umfeld geschieht. Wenngleich die Lage von Menschen in Diktaturen in keiner Weise mit der Lage von Arbeitnehmern i n einem Betrieb zu vergleichen ist, so macht dieses extreme Beispiel dennoch deutlich, daß auch das Unterrichtungs- und Beratungsrecht des § 90 BetrVG einen Beitrag zur Entfaltung der Persönlichkeit der Arbeitnehmer in ihrem sozialen Umfeld leistet. Ein Vergleich der Wirkungsweise der aufgeführten betriebsverfassungsrechtlichen Organisationsnormen sowie der Normen, die Beteiligungsrechte enthalten, mit der Lage von Arbeitnehmern in Betrieben ohne betriebsbezogene Mitbestimmung läßt daher nur den Schluß zu, daß diese betriebsverfassungsrechtlichen Normen dem Zweck dienen, den Arbeitnehmern einen Schutzraum während ihrer Tätigkeit im Betrieb einzuräumen. Für die Richtigkeit dieser Auffassung sprechen auch die Grundsatznormen der §§2 Abs. 1 und 75 Abs. 2 BetrVG. Nach § 75 Abs. 2 BetrVG ist es Hauptaufgabe von Arbeitgeber und Betriebsrat, die freie Entfaltung der Persönlichkeit der Arbeitnehmer zu schützen. Die oben dargelegten betriebsverfassungsrechtlichen Normen sollen somit den objektiven Rechtswert Schutzraum (Entfaltungsspielraum) der Arbeitnehmer während ihrer Tätigkeit im Betrieb zur Geltung bringen. Bei der rechtlichen Gestaltung des Regelungsgegenstandes betriebliche Struktur müssen daher die Tendenzschutzbestimmungen der betriebsbezogenen Mitbestimmung auch eine Wertentscheidung über diesen Rechtswert der betriebsbezogenen Mitbestimmung getroffen haben.

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2.1.4 Ergebnis Die Tendenzschutzbestimmungen des § 118 BetrVG treffen beim Regelungsgegenstand betriebliche Struktur Wertentscheidungen über den objektiven Rechtswert Schutzraum der Arbeitnehmer während ihrer Tätigkeit im Betrieb und über den objektiven Rechtswert Alleinbestimmungsrecht des Arbeitgebers über die betriebliche Struktur. Die Rechtsordnung sieht den objektiven Rechtswert Alleinbestimmungsrecht des Arbeitgebers sowohl durch privatrechtliche Sachherrschaft und Vertragsautonomie als auch zur Verwirklichung besonderer Unternehmenszwecke als gerechtfertigt an. 2.2 Gestaltungsprinzipien für den Regelungsgegenstand Entscheidungen auf betrieblicher Ebene

2.2.1 Objektiver Rechtswert: Alleinentscheidungsrecht des Arbeitgebers aufgrund der Privatautonomie und privatrechtlicher Sachherrschaft Auch für die rechtliche Gestaltung des Regelungsgegenstandes der Tendenzschutzbestimmungen der betriebsbezogenen Mitbestimmung Entscheidungen auf betrieblicher Ebene hält die Rechtsordnung das Rechtsprinzip vor, das Alleinentscheidungsrecht des Arbeitgebers zu beachten. Dieses Rechtsprinzip für die Gestaltung der betrieblichen Entscheidungstätigkeit folgt für bestimmte Bereiche aus dem Grundsatz der Privatautonomie, dem Arbeitsvertragsrecht, das wiederum letztlich auf dem Grundsatz der Vertragsautonomie beruht und für andere Bereiche aus privatrechtlichen Eigentums- und Besitzrechten. Aus dem das gesamte Privatrecht beherrschenden Grundsatz der Privatautonomie folgt für die von den §§ 92 ff. BetrVG erfaßten Entscheidungsbereiche, daß der Arbeitgeber über diese Angelegenheiten allein entscheiden kann. Die Vertragsautonomie ist zwar im Arbeitsrecht eingeschränkt, aber nicht ausgeschlossen.17 Betriebliche Entscheidungen über die von § 87 Abs. 1 BetrVG (soziale Angelegenheiten) und von den §§ 96 ff. BetrVG (Berufsbildung) erfaßten Angelegenheiten kann der Träger des Unternehmens, also der Arbeitgeber, nach Individualarbeitsrecht allein aufgrund seines Weisungsrechts im Rahmen besonderer einzelvertraglicher und tarifvertraglicher Vereinbarungen treffen. Er ist insoweit nur durch individualrechtliche Nebenpflichten beschränkt, die ihn in seiner Eigenschaft als Arbeitgeber treffen und die ihm die Fürsorge für die Arbeitnehmer und die Förderung bestimmter Belange der Arbeitnehmer auferlegen 18 . Darüber 17 Zur Geltung der Vertragsautonomie im Individualarbeitsrecht vgl. Zöllner, Arbeitsrecht, S. 107. 18 Vgl. Tomandl (Hrsg.), Treue- und Fürsorgepflicht im Arbeitsrecht, 1975.

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hinaus wird die Entscheidungsbefugnis des Arbeitgebers auch noch durch das öffentlich-rechtliche Arbeitsschutzrecht 19 eingeschränkt. Innerhalb dieser zwingenden rechtlichen Rahmenbedingungen kann der Arbeitgeber aber aufgrund seines Weisungsrechts Entscheidungen in diesen Angelegenheiten allein treffen. Ähnlich verhält es sich mit den Entscheidungen des Arbeitgebers auf betrieblicher Ebene, die von den §§ 102 ff. BetrVG (Kündigungen) und 112, 113 BetrVG (wirtschaftlich-soziale Folgeentscheidungen bei Betriebsänderungen) erfaßt werden. Kündigungen kann der Träger des Unternehmens, also der Arbeitgeber, aufgrund seines einzelvertraglich begründeten einseitigen Gestaltungsrechts Kündigung im Rahmen der Schranken des Kündigungsschutzgesetzes und tarifvertraglicher Schranken allein treffen. Auch die wirtschaftlichen und sozialen Folgeentscheidungen, die die §§112 und 113 BetrVG erfassen, kann der Arbeitgeber aufgrund seiner einzelvertraglichen Möglichkeiten allein fällen. Für die rechtliche Gestaltung bestimmter Bereiche des Regelungsgegenstandes der Tendenzschutzbestimmungen der betriebsbezogenen Mitbestimmung Entscheidungen auf betrieblicher Ebene ist somit dem Individualarbeitsrecht der objektive Rechts wert Alleinentscheidungsrecht des Arbeitgebers zu entnehmen. Dieser objektive Rechtswert ergibt sich letztlich aus der dem Individualarbeitsrecht zugrundeliegenden Vertragsautonomie. Hingegen ist für den Bereich Gestaltung der arbeitstechnischen Organisation (§§ 90 und 91 BetrVG) beim Regelungsgegenstand Entscheidungen auf betrieblicher Ebene den Rechtsprinzipien des Sachenrechtes der Schutz des objektiven Rechtswertes Alleinentscheidungsrecht des Arbeitgebers zu entnehmen. 2.2.2 Objektiver Rechtswert: Alleinentscheidungsrecht des Arbeitgebers aufgrund der Verfolgung besonderer Unternehmenszwecke Die Rechtsfolgen des § 118 BetrVG und der systematische Zusammenhang dieser Tendenzschutzbestimmungen mit den übrigen Normen der betriebsbezogenen Mitbestimmung zwingen zu dem Schluß, daß das Rechtsprinzip Alleinentscheidungsrecht des Arbeitgebers für die rechtliche Gestaltung des Regelungsgegenstandes Entscheidungen auf betrieblicher Ebene in den Tendenzschutzbestimmungen nicht nur auf dem Grundsatz der Privatautonomie und der Vertragsautonomie beruhen kann. Die Einschränkung dieses Rechtsprinzips bei der Gestaltung des Regelungsgegenstandes Entscheidungen auf betrieblicher Ebene in Nicht19

Vgl. hierzu Herschel, in: RdA 1964, 40 und RdA 1978, 69.

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tendenzunternehmen im Unterschied zu der rechtlichen Gestaltung dieses Regelungsgegenstandes in Tendenzunternehmen wäre sonst nicht zu erklären. Aus den bereits unter B.II.2.1.2 näher dargelegten Gründen muß daher auch hier davon ausgegangen werden, daß bei der einfachrechtlichen Gestaltung des Regelungsgegenstandes Entscheidungen auf betrieblicher Ebene die Rechtsordnung die Beachtung des objektiven Rechtswertes Alleinentscheidungsrecht des Arbeitgebers auch dadurch als gerechtfertigt ansieht, daß es um die Verfolgung der besonderen von § 118 BetrVG erfaßten Unternehmenszwecke geht. 2.2.3 Objektiver Rechtswert: Förderung der beruflichen Entwicklung, Arbeitsplatzbestandschutz und (wirtschaftliche) Absicherung des Arbeitsplatzes der Arbeitnehmer im Betrieb Den Normen der betriebsbezogenen Mitbestimmung für Nichttendenzunternehmen ist als Rechtsprinzip der Schutz der oben genannten Rechtswerte zu entnehmen. Dies ergibt sich aus folgendem: - Objektiver Rechtswert: Förderung der beruflichen Entwicklung von Arbeitnehmern innerhalb des Betriebes Die Beteiligungsrechte bei allgemeinen personellen Angelegenheiten (§§ 92 bis 95 BetrVG) haben die Auswirkung, daß sich die Chancen der bereits im Betrieb befindlichen Arbeitnehmer verbessern können, einen nach Aufgabenstellung und Bezahlung interessanteren Arbeitsplatz zu erlangen. Sie fördern daher die berufliche Entwicklung der Arbeitnehmer im Betrieb. Im Falle des § 92 BetrVG eröffnen sich gegebenenfalls auch Einstellungschancen von Dritten. Die Mitwirkungsrechte zur Förderung der beruflichen Bildung (§§96 und 97 BetrVG) und bei der Durchführung betrieblicher Bildungsmaßnahmen (§ 98 BetrVG) können bewirken, daß sich die fachlichen Qualifikationen der im Betrieb beschäftigten Arbeitnehmer verbessern. Dies wiederum dürfte die Arbeitsplatzchancen und Entfaltungsmöglichkeiten der Arbeitnehmer im Betrieb, aber auch anderswo erhöhen. Es ist eine Erfahrungstatsache, daß sich das Arbeitsplatzrisiko um so mehr verringert und die Berufschancen um so mehr erhöhen, je besser die berufliche Qualifikation ist. Die aufgeführten Gruppen von Beteiligungsrechten können daher nur den Zweck verfolgen, den Arbeitnehmern im Betrieb für ihr künftiges Arbeits- und Berufsleben - gegebenenfalls auch außerhalb des Unternehmens - erhöhte Chancen zu eröffnen. Diese Feststellung w i r d auch durch die Grundsatznormen der §§ 2 Abs. 1 BetrVG und 75 Abs. 2 BetrVG erhärtet. Nach § 75 Abs. 2 BetrVG ist es Hauptaufgabe von Arbeitgeber und Betriebsrat, die

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Entfaltung der Persönlichkeit der im Betrieb beschäftigten Arbeitnehmer „zu fördern". Mithin dienen die aufgeführten betriebsverfassungsrechtlichen Normen dem objektiven Rechts wert Förderung der beruflichen Entwicklung der Arbeitnehmer. - Objektiver Rechtswert: (wirtschaftliche) Absicherung des Arbeitsplatzes Ein Teil der Beteiligungsrechte in sozialen Angelegenheiten schränkt die Möglichkeiten des Arbeitgebers im Bereich der sogenannten materiellen Arbeitsbedingungen 20 ein, die er - von Inhabern kleinerer Unternehmen abgesehen - aufgrund seiner wirtschaftlich und sozial starken Stellung im Rahmen der Vertragsfreiheit typisch hat. Er kann nicht mehr allein leistungsbezogene Entgelte (Akkord- und Prämiensätze) festsetzen und neue Entlohnungsmethoden einführen oder ändern (§ 87 Abs. 1 Nr. 10 und Nr. 11 BetrVG). Mithin verbessern die Mitwirkungsrechte die wirtschaftliche Existenzgrundlage der Arbeitnehmer des Betriebes oder sichern sie doch ab. Die betriebsverfassungsrechtlichen Beteiligungsrechte bei personellen Einzelmaßnahmen (§§99 bis 104 BetrVG) verstärken die Absicherung der wirtschaftlichen Existenzgrundlage der Arbeitnehmer durch verstärkten Bestandsschutz der Arbeitsplätze der Arbeitnehmer. Der Arbeitgeber ist über gesetzliche und tarifvertragliche Beschränkungen hinausgehend nicht ohne weiteres in der Lage, Arbeitnehmer des Betriebes umzugruppieren, zu versetzen und zu kündigen. Die Mitwirkungsrechte bei personellen Einzelmaßnahmen sichern daher den Arbeitsplatz des Arbeitnehmers als dessen wirtschaftliche Existenzgrundlage ab und dienen (Umgruppierung, Versetzung) im Verhältnis zu anderen Arbeitnehmern dem Wohle der gesamten Belegschaft. Die Unterrichtungsrechte über die wirtschaftliche Lage und Zielsetzung des Unternehmens (§§ 106 und 110 BetrVG) sowie über geplante Betriebsänderungen (§111 BetrVG) ermöglichen es den Arbeitnehmern, sich ein Bild über ihre wirtschaftliche Zukunft im Betrieb zu machen. Der Unternehmer muß den Wirtschaftsausschuß „umfassend über die wirtschaftlichen Angelegenheiten" unterrichten (§ 106 Abs. 2 BetrVG). Der Wirtschaftsausschuß hat seinerseits dem Betriebsrat, also dem Repräsentationsorgan der Belegschaft, zu berichten (§ 108 Abs. 4 BetrVG). I m Rahmen des § 110 BetrVG besteht darüber hinaus eine Unterrichtungspflicht des Unternehmens gegenüber den Arbeitnehmern. Die Unterrichtungsrechte eröffnen den Arbeitnehmern u.a. die Möglichkeit, frühzeitig zu disponieren und ggf. sich rechtzeitig einen anderen Arbeitsplatz zu suchen oder überhaupt eine andere Tätigkeit aufzunehmen. Auch diese 20 Zum Begriff· der materiellen Arbeitsbedingungen vgl. Dietz / Richardi, Bd. 2, Rn. 24 und 25 zu § 87 BetrVG mit Nachweisen aus Rechtsprechung und Rechtslehre.

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Beteiligungsrechte können daher nur den Zweck haben, die wirtschaftliche Existenzgrundlage der Arbeitnehmer des Betriebes abzusichern. Für die Gestaltung des Regelungsgegenstandes betriebliche Entscheidungstätigkeit ist mithin den zuvor dargestellten Normen das Rechtsprinzip zu entnehmen, die Existenzgrundlage der Arbeitnehmer im Betrieb durch mittelbare Teilhabe der Arbeitnehmer an der Entscheidungstätigkeit des Arbeitgebers in den Entscheidungsbereichen personelle Einzelmaßnahmen und wirtschaftliche Angelegenheiten abzusichern. - Objektiver Rechts wert: Wirtschaftliche Absicherung bei Arbeitsplatzverlust Die Mitwirkungsrechte beim Interessenausgleich des § 112 Abs. 1 Satz 1 BetrVG und die Mitbestimmungsrechte beim Sozialplan (§ 112 Abs. 1 Satz 2 BetrVG) können bewirken, daß für die von den Betriebsänderungen betroffenen Arbeitnehmer der Verlust des Arbeitsplatzes wirtschaftlich (finanziell) abgemildert wird. Der Sozialplan kann allerdings auch keine wirtschaftliche Absicherung ergeben, was unter Umständen zum Wohle der verbleibenden Belegschaft und der Volkswirtschaft sachgemäß sein kann. 2 1 Der Verlust der wirtschaftlichen Existenzgrundlage des Arbeitnehmers, nämlich der Verlust seines betrieblichen Arbeitsplatzes, wird daher in der Regel in beschränktem Umfang aufgrund dieser betriebsverfassungsrechtlichen Beteiligungsrechte finanziell „entschädigt". Die zuvor genannten Beteiligungsrechte verfolgen somit das Prinzip, durch Teilhabe der Arbeitnehmer an bestimmten Entscheidungen des Arbeitgebers den Rechtswert wirtschaftliche Absicherung bei Arbeitsplatzverlust zur Geltung zu bringen. 2.2.4 Ergebnis Den Tendenzschutzbestimmungen der betriebsbezogenen Mitbestimmung liegt bei ihrem Regelungsgegenstand Entscheidungen auf betrieblicher Ebene eine Wertentscheidung über den objektiven Rechtswert alleinige Entscheidungsbefugnis des Arbeitgebers aufgrund Privat- und Vertragsautonomie, aufgrund privatrechtlicher Sachherrschaft sowie aufgrund der Verwirklichung besonderer Unternehmenszwecke und über die objektiven Rechtswerte Förderung der beruflichen Entwicklung und (wirtschaftliche) Absicherung des Arbeitsplatzes der Arbeitnehmer des Betriebes durch mittelbare Teilhabe der Arbeitnehmer an bestimmten betrieblichen Entscheidungen durch betriebsverfassungsrechtliche Beteiligungsrechte zugrunde.

2i Vgl. hierzu BAGE (GS) 31, 176 (191 ff.). 7 Marino

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Β. II. Interessen und Gestaltungsprinzipien des Tendenzschutzes 2.3 Gestaltungsprinzipien für den Regelungsgegenstand innere Struktur von Unternehmen

Entsprechend dem Regelungsbereich der einfachen und erweiterten Mitbestimmung gestalten die Normen der unternehmensbezogenen Mitbestimmung den Gegenstand innere Struktur von Unternehmen nur für Unternehmen, die in der Rechtsform der AG, der KGaA, GmbH, Erwerbs- und Wirtschaftsgenossenschaft und des Versicherungsvereins auf Gegenseitigkeit organisiert sind. Die Frage, welche Rechtsprinzipien zum Schutze bestimmter Rechtsgüter die Rechtsordnung zur Gestaltung dieses Regelungsgegenstandes der unternehmensbezogenen Mitbestimmung in und außerhalb der Mitbestimmungsgesetze vorhält, braucht daher nur für Unternehmen untersucht zu werden, die in den zuvor genannten Rechtsformen organisiert sind. 2.3.1 Objektiver Rechtswert: Ausschließliche rechtliche Anerkennung der Anteilseigner als Mitglieder des Unternehmens aufgrund der Privat- und Verbandsautonomie Den verschiedenen Gesetzen für die Aktiengesellschaft und Kommanditgesellschaft auf Aktien, für die GmbH, für die Erwerbs- und Wirtschaftsgenossenschaft und für den Versicherungsverein auf Gegenseitigkeit sind gemeinsame und durchgängige Rechtsprinzipien für die Gestaltung des Regelungsgegenstandes der unternehmensbezogenen Mitbestimmung innere Struktur von Unternehmen zu entnehmen, die den objektiven Rechtswert zur Geltung bringen wollen, daß ausschließlich die Anteilseigner 22 rechtlich als Mitglieder des sachlich-personellen Verbunds Unternehmen anzuerkennen sind. Im Rahmen - je nach Rechtsform unterschiedlich gezogener gesetzlicher Grenzen bestimmen die Anteilseigner durch den Gesellschaftsvertrag (Satzung) und durch entsprechende Änderung der Satzung die Grundstruktur des Unternehmens. Das Aktiengesetz schreibt für Aktiengesellschaften die dreigliedrige Organstruktur 23 Geschäftsführungsorgan (Vorstand), Kontroll- und Überwachungsorgan (Aufsichtsrat) und Organ für die Grundlagen- und Strukturentscheidungen (Hauptversammlung) zwingend vor. Auch die Kompetenzen der Unternehmensorgane legt das Aktiengesetz weitgehend zwingend fest. 24 Dennoch verbleibt auch bei einer AG Spielraum für grundle22 Der in § 2 MitbestG definierte Begriff der Anteilseigner dient als Sammelbezeichnung der rechtsformspezifisch unterschiedlich benannten Gesellschafter mitbestimmungspflichtiger Unternehmen. Siehe hierzu Hanau / Ulmer, Rn. 1 zu § 2 MitbestG. 23 Vgl. §§ 76ff. (Vorstand); 95ff. (Aufsichtsrat) und 118ff. (Hauptversammlung) Aktiengesetz. 24 Für die Hauptversammlung vgl. §§ 23 Abs. 3, 119 Abs. 1, 293, 320, 340 Aktiengesetz; für den Vorstand vgl. §§76 Abs. 1, 111 Abs. 4, 172 Aktiengesetz; für den Aufsichtsrat vgl. §§ 84, 111, 112 Aktiengesetz.

2. Gestaltungsprinzipien der Tendenzschutzbestimmungen

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gende Strukturentscheidungen der Anteilseigner. So können z.B. nach § 111 Abs. 4 Aktiengesetz die Anteilseigner durch Satzung bestimmen, daß bestimmte Arten von Geschäften nur mit Zustimmung des Aufsichtsrates vorgenommen werden dürfen. Die Anteilseigner (Gesellschafter) einer GmbH haben einen wesentlich größeren Entscheidungsspielraum bei grundlegenden Strukturentscheidungen. Sie können darüber entscheiden, ob im Unternehmen ein Überwachungs- und Kontrollorgan Aufsichtsrat einzurichten ist oder nicht. Sie können auch darüber entscheiden, ob das Geschäftsführungsorgan von den Weisungen der Anteilseigner abhängig sein soll oder nicht. 2 5 Die Erwerbsund Wirtschaftsgenossenschaft bewegt sich hinsichtlich der Befugnis der Anteilseigner, die Organisation des Unternehmens festzulegen, in etwa in der Mitte zwischen der Aktiengesellschaft und der GmbH. Nach den einschlägigen gesellschaftsrechtlichen Gesetzen stehen ausschließlich den Anteilseignern im Unternehmen je nach Rechtsform unterschiedlich bezeichnete Mitgliedschaftsrechte zu 2 6 , die den Anteilseignern neben Pflichten 27 Anteilsrechte am Unternehmensvermögen sowie unmittelbar und/oder mittelbar Mitverwaltungsrechte (z.B. Stimmrecht, Wahlrecht) im Unternehmen vermitteln 28 . Nur die Anteilseigner können somit aufgrund ihrer Mitgliedschaftsrechte auf die Struktur im Unternehmen einwirken. Soweit gesetzliche Bestimmungen oder die Anteilseigner durch die Satzung im Unternehmen für bestimmte Sachbereiche (z.B. Geschäftsführung, Überwachung und Kontrolle der Geschäftsführung) die Strukturprinzipien der Repräsentativverfassung 29 und der Fremdorganschaft 30 vorsehen, steht ausschließlich den Anteilseignern aufgrund ihrer Mitgliedschaftsrechte ein unmittelbares (z.B. Aufsichtsrat) oder mittelbares (z.B. Vorstand in einer AG) Wahlrecht zur Bestimmung der Mitglieder (Repräsentanten) in solchen Unternehmensorganen zu. Ausschließlich die Anteilseigner wählen die Mitglieder des Kontroll- und Überwachungsorgans Aufsichtsrat. Darüber hinaus bestimmen die Anteilseigner mittelbar auch die Mitglieder des Unternehmensorgans für die Geschäftsführung (Vorstand). 31 Die Mitglieder des 25

Vgl. § 45 Abs. 1 GmbHG. So bezeichnet z.B. das Aktiengesetz die Mitgliedschaft der Aktionäre als Aktie; vgl. z.B. §§ 12 und 64 Aktiengesetz; das GmbHG bezeichnet sie als Geschäftsanteil; vgl. z.B. § 14 GmbHG. 27 Eine solche Pflicht aus der Mitgliedschaft der Anteilseigner im Unternehmen ist die Treuepflicht der Anteilseigner. Vgl. hierzu Lutter, in: JZ 1976, 275ff. 28 Zu den einzelnen Arten von Mitgliedschaftsrechten vgl. Würdinger, Aktienrecht und das Recht der verbundenen Unternehmen, unter § 10 I l a . 29 Zur Repräsentatiwerfassung vgl. Flume, Allgemeiner Teil des Bürgerlichen Rechts, Bd. 1/1, § 14 V; Schilling, Großkommentar zum HGB, Rn. 37 zu § 161 HGB; Westermann, Vertragsfreiheit und Typengesetzlichkeit, 1970, S. 360. 30 Zum Begriff und Wesen der Fremdorganschaft oder Drittorganschaft vgl. Wiedemann, Gesellschaftsrecht, S. 344 mit weiteren Literaturnachweisen. 31 Vgl. §§ 84 i.V.m. 101 Aktiengesetz. 26

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Β. II. Interessen und Gestaltungsprinzipien des Tendenzschutzes

Vorstandes werden nämlich in der Aktiengesellschaft vom Aufsichtsrat bestellt. Darüber hinaus können die Anteilseigner durch den Vertrauensentzug auf die Mitglieder des Vorstandes einwirken (§§ 116 und 93 Aktiengesetz). Bei der GmbH bestimmt die Anteilseignerversammlung unmittelbar die Geschäftsführer und damit die Mitglieder des Unternehmensorgans für die Geschäftsführung (§ 46 Nr. 5 GmbH-Gesetz). Der vom Gesellschaftsrecht anerkannte objektive Hechtswert ausschließliche rechtliche Anerkennung der Anteilseigner als Mitglieder des Unternehmens ist durch den Grundsatz der Privat- und Verbandsautonomie gerechtfertigt. Die Anteilseigner haben nämlich den körperschaftlich organisierten Zweckverband 32 gegründet und betreiben ihn im letzten, der seinerseits als juristische Person das Unternehmen betreibt. Sie können sich durch die Auswahl unter mehreren Rechtsformen den geeigneten Spielraum zur eigenen Festlegung der inneren Struktur des Unternehmens schaffen. 33 Die Anteilseigner können unter bestimmten Bedingungen auch jederzeit die grundlegende Struktur ihres Unternehmens dadurch ändern, daß sie ihr Unternehmen von einer Rechtsform in eine andere Rechtsform umwandeln. 34 Die Gründung des Unternehmens geschieht durch einen privatrechtlichen Organisationsvertrag (Satzung, Gesellschaftsvertrag) der Anteilseigner (Vertragsparteien), der die grundlegende Struktur des Unternehmens innerhalb der gesetzlich gezogenen Grenzen festlegt. Die hierbei geltenden Grundsätze der Privat- und Verbandsautonomie erfordern, daß ausschließlich die Anteilseigner als Parteien des Gesellschaftsvertrages und Mitglieder des Zweckverbandes Einfluß auf die Struktur des Unternehmens nehmen können und daß auch nur ihnen Mitgliedschaftsrechte im Unternehmen zustehen. Mitgliedschaftsrechte Dritter und damit Fremdeinflüsse würden dem Grundsatz der Verbandssouveränität widersprechen. 35

2.3.2 Objektiver Rechtswert: Ausschließliche rechtliche Anerkennung der Anteilseigner als Mitglieder des Unternehmens aufgrund der Verfolgung besonderer Unternehmenszwecke Aus den Rechtsfolgen der §§ 1 Abs. 4 MitbestG und 81 BetrVG 52 (Ausschluß der Normen der unternehmensbezogenen Mitbestimmung) und aus dem systematischen Zusammenhang dieser Tendenzschutzbestimmungen 32 Zum Begriff und Wesen des Zweckverbandes vgl. Wiedemann, Gesellschaftsrecht, S. 3 ff. (8 ff.). 33 Vgl. Westermann, Vertragsfreiheit und Typengesetzlichkeit im Recht der Personengesellschaften, 1970. 34 Vgl. hierzu Wiedemann, Gesellschaftsrecht, S. 157 ff. 35 Vgl. hierzu Wiedemann, in: Festschrift für Schilling, 1973, S. 105 bis 124.

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mit den übrigen Normen der unternehmensbezogenen Mitbestimmung ergibt sich, daß der objektive Rechtswert ausschließliche rechtliche Anerkennung der Anteilseigner als Mitglieder des Unternehmens von der Rechtsordnung auch wegen der von den Tendenzschutzbestimmungen erfaßten Unternehmenszwecke als gerechtfertigt angesehen wird. Die Begründung dieses objektiven Rechtswertes durch die Privat- und Verbandsautonomie könnte nämlich nicht erklären, warum dieser Rechtswert bei der einfachrechtlichen Gestaltung des Regelungsgegenstandes Unternehmensstruktur in der unternehmensbezogenen Mitbestimmung bei Nichttendenzunternehmen nicht zum Zuge kommt, bei der einfachrechtlichen Gestaltung des Regelungsgegenstandes Unternehmensstruktur bei Tendenzunternehmen hingegen beachtet wird.

2.3.3 Objektive Rechtswerte: Rechtliche Anerkennung der Arbeitnehmer und der im Unternehmen vertretenen Gewerkschaften als Mitglieder des sachlich-personellen Verbunds Unternehmen - Objektiver Rechtswert: Rechtliche Anerkennung der Arbeitnehmer als Mitglieder des Unternehmens Eine rechtsfunktionelle Analyse der Vorschriften der einfachen (BetrVG 52) und der erweiterten (MitbestG) Mitbestimmung ergibt folgendes: Die Normen der unternehmensbezogenen Mitbestimmung schränken die aus der Privat- und Verbandsautonomie folgenden Mitgliedschaftsrechte der Anteilseigner in mehrfacher Hinsicht ein. Die Befugnis der Anteilseigner, die grundlegende Struktur des Unternehmens durch Satzung (Gesellschaftsvertrag) und Änderung der Satzung innerhalb der gesetzlichen Schranken des Gesellschaftsrechts festlegen zu können, wird durch zwingende Organisationsnormen begrenzt. § 77 Abs. 1 und Abs. 3 BetrVG 52 und § 6 Abs. 1 MitbestG legen rechtsformunabhängig und zwingend für alle mitbestimmungspflichtigen Unternehmen die dreigliedrige Organstruktur der Aktiengesellschaft fest (Vorstand - Auf sichtsrat - Hauptversammlung/Anteilseignerversammlung). Somit muß aufgrund der Bestimmungen der unternehmensbezogenen Mitbestimmung ohne Rücksicht auf den Willen der Anteilseigner auch in solchen Unternehmen ein Aufsichtsrat errichtet werden, für die aufgrund ihrer Rechtsform nach den Vorschriften des Gesellschaftsrechts eine solche Verpflichtung nicht besteht. Zugleich weisen die Mitbestimmungsregelungen durch Verweisungen auf das Aktiengesetz dem Aufsichtsrat in diesen Gesellschaften eine Minimalkompetenz als Überwachungs- und Kontrollorgan für das Geschäftsführungsorgan (Vorstand) zwingend zu. Im Bereich der erweiterten Mitbestimmung w i r d darüber hinaus auch

1 0 2 Β . II. Interessen und Gestaltungsprinzipien des Tendenzschutzes

noch zwingend und rechtsformunabhängig dem Aufsichtsrat die Personalkompetenz für das jeweilige Geschäftsführungsorgan eingeräumt. 36 Auch die Mitgliedschaftsrechte der Anteilseigner, die Mitglieder des Unternehmensorgans Aufsichtsrat unmittelbar und diejenigen des Geschäftsführungsorgans (Vorstand) je nach Rechtsform oder Satzung unmittelbar oder mittelbar (durch den Aufsichtsrat) bestimmen zu können, werden eingeschränkt. Die Normen der unternehmensbezogenen Mitbestimmung schreiben zwingend vor 3 7 , daß in dem unternehmerischen Kontrollorgan Aufsichtsrat ein bestimmter - in der einfachen und erweiterten Mitbestimmung unterschiedlicher 38 - Anteil von Mitgliedern des Aufsichtsrates von den Arbeitnehmern des Unternehmens (Konzerns) zu wählen ist. 3 9 Zu Lasten der Mitgliedschaftsrechte der Anteilseigner werden den Arbeitnehmern des Unternehmens im sachlich-personellen Verbund Unternehmen Befugnisse (aktives und passives Wahlrecht für den Aufsichtsrat) eingeräumt, die rechtsfunktionell als Mitgliedschaftsrechte der Arbeitnehmer zu werten sind. Diese „Mitgliedschaftsrechte" der Arbeitnehmer erhalten durch die zwingenden Organisationsnormen der unternehmensbezogenen Mitbestimmung besonderes Gewicht, da sie dem Aufsichtsrat zwingend und rechtsformunabhängig Überwachungs- und Kontrollbefugnisse gegenüber dem Geschäftsführungsorgan einräumen. In der erweiterten Mitbestimmung wird dem Aufsichtsrat darüber hinaus die Personalkompetenz eingeräumt. Eine rechtsfunktionelle Analyse der Normen der unternehmensbezogenen Mitbestimmung ergibt somit, daß sie neben den Anteilseignern auch den Arbeitnehmern „Mitgliedschaftsrechte" im sachlich-personellen Verbund Unternehmen einräumen. Bei der rechtlichen Gestaltung des Regelungsgegenstandes innere Struktur des Unternehmens beachten die Normen der unternehmensbezogenen Mitbestimmung somit auch den objektiven Rechtswert rechtliche Anerkennung der Arbeitnehmer als Mitglieder des sachlich-personellen Verbunds Unternehmen. 36 Die Personalkompetenz des Aufsichtsrates bei allen Unternehmen, die der erweiterten Mitbestimmung unterliegen, ist in §§30, 31 MitbestG zwingend festgelegt. Zu dem unterschiedlichen Gewicht dieser Personalkompetenz des Aufsichtsrates je nach Rechtsform vgl. Hanau / Ulmer, Rn. 16 ff. (19) zu § 30 MitbestG und Rn. 38 und 39 zu § 31 MitbestG mit weiteren Literaturnachweisen sowie Wiedemann, Gesellschaftsrecht, S. 611 ff. 37 Vgl. §§ 6ff. MitbestG und 76 und 77 BetrVG 52. 38 Vgl. §§ 76 Abs. 1, 77 BetrVG mit § 7 MitbestG. 39 Sowohl in der einfachen (vgl. § 76 Abs. 2 BetrVG 52) als auch in der erweiterten Mitbestimmung (vgl. §§ 9 ff. MitbestG) haben die Arbeitnehmer des Unternehmens bzw. des Konzerns (§ 76 Abs. 4 BetrVG 72 und § 5 MitbestG) das aktive Wahlrecht für die Arbeitnehmervertreter im Aufsichtsrat. Unterschiede zwischen den beiden Mitbestimmungsformen bestehen jedoch hinsichtlich des Wahlverfahrens (vgl. § 76 Abs. 2 BetrVG 52 mit § 9 MitbestG), des passiven Wahlrechts (vgl. § 76 Abs. 2 BetrVG 52 mit § 7 Abs. 3 MitbestG) sowie hinsichtlich der Wahlvorschlagsrechte (vgl. § 76 Abs. 3 BetrVG 52 mit §§ 12 ff. und 16 MitbestG).

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- Objektiver Rechts wert: Rechtliche Anerkennung der im Unternehmen (Konzern) vertretenen Gewerkschaften als Mitglieder des Unternehmens Die Normen der erweiterten Mitbestimmung räumen auch den im Unternehmen (Konzern) vertretenen Gewerkschaften ein beschränktes Bestimmungsrecht (Vorschlagsrecht 40 ) für einen Teil der Aufsichtsratsmitglieder ein. Damit werden zu Lasten der Anteilseigner den im Unternehmen (Konzern) vertretenen Gewerkschaften innerhalb des sachlich-personellen Verbunds Unternehmen Befugnisse eingeräumt, die Ausfluß von Mitgliedschaftsrechten in einem Unternehmen sind. Diese Vorschriften der erweiterten Mitbestimmung bringen daher den objektiven Rechtswert rechtliche Anerkennung der im Unternehmen (Konzern) vertretenen Gewerkschaften, als dem Mitglieder-Kreis des sachlich-personellen Verbunds Unternehmen irgendwie zugehörig, im beschränkten Umfang zur Geltung. 2.3.4 Ergebnis Die Rechtsordnung hält für die Gestaltung des Regelungsgegenstandes der unternehmensbezogenen Mitbestimmung innere Struktur von Unternehmen zwei Rechtsprinzipien vor. Den gesetzlichen Bestimmungen des Gesellschaftsrechts kann für den Regelungsgegenstand innere Struktur von Unternehmen das Rechtsprinzip Berücksichtigung des objektiven Rechtswertes ausschließliche und alleinige Anerkennung der Anteilseigner als Mitglieder des sachlich-personellen Verbunds Unternehmen entnommen werden. Der Rechtswert ist durch die Grundsätze der Verbandsautonomie gerechtfertigt. Die Tendenzschutzbestimmungen der unternehmensbezogenen Mitbestimmung sehen diesen objektiven Rechts wert auch durch die Verfolgung besonderer Unternehmenszwecke als gerechtfertigt an. Den Normen der unternehmensbezogenen Mitbestimmung kann des weiteren für den Regelungsgegenstand innere Struktur von Unternehmen ein Rechtsprinzip entnommen werden, dem der Schutz des objektiven Rechtswertes rechtliche Anerkennung auch der Arbeitnehmer als Mitglieder des sachlichpersonellen Verbunds Unternehmen zugrunde liegt. Darüber hinaus kann den Normen der erweiterten Mitbestimmung noch das Rechtsprinzip entnommen werden, daß auch den im Unternehmen (Konzern) vertretenen Gewerkschaften im beschränkten Umfange mitgliedschaftliche Rechte im sachlich-personellen Verbund Unternehmen zukommen sollen.

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Vgl. § 16 Abs. 2 MitbestG.

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Β. II. Interessen und Gestaltungsprinzipien des Tendenzschutzes 2.4 Gestaltungsprinzipien für den Regelungsgegenstand unternehmerische Entscheidungen in Fremdorganschaft

Der Regelungsgegenstand der unternehmensbezogenen Mitbestimmung umfaßt ausschließlich in Fremdorganschaft getroffene unternehmerische Entscheidungen, die zum Bereich der Geschäftsführungsmaßnahmen und deren Kontrolle und Überwachung gehören. Nachfolgend wird daher nur untersucht, welche Rechtsprinzipien die Rechtsordnung zur Gestaltung dieses Regelungsgegenstandes vorsieht. 2.4.1 Objektiver Rechtswert: Alleiniges Einfluß- und Kontrollrecht der Anteilseigner bei unternehmerischen Entscheidungen in Fremdorganschaft aufgrund der Verbandsautonomie Die unternehmerischen Entscheidungen im Geschäftsführungsorgan und im Aufsichtsrat werden nach den gesellschaftsrechtlichen Bestimmungen im Grundsatz nicht von den Anteilseignern, sondern von hierzu beauftragten und bestellten Dritten getroffen. Das Gesellschaftsrecht läßt aber zu, daß die Geschäftsführer und Aufsichtsratsmitglieder ausschließlich von den Anteilseignern beeinflußt und mittelbar kontrolliert werden können. Läßt man die Regelungen der unternehmensbezogenen Mitbestimmung zunächst außer Ansatz, so wählen ausschließlich die Anteilseigner die Mitglieder des unternehmerischen Überwachungs- und Kontrollorgans Auf sichtsrat. Die Anteilseigner können diese Mitglieder auch wiederum abberufen. 41 Die Aufsichtsratsmitglieder sind daher von den Anteilseignern abhängig. Sie können deshalb beeinflußt werden. Die von Dritten getroffenen Geschäftsführungsmaßnahmen werden ihrerseits von dem mit Repräsentanten der Anteilseigner besetzten Überwachungs- und Kontrollorgan Aufsichtsrat kontrolliert. Darüber hinaus können die Anteilseigner die Entscheidungen des Geschäftsführungsorgans auch noch auf andere Weise beeinflussen. So können die Geschäftsführer bei der GmbH unmittelbar durch die Anteilseignerversammlung 42 abberufen werden. Soweit dies bei einzelnen Rechtsformen (Aktiengesellschaft) nicht möglich ist, haben die Anteilseigner mittelbar Einfluß auf die Geschäftsführer dadurch, daß der Aufsichtsrat die Mitglieder des Geschäftsführungsorgans bestellt und abberufen kann. 4 3 Schließlich sind die Geschäftsführungsorgane und die Kontrollorgane zumindest an die von den Anteilseignern festgelegten formalen und sachlichen Unternehmensziele gebunden. 44 41 Vgl. z.B. §§ 103 Abs. 1 und 2 Aktiengesetz, 52 GmbHG i. V.m. 103 Abs. 1 und 2 Aktiengesetz. 42 Vgl. §§ 38 Abs. 1 und 46 Nr. 5 GmbHG. 43 Vgl. § 84 Aktiengesetz. 44 Die Bindung der Unternehmensorgane Geschäftsführung und Aufsichtsrat an die von der Anteilseignerversammlung festgelegten Unternehmensziele (sachliche

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Dem Gesellschaftsrecht ist daher für den Regelungsgegenstand unternehmerische Entscheidungen in Fremdorganschaft das Prinzip zu entnehmen, daß solche Entscheidungen ausschließlich von den Anteilseignern zumindest mittelbar kontrolliert und beeinflußt werden. Die Beachtung dieses objektiven Rechtswertes folgt aus dem bereits behandelten Grundsatz der Verbandsautonomie, der Einflüsse Dritter (Nichtmitglieder des Verbunds Unternehmen) ausschließt. 45 2.4.2 Objektiver Rechtswert: Alleiniges Einfluß- und Kontrollrecht der Anteilseigner bei unternehmerischen Entscheidungen in Fremdorganschaft aufgrund der Verfolgung besonderer Unternehmenszwecke Den Tendenzschutzbestimmungen der §§ 1 Abs. 4 MitbestG und 81 BetrVG 52 ist zu entnehmen, daß die Rechtsordnung den objektiven Rechtswert alleiniges Einfluß- und Kontrollrecht der Anteilseigner bei unternehmerischen Entscheidungen in Fremdorganschaft nicht nur durch den privatrechtlichen Grundsatz der Verbandsautonomie als gerechtfertigt ansieht, sondern auch dann, wenn die besonderen von den §§ 1 Abs. 4 MitbestG und 81 BetrVG 52 erfaßten Unternehmenszwecke verfolgt werden. Nur hieraus erklärt sich, daß die Normen der unternehmensbezogenen Mitbestimmung für Nichttendenzunternehmen diesen objektiven Rechts wert einschränken, die Normen der unternehmensbezogenen Mitbestimmung für Tendenzunternehmen hingegen nicht. 2.4.3 Objektiver Rechtswert: Berücksichtigung der Arbeitnehmerinteressen auf (wirtschaftliche) Absicherung des Arbeitsplatzes und sonstige Förderung ihrer „Berufsausübung" bei unternehmerischen Entscheidungen in Fremdorganschaft Eine Analyse der typischen Wirkungsweise der Normen der unternehmensbezogenen Mitbestimmung ergibt, daß die unternehmerischen Entscheidungen im Aufsichtsrat bis zu einem gewissen, nach Rechtsform unterschiedlichen, Grade auch im Geschäftsführungsorgan von den Arbeitnehmern mit dem Ziel beeinflußt werden können, bei den unternehmerischen Entscheidungen bestimmte Arbeitnehmerinteressen zu berücksichtigen. In der erweiterten Mitbestimmung können auch die Gewerkschaften in sehr beschränktem Umfange unternehmerische Entscheidungen im Aufsichtsrat und formelle Unternehmensziele) ergibt sich aus §§ 116, 93 Aktiengesetz und 41, 43 Genossenschaftsgesetz. Zu der umfassenderen Verhaltensmaxime des Unternehmensinteresses vgl. die Literaturnachweise unter Anmerkung 61 zu Kapitel B.II. 45 Vgl. hierzu Zöllner, K K zum Aktiengesetz, Rn. 80 zu § 134 Aktiengesetz.

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und Geschäftsführungsorgan mit dem Ziel beeinflussen, Arbeitnehmerinteressen zu berücksichtigen. Da die Prognose des Gesetzgebers davon ausgeht, daß die Normen der unternehmensbezogenen Mitbestimmung diese tatsächlichen Wirkungen haben 46 , bezwecken die Normen der unternehmensbezogenen Mitbestimmung auch rechtlich, daß bei unternehmerischen Entscheidungen in Fremdorganschaft Arbeitnehmerinteressen berücksichtigt werden (ratio). Der mögliche tatsächliche Einfluß der Arbeitnehmer auf die unternehmerischen Entscheidungen Geschäftsführungsmaßnahmen und Kontrolle über Geschäftsführungsmaßnahmen ergibt sich aus folgendem: Die Aufsichtsratsmitglieder der Arbeitnehmer werden nach beiden Mitbestimmungsgesetzen (MitbestG und BetrVG 52) für höchstens fünf Jahre gewählt. 47 In beiden Mitbestimmungsformen können die Aufsichtsratsmitglieder der Arbeitnehmer - ohne Grund - durch einen Beschluß von drei Viertel der für sie maßgeblichen wahlberechtigten Arbeitnehmer oder Wahlmänner abberufen werden. 48 Es entspricht der Lebenserfahrung, - daß die Aufsichtsratsmitglieder der Arbeitnehmer ihr Aufsichtsratsmandat für die gesamte Amtszeit ausüben wollen und - daß sie im allgemeinen wiedergewählt werden wollen. Dieses Interesse der Aufsichtsratsmitglieder der Arbeitnehmer macht sie von den Arbeitnehmern und - soweit sie sogenannte Gewerkschaftsvertreter sind - auch von den Gewerkschaften abhängig und läßt sie Arbeitnehmerinteressen berücksichtigen. Die Arbeitnehmer werden nämlich mehr oder weniger nur solche Aufsichtsratsmitglieder wiederwählen, die bei Ausübung ihres Aufsichtsratsmandats auch den Willen und die Ziele der sie wählenden Arbeitnehmer berücksichtigen. Verhält sich ein Aufsichtsratsmitglied der Arbeitnehmer während seiner Amtszeit nicht in diesem Sinne, so droht ihm die Abberufung. Die Aufsichtsratsmitglieder der Arbeitnehmer werden daher darauf bedacht sein, daß Arbeitnehmer (bei sogenannten Gewerkschaftsvertretern auch die Gewerkschaften) mit ihrer Tätigkeit im Aufsichtsrat „zufrieden" sind. Der Einfluß der Arbeitnehmer auf „ihre Aufsichtsratsmitglieder" wirkt sich in begrenztem Maße auch auf die Entscheidungen und das Verhalten des Aufsichtsrats in seiner Gesamtheit als Unternehmensorgan aus. 46 Vgl. hierzu BVerfGE 50, 290 (331 ff.). 47 Vgl. § 6 MitbestG i. V.m. § 102 Abs. 1 Aktiengesetz, § 77 Abs. 1 BetrVG 52 i. V.m. § 102 Abs. 1 Aktiengesetz. 48 Vgl. § 23 MitbestG und § 76 Abs. 5 BetrVG 52.

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Da sowohl in der einfachen als auch in der erweiterten Mitbestimmung die von den Anteilseignern entsandten Aufsichtsratsmitglieder im Aufsichtsrat ein starkes Entscheidungsgewicht haben 49 , ist es zwar denkbar, daß die Arbeitnehmervertreter im Aufsichtsrat nicht in der Lage sind, die Beachtung von Arbeitnehmerinteressen durchzusetzen. Es können sich aber weder Anteilseignervertreter noch Arbeitnehmervertreter „leisten", die Interessen der jeweils anderen Seite bei Entscheidungen des Aufsichtsrates völlig unberücksichtigt zu lassen. Die empirischen Befunde über die Montanmitbestimmung und die einfache Mitbestimmung belegen dies. 50 Die Vertreter der Anteilseigner im Aufsichtsrat sind in der Regel keine homogene Gruppe. Sie haben Interessen unterschiedlicher Gruppen (Großaktionäre, Kleinaktionäre, Banken) zu berücksichtigen. Da auch die Arbeitnehmervertreter im Aufsichtsrat je nach Gruppenzugehörigkeit 51 teilweise unterschiedliche Interessen repräsentieren, dürften häufig Interessenüberschneidungen zwischen einzelnen Gruppen der Arbeitnehmer- und Anteilseignervertreter vorkommen. Eine totale Blockade der Arbeitnehmervertreter im Aufsichtsrat durch die Anteilseignerrepräsentanten dürfte somit nicht typisch sein. Ein Konfrontationskurs der einen oder anderen Seite würde zudem keine wirksame Kontrolle gegenüber dem Geschäftsführungsorgan des Unternehmens (Vorstand) ermöglichen. Dies liegt aber weder im Interesse der Anteilseigner noch im Interesse der Arbeitnehmervertreter. Mithin können die Arbeitnehmervertreter im Aufsichtsrat das Verhalten des Aufsichtsrates in seiner Gesamtheit in der Weise beeinflussen, daß bei der Willensbildung und bei Entscheidungen des Aufsichtsrates immer auch die Interessen der Arbeitnehmer berücksichtigt werden. In der erweiterten Mitbestimmung gilt dies für Gewerkschaftsvertreter im Aufsichtsrat entsprechend. Die Berücksichtigung von Arbeitnehmerinteressen im Aufsichtsrat führt wegen der gesetzlich vorgesehenen Interdependenz von Aufsichtsrat und Geschäftsführungsorgan dazu, daß Arbeitnehmerinteressen (Gewerkschaftsinteressen) auch bei unternehmerischen Entscheidungen des Geschäftsführungsorgans (Geschäftsführungsmaßnahmen) berücksichtigt 49 Das Bundesverfassungsgericht hat in seinem „Mitbestimmungsurteil" BVerfGE 50, 290 (322 ff.) eingehend begründet, daß auch in der erweiterten Mitbestimmung die Arbeitnehmerrepräsentanten im Aufsichtsrat kein mit den Repräsentanten der Anteilseigner im Aufsichtsrat „paritätisches" Entscheidungsrecht haben. 50 Vgl. Mitbestimmungsbericht BT-Drs. VI/334, S. 9ff. und 29ff. sowie V o i g t / Weddingen, Zur Theorie und Praxis der Mitbestimmung, Bd. 1, 1962 und Brinkmann / Herz, Entscheidungsprozesse in den Aufsichtsräten der Montan-Industrie, 1972. 51 Sowohl in der einfachen als auch in der erweiterten Mitbestimmung ist das Gruppenprinzip festgelegt. Vgl. § 76 Abs. 2 Satz 3 BetrVG 52 und §§ 7 und 10 MitbestG; vgl. hierzu Säcker, Die Wahlordnungen zum Mitbestimmungsgesetz, 1978. Zum Gruppenschutz der leitenden Angestellten in der erweiterten Mitbestimmung vgl. Martens, ZGR 1979, 516ff.

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werden. Der Aufsichtsrat hat aufgrund seiner Informations-, Prüfungs- und Einsichtsrechte Einfluß auf das Geschäftsführungsorgan. 52 Aus dieser rechtlich begründeten Abhängigkeit des Geschäftsführungsorgans ergibt sich die Möglichkeit, daß die im Aufsichtsrat von den Arbeitnehmervertretern verfolgten Arbeitnehmerinteressen auch im Geschäftsführungsorgan bei Planungen und Entscheidungen über Geschäftsführungsmaßnahmen berücksichtigt werden. Das dürfte zumindest bei für die Arbeitnehmer des Unternehmens (Konzerns) einschneidenden Planungen und Maßnahmen der Geschäftsführung der Fall sein. Zwar kann der Aufsichtsrat die Geschäftsführung nicht anweisen, eine Maßnahme in bestimmter Weise zu entscheiden oder durchzuführen. 53 Der Auf sichtsrat kann auch nicht in Wahrnehmung seiner Überwachungs- und Kontrollfunktion seine Zweckmäßigkeitserwägungen bei einzelnen Geschäftsführungsmaßnahmen gegen andere Zweckmäßigkeitserwägungen des Geschäftsführungsorgans durchsetzen. 54 Nach allen Erfahrungen dürften aber die Überwachungs- und Kontrollbefugnisse des Aufsichtsrats dazu führen, daß die Geschäftsleitung bei für die Arbeitnehmerinteressen wichtigen Geschäftsführungsmaßnahmen den Aufsichtsrat konsultiert und wenn irgendmöglich die im Aufsichtsrat durch die Arbeitnehmervertreter zur Geltung kommenden Arbeitnehmerinteressen bei Entscheidungen über Produktionsumstellungen, Stillegungen und sonstige bedeutende Geschäftsführungsmaßnahmen mitberücksichtigt. Die Mitbestimmungsregelungen sind somit rechtsfunktionell so ausgestaltet, daß Arbeitnehmerinteressen sowohl im Aufsichtsrat als auch im Geschäftsführungsorgan zur Geltung kommen können. Ihnen liegt damit das Rechtsprinzip zugrunde, daß bei unternehmerischen Entscheidungen in Fremdorganschaft Arbeitnehmerinteressen zur Geltung kommen sollen. Fraglich kann nur sein, welche Arbeitnehmerinteressen als von der Rechtsordnung schützenswert im Aufsichtsrat und im Geschäftsführungsorgan zur Geltung kommen sollen. Auch diese Frage kann eine rechtsfunktionelle Analyse der Normen der unternehmensbezogenen Mitbestimmung beantworten. Die Aufsichtsratsmitglieder der Arbeitnehmer werden nach der Lebenserfahrung jedenfalls besonders solche Ziele und Interessen der Arbeitnehmer des Unternehmens (Konzerns) im Aufsichtsrat verfolgen, die der Mehrheit 52 Vgl. den Überblick über diese Rechte des Aufsichtsrates bei Hanau / Ulmer, Rn. 52 mit 58 zu § 25 MitbestG. 53 Dem Aufsichtsrat kann allenfalls für bestimmte Arten von Geschäftsführungsmaßnahmen ein Zustimmungsrecht eingeräumt sein (vgl. § 111 Abs. 4 Aktiengesetz). Vgl. hierzu Hanau / Ulmer, Rn. 64 zu § 25 MitbestG mit weiteren Nachweisen. Anders verhält es sich mit der Weisungsbefugnis der Anteilseignerversammlung gegenüber der Geschäftsführung in der GmbH. Vgl. hierzu Hanau / Ulmer, Rn. 19 und 20 zu § 30 MitbestG mit Nachweisen über den Meinungsstand zum Weisungsrecht der Anteilseignerversammlung in der mitbestimmten GmbH. 54 Vgl. hierzu Hanau / Ulmer, Rn. 52 zu § 25 MitbestG.

2. Gestaltungsprinzipien der Tendenzschutzbestimmungen

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ihrer Wähler gemeinsam sind. Da beide Mitbestimmungsgesetze bei Wahlverfahren ausschließlich auf das Gruppenprinzip 55 und das Unternehmen oder den Konzern 56 abstellen, werden die Aufsichtsratsmitglieder der Arbeitnehmer schwerlich solche Interessen der Arbeitnehmer berücksichtigen, die individuell, arbeitsplatzbezogen, qualifikationsbezogen oder betriebsbezogen sind. Mehrheitsfähige und damit für jedes einzelne Aufsichtsratsmitglied der Arbeitnehmer relevante Arbeitnehmerinteressen können vielmehr nur solche sein, die allen Arbeitnehmern einer Gruppe (z.B. Angestellte) des Unternehmens gemeinsam sind. Als solche Interessen kommen in Betracht: - Bestandschutz des Arbeitsplatzes und Absicherung bei Verlust des Arbeitsplatzes (Invalidität, Alter, Betriebsstillegung, Kündigung) - Schaffung und Offenlegen von Aufstiegsmöglichkeiten im Unternehmen (z.B. Fortbildung und transparente Personalplanung) - „gute" formelle Arbeitsbedingungen (Humanisierung der Arbeitswelt) - möglichst hohes Einkommen und transparente Lohngestaltung. Diese Interessen werden im Bereich der erweiterten Mitbestimmung auch die sogenannten Gewerkschaftsvertreter im Aufsichtsrat bei der Ausübung ihres Mandats berücksichtigen. Die Gewerkschaftsvertreter sind zwar weit mehr von ihrer Gewerkschaft abhängig als von den sie wählenden Arbeitnehmern des Unternehmens (Konzerns). Die Gewerkschaft hat sie zur Wahl vorgeschlagen und sie allein kann auch ihre Abberufung beantragen. 57 Die Gewerkschaften werden aber ihrerseits die zuvor aufgezeigten Interessen der Arbeitnehmer des Unternehmens (Konzerns) unterstützen. Andernfalls verlören sie ihren Einfluß im Unternehmen. Ein Unterschied des Verhaltens von Aufsichtsratsmitgliedern der Arbeitnehmer und der Gewerkschaftsvertreter im Bereich der erweiterten Mitbestimmung ergibt sich wegen ihrer unterschiedlichen Abhängigkeit nur insoweit, als die Gewerkschaftsvertreter möglicherweise die aufgeführten Interessen der Arbeitnehmer des Unternehmens (Konzerns) unter langfristigen Aspekten verfolgen und daher eher bereit sind, im gesamtwirtschaftlichen Interesse z.B. Arbeitsplatzverluste im Unternehmen hinzunehmen, damit langfristig Arbeitsplätze überhaupt gesichert werden. Diese Überlegung war auch der entscheidende Grund, warum der Gesetzgeber in der erweiterten Mitbestimmung vorgesehen hat, daß auch Gewerkschaftsvertreter in den Aufsichtsrat zu entsenden sind. 58 55

Vgl. Hanau / Ulmer, Rn. 5 und 6 zu § 15 MitbestG. Das aktive Wahlrecht für Aufsichtsratsmitglieder haben nur die Arbeitnehmer eines Unternehmens (Konzerns). 57 Vgl. §§ 16 Abs. 2 und 23 Abs. 1 Nr. 4 MitbestG. 58 Vgl. Bericht der Mitbestimmungskommission, Teil V Β I I 5 und BT-Drs. 7/4845, S. 5, in der auf diese Auffassimg der Mitbestimmungskommission verwiesen wird. 56

1 1 0 Β . II. Interessen und Gestaltungsprinzipien des Tendenzschutzes

Die Normen der unternehmensbezogenen Mitbestimmung beherrscht mithin das Rechtsprinzip, daß bei unternehmerischen Entscheidungen im Aufsichtsrat und im Geschäftsführungsorgan die Interessen der Arbeitnehmer auf wirtschaftliche Absicherung ihres Arbeitsplatzes im Unternehmen (Konzern) und auf Förderung ihrer „Berufsausübung" im Unternehmen berücksichtigt werden sollen. Rechtstechnisch wird die Berücksichtigung dieser Arbeitnehmerinteressen dadurch erreicht, daß im Aufsichtsrat auch Repräsentanten der Arbeitnehmer (Gewerkschaften) sitzen. Die rechtstechnische Ausgestaltung läßt auch erkennen, in welchem Umfange und in welchen unternehmerischen Entscheidungsbereichen diese Arbeitnehmerinteressen berücksichtigt werden sollen. So sollen die Arbeitnehmerinteressen nicht bei den Grundlagen- und Strukturentscheidungen des Unternehmens berücksichtigt werden. Hierüber haben nämlich der Aufsichtsrat und das Geschäftsführungsorgan nicht zu befinden. Unternehmerische Grundlagenund Strukturentscheidungen verbleiben nach den Vorschriften des Gesellschaftsrechts und der unternehmensbezogenen Mitbestimmung bei der Anteilseignerversammlung. Die Arbeitnehmerinteressen auf wirtschaftliche Absicherung ihres Arbeitsplatzes und auf Förderung ihrer Berufsausübung im Unternehmen sollen vielmehr nur bei Geschäftsführungsmaßnahmen und bei der Kontrolle und Überwachung dieser Geschäftsführungsmaßnahmen zur Geltung kommen. Die Normen der unternehmensbezogenen Mitbestimmung lassen diese Berücksichtigung von Belangen der Arbeitnehmer nur im Rahmen des vorgegebenen Unternehmensinteresses und im Rahmen des Rechten- und Pflichtenkreises der Aufsichtsratsmitglieder zu. Nach der Rechtsprechung des B G H 5 9 bestimmt das sogenannte Unternehmensinteresse als Leit- und Verhaltensmaxime die Rechte und Pflichten aller Aufsichtsratsmitglieder, also auch der Arbeitnehmervertreter. Als Orientierungsrahmen für die Ausübung der dem Aufsichtsrat zustehenden Organkompetenzen begrenzt es die Verfolgung von persönlichen Interessen oder Gruppeninteressen von Aufsichtsratsmitgliedern im Aufsichtsrat. Ein Verstoß gegen das Unternehmensinteresse hätte haftungsrechtliche Folgen. 60 Wenngleich eine zufriedenstellende abstrakte Inhaltsbestimmung des Rechtsbegriffs Unternehmensinteresse kaum möglich ist 6 1 , so besteht doch in Rechtsprechung 62 und Rechtslehre 63 darin Übereinstimmung, daß vor allem die dem Aufsichtsrat 59

Vgl. BGHZ 36, 302 und 64, 325 (329 ff.). Vgl. §§ 93, 116 und 117 Aktiengesetz und §§ 34 und 41 GenG. 61 Wiedemann, Gesellschaftsrecht, S. 625 ff. und Laske, Ζ GR 1979, 173 ff. lehnen die Brauchbarkeit und den normativen Gehalt des Begriffs Unternehmensinteresse schlechthin ab. Die herrschende Meinung faßt den Begriff Unternehmensinteresse aber als jeweils zu konkretisierenden unbestimmten Rechtsbegriff auf (vgl. die Nachweise bei Hanau / Ulmer, Rn. 94 zu § 25 MitbestG). 62 Vgl. BGHZ 36, 302 und 64, 325 (329ff.). 60

2. Gestaltungsprinzipien der Tendenzschutzbestimmungen

111

vorgegebenen Unternehmensziele und sonstigen Grundlagenentscheidungen (durch Satzung bzw. Gesellschaftsvertrag) und die Berücksichtigung der Belange aller für das Unternehmen tatsächlich bedeutsamen Bezugsgruppen eines Unternehmens (Arbeitnehmer, Anteilseigner, Gläubiger, Geschäftspartner, Öffentlichkeit) den Inhalt des Unternehmensinteresses maßgeblich bestimmen. Häufig werden sich das Unternehmensinteresse und die im Aufsichtsrat relevanten Arbeitnehmerinteressen decken (z.B. Bestandserhaltung des Unternehmens, langfristige Rentabilität des Unternehmens). Das Unternehmensinteresse kann somit eine rechtliche Schranke für die Berücksichtigung von Arbeitnehmerinteressen im Aufsichtsrat sein, muß es jedoch nicht. Im Falle der Kollision von Arbeitnehmerinteressen und Unternehmensinteresse (z.B. notwendige arbeitsplatzvernichtende Rationalisierung zur Sicherung der langfristigen Rentabilität und des Bestandes des Unternehmens) dürfen dem entgegenstehende Arbeitnehmerinteressen auch von den Aufsichtsratsmitgliedern der Arbeitnehmer nicht berücksichtigt werden. Neben dem Unternehmensinteresse sind auch die Schweigepflicht der Aufsichtsratsmitglieder 64 und das Verbot, sich an Weisungen Dritter zu binden 65 , Schranken bei der Berücksichtigung von Arbeitnehmerinteressen durch die Aufsichtsratsmitglieder der Arbeitnehmer. So kann etwa ein Arbeitnehmervertreter im Aufsichtsrat geheime oder vertrauliche Vorgänge den Arbeitnehmern oder den Betriebsräten nicht mitteilen, auch wenn der dieser Schweigepflicht unterliegende Vorgang für die Arbeitnehmer des Unternehmens (Konzerns) von hohem Interesse wäre. Die Rechtsordnung sieht somit zur Gestaltung des Regelungsgegenstandes der unternehmensbezogenen Mitbestimmung unternehmerische Entscheidungen in Fremdorganschaft auch das Rechtsprinzip vor, daß die Belange der Arbeitnehmer auf (wirtschaftliche) Absicherung ihres Arbeitsplatzes und sonstige berufliche Förderung durch Repräsentanten der Arbeitnehmer (Gewerkschaften) bei unternehmerischen Entscheidungen in Fremdorganschaft nur im Rahmen des vorgegebenen Unternehmensinteresses zur Geltung kommen sollen. Wegen der unterschiedlichen Ausgestaltung der unternehmensbezogenen Mitbestimmung in der einfachen und erweiterten Mitbestimmung könnte es sein, daß der objektive Rechtswert Berücksichtigung von Belangen der Arbeitnehmer bei unternehmerischen Entscheidungen in beiden Mitbestim63 Vgl. Zöllner, Die Schranken mitgliedschaftsrechtlicher Stimmrechtsmacht, 1963, S. 17 ff. und Flume, in: Festschrift für Beitzke. 64 Vgl. hierzu Hanau / Ulmer, Rn. 99ff. zu § 25 MitbestG. 65 Vgl. Fitting / Wlotzke / Wißmann, Mitbestimmungsgesetz, Rn. 79; GK zum MitbestG, Rn. 170; Raiser, Th., ZGR 1978, 399ff.

1 1 2 Β . II. Interessen und Gestaltungsprinzipien des Tendenzschutzes

mungsformen nicht nur mit unterschiedlicher Intensität beachtet wird, sondern auch eine andere Qualität hat. Weder die unterschiedliche zahlenmäßige Gewichtung der Arbeitnehmervertreter im Aufsichtsrat, noch die unterschiedliche Repräsentanz von Arbeitnehmergruppen in beiden Mitbestimmungsformen, noch die für alle Unternehmen geltende Personalkompetenz des Aufsichtsrates und das Institut des Arbeitsdirektors in der erweiterten Mitbestimmung lassen jedoch eine gänzlich unterschiedliche rechtliche Gewichtung des objektiven Rechtswertes Berücksichtigung von Arbeitnehmerinteressen in beiden Mitbestimmungsformen erkennen. In einem Aufsichtsrat, der der erweiterten Mitbestimmung unterfällt, stellen die von unternehmensangehörigen Arbeitnehmern vorgeschlagenen Aufsichtsratsmitglieder der Arbeitnehmer nach § 7 Abs. 2 MitbestG etwa ein Drittel aller Aufsichtsratsmitglieder. Ohne Berücksichtigung der sogenannten Gewerkschaftsvertreter entspricht dieser Anteil der Aufsichtsratsmitglieder der Arbeitnehmer in etwa dem Anteil der Aufsichtsratsmitglieder der Arbeitnehmer nach § 76 Abs. 2 BetrVG 52. Im Unterschied zur einfachen Mitbestimmung muß aber in der erweiterten Mitbestimmung bei den Aufsichtsratsmitgliedern der Arbeitnehmer auch die Gruppe der leitenden Angestellten (zu Lasten der Angestellten) berücksichtigt werden. Dies könnte zu einer geringeren Homogenität der Arbeitnehmervertreter im Aufsichtsrat in der erweiterten Mitbestimmung führen. 66 Während die einfache Mitbestimmung in der Regel 67 die unmittelbare Wahl der Aufsichtsratsmitglieder der Arbeitnehmer vorsieht, schreibt die erweiterte Mitbestimmung als Grundsatz 68 eine mittelbare Wahl über Wahlmänner vor. Da die Wahlmänner ein freies Mandat haben und nicht auf die Kandidaten ihrer Gruppierung verpflichtet sind, dürfte ein Aufsichtsratsmitglied der Arbeitnehmer im Bereich der erweiterten Mitbestimmung nicht in dem Maße von seiner jeweiligen Arbeitnehmergruppe des Unternehmens (Konzerns) abhängig sein, wie dies im Bereich der einfachen Mitbestimmung möglich ist. In der erweiterten Mitbestimmung 69 erhält der mitbestimmte Aufsichtsrat grundsätzlich 70 rechtsformneutral die Personalkompetenz für das Geschäftsführungsorgan. Die rechtlich gewollte Abhängig66

(329).

Vgl. hierzu die Ausführungen des Bundesverfassungsgerichts in BVerfGE 50, 290

67 Vgl. § 76 Abs. 2 Satz 1 BetrVG 52. Die Zwischenschaltung von Wahlmännern ist nur bei Aufsichtsratswahlen der herrschenden Gesellschaft eines Konzerns möglich. Vgl. BAGE 20, 280 (286). 68 Vgl. § 9 MitbestG. 69 Vgl. § 31 MitbestG. 70 Ausgenommen davon ist nach § 31 Abs. 1 Satz 2 MitbestG die Kommanditgesellschaft auf Aktien. In der Kommanditgesellschaft auf Aktien wird die Geschäftsführung nämlich nach dem Prinzip der Selbstorganschaft betrieben. Vgl. Hanau / Ulmer, Rn. 4 zu § 31 MitbestG.

2. Gestaltungsprinzipien der Tendenzschutzbestimmungen

113

keit des Geschäftsführungsorgans vom Aufsichtsrat wird dadurch verstärkt. Ein im Vergleich zur einfachen Mitbestimmung qualitativ anderer, weil erheblich stärkerer Einfluß der Arbeitnehmer auf die Willensbildung im Geschäftsführungsorgan des Unternehmens könnte sich dadurch aber allenfalls bei den GmbHs und den Erwerbs- und Wirtschaftsgenossenschaften ergeben. In beiden Gesellschaftsformen können wegen des Mitbestimmungsgesetzes die Mitglieder des Geschäftsführungsorgans nicht mehr von der Anteilseignerversammlung, sondern nurmehr vom mitbestimmten Aufsichtsrat bestellt und abberufen werden. Die Mitglieder des Geschäftsführungsorgans können in beiden Gesellschaftsformen - soweit sie dem MitbestG unterfallen - von der Anteilseignerversammlung nurmehr aus wichtigem Grunde abberufen werden. 71 Die Regelungen der erweiterten Mitbestimmung könnten somit bewirken, daß die Mitglieder des Geschäftsführungsorgans von dem mitbestimmten Aufsichtsrat stärker abhängig sind, als dies in der einfachen Mitbestimmung der Fall ist. Diese möglichen Auswirkungen werden jedoch durch weitergeltende gesellschaftsrechtliche Bestimmungen weitgehend neutralisiert. Auch bei GmbHs, die dem M i t bestG unterfallen, steht nämlich der Anteilseignerversammlung ein Weisungsrecht gegenüber der Geschäftsführung zu, ja die Anteilseigner können letztlich jede Geschäftsführungsmaßnahme selbst entscheiden. 72 Damit haben es die Anteilseigner auch in der erweiterten Mitbestimmung letztendlich immer in der Hand, ihre Belange gegenüber vom Aufsichtsrat vertretenen Arbeitnehmerinteressen in der Geschäftsführung durchzusetzen. Bei den Genossenschaften kann die Anteilseignerversammlung durch entsprechende Satzungsänderungen diese Rechtslage ebenfalls herbeiführen. 73 Auch aus dem im MitbestG verankerten Institut des Arbeitsdirektors läßt sich nicht herleiten, daß dem Einfluß der Arbeitnehmer im Bereich der erweiterten Mitbestimmung eine andere Qualität zukomme, als im Bereich der einfachen Mitbestimmung. Nach der vom Bundesverfassungsgericht 74 und der herrschenden Meinung in der Rechtslehre 75 vertretenen Auslegung des § 33 MitbestG ist für die Bestellung des Arbeitsdirektors nicht die Zustimmung der Arbeitnehmervertreter im Aufsichtsrat verlangt. Der 71 Nach allgemeiner Meinung (vgl. Fitting / Wlotzke / Wißmann, Rn. 26 zu § 31 MitbestG) folgt dies aus der Verweisung des § 31 Abs. 1 MitbestG auf § 84 Abs. 3 Aktiengesetz. 72 Nach der herrschenden Meinung besteht auch in der mitbestimmungspflichtigen GmbH das Weisungsrecht der Gesellschafterversammlung fort. s. die Nachweise bei Hanau / Ulmer, Rn. 19 zu § 30 MitbestG. Zur Durchsetzbarkeit des Weisungsrechts vgl. Hanau / Ulmer, Rn. 20 zu § 30 MitbestG. 73 Vgl. Müller, K., Kommentar zum Gesetz betreffend die Erwerbs- und Wirtschaftsgenossenschaften, Bd. I, Rn. 6ff. zu § 27 GenG. 74 BVerfGE 50, 290 (379). 75 Vgl. Zöllner, in: DB 1977, 1766; Martens, Der Arbeitsdirektor nach dem Mitbestimmungsgesetz, S. 37.

8 Marino

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Β. II. Interessen und Gestaltungsprinzipien des Tendenzschutzes

Arbeitsdirektor kann auch bestellt werden, ohne daß er das Vertrauen der Arbeitnehmervertreter besitzt 76 . In den der erweiterten Mitbestimmung unterfallenden GmbHs hat darüber hinaus die Anteilseignerversammlung auch ein Weisungsrecht gegenüber dem Arbeitsdirektor. 77 Die Berücksichtigung von außen vorgeschlagener Mandatsträger (Gewerkschaftsvertreter) und der Gruppe der leitenden Angestellten, das mittelbare Wahlverfahren, die Personalkompetenz des Aufsichtsrates und das Institut des Arbeitsdirektors können mithin nicht bewirken, daß der Einfluß der Arbeitnehmer des Unternehmens (Konzerns) auf den Aufsichtsrat und mittelbar auf das Geschäftsführungsorgan (Vorstand) entscheidend und dem Grunde nach anders ist als im Bereich der einfachen Mitbestimmung. Es läßt sich jedoch für beide Mitbestimmungsformen gemeinsam feststellen, daß die Stärke des Einflusses der Arbeitnehmer im Unternehmen je nach Rechtsform des Unternehmens erheblich differiert (Aktiengesellschaft starker Einfluß; GmbH geringer Einfluß). Den Normen der einfachen und erweiterten Mitbestimmung ist nach alldem zur rechtlichen Gestaltung des Regelungsgegenstandes der unternehmensbezogenen Mitbestimmung unternehmerische Entscheidungen in Fremdorganschaft das gleiche Rechtsprinzip zu entnehmen, bestimmte Belange 78 der Arbeitnehmer als schützenswerte Rechtsgüter bei Entscheidungen im Überwachungs- und Kontrollorgan und im Geschäftsführungsorgan im Rahmen des vorgegebenen Unternehmensinteresses zur Geltung zu bringen. Diese objektiven Rechtswerte werden in der erweiterten Mitbestimmung nur graduell stärker berücksichtigt als in der einfachen Mitbestimmung. 2.4.4 Vorgebliche weitere Gestaltungsprinzipien der unternehmensbezogenen Mitbestimmung In den Gesetzesmaterialien zum Mitbestimmungsgesetz 79 und in zahlreichen Ausführungen zur unternehmensbezogenen Mitbestimmung werden weitere Werte und Zielsetzungen der unternehmensbezogenen Mitbestimmung hervorgehoben. 80 Als die unternehmensbezogene Mitbestimmung tragende Prinzipien werden vor allem genannt: 76

So Hanau, in: Hanau / Ulmer, Rn. 28 zu § 33 MitbestG mit weiteren Nachweisen. So Hanau, in: Hanau / Ulmer, Rn. 19 zu § 30 MitbestG. 78 Zu dem relevanten Kreis von Arbeitnehmerinteressen, s. auch die Ausführungen unter B.II.2.4.3. 79 Vgl. vor allem den Bericht der Mitbestimmungskommission 1970, BT-Drs. VI/ 334, S.18 bis 21 sowie die Begründung zum Regierungsentwurf des MitbestG 1976, BT-Drs. 7/2172, S.16ff. 80 Eine umfangreiche Materialiensammlung über die von verschiedenen Seiten verfolgten Zielsetzungen der unternehmensbezogenen Mitbestimmimg enthält Kunze / Christmann, Wirtschaftliche Mitbestimmung im Meinungsstreit, Bd. I und II, 1964. 77

2. Gestaltungsprinzipien der Tendenzschutzbestimmungen

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- Gleichberechtigte und gleichgewichtige Teilnahme von Anteilseignern und Arbeitnehmern am Entscheidungsprozeß im Unternehmen aufgrund des Gleichgewichts von Kapital und Arbeit 8 1 - Abbau der Fremdbestimmung der Arbeitnehmer 82 - „Demokratische" Legitimationsbasis für das Zusammenwirken von Arbeitnehmern und Anteilseignern im Sozialverbund Unternehmen 83 - Integration der Arbeitnehmer in das Unternehmen und in die soziale Marktwirtschaft 8 4 . Die zuvor vorgenommene rechtsfunktionelle Analyse der Normen der unternehmensbezogenen Mitbestimmung hat keinen Anhaltspunkt dafür ergeben, daß diese Zielsetzungen als Rechtsprinzipien den Normen der unternehmensbezogenen Mitbestimmung zugrunde liegen. In der Rechtslehre werden diese Zielsetzungen auch überwiegend als rechtsethische und sozialpolitische Begründungen der unternehmensbezogenen Mitbestimmung und nicht als Rechtsprinzipien gewertet. 85 Von einer gleichberechtigten und gleichgewichtigen Teilhabe von Arbeitnehmern und Anteilseignern an unternehmerischen Entscheidungsprozessen kann schon deshalb nicht gesprochen werden, weil die Mitbestimmung beider Formen weder paritätisch 86 ist noch für alle unternehmerischen Sachbereiche gilt 8 7 . Der Wirkungsbereich und die Wirkungsweise der unternehmensbezogenen Mitbestimmung in beiden Mitbestimmungsformen lassen auch nicht erkennen, daß die mit der Unterordnung des Arbeitnehmers unter fremde Leitungs- und Organisationsgewalt verbundene Fremdbestimmung durch die Normen der unternehmensbezogenen Mitbestimmung rechtlich gemindert wird. Die Möglichkeit zur Selbstbestimmtheit der Arbeitnehmer eines Unternehmens wird nicht größer, wenn den Arbeitnehmern das Recht eingeräumt wird, Repräsentanten in ein unternehmerisches Überwachungs- und Kontrollorgan zu wählen. An der angeblichen „Objektstellung" der Arbeitnehmer im Unternehmen ändert sich durch die Mitbestimmungsnormen nichts. 88 81

s. hierzu Begründung des Regierungsentwurfs zum MitbestG, S. 16 und 17. s. Bericht der Mitbestimmungskommission 1970, Teil IV A Ziff. 2, S. 100. 83 Vgl. Zuleeg, RdA 1978, 273 sowie Weis, Wirtschaftsunternehmen und Demokratie, 1970. 84 Vgl. BVerfGE 50, 290 (351). 85 Vgl. hierzu Martens, JuS 83, 329 (388ff.) und Wiedemann, Gesellschaftsrecht, S. 593. 86 Dies hat das Bundesverfassungsgericht in seinem Mitbestimmungsurteil für die erweiterte Mitbestimmung eingehend begründet: BVerfGE 50, 290 (322ff., 331). 87 Wie dargelegt wurde, erfaßt die unternehmerische Mitbestimmung nicht die unternehmerischen Sachbereiche der Grundlagen- und Strukturentscheidungen. 88 Vgl. hierzu Zöllner, Festschrift für Fechner, 1973, S. 155. 82



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II. Interessen und Gestaltungsprinzipien des Tendenzschutzes

Auch die angebliche Zielsetzung der unternehmensbezogenen Mitbestimmung, für die Unternehmensorgane eine „demokratische" Legitimationsbasis für das Zusammenwirken von Arbeitnehmern und Anteilseignern im Sozialverbund Unternehmen zu schaffen, ist aus den Mitbestimmungsgesetzen nicht zu entnehmen. 89 Die Normen der unternehmensbezogenen Mitbestimmung belassen die eigentliche Legitimationsbasis des Unternehmens, nämlich die Satzungsautonomie und die Grundlagenentscheidungen, ausschließlich bei den Anteilseignern. Die Normen der unternehmensbezogenen Mitbestimmung könnten daher allenfalls die Legitimation des Überwachungs· und Kontrollorgans Aufsichtsrat beeinflussen. Eine teilweise abgeänderte Legitimationsbasis von einem von insgesamt drei Unternehmensorganen rechtfertigt es meines Erachtens aber nicht, von einer demokratischen Legitimationsbasis in einem allgemeinen Sinne zu sprechen. Es kann schließlich dahingestellt bleiben, ob den Normen der unternehmensbezogenen Mitbestimmung als Zielsetzung zugrunde liegt, die Arbeitnehmer in das Unternehmen und die Gesellschaft zu integrieren. Das Bundesverfassungsgericht hat dies in seinem Mitbestimmungsurteil 90 anscheinend angenommen. Die Zielsetzung der Integration kommt im positiven Recht jedoch zu wenig zum Ausdruck, so daß sie als Rechtsprinzip nicht bejaht werden kann. 9 1 2.4.5 Ergebnis Die Rechtsordnung hält für die rechtliche Gestaltung des Regelungsgegenstandes der unternehmensbezogenen Mitbestimmung unternehmerische Entscheidungen in Fremdorganschaft zwei Rechtsprinzipien vor, die zueinander in einem Spannungsverhältnis stehen. Es ist dies zum einen das Rechtsprinzip, bei unternehmerischen Entscheidungen in Fremdorganschaft das alleinige Kontroll- und Einflußrecht der Anteilseigner zu beachten. Ein weiteres Rechtsprinzip zielt darauf ab, daß bei der rechtlichen Gestaltung des Regelungsgegenstandes unternehmerische Entscheidungen in Fremdorganschaft bestimmte Belange der Arbeitnehmer im Rahmen des vorgegebenen Unternehmensinteresses zur Geltung kommen.

89

So Wiedemann, Gesellschaftsrecht, S. 593 und 594. BVerfGE 50, 290 (351). 91 Wiedemann, Gesellschaftsrecht, S. 596 und 597 spricht von einer politischen Begründung, „deren Schlüssigkeit bisher nicht nachgewiesen wurde". 9

Π Ι . Die Maßgeblichkeit von Grundrechtsnormen und Kirchenautonomie für die Beachtung objektiver Rechts werte i m Tendenzschutz Bevor die Frage näher untersucht werden kann, ob und welche Grundrechtsnormen oder sonstige Verfassungsbestimmungen, soweit sie Einrichtungsgarantien 1 enthalten, die Berücksichtigung von Interessen und objektiven Rechtswerten bei den Regelungsgegenständen der Tendenzschutzbestimmungen legitimieren oder gar bindend vorschreiben, muß geklärt werden, mit welcher der den Grundrechtsnormen zu entnehmenden Schutzformen (Funktionen) die Grundrechtsnormen als verfassungsrechtliche Legitimationsbasis grundsätzlich in Frage kommen können.

1. Die möglichen Schutzformen von Grundrechtsnormen Die Grundrechtsnormen sind grundsätzlich mehrfunktional. Sie könnten daher in verschiedenen Schutzformen die Beachtung von Interessen und objektiven Rechtswerten durch die Tendenzschutzbestimmungen legitimieren oder gebieten.2 1.1 Schutzform Abwehrrecht

Nach allgemeiner Meinung 3 sind die Grundrechtsnormen so konzipiert, daß sie Abwehrrechte (Freiheitsrechte) des einzelnen gegenüber staatlichen Eingriffen jeglicher Art enthalten. 1.2 Schutzform Einrichtungsgarantie

Die ständige Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts 4 und die herrschende Meinung 5 gehen davon aus, daß die Grundrechtsnormen wie andere Verfassungsbestimmungen auch 6 sogenannte Einrichtungsgarantien 1

Der Begriff der Einrichtungsgarantie wird unter B.III. 1.2 noch näher erläutert. Dies wurde bereits unter A.II.1.2.3 dargelegt. Die Multifunktionalität der Grundrechte erkennt sowohl das Bundesverfassungsgericht in ständiger Rechtsprechung (vgl. BVerfGE 6, 55 (71 ff.) und 30, 173 (188)) als auch die Rechtslehre (vgl. statt vieler Hesse, in: Handbuch des Verfassungsrechts, S. 90ff.) an. 3 Das Bundesverfassungsgericht hat dies in seinem Mitbestimmungsurteil erneut bekräftigt (BVerfGE 50, 290 (337). Für die allgemeine Meinung in der Rechtslehre vgl. Hesse, in: Handbuch des Verfassungsrechts, S. 91. 2

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Β. III. Verfassungsrecht und objektive Rechtswerte im Tendenzschutz

enthalten können. Über den Kerninhalt des Begriffs Einrichtungsgarantie stimmen die Rechtslehre 7 und die Rechtsprechung 8 des Bundesverfassungsgerichts überein. Im Anschluß an die Lehre Carl Schmitts 9 werden hierunter Verfassungsbestimmungen verstanden, die einen „Kernbereich" der „typischen" hergebrachten Strukturen eines einfachrechtlichen Rechtsinstituts wie z.B. Ehe oder Eigentum bindend verfassungsrechtlich schützen. Die Vertreter der institutionellen Grundrechtslehre wie Klein 10 und Häberle 11 fassen zudem Einrichtungsgarantien nicht nur als verfassungsrechtliche Garantien von Rechtsinstituten, sondern auch als verfassungsrechtliche Garantien für gesellschaftliche Sachverhalte (Lebensformgarantie) auf. Im Unterschied zur Auffassung Häberles 12 sind die wohl herrschende Meinung und das Bundesverfassungsgericht der Auffassung, daß zwar jede Grundrechtsnorm ein Abwehrrecht enthält, nicht aber auch jede Grundrechtsnorm eine verfassungsrechtliche Einrichtungsgarantie enthalten muß. 13 Zwar erkennt das Bundesverfassungsgericht an, daß bestimmte Freiheitsrechte wie z.B. die Pressefreiheit 14 und die Wissenschaftsfreiheit 15 verfassungsrechtliche Einrichtungsgarantien enthalten. Das Bundesverfassungsgericht geht aber nicht von vornherein davon aus, daß jedes Freiheitsrecht eine Einrichtungsgarantie mitenthält, sondern prüft dies von Fall zu Fall. 1 6 Es muß daher bei jeder Grundrechtsnorm geprüft werden, ob sie auch eine verfassungsrechtliche Einrichtungsgarantie enthält.

4 Vgl. BVerfGE 4, 97 (106); 10, 59 (66); 12, 205 (259ff.); 20, 162 (175ff.); 24, 367 (389); 35, 79 (114ff.). 5 Vgl. Abel, Die Bedeutung der Lehre von den Einrichtungsgarantien für die Auslegung des Bonner Grundgesetzes, 1964. 6 So faßt das Bundesverfassungsgericht das in Artikel 137 Abs. 3 WRV i. V.m. 140 GG garantierte Selbstbestimmungsrecht der Religionsgesellschaften als verfassungsrechtliche Einrichtungsgarantie auf; vgl. BVerfGE 53, 366 (391). 7 Vgl. Abel, S. 31 ff. 8 Vgl. BVerfGE 4, 97 (100) und 10, 59 (60). 9 Schmitt, Carl, Verfassungsrechtliche Aufsätze aus den Jahren 1924 bis 1954, 2. Aufl., 1973, S. 140ff. und 181 ff. 10 Klein, in: v. Mangoldt / Klein, Bd. 1, Vorbemerkung, S. 84. 11 Häberle, Die Wesensgehaltsgarantie des Artikel 19 Abs. 2 Grundgesetz, 2. Aufl., 1962, S. 7Off. und S.122ff. 12 Häberle betont, daß die Grundrechte durchweg eine prozessuale (d. h. Abwehrrechte) und eine objektiv-institutionelle Seite (d.h. Einrichtungsgarantien) hätten; vgl. Häberle, S. 70ff. 13 Vgl. Steiger, Zur Theorie der Institution, 1970, S. 110ff., der sich eingehend und kritisch mit der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts und der institutionellen Grundrechtstheorie Häberles auseinandersetzt. 14 Vgl. BVerfGE 20, 162 (175 ff.). is Vgl. BVerfGE 35, 79 (114ff.). 16 Das Bundesverfassungsgericht hat in seinem Mitbestimmungsurteil der institutionellen Deutung der Grundrechte in dem Sinne, daß jedes Grundrecht auch eine eigenständige Einrichtungsgarantie enthalte, eine klare Absage erteilt; vgl. BVerfGE 50, 290 (336 und 337).

1. Die möglichen Schutzformen von Grundrechtsnormen

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In der nachfolgenden Untersuchung wird somit davon ausgegangen, daß Grundrechtsnormen auch Einrichtungsgarantien enthalten können, die die Funktion haben, die typischen Prinzipien eines Rechtsinstituts wie z.B. der Vertragsautonomie oder des Privateigentums verfassungsrechtlich zu schützen. Im Unterschied zur Schutzform der Grundrechtsnormen als Abwehrrechte kommt es bei der Schutzform Einrichtungsgarantie nicht darauf an, wer Träger eines Grundrechtes ist und ob ein Gesetz oder ein sonstiger staatlicher Eingriff den grundrechtlich geschützten Freiheitsraum eines Grundrechtsträgers konkret beeinträchtigt. Die Grundrechtsnormen kommen mithin als verfassungsrechtliche Legitimationsnormen und möglicherweise als bindende Vorgabe für die Berücksichtigung von Interessen und objektiven Rechtswerten bei den Regelungsgegenständen der Tendenzschutzbestimmungen der betriebs- und unternehmensbezogenen Mitbestimmung nicht nur in ihrer Schutzform als Abwehrrechte, sondern auch in der Schutzform als verfassungsrechtliche Einrichtungsgarantien in Frage. Allerdings muß bei jeder Grundrechtsnorm im einzelnen geprüft und untersucht werden, ob diese Grundrechtsnorm auch eine verfassungsrechtliche Einrichtungsgarantie enthält. 1.3 Schutzform objektive Rechtsnorm

Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts 17 und der herrschenden Meinung 18 müssen alle Grundrechtsnormen auch als oberste objektive Normen aufgefaßt werden. Die Grundrechtsnormen enthalten daher auch dann objektive Rechtsnormen, wenn ihnen verfassungsrechtliche Einrichtungsgarantien nicht zu entnehmen sind. Diese Auffassung ist nicht nur die Folgerung aus dem rechtslogischen Schluß, daß jedes subjektiv-öffentliche Abwehrrecht eine objektive Norm voraussetzt. Der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts 19 und den Darlegungen des Schrifttums 20 muß nämlich entnommen werden, daß diesen objektiven Normen der Grundrechte eine eigenständige Bedeutung neben den Abwehrrechten zukommt. So hat das Bundesverfassungsgericht aus dem objektiven Gehalt der Gewährleistung des Rechts auf Leben und körperliche Unversehrtheit (Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG) unmittelbar - d.h. ohne Verletzung eines Abwehrrechts - eine Pflicht des Staates erschlossen, diese Rechtsgüter vor rechtswidrigen Eingriffen anderer zu bewahren. 21 Diese Auffassung des 17

Vgl. BVerfGE 10, 88; 19, 216; 23, 134. Vgl. Dürig, in: Maunz / Dürig, Rn. 99 zu Artikel 1 GG mit weiteren Literaturnachweisen sowie Schwabe, Probleme der Grundrechtsdogmatik, 1977, S. 286. 19 Vgl. BVerfGE 39, 1 (42ff.); 46, 160 (164); 49, 89 (142); 53, 30 (57); 56, 54 (73). 20 So z.B. Hesse, in: Handbuch des Verfassungsrechts, S. 94 und 95. 21 Diese Auffassung hat das Bundesverfassungsgericht in seinem Urteil zur Fristenlösung (BVerfGE 39, 1 (41)) und im „Schleyer"-Urteil (BVerfGE 46, 160 (164)) entwickelt. 18

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Β. III. Verfassungsrecht und objektive Rechtswerte im Tendenzschutz

Bundesverfassungsgerichts gründet letztlich in einem Grundrechtsverständnis, wonach die Grundrechte eine Wertordnung für die gesamte Rechtsordnung bilden. Das Bundesverfassungsgericht vertritt diese Wertauffassung in ständiger Rechtsprechung. 22 Die herrschende Meinung ist dieser Auffassung gefolgt. 23 Den Grundrechten werden danach Werte, Rechtsgüter entnommen, die absolut, also in jeder Richtung, geschützt sind. Dem Bundesverfassungsgericht dient somit die Auffassung von der Wertordnung der Grundrechte u.a. 2 4 zur Begründung der Schutzform der Grundrechte als eigenständige objektive Normen. Mit der Schutzform der Grundrechtsnormen objektive Rechtsnorm erfassen die Grundrechtsnormen nicht nur die Rechtsbeziehungen der Bürger zu den öffentlichen Gewalten, sondern auch die Rechtsbeziehungen der Bürger untereinander. Als oberste objektive Normen der Rechtsordnung sind sie somit im Rahmen ihres Schutzbereichs für alle Rechtsbereiche des einfachen Rechts von Bedeutung. In der nachfolgenden Untersuchung müssen daher die Grundrechtsnormen auch insoweit herangezogen werden, als sie mit der Schutzform als oberste Rechtsnormen die Beachtung von Interessen und Rechtsprinzipien bei der rechtlichen Gestaltung der Regelungsgegenstände der Tendenzschutzbestimmungen der betriebs- und unternehmensbezogenen Mitbestimmung legitimieren oder gar bindend vorgeben können. 1.4 Schutzformen „Originäre Teilhaberechte" und „Soziale Grundrechte"?

In der Staatsrechtslehre 25 wird die Auffassung vertreten, daß die Grundrechtsnormen neben den Schutzformen Abwehrrechte, objektive Rechtsnormen und verfassungsrechtliche Einrichtungsgarantien auch noch die Schutzformen „originäre Teilhaberechte" 26 und Gewährleistung der Voraussetzung zur Ausübung von Grundrechtsfreiheiten („soziale Grundrechte" 27 ) enthalten können. Das Bundesverfassungsgericht hat in seinem „numerus clausus " - U r t e i l 2 8 die Frage ausdrücklich offengelassen, ob Grundrechtsnormen originäre 22 Vgl. BVerfGE 6, 55; 7, 198; 8, 210; 13, 296; 24, 135; 25, 263; 27, 254; 30, 189; 34, 280; 35, 79; 42, 144; 42, 148 (170). 23 Vgl. die Literaturnachweise bei Grabitz, Freiheit und Verfassungsrecht, 1976, S. 209. 24 Mit der Theorie von der Wertordnung der Grundrechte begründet das Bundesverfassungsgericht auch die mittelbare Drittwirkung der Grundrechte. Vgl. BVerfGE 7, 198 (206ff.) und 42, 143 (147ff.). 25 Vgl. Abelein, Das Recht auf Bildung, DÖV, 1967, 375; Heymann / Stein, Das Recht auf Bildung, AöR 1972, 185; Rath, Die Garantie auf Arbeit, 1974. 26 Zum Begriff der „originären" Teilhaberechte siehe Hesse, in: Handbuch des Verfassungsrechts, S. 97. 27 Zum Begriff der sozialen Grundrechte vgl. Müller, J. P., Soziale Grundrechte in der Verfassung?, 2. Aufl., 1981, und Isensee, Verfassung ohne soziale Grundrechte, in: Der Staat, 1980, S. 367 ff.

1. Die möglichen Schutzformen von Grundrechtsnormen

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Teilhabeansprüche begründen können, also Teilhabeansprüche, zu deren Erfüllung erst die Voraussetzungen geschaffen werden müßten. 29 Die herrschende Meinung des Staatsrechts lehnt eine solche Schutzform der Grundrechtsnormen ab. 30 Da die herrschende Meinung den Grundrechtsnormen die Schutzform als originäre Teilhaberechte nicht zubilligt und das Bundesverfassungsgericht diese Frage ausdrücklich offengelassen hat, wird in der nachfolgenden Untersuchung nicht geprüft, ob etwa die Beachtung bestimmter Interessen und Rechtsprinzipien bei den Regelungsgegenständen der Tendenzschutzbestimmungen durch die Schutzform von Grundrechtsnormen als originäre Teilhaberechte gerechtfertigt sein könnte. Da das Bundesverfassungsgericht 3 1 bislang soziale Grundrechte nicht anerkannt hat und die weit überwiegende Mehrheit der Rechtslehre 32 soziale Grundrechte ablehnt, geht die Untersuchung auch nicht auf die Frage ein, ob Grundrechtsnormen in der Schutzform als soziale Grundrechte die Beachtung bestimmter Interessen und Rechtsprinzipien bei den Regelungsgegenständen der Tendenzschutzbestimmungen rechtfertigen könnten. Das Grundgesetz hat keine sozialen Grundrechte normiert. Soweit einige Landesverfassungen 33 ausdrücklich soziale Grundrechte enthalten, kommt ihnen wegen des Grundsatzes Bundesrecht bricht Landesrecht keine Bedeutung zu. Die nachfolgende Untersuchung beschränkt sich daher auf die Fragen, ob und inwieweit Grundrechtsnormen mit ihren Schutzformen Abwehrrecht, verfassungsrechtliche Einrichtungsgarantie und objektive Rechtsnorm die Beachtung bestimmter Interessen und Rechtsprinzipien bei der einfachrechtlichen Gestaltung der Regelungsgegenstände der Tendenzschutzbestimmungen rechtfertigen oder gar bindend vorschreiben können.

28

BVerfGE 33, 303 (330ff.) und 35, 79 (115). Dies unterscheidet die „originären" Teilhabeansprüche von den „derivativen" Teilhabeansprüchen, bei denen es darum geht, ob einzelne oder Gruppen in bestehenden Leistimgssystemen berücksichtigt werden müssen. Solche „derivativen" Teilhaberechte sind in Rechtsprechung und Schrifttum anerkannt. Vgl. Martens, Grundrechte im Leistungsstaat, W D S t R L 30, 1972, S. 21ff. 30 v g l Friesenhahn, Der Wandel des Grundrechtsverständnisses, Verhandlungen des 50. DJT II., 1974, S. G. 29ff. 29

31

So bereits BVerfGE 1, 97 (104); vgl. auch BVerfGE 33, 303ff. (330). Vgl. Friauf, Zur Rolle der Grundrechte im Interventions- und Leistungsstaat, DVB1 1971, 674; Martens, Grundrechte im Leistungsstaat, W D S t R L 30, 1972, S. 7 und 44 ff. 33 So die Bayerische Verfassung in Artikel 166 ff. und die Hessische Verfassung in Artikel 27 ff. Das in Artikel 175 BV verankerte soziale Grundrecht auf betriebs- und unternehmensbezogene Mitbestimmung ist aufgrund des Vorranges des Bundesrechtes praktisch bedeutungslos. 32

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Β. III. Verfassungsrecht und objektive Rechtswerte im Tendenzschutz 1.5 Das Verhältnis mehrerer Schutzformen zueinander

Es ist denkbar, daß ein und dieselbe Grundrechtsnorm die Beachtung objektiver Rechtswerte in den Tendenzschutzbestimmungen in mehreren Schutzformen rechtfertigen oder gar bindend vorgeben kann. Soweit einer Grundrechtsnorm sowohl die Schutzform verfassungsrechtliche Einrichtungsgarantie als auch die Schutzform objektive Rechtsnorm entnommen werden kann, gilt folgendes: Die Schutzform verfassungsrechtliche Einrichtungsgaräntie einer Grundrechtsnorm stellt nichts anderes dar, als eine Verstärkung der Geltungskraft der Schutzform einer Grundrechtsnorm als objektiver Rechtssatz. Die verfassungsrechtliche Einrichtungsgarantie enthält nämlich für das einfache Recht bindende verfassungsrechtliche Gebote und Schranken, die bei einfachrechtlichen Gestaltungen zu beachten sind. In beiden Schutzformen der Grundrechtsnormen kommt der Charakter der Grundrechtsnormen als objektive Rechtsnormen zur Geltung. Die verfassungsrechtliche Einrichtungsgarantie hat aber eine im Vergleich zur Schutzform objektive Rechtsnorm verstärkte Geltungskraft. Dies w i r d ohne weiteres klar, wenn man sich das Ziel der Lehre von Carl Schmitt über die institutionellen und Institutsgarantien vor Augen hält. 3 4 Diese Lehre sollte nämlich unter der Geltung der Weimarer Verfassung die Bindung des Gesetzgebers an das Verfassungsrecht begründen. Wenn und soweit daher eine verfassungsrechtliche Einrichtungsgarantie, die in einer Grundrechtsnorm enthalten ist, ein Rechtsprinzip für die einfachrechtliche Gestaltung einer Tendenzschutzbestimmung legitimiert, so ist dieses Rechtsprinzip im Umfang des Kerns der Einrichtungsgarantie verfassungsfest. Wie noch zu zeigen sein w i r d 3 5 , ist es hingegen sehr fraglich, ob den Grundrechtsnormen in ihrer Eigenschaft als objektive Rechtsnormen eine Bindung des einfachen Rechts entnommen werden kann. Wenn und soweit daher beide Schutzformen einer Grundrechtsnorm zu entnehmen sind, so wird in der nachfolgenden Untersuchung ausschließlich auf die Eigenschaft als Einrichtungsgarantie abgestellt. Sollten Grundrechtsnormen sowohl in der Schutzform als Abwehrrechte als auch als objektive Rechtsnormen Interessen, Rechtswerte oder Wertmaßstäbe der Tendenzschutzbestimmungen legitimieren, die einer Person oder einer Personengruppe zum Vorteil gereichen, so müssen beide Schutzformen beachtet werden. Wie noch näher dargelegt 36 wird, entfaltet die Schutzform objektiver Rechtssatz im Rahmen des Schutzbereiches einer Grundrechtsnorm generell-abstrakt Wirkungen, die Schutzform Abwehrrecht aber nur 34 Schmitt, Carl, Verfassungslehre, 1928, unveränderter Nachdruck, 1957, S. 140ff., 154, 161 und 164. 35 Vgl. die Ausführungen in B.III.7.2. 36 Vgl. die Ausführungen in C.II.3.1.1.

2. Regelungsgegenstand betriebliche Struktur

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Wirkungen im konkreten Falle (Grundrechtsverletzung). Die beiden Schutzformen haben also unterschiedlich weite Wirkungsbereiche. Soweit sich die Wirkungsbereiche beider Schutzformen decken, hat die Schutzform objektive Rechtsnorm nur die Funktion, die Geltungskraft der Schutzform der Grundrechtsnorm als Abwehrrecht zu verstärken. Das Bundesverfassungsgericht 37 hat dies in seinem Mitbestimmungsurteil dezidiert klargestellt. Die Schutzform der Grundrechtsnormen als objektive Rechtsnormen darf also nicht zu einer Minderung der Schutzform der Grundrechtsnormen als Abwehrrechte führen. Soweit eine Grundrechtsnorm den objektiven Rechts wert einer Tendenzschutzbestimmung in den Schutzformen als Abwehrrecht, Einrichtungsgarantie und objektiver Rechtssatz legitimiert, muß auf die Schutzformen Abwehrrecht und Einrichtungsgarantie abgestellt werden. Hingegen braucht die Schutzform einer Grundrechtsnorm objektive Rechtsnorm als minus zur Schutzform Einrichtungsgarantie in diesem Zusammenhang nicht beachtet zu werden. Sowohl die Schutzform Abwehrrechte als auch die Schutzform Einrichtungsgarantie haben nämlich im Unterschied zur objektiven Rechtsnorm 38 bindende Wirkung gegenüber dem einfachen Recht. Im Verhältnis zueinander konkurrieren die Schutzformen Abwehrrechte und verfassungsrechtliche Einrichtungsgarantien nur teilweise. Die Einrichtungsgarantien haben nämlich wie die objektiven Rechtsnormen einen weiteren Wirkungsbereich als die Abwehrrechte. 39 2. Legitimation von objektiven Rechts werten beim Regelungsgegenstand betriebliche Struktur durch Grundrechtsnormen und Kirchenautonomie Wie unter B.II.2. dargelegt wurde, hält die Rechtsordnung für die einfachrechtliche Gestaltung des Regelungsgegenstandes betriebliche Struktur durch die Tendenzschutzbestimmungeh der betriebsbezogenen Mitbestimmung zwei Rechtsprinzipien vor. Es sind dies das Rechtsprinzip Beachtung des objektiven Rechtswertes Alleinbestimmungsrecht des Arbeitgebers über die betriebliche Struktur aufgrund Vertragsautonomie und privatrechtlicher Sachherrschaft oder aufgrSiîd bestimmter Unternehmenszwecke sowie das Rechtsprinzip Beachtung des objektiven Rechtswertes Schutzraum für die Arbeitnehmer während ihrer Tätigkeit im Betrieb.

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BVerfGE 50, 290 (337). s. die Darlegungen unter B.III.7.2. Vgl. die näheren Ausführungen in C.II.3.1.1.

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Β. III. Verfassungsrecht und objektive Rechtswerte im Tendenzschutz 2.1 Legitimation des objektiven Rechtswertes: Alleinbestimmungsrecht des Arbeitgebers aufgrund privatrechtlicher Sachherrschaft und Vertragsautonomie

Der objektive Rechtswert Festlegung der Struktur eines Betriebes ausschließlich durch den Arbeitgeber leitet sich aus dem Eigentums(Besitz-)recht des Trägers des Unternehmens (Arbeitgebers) an den sachlichen Mitteln des Unternehmens und aus der Vertragsautonomie ab. Soweit daher das Schutzgut einer Grundrechtsnorm diesen objektiven Rechtswert oder dessen Rechtsgrund (Eigentum und Vertragsautonomie) enthalten sollte und soweit der Regelungsgegenstand betriebliche Struktur in den Schutzbereich dieser Grundrechtsnorm fallen sollte, kann eine solche Grundrechtsnorm in einer oder mehreren Schutzformen die Beachtung dieses objektiven Rechtswertes bei der einfachrechtlichen Gestaltung des Regelungsgegenstandes betriebliche Struktur durch die Tendenzschutzbestimmungen der betriebsbezogenen Mitbestimmung rechtfertigen. 2.1.1 Grundrechtsnormen, die das Eigentumsrecht des Arbeitgebers (Unternehmensträgers) legitimieren Soweit die Festlegung der betrieblichen Struktur durch den Arbeitgeber die Zuordnung der Arbeitnehmer zu Sachmitteln und das Verhalten des Arbeitnehmers gegenüber Sachmitteln erfaßt, könnte der objektive Rechtswert Alleinbestimmungsrecht des Arbeitgebers über die betriebliche Struktur von Schutzgut, Schutzbereich und Schutzform der Grundrechtsnormen der Artikel 14 Abs. 1 und 12 Abs. 1 GG gerechtfertigt sein. Zwar könnte grundsätzlich auch die Grundrechtsnorm des Artikel 2 Abs. 1 GG diesen objektiven Rechtswert rechtfertigen. Auf diese Grundrechtsnorm ist jedoch in diesem Zusammenhang nicht einzugehen, da nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts 40 und der herrschenden Meinung des Staatsrechts 41 die Schutzgüter der Artikel 14 Abs. 1 und 12 Abs. 1 GG besondere und eigenständige Ausprägungen des Schutzgutes des Artikel 2 Abs. 1 GG (freie Entfaltung der Persönlichkeit) sind. Artikel 14 Abs. 1 und 12 Abs. 1 GG sind für den hier interessierenden Regelungsgegenstand betriebliche Struktur leges speciales zu Artikel 2 Abs. 1 GG. Schutzgut des Artikel 14 Abs. 1 GG ist nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts 42 die Privatnützigkeit und Verfügungsbefugnis über Vermögenswerte, Gegenstände und Rechte. Das Schutzgut des Artikel 14 « Zum Verhältnis des Artikel 14 Abs. 1 GG zu Artikel 2 Abs. 1 GG vgl. BVerfGE 6, 32; 13, 296; 19, 225. - Zum Verhältnis des Artikel 12 Abs. 1 GG zu Artikel 2 Abs. 1 GG vgl. BVerfGE 6, 32 (37); 10, 185 (199); 21, 227 (234); 30, 292 (336). 41 Vgl. Scholz, AöR 100 (1975), S. 80ff. (114) mit weiteren Nachweisen. 42 BVerfGE 24, 367 (389) und 50, 290 (339 ff.).

2. Regelungsgegenstand betriebliche Struktur

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Abs. 1 GG rechtfertigt damit die eigenverantwortliche und eigennützige Festlegung der betrieblichen Struktur durch den Arbeitgeber, soweit es sich um die Zuordnung der Arbeitnehmer zu sachlichen Betriebsmitteln und das Verhalten der Arbeitnehmer zu den sachlichen Betriebsmitteln handelt. Dem Arbeitgeber, der zugleich Unternehmensträger ist, kommt nämlich die privatrechtliche Sachherrschaft über die sachlichen Betriebsmittel aufgrund seines Eigentumsrechtes oder Besitzrechtes zu. Fraglich kann nur sein, ob das Schutzgut des Artikel 14 Abs. 1 GG ein alleiniges Bestimmungsrecht des Arbeitgebers über diesen Bereich der betrieblichen Struktur rechtfertigen kann, oder ob Artikel 14 Abs. 1 GG auch eine Einschränkung dieses Alleinbestimmungsrechtes des Arbeitgebers über die betriebliche Struktur zuläßt und rechtfertigt. Aufgrund des „unlösbaren Zusammenhangs" zwischen dem Artikel 1 Abs. 1 GG, dem Regelungsauftrag des Artikel 14 Abs. 1 Satz 2 GG und der Sozialpflichtigkeit des Eigentums hat das Bundesverfassungsgericht 43 eine um so größere Befugnis des Gesetzgebers zur Begrenzung des verfassungsrechtlich gerechtfertigten Kerns des Eigentums angenommen, je mehr das Eigentumsobjekt in einem sozialen Bezug und in einer sozialen Funktion steht. Da die sachlichen Mittel des Betriebes in einem sozialen Bezug stehen, (Zuordnung der sachlichen Betriebsmittel zu den Arbeitnehmern und Verhalten der Arbeitnehmer gegenüber den Betriebsmitteln) und eine soziale Funktion haben (Existenzgrundlage der Arbeitnehmer), rechtfertigen sie nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, daß das Alleinbestimmungsrecht des Arbeitgebers aufgrund seines Eigentumsrechts wegen der Sozialpflichtigkeit des Eigentumsrechts eingeschränkt werden kann. Zwar gibt das Schutzgut des Artikel 14 Abs. 1 GG keine Rechtfertigung dafür, daß die betriebliche Struktur unter Ausschluß des Eigentümers (Arbeitgebers) festgelegt wird, wohl aber rechtfertigt es, daß die betriebliche Struktur insoweit nicht ausschließlich vom Arbeitgeber festgelegt wird. Die Festlegung der betrieblichen Struktur darf lediglich - soweit es um die Zuordnung der Arbeitnehmer und deren Verhalten zu sachlichen Betriebsmitteln geht - , aufgrund des Artikel 14 Abs. 1 GG nicht ohne Mitwirkung des Arbeitgebers als Träger des Unternehmens geschehen. Das Schutzgut des Artikel 14 Abs. 1 GG rechtfertigt aber nicht den objektiven Rechtswert Alleinbestimmungsrecht des Arbeitgebers über die betriebliche Struktur. Auf die Frage, ob Art. 14 Abs. 1 GG den objektiven Rechtswert Alleinbestimmungsrecht über die betriebliche Struktur nach Schutzbereich und Schutzform (Abwehrrecht des Arbeitgebers und objektive Rechtsnorm) rechtfertigt, braucht deshalb nicht mehr eingegangen zu werden. Auch Artikel 12 Abs. 1 GG vermag nicht, den objektiven Rechtswert alleiniges Bestimmungsrecht des Arbeitgebers (Unternehmensträgers) über « BVerfGE 50, 290 (340 ff.).

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Β. III. Verfassungsrecht und objektive Rechtswerte im Tendenzschutz

die betriebliche Struktur des Betriebes zu rechtfertigen, soweit die betriebliche Struktur den Sachbereich Zuordnung der Arbeitnehmer und deren Verhalten zu den sachlichen Betriebsmitteln betrifft. Das Schutzgut des Artikel 12 Abs. 1 GG schützt zwar auch die „freie" Führung eines Unternehmens. 44 Es umfaßt daher auch die Festlegung der betrieblichen Struktur als Teil der Unternehmensstruktur durch den Arbeitgeber (Unternehmensträger). Die Festlegung der Betriebsstruktur ist nämlich als Berufsausübung des Arbeitgebers (Unternehmensträgers) zu qualifizieren. 45 Im Hinblick auf den Gesetzesvorbehalt des Artikel 12 Abs. 1 Satz 2 GG rechtfertigt aber Artikel 12 Abs. 1 GG nicht den objektiven Rechtswert alleiniges Bestimmungsrecht des Arbeitgebers (Unternehmensträgers) über die betriebliche Struktur. Die „Berufsausübung" des Arbeitgebers kann nämlich nach Artikel 12 Abs. 1 Satz 2 GG durch gesetzliche Regelung eingeschränkt werden. Das Schutzgut des Artikel 12 Abs. 1 GG rechtfertigt lediglich ein Mitbestimmungsrecht des Arbeitgebers bei der Festlegung der betrieblichen Struktur. Auch bei Artikel 12 Abs. 1 GG braucht deshalb nicht mehr untersucht zu werden, ob er nach seinem Schutzbereich und nach seiner Schutzform als Abwehrrecht des Arbeitgebers und als objektive Rechtsnorm ein Alleinbestimmungsrecht des Arbeitgebers über die betriebliche Struktur rechtfertigt. Weder Artikel 14 Abs. 1 GG noch Artikel 12 Abs. 1 GG rechtfertigen es daher, daß bei der einfachrechtlichen Gestaltung des Regelungsgegenstandes durch die Normen der betriebsbezogenen Mitbestimmung für Tendenzunternehmen und Nichttendenzunternehmen der objektive Rechtswert alleiniges Bestimmungsrecht des Arbeitgebers über die betriebliche Struktur beachtet wird, soweit es um die Zuordnung sachlicher Betriebsmittel zu Arbeitnehmern und deren Verhalten gegenüber den Betriebsmitteln geht. 2.1.2 Grundrechtsnormen, die die Vertragsautonomie des Arbeitgebers legitimieren Wie unter B.II.2.1.1 dargelegt wurde, läßt sich der objektive Rechtswert Alleinbestimmungsrecht des Arbeitgebers über die betriebliche Struktur mit dem Rechtsprinzip der Vertragsautonomie begründen, soweit es sich um Festlegungen handelt, die das Verhältnis des Arbeitgebers zu den Arbeitnehmern und das Verhältnis der Arbeitnehmer untereinander betreffen. Die Beachtung dieses objektiven Rechtswertes bei der einfachrechtlichen Gestaltung der Tendenzschutzbestimmungen könnte durch die Grundrechtsnormen der Artikel 2 Abs. 1 und 12 Abs. 1 GG gerechtfertigt sein. 44 45

BVerfGE 50, 290 (363). BVerfGE 50, 290 (364).

2. Regelungsgegenstand betriebliche Struktur

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Soweit sich die Schutzbereiche beider Grundrechtsnormen decken, stehen die Grundrechtsnormen zueinander in einem Verhältnis der Spezialität. 46 Die betriebliche Struktur kann jedoch nicht in jeder Hinsicht als Bereich der Berufsausübung des Unternehmensträgers (Arbeitgebers) gewertet werden. So können etwa betriebliche Organisationsnormen, die ein Rauchverbot enthalten, nicht ohne weiteres als Teil der Berufsausübung des Arbeitgebers und Unternehmensträgers aufgefaßt werden. Es verbleibt somit für Artikel 2 Abs. 1 GG ein eigenständiger Schutzbereich. Mithin w i r d für beide Grundrechtsnormen untersucht, ob und inwieweit sie als Legitimationsnormen für den objektiven Rechts wert Alleinbestimmungsrecht des Arbeitgebers (Unternehmensträgers) über die betriebliche Struktur in Frage kommen. Das Schutzgut und der Schutzbereich des Artikel 12 Abs. 1 GG erfassen auch den Regelungsgegenstand betriebliche Struktur, soweit die betriebliche Struktur das Verhältnis der Arbeitnehmer untereinander und gegenüber dem Arbeitgeber festlegt. Auch insoweit ist die Festlegung der betrieblichen Struktur als Berufsausübung des Arbeitgebers und Unternehmensträgers zu qualifizieren. 47 Artikel 12 Abs. 1 GG rechtfertigt aber den Rechtswert Alleinbestimmungsrecht des Arbeitgebers nur dahingehend, daß der Arbeitgeber bei der Festlegung der betrieblichen Struktur mitwirken darf. Ein völliger Ausschluß des Arbeitgebers bei der Festlegung der betrieblichen Struktur würde den Arbeitgeber nämlich hindern, seinen Beruf auszuüben. Hingegen vermag Artikel 12 Abs. 1 GG nicht zu rechtfertigen, daß der Arbeitgeber die betriebliche Struktur allein festlegt. Auch Artikel 2 Abs. 1 GG erfaßt nach seinem Schutzgut und nach seinem Schutzbereich den objektiven Rechts wert Alleinbestimmungsrecht des Arbeitgebers über die betriebliche Struktur. Artikel 2 Abs. 1 GG gewährleistet im umfassenden Sinne auch die wirtschaftliche Tätigkeit. 4 8 Die Organisationseinheit Betrieb ist für das Handeln des Arbeitgebers (Unternehmensträgers) auf wirtschaftlichem und sozialem Gebiet eine unbedingte Voraussetzung. Mithin könnte auch Artikel 2 Abs. 1 GG das Recht des Arbeitgebers, die betriebliche Struktur festzulegen, schützen, da er nur unter diesen Voraussetzungen frei auf wirtschaftlichem und sozialem Gebiet handeln kann. Artikel 2 Abs. 1 GG erfaßt den Regelungsgegenstand betriebliche Struktur sowohl in der Schutzform Abwehrrecht des Arbeitgebers (Unternehmensträgers) als auch in der Schutzform der verfassungsrechtlichen 46

Vgl. Scholz, in: Maunz / Dürig, Rn. 11 zu Artikel 12 mit weiteren Nachweisen. Vgl. BVerfGE 50, 290 (340ff.); nach der Rechtsprechung und der Rechtslehre kommt es im Hinblick auf Artikel 19 Abs. 3 GG nicht darauf an, ob der Arbeitgeber eine natürliche oder eine juristische Person ist. Vgl. BVerfGE 21, 207 (209). 48 Vgl. Leibholz / Rinck, Rn. 10 zu Artikel 2 mit Nachweisen der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts. 47

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Β. III. Verfassungsrecht und objektive Rechtswerte im Tendenzschutz

Einrichtungsgarantie (Vertragsautonomie) 49 . Das Bundesverfassungsgericht hat mehrmals betont 5 0 , daß Artikel 2 Abs. 1 GG die Vertragsfreiheit gewährleistet. Das Weisungsrecht des Arbeitgebers als Ausfluß der arbeitsvertraglichen Vertragsautonomie ist daher auch als verfassungsrechtliche Einrichtungsgarantie geschützt. Für die beiden Schutzformen des Artikel 2 Abs. 1 GG (Abwehrrecht und verfassungsrechtliche Einrichtungsgarantie) gilt gleichermaßen, daß eine solche verfassungsrechtliche Rechtfertigung des objektiven Rechtswertes Alleinbestimmungsrecht des Arbeitgebers über die betriebliche Struktur nur innerhalb der Schranken der Rechte anderer, der verfassungsmäßigen Ordnung oder der Sittengesetze legitimiert ist. Wenn und soweit daher das aus der Vertragsautonomie folgende Recht des Arbeitgebers, die betriebliche Struktur festzulegen, durch Gesetz oder Rechte anderer eingeschränkt wird, so wird dadurch das Schutzgut des Artikel 2 Abs. 1 GG nicht berührt. Anders würde es sich nur verhalten, wenn diese Einschränkungen gegen den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit verstießen. 51 Nach der Rechtslehre 52 und der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts 53 kommt es insoweit darauf an, wie weit sich die gesetzlichen Einschränkungen der Handlungsfreiheit des Arbeitgebers dem „Persönlichkeitskern" des Arbeitgebers nähern. Bei dem objektiven Rechtswert Alleinbestimmungsrecht des Arbeitgebers über die betriebliche Struktur aufgrund Vertragsautonomie w i r d der personale Bezug des Arbeitgebers kaum berührt. Mithin kann auch die Grundrechtsnorm des Artikel 2 Abs. 1 GG den objektiven Rechtswert alleiniges Bestimmungsrecht des Arbeitgebers über die betriebliche Struktur nach Schutzgut und Schutzbereich nicht rechtfertigen. 2.2 Legitimation des objektiven Rechtswertes: Alleinbestimmungsrecht des Arbeitgebers aufgrund der von § 118 BetrVG erfaßten Unternehmenszwecke

Wie bereits unter B.II.2.1.2 dargelegt wurde, ist den Normen der Tendenzschutzbestimmungen zur betriebsbezogenen Mitbestimmung das Rechtsprinzip zu entnehmen, das Rechtsgut Alleinbestimmungsrecht des Arbeitgebers über die betriebliche Struktur auch deshalb zu schützen, weil und soweit es um die von § 118 BetrVG erfaßten Unternehmenszwecke geht.

49 Vgl. Roscher, Vertragsfreiheit als Verfassungsproblem, 1974, und Schmidt-Salzer, NJW 1970, 8ff. so BVerfGE 8, 274 (328); 12, 341 (347) und 17, 306 (309). 51 Vgl. hierzu Merten, Jus 1976, 345 (346). 52 Merten, Jus 1976, 345. 53 BVerfGE 34, 238 (245 und 246); in dieser Entscheidung betont das Bundesverfassungsgericht, daß Artikel 2 Abs. 1 GG die private Lebensgestaltung absolut („unantastbar") schütze; vgl. auch BVerfGE 50, 290 (366).

2. Regelungsgegenstand betriebliche Struktur

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Einzelne Grundrechtsnormen und Einrichtungsgarantien anderer Verfassungsbestimmungen könnten entsprechend ihrer unterschiedlichen Schutzgüter und Schutzbereiche jeweils die Einräumung eines Alleinbestimmungsrechts des Arbeitgebers über die betriebliche Struktur zur Verwirklichung einer bestimmten Art von Unternehmenszweck rechtfertigen. Es ist daher erforderlich, für jeden der von § 118 BetrVG erfaßten Unternehmenszwecke gesondert zu prüfen, ob und inwieweit für diese Art von Unternehmenszweck der objektive Rechtswert Alleinbestimmungsrecht des Arbeitgebers durch Grundrechtsnormen oder sonstige Verfassungsbestimmungen legitimiert ist. Bei dieser Prüfung ist zu beachten, daß Grundrechtsnormen grundsätzlich dem jeweiligen Grundrechtsträger Handlungsfreiheit nach außen, also gegenüber Dritten (Staat), gewährleisten, damit der Grundrechtsträger in diesem „äußeren" Freiheitsraum Zwecke verwirklichen kann. Die Grundrechtsnormen gewährleisten in der Regel aber keine Handlungsfreiheit nach „innen", so daß die innere Struktur eines Unternehmens zumeist verfassungsrechtlich nicht relevant ist. Soweit daher Grundrechtsnormen durch Gewährleistung von Handlungsfreiheit die Erreichung von bestimmten Zwecken nach außen schützen, muß noch gesondert geprüft werden, ob und inwieweit damit auch eine Handlungsfreiheit nach innen gewährleistet ist. 2.2.1 Legitimation des Alleinbestimmungsrechts des Arbeitgebers bei „Religionsgemeinschaften" Der objektive Rechtswert Alleinbestimmungsrecht des Arbeitgebers (Unternehmensträgers) über die betriebliche Struktur könnte für die von § 118 Abs. 2 BetrVG erfaßten „Religionsgemeinschaften" durch Artikel 4 Abs. 1 und Artikel 4 Abs. 2 GG sowie durch Artikel 140 GG in Verbindung mit Artikel 137 Abs. 3 und Abs. 7 Weimarer Verfassung (WRV) legitimiert sein. Dies setzt voraus, daß die zuvor genannten Verfassungsbestimmungen nach ihrem Schutzbereich den Regelungsgegenstand betriebliche Struktur in Religionsgemeinschaften erfassen und daß sie den objektiven Rechtswert Alleinbestimmungsrecht des Arbeitgebers über die betriebliche Struktur nach ihrem Schutzgut und in einer bestimmten Schutzform rechtfertigen. 2.2.1.1 Die grundsätzliche Eignung des Artikel 4 Abs. 1 GG als Legitimationsnorm Schutzgut des Artikel 4 Abs. 1 GG ist die Freiheit des Glaubens, des Gewissens54 und des Bekenntnisses. 54 Zum Begriff des Gewissens vgl. Maunz, in: Maunz / Dürig, Rn. 121 ff., vor allem Rn. 124 zu Artikel 4 GG mit weiteren Nachweisen und BVerfGE 12, 55.

9 Marino

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Β. III. Verfassungsrecht und objektive Rechtswerte im Tendenzschutz

Auf die schwierigen Fragen, wie diese Begriffe voneinander abzugrenzen sind 5 5 und ob es sich bei der Glaubens-, Gewissens- und Bekenntnisfreiheit um ein einheitliches Schutzgut 56 handelt, braucht in der vorliegenden Untersuchung nicht näher eingegangen zu werden. Als sachliche Legitimation des hier interessierenden objektiven Rechtswertes kommt nämlich ausschließlich die Bekenntnisfreiheit in Betracht. Es ist daher gleichgültig, ob die Bekenntnisfreiheit ein eigenständiges Schutzgut beinhaltet oder ob sie nur eine Ausprägung des einheitlichen Schutzgutes der Glaubens-, Gewissens- und Bekenntnisfreiheit in Artikel 4 Abs. 1 GG ist. In Übereinstimmung mit der herrschenden Lehre 57 sind unter Bekenntnis Handlungen des einzelnen oder einer Gemeinschaft zu verstehen, die Dritten als Ausfluß von Glaubens- und Gewissensauffassungen erkennbar sind und zu diesem Zwecke an die Umwelt kundgegeben werden. Glauben 58 meint dabei Überzeugungen über die Stellung des Menschen in der Welt und zu höheren Mächten. Nach dem ausdrücklichen Wortlaut des Artikel 4 Abs. 1 GG schützt das Grundrecht der Bekenntnisfreiheit sowohl das „religiöse" als auch das „weltanschauliche" Bekenntnis. Artikel 4 Abs. 1 GG schützt damit die Bekenntnisfreiheit für Weltanschauungen 59 , gleichgültig, ob die Weltanschauung religiös oder nichtreligiös ist 6 0 . Die dem Schutzgut des Artikel 4 Abs. 1 GG zugrundeliegende Wertung kann unter Berücksichtigung des Artikel 1 Abs. 1 GG bestimmt werden. Herzog 61 weist darauf hin, daß kein anderes Grundrecht stärker in der in Artikel 1 Abs. 1 GG geschützten Menschenwürde wurzelt als das Grundrecht des Artikel 4 Abs. 1 GG. Die Menschenwürde ist nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts um des Eigenwertes und des „Personseins" des Menschen willen geschützt. Der Eigenwert und das „Personsein" jedes einzelnen sind naturwissenschaftlich nicht erklärbar. Beides kann nur transzendent erfahrbar sein. Die Würde 55 Zu den Abgrenzungsschwierigkeiten s. Hemmrich, in: v. Münch, Grundgesetzkommentar, Bd. 1, Rn. 43 zu Artikel 4 GG. 56 Vgl. hierzu Zippelius, in: BK, Rn. 41 ff. zu Artikel 4 GG. 57 Vgl. Maunz / Zippelius, Staatsrecht, § 15 I 1. 58 So Zippelius, in: BK, Rn. 29 zu Artikel 4 GG. 59 Mit dem Begriff Weltanschauung bezeichnet die staatsrechtliche Literatur metaphysische Systeme, die hinsichtlich ihrer Thematik und Gegenstände über eine gewisse Breite verfügen und geschlossen sind. Soweit solche metaphysischen Gedankensysteme von der Gottesidee und Gottesvorstellung geprägt sind, werden sie als Religionen bezeichnet, soweit die prägende Gottesidee fehlt, als Weltanschauung oder auch nichtreligiöse Weltanschauung (z.B. Existenzphilosophie und theoretischer Marxismus). Vgl. hierzu Herzog, in: Maunz / Dürig, Rn. 67 zu Artikel 4 und Zippelius, in: BK, Rn. 73 zu Artikel 4 GG und BVerfGE 25, 230ff. (233 ff.). Nachfolgend wird der Begriff Weltanschauung als Oberbegriff für Religion und nichtreligiöse oder antireligiöse Weltanschauung verwandt. 60 Zu den Begriffen religiös und nichtreligiös vgl. Zippelius, in: BK, Rn. 29 zu Artikel 4 GG. 61 Herzog, in: Maunz / Dürig, Rn. 1 und 11 f. zu Artikel 4 GG.

2. Regelungsgegenstand betriebliche Struktur

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des Menschen macht nicht zuletzt sein Bedürfnis aus, sich einen transzendenten Standpunkt zu suchen und nach diesem Standpunkt sein Leben zu gestalten. Jeder Mensch möchte und muß letztlich als Mensch die Frage nach dem Sinn des Lebens und nach seiner Stellung zu anderen Menschen und zu dem Weltganzen beantworten. Einem menschlichen Urbedürfnis folgend beantwortet er diese Fragen transzendent. Er entnimmt die Antwort entweder aus einer jenseitigen (göttlichen) Offenbarung, oder er tut so, als ob er sich von sich selbst und von Zeit und Raum befreien könne und „objektiv" eine Sinnantwort zu geben vermöge, oder er behauptet „objektiv", daß dies nicht möglich sei. Auch in den zuletzt genannten Fällen nimmt er einen transzendenten - atheistischen oder skeptizistischen - Standpunkt ein. Die Antwort, die der Mensch findet, ist im ersten Falle eine religiöse, in den weiteren genannten Fällen eine weltanschauliche im Sinn des Artikel 4 Abs. 1 GG. Artikel 4 Abs. 1 GG schützt damit als eine eigenständige 62 Konkretisierung des Artikel 1 Abs. 1 GG die Kundgabe des transzendenten religiösen oder weltanschaulichen Standpunkts des einzelnen (Bekenntnisfreiheit). Er schützt die Freiheit des einzelnen, sich einen solchen Standpunkt zu suchen und zu finden und die Freiheit, diesen Standpunkt nach außen kundzutun. Es ist in der Rechtslehre 63 und nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts 64 anerkannt, daß Artikel 4 Abs. 1 GG nicht nur dem einzelnen, sondern auch der Religionsgemeinschaft selbst ein Abwehrrecht einräumt. Dies gilt auch dann, wenn sich die Religionsgemeinschaft in der Rechtsform einer juristischen Person des privaten oder öffentlichen Rechts organisiert hat. Auch dann ist eine Religionsgemeinschaft Grundrechtsträger der Bekenntnisfreiheit. 65 Das Grundrecht der Bekenntnisfreiheit des Artikel 4 Abs. 1 GG schützt somit nicht nur die Bekenntnisfreiheit des einzelnen, sondern auch die Bekenntnisfreiheit einer Gemeinschaft. Das korporative Grundrecht der Bekenntnisfreiheit ist notwendiger Inhalt des Artikel 4 Abs. 1 GG. Andernfalls könnte die individuelle Bekenntnisfreiheit ausgehöhlt werden. Die volle Geltungskraft des Individualgrundrechts der Bekenntnisfreiheit in Artikel 4 Abs. 1 GG ist nur gewährleistet, wenn auch die Gemeinschaft von „gleichgesinnten Bekennern" beschützt wird. Diese Auffassung des Bundesverfassungsgerichts ist allgemeine Meinung. 66 62 Auch soweit in der Literatur die Verwurzelung des Artikel 4 Abs. 1 GG in Artikel 1 Abs. 1 GG betont wird, wird nicht bestritten, daß Artikel 4 Abs. 1 GG eigenständige Bedeutung neben Artikel 1 Abs. 1 GG hat. So z.B. Herzog, in: Maunz / Dürig, Rn. 11 ff. zu Artikel 4 GG. 63 Zippelius, in: BK, Rn. 55 zu Artikel 4 GG und Herzog, in: Maunz / Dürig, Rn. 40 zu Artikel 4 GG mit weiteren Nachweisen. 4 β BVerfGE 19, 132; 21, 374; 30, 120. 65 So BVerfGE 53, 366 (386, 387). 66 Vgl. z.B. Herzog, in: Maunz / Dürig, Rn. 40 zu Artikel 4 GG und Zippelius, in: BK, Rn. 55 zu Artikel 4 GG.

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Β. III. Verfassungsrecht und objektive Rechtswerte im Tendenzschutz

Da die Bekenntnisfreiheit des Artikel 4 Abs. 1 GG Handlungen des einzelnen und der Gemeinschaft schützen soll, die der einzelne oder die Gemeinschaft vornehmen, um ihren transzendenten Standpunkt kundzutun, muß die Bekenntnisfreiheit des Artikel 4 Abs. 1 GG auch die Freiheit einer Gemeinschaft - sei sie religiös oder nicht religiös - schützen, ihre Struktur und Organisation festzulegen. Es ist zumeist das erste „Bekenntnis" eines Menschen zu seiner Weltanschauung, daß er sich aufgrund und entsprechend seiner jeweiligen Weltanschauung mit Gleichgesinnten organisiert. Diese Organisation wird typischerweise nach dem jeweiligen Bekenntnis gestaltet, da ein bestimmtes Bekenntnis in der Regel eine bekenntnisgemäße Gestaltung einer solchen Weltanschauungsgemeinschaft erfordert. Ein staatlicher Eingriff in die Organisation und Struktur einer Weltanschauungsgemeinschaft würde daher die Bekenntnisfreiheit des einzelnen und der Gemeinschaft in ihrem Wesenskern treffen. Zum Schutzgut des Artikel 4 Abs. 1 GG gehört es daher, um des transzendenten Bezugs des Menschen und damit um seiner Menschenwürde willen die innere Struktur von Weltanschauungsgemeinschaften vor staatlichen Regelungen zu schützen. Mithin könnte Artikel 4 Abs. 1 GG nach Schutzgut und Schutzbereich den objektiven Rechtswert Alleinbestimmungsrecht des Arbeitgebers (Unternehmensträgers) über die betriebliche Struktur in Religionsgemeinschaften legitimieren. Ob die Weltanschauungsgemeinschaft sich rechtlich als juristische Person oder als ein sonstiger Verband organisiert, spielt insoweit keine Rolle. Diese Legitimation könnte Artikel 4 Abs. 1 GG sowohl in seiner Schutzform als Abwehrrecht der Weltanschauungsgemeinschaften gegen staatliche Eingriffe (staatliche Regelungen) als auch in seiner Schutzform als objektiver Rechtssatz entfalten. 67

2.2.1.2 Die grundsätzliche Eignung des Artikel 4 Abs. 2 GG als Legitimationsnorm Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts 68 und der herrschenden Meinung 6 9 sind Schutzgut und Schutzbereich des Artikel 4 Abs. 2 GG („ungestörte Religionsausübung") im Schutzgut und Schutzbereich des Artikel 4 Abs. 1 GG enthalten. Die gesonderte Hervorhebung der Religions67 Das Bundesverfassungsgericht und die Rechtslehre fassen Artikel 4 Abs. 1 und Abs. 2 GG nicht nur als Abwehrrecht des einzelnen und der Weltanschauungsgemeinschaften auf, sondern auch als objektive Rechtsnorm („Grundsatznorm"). Vgl. BVerfGE 23,134 und Schmidt-Bleibtreu / Klein, Kommentar zum Grundgesetz, Rn. 1 zu Artikel 4 GG. 68 So BVerfGE 24, 236 (245 ff.). 69 Vgl. v. Campenhausen, Staatskirchenrecht, S. 52; Scheuner, Die Religionsfreiheit im Grundgesetz, DÖV 67, 585 (589) und Herzog, in: Maunz / Dürig, Rn. 99 zu Artikel 4 GG.

2. Regelungsgegenstand betriebliche Struktur

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ausübung erkläre sich historisch aus den Kämpfen um das exercitium religionis 70 . M.E. hat jedoch Artikel 4 Abs. 2 GG ein zum Teil gegenüber Artikel 4 Abs. 1 GG abweichendes Schutzgut und einen teilweise unterschiedlichen Schutzbereich, so daß Artikel 4 Abs. 2 GG als einer eigenständigen Legitimationsnorm für den hier zu untersuchenden objektiven Rechts wert neben Artikel 4 Abs. 1 GG Bedeutung zukommen kann. Für das teilweise eigenständige Schutzgut des Artikel 4 Abs. 2 GG sprechen der Wortlaut, die Systematik, der teilweise unterschiedliche historische Bezug und die nicht übereinstimmenden Schutzbereiche der Artikel 4 Abs. 1 und 4 Abs. 2 GG. Wie sich aus dem Wortlaut des Artikel 4 Abs. 1 GG ergibt, differenziert das Grundrecht der Bekenntnisfreiheit des Artikel 4 Abs. 1 GG zwischen „religiösem" und „weltanschaulichem" Bekenntnis. Artikel 4 Abs. 2 GG spricht hingegen nur von Religionsausübung. Der Begriff der Religion setzt einen Bezug auf eine oder mehrere Gottheiten voraus, die als verbindliche Richtschnur und absolute Wahrheit aufgefaßt werden. Unter Weltanschauung versteht die herrschende Meinung eine sonstige (also nichtreligiöse) metaphysische oder immanente Gesamtauffassung der Welt und des Menschen. 71 Da Artikel 4 Abs. 2 GG nur von „Religionsausübung" spricht, muß eine grammatikalische und systematische Auslegung des Artikel 4 Abs. 2 GG davon ausgehen, daß Artikel 4 Abs. 2 GG nur die Ausübung einer Religion, nicht aber die Ausübung einer nichtreligiösen Weltanschauung schützt. Auch soweit die Rechtslehre verneint 72 , daß die Begriffe des Grundgesetzes „Weltanschauung" und „Religion" wissenschaftlich abzugrenzen seien, wird nicht bestritten, daß die Begriffe ideengeschichtlich unterschiedliche Bedeutung haben. Das Bundesverfassungsgericht 73 und die herrschende Meinung 7 4 betonen, daß der Schutzbereich des Artikel 4 Abs. 2 GG aus seinem historischen Bezug (exercitium religionis) ermittelt werden könne. Sie gehen deshalb davon aus, daß Religionsausübung nicht nur kultische Handlungen umfasse. Vielmehr greifen sie zur Bestimmung dessen, was zur Religionsausübung gehört, auf das jeweilige Selbstverständnis der Religionsgemeinschaften zurück. Diese „extensive" Auslegung des Artikel 4 Abs. 2 GG führt dazu, daß auch Handlungen als Religionsausübung qualifiziert werden, die nicht 70

(245).

Vgl. Herzog, in: Maunz / Dürig, Rn. 101 zu Artikel 4 GG und BVerfGE 24, 236ff.

71 Vgl. Steiner, in: Jus 1982, 152 (158) und Herzog, in: Maunz / Dürig, Rn. 67 zu Artikel 4 GG. 72 Obermayer, in: BK, Rn. 42 zu Artikel 140 GG. 73 Vgl. BVerfGE 24, 236 (245ff.). 74 Hemmrich, in: GG-Kommentar, Rn. 24 und 44 zu Artikel 4 GG sowie Herzog, in: Maunz / Dürig, Rn. 99 zu Artikel 4 GG.

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Β. III. Verfassungsrecht und objektive Rechts werte im Tendenzschutz

die Funktion haben, anderen Menschen Überzeugungen mitzuteilen. 75 Mit dieser Auffassung nehmen aber sowohl das Bundesverfassungsgericht als auch die herrschende Meinung an, daß der Schutzbereich des Artikel 4 Abs. 2 GG insoweit weiter ist als der Schutzbereich des Artikel 4 Abs. 1 GG, als auch Handlungen Religionsausübung sein können, die wegen des fehlenden Kundgebungscharakters nicht mehr als Bekenntnis im Sinne des Artikel 4 Abs. 1 GG aufgefaßt werden können. Diese zutreffende Auffassung über den insoweit weiteren Schutzbereich des Artikel 4 Abs. 2 GG folgt m.E. aus dem im Vergleich zu Artikel 4 Abs. 1 GG teilweise anderen und eigenständigen Schutzgut des Artikel 4 Abs. 2 GG. Der Kampf um die freie Religionsausübung hat ältere und zum Teil andere Wurzeln 76 als der Kampf um die Gewissens- und Bekenntnisfreiheit einer Weltanschauung. In der europäischen Geschichte wurde für die freie Religionsausübung entsprechend den christlich-jüdischen Vorstellungen mit der Zielrichtung gestritten, daß es dem einzelnen und der Gemeinschaft, der er angehörte, gestattet sein müsse, nicht nur entsprechend der ihm oder der Gemeinschaft von Gott gewährten Offenbarung und Weisung Gott zu verehren, sondern auch dessen Weisungen im alltäglichen Leben - auch außerhalb der Bereiche Kultus und Bekenntnis - zu vollziehen. Die von Artikel 4 Abs. 2 GG geschützte Religionsausübung hat daher ideengeschichtlich neben der Freiheit des Bekennens immer auch mit dem Vollzug von göttlichen Weisungen zu tun. Die religiösen Auseinandersetzungen in der abendländischen Geschichte wurden nämlich nicht nur darüber geführt, welches die richtige Gottesvorstellung und die absoluten Wahrheiten seien, sondern immer auch darüber, welche Weisungen Gottes für das weltliche Leben in allen Bereichen richtig sind und vollzogen werden müssen (z.B. Zinsverbot). Hingegen ist der Kampf um die Freiheit des weltanschaulichen Bekenntnisses ideengeschichtlich ein Kind der Aufklärung. Die Bekenntnisfreiheit der Aufklärung ist säkularisiert. Jeder transzendente Standpunkt (auch der des Agnostikers) soll vertreten werden können. Die Frage nach welchen göttlichen Weisungen das alltägliche Leben gestaltet werden muß, spielte dabei keine Rolle. Schutzgut des Artikel 4 Abs. 2 GG sind somit auch alltägliche Handlungen, die entsprechend göttlichen Geboten vollzogen werden müssen. Insoweit ist das Schutzgut und damit der Schutzbereich des Artikel 4 Abs. 2 GG anders und weiter als das Schutzgut und der Schutzbereich des Artikel 4 Abs. 1 GG. Das Schutzgut und der Schutzbereich der Artikel 4 Abs. 1 GG und 4 Abs. 2 GG decken sich daher insoweit, als die religiöse Bekenntnis75

Vgl. hierzu Maunz / Zippelius, Staatsrecht, § 24 I I 1 (S. 178). ™ Vgl. Hamel, Die Grundrechte, Bd. IV/1, S. 39ff.

2. Regelungsgegenstand betriebliche Struktur

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freiheit sowohl Teil des Schutzgutes des Artikel 4 Abs. 1 GG als auch Teil des Schutzgutes des Artikel 4 Abs. 2 GG ist. Schutzgut und Schutzbereich des Artikel 4 Abs. 2 GG sind im Vergleich zum Schutzgut und Schutzbereich der Bekenntnisfreiheit des Artikel 4 Abs. 1 GG insoweit enger, als sie nur das religiöse Bekenntnis des einzelnen oder einer Gemeinschaft zu einer Gottheit und deren Offenbarungen und Weisungen schützen. Das Bekenntnis zu anderen transzendenten nichtreligiösen Standpunkten schützt hingegen ausschließlich Artikel 4 Abs. 1 GG, nicht aber Artikel 4 Abs. 2 GG. Schutzgut und Schutzbereich des Artikel 4 Abs. 2 GG sind insoweit weiter und anders als Schutzgut und Schutzbereich des Artikel 4 Abs. 1 GG, als sie nicht nur von Außenstehenden erkennbare Handlungen mit Kundgebungscharakter für den jeweiligen religiösen transzendenten Standpunkt schützen (Bekenntnis), sondern auch und gerade Handlungen schützen, die als Vollzug transzendenter Weisungen nach dem Selbstverständnis der jeweiligen Religion in dieser Welt vorgenommen werden müssen. Wichtig ist, daß diese Handlungen der Religionsausübung von Dritten nicht als Bekenntnis gewertet werden müssen (z.B. Nichtessen von Schweinefleisch). Diese Interpretation von Schutzgut und Schutzbereich des Artikel 4 Abs. 1 GG und Artikel 4 Abs. 2 GG verstößt nicht gegen das vom Bundesverfassungsgericht 77 stets betonte Gebot des Staates zur weltanschaulichen Neutralität und den Grundsatz der Parität der Kirchen und Bekenntnisse. Auch ein Verstoß gegen Artikel 3 Abs. 1 GG ist nicht gegeben. Die Differenzierung zwischen Bekenntnisfreiheit und Religionsausübung ist sachlich begründet. Anders wäre nur zu urteilen, wenn die Beurteilung, ob eine Weltanschauung als Religion aufzufassen ist oder nicht, dem Staat überlassen bliebe. Nach dem Bundesverfassungsgericht muß jedoch eine solche Beurteilung nach dem jeweiligen Selbstverständnis der Weltanschauung vorgenommen werden. Eine solche Beurteilung bereitet auch keine Schwierigkeiten, es sei denn bei sogenannten „Geheimreligionen". Hier wird man aber davon ausgehen müssen, daß die jeweilige Weltanschauung die Beweislast für ihr Selbstverständnis trifft, soweit sie sich auf Bekenntnisfreiheit oder Religionsausübung beruft. Die Differenzierung zwischen Religionsausübung und Bekenntnisfreiheit in den Artikeln 4 Abs. 1 und 4 Abs. 2 GG ist aus der Natur der Sache geboten. Zwar können von jedem transzendenten Standpunkt aus - auch von transzendenten Standpunkten, die göttliche Offenbarungen und Weisungen als bindende Richtschnur ablehnen - Handlungen in der Welt beurteilt, bewertet und vollzogen werden. Die Beurteilung der Handlungen und der 77

Vgl. BVerfGE 18, 386; 19, 8 (21); 24, 246; 32, 106.

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Β. III. Verfassungsrecht und objektive Rechtswerte im Tendenzschutz

Vollzug der Handlungen können sich aber bei solchen transzendenten Standpunkten nicht auf eine verbindliche „übermenschliche" transzendente Weisung berufen. Die Beziehungen zu Handlungen und deren Notwendigkeit in dieser Welt sind für den Anhänger einer Religion, die göttliche Weisungen kennt, und den Anhänger einer anderen Weltanschauung somit völlig verschieden. Nur Religionen können weltliche Handlungen als zwingendes göttliches Gebot auffassen. Schutzgut des Artikel 4 Abs. 1 GG ist es, für das Grundbedürfnis des Menschen einen Freiheitsraum zu schaffen, in dem er von einem transzendenten Standpunkt aus die Sinnfrage beantworten und dies auch nach außen kundgeben kann. Schutzgut des Artikel 4 Abs. 2 GG hingegen ist es, darüber hinaus für das Bedürfnis des Menschen einen Freiheitsraum zu schaffen, in dem er ein Leben entsprechend göttlichen Weisungen führen kann (Ausübung einer Religion). Auch das Schutzgut des Artikel 4 Abs. 2 GG wurzelt letztlich in Artikel 1 Abs. 1 GG. Die Würde des Menschen wurde in der abendländischen Geschichte letztlich darin gesehen, daß der einzelne von Gott angerufen und ihm verantwortlich ist. Die herrschende Meinung weist darauf hin 7 8 , daß die Tragweite des Begriffs der menschlichen Würde sich nur voll erschließt, wenn man die geistesgeschichtliche Tradition mitberücksichtigt, in der dieser Begriff steht (vgl. z.B. Imago-Dei-Lehre). Wird berücksichtigt, daß der Würdebegriff des Artikel 1 Abs. 1 GG zumindest auch aus dem Ideengut des christlichen Naturrechts stammt, so ist es naheliegend, das Schutzgut des Artikel 4 Abs. 2 GG darin zu sehen, daß Artikel 4 Abs. 2 GG dem einzelnen und der religiösen Gemeinschaft, zu der er sich bekennt, ein Leben vor Gott und entsprechend göttlichen Weisungen ermöglicht, ohne daß es darauf ankommt, ob dieses gottgewollte Leben Bekenntnischarakter hat, also von Dritten als solches erkennbar ist. Wegen seines teilweise eigenständigen Schutzgutes und seines teilweise anderen Schutzbereiches käme somit Artikel 4 Abs. 2 GG neben Artikel 4 Abs. 1 GG als verfassungsrechtliche Legitimationsnorm für den objektiven Rechtswert Alleinbestimmungsrecht des Arbeitgebers über die betriebliche Struktur in Religionsgemeinschaften in Betracht. Artikel 4 Abs. 2 GG kann seine Legitimationswirkung aber nur insoweit entfalten, als § 118 Abs. 2 BetrVG Religionsgemeinschaften, also religiöse Weltanschauungsgemeinschaften 79 erfaßt. Hingegen scheidet Artikel 4 Abs. 2 GG als Legitimationsgrundlage für die betriebliche Struktur von sonstigen, nichtreligiösen Weltanschauungsgemeinschaften aus, die ebenfalls unter § 118 Abs. 2 BetrVG 78

Vgl. Zippelius, in: BK, Rn. I f f . zu Artikel 1 GG und v. Münch, in: GG-Kommentar, Rn. 11 zu Artikel 1 GG. 79 Entsprechend einem im Schrifttum anzutreffenden Sprachgebrauch (vgl. Maunz / Zippelius, Staatsrecht, § 24 11) wird nachfolgend in der Untersuchung der Begriff Weltanschauungsgemeinschaft als Oberbegriff für religiöse (Religionsgemeinschaften) und nichtreligiöse Weltanschauungsgemeinschaf ten gebraucht.

2. Regelungsgegenstand betriebliche Struktur

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fallen. In dem zuvor angegebenen Rahmen könnte somit auch Artikel 4 Abs. 2 GG den objektiven Rechtswert Alleinbestimmungsrecht des Arbeitgebers in der Schutzform als Abwehrrecht der Religionsgemeinschaften und in der Schutzform als objektiver Rechtssatz rechtfertigen. Aus den gleichen Gründen wie bei Artikel 4 Abs. 1 GG enthält nämlich auch Artikel 4 Abs. 2 GG ein Abwehrrecht für den einzelnen aber auch für religiöse Weltanschauungsgemeinschaften und eine objektive Rechtsnorm. 2.2.1.3 Die grundsätzliche Eignung des Artikel 137 Abs. 3 WRV als Legitimationsnorm Der in das Grundgesetz voll inkorporierte 80 Artikel 137 WRV gewährleistet in seinem dritten Absatz jeder Religionsgesellschaft das Recht, „ihre Angelegenheiten selbständig innerhalb der Schranken des für alle geltenden Gesetzes" zu ordnen und zu verwalten. (Bei den voll in das Grundgesetz inkorporierten Bestimmungen der Weimarer Verfassung zur Kirchenautonomie 8 1 wird nachfolgend nicht mehr zusätzlich die Inkorporationsvorschrift des Artikel 140 GG zitiert!). Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts 82 ist es Schutzgut des Artikel 137 Abs. 3 WRV, den Religionsgemeinschaften die zur Wahrnehmung des religiösen Lebens und Wirkens „unerläßliche Freiheit der Bestimmung über Organisation, Normsetzung und Verwaltung" zu gewährleisten. Die in Artikel 137 Abs. 7 WRV verankerte Gleichstellung von religiösen und nichtreligiösen Weltanschauungsgemeinschaften bewirkt, daß dieses Schutzgut des Artikel 137 Abs. 3 WRV auch nichtreligiöse Weltanschauungsgemeinschaften erfaßt. 83 80 Ständige Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, vgl. BVerfGE 19, 206 (219); 19, 226 (236) und 53, 366 (400). 81 Für das in Artikel 137 Abs. 3 WRV gewährleistete Selbstbestimmungsrecht für „Religionsgesellschaften" wird in der Literatur auch der Begriff Kirchenautonomie verwandt (vgl. z.B. Richardi, Arbeitsrecht in der Kirche, § 6 (S. 64). Obwohl sich nach allgemeiner Meinung und nach der Auffassung des Bundesverfassungsgerichts die „Kirchenautonomie" des Artikel 137 Abs. 3 WRV nicht auf christliche Religionsgemeinschaften oder gar bloß auf die christlichen Großkirchen beschränkt (vgl. hierzu die Nachweise bei v. Campenhausen, Staatskirchenrecht, S. 78), bestehen schon aus Gründen der Praktikabilität gegen die Kurzbezeichnung Kirchenautonomie keine Bedenken. Das Selbstbestimmungsrecht für Religionsgemeinschaften ist nämlich in der Bundesrepublik Deutschland vorrangig für christliche Großkirchen von praktischer Bedeutung. Im übrigen hat das Bundesverfassungsgericht in BVerfGE 12, 1 (4) darauf hingewiesen, daß das Grundgesetz nicht irgendeine wie auch immer geartete freie Betätigung des Glaubens schützen will, sondern nur diejenigen, die sich bei den heutigen Kulturvölkern auf dem Boden gewisser übereinstimmender sittlicher Grundanschauungen im Laufe der geschichtlichen Entwicklung herausgebildet haben. 82 Vgl. BVerfGE 46, 73 (85) und 53, 366 (391). 83 Vgl. hierzu Herzog, in: Maunz / Dürig, Rn. 21 zu Artikel 4 GG sowie Herzog, in: Festschrift für Maunz, 1971, S. 145ff. und BVerfGE 10, 59 (85).

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Β. III. Verfassungsrecht und objektive Rechtswerte im Tendenzschutz

Das Schutzgut des Artikel 137 Abs. 3 WRV hat im Verhältnis zu Artikel 4 Abs. 1 und 2 GG selbständige und eigenständige Bedeutung. Für diese in der Rechtslehre umstrittene 84 Auffassung sprechen folgende Gründe: Artikel 137 Abs. 3 WRV w i l l der Gemeinschaft als solcher die Möglichkeit absichern, von einem transzendenten Bezugspunkt aus ihre Angelegenheiten selbst zu ordnen. Eine solche Auffassung über das Schutzgut des Artikel 137 Abs. 3 WRV ist auch gerade bei Berücksichtigung der Grundentscheidung des Artikel 1 Abs. 1 GG gerechtfertigt. Es gehört zum Kernbestand der Überzeugung vieler nichtreligiöser und religiöser Weltanschauungen, daß eine Gemeinschaft mehr ist als die Summe ihrer Mitglieder (so z.B. die Corpus-Christi-Lehre der römisch-katholischen Kirche, die Auffassung der Gemeinde in den evangelischen Kirchen und die Auffassung des Kollektivs im Marxismus). Die Gemeinschaft ist bei solchen Weltanschauungen etwas Eigenständiges und von der Summe der Mitglieder der Gemeinschaft Verschiedenes. Die Verfassung würde den Transzendenzbezug des Menschen ungenügend schützen, wenn sie diesen Aspekt nicht auch verfassungsrechtlich abgesichert hätte. Das Menschenbild des Grundgesetzes geht von einer eigenwertigen, aber gemeinschaftsbezogenen und -gebundenen Persönlichkeit aus. 85 Die im Schutzgut des Artikel 137 Abs. 3 WRV liegende Anerkennung der Gemeinschaft als solcher schützt diesen gemeinschaftsbezogenen Aspekt des Menschenbildes im Grundgesetz. Dem Gemeinschaftsmoment im Schutzgut des Artikel 137 Abs. 3 WRV kommt mithin auch eine gegenüber den Schutzgütern der Artikel 4 Abs. 1 und 4 Abs. 2 GG eigenständige Bedeutung zu. Die eigenständige Bedeutung des Artikel 137 Abs. 3 WRV schließt nicht aus, daß die letzte Begründung des Schutzgutes des Artikel 137 WRV (Schutz des Transzendenzbezuges einer Gemeinschaft) in den Schutzgütern der Artikel 4 Abs. 1 und Abs. 2 und 1 Abs. 1 GG (Schutz des Transzendenzbezuges des einzelnen) wurzelt. 8 6 Über den Inhalt und die Tragweite des Schutzgutes und des Schutzbereiches des Artikel 137 Abs. 3 WRV besteht in Rechtsprechung und Rechtslehre weitgehend Übereinstimmung. 87 In Artikel 137 Abs. 3 WRV wird den Welt84 Die Auffassung von der eigenständigen Bedeutung des Artikel 137 Abs. 3 WRV wird z.B. von v. Campenhausen, in: Lehrbuch des Staatskirchenrechts, S. 78 und 79; von Hesse, Das Selbstbestimmungsrecht der Kirchen und Religionsgemeinschaften, in: Handbuch des Staatskirchenrechts, Bd. 1,1974, S. 409ff. sowie von Scheuner, Das System der Beziehungen von Staat und Kirche im Grundgesetz, ebenfalls in: Handbuch des Staatskirchenrechts, S. 41 und 78ff. vertreten. Auch den Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts ist diese Auffassung zu entnehmen (vgl. BVerfGE 53, 366 (401). - Hingegen vertritt Listi die Auffassung, daß Artikel 137 Abs. 3 WRV nur deklaratorisch Freiheiten wiederholt, die bereits durch Artikel 4 GG geschützt seien (vgl. Listi, Das Grundrecht der Religionsfreiheit in der Rechtsprechung der Gerichte der Bundesrepublik Deutschland, 1971, S. 372). 85 So BVerfGE 4, 7 (15) und Dürig, in: Maunz / Dürig, Rn. 46 zu Artikel 1 Abs. 1 GG. 8 ® Vgl. BVerfGE 53, 366 (401).

2. Regelungsgegenstand betriebliche Struktur

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anschauungsgemeinschaften die Freiheit garantiert, eigene Angelegenheiten ordnen und verwalten zu können. Zur Bestimmung dessen, was als „eigene Angelegenheit" einer Weltanschauungsgemeinschaft zu werten ist, kommt es nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts 88 auf das Selbstverständnis der jeweiligen Gemeinschaft an. Der Natur der Sache nach 8 9 kommt das Selbstverständnis und damit die Weltanschauung einer Gemeinschaft gerade in der von ihr gewählten Organisation zum Ausdruck. Eine Gemeinschaft ohne Organisation ist nicht denkbar. Eine staatliche Ordnung der Organisation von Weltanschauungsgemeinschaften würde daher den von Artikel 137 Abs. 3 WRV verfolgten Schutz von vornherein mindern oder vereiteln. Zu den eigenen Angelegenheiten einer Weltanschauungsgemeinschaft gehört mithin zumindest deren Freiheit, die innere Struktur festlegen zu können. Artikel 137 Abs. 3 WRV rechtfertigt damit den objektiven Rechtswert Alleinbestimmungsrecht der Weltanschauungsgemeinschaften über ihre „betriebliche Struktur". Das Bundesverfassungsgericht hat demgemäß entschieden 90 , daß eine religiöse oder nichtreligiöse Weltanschauungsgemeinschaft, die ihre innere Struktur und in dieser die Rechtsstellung der Arbeitnehmer festlegt, eigene Angelegenheiten ihrer Gemeinschaft regelt. Allerdings entfaltet das Schutzgut des Artikel 137 WRV diese Legitimationswirkung nur im Rahmen des „für alle geltenden Gesetzes". Die verfassungsrechtliche Legitimation des objektiven Rechtswertes Alleinbestimmungsrecht des Arbeitgebers über die betriebliche Struktur in Weltanschauungsgemeinschaften könnte daher durch ein für alle geltendes Gesetz eingeschränkt sein. Nach allgemeiner Meinung 9 1 ist nicht jedes allgemeine staatliche Gesetz ein für alle geltendes Gesetz im Sinne des Artikel 137 WRV. Vielmehr geht das Bundesverfassungsgericht zu Recht davon aus, daß unter den Begriff „für alle geltendes Gesetz" nur solche Gesetze fallen können, die die Weltanschauungsgemeinschaften nicht in ihrer Besonderheit als Weltanschauungsgemeinschaften treffen. 92 Ein für alle geltendes Gesetz ist danach ein Gesetz, das eine Weltanschauungsgemeinschaft aufgrund ihres Selbstverständnisses nicht härter und auch nicht anders trifft als andere Gemeinschaften. Da das Selbstverständnis einer Weltanschauungsgemeinschaft nicht zuletzt in ihrer inneren Struktur und Organisation zum Ausdruck kommt, 87 s. hierzu v. Campenhausen, Staatskirchenrecht, S. 79ff. mit Nachweisen der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts und der Literatur. 88 So BVerfGE 53, 366 (401). 89 Vgl. zur Bestimmimg der „eigenen Angelegenheiten" durch die „Natur der Sache" BVerfGE 18, 385 (387) und 42, 312 (334). 90 So BVerfGE 53, 366 (403ff.). 91 Vgl. v. Campenhausen, Staatskirchenrecht, § 14 II, S. 85 ff. mit Nachweisen aus der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts und der Literatur. 92 BVerfGE 42, 312 (334).

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Β. III. Verfassungsrecht und objektive Rechtswerte im Tendenzschutz

ist in der Regel jedes Gesetz, das die innere Organisationsfreiheit einer Weltanschauungsgemeinschaft einschränkt, ein nicht für alle geltendes Gesetz im Sinne des Artikel 137 Abs. 3 WRV. Das Bundesverfassungsgericht 9 3 hat die Normen der betriebsbezogenen Mitbestimmung als ein nicht für alle geltendes Gesetz gewertet. 94 Die Organisationsnormen des BetrVG und die Beteiligungsrechte der §§ 87 Abs. 1 Nr. 1, 90 und 91 BetrVG schränken das Alleinbestimmungsrecht der Weltanschauungsgemeinschaften zugunsten der Schaffung eines Schutzraums für die Arbeitnehmer im Betrieb ein. Sie können daher nicht als ein für alle geltendes Gesetz im Sinne des Artikel 137 Abs. 3 WRV gewertet werden. Selbst wenn aber unsere Rechtsordnung Gesetze kennte, die in die Organisationsfreiheit der Weltanschauungsgemeinschaften eingriffen und gleichwohl als für alle geltende Gesetze zu qualifizieren wären, so folgt hieraus noch nicht eine Einschränkung des Schutzbereichs des Artikel 137 WRV dahingehend, daß die Organisationsfreiheit des Artikel 137 Abs. 3 WRV nur im Rahmen dieses für alle geltenden Gesetzes gelte. Das Bundesverfassungsgericht 95 hat vielmehr darauf hingewiesen, daß die garantierte Organisations- und Verwaltungsbefugnis der Religionsgemeinschaften und staatliche Regelungen, die für alle geltende Gesetze sind, zum Schutze anderer für das Gemeinwesen bedeutsamer Rechtsgüter wegen des zwingenden Erfordernisses des friedlichen Zusammenlebens von Staat und „Kirchen" in ihrer Wechselwirkung zu sehen sind. Die Grenzen des Schutzbereichs des Artikel 137 WRV wären im Wege einer Güterabwägung vorzunehmen. Selbst wenn daher ein - nicht ersichtliches - für alle geltendes Gesetz das Alleinbestimmungsrecht der Religionsgemeinschaften über ihre innere Struktur einschränken sollte, wäre diese einfachgesetzliche Einschränkung noch nicht ohne weiteres verfassungsrechtlich legitimiert. Mithin kann auch Artikel 137 Abs. 3 und Abs. 7 WRV nach Schutzgut und Schutzbereich den Rechtswert Alleinbestimmungsrecht des Arbeitgebers über die betriebliche Struktur in Religionsgemeinschaften in vollem Umfange, und zwar für religiöse und nichtreligiöse Weltanschauungsgemeinschaften rechtfertigen. Diese verfassungsrechtliche Legitimation könnte Artikel 137 WRV aber nicht in der Schutzform als Abwehrrecht der Religionsgemeinschaften gegenüber staatlichen Eingriffen entfalten. Nach allgemeiner Meinung 9 6 gewährleistet nämlich Artikel 137 WRV kein Grundrecht. Die Legitimation des objektiven Rechtswertes w i r d vielmehr durch 93

BVerfGE 46, 73 (95). Zu der wenig überzeugenden Begründung des Bundesverfassungsgerichts, daß dies aus dem in § 118 Abs. 2 BetrVG festgelegten Ausschluß der Normen der betriebsbezogenen Mitbestimmung folge, vgl. Dietz / Richardi, Bd. 2, Rn. 163 zu §118 BetrVG. 9 5 BVerfGE 53, 366 (404ff.). 96 So v. Campenhausen, Staatskirchenrecht, S. 79 und BVerfGE 19, 129 (135). 94

2. Regelungsgegenstand betriebliche Struktur

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Artikel 137 WRV in der Schutzform als verfassungsrechtliche Einrichtungsgarantie 97 gewährleistet. 2.2.1.4 Verhältnis der Artikel 4 Abs. 1, Artikel 4 Abs. 2 GG und Artikel 137 Abs. 3 WRV Der objektive Rechtswert Alleinbestimmungsrecht des Arbeitgebers (Unternehmensträgers) über die betriebliche Struktur zur Verwirklichung bestimmter Unternehmenszwecke kann für die von § 118 Abs. 2 BetrVG erfaßten „Religionsgemeinschaften" in vollem Umfange, und zwar für religiöse und nichtreligiöse Weltanschauungsgemeinschaften durch Artikel 4 Abs. 1 GG in den Schutzformen Abwehrrechte der Weltanschauungsgemeinschaften und objektiver Rechtssatz sowie durch Artikel 137 WRV in den Schutzformen verfassungsrechtliche Einrichtungsgarantie und objektiver Rechtssatz gerechtfertigt sein. 98 Artikel 4 Abs. 2 GG kann den objektiven Rechtswert Alleinbestimmungsrecht des Arbeitgebers über die betriebliche Struktur nur insoweit rechtfertigen, als unter Religionsgemeinschaft im Sinne des § 118 Abs. 2 BetrVG religiöse Weltanschauungsgemeinschaften erfaßt werden. Diese mehrfache verfassungsrechtliche Legitimationsgrundlage für den objektiven Rechtswert Alleinbestimmungsrecht des Arbeitgebers über die betriebliche Struktur macht es erforderlich, das noch nicht endgültig geklärte Verhältnis 99 der Artikel 4 Abs. 1 und 4 Abs. 2 GG und 137 WRV zueinander näher zu bestimmen. Es muß klargestellt sein, ob zur Legitimation dieses objektiven Rechtswertes kumulativ alle vorgenannten Verfassungsbestimmungen geeignet sind oder ob nur eine Verfassungsbestimmung aufgrund eines Spezialitätenverhältnisses hierzu in Frage kommt. M.E. muß für die hier interessierende Frage davon ausgegangen werden, daß Artikel 137 Abs. 3 WRV als lex specialis den Artikeln 4 Abs. 1 und 4 Abs. 2 GG vorgeht. Dies ergibt sich aus folgenden Überlegungen: Zwar umfaßt der Schutzbereich der Artikel 4 Abs. 1 und 4 Abs. 2 GG auch die „Religionsfreiheit" von Gemeinschaften. Mit der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts 100 und der herrschenden Meinung 1 0 1 ist aber 97

Vgl. Herzog, in: Maunz / Dürig, Rn. 27 zu Artikel 4 GG. Vgl. hierzu Hesse, Das Selbstbestimmungsrecht der Kirchen und Religionsgemeinschaften, in: Handbuch des Staatskirchenrechts, S. 409ff. 99 Zu diesem Problem vgl. Scheuner, Das System der Beziehungen von Staat und Kirche im Grundgesetz, in: Handbuch des Staatskirchenrechts, S. I f f . (41 ff. und 78 ff.) und Listi, Glaubens-, Gewissens-, Bekenntnis- und Kirchenfreiheit, in: Handbuch des Staatskirchenrechts, S. 363 (402ff.); Herzog, in: Maunz / Dürig, Rn. 24ff. zu Artikel 4 GG. 100 Vgl. BVerfGE 19, 132; 21, 374; 30, 120; 42, 312 (323). 101 Herzog, in: Maunz / Dürig, Rn. 40 zu Artikel 4 GG; Zippelius, in: BK, Rn. 55 zu Artikel 4 GG. 98

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Β. III. Verfassungsrecht und objektive Rechtswerte im Tendenzschutz

davon auszugehen, daß der Schutz der Gemeinschaften um des einzelnen willen in diesen Bestimmungen geschieht. Artikel 4 Abs. 1 und Artikel 4 Abs. 2 GG enthalten Individualgrundrechte, die dem einzelnen einen Freiheitsraum gewährleisten wollen, in dem er nach seinen transzendenten Bezugspunkten handeln und leben kann. Die Grundrechte der Artikel 4 Abs. 1 und 4 Abs. 2 GG schützen um der Gemeinschaftsbezogenheit des einzelnen willen weltanschauliches (Artikel 4 Abs. 1 GG) oder religiöses (Artikel 4 Abs. 2 GG) Handeln, das sich in Religions- oder nichtreligiösen Weltanschauungsgemeinschaften vollzieht. Hingegen beziehen sich Schutzgut und Schutzbereich des Artikel 137 WRV ausschließlich auf Gemeinschaften und nicht auf den einzelnen. 102 Das Rechtsgut Glaubens-, Gewissens- und Bekenntnisfreiheit wird in Artikel 4 Abs. 1 GG für den einzelnen und nur um des umfassenden Schutzes für das Individuum willen auch für Weltanschauungsgemeinschaften geschützt. In Artikel 137 Abs. 3 WRV w i r d dieses Rechtsgut hingegen ausschließlich für die Weltanschauungsgemeinschaften (Artikel 137 Abs. 3 und Abs. 7 WRV) geschützt. Die eigenständige Bedeutung dieser Schutzgüter des Artikel 4 Abs. 1 GG und Artikel 137 Abs. 3 WRV folgt somit nicht aus dem sachlichen Gehalt der Schutzgüter - er ist beide Male derselbe - , sondern aus dem Subjekt (Individuum und/oder Gemeinschaft), für den die Verfassung diesen Wert schützen will. Mithin ist Artikel 137 Abs. 3 WRV hinsichtlich der Gewissens-, Glaubens- und Bekenntnisfreiheit für Weltanschauungsgemeinschaften lex specialis zu Artikel 4 Abs. 1 GG. Das eigenständige Rechtsgut Religionsausübung w i r d in Artikel 4 Abs. 2 GG für den einzelnen und nur um des umfassenden Schutzes für das Individuum willen auch für Religionsgemeinschaften (nicht für sonstige Weltanschauungsgemeinschaften) geschützt. In Artikel 137 Abs. 3 WRV wird dieses Rechtsgut hingegen ausschließlich für die Religionsgemeinschaften geschützt. Die eigenständige Bedeutimg dieser Schutzgüter der Artikel 4 Abs. 2 GG und 137 Abs. 3 WRV folgt auch hier nicht aus einem unterschiedlichen sachlichen Gehalt der Schutzgüter, sondern aus der unterschiedlichen Zielrichtung (Individuum, Gemeinschaft). Mithin ist Artikel 137 Abs. 3 WRV hinsichtlich der Religionsausübung für Religionsgemeinschaften lex specialis zu Artikel 4 Abs. 2 GG. Für den Regelungsgegenstand der Tendenzschutzbestimmungen des § 118 Abs. 2 BetrVG betriebliche Struktur geht somit Artikel 137 Abs. 3 WRV den Artikeln 4 Abs. 1 und 4 Abs. 2 GG als lex specialis vor. 102 Insoweit besteht in der Rechtslehre Übereinstimmung, vgl. Herzog, in: Maunz / Dürig, Rn. 24 zu Artikel 4 GG. Differenzen bestehen nur hinsichtlich der Frage, ob Schutzgut und Schutzbereich des Artikel 137 Abs. 3 WRV eigenständige Bedeutung haben (vgl. hierzu Anmerkung 84 zu B.III.).

2. Regelungsgegenstand betriebliche Struktur

143

Ausschließlich Artikel 137 WRV rechtfertigt den Rechtswert Alleinbestimmungsrecht des Arbeitgebers über die betriebliche Struktur in Religionsgemeinschaften. Artikel 137 WRV legitimiert diesen objektiven Rechtswert für religiöse und nichtreligiöse Weltanschauungsgemeinschaften in der Schutzform als verfassungsrechtliche Einrichtungsgarantie und als objektiver Rechtssatz. 2.2.2 Legitimation des Alleinbestimmungsrechts des Arbeitgebers bei „erzieherischen, konfessionellen und karitativen Unternehmen" sowie bei „karitativen und erzieherischen Einrichtungen von Religionsgemeinschaften" 2.2.2.1 Legitimation des Alleinbestimmungsrechts des Arbeitgebers bei „karitativen Unternehmen" Es wurde bereits dargelegt 103 , daß der Tatbestand des § 118 Abs. 1 Nr. 1 BetrVG für „Unternehmen, die unmittelbar und überwiegend ... karitativen ... Bestimmungen ... dienen" nur insoweit eigenständige Bedeutung hat, als die karitative Bestimmung des Unternehmens nicht zugleich ein weltanschauliches Bekenntnis oder eine Religionsausübung darstellt. Mit der allgemeinen Meinung in Schrifttum 1 0 4 wird daher davon ausgegangen, daß dieser Tatbestand nur Unternehmen erfaßt, deren karitative Zwecksetzungen weder religiöse noch nichtreligiöse weltanschauliche Fundierungen haben. Der objektive Rechtswert Alleinbestimmungsrecht des Arbeitgebers über die betriebliche Struktur kann daher bei den Tendenzschutzbestimmungen für karitative Unternehmen nicht durch die Artikel 4 Abs. 1, 4 Abs. 2 GG und 137 WRV verfassungsrechtlich legitimiert sein. Als Legitimationsnormen könnten neben Artikel 1 Abs. 1 GG die Artikel 2 Abs. 1, 12 Abs. 1 und 14 Abs. 1 GG in Betracht kommen. Unter B.II.2.1 wurde aufgezeigt, daß die zuletzt genannten Grundrechtsnormen den objektiven Rechtswert Alleinbestimmungsrecht des Arbeitgebers über die betriebliche Struktur nicht legitimieren können. Für Unternehmen mit karitativen Bestimmungen könnte der objektive Rechtswert Alleinbestimmungsrecht des Arbeitgebers über die betriebliche Struktur durch Artikel 2 Abs. 1 GG nur gerechtfertigt sein, wenn das Schutzgut des Artikel 2 Abs. 1 GG aufgrund seines Bezuges zu Artikel 1 Abs. 1 GG dann verstärkte Geltung hat, sobald die von Artikel 2 Abs. 1 GG gewährleistete Handlungsfreiheit bestimmten besonders hoch zu bewertenden Zwecken dient. Die herrschende Meinung 1 0 5 des Staatsrechts lehnt eine solche - je 103

s. hierzu die Ausführungen unter B.1.1.2.3. Vgl. Müller, G., in: Arbeitsrecht der Gegenwart, 1982, S. 52; Dietz / Richardi, Bd. 2, Rn. 32 zu § 118 BetrVG und Fitting / Auffarth, Rn. 12 zu § 118 BetrVG. los v g l y Münch, in: Grundgesetzkommentar, Rn. 19 zu Artikel 2 GG. 104

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Β. III. Verfassungsrecht und objektive Rechtswerte im Tendenzschutz

nach Zwecksetzung - abgestufte Geltungskraft der Handlungsfreiheit ab. Nach Auffassung der herrschenden Meinung würde nämlich eine solche Auffassung zu einer Verkürzung des Grundrechtsschutzes des Artikel 2 Abs. 1 GG führen. Dieser Auffassung ist zuzustimmen. Gegenteiliges läßt sich auch nicht aus dem unbestreitbaren Bezug der Grundrechtsnorm des Artikel 2 Abs. 1 GG zu Artikel 1 Abs. 1 GG herleiten. 106 Auch wenn Artikel 1 Abs. 1 GG die Wurzel und letzte Rechtfertigung der Grundrechtsnorm des Artikel 2 Abs. 1 GG ist, so ist gleichwohl Artikel 2 Abs. 1 GG eine eigenständige und selbständige Grundrechtsnorm, die als spezielle Norm dem Artikel 1 Abs. 1 GG vorgeht. Da Artikel 2 Abs. 1 GG eine abgestufte Geltungskraft des von ihm garantierten Freiheitsraums nicht kennt, kann dieses Schutzgut nicht durch Rückgriff auf Artikel 1 Abs. 1 GG verkürzt werden. Auch wenn karitativen Zwecksetzungen eine besondere Hochwertigkeit beizumessen ist, scheidet mithin Artikel 2 Abs. 1 GG als Legitimationsgrundlage für den objektiven Rechts wert Alleinbestimmungsrecht des Arbeitgebers über die betriebliche Struktur in karitativen Unternehmen aus. Als Legitimationsnorm für diesen objektiven Rechtswert könnte daher ausschließlich Artikel 1 Abs. 1 GG in Frage kommen, soweit ihm für den Regelungsgegenstand betriebliche Struktur bei karitativen Unternehmen eine eigenständige Bedeutung neben den Grundrechtsnormen der Artikel 2 Abs. 1 und 12 Abs. 1 GG zukommt. Zwischen Artikel 1 Abs. 1 und Artikel 2 Abs. 1 GG besteht nur insoweit ein Spezialitätenverhältnis, als es um die allgemeine Vertragsfreiheit als Ausfluß der in Artikel 2 Abs. 1 GG gewährleisteten Handlungsfreiheit geht. Die hier interessierende Frage ist aber, ob bestimmte zweckgerichtete Handlungen des Menschen, die seine Würde ausmachen, unmittelbar durch Artikel 1 Abs. 1 GG geschützt sind. Die herrschende Meinung 1 0 7 im Staatsrecht und das Bundesverfassungsgericht 108 erkennen an, daß Artikel 1 Abs. 1 GG neben anderen Grundrechtsnormen eine eigenständige Rechtsnorm von hohem Range ist, die auch die Schutzform eines Freiheits- und Abwehrrechtes enthält. G. Müller 109 hat eingehend dargelegt, daß jeder Mensch auf die menschliche Zuneigung des anderen angewiesen ist. Zur Vollmenschlichkeit des Menschen und damit zu seiner Würde gehöre daher die Möglichkeit der Hinwendung zum Mitmenschen. Demnach gehört auch die „säkularisierte", d. h. weltanschaulich nicht bestimmte Caritas zur Würde des Menschen und könnte durch das Schutzgut des Artikel 1 Abs. 1 GG verfassungsrechtlich geschützt sein. 106

Vgl. hierzu Dürig, in: Maunz / Dürig, Rn. 17 zu Artikel 1 Abs. 1 GG. Vgl. Zippelius, in: BK, Rn. 32 und 33 zu Artikel 1 GG. 108 BVerfGE 49, 89. 109 Müller, G., in: Arbeitsrecht der Gegenwart, 1982, S. 58. 107

2. Regelungsgegenstand betriebliche Struktur

145

Es bleibt jedoch die Frage, ob der Schutzbereich des Artikel 1 Abs. 1 GG die Verfolgung einer karitativen Zwecksetzung miterfaßt. Mit der von Dürig und Nipperdey begründeten herrschenden Meinung 1 1 0 ist davon auszugehen, daß die Abgrenzung der Schutzbereiche der Grundrechtsnormen des Artikel 1 Abs. 1 und Artikel 2 Abs. 1 GG nach den Kriterien statisch oder dynamisch vorgenommen werden kann. Artikel 2 Abs. 1 GG schützt danach den Menschen vor allem als Handelnden, Artikel 1 Abs. 1 GG schützt den Menschen in „seiner Wesenheit", als „ i n sich Ruhenden". Die Verfolgung karitativer Zwecksetzungen gehört demnach zum Schutzbereich des Artikel 2 Abs. 1 GG, weil dieser und nicht der Schutzbereich des Artikel 1 Abs. 1 GG den handelnden Menschen schützt. Es ist einzuräumen, daß die zuvor vorgenommene Abgrenzung noch einer eingehenden Prüfung ihrer Richtigkeit und Praktikabilität bedürfte. Die Aspekte „Handeln" und „In-sich-Ruhen" lassen sich nämlich nicht immer voneinander trennen. Die Übergänge sind fließend. M.E. wird man aber, solange die nicht weltanschaulich fundierte Caritas als konkretes Schutzgut des Artikel 1 Abs. 1 GG dogmatisch nicht präzise herausgearbeitet ist, nicht davon ausgehen können, daß die Verfolgung karitativer Zwecke durch ein eigenständiges und dem Artikel 1 Abs. 1 GG zuzuordnendes Handlungsfreiheitsrecht geschützt wird. Im übrigen wäre auch in diesem Fall der objektive Rechtswert Alleinbestimmungsrecht des Arbeitgebers über die betriebliche Struktur in karitativen Unternehmen noch nicht durch Artikel 1 Abs. 1 GG gerechtfertigt. Dies wäre nämlich nur dann der Fall, wenn die betriebsverfassungsrechtlichen Organisationsnormen über die Bildung des Betriebsrates, des Wirtschaftsausschusses usw. und die betriebsverfassungsrechtlichen Beteiligungsrechte des § 87 Abs. 1 Nr. 1 BetrVG und der §§ 90, 91 BetrVG dem Arbeitgeber die Verfolgung karitativer Zwecksetzungen unmöglich machten. Es sind keine Anhaltspunkte dafür ersichtlich, daß nicht weltanschaulich begründete karitative Zwecksetzungen eine bestimmte Struktur eines dem Unternehmenszweck Caritas dienenden Betriebes erforderten. Auch die Grundrechtsnorm des Artikel 1 Abs. 1 GG scheidet somit als verfassungsrechtliche Rechtfertigungsnorm aus. Als Ergebnis bleibt festzuhalten, daß der objektive Rechtswert Alleinbestimmungsrecht des Arbeitgebers über die betriebliche Struktur für karitative Unternehmen nicht durch Grundrechtsnormen verfassungsrechtlich legitimiert ist.

no . Vgl. Dürig, in: JR 52, 261 und Nipperdey, in: Die Grundrechte, Bd. IV/2, S. 741 ff. (742).

10 Marino

146

Β. III. Verfassungsrecht und objektive Rechtswerte im Tendenzschutz

2.2.2.2 Legitimation des Alleinbestimmungsrechts des Arbeitgebers bei „erzieherischen Unternehmen" Die Tendenzschutzbestimmung des § 118 Abs. 1 Nr. 1 BetrVG für erzieherisch bestimmte Unternehmen erfaßt Schulen und sonstige Erziehungseinrichtungen, soweit sie privatrechtlich organisiert sind und soweit sie nicht weltanschaulich bestimmt oder als Einrichtungen von Religionsgemeinschaften aufzufassen sind. 1 1 1 Aus den bereits dargelegten Gründen 1 1 2 scheiden neben den Artikeln 2 Abs. 1 und 12 Abs. 1 GG auch die „religionsrechtlichen" Verfassungsbestimmungen der Artikel 4 Abs. 1, 4 Abs. 2 GG und 137 WRV als verfassungsrechtliche Legitimationsnormen aus. Den objektiven Rechtswert könnten jedoch die Artikel 6 Abs. 2 und 7 Abs. 4 Satz 1 GG rechtfertigen. Obwohl die herrschende Meinung im Arbeitsrecht 113 bei der Tendenzschutzbestimmung über erzieherische Unternehmen nur einen Verfassungsbezug zu Artikel 7 Abs. 4 GG annimmt, ist auch Artikel 6 Abs. 2 GG als verfassungsrechtliche Legitimationsnorm in Erwägung zu ziehen. Hierauf hat G. Müller 114 bei seinen Untersuchungen über die Tendenzschutzbestimmungen des § 118 Abs. 1 BetrVG hingewiesen. Während der Schutzbereich des Artikel 7 Abs. 4 GG nur Privatschulen erfaßt, kann sich der Schutzbereich des Artikel 6 Abs. 2 GG auch auf sonstige Erziehungseinrichtungen erstrecken. Schutzgut des Artikel 6 Abs. 2 GG ist das Bestimmungsrecht der Eltern über die Erziehungsziele und Erziehungsmittel bei ihren Kindern. 1 1 5 Die Eltern sollen dieses Recht ohne staatliche Bevormundung ausüben dürfen. Diesem Schutzgut des Artikel 6 Abs. 2 GG kommt nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts 1 1 6 eine gleichrangige und selbständige Bedeutung neben dem aus der in Artikel 7 Abs. 1 GG garantierten Schulaufsicht des Staates folgenden Bestimmungsrecht des Staates über Erziehungsziele und Lehrmethoden und die Organisation des Schulwesens zu. Die Schutzgüter des Artikel 6 Abs. 2 GG und des Artikel 7 Abs. 1 GG stehen zueinander in Wechselwirkung, ohne daß dem einen oder dem anderen der Vorrang gebührte. 117 Das in Artikel 6 Abs. 2 GG gewährleistete Bestimmungsrecht der Eltern über Erziehungsziele und Erziehungsmethoden steht nicht nur Eltern für ihre leiblichen 111

s. hierzu die Ausführungen unter B.I.1.2.2.2. s. hierzu die Ausführungen unter B.III.2.1.1 und 2.1.2 sowie B.III.2.2. 113 Vgl. Dietz / Richardi, Bd. 2, Rn. 55 zu § 118 BetrVG und Galperin / Löwisch, Bd. 2, Rn. 19 zu § 118 BetrVG. 114 Müller, G., in: Arbeitsrecht der Gegenwart, 1982, S. 57. us v g l γ Münch, Ε. M., in: Grundgesetzkommentar, Rn. 17 zu Artikel 6 GG mit weiteren Nachweisen. 116 Vgl. BVerfGE 34, 165 und 47, 72. * 1 7 Vgl. BVerfGE 34, 165 und 47, 72. 112

2. Regelungsgegenstand betriebliche Struktur

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Kinder zu. Geschützt ist auch das Bestimmungsrecht des Scheinvaters, des nichtehelichen Vaters und der nichtehelichen Mutter sowie der Adoptiveltern. 1 1 8 Artikel 6 Abs. 2 GG schützt jedoch nicht ein Bestimmungsrecht weiterer Personen. Dies auch dann nicht, wenn die Eltern ihr Bestimmungsrecht aufgrund vertraglicher Abmachungen oder in sonstiger Weise auf andere Personen übertragen. Mithin kann Artikel 6 Abs. 2 GG nach seinem Schutzgut nur dann eine Legitimationsnorm für den objektiven Rechtswert Alleinbestimmungsrecht des Arbeitgebers (Unternehmensträgers) über die betriebliche Struktur in erzieherischen Unternehmen sein, wenn der Arbeitgeber und damit Träger des Unternehmens ausschließlich eine Personenvereinigung von Eltern ist und in solchen Unternehmen ausschließlich Kinder der Personenvereinigung erzogen werden, die den Unternehmensträger (Arbeitgeber) ausmachen. Ein solcher Fall eines erzieherisch bestimmten Unternehmens ist dem Verfasser nur bei privaten Kindergärten bekannt. In solchen Fällen ist Artikel 6 Abs. 2 GG auch nach seinem Schutzbereich als verfassungsrechtliche Legitimationsgrundlage für den objektiven Rechtswert Alleinbestimmungsrecht des Arbeitgebers über die betriebliche Struktur erzieherischer Unternehmen geeignet. Der Schutzbereich des Artikel 6 Abs. 2 GG erfaßt nämlich nicht nur den privaten familiären Raum, sondern auch den der staatlichen Schulaufsicht unterliegenden Lebensbereich der Erziehung außerhalb des familiären Bereichs. Die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zum Sexualkundeunterricht in Schulen bekräftigt diese Auffassung. 119 Artikel 6 Abs. 2 GG kommt als Legitimationsnorm des objektiven Rechtswertes Alleinbestimmung des Arbeitgebers über die betriebliche Struktur in erzieherischen Unternehmen in dem zuvor dargelegten Rahmen sowohl in seiner Schutzform als Abwehrrecht der Eltern gegen staatliche Eingriffe in ihr erzieherisches Bestimmungsrecht als auch als verfassungsrechtliche Institutsgarantie in Frage. 120 Artikel 6 Abs. 2 GG kann jedoch das Alleinbestimmungsrecht des Arbeitgebers (Unternehmensträgers) in erzieherischen Unternehmen, deren Träger ausschließlich die Eltern sind, nur dann legitimieren, wenn Entscheidungen über die betriebliche Struktur überhaupt das elterliche Bestimmungsrecht in Erziehungsfragen tangieren können. Dieses ist für die betriebsverfassungsrechtlichen Organisationsnormen hinsichtlich des Betriebsrates, der Jugendvertretung usw. allein nicht denkbar. Anders verhält es sich hingegen bei den betriebsverfassungsrechtlichen Beteiligungsrechten, soweit sie den Bereich des § 87 Abs. 1 BetrVG erfassen. Insoweit können sowohl Erziehungsziele als auch Erziehungsmethoden der Eltern tangiert sein. Die betriebliche Ordnung - in Schulen und Kindergär118 vgl. y Münch, Ε. M., in: Grundgesetzkommentar, Rn. 21 zu Artikel 6 GG mit weiteren Nachweisen. BVerfGE 47, 46 (75ff.). ι 2 0 Vgl. Maunz, in: Maunz / Dürig, Rn. 9 und 22 zu Artikel 6 GG. 1

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Β. III. Verfassungsrecht und objektive Rechtswerte im Tendenzschutz

ten also das Verhalten der Lehrer und Kindergärtner als Arbeitnehmer berührt unmittelbar Erziehungsziele und Erziehungsmethoden. Die Mitbestimmungsrechte des § 87 Abs. 1 Nr. 1 BetrVG tangieren daher das Schutzgut des Artikel 6 Abs. 2 GG. In Übereinstimmung mit der Rechtsprechung des B A G 1 2 1 und der herrschenden Meinung 1 2 2 im Arbeitsrecht muß jedoch davon ausgegangen werden, daß reine Informations- und Anhörungsrechte des Betriebsrats die Verwirklichung bestimmter Unternehmenszwecke nicht gefährden. G. Müller 123 hat zu Recht darauf hingewiesen, daß aber bereits eine Beratung über tendenzbezogene Maßnahmen die Tendenz, hier also das Bestimmungsrecht des Arbeitgebers (Eltern) über Erziehungsziel und Erziehungsmethoden, tangieren. Soweit daher die Träger erzieherischer Unternehmen Personenvereinigungen sind, deren Mitglieder ausschließlich Eltern sind, rechtfertigt Artikel 6 Abs. 2 GG in seiner Schutzform als Abwehrrecht und Institutsgarantie das Alleinbestimmungsrecht des Arbeitgebers über die betriebliche Struktur nur insoweit, als die betriebliche Struktur Bereiche betrifft, die von den betriebsverfassungsrechtlichen Beteiligungsrechten (Ausnahme: Informationsrechte!) des § 87 Abs. 1 Nr. 1 BetrVG erfaßt werden. Für die übrigen Bereiche der betrieblichen Struktur rechtfertigt hingegen Artikel 6 Abs. 2 GG den objektiven Rechtswert Alleinbestimmungsrecht des Arbeitgebers in erzieherischen Unternehmen nicht. Für Privatschulen kommt als verfassungsrechtliche Legitimationsnorm für den objektiven Rechts wert Alleinbestimmungsrecht des Arbeitgebers über die betriebliche Struktur in erzieherischen Unternehmen auch Artikel 7 Abs. 4 Satz 1 GG in Betracht. In den Schutzbereich des Art. 7 Abs. 4 Satz 1 GG fallen alle privatrechtlich organisierten Einrichtungen der Erziehung und des Unterrichts (Schulen), die durch planmäßige und methodische Unterweisung eines größeren Personenkreises in einer Mehrzahl allgemeinbildender oder berufsbildender Fächer bestimmte Bildungs- und Erziehungsziele zu verwirklichen bestrebt sind, auf gewisse Dauer angelegt und vom Wechsel der Lehrer und Schüler unabhängig sind. 1 2 4 Schutzgut des Artikel 7 Abs. 4 Satz 1 GG ist das Recht privater natürlicher oder juristischer Personen 125 sowie privatrechtlich organisierter Personenverbände, private Schulen zu errichten und zu betreiben sowie das Recht der Träger solcher Privatschulen, in diesen Schulen frei über Lehrziele, Lehrstoffe und Lehrmethoden entscheiden zu können. 126 Dieser Freiheits121 Vgl. BAG AP Nr. 4 zu § 118 BetrVG. ι 2 2 Dietz / Richardi, Rn. 142 mit weiteren Nachweisen aus der Rechtslehre. 123 Müller, G., in: Festschrift für Hilger und Stumpf, S. 501. 124 Maunz, in: Maunz / Dürig, Rn. 9 zu Artikel 7 GG. 125 Vgl. hierzu BVerwGE 40, 347 und Maunz, in: Maunz / Dürig, Rn. 70 zu Artikel 7 GG. 126 Maunz, in: Maunz / Dürig, Rn. 64 und 66 zu Artikel 7 GG.

2. Regelungsgegenstand betriebliche Struktur

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räum schließt auch die Entscheidungsfreiheit mit ein, darüber bestimmen zu können, wer die Lehrziele, Lehrmethoden usw. in einer Schule vermitteln soll (freie Lehrerwahl). 127 Allerdings ist dieser Schutz vor staatlichen Regelungen und Eingriffen in Privatschulen aufgrund des Artikel 7 Abs. 4 Satz 1 GG nicht vollkommen und absolut. Dies ergibt sich aus dem Zusammenhang von Artikel 7 Abs. 1 GG (staatliche Schulaufsicht) und Artikel 7 Abs. 4 Satz 1 GG. Die staatliche Schulaufsicht in Artikel 7 Abs. 1 GG beinhaltet nach der herrschenden Meinung 1 2 8 und der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts 129 auch ein staatliches Regelungsrecht in Privatschulen. Artikel 7 Abs. 4 Satz 1 GG garantiert mit den Worten des Bundesverfassungsgerichts keine staatsfreie Schule. 130 Das staatliche Bestimmungsrecht im Bereich der Privatschulen ist lediglich wegen des Schutzgutes des Artikel 7 Abs. 4 Satz 1 GG eingeschränkt. Das staatliche Bestimmungsrecht darf den Wesenskern des Schutzgutes des Artikel 7 Abs. 4 Satz 1 GG (Privatschulfreiheit) nicht verletzen. Die staatlichen Regelungen dürfen also nicht die Möglichkeit der Errichtung und den Bestand und damit auch das Selbstbestimmungsrecht der Privatschulen über Lehrziel, Lehrstoffe, Lehrmethoden und Lehrerauswahl im Kern treffen (Artikel 19 Abs. 2 GG). Soweit daher staatliche Regelungen über die betriebliche Struktur eines solchen erzieherischen Unternehmens dieses Bestimmungsrecht des privaten Schulträgers berühren, rechtfertigt das Schutzgut des Artikel 7 Abs. 4 Satz 1 GG den einfachrechtlichen Ausschluß gesetzlicher Regelungen zugunsten eines Alleinbestimmungsrechts des Arbeitgebers über die betriebliche Struktur. Man wird nicht sagen können, daß die betriebsverfassungsrechtlichen Organisationsnormen über die Bildung des Betriebsrates, über die Bildung von Jugendvertretungen und über die Errichtung des Wirtschaftsausschusses das erzieherische Bestimmungsrecht des Privatschulträgers im Kern berühren. Die Bildung eines Betriebsrates oder Wirtschaftsausschusses allein wirkt sich auf das erzieherische Bestimmungsrecht des Privatschulträgers nicht aus. Anders verhält es sich bei den Bereichen, die die betriebsverfassungsrechtlichen Beteiligungsrechte des § 87 Abs. 1 Nr. 1 BetrVG erfassen. Sie berühren den Kern des erzieherischen Bestimmungsrechts des Arbeitgebers (Unternehmensträgers), so daß insoweit aufgrund des Schutzgutes des Artikel 7 Abs. 4 Satz 1 GG ein Alleinbestimmungsrecht des Arbeitgebers (Unternehmensträgers) gerechtfertigt ist. Die Rechtfertigung des Alleinbestimmungsrechts des Arbeitgebers über die betriebliche Struk127

Maunz, in: Maunz / Dürig, Rn. 66 zu Artikel 7 GG. Vgl. Maunz, in: Maunz / Dürig, Rn. 19 und 64 zu Artikel 7 GG und Evers, Die Befugnis des Staates zur Festlegung von Bildungszielen in der pluralistischen Gesellschaft, 1979. 129 BVerfGE 27, 200ff. 130 So BVerfGE 27, 200 (201). 128

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Β. III. Verfassungsrecht und objektive Rechtswerte im Tendenzschutz

tur für diese Bereiche ist auch nach Schutzbereich und Schutzform des Artikel 7 Abs. 4 Satz 1 GG gegeben. Artikel 7 Abs. 4 Satz 1 ist eine verfassungsrechtliche Legitimationsnorm für das Alleinbestimmungsrecht des Trägers (Arbeitgebers) von Privatschulen sowohl in der Schutzform als Abwehrrecht des Trägers als auch als verfassungsrechtliche Einrichtungsgarantie. 1 3 1 Mithin rechtfertigt Artikel 7 Abs. 4 Satz 1 GG den objektiven Rechtswert Alleinbestimmungsrecht des Arbeitgebers über die betriebliche Struktur in der Schutzform als Abwehrrecht und als verfassungsrechtliche Einrichtungsgarantie insoweit, als die betriebliche Struktur die Sachbereiche betriebliche Ordnung (Verhalten der Arbeitnehmer) und Gestaltung des Arbeitsplatzes betrifft. Soweit bei Privatschulen sowohl Artikel 6 Abs. 2 als auch 7 Abs. 4 Satz 1 GG als Legitimationsnormen für den objektiven Rechtswert in Frage kommen, rechtfertigt ausschließlich Artikel 6 Abs. 2 GG als lex specialis zu Artikel 7 Abs. 4 GG das Alleinbestimmungsrecht des Arbeitgebers über die betriebliche Struktur in erzieherischen Unternehmen in den zuvor angegebenen Grenzen. Bei sonstigen Erziehungseinrichtungen, ζ. B. Kindergärten, ist das Alleinbestimmungsrecht des Arbeitgebers unter den dargelegten Voraussetzungen und Grenzen ausschließlich durch Artikel 6 Abs. 2 GG gerechtfertigt. 2.2.2.3 Legitimation des Alleinbestimmungsrechts des Arbeitgebers bei „konfessionellen Unternehmen" Es wurde bereits darauf hingewiesen 132 , daß die Tendenzschutzbestimmung des § 118 Abs. 1 Nr. 1 BetrVG für konfessionelle Unternehmen nur solche Unternehmen erfaßt, deren sachliches oder formales Unternehmensziel weltanschaulich geprägt ist, soweit es sich hierbei nicht um Unternehmen handelt, die als Religionsgemeinschaften oder als karitative und/oder erzieherische Einrichtungen von Religionsgemeinschaften aufzufassen sind. Als verfassungsrechtliche Legitimationsgrundlage für die Beachtung des objektiven Rechtswerts Alleinbestimmungsrecht des Arbeitgebers über die betriebliche Struktur in dieser Tendenzschutzbestimmung scheidet daher Artikel 137 Abs. 3 WRV aus. Als Legitiationsnormen kommen somit ausschließlich die Grundrechtsnormen des Artikel 4 Abs. 1 und 4 Abs. 2 GG in Betracht. Artikel 4 Abs. 1 GG kommt als verfassungsrechtliche Legitimationsnorm insoweit in Betracht, als sich die Verwirklichung des Unternehmenszieles als weltanschauliches Bekenntnis im Sinne des Artikel 4 Abs. 1 GG auffassen läßt. Ein weltanschauliches Bekenntnis können nur Handlungen sein, 131 Vgl. BVerfGE 6, 309 (355) und 27, 195 (200). ι 3 2 s. die Ausführungen unter B. 1.1.2.3.

2. Regelungsgegenstand betriebliche Struktur

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die Kundgebungscharakter gegenüber Dritten haben und damit von den Dritten ohne weiteres als weltanschauliches Bekenntnis zu erkennen sind. · In einem konfessionellen Unternehmen muß daher der Unternehmensgegenstand, also das sachliche Unternehmensziel, Dritten erkennbar weltanschaulich geprägt sein. Das ist etwa bei einem römisch-katholischen Eheanbahnungsinstitut der Fall. Hingegen trägt z.B. der Unternehmensgegenstand (das sachliche Unternehmensziel) einer Devotionalienhandlung keinem Dritten erkennbaren Bekenntnischarakter. Herstellung und Handel mit Devotionalien können aus anderen Gründen erfolgen als aus religiösen Überzeugungen. Artikel 4 Abs. 1 GG ist demnach als Legitimationsnorm für den objektiven Rechtswert Alleinbestimmungsrecht des Arbeitgebers über die betriebliche Struktur bei konfessionellen Unternehmen insoweit grundsätzlich geeignet, als das sachliche Unternehmensziel nach außen erkennbar weltanschaulichen Kundgebungscharakter hat. Artikel 4 Abs. 2 GG kann als verfassungsrechtliche Legitimationsnorm für den objektiven Rechtswert Alleinbestimmungsrecht des Arbeitgebers über die betriebliche Struktur in konfessionellen Unternehmen grundsätzlich insoweit geeignet sein, als das sachliche und/oder formale Unternehmensziel als Erfüllung einer göttlichen Weisung aufzufassen ist. Wegen seines Schutzgutes („Religionsausübung") scheidet Artikel 4 Abs. 2 GG aber als verfassungsrechtliche Rechtfertigungsnorm aus, soweit das sachliche und/oder formale Unternehmensziel nichtreligiös weltanschaulich geprägt ist. Das sachliche Unternehmensziel Krankenpflege oder Behindertenpflege kann nicht ohne weiteres als ein religiöses oder nichtreligiöses weltanschauliches Bekenntnis aufgefaßt werden. Es fällt daher nicht in den Schutzbereich des Artikel 4 Abs. 1 GG. Dieser Unternehmensgegenstand kann aber die Befolgung religiöser Weisungen darstellen. In diesem Falle unterfällt der Unternehmensgegenstand dem Schutzgut und Schutzbereich des Artikel 4 Abs. 2 GG (Religionsausübung). Soweit daher das sachliche Unternehmensziel privater Krankenhäuser (Heilung und Betreuung Kranker) als Erfüllung transzendenter religiöser Weisungen durch den Unternehmensträger aufgefaßt werden kann, erfaßt solche Krankenhäuser das Schutzgut und der Schutzbereich des Artikel 4 Abs. 2 GG. Mithin kann Artikel 4 Abs. 2 GG grundsätzlich den objektiven Rechtswert Alleinbestimmungsrecht des Arbeitgebers über die betriebliche Struktur in solchen konfessionellen Unternehmen rechtfertigen, deren sachliches oder formales Unternehmensziel als Erfüllung einer transzendenten göttlichen Weisung aufzufassen ist. Bei Unternehmen, deren sachliches Unternehmensziel ein nichtreligiös weltanschauliches darstellt, kommt nur Artikel 4 Abs. 1 GG als Legitimationsnorm in Betracht. Die Grundrechtsnormen des Artikel 4 Abs. 1 und Artikel 4 Abs. 2 GG rechtfertigen jedoch in ihren jeweiligen Grenzen das Alleinbestimmungs-

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Β. III. Verfassungsrecht und objektive Rechtswerte im Tendenzschutz

recht des Arbeitgebers nur insoweit, als die Festlegung der betrieblichen Struktur das religiöse oder das nichtreligiöse weltanschauliche Bekenntnis oder die Religionsausübung des Unternehmensträgers (Arbeitgebers) gefährden kann. Für den von den betriebsverfassungsrechtlichen Organisationsnormen erfaßten Bereich der betrieblichen Struktur kann dies nicht angenommen werden. Anders verhält es sich jedoch auch hier für die von den betriebsverfassungsrechtlichen Beteiligungsrechten des § 87 Abs. 1 Nr. 1 BetrVG erfaßten Sachbereiche der betrieblichen Struktur. Das Bekenntnis bzw. die Religionsausübung des Unternehmensträgers (Arbeitgebers) kann durch die Mitwirkung von Arbeitnehmern bei Fragen der betrieblichen Ordnung das Bekenntnis, aber auch die Religionsausübung des Arbeitgebers gefährden. Die genannten Grundrechtsnormen rechtfertigen daher insoweit den objektiven Rechtswert Alleinbestimmungsrecht des Arbeitgebers (Unternehmensträgers) über die betriebliche Struktur in konfessionellen Unternehmen in der Schutzform als Abwehrrechte des Arbeitgebers und in der Schutzform als objektive Rechtssätze. Artikel 4 Abs. 1 GG rechtfertigt den objektiven Rechtswert in solchen konfessionellen Unternehmen, deren sachliches Unternehmensziel sich als religiöses oder nichtreligiöses weltanschauliches Bekenntnis auffassen läßt. Artikel 4 Abs. 2 GG rechtfertigt diesen Rechtswert in solchen konfessionellen Unternehmen, deren sachliches und/oder formales Unternehmensziel sich als Erfüllung einer transzendenten religiösen Weisung auffassen läßt. 2.2.2.4 Legitimation des Alleinbestimmungsrechts des Arbeitgebers bei „karitativen und erzieherischen Einrichtungen von Religionsgemeinschaften" Die Tendenzschutzbestimmung des § 118 Abs. 2 BetrVG für karitative und erzieherische Einrichtungen von Religionsgemeinschaften erfaßt Unternehmen, deren Träger eine juristische Person oder ein Zweckverband ist, soweit sie karitative oder erzieherische Zwecksetzungen verfolgen, die als Teilziele einer religiösen oder nichtreligiösen Weltanschauung aufzufassen sind und von der entsprechenden Weltanschauung auch als solche Teilziele ihrer Gemeinschaft gebilligt werden. 133 Richardi 134 vertritt allerdings die Auffassung, daß lediglich karitative und erzieherische Einrichtungen von religiösen Weltanschauungsgemeinschaften unter § 118 Abs. 2 BetrVG zu subsumieren sind. Soweit die rechtlich selbständigen karitativen und 133 Vgl. hierzu Galperin / Löwisch, Bd. 2, Rn. 91 zu §118 BetrVG und Dietz/ Richardi, Bd. 2, Rn. 178 zu § 118 BetrVG. 134 Dietz / Richardi, Bd. 2, Rrf. 182 zu § 118 BetrVG.

2. Regelungsgegenstand betriebliche Struktur

153

erzieherischen Einrichtungen von Religionsgemeinschaften im Sinne des § 118 Abs. 2 BetrVG als Teile einer Weltanschauungsgemeinschaft aufgefaßt werden können, kommt mithin als Legitimationsnorm für den objektiven Rechtswert Alleinbestimmungsrecht des Arbeitgebers über die betriebliche Struktur in solchen erzieherischen und karitativen Einrichtungen Artikel 137 Abs. 3 (und Abs. 7) WRV in Frage. Verfassungsrechtlich können nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts erzieherische und karitative Einrichtungen als Teile einer Weltanschauungsgemeinschaft auch dann aufgefaßt werden, wenn sie weder rechtlich noch organisatorisch mit der Weltanschauungsgemeinschaft verknüpft sind. 1 3 5 Das Bundesverfassungsgericht hat ausgeführt, daß auch eine Einrichtung gleich welcher Rechtsform, die sich nicht die „allseitige, sondern nur die partielle Pflege des religiösen oder weltanschaulichen Lebens ihrer Mitglieder" zum Ziele gesetzt hat, verfassungsrechtlich als Teil der entsprechenden Weltanschauungsgemeinschaft aufgefaßt werden kann. 1 3 6 Für solche karitative und erzieherische Einrichtungen von Weltanschauungsgemeinschaften wäre danach der objektive Rechtswert Alleinbestimmungsrecht des Arbeitgebers über die betriebliche Struktur durch Artikel 137 WRV in vollem Umfange gerechtfertigt. Artikel 137 Abs. 3 WRV kann jedoch nach dem sachlichen Inhalt seines Schutzgutes (Gewissens-, Glaubens-, Bekenntnisfreiheit und Freiheit der Religionsausübung) den objektiven Rechtswert Alleinbestimmungsrecht des Arbeitgebers über die betriebliche Struktur nur in solchen karitativen und erzieherischen Einrichtungen von Weltanschauungsgemeinschaften schützen, deren sachliches'Unternehmensziel als weltanschauliches Bekenntnis oder deren sachliches und/oder formales Unternehmensziel als Erfüllung eines religiösen (göttlichen) Auftrags in dieser Welt aufzufassen ist. Für andere karitative und/oder erzieherische Einrichtungen von Weltanschauungsgemeinschaften kann der objektive Rechtswert nur durch Artikel 7 Abs. 4 GG in dem Umfange gerechtfertigt sein, der für die Tendenzschutzbestimmungen für erzieherische Unternehmen festgestellt wurde. Soweit karitative oder erzieherische Einrichtungen von Weltanschauungsgemeinschaften als Unternehmensgegenstand (sachliches Unternehmensziel) karitative (z.B. Krankenhäuser) oder erzieherische Dienstleistungen (z.B. Schulen, Kindergärten) vornehmen, können diese Dienstleistungen in der Regel nicht als Bekenntnis zu einer bestimmten Weltanschauung von Dritten aufgefaßt werden. Den Dienstleistungen einer anthroposophischen Behinderteneinrichtung wird man in der Regel das Bekenntnis zur Anthroposophie so wenig anmerken, wie den Rudolf-Steiner-Schulen. Mithin kann Artikel 137 Abs. 3 WRV den objektiven Rechtswert Alleinbestimmungsrecht 1 35 BVerfGE 24, 236 (246ff.); 46, 73 (86ff.) und 53, 366 (391 und 392). 136 BVerfGE 53, 366 (391 und 392).

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Β. III. Verfassungsrecht und objektive Rechtswerte im Tendenzschutz

des Arbeitgebers über die betriebliche Struktur in karitativen und in erzieherischen Einrichtungen, die Teilziele einer Weltanschauung verfolgen, nur dann rechtfertigen, wenn das sachliche Unternehmensziel (z.B. Krankenpflege) Dritten als Bekenntnis zu einer bestimmten nichtreligiösen oder religiösen Weltanschauung erkennbar ist. Dies wird nur in Ausnahmefällen zutreffen. Für karitative und erzieherische Einrichtungen von religiösen Weltanschauungsgemeinschaften gilt dies insoweit nicht, als die Zwecksetzungen und Handlungen (formale und/oder sachliche Unternehmensziele) karitativer oder erzieherischer Einrichtungen von Religionsgemeinschaften nach dem bekundeten Selbstverständnis der jeweiligen Religionsgemeinschaft als Erfüllung transzendenter Weisungen dieser Religionsgemeinschaft aufzufassen sind. Wegen des Schutzgutes Religionsausübung in Artikel 137 Abs. 3 WRV kommt es hier nämlich nicht darauf an, ob diese Caritas oder Erziehung Bekenntnischarakter hat. Das Bundesverfassungsgericht hat auch in einschlägigen Entscheidungen 137 immer nur zu karitativen Einrichtungen christlicher Kirchen Stellung genommen, die einen göttlichen Auftrag für Caritas kennen. Soweit es in seinen Entscheidungen darauf hinweist, daß seine Auffassungen auch für karitative und erzieherische Einrichtungen von nichtreligiösen Weltanschauungsgemeinschaften zutreffen, handelt es sich um obiter dicta. Mithin rechtfertigt Artikel 137 Abs. 3 WRV bei solchen karitativen und/oder erzieherischen Einrichtungen von Religionsgemeinschaften den objektiven Rechtswert Alleinbestimmungsrecht des Arbeitgebers über die betriebliche Struktur. Die hier vertretene Auslegung verletzt weder Artikel 3 Abs. 1 und Abs. 3 GG noch die in Artikel 137 Abs. 1 und Abs. 7 WRV festgelegte Gleichstellung aller Weltanschauungsgemeinschaften. 138 Die vorgenommene Differenzierung wird zum einen nicht ausschließlich zwischen nichtreligiösen und religiösen Weltanschauungsgemeinschaften getroffen, sondern sie differenziert auch zwischen Religionsgemeinschaften. Nach der hier vertretenen Auffassung werden nämlich ausschließlich karitative und erzieherische Einrichtungen von solchen Religionsgemeinschaften privilegiert, die nach ihrem jeweiligen Selbstverständnis zentrale transzendente Gebote im Bereich von Erziehung und Caritas kennen. So ist es z.B. sehr fraglich, ob etwa in einem buddhistischen oder hinduistischen Krankenhaus das Selbstbestimmungsrecht des Arbeitgebers über die betriebliche Struktur von Artikel 137 WRV legitimiert wird, obwohl auch zumindest bestimmte Ausprägungen des Buddhismus als religiöse Weltanschauung gewertet werden müssen. Für eine nichtreligiöse Weltanschau137

Vgl. BVerfGE 46, 73 ff. und 53, 366ff. 138 Vgl, hierzu v. Campenhausen, Staatskirchenrecht, § 113 (S. 76).

2. Regelungsgegenstand betriebliche Struktur

155

ungsgemeinschaft, die nach ihrem eigenen Selbstverständnis keine transzendente göttliche Weisung für Erziehung und Caritas erfüllen kann, folgt dies aus der Natur der Sache. Das Schutzgut des Artikel 137 Abs. 3 WRV und des Artikel 4 Abs. 2 GG Schutz der Erfüllung transzendenter Weisungen kann daher für diese Weltanschauungsgemeinschaften und für deren erzieherische oder karitative Einrichtungen nicht betroffen sein. Der objektive Rechtswert Alleinbestimmungsrecht des Arbeitgebers über die betriebliche Struktur in karitativen und/oder erzieherischen Einrichtungen von Religionsgemeinschaften ist nach alldem durch die Verfassungsnorm des Artikel 137 WRV nur für solche karitativen und/oder erzieherischen Einrichtungen verfassungsrechtlich gerechtfertigt, die mit ihren karitativen bzw. erzieherischen Zielsetzungen nach dem Selbstverständnis der entsprechenden Religionsgemeinschaft, der sie zuzuordnen sind, Caritas bzw. Erziehung als transzendente (göttliche) Weisungen erfüllen. Für die übrigen karitativen und erzieherischen Einrichtungen von religiösen und nichtreligiösen Weltanschauungsgemeinschaften rechtfertigt hingegen Artikel 137 WRV den objektiven Rechtswert Alleinbestimmungsrecht des Arbeitgebers über die betriebliche Struktur nur dann, wenn ausnahmsweise die karitativen oder erzieherischen Dienstleistungen solcher Einrichtungen als Bekenntnis aufzufassen sind. 2.2.2.5 Ergebnis Der objektive Rechtswert Alleinbestimmungsrecht des Arbeitgebers über die betriebliche Struktur ist für Unternehmen, die nach der einfachrechtlichen Auslegung der Tendenzschutzbestimmung für „karitative und erzieherische Unternehmen von Religionsgemeinschaften" (§ 118 Abs. 2 BetrVG) unterfallen, insoweit durch Artikel 137 Abs. 3 WRV gerechtfertigt, als es sich um Unternehmen handelt, deren karitative und/oder erzieherische sachliche Unternehmensziele für jeden erkennbar religiösen bzw. nichtreligiösen Bekenntnischarakter haben, oder als es sich um Unternehmen handelt, deren karitative und/oder erzieherische Zwecksetzung als Erfüllung einer transzendenten göttlichen Weisung aufgefaßt werden können, die von der jeweiligen Religionsgemeinschaft gebilligt und anerkannt ist. Artikel 137 WRV rechtfertigt den objektiven Rechtswert in solchen Einrichtungen in der Schutzform als Einrichtungsgarantie. Für die sonstigen, der Tendenzschutzbestimmung für karitative und erzieherische Einrichtungen von Religionsgemeinschaften des § 118 Abs. 2 BetrVG unterfallenden Unternehmen ist der objektive Rechtswert Alleinbestimmungsrecht des Arbeitgebers über die betriebliche Struktur verfassungsrechtlich nur insoweit gerechtfertigt, als diese als Privatschulen i.S.

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Β. III. Verfassungsrecht und objektive Rechtswerte im Tendenzschutz

des Art. 7 Abs. 4 Satz 1 GG aufzufassen sind. 1 3 9 Darüber hinaus kann der objektive Rechtswert auch in sonstigen Erziehungseinrichtungen, ζ. B. Kindergärten, gerechtfertigt sein, soweit sie von Eltern betrieben werden (Art. 6 Abs. 2 GG). Bei den übrigen der Tendenzschutzbestimmung des § 118 Abs. 2 BetrVG unterfallenden Unternehmen gibt es keine verfassungsrechtliche Rechtfertigung dieses objektiven Rechtswertes. Der objektive Rechtswert Alleinbestimmungsrecht des Arbeitgebers über die betriebliche Struktur ist bei der Tendenzschutzbestimmung für konfessionelle Unternehmen durch Artikel 4 Abs. 1 und Artikel 4 Abs. 2 GG in der Schutzform als Abwehrrecht des Arbeitgebers (Unternehmensträgers) und als objektive Rechtsnorm hinsichtlich der Bereiche der betrieblichen Struktur gerechtfertigt, die sich auf die betriebliche Ordnung beziehen. Für die übrigen Bereiche der betrieblichen Struktur rechtfertigen die genannten Verfassungsbestimmungen hingegen den objektiven Rechts wert Alleinbestimmungsrecht des Arbeitgebers nicht. Der objektive Rechtswert Alleinbestimmungsrecht des Arbeitgebers über die betriebliche Struktur ist bei der Tendenzschutzbestimmung für erzieherische Unternehmen durch Artikel 7 Abs. 4 Satz 1 GG bzw. Artikel 6 Abs. 2 GG in der Schutzform als Abwehrrecht oder als verfassungsrechtliche Einrichtungsgarantie gerechtfertigt, soweit sich die betriebliche Struktur auf die betriebliche Ordnung bezieht. Im übrigen rechtfertigen Artikel 7 Abs. 4 Satz 1 GG bzw. Artikel 6 Abs. 2 GG das Alleinbestimmungsrecht für die anderen Bereiche der betrieblichen Struktur nicht. Der objektive Rechtswert Alleinbestimmungsrecht des Arbeitgebers über die betriebliche Struktur ist bei karitativen Unternehmen verfassungsrechtlich nicht gerechtfertigt. Auch Artikel 1 Abs. 1 GG scheidet als verfassungsrechtliche Legitimationsnorm für diesen objektiven Rechtswert aus. 2.2.3 Legitimation des Alleinbestimmungsrechts des Arbeitgebers bei „politisch bestimmten Unternehmen" Artikel 21 Abs. 1 GG könnte in seiner Schutzform als Abwehrrecht der politischen Parteien und als verfassungsrechtliche Einrichtungsgarantie diesen objektiven Rechtswert rechtfertigen. In der Rechtslehre ist umstritten, ob Artikel 21 Abs. 1 GG als Grundrecht, das heißt als Abwehrrecht der Parteien aufzufassen ist. 1 4 0 Hingegen ist in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts und der Rechtslehre anerkannt 141 , daß Artikel 21 Abs. 1 GG eine verfassungsrechtliche Einrich139

Zum weiten verfassungsrechtlichen Begriff der Privatschule vgl. Fußnote 124. Vgl. Lipphart, Die Gleichheit der politischen Parteien vor der öffentlichen Gewalt, 1975, S. 119 und 693 und Maunz, in: Maunz / Dürig, Rn. 38 zu Artikel 21 GG. 141 Vgl. Henke, Das Recuit der politischen Parteien, 2. Aufl., 1972, S. 229. 140

2. Regelungsgegenstand betriebliche Struktur

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tungsgarantie enthält. Für die Untersuchung kann die Frage dahingestellt bleiben, ob Artikel 21 Abs. 1 GG ein Grundrecht enthält, da die Schutzform des Abwehrrechtes und die Schutzform einer verfassungsrechtlichen Einrichtungsgarantie gleiche Geltungskraft (Bindungswirkung für das einfache Recht) zukommt. Artikel 21 GG schützt bestimmte Vereinigungen (Parteien), weil sie unabdingbare Voraussetzung für die Staatswillensbildung in einer repräsentativen Demokratie sind. Schutzgut des Artikel 21 GG ist die demokratische Staatswillensbildung. Ihretwegen werden im gesellschaftlichen Vorfeld Vereinigungen geschützt, die eine politische Willensbildung mit dieser Zwecksetzung betreiben. Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts 142 und nach der herrschenden Meinung 1 4 3 schützt Artikel 21 GG den freien und offenen Prozeß der politischen Meinungs- und Willensbildung des Volkes in der Weise, daß die Gründung und Betätigung von aus eigener Kraft wirkenden und konkurrierenden Gruppen (Parteien) frei von staatlicher Einflußnahme gewährleistet wird. Artikel 21 GG gewährleistet nicht nur die Gründungs- und Programmfreiheit von Parteien, sondern gewährleistet nach allgemeiner Meinung 1 4 4 auch die freie Entfaltung der Parteien (Betätigungsund Bestandsgarantie). Die Gründungsfreiheit des Artikel 21 Abs. 1 Satz 2 GG würde nämlich leerlaufen, wenn sie nur den A k t der Entstehung einer Partei schützte. Das Bundesverfassungsgericht 145 und die Staatsrechtslehre 1 4 6 betonen zu Recht, daß die Bestands- und Betätigungsfreiheit von Parteien eine unabdingbare Voraussetzung der freiheitlich-demokratischen Grundordnung sind. Ähnlich wie Artikel 9 Abs. 1 GG garantiert auch Artikel 21 Abs. 1 GG in gewissem Umfange den Parteien die innere Autonomie (Organisationsfreiheit) 1 4 7 . Dieses Schutzgut des Artikel 21 Abs. 1 GG Organisationsfreiheit könnte somit auch den objektiven Rechtswert Alleinbestimmungsrecht des Arbeitgebers über die betriebliche Struktur in politischen Unternehmen rechtfertigen, wenn und soweit politische Unternehmen im Sinne des § 118 Abs. 1 BetrVG als Parteien im Sinne des Artikel 21 GG aufzufassen sind. Das Bundesverfassungsgericht 148 und die herrschende Meinung 1 4 9 haben aus 142

Vgl. BVerfGE 8, 51 (63); 12, 276 (280); 20, 56 (113). Häberle, Unmittelbare staatliche Parteienfinanzierung unter dem Grundgesetz, in: Jus 1967, 66ff. 144 Vgl. Grimm, Die politischen Parteien, im Handbuch des Verfassungsrechts, S. 335ff. (337). 145 So bereits BVerfGE 1, 208 (223). 148 Vgl. Grimm, S. 323ff. und 337. 147 Vgl. Hesse, W D S t R L 17, 30. "β Vgl. BVerfGE 8, 51 (63); 12, 276 (280); 20, 56 (113). 149 Vgl. Henke, S. 18 mit Literaturnachweisen. Die vom Bundesverfassungsgericht vertretene Auffassung, daß politische Parteien nur Vereinigungen sein können, die Wahlvorbereitungsfunktionen ausüben, kritisieren Häberle, Jus 1967, 67 ff. sowie Grimm, in: Handbuch des Verfassungsrechts, S. 324. 143

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Β. III. Verfassungsrecht und objektive Rechtswerte im Tendenzschutz

dem Schutzgut des Artikel 21 Abs. 1 GG abgeleitet, daß Vereinigungen nur dann Parteien im Sinne des Artikel 21 Abs. 1 GG sind, wenn sie - eine Einflußnahme auf die politische Willensbildung als Ziel verfolgen und - den Willen haben, an der Vertretung des Volkes im Deutschen Bundestag oder in einem Landtag mitzuwirken. Den Parteienbegriff w i r d man aber wohl etwas weiter als das Bundesverfassungsgericht zu bestimmen haben. Das Ziel der Einflußnahme auf die politische Willensbildung ist unerläßlich. Es finden sich aber Gruppen, die jedenfalls zur Zeit nicht den Willen haben dürften, darüber hinaus an der Vertretung des Volkes im Bundestag oder in einem Landtag mitzuwirken. Beispiel vielleicht: die von der FDP nicht mehr als ihre Jugendorganisation anerkannten Jungdemokraten. Eine solche Gruppierung wird aber doch ebenfalls entscheidend von ihrem Willen gekennzeichnet, politisch im Sinne ihrer Vorstellungen tätig zu sein. Auch deswegen wird man sogar m.E. Gruppen mit entschiedener politischer Zielsetzung als Parteien bezeichnen können, die aus ihrem politischen Verständnis heraus die Teilnahme am politischen Wahlwettbewerb überhaupt ablehnen. 150 Wirtschaftspolitische und sozialpolitische Vereinigungen wie etwa der Bundesverband der Deutschen Industrie und der Verband der Kriegsopfer wollen hingegen die politische Willensbildung nur in bestimmten Bereichen beeinflussen. Solche Vereinigungen können somit vom Schutzbereich des Artikel 21 Abs. 1 GG nicht erfaßt sein. Nach der herrschenden Meinung 1 5 1 unterfallen auch Nebenorganisationen einer Partei (vgl. § 27 Abs. 3 Parteiengesetz) nicht dem Artikel 21 Abs. 1 und Abs. 2 GG. Unter solchen Nebenorganisationen versteht man 1 5 2 Organisationen (gleich welcher Rechtsform und gleich, ob der Träger eine Einzelperson ist oder eine Vereinigung), - die rechtlich selbständig und nicht in die Partei eingegliedert sind - die die gleichen politischen (Teil-)Ziele der Partei verfolgen und sich insoweit an der Partei ausrichten und - die die Partei „programmgemäß" in bestimmten Bereichen (z.B. Verbreitung des Gedankenguts der Partei) unterstützen. Hierzu gehören daher nicht nur rechtlich selbständige Jugendorganisationen einer Partei (z.B. für die SPD die Falken) und parteipolitische Vereinigungen für bestimmte Lebensbereiche (z.B. früher Naturfreunde), sondern 150 o b eine Gruppierung letzterer Art verfassungsfeindliche Ziele verfolgt, kann hier dahingestellt bleiben. 151 Vgl. v. Mangoldt / Klein, Anm. I I I 3 b zu Artikel 21 GG. 152 s. Henke, Das Recht der politischen Parteien, S. 331 und 332.

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auch rechtlich selbständige Verlagsunternehmen (Parteizeitungen) und Stiftungen (z.B. Hanns-Seidel-Stiftung), die das Gedankengut der Partei vorbereiten, aufbereiten und verbreiten. Das Bundesverfassungsgericht hat zu der Frage, ob die Organisationsfreiheit des Artikel 21 Abs. 1 GG auch für Nebenorganisationen von Parteien gewährleistet ist, noch nicht Stellung genommen. 153 Im Gegensatz zur herrschenden Meinung ergibt eine Auslegung des Artikel 21 Abs. 1 GG nach Schutzgut und Schutzbereich, daß die Gewährleistung des Artikel 21 Abs. 1 GG auch auf die Nebenorganisationen einer Partei anzuwenden ist. Rechtsprechung und Rechtslehre sind übereinstimmend der Auffassung, daß es für die Anwendung des Artikel 21 Abs. 1 GG auf die Rechtsform nicht ankommen kann, in der sich eine Partei organisiert. 154 Einigkeit besteht auch darüber, daß die Partei Art und Umfang ihrer Organisation bestimmen kann, und daß ihr, über den wesentlichen Zweck (Vertretung des Volkes im Parlament) hinausgehend, die Freiheit gewährleistet ist, zusätzliche Zwecksetzungen zu bestimmen (Programmfreiheit). Den Parteien ist demnach freigestellt, in welchen Organisationsformen, in welcher Weise und mit welchen Mitteln sie die politische Willensbildung beeinflussen. Es kann daher keinen Unterschied machen, ob beispielsweise eine Jugendorganisation in die Partei eingegliedert ist oder nicht. Es kann auch keinen Unterschied machen, ob eine rechtlich selbständige Sonderorganisation - in welcher Rechtsform auch immer - in einem Teilbereich tätig ist und ein Teilziel einer Partei verfolgt. Eine andere Auffassung würde die Gründungsfreiheit und Betätigungsgarantie für politische Parteien in Artikel 21 Abs. 1 GG aushöhlen. Für die hier vertretene Auffassung sprechen auch die Überlegungen und Folgerungen, die das Bundesverfassungsgericht für Organisationen gezogen hat, die „partielle" Ziele einer Weltanschauungsgemeinschaft verfolgen. 155 Auch eine rechtlich selbständige Organisation, die Teilziele einer politischen Partei verfolgt und/oder in Teilbereichen tätig ist, w i r d daher durch Artikel 21 Abs. 1 GG geschützt. Ähnlich wie bei Artikel 137 WRV für partielle Weltanschauungsgemeinschaften kommt es für die Zuordnimg einer rechtlich selbständigen Organisation zu einer Partei allein darauf an, ob die rechtlich selbständige Organisation (Teil-)Ziele der Partei verfolgt und sich an den Zielsetzungen der Partei ausrichtet. Mithin erfaßt der Schutzbereich des Artikel 21 Abs. 1 GG politische Parteien bzw. entsprechende Gruppierungen und sonstige rechtlich selbstän153 Das Bundesverfassungsgericht hat in seinem KPD-Urteil lediglich entschieden, daß auf Nebenorganisationen von Parteien Artikel 21 Abs. 2 GG keine Anwendung findet (vgl. BVerfGE 5, 85 (392)). 154 Vgl. Henke, Das Recht der politischen Parteien, S. 117 f. 1 55 Vgl. hierzu BVerfGE 46, 73 (86ff.).

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dige Unternehmen (Nebenorganisationen), die Teilziele der Partei als formales Unternehmensziel verfolgen. Rechtlich selbständige Unternehmen, deren formales Hauptziel die Gewinnerzielung ist, unterfallen auch dann nicht dem Schutzbereich des Artikel 21 Abs. 1 GG, wenn sie mittelbar (finanziell) einer Partei dienen. So wenig eine Vereinigung als Partei zu qualifizieren ist, deren Hauptziel auf Gewinnerzielung gerichtet ist, so wenig kann eine rechtlich selbständige Organisation als Nebenorganisation einer Partei qualifiziert werden, deren Hauptziel die Gewinnerzielung ist. Vom Schutzbereich des Artikel 21 Abs. 1 GG erfaßte politische Unternehmen sind daher nur solche Unternehmen, deren formales Unternehmensziel die Beeinflussung der politischen Willensbildung ist und deren sachliches Unternehmensziel (Unternehmensgegenstand) hierfür geeignet ist. Es werden daher von Artikel 21 Abs. 1 GG keine „parteinahen Unternehmen" erfaßt, die der wirtschaftlichen Unterstützung der Partei oder ihrer Mitglieder dienen (z.B. Konsumgenossenschaften für Parteimitglieder). Soweit nach alldem Artikel 21 Abs. 1 GG nach Schutzgut und Schutzbereich grundsätzlich geeignet ist, den objektiven Rechtswert Alleinbestimmungsrecht des Arbeitgebers über die betriebliche Struktur bei politischen Unternehmen zu rechtfertigen, bleibt noch zu prüfen, in welchem Umfange Artikel 21 Abs. 1 GG ein Alleinbestimmungsrecht des Arbeitgebers (Unternehmensträgers) legitimiert. Die herrschende Meinimg ist der Auffassung, daß die in Artikel 21 Abs. 1 Satz 2 GG mitgarantierte Organisationsfreiheit der Parteien staatliche Strukturregelungen nicht ausschließe. So nimmt sie an, daß zivilrechtliche Ordnungsbestimmungen auch für Parteien grundsätzlich gelten. Demnach wäre auch eine Einschränkung des Alleinbestimmungsrechts des Arbeitgebers in politischen Unternehmen verfassungsrechtlich legitimiert. Allerdings enthält bereits die Verfassung eine staatliche Strukturregelung für die Organisation der Parteien. Sie sieht bindend vor, daß Parteien ihre innere Struktur entsprechend demokratischen Grundsätzen ausgestalten sollen. Das Verfassungsrecht geht einfachgesetzlichen sonstigen Regelungen über die innere Struktur von Parteien vor. Mit Hesse 156 w i r d man daher den Schluß ziehen müssen, daß sonstige staatliche Strukturregelungen für die innere Organisation von Parteien zumindest insoweit unzulässig sind, als sie eine innere Ordnung vorschreiben, die gegen demokratische Grundsätze verstößt oder die Einhaltung demokratischer Grundsätze gefährdet. Die demokratischen Grundsätze im Sinne des Artikel 21 Abs. 1 Satz 2 GG erfordern, daß die „innerhalb einer Partei und nach außen handelnden Funktionäre ausschließlich den Mitgliedern der Partei verantwortlich" sind und 156 Hesse weist in: Grundzüge unter § 5 I I 6 c Rn. 175 darauf hin, daß Artikel 21 Abs. 1 Satz 2 GG die innere Freiheit der Parteien nicht beschränke, sondern im Gegenteil herstellen und gewährleisten will.

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ausschließlich der Kontrolle der Parteimitglieder unterliegen. 157 Die Geschäftsführung und Organisation der Partei muß daher ausschließlich durch die Mitglieder der Partei legitimiert sein. 158 Die demokratischen Grundsätze im Sinne des Artikel 21 Abs. 1 GG erfordern somit, daß die betriebliche Struktur eines Unternehmens, das entweder als politische Partei oder als einer politischen Partei gleichzusetzendes Unternehmen zu qualifizieren ist, von den Mitgliedern der Partei, also von den Mitgliedern des politischen Unternehmens, legitimiert sein muß. Ein Bestimmungsrecht anderer Personen über die innere Struktur würde demokratischen Grundsätzen widersprechen. Auf die Vorschrift in § 118 Abs. 1 Nr. 1 BetrVG für politische Unternehmen übertragen, bedeutet dies, daß Artikel 21 Abs. 1 GG ein Alleinbestimmungsrecht des Arbeitgebers (Unternehmensträgers) von politischen Unternehmen rechtfertigt, soweit die von § 118 Abs. 1 BetrVG erfaßten politischen Unternehmen als politische Parteien und entsprechende Gruppierungen oder davon rechtlich selbständige Unternehmen zu qualifizieren sind, deren formales Unternehmensziel ein Teilziel einer politischen Partei darstellt. Das durch Artikel 21 Abs. 1 GG legitimierte Alleinbestimmungsrecht des Arbeitgebers über die politische Struktur rechtfertigt mittelbar auch ein Alleinbestimmungsrecht über die betriebliche Ordnung und über den technischen Arbeitsablauf. Der Sachbereich, den die entsprechenden betriebsverfassungsrechtlichen Beteiligungsrechte (§§87 Abs. 1 Nr. 1, 90 und 91 BetrVG) erfassen, setzt nämlich die von Artikel 21 Abs. 1 GG nicht legitimierten Organisationsnormen über die Bildung des Betriebsrates und des Wirtschaftsausschusses voraus. Soweit die Tendenzschutzbestimmungen für politische Unternehmen Unternehmen erfassen, die weder als politische Parteien noch als rechtlich selbständige Unternehmen, die Teilziele von politischen Parteien verfolgen, qualifiziert werden können, rechtfertigt Artikel 21 Abs. 1 GG nicht den objektiven Rechtswert Alleinbestimmungsrecht des Arbeitgebers (Unternehmensträgers) über die betriebliche Struktur. Aus weiter unten darzulegenden Gründen 1 5 9 scheidet hingegen das Demokratieprinzip als Legitimationsnorm für den objektiven Rechts wert Alleinbestimmungsrecht des Arbeitgebers über die betriebliche Struktur in politischen Unternehmen aus. Das DP ist nämlich eine verfassungsrechtliche Strukturentscheidung, in deren Schutzbereich im Unterschied zu Artikel 21 Abs. 1 GG ausschließlich der Staat 1 6 0 und nicht die Gesellschaft fällt. 157

So Maunz, in: Maunz / Dürig, Rn. 57 zu Artikel 21 GG. 158 vgl, v > Münch, in: Grundgesetzkommentar, Rn. 44 zu Artikel 21 GG. 159 s. die Ausführungen unter B.IV.2.1. 160 Zu der Notwendigkeit und Rechtfertigung einer rechtlichen Unterscheidung des Staates als Wirkungseinheit von der Gesellschaft, vgl. Grimm, in: Handbuch des Verfassungsrechts, S. 327ff. mit weiteren Nachweisen. 11 Marino

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Obwohl die herrschende Meinung 1 6 1 in Artikel 21 Abs. 1 GG eine konkrete Ausformung des DP sieht, erfaßt nur der Schutzbereich des Artikel 21 GG auch die Gesellschaft. Das Bundesverfassungsgericht 162 hat in seinem Parteienfinanzierungsurteil eingehend dargelegt, daß Regelungsziel und Regelungsbereich des Artikel 21 Abs. 1 GG nicht ausschließlich der Staat ist, sondern daß die Parteien als „ i m gesellschaftlich-politischen Bereich wurzelnde Gruppen" erfaßt sind. Es hat festgestellt, daß die Parteien nicht zu den obersten Staatsorgarien gehören. Artikel 21 Abs. 1 GG ordnet und gestaltet daher zumindest nicht ausschließlich die Willensbildung des Staates. Artikel 21 Abs. 1 GG verfolgt auch das Ziel, die Willensbildung des Volkes zu ordnen, also einen Prozeß, der sich außerhalb des Staates und der Staatswillensbildung vollzieht. So strittig im übrigen die Frage der verfassungsrechtlichen Stellung der Parteien auch sein mag, so besteht insoweit in Rechtsprechung und Rechtslehre weitgehend Übereinstimmung. Lediglich eine Mindermeinung 163 sieht in Artikel 21 Abs. 1 GG eine Inkorporation der Parteien in den Staat. 2.2.4 Legitimation des Alleinbestimmungsrechts des Arbeitgebers bei „koalitionspolitischen Unternehmen" Nach der herrschenden Meinung des Arbeitsrechts 164 unterfallen der Tendenzschutzbestimmung für koalitionspolitische Unternehmen Arbeitgeberund Arbeitnehmervereinigungen sowie rechtlich selbständige Unternehmen, deren sachliches und/oder formales Unternehmensziel ein (Teil-)Ziel einer Arbeitnehmer- oder Arbeitgebervereinigung darstellt, das von der Koalition gebilligt ist. Wie schon dargelegt wurde 1 6 5 , können weder Artikel 2 Abs. 1 noch Artikel 12 Abs. 1 noch Artikel 14 Abs. 1 GG den objektiven Rechtswert Alleinbestimmungsrecht des Arbeitgebers über die betriebliche Struktur rechtfertigen. Hingegen könnte Artikel 9 Abs. 3 GG als Legitimationsnorm für die Beachtung dieses objektiven Rechtswerts bei der Tendenzschutzbestimmung für koalitionspolitische Unternehmen geeignet sein. Artikel 9 Abs. 3 GG schützt nach der herrschenden Meinung 1 6 6 und der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts 167 nicht nur die freie Bildung von Koalitionen, sondern auch deren freies Fortbestehen. Das Schutz161

So Maunz, in: Maunz / Dürig, Rn. 5 zu Artikel 21 GG. BVerfGE 20, 56ff. 163 So wohl Leibholz, DVB1. 51, 2 ff. und Forsthoff, DÖV 56, 513. 164 Vgl. Dietz / Richardi, Bd. 2, Rn. 47 und 48 zu § 118 BetrVG mit weiteren Literaturnachweisen. 165 s. Ausführungen unter B.III.2.1.1 und 2.1.2. 166 v g l Scholz, in: Maunz / Dürig, Rn. 244 ff. zu Artikel 9 GG mit Nachweisen. le? Vgl. z.B. BVerfGE 4, 96 (109); 28, 295 (304). 162

2. Regelungsgegenstand betriebliche Struktur

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gut des Artikel 9 Abs. 3 GG w i l l darüber hinaus den Koalitionen einen Freiheitsraum für eine spezifisch koalitionsgemäße Betätigung absichern. 168 Schutzgut des Artikel 9 Abs. 3 GG ist somit auch die Absicherung der Funktionsentfaltung solcher Koalitionen. 1 6 9 Rechtsprechung 170 und Rechtslehre 1 7 1 stimmen darin überein, daß der Schutz des Artikel 9 Abs. 3 GG auf freien Fortbestand der Koalitionen den Koalitionen die freie Wahl ihrer (privatrechtlichen) Organistionsform und das Recht, ihre verbandsinterne Struktur festlegen zu können (Verbandsautonomie) sowie das Recht auf verbandsinterne Selbstbestimmung (Ausschluß von Fremdeinflüssen auf die innere Willensbildung) gewährleistet. Das Schutzgut des Artikel 9 Abs. 3 GG Verbandsautonomie und Freiheit der inneren Willensbildung könnte daher auch das Alleinbestimmungsrecht des Arbeitgebers über die betriebliche Struktur rechtfertigen, soweit die von der Tendenzschutzbestimmung erfaßten koalitionspolitischen Unternehmen als Koalitionen im Sinne des Artikel 9 Abs. 3 GG zu qualifizieren sind. Artikel 9 Abs. 3 GG enthält jedoch kein absolutes Verbot für staatliche Regelungen über die innere Struktur. Das Bundesverfassungsgericht hat mehrmals 172 dargelegt, daß die Koalitionsfreiheit des Artikel 9 Abs. 3 GG noch mehr als die allgemeine Vereinigungsfreiheit des Artikel 9 Abs. 1 GG „von vornherein der gesetzlichen Ausgestaltung" bedarf. Das Bundesverfassungsgericht geht davon aus, daß die Koalitionsfreiheit des Artikel 9 Abs. 3 GG in allen ihren Schichten (Gründungs-, Bestands- und Betätigungsgarantie) der einfachgesetzlichen Ausgestaltung bedarf. Dies auch deshalb, weil der Gegenstand der Gewährleistung sich auf wandelnde wirtschaftliche und soziale Bedingungen bezieht, die Möglichkeiten zu einfachrechtlichen Modifikationen und Fortentwicklungen lassen müssen. 173 Das Bundesverfassungsgericht räumt daher bei Artikel 9 Abs. 3 GG dem einfachen Gesetzgeber die Ermächtigung ein, die Koalitionsfreiheit zu gestalten und näher zu regeln. 174 Diese Einschränkung des Schutzgehalts des Artikel 9 Abs. 3 GG gilt auch für die von Artikel 9 Abs. 3 GG geschützte Verbandsautonomie und die Freiheit zur inneren Willensbildung in Koalitionen. Darüber hinaus nimmt die herrschende Meinung 1 7 5 an, daß der Schrankenvorbehalt des Artikel 9 Abs. 2 GG (Strafgesetze, verfassungsmäßige Ordnung oder Gedan168 Vgl. BVerfGE 19, 303 (312) und 20, 312 (319ff.) sowie Scholz, in: Maunz / Dürig, Rn. 241 und 255ff. zu Artikel 9 GG mit weiteren Nachweisen. 169 Vgl. Scholz, in: Maunz / Dürig, Rn. 159 zu Artikel 9 GG. 170 Vgl. BVerfGE 4, 96 (108) und 18, 18 (27 ff.). 171 Vgl. Scholz, in: Maunz / Dürig, Rn. 202, 203 und 204 sowie 246, 247 und 248 zu Artikel 9 GG mit umfangreichen Nachweisen der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts und des Schrifttums. 172 So BVerfGE 50, 290 (368) mit Nachweisen früherer Entscheidungen. 173 BVerfGE 50, 290 (368). "4 BVerfGE 50, 290 (368). 175 Vgl. hierzu Scholz, in: Maunz / Dürig, Rn. 337 zu Artikel 9 GG. 11*

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Β. III. Verfassungsrecht und objektive Rechtswerte im Tendenzschutz

ken der Völkerverständigung) auch für Artikel 9 Abs. 3 GG gelte. Mithin kann Artikel 9 Abs. 3 GG nach seinem Schutzgut den objektiven Rechtswert Alleinbestimmungsrecht des Arbeitgebers über die betriebliche Struktur bei koalitionspolitischen Unternehmen nur rechtfertigen, wenn gesetzliche Festlegungen der betrieblichen Struktur und betrieblichen Ordnimg in den Kernbereich der von Artikel 9 Abs. 3 GG gewährleisteten Verbandsautonomie oder den der freien Willensbildung bei Koalitionen eingreifen. Die von den betriebsverfassungsrechtlichen Organisationsnormen erfaßten Bereiche der betrieblichen Struktur berühren nicht den Kernbereich der Verbandsautonomie der freien Willensbildung für Koalitionen. Die betriebsverfassungsrechtlichen Organisationsnormen legen Strukturen fest, die für die Erreichung eines arbeitstechnischen Zweckes, nicht aber für die Verfolgung von Koalitionszwecken Bedeutung haben. Das Schutzgut des Artikel 9 Abs. 3 GG kann daher einen Ausschluß betriebsverfassungsrechtlicher Organisationsnormen nicht rechtfertigen. Hingegen fallen die Bereiche der betrieblichen Struktur, die die betriebsverfassungsrechtlichen Beteiligungsrechte des § 87 Abs. 1 Nr. 1 BetrVG (betriebliche Ordnung) erfassen, sowohl in den Kernbereich der für Koalitionen gewährleisteten Verbandsautonomie als auch der für Koalitionen gewährleisteten freien Willensbildung. Wie sich ein Arbeitnehmer in einer Arbeitgebervereinigung oder einer Arbeitnehmervereinigung verhalten darf oder nicht, kann für die von einer Koalition verfolgte Förderung von Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen eine Rolle spielen. Mithin rechtfertigt das Schutzgut des Artikel 9 Abs. 3 GG das Alleinbestimmungsrecht des Arbeitgebers zur Festlegung betrieblicher Strukturen, die sich auf den Bereich betriebliche Ordnung beziehen. Das Alleinbestimmungsrecht des Arbeitgebers über diese Bereiche der betrieblichen Struktur ist aber nur für solche koalitionspolitische Unternehmen im Sinne des § 118 Abs. 1 Nr. 1 BetrVG verfassungsrechtlich gerechtfertigt, die als Koalitionen im Sinne des Artikel 9 Abs. 3 GG zu qualifizieren sind. Der Schutzbereich des Artikel 9 Abs. 3 GG erfaßt nämlich nur Koalitionen. Nach der herrschenden Meinung und der Auffassung des Bundesverfassungsgerichts ist der Begriff der Koalition im Sinne des Artikel 9 Abs. 3 GG funktional zu bestimmen 176 , ohne daß es insoweit auf unterverfassungsrechtliche Begriffsbestimmungen ankommen kann (z.B. auf den unterverfassungsrechtlichen Begriff der Tariffähigkeit) 177 . Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts 178 und des B A G 1 7 9 sowie der herrschenden 176 So Scholz, Das Grundrecht der Koalitionsfreiheit anhand ausgewählter Entscheidungen zur Rechtsstellung von Gewerkschaften und Arbeitgeberverbänden, 1972, S. 14 mit Nachweisen der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts. 1 77 s. hierzu BVerfGE 4, 96 (107); 19, 303 (313 ff.). 178 Vgl. BVerfGE 4, 96 (106); 18, 18 (25); 38, 281 (303). 179 Vgl. BAGE 23, 320 (324).

2. Regelungsgegenstand betriebliche Struktur

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Meinung 1 8 0 umfaßt der Begriff Koalition Gewerkschaften und Arbeitgeberverbände sowie sonstige Vereinigungen, deren satzungsgemäße Aufgabe die Wahrnehmung der Interessen ihrer Mitglieder gerade in deren Eigenschaft als Arbeitnehmer oder Arbeitgeber ist. Es kommen nur freigebildete privatrechtliche Vereinigungen (keine Zwangsmitgliedschaft!) in Frage, ohne daß es auf die Rechtsform und Rechtsfähigkeit dieser Vereinigungen ankommt. Koalitionspolitische Unternehmen im Sinne des § 118 Abs. 1 Nr. 1 BetrVG werden daher vom Schutzbereich des Artikel 9 Abs. 3 GG nur insoweit erfaßt, als sie Unternehmen sind, deren Träger eine Personengesellschaft, eine sonstige privatrechtliche Vereinigung (z.B. nicht rechtsfähiger Verein) oder eine juristische Person ist. 1 8 1 Unternehmen von Einzelpersonen scheiden von vornherein aus (keine Vereinigung!). Das formale Unternehmensziel muß auf die Förderung der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen der Mitglieder des Trägers eines solchen Unternehmens gerichtet sein und nicht auf die Förderung der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen der Arbeitnehmer eines solchen Unternehmens. Soweit die Tendenzschutzbestimmung des § 118 Abs. 1 Nr. 1 BetrVG also auch Haus- und Grundbesitzervereine und Mietervereine erfassen sollte, oder von Koalitionen „abhängige" Banken und sonstige Wirtschaftsunternehmen, kann der objektive Rechtswert Alleinbestimmungsrecht des Arbeitgebers über die betriebliche Struktur nicht durch Artikel 9 Abs. 3 GG gerechtfertigt sein. Das formale Unternehmensziel der Mietervereine, der Haus- und Grundbesitzervereine ist nämlich nicht auf die Förderung der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen ihrer Mitglieder in ihrer Eigenschaft als Arbeitnehmer oder Arbeitgeber gerichtet. Von Koalitionen abhängige Banken verfolgen als hauptsächliches formales Unternehmensziel nicht die Wahrung und Förderung von Arbeitsund Wirtschaftsbedingungen, sondern erwerbswirtschaftliche Ziele. Von Artikel 9 Abs. 3 GG werden aber keine Vereinigungen erfaßt, die als formales Unternehmensziel unmittelbar und überwiegend erwerbswirtschaftliche Ziele und nicht die Wahrung und Förderimg der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen 182 verfolgen. Dies gilt auch dann, wenn sie mit den Koalitionen organisatorisch verbunden oder sonst von ihnen abhängig sind. Die Koalitionen müssen nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts 183 und des B A G 1 8 4 auch gegnerfrei sein. Aus diesem Grunde erfaßt Artikel 9 Abs. 3 GG auch keine gemeinsamen Einrichtungen der Tarif Vertragsparteien, auch wenn diese Einrichtungen nach dem einfachen Recht 180 v g l Hanau, Tarifvertrags-, Arbeitskampf-, Koalitionsrecht, Jus 76, 165 und Säcker, Grundprobleme der kollektiven Koalitionsfreiheit, 1969, sowie Scholz, Die Koalitionsfreiheit als Verfassungsproblem, 1971. 181 Vgl. Scholz, in: Maunz / Dürig, Rn. 196ff. zu Artikel 9 GG. 182 Vgl. BVerfGE 19, 303 (312); 20, 312 (319ff.). 183 BVerfGE 4, 96 (107); 18, 18 (28); 50, 290 (373). * 8 4 BAG in JZ 77, 470 (471).

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Β. III. Verfassungsrecht und objektive Recht s werte im Tendenzschutz

von der Tendenzschutzbestimmung für koalitionspolitische Unternehmen erfaßt sein sollten. Die herrschende Meinung 1 8 5 wendet die Tendenzschutzbestimmung für koalitionspolitische Unternehmen auch auf rechtlich selbständige Unternehmen an, die nicht in Koalitionen eingegliedert sind, die aber Zielsetzungen der Koalitionen in Teilbereichen verfolgen. Namentlich für Forschungsinstitute, Verlage und Zeitschriften sowie für Bildungseinrichtungen nimmt dies die herrschende Meinung an. Die Frage ist, ob das Alleinbestimmungsrecht des Arbeitgebers für bestimmte Bereiche der betrieblichen Struktur auch in solchen Unternehmen durch den Schutzbereich des Artikel 9 Abs. 3 GG gerechtfertigt ist. Zum Kernbereich des Schutzes des Artikel 9 Abs. 3 GG gehört die freie Wahl der Rechtsform und der Organisationsform. 186 Dieser Schutz würde ausgehöhlt, wenn es nicht im Ermessen einer Koalition stünde, ob sie Teilziele ihrer satzungsgemäßen koalitionspolitischen Zwecksetzung durch rechtlich selbständige Organisationen und Unternehmen verfolgen soll. Das gleiche gilt für die Entscheidung, ob eine Koalition die Wahrung und Förderung der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen in einem Teilbereich selbst oder durch eine rechtlich selbständige Organisation durchführt. Soweit daher „koalitionspolitische Unternehmen" in einem Teilbereich (Teil-)Ziele einer Koalition verfolgen, werden sie ebenfalls vom Schutzgut des Artikel 9 Abs. 3 GG erfaßt. Solche rechtlich von den Koalitionen selbständigen Unternehmen werden aber von Artikel 9 Abs. 3 GG nur erfaßt, wenn das Unternehmen in einem Teilbereich mit koalitionspolitischen Zielsetzungen tätig wird, ohne daß es erwerbswirtschaftliche Zielsetzungen verfolgt. Es kommt jedoch nicht darauf an, ob dieses rechtlich selbständige Unternehmen mit der Koalition organisatorisch verbunden oder sonst abhängig ist. Entscheidend ist nur, daß seine Zielsetzungen in einem Teilbereich von der jeweiligen Koalition als eigene Zielsetzung anerkannt wird. Artikel 9 Abs. 3 GG rechtfertigt nach all dem den objektiven Rechtswert Alleinbestimmungsrecht des Arbeitgebers (Unternehmensträgers) über die betriebliche Struktur in koalitionspolitischen Unternehmen nur insoweit, als es um die Festlegung der betrieblichen Ordnung (§87 Abs. 1 Nr. 1 BetrVG) geht. Diese Rechtfertigung des objektiven Rechtswertes Alleinbestimmung über die betriebliche Struktur erfaßt aber nur solche koalitionspolitische Unternehmen im Sinne des § 118 Abs. 1 Nr. 1 BetrVG, die entweder als Koalitionen im Sinne des Artikel 9 Abs. 3 GG zu qualifizieren sind oder nach ihrem formalen Unternehmensziel (Teil-)Ziele einer Koalition verfolgen, die von der entsprechenden Koalition anerkannt sind. 18 5 Vgl. Fitting / Auffarth, Rn. 10 zu § 118 BetrVG; Dietz / Richardi, Bd. 2, Rn. 47 zu § 118 BetrVG und Mayer-Maly, AR-Blattei, Tendenzbetrieb I D II. 186 Scholz, in: Maunz / Dürig, Rn. 196 und 197 zu Artikel 9 GG.

2. Regelungsgegenstand betriebliche Struktur

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Artikel 9 Abs. 3 GG gewährt diese sachliche Rechtfertigung des objektiven Rechtswertes in der Schutzform als Abwehrrecht des Trägers (Arbeitgebers) solcher koalitionspolitischer Unternehmen und in der Schutzform als verfassungsrechtliche Einrichtungsgarantie. Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts 187 , des B A G 1 8 8 und der herrschenden Meinung 1 8 9 im Schrifttum enthält Artikel 9 Abs. 3 GG sowohl ein Individual· als auch ein Gruppengrundrecht. Das kollektive Grundrecht der Koalitionsfreiheit gewährleistet den Koalitionen als solchen einen Freiheitsraum auf freien Bestand (ζ. B. Verbandsautonomie und freie Willensbildung) und koalitionsgemäße Betätigimg. Artikel 9 Abs. 3 GG enthält darüber hinaus nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts 190 und der herrschenden Meinung 1 9 1 in der Rechtslehre mehrere Einrichtungsgarantien. Von diesen Einrichtungsgarantien rechtfertigt die Koalitionsbestandsgarantie die Beachtung des objektiven Rechtswertes Alleinbestimmungsrecht des Arbeitgebers über den betrieblichen Strukturbereich betriebliche Ordnung, da sie die Verbandsautonomie und die Freiheit der inneren Willensbildung mitgarantiert. 1 9 2 2.2.5 Legitimation des Alleinbestimmungsrechts des Arbeitgebers bei „wissenschaftlichen oder künstlerischen Unternehmen" Wie bereits unter Β.1.1.2.6 dargelegt, erfaßt der Tatbestand der Tendenzschutzbestimmung des §118 Abs. 1 Nr. 1 BetrVG für „wissenschaftliche oder künstlerische Unternehmen" alle privatrechtlich organisierten Unternehmen, deren sachliches Unternehmensziel (Unternehmensgegenstand) auf wissenschaftliche Forschung und wissenschaftliche Lehre i.S. des Artikel 5 Abs. 3 GG bzw. auf die Herstellung und Verbreitung von Kunst i. S. des Artikel 5 Abs. 3 GG gerichtet ist. Da weder Artikel 2 Abs. 1 noch 12 Abs. 1 noch 14 Abs. 1 GG ein Alleinbestimmungsrecht des Arbeitgebers über die betriebliche Struktur rechtfertigen, kommen als verfassungsrechtliche Legitimationsnormen für den objektiven Rechtswert Alleinbestimmungsrecht des Arbeitgebers über die betriebliche Struktur in wissenschaftlichen oder künstlerischen Unternehmen nur die Artikel 5 Abs. 1 Satz 1 GG und 5 Abs. 3 GG in Betracht. 187

Vgl. BVerfGE 4, 96 (101 ff.); 17, 319 (333); 19, 303 (312 und 319); 28, 295 (304). 1 88 Vgl. BAGE 20, 175 (210). 189 Vgl. Scholz, in: Maunz / Dürig, Rn. 170 und 23 zu Artikel 9 GG mit weiteren Nachweisen. 190 vgl. BVerfGE 44, 322 (341). 191

Vgl. Scholz, in: Maunz / Dürig, Rn. 164 und 165 zu Artikel 9 GG. Zu den einzelnen Einrichtungsgarantien des Artikel 9 Abs. 3 GG s. Scholz, in: Maunz / Dürig, Rn. 242. Zu den Teilgewährleistungen der Koalitionsbestandsgarantie s. Scholz, in: Maunz / Dürig, Rn. 243ff. zu Artikel 9 GG. 192

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Β. III. Verfassungsrecht und objektive Rechts werte im Tendenzschutz

2.2.5.1 Die ausschließliche Eignung des Artikel 5 Abs. 3 GG und dessen Schutzformen Nach der herrschenden Meinung 1 9 3 und der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts 194 ist Artikel 5 Abs. 3 GG lex specialis zu den Kommunikationsgrundrechtsnormen des Artikel 5 Abs. 1 GG. Für die Träger „künstlerischer" oder „wissenschaftlicher" Unternehmen kommt somit ausschließlich Artikel 5 Abs. 3 GG als verfassungsrechtliche Legitimationsnorm in Betracht. Wegen des Spezialitätenverhältnisses der Grundrechtsnormen des Artikel 5 Abs. 3 GG zu Artikel 5 Abs. 1 Satz 1 GG scheidet auch aus, daß Artikel 5 Abs. 3 GG Wirkungen nur innerhalb der in Artikel 5 Abs. 2 GG festgelegten Schranken entfalten kann. Die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts 195 und die überwiegende Meinung 1 9 6 verneinen aus historischen und systematischen Gründen zu Recht, den Schrankenvorbehalt des Artikel 5 Abs. 2 GG auch auf die Grundrechtsnorm des Artikel 5 Abs. 3 GG anzuwenden. Das einfachrechtliche Gestaltungsprinzip Alleinbestimmungsrecht des Arbeitgebers über die betriebliche Struktur in künstlerischen und wissenschaftlichen Unternehmen könnte durch die Grundrechtsnorm des Artikel 5 Abs. 3 GG sowohl in der Schutzform eines Abwehrrechts des Trägers solcher Unternehmen als auch in der Schutzform als objektive Rechtsnorm legitimiert werden. Nach der herrschenden Meinung 1 9 7 und der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts 198 sind in Artikel 5 Abs. 3 GG beide Schutzformen enthalten. Die herrschende Meinung entnimmt hingegen dem Artikel 5 Abs. 3 GG lediglich eine Einrichtungsgarantie für die Universität und die akademische Selbstverwaltung. 199 Mit der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts 200 und der herrschenden Meinung 2 0 1 ist ferner davon auszugehen, daß auch juristische Personen und Personenvereinigungen Träger der Grundrechte der Freiheit der Kunst und der Wissenschaft sein kön193

Vgl. Scholz, in: Maunz / Dürig, Rn. 13 zu Artikel 5 Abs. 3 GG. ι 9 4 Vgl. BVerfGE 30, 173 (191 ff.); 33, 52 (70ff.) und 35, 202 (244); vgl. auch BVerwGE 1, 303 (305 ff.). 195 Vgl. BVerfGE 30, 175 (191ff.); 33, 52 (70ff.) und 35, 202 (244). 196 v. Mangoldt TKlein, Anm. X 6 zu Artikel 5 GG; Müller, F , JZ 1970, 87 (89); Ott, Jus 68, 459 (461); Böckenförde / Greiffenhagen, Jus 66, 359 (363); Scholz, in: Maunz / Dürig, Rn. 11 zu Artikel 5 Abs. 3 GG mit umfangreichen Literaturnachweisen auch über die gegenteilige Auffassung. 197 Scholz, in: Maunz / Dürig, Rn. 3 und 81 zu Artikel 5 Abs. 3 GG mit weiteren Literaturnachweisen. !98 Für die Kunstfreiheit: BVerfGE 30,173 (187ff.); 36, 321 (331 ff.); für die Wissenschaftsfreiheit: BVerfGE 35, 79 (112ff.). 199 s. hierzu Scholz, in: Maunz / Dürig, Rn. 4 und 131 ff. zu Artikel 5 Abs. 3 GG mit weiteren Nachweisen. 200 Vgl. BVerfGE 15, 262 (264); 21, 373; 31, 322. 201 Vgl. Scholz, in: Maunz / Dürig, Rn. 124 und 125 zu Artikel 5 Abs. 3 GG.

2. Regelungsgegenstand betriebliche Struktur

169

nen. Grundrechtsträger des Artikel 5 Abs. 3 GG sind daher neben einzelnen nicht nur die Universitäten. Für die verfassungsrechtliche Legitimation des objektiven Rechtswertes Alleinbestimmungsrecht des Arbeitgebers über die betriebliche Struktur ist es somit gleichgültig, ob der Träger eines künstlerischen oder wissenschaftlichen Unternehmens eine juristische Person, eine Personenvereinigung oder eine einzelne natürliche Person ist. 2.2.5.2 Legitimation bei „wissenschaftlichen Unternehmen" durch Artikel 5 Abs. 3 GG Artikel 5 Abs. 3 GG schützt neben dem Bereich Kunst auch den für die Entfaltung des einzelnen und seiner menschlichen Würde unverzichtbaren Bereich der wissenschaftlichen Forschung und wissenschaftlichen Lehre, also die wissenschaftliche Betätigung. 202 Das Bundesverfassungsgericht 203 definiert Wissenschaft als „alles, was nach Inhalt und Form als ernsthafter, planmäßiger Versuch zur Ermittlung der Wahrheit anzusehen ist". Schutzgut des Artikel 5 Abs. 3 GG ist es, die eigenverantwortliche Suche nach objektiven Erkenntnissen zu ermöglichen. Dies setzt unter anderem ein wertungsneutrales Verhalten des Staates voraus. 204 Die Methode und Art des wissenschaftlichen Strebens nach Erkenntnis dürfen daher nicht von Dritten, also auch nicht vom Staat, vorgegeben werden. Wäre es anders, so würde das Schutzgut des Artikel 5 Abs. 3 GG, nämlich die Wissenschaftsfreiheit, ausgehöhlt. Die von Artikel 5 Abs. 3 GG geschützte wissenschaftliche Betätigung umfaßt nicht nur den wissenschaftlichen Schaffensprozeß, sondern auch die wissenschaftliche Erkenntnis selbst und die Verbreitung und lehrmäßige Vermittlung wissenschaftlicher Erkenntnisse. 205 Objektive Wissenschaft muß intersubjektiv ausweisbar und nachvollziehbar sein. Die Wahrheit ist nämlich letztlich für alle Menschen wichtig. 2 0 6 Die herrschende Meinung 2 0 7 und die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts 208 betonen zu Recht, daß Artikel 5 Abs. 3 GG nicht nur die Freiheit von Forschung und Lehre an Hochschulen schütze. Der Schutzbereich des Artikel 5 Abs. 3 GG erfaßt vielmehr jede wissenschaftliche Betäti202 Wissenschaft ist nach allgemeiner Meinung der Oberbegriff für Forschung und Lehre, s. hierzu Dreier, DVB1 1980, 471. 203 BVerfGE 35, 79 (113). 204 s. hierzu Scholz, in: Maunz / Dürig, Rn. 95 und 100 zu Artikel 5 Abs. 3 GG. 205 So die Definition von Wissenschaft bei Scholz, in: Maunz / Dürig, Rn. 101 zu Artikel 5 Abs. 3 GG. 206 Das ist letztlich die Wahrheitsfrage im Sinne der philosophia perennis. 207 Vgl. Knemeyer, Lehrfreiheit, 1969. 208 BVerfGE 35, 79 (112).

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Β. III. Verfassungsrecht und objektive Rechtswerte im Tendenzschutz

gung, gleichgültig in welcher Struktur und Rechtsform sie betrieben w i r d 2 0 9 . Die wissenschaftliche Betätigung in privatrechtlich organisierten Unternehmen wird daher genauso von Artikel 5 Abs. 3 GG geschützt wie diejenige in öffentlich-rechtlichen Hochschulen. Der Schutzbereich des Artikel 5 Abs. 3 GG erfaßt sowohl die wissenschaftliche Suche als auch die Vermittlung und Verbreitung wissenschaftlicher Erkenntnisse. Auch privatrechtliche Unternehmen, die nur in dem Teilbereich Verbreitung und Vermittlung wissenschaftlicher Erkenntnisse tätig sind, fallen daher in den Schutzbereich des Artikel 5 Abs. 3 GG. Da Artikel 5 Abs. 3 GG die wissenschaftliche Betätigung schützt, kann Artikel 5 Abs. 3 GG den objektiven Rechtswert Alleinbestimmungsrecht des Arbeitgebers über die betriebliche Struktur nur in solchen Unternehmen legitimieren, deren Unternehmensgegenstand (sachliches Unternehmensziel) wissenschaftliches Schaffen und/oder Vermittlung von wissenschaftlichen Erkenntnissen beinhaltet. Hingegen kann es auf das formale Unternehmensziel nicht ankommen. Ob der Träger des Unternehmens seine wissenschaftliche Betätigung mit Gewinnerzielungsabsicht betreibt oder nicht, ob der Träger eines Unternehmens die wissenschaftliche Betätigung im Auftrag anderer betreibt oder nicht, kann für die Rechtfertigung durch Artikel 5 Abs. 3 GG keine Rolle spielen. Soweit daher in der arbeitsrechtlichen Literatur die Tendenzschutzbestimmungen der betriebs- und unternehmensbezogenen Mitbestimmung restriktiv ausgelegt werden, läßt sich diese Auffassung zumindest verfassungsrechtlich nicht begründen. Dies gilt zum einen für die Meinung, wonach Forschungseinrichtungen unter privatrechtlicher Trägerschaft nicht unter diese Tendenzschutzbestimmungen fallen, wenn sie zweckgebunden (und abhängig) im Auftrag Dritter Forschung betreiben. 210 Das trifft aber auch auf die Auffassung der209 BVerfGE 43, 242 (267 bis 268). 210 So Wendeling-Schröder, AuR 1984, 328f. Zwar lehnt die Autorin die Theorie von der verfassungsrechtlichen Verankerung des Tendenzschutzes ab (S. 329f.), sie kommt aber bei einer „aus den Wertungen des Grundgesetzes orientierte(n) und der Bedeutung des Betriebsverfassungsrechts Rechnung tragende(n) Interpretation des Tendenzschutzes im Bereich der Wissenschaft", (S. 332) zu dem Ergebnis, daß sich Forschungseinrichtungen, bei denen „die Richtung" der Forschung, die Fragen, welche Forschungsergebnisse „verschlossen werden" und „welche Fragestellungen nicht weiter verfolgt werden" von „externen", nicht „an den Maximen der Wissenschaft" orientierten Interessen abhängen, nicht auf den Tendenzschutz für wissenschaftliche Unternehmen berufen könnten. Eine „an den Wertungen des Grundgesetzes" ausgerichtete Interpretation des Tendenzschutzes i m Bereich der Wissenschaft hat aber gerade auch die Entscheidung des Art. 5 Abs. 3 als Abwehrrecht und als objektive Rechtsnorm zugunsten einer freien, d.h. auch von gesetzlichen Regelungen freien Wissenschaft in jedem ihrer Teilbereiche zu beachten, die in den Schutzbereich des Art. 5 Abs. 3 fallen. Auch wenn die „Richtung", also die Fragestellung einer Forschung und die Art der Verwertung von Forschungsergebnissen vorgegeben ist, ändert dies nichts daran, daß in solchen Fällen intersubjektiv ausweisbar und nachvollziehbar wissenschaftliche Erkenntnisse angestrebt werden, mithin Wissenschaft betrieben wird. Die gegenteilige Auffassung verkürzt den Schutzbereich (und damit

2. Regelungsgegenstand betriebliche Struktur

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jenigen zu, die eine Anwendung dieser Tendenzschutzbestimmungen auf Unternehmen ausschließen, die Forschung kommerziell betreiben, deren formales Unternehmensziel also die Gewinnerzielung ist. 2 1 1 Hierauf hat Löwisch 212 zu Recht hingewiesen. Artikel 5 Abs. 3 GG kann somit auch in allen privatrechtlich organisierten Unternehmen, die Wissenschaft betreiben (Unternehmensgegenstand), die Freiheit des Trägers schützen, selbst die betriebliche Struktur in seinem Unternehmen festlegen zu können. Das Bundesverfassungsgericht hat in seinem sogenannten Hochschulurteil 213 festgestellt, daß die Wissenschaftsfreiheit keine bestimmte Organisation des Wissenschaftsbetriebes an den Hochschulen vorschreibe. Das angezogene Urteil läßt keinen Zweifel daran, daß es keine gesetzgeberische Gestaltungsfreiheit für wissenschaftsrelevante Angelegenheiten geben dürfe. Artikel 5 Abs. 3 GG beinhaltet die grundsätzliche Entscheidimg, daß sich der Staat jeglichen Eingriffs in die wissenschaftliche Betätigung enthalten soll. Zur wissenschaftlichen Betätigung gehört zwangsläufig auch die Organisation wissenschaftlichen Schaffens. Da das wissenschaftliche Schaffen autonom sein soll, wird somit auch privatrechtlich organisierten wissenschaftlichen Unternehmen die Freiheit gewährt, wie sie ihre wissenschaftliche Arbeit organisieren und strukturieren. Artikel 5 Abs. 3 GG schließt jedes staatlich vorgegebene Organisationsprinzip aus, gleichgültig, ob es der Staat für eine wissenschaftliche Betätigung als sinnvoll ansieht oder nicht. Soweit daher der Träger eines Unternehmens in seinem Unternehmen Wissenschaft betreibt, wird ihm durch Artikel 5 Abs. 3 GG volle Autonomie der inneren Struktur seines Unternehmens, sei es auf Betriebs-, sei es auf Unternehmensebene gewährt. Der objektive Rechtswert Alleinbestimmungsrecht des Arbeitgebers (Unternehmensträgers) über die betriebliche Struktur eines wissenschaftlichen Unternehmens ist somit durch das Schutzgut des Artikel 5 Abs. 3 GG gerechtfertigt. Er ist durch Artikel 5 Abs. 3 GG für alle Unternehmen gerechtfertigt, deren sachliches Unternehmensziel (Unternehmensgegenstand) auf den wissenschaftlichen Schaffensprozeß und/oder die Vermittlung von wissenschaftlichen Erkenntnissen gerichtet ist. Unerheblich ist dabei, mit welauch das Schutzgut) des Art. 5 Abs. 3 GG auf „zweckfreie wissenschaftliche Betätigungen". Die Entscheidung des Art. 5 Abs. 3 für ein wertungsneutrales Verhalten des Staates erfordert aber unbedingt, daß der Staat nicht darüber entscheiden darf, was zweckfreie „eigenständige" und „eigengesetzliche Wissenschaft" ist. 211 Für die betriebsbezogene Mitbestimmung: so neben Wendeling-Schröder, AuR 1984, 328f., Fabricius, GK zum BetrVG, Rn. 56 und 60 ff. zu § 118 BetrVG; Fitting / Auffarth, Rn. 14 zu § 118 BetrVG; Gnade / Kehrmann / Schneider / Blanke, Rn. 19 zu §118 BetrVG; Kamman / Hess / Schlochauer, Rn. 19 zu §118 BetrVG. - Für die unternehmensbezogene Mitbestimmung: Naendrup, GK zum MitbestG, Rn. 40 zu § 1 MitbestG; Fitting / Wlotzke / Wißmann, MitbestG, Rn. 34 zu § 1 MitbestG; Raiser, MitbestG, Rn. 39 zu § 1 MitbestG. 212 Löwisch, in: Galperin / Löwisch, Bd. 2, Rn. 20 a zu § 118 BetrVG. 2 13 BVerfGE 35, 79ff.

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Β. III. Verfassungsrecht und objektive Rechtswerte im Tendenzschutz

chem formalen Unternehmensziel (Gewinnerzielungsabsicht oder ideelle Zielsetzungen) die wissenschaftliche Betätigung in solchen Unternehmen betrieben wird. Soweit der Tendenzschutzbestimmung des § 118 Abs. 1 Nr. 1 BetrVG solche Unternehmen unterfallen, ist der objektive Rechtswert Alleinbestimmungsrecht des Arbeitgebers über die betriebliche Struktur sowohl durch das Grundrecht (Abwehrrecht) des Unternehmensträgers eines solchen Unternehmens aus Artikel 5 Abs. 3 GG als auch durch die Schutzform des Artikel 5 Abs. 3 GG als objektive Rechtsnorm verfassungsrechtlich legitimiert. 2.2.5.3 Legitimation bei „künstlerischen Unternehmen" durch Artikel 5 Abs. 3 GG Artikel 5 Abs. 3 GG schützt neben der wissenschaftlichen Betätigung auch die künstlerische Betätigung (Kunstfreiheit). Der verfassungsrechtliche Kunstbegriff ist sehr umstritten. Es gibt zahlreiche, zwangsläufig offene Definitionsversuche des Begriffes Kunst im Sinne des Artikel 5 Abs. 3 GG. 2 1 4 Das Bundesverfassungsgericht 215 sieht das Wesentliche einer künstlerischen Betätigung in der freien schöpferischen Gestaltung, „ i n der Eindrücke, Erfahrungen und Erlebnisse des Künstlers durch das Medium einer bestimmten Formensprache" zu unmittelbarer Anschauung gebracht werden. Zur Bestimmung dessen, was Kunst ist, kann es weder ausschließlich auf das Selbstverständnis des Künstlers noch ausschließlich auf die Meinung Dritter, vor allem Kunstsachverständiger (sogenannte Drittanerkennung 216 ) ankommen. Wäre es anders, könnte jedermann vorgeben, er sei Künstler. Umgekehrt könnte der Staat mittels Sachverständiger bestimmen, was Kunst ist (staatliches Kunstrichtertum) und damit die Kunstfreiheit ebenfalls ad absurdum führen. Berücksichtigt man die zuvor aufgeführten wesentlichen Elemente des künstlerischen Selbstverständnisses und der Drittanerkennung (Kunstsachverständige), so kann man mit Scholz 217 davon ausgehen, daß Kunst jeder schöpferisch-individuale Akt sinnlichanschaulicher Formgebung ist, der der objektivierte Ausdruck eines persönlichen Erlebnisses oder einer persönlichen Sicht seines Schöpfers und auf kommunikative Sinnvermittlung nach außen gerichtet ist. Damit wird klar, daß die von Artikel 5 Abs. 3 GG geschützte künstlerische Betätigung nicht 214 Vgl. hierzu Scholz, in: Maunz / Dürig, Rn. 22 ff. zu Artikel 5 Abs. 3 GG mit umfangreichen Literaturnachweisen. 215 Vgl. BVerfGE 30, 173 (188 bis 189). 216 So aber Schick, JZ 70, 645 (646) und v. Münch, in: Grundgesetzkommentar, Rn. 60 zu Artikel 5 GG. 217 Scholz, in: Maunz / Dürig, Rn. 29 zu Artikel 5 Abs. 3 GG.

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nur den Prozeß des künstlerischen Gestaltens, sondern auch das Kunstwerk („Objektivation") sowie die kommunikative Vermittlung des Kunstwerkes umfaßt. Soweit daher Unternehmen künstlerisch gestalten und/oder Kunstwerke kommunikativ vermitteln, fallen sie als „künstlerische Unternehmen" in den Schutzbereich des Artikel 5 Abs. 3 GG. Nach der herrschenden Meinung 2 1 8 und der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts 219 erfaßt Artikel 5 Abs. 3 GG nicht nur den künstlerischen „Werkbereich" (Schaffensprozeß), sondern auch den sogenannten „Wirkbereich", also den Bereich der kommunikativen Vermittlung des Kunstwerks. Bei solchen künstlerischen Unternehmen ist es unerheblich, mit welchem formalen Unternehmensziel (z.B. Gewinnerzielungsabsicht) sie die künstlerische Betätigung vornehmen. Soweit solche Unternehmen in den Schutzbereich des Artikel 5 Abs. 3 GG fallen, rechtfertigt Artikel 5 Abs. 3 GG nach seinem Schutzgut auch den objektiven Rechtswert Alleinbestimmungsrecht des Arbeitgebers (Unternehmensträgers) über die betriebliche Struktur. Das Bundesverfassungsgericht 220 hat ausgeführt, daß Artikel 5 Abs. 3 GG im Kunstbereich eine umfassende Freiheit gewährleiste. Die durch Artikel 5 Abs. 3 GG gewährleistete Kunstfreiheit beinhaltet zwangsläufig, daß derjenige, der künstlerisch tätig ist, auch die Organisation und Struktur vollverantwortlich und frei festlegen kann, in der er Kunst schaffen oder vermitteln will. Ein Eingriff in diese Organisationsfreiheit durch staatliche Normen würde die Kunstfreiheit des Artikel 5 Abs. 3 GG in ihrem Wesenskern treffen. Mithin rechtfertigt Artikel 5 Abs. 3 GG in den Schutzformen als Abwehrrecht des Unternehmensträgers (Arbeitgebers) und als objektive Rechtsnorm den objektiven Rechtswert Alleinbestimmungsrecht des Arbeitgebers über die betriebliche Struktur in Unternehmen, die entsprechend ihrem sachlichen Unternehmensziel Kunstwerke schaffen und/oder Kunstwerke kommunikativ vermitteln. Auf das formale Unternehmensziel solcher Unternehmen kommt es insoweit nicht an. 2.2.5.4 Schutzbereich des Artikel 5 Abs. 3 GG bei der kommunikativen Vermittlung von wissenschaftlichen Erkenntnissen oder von Kunstwerken Soweit sich in Unternehmen der Unternehmensgegenstand ausschließlich auf die kommunikative Vermittlung von wissenschaftlichen Erkenntnissen oder Kunstwerken beschränkt, fallen solche Unternehmen nur dann in den 218 Müller, F., Freiheit der Kunst, S. 97ff.; vgl. auch Nachweise bei Scholz, in: Maunz / Dürig, Rn. 17 ff. zu Artikel 5 Abs. 3 GG. 219 BVerfGE 30, 173 (189). 22 BVerfGE 30, 173 (191).

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Β. III. Verfassungsrecht und objektive Rechtswerte im Tendenzschutz

Schutzbereich des Artikel 5 Abs. 3 GG, wenn dieser Unternehmensgegenstand unabdingbare Voraussetzung für die kommunikative Vermittlung von wissenschaftlichen Erkenntnissen oder von Kunstwerken ist. Mit dem Bundesverfassungsgericht 221 und einem Teil des Schrifttums 2 2 2 wird davon ausgegangen, daß Artikel 5 Abs. 3 GG nicht jede wirtschaftliche Verwertung von wissenschaftlichen Erkenntnissen und Kunstwerken schützt. Der Bereich der wirtschaftlichen Verwertung wird nämlich durch die Artikel 12 und 14 GG geschützt. Es ist schon aus systematischen Gründen nicht schlüssig, die Schutzbereiche der Artikel 12 und 14 GG ohne zwingenden Grund auch als Schutzbereiche des Artikel 5 Abs. 3 GG anzusehen. Berücksichtigt man, daß Artikel 5 Abs. 3 GG in erster Linie den autonomen wissenschaftlichen oder künstlerischen Schaffensprozeß schützen will, kann der Bereich der wirtschaftlichen Verwertung von wissenschaftlichen Erkenntnissen oder von künstlerischen Werken nur dann in den Schutzbereich des Artikel 5 Abs. 3 GG fallen, wenn die kommunikative Vermittlung der wissenschaftlichen Erkenntnisse oder Werke ohne wirtschaftliche Verwertung nicht möglich ist. Für die von der Tendenzschutzbestimmung des § 118 Abs. 1 Nr. 1 BetrVG erfaßten wissenschaftlichen oder künstlerischen Unternehmen bedeutet dies, daß etwa Schallplattenunternehmen und künstlerische Verwertungsgesellschaften (GEMA) nicht in den Schutzbereich des Artikel 5 Abs. 3 GG fallen. Ein Werk der Tonkunst oder die Darbietung eines Werkes der Tonkunst bedarf zu seiner kommunikativen Vermittlung und Anschauung nicht der Massenkommunikationsmittel Schallplatte, Funk und Fernsehen. Anders verhält es sich bei Orchestern, Theatern und wissenschaftlichen oder künstlerischen Fachverlagen. Weder die Vermittlung künstlerischer Werke noch die Vermittlung wissenschaftlicher Erkenntnisse ist ohne solche Unternehmen sinnvoll. Sie werden daher auch vom Schutzbereich des Artikel 5 Abs. 3 GG erfaßt. Mithin erfaßt Artikel 5 Abs. 3 GG nach Schutzgut und Schutzbereich Unternehmen, deren Unternehmensgegenstand entweder als wissenschaftlicher oder künstlerischer Schaffensprozeß und/oder als kommunikative Vermittlung von wissenschaftlichen Erkenntnissen oder künstlerischen Werken aufgefaßt werden kann. Soweit sich der Unternehmensgegenstand von wissenschaftlichen oder künstlerischen Unternehmen ausschließlich auf die kommunikative Vermittlung von Kunstwerken oder wissenschaftlichen Erkenntnissen beschränkt, fallen diese Unternehmen nur dann in den Schutzbereich des Artikel 5 Abs. 3 GG, wenn ihr Unternehmensgegenstand eine unabdingbare Voraussetzung für künstlerisches Schaffen oder für den 221

BVerfGE 31, 229 (239ff.). So Berg: Konkurrenzen schrankendivergierender Freiheitsrechte im Grundrechtsabschnitt des Grundgesetzes 1968, S. 158 und Scholz, in: Maunz / Dürig, Rn. 18 zu Artikel 5 Abs. 3 GG; a. A. Erbel, Inhalt und Auswirkungen der verfassungsrechtlichen Kunstfreiheitsgarantie, 1966, S. 84. 222

2. Regelungsgegenstand betriebliche Struktur

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wissenschaftlichen Erkenntnisprozeß ist. Für solche Unternehmen rechtfertigt Artikel 5 Abs. 3 GG in der Schutzform als Abwehrrecht des Unternehmensträgers und in der Schutzform als objektive Rechtsnorm das Alleinbestimmungsrecht des Arbeitgebers über die betriebliche Struktur. 2.2.6 Legitimation des Alleinbestimmungsrechts des Arbeitgebers bei „ Unternehmen, die Zwecken der Berichterstattung oder Meinungsäußerung dienen" Unter B.1.1.2.7 wurde dargelegt, daß unter die Tendenzschutzbestimmung des § 118 Abs. 1 Nr. 2 BetrVG alle Unternehmen fallen, deren sachliches Unternehmensziel (Unternehmensgegenstand) entweder den Bereich der Vervielfältigung und Verbreitüng des „stehenden Wortes" an eine Vielzahl von Personen (Presse) oder die „visuelle und/oder akustische" Vervielfältigung und Verbreitung von Gedankeninhalten (Rundfunk und Film) oder ein Teil dieses Gesamtbereiches (z.B. Verbreitimg) beinhaltet. Soweit solche Unternehmen zugleich als „wissenschaftliche, politische, koalitionspolitische oder konfessionelle" Unternehmen im Sinne des § 118 Abs. 1 Nr. 1 BetrVG aufzufassen sind, unterfallen sie jedoch den spezielleren Vorschriften des § 118 Abs. 1 Nr. 1 BetrVG. 2.2.6.1 Die ausschließliche Eignung des Artikel 5 Abs. 1 Satz 2 GG und dessen Schutzformen Als verfassungsrechtliche Legitimationsgrundlage des objektiven Rechtswertes Alleinbestimmungsrecht des Arbeitgebers (Unternehmensträgers) über die betriebliche Struktur bei Unternehmen, die der Tendenzschutzbestimmung des § 118 Abs. 1 Nr. 2 BetrVG unterfallen, kommen grundsätzlich die Grundrechtsnormen der Artikel 2 Abs. 1, 12 Abs. 1, 14 Abs. 1, 5 Abs. 1 Satz 1 und 5 Abs. 1 Satz 2 GG in Betracht. Es wurde aber bereits dargelegt, daß weder Artikel 2 Abs. 1 noch 12 Abs. 1 noch 14 Abs. 1 GG ein Alleinbestimmungsrecht des Arbeitgebers über die betriebliche Struktur rechtfertigen. Auch Artikel 5 Abs. 1 Satz 1 GG (Meinungsäußerungsfreiheit) scheidet als lex generalis zu Artikel 5 Abs. 1 Satz 2 GG (lex specialis) als verfassungsrechtliche Legitimationsgrundlage aus. Diese Auffassung w i r d von der wohl überwiegenden Meinung 2 2 3 im verfassungsrechtlichen Schrifttum vertreten. Sie ist zutreffend, wenn im Tatbestand des Artikel 5 Abs. 1 Satz 2 GG neben der Spezialität (Presse, Rundfunk, Film) der Tatbestand des A r t i kel 5 Abs. 1 Satz 1 GG voll enthalten ist. Sowohl Artikel 5 Abs. 1 Satz 1 GG als auch Artikel 5 Abs. 1 Satz 2 GG müßten demnach die Meinungsäußerung 223 vgl. Herzog, in: Maunz / Dürig, Rn. 50 bis 55 zu Artikel 5 Abs. 1 und 2 GG mit umfangreichen Literaturnachweisen.

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Β. III. Verfassungsrecht und objektive Rechtswerte im Tendenzschutz

bzw. Meinungsverbreitung und Berichterstattung, also das Verbreiten von Werturteilen und das Verbreiten von Tatsachen erfassen. Ein Teil der Liter a t u r 2 2 4 vertritt jedoch die Auffassung, daß Artikel 5 Abs. 1 Satz 1 GG nur die Meinungsäußerung, nicht aber die Berichterstattung gewährleiste. Herzog 225 hat jedoch mit überzeugenden Argumenten dargelegt, daß der Zusammenhang des Artikel 5 Abs. 1 Satz 1 GG mit dem DP und dem Artikel 1 Abs. 1 GG diese Auslegung des Artikel 5 Abs. 1 Satz 1 GG nicht zuläßt. Mit Herzog ist daher davon auszugehen, daß Artikel 5 Abs. 1 Satz 1 GG die Meinungsäußerung und Berichterstattung erfaßt. Nach allgemeiner Ansicht 2 2 6 erfaßt auch Artikel 5 Abs. 1 Satz 2 GG sowohl die Meinungsäußerung als auch die Berichterstattung durch das Massenmedium Presse. Hingegen ist strittig 2 2 7 , ob dies in gleicher Weise für die ebenfalls in Artikel 5 Abs. 1 Satz 2 GG gewährleistete Berichterstattung durch Rundfunk und Film zutrifft. Auch hier wird man aber aufgrund der überzeugenden Argumente von Herzog davon ausgehen müssen, daß Artikel 5 Abs. 1 Satz 2 GG sowohl die Berichterstattung als auch die Meinungsäußerung durch Rundfunk und Film gewährleistet. Wenn somit Artikel 5 Abs. 1 Satz 1 GG sowohl die allgemeine Meinungsäußerung und Meinungsverbreitung als auch die allgemeine Tatsachen- und Berichterstattung und deren Verbreitung und Artikel 5 Abs. 1 Satz 2 GG die gleichen Handlungen für die sogenannten Massenmedien (Presse, Rundfunk, Fernsehen, Film) schützt, so muß Artikel 5 Abs. 1 Satz 2 GG als lex specialis für Presse, Rundfunk und Film aufgefaßt werden, die der lex generalis des Artikel 5 Abs. 1 Satz 1 GG vorgeht (Gesetzeskonkurrenz 228 ). Unternehmen, deren Gegenstand die Berichterstattung oder Meinungsäußerung ist, unterfallen daher nur Artikel 5 Abs. 1 Satz 2 GG und nicht Artikel 5 Abs. 1 Satz 1 GG. Nach der wohl überwiegenden Meinung 2 2 9 und der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts 230 enthält Artikel 5 Abs. 1 Satz 2 GG sowohl ein 224

Vgl. z.B. v. Mangoldt / Klein, Anm. I I I 1 zu Artikel 5 GG. Herzog, in: Maunz / Dürig, Rn. 51 mit 55 zu Artikel 5 Abs. 1 und 2 GG. 226 v Münch, in: Grundgesetzkommentar, Rn. 22 zu Artikel 5 GG. 227 Bejahend Herzog, in: Maunz / Dürig, Rn. 200 bis 202 zu Artikel 5 Abs. 1 und 2 GG; verneinend Hesse, Grundzüge, unter § 12 I 5 und v. Mangoldt / Klein, Anm. V I I 1 zu Artikel 5 GG. 228 Zur Problematik und den Voraussetzungen der sogenannten Gesetzeskonkurrenz allgemein vgl. Larenz, Methodenlehre der Rechtswissenschaft, S. 207 ff. 229 So Ridder, Die öffentliche Aufgabe der Presse im System des modernen Verfassungsrechts, 1962, S. 16; a. A. Herzog, in: Maunz / Dürig, Rn. 11 und 12 zu Artikel 5 Abs. 1 und 2 GG mit weiteren Nachweisen der unterschiedlichen Auffassungen zu diesem Problem. 230 Vgl. BVerfGE 10, 118ff. (121); 12, 205 (260); 20, 262 (275ff.); 25, 256 (268); 31, 314 (326); 36, 193 (204); 50, 234 (240). Der V.d.A. vermag der Ansicht von Herzog nicht zu folgen, daß das Bundesverfassungsgericht zwar von Einrichtungsgarantien für Presse und Rundfunk spreche, aber damit letztlich nur die Schutzform des Artikel 5 Abs. 1 Satz 2 GG als objektiver Rechtssatz meine. 225

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Grundrecht (Abwehrrecht) als auch Einrichtungsgarantien für Presse, Rundfunk (Fernsehen) und Film. Artikel 5 Abs. 1 Satz 2 GG könnte daher den objektiven Rechtswert Alleinbestimmungsrecht des Arbeitgebers über die betriebliche Struktur sowohl in seiner Schutzform als Abwehrrecht des Arbeitgebers (Unternehmensträgers) als auch in seiner Schutzform als verfassungsrechtliche Einrichtungsgarantie rechtfertigen. Auch soweit der Unternehmensträger (Arbeitgeber) eine juristische Person ist, ist er gemäß Artikel 19 Abs. 3 GG Träger des Grundrechtes aus Artikel 5 Abs. 1 Satz 2 GG. 2 3 1 2.2.6.2 Die Legitimation durch Artikel 5 Abs. 1 Satz 2 GG Artikel 5 Abs. 1 Satz 2 GG schützt Güter für zwei Lebensbereiche, nämlich zum einen die Vervielfältigung und Verbreitimg des „stehenden Wortes" (Presse) und die akustische und/oder visuelle Vervielfältigung und Verbreitung von Gedankeninhalten (Film, Rundfunk, Fernsehen). 232 Artikel 5 Abs. 1 Satz 2 GG könnte daher für diese Bereiche auch verschiedene Schutzgüter enthalten. Die Frage könnte dahingestellt bleiben, wenn der Lebensbereich Rundfunk, Fernsehen und Film für die Tendenzschutzbestimmungen der §§ 118 Abs. 1 Nr. 2 BetrVG, 1 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 MitbestG und 81 Abs. 1 BetrVG 52 ohnehin keine praktische Bedeutung hätte, weil Unternehmen des Rundfunks und Fernsehens als öffentlich-rechtliche Anstalten nicht in den Geltungsbereich der Vorschriften über die betriebs- und unternehmensbezogene Mitbestimmung fallen. Rundfunk und Fernsehanstalten sind nämlich in der Bundesrepublik Deutschland zur Zeit noch ausschließlich öffentlich-rechtlich organisiert. 233 Die Entwicklung der Nachrichtentechnik dürfte jedoch in absehbarer Zeit dazu führen, daß auch privatrechtlich organisierte Rundfunk- und Fernsehunternehmen zunehmend eine Rolle spielen. Nach der Auffassung des Bundesverfassungsgerichts 234 war die öffentlich-rechtliche Organisation der Rundfunk- und Fernsehanstalten bislang geboten, weil die Knappheit der Sendefrequenzen und der hohe finanzielle Aufwand für die Veranstaltung von Rundfunk- und Fernsehdarbietungen bei einer privatrechtlichen Organisation von Rundfunk und Fernsehen eine freie und umfassende Meinungsbildung ansonsten nicht gewährleistet hätten. Diese Sondersituation ist aber aufgrund der neuen 231

Vgl. Herzog, in: Maunz / Dürig, Rn. 17 zu Artikel 5 Abs. 1 und 2 GG. Zu dem Schutzbereich des Artikel 5 Abs. 1 Satz 2 GG für Presse vgl. Herzog, in: Maunz / Dürig, Rn. 130 zu Artikel 5 Abs. 1 und 2 GG; zu dem Schutzbereich des Artikel 5 Abs. 1 Satz 2 GG für Rundfunk und Fernsehen vgl. Herzog, in: Maunz / Dürig, Rn. 195, 197 und 198 zu Artikel 5 Abs. 1 und 2 GG. 233 Das neue Rundfunkgesetz des Landes Niedersachsen von 1984 sieht bereits privatrechtlich organisierte Rundfunk- und Fernsehunternehmen vor. 234 BVerfGE 12, 205 (261); 31, 314ff. (326). 232

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Β. III. Verfassungsrecht und objektive Rechtswerte im Tendenzschutz

technischen Entwicklung (z.B. Breitbandverkabelung 235 ) nicht mehr gegeben. Das Bundesverfassungsgericht 236 und die herrschende Meinung 2 3 7 gehen bei der nunmehr gegebenen Lage von der Zulässigkeit privatrechtlich organisierter Rundfunk- (Fernseh)-Unternehmen aus. Für die Zukunft dürfte daher auch die Tendenzschutzbestimmung des § 118 Abs. 1 Nr. 2 BetrVG für Unternehmen, die der Berichterstattung durch Rundfunk oder Fernsehen dienen, eine erhebliche praktische Bedeutung erhalten. Artikel 5 Abs. 1 Satz 2 GG schützt für den Bereich Presse und für den Bereich Rundfunk und Film das gleiche Gut. Artikel 5 Abs. 1 Satz 2 GG w i l l nämlich die Vervielfältigung und Verbreitung von Tatsachenberichten und Meinungen für eine Vielzahl von Personen durch die Massenmedien vor staatlichen Eingriffen und Fremdeinflüssen 238 schützen. Da es für die Vervielfältigung und Verbreitung von Tatsachenberichten und Meinungen technisch verschiedene Herstellungs- und Vervielfältigungsmethoden (elektromagnetische Wellen, verschiedene Buchdruckverfahren usw.), also in der Erscheinung unterschiedliche Massenmedien gibt, werden diese unterschiedlichen Massenmedien, nämlich Presse, Rundfunk und Film in Artikel 5 Abs. 1 Satz 2 GG gesondert aufgeführt. Die Auffassung, daß dieses Schutzgut des Artikel 5 Abs. 1 Satz 2 GG für alle Alternativen des Artikel 5 Abs. 1 Satz 2 GG dasselbe ist, wird von der herrschenden Lehre 2 3 9 auch vertreten. Sie ist auch neueren Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts zu entnehmen. 240 Der nähere Inhalt des eigenständigen Schutzgutes des Artikel 5 Abs. 1 Satz 2 GG läßt sich nach dem Auslegungsprinzip der Einheit der Verfassung aus dem Zusammenhang des Artikel 5 Abs. 1 Satz 2 GG sowohl mit dem DP als auch mit Artikel 1 Abs. 1 GG erschließen. 241 Das Bundesverfassungsger i c h t 2 4 2 hat zu Recht darauf hingewiesen, daß eine freie, nicht von der öffentlichen Gewalt gelenkte oder nicht durch staatliche Regelungen „fremden" Einflüssen unterworfene Presse ein schlechthin unverzichtbares Wesenselement eines freiheitlichen Staates und der modernen Demokratie ist. Für das Funktionieren des demokratischen Staates ist eine möglichst umfangreiche Tatsachenkenntnis und eine Kenntnis möglichst vieler ver235

Zu den neuen Möglichkeiten aufgrund der technischen Entwicklung siehe Herzog, in: Maunz / Dürig, Rn. 224 mit 226 zu Artikel 5 Abs. 1 und 2 GG. 236 BVerfGE 57, 295 (318, 319, 324ff. und 330ff.). 237 Vgl. Rudolf, Über die Zulässigkeit privaten Rundfunks, 1971; Weber, in: Der Staat 11 (1972), S. 82ff.; Klein, Die Rundfunkfreiheit, 1978, S. 75ff. 238 So BVerfGE 52, 283ff. (296) für Presse und BVerfGE 57, 295ff. (326). 239 Vgl. Herzog, in: Maunz / Dürig, Rn. 144 (für Presse) und 230 (für Rundfunk und Fernsehen) zu Artikel 5 Abs. 1 und 2 GG. 240 z.B. BVerfGE 52, 283ff. und 57, 295. 241 Hierauf weist Herzog, in: Maunz / Dürig, Rn. 6 und 7 zu Artikel 5 Abs. 1 und 2 GG hin. 242 BVerfGE 52, 283 (296).

2. Regelungsgegenstand betriebliche Struktur

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schiedener Meinungen für den Bürger unerläßlich. Die Voraussetzungen hierfür können aber in der modernen Massengesellschaft nur durch Massenkommunikationsmittel (Presse, Rundfunk, Fernsehen, Film) geschaffen werden. Das verfassungsrechtliche Strukturprinzip der Demokratie verlangt daher zwingend den in Artikel 5 Abs. 1 Satz 2 GG garantierten Schutz der Freiheit (mehrerer) Betreiber von Massenkommunikationsmitteln. Das gilt nicht nur für das Massenkommunikationsmittel Presse, das gilt in gleicher Weise auch für Rundfunk, Fernsehen und Film 2 4 3 . Neben dem Zusammenhang des Artikel 5 Abs. 1 Satz 2 GG zu dem DP besteht eine ebenso wichtige Verbindung des Artikel 5 Abs. 1 Satz 2 GG zu Artikel 1 Abs. 1 GG. Herzog 244 weist zu Recht darauf hin, daß Artikel 5 Abs. 1 Satz 1 GG und Artikel 5 Abs. 1 Satz 2 GG wegen Artikel 1 Abs. 1 GG, also der dort geschützten Menschenwürde, ohne Wertung jede Art von Mitteilungs- und Informationsbedürfnis schütze (Klatschgeschichten, Sensationen usw.). Weder Artikel 1 Abs. 1 GG noch das DP erlauben es dem Staat, Meinungsund Tatsachenverbreitung wertend einzuschränken oder zu regulieren, es sei denn, es werden strafrechtliche Tatbestände erfüllt. Soweit daher Unternehmen Tätigkeiten vornehmen, die als Verbreitung oder Vervielfältigung von Meinungsäußerungen oder der Berichterstattung zu qualifizieren sind, werden sie vom Schutzgut des Artikel 5 Abs. 1 Satz 2 GG erfaßt. Verlagsunternehmen, die nur der Unterhaltung dienen oder Sensationen verbreiten, werden vom Schutzgut des Artikel 5 Abs. 1 Satz 2 GG genauso erfaßt, wie Verlagsunternehmen, die ausschließlich Adreßbücher herausgeben. Da das Schutzgut des Artikel 5 Abs. 1 Satz 2 GG wertungsneutral die Vervielfältigung und Verbreitimg von Tatsachenberichten und Meinungsäußerungen durch Massenkommunikationsmittel schützt, kann es auch nicht darauf ankommen, mit welchem formalen Unternehmensziel ein Unternehmen die Vervielfältigung und/oder Verbreitung von Tatsachen und Meinungen betreibt. Es ist insoweit gleichgültig, ob das Unternehmen ideellen Zielsetzungen dient oder Gewinn erzielen will. Artikel 5 Abs. 1 Satz 2 GG könnte somit aufgrund seines Schutzgutes den objektiven Rechtswert Alleinbestimmungsrecht des Arbeitgebers über die betriebliche Struktur in allen Unternehmen schützen, deren sachliches Unternehmensziel die Vervielfältigung und Verbreitung des „stehenden Wortes" oder sonstiger visueller oder akustisch übermittelter Gedankeninhalte ist. Artikel 5 Abs. 1 Satz 2 GG schützt nach der herrschenden Meinung 2 4 5 und der Rechtspre243 Den Ausführungen des Bundesverfassungsgerichts über ein „außenpluralistisches Modell" bei Rundfunk und Fernsehen in BVerfGE 57, 295ff. (326) liegt diese Überlegung zugrunde. 244 Herzog, in: Maunz / Dürig, Rn. 54 und 128 zu Artikel 5 Abs. 1 und 2 GG. 245 Vgl. Herzog, in: Maunz / Dürig, Rn. 136 zu Artikel 5 Abs. 1 und 2 GG.

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Β. III. Verfassungsrecht und objektive Rechts werte im Tendenzschutz

chung des Bundesverfassungsgerichts 246 dabei alle Tätigkeiten, die zur Erreichung des Vervielfältigungseffekts - gleichgültig nach welcher Herstellungs- und Vervielfältigungsmethode verfahren wird - notwendig sind oder sie vorbereiten und ermöglichen. Geschützt sind daher auch Unternehmen, deren Unternehmensgegenstand (sachliches Unternehmensziel) nur einen Teilbereich dieser Tätigkeiten umfaßt. Soweit die Rechtsprechung des B A G 2 4 7 und die arbeitsrechtliche Literatur 2 4 8 die Anwendung der Tendenzschutzbestimmung des § 118 Abs. 1 Nr. 2 BetrVG auf Druckereien davon abhängig macht, ob sie Einfluß auf die Auswahl der Druckereierzeugnisse haben, kann diese Auffassung jedenfalls nicht mit Artikel 5 Abs. 1 Satz 2 GG erhärtet werden. Das Schutzgut des Artikel 5 Abs. 1 Satz 2 GG wird gemäß Artikel 5 Abs. 2 GG allerdings nur im Rahmen der „Vorschriften der allgemeinen Gesetze, den gesetzlichen Bestimmungen zum Schutz der Jugend und in dem Recht der persönlichen Ehre" geschützt. Hieraus könnte gefolgert werden, daß die Beachtung des objektiven Rechtswertes Alleinbestimmungsrecht des Arbeitgebers (Unternehmensträgers) über die betriebliche Struktur in solchen Unternehmen, die vom Schutzgut des Artikel 5 Abs. 1 Satz 2 GG erfaßt werden, schon deshalb durch Artikel 5 Abs. 1 Satz 2 GG nicht gerechtfertigt sein kann, soweit ihm andere objektive Rechtswerte (z.B. Schutzraum für Arbeitnehmer im Betrieb) entgegenstehen, die in allgemeinen Gesetzen (z.B. Betriebsverfassungsgesetz) niedergelegt sind. Nach der von der herrschenden Meinung 2 4 9 und der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts 250 gefundenen Umschreibung kann als allgemeines Gesetz im Sinne des Artikel 5 Abs. 2 GG nur ein Gesetz aufgefaßt werden, das sich weder gegen eine bestimmte Meinung richtet noch auf den Schutzbereich des Artikel 5 Abs. 1 Satz 2 GG auswirken kann. Soweit daher der objektive Rechtswert Alleinbestimmungsrecht des Arbeitgebers über die betriebliche Struktur in den von Artikel 5 Abs. 1 Satz 2 GG nach seinem Schutzgut erfaßten Unternehmen in den Schutzbereich des Artikel 5 Abs. 1 Satz 2 GG fällt, wäre der durch das Betriebsverfassungsgesetz niedergelegte objektive Rechtswert Schutzraum für Arbeitnehmer kein allgemeines Gesetz. Der Rechtswert Alleinbestimmungsrecht des Arbeitgebers (Unternehmensträgers) wäre daher durch Artikel 5 Abs. 1 Satz 2 GG gerechtfertigt. Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts 251 schützt Artikel 5 Abs. 1 Satz 2 GG Unternehmen, deren sachlicher Unternehmensgegen246 Vgl. BVerfGE 10, 118 (121); 20, 162 (176); 36, 193 (204); 50, 234 (240). 247 BAGE 27, 301 (309ff.) und BAG in AP Nr. 20 zu § 118 BetrVG. 248 Vgl. Dietz / Richardi, Bd. 2, Rn. 79 zu § 118 BetrVG mit umfangreichen Literaturnachweisen. 249 Vgl. v. Münch, in: Grundgesetzkommentar, Rn. 48 zu Artikel 5 GG. 250 BVerfGE 7, 198 (209, 210) und 50, 234 (241). 251 BVerfGE 52, 283ff. (296ff.). Das Bundesverfassungsgericht stellt dies in der angezogenen Entscheidung zwar nur für die Presse fest. Da jedoch Artikel 5 Abs. 1

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stand die visuelle und/oder akustische Vervielfältigung und Verbreitung von Gedankeninhalten ist, auch vor solchen staatlichen Regelungen, die den Unternehmensgegenstand für „fremde Einflüsse" öffnen. „Fremde Einflüsse" sind dabei alle Einflüsse, die nicht Einflüsse des Trägers (Arbeitgebers) des Unternehmens sind. Das Bundesverfassungsgericht hat in einer Entscheidung ausdrücklich anerkannt, daß eine solche Öffnung für Fremdeinflüsse bei den Regelungen der betriebsbezogenen Mitbestimmung zutreffen könnte. 2 5 2 Es ist mithin die Frage, ob die betriebliche Struktur in solchen Unternehmen durch betriebsverfassungsrechtliche Strukturnormen so gestaltet wird, daß Einflüsse Dritter neben dem Arbeitgeber (Unternehmensträger) möglich sind. Ist dies der Fall, so wäre das Alleinbestimmungsrecht des Arbeitgebers über die betriebliche Struktur durch Artikel 5 Abs. 1 Satz 2 GG in vollem Umfange gerechtfertigt. Eine generelle Antwort auf diese zuvor gestellte Frage ist aber nicht möglich. Zumindest die betriebsverfassungsrechtlichen Organisationsnormen, also etwa die Bestimmungen für die Abgrenzung des Betriebes, die Organisation der Belegschaft, des Betriebsrates und des Gesmtbetriebsrates bewirken für sich allein genommen keine Öffnung für Fremdeinflüsse. Wie G. Müller 253 näher dargelegt hat, trifft dies auch nicht für die betriebsverfassungsrechtlichen Bestimmungen über die Betriebs-, Teil- und Abteilungsversammlungen der §§42 und 43 BetrVG zu. Für die §§42 und 43 BetrVG auch nicht insoweit, als hierbei der Belegschaft ein Unterrichtungsrecht eingeräumt ist (§43 Abs. 2 BetrVG). Die bloße Information berührt nämlich die Verwirklichung eines sachlichen oder formalen Unternehmensziels nicht. 2 5 4 Artikel 5 Abs. 1 Satz 2 GG kann daher den objektiven Rechtswert Alleinbestimmungsrecht des Arbeitgebers über die betriebliche Struktur insoweit nicht rechtfertigen, als betriebsverfassungsrechtliche Organisationsnormen die betriebliche Struktur festlegen. Anders verhält es sich hingegen mit den betriebsverfassungsrechtlichen Normen über die betriebliche Ordnung (§87 Abs. 1 Nr. 1 BetrVG), soweit sie nicht bloße Informationsrechte beinhalten. Die Gestaltung des gesamten Zusammenlebens der Arbeitnehmer im Betrieb 2 5 5 durch andere als den Arbeitgeber (Unternehmensträger) eröffnen die Möglichkeit von Fremdeinflüssen auf den von Artikel 5 Abs. 1 Satz 2 GG geschützten UnternehmensSatz 2 GG - wie dargelegt wurde - auch für Rundfunk, Fernsehen und Film das gleiche Gut wie bei Presseunternehmen schützt, muß dies auch für privatrechtlich organisierte Rundfunk-, Film- und Fernsehunternehmen gelten. 252 BVerfGE 52, 283 (298, 299). 253 Vgl. Müller, G., in: Festschrift für Hilger und Stumpf, S. 495. 254 Allgemeine Meinung, vgl. Müller, G., in: Festschrift für Hilger und Stumpf, S. 496. 255 Zum Umfang der von § 87 Abs. 1 Nr. 1 BetrVG erfaßten Bereiche vgl. Dietz / Richardi, Bd. 2, Rn. 138 und 139 zu § 118 BetrVG.

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Β. III. Verfassungsrecht und objektive Rechtswerte im Tendenzschutz

gegenständ. Hinsichtlich der betrieblichen Ordnung rechtfertigt daher Artikel 5 Abs. 1 Satz 2 GG den objektiven Rechtswert Alleinbestimmungsrecht des Arbeitgebers über die betriebliche Struktur in Unternehmen, deren Unternehmensgegenstand die visuelle und/oder akustische Vervielfältigung und Verbreitung von Gedankeninhalten darstellt. 2.2.6.3 Ergebnis In begrenztem Umfange rechtfertigt Artikel 5 Abs. 1 Satz 2 GG in seiner Schutzform als Abwehrrecht des Unternehmensträgers (Arbeitgebers) und in seiner Schutzform als verfassungsrechtliche Einrichtungsgarantie den objektiven Rechts wert Alleinbestimmungsrecht des Arbeitgebers über die betriebliche Struktur in solchen von der Tendenzschutzbestimmung des § 118 Abs. 1 Nr. 2 BetrVG erfaßten Unternehmen, deren Unternehmensgegenstand der Vervielfältigung und Verbreitung von visuellen oder akustischen Gedankeninhalten dient. Die verfassungsrechtliche Legitimation des objektiven Rechtswertes gilt bei gesetzlichen Strukturregelungen über Fragen der Gestaltung des Zusammenlebens der Arbeitnehmer (betriebliche Ordnung). Im übrigen ist jedoch der objektive Rechtswert nicht durch Artikel 5 Abs. 2 GG gerechtfertigt. 2.3 Legitimation des objektiven Rechtswertes: Schutzraum für die Arbeitnehmer durch betriebsverfassungsrechtliche Strukturnormen

Die teilweise Festlegung der inneren Struktur des Betriebes durch die betriebsverfassungsrechtlichen Organisationsnormen und die betriebsverfassungsrechtlichen Beteiligungsrechte des § 87 Abs. 1 Nr. 1 BetrVG dient dem Zweck, für die Arbeitnehmer während ihrer Tätigkeit im Betrieb einen Schutzraum (Entfaltungsspielraum) zu schaffen. 256 Dieser den Normen der betriebsbezogenen Mitbestimmung zu entnehmende objektive Rechtswert könnte durch die Grundrechtsnormen der Artikel 1 Abs. 1, 2 Abs. 1 und 12 Abs. 1 GG gerechtfertigt sein. Das Bundesverfassungsgericht hat Artikel 1 Abs. 1 GG als „Grundn o r m " 2 5 7 bezeichnet. Zugleich hat es Artikel 1 Abs. 1 GG als „tragendes Konstitutionsprinzip" angesehen.258 Es ist mit der herrschenden Meinung im Schrifttum 2 5 9 davon ausgegangen, daß die Artikel 2 Abs. 1 GG und 12 256

Zum Umfang des Bereichs, den die Beteiligungsrechte der §§90 und 91 BetrVG erfassen, vgl. Dietz / Richardi, Bd. 2, Rn. 3 mit 16 zu § 90 BetrVG. BVerfGE 27, 344 (351). 258 BVerfGE 6, 32 (36). 259 Zu Artikel 2 Abs. 1 GG als Konkretisierung des Artikel 1 Abs. 1 GG vgl. v. Mangoldt / Klein, Anm. I I I 1 zu Artikel 2 GG und Dürig, in: Maunz / Dürig, Rn. 1 zu Artikel 2 Abs. 1 GG; zu Artikel 12 Abs. 1 GG als Konkretisierung des Artikel 2 Abs. 1 GG

2. Regelungsgegenstand betriebliche Struktur

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Abs. 1 GG verfassungsrechtliche Konkretisierungen des Artikel 1 Abs. 1 GG sind, soweit es um die Entfaltung der Persönlichkeit geht. 2 6 0 Trotz dieses Zusammenhangs werten die herrschende Meinung 2 6 1 und das Bundesverfassungsgericht 262 die Verfassungsbestimmungen der Artikel 1 Abs. 1, 2 Abs. 1 und 12 Abs. 1 GG als jeweils selbständige Grundrechtsnormen, die zueinander - soweit sich ihre Schutzbereiche decken - im Verhältnis der Spezialität stehen. Wenn daher der objektive Rechtswert Schutzraum für die Arbeitnehmer während ihrer Tätigkeit im Betrieb für den Regelungsgegenstand innere Struktur des Betriebes von allen drei Grundrechtsnormen (Artikel 1 Abs. 1, 2 Abs. 1 und 12 Abs. 1 GG) nach Schutzbereich und Schutzgut erfaßt werden sollte, käme als Rechtfertigungsnorm ausschließlich Artikel 12 Abs. 1 GG als die spezielle Grundrechtsnorm in Betracht. Es ist jedoch fraglich, ob Artikel 12 Abs. 1 GG den gesamten Regelungsbereich innere Struktur des Betriebes erfaßt. 263 Artikel 2 Abs. 1 GG w i l l dem einzelnen einen Schutzraum für alle sozialen Bezüge gewähren, in denen eine Person stehen kann. 2 6 4 Das Schutzgut und der Schutzbereich des Artikel 12 Abs. 1 GG sind hingegen auf die freie Entfaltung der Persönlichkeit im Rahmen einer wirtschaftlich sinnvollen Tätigkeit (Beruf) beschränkt. 265 Das Schutzgut Beruf des Artikel 12 Abs. 1 GG erfaßt auch die unselbständige Tätigkeit als Arbeitnehmer. 266 Soweit sich die innere Struktur des Betriebes nur auf die Arbeitsbedingungen und Aufgaben der Arbeitnehmer im Betrieb auswirkt, kommt daher als Legitimationsgrundlage ausschließlich Artikel 12 Abs. 1 GG in Frage. Artikel 12 Abs. 1 GG geht insoweit dem Artikel 2 Abs. 1 GG als lex specialis vor. Die innere Struktur eines Betriebes wirkt sich jedoch nicht ausschließlich auf die berufliche Tätigkeit des Arbeitnehmers im Betrieb aus. Das trifft beispielsweise bei manchen Strukturnormen zu, die das Verhalten der Arbeitnehmer im Betrieb beeinflussen. Für diese nicht ausschließlich berufsbezogenen betriebsverfassungsrechtlichen Normen kommt Artikel 12 Abs. 1 GG nicht in Betracht. Legitimationsgrundlage ist insoweit für den (und damit auch des Artikel 1 Abs. 1 GG) vgl. Scholz, in: Maunz / Dürig, Rn. 114 zu Artikel 12 GG. 260 z.B. BVerfGE 6, 32 (37); vgl. die Nachweise der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts bei Scholz, AöR 100 (1975), 80ff. 261 Vgl. v. Münch, in: Grundgesetzkommentar, Rn. 74 zu Artikel 2 GG und Gabelt, in: Grundgesetzkommentar, Rn. 88 zu Artikel 12 GG. 262 BVerfGE 6, 32 (37); 10, 185 (199); 21, 227 (234); 30, 292 (336). 263 Vgl. Scholz, in: Maunz / Dürig, Rn. 115 und 116 zu Artikel 12 GG. 264 Zum Schutzbereich des Artikel 2 Abs. 1 GG vgl. Schmidt, W., AöR 91 (1966), 42 ff. (44). 265 Vgl. Scholz, in: Maunz / Dürig, Rn. 17 ff. zu Artikel 12 GG mit umfangreichen Nachweisen des Schrifttums und der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts. 2 ®® Vgl. BVerfGE 7, 377 (398ff.).

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Β. III. Verfassungsrecht und objektive Rechtswerte im Tendenzschutz

objektiven Rechtswert Schutzraum für die Arbeitnehmer während ihrer Tätigkeit im Betrieb der umfassendere Artikel 2 Abs. 1 GG. Mithin kommen als verfassungsrechtliche Rechtfertigungsnormen des Rechtswertes Schutzraum für die Arbeitnehmer während ihrer Tätigkeit im Betrieb sowohl Artikel 2 Abs. 1 GG als auch Artikel 12 Abs. 1 GG in Betracht. Hingegen scheidet wegen des Spezialitätenverhältnisses zu Artikel 2 Abs. 1 und 12 Abs. 1 GG Artikel 1 Abs. 1 GG als Legitimationsgrundlage aus. Soweit nämlich Artikel 1 Abs. 1 GG auch das Schutzgut Entfaltung der Persönlichkeit mitumfaßt, ist das gleiche Schutzgut auch von Artikel 12 Abs. 1 GG und/oder Artikel 2 Abs. 1 GG erfaßt. 267 In dem Schutzgut der Artikel 2 Abs. 1 und 12 Abs. 1 GG ist auch der objektive Rechtswert Schutzraum für die Arbeitnehmer während ihrer Tätigkeit im Betrieb enthalten. Beide Grundrechtsnormen wollen nämlich die Entfaltung der Persönlichkeit schützen. Soweit die berufliche Entfaltung der Persönlichkeit der Arbeitnehmer im Betrieb berührt ist, w i r d dieser Rechtswert durch das Schutzgut des Artikel 12 Abs. 1 GG gerechtfertigt, da dieser Teil des Regelungsbereiches innere Struktur des Betriebes in den Schutzbereich des Artikel 12 Abs. 1 GG fällt und Artikel 12 Abs. 1 GG insoweit Artikel 2 Abs. 1 GG als lex specialis vorgeht. Im übrigen ist der objektive Rechtswert Schutzraum für die Arbeitnehmer während ihrer Tätigkeit im Betrieb aber durch das Schutzgut des Artikel 2 Abs. 1 GG gerechtfertigt, weil der Schutzbereich des Artikel 2 Abs. 1 GG nicht nur den beruflichen Bereich, sondern alle Lebensbezüge der Arbeitnehmer erfaßt. Die verfassungsrechtliche Rechtfertigung des objektiven Rechtswertes Schutzraum für die Arbeitnehmer während ihrer Tätigkeit im Betrieb folgt jedoch nicht aus der Schutzform der Artikel 12 Abs. 1 und 2 Abs. 1 GG als Abwehrrechte der Arbeitnehmer. Zwar sind auch die Arbeitnehmer eines Betriebes Träger der Grundrechte der Artikel 2 Abs. 1 und 12 Abs. 1 GG. Der objektive Rechts wert Schutzraum der Arbeitnehmer während ihrer Tätigkeit im Betrieb wird jedoch durch die Regelungen der betriebsbezogenen Mitbestimmung nicht beeinträchtigt. Die Vorschriften des Betriebsverfassungsgesetzes können nicht als Eingriffe des Staates durch gesetzliche Regelungen in den durch Artikel 2 Abs. 1 und 12 Abs. 1 GG geschützten Freiheitsraum der Arbeitnehmer im Betrieb aufgefaßt werden, da sie einen entsprechenden Schutzraum für die Arbeitnehmer durch die betriebsverfassungsrechtlichen Organisationsnormen und Beteiligungsrechte im Gegenteil erst schaffen. Die Normen der betriebsbezogenen Mitbestimmung sind somit keine die Grundrechte der Arbeitnehmer begrenzende Normen. 2 6 8 Der im Betriebsverfassungsgesetz liegende Eingriff der staatlichen Gewalt 267 v g l y Münch, in: Grundgesetzkommentar, Rn. 74 und 75 zu Artikel 2 GG. 268 Zu dem Begriff grundrechtsbegrenzende Norm s. BVerfGE 50, 290 (349) und 52, 283 (299).

2. Regelungsgegenstand betriebliche Struktur

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Gesetzgebung in die organisatorische und arbeitsrechtliche Ordnung des Betriebes beeinträchtigt weder das von Artikel 2 Abs. 1 und Artikel 12 Abs. 1 GG geschützte Entfaltungsrecht der Arbeitnehmer des Betriebes im Arbeits^ und Berufsleben noch die Organisationsmöglichkeiten der Arbeitnehmer im Betrieb. Wie sich aus der typischen Funktion der betriebsverfassungsrechtlichen Normen ergibt, ist das Gegenteil der Fall. Der Zweck der betriebsverfassungsrechtlichen Normen ist es gerade, den Schutzraum der Arbeitnehmer und die Teilhabe an der Organisationsfestlegung im Betrieb zu verstärken und zu erweitern. Die Arbeitnehmer werden daher als Träger der Grundrechte der Artikel 2 Abs. 1 und 12 Abs. 1 GG nicht berührt. In ihr Grundrecht wird nicht eingegriffen. Anders verhält es sich hingegen mit der Rechtfertigung des objektiven Rechtswertes Schutzraum für die Arbeitnehmer während ihrer Tätigkeit im Betrieb durch Artikel 12 Abs. 1 und 2 Abs. 1 GG in ihrer Schutzform als objektive Rechtsnormen. 269 Insoweit können die Artikel 12 Abs. 1 und 2 Abs. 1 GG Wirkungen als verfassungsrechtliche Rechtsnormen bei dem von ihrem Schutzbereich erfaßten Regelungsgegenstand der Tendenzschutzbestimmungen des § 118 BetrVG innere Struktur des Betriebes entfalten. Die Artikel 12 Abs. 1 und ergänzend 2 Abs. 1 GG könnten somit bei der Gestaltung des Regelungsgegenstandes innere Struktur des Betriebes die Beachtung des objektiven Rechtswertes Schutzraum für die Arbeitnehmer während ihrer Tätigkeit im Betrieb nach Schutzgut und Schutzbereich in der Schutzform als objektive Rechtsnormen rechtfertigen. Diese verfassungsrechtliche Legitimation wird weder von Artikel 2 Abs. 1 GG durch den Rechtsvorbehalt des Artikel 2 Abs. 1 2. Halbsatz GG ausgeschlossen, noch bei Berufsausübungsregelungen beim Artikel 12 Abs. 1 GG durch den Gesetzesvorbehalt des Artikel 12 Abs. 1 Satz 2 GG. Die Schranken der Artikel 12 Abs. 1 und 2 Abs. 1 GG müssen nach dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit ausgelegt werden. 270 Die betriebliche Struktur berührt den personalen Kern der Handlungsfreiheit der Arbeitnehmer im Betrieb. Der objektive Rechtswert Schutzraum der Arbeitnehmer während ihrer Tätigkeit im Betrieb durch betriebsverfassungsrechtliche Organisationsnormen und betriebsverfassungsrechtliche Beteiligungsrechte muß daher auch nach dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit beachtet werden, weil er zum Kern der durch Artikel 2 Abs. 1 und 12 Abs. 1 GG garantierten Handlungsfreiheitsrechte gehört. Da die betriebsverfassungsrechtlichen Organisationsnormen und Beteiligungsrechte das Alleinbestimmungsrecht des 269 Artikel 2 Abs. 1 und 12 Abs. 1 GG enthalten unbestritten die Schutzform einer objektiven Rechtsnorm. Vgl. v. Münch, Grundgesetzkommentar, Rn. 4 zu Artikel 2 GG und BVerfGE 33, 303ff. 270 Zu Artikel 2 Abs. 1 GG vgl. Merten, Jus 1976, 345 (346) und BVerfGE 17, 306 (313, 314); 27, 344 und 38, 312 (321); zu Artikel 12 Abs. 1 GG vgl. BVerfGE 25, 1 (12); vgl. auch 46, 120 (138ff.).

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Β. III. Verfassungsrecht und objektive Rechtswerte im Tendenzschutz

Arbeitgebers über die betriebliche Struktur lediglich teilweise einschränken, ergibt auch das aus den Schrankenvorbehalten der Artikel 12 Abs. 1 und 2 Abs. 1 GG folgende Gebot der Beachtung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit, daß die Artikel 12 Abs. 1 und 2 Abs. 1 GG die Beachtung des objektiven Rechtswertes Schutzraum für die Arbeitnehmer während ihrer Tätigkeit im Betrieb bei einer einfachrechtlichen Gestaltung des Regelungsgegenstandes innere Struktur des Betriebes rechtfertigen. Bei der einfachrechtlichen Gestaltung des Regelungsgegenstandes der Tendenzschutzbestimmungen des § 118 BetrVG ist daher die Beachtung des objektiven Rechtswertes Schutzraum für die Arbeitnehmer während ihrer Tätigkeit im Betrieb verfassungsrechtlich durch die Grundrechtsnormen der Artikel 12 Abs. 1 und ergänzend 2 Abs. 1 GG in der Schutzform als objektive Rechtsnormen gerechtfertigt. 2.4 Ergebnis

Der objektive Rechtswert alleiniges Entscheidungsrecht des Arbeitgebers (Unternehmensträgers) über die betriebliche Struktur aufgrund privatrechtlicher Sachherrschaft und Vertragsautonomie ist verfassungsrechtlich allgemein nicht gerechtfertigt. Weder Artikel 2 Abs. 1 noch Artikel 12 Abs. 1 noch Artikel 14 Abs. 1 GG können einen solchen objektiven Rechtswert in der Schutzform als Abwehrrechte des Arbeitgebers (Unternehmensträgers) oder in der Schutzform als verfassungsrechtliche Einrichtungsgarantien (Eigentums- und Vertragsautonomie) oder als objektive Rechtsnormen rechtfertigen. Mit Ausnahme von karitativ bestimmten Unternehmen rechtfertigen hingegen verschiedene und unter B.III.2.2 näher dargelegte Grundrechtsnormen sowie Artikel 137 WRV jeweils in unterschiedlichem Umfange in den Schutzformen als Abwehrrechte, als verfassungsrechtliche Einrichtungsgarantien und als objektive Rechtssätze den objektiven Rechtswert Alleinbestimmungsrecht des Arbeitgebers über die betriebliche Struktur in Unternehmen, die von den Tendenzschutzbestimmungen des § 118 BetrVG erfaßt werden und zugleich in den Schutzbereich der jeweilig maßgeblichen Verfassungsbestimmung fallen. Andererseits rechtfertigen die Grundrechtsnormen der Artikel 12 Abs. 1 und ergänzend Artikel 2 Abs. 1 GG in ihrer Schutzform als objektive Rechtsnorm auch die einfachrechtliche Beachtung des objektiven Rechtswertes Schutzraum für die Arbeitnehmer während ihrer Tätigkeit im Betrieb bei der Gestaltung des Regelungsgegenstandes betriebliche Struktur. Für die von den Tendenzschutzbestimmungen des § 118 BetrVG erfaßten Unternehmen ist daher die Beachtung der sich widersprechenden Rechtsprinzipien Alleinbestimmungsrecht des Arbeitgebers über die betriebliche

3. Regelungsgegenstand Entscheidungen auf betrieblicher Ebene

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Struktur und Schaffung eines Schutzraumes für die Arbeitnehmer während ihrer Tätigkeit im Betrieb bei der Gestaltung des Regelungsgegenstandes der Tendenzschutzbestimmungen betriebliche Struktur jeweils verfassungsrechtlich legitimiert. Unterschiede ergeben sich lediglich hinsichtlich des Umfangs der verfassungsrechtlichen Legitimation und der Schutzform, in der eine verfassungsrechtliche Legitimation eintritt. 3. Legitimation von objektiven Rechtswerten beim Regelungsgegenstand Entscheidungen auf betrieblicher Ebene durch Grundrechtsnormen und Kirchenautonomie Bereits unter B.II.2.2 wurde dargelegt, daß die Tendenzschutzbestimmungen des § 118 BetrVG bei der rechtlichen Gestaltung ihres Regelimgsgegenstandes Entscheidungen auf betrieblicher Ebene sowohl über den objektiven Rechtswert alleinige Entscheidungsbefugnis des Arbeitgebers als auch über die objektiven Rechtswerte Förderung der beruflichen Entwicklung der Belegschaft und (wirtschaftliche) Absicherung des Arbeitsplatzes durch betriebsverfassungsrechtliche Beteiligungsrechte an bestimmten Entscheidungen auf betrieblicher Ebene befinden. 3.1 Legitimation des objektiven Rechtswertes: Alleinentscheidungsrecht des Arbeitgebers aufgrund Vertragsautonomie und privatrechtlicher Sachherrschaft

Soweit ein Alleinentscheidungsrecht des Arbeitgebers auf betrieblicher Ebene in der arbeitsvertraglichen Privatautonomie begründet ist, kommen als verfassungsrechtliche Legitimationsnormen Artikel 2 Abs. 1 und Artikel 12 Abs. 1 GG nach Schutzgut, Schutzbereich und Schutzform in Betracht. Das aus der arbeitsvertraglichen Privatautonomie folgende grundsätzliche Dispositionsrecht des Trägers eines Unternehmens (Arbeitgebers) 271 über die Arbeitsplätze, vor allem sein Einstellungs- und Auswahlermessen sowie seine Gestaltungsrechte Kündigung und Weisungsrecht werden sowohl vom Schutzgut und Schutzbereich des Artikel 2 Abs. 1 GG als auch vom Schutzgut und Schutzbereich des Artikel 12 Abs. 1 GG erfaßt. Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts 272 und der herrschenden Meinung 2 7 3 umfaßt das Schutzgut des Artikel 2 Abs. 1 GG allge271 Vgl. hierzu Birk, Die arbeitsrechtliche Leitungsmacht, 1975 und Böhm, Der Zusammenhang zwischen Eigentum, Arbeitskraft und dem Betreiben eines Unternehmens, in: Festgabe für H. Kronstein, 1967, S. l l f f . 272 s. BVerfGE 8, 274 (328) und 12, 341 (347). 273 Vgl. Dürig, in: Maunz / Dürig, Rn. 53 ff. zu Artikel 2 A b s . l GG; Laufke, in: Festschrift für Lehmann, 1956, S. 45ff.; Roscher, Vertragsfreiheit als Verfassungsproblem. Dargestellt am Beispiel der Allgemeinen Geschäftsbedingungen, 1974; sowie Schmidt-Salzer, NJW 1970, 8 ff.

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Β. III. Verfassungsrecht und objektive Rechtswerte im Tendenzschutz

meine Handlungsfreiheit auch die Vertragsautonomie und zwar für alle Lebensbereiche. In den Schutzbereich des Artikel 2 Abs. 1 GG fallen somit auch Entscheidungen auf betrieblicher Ebene, die vom Dispositionsrecht des Trägers eines Unternehmens erfaßt sind (Einstellungen, Kündigungen und Weisungsrecht). Auch das Schutzgut des Artikel 12 Abs. 1 GG Handlungsfreiheit bei Berufswahl und Berufsausübung 274 gewährleistet nach der wohl überwiegenden Meinung im Schrifttum 2 7 5 die arbeitsvertragliche Privatautonomie und deren privatrechtliche Konsequenzen (Einstellungs- und Auswahlermessen des Arbeitgebers, Kündigungs- und Weisungsrecht). Mithin erfaßt auch der Schutzbereich des Artikel 12 Abs. 1 GG den Regelungsgegenstand des § 118 BetrVG Entscheidungen auf betrieblicher Ebene. Die Rechtslehre 276 und die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts 277 gehen weiter davon aus, daß Artikel n Abs. 1 bzw. 12 Abs. 1 GG den Schutz der arbeitsvertraglichen Privatautonomie auch für Träger von Großunternehmen und für Träger von Unternehmen gewährleisten, die in der Rechtsform der juristischen Person organisiert sind. In der Rechtslehre ist allerdings umstritten, ob die arbeitsvertragliche Privatautonomie zugunsten des Arbeitgebers durch Artikel 12 Abs. 1 GG geschützt ist 2 7 8 , und ob Artikel 12 Abs. 1 GG Artikel 2 Abs. 1 GG insoweit als lex specialis vorgeht 2 7 9 . Auch die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts ist zu diesen Fragen nicht einheitlich. 2 8 0 Die Frage des Verhältnisses von Artikel 2 Abs. 1 GG und Artikel 12 Abs. 1 GG bei der Vertragsautonomie kann jedoch dahingestellt bleiben, da beide Grundrechtsnormen eine Einschränkung der Dispositionsfreiheit der Träger von Unternehmen zugunsten der Arbeitnehmer zulassen, so daß der objektive Rechtswert Alleinentscheidungsrecht des Arbeitgebers auf betrieblicher Ebene weder durch Artikel 2 Abs. 1 GG noch durch Artikel 12 Abs. 1 GG legitimiert ist. 274 Das Bundesverfassungsgericht (grundlegend BVerfGE 7, 400 ff.) und die herrschende Meinung (vgl. Scholz, in: Maunz / Dürig, Rn. 11 ff. zu Artikel 12 GG) sehen in der Freiheit der Berufswahl und der Berufsausübung des Artikel 12 Abs. 1 GG eine einheitliche Grundrechtsgewährleistung. 275 So Badura, Grundfreiheiten der Arbeit, in: Festschrift für Berber, 1973, S. 11 ff.; Scholz, in: Maunz / Dürig, Rn. 49 und 55 zu Artikel 12 GG mit weiteren Literaturnachweisen. 276 Vgl. Scholz, in: Maunz / Dürig, Rn. 35 zu Artikel 12 GG und v. Münch, in: Grundgesetzkommentar, Rn. 9 zu Artikel 2 GG. 277 Vgl. BVerfGE 10, 221 (225); 50, 290 (364, 365, 366). 278 s. zu dieser Frage Scholz, in: Maunz / Dürig, Rn. 49 zu Artikel 12 GG mit weiteren Literaturnachweisen. 279 s. zu dieser Frage Scholz, in: Maunz / Dürig, Rn. 115 und 116 zu Artikel 12 GG mit weiteren Literaturnachweisen. 280 Das Bundesverfassungsgericht betont in: BVerfGE 8, 274 (328); 10, 89 (99); 12, 341 (347) und 21, 87 (90ff.) die eigenständige Bedeutung des Artikel 2 Abs. 1 GG bei der Vertragsfreiheit gegenüber Artikel 12 Abs. 1 GG; in: BVerfGE 21, 306 (310) und 50, 290 (366) wird aber davon ausgegangen, daß auch Artikel 12 Abs. 1 GG die arbeitsvertragliche Privatautonomie schütze.

3. Regelungsgegenstand Entscheidungen auf betrieblicher E b e n e 1 8 9

Der Umfang, in dem die Vertragsautonomie und damit die Gestaltungsrechte des Arbeitgebers (Weisungsrechte, Kündigungsrechte usw.) als Grundlage einer Alleinbefugnis des Arbeitgebers zu Entscheidungen auf betrieblicher Ebene gerechtfertigt sind, wird bei Artikel 2 Abs. 1 GG durch den Rechtsvorbehalt 281 des Artikel 2 Abs. 1 2. Halbsatz GG eingeschränkt. Die Tragweite der in Artikel 2 Abs. 1 GG gewährleisteten Vertragsautonomie muß nach dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit 282 bestimmt werden. Hierbei kommt es vor allem darauf an, inwieweit eine Einschränkung der Vertragsautonomie des Arbeitgebers die Handlungsfreiheit des Arbeitgebers personal berührt. 2 8 3 Man w i r d nicht sagen können, daß Entscheidungen des Arbeitgebers auf betrieblicher Ebene einen starken personalen Bezug zum Arbeitgeber aufweisen. Artikel 2 Abs. 1 GG kann daher zwar einen beachtlichen (mindestens paritätischen) Miteinfluß des Arbeitgebers bei betrieblichen Entscheidungen rechtfertigen; Artikel 2 Abs. 1 GG rechtfertigt aber nicht die Alleinbefugnis des Arbeitgebers bei Entscheidungen auf betrieblicher Ebene. Auch dem Mitbestimmungsurteil des Bundesverfassungsgerichts 284 kann diese Auffassung entnommen werden, wenngleich der Prüfungsgegenstand des Bundesverfassungsgerichts die gesetzliche Gestaltung unternehmerischer und nicht betrieblicher Entscheidungen war. Wenn aber die Einschränkung der unternehmerischen Entscheidungsautonomie auch bei Berücksichtigung des Artikel 2 Abs. 1 GG verfassungsrechtlich gerechtfertigt ist, so muß dies auch für Entscheidungen auf betrieblicher Ebene gelten. Auch Artikel 12 Abs. 1 GG vermag aufgrund des Gesetzesvorbehalts in Artikel 12 Abs. 1 Satz 2 2. Halbsatz GG, der sich auf die gesamte Berufsfreiheit (Berufswahl und Berufsausübung) bezieht 2 8 5 , den objektiven Rechtswert Alleinentscheidungsrecht des Arbeitgebers auf betrieblicher Ebene nicht zu rechtfertigen. Zwar können nach der herrschenden Meinung des Schrifttums 2 8 6 und der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts 287 die aus der arbeitsvertraglichen Privatautonomie folgenden Befugnisse des Arbeitgebers (z.B. Kündigungsrecht) nicht ausgeschlossen werden, wohl aber können sie zugunsten der Arbeitnehmer eingeschränkt werden. Beteiligungsrechte der Arbeitnehmer an solchen betrieblichen Entscheidungen des Arbeitgebers sind mithin verfassungsrechtlich zulässig. Der objektive Rechtswert alleinige Entscheidung des Arbeitgebers auf betrieblicher Ebene ist daher weder durch Artikel 2 Abs. 1 GG noch durch 281

Vgl. Merten, Jus 76, 345 (346). Vgl. Merten, Jus 76, 345 (346). 283 vgl, hierzu v. Münch, in: Grundgesetzkommentar, Rn. 32 zu Artikel 2 GG und BVerfGE 34, 238 (245, 246). 284 Vgl. BVerfGE 50, 290 (366). 285 s. Scholz, in: Maunz / Dürig, Rn. 15 zu Artikel 12 GG. 286 Vgl. Scholz, in: Maunz / Dürig, Rn. 50, 55 und 58 zu Artikel 12 GG. 287 Vgl. BVerfGE 50, 290 (364 und 365). 282

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Β. III. Verfassungsrecht und objektive Rechtswerte im Tendenzschutz

Artikel 12 Abs. 1 GG verfassungsrechtlich legitimiert. Mithin rechtfertigen Artikel 2 Abs. 1 und Artikel 12 Abs. 1 GG weder in der Schutzform als Abwehrrechte des Trägers eines Unternehmens (Arbeitgebers) noch als verfassungsrechtliche Einrichtungsgarantien für die Vertragsautonomie 288 noch als objektive Rechtssätze 289 eine ausschließliche Entscheidungsbefugnis des Arbeitgebers bei Entscheidungen auf betrieblicher Ebene. Soweit ein Alleinentscheidungsrecht des Arbeitgebers auf betrieblicher Ebene privatrechtlich in seinen Eigentums- und Besitzrechten als Träger des Unternehmens begründet ist, könnte auch eine verfassungsrechtliche Rechtfertigung dieses objektiven Rechtswertes durch Artikel 14 Abs. 1 GG in Betracht kommen. 29 0 Die Grundrechtsnormen der Artikel 12 Abs. 1 und 14 Abs. 1 GG sind funktionell aufeinander bezogen. 291 Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts stehen beide Grundrechtsnormen zueinander nicht im Spezialitätenverhältnis, sondern im Verhältnis der Idealkonkurrenz 292 . Artikel 14 Abs. 1 GG könnte daher eigenständig den objektiven Rechtswert Alleinentscheidungsrecht des Arbeitgebers rechtfertigen, soweit er Ausfluß privatrechtlicher Sachherrschaft ist. Aufgrund des Gesetzesvorbehalts des Artikel 14 Abs. 1 GG vermag jedoch auch Artikel 14 Abs. 1 GG diesen objektiven Rechtswert verfassungsrechtlich nicht zu legitimieren. Das Bundesverfassungsgericht hat in seinem Mitbestimmungsurteil für den Bereich der unternehmerischen Entscheidung eingehend dargelegt, daß Artikel 14 Abs. 1 GG eine Alleinentscheidungsbefugnis des Trägers eines Unternehmens nicht rechtfertigt. 293 Für den Bereich der Entscheidungen auf betrieblicher Ebene kann nichts anderes gelten. Die unter B.III.2.1.1 näher dargelegten Gründe, die eine Legitimation der Alleinbefugnis des Arbeitgebers zur Festlegung der betrieblichen Struktur ausschließen, sprechen auch gegen eine Rechtfertigung des objektiven Rechtswertes Alleinentscheidungsrecht des Arbeitgebers auf betrieblicher Ebene. Mithin legitimiert auch Artikel 14 Abs. 1 GG diesen objektiven 288 Nach der herrschenden Meinung enthält Artikel 12 Abs. 1 GG keine institutionellen Garantien. Vgl. Bachof, Freiheit des Berufs, in: Die Grundrechte, Bd. I I I / l , S. 165. - Zur strittigen Frage, ob Artikel 2 Abs. 1 GG die Vertragsautonomie als Einrichtungsgarantie gewährleistet, vgl. Schmidt-Salzer, Vertragsfreiheit und Verfassungsrecht, in: NJW 1970, 8ff. 289 Nach allgemeiner Meinung enthält sowohl Artikel 2 Abs. 1 GG als auch Artikel 12 Abs. 1 GG die Schutzform eines objektiven Rechtssatzes. Zu Artikel 12 Abs. 1 GG: vgl. Scholz, in: Maunz / Dürig, Rn. 68 und 5 zu Artikel 12 GG; zu Artikel 2 Abs. 1 GG: vgl. Dürig, in: Maunz / Dürig, Rn. 5 zu Artikel 2 Abs. 1 GG. 290 Vgl. hierzu Scholz, in: Maunz / Dürig, Rn. 132 zu Artikel 12 GG. 291 So Bundesverfassungsgericht in: BVerfGE 50, 290 (361 ff.). 292 So Bundesverfassungsgericht in: BVerfGE 8, 71 (79ff.); 21, 150 (154ff.) und 50, 290 (339ff., 361 ff. und 365). Zur Konkurrenz von Rechtsnormen allgemein vgl. Larenz, Methodenlehre der Rechtswissenschaft, S. 207ff. 293 vgl. BVerfGE 50, 290 (399ff.).

3. Regelungsgegenstand Entscheidungen auf betrieblicher Ebene

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Rechtswert weder in der Schutzform als Abwehrrecht des Arbeitgebers, noch als verfassungsrechtliche Einrichtungsgarantie 294 noch als objektiver Rechtssatz. 3.2 Legitimation des objektiven Rechts wertes: Alleinentscheidungsrecht des Arbeitgebers aufgrund der von § 118 BetrVG erfaßten Unternehmenszwecke

Zur verfassungsrechtlichen Legitimation des objektiven Rechts wertes Alleinentscheidungsrecht des Arbeitgebers auf betrieblicher Ebene sind beim Regelungsgegenstand des § 118 BetrVG betriebliche Entscheidungen die gleichen Grundrechtsnormen und sonstigen Verfassungsbestimmungen geeignet, die bei den einzelnen Tendenzschutzbestimmungen auch den objektiven Rechtswert Alleinbestimmungsrecht des Arbeitgebers über die betriebliche Struktur in mehr oder weniger großem Umfang rechtfertigen. Andere Verfassungsbestimmungen scheiden als Rechtfertigungsnormen aus. Dies gilt vor allem für die bereits unter B.III.3.1 untersuchten Grundrechtsnormen der Artikel 2 Abs. 1, 12 Abs. 1 und 14 Abs. 1 GG. Sie vermögen bei keinem Unternehmen ein Alleinentscheidungsrecht des Arbeitgebers auf betrieblicher Ebene zu rechtfertigen. 3.2.1 Legitimation des Alleinentscheidungsrechts des Arbeitgebers bei „Religionsgemeinschaften" Als verfassungsrechtliche Legitimationsnorm für ein Alleinentscheidungsrecht des Arbeitgebers kommt aus den bereits erörterten Gründen 2 9 5 ausschließlich Artikel 137 WRV in seiner Schutzform als verfassungsrechtliche Einrichtungsgarantie in Betracht. Er rechtfertigt nach seinem Schutzgut und Schutzbereich auch ein Alleinentscheidungsrecht des Arbeitgebers (Unternehmensträgers) auf betrieblicher Ebene für religiöse und nichtreligiöse Weltanschauungsgemeinschaften. Artikel 137 Abs. 3 WRV schützt nach seinem Wortlaut nicht nur die Autonomie der Weltanschauungsgemeinschaften hinsichtlich ihrer inneren Organisation, sondern auch die autonomen Entscheidungen der Weltanschauungsgemeinschaften. Artikel 137 WRV gewährleistet nämlich den Weltanschauungsgemeinschaften nicht nur das Recht, „ihre Angelegenheiten" selbständig zu „ordnen", sondern auch, sie zu „verwalten". 2 9 6 Entscheidungen innerhalb einer Weltanschauungsgemeinschaft haben, gleichgültig auf welcher Ebene, der Natur der Sache nach immer Bekennt294 Das Bundesverfassungsgericht (vgl. BVerfGE 24, 367 (389) und die Rechtslehre (vgl. Papier, in: Maunz / Dürig, Rn. 11 ff. zu Artikel 14 GG mit weiteren Literaturnachweisen) bejahen eine Institutsgarantie des Eigentums. 295 s. die Darlegungen unter B.III.2.2.1. 296 Vgl. z u den Begriffen Ordnen und Verwalten v. Campenhausen, Staatskirchenrecht, § 14 I (S. 79ff.).

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Β. III. Verfassungsrecht und objektive Rechtswerte im Tendenzschutz

nischarakter. In ihnen vollzieht sich das bekenntnismäßige Leben einer Weltanschauungsgemeinschaft. Die Entscheidungen der Weltanschauungsgemeinschaften auf betrieblicher Ebene sind Bekenntnis und daher durch Artikel 137 WRV geschützt. Staatliche Regelungen, die die Entscheidungsfreiheit der Weltanschauungsgemeinschaften auf betrieblicher Ebene beschneiden, treffen die Weltanschauungsgemeinschaften anders und härter als sonstige Gemeinschaften. Solche staatlichen Regelungen würden nämlich Entscheidungen mit Bekenntnischarakter Fremdeinflüssen öffnen. Mithin können solche staatlichen Regelungen den Weltanschauungsgemeinschaften gegenüber nicht als ein für alle geltendes Gesetz im Sinne des Artikel 137 WRV qualifiziert werden. Auch die Schranke des Artikel 137 WRV (allgemeine Gesetze) begrenzt daher nicht die verfassungsrechtliche Legitimation des objektiven Rechtswertes Alleinentscheidungsrecht des Arbeitgebers auf betrieblicher Ebene bei Weltanschauungsgemeinschaften. Artikel 137 WRV rechtfertigt somit den objektiven Rechtswert Alleinentscheidung des Arbeitgebers auf betrieblicher Ebene bei der Tendenzschutzbestimmung des § 118 Abs. 2 BetrVG, soweit religiöse und nichtreligiöse Weltanschauungsgemeinschaften als „Religionsgemeinschaften" erfaßt werden.

3.2.2 Legitimation des Alleinentscheidungsrechts des Arbeitgebers bei „karitativen und erzieherischen Einrichtungen von Religionsgemeinschaften" Wie unter B.III.2.2.2 im einzelnen dargelegt wurde, erfaßt Artikel 137 WRV nach Schutzgut und Schutzbereich nur solche karitativen und erzieherischen Einrichtungen, die mit ihren karitativen bzw. erzieherischen Zielsetzungen nach dem Selbstverständnis der jeweiligen religiösen Weltanschauung, der sie zuzuordnen sind, karitative bzw. erzieherische Dienstoder Sachleistungen als Erfüllung transzendenter „göttlicher" Weisungen vornehmen. Solche Einrichtungen können einer Religionsgemeinschaft nur zugeordnet werden, wenn die karitativen bzw. erzieherischen Ziele von der Religionsgemeinschaft auch anerkannt und gebilligt sind. Dies ist etwa bei katholischen oder evangelischen Krankenhäusern der Fall. 2 9 7 Die übrigen karitativen und erzieherischen Einrichtungen von religiösen und nichtreligiösen Weltanschauungsgemeinschaften erfaßt Artikel 137 WRV nur dann, wenn ausnahmsweise die karitativen oder erzieherischen Dienstleistungen solcher Einrichtungen als Bekenntnis aufzufassen sind. Artikel 137 WRV kann daher auch nur für solche karitativen und erzieheri297 Vgl. die Beschwerdeführer gegen das Krankenhausgesetz des Landes Nordrhein-Westfalen vom 2. 5. 75 in BVerfGE 53, 366ff.

3. Regelungsgegenstand Entscheidungen auf betrieblicher Ebene

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sehen Einrichtungen den objektiven Rechtswert Alleinentscheidungsrecht des Arbeitgebers auf betrieblicher Ebene rechtfertigen. In karitativen und erzieherischen Einrichtungen der beschriebenen Art sind Entscheidungen auf betrieblicher Ebene als Bekenntnis oder Religionsausübung zu werten. Zwar geht es auf betrieblicher Ebene um Entscheidungen zur Verwirklichung der arbeitstechnischen Zwecke des „Betriebes". Wie aber bereits dargelegt wurde, erfaßt das insoweit mit dem Schutzgut des Artikel 4 Abs. 2 GG übereinstimmende Schutzgut des Artikel 137 Abs. 3 WRV auch alltägliche Handlungen und Zwecksetzungen, wenn und soweit sie als Erfüllung transzendenter Weisungen aufzufassen sind. Die Verwirklichimg des arbeitstechnischen Zweckes karitative und/oder erzieherische Dienstleistungen ist als Vollzug einer transzendenten Weisung für Caritas und Erziehung in solchen Einrichtungen aufzufassen. Soweit in karitativen und/oder erzieherischen Einrichtungen die karitativen und/oder erzieherischen Dienstleistungen Bekenntnischarakter haben, sind auch Entscheidungen über arbeitstechnische Zwecke in solchen Einrichtungen Bekenntnis. Betriebliche Entscheidungen in solchen karitativen und erzieherischen Einrichtungen sind daher durch Artikel 137 WRV geschützte Religionsausübung oder religiöses oder nichtreligiöses weltanschauliches Bekenntnis. 298 Jede gesetzliche Einschränkung eines Alleinentscheidungsrechtes des Arbeitgebers (Unternehmensträgers) einer karitativen und/oder erzieherischen Einrichtung einer Weltanschauungsgemeinschaft, die mit ihren Dienstleistungen „bekennt" oder für die Caritas und Erziehung transzendente Weisungen darstellen, würde daher die durch Artikel 137 WRV geschützte Bekenntnisfreiheit und Religionsausübung durch ein nicht für alle geltendes Gesetz einschränken. Mithin rechtfertigt Artikel 137 WRV in seiner Schutzform als verfassungsrechtliche Einrichtungsgarantie den objektiven Rechtswert Alleinentscheidungsrecht des Arbeitgebers auf betrieblicher Ebene für solche karitativen und erzieherischen Einrichtungen, die nach dem Selbstverständnis der jeweiligen religiösen Weltanschauungsgemeinschaften mit ihrem karitativen und erzieherischen Unternehmensgegenstand von der entsprechenden Religronsgemeinschaft anerkannte transzendente Weisungen erfüllen oder deren Unternehmensgegenstand karitative und/oder erzieherische Dienstleistungen weltanschauliches Bekenntnis ist. Soweit der Tendenzschutzbestimmung für karitative und erzieherische Einrichtungen von Religionsgemeinschaften auch andere karitative und erzieherische Einrichtungen unterfallen, ist für diese Unternehmen der objektive Rechtswert Alleinentscheidungsrecht des Arbeitgebers auf betrieblicher Ebene nicht durch A r t i k e l 137 WRV gerechtfertigt. 298 Wie bereits unter B.III.2.2.1.4 dargelegt wurde, ist Schutzgut des Artikel 137 Abs. 3 WRV sowohl die Religionsausübung als auch das religiöse bzw. nichtreligiöse weltanschauliche Bekenntnis.

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Β. III. Verfassungsrecht und objektive Rechtswerte im Tendenzschutz

3.2.3 Legitimation des Alleinentscheidungsrechts des Arbeitgebers bei „karitativen Unternehmen" Unter B.III.2.2.2 wurde näher begründet, daß keine Grundrechtsnorm und keine sonstige Verfassungsbestimmung, die eine verfassungsrechtliche Einrichtungsgarantie enthält, die Verfolgung karitativer Zielsetzungen - seien es sachliche oder formale Unternehmenszwecke - besonders schützt. Anders verhält es sich nur, soweit solche Unternehmen zugleich weltanschaulich „geprägt" sind und die karitativen Unternehmen daher zugleich als konfessionelle Unternehmen aufzufassen sind. Der objektive Rechtswert Alleinentscheidungsrecht des Arbeitgebers auf betrieblicher Ebene w i r d daher in nichtweltanschaulich bestimmten karitativen Unternehmen verfassungsrechtlich nicht legitimiert. Eine Legitimation durch Artikel 2 Abs. 1 GG scheidet aus den bereits unter B.II.2.2.2 dargelegten Gründen aus. Dort wurde auch dargelegt, warum Artikel 1 Abs. 1 GG ebenfalls nicht als Legitimationsnorm geeignet ist. 3.2.4 Legitimation des Alleinentscheidungsrechts des Arbeitgebers bei „erzieherischen Unternehmen" Ausschließlich die Grundrechtsnorm des Artikel 7 Abs. 4 Satz 1 GG bzw. bei erzieherischen Unternehmen, bei denen die Eltern Unternehmensträger sind, die Grundrechtsnorm des Artikel 6 Abs. 2 GG können die Verwirklichung des sachlichen Unternehmensziels Erziehung besonders schützen. Dies wurde bereits unter B.III.2.2.2 begründet. Dort wurden auch Schutzgut, Schutzbereich und Schutzform dieser Grundrechtsriormen näher erläutert. Danach gewährleisten Artikel 7 Abs. 4 Satz 1 GG und Artikel 6 Abs. 2 GG - in ihren jeweils verschieden gezogenen Schutzbereichen - in der Schutzform als Abwehrrecht des Unternehmensträgers und in der Schutzform als verfassungsrechtliche Einrichtungsgarantie dem Arbeitgeber (Unternehmensträger) die Freiheit, über Lehrziele, Lehrstoffe, Lehrmethoden und die Auswahl der Lehrer bestimmen zu können. Soweit daher Entscheidungen auf betrieblicher Ebene Entscheidungen über Lehrziele, Lehrstoffe, Lehrmethoden und Auswahl der Lehrer darstellen oder solche Entscheidungsgegenstände berühren, rechtfertigen die Grundrechtsnormen der Artikel 7 Abs. 4 Satz 1 bzw. 6 Abs. 2 GG den objektiven Rechtswert Alleinentscheidungsrecht des Arbeitgebers auf betrieblicher Ebene. Der Umfang des verfassungsrechtlich legitimierten Alleinentscheidungsrechts des Arbeitgebers auf betrieblicher Ebene bestimmt sich somit danach, ob und inwieweit Entscheidungen auf betrieblicher Ebene das Bestimmungsrecht des Unternehmensträgers über Lehrziele, Lehrstoffe, Lehrmethoden und Wahl der Lehrer berühren können. Es muß daher der

3. Regelungsgegenstand Entscheidungen auf betrieblicher E b e n e 1 9 5

Frage nachgegangen werden, ob und inwieweit betriebsverfassungsrechtliche Beteiligungsrechte solche verfassungsrechtlich besonders geschützte Bereiche betrieblicher Entscheidungen erfassen. Hierbei könnte der Standpunkt vertreten werden, daß durch betriebsverfassungsrechtliche Beteiligungsrechte geringen Wirkungsgrades (z.B. Unterrichtungs- und Beratungsrechte) ein verfassungsrechtlich legitimiertes Alleinentscheidungsrecht des Arbeitgebers gar nicht berührt werden kann. Die herrschende Meinung des Arbeitsrechts 299 und die Rechtsprechung des B A G 3 0 0 nehmen dies zumindest bei betriebsverfassungsrechtlichen Unterrichtungsrechten an, soweit sie nicht dem Bereich der sogenannten wirtschaftlichen Angelegenheiten zuzuordnen sind. G. Müller 301 hat jedoch darauf aufmerksam gemacht, daß auch bloße Unterrichtungsrechte das Alleinentscheidungsrecht des Unternehmensträgers beeinträchtigen können. Er hat darauf hingewiesen, daß auch eine bloße Unterrichtimg Gegenstrategien hervorrufen kann, die die Entscheidungsfreiheit des Unternehmensträgers (Arbeitgebers) beschränken. Mithin kann m.E. davon ausgegangen werden, daß auch betriebsverfassungsrechtliche Unterrichtungsrechte das Schutzgut der Artikel 7 Abs. 4 Satz 1 bzw. 6 Abs. 2 GG berühren können. Die bloße Unterrichtung bleibt jedoch ein sehr schwaches Beteiligungsrecht, und die Entwicklung von Gegenstrategien aufgrund desselben kann rechtlich sehr leicht an der rechtsstaatlichen Maxime des Übermaßverbots scheitern. Die übrigen stärker ausgestalteten betriebsverfassungsrechtlichen Beteiligungsrechte (z.B. Widerspruchsrechte) werden das Schutzgut der Artikel 7 Abs. 4 Satz 1 bzw. 6 Abs. 2 GG immer tangieren. Soweit daher der Gegenstand betriebsverfassungsrechtlicher Beteiligungsrechte gleich welcher Qualität in den Schutzbereich der Artikel 7 Abs. 4 Satz 1 bzw. 6 Abs. 2 GG fällt, rechtfertigen die genannten Grundrechtsnormen ein Alleinentscheidungsrecht des Arbeitgebers. Möglich wäre des weiteren, daß betriebliche Entscheidungen über Gegenstände, die in den Schutzbereich der Artikel 7 Abs. 4 Satz 1 GG bzw. 6 Abs. 2 GG fallen, nur dann ein Alleinentscheidungsrecht des Arbeitgebers (Unternehmensträgers) rechtfertigen, wenn sie gegenüber Tendenzträgern zu treffen sind. Diese Frage spielt aber bei dem hier zu untersuchenden Problem, ob und inwieweit Bereiche betrieblicher Entscheidungen in den Schutzbereich der Artikel 7 Abs. 4 Satz 1 bzw. 6 Abs. 2 GG fallen und daher ein Alleinentscheidungsrecht des Arbeitgebers (Unternehmensträgers) legitimieren, keine Rolle. Letztendlich verwirklichen nämlich alle Arbeitnehmer, wenn auch i n unterschiedlichem Maße, die von den Tendenzschutzbestimmungen erfaßten Zwecke. Es ist daher im folgenden allein zu untersu299 Vgl. Dietz / Richardi, Bd. 2, Rn. 68 zu § 118 BetrVG; Galperin / Löwisch, Bd. 2, Rn. 66 zu § 118 BetrVG; Fitting / Auffarth, Rn. 23 zu § 118 BetrVG. 3°° Vgl. BAG AP Nr. 1 zu § 118 BetrVG. 301 Müller, G., in: Festschrift für Hilger und Stumpf, S. 284.

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Β. III. Verfassungsrecht und objektive Rechtswerte im Tendenzschutz

chen, welche Bereiche betrieblicher Entscheidungen in die Schutzbereiche der Artikel 7 Abs. 4 Satz 1 bzw. 6 Abs. 2 GG fallen. Soweit dies der Fall ist, rechtfertigen die genannten Grundrechtsnormen ein Alleinentscheidungsrecht des Arbeitgebers in den von der Tendenzschutzbestimmung des § 118 Abs. 1 Nr. 1 BetrVG erfaßten Unternehmen, soweit sie Privatschulen oder von Eltern getragene Erziehungseinrichtungen sind. 3.2.4.1 Für den Entscheidungsbereich des § 80 BetrVG Die von § 80 Abs. 1 Nr. 4, 6 und 7 BetrVG erfaßten Gegenstände unterfallen dem Schutzgut und Schutzbereich der Artikel 7 Abs. 4 Satz 1 bzw. 6 Abs. 2 GG. Die Eingliederung besonders schutzbedürftiger Personen, älterer Arbeitnehmer und ausländischer Arbeitnehmer kann die von Artikel 7 Abs. 4 Satz 1 bzw. 6 Abs. 2 GG gewährleistete Freiheit der Lehrerauswahl, aber auch der Bestimmung der Lehrmethoden beeinflussen 302 . Im übrigen erfaßt jedoch § 80 BetrVG keine Gegenstände, die das Schutzgut der Artikel 7 Abs. 4 Satz 1 bzw. 6 Abs. 2 GG beeinträchtigen können. Dies gilt auch für das Einblicksrecht des Betriebsrates in die Gehaltslisten. 3.2.4.2 Für den Entscheidungsbereich soziale Angelegenheiten Schutzgut und Schutzbereich der Artikel 7 Abs. 4 Satz 1 bzw. 6 Abs. 2 GG erfassen die in § 87 Abs. 1 Nr. 2, 3 und 6 BetrVG geregelten Bereiche. So können etwa die in § 87 Abs. 1 Nr. 2 und Nr. 3 BetrVG erfaßten Regelungen über Arbeitszeiten für die Verwirklichung bestimmter Lehrmethoden und Lehrziele von erheblicher Bedeutung sein. Für diese Bereiche legitimiert daher Artikel 7 Abs. 4 Satz 1 bzw. 6 Abs. 2 GG ein Alleinbestimmungsrecht des Arbeitgebers. Nichts anderes gilt für den Gegenstand des § 87 Abs. 1 Nr. 6 BetrVG. Hingegen berühren die übrigen in §§ 87 und 89 BetrVG geregelten Bereiche nicht Schutzgut und Schutzbereich der Artikel 7 Abs. 4 Satz 1 oder 6 Abs. 2 GG. Für diese Bereiche rechtfertigen daher die genannten Grundrechtsnormen kein Alleinentscheidungsrecht des Arbeitgebers. 3.2.4.3 Für den Entscheidungsbereich Gestaltung von Arbeitsplätzen, Arbeitsablauf und Arbeitsumgebung In diesem Entscheidungsbereich unterfallen die von den §§90 Nr. 2, 3 und 4 sowie 91 BetrVG erfaßten Gegenstände dem Schutzgut und dem Schutzbereich der Artikel 7 Abs. 4 Satz 1 und 6 Abs. 2 GG. Entscheidungen über 302 v g l hierzu allgemein die Ausführungen von Müller, G., in: Festschrift für Hilger und Stumpf, S. 497.

3. Regelungsgegenstand Entscheidungen auf betrieblicher E b e n e 1 9 7

technische Anlagen, über Arbeitsplatzverfahren und Arbeitsabläufe sowie über die Arbeitsplatzgestaltung 303 berühren nämlich die in den Grundrechtsnormen gewährleistete Freiheit des Arbeitgebers (Unternehmensträgers), über Lehrmethoden bestimmen zu können. Berücksichtigt man den Zusammenhang zwischen § 90 BetrVG und § 112 BetrVG 3 0 4 , so wird man sagen müssen, daß Entscheidungen in diesen Bereichen den Kern der Gewährleistung der Artikel 7 Abs. 4 GG bzw. 6 Abs. 2 GG für die Bestimmungsfreiheit des Arbeitgebers bei Lehrmethoden berühren. Der objektive Rechtswert Alleinbestimmungsrecht des Arbeitgebers (Unternehmensträgers) ist daher für die von den §§90 Nr. 2, 3 und 4 und 91 BetrVG erfaßten Gegenstände verfassungsrechtlich legitimiert. 3.2.4.4 Für den Entscheidungsbereich personelle Angelegenheiten Im Bereich der allgemeinen personellen Angelegenheiten können weder die von § 92 BetrVG noch die von § 93 BetrVG erfaßten Gegenstände das in Artikel 7 Abs. 4 Satz 1 GG und 6 Abs. 2 GG enthaltene Schutzgut der Freiheit der Lehrerauswahl berühren. 305 In diesem Entscheidungsbereich ist daher ein Alleinbestimmungsrecht des Arbeitgebers verfassungsrechtlich nicht legitimiert. Anders verhält es sich mit den von § 94 und § 95 BetrVG erfaßten Entscheidungsbereichen. Sie berühren die Freiheit der Lehrerauswahl. Insoweit ist daher der objektive Rechtswert Alleinbestimmungsrecht des Arbeitgebers auf betrieblicher Ebene verfassungsrechtlich legitimiert. Die Gegenstände der §§96 bis 98 BetrVG (Berufsbildung) fallen ebenfalls in das Schutzgut und in den Schutzbereich der Artikel 7 Abs. 4 Satz 1 bzw. 6 Abs. 2 GG. Das in den Grundrechtsnormen gewährleistete Bestimmungsrecht über Lehrziele, Lehrstoffe und Lehrmethoden beinhaltet die Freiheit, über eine entsprechende Fortbildung in diesen Bereichen bestimmen zu können. Auch in dem Bereich Berufsbildung ist somit der objektive Rechtswert Alleinbestimmungsrecht des Arbeitgebers verfassungsrechtlich legitimiert. Hinsichtlich des Bereichs der personellen Einzelmaßnahmen (§ 99 ff. BetrVG) bedarf es keiner weiteren Ausführungen, daß dieser Entscheidungsbereich das Schutzgut der Artikel 7 Abs. 4 Satz 1 GG und 6 Abs. 2 GG tangiert. Insoweit ist daher ebenfalls der objektive Rechtswert Alleinbestimmungsrecht des Arbeitgebers verfassungsrechtlich legitimiert.

303 Zum Inhalt und zur Tragweite dieser Begriffe vgl. Dietz / Richardi, Bd. 2, Rn. 7 mit 13 zu § 90 BetrVG. 304 Zu diesem systematischen Zusammenhang vgl. Dietz / Richardi, Bd. 2, Vorbemerkung vor § 90 BetrVG Rn. 3. 305 Vgl. zu dieser Problematik allgemein Müller, G., in: Festschrift für Hilger und Stumpf, S. 503.

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Β. III. Verfassungsrecht und objektive Rechtswerte im Tendenzschutz

3.2.4.5 Für den Entscheidungsbereich wirtschaftliche Angelegenheiten Im Bereich der wirtschaftlichen Angelegenheiten unterfallen die von den §§111 und 112 Abs. 1 Satz 1 BetrVG (Planungen und Entscheidungen über Betriebsänderungen) erfaßten Bereiche dem Schutzgut und Schutzbereich der Artikel 7 Abs. 4 Satz 1 bzw. 6 Abs. 2 GG. Die dort erfaßten Bereiche berühren unmittelbar die Verwirklichung der von Artikel 7 Abs. 4 bzw. 6 Abs. 2 GG geschützten sachlichen Unternehmensziele einer Privatschule bzw. einer von Eltern getragenen Erziehungseinrichtung. In diesen Entscheidungsbereichen ist daher der objektive Rechtswert Alleinentscheidungsrecht des Arbeitgebers verfassungsrechtlich gerechtfertigt. Hingegen berühren die von §§112 und 113 BetrVG erfaßten Entscheidungsbereiche Ausgleich oder Milderung wirtschaftlicher Nachteile für die Arbeitnehmer infolge Betriebsänderung weder Schutzgut noch Schutzbereich der Artikel 7 Abs. 4 Satz 1 bzw. 6 Abs. 2 GG. Die Entscheidungen in diesen Bereichen werden nämlich erst getroffen, nachdem Entscheidungen unwiderruflich gefallen sind (Betriebsänderung), die das Schutzgut und den Schutzbereich der Artikel 7 Abs. 4 Satz 1 bzw. 6 Abs. 2 GG berühren. In diesen Bereichen legitimieren daher die genannten Grundrechtsnormen ein Alleinentscheidungsrecht des Arbeitgebers nicht.

3.2.4.6 Ergebnis Die Beachtung des objektiven Rechtswertes Alleinentscheidungsrecht des Arbeitgebers auf betrieblicher Ebene ist bei der Tendenzschutzbestimmung für erzieherische Unternehmen für Unternehmen, deren sachliche Unternehmensziele erzieherische Dienstleistungen sind, durch die Artikel 7 Abs. 4 Satz 1 oder 6 Abs. 2 GG in der Schutzform als Abwehrrecht des Arbeitgebers und als objektiver Rechtssatz bei folgenden Gegenständen betrieblicher Entscheidungen verfassungsrechtlich legitimiert: - Bereich des § 80 Nr. 4, 6 und 7 BetrVG - Bereich des § 87 Abs. 1 Nr. 2, 3 und 6 BetrVG - Bereich der §§ 90 Nr. 2, 3 und 4 sowie 91 BetrVG - Bereich der §§ 94 und 95 BetrVG - Bereich der §§ 96 bis 98 BetrVG - Bereich der §§ 99 ff. BetrVG - Bereich der §§ 111, 112 Abs. 1 Satz 1 BetrVG (Betriebsänderung) Die übrigen Gegenstände betriebsverfassungsrechtlicher Beteiligungsrechte gehören nicht zu dem Bereich betrieblicher Entscheidungen, in denen Arti-

3. Regelungsgegenstand Entscheidungen auf betrieblicher Ebene

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kel 7 Abs. 4 Satz 1 und 6 Abs. 2 GG den objektiven Rechtswert Alleinentscheidungsrecht des Arbeitgebers (Unternehmensträgers) rechtfertigen. 3.2.5 Legitimation des Alleinentscheidungsrechts des Arbeitgebers bei „konfessionellen Unternehmen" Als verfassungsrechtliche Rechtfertigungsnormen des objektiven Rechtswertes Alleinentscheidungsrecht des Arbeitgebers auf betrieblicher Ebene kommen bei konfessionellen Unternehmen ausschließlich die Grundrechtsnormen des Artikel 4 Abs. 1 und Abs. 2 GG in der Schutzform als Abwehrrechte des Arbeitgebers (Unternehmensträgers) und in der Schutzform als objektive Rechtsnormen in Betracht. Die genannten Grundrechtsnormen können diesen objektiven Rechtswert allerdings nur insoweit rechtfertigen, als die Tendenzschutzbestimmung für konfessionelle Unternehmen Unternehmen erfaßt, deren sachliches Unternehmensziel als ein weltanschauliches Bekenntnis in den Bereichen Herstellung und/oder Vertrieb von Waren oder Dienstleistungen aufzufassen ist (Schutzgut des Artikel 4 Abs. 1 GG und für religiöses Bekenntnis auch Artikel 4 Abs. 2 GG) oder deren formales und/oder sachliches Unternehmensziel (Schutzgut des Artikel 4 Abs. 2 GG) nach dem Selbstverständnis einer Religionsgemeinschaft als die Ausführung transzendenter Weisungen aufgefaßt werden kann. Die Gründe für diese Auffassung wurden bereits unter B.III.2.2.2 näher dargelegt. Hingegen scheidet Artikel 137 WRV als Rechtfertigungsnorm schon deshalb aus, weil bereits die Bestimmung des Anwendungsbereiches der Tendenzschutzbestimmung für konfessionelle Unternehmen ergeben hat, daß diese Tendenzschutzbestimmung weder Weltanschauungsgemeinschaften noch deren karitative und erzieherische Einrichtungen erfaßt. § 118 Abs. 2 BetrVG erfaßt gegenüber der Tendenzschutzbestimmung für konfessionelle Unternehmen einen anderen Sachverhalt. Eine Rechtfertigung des objektiven Rechtswertes Alleinentscheidungsrecht des Arbeitgebers kommt allerdings nur bei solchen Bereichen betrieblicher Entscheidungen in Betracht, in denen die Verwirklichung eines Bekenntnisses oder einer Religionsausübung berührt werden kann. 3.2.5.1 Für den Entscheidungsbereich des § 80 BetrVG Die Eingliederung besonders schutzbedürftiger Personen, älterer Arbeitnehmer und ausländischer Arbeitnehmer im Betrieb kann von einem religiösen oder nichtreligiösen weltanschaulichen Bekenntnis gefordert sein oder umgekehrt diesem Bekenntnis entgegenstehen. Auch wenn dies nicht bei jeder Weltanschauung der Fall sein muß, w i r d man dennoch aus Gründen der Rechtssicherheit und damit aufgrund des Rechtsstaatsprinzips davon

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Β. III. Verfassungsrecht und objektive Rechtswerte im Tendenzschutz

ausgehen müssen, daß dieser Entscheidungsbereich vom Schutzbereich des Artikel 4 Abs. 1 und Abs. 2 GG erfaßt ist. Mithin fallen die von § 80 Abs. 1 Nr. 4, 6 und 7 BetrVG erfaßten Bereiche in das Schutzgut und den Schutzbereich des Artikel 4 Abs. 1 GG und bei religiösem Bekenntnis auch in den Schutzbereich des Artikel 4 Abs. 2 GG. Hingegen w i r d man nicht sagen können, daß auch die übrigen von § 80 BetrVG erfaßten Entscheidungsbereiche in das Schutzgut und in den Schutzbereich des Artikel 4 Abs. 1 und Abs. 2 GG fallen. Zwar ist denkbar, daß etwa ein weltanschauliches Bekenntnis verlangt, geltende Gesetze gerade nicht zu beachten. Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts 306 und der herrschenden Meinung 3 0 7 sind jedoch auch Grundrechtsnormen, die keinen Schrankenvorbehalt kennen, insoweit eingeschränkt (immanente Schranken), als ihnen der Kerngehalt von Wertentscheidungen anderer Verfassungsbestimmungen entgegensteht. Nach dem Grundsatz der Einheit der Verfassung sind auch diese Wertentscheidungen zu beachten, so daß sie insoweit auch vorbehaltlose Grundrechte einschränken. Auch die von Artikel 4 Abs. 1 GG geschützte Bekenntnisfreiheit ist daher nur soweit geschützt, als sie nicht für den Bestand der Gemeinschaft notwendige und von der Verfassung geschützte Rechtsgüter verletzt. 3 0 8 Ein solches für die Gemeinschaft notwendiges, durch das Rechtsstaatsprinzip geschütztes Rechtsgut ist die Bindung an Gesetz und Recht. Mithin verbleibt es bei der Feststellung, daß abgesehen von den Bereichen des § 80 Abs. 1 Ziffer 4, 6 und 7 BetrVG die übrigen Bereiche des § 80 BetrVG keine Entscheidungen beinhalten, die das Schutzgut und den Schutzbereich des Artikel 4 Abs. 1 und Abs. 2 GG berühren können. Der objektive Rechtswert Alleinentscheidungsrecht des Arbeitgebers (Unternehmensträgers) ist daher für die betrieblichen Entscheidungen in diesen Bereichen weder durch Artikel 4 Abs. 1 noch durch Artikel 4 Abs. 2 GG verfassungsrechtlich legitimiert.

3.2.5.2 Für den Entscheidungsbereich soziale Angelegenheiten Der betriebliche Entscheidungsbereich der §§87 und 89 BetrVG w i r d mit Ausnahme des Regelungsgegenstandes des § 87 Nr. 7 und 11 BetrVG und des § 89 BetrVG vom Schutzgut und Schutzbereich des Artikel 4 Abs. 1 und Abs. 2 GG (bei religiösem Bekenntnis und Religionsausübung) erfaßt.

306 BVerfGE 32, 98 (107ff.); 33, 23 (29); 44, 37 (50); 52, 223ff. 307 v g l γ Campenhausen, Staatskirchenrecht, § 12, S. 555ff. und Herzog, in: Maunz / Dürig, Rn. 3 und 88 ff. zu Artikel 4 GG. 308 Vgl. BVerfGE 52, 223ff.

3. Regelungsgegenstand Entscheidungen auf betrieblicher Ebene

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Die übrigen von § 87 Abs. 1 BetrVG erfaßten Entscheidungsbereiche können nämlich bei einer bestimmten Weltanschauung Gegenstand eines Bekenntnisses oder der Religionsausübung sein. Artikel 4 Abs. 1 GG und bei religiösen Unternehmen auch Artikel 4 Abs. 2 GG rechtfertigen daher in der Schutzform als Abwehrrechte des Arbeitgebers und in der Schutzform als objektive Rechtsnormen den objektiven Rechtswert Alleinentscheidungsrecht des Arbeitgebers in diesen betrieblichen Entscheidungsbereichen. Lediglich beim Entscheidungsbereich Arbeitsschutz und der Festsetzung von Akkord- und Prämiensätzen (§ 87 Abs. 1 Nr. 11 BetrVG) ist der objektive Rechtswert Alleinentscheidungsrecht des Arbeitgebers nicht verfassungsrechtlich legitimiert.

3.2.5.3 Für den Entscheidungsbereich des § 90 BetrVG Sämtliche von §§ 90 und 91 BetrVG erfaßte Entscheidungsbereiche können Gegenstand eines weltanschaulichen Bekenntnisses oder der Religionsausübung sein. Die von § 90 BetrVG erfaßten Planungsgegenstände sind nämlich direkt Folge des sachlichen Unternehmensziels, das bei konfessionellen Unternehmen wiederum weltanschauliches Bekenntnis oder Religionsausübung ist. So kann etwa in einem weltanschaulich geprägten Unternehmen nicht jedes zweckmäßige Arbeitsverfahren dem weltanschaulichen Bekenntnis entsprechen. Der Arbeitgeber muß sich daher frei für ein von seiner Weltanschauung gebilligtes Arbeitsverfahren entscheiden („bekennen") können. Nicht anders verhält es sich mit der Entscheidung über Neu-, Um- und Erweiterungsbauten sowie bei den anderen von § 90 BetrVG erfaßten Entscheidungsbereichen. Eine Neubauplanung muß nämlich bei einer Weltanschauung den Grundsätzen dieser Weltanschauung genügen, sie kann sich daher nicht ausschließlich nach sozialen, wirtschaftlichen und Zweckmäßigkeitsgesichtspunkten richten. Mithin rechtfertigt Artikel 4 Abs. 1 (für religiös bestimmte Unternehmen auch Artikel 4 Abs. 2) GG den objektiven Rechtswert Alleinentscheidungsrecht des Arbeitgebers (Unternehmensträgers) auch für die von den §§90 und 91 BetrVG erfaßten Entscheidungsbereiche. 3.2.5.4 Für den Entscheidungsbereich berufliche Bildung Jede berufliche Bildungsmaßnahme beinhaltet zugleich bestimmte Lehrziele und Lehrmethoden. Da diese wiederum weltanschaulich ausgerichtet sein können, unterfallen auch die von den §§ 96 ff. BetrVG erfaßten Entscheidungsbereiche dem Schutzgut und dem Schutzbereich der Artikel 4 Abs. 1 und/oder 4 Abs. 2 GG. Die Artikel 4 Abs. 1 und/oder 4 Abs. 2 GG rechtfertigen damit auch für diesen Entscheidungsbereich den objektiven

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Β. III. Verfassungsrecht und objektive Rechtswerte im Tendenzschutz

Rechtswert Alleinentscheidungsrecht des Arbeitgebers auf betrieblicher Ebene. 3.2.5.5 Für den Entscheidungsbereich allgemeine personelle Angelegenheiten Die von den §§ 92 ff. BetrVG erfaßten Entscheidungsbereiche fallen mit Ausnahme des Bereiches Ausschreibung von Arbeitsplätzen innerhalb des Betriebes in das Schutzgut und den Schutzbereich der Artikel 4 Abs. 1 und/ oder 4 Abs. 2 GG. Von den Entscheidungen in Personalfragen, gleichgültig, ob es sich um Personalplanung oder deren Grundsätze oder um konkrete Personalentscheidungen handelt, hängt es in erster Linie ab, ob und inwieweit der Arbeitgeber sein weltanschauliches Bekenntnis oder seine Religionsausübung in den von ihm verfolgten sachlichen Unternehmensziel verwirklichen kann. Lediglich bei dem von § 93 BetrVG erfaßten Entscheidungsbereich verhält es sich anders. Dies deshalb, weil hier über eine Angelegenheit entschieden wird, über die der Arbeitgeber ohnehin nicht allein entscheiden kann. Es ist nämlich in erster Linie Entscheidung der Betriebsangehörigen, ob sie sich bewerben wollen oder nicht. 3 0 9 Mithin rechtfertigen die Artikel 4 Abs. 1 und/oder 4 Abs. 2 GG den objektiven Rechtswert Alleinentscheidungsrecht des Arbeitgebers (Unternehmensträgers) für die von den §§ 92 ff. BetrVG (allgemeine personelle Angelegenheiten) erfaßten Bereiche, soweit es nicht um die betriebsinterne Ausschreibung von Arbeitsplätzen geht. 3.2.5.6 Für den Entscheidungsbereich personelle Einzelmaßnahmen Die von den §§ 99 ff. BetrVG erfaßten Entscheidungsbereiche dienen unmittelbar der Verwirklichung eines weltanschaulichen Bekenntnisses oder einer Religionsausübung. Sie werden daher vom Schutzgut und Schutzbereich der Artikel 4 Abs. 1 und/oder 4 Abs. 2 GG erfaßt. Die Grundrechtsnormen des Artikel 4 Abs. 1 und Abs. 2 GG rechtfertigen daher für den Entscheidungsbereich personelle Einzelmaßnahmen den objektiven Rechtswert Alleinentscheidungsrecht des Arbeitgebers (Unternehmensträgers). 3.2.5.7 Für den Entscheidungsbereich wirtschaftliche Angelegenheiten Es wurde bereits unter B.III.3.2.5.3 dargelegt, daß der Entscheidungsbereich des § 90 BetrVG vom Schutzgut und Schutzbereich der Artikel 4 Abs. 1 und/oder 4 Abs. 2 GG erfaßt wird. Der Entscheidungsbereich des 309

So Müller, G., in: Festschrift für Hilger und Stumpf, S. 503.

3. Regelungsgegenstand Entscheidungen auf betrieblicher E b e n e 2 0 3

§111 BetrVG steht mit dem Entscheidungsbereich des § 90 BetrVG in engem sachlichen Zusammenhang. Die von § 111 BetrVG erfaßten Betriebsänderungen können je nach der konkreten Weltanschauung des Arbeitgebers (Unternehmensträgers), die dieser mit seinem sachlichen Unternehmensziel verwirklichen („bekennen") will, ein weltanschauliches Bekenntnis sein. Auch können für Betriebsänderungen transzendente Weisungen vorgegeben sein (Religionsausübimg). Entscheidungen über Betriebsänderungen fallen daher ebenfalls in das Schutzgut und in den Schutzbereich der Artikel 4 Abs. 1 und/oder 4 Abs. 2 GG. Das gleiche gilt für den von § 112 Abs. 1 Satz 1 BetrVG erfaßten Interessenausgleich. Er ist nämlich nach der Systematik des BetrVG Bestandteil des Entscheidungsbereiches Betriebsänderung. Mithin rechtfertigen die Artikel 4 Abs. 1 und/oder 4 Abs. 2 GG den objektiven Rechtswert Alleinentscheidungsrecht des Arbeitgebers (Unternehmensträgers) in den von §§111 und 112 Abs. 1 Satz 1 BetrVG (Interessenausgleich) erfaßten Bereichen. Anders verhält es sich hingegen mit den Entscheidungsbereichen Sozialplan (§ 112 Abs. 1 Satz 2 BetrVG) und Nachteilsausgleich (§ 113 BetrVG). In diesen Bereichen werden erst Entscheidungen getroffen, nachdem die Entscheidungen über Betriebsänderungen gefallen sind. Artikel 4 Abs. 1 und/ oder 4 Abs. 2 GG schützen die Bekenntnisfreiheit in dem Sinne, daß jedermann, also auch der Arbeitgeber, an einem Bekenntnis nicht gehindert werden darf. Entsprechend schützt darüber hinaus Artikel 4 Abs. 2 GG die Religionsausübung. Der Schutz der Artikel 4 Abs. 1 und/oder 4 Abs. 2 GG geht aber nicht so weit, daß jede wirtschaftliche und soziale Erschwernis beim Bekennen oder der Religionsausübung, hier also bei der Verwirklichung des sachlichen und/oder formalen Unternehmensziels, ausgeschlossen wäre. Weder der Sozialplan noch der Nachteilsausgleich hindern den Arbeitgeber (Unternehmensträger) an der Verwirklichung seines weltanschaulich geprägten sachlichen und/oder formalen Unternehmensziels. Sie können allenfalls diese Verwirklichung für den Arbeitgeber finanziell belasten. Aus den zuvor dargelegten Gründen ist dies verfassungsrechtlich aber unbeachtlich. Mithin rechtfertigen die Artikel 4 Abs. 1 und/oder 4 Abs. 2 GG den objektiven Rechtswert Alleinentscheidungsrecht des Arbeitgebers bei den Entscheidungsbereichen Betriebsänderungen im Sinne des § 111 BetrVG und für den Interessenausgleich (§ 112 BetrVG), hingegen nicht für die Bereiche Sozialplan und Nachteilsausgleich. 3.2.5.8 Ergebnis Die Beachtung des objektiven Rechtswertes Alleinentscheidungsrecht des Arbeitgebers auf betrieblicher Ebene bei der Gestaltung der Tendenzschutzbestimmung für konfessionelle Unternehmen wird für Unternehmen, deren sachliches und/oder formales Unternehmensziel ein Bekenntnis oder

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Β. III. Verfassungsrecht und objektive Rechtswerte im Tendenzschutz

eine Religionsausübung beinhaltet, durch Artikel 4 Abs. 1 und/oder 4 Abs. 2 GG in der Schutzform als Abwehrrecht des Arbeitgebers und als objektive Rechtsnorm bei folgenden Entscheidungsbereichen verfassungsrechtlich legitimiert: - Bereich des § 80 Abs. 1 Nr. 4, 6 und 7 BetrVG - Bereich des § 87 Abs. 1 Nr. 2, 3, 4, 5, 6, 8, 9, 10 und 12 BetrVG (soziale Angelegenheiten) - Bereich der §§90 und 91 BetrVG - Bereich der §§ 92, 94 und 95 BetrVG - Bereich der §§ 96, 97 und 98 BetrVG - Bereich der §§ 99ff. BetrVG - Bereich der §§ 111 und 112 Abs. 1 Satz 1 BetrVG (Betriebsänderung und Interessenausgleich). Für die übrigen von betriebsverfassungsrechtlichen Beteiligungsrechten erfaßten Entscheidungsbereiche rechtfertigen hingegen die Artikel 4 Abs. 1 und/oder 4 Abs. 2 GG den objektiven Rechtswert Alleinentscheidungsrecht des Arbeitgebers nicht. 3.2.6 Legitimation des Alleinentscheidungsrechts des Arbeitgebers bei „politischen Unternehmen" Unter B.III.2.2.3 wurde dargelegt, daß ausschließlich Artikel 21 Abs. 1 GG ein Alleinbestimmungsrecht des Arbeitgebers über die betriebliche Struktur in solchen Unternehmen rechtfertigt, die verfassungsrechtlich als politische Parteien, ihnen entsprechende Gruppierungen oder aber auch als rechtlich selbständige Unternehmen zu qualifizieren sind, die mit ihrem formalen Unternehmensziel von einer Partei oder einer entsprechenden Gruppierung anerkannte (Teil-)Ziele einer politischen Partei verfolgen und damit verfassungsrechtlich politischen Parteien gleichzusetzen sind. Nur für diese von der Tendenzschutzbestimmung für politische Unternehmen erfaßten Unternehmen kann Artikel 21 Abs. 1 GG grundsätzlich auch ein Alleinentscheidungsrecht des Arbeitgebers (Unternehmensträgers) auf betrieblicher Ebene legitimieren. Für andere jedenfalls nach der herrschenden Meinung von der Tendenzschutzbestimmung erfaßten Unternehmen (z.B. sozialpolitische Vereinigungen) kann hingegen Artikel 21 Abs. 1 GG nach seinem Schutzgut und Schutzbereich weder ein Alleinbestimmungsrecht des Arbeitgebers über die betriebliche Struktur noch ein Alleinentscheidungsrecht des Arbeitgebers auf betrieblicher Ebene rechtfertigen. Gemäß Artikel 21 Abs. 1 Satz 2 GG muß die innere Ordnung einer politischen Partei demokratischen Grundsätzen entsprechen. Der Grundsatz der

3. Regelungsgegenstand Entscheidungen auf betrieblicher E b e n e 2 0 5

innerparteilichen Demokratie erfordert 310 , daß ausschließlich die Parteimitglieder an der Willensbildung und den Entscheidungen einer Partei zu beteiligen sind. Artikel 21 Abs. 1 Satz 2 GG verbietet somit die rechtliche Möglichkeit einer Einflußnahme Dritter (z.B. Arbeitnehmer) auf die Willensbildung und Entscheidungen einer Partei. An Entscheidungen eines Trägers eines politischen Unternehmens i.S. des § 118 Abs. 1 Nr. 1 BetrVG, das verfassungsrechtlich als Partei i. S. des Artikel 21 GG zu werten ist, dürfen somit Dritte, also auch die Arbeitnehmer des politischen Unternehmens, nicht beteiligt werden. Artikel 21 Abs. 1 GG rechtfertigt daher ein Alleinentscheidungsrecht des Arbeitgebers (Trägers eines politischen Unternehmens) auch auf betrieblicher Ebene. Im übrigen stützt dieses Ergebnis mittelbar auch noch eine andere Überlegung. Die betriebsverfassungsrechtlichen Organistionsnormen etwa über die Abgrenzung des Betriebes und die Organisation der Belegschaft und des Betriebsrates sind als gesetzliche Regelungen der inneren Struktur des Betriebes Voraussetzung für die betriebsverfassungsrechtlichen Beteiligungsrechte an bestimmten Entscheidungen des Arbeitgebers auf betrieblicher Ebene. Da Artikel 21 Abs. 1 GG einen Ausschluß dieser betrieblichen Strukturregelungen rechtfertigt, bewirkt er bereits rechtstechnisch den Ausschluß betriebsverfassungsrechtlicher Beteiligungsrechte. Diese betriebsverfassungsrechtlichen Beteiligungsrechte haben nämlich die betriebsverfassungsrechtlichen Organisationsnormen zur Voraussetzung. A r t i k e l 21 Abs. 1 GG rechtfertigt nach alldem i n der Schutzform als verfassungsrechtliche Einrichtungsgarantie 311 den objektiven Rechtswert Alleinentscheidungsrecht des Arbeitgebers auf betrieblicher Ebene, soweit es sich um Unternehmen handelt, die entweder als politische Parteien zu qualifizieren sind oder die als rechtlich selbständige Unternehmen in ihrem formalen Unternehmensziel (Teil-)Ziele einer politischen Partei verfolgen, die von dieser politischen Partei auch anerkannt sind. 3.2.7 Legitimation des Alleinentscheidungsrechts des Arbeitgebers bei „koalitionspolitischen Unternehmen" Aus den Darlegungen unter B.III.2.2.4 ergibt sich bereits, daß Artikel 9 Abs. 3 GG aufgrund seines Schutzgutes und Schutzbereiches den objektiven Rechtswert Alleinentscheidungsrecht des Arbeitgebers auf betrieblicher Ebene nur für solche von der Tendenzschutzbestimmung erfaßten koalitionspolitischen Unternehmen rechtfertigen kann, die entweder als Koali310

s. hierzu Grimm, in: Handbuch des Verfassungsrechts, S. 342. Nach allgemeiner Meinung enthält Artikel 21 Abs. 1 GG eine verfassungsrechtliche Einrichtungsgarantie. Hingegen ist strittig, ob Artikel 21 Abs. 1 GG auch ein Grundrecht (Abwehrrecht) zu entnehmen ist. Vgl. hierzu die Erläuterungen i n den Anmerkungen 140 und 141. 311

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Β. III. Verfassungsrecht und objektive Rechtswerte im Tendenzschutz

tionen im Sinne des Artikel 9 Abs. 3 GG zu qualifizieren sind oder die als rechtlich selbständige Unternehmen ein formales Unternehmensziel haben, das eine Koalition als ein von ihr verfolgtes koalitionspolitisches Teilziel anerkennt. Soweit auch andere Unternehmen in den Anwendungsbereich der Tendenzschutzbestimmung für koalitionspolitische Unternehmen fallen sollten 3 1 2 , rechtfertigt für diese Unternehmen Artikel 9 Abs. 3 GG den objektiven Rechtswert nicht. Wie des weiteren unter B.III.2.2.4 begründet wurde, schützt Artikel 9 Abs. 3 GG den Koalitionen zumindest einen Kernbestand an Betätigung. Dazu wird der Koalition unter anderem die Freiheit zur Verfolgung des Koalitionszweckes „Wahrung und Förderung der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen" und die Freiheit zum Einsatz der typischen Koalitionsmittel gewährleistet. Im Rahmen dieser Bestands- und Betätigungsgarantie ist bei den Koalitionen auch die freie innere Willensbildung gewährleistet. Wenn und soweit daher Entscheidungen des Arbeitgebers und damit des Trägers von koalitionspolitischen Unternehmen über Gegenstände getroffen werden, die mit der Verfolgung des Koalitionszweckes oder dem Einsatz von Koalitionsmitteln sachlich zusammenhängen, rechtfertigt Artikel 9 Abs. 3 GG den objektiven Rechtswert Alleinentscheidungsrecht des Arbeitgebers auf betrieblicher Ebene. Die Verfolgung des Koalitionszweckes und der Einsatz der Koalitionsmittel berühren weder die von § 80 BetrVG erfaßten Bereiche, noch die Entscheidungsbereiche der §§ 87 Abs. 1 und 89 BetrVG. Lediglich bei § 87 Abs. 1 Nr. 1 BetrVG verhält es sich anders, wie bereits dargelegt wurde. Auch bei den Entscheidungsbereichen der §§90 und 91 BetrVG kann nicht angenommen werden, daß sie die Verfolgung des Koalitionszweckes oder den Einsatz von Koalitionsmitteln gefährden könnten. Anderes gilt hingegen für den Entscheidimgsbereich allgemeine personelle Angelegenheiten und personelle Einzelmaßnahmen. Abgesehen vom Entscheidungsgegenstand des § 93 BetrVG können sowohl die Personalplanung und deren Grundsätze als auch konkrete Personalmaßnahmen die Verfolgung des Koalitionszweckes gefährden. Wie die Verfolgung jedes Unternehmenszweckes, so hängt auch die Verfolgung des verfassungsrechtlich besonders geschützten Koalitionszweckes von dem Einsatz des auf den jeweiligen Unternehmenszweck bezogenen richtigen Personals ab. Artikel 9 Abs. 3 GG rechtfertigt daher den objektiven Rechtswert Alleinentscheidungsrecht des Arbeitgebers in koalitionspolitischen Unternehmen, soweit er sich auf die von den §§ 92, 94, 95 und 99ff. BetrVG erfaßten Bereiche bezieht. Weiter stehen auch die von den §§96 bis 98 BetrVG erfaßten Entscheidungsbereiche der beruf312 So sollen nach Ansicht Mayer-Malys z.B. Mietervereine und Haus- und Grundbesitzervereine als koalitionspolitische Unternehmen zu werten sein (vgl. MayerMaly, AR-Blattei, Tendenzbetrieb I D II).

3. Regelungsgegenstand Entscheidungen auf betrieblicher E b e n e 2 0 7

liehen Bildung in sachlichem Zusammenhang mit der von Artikel 9 Abs. 3 GG geschützten Verfolgung von Koalitionszwecken. Die Verfolgung der Koalitionszwecke von Gewerkschaften oder Arbeitgebervereinigungen setzt nämlich eine entsprechende Ausbildung und Fortbildung in bestimmten Lehrstoffen und Lehrzielen voraus, die für die Verfolgung der Koalitionszwecke wichtig sind. Artikel 9 Abs. 3 GG rechtfertigt somit den objektiven Rechtswert Alleinentscheidungsrecht des Arbeitgebers in koalitionspolitischen Unternehmen bei Entscheidungsbereichen, die die §§96 mit 98 BetrVG erfassen. Schließlich beeinflussen auch die von § 111 BetrVG erfaßten Entscheidungen über Betriebsänderungen und der Entscheidungsbereich Interessenausgleich (§112 BetrVG) die Verfolgung des von Artikel 9 Abs. 3 GG geschützten Koalitionszweckes. Artikel 9 Abs. 3 GG rechtfertigt auch insoweit ein Alleinentscheidungsrecht des Arbeitgebers (Unternehmensträgers). Hingegen berühren die von den §§ 112 Abs. 1 Satz 2 und 113 BetrVG erfaßten Entscheidungsbereiche (Sozialplan und Nachteilsausgleich) die Verfolgung des Koalitionszweckes nicht. Ein Alleinentscheidungsrecht des Arbeitgebers (Unternehmensträgers) ist daher für diesen Entscheidungsbereich durch Artikel 9 Abs. 3 GG nicht gerechtfertigt. Der objektive Rechtswert Alleinentscheidungsrecht des Arbeitgebers w i r d somit in der Tendenzschutzbestimmung für koalitionspolitische Unternehmen durch Artikel 9 Abs. 3 GG in der Schutzform als Abwehrrecht des Arbeitgebers und Unternehmensträgers und als verfassungsrechtliche Einrichtungsgarantie insoweit gerechtfertigt, als folgende Entscheidungsbereiche betroffen sind: - der Bereich der allgemeinen personellen Angelegenheiten und der personellen Einzelmaßnahmen (§§ 92 ff. und 99 ff. BetrVG) mit Ausnahme der betriebsinternen Stellenausschreibung - der Bereich der beruflichen Bildung und - der Bereich der Betriebsänderungen und des Interessenausgleichs. Für die übrigen Entscheidimgsbereiche, die betriebsverfassungsrechtliche Beteiligungsrechte erfassen, ist hingegen der objektive Rechtswert verfassungsrechtlich nicht durch Artikel 9 Abs. 3 GG legitimiert. Artikel 9 Abs. 3 GG legitimiert den objektiven Rechtswert aber nur für Unternehmen, die entweder als Koalitionen im Sinne des Artikel 9 Abs. 3 GG zu werten sind oder die als Unternehmen anzusehen sind, deren sachliches und/oder formales Unternehmensziel als ein (Teil-)Ziel einer Koalition anzusehen ist und von der Koalition anerkannt wird. Für die sonstigen von der Tendenzschutzbestimmung des § 118 Abs. 1 Nr. 1 BetrVG erfaßten „koalitionspolitischen Unternehmen" (siehe B.III.2.2.4) rechtfertigt Artikel 9

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Β. III. Verfassungsrecht und objektive Rechtswerte im Tendenzschutz

Abs. 3 GG jedoch nicht die Beachtung dieses objektiven Rechtswertes i n der Tendenzschutzbestimmung. 3.2.8 Legitimation des Alleinentscheidungsrechts des Arbeitgebers bei „wissenschaftlichen oder künstlerischen Unternehmen" Die Beachtung dieses objektiven Rechtswertes in der Tendenzschutzbestimmung für wissenschaftliche oder künstlerische Unternehmen kann aus den unter B.III.2.2.5 genannten Gründen ausschließlich durch die Grundrechtsnorm des Artikel 5 Abs. 3 GG i n der Schutzform als Abwehrrecht des Arbeitgebers und Unternehmensträgers und als objektive Rechtsnorm gerechtfertigt sein. Aus den dort angeführten Gründen kann Artikel 5 Abs. 3 GG diesen objektiven Rechtswert aber nur für solche von der Tendenzschutzbestimmung erfaßten Unternehmen rechtfertigen, deren Unternehmensgegenstand (sachliches und/oder formales Unternehmensziel) einen künstlerischen oder wissenschaftlichen Schaffensprozeß und/oder die kommunikative Vermittlung von Kunstwerken oder wissenschaftlichen Erkenntnissen beinhaltet. A r t i k e l 5 Abs. 3 GG enthält die umfassende und vorbehaltlose Gewährleistung, daß sich der Staat jeglichen Eingriffs in einen solchen wissenschaftlichen oder künstlerischen Tätigkeitsbereich zu enthalten hat. 3 1 3 Der Staat darf Entscheidungen in diesen Bereichen auch nicht durch gesetzliche Regelungen beeinflussen, die eine Einflußnahme Dritter (z.B. Arbeitnehmer) ermöglichen. 314 Die von Artikel 5 Abs. 3 GG geschützte wissenschaftliche oder künstlerische Betätigung vollzieht sich, wenn sie durch künstlerische oder wissenschaftliche Unternehmen vorgenommen wird, gerade auf betrieblicher Ebene. Mithin rechtfertigt Artikel 5 Abs. 3 GG den objektiven Rechtswert Alleinentscheidungsrecht des Arbeitgebers auf betrieblicher Ebene. 3.2.9 Legitimation des Alleinentscheidungsrechts des Arbeitgebers bei den von §118 Abs. 1 Nr. 2 BetrVG erfaßten Unternehmen Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts 315 schützt Artikel 5 Abs. 1 Satz 2 GG Unternehmen, deren Unternehmensgegenstand die visuelle und/oder akustische Vervielfältigung und Verbreitung von Gedan313

Vgl. BVerfGE 30, 173 (191). Das Bundesverfassungsgericht hat in: BVerfGE 52, 283 (296) dies für Presseunternehmen ausdrücklich ausgeführt. Die Aussagen des Bundesverfassungsgerichts zur nichtschrankenlosen (Artikel 5 Abs. 2 GG!) Pressefreiheit müssen daher für die vorbehaltslose Kunst- und Wissenschaftsfreiheit erst recht gelten. 315 In BVerfGE 52, 283 (296) w i r d dies zwar nur für Presseunternehmen ausgesagt. Aus der Entscheidung: BVerfGE 57, 295 ff. (326) ist aber zu entnehmen, daß das Bundesverfassungsgericht immer mehr dazu neigt, dies auch für privatrechtlich organisierte Rundfunk- und Fernsehunternehmen anzunehmen. 314

3. Regelungsgegenstand Entscheidungen auf betrieblicher Ebene

209

keninhalten ist, vor staatlichen Regelungen, die diesen Unternehmensgegenstand für „fremde Einflüsse" öffnen. Fremde Einflüsse sind nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts alle Einflüsse, die nicht auf den Unternehmensträger und damit auf den Arbeitgeber zurückzuführen sind. Artikel 5 Abs. 1 Satz 2 GG rechtfertigt somit nach seinem Schutzgut und Schutzbereich den objektiven Rechtswert Alleinentscheidungsrecht des Arbeitgebers, soweit die Entscheidungen des Arbeitgebers Gegenstände betreffen, die zumindest auch eine Teilentscheidung über den Unternehmensgegenstand visuelle und/oder akustische Vervielfältigung und/oder Verbreitung von Gedankeninhalten sein können. Für die von § 80 BetrVG erfaßten Entscheidungsbereiche wird man das nicht annehmen können. Auch die Förderung der Beschäftigung bestimmter von § 80 Nr. 4, 6 und 7 BetrVG besonders hervorgehobener Arbeitnehmer vermag den Unternehmensgegenstand visuelle und/oder akustische Vervielfältigung und Verbreitung von Gedankeninhalten nicht zu berühren. Hingegen können Entscheidungen über die in § 87 Abs. 1 Nr. 2, 3 und 5 BetrVG aufgeführten Bereiche sehr wohl die Verfolgung des sachlichen Unternehmensziels solcher Unternehmen beeinflussen. Anders verhält es sich wiederum bei den übrigen, von § 87 Abs. 1 BetrVG aufgeführten Bereichen (Ausnahme § 87 Abs. 1 Nr. 1 BetrVG) und für den Bereich des § 89 BetrVG. Nur für die Gegenstände des § 87 Abs. 1 Nr. 2, 3 und 5 BetrVG rechtfertigt daher Artikel 5 Abs. 1 Satz 2 GG den objektiven Rechtswert Alleinentscheidungsrecht des Arbeitgebers. Auch die Entscheidungen über die von § 90 BetrVG erfaßten Bereiche können das sachliche Unternehmensziel der von §118 Abs. 1 Nr. 2 BetrVG erfaßten Unternehmen beeinflussen. So kann etwa ein bestimmtes Arbeitsverfahren aus der Sicht der Arbeitnehmer abzulehnen und gleichwohl im Interesse der gerade bei Presse, Rundfunk und Fernsehunternehmen erforderlichen Schnelligkeit geboten sein. Der objektive Rechtswert Alleinentscheidungsrecht des Arbeitgebers ist daher auch für diese betrieblichen Entscheidungsbereiche gerechtfertigt. Des weiteren beeinflussen auch die von Beteiligungsrechten des BetrVG erfaßten Bereiche der allgemeinen personellen Angelegenheiten, der personellen Einzelmaßnahmen und der beruflichen Bildung den von Artikel 5 Abs. 1 Satz 2 GG geschützten Unternehmensgegenstand visuelle und/oder akustische Vervielfältigung und/oder Verbreitung von Gedankeninhalten. Es trifft lediglich nicht auf die von § 93 BetrVG erfaßte betriebsinterne Stellenausschreibung zu. Es wurde schon mehrmals dargelegt, daß die Personalplanung, die Grundsätze der Personalplanung und personelle Einzelmaßnahmen ein wichtiges Mittel zur Verwirklichung der Unternehmensziele sind. Da der sachliche Unternehmenszweck der von §118 Abs. 1 Nr. 2 BetrVG erfaßten Unternehmen durch Artikel 5 Abs. 1 Satz 2 GG verfassungsrechtlich besonders geschützt ist, rechtfertigt somit Artikel 5 Abs. 1 1

Mrino

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Β. III. Verfassungsrecht und objektive Rechtswerte im Tendenzschutz

Satz 2 GG ein Alleinentscheidungsrecht des Arbeitgebers in Personalangelegenheiten. Wegen des engen Zusammenhangs zwischen Personalwesen und beruflicher Bildung und Fortbildung im Betrieb muß dies auch für den Bereich der beruflichen Bildung gefolgert werden. Schließlich rechtfertigt Artikel 5 Abs. 1 Satz 2 GG den objektiven Rechtswert auch für die von den §§111 und 112 Abs. 1 Satz 1 BetrVG erfaßten Bereiche der Betriebsänderungen und des Interessenausgleichs. Es bedarf keiner weiteren Ausführungen, daß Entscheidungen in diesen Bereichen unmittelbar das von Artikel 5 Abs. 1 Satz 2 GG geschützte sachliche Unternehmensziel beeinflussen können. Mithin rechtfertigt Artikel 5 Abs. 1 Satz 2 GG das Alleinentscheidungsrecht des Arbeitgebers auch für diesen Bereich. Hingegen betreffen die Entscheidungen in den Bereichen Sozialplanung und Nachteilsausgleich nicht die Verwirklichung des Unternehmensziels, da sie Entscheidungen über Folgen darstellen, die sich aus der freien Entscheidung über die Verfolgung des Unternehmensziels ergeben. Ein Alleinentscheidungsrecht des Arbeitgebers kann daher für diese Bereiche auch nicht durch Artikel 5 Abs. 1 Satz 2 GG gerechtfertigt sein. Der objektive Rechtswert Alleinentscheidungsrecht des Arbeitgebers auf betrieblicher Ebene ist nach alldem bei der Tendenzschutzbestimmung des § 118 Abs. 1 Nr. 2 BetrVG durch Artikel 5 Abs. 1 Satz 2 GG in der Schutzform als Abwehrrecht des Arbeitgebers und Unternehmensträgers und als objektiver Rechtssatz insoweit gerechtfertigt, als folgende Entscheidungsbereiche betroffen sind: - der Bereich des § 87 Abs. 1 Nr. 2, 3 und 5 BetrVG - der Bereich des § 90 BetrVG - der Bereich der §§ 92 ff. BetrVG (allgemeine personelle Angelegenheiten) mit Ausnahme des § 93 BetrVG - der Bereich der §§ 96 ff. BetrVG (Berufsbildung) - der Bereich der §§ 99 ff. BetrVG (personelle Einzelmaßnahmen) und - der Bereich der §§ 111 und 112 Abs. 1 Satz 1 BetrVG (Betriebsänderung und Interessenausgleich). In den übrigen von betriebsverfassungsrechtlichen Normen erfaßten betrieblichen Entscheidungsbereichen vermag jedoch auch Artikel 5 Abs. 1 Satz 2 GG den objektiven Rechtswert nicht verfassungsrechtlich zu legitimieren.

3. Regelungsgegenstand Entscheidungen auf betrieblicher Ebene

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3.3 Legitimation des objektiven Rechtswertes: Förderung der beruflichen Entwicklung und der (wirtschaftlichen) Absicherung des Arbeitsplatzes der Arbeitnehmer bei betrieblichen Entscheidungen

3.3.1 Förderung der beruflichen Entwicklung Die Beachtung dieses Rechtswertes bei den Tendenzschutzbestimmungen des § 118 B e t r V G k ö n n t e ausschließlich d u r c h A r t i k e l 12 Abs. 1 G G l e g i t i m i e r t sein. N a c h den v o n der Rechtsprechung des Bundesverfassungsger i c h t s 3 1 6 u n d der R e c h t s l e h r e 3 1 7 e n t w i c k e l t e n Grundsätzen über das V e r h ä l t nis von A r t i k e l 2 Abs. 1 u n d A r t i k e l 12 Abs. 1 G G k o m m t A r t i k e l 2 Abs. 1 G G als lex generalis i m V e r h ä l t n i s zu A r t i k e l 12 Abs. 1 G G i n s o w e i t keine eigenständige Bedeutung zu. Schutzgut des A r t i k e l 12 Abs. 1 G G ist die H a n d l u n g s f r e i h e i t auch der A r b e i t n e h m e r zur Schaffung u n d E r h a l t u n g einer Lebensgrundlage d u r c h Berufswahl u n d Berufsausübung. W i e schon der W o r t l a u t des A r t i k e l 12 Abs. 1 Satz 1 G G „Beruf, A r b e i t s p l a t z u n d A u s b i l d u n g s s t ä t t e " belegt, ist n i c h t n u r die B e r u f s w a h l u n d Berufsausübung geschützt, sondern auch der Berufswerdegang, also v o r a l l e m Berufsausbildung u n d berufliche F o r t b i l dung. Das Schutzgut des A r t i k e l 12 Abs. 1 G G Schaffung u n d E r h a l t u n g einer Lebensgrundlage d u r c h Beruf b e i n h a l t e t daher auch den Schutz des Gutes berufliche B i l d u n g (Aus- u n d F o r t b i l d u n g ) . H i e r ü b e r besteht i n Rechtslehre 3 1 8 u n d R e c h t s p r e c h u n g 3 1 9 w e i t g e h e n d E i n i g k e i t . A r t i k e l 12 Abs. 1 G G w i r d als Bestandteil der allgemeinen k u l t u r s t a a t l i c h e n Gestalt u n g s p r i n z i p i e n des Grundgesetzes angesehen. 3 2 0 D i e herrschende M e i n u n g i n der R e c h t s l e h r e 3 2 1 u n d die R e c h t s p r e c h u n g 3 2 2 lehnen es ab, aus A r t i k e l 12 Abs. 1 G G ein soziales Zugangs- u n d T e i l h a b e recht an p r i v a t e n A u s b i l d u n g s - u n d F o r t b i l d u n g s e i n r i c h t u n g e n sowie ein soziales G r u n d r e c h t auf finanzielle A u s b i l d u n g s f ö r d e r u n g abzuleiten. E i n i g k e i t besteht aber darüber, daß A r t i k e l 12 Abs. 1 G G i n seiner S c h u t z f o r m als objektive Rechtsnorm das Schutzgut F ö r d e r u n g der b e r u f l i c h e n A u s - u n d F o r t b i l d u n g enthält. D i e r e c h t l i c h e n Diskussionen über ein Recht auf B i l d u n g u n d d a m i t auch auf berufliche A u s - u n d F o r t b i l d u n g setzen i n 316 Vgl. BVerfGE 6, 32 (37); 9, 73 (77); 9, 338 (343); 10, 185 (199); 22, 114 (120); 33, 240 (247); 38, 61 (79); 54, 237 (251). 317 s. hierzu Scholz, in; Maunz / Dürig, Rn. 114 mit 120 zu Artikel 12 GG mit weiteren Literaturnachweisen. 318 Vgl. hierzu Scholz, in: Maunz / Dürig, Rn. 61 zu Artikel 12 GG. 319 Vgl. BVerfGE 33, 329ff. 320 So Scholz, in: Maunz / Dürig, Rn. 61 zu Artikel 12 GG. 321 Vgl. Scholz, in: Maunz / Dürig, Rn. 65, 66 und 67 zu Artikel 12 GG mit weiteren Nachweisen. 322 Vgl. BVerfGE 33, 332 ff. und BVerwGE 23, 149 (151 ff.). 1

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Β. III. Verfassungsrecht und objektive Rechtswerte im Tendenzschutz

der Rechtslehre 323 und in der Rechtsprechung 324 auch aus diesem Grunde bei Artikel 12 Abs. 1 GG an. Bei dem dualen System der Berufsausbildung in der Bundesrepublik Deutschland 325 vollzieht sich die berufliche Ausbildung, aber auch die berufliche Fortbildung, in erster Linie im Betrieb. Sie wird im Rahmen der Ausbildungsvorschriften aufgrund des Berufsbildungsgesetzes vom 14.8.1969 maßgebend von betrieblichen Entscheidungen bestimmt. Da Artikel 12 Abs. 1 GG die Berufswahl, die Berufsausbildung und Berufsausübung für jede Tätigkeit schützt, gleich mit welcher Funktion (selbständig oder unselbständig) und in welcher Organisation sie ausgeübt wird, erfassen sowohl Schutzgut als auch Schutzbereich des Artikel 12 Abs. 1 GG betriebliche Entscheidungen, die die berufliche Förderung der Arbeitnehmer im Betrieb betreffen. Der Arbeitgeber müßte nach allgemeinen arbeitsvertraglichen Grundsätzen nur in minimalem Umfange bei betrieblichen Entscheidungen den Gesichtspunkt berufliche Förderung des Arbeitnehmers berücksichtigen. 326 Der objektive Rechtswert Berücksichtigung der beruflichen Förderung der Arbeitnehmer im Betrieb w i r d daher erst durch die entsprechenden betriebsverfassungsrechtlichen Beteiligungsrechte der §§ 90ff., 92ff., 96ff. und 99 Abs. 1 BetrVG rechtlich 3 2 7 sichergestellt. Mithin rechtfertigen Schutzgut und Schutzbereich des Artikel 12 Abs. 1 GG die Förderung der beruflichen Entwicklung von Arbeitnehmern im Betrieb durch die diesbezüglichen betriebsverfassungsrechtlichen Beteiligungsrechte. Diese Rechtfertigung gewährt jedoch Artikel 12 Abs. 1 GG nicht in seiner Schutzform als Abwehrrecht und Freiheitsrecht der Arbeitnehmer. Auch hier wird nämlich durch betriebsverfassungsrechtliche Normen erst das Schutzgut des Artikel 12 Abs. 1 GG bei betrieblichen Entscheidungen verwirklicht (grundrechtsausgestaltende Regelungen). 328 Soweit daher Artikel 12 Abs. 1 GG als Grundrecht und Abwehrrecht der Arbeitnehmer vor 323 Vgl. Abelein, DÖV 67, 275ff.; Richter, in: Böckenförde / Jekewitz / Ramm, Soziale Grundrechte, 1981, S. 111; Richter / Schlink, Recht der Jugend und des Bildungswesens, 1972, S. 129ff.; Bannwart / Maurer, Das Recht auf Büdung und das Elternrecht, 1975. 324 Vgl. BVerwGE 47, 201 (204); 56, 155 (158) und BVerfGE 45, 400 (417). 325 Zu den Grundlagen des sog. dualen Berufsausbildungssystems, vgl. Dietz / Richardi, Rn. 4ff. zu §96 BetrVG sowie Kippes / Marino, Jugendarbeitslosigkeit, 1979, 2. Aufl., S. 125ff. 326 f Rechtliche Verpflichtungen des Arbeitgebers, den beruflichen Werdegang der Arbeitnehmer zu fördern, ergeben sich arbeitsvertragsrechtlich allenfalls aus seiner Fürsorgepflicht. Vgl. hierzu Schaub, Handbuch des Arbeitsrechts, S. 642 ff. (651). Bei der Berufsausbildung ergeben sich weitere Verpflichtungen des Arbeitgebers nach dem Abschluß eines Ausbildungsvertrages gegenüber den Auszubildenden aus § 6 Berufsbildungsgesetz. 327 Damit ist nicht gesagt, daß der Arbeitgeber dies nicht von sich aus sowohl aus sozialen als auch aus wirtschaftlichen Gründen täte. Entscheidend ist aber, daß er hierzu rechtlich nur i n sehr geringem Umfange verpflichtet ist. 328 Vgl. zum Begriff der grundrechtsausgestaltenden Regelungen BVerfGE 52, 283 (299).

3. Regelungsgegenstand Entscheidungen auf betrieblicher E b e n e 2 1 3

staatlichen Regelungen schützt, läuft es gegenüber den gesetzlich festgelegten betriebsverfassungsrechtlichen Beteiligungsrechten, die einer Förderung der beruflichen Entwicklung der Arbeitnehmer dienen, gewissermaßen ins „Leere". Hingegen ist Artikel 12 Abs. 1 GG in seiner Schutzform als objektive Rechtsnorm eine verfassungsrechtliche Legitimationsnorm für die betriebsverfassungsrechtlichen Beteiligungsrechte zugunsten einer Förderung der beruflichen Entwicklung der Arbeitnehmer im Betrieb. Diese objektive Rechtsnorm des Artikel 12 Abs. 1 GG wirkt sich zugunsten der Arbeitnehmer aus, räumt aber den Arbeitnehmern keinen subjektiv-öffentlichrechtlichen Anspruch ein. Artikel 12 Abs. 1 GG rechtfertigt daher in seiner Schutzform als objektive Rechtsnorm auch bei den Tendenzschutzbestimmungen des § 118 BetrVG die Berücksichtigung des objektiven Rechtswertes Berücksichtigung der Förderung der beruflichen Entwicklung der Arbeitnehmer im Betrieb durch die betriebsverfassungsrechtlichen Beteiligungsrechte der §§ 90 und 91, 92 mit 95, 96 mit 98 und 99 Abs. 1 BetrVG. 3.3.2 Wirtschaftliche

Absicherung des Arbeitsplatzes der Arbeitnehmer

Für die verfassungsrechtliche Legitimation dieses Rechtswertes kommen die Grundrechtsnormen der Artikel 1 Abs. 1, 2 Abs. 1 und 2 sowie 12 Abs. 1 GG in Betracht. Das Schutzgut der Artikel 1 Abs. 1, 2 Abs. 1 und 12 Abs. 1 GG stimmt insofern überein, als zentraler Wert der Vorschriften der Schutz eines menschenwürdigen Lebens ist. 3 2 9 Trotz aller Meinungsverschiedenheiten über die Intensität des Zusammenhangs des Art. 1 Abs. 1 mit den Einzelgrundrechten, 330 besteht insoweit Übereinstimmung, daß die Schutzgüter dieser Grundrechtsnormen - auch dann, wenn man sie als Konkretisierungen des Artikel 1 Abs. 1 GG auffaßt - eigenständige Bedeutung haben. Als Legitimationsnormen für den objektiven Rechtswert Berücksichtigung der (wirtschaftlichen) Absicherimg des Arbeitsplatzes der Arbeitnehmer eines Betriebes kommt somit diejenige Grundrechtsnorm in erster Linie in Betracht, die konkret auf den Schutz Schaffung und Erhaltung einer Lebensgrundlage durch Arbeitskraft und Arbeitsplatz gerichtet ist. Nach der Rechtslehre 331 und der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts 332 ist dies ein Kern des Schutzgutes des Artikel 12 Abs. 1 GG. Er 329 vgl, hierzu Zippelius, in: BK, Rn. 27 zu Artikel 1 GG, wonach „die Einzelgrundrechte eine Sinnerhellung durch Artikel 1 Abs. 1 GG" erfahren; vgl. auch BVerfGE 52, 223 (247), wo die Bekenntnisfreiheit des Artikel 4 Abs. 1 GG als „auf die Würde des Menschen bezogen" bezeichnet wird. 330 Vgl. hierzu Zippelius, in: BK, Rn. 27 zu Artikel 1 GG und Dürig, in: Maunz / Dürig, Rn. 10 mit 14 zu Artikel 1 Abs. 1 GG einerseits und v. Münch, in: Grundgesetzkommentar, Rn. 60 und 61 zu Artikel 1 Abs. 1 GG. 331 vgl. Scholz, in: Maunz / Dürig, Rn. 18 ff. mit weiteren Nachweisen. 332 vgl. BVerfGE 7, 397; 9, 78; 13, 106; 14, 22; 16, 163; 50, 290 (362).

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Β. III. Verfassungsrecht und objektive Rechtswerte im Tendenzschutz

schützt „ d i e F r e i h e i t des Bürgers, jede T ä t i g k e i t f ü r die er sich geeignet g l a u b t , als Beruf zu ergreifen, d.h. zur G r u n d l a g e seiner Lebensführung zu machen .. . " . 3 3 3 Z w a r w i r d i n der R e c h t s l e h r e 3 3 4 u n d vereinzelt i n der Rechts p r e c h u n g 3 3 5 vertreten, daß auch A r t i k e l 2 Abs. 2 Satz 1 G G (Recht auf Leben) als S c h u t z g u t die Schaffung u n d E r h a l t u n g einer ökonomischen E x i stenz enthalte. A u c h d i e Vertreter dieser Auffassung bestimmen das Schutzg u t des A r t i k e l 2 Abs. 2 Satz 1 G G aber dahingehend, daß es auf den E r h a l t des ökonomischen E x i s t e n z m i n i m u m s abziele, n i c h t aber w i e A r t i k e l 12 Abs. 1 G G auf die ökonomische Existenzsicherung d u r c h A r b e i t s k r a f t . M i t h i n stellt ausschließlich das S c h u t z g u t des A r t i k e l 12 Abs. 1 G G speziell auf die Schaffung u n d E r h a l t u n g einer (ökonomischen) Lebensgrundlage d u r c h A r b e i t s p l a t z u n d A r b e i t s k r a f t ab. Z w a r erfassen die Schutzbereiche aller angezogenen G r u n d r e c h t s n o r m e n den Lebensbereich T ä t i g k e i t der A r b e i t nehmer i m Betrieb, A r t i k e l 12 Abs. 1 geht aber a u f g r u n d seines speziellen Schutzgutes als lex specialis den A r t i k e l n 1 Abs. 1 u n d 2 Abs. 1 u n d 2 G G vor. Z w a r k a n n aus A r t i k e l 12 Abs. 1 G G k e i n Recht auf Z u w e i s u n g eines Arbeitsplatzes u n d auf Bestandsschutz eines innegehaltenen Arbeitsplatzes abgeleitet w e r d e n 3 3 6 , das bedeutet aber n i c h t , daß als ein T e i l des Schutzgutes des A r t i k e l 12 Abs. 1 G G n i c h t auch die Schaffung u n d E r h a l t u n g einer Lebensgrundlage d u r c h A r b e i t s p l a t z u n d A r b e i t s k r a f t o b j e k t i v - r e c h t l i c h i n der G r u n d r e c h t s n o r m des A r t i k e l 12 Abs. 1 G G enthalten wäre. N a c h allgemeiner M e i n u n g 3 3 7 e n t h ä l t A r t i k e l 12 Abs. 1 G G die S c h u t z f o r m eines objekt i v e n Rechtssatzes f ü r alle einzelnen Schutzelemente (Schutzgüter) des A r t i k e l 12 Abs. 1 GG. I n das S c h u t z g u t des A r t i k e l 12 Abs. 1 G G Schaffung u n d E r h a l t u n g der Lebensgrundlage A r b e i t s p l a t z fallen somit betriebliche E n t scheidungen, die die E r h a l t u n g der Lebensgrundlage der A r b e i t n e h m e r gefährden können. D i e betriebsverfassungsrechtlichen Beteiligungsrechte der §§87 Abs. 1 N r . 10 u n d 11, 99 bis 104, 106 Abs. 2, 108 Abs. 2, 110 u n d 111 m i t 113 B e t r V G sichern den o b j e k t i v e n Rechtswert B e r ü c k s i c h t i g u n g der (wirtschaftlichen) A b s i c h e r u n g des Arbeitsplatzes der A r b e i t n e h m e r i m Betrieb bei betriebl i c h e n Entscheidungen also i m Rahmen des Schutzbereiches des A r t i k e l 12 333 So BVerfGE 50, 290 (362). Vgl. hierzu Dürig, in: Maunz / Dürig, Rn. 26 zu Artikel 2 Abs. 2 GG mit Nachweisen. 335 Das Bundesverwaltungsgericht hat in einer frühen Entscheidung aus Artikel 2 Abs. 1 GG ein subjektiv-öffentliches Recht auf Fürsorge abgeleitet (so BVerwGE 1, 159-(162). 336 s. hierzu Wittkowski, Der Schutz der Arbeitskraft durch das Grundgesetz, 1979, S. 16ff., 60ff., 91 ff.; vgl. auch Hanau, Der gleiche Zugang zu Beschäftigung in der Privatwirtschaft nach deutschem Recht, in: Gedächtnisschrift für Kahn-Freund, 1980, S. 457 ff. 357 vgl. Scholz, in: Maunz / Dürig, Rn. 68 zu Artikel 12 GG. 334

3. Regelungsgegenstand Entscheidungen auf betrieblicher E b e n e 2 1 5

Abs. 1 GG ab. Das Rechtsgut (wirtschaftliche) Absicherung der Arbeitnehmer wird außerhalb des BetrVG nur durch Bestimmungen abgesichert, die außerhalb des Unternehmens, aber nicht betriebsintern wirken (z.B. Kündigungsschutzgesetz). Mithin rechtfertigt Artikel 12 Abs. 1 GG den objektiven Rechtswert Berücksichtigung der (wirtschaftlichen) Absicherung des Arbeitsplatzes der Arbeitnehmer im Betrieb in der Schutzform als objektive Rechtsnorm. Auch bei den Tendenzschutzbestimmungen des § 118 BetrVG ist daher die Beachtung des objektiven Rechtswertes Berücksichtigung der (wirtschaftlichen) Absicherung des Arbeitsplatzes der Arbeitnehmer im Betrieb verfassungsrechtlich durch Artikel 12 Abs. 1 GG in der Schutzform als objektive Rechtsnorm verfassungsrechtlich legitimiert. Hingegen vermag Artikel 12 Abs. 1 GG diesen objektiven Rechtswert nicht in der Schutzform als Abwehrrecht und Freiheitsrecht der Arbeitnehmer zu legitimieren. Die betriebsverfassungsrechtlichen Beteiligungsrechte der §§87 Abs. 1 Nr. 10 und 11, 99 bis 104, 106 Abs. 2, 108 Abs. 4, 110, 111 mit 113 BetrVG schränken nämlich das Schutzgut der Artikel 1 und 12 Abs. 1 GG zugunsten der Arbeitnehmer nicht ein, sondern sie bringen es im Gegenteil erst zur Geltung. 3.4 Ergebnis

Für den Regelungsgegenstand der Tendenzschutzbestimmungen des § 118 BetrVG Entscheidungen auf betrieblicher Ebene ist folgende verfassungsrechtliche Situation gegeben: - Objektiver Rechtswert: Alleinentscheidungsrecht des Arbeitgebers auf betrieblicher Ebene Die Grundrechtsnormen der Artikel 2 Abs. 1 und 14 Abs. 1 GG rechtfertigen weder in der Schutzform als Abwehrrechte des Arbeitgebers (Unternehmensträgers) noch in der Schutzform als verfassungsrechtliche Einrichtungsgarantien oder objektive Rechtsnormen die Beachtung dieses objektiven Rechts wertes bei der Ausgestaltung der betriebsbezogenen Mitbestimmung in Tendenz- und in Nichttendenzunternehmen. Hingegen rechtfertigen für die einzelnen Tendenzschutzbestimmungen des § 118 BetrVG jeweils verschiedene und unter B.III.3.2 erörterte Grundrechtsnormen bzw. Artikel 137 WRV in der Schutzform als Abwehrrechte des Arbeitgebers (Unternehmensträgers) bzw. als verfassungsrechtliche Einrichtungsgarantien die Berücksichtigung dieses objektiven Rechtswertes bei § 118 BetrVG. Lediglich für die Tendenzschutzbestimmung für karitative Unternehmen ist eine solche verfassungsrechtliche Legitimation des objektiven Rechtswertes Alleinentscheidungsrecht des Arbeitgebers auf betrieblicher Ebene nicht gegeben.

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Β. III. Verfassungsrecht und objektive Rechtswerte im Tendenzschutz

Bei den übrigen Tendenzschutzbestimmungen ist die verfassungsrechtliche Rechtfertigung dieses objektiven Rechtswertes in unterschiedlichem Umfange gegeben. 338 - Objektiver Rechtswert: Berücksichtigung der Förderung der beruflichen Entwicklung der Arbeitnehmer im Betrieb und der (wirtschaftlichen) Absicherung des Arbeitsplatzes der Arbeitnehmer durch betriebsverfassungsrechtliche Beteiligungsrechte Dieser objektive Rechtswert ist durch die Grundrechtsnorm des Artikel 12 Abs. 1 GG in der Schutzform als objektiver Rechtssatz legitimiert. 4. Legitimation von objektiven Rechtswerten beim Regelungsgegenstand innere Struktur von Unternehmen durch Grundrechtsnormen und Kirchenautonomie Der Rechtsordnung sind für die einfachrechtliche Gestaltung des Regelungsgegenstandes innere Struktur von Unternehmen durch die Tendenzschutzbestimmungen der unternehmensbezogenen Mitbestimmung zwei Rechtsprinzipien zu entnehmen. Das Gesellschaftsrecht kennt u.a. das Rechtsprinzip, den objektiven Rechtswert ausschließliche Anerkennung der Anteilseigner als Mitglieder des Unternehmens zum Zuge kommen zu lassen. Den gesetzlichen Regelungen der unternehmensbezogenen Mitbestimmung sowohl des Mitbestimmungsgesetzes als auch des BetrVG 52 ist als weiteres Rechtsprinzip die Beachtung des objektiven Rechtswertes rechtliche Anerkennung der Arbeitnehmer als Mitglieder des sachlich-personellen Verbunds Unternehmen zu entnehmen. Den gesetzlichen Regelungen der erweiterten Mitbestimmung liegt darüber hinaus auch noch das Rechtsprinzip zugrunde, daß auch im Unternehmen vertretene Gewerkschaften rechtlich als Mitglieder des Unternehmens anerkannt werden sollen. 4.1 Legitimation des objektiven Rechtswertes: ausschließliche Anerkennung der Anteilseigner als Mitglieder des Unternehmens aufgrund privatrechtlicher Sachherrschaft und Satzungsautonomie

Wie unter B.II.2.3.1 näher ausgeführt wurde, hält das Gesellschaftsrecht für den Regelungsgegenstand der unternehmensbezogenen Mitbestimmung innere Struktur von Unternehmen (auch) bei Tendenzunternehmen das Rechtsprinzip vor, daß im Rahmen zwingender gesetzlicher Organisationsnormen ausschließlich die Anteilseigner (Gesellschafter) über die Festle338 D e r unterschiedliche Umfang der verfassungsrechtlichen Legitimation dieses objektiven Rechtswertes bei den einzelnen betrieblichen Entscheidungsbereichen ist in B.III.3.2 im einzelnen dargestellt.

4. Regelungsgegenstand innere Struktur von Unternehmen

217

gung der inneren Struktur des Unternehmens entscheiden und daß ausschließlich die Anteilseigner die Mitglieder von Unternehmensorganen bestimmen, die nach dem Prinzip der Fremdorganschaft organisiert sind (Geschäftsführung und Auf sichtsrat). Nach diesem Rechtsprinzip sind daher ausschließlich die Anteilseigner als Mitglieder des sachlich-personellen Verbunds Unternehmen rechtlich anerkannt. Nur sie haben die dargelegten Mitgliedschaftsrechte innerhalb des sachlich-personellen Verbunds Unternehmen. Das Rechtsprinzip ausschließliche Anerkennung der Anteilseigner als Mitglieder des Unternehmens folgt aus den durch Mitgliedschaftsrechte vermittelten dinglichen Rechten der Anteilseigner an den sachlichen Mitteln des Unternehmens einerseits und aus der Autonomie des den Träger des Unternehmens (juristische Person) organisierenden Zweckverbandes der Anteilseigner andererseits. Der Frage, ob und inwieweit dieser objektive Rechtswert ausschließliche rechtliche Anerkennung der Anteilseigner als Mitglieder des Unternehmens durch Grundrechtsnormen verfassungsrechtlich legitimiert ist, wird im folgenden nachgegangen. 4.1.1 Grundrechtsnormen, die die dingliche Sachherrschaft der Anteilseigner am Unternehmen legitimieren Die Beachtung des objektiven Rechts wertes ausschließliche Mitgliedschaftsrechte für Anteilseigner bei der Gestaltung des Regelungsgegenstandes innere Struktur des Unternehmens durch die Tendenzschutzbestimmungen der unternehmensbezogenen Mitbestimmung könnte durch Artikel 14 Abs. 1 GG legitimiert sein. Das Schutzgut des Artikel 14 Abs. 1 GG Sachherrschaft als Bedingung persönlicher Handlungsfreiheit umfaßt auch das durch Mitgliedschaftsrechte der Anteilseigner vermittelte Eigentum am Unternehmen. 339 Das Schutzgut des Artikel 14 Abs. 1 GG rechtfertigt jedoch nicht eine alleinige Festlegung der Struktur des Unternehmens durch die Anteilseigner. Das Bundesverfassungsgericht hat in seinem Mitbestimmungsurteil im einzelnen dargelegt, daß aufgrund des geringen personalen Bezuges der Anteilseigner bei ihrer Sachherrschaft über Vermögenswerte des Unternehmens Artikel 14 Abs. 1 GG nicht rechtfertigen kann, daß ausschließlich die Anteilseigner die Mitglieder der Unternehmensorgane bestimmen können, wenn diese in Fremdorganschaft organisiert sind. Wie den Ausführungen des Bundesverfassungsgerichts in seinem Mitbestimmungsurteil zu entnehmen ist 3 4 0 , läßt Artikel 14 Abs. 1 GG es zu, daß neben den Anteilseignern auch andere Personengruppen als Mitglieder des sachlich-personellen Ver339 So BVerfGE 50, 290 (341). 340 BVerfGE 50, 290 (341 ff.).

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Β. III. Verfassungsrecht und objektive Rechtswerte im Tendenzschutz

bunds Unternehmen rechtlich anerkannt werden. Die Mitgliedschaftsrechte dieser Persönengruppen dürfen aber allenfalls im Vergleich zu den Mitgliedschaftsrechten der Anteilseigner paritätisch gewichtet sein. Diese Mitgliedschaftsrechte dürfen sich des weiteren nur auf die Bestimmung der Mitglieder von in Fremdorganschaft organisierten Unternehmensorganen erstrecken. Hinsichtlich der Festlegung der Struktur des Unternehmens verbleibt es beim ausschließlichen Recht der Anteilseigner, die Struktur des Unternehmens zu bestimmen. Dieses Recht kann aber durch gesetzliche Vorschriften weiter eingeschränkt werden. Artikel 14 Abs. 1 GG legitimiert somit weder in seiner Schutzform als Abwehrrecht der Anteilseigner gegenüber staatlichen Regelungen noch in seiner Schutzform als verfassungsrechtliche Einrichtungsgärantie das Rechtsprinzip, daß ausschließlich die Anteilseigner als Mitglieder des Unternehmens rechtlich anerkannt werden. Soweit daher die Tendenzschutzbestimmungen der unternehmensbezogenen Mitbestimmung in den §§ 1 Abs. 4 MitbestG und 81 BetrVG 52 den völligen Ausschluß der Regelung der unternehmensbezogenen Mitbestimmung festliegen, ist dieser Ausschluß durch Artikel 14 Abs. 1 GG nicht legitimiert.

4.1.2 Grundrechtsnormen, die die Satzungsautonomie der Anteilseigner legitimieren Der objektive Rechtswert ausschließliche Mitgliedschaftsrechte für Anteilseigner könnte dutch dië Grundrechtsnormen der Artikel 12 Abs. 1, 9 Abs. 1 und 2 Abs. 1 GG verfassungsrechtlich legitimiert sein. Das Schutzgut des Artikel 9 Abs. 1 GG beinhaltet die freie Assoziation von Personen zu Mitgliedern einer Vereinigung, die kollektive Selbstbestimmung der Mitglieder der Vereinigung u. a. durch satzungsgemäße Bestellung der Organe der Vereinigung und die organisatorische Funktionsfähigkeit der Vereinigung. 341 Diese Güter schützt Artikel 9 Abs. 1 GG in erster Linie für den einzelnen 342 , wenngleich Schutzgut und Schutzbereich des Artikel 9 Abs. 1 GG nach, der herrschenden Meinung 3 4 3 und der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts 344 auch die Vereinigung als solche ergreifen. Artikel 9 Abs. 1 GG rechtfertigt damit grundsätzlich auch den objektiven Rechtswert ausschließliche rechtliche Anerkennung der Anteilseigner als Mitglieder des Unternehmens, da der Zweckverband (Vereinigung) der Anteilseigner - in der Rechtsform der juristischen Person - Träger des 341

s. hierzu Scholz, in: Maunz / Dürig, Rn. 68, 69 und 70 zu Artikel 9 GG. Vgl. Scholz, in: Maunz/ Dürig, Rn. 42 zu Artikel 9 GG mit Nachweisen der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts und der Literatur. 343 Vgl. Scholz, in: Maunz / Dürig, Rn. 43 zu Artikel 9'GG mit Nachweisen. 344 Vgl. BVerfGE 13, 174 (175); 30, 227 (241 ff!); 50, 290 (354). 342

4. Regelungsgegenstand innere Struktur von Unternehmen

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Unternehmens ist. E i n e rechtliche A n e r k e n n u n g auch der A r b e i t n e h m e r als M i t g l i e d e r des Unternehmens u n d d a m i t auch eine E i n f l u ß n a h m e auf Unternehmensorgane w ü r d e das k o l l e k t i v e Selbstbestimmungsrecht der Vereinigung einschränken. E i n e F r e m d b e s t i m m u n g des Trägers des U n t e r nehmens d u r c h N i c h t m i t g l i e d e r entspricht n i c h t dem Schutzzweck des A r t i k e l 9 Abs. 1 G G . 3 4 5 A r t i k e l 9 Abs. 1 G G gewährleistet somit g r u n d s ä t z l i c h die Satzungsautonomie der Anteilseigner u n d d a m i t das Recht der A n t e i l s eigner, die innere S t r u k t u r i h r e r Vereinigung, also ihres Unternehmens, festzulegen u n d zu gestalten. E r schützt d a m i t auch das ausschließliche Recht der Anteilseigner, M i t g l i e d e r der i n t e r n e n Unternehmensorgane bestimmen zu können. Wegen des personalen Bezugs des Schutzgutes des A r t i k e l 9 Abs. 1 G G h a t das Bundesverfassungsgericht 3 4 6 den o b j e k t i v e n Rechtswert ausschließliche rechtliche A n e r k e n n u n g der Anteilseigner als M i t g l i e d e r des Unternehmens bei U n t e r n e h m e n , deren U n t e r n e h m e n s o r gane (teilweise) i n Fremdorganschaft organisiert sind, n i c h t als d u r c h A r t i k e l 9 Abs. 1 G G gerechtfertigt angesehen. B e i solchen U n t e r n e h m e n v e r langt A r t i k e l 9 Abs. 1 G G l e d i g l i c h , daß die Mitgliedschaftsrechte der Anteilseigner i m Vergleich zu D r i t t e n ein Ü b e r g e w i c h t haben. Diese A u f f a s sung entspricht auch der herrschenden M e i n u n g 3 4 7 . M i t h i n r e c h t f e r t i g t A r t i k e l 9 Abs. 1 G G den o b j e k t i v e n Rechtswert ausschließliche A n e r k e n n u n g der Anteilseigner als M i t g l i e d e r des Unternehmens n i c h t f ü r die v o n den Tendenzschutzbestimmungen der §§ 1 Abs. 4 M i t b e s t G u n d 81 B e t r V G 52 erfaßten Unternehmen. Das Schutzgut des A r t i k e l 9 Abs. 1 G G ist eine, w i e das Bundesverfassungsgericht es ausgedrückt h a t 3 4 8 , „elementare Äußerungsform der menschlichen H a n d l u n g s f r e i h e i t " . M i t h i n ist das S c h u t z g u t des A r t i k e l 2 Abs. 1 G G „allgemeine H a n d l u n g s f r e i h e i t " i m S c h u t z g u t des A r t i k e l 9 Abs. 1 G G enthalten. F ü r den hier interessierenden Schutzbereich „ i n n e r e S t r u k t u r v o n U n t e r n e h m e n " ist daher a l l e i n auf A r t i k e l 9 Abs. 1 G G als lex specialis zu A r t i k e l 2 Abs. 1 G G a b z u s t e l l e n . 3 4 9 Hingegen k o m m t der G r u n d rechtsnorm des A r t i k e l 12 Abs. 1 G G f ü r die h i e r interessierende Frage eigenständige B e d e u t u n g zu. Soweit n ä m l i c h die Festlegung der inneren S t r u k t u r des Unternehmens als Berufsausübung der Anteilseigner angesehen werden k a n n , erfaßt auch das S c h u t z g u t des A r t i k e l 12 Abs. 1 G G „ F r e i heit der Berufsausübung" das R e c h t s p r i n z i p ausschließliche rechtliche A n e r k e n n u n g der Anteilseigner als M i t g l i e d e r des Unternehmens. So BVerfGE 50, 290 (354). So BVerfGE 50, 290 (355ff.). 347 So Scholz, in: Maunz / Dürig, Rn. 71 zu Artikel 9 GG mit umfangreichen Literaturnachweisen. 34 » So BVerfGE 38, 281 (303). 349 Diese Auffassung entspricht der herrschenden Meinung in der Rechtslehre, vgl. v. Münch, Grundgesetzkommentar, Rn. 61 zu Artikel 9 GG.

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Β. III. Verfassungsrecht und objektive Rechtswerte im Tendenzschutz

Artikel 12 Abs. 1 GG kann insoweit in Idealkonkurrenz 350 mit Artikel 9 Abs. 1 GG zur Anwendung kommen. Bei den von der unternehmensbezogenen Mitbestimmung erfaßten Unternehmen ist es denkbar, daß die Festlegung der inneren Struktur des Unternehmens und damit auch die Bestimmung der Mitglieder von Unternehmensorganen, die in Fremdorganschaft organisiert sind, als Berufsausübung der Anteilseigner aufzufassen ist. Zumindest könnte dies bei einer sogenannten „Ein-Mann-GmbH" zutreffen. In diesem Falle könnte Artikel 12 Abs. 1 GG innerhalb der dort gezogenen Schranken die Festlegung der inneren Struktur des Unternehmens durch Anteilseigner rechtfertigen. Gleichwohl vermag in solchen Fällen auch Artikel 12 Abs. 1 GG den objektiven Rechtswert nicht zu legitimieren. Entsprechend den grundlegenden Ausführungen des Bundesverfassungsgerichts in seinem Mitbestimmungsurteil 351 muß davon ausgegangen werden, daß auch Artikel 12 Abs. 1 GG eine ausschließliche Festlegung der inneren Struktur des Unternehmens und ein ausschließliches Recht zur Bestimmung der Mitglieder von Unternehmensorganen durch die Anteilseigner nicht rechtfertigen kann. Weder Artikel 9 Abs. 1 noch Artikel 12 Abs. 1 GG rechtfertigen somit in der Schutzform als Abwehrrechte der Anteilseigner gegen staatliche Eingriffe oder in der Schutzform als objektive Rechtssätze den objektiven Rechtswert ausschließliche Anerkennung der Anteilseigner als Mitglieder des sachlich-personellen Verbunds Unternehmen. 4.2 Legitimation des objektiven Rechtswertes: ausschließliche Mitgliedschaftsrechte der Anteilseigner am Unternehmen aufgrund der von § 1 Abs. 4 MitbestG und § 81 BetrVG 52 erfaßten Unternehmenszwecke

4.2.1 Legitimation ausschließlicher Mitgliedschaftsrechte der Anteilseigner am Unternehmen bei „Religionsgemeinschaften" Die Tendenzschutzbestimmung für Religionsgemeinschaften in der unternehmensbezogenen Mitbestimmung hat praktisch kaum Bedeutung. Dem Verfasser ist keine religiöse oder nichtreligiöse Weltanschauungsgemeinschaft bekannt, die sich in den Rechtsformen der Aktiengesellschaft, der GmbH oder in den anderen für unternehmensbezogene Mitbestimmung relevanten Rechtsformen organisiert hätte. Gleichwohl soll der Frage der verfassungsrechtlichen Legitimation des objektiven Rechts wertes ausschließliche Anerkennung der Anteilseigner als Mitglieder des Unternehmens zur Klärung der offenen dogmatischen Fragen auch bei diesen Tendenzschutzbestimmungen nachgegangen werden. 350 351

So auch Scholz, in: Maunz / Dürig, Rn. 134 und 135 zu Artikel 12 GG. BVerfGE 50, 290 (362ff.).

4. Regelungsgegenstand innere Struktur von Unternehmen

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Als verfassungsrechtliche Legitimationsgrundlage für die Beachtung des objektiven Rechtswertes bei Religionsgemeinschaften kommt ausschließlich Artikel 137 WRV in der Schutzform als verfassungsrechtliche Einrichtungsgarantie in Betracht. Artikel 137 Abs. 3 WRV gewährleistet in Verbindung mit Artikel 137 Abs. 7 WRV religiösen und nichtreligiösen Weltanschauungsgemeinschaften volle Autonomie über ihre innere Struktur im Rahmen des „für alle geltenden Gesetzes". Die gesellschaftsrechtlichen und vereinsrechtlichen zwingenden Strukturregelungen treffen die Weltanschauungsgemeinschaft nicht härter und anders als andere Gemeinschaften. Zwar ist die Wahlfreiheit über die innere Struktur für eine Weltanschauungsgemeinschaft eine unabdingbare Voraussetzung zur Lebensfähigkeit der Weltanschauungsgemeinschaft. Hinsichtlich der gesellschaftsrechtlichen und vereinsrechtlichen zwingenden Strukturregelungen ist die Wahlfreiheit aber gegeben, da es jeder Weltanschauungsgemeinschaft unbenommen bleibt, durch die Wahl unter mehreren vom Gesellschafts- und Vereinsrecht vorgegebenen Strukturmodellen, die für ihr jeweiliges Selbstverständnis erforderliche innere Struktur festzulegen. Sieht man von der Aktiengesellschaft ab, so können nämlich die Anteilseigner bei den anderen vom Gesellschafts- und Vereinsrecht vorgegebenen Modellen innerhalb eines weiten Rahmens die innere Struktur selbst festlegen. Die Einschränkung der Mitgliedschaftsrechte der Anteilseigner, die in den zwingenden gesellschaftsrechtlichen und vereinsrechtlichen Strukturregelungen zu sehen ist, muß daher als ein für alle geltendes Gesetz qualifiziert werden. Eine gesetzliche Einschränkung des objektiven Rechtswertes ausschließliche rechtliche Anerkennung der Anteilseigner als Mitglieder des sachlichpersonellen Verbunds Unternehmen wäre jedoch bei Weltanschauungsgemeinschaften nicht als ein für alle geltendes Gesetz zu werten. Das Rechtsprinzip der unternehmensbezogenen Mitbestimmung für Nichttendenzunternehmen, auch die Arbeitnehmer als Mitglieder des Unternehmens rechtlich anzuerkennen, würde also dem Selbstbestimmungsrecht des Artikel 137 WRV widersprechen. Die zwingenden Vorschriften der unternehmensbezogenen Mitbestimmung über die Errichtimg eines Aufsichtsrates auch in der GmbH, im Versicherungsverein auf Gegenseitigkeit, in Wirtschaftsgenossenschaften, die zwingenden Vorschriften über eine Mindestkompetenz des Aufsichtsrates, aber auch die zwingenden Vorschriften über das Wahlrecht der Arbeitnehmer und die Zusammensetzung des Aufsichtsrates schränken nämlich den für Weltanschauungsgemeinschaften durch Artikel 137 WRV unbedingt garantierten Entscheidungsraum der Weltanschauungsgemeinschaften über die Festlegung ihrer inneren Struktur durch Einschränkung der Wahlfreiheit unter mehreren verschiedenen Rechtsformen ein. Sie treffen die Weltanschauungsgemeinschaft härter und anders als sonstige Gemeinschaften, bei denen die Entscheidungsbefugnis über die innere Struktur nicht in diesem Umfange verfassungsrechtlich legitimiert ist. Es ist

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Β. III. Verfassungsrecht und objektive Rechtswerte im Tendenzschutz

n ä m l i c h f ü r das Selbstverständnis einer Weltanschauungsgemeinschaft schlechterdings n i c h t h i n n e h m b a r , w e n n n i c h t m e h r die Weltanschauungsgemeinschaft selbst - u n t e r n e h m e n s r e c h t l i c h ausgedrückt also die A n t e i l s eigner - d a r ü b e r entscheiden k a n n , w e r M i t g l i e d der Weltanschauungsgemeinschaft ist. D i e Regeln der unternehmensbezogenen M i t b e s t i m m u n g für N i c h t t e n d e n z u n t e r n e h m e n schreiben aber gerade vor, daß D r i t t e , also die A r b e i t n e h m e r als M i t g l i e d e r der Gemeinschaft zu behandeln u n d dementsprechend d u r c h Repräsentanten zumindest i m Unternehmensorgan A u f sichtsrat zu vertreten sind. Jede E i n s c h r ä n k u n g des Rechtsprinzips ausschließliche A n e r k e n n u n g der Anteilseigner als M i t g l i e d e r des U n t e r n e h mens w ü r d e somit A r t i k e l 137 W R V widersprechen. A r t i k e l 137 W R V l e g i t i m i e r t daher die B e a c h t u n g des Rechtsprinzips ausschließliche rechtliche A n e r k e n n u n g der Anteilseigner als M i t g l i e d e r des Unternehmens bei W e l t anschauungsgemeinschaften. Diese L e g i t i m a t i o n g e w ä h r t A r t i k e l 137 W R V i n der S c h u t z f o r m als verfassungsrechtliche E i n r i c h t u n g s g a r a n t i e .

4.2.2 Legitimation ausschließlicher Mitgliedschaftsrechte der Anteilseigner am Unternehmen bei „karitativen und erzieherischen Einrichtungen von Religionsgemeinschaften" A l s verfassungsrechtliche L e g i t i m a t i o n s n o r m f ü r den o b j e k t i v e n Rechtsw e r t ausschließliche rechtliche A n e r k e n n u n g der Anteilseigner als M i t g l i e der des Unternehmens k o m m t f ü r die v o n den Tendenzschutzbestimmungen der §§ 1 Abs. 4 Satz 2 M i t b e s t G u n d 81 Abs. 2 B e t r V G 52 erfaßten U n t e r nehmen A r t i k e l 137 W R V i n Betracht. D i e G a r a n t i e des A r t i k e l 137 W R V für k a r i t a t i v e u n d erzieherische E i n r i c h t u n g e n v o n Religionsgemeinschaften, „ i h r e Angelegenheiten o r d n e n " u n d d a m i t die innere S t r u k t u r i h r e r U n t e r n e h m e n u n d die M i t g l i e d s c h a f t i m U n t e r n e h m e n festlegen zu können, erstreckt sich aber n u r auf solche k a r i t a t i v e u n d / o d e r erzieherische E i n r i c h t u n g e n v o n Religionsgemeinschaften, deren k a r i t a t i v e u n d / o d e r erzieherische sachliche Unternehmensziele f ü r jeden erkennbar religiösen bzw. n i c h t r e l i g i ö s e n B e k e n n t n i s c h a r a k t e r haben, oder deren k a r i t a t i v e und/oder erzieherische Z w e c k s e t z u n g als E r f ü l l u n g einer transzendenten göttlichen Weisung aufgefaßt w e r d e n k a n n , die v o n der j e w e i l i g e n Religionsgemeinschaft a n e r k a n n t u n d g e b i l l i g t ist. F ü r solche E i n r i c h t u n g e n ist die Freiheit, die innere S t r u k t u r des Unternehmens festzulegen, u n a b d i n g b a r e Voraussetzung ihres k a r i t a t i v e n oder erzieherischen w e l t a n s c h a u l i c h e n B e k e n n t nisses oder i h r e r k a r i t a t i v e n bzw. erzieherischen Religionsausübung. Die A u t o n o m i e g e w ä h r l e i s t u n g des A r t i k e l 137 Abs. 3 W R V w ü r d e verletzt, w e n n neben den M i t g l i e d e r n einer solchen E i n r i c h t u n g - unternehmensr e c h t l i c h ausgedrückt also den A n t e i l s e i g n e r n - D r i t t e , z.B. Arbeitnehmer, die S t r u k t u r dieser k a r i t a t i v e n oder erzieherischen E i n r i c h t u n g festlegen

4. Regelungsgegenstand innere Struktur von Unternehmen

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könnten und damit Dritte, z.B. Arbeitnehmer, als Mitglieder dieser Einrichr tung rechtlich anerkannt würden. Für die übrigen von den Tendenzschutzbestimmungen der §§ 1 Abs, 4 Satz 2 MitbestG und 81 Abs. 2 BetrVG 52 erfaßten karitativen μη