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German Pages 190 Year 2004
Münsterische Beiträge zur Rechtswissenschaft Band 156
Die Niederlassungsfreiheit von Scheinauslandsgesellschaften in der Europäischen Gemeinschaft
Von
Alexander de Diego
asdfghjk Duncker & Humblot · Berlin
ALEXANDER DE DIEGO
Die Niederlassungsfreiheit von Scheinauslandsgesellschaften in der Europäischen Gemeinschaft
Münsterische Beiträge zur Rechtswissenschaft Herausgegeben im Auftrag der Rechtswissenschaftlichen Fakultät der Westfälischen Wilhelms-Universität in Münster durch die Professoren Dr. Heinrich Dörner Dr. Dirk Ehlers Dr. Ursula Nelles
Band 156
Die Niederlassungsfreiheit von Scheinauslandsgesellschaften in der Europäischen Gemeinschaft
Von
Alexander de Diego
asdfghjk Duncker & Humblot · Berlin
Die Rechtswissenschaftliche Fakultät der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster hat diese Arbeit im Jahre 2003 als Dissertation angenommen.
Bibliografische Information Der Deutschen Bibliothek Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über abrufbar.
D6 Alle Rechte vorbehalten # 2004 Duncker & Humblot GmbH, Berlin Fremddatenübernahme: Klaus-Dieter Voigt, Berlin Druck: AZ Druck und Datentechnik GmbH, Kempten (Allgäu) Printed in Germany ISSN 0935-5383 ISBN 3-428-11597-X Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier ∞ entsprechend ISO 9706 *
Internet: http://www.duncker-humblot.de
Meinen Eltern
Vorwort Die vorliegende Arbeit ist im Wintersemester 2003/2004 von der Rechtswissenschaftlichen Fakultät der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster als Dissertation angenommen worden. Das Manuskript wurde im Mai 2003 abgeschlossen. Für die Druckfassung wurde neben der Inspire Art-Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs noch die weitere Rechtsprechung und das Schrifttum bis Januar 2004 eingearbeitet. Einen unschätzbaren Anteil am Gelingen dieser Arbeit haben all diejenigen, die mich persönlich, moralisch und sonstwie unterstützt haben. Dazu gehören insbesondere mein Bruder Stefan de Diego, mein Onkel Carlos Bernardo, Alexander Benz, Anno Oexle, Laura Faltz, Katja Krüger, Enzo Fisauli, Ines Butt, Mechthild Oexle, Felix Söhlke und Claudia Lutter. Meinem Doktorvater, Herrn Professor Dr. Dirk Ehlers, danke ich nicht nur für die stets wohlwollende und fördernde Begleitung des Vorhabens, sondern auch für die interessante und bereichernde Zeit als Wissenschaftlicher Mitarbeiter an dem von ihm geleiteten Institut für öffentliches Wirtschaftsrecht. Herrn Professor Dr. Otto Sandrock danke ich für die zügige Erstellung des Zweitgutachtens. Danken möchte ich auch Frau Professorin Dr. Nelles und den Herren Professoren Dres. Ehlers und Dörner für die Aufnahme dieser Arbeit in die von ihnen betreute Reihe der „Münsterischen Beiträge zur Rechtswissenschaft“. Dem „Freundeskreis Rechtswissenschaft“ gilt schließlich mein Dank für die Gewährung eines Druckkostenzuschusses. Gewidmet ist die Arbeit meinen Eltern. Ohne ihre beständige Förderung meiner Ausbildung hätte die Arbeit, deren Fertigstellung mein Vater leider nicht mehr erleben kann, nicht geschaffen werden können. Hamburg, im Februar 2004
Alexander de Diego
Inhaltsverzeichnis Einleitung
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A. Einführung in die Problemstellung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
19
B. Zielsetzung und Gang der Untersuchung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
22
1. Teil Bestimmung der Voraussetzungen, unter denen es zu einer Umgehung des deutschen Gesellschaftsrechts kommen kann
24 24 25 25
A. Ermittlung des Gesellschaftsstatuts anhand des Ortes der Inkorporation I. Sitztheorie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Regelungsinhalt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Grenzüberschreitende gesellschaftsrechtliche Gestaltungsmöglichkeiten unter Geltung der Sitztheorie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Gründungstheorie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Regelungsinhalt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Grenzüberschreitende gesellschaftsrechtliche Gestaltungsmöglichkeiten unter Geltung der Gründungstheorie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Modifizierte Gründungstheorien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Überlagerungstheorie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Eingeschränkte Gründungstheorie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Differenzierungslehre . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Kombinationslehre . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
29 30 30 32 33 35
B. Kein Verbot des statutswahrenden Wegzugs durch das Sachrecht des Gründungsstaats und kein Verbot des statutswahrenden Zuzugs durch das deutsche Sachrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
36
C. Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
37
26 29 29
2. Teil Gemeinschaftsrechtlicher Schutz der statutswahrenden Begründung und/oder Verlegung des effektiven Verwaltungssitzes A. Sachlicher Schutzbereich der Niederlassungsfreiheit von Gesellschaften . . I. Rechtsprechung des EuGH zum Inhalt des sachlichen Schutzbereichs der Niederlassungsfreiheit von Gesellschaften . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
39 40 40
10
Inhaltsverzeichnis 1. Erstmalige Begründung des effektiven Verwaltungssitzes in einem anderen Mitgliedstaat als dem Inkorporationsstaat . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Das Urteil „Segers“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Der Sachverhalt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Die Entscheidungsgründe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Analyse und Einordnung der Entscheidung . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Das Urteil „Centros Ltd.“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Der Sachverhalt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Die Entscheidungsgründe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Analyse und Einordnung der Entscheidung . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Zwischenfazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Verlegung des effektiven Verwaltungssitzes in einen anderen Mitgliedstaat . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Das Urteil „Daily Mail PLC“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Der Sachverhalt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Die Entscheidungsgründe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Analyse und Einordnung der Entscheidung . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Das Urteil „Überseering BV“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Der Sachverhalt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Die Entscheidungsgründe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Analyse und Einordnung der Entscheidung . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Die in der Literatur zum Inhalt des sachlichen Schutzbereichs der Niederlassungsfreiheit von Gesellschaften vertretenen Auffassungen . . . . . . . . . . . 1. Alleiniger Schutz der identitätswahrenden Verlegung der Hauptniederlassung durch die primäre Niederlassungsfreiheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Kein Schutz der erstmaligen grenzüberschreitenden Begründung der Hauptniederlassung durch die Art. 43 Abs. 1 S. 1, 48 Abs. 1 EG . . . . . 3. Bereichsausnahme vom sachlichen Schutzbereich der primären Niederlassungsfreiheit von Gesellschaften hinsichtlich der Verlegung der Hauptniederlassung aus dem Inkorporationsstaat . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Art. 293, 3. Spstr. EG lex specialis gegenüber der primären Niederlassungsfreiheit von Gesellschaften . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Verhältnis von primärer und sekundärer Niederlassungsfreiheit von Gesellschaften . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
B. Persönlicher Schutzbereich der Niederlassungsfreiheit von Gesellschaften I. Tatbestand des Art. 48 Abs. 1 EG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Gründung nach den Rechtsvorschriften eines Mitgliedstaats . . . . . . . . . . 2. Gemeinschaftszugehörigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Rechtsfolge des Art. 48 Abs. 1 EG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
40 41 41 42 45 49 49 50 57 65 66 67 67 68 70 74 74 75 79 88 89 89 99
100 102 104 105 106 106 106 108 108 109
Inhaltsverzeichnis
11
3. Teil Vereinbarkeit der Sitztheorie mit dem EG-Vertrag A. Vorfragen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Die von Art. 43 Abs. 1 EG verbotenen Beeinträchtigungen . . . . . . . . . . . . . 1. Verbot von Schlechterstellungen und Beschränkungen . . . . . . . . . . . . . . . 2. Exkurs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Rechtfertigung von Beeinträchtigungen der Niederlassungsfreiheit . . . . . . . B. Vereinbarkeit der Sitztheorie mit den Bestimmungen über die primäre Niederlassungsfreiheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Prüfungsgegenstand und -maßstab . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Vereinbarkeit des Tatbestands der Sitztheorie mit der primären Niederlassungsfreiheit von Unionsbürgern . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Beeinträchtigung des Schutzbereichs der Niederlassungsfreiheit . . . . . . 2. Rechtfertigung der Schutzbereichsbeeinträchtigung . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Schutz zwingender Erfordernisse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Geeignetheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Erforderlichkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Vereinbarkeit der Rechtsfolgen der Sitztheorie mit der primären Niederlassungsfreiheit von Unionsbürgern und Gesellschaften . . . . . . . . . . . . . . . .
110 110 110 110 113 114 115 115 118 118 118 118 119 119 121
4. Teil Gemeinschaftsrechtskonforme Maßnahmen zum Schutz der Gläubiger und Arbeitnehmer von EG-ausländischen Gesellschaften mit effektivem Verwaltungssitz in Deutschland A. Gemeinschaftsrechtskonforme Maßnahmen zum Schutz der Gläubiger von EG-ausländischen Gesellschaften m. b. H. mit effektivem Verwaltungssitz in Deutschland . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Schutz vertraglicher Gläubiger . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Mindestkapitalaufbringungs- und -erhaltungsvorschriften des deutschen GmbH-Rechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Beeinträchtigung des Schutzbereichs der Niederlassungsfreiheit . . . b) Rechtfertigung der Schutzbereichsbeeinträchtigung . . . . . . . . . . . . . . aa) Schutz zwingender Erfordernisse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Geeignetheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Erforderlichkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. §§ 32 a, 32 b GmbHG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Beeinträchtigung des Schutzbereichs der Niederlassungsfreiheit . . . b) Rechtfertigung der Schutzbereichsbeeinträchtigung . . . . . . . . . . . . . . aa) Schutz zwingender Erfordernisse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Geeignetheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
122
123 123 123 124 124 124 124 124 128 133 133 133 133
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Inhaltsverzeichnis cc) Erforderlichkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Durchgriffshaftung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Beeinträchtigung des Schutzbereichs der Niederlassungsfreiheit . . . b) Rechtfertigung der Schutzbereichsbeeinträchtigung . . . . . . . . . . . . . . aa) Schutz zwingender Erfordernisse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Geeignetheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Erforderlichkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . dd) Angemessenheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Schutz gesetzlicher Gläubiger . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Mindestkapitalaufbringungs- und -erhaltungsvorschriften des deutschen GmbH-Rechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Schutz zwingender Erfordernisse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Geeignetheit der Schutzbereichsbeeinträchtigung zur Zielerreichung c) Erforderlichkeit der Schutzbereichsbeeinträchtigung zur Zielerreichung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Gesellschafterbürgschaften und Betriebs-/Berufshaftpflichtversicherungspflicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Beeinträchtigung des Schutzbereichs der Niederlassungsfreiheit . . . b) Rechtfertigung der durch die Bürgschaftsverpflichtung bewirkten Schutzbereichsbeeinträchtigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Schutz zwingender Erfordernisse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Geeignetheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Erforderlichkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . dd) Angemessenheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Rechtfertigung der durch die Versicherungspflicht bewirkten Schutzbereichsbeeinträchtigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Schutz zwingender Erfordernisse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Geeignetheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Erforderlichkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . dd) Angemessenheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. §§ 32 a, 32 b GmbHG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Schutz zwingender Erfordernisse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Geeignetheit der Schutzbereichsbeeinträchtigung zur Zielerreichung c) Erforderlichkeit der Schutzbereichsbeeinträchtigung zur Zielerreichung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Angemessenheit der Schutzbereichsbeeinträchtigung zur Zielerreichung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Durchgriffshaftung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
133 134 138 138 138 139 139 139 140 140 143 144 144 148 148 149 149 149 149 150 150 150 150 151 151 152 152 152 152 153 154
B. Gemeinschaftsrechtskonformität der Anwendung der Vorschriften über die Arbeitnehmermitbestimmung auf EG-ausländische Gesellschaften mit effektivem Verwaltungssitz in Deutschland . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 154 I. Betriebliche Mitbestimmung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 155 1. Beeinträchtigung des Schutzbereichs der Niederlassungsfreiheit . . . . . . 155
Inhaltsverzeichnis
13
2. Rechtfertigung der Schutzbereichsbeeinträchtigung . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Schutz zwingender Erfordernisse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Geeignetheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Erforderlichkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Angemessenheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Unternehmerische Mitbestimmung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Beeinträchtigung des Schutzbereichs der Niederlassungsfreiheit . . . . . . 2. Rechtfertigung der Schutzbereichsbeeinträchtigung . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Schutz zwingender Erfordernisse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Geeignetheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
155 155 156 156 156 157 157 158 158 158
5. Teil Ergebnisse
162
Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 165 Sachwortverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 186
Abkürzungsverzeichnis a. A. AbfallR ABl. Abs. AcP a. E. AG AnfG Anh. Art. Aufl. BAG BB Bd. Bde. Begr. BerDtGesVR Beschl. BetrVG 1952 BetrVG 2001 BGB BGBl. BGH BGHZ BRAO bspw. BT-Drucks. BV ca. DB dens. ders. d. h.
anderer Ansicht Recht der Abfallwirtschaft Amtsblatt Absatz Archiv für die civilistische Praxis am Ende Aktiengesellschaft (Zeitschrift)/Amtsgericht Anfechtungsgesetz Anhang Artikel Auflage Bundesarbeitsgericht Der Betriebs-Berater (Zeitschrift) Band Bände Begründer Berichte der deutschen Gesellschaft für Völkerrecht Beschluss Betriebsverfassungsgesetz in der Fassung der Bekanntmachung vom 11.10.1952 Betriebsverfassungsgesetz in der Fassung der Bekanntmachung vom 25.9.2001 Bürgerliches Gesetzbuch Bundesgesetzblatt Bundesgerichtshof Amtliche Sammlung der Entscheidungen des Bundesgerichtshofs in Zivilsachen Bundesrechtsanwaltsordnung beispielsweise Drucksache des Deutschen Bundestags Besloten Vennootschap (Gesellschaft mit beschränkter Haftung) circa Der Betrieb (Zeitschrift) denselben derselbe das heißt
Abkürzungsverzeichnis dies. Diss. DKR DM DNotZ DStR ebd. EG EGBGB Einl. EuGH EuInsVO EuR EuZW EWG EWiR EWS f. FAZ ff. FG Fn. FR FS GA GewArch ggf. GmbH GmbHG GmbHR GS HGB h. M. Hrsg. i. E. InsO IntGesR IPR IPRax IPRspr. i. S. d.
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dieselbe Dissertation Dänische Kronen Deutsche Mark Deutsche Notarzeitung Deutsches Steuerrecht (Zeitschrift) ebenda Vertrag zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft/Europäische Gemeinschaft Einführungsgesetz zum Bürgerlichen Gesetzbuch Einleitung Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften Verordnung (EG) Nr. 1346/2000 über Insolvenzverfahren Europarecht (Zeitschrift) Europäische Zeitschrift für Wirtschaftsrecht Europäische Wirtschaftsgemeinschaft Entscheidungen zum Wirtschaftsrecht Europäisches Wirtschafts- und Steuerrecht (Zeitschrift) folgend Frankfurter Allgemeine Zeitung folgende Festgabe Fußnote Finanzrundschau (Zeitschrift) Festschrift Generalanwalt Gewerbearchiv (Zeitschrift) gegebenenfalls Gesellschaft mit beschränkter Haftung Gesetz betreffend die Gesellschaften mit beschränkter Haftung GmbH-Rundschau (Zeitschrift) Gedächtnisschrift Handelsgesetzbuch herrschende Meinung Herausgeber im Ergebnis Insolvenzordnung Internationales Gesellschaftsrecht Internationales Privatrecht Praxis des Internationalen Privat- und Verfahrensrechts (Zeitschrift) Die deutsche Rechtsprechung auf dem Gebiet des Internationalen Privatrechts (Zeitschrift) im Sinne des
16 IStR i.V. m. JK Jura JuS JZ KTS LG lit. Lit. Ltd. m. a. W. m. b. H. MDR Mio. MitbestG m. w. N. NJW NJW-RR Nr. NVwZ NZG OLG R RabelsZ resp. RIW Rn. Rs. Rspr. S. Slg. sog. Spstr. st. StBerG u. u. a. Urt. US
Abkürzungsverzeichnis Internationales Steuerrecht (Zeitschrift) in Verbindung mit Jura-Karteikarte Juristische Ausbildung (Zeitschrift) Juristische Schulung (Zeitschrift) Juristenzeitung Zeitschrift für Konkurs-, Treuhand- und Schiedsgerichtswesen Landgericht litera Literatur Limited mit anderen Worten mit beschränkter Haftung Monatsschrift für Deutsches Recht Millionen Gesetz über die Mitbestimmung der Arbeitnehmer (Mitbestimmungsgesetz) mit weiteren Nachweisen Neue Juristische Wochenschrift (Zeitschrift) Neue Juristische Wochenschrift – Rechtsprechungs-Report (Zeitschrift) Nummer Neue Zeitschrift für Verwaltungsrecht Neue Zeitschrift für Gesellschaftsrecht Oberlandesgericht Report Rabels Zeitschrift für ausländisches und internationales Privatrecht respektive Recht der internationalen Wirtschaft (Zeitschrift) Randnummer(n) Rechtssache(n) Rechtsprechung Seite/Satz Sammlung der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs und des Gerichts erster Instanz so genannte Spiegelstrich ständig Steuerberatungsgesetz und und andere Urteil United States
Abkürzungsverzeichnis u. U. v. verb. VersR VerwArch. vgl. VO Vorb. VVG VwGO WFBV WiVerw WM ZEuP ZGR ZHR ZIP ZPO ZVglRWiss ZZP
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unter Umständen von/vom verbundene Versicherungsrecht (Zeitschrift) Verwaltungsarchiv (Zeitschrift) vergleiche Verordnung Vorbemerkung Versicherungsvertragsgesetz Verwaltungsgerichtsordnung Wet op de formeel buitenlandse vennootschappen (Gesetz über formal ausländische Gesellschaften) Wirtschaft und Verwaltung (Zeitschrift) Zeitschrift für Wirtschafts- und Bankrecht (Wertpapiermitteilungen) Zeitschrift für Europäisches Privatrecht Zeitschrift für Unternehmens- und Gesellschaftsrecht Zeitschrift für das gesamte Handels- und Wirtschaftsrecht Zeitschrift für Wirtschaftsrecht Zivilprozessordnung Zeitschrift für vergleichende Rechtswissenschaft Zeitschrift für Zivilprozess
Einleitung A. Einführung in die Problemstellung „Das Recht hört dort auf, wo der Missbrauch beginnt.“1 Mit diesen Worten beschrieb der damalige Generalanwalt La Pergola2 die Problematik, mit der sich der Europäische Gerichtshof in dem viel diskutierten Centros-Urteil3 zu befassen hatte. Zwei dänische Staatsangehörige hatten in England eine der deutschen Gesellschaft mit beschränkter Haftung vergleichbare private limited company by shares allein zu dem Zweck gegründet, unter Umgehung der strengeren dänischen GmbH-Gründungsvorschriften mittels dieser unter Centros Ltd. firmierenden Gesellschaft ausschließlich in Dänemark über eine Zweigniederlassung tätig zu werden. Die zuständige dänische Registerbehörde verweigerte der in England nur über einen Briefkasten verfügenden Centros Ltd. die für die Ausübung ihrer Geschäftstätigkeit über eine Zweigniederlassung erforderliche Eintragung in das Handelsregister. Der EuGH sah das Vorgehen der Centros Ltd. und der dahinter stehenden Gesellschafter als von der EG-vertraglichen Niederlassungsfreiheit geschützt an, und wertete die Verweigerung der Eintragung als Verstoß gegen diese Freiheit.4 Seit dem Erlass der Centros-Entscheidung mehren sich in Deutschland die Befürchtungen, dass der Europäische Gerichtshof die Trennlinie zwischen dem Ende des Rechts und dem Beginn des Missbrauchs in Bezug auf die Tätigkeit von sog. Scheinauslandsgesellschaften wie der Centros Ltd. diametral gegensätzlich zur bislang herrschenden Meinung in Deutschland zieht.5 Scheinaus1 GA La Pergola, Schlussanträge in der Rs. C-212/97 (Centros Ltd./Erhvervs- og Selskabsstyrelsen), Slg. 1999, I-1459 (1477). 2 Prof. Dr. Antonio La Pergola ist seit dem 15.12.1999 Richter am Europäischen Gerichtshof. 3 EuGH, Rs. C-212/97 (Centros Ltd./Erhvervs- og Selskabsstyrelsen), Slg. 1999, I1459 ff. 4 EuGH, ebd., S. 1496. 5 Cascante, RIW 1999, 450; Dautzenberg, FR 1999, 451 (451 f. – „Todesstoß“ für Sitztheorie); Freitag, EuZW 1999, 267 (269); ders., NZG 2000, 357 (360); Geyrhalter, EWS 1999, 201 (202 f.); Göttsche, DStR 1999, 1403 (1405 f.); Koblenzer, EWS 1999, 418 (419); Meilicke, DB 1999, 627 (627 f. – „Garaus“ für Sitztheorie); Neye, EWiR 1999, Art. 52 EGV, 1/99, 259 (260); Risse, MDR 1999, 752 (752 f.); Sedemund/Hausmann, BB 1999, 810 (810 f.); Steindorff, JZ 1999, 1140 (1142 f.); Sörgel, DB 1999, 2236; Ulmer,
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Einleitung
landsgesellschaften6 sind Gesellschaften, die nach dem Recht eines Staates, in dem sich auch ihr satzungsmäßiger Sitz befindet, gegründet worden sind, und deren effektiver Verwaltungssitz,7 also der Ort, an dem die grundlegenden Entscheidungen der Unternehmensleitung in laufende Geschäftsführungsakte umgesetzt werden,8 in einem anderen Staat liegt.9 Beweggrund für Unternehmer, für ihre Tätigkeiten eine Scheinauslandsgesellschaft zu verwenden, ist oftmals, das an dem Ort des effektiven Verwaltungssitzes geltende Gesellschaftsrecht zu umgehen. Nach der bislang im deutschen Recht geltenden Sitztheorie ist die Umgehung des deutschen Gesellschaftsrechts durch die Verwendung von Scheinauslandsgesellschaften nicht möglich.10 Sollte die Bundesrepublik Deutschland – wie seit Erlass der Centros-Entscheidung im deutschen Schrifttum vermehrt befürchtet wird11 – gemeinschaftsrechtlich dazu JZ 1999, 662; Borges, RIW 2000, 167 (176); Bous, NZG 2000, 1025; Deckert, RabelsZ 64 (2000) 478 (491); Puszkajler, IPRax 2000, 79 (80); Steding, NZG 2000, 913 (914); Stieb, GmbHR 2000, R 213; Thorn, IPRax 2001, 102 (110); Großfeld, RIW 2002, Heft 12, Die erste Seite – „spürbare Blessur“ für Sitztheorie. 6 Im angelsächsischen Rechtskreis werden diese Gesellschaften als off-shore companies oder pseudo foreign corporations bezeichnet. Siehe Latty, Yale Law Journal 65 (1955/56) 137. Die Bezeichnung solcher Gesellschaften als Scheinauslandsgesellschaften geht auf die Sitztheorie zurück. Denn nach der Sitztheorie unterliegen ausländische Gesellschaften mit inländischem Hauptverwaltungssitz vollumfänglich dem inländischen (Gesellschafts-)Recht, so dass es sich bei ihnen – aus der Perspektive des Sitzstaates – nur „scheinbar“ um ausländische Gesellschaften handelt. In dem Bemühen einiger Vertreter der Gründungstheorie, diese Gesellschaften nicht mittels eines durch die Sitztheorie geprägten Begriffs zu bezeichnen, werden sie vereinzelt auch als „inländische Auslandsgesellschaften“ bezeichnet, Leible/Hoffmann, ZIP 2003, 925. 7 Im Folgenden werden die Begriffe effektiver Verwaltungssitz, Hauptverwaltungssitz, tatsächlicher und effektiver Sitz synonym verwendet. 8 BGHZ 97, 269 (272); Sandrock, BerDtGesVR 18 (1978) 169 (238); ders., in: FS Beitzke, 1979, S. 669 (683 f.); Bungert, IPRax 1998, 339 (340); Eilers/Wienands, IStR 1999, 289 (292). 9 Sandrock, ZVglRWiss 102 (2003) 447 (451 f.). Vgl. auch Kindler, in: Münchner Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch, Bd. XI, Internationales Handels- und Gesellschaftsrecht, 3. Aufl. 1999, IntGesR Rn. 344. 10 H. M. BGHZ 25, 134 (144); 51, 27 (28); 53, 181 (183); 53, 383 (385); 78, 318 (334); 97, 269 (271); 151, 204 (206); BGH, BB 2003, 810 (811); OLG Brandenburg, ZIP 2000, 1616 (1617); OLG Düsseldorf, JZ 2000, 203; OLG Brandenburg, NJW-RR 2001, 29 (30); OLG Düsseldorf, NZG 2001, 506 (506 f.); OLG Hamm, NZG 2001, 562 (563); OLG Hamm, OLG-Report 2003, 9 (10); Großfeld/König, RIW 1992, 433; Ebenroth/Auer, GmbHR 1994, 16 (16 f., 22 f.); Kindler, ebd., IntGesR Rn. 264; Michalski, NZG 1998, 762; Heider, in: Münchner Kommentar zum Aktiengesetz, Bd. I, 2. Aufl. 2000, Einl. Rn. 123; Lachmann, Haftungs- und Vermögensfolgen bei Sitzverlegung ausländischer Kapitalgesellschaften ins Inland, 2000, S. 61; Dinkhoff, Internationale Sitzverlegung von Kapitalgesellschaften unter besonderer Berücksichtigung des Internationalen Gesellschaftsrechts und des Steuerrechts, 2001, S. 105 f.; Ebert, NZG 2002, 937; Frenz, GewArch 49 (2003) 177 (182); Kindler, NJW 2003, 1073; ders., NZG 2003, 1086 (1089); Altmeppen, NJW 2004, 97 (98 f.). 11 Geyrhalter, EWS 1999, 201 (203); Kindler, NJW 1999, 1993 (1999); Koblenzer, EWS 1999, 418 (419); Neye, EWiR 1999, Art. 52 EGV, 1/99, 259 (260); Stieb, GmbHR
A. Einführung in die Problemstellung
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verpflichtet sein, ihren Markt für EG-ausländische Scheinauslandsgesellschaften in einer Weise zu öffnen, die Unternehmern die Umgehung des deutschen Gesellschaftsrechts ermöglicht, ist zu erwarten, dass zukünftig insbesondere viele nach dem Recht anderer Mitgliedstaaten gegründete Gesellschaften mit beschränkter Haftung ihren effektiven Verwaltungssitz in Deutschland ansiedeln werden. Denn anders als in den nationalen Aktienrechten, die weitgehend harmonisiert sind,12 besteht im Bereich der mitgliedstaatlichen GmbH-Rechte ein erhebliches Regelungsgefälle, mit dessen Abbau infolge der sich äußerst schwierig gestaltenden Harmonisierungsbemühungen auf Gemeinschaftsebene weder kurz- noch mittelfristig zu rechnen ist. So variiert bspw. das gesetzlich vorgeschriebene Mindeststammkapital, das in den verschiedenen Mitgliedstaaten zur Gründung einer GmbH aufgebracht werden muss, von 2.000 A in Portugal13 bis hin zu 35.000 A in Österreich14. Dem englischen GmbH-Recht ist ein gesetzlich vorgeschriebenes Mindestkapital gänzlich fremd.15 Auch die Verhaltenspflichten, die den Gesellschaftern der verschiedenen mitgliedstaatlichen Gesellschaften mit beschränkter Haftung auferlegt werden, differieren erheblich.16 Allerdings genießen die Gesellschafter der verschiedenen Gesellschaften mit beschränkter Haftung nationalen Rechts dennoch im Wesentlichen dieselben Haftungsprivilegien.17 In allen Mitgliedstaaten ist somit – von den Haftungsprivilegien her betrachtet – das nahezu selbe „Produkt“ Gesellschaft mit beschränkter Haftung zu deutlich unterschiedlichen „Konditionen“ erhältlich. Daher ist es für rational agierende Unternehmer, die über eine GmbH vorwiegend oder ausschließlich in Deutschland tätig werden wollen, reizvoll, hierfür nicht eine nach deutschem, sondern eine nach dem Recht eines anderen Mitgliedstaats gegründete GmbH zu verwenden. Bislang ist es nicht möglich, eine verlässliche Antwort auf die Frage zu geben, ob Unternehmer, die über Gesellschaften vorwiegend oder ausschließlich auf dem deutschen Markt operieren wollen, das deutsche Gesellschaftsrecht in gemeinschaftsrechtskonformer Weise durch die Verwendung von Gesellschaften 1999, R 257 f.; Lutter, ZGR 2000, 1 (9); Knapp, DNotZ 2003, 85 (89 ff.); Zimmer, FAZ v. 3.4.2003, S. 14. 12 Hierzu Lutter, Europäisches Unternehmensrecht, 4. Aufl. 1996, S. 45 ff.; Schwarz, Europäisches Gesellschaftsrecht, 2000, Rn. 530 ff. 13 Art. 201 Codígo das Sociedades Comerciais, Decreto-Lei 262/86 de 2 Septembro com as alterações até o Decreto-Lei 328/95 de 9 de Dezembro e Decreto-Lei 257/96 de 31 de Dezembro. 14 § 6 Abs. 1 des österreichischen GmbH-Gesetzes. 15 Triebel/Hodgson/Kellenter/Müller, Englisches Handels- und Wirtschaftsrecht, 2. Aufl. 1995, Rn. 637 f.; Davies/Prentice, Gower’s Principles of Modern Company Law, 6. Aufl. 1997, S. 238; Fleischer, DStR 2000, 1015 (1016). 16 Eine Übersicht hierüber findet sich bei Behrens (Hrsg.), Die Gesellschaft mit beschränkter Haftung im internationalen und europäischen Recht, 2. Aufl. 1997. 17 Behrens, ebd., A 10; F 10; B 10; L 10; N 10; DK 9; GB/NI/EI 14; I 10; E 11; P 9; GR 9.
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Einleitung
umgehen können, die nach dem Recht anderer Mitgliedstaaten gegründet worden sind. Denn aus der Centros-Entscheidung und den danach erlassenen Urteilen Überseering-18 und Inspire Art19, die ebenfalls Fragen des Niederlassungsrechts von Scheinauslandsgesellschaften zum Gegenstand hatten, sind in der deutschen Rechtsprechung20 und Literatur21 höchst unterschiedliche Schlussfolgerungen gezogen worden. Sollte die Umgehung des deutschen Gesellschaftsrechts gemeinschaftsrechtlich geschützt sein, hätte dies möglicherweise zur Folge, dass auch die Vorschriften über die unternehmerische Arbeitnehmermitbestimmung umgangen werden können,22 da diese nur für bestimmte Gesellschaftsformen des deutschen Rechts gelten.23
B. Zielsetzung und Gang der Untersuchung Im ersten Teil der Arbeit soll dargestellt werden, unter welchen Voraussetzungen es Unternehmern, die vorwiegend oder ausschließlich auf dem deut18 EuGH, Rs. C-208/00 (Überseering BV/Nordic Construction Company Baumanagement GmbH), Slg. 2002, I-9919 ff. 19 EuGH, Rs. C-167/01 (Kamer van Koophandel en Fabrieken voor Amsterdam/ Inspire Art. Ltd.), ZIP 2003, 1885 ff. 20 BGH, ZIP 2000, 967 (969); BGH, BB 2003, 915 (916 f.); BFH, RIW 2003, 627 (628); OLG Brandenburg, ZIP 2000, 1616 (1617); OLG Brandenburg, NJW-RR 2001, 29 (30); OLG Düsseldorf, NZG 2001, 506 (506 f.); OLG Hamm, NJW 2001, 2183 (2183 f.); BayObLG, ZIP 2003, 398 (399 f.); OLG Frankfurt a. M., IPRax 2004, 56 (58); OLG Zweibrücken, BB 2003, 864 (865 f.); LG München, ZIP 1999, 1680; LG Potsdam, RIW 2000, 145 (146); LG Stuttgart, NJW-RR 2002, 463 (464 ff.); LG Frankenthal, BB 2003, 543; LG Hannover, NZG 2003, 1072; AG Duisburg, NZG 2003, 1073 (1074); AG Hamburg, BB 2003, 1457 (1457 f.). 21 Siehe aus den zahlreichen Veröffentlichungen nur Dautzenberg, FR 1999, 451 (452); Ebke, JZ 1999, 656 (658, 660); Freitag, EuZW 1999, 267 (269); ders., NZG 2000, 357 (360); Görk, GmbHR 1999, 793 (797); Höfling, DB 1999, 1206 (1207 ff.); Hoor, NZG 1999, 984 (986); Kindler, NJW 1999, 1993 (1996 ff.); Lange, DNotZ 1999, 593 (606); Leible, NZG 1999, 298 (301); Meilicke, DB 1999, 627 (628); ders., GmbHR 1999, 896 (897); G.-H. Roth, ZIP 1999, 861 (863); Werlauff, ZIP 1999, 867 (874 f.); Kieninger, NZG 2000, 39 (41); Lutter, ZGR 2000, 1 (9); Mäsch, JZ 2000, 201 (202); Schaub, NZG 2000, 953 (954 f.); Wiesner, ZIP 2000, 1792 (1796); Forsthoff, DB 2003, 979 ff.; Frenz, GewArch 49 (2003) 177 (182); Haack, MDR 2003, 96 ff.; Knapp, DNotZ 2003, 85 (89 ff.); Leible/Hoffmann, BB 2003, 543 (543 f.); Meilicke, GmbHR 2003, 1271 ff.; Ziemons, ZIP 2003, 1913 (1916 ff.). 22 Hammen, WM 1999, 2487 (2493 ff.); Göttsche, DStR 1999, 1403 (1405 f.); G.-H. Roth, ebd., S. 864; Ulmer, JZ 1999, 662 (663); Werlauff, ebd., S. 873; Ebke, The American Journal of Comparative Law 48 (2000) 623 (625); Horn, in: GS Lüderitz, 2000, S. 303 (314); Forsthoff, FAZ v. 13.11.2002, S. 20; Zimmer, FAZ v. 3.4.2003, S. 14. Zu dieser Konsequenz der „reinen“ Gründungstheorie bereits Sandrock, RabelsZ 42 (1978) 227 (257); Ebenroth/Sura, RabelsZ 43 (1979) 315 (328). 23 Zimmer, Internationales Gesellschaftsrecht, 1996, S. 160 f.; Raiser, Mitbestimmungsgesetz, 4. Aufl. 2002, § 1 Rn. 13; Hammen, WM 1999, ebd., S. 2493; Ulmer, ebd.; Forsthoff, DB 2000, 1109 (1114); Schanze/Jüttner, AG 2003, 30 (35).
B. Zielsetzung und Gang der Untersuchung
23
schen Markt tätig werden wollen, überhaupt möglich ist, das deutsche Gesellschaftsrecht durch die Verwendung von Gesellschaften, die nach dem Recht anderer Mitgliedstaaten gegründet worden sind, zu umgehen, bevor im zweiten Teil die Frage einer Klärung zugeführt werden soll, ob diese Vorgehensweise gemeinschaftsrechtlich geschützt ist. Bejahendenfalls soll in einem dritten Teil untersucht werden, ob die deutsche Sitztheorie, die eine solche Vorgehensweise bislang verhindert, dennoch mit dem Gemeinschaftsrecht vereinbar ist. Sofern dies nicht der Fall ist, soll in einem vierten Teil untersucht werden, welcher gemeinschaftsrechtskonformen Instrumente sich der deutsche Staat bedienen darf, um die Gläubiger von EGausländischen Gesellschaften mit beschränkter Haftung zu schützen, die ihr geschäftliches Operationszentrum in Deutschland ansiedeln. Ferner soll die Frage einer Klärung zugeführt werden, ob EG-ausländische Gesellschaften mit effektivem Verwaltungssitz in Deutschland im Einklang mit dem Gemeinschaftsrecht den deutschen Vorschriften über die betriebliche und unternehmerische Mitbestimmung unterworfen werden können.
1. Teil
Bestimmung der Voraussetzungen, unter denen es zu einer Umgehung des deutschen Gesellschaftsrechts kommen kann A. Ermittlung des Gesellschaftsstatuts anhand des Ortes der Inkorporation Das Recht, das auf eine Gesellschaft in Bezug auf ihre gesellschaftsrechtlichen Rechtsverhältnisse Anwendung findet, wird als Gesellschaftsstatut24 bezeichnet.25 Ihm unterfallen die sachrechtlichen Normen, die die Verhältnisse einer Gesellschaft festlegen, also die Gründung, den Fortbestand, das Innenleben, die innere Struktur und das Verhältnis einer Gesellschaft zu Dritten regeln.26 Begründet eine nach den Rechtsvorschriften eines anderen Mitgliedstaats errichtete Gesellschaft ihren effektiven Verwaltungssitz erstmalig in Deutschland oder verlegt sie ihren im Ausland bereits existierenden Hauptverwaltungssitz nach Deutschland, können die hinter einer solchen Gesellschaft stehenden Gesellschafter das deutsche materielle Gesellschaftsrecht nur umgehen, sofern auf diese Gesellschaft in Deutschland hinsichtlich ihrer gesellschaftsrechtlichen Rechtsverhältnisse nicht deutsches Recht, sondern das Recht ihres Inkorporationsstaats Anwendung findet. Die grenzüberschreitende Ansiedlung des Hauptverwaltungssitzes darf somit zu keinem Wechsel des auf die Gesellschaft in Bezug auf ihre gesellschaftsrechtlichen Rechtsverhältnisse anwendbaren Rechts führen, sog. Statutenwechsel.27 Die Bestimmung des in Deutschland auf eine Gesellschaft in Bezug auf ihre gesellschaftsrechtlichen Rechtsverhältnisse anwendbaren Rechts erfolgt – für Personen- und Kapitalgesellschaften einheitlich28 – durch das nationale Gesell24
Synonym wird der Begriff Personalstatut einer Gesellschaft verwendet. Heider (Fn. 10), Einl. Rn. 117; Leible, in: Michalski (Hrsg.), GmbHG, 2002, Syst. Darst. 2 Rn. 1. 26 Wiedemann, Gesellschaftsrecht I, 1980, S. 776; v. Bar, Internationales Privatrecht, Bd. II, 1991, Rn. 634; Großfeld, in: Staudinger (Begr.), Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch, Internationales Gesellschaftsrecht, Neubearbeitung 1998, IntGesR Rn. 17; Herdegen, Internationales Wirtschaftsrecht, 3. Aufl. 2002, § 13 Rn. 1; Eidenmüller, ZIP 2002, 2233 (2234); ders., JZ 2004, 24 (25). 27 Diese Form der grenzüberschreitenden Niederlassung von Gesellschaften wird als rechtsform- oder statutswahrende Niederlassung bezeichnet. 25
A. Anwendung des Gründungsstatuts
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schaftskollisionsrecht.29 Da das deutsche Gesellschaftskollisionsrecht nicht gesetzlich geregelt ist,30 ist die Frage, wie das Gesellschaftsstatut zu bestimmen ist, seit jeher umstritten. Zu dieser Frage werden im Wesentlichen sechs Theorien vertreten:
I. Sitztheorie 1. Regelungsinhalt Die von der bislang herrschenden Meinung31 vertretene Sitztheorie32 ist eine allseitige Kollisionsregel,33 die alle dem Personalstatut unterfallenden Rechtsverhältnisse einheitlich an das Recht des Staates anknüpft, in dem sich der effektive Verwaltungssitz einer Gesellschaft befindet.34 Dieser Sitz ist nach einer Formel, die sich in der Rechtsprechung und Literatur mittlerweile durchgesetzt hat, der Tätigkeitsort der Geschäftsführung und der dazu berufenen Vertretungs28 Grasmann, System des Internationalen Gesellschaftsrechts, 1970, Rn. 1138 ff.; Wiedemann (Fn. 26), S. 777; Kindler (Fn. 9), IntGesR Rn. 191 ff.; Michalski, NZG 1998, 762. 29 Dieser Teilbereich des Internationalen Privatrechts wird auch als Internationales Gesellschaftsrecht bezeichnet. 30 Weder das Gesetz zur Neuregelung des Internationalen Privatrechts v. 25.7.1986 (BGBl. I 1986, S. 1142 ff.), noch das Gesetz zum Internationalen Privatrecht für außervertragliche Schuldverhältnisse und Sachen v. 21.5.1999 (BGBl. I 1999, S. 1026 ff.) enthält Bestimmungen des Gesellschaftskollisionsrechts, da der deutsche Gesetzgeber einer Regelung dieser Materie auf Gemeinschaftsebene nicht vorgreifen wollte, BTDrucks. 10/504, S. 28; BT-Drucks. 14/343, S. 6. 31 BGHZ 25, 134 (144); 51, 27 (28); 53, 181 (183); 53, 383 (385); 78, 318 (334); 97, 269 (271); 151, 204 (206); BGH, BB 2003, 810 (811); BFH, RIW 2003, 627 (629); OLG Düsseldorf, JZ 2000, 203; OLG Brandenburg, NJW-RR 2001, 29 (30); OLG Hamm, NZG 2001, 562 (562 f.); OLG Zweibrücken, RIW 2001, 373 (374); Großfeld, AG 1987, 261 (263); ders., Einige Grundfragen des Internationalen Unternehmensrechts, 1987, S. 18; Kindler (Fn. 9), IntGesR Rn. 264; ders., EWiR 1999, § 50 ZPO, 2/99, 1081; Heider (Fn. 10), Einl. Rn. 123; Hohloch, in: Erman (Begr.), Bürgerliches Gesetzbuch, Handkommentar, Bd. II, 10. Aufl. 2000, Anh II Art. 37 EGBGB Rn. 25 f.; Kegel/Schurig, Internationales Privatrecht, 8. Aufl. 2000, S. 504; Bechtel, NZG 2001, 21 (22); Lachmann (Fn. 10), S. 61; Dinkhoff (Fn. 10), S. 105 f.; Ebert, NZG 2002, 937; K. Schmidt, Gesellschaftsrecht, 4. Aufl. 2002, S. 27; Jasper, in: Münchner Handbuch des Gesellschaftsrechts, 2. Aufl. 2003, § 75 Rn. 20; Frenz, GewArch 49 (2003) 177 (182); Kindler, NJW 2003, 1073; G.-H. Roth, in: Roth/Altmeppen (Hrsg.), GmbHG, 4. Aufl. 2003, § 4 a GmbHG Rn. 31. 32 Die Sitztheorie gilt u. a. auch in Belgien (Art. 197 Code de Commerce, Lois coordonnées par arrêté royal du 30 du novembre 1935), Frankreich (Art. 3 Loi No. 66-537 sur les sociétés commerciales v. 24.7.1966), Luxemburg (Art. 159 Loi du 10 août 1915 concernant les sociétés commerciales), Portugal (Art. 3 Abs. 1 Codígo das Sociedades Comerciais, Fn. 13) und Spanien (Art. 6 Ley de Sociedades de Responsabilidad Limitada de 23 de marzo de 1995). 33 D. h., sie bestimmt nicht nur, wann deutsches Recht, sondern auch wann ausländisches Recht anzuwenden ist, Großfeld (Fn. 26), IntGesR Rn. 99 f.; Ebenroth/Auer, GmbHR 1994, 16 (17).
26
1. Teil: Voraussetzungen zur Umgehung des deutschen Gesellschaftsrechts
organe, also der Ort, wo die grundlegenden Entscheidungen der Unternehmensleitung effektiv in laufende Geschäftsführungsakte umgesetzt werden (sog. Sandrock’sche Formel).35 Durch die Sitztheorie soll sichergestellt werden, dass der Schutz von Anteilseignern, Gesellschaftsgläubigern und Arbeitnehmern dem Staat vorbehalten bleibt, dessen wirtschaftliche und politische Belange durch die Tätigkeit einer Gesellschaft am stärksten betroffen werden.36 Dies soll der Staat sein, in dem sich der effektive Verwaltungssitz einer Gesellschaft befindet.37 2. Grenzüberschreitende gesellschaftsrechtliche Gestaltungsmöglichkeiten unter Geltung der Sitztheorie Nach ausländischem Recht gegründete Gesellschaften mit effektivem Verwaltungssitz in Deutschland werden über die Sitztheorie vollumfänglich dem deutschen materiellen Gesellschaftsrecht unterstellt. Eine statutswahrende Begründung oder Verlegung des Hauptverwaltungssitzes nach Deutschland ist ausländischen Gesellschaften unter Geltung der Sitztheorie daher nicht möglich.38 Umstritten ist zwischen den Vertretern der Sitztheorie, ob nach ausländischem Recht gegründete Gesellschaften mit der Ansiedlung ihres Hauptverwaltungssitzes in Deutschland durch das materielle deutsche Gesellschaftsrecht als inländische Gesellschaften qualifiziert werden und die grenzüberschreitende Niederlassung dieser Gesellschaften damit zumindest keinen Verlust ihrer Rechtssubjektivität zur Folge hat.39
34 v. Bar (Fn. 26), Rn. 622; Großfeld/König, RIW 1992, 433; Großfeld/Beckmann, ZVglRWiss 91 (1992) 351 (357); Großfeld, ebd., IntGesR Rn. 26; Ebenroth/Auer, ebd.; Kronke, ZGR 1994, 26 (31); Eidenmüller/Rehm, ZGR 1997, 89. 35 BGHZ 97, 269 (272); Sandrock, BerDtGesVR 18 (1978) 169 (238); ders. (Fn. 8), S. 669 (683 f.), auf den diese Definition zurückgeht. Siehe auch v. Bar, ebd., Rn. 621; Kindler (Fn. 9), IntGesR Rn. 316; Schmidt/Sedemund, DStR 1999, 2057 (2060); Sedemund, IStR 2002, 816; Zimmer, RabelsZ 67 (2003) 298 (300). 36 BayObLG, ZIP 1992, 842 (843); Wiedemann (Fn. 26), S. 784; Behrens, in: Hachenburg (Begr.), GmbHG, 8. Aufl. 1992, Einl. Rdn. 110; Thönnes, DB 1993, 1021 (1022); Kruse, Sitzverlegung von Kapitalgesellschaften innerhalb der EG, 1996, S. 7; Haas, DB 1997, 1501 (1507); Fock, RIW 2000, 42 (44 f.); Leible (Fn. 25), Syst. Darst. 2 Rn. 4; Bayer, BB 2003, 2357 (2358); Kindler, NJW 2003, 1073 (1074); ders., NZG 2003, 1086 (1089); Triebel/v. Hase, BB 2003, 2409 (2411). 37 BayObLG, ebd.; Großfeld, RabelsZ 31 (1967) 1 (22 f.); Großfeld/König, RIW 1992, 433; Großfeld/Beckmann, ZVglRWiss 91 (1992) 351 (357); Thönnes, ebd.; Kindler (Fn. 9), IntGesR Rn. 313; ders., ebd.; Fock, ebd. Vgl. auch Hohloch (Fn. 31), Anh. II Art. 37 EGBGB Rn. 28. 38 Vgl. v. Bar (Fn. 26), Rn. 623; Behrens, ZGR 1994, 1 (10); Schwarz (Fn. 12), Rn. 166; Frenz, GewArch 49 (2003) 177 (180); Kindler, IPRax 2003, 41; Tiedje/Troberg, in: v. d. Groeben/Schwarze (Hrsg.), Kommentar zum Vertrag über die Europäische Union und zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft, Bd. I, 6. Aufl. 2003, Art. 48 EG Rn. 21.
A. Anwendung des Gründungsstatuts
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Im engeren Sinne ist die Sitztheorie eine rein kollisionsrechtliche Regelung. Im weiteren Sinne gehören zu der Sitztheorie auch die Normen des materiellen deutschen Gesellschaftsrechts, die regeln, ob nach ausländischem Recht gegründete Gesellschaften mit effektivem Verwaltungssitz in Deutschland als inländische Rechtssubjekte zu qualifizieren sind.40 Diese Sitztheorie im weiteren Sinne wird in zwei Varianten vertreten, die sich als „strenge“ und „milde“ Sitztheorie bezeichnen lassen.41 Nach der strengen Sitztheorie werden Gesellschaften, die nach dem Recht eines anderen Staates gegründet worden sind und deren Hauptverwaltungssitz in Deutschland liegt, als rechtliches Nullum,42 oder, wie in der Rechtsprechung formuliert wurde, als „nicht existente Rechtsperson“ behandelt.43 Dies bedeutet, dass das materielle deutsche Gesellschaftsrecht diese nach ausländischem Recht errichteten Gebilde nicht als inländische Gesellschaften akzeptiert und ihnen damit einen identitätswahrenden Zuzug verweigert.44 Die strenge Sitztheorie wird auch als „Nichtanerkennungstheorie“ bezeichnet.45 International-privatrechtlich bedeutet die Anerkennung einer Gesellschaft, dass sie nach ihrem Gesellschaftsstatut rechtsfähig ist.46 Da auf Scheinauslandsgesellschaften nach der Sitztheorie nicht ihr Gründungsstatut Anwendung findet, kommt ihnen die Rechtsfähigkeit, die sie nach dem Recht ihrer Inkorporationsstaaten besitzen, in Deutschland nicht zu.47 Gleichzeitig werden diese Gesell39 Dieser Niederlassungsvorgang wird als identitätswahrende Ansiedlung des Hauptverwaltungssitzes bezeichnet. 40 Meilicke, GmbHR 1998, 1053; Schwarz (Fn. 12), Rn. 170; Emde, EWiR 2002, § 50 ZPO, 2/02, 971 (972). 41 So auch Emde, ebd. Siehe auch Walden, EWS 2001, 256 (259 ff. – „klassische“ und „moderne“ Sitztheorie); Binz/Mayer, GmbHR 2003, 249 (255 – „modifizierte“ Sitztheorie); Rehberg, IPRax 2003, 175 (180 – „alte“ und „erweiterte“ Sitztheorie). 42 Forsthoff, DB 2000, 1109 (1110); Leible/Hoffmann, DB 2002, 2203 (2204); AG Hamburg, BB 2003, 1457. 43 LG Aurich, IPRspr. 1968/69 Nr. 14. So auch OLG München, NJW-RR 1995, 703 (704 – „rechtlich inexistent“). 44 BGH, ZIP 2000, 967 (967 f.); OLG Zweibrücken, IPRax 1991, 406; Sack, JuS 1990, 352 (354); Bungert, AG 1995, 489 (497); Schaumburg, GmbHR 1996, 585 (591); Picot/ Land, DB 1998, 1601 (1606); Hoffmann, ZHR 164 (2000) 43 (47); Leible (Fn. 25), Syst. Darst. 2 Rn. 136. Siehe auch Großfeld/König, IPRax 1991, 380 (381); Leible/Hoffmann, DB 2002, 2203 (2204); Rosenbach, in: Beck’sches Handbuch der GmbH, 3. Aufl. 2002, § 17 Rn. 251. 45 Knobbe-Keuk, ZHR 154 (1990) 325 (341); dies., DB 1990, 2573 (2578); Jaeger, NZG 2000, 918 (920). 46 Fikentscher, MDR 1957, 71 (72); Schlosser, Die gesellschaftlichen Niederlassungen innerhalb der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft als Problem des internen und internationalen Privatrechts, 1965, S. 61; Koppensteiner, Internationale Unternehmen, 1971, S. 107; Hohloch (Fn. 31), Anh. II Art. 37 EGBGB Rn. 29; v. Halen, Das Gesellschaftsstatut nach der Centros-Entscheidung des EuGH, 2001, S. 28; Herdegen (Fn. 26), § 13 Rn. 2. Eine – für die Zwecke der vorliegenden Untersuchung nicht relevante – Auseinandersetzung mit dem variierenden Inhalt des Begriffs der Anerkennung erfolgt einerseits bei Großfeld (Fn. 26), IntGesR Rn. 162 ff. und andererseits bei Kindler (Fn. 9), IntGesR Rn. 227 ff.
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1. Teil: Voraussetzungen zur Umgehung des deutschen Gesellschaftsrechts
schaften nach der strengen Sitztheorie auch nicht als inländische Gesellschaften akzeptiert, so dass sie auch nach dem auf sie anwendbaren inländischen Personalstatut keine Rechtsfähigkeit besitzen.48 Nach der milden Sitztheorie werden Scheinauslandsgesellschaften ab dem Zeitpunkt der Ansiedlung ihres effektiven Verwaltungssitzes in Deutschland als inländische Gesellschaften qualifiziert und damit als inländische Rechtssubjekte anerkannt,49 so dass sie sich in Deutschland identitätswahrend niederlassen können.50 Umstritten ist allerdings, als welcher inländische Gesellschaftstyp Scheinauslandsgesellschaften zu qualifizieren sind. Überwiegend werden mehrgliedrige, körperschaftlich strukturierte Verbände mit erwerbswirtschaftlicher Zielsetzung je nach Gesellschaftszweck als Gesellschaften bürgerlichen Rechts oder als offene Handelsgesellschaften eingeordnet.51 Dieser Auffassung hat sich kürzlich der II. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs in Bezug auf Scheinauslandsgesellschaften, die nach dem Recht von Drittstaaten gegründet worden sind, angeschlossen.52 Nach ausländischem Recht gegründete, mehrgliedrige körperschaftlich strukturierte Verbände mit effektivem Verwaltungssitz in Deutschland, die ideelle Zwecke verfolgen, werden überwiegend als nicht rechtsfähige Vereine eingestuft.53 Handelt es sich bei Scheinauslandsgesellschaften um Ein-Personen-Gesellschaften, werden die Alleingesellschafter, sofern ein Handelsgewerbe betrieben wird, überwiegend als Kaufleute,54 und ansonsten als Nichtkaufleute qualifi47
Großfeld, ebd., IntGesR Rn. 26; Behrens (Fn. 36), Einl. Rn. 115. BGH, ZIP 2000, 967 (967 f.). 49 Eidenmüller/Rehm, ZGR 1997, 89 (90 f.); Müller, ZIP 1997, 1049 (1050 f.); Kösters, NZG 1998, 241 (247); K. Schmidt, in: FS Zöllner, Bd. I, 1998, S. 521 (535); ders. (Fn. 31), S. 27 f.; Bous, NZG 2000, 1025; Lachmann (Fn. 10), S. 128 ff.; W.-H. Roth, ZIP 2000, 1597 (1600); Walden, EWS 2001, 256 (259); Müller, EWiR 2001, Art. 43 EG, 2/01, 227 (228); Goette, DStR 2002, 1679 (1680); Neye, EWiR 2002, Art. 43 EG, 1/02, 1003 (1004); Hohloch, JuS 2003, 88 (89); Kindler, RIW 2000, 649 (651); ders., in: FS Lorenz, 2001, S. 343 (354); ders., IPRax 2003, 41 (43 f.); Leible/Hoffmann, NZG 2003, 259. Vgl. auch Jaeger, NZG 2000, 918 (921); Gronstedt, BB 2002, 2033. Siehe ferner AG Hamburg, BB 2003, 1457 (1457 f.). 50 Meilicke, GmbHR 1998, 1053 (1053 f.). 51 Grothe, Die „ausländische Kapitalgesellschaft & Co.“, 1989, S. 118; v. Bar (Fn. 26), Rn. 623; Bogler, DB 1991, 848 (850); Eidenmüller/Rehm, ZGR 1997, 89 (90 f.); Haas, DB 1997, 1501 (1506); Müller, ZIP 1997, 1049 (1051); Forsthoff, EuR 35 (2000) 167 (169); Kindler, RIW 2000, 649 (651, 653); ders. (Fn. 49), S. 343 (348); ders., IPRax 2003, 41 (42); ders., NJW 2003, 1073 (1074); Rosenbach (Fn. 44), § 17 Rn. 251; Leible/ Hoffmann, RIW 2002, 925 (927); dies., NZG 2003, 259; LG Stuttgart, NJW-RR 2002, 463 (464). Vgl. auch W.-H. Roth, EWiR 2000, § 50 ZPO, 1/00, 793 (794); dens., ZIP 2000, 1597 (1600). 52 BGHZ 151, 204 (206 ff.). 53 Kindler, RIW 2000, 649 (651 Fn. 19); ders. (Fn. 49), S. 343 (348). Vgl. auch Grothe (Fn. 51), S. 118; v. Bar (Fn. 26), Rn. 623; Müller, ZIP 1997, 1049 (1051). Siehe auch LG Stuttgart, NJW-RR 2002, 463 (464). 54 Ebenroth/Sura, RabelsZ 43 (1979) 315 (341); Bogler, DB 1991, 848 (850); Zimmer (Fn. 23), S. 305; Müller, ebd.; Müller, EWiR 2001, Art. 43 EG, 2/01, 227 (228); 48
A. Anwendung des Gründungsstatuts
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ziert.55 Teilweise wird demgegenüber vertreten, dass eine Scheinauslandsgesellschaft, die nach ihrem Gründungsrecht eine GmbH oder AG ist, unter bestimmten Voraussetzungen als deutsche Vor-GmbH resp. Vor-AG einzustufen ist.56 Festzuhalten bleibt, dass nach ausländischem Recht gegründeten Gesellschaften unter Geltung der Sitztheorie eine statutswahrende Ansiedlung des effektiven Verwaltungssitzes in Deutschland nicht möglich ist. Eine identitätswahrende Ansiedlung des Hauptverwaltungssitzes ist ihnen nur nach der milden Sitztheorie möglich.
II. Gründungstheorie 1. Regelungsinhalt Die Gründungs- oder Inkorporationstheorie, die wie die Sitztheorie eine allseitige Kollisionsregel ist,57 knüpft hinsichtlich aller dem Gesellschaftsstatut unterfallenden Rechtsverhältnisse einheitlich an das Recht des Staates an, nach dem eine Gesellschaft gegründet worden ist.58 Rechtspolitischer Hintergrund der Inkorporationstheorie ist, dass die durch die Gründung einer Gesellschaft nach einer bestimmten Rechtsordnung zum Ausdruck kommende Rechtswahl der Gesellschafter respektiert werden soll.59 2. Grenzüberschreitende gesellschaftsrechtliche Gestaltungsmöglichkeiten unter Geltung der Gründungstheorie Nach der Gründungstheorie führt die transnationale Begründung oder Verlegung des Hauptverwaltungssitzes zu keinem Wechsel des Personalstatuts.60 UnLeible/Hoffmann, RIW 2002, 925 (927). Vgl. auch Höfling, Das englische Internationale Gesellschaftsrecht, 2002, S. 35. 55 Bogler, ebd.; Zimmer, ebd.; Leible/Hoffmann, ebd. Vgl. auch Höfling, ebd. Siehe auch LG Stuttgart, NJW-RR 2002, 463 (464). 56 Sog. Vorgesellschaftsmodell, Bechtel, IPRax 1998, 348 (349 f.); ders., Umzug von Kapitalgesellschaften unter der Sitztheorie, 1999, S. 109 ff.; K. Schmidt (Fn. 49), S. 521 (537); ders., ZGR 1999, 20 (28); Dinkhoff (Fn. 10), S. 127 ff.; Frowein, Grenzüberschreitende Sitzverlegung von Kapitalgesellschaften, 2001, S. 80 f. 57 Grothe (Fn. 51), S. 28. 58 Kötz, GmbHR 1965, 69 (70); Neumayer, ZVglRWiss 83 (1984) 129 (133, 139 ff.); Grothe, ebd.; Risse, MDR 1999, 752 (753). 59 Behrens (Fn. 36), Einl. Rn. 125; Grothe, ebd.; Großfeld/Beckmann, ZVglRWiss 91 (1992) 351 (357); Leible (Fn. 25), Syst. Darst. 2 Rn. 7 f. Vgl. auch Eidenmüller, ZIP 2002, 2233 (2235). 60 Behrens, in: Dauses (Hrsg.), Handbuch des EU-Wirtschaftsrechts, Bd. I, 1998, E. III. Rn. 119; Kruse (Fn. 36), S. 8; Müller, Systemwettbewerb, Harmonisierung und
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1. Teil: Voraussetzungen zur Umgehung des deutschen Gesellschaftsrechts
ter Geltung der Gründungstheorie wäre nach dem Recht anderer Staaten wirksam errichteten Gesellschaften daher eine statutswahrende Ansiedlung ihres Hauptverwaltungssitzes in Deutschland möglich.61
III. Modifizierte Gründungstheorien Um das Problem zu lösen, dass die inländischen Verkehrsinteressen, die durch die Tätigkeit von Scheinauslandsgesellschaften berührt werden, unter der Geltung der „reinen“ Gründungstheorie durch das inländische Gesellschaftsrecht nicht geschützt werden können,62 ist die Gründungstheorie im Schrifttum auf verschiedene Weise modifiziert worden. 1. Überlagerungstheorie Die Überlagerungstheorie bestimmt das Gesellschaftsstatut grundsätzlich nach dem Recht des Gründungsstaates.63 Das Gründungsrecht kann jedoch in bestimmtem Umfang durch die zwingenden Vorschriften des Staates, in dem sich der effektive Verwaltungssitz einer Gesellschaft befindet (Sitzstaat), verdrängt werden.64 Die Überlagerungstheorie unterscheidet zwischen der Gründungs- und Anerkennungsproblematik einerseits und dem Personalstatut andererseits.65 Die wirksame Gründung und die Rechtsfähigkeit einer Gesellschaft sollen stets nach dem Gründungsrecht beurteilt werden.66 Das Personalstatut, dem nach der Überlagerungstheorie das auf die Innenbeziehungen einer Gesellschaft und das auf die rechtlichen Verhältnisse einer Gesellschaft zu dritten Personen anwendbare Recht unterfällt,67 soll grundsätzlich ebenfalls an das Gründungsrecht angeknüpft werden.68 Insoweit kann es jedoch zum Schutz der „Personen, die an einer Gesellschaft ein unmittelbares privatrechtliches Interesse haben“ Wettbewerbsverzerrung, 1999, S. 211; v. Halen (Fn. 46), S. 34; Heldrich, in: Palandt (Begr.), Bürgerliches Gesetzbuch, 63. Aufl. 2004, Anh. zu Art. 12 EGBGB Rn. 6. 61 Grothe (Fn. 51), S. 37. Vgl. auch Behrens, ZGR 1994, 1 (8). 62 Vgl. Sandrock, RabelsZ 42 (1978) 227 (256); Ebenroth/Sura, RabelsZ 43 (1979) 315 (328 f.); Ebke, JZ 2000, 203 (204); Zimmer, in: FS Lutter, 2000, S. 231 (232). 63 Sandrock, BerDtGesVR 18 (1978) 169 (201 f.); Sandrock/Warmbold, in: Sturm (Hrsg.), Wahlfach Internationales Privatrecht und Rechtsvergleichung, 1982, S. 35 (62); Sandrock, BB 1999, 1337 (1343); ders., ZVglRWiss 102 (2003) 447 (449). 64 Sandrock, BerDtGesVR 18 (1978) 169 (202); Sandrock/Austmann, RIW 1989, 249 (251). 65 Sandrock, ebd., S. 201 f. 66 Sandrock, ebd., S. 201; ders., RabelsZ 42 (1978) 227 (246). 67 Sandrock, BerDtGesVR 18 (1978) 169 (202). 68 Sandrock, ebd.
A. Anwendung des Gründungsstatuts
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(sog. Gesellschafts-Interessenten), zu einer als Überlagerung umschriebenen Verdrängung des Gründungsrechts durch Vorschriften des Sitzstaates kommen.69 Das Personalstatut von Gesellschaften, die nicht nach dem Recht des Staates gegründet worden sind, in dem sich ihr Hauptverwaltungssitz befindet, kann sich somit ggf. aus Normen zweier Rechtsordnungen zusammensetzen.70 Zu den Personen mit einem unmittelbaren privatrechtlichen Interesse an einer Gesellschaft gehören bspw. die Gläubiger, Minderheitsgesellschafter und Arbeitnehmervertreter.71 Nach der Überlagerungstheorie kann eine Norm des Sitzstatuts das Gründungsstatut nur verdrängen, wenn das Gründungsstatut keine Norm bereit hält, die dem jeweiligen Gesellschafts-Interessenten denjenigen Rechtsschutz gewährt, der ihm nach dem Sitzstatut im konkreten Fall zustehen würde.72 Die Überlagerung des Gründungsstatuts kommt somit nur in Betracht, sofern ein Gesellschafts-Interessent anderenfalls rechtlos gestellt wäre.73 Bei der Prüfung, ob im Einzelfall ein solches „Rechtlos-Gestellt-Sein“ vorliegt, muss nicht nur das Gründungsstatut, sondern das gesamte Gründungsrecht herangezogen werden. Denn der jeweilige Gesellschafts-Interessent kann sich auf sämtliche Normen des Gründungsrechts, und nicht nur auf diejenigen, die im Gesellschaftsrecht geregelt sind, berufen, um den von ihm begehrten Rechtsschutz zu erlangen.74 Daher ist es unerheblich, ob die einem Gesellschafts-Interessenten Rechtsschutz gewährende Norm des Gründungsrechts als gesellschaftsrechtlich oder bspw. als delikts- oder insolvenzrechtlich zu qualifizieren ist.75 Auch wenn eine außerhalb des Gründungsstatuts angesiedelte Norm des Gründungsrechts dem Gesellschafts-Interessenten den begehrten Rechtsschutz gewährt, scheidet eine Anwendung des Sitzstatuts somit aus.76 Sofern das Gründungsstatut einer in der Gemeinschaft gegründeten Scheinauslandsgesellschaft durch das Sitzstatut überlagert werden soll, setzt dies neben einem „Normenmangel“ im Gründungsrecht ferner voraus, dass die Niederlassungsfreiheit hierdurch nicht ungerechtfertigterweise beeinträchtigt wird.77 Jede Überlagerung durch inländisches Sitzrecht muss sich im Anwendungsbereich des Gemeinschaftsrechts somit an den Art. 43 Abs. 1, 48 Abs. 1 EG messen lassen.78 Nach der Überlagerungstheorie halten die 69
Sandrock, ebd., S. 202 f. Sandrock, BB 1999, 1337 (1343). 71 Sandrock, BerDtGesVR 18 (1978) 169 (202); Sandrock/Warmbold (Fn. 63), S. 35 (62); Sandrock, BB 1999, 1337 (1343). 72 Sandrock, Was ist erreicht? Was bleibt zu tun?, in: Sandrock/Wetzler (Hrsg.), Epochenwandel im Gesellschaftsrecht, 2004, III. 1. a); VIII. 73 Sandrock, ebd., III. 1. a). 74 Sandrock, ebd., III. 1. c); ders., ZVglRWiss 102 (2003) 447 (458 ff.). 75 Sandrock, ebd., III. 2.; VIII. – Unerheblichkeit abweichender Qualifikationen. 76 Sandrock, ebd. 77 Sandrock, ebd., III. 1. c). 70
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1. Teil: Voraussetzungen zur Umgehung des deutschen Gesellschaftsrechts
deutschen Vorschriften, die den Schutz von Minderheitsgesellschaftern,79 abhängigen Gesellschaften80 und Arbeitnehmern hinsichtlich deren Mitbestimmungsinteressen auf Unternehmensebene wahren sollen,81 dieser EG-rechtlichen Prüfung nicht stand.82 Gleiches gilt für die Kapitalaufbringungs- und -erhaltungsvorschriften des deutschen GmbH- und Aktienrechts.83 2. Eingeschränkte Gründungstheorie Nach der eingeschränkten Gründungstheorie84 werden alle dem Gesellschaftsstatut unterfallenden Rechtsverhältnisse grundsätzlich einheitlich an das Recht des Staates angeknüpft, nach dem eine Gesellschaft gegründet worden ist.85 Die Rechtsfähigkeit einer Gesellschaft wird stets nach dem Gründungsrecht beurteilt.86 Der Schutz von Gesellschafts-Interessenten soll durch Sonderanknüpfungen sichergestellt werden,87 deren Anknüpfungspunkt der Hauptverwaltungssitz im Sinne der Sitztheorie ist.88 Nach der eingeschränkten Gründungstheorie kann es somit ebenso wie nach der Überlagerungstheorie zu einer differenzierten Anknüpfung des Gesellschaftsstatuts kommen, die zur Folge hat, dass das Gesellschaftsstatut sich ggf. aus Normen zweier Rechtsordnungen zusammensetzt.89 Die Frage, welche Gesellschafts-Interessenten durch Sonderanknüpfungen geschützt werden sollen, ist unter den Vertretern der eingeschränkten Gründungstheorie umstritten. Nach einer Auffassung sollen Sonderanknüpfungen zum Schutz von Gesellschaftsgläubigern und Minderheitsgesellschaftern erfolgen, so78
Sandrock, ZVglRWiss 102 (2003) 447 (458). Sandrock, ebd., S. 479 ff. 80 Sandrock, ebd., S. 482 ff. 81 Sandrock, ebd., S. 486 ff.; ders., AG 2004, 57 (65). 82 Sandrock, ebd., S. 503; ders., ebd., S. 65 f. 83 Sandrock, ebd., S. 479, 503. 84 Diese gilt u. a. in den Niederlanden. Die Geltung der Gründungstheorie ist in Art. 2 Wet conflictenrecht corporaties v. 17.12.1997, Staatsblad van het Koninkrijk der Nederlanden 1997, Nr. 699, normiert. Sonderanknüpfungen sind im Wet op de formeel buitsenlandse vennootschappen v. 17.12.1997, Staatsblad van het Koninkrijk der Nederlanden 1997, Nr. 697, geregelt. Die Gemeinschaftsrechtskonformität mehrerer Bestimmungen letzteren – im Folgenden auch als WFBV bezeichneten – Gesetzes, auf die im Laufe der weiteren Untersuchung noch zurückzukommen sein wird, war Gegenstand des Vorabentscheidungsverfahrens Inspire Art (EuGH, Rs. C-167/01 – Kamer van Koophandel en Fabrieken voor Amsterdam/Inspire Art. Ltd., ZIP 2003, 1885 ff.). Siehe zu diesem Gesetz Timmerman, ZGR 1999, 147 (148 ff.); ders., in: FS Lutter, 2000, S. 173 (183 ff.). 85 Behrens, ZGR 1978, 499 (511); ders. (Fn. 36), Einl. Rn. 129. 86 Grothe (Fn. 51), S. 193. 87 Behrens (Fn. 36), Einl. Rn. 128; Grothe, ebd.; Kropholler, Internationales Privatrecht, 4. Aufl. 2001, S. 538 f. 88 Behrens, ebd. 89 Behrens, ebd.; Grothe (Fn. 51), S. 193. 79
A. Anwendung des Gründungsstatuts
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fern deren Interessen durch das Gründungsrecht in untragbarer Weise schutzlos gestellt werden und sich die betreffenden Personen hierauf berufen.90 Nach einer anderen Auffassung sollen nicht nur Gesellschaftsgläubiger und Minderheitsgesellschafter, sondern auch Arbeitnehmer durch Sonderanknüpfungen geschützt werden, sofern das Gründungsrecht keine gleichwertigen Schutzbestimmungen enthält.91 Die Sonderanknüpfungen sollen nach dieser Auffassung zudem unabhängig von dem Willen der Gesellschafts-Interessenten erfolgen.92 Nach einer weiteren Auffassung bedarf es keiner Sonderanknüpfungen zum Schutz von Minderheitsgesellschaftern, da diese sich aufgrund ihrer privatautonomen Entscheidung einem ausländischen Gesellschaftsrecht unterstellt hätten.93 Befürwortet wird von dieser Auffassung allerdings, Gesellschaftsgläubiger und Arbeitnehmer durch Sonderanknüpfungen zu schützen.94 Ferner ist zwischen den Vertretern der eingeschränkten Gründungstheorie umstritten, welche Bestimmungen auf Scheinauslandsgesellschaften mit effektivem Verwaltungssitz in Deutschland gesondert angeknüpft werden sollen. So wird vertreten, dass es nur zu einer Sonderanknüpfung derjenigen Schutznormen kommen soll, bei denen es sich um „grundlegende Rechtsgrundsätze“ handelt.95 Näher konkretisiert werden die gesondert anzuknüpfenden Normen von dieser Auffassung allerdings nicht. Diese Aufgabe wird vielmehr der Rechtsprechung überlassen.96 Nach einer anderen Auffassung sollen zum Schutz von Gesellschaftsgläubigern und Arbeitnehmern von Scheinauslandsgesellschaften mit effektivem Verwaltungssitz in Deutschland alle zwingenden deutschen Schutznormen gesondert angeknüpft werden, sofern das Gründungsrecht keine gleichwertigen Schutzbestimmungen enthält.97 Teilweise wird darüber hinaus auch eine Sonderanknüpfung aller zwingenden Vorschriften befürwortet, die dem Schutz von Minderheitsgesellschaftern dienen.98 3. Differenzierungslehre Die Differenzierungslehre unterscheidet bei der Anknüpfung des Gesellschaftsstatuts zwischen dem Innenverhältnis und dem Außenverhältnis einer Gesellschaft.99 Die Abgrenzung zwischen dem Innen- und Außenverhältnis soll 90 91 92 93 94 95 96 97 98 99
Behrens, ebd.; Kropholler (Fn. 87), S. 538 f. Grothe (Fn. 51), S. 194. Grothe, ebd. Knobbe-Keuk, ZHR 154 (1990) 325 (346). Knobbe-Keuk, ebd., S. 346 ff. Behrens (Fn. 36), Einl. Rn. 128. Behrens, ebd. Grothe (Fn. 51), S. 193 f.; Knobbe-Keuk, ZHR 154 (1990) 325 (347 ff.). Grothe, ebd., S. 194. Grasmann (Fn. 28), Rn. 623 f.; Moser, in: FG Bürgi, 1971, S. 283 (286 ff.).
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1. Teil: Voraussetzungen zur Umgehung des deutschen Gesellschaftsrechts
sich danach richten, ob Verkehrsinteressen und Belange des mit der Gesellschaft verkehrenden Publikums berührt werden.100 Zum Innenverhältnis wird der Bereich des Gesellschaftsstatuts gezählt, durch den Verkehrsinteressen und Publikumsbelange nicht berührt werden.101 Unter das Innenverhältnis sollen u. a. die Gründung der Gesellschaft,102 Änderungen des Gesellschaftsvertrags103 sowie die Rechte und Pflichten der Gesellschafter gegenüber der Gesellschaft und den Mitgesellschaftern fallen.104 Für das Innenverhältnis soll die von den Anteilseignern vorgenommene Rechtswahl zu respektieren sein.105 Anknüpfungspunkt für das Innenverhältnis ist nach der Differenzierungslehre daher das Gründungsrecht.106 Bei der Anknüpfung der Außenverhältnisse, unter die bspw. die Vertretungsmacht der Gesellschaftsorgane und die Haftung fallen,107 soll hingegen den Verkehrsinteressen und Publikumsbelangen Rechnung getragen werden.108 Die Außenverhältnisse sollen entweder nach der Rechtsordnung, die das jeweilige Rechtsverhältnis zwischen Gesellschaft und Drittem beherrscht (Wirkungsstatut),109 oder nach der Rechtsordnung des Staates, in dem das jeweilige Rechtsgeschäft zwischen Gesellschaft und Drittem vorgenommen wurde (Vornahmestatut),110 oder nach der Rechtsordnung, nach der die Gesellschaft gegründet worden ist (Organisationsstatut),111 beurteilt werden.112 Im Falle eines Rechtsstreits solle von Amts wegen diejenige Anknüpfung gewählt werden, die zu der für den Dritten günstigsten Entscheidung führe.113 Das Wirkungs- und Vornahmestatut soll allerdings nicht zur Anwendung gelangen, wenn die Gesellschaft beweist, dass der Dritte bei der Vornahme des Rechtsgeschäfts gewusst hat, dass er mit einer ausländischen Gesellschaft kontrahiert, und ihm bekannt war, dass nach dem ausländischen Organisationsstatut die Außenverhältnisse anders geregelt sind als die Außenverhältnisse entsprechender Gesellschaften des Vornahme- oder Wirkungsstaats.114
100 101 102 103 104 105 106 107 108 109 110 111 112 113 114
Grasmann, Grasmann, Grasmann, Grasmann, Grasmann, Grasmann, Grasmann, Grasmann, Grasmann, Grasmann, Grasmann, Grasmann, Grasmann, Grasmann, Grasmann,
ebd., ebd. ebd., ebd. ebd., ebd., ebd. ebd., ebd., ebd., ebd., ebd., ebd., ebd. ebd.
Rn. 616. Rn. 1001. Rn. 1022 ff.; Moser (Fn. 99), S. 283 (286). Rn. 977. Rn. Rn. Rn. Rn. Rn. Rn.
901, 928; Moser (Fn. 99), S. 283 (287). 636. 745. 759. 766. 623.
A. Anwendung des Gründungsstatuts
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4. Kombinationslehre Anders als die zuvor dargestellten modifizierten Gründungstheorien bestimmt die Kombinationslehre das Personalstatut einheitlich.115 Die Kombinationslehre beruht auf der Prämisse, dass die Freiheit der Rechtswahl im Internationalen Gesellschaftsrecht den gleichen Schranken unterliegt wie die Freiheit der Rechtswahl im Internationalen Vertragsrecht.116 Wegen der grundsätzlich bestehenden Rechtswahlfreiheit im Internationalen Gesellschaftsrecht geht die Kombinationslehre bei der Anknüpfung des Gesellschaftsstatuts grundsätzlich von der Gründungstheorie als der „Theorie der Parteiautonomie“ aus.117 In Anlehnung an Art. 27 Abs. 3 EGBGB soll eine Rechtswahl im Internationalen Gesellschaftsrecht – ebenso wie im Internationalen Vertragsrecht – allerdings unzulässig sein, wenn der Sachverhalt ausschließlich Beziehungen zu einem Staat aufweist.118 In diesem Falle müssten die Gesellschafter die Gesellschaft dem Gesellschaftsrecht dieses Staates unterstellen.119 Auf dieser Grundlage gelangt die Kombinationslehre zu folgender Anknüpfung des Gesellschaftsstatuts: Sofern eine Gesellschaft über substanzielle Beziehungen zu mehr als einem Staat verfügt, soll das Gesellschaftsstatut an das Gründungsrecht angeknüpft werden.120 Bestehen substanzielle Beziehungen hingegen nur zu einem Staat, soll Gesellschaftsstatut das Recht dieses Staates sein.121 Damit werden bei der Anknüpfung des Gesellschaftsstatuts Elemente der Gründungs- und Sitztheorie kombiniert.122 Das von der Kombinationslehre verwendete Anknüpfungssystem ist dynamisch.123 Hat eine Gesellschaft ursprünglich über substanzielle Auslandsbeziehungen verfügt, und entfallen diese später, ändert sich die Anknüpfung des Gesellschaftsstatuts.124 Festzuhalten bleibt, dass eine nach dem Recht eines anderen Mitgliedstaats gegründete Gesellschaft ihren effektiven Verwaltungssitz in Deutschland nur dann statutswahrend ansiedeln kann, wenn das deutsche Internationale Gesellschaftsrecht das Personalstatut dieser Gesellschaft an das Recht ihres Gründungsstaats anknüpft.125 Sieht man in einer solchen Verweisung auf das Gründungsrecht eine Sachnormverweisung,126 also eine Verweisung auf das Sachrecht des 115 116 117 118 119 120 121 122 123 124 125
Zimmer (Fn. 23), S. 232 f. Zimmer, ebd., S. 223. Zimmer, ebd., S. 222. Zimmer, ebd., S. 223 f.; ders. (Fn. 62), S. 231 (247). Zimmer (Fn. 23), S. 224 f. Zimmer, ebd., S. 233. Zimmer, ebd.; ders. (Fn. 62), S. 231 (247). Zimmer (Fn. 23), S. 232. Zimmer, ebd., S. 225. Zimmer, ebd. Vgl. Rosenbach (Fn. 44), § 17 Rn. 254.
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1. Teil: Voraussetzungen zur Umgehung des deutschen Gesellschaftsrechts
Gründungsstaats,127 gelangt dieses über die Verweisung ohne weiteres zur Anwendung.128 Sieht man in einer solchen Verweisung auf das Gründungsrecht hingegen eine IPR-Verweisung,129 also eine Verweisung auf das Internationale Gesellschaftsrecht des Gründungsstaats,130 muss das Internationale Gesellschaftsrecht des Gründungsstaats die Verweisung annehmen, damit es zur Anwendung des Gründungsrechts kommt.131 Das setzt voraus, dass das Internationale Gesellschaftsrecht des Gründungsstaats auf sein eigenes Sachrecht verweist,132 was der Fall ist, wenn es das Personalstatut ebenfalls an den Ort der Gesellschaftsgründung anknüpft.133 Allein die Anwendbarkeit des Sachrechts des Gründungsstaates führt jedoch noch nicht dazu, dass die Gesellschaft ihren Hauptverwaltungssitz in Deutschland unter Wahrung ihres Gründungsstatuts ansiedeln kann.
B. Kein Verbot des statutswahrenden Wegzugs durch das Sachrecht des Gründungsstaats und kein Verbot des statutswahrenden Zuzugs durch das deutsche Sachrecht Vielmehr darf das Sachrecht des Gründungsstaates den statutswahrenden Wegzug der nach seinem Recht gegründeten Gesellschaft nicht verbieten.134 Das ist zunächst dann der Fall, wenn das Sachrecht des Gründungsstaats anordnet, dass der Wegzug der Gesellschaft ihre Auflösung zur Folge hat.135 So ist bspw. der Beschluss der Gesellschafter einer nach deutschem Recht gegründe-
126 So OLG Hamm, NJW 2001, 2183; Zimmer (Fn. 23), S. 314 f.; Dreissig, DB 2000, 893; Schwarz, NZG 2001, 613 (613 f.); Bandehzadeh/Thoß, NZG 2002, 803 (806); Bayer, BB 2003, 2357 (2359); Triebel/v. Hase, BB 2003, 2409 (2411). 127 Kegel/Schurig (Fn. 31), S. 338; v. Hoffmann, Internationales Privatrecht, 7. Aufl. 2002, § 6 Rn. 75. 128 Vgl. v. Hoffmann, ebd. 129 So Panthen, Der „Sitz“-Begriff im Internationalen Gesellschaftsrecht, 1988, S. 98; Coester-Waltjen/Mäsch, Übungen in Internationalem Privatrecht und Rechtsvergleichung, 2. Aufl. 2001, S. 159. 130 Kegel/Schurig (Fn. 31), S. 338; v. Hoffmann (Fn. 127), § 6 Rn. 77. 131 Vgl. v. Hoffmann, ebd.; Leible/Hoffmann, RIW 2002, 925 (934 f.). 132 Vgl. Leible/Hoffmann, ebd., S. 935. 133 Vgl. Leible/Hoffmann, ebd. 134 Vgl. Mülbert/Schmolke, ZVglRWiss 100 (2001) 233 (269 f.). 135 v. Bar (Fn. 26), Rn. 623; Michalski, NZG 1998, 762 (764). Vgl. auch Behrens, RIW 1986, 590 (591); Großfeld/Jasper, RabelsZ 53 (1989) 52 (53); Knobbe-Keuk, DB 1990, 2573 (2578); Ebenroth/Auer, GmbHR 1994, 16 (17); Kösters, NZG 1998, 241 (243); Picot/Land, DB 1998, 1601 (1606); Hoffmann, ZHR 164 (2000) 43 (46); Leible/Hoffmann, RIW 2002, 925, in Bezug auf die gleichgelagerte Problematik beim identitätswahrenden Wegzug.
C. Fazit
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ten Gesellschaft über die Verlegung des effektiven Verwaltungssitzes ins Ausland nach herrschender Meinung selbst bei einem entgegenstehenden Willen der Gesellschafter zwingend als Auflösungsbeschluss zu interpretieren, der zur Abwicklung der Gesellschaft führt.136 Ein statutswahrender Wegzug aus dem Gründungsstaat ist ferner dann nicht möglich, wenn das Sachrecht anordnet, dass die Gesellschaft ihren effektiven Verwaltungssitz nur unter Beibehaltung ihrer Identität ins Ausland verlegen kann, das Sachrecht des Gründungsstaats der Gesellschaft also lediglich ermöglicht, sich in eine Gesellschaft des Zuzugsstaats umzugründen, ohne ihre Rechtspersönlichkeit zu verlieren. Eine solche Regelung enthält bspw. das portugiesische Gesellschaftsrecht in Bezug auf Handelsgesellschaften.137 Ferner darf das deutsche Sachrecht keine Verpflichtung des Inhalts enthalten, dass (EG-)ausländischem Recht unterliegende Gesellschaften mit effektivem Verwaltungssitz im Inland sich in Gesellschaften deutschen Rechts umgründen müssen.138
C. Fazit Unternehmer, die mittels Gesellschaften vorwiegend oder ausschließlich auf dem deutschen Markt operieren wollen, können das deutsche Gesellschaftsrecht über die Verwendung nach dem Recht anderer Mitgliedstaaten gegründeter Gesellschaften nur umgehen, wenn folgende Voraussetzungen erfüllt sind: Das deutsche Gesellschaftskollisionsrecht muss das Personalstatut dieser Gesell136 BFH, RIW 2003, 627 (629); OLG Düsseldorf, NZG 2001, 506; OLG Hamm, NZG 2001, 562 (563); Großfeld (Fn. 26), IntGesR Rn. 634 ff.; Jasper (Fn. 31), § 75 Rn. 120; Schaumburg, GmbHR 1996, 585 (591); Kösters, ebd.; Picot/Land, ebd.; Hoffmann, ebd.; Schwarz, NZG 2001, 613; Birk, IStR 2003, 469 (471); Müller-Bonanni, GmbHR 2003, 1235 (1236). A. A. Ebenroth/Eyles, DB-Beilage 2/1988, 1 (7 f.); dies., DB 1989, 363 (368); Knobbe-Keuk, ZHR 154 (1990) 325 (350 ff.); Lutter/Hommelhoff, GmbHG, 15. Aufl. 2000, § 4 a GmbHG Rn. 13; Lutter (Fn. 12), S. 41 f., ders., BB 2003, 7 (10); Eidenmüller, ZIP 2002, 2233 (2243 Fn. 69); Noack, FAZ v. 26.11.2003, S. 25; Triebel/v. Hase, BB 2003, 2409 (2411 ff.). 137 Art. 3 Abs. 5 des Codígo das Sociedades Comerciais (Fn. 13) lautet: „A sociedade que tenha sede efectiva em Portugal pode transferi-la para outro país; mantendo a sua personalidade jurídica, se a lei desse país nisso convier.“ Diese Bestimmung lässt sich wie folgt übersetzen: „Die Gesellschaft, die ihren effektiven Sitz in Portugal hat, kann diesen in ein anderes Land verlegen; sie behält ihre Rechtspersönlichkeit bei, wenn das Recht jenes Landes damit einverstanden ist.“ Siehe hierzu Jayme, IPRax 1987, 46 (47). Ausführlich zur grenzüberschreitenden Verlegung des tatsächlichen Sitzes von portugiesischen Kapitalgesellschaften Steiger, Grenzüberschreitende Fusion und Sitzverlegung von Kapitalgesellschaften innerhalb der EU nach spanischem und portugiesischem Recht, 1996, S. 263 ff. 138 Eine solche Pflicht befürwortet Beitzke, in: Lauterbach (Hrsg.), Vorschläge und Gutachten zur Reform des deutschen Internationalen Personen- und Sachenrechts, 1972, S. 94 (118, 215).
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1. Teil: Voraussetzungen zur Umgehung des deutschen Gesellschaftsrechts
schaften an den Ort der Gesellschaftsgründung anknüpfen. Diese Verweisung des deutschen Gesellschaftskollisionsrechts müssen die Gesellschaftskollisionsrechte der Gründungsstaaten ggf. annehmen.139 Ferner müssen die Sachrechte der Gründungsstaaten den Gesellschaften den statutswahrenden Wegzug zum Zweck der Ansiedlung ihres effektiven Verwaltungssitzes im Ausland gestatten, und das deutsche Sachrecht darf die Gesellschaften nicht dazu verpflichten, sich in Gesellschaftsformen des deutschen Rechts umzugründen, weil sich ihr effektiver Verwaltungssitz im Inland befindet. Wie gezeigt, wird seit den Entscheidungen in den Rechtssachen Centros und Überseering eingehend darüber diskutiert, ob die Niederlassungsfreiheit von Gesellschaften den statutswahrenden Weg- und Zuzug zum Zweck der erstmaligen Begründung und/oder Verlegung des effektiven Verwaltungssitzes schützt, und die Mitgliedstaaten daher dazu verpflichtet sind, den Gesellschaften im Sinne des Art. 48 Abs. 1 EG diese Formen der Niederlassung innerhalb der EG zu ermöglichen. Ob dies der Fall ist und Unternehmern, die über Gesellschaften vorwiegend oder ausschließlich auf dem deutschen Markt operieren wollen, durch das Gemeinschaftsrecht damit die Möglichkeit eröffnet wird, das deutsche Gesellschaftsrecht durch die Verwendung von Gesellschaften, die nach dem Recht anderer Mitgliedstaaten gegründet worden sind, zu umgehen, soll nunmehr untersucht werden.
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Siehe im Text bei Fn. 129.
2. Teil
Gemeinschaftsrechtlicher Schutz der statutswahrenden Begründung und/oder Verlegung des effektiven Verwaltungssitzes Den Angehörigen der Mitgliedstaaten garantiert Art. 43 Abs. 1 S. 1 EG die sog. primäre Niederlassungsfreiheit.140 Diese schützt die grenzüberschreitend erfolgende erstmalige Aufnahme und Ausübung selbstständiger Erwerbstätigkeiten innerhalb der Gemeinschaft sowie die Verlagerung des Schwerpunkts einer in einem Mitgliedstaat bereits ausgeübten selbstständigen Erwerbstätigkeit, sog. Hauptniederlassung, in einen anderen Mitgliedstaat.141 Art. 43 Abs. 1 S. 2 EG schützt die Gründung von Agenturen, Zweigniederlassungen und Tochtergesellschaften. Diese sog. sekundären Niederlassungen,142 die sich auch als Zweitniederlassungen bezeichnen lassen,143 sind von einer primären Niederlassung organisatorisch und/oder wirtschaftlich,144 nicht aber rechtlich abhängig.145
140 Randelzhofer/Forsthoff, in: Grabitz/Hilf (Hrsg.), Das Recht der Europäischen Union, Stand: 5/2001, Art. 43 EGV Rn. 46; Tietje, in: Ehlers (Hrsg.), Europäische Grundrechte und Grundfreiheiten, 2003, § 10 Rn. 33. 141 Platz, EWG-Niederlassungsrecht und individuelle Rechtspositionen, 1966, S. 16; Eckhoff, in: Birk (Hrsg.), Handbuch des Europäischen Steuer- und Abgabenrechts, 1995, § 19 Rn. 31; Kruse, EWS 1998, 444 (445); Lackhoff, Die Niederlassungsfreiheit des EGV – nur ein Gleichheits- oder auch ein Freiheitsrecht?, 2000, S. 175; Fastenrath/ Müller-Gerbes, Europarecht, 1999, Rn. 119; Oppermann, Europarecht, 2. Aufl. 1999, Rn. 1591; Schlag, in: Schwarze (Hrsg.), EU-Kommentar, 2000, Art. 43 EGV Rn. 19; Fischer, Europarecht, 3. Aufl. 2001, § 16 Rn. 1; Randelzhofer/Forsthoff, ebd.; Bröhmer, in: Calliess/Ruffert (Hrsg.), Kommentar zu EU-Vertrag und EG-Vertrag, 2. Aufl. 2002, Art. 43 EGV Rn. 17; Tietje, ebd., § 10 Rn. 34. Vgl. auch Manthey, Bindung und Schutz öffentlicher Unternehmen durch die Grundfreiheiten des Europäischen Gemeinschaftsrechts, 2001, S. 110. 142 Randelzhofer/Forsthoff, ebd.; Tietje, ebd., § 10 Rn. 33. 143 Tietje, ebd., § 10 Rn. 35; Lackhoff (Fn. 141), S. 172. Als Oberbegriff für die verschiedenen Formen sekundärer Niederlassung wird oftmals der Begriff der Zweigniederlassung verwendet. Vorzugswürdig ist insoweit jedoch der Begriff der Zweitniederlassung, da Art. 43 Abs. 1 S. 2 EG ihn im Gegensatz zum Begriff der Zweigniederlassung nicht als eine von mehreren Formen sekundärer Niederlassung benennt. Siehe Lackhoff, ebd. 144 Tiedje/Troberg (Fn. 38), Art. 43 EG Rn. 32 ff.; Lackhoff, ebd. 145 Die rechtliche Abhängigkeit kann nicht ausschlaggebend sein, weil auch rechtlich selbstständige Tochtergesellschaften gemäß Art. 43 Abs. 1 S. 2 EG sekundäre Niederlassungen sind. So auch Schlosser (Fn. 46), S. 105; Lackhoff, ebd.
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2. Teil: EG-rechtlicher Schutz der statutswahrenden Niederlassung
Art. 48 Abs. 1 EG ordnet an, dass die nach den Rechtsvorschriften eines Mitgliedstaats gegründeten Gesellschaften, die ihren Satzungssitz, ihre Hauptverwaltung oder ihre Hauptniederlassung in der Gemeinschaft haben, für die Anwendung des Kapitels über das Niederlassungsrecht den natürlichen Personen, die Angehörige der Mitliedstaaten sind, gleich stehen. Über die Gleichstellung der in Art. 48 Abs. 1 EG genannten Gesellschaften mit den Staatsangehörigen der Mitgliedstaaten wird somit auch (den dort aufgeführten) Gesellschaften das Recht zur Niederlassung in der Gemeinschaft eingeräumt.146
A. Sachlicher Schutzbereich der Niederlassungsfreiheit von Gesellschaften Die Frage, ob der sachliche Schutzbereich der Art. 43 Abs. 1, 48 Abs. 1 EG Gesellschaften innerhalb der Gemeinschaft die statutswahrende, transnationale Begründung und/oder Verlegung des effektiven Verwaltungssitzes unter Beibehaltung des Satzungssitzes im Inkorporationsstaat garantiert, wird im Schrifttum kontrovers diskutiert. Da Ausgangspunkt dieser Diskussion die hierzu ergangene Rechtsprechung des EuGH ist, und wegen der überragenden Bedeutung der Rechtsprechung des EuGH für die Auslegung der Grundfreiheiten, wird zunächst diese untersucht (I.), bevor auf die in der Literatur vertretenen Auffassungen zum diesbezüglichen Inhalt des sachlichen Schutzbereichs der Niederlassungsfreiheit von Gesellschaften eingegangen wird (II.).
I. Rechtsprechung des EuGH zum Inhalt des sachlichen Schutzbereichs der Niederlassungsfreiheit von Gesellschaften 1. Erstmalige Begründung des effektiven Verwaltungssitzes in einem anderen Mitgliedstaat als dem Inkorporationsstaat Mit der Frage, ob der sachliche Schutzbereich des Art. 43 Abs. 1 EG den nach den Rechtsvorschriften eines Mitgliedstaats gegründeten Gesellschaften im Sinne des Art. 48 Abs. 1 EG die erstmalige Begründung ihres effektiven Verwaltungssitzes in einem anderen Mitgliedstaat unter Beibehaltung des Satzungssitzes im Inkorporationsstaat garantiert, hat sich der Europäische Gerichtshof – mittelbar – in zwei Vorabentscheidungsverfahren befasst.
146 EuGH, Rs. 51/87 (The Queen/Treasury and Commissioners of Inland Revenue, ex parte Daily Mail and General Trust PLC), Slg. 1988, 5483 (5510); Rs. C-212/97 (Centros Ltd./Erhvervs- og Selskabsstyrelsen), Slg. 1999, I-1459 (1491); Rs. C-208/00 (Überseering BV/Nordic Construction Company Baumanagement GmbH), Slg. 2002, I-9919 (9964).
A. Sachlicher Schutzbereich der Art. 43 Abs. 1, 48 Abs. 1 EG
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a) Das Urteil „Segers“ aa) Der Sachverhalt147 Der niederländische Staatsangehörige Herr Segers war seit 1980 als Einzelkaufmann unter der Firma Free Promotion International in den Niederlanden tätig. Im Jahre 1981 beschloss er, sein einzelkaufmännisches Unternehmen in eine Gesellschaft mit beschränkter Haftung umzuwandeln. Da er die in den Niederlanden für eine solche Umwandlung bestehenden Fristen für zu lang und die Bezeichnung nach englischem Recht gegründeter Gesellschaften mit beschränkter Haftung (private limited companies by shares) als „Ltd.“ für attraktiver als die Bezeichnung für das niederländische Pendant „BV“ hielt, übernahmen er und seine Ehefrau zu gleichen Teilen die kurz zuvor nach englischem Recht gegründete Gesellschaft mit beschränkter Haftung Slenderose Ltd. mit Satzungssitz in London. Sodann brachte Herr Segers sein einzelkaufmännisches Unternehmen als Zweigniederlassung vollständig in die Slenderose Ltd. ein und wurde gleichzeitig zu ihrem Geschäftsführer ernannt. Im Vereinigten Königreich entfaltete die Slenderose Ltd. nie eine Geschäftstätigkeit. Diese übte sie ausschließlich in den Niederlanden über ihre dort ansässige Zweigniederlassung aus. Herr Segers stellte beim zuständigen niederländischen Krankenversicherungsträger einen Antrag auf Erbringung von Krankenversicherungsleistungen, die nur Arbeitnehmern gewährt wurden. Dieser lehnte den Antrag ab, da Herr Segers als Geschäftsführer einer Gesellschaft nur dann als Arbeitnehmer eingestuft werden könne, wenn die Gesellschaft eine inländische, nach niederländischem Recht gegründete Gesellschaft sei. Da Herr Segers jedoch Geschäftsführer einer nach englischem Recht errichteten und damit ausländischen Gesellschaft mit beschränkter Haftung sei, erfülle er nicht die Anspruchsvoraussetzungen des einschlägigen niederländischen Krankenversicherungsrechts. Gegen diese Ablehnung erhob Herr Segers Klage, mit der er erstinstanzlich unterlag. Das Berufungsgericht (der Centrale Raad van Beroep) hatte Zweifel an der Vereinbarkeit der vom Krankenversicherungsträger und dem erstinstanzlichen Gericht vertretenen Auslegung des niederländischen Krankenversicherungsrechts mit der Niederlassungsfreiheit von Gemeinschaftsangehörigen und Gesellschaften. Es legte dem EuGH daher die Frage zur Vorabentscheidung vor, ob aus dem Grundsatz der Niederlassungsfreiheit von Unionsbürgern und Gesellschaften folge, dass bei der Beurteilung der Versicherungspflicht aufgrund eines niederländischen Sozialversicherungsgesetzes nicht zwischen dem Geschäftsführer/Hauptgesellschafter 147 Sachverhalt und Entscheidungsgründe der Judikate des Europäischen Gerichtshofs werden im Folgenden nur insoweit wiedergegeben, als sie für die in dieser Untersuchung behandelten Fragen von Bedeutung sind. Die Sachverhalte werden dabei grundsätzlich so dargestellt, wie sie sich aus den Entscheidungen des Gerichtshofs ergeben. Wird daneben ergänzend auf die Schlussanträge oder Sitzungsberichte abgestellt, ist dies vermerkt.
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2. Teil: EG-rechtlicher Schutz der statutswahrenden Niederlassung
einer Gesellschaft mit beschränkter Haftung nach niederländischem Recht und dem einer Gesellschaft mit beschränkter Haftung nach dem Recht eines anderen Mitgliedstaats unterschieden werden dürfe, auch wenn die ausländische Gesellschaft offenkundig nicht in dem betreffenden anderen Mitgliedstaat, sondern ausschließlich in den Niederlanden tatsächliche Geschäftstätigkeiten entfalte. bb) Die Entscheidungsgründe Um die Vorlagefrage beantworten zu können, prüft der Gerichtshof in einem ersten Schritt, ob Art. 43 Abs. 1 EG und/oder die Art. 43 Abs. 1, 48 Abs. 1 EG überhaupt ein Verbot der Schlechterstellung der Geschäftsführer von in anderen Mitgliedstaaten gegründeten Gesellschaften gegenüber Geschäftsführern inländischer Gesellschaften enthalten. Der nach Auffassung des EuGH seit Ablauf der Übergangszeit unmittelbar anwendbaren Niederlassungsfreiheit natürlicher Personen lasse sich dieses – im EG-Vertrag nicht explizit normierte – Verbot nicht entnehmen. Zwar garantiere Art. 43 Abs. 1 EG den Angehörigen der Mitgliedstaaten, dass sie in anderen Mitgliedstaaten Gesellschaften gründen und leiten dürften. Dieser untersage (insoweit) aber nur auf ihrer Staatsangehörigkeit beruhende, nicht jedoch auch auf der Staatszugehörigkeit der von ihnen geleiteten Gesellschaften148 beruhende Schlechterstellungen.149 Letzteres Verbot folgert der Gerichtshof sodann jedoch aus der seiner Ansicht nach ebenfalls unmittelbar anwendbaren sekundären Niederlassungsfreiheit von Gesellschaften. Art. 43 Abs. 1 S. 2 EG i.V. m. Art. 48 Abs. 1 EG verlange eine Gleichstellung der nach dem Recht anderer Mitgliedstaaten gegründeten Gesellschaften mit den inländischen Gesellschaften. Diese Verpflichtung impliziert nach Auffassung des EuGH das Recht des Personals EG-ausländischer Gesellschaften auf Anschluss an das System sozialer Sicherheit, an das das Personal inländischer Gesellschaften im Zweigniederlassungsstaat angeschlossen ist. Denn eine Diskriminierung des Personals in Bezug auf den sozialen Schutz schränke die Freiheit der Gesellschaften eines anderen Mitgliedstaats, sich über eine Agentur, Zweigniederlassung oder Tochtergesellschaft in dem betreffenden Mitgliedstaat niederzulassen, mittelbar ein.150 Der Gerichtshof begründet die Geltung des Verbots der Schlechterstellung von Geschäftsführern nach dem Recht anderer Mitgliedstaaten gegründeter Ge148 Dass der EG-Vertrag davon ausgeht, dass auch Gesellschaften eine Staatsangehörigkeit resp. Staatszugehörigkeit besitzen, ergibt sich aus Art. 183 Nr. 4 EG: „Bei Ausschreibungen und Lieferungen für Investitionen, die von der Gemeinschaft finanziert werden, steht die Beteiligung zu gleichen Bedingungen allen natürlichen und juristischen Personen offen, welche die Staatsangehörigkeit der Mitgliedstaaten . . . besitzen.“ 149 EuGH, Rs. 79/85 (D. H. M. Segers/Bestuur van de Bedrijfsvereniging voor Banken Verzekeringswezen, Groothandel en Vrije Beroepen), Slg. 1986, 2375 (2387). 150 EuGH, ebd., S. 2387 f.
A. Sachlicher Schutzbereich der Art. 43 Abs. 1, 48 Abs. 1 EG
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sellschaften (und deren sonstigem Personal), die im Inland über eine Agentur, Zweigniederlassung oder Tochtergesellschaft Tätigkeiten ausüben, gegenüber den Geschäftsführern inländischer Gesellschaften (und deren sonstigem Personal), folglich mit einer teleologischen, am „effet utile“ orientierten Auslegung der Art. 43 Abs. 1 S. 2, 48 Abs. 1 EG: Das den in Art. 48 Abs. 1 EG genannten Gesellschaften zustehende Recht zur Ausübung von Tätigkeiten über Agenturen, Zweigniederlassungen und Tochtergesellschaften kann nicht nur durch ihre Schlechterstellung gegenüber inländischen Gesellschaften, sondern mittelbar auch durch Schlechterstellungen ihres Personals gegenüber dem Personal inländischer Gesellschaften beeinträchtigt werden. Um die praktische Wirksamkeit der sekundären Niederlassungsfreiheit von Gesellschaften umfassend abzusichern, unterstellt der EuGH auch diese mittelbaren Diskriminierungen EG-ausländischer Gesellschaften dem Verbotstatbestand der Art. 43 Abs. 1 S. 2, 48 Abs. 1 EG. In einem zweiten Schritt erörtert der EuGH die Frage, ob das von ihm aus der sekundären Niederlassungsfreiheit von Gesellschaften gefolgerte Verbot auch dann Geltung beansprucht, wenn eine EG-ausländische Gesellschaft – wie die Slenderose Ltd. – über die Zweigniederlassung ihre gesamte Geschäftstätigkeit ausübt, sich im Zweigniederlassungsstaat de facto also die Hauptniederlassung der Gesellschaft befindet. Hierzu führt er aus: „Was die Zweifel des nationalen Gerichts in bezug auf die Bedeutung der Tatsache angeht, daß die Gesellschaft englischen Rechts im Vereinigten Königreich offensichtlich keine Geschäftstätigkeit entfaltet, so ist darauf hinzuweisen, daß Art. 58 [Art. 48 EG] für die Anwendung der Bestimmungen über das Niederlassungsrecht von den Gesellschaften nur verlangt, daß sie nach den Rechtsvorschriften eines Mitgliedstaats gegründet sind und ihren satzungsmäßigen Sitz, ihre Hauptverwaltung oder ihre Hauptniederlassung innerhalb der Gemeinschaft haben. Sind diese Voraussetzungen erfüllt, so ist der Umstand, daß die Gesellschaft ihre Tätigkeit ausschließlich durch eine Agentur, Zweigniederlassung oder Tochtergesellschaft in einem anderen Mitgliedstaat ausübt, ohne Bedeutung.“151
Der Gerichtshof hält das aus den Art. 43 Abs. 1 S. 2, 48 Abs. 1 EG folgende Verbot der Diskriminierung von EG-ausländischen Gesellschaften und deren Personal gegenüber inländischen Gesellschaften und deren Personal somit auch dann für anwendbar, wenn erstere Gesellschaften ausschließlich im Zweigniederlassungsstaat geschäftliche Aktivitäten entfalten. Folgerichtig nimmt er eine Diskriminierung des Herrn Segers als Geschäftsführer der Slenderose Ltd. gegenüber Geschäftsführern inländischer Gesellschaften und damit auch eine (mittelbare) Diskriminierung der Slenderose Ltd. gegenüber inländischen Gesellschaften an.152
151 152
EuGH, ebd., S. 2388. EuGH, ebd., S. 2387 f.
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2. Teil: EG-rechtlicher Schutz der statutswahrenden Niederlassung
Das vom Gerichtshof nicht explizit aufgegriffene Vorbringen des Krankenversicherungsträgers – dem Generalanwalt Darmon in seinen Schlussanträgen entgegengetreten war153 –, dass die Bestimmungen über die Niederlassungsfreiheit vorliegend mangels grenzüberschreitenden Bezugs des Sachverhalts gar nicht anwendbar seien, da dieser einen niederländischen Staatsbürger betreffe, der in den Niederlanden wohne und dort seine gesamte Tätigkeit ausübe, wird von ihm damit implizit verworfen. In einem dritten Schritt wendet sich der EuGH der Frage einer möglichen Rechtfertigung der Diskriminierung zu. Der Krankenversicherungsträger hatte zur Rechtfertigung der Schlechterstellung eine Missbrauchsargumentation vorgebracht: Über die Gründung von Gesellschaften in anderen Mitgliedstaaten, die sich dann in den Niederlanden niederlassen und ausschließlich dort geschäftliche Aktivitäten entfalten, könnten die niederländischen Vorschriften über die Gesellschaftsgründung umgangen werden. Um Missbräuche dieser Art zu verhindern, müsse das Niederlassungsrecht begrenzt werden und es zulässig sein, solche Gesellschaften und deren Personal allgemein schlechter als inländische Gesellschaften und deren Personal zu stellen.154 Zur Rechtsmissbräuchlichkeit der Vorgehensweise des Herrn Segers hatte Generalanwalt Darmon in seinen Schlussanträgen Folgendes ausgeführt: „So paradox dieser Fall erscheinen mag, er ist die logische Folge der durch den EWG-Vertrag garantierten Rechte. Im übrigen dient er auch dem Zweck, zu dem die Niederlassungsfreiheit in den EWG-Vertrag aufgenommen worden ist: Begünstigung der Freizügigkeit und damit Verwirklichung eines gemeinsamen Marktes. Nutzt der Angehörige eines Mitgliedstaats die Nachgiebigkeit des britischen Gesellschaftsrechts aus und macht er sich die Anziehungskraft zunutze, die nach seinem Dafürhalten eine angelsächsisch klingende Bezeichnung auf die Kundschaft hat, dann liegt dies durchaus auf dieser Linie.“155
Der Gerichtshof führt zum Missbrauchsvorbringen – welches implizit auf der Annahme beruht, dass eine Geschäftstätigkeit, die ausschließlich dem niederländischen Markt dient, nur über und durch nach niederländischem Recht gegründete Gesellschaften ausgeübt werden soll – aus, dass die Bekämpfung betrügerischer Machenschaften unter bestimmten Umständen zwar eine ungleiche Behandlung von EG-ausländischen und inländischen Gesellschaften rechtfertigen könne.156 Ohne Begründung stellt er im Anschluss daran jedoch fest, dass die Weigerung, dem Geschäftsführer einer nach dem Recht eines anderen Mitglied153 GA Darmon, Schlussanträge in der Rs. 79/85 (D. H. M. Segers/Bestuur van de Bedrijfsvereniging voor Bank- en Verzekeringswezen, Groothandel en Vrije Beroepen), Slg. 1986, 2375 (2379). 154 GA Darmon, ebd., S. 2380. 155 GA Darmon, ebd., S. 2380 f. 156 EuGH, Rs. 79/85 (D. H. M. Segers/Bestuur van de Bedrijfsvereniging voor Bank- en Verzekeringswezen, Groothandel en Vrije Beroepen), Slg. 1986, 2375 (2388).
A. Sachlicher Schutzbereich der Art. 43 Abs. 1, 48 Abs. 1 EG
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staats gegründeten Gesellschaft eine Krankenversicherungsleistung zu gewähren, zur Bekämpfung betrügerischer Machenschaften keine geeignete Maßnahme sei.157 Da die Diskriminierung nach Ansicht des EuGH somit nicht gerechtfertigt ist, beantwortet er die Vorlagefrage dahingehend, dass Art. 43 EG und Art. 48 EG dahin auszulegen sind, dass sie es nicht zulassen, dass die zuständigen Stellen eines Mitgliedstaats dem Geschäftsführer einer Gesellschaft eine Leistung aufgrund einer nationalen Krankenversicherungsregelung nur aus dem Grund verweigern, dass die Gesellschaft nach den Rechtsvorschriften eines anderen Mitgliedstaats, in dem sie auch ihren Sitz hat, gegründet wurde, auch wenn sie dort keine Geschäftstätigkeiten entfaltet.158 cc) Analyse und Einordnung der Entscheidung Fraglich ist, ob sich der Segers-Entscheidung entnehmen lässt, ob der sachliche Schutzbereich der Niederlassungsfreiheit von Gesellschaften die transnationale Begründung des Hauptverwaltungssitzes innerhalb der Gemeinschaft unter Wahrung des Gründungsstatuts garantiert. Die Slenderose Ltd. hat, da sie im Vereinigten Königreich nie eine Geschäftstätigkeit entfaltete, mit der Aufnahme sämtlicher geschäftlicher Aktivitäten in den Niederlanden dort erstmalig ihren Hauptverwaltungssitz begründet. Da sowohl das Vereinigte Königreich als auch die Niederlande kollisionsrechtlich der Gründungstheorie folgten, das britische Sachrecht den Wegzug und das niederländische Sachrecht den Zuzug der Slenderose Ltd. gestattete, konnte sie ihren Hauptverwaltungssitz in den Niederlanden statutswahrend als britische Gesellschaft mit beschränkter Haftung begründen. Gerade dieser Umstand war jedoch auch der Anlass für die Schlechterstellung des Herrn Segers als Geschäftsführer der Slenderose Ltd. gegenüber Geschäftsführern inländischer Gesellschaften bei der Gewährung von Krankenversicherungsleistungen. Das Vorabentscheidungsersuchen zielte darauf ab, durch den Gerichtshof klären zu lassen, ob eben diese Schlechterstellung des leitenden Personals EG-ausländischer Gesellschaften, die im Zuzugsstaat statutswahrend ihren Hauptverwaltungssitz begründet haben, gegenüber dem leitenden Personal entsprechender inländischer Gesellschaften mit Art. 43 Abs. 1 EG und Art. 48 Abs. 1 EG vereinbar ist. Für die Beantwortung dieser Frage ist entscheidend, ob den Art. 43 Abs. 1, 48 Abs. 1 EG generell ein an den Zuzugsstaat gerichtetes Verbot des Inhalts entnommen werden kann, das leitende Personal von in anderen Mitgliedstaaten gegründeten Gesellschaften, die ihren Hauptverwaltungssitz in seinem Hoheits157 158
EuGH, ebd. EuGH, ebd., S. 2389.
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2. Teil: EG-rechtlicher Schutz der statutswahrenden Niederlassung
gebiet statutswahrend begründen, schlechter zu stellen als das leitende Personal von im Inland hauptniedergelassenen inländischen Gesellschaften. Denn nur, falls aus den Art. 43 Abs. 1, 48 Abs. 1 EG eine solche mitgliedstaatliche Verpflichtung resultiert, könnten die Niederlande durch die sozialversicherungsrechtliche Schlechterstellung des Herrn Segers als Geschäftsführer einer britischen Gesellschaft gegen diese Bestimmungen überhaupt verstoßen haben. Ein solches Verbot wiederum kann nur bestehen, wenn der sachliche Schutzbereich des Art. 43 Abs. 1 EG den durch Art. 48 Abs. 1 EG niederlassungsberechtigten Gesellschaften den statutswahrenden Zuzug in einen anderen Mitgliedstaat zu dem Zweck, dort erstmalig ihren Hauptverwaltungssitz zu begründen, garantiert. Denn nur, wenn sich aus dem sachlichen Schutzbereich der Niederlassungsfreiheit von Gesellschaften eine solche Gewährleistung ergibt, muss der Niederlassungsstaat auf die durch Art. 48 Abs. 1 EG berechtigten, nach den Rechtsvorschriften eines anderen Mitgliedstaats gegründeten Gesellschaften, die in seinem Hoheitsgebiet ihren Hauptverwaltungssitz begründen, ihr Gründungsstatut anwenden, und folgt aus der gleichheitsrechtlichen Dimension der Niederlassungsfreiheit das an den Zuzugsstaat gerichtete Verbot der Schlechterstellung dieser EG-ausländischen Gesellschaften gegenüber im Inland hauptniedergelassenen inländischen Gesellschaften. Ebenfalls lässt sich nur dann, wenn der sachliche Schutzbereich der Art. 43 Abs. 1, 48 Abs. 1 EG diese Form des Zuzugs gewährleistet – zur ergänzenden Absicherung dieser Garantie vor mittelbaren Diskriminierungen – aus der gleichheitsrechtlichen Dimension der Niederlassungsfreiheit ein Verbot der Schlechterstellung des leitenden Personals von im Zuzugsstaat statutswahrend hauptniedergelassenen EG-ausländischen Gesellschaften gegenüber dem leitenden Personal vergleichbarer inländischer Gesellschaften herleiten. Sollte den Art. 43 Abs. 1, 48 Abs. 1 EG diese Garantie zu entnehmen sein, hängt von der weiteren Frage, ob der sachliche Schutzbereich der Niederlassungsfreiheit Gesellschaften auch den komplementären statutswahrenden Wegzug aus dem Inkorporationsstaat gewährleistet, ab, ob die statutswahrende transnationale Begründung des Hauptverwaltungssitzes durch das Primärrecht umfassend geschützt wird, oder ob der Vertrag diese nur unter dem Vorbehalt garantiert, dass der betreffende Inkorporationsstaat den nach seinem Recht gegründeten Gesellschaften aufgrund seiner autonomen, d. h. primärrechtlich nicht determinierten Entscheidung, den Wegzug gestattet. Das britische Recht ermöglichte der Slenderose Ltd. ohne jedwede Beschränkung den Wegzug aus dem Vereinigten Königreich unter Wahrung ihres Statuts. Für die Beantwortung der Vorlagefrage war daher unerheblich, ob der Slenderose Ltd. eine entsprechende primärrechtliche Berechtigung zustand, oder ob ihr beschränkungsfreier Wegzug (lediglich) auf der freien Entscheidung des Vereinigten Königreichs beruhte.
A. Sachlicher Schutzbereich der Art. 43 Abs. 1, 48 Abs. 1 EG
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Da der Gerichtshof die Slenderose Ltd. zu den durch Art. 48 Abs. 1 EG niederlassungsberechtigten Gesellschaften zählte, war demgegenüber die Frage, ob der sachliche Schutzbereich des Art. 43 Abs. 1 EG diesen den statutswahrenden Zuzug in einen anderen Mitgliedstaat zu dem Zweck garantiert, dort ihren Hauptverwaltungssitz zu begründen, für die Beantwortung des Vorabentscheidungsersuchens präjudiziell. Denn die streitige niederländische Maßnahme konnte, wie gezeigt, nur auf der Grundlage dieser Auslegung des sachlichen Schutzbereichs der Art. 43 Abs. 1, 48 Abs. 1 EG als verbotener resp. dem Zuzugsstaat eine Rechtfertigungslast aufbürdender mittelbarer Eingriff in die Niederlassungsfreiheit der Slenderose Ltd. qualifiziert werden. Zum diesbezüglichen Gewährleistungsgehalt des sachlichen Schutzbereichs der Niederlassungsfreiheit von Gesellschaften hat der Gerichtshof in der SegersEntscheidung jedoch – trotz der soeben aufgezeigten Vorgreiflichkeit dieser Auslegungsfrage für die Beantwortung des Vorabentscheidungsersuchens – explizit keine Ausführungen gemacht. Aus seiner Feststellung, dass für die Geltung des Verbots der Schlechterstellung des Personals einer nach dem Recht eines anderen Mitgliedstaats gegründeten Gesellschaft gegenüber dem Personal einer inländischen Gesellschaft der Umstand, dass erstere „ihre Tätigkeit ausschließlich durch eine Agentur, Zweigniederlassung oder Tochtergesellschaft in einem anderen Mitgliedstaat [im Niederlassungsstaat] ausübt, ohne Bedeutung“159 ist, und daraus, dass er die streitige Maßnahme als – im Ergebnis sogar nicht gerechtfertigte – mittelbare Beeinträchtigung der sekundären Niederlassungsfreiheit der Slenderose Ltd. qualifiziert,160 folgt jedoch implizit, dass er den sachlichen Schutzbereich der Art. 43 Abs. 1 S. 2, 48 Abs. 1 EG dahin ausgelegt hat, dass dieser das in Rede stehende statutswahrende Zuzugsrecht garantiert: Denn, wie aufgezeigt, konnte die streitige Maßnahme nur auf der Grundlage dieser Auslegung des sachlichen Schutzbereichs der sekundären Niederlassungsfreiheit von Gesellschaften als eine rechtfertigungsbedürftige (mittelbare) Schutzbereichsbeeinträchtigung eingestuft werden. Ob der sachliche Schutzbereich der Art. 43 Abs. 1 S. 2, 48 Abs. 1 EG nach Ansicht des Gerichtshofs daneben auch das Recht zum statutswahrenden Wegzug aus dem Inkorporationsstaat zu dem Zweck verbürgt, in einem anderen Mitgliedstaat erstmalig den Hauptverwaltungssitz zu begründen, lässt sich der Segers-Entscheidung hingegen nicht entnehmen. Dies ist zunächst darauf zurückzuführen, dass der EuGH die Frage, ob die Art. 43 Abs. 1, 48 Abs. 1 EG ein statutswahrendes Wegzugsrecht garantieren oder die Ermöglichung des Wegzugs aus gemeinschaftsrechtlicher Sicht im freien Ermessen des jeweiligen Inkorporationsstaats steht, aus folgenden Grün159 EuGH, Rs. 79/85 (D. H. M. Segers/Bestuur van de Bedrijfsvereniging voor Banken Verzekeringswezen, Groothandel en Vrije Beroepen), Slg. 1986, 2375 (2388). 160 EuGH, ebd., S. 2388 f.
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2. Teil: EG-rechtlicher Schutz der statutswahrenden Niederlassung
den offen lassen konnte und dementsprechend auch offen gelassen hat: Zum einen hatte der Centrale Raad van Beroep kein dahingehendes Ersuchen um Vorabentscheidung gestellt. Zum anderen hätte diese Frage als Vorfrage zur Beantwortung des gestellten Ersuchens, wie gezeigt, allenfalls dann einer Klärung zugeführt werden müssen, wenn das Vereinigte Königreich den Wegzug der Slenderose Ltd. beschränkt hätte, was jedoch gerade nicht der Fall war. Ferner hat der Europäische Gerichtshof seine für den Ausgang des Verfahrens entscheidende Feststellung,161 dass das aus der sekundären Niederlassungsfreiheit folgende Verbot der Diskriminierung des Personals EG-ausländischer Gesellschaften auch dann Geltung beansprucht, wenn diese ihren Hauptverwaltungssitz statutswahrend in einem anderen Mitgliedstaat errichten,162 nicht begründet. Damit entfällt auch die etwaige Möglichkeit, aus einer Begründung dieser Feststellung Schlussfolgerungen in Bezug auf die Frage zu ziehen, welchen Rechtsstandpunkt der EuGH hinsichtlich der Existenz des in Rede stehenden Wegzugsrechts vertritt. Zwar mag es – insbesondere um die praktische Wirksamkeit des statutswahrenden Zuzugsrechts sicherzustellen – nahe liegen, die Entscheidung dahin zu interpretieren, dass der EuGH das komplementäre Wegzugsrecht durch die Art. 43 Abs. 1, 48 Abs. 1 EG ebenfalls als verbürgt angesehen hat. Dennoch wäre eine dahingehende Deutung der Segers-Entscheidung aus den zuvor aufgezeigten Gründen spekulativ. Festzuhalten bleibt somit, dass der Europäische Gerichtshof in seinem SegersJudikat implizit entschieden hat, dass der sachliche Schutzbereich der sekundären Niederlassungsfreiheit den durch Art. 48 Abs. 1 EG berechtigten Gesellschaften den Zuzug in einen anderen Mitgliedstaat zu dem Zweck, dort ihren Hauptverwaltungssitz zu begründen, unter Wahrung ihres Statuts gewährleistet. Offen bleibt hingegen, ob dieses Zuzugsrecht nach Ansicht des EuGH mit einem entsprechenden Wegzugsrecht korrespondiert, und damit die Frage, ob die statutswahrende transnationale Begründung des effektiven Verwaltungssitzes durch die Art. 43 Abs. 1, 48 Abs. 1 EG innerhalb der Gemeinschaft umfassend, oder lediglich partiell – hinsichtlich des Zuzugs – garantiert wird. Auf das vom Gerichtshof in der Segers-Entscheidung implizit anerkannte Zuzugsrecht der durch Art. 48 Abs. 1 EG niederlassungsberechtigten Gesellschaften beruft sich dreizehn Jahre später die Centros Ltd. in dem gleichnamigen Vorabentscheidungsverfahren:
161 Entscheidend deshalb, weil der EuGH ohne sie nicht zu dem Ergebnis hätte gelangen können, dass die niederländische Maßnahme mit den Art. 43, 48 EG unvereinbar ist. 162 EuGH, Rs. 79/85 (D. H. M. Segers/Bestuur van de Bedrijfsvereniging voor Banken Verzekeringswezen, Groothandel en Vrije Beroepen), Slg. 1986, 2375 (2388).
A. Sachlicher Schutzbereich der Art. 43 Abs. 1, 48 Abs. 1 EG
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b) Das Urteil „Centros Ltd.“ aa) Der Sachverhalt Die Centros Ltd. – wie die Slenderose Ltd. eine private limited company by shares – wurde im Mai 1992 nach dem Recht von England und Wales gegründet und in das dortige Gesellschaftsregister eingetragen. Da das Recht des Vereinigten Königreichs für private limited companies by shares keine obligatorische Mindestkapitalziffer vorsieht, sondern ihre Bestimmung zur freien Disposition der Gründungsgesellschafter stellt,163 und auch die Einzahlung des von diesen vereinbarten Mindeststammkapitals nicht vorschreibt,164 wurde das vertraglich auf £ 100 (ca. 200 EUR) festgelegte Mindestgesellschaftskapital der Centros Ltd. weder in die Gesellschaft einbezahlt, noch zu deren Verwendung individualisiert. Das Kapital zerfällt in zwei Anteile, deren Eigentümer die Eheleute Bryde, in Dänemark ansässige dänische Staatsangehörige, sind. Frau Bryde ist die einzige Direktorin der Centros Ltd., deren Satzungssitz sich im Vereinigten Königreich, an der Adresse eines Freundes von Herrn Bryde, befindet. Im Sommer 1992 beantragte Frau Bryde bei der dafür zuständigen Zentralverwaltung für Handel und Gesellschaften die Eintragung einer Zweigniederlassung der Centros Ltd. in Dänemark, welche nach dänischem Recht zwingende Voraussetzung dafür ist, dass EG-ausländische Gesellschaften mit beschränkter Haftung über eine Zweigniederlassung in Dänemark geschäftlich tätig werden dürfen.165 Obwohl das dänische Internationale Gesellschaftsrecht das Personalstatut von Kapitalgesellschaften anhand des Gründungsorts bestimmt166 und die Centros Ltd. daher hinsichtlich ihrer gesellschaftsrechtlichen Rechtsverhältnisse in Dänemark dem Gründungsrecht unterstellt und somit insbesondere ihre Rechtsfähigkeit als britische Gesellschaft mit beschränkter Haftung anerkannt wurde, verweigerte die Zentralverwaltung die Eintragung einer Zweigniederlassung der Centros Ltd. in das Register. Zur Begründung führte sie unter anderem an, die Centros Ltd. – die seit ihrer Gründung keine Geschäftstätigkeit im Vereinigten Königreich entfaltet hat – beabsichtige unter Umgehung der nationalen Vorschriften insbesondere über die Einzahlung eines Mindestgesellschaftskapitals in Höhe von 200.000 DKR (ca. 25.000 EUR), in Dänemark nicht eine Zweigniederlassung, sondern ihren Hauptverwaltungssitz zu begründen. In dem von der Centros Ltd. 163 Behrens (Fn. 16), GB/NI/EI 44; Triebel/Hodgson/Kellenter/Müller (Fn. 15), Rn. 638; Davies/Prentice (Fn. 15), S. 238; Fleischer, DStR 2000, 1015 (1016). 164 Behrens, ebd.; Davies/Prentice, ebd.; Fleischer, ebd. 165 Carsten, in: Behrens (Hrsg.), Die Gesellschaft mit beschränkter Haftung im internationalen und europäischen Recht, 2. Aufl. 1997, DK 54; Kindler, NJW 1999, 1993; Kiem, in: Gesellschaftsrechtliche Vereinigung (Hrsg.), Gesellschaftsrecht in der Diskussion, Bd. II, 1999, S. 199 (202). 166 Andersen/Sørensen, Maastricht Journal of European and Comparative Law 6 (1999) 47 (56) m. w. N. aus der dänischen Literatur. Siehe auch Carsten, ebd., DK 49.
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gegen diesen ablehnenden Bescheid angestrengten Rechtsstreit wollte Herr Bryde in der Beweisaufnahme zwar nicht direkt zugestehen, dass die Centros Ltd. zur Umgehung des dänischen GmbH-Rechts im Vereinigten Königreich gegründet worden sei, gab aber an, es sei einfacher £ 100 aufzubringen, als 200.000 DKR.167 Das erstinstanzliche Gericht (der Østre Landsret) folgte dem Vorbringen der Zentralverwaltung. Demgemäß unterlag die Centros Ltd. in dem Rechtsstreit, legte gegen das Urteil des Østre Landsret aber Rechtsmittel ein. Im Rahmen dieses Verfahrens machte sie geltend, dass sich aus der Segers-Entscheidung des EuGH ergebe, dass Art. 43 EG und Art. 48 EG ihr das Recht einräumen, sich in Dänemark in der von ihr beabsichtigten Form niederzulassen. Das Rechtsmittelgericht (das Højesteret) hatte Zweifel an der Vereinbarkeit der Verweigerung der Eintragung einer Zweigniederlassung der Centros Ltd. in das dänische Register mit der Niederlassungsfreiheit von Unionsbürgern und Gesellschaften. Es ersuchte den EuGH daher um Vorabentscheidung der Frage, ob es mit Art. 43 i.V. m. Art. 46 und Art. 48 EG vereinbar sei, die Eintragung einer Zweigniederlassung einer Gesellschaft abzulehnen, die ihren (Satzungs-)Sitz in einem anderen Mitgliedstaat habe und mit einem Gesellschaftskapital von £ 100 nach dem Recht dieses Mitgliedstaats rechtmäßig errichtet worden sei und bestehe, wenn die Gesellschaft selbst keine Geschäftstätigkeit betreibe, die Zweigniederlassung aber in der Absicht errichtet werde, die gesamte Geschäftstätigkeit in dem Land zu betreiben, in dem die Zweigniederlassung errichtet werde, und wenn davon auszugehen sei, dass dieses Vorgehen statt der Errichtung einer Gesellschaft in dem letztgenannten Mitgliedstaat gewählt wurde, um die Einzahlung eines Mindestgesellschaftskapitals von 200.000 DKR zu vermeiden. bb) Die Entscheidungsgründe Der Gerichtshof beginnt seine Ausführungen mit der Prüfung der Anwendbarkeit der Art. 43 Abs. 1 und 48 Abs. 1 EG im Ausgangsfall. Diese wurde von der dänischen Regierung mit der Begründung bestritten, dass es sich bei dem Sachverhalt des Ausgangsverfahrens um eine rein interne dänische Situation handele, da er dänische Staatsangehörige betreffe, die ausschließlich in Dänemark Geschäftstätigkeiten über eine Gesellschaft ausüben wollten. Der Umstand allein, dass hierfür eine in einem anderen Mitgliedstaat gegründete und nicht eine dänische Gesellschaft verwendet werden solle, sei nicht geeignet, einen gemeinschaftsrechtlich erheblichen grenzüberschreitenden Bezug des ansonsten rein internen dänischen Sachverhalts herzustellen. Dieses Vorbringen verwirft der Europäische Gerichtshof. Eine Sachlage, in der eine nach dem Recht eines Mitgliedstaats gegründete Gesellschaft eine Zweigniederlassung in einem anderen Mitgliedstaat gründen wolle, falle unter das Gemeinschaftsrecht. Dass die 167
Siehe Andersen/Sørensen, ebd., S. 60.
A. Sachlicher Schutzbereich der Art. 43 Abs. 1, 48 Abs. 1 EG
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Gesellschaft im ersten Mitgliedstaat nur errichtet wurde, um sich in dem zweiten Mitgliedstaat niederzulassen, in dem die Geschäftstätigkeit im Wesentlichen oder ausschließlich ausgeübt werden solle, sei dabei – wie in der Segers-Entscheidung festgestellt – ohne Bedeutung.168 Der EuGH leitet das Vorliegen eines gemeinschaftsrechtlich erheblichen grenzüberschreitenden Sachverhalts daraus ab, dass die in Rede stehenden Verhaltensweisen des Ehepaars Bryde und der Centros Ltd. durch die den Unionsbürgern und Gesellschaften gewährte Niederlassungsfreiheit geschützt seien. Diese Auslegung der sachlichen Schutzbereiche des Art. 43 Abs. 1 EG und der Art. 43 Abs. 1, 48 Abs. 1 EG begründet er mit einer formalen, am Wortlaut dieser Vorschriften orientierten Auslegung. Mit der Wiedergabe des leicht abgewandelten Wortlauts der in Art. 43 Abs. 2 EG enthaltenen Schutzbereichsumschreibung der Niederlassungsfreiheit erinnert er zunächst daran, dass den Staatsangehörigen der Mitgliedstaaten unter anderem das Recht zur Gründung und Leitung von Gesellschaften in anderen Mitgliedstaaten zustehe. Sodann weist er daraufhin, dass über die in Art. 48 Abs. 1 EG enthaltene Gleichstellung der dort genannten Gesellschaften mit den Unionsbürgern auch erstere in den persönlichen Schutzbereich der Niederlassungsfreiheit einbezogen werden. Daraus folge unmittelbar, dass diese Gesellschaften berechtigt seien, ihre Tätigkeit in einem anderen Mitgliedstaat durch eine Agentur, Zweigniederlassung oder Tochtergesellschaft auszuüben.169 Die Anwendbarkeit des Art. 43 EG und Art. 48 EG im Ausgangsverfahren wurde von der Zentralverwaltung und der dänischen Regierung zudem mit der Argumentation bestritten, dass die vom Ehepaar Bryde beabsichtigte gesellschaftsrechtliche Konstruktion einzig den Zweck verfolge, die Anwendung des dänischen Rechts über die Errichtung von Gesellschaften mit beschränkter Haftung zu umgehen. Infolgedessen sei die Berufung auf diese Bestimmungen missbräuchlich und ihre Anwendung daher ausgeschlossen. Diesem Vorbringen entgegnet der Gerichtshof, dass der Umstand, dass die Eheleute Bryde die Centros Ltd. im Vereinigten Königreich zu dem Zweck gegründet hätten, das dänische Recht über die Einzahlung eines Mindestgesellschaftskapitals zu umgehen, nichts daran ändere, dass die Gründung einer Zweigniederlassung in Dänemark durch diese britische Gesellschaft unter die Niederlassungsfreiheit im Sinne des Art. 43 EG und Art. 48 EG falle. Zur Begründung führt er aus, dass die Frage der Anwendung dieser Bestimmungen von der Frage getrennt werden müsse, welche Maßnahmen ein Mitgliedstaat ergreifen könne, um zu verhindern, dass sich einige seiner eigenen Staatsangehörigen unter Missbrauch der durch den EG-Vertrag geschaffenen Erleichterungen der Anwendung des nationalen Rechts entzie168 EuGH, Rs. C-212/97 (Centros Ltd./Erhvervs- og Selskabsstyrelsen), Slg. 1999, I-1459 (1490). 169 EuGH, ebd., S. 1491.
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hen. Der Umgehungseinwand betreffe nicht die Schutzbereichs- sondern die Rechtfertigungsebene.170 Das Vorliegen einer Beschränkung der sekundären Niederlassungsfreiheit von Gesellschaften bejaht der EuGH mit der kurzen Feststellung, dass die Weigerung eines Mitgliedstaats, die Zweigniederlassung einer Gesellschaft einzutragen, die ihren Sitz in einem anderen Mitgliedstaat habe, diese an der Wahrnehmung ihres Niederlassungsrechts aus Art. 43 EG und Art. 48 EG hindere.171 Sodann setzt sich der EuGH mit dem hilfsweisen Vorbringen der Beklagten des Ausgangsverfahrens auseinander, dass ihr Vorgehen – sofern es den Schutzbereich des Art. 43 Abs. 1 EG und/oder der Art. 43 Abs. 1, 48 Abs. 1 EG beeinträchtige – gerechtfertigt sei. Entsprechend seiner Verortung des Missbrauchseinwands auf der Rechtfertigungsebene, untersucht er nunmehr, ob dieser von der Zentralverwaltung vorgebrachte Einwand die Verweigerung der Eintragung einer Zweigniederlassung der Centros Ltd. in das dänische Register zu rechtfertigen vermag. Der Europäische Gerichtshof merkt an, das Vorbringen der Beklagten des Ausgangsverfahrens treffe insoweit zu, als dass ein Mitgliedstaat berechtigt sei, Maßnahmen zu treffen, die verhindern sollen, dass sich einige seiner eigenen Staatsangehörigen unter Missbrauch der durch den EG-Vertrag geschaffenen Möglichkeiten der Anwendung des nationalen Rechts entziehen. In diesen Fällen könnten die Mitgliedstaaten den Betroffenen die Berufung auf das Gemeinschaftsrecht verwehren. Entscheidend für die Bewertung einer Berufung auf eine Gemeinschaftsbestimmung, die zu einem Sich-Entziehen vor der Anwendung nationalen Rechts führt, als missbräuchlich sei, ob die Berufung auf die fragliche Bestimmung im Einzelfall ihrem Telos zuwiderlaufe.172 Auch Generalanwalt La Pergola hat diese Vorgehensweise in seinen Schlussanträgen zur Ermittlung eines Missbrauchs einer Gemeinschaftsbestimmung vorgeschlagen, indem er dort prägnant feststellte: „. . . die Problematik des Mißbrauchs [mündet] letztlich in eine Definition der inhaltlichen Tragweite der subjektiven Rechtsposition und damit des Bereichs der Befugnisse . . . die dem Inhaber zugestanden werden. Die Prüfung, ob die konkrete Ausübung mißbräuchlich ist oder nicht, bedeutet mit anderen Worten nichts anderes, als die inhaltliche Tragweite des Rechts selbst zu ermitteln.“173
Der Missbrauch eines gemeinschaftsrechtlich gewährten subjektiven Rechts wird folglich als die Überschreitung der – durch teleologische Auslegung zu ermittelnden – Befugnisse, die dieses Recht ihrem Inhaber einräumt, definiert.
170
EuGH, ebd. EuGH, ebd., S. 1492. 172 EuGH, ebd., S. 1493. 173 GA La Pergola, Schlussanträge in der Rs. C-212/97 (Centros Ltd./Erhvervs- og Selskabsstyrelsen), Slg. 1999, I-1459 (1477). 171
A. Sachlicher Schutzbereich der Art. 43 Abs. 1, 48 Abs. 1 EG
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Um festzustellen, ob sich das Verhalten der Eheleute Bryde und der Centros Ltd. – das die Umgehung des dänischen Gesellschaftsrechts bezweckt – als legitime Ausübung der ihnen durch den Vertrag eingeräumten Befugnisse oder als deren Überschreitung darstellt, legt der EuGH daher die von ihm als einschlägig erachtete und für unmittelbar anwendbar gehaltene primäre Niederlassungsfreiheit von Gemeinschaftsangehörigen und sekundäre Niederlassungsfreiheit von Gesellschaften teleologisch aus. Zum Inhalt des sachlichen Schutzbereichs der primären Niederlassungsfreiheit der Unionsbürger stellt er dabei fest: „Damit kann es für sich allein keine mißbräuchliche Ausnutzung des Niederlassungsrechts darstellen, wenn ein Staatsangehöriger eines Mitgliedstaats, der eine Gesellschaft gründen möchte, diese in dem Mitgliedstaat errichtet, dessen gesellschaftsrechtliche Vorschriften ihm die größte Freiheit lassen, und in anderen Mitgliedstaaten Zweigniederlassungen gründet. Das Recht, eine Gesellschaft nach dem Recht eines Mitgliedstaats zu errichten und in anderen Mitgliedstaaten Zweigniederlassungen zu gründen, folgt nämlich im Binnenmarkt unmittelbar aus der vom EG-Vertrag gewährleisteten Niederlassungsfreiheit. Dabei ist unerheblich, daß das Gesellschaftsrecht in der Gemeinschaft nicht voll harmonisiert worden ist . . .“174
Die Gründung einer Gesellschaft im Vereinigten Königreich durch das Ehepaar Bryde, um mittels dieser ausschließlich in Dänemark geschäftliche Aktivitäten zu entfalten, wird vom Gerichtshof somit als legitime Ausübung der ihnen durch Art. 43 Abs. 1 S. 1 EG eingeräumten Befugnisse, und damit als nicht missbräuchlich qualifiziert. Außer dem knappen Verweis auf das Binnenmarktziel gibt er hierfür jedoch keine Begründung. Zum Telos des sachlichen Schutzbereichs der sekundären Niederlassungsfreiheit von Gesellschaften führt der EuGH aus: „Ziel der Vertragsvorschriften über die Niederlassungsfreiheit ist es jedoch gerade, es den nach dem Recht eines Mitgliedstaats errichteten Gesellschaften, die ihren satzungsmäßigen Sitz, ihre Hauptverwaltung oder ihre Hauptniederlassung innerhalb der Gemeinschaft haben, zu erlauben, mittels einer Agentur, Zweigniederlassung oder Tochtergesellschaft in anderen Mitgliedstaaten tätig zu werden. . . . Daß eine Gesellschaft in dem Mitgliedstaat, in dem sie ihren Sitz hat, keine Geschäftstätigkeiten entfaltet und ihre Tätigkeiten ausschließlich im Mitgliedstaat ihrer Zweigniederlassung ausübt, belegt zudem nach Randnummer 16 des Urteils Segers noch kein mißbräuchliches und betrügerisches Verhalten, das es dem letztgenannten Mitgliedstaat erlauben würde, auf diese Gesellschaft die Gemeinschaftsvorschriften über das Niederlassungsrecht nicht anzuwenden.“175
Da der EuGH somit auch die von der Centros Ltd. beabsichtigte Errichtung einer Zweigniederlassung in Dänemark – über die de facto sämtliche ihrer ge174 EuGH, Rs. C-212/97 (Centros Ltd./Erhvervs- og Selskabsstyrelsen), Slg. 1999, I-1459 (1493). 175 EuGH, ebd., S. 1493 f.
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schäftlichen Aktivitäten abgewickelt werden sollen – als legitime Ausübung der sekundären Niederlassungsfreiheit von Gesellschaften wertet, lehnt er eine Rechtfertigung der streitigen dänischen Maßnahme unter dem Gesichtspunkt des Rechtsmissbrauchs ab.176 Als Ersatz für eine inhaltliche Begründung dient ihm dabei der Verweis auf das Segers-Urteil, in dem der Gerichtshof allerdings ebenfalls auf eine Begründung der in Bezug genommenen Feststellung verzichtet hat. Zuletzt geht der Gerichtshof auf die geschriebenen und ungeschriebenen Schranken der Niederlassungsfreiheit ein. Bis zu diesem Punkt entspricht die Entscheidung dem üblichen Vorgehen des Europäischen Gerichtshofs bei der Prüfung der Vereinbarkeit einer nationalen Maßnahme mit den Grundfreiheiten, scheint dann aber kurzzeitig eine überraschende Wendung zu nehmen. Denn anstatt auf der Rechtfertigungsebene nun die Frage zu erörtern, ob die Verweigerung der Eintragung einer Zweigniederlassung der Centros Ltd. in das dänische Register eine vertragskonforme Konkretisierung der geschriebenen oder ungeschriebenen Schranken der Niederlassungsfreiheit darstellt, problematisiert er, ob einerseits das Ziel, alle öffentlichen und privaten Gesellschaftsgläubiger vor der Gefahr eines betrügerischen Bankrotts von Gesellschaften mit unzureichendem Anfangskapital zu schützen, und andererseits das Ziel, öffentliche Gläubiger vor der Gefahr der Uneinbringlichkeit öffentlicher Forderungen zu schützen, eine Verpflichtung von Gesellschaften mit beschränkter Haftung zur Einzahlung eines Mindestgesellschaftskapitals rechtfertigt.177 Zwar hatte die Beklagte des Ausgangsverfahrens die Eintragung der Zweigniederlassung der Centros Ltd. mit der Begründung verweigert, durch das Vorgehen der Eheleute Bryde und der Centros Ltd. würden die dänischen Vorschriften über das Mindeststammkapital umgangen. Dennoch erscheint die soeben dargestellte Vorgehensweise des EuGH ungewöhnlich, da das Højesteret den Gerichtshof um Vorabentscheidung darüber ersucht hatte, ob das Vorgehen der Zentralverwaltung mit dem EG-Vertrag vereinbar sei, und die Zentralverwaltung – im Gegensatz zur Kommission178 – gerade den Standpunkt vertrat, die Eintragung der Zweigniederlassung solcher EG-ausländischen Gesellschaften mit beschränkter Haftung in das dänische Register dürfe zulässigerweise gerade nicht nur an die Bedingung geknüpft werden, dass sie das für dänische Gesellschaften mit beschränkter Haftung vorgeschriebene Mindeststammkapital einzahlen, sondern dass die Eintragung von Zweigniederlassungen solcher Gesellschaften, wegen des Versuchs der Umgehung nationalen Rechts, legitimerweise rundweg abgelehnt werden dürfe.179 176
EuGH, ebd., S. 1494. EuGH, ebd., S. 1494 f. 178 GA La Pergola, Schlussanträge in der Rs. C-212/97 (Centros Ltd./Erhvervs- og Selskabsstyrelsen), Slg. 1999, I-1459 (1467). 179 Vgl. GA La Pergola, ebd., S. 1467, 1482 f. 177
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Die Vorgehensweise des EuGH erklärt sich wie folgt. Ordnet das dänische Recht an, dass EG-ausländischen Gesellschaften mit beschränkter Haftung die Eintragung von Zweigniederlassungen zu verweigern ist, sofern sie über diese ausschließlich in Dänemark geschäftlich tätig werden wollen, bedeutet dies nichts anderes, als dass die Ausübung unternehmerischer Tätigkeiten, die ausschließlich dem dänischen Markt gelten, nicht nach ausländischem Recht, sondern nur nach dänischem Recht gegründeten Gesellschaften mit beschränkter Haftung erlaubt ist. Sofern Unionsbürger über Gesellschaften mit beschränkter Haftung ausschließlich in Dänemark geschäftlich tätig werden wollen, müssen sie folglich dänische Gesellschaften mit beschränkter Haftung verwenden, was zur Folge hat, dass die dänischen Mindestkapitalvorschriften zwingend eingehalten werden müssen. Die Verweigerung der Eintragung von Zweigniederlassungen EG-ausländischer Gesellschaften dient in der in Rede stehenden Konstellation somit dazu, die zwingende Geltung des dänischen GmbH-Rechts und damit auch der dänischen Mindestkapitalvorschriften durchzusetzen. Nach der dem Centros-Verfahren zugrunde liegenden dänischen Rechtslage bestand die einzige Möglichkeit des Ehepaars Bryde, über eine Gesellschaft mit beschränkter Haftung ausschließlich in Dänemark tätig zu werden somit darin, sich einer dänischen Gesellschaft mit beschränkter Haftung zu bedienen, die über das nach dänischem Recht vorgeschriebene Mindestkapital verfügt. Indem der EuGH die Rechtfertigungsprüfung damit beginnt, ob die zwingende Geltung der dänischen Mindestkapitalvorschriften eine gerechtfertigte Beeinträchtigung der Niederlassungsfreiheit darstellt, umschreibt er die auf ihre Rechtfertigung hin zu prüfende Verweigerung der Eintragung der Zweigniederlassung somit lediglich anders, und unterzieht nicht, wie es zunächst scheint, eine andere Maßnahme – Eintragung der Zweigniederlassung nur unter der Voraussetzung, dass die dänischen Mindestkapitalvorschriften erfüllt werden – einem Rechtfertigungstest. Dies zeigt sich auch daran, dass der Gerichtshof, nachdem er in einem Obersatz die Voraussetzungen aufgezählt hat, die nach ständiger Rechtsprechung zur Rechtfertigung einer mitgliedstaatlichen Maßnahme durch zwingende Erfordernisse erfüllt sein müssen, auf der Subsumtionsebene untersucht, ob mit der Verweigerung der Eintragung einer Zweigniederlassung der Centros Ltd. in das dänische Register die von ihm eingangs genannten Ziele in verhältnismäßiger Weise verfolgt werden.180 Zur Erreichung des Ziels, einen allgemeinen Schutz der Gläubiger von Gesellschaften vor deren Insolvenz sicherzustellen, sei die Verweigerung der Eintragung einer Zweigniederlassung der Centros Ltd. bereits nicht geeignet, da diese in Dänemark eingetragen worden wäre, wenn die Gesellschaft eine – auch nur geringfügige – Geschäftstätigkeit im Vereinigten Königreich ausgeübt hätte, 180 EuGH, Rs. C-212/97 (Centros Ltd./Erhvervs- og Selskabsstyrelsen), Slg. 1999, I-1459 (1495 f.).
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obwohl die dänischen Gläubiger in diesem Fall ebenso gefährdet gewesen wären.181 Ferner merkt der EuGH an, dass die Centros Ltd. als Gesellschaft englischen Rechts und nicht als Gesellschaft dänischen Rechts auftrete. Daher sei den Gläubigern bekannt, dass sie nicht dem dänischen Recht über die Errichtung von Gesellschaften mit beschränkter Haftung unterliege. Die Gläubiger könnten sich zudem auf bestimmte gemeinschaftsrechtliche Schutzvorschriften wie die Jahresabschlussrichtlinie182 und die Zweigniederlassungsrichtlinie183 berufen.184 Das Auftreten der Centros Ltd. als englische Gesellschaft mit beschränkter Haftung und die genannten sekundärrechtlichen Publizitätsvorschriften hält der EuGH gegenüber der umfassenden Verweigerung der Eintragung der Zweigniederlassung für die milderen, und zur Sicherstellung des Gläubigerschutzes gleich geeigneten Mittel. Damit verneint der Gerichtshof nicht nur die Geeignetheit, sondern auch die Erforderlichkeit des dänischen Vorgehens zum Schutz der Gläubiger von Gesellschaften vor deren Insolvenz. Auch im Hinblick auf die Verfolgung des Ziels des Schutzes der öffentlichen Gläubiger hält das Vorgehen der Zentralverwaltung der Verhältnismäßigkeitsprüfung des EuGH nicht stand. Zwar ermöglicht das dänische Recht öffentlichen – anders als privaten – Gläubigern nicht, ihre Forderungen durch eine Sicherheit oder Bürgschaft zu sichern. Milderes Mittel als die Verweigerung der Eintragung der Zweigniederlassung, aber gleich effektiv zur Sicherstellung des Schutzes öffentlicher Gläubiger vor der Uneinbringlichkeit ihrer Forderungen, sei aber, dass sie rechtlich die Möglichkeit erhalten, sich die erforderlichen Sicherheiten einräumen zu lassen.185 Da der EuGH die Verweigerung der Eintragung der Zweigniederlassung somit auch zum Schutz der öffentlichen Gläubiger nicht für erforderlich und damit für unverhältnismäßig hält, gelangt er schließlich zu dem Ergebnis, dass das dänische Vorgehen gegen die Art. 43, 48 EG verstößt.186 In einem obiter dictum führt der Europäische Gerichtshof zuvor allerdings noch aus, dass ein Mitgliedstaat zwar nicht die Eintragung der Zweigniederlassung einer nach dem Recht eines anderen Mitgliedstaats gegründeten Gesellschaft, in dem sie (nur) ihren (statutarischen) Sitz habe, verweigern könne, er 181
EuGH, ebd., S. 1495. Vierte Richtlinie 78/660/EWG des Rates v. 25.7.1978 aufgrund von Artikel 54 Abs. 3 Buchstabe g) des Vertrags über den Jahresabschluss von Gesellschaften bestimmter Rechtsformen, ABl. Nr. L 222 v. 14.8.1978, S. 11 ff. 183 Elfte Richtlinie 89/666/EWG des Rates v. 21.12.1989 über die Offenlegung von Zweigniederlassungen, die in einem Mitgliedstaat von Gesellschaften bestimmter Rechtsformen errichtet wurden, die dem Recht eines anderen Staates unterliegen, ABl. Nr. L 395 v. 30.12.1989, S. 36 ff. 184 EuGH, Rs. C-212/97 (Centros Ltd./Erhvervs- og Selskabsstyrelsen), Slg. 1999, I-1459 (1495). 185 EuGH, ebd., S. 1496. 186 EuGH, ebd. 182
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aber doch alle geeigneten Maßnahmen treffen könne, um Betrügereien zu verhindern oder zu verfolgen. Dies gelte sowohl – ggf. im Zusammenwirken mit dem Mitgliedstaat, in dem sie errichtet wurde – gegenüber der Gesellschaft selbst als auch gegenüber ihren Gesellschaftern, wenn diese sich mittels der Errichtung der Gesellschaft ihren Verpflichtungen gegenüber inländischen privaten oder öffentlichen Gläubigern entziehen möchten.187 cc) Analyse und Einordnung der Entscheidung Fraglich ist, ob sich der Centros-Entscheidung dezidiertere Aussagen des Europäischen Gerichtshofs zum Inhalt des sachlichen Schutzbereichs der Niederlassungsfreiheit von Gesellschaften entnehmen lassen als dem Segers-Urteil. Die den Vorabentscheidungsverfahren Segers und Centros zugrunde liegenden Ausgangsfälle betrafen Sachverhalte, in denen Unionsbürger Gesellschaften mit beschränkter Haftung in einem Mitgliedstaat allein zu dem Zweck gründeten, über diese ausschließlich in ihren Herkunftsmitgliedstaaten geschäftliche Aktivitäten auszuüben. In Vollzug dieses Vorhabens ihrer Gesellschafter hatte die britische Slenderose Ltd. ihren effektiven Verwaltungssitz – als Zweigniederlassung deklariert – statutswahrend in einem anderen Mitgliedstaat begründet. Gleiches beabsichtigte die Centros Ltd. Während die Niederlande der Slenderose Ltd. den statutswahrenden Zuzug ermöglichten und sie (lediglich) bei der Ausübung ihrer unternehmerischen Tätigkeiten punktuell schlechter stellten als vergleichbare inländische Gesellschaften, verweigerte die Zentralverwaltung der britischen Centros Ltd. demgegenüber bereits, ihren effektiven Verwaltungssitz überhaupt in Dänemark statutswahrend zu begründen. Die Vorlagefrage des Højesteret zielte darauf ab, durch den EuGH klären zu lassen, ob eben diese Weigerung eines Mitgliedstaats, einer nach dem Recht eines anderen Mitgliedstaats rechtmäßig errichteten Gesellschaft zu ermöglichen, ihren Hauptverwaltungssitz statutswahrend in seinem Gebiet zu begründen, mit dem EG-Vertrag vereinbar ist, wenn mittels dieser gesellschaftsrechtlichen Konstruktion ausschließlich die Umgehung des Gesellschaftsrechts ersteren Mitgliedstaats bezweckt wird. Das britische Recht ermöglichte der Centros Ltd. ohne jedwede Beschränkung den Wegzug unter Wahrung ihres Statuts. Für die Beantwortung der Vorlagefrage war daher unerheblich, ob das Vereinigte Königreich primärrechtlich zur Ermöglichung des statutswahrenden Wegzugs der nach seinem Recht gegründeten Gesellschaften verpflichtet war – und die Gestattung des statutswahrenden Wegzugs der Centros Ltd. in Erfüllung dieser Verpflichtung erfolgte –, oder ob das Vereinigte Königreich der Centros Ltd. den Wegzug aufgrund sei187
EuGH, ebd.
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2. Teil: EG-rechtlicher Schutz der statutswahrenden Niederlassung
ner autonomen, d. h. primärrechtlich nicht determinierten Entscheidung erlaubte. Da die Centros Ltd. nach Ansicht des EuGH die in Art. 48 Abs. 1 EG normierten Gleichstellungsvoraussetzungen erfüllte, war für die Beantwortung des Ersuchens hingegen entscheidend, ob der sachliche Schutzbereich der Niederlassungsfreiheit die Mitgliedstaaten dazu verpflichtet, einer die Gleichstellungsvoraussetzungen des Art. 48 Abs. 1 EG erfüllenden EG-ausländischen Gesellschaft zu ermöglichen, ihren Hauptverwaltungssitz statutswahrend in ihren Hoheitsgebieten zu begründen. Denn nur, falls aus den Art. 43 Abs. 1, 48 Abs. 1 EG eine entsprechende mitgliedstaatliche Verpflichtung resultiert, könnte Dänemark durch die Weigerung, der Centros Ltd. die statutswahrende Begründung ihres effektiven Verwaltungssitzes in seinem Gebiet zu gestatten, gegen diese Bestimmungen überhaupt verstoßen haben. Daher war das Bestehen einer solchen mitgliedstaatlichen Verpflichtung für die Beantwortung des dem EuGH gestellten Ersuchens vorgreiflich. Um diese die Niederlassungsfreiheit von Gesellschaften betreffende Auslegungsfrage einer Klärung zuführen zu können, muss ermittelt werden, welche Befugnisse Art. 43 Abs. 1 S. 1 EG den Unionsbürgern im Hinblick auf die Gründung und Leitung von Gesellschaften im Sinne des Art. 48 Abs. 2 EG einräumt. Dies ist auf folgenden Umstand zurückzuführen: In einer marktwirtschaftlich ausgerichteten Volkswirtschaft ist die Ausübung selbstständiger Erwerbstätigkeiten stets mit (unter Umständen erheblichen) finanziellen Risiken verbunden. Bestünde keine Möglichkeit, sich von den mit der Ausübung unternehmerischer Tätigkeiten verbundenen haftungsrechtlichen Risiken (zumindest größtenteils) dadurch „freizuzeichnen“, dass man sich hierzu Korporationen bedient, deren Haftung auf ihr Vermögen beschränkt ist,188 wäre die Verwirklichung eines der allgemeinen Vertragsziele – auf deren Erreichung die gesamte Wirtschaftsverfassung der Gemeinschaft ausgerichtet ist –, die Ausübung auf Privatinitiative beruhender selbstständiger Erwerbstätigkeiten stetig und nachhaltig zum Zweck der Wohlfahrtsmehrung zu fördern (vgl. Art. 2 EG), gefährdet. Denn das Fehlen der Möglichkeit, unternehmerische Tätigkeiten nicht nur unmittelbar als natürliche Person, sondern auch mittelbar über die Leitung einer Gesellschaft auszuüben, könnte immense Wohlfahrtseinbußen nach sich ziehen, da hierdurch zum einen potenzielle Unternehmer wegen der unter Umständen kaum kalkulierbaren persönlichen Haftungsrisiken davon abgehalten werden könnten, am Binnenmarktgeschehen überhaupt teilzunehmen, und zum anderen bereits am Markt agierende Unternehmer aus demselben Grund von einer Expansion ihrer Transaktionen absehen könnten. Für die Schaffung eines prosperierenden Binnenmarktes ist unter anderem jedoch gerade erforderlich, dass die Rahmenbedingungen für den Marktzugang und die Marktteilnahme selbstständig 188 Zur ökonomischen Funktion des Privilegs der beschränkten Haftung Lehmann, ZGR 1986, 345 (349 ff.).
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Erwerbstätiger möglichst günstig ausgestaltet sind. Damit Haftungsrisiken hierfür keinen resp. einen möglichst geringen Hinderungsgrund bilden, musste durch den EG-Vertrag sichergestellt werden, dass die Ausübung unternehmerischer Tätigkeiten auch über Gesellschaften garantiert ist, deren Haftung auf ihr Vermögen beschränkt ist. Neben dem Grund, Unionsbürgern zu ermöglichen, in Gemeinschaft mit anderen Personen unternehmerische Tätigkeiten auszuüben, ist die Garantie, Korporationen mitgliedstaatlicher Provenienz zu gründen und zu leiten auch zu diesem Zweck in den Vertrag aufgenommen worden. Der Telos des Rechts zur Gründung und Leitung von Gesellschaften besteht somit darin, den Unionsbürgern zu ermöglichen, unternehmerische Tätigkeiten innerhalb der EG nicht nur in der Rechtsform „natürliche Person“, sondern auch über Gesellschaften – allein189 oder in Gemeinschaft mit anderen Personen – auszuüben. Die effektive Wahrnehmung dieses Rechts setzt voraus, dass die von Gesellschaften ausgeübten wirtschaftlichen Tätigkeiten grundfreiheitlichen Schutz genießen. Denn anderenfalls könnten die Mitgliedstaaten die Aktivitäten dieser Gesellschaften beeinträchtigen, ohne dass ihnen insoweit eine Rechtfertigungslast auferlegt würde. Konsequenz dessen wäre, dass die Mitgliedstaaten es in der Hand hätten, die den Unionsbürgern durch Art. 43 Abs. 1 S. 1 EG eingeräumte Berechtigung zur Ausübung unternehmerischer Tätigkeiten über die Leitung von Gesellschaften durch nicht rechtfertigungsbedürftige Beeinträchtigungen der Aktivitäten dieser Gesellschaften faktisch ihrer praktischen Wirksamkeit zu berauben. Erst vor diesem Hintergrund erschließt sich einer der zentralen Gründe für die Aufnahme der Art. 48 Abs. 1, 55 EG in den Vertrag, die Gesellschaften unter den dort normierten Voraussetzungen in den personellen Schutzbereich der Niederlassungs- und Dienstleistungsfreiheit einbeziehen. Durch diese Bestimmungen soll insbesondere sichergestellt werden, dass die Wahrnehmung des Unionsbürgern durch Art. 43 Abs. 1 S. 1 EG eingeräumten Rechts, über die Leitung von Gesellschaften (mittelbar) unternehmerische Tätigkeiten auszuüben, primärrechtlich wirksam abgesichert ist. Vor diesem Hintergrund tritt auch zutage, dass der EG-Vertrag hinsichtlich der Einbeziehung von Gesellschaften in den personellen Schutzbereich der Arbeitnehmerfreizügigkeit190 sowie der Wa-
189 Die Möglichkeit, eine Gesellschaft mit beschränkter Haftung als Einzelperson zu errichten, ist gemeinschaftsrechtlich durch die Zwölfte Richtlinie 89/667/EWG des Rates v. 21.12.1989 betreffend Gesellschaften mit beschränkter Haftung mit einem einzigen Gesellschafter, ABl. Nr. L 395 v. 30.12.1989, S. 40 ff., abgesichert. 190 Nach der zutreffenden Rspr. des EuGH kann sich auch ein Arbeitgeber, unabhängig davon, ob es sich dabei um eine natürliche Person oder eine Gesellschaft handelt, auf Art. 39 EG berufen, EuGH, Rs. C-350/96 (Clean Car Autoservice GmbH/Landeshauptmann von Wien), Slg. 1998, I-2521 (2545). Siehe auch Ehlers, in: ders. (Hrsg.), Europäische Grundrechte und Grundfreiheiten, 2003, § 7 Rn. 37.
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2. Teil: EG-rechtlicher Schutz der statutswahrenden Niederlassung
ren-, Kapital- und Zahlungsverkehrsfreiheit eine Regelungslücke aufweist, die wegen des dadurch bewirkten Schutzdefizits als planwidrig einzustufen ist. Um das mit der Gewährung des Rechts zur Gründung und Leitung von Gesellschaften verfolgte Ziel – das letztlich der Verwirklichung des in Art. 3 Abs. 1 lit. c EG niedergelegten allgemeinen Vertragsziels der Schaffung eines Binnenmarktes dient – zu erreichen, muss diese Regelungslücke daher durch die analoge Anwendung des Art. 48 Abs. 1 EG auf die Arbeitnehmerfreizügigkeit sowie die Waren-, Kapital- und Zahlungsverkehrsfreiheit geschlossen werden.191 Die Einräumung eines Niederlassungsrechts für Gesellschaften ist aus dem soeben aufgezeigten Grund somit kein Selbstzweck, sondern hat die Funktion, Unionsbürgern zu ermöglichen, sich nicht nur als natürliche Personen, sondern auch über Gesellschaften zum Zweck der Ausübung unternehmerischer Tätigkeiten in der Gemeinschaft niederlassen zu können. Daher kann das Niederlassungsrecht von Gesellschaften nur soweit reichen, wie dies notwendig ist, damit Unionsbürger die ihnen durch Art. 43 Abs. 1 S. 1 EG eingeräumten Befugnisse zur grenzüberschreitenden Leitung von Gesellschaften wirksam ausüben können. Wegen dieser Akzessorietät des Inhalts des sachlichen Schutzbereichs der Niederlassungsfreiheit von Gesellschaften zum Inhalt des sachlichen Schutzbereichs der Niederlassungsfreiheit von Unionsbürgern können die Art. 43 Abs. 1, 48 Abs. 1 EG die transnationale Begründung des Hauptverwaltungssitzes nur unter der Voraussetzung schützen, dass Art. 43 Abs. 1 S. 1 EG den Unionsbürgern das Recht einräumt, den Hauptverwaltungssitz der von ihnen geleiteten Gesellschaften erstmalig grenzüberschreitend zu etablieren. Art. 43 Abs. 1 S. 1 EG ist insoweit zwei verschiedenen Auslegungen zugänglich. Einerseits kann er (restriktiv) dahingehend interpretiert werden, dass er die Gründung von Gesellschaften im Sinne des Art. 48 Abs. 2 EG – wie dies in der Rechtssache Segers von dem niederländischen Krankenversicherungsträger und in der Rechtssache Centros von der Zentralverwaltung und der dänischen Regierung implizit vertreten wurde192 – nur in dem Mitgliedstaat schützt, in dem über Gesellschaften vorwiegend oder ausschließlich geschäftliche Aktivitäten entfaltet werden sollen, und das Recht zur Gesellschaftsleitung nur die Befugnis umfasst, den effektiven Verwaltungssitz der betreffenden Gesellschaften in diesem Mitgliedstaat zu etablieren. Andererseits kann Art. 43 Abs. 1 S. 1 EG (extensiv) dahingehend ausgelegt werden, dass er den Unionsbürgern die Befugnis einräumt, Gesellschaften im Sinne des Art. 48 Abs. 2 EG in jedem Mitgliedstaat 191
Vgl. zu dieser Problematik nur Ehlers, ebd. Vgl. GA Darmon, Schlussanträge in der Rs. 79/85 (D. H. M. Segers/Bestuur van de Bedrijfsvereniging voor Bank- en Verzekeringswezen, Groothandel en Vrije Beroepen), Slg. 1986, 2375 (2380); GA La Pergola, Schlussanträge in der Rs. C-212/97 (Centros Ltd./Erhvervs- og Selskabsstyrelsen), Slg. 1999, I-1459 (1479); EuGH, Rs. C-212/97 (Centros Ltd./Erhvervs- og Selskabsstyrelsen), Slg. 1999, I-1459 (1490). Siehe auch Teil 2, A. I. 1. a) bb), A. I. 1. b) bb). 192
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zu gründen und diese dergestalt zu leiten, dass sie wahlweise in ihren Inkorporationsstaaten oder in anderen Mitgliedstaaten erstmalig ihren Hauptverwaltungssitz etablieren, sofern der jeweilige Inkorporationsstaat die Errichtung seiner Gesellschaften lediglich von der Existenz des Satzungssitzes in seinem Gebiet abhängig macht. Dass die Befugnis zur grenzüberschreitenden Begründung des Hauptverwaltungssitzes im Rahmen der extensiven Auslegung des Art. 43 Abs. 1 S. 1 EG unter dem Vorbehalt der Ausgestaltung der jeweiligen mitgliedstaatlichen Gesellschaftsgründungsvoraussetzungen steht, erklärt sich wie folgt. Gesellschaften werden gemäß Art. 48 Abs. 1 EG in den personellen Schutzbereich der Niederlassungsfreiheit einbezogen, sofern sie nach den Rechtsvorschriften eines Mitgliedstaats gegründet worden sind, und sie ihren satzungsmäßigen Sitz, ihre Hauptverwaltung oder ihre Hauptniederlassung innerhalb der Gemeinschaft haben. Daraus folgt, dass der EG-Vertrag den Mitgliedstaaten freistellt, ob sie für eine wirksame Gründung ihrer Gesellschaften die Belegenheit der Hauptniederlassung in ihrem Gebiet verlangen.193 Da Art. 43 Abs. 1 S. 1 EG die Gründung von Gesellschaften nur nach den Bestimmungen schützt, die ein Mitgliedstaat hierfür zulässigerweise vorsieht, kann Art. 43 Abs. 1 S. 1 EG, auch wenn er extensiv ausgelegt wird, den Unionsbürgern die Befugnis, eine Gesellschaft nach dem Recht eines Mitgliedstaats zu errichten und sie dergestalt zu leiten, dass sie ihre Hauptniederlassung erstmalig in einem anderen Mitgliedstaat begründet, nur unter der Voraussetzung einräumen, dass der jeweilige Inkorporationsstaat die Errichtung der Gesellschaft lediglich von der Belegenheit des satzungsmäßigen Sitzes in seinem Gebiet abhängig macht. In der Rechtssache Segers ist der Gerichtshof auf die in Rede stehende Auslegungsfrage nicht eingegangen. Der Centros-Entscheidung lässt sich demgegenüber entnehmen, dass der EuGH der extensiven Auslegung des Art. 43 Abs. 1 S. 1 EG folgt. Dies ergibt sich daraus, dass er zum Inhalt der den Unionsbürgern durch die primäre Niederlassungsfreiheit in Bezug auf die Gründung und Leitung von Gesellschaften eingeräumten Befugnisse in Randnummer 27 der Entscheidungsgründe ausführt, dass „es für sich allein keine mißbräuchliche Ausnutzung des Niederlassungsrechts darstellen [kann], wenn ein Staatsangehöriger eines Mitgliedstaats, der eine Gesellschaft gründen möchte, diese in dem Mitgliedstaat errichtet, dessen gesellschaftsrechtliche Vorschriften ihm die größte Freiheit lassen, und in anderen Mitgliedstaaten Zweigniederlassungen gründet“. Wie aus dem Gesamtzusammenhang der Entscheidungsgründe hervorgeht, verwendet der Gerichtshof den Begriff der Zweigniederlassung im Kontext dieser Urteilspassage als Synonym für den Begriff des Hauptverwaltungssitzes.194 Damit stellt er explizit klar, dass Unionsbürgern durch Art. 43 Abs. 1 S. 1 193 EuGH, Rs. 51/87 (The Queen/Treasury and Commissioners of Inland Revenue, ex parte Daily Mail and General Trust PLC), Slg. 1988, 5483 (5511 f.).
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EG die Befugnis eingeräumt wird, Gesellschaften im Sinne des Art. 48 Abs. 2 EG in einem Mitgliedstaat zu gründen, um mittels dieser ausschließlich in einem anderen Mitgliedstaat Geschäftstätigkeiten auszuüben.195 Auf der Grundlage dieser Auslegung verbürgt die primäre Niederlassungsfreiheit den Staatsangehörigen der Mitgliedstaaten eine Gesellschaftsrechtswahlfreiheit. Denn die Unionsbürger sind nach diesem Postulat von Gemeinschaftsrechts wegen grundsätzlich berechtigt, sich nicht dem gesellschaftsrechtlichen Regelungsregime des Mitgliedstaats zu unterwerfen, in dem sie vorwiegend oder ausschließlich Geschäftstätigkeiten ausüben (wollen). Zu dem Auslegungsergebnis, dass Art. 43 Abs. 1 S. 1 EG den Unionsbürgern grundsätzlich eine Gesellschaftsrechtswahlfreiheit garantiert, ist auch Generalanwalt La Pergola in seinen Schlussanträgen zur Rechtssache Centros gelangt: „Diese Freiheit [die Niederlassungsfreiheit] umfaßt mit Sicherheit für jedermann das Recht, eine Gesellschaft nach den Rechtsvorschriften eines Mitgliedstaats zu gründen, um in diesem und zugleich in jedem anderen Mitgliedstaat tätig zu werden. Anders gesagt: die neu gegründete Gesellschaft ist berechtigt, sich nach ihrem Belieben in der Gemeinschaft niederzulassen – mit einer Haupt- oder gegebenenfalls mit einer Zweitniederlassung. . . . Eine solche Sachlage ist – ob einem das nun gefällt oder nicht – die logische Konsequenz der vom Vertrag garantierten Rechte. . . . Mit der Beteuerung unbedingter Anwendbarkeit der nationalen Vorschriften über das Mindesteinlagekapital einer Gesellschaft mit beschränkter Haftung zum Zeitpunkt ihrer Gründung schließen die dänischen Behörden aus, daß das entgegengesetzte Ergebnis sich – wie eben im vorliegenden Fall – aus der Ausübung der den Betroffenen vom Vertrag garantierten Wahlfreiheit bezüglich des Instruments (des Gesellschaftsrechts) ableitet, das sich unter all denen, die die verschiedenen nationalen Rechtsordnungen der Mitgliedstaaten anbieten, als das dem verfolgten Zweck am besten angepaßte erweist.“196
Es kann somit festgehalten werden, dass Art. 43 Abs. 1 S. 1 EG den Staatsangehörigen der Mitgliedstaaten nach Auffassung von Generalanwalt La Pergola und des Europäischen Gerichtshofs das Recht verbürgt, unternehmerische Tätigkeiten in der Gemeinschaft über Gesellschaftsformen jedes Mitgliedstaats auszuüben. Konsequenz dieser Auslegung ist, dass die Unionsbürger das auf ihre wirtschaftlichen Unternehmungen anwendbare mitgliedstaatliche Gesell194 Generalanwalt La Pergola, der den Begriff der Zweigniederlassung ebenfalls synonym mit dem Begriff der Hauptniederlassung verwendet, weist a. E. der Rn. 19 seiner Schlussanträge zur Rechtssache Centros explizit darauf hin, dass eine Zweigniederlassung i. S. d. Art. 43 Abs. 1 S. 2 EG auch dann vorliegt, wenn die Gesellschaft nur über die Zweigniederlassung Geschäftstätigkeiten ausübt. 195 Diese Auslegung des Art. 43 Abs. 1 S. 1 EG hat der Gerichtshof in der Inspire Art-Entscheidung (ausführlich hierzu Teil 4, A. II. 1.) nochmals bestätigt, EuGH, Rs. C-167/01 (Kamer van Koophandel en Fabrieken voor Amsterdam/Inspire Art. Ltd.), ZIP 2003, 1885 (1893). 196 GA La Pergola, Schlussanträge in der Rs. C-212/97 (Centros Ltd./Erhvervs- og Selskabsstyrelsen), Slg. 1999, I-1459 (1477 ff.).
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schaftsrechtsregime – vorbehaltlich gerechtfertigter Beeinträchtigungen – frei wählen dürfen. Nunmehr soll untersucht werden, wie vor diesem Hintergrund die Frage zu beantworten ist, ob der sachliche Schutzbereich der Niederlassungsfreiheit Gesellschaften, die in ihren Inkorporationsstaaten nur über einen Satzungssitz verfügen, den statutswahrenden Zuzug in einen anderen Mitgliedstaat zwecks dortiger Begründung ihres Hauptverwaltungssitzes garantiert. Wie gezeigt, ist die Niederlassungsfreiheit von Gesellschaften in den Vertrag aufgenommen worden, um EG-rechtlich sicherzustellen, dass die Staatsangehörigen der Mitgliedstaaten die ihnen durch Art. 43 Abs. 1 S. 1 EG eingeräumten Befugnisse zur grenzüberschreitenden Leitung von Gesellschaften tatsächlich wahrnehmen können. Ausgehend von dem Postulat, dass Art. 43 Abs. 1 S. 1 EG ihnen eine Gesellschaftsrechtswahlfreiheit garantiert, muss dem sachlichen Schutzbereich der Niederlassungsfreiheit von Gesellschaften eine Auslegung beigegeben werden, durch die gewährleistet ist, dass die Unionsbürger die ihnen eingeräumte Wahlfreiheit zwischen den mitgliedstaatlichen Gesellschaftsrechten ausüben können. Voraussetzung hierfür ist, dass die – von Unionsbürgern in Ausübung ihrer Wahlfreiheit – in einem Mitgliedstaat inkorporierten Gesellschaften in einem anderen Mitgliedstaat – dem jeweiligen Zielmitgliedstaat – statutswahrend ihren Hauptverwaltungssitz begründen können. Das wiederum setzt voraus, dass der betreffende Zielmitgliedstaat auf diese Scheinauslandsgesellschaften nicht sein eigenes materielles Gesellschaftsrecht, sondern ihr Gründungsstatut zur Anwendung bringt. Damit die Ausübung der den Unionsbürgern gewährten Gesellschaftsrechtswahlfreiheit gemeinschaftsrechtlich abgesichert ist, muss der sachliche Schutzbereich der Niederlassungsfreiheit folglich dahin auslegt werden, dass dieser den Gesellschaften im Sinne des Art. 48 Abs. 1 EG, die in ihren Inkorporationsstaaten nur über einen Satzungssitz verfügen, den statutswahrenden Zuzug in einen anderen Mitgliedstaat zwecks dortiger Errichtung ihres Hauptverwaltungssitzes garantiert. Aus folgender Passage des Tenors der Centros-Entscheidung ergibt sich, dass der Europäische Gerichtshof dem sachlichen Schutzbereich der sekundären Niederlassungsfreiheit von Gesellschaften eben diesen Gewährleistungsgehalt entnimmt: „Ein Mitgliedstaat, der die Eintragung der Zweigniederlassung einer Gesellschaft verweigert, die in einem anderen Mitgliedstaat, in dem sie ihren Sitz hat, rechtmäßig errichtet worden ist, aber keine Geschäftstätigkeit entfaltet, verstößt gegen die Artikel 52 und 58 EG-Vertrag [Art. 43 und 48 EG], wenn die Zweigniederlassung es der Gesellschaft ermöglichen soll, ihre gesamte Geschäftstätigkeit in dem Staat auszuüben, in dem diese Zweigniederlassung errichtet wird, ohne dort eine Gesellschaft zu errichten und damit das dortige Recht über die Errichtung von Gesellschaften zu umgehen, das höhere Anforderungen an die Einzahlung des Mindestgesellschaftskapitals stellt.“197
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2. Teil: EG-rechtlicher Schutz der statutswahrenden Niederlassung
Diese Passage des Tenors kann, betrachtet man sie im Lichte der Randnummern 27 und 29 der Entscheidungsgründe, nur dahin interpretiert werden, dass das Gesellschaftsrecht des Zielmitgliedstaats über diese gesellschaftsrechtliche Konstruktion nach Auffassung des Gerichtshofs gemeinschaftsrechtlich zulässigerweise umgangen werden kann. Die Aushebelung des Geltungsanspruchs des Gesellschaftsrechts des Zielmitgliedstaats wird, wie zuvor gezeigt, in letzter Konsequenz dadurch bewirkt, dass dieser auf die zu diesem Zweck errichteten EG-ausländischen Korporationen ihr Gründungsstatut zur Anwendung bringen muss, wenn sie ihren Hauptverwaltungssitz in seinem Gebiet errichten. Ist die Umgehung des Gesellschaftsrechts des Zielmitgliedstaats über die in Rede stehende Konstruktion nach Ansicht des EuGH gemeinschaftsrechtlich geschützt, bedeutet dies daher m. a. W. nichts anderes, als dass er – geleitet von dem Bestreben, die Ausübung der von ihm postulierten Rechtswahlfreiheit gemeinschaftsrechtlich abzusichern – Art. 43 Abs. 1 S. 2 EG dahin auslegt, dass dieser den Gesellschaften im Sinne des Art. 48 Abs. 1 EG, die im Inkorporationsstaat nur ihren Satzungssitz haben, garantiert, ihren Hauptverwaltungssitz statutswahrend in einem anderen Mitgliedstaat zu errichten. Betrachtet man den Tenor im Lichte der zuvor dargelegten Entscheidungsgründe, lässt sich somit – die Verallgemeinerungsfähigkeit dieses Judikats zunächst unterstellt198 – folgendes Präjudiz gewinnen: Art. 43 Abs. 1 S. 1 EG gewährleistet den Staatsangehörigen der Mitgliedstaaten nach Ansicht des Europäischen Gerichtshofs das Recht, Gesellschaften im Sinne des Art. 48 Abs. 2 EG in jedem Mitgliedstaat zu gründen, um über diese vorwiegend oder ausschließlich in einem anderen Mitgliedstaat Geschäftstätigkeiten auszuüben. Damit garantiert Art. 43 Abs. 1 S. 1 EG den Unionsbürgern eine (Rechts-)Wahlfreiheit des Inhalts, dass sie unabhängig davon, in welchem Mitgliedstaat sie über eine Korporation schwerpunktmäßig oder ausschließlich geschäftliche Aktivitäten entfalten wollen, hierfür grundsätzlich zwischen den Gesellschaftsformen aller mitgliedstaatlichen Rechtsordnungen wählen können. Der sachliche Schutzbereich der sekundären Niederlassungsfreiheit garantiert den Gesellschaften im Sinne des Art. 48 Abs. 1 EG, die im Inkorporationsstaat nur ihren Satzungssitz haben, den statutswahrenden Zuzug in einen anderen Mitgliedstaat zu dem Zweck, dort erstmalig ihren effektiven Verwaltungssitz zu errichten. Die Frage, ob die Art. 43 Abs. 1 S. 2, 48 Abs. 1 EG darüber hinaus auch das korrespondierende Wegzugsrecht garantieren, war, wie eingangs gezeigt, nicht entscheidungserheblich. Da der Gerichtshof hierzu somit nicht Stellung nehmen 197 EuGH, Rs. C-212/97 (Centros Ltd./Erhvervs- og Selskabsstyrelsen), Slg. 1999, I-1459 (1497). 198 Hierzu sogleich unter A. I. 1. c).
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musste und auch nicht (obiter dictu) Stellung genommen hat, bleibt die diesbezügliche Position des EuGH auch nach der Centros-Entscheidung ungeklärt. c) Zwischenfazit Festzuhalten bleibt, dass der Europäische Gerichtshof den sachlichen Schutzbereich der sekundären Niederlassungsfreiheit dahin auslegt, dass dieser den nach den Rechtsvorschriften eines Mitgliedstaats gegründeten Gesellschaften im Sinne des Art. 48 Abs. 1 EG den statutswahrenden Zuzug in einen anderen Mitgliedstaat zum Zweck der dortigen Begründung des Hauptverwaltungssitzes garantiert, sofern sich in ihrem Gründungsstaat nur ihr Satzungssitz befindet. Das Centros-Urteil wirkt zwar spektakulärer als das Urteil in der Rechtssache Segers, da der Gerichtshof nur in ersterem festgestellt hat, dass das Gesellschaftsrecht eines Mitgliedstaats aus der Perspektive des EG-Rechts grundsätzlich legitimerweise umgangen werden kann. Inhaltlich knüpft es jedoch nahtlos an die in der Segers-Entscheidung vorgenommene Auslegung der sekundären Niederlassungsfreiheit von Gesellschaften an und führt diese Rechtsprechung konsequent fort. Dass die Segers-Entscheidung nicht die Aufmerksamkeit erregt hat, die der Centros-Entscheidung zuteil wurde, und dass die durch beide Judikate gleichermaßen aufgeworfenen Fragen zum Schutzbereich der Niederlassungsfreiheit von Gesellschaften in der rechtswissenschaftlichen Literatur erst seit Erlass des Centros-Urteils eingehend diskutiert werden, ist unter anderem auf folgende Umstände zurückzuführen: Während das dänische Gericht in seinem Ersuchen pointiert die grundsätzliche Frage der gemeinschaftsrechtlichen Zulässigkeit der mit der in Rede stehenden gesellschaftsrechtlichen Konstruktion beabsichtigten Gesetzesumgehung aufwarf, wählte das niederländische Gericht bei der Formulierung seines Ersuchens einen pragmatischen, allein auf die Klärung des konkreten Einzelfalls ausgerichteten Ansatz. Da der EuGH sich bei der Abfassung seiner Antwort auf eine Vorlagefrage regelmäßig strikt an dieser orientiert, fielen sowohl die Entscheidungsgründe als auch der Leitsatz des Segers-Urteils ebenso unspektakulär aus wie das dem Gerichtshof insoweit gestellte Ersuchen. Ferner hat der EuGH – seinem apodiktischem Urteilsstil treu – darauf verzichtet, die entscheidenden Feststellungen im Segers-Urteil zu begründen, was dazu führte, dass die Tragweite dieses Judikats unterschätzt wurde.199 Berücksichtigt man, dass der Gerichtshof Vorschriften des Gemeinschaftsrechts in seinen Entscheidungen so auslegt, wie sie seit ihrem In-Kraft-Treten auszulegen und anzuwenden gewesen 199 Kieninger, ZGR 1999, 724 (729 Fn. 32) weist darauf hin, dass sich die Unvereinbarkeit der Sitztheorie mit der Niederlassungsfreiheit vor der Centros-Entscheidung zu keinem Zeitpunkt besser begründen ließ als nach Erlass des Segers-Urteils. In diese Richtung auch Meilicke, RIW 1990, 449 (450); Fischer, IPRax 1991, 100 (104).
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2. Teil: EG-rechtlicher Schutz der statutswahrenden Niederlassung
wären,200 erschließt sich, dass bereits seine (impliziten) Feststellungen zum Gewährleistungsgehalt der sekundären Niederlassungsfreiheit von Gesellschaften in der Rechtssache Segers darauf zurückzuführen sind, dass er bei seiner damaligen Entscheidungsfindung Art. 43 Abs. 1 S. 1 EG die Garantie einer Gesellschaftsrechtswahlfreiheit entnommen hat. Zwei Fragen bleiben in den Urteilen Segers und Centros allerdings unbeantwortet. So legt der EuGH nicht offen, warum er die transnationale Begründung des Hauptverwaltungssitzes einer Gesellschaft überhaupt als Ausübungsform der sekundären, und nicht der primären Niederlassungsfreiheit qualifiziert. Denn ausgehend von der vom Gerichtshof vorgenommenen Kategorisierung der den Unionsbürgern zustehenden Niederlassungsrechte, handelt es sich bei der transnationalen erstmaligen Errichtung einer Hauptniederlassung um eine Ausübungsform der primären, und nicht der sekundären Niederlassungsfreiheit.201 Zudem bleibt ungeklärt, ob die in den Ausgangsfällen der Rechtssachen Segers und Centros praktizierte gesellschaftsrechtliche Konstruktion nach Auffassung des EuGH nur durch die sekundäre, oder auch durch die primäre Niederlassungsfreiheit von Gesellschaften geschützt wird. Auf diese Fragen wird im weiteren Verlauf der Untersuchung noch zurückzukommen sein. Dass die Segers-Entscheidung nicht in dem Umfang das wissenschaftliche Interesse auf sich gezogen hat wie das Centros-Urteil, liegt auch in dem Ausgang des – zeitlich zwischen diesen Judikaten liegenden – Vorabentscheidungsverfahrens Daily Mail begründet, in dem sich der Gerichtshof mit der Frage des gemeinschaftsrechtlichen Schutzes der statutswahrenden Verlegung des Hauptverwaltungssitzes von Gesellschaften durch die (primäre) Niederlassungsfreiheit zu befassen hatte. 2. Verlegung des effektiven Verwaltungssitzes in einen anderen Mitgliedstaat Mit der Frage, ob der sachliche Schutzbereich des Art. 43 Abs. 1 EG den durch Art. 48 Abs. 1 EG niederlassungsberechtigten Gesellschaften die grenzüberschreitende Verlegung des im Gründungsstaat befindlichen effektiven Verwaltungssitzes in einen anderen Mitgliedstaat garantiert, hat sich der Europäische Gerichtshof in zwei Vorabentscheidungsverfahren befasst. 200 St. Rspr. EuGH, verb. Rs. C-367/93 – C-377/93 (F. G. Roders BV u. a./Inspecteur der Invoerrechten en Accijnzen), Slg. 1995, I-2229 (2264); Rs. C-35/97 (Kommission der Europäischen Gemeinschaften/Französische Republik), Slg. 1998, I-5325 (5353); Rs. C-184/99 (Rudy Grzelczyk/Centre public d’aide sociale d’Ottignies-Louvain-laNeuve), Slg. 2001, I-6193 (6247). Vgl. auch EuGH, Rs. C-104/98 (Johann Buchner u. a./Sozialversicherungsanstalt der Bauern), Slg. 2000, I-3625 (3656). Näher zu den hier nicht einschlägigen Ausnahmen von diesem Grundsatz Ehlers (Fn. 190), § 7 Rn. 46. 201 Hierauf weisen Kieninger, ZGR 1999, 724 (729 ff.) und Zimmer, ZHR 164 (2000) 23 (41) hin.
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a) Das Urteil „Daily Mail PLC“ aa) Der Sachverhalt Die Daily Mail and General Trust PLC (Daily Mail PLC), eine nach britischem Recht gegründete Aktiengesellschaft, verfügte als Investitions- und Holdinggesellschaft über ein fast ausschließlich aus Aktien bestehendes Betriebsvermögen. Von diesen Aktien wollte sie einen Großteil veräußern, um mit dem daraus erzielten Erlös den Rückerwerb eigener Aktien zu finanzieren. Das britische Steuerrecht sah vor, dass Gesellschaften mit steuerlichem Sitz im Vereinigten Königreich im Falle einer Veräußerung von Aktien einer 30 %igen Besteuerung des erzielten Wertzuwachses unterlagen, wobei der steuerliche Sitz als der Sitz der Hauptverwaltung definiert war. Da dieser Sitz der Daily Mail PLC, ebenso wie ihr Satzungssitz, im Vereinigten Königreich belegen war und die von ihr gehaltenen Aktien einen Gesamtwert von über £ 73 Mio. hatten, denen lediglich Anschaffungskosten von ca. £ 12 Mio. gegenüberstanden, hätte sie im Falle der Veräußerung dieser Papiere auf deren Wertzuwachs von ca. £ 61 Mio. 30 % Steuern entrichten müssen.202 Um dieser Besteuerung zu entgehen, wollte sie ihren Hauptverwaltungssitz statutswahrend in die Niederlande verlegen. Denn nach einer solchen Sitzverlegung hätte die Veräußerung ihrer Aktien nicht mehr der britischen Wertzuwachssteuer unterlegen, und gleichzeitig wäre in den Niederlanden nur der Wertzuwachs steuerpflichtig gewesen, der nach der Sitzverlegung in die Niederlande eingetreten wäre. Eine statutswahrende Verlegung des Hauptverwaltungssitzes einer Gesellschaft war sowohl nach britischem als auch nach niederländischem Recht möglich. Da das britische Einkommens- und Körperschaftssteuergesetz den Gesellschaften mit steuerlichem Sitz im Vereinigten Königreich allerdings verbot, diesen ohne vorherige Zustimmung des Finanzministeriums in einen anderen Staat zu verlegen,203 beantragte Daily Mail PLC die entsprechende Zustimmung. Ohne diese Zustimmung abzuwarten, eröffnete sie in den Niederlanden in Form einer Zweigniederlassung ein Anlageberatungsbüro, um Dritten dort bereits vor der Verlegung des Hauptverwaltungssitzes Dienstleistungen anzubieten. Das Finanzministerium machte die Erteilung der Zustimmung davon abhängig, dass Daily Mail PLC vor der Sitzverlegung einen beachtlichen Teil ihres Aktienbestandes veräußerte, um die Besteuerung des Wertzuwachses dieser Papiere im Vereinigten Königreich sicherzustellen. Daraufhin erhob die Gesellschaft Klage auf Feststellung, dass sie nach Art. 43 EG berechtigt sei, ihren Sitz ohne die im Einkommens- und Körperschaftssteuergesetz vorgesehene Zustimmung in die Niederlande zu verlegen, hilfsweise, 202 EuGH, Sitzungsbericht zu der Rs. 51/87 (The Queen/Treasury and Commissioners of Inland Revenue, ex parte Daily Mail and General Trust PLC), Slg. 1988, 5483 (5486 f.). 203 Section 482 (1) (a) Income and Corporation Taxes Act of 1970.
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dass sie nach Art. 43 EG einen Anspruch auf unbedingte Zustimmung des Finanzministeriums habe. Der mit dem Rechtsstreit befasste High Court of Justice, Queen’s Bench Division ersuchte den Europäischen Gerichtshof um Vorabentscheidung darüber, ob die Art. 43 und 48 EG einer Gesellschaft, die nach dem Recht eines Mitgliedstaats gegründet sei und in diesem ihren satzungsmäßigen Sitz habe, das Recht gewähren, den Sitz ihrer Hauptverwaltung statutswahrend in einen anderen Mitgliedstaat zu verlegen, und bejahendenfalls, ob der Herkunftsmitgliedstaat dieses Recht von einer vorherigen Zustimmung abhängig machen dürfe, um sicherzustellen, dass die Zahlung von Steuern auf vor der Sitzverlegung eingetretene Gewinne nicht unterbleibt. bb) Die Entscheidungsgründe Der Gerichtshof beginnt seine Ausführungen mit dem Hinweis, dass die Niederlassungsfreiheit eine der grundlegenden Bestimmungen der Gemeinschaft darstelle, die seit dem Ablauf der Übergangszeit unmittelbar anwendbar sei, und nicht nur den Staatsangehörigen der Mitgliedstaaten, sondern auch den in Art. 48 Abs. 1 EG bezeichneten Gesellschaften das Recht auf Niederlassung in einem anderen Mitgliedstaat gewähre.204 Sodann führt der Gerichtshof aus, dass die Niederlassungsbestimmungen ihrer Fassung nach insbesondere die Inländergleichbehandlung im Aufnahmemitgliedstaat sicherstellen sollen, sie es aber auch dem Herkunftsstaat verbieten, die Niederlassung seiner Staatsangehörigen oder einer nach seinem Recht gegründeten, der Definition des Art. 48 Abs. 1 EG genügenden Gesellschaft in einem anderen Mitgliedstaat zu behindern. Denn die Art. 43 ff. EG wären „sinnentleert“, wenn der Herkunftsstaat Unternehmen verbieten könnte, auszuwandern, um sich in einem anderen Mitgliedstaat niederzulassen.205 Im Anschluss daran weist der EuGH daraufhin, dass eine Gesellschaft von ihrem Niederlassungsrecht im Allgemeinen – wie Art. 43 Abs. 1 S. 2 EG dies ausdrücklich vorsehe – durch die Gründung von Agenturen, Zweigniederlassungen und Tochtergesellschaften Gebrauch mache. Eine solche Niederlassung habe Daily Mail PLC im vorliegenden Fall mit der Eröffnung ihres Anlageberatungsbüros in den Niederlanden geschaffen. Die Niederlassungsfreiheit ermögliche es Gesellschaften auch, an der Gründung einer Gesellschaft in einem anderen Mitgliedstaat teilzunehmen und ihr Kapital – ggf. nachdem die sie liquidiert und ihre Besteuerung abgeschlossen sei – teilweise oder vollständig auf die neu gegründete Gesellschaft zu übertragen. Solche Niederlassungsvorgänge beschränke die britische Rechtsvorschrift, um die im Ausgangsfall gestritten werde, in kei204 EuGH, Rs. 51/87 (The Queen/Treasury and Commissioners of Inland Revenue, ex parte Daily Mail and General Trust PLC), Slg. 1988, 5483 (5510). 205 EuGH, ebd.
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ner Weise. Die Zustimmung des Finanzministeriums sei nur für den Fall vorgeschrieben, dass eine Gesellschaft unter Beibehaltung ihrer Rechtspersönlichkeit und ihrer Eigenschaft als Gesellschaft britischen Rechts den Sitz ihrer Geschäftsleitung aus dem Vereinigten Königreich verlegen wolle.206 Nunmehr setzt sich der Gerichtshof mit der Frage auseinander, ob Art. 43 Abs. 1 EG einer Gesellschaft im Sinne des Art. 48 Abs. 1 EG überhaupt das Recht gewährt, den Sitz ihrer Geschäftsleitung statutswahrend in einen anderen Mitgliedstaat zu verlegen. Er beginnt deren Beantwortung mit der Feststellung, dass Gesellschaften im Gegensatz zu natürlichen Personen aufgrund einer Rechtsordnung, beim gegenwärtigen Stand des Gemeinschaftsrechts aufgrund einer nationalen Rechtsordnung gegründet würden. Jenseits der jeweiligen nationalen Rechtsordnung, die ihre Gründung und Existenz regele, hätten sie „keine Realität“.207 Sodann unterstreicht der EuGH, dass hinsichtlich dessen, was für die Gründung einer Gesellschaft an Verknüpfung mit dem nationalen Gebiet erforderlich sei, sowie hinsichtlich der Möglichkeit, diese Verknüpfung nachträglich zu ändern, zwischen den nationalen Rechtsordnungen erhebliche Unterschiede bestünden.208 Diesen Unterschieden im nationalen Recht trage der EG-Vertrag Rechnung. Bei der Definition der Gesellschaften, denen die Niederlassungsfreiheit zugute komme, würden in Art. 48 EG der satzungsmäßige Sitz, die Hauptverwaltung und die Hauptniederlassung einer Gesellschaft als Anknüpfung gleich geachtet. In Art. 293, 3. Spstr. EG sei, soweit erforderlich, der Abschluss von Übereinkommen unter den Mitgliedstaaten vorgesehen, um unter anderem die Beibehaltung der Rechtspersönlichkeit bei Verlegung des Sitzes von einem Mitgliedstaat in einen anderen sicherzustellen.209 Ferner ermögliche Art. 44 Abs. 2 lit. g EG die Beseitigung dieser Unterschiede.210 Daraus folgert der Gerichtshof: „. . . der EWG-Vertrag [betrachtet] die Unterschiede, die die Rechtsordnungen der Mitgliedstaaten hinsichtlich der für ihre Gesellschaften erforderlichen Anknüpfung sowie der Möglichkeit und gegebenenfalls der Modalitäten einer Verlegung des satzungsmäßigen oder wahren Sitzes einer Gesellschaft nationalen Rechts von einem Mitgliedstaat in einen anderen aufweisen, als Probleme, die durch die Bestimmungen über die Niederlassungsfreiheit nicht gelöst sind, sondern einer Lösung im Wege der Rechtssetzung oder des Vertragsschlusses bedürfen; eine solche wurde jedoch noch nicht gefunden.“211
Daraus wiederum zieht der Gerichtshof den Schluss: „Somit gewähren die Artikel 52 und 58 EWG-Vertrag [Art. 43 und 48 EG] den Gesellschaften nationalen Rechts kein Recht, den Sitz ihrer Geschäftsleitung unter 206 207 208 209 210 211
EuGH, EuGH, EuGH, EuGH, EuGH, EuGH,
ebd., S. 5511. ebd. ebd. ebd., S. 5512. ebd. ebd.
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Bewahrung ihrer Eigenschaft als Gesellschaften des Mitgliedstaats ihrer Gründung in einen anderen Mitgliedstaat zu verlegen.“212
In seinem Tenor relativiert der Gerichtshof sein zuvor gefundenes Auslegungsergebnis dann allerdings wie folgt: „Die Artikel 52 und 58 EWG-Vertrag [Art. 43 und 48 EG] [gewähren] beim derzeitigen Stand des Gemeinschaftsrechts213 einer Gesellschaft, die nach dem Recht eines Mitgliedstaats gegründet ist und in diesem ihren satzungsmäßigen Sitz hat, nicht das Recht . . ., den Sitz ihrer Geschäftsleitung in einen anderen Mitgliedstaat zu verlegen.“214
cc) Analyse und Einordnung der Entscheidung Betrachtet man die zuletzt zitierte Urteilspassage und den Tenor, stellt sich die Frage, ob der Gerichtshof in der Daily Mail-Entscheidung lediglich festgestellt hat, dass Gesellschaften kein statutswahrendes Wegzugs- oder darüber hinaus auch kein statutswahrendes Zuzugsrecht haben. Denn dort hat der EuGH ausgeführt, dass Gesellschaften aus den Art. 43 Abs. 1, 48 Abs. 1 EG kein Recht zur Verlegung ihrer Geschäftsleitung zusteht. Die Verlegung umfasst sowohl den Wegzug als auch den Zuzug. Der Wortlaut dieser Urteilspassage und des Tenors lassen daher die Interpretation zu, dass der EuGH in der Daily MailEntscheidung festgestellt hat, dass die Niederlassungsfreiheit Gesellschaften weder ein statutswahrendes Wegzugs- noch ein statutswahrendes Zuzugsrecht einräumt.215 Der exakte Sinngehalt dieser Ausführungen kann jedoch nur erschlossen werden, wenn man sie nicht isoliert, sondern im Kontext der Entscheidungsgründe interpretiert. Der EuGH hat mit den in Rede stehenden Ausführungen die Prüfung der Frage abgeschlossen, ob die Art. 43 Abs. 1, 48 Abs. 1 EG Gesellschaften zum Zweck der transnationalen Verlegung des Sitzes ihrer Geschäftsleitung ein statutswahrendes Wegzugsrecht einräumen. Auf die – in der Rechtssache Daily Mail nicht entscheidungserhebliche – Frage, ob die Art. 43 Abs. 1, 48 Abs. 1 EG Gesellschaften zu diesem Zweck auch ein statutswahrendes Zuzugsrecht einräumen, ist der EuGH weder im Rahmen dieser Prüfung noch an einer sonstigen Stelle des Urteils eingegangen. Auch hat der EuGH zur Begründung der in Rede stehenden Feststellungen ausschließlich auf die zwischen den mitgliedstaatlichen Rechtsordnungen hinsichtlich des Wegzugs von Gesellschaften bestehenden Unterschiede abgestellt. Im Lichte der Entscheidungsgründe kann die Aussage, dass Art. 43 Abs. 1 EG einer Gesellschaft im Sinne des Art. 48 Abs. 1 EG nicht das Recht gewährt, den Sitz ihrer Geschäfts212
EuGH, ebd. Hervorhebung durch Verfasser. 214 EuGH, Rs. 51/87 (The Queen/Treasury and Commissioners of Inland Revenue, ex parte Daily Mail and General Trust PLC), Slg. 1988, 5483 (5514). 215 So Rosenbach (Fn. 44), § 17 Rn. 260. 213
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leitung in einen anderen Mitgliedstaat zu verlegen, infolgedessen nur dahin interpretiert werden, dass der Gerichtshof (lediglich) festgestellt hat, dass einer Gesellschaft gegenüber ihrem Inkorporationsstaat aus den Art. 43 Abs. 1, 48 Abs. 1 EG kein statutswahrendes Wegzugsrecht zusteht.216 Wie gezeigt, begründet der EuGH dieses Ergebnis mit dem Verhältnis des Art. 293, 3. Spstr. EG und der Rechtsangleichungskompetenz des Art. 44 Abs. 2 lit. g EG zur Niederlassungsfreiheit von Gesellschaften. Das Verhältnis dieser Bestimmungen ist hinsichtlich der transnationalen Sitzverlegung von Gesellschaften drei unterschiedlichen Auslegungen zugänglich. Zunächst ist denkbar, dass der Normbereich der Art. 43 Abs. 1, 48 Abs. 1 EG keine Aussage zur Sitzverlegung von Gesellschaften enthält.217 Art. 44 Abs. 2 lit. g EG räumt dem EG-Gesetzgeber die Kompetenz ein, die Sitzverlegung von Gesellschaften in einer Richtlinie zu regeln,218 und Art. 293, 3. Spstr. EG berechtigt die Mitgliedstaaten, die Sitzverlegung zum Gegenstand eines Übereinkommens zu machen. Ob die Mobilität von Gesellschaften im Binnenmarkt in diesem Fall durch den Erlass einer entsprechenden Richtlinie oder durch den Abschluss eines Übereinkommens im Sinne des Art. 293, 3. Spstr. EG sicherzustellen ist, hängt davon ab, wie man das Verhältnis dieser Vorschriften zueinander bestimmt.219 Der Gerichtshof hat in Randnummer 16 der Daily Mail-Entscheidung allerdings explizit festgestellt, dass die Art. 43 Abs. 1, 48 Abs. 1 EG den Mitgliedstaaten die Verpflichtung auferlegen, den nach ihrem Recht gegründeten Gesellschaften den Wegzug in einen anderen Mitgliedstaat zu ermöglichen. Nach Auffassung des Gerichtshofs fällt die grenzüberschreitende Sitzverlegung von Gesellschaften folglich in den sachlichen Schutzbereich der Niederlassungsfreiheit. Die soeben aufgezeigte dogmatische Konzeption kann den entscheidenden Ausführungen des Gerichtshofs in der Daily Mail-Entscheidung daher nicht zugrunde gelegen haben. Ausgehend davon, dass die Niederlassungsfreiheit die Sitzverlegung von Gesellschaften regelt, kann das Verhältnis der in Rede stehenden Vorschriften auf zwei unterschiedliche Weisen konzipiert werden. Das Verhältnis von Art. 293, 3. Spstr. EG zu den Art. 43 Abs. 1, 48 Abs. 1 EG kann dahin bestimmt werden, dass letztere Bestimmungen den Mitgliedstaaten zwar grundsätzlich die Ver216 Darauf weist der Gerichtshof in EuGH, Rs. C-208/00 (Überseering BV/Nordic Construction Company Baumanagement GmbH), Slg. 2002, I-9919 (9967 f.) selbst ausdrücklich hin. Durch EuGH, Rs. C-167/01 (Kamer van Koophandel en Fabrieken voor Amsterdam/Inspire Art Ltd.), ZIP 2003, 1885 (1891) wurde dies nochmals bestätigt. 217 So Nicolaysen, Europarecht II, 1995, S. 188. 218 Vgl. EuGH, Rs. 51/87 (The Queen/Treasury and Commissioners of Inland Revenue, ex parte Daily Mail and General Trust PLC), Slg. 1988, 5483 (5512); Kruse (Fn. 36), S. 75. 219 Hierzu ausführlich Kruse, ebd., S. 78.
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pflichtung auferlegen, Gesellschaften die Sitzverlegung zu ermöglichen, Art. 293, 3. Spstr. EG hinsichtlich der Sitzverlegung unter bestimmten Voraussetzungen jedoch lex specialis ist.220 Zu diesem Verhältnis gelangt man, wenn man die Erforderlichkeit, von der Art. 293, 3. Spstr. EG den Abschluss eines Übereinkommens abhängig macht, vom Schutzbedürfnis der durch die Sitzverlegung betroffenen nationalen Interessen her bestimmt.221 Die Niederlassungsfreiheit würde die transnationale Sitzverlegung innerhalb der Gemeinschaft in diesem Fall zwar grundsätzlich schützen. Solange und soweit nationale Interessen infolge der Gewährleistung der Sitzverlegung durch die Art. 43 Abs. 1, 48 Abs. 1 EG allerdings nicht wirksam geschützt werden (können), entfaltet Art. 293, 3. Spstr. EG eine Sperrwirkung gegenüber den Art. 43 Abs. 1, 48 Abs. 1 EG.222 Die Mitgliedstaaten müssen Gesellschaften die transnationale Verlegung ihres Sitzes in diesem Fall über den Abschluss eines Übereinkommens im Sinne des Art. 293, 3. Spstr. EG ermöglichen, bis die Modalitäten der Sitzverlegung in dem Umfang, in dem Art. 293, 3. Spstr. EG gegenüber den Art. 43 Abs. 1, 48 Abs. 1 EG lex specialis ist, durch eine auf Art. 44 Abs. 2 lit. g EG gestützte Richtlinie so harmonisiert werden, dass die mitgliedstaatlichen Interessen angemessen geschützt werden. Denn ab dem Zeitpunkt des In-Kraft-Tretens einer solchen Sitzverlegungsrichtlinie ist ein Übereinkommen im Sinne des Art. 293, 3. Spstr. EG nicht mehr erforderlich, und diese Norm daher gegenüber den Art. 43 Abs. 1, 48 Abs. 1 EG auch nicht mehr lex specialis.223 Der EuGH hat in der Daily Mail-Entscheidung nicht offen gelegt, ob er bei der Bestimmung des Bedürfnisses für den Abschluss eines völkervertraglichen Übereinkommens auf die nationale Interessenlage abgestellt hat. Sollte er dies getan haben, folgt aus seiner Feststellung, dass die mit dem Wegzug von Gesellschaften verbundenen Probleme nicht durch die Niederlassungsfreiheit gelöst sind, sondern einer Lösung im Wege der Rechtssetzung oder des Vertragsschlusses bedürfen,224 dass er es zum Schutz der nationalen Interessen für erforderlich gehalten hat, dass die Mitgliedstaaten die Modalitäten des Wegzugs von Gesellschaften in einem Übereinkommen im Sinne des Art. 293, 3. Spstr. EG regeln, und Art. 293, 3. Spstr. EG daher gegenüber den Art. 43 Abs. 1, 48 Abs. 1 EG in Bezug auf den Wegzug von Gesellschaften solange lex specialis ist, bis die Wegzugsmodalitäten in einer Richtlinie geregelt werden.
220 Vgl. Großfeld, IPRax 1986, 351 (353); Ebke, ZGR 1987, 245 (252); Ebenroth/ Eyles, DB-Beilage 2/1988, 1 (12). 221 Ebenroth/Eyles, ebd. Vgl. auch Großfeld, ebd. 222 Vgl. Großfeld, ebd.; Ebke, ZGR 1987, 245 (252); Ebenroth/Eyles, ebd. 223 Dies übersieht Schnichels, Reichweite der Niederlassungsfreiheit, 1993, S. 162 f. So wie hier i. E. auch Grothe (Fn. 51), S. 152. 224 EuGH, Rs. 51/87 (The Queen/Treasury and Commissioners of Inland Revenue, ex parte Daily Mail and General Trust PLC), Slg. 1988, 5483 (5512).
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Die Erforderlichkeit zum Abschluss eines Übereinkommens im Sinne des Art. 293, 3. Spstr. EG kann aber auch von der gemeinschaftlichen Interessenlage her bestimmt werden.225 In diesem Falle ist der Abschluss eines Übereinkommens nur insoweit erforderlich, als das Ziel, die Niederlassungsfreiheit von Gesellschaften zu verwirklichen, über die sonstigen Vertragsbestimmungen nicht erreicht werden kann.226 Dann ist Art. 293, 3. Spstr. EG sowohl gegenüber den Art. 43 Abs. 1, 48 Abs. 1 EG als auch gegenüber Art. 44 Abs. 2 lit. g EG subsidiär. Sofern der Daily Mail-Entscheidung diese Sichtweise zugrunde liegt, lässt sich die Feststellung des EuGH, dass die mit dem Wegzug von Gesellschaften verbundenen Probleme durch die Art. 43 Abs. 1, 48 Abs. 1 EG, obwohl sie die Verpflichtung enthalten, Gesellschaften den Wegzug aus ihren Inkorporationsstaaten zu ermöglichen,227 nicht gelöst sind, sondern einer Lösung im Wege der Rechtssetzung oder des Vertragsschlusses bedürfen,228 nur damit erklären, dass die Art. 43 Abs. 1, 48 Abs. 1 EG seiner Auffassung nach insoweit nicht unmittelbar anwendbar sind, weil zur Erfüllung dieser Verpflichtung eine Rechtssetzungsmaßnahme erforderlich ist.229 Da Art. 44 Abs. 2 lit. g EG die Regelung der Sitzverlegung ermöglicht,230 und Art. 293, 3. Spstr. EG daher gegenüber Art. 44 Abs. 2 lit. g EG subsidiär ist, müssen die Wegzugsmodalitäten auch nach dieser Interpretation des Daily Mail-Urteils letztlich in einer Richtlinie normiert werden, um die Verwirklichung der Niederlassungsfreiheit von Gesellschaften sicherzustellen. Festzuhalten bleibt somit, dass die Art. 43 Abs. 1, 48 Abs. 1 EG Gesellschaften nach Auffassung des Europäischen Gerichtshofs solange kein Recht zum statutswahrenden Wegzug aus ihren Inkorporationsstaaten einräumen, bis die Modalitäten des Wegzugs durch eine Richtlinie im Sinne des Art. 44 Abs. 2 lit. g EG geregelt sind. Denn nach beiden möglichen Interpretationen des Daily MailUrteils hängt das Gebrauchmachen von der Niederlassungsfreiheit durch Gesellschaften insoweit – wenn auch aus unterschiedlichen Gründen – von einer noch nicht erfolgten231 Normierung der Wegzugsmodalitäten durch eine Richtlinie
225 Grothe (Fn. 51), S. 153; Schnichels (Fn. 223), S. 161 f.; Kruse (Fn. 36), S. 75; Lackhoff (Fn. 141), S. 170 f. 226 Grothe, ebd.; Schnichels, ebd.; Kruse, ebd.; Lackhoff, ebd. 227 EuGH, Rs. 51/87 (The Queen/Treasury and Commissioners of Inland Revenue, ex parte Daily Mail and General Trust PLC), Slg. 1988, 5483 (5510). 228 EuGH, ebd., S. 5512. 229 So auch W.-H. Roth, RabelsZ 55 (1991) 623 (647); ders., ZEuP 1994, 1 (19); ders., in: Dauses (Hrsg.), Handbuch des EU-Wirtschaftsrechts, Bd. I, 1998, E. I. Rn. 92; ders., ZGR 2000, 311 (323 f.), wobei er der Daily Mail-Entscheidung allerdings entnimmt, dass die primäre Niederlassungsfreiheit von Gesellschaften insgesamt nicht unmittelbar anwendbar ist. 230 Vgl. EuGH, Rs. 51/87 (The Queen/Treasury and Commissioners of Inland Revenue, ex parte Daily Mail and General Trust PLC), Slg. 1988, 5483 (5512); Kruse (Fn. 36), S. 75.
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ab. Vor diesem Hintergrund erklärt sich auch die Feststellung des Gerichtshofs im Tenor der Daily Mail-Entscheidung, dass die Art. 43 Abs. 1, 48 Abs. 1 EG Gesellschaften beim derzeitigen Stand des Gemeinschaftsrechts kein statutswahrendes Wegzugsrecht einräumen. b) Das Urteil „Überseering BV“ aa) Der Sachverhalt Die Überseering BV ist eine Gesellschaft mit beschränkter Haftung, die 1990 nach niederländischem Recht gegründet und in das Handelsregister von Amsterdam und Haarlem eingetragen wurde. Im selben Jahr erwarb sie in Düsseldorf ein Grundstück, das sie gewerblich nutzte. Mit Generalübernahmevertrag beauftragte sie die nach deutschem Recht gegründete Nordic Construction Company Baumanagement GmbH (NCC) Ende 1992 mit der Sanierung des auf diesem Grundstück befindlichen Motels und Garagengebäudes. NCC erbrachte die vereinbarten Leistungen, Überseering BV machte jedoch Mängel geltend. Ende 1994 erwarben zwei in Düsseldorf wohnhafte deutsche Staatsangehörige sämtliche Anteile an der niederländischen Gesellschaft. Nach vergeblicher Aufforderung, die festgestellten Mängel zu beseitigen, verklagte Überseering BV die NCC 1996 beim Landgericht Düsseldorf auf Zahlung von 1.163.657,77 DM nebst Zinsen als Ersatz für die Kosten der Beseitigung der angeblichen Mängel und der Folgeschäden. Das Landgericht wies die Klage ab. Das Oberlandesgericht wies die von der Überseering BV eingelegte Berufung als unbegründet zurück.232 Nach seinen Feststellungen hatte die Überseering BV ihren bis Ende 1994 in den Niederlanden befindlichen Hauptverwaltungssitz unter Beibehaltung ihres Satzungssitzes in den Niederlanden nach Deutschland verlegt, nachdem sämtliche ihrer Gesellschaftsanteile von den beiden deutschen Staatsangehörigen erworben worden waren. Da sich die Rechtsfähigkeit von Gesellschaften nach der Sitztheorie beurteile und der effektive Verwaltungssitz der Überseering BV in Deutschland liege, beurteile sich ihre Rechtsfähigkeit nach deutschem Recht. Danach habe die Überseering BV jedoch keine Rechtsfähigkeit erlangt. Infolge der fehlenden Rechtsfähigkeit sei die Überseering BV daher nach § 50 Abs. 1 ZPO auch nicht parteifähig. Gegen dieses Urteil des Oberlandesgerichts legte die Überseering BV Revision beim Bundesgerichtshof ein. Dieser hielt es 231 Bislang existiert lediglich ein Vorentwurf eines Vorschlags für eine Vierzehnte Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates über die Verlegung des Sitzes einer Gesellschaft in einen anderen Mitgliedstaat mit Wechsel des für die Gesellschaft maßgebenden Rechts v. 22.4.1997, abgedruckt in ZIP 1997, 1721 ff. Hierzu Meilicke, GmbHR 1999, 896 (896 f.); Priester, ZGR 1999, 36 ff.; Hoffmann, ZHR 164 (2000) 43 ff. 232 OLG Düsseldorf, JZ 2000, 203.
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zwar für vorzugswürdig, das Gesellschaftsstatut insgesamt, und damit auch die Rechtsfähigkeit, von der die Parteifähigkeit abhängt, nach Maßgabe der Sitztheorie zu bestimmen, hatte jedoch angesichts der Centros-Entscheidung Zweifel, ob dies mit den Art. 43 Abs. 1, 48 Abs. 1 EG vereinbar ist. Daher legte er dem Europäischen Gerichtshof die Frage zur Vorabentscheidung vor, ob es gegen die Art. 43 Abs. 1, 48 Abs. 1 EG verstoße, wenn die Rechts- und Parteifähigkeit einer Gesellschaft, die nach dem Recht eines Mitgliedstaats wirksam gegründet worden sei, nach dem Recht des Staates beurteilt werde, in den die Gesellschaft ihren tatsächlichen Verwaltungssitz verlegt habe, und wenn sich aus dessen Recht ergebe, dass sie vertraglich begründete Ansprüche dort nicht mehr gerichtlich geltend machen könne. Sofern der Gerichtshof diese Frage bejahen sollte, ersuchte der Bundesgerichtshof ihn ferner um Vorabentscheidung darüber, ob die Niederlassungsfreiheit von Gesellschaften es gebiete, die Rechts- und Parteifähigkeit nach dem Recht des Gründungsstaats zu beurteilen. bb) Die Entscheidungsgründe Um die erste Vorlagefrage zu beantworten, prüft der Gerichtshof zunächst, ob die Niederlassungsfreiheit von Gesellschaften im Ausgangsfall überhaupt anwendbar ist. Dies wurde von der NCC sowie der deutschen, spanischen und italienischen Regierung mit der Begründung bestritten, dass die Art. 43 Abs. 1, 48 Abs. 1 EG die Mitgliedstaaten nicht verpflichten, die nach dem Gründungsrecht erworbene Rechtsfähigkeit einer EG-ausländischen Gesellschaft anzuerkennen, wenn diese ihren Hauptverwaltungssitz in ihr Hoheitsgebiet verlege, da Art. 293, 3. Spstr. EG die gegenseitige Anerkennung der Gesellschaften im Falle der Sitzverlegung dem – noch nicht erfolgten – Abschluss eines multilateralen Übereinkommens vorbehalte. Beim gegenwärtigen Stand des Gemeinschaftsrechts unterfielen die Vorschriften, die ein Mitgliedstaat zur Ermittlung der Rechtsfähigkeit einer Gesellschaft anwende, die ihren Hauptverwaltungssitz in sein Gebiet verlegt habe, daher nicht dem Anwendungsbereich der Bestimmungen über die Niederlassungsfreiheit von Gesellschaften.233 Dieses Vorbringen weist der Gerichtshof zurück. Art. 293, 3. Spstr. EG stelle keinen Rechtssetzungsvorbehalt zugunsten der Mitgliedstaaten dar. Diese Vorschrift fordere die Mitgliedstaaten zwar auf, Verhandlungen einzuleiten, um unter anderem die Lösung der Probleme zu erleichtern, die sich aus der Unterschiedlichkeit der Rechtsvorschriften über die gegenseitige Anerkennung von Gesellschaften und über die Aufrechterhaltung ihrer Rechtspersönlichkeit bei grenzüberschreitender Sitzverlegung ergäben, dies aber nur, soweit erforderlich, also nur für den Fall, dass die Bestimmungen des EG-Vertrags die Erreichung der Vertragsziele nicht 233 EuGH, Rs. C-208/00 (Überseering BV/Nordic Construction Company Baumanagement GmbH), Slg. 2002, I-9919 (9953 ff.).
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ermöglichten. Sodann stellt der Gerichtshof klar, dass Übereinkünfte, zu deren Abschluss Art. 293, 3. Spstr. EG anrege, genau wie die in Art. 44 EG vorgesehenen Harmonisierungsrichtlinien die Verwirklichung der Niederlassungsfreiheit zwar erleichtern könnten, das Gebrauchmachen von dieser Freiheit aber nicht vom Abschluss solcher Übereinkünfte abhängen könne.234 Daraus, dass Art. 48 Abs. 1 EG die nach den Rechtsvorschriften eines Mitgliedstaats gegründeten Gesellschaften, die ihren satzungsmäßigen Sitz, ihre Hauptverwaltung oder ihre Hauptniederlassung innerhalb der Gemeinschaft haben, für die Anwendung der Bestimmungen über das Niederlassungsrecht den natürlichen Personen, die Angehörige der Mitgliedstaaten sind, gleichstelle, folge unmittelbar, dass diese Gesellschaften das Recht haben, sich in anderen Mitgliedstaaten niederzulassen, ihre Tätigkeiten also in anderen Mitgliedstaaten auszuüben.235 Dabei setze die Inanspruchnahme der Niederlassungsfreiheit zwingend die Anerkennung dieser Gesellschaften durch alle Mitgliedstaaten voraus, in denen sie sich niederlassen wollen.236 Da die seit Ablauf der Übergangszeit unmittelbar anwendbare Niederlassungsfreiheit von Gesellschaften die Mitgliedstaaten zur Anerkennung EGausländischer Gesellschaften verpflichte, sei es nicht erforderlich, dass die Mitgliedstaaten hierüber eine Übereinkunft schließen, damit Gesellschaften von der Niederlassungsfreiheit Gebrauch machen können. Folglich könne kein Rechtfertigungsgrund für eine Beschränkung der vollen Wirksamkeit der Niederlassungsfreiheit von Gesellschaften daraus hergeleitet werden, dass bis heute keine Übereinkunft über die gegenseitige Anerkennung von Gesellschaften auf der Grundlage des Art. 293, 3. Spstr. EG geschlossen worden sei.237 Im Anschluss daran geht der Gerichtshof auf das Vorbringen der NCC sowie der deutschen, spanischen und italienischen Regierung ein, dass sich auch aus dem Daily Mail-Urteil ergebe, dass die Art. 43 Abs. 1, 48 Abs. 1 EG den Mitgliedstaaten nicht die Verpflichtung auferlegen, die nach dem Gründungsrecht erworbene Rechtsfähigkeit einer EG-ausländischen Gesellschaft anzuerkennen, wenn diese ihren Hauptverwaltungssitz in ihr Hoheitsgebiet verlege, und die Vorschriften, die ein Mitgliedstaat zur Bestimmung der Rechts- und Parteifähigkeit einer Gesellschaft anwende, die ihren Hauptverwaltungssitz in sein Gebiet verlegt habe, daher nicht dem Anwendungsbereich der Art. 43 Abs. 1, 48 Abs. 1 EG unterfallen.238 Diese Auslegung des Daily Mail-Urteils hält der Gerichtshof für unzutreffend. In der Rechtssache Daily Mail sei es um die Beziehungen zwischen einem Mitgliedstaat und einer nach seinem Recht gegründeten Gesellschaft in dem Fall gegangen, dass die Gesellschaft ihren Hauptverwaltungssitz
234 235 236 237 238
EuGH, EuGH, EuGH, EuGH, EuGH,
ebd., S. 9964. ebd. ebd., S. 9965. ebd. ebd., S. 9955 f.
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unter Beibehaltung ihrer Rechtspersönlichkeit und ihrer Eigenschaft als Gesellschaft des Gründungsstaats in einen anderen Mitgliedstaat verlegen wollte. Sämtliche Ausführungen in der Daily Mail-Entscheidung bezögen sich ausschließlich auf diese Wegzugsituation.239 Demgegenüber gehe es in der vorliegenden Rechtssache darum, ob in dem Fall, dass eine nach dem Recht eines Mitgliedstaats wirksam gegründete Gesellschaft ihren tatsächlichen Verwaltungssitz in einen anderen Mitgliedstaat verlegt habe, dieser andere Mitgliedstaat sich weigern dürfe, die Rechtspersönlichkeit der zugezogenen Gesellschaft anzuerkennen, die ihr nach der Rechtsordnung ihres Gründungsstaats zuerkannt werde. Zu dieser Frage habe sich der Gerichtshof in der Daily Mail-Entscheidung nicht geäußert. Ungeachtet des allgemein gehaltenen Wortlauts der Randnummer 23 dieser Entscheidung habe der Gerichtshof den Mitgliedstaaten nicht die Möglichkeit einräumen wollen, die tatsächliche Inanspruchnahme der Niederlassungsfreiheit in ihrem Hoheitsgebiet durch in anderen Mitgliedstaaten wirksam gegründete Gesellschaften, von denen sie annehmen, dass sie ihren tatsächlichen Verwaltungssitz in ihr Hoheitsgebiet verlegt haben, von der Beachtung ihres nationalen Gesellschaftsrechts abhängig zu machen. Dem Urteil Daily Mail könne daher nicht entnommen werden, dass in dem Fall, dass eine Gesellschaft, die nach dem Recht eines Mitgliedstaats gegründet sei, und der dort Rechtspersönlichkeit zuerkannt werde, von ihrer Niederlassungsfreiheit Gebrauch mache, die Frage der Anerkennung ihrer Rechts- und Parteifähigkeit im Mitgliedstaat der Niederlassung nicht den Art. 43 Abs. 1, 48 Abs. 1 EG unterliege. Dies gelte selbst dann, wenn von dieser Gesellschaft nach dem Recht des Mitgliedstaats der Niederlassung angenommen werde, dass sie ihren tatsächlichen Verwaltungssitz dorthin verlegt habe.240 Im Anschluss daran stellt der Gerichtshof fest, dass die mitgliedstaatlichen Vorschriften über die Anerkennung der Rechts- und Parteifähigkeit von Gesellschaften im Sinne des Art. 48 Abs. 1 EG in den Anwendungsbereich der Niederlassungsfreiheit fallen, und die Überseering BV sich daher zu Recht auf diese Vertragsbestimmungen beruft, um sich dagegen zur Wehr zu setzen, dass das deutsche Recht sie nicht als parteifähige juristische Person ansieht.241 In einem zweiten Schritt prüft der EuGH, ob es in einer Situation wie der des Ausgangsverfahrens eine Beschränkung der Niederlassungsfreiheit darstellt, die Rechts- und Parteifähigkeit einer Gesellschaft anhand der Sitztheorie zu bestimmen. Der EuGH stellt in diesem Zusammenhang klar, dass eine Gesellschaft wie die Überseering BV, die nach dem Recht eines Mitgliedstaats wirksam gegründet worden sei und dort ihren satzungsmäßigen Sitz habe, aufgrund der Art. 43 Abs. 1, 48 Abs. 1 EG das Recht genieße, in anderen Mitgliedstaaten als 239 240 241
EuGH, ebd., S. 9967 f. EuGH, ebd., S. 9968. EuGH, ebd., S. 9969.
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2. Teil: EG-rechtlicher Schutz der statutswahrenden Niederlassung
Gesellschaft des Rechts ihres Gründungsstaats von ihrer Niederlassungsfreiheit Gebrauch zu machen. Werde die Rechts- und Parteifähigkeit einer Gesellschaft im Sinne des Art. 48 Abs. 1 EG in einer Situation wie der des Ausgangsverfahrens mittels der Sitztheorie bestimmt, stelle dies eine Beschränkung der Niederlassungsfreiheit dar, da dieses Vorgehen einer Negierung der Niederlassungsfreiheit gleichkomme.242 In einem dritten und letzten Schritt erörtert der Gerichtshof die Frage, ob diese Beschränkung gerechtfertigt ist. Die deutsche Regierung hatte für den Fall, dass der Gerichtshof die Anwendung der Sitztheorie als eine Beschränkung der Niederlassungsfreiheit ansehen sollte, hilfsweise geltend gemacht, dass diese Beschränkung zum Schutz der Gläubiger, Minderheitsgesellschafter, Arbeitnehmer und Fiskalinteressen gerechtfertigt sei. Der Gerichtshof stellt fest, es sei nicht auszuschließen, dass die von der deutschen Regierung angeführten zwingenden Gründe des Allgemeinwohls unter bestimmten Umständen Beschränkungen der Niederlassungsfreiheit rechtfertigen können. Diese Ziele können es seiner Auffassung nach allerdings nicht legitimieren, einer Gesellschaft, die in einem anderen Mitgliedstaat ordnungsgemäß gegründet worden ist und dort ihren satzungsmäßigen Sitz hat, die Rechts- und Parteifähigkeit abzusprechen, da eine solche Maßnahme der Negierung der den Gesellschaften in den Art. 43 Abs. 1, 48 Abs. 1 EG zuerkannten Niederlassungsfreiheit gleichkomme. Auf die erste Vorlagefrage antwortet der Europäische Gerichtshof daher: „Es verstößt gegen die Artikel 43 und 48 EG, wenn einer Gesellschaft, die nach dem Recht des Mitgliedstaats, in dessen Hoheitsgebiet sie ihren satzungsmäßigen Sitz hat, gegründet worden ist und von der nach dem Recht eines anderen Mitgliedstaats angenommen wird, dass sie ihren tatsächlichen Verwaltungssitz dorthin verlegt hat, in diesem Mitgliedstaat die Rechtsfähigkeit und damit die Parteifähigkeit vor seinen nationalen Gerichten für das Geltendmachen von Ansprüchen aus einem Vertrag mit einer in diesem Mitgliedstaat ansässigen Gesellschaft abgesprochen wird.“243
Die dem EuGH vom Bundesgerichtshof für den Fall der Bejahung der ersten Vorlagefrage gestellte weitere Frage beantwortet er sodann mit einem Satz, da die Antwort darauf bereits aus der Antwort auf die erste Vorlagefrage folge: „Macht eine Gesellschaft, die nach dem Recht des Mitgliedstaats gegründet worden ist, in dessen Hoheitsgebiet sie ihren satzungsmäßigen Sitz hat, in einem anderen Mitgliedstaat von ihrer Niederlassungsfreiheit Gebrauch, so ist dieser andere Mitgliedstaat nach den Artikeln 43 und Art. 48 EG verpflichtet, die Rechtsfähigkeit und damit die Parteifähigkeit zu achten, die diese Gesellschaft nach dem Recht ihres Gründungsstaats besitzt.“244
242 243 244
EuGH, ebd., S. 9970 f. EuGH, ebd., S. 9975. EuGH, ebd., S. 9976.
A. Sachlicher Schutzbereich der Art. 43 Abs. 1, 48 Abs. 1 EG
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cc) Analyse und Einordnung der Entscheidung Das niederländische Recht knüpfte an die Verlegung des Hauptverwaltungssitzes der Überseering BV keine nachteiligen Rechtsfolgen, so dass die Gesellschaft nach ihrem niederländischen Gründungsstatut fortexistierte. Ihr statutswahrender Zuzug in die Bundesrepublik wurde allerdings insoweit vereitelt, als das Landgericht und Oberlandesgericht Düsseldorf die Auffassung vertraten, dass sie nach dem anwendbaren deutschen Recht nicht rechtsfähig sei. Da der mit dem Rechtstreit Überseering BV/NCC befasste VII. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs diese Auffassung auch vertrat, angesichts der Centros-Entscheidung allerdings Zweifel an der EG-Rechtskonformität dieser Rechtslage hatte, kam es zu dem Vorabentscheidungsverfahren Überseering. Die den Rechtssachen Segers und Centros zugrunde liegenden Ausgangsfälle unterscheiden sich von dem der Rechtssache Überseering zugrunde liegenden Ausgangsfall zwar insoweit, als es in ersteren um die transnationale Begründung und nicht um die transnationale Verlegung des effektiven Verwaltungssitzes ging. In allen drei Fällen stand allerdings die Vereinbarkeit von mitgliedstaatlichen Beeinträchtigungen des statutswahrenden Zuzugs von Gesellschaften im Falle der grenzüberschreitenden Ansiedlung des effektiven Verwaltungssitzes mit den Art. 43 Abs. 1, 48 Abs. 1 EG in Streit. Die Vorlagefragen des Bundesgerichtshofs gehen auf folgende Überlegungen zurück. In seinem Vorlagebeschluss hat der VII. Zivilsenat ausgeführt, dass er es für vorzugswürdig erachtet, beim gegenwärtigen Stand des Gemeinschaftsrechts und des Gesellschaftsrechts in der Europäischen Gemeinschaft daran festzuhalten, das Gesellschaftsstatut nach der Sitztheorie zu bestimmen,245 und zwar in ihrer restriktiven Variante. Diese zeichnet sich, wie gezeigt,246 dadurch aus, dass sie die Ansiedlung des effektiven Verwaltungssitzes von nach ausländischem Recht gegründeten Gesellschaften in Deutschland mit zwei Sanktionen belegt. Der in Rede stehende Niederlassungsvorgang wird zunächst dadurch sanktioniert, dass auf diese Gesellschaften nicht ihr Gründungsrecht, sondern deutsches materielles Gesellschaftsrecht zur Anwendung gebracht wird und ihnen in Deutschland daher nicht die im Gründungsstaat erlangte Rechtsfähigkeit zukommt. Die zweite Sanktion besteht darin, dass das deutsche materielle Gesellschaftsrecht diese ausländischen Gebilde auch nicht als inländische Rechtssubjekte anerkennt,247 was zur Konsequenz hat, dass sie in Deutschland als rechtliches Nullum behandelt werden.248 Mit der ersten Vorlagefrage wollte der BGH durch den Europäischen Gerichtshof klären lassen, ob diese von ihm prä-
245 246 247 248
BGH, ZIP 2000, 967 (968). Siehe Teil 1, A. I. 2. Mülbert/Schmolke, ZVglRWiss 100 (2001) 233 (264 f.). Siehe Teil 1, A. I. 2.
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2. Teil: EG-rechtlicher Schutz der statutswahrenden Niederlassung
ferierte Behandlung der Überseering BV in Deutschland als rechtliches Nullum mit den Art. 43 Abs. 1, 48 Abs. 1 EG vereinbar ist. Hinter der zweiten Vorlagefrage, ob die Niederlassungsfreiheit es gebietet, die Rechts- und Parteifähigkeit von Gesellschaften im Sinne des Art. 48 Abs. 1 EG nach dem Recht des Gründungsstaats zu beurteilen, stand folgende Überlegung des VII. Zivilsenats. In dem Fall, dass der Europäische Gerichtshof die Behandlung der Überseering BV als nicht existente Rechtsperson, und damit die Anwendung der strengen Sitztheorie als nicht gerechtfertigte Beschränkung der Niederlassungsfreiheit werten sollte, hätte die Möglichkeit bestanden, dass den Ausführungen des Gerichtshofs nicht (zweifelsfrei) entnommen werden kann, ob dieser EG-Rechtsverstoß nur dadurch abgestellt werden kann, dass die Rechtsfähigkeit nach dem Recht des Gründungsstaats bestimmt wird, die Überseering also als niederländische GmbH anerkannt werden muss, oder ob es zur Beseitigung des EG-Rechtsverstoßes ausreicht, dass die Rechtsfähigkeit nach deutschem Recht bestimmt wird, wenn das deutsche materielle Gesellschaftsrecht die Überseering als deutsche Vor-GmbH249 oder als deutsche Personengesellschaft250 qualifiziert und ihr als solche Rechtsfähigkeit zuerkennt. Nach der Centros- und vor Erlass der Überseering-Entscheidung hat der für das Gesellschaftsrecht zuständige II. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs in Bezug auf nach dem Recht von Drittstaaten gegründete Gesellschaften mit effektivem Verwaltungssitz in Deutschland letzteren Weg beschritten, und damit insoweit eine Abkehr von der strengen zur milden Sitztheorie vollzogen.251 Die zweite Frage des VII. Zivilsenats des Bundesgerichtshofs zielt somit darauf ab, durch den Europäischen Gerichtshof eine grundsätzliche, die Art. 43 Abs. 1, 48 Abs. 1 EG betreffende Auslegungsfrage klären zu lassen, um auf diesem Wege in Erfahrung zu bringen, wie ein etwaig durch die Anwendung der strengen Sitztheorie bewirkter Verstoß gegen diese Bestimmungen zu beseitigen ist.252 249
Siehe Teil 1, A. I. 2. Siehe Teil 1, A. I. 2. 251 BGHZ 151, 204 (206 ff.). Der im II. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs tätige Richter Goette, DStR 2002, 1679 (1680) hielt die Vorlage des VII. Zivilsenats an den EuGH wegen dieser Rechtsprechungsänderung des II. Zivilsenats für nicht (mehr) erforderlich. Ebenso zuvor bereits Altmeppen, DStR 2000, 1061 (1063); Forsthoff, DB 2000, 1109 (1109 f.); W.-H. Roth, EWiR 2000, § 50 ZPO, 1/00, 793 (794); ders., ZIP 2000, 1597 (1599 ff.). 252 Der VII. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat im Anschluss an das Vorabentscheidungsverfahren Überseering entschieden, dass eine Gesellschaft, die unter dem Schutz der im EG-Vertrag garantierten Niederlassungsfreiheit steht, berechtigt ist, ihre vertraglichen Rechte in jedem Mitgliedstaat geltend zu machen, wenn sie nach der Rechtsordnung des Staates, in dem sie gegründet worden ist und in dem sie nach einer eventuellen Verlegung ihres Verwaltungssitzes in einen anderen Mitgliedstaat weiterhin ihren satzungsmäßigen Sitz hat, hinsichtlich des geltend gemachten Rechts rechtsfähig ist, BGH, BB 2003, 915. 250
A. Sachlicher Schutzbereich der Art. 43 Abs. 1, 48 Abs. 1 EG
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Der Europäische Gerichtshof hat im Rahmen der Beantwortung der ersten Vorlagefrage festgestellt, dass die Inanspruchnahme der Niederlassungsfreiheit zwingend die Anerkennung der Rechtsfähigkeit voraussetzt, die Gesellschaften im Sinne des Art. 48 Abs. 1 EG nach ihrem Gründungsrecht besitzen.253 Damit hat er zugleich festgestellt, dass das Vertragsziel, die Niederlassungsfreiheit von Gesellschaften zu verwirklichen, nur erreicht werden kann, wenn sichergestellt ist, dass alle Mitgliedstaaten die Rechtsfähigkeit, die Gesellschaften im Sinne des Art. 48 Abs. 1 EG in ihren Gründungsstaaten erlangt haben, anerkennen müssen. Mit seinen Feststellungen, dass der Abschluss eines Übereinkommens im Sinne des Art. 293, 3. Spstr. EG hierfür nicht erforderlich ist,254 und die Ausübung der Niederlassungsfreiheit von Gesellschaften auch nicht vom Erlass einer die Anerkennung regelnden Richtlinie im Sinne des Art. 44 Abs. 2 lit. g EG abhängt,255 hat er klargestellt, dass die Mitgliedstaaten unmittelbar durch die Art. 43 Abs. 1, 48 Abs. 1 EG zur Anerkennung der Rechtsfähigkeit verpflichtet werden, die EG-ausländische Gesellschaften im Sinne des Art. 48 Abs. 1 EG nach ihrem Gründungsrecht besitzen. Damit hat der Gerichtshof die zweite Vorlagefrage bereits im Rahmen seiner Ausführungen zur ersten Vorlagefrage (mit-)beantwortet. Aus diesem Grund hat er auf eine eigenständige Begründung seiner Antwort auf die zweite Frage verzichtet und nur darauf hingewiesen, dass aus seiner Antwort auf die erste Frage folge, dass in dem Fall, dass eine Gesellschaft, die nach dem Recht des Mitgliedstaats gegründet worden ist, in dessen Hoheitsgebiet sie ihren satzungsmäßigen Sitz hat, in einem anderen Mitgliedstaat von ihrer Niederlassungsfreiheit Gebrauch macht, dieser andere Mitgliedstaat nach den Art. 43 Abs. 1, 48 Abs. 1 EG verpflichtet ist, die Rechtsfähigkeit und damit die Parteifähigkeit zu achten, die diese Gesellschaft nach dem Recht ihres Gründungsstaats besitzt.256 In der Centros-Entscheidung hat der Gerichtshof festgestellt, dass Art. 43 Abs. 1 S. 1 EG einem Unionsbürger dass Recht einräumt, eine Gesellschaft in dem Mitgliedstaat zu gründen, „dessen gesellschaftsrechtliche Vorschriften ihm die größte Freiheit lassen“.257 Unter den Begriff der „Gründung“ im Sinne des Art. 43 Abs. 1 S. 1 EG fällt die Errichtung einer Gesellschaft im Sinne des Art. 48 Abs. 2 EG.258 Die „Gründung“ umfasst nach der Rechtsprechung des EuGH aber auch den Erwerb von Anteilen an einer bereits bestehenden Gesellschaft im Sinne des Art. 48 Abs. 2 EG, sofern diese Beteiligung dem Erwerber 253 EuGH, Rs. C-208/00 (Überseering BV/Nordic Construction Company Baumanagement GmbH), Slg. 2002, I-9919 (9965 i.V. m. 9970). 254 EuGH, ebd., S. 9965. 255 EuGH, ebd., S. 9964. 256 EuGH, ebd., S. 9974. 257 EuGH, Rs. C-212/97 (Centros Ltd./Erhvervs- og Selskabsstyrelsen), Slg. 1999, I-1459 (1493). 258 Lackhoff (Fn. 141), S. 46.
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einen gewissen Einfluss auf die Entscheidungen der Gesellschaft verleiht und es ihm ermöglicht, deren Tätigkeit zu bestimmen.259 Darauf hat der EuGH in der Überseering-Entscheidung ausdrücklich hingewiesen.260 Geht man wie der EuGH davon aus, dass Art. 43 Abs. 1 S. 1 EG den Unionsbürgern eine Rechtswahlfreiheit im Bereich des Gesellschaftsrechts garantiert, muss diese nicht nur durch die Errichtung einer Gesellschaft, sondern auch durch den Erwerb von Anteilen an einer bereits existenten Gesellschaft ausgeübt werden können. Denn wertungsmäßig macht es keinen Unterschied, ob man eine Gesellschaft in einem Mitgliedstaat gründet oder Anteile an einer bereits existenten, in einem Mitgliedstaat niedergelassenen Gesellschaft erwirbt, um mittels dieser vorwiegend oder ausschließlich in einem anderen Mitgliedstaat geschäftliche Aktivitäten auszuüben, und auf diesem Wege das Gesellschaftsrecht letzteren Staates zu umgehen. Damit haben die beiden deutschen Staatsangehörigen in dem der Rechtssache Überseering zugrunde liegenden Ausgangsfall durch den Erwerb sämtlicher Anteile an der Überseering BV und der Verlagerung ihres geschäftlichen Operationszentrums nach Deutschland letztlich in der gleichen Weise von dem Recht zur Gründung und Leitung von Gesellschaften Gebrauch gemacht, wie das Ehepaar Bryde in dem der Rechtssache Centros zugrunde liegenden Ausgangsfall durch die Errichtung der Centros Ltd. im Vereinigten Königreich zu dem Zweck, mittels dieser ausschließlich in Dänemark tätig zu werden. Hiergegen lässt sich nicht einwenden, dass nicht feststeht, ob die beiden deutschen Staatsangehörigen mit ihrer Vorgehensweise – wie das Ehepaar Bryde – die Nutzung von Rechtsunterschieden bezweckt haben. Sofern Art. 43 Abs. 1 S. 1 EG Unionsbürgern das Recht garantiert, Anteile an einer in einem Mitgliedstaat niedergelassenen Gesellschaft zu erwerben, und über diese – durch die Verlegung ihres effektiven Verwaltungssitzes – vorwiegend oder ausschließlich in einem anderen Mitgliedstaat Geschäftstätigkeiten auszuüben, muss dies auch dann gelten, wenn mit dieser Vorgehensweise primär oder ausschließlich das Ziel verfolgt wird, rein wirtschaftliche Vorteile, wie etwa einen schnellen Zugriff auf bereits bestehende Organisationsstrukturen oder Betriebsmittel einer Gesellschaft zu nutzen. Denn es wäre wertungswidersprüchlich, die in Rede stehende Vorgehensweise als gemeinschaftsrechtlich geschützt anzusehen, wenn vorrangiges oder ausschließliches Ziel die Nutzung gesellschaftsrechtlicher Unterschiede ist, und 259 EuGH, Rs. C-251/98 (C. Baars/Inspecteur der Belastingen Particulieren/Ondernemingen Gorinchem), Slg. 2000, I-2787 (2814 f.); Rs. C-208/00 (Überseering BV/ Nordic Construction Company Baumanagement GmbH), Slg. 2002, I-9919 (9969 f.). Vgl. auch Troberg, in: v.d. Groeben/Thiesing/Ehlermann (Hrsg.), Kommentar zu EU-/ EG-Vertrag, Bd. V, 5. Aufl. 1997, Art. 221 EGV Rn. 3; Lackhoff, ebd.; Schön, RabelsZ 64 (2000) 1 (11); Bröhmer (Fn. 141), Art. 43 EGV Rn. 9; v. Wilmowsky, in: Ehlers (Hrsg.), Europäische Grundrechte und Grundfreiheiten, 2003, § 12 Rn. 3. 260 EuGH, Rs. C-208/00 (Überseering BV/Nordic Construction Company Baumanagement GmbH), ebd.
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derselben Vorgehensweise den gemeinschaftsrechtlichen Schutz zu versagen, wenn diese vorrangig oder ausschließlich der Nutzung damit verbundener wirtschaftlicher Vorteile dient. Abgesehen von dem sachlichen Widerspruch könnte eine solche Differenzierung in praxi auch nicht durchgehalten werden, da ein Unionsbürger lediglich angeben müsste, dass seine Vorgehensweise im Einzelfall (primär) der Nutzung von Rechtsunterschieden dient, um sich mit Erfolg auf Art. 43 Abs. 1 S. 1 EG zu berufen. Entwickelt man die Centros-Rechtsprechung vor diesem Hintergrund konsequent weiter, muss das Recht zur Gründung und Leitung von Gesellschaften nach Art. 43 Abs. 1 S. 1 EG somit auch die Befugnis umfassen, Anteile an einer in einem Mitgliedstaat niedergelassenen Gesellschaft zu erwerben, und diese Gesellschaft dergestalt zu leiten, dass sie ihren effektiven Verwaltungssitz in einen anderen Mitgliedstaat verlegt, um dort ihr geschäftliches Operationszentrum zu errichten. Da Unionsbürger die ihnen durch Art. 43 Abs. 1 S. 1 EG eingeräumte Gesellschaftsrechtswahlfreiheit in der Gründungsvariante nur ausüben können, wenn die von ihnen gegründeten Gesellschaften in den jeweiligen Zielmitgliedstaaten statutswahrend ihren Hauptverwaltungssitz errichten können, hat der Gerichtshof die Art. 43 Abs. 1, 48 Abs. 1 EG in der Centros-Entscheidung dahin ausgelegt, dass sie Gesellschaften zum Zweck der Begründung ihres Hauptverwaltungssitzes ein statutswahrendes Zuzugsrecht einräumen.261 Gründen Unionsbürger Gesellschaften nicht neu, sondern erwerben Anteile an bereits in einem Mitgliedstaat ansässigen Gesellschaften, können sie die Gesellschaftsrechtswahlfreiheit nur ausüben, wenn die von ihnen erworbenen Gesellschaften ihren Hauptverwaltungssitz in den jeweiligen Zielmitgliedstaat statutswahrend verlegen können. Auch wenn letztere Vorgehensweise im Einzelfall nicht der Nutzung rechtlicher, sondern rein wirtschaftlicher Vorteile dient, muss den zu diesem Zweck erworbenen Gesellschaften ein statutswahrendes Zuzugsrecht zustehen. Denn auch die Möglichkeit zur Nutzung dieser Vorteile hängt davon ab, dass sich die erworbenen Gesellschaften in den jeweiligen Zielmitgliedstaaten statutswahrend niederlassen können. Vor diesem Hintergrund kann die Feststellung des Gerichtshofs in der Überseering-Entscheidung, dass den Art. 43 Abs. 1, 48 Abs. 1 EG die subjektivrechtlich unterfangene Verpflichtung der Mitgliedstaaten zu entnehmen ist, die nach dem Recht anderer Mitgliedstaaten erworbene Rechts- und Parteifähigkeit von Gesellschaften im Sinne des Art. 48 Abs. 1 EG anzuerkennen, nur dahin interpretiert werden, dass er diesen Bestimmungen ein statutswahrendes Zuzugsrecht von Gesellschaften auch zum Zweck der Verlegung ihres Hauptverwaltungssitzes entnommen, und damit die Centros-Rechtsprechung in sich folge261
Siehe Teil 2, A. I. 1. b) cc).
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richtig weiterentwickelt hat, um sicherzustellen, dass die Unionsbürger sämtliche mit dem Recht zur Gründung und Leitung von Gesellschaften verbundenen Befugnisse ausüben können. Dass der Europäische Gerichtshof in der Überseering-Entscheidung nicht festgestellt hat, dass die Art. 43 Abs. 1, 48 Abs. 1 EG die Mitgliedstaaten dazu verpflichten, das gesamte Gesellschaftsstatut anhand des Gründungsrechts zu bestimmen, sondern sich auf die Feststellung beschränkt hat, dass diese Vorschriften die Mitgliedstaaten dazu verpflichten, die Rechts- und Parteifähigkeit von Gesellschaften anhand ihres Gründungsrechts zu ermitteln, ist darauf zurückzuführen, dass er vom Bundesgerichtshof nur hinsichtlich des Bestehens letzterer Verpflichtung um Vorabentscheidung ersucht wurde. Dass der Gerichtshof in dem soeben aufgezeigten Sinne verstanden werden will, zeigt sich auch daran, wie er den Inhalt der der Überseering BV zustehenden Niederlassungsfreiheit in den Entscheidungsgründen umschrieben hat: „Überseering, die in den Niederlanden wirksam gegründet worden ist und dort ihren satzungsmäßigen Sitz hat, genießt aufgrund der Artikel 43 EG und 48 EG das Recht, als Gesellschaft niederländischen Rechts262 in Deutschland von ihrer Niederlassungsfreiheit Gebrauch zu machen.“263
Damit kann der Gerichtshof nicht gemeint haben, dass nur die Rechts- und Parteifähigkeit nach dem Gründungsrecht bestimmt werden muss, und auf die Gesellschaft im übrigen ohne weiteres deutsches Gesellschaftsrecht Anwendung finden kann. Denn in diesem Fall wäre die Überseering BV eine in die „Rechtshülle“ einer niederländischen GmbH eingekleidete deutsche Gesellschaft, und könnte damit im Ergebnis – unter Zugrundelegung einer nicht rein formalistischen Sichtweise – gerade nicht als niederländische, sondern nur als deutsche Gesellschaft von ihrem Niederlassungsrecht in Deutschland Gebrauch machen.264 Fraglich ist, ob der Überseering-Entscheidung entnommen werden kann, ob der Gerichtshof an seiner in der Daily Mail-Entscheidung getroffenen Aussage festhält, dass die Art. 43 Abs. 1, 48 Abs. 1 EG Gesellschaften kein statutswahrendes Wegzugsrecht zum Zweck der Verlegung ihres Hauptverwaltungssitzes einräumen. Bis dato ist keine Richtlinie im Sinne des Art. 44 Abs. 2 lit. g EG erlassen worden, die die Modalitäten des Wegzugs regelt, so dass die in dieser 262
Hervorhebung durch Verfasser. EuGH, Rs. C-208/00 (Überseering BV/Nordic Construction Company Baumanagement GmbH), Slg. 2002, I-9919 (9970). 264 So i. E. auch Binz/Mayer, GmbHR 2003, 249 (255); Sandrock, ZVglRWiss 102 (2003) 447 (455). In diese Richtung auch Forsthoff, DB 2002, 2471 (2474); Hirte, EWS 2002, 573 (573 f.); ders., FAZ v. 22.1.2003, S. 19; Kallmeyer, DB 2002, 2521; ders., GmbHR 2003, R 93; Leible/Hoffmann, RIW 2002, 925 (928); Bayer, BB 2003, 2357 (2362); Kersting, NZG 2003, 9 (9 f.); Stoller, JuS 2003, 846 (848). A. A. Großfeld, RIW 2002, Heft 12, Die erste Seite. 263
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Entscheidung aufgestellte Voraussetzung dafür, dass die Art. 43 Abs. 1, 48 Abs. 1 EG Gesellschaften den statutswahrenden Wegzug zwecks Verlegung ihres Hauptverwaltungssitzes ermöglichen, noch nicht erfüllt ist.265 Im Überseering-Verfahren wurde vorgebracht, aus der Daily Mail-Entscheidung ergebe sich, dass die Mitgliedstaaten die Rechtsfähigkeit EG-ausländischer Gesellschaften nicht anerkennen müssten, da hierzu eine – noch nicht erfolgte – Harmonisierung der (international-)gesellschaftsrechtlichen Vorschriften erforderlich sei.266 Dieses Vorbringen hat der Gerichtshof – nachdem er auf diese Frage im Centros-Urteil nicht eingegangen war – zum Anlass genommen, in den Entscheidungsgründen des Überseering-Urteils klarzustellen, dass das Daily Mail-Urteil ausschließlich die Vereinbarkeit einer Beschränkung des statutswahrenden Wegzugs einer Gesellschaft durch ihren Inkorporationsstaat mit den Art. 43 Abs. 1, 48 Abs. 1 EG zum Gegenstand hatte, und sich sämtliche Ausführungen des Gerichtshofs allein auf diese Wegzugsituation bezogen.267 Da das Überseering-Urteil Fragen des statutswahrenden Zuzugs einer Gesellschaft betraf und die den Gegenstand des Daily Mail-Urteils bildende Frage des Bestehens eines statutswahrenden Wegzugsrechts damit nicht entscheidungserheblich war, konnte der Gerichtshof an sich offen lassen, ob er an seinen damaligen Aussagen festhält. Explizit hat sich Gerichtshof zu dieser Frage wegen ihrer Entscheidungsunerheblichkeit auch nicht geäußert. Ganz überwiegend wird die in der Überseering-Entscheidung erfolgte Bezugnahme auf die im Daily MailUrteil getroffenen Feststellungen zum statutswahrenden Wegzugsrecht dennoch dahin interpretiert, dass der Gerichtshof deren Weitergeltung damit bestätigt habe.268 265 So i. E. auch GA Colomer, Schlussanträge in der Rs. C-208/00 (Überseering BV/ Nordic Construction Company Baumanagement GmbH), Slg. 2002, I-9919 (9929). 266 EuGH, Rs. C-208/00 (Überseering BV/Nordic Construction Company Baumanagement GmbH), Slg. 2002, I-9919 (9955 f.). 267 EuGH, ebd., S. 9967 f. Bestätigt durch EuGH, Rs. C-167/01 (Kamer van Koophandel en Fabrieken voor Amsterdam/Inspire Art Ltd.), ZIP 2003, 1885 (1891). 268 Kallmeyer, DB 2002, 2521 (2521 f.); Leible/Hoffmann, RIW 2002, 925 (930, 932); dies., EuZW 2003, 677 (682); Wernicke, EuZW 2002, 758 (760); Behrens, IPRax 2003, 193 (203); ders., IPRax 2004, 20 (26); Binz/Mayer, GmbHR 2003, 249 (255); Birk, IStR 2003, 469 (473); Deininger, IStR 2003, 214; Drygala, EWiR 2003, Art. 43 EG, 4/03, 1029 (1030); Frenz, GewArch 49 (2003) 177 (181); Geyrhalter/Gänßler, NZG 2003, 409 (411); Großerichter, DStR 2003, 159 (164 f.); v. Halen, WM 2003, 571 (574); Probst/Kleinert, MDR 2003, 1265 (1268); Leible/Hoffmann, ZIP 2003, 925 (929 Fn. 41); Lutter, BB 2003, 7 (10); Müller-Bonanni, GmbHR 2003, 1235 (1236); Paeffgen, WM 2003, 561 (568); Schanze/Jüttner, AG 2003, 30 (33 und Fn. 41); Seifert, GewArch 49 (2003) 18 (19); Spindler/Berner, RIW 2003, 949 (956); Triebel/v. Hase, BB 2003, 2409 (2410). Zwar vorsichtiger, i. E. – zwar kritisch – aber auch Forsthoff, DB 2002, 2471 (2475); Bayer, BB 2003, 2357 (2361, 2363); Halbhuber, ZEuP 2003, 422 (429). So auch Eidenmüller, ZIP 2002, 2233 (2242 f.); ders., JZ 2003, 526 (528); ders., JZ 2004, 24 (29), der selbst allerdings davon ausgeht, dass der Wegzug durch die Art. 43 Abs. 1, 48 Abs. 1 EG geschützt ist, die Rechtfertigung von Wegzugsbeschränkungen im Gegensatz zu der Rechtfertigung von Zuzugsbeschränkungen jedoch
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Dem kann nicht gefolgt werden. Der Überseering-Entscheidung lässt sich trotz des Fehlens einer expliziten dahingehenden Aussage entnehmen, dass der Gerichtshof eine Abkehr von seinen in der Daily Mail-Entscheidung getroffenen Aussagen vollzogen hat. Zunächst findet sich in der Überseering-Entscheidung die Feststellung, dass die Erforderlichkeit für den Abschluss von Übereinkommen im Sinne des Art. 293, 3. Spstr. EG von der gemeinschaftlichen Interessenlage her zu bestimmen ist: „Diese Vorschrift fordert die Mitgliedstaaten zwar auf, Verhandlungen einzuleiten, u. a. um die Lösung der Probleme zu erleichtern, die sich aus der Unterschiedlichkeit der Rechtsvorschriften über die gegenseitige Anerkennung von Gesellschaften und über die Aufrechterhaltung ihrer Rechtspersönlichkeit bei grenzüberschreitender Sitzverlegung ergeben, dies aber nur, soweit erforderlich, also für den Fall, dass die Bestimmungen des EG-Vertrags nicht die Erreichung der Vertragsziele ermöglichen.“269
Da der EuGH Vorschriften des Gemeinschaftsrechts in seinen Entscheidungen grundsätzlich270 so auslegt, wie sie seit ihrem In-Kraft-Treten auszulegen und anzuwenden gewesen wären, muss davon ausgegangen werden, dass er das Bedürfnis für den Abschluss eines völkervertraglichen Übereinkommens auch in der Daily Mail-Entscheidung nicht anhand der nationalen Interessenlage bestimmt hat. Dann aber kann er Art. 293, 3. Spstr. EG gegenüber den Art. 43 Abs. 1, 48 Abs. 1 EG damals nicht als lex specialis angesehen haben. Sollte er dies doch getan haben, folgt aus seinen nunmehrigen Aussagen, dass er Art. 293, 3. Spstr. EG gegenüber den Art. 43 Abs. 1, 48 Abs. 1 EG nicht mehr als lex specialis einstuft. Damit verbleibt nur noch der Argumentationsstrang, dass die Art. 43 Abs. 1, 48 Abs. 1 EG hinsichtlich der Verpflichtung zur Ermöglichung des Wegzugs nicht unmittelbar anwendbar sind, weil es zur Erfüllung dieser Verpflichtung weiterer Rechtssetzungsmaßnahmen bedarf. Das Vorbringen, zur Verwirklichung der Niederlassungsfreiheit von Gesellschaften seien weitere Rechtssetzungsmaßnahmen erforderlich, hat der EuGH in der Überseering-Entscheidung jedoch ausdrücklich zurückgewiesen: „Insbesondere ist darauf hinzuweisen, dass zwar die Übereinkünfte, zu deren Abschluss Artikel 293 EG anregt, genau wie die in Artikel 44 EG vorgesehenen Harmonisierungsrichtlinien die Verwirklichung der Niederlassungsfreiheit erleichtern nicht voraussetzt, dass diese verhältnismäßig sind, sondern nur, dass der Wegzugsstaat irgendein legitimes Interesse an der jeweiligen Wegzugsbeschränkung geltend machen kann, ZIP 2002, 2233 (2242 f.); JZ 2004, 24 (29). 269 EuGH, Rs. C-208/00 (Überseering BV/Nordic Construction Company Baumanagement GmbH), Slg. 2002, I-9919 (9964). 270 St. Rspr. EuGH, verb. Rs. C-367/93 – C-377/93 (F. G. Roders BV u. a./Inspecteur der Invoerrechten en Accijnzen), Slg. 1995, I-2229 (2264); Rs. C-35/97 (Kommission der Europäischen Gemeinschaften/Französische Republik), Slg. 1998, I-5325 (5353); Rs. C-184/99 (Rudy Grzelczyk/Centre public d’aide sociale d’Ottignies-Louvain-laNeuve), Slg. 2001, I-6193 (6247). Vgl. auch EuGH, Rs. C-104/98 (Johann Buchner u. a./Sozialversicherungsanstalt der Bauern), Slg. 2000, I-3625 (3656). Näher zu den hier nicht einschlägigen Ausnahmen von diesem Grundsatz Ehlers (Fn. 190), § 7 Rn. 46.
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können, das Gebrauchmachen von dieser Freiheit aber nicht vom Abschluss solcher Übereinkünfte abhängen kann. . . . Es ist daher nicht erforderlich, dass die Mitgliedstaaten eine Übereinkunft über die gegenseitige Anerkennung von Gesellschaften schließen, damit die Gesellschaften, die die in Artikel 48 EG genannten Voraussetzungen erfüllen, von der Niederlassungsfreiheit Gebrauch machen können, die ihnen in den seit Ablauf der Übergangszeit unmittelbar anwendbaren Artikel 43 EG und 48 EG zuerkannt wird. Folglich kann kein Rechtfertigungsgrund für eine Beschränkung der vollen Wirksamkeit dieses Artikels daraus hergeleitet werden, dass bis heute keine Übereinkunft über die gegenseitige Anerkennung von Gesellschaften auf der Grundlage des Artikels 293 EG geschlossen worden ist.“271
Da der Europäische Gerichtshof somit zum einen festgestellt hat, dass Art. 293, 3. Spstr. EG gegenüber den Art. 43 Abs. 1, 48 Abs. 1 EG nicht lex specialis ist, und zum anderen klargestellt hat, dass letztere Bestimmungen insgesamt unmittelbar anwendbar sind, hat er in der Überseering-Entscheidung beide Begründungsansätze, die der Daily Mail-Entscheidung zugrunde gelegen haben können, verworfen. Folgerichtig deutet der Gerichtshof in der Überseering-Entscheidung die Erforderlichkeit einer Änderung der Daily Mail-Rechtsprechung an. Seine entscheidende Feststellung in der Daily Mail-Entscheidung, dass „die Artikel 52 und 58 EWG-Vertrag [Art. 43, 48 EG] den Gesellschaften nationalen Rechts kein Recht [gewähren], den Sitz ihrer Geschäftsleitung unter Bewahrung ihrer Eigenschaft als Gesellschaften des Mitgliedstaats ihrer Gründung in einen anderen Mitgliedstaat zu verlegen“272, gibt er in der Überseering-Entscheidung sinngemäß wie folgt wieder: „Er [der Gerichtshof] zog daraus den Schluss, dass ein Mitgliedstaat die Möglichkeit hat, einer nach seiner Rechtsordnung gegründeten Gesellschaft Beschränkungen hinsichtlich der Verlegung ihres tatsächlichen Verwaltungssitzes aus seinem Hoheitsgebiet aufzuerlegen, damit sie die ihr nach dem Recht dieses Staates zuerkannte Rechtspersönlichkeit beibehalten kann.“273
Vor dem Hintergrund, dass der EuGH die beiden denkbaren Begründungsansätze, die dem Daily Mail-Urteil zugrunde gelegen haben können, verworfen hat, legt die von ihm verwendete Formulierung zur Wiedergabe des Sinngehalts der entscheidenden Daily Mail-Urteilspassage den Schluss nahe, dass er nunmehr davon ausgeht, dass ein Mitgliedstaat den statutswahrenden Wegzug der nach seinem Recht gegründeten Gesellschaften im Falle der Verlegung des Hauptverwaltungssitzes zwar beschränken darf, diese Beschränkungen ihm aber eine Rechtfertigungslast auferlegen, der sachliche Schutzbereich der Niederlassungsfreiheit Gesellschaften im Falle der transnationalen Verlegung des Haupt271 EuGH, Rs. C-208/00 (Überseering BV/Nordic Construction Company Baumanagement GmbH), Slg. 2002, I-9919 (9964 f.). 272 EuGH, Rs. 51/87 (The Queen/Treasury and Commissioners of Inland Revenue, ex parte Daily Mail and General Trust PLC), Slg. 1988, 5483 (5512). 273 EuGH, Rs. C-208/00 (Überseering BV/Nordic Construction Company Baumanagement GmbH), Slg. 2002, I-9919 (9968).
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2. Teil: EG-rechtlicher Schutz der statutswahrenden Niederlassung
verwaltungssitzes also ein statutswahrendes Wegzugsrecht garantiert. Da das Recht zur Gründung und Leitung von Gesellschaften durch Unionsbürger nur wirksam ausgeübt werden kann, wenn der statutswahrende Wegzug von Gesellschaften sowohl im Falle der erstmaligen Begründung als auch im Falle der Verlegung ihres Hauptverwaltungssitzes durch die Art. 43 Abs. 1, 48 Abs. 1 EG geschützt wird, muss davon ausgegangen werden, dass der Gerichtshof im Rahmen eines diese Frage thematisierenden Vorlageverfahrens274 zu dem Ergebnis gelangen wird, dass die Niederlassungsbestimmungen Gesellschaften zum Zweck der Verlegung ihres Hauptverwaltungssitzes ein statutswahrendes Wegzugsrecht einräumen.275 Den Grundstein hierfür hat der Gerichtshof mit der Überseering-Entscheidung gelegt. 3. Fazit Der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs lässt sich entnehmen, dass er den sachlichen Schutzbereich der sekundären Niederlassungsfreiheit dahin auslegt, dass dieser den über Art. 48 Abs. 1 EG in den personalen Schutzbereich einbezogenen Gesellschaften zum Zweck der transnationalen Begründung ihres Hauptverwaltungssitzes ein statutswahrendes Zuzugsrecht einräumt, sofern sie in ihren Inkorporationsstaaten nur über einen Satzungssitz verfügen. Ferner entnimmt der Gerichtshof dem sachlichen Schutzbereich der Art. 43 Abs. 1, 48 Abs. 1 EG – ohne dabei zwischen der primären und sekundären Niederlassungsfreiheit zu differenzieren – die Garantie eines statutswahrenden Zuzugsrechts zum Zweck der Verlegung des Hauptverwaltungssitzes. Seit der Überseering-Entscheidung muss aus den zuvor aufgezeigten Gründen davon ausgegangen werden, dass der sachliche Schutzbereich der Niederlassungsfreiheit nach Auffassung des Gerichtshofs Gesellschaften zu diesem Zweck auch ein statutswahrendes Wegzugsrecht gewährt.
274 Das vom AG Heidelberg angestrengte Vorabentscheidungsverfahren (Rs. C-86/00 – HSB Wohnbau GmbH, EuZW 2000, 414 ff.), in dem es den EuGH darum ersucht hat, die Frage zu beantworten, ob die Art. 43 Abs. 1, 48 Abs. 1 EG einer Gesellschaft ein identitätswahrendes Wegzugsrecht zum Zweck der innergemeinschaftlichen Simultanverlegung von Satzungs- und Hauptverwaltungssitz einräumen, wurde mit Unzulässigkeitsbeschluss des EuGH beendet (EuZW 2001, 499), da das AG Heidelberg das Ersuchen in seiner Funktion als Registergericht gestellt hatte, und der EuGH dieser Tätigkeit keinen Rechtsprechungscharakter beigemessen hat. Zum fehlenden Rechtsprechungscharakter der Tätigkeit von Registergerichten Ehlers, in: Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner (Hrsg.), VwGO, Bd. I, 1996, Anh. § 40 VwGO/Art. 177 EGV Rn. 15. 275 So i. E. auch Schulz/Sester, EWS 2002, 545 (550); Meilicke, GmbHR 2003, 793 (803); W.-H. Roth, IPRax 2003, 117 (121); Wagner, GmbHR 2003, 684 (691); Ziemons, ZIP 2003, 1913 (1919); Zimmer, BB 2003, 1 (3); Baudenbacher/Buschle, IPRax 2004, 26 (27). Tendenziell auch Dubovizkaja, GmbHR 2003, 694 (696); Ebke, JZ 2003, 927 (932); Knapp, DNotZ 2003, 85 (90 f.); Maul/Schmidt, BB 2003, 2297 (2300); Meilicke, GmbHR 2003, 793 (803).
A. Sachlicher Schutzbereich der Art. 43 Abs. 1, 48 Abs. 1 EG
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II. Die in der Literatur zum Inhalt des sachlichen Schutzbereichs der Niederlassungsfreiheit von Gesellschaften vertretenen Auffassungen Die Frage, ob der sachliche Schutzbereich der Niederlassungsfreiheit von Gesellschaften die grenzüberschreitende Begründung und/oder Verlegung der Hauptniederlassung innerhalb der Gemeinschaft unter Wahrung des Personalstatuts garantiert, wird im Schrifttum kontrovers diskutiert. Ausgangspunkt bei dieser Auseinandersetzung ist, ob der in Rede stehende Niederlassungsvorgang durch die primäre Niederlassungsfreiheit von Gesellschaften geschützt wird. Dies wird damit begründet, dass der entsprechende Niederlassungsvorgang bei Unionsbürgern nur durch Art. 43 Abs. 1 S. 1 EG geschützt werde,276 und keine Veranlassung bestehe, die Niederlassungsrechte, die Gesellschaften im Sinne des Art. 48 Abs. 1 EG durch Art. 43 Abs. 1 EG eingeräumt werden, anders zu konzipieren als die Niederlassungsrechte von Unionsbürgern.277 1. Alleiniger Schutz der identitätswahrenden Verlegung der Hauptniederlassung durch die primäre Niederlassungsfreiheit Nach einer im Schrifttum vertretenen Auffassung schützen die Art. 43 Abs. 1 S. 1, 48 Abs. 1 EG lediglich die identitätswahrende Verlegung der Hauptniederlassung, also die grenzüberschreitende Verlegung der Hauptniederlassung unter Beibehaltung der Rechtspersönlichkeit, aber unter Wechsel des auf die Gesellschaft anwendbaren Rechts.278 Begründet wird diese Auslegung mit folgender Argumentation. Die ratio legis des Art. 43 Abs. 1 S. 1 EG bestehe darin, es den Unionsbürgern zu ermöglichen, den Standort für ihre primäre Niederlassung in der Gemeinschaft frei zu wählen. Dadurch solle gewährleistet werden, dass der Produktionsfaktor selbstständige Arbeit in dem Mitgliedstaat eingesetzt werden könne, in dem sein Einsatz am effizientesten sei.279 Die Ansiedlung der primären Niederlassung in einem Mitgliedstaat bedeute, sich vollständig in die Volkswirtschaft dieses Mitgliedstaats zu integrieren. Dies erfolge dadurch, dass sich die Unionsbürger grundsätzlich der gesamten dort geltenden Rechts- und Wirtschaftsordnung unterstellen müssten.280 Daher garantiere Art. 43 Abs. 1 S. 1 EG 276
Siehe hierzu Anfang Teil 2. Freitag, EuZW 1999, 267 (268 f.); Goettsche, DStR 1999, 1403 (1406); Kieninger, ZGR 1999, 724 (729); Leible, NZG 1999, 300 (301); Mülbert/Schmolke, ZVglRWiss 100 (2001) 233 (241 f.). 278 Schön, ZHR 160 (1996) 221 (244 f.); Kieninger, ebd., S. 730 ff. Vgl auch W.-H. Roth, RabelsZ 55 (1991) 623 (648 ff.); ders., ZGR 2000, 311 (325 f.); Zimmer, ZHR 164 (2000) 23 (40 f.). 279 Zimmer, ebd., S. 40. 277
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2. Teil: EG-rechtlicher Schutz der statutswahrenden Niederlassung
ihnen lediglich, sich über Gesellschaftsformen ihres jeweiligen Primärniederlassungsstaats, nicht aber über Gesellschaftsformen anderer Mitgliedstaaten in dessen Volkswirtschaft einzugliedern.281 Sofern Unionsbürger die Hauptniederlassung der von ihnen geleiteten Gesellschaften innerhalb der Gemeinschaft transnational verlegen wollten, müsse gemeinschaftsrechtlich allerdings gewährleistet sein, dass sie die Gesellschaften ohne den Verlust ihrer Rechtspersönlichkeit den Gesellschaftsrechten der neuen Primärniederlassungsstaaten unterstellen könnten, da anderenfalls eine flexible Anpassung an die Binnenmarktverhältnisse, die eine solche Verlagerung des geschäftlichen Operationszentrums erfordern könnten, nicht sichergestellt sei.282 Dies werde erreicht, indem die primäre Niederlassungsfreiheit von Gesellschaften die identitätswahrende Verlegung der Hauptniederlassung schütze.283 Denn dadurch werde den Unionsbürgern ermöglicht, den tatsächlichen Sitz der von ihnen geleiteten Gesellschaften ohne den Verlust der Rechtspersönlichkeit in Gesellschaften der neuen Primärniederlassungsstaaten umzugründen. Da es den Unionsbürgern durch die statutswahrende Verlegung der Hauptniederlassung der von ihnen geleiteten Gesellschaften entgegen der ratio des Art. 43 Abs. 1 S. 1 EG möglich wäre, sich in die Volkswirtschaft eines Mitgliedstaats zu integrieren, ohne sich dessen Gesellschaftsrechtsregime unterwerfen zu müssen, werde die statutswahrende Sitzverlegung durch die Art. 43 Abs. 1 S. 1, 48 Abs. 1 EG hingegen nicht geschützt.284 Mit der in Art. 3 Abs. 1 lit. c EG niedergelegten rechtsverbindlichen285 Verpflichtung der Gemeinschaft und der Mitgliedstaaten zur Verwirklichung eines Binnenmarktes verfolgt der Vertrag das Ziel, den EG-angehörigen Wirtschaftssubjekten im gesamten Gemeinschaftsgebiet eine optimale Allokation aller Produkte und Produktionsfaktoren zu ermöglichen.286 Hinter dieser Zielsetzung 280 Schön, in: FS Lutter, 2000, S. 685 (705). Vgl. auch Schön, ZHR 160 (1996) 221 (235); Kieninger, ZGR 1999, 724 (732 ff.); Kindler, NJW 1999, 1993 (2000); dens., NJW 2003, 1073 (1078); Zimmer, ebd., S. 40 f.; Habersack, Europäisches Gesellschaftsrecht, 2. Aufl. 2003, Rn. 15. In diese Richtung tendenziell auch v. Halen (Fn. 46), S. 141 f.; G.-H. Roth (Fn. 31), § 4 a GmbHG Rn. 30 f. 281 Zimmer, ebd. Vgl. auch Schön, ZHR 160 (1996) 221 (235, 244 f.); Kieninger, ebd., S. 732 f.; Kindler, ebd. So auch v. Halen, ebd., sofern Unionsbürger über eine Gesellschaft erstmalig eine unternehmerische Tätigkeit in der Gemeinschaft ausüben wollen. Tendenziell auch Leible, NZG 2001, 460 (461). 282 Vgl. Schön, ebd., S. 244 f.; Kieninger, ebd. 283 Vgl. Schön, ebd.; Kieninger, ebd. 284 Vgl. Kieninger, ebd., S. 733; Zimmer, ZHR 164 (2000) 23 (40 f.). 285 EuGH, Rs. 6/72 (Europemballage Corporation u. Continental Can Company Inc./ Kommission der Europäischen Gemeinschaften), Slg. 1973, 215 (244, 246); Zuleeg, in: v. d. Groeben/Schwarze (Fn. 38), Art. 3 EG Rn. 1; Müller-Graff, in: Dauses (Hrsg.), Handbuch des EU-Wirtschaftsrechts, Bd. I, 1998, A. I. Rn. 177; v. Bogdandy, in: Grabitz/Hilf (Hrsg.), EUV/EGV, Art. 3 EGV Rn. 2; Nachbaur, Niederlassungsfreiheit, 1999, S. 120; Hatje, in: Schwarze (Hrsg.), EU-Kommentar, 2000, Art. 3 EGV Rn. 2. 286 Koppensteiner, in: Gesellschaftsrechtliche Vereinigung (Hrsg.), Bd. II, 1999, S. 151 (181); Tietje (Fn. 140), § 10 Rn. 4. Vgl. auch Bleckmann, WiVerw 1987, 119;
A. Sachlicher Schutzbereich der Art. 43 Abs. 1, 48 Abs. 1 EG
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steht der Gedanke, dass die allgemeinen, in der Präambel und Art. 2 EG verankerten Vertragsziele am besten gefördert werden können, wenn die Wirtschaftssubjekte in der EG in einem Markt agieren, der es ihnen ermöglicht, die Effizienz ihrer wirtschaftlichen Transaktionen zu optimieren.287 Denn hierdurch wird der Wohlfahrtsgewinn für die EG-Volkswirtschaft maximiert und der gesellschaftliche Reichtum, der conditio sine qua non für die Verwirklichung fast aller Vertragsziele ist, am stärksten gefördert.288 Der Niederlassungsfreiheit von Unionsbürgern kommt vor diesem Hintergrund die Funktion zu, den optimalen Einsatz des Produktionsfaktors selbstständige Arbeit in der Gemeinschaft zu ermöglichen.289 Diese Zielsetzung kann nur erreicht werden, wenn jeder Unionsbürger seine Arbeitskraft dort, wo sie als solche am effizientesten eingesetzt werden kann, auch in einer seinen Bedürfnissen entsprechenden rechtlichen Organisationsform einbringen kann. Denn nur unter dieser Voraussetzung ist gewährleistet, dass der Produktionsfaktor selbstständige Arbeitskraft tatsächlich dort eingesetzt werden kann, wo sein Einsatz den größten individuellen und damit auch den größten gesamtwirtschaftlichen Nutzen hervorbringt. Diese Zielsetzung kann mittels der von der soeben dargestellten Auffassung vertretenen restriktiven Auslegung des Art. 43 Abs. 1 S. 1 EG nicht erreicht werden. Dies zeigt sich am deutlichsten im GmbH-Recht. Das gesetzlich festgelegte Mindeststammkapital von Gesellschaften mit beschränkter Haftung variiert in der Gemeinschaft zurzeit zwischen 2.000 A in Portugal bis hin zu 35.000 A in Österreich.290 In England und Irland kann das Nominalkapital sogar mit nur einem pence angesetzt werden.291 Berücksichtigt man, dass zwischen den Pro-Kopf-Einkommen in den Mitgliedstaaten der EG ein erhebliches Gefälle besteht – das mit der Osterweiterung der Gemeinschaft noch zunehmen wird –, kann die Verpflichtung zur Verwendung einer Gesellschaft mit beschränkter Haftung des Mitgliedstaats, in dem die Primärniederlassung belegen sein soll, zur Folge haben, dass der Zutritt zu den Märkten einiger Mitgliedstaaten durch (potenzielle) Unternehmer bereits deshalb unterbleibt, weil sie das für die Errichtung einer inländischen Gesellschaft mit beschränkter Haftung benötigte (Mindest-)Kapital – neben den sonstigen bei einer UnternehSandrock, RIW 1989, 505 (509); Tiedje/Troberg (Fn. 38), Vorb. Art. 43 – 48 EG Rn. 10; Borchardt, Die rechtlichen Grundlagen der Europäischen Union, 2. Aufl. 2002, Rn. 559; de Diego, Jura 2004, 400 (404). 287 Vgl. Bleckmann, ebd.; Tiedje/Troberg, ebd. 288 v. Bogdandy (Fn. 285), Art. 2 EGV Rn. 37. Vgl. auch Wyatt/Dashwood, The Substantive Law of the EEC, 2. Aufl. 1987, S. 13 f. 289 Vgl. Sandrock, RIW 1989, 505 (509); Nicolaysen (Fn. 217), S. 185; W.-H. Roth, in: GS Knobbe-Keuk, 1997, S. 729 (737). 290 Eine Zusammenstellung aller mitgliedstaatlichen GmbH-rechtlichen Mindeststammkapitalregelungen findet sich bei Frank/Wachter, GmbHR 2002, 17 (18 ff.). 291 Triebel/Hodgson/Kellenter/Müller (Fn. 15), Rn. 638. Vgl. auch Davies/Prentice (Fn. 15), S. 238.
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2. Teil: EG-rechtlicher Schutz der statutswahrenden Niederlassung
mensgründung erforderlich werdenden finanziellen Dispositionen – nicht aufbringen können, und zugleich das Risiko einer persönlichen unbeschränkten Haftung für die aus ihren beabsichtigten Unternehmungen resultierenden Verbindlichkeiten nicht eingehen wollen. Solange und soweit die Gemeinschaft die divergierenden mitgliedstaatlichen Gründungsvoraussetzungen für die einzelnen Gesellschaftstypen auf der Grundlage des Art. 44 Abs. 2 lit. g EG292 nicht harmonisiert hat, fällt die Ausgestaltung dieser Voraussetzungen in die Kompetenz der Mitgliedstaaten. In dem Falle, dass Art. 43 Abs. 1 S. 1 EG die Ausübung unternehmerischer Tätigkeiten nur über Gesellschaften des jeweiligen Primärniederlassungsstaats schützt, hätten die Mitgliedstaaten die Möglichkeit, die dieser Auslegung des Art. 43 Abs. 1 S. 1 EG ohnehin immanente Abschottungswirkung dadurch noch zu intensivieren, dass sie bspw. die Errichtung von Gesellschaften mit beschränkter Haftung von der Erbringung eines Mindestkapitals abhängig machen, das die finanzielle Leistungsfähigkeit von Unionsbürgern aus zumindest einigen anderen Mitgliedstaaten regelmäßig übersteigt. Da sich ein justitiabler Maßstab dafür, ab wann nationale Anforderungen an die Gründung einer Gesellschaft die Beeinträchtigungsschwelle überschreiten, kaum finden lassen dürfte, könnte dieser Form der Marktabschottung über den Verpflichtungsgehalt der thematisch einschlägigen Niederlassungs- und Kapitalverkehrsfreiheit allenfalls in extrem gelagerten Fällen Einhalt geboten werden. Damit stünde den Mitgliedstaaten bis zu einer etwaigen Harmonisierung der nationalen Gesellschaftsrechte293 ein effektives – und gemeinschaftsrechtskonformes – Instrument zur Verfügung, den Zugang insbesondere von klein- und mittelständischen Unternehmern zu ihren Märkten spürbar zu erschweren und Teile ihrer Wirtschaft dadurch zu protektionieren. Festzuhalten bleibt somit, dass die restriktive Auslegung des Art. 43 Abs. 1 S. 1 EG insoweit zu Fehlallokationen des Produktionsfaktors selbstständige Arbeit führen und dadurch Wohlfahrtsverluste für die EG-Volkswirtschaft verursachen kann, als dass sein Einsatz mangels geeigneter rechtlicher Organisationsform unter Umständen entweder ganz unterbleibt oder an minder attraktiven Standorten erfolgt, weil nur dort geeignete rechtliche Organisationsformen zur Verfügung stehen. Damit könnte der Produktionsfaktor selbstständige Arbeit – und auch der Produktionsfaktor Kapital – entgegen der Zielvorgabe des Art. 3 292 Da letztlich fast jede gesellschaftsrechtliche Regelung eine Schutzvorschrift im Sinne des Art. 44 Abs. 2 lit. g EG darstellt, ermächtigt diese Bestimmung die Gemeinschaft zur umfassenden Harmonisierung der mitgliedstaatlichen Gesellschaftsrechte. Kruse (Fn. 36), S. 77; Schwarz (Fn. 12), Rn. 196. 293 Ob es in Zukunft noch in nennenswertem Umfang zu einer solchen Harmonisierung kommt, ist insofern zweifelhaft, als dass die Gemeinschaft den Schwerpunkt ihrer Rechtssetzungstätigkeit im Bereich des Gesellschaftsrechts in Zukunft von der (nur schleppend verlaufenden) Harmonisierung der nationalen Gesellschaftsrechte hin zur Schaffung supranationaler Gesellschaftsformen verlagern könnte. Hierzu Kallmeyer, AG 1998, 88; Steding, NZG 2000, 913 (916 ff.).
A. Sachlicher Schutzbereich der Art. 43 Abs. 1, 48 Abs. 1 EG
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Abs. 1 lit. c EG im EG-Binnenmarkt nicht optimal eingesetzt werden.294 Dieser Effekt könnte durch die soeben geschilderte Vorgehensweise der Mitgliedstaaten sogar noch verstärkt werden. Solange die mitgliedstaatlichen Gesellschaftsrechte in der Gemeinschaft nicht harmonisiert worden sind, kann der optimale Einsatz des Produktionsfaktors selbstständige Arbeit im EG-Binnenmarkt nur dadurch ermöglicht werden, dass die Unionsbürger in die Lage versetzt werden, unter allen in den mitgliedstaatlichen Rechtsordnungen angebotenen Gesellschaftsformen diejenige wählen zu können, die hinsichtlich der Gründungsvoraussetzungen ihren jeweiligen finanziellen Ressourcen entspricht und die ihnen in Bezug auf die Haftungsverfassung und die Organisationsstruktur als für den jeweils verfolgten Zweck am besten angepasst erscheint. Denn nur, wenn gewährleistet ist, dass jeder Unionsbürger seine Arbeitskraft dort, wo sie als solche am effizientesten eingesetzt werden kann, auch in einer seinen Bedürfnissen entsprechenden rechtlichen Organisationsform einbringen kann, ist der optimale Einsatz dieses Faktors in der Gemeinschaft gewährleistet. Dies kann nur dadurch erreicht werden, dass Unionsbürger sich gerade nicht dem Gesellschaftsrechtsregime des Mitgliedstaats unterwerfen müssen, in dem ihre Primärniederlassung belegen ist, sondern das auf ihre dortigen wirtschaftlichen Unternehmungen anwendbare Gesellschaftsrechtsregime – vorbehaltlich gerechtfertigter Beeinträchtigungen – frei wählen können.295 Damit die in Rede stehende Zielvorgabe des Art. 3 Abs. 1 lit. c EG verwirklicht werden kann, muss Art. 43 Abs. 1 S. 1 EG folglich dahin ausgelegt werden, dass er die Ausübung vorwiegend oder ausschließlich auf einen Mitgliedstaat ausgerichteter unternehmerischer Tätigkeiten sowohl über Gesellschaften dieses als auch über Gesellschaften jedes anderen Mitgliedstaats schützt.296 Dieses auch vom Europäischen Gerichtshof – allerdings unter Verzicht auf eine Begründung – erzielte Auslegungsergebnis hat dieser in der Centros-Entscheidung pointiert dahin umschrieben, dass die Niederlassungsfreiheit einem Staatsangehörigen der Mitgliedstaaten zum Zweck der Ausübung unternehmerischer Tätigkeiten in der Gemeinschaft das Recht garantiert, eine Gesellschaft in dem Mit294
Schön, ZHR 160 (1996) 221 (236). So auch GA La Pergola, Schlussanträge in der Rs. C-212/97 (Centros Ltd./Erhvervs- og Selskabsstyrelsen), Slg. 1999, I-1459 (1479). Tendenziell auch Eidenmüller, ZIP 2002, 2233 (2244). 296 de Diego, Jura 2004, 400 (403 f.). Unentschlossen v. Halen (Fn. 46), S. 141 f., der offen lässt, ob die primäre Niederlassungsfreiheit Unionsbürgern das Recht einräumt, eine Gesellschaft nach den Rechtsvorschriften eines Mitgliedstaats zu gründen und in einem anderen Mitgliedstaat erstmalig die Hauptniederlassung dieser Gesellschaft zu etablieren, da eine Regelung, die Unionsbürgern dieses Vorgehen verbiete und sie zur Wahl einer Gesellschaftsform des jeweiligen Niederlassungsstaats verpflichte, jedenfalls eine gerechtfertigte Beschränkung der primären Niederlassungsfreiheit darstelle. So wie hier i. E. auch GA La Pergola, ebd., S. 1477 ff. 295
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2. Teil: EG-rechtlicher Schutz der statutswahrenden Niederlassung
gliedstaat zu gründen, „dessen gesellschaftsrechtliche Vorschriften ihm die größte Freiheit lassen“ und die Hauptniederlassung dieser Gesellschaft in einem anderen Mitgliedstaat zu etablieren.297 Unter den Begriff der Gründung im Sinne der in Art. 43 Abs. 2 EG enthaltenen Schutzbereichsumschreibung der primären Niederlassungsfreiheit von Unionsbürgern fällt zunächst die erstmalige Errichtung einer Gesellschaft.298 Nicht hinreichend beachtet worden ist in der Literatur bislang, dass von diesem Begriff nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs, wie bereits gezeigt,299 daneben auch den Erwerb von Anteilen an einer bereits bestehenden Gesellschaft erfasst wird, sofern diese Beteiligung dem Erwerber einen gewissen Einfluss auf die Entscheidungen der Gesellschaft verleiht und es ihm ermöglicht, deren Tätigkeit zu bestimmen.300 Dieser Auslegung des Begriffs der Gründung durch den Gerichtshof ist zuzustimmen, da es wertungsmäßig keinen Unterschied macht, ob ein Unionsbürger eine Gesellschaft in einem Mitgliedstaat selbst gründet oder Anteile an einer dort bereits gegründeten Gesellschaft erwirbt, um über diese in der Gemeinschaft unternehmerisch tätig zu werden. Dies zeigt sich besonders deutlich an sog. Vorrats- und Mantelgesellschaften. Vorratsgesellschaften sind Kapitalgesellschaften, die von den Gründern zu dem Zweck errichtet werden, deren Anteile anschließend an Erwerber zu veräußern, die unternehmerische Tätigkeiten über Kapitalgesellschaften ausüben wollen, ohne das mit ihrer Gründung regelmäßig verbundene zeitaufwendige Procedere durchlaufen zu müssen.301 Mantelgesellschaften sind Kapitalgesellschaften, deren Geschäftsbetrieb zwar eingestellt worden ist, die aber nicht liquidiert werden, um die „gebrauchten Mäntel“ noch weiterveräußern zu können.302 Ein sachlicher Grund dafür, warum die erstmalige Errichtung von Kapitalgesellschaften, nicht jedoch der Erwerb von Anteilen an sog. Vorrats- und Mantelgesellschaften durch Art. 43 Abs. 1 S. 1 EG geschützt sein sollte, ist nicht ersichtlich. Gleiches gilt für den Erwerb von Anteilen an werbenden Gesellschaften.303
297 EuGH, Rs. C-212/97 (Centros Ltd./Erhvervs- og Selskabsstyrelsen), Slg. 1999, I-1459 (1493). Siehe auch Teil 2, A. I. 1. b) bb). 298 EuGH, ebd. 299 Siehe Teil 2, A. I. 2. b) cc). 300 EuGH, Rs. C-251/98 (C. Baars/Inspecteur der Belastingen Particulieren/Ondernemingen Gorinchem), Slg. 2000, I-2787 (2814 f.); Rs. C-208/00 (Überseering BV/ Nordic Construction Company Baumanagement GmbH), Slg. 2002, I-9919 (9969 f.). Vgl. auch Troberg (Fn. 259), Art. 221 EGV Rn. 3; Lackhoff (Fn. 141), S. 46; Bröhmer (Fn. 141), Art. 43 EGV Rn. 9. 301 BGHZ 117, 323 (330); Lutter, JuS 1998, 1073 (1074); Grooterhorst, NZG 2001, 145; Altmeppen, NZG 2003, 145 (146); Gronstedt, BB 2003, 860 (860 f.); Herchen, DB 2003, 2211. Laut Meilicke, BB 2003, 857 dürften ca. 95 % aller deutschen Gesellschaften mit beschränkter Haftung als Vorratsgesellschaften gegründet worden sein. 302 Lutter, ebd.; Grooterhorst, ebd.; Altmeppen, ebd., S. 146 f. Vgl. auch Meilicke, ebd., S. 858.
A. Sachlicher Schutzbereich der Art. 43 Abs. 1, 48 Abs. 1 EG
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Durch Art. 43 Abs. 1 S. 1 EG werden somit folgende gesellschaftsrechtliche Konstruktionen geschützt. Unionsbürger können Gesellschaften in einem Mitgliedstaat inkorporieren und über sie in diesem, aber auch in jedem anderen Mitgliedstaat vorwiegend oder ausschließlich unternehmerische Tätigkeiten ausüben. Hierbei muss, wie bereits gezeigt,304 allerdings Folgendes beachtet werden. Aus Art. 48 Abs. 1 EG folgt, dass der EG-Vertrag den Mitgliedstaaten freistellt, ob sie für eine wirksame Gründung ihrer Gesellschaften die Belegenheit der Hauptniederlassung in ihrem Gebiet verlangen.305 Da Art. 43 Abs. 1 S. 1 EG die Gründung von Gesellschaften nur nach den Bestimmungen schützt, die ein Mitgliedstaat hierfür zulässigerweise vorsieht, hat diese mitgliedstaatliche Befugnis zur Folge, dass Unionsbürger eine Gesellschaft nur dann nach dem Recht eines Mitgliedstaats errichten und diese dergestalt leiten können, dass sie ihre Hauptniederlassung erstmalig in einem anderen Mitgliedstaat begründet, wenn der Inkorporationsstaat die Errichtung der Gesellschaft lediglich von der Belegenheit des satzungsmäßigen Sitzes in seinem Gebiet abhängig macht. Verlangt ein Mitgliedstaat für die Gründung seiner Gesellschaften, dass sich deren Hauptniederlassungen in seinem Gebiet befinden, kann er hierdurch allerdings gleichwohl nicht ohne weiteres verhindern, dass Unionsbürger diese Gesellschaften unmittelbar nach ihrer Errichtung dazu verwenden können, über sie vorwiegend oder ausschließlich in anderen Mitgliedstaaten unternehmerische Tätigkeiten auszuüben. Denn die Hauptniederlassung einer Gesellschaft ist in dem Staat belegen, zu dessen Volkswirtschaft ihre Tätigkeit die engste Verbindung aufweist.306 Nimmt eine Gesellschaft im Zeitpunkt ihrer Entstehung in ihrem Inkorporationsstaat eine auch noch so geringfügige Tätigkeit auf, führt dies dazu, dass sie zu dessen Volkswirtschaft die engste – weil einzige – Verbindung aufweist. Die Hauptniederlassung einer Gesellschaft befindet sich somit bereits dann in ihrem Inkorporationsstaat, wenn sie dort im Zeitpunkt ihrer Entstehung auch nur die geringste Tätigkeit ausübt.307 Ab diesem Zeitpunkt garantiert die aus Art. 43 Abs. 1 S. 1 EG folgende Gesellschaftsleitungsbefugnis den Unionsbürgern, den effektiven Verwaltungssitz einer solchen Gesellschaft in einen anderen Mitgliedstaat zu verlegen, um über sie dort vorwiegend oder aus-
303 So i. E. auch EuGH, Rs. C-251/98 (C. Baars/Inspecteur der Belastingen Particulieren/Ondernemingen Gorinchem), Slg. 2000, I-2787 (2814 f.); Rs. C-208/00 (Überseering BV/Nordic Construction Company Baumanagement GmbH), Slg. 2002, I-9919 (9969 f.). 304 Siehe Teil 2, A. I. 1. b) cc). 305 EuGH, Rs. 51/87 (The Queen/Treasury and Commissioners of Inland Revenue, ex parte Daily Mail and General Trust PLC), Slg. 1988, 5483 (5511 f.). 306 Großfeld, RabelsZ 31 (1967) 1 (22 f.); Kindler (Fn. 9), IntGesR Rn. 313. 307 Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ist die Hauptniederlassung einer deutschen Kapitalgesellschaft im Zeitpunkt ihrer Gründung bereits dann in Deutschland belegen, wenn ihre einzige Tätigkeit in diesem Zeitpunkt darin besteht, von Deutschland aus ihr eigenes Vermögen zu verwalten, BGHZ 117, 323 (333).
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2. Teil: EG-rechtlicher Schutz der statutswahrenden Niederlassung
schließlich geschäftlich zu operieren. Beeinträchtigt ein Mitgliedstaat diese Vorgehensweise, legt Art. 43 Abs. 1 S. 1 EG ihm eine Rechtfertigungslast auf. Ferner können Unionsbürger Anteile an bereits gegründeten Gesellschaften erwerben und über sie in den jeweiligen Inkorporationsstaaten, aber auch in jedem anderen Mitgliedstaat vorwiegend oder ausschließlich unternehmerische Tätigkeiten ausüben, sofern der Anteilserwerb ihnen einen bestimmenden Einfluss auf die Gesellschaften verschafft. Dies muss auch dann gelten, wenn mit dem Anteilserwerb primär oder ausschließlich das Ziel verfolgt wird, rein wirtschaftliche Vorteile, wie etwa einen schnellen Zugriff auf bereits bestehende Organisationsstrukturen oder Betriebsmittel einer Gesellschaft zu nutzen. Denn, wie bereits gezeigt,308 wäre es wertungswidersprüchlich, die in Rede stehende Vorgehensweise als gemeinschaftsrechtlich geschützt anzusehen, wenn vorrangiges oder ausschließliches Ziel die Nutzung gesellschaftsrechtlicher Unterschiede ist, und derselben Vorgehensweise den gemeinschaftsrechtlichen Schutz zu versagen, wenn diese vorrangig oder ausschließlich der Nutzung damit verbundener wirtschaftlicher Vorteile dient. Um die praktische Wirksamkeit dieses Gewährleistungsgehalts der primären Niederlassungsfreiheit von Unionsbürgern sicherzustellen, muss der sachliche Schutzbereich der primären Niederlassungsfreiheit von Gesellschaften dahin ausgelegt werden, dass er sowohl den statutswahrenden Wegzug als auch den statutswahrenden Zuzug zum Zweck der Verlegung, und, sofern ein Mitgliedstaat die Gründung seiner Gesellschaften lediglich von der Belegenheit des satzungsmäßigen Sitzes in seinem Gebiet abhängig macht, auch zum Zweck der erstmaligen Begründung der Hauptniederlassung innerhalb der Gemeinschaft schützt.309 Die hier vertretene Auslegung der Niederlassungsbestimmungen führt im Ergebnis dazu, dass die Möglichkeiten der Unionsbürger, den Produktionsfaktor selbstständige Arbeit im EG-Binnenmarkt über Gesellschaften einzusetzen, denjenigen vergleichbar sind, über die US-amerikanische Staatsbürger im US-amerikanischen Binnenmarkt verfügen. Denn in den Vereinigten Staaten von Amerika wird der Entstehung von gesellschaftsrechtlichen Hindernissen für den optimalen Einsatz des Produktionsfaktors selbstständige Arbeit im Ergebnis wie durch die hier vertretene Auslegung der Niederlassungsbestimmungen dadurch vorgebeugt, dass es nach amerikanischem Recht grundsätzlich zulässig ist, sich für die Ausübung einer vorwiegend oder ausschließlich einem Bundesstaat dienenden unternehmerischen Tätigkeit einer Gesellschaftsform dieses, aber auch 308
Siehe Teil 2, A. I. 2. b) cc). Für ein statutswahrendes Wegzugs- und Zuzugsrecht von Gesellschaften unabhängig von der europarechtlichen Fragestellung bereits Sandrock, BerDtGesVR 18 (1978) 169 (201). Behrens, IPRax 1999, 323 (330); ders., IPRax 2000, 384 (386, 388); Forsthoff, DB 2000, 1109 (1112); ders., DB 2002, 2471 (2475); Eidenmüller, ZIP 2002, 2233 (2244) und Leible/Hoffmann, RIW 2002, 925 (930) bejahen vor dem Hintergrund der Daily Mail-Entscheidung nur ein statutswahrendes Zuzugsrecht. 309
A. Sachlicher Schutzbereich der Art. 43 Abs. 1, 48 Abs. 1 EG
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einer Gesellschaftsform jedes anderen Bundesstaates zu bedienen.310 Diese Rechtswahlfreiheit im Bereich des Gesellschaftsrechts hat zu der als „Delaware-Syndrom“ bezeichneten Entwicklung geführt, dass überdurchschnittlich viele im Bundesstaat Delaware inkorporierte Gesellschaften im gesamten USamerikanischen Binnenmarkt operieren.311 Mit dem Begriff des „Delaware-Syndroms“ werden aber auch die Gefahren umschrieben, denen Gesellschafts-Interessenten durch die nach amerikanischem Recht bestehende Gesellschaftsrechtswahlfreiheit ausgesetzt sein können. Die Notwendigkeit der Unterbindung dieser Gefahren wird als zusätzliches Argument für die Erforderlichkeit einer restriktiven Auslegung des Art. 43 Abs. 1 S. 1 EG angeführt.312 Denn die nach der extensiven Auslegung der Niederlassungsbestimmungen mögliche Herauslösung einer Gesellschaft aus ihrem nationalen Regelungszusammenhang und ihre Verquickung mit der – möglicherweise nicht kompatiblen – Rechtsordnung eines anderen Mitgliedstaats könne dazu führen, dass der Schutz von GesellschaftsInteressenten unter das von den beteiligten Staaten vorgesehene Mindestniveau absinke.313 Zwar ist unbestreitbar, dass die hier vertretene Auslegung der Niederlassungsbestimmungen zu Defiziten beim Schutz von Gesellschafts-Interessenten führen kann. Unbestreitbar ist auch, dass ein effektiver Schutz dieser Gesellschafts-Interessenten gewährleistet sein muss. Allerdings kann der Konflikt zwischen der Zielsetzung, über die Niederlassungsfreiheit einen Binnenmarkt zu verwirklichen, in dem der optimale Einsatz des Produktionsfaktors selbstständige Arbeit (auch) über die Gründung und Leitung von Gesellschaften gewährleistet ist, und der Zielsetzung, dadurch betroffene Belange von GesellschaftsInteressenten wirksam zu schützen, auf der Ebene der sachlichen Schutzbereiche der primären Niederlassungsfreiheit von Unionsbürgern und Gesellschaften nicht sachgerecht bewältigt werden. Denn die Grenzen des sachlichen Schutzbereichs einer Grundfreiheit werden abstrakt festgelegt, also ohne dass es auf die relative Bedeutung etwaig kollidierender Rechtsgüter ankommt.314 Rechtsgüterkollisionen, zu denen es bei der Umsetzung des Binnenmarktziels als dem Kernpfeiler des EG-Vertrags kommen kann, können bei der Bestimmung des Inhalts des sachlichen Schutzbereichs einer Grundfreiheit daher nur antizipiert und in abstrahierender und generalisierender Weise aufgelöst werden. Der Versuch, dieses – alle Grundfreiheiten gleichermaßen betreffende – Problem auf der Schutz310 Vgl. Bebchuk, Harvard Law Review 105 (1991/92) 1435 (1442 f.); Merkt, RabelsZ 59 (1995) 545 (560); Behrens, in: FS Mestmäcker, 1996, S. 831 (840). Vgl. auch Steindorff, EG-Vertrag und Privatrecht, 1996, S. 251 f.; Koenig/Braun/Capito, EWS 1999, 401 (403); Müller (Fn. 60), S. 202; Göthel, RIW 2000, 904 (907). 311 Hierzu Bebchuk, ebd., S. 1443 f.; Merkt, ebd., S. 549 ff.; Schön, ZHR 160 (1996) 221 (234); Koenig/Braun/Capito, ebd., S. 403 f.; Müller, ebd., S. 199 ff.; Göthel, ebd. 312 Schön (Fn. 280), S. 685 (704 f.). 313 Schön, ebd. 314 Jarass, EuR 30 (1995) 202 (222); ders., in: FS Everling, Bd. I, 1995, S. 593 (604); ders., EuR 35 (2000) 705 (717).
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2. Teil: EG-rechtlicher Schutz der statutswahrenden Niederlassung
bereichsebene zu lösen, kann daher dazu führen, dass die sachlichen Schutzbereiche der Grundfreiheiten ggf. Einschränkungen erfahren, die zum Schutz der mit dem Binnenmarktziel konfligierenden Interessen angesichts der vom Vertrag vorgesehenen Möglichkeit zur Beschränkung der Grundfreiheiten nicht erforderlich sind. Die Rechtfertigungs- und nicht die Schutzbereichsebene der Grundfreiheiten ist das Medium, mittels dessen der Zielkonflikt zwischen Binnenmarkt-Optimum und dem Schutz damit konfligierender Allgemeinwohlinteressen angemessen aufgelöst werden kann. Denn die Auflösung des Zielkonflikts auf der Rechtfertigungsebene erlaubt es, den Unionsbürgern über die grundfreiheitlichen Schutzbereiche die wirtschaftlichen Freiheiten einzuräumen, die zur Verwirklichung des Binnenmarktes erforderlich sind, und Beeinträchtigungen dieser Freiheiten nur in dem Umfang zu legitimieren, der zur Sicherstellung des Schutzes gegenläufiger Interessen tatsächlich nötig ist. Demgegenüber kann die Bewältigung dieses Zielkonflikts auf der Schutzbereichsebene zu Restriktionen der für die Herstellung des Binnenmarktes erforderlichen wirtschaftlichen Freiheiten führen, ohne dass diesen ggf. tatsächlich ein Nutzen in Gestalt eines gebotenen Schutzes von Allgemeinwohlbelangen gegenübersteht. Da die restriktive Auslegung der Niederlassungsfreiheit von Unionsbürgern und Gesellschaften somit weder dem Binnenmarktziel gerecht wird, noch zum Zweck der Sicherstellung eines wirksamen Schutzes von Gesellschafts-Interessenten geboten ist, ist sie abzulehnen. Mit den zuvor getätigten Überlegungen erklärt sich auch, warum der Europäische Gerichtshof die sachlichen Schutzbereiche der primären Niederlassungsfreiheit von Unionsbürgern und der sekundären Niederlassungsfreiheit von Gesellschaften in der Centros-Entscheidung extensiv ausgelegt, in einem obiter dictum aber gleichzeitig darauf hingewiesen hat, dass dem Schutz gegenläufiger Allgemeinwohlbelange über (gerechtfertigte) Beeinträchtigungen der Niederlassungsfreiheit Rechnung zu tragen ist.315 Festzuhalten bleibt, dass die primäre Niederlassungsfreiheit von Unionsbürgern die Ausübung vorwiegend oder ausschließlich auf einen Mitgliedstaat ausgerichteter unternehmerischer Tätigkeiten sowohl über Gesellschaften dieses als auch über Gesellschaften jedes anderen Mitgliedstaats schützt. Um die praktische Wirksamkeit dieses Gewährleistungsgehalts des Art. 43 Abs. 1 S. 1 EG sicherzustellen, muss die primäre Niederlassungsfreiheit von Gesellschaften sowohl den statutswahrenden Wegzug als auch den statutswahrenden Zuzug zum Zweck der Verlegung, und, sofern Gesellschaften für ihre Entstehung lediglich über den satzungsmäßigen Sitz im Inkorporationsstaat verfügen müssen, auch zum Zweck der erstmaligen Begründung ihrer Hauptniederlassungen innerhalb der Gemeinschaft schützen. 315 EuGH, Rs. C-212/97 (Centros Ltd./Erhvervs- og Selskabsstyrelsen), Slg. 1999, I-1459 (1496).
A. Sachlicher Schutzbereich der Art. 43 Abs. 1, 48 Abs. 1 EG
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2. Kein Schutz der erstmaligen grenzüberschreitenden Begründung der Hauptniederlassung durch die Art. 43 Abs. 1 S. 1, 48 Abs. 1 EG Dagegen wird im Schrifttum teilweise die Auffassung vertreten, dass die primäre Niederlassungsfreiheit von Gesellschaften die grenzüberschreitende Begründung der Hauptniederlassung nicht schütze, da die Errichtung der Hauptniederlassung einer Gesellschaft stets in das Gründungsstadium falle, in dem sie als solche noch gar nicht existent sei.316 Da somit alle Gesellschaften im Zeitpunkt ihrer Entstehung, und damit im Zeitpunkt ihrer Einbeziehung in den personellen Schutzbereich der Niederlassungsfreiheit, bereits über eine Hauptniederlassung im Gründungsstaat verfügten, könne die primäre Niederlassungsfreiheit von Gesellschaften die erstmalige Begründung der Hauptniederlassung in einem anderen Mitgliedstaat gar nicht schützen.317 Geschützt werde insoweit daher lediglich die erstmalige Errichtung der Hauptniederlassung im Gründungsstaat, und zwar durch die primäre Niederlassungsfreiheit der Gesellschaftsgründer.318 Wie bereits gezeigt, stellt der EG-Vertrag den Mitgliedstaaten frei, für die Gründung ihrer Gesellschaften die Belegenheit der Hauptniederlassung in ihrem Gebiet zu verlangen. Sofern die Mitgliedstaaten von dieser Befugnis Gebrauch machen, fällt die Errichtung derselben in der Tat in das Gründungsstadium, so dass die Art. 43 Abs. 1 S. 1, 48 Abs. 1 EG die transnationale Begründung der Hauptniederlassung in diesem Fall nicht schützen können.319 Verlangt ein Mitgliedstaat für die wirksame Errichtung einer Gesellschaft hingegen lediglich die Belegenheit des satzungsmäßigen Sitzes in seinem Gebiet, muss sie im Zeitpunkt ihrer Entstehung gerade nicht über eine Hauptniederlassung im Inkorporationsstaat verfügen. Da die Errichtung derselben auch nicht zwingend in das Gründungsstadium fällt, ist es Gesellschaften in diesem Fall möglich, ihre Hauptniederlassung erst nach ihrer Entstehung zu begründen. Wie zuvor dargelegt,320 unterfällt die transnationale Begründung der Hauptniederlassung insoweit dem sachlichen Schutzbereich der Art. 43 Abs. 1 S. 1, Art. 48 Abs. 1 EG. Der Umstand, dass die wirksame Errichtung einer Gesellschaft gerade nicht zwingend voraussetzt, dass sie zu diesem Zeitpunkt bereits über eine Hauptniederlassung verfügt – wie sich bspw. an den britischen Gesellschaften Slenderose Ltd. und Centros Ltd. zeigt –, wird von der soeben dargestellten Auffassung verkannt. Die Frage, ob die primäre Niederlassungsfreiheit von Gesellschaften die trans316 Grothe (Fn. 51), S. 145; Hailbronner, in: Hailbronner/Klein/Magiera/Müller-Graff (Hrsg.), Handkommentar zum Vertrag über die Europäische Union, Bd. I, 1998, Art. 58 EGV Rn. 12; Schnichels (Fn. 223), S. 41; Kruse (Fn. 36), S. 66. In diese Richtung auch Lackhoff (Fn. 141), S. 179. 317 Grothe, ebd.; Hailbronner, ebd.; Schnichels, ebd.; Kruse, ebd. 318 Grothe, ebd.; Hailbronner, ebd.; Schnichels, ebd.; Kruse, ebd. 319 Siehe Teil 2, A. I. 1. b) cc), A. II. 1. 320 Siehe Teil 2, A. II. 1.
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2. Teil: EG-rechtlicher Schutz der statutswahrenden Niederlassung
nationale Begründung der Hauptniederlassung schützt, hängt daher – wie zuvor bereits aufgezeigt321 – von der jeweiligen Ausgestaltung der mitgliedstaatlichen Gesellschaftsgründungsvoraussetzungen ab, und kann daher nicht pauschal verneint werden. Diese Auffassung ist daher abzulehnen. 3. Bereichsausnahme vom sachlichen Schutzbereich der primären Niederlassungsfreiheit von Gesellschaften hinsichtlich der Verlegung der Hauptniederlassung aus dem Inkorporationsstaat Nach einer anderen im Schrifttum vertretenen Auffassung wird weder die identitäts- noch die statutswahrende Verlegung des Hauptverwaltungssitzes aus dem Inkorporationsstaat heraus vom sachlichen Schutzbereich der Niederlassungsfreiheit von Gesellschaften geschützt, da dieser insoweit eine Bereichsausnahme enthalte.322 Bei der Bestimmung des Gewährleistungsgehalts der Niederlassungsfreiheit von Gesellschaften müsse berücksichtigt werden, dass Art. 43 Abs. 1 EG in Bezug auf Gesellschaften nicht direkt, sondern über Art. 48 Abs. 1 EG nur sinngemäß anzuwenden sei.323 Welche Niederlassungsrechte Gesellschaften einzuräumen seien, könne sachgerecht nur im Rahmen einer die Unterschiede zwischen natürlichen Personen und Gesellschaften berücksichtigenden Abwägung bestimmt werden (sog. Abwägungsmodell).324 Diese Abwägung führe zu dem Ergebnis, dass der Wegzug von Gesellschaften aus dem Inkorporationsstaat zum Zweck der Verlegung der Hauptniederlassung durch die Niederlassungsfreiheit nicht geschützt werden dürfe. Denn Gesellschaften, die ihre Hauptniederlassung verlegten, seien typischerweise in die Volkswirtschaft des Wegzugsstaates verwurzelt. Durch den mit einer Verlegung der Hauptniederlassung eintretenden Statutenwechsel könnten die Interessen der im Wegzugsstaat ansässigen Arbeitnehmer, Handelspartner, Kreditgeber und Anteilseigner dieser Gesellschaften empfindlich berührt werden.325 Denn ihre Rechtspositionen könnten infolge des Statutenwechsels möglicherweise erheblich beschnitten werden. Da diese Gefahren nur auftreten könnten, sofern eine Gesellschaft ihr geschäftliches Operationszentrum verlege, sei es zur Vermeidung dieser Gefahren angemessen, den Wegzug von Gesellschaften im Gegensatz zu dem von Unionsbürgern nicht zu schützen.326 Jeder Mitgliedstaat könne daher autonom entscheiden, ob und unter welchen Voraussetzungen er seinen Gesellschaften den Wegzug zum Zweck der Verlegung ihres effektiven Sitzes ermögliche.327 In dem Fall, 321 322 323 324 325 326
Siehe Teil 2, A. I. 1. b) cc), A. II. 1. Forsthoff, EuR 35 (2000) 167 (185 f.). Forsthoff, ebd., S. 185. Forsthoff, ebd. Forsthoff, ebd., S. 186. Forsthoff, ebd.
A. Sachlicher Schutzbereich der Art. 43 Abs. 1, 48 Abs. 1 EG
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dass ein Mitgliedstaat seinen Gesellschaften den Wegzug ermögliche, garantiere Art. 43 Abs. 1 EG ihnen ein Zuzugsrecht.328 Denn anders als beim Wegzug bestünden keine hinreichenden Gründe, Gesellschaften den Zuzug in einen anderen Mitgliedstaat zu verwehren. Hauptbetroffene bei der Verlegung der Hauptniederlassung einer Gesellschaft seien die im Herkunftsstaat ansässigen Gesellschafts-Interessenten. Ermögliche der Herkunftsstaat seinen Gesellschaften den Wegzug aus seinem Gebiet, würden die Interessen der dort ansässigen Gesellschafts-Interessenten dadurch abgewertet, dass er auf ihren Schutz verzichte.329 Da zugleich keine Individualinteressen erkennbar seien, die im Zuzugsstaat durch die Verlegung des effektiven Sitzes unmittelbar berührt würden, schütze die Niederlassungsfreiheit in diesem Falle den Zuzug von Gesellschaften.330 Selbst wenn man dem Abwägungsmodell als solchem folgt, lässt sich damit allenfalls die Herausnahme eines identitätswahrenden, nicht jedoch die Herausnahme eines statutswahrenden Wegzugsrechts aus dem sachlichen Schutzbereich der Niederlassungsfreiheit begründen. Denn verlegt eine Gesellschaft ihr geschäftliches Operationszentrum statutswahrend aus ihrem Inkorporationsstaat heraus, bleibt es im Verhältnis zu den dort ansässigen Gesellschafts-Interessenten – anders als bei der nur identitätswahrenden Sitzverlegung – gerade bei der umfassenden (Fort-)Geltung des Gründungsstatuts. Zwar ist es möglich, dass ein Zuzugsstaat die statutswahrende Niederlassung einer Gesellschaft durch die Anwendung seines Rechts auf einzelne gesellschaftsrechtliche Rechtsverhältnisse gerechtfertigterweise beschränkt, und es insoweit zu einer partiellen Durchbrechung des Gründungsstatuts kommen kann.331 Der Schutz der im Wegzugsstaat ansässigen Gesellschafts-Interessenten obliegt jedoch diesem, und nicht dem Zuzugsstaat. Daher lassen sich etwaige Beeinträchtigungen der Niederlassungsfreiheit durch den Zuzugsstaat nur rechtfertigen, sofern es um den Schutz der in seinem Gebiet durch die Tätigkeit der Gesellschaft betroffenen GesellschaftsInteressenten geht. Durch den Zuzugsstaat vorgenommene Durchbrechungen des Gründungsstatuts können folglich nicht das Verhältnis einer Gesellschaft zu ihren im Wegzugsstaat, sondern nur das Verhältnis zu ihren im Zuzugsstaat ansässigen Gesellschafts-Interessenten betreffen. Im Verhältnis zu ersteren Gesellschafts-Interessenten bleibt es im Falle der statutswahrenden Sitzverlegung aus diesem Grund bei der uneingeschränkten Geltung des Gründungsstatuts. Da ihre Rechtspositionen mangels Statutenwechsels als solche nicht beeinträchtigt werden, kann es zu einem Schutzdefizit bei den im Wegzugsstaat ansässigen Gesellschafts-Interessenten allenfalls in Bezug auf die Durchsetzung der – in ihrem
327 328 329 330 331
Forsthoff, ebd., S. 185 f. Forsthoff, ebd., S. 187. Forsthoff, ebd. Forsthoff, ebd. Hierzu ausführlich in Teil 4 der Arbeit.
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2. Teil: EG-rechtlicher Schutz der statutswahrenden Niederlassung
Bestand und Inhalt durch den Wegzug nicht beeinträchtigten – Rechtspositionen kommen.332 Die Rechtsdurchsetzung gestaltet sich für Gläubiger jedoch unabhängig davon, ob Anspruchsgegner Gesellschaften oder Unionsbürger sind, die ihre Hauptniederlassung in einen anderen Mitgliedstaat verlegt haben, gleichermaßen schwierig. Auf die zwischen Gesellschaften und natürlichen Personen bestehenden Unterschiede kann eine Bereichsausnahme vom sachlichen Schutzbereich der Niederlassungsfreiheit für den statutswahrenden Wegzug von Gesellschaften somit gerade nicht gestützt werden. Dem Abwägungsmodell kann allerdings auch unbeschadet dieses Einwands nicht gefolgt werden. Denn mit diesem Ansatz wird, wenn auch in eingeschränkter Form, wiederum versucht, den Zielkonflikt zwischen der Verwirklichung eines Binnenmarktes, in dem der Produktionsfaktor selbstständige Arbeit (auch) über Gesellschaften optimal eingesetzt werden kann, und dem Schutz von Gesellschafts-Interessenten auf der Schutzbereichsebene der Niederlassungsfreiheit zu bewältigen. Wie gezeigt, lässt sich dieser Konflikt jedoch nicht auf der Schutzbereichs-, sondern nur auf der Rechtfertigungsebene sachgerecht auflösen.333 Mittels gerechtfertigter Beschränkungen des Wegzugsrechts kann ein effektiver Schutz von Gesellschafts-Interessenten sichergestellt werden, ohne dass es einer derart gravierenden Restriktion der zur Herstellung des Binnenmarktes erforderlichen Niederlassungsfreiheit von Gesellschaften wie der vollumfänglichen Herausnahme des Wegzugsrechts aus dem sachlichen Schutzbereich des Art. 43 Abs. 1 EG bedarf.334 4. Art. 293, 3. Spstr. EG lex specialis gegenüber der primären Niederlassungsfreiheit von Gesellschaften Im Schrifttum wird ferner die Auffassung vertreten, dass Art. 293, 3. Spstr. EG in Bezug auf die statutswahrende Verlegung des effektiven Verwaltungssitzes gegenüber den Art. 43 Abs. 1 S. 1, 48 Abs. 1 EG beim gegenwärtigen Stand des Gemeinschaftsrechts lex specialis sei.335 Die Erforderlichkeit, von der Art. 293, 3. Spstr. EG den Abschluss eines Übereinkommens zur Regelung der Sitzverlegung abhängig mache, müsse vom Schutzbedürfnis der durch die Sitzverlegung betroffenen nationalen Interessen her bestimmt werden.336 Solange 332
So i. E. auch Höfling (Fn. 54), S. 69. Siehe Teil 2, A. II. 1. 334 So i. E. auch Höfling (Fn. 54), S. 69. 335 Ebenroth/Eyles, DB-Beilage 2/1988, 1 (12); vgl. auch Großfeld, IPRax 1986, 145; dens., IPRax 1986, 351 (353); Schlemmer-Schulte, EWS 1992, 333 (334 f.); Görk, GmbHR 1999, 793 (797). Vgl. auch Wiedemann (Fn. 26), S. 794. Nichts anderes dürfte – auch wenn die Vertreter dieser Auffassung auf diese Frage nicht eingehen – für das Verhältnis von Art. 293, 3. Spstr. EG zu den Art. 43 Abs. 1, 48 Abs. 1 EG gelten, sofern es um die statutswahrende erstmalige Errichtung des effektiven Verwaltungssitzes geht. 333
A. Sachlicher Schutzbereich der Art. 43 Abs. 1, 48 Abs. 1 EG
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und soweit ein solches Schutzbedürfnis bestehe, statuiere Art. 293, 3. Spstr. EG hinsichtlich der Sitzverlegung einen Rechtssetzungsvorbehalt zugunsten der Mitgliedstaaten und entfalte gegenüber den Art. 43 Abs. 1 S. 1, 48 Abs. 1 EG damit eine Sperrwirkung.337 Würde die primäre Niederlassungsfreiheit von Gesellschaften beim derzeitigen Stand des Gesellschaftsrechts in der Gemeinschaft die statutswahrende Sitzverlegung schützen, hätte dies zur Folge, dass es in der Gemeinschaft zu einem Wettbewerb um das regelungsärmste Gesellschaftsrecht wie in den Vereinigten Staaten von Amerika kommen würde. Da die nationalen Regelungsinteressen in diesem Fall nicht wirksam geschützt seien, statuiere Art. 293, 3. Spstr. EG in Bezug auf die statutswahrende Sitzverlegung von Gesellschaften solange einen Rechtssetzungsvorbehalt zugunsten der Mitgliedstaaten, bis die Gesellschaftsrechte harmonisiert worden seien.338 Eine echte Freizügigkeit für Gesellschaften könne es daher erst nach diesem Zeitpunkt geben.339 Die Erforderlichkeit im Sinne des Art. 293, 3. Spstr. EG bezieht sich unbestrittenermaßen auf ein rechtliches, nicht ein wirtschaftliches Bedürfnis nach einer Regelung.340 Die der soeben dargestellten Auffassung zugrunde liegende Prämisse, dass sich das rechtliche Bedürfnis für den Abschluss eines Übereinkommens nach der Schutzbedürftigkeit der nationalen Interessen richtet, ist allerdings unzutreffend. Die Mitgliedstaaten werden in Art. 293, 3. Spstr. EG dazu aufgefordert, die dort aufgeführten Ziele durch eine Übereinkunft zu regeln, soweit dies „zugunsten ihrer Staatsangehörigen“ erforderlich ist. Berücksichtigt man, dass die Verwirklichung der in Art. 293, 3. Spstr. EG aufgeführten Ziele unerlässliche Voraussetzung dafür ist, dass die Staatsangehörigen der Mitgliedstaaten von dem ihnen in Art. 43 Abs. 1 S. 1 EG eingeräumten Recht zur grenzüberschreitenden Leitung von Gesellschaften Gebrauch machen können, kann die Anordnung, das rechtliche Bedürfnis nach einer Übereinkunft aus der Perspektive der Unionsbürger zu beurteilen, sinnvollerweise nur bedeuten, dass der Abschluss einer Übereinkunft erforderlich ist, soweit das Gebrauchmachen von dem Recht zur grenzüberschreitenden Leitung von Gesellschaften anderenfalls nicht gewährleistet werden kann. Das ist der Fall, soweit die Ausübung dieses Rechts durch die Bestimmungen des EG-Vertrags nicht ermöglicht wird resp. werden kann. Maßgeblich im Sinne des Art. 293, 3. Spstr. EG ist damit letzt336
Vgl. Ebenroth/Eyles, ebd.; Großfeld, WM 1992, 2121 (2123). Vgl. Großfeld, IPRax 1986, 351 (353); dens., WM 1992, 2121 (2123). Tendenziell auch Frenz, GewArch 49 (2003) 177 (182). 338 Vgl. Großfeld, ebd.; dens., Internationales und Europäisches Unternehmensrecht, 2. Aufl. 1995, S. 54; Ebenroth/Eyles, DB-Beilage 2/1988, 1 (12); Schlemmer-Schulte, EWS 1992, 333 (334 f.). Vgl. auch Wiedemann (Fn. 26), S. 794. 339 Ebenroth/Eyles, ebd.; dies., DB 1989, 413 (417); Großfeld, WM 1992, 2121 (2123); ders., Internationales und Europäisches Unternehmensrecht, ebd.; Wiedemann, ebd.; Ebke, ZGR 1987, 245 (269). 340 Schwartz, in: v. d. Groeben/Thiesing/Ehlermann (Hrsg.), Kommentar zu EU-/ EG-Vertrag, Bd. V, 5. Aufl. 1997, Art. 220 EGV Rn. 37; Lackhoff (Fn. 141), S. 170. 337
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2. Teil: EG-rechtlicher Schutz der statutswahrenden Niederlassung
lich, ob ein gemeinschaftsrechtliches Bedürfnis nach einer völkervertraglichen Regelung besteht, um die dort aufgeführten Vertragsziele zu erreichen.341 Hierfür spricht auch die Entstehungsgeschichte des Art. 293 EG. Diese Bestimmung wurde zwei Wochen vor Vertragsunterzeichnung eingefügt, weil Unsicherheit darüber bestand, ob die in ihr niedergelegten Ziele bereits durch den EG-Vertrag selbst oder durch Maßnahmen aufgrund seiner Ermächtigungen erreicht werden konnten.342 Art. 293 EG sollte folglich nur dazu dienen, die Erreichung der in ihm aufgeführten Ziele in jedem Fall sicherzustellen.343 Bezugspunkt der Erforderlichkeit ist daher nicht die Schutzbedürftigkeit nationaler Belange, sondern das gemeinschaftliche Bedürfnis nach mitgliedstaatlichen Übereinkünften zur Verwirklichung der in Art. 293 EG aufgeführten Ziele.344 Art. 293, 3. Spstr. EG ist gegenüber den Art. 43 Abs. 1, 48 Abs. 1 EG folglich subsidiär.345 Die gegenteilige Auffassung ist daher abzulehnen.346 5. Fazit Es bleibt somit festzuhalten, dass der sachliche Schutzbereich der primären Niederlassungsfreiheit von Gesellschaften sowohl den statutswahrenden Wegzug als auch den statutswahrenden Zuzug zum Zweck der Begründung und Verlegung ihres effektiven Sitzes innerhalb der Gemeinschaft garantiert. Der Schutz der erstmaligen Begründung des effektiven Sitzes in einem anderen Mitgliedstaat als dem Inkorporationsstaat steht allerdings unter dem Vorbehalt, dass der jeweilige Inkorporationsstaat die wirksame Entstehung seiner Gesellschaften lediglich davon abhängig macht, dass sich deren statutarischer Sitz in seinem Gebiet befindet. Der sachliche Schutzbereich der primären Niederlassungsfreiheit von Gesellschaften enthält in Bezug auf die Verlegung des effektiven Verwaltungssitzes weder eine Bereichsausnahme hinsichtlich des Wegzugs, noch ist Art. 293, 3. Spstr. EG gegenüber den Art. 43 Abs. 1 S. 1, 48 Abs. 1 EG hinsichtlich der transnationalen Ansiedlung des effektiven Sitzes lex specialis.
341 EuGH, Rs. C-208/00 (Überseering BV/Nordic Construction Company Baumanagement GmbH), Slg. 2002, I-9919 (9964 f.); Behrens, IPRax 1989, 354 (358). 342 Timmermans, RabelsZ 48 (1984) 1 (38); Schwartz (Fn. 340), Art. 220 EGV Rn. 38; Kruse (Fn. 36), S. 74; Lackhoff (Fn. 141), S. 170 f. 343 Schwartz, ebd.; Lackhoff, ebd., S. 171. 344 EuGH, Rs. C-208/00 (Überseering BV/Nordic Construction Company Baumanagement GmbH), Slg. 2002, I-9919 (9964 f.). 345 EuGH, ebd. So i. E. auch Timmermans, RabelsZ 48 (1984) 1 (38 f.); Behrens, IPRax 1989, 354 (358); ders., EuZW 2002, 737; Knobbe-Keuk, DB 1990, 2573 (2580); Bleckmann, Europarecht, 6. Aufl. 1996, Rn. 1667; Schwartz (Fn. 340), Art. 220 EGV Rn. 40; Koppensteiner, in: FS Lutter, 2000, S. 141 (144); Koch/Köngeter, Jura 2003, 692 (695). 346 So auch Kruse (Fn. 36), S. 75; Lackhoff (Fn. 141), S. 170 f.; Tietje (Fn. 140), § 10 Rn. 68.
A. Sachlicher Schutzbereich der Art. 43 Abs. 1, 48 Abs. 1 EG
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III. Verhältnis von primärer und sekundärer Niederlassungsfreiheit von Gesellschaften In den Urteilen Segers und Centros hat der EuGH die Errichtung der Niederlassungen der Slenderose Ltd. und Centros Ltd. als Errichtung von Zweigniederlassungen gewertet, obwohl es sich beide Male de facto um die Errichtung von Hauptniederlassungen handelte. Dies wirft die Frage des Verhältnisses der primären zur sekundären Niederlassungsfreiheit von Gesellschaften auf. Art. 43 Abs. 1 S. 2 EG macht die Errichtung von Zweitniederlassungen in der Gemeinschaft davon abhängig, dass die betreffenden Gesellschaften bereits in der Gemeinschaft ansässig sind. Dies scheint dafür zu sprechen, dass Art. 43 Abs. 1 S. 2 EG die erstmalige Errichtung der Hauptniederlassung schon deshalb nicht schützen kann, weil die Ansässigkeit in der Gemeinschaft vor der Inanspruchnahme der sekundären Niederlassungsfreiheit bestehen muss, und Gesellschaften vor der erstmaligen Errichtung einer Niederlassung noch nirgendwo ansässig sind.347 Das Ansässigkeitserfordernis hat jedoch nur die Funktion, Gesellschaften, die nach dem Recht eines Mitgliedstaats gegründet sind und deren satzungsmäßiger Sitz in der Gemeinschaft liegt, die aber ausschließlich in die Volkswirtschaft eines Drittstaats integriert sind, also über keine oder nur unbedeutende Verbindungen zur Gemeinschaft verfügen, von der Inanspruchnahme der sekundären Niederlassungsfreiheit auszuschließen.348 Das Ansässigkeitserfordernis als solches steht einer Auslegung des Art. 43 Abs. 1 S. 2 EG dahin, dass er die erstmalige Errichtung einer als Zweigniederlassung deklarierten Hauptniederlassung durch gemeinschaftsangehörige Gesellschaften schützt, die nicht in die Volkswirtschaft eines Drittstaats verwurzelt sind, somit nicht entgegen.349 Daraus kann jedoch gleichwohl nicht gefolgert werden, dass die sekundäre Niederlassungsfreiheit in Anspruch nehmen kann, wer noch über keine Niederlassung verfügt. Denn der Normzweck des Art. 43 Abs. 1 S. 2 EG besteht darin, Unternehmen die Möglichkeit zu eröffnen, von ihrer Hauptniederlassung (organisatorisch und/oder wirtschaftlich) abhängige Betriebseinheiten in Form von Agenturen, Zweigniederlassungen oder Tochtergesellschaften in der Gemeinschaft zu etablieren.350 Da die Errichtung von Zweitniederlassungen somit zwingend die vorherige Existenz einer Hauptniederlassung voraussetzt, kann 347 So Eyles, Das Niederlassungsrecht der Kapitalgesellschaften in der Europäischen Gemeinschaft, 1990, S. 348; Kruse, ebd., S. 65. 348 GA La Pergola, Schlussanträge in der Rs. C-212/97 (Centros Ltd./Erhvervs- og Selskabsstyrelsen), Slg. 1999, I-1459 (1469); Koppensteiner (Fn. 46), S. 114 f.; Lackhoff (Fn. 141), S. 188; Kieninger, ZGR 1999, 724 (736 f.); Eidenmüller, ZIP 2002, 2233 (2244); Tietje (Fn. 140), § 10 Rn. 36. Vgl. auch Everling, Das Niederlassungsrecht im Gemeinsamen Markt, 1963, S. 39 f. 349 So auch Koppensteiner, ebd., S. 115 f.; Kieninger, ebd., S. 737. In diese Richtung auch Eidenmüller, ebd. 350 Vgl. Tietje (Fn. 140), § 10 Rn. 35.
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2. Teil: EG-rechtlicher Schutz der statutswahrenden Niederlassung
die sekundäre Niederlassungsfreiheit nur in Anspruch nehmen, wer bereits über eine Hauptniederlassung verfügt.351 Die vom Gerichtshof vertretene Auslegung, dass die sekundäre Niederlassungsfreiheit auch Gesellschaften in Anspruch nehmen können, die über keine Hauptniederlassung verfügen, wird daher vom Normzweck dieser Bestimmung nicht gedeckt und ist daher abzulehnen.352 Die erstmalige grenzüberschreitende Errichtung der Hauptniederlassung wird folglich ausschließlich durch die Art. 43 Abs. 1 S. 1, 48 Abs. 1 EG geschützt. Gleiches gilt für die grenzüberschreitende Verlegung der Hauptniederlassung.353
B. Persönlicher Schutzbereich der Niederlassungsfreiheit von Gesellschaften Nach Art. 48 Abs. 1 EG stehen für die Anwendung des Kapitels über die Niederlassungsfreiheit die nach den Rechtsvorschriften eines Mitgliedstaats gegründeten Gesellschaften, die ihren satzungsmäßigen Sitz, ihre Hauptverwaltung oder ihre Hauptniederlassung innerhalb der Gemeinschaft haben, den natürlichen Personen gleich, die Angehörige der Mitgliedstaaten sind.
I. Tatbestand des Art. 48 Abs. 1 EG 1. Gründung nach den Rechtsvorschriften eines Mitgliedstaats Die erste Voraussetzung des Art. 48 Abs. 1 EG, dass eine Gesellschaft nach den Rechtsvorschriften eines Mitgliedstaats gegründet sein muss, ist zwei unterschiedlichen Auslegungen zugänglich. Sie kann einerseits als Verweis auf das Recht des Mitgliedstaats interpretiert werden, nach dem die Gesellschaft gegründet worden ist.354 Sie kann andererseits aber auch als Verweis auf das Recht des Mitgliedstaats verstanden werden, demgegenüber sich eine Gesellschaft im Einzelfall auf die Niederlassungsfreiheit beruft.355 Letztere Auslegung hat zur Folge, dass jeder Mitgliedstaat mittels seines IPR das auf Gesellschaften 351 So auch Kieninger, ZGR 1999, 724 (729, 736 f.); dies., NZG 2000, 39 (41); Lange, DNotZ 1999, 599 (605). In diese Richtung auch Mülbert/Schmolke, ZVglRWiss 100 (2001) 233 (241 f.); Eidenmüller, ZIP 2002, 2233 (2243 f.). 352 So i. E. auch Freitag, EuZW 1999, 267 (268); Kieninger, ebd., S. 734; Leible, NZG 2001, 460 (461); Lurger, IPRax 2001, 346 (350). 353 So tendenziell auch Eidenmüller, ZIP 2002, 2233 (2243 f.). 354 Drobnig, Europäisches Gemeinschaftsrecht und IPR, in: v. Bar (Hrsg.), S. 185 (194); Behrens, IPRax 1999, 323 (324); Koppensteiner (Fn. 286), S. 151 (160 f.); Forsthoff, EuR 35 (2000) 167 (174); v. Halen (Fn. 46), S. 120 ff.; Eidenmüller, ebd., S. 2239 Fn. 44. 355 Bungert, DB 1999, 1841 (1842); Kindler (Fn. 9), IntGesR Rn. 368; ders., NJW 1999, 1993 (1996 f.); ders., in: Gesellschaftsrechtliche Vereinigung (Hrsg.), Gesell-
B. Persönlicher Schutzbereich der Art. 43 Abs. 1, 48 Abs. 1 EG
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anwendbare Recht autonom bestimmen und damit frei über den Kreis der niederlassungsberechtigten Gesellschaften disponieren kann.356 Da dies dem Grundsatz der einheitlichen Tragweite des Gemeinschaftsrechts357 widerspricht, ist diese Auslegung abzulehnen.358 Art. 48 Abs. 1 EG stellt somit einen Verweis auf das Recht des Mitgliedstaats dar, nach dem eine Gesellschaft gegründet worden ist.359 Fraglich ist allerdings, ob Art. 48 Abs. 1 EG insoweit eine IPRVerweisung, also einen Verweis auf das Kollisionsrecht360 oder eine Sachnormverweisung, also einen Verweis auf das Sachrecht des Gründungsstaats enthält. Würde Art. 48 Abs. 1 EG eine IPR-Verweisung enthalten, stünde die Niederlassungsberechtigung von Gesellschaften im Ergebnis wieder zur Disposition der Mitgliedstaaten. Denn bei einer Verweisung auf das Internationale Gesellschaftsrecht des jeweiligen Gründungsstaats kann es zu einer Weiterverweisung auf das Recht eines anderen Mitgliedstaats kommen, die zur Folge haben kann, dass eine Gesellschaft die erste Voraussetzung des Art. 48 Abs. 1 EG nicht erfüllt, obwohl sie nach den Rechtsvorschriften eines Mitgliedstaats wirksam gegründet worden ist.361 Hat bspw. eine nach dem Recht des Mitgliedstaats A wirksam gegründete Gesellschaft ihre Hauptniederlassung in Mitgliedstaat B verlegt, wäre der Gesellschaft die Berufung auf die Niederlassungsfreiheit verwehrt, sofern Art. 48 Abs. 1 EG auf das IPR des Mitgliedstaats A verweisen, dieses auf das IPR des Mitgliedstaats B weiterverweisen, und letzteres die Verweisung annehmen würde. Denn dann wäre für die Frage der Gründung das materielle Gesellschaftsrecht des Mitgliedstaats B maßgebend. Da die Gesellschaft nach dessen Recht nicht gegründet worden ist, würde sie die erste Voraussetzung des Art. 48 Abs. 1 EG nicht erfüllen, obwohl sie nach dem Recht des Mitgliedstaats A wirksam inkorporiert worden ist. Anders wäre es hingegen, wenn der Mitgliedstaat B auf das Recht des Mitgliedstaats A zurückverweist und dieses die Zurückverweisung annimmt.362 Da es mit dem Grundsatz der einheitlichen Geltung des Gemeinschaftsrechts nicht vereinbar ist, dass die Niederlassungsbeschaftsrecht in der Diskussion, Bd. II, 1999, S. 87 (101 f.); Sonnenberger/Großerichter, RIW 1999, 721 (726 f.); Mülbert/Schmolke, ZVglRWiss 100 (2001) 233 (251). 356 So explizit Kindler, ebd., IntGesR Rn. 368; ders., NJW 1999, 1993 (1996 f.); ders., ebd., S. 87 (101 f.); ders., RIW 2000, 649 (651 f.); ders., IPRax 2003, 41 (43); Sonnenberger/Großerichter, ebd. In diese Richtung auch Ebke, JZ 1999, 656 (660); Lange, DNotZ 1999, 599 (605); Mäsch, JZ 2000, 201 (202). 357 Zu diesem Grundsatz Nettesheim, in: GS Grabitz, 1995, S. 447 (451 ff.). 358 Forsthoff, EuR 35 (2000) 167 (179); Randelzhofer/Forsthoff (Fn. 140), Art. 48 EGV Rn. 17; v. Halen (Fn. 46), S. 120, 122; Eidenmüller, ZIP 2002, 2233 (2239 Fn. 44). 359 Drobnig (Fn. 354), S. 185 (194); Behrens, IPRax 1999, 323 (324); Forsthoff, ebd., S. 174; v. Halen, ebd., S. 120; Randelzhofer/Forsthoff, ebd., Art. 48 EGV Rn. 18 f.; Eidenmüller, ebd. 360 So Kindler, NJW 1999, 1993 (1996 f.); Mülbert/Schmolke, ZVglRWiss 100 (2001) 233 (251, 259). 361 v. Halen (Fn. 46), S. 123. 362 Vgl. v. Halen, ebd.
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2. Teil: EG-rechtlicher Schutz der statutswahrenden Niederlassung
rechtigung einer Gesellschaft von der jeweiligen Ausgestaltung der nationalen Kollisionsrechte abhängt, kann Art. 48 Abs. 1 EG nur eine Sachnormverweisung auf das Recht des jeweiligen Gründungsstaats enthalten.363 Dafür, dass der Verweis sich nur auf das Sachrecht erstrecken kann, spricht auch, dass Gesellschaften nur nach Sach- und nicht nach Kollisionsrecht gegründet werden können.364 2. Gemeinschaftszugehörigkeit Art. 48 Abs. 1 EG fordert neben der Gründung nach den Rechtsvorschriften eines Mitgliedstaats, dass eine Gesellschaft ihren satzungsmäßigen Sitz, ihre Hauptverwaltung oder ihre Hauptniederlassung innerhalb der Gemeinschaft haben muss. Hinter dem Erfordernis, dass Gesellschaften zumindest über einen dieser Sitze in der Gemeinschaft verfügen müssen, steht der Gedanke, dass nach den Rechtsvorschriften eines Mitgliedstaats gegründete Gesellschaften nur dann in den Genuss der Niederlassungsfreiheit gelangen sollen, wenn sie wirklich gemeinschaftsangehörig sind. Dies hält der Vertrag nur dann für gegeben, wenn zumindest einer dieser Sitze in der Gemeinschaft liegt. Da alle mitgliedstaatlichen Gesellschaftsrechte die Existenz und Fortexistenz ihrer Gesellschaften von der Belegenheit des satzungsmäßigen Sitzes in ihrem Gebiet abhängig machen,365 kommt dieser Voraussetzung allerdings keine nennenswerte Bedeutung zu.
II. Rechtsfolge des Art. 48 Abs. 1 EG Unbestritten besteht die Rechtsfolge des Art. 48 Abs. 1 EG darin, dass Gesellschaften, die die beiden in dieser Bestimmung normierten Tatbestandsvoraussetzungen erfüllen, in den personellen Schutzbereich der Niederlassungsfreiheit einbezogen werden.366 Im Schrifttum wird teilweise die Auffassung vertreten, Art. 48 Abs. 1 EG sei nicht nur eine materiell-rechtliche, sondern auch eine (versteckte) international-privatrechtliche Vorschrift, der die Funktion zukomme, das auf gemeinschaftszugehörige Gesellschaften anwendbare Recht zu bestimmen.367 Neben der materiell-rechtlichen Rechtsfolge der Einbeziehung von Ge363 Behrens, IPRax 1999, 323 (324); v. Halen, ebd., S. 124; Forsthoff, EuR 35 (2000) 167 (174); ders., DB 2000, 1109 (1111); Randelzhofer/Forsthoff (Fn. 140), Art. 48 EGV Rn. 18. 364 Forsthoff, ebd., S. 174; v. Halen, ebd.; Randelzhofer/Forsthoff, ebd., Art. 48 EGV Rn. 16. 365 Smit/Herzog, The Law of the European Community, 1984, Art. 58.05 (S. 2–643); Koppensteiner (Fn. 286), S. 151 (160). 366 Deville, RIW 1986, 298 (299); Randelzhofer/Forsthoff (Fn. 140), Art. 48 EGV Rn. 24; Tietje (Fn. 140), § 10 Rn. 16.
B. Persönlicher Schutzbereich der Art. 43 Abs. 1, 48 Abs. 1 EG
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sellschaften in den personellen Schutzbereich der Niederlassungsfreiheit enthalte Art. 48 Abs. 1 EG daher auch die international-privatrechtliche Rechtsfolge, dass auf die von dieser Bestimmung erfassten Gesellschaften ihr Gründungsstatut angewendet werden müsse.368 Art. 48 Abs. 1 EG sei damit auch eine europarechtliche international-gesellschaftsrechtliche Anerkennungsnorm, die jeden Mitgliedstaat dazu verpflichte, auf EG-ausländische Gesellschaften ihr Gründungsstatut anzuwenden.369 Gegen die Einordnung von Art. 48 Abs. 1 EG als international-gesellschaftsrechtliche Anerkennungsnorm spricht das Verhältnis dieser Bestimmung zu Art. 43 Abs. 1 EG. Der Gewährleistungsgehalt der Niederlassungsfreiheit ist ausschließlich in Art. 43 Abs. 1 EG normiert. Welchen Bindungen die Mitgliedstaaten bei der Behandlung der niederlassungsberechtigten Gesellschaften unterliegen, kann daher allein Art. 43 Abs. 1 EG festlegen. Nur aus dieser Bestimmung kann sich deshalb eine Verpflichtung des Inhalts ergeben, dass auf Gesellschaften im Falle ihrer transnationalen Niederlassung ihr Gründungsstatut angewendet werden muss.370 Die Funktion des Art. 48 Abs. 1 EG besteht allein darin, festzulegen, welche Gesellschaften in den personellen Schutzbereich der Niederlassungsfreiheit einbezogen werden.371
III. Ergebnis Da Art. 48 Abs. 1 EG eine Sachnormverweisung auf das Recht des Mitgliedstaats enthält, nach dem eine Gesellschaft gegründet worden ist, bezieht er seinem Wortlaut entsprechend alle nach den Rechtsvorschriften eines Mitgliedstaats gegründeten Gesellschaften in den personellen Schutzbereich der Niederlassungsfreiheit ein, die alternativ ihren Satzungssitz, ihre Hauptverwaltung oder ihre Hauptniederlassung in der Gemeinschaft haben.
367 Drobnig (Fn. 354), S. 185 (194 f.); Behrens, IPRax 1999, 323 (324, 330); ders., IPRax 2000, 384 (386, 388); ders., IPRax 2003, 193 (204 f.); Eidenmüller, ZIP 2002, 2231 (2241); ders., JZ 2004, 24 (25); Leible/Hoffmann, RIW 2002, 925 (928). 368 Drobnig, ebd.; v. Bar, Internationales Privatrecht, Bd. I, 1987, Rn. 170; Behrens, ebd.; ders., IPRax 2000, 384 (386, 388); Brödermann, in: Brödermann/Iversen, Europäisches Gemeinschaftsrecht und Internationales Privatrecht, 1994, Rn. 126 ff., der diese Rechtsfolge allerdings auf die sekundäre Niederlassungsfreiheit begrenzt, Rn. 278 ff. Vgl. auch Koppensteiner (Fn. 46), S. 115 f. 369 Behrens, IPRax 1999, 323 (324, 330). 370 So auch Forsthoff, EuR 35 (2000) 167 (176); Randelzhofer/Forsthoff (Fn. 140), Art. 48 EGV Rn. 26; v. Halen (Fn. 46), S. 125. 371 Forsthoff, ebd.; Randelzhofer/Forsthoff, ebd.; v. Halen, ebd.
3. Teil
Vereinbarkeit der Sitztheorie mit dem EG-Vertrag Wie soeben gezeigt, schützt die primäre Niederlassungsfreiheit von Unionsbürgern die Ausübung unternehmerischer Tätigkeiten innerhalb der Gemeinschaft über Gesellschaften jedes Mitgliedstaats. Um die praktische Wirksamkeit dieser Gewährleistung sicherzustellen, schützt die primäre Niederlassungsfreiheit von Gesellschaften den statutswahrenden Wegzug und Zuzug zum Zweck der Verlegung des effektiven Verwaltungssitzes, und, sofern ein Mitgliedstaat die Errichtung seiner Gesellschaften lediglich von der Belegenheit ihres Satzungssitzes in seinem Gebiet abhängig macht, auch den statutswahrenden Wegzug und Zuzug zum Zweck der erstmaligen Errichtung des effektiven Verwaltungssitzes innerhalb der Gemeinschaft. Im Folgenden soll untersucht werden, ob die Sitztheorie, die die statutswahrende Ansiedlung des effektiven Verwaltungssitzes von Gesellschaften, die nach dem Recht anderer Mitgliedstaaten gegründet worden sind, in Deutschland verhindert, mit der primären Niederlassungsfreiheit von Unionsbürgern und Gesellschaften vereinbar ist.
A. Vorfragen Um die Vereinbarkeit einer mitgliedstaatlichen Maßnahme mit der primären Niederlassungsfreiheit von Unionsbürgern und Gesellschaften beurteilen zu können, bedarf zunächst der Klärung, welche Beeinträchtigungen des Schutzbereichs der Niederlassungsfreiheit den Mitgliedstaaten grundsätzlich überhaupt verboten sind (I.), und unter welchen Voraussetzungen diese ggf. gerechtfertigt werden können (II.).
I. Die von Art. 43 Abs. 1 EG verbotenen Beeinträchtigungen 1. Verbot von Schlechterstellungen und Beschränkungen Sowohl die Niederlassungsfreiheit von Unionsbürgern als auch die Niederlassungsfreiheit von Gesellschaften enthalten Schlechterstellungsverbote.372 Die Niederlassungsfreiheit von Unionsbürgern verbietet den Mitgliedstaaten, EG-
A. Vorfragen
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Ausländer bei der Niederlassung in ihrem Gebiet offen oder versteckt aufgrund ihrer Staatsangehörigkeit schlechter zu stellen als Inländer.373 Eine offene Diskriminierung aufgrund der Staatsangehörigkeit liegt vor, wenn eine Maßnahme ausdrücklich anhand dieses Kriteriums eine Differenzierung trifft und EG-Ausländer dadurch schlechter gestellt werden als Inländer.374 Eine versteckte Diskriminierung aufgrund der Staatsangehörigkeit ist gegeben, wenn eine Maßnahme zwar formal unterschiedslos für Inländer und EG-Ausländer gilt, letztere durch die Maßnahme aber typischerweise stärker betroffen werden.375 Die Niederlassungsfreiheit von Unionsbürgern dient, ebenso wie die Arbeitnehmerfreizügigkeit, die Dienstleistungs-, Waren- sowie die Kapital- und Zahlungsverkehrsfreiheit der Marktöffnung, nicht aber der Schaffung vollständiger Marktgleichheit im gesamten Gemeinschaftsgebiet, und erfasst daher nur grenzüberschreitende Sachverhalte.376 Aus diesem Grund fallen rein innerstaatliche Sachverhalte nicht in den Schutzbereich der Niederlassungsfreiheit von Unionsbürgern.377 Daraus folgt zugleich, dass den Mitgliedstaaten Schlechterstellungen ihrer eigenen Staatsangehörigen gegenüber EG-Ausländern, sog. umgekehrte Diskriminierungen, durch die Niederlassungsfreiheit von Unionsbürgern nicht untersagt werden.378 Die Niederlassungsfreiheit von Gesellschaften verbietet den Mitgliedstaaten, EG-ausländische Gesellschaften gegenüber inländischen Gesellschaften offen oder versteckt wegen ihrer Zugehörigkeit zu einem anderen Mitgliedstaat schlechter zu stellen.379 Ferner verbietet die Niederlassungsfreiheit von Gesellschaften den Mitgliedstaaten, die Gesellschafter, Geschäftsführer und das sons372 Steindorff, EuR 23 (1988) 19; Behrens, EuR 27 (1992) 145 (151); Schön, EWS 2000, 281 (284). 373 Beutler/Bieber/Pipkorn/Streil, Die Europäische Union, 5. Aufl. 2001, Rn. 811 f.; Tietje (Fn. 140), § 10 Rn. 50. 374 Schlag (Fn. 141), Art. 43 EGV Rn. 33 f.; Ehlers (Fn. 190), § 7 Rn. 21 f. 375 Hailbronner (Fn. 316), Art. 52 EGV Rn. 8; Nachbaur (Fn. 285), S. 46; Frenz/ Grande, EWS 2002, 555 (558); Ehlers, ebd.; Tietje (Fn. 140), § 10 Rn. 50. 376 Bröhmer (Fn. 141), Art. 43 EGV Rn. 6; Ehlers, ebd., § 7 Rn. 20. Vgl auch Streinz, Europarecht, 5. Aufl. 2001, Rn. 681 a i.V. m. Rn. 683; Hatje, Jura 2003, 160 (161). 377 Vgl. EuGH, Rs. 115/78 (J. Knoors/Staatssekretär für Wirtschaft), Slg. 1979, 399 (410); Rs. 20/87 (Ministère public/André Gauchard), Slg. 1987, 4879 (4896); Rs. 204/87 (Strafverfahren gegen Guy Bekaert), Slg. 1988, 2029 (2039); verb. Rs. C-54/88, C-91/88 u. C-14/89 (Strafverfahren gegen Eleonora Nino u. a.), Slg. 1990, I-3537 (3549); Rs. C-330/90 u. C-331/90 (Strafverfahren gegen Angel López Brea u. Carlos Hidalgo Palacios), Slg. 1992, I-323 (336); Rs. C-153/91 (Camille Petit/Office national des pensions), Slg. 1992, I-4973 (4994); Rs. C-112/91 (Hans Werner/Finanzamt Aachen-Innenstadt), Slg. 1993, I-429 (470). Vgl. auch Ehlers, NVwZ 1990, 810 (811); ders., ebd. 378 Vgl. EuGH, verb. Rs. C-29/94 – C-35/94 (Strafverfahren gegen Jean-Louis Aubertin u. a.), Slg. 1995, I-301 (316); Everling, in: FS Mestmäcker, 1996, S. 365 (373 f.); Schlag (Fn. 141), Art. 43 EGV Rn. 43; Beutler/Bieber/Pipkorn/Streil (Fn. 373), Rn. 814; Bröhmer (Fn. 141), Art. 43 EGV Rn. 6. Vgl. auch Hailbronner (Fn. 316), Art. 52 EGV Rn. 27; Ehlers, ebd.
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3. Teil: Vereinbarkeit der Sitztheorie mit dem EG-Vertrag
tige Personal EG-ausländischer Gesellschaften gegenüber den Gesellschaftern, Geschäftsführern und dem sonstigen Personal inländischer Gesellschaften offen oder versteckt wegen ihrer Zugehörigkeit zu einer EG-ausländischen Gesellschaft schlechter zu stellen,380 da die Niederlassungsfreiheit EG-ausländischer Gesellschaften durch solche Schlechterstellungen ebenso beeinträchtigt werden kann wie durch sie selbst betreffende Schlechterstellungen.381 Wie die Niederlassungsfreiheit von Unionsbürgern erfasst auch die Niederlassungsfreiheit von Gesellschaften nur grenzüberschreitende Sachverhalte und verbietet daher ebenfalls keine sog. umgekehrten Diskriminierungen.382 Neben den Schlechterstellungsverboten enthalten die Niederlassungsfreiheit von Unionsbürgern und Gesellschaften – ebenso wie die anderen Grundfreiheiten – nach der zutreffenden Rechtsprechung des Gerichtshofs auch Beschränkungsverbote.383 Dies ergibt sich zunächst daraus, dass es dieser Verbürgungen anderenfalls wegen des ohnehin bestehenden Diskriminierungsverbots des Art. 12 EG, welches auch auf Gesellschaften anwendbar ist,384 nicht bedurft hätte.385 Ferner kann die durch Art. 43 Abs. 1 EG geschützte grenzüberschreitende Niederlassung von Unionsbürgern und Gesellschaften nicht nur durch diskriminierende, sondern auch durch unterschiedslos geltende mitgliedstaatliche Regelungen behindert oder unmöglich gemacht werden.386 Die mit den Art. 43 Abs. 1, 48 Abs. 1 EG bezweckte Marktöffnung für Unionsbürger und Gesellschaften kann daher nur erreicht werden, wenn sich aus diesen Bestimmungen neben Diskriminierungs- auch Beschränkungsverbote ergeben.387 In der KeckEntscheidung hat der Gerichtshof die Reichweite des Beschränkungsverbots des 379 EuGH, Rs. 79/85 (D. H. M. Segers/Bestuur van de Bedrijfsvereniging voor Banken Verzekeringswezen, Groothandel en Vrije Beroepen), Slg. 1986, 2375 (2387 f.); Forsthoff, EuR 35 (2000) 167 (176). 380 Vgl. EuGH, ebd. 381 Vgl. EuGH, ebd. 382 Vgl. Randelzhofer/Forsthoff (Fn. 140), Vorb. Art. 39 – 55 EGV Rn. 44. 383 Vgl. EuGH, Rs. C-19/92 (Dieter Kraus/Land Baden-Württemberg), Slg. 1993, I1663 (1693 f.); Rs. C-55/94 (Reinhard Gebhard/Consiglio dell’ordine degli avvocati e procuratori di Milano), Slg. 1995, I-4165 (4197 f.); Rs. C-212/97 (Centros Ltd./Erhvervs- og Selskabsstyrelsen), Slg. 1999, I-1459 (1492, 1495); Rs C-208/00 (Überseering BV/Nordic Construction Company Baumanagement GmbH), Slg. 2002, I-9919 (9971, 9974). Siehe auch Ehlers, NVwZ 1990, 810 (811, 814); Knobbe-Keuk, DB 1991, 298; dies., EuZW 1991, 649 (651); Kallmeyer, ZIP 1996, 535 (537); Everling, in: GS Knobbe-Keuk, 1997, S. 607 (611 f.); W.-H. Roth (Fn. 289), S. 729 (733); Timme/Hülk, JuS 1999, 1055 (1056); Geiger, EUV/EGV, 3. Aufl. 2000, Art. 43 EGV Rn. 15; Schlag (Fn. 141), Art. 43 EGV Rn. 45; Hatje, Jura 2003, 160 (164). 384 v. Bogdandy (Fn. 285), Art. 6 EGV Rn. 32; Kingreen, in: Ehlers (Hrsg.), Europäische Grundrechte und Grundfreiheiten, 2003, § 17 Rn. 19. 385 Vgl. Ehlers, NVwZ 1990, 810 (811); dens. (Fn. 190), § 7 Rn. 25 i.V. m. Rn. 37. 386 W.-H. Roth (Fn. 289), S. 729 (737 f.). 387 W.-H. Roth, ebd.; Royla, Grenzüberschreitende Finanzmarktaufsicht in der EG, 1998, S. 33; Ehlers, NVwZ 1990, 810 (811).
A. Vorfragen
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Art. 28 EG auf den Marktzugang beeinträchtigende Maßnahmen begrenzt388 und diese Rechtsprechung in der Entscheidung Alpine Investments auf die Dienstleistungsfreiheit übertragen.389 Hierzu sah sich der Gerichtshof zu Recht wegen der auf die Marktöffnung begrenzten Zielsetzung der Warenverkehrs- und Dienstleistungsfreiheit veranlasst.390 Da alle Grundfreiheiten diese begrenzte Zielsetzung aufweisen, müssen die Grundsätze der Keck-Rechtsprechung auch auf die Niederlassungsfreiheit von Unionsbürgern und Gesellschaften übertragen werden.391 Die Reichweite des in Art. 43 Abs. 1 EG enthaltenen Beschränkungsverbots ist daher auf den Markt- resp. Berufszugang begrenzt, erstreckt sich also nicht auf das Verhalten im Markt resp. die Berufsausübung.392 2. Exkurs Die den Mitgliedstaaten und der Gemeinschaft durch Art. 43 Abs. 1 EG auferlegten Verhaltenspflichten sind unbedingt, räumen ihnen keinen Ermessensspielraum ein und bedürfen zu ihrer Erfüllung auch keiner weiteren Vollzugsmaßnahmen.393 Art. 43 Abs. 1 EG weist damit alle Voraussetzungen auf, von denen die unmittelbare Anwendbarkeit primärrechtlicher Normen nach der ständigen Rechtsprechung des Gerichtshofs abhängt.394 Da die in dieser Bestimmung normierten Verpflichtungen den Mitgliedstaaten und der Gemeinschaft 388 EuGH, verb. Rs. C-267/91 u. C-268/91 (Strafverfahren gegen Bernard Keck u. Daniel Mithouard), Slg. 1993, I-6097 (6131). Ausführlich hierzu Epiney, in: Ehlers (Hrsg.), Europäische Grundrechte und Grundfreiheiten, 2003, § 8 Rn. 32 ff. 389 EuGH, Rs. C-384/93 (Alpine Investments BV/Minister van Financiën), Slg. 1995, I-1141 (1177 f.). Hierzu Ehlers (Fn. 190), § 7 Rn. 69. 390 Vgl. EuGH, verb. Rs. C-267/91 u. C-268/91 (Strafverfahren gegen Bernard Keck u. Daniel Mithouard), Slg. 1993, I-6097 (6131); Rs. C-384/93 (Alpine Investments BV/Minister van Financiën), Slg. 1995, I-1141 (1177 f.); Rs. C-405/98 (Konsumentombudsmannen/Gourmet International Products), EuZW 2001, 251 (252). 391 So auch Everling (Fn. 383), S. 607 (621); Ehlers (Fn. 190), § 7 Rn. 69. In diese Richtung auch Hatje, Jura 2003, 160 (166). 392 W.-H. Roth (Fn. 289), S. 729 (737 f.); Müller (Fn. 60), S. 152; Lecheler, Einführung in das Europarecht, 2000, S. 265; Schön, EWS 2000, 281 (284 f.); Randelzhofer/ Forsthoff (Fn. 140), Art. 43 EGV Rn. 89; Ehlers, ebd. 393 In Bezug auf das aus Art. 43 Abs. 1 EG folgende Diskriminierungsverbot EuGH, Rs. 2/74 (Jean Reyners/Belgischen Staat), Slg. 1974, 631 (651 f.). In Bezug auf das aus Art. 43 Abs. 1 EG folgende Beschränkungsverbot implizit EuGH, Rs. C-55/94 (Reinhard Gebhard/Consiglio dell’ordine degli avvocati e procuratori di Milano), Slg. 1995, I-4165 (4197 f.); Rs. C-212/97 (Centros Ltd./Erhvervs- og Selskabsstyrelsen), Slg. 1999, I-1459 (1491 ff.); Rs. C-208/00 (Überseering BV/Nordic Construction Company Baumanagement GmbH), Slg. 2002, I-9919 (9965). 394 EuGH, Rs. 26/62 (N. V. Algemene Transporten Expeditie Onderneming Van Gend & Loos/Niederländische Finanzverwaltung), Slg. 1963, 1 (25 f.); Rs. 2/74 (Jean Reyners/Belgischen Staat), Slg. 1974, 631 (652). Siehe auch Timme/Hülk, JuS 1999, 1055 (1056); Fischer (Fn. 141), § 6 Rn. 6 f.; Nicolaysen, Europarecht I, 2. Aufl. 2002, S. 83 f.
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3. Teil: Vereinbarkeit der Sitztheorie mit dem EG-Vertrag
auch im Interesse der berechtigten Unionsbürger und Gesellschaften auferlegt werden, gewährt sie diesen ein subjektives Gleichheits- und ein (auf den Marktresp. Berufszugang begrenztes) Freiheitsrecht.395
II. Rechtfertigung von Beeinträchtigungen der Niederlassungsfreiheit Weder das Diskriminierungs- noch das Beschränkungsverbot des Art. 43 Abs. 1 EG gelten absolut, da andere Rechtsgüter ansonsten nicht angemessen geschützt werden könnten.396 Wird die Niederlassungsfreiheit durch eine Diskriminierung oder Beschränkung beeinträchtigt, kann diese Beeinträchtigung somit gerechtfertigt werden. Für Diskriminierungen ergibt sich dies aus Art. 46 EG. Für Beschränkungen enthält der Vertrag zwar keine ausdrückliche Rechtfertigungsnorm, allerdings hat der Gerichtshof in der Cassis de Dijon-Entscheidung zwingende Erfordernisse der Mitgliedstaaten als ungeschriebene Rechtfertigungsgründe für Beschränkungen entwickelt.397 Danach sind Beschränkungen der Grundfreiheiten gerechtfertigt, sofern sie dem Schutz zwingender Erfordernisse des Allgemeinwohls dienen und verhältnismäßig sind.398 Daneben können die geschriebenen Rechtfertigungsgründe – im Erst-Recht-Schluss – auch auf Beschränkungen angewendet werden.399 In vielen neueren Entscheidungen hat der EuGH anerkannt, dass über die ungeschriebenen Rechtfertigungsgründe auch versteckte Diskriminierungen gerechtfertigt werden können.400 Dem ist zuzustimmen, da sich versteckte Diskriminierungen und Beschränkungen in der Regel nur schwer abgrenzen lassen, 395 Allgemein zu der Frage, unter welchen Voraussetzungen Bestimmungen des Gemeinschaftsrechts subjektive Rechte verleihen Ehlers, in: Erichsen/Ehlers (Hrsg.), Allgemeines Verwaltungsrecht, 12. Aufl. 2002, § 3 Rn 36. 396 Vgl. Steindorff (Fn. 310), S. 85. 397 EuGH, Rs. 120/78 (Rewe-Zentral-AG/Bundesmonopolverwaltung für Branntwein), Slg. 1979, 649 (662). 398 St. Rspr. EuGH, ebd. Siehe auch EuGH, Rs. 788/79 (Strafverfahren gegen Herbert Gilli u. Paul Andres), Slg. 1980, 2071 (2078); Rs. 113/80 (Kommission der Europäischen Gemeinschaften/Irland), Slg. 1981, 1625 (1639); Rs. C-288/89 (Stichting Collectieve Antennevoorziening Gouda u. a./Commissariaat voor de Media), Slg. 1991, I-4007 (4040 f.); Rs. C-275/92 (Her Majesty’s Customs and Excise/Gerhart Schindler u. Jörg Schindler), Slg. 1994, I-1039 (1095 f.); Rs. C-55/94 (Reinhard Gebhard/Consiglio dell’ordine degli avvocati e procuratori di Milano), Slg. 1995, I-4165 (4197 f.); Rs. C-212/97 (Centros Ltd./Erhvervs- og Selskabsstyrelsen), Slg. 1999, I-1459 (1495); Rs. C-124/97 (Markku Juhani Läärä u. a./Kihlakunnansyyttäjä u. Suomen valtio), Slg. 1999, I-6067 (6116). 399 EuGH, verb. Rs. C-1/90 und C-176/90 (Aragonesa de Publicidad Exterior SA und Publivía SAE/Departamento de Sanidad y Seguridad Social de la Generalitat de Cataluña), Slg. 1991, I-4151 (4184). Siehe auch Gundel, Jura 2001, 79; Randelzhofer/ Forsthoff (Fn. 140), Vorb. Art. 39 – 55 EGV Rn. 138; Art. 48 EGV Rn. 39; Ehlers (Fn. 190), § 7 Rn. 74; Koenig/Haratsch, Europarecht, 4. Aufl. 2003, Rn. 497.
B. Vereinbarkeit mit der primären Niederlassungsfreiheit
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und die geschriebenen Rechtfertigungsgründe den Mitgliedstaaten angesichts der Reichweite des Verbots, versteckte Diskriminierungen vorzunehmen, allein keine ausreichende Grundlage dafür bieten, viele legitime öffentliche Interessen zu verfolgen.401 Hingegen ist eine Rechtfertigung auch offener Diskriminierungen durch zwingende Erfordernisse402 abzulehnen.403 Offene Diskriminierungen sind besonders schwerwiegend und laufen dem Binnenmarktkonzept diametral zuwider.404 Daher müssen der Rechtfertigung offener Diskriminierungen enge Grenzen gesetzt werden.405
B. Vereinbarkeit der Sitztheorie mit den Bestimmungen über die primäre Niederlassungsfreiheit I. Prüfungsgegenstand und -maßstab Als Prüfungsmaßstab für die Vereinbarkeit der Sitztheorie mit dem EG-Vertrag wird gemeinhin allein die primäre Niederlassungsfreiheit von Gesellschaften herangezogen.406 Dies ist darauf zurückzuführen, dass üblicherweise lediglich die kollisionsrechtliche Anknüpfungsregel „Sitztheorie“, deren Regelungsgehalt vorrangig die primäre Niederlassungsfreiheit von Gesellschaften beeinträchtigt, auf ihre Vereinbarkeit mit dem EG-Vertrag untersucht wird. Bei dieser Vorgehensweise bleibt jedoch Folgendes unberücksichtigt: Die kollisions400 EuGH, verb. Rs. C-259/91, C-331/91 u. C-332/91 (Pilar Allué u. a./Università degli studi di Venezia u. Università degli studi di Parma), Slg. 1993, I-4309 (4334); Rs. C-272/92 (Maria Chiara Spotti/Freistaat Bayern), Slg. 1993, I-5185 (5207); Rs. C-237/94 (John O’Flynn/Adjudication Officer), Slg. 1996, I-2617 (2638); Rs. C-410/ 96 (Strafverfahren gegen André Ambry), Slg. 1998, I-7875 (7902); Rs. C-255/97 (Pfeiffer Großhandel GmbH/Löwa Warenhandel GmbH), Slg. 1999, I-2835 (2860 f.); Rs. C-294/97 (Eurowings Luftverkehrs AG/Finanzamt Dortmund-Unna), Slg. 1999, I7447 (7475 f.). 401 Lackhoff (Fn. 141), S. 457 f.; Gundel, Jura 2001, 79 (83); Randelzhofer/Forsthoff (Fn. 140),Vorb. Art. 39 – 55 EGV Rn. 139; Ehlers (Fn. 190), § 7 Rn. 79. 402 Dies befürworten Novak, DB 1997, 2589 (2592 f.); Hakenberg, in: Lenz (Hrsg.), EG-Vertrag, Kommentar, 2 Aufl. 1999, Art. 49/50 EGV Rn. 26; Weiß, EuZW 1999, 493 (497 f.); Epiney (Fn. 388), § 8 Rn. 56. In diese Richtung auch Leible, in: Grabitz/ Hilf (Hrsg.), EUV/EGV, Art. 28 EGV Rn. 20. 403 So auch Randelzhofer/Forsthoff (Fn. 140),Vorb. Art. 39 – 55 EGV Rn. 140; Gundel, Jura 2001, 79 (82); Ehlers (Fn. 190), § 7 Rn. 79. Vgl. auch EuGH, Rs. 352/85 (Bond van Adverteerders u. a./Niederländischer Staat), Slg. 1988, 2085 (2134); Rs. C-288/89 (Stichting Collectieve Antennevoorziening Gouda u. a./Commissariaat voor de Media), Slg. 1991, I-4007 (4040). 404 Ehlers, ebd. 405 Vgl. Randelzhofer/Forsthoff (Fn. 140),Vorb. Art. 39 – 55 EGV Rn. 140. 406 So bspw. Grothe (Fn. 51), S. 158 ff.; Ebke, ZGR 1987, 245 (250 ff.); Ebenroth/ Eyles, DB-Beilage 2/1988, 1 (14 f.); dies., DB 1989, 413 (416 f.); Sack, JuS 1990, 352 (354); Schümann, EuZW 1994, 269 (272 ff.); Kruse (Fn. 36), S. 129 ff.; Lachmann (Fn. 10), S. 48 ff.; Dinkhoff (Fn. 10), S. 91 ff.
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3. Teil: Vereinbarkeit der Sitztheorie mit dem EG-Vertrag
rechtliche Anknüpfungsregel „Sitztheorie“ stellt nur einen Teil des (gewohnheitsrechtlichen) Rechtssatzes „Sitztheorie“ dar, der sich – in Abgrenzung zur gleichnamigen Anknüpfungsregel – als Sitztheorie im weiteren Sinne bezeichnen lässt. Die in Rede stehende Anknüpfungsregel ist der Rechtsfolgenseite der Sitztheorie im weiteren Sinne zuzuordnen. Wie sogleich zu zeigen sein wird, müssen deren Rechtsfolgen, und damit auch die kollisionsrechtliche Anknüpfungsregel nur dann eigenständig auf ihre Gemeinschaftsrechtskonformität hin geprüft werden, wenn der Tatbestand der Sitztheorie im weiteren Sinne überhaupt gemeinschaftsrechtskonform ist.407 Der Tatbestand der Sitztheorie besteht aus dem (materiell-rechtlichen) Gebot, Tätigkeiten, die vorwiegend oder ausschließlich dem deutschen Markt dienen, nur über nach deutschem Recht gegründete Gesellschaften auszuüben. Er enthält damit zugleich auch das Verbot, für die Ausübung solcher Tätigkeiten Gesellschaften zu verwenden, die nach dem Recht eines anderen Staates errichtet worden sind. Die Rechtsfolge der Sitztheorie besteht darin, einen Verstoß gegen das tatbestandliche Ge- resp. Verbot zu sanktionieren. Die Sanktion besteht darin, dass die verbotswidrig verwendeten ausländischen Gesellschaften entweder als rechtliches Nullum oder als inländische Gesellschaften behandelt werden.408 Dadurch wird zugleich auch den Verbotsadressaten, den Gesellschaftern, eine Sanktion auferlegt, da der deutsche Staat sie nicht als Gesellschafter ausländischer, sondern allenfalls als Gesellschafter inländischer Gesellschaften behandelt, und sie sich diesem gegenüber damit nicht auf ihre Rechtsstellung als Gesellschafter ausländischer Gesellschaften berufen können. Vor diesem Hintergrund wird deutlich, dass im dänischen Recht in dem für das Centros-Urteil entscheidungserheblichen Zeitpunkt eine Variante der Sitztheorie galt. Dies zu eruieren wird allerdings durch folgende Umstände erschwert. Dänemark hat den Verbotstatbestand milder gefasst als „klassische“ Sitztheoriestaaten wie die Bundesrepublik. Denn verboten war nur, ausländische Gesellschaften für Tätigkeiten zu verwenden, die ausschließlich dem dänischen Markt galten, nicht aber auch, ausländische Gesellschaften für Tätigkeiten zu verwenden, die vorwiegend dem dänischen Markt galten.409 Ferner bedienen sich Sitztheoriestaaten zur Sanktionierung eines Verstoßes gegen das in Rede stehende Verbot üblicherweise des bereits dargelegten international-privatrechtlichen und sachrechtlichen Instrumentariums, wohingegen der dänische Sanktionsmechanismus rein materiell-rechtlich ausgestaltet war. Dänemark brachte auf Scheinauslandsgesellschaften, die ausschließlich in seinem Gebiet geschäftlich 407 Im Folgenden wird nur noch die Sitztheorie im weiteren Sinne als Sitztheorie bezeichnet. Die gleichnamige kollisionsrechtliche Anknüpfungsregel wird im Folgenden als Rechtsfolge der Sitztheorie bezeichnet. 408 Siehe Teil 1, A. I. 2. 409 Vgl. EuGH, Rs. C-212/97 (Centros Ltd./Erhvervs- og Selskabsstyrelsen), Slg. 1999, I-1459 (1495); Kieninger, ZGR 1999, 724 (740).
B. Vereinbarkeit mit der primären Niederlassungsfreiheit
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aktiv werden wollten, zwar ihr Gründungsstatut zur Anwendung, versagte ihnen jedoch die für die Ausübung von Geschäftstätigkeiten nach dänischem Recht zwingend erforderliche Registereintragung.410 Damit bediente Dänemark sich für die Ahndung eines Verstoßes gegen das in Rede stehende Verbot einer ausschließlich im materiellen Recht wurzelnden Sanktion, mittels derer das Verbot im Ergebnis allerdings ebenso wirksam abgesichert wurde, wie über den hergebrachten Sanktionsmechanismus, da der statutswahrende Zuzug von Scheinauslandsgesellschaften hierdurch ebenfalls vollumfänglich vereitelt wurde. Da das dänische Gesellschaftskollisionsrecht als Anknüpfungspunkt nicht den effektiven Verwaltungssitz, sondern den Gründungsort einer Gesellschaft verwendete, stellt es sich bei flüchtiger Betrachtung allerdings so dar, als ob die Sitztheorie im dänischen Recht im entscheidungserheblichen Zeitpunkt nicht galt. Maßgeblich für die Beurteilung der Frage, ob in einem Staat die Sitztheorie gilt oder nicht, ist jedoch, ob im Sachrecht der die Sitztheorie ausmachende Verbotstatbestand gilt, und nicht, wie auf Rechtsfolgenseite die Sanktionierung eines Verstoßes gegen diesen Verbotstatbestand rechtstechnisch ausgestaltet ist. Steht die Gemeinschaftsrechtskonformität eines mitgliedstaatlichen Verbotsgesetzes in Frage, muss zuerst der Verbotstatbestand als solcher, und nicht die einen Verstoß gegen den Verbotstatbestand sanktionierende Rechtsfolge am Gemeinschaftsrecht gemessen werden. Denn auf die Gemeinschaftsrechtskonformität der Rechtsfolge kommt es nur (noch) an, wenn der Verbotstatbestand überhaupt gemeinschaftsrechtskonform ist. Da der Tatbestand der Sitztheorie eine bestimmte Form der Gründung und Leitung von Gesellschaften verbietet, ist dadurch allein der Schutzbereich der primären Niederlassungsfreiheit von Unionsbürgern berührt. Prüfungsmaßstab für die EG-Rechtskonformität des Tatbestands der Sitztheorie ist daher allein die primäre Niederlassungsfreiheit von Unionsbürgern (II.). Wie gezeigt, besteht die Rechtsfolge der deutschen Variante der Sitztheorie darin, einen Verstoß gegen das in ihrem Tatbestand enthaltene Verbot dadurch zu sanktionieren, dass die von den Normadressaten verbotswidrig verwendeten EG-ausländischen Gesellschaften im Inland als solche nicht anerkannt werden. Dadurch wird zugleich die Rechtsstellung der Normadressaten als Gesellschafter dieser EG-ausländischen Gesellschaften nicht anerkannt. Durch die Rechtsfolgen der Sitztheorie wird daher sowohl der Schutzbereich der primären Niederlassungsfreiheit von Gesellschaften als auch der Schutzbereich der primären Niederlassungsfreiheit von Unionsbürgern betroffen. Prüfungsmaßstab für die EG-Rechtskonformität der Rechtsfolgen der Sitztheorie sind daher diese beiden Freiheiten (III.).
410 Ohne eine solche Registereintragung ist die Tätigkeit ausländischer Unternehmen in Dänemark unzulässig, Carsten (Fn. 165), DK 54; Kindler, NJW 1999, 1993; Kiem (Fn. 165), S. 199 (202).
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3. Teil: Vereinbarkeit der Sitztheorie mit dem EG-Vertrag
II. Vereinbarkeit des Tatbestands der Sitztheorie mit der primären Niederlassungsfreiheit von Unionsbürgern 1. Beeinträchtigung des Schutzbereichs der Niederlassungsfreiheit Für deutsche Staatsangehörige stellt das im Tatbestand der Sitztheorie enthaltene Verbot eine Beschränkung ihres aus Art. 43 Abs. 1 S. 1 EG folgenden Rechts zur Gründung und Leitung von Gesellschaften dar, da ihnen hierdurch der Zugang zum deutschen Markt über EG-ausländische Gesellschaften unmöglich gemacht wird. Da dieses Verbot formal unterschiedslos für deutsche Staatsangehörige und Staatsangehörige der anderen Mitgliedstaaten gilt, werden letztere hierdurch nicht offen aufgrund ihrer Staatsangehörigkeit diskriminiert. Ob EG-Ausländer durch dieses Verbot versteckt diskriminiert werden, kann dahinstehen, da die Rechtfertigungsgründe für versteckte Diskriminierungen und Beschränkungen nach der hier vertretenen Auffassung identisch sind, und das Verbot, sofern es diskriminierungsfrei ist, als Beschränkung der primären Niederlassungsfreiheit der Staatsangehörigen der anderen Mitgliedstaaten zu qualifizieren ist, da es ihnen den Zugang zum deutschen Markt über EG-ausländische Gesellschaften ebenfalls unmöglich macht. 2. Rechtfertigung der Schutzbereichsbeeinträchtigung a) Schutz zwingender Erfordernisse Das in Rede stehende Verbot ist in Deutschland zur Erreichung folgender Ziele statuiert worden. Gesellschaften berühren in der Regel die Belange des Staates am meisten, in dem sie vorwiegend tätig sind, da in diesem Staat regelmäßig die meisten ihrer Gläubiger, Minderheitsgesellschafter und Arbeitnehmer ansässig sind.411 Durch das sitztheoretische Verbot soll sichergestellt werden, dass der Schutz der Interessen von Gläubigern, Minderheitsgesellschaftern und Arbeitnehmern gegenüber Gesellschaften, die ihren Tätigkeitsschwerpunkt in Deutschland haben, allein dem deutschen Staat obliegt, damit dieser den Schutzstandard und -mechanismus so ausgestalten kann, wie er dies für notwendig hält.412 Der Schutz dieser Belange soll in dieser Konstellation also weder ganz noch teilweise ausländischen (Gesellschaftsrechts-)Gesetzgebern überlassen 411
Großfeld, RabelsZ 31 (1967) 1 (22 f.); Kindler (Fn. 9), IntGesR Rn. 313. Großfeld, ebd., S. 23; Großfeld/König, RIW 1992, 433; Großfeld/Beckmann, ZVglRWiss 91 (1992) 351 (357). Vgl. auch Thönnes, DB 1993, 1021 (1022); Kindler, ebd., IntGesR Rn. 313 f.; dens., NJW 2003, 1073 (1074); dens., NZG 2003, 1086 412
B. Vereinbarkeit mit der primären Niederlassungsfreiheit
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werden, um zu verhindern, dass die Belange durch sie nicht ausreichend geschützt werden.413 Ferner dient das Verbot dem Schutz der deutschen Fiskalinteressen gegenüber Gesellschaften mit Tätigkeitsschwerpunkt in Deutschland.414 Bei dem Schutz der Interessen von Gläubigern, Minderheitsgesellschaftern, Arbeitnehmern und des Fiskus handelt es sich um Allgemeininteressen von erheblichem Gewicht, die den Zielen des EG-Vertrags nicht zuwiderlaufen und die daher als zwingende Erfordernisse im Sinne der Cassis de Dijon-Rechtsprechung anzuerkennen sind.415 b) Geeignetheit Die Rechtfertigung einer Beeinträchtigung der Niederlassungsfreiheit setzt zunächst voraus, dass sie überhaupt geeignet ist, das mit ihr verfolgte zwingende Erfordernis zu schützen. Hierfür ist nicht erforderlich, dass die beeinträchtigende Maßnahme das Schutzziel in bestmöglicher Weise verwirklicht, sondern ausreichend, dass sie die Verwirklichung des mit ihr verfolgten Schutzziels fördert.416 Infolge des Verbots können unternehmerische Tätigkeiten, die vorwiegend oder ausschließlich auf den deutschen Markt ausgerichtet sind, nur über inländische Gesellschaften ausgeübt werden. Durch diesen numerus clausus an inländischen Gesellschaftsformen ist es dem deutschen Staat möglich, das Niveau und den Mechanismus des Schutzes der Interessen von Gläubigern, Minderheitsgesellschaftern und Arbeitnehmern sowie seiner eigenen Fiskalinteressen gegenüber Gesellschaften mit Tätigkeitsschwerpunkt in seinem Gebiet so festzulegen, wie er dies für notwendig hält. Daher ist das Verbot geeignet, die mit ihm verfolgten Schutzziele zu erreichen. c) Erforderlichkeit Ferner kann das Verbot nur dann gerechtfertigt sein, wenn es keine anderen ebenso wirksamen, aber die primäre Niederlassungsfreiheit von Unionsbürgern weniger belastenden Mittel gibt, um die mit ihm verfolgten Schutzziele zu erreichen. Dies ist jedoch der Fall. Das Verbot, in Deutschland über andere als nach deutschem Recht gegründete Gesellschaften vorwiegend oder ausschließlich un(1089); Leible (Fn. 25), Syst. Darst. 2, Rn. 4 f.; Bayer, BB 2003, 2357 (2358); Triebel/ v. Hase, BB 2003, 2409 (2411). 413 Großfeld, ebd.; Kindler, ebd., IntGesR Rn. 314. 414 Dies hat die deutsche Bundesregierung im Überseering-Verfahren geltend gemacht, EuGH, Rs. C-208/00 (Überseering BV/Nordic Construction Company Baumanagement GmbH), Slg. 2002, I-9919 (9973). Vgl. auch Eidenmüller, ZIP 2002, 2233 (2241). 415 EuGH, ebd., S. 9974. Implizit auch EuGH, Rs. C-167/01 (Kamer van Koophandel en Fabrieken voor Amsterdam/Inspire Art. Ltd.), ZIP 2003, 1885 (1892 f.). Näher zu den Anforderungen an zwingende Erfordernisse Lackhoff (Fn. 141), S. 458 f. 416 Lackhoff, ebd., S. 462.
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3. Teil: Vereinbarkeit der Sitztheorie mit dem EG-Vertrag
ternehmerische Tätigkeiten auszuüben, ist zum Schutz der deutschen Verkehrsinteressen zunächst dann nicht erforderlich, wenn das Gesellschaftsrecht eines anderen Mitgliedstaats in Bezug auf diese Interessen ein gleichwertiges Schutzinstrumentarium vorsieht, welches privatrechtlich ausgestaltet ist und daher auch in Deutschland durchgesetzt werden kann. Da die inländischen Verkehrsinteressen in diesem Fall durch die Anwendung des Gründungsstatuts von EG-ausländischen Gesellschaften gleichwertig geschützt werden können, ohne dass es einer Beschränkung der primären Niederlassungsfreiheit von Unionsbürgern bedarf, ist das in Rede stehende Verbot insoweit nicht erforderlich, um die inländischen Verkehrsinteressen zu schützen. Aber auch dann, wenn durch die Anwendung eines EG-ausländischen Gründungsstatuts kein gleichwertiger Schutz der inländischen Verkehrsinteressen erreicht werden kann, entweder weil der Schutz durch öffentlich-rechtliche Eingriffsbefugnisse sichergestellt wird, die von ihrer Schutzwirkung her zwar gleichwertig, aber territorial auf das Gebiet des Gründungsstaats begrenzt sind,417 oder weil es kein gleichwertiges Schutzinstrumentarium bereit hält, stehen dem deutschen Staat Mittel zur Verfügung, die die primäre Niederlassungsfreiheit von Unionsbürgern weniger beeinträchtigen als das in Rede stehende Verbot. So kann bspw. das Gründungsstatut EG-ausländischer Gesellschaften durch Sonderanknüpfungen durchbrochen werden, soweit dies zum Schutz der inländischen Verkehrsinteressen notwendig ist. An folgender Überlegung lässt sich zeigen, dass durch Sonderanknüpfungen, die die primäre Niederlassungsfreiheit von Unionsbürgern stets weniger beeinträchtigen als das in Rede stehende Verbot, ein ebenso effektiver Schutz inländischer Verkehrsinteressen sichergestellt werden kann, ohne dass hier bereits auf die Zulässigkeit einzelner Sonderanknüpfungen eingegangen werden muss. Selbst in dem extremsten Fall, dass durch Sonderanknüpfungen das Gründungsstatut einer EGausländischen Gesellschaft durch das deutsche Gesellschaftsrecht bis auf die Rechtsfähigkeit vollständig überlagert würde, und die betreffenden Gesellschaften damit nur noch ihrer Rechtshülle nach EG-ausländisch wären, würden diese Schutzmaßnahmen die primäre Niederlassungsfreiheit von Unionsbürgern immer noch weniger beeinträchtigen als das in Rede stehende Verbot, da den Unionsbürgern in diesem Fall zumindest noch die Befugnis zustehen würde, die betreffenden Gesellschaften im Niederlassungsstaat zu leiten, auch wenn sie nur noch formal EG-ausländisch sind. Wie im weiteren Verlauf der Untersuchung zu zeigen sein wird, kann der deutsche Staat seine inländischen Verkehrsinteressen darüber hinaus auch durch Maßnahmen adäquat schützen, die nicht dem Gesellschaftsstatut, sondern anderen Regelungsmaterien unterfallen.418 417 Großfeld, IPRax 1986, 145 (146); ders. (Fn. 31), S. 18; Ebenroth/Eyles, DB 1989, 413 (417); Knobbe-Keuk, ZHR 154 (1990) 325 (347); Ebenroth/Auer, GmbHR 1994, 16 (22); Görk, GmbHR 1999, 793 (795); Kieninger, ZGR 1999, 724 (742 f.); Borges, RIW 2000, 167 (177); Zimmer (Fn. 62), S. 231 (244); G.-H. Roth (Fn. 31), § 4 a GmbHG Rn. 30 f.
B. Vereinbarkeit mit der primären Niederlassungsfreiheit
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Festzuhalten bleibt, dass ein Verbot des Inhalts, in Deutschland nicht über andere als nach deutschem Recht gegründete Gesellschaften vorwiegend oder ausschließlich unternehmerische Tätigkeiten ausüben zu dürfen, zum Schutz der deutschen Verkehrsinteressen aus den zuvor genannten Gründen nicht erforderlich ist und daher eine nicht gerechtfertigte Beeinträchtigung der primären Niederlassungsfreiheit von Unionsbürgern darstellt.419
III. Vereinbarkeit der Rechtsfolgen der Sitztheorie mit der primären Niederlassungsfreiheit von Unionsbürgern und Gesellschaften Aus der Primärrechtswidrigkeit des Tatbestands der Sitztheorie folgt zugleich, dass jede Sanktion, die als Rechtsfolge gegen einen Verstoß gegen diesen Verbotstatbestand geknüpft wird, ebenfalls primärrechtswidrig ist. Denn ist bereits ein mitgliedstaatliches Verbot als solches mit dem Vertrag unvereinbar, muss zwingend auch jede (Sanktions-)Rechtsfolge, die an einen Verstoß gegen dieses Verbot geknüpft ist, mit dem Vertrag unvereinbar sein. Daher ist sowohl die Rechtsfolge der strengen Sitztheorie, dass EG-ausländische Gesellschaften mit effektivem Verwaltungssitz im Inland als rechtliches Nullum zu behandeln sind, als auch die Rechtsfolge der milden Sitztheorie, dass EG-ausländische Gesellschaften mit effektivem Verwaltungssitz im Inland als inländische Gesellschaften zu qualifizieren sind, mit der primären Niederlassungsfreiheit von Gesellschaften unvereinbar. Des Weiteren sind auch die die Unionsbürger als Gesellschafter dieser EG-ausländischen Gesellschaften betreffenden Rechtsfolgen der Sitztheorie mit der primären Niederlassungsfreiheit von Unionsbürgern unvereinbar.
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Siehe Teil 4 der Arbeit. Siehe auch Zimmer, ebd., S. 242. So i. E. auch Eidenmüller, ZIP 2002, 2233 (2241); Tietje (Fn. 140), § 10 Rn. 70; Ehlers, JK 5/03, EGV Art. 43/3. 419
4. Teil
Gemeinschaftsrechtskonforme Maßnahmen zum Schutz der Gläubiger und Arbeitnehmer von EG-ausländischen Gesellschaften mit effektivem Verwaltungssitz in Deutschland Die Sitztheorie wirkte bislang wie ein Schutzwall, der die statutswahrende Ansiedlung des Hauptverwaltungssitzes von EG-ausländischen Gesellschaften in Deutschland verhindert hat.420 Infolge der Gemeinschaftsrechtswidrigkeit der Sitztheorie darf dieser Schutzwall nicht mehr aufrecht erhalten werden, und muss auf EG-ausländische Gesellschaften, die ihren effektiven Verwaltungssitz in Deutschland ansiedeln, ihr Gründungsstatut angewendet werden, soweit nicht Sonderanknüpfungen, durch die auf Teilfragen deutsches Recht zur Anwendung gebracht wird, mit der Niederlassungsfreiheit vereinbar sind.421 Wie zu Beginn der Arbeit dargelegt,422 muss vor diesem Hintergrund davon ausgegangen werden, dass zukünftig insbesondere viele nach dem Recht anderer Mitgliedstaaten gegründete Gesellschaften mit beschränkter Haftung ihren Hauptverwaltungssitz in Deutschland nehmen werden. Daher soll geklärt werden, welcher gemeinschaftsrechtskonformen Sonderanknüpfungen und sonstiger Maßnahmen sich der deutsche Staat bedienen darf, um die Gläubiger solcher Gesellschaften zukünftig zu schützen (A.). Ferner soll untersucht werden, ob EG-ausländische Gesellschaften mit effektivem Verwaltungssitz in Deutschland im Einklang mit dem Gemeinschaftsrecht den deutschen Vorschriften über die betriebliche und unternehmerische Mitbestimmung unterworfen werden können (B.).
420 Hammen, WM 1999, 2487 (2495); Geyrhalter/Gänßler, NZG 2003, 409 (412); Baudenbacher/Buschle, IPRax 2004, 26 (27). 421 Sandrock, BB 1999, 1337 (1343); Eidenmüller, ZIP 2002, 2233 (2242, 2244); ders., JZ 2003, 526 (528); Forsthoff, DB 2002, 2471 (2476 f.); Leible/Hoffmann, RIW 2002, 925 (929); Ebke, BB 2003, Heft 1, Die erste Seite; Großerichter, DStR 2003, 159 (169); Kersting, NZG 2003, 9 (10). 422 Siehe Einleitung, A.
A. Gemeinschaftsrechtskonforme Gläubigerschutzmaßnahmen
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A. Gemeinschaftsrechtskonforme Maßnahmen zum Schutz der Gläubiger von EG-ausländischen Gesellschaften m. b. H. mit effektivem Verwaltungssitz in Deutschland Bei der Prüfung der Gemeinschaftsrechtskonformität von Maßnahmen zum Schutz von Gläubigern EG-ausländischer Gesellschaften mit beschränkter Haftung, die ihren effektiven Verwaltungssitz in Deutschland haben, muss Folgendes berücksichtigt werden. Gesetzliche Gläubiger können ihre Schuldner im Gegensatz zu vertraglichen Gläubigern nicht frei wählen. Infolgedessen sind gesetzliche Gläubiger tendenziell schutzbedürftiger als vertragliche Gläubiger.423 Da dieser Umstand ggf. zur Folge haben kann, dass zum Schutz gesetzlicher Gläubiger weitergehende Beeinträchtigungen der primären Niederlassungsfreiheit von Unionsbürgern und Gesellschaften gerechtfertigt sind als zum Schutz vertraglicher Gläubiger, wird die gemeinschaftsrechtliche Zulässigkeit von Maßnahmen zum Schutz dieser verschiedenen Gläubiger im Folgenden gesondert untersucht.
I. Schutz vertraglicher Gläubiger 1. Mindestkapitalaufbringungs- und -erhaltungsvorschriften des deutschen GmbH-Rechts Der Schutz von Vertragsgläubigern könnte zunächst dadurch sichergestellt werden, dass auf EG-ausländische Gesellschaften mit beschränkter Haftung, die ihren effektiven Sitz in Deutschland haben, und deren Gesellschafter im Wege der Sonderanknüpfung424 die Mindestkapitalaufbringungs- und -erhaltungsvorschriften des deutschen GmbH-Rechts angewendet werden. Gemäß § 5 Abs. 1 GmbHG muss das Mindeststammkapital inländischer Gesellschaften m. b. H. 25.000 A betragen, dessen Aufbringung durch die §§ 5 Abs. 4, 7 Abs. 2 und 3, 8 Abs. 1–3, 9–9 c und 19–25 GmbHG, und dessen Erhaltung durch die §§ 30, 31 GmbHG geregelt wird.
423
Eidenmüller, ZIP 2002, 82 (84); ders., ZIP 2002, 2233 (2236). Die Sonderanknüpfung erfolgt in Kombination mit einer Substitution, d. h., unter den Begriff der GmbH i. S. d. deutschen GmbH-Gesetzes werden nicht nur nach deutschen Recht gegründete, sondern auch nach EG-ausländischem Recht gegründete Gesellschaften m. b. H. gefasst. Vgl. Eidenmüller, ZIP 2002, 2233 (2242). Allgemein zur Substitution Kropholler (Fn. 87), S. 225 ff. 424
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4. Teil: Gemeinschaftsrechtskonforme Schutzmaßnahmen
a) Beeinträchtigung des Schutzbereichs der Niederlassungsfreiheit Im Falle der Anwendung der Mindestkapitalaufbringungs- und -erhaltungsvorschriften des deutschen GmbH-Rechts auf EG-ausländische Gesellschaften m. b. H. und deren Gesellschafter würden diese Bestimmungen formal unterschiedslos für diese sowie für inländische Gesellschaften m. b. H. und deren Gesellschafter gelten. Zu einer offenen Schlechterstellung von EG-ausländischen Gesellschaften m. b. H. und deren Gesellschaftern aufgrund ihrer Staats- resp. Gesellschaftszugehörigkeit würde die Anwendung dieser Bestimmungen daher nicht führen. Sofern die Sonderanknüpfung zu keiner versteckt wirkenden Diskriminierung von EG-ausländischen Gesellschaften m. b. H. und deren Gesellschaftern führen sollte, würde sie wegen ihrer marktzugangsbehindernden Wirkung jedoch eine – denselben Rechtfertigungsanforderungen unterliegende425 – Beschränkung der primären Niederlassungsfreiheit der betreffenden Gesellschaften und Gesellschafter darstellen. b) Rechtfertigung der Schutzbereichsbeeinträchtigung aa) Schutz zwingender Erfordernisse Die in Rede stehende Maßnahme soll dem Schutz der Vertragsgläubiger von EG-ausländischen Gesellschaften m. b. H. vor Forderungsausfällen dienen und verfolgt damit einen legitimen Allgemeinwohlbelang. bb) Geeignetheit Da das Risiko, dass vertragliche Gläubiger gegenüber EG-ausländischen Gesellschaften m. b. H. mit ihren Forderungen ausfallen, verringert wird, wenn diese Gesellschaften und ihre Gesellschafter den Mindestkapitalaufbringungsund -erhaltungsvorschriften des deutschen GmbH-Rechts unterliegen, ist die Anwendung dieser Vorschriften zur Zielerreichung geeignet. cc) Erforderlichkeit Die Anwendung der Mindestkapitalaufbringungs- und -erhaltungsvorschriften auf EG-ausländische Gesellschaften m. b. H. und deren Gesellschafter muss zur Zielerreichung auch erforderlich sein. Das ist der Fall, wenn keine die primäre Niederlassungsfreiheit weniger belastenden Mittel existieren, durch die ein ebenso wirksamer Schutz von Vertragsgläubigern sichergestellt werden kann. Bei der Prüfung der Erforderlichkeit gläubigerschützender Maßnahmen ist vom Leitbild eines „mündigen“ Gläubigers auszugehen.426 425
Vgl. Teil 3, A. II.; B. II. 1.
A. Gemeinschaftsrechtskonforme Gläubigerschutzmaßnahmen
125
Die Entscheidung, mit Gesellschaften m. b. H. EG-ausländischen Rechts zu kontrahieren, können (potenzielle) Vertragsgläubiger im Gegensatz zu gesetzlichen Gläubigern frei treffen. Des Weiteren können sie sich Sicherheiten einräumen lassen, um das Risiko eines Forderungsausfalls auszuschalten. Daher ist es Vertragsgläubigern möglich, den Schutz vor einem Forderungsausfall, den ihnen die gesetzlichen Mindestkapitalaufbringungs- und -erhaltungsvorschriften gewährleisten, durch privatautonome (Schutz-)Maßnahmen ebenso wirksam sicherzustellen. Voraussetzung hierfür ist allerdings, dass sie erkennen können, dass es sich bei den in Rede stehenden Gesellschaften um solche mit beschränkter Haftung handelt, die einem ausländischen Rechtsregime unterliegen. Außerdem müssen sie in der Lage sein, zügig zuverlässige Informationen über die Gesellschaftsdaten einzuholen, die für die Entscheidung, ob und unter welchen Bedingungen sie mit diesen Gesellschaften kontrahieren wollen, maßgeblich sind. Ein Selbstschutz vor einem Forderungsausfall, der ebenso effektiv ist wie der Schutz, den die Mindestkapitalaufbringungs- und -erhaltungsvorschriften bieten, ist Vertragsgläubigern somit nur möglich, wenn er durch die Geltung von Publizitätspflichten flankiert wird. Sofern die primäre Niederlassungsfreiheit durch diese Publizitätspflichten jedoch weniger beeinträchtigt würde als durch die Anwendung der Mindestkapitalaufbringungs- und -erhaltungsvorschriften, wäre letztere Maßnahme zum Schutz von Vertragsgläubigern nicht erforderlich. Um dies feststellen zu können, muss zunächst geklärt werden, welcher Publizitätspflichten es zur Gewährleistung eines gleich effektiven Schutzes von vertraglichen Gläubigern in concreto bedarf. Nach der Elften gesellschaftsrechtlichen Richtlinie 89/666/EWG427 müssen alle nach dem Recht eines Mitgliedstaats gegründeten Kapitalgesellschaften ihre in anderen Mitgliedstaaten errichteten Zweigniederlassungen in einem Register des Zweigniederlassungsstaats eintragen lassen und dort insbesondere folgende Urkunden und Angaben offen legen: Die Anschrift und Tätigkeit der inländischen Niederlassung (Art. 2 Abs. 1 lit. a, b); das Register, in dem die Gesellschaft in ihrem Gründungsstaat registriert ist, und die Nummer der dortigen Registereintragung (Art. 2 Abs. 1 lit. c); die Firma und Rechtsform der Gesellschaft (Art. 2 Abs. 1 lit. d); die Bestellung, das Ausscheiden und die Personalien derjenigen, die als gesetzlich vorgesehenes Gesellschaftsorgan oder als Mitglieder eines solchen Organs befugt sind, die Gesellschaft gerichtlich und außergerichtlich zu vertreten (Art. 2 Abs. 1 lit. e); die Auflösung der Gesellschaft, die Bestellung, 426 Vgl. EuGH, Rs. C-212/97 (Centros Ltd./Erhvervs- og Selskabsstyrelsen), Slg. 1999, I-1459 (1495). Für die Parallelproblematik im Bereich des Verbraucherschutzes vgl. EuGH, Rs. 120/78 (Rewe-Zentral-AG/Bundesmonopolverwaltung für Branntwein), Slg. 1979, 649 (664); Rs. 193/80 (Kommission der Europäischen Gemeinschaften/Italienische Republik), Slg. 1981, 3019 (3036); Rs. 178/84 (Kommission der Europäischen Gemeinschaften/Bundesrepublik Deutschland), Slg. 1987, 1227 (1271 f.); Rs. C-17/93 (Strafverfahren gegen J. J. J. van der Veldt), Slg. 1994, I-3537 (3560). 427 Siehe Fn. 183.
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4. Teil: Gemeinschaftsrechtskonforme Schutzmaßnahmen
die Personalien und die Befugnisse der Liquidatoren sowie den Abschluss der Liquidation (Art. 2 Abs. 1 lit. f); ein die Gesellschaft betreffendes Konkursverfahren, Vergleichsverfahren oder ähnliches Verfahren (Art. 2 Abs. 1 lit. f); die Unterlagen der Rechnungslegung der Gesellschaft in der Form, in der diese Unterlagen nach dem Recht des Mitgliedstaats, dessen Recht die Gesellschaft unterliegt, erstellt werden müssen (Art. 2 Abs. 1 lit. g i.V. m. Art. 3). Des Weiteren kann der Zweigniederlassungsstaat diesen Gesellschaften insbesondere die Offenlegung folgender Urkunden und Angaben vorschreiben: Den Errichtungsakt und, sofern diese Gegenstand eines gesonderten Aktes ist, die Satzung sowie Änderungen dieser Unterlagen (Art. 2 Abs. 2 lit. b), ferner eine Bescheinigung aus dem Register des Mitgliedstaats, in dem eine Gesellschaft gegründet und registriert worden ist, aus der ihr Bestehen hervorgeht (Art. 2 Abs. 2 lit. c). Art. 6 sieht vor, dass die von der Richtlinie erfassten Kapitalgesellschaften bei ihrer Tätigkeit im Zweigniederlassungsstaat auf Geschäftsbriefen und Bestellscheinen die Register, in denen sie im Herkunfts- und im Zweigniederlassungsstaat registriert sind sowie die Nummer der dortigen Registereintragungen angeben müssen. Ferner müssen diese Schriftstücke die Rechtsform und den Sitz der Gesellschaften, und falls sie sich in Liquidation befinden, ein Hinweis darauf enthalten. Nach Auffassung des Europäischen Gerichtshofs folgt aus dem Sinn und Zweck der Elften Richtlinie, dass die dort normierten Offenlegungspflichten abschließend sind.428 Aus der vierten und fünften Begründungserwägung dieser Richtlinie gehe hervor, dass die Unterschiede, die in den nationalen Rechtsvorschriften für Zweigniederlassungen insbesondere im Bereich der Offenlegung bestünden, die Ausübung der Niederlassungsfreiheit stören könnten und deshalb zu beseitigen seien. Daraus folge, dass die durch die Elfte Richtlinie herbeigeführte Harmonisierung der Offenlegung solcher Niederlassungen abschließend sei, da sie nur so ihren Zweck erfüllen könne.429 Ferner folge der abschließende Charakter der Elften Richtlinie auch daraus, dass dessen Art. 2 Abs. 1 erschöpfend formuliert sei und dessen Art. 2 Abs. 2 eine Aufzählung fakultativer Offenlegungsmaßnahmen für Zweigniederlassungen enthalte, was nur dann einen Sinn ergebe, wenn die Mitgliedstaaten keine anderen Offenlegungsmaßnahmen für Zweigniederlassungen als die in der Elften Richtlinie genannten vorsehen dürften.430 428 EuGH, Rs. C-167/01 (Kamer van Koophandel en Fabrieken voor Amsterdam/Inspire Art. Ltd.), ZIP 2003, 1885 (1889). 429 EuGH, ebd. 430 EuGH, ebd. Die Vorgehensweise des EuGH bei der Prüfung der Vereinbarkeit der Offenlegungspflichten der WFBV (Fn. 84) mit dem EG-Recht geht auf den Anwendungsvorrang des Sekundärrechts vor dem Primärrecht zurück. Regelt seinerseits mit dem Primärrecht vereinbares Sekundärrecht ein mit einer Grundfreiheit konfligierendes, über einen geschriebenen Rechtfertigungsgrund oder die zwingenden Erfordernisse geschütztes Rechtsgut abschließend – wie vorliegend die Elfte Richtlinie in ihrem Anwendungsbereich den Gläubigerschutz – hat der hier in Rede stehende – vom
A. Gemeinschaftsrechtskonforme Gläubigerschutzmaßnahmen
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Nach der hier vertretenen Auffassung fallen unter den Begriff der Zweigniederlassung im Sinne des Art. 43 Abs. 1 S. 2 EG nur die von einer Hauptniederlassung abhängigen Niederlassungen einer Gesellschaft.431 Da Zweigniederlassungen im Sinne der Richtlinie 89/666/EWG lediglich solche im Sinne des Art. 43 Abs. 1 S. 2 EG sind,432 ist diese Richtlinie nicht auf Kapitalgesellschaften anwendbar, die grenzüberschreitend ihre Hauptniederlassung etablieren. Allerdings sind die Mitgliedstaaten nicht daran gehindert, für EG-ausländische Gesellschaften m. b. H. mit effektivem Sitz in ihrem Gebiet Publizitätspflichten zu statuieren, die denen in der Richtlinie 89/666/EWG vorgesehenen entsprechen. Denn werden EG-ausländischen Kapitalgesellschaften, die im Inland eine Zweigniederlassung betreiben, die in der Richtlinie 89/666/EWG normierten Publizitätspflichten, an deren Primärrechtskonformität keine Zweifel bestehen,433 auferlegt, können entsprechende Publizitätspflichten erst recht EG-ausländischen Gesellschaften m. b. H. auferlegt werden, die nicht nur eine Zweig-, sondern ihre Hauptniederlassung im Inland haben.434 Durch die Statuierung solcher Publizitätspflichten wäre (potenziellen) Vertragsgläubigern von EG-ausländischen Gesellschaften m. b. H. mit effektivem Sitz im Inland ein Selbstschutz vor Forderungsausfällen möglich, der ebenso wirksam wäre wie der Schutz, den die Mindestkapitalaufbringungs- und -erhaltungsvorschriften bieten würden. Dadurch, dass diese Gesellschaften auf Geschäftsbriefen und Bestellscheinen ihre Rechtsform und das Register, in dem sie in ihrem Herkunftsstaat registriert sind, angeben müssten, könnten (potenzielle) Vertragsgläubiger erkennen, dass es sich um beschränkt haftende Gesellschaften handelt, die nicht dem inländischen GmbH-Recht unterliegen, und würden dadurch in die Lage versetzt, Informationen über die Haftungsverfassungen dieser Gesellschaften einzuholen.435 Anwendungsvorrang des EG-Rechts vor nationalem Recht streng zu trennende – Anwendungsvorrang einen Wechsel des Rechtfertigungsregimes zur Folge. Die Rechtfertigung einer nationalen Maßnahme, die eine Grundfreiheit zum Zweck des Schutzes eines solchen Rechtsguts beeinträchtigt, ist nicht anhand der geschriebenen Rechtfertigungsgründe resp. der zwingenden Erfordernisse des EG-Vertrags, sondern nur noch an dem das Rechtsgut abschließend regelnden Sekundärrechtsakt zu messen. Vgl. EuGH, Rs. C-150/88 (Kommanditgesellschaft Eau de Cologne & Parfümerie Glockengasse No. 4711/Provide SRL), Slg. 1989, 3891 (3916); Rs. C-37/92 (Strafverfahren gegen José Vanacker u. André Lesage), Slg. 1993, I-4947 (4978); Rs. C-324/99 (DaimlerChrysler AG/Land Baden-Württemberg), Slg. 2001, I-9918 (9930); Rs. C322/01 (Deutscher Apothekerverband e.V./0800 DocMorris NV u. Jacques Waterval), NJW 2004, 131 (133). Ausführlich zu dem hier in Rede stehenden Anwendungsvorrang Oexle, AbfallR 2003, 284 (285 ff.). 431 Siehe Teil 2, A. III. 432 Vgl. die dritte und vierte Begründungserwägung der Richtlinie 89/666/EWG. 433 So implizit auch EuGH, Rs. C-167/01 (Kamer van Koophandel en Fabrieken voor Amsterdam/Inspire Art. Ltd.), ZIP 2003, 1885 (1888 f.). 434 So auch Kindler, NJW 2003, 1073 (1078). 435 So tendenziell auch Grundmann, JZ 2000, 1133 (1139); ders., in: FS Lutter, 2000, S. 61 (65).
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4. Teil: Gemeinschaftsrechtskonforme Schutzmaßnahmen
Durch die Verpflichtung EG-ausländischer Gesellschaften m. b. H. mit effektivem Sitz im Inland, die in der Richtlinie 89/666/EWG aufgezählten Urkunden und Angaben im inländischen Handelsregister offen zu legen, würden (potenzielle) Vertragsgläubiger zudem Zugriff auf alle Gesellschaftsdaten erhalten, deren Kenntnis es für einen wirksamen Selbstschutz bedarf. Diese Publizitätspflichten würden die primäre Niederlassungsfreiheit deutlich weniger beeinträchtigen als die Anwendung der Mindestkapitalaufbringungsund -erhaltungsvorschriften, weil Gesellschaften mit beschränkter Haftung fast alle der in Rede stehenden Angaben und Urkunden nach der Ersten gesellschaftsrechtlichen Richtlinie436 ohnehin in ihren Inkorporationsstaaten offen legen müssen, und die nochmalige Offenlegung im Hauptniederlassungsstaat daher mit keinem großen Aufwand mehr verbunden ist. Da (potenziellen) Vertragsgläubigern hierdurch ein Selbstschutz vor Forderungsausfällen ermöglicht würde, der ebenso wirksam wäre wie der Schutz, der durch die Anwendung der Mindestkapitalaufbringungs- und -erhaltungsvorschriften gewährleistet wird, ist letztere Maßnahme nicht erforderlich und stellt damit keine vertragskonforme Konkretisierung der Schranken der primären Niederlassungsfreiheit dar.437 2. §§ 32 a, 32 b GmbHG Neben den Mindestkapitalaufbringungs- und -erhaltungsvorschriften werden die Gläubiger inländischer Gesellschaften m. b. H. auch durch die §§ 32 a, 32 b GmbHG vor Forderungsausfällen geschützt. Daher bedarf der Untersuchung, ob diese Bestimmungen sich im Wege der Sonderanknüpfung in vertragskonformer Weise auch auf EG-ausländische Gesellschaften m. b. H. mit tatsächlichem Sitz 436 Erste Richtlinie 68/151/EWG des Rates v. 9.3.1968 zur Koordinierung der Schutzbestimmungen, die in den Mitgliedstaaten den Gesellschaften im Sinne des Artikels 58 Absatz 2 des Vertrags im Interesse der Gesellschaft sowie Dritter vorgeschrieben sind, um diese Bestimmungen gleichwertig zu gestalten, ABl. Nr. L 65 v. 14.3.1968, S. 8 ff. 437 Mit derselben Begründung hat der Europäische Gerichtshof die Bestimmungen des niederländischen Gesetzes über formal ausländische Gesellschaften (Fn. 84), die nach ausländischem Recht gegründete Kapitalgesellschaften mit geschäftlichem Operationszentrum in den Niederlanden dazu verpflichten, dass sich der Betrag ihres Mindestkapitals mindestens auf den Betrag belaufen muss, der für niederländische Gesellschaften m. b. H. vorgeschrieben ist (Art. 4 Abs. 1 WFBV), und dass sich ihr Eigenkapital mindestens auf das Mindestkapital belaufen muss (Art. 4 Abs. 2 WFBV) als nicht gerechtfertigte Beschränkungen der Art. 43 Abs. 1, 48 Abs. 1 EG qualifiziert, EuGH, Rs. C-167/01 (Kamer van Koophandel en Fabrieken voor Amsterdam/Inspire Art. Ltd.), ZIP 2003, 1885 (1892 f.), wobei der Gerichtshof unter den Begriff der Zweigniederlassung auch die in einem anderen Mitgliedstaat als dem jeweiligen Gründungsstaat befindlichen – als Zweigniederlassungen deklarierten – Hauptniederlassungen gemeinschaftszugehöriger Kapitalgesellschaften subsumiert, so dass die Elfte Richtlinie nach Auffassung des EuGH solche Niederlassungen direkt erfasst, EuGH, ebd. Siehe auch EuGH, Rs. C-212/97 (Centros Ltd./Erhvervs- og Selskabsstyrelsen), Slg. 1999, I-1459 (1495).
A. Gemeinschaftsrechtskonforme Gläubigerschutzmaßnahmen
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in Deutschland resp. auf deren Gesellschafter anwenden lassen. Diese Bestimmungen treffen Gläubigerschutzregeln für den Fall, dass sich eine Gesellschaft m. b. H. in der Krise befindet. Eine Krise einer Gesellschaft m. b. H. liegt vor, wenn sie kreditunwürdig ist, was der Fall ist, wenn sie von dritter Seite nicht mehr zu marktüblichen Bedingungen ohne Besicherung des Kredits durch die Gesellschafter Kredit erhalten könnte und ohne die Zuführung von Eigenkapital oder von Gesellschafterdarlehen liquidiert werden müsste.438 Eine Kreditunwürdigkeit liegt insbesondere dann vor, wenn eine Gesellschaft zahlungsunfähig439 oder überschuldet440 ist. Gewährt ein Gesellschafter einer in der Krise befindlichen Gesellschaft ein Darlehen, anstatt ihr Eigenkapital zuzuführen, kann er den Anspruch auf Rückgewähr des Darlehens im Insolvenzverfahren über das Vermögen der Gesellschaft gemäß § 32 a Abs. 1 GmbHG nur als nachrangiger Insolvenzgläubiger geltend machen, wodurch die Forderung im Insolvenzfall in der Regel wertlos ist. Hat ein Dritter der Gesellschaft in der Krise ein Darlehen gewährt und hat ihm ein Gesellschafter für die Rückgewähr des Darlehens eine Sicherung bestellt oder sich dafür verbürgt, so kann der Dritte im Insolvenzverfahren über das Vermögen der Gesellschaft gemäß § 32 a Abs. 2 GmbHG nur für den Betrag verhältnismäßige Befriedigung verlangen, mit dem er bei der Inanspruchnahme der Sicherung oder des Bürgen ausgefallen ist. Dadurch, dass der die Sicherheit leistende oder sich verbürgende Gesellschafter nicht den allgemeinen Grundsätzen entsprechend nachrangig, sondern vorrangig für die Hauptverbindlichkeit haftet, soll vermieden werden, dass die Regelung des § 32 a Abs. 1 GmbHG dadurch umgangen wird, dass für den Gesellschafter ein Dritter der Gesellschaft ein eigenkapitalersetzendes Darlehen gewährt.441 Gemäß § 32 a Abs. 3 S. 1 GmbHG gelten § 32 a Abs. 1 und 2 GmbHG sinngemäß für andere Rechtshandlungen eines Gesellschafters oder eines Dritten, die der Darlehensgewährung wirtschaftlich entsprechen. Hierdurch soll verhindert werden, dass die Regelungen der Absätze 1 und 2 des § 32 a GmbHG durch die Zurverfügungstellung von Hilfen, die wirtschaftlich einer Darlehensgewährung entsprechen, umgangen werden.442 438 BGHZ 76, 326 (329 f.); 81, 311 (317 f.); 81, 365 (367); 90, 381 (390); 95, 188 (194); Ulmer, in: Hachenburg (Begr.), GmbHG, 8. Aufl. 1992, §§ 32 a, 32 b GmbHG Rn. 46 ff.; K. Schmidt, in: Scholz (Begr.), Kommentar zum GmbH-Gesetz, Bd. I, 9. Aufl. 2000, §§ 32 a, 32 b GmbHG Rn. 38; Heidinger, in: Michalski (Hrsg.), GmbHG, 2002, §§ 32 a, 32 b GmbHG Rn. 45. 439 BGHZ 67, 171 (175 f.); Ulmer, ebd., §§ 32 a, 32 b GmbHG Rn. 47, 54; Heidinger, ebd., §§ 32 a, 32 b GmbHG Rn. 60. 440 BGHZ 109, 55 (59 f.); 127, 1 (5 f.); BGH, NJW 1995, 457 (459); BGH, ZIP 1996, 1829 (1830); Ulmer, ebd., §§ 32 a, 32 b GmbHG Rn. 47, 54; Heidinger, ebd., §§ 32 a, 32 b GmbHG Rn. 59. 441 K. Schmidt (Fn. 438), §§ 32 a, 32 b GmbHG Rn. 143; Hüffer, Gesellschaftsrecht, 5. Aufl. 1998, S. 306; Heidinger, ebd., §§ 32 a, 32 b GmbHG Rn. 133.
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4. Teil: Gemeinschaftsrechtskonforme Schutzmaßnahmen
Ist die Forderung eines Gesellschafters auf Rückgewähr eines eigenkapitalersetzenden Darlehens nach § 32 a Abs. 1 GmbHG oder eine über § 32 a Abs. 3 GmbHG gleichgestellte Forderung im letzten Jahr vor dem Antrag auf Eröffnung eines Insolvenzverfahrens über das Vermögen der Gesellschaft oder nach diesem Antrag befriedigt worden, ist diese Rechtshandlung gemäß § 135 InsO anfechtbar. Außerhalb des Insolvenzverfahrens werden die Gesellschaftsgläubiger vor einer durch die Befriedigung einer solchen Forderung eintretenden Benachteiligung dadurch geschützt, dass sie diese Rechtshandlung nach § 6 AnfG anfechten können. Hat die Gesellschaft im Fall des § 32 a Abs. 2, 3 GmbHG das Darlehen im letzten Jahr vor dem Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens über ihr Vermögen oder nach diesem Antrag an den Dritten zurückgezahlt, so hat der Gesellschafter, der die Sicherung bestellt hatte oder als Bürge haftete, der Gesellschaft den zurückgezahlten Betrag gemäß § 32 b S. 1 GmbHG zu erstatten. Von dieser Verpflichtung wird der Gesellschafter gemäß § 32 b S. 3 GmbHG frei, wenn er die Gegenstände, die dem Gläubiger als Sicherheit gedient haben, der Gesellschaft zu ihrer Befriedigung zur Verfügung stellt. Gemäß § 32 b S. 4 GmbHG gelten diese Vorschriften zur Vermeidung von Umgehungen sinngemäß für andere Rechtshandlungen, die der Darlehensgewährung wirtschaftlich entsprechen. Der Umstand, dass die §§ 32 a, 32 b GmbHG die Geltung des inländischen Insolvenzrechts voraussetzen, steht der Anwendung dieser Bestimmungen auf Gesellschafter EG-ausländischer Gesellschaften m. b. H. mit tatsächlichem Sitz in Deutschland nicht entgegen. Gemäß Art. 3 Abs. 1 S. 1 der Verordnung über Insolvenzverfahren,443 die am 31.5.2002 in Kraft getreten ist, sind für die Eröffnung des Hauptinsolvenzverfahrens ausschließlich die Gerichte des Mitgliedstaats international zuständig, in deren Gebiet der Schuldner den Mittelpunkt seiner hauptsächlichen Interessen hat. Nach Nr. 13 der Erwägungsgründe zur Insolvenzverordnung gilt als Mittelpunkt der hauptsächlichen Interessen der Ort, an dem der Schuldner gewöhnlich der Verwaltung seiner Interessen nachgeht. Auf Gesellschaften bezogen ist dies der Ort, an dem sich ihr tatsächlicher Sitz befindet.444 Zwar wird bei Gesellschaften und juristischen Personen gemäß Art. 3 Abs. 1 S. 2 EuInsVO vermutet, dass der Mittelpunkt ihrer hauptsächlichen Interessen der Ort des satzungsmäßigen Sitzes ist. Allerdings gilt diese Vermutung gemäß Art. 3 Abs. 1 S. 2 EuInsVO nur bis zum Beweis des Gegenteils. Da diese Vermutungsregel die deutschen Gerichte nicht von ihrer gemäß § 5 Abs. 1 InsO bestehenden Pflicht entbindet, von Amts wegen ihre eigene internationale 442 Ulmer (Fn. 438), §§ 32 a, 32 b GmbHG Rn. 82; Heidinger, ebd., §§ 32 a, 32 b GmbHG Rn. 150. Vgl. auch BGHZ 109, 55 (59). 443 Verordnung (EG) Nr. 1346/2000 des Rates v. 29.5.2000 über Insolvenzverfahren, ABl. Nr. L 160 v. 30.6.2000, S. 1 ff. 444 Ehricke, EWS 2002, 101 (103). Vgl. auch Huber, ZZP 114 (2001) 133 (141); dens., EuZW 2002, 490 (492).
A. Gemeinschaftsrechtskonforme Gläubigerschutzmaßnahmen
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Zuständigkeit im Rahmen eines Antrags auf Eröffnung eines Insolvenzverfahrens zu prüfen,445 kommt Art. 3 Abs. 1 S. 2 EuInsVO nur in den Fällen Bedeutung zu, in denen sich nicht mit Sicherheit ermitteln lässt, wo sich der tatsächliche Interessenmittelpunkt einer Gesellschaft befindet.446 Lässt sich der tatsächliche Interessenmittelpunkt ermitteln, was regelmäßig der Fall ist, sind für die Eröffnung des Hauptinsolvenzverfahrens über EG-ausländische Gesellschaften mit Hauptniederlassung in Deutschland447 ausschließlich die deutschen Gerichte international zuständig.448 445 Leible (Fn. 25), Syst. Darst. 2 Rn. 128; Huber, ZZP 114 (2001) ebd.; Müller, NZG 2003, 414 (415). 446 Leible, ebd., Syst. Darst. 2 Rn. 128; Huber, ebd. 447 Gemäß Art. 1 Abs. 2 EuInsVO findet die EuInsVO keine Anwendung auf Versicherungsunternehmen, Kreditinstitute und Wertpapierfirmen, die Dienstleistungen erbringen, welche die Haltung von Geldern oder Wertpapieren Dritter umfassen, sowie auf Organismen für gemeinsame Anlagen, da diese Finanzdienstleister im Falle der Insolvenz einem besonderen Rechtsregime unterliegen (Richtlinie 2001/17/EG des Europäischen Parlaments und des Rates v. 19.3.2001 über die Sanierung und Liquidation von Versicherungsunternehmen, ABl. Nr. L 110, S. 28 ff., und Richtlinie 2001/24/EG des Europäischen Parlaments und des Rates v. 4.4.2001 über die Sanierung und Liquidation von Kreditinstituten, ABl. Nr. L 125, S. 15 ff.). Der satzungsmäßige Sitz und der effektive Verwaltungssitz von juristischen Personen, die Finanzdienstleistungen erbringen, müssen sich in ein und demselben Mitgliedstaat befinden (Art. 3 Richtlinie 95/26/EG des Europäischen Parlaments und des Rates v. 29.6.1995 zur Änderung der Richtlinien 77/780/EWG und 89/646/EWG betreffend Kreditinstitute, der Richtlinien 73/239/EWG und 92/49/EWG betreffend Schadensversicherungen, der Richtlinien 79/267/EWG und 92/96/EWG betreffend Lebensversicherungen, der Richtlinie 93/22/EWG betreffend Wertpapierfirmen sowie der Richtlinie 85/ 611/EWG betreffend bestimmte Organismen für gemeinsame Anlagen in Wertpapieren zwecks verstärkter Beaufsichtigung dieser Finanzunternehmen, ABl. Nr. L 168 v. 18.7.1995, S. 7 ff.; Art. 3 Abs. 2 Richtlinie 93/22/EWG des Rates v. 10.5.1993 über Wertpapierdienstleistungen, ABl. Nr. L 141 v. 11.6.1993, S. 27 ff.; Art. 5 a Abs. 1 lit. d Richtlinie 2001/107/EG des Europäischen Parlaments und des Rates v. 21.1.2002 zur Änderung der Richtlinie 85/611/EWG des Rates zur Koordinierung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften betreffend bestimmte Organismen für gemeinsame Anlagen in Wertpapieren zwecks Festlegung von Bestimmungen für Verwaltungsgesellschaften und vereinfachte Prospekte, ABl. Nr. L 41 v. 13.2.2002, S. 20 ff.). Da Voraussetzung für die wirksame Errichtung und (Fort-)Existenz aller mitgliedstaatlichen juristischen Personen ist, dass sich deren satzungsmäßiger Sitz im Inkorporationsstaat befindet, folgt aus der in Rede stehenden Verpflichtung, dass juristische Personen, die Finanzdienstleistungen erbringen, stets nach dem Recht des Mitgliedstaats organisiert sein müssen, in dem ihr effektiver Verwaltungssitz liegt. Daraus folgt zugleich, dass nach dem Recht eines Mitgliedstaats gegründete juristische Personen, deren Unternehmensgegenstand in der Erbringung von Finanzdienstleistungen besteht, aufgrund der in Rede stehenden sekundärrechtlichen Anordnung nicht berechtigt sind, ihren Hauptverwaltungssitz statutswahrend in einem anderen Mitgliedstaat anzusiedeln. Da EG-ausländische Gesellschaften m. b. H., die Finanzdienstleistungen erbringen, ihren effektiven Verwaltungssitz somit gar nicht statutswahrend in der Bundesrepublik nehmen dürfen, bedarf es in Bezug auf diese Gesellschaften weder der Sonderanknüpfung der §§ 32 a, 32 b GmbHG noch sonstiger gläubigerschützender Maßnahmen. 448 Siehe auch AG Hamburg, BB 2003, 1457 in der – soweit ersichtlich – bislang ersten Entscheidung zur internationalen Zuständigkeit eines deutschen Gerichts nach
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4. Teil: Gemeinschaftsrechtskonforme Schutzmaßnahmen
Zwar hat sich Dänemark an der Annahme der Insolvenzverordnung nicht beteiligt, so dass diese für Dänemark nicht verbindlich ist.449 Indes gilt Art. 3 Abs. 1 EuInsVO für die anderen vierzehn Mitgliedstaaten, in denen die Insolvenzverordnung unmittelbar anwendbar ist, auch dann, wenn die grenzüberschreitenden Bezugspunkte der Insolvenz ausschließlich einen Nicht-Mitgliedstaat betreffen,450 als der Dänemark für die Zwecke der Anwendung der Insolvenzverordnung anzusehen ist.451 Denn Art. 3 Abs. 1 EuInsVO macht die internationale Zuständigkeit der Gerichte eines Mitgliedstaats nicht von der Voraussetzung abhängig, dass die grenzüberschreitenden Bezugspunkte der Insolvenz nicht ausschließlich Drittstaaten betreffen, sondern nur von der Voraussetzung, dass der Interessenmittelpunkt eines Schuldners in ihrem Gebiet liegt.452 Hätte der Verordnungsgeber, der die Drittstaatsproblematik gesehen hat, die Geltung der Insolvenzverordnung für diese Fälle ausschließen wollen, hätte er den Wortlaut des Art. 3 Abs. 1 EuInsVO entsprechend eingeschränkt.453 Daher sind die deutschen Gerichte nach Art. 3 Abs. 1 EuInsVO auch für die Eröffnung des Hauptinsolvenzverfahrens über dänische Gesellschaften mit tatsächlichem Sitz in Deutschland international zuständig. Da die deutschen Gerichte für die Eröffnung des Hauptinsolvenzverfahrens über EG-ausländische Gesellschaften mit tatsächlichem Sitz in Deutschland international zuständig sind und für diese Insolvenzverfahren und ihre Wirkungen wegen des in Art. 4 Abs. 1 EuInsVO normierten lex fori-Prinzips grundsätzlich das deutsche Insolvenzrecht gilt, könnten die §§ 32 a, 32 b GmbHG im Wege der Sonderanknüpfung auch auf die Gesellschafter EG-ausländischer Gesellschaften m. b. H. mit tatsächlichem Sitz in Deutschland angewendet werden, sofern dies mit den EG-vertraglichen Niederlassungsbestimmungen vereinbar ist.
Art 3 Abs. 1 S. 1 EuInsVO zur Eröffnung des Hauptinsolvenzverfahrens über das Vermögen einer nach EG-ausländischem Recht gegründeten Kapitalgesellschaft mit effektivem Verwaltungssitz in Deutschland. Siehe ferner Bayer, BB 2003, 2357 (2365); Geyrhalter/Gänßler, NZG 2003, 409 (413); Müller, NZG 2003, 414 (415). Vgl. auch Ebert/Levedag, GmbHR 2003, 1337 (1341). 449 Nr. 33 der Begründungserwägungen. 450 High Court of Justice Chancery Division Companies Court, ZIP 2003, 813 (815 f. – „BRAC-Budget“); Huber, ZZP 114 (2001) 133 (138 f.). 451 Unter diesem Gesichtspunkt hätte es sich angeboten, den Begriff „Mitgliedstaat“ ebenso wie in Art. 1 Abs. 3 der Brüssel II-Verordnung (Verordnung [EG] Nr. 1347/2000 des Rates v. 29.5.2000 über die Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Ehesachen und in Verfahren betreffend die elterliche Verantwortung für die gemeinsamen Kinder der Ehegatten, ABl. Nr. L 160 v. 30.6.2000, S. 19 ff.) dahin legal zu definieren, dass er das Königreich Dänemark ausnimmt. So auch Leible/ Staudinger, KTS 2000, 533 (537 Fn. 27). 452 High Court of Justice Chancery Division Companies Court, ZIP 2003, 813 (815 f. – „BRAC-Budget“); Huber, ZZP 114 (2001) 133 (138 f.). 453 So auch High Court of Justice Chancery Division Companies Court, ebd. S. 815; Huber, ebd.
A. Gemeinschaftsrechtskonforme Gläubigerschutzmaßnahmen
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a) Beeinträchtigung des Schutzbereichs der Niederlassungsfreiheit Im Falle der Anwendung der §§ 32 a, 32 b GmbHG auf die Gesellschafter EG-ausländischer Gesellschaften m. b. H. mit tatsächlichem Sitz in Deutschland würden diese Bestimmungen formal unterschiedslos für diese wie für Gesellschafter inländischer Gesellschaften m. b. H. gelten, so dass erstere Gesellschafter hierdurch nicht offen aufgrund ihrer Gesellschaftszugehörigkeit diskriminiert würden. Sofern die Anwendung der §§ 32 a, 32 b GmbHG nicht versteckt diskriminierend wirken sollte, müsste sie als eine – denselben Rechtfertigungsanforderungen unterliegende454 – Beschränkung der primären Niederlassungsfreiheit dieser Gesellschafter qualifiziert werden, da ihre Finanzierungsfreiheit hierdurch eingeschränkt und damit ihr Zugang zum deutschen Markt über EGausländische Gesellschaften m. b. H. behindert würde. b) Rechtfertigung der Schutzbereichsbeeinträchtigung aa) Schutz zwingender Erfordernisse Da die Anwendung der §§ 32 a, 32 b GmbHG dem Schutz von Vertragsgläubigern vor Forderungsausfällen dienen soll, wird hiermit ein legitimer Allgemeinwohlbelang verfolgt. bb) Geeignetheit Durch die in Rede stehende Maßnahme werden eigenkapitalersetzende Gesellschafterhilfen den Gesellschaftsgläubigern als Haftungsmasse zur Verfügung gestellt. Da das Risiko eines Forderungsausfalls hierdurch vermindert wird, ist diese Maßnahme zur Zielerreichung geeignet. cc) Erforderlichkeit Erforderlich ist die Anwendung der §§ 32 a, 32 b GmbHG auf die Gesellschafter EG-ausländischer Gesellschaften m. b. H. mit effektivem Sitz in Deutschland nur, wenn es keine milderen Mittel gibt, durch die Vertragsgläubiger ebenso wirksam geschützt werden können. Wenn EG-ausländischen Gesellschaften m. b. H. mit effektivem Sitz im Inland die gleichen Publizitätspflichten auferlegt würden, die EG-ausländische Gesellschaften m. b. H., die über eine Zweigniederlassung im Inland verfügen, nach der Richtlinie 89/666/EWG erfüllen müssen, würde (potenziellen) Vertragsgläubigern ein Selbstschutz vor durch 454
Vgl. Teil 3, A. II.
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4. Teil: Gemeinschaftsrechtskonforme Schutzmaßnahmen
Gesellschaftskrisen bedingten Forderungsausfällen ermöglicht, der ebenso effektiv wäre wie der Schutz, den die §§ 32 a, 32 b GmbHG bieten. Denn müssten diese Gesellschaften auf Geschäftsbriefen und Bestellscheinen ihre Rechtsform und das Register ihres Herkunftsstaats angeben, könnten (potenzielle) Vertragsgläubiger erkennen, dass es sich um beschränkt haftende Gesellschaften handelt, die nicht dem inländischen GmbH-Recht unterliegen. Dadurch würden sie in die Lage versetzt, sich darüber zu informieren, welchen Gläubigerschutz das jeweilige Gesellschaftsstatut in Krisensituationen vorsieht. Durch die Offenlegung der in der Richtlinie vorgesehenen Gesellschaftsdaten könnten (potenzielle) Vertragsgläubiger sich zudem über die wirtschaftliche Situation der betreffenden Gesellschaften informieren. Erachten sie die entsprechenden Schutzbestimmungen des Gesellschaftsstatuts für unzureichend, und/oder befinden sich die betreffenden Gesellschaften in einer schlechten wirtschaftlichen Situation, können sie Vertragsabschlüsse entweder von der Erbringung von Sicherheiten abhängig machen, durch die garantiert wird, dass sie auch in einer Krise der Gesellschaften keine Forderungsausfälle erleiden, oder von Vertragsabschlüssen ganz absehen. EG-ausländische Gesellschaften m. b. H. mit effektivem Sitz in Deutschland würden durch die Auferlegung von Publizitätspflichten, die denjenigen entsprechen, die in der Richtlinie 89/666/EWG normiert sind, ferner weniger belastet als ihre Gesellschafter durch die Anwendung der §§ 32 a, 32 b GmbHG belastet würden. Denn die nach der Richtlinie 89/666/EWG offen zu legenden Gesellschaftsdaten müssen Gesellschaften m. b. H. nach der Ersten gesellschaftsrechtlichen Richtlinie in ihren Inkorporationsstaaten ohnehin offen legen,455 so dass mit der nochmaligen Offenlegung im Hauptniederlassungsstaat keine große Belastung mehr verbunden wäre. Demgegenüber würde die Anwendung der §§ 32 a, 32 b GmbHG dazu führen, dass das EG-ausländischen Gesellschaften m. b. H. von ihren Gesellschaftern in der Krise zugeführte Fremdkapital in Eigenkapital umqualifiziert würde, was für diese Gesellschafter eine erhebliche Belastung darstellen würde. Da somit ein milderes, ebenso effektives Mittel zum Schutz von vertraglichen Gläubigern EG-ausländischer Gesellschaften m. b. H. zur Verfügung steht, ist die Anwendung der §§ 32 a, 32 b GmbHG auf die Gesellschafter dieser Gesellschaften nicht erforderlich und infolgedessen nicht gerechtfertigt.456 3. Durchgriffshaftung Die Vertragsgläubiger EG-ausländischer Gesellschaften m. b. H. mit effektivem Sitz in Deutschland könnten vor einem Forderungsausfall jedoch möglicherweise dadurch geschützt werden, dass auf die Gesellschafter dieser Gesellschaften die für die Gesellschafter inländischer Gesellschaften m. b. H. von der 455 456
Siehe Teil 4, A. I. 1. b) cc). So i. E. wohl auch Eidenmüller, ZIP 2002, 2233 (2242).
A. Gemeinschaftsrechtskonforme Gläubigerschutzmaßnahmen
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Rechtsprechung und Literatur entwickelten Grundsätze der Durchgriffshaftung angewendet werden.457 Die als Durchgriffshaftung bezeichnete persönliche Haftung von GmbH-Gesellschaftern beruht auf keinem festumrissenen Rechtsinstitut mit präzisen Tatbestandsmerkmalen.458 Hinter dem Begriff der Durchgriffshaftung verbergen sich vielmehr verschiedene Fallgruppen, in denen es nach allgemeiner Meinung ausnahmsweise zu einer persönlichen Haftung der GmbHGesellschafter kommt.459 Eine solche Durchgriffshaftung ist zunächst für die Fälle anerkannt, in denen Gesellschafter eine GmbH betreiben, die qualifiziert materiell unterkapitalisiert ist. Eine qualifizierte materielle Unterkapitalisierung soll nach einer mittlerweile überwiegend akzeptierten Definition dann vorliegen, wenn eine für Insider klar erkennbare unzureichende Eigenkapitalausstattung der Gesellschaft vorliegt, die einen Misserfolg zu Lasten der Gläubiger bei normalem Geschäftsverlauf mit hoher, das gewöhnliche Geschäftsrisiko deutlich übersteigender Wahrscheinlichkeit erwarten lässt.460 Ein Haftungsdurchgriff ist daneben auch in den Fällen sog. existenzvernichtender Eingriffe anerkannt, die mit den Fällen der qualifizierten materiellen Unterkapitalisierung eng verwandt sind.461 Darunter werden Fälle gefasst, in denen Gesellschafter eine Gesellschaft m. b. H. zum Schaden der Gläubiger durch Maßnahmen in die Insolvenz treiben, die außerhalb des üblichen unternehmerischen Risikos liegen,462 wie bspw. einem existenzvernichtenden Abzug von Vermögen und/oder Ertragschancen der Gesellschaft463 oder die Tätigung existenzvernichtender Spekulationsgeschäfte, deren Risiken außer Verhältnis zu dem Vermögen der Gesellschaft stehen.464 Daneben ist ein Haftungsdurchgriff auch für die Fälle der sog. Vermögensvermischung anerkannt, in denen das Privatvermögen der Gesellschafter derart mit dem Vermögen der Gesellschaft vermischt wird, dass eine buchmäßig zu belegende Trennung von Gesellschafts- und Gesellschaftervermögen nicht mehr gegeben ist.465 457
Zimmer, ZHR 164 (2000) 23 (37). Boujong, in: FS Odersky, 1996, S. 739 (740 f.). 459 Boujong, ebd. Vgl. auch Serick, Rechtsform und Realität juristischer Personen, 2. Aufl. 1980, S. 5 f.; Schulz, NJW 2003, 2705 (2707). 460 Ulmer (Fn. 438), Anh. § 30 GmbHG Rn. 23, 55; Grunewald, Gesellschaftsrecht, 5. Aufl. 2002, S. 374. 461 Grunewald, ebd., S. 376. 462 Grunewald, ebd.; Benecke, BB 2003, 1190 (1194); Paeffgen, DB 2003, 487 (490 f.). 463 BGHZ 122, 123 (130); BGH, ZIP 2001, 1874 (1876 – „Bremer Vulkan“); BGH, ZIP 2002, 848 (850); BGH, ZIP 2002, 1578 (1579 – „KBV“); LAG Köln, ZIP 2003, 1893 (1893 f.); Burgard, ZIP 2002, 827 (830); Diem, ZIP 2003, 1284 (1285). Vgl. auch Wiedemann, ZGR 2003, 283 (292 f.). 464 BGH, ZIP 1994, 207 (209); BGH, ZIP 2000, 493 (494); Burgard, ebd. 465 BGHZ 95, 330 (333 f.); BGH, WM 1985, 54 (55); BGH, WM 1994, 896; Grunewald (Fn. 460), S. 376 f.; Boujong (Fn. 458), S. 739 (742 f.); Ehricke, AcP 1999 (1999) 257 (289 f.). 458
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4. Teil: Gemeinschaftsrechtskonforme Schutzmaßnahmen
Zwar besteht über die Fallgruppen, in denen es ausnahmsweise zu einer persönlichen Gesellschafterhaftung kommt, weitgehend Einigkeit.466 Nicht abschlie466 Auf der Grundlage der zuvor gewonnenen Ergebnisse ist der Umstand, dass eine Gesellschaft m. b. H. durch Unionsbürger in einem anderen Mitgliedstaat in der alleinigen Absicht gegründet wurde, über diese unter Umgehung des deutschen GmbHRechts vorwiegend oder ausschließlich in Deutschland geschäftliche Aktivitäten auszuüben, allein in keinem Fall ausreichend, um das diesen Gesellschaftern nach dem EG-ausländischen Gesellschaftsstatut zukommende Haftungsprivileg zu durchbrechen, da dieses Vorgehen gemeinschaftsrechtlich gerade geschützt wird (siehe Teil 2, A. II. 1.). So auch Bayer, BB 2003, 2357 (2364); Sandrock, ZVglRWiss 102 (2003) 447 (473 f.); Eidenmüller, JZ 2004, 24 (26). In der Inspire Art-Entscheidung hat der Europäische Gerichtshof seine in den Judikaten Segers und Centros getroffene Feststellung, dass ein solches Vorgehen keinen Missbrauch der Niederlassungsfreiheit darstellt, nochmals bestätigt. Gegenstand dieses Vorabentscheidungsverfahrens war die Vereinbarkeit mehrerer Bestimmungen des niederländischen Gesetzes über formal ausländische Gesellschaften (Fn. 84) mit dem Gemeinschaftsrecht (siehe hierzu auch Teil 4, A. II. 1.). Dieses Gesetz leitete die Absicht von Gesellschaftern einer nach ausländischem Recht gegründeten Kapitalgesellschaft, deren effektiver Verwaltungssitz in den Niederlanden lag, zur Umgehung des niederländischem Kapitalgesellschaftsrechts aus dem Umstand ab, dass diese Gesellschaft ihre Tätigkeit ausschließlich oder nahezu ausschließlich in den Niederlanden ausübte und keine tatsächliche Bindung an ihren Gründungsstaat hatte. In der Inspire Art-Entscheidung hat der Gerichtshof zu der Frage, ob eine solche gesetzliche Wertung mit den Art. 43 Abs. 1, 48 Abs. 1 EG vereinbar ist, ausgeführt: „Wenn also ein Staatsangehöriger eines Mitgliedstaats, der eine Gesellschaft gründen möchte, diese in dem Mitgliedstaat errichtet, dessen gesellschaftsrechtliche Vorschriften ihm die größte Freiheit lassen, und anschließend in anderen Mitgliedstaaten Zweigniederlassungen gründet, so übt er damit, wie der Gerichtshof in Randnummer 27 des Urteils Centros festgestellt hat, die durch den Vertrag garantierte Niederlassungsfreiheit im Binnenmarkt aus. Darüber hinaus belegt nach ständiger Rechtsprechung (Urteile Segers, Randnr. 16, und Centros, Randnr. 29) der Umstand, dass eine Gesellschaft in dem Mitgliedstaat, in dem sie ihren Sitz hat, keine Tätigkeit entfaltet und ihre Tätigkeit ausschließlich oder hauptsächlich im Mitgliedstaat ihrer Zweigniederlassung ausübt, noch kein missbräuchliches oder betrügerisches Verhalten, das es dem letzteren Mitgliedstaat erlauben würde, auf die betreffende Gesellschaft die Gemeinschaftsvorschriften über das Niederlassungsrecht nicht anzuwenden.“ EuGH, Rs. C-167/01 (Kamer van Koophandel en Fabrieken voor Amsterdam/Inspire Art. Ltd.), ZIP 2003, 1885 (1893). Im Gegensatz hierzu hat das AG Hamburg, BB 2003, 1457 f. in einer – zwar vor dem Inspire Art- aber nach dem Centros- und Überseering-Urteil – erlassenen Entscheidung ausgeführt: „Das Gericht wertet bereits die alleinige Tatsache der fehlenden tatsächlichen Kapitalausstattung einer Gesellschaft bei gleichzeitiger Haftungsbeschränkung der Gesellschafter eines ausschließlich in Deutschland operierenden, nach ausländischem Recht gegründeten Unternehmens als Indiz für eine Rechtsmissbräuchlichkeit bzw. einen Verstoß gegen den deutschen ordre public.“ In einem solchem Fall ist die Nichtanerkennung des Haftungsprivilegs der Gesellschafter einer EG-ausländischen Gesellschaft m. b. H. und die dadurch bewirkte Beeinträchtigung der Niederlassungsfreiheit nach Auffassung des AG Hamburg aus Gründen der Missbrauchsbekämpfung gerechtfertigt, BB 2003, 1457 (1458). Dieser Entscheidung lag folgender Sachverhalt zugrunde: Die unter Vierländer Bau Union Ltd. firmierende private limited company by shares war in England mit einem Stammkapital von £ 100 durch ein englisches Vermittlungsunternehmen gegründet und in das Handelsregister von Cardiff eingetragen worden. Nach den Feststellungen des AG Hamburg war diese Gesellschaft, deren Unternehmensgegenstand in der Produk-
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ßend geklärt ist jedoch, auf welche Anspruchsgrundlage die Durchgriffshaftung zu stützen ist. Der Bundesgerichtshof greift in den Fällen der Unterkapitalisierung ausschließlich auf § 826 BGB als Anspruchsgrundlage zurück.467 In den Fällen der existenzvernichtenden Eingriffe und der Vermögensvermischung gelangt er neben einer Haftung aus § 826 BGB auch zu einer Haftung der Gesellschafter entsprechend § 128 HGB,468 ohne dabei allerdings seinen dogmatischen Begründungsansatz offen zu legen.469 Im Schrifttum wird die Durchgriffshaftung auf § 280 BGB,470 auf eine entsprechende Anwendung des § 43 Abs. 2 GmbHG471 oder auf eine entsprechende Anwendung des § 128 HGB472 gestützt. In Anspruchskonkurrenz zu diesen Ansprüchen steht jeweils § 826 BGB.473
tion von sog. Doppelböden bestand, ausschließlich auf dem deutschen Markt tätig. Ihr Betriebsgrundstück teilte sie sich mit der nach deutschem Recht gegründeten BGmbH, die auf demselben Geschäftsfeld tätig war und die offiziell von der Ehefrau des Geschäftsführers der Vierländer Bau Union Ltd. betrieben wurde. Nach den Feststellungen des AG Hamburg leitete dieser faktisch aber beide Gesellschaften. Das Geschäftskonzept beruhte im Wesentlichen darauf, dass die B-GmbH stets als Vertragspartnerin für alle eingehenden Aufträge auftrat, die Vierländer Bau Union Ltd. hingegen den Materialeinkauf tätigte und die Mehrzahl der Arbeitnehmer beschäftigte. I. E. wurde dadurch bewirkt, dass nahezu sämtliche Einnahmen der – mittlerweile insolventen – B-GmbH zustanden, während die Vierländer Bau Union Ltd. allein für die Mehrzahl der Verbindlichkeiten haftete. Das mit dem Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen der Vierländer Bau Union Ltd. befasste AG Hamburg war der Auffassung, dass diese Gesellschaft insolvenzrechtlich nicht wie eine GmbH, sondern wie eine Gesellschaft, deren Gesellschafter unbeschränkt haften, und damit als „eine der OHG vergleichbare Gesellschaft“ zu behandeln sei. I. E. stützte das Gericht den Haftungsdurchgriff auf die beiden Gesellschafterinnen der Vierländer Bau Union Ltd. – zwei nach englischem Recht gegründeten private limited companies by shares – allerdings nicht auf die soeben wiedergegebene Erwägung, sondern auf die vom BGH entwickelten Grundsätze der Existenzvernichtungshaftung. Indem die Gesellschafterinnen bei der Vierländer Bau Union Ltd. gezielt nur die Verbindlichkeiten aus der Geschäftstätigkeit beider Gesellschaften hätten anfallen lassen, hätten sie keine angemessene Rücksicht auf die Belange der Vierländer Bau Union Ltd. genommen, da dieser hierdurch die Fähigkeit genommen worden sei, ihren Verbindlichkeiten nachzukommen, AG Hamburg, BB 2003, 1457 (1458). 467 BGHZ 108, 134 (142 f.); BGH, NJW 1979, 2104 (2104 f.); BGH, ZIP 1991, 1140 (1144 f.); BGH, ZIP 1992, 694 (695). 468 BGHZ 95, 330 (332 f. – Vermögensvermischung); BGH, ZIP 2002, 1578 (1580 – existenzvernichtender Eingriff). 469 Boujong (Fn. 458), S. 739 (741); Michalski, in: ders. (Hrsg.), GmbHG, 2002, § 13 Rn. 346. 470 K. Schmidt, ZIP 1988, 1497 (1505 f.); ders., ZIP 1989, 545 (546); ders., ZIP 1994, 837 (843); ders. (Fn. 31), S. 243 f.; Grunewald (Fn. 460), S. 374 f., 377. 471 So in Bezug auf die Haftung wegen Vermögensvermischung Ehricke, AcP 199 (1999) 257 (293). 472 Lutter/Hommelhoff, ZGR 1979, 31 (61); dies. (Fn. 136), § 13 GmbHG Rn. 6; Lutter, ZIP 1985, 1425 (1426); Ulmer (Fn. 438), Anh. § 30 GmbHG Rn. 52; Banerjea, ZIP 1999, 1153 (1157 f.). 473 Banerjea, ebd., S. 1156 f.
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4. Teil: Gemeinschaftsrechtskonforme Schutzmaßnahmen
Ferner sind, abgesehen von § 826 BGB, die Voraussetzungen, unter denen es im Rahmen der einzelnen Anspruchsgrundlagen zu einer persönlichen Haftung der GmbH-Gesellschafter kommen soll, nicht abschließend geklärt.474 Angesichts der Unsicherheiten, die daher mit einer Anwendung dieser Anspruchsgrundlagen verbunden sind, sollte zur Begründung einer persönlichen Haftung der Gesellschafter EG-ausländischer Gesellschaften m. b. H. in den in Rede stehenden Fällen – über Art. 40 EGBGB – nur § 826 BGB herangezogen werden.475 Voraussetzung dafür, dass Art. 40 EGBGB i.V. m. § 826 BGB in diesen Fällen als Grundlage für eine persönliche Haftung von Gesellschaftern EG-ausländischer Gesellschaften m. b. H. herangezogen werden kann, ist jedoch, dass dies mit den Bestimmungen über die Niederlassungsfreiheit vereinbar ist. a) Beeinträchtigung des Schutzbereichs der Niederlassungsfreiheit Im Falle der Anwendung von Art. 40 EGBGB i.V. m. § 826 BGB auf die Gesellschafter EG-ausländischer Gesellschaften m. b. H. würde die Bestimmung des § 826 BGB formal unterschiedslos für diese, wie für die Gesellschafter inländischer Gesellschaften m. b. H. gelten, so dass erstere Gesellschafter hierdurch nicht offen aufgrund ihrer Gesellschaftszugehörigkeit diskriminiert würden. Sofern die Anwendung von Art. 40 EGBGB i.V. m. § 826 BGB zu keiner versteckt wirkenden Diskriminierung führen sollte, stellt sie jedoch eine – denselben Rechtfertigungsanforderungen unterliegende476 – Beschränkung der primären Niederlassungsfreiheit dieser Gesellschafter dar. Denn durch die Anwendung von Art. 40 EGBGB i.V. m. § 826 BGB würde das Haftungsprivileg der Gesellschafter EG-ausländischer Gesellschaften m. b. H. partiell durchbrochen, so dass der Zugang zum deutschen Markt über diese Gesellschaften für sie weniger attraktiv wäre. b) Rechtfertigung der Schutzbereichsbeeinträchtigung aa) Schutz zwingender Erfordernisse Die Anwendung von Art. 40 EGBGB i.V. m. § 826 BGB hat zum Ziel, den Vertragsgläubigern EG-ausländischer Gesellschaften m. b. H. mit effektivem Sitz in Deutschland eine Möglichkeit zur Kompensation der Vermögensschäden zur 474
Michalski (Fn. 469), § 13 GmbHG Rn. 342 ff. So auch Hillmann, in: Gesellschaftsrechtliche Vereinigung (Hrsg.), Gesellschaftsrecht in der Diskussion, Bd. II, 1999, S. 231 (241). I. E. auch Leible/Hoffmann, RIW 2002, 925 (930); Schulz/Sester, EWS 2002, 545 (551); Schanze/Jüttner, AG 2003, 30 (35). Vgl. auch Merkt, in: Gesellschaftsrechtliche Vereinigung, ebd., S. 111 (134); Eidenmüller, ZIP 2002, 2233 (2242 Fn. 63); ders., JZ 2004, 24 (27); Bayer, BB 2003, 2357 (2364). 476 Vgl. Teil 3, A. II. 475
A. Gemeinschaftsrechtskonforme Gläubigerschutzmaßnahmen
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Verfügung zu stellen, die sie in den in Rede stehenden Fällen dadurch erleiden, dass sie ihre Forderungen gegenüber ihren Vertragspartnerinnen nicht realisieren können, und verfolgt damit einen legitimen Allgemeinwohlbelang. bb) Geeignetheit Da die Vertragsgläubiger EG-ausländischer Gesellschaften m. b. H. mit effektivem Sitz in Deutschland durch die Anwendung von Art. 40 EGBGB i.V. m. § 826 BGB von den Gesellschaftern für Vermögensschäden Ersatz erlangen können, die sie in den in Rede stehenden Fällen dadurch erleiden, dass sie ihre Forderungen gegenüber ihren Vertragspartnerinnen nicht realisieren können, ist die Anwendung dieser Bestimmungen zur Zielerreichung geeignet. cc) Erforderlichkeit Sofern das Gründungsstatut in den Fällen der qualifizierten materiellen Unterkapitalisierung, der existenzvernichtenden Eingriffe und der Vermögensvermischung gleichwertige Gläubigerschutzbestimmungen vorsieht, steht damit ein Mittel zur Verfügung, mit dem der in Rede stehende Gläubigerschutz gleichermaßen effektiv ohne eine Beeinträchtigung der primären Niederlassungsfreiheit sichergestellt werden kann, so dass die Anwendung von Art. 40 EGBGB i.V. m. § 826 BGB insoweit nicht erforderlich, und damit nicht gerechtfertigt ist. Sofern das Gründungsstatut keine gleichwertigen Gläubigerschutzbestimmungen enthält, ist die Anwendung von Art. 40 EGBGB i.V. m. § 826 BGB hingegen erforderlich, da keine Maßnahmen ersichtlich sind, mittels derer in einer die primäre Niederlassungsfreiheit weniger beeinträchtigenden Weise ein gleich effektiver Gläubigerschutz sichergestellt werden könnte. dd) Angemessenheit In den Fällen, in denen die Anwendung von Art. 40 EGBGB i.V. m. § 826 BGB erforderlich ist, setzt die Rechtfertigung der dadurch bewirkten Beeinträchtigung der primären Niederlassungsfreiheit weiterhin voraus, dass zwischen dieser Beeinträchtigung und dem damit erzielbaren Schutz vertraglicher Gesellschaftsgläubiger ein angemessenes Verhältnis besteht. Die in den Fällen der qualifizierten materiellen Unterkapitalisierung, der existenzvernichtenden Eingriffe und der Vermögensvermischung aus der Anwendung von Art. 40 EGBGB i.V. m. § 826 BGB folgende Schadensersatzpflicht von Gesellschaftern EG-ausländischer Gesellschaften m. b. H. führt zwar zu einer erheblichen Beeinträchtigung ihrer Niederlassungsfreiheit. Allerdings folgt die Schadensersatzpflicht der Gesellschafter in diesen Fällen daraus, dass sie in individuell vorwerfbarer, sit-
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4. Teil: Gemeinschaftsrechtskonforme Schutzmaßnahmen
tenwidriger Weise gesellschaftsbezogene Verhaltenspflichten verletzt und dadurch Gesellschaftsgläubiger geschädigt haben. Da das Interesse der GmbH-Gesellschafter an der Wahrung ihres Haftungsprivilegs in solchen Fällen nicht schutzwürdig ist, überwiegt insoweit das Interesse der geschädigten Gläubiger an einer Kompensation der erlittenen Vermögensschäden, die durch die Anwendung von Art. 40 EGBGB i.V. m. § 826 BGB sichergestellt werden kann. Die durch die Schadensersatzpflicht bewirkte Beeinträchtigung der primären Niederlassungsfreiheit steht daher nicht außer Verhältnis zu dem damit erreichbaren Schutz von Gesellschaftsgläubigern. In den Fällen, in denen die Anwendung von Art. 40 EGBGB i.V. m. § 826 BGB auf die Gesellschafter EG-ausländischer Gesellschaften m. b. H. erforderlich ist, ist sie somit auch angemessen und stellt damit eine gerechtfertigte Beeinträchtigung der primären Niederlassungsfreiheit dar.
II. Schutz gesetzlicher Gläubiger 1. Mindestkapitalaufbringungs- und -erhaltungsvorschriften des deutschen GmbH-Rechts Dass die Anwendung der Mindestkapitalaufbringungs- und -erhaltungsvorschriften des deutschen GmbH-Rechts auf EG-ausländische Gesellschaften m. b. H. und deren Gesellschafter zu einer Beeinträchtigung der primären Niederlassungsfreiheit führen würde, die sich zum Schutz von vertraglichen Gesellschaftsgläubigern nicht rechtfertigen lässt, wurde bereits aufgezeigt.477 Der Klärung bedarf jedoch noch, ob sich die Anwendung dieser Bestimmungen rechtfertigen lässt, sofern damit der Schutz von gesetzlichen Gesellschaftsgläubigern verfolgt wird. Fraglich ist, ob der Inspire Art-Entscheidung entnommen werden kann, welche Position der Gerichtshof zu der Frage vertritt, ob sich eine gemeinschaftszugehörigen Scheinauslandsgesellschaften durch ihren Hauptniederlassungsstaat auferlegte Verpflichtung zur Einhaltung von Mindestkapitalbestimmungen, denen funktional vergleichbare inländische Gesellschaften unterliegen, rechtfertigen lässt, sofern damit der Schutz von gesetzlichen Gläubigern sichergestellt werden soll. Der Inspire Art-Entscheidung lag folgender Sachverhalt zugrunde: Die Inspire Art Ltd. – eine im Kunsthandel tätige private limited company by shares englischen Rechts mit Satzungssitz im Vereinigten Königreich – hat seit ihrer Errichtung nur in Amsterdam eine – als Zweigniederlassung deklarierte – Niederlassung. Nach Art. 1 des niederländischen Wet op de formeel buitenlandse 477
Siehe Teil 4, A. I. 1.
A. Gemeinschaftsrechtskonforme Gläubigerschutzmaßnahmen
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vennootschappen (Gesetz über formal ausländische Gesellschaften, WFBV)478 ist eine formal ausländische Gesellschaft eine nicht nach niederländischem Recht gegründete Kapitalgesellschaft mit eigener Rechtspersönlichkeit, die ihre Tätigkeit vollständig oder beinahe vollständig in den Niederlanden entfaltet und keine tatsächliche Bindung an ihren Gründungsstaat hat. Gemäß Art. 2 Abs. 1 WFBV ist eine solche Gesellschaft verpflichtet, sich mit dem Zusatz in das für sie zuständige niederländische Handelsregister eintragen zu lassen, dass sie eine formal ausländische Gesellschaft ist. Die Inspire Art Ltd. war in dem von der Handelskammer Amsterdam geführten Handelsregister ohne einen solchen Zusatz eingetragen. Da sie seit ihrer Gründung ausschließlich in den Niederlanden geschäftlich operiert, ist sie als formal ausländische Gesellschaft i. S. d. Art. 1 WFBV zu qualifizieren. Die Amsterdamer Handelskammer versuchte daher gerichtlich durchzusetzen, dass die Inspire Art Ltd. einen entsprechenden Zusatz in das Handelsregister eintragen lassen muss. Mit einer solchen Eintragung sind nach der WFBV automatisch weitere Verpflichtungen verbunden, unter anderem, dass sich der Betrag des Mindestkapitals einer formal ausländischen Gesellschaft mindestens auf den Betrag belaufen muss, der für niederländische Gesellschaften m. b. H. vorgeschrieben ist,479 und sich ihr Eigenkapital mindestens auf das Mindestkapital belaufen muss.480 Das mit dem Rechtsstreit befasste niederländische Gericht stufte die Inspire Art Ltd. als formal ausländische Gesellschaft ein, hatte jedoch Zweifel an der Vereinbarkeit der formal ausländischen Gesellschaften durch die WFBV auferlegten Pflichten mit dem Gemeinschaftsrecht. Daher ersuchte es den Europäischen Gerichtshof um Vorabentscheidung darüber, ob die entsprechenden Bestimmungen der WFBV als Beeinträchtigungen der Art. 43 Abs. 1, 48 Abs. 1 EG zu qualifizieren und bejahendenfalls, ob diese Beeinträchtigungen durch Art. 46 EG oder ein zwingendes Allgemeinwohlerfordernis gerechtfertigt seien. Der Gerichtshof hat die in Rede stehenden Mindestkapitalbestimmungen der WFBV als zum Schutz von Gläubigern nicht erforderliche Beschränkungen der Niederlassungsfreiheit qualifiziert.481 Zur Begründung dieses Ergebnisses hat er sich auf einige der Erwägungen gestützt, mit denen er in der Centros-Entscheidung die Verhältnismäßigkeit der durch die Verweigerung der Eintragung der Zweigniederlassung der Centros Ltd. bewirkten Beeinträchtigung der Niederlassungsfreiheit verneint hat:482 Die Inspire Art. Ltd. trete als Gesellschaft englischen Rechts und nicht als niederländische Gesellschaft auf. Daher seien ihre 478
Siehe Fn. 84. Art. 4 Abs. 1 WFBV. 480 Art. 4 Abs. 2 WFBV. 481 EuGH, Rs. C-167/01 (Kamer van Koophandel en Fabrieken voor Amsterdam/ Inspire Art. Ltd.), ZIP 2003, 1885 (1892 f.). 482 EuGH, Rs. C-212/97 (Centros Ltd./Erhvervs- og Selskabsstyrelsen), Slg. 1999, I-1459 (1495 f.). Siehe auch Teil 2, A. I. 1. b) bb). 479
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4. Teil: Gemeinschaftsrechtskonforme Schutzmaßnahmen
potenziellen Gläubiger hinreichend darüber unterrichtet, dass sie anderen Rechtsvorschriften als denen unterliege, die in den Niederlanden die Gründung von Gesellschaften m. b. H. regelten, unter anderem was die Vorschriften über das Mindestkapital und die Haftung der Geschäftsführer betreffe.483 Ferner könnten sich die Gläubiger auf bestimmte gemeinschaftsrechtliche Schutzregelungen wie die Vierte und Elfte gesellschaftsrechtliche Richtlinie berufen.484 Mithilfe der vom Gerichtshof angeführten Argumente kann die Erforderlichkeit der in der WFBV normierten Kapitalisierungspflichten zum Schutz von Gläubigern jedoch nur in Bezug auf vertragliche Gläubiger verneint werden.485 Denn, wie zuvor aufgezeigt, begründet der EuGH die fehlende Erforderlichkeit ausschließlich damit, dass der Gläubigerschutz ebenso wirksam durch die Offenlegung bestimmter Gesellschaftsdaten sichergestellt werden könne. Publizitätsvorschriften können jedoch nur insoweit einen wirksamen Gläubigerschutz garantieren, als (potenzielle) Gläubiger überhaupt in der Lage sind, auf der Grundlage der eingeholten Informationen frei zu entscheiden, ob und ggf. unter welchen Bedingungen sie zu EG-ausländischen Gesellschaften in Rechtsbeziehungen treten wollen. Wie bereits aufgezeigt, verfügen gesetzliche Gläubiger über diese (Entscheidungs-)Freiheit jedoch gerade nicht. Mithilfe der vom EuGH herangezogenen Argumente lässt sich die Erforderlichkeit der in Rede stehenden Kapitalisierungspflichten zum Schutz von gesetzlichen Gläubigern somit nicht verneinen.486 Allerdings muss Folgendes berücksichtigt werden. Der Gerichtshof brauchte sich in der Inspire Art-Entscheidung mit der Frage, ob die durch die Kapitalisierungsbestimmungen bewirkten Beschränkungen der Niederlassungsfreiheit zum Schutz von gesetzlichen Gesellschaftsgläubigern gerechtfertigt sind, gar nicht auseinanderzusetzen.487 Denn anders als in Bezug auf vertragliche Gläubiger hatte weder die Handelskammer Amsterdam als Klägerin des Ausgangsverfahrens noch die niederländische Regierung im Vorabentscheidungsverfahren Inspire Art substanziiert dargelegt, dass die Kapitalisierungsbestimmungen in Bezug auf das zwingende Erfordernis des Schutzes von gesetzlichen Gläubigern die vom EuGH aufgestellten Rechtfertigungsvoraussetzungen erfüllen. Infolgedessen musste der Gerichtshof diese Frage im Inspire Art-Urteil auch nicht erörtern.488 Mangels substanziierten Vortrags der Handelskammer Amsterdam und 483 EuGH, Rs. C-167/01 (Kamer van Koophandel en Fabrieken voor Amsterdam/ Inspire Art. Ltd.), ZIP 2003, 1885 (1892 f.). 484 EuGH, ebd., S. 1893. 485 A.A. wohl Ziemons, ZIP 2003, 1913 (1916). I. E. wie hier Bayer, BB 2003, 2357 (2364); Leible/Hoffmann, EuZW 2003, 677 (682); Spindler/Berner, RIW 2003, 949 (954); Eidenmüller, JZ 2004, 24 (28). 486 de Diego, Jura 2004, 400 (404 f.). 487 de Diego, ebd. 488 de Diego, ebd.
A. Gemeinschaftsrechtskonforme Gläubigerschutzmaßnahmen
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der niederländischen Regierung musste der Gerichtshof im Inspire Art-Urteil auch nicht darauf eingehen, ob die durch die streitgegenständlichen Kapitalisierungsbestimmungen bewirkten Beschränkungen der Niederlassungsfreiheit durch Art. 46 EG oder die zwingenden Erfordernisse der Erhaltung der Wirksamkeit der Steuerkontrollen und der Lauterkeit des Handelsverkehrs gerechtfertigt sind.489 Hierin liegt der Unterschied zum Vorabentscheidungsverfahren Centros. Dort hatte sowohl die Zentralverwaltung als Beklagte des Ausgangsverfahrens als auch die dänische Regierung substanziiert vorgetragen, dass die durch die Verweigerung der Eintragung der Zweigniederlassung der Centros Ltd. in das Handelsregister bewirkte Beeinträchtigung der Niederlassungsfreiheit sowohl zum Schutz vertraglicher als auch zum Schutz gesetzlicher Gläubiger gerechtfertigt sei.490 Aus diesem Grund hat der Gerichtshof in der Centros-Entscheidung – anders als im Inspire Art-Urteil – auch geprüft, ob die streitgegenständliche Maßnahme zum Schutz von gesetzlichen Gläubigern gerechtfertigt ist.491 Festzuhalten bleibt somit, dass sich der Gerichtshof in der Inspire Art-Entscheidung zu der Frage, ob die durch die Mindestkapitalbestimmungen der WFBV bewirkten Beeinträchtigungen der Niederlassungsfreiheit gerechtfertigt sind, wenn damit der Schutz gesetzlicher Gläubiger verfolgt wird, mangels diesbezüglichen substanziierten Vortrags der Amsterdamer Handelskammer und der niederländischen Regierung nicht äußern musste und infolgedessen auch nicht geäußert hat.492 Die somit auch nach dem Inspire Art-Urteil ungeklärte Frage, ob sich die durch die Anwendung der Mindestkapitalaufbringungs- und -erhaltungsvorschriften des deutschen GmbH-Rechts auf EG-ausländische Gesellschaften m. b. H. mit effektivem Verwaltungssitz in Deutschland bewirkten Beeinträchtigungen der Niederlassungsfreiheit dieser Gesellschaften und ihrer Gesellschafter rechtfertigen lassen, wenn damit der Schutz von gesetzlichen Gläubigern verfolgt wird, soll nunmehr einer Klärung zugeführt werden. a) Schutz zwingender Erfordernisse Der Schutz von gesetzlichen Gläubigern vor Forderungsausfällen stellt einen legitimen Allgemeinwohlbelang dar.
489 Insoweit explizit EuGH, Rs. C-167/01 (Kamer van Koophandel en Fabrieken voor Amsterdam/Inspire Art. Ltd.), ZIP 2003, 1885 (1892 f. – Rn. 131, 140). 490 EuGH, Rs. C-212/97 (Centros Ltd./Erhvervs- og Selskabsstyrelsen), Slg. 1999, I-1459 (1494 f.); GA La Pergola, Schlussanträge in der Rs. C-212/97 (Centros Ltd./ Erhvervs- og Selskabsstyrelsen), Slg. 1999, I-1459 (1465). 491 EuGH, ebd., S. 1495 f. Siehe auch Teil 2, A. I. 1. b) bb). 492 Diesen Umstand übersehen Bayer, BB 2003, 2357 (2364) und Kleinert/Probst, DB 2003, 2217 (2218).
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b) Geeignetheit der Schutzbereichsbeeinträchtigung zur Zielerreichung Da das Risiko, dass gesetzliche Gläubiger gegenüber EG-ausländischen Gesellschaften m. b. H. mit ihren Forderungen ausfallen, verringert wird, wenn diese Gesellschaften und ihre Gesellschafter den Mindestkapitalaufbringungsund -erhaltungsvorschriften des deutschen GmbH-Rechts unterliegen, ist die Anwendung dieser Vorschriften zur Zielerreichung geeignet. c) Erforderlichkeit der Schutzbereichsbeeinträchtigung zur Zielerreichung Die Erforderlichkeit dieser Maßnahme setzt voraus, dass keine die primäre Niederlassungsfreiheit weniger beeinträchtigenden Mittel bestehen, mit denen gesetzliche Gläubiger ebenso wirksam vor Forderungsausfällen geschützt werden können. Gesellschaftsgläubiger, denen kraft Öffentlichen Rechts Ansprüche zustehen, die nicht durch öffentlich-rechtliche Verträge begründet worden sind, könnten vor Forderungsausfällen gegenüber EG-ausländischen Gesellschaften m. b. H. mit effektivem Sitz in Deutschland möglicherweise in einer die primäre Niederlassungsfreiheit weniger beeinträchtigenden Weise ebenso wirksam geschützt werden, wenn sie gesetzlich dazu berechtigt würden, zur Absicherung ihrer gegenwärtigen und künftigen Forderungen gegenüber diesen Gesellschaften von den Gesellschaftern entsprechend dem Verhältnis ihrer Beteiligung in einer Höhe von insgesamt 25.000 A die Leistung einer Sicherheit zu verlangen.493 Da es verschiedenste Sicherheitsleistungen gibt, bedarf zunächst der Klärung, welche Sicherheitsleistungen auf ihre gleiche Eignung und geringere Belastungswirkung hin zu prüfen sind. Als Sicherheitsleistungen kommen Real- und Personalsicherheiten in Betracht. Dafür, als Alternative zum Mindeststammkapital eine Realsicherheit zu wählen, spricht, dass das Mindeststammkapital bei der Gründung zur Hälfte tatsächlich aufgebracht werden muss,494 und der damit bestehende Haftungsfonds eher einer Real- als einer Personalsicherheit ähnelt. Allerdings ähneln die Kapitalerhaltungsvorschriften hinsichtlich ihrer Sicherungswirkung aus folgendem Grund eher einer Personalsicherheit. Der Einsatz des Mindeststammkapitals im regulären Geschäftsbetrieb ist nicht untersagt.495 Verboten ist lediglich, das zur Erhaltung des Mindeststammkapitals erforderliche Vermögen an die Gesellschafter auszuzahlen (§ 30 GmbHG), und an Geschäftsführer, andere gesetzliche Vertreter, Prokuristen sowie zum gesamten Geschäfts493 494 495
Vgl. Cascante, RIW 1999, 450 (451). § 7 Abs. 2 S. 2 GmbHG. Vgl. Lutter/Hommelhoff (Fn. 136), § 30 GmbHG Rn. 2, 39.
A. Gemeinschaftsrechtskonforme Gläubigerschutzmaßnahmen
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betrieb ermächtigte Handlungsbevollmächtigte Kredite aus dem zur Erhaltung des Stammkapitals erforderlichen Gesellschaftsvermögen zu gewähren (§ 43 a S. 1 GmbHG). Für die unter Verstoß gegen § 30 GmbHG erfolgten Auszahlungen haften der Gesellschaft die Gesellschafter (§ 31 GmbHG) und die Geschäftsführer (§ 43 Abs. 3 GmbHG). Die unter Verstoß gegen § 43 a S. 1 GmbHG gewährten Kredite müssen durch die Kreditempfänger zurückgezahlt werden (§ 43 a S. 2 GmbHG), und für etwaige dadurch eingetretene Schäden haften der Gesellschaft die Geschäftsführer (§ 43 Abs. 2 GmbHG). Das Mindeststammkapital wird somit nicht in seiner gegenständlichen Form geschützt, sondern die Erhaltung des Mindeststammkapitals wird letztlich nur durch eine persönliche Haftung der Gesellschafter, Geschäftsführer und des sonstigen Leitungspersonals sichergestellt. Da die durch das Mindestkapitalsystem bewirkte Gläubigersicherung somit letztlich von der Solvenz dieser Personen abhängt, kommt die Sicherungswirkung einer Personalsicherheit derjenigen der Mindestkapitalaufbringungs- und -erhaltungsvorschriften insgesamt näher als die einer Realsicherheit. Auf ihre gleiche Eignung und geringere Belastungswirkung sind daher vorrangig Personalsicherheiten zu prüfen. Als Personalsicherheiten stehen der Schuldbeitritt, die Garantie und die Bürgschaft zur Verfügung. Da der Beitritt der Gesellschafter zu Verbindlichkeiten der Gesellschaft in einer Höhe von 25.000 A zu einer gleichberechtigten Haftung der Gesellschafter neben der Gesellschaft für diese Verbindlichkeiten führen würde,496 wäre der Schuldbeitritt allerdings kein die primäre Niederlassungsfreiheit weniger beeinträchtigendes Sicherungsmittel. Eine Garantieübernahme würde dazu führen, dass die Gesellschafter auch dann in Anspruch genommen werden könnten, wenn die an sich zu sichernden Verbindlichkeiten gar nicht bestehen.497 Deshalb wäre auch die Garantie kein milderes Sicherungsmittel. Als ein milderes, aber möglicherweise ebenso effektives Sicherungsmittel kommt als Personalsicherheit daher lediglich die Bürgschaft in Betracht, da die Verpflichtung, subsidiär für Gesellschaftsverbindlichkeiten zu haften, milder ist als die Verpflichtung zur tatsächlichen Aufbringung und Erhaltung eines betragsmäßig identischen Mindeststammkapitals. Dagegen, dass öffentliche Gesellschaftsgläubiger durch Gesellschafterbürgschaften in einer Höhe von 25.000 A ebenso wirksam vor Forderungsausfällen geschützt werden können wie durch die Mindestkapitalaufbringungs- und -erhaltungsvorschriften, lassen sich folgende Einwände geltend machen. Der wirtschaftliche Wert der Bürgschaften ist, da er von der Solvenz der sich verbürgenden Gesellschafter abhängt, tendenziell niedriger als der eines tatsächlich 496 Zum Schuldbeitritt, Brox/Walker, Allgemeines Schuldrecht, 29. Aufl. 2003, S. 373 ff. 497 Zur Garantie Larenz/Canaris, Lehrbuch des Schuldrechts, Bd. II, 13. Aufl. 1994, S. 65 ff.
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4. Teil: Gemeinschaftsrechtskonforme Schutzmaßnahmen
aufgebrachten Mindeststammkapitals. Zwar wird auch die Erhaltung des Mindeststammkapitals nur durch eine persönliche Haftung sichergestellt. Jedoch haften für die Erhaltung des Mindeststammkapitals nicht nur die Gesellschafter, sondern auch die Geschäftsführer und das sonstige Leitungspersonal der Gesellschaft. Allerdings muss beachtet werden, dass das aufgebrachte Mindeststammkapital allen Gesellschaftsgläubigern gleichermaßen als Haftungsmasse zur Verfügung stehen würde, so dass öffentliche Gesellschaftsgläubiger de facto nicht auf das gesamte aufgebrachte Mindeststammkapital, sondern nur auf einen in jedem Einzelfall variierenden Teil dieses Kapitals Zugriff nehmen könnten. Auch die Ansprüche, die der Gesellschaft im Falle der verbotswidrigen Verwendung des Mindeststammkapitals gegenüber den Gesellschaftern, Geschäftsführern und dem sonstigen Leitungspersonal zustehen, könnten von allen, und nicht nur von öffentlichen Gesellschaftsgläubigern gepfändet werden. Berücksichtigt man dies, werden die soeben aufgezeigten Nachteile, die mit einer Sicherung öffentlicher Gesellschaftsgläubiger durch Bürgschaften verbunden sind, dadurch kompensiert, dass die Bürgschaften im Gegensatz zu den Mindestkapitalaufbringungs- und -erhaltungsvorschriften allein der Sicherung dieser Gläubiger dienen. Daher kann der Schutz, den die Mindestkapitalaufbringungsund -erhaltungsvorschriften öffentlichen Gesellschaftsgläubigern vor Forderungsausfällen bieten, nicht als wirksamer eingestuft werden als derjenige, der ihnen durch Gesellschafterbürgschaften in Höhe von 25.000 A gewährt würde. Gleichzeitig würde die Verpflichtung der Gesellschafter, sich entsprechend dem Verhältnis ihrer Anteile für Gesellschaftsverbindlichkeiten gegenüber öffentlichen Gläubigern in einer Höhe von insgesamt 25.000 A zu verbürgen, die primäre Niederlassungsfreiheit wegen der Subsidiarität der Bürgenhaftung weniger beeinträchtigen als die Anwendung der Mindestkapitalaufbringungs- und -erhaltungsvorschriften. Die Entscheidung darüber, welche öffentlichen Gesellschaftsgläubiger berechtigt sein sollen bis zu welchem Betrag Gesellschafterbürgschaften zur Sicherung ihrer Forderungen zu verlangen, müsste der Gesetzgeber treffen. Gläubiger, die gegen EG-ausländische Gesellschaften m. b. H. mit effektivem Sitz in Deutschland Ansprüche aufgrund deliktischer Bestimmungen haben, könnten vor Forderungsausfällen in einer die primäre Niederlassungsfreiheit weniger beeinträchtigenden Form ebenso effektiv wie durch die Mindestkapitalaufbringungs- und -erhaltungsvorschriften geschützt werden, wenn diese Gesellschaften verpflichtet würden, Betriebs- oder Berufshaftpflichtversicherungen mit einem Jahreshöchstleistungsbetrag von 25.000 A abzuschließen. Im Rahmen einer Betriebs- oder Berufshaftpflichtversicherung gewährt der Versicherer dem Versicherungsnehmer Versicherungsschutz für den Fall, dass er einem Dritten aufgrund gesetzlicher Haftpflichtbestimmungen Schadensersatz für Schäden leisten muss, die in Ausübung der unternehmerischen Tätigkeit des Versicherungsnehmers verursacht worden sind.498 Zwar muss der Versicherer nicht haften, wenn der Schaden in widerrechtlicher Weise vorsätzlich herbeigeführt worden ist.499
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Allerdings wird die ganz überwiegende Zahl der Schadensfälle nicht vorsätzlich, sondern fahrlässig verursacht. In Bezug auf diese Schadensfälle würde durch die Versicherungspflicht sichergestellt, dass die entsprechenden Deliktsgläubiger bis zum Betrag von insgesamt 25.000 A pro Versicherungsjahr keinen Forderungsausfall erleiden. Demgegenüber wäre im Falle einer Sicherung der Deliktsgläubiger durch ein betragsmäßig identisches Mindeststammkapital ungewiss, in welcher Höhe sie ihre Forderungen tatsächlich realisieren können, da das Mindeststammkapital allen Gesellschaftsgläubigern gleichermaßen als Haftungsmasse zur Verfügung stehen würde und die Deliktsgläubiger damit de facto nicht auf das gesamte Mindeststammkapital, sondern nur auf einen in jedem Einzelfall variierenden Teil dieses Kapitals Zugriff nehmen könnten. Die allermeisten Deliktsgläubiger würden infolgedessen durch die Versicherungspflicht wirksamer geschützt als durch die Mindestkapitalaufbringungs- und -erhaltungsvorschriften. Dadurch würde der mit der Versicherungspflicht verbundene Nachteil, dass die Versicherer für in widerrechtlicher Weise vorsätzlich herbeigeführte Schäden nicht haften, kompensiert. Insgesamt würden Deliktsgläubiger durch die Versicherungspflicht daher ebenso wirksam vor Forderungsausfällen geschützt wie durch die Mindestkapitalaufbringungs- und -erhaltungsvorschriften. Gleichzeitig würde die Verpflichtung zum Abschluss solcher Versicherungen und zur Leistung der Prämien die primäre Niederlassungsfreiheit erheblich weniger beeinträchtigen als die Verpflichtung zur Einhaltung der Mindestkapitalaufbringungs- und -erhaltungsvorschriften. Die Verpflichtung der Gesellschafter, sich entsprechend ihrer Beteiligung in einer Höhe von insgesamt 25.000 A gegenüber öffentlichen Gläubigern für Gesellschaftsverbindlichkeiten zu verbürgen, und die Verpflichtung der Gesellschaften, Betriebs- oder Berufshaftpflichtversicherungen mit einer Versicherungssumme von 25.000 A abzuschließen, würden die primäre Niederlassungsfreiheit auch zusammen genommen weniger beeinträchtigen als die Anwendung der Mindestkapitalaufbringungs- und -erhaltungsvorschriften, da die Haftungsverpflichtung der Gesellschafter nur eine subsidiäre wäre, und die durch die Verpflichtung zur Zahlung der Versicherungsprämien bewirkte Belastung kaum ins Gewicht fallen würde. Da infolgedessen mildere Mittel existieren, mittels derer gesetzliche Gesellschaftsgläubiger ebenso wirksam vor Forderungsausfällen geschützt werden können wie durch die Mindestkapitalaufbringungs- und -erhaltungsvorschriften, lässt sich deren Anwendung (auch) zum Schutz dieser Gläubiger nicht rechtfertigen.
498 499
Vgl. Deutsch, Versicherungsvertragsrecht, 4. Aufl. 2002, Rn. 314. § 152 VVG.
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2. Gesellschafterbürgschaften und Betriebs-/Berufshaftpflichtversicherungspflicht Wie zuvor aufgezeigt, könnten öffentliche Gläubiger vor der Gefahr, dass sie gegenüber EG-ausländischen Gesellschaften m. b. H. mit ihren Forderungen ausfallen, dadurch geschützt werden, dass die Gesellschafter verpflichtet werden, sich entsprechend dem Verhältnis ihrer Anteile für Forderungen dieser Gläubiger in einer Höhe von insgesamt 25.000 A zu verbürgen. Ferner könnten Deliktsgläubiger vor der Gefahr eines Forderungsausfalls dadurch geschützt werden, dass EG-ausländische Gesellschaften m. b. H. verpflichtet werden, Betriebs- oder Berufshaftpflichtversicherungen mit einer Versicherungssumme von 25.000 A abzuschließen. Voraussetzung hierfür ist jedoch, dass diese Verpflichtungen mit den Bestimmungen über die Niederlassungsfreiheit vereinbar sind.
a) Beeinträchtigung des Schutzbereichs der Niederlassungsfreiheit Die Bürgschaftsverpflichtung würde nur für Gesellschafter EG-ausländischer Gesellschaften m. b. H. gelten, so dass sie wegen ihrer Zugehörigkeit zu diesen Gesellschaften anders behandelt würden als die Gesellschafter inländischer Gesellschaften m. b. H. Eine generelle Verpflichtung zum Abschluss von Betriebsoder Berufshaftpflichtversicherungen würde nur für EG-ausländische Gesellschaften m. b. H. bestehen, so dass diese wegen ihrer Staatszugehörigkeit anders behandelt würden als inländische Gesellschaften m. b. H. Vorbehaltlich einer Rechtfertigung verboten sind diese Ungleichbehandlungen jedoch nur, wenn EG-ausländische Gesellschaften m. b. H. und deren Gesellschafter dadurch schlechter gestellt werden. Inländische Gesellschaften m. b. H. und deren Gesellschafter unterliegen anstelle der in Rede stehenden Verpflichtungen den Mindestkapitalaufbringungs- und -erhaltungsvorschriften. Die Belastungen, die für inländische Gesellschaften m. b. H. und deren Gesellschafter mit der Geltung dieser Vorschriften verbunden sind, sind so eng miteinander verzahnt, dass sie sich in keiner sinnvollen Form in Belastungen der Gesellschaften und der Gesellschafter aufspalten, und jeweils isoliert den in Rede stehenden Belastungen von EG-ausländischen Gesellschaften m. b. H. und deren Gesellschaftern gegenüberstellen lassen. Daher ist entscheidend, ob EG-ausländische Gesellschaften m. b. H. und deren Gesellschafter als Einheit betrachtet gegenüber inländischen Gesellschaften m. b. H. und deren Gesellschaftern schlechter gestellt werden. Da mit dem Abschluss von Betriebs- oder Berufshaftpflichtversicherungen mit Versicherungssummen von 25.000 A keine hohen Kosten verbunden sind und die Bürgenhaftung nur eine subsidiäre ist, sind diese Belastungen zusammen genommen immer noch geringer als diejenigen, die mit der Aufbringung und Erhaltung eines Mindeststammkapitals in Höhe von 25.000 A verbunden sind. Infolgedessen würden EG-ausländische Gesellschaften m. b. H. und deren Gesellschafter
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durch die in Rede stehenden Verpflichtungen nicht schlechter behandelt als inländische Gesellschaften m. b. H. und deren Gesellschafter. Dennoch würde durch diese Verpflichtungen der Zugang von EG-ausländischen Gesellschaften m. b. H. und deren Gesellschaftern zum deutschen Markt weniger attraktiv gemacht, so dass die primäre Niederlassungsfreiheit der betreffenden Gesellschaften und Gesellschafter hierdurch beschränkt würde. b) Rechtfertigung der durch die Bürgschaftsverpflichtung bewirkten Schutzbereichsbeeinträchtigung aa) Schutz zwingender Erfordernisse Die Bürgschaftsverpflichtung dient dazu, öffentliche Gläubiger vor Forderungsausfällen zu schützen, und verfolgt damit einen legitimen Allgemeinwohlbelang. bb) Geeignetheit Da das Risiko, dass öffentliche Gläubiger mit ihren Forderungen gegenüber EG-ausländischen Gesellschaften m. b. H. ausfallen, durch die Verpflichtung der Gesellschafter, sich für solche Verbindlichkeiten in einer Höhe von insgesamt 25.000 A zu verbürgen, verringert wird, ist diese Verpflichtung zur Zielerreichung geeignet. cc) Erforderlichkeit Bis zur Höhe des Betrags, bis zu dem das jeweilige Gesellschaftsstatut einen Schutz öffentlicher Gläubiger gewährleistet, der demjenigen gleichwertig ist, der durch Gesellschafterbürgschaften in der entsprechenden Höhe sichergestellt wird, sind diese nicht erforderlich, da insoweit Mittel bestehen, durch die öffentliche Gläubiger ebenso effektiv vor Forderungsausfällen geschützt werden können, ohne dass es einer Beeinträchtigung der primären Niederlassungsfreiheit bedarf. Als gleichwertige Schutzmaßnahme eines EG-ausländischen Gesellschaftsstatuts kommt insbesondere ein Mindeststammkapital in Betracht, sofern es hinsichtlich seiner Aufbringung und Erhaltung dem Mindeststammkapital inländischer Gesellschaften m. b. H. vergleichbar ist. Eine Sicherung öffentlicher Gläubiger durch Gesellschafterbürgschaften ist somit nur in der Höhe des Betrags erforderlich, um den Sicherungsmittel des jeweiligen EG-ausländischen Gesellschaftsstatuts, die Gesellschafterbürgschaften gleichwertig sind, den Betrag von 25.000 A unterschreiten, da lediglich in der Höhe dieses Differenzbetrags keine Mittel bestehen, durch die öffentliche Gläubiger in einer die primäre Niederlassungsfreiheit weniger beeinträchtigenden Weise ebenso wirksam geschützt werden können.
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dd) Angemessenheit Soweit die Bürgschaftsverpflichtung erforderlich ist, setzt ihre Rechtfertigung weiterhin voraus, dass die dadurch bewirkte Beeinträchtigung der primären Niederlassungsfreiheit nicht außer Verhältnis zu dem damit erzielbaren Schutz öffentlicher Gesellschaftsgläubiger steht. Die Verpflichtung von Gesellschaftern EG-ausländischer Gesellschaften m. b. H., für Verbindlichkeiten ihrer Gesellschaften gegenüber öffentlichen Gläubigern als Bürgen zu haften, stellt eine erhebliche Beeinträchtigung der primären Niederlassungsfreiheit dar, da durch eine solche Verpflichtung das Haftungsprivileg, das ihnen nach den ausländischen Gesellschaftsstatuten zukommt, durchbrochen wird. Andererseits ist der Schutz öffentlicher Gläubiger vor Forderungsausfällen, der durch Gesellschafterbürgschaften effektiv sichergestellt werden kann, von besonders großer Bedeutung, da diese Gläubiger die ihnen obliegenden Gemeinwohlaufgaben nur wahrnehmen können, wenn die ihnen zur Finanzierung dieser Aufgaben gegenüber Dritten zustehenden Leistungsansprüche auch tatsächlich erfüllt werden. Dieser Konflikt zwischen dem Interesse an der Nichtdurchbrechung des Haftungsprivilegs und dem Bedürfnis, öffentliche Gläubiger vor Forderungsausfällen wirksam zu schützen, wird durch die betragsmäßige Begrenzung der Bürgschaftsverpflichtung auf maximal 25.000 A in einer ausgewogenen Form aufgelöst. Denn das Haftungsprivileg der Gesellschafter EG-ausländischer Gesellschaften m. b. H. bleibt damit grundsätzlich unangetastet und wird nur insoweit durchbrochen, als dies notwendig ist, um eine effektive Mindestsicherung öffentlicher Gläubiger zu gewährleisten. Daher ist die Bürgschaftsverpflichtung in dem jeweiligen Umfang, in dem sie erforderlich ist, auch angemessen. Sie stellt infolgedessen eine gerechtfertigte Beeinträchtigung der primären Niederlassungsfreiheit dar.
c) Rechtfertigung der durch die Versicherungspflicht bewirkten Schutzbereichsbeeinträchtigung aa) Schutz zwingender Erfordernisse Die Versicherungspflicht dient dem Schutz von Deliktsgläubigern vor Forderungsausfällen und verfolgt damit einen legitimen Allgemeinwohlbelang.
bb) Geeignetheit Da die Gefahr, dass Deliktsgläubiger mit ihren Forderungen gegenüber EGausländischen Gesellschaften m. b. H. ausfallen, durch die Versicherungspflicht verringert wird, ist diese zur Zielerreichung geeignet.
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cc) Erforderlichkeit Bis zur Höhe des Betrags, bis zu dem das jeweilige Gesellschaftsstatut einen Schutz von Deliktsgläubigern gewährleistet, der demjenigen gleichwertig ist, der durch Betriebs- oder Berufshaftpflichtversicherungen in der entsprechenden Höhe sichergestellt wird, sind diese nicht erforderlich, da insoweit Mittel bestehen, durch die Deliktsgläubiger ebenso effektiv vor Forderungsausfällen geschützt werden können, ohne dass es einer Beeinträchtigung der primären Niederlassungsfreiheit bedarf. Als gleichwertige Schutzmaßnahme eines EG-ausländischen Gesellschaftsstatuts kommt insbesondere ein Mindeststammkapital in Betracht, sofern es hinsichtlich seiner Aufbringung und Erhaltung dem Mindeststammkapital inländischer Gesellschaften m. b. H. vergleichbar ist. Eine Sicherung von Deliktsgläubigern durch Betriebs- oder Berufshaftpflichtversicherungen ist somit nur in der Höhe des Betrags erforderlich, um den Sicherungsmittel des jeweiligen EG-ausländischen Gesellschaftsstatuts, die solchen Versicherungen gleichwertig sind, den Betrag von 25.000 A unterschreiten, da lediglich in der Höhe dieses Differenzbetrags keine Mittel bestehen, durch die Deliktsgläubiger in einer die primäre Niederlassungsfreiheit weniger beeinträchtigen Weise ebenso wirksam geschützt werden können. Einer besonderen, nur EG-ausländische Gesellschaften m. b. H. betreffenden Verpflichtung zum Abschluss von Betriebs- oder Berufshaftpflichtversicherungen mit den in Rede stehenden Versicherungssummen bedarf es allerdings nicht, wenn diese Gesellschaften aufgrund gesetzlicher Bestimmungen bereits wegen der von ihnen auszuübenden Tätigkeiten verpflichtet sind, Betriebs- oder Berufshaftpflichtversicherungen mit entsprechenden Versicherungssummen abzuschließen.500 Denn anderenfalls käme es zu einer nicht zu rechtfertigenden Dopplung der Versicherungspflicht. Sofern die aufgrund solcher Vorschriften bestehenden Mindestversicherungssummen niedriger sind als die Versicherungssummen, die zum Schutz von Deliktsgläubigern EG-ausländischer Gesellschaften m. b. H. jeweils notwendig sind, ist zum Schutz dieser Gläubiger nur die Verpflichtung der Gesellschaften erforderlich, die Mindestversicherungssummen um die entsprechenden Differenzbeträge zu erhöhen. dd) Angemessenheit Soweit die Versicherungspflicht erforderlich ist, setzt ihre Rechtfertigung weiterhin voraus, dass die dadurch bewirkte Beeinträchtigung der primären Niederlassungsfreiheit nicht außer Verhältnis zu dem damit erzielbaren Schutz von Deliktsgläubigern steht. Da die Prämien für Betriebs- und Berufshaftpflichtversicherungen mit Versicherungssummen von maximal 25.000 A niedrig sind, ist 500
Bspw. § 57 j BRAO; § 72 Abs. 1 i.V. m. § 67 StBerG.
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4. Teil: Gemeinschaftsrechtskonforme Schutzmaßnahmen
die durch die Versicherungspflicht bewirkte Beeinträchtigung der primären Niederlassungsfreiheit gering. Gleichzeitig kann durch die Versicherungspflicht ein wirksamer Mindestschutz von Deliktsgläubigern vor Forderungsausfällen sichergestellt werden. Daher steht die durch die Versicherungspflicht bewirkte Belastung nicht außer Verhältnis zu dem damit erzielbaren Schutz von Deliktsgläubigern. Die Versicherungspflicht ist damit in dem Umfang, in dem sie erforderlich ist, auch angemessen, und stellt infolgedessen eine gerechtfertigte Beschränkung der primären Niederlassungsfreiheit dieser Gesellschaften dar.501 3. §§ 32 a, 32 b GmbHG Dass die Anwendung der §§ 32 a, 32 b GmbHG auf die Gesellschafter EGausländischer Gesellschaften m. b. H. zu einer Beeinträchtigung der primären Niederlassungsfreiheit führen würde, die sich zum Schutz von vertraglichen Gesellschaftsgläubigern nicht rechtfertigen lässt, wurde bereits aufgezeigt.502 Der Klärung bedarf allerdings noch, ob sich die Anwendung der §§ 32 a, 32 b GmbHG rechtfertigen lässt, sofern damit der Schutz gesetzlicher Gläubiger verfolgt wird. a) Schutz zwingender Erfordernisse Der Schutz von gesetzlichen Gläubigern vor einem Forderungsausfall stellt einen legitimen Allgemeinwohlbelang dar. b) Geeignetheit der Schutzbereichsbeeinträchtigung zur Zielerreichung Durch die in Rede stehende Maßnahme werden eigenkapitalersetzende Gesellschafterhilfen den Gläubigern als Haftungsmasse zur Verfügung gestellt. Da das Risiko eines Forderungsausfalls hierdurch vermindert wird, ist diese Maßnahme zur Zielerreichung geeignet. c) Erforderlichkeit der Schutzbereichsbeeinträchtigung zur Zielerreichung Sofern das jeweilige EG-ausländische Gründungsstatut in Bezug auf Gesellschaftskrisen Regelungen enthält, die den §§ 32 a, 32 b GmbHG von ihrem 501 Zu einer „Versicherungslösung“ tendieren auch Grundmann, ZGR 2001, 783 (819 f.) und Eidenmüller, ZIP 2000, 2233 (2236). 502 Siehe Teil 4, A. I. 2.
A. Gemeinschaftsrechtskonforme Gläubigerschutzmaßnahmen
153
Schutzniveau her gleichwertig sind, ist die Sonderanknüpfung der §§ 32 a, 32 b GmbHG nicht erforderlich, da in diesem Fall Mittel bestehen, durch die gesetzliche Gläubiger in Gesellschaftskrisen vor Forderungsausfällen ebenso wirksam geschützt werden können, ohne dass es einer Beeinträchtigung der primären Niederlassungsfreiheit bedarf. Sieht das jeweilige Gründungsstatut keine gleichwertigen Schutzbestimmungen vor, ist die Sonderanknüpfung der §§ 32 a, 32 b GmbHG hingegen erforderlich. Denn in diesem Fall bestehen keine anderen Mittel, durch die in einer die primäre Niederlassungsfreiheit weniger beeinträchtigenden Weise ein ebenso effektiver Schutz von gesetzlichen Gläubigern sichergestellt werden kann. Publizitätspflichten, wie die in der Richtlinie 89/666/ EWG normierten, kommen als milderes, gleich wirksames Mittel nicht in Betracht, weil sie Gläubigern von EG-ausländischen Gesellschaften m. b. H. nur dann einen Schutz vor Forderungsausfällen ermöglichen, der ebenso wirksam ist wie der durch die §§ 32 a, 32 b GmbHG sichergestellte Schutz, wenn die Gläubiger autonom darüber entscheiden können, ob sie mit diesen Gesellschaften in Rechtsbeziehungen treten wollen oder nicht, was bei gesetzlichen Gläubigern nicht der Fall ist. d) Angemessenheit der Schutzbereichsbeeinträchtigung zur Zielerreichung In den Fällen, in denen die Sonderanknüpfung der §§ 32 a, 32 b GmbHG erforderlich ist, darf die dadurch bewirkte Beeinträchtigung der primären Niederlassungsfreiheit des Weiteren nicht außer Verhältnis zu dem damit erzielbaren Schutz von gesetzlichen Gläubigern stehen. Durch die Anwendung der §§ 32 a, 32 b GmbHG werden die Gesellschafter EG-ausländischer Gesellschaften m. b. H. verpflichtet, ihre Gesellschaften in der Krise nur durch die Zuführung von Eigenkapital zu sanieren, wodurch sie das mit der Sanierung verbundene Finanzierungsrisiko allein tragen müssen. Da diese Verpflichtung für die Gesellschafter ein großes finanzielles Risiko beinhaltet, stellt die Sonderanknüpfung der §§ 32 a, 32 b GmbHG für sie eine erhebliche Belastung dar. Allerdings werden die Gesellschafter durch die Anwendung der §§ 32 a, 32 b GmbHG nicht dazu verpflichtet, ihre in der Krise befindlichen Gesellschaften zu sanieren. Sie sind weiterhin frei in der Entscheidung, ihre Gesellschaften nicht zu sanieren, sondern ohne die Zuführung neuen Kapitals zu liquidieren.503 Da somit die Entscheidung über das „Ob“ der Sanierung durch die Anwendung der §§ 32 a, 32 b GmbHG nicht eingeschränkt wird, können die Gesellschafter selbst darüber befinden, ob sie das mit einer Sanierung durch Eigenkapitalzufuhr verbundene Finanzierungsrisiko eingehen wollen. Wären die Gesellschafter von Gesellschaften m. b. H. berechtigt, sie durch die Zuführung von Fremdkapi503 BGHZ 81, 252 (257); 311 (317); BGH, ZIP 1996, 1829 (1830); Grunewald (Fn. 460), S. 367 f.
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4. Teil: Gemeinschaftsrechtskonforme Schutzmaßnahmen
tal zu sanieren, könnten sie das mit der Sanierung verbundene Finanzierungsrisiko auf die Gesellschaftsgläubiger, und damit auch auf die gesetzlichen Gläubiger abwälzen.504 Diese haben jedoch weder Einfluss auf die Entscheidung, ob eine Gesellschaft saniert wird, noch Einfluss darauf, wie die Sanierung im Einzelnen durchgeführt wird. Infolgedessen wäre es unbillig, wenn das mit der Sanierung verbundene Finanzierungsrisiko auf sie abgewälzt werden könnte. Da dies nur durch die Sonderanknüpfung der §§ 32 a, 32 b GmbHG verhindert werden kann, steht die dadurch bewirkte Beeinträchtigung der primären Niederlassungsfreiheit nicht außer Verhältnis zu der damit erreichbaren Schutzgutsicherung. In den Fällen, in denen die Sonderanknüpfung der §§ 32 a, 32 b GmbHG erforderlich ist, ist sie somit auch angemessen und daher gerechtfertigt.505 4. Durchgriffshaftung Wie bereits gezeigt, stellt die Anwendung von Art. 40 EGBGB i.V. m. § 826 BGB auf die Gesellschafter EG-ausländischer Gesellschaften m. b. H. in den Fällen der qualifizierten materiellen Unterkapitalisierung, der existenzvernichtenden Eingriffe und der Vermögensvermischung eine Beeinträchtigung der primären Niederlassungsfreiheit dieser Gesellschafter dar, die zum Schutz von vertraglichen Gläubigern gerechtfertigt ist.506 Soll die Anwendung von Art. 40 EGBGB i.V. m. § 826 BGB in den in Rede stehenden Fällen dem Schutz von gesetzlichen Gläubigern dienen, kann nichts anderes gelten, da gesetzliche Gläubiger noch schutzbedürftiger sind als vertragliche Gläubiger.507
B. Gemeinschaftsrechtskonformität der Anwendung der Vorschriften über die Arbeitnehmermitbestimmung auf EG-ausländische Gesellschaften mit effektivem Verwaltungssitz in Deutschland Nachdem untersucht worden ist, welcher gemeinschaftsrechtkonformen Maßnahmen sich die Bundesrepublik Deutschland zum Schutz der Gläubiger EGausländischer Gesellschaften m. b. H. mit inländischem Hauptverwaltungssitz bedienen darf, soll nunmehr geklärt werden, ob die deutschen Vorschriften über die Arbeitnehmermitbestimmung im Einklang mit dem EG-Vertrag auf in anderen Mitgliedstaaten gegründete Gesellschaften angewendet werden können, die ihren Hauptverwaltungssitz in Deutschland haben. Dabei handelt es sich zum 504 BGHZ 75, 334 (336 f.); 76, 326 (329); 81, 311 (317); 90, 381 (388 f.); Fleck, in: FS Werner, 1984, S. 107 (116); Hüffer (Fn. 441), S. 306. 505 So i. E. auch Eidenmüller, ZIP 2002, 2233 (2242). 506 Siehe Teil 4, A. I. 3. 507 So i. E. auch Hillmann, ebd., S. 231 (241); Schanze/Jüttner, AG 2003, 30 (35).
B. Gemeinschaftsrechtskonforme Arbeitnehmerschutzmaßnahmen
155
einen um die im Betriebsverfassungsgesetz 2001 geregelte betriebliche Mitbestimmung (I.), und zum anderen um die im Montan-Mitbestimmungsgesetz, Betriebsverfassungsgesetz 1952 und dem Mitbestimmungsgesetz 1976 normierte unternehmerische Mitbestimmung (II.).
I. Betriebliche Mitbestimmung Anknüpfungspunkt für das Betriebsverfassungsstatut ist die Belegenheit einer Betriebsstätte.508 Da das Betriebsverfassungsgesetz 2001 auch auf die inländischen Betriebe von ausländischen Unternehmen Anwendung findet,509 unterliegen inländische Betriebe von EG-ausländischen Gesellschaften, die ihren effektiven Sitz in Deutschland haben, bereits de lege lata der betrieblichen Mitbestimmung nach dem Betriebsverfassungsgesetz.510 1. Beeinträchtigung des Schutzbereichs der Niederlassungsfreiheit Da das Betriebsverfassungsgesetz für die inländischen Betriebe deutscher Gesellschaften gleichermaßen gilt wie für die inländischen Betriebe EG-ausländischer Gesellschaften, werden letztere Gesellschaften durch das Betriebsverfassungsgesetz zwar nicht offen aufgrund ihrer Staatszugehörigkeit diskriminiert. Jedoch stellt das Betriebsverfassungsgesetz infolge seiner marktzugangsbehindernden Wirkung eine Beschränkung der primären Niederlassungsfreiheit dieser Gesellschaften dar.511 2. Rechtfertigung der Schutzbereichsbeeinträchtigung a) Schutz zwingender Erfordernisse Das Betriebsverfassungsgesetz 2001 dient dem Schutz der Arbeitnehmer gegenüber Maßnahmen des Arbeitgebers und der Beteiligung der Arbeitnehmerschaft an Entscheidungen des Arbeitgebers auf der Betriebsebene und verfolgt damit legitime Allgemeinwohlbelange. 508 Wiedemann (Fn. 26), S. 797; Behrens (Fn. 36), Einl. Rn. 153; Zimmer (Fn. 23), S. 143; Heinze, ZGR 1994, 47 (53); ders., ZGR 1999, 54 (56); v. Halen (Fn. 46), S. 249; Leible (Fn. 25), Syst. Darst. 2 Rn. 119; Eidenmüller, ZIP 2002, 2233 (2237); Geyrhalter/ Gänßler, NZG 2003, 409 (412). 509 BAG, NJW 1978, 1124; Großfeld (Fn. 26), IntGesR Rn. 509; v. HoyningenHuene, in: Münchner Kommentar zum Arbeitsrecht, Bd. III, 2. Aufl. 2000, § 298 Rn. 30; Leible, ebd.; Eisemann, in: Dieterich/Hanau/Schaub (Hrsg.), Erfurter Kommentar zum Arbeitsrecht, 3. Aufl. 2003, § 1 BetrVG Rn. 5. 510 v. Halen (Fn. 46), S. 249. 511 Sofern es nicht bereits versteckt diskriminierend wirkt, vgl. Teil 3, B. II. 1.
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4. Teil: Gemeinschaftsrechtskonforme Schutzmaßnahmen
b) Geeignetheit Da das Betriebsverfassungsgesetz den Arbeitnehmern zu diesem Zweck zahlreiche Mitwirkungs- und Mitbestimmungsrechte in betrieblichen Angelegenheiten einräumt, ist dieses Gesetz zur Zielerreichung geeignet. c) Erforderlichkeit Mildere Mittel, durch die ein gleich effektiver Arbeitnehmerschutz sichergestellt werden kann, bestehen nicht. Daher ist das Mitbestimmungsgesetz zur Zielerreichung auch erforderlich. d) Angemessenheit Die durch das Betriebsverfassungsgesetz bewirkte Beeinträchtigung der primären Niederlassungsfreiheit darf ferner nicht außer Verhältnis zu dem damit erreichbaren Schutz der Arbeitnehmer stehen. Die Entscheidungsfreiheit EGausländischer Gesellschaften wird in Bezug auf die Sachbereiche, die Regelungsgegenstand des Betriebsverfassungsgesetzes sind, durch die dort normierten Mitwirkungs- und Mitbestimmungsrechte der Arbeitnehmer in nicht unerheblicher Weise beeinträchtigt. Allerdings kann hierdurch ein wirksamer Schutz der Arbeitnehmer vor Maßnahmen ihrer Arbeitgeber sichergestellt werden, die die Betriebsebene betreffen, der von besonders großer Bedeutung ist, da er der Sicherung des sozialen Friedens in der Bundesrepublik Deutschland dient. Dieser Konflikt zwischen dem Interesse EG-ausländischer Gesellschaften an der Nichtbeeinträchtigung ihrer Entscheidungsfreiheit, und dem gegenläufigen Interesse der Arbeitnehmer dieser Gesellschaften, Maßnahmen ihrer Arbeitgeber nicht schutzlos ausgeliefert zu sein und an deren die Betriebsebene betreffenden Entscheidungen beteiligt zu werden, wird durch das Betriebsverfassungsgesetz in einer ausgewogenen Form aufgelöst. In den für die Arbeitnehmer besonders bedeutsamen sozialen und personellen Angelegenheiten stehen ihnen über den Betriebsrat bedeutende Mitwirkungs- und Mitbestimmungsrechte zu,512 wohingegen die Arbeitnehmer im Bereich der wirtschaftlichen Angelegenheiten nur über schwache Beteiligungsrechte verfügen.513 Dadurch stellt das Betriebsverfassungsgesetz sicher, dass die Arbeitnehmer zwar in personellen und sozialen Angelegenheiten gegenüber ihren Arbeitgebern wirksam geschützt werden, letzteren aber ein hinreichender unternehmerischer Entscheidungsspielraum verbleibt. Daher steht die durch das Betriebsverfassungsgesetz bewirkte Beeinträch-
512 513
§§ 87 ff., 92 ff. BetrVG; dazu Lieb, Arbeitsrecht, 7. Aufl. 2000, Rn. 755 ff., 828 ff. Lieb, ebd., Rn. 867.
B. Gemeinschaftsrechtskonforme Arbeitnehmerschutzmaßnahmen
157
tigung der primären Niederlassungsfreiheit nicht außer Verhältnis zu dem damit erreichbaren Arbeitnehmerschutz und ist infolgedessen gerechtfertigt.514
II. Unternehmerische Mitbestimmung Gemäß § 1 des Montan-Mitbestimmungsgesetzes, §§ 76 Abs. 1, 77 des Betriebsverfassungsgesetzes 1952 und §§ 1, 4 des Mitbestimmungsgesetzes gilt die unternehmerische Mitbestimmung nur für bestimmte Gesellschaftsformen des deutschen Rechts.515 Diejenigen EG-ausländischen Gesellschaften mit effektivem Sitz in Deutschland, die den deutschen mitbestimmungspflichtigen Gesellschaften funktional entsprechen, könnten allerdings im Wege der Sonderanknüpfung und Substitution516 der unternehmerischen Mitbestimmung unterworfen werden.517 Voraussetzung hierfür ist jedoch, dass dies mit den Bestimmungen über die Niederlassungsfreiheit vereinbar ist. 1. Beeinträchtigung des Schutzbereichs der Niederlassungsfreiheit Im Falle der Sonderanknüpfung der Mitbestimmungsgesetze auf diejenigen EGausländischen Gesellschaften, die den deutschen mitbestimmungspflichtigen Gesellschaften funktional vergleichbar sind, gelten diese Gesetze formal unterschiedslos für all diese Gesellschaften, so dass erstere Gesellschaften hierdurch nicht offen aufgrund ihrer Staatszugehörigkeit diskriminiert werden. Sofern diese Sonderanknüpfung nicht versteckt diskriminierend wirkt, muss sie wegen ihrer marktzugangsbehindernden Wirkung jedoch als eine – denselben Rechtfertigungsanforderungen unterliegende518 – Beschränkung der primären Niederlassungsfreiheit der betreffenden EG-ausländischen Gesellschaften qualifiziert werden. 514
Ebenso, allerdings ohne Begründung v. Halen (Fn. 46), S. 249. Meilicke/Meilicke, BB 1977, 1063; Zimmer (Fn. 23), S. 160 f.; Großfeld (Fn. 26), IntGesR Rn. 511; Raiser (Fn. 23), § 1 Rn. 13; Hammen, WM 1999, 2487 (2493); Ulmer, JZ 1999, 662 (663); Forsthoff, DB 2000, 1109 (1114); Horn (Fn. 22), S. 303 (314); Wißmann, in: Münchner Kommentar zum Arbeitsrecht, Bd. III, 2. Aufl. 2000, § 377 Rn. 2; Geyrhalter/Gänßler, NZG 2003, 409 (412); Oetker, in: Dieterich/Hanau/Schaub (Hrsg.), Erfurter Kommentar zum Arbeitsrecht, 3. Aufl. 2003, § 1 MitbestG Rn. 3; W.-H. Roth, IPRax 2003, 117 (125); Schanze/Jüttner, AG 2003, 30 (35); Triebel/v. Hase, BB 2003, 2409 (2413). 516 Vgl. Eidenmüller, ZIP 2002, 2233 (2242). Siehe auch Leible (Fn. 25), Syst. Darst. 2 Rn. 116. Zur Substitution siehe Fn. 424. 517 So Zimmer (Fn. 23), S. 161 f. Ferner wohl auch G.-H. Roth, ZIP 1999, 861 (864); W.-H. Roth, ZGR 2000, 311 (333); v. Halen (Fn. 46), S. 251 f.; ders., EWS 2002, 107 (115); ders., WM 2003, 571 (577); Bayer, BB 2003, 2357 (2365). Auf der Grundlage der Sitztheorie für eine analoge Anwendung Ulmer/Hanau, Mitbestimmungsgesetz, 1981, § 1 Rn. 8, 33. 518 Vgl. Teil 3, A. II. 515
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4. Teil: Gemeinschaftsrechtskonforme Schutzmaßnahmen
2. Rechtfertigung der Schutzbereichsbeeinträchtigung a) Schutz zwingender Erfordernisse Die Sonderanknüpfung der Mitbestimmungsgesetze dient dem Schutz der Arbeitnehmer und verfolgt damit einen legitimen Allgemeinwohlbelang. b) Geeignetheit Die Geeignetheit einer mitgliedstaatlichen Maßnahme setzt voraus, dass sie die mit ihr bezweckte Zielerreichung fördert. Nach ständiger Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs ist eine mitgliedstaatliche Maßnahme zur Zielerreichung nicht geeignet, wenn die der Maßnahme zugrunde liegende Zielsetzung durch den betreffenden Mitgliedstaat insgesamt nicht konsequent verfolgt wird.519 Dies ist darauf zurückzuführen, dass die mit einer Maßnahme verfolgte Zielsetzung nicht erreicht werden kann, wenn sie insgesamt nicht konsequent verfolgt wird.520 Voraussetzung dafür, dass die Sonderanknüpfung der Mitbestimmungsgesetze zur Zielerreichung geeignet ist, ist daher, dass die mit der unternehmerischen Mitbestimmung verfolgte Zielsetzung durch die Bundesrepublik Deutschland insgesamt konsequent verfolgt wird. Dies ist jedoch nicht der Fall. So hat der Gesetzgeber Stiftungen und Unternehmen, deren Inhaber Einzelpersonen oder Personengesellschaften sind, keiner Form von Mitbestimmungspflicht unterworfen.521 Zwar rechtfertigen die zahlreichen Unterschiede, die zwischen Stiftungen, Einzelpersonen und Personengesellschaften einerseits und den (derzeit) mitbestimmungspflichtigen Unternehmen andererseits bestehen, dass erstere keiner gleich intensiven Form der Mitbestimmung unterworfen werden. Der Gesetzgeber hat den Arbeitnehmern von Stiftungen, Einzelpersonen und Personengesellschaften hinsichtlich auf der Unternehmensebene zu treffenden Entscheidungen jedoch nicht einmal Informations- und Anhörungsrechte eingeräumt, die die unternehmerischen Entscheidungsbefugnisse dieser Arbeitgeber kaum einschränken würden. Ferner hat der deutsche Gesetzgeber den Arbeitnehmern von ausländischen Gesellschaften, die auf dem deutschen Markt über eine Zweigniederlassung agieren, unabhängig davon, wie viele Arbeitnehmer für eine solche Zweigniederlassung in Deutschland tätig sind, weder die in den Mitbestimmungsgesetzen vorgesehenen,522 noch sonstige, schwächer ausgestaltete Beteiligungsrechte, wie Informations- und Anhörungsrechte, eingeräumt. Darüber 519 EuGH, Rs. 178/84 (Kommission der Europäischen Gemeinschaften/Bundesrepublik Deutschland), Slg. 1987, 1227 (1275); Rs. 215/87 (Heinz Schumacher/Hauptzollamt Frankfurt am Main-Ost), Slg. 1989, 617 (640); Rs. 67/88 (Kommission der Europäischen Gemeinschaften/Italienische Republik), Slg. 1990, I-4285 (4296). Vgl. auch Rs. 121/85 (Conegate Limited/HM Customs & Excise), Slg. 1986, 1007 (1022). 520 Vgl. W.-H. Roth, VersR 1993, 129 (137); dens., ZEuP 1994, 5 (22). 521 Hanau, ZGR 2001, 75 (98).
B. Gemeinschaftsrechtskonforme Arbeitnehmerschutzmaßnahmen
159
hinaus unterliegen den deutschen mitbestimmungspflichtigen Gesellschaften vergleichbare US-amerikanische Gesellschaften selbst dann unabhängig von der Zahl ihrer Beschäftigten nicht der unternehmerischen Mitbestimmung, wenn sie ihren effektiven Verwaltungssitz in Deutschland ansiedeln.523 In Art. XXV Abs. 5 S. 2 des zwischen der Bundesrepublik Deutschland und den Vereinigten Staaten von Amerika am 29.10.1954 geschlossenen Freundschafts-, Handels- und Schifffahrtsvertrags524 ist vereinbart worden, dass „Gesellschaften,525 die gemäß den Gesetzen und sonstigen Vorschriften des einen Vertragsteils in dessen Gebiet errichtet sind, . . . als Gesellschaften dieses Vertragsteils [gelten]; ihr rechtlicher Statuts wird in dem Gebiet des anderen Vertragsteils anerkannt“. Bei dieser Regelung handelt es sich um eine kollisionsrechtliche Vorschrift,526 die gemäß Art. 3 Abs. 2 S. 1 EGBGB als völkervertragliches IPR dem autonomen deutschen IPR vorgeht527 und als maßgeblichen Anknüpfungspunkt zur Bestimmung des Gesellschaftsstatuts im deutsch-amerikanischen Verhältnis in Abweichung von der Sitztheorie den Gründungsort festlegt. Im Verhältnis der Bundesrepublik Deutschland zu den USA gilt infolgedessen die Gründungstheorie.528 Da aufgrund der in Rede stehenden Vertragsbestimmung nicht nur die Rechtsfä-
522 Bellstedt, BB 1977, 1326 (1327 f.); Großfeld/Erlinghagen, JZ 1993, 217 (221); Großfeld (Fn. 26), IntGesR Rn. 515; Kallmeyer, ZIP 1996, 535 (537); Zimmer (Fn. 23), S. 161; ders., BB 2000, 1361 (1366); Horn (Fn. 22), S. 303 (314); Meilicke, GmbHR 2000, 693 (696); Leible (Fn. 25), Syst. Darst. 2 Rn. 117; W.-H. Roth, IPRax 2003, 117 (126). 523 W.-H. Roth, RabelsZ 55 (1991) 623 (651). 524 BGBl. II 1956, S. 487 ff. In Kraft seit dem 14.7.1956, BGBl. II 1956, S. 763. 525 Gemäß Art. XXV Abs. 5 S. 1 des deutsch-amerikanischen Freundschafts-, Handels- und Schifffahrtsvertrags sind Gesellschaften im Sinne des Vertrags „Handelsgesellschaften, Teilhabergesellschaften sowie sonstige Gesellschaften, Vereinigungen und juristische Personen; dabei ist es unerheblich, ob ihre Haftung beschränkt oder nicht beschränkt und ob ihre Tätigkeit auf Gewinn oder nicht auf Gewinn gerichtet ist“. 526 H. M. BGH, BB 2003, 810 (811); Ebenroth/Bippus, DB 1988, 842 (843); dies., NJW 1988, 2137 (2142); Ebenroth/Willburger, RIW-Beilage 3/1995, 1 (6); Bungert, ZVglRWiss 93 (1994) 117 (134); Bausback, DNotZ 1996, 254 (257); Kindler (Fn. 9), IntGesR Rn. 242; Leible (Fn. 25), Syst. Darst. 2 Rn. 43; Merkt, RIW 2003, 458 (459). A. A. Berndt, JZ 1996, 187 (189); OLG Hamm, OLG-Report 2003, 9 (11). 527 BGH, ebd.; Bungert, ebd.; Kindler, ebd., IntGesR Rn. 245; Leible, ebd., Rn. 43. 528 H. M. BGH, BB 2003, 810 (810 f.); BFH, RIW 2003, 627 (630); OLG Düsseldorf, GmbHR 1995, 595 (596); Wiedemann (Fn. 26), S. 796; Ebenroth/Bippus, DB 1988, 842 (843); dies., NJW 1988, 2137 (2145 f.); Wessel/Ziegenhain, GmbHR 1988, 423 (431); Grothe (Fn. 51), S. 36; v. Bar (Fn. 26), Rn. 629; W.-H. Roth, RabelsZ 55 (1991) 623 (651); Bungert, ebd.; ders., DB 1995, 963 (966); ders., WM 1995, 2125 (2126); ders., DB 2003, 1043 (1044); Ulmer, IPRax 1996, 100 (100 f.); Haas, DB 1997, 1501 (1503); Kindler (Fn. 9), IntGesR Rn. 242, 245; ders., BB 2003, 812; Picot/Land, DB 1998, 1601 (1606); Breuninger/Krüger, in: FS Rädler, 1999, S. 79 (90); Zimmer (Fn. 62), S. 231 (243); Leible (Fn. 25), Syst. Darst. 2 Rn. 43; Leible/Hoffmann, ZIP 2003, 925 (930); Eidenmüller, ZIP 2002, 2233 (2244); Merkt, RIW 2003, 458 (459). A. A. OLG Hamm, OLG-Report 2003, 9 (11); Großfeld/Erlinghagen, JZ 1993, 217 (224 f.); Großfeld (Fn. 26), IntGesR Rn. 210; Berndt, JZ 1996, 187 (191); Ebke, RabelsZ 62 (1998) 195 (211).
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4. Teil: Gemeinschaftsrechtskonforme Schutzmaßnahmen
higkeit, sondern das gesamte Gesellschaftsstatut anhand des Gründungsorts anzuknüpfen ist,529 können US-amerikanische Gesellschaften – also auch solche, die nach dem Recht des Bundesstaats Delaware errichtet worden sind –, ihren Hauptverwaltungssitz in der Bundesrepublik Deutschland statutswahrend ansiedeln.530 Zwar geht die herrschende Meinung unter Berufung auf die völkerrechtliche genuine-link-Regel davon aus, dass das Gesellschaftsstatut abweichend von Art. XXV Abs. 5 S. 2 des deutsch-amerikanischen Vertrags nach dem autonomen deutschen Internationalen Gesellschaftsrecht, und damit nach überwiegender Auffassung nach der Sitztheorie zu bestimmen ist, wenn eine in einem US-amerikanischen Bundesstaat gegründete Gesellschaft keine tatsächlichen Beziehungen zu den USA hat und ihre gesamte Geschäftstätigkeit in der Bundesrepublik entfaltet.531 Aber ein „genuine link“ – der nicht zum Gründungsbundesstaat, sondern nur zum Gesamtstaat USA bestehen muss532 – soll bereits dann gegeben sein, wenn eine Gesellschaft auch nur die geringste wirtschaftliche oder gesellschaftliche Aktivität in den USA entfaltet,533 wie bspw. dort mit US-amerikanischen Partnern Vertragsabschlüsse tätigt.534 Weisen nach US-amerikanischem Recht gegründete Gesellschaften einen solchen „genuine link“ auf, können sie ihren Hauptverwaltungssitz in Deutschland statutswahrend ansiedeln und unterliegen unabhängig von der Zahl ihrer Beschäftigten nicht den Vorschriften über die unternehmerische Mitbestimmung.535 Da der deutsche Gesetzgeber somit zahlreiche Unternehmen unabhängig von der Zahl ihrer Beschäftigten keinerlei Mitbestimmungspflicht unterworfen hat, verfolgt er das den Mitbestimmungsgesetzen zugrunde liegende Ziel, Arbeitnehmer an auf der Unternehmensebene zu treffenden Entscheidungen zu beteiligen, insgesamt nicht konsequent.536 Daher ist die Sonderanknüpfung dieser Gesetze 529 H. M. Wiedemann, ebd.; Ebenroth/Bippus, NJW 1988, 2137 (2142); Haas, ebd.; Kindler, ebd., IntGesR Rn. 246 f.; Leible, ebd. 530 H. M. Ebenroth/Bippus, DB 1988, 842 (844); v. Bar (Fn. 26), Rn. 629; Ebenroth/ Auer, RIW-Beilage 1/1992, 1 (11); Bungert, ZVglRWiss 93 (1994) 117 (170); Ebenroth/Willburger, RIW-Beilage 3/1995, 1 (6); Ebenroth/Offenloch, RIW 1997, 1 (2); Picot/Land, DB 1998, 1601 (1606); Kindler, ebd., IntGesR Rn. 247; Leible, ebd., Syst. Darst. 2 Rn. 44 f. Voraussetzung hierfür ist allerdings, dass das Recht des jeweiligen Gründungsbundesstaats dies zulässt. 531 OLG Düsseldorf, ZIP 1995, 1009 (1012); Ebenroth/Bippus, ebd., S. 844 f.; Ebenroth/Auer, ebd., S. 12; Picot/Land, ebd.; Kindler, ebd., IntGesR Rn. 250 ff. A. A. Bungert, ebd., S. 154 ff.; ders., WM 1995, 2125 (2129); Eidenmüller, ZIP 2002, 2233 (2244 Fn. 73); Leible/Hoffmann, ZIP 2003, 925 (930). 532 Bungert, WM 1995, 2125 (2130); Kindler, ebd., IntGesR Rn. 253. 533 Ebenroth/Kemmer/Willburger, ZIP 1995, 972 (973); Kindler, ebd.; Leible (Fn. 25), Syst. Darst. 2 Rn. 44. 534 Kindler, ebd. 535 W.-H. Roth, RabelsZ 55 (1991) 623 (651). 536 So auch Zimmer, BB 2000, 1361 (1366); Forsthoff, DB 2002, 2471 (2477). Tendenziell auch Behrens, RabelsZ 52 (1988) 498 (514), ders., RabelsZ 63 (1999) 391 (395); Schümann, EuZW 1994, 269 (274). I. E. auch W.-H. Roth, ebd.
B. Gemeinschaftsrechtskonforme Arbeitnehmerschutzmaßnahmen
161
auf EG-ausländische Gesellschaften mit effektivem Sitz im Inland, die hinsichtlich ihrer wesentlichen Strukturmerkmale den mitbestimmungspflichtigen deutschen Gesellschaften entsprechen, zur Zielerreichung nicht geeignet und lässt sich infolgedessen nicht rechtfertigen.537
537 So i. E. auch Eidenmüller, ZIP 2002, 2233 (2242); ders., JZ 2004, 24 (28 f.); Forsthoff, ebd.; Sandrock, BB 2002, 1601 (1602 f.); ders., ZVglRWiss 102 (2003) 447 (486 ff., 503); ders., AG 2004, 57 (65 f.); Schulz/Sester, EWS 2002, 545 (551); Paeffgen, DB 2003, 487 (492). Tendenziell auch Müller-Bonanni, GmbHR 2003, 1235 (1237 f.).
5. Teil
Ergebnisse I.
Die primäre Niederlassungsfreiheit von Unionsbürgern schützt die Ausübung unternehmerischer Tätigkeiten, die vorwiegend oder ausschließlich auf einen Mitgliedstaat ausgerichtet sind, sowohl über Gesellschaften dieses als auch über Gesellschaften jedes anderen Mitgliedstaats.
II.
Die primäre Niederlassungsfreiheit von Gesellschaften schützt sowohl den statutswahrenden Wegzug als auch den statutswahrenden Zuzug zum Zweck der Verlegung der Hauptniederlassung.
III.
Sofern Gesellschaften für ihre Entstehung lediglich über einen satzungsmäßigen Sitz im Inkorporationsstaat verfügen müssen, schützt die primäre Niederlassungsfreiheit von Gesellschaften den statutswahrenden Wegzug und Zuzug auch zum Zweck der erstmaligen Begründung der Hauptniederlassung innerhalb der Gemeinschaft.
IV.
Der Tatbestand der Sitztheorie besteht aus dem (materiell-rechtlichen) Gebot, Tätigkeiten, die vorwiegend oder ausschließlich dem deutschen Markt dienen, nur über nach deutschem Recht gegründete Gesellschaften auszuüben. Er enthält damit zugleich auch das Verbot, für die Ausübung solcher Tätigkeiten Gesellschaften zu verwenden, die nach dem Recht eines anderen Staates errichtet worden sind.
V.
Die Rechtsfolge der Sitztheorie besteht darin, einen Verstoß gegen das tatbestandliche Ge- resp. Verbot zu sanktionieren. Die Sanktion besteht darin, dass die verbotswidrig verwendeten ausländischen Gesellschaften entweder als rechtliches Nullum oder als inländische Gesellschaften qualifiziert werden.
VI.
Das tatbestandliche Verbot der Sitztheorie stellt eine nicht gerechtfertigte Beeinträchtigung der primären Niederlassungsfreiheit von Unionsbürgern dar.
VII. Aus der Primärrechtswidrigkeit des Tatbestands der Sitztheorie folgt zugleich, dass die Rechtsfolgen der Sitztheorie, die einen Verstoß gegen den Verbotstatbestand sanktionieren sollen, ebenfalls primärrechtswidrig sind. VIII. Die Sonderanknüpfung der Mindestkapitalaufbringungs- und -erhaltungsvorschriften des deutschen GmbH-Rechts stellt eine Beeinträchtigung der primären Niederlassungsfreiheit von Gesellschaften und Unionsbürgern
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dar, die sich zum Schutz von vertraglichen und gesetzlichen Gläubigern nicht rechtfertigen lässt. IX.
Durch Offenlegungsmaßnahmen, die den in der Elften gesellschaftsrechtlichen Richtlinie normierten entsprechen, können vertragliche Gläubiger EG-ausländischer Gesellschaften m. b. H. mit effektivem Verwaltungssitz in Deutschland vor Forderungsausfällen ebenso effektiv geschützt werden wie durch die Mindestkapitalaufbringungs- und -erhaltungsvorschriften des deutschen GmbH-Rechts.
X.
Um öffentliche Gläubiger vor Forderungsausfällen zu schützen, können die Gesellschafter von EG-ausländischen Gesellschaften m. b. H., deren effektiver Verwaltungssitz in Deutschland liegt, gesetzlich dazu verpflichtet werden, sich entsprechend dem Verhältnis ihrer Anteile für Forderungen dieser Gläubiger in Höhe von insgesamt maximal 25.000 A zu verbürgen. Die genaue Höhe hängt davon ab, ob und bis zu welcher Höhe das jeweilige EG-ausländische Gründungsstatut gleichwertige Sicherungsmittel vorsieht.
XI.
Zum Schutz von Deliktsgläubigern können EG-ausländische Gesellschaften m. b. H., die ihren effektiven Verwaltungssitz in Deutschland haben, gesetzlich dazu verpflichtet werden, Betriebs- oder Berufshaftpflichtversicherungen mit einer Versicherungssumme von maximal 25.000 A abzuschließen. Die genaue Höhe der jeweils zulässigen Versicherungssumme hängt davon ab, ob und bis zu welcher Höhe das jeweilige Gründungsstatut gleichwertige Sicherungsmittel vorsieht.
XII. Die Sonderanknüpfung der §§ 32 a, 32 b GmbHG stellt eine Beeinträchtigung der primären Niederlassungsfreiheit von Unionsbürgern dar, die sich zum Schutz von vertraglichen Gläubigern nicht rechtfertigen lässt. Zum Schutz von gesetzlichen Gläubigern lässt sich die Sonderanknüpfung der §§ 32 a, 32 b GmbHG nur rechtfertigen, sofern das jeweilige EG-ausländische Gründungsstatut in Bezug auf Gesellschaftskrisen keine Regelungen enthält, die den §§ 32 a, 32 b GmbHG von ihrem Schutzniveau her gleichwertig sind. XIII. Die Anwendung von Art. 40 EGBGB i.V. m. § 826 BGB auf die Gesellschafter EG-ausländischer Gesellschaften m. b. H. mit effektivem Verwaltungssitz in Deutschland in den Fällen der qualifizierten materiellen Unterkapitalisierung, der existenzvernichtenden Eingriffe und der Vermögensvermischung stellt eine Beeinträchtigung der primären Niederlassungsfreiheit dieser Gesellschafter dar, die zum Schutz von vertraglichen und gesetzlichen Gläubigern gerechtfertigt ist.
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XIV. Die Anwendung des Betriebsverfassungsgesetzes auf EG-ausländische Gesellschaften mit effektivem Verwaltungssitz in Deutschland ist mit der primären Niederlassungsfreiheit vereinbar. XV. Eine Anwendung der Mitbestimmungsgesetze im Wege der Sonderanknüpfung auf EG-ausländische Gesellschaften, deren effektiver Verwaltungssitz in Deutschland liegt, stellt eine nicht zu rechtfertigende Beeinträchtigung der primären Niederlassungsfreiheit von Gesellschaften dar.
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Sachwortverzeichnis Analogie 60 Ansässigkeitserfordernis 105 Anwendungsvorrang des Sekundärrechts vor dem Primärrecht 126 f. Betriebsverfassungsgesetz 1952 155, 157, 164 Betriebsverfassungsgesetz 2001 155 f., 164 Binnenmarkt(-ziel) 53, 58, 60, 71, 90, 93, 96 ff., 102, 115 Briefkastengesellschaft siehe Scheinauslandsgesellschaft Bürgschaft 56, 145 f., 148 ff., 163 Centros-Entscheidung siehe Entscheidungen des EuGH Daily Mail-Entscheidung siehe Entscheidungen des EuGH Delaware-Syndrom 97 Differenzierungslehre siehe Gesellschaftsstatut Durchgriffshaftung siehe Haftung Effektiver Verwaltungssitz – erstmalige grenzüberschreitende Ansiedlung 40 ff., 89 ff., 99 f., 105 f. – Verlegung 66 ff., 89 ff., 100 ff. EG-Richtlinie – Ein-Personen-GmbH-Richtlinie 59 – Jahresabschlussrichtlinie 56, 142 – Publizitätsrichtlinie 128, 134 – Sitzverlegungsrichtlinie 71 ff., 84 f. – Zweigniederlassungsrichtlinie 56, 125 ff., 133 f., 142, 153, 163
eigenkapitalersetzende Gesellschafterhilfen siehe Gesellschafterhilfen Ein-Personen-GmbH-Richtlinie siehe EGRichtlinie Entscheidungen des EuGH – Centros 49 ff., 79 ff., 93 f., 98, 105, 141, 143 – Daily Mail 67 ff., 76 f., 84 ff. – Inspire Art 136, 140 ff. – Segers 41 ff., 54, 57, 60 f., 65 f., 105 – Überseering 74 ff. Europäische Insolvenzverordnung siehe Insolvenzrecht Existenzvernichtungshaftung 135 ff., 154, 163 Faktorallokation 90 f., 92 f. Fiskalinteressen siehe zwingende Erfordernisse Gesellschaft bürgerlichen Rechts 28, 80 Gesellschaften – drittstaatszugehörige 28, 80, 105 – gemeinschaftszugehörige 40, 106 ff. Gesellschafterhilfen, eigenkapitalersetzende 129 ff., 152 ff. Gesellschaftsrechtswahlfreiheit siehe Rechtswahlfreiheit Gesellschaftsstatut – Anerkennung 27, 30, 75 ff., 81, 86 f., 109 – Anknüpfungsmoment/-punkt 25, 29 ff., 117, 155, 159 – Begriff 24 – Differenzierungslehre 33 f. – Gründungstheorie 29 f., 32 f., 35, 45, 159
Sachwortverzeichnis – Kombinationslehre 35 f. – Parteifähigkeit 74 ff., 80 f., 84 – Rechtsfähigkeit 27 f., 30, 32, 49, 74 ff., 84 f. – Sitztheorie 20, 25 ff., 35, 74 ff., 110 ff., 159 f., 162 – Sonderanknüpfung 30 ff., 120, 122 ff., 128 ff., 140 ff., 152 ff., 157 ff., 162 ff. – Statutenwechsel 24, 100 ff. – Überlagerungstheorie 30 ff. Gesetz über formal ausländische Gesellschaften 136, 140 ff. Gesetzesumgehung 19 ff., 24 ff., 49, 53 ff., 64, 129 f., 136 Grundfreiheiten – Anwendbarkeit, unmittelbare 42, 53, 68, 73, 76, 86 f., 113, 132 – Arbeitnehmerschutz als zwingendes Erfordernis 78, 118 f., 155, 158 – Beschränkungsverbot 112 f. – Dienstleistungsfreiheit 59, 111, 113 – Diskriminierungsverbot 42, 46, 110 ff. – Fiskalinteressen als zwingendes Erfordernis 78, 119 – Geltungsbereich, zeitlicher 65 f., 86 – Gläubigerschutz als zwingendes Erfordernis 56, 78, 124, 133, 138 f., 142 f., 149 f., 152 – grenzüberschreitender Sachverhalt 111 – Inländerdiskriminierung 111 f. – Kapitalverkehrsfreiheit 60, 92, 111 – Lauterkeit des Handelsverkehrs als zwingendes Erfordernis 143 – Minderheitsgesellschafterschutz als zwingendes Erfordernis 78, 118 f. – missbräuchliche Berufung auf 44, 51 ff., 136 – Niederlassungsfreiheit, persönlicher Schutzbereich 106 ff. – Niederlassungsfreiheit, sachlicher Schutzbereich 40 ff. – Rechtfertigungsgründe 54, 114 f. – Schlechterstellungsverbot 110 ff.
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– Schutzbereich, persönlicher 59 f., 106 ff. – Verhältnismäßigkeitsgrundsatz 114 – Warenverkehrsfreiheit 60, 111, 113 – Zahlungsverkehrsfreiheit 60, 111 – zwingende Erfordernisse 55, 78, 114 f., 118 f., 124, 133, 138, 141 ff., 149 f., 152, 155, 158 Gründungstheorie siehe Gesellschaftsstatut Haftpflichtversicherung 146 ff., 151, 163 Haftung – Bürgenhaftung 148 ff., 163 – deliktische 146 ff., 150 ff., 163 – Durchgriffshaftung 134 ff., 154, 163 – persönliche 134 ff., 145 f., 148 ff., 154, 163 Harmonisierung des Gesellschaftsrechts 21, 72, 76, 85 f., 92, 126 Hauptniederlassung siehe effektiver Verwaltungssitz Hauptverwaltungssitz siehe effektiver Verwaltungssitz Insolvenzrecht – Anwendbarkeit des deutschen Insolvenzrechts 130 ff. – Europäische Insolvenzverordnung 130 ff. – Insolvenzverfahren 129 ff. Inspire Art-Entscheidung siehe Entscheidungen des EuGH Internationale Zuständigkeit 132 Internationales Gesellschaftsrecht 24 ff. Internationales Vertragsrecht 35 IPR-Verweisung siehe Verweisung Jahresabschlussrichtlinie siehe EG-Richtlinie Kaufmann 28 Kollisionsnorm – allseitige 25, 29
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Sachwortverzeichnis
– versteckte 108 f. Kombinationslehre siehe Gesellschaftsstatut Kreditunwürdigkeit 129 Krise der Gesellschaft 129, 134, 152 ff., 163 Mantelgesellschaft 94 Marktzugang 58, 92, 113, 118, 124, 133, 138, 149, 155, 157 Mindestkapitalvorschriften 21, 54 f., 91, 123 ff., 140 ff., 162 f. Missbrauch siehe Rechtsmissbrauch Mitbestimmung – betriebliche 23, 154 ff., 164 – unternehmerische 22 f., 32, 154 f., 157 ff., 164 Mitbestimmungsgesetz 155, 157 ff., 164 Mittelpunkt der hauptsächlichen Interessen 130 ff. Montan-Mitbestimmungsgesetz 155, 157 Niederlassungsfreiheit siehe Grundfreiheiten Normenmangel 31 Obiter Dictum 56 f., 98 Offene Handelsgesellschaft 28, 80 Offenlegungspflichten 125 ff., 133 f., 141 f., 153, 163 Parteiautonomie 35 Parteifähigkeit siehe Gesellschaftsstatut Produktionsfaktoren 90 ff. pseudo foreign corporation siehe Scheinauslandsgesellschaft Publizitätspflichten siehe Offenlegungspflichten Publizitätsrichtlinie siehe EG-Richtlinie Qualifikation 31 Race to the bottom 103 Rechtsfähigkeit siehe Gesellschaftsstatut
Rechtshandlung, anfechtbare 130 Rechtsmissbrauch 19, 44, 51 ff., 136 Rechtswahlfreiheit – im Gesellschaftsrecht 35, 62 ff., 66, 82 f., 97 – im Internationalen Vertragsrecht 35 Richtlinie siehe EG-Richtlinie Rückverweisung siehe Verweisung Sachnormverweisung siehe Verweisung Scheinauslandsgesellschaft 19 f. Segers-Entscheidung siehe Entscheidungen des EuGH Sitztheorie siehe Gesellschaftsstatut Sitzverlegung siehe effektiver Verwaltungssitz Sitzverlegungsrichtlinie siehe EG-Richtlinie Sonderanknüpfung siehe Gesellschaftsstatut Statutenwechsel siehe Gesellschaftsstatut Substitution 157 Tochtergesellschaft 39, 105 Überlagerungstheorie siehe Gesellschaftsstatut Überseering-Entscheidung siehe Entscheidungen des EuGH Umqualifizierung von Fremdkapital in Eigenkapital 134, 153 f. Unterkapitalisierung, materielle 135, 154, 163 Verein, nicht rechtsfähiger 28 Verlegung des effektiven Verwaltungssitzes siehe effektiver Verwaltungssitz Vermögensvermischung 135, 154, 163 Vertragsziele 58, 60, 75, 81, 86, 91, 104 Verweisung – IPR-Verweisung 36, 107 – Rückverweisung 107 – Sachnormverweisung 35 f., 107 f. – Weiterverweisung 107
Sachwortverzeichnis Vorgesellschaft 29, 80 Vorratsgesellschaft 94 Wegzug – identitätswahrend 26, 28, 89 f., 99 ff. – statutswahrend 24, 26, 29 ff., 36 f., 39 ff., 88, 96, 98, 100 ff., 110, 162 Wegzugsbeschluss 36 f. Weiterverweisung siehe Verweisung
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Zuständigkeit siehe Internationale Zuständigkeit Zuzug – identitätswahrend 26, 28, 89 f., 99 ff. – statutswahrend 24, 26, 29 ff., 36 f., 39 ff., 88, 96, 98, 100 ff., 110, 117, 162 Zweigniederlassung 39, 105 f., 127 Zweigniederlassungsrichtlinie siehe EGRichtlinie