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German Pages 2655 [2646] Year 1992
TEXTE U N D TEXTGESCHICHTE Würzburger Forschungen
Herausgegeben von der Forschergruppe »Prosa des deutschen Mittelalters«
Die >Rechtssumme< Bruder Bertholds Eine deutsche abecedarische Bearbeitung der »Summa Confessorum« des Johannes von Freiburg
Synoptische Edition der Fassungen Β, Α und C Herausgegeben von Georg Steer und Wolfgang Klimanek, Daniela Kuhlmann, Freimut Löser, Karl-Heiner Südekum
Band I Einleitung, Buchstabenbereich A - B
Max Niemeyer Verlag Tübingen 1987
CIP-Titclaufnahme der Deutschen Bibliothek Die .,Rechtssumme" Bruder Bertholds
: e dt. abecedar. Bearb. d. ..Summa confessorum" d. Johannes von
Freiburg. — Tübingen ; Nicmeyer. Teilw. zugl.: Würzburg, Univ.. Diss. Η. Weck. 1978/79 NE: Bcrthold (von Freiburg) [Mitverf.]; Johannes (de Friburgo, I . ) : Summa confessorum Synoptische Edition / hrsg. von Georg S t e e r . . . Bd. 1. Einleitung : A - B . - 1987 (Texte und Textgeschichte ; 11) Orig.-Ausg. u. d. T.: Bcrthold (von Freiburg): Summa Johannis NE: Steer. Georg [Hrsg.]: G T ISBN 3 - 4 8 4 - 3 6 0 1 1 - 9 ©
ISSN 0 1 7 4 - 4 4 2 9
Max Niemeyer Verlag Tübingen 1987 Alle Rechte vorbehalten O h n e Genehmigung des Verlages ist es nicht gestattet, dieses Buch oder Teile daraus photomechanisch zu vervielfältigen Printed in Germany Satz: pagina G m b H , Tübingen Druck: Allgäuer Zeitungsverlag G m b H . Kempten Einband: Heinr. Koch, Tübingen
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Inhaltsverzeichnis
VORWORT
IX E R S T E R T E I L : EINLEITUNG
Α . Der Autor Bruder Berthold und sein literarisches Werk B. Die I. II. III. IV.
Überlieferung der >Rechtssumme< Handschriften Drucke Verlorene und verschollene Textzeugen Mittelbare Überlieferung 1. >Rechtsabecedar der 2200 Artikel· 2. >Gesamtauslegung der Messc
Rechtssumme< I. Das nicht erhaltene Autograph II. Die Redaktionen Α, Β und C 1. Die A-Redaktion Die Textstufe AxM23 Die Handschrift M23 Die Textstufe Ax Die Handschrift Dil Die Handschrift W3 und ihre Vorlage *W3 Die Textstufe Ay Die Handschrift Ghl Die Druckc II, m l , ml, b2 Das Zütphener Fragment Zpl Die Textstufe Az Die Handschrift Lei Die Handschrift II 2. Die B-Rcdaktion Die Textstufc Bx Die Textstufe Bxl Die Textstufe Bx3 Die Textstufe Bx2 Die Textstufe Bx4 Die Handschrift Chi Die Textstufe Bx5 Die Handschrift Β1 Die Textstufe Bx6 Die Handschrift W7 Die Textstufen Bx7 und Bx8
1* 17* 17* 49* 59* 63* 63* 65* 71* 72* 73* 73* 78* 79* 80* 81* 83* 84* 85* 86* 88* 89* 89* 90* 92* 97* 99* 100* 100* 101* 102* 102* 103* 103* 104* 105*
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Inhaltsverzeichnis
D i e Textstufe Bx9 Die Handschrift W6
107*
D i e Textstufe B x l l ( B 5 . K a i )
108*
Die H a n d s c h r i f t B5
108*
Die Handschrift Kai
109*
Die H a n d s c h r i f t Bs 1
110*
Die H a n d s c h r i f t S t l Die H a n d s c h r i f t Μ17 D i e Textstufe By2 Die H a n d s c h r i f t H 2 D i e Textstufe BylO Die H a n d s c h r i f t M 3 Die oberdeutschen Drucke al—a6, ul und bl
115* 116* 119* 121* 122* 123* 126*
D i e Textstufe By4
127*
D i e T e x t s t u f e Bz
130*
D i e Textstufe B z l
131*
Die Handschrift B2
132*
Die Handschrift M4
133*
Die Textstufe Bz2
133* 134*
Die Handschrift W 6 { A l - E 9 2 )
134*
D i e H a n d s c h r i f t M 1 9 (E116, 2 5 - Z 1 6 )
135*
D i e T e x t s t u f e Bz4 D i e Textstufe Bz6 Die C-Redaktion
135* 136* 139*
D i e Cx-Textform
144*
D i e Textstufe C x i
146*
D i e H a n d s c h r i f t Μ13
146*
D i e Textstufe Cx2
148*
D i e Textstufe C x 3
150*
D i e Textstufe C x 4
150*
D i e Textstufe Cx5
151*
D i e Textstufe C x 6
152*
D i e Textstufe Cx7
152*
Die Handschrift W5 D i e Textstufe C x 8 4.
112* 114*
D i e Textstufe Bv3
D i e Textstufe Bz3
.
106*
D i e Textstufe BxlU
Die Textstufe By 1
3.
106*
Die Cy-Bearbeitung
153* 154* 155*
Die Handschrift G r l
160*
D i e H a n d s c h r i f t KU
161*
Die Textstufe Cyl Die Handschrift H4
162* 163*
D i e Textstufe C y 3
163*
D i e Textstufe Cy5
164*
Die Textstufe Cy7
164*
D i e Textstufe C y 8
165*
D i e T e x t s t u f e Cy2
166*
Inhaltsverzeichnis
III.
VII
Die Textstufe Cy6 Die Handschrift Brl Die präredaktionellen Textstufen BMW. MW und CI 1. Die Textstufe BMW 2. Die Textstufe MW Das Fragment Kol Die Handschrift M6 Die Handschrift M3 und die Drucke a l - a 6 . u l . bl Die Handschrift W2
167* 167* 168* 169* 171* 173* 174* 175* 176*
3. Die Textstufe CI Die Handschrift 12
177* 178*
D . D i e textgeschichtliche Edition I. Das Konzept der Edition II. Die Einrichtung der Ausgabe 1. Spalte I: Die B-Redaktion 2. Spalte II: Die A-Redaktion 3. Spalte III: Die C-Redaktion 4. Spalte IV: Die Cy-Bearbeitung 5. Das Register der Kapitelüberschriften und der Prolog III. Informationen zur Technik der Variantcnanschreibung 1. D . r Altcrnativstrich / 2. UicSiglen 3. Die Kursive 4. Die runde Klammer 5. Die Vollständigkeit der Variantensequenz 6. Der senkrechte Strich | im Edierten Text
18Γ 183* 188* 188* 199* 202* 205* 205* 210* 210* 211* 214* 215* 215* 215*
E. S t e m m a t a , Karten, K o n k o r d a n z e n Tab. 22 Das Gesamtstemma der >RechtssummeRechtssummeRechtsabecedars der 2200 Artikel· Tab. 25 Das Textformen-und Textzeugenstemma der B-Fassung Tab. 26 Das editionsreduzierte Stemma der B-Fassung Tab. 27 Das Textformen-und Textzeugenstemma der A-Fassung Tab. 28 Das Textformen- und Textzeugenstemma der C-Fassung Tab. 29 Die »Summa Confessorum< des Johannes von Freiburg und ihre Bearbeitungen, lateinisch und deutsch Tab. 30 Die Kapitelabfolge der >Rechtssumme< nach der Ursprungsfassung Bruder Bertholds: Kapitelumstellungen des Cy-Bearbeiters Tab. 31 und 32 Die vorlagenwechselnden Handschriften der >Rechtssumme< Karte 1 Die sprachgeographische Verbreitung des >RcchtssummcRechtssummeRechtssummeRechtssummcRechtssumme< Bruder Bertholds hat sich in ihrer konkreten Arbeit über die Jahre hin von den programmatischen Vorgaben des Würzburger Forschungskonzeptes leiten lassen, das die Kriterien für die Edition breit überlieferter volkssprachlicher Texte des Spätmittelalters aus der genauen Kenntnis ihrer je eigenen Überlieferungsgeschichte zu gewinnen sucht: »Methodisch ist es der überlieferungsgeschichtliche Ansatz, der unseren Bemühungen um eine neue Sicht und Wertung spätmittelalterlicher Prosatexte zugrundeliegt. Er ergibt sich durch die vorherrschende Gebrauchsfunktion und die zeitliche sowie landschaftlich weit ausgefächerte Wirkungsgeschichte der Texte . . . Der überlieferungsgeschichtliche Ansatz wirkt sich zunächst auf die Textkonstitution aus. D e r >authentische Text< wird zwar keine quantite negligeable sein dürfen, aber mit ihm müßte eine Edition auch spätere Ausformungen mit geänderter Zweckbestimmung (etwa die spezielle >Klosterfassung< eines Laientraktats) sichtbar machen« (S. 160). Diese Forderung verwirklicht die fassungssynoptische Edition der >RechtssummeRechtssumme< in der jetzt realisierten Konzeption überhaupt unternommen und zu Ende geführt werden konnte, dafür sind die Herausgeber Vielen zu großem Dank verpflichtet. Allen voran Kurt Ruh, der 1973 die Würzburger Forschergruppe ins Leben gerufen hatte: Durch ihn wurden am Institut für deutsche Philologie der Universität Würzburg für weit über ein Jahrzehnt Arbeitsmöglichkeiten der philologisch-literaturwissenschaftlichen Forschung geschaffen, die nicht ihresgleichen an anderen Universitäten der Bundesrepublik Deutschland fanden. Kurt Ruh gestaltete nicht * Spätmittclaltcrliche Prosaforschung. DFG-Forschergruppe-Programm am Seminar für deutsche Philologie der Universität, ausgearbeitet von Klaus Grubmüller, Peter Johanek. Konrad Kunze, Klaus Matzel, Kurt Ruh, Georg Steer, in: Jahrbuch für internationale Germanistik 5 (1973), S. 1 5 6 - 1 7 6 .
χ
Vorwort
nur den organisatorischen Rahmen der Forschergruppe, er hielt auch den Fortgang ihrer Arbeit fest im Auge. Alle wesentlichen wissenschaftlichen Entscheidungen wurden zusammen mit ihm und oftmals in engagierter Anteilnahme aller Beteiligten getroffen. Besondere Dankesschuld gilt der Deutschen Forschungsgemeinschaft. Ihr Förderungsmodell »Forschergruppe«, ein »kleines Max-Planck-Institut auf Zeit«, dem von Haus aus »Experimentcharajcter« zugestanden wird ( D F G . Aufgaben und Finanzierung I V . 1972—1974 [sog. Grauer Plan vom Jahre 1972], S. 20) und ihre langjährige großzügige Finanzierung schufen die wirtschaftlichen und arbeitstechnischen Voraussetzungen für unsere Arbeit.Für Betreuung und mannigfache Hilfe sei Herrn D r . Manfred Briegel gedankt. In unseren Dank schließen wir auch die Gutachter der D F G ein, die im Turnus von zwei Jahren unser Arbeitsprogramm und unseren Arbeitsfortschritt kritisch zu beurteilen hatten. Ihre offiziellen Voten und wissenschaftlichen Empfehlungen waren stets anregend und arbeitsmotivierend. Für langjährige Begutachtungsmühen danken wir besonders den Herren Professoren Dr. Dr. Karl Stackmann, Dr. Kaspar E l m , Dr. Hans Fromm, Dr. Burghart Wachinger und Dr. Walter Haug. Zu großem Dank sind wir all den Bibliotheken, ihren Vorständen und wissenschaftlichen Mitarbeitern, verpflichtet, die uns Einsicht in ihre Handschriften gewährten, Mikrofilme und Kopien erstellten und bereitwillig Auskünfte erteilten. In der Projektgruppe >Rechtssumme< waren seit 1973 über einen längeren Zeitraum als wissenschaftliche Mitarbeiter tätig: Frau Ingrid Hofmann, geb. Kupfer (01.07. bis31.09.1975 u n d O l . 0 2 . 1 9 7 6 b i s 3 1 . 0 1 . 1 9 7 7 ) , Herr Dr. Helmut Weck (01.12.1973 bis 31.08.1976), Herr Gerhard Dittmann (01.07.1977 bis 14. 02.1978), Frau Dagmar Ladisch, geb. Grube (01.07.1975 bis 24.01.1979), Frau Bettina Rothenburger-Poimann Μ. A . (01.07.1981 bis 30.06.1983) und Herr Johannes Mayer (01.01.1981 bis 30.06.1984). Als studentische oder wissenschaftliche Hilfskräfte haben längere Zeit mitgearbeitet: Theresia Bacher, Willi Biemer, Barbara Dietrich, Josef Endres, Barbara Gebhardt, Toni Gernert, Dagmar Gottschall, Brigitte Guckenberger, Ingrid Hemmelmann, FranzJosef Iffländer, Monika Kasper, Ulrich Klemm, Barbara Küper, Volker Liedtke, Joachim Merkler, Harald Meyer, Konrad Mitterer, Rainer Mordhorst, Martin Reitlinger, Christian Rohner, Martin Stehle, Andrea Steinkamp, Irene van Dassen, Elisabeth Weiser. Ihnen gebührt nicht nur der Dank derer, die in der Abschlußphase der Projektarbeit die >Rechtssumme< fertiggestellt haben, ihnen fällt vielmehr das bleibende Verdienst zu, den Hauptanteil der unabdingbaren Grundlagenarbeit für die Ausgabe geleistet zu haben. Eine Ausgabe der >Rechtssumme< nach Fassungen, die annähernd wortpositionsgenau aufeinander bezogen sind, konnte nur mit Hilfe der E D V be-
Vorwort
XI
werkstelligt werden. Diese Einsicht bildete sich schon bald nach Beginn der Editionsarbeit heraus. Die Voraussetzungen für eine solche Leistung vermochte damals in den Jahren 1973 und 1974 einzig das >Tübinger System von Textverarbeitungsprogrammen< zu erbringen, das D r . Wilhelm O t t , Tübingen, entwickelt hat. D a ß uns H e r r D r . Ott bereitwillig sein Programmpaket T U S T E P und das dazugehörige U n t e r p r o g r a m m p a k e t zur Verfügung stellte und stets in vielen Fragen über die Jahre hin geduldig Rat gab, dafür gebührt ihm der größte D a n k . H e r r n Dipl.-Math. Peter Ruff vom R e c h e n z e n t r u m der Universität Würzburg verdanken wir ein Programm in Maschinensprache, das uns die Markierung der Aufsatzpunkte in den drei Fassungs-Spalten Α , Β und C auf komfortable und schnelle Weise ermöglichte. Weil kein Setzer und kein Satzprogramm in der Lage war, die drei Fassungen Α , Β und C der >Rechtssumme< als drei Kolumnentexte in ihrem gegenseitigen Bezug zu setzen, mußte dieses Problem gruppenintern gelöst werden: H e r r T h o m a s S t a d l e r M . A. schrieb ein vollständiges Satzprogramm, das Zeilen setzen, Silben t r e n n e n , A p p a r a t e berücksichtigen und Seiten umbrechen konnte, dies alles dreifach und synchron. Periphere Programme erlaubten uns an den Texten der >Rechtssumme< wie an einem fertigen Buch zu arbeiten, schon lange bevor die Texte belichtet waren. Kein P r o g r a m m funktioniert ohne sachkundige A n w e n d e r . H e r r D r . Peter Stahl hat mit großer Geduld und Sorgfalt über ein Jahrzehnt hinweg den rechnerseitigen Korrektur- und Produktionsablauf geleitet und mit Sachkenntnis bei der T e x t g e s t a l t u n g m i t e n t s c h i e d e n . Ihm und T h o m a s Stadler d a n k e n wir. G r o ß e s Verständnis und E n t g e g e n k o m m e n e r f u h r e n wir allseits von Seiten des Max Niemeyer Verlages. H e r r Wolfgang Reiner hat mit seiner unerschütterlichen Geduld sehr viel zum Gelingen der >Rechtssumme< beigetragen. D a f ü r darf er sich unseres großen D a n k e s immer sicher sein. A n der letzten Korrektur der Fassungstexte waren Frau Dr. Marlies H a m m und Frau D r . Helgard Ulmschneider beteiligt. Frau Dr. H a m m hat auch die Schlußarbeiten zur Einleitung unterstützt. Vor allem hat sie die mühseligen K o r r e k t u r g ä n g e zu E n d e g e f ü h r t . F ü r Geist und Leistung dieser K o o p e ration danken wir herzlich. Eichstätt, im N o v e m b e r 1987 Für die Herausgeber G e o r g Steer
Α. Der Autor Bruder Berthold und sein literarisches Werk
1920 hat O T T O G E I G E R 1 auf eine Prozeßurkunde vom 24. Juni 1304 hingewiesen, in der ein Lektor namens Berthold erwähnt wird: Videlicet fratre Bertholdo lectore. Weil in dieser Urkunde von dem Dominikaner Johannes von Freiburg ("fl314)2, dem Autor der >Summa ConfessorumRechtssumme< identifizieren zu dürfen, die dieser noch zu Lebzeiten des Johannes - um 1304 - geschrieben habe. Es ist die Namensgleichheit, die G E I G E R in dem Freiburger Lektor frater Bertholdus den Verfasser der >Rechtssumme< Prüder Perchtolt (wan ich Prüder Perchtolt vndprieftergehorfam han getan prediger orden, A, Prolog 11-13) vermuten läßt. Ob der >RechtssummeRechtssumme< haben indes zu Einsichten geführt, die eine Entstehung des Werks um 1300 im Freiburger Raum eher als unwahrscheinlich erscheinen lassen. 1. Die Überlieferung der >Rechtssumme< hat ihren Schwerpunkt eindeutig im bairisch-schwäbischen, bairischen und bairisch-österreichischen Raum. Alle erhaltenen alemannischen Handschriften (Bsl, Hl, H2, H4, Kl, Kol, M24, SI, Sol) sind Nachschriften bairischer Vorlagen. 2. Auch die Sprache Bruder Bertholds ist bairisch. Berthold gebraucht nie das dem Alemannischen eigentümliche Lexikon. So ist ihm das Wort 1
O. GEIGER, Studien über Bruder Berthold. Sein Leben und seine deutschen Werke, in: Freiburger D i ö z e s a n a r c h i v
NF21
(1920), S. 1-54, hier S. 18: Stadtarchiv
Freiburg,
Urk.-Abt. XVI Ap. 2
M. HAMM, J o h a n n e s v o n Freiburg, in: 2 VL IV (1983), Sp. 6 0 5 - 6 1 1 . Die »Summa Confessorum< ist in etwa 200 H a n d s c h r i f t e n n a c h z u w e i s e n ; vgl. TH. KAEPPELI, Scriptores Ordinis Praedicatorum Medii Aevi, Vol. II, R o m 1975, S. 4 3 0 - 4 3 3 . Eine kritische Ausgabe des Werkes gibt es nicht. Unter den drei n a c h g e w i e s e n e n D r u c k e n Augsburg 1476, Lyon 1518 und Paris 1519 hat Lyon 1518 den vollständigsten und verläßlichsten Text. T e x t e n t s p r e c h u n g e n zur >Rechtssumme< Bruder Bertholds sind nach d i e s e m Druck mitgeteilt in:
M. HAMM/H.
ULMSCHNEIDER,
Die >Rechtssumme< Bruder Bertholds. Quel-
l e n k o m m e n t a r . 2 Bde. (TTG 16-17), Tübingen 1988.
2*
Der Autor und sein literarisches Werk
minne oder erbermde für Liebe und Barmherzigkeit völlig fremd 3 . Zur Benennung des Vormunds verwendet er ausschließlich den bairischen Terminus gerhab, kein einziges Mal die alemannische Entsprechung pfleger oder vogtA. 3. Die handschriftliche Überlieferung der >Rechtssumme< 5 setzt nachweislich erst am Ende des 14. Jahrhunderts ein. Die Innsbrucker Handschrift Cod. 549 ( = II) ist der früheste datierte Textzeuge. Nur unter der Annahme, daß die >Rechtssumme< um 1300 entstanden ist6, ist die Überlegung sinnvoll, ob ihr Verfasser jener lector Bertholdus sein könne, den die Freiburger Urkunde von 1304 erwähnt. Doch überzeugende Hinweise auf eine so frühe Entstehung des Werkes gibt es nicht. Auch der Einwand, der Autor der >Rechtssumme< könne unmöglich »das Kirchenrecht eines ganzen Jahrhunderts völlig unberücksichtigt« 7 gelassen haben, überzeugt nicht, denn Bruder Bertholds ausdrückliche Absicht war es, wie M A R L I E S H A M M 8 überzeugend nachgewiesen hat, einzig die lateinische >Summa Confessorum< des Johannes von Freiburg ins Deut3
Vgl. W.BESCH, Sprachlandschaften und Sprachausgleich im 15. J a h r h u n d e r t (Bibliotheca G e r m a n i c a 11), M ü n c h e n 1967, S. 192-198. 339; 158-161. 338f. 4 G. STEER, Die Bedeutung der Textgeschichte f ü r die historische Fachwortgeographie. Beobachtungen zur Ü b e r l i e f e r u n g des Rechtswortes gerhab in der >Rechtssumme< Bruder Bertholds, in: Text- u n d Sachbezug in der Rechtssprachgeographie, hg. von R. S C H M I D T - W I E G A N D (Münstersche Mittelalter-Schriften 52), M ü n c h e n 1985, S . 38-69. 5 H. WECK, Die >Rechtssumme< Bruder Bertholds. Eine deutsche abecedarische Bearbeitung der »Summa Confessorum< des J o h a n n e s von Freiburg. Die handschriftliche Ü b e r l i e f e r u n g (TTG 6), T ü b i n g e n 1982. 6 O h n e n ä h e r e U n t e r s u c h u n g der Lebensumstände Bruder Bertholds datieren Q U E T H ECHARD, Scriptores ordinis praedicatorum, Bd. I, Paris 1719, S. 722f. die >Rechtssumme< ein J a h r h u n d e r t später: »F. Bertholdus vel Bertholdus T e u t o sub f i n e m huius saeculi XIV vel initia sequentis J o h a n n i s de Friburgo seu lectoris vulgo dicti s u m m a m confessorum e latino G e r m a n i c e reddidit, sed alio ordine n e m p e alphabetico«. An dieser D a t i e r u n g orientiert sich H. KOLLER, Die Entstehungszeit der S u m m a des Berthold von Freiburg, in: Mitteilungen des Instituts f ü r österreichische Geschichtsforschung 67 (1959), S. 117-133. K O L L E R S A n n a h m e , d a ß die >Rechtssumme< » u m 1408« (S. 126) abgefaßt sei, erwies sich als nicht z u t r e f f e n d : Die Innsbrucker Handschrift Cod. 549, erst nach 1959 entdeckt, bezeugt die Existenz der >Rechtssumme< bereits z u m Jahre 1390. 7 W. TRUSEN, F o r u m i n t e r n u m und gelehrtes Recht im Spätmittelalter. S u m m a e confessorum und Traktate als Wegbereiter der Rezeption, in: Z R G . Kanonistische Abteilung 57 (1971), S. 83-126, hier S. 105. 8 M. HAMM, Die Entstehungsgeschichte der >Rechtssumme< des D o m i n i k a n e r s Berthold. Ihr Verhältnis zur »Summa Confessorum< des J o h a n n e s von Freiburg und zu deren lateinischen Bearbeitungen, in: Die >Rechtssumme< Bruder Bertholds. Eine deutsche abecedarische Bearbeitung der »Summa Confessorum< des J o h a n n e s von Freiburg. Untersuchungen I, hg. v. M. H A M M und H . U L M S C H N E I D E R (TTG 1), Tübingen 1980, S. 35-114, hier bes. S. 57.
Der Autor und sein literarisches Werk
3*
sehe umzusetzen, ihren Stoff alphabetisch zu ordnen und f ü r die Bedürfnisse vornehmlich von Laien und Pastoralklerikern kürzend zu redigieren, nicht aber ein deutsches Werk des gelehrten Rechts zu schreiben, das auch noch andere Quellen als die >Summa Confessorum< des Johannes benützt. Über den A u t o r Berthold unterrichtet am zuverlässigsten und ausführlichsten der Prolog der >Rechtssumme< 9 . Doch dieser ist nicht die einzige Quelle, die über seine Person Auskunft gibt. Die Namensform Prüder Perchtolt erscheint nämlich nicht nur im Prolog zur >RechtssummeHorologium devotionis circa vitam Christi< und dessen deutscher Vorlage. Beide Werke weist T H O M A S KAEPPELI 1 0 einem Bertholdus Teuto I zu, der nicht als identisch angesehen wird mit Bruder Berthold, dem Verfasser der >RechtssummeRechtssummeHorologium< und dessen deutsche Vorlage einem einzigen Autor an, nämlich Prüder Perchtolt". Der Inhalt der Prologe zu den drei Werken zwingt zu dieser Annahme. a. Am ausführlichsten ist der Prolog zur >Rechtssumme H o r o l o g i u m d e v o t i o n i s < zum h o rologium sapientiae< Heinrich Seuses ("{"1366), das dieser zeitlich nach seinem deutschen >Büchlein der Ewigen Weisheit< für devoti lectores in den vierziger Jahren des 14. Jahrhunderts neu und lateinisch gefaßt hat16, dürfte mehr als nur eine solche sein. Doch sind die Beziehungen beider Autoren und ihrer Werke zueinander gänzlich unklar, weil sie bisher nicht erforscht wurden. Der Annahme Pius KÜNZLES OP, »Bertholds Horologium devotionis war für Seuses Horologium-Auffassung maßgebend« (S. 71), ist mit Skepsis zu begegnen, da der ansonsten hervorragende Seuse-Kenner nach wie vor von der Vorstellung ausgeht, der »noch immer rätselhafte Bruder Berthold OP« (S. 66) sei der in Freiburg um 1304 wirkende Lektor Bertholdus gewesen. Obwohl beide Horologia zur Gattung der Erbauungsbücher gehören, sind sie nach Inhalt, Intention und Stil so gänzlich voneinander verschieden, daß sie im Grunde nur der Titel >Horologium< und das Muster der 24 Stunden-Einteilung miteinander verbindet, freilich auch die Beigabe von Bildern. Die Anregung dazu ging von Heinrich Seuse aus, worauf H E L M U T WECK 17 hinweist. Wenn einer der beiden Autoren beim anderen eine Titelanleihe gemacht hat, dann wohl eher Berthold von Seuse als umgekehrt. Zu breiterer Wirkung ist offensichtlich nur das lateinische h o r o l o gium devotionis< gelangt. Der deutsche >Sager oder mircker der tugent< ist bis heute lediglich in einer einzigen Handschrift bekannt 18 ; vom >Horologium< dagegen, das sich dezidiert an litterati homines wendet, sind immerhin 12 Handschriften erhalten, alle dem 15. Jahrhundert angehörend, und fünf verschiedene Drucke von 1488 bis 1498. Die Be16
17
Is
P. KÜNZLE OP, Heinrich Seuses Horologium Sapientiae. Erste kritische Ausgabe unter Benützung der Vorarbeiten von D. Planzer OP (Spicilegium Friburgense 23), Freiburg/Schweiz 1977, S. 28-54; vgl. auch Α. M. HAAS, Deutsche Mystik, in: DE BOOR/NEWALD, Geschichte der deutschen Literatur 111,2: Die deutsche Literatur im späten Mittelalter 1250-1370, München 1987, S. 234-305, hier S. 285. H. WECK, Berthold (Anm. 13), Sp. 802: Das >Zeitglöcklein< »ist nicht als Vorläufer der Mystik anzusehen, sondern setzt bereits deren Ausbildung, zumal das Werk Seuses, voraus«. Siehe Anm. 12.
6*
Der Autor und sein literarisches Werk
achtung, die Bertholds >Horologium< fand, ist auch daran zu ermessen, daß unabhängig voneinander zwei deutsche Übersetzungen gefertigt wurden, das >Zytgl0ckle der andachten< 19 am Anfang des 16. Jahrhunderts in verbum de verbo-Manier und >Das andechtig zeitglocklein des lebens vnd leidens Christi S a g e r o d e r m i r c k e r d e r t u g e n t Sager oder mircker der tugent< (von bete wegen eins andechtigen ritters seligen gedechtnusz, des name got wol bekam ist) noch im >HorologiumRechtssumme< (vnd auch von lieb vnd pet wegen hern Hänfen von Aur fäligen dej andächtigen ritters) nennt. Die Identität dieses H a n s v o n A u e r sicherzustellen, gelang bisher nicht 2 '. Mit andächtig, devotus22 umschreibt Berthold eine spezifische christliche Le" H a n d s c h r i f t : Einsiedeln, Stiftsbibl. Cod 763 (16. Jh.). H a n d s c h r i f t e n : Berlin, SB Cod. mgo 703 (nach 1493); Berlin, SB Cod. mgq 1817 (1506); Karlsruhe, Bad. Landesbibl. Cod. St. Peter pap. 1 (zwischen 1505/10); Wien, Österr. Nationalbibl. Cod. 11616 (Anf. 16.Jh.); Drucke: kl (1491), bl (1492), b2 (1492), nl (1493), ul (1493), rl (um 1494), n2 (1495). 21 Der Versuch K O L L E R S (Anm. 6, S. 125), den Auftraggeber der >Rechtssumme< Hans von Auer mit einem 1373-1386 als Konventuale und 1393-1408 als J o h a n n i t e r k o m t u r in Freiburg lebenden Johannes von Auer zu identifizieren, geht von der falschen Annahme aus, daß die >Rechtssumme< im Raum Freiburg im Breisgau und zudem erst » u m 1408« entstanden ist. 22 H. W E C K (Anm. 5, S. 12f.) hat nachgewiesen, daß von der Bezeichnung »andächtig« nicht darauf geschlossen werden könne, daß Hans von Auer »einem geistlichen Ritterorden angehörte, also entweder Johanniter oder Deutschordensritter war«, wie H. K O L L E R (Anm. 6, S. 125) a n n a h m ; andächtig bedeute im Prolog der >Rechtssumme< schlicht und einfach neuhochdeutsch » f r o m m « . Sofern jedoch der Begriff devotus frömmigkeitsgeschichtlich und kirchenrechtlich verstanden wird, b e k o m m t er einen recht bestimmten und vor allem zeitgeschichtlich aufschlußreichen Sinn. K. ELM, Die Bruderschaft vom Gemeinsamen Leben. Eine geistliche Lebensform zwischen Kloster und Welt, Mittelalter und Neuzeit, in: Ons Geestelijk Erf 59 (1985), S. 470-496, weist darauf hin, daß das Decretum, C. 12, q. 1, c. 7 den Terminus Deo devoti sive conversi gebraucht, um die verschiedenen Formen des Semireligiosentums zu benennen (S. 481). Bruder Berthold selbst hat zeitweise ein Leben nach der vita eremitica {wan ich mein lag v/V gepredigt han, vnd daj geladen lief, vnd het mich an genomen einej ainiidels leben A, Prolog 16-19) geführt. Wenn er Hans von Auer als miles devotus bezeichnet, hebt er ihn aus der Reihe der saecutares saeculariter viventes heraus und ordnet ihn jenen
20
Der Autor und sein literarisches Werk
7*
bensform, in der das christliche Leben nach dem Vorbild des Lebens und Leidens Christi (>Horologium devotionisRechtssummeErchantnuzz der sundElsässische L e g e n d a aureaBuch der TugendenSecunda secundae< der >Summa theologiae< des Thomas von Aquin verarbeitet, schließlich auch das Hauptwerk der mittelalterlichen Poenitentialsummen, die >Summa Confessorum< des Johannes von Freiburg ("j" 1314), das deutsch von dem Dominikaner Bruder Berthold vermittelt wird: einem neuen Publikum zwar - den läuten: Laien, Gelehrten wie Ungelehrten -, aber in völliger Übereinstimmung mit den Zielen des Dominikanerordens, das Wort Gottes zu verkünden, zu lehren und zu predigen: wan ich Prüder Perchtolt vnd priefter gehorfam han getan prediger orden, der dar vmb gemacht vnd beitätigt von der heiligen chirchen ift, daj er Fol predigen vnd chünden daj wort gotej je nutj den läuten vnd je fälikhait (A, Prolog 11-16). Die Sprache der deutschen >SummeSager oder mircker der tugentRechtssumme< zeitlich vorausgehen dürfte, erörtert worden und außerdem in der Annahme, daß Bertholds deutschsprachige >Summe< als ein Werk der Gattung Poenitentialsumme ganz selbstverständlich auf die neuesten kanonistischen Publikationen Bezug nimmt. Weil R U D O L F STANKA44 und W I N FRID T R U S E N (Anm. 7) annehmen, daß Bruder Berthold noch nicht den >Liber Sextus< (publiziert 1298) kannte, kommen sie zu einer sehr frü42
>Das buch der tugendenRechtssumme< Bruder Bertholds im Kontext volkssprachlich-kanonistischer Rechtsliteratur, in: Überlieferungsgeschichtliche Prosaforschung. Beiträge der Würzburger Forschergruppe zur Methode und Auswertung. Hg. von K. RUH (TTG 19), Tübingen 1985, S. 76f.: Berthold entfernt »sich zuweilen so weit von seinem Original, daß nur noch eine Sinnäquivalenz bestehen bleibt. Wichtig ist ihm eine sach- und publikumsgerechte Darstellung, die den trockenen Juristen-Stil der »Summa Confessorum< anschaulich und bildhaft umsetzt. Hauptcharakteristikum seiner Diktion, die entscheidend von der Predigtsprache beeinflußt ist (nicht umsonst hat Berthold zeit seines Lebens vi/ predigt. Prolog 17), ist daher sein explikativer Stil«; vgl. auch P. J O H A N E K (Anm. 31), S. 357. 44
R. STANICA, Die Summa des Berthold von Freiburg. Eine rechtsgeschichtliche Untersuchung, Wien 1937.
D e r Autor und sein literarisches Werk
13*
hen Datierung seiner >SummeLiber Sextus< sehr wohl benutzt hat und daß Berthold eine Version der >Summa Confessorum< vorlag, die auch die >Additiones< enthielt: Dreimal wird in der >RechtssummeLiber Sextus< expressis verbis erwähnt. Ihre Entstehung noch im 13. Jahrhundert erscheint mithin als ausgeschlossen. PETER J O H A N E K zieht eine »Zeitspanne etwa zwischen 1300 und 1340« in Betracht, weil sich in Bertholds >Summe< »keine Spuren einer Benutzung der Summe des Bartholomäus von Pisa, die 1338 entstand«, finden lassen: »Es ist schwer vorstellbar, daß Berthold nicht auf dieses Abecedar, falls es schon vorlag, in irgendeiner Form zurückgegriffen hätte, zumal es ebenfalls von einem Ordensbruder stammte. Man wird die Entstehungszeit daher nicht viel später als 1340 ansetzen dürfen« 46 . Es erscheint zweifelhaft, ob die entscheidenden Argumente für die Datierung der >Rechtssumme< aus ihrem Vergleich mit der Lehrentwicklung der Kanonistik des 14. Jahrhunderts und ihren Neuerungen während dieser Zeit gewonnen werden können, wenn erwiesen ist, daß Berthold überhaupt nur eine einzige Quelle für sein deutsches Abecedarium benützte und benützen wollte, die »Summa Confessorum< des Johannes von Freiburg, und daß er diese Quelle nicht als Kanonist, sondern als Priester in seelsorgerlicher Absicht zu einem puch des christlichen Lebens umformte, das helfen sollte, der f e i fälikhait zu erlangen. Ein fester Anhaltspunkt für die Datierung ist die handschriftliche Überlieferung. Sie setzt mit der Innsbrucker Handschrift Cod. 549 (II) als dem zeitlich frühesten Textzeugen der >RechtssummeRechtssumme< erst in der zweiten Hälfte des 14. Jahrhunderts nicht von vornherein ausgeschlossen werden. Es ist schwer, Bertholds püch einen zutreffenden T i t e l 4 8 zu geben. Berthold selbst hat auf eine Werkbezeichnung seines >Summa Confesso45
M . H A M M ( A n m . 8 ) , S.
46
P. JOHANEK ( A n m . 3 1 ) , S. 3 6 0 . D a B r u d e r B e r t h o l d T h o m a s v o n A q u i n a l s Sanctus mas
83-85.
Tho-
( G 3 0 , 2 2 ; Κ 1 6 , 1 8 ) b e z e i c h n e t , ist m i t d e m J a h r e 1 3 2 3 e i n s i c h e r e r T e r m i n u s post
quem gefunden. 47
Vgl. u n t e n S. 8 9 * - 9 1 * . G. STEER, Z u r d e u t s c h e n
Werkbezeichnung
der »Summa
Confessorum R e c h t s s u m m e < B r u d e r B e r t h o l d s . U n t e r s u c h u n g e n I ( T T G 1), T ü b i n g e n 1980, S. 1 - 3 4 .
14*
D e r A u t o r u n d sein literarisches Werk
rumSumma Confessorum< des Johannes von Freiburg, deren Autorität er sich vollständig unterordnet, sicherzustellen. Einen Werktitel bekommt das Berthold-^wi·/? erst während der Zeit seiner Überlieferung. Er lautet nach den Handschriften der B-Fassung: Summ Johannis des decrets (Prolog 1 f.). Zu >Summe Johannis< verkürzt verwenden ihn die A-Handschriften. Den Handschriften der C-Redaktion fehlt durchgehend eine Textüberschrift. Nun sagt freilich der Titel S u m m a J o h a n n i s nichts über den Inhalt des Textes und auch nichts über seine Gattung aus. Umständlich und wenig griffig erscheinen die Bezeichnungen >deutsche Summa Johannis< oder >Summa Johannis deutsche Den Inhalt von Bei tholds püch über den Titel zu erfassen, müht sich der B-Redaktor: Summ Johannis des decrets, gebildet in Anlehnung an den Wortlaut des Prologs, ist eindeutig; noch eindeutiger formulieren die Handschriften Lzl und S f l : Das püch haiffet Summa Johannis dar aus man alle geiftleiche recht nymbt (Sfl 270rb) und eine Bücheranzeige von Anton Sorg in Augsburg (um 1 4 8 0 ) : ein nützlich Rechtbuch, darin geiftlich und weltlich Ordnung begriffen ift, genannt Summa Johannis49. Auf eine Inhaltsbezeichnung zielt auch der Titel Summ alles rechten, den Adam Petri im gereimten Vorwort seines Druckes von 1518 findet: Denn hie wurdt in der Summ geredt Was alles rechten ν f f im hett Vnd wefj [ich halt die chriftenheyt In einer fumm dif$ buche feyt50.
Der Name >RechtssummeSumma Johannis< spricht, sondern nur von »Bertholds deutscher S u m m e « , und daß R U D O L I S r A N K A d e n Inhalt der Berthold>Summe< dahingehend bestimmte, daß sie »in alphabetischer Reihenfolge 700 kleinere oder größere, in sich abgeschlossene Traktate über alle praktischen Fragen des kirchlichen und weltlichen R e c h t e s (umfas49
Zitiert nach R. STINTZING, G e s c h i c h t e der p o p u l ä r e n Literatur des
römisch-kanoni-
s c h e n R e c h t s in D e u t s c h l a n d a m E n d e des 15. und im A n f a n g des 16. Jahrhunderts, L e i p z i g 1867 ( N a c h d r u c k : A a l e n 1959), S. 519. 50
Vgl. G . STEFR, W e r k b e z e i c h n u n g ( A n m . 48), S. 1 7 - 1 9 .
51
K.
BERG
( A n m . 43), S. 1 0 - 2 8 u. ö.. hier S. 10, A n m . 5.
D e r A u t o r u n d sein literarisches W e r k
15*
se)«. B E R G führte beide Begriffe >Summe< und >Recht< zu dem neuen Begriff >Rechtssumme< zusammen und fügte seinem richtigen Verständnis eine Erklärung bei, um jeder Verwechslung mit dem juristischen Begriff >Summa juris< von vornherein aus dem Weg zu gehen: »Der Begriff >Rechtssumme< ist im weitesten Sinne zu verstehen, etwa als >Summa der Sitten und Rechte eines christlichen LebensRechtssumme< für Bertholds deutsches >Summa ConfessorumSachsenspiegelSchwabenspiegelKlagespiegelLaienspiegel< des Ulrich Tenngier) abzusetzen.
52
K . BERG ( A n m . 4 3 ) , S. 10, A n m .
53
C. G . HOMEYER, Die d e u t s c h e n R e c h t s b ü c h e r des M i t t e l a l t e r s u n d ihre H a n d s c h r i f t e n , n e u b e a r b . von C . B O R C H L I N G , Κ. A. E C K H A R D T u n d J. v. G I E R K E , W e i m a r 1931-1934; z u m Begriff >Rechtsbuch< vgl. K. K R O E S C H E L L ( A n m . 26), Bd. I (bis 1250), R e i n b e k b. H a m b u r g 1972, S. 242: »So ist es seine V e r b i n d u n g v o n p e r s ö n l i c h e r A n s c h a u u n g u n d a b g e b i l d e t e r R e c h t s w i r k l i c h k e i t , die d e n d e u t s c h e n Begriff des R e c h t s b u c h e s bis in die heutige wissenschaftliche Literatur hinein bestimmt«. Vgl. P . E G I N O W E I D E N H I L L E R , U n t e r s u c h u n g e n z u r d e u t s c h s p r a c h i g e n k a t e c h e t i s c h e n L i t e r a t u r des späten M i t t e l a l t e r s ( M T U 10), M ü n c h e n 1965.
54
55
5.
B. KOEHLER, Laienspiegel, i n : H R G II (1978), Sp. 1357-1361, hier Sp. 1361; vgl. a u c h W. STAMMLER, P o p u l ä r j u r i s p r u d e n z u n d S p r a c h g e s c h i c h t e im XV. J a h r h u n d e r t , i n : Fests c h r i f t F r i e d r i c h Kluge, T ü b i n g e n 1926, S. 1 3 3 - 1 3 9 ; w i e d e r a b g e d r u c k t i n : W . S T A M M LER, K l e i n e S c h r i f t e n z u r L i t e r a t u r g e s c h i c h t e des Mittelalters. Bd. II. Berlin-Biel e f e l d - M ü n c h e n 1953, S. 13-18.
17*
Β. Die Überlieferung der >Rechtssumme
Rechtssumme< sind von H. WECK ( A n m . 5) als Rezept ionszeugen e i n g e h e n d analysiert und dargestellt worden. D i e n a c h f o l g e n d e A u f l i s t u n g der Textz e u g e n ist dieser Darstellung zur G ä n z e verpflichtet.
18*
Die Überlieferung der >Rechtssumme
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A b b . 6. M4: München, Bayer. Staatsbibl. cgm 283,1'. Prolog der >RechtssummeRechtssumme
Rechtssumme
RechtssummeRechtssummeRechtssumme< BASEL,
Laienbibliothek des Kartäuserklosters
Katalog des Urban Moser um 1515: Β xlvj Summa confessorum Joannis friburgensis ordinis predicatorum . . . per Berchtoldum eiusdem ordinis professorum in lingua vernacula per modum alphabeticum interpretata (SEXAUER, S. 1 6 2 ) .
Lit. : W. D. SEXAUER, Frühneuhochdeutsche Schriften in Kartäuserbibliotheken. Untersuchungen zur Pflege der volkssprachlichen Literatur in Kartäuserklöstern des oberdeutschen Raumes bis zum Einsetzen der Reformation (Europäische Hochschulschriften. Reihe I: Deutsche Literatur und Germanistik, Serie I, Bd. 247), Frankfurt/M. 1978, S. 162; H. WECK (Anm. 5), S. 30. 1 0 1 . REICHENBACH
(Oberpfalz), Benediktinerkloster
Nach Ausweis des Bibliothekskatalogs vom Jahre 1601 war ein >RechtssummeRechtssumme< im Besitz der Komturei: item 1 dewtsch buch summa Johannis (ZIESEMER, Ämterbuch S. 435,3). Lit.: W. ZIESEMER, Das große Ämterbuch des Deutschen Ordens, Danzig 1921; HELM/ZIESEMER, Literatur S. 3 3 ; E. STEFFENHAGEN, Die Altdeutschen Handschriften zu Königsberg, in: ZfdA 13 ( 1 8 6 7 ) , S. 5 0 1 - 5 7 4 , hier S. 5 0 6 ; H. WECK (Anm. 5), S. 30.
Verlorene und verschollene Textzeugen
104.
61*
Deutschordenskonvent
OSTERRODE,
Das Inventarverzeichnis von 1437 weist einen >RechtssummeRechtssummeRechts-
62*
Die Überlieferung der >Rechtssumme
Summa Confessorum< des Johannes von Freiburg bezeugen: a)Ein niederösterreichisches Bücherverzeichnis einer Adelsbibliothek aus dem 15. Jh. (überliefert auf Bl. 257 der Gießener Handschrift Nr. 1011) nennt ain pvech das man nende svmvm Jahanwnb. Lit.: Η. MENHARDT, Ein deutsches Bücherverzeichnis des 15. Jahrhunderts aus Niederösterreich, in: Anzeiger der Österreichischen Akademie der Wissenschaften, Phil.-hist. Kl., Jg. 1959, Nr. 20, Wien 1959, S. 261-263; H . W E C K (Anm. 5), S. 33f.
b) BAMBERG, Bibliothek des Domherren Willibald von Redwitz und dessen Brüdern In einer kleinen Bücherliste aus der Zeit der Bauernkriege wird 1 Buch Summe Johannis angeführt.
summeRechtssummeRechtssumme< zu sehen.
Mittelbare Überlieferung
63*
Lit.: Κ . SCHOTTEN LOH ER, Schicksale von Büchern und Bibliotheken im Bauernkrieg, in: Zeitschrift für Bücherfreunde 12 (1908/09), S. 396-408; H . WECK ( A n m . 5), S. 3 3 f .
c) F R A N K F U R T , Bibliothek des Großkaufmanns Claus Stalburg des Reichen Das Bücherverzeichnis von 1524 verrät, daß Claus Stalburg sowohl eine lateinische Summa Johannis wie ein deutsches buch Summa confessorum genannt besessen hat. Lit.: F. BOTHE, Frankfurter Patriziervermögen im 16. Jahrhundert. Ein Beitrag zur Charakteristik der bürgerlichen Vermögen und der bürgerlichen Kultur ( 2 . Ergänzungsheft des Archivs für Kulturgeschichte), Berlin 1 9 0 8 ; H . W E C K (Anm. 5), S. 33f.
d) N Ü R N B E R G , Bibliothek des Nürnberger Patriziers Hans Tetzel In seinem Bücherverzeichnis aus dem Jahre 1464 findet sich: Mer ein
puch in preltermit ein praun leder und ist summa iohannis (MBKD III, S. 54,20f.). Lit.: Η . WECK ( A n m . 5), S. 3 3 f .
IV. Mittelbare Ü b e r l i e f e r u n g 1. >Rechtsabecedar der 2200 Artikel< Das >Rechtsabecedar der 2200 Artikel· enthält die folgenden Kapitel der >RechtssummeWimpfener Rechtsbuch< tradiert. Die zehn Handschriften des >Rechtsabecedars< sind vollständig und ausführlich beschrieben bei H. ULMSCHNEIDER, Die Rezeption (Anm. 34), S. 145-184. Die abweichenden Angaben gegenüber H. ULMSCHNEIDER, Die Rezeption (Anm. 34) ergeben sich aus der neuen Kapitelzählung der >RechtssummeRechtssumme
Wimpfener RechtsbuchGesamtauslegung der Messe< In ihr sind die folgenden Kapitel der >Rechtssumme< aufgenommen: Κ 30, Κ 31, Κ 33, Ρ 5, Ρ 6, S 19, S22, S 18, Ρ 1 - Ρ 4, Ρ 7, S 21, Μ 18 Μ 22, Μ 16, Μ 17.
66*
α)
D i e Ü b e r l i e f e r u n g der >Rechtssumme
Meßerklärung Messe singen oder lesenRechtssumme< Bruder Bertholds den Edierten Text, nach welchem Konzept auch immer er geboten würde, breit abzusichern vermöchte. Es wird deshalb die Güte der Textzeugen darüber entscheiden, welches Verfahren zur Präsentation eines Edierten Textes gewählt werden muß, und in welcher Form dieser geboten werden kann. Nach der Sammlung der Textzeugen steht mithin als zweite wichtige Aufgabe an, die Textgestalt einer jeden erhaltenen Handschrift und eines jeden erhaltenen Druckes zu prüfen, um zu ermitteln, in welcher Vollständigkeit und Authentizität der Text der >Rechtssumme< überliefert ist. Das wissenschaftliche Prüfinstrument für diese Sondierungsarbeit ist die Kollation aller Textzeugen 66 , in der diese untereinander daraufhin verglichen werden, ob die Schreiber bzw. Drucker den Text quantitativ und qualitativ verändern, d.h. ob sie Text auslassen, hinzusetzen, ihn umstellen oder durch anderen ersetzen. Durch die Registrierung der Varianten Textteile unter Aussparung der invarianten läßt sich zum einen das gesamte historische Veränderungsprofil des Textes freilegen, zum anderen die Genealogie der fixierten Textveränderungen sichtbar machen. Aus der Kenntnis der Besonderheiten der Textwiedergabe eines jeden Textzeugen sowie seines genealogischen Ortes kann die Güte seines Textes bestimmt werden. Die Textgüte-Prüfung mit Hilfe der Kollation hat zu den nachfolgend dargelegten Ergebnissen geführt, die in ihrer Gesamtheit die Geschichte der >RechtssummeRechtssumme
Deutschen Predigten< des Schwarzwälder Predigers, von denen im Codex 460 der Universitätsbibliothek Freiburg i.Br. die Originalabschrift des Autors erhalten ist67, die den Herausgeber F . K . G R I E S H A B E R 6 8 »einen fast optimal zu nennenden Text« ( K . R U H ) erstellen ließ, muß sich die >RechtssummeRechtssumme< erlaube eine sichere Rekonstruktion der Textform des Archetyps 69 . Zudem muß bezweifelt werden, ob diese mit der des Autographs identisch wäre. Der Blick auf die Überlieferungssituation des Predigtcorpus des Schwarzwälder Predigers bestärkt diese Zweifel. Nur zwei Handschriften stehen in der Nähe des Codex 460, die Hauptmasse der übrigen Handschriften bezeugt eine unauthentische Sonderredaktion des Textes (Überlieferung X), die erwiesenermaßen ihren unmittelbaren Ausgang von dieser Handschrift genommen hat70. Wäre der Codex 460 verloren gegangen, der dann aus X und den beiden Handschriften erschlossene und vermutete Ursprungstext hätte mit Si67
68
69
Vgl. K. RUH, Deutsche Predigtbücher des Mittelalters, in: K. RUH, Kleine Schriften, Bd. II: Scholastik und Mystik im Spätmittelalter. Hg. von V. MERTENS, Berlin-New York 1984, S. 296-317, hier S. 304f. F. K. GRIESHABER (Hg.), Deutsche Predigten des 13. Jahrhunderts, 2 Bde., Stuttgart 1844 und 1 8 4 6 . Zu dem Denkschema der Unterscheidung von Archetypus und Original vgl. Η. A. HILGERS, Die Überlieferung der Valerius-Maximus-Auslegung Heinrichs von Mügeln. Vorstudien zu einer kritischen Ausgabe (Kölner Germanistische Studien 8), Köln-Wien 1 9 7 3 , S. 4 - 7 .
70
390-394.
Vgl. D. SCHMITKE, Rez. über G . S t a m m , Studien zum >Schwarzwälder Predigen (Medium Aevum 18), München 1969, in: PBB 92 (Tübingen 1970), S. 285-290; W. WILLIAMS-KRAPP, Das Gesamtwerk des sog. >Schwarzwälder PredigersSchwarzwälder Predigers< (Kleine deutsche Prosadenkmäler des Mittelalters 14), München 1982.
Die Α-Redaktion
73*
cherheit eine andere Gestalt als die des Autographs aufgewiesen. Das Beispiel der Textüberlieferung der Predigten des >Schwarzwälder Predig e r lehrt zweierlei. Zum einen warnt es davor, die Erstellung des Archetyp-Textes zum Ziel einer Edition zu machen, weil die Gefahr einer Textkonstruktion besteht, der nie eine historische Realität zukam. Zum anderen führt es deutlich vor Augen, daß zwei Textformen des Predigtcorpus existiert haben, von denen die eine authentisch ist und zusammen mit dem Autorexemplar von drei Handschriften bezeugt wird, während die andere sich als Bearbeitung der Predigten (Überlieferung X) ausweist, die erfolgreicher war als die Textfassung des Autors selbst. Die Autorfassung wurde in einer Textausgabe bekannt gemacht, die X-Redaktion blieb bisher unediert. Textformen, die sich mit denen des >Schwarzwälder Predigers< vergleichen lassen, kennt auch die >RechtssummeRechtssumme< hinweg fällt als erstes eine Textform auf, die sich sehr markant von der gesamten übrigen Überlieferung unterscheidet. Ihre Eigenständigkeit wird gleich zu Beginn des >RechtssummeRechtssummeRechtssumme
Rechtssumme< noch stärker alphabetisch und nach markanten Einzelstichwörtern zu systematisieren als dies bereits die ursprüngliche Anlage versuchte. Wo ein Stichwort aus der Überschrift nicht auffällig genug hervorstach, wurde es entgegen der Textfassung der Vorlage nochmals zu Beginn des Kapiteltextes wiederholt, so etwa in Ρ 13, ein Kapitel- und Textinitium, das als Beispiel für viele andere stehen kann: Ditj ift, das ein weib niht pfant fol nemen fur ir haimftewr vnd morgengab x. Pf an tung ift alfo. Stirbt ein man . . . . Die Wiederaufnahme des Begriffs pfant als pfantung haben nur die Textzeugen des A-Textes. Die Tendenz zur Kürzung, zur Systematisierung und verstärkt auch zur Generalisierung läßt sich in vielen Kapiteln der Α-Bearbeitung verfolgen. Wie sehr der A-Redaktor ganz allgemein darauf hinzielt und sich dabei nicht scheut, das erläuternde Beispiel, den exemplifizierenden Casus seiner Vorlage als überflüssig beiseite zu schieben, zeigt eindringlich das Kapitel V 38 im Vergleich zum Text, wie ihn Β und - leicht variierend - C bieten (V 38,1-49):
Die Α-Redaktion
Warumb der wucher vnd gewinnung des gelihen vnd entlihen güts fund fey. 38.
75*
Dit3 ift, war vmb der wücher vnd gewin de3 gelihen vnd | entlihen güte3 fünd fei. xxxij. 38.
Wer dem andern et3was gfite3 leiht, vnd da Wer dem anderen etwa3 guts leihet, vnd da der wil von wil haben gewinnung vnd Ion 5 von gewin vnd Ion wil haben, gewin vnd nut3 haben da3 von dem gut da3 ains andern ift, vnd von dem, d a ; ain aneine3 andern ift. der menfch fein aygen gut nuc3/. Alio war Alfo da3 Haynreich lieh Chßnraten choren ob Hainreich Chünraden korn lih oder wein oder gewand oder gelt vnd des 10 oder wein oder gewant oder gelt vnd de3 geleich, alio fchir vnd paid da3 geleich, vnd al3 fchier dann da3 gut in Chunra'.s gewall chvmpt, fo güt in Chünraden gewalt chäm, fo ift da3 giit fein 3e gewin vnd 3everift da3 göt fein 3ε gewinnung vnd 3ε verluft, vnd mag da3 gut | nüc3en nach feilud, vnd mag da3 gut nüt3en nach feinem willen. Vnd Chunrat ift fchuldig da3 is nem willen. Vnd da3 felb gfit ift dann güt oder de3 felben g ü t j geleich HainriChunrad Hainreichen fchuldig chen 3ege//en vnd alfo vil er von im ge3e gelten wa3 er im gelinommen hat. hen hat, A l f o \e\c\\t Hainrich Chunraten ain fäder wein.?, er ift im fchuldig wider 3ege//en ain 20 fuder weins oder etwa3 anders gfit.f, oder als vil da3 göt wert ift gegen dem fuder al3 vil gelt33 da fur al3 e3 wert ift. weins. Vnd leihet Hainrich Chvnraten 3ehen pfunt, fo ift Chunrat Hainrichen Ichuldig 3ehen pfund wider 3egeben oder 25 ander güt d&i 3ehen pfunt wert ift. Vnd Vnd wa3 Chvnrat mu3 Hainrichen dar vber gewa3 Chunrad Hainreichen dar $ber mer ben, das ift wucher, vnd Hainrich muft geben, da3 w i r wucher vnd nympt da3 mit fünden, von de3 wegen da3 w i r ffind. er nympt gewinnung von fromdem güt da3 30 fein nit ift, vnd chain recht dar an hat, vnd nympt nuc3 da von, da3 ain ander menfch fein aigen güt nüc3t. Vnd da3 ift vnrecht. Aber da3 ains dem anderen leyhet etwa3 35 Leiht auch ain menfch dem andern et3was auf ein 3eit vnd peit im de3, vnd paittet im des guts auf ain vnd n/mt dar vmb von im 3eit 3egelten, vnd da von nympt gewin, da3 ift auch wucher vnd ift gewinnung, da3 ift auch vnrecht. Vnd fund. da verchauft ain menfch dem anI deren da3 fein nit ift, alfo die 3eit die got 40 allen laüten geit, vnd da3 vnrecht ift nit an dem güt, da3 man hin lät vnd peftet. A l f o wann Hainrich hin lat Chunraten ain haus, ain acker, ain vich, da3 güt peleibt Hainrichen mit allem recht 3Ü ver- 45 luft vnd ; u gewinnung vnd nit Chunraten. Vnd dar vmb da3 Chunrat nüc3ft vnd handlet Hainrichs güt, fo ift er im fchuldig da von etwa3 3egeben.
76*
Die Textgeschichte der >Rechtssumme
Rechtssumme< aus inhaltlichen, stilistischen oder terminologischen Gründen neu fassen zu müssen, in der Regel in sinnpräzisierender Absicht. Um diese Bearbeitungstendenz zu belegen, genügt es, einige wenige Beispiele anzuführen: Β 6,26-29
S 64,32f. Τ 12,76f. V 26,9f.
Zu dem andern mal ift in despabftjpann ain menfch (ain menfch / der C) der chirchen prent oderpricht, oder in chainer (kaynerlay C) weis die chirchen (die chirchen fehlt C) lecjt an der mawrren B, C / . . . belaidigt... A vnd wolt nit wiffen noch dar nach f or fche η Β, C / . . . fragen A da von er wurdpefchedigt an feinem leib {an feinem leib fehlt C) B, C / da von er an feinem leib fchaden näm A da$ er feins aigen guts nit geprauchen mag B, C / . . . genuinen
... A V 26,73 f. V 38,74f. V 47,If. Ζ 5,3f.
Vnd tut der fchuldherr dem funder genad oder nit genad B, C / Vnd tut dann der dem er gelten fol dem fchuldiger genad oder niht A vber ain jar jebejalen B, C / ... je gelten A Von der e der auffecjigen läwt B, C / Ditj ift von den funder fiechen läuten A Den jehent fol man je ft und (von ftünd C) geben, als die friicht jeitig werden B, C / Den gehenden fol man auch je ha η t geben, alj paid die /ruht auj der erd gewachfen ift A.
Die Textform A, deren Eigenständigkeit damit als nachgewiesen gelten kann, wird von 7 Handschriften und 4 Drucken bezeugt: Dil, G h l , II, Lei, M23, W3, Zpl, 11, m l , m2, b2. Doch keiner dieser Textzeugen überliefert Α für sich oder in einer seiner Vorstufen frei von Überlieferungsschäden. Weil sie alle von einer einzigen, nicht erhaltenen Archetyp-Handschrift abstammen, die den ursprünglichen Text des A-Redaktors nicht verläßlich weiterzugeben vermochte, bewahren die A-Textzeugen nicht nur invarianten Text des Originals, sondern auch dessen Beschädigungen durch den Archetyp-Schreiber A. Aufgrund der Flüchtigkeit des Augensprungs wurden des öfteren Textzeilen überlesen: Ε 118,17-19 Ε 120,4-6 Κ 34,6-8
nach geoffenbart werä: den lauten. Alfo daj er ab tu die vrfach der ergerung vnd die fund der laut B, C, fehlt A nach durch gotes willen: Vnd die eitern fol man eren durch des gepotes willen gotj B, C, fehlt A nach ein priefter: die befprengen vnd reconcilieren. Jdoch wurd ain
priefter B, C, fehlt A Κ 59,7f.
nach ift: oder der fei, alfo ift daj auch fund, daj der menfch alfo ciain mutig ift B, C, fehlt A
Die Α-Redaktion
Ρ 6,6-8 R 24,9-11 R 26,11 -15
R 34,15-21
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nach not fach: vnd ob er daj tat durch der chawfchait willen. Auch der im felb ab fneidt ain ander glid an notfach B, C, fehlt A nach der m u f f , puffen vndpefferen mit dem daj er hiet, auf daj daj vnrecht geftraft wurd. Dar vmb mäft B, C, fehlt A nach warheit: vnd wej er in fragt von folichen dingen, von der wegen der richter vber in gewalt hat, vnd laugent der menfch jm der warhait B, C, fehlt A nach ander läut: dy nit alfo gechlaid fint. Von dem chlaid fpricht fand Auguftein: Nüt allain mit guten fcheinparen chlaideren, funder auch mit pöfen verworffen chlayderen mügen fich laut rumen vnd Ziehen für ander läut B, C, fehlt A.
Textverderbnisse der verschiedensten Art, die Α verursacht hat, finden sich über die ganze >Rechtssumme< hin verstreut. Wenige Beispiele anzuführen genügt: - Vermutlich verleitet durch den nachfolgenden parallel gebauten Nebensatz Ε 15,51 vnd daj ander die wort niht fpräch, fügt der Α-Schreiber in dem vorausgehenden Satz Ε 15,49f. daj irains die wort fpräch ebenfalls ein niht nach wort ein. Der Sinn der Aussage wird dadurch völlig entstellt. - Im Kapitel Ε 38,19f. gibt das Satzglied oder mit bechlagt mit bejewgnujj den fchuldigen keinen Sinn. Das Dunkel der Textstelle geht offensichtlich auf eine Unachtsamkeit des Α-Schreibers zurück, der in der Eile die Präposition mit, die in seiner Vorlage nach dem Verbum bechlagt stand, vor dieses schrieb. Weil er das antizipierte mit zu tilgen vergaß, entstand eine perfekte Crux. - Im Kapitel Ε 38,30 ist gewonhait hat aus gewont hat verschrieben oder verhört. - Ein Hörfehler mag auch in Ε 112,15f. vorliegen: Von dem Satzgefüge Die drit fach ift, wann daj haws peftanden ift (ift peftanden C) funfiar (B, C) ist in A nur noch ein verstümmelter Rest übrig: Die dritt fach ift beftanden auf v/7 iar. - Eine irrtümliche Schreibung ist Ε 117,31 ainuoltigen für ewangelien B, C. - Durch Verlust von die vaften ist der Satz vnd vor dem tag den fi gen fölten prächen die vaften (B: F26,55f.) in Α unvollständig und unverständlich: vnd daj fi vor an dem tag vnd fi folten gen prachen A. - In G 61,14f. fehlt das Verbum war: der nit war ain priefter B, C / vnd ob der menfch niht ein priefter A. - In Ρ 7,26 wird unerklärlicherweise got zwischen vnd und verliehen eingefügt: gegeben vnd verlihen B, C / gegeben vnd got verliehen A. - In R l,8f. ersetzt ein wiederholtes gegen fälschlich die Präposition von: vnd gegen den lauten von der ergerung B, C / vnd gegen der läut gegen der ergrung A. - In S 2,1-10 werden diejenigen fünf Sakramente aufgezählt, die der Mensch von gepotej wegen der heiligen kirchen (S 2,5f.) empfangen solle. Die parallelen Fassungen nennen als fünftes Sakrament die Hl. Ölung: vnd daj heylig öl B; vnd die hailigen Ölung C; Α zeigt Textverlust.
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D i e Textgeschichte der >Rechtssumme
RechtssummeRechtssumme< nur in Auszügen und zudem beschränkt auf 55 Kapitel (A 12-14, 16, 23, 33; Β 1, 2, 10-13, 15, 17, 39-41 ; D 6; Ε 3, 5, 13; F 2, 4-9, 20, 24, 29, 3 0 ; G 60, 75, 76; I 11; K 3 8 ; L 6 ; Μ 1-3, 5, 16, 17; Ο 1; S 28, 31, 32, 34, 40, 59-61, 63, 65) tradiert. An den folgenden Textstellen (Auswahl) stehen Dil, M23 und W3 mit gemeinsamen Text allen übrigen Handschriften und Drucken der ARedaktion gegenüber, und natürlich auch denjenigen der B- und C-Fassung: A 13,1 f.
F 5,8 F 6,6f.
Α blas chumpt den feien jehilff B, C; Ditj ift, daj der ablas den fein je hilff chumpt A (Ay, Az) / Ditj ift ob der ablaff den feien je hylff müg chomen oder nicht AxM23 mit gefang B, C; mit fingen A / mit fingen (mit Syngen mit lefen mit opfern W3) vnd mit (mit andern W3) guten werchen AxM23 vnd nicht gericht haben (halten C) vber yemand (nymant C) jevrtailen B, C; noch chain gericht noch vrtail haben A / noch chain gericht haben noch (noch chain W3) vrtail geben AxM23
F 7,15
Hec Thomas B, C, A, fehlt AxM23
Κ 38,52f. Κ 38,67 Κ 38,70f.
nemen, tragen B, C, A / nemen noch tragen AxM23 Die funft ift B, C, λ / Die fünft fach ift AxM23 leyhen jw weltleichen dingen (fachen C) B, C, A / jw weltleichen dingen nemen AxM23
71
Der Begriff Textstufe bezeichnet eine individuelle Textform der >RechtssummeRechtssumme< überliefert. Die Willkürlichkeit in der Auswahl der 55 Kapitel ist ihm auch Prinzip bei der Nachgestaltung des in ihnen tradierten Textes. Dieser wird nach Gutdünken zusammengestrichen oder auch, allerdings nur punktuell, neu formuliert, wie etwa in den beiden folgenden Überschriften: Β 10,1 f.
S 40,1 f.
Wann banheftig lawt in die chirchen füllen (miigen C) gen B, C; Ditj ift, wenn panhaftig leüt mugen in die kirchen gen oder nicht A ( = AxM23, Ay, Az) / Von panhaftigen lewten ift dy chirich verpoten M23 Spilen mit würfflen tut vil vbels B, C; Ditj ift, daj fpil mit wurffein vil vbels tut A / dicj ift was von fpil chumpt M23.
Textersetzungen unterschiedlichster Art sind zu beobachten (Auswahl): A 14, If. F 30,3f. S 32,2f. S 40,16
ab Ιαj geben aller fund A / ablofen den menfchen von aller fund M23 gut gen got A / gut gen got Vnd auch gen hayligen M23 das man >n da$ fei gerät verjewhet da3 fi habent gefchaft A / da$ man in das felgeret nicht geit oder vercjeuchet M23 vil fmachleicher wort A / vil fm&chleicher red M23.
80*
Die Textgeschichte der >Rechtssumme
Rechtssumme
Rechtssumme< generell genauer und eindeutiger zu fassen und, wo es ihm nötig erscheint, den Sinn der Sätze auch zu nuancieren. Das Brevier will er nicht nur gelesen wissen, man solle es vielmehr gepeten oder fprechen (B 44,31). Es genügt ihm auch nicht, die Sünden bei der Beichte nur zu nennen; er fordert vom Beichtkind, diese zu nennen vnd wol je erchennen geben (B51,101f.). Es erscheint naheliegend, im Schreiber der Handschrift Dil einen gelehrten Geistlichen zu vermuten. Dafür spricht nicht nur seine Sachkompetenz, die er allenthalben zu erkennen gibt, sondern auch eine Reihe auffälliger Textretuschen, die sein berufsständisches Engagement verraten. Nach ihm tut ein Laie fmachait dem pharrer, wenn er sich mit dessen Wissen nicht begnügt und dar vber wolt haben einen weifern. Seine Vorlage vermerkt lediglich: dej wär. . . fmächleich dem pfarrer (B 54,12-15). Vor der Sünde der Sodomie glaubt er über seine Vorlage hinaus besonders warnen zu müssen. Wenn er Beichtvater ist, mag er dazu berechtigt sein: nach V 6,39-41 Vnd vber all fund fo ift die gröft fund fo ein menfch mit vich vnchäufchkait treibt: Aber vber die alle obgenannten gradus der vncheufchait vnd die fiind all So ift Sodomey die gröft fünd als man vnd man vnd widerwertichait der naturleichen vbung manns vnd weibs Vnd vber alle diefe fünd So ift das das gröft der mit viche vncheufch tut. Vnd fiilt das für war wiffen vnd maynnt auch die lerrer das der menfch der Sodomey tut das das jn difer weit an jm nit peleibt vngerochen Dil.
83*
Die Α-Redaktion
Die Handschrift W3 und ihre Vorlage *W3 Die eigenwilligste und änderungsfreudigste Textbearbeitung der >Rechtssumme< findet sich in der Handschrift W3, die 1466 von zwei Schreibern für Heinrich Eck von Hungersbach (nördlich von Laibach) geschrieben wurde. Einer der Schreiber hieß Martinus de Lackh. Doch nicht er oder sein Kollege sind für die Überarbeitung verantwortlich, sondern der Verfertiger ihrer Vorlage *W3. Dies läßt sich mit Bestimmtheit sagen, weil mit dem Wechsel der Hände kein Wechsel der Textbearbeitung erkennbar ist. Der Änderungswille des *W3-Redaktors geht so weit, daß er keinen einzigen Satz seiner Vorlage unangetastet läßt. Wenn er sonst nichts abzuändern weiß, muß er wenigstens ein vnd durch ein oder ersetzen. Was ihn vor allem auszeichnet: er liebt den zwei- und dreigliedrigen Ausdruck über die Maßen, wie ganz generell den erklärenden Zusatz. Von den zahllosen Beispielen, die vollständig das Wortersatzregister (siehe unten S. 185*f.) verzeichnet, sollen nur wenige aufgeführt werden: Β 8,92 Β 18,25
Raichen B, C ; mail A / mail vnd mafen * W 3 allgemain frawen (weib C , A ) B, C, A / alle gemein weib alj hürren vnd riffian * W 3
Β 51,77-79 Β 63,3
Alio da$ der menfch niht folpeichten durch eitel weltlich gufftens vnd rumes * W 3 pujj B, C , A / ßvjj oder weicj * W 3
D 10,36
capen B, C, A /
Ε 91,49 Κ 17,8
feinen eleichen gefeilen B, C, A / fein gemahel * W 3 peife^el B, C , A / \veyfe33ell oder Griefwörtell * W 3
Μ 5,29
gotten Β, C ; döten A / go ten * W 3 mit der (fehlt C, A) fentencien vnd vrtailen vnd vrtailen * W 3
Ρ 7,169 Τ 4,7f.
er
A, B, C / . . .
gugel * W 3
B, C, A /
fein leben vnd fein (fehlt A) gefunthait befchirmen leben pefchirmen vnd fein gefunthait friften *W3.
mit rächenden
B, C, A /
fein
Das Kapitel S 16,59-81 führt aus, daß ein Mensch, der von vnchäufcher natur wegen in dem flaff vnrain geworden ist, daj facramenl niht nemen soll. *W3 fügt eigenmächtig bei: vndyn folichen fachen foil [ich auch ain yeder priefter enthalden das er des felben tags nicht mefs fprechen oder das Sacrament emphach So ym das pey nacht oder flaffund wideruert. Diese Bemerkung, falls sie nicht von Martinus de Lackh stammt, legt die Annahme nahe, daß der *W3-Redaktor selbst Geistlicher war.
84*
Die Textgeschichte der >Rechtssumme
Rechtssumme< seine einschneidendsten Umänderungen auf der Ebene der Syntax und des Stils erfahren. Auf dem Wege von Α über Ay zu der rheinfränkischen Handschrift G h l vom Jahre 1470 und zu dem Lübecker Arndes-Druck 11 vom Jahre 1487 wandert er ins Mittel- und Niederdeutsche und mutiert hier erwartungsgemäß am stärksten im Bereich des Wortschatzes. Die Abschrift Ay, die als Vorstufe von G h l und 11 erschlossen werden kann, zeigt freilich als Textform keinen ausgeprägt individuellen Charakter. Das läßt sich allein schon an der spärlichen Zahl der Wortersetzungen erkennen (Auswahl): A 18,12
Ε 5,14f.
F 26,24 Μ Μ Μ Μ R
10,86 15,68 18,60 19,1 14,22
ehalten A / gefinde Ay {gefind B, C) Vnd die werck (Vnd alle vnkeufche werch C) die auj der e getan werden B, C, A / Vnd die lüde die u f j (buten 11) der ee vnkufcheit thun Ay peichters A; peichtigers B, C / bichtvater Ay (öfter) pujjen Α, Β / beffern Ay (peffem C) want Α, Β / meynte Ay (maint C) nemen A, B, C / entpfahen Ay Pfaffen A, Β, C / ρ rieft er Ay vber dein ftang B; vber die ftangen C ; an der ftang A / uff dem ri'cke Ay.
Als Umschrift des >RechtssummeRechtssumme< herzustellen, mangelte es weder an sachlicher noch sprachlicher Kompetenz. Fehler, die ihn als kanonistisch ungebildet bloßstellen könnten, finden sich nicht in seinem Text; Mängel seiner Vorlage versteht er kontextbezogen auszumerzen. Feinsinnig retuschiert er gelegentlich sogar den Inhalt der >RechtssummeRechtssummeRechtssumme
Rechtssumme< (11) eine nicht erhaltene Handschrift als Vorlage, die zur Textform Ay gehört. Daneben benutzte er die Druckausgabe Johann Bämlers, Augsburg, vom Jahre 1478 ( = a2), der er zahlreiche Textergänzungen entnahm, insbesondere die vielen lateinischen Quellenangaben innerhalb der einzelnen Kapitel, die der A-Redaktor aus seiner Vorlage eliminiert hatte. Eine besondere Auffälligkeit von 11 ist die zweimalige Wiedergabe des Kapitels V 5, das erste Mal ohne Überschrift und Zählung am Ende des Kapitels V 4, das zweite Mal nach V 9 als selbständiges Kapitel in der Position von V 10 mit der Zählung kap. viij. Als Kapitel V 10 haben die Fassungen Β und C ein Verweiskapitel, das in Α fehlt. Unter dem Zwang des Bämler-Druckes hat 11 durch Wiederholung des V 5-Textes ein zusätzliches Kapitel erzeugt, um die Kapitelparallelität mit a2 herzustellen. Das Kapitel V 10 in der Textgestalt und mit der Zählung von 11 haben die Drucke ml, m2 und b2 übernommen. Diese Textidentität ist einer der vielen Hinweise, daß Moritz Brandis 1491 (ml) den Lübecker Steffen Arndes-Druck 11 und Adam Petri 1518 (b2) den zweiten Magdeburger Brandis-Druck (m2) als unmittelbare Vorlagen benutzten. Daß und wie 11 aus dem a2-Druck >RechtssummeRechtssumme< ins Niederdeutsche, auch wenn er nicht alle oberdeutschen Relikte seiner mitteldeutschen Vorlage zu tilgen vermochte. Durch Stichwortzwang etwa behält er an 7 Stellen des Textes die oberdeutsche Form leumunt bei, während er an allen übrigen 33 Stellen folgerichtig niederdeutsch gerückte schreibt73. Dies ist aber entschieden die Ausnahme, und es läßt sich meist auch plausibel erklären, wenn 11 beim oberdeutschmitteldeutschen Text seiner Vorlage bleibt. Durchgehend finden sich so in seiner >RechtssummeRechtssumme< Bruder Bertholds ins Niederdeutsche, in: Die >Rechtssumme< Bruder Bertholds. Eine deutsche abecedarische Bearbeitung der »Summa Confessorum< des Johannes von Freiburg. Untersuchungen I, hg. v. M . H A M M und H. U L M S C H N E I D E R (TTG 1 ) , Tübingen 1 9 8 0 , S. 1 1 5 - 1 4 1 , hier S. 1 2 7 - 1 3 1 . Vgl. G. D I T T M A N N (Anm. 73), passim.
88*
Die Textgeschichte der >Rechtssumme
Rechtssumme
RechtssummeRechtssumme< noch zwei Abschriften der >Weltchronik< Heinrichs von München besitzen, erhalten in den Codices cgm 7330 vom Jahre 1394 und Cod. Guelf. 1.16. Aug. fol. vom Jahre 1399. Heinrich Sendlinger läßt den Az-Text der >Rechtssumme< so gut wie unangetastet. Er entfaltet nicht den geringsten Ehrgeiz, ihn zu redigieren. Seine Abschrift unterscheidet sich nur durch geringfügige und, bezogen auf die geschriebene Textmenge, seltene Abschreibfehler vom Text seiner Vorlage. Am auffälligsten sind noch Einzelwortauslassungen (Auswahl): Β 7,35 fache (und öfter) fund G 28,30 geben S 26,13 er.
Β 29,7 fol Β 31,4 mag Β 43,29 pit ten Ε 64,8 L 15,11 flahen Μ 11,22 das R 25,21 man
Die Überlieferungsanalyse des Α-Textes der >Rechtssumme< hat zuletzt noch das Verhältnis der Textformen von AxM23 bzw. Ax, Ay und Az zu klären. Diesem liegt, wie unmittelbar einzusehen ist, die Überlieferungskonstellation des dreigeteilten Stemmas zugrunde. Aus ihr darf geschlossen werden: Vom Archetypus Α wurden unbeeinflußt und unabhängig voneinander drei Abschriften erstellt. Dies ist bei viel gelesenen Texten, zu denen die >Rechtssumme< zweifellos gehört, weiter nicht verwunderlich. Die Aufspaltung der Überlieferung in drei Wege muß deshalb angenommen werden, weil insgesamt drei unterschiedliche Textbindungen innerhalb des Α-Textes mit der Überlieferung der >Rechtssumme< in Β und C existieren:
Die Α-Redaktion
91*
Ay, Aζ mit Β und C gegen AxM23 AxM23, Αζ mit Β und C gegen Ay AxM23, Ay mit Β und C gegen Αζ. Eine graphische Skizze vermag das Ergebnis der Textzeugenanalyse zusammenzufassen. Sie veranschaulicht, auf welchen individuellen Verbreitungswegen die Texttradierung der >Rechtssumme< in der Fassung A verlaufen ist, wie ihre Textformen, die sich im Zuge der Neuvermittlung durch Schreiber und Redaktoren ausgebildet haben, genetisch zusammenhängen und welche Textzeugen diese repräsentieren.
A
Tab. 1. Α-Fassung. Stemma der Textformen und Textzeugen, schematisiert
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Die Textgeschichte der >Rechtssumme
RechtssummeRechtssumme< steht. Seine Individualität hat er zweifelsohne der Tätigkeit eines Redaktors zu verdanken, der an zahllosen Stellen die ihm vorliegende Textform seiner Vorlage willkürlich und gelegentlich auch aus Unachtsamkeit veränderte. Bearbeitend greift der B-Redaktor zu allererst in die alphabetische Stoffanordnung des Werkes ein. Bruder Berthold hatte für den Buchstaben C keine Kapitel vorgesehen. Diese Lücke im Alphabet füllt der B-Redaktor mit den ersten 29 Kapiteln des Buchstabens Κ auf. Eine kleine, kaum bemerkenswerte Änderung nimmt er an den Kapiteln Β 26 - Β 30 vor: er zieht sie unter der Β 26-Überschrift Wie ain lehen man tun Fol gen feinem Herren, vnd waj er im fchuldig fey zu einem einzigen Großkapitel zusammen. Die Überschriften von Β 27 - Β 30 werden getilgt. Aus thematischen Gründen (Erbe der Kinder) stellt er noch das Kapitel Ε 107 um; es findet hinter C 25 ( = Κ 25) seinen neuen Platz.
Die B-Redaktion
93*
Das größte Augenmerk richtet der B-Redaktor indes auf den Text selbst. Ihn redigiert er über seine ganze Länge hin, nicht massiv und allenthalben wie der *W 3-Schreiber, sondern behutsam, punktuell nur und immer inhaltlich nuancierend. Wenige Beispiele anzuführen genügt, um sein textbearbeitendes Vorgehen zu belegen: Β 7,47-51
Β 26,7-12f.
G 50,7 Κ 12,8-11
Κ 12,39-41
Κ 18,3-5
Κ 22,5f. Κ. 23,12f. Κ 24,17f. Κ 31,5-7
Die fechft fache (fehlt C) ift, wenn kinder hieten daj (folch C) $bel getan, vnd noch wärn in der (dem C) gewalt der eitern, vnd auch niht (noch nit C) wol gewachfen (volwachfen wem C) noch gantjew Vernunft hieten A, C / . . . vnd nit wären gewach fen, daj fi fich felber möchten verfprechen Β daj er im well getrew fein, an feinen ern, vnd feinej weibes vnd feiner chinder, die niht je fchenden mit worten oder mit werchen, befunder fi an allen dingen ern, vnd iren frumen je werben, vnd irn fchaden je melden A; das fie im wollen getreu fein an feiner ere, an feinem weibe, an feinen chinden, die nicht jufchenden weder mit wort ten noch mit wercken, befunder an allen dingen eren vnd iren frommen fiidern vnd fchaden melden C; daj er im wSll getrew fein an finer ere vnd fines wibes vnd kinder die nit cje fchenden mit women oder mit werken Sunder an allen dingen finen fchaden jefchaff en M6 / daj er ym wSll getrew fein in allen fachen feinen frummen jewerben vnd feinen fchaden bewenden Β der dem lehen nätjer wär A; der nütjer wer ju (ju fehlt W2) dem lehen CI, W2 / der ju dem lehen pejjer wär Β fpangen, jerhawen (verhauen C) fchuch (Ichine W2), vnd klaider die choftleich find gehefft mit gefmeid (claider koftlich geheft C) oder {vnd CI, W2) gefchmeid, vnd andrew dink, die di hantwerch läut machent A, CI, W2 / fpangen oder welherlay hantwerck daj ift, daj die hant werchlawt machen Β Ej wär dann über flujjig, oder daj ej (daj ej fehlt CI, W2) giengje eiteler er (eren C) A, CI, W2 / Ej wär dann daj fi daj täten durch weltleich er vnd in groffem vbermut Β Ketjer haijjent die läut, die an dem gelauben mit willen irrent (irren mit willen CI, W2) oder einen valfchen wan habent von dem gelauben A, CI, W2 / Checjer haiffent laut, die an dem glauben irr gend mit willen, oder valfch gedenck habent von dem gelauben Β dem ketjermaifter verfwern allen irrtum (alle jrrfal CI) A, CI, W2 / dem checjer maifter fweren allen vngelauben jelaffen Β Die felben (fehlt Cl, W2) chinder nemen auch irr eitern erb A, CI, W2 / Die chint folten ir güt denocht erben Β ob fi ein vnechind hat (hate C, W2) haimleich A, CI, W2 / hat fi ain vnelich chind haymleich Β Kirchen mag niemantgeweihen oder (weihen noch C) wider weihen dann ein pifcholf. Vnd daj mag ein pifcholf tun (vnd mag das thiin
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Κ 38,34f.
Κ 38,53f.
Κ 62,32f. Κ 63,14f. Μ 13,18f. Ρ 20,42f. V 2,13
Die Textgeschichte der >Rechtssumme