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German Pages 323 [324] Year 2022
Babette Reicherdt Topologien von Gemeinschaft
SpatioTemporality / RaumZeitlichkeit
Practices – Concepts – Media / Praktiken – Konzepte – Medien Edited by / Herausgegeben von Sebastian Dorsch, Bärbel Frischmann, Holt Meyer, Susanne Rau, Sabine Schmolinsky, Katharina Waldner Editorial Board Jean-Marc Besse (Centre national de la recherche scientifique de Paris), Petr Bilek (Univerzita Karlova v Praze), Fraya Frehse (Universidade de São Paulo), Harry Maier (Vancouver School of Theology), Elisabeth Millán (De-Paul University, Chicago), Simona Slanicka (Universität Bern), Jutta Vinzent (†) (University of Birmingham), Guillermo Zermeño (Colegio de México)
Volume / Band 13
Babette Reicherdt
Topologien von Gemeinschaft Die monastische Lebensform der Klarissen um 1500
ISBN: 978-3-11-074454-5 e-ISBN (PDF) 978-3-11-074461-3 e- ISBN (EPUB) 978-3-11-074464-4 ISSN 2365-3221 Library of Congress Control Number: 2022942129 Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.dnb.de abrufbar. © 2023 Walter de Gruyter GmbH, Berlin/Boston Umschlagabbildung: Die Hl. Klara und die anderen Schwestern (Detail), Fresken, 14. Jahrhundert, Oratorium der Hl. Klara in San Damiano, Assisi (PG), Italien. Druck und Bindung: CPI books GmbH, Leck www.degruyter.com
Danksagung Dieses Buch ist die geringfügig überarbeitete Fassung meiner im Wintersemester 2019/2020 am Fachbereich Gesellschaftswissenschaften der Universität Kassel eingereichten und am 07. Juli 2020 verteidigten Dissertationsschrift. Die Textsorte Danksagung ist zugleich Privileg und Herausforderung. Mit ihr will dafür gedankt, es gewürdigt, wertgeschätzt, zurückgegeben und sichtbar gemacht werden, was ich in den Jahren der Arbeit an diesem Projekt an Ressourcen und Unterstützung bekommen habe; es handelt sich also um nichts Weniger als eine Beschreibung der Zugehörigkeit, ohne die sich kein Projekt dieser Tragweite realisieren lässt. Für ihre Unterstützung bei der Entstehung meiner Arbeit danke ich zunächst Prof. Dr. Claudia Ulbrich (Berlin). Ihr verdanke ich nicht nur stetige Unterstützung in allem Fachlichen, sondern auch das Aufzeigen von Wegen in die Geschichte und Wissenschaft zur Frühen Neuzeit. Dr. Gabriele Jancke (Berlin) danke ich für ihre Unterstützung bei meiner Verortung in der Frühneuzeitgeschichte. Im DFG-Graduiertenkolleg „Dynamiken von Raum und Geschlecht“ der Universitäten Kassel und Göttingen konnte ich entscheidende erste Teile der Arbeit entwickeln. Dort habe ich an einer lebendigen Atmosphäre der Wissensproduktion und des großzügigen Austausches partizipieren, Netzwerke in allen Bereichen an der Schnittstelle meines Projekts knüpfen und Zugänge zum Denken in räumlichen Bezügen sowie auch jene Denkräume entdecken können, die sich durch inter- und transdisziplinäre Perspektiven ermöglichen lassen. Prof. Dr. Renate Dürr (Tübingen) und Prof. Dr. Claudia Ulbrich danke ich für die Betreuung meines Projekts in der Anfangsphase des Doktorats. Für die Übernahme meiner Betreuung, die fortdauernde Unterstützung und das Interesse an meinem Thema sowie das Vertrauen bis zum Abschluss der Promotion danke ich Prof. Dr. AnneCharlott Trepp (Kassel). Für die Übernahme des Zweitgutachtens und ihre konstruktive Begleitung während der letzten Phasen der Arbeit danke ich Prof. Dr. Claudia Jarzebowski (Bonn). Mit der Aufnahme meines Buches in die Reihe „SpatioTemporality“ ist ein lang gehegter Wunsch wahr geworden. Dem Herausgeber:innengremium bin ich daher zu großem Dank verpflichtet. Besonders Prof. Dr. Susanne Rau danke ich für ihre Unterstützung und Förderung vor und nach meiner Promotion und auf dem Weg bis zur Drucklegung. Der „Erfurter RaumZeit-Forschung“ danke ich für die großzügige Unterstützung bei der Druckkostenlegung. Den Wissenschaftler:innen und Kollegiat:innen in und um „das Grako“ in Kassel und Göttingen danke ich für diese einmalige Zeit der Zugehörigkeit zu einem Denken an einem gemeinsamen Thema, ganz besonders Dr. Jenny Bauer, Dr. https://doi.org/10.1515/9783110744613-001
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Danksagung
Mareike Böth, Dr. Mart Busche, Dr. Silke Förschler, Sabrina Funkner, Dr. Katja Jana, Dr. Anne Mariss, Dr. Urania Milevski, Karina Müller-Wienhausen, Dr. Johanna Neuhauser und Dr. Nele Spiering. Prof. Dr. Ingrid Baumgärtner (Kassel) danke ich für ihre Förderung und Unterstützung in verschiedenen Phasen meines Doktorats. Dass ich das Denken und Forschen über und mit räumlichen Kategorien kennenlernen und produktiv erlernen konnte, habe ich entscheidenden Begegnungen zu verdanken. Zunächst danke ich Dr. Jenny Bauer (Göttingen), ohne deren Arbeit und den Austausch mit ihr ich niemals zu dieser Architektur des Denkens gefunden hätte. Prof. Dr. Stephan Günzel (Berlin) danke ich für sein Engagement für ein topologisches Denken des Räumlichen und seine Ermutigung, mein Projekt darin zu verankern. Den Wissenschaftler:innen im Umfeld der „Erfurter RaumZeit-Forschung“, insbesondere Prof. Dr. Susanne Rau, Dr. Sebastian Dorsch, Prof. Dr. Sabine Schmolinsky, Dr. Monika Frohnapfel-Leis (Mainz/Erfurt) und Dr. Muriel González Athenas (Bochum), danke ich für vielfältigen intellektuellen Austausch, vor allem im Rahmen der Erfurter Veranstaltungsreihe „Zwischenräume“. Für einschlägige Debatten zu Religion und Geschlecht als Basis einer Forschung über monastische Räume danke ich dem „Arbeitskreis geistliche Frauen im Europäischen Mittelalter“ (AGFEM). In seinem Rahmen habe ich Teile meiner Arbeit an der Akademie Schloss Dhaun und der Ohio State University (Columbus) vorstellen und diskutieren dürfen. Für ihre Unterstützung und Förderung danke ich insbesondere Prof. Dr. Gisela Muschiol (Bonn) und Prof. Dr. Alison Beach (St. Andrews). Darüber hinaus konnte ich mein Projekt an einer Reihe weiterer akademischer und nicht-akademischer Orte zur Diskussion bringen. Für anregende Gespräche danke ich dem „Arbeitskreis Historische Frauen- und Geschlechterforschung“ (Jena, Saarbrücken), dem DFG-Graduiertenkolleg „Selbst-Bildungen“ (Oldenburg), der Akademie Waldschlösschen (Göttingen), der Fakultät Architektur und Gestaltung der Hochschule Konstanz sowie dem Marie Jahoda Center for International Gender Studies (Bochum). Für die kritische und umsichtige Lektüre großer Teile des Manuskripts danke ich Prof. Dr. Norbert Finzsch (Köln/Berlin), Dr. Muriel González Athenas (Bochum) und Dr. Jenny Wenner (Bonn). Für ein fantastisches Lektorat und unzählige Gespräche, die mich in der Spur intellektueller und textueller Disziplin gehalten haben, danke ich Agnes Böhmelt. Etwaige Fehler oder Ungenauigkeiten sind am Ende das Produkt meiner Entscheidungen und werden auch von mir verantwortet. Für die Unterstützung bei der Erstellung des Registers sei Jakob Schuld (Erfurt) herzlich gedankt. Der Verlagslektorin Bettina Neuhoff vom de Gruyter Wissenschaftsverlag danke ich für ihre Betreuung und ihr Verständnis auch in schwierigen Phasen. Für
Danksagung
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die freundliche Unterstützung meiner Recherchen danke ich den Mitarbeiter:innen der Archive in Genf, Nürnberg und Frauenfeld/TG sowie der Staatsbibliothek Berlin. Letzteren – besonders am Standort Unter den Linden – möchte ich besonders danken für ihre Unterstützung und Bereitstellung dieser einzigartigen Arbeitsatmosphäre. Bei der Bibliothèque de Genève, der Stadt Pfullingen, der Deutschen Nationalbibliothek Leipzig, der Württembergische Landesbibliothek Stuttgart sowie den Fratres der Provincia Serafica San Francesco d’Assisi bedanke ich mich für die Erlaubnis zum Abdruck der Bilder in diesem Buch. Ein solches Buch kann außerdem nicht entstehen ohne Freundschaft. Ob für das Mittragen in langen gemeinsamen Zeiten oder das Anstoßen in entscheidenden kurzen Momenten danke ich von ganzem Herzen Dr. Jenny Bauer, Stefanie Bauer, Markus Becker, Lars Bedurke, Agnes Böhmelt, Dr. Mareike Böth, Prof. Dr. Norbert Finzsch, Carlos Flores Paredes, Dr. Julia Holzmann, Dr. Gabriele Jancke, Dr. María Ocón Fernández, Dr. Eva von Redecker, Katy Rockstroh und Dr. Jenny Wenner. Für besondere Orte des Schreibens im Harz, in Werder und im 2CH Britz bin ich zutiefst dankbar. Den Studierenden meiner Seminare an der Universität Kassel, der FU Berlin sowie der Hochschule Konstanz danke ich für viele interessante Gespräche und Ansätze, die mich darin bestärkt haben, dass sich das Nachdenken über Räume immer wieder lohnt. Meinen wunderbaren Schüler:innen an der GS3 danke ich für die unzähligen Momente, die es mir so leicht gemacht haben, in ganz anderen Räumen der Wissensproduktion anzukommen. Meinen Eltern Gabriele und Hans-Georg Reicherdt danke ich für ihre unermessliche Unterstützung und ihr Vertrauen, das mit Worten nicht auszudrücken ist. Meinen Geschwistern Isabelle und Johannes Reicherdt bin ich für ihre liebevolle Unterstützung und ihr nie infrage gestelltes Zutrauen dankbar. Stephanie Kuhnen: Wenn ich Worte geben könnte für alles, wofür ich Dir für immer danken werde, dann diese: Danke, dass Du mich immer wieder siehst.
Inhalt Danksagung Einleitung
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I
Die Klarissen und ihre Textproduktion zwischen Observanz und 40 Reformation I. Die Klarissenkonvente der Straßburger Ordensprovinz und die Genfer 40 Klarissen-Colettinen von der Observanz bis zur Reformation I. Regeltexte 59 I. Klosterchroniken 86 II
Die Klausur als räumliches Ordnungsprinzip monastischer 101 Gemeinschaften II. Die Klausurentwicklung in europäischen weiblichen Ordensgemeinschaften von der Spätantike bis zum 16. Jahrhundert 103 II. Die Welt in der Klausur: Christus-Imago und geistliche Pilgerfahrt in 126 der Klausur der Villinger Klarissen III Die Sakralisierung des Klausurraums durch die Regulierung der 153 Worte III. Sprechen und Schweigen als Praktiken sakralisierender Raumproduktion 153 162 III. Regulierte Worte III. Chronikalische Raumproduktionen 180 IV Sichtbarkeitsordnungen: Subjektivierung durch räumliche Ordnung 213 IV. Der disziplinierende Blick 215 IV. Regulierte Blicke: die Kontrolle des Gesehenwerdens 221 IV. Zwang zur Sichtbarkeit 228 IV. Raus aus den „Schlupflöchern“: gefährliche Sichtbarkeit 248 Fazit
262
Abkürzungsverzeichnis
272
Abbildungsverzeichnis
273
Quellen- und Literaturverzeichnis
274
X
Inhalt
Ortsregister
308
Personenregister Sachregister
310 313
Einleitung „auff das sie sich mugen regirn, auch in den dingen, die kunftiglich noch zu thun wern“: Monastische Lebensformen zwischen Observanzbewegungen und Reformation Doch handelt es sich nicht darum, die Macht als Beherrschung oder Herrschaft zu verstehen und so als Grundgegebenheit […] gelten zu lassen; vielmehr gilt es, sie stets als eine Beziehung in einem Feld von Interaktionen zu betrachten, sie in einer unlöslichen Beziehung zu Wissensformen zu sehen und sie immer so zu denken, daß man sie in einem Möglichkeitsfeld und folglich in einem Feld der Umkehrbarkeit, der möglichen Umkehrung sieht. Michel Foucault, Was ist Kritik?¹
Als die Gemeinschaften vieler monastischer Orden im 15. Jahrhundert zu einer Rückformung ihrer Lebensweise entlang vermeintlich ursprünglicher Ideen vom richtigen Leben aufriefen oder aufgerufen wurden, brachten diese Reformprozesse eine Lebensform hervor, die auf den ersten Blick paradoxerweise durch ein ganzes Spektrum von neuen Regulierungen, Vorgaben und Praktiken eingeübt und kontrolliert werden sollte. Damit verbunden war ein Bewusstsein von einem Selbst, das in eine Form gebracht werden musste, die nicht allein den Idealen eines Lebens in der Nachfolge Christi vollumfänglich entsprach, sondern damit deckungsgleich werden sollte und konnte. Die stark forcierte Bildungsarbeit und Schriftproduktion gerade auch in den weiblichen Ordensgemeinschaften verweist auf die für eine gelingende Reform gesetzte Notwendigkeit, sich in den Techniken des Selbstregierens besser ausbilden zu können. Die Konvente integrierten die Regeltexte und ihre Neubestimmungen in ihre Praxis der Einübung durch Schreiben und Vorlesen. Die neu einsetzende Produktion chronikalischer Texte zeigt ein Bedürfnis, sich des eigenen Platzes in der Geschichte anhand einer in die Ewigkeit gedachten und auf Dauer angelegten Lebensweise zu vergewissern und diesen schreibend zu gestalten. Die Aufgabe dieser Texte sei es, so etwa die Nürnberger Klarissenchronik von 1491, sich vor Augen zu führen, wie die Schwestern sich selbst regieren könnten, um ihre Lebensform einzurichten und sich auf die Zukunft vorzubereiten.² Michel Foucault, Was ist Kritik? Berlin: Merve, 1992, 40. Vgl. Eva Schlotheuber, Bücher und Bildung in den Frauengemeinschaften der Bettelorden. In Nonnen, Kanonissen und Mystikerinnen. Religiöse Frauengemeinschaften in Süddeutschland. Beiträge zur interdisziplinären Tagung vom 21. bis 23. September 2005 in Frauenchiemsee, hg. von Eva Schlotheuber, Helmut Flachenecker, Ingrid Gardill. (Veröffentlichungen des Max-Planck-Instituts https://doi.org/10.1515/9783110744613-002
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Einleitung
Diese Perspektive auf zukünftige Notwendigkeiten und Herausforderungen griff dabei unwillkürlich bereits voraus auf die durch die Reformation wenige Jahrzehnte später ausgelöste Krise der Klöster. Die gesellschaftlichen Umordnungsprozesse – gerade auch in Bezug auf die Geschlechterordnung – stellten vor allem die weiblichen Gemeinschaften vor die Herausforderung, sich in ihrer Lebensweise zu behaupten, also sich ihrer zu vergewissern und darauf zu beharren – oder sie aufzugeben oder wenigstens zu verändern. Für den Untersuchungszeitraum von der Mitte des 15. Jahrhunderts bis zu den 1540er-Jahren versteht sich meine Studie als das Projekt, jene Lebensformen zu rekonstruieren, die in den spezifischen Gemeinschaftsmodellen weiblicher Ordenskonvente zwischen Observanz und früher Reformation hervorgebracht und vor ihrer letztendlichen Verwerfung verteidigt wurden. Als Untersuchungsgegenstand fokussiere ich dabei Klarissenkonvente im Gebiet von Süddeutschland und der heutigen Westschweiz, also die weiblichen Gemeinschaften des zweiten Ordens des Franziskanerordensverbandes, die sich nach dem Vorbild der männlichen Nachfolger des Franziskus teils bereits zu dessen Lebzeiten gegründet hatten, im Zuge der Observanzbewegungen reformiert wurden und von der Reformation beeinflusst waren. Diese Lebensformen standen in einem Dialog sowohl mit Niedergangs- als auch Nützlichkeitsdiskursen der Reform- und Reformationsdebatten und enthielten stets gleichzeitig eine Rechtfertigungs- wie auch eine Widerstandsgeste. Mit dem Konzept der Lebensform gelingt es dabei, auch jene Lebensweisen zu erfassen, deren Existenz als ein abgelöstes, durch die Reformation aufgegebenes oder verlorenes „Davor“ verworfen werden sollte. Zunächst sind Lebensformen dabei ein Thema innerhalb des hier fokussierten historischen Kontextes; die Lebensform ist ein Leitbegriff der Diskurse des „richtigen“ Lebens, der sich aus den Quellen ergibt. Zudem ist der Begriff Teil der franziskanischen Tradition: Als forma vitae – was hier auch als „Ordensregel“ übersetzt werden kann – wurde das Ideal eines spezifischen monastischen Lebens verstanden, die Art und Weise, miteinander in einer festen Struktur, nach der Ordensregel und gerichtet auf das Ziel der Christusnachfolge zu leben.³ Anhand
für Geschichte Band 235; Studien zur Germania Sacra 31). Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht, 2008, 241– 262, hier 252. Siehe dazu auch das Zitat in der Kapitelüberschrift: Chronik des Klarissenklosters St. Klara in Nürnberg (1500), München, Bayerisches Nationalmuseum, MS 1191, fol 42r, zitiert nach Eva Schlotheuber, Bücher und Bildung, hier 252. Forma vitae leitet sich aus den den franziskanischen Orden verliehenen Regulierungen der Form des Lebens her, es handelt sich um eine Bezeichnung für die Franziskus-Regel. In gleicher Weise lautete auch die Regel der Klarissen Forma vitae, vgl. Theresa Maier, Forma vitae. Eine Interpretation der Ordensregel der heiligen Klara von Assisi. In Klara von Assisi. Zwischen Bettelarmut und Beziehungsreichtum. Beiträge zur neueren deutschsprachigen Klara-Forschung, hg.
Einleitung
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dieser idealen Strukturen des Zusammenlebens lassen sich wiederum solche des Weltverständnisses und der Idee von sich selbst wie durch ein Prisma ablesen. Der Begriff der Lebensform erlaubt es außerdem, das Zusammenleben von Personen im Zusammenwirken mit gesellschaftlichen Ordnungsformen beschreibbar zu machen. Er ermöglicht es, menschliches Zusammenleben in Gemeinschaften zu beschreiben und dabei auch deren Sich-ins-Verhältnis-Setzen zu bestimmten Entitäten – hier vor allem architektonischen Verhältnissen bzw. Raumkonstellationen – und Machtstrukturen zu erfassen.⁴ Monastische Gemeinschaften eignen sich so gut wie kaum eine andere Art der Gemeinschaft für dieses Projekt. Klöster, Konvente, Stifte und andere vergleichbare Organisationsformen waren Zentren der Wissensproduktion, der Kunst, Architektur, Malerei, Musik, Literatur, Schrift- und Buchproduktion. Sie stellten den Rahmen für religiöses Leben dar und her und bildeten Frömmigkeitsstrukturen aus, die dann teilweise auch in anderen, „weltlichen“ Bezügen gelebt werden konnten. In verschiedenen religiösen Bewegungen wurden innovative Ideen des Zusammenlebens und Konzepte des richtigen In-der-Welt-Seins erdacht, ausprobiert, umgeformt oder wieder verworfen. Monastische Lebensweisen wurden dabei als die anderen Möglichkeiten produziert, in deren Rahmen spezifische Ansätze von Raumauffassung und Zeitlichkeiten, Menschsein und Gottesnähe entwickelt werden konnten. Auch aufgrund ihrer effizienten Strukturierung und Rahmung
von Bernd Schmies. Münster: Aschendorff, 2010, 327– 374. Zur doppelten Bedeutung von „Ordensregel“ und „Lebensform“ vgl. den weiteren Verlauf dieses Abschnitts. Ein Ansatz, Machtstrukturen und Entitäten wie die genannten architektonischen Verhältnisse bzw. Raumkonstellationen in ein unmittelbares Verhältnis zu setzen, findet sich bei Michel Foucault, genauer: in seiner Konzeption eines Dispositivs. Dieses bezeichnet im Zusammenhang seiner machtanalytischen Arbeiten allgemein ein „heterogenes Ensemble, das Diskurse, Institutionen, architekturale Einrichtungen, reglementierende Entscheidungen, Gesetze, administrative Maßnahmen, wissenschaftliche Aussagen […], kurz: Gesagtes ebensowohl wie Ungesagtes umfaßt. […] Das Dispositiv […] ist das Netz, das zwischen diesen Elementen geknüpft werden kann. […] So kann dieser oder jener Diskurs bald als Programm einer Institution erscheinen, bald im Gegenteil als ein Element, das es erlaubt, eine Praktik zu rechtfertigen und zu maskieren, die ihrerseits stumm bleibt, oder er kann auch als sekundäre Reinterpretation dieser Praxis funktionieren, ihr Zugang zu einem neuen Feld der Rationalität verschaffen.“ Michel Foucault, Ein Spiel um die Psychoanalyse. Gespräch mit Angehörigen des Département de Psychoanalyse der Universität Paris/Vincennes. In Dispositive der Macht. Über Sexualität, Wissen und Wahrheit. (Internationaler Merve Diskurs 77). Berlin: Merve, 1978, 118 – 175, hier 119 – 120. Da sich diese Arbeit allerdings primär als historiografische und nicht als diskursanalytische (in einem Foucault’schen Sinne) begreift, werde ich dieses Konzept in ihrem Verlauf nur am Rande weiterverfolgen.
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Einleitung
kann man Klöster bis in die Neuzeit treffend als „Laboratorien menschlicher Lebensformen“ bezeichnen.⁵ Meine Arbeit verfolgt in diesem Zusammenhang das Ziel, die Verfasstheit monastischer Lebensformen in spezifisch weiblichen Gemeinschaften und unter Berücksichtigung einer räumlichen Perspektive zu beschreiben. Damit wird der Forschung zu Lebensformen als dem Kondensat gesellschaftlicher (Um‐) Ordnungs- und Wandlungsprozesse eine Untersuchung aus geschlechter- und raumanalytischer Perspektive hinzugefügt.
Lebensform als analytische Kategorie Die Denkfigur der Lebensform beinhaltet vier Prämissen, die sie als analytischen Zugriff für den Gegenstand der hier entwickelten Untersuchung privilegieren. Erstens verstehe ich Lebensform als die Art und Weise, in der Subjektivierung erfahren wird und ihre spezifische Gestalt, Struktur und Verortung in einem bestimmten sozialen und historischen Kontext erhält. Zweitens verschränken sich in dieser Figuration soziale Differenzkategorien wie Geschlecht, Ordo und Stand. Drittens sind Lebensformen räumlich bestimmt, sie beinhalten Ortsbestimmungen und können selbst als raumproduzierend verstanden werden. Viertens ist Lebensformen eine Perspektive auf Gemeinschaft und das Verhältnis von Individuum und Kollektiv(‐ität) eingeschrieben. Der Konzeption der Lebensform als analytische Kategorie haben sich im Zeitraum der letzten fünfundzwanzig Jahre besonders zwei philosophische Projekte umfassend zugewandt, nämlich die Ansätze von Giorgio Agamben und Rahel Jaeggi, deren entsprechendes Grundverständnis ich im Hinblick auf seinen analytischen Gehalt im Folgenden kurz skizzieren werde, wobei seine jeweilige Anschlussfähigkeit für eine historische Analyse hervorgehoben werden soll.
Zum Kloster als „Laboratorium der Moderne“ vgl. beispielsweise den Titel des Forschungsprojekts Klöster im Hochmittelalter: Innovationslabore europäischer Lebensentwürfe und Ordnungsmodelle der Heidelberger Akademie der Wissenschaften und der Sächsischen Akademie der Wissenschaften Leipzig, https://www.saw-leipzig.de/de/projekte/kloester-im-hochmittelalter (07.12. 2019). Die Bezeichnung von etwas als „Laboratorium“ wird historiografisch vor allem für die Epoche der Aufklärung verwendet, darüber hinaus außerdem für eine Vielzahl historischer Zeiträume und Phänomene, von denen ausgehend sich Konzepte entwickelt haben, die als der Moderne immanent gekennzeichnet sind oder gelten, vgl. beispielsweise Philipp Hölzing, Ein Laboratorium der Moderne. Politisches Denken in Deutschland 1789 – 1820. Wiesbaden: Springer VS, 2015.
Einleitung
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Agamben entwickelt in seiner Philosophie des Lebens eine Theorie der „Lebens-Form“ (forma-di-vita) als Leben, in dem die Trennung von bíos (βíος, Lebensform) und zōē (ζωή, Tatsache des Lebens), wie sie die antike griechische Literatur kannte, aufgehoben (gewesen) sei: „Mit dem Ausdruck Lebens-Form meinen wir aber ein Leben, das niemals von seiner Form getrennt werden kann, ein Leben, in dem es niemals möglich war, so etwas wie ein bloßes Leben zu isolieren.“⁶
Diese Lebens-Form bezeichnet für Agamben ein Leben, (in) dem es „in seiner Lebensweise […] um das Leben selbst“ gehe; dabei konstituiere es sich durch „Formen, Akte und Prozesse“, also durch ein „Ensemble von Praktiken“, wie Jaeggi das in Anlehnung an Foucault nennt.⁷ Durch ihre Konstituierung aus Praktiken sind einer Lebens-Form immer zugleich auch die Möglichkeiten des Lebens – und damit ein auch potenzielles Sein – eingeschrieben; ihre Möglichkeiten definieren die Lebens-Form somit als politisches Leben.⁸ Da es politischer Macht – in Agambens Werk gleichgesetzt mit Souveränität – immer um eine Trennung des (nackten) Lebens von seiner Form oder Ausformung gehe, liegt für ihn in der Betonung der Lebens-Form auch die Möglichkeit, sich der Souveränität zu widersetzen.⁹
Giorgio Agamben, Lebens-Form. In Gemeinschaften. Positionen zu einer Philosophie des Politischen, hg. von Joseph Vogl. Frankfurt am Main: Suhrkamp, 1994, 251– 257, hier 251. Für eine ausführlichere Darstellung zur Bedeutung der Terminologie des Lebens vgl. Giorgio Agamben, Homo sacer. Die souveräne Macht und das nackte Leben. Frankfurt am Main: Suhrkamp, 2002, 11– 22. Vgl. Agamben, Lebens-Form, 251; Rahel Jaeggi, Kritik von Lebensformen. 2. Aufl. Berlin: Suhrkamp, 2014, vor allem „Teil I: Ein Ensemble von Praktiken“, 63 – 135. In der Rekonstruktion Jaeggis steht die Setzung von zusammenhängenden Praktiken als konstitutiv für Lebensformen im Mittelpunkt.Werden in Agambens Homo sacer die politischen Implikationen der Trennung von Lebens-Form und nacktem Leben entwickelt, so wird die Denkfigur „Lebens-Form“ meiner Ansicht nach doch im hier zitierten, früher veröffentlichten Essay prägnanter greifbar. Vgl. zur Genealogie und Rezeption der „Lebens-Form“-Figur bei Agamben neben Jaeggi etwa auch Eva Geulen, Wirklichkeiten, Möglichkeiten und Unmöglichkeiten. Zum Problem der Lebensform bei Giorgio Agamben und Theodor W. Adorno. MLN 125: 3 (2010), 642– 660, hier besonders 645; Eva Geulen, Giorgio Agamben zur Einführung. 2. Aufl. Hamburg: Junius, 2009, 113 – 124. Vgl. Agamben, Lebens-Form, 251– 252. Agamben bezieht sich in dieser Konzeption auf die Arbeiten Walter Benjamins und Michel Foucaults, unterschlägt jedoch in seiner Reformulierung der Lebensform als Möglichkeit des Lebens und potenzielles Sein die Referenz auf Martin Heideggers Konzept des Daseins, vgl. Geulen,Wirklichkeiten, 645 – 646. Anders als Heidegger versteht Agamben diese Form der Philosophie des Lebens jedoch als ein Projekt, die Wirkungsweise von Machtverhältnissen („Souveränität“) mithilfe einer topologischen Beschreibung des Lebens offenzulegen. Vgl. Agamben, Lebens-Form, 252. Agamben lässt die historische Entwicklung dieser Souveränität, deren Hauptmerkmal die Trennung des nackten Lebens von seiner Form ist, in der
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Einleitung
Soziale Differenzkategorien schließt die Lebens-Form laut Agamben dabei insofern ein, als sie „juristisch-soziale Identitäten“ inkludieren kann, die sich wiederum aus dem Ensemble von Praktiken ihrer jeweiligen Lebensformen konstituieren.¹⁰ Das Konzept der Lebens-Form impliziert in seiner Betonung der Möglichkeiten des Seins zudem bereits eine Dimension von Gemeinschaft, die in der Erfahrung einer gemeinsamen Möglichkeit begründet liegt: „Nur durch das, was als Möglichkeit in uns wie in den anderen geblieben ist, können wir mit den anderen kommunizieren, und jede Kommunikation ist […] vor allem Kommuni-
Errichtung der (Konzentrations‐)Lager im 20. Jahrhundert kulminieren, in denen der Ausnahmezustand normalisiert worden sei, vgl. Agamben, Homo sacer, 190. Zur Bedeutung des Ausnahmezustands im Sinne einer Niedergangsperspektive auf das 20. und frühe 21. Jahrhundert in Agambens Philosophie vgl. Jan-Paul Klünder, Politischer Pessimismus. Negative Weltkonstruktion und politische Handlungs(un)möglichkeit bei Carl Schmitt, Michel Foucault und Giorgio Agamben (Edition Moderne Postmoderne). Bielefeld: transcript, 2017, 325. Vgl. Agamben, Lebens-Form, 253. Hier wird die Lebens-Form als Gesamtheit allen (potenziellen) Seins von einer Vielzahl möglicher Lebensformen, die diese umfassende Form bilden können, unterschieden. Als Beispiele werden „Wähler, Lohnempfänger, Journalist, Student, aber auch HIV-Positiver, Transvestit, Porno-Star, Rentner, Eltern, Frau“ genannt, vgl. Agamben, Lebens-Form. Ausführlicher darzulegen, dass und inwiefern sich soziale Differenzkategorien nicht auf „juristisch-soziale Identitäten“ reduzieren lassen, würde den Rahmen der vorliegenden Arbeit sprengen; zu einer Kritik an der Agamben’schen Machtkonzeption vgl. aber etwa Isabell Lorey, Als das Leben in die Politik eintrat. Die biopolitisch-gouvernementale Moderne, Foucault und Agamben. In Empire und die biopolitische Wende. Die internationale Diskussion im Anschluss an Hardt und Negri, hg. von Marianne Pieper, Thomas Atzert, Serhat Karakayali (et al.). Frankfurt, New York: Campus Verlag, 2007, 269 – 291; Isabell Lorey, Figuren des Immunen. Elemente einer politischen Theorie. Zürich: Diaphanes, 2011. Die hier erwähnten Differenzkategorien können darüber hinaus als Intersektionen, als Verdichtungen, Knoten und Kreuzungspunkte verstanden werden. Intersektionalität als sozialwissenschaftliches Konzept beruht auf der Kritik Schwarzer Feminist:innen und Feminist:innen of Color an der Privilegierung der Kategorie Geschlecht, die das Erfassen multipler Diskriminierungsformen, die durch multiple soziale Positionierungen ausgelöst werden, verstelle. Vgl. zum Beispiel Kimberlé Crenshaw, Mapping the Margins. Intersectionality, Identity Politics, and Violence against Women of Color. Stanford Law Review 6 (1991), 1241– 1299. Die Rezeption in der historischen Forschung zur Vormoderne erfolgte mit Modifizierungen entsprechend den jeweils anderen sozialen Horizonten, die etwa auch durch die Kategorien Stand und Ordo geprägt waren. Vgl. dazu – mit einer umfangreichen Diskussion der disziplinären Debatten – Susanne Schul, Mareike Böth, Abenteuerliche ›Überkreuzungen‹. Vormoderne intersektional. In Abenteuerliche ›Überkreuzungen‹. Vormoderne intersektional, hg. von Susanne Schul, Mareike Böth, Michael Mecklenburg. (Aventiuren 12). Göttingen: V & R Unipress, 2017, 9 – 39. Zu Geschlecht und Ordo im Kontext monastischer Religioser vgl. Christina Lutter, Geschlecht & Wissen, Norm & Praxis, Lesen & Schreiben. Monastische Reformgemeinschaften im 12. Jahrhundert (Veröffentlichungen des Instituts für Österreichische Geschichtsforschung 43). München: Oldenbourg, 2005.
Einleitung
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kation der Mitteilbarkeit, nicht eines Gemeinsamen.“¹¹ Mit dieser Bestimmung kann die Figur der Lebens-Form als historische Kategorie besonders dort produktiv gemacht werden, wo es um eine Untersuchung des Verhältnisses von Individuum und Gemeinschaft geht.¹² Das Konzept der Lebens-Form nach Giorgio Agamben ist, zusammengefasst, durch drei zentrale Aspekte gekennzeichnet: seine Untrennbarkeit der Form (bíos) vom „nackten Leben“ (zōē), die Implikation von Möglichkeiten bzw. potenziellem Leben und eine Verknüpfung mit Aspekten der Gemeinschaft. Eine Klammer oder konstitutive Basis für diese Kennzeichnungen bildet seine (wenn auch implizit bleibende) praxeologische Bestimmung. Diese wiederum sieht Rahel Jaeggi als Ausgangspunkt für ihre praxistheoretische Rekonstruktion der LebensformFigur, die, wie gesagt, „Lebensformen“ als konstituiert durch „Ensemble[s] sozialer Praktiken“ definiert.¹³ Diese Praktiken werden laut Jaeggi sozial geteilt, sind aufeinander bezogen, weisen im sozialen Zusammenleben Ort und Funktion auf und knüpfen dadurch individuelles Handeln an kollektives.¹⁴ Ihr normativer Charakter erweist sich in ihrem Anspruch, auf Dauer und Verallgemeinerung angelegt zu sein.¹⁵ Lebensformen teilten dabei den doppelten Charakter von Handeln, das sowohl in „vorgängigen und gebahnten Strukturen“ verlaufe als auch neue Strukturen ausbilde.¹⁶ Diese dezidiert praxistheoretische Konzeption der Lebensformen wird, wie angedeutet, bereits als räumlich gedacht: Lebensformen nehmen nämlich einen Ort im sozialen Gefüge ein, ihre Praktiken verweisen auf diesen oder mehrere solche Orte oder stellen ihn sogar erst her. Durch ihren normativen Anspruch und ihre (Re‐)Produktion von Strukturen oder „Bahnen“, in denen besagte Praktiken Agamben, Lebens-Form, 255. Vgl. Geulen, Einführung, 119. Vgl. Jaeggi, Lebensformen, 65. Jaeggi verweist auf den bisherigen Gebrauch der „Lebensform“ in großen Teilen der philosophischen Literatur, die allerdings von einem „alltäglich gegebenen Vorverständnis des Begriffs“ ausgehe, vgl. ebd. Diese Praxis dürfte auch auf andere Disziplinen zutreffen, zweifellos jedoch auf die Geschichtswissenschaft, sofern der Untersuchungsgegenstand nicht aus dem Bereich biopolitischer Themen gewählt wurde. Vgl. Jaeggi, Lebensformen, 77– 78. Durch diese Bezogenheit auf kollektive soziale Praxen ist es grundsätzlich möglich, mehreren Lebensformen zugleich anzugehören, vgl. Jaeggi, Lebensformen, S. 91. Auch eine intersektionale Perspektive lässt sich in dieser Konzeption denken. Indem sie aufzeigt, dass in einem gesellschaftlichen Gefüge plurale Lebensformen existieren, die eine Mehrfachzugehörigkeit erlauben, wenn nicht gar grundsätzlich implizieren, unterläuft Jaeggi die Vorstellung eines einheitlichen Kulturbegriffs, vgl. Jaeggi, Lebensformen, 76. Vgl. Jaeggi, Lebensformen, 81, sowie: „Eine soziale Formation, die prinzipiell nicht auf Verallgemeinerung angelegt sein kann, ist keine Lebensform.“ Jaeggi, Lebensformen, 85 (Hervorhebung im Original). Vgl. Jaeggi, Lebensformen, 78.
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verlaufen, sind sie zugleich Produzentinnen von Räumen bzw. Orten in gesellschaftlichen Zusammenhängen. In Lebensformen verfestigen sich Gewohnheiten als „‚sedimentierte‘ menschliche Aktivität“ und bilden so die „Formen, in denen gelebt wird“, als immer zugleich „gegeben und gemacht“.¹⁷ Diesen Bereich des „Gemachten“ als jenen der Entscheidung und Gestaltung konzipiert Jaeggi analog zu Hannah Arendt und Giorgio Agamben, die den Bereich des bíos als jenen des menschlichen Lebens rekonstruieren, der der Gestaltung und Gestaltbarkeit unterliege.¹⁸ Das Potenzial der Gestaltung und Transformation von Lebensformen liegt dabei für Jaeggi in einer zunächst widersprüchlich anmutenden Denkbewegung gerade in der Tatsache ihrer Trägheit und dem Rückgriff auf implizites Wissen: Da Lebensformen durch jegliche Störung gezwungen werden, implizites Wissen zu explizieren, können oder müssen sie dabei neu ausgehandelt oder mindestens justiert werden.¹⁹ Die Aufschlüsselung ihrer „Konstitutions- und Erhaltungsbedingungen“ eröffnet dabei auch das Potenzial des Jaeggi’schen Konzepts für eine historisch-praxeologische Analyse unterschiedlicher historischer Kontexte.²⁰ Agamben wiederum arbeitet selbst in einem anderen, späteren Werk am Beispiel der franziskanischen Gemeinschaften, die sich im frühen 13. Jahrhundert als eigener Orden etablieren konnten, die Anwendbarkeit der Lebens-Form als historische Kategorie heraus.²¹ Die genuine Unterscheidung der Lebensweise der Anhänger:innen des italienischen Adligen Giovanni Battista Bernardone, genannt Francesco, dem später heiliggesprochenen Franziskus von Assisi, lag ihm zufolge in der Forderung begründet, sich als Ordensverband dem Besitz von Vgl. Jaeggi, Lebensformen, 119 ff. Jaeggi verweist auf Agambens Betonung der Möglichkeiten des Lebens als Bereich des Gestaltbaren oder bíos, jedoch ohne sich mit dessen spezifischem Lebens-Form-Ansatz auseinanderzusetzen, der den Bereich des Gestaltbaren weitaus umfangreicher fasst, vgl. Jaeggi, Lebensformen, 120. Vgl. Jaeggi, Lebensformen, 127 ff. Jede aus vergangenen Handlungen noch so fest sedimentierte Praxis bedarf einer Reaktualisierung, sofern Lebensformen „in den Prozess von Hinterfragung und Transformation geraten, den ich ‚Kritik‘ nennen will.“ Jaeggi, Lebensformen, 132. Diese Konzeption von Lebensformen entspricht der Rekonstruktion der Kategorie Gender, die Judith Butler handlungs- bzw. performativitätstheoretisch, jedoch zunächst vor allem auf der Ebene von Sprechakten, unternommen hat, vgl. Judith Butler, Das Unbehagen der Geschlechter. Frankfurt am Main: Suhrkamp, 1991. Zu den Anschlüssen der Analysekategorie Geschlecht vgl. den weiteren Verlauf dieser Einleitung. Vgl. Jaeggi, Lebensformen, 135. Vgl. Giorgio Agamben, Höchste Armut. Ordensregeln und Lebensform. Frankfurt am Main: Fischer, 2012. Im Folgenden verwende ich die auch in späteren Texten Agambens (bzw. deren Übersetzungen) sowie von allen anderen Autor:innen benutzte Schreibweise von „Lebensform“ ohne Bindestrich.
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Gütern und Dingen entziehen zu können und nur das für diese Lebensweise Notwendige gebrauchen (nicht besitzen!) zu dürfen. In dieser Idee des Gebrauchs der Dinge (usus facti) sei eine Trennung von Leben und Form dergestalt angelegt gewesen, dass die Form bzw. das formbare Leben (bíos) einzig der Erhaltung des Lebens (als – nacktes – Leben bzw. zōē) dienen sollte bzw. allein durch letztere gerechtfertigt war. Das Streben nach Armut habe sich aus einem Verständnis der prinzipiellen Unaneigenbarkeit von weltlichen Dingen oder Gütern sowie auch menschlichen Qualitäten – wie einem eigenen Willen – begründet.²² Der Kern des franziskanischen Ordenslebens könne nichtsdestotrotz als eine Lebensform im religiösen Sinn einer Einheit von Glauben und Leben verstanden werden, „durch die das Leben Christi von neuem in die Welt tritt“ und die das eigene Leben vor Gott ausstellt.²³ Die nach der Franziskus-Regel Lebenden – zu denen auch die Klarissen gehören – seien daher als eine religiöse Gemeinschaft zu verstehen, deren Ordensregel nicht nur als Gesetzestext, sondern vielmehr als die Form bzw. Anleitung für das zu führende Leben bezeichnet werden könne.²⁴ Diese Form verkörpere außerdem jede einzelne zugehörige Person in ihrem auf die Gemeinschaft bezogenen Handeln.²⁵ Genauer gesagt, träten individuelles Leben und kollektive (Ordens‐)Regel hier in einen dritten Bereich ein, der dann durchaus als Lebensform (forma vitae) zu verstehen sei.²⁶ Diese Lebensform werde neben ihrer Gemeinschaftlichkeit durch Habit, Ort und Liturgie näher bestimmt, denen die Größen Körper, Raum und Zeit entsprechen.²⁷ In dieser konkreten historischen Operationalisierung der Denkfigur Lebensform wird der Anschluss an die weite Zur Herleitung des usus-Begriffes vgl. Agamben, Armut, 167– 194 (Unterkapitel „Höchste Armut und Gebrauch“ sowie „Schwelle“), sowie Geulen, Einführung, 122– 123. Vgl. Agamben, Armut, 194 und 164. Vgl. Agamben, Armut, 194 und 164. Zur Genealogie der Ordensregeltexte der Klarissen vgl. Kapitel I in diesem Band. „Wenn man nach der Beziehung zwischen Mönch und Regel fragt, muss man sich Wittgensteins Bemerkung in Erinnerung rufen, der zufolge es unmöglich ist, einer Regel auf private Weise zu folgen, da die Regelbefolgung eine Gemeinschaft und eine Gewohnheit voraussetzt.“ Agamben, Armut, 87. Vgl. Agamben, Armut, 89 ff. Vgl. das Kapitel „Ursprung und Regel“ in Agamben, Armut, 15 – 47, vor allem 22– 44. Agamben verweist auch auf die Möglichkeit einer Vorbildwirkung der monastischen Liturgie für die protestantische Arbeitsaskese im Sinne Max Webers, vgl. Agamben, Armut, 42. Einem gängigen Narrativ der Reformationsgeschichtsschreibung entspricht die Lesart, die Reformation sei der Versuch gewesen, das weltliche Leben aller Menschen an die monastische Liturgie anzugleichen und damit das Kloster „in die Welt“ zu bringen. Der analytische Zugang der Lebensform zeigt jedoch zugleich die fundamentale Differenz in Bezug auf die Bedeutung von Gemeinschaft, Geschlecht, Körper, Raum und Zeit.
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ren grundlegenden analytischen Zugänge meiner Studie offenbar, die ich im Folgenden darlegen werde.
Bestimmungen: Subjektivität, Raum, Geschlecht Nachdem die Herkunft und Implikationen der analytischen Figur Lebensform deutlich wurden und ihre Operationalisierung für einen historischen Kontext aufgezeigt werden konnte, werde ich im Folgenden erörtern, wie sich Anschlüsse zu den analytischen Kategorien konzeptualisieren lassen, die für meinen Untersuchungsgegenstand der weiblichen klösterlichen Lebensformen im Zeitraum zwischen Observanzbewegungen und Reformation wesentlich sind. Namentlich geht es hierbei um die Kategorien Subjekt/Subjektivität, Raum und Geschlecht. Das Prinzip der Lebensform ist, wie ich oben erläutert habe, eng verknüpft mit Perspektiven auf Subjektivität und das Verhältnis einzelner Personen zu einer Gemeinschaft. Überlegungen zu Lebensform(‐en) und Subjektivität in antiken und vormodernen historischen Diskursen haben sowohl der Altphilologe und Philosoph Pierre Hadot als auch der Historiker und Philosoph Michel Foucault vorgelegt. So zeigt Hadot auf, dass ein wesentlicher Anteil der antiken griechischen und römischen Philosophie neben dem philosophischen Diskurs als solchem darin lag, nach der Art und Weise, richtig bzw. gut zu leben, zu fragen. Dabei sei es darum gegangen, auf der Suche nach Weisheit das eigene Ich zu transformieren, indem es über die bisherigen Grenzen hinausgehen, zu einem anderen Ich werden und dadurch in eine neue Seinsweise eintreten sollte.²⁸ Dem dienten verschiedene Übungen des Denkens, Redens und Kommunizierens. Hadot formuliert diese Philosophie als eine Lebenskunst, die „die ganze Existenz als Einsatz fordert.“²⁹ Mit der Entstehung des Christentums verlagerten sich diese Übungen in das religiöse Leben und wurden insbesondere in den monastischen Gemeinschaften weiterentwickelt. Die Übungen des Selbst gingen so in die christliche Spiritualität ein.³⁰ Das Nachdenken über ethische Lebens- und/oder Seinsweisen und Subjektivität bildet auch einen Schwerpunkt vor allem im späteren Werk Foucaults, das
Vgl. Pierre Hadot, Philosophie als Lebensform. Antike und moderne Exerzitien der Weisheit. 2. Aufl. Frankfurt am Main: Fischer Taschenbuch Verlag, 2005, 166 und 179. Hadot, Philosophie, 179. So verstand beispielsweise Sokrates die Philosophie als „Technik des inneren Lebens“, vgl. Hadot, Philosophie, 170. Vgl. Hadot, Philosophie, 171. Auch die philosophische Lebensform der Antike konstituierte sich durch Praktiken, die auf die Gemeinschaft gerichtet waren, vgl. Hadot, Philosophie, 175.
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die diesbezüglichen Technologien des Selbst in den Mittelpunkt stellt und nach einer „Ästhetik der Existenz“ fragt.³¹ Hatte Foucault in seinen früheren Schriften die Entstehung moderner Subjektivität anhand von Institutionen, etwa Strafeinrichtungen, und von Prozessen der Biopolitik/-macht, in deren Rahmen Menschen beispielsweise durch Überwachung und Disziplinierung, aber auch durch Anregung und das Anreizen zu Diskursen zu regierbaren Subjekten werden, herausgearbeitet, so verortete er hier die Ausbildung einer gouvernementalen, also regulierbaren, dabei aber auch zur Selbstregierung fähigen Subjektivität ausgehend von der Entstehung von Selbsttechniken in antiken gelehrten Gemeinschaften sowie der Pastoral des frühen Christentums.³² In seinen Studien über antike philosophische Autoren und die Literatur der Kirchenväter der Spätantike verfolgte Foucault unter anderem das Projekt, eine „Genealogie des Subjekts des Begehrens innerhalb des begrifflichen Horizonts der Lebenskünste“ zu schreiben.³³ Er untersuchte, „welches die Formen und die Modalitäten des Verhältnisses zu sich sind, durch die sich das Individuum als Subjekt konstituiert und erkennt.“³⁴ Die Materialisierung des Selbst erfolgt dabei durch die Einübung von Praktiken – von Foucault auch als „Technologien des Selbst“ bezeichnet –, mithilfe derer sich ein Individuum als Selbst wahrnehmen und verhalten kann, wobei es zu einer Art Scharnier zwischen Mechanismen der Regulierung und Normali-
Vgl. etwa Michel Foucault, Ästhetik der Existenz. Schriften zur Lebenskunst. Frankfurt am Main: Suhrkamp, 2007. Zentral für diese Geschichte der „Technologien des Selbst“ sind auch die Bände zwei, drei und vier der Sexualitätsgeschichte Foucaults, vgl. Michel Foucault, Der Gebrauch der Lüste. Sexualität und Wahrheit 2. 10. Aufl. Frankfurt am Main: Suhrkamp, 2008; Michel Foucault, Die Sorge um sich. Sexualität und Wahrheit 3. 9. Aufl. Frankfurt am Main: Suhrkamp, 2007. Im vierten, posthum veröffentlichten Band der Sexualitätsgeschichte werden die Selbsttechniken mönchischer Askese im Kontext von Virginitätsdiskursen untersucht, vgl. Michel Foucault, Die Geständnisse des Fleisches. Sexualität und Wahrheit 4, Frédéric Gros (Hg.). Berlin: Suhrkamp, 2019, vor allem das Kapitel „[Jungfrau sein]“, ebd., 203 – 331. Zur Geschichte der Subjektivität im Kontext von Disziplinierung vgl. zentral Michel Foucault, Überwachen und Strafen. Die Geburt des Gefängnisses. 15. Aufl. Frankfurt am Main: Suhrkamp, 2004. Zur Herausbildung und Position des Subjekts im Rahmen von Machtverhältnissen, die als eine „Vielfältigkeit von Kraftverhältnissen“ begriffen werden und darum sowohl freie Subjekte als auch Widerstandsmöglichkeiten implizieren, vgl. Michel Foucault, Der Wille zum Wissen. Sexualität und Wahrheit 1. Frankfurt am Main: Suhrkamp Taschenbuch Verlag, 1977, vor allem den Abschnitt „Das Dispositiv der Sexualität“, 113 – 124, Zitat 113; Michel Foucault, Subjekt und Macht. In Schriften In vier Bänden. Dits et Écrits, Band IV: 1980 – 1988, hg. von Daniel Defert, François Ewald. Frankfurt am Main: Suhrkamp, 2005, 269 – 294. Vgl. Frédéric Gros, Vorwort. In Geständnisse. Gros (Hg.), 2019, 7– 20, hier 8. Foucault, Lüste, 12.
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sierung und solchen der Selbstregierung und Ermächtigung wird: „Das Subjekt ist […] der Ort, an dem die Verhaltensregeln in der Erinnerung zusammenkommen. Das Subjekt bildet den Schnittpunkt zwischen Handlungen, die der Regelung bedürfen, und Regeln für das, was getan werden sollte.“³⁵ Das Selbst manifestiert sich also in diesen Techniken, in dem, was eingeübt wurde, erinnert und getan wird – und in der durchaus auch kritischen Reflexion dieser Praktiken gegenüber ihm selbst und anderen. Mit der Entstehung der Pastoralmacht bzw. des Mönchtums begann zunächst eine Konstituierung des Selbst im Gehorsam gegenüber anderen.³⁶ Die zugleich hervorgebrachten Diskurse der Keuschheit und Virginität verbanden diese Subjektivierung als Praktiken der Kontrolle mit einer auf den Körper und seine Aussagen gerichteten Form der Überwachung. Dadurch wurde ein neues Denken über sich selbst als Dialog zwischen Seele und Körper entwickelt, das Foucault als Modell der Selbst-Überwachung konzipiert. Darüber hinaus allerdings vollzog sich diese Subjektivierung in Gestalt einer Suche nach der Wahrheit über sich selbst mittels komplexer Beziehungen zu anderen: weil es darum geht, in sich die Macht des Anderen, des Widersachers zu brechen, der sich unter der Oberfläche des eigenen Selbst verbirgt; weil es darum geht, gegen diesen Anderen einen ständigen Kampf zu führen, den man ohne Hilfe des Allmächtigen, der mächtiger ist als jener, nicht gewinnen könnte; schließlich, weil das Geständnis vor anderen, die Unterwerfung unter ihre Ratschläge, der permanente Gehorsam gegenüber den Führern für diesen Kampf unverzichtbar sind. Die Subjektivierung der Sexualethik, die unbegrenzte Produktion der Wahrheit über sich selbst, das Ins-Spiel-Bringen eines Verhältnisses des Kampfs und der Abhängigkeit vom anderen bilden somit ein Ganzes. Diese Elemente, die bereits im Christentum der ersten Jahrhunderte nach und nach ausgearbeitet wurden, wurden durch die im Mönchsleben entwickelten Technologien des Selbst miteinander verknüpft, transformiert und systematisiert.³⁷
Vgl. Michel Foucault, Technologien des Selbst. In Technologien des Selbst, hg. von Michel Foucault, Luther H. Martin, Huck Gutman (et al.). Frankfurt am Main: Fischer, 1993, 24– 62, hier 55. Vgl. Foucault, Technologien; zur Pastoralmacht generell vgl. außerdem Michel Foucault, „Omnes et singulatim“. Zu einer Kritik der politischen Vernunft. In Schriften. Defert et al. (Hg.), 2005, 165 – 198. Foucault, Geständnisse, 330 – 331. In diesem Sinne wären auch die Praktiken spätantiker monastischer Subjekte als ein Überwachungssystem des eigenen Körpers und seiner zugehörigen Seele zu interpretieren, ein Überwachungsapparat, der über die eigene Person eingerichtet war und in ständigem Austausch mit anderen Personen als Überwachenden und zu Überwachenden stand. Zu dieser Dimension von Subjektivierung im Zusammenhang mit Raumproduktion vgl. Kapitel IV dieser Studie.
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Insgesamt halte ich vor allem zwei Aspekte der Überlegungen Foucaults für das Forschungsdesign meiner Untersuchung für zentral: erstens die Verortung und Abbildung von Subjektivierung in und durch Praktiken bzw. eine bestimmte Weise zu leben, die zu einer Lebensform wird, in der das Subjekt sich wahrnehmen und transformieren kann und soll. Zweitens die Vorstellung einer Architektur der Subjektivität – das Subjekt als „Ort“ bzw. „Schnittpunkt“ oder Komplex von Körper und Seele –, also die Vorstellung der räumlichen oder besser: topologischen Bestimmung dessen, was ein Selbst ist und was es zu einem Selbst gemacht hat bzw. werden lässt.³⁸ Diese Frage nach der räumlichen Konzeption von Subjektivität nehme ich zum Anlass, auch nach den materiellen bzw. baulichen Architekturen im Sinne einer räumlichen Strukturierung der Lebensform von weiblichen Religiosen zu fragen, in deren Rahmen Subjektivität in Verbindung mit Gemeinschaft und vor dem Hintergrund franziskanischer Raumkonzepte samt den entsprechenden geschlechtsspezifischen Zugangsmöglichkeiten produziert wurde.³⁹ Die Räumlichkeit der monastischen bzw. klösterlichen Lebensform – und die durch sie produzierte und ermöglichte Subjektivierung – lässt sich mit dem Begriff der Topologie erfassen, die hier im Sinne einer Methode angewandt werden soll, um die Elemente des Raums in Relation zueinander bestimmen zu können. Auf diese Weise wird Raum nicht bloß als eine Entität oder Substanz aufgefasst, sondern es wird vielmehr nach der Räumlichkeit einer Struktur gefragt: Dieses topologische Verständnis verschiebt den Fokus von der Bestimmung dessen, was ein Raum ist oder sein soll, hin zur Betrachtung der Lagebeziehungen seiner Anteile und damit auf die Strukturdarstellung von Raum.⁴⁰ Dadurch werden Relations- und Kon-
Subjektivität als Zusammenhang eines Wissens über den eigenen Körper und die Seele wurde von Foucault bereits in Überwachen und Strafen (wie Anm. 33) ausführlich – jedoch bezogen auf einen anderen historischen Zeitraum – untersucht. Dort konzipierte er Subjektivität bzw. das Bewusstsein frühneuzeitlicher und moderner Menschen über sich selbst als die Vorstellung einer eigenen Seele, die einen bestimmten Ort einnimmt („sie wird ständig produziert – um den Körper, am Körper, im Körper“), wobei der Körper als Innenraum samt einem Außen entworfen wird: „Eine ‚Seele‘ wohnt in ihm und schafft ihm eine Existenz, die selber ein Stück der Herrschaft ist, welche die Macht über den Körper ausübt.“ Foucault, Überwachen, 41– 42. Vgl. auch die Rekonstruktion der Materialität der Seele in Abgrenzung zu Judith Butlers Konzeption von Geschlecht bei Andrea Maihofer, Geschlecht als Existenzweise. Macht, Moral, Recht und Geschlechterdifferenz (Aktuelle Frauenforschung). Frankfurt am Main: Helmer, 1995, 50. Diese Konzeption von Seele und Körper diskutiere ich ausführlich in Kapitel IV. Zur Auseinandersetzung der Klarissen mit franziskanischen Raumkonzepten vgl. besonders Kapitel II in diesem Band. Vgl. zu diesem Perspektivwechsel innerhalb der kultur- und geisteswissenschaftlichen Forschung zu Raum durch einen topologischen Ansatz etwa Stephan Günzel, Raum – Topographie –
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stitutionsbeschreibungen der räumlichen Verfasstheit von Gemeinschaften, Gesellschaften und Staaten und Analysen der Positionierung und Partizipation der in ihnen lebenden Personen möglich.⁴¹ Eine der prominentesten topologischen Analysen stellt dabei die Untersuchung Foucaults über den Panoptismus in Überwachen und Strafen dar. Auf der Grundlage des Entwurfs von Jeremy Bentham für ein optimales Gefängnis kann Foucault darin zeigen, wie dieser Plan als Strukturbe- und -einschreibung produktiv wird, indem er Praktiken ermöglicht, die Effekte auf die Subjektivierung der Insass:innen haben. Durch die Einsetzung einer beobachtenden Instanz, die alle zu jeder Zeit sehen und beobachten kann, selbst aber nicht zu erblicken ist, entwickeln sich demzufolge bei den Insass:innen etwa Praktiken der Selbstüberwachung, die als Gewissen des modernen Subjekts verstanden werden können.⁴² Die Verknüpfung der Raumstruktur mit der Ermöglichung von Praktiken oder, anders ausgedrückt, Möglichkeiten des Seins lässt das Panopticon als eine Topologie des Seins hervortreten.⁴³ Diese Topologie definiert Ort als eine Form, das heißt ein Strukturverhältnis, aus dem ein bestimmtes Verhalten als eine auch räumliche Praxis resultiert.⁴⁴ Ein solcher Ort wird nicht als „geographische Lokalisation, sondern […] als Struktur, Bezug, Prozess“ verstanden.⁴⁵ Topologie. In Topologie. Zur Raumbeschreibung in den Kultur- und Medienwissenschaften, hg. von Stephan Günzel. (Kultur- und Medientheorie). Bielefeld: transcript, 2007, 13 – 29, hier 16 – 17. Als Beispiele können die politischen Topologien von Hannah Arendt und Giorgio Agamben gelten, vgl. Hannah Arendt, Vita activa oder Vom tätigen Leben. 10. Aufl. München: Piper, 1967; Agamben, Homo sacer. Als topologische Analysen können auch die Analysen in Butler, Unbehagen betrachtet werden, außerdem Pierre Bourdieu, Die feinen Unterschiede. Kritik der gesellschaftlichen Urteilskraft. Frankfurt am Main: Suhrkamp, 1987. Vgl. dazu Stephan Günzel, Raum. Eine kulturwissenschaftliche Einführung (Edition Kulturwissenschaft Band 143). Bielefeld: transcript, 2017, 135– 136. Vgl. Foucault, Überwachen. Vgl. dazu ausführlich auch Kapitel IV in diesem Band. Vgl. Günzel, Einführung, 128 ff. Vgl. Günzel, Einführung, 139. Vgl. Stephan Günzel, Vom Raum zum Ort – und zurück. In Philosophie des Ortes. Reflexionen zum Spatial Turn in den Sozial- und Kulturwissenschaften, hg. von Annika Schlitte, Thomas Hünefeldt, Daniel Romic (et al.). (Edition Moderne Postmoderne). Bielefeld: transcript, 2014, 25 – 43, hier 27. Foucaults (Orts‐)Verständnis des Panopticons als Topologie des Seins geht, wie Günzel zeigt, auf Martin Heidegger zurück, der in seiner Schrift „Aus der Erfahrung des Denkens“ 1947 mit der „Topologie des Seyns“ auf die Ortschaft des Seins als Tätigkeit oder Prozess verwiesen hatte: „Der Dichtungscharakter des Denkens ist noch verhüllt./ Wo er sich zeigt, gleicht er für lange Zeit der Utopie eines halbpoetischen Verstandes./ Aber das denkende Dichten ist in der Wahrheit die Topologie des Seyns./ Sie sagt diesem die Ortschaft seines Wesens.“ Vgl. Martin Heidegger, Aus der Erfahrung des Denkens. In Aus der Erfahrung des Denkens (1910 – 1976). Gesamtausgabe Bd. 13, hg. von Hermann Heidegger. Frankfurt am Main: Vittorio Klostermann, 2002, 75 – 86, hier 84; Günzel, Ort, 37. In der Fundamentalontologie Heideggers gilt die Topologie als die
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Die Lebensform der hier untersuchten Klarissengemeinschaften, verstanden als eine solche Topologie des Seins, kann dann als „Ermöglichungsbedingung von Praktiken“ gelten⁴⁶, was es zulässt, den Rahmen dessen zu beschreiben, wie es gewesen sein könnte, wie es keinesfalls sein durfte und wie erwartet wurde, dass es zu sein hätte und sein würde (bzw. hätte sein können). Diese Perspektive nimmt damit auch die Programmatik der „Geschichte der Möglichkeiten“ auf, im „historiographischen Labor […] geschichtliche Möglichkeiten“ durchzuspielen⁴⁷, indem ich versuche, ihre räumlichen Strukturierungen sichtbar zu machen. Anders ausgedrückt: In meiner Studie, die ich als eine Rekonstruktion der Verfasstheit von Lebensformen in ihrer räumlichen Strukturierung verstehe, will ich nicht nur zeigen, dass die Geschichte der Subjektivierung zweifelsfrei ein topologisches Projekt ist, sondern auch, dass sich ihre Räume – und damit ihre Ausprägungen und (Lebens‐)Formen – hätten anders gestalten lassen, als es schließlich geschah.⁴⁸ Auch die Implikationen sozialer Differenzkategorien lassen sich durch die räumliche Perspektive in besonders geeigneter Weise rekonstruieren. Dabei verstehe ich Geschlecht als die für meinen Untersuchungsgegenstand besonders signifikante Kategorie – sowohl bezüglich der Hervorbringung von Lebensformen
Disziplin, mit der die Möglichkeitsbedingungen von Existenz bestimmt werden können, vgl. Günzel, Raum, 24.Vgl. dazu auch Kathrin Busch, Raum – Kunst – Pathos. Topologie bei Heidegger. In Topologie. Günzel (Hg.), 2007, 115 – 132, hier vor allem 117. Vgl. Günzel, Ort, 42. Vgl. Natalie Zemon Davis, Die wahrhaftige Geschichte von der Wiederkehr des Martin Guerre. Mit einem Nachwort von Carlo Ginzburg. München, Zürich: Piper, 1984, 10. Die US-amerikanische Historikerin Natalie Zemon Davis entwickelte in der Tradition der französischen Annales-Schule den Ansatz der Geschichte der Möglichkeiten als Auffassung von Geschichte, die gerade in Bezug auf marginalisierte und wenig repräsentierte Personen auf imaginierte Möglichkeiten zurückgreifen müsse, wobei die Chancen, die sich daraus ergeben, im Mittelpunkt stehen. Mit der Fokussierung der margins ist dabei bereits eine topologische Perspektive auf Geschichte und Historiografie impliziert. Vgl. dazu auch Axel Rüth, Erzählte Geschichte. Narrative Strukturen in der französischen „Annales“-Geschichtsschreibung (Narratologia 5). Berlin, Boston: de Gruyter, 2005, 161– 166. Damit verortet sich mein Ansatz auch in einer – um ihn selbst zu paraphrasieren – freundschaftlichen Nähe zu Foucaults Konzeption von Kritik, die er auch als eine Bewegung der „Ereignishaftigkeitsprüfung“ oder „Ereignishaftmachung“ beschreibt. Dabei geht es um die Frage nach den Akzeptabilitätsbedingungen und Machteffekten bestimmter Gegebenheiten und ihre Historisierung (indem man sie eben als Ereignisse, nicht als Gegebenes betrachtet, sie also aus einem Zusammenhang scheinbarer Selbstverständlichkeit löst bzw. scheinbare Selbstverständlichkeiten dekonstruiert). Dadurch lassen sich „die Bruchlinien [ihres] Auftauchens verfolgen“, wodurch gezeigt werden kann, dass sie „gerade nicht selbstverständlich war[en], daß [sie] durch kein Apriori vorgeschrieben war[en] […].“ Vgl. Foucault, Kritik, Zitate 30 – 31 und 34– 35.
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selbst als auch für die Produktion des Wissens über sie – und folge darin der nach wie vor wirkmächtigen Definition von Joan Scott aus dem Jahr 1986: „Gender is a constitutive element of social relationships based on perceived differences between the sexes, and gender is a primary way of signifying relationships of power.“⁴⁹ Wie bereits oben erörtert, impliziert das Konzept der Lebensform durch seine konstitutive Basis des Zusammenhangs von Praktiken bereits die Wirksamkeit sozialer Differenzkategorien.⁵⁰ Andrea Maihofer hat für diesen Zusammenhang mit dem ganz ähnlichen Begriff der Existenzweise gezeigt, wie sich Subjektivität vergeschlechtlicht materialisiert, indem sie danach fragte, was es bedeutet, wenn Personen Geschlechter werden, und zu dem Ergebnis kam: „‚Geschlecht‘ ist […] eine komplexe Verbindung verschiedener historisch entstandener Denk- und Gefühlsweisen, Körperpraxen und -formen sowie gesellschaftlicher Verhältnisse und Institutionen, eben eine historisch bestimmte Art und Weise zu existieren.“⁵¹ Damit gelang Maihofer parallel bzw. zeitgleich zu eindimensionalen und pejorativen Interpretationen der poststrukturalistischen Genderforschung als „körperfern“ und „sprachfixiert“ eine Zusammenführung der Ebenen von Praktiken und Diskursen als auseinander hervor- und ineinander übergehende.⁵² Die Materialität von Geschlecht wird demzufolge nicht als eine Joan W. Scott, Gender: A Useful Category of Historical Analysis. The American Historical Review 91: 5 (1986), 1053 – 1075, hier 1067. Eine jüngere Diskussion von Scotts berühmtem Postulat sowie deren eigener Bestandsaufnahme in dem Aufsatz „Unanswered Questions“ – Joan W. Scott, Unanswered Questions. The American Historical Review 113: 5 (2008), 1422– 1430 – findet sich bei Claudia Opitz-Belakhal, Gender in Transit – oder am Abgrund? Ein Diskussionsbeitrag zu Stand und Perspektiven der Geschlechtergeschichte. L’Homme 28: 1 (2017), 107– 115. Durch die Auswahl des Untersuchungsgegenstandes der Klarissengemeinschaften wird die Kategorie Ordo zwar in Bezug auf die Lebensform gesetzt, gewinnt jedoch an Bedeutung vor allem in der Auseinandersetzung von Religiosen mit Personen anderer sozialer Zugehörigkeit. Zur Verwobenheit beider Kategorien vgl. die Studie von Lutter, Geschlecht, besonders S. 1– 10 (Unterkapitel „Geschlecht und Wissen: soziale und analytische Kategorien“). Vgl. Maihofer, Geschlecht, 85. Vgl. dazu zentral die (innerfeministische) akademische Debatte um Gender Trouble von Judith Butler, anschaulich im Themenheft der Feministischen Studien von 1993 nachzuvollziehen, vor allem bei Barbara Duden, Die Frau ohne Unterleib. Zu Judith Butlers Entkörperung. Ein Zeitdokument. Feministische Studien 11: 2 (1993), 24– 33 (16.06. 2014), sowie Gesa Lindemann, Wider die Verdrängung des Leibes aus der Geschlechtskonstruktion. Feministische Studien 11: 2 (1993), 44– 54. Kritisch dazu – auch weit über nur innerfeministische Debatten hinaus – vgl. etwa Sabine Hark, Dissidente Partizipation. Eine Diskursgeschichte des Feminismus. Frankfurt am Main: Suhrkamp, 2007, hier vor allem das Kapitel „Monströse Körper. Theorie als (lesbische) Verführung“, 304– 319. Zur Rezeptionsgeschichte vgl. auch das „Rezeption“-Kapitel in Eva von Redecker, Zur Aktualität von Judith Butler. Einleitung in ihr Werk (Aktuelle und klassische Sozial- und KulturwissenschaftlerIinnen). Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften, 2011, 141– 154; vor allem 141– 146.
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Dichotomie von Materie (Körper, Objekte) vs. Diskurs (Ideen, Gedanken, Sprache) aufgefasst, sondern als Effekt historisch entstandene[r] Denk-, Gefühls- und Körperpraxen, eben als gesellschaftlich-kulturelle Existenzweise, [die] sowohl das Imaginäre der Realität des Geschlechts als auch die spezifische ‚Materialität und Realität‘ des Imaginären des Geschlechts erfaßt, ohne daß Geschlecht in Wahrheit nur das eine oder das andere bzw. beides dasselbe wäre.⁵³
Einschub: Historiografische Perspektiven I – Raum in der Geschichtsschreibung zu monastischen Gemeinschaften Die (Wieder‐)Beachtung des Raumes als Untersuchungsgegenstand und Analysekategorie in den historischen Disziplinen gründet auf dem Konsens eines relationalen Raumbegriffs, der hauptsächlich auf das Postulat Henri Lefebvres von der prozesshaften sozialen Produktion des Raumes und seiner Dimensionen, also dem prozesshaften Werden des Raumes durch Tun, zurückzuführen ist.⁵⁴ Die Kategorie Raum eröffnet den Blick auf die Gestaltung und Nutzung sozialer Lebenswelten, darunter beispielsweise auch die Produktion und Ordnung von
Maihofer, Geschlecht, 108. Die räumliche „Kehre“ oder der spatial turn in den historischen Wissenschaften startete im Gegensatz zu etwa geografischen und sozialwissenschaftlichen Disziplinen in der deutschsprachigen Forschungslandschaft mit einer historisch begründeten Verzögerung, die vor allem in der Abwendung von nationalistischen Zugängen zu Ortskonzepten begründet lag. Besonders in Bezugnahmen auf die Konzeption des Raumes als gesellschaftlicher Produktionsprozess aus der Theoriebildung von Lefebvre gelang es, Raum selbst als analytische Kategorie zu verwenden, um die Verfasstheit gesellschaftlicher Ordnung in allen Dimensionen, also auch räumlich, darzustellen. Dadurch wird Raum zu einer spezifischen Analysekategorie und zugleich zum Gegenstand der historischen Analyse. Vgl. Jan Engelke, RaumDenken. Die wiederentdeckte Lust am Raum. In Eingrenzen und Überschreiten. Ver-fahren in der Moderneforschung, hg. von Martin Roussel, Markus Wirtz, Antonia Wunderlich. (FORUM. Studien zur Moderneforschung 1). Würzburg: Königshausen & Neumann, 2005, 251– 268, hier besonders 253 – 263; Stephan Günzel, Spatial Turn – Topographical Turn – Topological Turn. Über die Unterschiede zwischen Raumparadigmen. In Spatial Turn. Das Raumparadigma in den Kultur- und Sozialwissenschaften, hg. von Jörg Döring, Tristan Thielmann. Bielefeld: transcript, 2008, 219 – 237; Günzel, Einführung, vor allem 107– 140 (Kapitel „Wenden zum Raum“); Susanne Rau, Räume. Konzepte,Wahrnehmungen, Nutzungen (Historische Einführungen 14). 2. Aufl. Frankfurt am Main, New York: Campus Verlag, 2017, Kapitel „Historische und systematische Annäherung“, 17– 69, hier vor allem 27– 52. Besonders in der Frühneuzeitforschung zu Fragen des Räumlichen wird das raumsoziologische Konzept des spacings als „Errichten, Bauen oder Positionieren“ rezipiert, vgl. Martina Löw, Raumsoziologie. Frankfurt am Main: Suhrkamp, 2001, 158, jedoch oft, ohne nach dessen essentialisierenden Implikationen zu fragen, vgl. Günzel, Ort, 32.
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Wissenstraditionen und Erinnerungskulturen. In Öffnung und Schließung, also den Zugangsregelungen und Zugangsmöglichkeiten zu Räumen, zeigen sich einerseits Möglichkeiten der Partizipation und andererseits tatsächliche und potenzielle Ausschlüsse innerhalb eines sozialen Gefüges. An der Gestaltung und Manifestation von Räumen lässt sich so etwa die Standortgebundenheit ablesen, das heißt: wer aus welcher Positionierung heraus welche Räume produziert. Die gesellschaftliche Ordnungsweise bildet sich räumlich ab und lässt sich mithilfe von Raumkategorien beschreiben: Da soziales Handeln stets in Dimensionen des Räumlichen stattfindet, geben Praktiken auch Aufschluss über Wissen und Vorstellungen über den Raum und seine jeweils bevorzugten Konzepte.⁵⁵ In der Forschung zur Geschichte der mittelalterlichen und frühneuzeitlichen Räume und Räumlichkeiten sind religiöse Räume aufgrund ihrer starken Regulierung ein besonders gern genutzter Untersuchungsgegenstand. Die Bedeutung des Klosters als Ort des Übergangs, an dem eine stetige Transzendenz zwischen Himmel und Erde symbolisch materialisiert und performativ wiederholt wurde und wird, weist ihm einen besonderen Status als „anderer“ Raum zu. Hier greifen besonders Modelle der Sakralisierung von Räumen als Erfahrbarmachung von Transzendenz.⁵⁶ Neben die Thematiken der Bauweise und der Formentypisierung In einer Bestandsaufnahme der historischen Forschung zur Frühen Neuzeit nach dem spatial turn formuliert die Historikerin Susanne Rau das programmatische Motto, mithilfe der Kategorie Raum lasse sich in der historischen Analyse „mehr sehen“. Eine historische Gesellschaftsanalyse komme längst nicht mehr ohne die Kategorien Raum und Zeit aus, wie sie ja bereits auch Strukturkategorien wie Geschlecht, Sexualität, Stand, race, Klasse, Ordo, Alter, ability und deren intersektionale Verwobenheit berücksichtigen müsse. Vgl. Susanne Rau, Die Vielfalt des Räumlichen. Stand und Perspektiven der frühneuzeitlichen Raumforschung. Frühneuzeit-Info 28 (2017), 75 – 86, hier 75; vgl. zum Potenzial der Kategorie für die historische Analyse auch Rau, Räume, S. 11 ff. Sind Raum wie Geschlecht Thema umfangreicher sozial-, geschichts- und kulturwissenschaftlicher Programme, Studien und Debatten geworden, so werden sie analytisch weitaus weniger selbstverständlich wirksam, viel weniger noch in ihrer Verwobenheit und Bezogenheit aufeinander und auf weitere Differenz- und Interdependenzkategorien. Die Verknüpfung der Kategorien Raum und Zeit (Raum-Zeitlichkeit oder Spatio-Temporalität), also die Annahme, dass Verräumlichung und Verzeitlichung einander bedingen und daher analytisch als wechselseitiger Produktionsprozesse gesehen werden müssten, stellt einen produktiven Ansatz in der jüngeren Forschung zum Raum dar, vgl. Sebastian Dorsch, Space/Time Practices and the Production of Space and Time. An Introduction. In Space/Time Practices and the Production of Space and Time, hg. von Sebastian Dorsch, Susanne Rau. (Historical Social Research: HSR 38, H. 3). Köln, 2013, 7– 21. Vgl. dazu das Modell des Sakralitätsmanagements, das die Leitdifferenzen sakral/profan, öffentlich/privat, innen/außen miteinander in Beziehung setzt: Gerd Schwerhoff, Sakralitätsmanagement. Zur Analyse religiöser Räume im späten Mittelalter und in der Frühen Neuzeit. In Topographien des Sakralen. Religion und Raumordnung in der Vormoderne, hg. von Susanne Rau,
Einschub: Historiografische Perspektiven I
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von Klosterarchitektur und deren Innengestaltung vor allem aus kunst- und architekturhistorischer Perspektive tritt darüber hinaus der Bereich der sozialen Ordnung in ihrer räumlichen Struktur, was sowohl mit Fragen zum eigenen Selbstverständnis und zu Auffassungen von Kollektivität als auch mit solchen nach dem Zusammenwirken der verschiedenen Materialisierungsformen durch Praktiken verbunden ist.⁵⁷ Eine Geschlechtergeschichte von Klosterräumen mithilfe der Kategorie Raum rekonstruiert die räumliche Verfasstheit einer Gemeinschaftsordnung und befragt ihre Hierarchisierungen und Praktiken auf vergeschlechtlichte und vergeschlechtlichende Motive und Semantiken.⁵⁸ Raum erweist sich dabei besonders für homosoziale Gesellschaftsgefüge als aufschlussreiche Kategorie, die die verschiedenen Bedeutungsebenen und Wirkungsweisen von Geschlecht sichtbar machen kann.⁵⁹ Gerd Schwerhoff. München, Hamburg: Dölling und Galitz Verlag, 2008, 38 – 69, hier 38. Zur Raumanalyse sakraler Räume vgl. auch Susanne Rau, Raum und Religion. Eine Forschungsskizze. In Topographien. Rau et al. (Hg.), 2008, 10 – 37; ein generelles Raumanalysemodell für die historische Forschung hat Susanne Rau in Operationalisierung der Raumtrias von Lefebvre entwickelt, vgl. Rau, Räume, 121– 191 (Kapitel „Raumanalyse“). Vgl. Carola Jäggi, Frauenklöster im Spätmittelalter. Die Kirchen der Klarissen und Dominikanerinnen im 13. und 14. Jahrhundert (Studien zur internationalen Architektur- und Kunstgeschichte 34). Petersberg: Imhof, 2006; Gert Melville; Leonie Silberer; Bernd Schmies (Hg.), Die Klöster der Franziskaner im Mittelalter. Räume, Nutzungen, Symbolik (Vita regularis. Abhandlungen 63). Münster: LIT Verlag, 2015. Vgl. hierzu etwa die „Pionierstudie“ zum Zusammenhang zwischen Geschlecht und Materialität am Beispiel mittelalterlicher Nonnenklöster in England und Wales: Roberta Gilchrist, Gender and Material Culture. The Archaeology of Religious Women. London: Routledge, 1994. Vgl. dazu die herausragende und in ihrer Konzeption bislang singuläre Studie zu karolingischen Benediktinerabteien von Lynda L. Coon, die einen kreativen Zugriff auf die verschiedenen Materialisierungen von Raum in Architektur, Praktiken und Schriftquellen erarbeitet hat: Lynda L. Coon, Dark Age Bodies. Gender and Monastic Practice in the Early Medieval West (The Middle Ages Series). Philadelphia, Oxford: University of Pennsylvania Press, 2011. In der Reformationsgeschichtsschreibung wurde ebenfalls damit begonnen, den Strukturwandel des Religiösen, Sozialen und Politischen auch als Veränderung der Räume und des Räumlichen zu erfassen, bislang vorrangig anhand von Kirchenbauten, den Raumformationen der neuen Kirchengemeinden und den Sphären von Öffentlichkeit und Privatheit, vgl. Carola Jäggi; Jörn Staecker (Hg.), Archäologie der Reformation. Studien zu den Auswirkungen des Konfessionswechsels auf die materielle Kultur (Arbeiten zur Kirchengeschichte 104). Berlin: de Gruyter, 2007; Lee Palmer Wandel, The Reformation. Towards a New History. Cambridge, New York: Cambridge University Press, 2011; Jan Harasimowicz (Hg.), Protestantischer Kirchenbau der Frühen Neuzeit in Europa. Grundlagen und neue Forschungskonzepte. Regensburg: Schnell & Steiner, 2015; Architektenkammer Rheinland-Pfalz (Hg.), Reformation und Architektur. Eine Dokumentation. Interdisziplinäre Veranstaltungsreihe (Bauen mit Plan). Mainz: Architektenkammer Rheinland-Pfalz, 2016.
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Pour une histoire mineure de l’espace: Die Geschichte weiblicher monastischer Gemeinschaften als „kleine Geschichte“ des Raumes Die Geschichte (bzw. Geschichtsschreibung) des Raums und die entsprechende Theoriebildung sind dabei zunächst männlich verfasst. Beide wurden in einem Bezugsrahmen von Kategorien, Methoden und Wissenssystemen entwickelt und tradiert, die ebenso auf der Analyse von gesellschaftlichen Kontexten begründet wie in diese eingewoben sind, wobei diese Gesellschaften allgemein hegemonial männlich strukturiert und regiert wurden bzw. werden.⁶⁰ Das wegweisende Theorem Lefebvres vorausgesetzt, nach dem jede Gesellschaft ihren eigenen Raum produziert, kann man daraus folgern, dass die Räume historischer Gesellschaften, sofern nicht gesondert markiert, männlich geprägt und dominiert waren.⁶¹ Aufgrund ihrer Komplexität als Raumtypus und soziales Gefüge erweisen sich Klöster auch als prominente Archive von und für Raumtheorien, die die Verräumlichung gesellschaftlicher Ordnung und die Herausbildung von Subjektivierungen innerhalb der Strukturen des klösterlichen Lebens und seiner Manifestationen in bestimmten architektonischen Materialisierungen verstehen lassen. Durch ihre produktiven Verknüpfungen von Raum und Körper, Kollektivität und (Einzel‐)Person bieten klösterliche Kontexte einen anschaulichen Untersuchungsfundus. Eine Geschichte der Theorie zum Raum lässt sich daher auch anhand von Klöstern erzählen, und so beziehen sich auch einige kanonische raumtheoretische Texte auf dieses (Raum‐)Phänomen. So verortet Foucault in
Zur Bezugnahme auf die Mehrdimensionalität von Räumen vgl. Will Coster; Andrew Spicer (Hg.), Sacred Space in Early Modern Europe. Cambridge, New York: Cambridge University Press, 2005. Zum Raumtypus landscape im Zusammenhang mit Reformation und sozialem Wandel vgl. Alexandra Walsham, The Reformation of the Landscape. Religion, Identity, and Memory in Early Modern Britain and Ireland. Oxford: Oxford University Press, 2011. Die Kategorie des Männlichen verstehe ich dabei bereits als intersektional zusammengesetzte. Da Geschlechterkonstruktionen nur vermittels der Folie des „Anderen“ denkbar sind, ist der Geschlechtskategorie „männlich“ in abendländischen Gesellschaften auch zugleich Weißsein eingeschrieben. In Bezug auf Hegemonie in historischen Gesellschaften und deren Thematisierung in der Geschichtsschreibung ist zugleich die Bestimmung des Standes/der Klasse oder des Ordo impliziert. „Männlich geprägt und dominiert“ meint hier etwa auch eine Dominanz „männlicher Herrschaft“ in den Signifikanten, vgl. Pierre Bourdieu, Die männliche Herrschaft. Übersetzt von Jürgen Bolder. Frankfurt am Main: Suhrkamp, 2005. Das Konzept der hegemonialen Männlichkeit hat Raewyn Connell entwickelt, vgl. Raewyn Connell, Der gemachte Mann. Konstruktion und Krise von Männlichkeiten (Geschlecht und Gesellschaft 8). 4. Aufl. Wiesbaden: Springer VS, 2015.
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dem bereits erwähnten Band Überwachen und Strafen auch den Beginn der abendländischen Subjektivierung durch Raumordnung in der Etablierung der monastischen Einzelzelle im Mittelalter. Foucault sieht darin einen Paradigmenwechsel in der Konzeption des (zu disziplinierenden und disziplinierten) Subjekts, das fortan dem Alleinsein und der Vereinzelung ausgesetzt gewesen sei, und beschreibt diese Veränderung als ersten Verlaufsvektor in eine Zukunft, in der die Vereinzelung des Subjekts elementarer Bestandteil der Disziplinierungsregime der Moderne werden würde.⁶² Agambens Topologie in Höchste Armut formuliert die franziskanische Lebensform als eine, in der das Leben der Personen und die Ordensregel in eins gefallen seien. Die Religiosen der Gemeinschaft seien selbst zur Ordensregel geworden und hätten durch sie das Kloster verkörpert.⁶³ Auch die Raumtheorie des marxistischen Philosophen und Soziologen Lefebvre ruft das Kloster als eindrückliches Beispiel für Raumordnungen auf. In La production de l’espace erläutert er das Projekt, die Gemachtheit eines Raumes zu erfassen, indem der Prozess seines Werdens in den Dimensionen physisch/materiell, mental und sozial analysiert wird, auch durch Verweise auf das Kloster. An diesem Raumtypus könnten die Verbindungen zwischen Raum und Körper sowie Zeit und Materialität, die Unterteilung von Materialisierungen in architektonische Segmente und von Körpern ausgeführte Gesten, die jeweils produzierte Zeit(‐lichkeit) und schließlich der Zusammenhang zwischen diesen (Raum‐)Dimensionen untersucht werden, wobei dieser Zusammenhang als einer materiell-physischen, sozialen und mentalen Werdens gedacht wird.⁶⁴ Insgesamt zitiert die hier genannte Theoriebildung zum Raum das Kloster als Prototyp für die Darstellung einer spezifischen zeit-räumlichen Ordnung samt Gemeinschaftsbildung und Institutionalisierung. Sie beeinflusst(e) damit das Wissen zum Raum vor allem der Vormoderne, verbleibt jedoch größtenteils unmarkiert in Bezug auf die Verortung der Personen, die an der jeweiligen Raumproduktion qua Geschlecht beteiligt oder davon ausgeschlossen waren. Die impliziten – oder auch vermeintlichen – Gewissheiten über historische Raumkonzepte, darunter etwa die Leitdifferenzen innen und außen, das Vereinzelungsparadigma und die Bedeutung des Ortes, werden für weibliche Gemeinschaften, sofern überhaupt registriert, maximal in der Extrapolation wirksam.⁶⁵
Vgl. Foucault, Überwachen, 179. Vgl. Agamben, Armut, 9. Vgl. Henri Lefebvre, The Production of Space. Oxford: Blackwell, 2005, 216 – 217, 225. So beispielsweise heißt es bei Agamben für den Fall der nach der Klara-Regel lebenden weiblichen Religiosen: „Was Klara ‚Lebensform‘ nennt, ist also kein Normenkodex, sondern et-
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In den letzten Jahrzehnten wurde das Wissen über Raumkonzepte, Raumtypen und Raumordnungen bezüglich der Vielzahl nicht-hegemonialer Räume, die innerhalb von Gesellschaften ja zugleich immer auch existieren, allerdings auch auf enorm produktive Art und Weise verändert, indem die diesbezügliche Ungleichverteilung von Partizipationsmöglichkeiten und Positionierungen auf sozialer und globaler Ebene untersucht wurde.⁶⁶ Besonders in Bezug auf die Kategorie Geschlecht ist jedenfalls für europäische Raumtheorien nichtsdestotrotz eine epistemologische Trägheit zu konstatieren, die historische Raumproduktionen nur selten aus dieser Perspektive in den Fokus der Theoriebildungen zum Raum rücken lässt.⁶⁷ Anhand der Geschichte – bzw. der Geschichtsschreibung – der Räume monastischer Gemeinschaften lässt sich diese Leerstelle besonders anschaulich nachzeichnen. Lebten im europäischen ausgehenden Mittelalter etwa zehn Prozent der städtischen Bevölkerung in Klöstern oder klosterähnlichen Gemeinschaften und bestand diese Gruppe spätestens seit dem 13. Jahrhundert zu einem beträchtlichen Teil aus als „weiblich“ bezeichneten Personen, so steht diese Verteilung in einem auffallenden Missverhältnis zu dem bisher kanonisierten Wissen über die christliche (europäische) monastische Kultur.⁶⁸ So existiert in
was, das dem zu entsprechen scheint, was bei Franziskus ‚Leben‘, ‚Regel und Leben‘ oder im Testament ‚gemäß der Form des heiligen Evangeliums leben‘ heißt.“ Agamben, Armut, 142. Als raumtheoretische Innovationen gelten beispielsweise die Arbeiten zum third space von Homi K. Bhabha, vgl. etwa Homi K. Bhaba, The Location of Culture. London, New York: Routledge, 1994; zum Grenzraum und einem queeren An-der-Grenze-Sein vgl. Gloria Anzaldúa, Borderlands / La frontera. The New Mestiza. San Francisco: Aunt Lute Books, 1991.Vgl. auch Castro Varela, María do Mar, Nikita Dhawan, Shalini Randeria, Postkolonialer Raum. Grenzdenken und Thirdspace. In Raum. Ein interdisziplinäres Handbuch, hg. von Stephan Günzel, Franziska Kümmerling. Bremen: Metzler, 2010, 177– 191. Zu Rekonstruktionen der Kategorie Geschlecht aus räumlicher Perspektive zählt in erster Linie Luce Irigaray, Speculum. Spiegel des anderen Geschlechts. Frankfurt am Main: Suhrkamp, 1980; wenn auch nicht als Raumtheorie angelegt, hat Das Unbehagen der Geschlechter das Wissen zum Raum aus gendertheoretischer und dekonstruktivistischer Perspektive in jedem Fall erweitert, vgl. Butler, Unbehagen. Eine dezidiert in Dialog mit der Kategorie Geschlecht stehende Raumtheoriebildung hat die Literaturwissenschaftlerin und Raumtheoretikerin Jenny Bauer erarbeitet, die die epistemologische Ähnlichkeit der Kategorien unter Bezugnahme auf die Theoriebildungen von Butler (Gender) und Lefebvre (Raum) herleitet, vgl. Jenny Bauer, Geschlechterdiskurse um 1900. Literarische Identitätsentwürfe im Kontext deutsch-skandinavischer Raumproduktion (Lettre). Bielefeld: transcript, 2016, vor allem 23 – 88 (Kapitel „Genderkonzepte“; „Raumdiskussionen“; „Verflechtungen: Theorien von Raum und Geschlecht“). Der genannte Anteil der in Orden oder ordensähnlichen Gemeinschaften Lebenden bezieht sich auf spätmittelalterliche Städte und deren Anzahl an Klöstern im Vergleich zur Stadtbevölkerung, vgl. für Westfalen etwa Hubert Hoeing, Kloster und Stadt. Vergleichende Beiträge zum
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den einzelnen historischen Disziplinen weder eine vergleichende Forschung zu weiblichen und männlichen Ordensgemeinschaften noch eine tragende systematisierende Forschung zu spezifisch weiblichen Gemeinschaften.⁶⁹ Verhältnis Kirche und Stadt im Spätmittelalter, dargestellt besonders am Beispiel der Fraterherren in Münster (Westfalia sacra 7). Münster: Aschendorff, 1981, 81. Fielen die Zahlen in ländlichen Gebieten und in weniger urbanisierten Epochen geringer aus, so ist doch der kultur- und wissensgeschichtliche Einfluss der Klöster auch hier als besonders hoch einzuschätzen. Angesichts der großen Vielfalt der Lebens- und Gemeinschaftsformen in Klöstern, Abteien, Stiften, Konventen, denen der Religiosen ohne Bezug zu einem Haus sowie des noch völlig unerforschten Anteils der in den Gemeinschaften lebenden Laienbrüder und -schwestern – die zugehörig, aber nicht geweiht waren – können diese Mengenverhältnisse nur als Annäherung verstanden werden. Gebiets- und ordensübergreifende Angaben zum Zahlenverhältnis männlicher bzw. weiblicher Religioser liegen noch nicht vor. Untersuchungen zu den Klosterauflösungen während und nach der Reformation geben immerhin gebietsweise Einblicke in die Zahlenbasis, die auf die Dimensionen in der Sozialstruktur rückschließen lassen, vgl. jüngst etwa Eike Wolgast, Die Einführung der Reformation und das Schicksal der Klöster im Reich und in Europa (Quellen und Forschungen zur Reformationsgeschichte 89). 2. Aufl. Gütersloh: Gütersloher Verlagshaus, 2015. Die Bezeichnungen „Frau“ und „Mann“ sowie ähnliche Begriffe wie „weiblich“ und „männlich“ zum Kenntlichmachen von historischen Personen hinsichtlich ihrer geschlechtlichen Markierung werden im Folgenden ausschließlich verwendet, sofern es den Quellen- und Selbstbezeichnungen entspricht. Dominierend sind hier neben Studien zu einzelnen Gemeinschaften ordens- und regionalgeschichtliche sowie auf konkrete Epochen wie die der verschiedenen Reformbewegungen bezogene Zugriffe. Dagegen repräsentieren verschiedene Untersuchungen durch ihren systematischen Ansatz eine wegweisende Grundlagenforschung in ihren jeweiligen Disziplinen, vgl. zum Beispiel für die Architekturgeschichte Jäggi, Frauenklöster; für die Musikgeschichte Linda Maria Koldau, Frauen – Musik – Kultur. Ein Handbuch zum deutschen Sprachgebiet der Frühen Neuzeit. Köln, Weimar, Wien: Böhlau, 2005; für die Kunstgeschichte Jeffrey F. Hamburger, Nuns as Artists. The Visual Culture of a Medieval Convent (California Studies in the History of Art). Berkeley, Los Angeles, London, 1997; für die Kunst- und Kulturgeschichte Kate J. P. Lowe, Nuns’ Chronicles and Convent Culture in Renaissance and Counter-Reformation Italy. Cambridge: Cambridge University Press, 2003; für die Literaturgeschichte Werner Williams-Krapp, Frauenmystik und Ordensreform im 15. Jahrhundert. In Literarische Interessenbildung im Mittelalter. DFG-Symposion 1991, hg. von Joachim Heinzle. (Germanistische-Symposien-Berichtsbände 14). Stuttgart: Metzler, 1993, 301– 313. Speziell zur Schriftproduktion vgl. Alison I. Beach, Women as Scribes. Book Production and Monastic Reform in Twelfth-Century Bavaria (Cambridge Studies in Palaeography and Codicology 10). Cambridge: Cambridge University Press, 2004; Anne Winston-Allen, Convent Chronicles. Women Writing About Women and Reform in the Late Middle Ages. University Park, Pennsylvania: Pennsylvania State University Press, 2005; Eva Schlotheuber, Klostereintritt und Bildung. Die Lebenswelt der Nonnen im späten Mittelalter. Mit einer Edition des „Konventstagebuchs“ einer Zisterzienserin von Heilig-Kreuz bei Braunschweig (1484 – 1507) (Spätmittelalter und Reformation. Neue Reihe 24). Tübingen: Mohr Siebeck, 2004; Heike Uffmann, Wie in einem Ro-
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Raum/Räumlichkeit als Thema und Wissensfeld der monastischen Geschichte führt demnach deutlich vor Augen, auf welche Weise Geschlecht, auch ohne explizit thematisiert zu werden, als Kategorie des Wissens wirksam wird: Indem die Wissensproduktion über Raum und Räumlichkeit der Klöster in einer Bewegung des angeblich Allgemeinen, Umfassenden unmarkiert bleibt, schreibt sich ein bestimmtes Geschlecht in die Episteme ein und reproduziert die Geschichte(n) männlicher Raumproduktion.⁷⁰ Die explizit auf diese Kategorie fokussierte Geschlechtergeschichte wiederum hat zu Klöstern weiblicher Gemeinschaften in den letzten Jahren Grundlegendes geleistet und den Meistererzählungen zum monastischen Leben etwas entgegengesetzt. Im Sinne einer Geschichte on bzw. from the margins hat sie strukturell marginalisierte Personen und Gruppen historiografisch da sichtbar gemacht, wo zuvor vor allem auch die ordensgeschichtlich geprägte Forschung zur Marginalisierung von weiblichen Religiosen innerhalb der monastischen Geschichte beigetragen hatte.⁷¹ Die Differenzen zwischen männlichen und
sengarten. Monastische Reformen des späten Mittelalters in den Vorstellungen von Klosterfrauen (Religion in der Geschichte. Kirche, Kultur und Gesellschaft 14). Bielefeld: Verlag für Regionalgeschichte, 2008; außerdem den interdisziplinären Sammelband nebst Ausstellungskatalog: Jeffrey F. Hamburger; Carola Jäggi; Susan Marti (et al.) (Hg.), Frauen – Kloster – Kunst: Neue Forschungen zur Kulturgeschichte des Mittelalters. Beiträge zum Internationalen Kolloquium vom 13. bis 16. Mai 2005 anlässlich der Ausstellung „Krone und Schleier“. Turnhout: Brepols, 2007; Bonn und dem Ruhrlandmuseum Essen Kunst-und Ausstellungshalle der Bundesrepublik Deutschland (Hg.), Krone und Schleier: Kunst aus mittelalterlichen Frauenklöstern. Ruhrlandmuseum: Die frühen Klöster und Stifte 500 – 1200; Kunst- und Ausstellungshalle der Bundesrepublik Deutschland: Die Zeit der Orden 1200 – 1500. Eine Ausstellung der Kunst- und Ausstellungshalle der Bundesrepublik Deutschland, Bonn, in Kooperation mit dem Ruhrlandmuseum Essen [vom 19. März bis 3. Juli 2005]. München: Hirmer, 2005. Diese Aufzählung spannt das Feld der Forschung auf und wird in den einzelnen Kapiteln dieser Studie um die systematisierte Darstellung des Forschungsstandes zu weiblichen Gemeinschaften im Übergang vom Spätmittelalter zur Frühen Neuzeit in den einzelnen Themenfeldern ergänzt. Zu Geschlecht als Wissenskategorie vgl. zum Beispiel Ulrike Auga, Claudia Bruns, Levke Harders, Gabriele Jähnert, Katrin M. Kämpf, Einleitung. Das Geschlecht der Wissenschaften. In Das Geschlecht der Wissenschaften. Zur Geschichte von Akademikerinnen im 19. und 20. Jahrhundert, hg. von Ulrike Auga, Claudia Bruns, Levke Harders (et al.). Frankfurt am Main: Campus Verlag, 2010, 9 – 21, hier 16. Vgl. Natalie Zemon Davis, Drei Frauenleben. Glikl, Marie de l′Incarnation, Maria Sibylla Merian. Berlin, 1996, die auch hier die Perspektive, die Geschichte von Personen und Gruppen an den „Rändern“ von Gesellschaften als „allgemeine Geschichte“ zu erzählen, aus historisch-anthropologischer Perspektive heraus entwickelt und insbesondere für die Geschlechtergeschichte produktiv gemacht hat. Diesen topologischen Zugriff in der historisch-anthropologischen Wissensbildung selbst auf seine Produktivität hin zu befragen, wäre ein lohnendes Projekt.
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weiblichen Religiosen hinsichtlich Literarität, Lateinkenntnissen, Schriftproduktion, Lektüre- und liturgischer Praktiken sowie der Erlaubnis zu Lehre, Predigt und Sakramentengabe wurden in dieser zumeist in eine Hierarchisierung von Bedeutsamkeit übersetzt, anders gesagt: Diese auf Wirkmächtigkeit angelegten Kriterien sind anhand der Möglichkeiten und Praktiken männlicher Religioser entwickelt worden. Dabei sind bzw. waren, wie ich bereits oben angedeutet habe, sowohl die Subjekte als auch die Objekte der Wissensproduktion männlich. Auf diese Weise werden andere Leben notwendigerweise aus der historischen Erzählung ausgeschlossen. Daher funktionierte die Forschung zu weiblichen Klöstern in ihrer Positionierung und Bewegung zunächst als Versuch, das bzw. die Andere, bislang nicht Betrachtete aufzunehmen, sichtbar zu machen und dem allgemeinen Wissensschatz zuzuführen.⁷² Epistemologisch betrachtet, ist dies eine additive Geste, die die untersuchten Personen und Standorte vor ihrem jeweiligen historischen Hintergrund unweigerlich zu Ausnahmen der jeweiligen Ordnung macht.⁷³ Ein möglicher folgerichtiger Schritt, nämlich die Aufnahme der Forschung zu weiblichen Klöstern in themengeleiteten Untersuchungen und Publikationen, bleibt damit bezüglich der generalisierenden Setzungen, auf denen Forschungsdesigns häufig aufbauen, zu hinterfragen. Das ausbleibende Markieren der Voraussetzungen und ihrer Blickrichtungen führt unweigerlich zum othering, zur Repräsentation und Reproduktion von Differenz. Um beiden Gesten, der Sonderstellung und dem Versuch der Partizipation durch Addition, zu entgehen, braucht es einen Weg, die Geschichte des Räumlichen und der Räume weiblicher monastischer Gemeinschaften zu den Masternarrativen über männliche Gemeinschaften und alle durch sie hervorgebrachten, als allgemeingültig verstandenen Ereignisse, Phänomene, Räume und Orte in ein Verhältnis zu setzen. Eine Möglichkeit, sich diesem epistemologischen Problem zu stellen, sehe ich in einem weiteren topologischen Ansatz, nämlich in der
Diesem programmatischen Anliegen der Women’s Studies hatten sich etwa die ersten Anthologien zu weiblichen Religiosen verschrieben, die weibliches Mönchtum als alternative Lebensform herausstellten, vgl. zum Beispiel Lillian Thomas Shank; John A. Nichols (Hg.), Medieval Religious Women. Vol. 2: Peaceweavers (Cistercian Studies Series 72). Kalamazoo, Mich.: Cistercian Publications, 1987; Jo Ann Kay McNamara, Sisters in Arms. Catholic Nuns Through Two Millennia. Cambridge, Mass., London: Harvard University Press, 1996. Dies gilt in der Geschlechtergeschichte grundsätzlich für alle Themen, in denen die Beteiligung von „Frauen“ an „der Geschichte“ eingeklagt wird; vgl. Claudia Opitz-Belakhal, Geschlechtergeschichte (Historische Einführungen 8). 2. Aufl. Frankfurt am Main: Campus Verlag, 2018, 156 – 161. Inzwischen liegen Forschungsarbeiten in Form von Einzelstudien sowie regionenoder ordensübergreifend in großer Anzahl vor – mit starker Konzentration auf das Mittelalter –, die als eigenes Gebiet innerhalb der Kloster- und Ordensforschung unter „Frauenklöster“ subsumiert werden können.
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Denkbewegung, die Geschichte weiblicher monastischer Raumproduktionen als eine „kleine Geschichte“ oder „l’histoire mineure“ des Raumes in Analogie zur littérature mineure zu erzählen.⁷⁴ Das Konzept der kleinen Literatur von Gilles Deleuze und Félix Guattari geht auf Franz Kafka zurück, der sich in seinen Tagebüchern skizzenhaft mit den Möglichkeiten literarischen Sprechens als jüdischer Autor im Prag des frühen 20. Jahrhunderts, also im Rahmen einer tschechischsprachigen, nicht-jüdischen Mehrheitsgesellschaft, auseinandergesetzt hat.⁷⁵ Mit seiner Wahl der deutschen Sprache befand er sich als Teil einer kulturellen Minderheit auch gegenüber der Sprache der deutschsprachigen Literatur als jener der „großen Meister“ in einem nicht einlösbaren Ungleichverhältnis. Die poststrukturalistischen Theoretiker Deleuze und Guattari haben dieses Konzept aus Kafkas Werk als Möglichkeit einer Literatur- und Sprachanalyse weiterentwickelt und diskutieren daran die Relationen des Sprechens von Minderheiten innerhalb und gegenüber von Mehrheiten.⁷⁶ Während des Sprechens aus der Position einer sozialen Minderheit entstehe zwischen deren sozialer Realität und der Sprache der Mehrheit eine Lücke, in die die „kleine Literatur“ trete, so der Germanist Elias Kreuzmair.⁷⁷ Die Chance der kleinen Literatur liegt in ihrer Fähigkeit, durch die resignifizierende Aneignung einer anderen Perspektive in die Wahrnehmung von Wirklichkeit – und damit in die Wirklichkeit selbst – einzugreifen und diese zu verändern. Dabei
Vgl. Gilles Deleuze, Félix Guattari, Kafka. Für eine kleine Literatur. Frankfurt am Main: Suhrkamp, 1976. Vgl. Deleuze, Guattari, Kafka, 24 ff. Minderheiten werden von Deleuze und Guattari als Gruppen mit untergeordneten Repräsentations-, Partizipations- und Legitimationsmöglichkeiten im Gemeinwesen definiert, nicht durch ihre zahlenmäßige Größe. Minderheiten können in dieser Lesart etwa Frauen, nicht-weiße Personen, nicht-christliche Personen, aber auch Minderheiten innerhalb von Minderheitengruppen – wie etwa Lesben innerhalb der Gruppe homosexueller Personen – sein. Entscheidend ist der Ort des Sprechens innerhalb von Machtdiskursen: „Unter Mehrheit verstehen wir keine relativ größere Menge, sondern die Bestimmung eines Status oder Standards. Auf den bezogen die größten Mengen ebenso als minoritär bezeichnet werden wie die kleinsten: Weißer-Mensch, Erwachsener-Mann etc. Mehrheit setzt einen Herrschaftsstatus voraus, nicht umgekehrt. Es geht nicht darum, ob es mehr Mücken oder Fliegen als Männer gibt, sondern darum, daß ‚der Mann‘ im Universum einen Standard aufgestellt hat, auf den bezogen die Männer notwendigerweise (analytisch) eine Mehrheit darstellen.“ Gilles Deleuze, Félix Guattari, Tausend Plateaus. Kapitalismus und Schizophrenie 2. Berlin: Merve, 2010, 396. Vgl. auch Elias Kreuzmair, Die Mehrheit will das nicht hören. Gilles Deleuze’ Konzept der „littérature mineure“. Helikon. A Multidisciplinary Online Journal 11 (2010), 36 – 47. http://www.he likon-online.de/2010/Kreuzmair_Deleuze.pdf (17.04. 2022), hier 36 – 37. Vgl. Kreuzmair, Mehrheit, 38 – 39.
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geht es nicht darum, zum Gegenteil der Mehrheitsposition zu werden, sondern darum, in der Differenz andere, offene Möglichkeitsräume zu öffnen. Das Potenzial dieser topologischen Perspektive auf die Formationen von Mehrheit und Minderheiten erweist sich dabei neben der Produktion von Literatur, also von Erzählungen im Kontext der Literaturgeschichte, auch auf einer übergeordneten Ebene des Sprechens und Erzählens, des Sich-Materialisierens und Sichtbarwerdens als Minderheit (in einem deleuzianischen Sinne). Das Konzept der Literatur als Raum der Sprache, Fiktionalität und Repräsentation lässt sich nämlich auch auf die „Geschichte“ im Sinne einer Geschichtsschreibung, einer Narration bzw. Erzählung, übertragen, bei der es um die Diskursivierung und Kanonisierung des Wissens über Möglichkeiten des Seins in zurückliegenden Zeiträumen sowie in Verbindung mit Gegenwart und Zukunft geht.⁷⁸ Das Anliegen, eine „kleine Geschichte“ innerhalb der „großen“ Geschichte der Räume und Räumlichkeit zu erzählen, weist damit den Weg hin zu einer Möglichkeit, dem additiven Dilemma zu entkommen, in dem sich die Geschichten weiblicher monastischer Gemeinschaften befinden und das die Geschlechtergeschichte bislang nicht lösen konnte.⁷⁹ Indem die Verortung von Subjekt und Sprechpositionen sowohl in historischen Räumen als auch in den Räumen des Wissens über sie aufgezeigt wird, können die jeweiligen Wissensproduktionen in ein Verhältnis zueinander gesetzt werden, ohne einen Ausgleich oder eine Gleichstellung zu beanspruchen, die es aufgrund der nach wie vor bestehenden Machtstrukturen nicht geben kann. Mit
Damit folge ich auch dem Vorschlag von Paul Preciado, den er in seiner architekturhistorischen Studie zum Raum- und Medienphänomen Playboy entwickelt hat. In seinen vielfältigen Raumproduktionen, Materialisierungen und Medialisierungen habe das Projekt Playboy jenseits der bloßen Produktion einer Zeitschrift einen Komplex von Räumen herausgebildet, der als eigenes Universum habe funktionieren können. Preciado liest diesen Raumkomplex als eine Heterotopie – genauer: eine Pornotopie – und schlägt vor, diese Heterotopie als „kleine Architektur“ zu betrachten, „als ein Projekt, mit dem der Playboy eine Welt innerhalb einer anderen schuf.“ Paul Preciado, Pornotopia. Architektur, Sexualität und Multimedia im „Playboy“ (Kleine Kulturwissenschaftliche Bibliothek 82). Berlin: Wagenbach, 2012, 95. Vgl. außerdem 153 sowie EN 144. Zur Erörterung der Bedeutung der Geschlechtergeschichte als Teil der „allgemeinen“ Geschichte vgl. Hans Medick, Anne-Charlott Trepp, Vorwort. In Geschlechtergeschichte und Allgemeine Geschichte. Herausforderungen und Perspektiven, hg. von Hans Medick, Anne-Charlott Trepp. (Göttinger Gespräche zur Geschichtswissenschaft 5). Göttingen: Wallstein, 1998, 7– 14. Das darin diskutierte Anliegen der Geschlechtergeschichte, die heteronormativ und (cis) männlich zentrierten Grundannahmen der Historiografie infrage zu stellen und Kritik an entsprechenden Paradigmen, Inhalten und Periodisierungen der hegemonialen Geschichtsschreibung zu üben – vgl. Medick, Trepp, Vorwort, 8 – 9 –, ist für die Geschichte monastischer Lebensformen trotz der immensen Produktivität von Forscher:innen in den letzten Dekaden längst nicht eingelöst.
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Deleuze und Guattari lassen sich das über die „Frauenklöster“ produzierte Wissen und – allgemeiner noch – das Wissen über solche Personen, die als Akteur:innen zwar durch ihren Stand privilegiert sein konnten, sich epistemologisch jedoch „an den Rändern“ bewegten, als „kollektive Aussageverkettungen“ verstehen⁸⁰, die neue Perspektiven auf das Wissen über Klöster und ihre Räumlichkeiten im Rahmen der „großen“ Geschichte der Räume – beispielweise auch im Rahmen der Reformationsbewegung – erschließen können.
Historiografische Perspektive II: Reformation und Geschlecht, Kontinuitäten und Brüche Die Reformation gilt zweifellos als eines der historischen Ereignisse, die in herausgehobener Weise mit der Entstehung der heutigen Gesellschaftsformen in Europa verbunden werden. Als ein „Pluralphänomen“ und „Ereignis mit Potenzial für Wandel“ (Thomas Kaufmann) mit der Intention, eine Erneuerung sowohl des Glaubens als auch des als gottgewollt gedachten Lebens zu erreichen, löste sie auf verschiedensten Wissensebenen und in verschiedensten sozialen Bereichen sowie zahlreichen Regionen Bewegungen von großer Tragweite aus.⁸¹ Der historische Wandel lässt sich etwa – um nur einige Eckpunkte zu benennen – anhand der Neuordnung des christlichen Glaubens in Konfessionen und Kirchen mit allen dazugehörigen Praktiken konstatieren; mit einem radikal veränderten Wissen über die Welt kam es zu gesellschaftlichen Um- und Neuordnungsprozessen auch im Zusammenhang mit politischen Aushandlungen und Herrschaftsformen. Die Tragweite und Bedeutung der Reformation für grundlegende gesellschaftliche, religiöse und politische Veränderungen im Europa der Frühen Neuzeit wird dabei konfessionsübergreifend anerkannt.⁸²
Vgl. Deleuze, Guattari, Kafka, 26. Vgl. Klatt, Thomas, Die Täuferbewegung. Vorbilder der Toleranz. Interview mit Thomas Kaufmann in der Sendung „Tag für Tag“, Deutschlandfunk, 28.11. 2019. https://www.deutschland funk.de/die-taeuferbewegung-vorbilder-der-toleranz.886.de.html?dram:article_id=464416 (06.12. 2019). Vgl. grundlegend (mit Diskussion der Forschungsdebatten) Euan Cameron, The European Reformation. 2. Aufl. Oxford, New York: Oxford University Press, 2012; Bruce Gordon, The Swiss Reformation (New Frontiers in History). Manchester, New York: Manchester University Press, 2002; Ulinka Rublack, Die Reformation in Europa (Europäische Geschichte). Frankfurt am Main: Fischer Taschenbuch Verlag, 2003; R. Po-chia Hsia (Hg.), A Companion to the Reformation World. Oxford, 2004; Amy Nelson Burnett; Emidio Campi (Hg.), A Companion to the Swiss Reformation (Brill’s Companions to the Christian Tradition 72). Leiden, Boston: Brill, 2016; Ulinka Rublack (Hg.), The Oxford Handbook of Protestant Reformations (Oxford Handbooks). Oxford, New York:
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Für die vorliegende Studie interessieren mich vor dem Hintergrund der nahezu ausufernden Forschungsdebatten zur Reformationsgeschichte besonders zwei Aspekte: erstens und primär die Diskussion der erneuerten sozialen Ordnung aus Geschlechterperspektive; zweitens die Frage danach, was eine Epoche ist, anders ausgedrückt: die Bedeutung der Reformation als Zäsur und Epochenwende für eine historiografische Diskussion vor dem Hintergrund des von mir gewählten Untersuchungszeitraums. Über die Bedeutung von Geschlecht als Kategorie für die Analyse sozialer Ordnungen bzw. Differenzierungen bezüglich auch der Reformationsgeschichte besteht mittlerweile Konsens.⁸³ Dabei wurde zunächst nach den „neuen“ Handlungsmöglichkeiten gefragt, die sich für „Männer“ und „Frauen“ mit der Reformation ergaben und auf die folgenden Kernthemenfelder erstreckten: die protestantische Ehe als neue soziale Einheit mit sozialer und religiöser Aufwertung für sowohl weibliche als auch männliche Personen; veränderte Möglichkeiten durch die Heiratserlaubnis für Priester als Pfarrer; erweiterte Spielräume für Frauen als Laiinnen, die an den religiösen Debatten qua Autorinnenschaft und über sonstige Kommunikationsmittel beteiligt waren; schließlich die Bedeutung der Reformation für die vormals geweihten (und hier vor allem die weiblichen) Ordensangehörigen und deren mögliche Alternativen zum Kloster.⁸⁴ Die Forschungsgeschichte zu diesen Themen lässt sich anhand von Linien beschreiben, die sich aus den Fragerichtungen ergeben, also etwa nach Gewinn und Verlust bzw. nach positiven und negativen Implikationen der Reformation. Eine Vielzahl von Forschungsarbeiten zu ihren weiblichen Protagonistinnen vor allem auf protestantischer Seite, aber auch zu Personen, die versuchten, ihr Leben im Kloster weiterzuführen, ist darum bemüht, die Partizipation von Frauen in und an
Oxford University Press, 2017. Für eine globalgeschichtlich perspektivierte Diskussion vgl. Heinz Schilling; Silvana Seidel Menchi (Hg.), The Protestant Reformation in a Context of Global History. Religious Reforms and World Civilizations (Annali dell’Istituto storico italo-germanico in Trento / Jahrbuch des italienisch-deutschen historischen Instituts in Trient. Contributi / Beiträge 33). Berlin: Duncker & Humblot, 2017. Vgl. dazu aus einer der jüngsten Publikationen zur Geschlechtergeschichte der Reformation Eva Labouvie, Reformation und Geschlecht – Glaube und Geschlecht. Eine Einführung zum Band. In Glaube und Geschlecht. Gender Reformation, hg. von Eva Labouvie. Wien, Köln, Weimar: Böhlau, 2019, 13 – 33, hier 16 – 17. Vgl. zum Beispiel die Diskussion dieser Themenfelder im Zusammenhang bei Claudia OpitzBelakhal, Von Ehelob und Zölibatsverbot, Priesterehen und streitbaren Nonnen. Reformationsgeschichte als Geschlechtergeschichte. In Glaube. Labouvie (Hg.), 2019, 131– 142; Heide Wunder, Glaube und Geschlecht in der Vormoderne. Alte und neue Debatten. In Glaube. Labouvie (Hg.), 2019, 49 – 74.
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der Reformation sichtbar zu machen.⁸⁵ Dabei kann man etwa für die noch in frauengeschichtlicher Tradition stehende Forschung eine starke Polarisierung zwischen der Aufwertung der Ehe und der neuen Rolle der „Hausmutter“ sowie, antagonistisch dazu, der „Domestikation“ „der Frau“ konstatieren: Während einerseits die grundsätzliche soziale und theologische Aufwertung von Weiblichkeit betont wird, kritisiert man andererseits auch deren „Zähmung“ durch die neue Ehetheologie und die Reinheitsdiskurse in den Ehe- und Sittengesetzgebungen und Gerichtspraktiken in der Folge der eingeführten protestantischen Konfessionen.⁸⁶
Vgl. zum Beispiel Madeleine Lazard, Deux soeurs ennemies, Marie Dentière et Jeanne de Jussie. Nonnes et réformées à Genève. In Les Réformes. Enracinement socio-culturel. XXVe Colloque international d’études humanistes, Tours, 1er-13 juillet 1982, hg. von Bernard Chevalier, Robert Sauzet. Paris, 1985, 239 – 249; Ulrike Wiethaus, Female Authority and Religiosity in the Letters of Katharina Zell and Caritas Pirckheimer. Mystics Quarterly 19: 3 (1993), 123 – 135; Gabriele Jancke, Prophetin, Pfarrfrau, Publizistin. Die Straßburger „Kirchenmutter“ Katharina Zell. In Frauen mischen sich ein. Katharina Luther, Katharina Melanchthon, Katharina Zell, Hille Feicken und andere, hg. von Evangelisches Predigerseminar Lutherstadt Wittenberg. (Wittenberger Sonntagsvorlesungen 1995). Lutherstadt Wittenberg: Drei-Kastanien-Verlag, 1995, 55 – 80; Roland H. Bainton, Frauen der Reformation. Von Katharina von Bora bis Anna Zwingli. 10 Porträts. 2. Aufl. Gütersloh: Gütersloher Verlagshaus, 1996; Antje Rüttgardt, Die Diskussion um das Klosterleben von Frauen in Flugschriften der frühen Reformationszeit (1523 – 1528). In „In Christo ist weder man noch weyb“. Frauen in der Zeit der Reformation und der katholischen Reform, hg. von Anne Conrad. (Katholisches Leben und Kirchenreform im Zeitalter der Glaubensspaltung 59). Münster: Aschendorff, 1999, 69 – 94, sowie die weiteren Beiträge in diesem Band; Ingrid Akerlund, Sixteenth Century French Women Writers. Marguerite d’Angouleme, Anne de Graville, the Lyonnese School, Jeanne de Jussie, Marie Dentiere, Camille de Morel (Studies in French Literature). Lewiston, NY: E. Mellen Press, 2003; Andrea Christmann, Autorinnen der Frühen Neuzeit. Katharina Schütz-Zell und Caritas Pirckheimer. Diss. Phil., Universität Mannheim (2004). http://madoc.bib. uni-mannheim.de/859/1/AndreaCH.pdf (13.11. 2020); Sonja Domröse, Frauen der Reformationszeit. Gelehrt, mutig und glaubensfest. 4. Aufl. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht, 2017; Sarina Jaeger, Argula von Grumbach und Caritas Pirckheimer. Zwei Autorinnen der Reformationszeit im Vergleich. In Frauen und Reformation. Handlungsfelder – Rollenmuster – Engagement, hg. von Martina Schattkowsky. (Schriften zur sächsischen Geschichte und Volkskunde 55). Leipzig: Leipziger Universitätsverlag, 2016, 209 – 234. Aus geschlechtergeschichtlicher Perspektive vgl. insbesondere die beiden folgenden jüngeren Sammelbände Simona Schellenberger; André Thieme; Dirk Welich (Hg.), Eine STARKE FRAUENgeschichte. 500 Jahre Reformation. Markleeberg: Sax-Verlag, 2014; Martina Schattkowsky (Hg.), Frauen und Reformation. Handlungsfelder – Rollenmuster – Engagement (Schriften zur sächsischen Geschichte und Volkskunde 55). Leipzig: Leipziger Universitätsverlag, 2016. Vgl. zum Paradigma der Domestizierung Lyndal Roper, Das fromme Haus. Frauen und Moral in der Reformation (Geschichte und Geschlechter: Sonderband). Frankfurt am Main, New York: Campus Verlag, 1995; antagonistisch dazu Heide Wunder, „Er ist die Sonn’, sie ist der Mond“. Frauen in der Frühen Neuzeit. München: C. H. Beck, 1992; Luise Schorn-Schütte, „Gefährtin“ und
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Die Geschlechtergeschichte (verstanden als Analyse des Verhältnisses von Personen unterschiedlichen Geschlechts zueinander) bleibt dabei zwar perspektivisch bestimmten Identitätskonstruktionen verhaftet, erreicht aber insofern auch eine Erweiterung des Gesamtforschungsfeldes, als nach Handlungsoptionen und der Ermöglichung von Handeln überhaupt gefragt wird, während des Weiteren die Bedeutung von Geschlecht in den Neuordnungsprozessen von Gesellschaft und Religion auf allen Ebenen analysiert wird.⁸⁷ Auch wenn sich die Perspektive auf Gewinn und Verlust auch hier implizit durchzieht, ist doch außerdem ein Bestreben zu erkennen, diese Polarisierung hinter sich zu lassen und kontextbezogen und intersektional informiert nach Handlungsmöglichkeiten und Veränderungen sowie Ein- und Ausschlüssen zu fragen.⁸⁸ In diesem Zusammenhang hat beispielsweise die Frage nach Reformation und Männlichkeit(‐en) nicht nur eine Erweiterung der Perspektive auf andere Felder bewirkt, sondern auch gezeigt, dass eine geschlechtergeschichtliche Perspektive dringend über die Rahmung von Geschlecht als (reduziert auf) die Identitätskonstrukte „Männer“ und „Frauen“ und deren Verhältnisse und Interaktionen miteinander hinausgehen muss.⁸⁹
„Mitregentin“. Zur Sozialgeschichte der evangelischen Pfarrfrau in der Frühen Neuzeit. In Wandel der Geschlechterbeziehungen zu Beginn der Neuzeit, hg. von Heide Wunder. Frankfurt am Main: Suhrkamp, 1993, 109 – 153; Wunder, Glaube, 61, FN 60. Als kritisch zur Normativität der protestantischen Ehegesetze und -praxen vgl. Susanna Burghartz, Ehen vor Gericht. Die Basler Ehegerichtsprotokolle im 16. Jahrhundert. In Eine Stadt der Frauen: Studien und Quellen zur Geschichte der Baslerinnen im späten Mittelalter und zu Beginn der Neuzeit (13. – 17. Jahrhundert), hg. von Heide Wunder. Basel: Helbing & Lichtenhahn, 1995, 167– 187; Susanna Burghartz, Zeiten der Reinheit – Orte der Unzucht. Ehe und Sexualität in Basel während der Frühen Neuzeit. Paderborn, Wien, München, Zürich: Schöningh, 1999. Vgl. dazu jüngst die mit der Frage nach dem Zusammenwirken von Geschlecht und Glauben als Kategorien von Wissen, Praktiken und Lebensweisen verbundene akteur:innenzentrierte Perspektive von Labouvie, Reformation, 16 ff. Vgl. Julia A. Schmidt-Funke, Reformation und Geschlechterordnung. Neue Perspektiven auf eine alte Debatte. In Negative Implikationen der Reformation? Gesellschaftliche Transformationsprozesse 1470 – 1620, hg. von Werner Greiling, Armin Kohnle, Uwe Schirmer. Köln, Weimar, Wien: Böhlau, 2015, 29 – 53. Gewiss könne, so die Autorin, nur sein, dass es keine eindeutige Antwort auf die Frage nach den Folgen der Reformation für die Geschlechterordnung gebe, vgl. SchmidtFunke, Reformation, 53. In diesem Kontext versteht sich auch die Studie über die Bedeutung der neuen Lebensform Ehe für die Gruppe der vormals zölibatär lebenden Nonnen, Mönche und Priester, vgl. Marjorie Elizabeth Plummer, From Priest’s Whore to Pastor’s Wife. Clerical Marriage and the Process of Reform in the Early German Reformation (St. Andrews Studies in Reformation History). London, New York: Ashgate Publishing Group; Routledge, 2012. Vgl. etwa Julia A. Schmidt-Funke, Buben, Hausväter und neue Mönche. Reformatorische Männlichkeiten. In Glaube. Labouvie (Hg.), 2019, 109 – 129.
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Auch in Bezug auf die Lebensformen in weiblichen monastischen Gemeinschaften überwiegt nach wie vor die Gegenüberstellung von Einschränkung und Verlust auf der einen und von Erweiterung und Zugewinn auf der anderen Seite, ergänzt um Versuche, die jeweilige Perspektive zu kontextualisieren.⁹⁰ Fakt ist, dass es in vielen protestantischen Herrschaftsgebieten zu einer sofortigen oder mittelfristigen Auflösung von Klöstern und Stiften samt Enteignung der entsprechenden Güter kam, wobei die Protagonist:innen Abfindungen in mehr oder weniger ausgleichender Form erhielten. Auch die Einrichtung protestantischer Damenstifte in einigen Gebieten zog in jedem Fall eine drastische Veränderung von Lebensformen nach sich.⁹¹ Bildeten die Religiosen zwar zahlenmäßig im Verhältnis zur Mehrheit der nicht ordinierten Personen eine Minderheit, so blieb und bleibt davon jedoch unbenommen die soziokulturelle und symbolische Bedeutung der Klosterauflösungen, welche unter anderem zu Veränderungen der Sakraltopografie von Städten und Landschaften, der Architektur, der Akustik des Stadtraums und der religiösen Ordnung der Gesellschaft sowie nicht zuletzt dem Wegfall der Klöster als Grundherren und „Arbeitgeber“ führten. Vor diesem Hintergrund ist die Relativierung von Heide Wunder, die Reformation habe im Ver-
Vgl. etwa die noch polarisierenden Positionen bei Gisela Muschiol, Die Reformation, das Konzil von Trient und die Folgen. Weibliche Orden zwischen Auflösung und Einschließung. In Christo. Conrad (Hg.), 1999, 172– 198; Gisela Muschiol, „Ein jammervolles Schauspiel…“? Frauenklöster im Zeitalter der Reformation. In Frauen und Kirche, hg. von Sigrid Schmitt. (Mainzer Vorträge 6). Stuttgart: Steiner, 2002, 95 – 114. Als jüngere Beiträge vgl. ebenso kritisch, jedoch konfessionsübergreifend Anne Conrad,Vom Evangelium zur Ehe. In Frauen. Schattkowsky (Hg.), 2016, 39 – 52; Anne Conrad, Das helle Licht der Wahrheit? Klosteraustritte in der Reformation in geschlechtergeschichtlicher Perspektive. In Glaube. Labouvie (Hg.), 2019, 197– 215; Ute Gause, Reformation und Genderforschung. Schritte der Neukonzeptionierung. In Frauen. Schattkowsky (Hg.), 2016, 21– 37; Ute Gause, Geschlechterkonstruktionen der Reformation. Wandel, Konstanz, Interdependenzen. In Glaube. Labouvie (Hg.), 2019, 75 – 86. Vgl. sehr kritisch in Bezug auf die sozioökonomische Situation von ehemaligen weiblichen Religiosen im Vergleich zu der von männlichen Enno Bünz, Schicksale von Mönchen und Nonnen in der Reformationszeit. Ihre Zukunftsperspektiven nach Aufhebung der Klöster im Kurfürstentum Sachsen. In Negative. Greiling et al. (Hg.), 2015, 81– 108. Als konventsübergreifende Studien zur Reformation der Klöster (insbesondere in Nürnberg und Straßburg) vgl. Barbara Steinke, Paradiesgarten oder Gefängnis? Das Nürnberger Katharinenkloster zwischen Klosterreform und Reformation (Spätmittelalter und Reformation. Neue Reihe 30). Tübingen: Mohr Siebeck, 2006; Amy Leonard, Nails in the Wall. Catholic Nuns in Reformation Germany (Women in Culture and Society). Chicago, London: University of Chicago Press, 2005; Anna Sauerbrey, Die Straßburger Klöster im 16. Jahrhundert. Eine Untersuchung unter besonderer Berücksichtigung der Geschlechtergeschichte (Spätmittelalter, Humanismus, Reformation 69). Tübingen: Mohr Siebeck, 2012. Zu den Folgen der Reformation für Klöster vgl. umfassend auch Wolgast, Schicksal.
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gleich zur Mehrheit der Lai:innen überhaupt nur wenige Personen betroffen, deren alternative Lebensmöglichkeiten zur Ehe durch die Klosterauflösungen nun beschränkt waren, weder inhaltlich nachzuvollziehen noch als Argument haltbar.⁹² Die Privilegierung einer quantitativen Größe für die Einschätzung der Bedeutung historischer Lebensweisen widerspricht nicht nur geschlechtergeschichtlichen Standards, sondern auch mikrohistorischen Ansätzen.⁹³ Gleichzeitig – und dieser Aspekt scheint mir nach wie vor unterrepräsentiert – können die Auswirkungen der Reformation je nach Lebensform in den verschiedenen gesellschaftlichen Bereichen nicht unabhängig voneinander betrachtet werden, sondern müssen im Kontext der komplexen vergeschlechtlichten und vergeschlechtlichenden gesellschaftlichen Um- und Neuordnung interpretiert werden. So ist unabhängig von der jeweiligen Perspektive unstrittig, dass für die reformatorisch intendierte Geschlechterordnung die normative Zuordnung und Verbindung von männlichen und weiblichen Personen als Arbeits-, Ehe- und Hauselternpaar konstitutiv war.⁹⁴ Auch unter Einbeziehung der immer auch möglichen Brüche mit dieser Norm durch vor allem intersektional ausdifferenzierte Handlungsoptionen, trotz der auch in katholischen Gebieten herausgebildeten normativen Geschlechterordnung und auch unter Berücksichtigung der „ganzen Breite der geschlechtlichen Markierungen“⁹⁵, die es für die Epoche der Frühen Neuzeit infolge der Reformation noch herauszuarbeiten gilt, bleibt doch bestehen, dass diese Normierung der Geschlechterkonzepte als Existenzweisen, die heterosexuell, gebunden an die Ehe und reproduktiv konstituiert waren, in direktem Zusammenhang mit dem Verwerfen der monastischen Lebensformen stand.⁹⁶ Letztere unterschieden sich davon funktional und strukturell auf allen Ebenen, da sie homosozial, asketisch und zölibatär angelegt waren und differierenden Vorstellungen von Gemeinschaft und Zugehörigkeit genügten, die trotz
Vgl. Wunder, Glaube, 64– 65. Die politisch-ethische Tragweite einer Relativierung von Minderheitenpositionen unter Bezugnahme auf ihre Quantität scheint in dieser Aussage kaum reflektiert worden zu sein. Eine differenzierte Kritik der bisherigen Forschungspositionen zur Geschlechtergeschichte der Reformation findet sich bei bei Opitz-Belakhal, Ehelob, die für eine intersektionale, konfessionsübergreifende und multiperspektivische Auseinandersetzung plädiert. Vgl. Opitz-Belakhal, Ehelob, 142. In diesen Zusammenhang gehören selbstverständlich auch die weltlichen zölibatären Lebensformen. Zur Unterscheidung von Normativität, Norm und Normalisierung vgl. Isabell Lorey, Weißsein und Immunisierung. Zur Unterscheidung zwischen Norm und Normalisierung. translate: beyond postcolonialism: the production of the global common (21.06. 2007). https://translate. eipcp.net/strands/03/lorey-strands01de.html (17.04. 2022); Michel Foucault, Vorlesung am Collège de France 1977– 1978. In Sicherheit, Territorium, Bevölkerung. Geschichte der Gouvernementalität 1. Frankfurt am Main: Suhrkamp, 2004, 87– 133, hier 88 – 89.
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möglicher Ähnlichkeiten durch die Verankerung der reformatorischen Glaubenspraxis im „weltlichen“ Leben nicht mit anderen Formen von Sozialität vereinbar waren. Stattdessen stellten sie die Zugehörigkeitskonzepte reformatorischer Glaubensvorstellungen fundamental infrage und wurden umgekehrt von diesen fundamental infrage gestellt. Aus Geschlechterperspektive ließe sich dann die Kategorie der „normativen Zentrierung“, die Berndt Hamm für die „Eigendynamik von Theologie, Frömmigkeit und Kirchlichkeit, Rechtspflege, Politik und Staatlichkeit“ erarbeitet hat, um im Epochen übergreifenden Zeitraum des 15. und 16. Jahrhunderts die Reformation als Prozess und zugleich als Umbruch zu erfassen, als „heteronormative Zentrierung“ weiterentwickeln.⁹⁷ Stellten die Zentrierungsprozesse der Reformation eine Bewegung „auf eine maßgebende, grundlegend orientierende, regulierende und legitimierende Mitte hin“ dar, die sich konträr zum Modell der abgestuften Sakralität des Spätmittelalters verhielt⁹⁸, so lässt sich an der Veränderung der Wirkungsweise der Kategorie Geschlecht in der Neuordnung bzw. -orientierung hin zum beschriebenen heteronormativen Gesellschaftsmodell eine ähnliche Bewegung konstatieren.⁹⁹ In diesem Sinne ist die Reformation als Ereignis je nach Fragestellung als Epochenwende, Umbruch, Zäsur, Krise oder Riss zu fassen, wobei gleichzeitig auch Kontinuitäten in Bezug auf theologische, frömmigkeitsgeschichtliche, sozioökonomische und urbane Entwicklungen beachtet werden müssen.¹⁰⁰ Der Untersu-
Vgl. Berndt Hamm, Normative Zentrierung im 15. und 16. Jahrhundert. Beobachtungen zu Religiosität, Theologie und Ikonologie. Zeitschrift für Historische Forschung 26: 2 (1999), 163 – 202, hier 164. Die Kategorie der normativen Zentrierung entwickelte Hamm bereits in zwei früheren Aufsätzen, vgl. Berndt Hamm, Reformation als normative Zentrierung von Religion und Gesellschaftschaft. Jahrbuch für Biblische Theologie 7 (1992), 241– 279; Berndt Hamm, Von der spätmittelalterlichen reformatio zur Reformation. Der Prozeß normativer Zentrierung von Religion und Gesellschaft in Deutschland. Archiv für Reformationsgeschichte 84 (1993), 7– 82. Vgl. Berndt Hamm, Einheit und Vielfalt der Reformation – oder: was die Reformation zur Reformation machte. In Reformationstheorien. Ein kirchenhistorischer Disput über Einheit und Vielfalt der Reformation, hg. von Berndt Hamm, Bernd Moeller, Dorothea Wendebourg. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht, 1995, 57– 127, hier 70. Damit erweist sich auch die Kategorisierung von Hamm als topologischer Begründungsansatz für die Geschichte der Reformation. Zum Beginn von Zentrierungsbewegungen im Spätmittelalter vgl. Berndt Hamm, Lazarus Spengler (1479 – 1534). Der Nürnberger Ratsschreiber im Spannungsfeld von Humanismus und Reformation, Politik und Glaube (Spätmittelalter und Reformation. Neue Reihe 25). Tübingen: Mohr Siebeck, 2004, 315 ff. Vgl. etwa zu Kontinuitäten in der Ehetheologie Rüdiger Schnell, Geschlechtergeschichte und Textwissenschaft. Eine Fallstudie zu mittelalterlichen und frühneuzeitlichen Ehepredigten. In Text und Geschlecht. Mann und Frau in Eheschriften der frühen Neuzeit, hg. von Rüdiger Schnell. Frankfurt am Main, 1997, 145 – 175; zur Kontinuität der Augustinusrezeption in der Theologie seit dem Spätmittelalter vgl. Berndt Hamm, Hieronymus-Begeisterung und Augustinismus vor der
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chungszeitraum dieser Studie bezieht über die Epochengrenze hinweg die der Reformation im 15. Jahrhundert vorausgegangenen Ordensreformen als Erneuerungsversuche mit ein, da die Tradition der Observanz und die darin hervorgebrachten Lebensweisen für die Klarissen maßgebliche Ressourcen im Umgang mit den Herausforderungen darstellten, die die Reformation für die Klöster bedeutete. Diese Perspektive grenzt sich damit ab von einer Lesart, die dem 15. Jahrhundert unter den Vorzeichen der „Krise des Spätmittelalters“, von der ausgehend die Reformationsbewegungen als notwendige Folge entstanden seien, maximal einen Fluchtpunkt zugesteht, von dem aus betrachtet es nur eine denkbare Entwicklung habe geben können.¹⁰¹ Alternativ zu einer solchen Perspektive auf die Reformation als Epochenwende und Tür zu einer (aber ja eben gerade nicht) offenen Zukunft, deren Fortsetzung in Richtung Aufklärung und Moderne wissenschaftlich und geschichtspolitisch kontinuierlich als Fortschrittsnarrativ gerahmt wird, kann das Spätmittelalter als Ressource gesehen werden, deren Wissen und
Reformation. Beobachtungen zur Beziehung zwischen Humanismus und Frömmigkeitstheologie (am Beispiel Nürnbergs). In Augustine, the Harvest, and Theology (1300 – 1650). Essays Dedicated to Heiko Augustinus Oberman in Honor of his Sixtieth Birthday, hg. von Kenneth Hagen. Leiden, New York, Kopenhagen, Köln: Brill, 1990, 127– 235; zur Entstehung des Arbeitspaares aus der mittelalterlichen Zunftpraxis vgl. Wunder, Mond; zum Zusammenhang zwischen der Reformation der Klöster und urbanen Entwicklungen im Spätmittelalter vgl. Sigrid Schmitt, Die Auflösung der Straßburger Frauenklöster in der Reformation. Eine Umformung der Urbanität? In Urbanisierung und Urbanität. Der Beitrag der kirchlichen Institutionen zur Stadtentwicklung in Bayern, hg. von Helmut Flachenecker, Rolf Kiessling. (Zeitschrift für Bayerische Landesgeschichte. Beiheft 36). München: C. H. Beck, 2008, 157– 185. Eine besonders auffällige Variante dieser Lesart ist die Perspektive auf die Reformation als Tür zu einer neuen Epoche, mit der Handlungsmöglichkeiten vor allem im Sinne von Erweiterungen hinzugekommen seien, jegliches Davor an Wissen und Praktiken aber in einer Art „Container der Vergangenheit“ verschwinde, vgl. beispielsweise Labouvie, Reformation, 16 – 17. Zum Diskussionsstand um die Konstruktion der Reformation als Epochenbegrenzung vgl. Schmidt-Funke, Reformation, 33; Ute Lotz-Heumann, Confessionalization is Dead, Long Live the Reformation? Reflections on Historiographial Paradigm Shifts on the Occasion of the 500th Anniversary of the Protestant Reformation. In Multiple Reformations? The Many Faces and Legacies of the Reformation, hg. von Jan Stievermann, Randall C. Zachman. (Colloquia historica et theologica 4). Tübingen: Mohr Siebeck, 2018, 127– 137. Zur Kontextualisierung der Reformation innerhalb der longue durée der Reformbewegungen vgl. Bert Roest, The Observance and the Confrontation with Early Protestantism. In A Companion to Observant Reform in the Late Middle Ages and Beyond, hg. von James D. Mixson, Bert Roest. (Brill’s Companions to the Christian Tradition 59). Leiden, Boston: Brill, 2015, 285 – 308, hier 285 ff.; zur Epochendiskussion vgl. außerdem die Beiträge in Helmut Neuhaus (Hg.), Die Frühe Neuzeit als Epoche (Historische Zeitschrift. Beihefte: Neue Folge 49). München: Oldenbourg, 2009.
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Praktiken auch später genutzt werden konnten und genutzt wurden.¹⁰² Die monastische Lebensform der Klarissen, ihre im 15. Jahrhundert sowie als ein Ergebnis der Reformationsherausforderungen neu hervorgebrachte Spezifität, ermöglicht es mir, die Umordnungen und Neuorientierungen der Geschlechterordnung zu kontrastieren, da dadurch die neuen Lebensformen der heteronormativen Ehe und des entsprechenden Haushalts als Versuch, das Leben im Glauben „in der Welt“ zu verorten, als ein Modell hervortreten, das es nur geben konnte, indem man die Lebensform des Klosters als das „ganz Andere“ davon abgrenzte.¹⁰³ Diese Perspektive impliziert Fragen danach, aus welchen Gründen und unter welchen Bedingungen sich diese Entwicklung in dieser Weise vollzog, warum sich aus den Reformhandlungen und Revolutionsmomenten der 1520erJahre derart weitreichende Veränderungen entwickeln konnten – und ob es andere Möglichkeiten hätte geben können.¹⁰⁴ Mit der Rekonstruktion von Lebensformen im frühen 16. Jahrhundert aus räumlicher Perspektive beabsichtige ich auch, ein tieferes Verständnis der Neucodierung der vergeschlechtlichten und vergeschlechtlichenden Ordnung im
Zu historiografischen Engführungen kam es im Bereich der Public History besonders in der Lutherdekade und um das Reformationsjubiläum 2017 mit zahlreichen Ausstellungen und Publikationen, vgl. exemplarisch den Überblick bei Labouvie, Reformation, 15 – 16, sowie die Grußworte im gleichen Band. Diese Aktualisierungen griffen Diskurse der (weißen) europäischen Geschichte der Reformation auf, in deren Mittelpunkt die Befreiung „des Individuums“ von den Schrecken des Mittelalters steht, vgl. exemplarisch hierfür Steven E. Ozment,When Fathers Ruled. Family Life in Reformation Europe (Studies in Cultural History). Cambridge, Mass.: Harvard University Press, 1983. In Zusammenhang mit dieser Lesart ist auch die (insbesondere auch im deutschsprachigen Raum) fast ausschließliche Konzentration auf die Person Martin Luthers als Hauptakteur der Reformation zu bewerten. Einen interessanten, ebenfalls biografischen, dabei indes dezentrierenden und popkulturell informierten Zugang bietet der 2018 produzierte Film Zwingli – Der Reformator. Stefan Haupt (Hg.). CH/D, 2018. Vgl. sehr kritisch zu den geschichtskulturellen Diskursen um Luther die Beiträge von Achim Landwehr in seinem diesbezüglichen Blog: Landwehr, Achim, Mein Jahr mit Luther. Unterwegs in der deutschen Geschichtskultur. https://meinjahrmitluther.wordpress.com/ (17.04. 2022). Weitere Grenzziehungen bezogen sich bekanntlich auf den Status des Unverheiratetseins, auf außereheliche (hetero‐)sexuelle Praktiken sowie sämtliche nicht-heterosexuelle Praktiken, vgl. Schmidt-Funke, Reformation, 45 – 46. Vgl. Foucault, Kritik. Zur Foucault’schen Perspektive bezüglich des verworfenen Wissens bzw. der „unterdrückten Wissensformen“ vgl. außerdem Achim Landwehr, Das Sichtbare sichtbar machen. Annäherungen an ‚Wissen‘ als Kategorie historischer Forschung. In Geschichte(n) der Wirklichkeit. Beiträge zur Sozial- und Kulturgeschichte des Wissens, hg. von Achim Landwehr. (Documenta Augustana 11). Augsburg: Wißner, 2003, 61– 89, hier 81. Interessante Aufschlüsse geben auch Studien über utopische Gesellschaftsentwürfe wie die der Täufer[:innen]bewegung, vgl. jüngst Thomas Kaufmann, Die Täufer. Von der radikalen Reformation zu den Baptisten. München: C. H. Beck, 2019.
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Sinne einer Historisierung von Heteronormativität und Zweigeschlechtlichkeit zu entwickeln. Das Augenmerk meiner Untersuchung auf monastisches Leben, das noch vor der Entstehung des Sexualitätsdispositivs angesiedelt war, eröffnet die Möglichkeit, plurale und vielfältige vergeschlechtlichte Subjektivierungsformen zu fokussieren, anstatt die moderne Binarität von sexueller Repression (Kloster) bzw. sexueller Befreiung (Reformation) unhinterfragt vorauszusetzen.¹⁰⁵
Zu den Quellen, dem Aufbau der Arbeit und der Methodik Im Zentrum meiner Untersuchung der räumlichen Verfasstheit vergeschlechtlichter monastischer Lebensformen stehen die observanten Klarissenkonvente Nürnberg, Pfullingen, Brixen und Villingen sowie der Colettinen-Klarissenkonvent Genf. Mein Quellenkorpus besteht aus von den Gemeinschaften selbst verfassten historiografischen Aufzeichnungen (den sogenannten Klosterchroniken) sowie ihren Regeltexten, die in ihren normativen und deskriptiven Dimensionen aufeinander bezogen werden und mit dem bereits erschlossenen Wissen über architektonische und bildliche Manifestationen von Raum an den jeweiligen Klosterstandorten kontextualisiert werden. Das erste Kapitel gibt einen Überblick auf die Geschichte der untersuchten Konvente zwischen Reform und Reformation und ihre jeweilige Quellenproduktion. In diesem Zusammenhang diskutiere ich Regeltexte und Chroniken als Quellengattungen vor dem Hintergrund der Binarität von Normativität und Deskriptivität, die diesen Quellentypen implizit oder explizit zugeschrieben wird. In drei analytischen Kapiteln rekonstruiere ich anschließend die Topologien der Klarissengemeinschaften bezüglich verschiedener Dimensionen der Raumproduktion. Zunächst wird nach einer Zusammenfassung der historischen Entwicklung der monastischen Klausur für weibliche Gemeinschaften im Hinblick auf ihre Ordnungs- und Raumvorstellungen die Semantik der Klausur erschlossen, die als primäres räumliches Strukturprinzip der Lebensform der Klarissen sowohl ordnungsstiftend als auch geschlechtertransgressiv, zugehörigkeitsbestimmend und überlebensnotwendig wirksam werden konnte (Kapitel II). Im Anschluss daran werden in Kapitel III und IV die regulierenden und historiografischen Quellensorten als Räume der Wissensproduktion weiblicher Religioser in einen Dialog gebracht. Im Schreiben von Chroniken im Moment der Reformation institutionalisierten sich kollektive Auseinandersetzungsprozesse
Zur Geschichte des Sexualitätsdispositivs und zur Kritik der Repressionshypothese in der Moderne vgl. Foucault, Wissen.
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Einleitung
mit dem Wissen, das man aus den verschiedenen Ordensreformen gewonnen hatte, wobei die entsprechenden Rückgriffe jeweils mehrfach gefiltert waren. Dies repräsentiert die Simultaneität von Denken, Schreiben, Überliefern und Erfahren in der monastischen Lebensform. Die Kapitelstruktur impliziert, das Modell der prozesshaften Produktion des Raumes für das Kloster als Laboratorium analytisch anzuwenden. So untersuche ich, wie durch wortverbundene Praktiken des Sprechens, Schreibens und Schweigens die Sakralisierung des Klausurraums produziert wurde. Die Klausur erweist sich dabei als ein komplexes Raummodell, in dem Räume und Orte abgestufter Sakralität durch die jeweiligen Kommunikationspraktiken über- und nebeneinander erzeugt wurden (Kapitel III). In Kapitel IV fasse ich mit der Konzeption der Sichtbarkeitsordnung als Systematik des Sehens und Gesehenwerdens die Möglichkeiten, die körperliche Materialisierung der Klausur durch Blicke, asketische Körper, Architektur und Kleidung beschreibbar zu machen. Die raumbezogenen Praktiken des Gesehenwerdens und des Sehens und ihre Verknüpfungsmomente mit den Körpern der (Mitglieder der) Gemeinschaften erweisen sich als Möglichkeit, die gesellschaftlichen Umordnungsprozesse und Neuorientierungen der Reformation beschreibbar zu machen, indem die Räume der Klarissenkonvente in Kontrast zu den jeweiligen städtischen Räumen anhand der Kategorie Sichtbarkeit untersucht werden. Methodisch werte ich die Quellen praxeologisch aus, das heißt, ich analysiere die in ihnen identifizierten Praktiken klösterlichen Lebens auf ihre raumproduzierenden Möglichkeiten hin. Praktiken sind in dieser Arbeit als geregelte, routinierte, an Körper und Objekte gebundene und mit implizitem Wissen verknüpfte Handlungsgefüge zu verstehen, deren Analyse in den jeweiligen historischen Kontexten Aufschluss über die Strukturen des Handelns ermöglicht.¹⁰⁶ Historische Praktiken werden anhand materieller Überlieferungen und schriftlicher sowie bildlicher Ausdrucksformen nachvollziehbar und geben damit Aufschluss über die ihnen inhärenten (Vorstellungen und Ausdrucksformen von) Subjektivierungen, wobei sich auch die Prozesshaftigkeit dieser Subjektivierungen in ihnen abbildet.¹⁰⁷ Praxistheorie und historische Praxeologie suchen – durchaus kontrovers diskutiert – die größtmögliche Annäherung an historische Akteur:in-
Vgl. Jaeggi, Lebensformen, 95 – 102; Andreas Reckwitz, Grundelemente einer Theorie sozialer Praktiken. Eine sozialtheoretische Perspektive. Zeitschrift für Soziologie 32: 4 (2003), 282– 301, hier 294; Mareike Böth, „Why all the fuss about practice theory?“. Zum Verhältnis von Geschlechterund Praxistheorie aus Sicht einer Historikerin. GENDER – Zeitschrift für Geschlecht, Kultur und Gesellschaft 10: 1 (2018), 13 – 28, hier 13 – 14. Vgl. Andreas Reckwitz, Subjekt (Einsichten. Themen der Soziologie). Bielefeld: transcript, 2008, 10 – 24.
Zu den Quellen, dem Aufbau der Arbeit und der Methodik
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nen und betonen dabei die Pluralität von Lebensformen und Subjektivitäten und streben die Überwindung von Dichotomien wie Norm und Praxis an.¹⁰⁸
Ich beziehe mich hier beispielsweise auf Andreas Reckwitz, Praktiken und Diskurse. Eine sozialtheoretische und methodologische Relation. In Theoretische Empirie. Zur Relevanz qualitativer Forschung, hg. von Herbert Kalthoff, Stefan Hirschauer, Gesa Lindemann. Frankfurt am Main: Suhrkamp, 2015, 188 – 209; Dagmar Freist, Diskurse – Körper – Artefakte. Historische Praxeologie in der Frühneuzeitforschung – eine Annäherung. In Diskurse – Körper – Artefakte. Historische Praxeologie in der Frühneuzeitforschung, hg. von Dagmar Freist. (Praktiken der Subjektivierung 4). Bielefeld: transcript, 2015, 9 – 30, hier 19. Freist betont die Bedeutung,Wirksamkeit und Widerständigkeit des Alltäglichen gegenüber der Determinierung durch Strukturen, betont das Element der Eigenständigkeit dabei allerdings meiner Ansicht nach etwas zu stark. Zum Nebeneinander von Gemachtem und Gegebenem, zu Störbarkeit und Trägheit von Praktiken vgl. auch Jaeggi, Lebensformen, 127– 132.
I Die Klarissen und ihre Textproduktion zwischen Observanz und Reformation Dieses Kapitel kontextualisiert die in dieser Arbeit untersuchten Klostergemeinschaften hinsichtlich ihres historisch-regionalen und sozialen Standorts und des aus diesen Konventen zusammengestellten Quellenkorpus. Im ersten Teil wird ein Überblick über den Ablauf der Reformen in den Klarissenklöstern der Straßburger Ordensprovinz sowie dem Genfer Klarissen-Colettinen-Kloster vom Beginn in den 1450er-Jahren bis zu ihrer Einbeziehung in die reformatorischen Bewegungen in den 1530er-Jahren gegeben. Dabei werden für den jeweiligen Standort der Verlauf der Bewegungen, wichtige Ereignisse, Akteur:innen und Ziele dargestellt. Anschließend wird der Quellenkorpus vorgestellt. Dabei werden dessen Produktionsbedingungen, nach Quellengattung differenziert, im Zusammenhang mit der historischen Entwicklung der jeweiligen Gemeinschaften beschrieben und Gattungsmerkmale und quellenkritische Aspekte diskutiert.
I.1 Die Klarissenkonvente der Straßburger Ordensprovinz und die Genfer Klarissen-Colettinen von der Observanz bis zur Reformation Die Observanz, also die Beachtung der konstitutiven bzw. „ursprünglichen“ Vorschriften einer Ordensgemeinschaft, war Kernstück und Leitlinie insbesondere der franziskanischen Ordensreformbewegungen, die ab Mitte/Ende des 14. Jahrhunderts entstanden und sich bis 1500 auf alle Orden in Europa ausdehnten. Ziel war es, durch eine re-formatio, also eine Zurück-Formung der Lebensweise, zu den grundlegenden Elementen des Ordenslebens zurückzukehren, darunter die strenge Klausur, die Armut und die Vorschriften der Ordensregel zur gemeinschaftlichen sowie der asketischen Lebensweise (beispielsweise Fasten und Schweigen).¹ Vgl. James D. Mixson, Introduction. In Companion. Mixson et al. (Hg.), 2015, 1– 20, zu einem aktuelleren Überblick über den enormen Umfang der Forschungsliteratur zu den Observanzbewegungen im mittelalterlichen Ordenswesen; vgl. dazu außerdem James D. Mixson, Religious Life and Observant Reform in the Fifteenth Century. History Compass 11: 3 (2013), 201– 214. Für ältere Forschungsübersichten vgl. Kaspar Elm, Reform- und Observanzbestrebungen im spätmittelalterlichen Ordenswesen. Ein Überblick. In Reformbemühungen und Observanzbestrebungen im spätmittelalterlichen Ordenswesen, hg. von Kaspar Elm. (Berliner historische Studien. Ordensstudien 6). Berlin: Duncker & Humblot, 1989, 3 – 19; Uffmann, Rosengarten, 13 ff. https://doi.org/10.1515/9783110744613-003
I.1 Die Klarissenkonvente der Straßburger Ordensprovinz
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Die Gründe für das Aufkommen der Observanzbewegungen waren vielfältig. In der sogenannten „Krise des Spätmittelalters“ hatten die Gemeinschaften in den Klöstern – wie andere Gruppierungen der Bevölkerung auch – mit den Folgen von Pestepidemien und lang andauernden militärischen Auseinandersetzungen zu kämpfen.² Die Orden litten unter der personellen Dezimierung durch die Pest und organisierten sich teilweise neu, indem Häuser geschlossen oder in anderen Formationen, vorzugsweise in den Städten, neu gegründet wurden.³ Als eines der Hauptereignisse der Verunsicherung des Lebens im 14. Jahrhundert, ist das sogenannte Große Abendländische Schisma anzusehen, die zeitweilige Existenz zweier Päpste in Rom bzw. Avignon samt ihren konkurrierenden Netzwerken und Deutungshoheitsansprüchen über das Heilsgeschehen. Dieses päpstliche Schisma erzeugte in den fünfzig Jahren seines Andauerns Unsicherheit auf allen Ebenen, ließ dadurch aber in der religiösen Praxis auch Spielraum für vielfältige Ausgestaltungen. So entwickelte sich seit dem 14. Jahrhundert in Europa eine Vielfalt religiöser Lebensformen, darunter auch solche mit Reformansprüchen wie die Wycliffit[:inn]en und die Hussit[:inn]en, deren Legitimität in den Konzilien des 15. Jahrhunderts verhandelt wurde. Die franziskanischen Observanzbewegungen müssen daher im Rahmen des spätmittelalterlichen Reformparadigmas betrachtet werden, dem seit dem Laterankonzil 1215 verschiedenste religiöse Bewegungen, sowohl Orden als auch Lai:innen, zuzuordnen sind.⁴ Ebenso wie ihre Ursachen nicht als monokausale Anlässe beschrieben werden können, sondern als ein komplexes Zusammenspiel verschiedener politischer, wirtschaftlicher, territorialer und theologischer Entwicklungen verstanden werden müssen⁵, konnte auch die Durchsetzung der Observanz in den einzelnen Städten und Ge-
Zu einer Zusammenfassung der Kritik am Begriff „Krise des Spätmittelalters“ als verengende Epochenfassung vgl. Hanne Grießmann,Visitacion vnd reformacion. Zur Observanzbewegung der Franziskaner und Klarissen im Spätmittelalter. In „Schreib die Reformation von Munchen gancz daher“. Teiledition und historische Einordnung der Nürnberger Klarissenchronik (um 1500), hg. von Lena Vosding. (Quellen und Forschungen zur Geschichte und Kultur der Stadt Nürnberg 37). Nürnberg: Stadtarchiv Nürnberg, 2012, 31– 44, hier 32. Vgl. Bert Roest, The Poor Clares during the Era of Observant Reforms. Attempts at a Typology. Franciscan Studies 69: 1 (2011), 343 – 386, hier 344. Vgl. Kurt Aland, Geschichte der Christenheit. Bd. 1: Von den Anfängen bis an die Schwelle der Reformation. 2. Aufl. Gütersloh: Gütersloher Verlagshaus, 1991, 333 ff. Heike Uffmann plädiert für eine unbedingte Perspektivnahme aus dem einzelnen Klosterstandort heraus, in dem sich die jeweiligen Strukturen überkreuzten, vgl. Uffmann, Rosengarten, 44.
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I Die Klarissen und ihre Textproduktion zwischen Observanz und Reformation
bieten je nach Interessenlage von Landesherren, Bischöfen, dem Generalkapitel der Reformkongregationen oder sogar dem Papst ausgehen.⁶ In den franziskanischen Ordenszweigen entwickelte sich im 15. Jahrhundert im Zusammenhang mit Reformbewegungen in verschiedenen geografischen und politischen Regionen eine Art „Reform-Verdichtung“, die ihre inhaltlichen und strukturellen Schwerpunkte je nach lokalen Interessengruppen und geistlichen wie auch weltlichen Akteur:innen fand und setzte.⁷ Je nach Bezugssystem, Überzeugung und Diskursivierungsform kann man darin (das Narrativ von) „Niedergang“ oder „Verfall“ des Ordenslebens ausmachen.⁸ Für die weiblichen Gemeinschaften, die im Folgenden diskutiert werden, bedeutete die Observanz neben der Einführung der Klausur und den veränderten Vermögensverhältnissen auf struktureller Ebene eine Zunahme von Bildung und Wissensproduktion. Um diese Lebensform tatsächlich vollziehen zu können, waren verbesserte (Lese‐)Kenntnisse der Regeltexte und der Gebete nämlich Voraussetzung.⁹ Darüber hinaus schrieben die Schwestern nun selbst auch mehr, es ist also eine durch die Observanz ausgelöste deutlich erhöhte Schrift- bzw. Quellenproduktion in den weiblichen Gemeinschaften zu verzeichnen, die auf der Auseinandersetzung mit den Reforminhalten zur Lebensform beruhte.¹⁰
Seit den 1980er-Jahren ist in der historiografischen Diskussion der Observanz ein Paradigmenwechsel zu konstatieren, der sich von ihren Ursachen zunehmend in Richtung auf Verlaufsformen, Ressourcen und sozial- und netzwerkgeschichtliche Fragestellungen bewegt hat, vgl. Stefanie Monika Neidhardt, Autonomie im Gehorsam. Die dominikanische Observanz in Selbstzeugnissen geistlicher Frauen des Spätmittelalters (Vita regularis. Abhandlungen Band 70). Berlin: LIT Verlag, 2017, 5, FN 7. Neidhardts Studie bietet – und fordert – eine multiperspektivische Geschichte der Observanz, indem sie die elitären Positionen der männlichen Reformer mit denen der „betroffenen“ Schwestern konfrontiert und das Phänomen Observanz in Rückgriff auf das (moderne) Konzept der Sozialen Bewegung erklärt. Vgl. Grießmann,Visitacion, 33; Bert Roest, Observant Reform in Religious Orders. In Cambridge History of Christianity. Bd. 4: Christianity in Western Europe c. 1100 – c. 1500, hg. von Miri Rubin, Walter Simons. Cambridge: Cambridge University Press, 2009, 446 – 457. Vgl. Anne Huijbers, „Observance“ as Paradigm in Mendicant and Monastic Order Chronicles. In Companion. Mixson et al. (Hg.), 2015, 111– 143, hier 118 – 119. Vgl. auch Lena Vosding, Von Assisi nach Nürnberg. Der Klarissenorden und der Nürnberger Konvent St. Klara. In Schreib. Vosding (Hg.), 2012, 13 – 29, hier 20; Neidhardt, Autonomie, insbesondere die „Einleitung“, 3 – 27, vor allem 5 – 15. Vgl. Vosding, Assisi, 23. Vgl. dazu ausführlicher meine Darstellung in den folgenden Abschnitten.
I.1 Die Klarissenkonvente der Straßburger Ordensprovinz
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I.1.1 Nürnberg: St. Klara Am Beispiel der Reichsstadt Nürnberg lassen sich der Ablauf der Reformen in den städtischen Klöstern und das Zusammenwirken der einzelnen Interessengruppen dabei anschaulich nachvollziehen.¹¹ Zunächst konzentrierten sich die Reformbestrebungen dort auf den Dominikanerkonvent, der nach einer Eingabe des Rates bei der Ordensleitung und durch das Engagement des Predigermönchs Konrad von Preußen in den 1390er-Jahren reformiert und der Beachtung der Ordensregel zugeführt wurde.¹² Reformunwillige Brüder zogen in andere, (noch) nicht reformierte Klöster um. Von da an galt der Konvent als leuchtendes Beispiel für andere Klöster der Ordensprovinz. Die zweite Klosterreform in Nürnberg betraf das Dominikanerinnenkloster St. Katharina, das nach dreißigjährigem größtem Widerstand der Schwestern schließlich 1428/29 der Observanz verpflichtet wurde.¹³ Es folgten das Benediktinerkloster St. Egidien, die Karmeliten und die Augustinereremiten von St. Veit. 1447 wurde schließlich das Barfüßerkloster, der städtische Franziskanerkonvent, reformiert. Hier wie auch bei den zuvor erwähnten Klöstern gingen Beschwerden des Stadtrats über die Nichteinhaltung der durch die Regel vorgegebenen Lebensweise und des Armutsgebotes voraus, die an die päpstliche Kurie gerichtet waren. Im Zuge der Reform wurden die Güter und Einkünfte des Bar-
In der älteren Ordensgeschichtsschreibung wird das Beispiel Nürnberg als prototypisch für den Ablauf der Observanz herausgestellt, vgl. zum Beispiel Johannes Kist, Klosterreform im spätmittelalterlichen Nürnberg. Zeitschrift für Bayerische Kirchengeschichte 32 (1963), 31– 45, hier 44. Vgl. Kist, Klosterreform, 32– 33. Vgl. Petra Seegets, Leben und Streben in spätmittelalterlichen Frauenklöstern. In Spätmittelalterliche Frömmigkeit zwischen Ideal und Praxis, hg. von Berndt Hamm, Thomas Lentes. (Spätmittelalter und Reformation N.R., 15). Tübingen: Mohr Siebeck, 2001, 24– 44, hier 26, sowie Kist, Klosterreform, 33 – 34. Die Geschichte der Dominikanerinnen von St. Katharina in Nürnberg ist aufgrund der hervorragenden Quellensituation bzw. vermittels der erhalten gebliebenen, reich ausgestatteten Klosterbibliothek vor allem in Bezug auf das 15. Jahrhundert aus bildungs-, wissens- und kunsthistorischer Perspektive intensiv bearbeitet worden, vgl. dazu Hamburger, Jäggi [et al.], Frauen; Antje Willing (Hg.), Die Bibliothek des Klosters St. Katharina zu Nürnberg. Synoptische Darstellung der Bücherverzeichnisse. Zwei Bände. Berlin: Akademie Verlag, 2012; Jäggi, Frauenklöster. Neben der älteren Einzelstudie von Walter Fries liegt eine kirchengeschichtliche Monografie von Barbara Steinke vor, die ihre Fragestellung nach den Handlungsoptionen der Schwestern in der Reformationszeit vor dem Hintergrund des besagten Klosters als observantem Konvent perspektiviert, vgl. Walter Fries, Kirche und Kloster zu St. Katharina in Nürnberg (Mitteilungen des Vereins für Geschichte der Stadt Nürnberg 25). Nürnberg, 1924; außerdem Steinke, Paradiesgarten.
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I Die Klarissen und ihre Textproduktion zwischen Observanz und Reformation
füßerklosters dem Neuen Spital in Nürnberg zugeeignet.¹⁴ Dieses Vorgehen ist als ein gemeinsames Merkmal der Observanz der Bettelordensklöster zu verstehen: Auf Beschwerden über Niedergang und Nichteinhaltung des Regelwerks durch den Stadtrat an Kurie oder Ordensgeneral folgte die Übertragung des Klostereigentums und des persönlichen „unrechtmäßigen“ Besitzes an die Stadtverwaltung oder eine andere städtische Einrichtung. Wenige Jahre nach den Nürnberger Franziskanern wurde 1452 auch das Klarissenkloster St. Klara der Observanz angeschlossen.¹⁵ Als erster reformierter Klarissenkonvent der Straßburger Ordensprovinz wurde das Kloster zu einem Zentrum der Reformbewegung.¹⁶
Zum Ablauf der Reform in den männlichen Gemeinschaften vgl. Kist, Klosterreform, S. 36 – 42. Über das Nürnberger Klarissenkloster ist vor allem im Zusammenhang mit der Reformation und ihrer herausragenden Protagonistin – und Widersacherin –, der Äbtissin Caritas Pirckheimer, viel geschrieben worden. Umfangreiche Quellenbestände aus dem Kloster und seinem Archiv sind in Stadtarchiv, Staatsarchiv und Germanischem Nationalmuseum der Stadt Nürnberg vorhanden, vgl. etwa den Ausstellungskatalog Lotte Kurras; Franz Machilek (Hg.), Caritas Pirckheimer, 1467– 1532. Eine Ausstellung der Katholischen Stadtkirche Nürnberg, Kaiserburg Nürnberg [26. Juni bis 8. August 1982]. München: Prestel, 1982. Trotz des Quellenreichtums, der Berühmtheit Caritas Pirckheimers und ihrer Familie sowie der Stellung Nürnbergs in der Forschungslandschaft zum Spätmittelalter und dem 16. Jahrhunderts ist eine 1929 von Johannes Kist verfasste Studie die bislang einzige Monografie über das Kloster St. Klara, vgl. Johannes Kist, Das Klarissenkloster in Nürnberg bis zum Beginn des 16. Jahrhunderts. Nürnberg: Sebaldus-Verlag, 1929. Neben einem größeren Aufsatz zu den Nürnberger Klarissen während der Reformation – nämlich Ulrike Strasser, Brides of Christ, Daughters of Men. Nuremberg Poor Clares in Defense of Their Identity. Magistra 1: 2 (1995), 193 – 248 – beschäftigen sich mehrere biografisch-netzwerkhistorische Aufsätze von Susanne Knackmuß mit Pirckheimer, vgl. Susanne Beate Knackmuß, Die Äbtissin und das schwarze Schaf oder zur vox ipsissima einer inutilis abatissima. 500 Jahre Äbtissinnenjubiläum der Nürnberger Klarisse Caritas Pirckheimer. Collectanea Franciscana 73 (2003), 93 – 159; Susanne Knackmuß, „KlausurUnterDruck“. Die observanten Frauenklöster – ein Opfer der „Kommunikationswende“ im frühen 16. Jahrhundert? In Kommunikation im Spätmittelalter. Spielarten – Wahrnehmungen – Deutungen, hg. von Romy Günthart, Michael Jucker. Zürich: Chronos, 2005, 41– 52; Susanne Knackmuß, „Meine Schwestern sind im Kloster …“. Geschwisterbeziehungen des Nürnberger Patriziergeschlechtes Pirckheimer zwischen Klausur und Welt, Humanismus und Reformation. Historical Social Research 30: 3 = Nr. 113 (2005), 80 – 106; Susanne Knackmuß, Reformation als „culture clash“. Geschlechterrollen als Kulturtechnik altund neugläubiger Nonnen. In Glaube und Geschlecht. Fromme Frauen, spirituelle Erfahrungen, religiöse Traditionen [3. Tagung des Vereins Frauen in der Literaturwissenschaft vom 4. – 6. März 2005], hg. von Ruth Albrecht, Annette Bühler-Dietrich, Florentine Strzelczyk. (Literatur – Kultur – Geschlecht 43). Köln, Weimar, Wien: Böhlau, 2008, 174– 197. Die als chronikalische Schrift tradierten Denkwürdigkeiten der Caritas Pirckheimer werden in Charlotte Woodfords literaturwissenschaftlicher Studie zur Gattung der Klosterchroniken tiefgreifend analysiert, vgl. Charlotte Woodford, Nuns as Historians in Early Modern Germany (Oxford Modern Languages and Literature Monographs). Oxford: Clarendon Press, 2002. Die Autorin Caritas Pirckheimer und ihre Auseinandersetzung mit der Reformation untersucht im Vergleich
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Einige Schlaglichter auf seine Geschichte: Die seit den 1220er-Jahren (damals noch außerhalb der Stadtmauern Nürnbergs) angesiedelte Magdalenerinnengemeinschaft hatte mithilfe beträchtlicher Zuwendungen ihrer Förder:innen, namentlich der Nürnberger Patrizierfamilie Ebner, im Stadtgebiet Nürnbergs in den 1270er-Jahren ein Klostergebäude mit Kirche errichtet, die 1274 geweiht worden war.¹⁷ Als Folge des Konzils von Lyon 1274 mussten sich die Nürnberger Schwestern in einen der vor 1215 entstandenen Orden eingliedern und wurden 1279 in den Klarissenorden inkorporiert.¹⁸ Wie die anderen Klöster der Straßburger Franziskanerprovinz befolgten die Nürnberger Klarissen die von Papst Urban IV. 1263 approbierte Regel (Urban-Regel/Regula secunda), die ihnen nur ein eingeschränktes Armutsgebot auferlegte. Zur dauerhaften Versorgung ihrer selbst und zum Unterhalt ihres Hauses hielten die Schwestern von St. Klara umfangreiche gemeinsame Besitztümer in Form von Grundstücken in den umliegenden Ortschaften, die sie durch Schenkungen und Erwerb erhalten hatten und deren entrichtete Pachten ihnen zuflossen.¹⁹ Seit etwa 1330 wurden diese Besitztümer durch einen vom Rat gestellten Pfleger verwaltet, der die Schwestern zugleich vor Gericht vertrat und seit 1395 zudem das Schutzrecht über das Kloster und seine Mitglieder ausübte.²⁰ Durch weitere Schenkungen und Zuwendungen gelangte der Konvent zu mehr und mehr Wohlstand. In den ihn betreffenden Reformdebatten des 15. Jahrhun-
mit Katharina Schütz-Zell die Studie von Andrea Christmann, vgl. Christmann, Autorinnen. Architektur- und Baugeschichte des Konvents und seiner Kirche werden in der architekturhistorischen Studie über Bettelordensklöster im Spätmittelalter von Carola Jäggi diskutiert, vgl. Jäggi, Frauenklöster, S. 96 – 97. Eine umfassende Darstellung der Schreibproduktion in St. Klara liefern die begleitenden Kapitel zur Teiledition der älteren Nürnberger Klarissenchronik, vgl. Lena Vosding (Hg.), „Schreib die Reformation von Munchen gancz daher“. Teiledition und historische Einordnung der Nürnberger Klarissenchronik (um 1500) (Quellen und Forschungen zur Geschichte und Kultur der Stadt Nürnberg 37). Nürnberg: Stadtarchiv Nürnberg, 2012. Vgl. Fürst, Heinrich, OFM, Das ehemalige St. Klarenkloster in Nürnberg. Franziskanische Studien 35: 2– 3 (1953), 323 – 333, hier 327, sowie Seegets, Leben, 27. Vgl. Vosding, Assisi, 18, und Kist, Klarissenkloster, 3 ff. Vgl. Fürst, Heinrich, OFM, Nürnberg, 323 – 324.; Vosding, Assisi, 18 – 19. Häufiger als in anderen deutschsprachigen Gebieten wurden in Oberdeutschland seit den 1250er-Jahren vermehrt Niederlassungen von Klarissen gegründet, vgl. David Brett-Evans, Diu regel der sanct Claren swestern orden. Ein deutsches Prosadenkmal aus dem 13. Jahrhundert. Euphorion 54: 1– 2 (1960), 135– 169, hier 135. Vgl. Fürst, Heinrich, OFM, Nürnberg, 324; Kist, Klarissenkloster, 84 ff., sowie Vosding, Assisi, 17. Eine ähnliche Besitzlage wiesen auch die anderen Klarissenklöster der Ordensprovinz auf, vgl. die folgenden Unterkapitel. Vgl. Vosding, Assisi, 19 – 20, sowie Kist, Klarissenkloster, 19.
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I Die Klarissen und ihre Textproduktion zwischen Observanz und Reformation
derts wurde neben den quasi „üblichen“ Verstößen gegen die Regeln des Klosteralltags dieser Wohlstand in Form von Eigenbesitz zum Anlass genommen, den „Verfall“ der Klarissen zu konstatieren, um auch für St. Klara die Notwendigkeit einer Rückbesinnung auf das korrekte Ordensleben einzufordern.²¹ Diese Forderung wurde sogar von einigen Schwestern des Klosters selbst in Form einer Eingabe an den Stadtrat erhoben, in der der Eigenbesitz als Ursache für jedweden Unfrieden und jedes Unglück im Kloster identifiziert wurde.²² Die Dynamik aus Kontroversen innerhalb der Gemeinschaft, die unter anderem zu Beschwerden an den Rat führten, und Appellen des Rates an die Ordensoberen und die Kurie ist für den Zeitraum ab 1405 überliefert; diese Auseinandersetzungen dauerten bis in die 1440er-Jahre.²³ 1444 erreichten die Schwestern eine zumindest nach außen hin friedliche Einigung auf eine observante Neuausrichtung, der 1447 eine rechtliche Konsolidierung mit Eingliederung in die Straßburger Observanz folgte. Die äußerlich sichtbaren Folgen der Observanz für St. Klara bestanden vor allem in der (Wieder‐)Einrichtung der strengen Klausur, die durch umfangreiche, durch Spenden finanzierte Baumaßnahmen erreicht wurde.²⁴ Die Bedeutung des Ereignisses dokumentiert die ältere Nürnberger Klarissenchronik, in der die Reform von St. Klara und auch die später erfolgte Reform der Münchner Klarissen umfangreich in die Konventsgeschichte integriert wurden.²⁵ Als ausschlaggebend für die vergleichsweise unkomplizierte Einigung in St. Klara kann neben der nahezu zeitgleich erfolgenden erfolgreichen Reform des Barfüßerklosters und der Zusammenarbeit von Provinzialvikar, den Vorstehern der männlichen Nürnberger Klöster, der Nürnberger Pfarrer und des Stadtrats sowie dem Aufenthalt des berühmten Franziskanergelehrten und Reformers Giovanni da Capestrano im Juli des gleichen Jahres auch die der Observanz gegenüber wohlwollend eingestellte Klarissenäbtissin Klara Gundelfinger angesehen werden.²⁶
Vgl. Kist, Klarissenkloster, 20 ff. Darin heißt es: „[…] daz die sunderhait und die habe oder aigenschaft des zeitlichen gutes, die ist ain ursprung und ain anfang und ain ursach alles kriegs, zwaiung, unfrides, parteie und gezenkes, und mit kurzen worten aine wahre sach alles ubels und ungluckes in dem closter und ist ain zerstörung aller gaistlichkeit.“ Eingabe der Schwestern an den Stadtrat, zitiert nach der Edition in Kist, Klarissenkloster, 154– 162, hier Nr. 18, 157– 158. Die Eingabe datiert zwischen 1410 und 1417, vgl. Vosding, Assisi, 20, FN 85. Vgl. Fürst, Heinrich, OFM, Nürnberg, 326, sowie Kist, Klarissenkloster, 52 ff. Vgl. Kist, Klarissenkloster, 80 – 85; Grießmann, Visitacion, 44. Zu dieser Quelle vgl. die von Vosding herausgegebene umfangreiche Studie zur Edition nebst Abdruck einer Teiledition, Vosding, Schreib. Vgl. Kist, Klosterreform, 43 – 44. Heinrich Fürst bezweifelte indes den Einfluss da Capestranos, der am 24. Juli 1452 in St. Klara predigte, auf die Einstellung der Nürnbergerinnen, vgl. Fürst, Heinrich, OFM, Nürnberg, 327. Das Engagement der Äbtissin Klara Gundelfinger für die Reform
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St. Klara erlebte in den darauffolgenden Jahrzehnten in mehrerer Hinsicht eine Blütezeit. Als Vorbild für die Reform wurden Schwestern aus Nürnberg in die anderen Klarissenkonvente der Straßburger Provinz, namentlich nach Brixen, Bamberg, Pfullingen, Eger und München, entsandt, um diese „ordentlich“ und fachgerecht zu reformieren, sie an die Ordensprovinz Straßburg anzuschließen und mit den dortigen Schwestern die Inhalte der Observanz einzuüben.²⁷ Auch in schriftlicher Form unterwiesen die Nürnbergerinnen die Schwestern der Provinz; enge Kontakte zwischen den Gemeinschaften bestanden bis ins 16. Jahrhundert fort. Die Nachfrage nach Plätzen im Kloster St. Klara war bis zum Beginn der Reformation groß (es bestand um 1500 aus bis zu hundert Personen, Laienschwestern eingeschlossen). Um das Funktionieren des Klosteralltags für die so zahlenmäßig angewachsene Gemeinschaft besser zu gewährleisten, unterhielt der Konvent bis ins 16. Jahrhundert hinein eine rege Bautätigkeit, die durch materielle Zuwendungen der Stiftenden gewährleistet werden konnte.²⁸ Einen besonderen Einfluss auf die Entwicklung des Klosters während der Reformationszeit – aber auch auf die Wahrnehmung der aktiven Rolle von St. Klara überhaupt – hatte die exzeptionelle Rolle der Caritas Pirckheimer, die dort von 1503 bis 1532 Äbtissin war. Durch ihre vielfältigen Ressourcen und ihr Engagement gelang es, die Existenz des Klosters über die Reformationszeit hinweg zu sichern.²⁹ Mit dem Beginn der Reformation wurde das Klosterleben nichtsdestotrotz nach und nach eingeschränkt. Nachdem der Nürnberger Rat sich 1525 für die Reformation entschieden hatte, wurden die Franziskanerbrüder von der Seelsorge der Schwestern entbunden, der Kontakt zu ihnen wurde verboten, und als Beichtväter wurden protestantische Prediger eingesetzt. Die Neuaufnahme von Schwestern wurde untersagt und St. Klara zu einem sogenannten Aussterbekloster erklärt, das schließlich enteignet wurde. Die letzte Schwester verstarb 1591.³⁰
und die Einigung der Gemeinschaft wird in der Nürnberger Klarissenchronik herausgestellt, vgl. Vosding, Assisi, 21, FN 89. Fünf Schwestern gingen nach Bamberg, Eger wurde zwischen 1465 und 1469, ebenfalls mit fünf ehemaligen Nürnbergerinnen, reformiert; nach München gingen 1480 drei Nürnbergerinnen, vgl. Fürst, Heinrich, OFM, Nürnberg, 327. Vosding bezeichnet St. Klara in Nürnberg als „Exponent der Observanz“: Vosding, Assisi, 22. Vgl. Kist, Klarissenkloster, 80 – 81. Vgl. Vosding, Assisi, 25. Zur Diskussion um Namen und Todesdatum der letzten aus St. Klara stammenden Schwester vgl. Vosding, Assisi, 27, FN 116.
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I Die Klarissen und ihre Textproduktion zwischen Observanz und Reformation
I.1.2 Brixen: St. Elisabeth Im Südtiroler Klarissenkloster St. Elisabeth in Brixen begannen die Nürnberger Schwestern 1455 mit ihrer Reformtätigkeit. Das Kloster St. Elisabeth, von dem das älteste schriftliche Zeugnis aus dem Jahr 1235 datiert³¹, war die erste Niederlassung von Klarissen im deutschsprachigen Raum; es ist zugleich auch die einzige, die seit ihrer Gründung bis heute besteht.³² In den 1230er Jahren, also noch zu Lebzeiten der Hl. Klara, hatte sich eine Gruppe von Laienschwestern außerhalb der Stadtmauern von Brixen angesiedelt. Sie befolgten zunächst die Hugolinische Regel und wurden 1238 in den zweiten Orden der Franziskaner aufgenommen.³³ Nach 1263 übernahmen sie die Urban-Regel. ³⁴ Damit standen die Brixener
Vgl. Florian Nothegger, Brixen/Südtirol. Alemannia Franciscana Antiqua 17 (1972), 243 – 254, hier 243. Die Urkunde von 1235 befreite die Brixener Schwestern von Abgaben.Vgl. auch Luchesius Spätling, Das Klarissenkloster in Brixen. Franziskanische Studien 37 (1955), 365 – 388, hier 366. Die Forschung über das Klarissenkloster Brixen lässt sich zeitlich in drei Abschnitte unterteilen. Die erste Phase bis in die 1970er-Jahre besteht aus der franziskanischen Ordensgeschichtsschreibung, vgl. P. Max Straganz, O. F. M., Die ältesten Statuten des Klarissenklosters zu Brixen (Tirol). Franziskanische Studien 6: 2 (1919), 143 – 170; Spätling, Brixen; Hermann Hallauer, Nikolaus von Kues und das Brixener Klarissenkloster. Mitteilungen und Forschungsbeiträge der Cusanus-Gesellschaft 6 (1967), 75 – 123; Nothegger, Brixen. Auf einen kleineren Aufsatz von Karl Wolfsgruber – nämlich Karl Wolfsgruber, Das Brixner Klarissenkloster im 13. Jahrhundert. Der Schlern 59: 8 (1985), 459 – 468 – folgte in der zweiten Phase eine erste Monografie, vgl. Siegfried Volgger, Das Klarissen- und Franziskanerkloster in Brixen. 3. Aufl. Bozen, 2017. Außerdem erschien ein Katalog zu einer Ausstellung über das Kloster Brixen, in deren Rahmen erstmals Artefakte und etliche Archivalien aus dem Kloster einer breiteren Öffentlichkeit präsentiert werden konnten, vgl. Leo Andergassen (Hg.), Icones Clarae. Kunst aus dem Brixner Klarissenkloster. Arte dal Convento delle Clarisse di Bressanone. Diözesanmuseum Hofburg Brixen, Museo diocesano Palazzo vescovile di Bressanone, 26.06.1999 – 31.10. 1999. Brixen: Diözesanmuseum Hofburg Brixen, 1999. Zwei jüngere Aufsätze beschäftigen sich mit Fragen zur Klausur der Brixener Schwestern, vgl. Barbara Felizetti Sorg, In Klausur. Die Brixner Klarissen im Kreuzfeuer der kirchlichen und weltlichen Herrschaft. In Der andere Weg. Beiträge zur Frauengeschichte der Stadt Brixen vom Spätmittelalter bis ins 20. Jahrhundert, hg. von Siglinde Clementi. Brixen: Verlag A. Weger, 2005, 150 – 169; Erika Kustatscher, Die Welt (in) der Klausur. Spirituelle Ideale und realer Alltag im Brixner Klarissenkloster im 17. und 18. Jahrhundert. In Frauenklöster im Alpenraum, hg. von Brigitte Mazohl-Wallnig, Ellinor Forster. (Schlern-Schriften 355). Innsbruck: Universitätsverlag Wagner, 2012, 111– 151. Eine umfassende Monografie zu Brixen steht nach wie vor aus. Vgl. Hörmann-Thurn und Taxis, Julia, Frauenklöster im mittelalterlichen Tirol und im Trentino. In Frauenklöster. Mazohl-Wallnig et al. (Hg.), 2012, 15 – 44, hier 33. Zwar gibt es dafür keinen expliziten Beleg, jedoch liefern sowohl die Besitzverhältnisse des Klosters als auch die Verschriftlichung des Regeltextes in einer Handschrift aus dem 15. Jahrhundert einschlägige Hinweise, vgl. Hallauer, Nikolaus von Kues, 76 – 77. Die deutsche Übertra-
I.1 Die Klarissenkonvente der Straßburger Ordensprovinz
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Schwestern von Anbeginn nicht in der Damianitischen Tradition der ersten Klarissengemeinschaft, sondern lebten mit einer gemäßigten Armutsauffassung, die sich vor allem im gemeinschaftlichen Besitz von liegenden Gütern und Einnahmen aus Zinsen, Zehnten und Pacht ausdrückte.³⁵ Im 14. Jahrhundert lebten im Konvent zwischen fünfzig und sechzig Schwestern, dazu kamen das Personal sowie sechs Franziskanerbrüder, die für das seelische Wohl zu sorgen hatten.³⁶ Bis ins 15. Jahrhundert war das Kloster – unter Jurisdiktion und Visitation der Österreichischen Minoritenprovinz – direkt dem Papst unterstellt. Auch dem Brixener Kloster attestiert die ältere franziskanische Geschichtsschreibung für das 15. Jahrhundert einen „Niedergang“ und Laxheit im Ordensleben und der Befolgung der Regel.³⁷ Diese Vorwürfe wurden hier anhand des Zugangs weltlicher Personen zur Klausur und der Versorgung außenstehender Personen durch die Schwestern diskutiert. Kritisiert wurden aber auch Zugriffe weltlicher Parteien auf die Klarissen, wozu vor allem die hochgestellte Herkunftsfamilie der von Wolkensteins zählte. Die Reformaktivitäten in St. Elisabeth waren eng mit der Arbeit des Theologen und Kirchenpolitikers Nicolaus Cusanus verknüpft, einem Kardinal und päpstlichen Legat, der 1450 zum Fürstbischof von Brixen ernannt worden war.³⁸ Im April 1452 adressierte Cusanus ein Dekret an alle Ordensangehörigen der Diözese, das sie zur Einführung der Observanz verpflichtete.³⁹ Seine Autorität bekräftigte die im Mai 1453 erlassene Bulle Inter cetera von Papst Nikolaus V., die ihm umfas-
gung der Urban-Regel in der Handschrift, in der auch die Statuten des Konvents aufgeschrieben wurden, legt die Befolgung dieser Regel nahe. Vgl. dazu auch Kapitel I.2.3 in diesem Band. Vgl. Spätling, Brixen, 373. Die Franziskanerbrüder lebten „in einem kleinen Kloster-Hospiz“ in unmittelbarer Nähe und teilten mit den Schwestern eine Kirche, vgl. Volgger, Brixen, 10 – 11.; ähnlich heißt es auch bei Nothegger, Brixen, 244; Hallauer, Nikolaus von Kues, 77, und Felizetti Sorg, In Klausur, 151. Beim jetzigen Franziskanerkloster im Gebäudeensemble handelt es sich um einen Neubau aus den 1670er- und 1680er Jahren, der im Zusammenhang mit dem Neubau des Klarissenklosters errichtet wurde, vgl. Volgger, Brixen, S. 23 – 30. Hermann Hallauer konstatiert etwa ein Gemeinschaftsleben „in völliger Unkenntnis der heiligen Regel“, vgl. Hallauer, Nikolaus von Kues, 77 und 80. Das Verfallsnarrativ findet sich auch bei Spätling, Brixen, 374. Die Reformaktivitäten von Nicolaus Cusanus und seine Interaktion mit den Brixener Klarissen sind von Hallauer umfänglich aufgearbeitet worden, vgl. Hallauer, Nikolaus von Kues. Gleichwohl muss auf die legitimatorische und nichts weniger als sexistische Perspektive auf den Konflikt hingewiesen werden, der in unterschiedlicher Ausprägung die männliche Ordensgeschichtsschreibung über weibliche Gemeinschaften geprägt hat. Etwa heißt es dort: „In diesem Brief [der Maria von Wolkenstein an ihre Herkunftsfamilie, BR] verraten sich deutlich Weiberklatsch, Neid und ungestillter Ehrgeiz.“ Hallauer, Nikolaus von Kues, 90. Vgl. Hallauer, Nikolaus von Kues, 77.
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sende Vollmachten bezüglich der Reform der Klöster übertrug. Mit Unterstützung des Tiroler Herzogs Sigismund, genannt der Münzreiche, versuchte Cusanus nachdrücklich, die Klarissen, deren Visitator er war, von der Observanz zu überzeugen. Bei einer Visitation Anfang des Jahres 1455 stellte er Kontroversen innerhalb der schwesterlichen Gemeinschaft fest, die sich in zwei Lager aufgespalten hatte: eines um die gerade erst als (Reform‐)Äbtissin eingesetzte Barbara Schwäbin, das andere um Maria von Wolkenstein, Tochter des Minnedichters Oswald von Wolkenstein. Nach der Ernennung der neuen Äbtissin revoltierten die Schwestern um von Wolkenstein offen gegen die Einflussnahme des Bischofs, beschimpften diesen und verweigerten der neuen Äbtissin den Gehorsam.⁴⁰ Daraufhin wurden die Angehörigen der ungehorsamen Partei und ihr verbündeter Beichtvater durch Bann und Interdikt gemaßregelt.⁴¹ Um das Kloster angesichts dieser nicht gerade einfachen Ausgangslage dennoch ordentlich reformieren zu können, wandte sich Cusanus, unterstützt vom neuen Papst Calixtus III., an die Nürnberger Franziskaner. Der dortige Guardian, Alfred Büchelbach, wurde zum Visitator für Brixen ernannt und reiste ins Kloster St. Elisabeth. Hier wurden Maria von Wolkenstein und ihre drei verbündeten Schwestern durch bewaffneten Einbruch in die Klausur gewaltsam zur Unterwerfung und zum Gehorsam gezwungen.⁴² Der Bischof trennte den Konvent von den österreichischen Minoriten ab und gliederte Brixen an die Straßburger Ordensprovinz an, wodurch die Schwestern zukünftig auch durch observante Beichtväter betreut werden sollten.⁴³ Um die Reform des Konvents endgültig umzusetzen, bat Cusanus den Nürnberger Rat, den Straßburger Provinzialvikar und die Nürnberger Franziskaner, Schwestern aus St. Klara nach Brixen auszusenden.⁴⁴ Im September 1455 trafen fünf Nürnberger Klarissen in Brixen ein.⁴⁵
Vgl. Hallauer, Nikolaus von Kues, 80 – 81. Der im Germanischen Nationalmuseum Nürnberg erhaltene Briefwechsel zwischen der Schwester Maria von Wolkenstein und ihrer Herkunftsfamilie, verfasst ohne das Wissen der Äbtissin, ist eine wichtige Quelle für die Auseinandersetzung des Bischofs mit den Brixener Klarissen, vgl. Hallauer, Nikolaus von Kues, 80. Vgl. Hallauer, Nikolaus von Kues, 82– 83. Ein ähnliches Szenario, allerdings mit einer anderen Tragweite, warf auch der Konflikt der Sonnenburger Benediktinerinnen um ihre Äbtissin Verena von Stuben auf, die offen und mit bewaffneten Mitteln gegen Cusanus und die Einführung der Reform im Kloster opponierten, vgl. dazu jüngst Isabelle Mandrella, Nicolaus Cusanus und Verena von Stuben. Cusanus-Jahrbuch 2009, 27– 44. Vgl. Hallauer, Nikolaus von Kues, 87. Vgl. Spätling, Brixen, 377. Vgl. Hallauer, Nikolaus von Kues, 88. Laut der Nürnberger Klarissenchronik handelte es sich um die vier Chorschwestern Barbara Freydung, Dorothea Koler, Anna Stromer und Barbara Reckin sowie die Laienschwester Katharina Widmann, vgl. Hallauer, Nikolaus von Kues, 89, FN 100.
I.1 Die Klarissenkonvente der Straßburger Ordensprovinz
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Eine von ihnen, Barbara Freydung, wurde als neue Äbtissin eingesetzt, ebenso wurde ein Nürnberger Franziskaner als Beichtvater bestellt. Die vier oppositionellen Schwestern wurden letztendlich aus dem Konvent entfernt.⁴⁶ Im Folgejahr 1456 traf schließlich der Provinzialvikar Johannes de Lare ein und überbrachte dem Konvent auch die Reformstatuten.⁴⁷ 1459 reisten zwei der Nürnberger Schwestern, Freydung und Stromer, zurück nach Nürnberg; eine andere Nürnbergerin, Dorothea Koler, trat das Amt der Äbtissin von St. Elisabeth an.⁴⁸ In ihr Abbatiat fielen (erneute bzw. direktere) Auseinandersetzungen der Brixenerinnen mit dem Tiroler Herzog Sigismund: Nach einem Streit zwischen dem Herzog und Bischof Cusanus verhängte der Papst ein Interdikt für Tirol, in dessen Folge öffentliche Gottesdienste und Glockengeläut verboten wurden. Die Brixener Klarissen setzten sich für die Einhaltung dieses Interdikts ein und opponierten somit gegen den Herzog, der ihnen daraufhin befahl, das Land zu verlassen.⁴⁹ Im Oktober 1461 flüchteten einunddreißig Schwestern, inklusive der Reformklarissen aus Nürnberg, über Innsbruck nach Pfullingen und nahmen im Dezember Exil im dortigen Kloster zur Hl. Cäcilie. Als sie nach dem Tod von Cusanus am 11. November 1464, also knapp drei Jahre später, wieder nach Brixen zurückkehren konnten, lebten noch achtzehn von ihnen, acht waren mittlerweile verstorben (und fünf verblieben in Pfullingen).⁵⁰ St. Elisabeth wurde 1580 der neu gegründeten Tiroler Franziskanerprovinz unterstellt.⁵¹
I.1.3 Pfullingen: St. Caecilia Das Klarissenkloster zur Hl. Cäcilie in Pfullingen wurde von mehreren weiblichen Adligen in den 1250er-Jahren gegründet und 1252 von Innozenz IV. in den Klarissenorden aufgenommen. Auch diese Schwestern lebten zunächst nach der Regel Hugolins. Später übernahmen die Pfullingerinnen – wie die anderen Klarissen der Provinz auch – die Urban-Regel von 1263, die ihnen gemeinschaftlichen Besitz gestattete, vor allem Grundbesitz, von dessen Verpachtung der
Vgl. Nothegger, Brixen, 247. Maria von Wolkenstein ist hernach in einer Quelle über das Klarissenkloster Meran nachweisbar, vgl. Nothegger, Brixen, 247. Unklar sind die genauen Umstände bzw. der konkrete Ablauf dieser Abtrennung von vier geweihten Schwestern aus Brixen. Vgl. P. Max Straganz, O. F. M., Statuten, 147 ff. Vgl. Hallauer, Nikolaus von Kues, 92. Vgl. Nothegger, Brixen, 248. Vgl. Nothegger, Brixen, 250. Zur Brixener Konventsstruktur im 17. und 18. Jahrhundert vgl. Kustatscher, Welt.
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I Die Klarissen und ihre Textproduktion zwischen Observanz und Reformation
Konvent St. Caecilia seinen Lebensunterhalt bestritt.⁵² Mit dem Wechsel der Ordensregel ging auch die Umbenennung in „Gemeinschaft der Schwestern ordinis sancte Clare“ einher.⁵³ 1278 bezogen die Schwestern ihr neues Kloster, dessen Anlage in den Folgejahrhunderten keinen Umbau mehr erfahren zu haben scheint.⁵⁴
Zur Entstehungs- und Entwicklungsgeschichte der Pfullinger Klarissen, ihrer konventsinternen (auch wirtschaftlichen) Verfasstheit und ihren Netzwerken vgl. die bislang einzige Einzelstudie zu Pfullingen von Rahel Bacher: Rahel Bacher, Klarissenkonvent Pfullingen. Fromme Frauen zwischen Ideal und Wirklichkeit (Schriften zur südwestdeutschen Landeskunde 65). Ostfildern: Thorbecke, 2009, hier insbesondere 13 ff. sowie 102– 103. Diese Monografie ist aufgrund ihrer sorgfältigen Erschließung der reichen Überlieferungslage für den Pfullinger Konvent nebst etlichen Editionsarbeiten eine hervorragende Basis und Ausgangslage für weitere themengeleitete Forschungsarbeiten in Bezug auf Pfullingen. Einen ersten umfangreichen Überblick mit Paraphrasen aus dem Pfullinger Statutenbuch bietet ein Aufsatz von Johannes Gatz: Johannes Gatz, Pfullingen. Alemannia Franciscana Antiqua 17 (1972), 169 – 242. Zum Quellenbestand vgl. auch die Erschließung der Pfullinger Handschriften im Hauptstaatsarchiv Stuttgart: Felix Heinzer, Bücher aus der Klausur. Das weltabgewandte Leben der Pfullinger Klarissen im Spiegel ihrer Bibliothek und Schreibtätigkeit. In Franziskus, Klara und das Pfullinger Kloster. Vorträge anlässlich des 750-jährigen Jubiläums der Ersterwähnung des Pfullinger Klosters, hg. von Geschichtsverein Pfullingen e.V. (Beiträge zur Pfullinger Geschichte 13). Pfullingen, 2003, 40 – 61, sowie Hermann Ehmer, Das Kloster Pfullingen in der Reformation. Vom Klarissenkloster zur herzoglich württembergischen Klosterhofmeisterei. In Franziskus. Geschichtsverein Pfullingen e.V. (Hg.), 2003, 63 – 95. Neben dem regionalgeschichtlichen Zugang in zwei Sammelbänden – vgl. Raimund Waibel, 750 Jahre Klarissenkloster der heiligen Cäcilie in Pfullingen. Begleitheft zur Ausstellung auf dem Klosterareal, 14. Juni bis 8. September 2002 (Beiträge zur Pfullinger Geschichte 11). Pfullingen, 2002; Geschichtsverein Pfullingen e.V. (Hg.), Franziskus, Klara und das Pfullinger Kloster.Vorträge anlässlich des 750-jährigen Jubiläums der Ersterwähnung des Pfullinger Klosters (Beiträge zur Pfullinger Geschichte 13). Pfullingen, 2003 – ist die Baugeschichte des Klosters der am intensivsten aufgearbeitete Themenbereich, vgl. etwa Bacher, Pfullingen, S. 66 und S. 10; außerdem vor allem Carola Jäggi, Claudia Mohn, Fabian Schorer, Das Sprechgitter im ehemaligen Klarissenkloster Pfullingen, Kreis Reutlingen. Neue Erkenntnisse aufgrund bau- und bodenarchäologischer Untersuchungen. Archäologische Ausgrabungen in Baden-Württemberg (2003), 188 – 192. Diese Bezeichnung findet sich erstmals in einer Urkunde vom 03. März 1268, vgl. Bacher, Pfullingen, 104. „Dar nach anno domini M cc lxxviij jar an Sant Kattarina tag sind die vorgenanten frowen in gangen in dis Closter, yst wol zu globen, myt grossen freyden.“ Chronik einer Pfullinger Klarisse. Eine Brixener Handschrift. In Faksimile nebst einem Anhang mit begleitenden Texten, Hermann Taigel (Hg.) (Beiträge zur Pfullinger Geschichte. Sondernummer zum Gedenken an die Gründung des Klarissenklosters Pfullingen vor 750 Jahren). Pfullingen: Geschichtsverein, 2002 [im Folgenden abgekürzt als: PfullChron], S. 14– 15 bzw. fol 1v.Vgl. außerdem Bacher, Bacher, Pfullingen, 16. Zu Kloster- und Klausuranlage von St. Caecilia vgl. Bacher, Pfullingen, 66 – 71 (Kapitel „Baubestand“).
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Um 1413 bestand der Konvent aus vierundsechzig weiblichen Religiosen adliger und bürgerlicher Herkunft.⁵⁵ Bereits ab 1456 erhoben die Württemberger Grafen Reformanspruch über die Klöster der Diözese, und nachdem sie das entsprechende Privileg erhalten hatten, wurden die Äbte von Blaubeuren und Hirsau mit der Umsetzung beauftragt.⁵⁶ Den Schwestern sollte zu diesem Zeitpunkt noch freigestellt werden, ob sie die Observanz akzeptierten oder in ein anderes Kloster überwechseln wollten.⁵⁷ Als im November 1461 die Brixener Schwestern zusammen mit jenen aus Nürnberg in Pfullingen eintrafen, boten sich neue Möglichkeiten und Ressourcen, die bisher nicht oder nur schleppend umzusetzende Reform voranzutreiben. Zu ihrem Vollzug gibt es mehrere klosterinterne sowie klosternahe Quellen aus dem frühen 16. Jahrhundert. In einem auf den 16. März 1506 datierten Reformbericht legten fünf Schwestern Zeugnis ab und versicherten, die Verlesung der Reformbulle am 08. Dezember 1461 im Refektorium von St. Caecilia selbst miterlebt zu haben.⁵⁸ Der Pfullinger Necrolog von 1512 stellt die Wundertat Gottes heraus, durch welche zwei Konvente mitten im Unglück der Brixener Schwestern zusammengekommen seien und die Reform in Pfullingen mithilfe der Erzherzogin Mechthild habe vollzogen werden können.⁵⁹ Die 1525 erstellte Klosterchronik schließlich berichtet ausführlich und gestützt auf die älteren Quellen über die Ereignisse, wobei die Darstellung hier überwiegend der einer friedlich verlaufenden Reform hin zur Observanz folgt: Die vormalige Pfullinger Äbtissin wurde ohne großes Aufheben durch Dorothea Koler, bis dahin Äbtissin in Brixen (und vormals eine der Nürnberger Reformschwestern), ersetzt; der Eigenbesitz der Schwestern wurde abgeschafft, die Aufzeichnung der Todesdaten der Schwestern wieder aufgenommen.⁶⁰ Nach der Abreise der übrigen Brixener Schwestern Ende 1464 verblieben noch weitere vier von ihnen in St. Caecilia.
Vgl. Bacher, Pfullingen, 16. Bereits am 15 April 1456 hatte Calixt III. eine Reformbulle für die württembergischen Grafen erlassen, die ihnen die Visitation und Reform der Klöster in der Diözese Konstanz gestattete, vgl. Bacher, Pfullingen, 18. Vgl. Bacher, Pfullingen, 18. Die nachgewiesenen Klosteraustritte lassen sich zeitlich nicht mit den Ereignissen der 1450er-Jahre identifizieren. Bericht über die Reform [Klarissenkloster Pfullingen] (1461), Stuttgart, Hauptstaatsarchiv, A 514 U 460; eine Edition des Textes hat Rahel Bacher erstellt, vgl. Bacher, Pfullingen, 330 – 331. Vgl. Necrolog [Klarissenkloster Pfullingen] (1512), Stuttgart, Hauptstaatsarchiv, A 514 Bü 2, 1r. Vollständig ediert bei Bacher, Bacher, Pfullingen, S. 332– 336, hier 332. Nach der Reform lebten beide Konvente knapp drei Jahre gemeinsam in Pfullingen, vgl. Kapitel I.1.2 in diesem Band. Vgl. Bacher, Pfullingen, 23. Zur Beschreibung der Quelle vgl. Kapitel I.3.2.2 in diesem Band.
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I Die Klarissen und ihre Textproduktion zwischen Observanz und Reformation
Infolge der vorbildlichen Pfullinger Observanz wurden in den Folgejahren acht der dortigen Schwestern zu Reformzwecken nach Söflingen gesandt.⁶¹ Auch das Kloster zur Hl. Cäcilie erlebte in den Dekaden nach dem Beginn der Observanz eine Blütezeit, die sich in wirtschaftlichem Aufschwung und künstlerischer Produktion ausdrückte.⁶² Im 16. Jahrhundert war der Konvent dann allerdings von verschiedenen Krisen betroffen, beginnend mit den Bauernunruhen in Württemberg 1514 und den Bauernkriegen 1525. Die Chronik berichtet gar von einem Einbruch der Aufständischen in die Klausur.⁶³ Im Zuge der Reformation, die 1519 auch Pfullingen erreichte, wurde das Kloster 1534 durch Herzog Ulrich von Württemberg aufgehoben. Es durften keine Novizinnen mehr aufgenommen werden, man entließ die Ordensgeistlichen, stattdessen wurde die lutherische Predigt im Kloster eingeführt.⁶⁴ Die am 10. Juli 1535 erlassene Klosterordnung für Württemberg, verfasst von Ambrosius Blarer, ehemals Benediktinermönch in Alpirsbach, schrieb ein Umformungsprogramm für das klösterliche Leben vor, nach dem die weiblichen Religiosen ihre Klausur zwar am Redfenster öffnen, jedoch ansonsten niemand zu sich hereinlassen sollten.⁶⁵ Die Schwestern aber widersetzten sich der Verordnung und verweigerten sich den reformatorischen Anliegen. 1540 wurde der Konvent daraufhin von Herzog Ulrich zeitweilig in das ehemalige Franziskanerkloster Leonberg verlegt bzw. zwangsumgesiedelt, wo die Schwestern bis 1551 in einer Art Interimslebensform – zwar nach ihren alten Klosterregeln, jedoch mit lutherischer theologischer Praxis – verblieben.⁶⁶ Auf kaiserlichen Druck hin kehrten im September dieses Jahres achtzehn Schwestern – die anderen waren in Leonberg verstorben – in das leerstehende und ruinöse Pfullinger Kloster zurück. Ihre Situation verschlechterte sich jedoch zunehmend, nicht zuletzt aufgrund des nach wie vor gültigen Verbots der Aufnahme von Novizinnen. Die letzte Schwester konvertierte 1590 und starb schließlich 1595, danach wurde der gesamte Klosterbesitz vom Württemberger Herzog eingezogen. Der Versuch einer Wiederbesiedelung nach der Restitution an die katholische Kirche durch Söflinger Schwestern in den 1630er-Jahren währte Vgl. Bacher, Pfullingen, 24. Die Erzeugnisse des Pfullinger Skriptoriums deuten auf die hohe Produktivität der Schwestern hin, vgl. Heinzer, Bücher; zur Musikproduktion in St. Caecilia vgl. die Studie von Koldau, Handbuch, vor allem das Kapitel „Klarissen und Franziskanerinnen“, ebd., 820 – 848. Vgl. PfullChron, fol 21r-v. Vgl. Ehmer, Pfullingen, 70. Vgl. Ambrosius Blarer, Klosterordnung für Württemberg. In Erläuterungen der würtembergischen Kirchen-Reformations- und Gelehrten-Geschichte, hg. von C. F. von Schnurrer, 1798, 547– 558, hier 552; Ehmer, Pfullingen, 71– 72.Vgl. bei diesem auch die Analyse der Reformation in Pfullingen anhand der Ordenschronistik aus dem 17. Jahrhundert. Vgl. Bacher, Pfullingen, 27– 28.
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nur kurz und musste mit der Wendung des Dreißigjährigen Krieges bzw. nach dem Westfälischen Frieden wieder aufgegeben werden.⁶⁷
I.1.4 Genf: Sainte-Claire Sainte-Claire in Genf unterscheidet sich aus mehreren Gründen von den anderen hier untersuchten Klarissengemeinschaften. Zunächst handelt es sich um den jüngsten Konvent. Herzogin Yolande von Savoyen (1434– 1478), Regentin und Witwe des Herzogs Amédée IX. von Savoyen, stiftete 1473 nach dem Vorbild von Colette de Corbies Reform der franziskanischen Orden innerhalb der Stadtmauern von Genf den Klarissen-Colettinen-Konvent Sainte-Claire, Patrozinium Jésus de Bethléem. ⁶⁸ In das neu gebaute Kloster zogen im April 1473 fünfzehn Schwestern Vgl. Bacher, Pfullingen, 34; Eberhard Fritz, Die „Pfandschaft Achalm“ im Besitz der Tiroler Linie des Hauses Habsburg. Expansionsbestrebungen in Vorderösterreich während des Dreißigjährigen Krieges. Reutlinger Geschichtsblätter 49 (2010), 239 – 348. Für einen lexikalischen Überblick vgl. Jean-Etienne Genequand, Clarisses (Colettines) de Genève. In Der Franziskusorden. Die Franziskaner, die Klarissen und die regulierten FranziskanerTerziarinnen in der Schweiz, hg. von Brigitte Degler-Spengler, Klemens Arnold, Albert Bruckner (et al.). (Helvetia sacra Abteilung V 1). Bern: Francke, 1978, 558 – 560, sowie die umfassende Einführung mit Erfassung sämtlicher Schriften des Klosters bei Helmut Feld, Einleitung. In Petite Chronique. Einleitung, Edition, Kommentar von Helmut Feld, hg. von Helmut Feld. (Veröffentlichungen des Instituts für europäische Geschichte Mainz. Abteilung abendländische Religionsgeschichte 167). Mainz, 1996, XIII – LXXV. Die erste Edition der Klosterchronik von 1611 unter dem Titel Le Levain du Calvinisme wurde bis ins 19. Jahrhundert wiederholt nachgedruckt, vgl. Kapitel I.3.2.3 in dieser Arbeit. Ende des 19. Jahrhunderts entstand ein kirchen- und regionalgeschichtliches Forschungsinteresse am Kloster, vgl. Ad.-C Grivel, Notice sur l’ordre religieux de Sainte-Claire et sur la communauté des Clarisses de Genève. In Le Levain du Calvinisme ou Commencement de l’Heresie de Genève, hg. von Ad.-C Grivel. Genève: Imprimerie de Jules-Guillaume Fick, 1865, 267– 293; Théophile Dufour, Notes sur le couvent de Sainte-Claire à Genève. Mémoires et documents publiés par la Société d’Histoire et d’Archéologie de Genève 20 (1879 – 1888), 119 – 145; Jules Vuy, Jeanne de Jussie et les Sœurs de Sainte Claire de Genève. Revue Savoisienne. Journal publié par l’Association florimontane d’Annecy 22 (1881), 13 – 19; Joseph Mercier, Notice sur les Clarisses de Genève et d’Annecy, d’après des documents inédits. Mémoires & Documents publiés par l’Académie Salésienne 3 (1881), 31– 97. Eine erste und bislang einzige Monografie über das Kloster und seine Verortung in der Geschichte und Topografie der Stadt Genf verfasste der Ordenshistoriker Edmond Ganter Ender der 1940er-Jahre, vgl. Edmond Ganter, Les Clarisses de Genève. 1473 – 1535 – 1793. Genève: Éditions de la Société Catholique d’Histoire, 1949. Für eine frauen- und geschlechtergeschlechtlicher Perspektive auf die Reformation und einen literaturgeschichtlichen Fokus auf die Schreiberin der Genfer Chronik vgl. Henri Roth, Jeanne de Jussie et le „Levain du Calvinisme“: Attitudes mentales d’une clarisse du XVIe face à la Réforme. Mémoire de licence en histoire nationale, Université de Genève (1983); Henri Roth, Une
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aus anderen Reformkonventen wie Chambéry, Poligny, Vevey und Orbe ein.⁶⁹ Dieser Gründung waren diejenigen der beiden im Kanton Waadt gelegenen
femme auteur au 16e siècle. Jeanne de Jussie. Revue du Vieux Genève 19 (1989), 5 – 13; Lazard, Deux soeurs; Irena Backus, Les Clarisses de la rue Verdaine. The Poor Clares of the Rue Verdaine. In Le guide des femmes disparues. Forgotten Women of Geneva, hg. von Groupe d’Historiennes Graffiti [= Anne-Marie Käppeli, Rebecca Zorach]. (Collection Histoire). Genève: Métropolis, 1993, 20 – 39. Trotz der vom Kirchenhistoriker Helmut Feld unternommenen Übersetzung der Genfer Chronik ins Deutsche, der neben einer fundierten Einleitung auch mit zwei Portraits – namentlich der Klosterchronik und der Äbtissin Jeanne de Jussie – aufwartete und deren Bekanntheit vergrößerte, verlief die Rezeption in der deutschsprachigen historischen Forschung eher verhalten, vgl. Jeanne de Jussie, Petite Chronique. Einleitung, Edition, Kommentar von Helmut Feld, Helmut Feld (Hg.) (Veröffentlichungen des Instituts für europäische Geschichte Mainz. Abteilung abendländische Religionsgeschichte 167). Mainz, 1996 [französische Edition; im Folgenden abgekürzt als: PC]; Jeanne de Jussie, Kleine Chronik. Bericht einer Nonne über die Anfänge der Reformation in Genf. Übersetzt und hrsg. von Helmut Feld, Helmut Feld (Hg.) (Veröffentlichungen des Instituts für europäische Geschichte Mainz, Abteilung abendländische Religionsgeschichte, Beiheft 40). Mainz, 1996; außerdem Helmut Feld, Jeanne de Jussie. Der Stand der Jungfräulichkeit und das große Gut der Ehe. In Frauen des Mittelalters. Zwanzig geistige Profile, hg. von Helmut Feld. (Archiv für Kulturgeschichte. Beihefte 50). Köln, Weimar, Wien: Böhlau, 2000, 308 – 325; Helmut Feld, Eine Klarisse als Augenzeugin der Genfer Reformation. Die Chronik der Äbtissin Jeanne de Jussie. Rottenburger Jahrbuch für Kirchengeschichte 20 (2001), 73 – 90. Die englische Übersetzung der Feld’schen Edition von Carrie Faye Klaus beförderte ein traveling der Geschichte in den englischsprachigen Wissenschaftsraum, vgl. Jeanne de Jussie, The Short Chronicle. A Poor Clare’s Account of the Reformation of Geneva. Edited and Translated by Carrie F. Klaus, Carrie F. Klaus (Hg.) (The Other Voice in Early Modern Europe). Chicago, London: University of Chicago Press, 2006. Vgl. aus literaturwissenschaftlicher Perspektive über Jeanne de Jussie als französischsprachige Autorin der Reformationsgeschichte auch Carrie Faye Klaus, Neither Male nor Female in Christ? The Construction of Gendered Identities in Women’s Writing of the French Reformation (1521– 1561). Dissertation, University of Illinois at Urbana-Champaign (2000); Carrie F. Klaus, Architecture and Sexual Identity. Jeanne de Jussie’s Narrative of the Reformation of Geneva. Feminist Studies 29: 2 (2003), 279 – 297. Als reformationsgeschichtlichen Zugriff und noch auf der Basis der Edition aus dem 19. Jahrhundert vgl. Elisabeth Mary Wengler, Women, Religion, and Reform in Sixteenth-Century Geneva. Dissertation, Boston College (1999); Elisabeth M. Wengler, „That in future times they will know our suffering for the love of God“. Jeanne de Jussie’s Petite Chronique and the Creation of Convent Identity. In The Cloister and the World. Early Modern Convent Voices, hg. von Thomas M. Carr. Charlottesville: Rookwood Press, 2007, 27– 43. Trotz der intensiven Forschung zur franziskanischen Observanz aus den letzten Jahren, die den Wirkungsgrad von Colette de Corbie herausarbeitet, stehen sowohl Einzel- als auch übergreifende Studien zu den Klarissen-ColettinenKonventen der Westschweiz bislang aus. Zum Wirken de Corbies vgl. Kapitel I.2.1 dieses Bandes. Vgl. Feld, Einleitung, XVI.
I.1 Die Klarissenkonvente der Straßburger Ordensprovinz
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Konvente in Orbe und Vevey vorausgegangen, ebenfalls Stiftungen von Herzogin Yolande. Der Genfer Konvent war die letzte der colettanischen-Neugründungen in der Region und neben drei männlichen auch die einzige weibliche religiöse Gemeinschaft im Ort Genf selbst.⁷⁰ Sainte-Claire grenzte an den Place du Bourg-deFour in unmittelbarer Nähe der Kathedrale Saint-Pierre. Heute befindet sich an dieser Stelle der Palais de Justice, in dessen Kellergewölben noch der Unterbau des einstigen Klostergebäudes erkennbar ist.⁷¹ Sainte-Claire befolgte als Reformkonvent das Regelwerk der Colette de Corbie, die Constitutions, und bezog sich damit auch auf die noch von der Hl. Klara selbst erstellte und 1253 bullierte Regula prima für Klarissen.⁷² Damit folgte er der striktesten Regelbeachtung in Bezug auf den Verzicht von Gemeinbesitz in Form von Land. Das städtische Klarissenkloster hatte demnach keine Besitztümer und war daher auf seine Netzwerke in die Stadtgemeinde und auf die Herkunftsfamilien der Schwestern angewiesen. Diese gehörten bis auf wenige Ausnahmen zum Landadel der Umgebung von Genf. Dadurch nahm das Kloster von Anfang an einen umstrittenen Platz in den politisch-territorialen Auseinandersetzungen der Stadt ein, die in den 1530er-Jahren einen Höhepunkt erreichen sollten.⁷³
Innerhalb der Stadtmauern befand sich außerdem der 1266 gegründete konventuale Franziskanerkonvent von Rive („conuent des grans cordellier“, PC, fol 8v), dessen letzter Abt Jacques Bernard zusammen mit den meisten Brüdern schließlich konvertierte. Daneben existierten in Genf die Augustiner-Eremiten von Notre-Dame des Graces (seit 1480) und das Benediktinerpriorat St-Victor (ab ca. 1000). Zu den umliegenden Klöstern gehörten das Dominikanerkloster in Plainpalais (seit 1263), der 1497 gegründete, ebenfalls vom Haus Savoyen unterstützte Franziskanerkonvent Morges im Kanton Waadt (Colettaner), der 1285 gegründete Franziskanerkonvent Nyon sowie die Mitte des 12. Jahrhunderts gegründete Zisterzienserinnenabtei Bellerive in Collonge-Bellerive, einer Gemeinde am Südufer des Genfer Sees. Zu den archäologischen Befunden vgl. Ganter, Clarisses; Marc-R. Sauter, Chronique des découvertes archéologiques dans le canton de Genève en 1968 et 1969. Genava Ser. NS 18 (1970), 5 – 34; Feld, Einleitung. Vgl. die folgenden Unterkapitel in diesem Band zu den Regeltexten. Die Geschichtsschreibung zur Reformation in der (heutigen) Schweiz ist epochal und geopolitisch aufgespalten. Die Forschung zur Schweizer Reformation konzentriert sich vor allem auf die Gebiete der Eidgenossenschaft, während bezüglich Genfs hauptsächlich auf die Zeit seit dem Eintreffen Jean Calvins 1536 und die Entwicklung der Stadt als „Sonderfall“ oder eigene Reformation fokussiert wird. Zu den Zeiträumen über die Reformation(‐en) hinweg und mit Betonung der politisch-territorialen Auseinandersetzungen in der Romandie/Suisse romande vgl. Michael W. Bruening, Francophone Territories Allied to the Swiss Confederation. In Companion. Burnett et al. (Hg.), 2016, 362– 388. Zu einer Perspektive auf den Kanton Waadt/das Pays de Vaud „zwischen den Reformationen“ vgl. Michael W. Bruening, Calvinism’s First Battleground. Conflict and Reform in the Pays de Vaud, 1528 – 1559 (Studies in Early Modern Religious Reforms 4). Dordrecht: Springer, 2005. Zum langen Zeitraum der Vorbereitung der calvinistischen Reform in
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Im frühen 16. Jahrhundert war Genf eine Ortschaft mit etwa zehntausend Einwohner:innen, einem aufstrebenden Stadtbürgertum (es prosperierten vor allem Handwerk und Handel) und einem florierenden Bankenwesen.⁷⁴ Die Stadt und das umliegende Gebiet waren unter anderem aufgrund ihrer geografischen Lage zwischen den Hochgebirgslandschaften am Genfer See, was eine geopolitische Schlüsselposition für Handelswege nach Frankreich bedeutete, seit dem 14. Jahrhundert das Objekt politischer Auseinandersetzungen. Das Gebiet wurde von einem Bischof regiert, der seinerseits von den Herzögen von Savoyen ernannt und kontrolliert wurde. Die Stadtgemeinde und der Rat kooperierten jedoch politisch auch mit dem benachbarten Bündnis der Eidgenossen. Dieses Spannungsverhältnis wurde zusätzlich durch abwechselnde militärische Allianzen nach dem Burgrecht (combourgeoisie) mit den Kantonen Bern und Fribourg verschärft.⁷⁵ Der wachsende Einfluss Berns auf die Gebiete der Suisse romande war dabei verwoben mit den Aktivitäten der protestantischen Prediger, die von protestantischen Ratspolitikern Unterstützung erfuhren.⁷⁶ In den französischsprachigen Gebieten waren die Prediger Guillaume Farel, seit 1526 in Bern, und sein Schüler seit 1530, der spätere Genfer Stadtchronist Antoine Froment, sowie der waadtländische Theologe Pierre Viret (1511– 1571), der Farel ab 1534 in Genf unterstützte, besonders einflussreich.⁷⁷ Inmitten des Unabhängigkeitskampfes, den die Stadtgemeinde Genf mit den beiden Regenten, Herzog Charles III. von Savoyen und dem direkten Stadtoberen, dem Fürstbischof Pierre de la Baume, führte, bewegte sich die Auseinandersetzung um die Definitionsmacht über den rechten Glauben und das diesem entsprechende Leben an verschiedenen sozialen Orten. Die Mehrheit des Stadtrates hielt vorerst einen beschwichtigenden Kurs, nach dem zwar das „reine Gotteswort“ gepredigt, ansonsten jedoch der alte Ritus aufrechterhalten werden sollte. Mit der 1534 erreichten Mehrheit der reformierten Kräfte regelte der Rat die Glaubenspraxis neu. Daraus resultierten ab August 1535 veränderte Rituale für die Feier von Taufe und Eheschließung und ein Verbot der Messe. Damit war auch das Fortbestehen Sainte-Claires infrage gestellt. Die Bürgermeister boten den Schwestern zwar an, weiter dort zu leben, jedoch zu radikal veränderten Bedingungen. Sämtliche altgläubige Rituale waren einzu-
Genf vgl. bereits Herbert Darling Foster, Geneva Before Calvin (1387– 1536). The Antecedents of a Puritan State. The American Historical Review 8: 2 (1903), 217– 240. Vgl. Regula Schmid, The Swiss Confederation before the Reformation. In Companion. Burnett et al. (Hg.), 2016, 14– 56, hier 22. Infolgedessen wurden mehrere militärische Auseinandersetzungen auch im Gebiet Genfs ausgetragen, vgl. Schmid, Swiss Confederation, 36 – 45. Vgl. Bruening, Calvinism, 369. Vgl. Wolgast, Schicksal, 288.
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stellen, der Habit durfte nicht weiter getragen und die Klausur sollte nicht mehr akzeptiert werden.⁷⁸ Nachdem die Klarissen daraufhin die Protektion des savoyischen Herzogs Charles III. inklusive der Zusage eines neuen Klosterstandortes erhalten hatten, wurde die Erlaubnis des Genfer Stadtrats, unter freiem Geleit die Stadt zu verlassen, eingeholt. Bis auf eine Schwester, die den Konvent auf Druck ihrer Herkunftsfamilie verlassen musste, verblieben die dreiundzwanzig Schwestern von Sainte-Claire in ihrer Gemeinschaft. Ausgestattet mit dem allernötigsten Eigentum reisten sie Ende August 1535 innerhalb von sechs Tagen zu Fuß nach Annecy und errichteten dort das neue Kloster Sainte-Croix. An diesem Standort konnte der Konvent bis zu seiner Auflösung im Zuge der zweiten Phase der Französischen Revolution im Juli 1793 weiterbestehen.⁷⁹ Wegen der Zerstörungen während der Reformation und der Französischen Revolution sind aus dem Bestand des Klosters nur vereinzelte Handschriften erhalten.
I.2 Regeltexte I.2.1 Die Genealogie der Regeltexte für Klarissen von der Entstehung des Ordens bis zu den Observanzbewegungen Die Entstehung eines verbindlichen und weithin gültigen Ordensregelwerks ist ein wesentlicher Teil der Geschichte des Klarissenordens seit seiner Gründung 1215 und eng verbunden mit dem Lebenswerk der Klara von Assisi.⁸⁰ Das Aufkommen des neuen Bettelordens der Minderbrüder aus der Bruderschaft des Franziskus von Assisi im ausgehenden 12. Jahrhundert zog auch viele weibliche Interessierte an, die diese neue Lebensform in der Nachfolge Christi ebenfalls anstrebten, um so zu einer dem Evangelium entsprechenden Perfektion zu gelangen. Anders als bisherige regulierte Gemeinschaften stellte diese Gruppierung das Gebot der Armut in den Mittelpunkt ihres Selbstverständnisses. Nicht nur sollte jede Einzelperson auf Besitz verzichten, sondern es durfte auch die Gemeinschaft keinerlei
Zu den reformatorischen Auseinandersetzungen in Genf vor der Ankunft Calvins vgl. Volker Reinhardt, Die Tyrannei der Tugend. Calvin und die Reformation in Genf. München: C. H. Beck, 2008, 19 ff. Vgl. Feld, Einleitung, XVIIff. Zur Schwierigkeit, über die Geschichte des Klarissenordens zu sprechen, vgl. Gisela Fleckenstein, Die Klarissen. Geschichte eines Ordens. In Icones. Andergassen (Hg.), 1999, 47– 56, hier 47, die eine Perspektive auf einzelne Klöster und sogar Schwestern nahelegt, die den gesamten Orden vielfältig geprägt haben.
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Besitztümer halten. Darin unterschied sich die Bruderschaft von der bisherigen Tradition europäischer christlicher Orden.⁸¹ Die Bruderschaft des Franziskus wurde 1209 von Papst Innozenz III. durch die Anerkennung einer ersten Verschriftlichung der Formula vitae (einer kurzen Regel) mündlich bestätigt.⁸² Die erste ausführlichere Regelfassung von 1221 ist in vierundzwanzig Kapiteln erhalten und unter dem Namen Regula non bullata tradiert. Die mittels eines verbindlichen Regelwerks erfolgte Anerkennung als Ordo Fratrum Minorum erlangte die Gemeinschaft durch die Approbation der von Franziskus überarbeiteten Regelfassung; diese Forma vitae wurde am 29. November 1223 von Papst Honorius III. bulliert und danach unter dem Namen Regula bullata verbreitet. Ihre zwölf Kapitel organisierten das Leben der Minderbrüder um ihre Kernthemen Armut und Gehorsam.⁸³ Die Gründung einer weiblichen Gemeinschaft, die ebenfalls nach diesen Idealen leben wollte, ist auf die italienische Adlige Chiara di Favarone, die später als Klara von Assisi heiliggesprochen wurde, zurückzuführen.⁸⁴ Klara wurde als älteste Tochter einer adligen Familie 1193 (oder 1194) in der umbrischen Stadt Assisi geboren.⁸⁵ Dem großen Wohlstand ihrer Familie entsprechend genoss sie
Zu einem Überblick über den enormen Umfang der Forschungsliteratur zur Geschichte der franziskanischen Orden vgl. Helmut Feld, Franziskus von Assisi und seine Bewegung. Darmstadt: WBG, 1994, vor allem das Kapitel „Quellen und wichtige Literatur zum Leben des Franziskus und zur Frühzeit der franziskanischen Bewegung“, 9 – 66. Vgl. Bert Roest, Franciscan Literature of Religious Instruction Before the Council of Trent (Studies in the History of Christian Traditions CXVII). Leiden, Boston, 2004, 120. Vgl. Roest, Literature, 123. Vgl. auch die deutschen Übersetzungen, zum einen die Nicht bullierte Regel. In Die Schriften des Heiligen Franziskus von Assisi, hg. von Lothar Hardick, Engelbert Grau. (Franziskanische Quellenschriften. Taschenbuchausgabe 1). Werl: Coelde, 1981, 108 – 134; zum anderen die Bullierte Regel. In Schriften. Hardick et al. (Hg.), 1981, 98 – 107. Zur Biografie der Klara von Assisi vgl. im Folgenden vor allem Feld, Franziskus, namentlich das Kapitel „Klara und die ‚Armen Frauen‘“, 401– 447; Ancilla Röttger, Petra Groß, Klarissen. Geschichte und Gegenwart einer Ordensgemeinschaft (Franziskanisches Leben). Werl: DietrichCoelde-Verlag, 1994, 21– 25; Lezlie S. Knox, Creating Clare of Assisi. Female Franciscan Identities in Later Medieval Italy (The Medieval Franciscans 5). Leiden: Brill, 2008; Knox, Creating, vor allem das Kapitel „ Clare and the Poor Sisters of San Damiano“, 19 – 55; Martina Kreidler-Kos, „Sei gepriesen, weil du mich geschaffen“. Zur Biographie und Spiritualität der heiligen Klara von Assisi. In Franziskus. Licht aus Assisi. Katalog zur Ausstellung im Erzbischöflichen Diözesanmuseum und im Franziskanerkloster Paderborn [9. Dezember 2011 bis 6. Mai 2012], hg. von Christoph Stiegemann, Bernd Schmies. München: Hirmer, 2011, 52– 60. Zur Diskussion der jüngeren Klara-Forschung vgl. Niklaus OFMCap Kuster, Klara von Assisi – „eine lebendige Quelle“. Bedeutsame Publikationen seit 2005 im Überblick. In Klara. Schmies (Hg.), 2010, 559 – 575. Das Wissen über die historische Person Klara (und die Figur der Hl. Klara von Assisi) stützt sich auf die reiche Überlieferungslage, bestehend insbesondere aus den Zeug:innenaussagen
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eine umfangreiche Bildung, das heißt vor allem: das Lesen und Schreiben in lateinischer Sprache auf gehobenem literarischen Niveau.⁸⁶ Als etwa Vierzehnjährige lernte sie Franziskus von Assisi (1181/82– 1226), den ebenfalls adligen Sohn eines wohlhabenden Tuchhändlers, und dessen Wirken kennen. Nach mehreren Gesprächen mit ihm über das franziskanische Lebensideal verließ Klara 1211 (oder 1212) ihr Elternhaus und wurde, gegen den Willen ihrer Familie, noch in Assisi von Franziskus als Jungfrau geweiht, tonsuriert und in das Benediktinerinnenkloster San Paolo bei Bastia verbracht.⁸⁷ Nach Versuchen der Herkunftsfamilie, sie aus dem Kloster herauszuholen, wechselte Klara in eine weitere Benediktinerinnenabtei, wobei sich dem auch ihre Schwester Agnes/Agnese anschloss. Im Anschluss daran traten Klara und ihre Schwester der Gemeinschaft der Schwestern von San Damiano bei, die in einem von Franziskus für sie errichteten Kloster außerhalb der Stadtmauern Assisis lebte. Die Gemeinschaft der Schwestern von S. Damiano eröffnete ihnen die Möglichkeit, ein Leben in größtmöglicher Ähnlichkeit zu demjenigen der Minderbrüdern zu führen, jedoch um den Preis der strengen Klausurierung und der Gebundenheit an einen festen Ort, so wie es das damalige Rechtssystem der katholischen Kirche vorsah.⁸⁸ Dessen Regelsystem orientierte sich bezüglich weiblicher Religioser am Vorbild des Benediktinerordens und sah für Frauen als einzige Option eines monastischen Lebens eine diesem entsprechende Gemeinschaftsform der genannten strikten Einschließung samt Ortsgebundenheit vor.⁸⁹ Die Entstehung des Klarissenordens als weiblicher Zweig des Franziskanerordens war geprägt von der Auseinandersetzung mit diesen kirchenrechtlichen Begrenzungen. Klaras Bestreben, für sich und die sie umgebenden weiblichen Religiosen – es schlossen sich ihr nach und nach Freundinnen, eine Tante und sogar die verwitwete Mutter
während des Prozesses der Heiligsprechung (1254– 1255) und der Legenda S. Clarae Virginis (1255), die dem Autor Thomas von Celano zugesprochen wird, vgl. Feld, Franziskus, 401, sowie Thomas von Celano, Leben der Heiligen Klara von Assisi. In Leben und Schriften der Heiligen Klara. Einführung, Übersetzung und Anmerkungen von Engelbert Grau. Erläuterungen von Lothar Hardick, hg. von Engelbert Grau, Lothar Hardick. (Franziskanische Quellenschriften 2). Werl/Westf.: DietrichCoelde-Verlag, 1988, 31– 85. Ich verwende im Folgenden die deutsche Version des Namens, also Klara. Vgl. Feld, Franziskus, 404. Vgl. zur Biografie Klaras im Folgenden Feld, Franziskus, 410 – 415. Vgl. Helmut Feld, Franziskaner. Stuttgart: Ulmer, 2008, 57. Es kann davon ausgegangen werden, dass Klara diese Lebensweise nicht als erstrebenswert ansah und auch für die weiblichen Religiosen ein Leben ohne festen Ortsbezug anstrebte, wie es die Minderbrüder führten. Die Briefe Klaras an Agnes von Prag beinhalten eine Aufforderung zum Ungehorsam gegenüber dem Papst hinsichtlich der Annahme der Ordensregel, vgl. Feld, Franziskus, 441– 442; Feld, Franziskaner, 58. Vgl. Feld, Franziskaner, 55.
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an – eine Gemeinschaftsform zu etablieren, die der der Minderbrüder in allen Punkten gleichen und außerdem in einem Verwandtschaftssystem mit den Brüdern unter deren spiritueller Betreuung stattfinden sollte, kennzeichnete den Großteil ihrer Arbeit bis zu ihrem Tod 1253.⁹⁰ Die Entwicklung einer normativen Regel mit legislativem Charakter erfolgte in einem Spannungsfeld, das vor allem von den politischen Erwägungen der Papstkirche bestimmt wurde, welche bestrebt war, weibliche religiöse Gemeinschaften in Einklang mit den zeitgenössischen normativen Geschlechterkonzepten für monastische Lebensweisen zu organisieren. Die erste schriftliche Fixierung der Regulierung ihrer Lebensform erhielten die Schwestern um Klara von Assisi im Konvent von S. Damiano um 1215 von ihrem Seelsorger Franziskus in Gestalt eines kurzen Textes mit dem Titel Forma vivendi. Dessen wenige Sätze beschreiben den Kern dieser Lebensform, „das Leben nach der Vollkommenheit des heiligen Evangeliums“ in Armut, und beinhalten daneben das Versprechen, für die Schwestern in gleicher Weise wie für die Brüder Sorge zu tragen.⁹¹ Diese Regel galt exklusiv für die Schwestern von S. Damiano. Im Zuge weiterer Gemeinschaftsgründungen herausgefordert, die wachsende Zahl weiblicher Religioser im Umfeld des Franziskanerordens in eine eigene Gemeinschaftsform zu integrieren, erstellte Kardinal Hugolin, der spätere Papst Gregor IX., eine forma vitae, die Hugolinische Regel von 1218/19. Die darin entwickelte Lebensform entwarf ein klausuriertes weibliches monastisches Leben komplementär zur Regula Sancti Benedicti der Benediktinerinnen, in dem weder das spezifische Armutsideal der Franziskaner noch die Verwandtschaft zu den Franziskanerbrüdern einen Platz hatten. Viele der nachfolgend gegründeten Klarissengemeinschaften übernahmen die Hugolinische Regel und damit eine Lebensform, die je nach regionalem Zusammenhang eine Nähe zur franziskanischen ausprägen konnte oder aber eher den weiblichen Gemeinschaften anderer
Als Überblick vgl. die Erörterung des Vorgangs der Bullierung der Klara-Regel durch Papst Innozenz IV. am 09. August 1253 an Klaras Sterbebett bei Engelbert Grau, Die päpstliche Bestätigung der Regel der hl. Klara (1253). Franziskanische Studien 35: 2– 3 (1953), 317– 323, hier 321– 322, der von den „außergewöhnlichen Umständen“ spricht, unter denen ein Papst nicht nur einer weiblichen Person am Sterbebett eine Aufwartung gemacht, sondern dafür auch das gängige Amtsprozedere für eine unkonventionelle Variante mündlicher Supplikation und mündlicher Gewährung der Bitte unterbrochen habe. Vgl. Lebensform für die heilige Klara. In Schriften. Hardick et al. (Hg.), 1981, 76, Abs. 1. Die Handschrift ist nicht erhalten, der Text ist jedoch durch das Einfließen in den von Klara selbst verfassten Regeltext von 1253 bekannt, vgl. Engelbert OFM Grau, Die Regel der hl. Klara (1253) in ihrer Abhängigkeit von der Regel der Minderbrüder (1223). Franziskanische Studien 35: 2– 3 (1953), 211– 273, hier 211– 212; Roest, Literature, 170.
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Orden ähnelte.⁹² Erst 1227, also nach dem Tod des Hl. Franziskus, verfügte Papst Gregor IX. die Protektion der Pauperes moniales recluses durch den Generalminister der Franziskaner und inkorporierte somit die weiblichen Gemeinschaften in den franziskanischen Orden.⁹³ Die Gemeinschaft von S. Damiano um die Äbtissin Klara verweigerte sich indes dem Hugolinischen Gebot, Besitz zu halten, und forderte eine Genehmigung für sich ein, davon befreit zu werden. Im September 1228 erteilte Gregor IX. den Schwestern diese Ausnahme und erlaubte ihnen die Möglichkeit, auf Besitz zu verzichten, in Form des Privilegium Paupertatis. ⁹⁴ Dieses galt zunächst exklusiv für die Gemeinschaft von S. Damiano, wurde jedoch in der Folge von einigen weiteren Gemeinschaften erfolgreich eingefordert.⁹⁵ 1247 formulierte Papst Innozenz IV. eine neue Regel, die für alle Damianitinnen – so der Name dieser jungen Gemeinschaftsform in franziskanischer Spiritualität um Klara von Assisi – gelten sollte. Dieser fehlte jedoch, ebenso wie schon der Hugolinischen Regel, das Privileg der Armut.⁹⁶ Klara erstellte in dieser Zeit aus den mittlerweile vorhandenen unterschiedlichen Vorlagen eine eigene Ordensregel, die als Forma vitae, Regula Sanctae Clarae und, ab dem 15. Jahrhundert, als Regula prima tradiert wurde. In diesen aus zwölf Kapiteln bestehenden Regeltext flossen die Texte der drei für die Klarissen bereits existenten Regelbestimmungen – die Forma vivendi des Franziskus, die Hugolin-Regel sowie die Regel Innozenz IV. – ein, zusätzlich außerdem die Regula bullata der Franziskanerbrüder. Klara entwickelte in diesem Text ein eigenes Konzept vom Leben in franziskanischer Spiritualität, das heißt in Christusnachfolge, in Armut, Demut und Gehorsam sowie in Verwandtschaft und seelsorgerischer Betreuung durch die Franziskaner. Papst Innozenz IV. bestätigte diese Regel mit der Bulle Solit annuere vom 9. August 1253, während Klara bereits auf dem Sterbebett lag.⁹⁷ Die Regula Sanctae Clarae gleicht dabei in großen Teilen der Regula bullata des Franziskus bzw. des Franziskanerordens.⁹⁸ Der entscheidende Unterschied besteht in der vergeschlechtlichten Konzeption der Lebensweise beider Ordenszweige und den
Vgl. Roest, Literature, 170 ff. Vgl. Knox, Creating, 31– 32. Vgl. Joan Mueller, The Privilege of Poverty. Clare of Assisi, Agnes of Prague, and the Struggle for a Franciscan Rule for Women. University Park, PA: Pennsylvania State University Press, 2006, 39 – 40. So geschehen beispielsweise in Monticello/Florenz, Prag und Neapel, vgl. Knox, Creating, S. 34– 35.; Roest, Literature, 174. Vgl. Roest, Literature, 174. Zu diesem Prozess vgl. Grau, Bestätigung. Vgl. dazu auch den systematischen Vergleich beider Regeltexte bei Grau, Regel.
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daraus resultierenden Differenzen im Tätigkeitsbereich (kontemplativ, nicht predigend) und der Ortsbezogenheit (Klausur) der Klarissen.⁹⁹ Nach Klaras Tod wurde dieser Text jedoch zunächst von nur wenigen anderen Konventen als Ordensregel angenommen, die meisten Gemeinschaften in ihrer Nachfolge lebten nach der Hugolinischen Regel in strenger Klausur, mit oder ohne Armutsprivileg.¹⁰⁰ Zur Vereindeutigung und besseren Regulierung der wachsenden Zahl weiblicher Gemeinschaften in diesem Ordensumfeld erstellte Papst Urban IV. in der Bulle Beata Clara von 1263 eine neue Regula Ordinis Sanctae Clarae, die als Regula Urbaniana (bzw. Urban Regel und spätere Regula secunda) bekannt ist und künftig für alle Schwestern der franziskanischen Lebensform gelten sollte, die nun den Ordo Sanctae Clarae bildeten.¹⁰¹ Die weitere Entwicklung der franziskanischen Gemeinschaften in Europa war insgesamt geprägt von einem Prozess der Vereinheitlichung und Regulierung seitens der päpstlichen Obrigkeit, der regional differierende Vorstellungen über die gewählte Lebensform gegenüberstanden.¹⁰² Die Forderung nach einer Rückführung des Ordenslebens zu einem „ursprünglichen“ Zustand, die in den Observanzbewegungen des frühen 15. Jahrhundert erhoben wurde, bedeutete einen Höhepunkt der Debatten um die regulae für den Klarissenorden. Diese Konstruktion einer Ursprünglichkeit des Ordenslebens im Geiste seiner Begründer:innen, auf die eine Reformbewegung hinzuwirken habe, war für die Politisierung der Bewegungen maßgeblich und für deren Gemeinschaftsbildung sinnstiftend, stellte sie doch ein gemeinsames Moment ihrer verschiedenen Strömungen dar. Die als „Rückkehr“ diskursivierte Bewegung, die einen angeblichen gemeinsamen Ursprungszustand essentialisierte, wurde mit der Forderung nach der Re-Installation einer in diesem „Damals“ gegolten habenden ursprünglichen Regel zur Organisation des gemeinschaftlichen Lebens verknüpft, die künftig für alle Gemeinschaften gelten sollte.¹⁰³ Diese
Vgl. Grau, Regel, 262 ff. Zu den Gemeinschaften, die die Forma vitae der Klara befolgten, gehörten etwa die Klarissen von Prag. Vgl. Bert Roest, Order and Disorder. The Poor Clares between Foundation and Reform (The Medieval Franciscans 8). Leiden, Boston: Brill, 2013, 63. Vgl. zur regional differenzierten Entwicklung die Ausführungen Roest, Order, Kapitel „The Expansion of the Order Until c. 1400“, 75 – 163. In diesem Zusammenhang versteht sich das Postulat der traditionellen franziskanischen Geschichtsschreibung, die franziskanische Observanzbewegung habe die Einführung der Regula prima, der „ursprünglichen“ Regel der Hl. Klara, hervorgebracht, vgl. kritisch dazu Knox, Creating, 123. Knox beschreibt diese Erzählung als Gemeinplatz in der Forschung zur Geschichte der Klarissen und betont die Notwendigkeit, stattdessen differenzierte Perspektiven auf die regional
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Einheitskonstruktion stand in Zusammenhang mit Bestrebungen der franziskanischen Observanzbewegung, die, darin ganz ähnlich der päpstlichen Obrigkeit, die Gemeinschaften der Klarissen ebenfalls vereinheitlichen und unter eine gemeinsame Ordnung stellen wollte. Die Geschichte der Ordensreformen der Klarissen lässt sich also nicht als Gesamtkomplex erzählen, sondern muss als Geflecht von Strömungen samt ihren jeweiligen regionalen Ausprägungen und Netzwerken in Frankreich, der Schweiz, den Niederlanden, Spanien, Italien und Oberdeutschland, das heißt dem Gebiet der Straßburger Ordensprovinz, verstanden und erschlossen werden.¹⁰⁴ Ein gemeinsam geteiltes Ereignis war dabei indes der erste Aufruf zur Observanz der Klarissen von Papst Eugen bzw. Eugenius IV., der gleich nach Antritt seines Pontifikats in der Bulle Ad statum singulorum von 1431 den Niedergang der Klarissenhäuser in Italien beklagte und als Gegenmaßnahme die strenge Beachtung der Klausur anmahnte.¹⁰⁵ Damit war die Richtung künftiger Auseinandersetzungen um den Status der Klarissen vorgegeben. Wurden sie vonseiten der päpstlichen und der landesherrlichen Obrigkeit oftmals als weibliche Religiose mit einer kontemplativen Lebensweise in Klausur angesehen, so setzten einige franziskanische Geistliche sowie die Konvente selbst dem auch eine Perspektive entgegen, die eine unabdingbare Verortung innerhalb des Franziskanerordens vorsah.¹⁰⁶ Zu den wirkmächtigsten Reformbewegungen in Hinblick auf die Anzahl der neu gegründeten oder reformierten Konvente sowie die strukturelle Arbeit durch Netzwerkbildung, geografische Ausdehnung und literarische Produktivität zählte das Netzwerk der belgischen Religiosen und Ordensreformerin Colette Boylet de Corbie (1381– 1447).¹⁰⁷ 1381 in Corbie im Norden Frankreichs als Nicole, genannt Nicolette, geboren, wurde sie nach einer Zeit bei den Beginen zunächst als Benediktinerinnenkonverse, später als Minderschwester ausgebildet. Ab 1402 lebte
verschiedenen Entwicklungen der Klarissen und ihre je unterschiedlichen Rezeptionsweisen der Biografie und der Schriften der Hl. Klara zu entwickeln. Vgl. Knox, Creating, 128; Roest, Order, 166 – 167. Vgl. Knox, Creating, 124. Im Text der Bulle werden die Klarissen nicht von den Mitgliedern anderer weiblicher Orden unterschieden. Der Prozess der Herausbildung dieses Selbstverständnisses wird in der jüngeren historischen Forschung als Herausbildung einer eigenen weiblichen franziskanischen Identität beschrieben, vgl. hier vor allem Knox, Creating und Roest, Order. Zu Biografie und Werk Colette de Corbies vgl. im Folgenden Knox, Creating, 169 – 176; die Monografie zu Leben und Werk von Elisabeth Lopez, Elisabeth Lopez, Colette of Corbie (1381– 1447). Learning and Holiness. St. Bonaventure, NY: Franciscan Institute, St. Bonaventure University, 2011 sowie die Beiträge in Joan Mueller; Nancy Bradley Warren (Hg.), A Companion to Colette of Corbie (Brill’s Companions to the Christian Tradition 66). Boston: Brill, 2016.
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sie als Rekluse in Corbie, das sie 1406 verließ, um zusammen mit ihrem Beichtvater und adligen Frauen zu einer Audienz beim (Avignoner Gegen‐)Papst Benedikt XIII. nach Nizza zu reisen. Dort erhielt sie die Erlaubnis, Gemeinschaften im Geiste der Hl. Klara zu errichten, die mit dem Privileg der Armut versehen und der seelsorgerischen Betreuung der Franziskaner anvertraut werden sollten.¹⁰⁸ Assistenz erhielt sie dabei von ihrem Beichtvater, dem Franziskaner Henry de Baume (1367– 1444).¹⁰⁹ In den darauffolgenden Jahren reformierte sie – nachdem ihr zusätzlich die Erlaubnis zur Reform im Sinne der Observanz erteilt worden war – sowohl Klarissen- als auch Franziskanerkonvente und gründete etliche neue Gemeinschaften. Bis zu ihrem Tod 1447 gehörten siebzehn Konvente, neu gegründete und reformierte, in Burgund, Savoyen und den südlichen Niederlanden der Colettinischen Reform an.¹¹⁰ De Corbie verweigerte sich dabei in ihrem Reformverständnis der Eingliederung „ihrer“ Konvente in die Bewegung der regulären Observanz sub vicariis. ¹¹¹ Colette de Corbie hatte sich eine Kopie der Forma vitae der Hl. Klara von 1253 verschafft und auf deren Grundlage ihren eigenen Regeltext in sechzehn Kapiteln, die Constitutions, erstellt, die 1434 – also nach dem Ende des Großen Abendländischen Schismas – offiziell von Eugenius IV. anerkannt wurden. In diesem Text sowie in ihrem später verfassten Testament entwickelte sie spezifische Anforderungen zur Lebensführung der Gemeinschaften, die regelstiftend für die Konvente unter ihrer Gründung und in ihrer Nachfolge wirkten.¹¹² Die Colettinen waren die erste Klarissenbewegung, die sich nach der Idee der Schwestern von S. Damiano organisierte.¹¹³ In den Jahrzehnten nach de Corbies Tod wurden die Constitutions von etlichen Klarissenkonventen in Frankreich, der Schweiz, Spanien und – nach
Vgl. Roest, Order, 170 – 171. Henry de Baume wurde für diese Aufgabe zum Generalvisitator für die reformierten Klarissenhäuser und 1427 zum Generalvikar für die Reformfranziskaner ernannt, vgl. Roest, Order, 172 und 182. Vgl. Roest, Order, 172. Colette de Corbie verweigerte diesen Anschluss, der eine komplette Herauslösung aus der bisherigen Ordensstruktur bedeutet hätte, gegenüber dem Reformer der italienischen Franziskanerobservanz, Giovanni da Capestrano, vgl. Tamar Herzig, Female Mysticism, Heterodoxy, and Reform. In Companion. Mixson et al. (Hg.), 2015, 255 – 282, hier 263. Zu da Capestrano vgl. auch die folgenden Seiten dieses Kapitels. Vgl. dazu den Vergleich der Constitutions mit der Forma vitae bei Lopez, Colette, Kapitel „The Constitutions of Saint Colette“, 235 – 266. Vgl. Roest, Typology, 353.
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dem Beginn der europäischen Eroberungen ab 1492 – den Ländern Südamerikas übernommen.¹¹⁴ In einzigartiger Weise zeigt sich in der von Colette de Corbie geleisteten Arbeit – ein Reformnetzwerk zu gründen und viele Personen darin zu verbinden – das franziskanische Verwandtschaftsmodell. So entstand aus den Franziskanergemeinschaften, die sich der Reform anschlossen, eine eigene Gemeinschaftsform franziskanischer Brüder, der Orden der Colettaner (Ordinis Minorum Congregatio Coletanorum), der sich der seelsorgerischen Betreuung der KlarissenColettinen verpflichtete. Seine eigenen Konvente bildeten auch diejenigen Brüder darin aus, die in den Häusern der Klarissen-Colettinen-Klöster eine eigene Lebensgemeinschaft entwickelten.¹¹⁵ Henry de Baume entwickelte eigene Statuten für die Gemeinschaftsform dieser Brüder.¹¹⁶ Im Laufe der Observanzbewegung wurde eine große Anzahl dieser die jeweiligen Regeln erweiternden oder sie neu definierenden Texte (constitutiones oder Statuten) produziert, wobei italienische Quellen die Mehrheit bilden.¹¹⁷ Diese neu hervorgebrachten Regelwerke wurden auf der Grundlage von Versionen der Klarissenregel erstellt und diskursivierten auf diese Weise eine bestimmte Variante der Regel als die „ursprüngliche“ Fassung. Neben den Constitutions der Colette de Corbie, die, wie der niederländische Mittelalterhistoriker Bert Roest das formulierte, die Regula prima von 1253 als forma vitae „par excellence for all communities of Poor Clares“ produzierte, entstand, ausgehend von den Klarissen in Perugia, auch in den Netzwerken der Observanz in Mittelitalien eine Konzentration auf die Regula prima als eigentliche Ordensregel/forma vitae. ¹¹⁸ Auf Wunsch einer Elisabetta, Äbtissin von Corpus Christi in Mantua, erstellte etwa der
Bei den Klarissenkonventen Genf, Orbe und Vevey in der Suisse romande handelte es sich um Neugründungen aus dem Netzwerk der Colette de Corbie, vgl. Kapitel I.1.4 in diesem Band. Vgl. Alison More, Dynamics of Regulation, Innovation, and Invention. In Companion. Mixson et al. (Hg.), 2015, 85 – 110, hier 88 – 89. Ediert sind diese in Lippens, Hugolin O. F. M., Henry de Baume coopérateur de S. Colette. Recherches sur sa vie et publication de ses Statuts inédits. Sacris Erudiri 1 (1948), 232– 276, mit Abdruck des Statutentextes; vgl. auch Roest, Order, 172– 173. Zum Colettaner-Reformzweig vgl. auch Anna Campbell, St Colette of Corbie and The Friars ‚of the bull‘. Franciscan Reform in Fifteenth Century France. In Rules and Observance. Devising Forms of Communal Life [Veröffentlichung des interakademischen Projekts „Klöster im Hochmittelalter: Innovationslabore europäischer Lebensentwürfe und Ordnungsmodelle“ der Heidelberger Akademie der Wissenschaften und der Sächsischen Akademie der Wissenschaften zu Leipzig], hg. von Mirko Breitenstein, Julia Burkhardt, Stefan Burkhardt (et al.). (Vita regularis. Abhandlungen 60). Berlin: LIT Verlag, 2014, 43 – 66. Vgl. Roest, Literature, 189. Vgl. Roest, Literature, 184– 185, Zitat 184.
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I Die Klarissen und ihre Textproduktion zwischen Observanz und Reformation
franziskanische Gelehrte Giovanni da Capestrano einen Regelkommentar für das erneuerte Leben der Klarissen, der sich auf die Regula prima bezog.¹¹⁹ Da Capestrano leistete in den 1430er- und 1440er-Jahren einige programmatische und vernetzende Arbeit, um die Observanz und damit die Vereinheitlichung der Klarissenhäuser in Italien voranzutreiben. So traf er auch Colette de Corbie und Henry de Baume, um eine Allianz der italienischen und französischen Reformbewegungen der Klarissen zu lancieren.¹²⁰ Sein Regelkommentar Declaratio Primae Regulae Sanctae Clarae aus dem Jahr 1445 erklärt die Grundprinzipien der Regula prima, wobei er – unter Bezugnahme auf die Formulierungen in der erwähnten päpstlichen Bulle von 1431 – die Klausur stark betont, darüber hinaus aber auch auf die Beteiligung der Franziskanerbrüder und die Rolle der Äbtissin als Mutter und Dienerin ihres Konvents eingeht.¹²¹ Wenngleich da Capestranos Perspektive auf die Klarissen in Bezug auf die Klausureinhaltung also derjenigen von Papst Eugenius IV. ähnelte, so zeigen doch die Bezüge auf die Äbtissinnenrolle und die betonte Konformität der Regula prima mit der Regula bullata eine Herausstellung der spezifischen franziskanischen Zugehörigkeit auch der Klarissen.¹²² Nicht alle observanten Klarissen folgten jedoch der Regula prima. Vor allem für den deutschsprachigen Raum sind Regeltexte überliefert, die eine Neuorganisation des Ordenslebens auf der Grundlage der Regula secunda nach Urban IV. von 1263 besorgt haben. Die von Johannes de Lare, Provinzialvikar in der Straßburger Provinz, verfassten Statuten für die Brixener und Pfullinger Klarissen bezeugen diese Intertextualität.¹²³
Giovanni da Capestrano, Explicatio primae Regulae S. Clarae. Hg. von Donatus van Adrichem, OFM. Archivum Franciscanum Historicum 22 (1929), 336 – 57, 512– 28; vgl. Roest, Literature, 185. Die Provenienz der angeblichen Auftraggeberin ist jedoch nicht eindeutig feststellbar. Vgl. Knox, Creating, 133. Eine solche Allianz stieß, wie bereits erwähnt, bei Colette de Corbie nicht auf sehr großes Interesse, jedoch ist davon auszugehen, dass sie über diesen Kontakt zu ihrer Kopie der Regula prima gelangte. Leszlie S. Knox weist darauf hin, dass die Kenntnis dieses Textes bis zu diesem Zeitpunkt in Frankreich nicht verbreitet war, vgl. Knox, Creating, 133. Vgl. die ausführliche Lektüre und Einordnung von da Capestranos Schrift im Kontext der Observanz der Klarissen Knox, Creating, 138 ff.; außerdem Lezlie S. Knox, „One and the Same Spirit“. Clare of Assisi’s Form of Life in the Later Middle Ages. Franciscan Studies 64 (2006), 235 – 254. Vgl. Knox, Creating, 139. Vgl. Roest, Literature, 187; Renate Mattick, Eine Nürnberger Übertragung der Urbanregel für den Orden der hl. Klara und der ersten Regel der hl. Klara für die Armen Schwestern. Franziskanische Studien 69 (1987), 173 – 232. Zur Quellenkritik der Statuten von Brixen und Pfullingen vgl. Kapitel I.2.3 in diesem Band.
I.2 Regeltexte
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Die observante Beachtung der Ordensregel für Klarissen ist demnach insgesamt ein Produkt des 15. Jahrhunderts. Je nach Region wurde entweder die Regula prima oder die Regula secunda als „ursprüngliche Fassung“ der Ordensregel, die es im erneuerten Ordensleben zu beachten gelte, hervorgebracht bzw. re-konstruiert. Dabei spielten neben den männlichen Ordensgelehrten der Franziskanerprovinzen auch die weiblichen Religiosen eine entscheidende Rolle, die beispielsweise als Äbtissinnen der zu reformierenden Klöster auf eine Neuinterpretation der Regeltexte insistierten und/oder gar eigene Kommentare anfertigten.¹²⁴ Die erklärenden Texte weisen dabei unterschiedliche Ausgestaltungen der Rolle der Äbtissin und der Konturierung der Klarissen in ihrer Zugehörigkeit zum franziskanischen Orden auf und repräsentieren die Wirksamkeit der Differenzkategorien Geschlecht und Ordo in ihrer Verflechtung. Der Unterschied zu den Brüdern, die qua Geschlecht als Prediger auftreten konnten (und können), liegt in der Konzeption der Körper der Schwestern, die in differenter Weise als Körper in Klausur konzipiert wurden. Die Verbundenheit mit den Brüdern, und damit die Abgrenzung zu anderen kontemplativen weiblichen Orden, war jedoch durch zwei Aspekte hergestellt: durch das Beharren auf der spezifischen Betreuung durch die Franziskaner und durch die Betonung der Gebundenheit der beiden Ordensregeln aneinander. Wie auch die historische Person Klara und ihr Wirken als an Franziskus gebunden verstanden werden, wird die Klarissenregel – in welcher Form auch immer – stets als Produkt eines textexegetischen Prozesses gedacht, der nicht ohne die Regula bullata als Ursprungstext hätte auskommen können.¹²⁵
I.2.2 Regeltexte als Quellengattung Normen und Normativität der religiösen Gemeinschaften des Mittelalters konstituierten sich entscheidend mit der schriftlichen Fixierung ihrer Lebensordnung in Regeltexten.¹²⁶ Für diesen Texttypus, der eine eigene Quellengattung bildet und
Vgl. Roest, Literature, 189 – 190. Als Autor:innen, die eigene Kommentare der Regel anfertigten, sind Battista Alfani, Evangelista da Perugia und Caterina da Bologna bekannt, vgl. 188 ff. Zum Zusammenhang von Regel, Lebensform und Person vgl. das einleitende Kapitel dieses Bandes. Vgl. K. Suso Frank, Art. Ordensregel. In Lexikon für Theologie und Kirche. Bd. 7: Maximilian bis Pazzi, hg. von Walter Kasper. Freiburg, Basel, Rom, Wien: Herder, 1998, Sp. 1106 – 1108, hier 1106. Der Zusammenhang zwischen Regel und Norm lag in der Zielstellung, das „Handeln gleichförmig, vorhersehbar und dauerhaft zu machen“, wie das Udo Zelinka ausdrückt, vgl. Udo Zelinka, Art. Regel, II: Theologisch-ethisch. In Lexikon für Theologie und Kirche. Bd. 8: Pearson bis Samuel, hg. von Walter Kasper. Freiburg, Basel, Rom, Wien: Herder, 1999, Sp. 962.
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I Die Klarissen und ihre Textproduktion zwischen Observanz und Reformation
als solche eine der wichtigsten Quellen zum mittelalterlichen Ordensleben darstellt, lassen sich drei Textformen unterscheiden: Regeln, Consuetudines (wörtlich: „Gewohnheitsrechte“; laut Gert Melville „Ergänzungen und unterstützende Interpretationen der Regel“) sowie Statuten oder Konstitutionen. ¹²⁷ In ihnen werden die Fundamente der jeweiligen religiösen Strukturen fassbar.¹²⁸ Darüber hinaus wurden Normen in weiteren schriftlichen und mündlichen Medien kommuniziert, etwa in den Legenden der Vorbilder (Gründerpersonen und Heilige), des Weiteren in Urkunden von Päpsten und Bischöfen, Konzilsbeschlüssen, Visitationsberichten, Chroniken, Viten, aber auch in Artefakten wie der Klosterarchitektur.¹²⁹ Die Regeltexte der monastischen Orden entwickelten sich zeitlich nacheinander in der Reihenfolge Regeln – Consuetudines – Statuten. In und aus den spätantiken und frühmittelalterlichen christlichen Klöstern heraus entstanden zunächst Regeln für mönchische Gemeinschaften, darunter die Regeltexte aus dem gallischen Kloster Lérins aus dem 5. Jahrhundert, die Mönchs- und die Nonnenregel des Lérinser Mönches und späteren Bischofs Caesarius von Arles (470 – 542) und die Regeln des irischen Mönchs Columban von Luxeuil (540 – 615).¹³⁰ Neben den danach im Fränkischen Reich im 6. Jahrhundert entstandenen Eine erste umfangreiche quellenkundliche Publikation zur Quellengattung stellt der Tagungsband der internationalen Studienseminare des Italienisch-Deutschen Zentrums für vergleichende Ordensgeschichte dar, vgl. Cristina Andenna; Gert Melville (Hg.), Regulae – Consuetudines – Statuta. Studi sulle fonti normative degli ordini religiosi nei secoli centrali del Medioevo; atti del I e del II seminario internazionale di studio del Centro Italo-Tedesco di Storia Comparata degli Ordini Religiosi (Bari/Noci/Lecce, 26 – 27 ottobre 2002 /Castiglione delle Stiviere, 23 – 24 maggio 2003) (Vita regularis. Abhandlungen 25). Münster: LIT Verlag, 2005, im Besonderen der darin enthaltene Aufsatz von Gert Melville mit einer typologisierenden Begriffsdefinition für die einzelnen Textsorten, vgl. Gert Melville, Regeln – Consuetudines-Texte – Statuten. Positionen für eine Typologie des normativen Schrifttums religiöser Gemeinschaften im Mittelalter. In Regulae. Andenna et al. (Hg.), 2005, 5 – 38, Zitat in der Klammer 29 – 30. Zum Forschungsstand zu den Regeltexten bis zu diesem Band vgl. dort den Überblick, 10, FN 23. Vgl. Melville, Regeln, 7. Melville bezeichnet Regeltexte als „harter Kern der normativen Medien“ für religiöse Orden, vgl. Melville, Regeln, 9. Vgl. Melville, Regeln, 7– 8. Weitere kontextualisierende Quellen sind andere Gegenstände bzw. Objekte, Bilder, Interieurs, Pläne, Kleidung und Gärten sowie andere Texte zur Frömmigkeit, also etwa Predigten, Traktate etc. Zur Herausbildung der Regeltexte als Quellengattung vgl. den Überblick im Unterkapitel „Regeltexte als Quellengenre“ in Albrecht Diem, Das monastische Experiment. Die Rolle der Keuschheit bei der Entstehung des westlichen Klosterwesens (Vita regularis. Abhandlungen 24). Münster: LIT Verlag, 2005, 131– 147, vor allem 146 – 147. Die Gattungsherausbildung klösterlicher Regeltexte im frühen Mönchtum ist entscheidend geprägt von der karolingischen Geschichtsschreibung und der Kanonisierung von Regula/-ae genannten Texten in der Quellensammlung Codex Regularum des Benedikt von Aniane (vor 750 – 821), vgl. Diem, Experiment, 131.
I.2 Regeltexte
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Bischofsregeln wurden im gleichen Zeitraum zwei Klosterregeln außerhalb des gallischen Raums verfasst, die bis heute das Zentrum der Aufmerksamkeit der historischen Forschung zu frühmittelalterlichen bzw. spätantiken Regeltexten bilden: die Regula Magistri und die inhaltlich darauf aufbauende Regula Sancti Benedicti/Benediktiner-Regel (ca. 540).¹³¹ Letztere entwickelte sich ab dem späten 8. Jahrhundert zu einer verbreiteten Norm für Mönche und Nonnen und wurde auf dem IV. Laterankonzil 1215 als verbindliche Regel für alle Orden festgelegt.¹³² Förderlich für das Verständnis des Zusammenhangs zwischen der Durchsetzung von Normen und den geschriebenen Regeltexten ist die doppelte Bedeutung des lateinischen Wortes regula als konkreter Regeltext – hier jeweils groß geschrieben – und als abstraktes Konzept.¹³³ Im Frühmittelalter stand nicht hinter jeder regula auch ein spezifischer Text mit einer normativen Funktion, sondern die regula konnte ein Spektrum an Bedeutungen annehmen und so etwa die monastische Disziplin, das Mönchsleben, den allgemeinen Brauch oder die Armutsregel bezeichnen.¹³⁴ Die Durchsetzung des Regeltextes als Träger von Normen ist daher als langwieriger Prozess zu verstehen. Als die Regula Sancti Benedicti als Regeltext für alle bestehenden sowie – so der Plan – für alle zukünftig sich gründenden Orden verbindlich festgelegt war, konnten (Modifikationen dieser) Regeln fortan nur noch in Kommentaren oder Consuetudines festgeschrieben werden.¹³⁵ Die Entstehung der Bettelorden im
Vgl. Diem, Experiment, 228 – 229. Die Studie von Diem untersucht systematisch einen umfangreichen Textkorpus frühmittelalterlicher Regeltexte unter sexualitätsgeschichtlichen Fragestellungen. Zur Provenienz der Regula Sancti Benedicti vgl. die Diskussion bei Coon, Bodies, 72 ff. Diem kritisiert die Vorstellung eines Verdrängungskampfes der Klosterregeln als Produkt einer positivistischen Geschichtsschreibung, vgl. Diem, Experiment, 133 ff. Vgl. Diem, Experiment, 135. Ebenso heißt es in dieser Arbeit forma, wo es im Allgemeinen um Lebensform bzw. Ordensregel geht, und Forma, wenn eine bestimmte Regel, etwa die Forma vitae der Hl. Klara, gemeint ist. Vgl. Diem, Experiment, 137. Zum Spektrum der Bedeutungen, das regula im Kontext der Regula Sancti Benedicti umfassen konnte, bedenke man auch die entsprechenden Kommentare von Papst Gregor I., die deutlich werden lassen, dass regula und Regula nicht unbedingt deckungsgleich waren, vgl. Kassius Hallinger, Papst Gregor der Große und der Hl. Benedikt. In Commentationes in Regulam S. Benedicti, hg. von Basilius Steidle. (Studia Anselmiana 42). Rom: Orbis Catholicus/Herder, 1957, 231– 319, vor allem 266 – 277; Diem, Experiment, 137. Consuetudines oder „Gewohnheiten“/„Gewohnheitsrechte“ entstanden als Textsorte zur Ergänzung, Anpassung und Präzisierung der jeweiligen Regel. Sie sind seit der Regula Benedicti bekannt und entstanden in verschriftlichter Form im 8. und 9. Jahrhundert sowie im Spätmittelalter generell in großer Zahl, vgl. Stephan Haering, Art. Consuetudines. In Lexikon für Theologie und Kirche. Bd. 2: Barclay bis Damodos, hg. von Walter Kasper. Freiburg im Breisgau: Herder, 1994, Sp. 1304– 1305; Peter Maier, Art. Consuetudines monasticae. In Religion in Geschichte und Ge-
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zwölften Jahrhundert veränderte allerdings die Dominanz der Benediktiner-Regel nachhaltig. Die Minderbrüder im Umfeld des Franziskus von Assisi strebten die Manifestierung ihrer Lebensform in einer eigenen Regel an, die ihre spezifische Idee der evangelischen Perfektion festhalten sollte. Aus diesem Prozess resultierte die aus verschiedenen Regelentwürfen erarbeitete und in zwölf Kapitel gefasste Regula bullata von 1223, die gleichwohl auch Teile der Regula Sancti Benedicti beinhaltete.¹³⁶ Mit den Observanzbewegungen ab dem Anfang des 15. Jahrhunderts kam der regula erneut eine besondere Bedeutung zu, wurde doch der Kern der Reform als eine Rückkehr zur Beachtung der „wahren“ Regel formuliert. Die Suche nach der „ursprünglichen“ Regel/Regula und damit zugleich auch der regula wurde von der Produktion neuer normativer Texte begleitet, den Statuten (bzw. Konstitutionen) für die reformierten oder neu gegründeten Gemeinschaften. Zugleich wurden auch neue Abschriften der für gültig erklärten Versionen der Ordensregel angefertigt oder dieser durch erläuternde Kommentare zu einer neuen Bedeutungsebene verholfen.¹³⁷ Für die komplexen Definitionen all dieser Textsorten der Quellengattung hat der Mittelalterhistoriker Gert Melville eine erste Typologie entwickelt. Diese soll im Folgenden mit dem Ziel, die in diesem Kapitel untersuchten Quellen genau beschreiben zu können, näher erläutert werden.¹³⁸ Da die einzelnen Quellentexte oftmals unter verschiedenen Titeln erschienen und tradiert sind, gestaltet sich eine Definition allein aus der Bezeichnungspraxis heraus als schwierig und sollte daher stets eine Analyse der Texte nach ihren Inhalten berücksichtigen.¹³⁹ Der von Melville dementsprechend erstellte Katalog von sechs Fragen – nach der Autor: innenschaft/Urheber:innenschaft und der Approbation eines Textes, nach der Gegebenheit einer eingreifenden Veränderung, nach dem Bezug zwischen dem
genwart. Handwörterbuch für Theologie und Religionswissenschaft. Band 2 C – E, hg. von Hans Dieter Betz. Tübingen: Mohr Siebeck, 1999, Sp. 452– 453. Die vorliegende Studie konzentriert sich sämtlich auf andere Regeltextsorten, daher werden Consuetudines hier nur erwähnt, um die Eigenschaften anderer Regeltexte deutlicher herauszustellen. Vgl. den vorausgehenden Kapitelabschnitt I.2.1 in diesem Band. Vgl. ebd. Zum gestaltenden Potenzial von Regelkommentaren für die Herausbildung eines monastischen Selbstverständnisses und ihrer Bedeutung als Quellen für die Forschungsfelder von Norm und Identität vgl. die Einleitung und die Beiträge der Sektion „Identität im Prozess. Mechanismen zur Perfektionierung des Normativen im Spiegel mittelalterlicher Regelkommentare“ in Mirko Breitenstein; Julia Burkhardt; Stefan Burkhardt (et al.) (Hg.), Identität und Gemeinschaft.Vier Zugänge zu Eigengeschichten und Selbstbildern institutioneller Ordnungen (Vita regularis. Abhandlungen 67). Berlin, Münster: LIT Verlag, 2015, 3 – 87. Die folgenden Definitionen folgen Melville, Regeln. Vgl. Melville, Regeln, 11.
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jeweiligen Text und den (Ordens‐)Verbänden oder Einrichtungen, nach der Beziehung zwischen den einzelnen Quellensorten und nach ihrer normativen Geltung¹⁴⁰ – eröffnet einen analytischen Zugang zum Quellenmaterial. In dieser Lesart ergeben sich für die in dieser Arbeit untersuchten Quellensorten folgende Definitionen: Regeln Eine Regel konnte seit dem 13. Jahrhundert nur durch den Papst anerkannt werden. Ihre Einführung diente der Kanalisierung einer bestehenden Gemeinschaft oder der Neugründung eines Ordens.¹⁴¹ Regeln konnten in ihrem inhaltlichen Spektrum stark variieren, allen gemeinsam war aber die Sicherung normativer Verhaltensstrukturen als grundlegende Elemente der jeweiligen forma vitae religiosae. ¹⁴² Regeln konnten nicht verändert, jedoch mit Teilen anderer Regeln zu neuen Texten verknüpft werden.¹⁴³ Sie konnten kommentiert und „durch statuarische Rechtsfortschreibung“ interpretiert und ergänzt werden.¹⁴⁴ Vor dem 13. Jahrhundert bezogen sie sich auf einzelne Häuser und konnten dann von anderen übernommen werden. Erst seit dem 13. Jahrhundert spricht man von „Orden“, und seitdem wurden Regeln verfasst, die auf einen bestimmten Orden zugeschnitten waren und nicht mehr ohne Weiteres von anderen übernommen werden konnten, siehe die Geschichte der Regula bullata der Franziskaner.¹⁴⁵ Regeln verstehen sich prinzipiell als die „spezifizierende Interpretation des Evangeliums“, dergestalt sind Consuetudines „Ergänzungen und stützende Interpretationen der Regel“.¹⁴⁶ Falls keine Regel vorhanden ist, treten sie an ihre Stelle. Regeln „vermitteln, transportieren und speichern Normen.“¹⁴⁷ Im Unterschied zu den Consuetudines-Texten, die den Wortlaut von Normen nur speichern, jedoch selbst keine Normen transportieren und daher keinen entsprechenden Geltungsanspruch haben können, gelten Regeln als unveränderlich und oft sogar als heilig.¹⁴⁸
Vgl. Melville, Regeln, 11– 12. Vgl. Melville, Regeln, 14. Vgl. Melville, Regeln, 19. Vgl. Melville, Regeln, 21. Vgl. Melville, Regeln, 22. Vgl. Melville, Regeln, 26. Vgl. Melville, Regeln, 29 – 30. Vgl. Melville, Regeln, 32. Vgl. Melville, Regeln, 33. Die Geltung dieser Textform ist in der Praxis der Normausübung und ihrer stetigen Wiederholung angelegt.
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Statuten Statuten werden „im Konsens der Gemeinschaft oder deren Repräsentant[:inn]en und mit Hilfe eines Zentralorgans (Generalkapitel) gefasst.“¹⁴⁹ Eine päpstliche Approbation ist möglich, aber nicht unbedingt erforderlich.¹⁵⁰ Inhaltlich liegt der Schwerpunkt auf der Organisation und Disziplinierung der Gemeinschaft.¹⁵¹ Statuten wurden ergänzt, verändert und neu geschrieben.¹⁵² Sie waren auf die jeweilige Gemeinschaft bezogen, von der (oder aus deren Netzwerk heraus) sie geschaffen wurden, und galten deshalb auch nur dort. Die Statuten eines Verbandes galten dabei in allen Häusern des Verbandes.¹⁵³ Statuten sind „Ausführungsbestimmungen“ der Regel, aber „keine Ergänzung oder Interpretation von consuetudines“.¹⁵⁴ Mit der Observanzbewegung gewann diese Textsorte eine besondere Bedeutung für die Erneuerung der Regelgeltung. Statuten verschriftlichten Normen, die von dem Moment ihrer Aufzeichnung an zu gelten hatten, sie waren auf bzw. in die Zukunft gerichtet und theoretisch von unbegrenzter Dauer.¹⁵⁵ Auch wenn aufgrund der fließenden Übergänge von Charakter und Funktion der Texte von einer allzu festen Gattungsfestschreibung abgesehen werden muss, kann diese Typologie doch wirkungsvoll dabei helfen, normative Strukturen voneinander zu unterscheiden.¹⁵⁶ Melville sieht die grundlegende Unterscheidung auf der Ebene der Geltungsdimension: Wenn normative Texten grundsätzlich auf bzw. in zwei Richtungen – nach hinten und nach vorn – verweisen, indem sie einerseits bereits erfolgte Ereignisse verschriftlichen und andererseits das, was noch getan werden muss, konstituieren, so gleichen sich Regeln und Statuten darin, dass sie „Normen transportieren und zugleich auch die Geltung dieser
Melville, Regeln, 16. Vgl. dazu auch den Überblick bei Florent Cygler, Ausformung und Kodifizierung des Ordensrechts vom 12. bis zum 14. Jahrhundert. Strukturelle Beobachtungen zu den Cisterziensern, Prämonstratensern, Kartäusern und Cluniazensern. In De ordine vitae. Zu Normvorstellungen, Organisationsformen und Schriftgebrauch im mittelalterlichen Ordenswesen, hg. von Gert Melville. (Vita regularis 1). Münster: LIT Verlag, 1996, 7– 58. Vgl. Melville, Regeln, 17– 18. Vgl. Melville, Regeln, 21. Vgl. Melville, Regeln, 24. Vgl. Melville, Regeln, 28. Vgl. Melville, Regeln, 30. Vgl. Melville, Regeln, 34. Daraus ergibt sich auch die Vorschrift für jeden Konvent, diese Texte vorzuhalten, wie die Vorlesepraxis in den Reformkonventen des 15. Jahrhunderts zeigt, die als Praxis der Vergegenwärtigung und Verzeitlichung – zeitlich nach hinten und nach vorn gerichtet – verstanden werden muss. Vgl. Melville, Regeln, 35.
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Normen konstitutiv tragen“ – während sie sich von den Consuetudines-Texten dementsprechend unterscheiden.¹⁵⁷ Ein weiterer Analyseschritt betrifft die Frage, ob und in welchem Zusammenhang in den weiteren Texten der Klostergemeinschaften (etwa den Klosterchroniken, den Schriften über das Leben der Heiligen und Lehrtexten) auf die Regeltexte bzw. auf die jeweilige regula, auf Ordnung oder Lebensform hingewiesen wird.¹⁵⁸ Welchen normativen Charakter hatten die Regeltexte für die Entwicklung der Ordensgemeinschaft? Welcher Überlieferungszusammenhang war dafür relevant? In welchen weiteren Quellen, beispielsweise der klösterlichen Kunst, Bauten und liturgischen Quellen, fand das monastische Selbstverständnis seinen Ausdruck?¹⁵⁹ Der Historiker Albrecht Diem sieht den besonderen Quellenwert der Regel- und Statutentexte für die Geschichte der monastischen Idee nicht nur in ihrem Inhalt, sondern zugleich in ihrer jeweiligen Entwicklungsgeschichte begründet, die Aufschluss über die Notwendigkeit bzw. Anlässe ihrer Entstehung geben könne, wurden neue Regelentwürfe doch anhand der bereits kanonisierten Texte in Krisensituationen angefertigt.¹⁶⁰ Für die im Zentrum dieser Studie stehenden Klarissengemeinschaften ergibt sich aus diesen quellengattungsspezifischen Fragen ein Forschungsprogramm für die Analyse der Regeltexte. Neben den Regeltexten in all ihren Varianten gilt es dabei auch, die regula-Erwähnungen bzw. deren Spuren in anderen im Kloster entstandenen Texten, darunter Chroniken, Briefe, Schwesternbücher und hagiografische Texte, sowie in der materiellen Kultur des Klosters zu identifizieren.¹⁶¹ Welche Bedeutungsebenen haben die Klosterregeln und die abstrakte regula der Klarissengemeinschaften, wenn sie aus ihrem Entstehungsprozess, also dem Anlass, den Text zu produzieren, gelesen werden?¹⁶² Des Weiteren ist danach zu fragen, was das Abfassen neuer Regeltexte bzw. das Bestimmen neuer Aspekte für die gerade darin auch nicht erwähnten Aspekte des Lebens bedeutete.¹⁶³ Aus den
Melville, Regeln, 37. Vgl. Diem, Experiment, 139. Der Regeltext bildet zusammen mit anderen Texten einen Teil der kollektiven Identität eines Klosters, vgl. Diem, Experiment, 145. Vgl. Diem, Experiment, 140 und 144. Vgl. Diem, Experiment, 143. Vgl. Diem, Experiment, 144. Vgl. Diem, Experiment, 145. Diem schlägt hier für die Interpretation von Regeltexten zwei Modelle vor, bei denen sich die Inhalte und Strukturen der Texte in geometrischen Formen visualisiert denken lassen. Danach lässt sich ein Regeltext entweder als Kräfteverhältnis innerhalb eines Dreiecks interpretieren oder als das Ergebnis einer Zusammensetzung,vergleichbar mit den sieben geometrischen Figuren eines Tangrams, bei denen jede für sich festgelegt ist, die jedoch zusammengesetzt eine unendliche Anzahl an Variationen bieten, vgl. Diem, Experiment,
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in den Regeltexten selbst festgelegten Praktiken des Lesens und Verlesens dieser Texte, vor allen während der Tischlesungen, ergibt es sich, dass die Quellen als im Wissensstand der einzelnen Religiosen überaus präsent eingeschätzt werden müssen.¹⁶⁴
I.2.3 Die Quellen Die Ergebnisse der Reform der Klarissen in der Straßburger Ordensprovinz materialisierten sich unter anderem in eigens verfassten Statutentexten. Neben den baulichen Maßnahmen an den Konventsgebäuden, auf die ich später noch zu sprechen komme¹⁶⁵, stellten diese Texte die normativen Grundlagen der Reform und der Lebensweise in Beachtung der Ordensregel dar. Wie im vorangehenden Abschnitt bereits diskutiert, handelt es sich bei den Statuten des 15. Jahrhunderts um (Regel‐)Texte, die auf eine bereits vorhandene Ordensregel Bezug nahmen und diese genauer kommentierten. Die jeweils damit korrespondierende Ordensregel wurde in den hier untersuchten Fällen außerdem neu abgeschrieben bzw. übertragen, was ebenfalls Teil des Reformprozesses und der Normativierung der Regelinhalte war. Somit finden sich in den hinterlassenen Handschriften der Konvente auch die Texte der jeweils zu beachtenden Regel. Im Folgenden werden die für die untersuchten Klarissengemeinschaften in der Straßburger Ordensprovinz und in Genf relevanten Regeltexte vorgestellt und die jeweiligen Fassungen, Handschriften und deren Provenienz sowie Editionen beschrieben. I.2.3.1 Statuten I.2.3.1.1 Die Statuten für die Klarissen der Straßburger Franziskanerobservanz Die zentrale Quelle bezüglich der Normvorstellungen, die durch die Reform der Klarissenkonvente in der Straßburger Ordensprovinz etabliert werden sollten, stellen die Statuten des Johannes de Lare († 1481) dar. De Lare wurde 1455 zum
146. Gerade letzteres drückt sehr anschaulich das monastische Spannungsfeld zwischen Regel und Handlungsspielraum aus und ist zugleich ein Angebot, sich Quellentexte durch Verräumlichung zu erschließen. Zur Praxis des lauten Lesens in spätmittelalterlichen weiblichen Gemeinschaften vgl. Carine Lingier, „Hongerich na den worden Godes.“ Reading to the Community in Women’s Convents of the Modern Devotion. In Lesen, Schreiben, Sticken und Erinnern. Beiträge zur Kultur- und Sozialgeschichte mittelalterlicher Frauenklöster, hg. von Gabriela Signori. (Religion in der Geschichte 7). Bielefeld: Verl. für Regionalgeschichte, 2000, 123 – 147, hier 126 – 127. Vgl. Kapitel II.1.4 in diesem Buch.
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Provinzialvikar der 1450 gegründeten Straßburger Franziskanerobservanz ernannt und kurz darauf zum Klostervisitator für die weiblichen Gemeinschaften bestimmt, wodurch er dazu berechtigt war, die wichtigsten Ämter in den Konventen zu besetzen, Kontrollen durchzuführen und etwaige Verstöße zu sanktionieren.¹⁶⁶ Er verfasste die Reformstatuten als zukünftig zu beachtende Explikation der Ordensregel für die Klarissen in den neu reformierten Konventen der Straßburger Provinz: „Den ersamen geistlichen vnd in Christo Jesu andechtigen frawen, der abtissin, priorin vnd anders muttern, swestern vnd kindern gemainlichen der gereformirten clostern sant Clarn ordens in Strasspurger provincz […].“¹⁶⁷ Den Anlass zur Entstehung des Statutentextes bildete die Arbeit de Lares an der Reform der Brixener Klarissen 1455.¹⁶⁸ Im weiteren Reformverlauf wurde der Text den Pfullinger Klarissen sowie weiteren Konventen der Provinz zur Verfügung gestellt.¹⁶⁹ Weder die lateinische Originalfassung de Lares noch eine zeitgenössische lateinische Abschrift sind überliefert. Auch ist keine Version derjenigen deutschsprachigen Übertragung der Statuten, die de Lare sehr wahrscheinlich selbst vorgenommen oder veranlasst hat und zur Reform nach Brixen mitbrachte, überliefert.¹⁷⁰ Von der übertragenen Version der Statuten sind insgesamt zwei Abschriften bekannt und erhalten, die in Brixen und in Pfullingen für den jeweiligen Konvent
Vgl. P. Max Straganz, O. F. M., Statuten, S. 143; Jessica Wessels, Die Reform der Münchner Konvente St. Antonius und St. Jakob am Anger. In Schreib. Vosding (Hg.), 2012, 45 – 58, hier 53, FN 269. Johannes de Lare: Brixener Statuten, zitiert nach P. Max Straganz, O. F. M., Statuten [im Folgenden abgekürzt als: BrixStat], fol 32v. Vgl. P. Max Straganz, O. F. M., Statuten, 149. Straganz geht von der Entstehung des Textes unmittelbar im Zusammenhang mit dem Zeitpunkt der Reform in Brixen aus. Von einem im Nürnberger Klarissenkonvent befindlichen Exemplar der Statuten ist nichts bekannt. Es ist jedoch mit höchster Wahrscheinlichkeit davon auszugehen, dass die Nürnberger: innen nach den Reformen in Brixen und Pfullingen eine Abschrift selbst angefertigt oder ein Exemplar erhalten haben. In jedem Fall galt das Regelwerk auch für St. Klara in Nürnberg, vgl. Vosding, Assisi, 23. Ein Exemplar aus dem Klarissenkloster Söflingen ist nicht bekannt, die Statuten werden aber auch für diesen Konvent als gültig angenommen, vgl. Karl Suso Frank, Das Klarissenkloster Söflingen. Ein Beitrag zur franziskanischen Ordensgeschichte Süddeutschlands und zur Ulmer Kirchengeschichte (Forschungen zur Geschichte der Stadt Ulm 20). Ulm, Stuttgart: Kommissionsverlag W. Kohlhammer, 1980, 105. Renate Mattick geht davon aus, bei der Fassung in der Brixener Handschrift (Cod. 4 Perg. 87) handele es sich um die Abschrift einer früheren deutschsprachigen Übertragung, die de Lare bereits nach Brixen mitgebracht habe und die später auch in Pfullingen abgeschrieben worden sei. Damit argumentiert sie gegen die Annahme Lucius Spätlings, die Nürnberger Klarisse und von 1455 bis 1459 Reformäbtissin in Brixen Barbara Freydung habe die Übertragung ins Deutsche selbst angefertigt oder beauftragt, vgl. Mattick, Urbanregel, 179, sowie Spätling, Brixen, 377.
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hergestellt wurden.¹⁷¹ Cod. 4 Perg. 87 des Klosterarchivs von St. Elisabeth in Brixen wurde 1517 erstellt und enthält somit die jüngste bekannte Abschrift der deutschsprachigen Übertragung der Statuten von Johannes de Lare. Tradiert wird dieser Statutentext unter dem Titel Brixener Statuten, der auf die textgetreue Edition des Ordenshistorikers Max Straganz zurückgeht.¹⁷² Der Codex besteht aus 87 Blättern, auf denen sich neben den Statuten als solchen (fol 32r – 68r) eine deutsche Übertragung der von Papst Urban IV. 1263 bestätigten Klarissenregel (Regula secunda, fol 1r – 32r), eine deutsche Übertragung der Bestimmungen über die seelsorgerische Betreuung der Klarissen durch die Minderbrüder von 1317 (fol 68r – 85v) sowie eine deutsche Übertragung der Bulle Gregors IX. von 1237 zu Klausurbestimmungen für die Klarissen (fol 85v – 86r) finden. Die Foliierung erfolgte durch den Herausgeber der Edition. Dieser folgte bei der Datierung der Handschrift auf das Jahr 1517 der Auskunft der Schreiberin in der Schlusszeile, die als zeitliche Referenz das Abbatiat der Anna Nymelbergerin angibt. Die Handschrift ist in zwei Kolumnen geschrieben und unter reichhaltiger Verwendung von Gold illuminiert.¹⁷³ Der Text der Statuten ist in fünf Kapitel gegliedert, die jeweils eigene Überschriften tragen: „Gehorsam“, „Armut“, „Reinheit“, „Gottesdienst“ und „Schweigegebot“. Eingeleitet wird der Text durch eine Vorrede. Orientiert an den Grundpfeilern des klausurierten Ordenslebens der Klarissen, ist jedes Kapitel mit einer Fülle an detaillierten Vorschriften für das gemeinschaftliche Leben versehen, die zugleich genaue Vorstellungen zu deren Durchsetzung durch die Amtsinhaber:innen der jeweiligen Gemeinschaft und die Aufsicht der Ordenskongregation enthalten, etwa in Gestalt bestimmter Sanktionierungen von Fehlverhalten und Verstößen. Die Statuten geben daher auf der Ebene der Normen auch Auskunft über die Strafpraxis der Klarissen. Die zweite bekannte und ältere Abschrift der deutschsprachigen Fassung der Klarissenstatuten von Johannes de Lare befindet sich im Pfullinger Statutenbuch. Diese so bezeichnete Handschrift aus dem Skriptorium des Pfullinger Konvents ist als Cod. hist 4 177 in der Württembergischen Landesbibliothek Stuttgart erhalten.¹⁷⁴ Sie datiert auf den Zeitraum von 1500 bis 1504 und ist in der Handschrift von Katharina von Weil geschrieben, die gesichert für die Zeit zwischen 1520 und 1522 als Schreiberin in Pfullingen identifiziert werden kann. Von ihrer Hand
Andere Exemplare der Statuten von de Lare sind (bislang) nicht bekannt, vgl. Bacher, Pfullingen, 111. Vgl. BrixStat (wie Anm. 276) bzw. P. Max Straganz, O. F. M., Statuten. Vgl. P. Max Straganz, O. F. M., Statuten, 149 – 150. Statutenbuch der Klarissinnen in Pfullingen (1504), Stuttgart, Württembergische Landesbibliothek, Cod. hist 4° 177.
I.2 Regeltexte
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wurden mehrere Pfullinger Handschriften verfasst.¹⁷⁵ Die verschiedenen anderen Hände, die sich in anderen Handschriften teilweise mitten im Satz abwechseln, lassen auf eine Gruppe von Schreiberinnen in diesem Kloster schließen, die zusammen als ein Skriptorium angesehen werden können.¹⁷⁶ Der Statutentext ist auf fol 41r – 68v des Codex festgehalten. Er ist in der Pfullinger Handschrift identisch mit der Version aus Brixen. Ihm vorausgehen eine andere deutsche Fassung der Urban-Regel für Klarissen (fol 1r – 30r) sowie weitere Texte, darunter drei Statutentexte aus dem 14. Jahrhundert.¹⁷⁷ Die Intention, eine solche Sammelhandschrift mit zentralen Texten für das Selbstverständnis der Gemeinschaft aufzusetzen, kann als Kontinuität der Reform bzw. ihre aktive Perpetuierung verstanden werden.¹⁷⁸ Die sich überschneidende Textauswahl beider Codices sowie die strukturellen und personellen Verbindungen beider Konvente lassen auf einen ähnlichen Entstehungszusammenhang und eine gemeinsame Vorlagengrundlage für die Klarissenstatuten, die de Lare mit sich geführt haben könnte, schließen.¹⁷⁹ Eine neuhochdeutsche Paraphrase des Statutentextes aus dem Pfullinger Codex hat Johannes Gatz vorgelegt.¹⁸⁰ Die Reformstatutentexte spiegeln die Leitideen der franziskanischen Ordensreform in der Straßburger Ordensprovinz auf der Basis der revidierten Ordensregeln der Klarissen wieder. Ihre Verschriftlichung in Codices war für den gemeinschaftlichen Gebrauch angelegt. Zusammen mit weiteren Regeltexten gehörten sie zu den gemeinschaftlichen Lektüren des jeweiligen Konvents und wurden regelmäßig während der Tischlesungen, wenigstens vier Mal im Jahr, verlesen.¹⁸¹ Sehr wahrscheinlich wurde ihr Prototext, die Übertragung der ursprünglich lateinischen Fassung von Johannes de Lare, im Rahmen der örtlichen Bedingungen des jeweiligen Klosters verschriftlicht und in dessen Praxis einbe-
Zum Pfullinger Statutenbuch vgl. Kurt Ruh, Klarissenstatuten (mhd. u. mndl.). In Die deutsche Literatur des Mittelalters. Verfasserlexikon. Band 4, hg. von Kurt Ruh. Berlin, New York: de Gruyter, 1983, Sp. 1187– 1190, hier Sp. 1189 – 1190.; Heinzer, Bücher, 46, sowie Bacher, Pfullingen, 105 – 111 (Unterkapitel „Statutenbücher“). Vgl. Heinzer, Bücher, 47. Auch Raimund Waibel benennt ein Skriptorium, vgl. Waibel, Pfullingen, 21– 22. Die Schriftproduktion der Nürnberger Dominikanerinnen war in ähnlicher Weise organisiert. Der Brixener und der Pfullinger Codex weisen die gleichen vier Texte auf, mit dem Unterschied der Fassung der Urban-Regel und in unterschiedlicher Reihenfolge. Zusätzlich sind in die Pfullinger Handschrift zwei Statutentexte aus dem 14. Jahrhundert aufgenommen worden, vgl. die Übersicht bei Bacher, Pfullingen, 106 – 107 sowie den Vergleich der Handschriften 107 ff. Vgl. Bacher, Pfullingen, 105; Heinzer, Bücher 48. Vgl. Bacher, Pfullingen, 107 und 111. Vgl. Gatz, Pfullingen, 194– 211. Vgl. P. Max Straganz, O. F. M., Statuten, 169; Gatz, Pfullingen, 210.
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I Die Klarissen und ihre Textproduktion zwischen Observanz und Reformation
Fig. 1: Statutenbuch der Klarissinnen in Pfullingen, Stuttgart, Württembergische Landesbibliothek, Cod. hist. 4° 177, fol 21v.
zogen. Es kann also auch hier zwischen der Regel – der jeweiligen materiellen Textfassung – und der regula als Konzept unterschieden werden.Verständnis und Praxis letzterer wurden im jeweiligen Haus von verschiedenen Aspekten beein-
I.2 Regeltexte
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flusst. Der Text der Brixener Statuten kann (ebenso wie der des Pfullinger Statutenbuchs) als aussagekräftig gelten, um ein Verständnis der regula in den hier untersuchten Konventen zu erschließen. I.2.3.1.2 Die Constitutions der Colette de Corbie (1381 – 1447) für die Klarissen-Colettinen Die Ordensreformerin Colette de Corbie verfasste, nachdem sie, wie oben dargestellt¹⁸², die Erlaubnis bekommen hatte, neue Reformklöster zu errichten sowie bereits bestehende in ihrem Sinne zu reformieren, eigene Statuten zur Erläuterung und Ausdeutung der Forma vitae/Regula prima der Klara von Assisi in der von Innozenz IV. bullierten Fassung von 1253. Eine Abschrift dieser Klara-Regel hatte sie nach 1410 wahrscheinlich aus Assisi und durch ihren Kontakt zu Giovanni da Capestrano erhalten. Ihre Constitutions (ConstCol) wurden zunächst von Guglielmo da Casale, Generalminister des Franziskanerordens während des Pontifikats von Eugenius IV., im September 1434 genehmigt, später auch vom Papst selbst. Vierundzwanzig Jahre später – und damit erst nach dem Tode Colette de Corbies – bestätigte Papst Pius II. 1458 die Constitutions mit einer Bulle. Dem Statutentext vorangestellt sind eine Einleitung des Generalministers sowie der vollständige Text der Regula prima. ¹⁸³ Die Provenienz des Statutentextes aus dem hier fokussierten Reformkonvent Sainte-Claire in Genf ist schwer zu rekonstruieren. Eine direkte Information aus Genf gibt es nicht, da die klösterliche Bibliothek nicht erhalten geblieben ist. Auch aus Annecy sind keine überlieferten Quellen bekannt. Es ist in jedem Fall davon auszugehen, dass eine Abschrift des Statutentextes (und wahrscheinlich auch des Regeltextes der Regula prima) im Genfer Konvent, der als Klarissen-ColettinenKonvent als Musterbeispiel der Observanz gegründet worden war, vorhanden war. Sehr wahrscheinlich ist auch eine übertragene Fassung der Statuten ins Französische, um den Text in den liturgischen Alltag einbinden zu können.¹⁸⁴
Vgl. Kapitel I.2.1. Vgl. Roest, Literature, 183. Vollständig ediert ist der Text in La Regle de l’ordre de Sainte Claire, avec les statuts de la Reforme de sainte Colette, quelques lettres de cette glorieuse reformatrice, ses sentiments sur la Sainte Regle, etc., Societe Saint-Augustin (Hg.). Bruges: Desclee de Brouwer, 1892. Für diese Studie grundlegend ist die lateinische bzw. französische Edition, Textus originalis Constitutionum S. Coletae. In Seraphicae legislationis textus originales jussu rmi patris ministri generalis totius ordinis fratrum minorum in lucem editi, hg. von Collegium Sancti Bonaventurae. Florenz: Ad Claras Aquas Quaracchi, 1897, 99 – 175 [im Folgenden abgekürzt als: ConstCol]. Gerade durch das Selbstverständnis des Konvents, der in direkter Nachfolge des Konvents der Hl. Klara und innerhalb des starken (Kontroll‐)Netzwerks, das Colette de Corbie aufgebaut
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I Die Klarissen und ihre Textproduktion zwischen Observanz und Reformation
Die Constitutions der Colette de Corbie waren über die Klarissenhäuser hinaus verbreitet. So standen sie sowohl den Häusern des dritten Ordens regelbildend zur Verfügung als auch Gemeinschaften anderer Orden. Ein prominentes Beispiel für die Verbreitung über Ordensgrenzen hinweg ist der Fund in der Bibliothek der Alijt Bake († 1455), einer Augustinerchorfrau der Windesheimer Kongregation.¹⁸⁵ Die Constitutions sind in fünfzehn Kapitel untergliedert, von denen einige deckungsgleich mit den jeweiligen Abschnitten der Forma vitae der Hl. Klara sind.¹⁸⁶ Einige wurden neu sortiert und extra gefasst, wodurch den entsprechenden Themen andere Schwerpunkte verliehen wurden. Hierzu zählen das zweite Kapitel über die Eigenschaft des Habits, das sechste Kapitel über die Klausur, das achte Kapitel über das Abhalten des Kapitels, das elfte Kapitel über die Beschäftigung der Schwestern und das dreizehnte Kapitel über die Disziplinierung (correction). Diese Statuten sind die ersten Bezüge auf die Regula prima der Hl. Klara als normgebende Regel. I.2.3.2 Regulae I.2.3.2.1. Die Urban-Regel/Regula secunda (1263) Die Klarissenkonvente der Straßburger Franziskanerprovinz folgten sämtlich der 1263 von Urban IV. erstellten Regel für Klarissen. Die ersten bekannten deutschen Übertragungen datieren auf das Ende des 13. Jahrhunderts.¹⁸⁷ Für den Kontext der in dieser Studie fokussierten Klöster in Nürnberg, Pfullingen und Brixen liegen drei Fassungen der ins Deutsche übertragenen Urban-Regel vor, die im Folgenden in der chronologischen Reihenfolge der Entstehung ihrer Handschriften knapp beschrieben werden. Bei der Nürnberger Übertragung der Urban-Regel (RegUrb) für Klarissen handelt es sich um eine Abschrift einer Version der ins Deutsche übertrage-
hatte, stand, ist davon auszugehen, dass den jeweiligen Häusern die Texte zur Verfügung standen. Eine Lektüre der Genfer Chronik (Petite Chronique) auf den Spuren der Constitutions bzw. Hinweisen auf die Rezeption der Regeltexte nachzugehen wird in den nachfolgenden Kapiteln dieses Bandes unternommen. Vgl. More, Dynamics, 100. Die Originalfassung der Forma vitae von 1253 hat keine Kapiteleinteilung. Diese wurden nachträglich eingerichtet und tradiert, vgl. Lopez, Colette, 236. Dabei handelt es sich um die Übertragung der Regel für die Regensburger Klarissen, die um 1300 erstellt worden ist, vgl. Brett-Evans, Diu regel, 137. Eine Edition der in den 1940er-Jahren verloren gegangenen Handschrift hat Anton E. Schönbach erstellt, vgl. Die Regensburger Klarissenregel. In Mitteilungen aus altdeutschen Handschriften X, hg. von Anton E. Schönbach. (Sitzungsberichte der phil.-hist. Classe der kaiserl. Akademie der Wissenschaften Bd. 160, VI. Abhandlung). Wien, 1909, 1– 68.
I.2 Regeltexte
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nen Ordensregel, die im Nürnberger Konvent St. Klara vorhanden gewesen sein muss.¹⁸⁸ Renate Mattick hat den Regeltext im Klarissenarchiv Brixen entdeckt und vollständig textkritisch ediert.¹⁸⁹ Der Codex ist in der Handschrift der Brixener Reformäbtissin Barbara Freydung geschrieben, die wahrscheinlich auch die Auswahl der aufgenommenen Texte vorgenommen hat. Die Vorlagen dafür boten sehr wahrscheinlich die Bestände der Bibliothek von St. Klara in Nürnberg, wodurch ein Entstehungszeitraum des Codex nach 1459, dem Jahr der Rückkehr Freydungs aus Brixen, angenommen werden kann.¹⁹⁰ Der Codex besteht aus 256 Blättern, die einspaltig beschrieben sind. Von den ursprünglich fünf eingeklebten Bildchen ist auf fol 83v noch jenes mit einer Abbildung der Hl. Barbara vorhanden. Die Schrift beginnt mit dem Text der Bulle Urbans IV. zur Bestätigung der Regel für die Klarissen und setzt sich fort mit dem Regeltext (fol 4r – 41r) sowie einer Kurzfassung der Urban-Regel (fol 50v – 58v). Auf fol 61r – 83r befindet sich eine Abschrift der Klara-Regel (Regula prima) von 1253, eingeleitet von der Bulle Innozenz IV. (fol 59r – 61r). Die Handschrift enthält überdies mehrere Legendentexte, darunter die Barbaralegende, Predigt- und Traktattexte.¹⁹¹ Aus dem Klarissenkloster Pfullingen ist die Abschrift einer deutschsprachigen Übertragung der Urban-Regel im Pfullinger Statutenbuch (PfullStat) erhalten, das um 1500 bis ca. 1504 im Pfullinger Skriptorium entstanden ist.¹⁹² Eine Abschrift dieser Pfullinger Fassung ist in einem Württemberger Codex enthalten, der ebenfalls der Schriftproduktion des Pfullinger Klarissenklosters zugeordnet werden kann und zwischen 1520 und 1522 entstanden ist.¹⁹³ Beide Handschriften sind mit Bildern geschmückt. Das Pfullinger Statutenbuch enthält zum Beispiel einen kolorierten Holzschnitt mit der Abbildung der Hl. Klara als Initiale zum Kapitel über die Äbtissin und verweist damit auf den Zusammenhang mit der Ordens-
Eine Version direkt aus dem Nürnberger Klarissenkloster ist nicht überliefert, vgl. Mattick, Urbanregel, 173. Cod. S. 13, vgl. Mattick, Urbanregel [im Folgenden abgekürzt als: RegUrb]. Vgl. Mattick, Urbanregel, 181. Vgl. ausführlicher dazu Kapitel I.2.3.2.2 in diesem Band. Vgl. PfullStat, fol 1r – 30r. Zu dieser Handschrift vgl. die Beschreibung in Kapitel I.2.3.1.1 in diesem Band. Das Kopieren der Regel vierzig Jahre nach der Reform wird von Felix Heinzner als Zeichen für ein „Weiterwirken des Reformschubs“ gedeutet, vgl. Heinzer, Bücher, 48. Landesbibliothek Stuttgart, Cod. HB I 87, fol 16r – 62r, vgl. auch mit Beschreibung des Codex Johanne Autenrieth,Virgil Ernst Fiala, Die Handschriften der ehemaligen Hofbibliothek Stuttgart. Band 1: Codices ascetici, Teil 1 (HB I 1– 150) (Die Handschriften der Württembergischen Landesbibliothek Stuttgart 2, 1, 1). Wiesbaden: Harrassowitz, 1968, 155 – 157 sowie Bacher, Pfullingen, 42.
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I Die Klarissen und ihre Textproduktion zwischen Observanz und Reformation
gründerin Klara von Assisi als Vorbild für das Äbtissinnenamt.¹⁹⁴ Beide Pfullinger Handschriften weisen als Anhang zur Regel jeweils zwei Kapitel mit Anweisungen für Konversen (Servitialen) auf.¹⁹⁵ Die jüngste der drei Regelübertragungen ist die Abschrift im Codex 4 Perg. 87 des Klarissenarchivs Brixen (fol 1r – 32r), die in St. Elisabeth um 1517 entstanden ist.¹⁹⁶ Grundlage dieser Fassung ist eine als „Urübersetzung“ (David BrettEvans) apostrophierte deutschsprachige Übertragung aus dem späten 13. Jahrhundert, die für die neu entstandenen Klarissenkonvente in Süddeutschland wahrscheinlich in Augsburg angefertigt wurde und die auch die Vorlage für weitere Regelabschriften wie die der Villinger und Regensburger Klarissen lieferte.¹⁹⁷ Die Texte der Pfullinger und der Brixener Regelübertragung unterscheiden sich, anders als die Statutentexte, grundlegend voneinander und hatten offensichtlich unterschiedliche Vorlagen.¹⁹⁸ Die Regelabschriften in den beiden Brixener Handschriften sind deckungsgleich. Cod. S. 13 (RegUrb), die in Nürnberg für Brixen angefertigte Handschrift, lieferte die Vorlage für die Produktion des Brixener Codex 4 Perg. 87. Durch die Rekonstruktion von Brett-Evans, dem die Existenz von Cod. S. 13 nicht bekannt war, wird evident, dass den Nürnberger Schreiberinnen ebenfalls eine Fassung der „Urübersetzung“ aus Augsburg vorgelegen haben muss.¹⁹⁹ I.2.3.2.2. Die Regula Sanctae Clarae/Regula prima (1253) Die Regula prima, verstanden als „ursprüngliche Regel“ für Klarissen, wurde erstmals während der franziskanischen Reformbewegungen im 15. Jahrhundert für eine größere Anzahl von Konventen verpflichtend festgelegt und verbreitet. Die von Colette de Corbie reformierten und neu gegründeten Klarissenkonvente folgten ihrer Regelauslegung, den Constitutions (ConstCol), die sich auf die Regula Sanctae Clarae (RSC) beriefen. Aus dem Genfer Klarissen-Colettinen-Konvent
Vgl. PfullStat, fol 21v. Zur Bildlichkeit als mediale Erweiterung der Frömmigkeitsliteratur in den Pfullinger Handschriften vgl. Heinzer, Bücher, 48 – 53. Vgl. PfullStat, fol 28r – 30r; eine Teiledition dieses Anhangs zur Urban-Regel über die Servitialschwestern findet man wiederum bei Bacher, Pfullingen, 339 – 340. Der restliche Text des Pfullinger Statutenbuches ist, wie auch Codex HB I 87, bislang nicht ediert. Zur Beschreibung der Handschrift vgl. Kapitel I.2.3.1.1 in diesem Band. Vgl. die Untersuchung der drei Fassungen bei Brett-Evans, Diu regel, der eine gemeinsame Textvorlage rekonstruiert und dadurch auch den Text der Urban-Regel der Brixener Fassung wiedergegeben hat. Vgl. Brett-Evans, Diu regel, S. 136; Bacher, Pfullingen, 107. Vgl. auch Bacher, Pfullingen, 108 – 109.
I.2 Regeltexte
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Sainte-Claire sind außer zwei Chronik-Handschriften der Äbtissin Jeanne de Jussie, Profess- und Sterbebüchern allerdings keine weiteren Handschriften überliefert; für die Analyse intertextueller Bezüge auf die Constitutions in den Chroniktexten wird die Edition der Constitutions zugrunde gelegt.²⁰⁰ Vergleiche mit der Regula prima (RSC) werden auf Basis der Edition des Regeltextes von 1253 und der deutschsprachigen Übersetzung unternommen.²⁰¹ Auch wenn für die Klarissen der Straßburger Observanz die Urban-Regel verbindlich war, ist zumindest in einem Fall das Vorhandensein einer (deutschsprachigen) Abschrift der Regula Sanctae Clarae überliefert, enthalten im Cod. S. 13 (fol 61r – 83r) des Brixener Klosterarchivs.²⁰² Die Handschrift wurde nach 1459 in Nürnberg angefertigt und danach nach Brixen verbracht. Die Vorlage war also höchstwahrscheinlich in St. Klara in Nürnberg vorhanden, ist jedoch nicht überliefert. In jedem Fall ist von einer Kenntnis der „ersten Regel“ der Hl. Klara in den beiden Konventen auszugehen, und man kann als wahrscheinlich annehmen, dass unter dem Eindruck der Diskurse von Rückbesinnung und Beachtung der „wahren“ Regel innerhalb der Reformbewegungen eine Auseinandersetzung mit diesem Regeltext stattfand, etwa durch seine Einbeziehung in die Lesepraxis der Konvente. Vgl. ConstCol sowie Kapitel II.2.3.1.2 in diesem Band. Aus dem Konvent Sainte-Claire sind außer zwei Chronik-Handschriften von Jeanne de Jussie – Petite Chronique (A), Genève, Bibliothèque publique universitaire de Genève. Département des Manuscrits, Ms. Suppl. 1453 (A) bzw. Petite Chronique (B), Genève, Bibliothèque publique universitaire de Genève. Département des Manuscrits, Ms. Suppl. 1454 (B), vgl. Kapitel 1.3.2.3 dieser Studie – noch das Profess- und das Totenbuch erhalten, vgl. Livre des receptions et de professions des Religieuses de Ste Claire de Geneve Refugiés a Annecy 1739. Livre Contenant les noms, surnoms, les jours de prise d’habit, et professions des Religieuses du Convent de Bethlëem de Genève Refugiés dans le Convent de Ste Croix d’Annecy; fondé par S A R Charle III Duc de Savoye. Recuillis sur des anciens memoires par le Rd P. Bonaventure Gariod Bachelier de Sorbonne, ancien definiteur et Confesseur des dites Religieuses d’Annecy 1739, Genève, Archives d’État de Genève, Manuscrits historiques N° 224; Livre mortuaire des Religieuses de Sainte Claire tant au convent de Jesus de Bethléem de Geneve, que dans celui de Sainte Croix d’Annecy et pour les Reverends Peres Confesseurs et Religieux Pretres du convent Recuillis et mis en ordre des anciens et différents mansucrits, pour une plus grande facilité, auxquels ont peut ajouter foy. Ainsy est. Signé B. Gariod confesseur 1739, Genève, Archives d’État de Genève. Daneben sind drei Briefe überliefert, die sich mit der Hand Jeanne de Jussies identifizieren lassen: Archives d’État de Genève, P.H. N ° 1089 und N° 1140 sowie Archives départementales de la Haute Savoie, Annecy, 35. H. 3. Weiteres Schriftgut des Klosters wie auch seine sonstigen Besitztümer sind nicht überliefert. Vgl. Regula Sanctae Clarae. In Seraphicae. Collegium Sancti Bonaventurae (Hg.), 1897, 49 – 76; Die Regel der heiligen Klara. In Leben. Grau et al. (Hg.), 1988, 89 – 108 [im Folgenden abgekürzt als: RSC]. Vgl. Mattick, Urbanregel, 184, sowie die Edition dort, 220 – 232. Diese Abschrift enthält darüber hinaus den Text der Bulle Innozenz IV. (fol 59r – 61r).
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I.3 Klosterchroniken I.3.1 Klosterchroniken als Quellengattung Die Wissensproduktion weiblicher religiöser Gemeinschaften genügt eigenen Produktions-, Überlieferungs- und Rezeptionsbedingungen. Die Forschung zu monastischen Lebensformen, Ordens- und Religionsgeschichte betrachtet die Geschichte der weiblichen Klöster mehrheitlich bis heute als zwar wichtig, aber nicht als maßgeblich für die „allgemeine“ Geschichte des Ordenslebens und die Kulturgeschichte des Religiösen, die somit unmarkiert „die“ bzw. eine Geschichte männlicher Religioser darstellen. Ihre Parameter und Narrative werden von der Philosophie- bis zur populären Geschichte aus der Perspektive und dem Wissen über das Leben von Mönchen gebildet.²⁰³ Aus dem Faktum der weitaus geringeren lateinischen Bildung der weiblichen Religiosen gegenüber den männlichen und des mit Abstand geringeren Anteils der Schriften von Nonnen im Kanon gelehrten Wissens wurde vielfach eine negative Bewertung der Qualität der von weiblichen Religiosen produzierten Texte und der Bedeutung der Wissensproduktion weiblicher Klöster abgeleitet, mit entsprechenden Folgen für ihre Überlieferungs- und Rezeptionsgeschichte.²⁰⁴ Ein direkter Vergleich ist daher nicht möglich, ohne von Anfang an eine Asymmetrie einzubauen und das Ergebnis der Analyse zu verzerren. Dem lässt sich nur entkommen, wenn man die Wirksamkeit der Kategorie Geschlecht auf Produktion und Rezeption dieser Quellen transparent macht. Die Wissensproduktion der weiblichen monastischen Gemeinschaften bedarf daher einer eigenen Untersuchungsaufmerksamkeit. Erst wenn die dichotomische Perspektive verlassen wird, indem Texte von weiblichen Religiosen für die Analyse zentral gesetzt werden, kann die Vielfalt der Textsorten sichtbar werden – dies nicht zuletzt auch, um Kriterien für Quellengattungsfragen und den methodischen Umgang mit den Quellen weiterzuentwickeln. Das von Mitgliedern der jeweiligen Gemeinschaft angefertigte Schriftgut aus Nonnenklöstern umfasst eine Vielzahl an Text- und Quellensorten: chronikalische, biografische und liturgische Texte, Briefe, Aufzeichnungen zu Besitztümern, Privilegien, Verwaltung und Ökonomie des Klosterhaushalts, musikalische
Vgl. dazu auch die Vorüberlegungen in der Einleitung zu dieser Studie. Auf die Asymmetrie von männlich als normweisend und weiblich als Ergänzung bzw. das Andere in der Historiografie der monastischen Geschichte verweist der ebenfalls in der Einleitung diskutierte Zugang zu monastischer Geschichte als Geschichte der Räume.
I.3 Klosterchroniken
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und mystische Literatur.²⁰⁵ Die hier fokussierte Quellengattung der Klosterchroniken umfasst historiografische Texte, in denen eine oder mehrere Personen Informationen zur Geschichte des eigenen Konvents aufgeschrieben haben.²⁰⁶ Die einzelnen Texte unterscheiden sich dabei zum Teil in Umfang, Autor:innenschaft, Schreibsituation, -absicht und -anlass, Erzählform, Inhalt und auch sprachlichstilistischer Qualität stark voneinander. Sie sprengen den Rahmen der Gattungsgrenzen mittelalterlicher Chroniken, indem sie vielfach verschiedene Textsorten kompilieren, etwa Briefe, Suppliken, Urkunden, Transkripte von Gesprächen und Besitzverzeichnisse. Eingewoben in einen zusammenhängenden Text, ermöglich(t)en es diese Schriften, die eigene Geschichte für den jeweiligen Konvent als Ressource verfügbar zu machen. Sie dienten als Wissensspeicher bezüglich Handlungsmöglichkeiten, Strategien, Rechten und Privilegien für die Zeitgenossinnen und für die nachfolgenden Generationen eines Konvents. Das Aufschreiben der Vergangenheit diente dem Gedächtnis und war eine Möglichkeit („Technologie“, wie Foucault sagen würde), sich selbst zu regieren, wie es die Nürnberger Klarissen in ihrer Klarissenchronik aus dem 15. Jahrhundert formulierten.²⁰⁷ Die Herausbildung dieser Chroniktexte korrespondierte mit ihren spezifischen historischen Entstehungsbedingungen. Aus der Zeit um 1500 liegen Chroniken in einem großen Formenreichtum vor, die mehrheitlich besondere Situationen zum Anlass ihrer Entstehung nahmen.²⁰⁸ Historische Umbruch- und Krisensituationen wie die Ordensreformen des 15. Jahrhunderts, Bauernkriege, Reformationsbewegungen und katholische Reformprozesse im 16. und der Dreißigjährige Krieg im 17. Jahrhundert können als historische „Großereignisse“ be-
Die Forschung über religiöse weibliche Gemeinschaften der letzten Dekaden hat die Vielzahl an Erscheinungsformen von Schriften aus weiblichen religiösen Gemeinschaften sichtbar und für verschiedenste religions-, alltags-, kirchen-, sozial-, wirtschafts- und politikhistorische Fragestellungen produktiv gemacht. Für spätmittelalterliche Konvente vgl. grundlegend und mit einer umfangreichen Quellenbibliografie Winston-Allen, Convent Chronicles. Die für diese Studie gesetzte Definition grenzt sich damit von all derjenigen chronikalischen Literatur ab, die zur traditionellen Geschichtsschreibung über weibliche Gemeinschaften gehört und deren Autor:innen zumeist männliche Ordensmitglieder im Umfeld der jeweiligen Gemeinschaft waren. „Und allem die ding, die allermaist not sind, das dasselb hab die andacht der schwester zu gedechtnus der vergangen ding, auff das sie sich mugen regirn, auch in den dingen, die kunftiglich noch zu thun wern.“ Nürnberger Klarissenchronik, fol 42r, zitiert nach Schlotheuber, Bücher, 252. Heike Uffmann fasst den Zeitraum von 1470 bis 1525 als Entstehungszeitraum der neunzehn Chroniken, die den Untersuchungsgegenstandihrer Studie über weibliches klösterliches Schreiben während und anlässlich der Ordensreformen bilden, vgl. Uffmann, Rosengarten, 11– 12.
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I Die Klarissen und ihre Textproduktion zwischen Observanz und Reformation
trachtet werden, die Anlass und Notwendigkeit für historiografisches Schreiben boten und der Forschung als Meilensteine für die Betrachtung einer Gattungsentwicklung dienen. Die Zuordnung zu den jeweiligen historischen Epochen eröffnet die Möglichkeit, die Chroniktexte zu ordnen und damit vergleichbar zu machen.²⁰⁹ Eine unhinterfragte Abgrenzung reproduziert jedoch zugleich auch Periodisierungen und damit einhergehende Annahmen über Entwicklungen und Zäsuren. Perspektiven auf Kontinuitäten ermöglichen dahingegen ergebnisoffene Fragestellungen zu Klosteralltag und Wissensproduktion. Der Zusammenhang zwischen den Observanzbewegungen und der Herausbildung und Intensivierung der Geschichtsschreibung in den weiblichen Gemeinschaften lässt sich sowohl inhaltlich als auch strukturell auf die Folgen der Reformen zurückführen.²¹⁰ Erstens gaben diese den erneuerten Konventen einen Anlass, ihre Bemühungen, die observante Lebensform einzuüben, schriftlich zu fixieren und diese Produkte neben der ebenfalls erneuerten Regeltextliteratur in die monastische Praxis des Lesens zu integrieren. Zweitens wirkte sich die Observanz auf die konkrete Bildungssituation in weiblichen Klostergemeinschaften in der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts aus. Die erneuerte Lebensform in strenger Beachtung der Regel setzte die Kompetenz jeder einzelnen Schwester voraus, diese auch erfassen, das heißt lesen und verstehen zu können. Daher wurde in den Statutentexten der Reformer Johannes de Lare und Giovanni da
Die Forschung zu Klosterchroniken lässt sich ebenfalls anhand dieser vier historischen Schnittstellen skizzieren. Heike Uffmanns Studie beschäftigt sich auch mit der Forschungslücke bezüglich weiblicher Autorinnen im 15. Jahrhundert und sieht diese als Gegensatz zu den Kenntnissen über bekannte Schreiberinnen des 16. Jahrhunderts, vgl. Uffmann, Rosengarten, 17. Vgl. auch Winston-Allen, Convent Chronicles; Schlotheuber, Klostereintritt; Neidhardt, Autonomie, die allesamt den Zusammenhang zwischen Chronistik und Reform der Konvente beleuchten. Klosterchroniken des 16. Jahrhunderts untersucht Lowe, Nuns. Explizite Untersuchungen zu Klosterchroniken im Reformationszeitraum mit Fragen zur Quellengattung stehen noch aus. Als epochenübergreifend aus literaturwissenschaftlicher Perspektive vgl. Woodford, Nuns; zu Chroniken des 17. Jahrhunderts vgl. Eva Kormann, Ich, Welt und Gott. Autobiographik im 17. Jahrhundert (Selbstzeugnisse der Neuzeit 13). Köln, Weimar, Wien: Böhlau, 2004; Ulrike Strasser, Cloistering Women’s Past. Conflicting Accounts of Enclosure in a Seventeenth-Century Munich Nunnery. In Gender in Early Modern History, hg. von Ulinka Rublack. (Past and Present Publications). Cambridge, New York: Cambridge University Press, 2002, 221– 246. Auch für männliche Gemeinschaften führten die Reformen zu einer anwachsenden Produktion historiografischer Texte, vgl. Uffmann, Rosengarten, 11. Zu einer Diskussion über vergleichende Analysen von Texten aus weiblichen und männlichen Gemeinschaften vgl. dort das Kapitel „Gegensätze betonen oder beschönigen? Vorstellungen von spätmittelalterlichen Klosterreformen in der Historiographie von Mönchen und Nonnen“, 285 – 319.
I.3 Klosterchroniken
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Capestrano ein Eintrittsalter von fünfzehn bzw. siebzehn (Profess) festgelegt.²¹¹ Die in das Noviziat aufgenommenen Schwestern waren also bereits in einem Alter, in dem sie Wissen und Kompetenzen aus ihrer Herkunftsumgebung mitbringen konnten. Durch die generell verbesserte Bildungssituation für Kinder und junge Erwachsene und bedingt durch die Zugehörigkeit zu den oberen Schichten, die für die meisten Angehörigen der hier untersuchten Konvente erwiesen ist, darf von einem gehobenen Bildungsniveau ausgegangen werden.²¹² Wie die meisten Klöster des 15. Jahrhunderts unterhielten darüber hinaus auch die Nürnberger und Pfullinger Klarissen Schulen, in denen die zukünftigen Novizinnen auf ihre weitere Ausbildung vorbereitet wurden.²¹³ Die gezielte Ausbildung der Novizinnen war durch das Amt der Novizenmeisterin organisiert.²¹⁴ Einen besonderen Aspekt, anhand dessen das Bildungsniveau der weiblichen Religiosen implizit noch immer diskutiert wird, stellen die lateinischen Sprachkenntnisse, sowohl im passiven Verständnis als auch in der aktiven Kompetenz, dar, die sich im deutschsprachigen Raum entlang einer Nord-Süd-Linie abzubilden schienen.²¹⁵ Grundsätzlich finden sich herausragende Beispiele in einigen Häusern und
Vgl. BrixStat, fol 37r. Giovanni da Capestranos Explicatio primae Regulae sanctae Clarae von 1445 schreibt ein Professalter von mindestens siebzehn Jahren vor, vgl. Vosding, Assisi, 24. Zur Bildungssituation unter humanistischem Einfluss in Nürnberg und dessen positiven Folgen für die intellektuelle Entwicklung im Klarissenkonvent vgl. Vosding, Assisi, 22 ff. Die Diskrepanz zwischen den Bildungsidealen der Ordensreformer:innen und der Bildungspraxis außerhalb der Klöster markiert indes auch einen Meilenstein geschlechtlicher und intellektueller Differenz in Bezug auf das Ordensleben, vgl. auch Uffmann, Rosengarten, 80 – 81. Zur Rekonstruktion der Wissensproduktion der Pfullinger Klarissen, ausgehend von deren Bibliothek, Skriptorium und Bildpraktiken, vgl. Heinzer, Bücher. Für die Genfer Klarissen kann wegen der überwiegend adligen Herkunft der Schwestern ein höheres Bildungsniveau angenommen werden, vgl. – mit einer sprachwissenschaftlichen Analyse der Genfer Klarissenchronik – Sara Cotelli, La Petite Chronique de Jeanne de Jussie et le français régional de Genève à l’aube du XVIe siècle. Étude lexicale. Vox Romanica 66 (2007), 83 – 103. Zum Abstand zwischen Bildungsanspruch und Bildungsmöglichkeit außerhalb der Klöster vgl. Schlotheuber, Klostereintritt, 118. Bis zum Beginn der Reformation kann man davon ausgehen, dass dieses Schulangebot sich vorranging an diejenigen richtete, die später als Novizinnen in das jeweilige Kloster eintreten sollten, vgl. Schlotheuber, Klostereintritt, 111– 120. Vgl. BrixStat, fol 39r. Zu den Pflichten und Rechten dieses Amtes, das mit eigener Strafkompetenz versehen war, vgl. BrixStat, fol 39r – v. Vgl. Schlotheuber, Klostereintritt, 273. Uffmann, Rosengarten, 93 – 94, diskutiert diese Linie, relativiert sie jedoch zugleich. Zur Nord-Süd-Unterscheidung vgl. ausführlich das Kapitel „Latein und Deutsch: Die sprachlichen Fähigkeiten der Nonnen“ in Schlotheuber, Klostereintritt, 268 – 296, die methodische Schwierigkeiten diskutiert, angesichts der völlig diversen, wenig systematischen Forschungs- und Überlieferungslage zu weiblichen Klöstern einen Terminus wie „Bildungsstand“ zu verwenden.
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Netzwerken wie Ebstorf oder Personen wie Caritas Pirckheimer.²¹⁶ Wenngleich Lateinkenntnisse für weibliche Religiose – in unterschiedlichem Maße – zu den reformierten Bildungsidealen gehörten und im Zuge dessen auch Schwestern im Lateinischen unterrichtet wurden, kann Latein indes nicht regionenübergreifend als Kernkompetenz für das weibliche Ordensleben angenommen werden.²¹⁷ Historiografische Texte können als die Möglichkeit für weibliche Religiose im 15. und 16. Jahrhundert angesehen werden, selbst Texte zu produzieren.²¹⁸ Für den Entstehungsprozess der Chroniken müssen die Arbeitsschritte des Verfertigens und des Aufschreibens voneinander getrennt werden. Für die technische Tätigkeit des Schreibens, also die Herstellung von Handschriften durch das Kopieren von Schriften, waren als Schreiberinnen tätige Amtsschwestern verantwortlich.²¹⁹ Die Produktion der Texte selbst lässt sich als ein Prozess aus kombinierter Mündlichkeit und Schriftlichkeit verstehen, wobei Wissen aus anderen Textsorten wie Briefen, Berichten und Rechtsdokumenten kompiliert, besprochen, sortiert und eingefügt wurde. Für die Bewertung der Rolle der Mündlichkeit ist die Figur der „Konventsstimme“ hilfreich: Das Streben danach, mit einer Stimme zu schreiben, die den gesamten Konvent repräsentieren sollte und durch den Schreibprozess geformt werden konnte, kann man seit dem 12. Jahrhundert konstatieren.²²⁰ Innerhalb der Vielfalt der existierenden Chroniktexte wird deutlich, dass auch in denjenigen Texten, die Referenzen auf die Schreiberin als Autorin des Textes aufweisen, diese nicht als lineares schreibendes Ich im Sinne einer Autor:in-
Zur Diskussion der Lateinkenntnisse Caritas Pirckheimers vgl. die Erörterung von Eva Cescutti: Eva Cescutti, Quia non convenit ea lingua foeminis – und warum Charitas Pirckheimer dennoch lateinisch geschrieben hat. In Nonne, Königin und Kurtisane. Wissen, Bildung und Gelehrsamkeit von Frauen in der Frühen Neuzeit, hg. von Michaela Hohkamp, Gabriele Jancke. Königstein/Taunus: Helmer, 2004, 202– 224. Vgl. Uffmann, Rosengarten, 84 ff. Zur differenzierten Analyse der Sprachkompetenz in nordund süddeutschen weiblichen Klöstern vgl. Schlotheuber, Klostereintritt, 278 ff., die außerdem Lateinkompetenz als funktional zum Beispiel für die Lebensform in Ebstorf nachweisen kann, vgl. das Unterkapitel „Die Ebstorfer Reformberichte und der Unterricht in der Klosterschule“, 281– 296. Für Klarissenklöster liegt eine solche systematische Untersuchung bislang nicht vor. Vgl. Uffmann, Rosengarten, 98. Dieser Trend ist innerhalb einer allgemeinen Zunahme an Literarität und Schriftproduktion im 15. und 16. Jahrhundert zu kontextualisieren, vgl. Uffmann, Rosengarten, 101; Claudia Opitz, Erziehung und Bildung in Frauenklöstern des hohen und späten Mittelalters 12.–15. Jahrhundert. In Geschichte der Mädchen- und Frauenbildung. Bd. 1: Vom Mittelalter bis zur Aufklärung, hg. von Elke Kleinau, Claudia Opitz. Frankfurt am Main, New York, 1996, 63 – 77. Aus Nürnberg, Pfullingen, Brixen und Genf sind die auch in den Reformstatuten vorgesehenen Schreiberinnen bekannt. Skriptorien existierten in Nürnberg und Pfullingen. Vgl. Beach, Scribes.
I.3 Klosterchroniken
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nenstimme, die ihre eigene Geschichte erzählt, bezeichnet werden kann.²²¹ Eine überzeugende Lesart von Klosterchroniken als Selbstzeugnissen bietet Eva Kormann mit dem Konzept der Heterologie, also der Annahme, ein Selbst stelle sich nicht einzig über das Beschreiben eines Ichs her, sondern über die Referenz und Konzentration auf Dritte – Personen oder Entitäten – und die Verwobenheit dieser Beziehungen.²²² Tatsächlich veränderten sich die unter der Gattung Klosterchronik subsumierten Texte im 17. Jahrhundert durch zunehmende autobiografische Anteile. Für ein tieferes Verständnis der Pole Person – Gemeinschaft und Vereinzelung – Kollektivität müssen jedoch andere Perspektiven auf die Quellen als die Lesart als Selbstzeugnisse erschlossen werden. Dies betont auch die Historikerin Eva Schlotheuber, die „Erzählstandpunkt“ und Schreibabsicht der Texte als kollektiv und damit gerade nicht im Sinne eines einzeln auftretenden Selbst herausstellt (was die Texte dem Zugriff der Gattung „Selbstzeugnisse“ entzieht).²²³ Die Chroniken des 15. und 16. Jahrhunderts spiegeln vielmehr die im Spektrum von Individualität und Kollektivität statthabenden Aushandlungen der formae vitae religiosae wieder, die mit den Reformen neu diskursiviert wurden. Dies soll mit dem raumtheoretischen Ansatz dieser Studie für die Analyse von Subjektivierungen anhand der Quellen untersucht werden. Klosterchroniken zugunsten von Ordnungs- und Vergleichsmöglichkeiten als Quellengattung zu konzipieren erfordert eine Abgrenzung von anderen Texten, etwa je nach Inhalt und Schreibabsicht. Dann können Texte zusammengefasst werden, die sich der Erzählung der eigenen Konventsgeschichte verschrieben haben, also die Teilnahme eines Konvents an einem historiografischen Prozess
Als eine frühe Auseinandersetzung mit dem Themenfeld des Ichs oder Selbst in mittelalterlichen klösterlichen Quellen vgl. Caroline Walker Bynum, Jesus As Mother. Studies in the Spirituality of the High Middle Ages (Publications of the Center for Medieval and Renaissance Studies. University of California, Los Angeles 16). Berkeley: University of California Press, 1982. Vgl. Kormann, Ich. Vgl. Schlotheuber, Klostereintritt, S. 322 f. Zur Diskussion über die Implikationen der Begriffe „Selbst“ und „Individuum“ vgl. Gabriele Jancke, Claudia Ulbrich, Vom Individuum zur Person. Neue Konzepte im Spannungsfeld von Autobiographietheorie und Selbstzeugnisforschung. In Vom Individuum zur Person. Neue Konzepte im Spannungsfeld von Autobiographietheorie und Selbstzeugnisforschung, hg. von Gabriele Jancke, Claudia Ulbrich. (Querelles. Jahrbuch für Frauenund Geschlechterforschung 10). Göttingen, 2005, 7– 27. Die Möglichkeit, historiografisches Schreiben im Zusammenhang seiner selbstbezüglichen Anteilen zu konturieren, diskutiert Sabine Schmolinksys Studie über Selbstthematisierungen in mittelalterlichen Texten, vgl. Sabine Schmolinsky, Sich schreiben in der Welt des Mittelalters. Begriffe und Konturen einer mediävistischen Selbstzeugnisforschung (Selbstzeugnisse des Mittelalters und der beginnenden Neuzeit 4). Bochum: Winkler, 2013, 144 ff., hier vor allem 146.
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offenlegen und sich durch einen Wahrheitsanspruch von Fiktionalität abgrenzen.²²⁴ Damit verknüpft war zugleich ein sakraler Prozess der Einschreibung in ein temporales System, nämlich die Ewigkeit der eigenen Gemeinschaft im Leben in der Christusnachfolge. Die chronikalischen Texte sind also in vielfacher Hinsicht Produkte gemeinschaftlicher Arbeit in einem Konvent. Ob nun der Text von einer Person wie der Schreiberin oder der Äbtissin aufgezeichnet wurde oder von verschiedenen Personen, das verschriftlichte Wissen musste zusammentragen, erzählt, diskutiert und zu einem Zusammenhang geordnet werden.²²⁵ Das in den Texten bereitgestellte Wissen über das Funktionieren als Klostergemeinschaft ist ein Produkt des gelebten Lebens in und als eine solche Gemeinschaft. Dies ist allerdings keineswegs im Sinne einer wie auch immer definierten historischen „Realität“ des Konvents zu verstehen. Vielmehr müssen die Quellen in einem Diskursfeld von Ordnungsvorstellungen und Normen verortet werden, das sie, ausgehend von mehreren Akteur:innenpositionen, zugleich repräsentier(t)en und performier(t)en. Ihre Entstehung und ihre Verwendung im Klosteralltag waren Teil eines Prozesses der Produktion einer gemeinschaftlichen monastischen Lebensform. Als Gemeinschaftserzählung wurden in ihnen Normen anschaulich erzählbar gemacht.²²⁶
Vgl. auch die Diskussion des (größtenteils literaturwissenschaftlichen) Forschungsstands bei Uffmann, Rosengarten, 111, sowie Lowe, Nuns, 8 ff., die für einen Fokus auf historisches Schreiben anstelle der Benennungspraxis von Texten als Chroniken plädiert. Lowe diskutiert auch die Verwobenheit der Kategorie Geschlecht in die dichotomische Konstruktion von „Literatur“ und „Geschichtsschreibung“, die zugunsten einer Frage nach der jeweiligen Gestaltung der literarischen Komposition der Chroniken aufgegeben werden kann, vgl. dort, 11. Für diese Produktionsprozesse vgl. das Beispiel des Skriptoriums von St. Klara in Nürnberg in Anna Durwen, Die Klarissenchronik als Gemeinschaftsarbeit. In Schreib. Vosding (Hg.), 2012, 129 – 133. Schlotheuber analysiert die von ihr edierte Handschrift des Konventstagebuchs der Braunschweiger Zisterzienserinnen, eine tagebuchartige Aufzeichnung der Geschichte des Konvents, als „Gemeinschaftsnotizen“, vgl. Schlotheuber, Klostereintritt, 236 – 237. Der Terminus erhellt die Genealogie und Funktionsweise der Quellensorte. Schlotheubers Analyse der Ebstorfer Reformberichte stellt eindrücklich den Zusammenhang zwischen der Diskursivierung von Normen und dem eigenen Erleben als theologisches Programm heraus, das der Schreibprozess zu erfüllen suchte, vgl. Schlotheuber, Klostereintritt, wiederum Unterkapitel „Die Ebstorfer Reformberichte und der Unterricht in der Klosterschule“, 281– 296, besonders 285 ff.
I.3 Klosterchroniken
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I.3.2 Die Quellen Für die Auswahl der in dieser Studie untersuchten chronikalischen Quellentexte waren vier Kriterien ausschlaggebend: Erstens müssen die Chroniken die Geschichte eines Konvents zu erzählen beabsichtigen, und zwar anlässlich vergleichbarer historischer Situationen im Zeitraum zwischen Ordensreform und Reformation (Inhalt und Schreibabsicht). Zweitens müssen die Akteur:innen des Schreibprozesses zum „inneren“ Konvent gehört haben, also geweihte Schwestern gewesen sein und damit Teil der berichteten Geschichte (Erzählperspektive). Drittens fällt der Erzählzeitraum zum Zeitpunkt der Aufzeichnung zumindest teilweise in die Lebenszeit der Schwestern des jeweiligen Konvents (Entstehungszeitraum).Viertens gehörten alle Konvente reformierten Gemeinschaften des zweiten franziskanischen Ordens an (Zugehörigkeit), wodurch eine gemeinsame Referenzgröße durch Regelwerk und Tradition gegeben ist und daher übergreifende Rückschlüsse auf die verhandelten Konzepte von Gemeinschaft und Verräumlichung ermöglicht werden. Ziel dieses Bandes ist es, die Konzepte gemeinschaftlicher Lebensform aus diesen Quellen so facettenreich und detailliert wie möglich herauszuarbeiten, um für eine vergleichende, ordensübergreifende Perspektive Anschlüsse zu bieten.²²⁷ I.3.2.1. Die Denkwürdigkeiten der Caritas Pirckheimer: Konventschronik über die Reformation in St. Klara zu Nürnberg Unter dem Titel Denkwürdigkeiten ist ein chronikalischer Text aus St. Klara in Nürnberg tradiert, der auf eine Edition von Constantin Höfler von 1852 zurückgeht, welcher im Kreisarchiv Bamberg Handschriften aus dem Klarissenkloster Nürnberg gefunden hatte.²²⁸ Mit dieser Edition wurde ein homogener Text unter der Autorinnenschaft der Äbtissin Caritas Pirckheimer erst geschaffen, ohne die Herkunft aus den jeweiligen Codices im Einzelnen zu kennzeichnen. Die erste und nach wie vor einzige kritische Ausgabe ist die Edition von Josef Pfanner.²²⁹ Die
Aufgrund der enormen Bandbreite an Erscheinungsformen, in denen historiografische Texte aus weiblichen Gemeinschaften vorliegen, und ihrer gleichzeitig sehr unterschiedlichen Überlieferungs- und Aufarbeitungssituation scheinen komparatistische Perspektiven hinsichtlich der Ordenszugehörigkeit nur über ein eng gesetztes gemeinsames Kriterium bzw. in einem engen analytischen Rahmen geeignet. Vgl. Karl Adolf Constantin von Höfler (Hg.), Der hochberühmten Charitas Pirkheimer, Aebtissin von S. Clara zu Nürnberg, Denkwürdigkeiten aus dem Reformationszeitalter (Quellensammlung für fränkische Geschichte 4). Bamberg: Reindl, 1852. Vgl. Josef Pfanner (Hg.), Die „Denkwürdigkeiten“ der Caritas Pirckheimer (Caritas Pirckheimer-Quellensammlung 2). Landshut: Solanus, 1962 [im Folgenden abgekürzt als: DW].
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Handschriften aus St. Klara, auf die die Denkwürdigkeiten zurückgehen, bestehen aus den vier Codices A bis D, die sich mittlerweile wieder im Staatsarchiv Nürnberg befinden.²³⁰ Die älteste der vier Handschriften, Codex D, bildete die Textgrundlage für die Pfanner-Edition, die den Text auf 163 Seiten bzw. in 69 Kapiteln mit Inhaltsangaben zu den jeweiligen Kapiteln zusammenfasst und mit einem textkritischen Apparat versehen ist.²³¹ Diese Edition ist seither Arbeitsgrundlage für die Forschung zu den Nürnberger Klarissen und bildet auch die Referenz für die vorliegende Studie.²³² Codex D besteht aus 68 paginierten Seiten, versehen mit Randbemerkungen und Korrekturen. Pfanner identifizierte vier verschiedene Handschriften, wobei der größte Teil des Textes in einer, die sehr wahrscheinlich zur Schreiberin von St. Klara gehörte, geschrieben ist.²³³ Eine fünfte Handschrift, die sehr wahrscheinlich Caritas Pirckheimer zuzuordnen ist, findet sich in den Korrekturen und Randbemerkungen.²³⁴ Der Handschriftentext besteht aus einer dichten Kompilation von Briefen und Suppliken des Konvents an Außenstehende und deren Antworten, Aufzeichnungen von Gesprächen verschiedener Personen des Konvents mit Besucher:innen und verbindenden Eintragungen. Daraus ergibt sich
Denkwürdigkeiten, Nürnberg, Staatsarchiv, Reichsstadt Nürnberg, Kloster St. Klara, Akten und Bände, Nr. 5. https://www.bavarikon.de/object/bav:GDA-OBJ-00000BAV80000072?cq=&p= 1&lang=de (20.04. 2022) (digital verfügbar bislang Cod. A, BR). Vgl. Josef Pfanner, Einleitung. In Denkwürdigkeiten. Josef Pfanner (Hg.), 1962, IV – XXVI. Die Edition bezieht zusätzlich Anteile aus der Handschrift Cod. A (gekennzeichnet) mit ein. (Vor‐)Arbeiten für eine kritische Edition des Schriftgutes aus St. Klara, vor allem bezogen auf die Caritas Pirckheimer zuzuordnenden Texte, hat die Forschung von Susanne Knackmuß erreicht, vgl. Knackmuß, Äbtissin. Einen Überblick über den Forschungsstand zu St. Klara im Zusammenhang mit der Aufarbeitung der chronikalischen Texte lieferte zuletzt Anna Durwen, Zum Forschungsstand. In Schreib. Vosding (Hg.), 2012, 5 – 10, hier 9 – 10. Durwen zeigt verschiedene Desiderate auf, die die Aufarbeitung des umfangreichen schriftlichen Quellenbestandes aus St. Klara (darunter Bibliotheksbestände und Verwaltungsschriftgut) sowie vergleichende Analysen der Chroniktexte betreffen, vgl. Durwen, Forschungsstand. Eindrücklich zeigt sich an der Historiografie zu St. Klara, dass die verstärkte Aufmerksamkeit der historischen Forschung im Zusammenhang mit dem Interesse an Caritas Pirckheimers biografischer Exzeptionalität und ihrer Person als Fallbeispiel für die Geschichte von Humanismus und Reformation in den deutschen Städten nicht notwendigerweise zur Einbeziehung in eine systematische Forschung führte. Vgl. Pfanner, Einleitung, VII. Zu dieser Hand gehören auch große Teile des Baubüchleins sowie mehrere Briefe, vgl. Pfanner, Einleitung, VI. Zum Baubüchlein vgl. auch Kapitel II.1.4 im vorliegenden Band, FN 79. Vgl. Pfanner, Einleitung,VIII. Cod. D sowie die jüngere Handschrift Cod. A, die, versehen mit einem zusätzlichen Teil, eine Reinschrift von D darstellt, fallen in die Lebenszeit der Caritas Pirckheimer, Cod. B und C sind Handschriften aus dem des 17. Jahrhundert, vgl. Pfanner, Einleitung, IV – V.
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eine chronologische Erzählung der Konventsgeschichte in den Jahren von 1524 bis 1528. Die Abfassungszeit des Codex ist unklar, die Darstellung des vollständigen liturgischen Jahres 1524/25 lässt die Schlussfolgerung zu, dass dieser Zeitraum auch den Beginn der Aufzeichnungen markiert.²³⁵ Diese Konventsgeschichte liefert einen Zugang zu den Ereignissen im Zusammenhang mit der Reformation in Nürnberg, die die Klöster ja in höchstem Maße betrafen. St. Klara wurde – wie auch die anderen Klöster der Stadt und ihrer Umgebung – mit einschneidenden Veränderungen konfrontiert. Während die Mönchsklöster aufgelöst wurden und die Mönche bzw. Brüder entweder in andere Klöster übersiedelten oder das Ordensleben hinter sich ließen, verweigerten die Klarissen eine Anpassung oder Umstellung an die neue Glaubenspraxis und eine Aufgabe ihres Ordenslebens. Eine drastische Veränderung für die Schwestern bedeutete etwa das Verbot der Betreuung des Konvents durch die Franziskanerbrüder der Observanz als Beichtväter und Seelsorger. Stattdessen wurden den Nonnen verschiedene Prediger vorgeschlagen, unter ihnen auch ehemalige Mönche, die konvertiert waren, jedoch auch zuvor nicht zu den Ordensbrüdern gehört hatten. Die Schwestern weigerten sich hartnäckig und verzichteten schließlich zunächst gar gänzlich auf die Seelsorge und damit auch auf den Empfang der Sakramente, bevor sie schließlich doch in Kontakt zu den konvertierten Predigern traten und diese als Autorität im Rahmen ihrer Frömmigkeitspraxis akzeptierten. Die Diskussionen um diese Veränderung sowie weitere Vorschriften und Verbote wie die Einführung der Predigt sowie das Verbot des Glockenläutens und des Habits nehmen einen großen Raum im Chroniktext ein. Ein weiterer Themenschwerpunkt ist der Klosteraustritt dreier Schwestern, die auf Initiative und Druck ihrer Herkunftsfamilien austreten mussten.²³⁶ Die Äbtissin von St. Klara in den Jahren von 1503 bis 1532, Caritas Pirckheimer (1467– 1532), zählt zu den bekanntesten weiblichen deutschsprachigen Autor:innen des 16. Jahrhunderts und sicher zu den am meisten rezipierten weiblichen Personen der deutschen Reformationsgeschichte.²³⁷ Pirckheimer wurde 1467 als Barbara Pirckheimer in Eichstätt in eine studierte und wohlhabende bürgerliche Familie als erstes von zwölf Kindern hineingeboren. Von ihren sieben Schwestern traten sechs in ein Klarissen- bzw. Benediktinerinnenkloster ein und übernahmen dort höhere und höchste Ämter. Der Bruder Willibald, der einzige ihrer Brüder, der bis ins Erwachsenenalter lebte, gehört zu den bekanntesten deutschsprachigen Vgl. die Rekonstruktion der Textgeschichte im Kapitel zu den Denkwürdigkeiten („Caritas Pirckheimer’s Denkwürdigkeiten in the context of convent historiography“) bei Woodford, Nuns, 88 – 92, vor allem 90. Vgl. dazu die Untersuchungen in Kapitel III und IV in dieser Arbeit. Für den folgenden biografischen Überblick vgl. Knackmuß, Äbtissin.
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Humanisten. Er trat 1501 das Familienerbe an und nahm einen Sitz im Nürnberger Rat ein. Von seinen fünf Töchtern gingen wiederum drei ebenfalls in ein Kloster; Willibald dagegen konvertierte später selbst zum lutherischen Glauben. Caritas Pirckheimer nahm als Kind am Unterricht ihres Bruders teil und wurde danach von einer Tante weiter unterwiesen. Darauf ist ihre für eine weibliche Person um 1500 beachtenswerte Expertise in lateinischer Sprache und Bildung zurückzuführen.²³⁸ Sie legte 1479 die Profess in St. Clara zu Nürnberg ab und war zunächst Lehrerin für die Novizinnen. 1503 wurde sie zur Äbtissin geweiht und blieb über neunundzwanzig Jahre bis zu ihrem Tod in diesem Amt. Ihre zehn Jahre jüngere Schwester Clara war ebenfalls Chorschwester in St. Klara und während der Reformationszeit ihre Privatsekretärin. Ihre Nichte Katharina Pirckheimer die Jüngere, Tochter Willibalds, trat ebenso in den Konvent ein und wurde 1533 zu dessen Äbtissin. Die Denkwürdigkeiten haben historiografisch und rezeptionsgeschichtlich einen Status zwischen Klosterchronik und autobiografischem Text (als Selbstzeugnis einer Äbtissin). Zwei Aspekte waren leitend für ihre Einordnung in meinen Quellenkorpus: Erstens wird der Text als ein Element der oben ausführlich diskutierten Gattung der Klosterchroniken analysiert. Damit spielt die Autorinnenschaft der Äbtissin eine untergeordnete Rolle. Zwar kann ihr Einfluss als Verfasserin der Korrespondenz und erste Ansprechpartnerin des Konvents, die Inhalt und Gestaltung der Chronikhandschriften entscheidend kontrollierte und beeinflusste, als beträchtlich eingeschätzt werden – das Ich, das als handelnde Person in großen Teilen des Textes auftritt und große Sprechanteile einnimmt, zeigt dies.²³⁹ Es geht jedoch dezidiert nicht um einen biografischen Zugriff auf die Chronik. Handlungsleitend für die Analyse ist vielmehr die Frage nach den Konzepten von Gemeinschaft, die in der Konventserzählung entworfen werden. Zweitens ist die Figur der Äbtissin jedoch sehr wohl interessant, insofern sie als eine zeitliche Klammer zu verstehen ist. Pirckheimers Abbatiat beinhaltete den Zeitraum der Post-Observanz bis hin zur Reformation und eröffnet dadurch und durch ihren Einfluss auf die Chronikerzählung einen besonderen Einblick in die Geschichte der Gemeinschaft als eine longue durée. Dadurch wird es möglich, auch die strukturelle Reform der 1450er-Jahre zu veranschaulichen und deren Wirksamkeit in den Reformationsauseinandersetzungen, um St. Klara zu untersuchen.
Vgl. Kapitel I.3.1. Vgl. auch Woodford, Nuns, 84.
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I.3.2.2 Die Chronik einer Pfullinger Klarisse: Bericht über die Reform in St. Caecilia zu Pfullingen Bei diesem Text handelt es sich um einen chronikalischen Bericht der Geschichte des Klarissenkonvents zur Hl. Cäcilie in Pfullingen, und zwar insbesondere zwischen Reform und Bauernkriegen. Die Handschrift von 21 Blättern gehört zum Bestand des Klosterarchivs Brixen, in das sie nach Aufhebung von St. Caecilia 1559 verbracht wurde. Eine Edition und ein Faksimile mit einer Übersetzung ins Neuhochdeutsche sind vorhanden.²⁴⁰ Schreiberin war eine Pfullinger Schwester, deren Identität nicht näher bekannt ist.²⁴¹ Der Berichtszeitraum umfasst, mit mehreren zeitlichen Sprüngen, den Zeitraum von der Gründung von St. Caecilia bis zu den Bauernkriegen 1525; in diesem Jahr wurden die Aufzeichnungen auch beendet. Der überwiegende Teil behandelt die Zeit ab der Flucht der Brixener Schwestern aus dem Kloster St. Elisabeth nach Pfullingen, wo der Konvent Ende 1461 eintraf und im Folgenden die Reform von St. Caecilia für knapp drei Jahre begleitete. Die Geschichte der Reform und des gemeinsamen Lebens in einem einzigen Konvent nimmt den überwiegenden Teil des Textes ein. Die Chronik einer Pfullinger Klarisse (PfullChron) beinhaltet die für die Quellengattung typische Kompilation mehrerer Textsorten, darunter Berichte, Schwesternviten und Konventsmemoria samt einer Liste der verstorbenen Schwestern.²⁴² Trotz ihres im Vergleich zu anderen Klosterchroniken geringeren Umfangs ist die Pfullinger Konventserzählung aus zwei Gründen besonders: Ein Aspekt ist ihr Berichts- und Entstehungszeitraum im zeitlichen Kontinuum von der Reform bis zur Reformation. Der zweite Aspekt ist ihre spezifische Erzählperspektive: Berichtet wurde am geografischen Ort Pfullingen und aus dem Kloster zur Hl. Cäcilie heraus, in welchem für eine begrenzte Zeit ein zweiter Klarissenkonvent beherbergt wurde. Daher überlagern sich zeitweilig personell und ideell zwei Konventsidentitäten. Die Chronik ist somit die Geschichte einer Transgression und der nicht allein räumlichen Aushandlungen zweier Konvente an einem Ort. I.3.2.3 Die Petite Chronique der Jeanne de Jussie über die Klarissen-Colettinen von Sainte-Claire in Genf Diese Chronik aus dem Genfer Klarissenkonvent Sainte-Claire ist in zwei Handschriften überliefert, wovon die zweite eine unmittelbar nach Entstehung der
Vgl. PfullChron; außerdem die Edition bei Max Straganz, Duae Relationes circa monasterium Brixinense O.Clar. Archivum Franciscanum Historicum 6 (1913), 531– 545. Rahel Bacher rekonstruiert den Eintritt dieser Schwester, die höchstwahrscheinlich Schreiberin war, für die Zeit vor 1504, vgl. Bacher, Pfullingen, 55. Vgl. Bacher, Pfullingen, 54– 58.
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ersten angefertigte Abschrift darstellt.²⁴³ Das erste Manuskript A ist in der Handschrift von Jeanne de Jussie (1503 – 1561), der Schreiberin des Klosters und von 1548 bis 1561 seine Äbtissin, gefertigt. Die Chronik wurde während der Jahre von 1534 bis ca. 1546 erstellt und besteht aus 286 beidseitig beschriebenen Blättern. Eine historisch-kritische Edition sowie eine Übersetzung ins Deutsche hat Helmut Feld angefertigt.²⁴⁴ Bei dieser umfangreichen Chronik handelt es sich um eine abgeschlossene chronologische Erzählung der Geschichte des Konvents in den Jahren 1526 bis 1546, wobei der größte Teil der Erzählung die 1530er-Jahre in Genf fokussiert, das die Schwestern 1535 in Richtung Annecy verlassen mussten. Textform und Gestalt der Chronik erscheinen dermaßen homogen, dass sie einen Erarbeitungsprozess voraussetzen, der trotz der einen Handschrift höchstwahrscheinlich im Kollektiv erfolgte.²⁴⁵ Berichtet werden in zahlreichen Episoden das klösterliche Leben im Konvent und die Ereignisse in der Stadt und ihrer Umgebung im Kontext einer sich umstrukturierenden politischen und gesellschaftlichen Ordnung. Auch diese Chronik stellt eine Kompilationsarbeit aus verschiedenen Textsorten dar, man findet Berichte über Ereignisse außerhalb des Klosters, die auf Erzählungen Dritter zurückgehen, Legenden, Briefe und Gesprächsaufzeichnungen. Zum Schreibanlass wurde das Erlebnis der Reformation erklärt, deren erfolgreiches Überleben als und für die Klostergemeinschaft und deren Gedächtnis dokumentiert werden sollte.²⁴⁶ Die Petite Chronique ist aus verschiedenen Erzählperspektiven aufgezeichnet. An einigen Stellen wird ein Ich verwendet, wenn auf die Autorität der Schreiberin als Augenzeugin rekurriert wird. Über die anderen Angehörigen des Konvents wird überwiegend in der dritten Person Plural berichtet: „die (armen) Schwestern“; die dritte Person Singular taucht auf, wenn Personen in ihrer Funktion innerhalb des Klosters benannt werden: die „Mutter Äbtissin“, „Mutter Vikarin“, „Pförtnerin“ oder die Schreiberin selbst, dann nimmt der Text eine auktoriale Erzählposition ein.
Vgl. Kapitel I.2.3.2.2 in diesem Band, FN 200. Vgl. PC; Jussie, Kleine Chronik. Neben diesen zwei Handschriften der Chronik sind noch Profess- und Sterbebuch und drei Briefe der Äbtissin Jeanne de Jussie erhalten, vgl. Kapitel 1.2.3.2.2, FN 200. Für die „gemeinschaftliche mittelalterliche Entstehungsweise von monastischen Selbstzeugnissen“ hat Susanne Knackmuß den Begriff „kooperatives Autorinnenkollektiv“ geprägt, vgl. Knackmuß, Äbtissin, 124. Vgl. PC, fol 3r.
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Fig. 2: Jeanne de Jussie, Petite Chronique, Bibliothèque de Genève, Manuscrit supplement 1453, fol 2v – 3r.
Die Auseinandersetzungen um die monastische Lebensform, die seitens der Genfer Stadtbevölkerung spätestens ab Anfang der 1530er-Jahre deutlich infrage gestellt wurde, nehmen einen umfangreichen Platz innerhalb der Chronik ein und sind höchst anschaulich entlang der Kerngrößen des Ordenslebens, Gehorsam, Keuschheit und Klausur, gestaltet. Wie in den anderen hier beschriebenen Chroniktexten besteht auch in der Petite Chronique ein nur geringer zeitlicher Abstand zwischen dem darin berichteten Inhalt und der Entstehung des Textes. Die Schreibsituation ist jedoch dahingehend herausgehoben, als die Kleine Chronik vor dem Hintergrund einer erfolgreichen Migration in den benachbarten Herrschaftsbereich bzw. des Neuanfangs als überlebender Konvent in einem neuen Kloster, Sainte-Croix, erstellt wurde. Im Vergleich zu den Nürnberger und den Pfullinger Klarissen, deren Zukunftsperspektive darin bestand, der Gefahr der Auflösung ihres jeweiligen Konvents entgegenzutreten, ist die Erzählsituation in der Genfer Chronik die eines gelungenen Überlebens. Der Vergleich der Denkwürdigkeiten der Caritas Pirckheimer und der Genfer Petite Chronique, die der Herausgeber und Übersetzer Feld als „in manchen Zügen vergleichbar“ hinsichtlich „Situation und Mentalität“ beschreibt²⁴⁷, liegt vor
Vgl. Feld, Einleitung, XIII.
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allem in einer ähnlichen Rezeptionsgeschichte der Texte hinsichtlich der Konstruktion einer Verwobenheit mit ihren Schreiberinnen begründet. So werden beide Chronikerzählungen als Produkte weiblichen Schreibens innerhalb der Reformationsgeschichte lanciert. Ist diese Perspektive für die Denkwürdigkeiten, wie oben diskutiert, durch die Bezüge auf das Handeln im Äbtissinnenamt Pirckheimers gegeben, verhält sich der (auto‐)biografische Gehalt der Petite Chronique in Bezug auf Jeanne de Jussie als Chronikschreiberin völlig anders, was Textgestaltung und Erzählperspektive zeigen. Die biografischen Informationen über Jeanne de Jussie sind nur geringfügig rekonstruierbar. Sie wurde 1503 in Jussy-l’Évêque südlich des Genfer Sees als jüngstes Kind einer Familie aus dem Savoyer Landadel geboren und trat 1521 in den Konvent Sainte-Claire ein. Seit spätestens 1530 war sie dort Schreiberin und wurde 1548 als siebte Äbtissin geweiht. Im Alter von achtundfünfzig Jahren starb sie 1561 in Annecy. In der Rezeption wurde Jeanne de Jussie in den Kanon weiblicher französischsprachiger Autorinnen der Reformationsgeschichte platziert, die über die Reformation in Genf vor Calvin Zeugnis ablegten.²⁴⁸
Zu anderen entsprechenden Autorinnen wie Marie Dentière und Marguerite de Valois vgl. Lazard, Deux soeurs; Klaus, Neither. Für die Ereignisse in Genf im Jahr 1535 existieren neben der Petite Chronique nur sehr wenige weitere Überlieferungen, etwa die Aufzeichnungen des reformierten Predigers Anthoine Fromment, vgl. Anthoine Fromment, Les actes et gestes merveillevx de la cité de Geneve. Nouvellement convertie à l’Evangille faictz du temps de leur Reformation et comment ils l’ont receue redigez par escript en fourme de Chroniques Annales ou Hystoyres commençant l’an MDXXXII, Gustave Revilliod (Hg.). Genève: Imprimerie de Jules-Guillaume Fick, 1854.
II Die Klausur als räumliches Ordnungsprinzip monastischer Gemeinschaften Wo nit geczeun, meur vnd beslyesung ist, werden die güter verwüstet. Pfullinger Statuten¹
Die Idee der monastischen Klausur als Prinzip sozialer und religiöser Ordnung wurde für weibliche Gemeinschaften seit dem Übergang von der Spätantike zum Frühmittelalter diskutiert und variiert. Im Verlauf des Hoch- bzw. Spätmittelalters wurde an verschiedenen historischen Schnittstellen zwischen dem 12. und dem 16. Jahrhundert, anlässlich derer verschiedene Lebensformen für weibliche religiöse Gemeinschaften eingefordert oder verworfen wurden und sich neue herausbildeten, stets ein „Niedergang“ oder „Verfall“ des monastischen Lebens ohne Klausur oder durch die Vernachlässigung ihrer Einhaltung thematisiert und zum Anlass für Reformen erklärt. In der Folge materialisierte sich die Klausur jeweils in Form von in den Regeltexten festgehaltenen Praktiken und architektonischen Umoder Neubauten. In den Reformationsdebatten des frühen 16. Jahrhunderts wurde die Klausur erneut in Zusammenhang mit einem vermeintlichen „Verfall“ des Ordenslebens gebracht. Hier bildete sich jedoch eine gegenläufige Argumentation heraus. Gerade der Einschluss der weiblichen Religiosen zu einer homosozialen Gemeinschaft und ihr Ausschluss aus „der Welt“ wurden nun als Ursache für den allgemeineren Niedergang des religiösen Lebens verstanden, als Teil einer fehlgeleiteten Sichtbarkeitsordnung.² Reformatorische Autor:innen diskutierten die Erneuerung des sozialen und geistigen Lebens anhand der Symbolik der Klostermauern. Das Konzept der Klausur erhielt somit eine semantische Bedeutungsverschiebung in Richtung einer Codierung als eine nun für falsch erklärte Ordnung. Die Klausur als – wiewohl unterschiedliches – Paradigma von sowohl Ordensreformen als auch Reformation verweist auf ihre ordnungsstiftende Funktion, deren Semantiken in diesem Kapitel ausgeleuchtet werden sollen. Dabei wird die Klausur als räumliche Grundstruktur von religiösen Gemeinschaften und als Ordnungskonfiguration ihrer Topologien zentral gesetzt. Diese Strukturen entwickelten und veränderten sich im Zeitraum von der Mitte des 15. Jahrhunderts bis in das frühe 16. Jahrhundert. Sie sind als das Produkt dynamischer Aushandlungsprozesse aufzufassen und wurden von verschiedenen Interessen und Machtverhältnissen geprägt. Julia Ann Smiths Definition der Klausur in BrixStat, fol 32v. Vgl. dazu ausführlich Kapitel III und IV in diesem Band. https://doi.org/10.1515/9783110744613-004
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weiblichen Klöstern des 13. Jahrhunderts darf auch für den Kontext des ausgehenden Mittelalters und der Frühen Neuzeit herangezogen werden: „A nunnery enclosure is a complex construct based in the tensions between institutions, spaces, people, and behaviours.“³ Klöster für weibliche Religiose mussten die schwierige Herausforderung bewältigen, den gesamten Kosmos der Idealvorstellung monastischen Lebens als Schnittstelle zwischen Diesseits und Jenseits unter geschlechtsspezifisch eingeschränkten Bedingungen zu repräsentieren.⁴ Von besonderem Interesse ist dabei die Verbindung aus Auferlegung und Selbstaneignung, die im Zeitraum zwischen der Mitte des 15. bis zur ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts einen produktiven Wandel erfuhr, der je nach Interessenlage und politischer Notwendigkeit und von der jeweiligen Zweckmäßigkeit besagter Aneignung oder Verwerfung geprägt war. Es soll dabei hier eine Beschreibung für Aushandlungsprozesse gefunden werden, die über die Polarisierung von Zwang auf der einen und Protest gegen diesen Zwang auf der anderen Seite hinausgeht. Die Schwestern des zweiten franziskanischen Ordens befanden sich wie alle weiblichen Ordensschwestern seit der Gründung ihres Ordens in der Situation, innerhalb hegemonial männlich geprägter Machthierarchien verortet zu sein und sich mit eingeschränkten und einschränkenden Ressourcen zurechtzufinden. So liegt das Erkenntnisinteresse dieser Untersuchung nicht in der Aufdeckung einer vermeintlichen Emanzipation weiblicher Konvente. Vielmehr wird die Orientierung der Gemeinschaften in Strukturen, deren Teil sie waren und in denen sie durch Partizipation selbst Strukturen ausbildeten und reproduzierten, beschrieben.⁵ Eine Dichotomisierung von Handeln unter Zwang vs. Befreiung von Zwängen wird in Bezug auf soziale Praxis zurückgewiesen, um stattdessen zu fragen, wer an welcher Stelle auf welche Weise und unter Bezugnahme auf welche Ressourcen partizipierte.⁶
Julie Ann Smith, Clausura Districta. Conceiving Space and Community for Dominican Nuns in the Thirteenth Century. Parergon 27: 2 (2010), 13 – 36, hier 15. Zur Gleichzeitigkeit der Raumdimensionen realer und imaginärer Räume (in) der Klausur vgl. Christina Lutter, Klausur zwischen realen Begrenzungen und spirituellen Entwürfen. Handlungsspielräume und Identifikationsmodelle der Admonter Nonnen im 12. Jahrhundert. In Virtuelle Räume. Raumwahrnehmung und Raumvorstellung im Mittelalter, hg. von Elisabeth Vavra. Berlin: Akademie Verlag, 2005, 305 – 323, hier vor allem 323. Stephanie Neidhardt beschreibt diesen Handlungsrahmen als Voraussetzung für das Forschungsdesign ihrer Studie zum Transfer von Normen durch die Auseinandersetzung mit dem observanten Reformprogramm bei Dominikanerinnen des 15. Jahrhunderts, vgl. Neidhardt, Autonomie, 8 und 15 – 16. Zur Polarisierung von Handlungsspielräumen in vergeschlechtlichten und vergeschlechtlichenden Strukturen in „Hegemonie und Dissidenz“ als analytischem Rahmen vgl. für die Entstehung der modernen Wissenschaften Auga, Bruns [et al.], Einleitung, 10 und 15 ff. Diese
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In diesem Kapitel soll die Geschichte der monastischen Klausur von Klarissengemeinschaften während des Prozesses der Ordensreformen vom 15. bis ins frühe 16. Jahrhundert anhand der Verschränkung der Diskurse um die Klausur und Ordnungsvorstellungen beleuchtet werden. Es wird danach gefragt, wie die verschiedenen Klausursemantiken räumlich strukturiert und wie die sie verkörpernden Gemeinschaften in dieser Ordnung entworfen wurden. Zuerst wird dafür die historische Entwicklung der monastischen Klausur weiblicher Gemeinschaften mit dem Fokus auf ihre Ordnungs- und Raumvorstellungen rekonstruiert. Im zweiten Teil dieses Kapitels werden am Beispiel der bislang noch nicht herangezogenen Villinger Klarissenchronik Modelle des Klausurraums als dynamische Raumrepräsentationen vorgestellt. Die Autorinnen dieser Chronik entwickelten einen Klausurraum innerhalb des Gebäudes, der erstens als Christus-Imago erfahrbar wurde, indem der Körper Christi im Sinne eines mappings in die Klausurstruktur eingeschrieben wurde. Zweitens ordnet dieser Text die Klausur im Zusammenhang mit der Errichtung von Pilgerstätten in eine Landschaft der Heilsgeschichte ein. Diese dynamischen Raumproduktionen werden als (geschlechter‐)transgressive Aneignungsformen in der Christusnachfolge diskutiert.
II.1 Die Klausurentwicklung in europäischen weiblichen Ordensgemeinschaften von der Spätantike bis zum 16. Jahrhundert II.1.1 Definition und Begriffsgeschichte Die Klausur (clausura; von claustrum, das Abgeschlossene, Eingesperrte) ist als der abgeschlossene Bereich einer Klosteranlage definiert, der nur den Personen vorbehalten ist, die unmittelbar der Gemeinschaft angehören. In der mittelalterlichen Verwendung bezeichnete claustrum in umfassenderer Weise zumeist ein zusammenhängendes Ensemble von Gebäuden, die durch ihre spezielle Ausstattung und Funktion ein Kloster bildeten. Im späteren Mittelalter und der beginnenden Frühen Neuzeit trat eine religiöse Bedeutung des Wortes hinzu, wonach auch das Kloster als Gemeinschaft gemeint sein konnte; Klausur bzw. Klaustrum ist dann die Gemeinschaft, die durch den Zusammenschluss mehrerer Personen am Ort des Klosters gebildet wird. Drittens ist die Klausur der Raum, der Dichotomie setzt Neidhardt jedoch bereits durch die Konzeption einer Autonomie im „Innen“ eines Konvents voraus, vgl. Neidhardt, Autonomie, 8.
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entsteht, wenn sich diese Gemeinschaft in den eigens dafür vorgesehenen abgeschlossenen architektonischen Gebäudeteilen einer Klosteranlage bewegt, lebt, Rituale ausführt und das Ordensleben gestaltet. Klausur ist als ein Raum definiert, der nach außen und innen durch Grenzen verschlossen ist.⁷ Die Erzeugung des Klausurraums bedarf spezifischer Praktiken der klösterlichen Bewohner:innen unter Einbezug bestimmter Objekte. Wenngleich die Klausur nicht ausschließlich an ein Klostergebäude gebunden ist, darf dieses jedoch nicht dauerhaft fehlen. Die Wirksamkeit der Klausurpraktiken über längere Zeiträume und auch zwischen verschiedenen, klausurgerechten Gebäuden verweist, wie es in dieser Studie für Klarissengemeinschaften gezeigt wird, auf eine Dynamisierung des Ortes, an dem sich Klausurräume befinden können. Das Spannungsfeld zwischen dem Beharren auf einer Klausur am immer gleichen Ort und den historischen Bedingungen des regelmäßigen freiwilligen oder erzwungenen Unterwegsseins im Sinne der imitatio Christi verunmöglicht es, die Ortsgebundenheit der Klausur im Sinne der geografischen Verortung eines „Container-“ oder „Behälterraumes“ zu interpretieren.⁸ Die monastische Klausur als Raumphänomen war historisch weder ausschließlich durch die Personengruppe noch einzig durch das Gebäudeensemble erschöpfend definiert und auch nicht allein durch das Zusammentreffen beider an einem Ort. Klausur ist der Raum, der produziert wird, wenn die Gemeinschaft am vorgesehenen oder dafür erklärten Ort raumproduzierend wirkt. Dieser Klausur-
Die weiterführenden Regularien zur Klausur sowie ihr Zweck selbst verweisen eindeutig darauf, dass diese Grenzen zum Teil durchlässig sind und dass die Grenzziehungen flexibel und erweiterbar konzipiert sind. Zur Begriffsentwicklung vgl. grundlegend Gérard Huyghe, La clôture des moniales des origines à la fin du XIIIme siècle. Étude historique et juridique. Roubaix: J. Verschave-Hourquin, 1944; Paul Meyvaert, The Medieval Monastic Claustrum. Gesta 12: 1– 2 (1973), 53 – 59; Jean Leclercq, La clôture. Points de repère historiques. Collectanea Cisterciensia 43 (1981), 366 – 376; Jane Tibbetts Schulenburg, Strict Active Enclosure and Its Effects on the Female Monastic Experience (ca. 500 – 1100). In Medieval Religious Women. Distant Echoes, hg. von John A. Nichols, Lillian Thomas Shank. (Cistercian Studies Series 71). Kalamazoo, Mich.: Cistercian Publications, 1984, 51– 86, sowie Gisela Muschiol, Klausurkonzepte. Mönche und Nonnen im 12. Jahrhundert. Habilitationsschrift, Universität Münster (2005). Zur raumanalytischen Erfassung der Klausurgrenzen vgl. Kapitel III.2.2 in diesem Band. Der Begriff des „Containerraums“ geht auf eine Kritik Albert Einsteins an der Raumkonzeption Newtons zurück, der er die Vorstellung des Raums als Schachtel oder Behältermodell zuschrieb. Diese Behälterräume seien jedoch noch in der aristotelischen Raumvorstellung anzusiedeln. Die Kritik an den politischen und ethischen Implikationen des Behälterraumkonzepts sieht der Raumphilosoph Stephan Günzel vorrangig in den anthropologischen Setzungen der Ortsphilosophie im Umfeld von und durch Martin Heidegger begründet, vgl. dazu und zur Genealogie des „Schachteldenkens“ Günzel, Einführung, insbesondere das Unterkapitel „Die Schachtel als Denkhindernis“, 60 – 69.
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raum ist konstitutiv für die Gemeinschaft eines Konvents – und vice versa. Jean Leclercq, dessen kirchengeschichtliche Arbeiten neben denen von Gérard Huyghe die historische Forschung zur monastischen Klausur begründeten, definierte neben der materiellen Begrenzung und dem Raum der Gemeinschaft bereits als dritte Dimension der clausura eine kirchenrechtliche Bestimmung der Gruppe, auf die sich die Gesetze des Kirchenrechts zum Thema Klausur beziehen.⁹ Die Begriffspaare aktiv/passiv und materiell/geistlich ergänzen die Beschreibung von Klausurkonzepten, indem sie jeweils auf Raumdimensionen verweisen und ihrerseits bereits Raumkonzepte mitführen.¹⁰ Das erste Begriffspaar beschreibt die Zugangsregulierung des abgeschlossenen Gebäudeteils, und zwar zum einen bezogen auf die Bewohner:innen, die den Klausurraum außer in begründeten Ausnahmefällen nicht zu verlassen hatten (aktive Klausur), während sie zum anderen in der Klausur nur von bestimmten Personen von außen erreicht werden durften (passive Klausur). Regelungen für die passive Klausur, nach denen vorgeschrieben war, welche Personengruppen genau bis in welche Bereiche der Klausur eintreten durften, sind für männliche und weibliche Ordensgemeinschaften mit festen Häusern nachweisbar. Diese Vorschriften korrespondierten mit Vorstellungen von Reinheit als konstitutiv für die Errichtung sakraler Räume und asketischer Lebensformen. Die so produzierten Klausurräume waren grundsätzlich homosozial gedacht. Geschlechtsspezifisch unterschied sich die passive Klausurkonstruktion jedoch darin, dass die Abwesenheit weiblicher Personen von den Klausurräumen maskuline asketische Raumordnungen (mit‐) produzieren konnte, etwa durch den Ausschluss angeblicher Effekte wie Versuchung und Ablenkung der männlichen Mönche bzw. Brüder.¹¹ Die Abwesenheit männlicher Personen aus der Klausur weiblicher Gemeinschaften konnte durch die Notwendigkeit der Seelsorge und Visitation durch männliche Geistliche nur partiell organisiert werden, sodass die passive Klausur für Nonnen nicht ausschließlich homosozial gesetzt war. Die aktive Klausur, also das Verbot für Konventsmitglieder, den Klausurbereich zu verlassen, solange nicht dringende Not-
Vgl. Leclercq, Clôture, 366. Vgl. zur Begriffsdefinition im Folgenden Muschiol, Klausurkonzepte, 58 – 64, die die Kategorien am Beispiel der Benediktiner:innengemeinschaften der Hirsauer Reform erörtert. Zu Reinheitsdiskursen in den Debatten um die passive Klausur für männliche Gemeinschaften vgl. Jane Tibbetts Schulenburg, Gender, Celibacy, and Proscriptions of Sacred Space: Symbol and Practice. In Medieval Purity and Piety. Essays on Medieval Clerical Celibacy and Religious Reform, hg. von Michael Frassetto. (Garland Reference Library of the Humanities). New York, London, 1998, 353 – 376, hier 356 – 357.
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wendigkeiten es erforderten, betraf in allen Zeiträumen ausschließlich die weiblichen Gemeinschaften.¹² Das Paar materiell/geistlich verweist zunächst auf die Konzeption von Klausur als materieller Raum, der die Körper der Gemeinschaft umgibt und aus verschiedenen Konstituenten wie Mauern, Sprechgitter und Pforte zusammengesetzt ist. Demgegenüber beschreibt das Konzept der geistlichen Klausur den Körper selbst als ein claustrum, das an den Stellen des potenziellen Ein- und Austritts von Medien verschlossen oder dessen potenzielle Ein- und Austrittsstellen besonders verborgen werden müssen.¹³
II.1.2 Spätantike und Frühmittelalter Sowohl die ersten Einsiedler:innen als auch die ersten asketischen Gemeinschaften der Spätantike in Kleinasien, Syrien und Ägypten betrachteten die Einschließung bzw. Vorformen der Klausur als notwendigen und hilfreichen Bestandteil für ein Gott zugewandtes Leben. Die Ab- bzw. Selbstausschließung in der sprichwörtlichen Wüste, aber auch in den Städten, wurde als ein diesbezüglich bevorzugtes, aber nicht strikt geregeltes Mittel von den Anhänger:innen der asketischen Bewegungen angesehen.¹⁴ Der Klosterverband des ägyptischen Mönches Pachomios, dem Begründer der ersten christlichen Klöster um 325, zeigte die Materialisierung der Klausur in einer das Kloster umgrenzenden Mauer. Hier galt das Ideal des eingeschlossenen Lebens für Mönche und Nonnen.¹⁵ Unweit des Mönchsklosters in Tabennisi bei Theben wurde ein Haus für die Nonnen errichtet, die die Regel Pachomios auch für ihre Lebensweise erhielten. In diesem Text waren etwa die Besuche geregelt: So war es den Mönchen außer in Ausnahmefällen nicht gestattet, das Kloster der Nonnen zu betreten.¹⁶ Für Basilius von
Das spätantike Ideal geschlechterübergreifender Umschließung und Ausgangsregulierung kann noch nicht als feststehendes Gebot im Sinne einer aktiven Klausur verstanden werden, vgl. Muschiol, Klausurkonzepte, 72. Vgl. Muschiol, Klausurkonzepte, 59. Muschiol weist die in älterer Forschungsliteratur anzutreffende Verortung dieser Praxis in den spätantiken Gemeinschaften als Modell einer frühchristlichen bzw. biblischen Version der strikten Klausur zurück, vgl. Muschiol, Klausurkonzepte, 72. Vgl. Karl Suso Frank, „Der verschlossene Garten“ (Hld 4,12). Zu den Anfängen der Klausur in Frauenklöstern. In Garten des Lebens. Festschrift für Winfrid Cramer, hg. von Maria-Barbara von Stritzky, Christian Uhrig. (Münsteraner Theologische Abhandlungen 60). Altenberge: Oros, 1999, 103 – 118, hier 106. Vgl. Frank, Garten, 107. Diese passive Klausur galt auch bezüglich der Häuser der Mönche für weibliche Besucherinnen, vgl. Diem, Experiment, 48.
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Caesarea (330 – 379) bedeutete die Klausur für ein Leben in „Einsamkeit unter mehreren“ die unerlässliche Bedingung.¹⁷ Laut dem Theologen und Kirchenhistoriker Karl Suso Frank berichtete er vom Umgang zwischen den Brüdern und Schwestern, die sich in ihrer Lebensform geglichen und sich auch hätten treffen können. Allen genannten Autoren galt die Klausur als Garant für den Schutz der Keuschheit und die Bewahrung der gewünschten inneren Haltung. Die westlichen religiösen Gemeinschaften orientierten sich am Vorbild des Ostens. In seiner Ende des 4. Jahrhunderts verfassten Regel Praeceptum, die in zwei Fassungen vorliegt, also jeweils für das Ordensleben männlicher und weiblicher Gemeinschaften, stellte Augustinus (354– 430), Bischof von Hippo Regius, nach dem Vorbild der ägyptischen Klöster das zurückgezogene Leben im Haus zwar als Leitidee heraus, die Möglichkeit eines begründeten Ausgangs blieb jedoch bestehen.¹⁸ Erstmals erwähnte Augustinus auch die Idee der Klausur als Haltung. So sei während der Abwesenheit aus dem Kloster ein bestimmtes, angemessenes Verhalten zum Schutz der Keuschheit zu beachten und durch gegenseitige Beobachtung zu kontrollieren.¹⁹ Im fränkischen Reich richtete Caesarius von Arles 508 eine weibliche Gemeinschaft unter dem Abbatiat seiner Schwester Caesaria ein und verlieh ihr mit der Regula ad virgines (vor 534) die erste bekannte Regel für Nonnenklöster. Dieser über mehrere Jahrzehnte erarbeitete Regeltext entwarf die Klausur, verstanden als dauerhafte Einschließung, als grundlegend für das Funktionieren des Klosterlebens.²⁰ Diese aktive Klausur gestattete es den Nonnen nicht, die Klausur- bzw. Klosterräume durch irgendeine der Türen zu verlassen, nicht einmal, um die neben dem Kloster liegende Basilika zu betreten. Die Vorschriften für eine passive Klausur beinhalteten das Verbot, Fremde in die Klausur einzulassen, besonders Männer, jedoch auch weltliche Frauen. Ausgenommen waren davon Kleriker für den Gottesdienst, Verwalter, Handwerker oder weibliche Verwandte.²¹ Caesarius entwarf dabei in seiner Regel für das Nonnenkloster bereits eine eigene Topologie für die Klausurarchitektur, die allerdings nur bei den von ihm beeinflussten Klöstern wiederauftauchte. So existierten ein Sprechzimmer für die Kommunikation nach außen, ein besonderer Zugang zum Kloster von der Basilika aus sowie eine zweite Tür zum Kloster, die von einer Pförtnerin besetzt war und dem
Zit. nach Frank, Garten, 109. Vgl. Frank, Garten, 113. Vgl. Diem, Experiment, 62 ff. Vgl. Schulenburg, Enclosure, 54. Zu Caesarius’ Projekt der Erarbeitung eines Klausurkonzeptes in seinen monastischen Schriften vgl. ausführlich Diem, Experiment, und zwar das Kapitel „Caesarius von Arles: Die Große Synthese“, 154– 202. Vgl. Frank, Garten, 114.
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Transfer materieller Güter diente.²² Diese Merkmale kann man dabei als charakteristisch für auch die spätere Ausgestaltung von Klausurarchitekturen und Klausurpraktiken betrachten. Der Einschluss der Schwestern auf Lebenszeit, also bis zu ihrem irdischen Tod, ging ebenfalls auf die Gemeinschaft von Arles zurück.²³ Charakteristisch für Caesarius’ Regel für Nonnen ist die Konzeption der Klausur als ein kollektiv produzierter, sakraler Raum, in dem die Grenzen der Einzelnen zugunsten des gemeinsam zu Erschaffenden überwunden werden können.²⁴ Eine geschlechtsspezifische Zuweisung erhielt die Klausur auch in den sogenannten Virginitätsschriften der lateinisch bzw. griechisch schreibenden Kirchenväter Ambrosius, Hieronymus, Methodius und Gregor von Nyssa, die neben den ersten Regeltexten für weibliche Religiose auch Bestandteile enthalten, die die Bedeutsamkeit der Klausur für die frühen weiblichen Ordensgemeinschaften im Osten und Westen des Römischen Reiches in Spätantike und Frühmittelalter und ihren Zusammenhang zu Konzepten von Askese herausstellen. Die Vorstellungen einer räumlichen Begrenzung zum Zwecke der Anlage und des Erblühens seelischer Güter werden darin durch die Verwendung der Metapher des hortus conclusus, des „verschlossenen Gartens“, wie er in den Hohelied-Versen des Alten Testaments beschrieben wird (Hld 4,12), ausgedrückt.²⁵ Richteten sich die Ratschläge für ein gottgefälliges, eingeschlossenes oder zurückgezogenes Leben zunächst an weibliches Leben im Allgemeinen, wurden die Bezüge in den Texten für weibliche Gemeinschaften von den Kirchenvätern noch ausgestaltet. Angelegt ist in diesen Schriften die Ineinssetzung von räumlicher Situation und körperlichen Räumen: Das abgeschlossene, begrenzte, ummauerte Haus, Gebäude oder Anwesen versinnbildlicht die Abgeschlossenheit des asketischen Körpers in Bezug auf seinen Geist, seine Sinne, seinen Standort.²⁶ Die Klöster früher weiblicher Gemeinschaften waren oft Einrichtungen von männlichen Personen für ihre weiblichen Verwandten. Die sich daraus ergebende zumindest symbolische Verantwortung der Gründer und Verwalter für das
Vgl. Frank, Garten, 115. Vgl. Schulenburg, Enclosure, 54– 55.; Frank, Garten, 115. Diese Idee setzte sich jedoch ebenfalls jedenfalls nicht flächendeckend durch, vgl. Muschiol, Klausurkonzepte, 75. Vgl. Diem, Experiment, 20. Vgl. dazu auch die körperfokussierte Analyse des Regeltextes in Albrecht Diem, On Opening and Closing the Body. Techniques of Discipline in Early Monasticism. In Körper er-fassen. Körpererfahrungen, Körpervorstellungen, Körperkonzepte, hg. von Kordula Schnegg, Elisabeth Grabner-Niel. Innsbruck: StudienVerlag, 2010, 89 – 112. Vgl. Frank, Garten. In den Regeltexten wird auf die Metapher des Hohelieds hingegen kein Bezug genommen, vgl. dort 117. Vgl. Frank, Garten, 105.
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Ansehen der Klöster resultierte darin, dass die Nonnen bzw. Schwestern ein bestimmtes Reinheitsverhalten zu beachten hatten.²⁷ Das vorbildliche weibliche Ordensleben war dabei den allgemeinen Idealen des weiblichen Leben darin ähnlich, dass beide Lebensformen innerhalb des Hauses, zurückgezogen und getrennt von der Öffentlichkeit, verortet waren.²⁸ In den frühen Klöstern wurde dieser Lebensraum als die räumliche Einschränkung verstanden, die ein geistiges Leben erst ermöglichte; Jungfräulichkeit galt hierbei nicht allein für weibliche Personen als die größtmögliche Annäherung an die Ebenbildlichkeit zu Gott.²⁹ Gregor von Nyssa verfasste 371 auf Bitte seines Bruders Basilius von Caesarea eine Virginitätsschrift zum Lob des asketischen Lebens, angeleitet durch eine Regel. Anlass gaben ihm dafür vor allem die zu seiner Zeit aktiven „häretischen“ Sekten, die gemeinschaftliches Leben nach eigenen Vorstellungen und außerhalb der sozialen Ordnung praktizierten.³⁰ Am Beispiel dieser normativen Schrift zeigt sich eindrücklich die Ambivalenz der Entstehungsgeschichte der monastischen Klausur für weibliche Religiose, die stets unter Einbeziehung der zeitgenössischen Geschlechternormen und Handlungsoptionen für weibliche Personen reflektiert werden muss.³¹ Diese hier skizzierten ersten Formen des Einschlusses von (religiös-asketischen) Gemeinschaften der Spätantike in einem Haus waren gekennzeichnet durch die Fokussierung auf die Vervollkommnung der Gemeinschaft durch Askese, für die eine Form von Einschluss nicht zuletzt aus Gründen der sozialen Sicherheit und Unversehrtheit notwendig war, wobei der jeweilige Einschluss
Vgl. Frank, Garten, 116. Vgl. Frank, Garten, 117. Frank spricht von einer Verschmelzung vorchristlich-antiker und kirchlicher Weiblichkeitsideale. Das lässt jedoch keinesfalls den Umkehrschluss zu, Virginität sei als ideales asketisches Konzept ausschließlich weiblichen Personen vorbehalten (gewesen), vgl. Susanna Elm, „Schon auf Erden Engel“. Einige Bemerkungen zu den Anfängen asketischer Gemeinschaften in Kleinasien. Historia 45: 4 (1996), 483 – 500, hier 486. Als grundlegend zur (Geschlechter‐)Geschichte der Figur der Virginität vgl. Elm, Susanna K. Susanna Elm,Virgins of God. The Making of Asceticism in Late Antiquity (Oxford Classical Monographs). Oxford, New York: Oxford University Press, 1994. Für das Frühmittelalter vgl. Diem, Experiment. Spätmittelalterliche Virginitätskonzepte untersucht Sarah Salih, Versions of Virginity in Late Medieval England. Cambridge: Brewer, 2001. Vgl. Elm, Engel, 488 – 489. Vgl. Elm, Engel, 490. Elm diskutiert die Debatte um Askesepraktiken als Vorwand, eine andere als die zugewiesene Rolle in der göttlichen Ordnung einzunehmen, vorrangig an der Geschlechterordnung. In der Gruppierung der Eustathianer:innen wechselten die Mitglieder die soziale Rolle von „Frau“ zu „Mann“ und lösten dabei auch bestehende Familienbande.
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jedoch viele Möglichkeiten für Ausnahmen offenließ. Die Klausur als Selbstzweck kann für diese Lebensformen noch nicht festgestellt werden.³²
II.1.3 Hochmittelalter Die Aushandlungsprozesse um gemeinschaftliches religiöses Leben intensivierten sich im Verlauf des Mittelalters und betonten zunehmend die qua Geschlecht unterschiedenen dementsprechenden Zugangsmöglichkeiten. Folgt man der rechtsgeschichtlichen Periodisierung der Herausbildung der Klausur auf der Ebene des Kirchenrechts von Jean Leclercq, so lässt sich diese Entwicklung in drei Phasen unterteilen: vom Beginn des Mönchs- bzw. Nonnentums bis zum 8. Jahrhundert – in diesen Zeitraum fällt die Regula ad virgines des Caesarius von Arles; vom 8. bis zum 13. Jahrhundert, einschließlich der karolingischen Kirchenreform und der Ordensreformen im 12. Jahrhundert; schließlich der Zeitraum ab dem paradigmatischen Dekret Periculoso von Papst Bonifatius VIII. (1298).³³ In diesen langen Zeiträumen bildeten sich Aspekte der monastischen Klausur heraus, auf die in den Reformen des 15. Jahrhunderts im Sinne einer „Ursprünglichkeit“ verwiesen werden sollte.³⁴ Wenngleich die Durchsetzung der aktiven Klausur für Nonnen nur begrenzt, für Mönche – obzwar beispielsweise im 12. Jahrhundert diskutiert – gar nicht erfolgreich umgesetzt wurde, so wurde doch durch die allmähliche Verfestigung der passiven Klausur, also der Eintrittsregulierung für die jeweiligen Räume, die dauerhafte Herausbildung homosozialer Räume und Gemeinschaften produziert.³⁵ Das Fortbestehen als nach Geschlecht separierte Gemeinschaften materialisierte sich in Gebäudeformen, die mit der Entstehung bzw. Neugründung der Orden im 12. und 13. Jahrhundert zunehmend die jeweils ordenseigenen Merkmale verkörperten und eine eigene archi-
Vgl. dazu die Diskussion der historiografischen Versuche, die Entstehung der strikten Klausur als Einschluss von Personen in einem festen Haus, wie sie in mittelalterlichen Gemeinschaften kanonisiert wurde, in die asketischen Gemeinschaften der Antike zu verlegen, bei Gisela Muschiol: Muschiol, Klausurkonzepte, 72. Vgl. Leclercq, Clôture, 368 ff. Dieser Periodisierung folgt auch die nach wie vor grundlegende Studie von Gisela Muschiol, die auch den Forschungsstand diskutiert, vgl. Muschiol, Klausurkonzepte, 73 ff. Selbstverständlich versteht sich dieser Prozess nicht im Sinne einer Linearität, sondern als Variierung von Herausbildung, Verwerfung und Manifestation klausurkennzeichnender Aspekte. Ein besonders interessantes Feld für Klausurdiskussionen sind die Doppelmonasterien des Benediktiner- und Zisterzienserordens, deren Klausurbestimmungen sich nach Geschlecht unterschieden.Vgl. dazu grundlegend am Beispiel des steirischen Stiftes Admont Lutter, Geschlecht, sowie mit dem Schwerpunkt der Schriftproduktion Beach, Scribes.
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tektonische Formensprache entwickelten. Hinzu kam die Weiterentwicklung vergeschlechtlichter Konzepte der Klausur, die auch als körperlich manifestiert aufgefasst wurde.³⁶ Die entstandenen ordensspezifischen Klausurstrukturen, die durch unterschiedliche Konzepte spiritueller Freiheit und physischer Begrenzung bestimmt waren, wurden von geschlechtsspezifischen Neuformulierungen gekreuzt. Während die im 12. Jahrhundert gegründeten männlichen Bettelordensgemeinschaften der Franziskaner und Dominikaner die stabilitas loci der Regula Benedicti dezidiert nicht befolgen wollten, waren die Klausurbestimmungen zentrales Merkmal für die weiblichen Zweige aller Orden.³⁷ Die neuen Gemeinschaften mussten verwaltet und durch männliche Seelsorge betreut werden. Deutlich trat das Bestreben von kirchenobrigkeitlicher Seite hervor, den vielen weiblichen Neugründungen eine einheitliche Form zu geben.³⁸ Hinzu kam die päpstliche Einflussnahme auf die Ordensregeln der weiblichen Gemeinschaften, die vor allem als Uniformierung und Generalisierung wirksam wurde.³⁹ Wie im vorangegangenen Kapitel dargestellt wurde, stellte die Herausbildung der Regelwerke für die Klarissen seit ihrer Ordensgründung zu Beginn des 13. Jahrhunderts einen Sonderfall dar. Das Hervorbringen einer Lebensform für Schwestern, die in ihrer Spiritualität und Christusnachfolge gleichberechtigt neben den männlichen Ordensbrüdern auftreten wollten, sich aber kirchenrechtlich von ihnen unterscheiden mussten, zog eigene Raumkonzepte nach sich, die sich anhand des Klausurparadigmas ausbildeten. Die neu gegründete Gemeinschaft der Schwestern von S. Damiano um Klara von Assisi sah sich wie die weiblichen Gemeinschaften der anderen Orden den Debatten um die Klausur ausgesetzt. Das
Vgl. Muschiol, Klausurkonzepte, 79. Eine eigene Variante der Verbindung von körperlicher und gebäudebezogener Klausur stellt die Lebensform der Reklusen dar, die ebenfalls im Hochmittelalter eine Blütezeit erlebte, vgl. Cate Gunn, Liz Herbert McAvoy, Medieval Anchorites in their Communities (Studies in the History of Medieval Religion 45).Woodbridge: D.S. Brewer, 2017; Jean Leclercq, Solitude and Solidarity. Medieval Women Recluses. In Peaceweavers. Shank et al. (Hg.), 1987, 67– 83. Muschiol beschreibt die Entstehung der Bettelorden im 12. Jahrhundert als Katalysator für die Auseinanderentwicklung der Klausurpraktiken weiblicher und männlicher Gemeinschaften und deren geschlechtsspezifische Lebensweisen als männliche Prediger bzw. weibliche klausurierte Schwestern, vgl. Muschiol, Klausurkonzepte, 97. Eindrucksvoll ist dies am Beispiel der Magdalenerinnen- oder Reuerinnengemeinschaften nachzuvollziehen, die sich in ihrer Administration und Lebensweise einem der im 13. Jahrhundert legitimierten Orden anschließen mussten, vgl. Kaspar Elm, Art. Magdalenerinnen. In Lexikon des Mittelalters. Bd. 6, hg. von Robert-Henri Bautier. München: Artemis, 1993, Sp. 71. Paradigmatisch hierfür ist die Geschichte der Entstehung der verschiedenen Regeltexte für Klarissen, vgl. die Darstellung in Kapitel I.2.1 in diesem Band.
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Thema wurde in für sie relevanter Form erstmals in der Hugolinischen Regel von 1218/19 aufgegriffen. Diese orientierte sich, wie oben dargestellt⁴⁰, am Vorbild der Regula Benedicti und schrieb eine strenge Form der Klausur vor, die sich von der anderer zeitgenössischer Gemeinschaften tatsächlich unterschied. Wichtige Aspekte dieses Klausurkonzepts waren die Dauer – für jeden Tag des Lebens und über den Tod hinaus –, die Verknüpfung mit dem Körper durch den Habit und das Ausgangsverbot, das nur zum Zwecke der Neugründung von Gemeinschaften eine Ausnahme vorsah. Der Zugang zur Klausur wurde auf kirchliche Obrigkeiten begrenzt, die jedoch außerdem eine päpstliche Erlaubnis vorweisen mussten. All diese Aspekte der Hugolinischen Klausur gingen auch in die Regel Klaras (Regula prima) ein.⁴¹ Ob allerdings bereits im Kloster S. Damiano die Klausurbestimmungen, die später erstellte Regelwerke für Klarissen aufzeigen, als unveräußerliches Ideal praktiziert wurden oder ob wenigstens beispielsweise für Klara selbst und ihre unmittelbaren Verwandten immer auch Ausnahmen bestanden, ist nicht eindeutig verifizierbar.⁴² Die These Engelbert Graus, die Vereinbarung der strengen Klausur dieser ersten Gemeinschaft sei als „Kaufpreis“ für die Lebensform (Forma vitae) zu verstehen, weswegen eben auch Klaras eigene Regel diese Bestimmungen aufweise, wird durch die Beobachtung bestätigt, dass das Engagement Klaras als Autorin der Regel und Gründerin des Ordens den Schwerpunkt auf die Armutsbestimmung und die Zugehörigkeit zum Franziskanerorden legte. Die Einhaltung der Klausur entsprach zwar dem Zeitgeist für weibliche Religiose und musste daher in Kauf genommen werden. Das Klausurgebot für Gemeinschaften, die eine Lebensweise in Armut als unveräußerlich ansahen, stellte jedoch eine zusätzliche organisatorische und ökonomische Herausforderung dar: Die strikte Klausur musste man sich auch leisten können.⁴³
Vgl. Kapitel I.2, FN 92. Vgl. Engelbert Grau, Die Klausur im Kloster S. Damiano zu Lebzeiten der Heiligen Klara. In Studia historico-ecclesiastica. Festgabe für Luchesius G. Spätling O. F. M., hg. von Isaac Vázquez. (Bibliotheca Pontificii Athenaei Antoniani 19). Rom, 1977, 311– 346, hier 314– 315. Engelbert Grau hat in diesem Zusammenhang die Heiligenvita Klaras (Legenda S. Clarae Virginis, 1255) von Thomas von Celano auf Notizen bezüglich der Klausur untersucht, die Anmerkungen zur Einschließung, dem Eintritt Außenstehender und das ausnahmsweise Abweichen von den Klausurvorschriften im Kontakt mit Franziskus aufweisen, vgl. Grau, Klausur, 339 – 344. Vgl. dazu auch die Darstellung von Eva Schlotheuber, Armut, Demut und Klausur: Zur Geschichte des weiblichen Ordenszweiges. In Franziskus. Stiegemann et al. (Hg.), 2011, 81– 88, hier 81– 82. Der Zusammenhang zwischen Klausurpraxis und ökonomischen Grundlagen betraf selbstverständlich auch die Gemeinschaften der älteren Orden, vgl. etwa Jeffrey F. Hamburger, Art, Enclosure and the Cura Monialium: Prolegomena in the Guise of a Postscript. Gesta 31: 2 (1992), 108 – 132, hier 109.
II.1 Die Klausurentwicklung in europäischen weiblichen Ordensgemeinschaften
113
Das 1298 von Papst Bonifatius VIII. verabschiedete Dekret Periculoso bildete den Höhepunkt der Entwicklung päpstlichen Machtzuwachses über das weibliche Ordensleben. Das Dekret schrieb die strenge aktive und passive Klausur allein für weibliche Ordensmitglieder fest, die diese an allen Orten und zu allen Zeiten – außer im Falle einer Gefahr – an den Ort des Klosters binden sollte.⁴⁴ Dieser und ähnliche Vereinheitlichungsprozesse setzten sich über die spezifischen Elemente der jeweiligen Ordenskulturen hinweg. Die Umsetzung eines einheitlichen Klausurkonzeptes erfolgte jedoch regional höchst unterschiedlich, worauf die im 15. und 16. Jahrhundert geführten Debatten um den „Niedergang“ und die Reformbedürftigkeit des Ordenslebens, die an der Befolgung der Klausurvorschriften festgemacht wurden, Hinweise geben.
II.1.4 Spätmittelalter: Die Re-Produktion der Klausur in den Observanzbewegungen Das mit dem Periculoso-Dekret bekräftigte Ideal der Klausur für die weiblichen Konvente erfolgte in der Durchsetzung ihrer Bedingungen nicht systematisch und flächendeckend. In den Forderungen der observanten Bewegungen des 15. Jahrhunderts wurden ihre Umsetzung und die Verpflichtung der weiblichen Ordensgemeinschaften zur Klausur beinahe folgerichtig zu einem der wichtigsten Aspekte. Die Reformbewegungen insistierten im Rückgriff auf die Bestimmungen des Papstdekrets erneut auf dem aktiven und passiven Einschluss weiblicher Ordensmitglieder, von dem Ausnahmen nur in Notfällen und in Begleitung gestattet werden sollten. Für die Organisation der Versorgung wurde das Amt des Verwalters oder Pflegers eingesetzt, der die Äbtissin in Richtung der Stadtoder Landesverwaltung zu vertreten hatte.⁴⁵ Die Errichtung einer fiktiven „ursprünglichen“ Klausur materialisierte sich dabei auf mehreren Ebenen: in Form normativer Skripte in den neu angefertigten Regel- und Statutentexten, die die
Vgl. Muschiol, Klausurkonzepte, 101, sowie die Diskussion des entsprechenden Forschungsstands, ebd., 98 ff. Die Konzeption im Dekret Periculoso war ihrerseits bereits ein Rückgriff auf frühere und sehr frühe Klausurvorstellungen und -formulierungen, etwa bei Caesarius von Arles und seiner Nonnenregel, vgl. Kapitel II.1.2 im vorliegenden Band sowie Diem, Experiment, Unterkapitel „Caesarius’ Konzept eines bischöflich-privaten Nonnenklosters“, ebd., 154– 192. Eine umfassende rechtshistorische Auseinandersetzung mit der Bedeutung von Periculoso erfolgte durch Elizabeth M. Makowski, Canon Law and Cloistered Women. Periculoso and Its Commentators, 1298 – 1545 (Studies in Medieval and Early Modern Canon Law 5). Washington D. C.: Catholic University of America Press, 1997. Vgl. Uffmann, Rosengarten, 203.
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II Die Klausur als räumliches Ordnungsprinzip monastischer Gemeinschaften
Ordensregeln kommentierten und ergänzten; in den Gebäuden der Gemeinschaften, bezüglich derer durch Um- und Neubauten die entsprechende Klausurarchitektur errichtet wurde; in der Funktion der Klausur als Ergebnis und Garant der Observanz innerhalb der symbolischen Ordnung der sakralen Landschaft.⁴⁶ In den Regeltexten der Klarissen nahm das Dekret einen zentralen Platz ein. Mit der Profess legte eine Schwester das Gelübde ab, in Gehorsam, Keuschheit und „ze aller zeit vnter dem schloss“⁴⁷ zu leben und die Klausur nicht mehr zu verlassen, sofern keine Notsituation bestand. Die Urban-Regel definierte die Klausur als inwendigen Einschluss des Klosters, umgeben von einer Mauer: „Alle die professen die in disem leben sint, die sint dar zu gepunden vestikklich ze beleiben innerhalb dem gang der maur die da geordent ist zu dem inwendigen sloß des closters […].“⁴⁸ Nach ihrem Tod wurden Schwestern und Laienschwestern (Servizialen) innerhalb der Klostermauern begraben.⁴⁹ Somit war diese Klausur ein überzeitliches Konzept. Die Klausurregelungen sämtlicher weiblichen Ordensgemeinschaften wurden im Zuge der Ordensreformen weitgehend vereinheitlicht.⁵⁰ Neben den ordens-
Vgl. zum Zusammenhang von Observanz und Klausur das Unterkapitel „Ziele, Ausbreitung, Förderer und Gegner der Reformen in Männer- und Frauenkonventen“ in ebd., 42– 50; Steinke, Paradiesgarten, und zwar das Kapitel, „Reformado tarn morum quam murorum: Außere und innere Klausur als sichtbare und unsichtbare Manifestationen der Ordensreform“, ebd., 45 – 54; Marie-Luise Ehrenschwendtner, Creating the Sacred Space Within. Enclosure as a Defining Feature in the Convent Life of Medieval Dominican Sisters (13th – 15th c.). Viator 41: 2 (2010), 301– 316, hier 303 – 304; Neidhardt, Autonomie, Unterkapitel „Klausur zur inneren Umkehr“, 100 – 108. Innerhalb der historischen Forschung ist diese Thematik intensiv vor allem für weibliche dominikanische Gemeinschaften bearbeitet worden. Zu Benediktinerinnen vgl. etwa das entsprechende Kapitel, „Reformen benediktinischer Frauenklöster“, in Elke-Ursel Hammer, Monastische Reform zwischen Person und Institution. Zum Wirken des Abtes Adam Meyer von Groß St. Martin in Köln (1454– 1499) (Veröffentlichungen des Max-Planck-Instituts für Geschichte 165). Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht, 2001, 223 – 266; mit ordensübergreifendem Fokus nochmals Uffmann, Rosengarten, sowie Winston-Allen, Convent Chronicles, Kapitel „Opponents oft he Reform and Enclosure“, 129 – 168. RegUrb I, fol 4r. RegUrb II, fol 4r – v. Die Statuten für die Straßburger Observanz spezifizierten die Klausurbestimmungen durch eine detailliertere Verknüpfung von Klausurelementen und Praktiken, vgl. Kapitel III in diesem Band. RegUrb II, fol 5v. Vgl. auch die Version der Urbanregel aus dem Klarissenkonvent Villingen in Brett-Evans, Diu regel, 147. Zur Klausur in observanten Zisterzienserinnen-, Dominikanerinnen- und Benediktinerinnengemeinschaften vgl. Heike Uffmann, Körper und Klosterreform. Leiblichkeit und Geschlecht in spätmittelalterlichen Frauenkonventen. In Körper Macht Geschichte – Geschichte Macht Körper. Körpergeschiche als Sozialgeschichte, hg. von Bielefelder Graduiertenkolleg Sozialgeschichte.
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spezifischen Differenzierungen manifestierten die Klausurforderungen und -umsetzungen eine vergeschlechtlichte und vergeschlechtlichende Perspektive auf das Ordensleben und die in dessen Rahmen vorgesehenen Handlungsmöglichkeiten für einzelne Personen.⁵¹ In den Raumordnungen der Klausur materialisierte sich durch das Zusammenwirken von gebauter Architektur, den körperlichen Praktiken, die die Klausur einsetzten und die diese wiederum hervorrief, sowie dem mentalen oder imaginierten Raum eine Geschlechterordnung, die weibliche und männliche Ordensmitglieder anhand ihrer Raum- und Ortskonzepte öffentlich sichtbar voneinander abgrenzte.⁵² Vor allem in den ersten Dekaden nach ihrer Gründung unterschieden sich die Lebensweisen der Klarissen von denen der Franziskaner durch das Klausurparadigma in Verbindung mit ihren festen Häusern. Hatten die ersten Franziskaner zu Lebzeiten von Franziskus die stabilitas loci und den Besitz eines gemeinsamen Hauses noch abgelehnt, so entstanden nichtsdestotrotz bereits ab der zweiten Hälfte des 13. Jahrhunderts auch franziskanische Klosterbauten mit eigenen Klausurbereichen, die Zugangsregelungen, vor allem durch das Eintrittsverbot für weibliche Personen, unterlagen.⁵³ In diesem Sinne gehörte die passive Klausur auch zu franziskani-
Bielefeld, 1999, 191– 221; Heike Uffmann, Innen und außen. Raum und Klausur in reformierten Nonnenklöstern des späten Mittelalters. In Lesen. Signori (Hg.), 2000, 185 – 212; außerdem das Kapitel „Wie in einem Rosengarten? Ein Leben im Einklang mit der Ordensregel: gemeinsames Leben in persönlicher Armut, Liturgie und Klausur“ in Uffmann, Rosengarten, 190 – 220. Susanne Knackmuß definiert den durch aktive und passive Klausur erzeugten Raum eines spätmittelalterlichen observanten Klosters vor allem in Bezug auf die Kategorien des Öffentlichen und des Privaten als „Sonderraum“, vgl. Knackmuß, KlausurUnterDruck, 43. Den Zusammenhang von Architektur und Geschlechterordnung erörterte Roberta Gilchrist in ihrer Untersuchung zu mittelalterlichen weiblichen Klostergemeinschaften aus dem Jahr 1994 vorausdeutend für die nachfolgende historische Forschung zu Raum, materieller Kultur und Geschlecht, vgl. Gilchrist, Gender. Zur Produktivität von Raumstrukturen für Geschlechterkonstruktionen im Themenfeld der monastischen Klausur vgl. Uffmann, Innen, 186. Zum Zusammenhang von Raumproduktion und Subjektivierung und der Produktion geschlechtlich markierter Körper vgl. detailliert die nachfolgenden beiden Kapitel dieser Studie. Vgl. zu dieser Entwicklung Gert Melville, Anne Müller, Franziskanische Raumkonzepte. Zur symbolischen Bedeutung des inneren und äußeren Hauses. Revue Mabillon 21 (2010), 105 – 138, hier 119 – 134 [= Teil „Das äußere Haus der Gemeinschaft. Architektonische Symbolisierungen in franziskanischen Klöstern“ von Anne Müller], sowie Leonie Silberer,Von der „Welt als Kloster“ zu Klosterbauten. Die Konvente der Franziskaner. In Geist und Gestalt. Monastische Raumkonzepte als Ausdrucksformen religiöser Leitideen im Mittelalter, hg. von Jörg Sonntag. (Vita regularis. Abhandlungen 69). Berlin, Münster: LIT Verlag, 2016, 221– 250, hier 223 – 229. Zur Bedeutung der Architektur für die Herausbildung der franziskanischen Ordensidentität, die innerhalb der Forschung zu Franziskaner:innen zumeist unmarkiert männlich verstanden wird, vgl. Leonie Silberer, Vom „Haus am Fluss“ zum Kloster. Architektur und Identitätsstiftung im Orden der Minderen Brüder. In Identität. Breitenstein et al. (Hg.), 2015, 293 – 313.
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schen Gemeinschaften, sofern sie in festen Häusern wohnten. Durchkreuzungen und Ähnlichkeiten zwischen den in der Frage des Wohnortes sehr verschiedenen Lebensformen von Klarissen und Franziskanern bestanden in der gemeinsamen bzw. geteilten Bezugnahme auf die imitatio Christi und die beiden Ordensgründer:innen. Von dort aus sind auch die Konzepte imaginierter Räume in den jeweiligen Traditionen zu lesen, die die räumlichen Strukturen der Lebensformen prägten.⁵⁴ Um die neu fokussierten Regelungen zur Klausur auch in den Klostergebäuden zu verfestigen, ging mit der Observanz der bestehenden Gemeinschaften in vielen Häusern eine rege Bautätigkeit einher. Die von bzw. in der Nachfolge der Ordensreformerin Colette de Corbie neu gegründeten Klarissen-ColettinenGemeinschaften, zu denen die Genfer Klarissen gehörten, richteten gleich zu Beginn Häuser ein, die den Regeln genau angepasst waren und sämtliche zur Klausur gehörenden Praktiken ermöglichten.⁵⁵ Zur Bauweise selbst enthalten die Schriftquellen der Bettelorden keine genauen Vorgaben. Festgelegt ist darin einzig, demütig und ohne Überfluss und Hoffart zu bauen.⁵⁶ Die überlieferten Regeltexte verweisen auf die Funktionalität der einzelnen Bauteile, etwa die der Kontaktzonen an Sprechgitter, Winde und Pforte, und in geringem Maße auch auf deren Lagebeziehungen. Für die hier untersuchten Klarissenhäuser ergeben sich daraus zumindest hohe Wahrscheinlichkeiten bezüglich der tatsächlich errichteten, regelmanifestierenden Klosterarchitektur. In den meisten erhaltenen Regeltexten fehlen allerdings Angaben zur Lage der einzelnen Orte der Klausur ebenso wie solche zur Struktur des Kirchenraums. Am Beispiel des Chores der Schwestern, also dem für sie abgegrenzten Bereich innerhalb der Klosterkirche oder -kapelle, hat die Kunsthistorikerin Carola Jäggi die Problematik fehlender eindeutiger Quellen neben den Regeltexten und die Unsicherheiten narrativer Quellen mit mystischem Gehalt diskutiert. Gleichwohl plädiert sie dafür, Chro-
Zur franziskanischen Tradition vgl. Sebastian Mickisch, Gedachter und gebauter Raum im Spannungsfeld von Innen und Außen. Über Entstehung, Nutzung und Legitimation von Gebäuden bei den Minderbrüdern von Franziskus bis Bonaventura. In Klöster. Melville et al. (Hg.), 2015, 45 – 72, hier 71– 72, und die Erörterungen im weiteren Verlauf dieses Kapitels. Neben den Klarissen-Colettinen-Konventen in Orbe,Vevey und Genf in Savoyen gehörten dazu unter anderen die Gründungen von Poligny, Chambéry, Heidelberg und Ghent, vgl. Roest, Order, 172. Zum besonderen Reformwirken Colette de Corbies in Burgund vgl. auch Monique Sommé, The Dukes and Duchesses of Burgundy as Benefactors of Colette de Corbie and the Colettine Poor Clares. In Companion. Mueller et al. (Hg.), 2016, 32– 55. So die Konstitutionen für die Dominikanerinnen von 1259, zitiert nach Jäggi, Frauenklöster, 185. Für die Klarissen fehlt diese Formulierung. In den Konstitutionen von Narbonne (1260) für die Franziskaner wird Schlichtheit hinsichtlich der Ausschmückung gefordert, vgl. Jäggi, Frauenklöster, 17, sowie Silberer, Haus am Fluss, 295 – 296.
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niken, Schwesternbücher und vergleichbare Schriften gerade wegen ihrer legitimierenden Schreibabsicht hinzuzuziehen, mit den archäologischen Quellen zu vergleichen und diese wiederum mit den Forschungsfragen aus den Schriftquellen zu konfrontieren.⁵⁷ Die Rezeptionen und Auseinandersetzungen während der Ordensreformen des 15. Jahrhunderts sowie die Legitimation des regulierten Lebens während der Reformationszeit erbrachten eine immense Produktivität in Bezug auf unterschiedliche Quellen, was zu einer Quellenvielfalt von administrativer und kirchenobrigkeitlicher Seite ebenso führte wie vonseiten derjenigen, die die sich verändernde Lebensform verkörperten.⁵⁸ Somit nimmt der hier vor allem im Mittelpunkt stehende Untersuchungszeitraum „zwischen den Reformen“ für das Themenfeld der monastischen Klausur eine herausragende Stellung ein. Von den Klarissenkonventen der Straßburger Franziskanerprovinz, die in der vorliegenden Studie untersucht werden, wurden im 15. Jahrhundert in Brixen und Pfullingen keine Umbauten am Klausurgebäude vorgenommen.⁵⁹ Zwar erfuhr die Brixener Kirche eine Erweiterung des romanischen Kirchenbaus mit Strukturelementen des gotischen Baustils. Das Klostergebäude selbst wurde nach der Rückkehr der Schwestern aus dem Pfullinger Exil zwar saniert und instandgesetzt, jedoch erst im 17. Jahrhundert in seinen Strukturen umgebaut und erweitert und somit an die zeitgenössischen Anforderungen an einen wachsenden Konvent angepasst.⁶⁰ Bis zu diesem Zeitpunkt existierte beispielsweise ein Dormitorium als ein gemeinschaftlicher Raum mit nur einer vergitterten Öffnung. Im Zuge der Erweiterung im 17. Jahrhundert wurden im Schlaftrakt des Klosters fünfundvierzig Einzelzellen eingebaut.⁶¹ Ein Kreuzgang im Sinne eines Wandelgangs ist für Brixen für das 15. Jahrhundert nicht nachweisbar.⁶² Auch die klausurrelevanten Bauteile wie die Winde an der Pforte des Klosters sind spätere Einbauten. Der
Vgl. Jäggi, Frauenklöster, 192. Jäggi problematisiert außerdem die zumeist unkritische Setzung der Geschlechterdifferenz für die funktionalen Bestandteile der Sakralbauten, die einen ergebnisoffenen Blick und vergleichende Forschung zu männlichen und weiblichen Klosterbauten erschwerten, vgl. Carola Jäggi, Archäologie in spätmittelalterlichen Frauenklöstern, oder: Man sieht nur, was man weiß. In Kirchenarchäologie heute. Fragestellungen – Methoden – Ergebnisse, hg. von Niklot Krohn. (Veröffentlichung des Alemannischen Instituts Freiburg im Breisgau 76). Darmstadt: WBG, 2010, 382– 395, hier 395. Zu Observanz und Schriftlichkeit vgl. Kapitel I.1 in diesem Band. Vgl. Leo Andergassen, Baugeschichte. In Icones. Andergassen (Hg.), 1999, hier 62. Vgl. Andergassen, Baugeschichte. Vgl. Volgger, Brixen, 19 – 24. Vgl. Andergassen, Baugeschichte, 58. Für die Einschätzung der Baugeschichte von St. Elisabeth in Brixen muss die Begrenzung jeglicher archäologischen Forschungsarbeit durch die nach wie vor durchgehend existente Klausur der Schwestern berücksichtigt werden.
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Chor der Schwestern befindet sich im oberen Geschoss über dem Gewölbe des Kirchenraumes, er war damals über eine Stiege aus dem Erdgeschoss zu erreichen.⁶³ Die Baugeschichte von St. Caecilia in Pfullingen ist vergleichsweise gut erschlossen.⁶⁴ Das Klausurgebäude bildete geradezu vorbildlich die Anforderungen der Reformstatuten für die Klarissen ab, obwohl auch für dieses Kloster keine Umbauarbeiten nachweisbar sind, die zur Zeit der Reformen erfolgten. Der Chor der Schwestern in der Klosterkirche befand sich ebenerdig, mehrere schriftliche Quellen berichten über Begegnungssituationen an einer Tür zwischen Chor und Kirchenraum. Auch die Existenz zweier Sprechgitter bzw. Redfenster ist aus diesem Zusammenhang bekannt.⁶⁵ Der Kreuzgang des Klosters war mit Bildern ausgestaltet, die Darstellungen des Exils der Schwestern in den Jahren von 1540 bis 1551 in Leonberg zeigten. Auf diese Malereien verweist mittlerweile einzig die jüngere Chronik des Klosters⁶⁶, die im Zuge seiner kurzen Wiederbesiedelung durch Söflinger Schwestern zwischen 1630 und 1649 erstellt wurde: Anno 1540 (als ich auch jn dem kreitzgang Pfullingen abgemahlt vnd geschriben gefunden) das wie ob gemeltt 1540 auff den 12. Tag may ist die abbt mutter Magdalena Bissingerin sambt dem gantzen conuentt, zwantzig sex schwestern, auss dissem vnsserm closter Pfull geen Leonberg jn das barfuossercloster zogen vnd alda gewond. Biss anno 1551 auff den 5. Tag September ist obgemelte mutter abbt sambt sibenzehen schwe (wie sy im kreitz gang gamaltt vnnd verzeichnett seind) widerumm jn vnsser gottzhawss Pfullingen mit freiden eingangen. Aber vnder dissen jaren seind auff dissem jamerthal gestorben 8 schwestern, deren namen so widerum jn das closter eingangen seind.⁶⁷
Künstlerische Ausgestaltungen der Kreuzgänge mit umfangreichen Bilderzyklen sind für Klöster weiblicher Gemeinschaften im deutschsprachigen Raum in erster Linie für die Gemeinschaften der älteren Orden, also der Benediktinerinnen und
Vgl. Andergassen, Baugeschichte, 58. Vgl. vor allem die Einzelstudie von Bacher, Pfullingen. Erhalten ist von der Anlage zum jetzigen Zeitpunkt nur noch die Kirche und das 2003 im Zuge einer Lehrgrabung erschlossene Sprechgitter. Vgl. Bacher, Pfullingen, 67. Vgl. Jüngere Klosterchronik [Klarissenkloster Pfullingen] (1630 – 1649), Stuttgart, Hauptstaatsarchiv, A 514 Bü 2. Eine Edition liegt vor bei Bacher, Pfullingen, 337– 338. Vgl. auch Bacher, Pfullingen, 70 und 50. Jüngere Klosterchronik, fol 2r, zitiert nach Bacher, Pfullingen, 337.
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Zisterzienserinnen, nachgewiesen worden.⁶⁸ Eine vergleichsweise geringe Überlieferungsdichte weisen bildliche Quellen aus den weiblichen Bettelordensklöstern in Deutschland auf.⁶⁹ Da sich aufgrund dieser Überlieferungslage sowohl ordens- als auch themenspezifische Fragestellungen der Forschung bislang entzogen haben, kann das Bildprogramm des Pfullinger Kreuzgangs zunächst einmal im Kontext von Historiografie und Erinnerungskultur des Erlebten erschlossen werden. Die künstlerische Auseinandersetzung mit der eigenen Migrationserfahrung vor dem Hintergrund einer Tradition der imitatio Christi als Wanderung in der Welt verweist auf eine weitere Dimension, in der das Zusammenspiel von Architektur und Bild in der Pfullinger Klausur interpretiert werden muss, wie im anschließenden Teilkapitel zu zeigen sein wird. Herausragend für die Überlieferungsgeschichte des Klausurgebäudes von St. Caecilia sowie für die Architekturgeschichte weiblicher Klöster in Süddeutschland überhaupt ist das Sprechgitter, das im Zuge einer Lehrgrabung 2003 erschlossen werden konnte.⁷⁰ Die Anlage datiert aus der Erbauungszeit des Klosters um 1300 und befindet sich an der nördlichen Grenze des inneren Klausurbereichs. Das Gitter besteht aus zwei Öffnungen, die mit gelochten Blechen verschlossen waren. Südlich der Gitteranlage befand sich das Parlatorium des Klosters. Die Ausgestaltung des Gitters zeigt Vorrichtungen für die Befestigung eines Vorhangs auf der Innenseite zur Klausur hin sowie repräsentative Dekorationen und Eisendornen an der Metallplatte auf der Außenseite. Die freistehende Lage des Sprechgitters auf der Besucherseite konnte bislang nicht geklärt werden.⁷¹ Anders als in Brixen und Pfullingen wurde in St. Klara in Nürnberg unmittelbar im Anschluss an die Reform gebaut. Für die anstehenden baulichen Erweiterungs-
Vgl. Olaf Siart, Kreuzgänge mittelalterlicher Frauenklöster. Bildprogramme und Funktionen. Petersberg: Michael Imhof Verlag, 2008, hier 12. Siart hat aus Gründen der Überlieferungslage die Klöster in Wienhausen, Ebstorf, Himmelkron und Heiligkreuztal ausgewählt. Vgl. Siart, Kreuzgänge, 13. Eine völlig andere Überlieferungslage ergibt sich dagegen etwa in Bezug auf die Bildgestaltungen der Schweizer Dominikanerinnenklöster St. Katharinental in Diessenhofen (Kanton Thurgau) und Töss (Kanton Zürich) oder auch die der italienischen Klarissenklöster, vgl. Silvia Volkart, Die Bilderbibel des Tösser Kreuzgangs. Ein Meisterwerk spätmittelalterlicher Frömmigkeit. In Bilderwelt des Spätmittelalters. Die Wandmalereien im Kloster Töss. Mit Beiträgen von Heinz Hinrikson und Peter Niederhäuser sowie Zeichnungen von Beat Scheffold, hg. von Silvia Volkart. (Neujahrsblatt der Stadtbibliothek Winterthur 345). Zürich: Chronos, 2011, 23 – 95, hier 30 – 36; zu den Malereien in S. Chiara und S. Damiano in Assisi vgl. Jeryldene M.Wood, Women, Art, and Spirituality. The Poor Clares of Early Modern Italy. New York, N.Y., Oakleigh, Melbourne: Cambridge University Press, 1996, 34– 64. Vgl. dazu im Folgenden Jäggi, Mohn [et al.], Sprechgitter. Vgl. Jäggi, Mohn [et al.], Sprechgitter, 189.
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Fig. 3: Sprechgitter der Klarissen von St. Caecilia, Areal des ehemaligen Klosters in Pfullingen. Bildquelle: Stadt Pfullingen.
maßnahmen konnten umfangreiche Spenden von Unterstützer:innen aus der Stadt und vom Rat selbst gewonnen werden. Dormitorium und Refektorium wurden ab 1452 neu gebaut. 1456 wurde außerdem eine das Kloster umschließende Mauer errichtet, die die eingeführte Klausur nach den Gesetzen des Rates symbolisierte.⁷² Unter der Verantwortung der Äbtissin Margarete Grundherr
Vgl. Frank Matthias Kammel, Kirche und Kloster St. Klara in Nürnberg. Geschichte und Gestalt. In Verborgene Schönheit. Spätgotische Schätze aus der Klarakirche in Nürnberg: Ausstellung
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wurden von 1473 bis 1476 die Kirche und das Klausurgebäude umfangreichen Baumaßnahmen unterzogen, die das Kloster in den gewünschten, die Observanz repräsentierenden Zustand versetzen sollten. Dies betraf den Kreuzgang, den Zellentrakt, das Dormitorium, das Refektorium, die Infirmerie und die Küche.⁷³ Obwohl die Überlieferung keine Quellen zur Einrichtung des Klausurgebäudes umfasst, ist davon auszugehen, dass die bereits existierenden Zellenbauten mit Einzelzellen für die Schwestern übernommen wurden, das Schlafen jedoch als gemeinschaftliche Praxis in einem einzigen Schlafsaal organisiert war.⁷⁴ Damit entsprach die Anlage der gewünschten Klausurstruktur der Observanz, wobei die bisherige Bauweise und damit auch ein Teil der Praxis vor der Reform integriert wurden.⁷⁵ In der Kirche wurde in der Westwand ein Nonnenchor auf einer Empore errichtet.⁷⁶ Im Kreuzgang wurden Glasfenster eingesetzt, die von bürgerlichen Familien aus der Stadt gestiftet worden waren und deren Wappen abbildeten.⁷⁷ Sowohl die großzügige finanzielle Unterstützung der Bauarbeiten als auch Details wie die Kreuzgangfenster zeigen die Eingebundenheit in die und die Verflechtung des Konvents mit der städtischen Gemeinschaft, die großen Einfluss auf die bauliche Gestaltung von St. Klara – und auch auf die Gestaltung der anderen weiblichen Klöster in Nürnberg und Umgebung – hatte.⁷⁸ Die Bautätigkeiten liefen kontinuierlich weiter bis in das Abbatiat von Caritas Pirckheimer und zeigen die Bedeutung der Observanz für die Konventsgemeinschaft, die sich architektonisch und in den Schriftquellen manifestierte.⁷⁹ Im Klausurbereich von St. Klara befand sich auch der Friedhof mit den Gräbern der Schwestern. Ein als Totenbüchlein der im Germanischen Nationalmuseum, Nürnberg, 10. Mai – 5. August 2007, hg. von Germanisches Nationalmuseum. Nürnberg: Verlag des Germanischen Nationalmuseums, 2007, 8 – 45, hier 26 – 27. Vgl. Kist, Klarissenkloster, 80. Vgl. Kammel, Kirche, 27. Zur Diskussion der Klosterzelle und ihrer Bedeutung für die Klausurpraxis vgl. Kapitel IV.1.3 in diesem Band. Vgl. Carola Jäggi, Architektur im Spannungsfeld zwischen Stiftern, Orden, Stadt und Bischof. Überlegungen zu den Bauformen der Klarissen- und Dominikanerinnenkirchen in Nürnberg und Umgebung. In Nonnen. Schlotheuber et al. (Hg.), 2008, 223 – 238, hier 230. Vgl. Kist, Klarissenkloster, 80. Vgl. Jäggi, Architektur, 238. Vgl. dazu das aus St. Klara überlieferte Baubüchlein, eine auf 78 Blättern über den Zeitraum von 1408 bis 1566 geführte Handschrift, in der die Baugeschichte des Klosters dokumentiert wurde. Die Handschrift ist im Stadtarchiv Nürnberg (Rep. 89, Nr. 388) erhalten, vgl. hierzu auch Nr. 117 im Ausstellungskatalog Kurras, Machilek, Caritas, 115. In der Nürnberger Klarissenchronik wird die Reform des Klosters laut Hanne Grießmann als Paradigma dargestellt, das die eigene Geschichte als ein Davor und Danach organisiert, vgl. Grießmann, Visitacion, 43.
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Anna Ketzel bezeichnetes Dokument aus dem Klosterarchiv von St. Klara gibt im Rahmen einer Auflistung der seit 1494 verstorbenen Schwestern die genaue Lage der Gräber in der Klostertopografie an. Die Angabe der jeweiligen Grablage erfolgte in Relation zu einem Bestandteil der Klausur wie dem Redfenster, dem Kreuzgang oder der Kapellentür.⁸⁰ Caritas Pirckheimers Grab wurde 1959 im Bereich des ehemaligen Klausurfriedhofs entdeckt und 1961 in den Innenraum der Kirche, eingangs des Chores, verlegt.⁸¹ Ein weiteres Beispiel für ein Klarissenkloster der gleichen Ordensprovinz stellt der 1484 reformierte Konvent Söflingen dar. 1496 wurde das Klostergebäude umfangreich erneuert und mit den Erfordernissen der Klausur versehen. Auch hier wurde eine Zusammenfügung des zeitgenössischen Bedürfnisses und der bereits etablierten Praxis von abgetrennten Zellen im neu gebauten Dormitorium umgesetzt und ein Schlafbereich mit zweiundsiebzig Einzelzellen in Form kastenförmiger Einbauten errichtet, die im Obergeschoss des Klausurgebäudes auf allen vier Seiten des Ganges lagen.⁸²
II.1.5 Ausschluss des Verfalls und Einschluss zum Wachstum: Die Ordnungssemantik in Klausurdiskursen im 15. Jahrhundert In den Observanzbewegungen war die Klausur als Teil der Erneuerung und Regelbeachtung derart zentral gesetzt, dass sich anhand ihrer erfolgreichen Einsetzung die Erfolge der Observanz als politische Bewegung im Allgemeinen ablesen lassen.⁸³ Johannes de Lare, Provinzialvikar der Straßburger Franziskanerprovinz und Beauftragter für die Observanz der Klarissengemeinschaften⁸⁴, sah in der Beschließung der Konvente, also der physischen und symbolischen Begrenzung durch architektonische Zeichen und Regelungen des Verhaltens, nicht nur die einzige Möglichkeit, die Tugenden und Werte des Ordenslebens zu erhalten
Vgl. Totenbüchlein der Anna Ketzel (Jahr, Staatsarchiv Nürnberg, Reichsstadt Nürnberg, Kloster St. Klara, Akten und Bände, Nr. 4, Produkt 24); Rudolf Eckstein, Der Klausurfriedhof des Klarissenklosters zu Nürnberg und seine Gräber nach dem Totenbüchlein der Anna Ketzel. Mitteilungen des Vereins für Geschichte der Stadt Nürnberg 68 (1981), 130 – 163, hier 130 ff. Vgl. Georg Deichstetter, St. Klarakirche Nürnberg. Im Gebiet der röm.-kath. Pfarrei „Unsere Liebe Frau“ (Kunstführer Nr. 1518). München: Schnell & Steiner, 1985, 5. Vgl. Frank, Klarissenkloster, 104, und Rudolf Weser, Bauanlage und Baugeschichte des Klösters Söflingen. Archiv für Christliche Kunst 41: 3/4 (1926), 89 – 115, hier 99. So formulierte der Münsteraner Bischof Heinrich von Schwarzburg die Klausurbeachtung als Zeichen des Reformerfolgs, vgl. Gudrun Gleba, Reformpraxis und materielle Kultur. Westfälische Frauenklöster im späten Mittelalter (Historische Studien 462). Husum: Matthiesen, 2000, 74. Vgl. Kapitel I.2.3.1.1 in diesem Band.
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und zu vermehren. Vielmehr noch stellte de Lare einen Zusammenhang zwischen Klausur und Ordnung her. Diese Ordnung wurde in der Architektur und den Regeltexten der Klöster herausgestellt und stetig (re‐)produziert. Sie implizierte hierbei das Zusammenleben als Kollektiv, aber auch die Einordnung der Konvente in die Ordenslandschaft, die sich mit der Observanz neu strukturierte. Klausur wurde auf diese Weise zur räumlichen Konkretisierung der eingeführten und verfestigten Ordnung. Johannes de Lare stellte dem Statutentext für die Klarissen von St. Elisabeth in Brixen, der ersten Gemeinschaft, die durch seine Mitarbeit zur Observanz überging, eine Betrachtung der Dichotomie von Ordnung und Unordnung samt ihren jeweiligen Konsequenzen voran. Er bilanzierte die Folgen von Unordnung für alle Güter und Inhalte des Ordenslebens und plädierte für eine Ordnung, die nur durch die monastische Klausur gewährleistet werden könne: „[…] herumb es not ist zu aufenthaltung vnd merung semlicher geistlicher gütter, das sy mit der mauren besliessung der zucht werden vmb geben.“⁸⁵ De Lare definierte die mit der Reform einzuführende Klausur für die Klarissen in Brixen (und damit für alle Klarissengemeinschaften der Straßburger Ordensprovinz) also als physische Einschließung durch eine das Kloster umgebende Mauer, welche als Umschließung die Aufrechterhaltung der „Zucht“ garantieren sollte. Die Intention lag in Erhalt und Mehrung der geistig-geistlichen Güter, die, so seine Auffassung, in Zeiten ohne Kontrolle abzunehmen drohten. Dieses Verfallsnarrativ, das insbesondere in Verbindung mit weiblichen Gemeinschaften auftauchte, die die Klausurvorschriften nicht „regelkonform“ einhielten oder gar gänzlich nicht praktizierten, war ordensübergreifend anzutreffen und zudem ein zeitlich und sozial wiederkehrendes Element der Argumentation in Reformdiskursen über monastisches Leben. Die Einführung oder Neubeachtung der strengen Klausur als grundlegende Lösung wurde von etlichen Reformer:innen ordensübergreifend thematisiert und gefordert. Die Identifikation von Unordnung mit einer nicht vorhandenen oder jedenfalls (angeblich) mangelhaft eingehaltenen Klausur wurde damit zu einem der Topoi der Observanz.⁸⁶ In den Brixener Statuten wurde Ordnung als ein räumliches Strukturprinzip in Gestalt des Klaustrums konzipiert. Neben die Materialität der Klausur, die durch die Mauer als bauliches Strukturelement die Gemeinschaft umschloss und physisch von der Umwelt abgrenzte, trat dabei die virtuelle Einschließung als
BrixStat, fol 33r. So zum Beispiel auch bei Johannes Meyer, dem prominentesten Autoren der dominikanischen Observanz, vgl. Huijbers, Observance, 120.
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II Die Klausur als räumliches Ordnungsprinzip monastischer Gemeinschaften
ein ideelles (und damit auch ideelle Grenzen setzendes) Konstrukt. Die Klausur, und durch sie eine räumliche Anordnung der Konventsgemeinschaft, wurde mit der Ordnungsvorstellung der „zucht“ und einer Mehrung der geistlichen Güter, der klösterlichen Werte und Tugenden wie etwa Reinheit, gleichgesetzt. Dieses Konzept von Einschluss als Grundlage für die Akkumulierung und umgekehrt die Verhinderung einer „Verwüstung“ besagter Güter definierte die Klausur als räumlich-materielles Ordnungsprinzip, dem eine moralische, geistliche Ordnung inhärent war und das deren Gewährleistung sowohl sicherstellen als auch nach außen repräsentieren sollte. Die derart hervorgebrachte Umschließung ist als Grenze zugleich materiell als auch virtuell gedacht. Semantisch gleicht die Materialität des Klaustrums damit einer moralischen Barriere gegen die Versuchungen zur Abweichung von den Tugenden oder, ex negativo, zur Wiederherstellung der durcheinandergeratenen oder von potenzieller Un-Ordnung bedrohten Ordnung.⁸⁷ Die Ursachen des Niedergangs sah de Lare im Fehlen oder Nicht-mehr-Einhalten der Klausurbestimmungen und setzte daher die (Wieder‐)Herstellung der Ordnung als Fundament des Regelwerks ein, „auf das yr durch ein solchs wirdiglichen den künftigen zorn Gottes vnd ymer ewig leyden flyehen vnd mit der edeln mutter gottes Maria vnd den seligen junckfrawen sant Clarn vnd allen ausserwelten froͤ lichen mügen ein gen zu dem hochzeyt ewrs hoch gültigsten vnd adelichsten gesponßen Jesu Christo […].“⁸⁸ Sowohl die Güter als auch das System der Ordnung selbst wurden also von de Lare in der Dopplung physisch/materiell und geistig/imaginär verwendet. Beide brauchten (nicht allein) seiner Ansicht nach die Mauer, um nicht beschädigt oder gar ausgelöscht zu werden. Dabei war auch das Verständnis von Raum in die Dimensionen des Materiellen und des Imaginären aufgespalten, was sich mit Henri Lefebvre als Dimensionen des sozialen bzw. mentalen Raums beschreiben lässt.⁸⁹ Die (Ein- und An‐)Ordnung in und durch die Klausur war die zu erreichende Struktur, der sich eine Gemeinschaft unterzuordnen hatte, wollte sie ihren Zweck, die Vervollkommnung des Lebens in der Nachfolge Christi, erreichen. Dieses Gefüge war zugleich physisch sichtbar und geistig erfahrbar.
Zur Aufrechterhaltung der Ordnung und der Mehrung der geistlichen Güter Ziemlichkeit, Zucht, Behutsamkeit der Sitten, jedoch auch der grundlegenden Größen des Ordenslebens wie Gehorsam, Armut, Reinheit, ferner Gedächtnis und Verständnis (Haltung) sei die Klausur unabdingbar, so BrixStat, fol 33r: „der geist abnympt vnd geswecht, aber die welt gesterckt wirt, tugent sich myndert vnd laster, nemlich aigens willens waxet […].“ BrixStat, fol 68r. Vgl. Lefebvre, Production, 13 – 14. Zur Diskussion dieses Modells vgl. Kapitel III in diesem Band.
II.1 Die Klausurentwicklung in europäischen weiblichen Ordensgemeinschaften
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Das in den Brixener Statuten entwickelte Ordnungsmodell überführte die Kerngrößen des Ordenslebens wie Gehorsam, Armut, Reinheit, Gottesdienst und Schweigen in Praktiken, die die Klausur performativ erzeugten.⁹⁰ Für die Klausurstruktur kann die Ordnung in eins gesetzt werden mit der Raumstruktur, die sie hervorbrachte; dieser Raumstruktur entsprach wiederum die darin lebende und durch sie herausgebildete Gemeinschaft der observanten Schwestern. Die hier eingeforderte Ordnung kann mit der Formulierung Agambens vom Zusammenhang von Lebensform und Regel in der forma vitae als Raumstruktur verstanden werden.⁹¹ Die Regel repräsentierte dergestalt die nach ihr und zugleich in ihr lebende Gemeinschaft. Zugleich beinhaltete das hier entwickelte Modell der Ordnung auch die Semantik des Paradiesgartens von Umzäunung und Ummauerung eines fruchtbaren Gebiets zum Zwecke des Blühens und Wachsens durch friedlichen Einschluss und Abgrenzung nach außen. Diese Form des „Festungsparadieses“ bildete gegenüber einer als ungeordnet empfundenen Außenwelt in einer abgegrenzten, durch Zeichen und Praktiken sakralisierten Innenwelt einen anderen Ort, eine Heterotopie. ⁹² Die Praktiken der Klausur und der monastischen Lebensform überhaupt zielten darauf ab, den mentalen und den sozialen Raum in eins zu bringen. Auch die Chronik einer Pfullinger Klarisse beschreibt die Geschichte des Konvents von seiner Entstehung bis zur Observanz in Kategorien von Ordnung und Unordnung. So hätten verschiedene Ereignisse wie Kriege und Plünderungen mit drastisch negativen Folgen bis hin zur Ermordung von Menschen im Kreuzgang dazu geführt, die Klausur zu unterbrechen. Aus der daraus resultierenden Notlage, fehlender Versorgung und wegen durch die erlebte Furcht hervorgeru-
Zu den grundlegenden Größen des Ordenslebens vgl. die diesen entsprechenden einzelnen Stichworte in den Statutenkapitel, „gehorsam“, BrixStat, fol 34r – 41v, „armut“, BrixStat, fol 41v – 47r, „reinigkeit“, BrixStat, fol 47v – 53v, „goͤ tlich dienst“, BrixStat, fol 53v – 60r, „still vnd sweygen halten“, BrixStat, fol 60r – 68r. Vgl. Agamben, Armut, 89. Als Heterotopien begreift Foucault verwirklichte Utopien, in denen reale Orte „zugleich repräsentiert, in Frage gestellt und ins Gegenteil verkehrt werden. Es sind gleichsam Orte, die außerhalb aller Orte liegen, obwohl sie sich lokalisieren lassen.“ Michel Foucault, Von anderen Räumen. In Schriften. Defert et al. (Hg.), 2005, 931– 942, hier 935. Zur Bedeutung des Klosters für eine Kulturtheorie der Zitadellen, die konstitutiv für die Ordnung westlicher Gesellschaften sind – vom Kloster bis zum Einkaufspark –, vgl. Michael Hütt, Zwischen Festung und Paradiesgarten – Architekturen in Grenzbereichen. In „Nichts ist drinnen, nichts ist draußen: Denn was innen, das ist außen“. [Begleitbuch zum Ausstellungsprojekt des Museumsverbandes Baden-Württemberg], hg. von Museumsverband Baden-Württemberg e.V. Esslingen: Museumsverband Baden-Württemberg, 2002, 145 – 159, hier 145 – 150.
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II Die Klausur als räumliches Ordnungsprinzip monastischer Gemeinschaften
fenen Krankheiten habe man die Herkunftsfamilien der Schwestern um Unterstützung bitten müssen. Nur so sei es zur Akkumulierung von Eigenbesitz und damit zum allgemeinen Niedergang des Ordenslebens gekommen, der dann eine Reform erfordert habe.⁹³ Auch diese Darstellung ist geradezu stereotyp in der Abfolge der Ereignisse und ihrer Rechtfertigungsstrategie, gleichwohl bietet sie damit ein anschauliches Beispiel für die Verknüpfung von Klausur – spezifiziert durch Armut – und Ordnung (sowie Reichtum und Un-Ordnung).⁹⁴
II.2 Die Welt in der Klausur: Christus-Imago und geistliche Pilgerfahrt in der Klausur der Villinger Klarissen Die infolge der Observanzbewegung gesteigerte Schriftproduktion weiblicher Religioser begründete sich zum großen Teil darauf, sich über die eigene Lebensweise und deren neue Perspektiven Rechenschaft abzulegen und sich mit den eigenen Möglichkeiten innerhalb des Rahmens, der kirchenrechtlich und von den Ordensoberen für sie gesteckt war, auseinanderzusetzen.⁹⁵ Die Formulierung aus der Nürnberger Klarissenchronik aus der Reformzeit, man zeichne die eigene Chronik auf, um sich selbst zu regieren⁹⁶, verweist auf das Spektrum von Techniken – und Technologien des Selbst – für diese Aushandlungsprozesse. Inner-
„Und also yst ess in gebrochen, daz einer syner dochter, daz der ander siner bassen auch etwas, was in gut beduecht. Und also von grosser armut sint sye jn die eygenschaft kumen. Es wer nach vil da von zu schryben.“ PfullChron, fol 2rv. Zur Ordnung des Lebens durch die Rahmung der Klausur äußert sich auch die zweite Neujahrspredigt Ursula Haiders, die in der Villinger Chronik aus dem Jahr 1637/38 überliefert ist: „Und zue disem fensterlin sollen mir vil und oft hinuß sehen. Dardurch werden mir lehren, wie mir unser leben ortnen und anstöllen, dass mir auch seine ußerwölte kinder werden.“ Diese Chronik befindet sich im Klosterarchiv St. Ursula zu Villingen, Litt. BB 1. Zitiert wird hier und im Folgenden aus der Edition Juliana Ernst, Chronik des Bickenklosters zu Villingen 1238 bis 1614, Carl Jordan Glatz (Hg.) (Bibliothek des litterarischen Vereins in Stuttgart 151). Tübingen, 1881, im Folgenden abgekürzt als:VillChron [Seitenzahl Handschrift]/c [Kapitelnummer Edition], [Seitenzahl Edition]. Da diese Chronik sich in Entstehungszusammenhang und Berichtszeitraum grundlegend von den anderen in dieser Arbeit untersuchten Chroniken unterscheidet, erfolgt die Kontextualisierung dieser Quelle gesondert im aktuellen Kapitel. Das hier genannte Zitat findet sich in VillChron, fol 22b/c 18, 50 – 51. Werner Williams-Krapp versteht die enorme Verbreitung volkssprachlicher geistlicher Literatur im 15. Jahrhundert als Phänomen der Observanz, zurückzuführen auf die neue Einstellung der Orden zu gemeinschaftlicher und individueller Lektüre. Die überlieferten klösterlichen Handschriften stammten fast ausschließlich aus reformierten Klöstern, vgl. Williams-Krapp, Frauenmystik, 301. Vgl. Nürnberger Klarissenchronik, fol 42r, zitiert nach Schlotheuber, Bücher, 252.
II.2 Die Welt in der Klausur
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halb der bestehenden und durch die Reform neu geknüpften Netzwerke mit anderen Gemeinschaften wurden die eigenen Entwürfe und Auseinandersetzungen ausgetauscht und verbreitet.⁹⁷ Die Villinger Chronik/Chronik des Bickenklosters zu Villingen (VillChron) des Klarissenkonvents in Villingen im Schwarzwald ist als das Zeugnis einer solchen aktiven und schöpferischen Lebensgestaltung als Konvent der Observanz zu betrachten.⁹⁸ Sie geht auf das Wirken Ursula Haiders (1413 – 1498) als Reformäbtissin von Villingen zurück. Haiders Unterweisungen bezüglich des perfekten Klosters und des richtigen Klosterlebens unter Beachtung der als „ursprünglich“ erachteten Ordensregel brachten ein Konzept von Klausur hervor, das den Raum des Klosters als Imagination des Körpers Jesu Christi vermaß und ihn zugleich als eine Landkarte der Heilsgeschichte auswies. Unter diesen beiden Aspekten wurde der Klausurraum als Ressource für eine aktive Form der Christusnachfolge produktiv gemacht. Die imitatio Christi stellt(e) sich hier als ein Setting von raumbezogenen und raumproduzierenden Praktiken für die Aneignung von Welt, das Ausleben von Frömmigkeit und die Gestaltung des Lebens nach der Ordensregel dar. Auch in der textlichen Ausgestaltung, der die verschiedenen Bereiche des täglichen Konventslebens und die regelkonformen Praktiken der Lebensführung eingeschrieben wurden, wurden der Körper Christi und die Heilsgeschichte in räumlichen Konfigurationen erfasst. In diesem Abschnitt wird das semantische Feld des Klausurraums am Beispiel der Villinger Chronik rekonstruiert. Die Geschichte der Klarissen des sogenannten Bickenklosters oder Klosters am Bickentor in Villingen ist in erster Linie durch die Überlieferungen des Engagements zweier Äbtissinnen nachvollziehbar geworden: der bereits eben erwähnten Reformerin und Gründerin des Konvents, Ursula Haider, und der Verfasserin und Schreiberin der Chronik des Klosters von seiner Gründung bis ins 17. Jahrhundert, Juliana Ernstin (1589 – 1665; Äbtissin seit 1655). Haider wurde 1413 in Leutkirch in Schwaben in eine bürgerliche Familie hineingeboren und verlor noch als Kleinkind ihre Eltern.⁹⁹ Nach der Ausbildung bei der Franziskaner-Terziarin Elisabeth So etwa in der Gemeinschaftsfreundschaft zwischen den Klarissen in Villingen und dem Kloster Paradies im Kanton Thurgau bei Konstanz und auch ordensübergreifend im Kontakt zwischen der Villinger Äbtissin Ursula Haider und Angela Varnbühler, Priorin des Dominikanerinnenkonvents in Sankt Gallen, vgl. Undine Brückner, Freundschaft zwischen Nonnen. Oxford German Studies 36: 2 (2007), 195 – 211, hier 203 – 204. VillChron, vgl. Anm. 452. Zur Biografie Ursula Haiders in diesem Abschnitt vgl. Hildegard Rech, Äbtissin Ursula Haider, *1413 – 1498. Ein Beitrag zur Heimatgeschichte von Villingen. Nach einer alten Hs. von M. Hildegard Rech. Mit einem Geleitw. von L. Bopp. Villingen: Wiebelt, 1937; Siegfried Ringler, Art. Haider, Ursula. In Die deutsche Literatur des Mittelalters. Verfasserlexikon. Bd. 3, hg. von Wolfgang Stammler, Kurt Ruh, Karl Langosch (et al.). (Veröffentlichungen der Kommission für Deutsche
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II Die Klausur als räumliches Ordnungsprinzip monastischer Gemeinschaften
Achler von Reute in der Klause Reute bei Waldsee trat sie als Achtzehnjährige in das Klarissenkloster Valduna in Vorarlberg ein. Sie hatte, so berichtet es die Villinger Chronik, das Kloster aktiv bzw. selbst auswählen dürfen und sich dafür mit anderen Frauen zusammen auf eine Reise begeben, um verschiedene Häuser kennenzulernen.¹⁰⁰ In Valduna, einem klausurierten Klarissenkloster, wurde sie sechsunddreißig Jahre nach ihrer Profess zur Äbtissin gewählt. 1480 erhielt Haider von Heinrich Karrer, der als Provinzial der Straßburger Franziskaner von Papst Sixtus IV. im November 1479 mit der Observanz der weiblichen Klöster in der Provinz beauftragt worden war, die Anordnung, das bestehende Frauenkloster in Villingen zu einem observanten Klarissenkloster umzuformen.¹⁰¹ Ursula Haider trat zusammen mit sieben weiteren Schwestern und zwei Laienschwestern am 18. April 1480 die Reise von etwa hundertsechzig Kilometern von Valduna nach Villingen an.¹⁰² Die Schwestern legten unterwegs mehrere Zwischenstationen ein, unter anderem bei Verwandten einer der Schwestern in Konstanz und bei den Klarissen im Kloster Paradies im Kanton Thurgau, wo sie innerhalb der Klausur übernachteten, mit den dortigen Schwestern zusammen das Chorgebet verrichteten und sich der Mahlsgemeinschaft anschlossen. In Villingen eingetroffen, kamen die Schwestern zunächst im Haus eines Bürgers unter. Der Franziskanerprovinzial Heinrich Karrer lud sie anschließend zu einer Besichtigung des örtlichen Franziskanerkonvents ein und zeigte ihnen das Haus, die Bibliothek
Literatur des Mittelalters der Bayerischen Akademie der Wissenschaften). Berlin: de Gruyter, 1981, Sp. 399 – 403; Friedrich Wilhelm Bautz, Art. Haider, Ursula. In Biographisch-Bibliographisches Kirchenlexikon. Bd. 2: Faustus von Mileve bis Jeanne d’Arc, hg. von Friedrich Wilhelm Bautz. Herzberg: Bautz, 1990, Sp. 478 – 479. Sämtliche Darstellungen zur Biografie Haiders stützen sich dabei überwiegend auf die Angaben in der Chronik selbst. VillChron fol 5b/c 6, 16. Vgl. Edith Boewe-Koob, Das Kloster Sankt Clara am Bickentor zu Villingen. In Villingen und Schwenningen. Geschichte und Kultur, hg. von Heinrich Maulhardt. (Veröffentlichungen des Stadtarchivs und der Städtischen Museen 15). Villingen-Schwenningen: Kuhn, 1998, 171– 194, hier 174. Das Villinger Kloster war in den 1230er-Jahren als zisterziensische Gemeinschaft gegründet und 1268 als Drittordensgemeinschaft und „Seelenschwestersammlung“ ohne Klausur in das Stadtinnere verlegt worden.Vgl. Johannes Gatz, Einleitung. In Chronik. Glatz (Hg.), 1881, 1– 8, hier 1. Zur Geschichte des Villinger Konvents vgl. auch Gabriele Loes, Villingen. Klarissen-Kloster. Alemannia Franciscana Antiqua 3 (1957), 45 – 76; Günter Stegmaier, Zur Frühgeschichte der Villinger Frauenklöster und ihrer Topographie. In Villingen und die Westbaar, hg. von Wolfgang Müller. (Veröffentlichungen des Alemannischen Instituts Freiburg im Breisgau 32). Bühl (Baden): Verlag Konkordia, 1972, 155 – 174 (zur Sammlung vgl. ebd., 160). Der Ablauf der Reise und die Ankunft in Villingen sind ebenfalls in der Klosterchronik überliefert, vgl. dazu hier und im Folgenden VillChron fol 11b – 14a/c 12– 13, 27– 33.
II.2 Die Welt in der Klausur
129
sowie den Klosterschatz.¹⁰³ Am 29. April 1480 geleitete Karrer die Schwestern in einer Prozession, gefolgt vom Stadtrat und mehreren Bürger:innen, in das Kloster St. Klara am Bickentor, einem Gebäude längs der Stadtmauer. Nach einer Andacht in der Klosterkirche wurden die Schwestern in die Klausur eingeschlossen und bekamen eine Abschrift der Regel der Hl. Klara bzw. der Urban-Regel überreicht, die von der Hand der Äbtissin zu jeder einzelnen Schwester und wieder zurück zur Äbtissin gegeben wurde.¹⁰⁴ Der physische Kontakt zwischen der Regel und den Körpern der Schwestern und das Betreten der Klausur manifestierten den Beginn des Konventslebens als Schwestern der Hl. Klara in Villingen. Die sieben Schwestern, die bislang in Villingen gelebt hatten, wurden vor die Wahl gestellt, sich dem neuen Konvent anzuschließen oder das Kloster zu verlassen. Nach einer Probezeit verließen schließlich sechs der Schwestern die Gemeinschaft, nur eine und zugleich die jüngste Schwester, Magdalena Wagner, erklärte sich bereit, die Regel anzunehmen.¹⁰⁵ Der Konvent startete somit in fast vollständig neuer Besetzung in die Lebensform unter Beachtung der Regula secunda, in strenger Klausur und in Ordenskleidern. Für das Funktionieren des Klosterlebens waren außerdem Umbauten am Haus erforderlich, das offenbar auf ein eher weltliches und zudem wenig komfortables Leben ausgerichtet war und in einem schlechten Zustand vorgefunden wurde: Das Haus in Villingen wies eine nur sehr kleine Kapelle auf, es besaß weder ein Dormitorium noch einen Speisesaal. Die Zimmer waren, so beschreibt es die Chronik, eng, dunkel und schlecht belüftet, also offenbar mit nur wenigen Fenstern ausgestattet.¹⁰⁶ Haider beauftragte und überwachte die erforderlichen Bautätigkeiten. Über einen Zeitraum von acht Jahren wurde zunächst eine „ringmaur“¹⁰⁷ um die Klosteranlage
VillChron fol 13b/c 13, 31. Offenbar wurde den Schwestern in dieser besonderen Situation der Gastfreundschaft sogar das Betreten der Klausurräume der Franziskaner erlaubt: „[…] füerte sie auch mit vil anderen ersamen frauen der statt in sein wolgeortnets, schen, zierlich closter und ließe solches allenthalben durchgehn nach ihrem gefallen.“ VillChron fol 13b/c 13, 32. Vgl. VillChron fol 14a/c 13, 33. Die Villinger Klarissen lebten nach der von Urban IV. 1263 bestätigten Regel der Hl. Klara (Urban-Regel). Im Besitz des Konvents befand sich eine Abschrift der Urban-Regel, die David Brett-Evans als deren „Urübersetzung“ ins Deutsche rekonstruiert hat und die unter Add. Ms. 15686 im Bestand des British Museum in London verzeichnet ist, vgl. Brett-Evans, Diu regel. Brett-Evans diskutiert die nicht eindeutige Datierung dieser Quelle, die jedoch sehr wahrscheinlich vor der Reform in Villingen 1480 entstanden sei und dadurch nicht identisch mit der in der Villinger Chronik beschriebenen Handschrift sein könne, vgl. ebd., 138 – 139. Vgl. VillChron fol 14a – b/c 14, 33 – 34. mit namentlicher Nennung der „alten frauen, die zue vor in der samlung waren gewessen“, VillChron fol 14a/c 14, 33. Zur Zustandsbeschreibung des Hauses vgl. VillChron fol 16a/c 15, 37. VillChron fol 15b/c 15, 36.
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II Die Klausur als räumliches Ordnungsprinzip monastischer Gemeinschaften
errichtet, gefolgt von einer Krankenstube, einem Kreuzgang und dem Umbau der Kirche.¹⁰⁸ Mit der baulichen Einrichtung konnten auch Novizinnen aufgenommen werden, was wiederum den gemeinschaftlichen Besitz des Konvents vergrößerte. Ursula Haider wurde von Zeitgenoss:innen und Nachkommen als „gaistliche Baumeisterin“¹⁰⁹ des Konvents bezeichnet, die das Leben des Klosters sowohl in materieller als auch ideeller Hinsicht geformt habe. Neben dem physischmateriellen Aufbau des neuen Konvents gestaltete sie die Lebensweise ihrer Gemeinschaft als observante Klarissen durch ihre predigende und lehrende Tätigkeit aktiv mit.¹¹⁰ So legte sie, wie es die Reformbewegung auch vorsah, besonderen Wert auf die Ausbildung der Novizinnen und auf die fortwährende geistige Unterweisung ihrer Schwestern. Ihre umfangreiche Bildung umfasste die Kenntnis ordensübergreifender Texte. Neben der Mystik des 14. Jahrhunderts von Autoren wie Heinrich Suso (Seuse), Johannes Tauler und Meister Eckhart gehörten dazu auch franziskanische Texte zur Meditation.¹¹¹ Haider verfasste selbst mehrere Texte, die sich in der Tradition spätmittelalterlicher Mystik mit der Lebensform in der Nachfolge Christi auseinandersetzten, beispielsweise die Verschriftlichung ihrer Neujahrsansprachen für 1495 und 1496 an ihren Konvent.¹¹² Das schriftliche Werk Haiders ist jedoch weder im Ori-
Vgl.VillChron fol 16a/c 15, 37. 1484 wurden in der renovierten Kirche vier Altäre geweiht, vgl. Boewe-Koob, Kloster, 178. Anfang des 17. Jahrhunderts wurde das Kloster nochmals erweitert. Die erhaltene künstlerische Ausstattung der Kirche datiert auf das 17. und 18. Jahrhundert, vgl. ebd., 184. VillChron fol 39b/c 32, 90. Zur Predigttätigkeit von Ursula Haider und weiteren weiblichen franziskanischen Religiosen im Spätmittelalter vgl. Bert Roest, Female Preaching in the Late Medieval Franciscan Tradition. Franciscan Studies 62 (2004), 119 – 154, hier 143 ff. Roest verortet das Wirken dieser weiblichen Religiosen des Ordens zwischen zwei Polen des gelehrten franziskanischen Diskurses im Spätmittelalter: dem Predigtverbot für weibliche Personen, das auf das misogyne patristische Dogma der angeblich fehlenden weiblichen Befähigung zur Gelehrsamkeit zurückging, und der im Spätmittelalter konstatierten qualitativ „höheren“ Frömmigkeit weiblicher Religioser im praktischen Verhalten; zwei Pole des Diskursspektrums, innerhalb dessen Rahmens die Handlungsspielräume für eine intellektuelle Auseinandersetzung mit den religiösen Inhalten zu verorten sind, vgl. ebd., 123 – 127. Zur Rezeption mystischer Texte in Haiders Werk vgl. ebd., S. 145, sowie Marie-Luise Ehrenschwendtner, Jerusalem behind Walls. Enclosure, Substitute Pilgrimage, and Imagined Space in the Poor Clares’ Convent at Villingen. The Mediaeval Journal 3: 2 (2013), 1– 38, hier 17. Werner Williams-Krapp versteht die „hagiografische Verklärung“ Haiders als Anerkennung ihres Wirkens als Mystikerin im Sinne der Reform, vgl. Williams-Krapp, Frauenmystik, 310 – 311. Diese Mystikerinnen der Reform hätten im Gegensatz zu jenen im 14. Jahrhundert nicht nur weniger Anerkennung gefunden, sondern auch weit weniger Handlungsspielräume gehabt. Aus-
II.2 Die Welt in der Klausur
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ginal noch als Abschriften überliefert und liegt ausschließlich in verarbeiteter Form vor, nämlich in der Villinger Chronik. Bei dieser Schrift handelt es sich um die historiografische Arbeit der Schreiberin und späteren Äbtissin Juliana Ernstin, die 1637/38 unter Einbeziehung von Haiders Werk sowie verschiedener weiterer überlieferter Quellen – darunter Urkunden, Berichte über die Reform, eine Vita und weitere biografische Notizen zum Leben Ursula Haiders sowie Berichte von Zeitzeug:innen – die Geschichte des Klosters von seiner Gründung 1480 bis zum Jahr 1614 aufzeichnete.¹¹³ Ernstin bezeugte dabei, dass ihr Haiders Texte vorgelegen und sie diese zum Teil wörtlich in den Gesamttext übernommen habe: „Will auch solches von wort zue wort hernach sezen, damit es an das liecht kume, mich und andere ihre nachfolgente kinder in dem geist zue ermunderen und zue liebe gegen gott und ihro uf zue wecken.“¹¹⁴ Die Villinger Chronik verortet die Qualität und die besondere Stellung des Konvents im Zusammenhang mit der Leistung seiner ersten Äbtissin und Gründerin Ursula Haider und stellt somit zum größten Teil eine Geschichte von deren Leben und Werk dar.¹¹⁵ Durch die Aufnahme von Haiders Schriften in den Chroniktext und den historiografischen Verweis Ernstins auf die Autorinnenschaft Haiders wird es möglich, einen Zugang zu Haiders Konzeption des idealen Klarissenlebens im ausgehenden 15. Jahrhundert zu gewinnen und den von ihr erdachten Zusammenhang zwischen der Lebensform und Konzepten des Klausurraums zu rekonstruieren. Die Raumkonzepte der Villinger Chronik für die Klausur sind durch zwei thematische Aspekte charakterisiert: Erstens beschreibt der Text den Raum der Klausur als Tempel und Christus-Imago, also als den Körper Jesu Christi mit seinen Stigmata als Zeichen der Passion in all ihren Manifestationen (erste Neujahrsansprache Ursula Haiders). Zweitens beinhaltet der Chroniktext Anweisungen zu geistlichen Übungen, die den Raum der Klausur in verschiedene imaginäre Zellen strukturieren bzw. aufteilen, in denen sich jede Schwester zu den entsprechenden Tageszeiten aufzuhalten habe (zweite Neujahrsansprache). Diese gehend von dieser letztlich einschränkenden Perspektive setzt Stefanie Monika Neidhardts Forschungsdesign an, die im Rahmen der Normen evozierten Handlungsweisen der observanten weiblichen Ordensmitglieder in ihrer Eigenständigkeit zu untersuchen, vgl. Neidhardt, Autonomie, 390 – 391. Vgl. Ringler, Art, Sp. 400. VillChron fol 42b/c 33, 97. Charlotte Woodford verweist auf die Nähe von Ernstins Chronik zur literarischen Tradition der spätmittelalterlichen Schwesternviten, die in den einzelnen Leben das Ideale für den Konvent herauszustellen suchten, betont jedoch zugleich die Eigenständigkeit der Chronik als historiografisches Produkt ihrer Zeit, vgl. Woodford, Nuns, Kapitel „Historiography during the Thirty Years’ War: The writings of Juliana Ernst and Elisabeth Herold“, 144– 184, hier S. 155 und 149 – 150.
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II Die Klausur als räumliches Ordnungsprinzip monastischer Gemeinschaften
Zellenräume werden wiederum innerhalb der Topografie der Heilsgeschichte verortet und repräsentieren Teile der „heiligen“ Landschaft der Stadt Jerusalem und ihrer Umgebung. Diese Verknüpfung der Zellenräume mit den Orten der Heilsgeschichte korrespondierte in der realen Welt wiederum mit dem Engagement Ursula Haiders, für ihren Konvent päpstliche Ablassbriefe für die wichtigsten Pilgerstätten, vor allem in Rom und Jerusalem, zu erhalten und diese innerhalb des Klausurgebäudes – stellvertretend für eine tatsächliche Pilgerfahrt – geistlich-symbolisch einzurichten. Haiders Entwurf, die Klausur als dynamische Überlagerung von Räumen zu konzipieren, in denen sich die Heilsgeschichte zugleich separat für jede einzelne Schwester und in einem gemeinsam geteilten Erfahrungsraum erleben lassen sollte, repräsentiert damit die Möglichkeit der angemessenen Christusnachfolge in größtmöglicher räumlicher Ausdehnung bei zugleich begrenzten physischen Bedingungen. Diese Klausurraumproduktion von Räumen einzelnen und gemeinsamen Erlebens ist vor dem Hintergrund von franziskanischen (Raum‐)Konzepten des Selbst zu erschließen, die mit der Entwicklung gebauter Klausurräume im Verlauf des Spätmittelalters verzahnt waren. Zugleich steht die Chronikerzählung mit den darin verarbeiteten Predigten in der Tradition mittelalterlicher Meditationen, die den literarischen Raum mit Metaphern aus dem Bereich der Architektur ausgestalteten und selbst wiederum in einem intermedialen Bezug zu bildlichen Darstellungen von Architektur standen. Die Dimension der Technik der medialen Raumproduktion wurde hierbei außerdem noch um die Sphäre des kartografischen Schreibens erweitert, die sich um 1500 mit der Entstehung neuer Formen von Landkarten bzw. der sich verändernden Darstellung der Welt-Ordnung entwickelte.
II.2.1 Christus-Imaginationen in der Klausur: Tempel, Wohnung und Zelle im Tempel des Leibes Christi Bereits für die Valduner Zeit von Ursula Haider ist in der Chronik vermerkt, sie habe mit ihrem Eintritt in die Gemeinschaft ihr Leben dort gestaltet, indem sie „nach art der turteldauben machte ihr zeel in die stainrützen und fölsen, nemlich in die hailigen fünf wunden.“¹¹⁶ Diese Formulierung zitiert eine Passage aus der 61. Hoheliedpredigt des Zisterziensers Bernhard von Clairvaux, der darin eine Textstelle aus dem Hohelied (Hld 2,14) über die Taube in den Felsenhöhlen in Verbindung mit dem Körper Christi setzte und dadurch die unio mystica, die Vereinigung der Seele mit Gott, als ein Leitmotiv hoch- und spätmittelalterlicher
VillChron fol 7a/c 7, 19.
II.2 Die Welt in der Klausur
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Frömmigkeit generierte.¹¹⁷ Die Wunden Christi erreichten im Verlauf des Spätmittelalters eine gesteigerte Aufmerksamkeit als Thema der mystischen Textproduktion und avancierten schließlich gar zum zentralen Topos der spätmittelalterlichen und insbesondere franziskanischen Passionsfrömmigkeit.¹¹⁸ Das weithin ausgestaltete mystische Motiv, die Wohnung in den Wunden Christi zu nehmen, wurde auch von Haider/Ernstin in der Villinger Chronik aufgegriffen und an den Ort der Klosterzelle gebunden.¹¹⁹ Ursula Haider entwickelte dieses Motiv in der Neujahrsansprache an ihre Gemeinschaft für 1495 zu einem Raumkonzept für die gesamte Klausur weiter. Sie präsentierte ihren Schwestern ein Geschenk, das sie während einer Wanderung durch „das ganze gnadtreich Jerusalem und alle hailige ort“ auf einem Markt erstanden habe. Dabei handele es sich um „einen gar schenen tempel“, den sie einem Kaufmann abgekauft habe, um ihn „uf den Schwarzwaldt in mein finster krankenstiblin“ zu bringen.¹²⁰ Dieser Tempel sei eine einzigartige Kostbarkeit, vergoldet und mit Edelsteinen verziert, außerdem mit fünf großen Kapellen und insgesamt sechstausendsechshundertsechsundsechzig Altären ausgestattet, alle vom Papst geweiht und mit Ablässen versehen. Allein der Chor des Tempels beinhalte über tausend Altäre und mitten im Raum einen Karfunkelstein, dessen Licht den gesamten Tempel von Altar zu Altar erleuchte.¹²¹ Es handele sich bei diesem Gebäude um nichts Geringeres als den „allerheiligsten [leib] unsers herren Jesu Christe“; seine Bauteile repräsentierten dessen verschiedene, durch Wunder- (und Wund‐)Zeichen gekennzeichnete Körperteile.¹²² So bilde der Chor das Haupt mit den eintausend Wunden der Dornenkrone, die als Altäre fungierten. Der Karfunkelstein inmitten des Chores verweise auf die göttliche Lehre aus dem Mund Christi, der nachzufolgen sei.¹²³ Die fünf Kapellen repräsentierten
„Meine Taube in den Felsklüften, im Versteck der Klippe, dein Gesicht lass mich sehen, deine Stimme hören! Denn süß ist deine Stimme, lieblich dein Gesicht.“ Hld 2,14. Zu diesem Aspekt der Brautmystik bei Bernhard vgl. Kurt Ruh, Geschichte der abendländischen Mystik. Bd. 1: Die Grundlegung durch die Kirchenväter und die Mönchstheologie des 12. Jahrhunderts. 2. Aufl. München: C. H. Beck, 2001, 258. Vgl. Arnold Angenendt, Grundformen der Frömmigkeit im Mittelalter (Enzyklopädie deutscher Geschichte 68). München: de Gruyter, 2010, 100 – 101. Zu ihren Vertreter:innen zählen insbesondere Franziskus und Klara von Assisi sowie auch der Dominikaner Heinrich Suso (Seuse). Diese Formulierung geht sehr wahrscheinlich auf die Verfasserin Juliana Ernstin zurück, die die entsprechende Episode der Neujahrsansprache Haiders für das Jahr 1495 voranstellte, vgl. VillChron fol 7a/c 7, 19. Vgl. VillChron fol 19a – b/c 18, 44. Vgl. VillChron fol 19b – 20a/c 18, 44– 45. Vgl. VillChron fol 20a/c 18, 45. Vgl. VillChron fol 20b/c 18, 46.
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II Die Klausur als räumliches Ordnungsprinzip monastischer Gemeinschaften
die „hailigen fünf wunden“, „die fünf allerclaresten liebzeichen Christi“.¹²⁴ Die jeweiligen Altäre innerhalb dieser Kapellen seien von den unzähligen Wunden des gemarterten Leibes Christi überzogen.¹²⁵ Der Tempel sei so angelegt, dass alle Schwestern darin so oft und so lange wie möglich umhergehen und Andacht in den Kapellen und vor den Altären halten möchten. Eine jede könne sich nach ihrem Belieben eine Kapelle oder einen Altar für sich auserwählen. Der Tempel gehöre allen gemeinsam, da es sich um den „blutbreitigam“ Christus handele, mit dem alle gleichermaßen durch das Gelübde verbunden seien.¹²⁶ In dieser Predigt errichtete Ursula Haider im Raum der Klausur das Gebäude eines Tempels, der die Gestalt des Körpers Jesu Christi bezeichnet. In diesem sollten sich die Schwestern zeitlich unbegrenzt aufhalten und ihre Wohnung darin nehmen können. Diese Raumkonstruktion wird im Text in zwei Modi aufgebaut. Zunächst wird die Anlage des Tempels mit den enthaltenen Ortsbeziehungen beschrieben. Auf die Lagebeziehungen innerhalb des Tempels verweisen Markierungen wie „obnen in dem chor des tempels“ und „[in] mitten im chor“.¹²⁷ Zugleich werden bereits erfolgte sowie zukünftig auszuführende Handlungen angegeben. So sei die Äbtissin selbst den gesamten Tempel abgelaufen, um alle sechstausendsechshundertsechsundsechzig Altäre in den Chören und Kapellen abzuzählen.¹²⁸ Die reichhaltige Ausstattung des dargestellten Tempels mit Altären verweist einerseits natürlich auf die Weitläufigkeit der Tempelanlage (die UnErmesslichkeit Christi), zugleich außerdem auf die große Frömmigkeit und den Zustand der Gnade bzw. Auserwähltheit des Konvents, dem seine Äbtissin ein solches Geschenk übergeben kann. Das Licht des Karfunkelsteins inmitten des Tempels wird als göttliche Lehre und Wegweiser beschrieben, „dadurch mir gewissen und gefürt werden von einer capel und altar zue dem anderen […].“¹²⁹ Die Bewegung innerhalb des Tempels wird somit zu einer, die dem Licht der göttlichen Lehre, dem Licht des Evangeliums, nachfolgt. Dieses Licht führe die Schwestern „von einer capel, ja von einer wunden zu der anderen […].“¹³⁰ Als weitere Handlungsanweisung beauftragte Haider die Schwestern, sie sollten die
Vgl. VillChron fol 20b/c 18, 46. Vgl. VillChron fol 20b/c 18, 46. Vgl. VillChron fol 21a/c 18, 47. Vgl. VillChron fol 19b/c 18, 45; VillChron fol 20a/c 18, 45. Vgl. VillChron fol 20a/c 18, 45. VillChron fol 20b/c 18, 46. VillChron fol 20b/c 18, 46.
II.2 Die Welt in der Klausur
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fünf Kapellen des Tempels, die die Wunden Christi verkörperten, „oft andechtig [heimsuechen] und herzlich [ehren] […].“¹³¹ Diese Predigt Haiders zeigt eine räumliche Repräsentation der Klausur, in die der Körper Jesu Christi in Gestalt der Architektur eines Tempels eingelassen ist (und umgekehrt). Dabei handelt es sich um ein seit dem Hochmittelalter verbreitetes Sujet in Meditationstexten, in denen architektonische Arrangements auch entwickelt wurden, um die Bewegung der Seele anhand von heils- und frömmigkeitsgeschichtlichen Inhalten zu evozieren. Diese Architekturallegorien basierten auf einem antiken Verständnis der Seele, die für ihre andachtssuchende Bewegung – die man sich ebenfalls räumlich verfasst vorstellte, nämlich innerhalb des Leibes als ihres Gefäßes – auf Erinnerungstechniken angewiesen sei.¹³² Diesen Techniken dienten die Architekturmetaphern als feste Strukturen, imaginär-reale Räume, in denen die Seele wie ein Avatar, ein virtueller Stellvertreter, auf Wanderung geschickt wurde.¹³³ Gehäuft sind in diesem Zusammenhang Darstellungen von Jesus Christus oder der Gottesmutter Maria in Gestalt von Gebäuden – wie dem eben angeführten Tempel Haiders – anzutreffen. Seit dem Hochmittelalter entwickelten sich die Architekturmetaphern in zahlreichen Formen und Ausgestaltungen und erreichten im Spätmittelalter einen Höhepunkt in einer Vielfalt architektonisch-literarischer Repräsentation.¹³⁴ Die Architekturallegorien in den Texten standen in einem produktiven Wechselverhältnis mit der gemalten Architektur in den Illuminationen von Handschriften und Stundenbüchern, insofern man davon ausgehen kann, dass die Darstellungen in ihren Details in den jeweiligen Medien aufeinander Bezug nahmen und sich in Abhängigkeit voneinander entwickelten.¹³⁵
VillChron fol 20b/c 18, 46. Vgl. Cornelia Logemann, Baupläne der Andacht. Meditative Architekturen in der nordalpinen Manuskriptkultur des Spätmittelalters. In Orte der Imagination – Räume des Affekts. Die mediale Formierung des Sakralen, hg. von Elke Koch, Heike Schlie. Paderborn: Fink, 2016, 253 – 277, hier 269. Zum architektonischen Schreiben in Spätmittelalter und Renaissance vgl. ausführlich David Cowling, Building the Text. Architecture as Metaphor in Late Medieval and Early Modern France (Oxford Modern Languages and Literature Monographs). Oxford: Clarendon Press, 1998; zur Metaphorik des Körpers in Begriffen der Architektur in diversen Erscheinungsformen vgl. vor allem die ersten beiden Kapitel der Studie, „‚Il n’y a plus nobles logiz que sont cons‘: The Body as Building (1)“ und „‚Ung lieu de si grand seureté‘: The Body as Building (2)“, ebd., 23 – 82. Die Bezeichnung der Seele als „Avatar“ in den imaginären Gebäuden findet sich bei Logemann, Baupläne, 268. Vgl. Logemann, Baupläne, 261, zu einem Forschungsüberblick zur literarischen Architekturmetaphorik. Vgl. Logemann, Baupläne, 269 – 270. Logemann folgt der These, die künstlerischen Neuerungen der Malerei bezüglich Darstellung und Perspektive des Räumlichen seien auf die
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II Die Klausur als räumliches Ordnungsprinzip monastischer Gemeinschaften
Die eben beschriebene Ausgestaltung der Klausur in der Villinger Chronik ist vor dem Hintergrund dieser literarischen Entwicklung und ihrer Rezeption in den Frömmigkeitspraktiken des Spätmittelalters zu bewerten. Die Architekturmetapher des Tempels mit seinen sechshundertsechsundsechzig Altären ist als Teilaspekt einer perfekten Anleitung für das meditative Versenken in der Tradition der Christusnachfolge konzipiert. Zugleich eröffnet diese Neujahrspredigt Haiders eine erweiterte Perspektive im Hinblick auf die Raumkonstitution und deren intermediale Bezugnahmen. Mit der Beschreibung der ChristuskörperTempelanlage durch Lagebeziehungen als Raumordnung sind zugleich Wegbeschreibungen verknüpft, die als Handlungsanweisungen und Bewegungsanleitungen dienen. Das Nebeneinander dieser beiden Modi kann zunächst mit der Konzeption der Raumaneignung von Michel de Certeau erfasst werden, die raumordnungsabbildende Lagebeschreibungen als Karte (carte) von raumerzeugenden Handlungsanweisungen als Wegstrecke (parcours) abgrenzt.¹³⁶ Im Spätmittelalter fänden sich, so de Certeau, gehäuft Darstellungen des Raumes in Form von parcours, zu denen langsam auch cartes getreten seien. Daher sei für das ausgehende 15. Jahrhundert die Repräsentation von Raum in literarischen Texten als eine Verschachtelung von Karten und Wegstrecken anzusehen, was eine Verflechtung des Sehens als Erkennen einer Raumordnung (Karte) und der Bewegung als raumkonstituierender Praktik (Wegstrecke) impliziere.¹³⁷ Im Laufe der Frühen Neuzeit sei die Raumerzählung dann nach und nach von Kartendarstellungen dominiert worden, die schließlich die Darstellungen von und als Bewegung abgelöst hätten.¹³⁸ In seiner Habilitationsschrift über Karten als „historisches mediales Dispositiv“ der Konstitution von Raum setzt der Romanist Jörg Dünne der zum Paradigma gewordenen These de Certeaus von der Genealogie textlicher Raumrepräsentation als Verdrängung der Wegstrecken- durch Kartenbeschreibungen eine Perspektive entgegen, die nicht von einem Entweder-oder (parcours oder cartes) ausgeht, sondern die Produktivität beider Darstellungsmodi füreinander fokussiert. So könne sowohl eine Karte Wegstrecken erzeugen als auch eine Wegstreckenbeschreibung zur Erstellung einer Karte führen.¹³⁹ Dünnes Ansatz
Entwicklung der Meditationspraktiken zurückzuführen, vgl. ebd. Zur Wechselbeziehung von architektonischem Schreiben und architektonischer Praxis vgl. auch Cowling, Building, 1– 2. Vgl. Michel de Certeau, Kunst des Handelns. Berlin: Merve, 1988, 221. Vgl. Certeau, Kunst, 223. Vgl. dazu auch Marian Füssel, Tote Orte und gelebte Räume. Zur Raumtheorie von Michel de Certeau S. J. In Space. Dorsch et al. (Hg.), 2013, 22– 39, hier 34. Vgl. Jörg Dünne, Die kartographische Imagination. Erinnern, Erzählen und Fingieren in der Frühen Neuzeit (Periplous. Münchener Studien zur Literaturwissenschaft). Paderborn: Fink, 2011, 181.
II.2 Die Welt in der Klausur
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versteht sich als Projekt, die Dichotomie von sozialkonstruktivistischen und geodeterministischen Ansätzen in der Forschung zum Raum zu überwinden, indem er stattdessen eine (inter‐)mediale Perspektive auf die Konstitution von Raum einnimmt, um „Territorialität und Zeichenhaftigkeit der Raumkonstitution in einer grundlegenden Theorie der Medialität von Raum miteinander zu verknüpfen.“¹⁴⁰ Das Verständnis von Raumkonstitution als doppelte Artikulation gestisch‐technischer und sprachlich-symbolischer Operationen erlaube es, sowohl Praktiken in ihrem diskursiven Gehalt wie auch die Adressierung materieller Raumbestandteile zu erfassen.¹⁴¹ Damit ließen sich Dichotomien von Diskurs vs. Materialität und Subjektivität vs. physisch-materielle „Realität“/Territorialität zurückweisen. Dünne erschließt durch seine intermediale Perspektive die „Funktion von Karten für die Genese von Erzähltexten“ und beschreibt dadurch Erzählstrukturen in ihrer räumlichen Verfasstheit.¹⁴² Die Raumkonstitution in der Villinger Chronik zeigt in ihrer Beschreibung der Klausur als Tempel bzw. Gestalt des Christuskörpers in den Text eingelassene raumerzeugende und raumordnungskonstituierende Praktiken, die das Ideal der Christusnachfolge verräumlichen und in nachvollziehbare Bilder und Bewegungsabläufe zerlegen. Die Beschreibung der Lagebeziehungen innerhalb der Klausur-Tempelanlage liefert einen Hinweis auf intermediale kartografische Bezüge. Dies wird auch in der folgenden Präsentation einer weiteren imaginären Raumkonstitution deutlich, die Ursula Haider in der Neujahrsansprache für das Folgejahr 1496 entwarf und die im Chroniktext direkt im Anschluss platziert ist.¹⁴³ In der Semantik von Klausur und Pilgerschaft wird dort eine Raumaneignung aus der Klausur heraus entwickelt, die Hinweise auf das Einfließen intermedialer kartografischer Bezugnahmen in das klösterliche Schreiben liefert.
Dünne, Imagination, 19. Vgl. Dünne, Imagination, 20. Der Terminus „doppelte Artikulation“ geht hier auf die von Gilles Deleuze und Félix Guattari entworfene Theorie der Medialität von Raum in Tausend Plateaus zurück. Darin plädieren sie laut Jörg Dünne „für eine Gleichursprünglichkeit von semiotischen Raum-Bezeichnungen und territorialen Raum-Beherrschungen, von Raum-Ordnung und Ortung […] und [bauen] dabei auf dem Konzept der so genannten ‚doppelten Artikulation‘ (‚double articulation‘) [auf], das sie über ein ihrer Meinung nach zu enges linguistisches Verständnis hinaus auf anthropologische Fragestellungen zurückführen.“ Dünne, Imagination, 19. Vgl. auch Gilles Deleuze, Félix Guattari, Tausend Plateaus. Kapitalismus und Schizophrenie. Band 2. Berlin: Merve, 2010, vor allem das Kapitel „10000 v. Chr. – Die Geologie der Moral“, 59 – 103. Vgl. Dünne, Imagination, 182. Vgl. VillChron fol 21a – 24b/c 18, 47– 55.
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II Die Klausur als räumliches Ordnungsprinzip monastischer Gemeinschaften
II.2.2 Die Pilgerreise ins gelobte Land innerhalb der Klausur Nach der Verehrung des Tempels eignete Ursula Haider in ihrer folgenden Neujahrspredigt ihren Schwestern „dray gaistlich, lustig erbauen zeelen, allen in gemein und iedwederer in sonderheit“ zu.¹⁴⁴ Mit diesen geistlichen Zellen ausgestattet, sollten die Schwestern weder jetzt noch in Zukunft die Notwendigkeit haben, andere, insbesondere komfortable physisch-materielle Zellen im Kloster zu bauen, denn diese würden dem Willen Christi und Klaras, dem Armutsgebot und der vita communis („der heiligen gemaind“) widersprechen.¹⁴⁵ In Ermangelung dieser physisch-materiellen Zellen, die den Schwestern in einem observant reformierten Kloster idealerweise nicht oder nicht mehr zur Verfügung stehen sollten, wurden nun die geistlichen Zellen umso bedeutsamer. Haider konzipierte diese drei Zellen als Räume, die einerseits gemeinschaftlich zugänglich seien und in Gebrauch genommen werden könnten; gleichzeitig seien diese Räume so angelegt, dass die Schwestern einander weder sehen noch hören könnten und nicht erführen, was die anderen darin täten, solange diese es nicht wollten. Aus diesem Grunde seien Vorhänge, Türen oder Winkel überflüssig, „da iedliche hat guete weüte und freiheit in disser zeelen und bleibt doch ungeihrt und vermerht in ihrer andacht.“¹⁴⁶ Die Zellen beinhalteten darüber hinaus den in der vorausgegangenen Neujahrspredigt gewidmeten Tempel zu ihrer freien Verfügung.¹⁴⁷ Der Aufenthalt in den drei Zellen wird in dieser Ansprache an die liturgischen Tageszeiten geknüpft und ist zum „wohnen und bleiben mit herzen, seel und ge-
Vgl. VillChron fol 21b/c 18, 48. „[…] also dass ir und euwere nachkömling niemals kein andere zeel in dissem gegenwürtigen armen Sant-Claracloster wölent oder sollent bauen. Dan sicher glaubent mir, meine kinder, das uns andere beschlossne und schen erbauen zeelen ganz nit gebürennach dem exempel unsers allerliebsten gesponsen, auch unser allerhailigsisten muetter sant Claren. Dan sy sein zuewider der hailigen armuet der volkomenheit nach, sie sein zuewider der hailigen gemaind und in suma, sie seind ein anfang und ursach der aigenthumlichen hoffart und aller unfreündlichkeit.“ VillChron fol 21b/c 18, 48 – 49. Haider entsprach mit ihrer Bewertung der „schen erbauten“ materiellen Zellen als Beginn und Ursache der „hoffart“ den Normen eines observanten weiblichen Konvents. Trotz des Gemeinschaftsideals der Observanz waren Klausurgebäude mit Einzelzellen oder abgetrennten Bereichen indes sowohl bei den schon bestehenden Konventen als auch in den Reformgemeinschaften möglich. Ob während der grundlegenden Instandsetzung des Hauses am Bickentor der einzurichtende Schlafbereich abgegrenzte Raumstrukturen erhielt, ist bis dato nicht rekonstruierbar. Die leicht apologetische Formulierung in der Chronik deutet darauf hin, dass es keine gemauerten Einzelzellen gegeben hat. Eine angedeutete bauliche Begrenzung wie in Genf ist dennoch denkbar. VillChron fol 22a/c 18, 49. Vgl. VillChron 21b-22a/ c 18, 48 – 49.
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müet“ in der ersten Zelle von der Komplet bis zur Prim des folgenden Tages, in der zweiten von der Prim bis zum Mittag und in der dritten vom Mittag bis zur Komplet vorgesehen.¹⁴⁸ Neben dieser zeitlichen Struktur, die die vierundzwanzig Stunden des liturgischen Tages umfasst, weisen die Zellen außerdem eine spezifische räumliche Ausgestaltung samt einer weiteren Zeitlichkeit auf. Sie sind neben ihrer unendlichen Ausdehnung zugleich mit den Orten der Passion Christi verknüpft und dadurch in der Topografie und der Chronologie der Heilsgeschichte verortet. Die erste Zelle befindet sich laut Haider auf dem Ölberg vor der Stadt Jerusalem und ist mit zwei Fenstern ausgestattet.¹⁴⁹ Durch das erste habe Jesus vor seiner Gefangennahme geschaut und die Missetaten der Menschen erblickt. Durch das zweite habe er die Nöte und Mühen derjenigen sehen können, die ihm als Jünger:innen und Freunde:innen nachfolgten. Durch diese Fenster zu blicken beinhalte für die Schwestern die Aufgabe, mit Christus zu leiden und während der Nachtzeit, gleich Jesu in Gefangenschaft, zu beten und zu schlafen. Besonders sei zu beachten, dass die Betrachtung der Verfehlungen anderer Personen stets und schnell um die Anschauung der eigenen Sündhaftigkeit ergänzt werde, auf die zu blicken sei wie „durch disses fensterlin unserer eignen armuetselikeit.“¹⁵⁰ Die zweite Zelle verortete Haider auf dem Calvarienberg (Golgatha), und sie ist mit nur einem Fenster versehen.¹⁵¹ Von diesem aus lasse sich bis Nazareth und Bethlehem und über das gesamte Gelobte Land einschließlich der Stadt Jerusalem schauen. Von hier aus könne auch der Kreuzweg mit der gesamten Passion gesehen werden. Der Aufenthalt dort am Vormittag entspricht dabei dem Vormittag der Kreuzigung Jesu. Hier lasse sich in besonderer Weise der gemarterte Leib Christi mit seinen Wunden, eingeschlossen sein „seüfzent sterbendes herz“, betrachten und dem Begehren nachgehen, im Mit-Leiden das Leid Christi erleben zu wollen.¹⁵² Diesen imaginierten Zellenraum beschreibt die Ansprache mit detaillierten Angaben zu seiner Innenarchitektur. Er erlaube die Bewegung des Blickes von einem inneren (Mit‐)Leiden zu einem Hinausblicken durch das geöffnete Fenster hindurch und in Richtung einer Panoramaschau über die Landschaft der Heilsgeschichte.¹⁵³ Sobald die Schwestern dann der klagenden Maria am Kreuz gedacht hätten, sei es Zeit, in die dritte Zelle zu gehen.¹⁵⁴
Vgl. VillChron 22a/c 18, 59. Vgl. VillChron 22ab/c 18, 49 – 51. VillChron 22b/c 18, 50. Vgl. VillChron 23ab/c 18, 51– 52. VillChron 23b/c 18, 52. Vgl. VillChron 23a/c 18, 51. Vgl. VillChron 23a/c 18, 51.
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Diese ist auf dem Berg Tabor lokalisiert und hat wieder zwei Fenster, durch die sich einerseits das himmlische Jerusalem, andererseits das Jammertal und das Fegefeuer anschauen lassen.¹⁵⁵ So werde es den Schwestern ermöglicht, sich in wenn auch freilich begrenztem Maße an der Gnade Gottes zu erfreuen, da sie den Blick kurz auf den auferstandenen, erlösten Christus richten könnten, um ihn dann jedoch sogleich wieder mitleidend auf die Unvollkommenheit der Menschen zu lenken. Dies werde erreicht, indem die Schwestern die Seelen der Sünder im Fegefeuer durch das zweite Fenster betrachteten. Diese Praktiken und Blickrichtungen würden es den Schwestern ermöglichen, ihre Haltung zu schulen, mit der sie Gott um Gnade bitten könnten – eine der wichtigsten Aufgaben der Religiosen. Die drei beschriebenen Zellen stehen untereinander in einem hierarchischen Verhältnis in Bezug auf das Wissen, das über das in ihnen Erlebte geteilt werden durfte. So sei das in der dritten Zelle Erlebte und Erfahrene, „was gott für gnaden in eür herz eingüest hat in disser himlischen zeel“, zu bewahren, ohne darüber zu sprechen.¹⁵⁶ Die Bewahrung in Heimlichkeit und als Geheimnis ermögliche nämlich eine größere Verklärung des Erlebten. Die Erfahrungen aus den ersten beiden Zellen jedoch sollten nicht nur erzählt, sondern im Falle der Erlebnisse auf dem Berg Golgatha sogar verkündet werden: „Dan diese zeel stett darum in mitten in der welt, das es nit verborgen sein sol, sonder allen menschen offenbar.“¹⁵⁷ Diese Zelle, von der aus sich das Kreuzigungsgeschehen beobachten und nachempfinden lasse, sei in dem Maße für alle Menschen offen, wie sie die Möglichkeit für jede einzelne Schwester biete, sich darin zu verschließen und „niemals darus [zu] gehen“.¹⁵⁸ In diesem Chronikabschnitt werden drei raumkonstituierende Aspekte wirksam. Wie bereits in der ersten Neujahrsansprache wird auch hier die zeitgenössische Passionsfrömmigkeit, mit deren Praktiken das Leiden Christi besonders intensiv nachempfunden werden sollte, in architektonischen Metaphern bzw. durch das Konstrukt einer zugleich exklusiven, also einer jeden Schwester einzeln zugänglichen, wie weltöffentlichen Zelle auf dem Berg Golgatha erlebbar. Durch die Architektur der Frömmigkeit wird das Bild des Wohnens in Christus plastisch herausgestellt. Die Konzeption der Lebensform in der Christusnachfolge erfährt dadurch ihre räumliche Struktur. Zweitens wird darin das Sehen selbst als eine aktive Praktik konzipiert. Das von der Zelle auf dem Ölberg aus Gesehene, die Nacht von Jesu Christi
Vgl. VillChron 23b – 24a/c 18, 52– 54. Vgl. VillChron 24a/c 18, 54. VillChron 24a/c 18, 54. Vgl. VillChron 24b/c 18, 54.
II.2 Die Welt in der Klausur
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Gefangennahme, machte die einzelnen Schwestern zu Zeuginnen der Heilsgeschichte: Aber was ir sehent und betrachtent in der zeel des olgartens, daruan mögent ir wol röden, dan der herr wöckte sein jünger, dass sie alle ding sehen und mitleiden mit im hetten. Er war auch nit still oder haimlich gefangen, sondern im angesicht ihrer augen und in der ganzen statt umb gefüert, von einem richter zum anderen.¹⁵⁹
Zweifellos geht das Sehen als aktive und produktive Praxis hier über den optischphysiologischen Vorgang hinaus und schließt das Sehen als einen mentalen Vorgang ein.¹⁶⁰ Evident ist dabei sein Potenzial als raumkonstituierender Prozess, der über das Sehen als bloßen Modus des Erkennens weit hinausgeht. Haiders Ansprache verweist hier auf die Möglichkeit für ihre Zuhörerinnen, das Leiden Christi und dadurch die Heilsgeschichte „im angesicht ihrer augen“ wahr werden zu lassen. Drittens ordnete Ursula Haider die drei Zellen einer Dichotomie des Heimlichen und des Öffentlichen zu, die auf die Qualifizierung des Erlebten als entweder heimlich zu bewahrende, von Gott in die Herzen gegebene Gnade oder als öffentlich Teilbares – die Bezeugung der Heilsgeschichte – zurückgeht. Die allen drei Aspekten impliziten Konzepte von Raum und Selbst werde ich im Folgenden diskutieren.
II.2.3 Alleinsein und Gemeinsamsein in Christus – Raum und Selbst Die prinzipielle Raumstruktur der imaginären Zellen, die an konkrete Ereignisse bzw. Ausschnitte der Passionsgeschichte sowie den liturgischen Tagesablauf gebunden war, war, wie ich eben dargelegt habe, mit der Idee verknüpft, dass sich die Schwestern in diesen Zellen unabhängig und ungestört voneinander aufhalten
VillChron 24a/c 18, 54. So beschreibt etwa auch Peter von Limoges in seinem Tractatus de oculo morali aus den 1270er- bis 1280er-Jahren das Sehen als Vorgang, der die Fähigkeiten des körperlichen Auges (oculo corporis) mit denen des mentalen Auges (oculo mentis) verbinde, vgl. Michelle M. Sauer, Architecture of Desire. Mediating the Female Gaze in the Medieval English Anchorhold. Gender & History 25: 3 (2013), 545 – 564, hier 548 – 549. De Certeaus statische Differenzierung der textlichen Raumkonstitution in Karten und Wegstrecken erweist sich in diesem Zusammenhang als problematisch hinsichtlich ihrer Unterscheidung zwischen dem Sehen als Erkenntnismodus und der Bewegung als raumbildender Praktik, da er die Produktivität des Sehens als Teil von Praktiken oder als Praktik selbst vernachlässigt, vgl. Certeau, Kunst, 221.
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II Die Klausur als räumliches Ordnungsprinzip monastischer Gemeinschaften
könnten, gar jede währenddessen für sich allein in der jeweiligen Zelle sei.¹⁶¹ Die Zellen halfen damit den Konventsmitgliedern, ihren Alltag zu strukturieren, indem sie Themen für die Andacht setzten und als Imaginationsräume bereitstanden. Sie gaben aber auch die Möglichkeit, gleich einem mentalen Geländer, immer wieder aufs Neue in einen klar strukturierten Raum des Gedächtnisses zurückzufinden, wenn die Erfordernisse des Klosteralltags wie die Erledigung der Pflichten in den jeweiligen Ämtern und Aufgabenbereichen zu Ablenkung geführt hatten.¹⁶² Darin schloss Haiders Konzeption an den spätmittelalterlichen mystischen Diskurs der Zelle als Zentrum des religiösen Lebens und als Refugium der Religiosen an.¹⁶³ Im Gegensatz zum Individualisierungsvorbehalt, der hinter den Einzelzellenbauten vor der Ordensreform gestanden hatte,verstanden sich diese Zellen nicht als Räume für den physischen Abschluss der einzelnen Person und standen daher nicht unter dem Verdacht, der Vereinzelung im Sinne eines Eigensinns Vorschub zu leisten. Die Imagination der drei Zellen in der zweiten Neujahrsansprache gleicht in dieser Anlage der in der vorausgegangenen Neujahrspredigt Haiders entwickelten Konzeption der Klausur als Tempel bzw. Gestalt des Körpers Jesu Christi. Durch die jedem einzelnen Raum und Raumabschnitt zugewiesenen Praktiken entstehen jeweils Räume, die jede einzelne in der Klausur lebende Person umgeben sollten und in die zu gehen sei, wenn die Erfordernisse des Alltags befürchten ließen, von den Idealen der Lebensform abzuweichen. In dieser Weise wird der um die einzelne Person herum organisierte Raum als eine Haltung ihrer Lebensform sichtbar, die sprichwörtlich Halt zusicherte. Somit liefert die Raumproduktion in der Villinger Chronik auch hier einen Zugang zur Lebensform der Schwestern in ihrer räumlichen Konstituierung. Dabei bestimmten der Aufenthalt der Schwestern, also die jeweilige Ortsbezogenheit, der Zeitpunkt und ihr Blick
Die Korrelation des Tagesablaufs mit den Stunden der Passion ist ein typisches Motiv weiblicher franziskanischer Mystik, vgl. Peter Dinzelbacher, Art. Passionsmystik. In Brepolis Medieval Encyclopaedias – Lexikon des Mittelalters Online, Col. 1771,. Zur Bedeutung von Architekturmetaphern in Diskursen um Seele und memoria in der Renaissance vgl. Cowling, Building, 109 – 138 (Kapitel „‚Colloquerons ceans le sien ymage‘: Architectural Metaphors for the Mind and Memory“). So zum Beispiel bei Thomas von Kempen, Heinrich Suso (Seuse) und Johannes Nider, vgl. Jö rg Sonntag, Die Metaphorik des christlichen Klosters im Mittelalter. In Geist. Sonntag (Hg.), 2016, 3 – 17, hier 13. Zur Geschichte der monastischen Zelle vgl. umfassend Thomas Lentes, Vita Perfecta zwischen Vita Communis und Vita Privata. Eine Skizze zur klösterlichen Einzelzelle. In Das Öffentliche und das Private in der Vormoderne, hg. von Gert Melville, Peter von Moos. (Norm und Struktur. Studien zum sozialen Wandel in Mittelalter und Früher Neuzeit 10). Köln, Weimar, Wien: Böhlau, 1998, 125 – 164; Gabriela Signori, Zelle oder Dormitorium? Klösterliche Raumvisionen im Widerstreit der Ideale. In situ: Zeitschrift für Architekturgeschichte 4: 1 (2012), 55 – 68.Vgl. auch die Diskussion zur Zelle in Kapitel IV.3.1 dieser Studie.
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bzw. ihr Sehen die dazugehörige Subjektivierung, das heißt ihre Wahrnehmung von sich selbst als Selbst im Referenzrahmen von Alleinsein und gemeinschaftlichem Sein. Die Predigten Ursula Haiders zur Klausur als Tempel und als Zellen, in denen die Heilsgeschichte aufgeführt und nach- bzw. sogar miterlebt werden könne, liefern Entwürfe vom Selbst in seiner räumlichen Konstituierung, denen im Folgenden nachzugehen ist. Das Selbst als eine architektonische Struktur zu begreifen und dadurch Subjektivierung, also ein Wissen und eine Vorstellung von sich selbst, in räumlichen Metaphern zu erzählen, war seit der Antike Thema der theologischen Literatur und setzte sich bis zum Beginn der Frühen Neuzeit in vielfältigen Erscheinungsformen fort. Das Konzept von Räumen im Inneren des Menschen, bereits bei Augustinus entwickelt, wurde im Verlauf des Mittelalters über verschiedene Architekturmetaphern kommuniziert und ausgestaltet, darunter etwa das „Seelenkloster“, Burgen oder Gärten.¹⁶⁴ Als ein Zentrum des Menschen wurde das Herz prominent, in dem eine Kammer oder Zelle einzurichten sei, in die Gott einziehen könne.¹⁶⁵ Die räumlichen Metaphern aus dem Bereich der Architektur, also einer physisch-materiellen Räumlichkeit, erwiesen sich für die zeitgenössischen Autor:innen als offenbar besonders geeignet, Imaginationen der Räume, die der jeweils eigenen Person zur Verfügung standen und diese ausmachten, zu entwickeln. Dafür sprechen die in hohem Umfang und Formenreichtum verwendeten Architekturmetaphern und -allegorien in den hoch- und spätmittelalterlichen Meditationsanleitungen sowie die Entwicklung bildlicher Darstellungen, die Frömmigkeitspraktiken wie Meditationen, Lektüre und Gebet in detailliert ausgestalteter Architektur und aufwendig ausgemalten Interieurs situierten.¹⁶⁶ Die Entstehung der Diskurse um die inneren Räume des Menschen wurde individualisierungsgeschichtlich häufig im Sinne der Entwicklung eines grundlegenden anthropologischen Bedürfnisses nach Selbstbezug und Vereinzelung gedeutet.¹⁶⁷ Nicht nur ist ein solches Fortschrittsnarrativ anthropologischer Vgl. Mirko Breitenstein, Das ‚Haus des Gewissens‘. Zur Konstruktion und Bedeutung innerer Räume im Religiosentum des hohen Mittelalters. In Geist. Sonntag (Hg.), 2016, 19 – 55, hier 22– 23. Zu den prominentesten Autor:innen der Thematik zählte im 12. Jahrhundert zweifellos Hildegard von Bingen mit dem „Haus des Herzens“; zu nennen ist in diesem Zusammenhang außerdem die „Seelenburg“ bei Teresa von Ávila im 16. Jahrhundert, vgl. Breitenstein, Haus, 26 und 30. Speziell zur Geschichte der Herzmetapher vgl. Gerhard Bauer, Claustrum animae. Untersuchungen zur Geschichte der Metapher vom Herzen als Kloster. Bd. 1. Entstehungsgeschichte. München: Fink, 1973. Siehe dazu, wie bereits oben diskutiert, Logemann, Baupläne, 257 ff.; 269; 274. Vgl. Breitenstein, Haus, 55. Melville plädiert – mit Peter von Moos – für die Verwendung des Begriffs der Individualität als „kontrollierten Anachronismus“ für die Forschungsfrage nach dem
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Individualisierungswünsche dabei allerdings unschwer als männlich, weiß und christlich zu entlarven.¹⁶⁸ Vielmehr weist es für den monastischen mittelalterlichen Kontext evidente Leerstellen auf. So scheinen die Seelenräume des Mittelalters in diesen Erzählungen frei von jeglichen Strukturen der Institutionalisierung von Frömmigkeitspraxis und religiösen Lebensformen und den sie regulierenden Normen zu sein. Subjektivierung und Raumproduktion werden außerhalb der Machtstrukturen, die sie hervorbrachten und (re‐)produzierten, verortet.¹⁶⁹ Für die Entwicklung einer tatsächlich „anthropologischen“ Lesart wäre es dabei aber wichtig, die komplett fehlende Empirie bezüglich der Diskussionen in und über weibliche Gemeinschaften zumindest zu reflektieren. Eine gänzlich andere Deutung im Zusammenhang mit Tendenzen der Fokussierung eines Selbstbezugs in spätmittelalterlichen Schriftquellen entwickelt Eva Schlotheuber. Anders als die Individualisierungsthese bezieht sie die Entwicklung von Normen und die Prozesse der Institutionalisierung spätmittelalterlicher Frömmigkeit explizit in diese Ausdrucksformen ein, indem sie Normen
Handeln von Menschen als Einheiten, verlässt aber die Perspektive der Wechselwirkung zwischen einzelnem Menschen und Gemeinschaft nicht, vgl. Gert Melville, Einleitende Aspekte zur Aporie von Eigenem und Ganzem im mittelalterlichen Religiosentum. In Das Eigene und das Ganze. Zum Individuellen im mittelalterlichen Religiosentum, hg. von Gert Melville, Markus Schürer. (Vita regularis 16). Münster: LIT Verlag, 2002, XI – XLI, hier XVI und XLI. Zur Diskussion der Figur des kontrollierten Anachronismus vgl. Peter von Moos, Das Öffentliche und das Private im Mittelalter. Für einen kontrollierten Anachronismus. In Öffentliche. Melville et al. (Hg.), 1998, 3 – 83, hier 9 ff. Nikolaus Staubach relativiert das Individualisierungsnarrativ durch eine Deutung der „Differenzierung“ und „Kombination“ verschiedener Angebote aus ordensgeschichtlicher Perspektive, vgl. Nikolaus Staubach, Vita solitaria und vita communis. Der Innenraum als Symbol religiöser Lebensgestaltung im Spätmittelalter. In Aussen und Innen. Räume und ihre Symbolik im Mittelalter, hg. von Nikolaus Staubach, Vera Johanterwage. (Tradition, Reform, Innovation Bd. 14). Frankfurt am Main, New York: Peter Lang, 2007, 279 – 298, hier 289. Vgl. dazu immer noch grundlegend für den Kontext frühneuzeitlicher Selbstzeugnisse Jancke, Ulbrich, Person, 13 – 14. Auch wenn die Räume des Selbst als Effekte von Institutionalisierungsprozessen gedeutet werden, bleiben diese derart produzierten Räume einer gängigen Auffassung nach letztendlich frei von Machtstrukturen, so auch bei Melville, Müller, Raumkonzepte, 109 – 110. Besonders interessant ist zudem, dass in allen genannten Ausführungen auf die naheliegende Referenz auf Foucaults These von der monastischen Zelle als einem wichtigen Entstehungsort der abendländisch-christlichen Subjektivierungsgeschichte verzichtet wird. So wird zwar die Grundannahme anerkannt, dass sich durch raumbezogene Praktiken die Vorstellung dessen abbildet und manifestiert, was das Innere des Menschen sei bzw. ausmache, ohne jedoch die dezidiert machtkritische Perspektive auf Subjektivierung als Prozess der Unterwerfung zu reflektieren. Zur Genealogie von Subjektivierung und der Entwicklung der Pastoralmacht vgl. Foucault, Subjekt, vor allem 277 ff.; Foucault, Omnes. Zur raumhistorischen Bedeutung der Klosterzelle in Überwachen und Strafen von Foucault vgl. außerdem Kapitel IV.1 in diesem Band.
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als ausschlaggebend für die Entwicklung von Selbstreflexion beschreibt.¹⁷⁰ Anstatt als eine Innerlichkeit, die sich aus Praktiken wie geleiteter Meditation und der Beichte, die beide im Spätmittelalter forciert wurden, hätte entwickeln können, versteht sie die darin erkennbar werdenden Räume als eine zweite Realitätsebene, eine Raumbildung, die Öffnungen für kollektive Nutzungen bereitgestellt habe.¹⁷¹ In diesem Sinne seien solche Räume auch die Produkte kollektiver Praktiken, wenngleich diese Praktiken zum Teil auch von nur einer Person allein zu einem bestimmten Zeitpunkt vorgenommen worden seien. Der feste Rahmen der Normen und Strukturen sowie der rituell-kollektive Rahmen der monastischen Gemeinschaften hätten den Einzel-Personen als Stützgeländer für das Erfahren der göttlichen Ordnung gedient.¹⁷² Konzeptionen eines inneren menschlichen Raumes, die über die Raumkonfigurationen des Klosters und besonders seiner Zellen allegorisch vermittelt wurden, beschäftigten vor allem die dominikanische und augustinische Mystik und gelangten schließlich auch zum Wissensangebot, das den Villinger Klarissen zur Verfügung stand.¹⁷³ Dazu trat eine dezidiert franziskanische Auseinandersetzung mit dem Raum des Klosters und seiner Verortung in der Welt, die das Selbst als Ergänzung oder Verlängerung des Klosterraumes und als eher statisch verfassten Ausgleich zu seiner in den Anfängen nomadischen Konzeption entwickelte. Der Franziskaner David von Augsburg (1200 – 1272) erweiterte in seiner Schrift Vom äußeren und inneren Menschen die bereits von dem zisterziensischen Gelehrten Wilhelm von Saint-Thierry (wahrscheinlich von ca. 1075 bis 1080 – 1148) entwickelte Idee der Seele als Innenraum des Menschen, der von seiner Zelle schützend umgeben werde.¹⁷⁴ David setzte die Seele als gewissermaßen kongruent zum Einzelraum der Zelle und dachte den Körper als äußeren menschlichen Raum in Verbindung mit dem äußeren physischen Raum des Klosters, also dem Raum der Gemeinschaft, und dessen Umgebung.¹⁷⁵ Zwar unterschied er inneres
Vgl. Eva Schlotheuber, Norm und Innerlichkeit. Zur problematischen Suche nach den Anfängen der Individualität. Zeitschrift für Historische Forschung 31: 3 (2004), 329 – 357, hier 337. Vgl. Schlotheuber, Norm, 356. Vgl. Schlotheuber, Norm, 357. Marie-Luise Ehrenschwendtner analysiert die Lektüren des Villinger Klarissenkonvents, vgl. Ehrenschwendtner, Jerusalem, 12– 17. Vgl. Melville, Müller, Raumkonzepte, 108. Zur Analyse von Davids Schrift vgl. auch die Studie von Cornelius Bohl, Geistlicher Raum. Räumliche Sprachbilder als Träger spiritueller Erfahrung, dargestellt am Werk „De compositione“ des David von Augsburg (Franziskanische Forschungen 42). Werl: Dietrich-Coelde-Verlag, 2000; eine deutsche Übersetzung von David Text findet man in David von Augsburg, Vom äusseren und inneren Menschen. (De compositione exterioris et interioris hominis), Marianne Schlosser (Hg.). St. Ottilien: EOS, 2009. Vgl. Melville, Müller, Raumkonzepte, 108.
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und äußeres Haus dichotom voneinander, verstand jedoch beide als gleichrangig: Beide Räume seien unabdingbar notwendig für ein monastisches Leben, keiner verdiene gegenüber dem anderen einen Vorzug. Beide Häuser wurden in den religiösen Praktiken miteinander verbunden, die den Raum der jeweils anderen Sphäre mit konstituierten. Das innere Haus als Ort der Seele bzw. als die Seele selbst wurde demnach über Raumkonzepte erfahrbar gemacht; die dafür erforderlichen raumbezogenen Praktiken konstituierten die Vorstellung von Gemeinschaft im und als Kloster ebenso wie die von einem Selbst. Der in dieser Weise konzipierte Innenraum der Seele bot sich den einzelnen Religiosen dabei durchaus auch als Rückzugsort von der Klostergemeinschaft an, die im Zuge ihrer fortschreitenden Institutionalisierung immer stärker reguliert wurde.¹⁷⁶ Die Diskurse um die Zelle als Einzelraum zur inneren Erneuerung sind damit im Rahmen der franziskanischen Entwicklungsgeschichte hin zu einem selbstständigen Orden zu verorten. Aus der Forderung der radikalen Armut, also persönlicher und gemeinschaftlicher Besitzlosigkeit, die das Gründungsnarrativ bildete, ging auch die Frage nach der Örtlichkeit der Lebensform hervor. Galt für die Franziskanerbrüder der ersten Jahre noch der Ansatz, es brauche kein eigenes Haus, da man ohnehin die ganze Welt, in der man überall und jederzeit Christi nachfolgen könne, als Kloster beanspruchte, so kam es bald nach dem Tod von Franziskus zu Gründungen von Häusern, um in den Städten präsent zu sein.¹⁷⁷ Im Rahmen der Diversität der Bauformen entstand dabei ein Typus mit (mindestens) zwei Kreuzgängen.¹⁷⁸ Während der größere von beiden für die städtische Öffentlichkeit teilweise zugänglich war, blieb der zweite, innere Kreuzgang mit der Verbindung zum Dormitorium und den Zellenbauten exklusiv dem Konvent vorbehalten.¹⁷⁹ Dort sollte das regelkonforme Leben durch die entsprechenden Techniken eingeübt werden.¹⁸⁰
Vgl. Melville, Müller, Raumkonzepte, 109 – 110. Vgl. Melville, Müller, Raumkonzepte, 121 ff., sowie zur franziskanischen Architekturgeschichte Silberer, Welt als Kloster, vor allem 221 ff. und 227 ff. Vgl. auch Kapitel II.2.4. in diesem Band. Die Basilika di S. Antonio des Franziskanerkonvents in Padua weist insgesamt fünf Kreuzgänge auf. Vgl. Silberer, Welt als Kloster, 230. Auch Silberer verweist auf die Innen-Außen-Dichotomie durch die Architektur, vgl. ebd. Melville und Müller bezeichnen diese architektonisch manifestierten Vereinzelungspraktiken als „verordnete“ Selbstwahrnehmung, die aus der lokalen Situation hervorgegangen sei, vgl. Melville, Müller, Raumkonzepte, 137. Obwohl eine Analogie mehr als naheliegt, bleiben auch Referenz und Auseinandersetzung mit dem Ansatz Foucaults zur Subjektivierung durch disziplinierende Architekturpraktiken, den er in Überwachen und Strafen – vgl. Foucault,
II.2 Die Welt in der Klausur
147
Wurde den Franziskanerbrüdern der Aufenthalt in abgegrenzten Räumen zur Fokussierung normativ verordnet, so existierten für die Klarissen von Anfang an feste Häuser samt Klausur, in denen die Konzentration auf Frömmigkeitspraktiken in jedem Fall weniger durch Kommunikation mit der Stadtöffentlichkeit unterbrochen wurde. Gleichwohl – und zugleich inmitten der Diskurse um die Intensivierung gemeinschaftlichen Lebens während der Ordensreformen – verordnete Ursula Haider ihren Schwestern ebenfalls die regelmäßige Fokussierung auf eine Wahrnehmung ihrer selbst in der Christusnachfolge. Indem sie in den beiden Neujahrspredigten virtuelle Räume zum gesonderten Aufenthalt erschuf, eröffnete sie jeder Schwester gesondert die Möglichkeit, durch die Meditationsthemen der Passion die Heilsgeschichte an und in sich selbst nachzuvollziehen. Auch durch die Gebundenheit an die Taktung des liturgischen Tagesablaufs und der Passionsgeschichte selbst waren diese imaginären Räume zugleich kollektiv genutzte Räume.¹⁸¹ Die Raumproduktion der Villinger Klarissen laut ihrer Chronik erlaubte einerseits eine Aneignung und größtmögliche Annäherung an die franziskanischen Traditionen, andererseits schuf sie selbst handlungserweiternde Möglichkeiten für die durch ihre geschlechtliche Zuweisung an einen topografischen Ort gebundenen Schwestern. So lassen sich die Klausurimaginationen der Ursula Haider auch als eine Möglichkeit deuten, eigene Räume als epistemische Alternative zu den dominanten Denk- und Wissensstrukturen der theologischmonastischen Diskurse des Mittelalters zu produzieren. Ähnliches formulierte bereits Hildegard von Bingen in ihrem Brief an den Zisterzienser Bernhard von Clairvaux – der in den Reformdiskursen des 12. Jahrhunderts mit Abstand die übergeordnete Position einnahm: „Aber drinnen in meiner Seele bin ich gelehrt.“¹⁸² Damit verwies sie auf die Errichtung innerer Räume als Refugien für das eigene Denken in Abgrenzung zu hegemonialen Diskursen. Auch die zur Predigt offiziell nicht zugelassene Ursula Haider schuf mit den imaginären Klausurräumen Räume unter eigener Definitionsmacht. Die für die Erlebnisse in der Zelle auf dem Berg Tabor festgelegte Qualifizierung als „Herzensgeheimnisse“ verstärkten diese Tendenz, eigene, und zwar für die Konventsmitglieder exklusive Räume zu errichten.¹⁸³ Dabei waren, wie ich oben erläutert habe, der Aufenthalt
Überwachen – entwickelte, in der hier zitierten Literatur zu franziskanischen Raumkonzepten aus. Vgl. zu diesem Punkt außerdem Kapitel IV.1 in diesem Band. Vgl. Schlotheuber, Norm, 356– 357. „[…] sed intus in anima mea sum docta.“ Bingen, Hildegard von: Brieftitel usw., zitiert nach Helmut Feld, Mittelalterliche Klosterfrauen im Spannungsfeld von Kommunität und religiöser Individualität. In Eigene. Melville et al. (Hg.), 2002, 621– 650, hier 639. In der Figur der occulta cordis (das war ein Teil der auf patristische Literatur zurückgehenden mittelalterlichen Lehre vom Geheimnis und zugleich ein Aspekt mittelalterlicher Entwürfe des
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und das Erleben in den Zellen stets zugleich allein und gemeinsam möglich. In der Christusnachfolge wurden Alleinsein und Gemeinsamsein nicht hierarchisch voneinander unterschieden.
II.2.4 Pilgerbewegungen in der Klausur: Geschlechtertransgressionen innerhalb der franziskanischen Raumtradition? Neben den lokalen Erfordernissen der in die Stadtöffentlichkeit integrierten Häuser der Franziskaner und der klausurierten Klarissen bestimmte das Paradigma der peregrinatio religiosa, „das fromme Unterwegssein zu einem Ort [besonderer] Heilsvermittlung“, als ein weiterer Aspekt die franziskanische Raumproduktion.¹⁸⁴ Durch das Unterwegssein in der Welt als Fremde und die damit verbundene Präsenz in Person und gepredigtem Wort als konstitutivem Merkmal der männlichen Mitglieder der Bettelorden grenzten sich diese im Rahmen umfangreicher Pilgerreisen und Missionsfahrten vom Prinzip der stabilitas loci der traditionellen Orden ab.¹⁸⁵ Gehörten das Unterwegssein in der Welt als Fremde und das Aufsuchen der heiligen Stätten in Rom und Palästina seit der Entstehung des Christentums zum Spektrum religiöser Praktiken, so wurden Pilgerreisen nach den mittelalterlichen
Selbst) wurde das Herz als der Austragungsort von Kämpfen konkurrierender Mächte entworfen. Zwar könnten und dürften bestimmte Geheimnisse nur von Gott gesehen und gewusst werden, gleichwohl bilde sich sein Gehalt auch im Äußeren des Menschen ab, vgl. dazu Peter von Moos, „Herzensgeheimnisse“ (occulta cordis). Selbstbewahrung und Selbstentblößung im Mittelalter. In Schleier und Schwelle. Geheimnis und Öffentlichkeit, hg. von Aleida Assmann, Jan Assmann. (Beiträge zur Archäologie der literarischen Kommunikation 5,1). München: Fink, 1997, 89 – 109, hier 91 ff. Vgl. L. Schmugge, ‚Pilger, I. Früh- und Hochmittelalter‘. In Brepolis, Sp. 2148 – 2149. Annette Kehnel und Anne Müller beschreiben die Praxis des Wanderns und Wandelns der Bettelmönche als eine eigene Praxis der Verstetigung, die analog zum Wandeln im Kreuzgang als raumzeitliche Praktik eingesetzt worden sei, um gehend bzw. in Bewegung Präsenz und stabilitas zu erzeugen, am Beispiel der verschiedenen Reisetätigkeiten mittelalterlicher Bettelmönche, darunter das Reisen unter diplomatischem Auftrag, das Pilgern und die Erschließung neuer Ordensprovinzen über große geografische Räume und lange Zeitspannen hinweg, vgl. Annette Kehnel, Anne Müller, Dauer durch Wandeln. Von Mönchen und Mauern – von Wandelgängen im Kloster und von Wanderungen durch die Welt. In Dauer durch Wandel. Institutionelle Ordnungen zwischen Verstetigung und Transformation, hg. von Stephan Müller, Gary S. Schaal, Claudia Tiersch. Köln, Weimar, Wien: Böhlau, 2002, 107– 119, hier 108.
II.2 Die Welt in der Klausur
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Kreuzzügen immer beliebter.¹⁸⁶ Im späten 15. Jahrhundert setzte schließlich eine regelrechte Blüte ein, und adlige, bürgerliche und geistliche Personen reisten in großer Zahl an die Stätten, die in besonderer Weise die Heilsgeschichte repräsentierten.¹⁸⁷ Zahlreiche Berichte dieser Pilger:innen geben Aufschluss über diese besondere Form der Frömmigkeitspraxis in räumlichem und körperlichem Vollzug über große geografische Entfernungen hinweg.¹⁸⁸ Diese Literatur wurde in hoher („Auflagen“‐)Zahl gedruckt und auch von den weiblichen Religiosen breit rezipiert.¹⁸⁹ Da den klausurierten weiblichen Religiosen jedoch weder die Möglichkeit des physischen Wandelns/Wanderns noch des Predigens außerhalb ihrer Häuser zur Verfügung stand, konnten sie die gründungsstiftende Losung von der Welt als Kloster nicht in der gleichen Weise umsetzen wie die franziskanischen Brüder und Wegstrecken über geografische Räume hinweg zurücklegen. Um dieser Herausforderung zu begegnen, entwickelten viele weibliche Gemeinschaften Möglichkeiten, in virtuellen Räumen die Praxis des Pilgerns nachzuvollziehen.¹⁹⁰ Neben der künstlerischen Ausgestaltung der Klausurräume mit Bildern und Figuren, auf denen heilsgeschichtliche Motive zu sehen waren, gehörte dazu auch die Einrichtung von Ablass-Stationen, die ihren Besucherinnen analog zu den Orten auf bzw. an den Hauptpilgerwegen und -zielen Ablässe versprachen. Die Villinger Klarissen entwarfen ein solches Programm, das Wandeln in der Welt zu ermöglichen, indem sie die Klausur als imaginären Welt-Raum ausgestalteten. Ursula Haider ließ alle heiligen Stätten der Pilgerfahrten samt Städtebeschreibungen auf Pergament anschreiben und an verschiedenen Stellen in der Zum Prinzip des Fremdseins in der Figur des homo viator, „the wayfarer in a strange world, who is also a pilgrim toward a divine order“, vgl. Gerhart B. Ladner, Homo Viator. Mediaeval Ideas on Alienation and Order. Speculum 42: 2 (1967), 233 – 259, hier 256. Vgl. Kathryn M. Rudy, A Guide to Mental Pilgrimage. Paris, Bibliotheque de L’Arsenal Ms. 212. Zeitschrift für Kunstgeschichte 63: 4 (2000), 494– 515, hier 494; Marie-Luise Ehrenschwendtner, Virtual Pilgrimages? Enclosure and the Practice of Piety at St Katherine’s Convent, Augsburg. The Journal of Ecclesiastical History 60: 1 (2009), 45 – 73–73, hier 65. Vgl. Jörg Dünne, Pilgerkörper – Pilgertexte. Zur Medialität der Raumkonstitution in Mittelalter und früher Neuzeit. In Von Pilgerwegen, Schriftspuren und Blickpunkten. Raumpraktiken in medienhistorischer Perspektive, hg. von Jörg Dünne, Hermann Doetsch, Roger Lüdeke. Würzburg: Königshausen & Neumann, 2004, 79 – 97, hier 80. Besonders prominent rangierte die Geistliche Pilgerfahrt (1480) des Ulmer Dominikaners Felix Fabri, vgl. Ehrenschwendtner, Jerusalem. Der Villinger Beichtvater Stephan Fuchs stellte den dortigen Klarissen seinen Pilgerbericht zur Verfügung, vgl. Renate Stegmaier-Breinlinger, „Die hailigen Stett Rom und Jerusalem“. Reste einer Ablaßsammlung im Bickenkloster in Villingen. Freiburger Diözesanarchiv 91 (1971), 176 – 201, hier 176 – 177. Vgl. Ehrenschwendtner, Virtual, 66 – 67, zum Phänomen des virtuellen/spirituellen Pilgerns in weiblichen Ordensgemeinschaften.
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Klausur anbringen.¹⁹¹ Zudem engagierte sie sich, wie oben erwähnt, 1490 mit Unterstützung zweier befreundeter Geistlicher für die Erteilung von Ablässen durch Papst Innozenz VIII. Dieser erteilte denn auch 1491 die gewünschten Ablässe für die Repräsentationen beinahe aller heiligen Stätten in Jerusalem, Sinai und Rom für das Kloster, die in Bezeichnung und Höhe des Ablasses denen der Pilgerorte entsprachen. 1492 wurden die Bezeichnungen auf Tontafeln eingetragen und im Kloster angebracht und so die Pergamentblätter ersetzt.¹⁹² Damit wurde das Kloster als ein „Neues Jerusalem“ eingerichtet, in dem die Pilgerorte Jerusalem und Rom symbolisch-imaginär zu erreichen waren, was mit einem Ablass belohnt wurde. In der Chronik wird das Wandeln mit der Herausforderung des Lebens in Klausur als dezidiert weiblicher Form des Religiosentums in einer Weise verknüpft, in der der Anspruch zu beobachten ist, ein Leben in Christusnachfolge unter anderen räumlichen Bedingungen als denen der männlichen Ordensmitglieder zu organisieren und zu begründen.¹⁹³ Mit der Einrichtung von Pilgerorten in der Klausur wurden die Orte der Heilsgeschichte durch die Körper der Pilgernden (re‐)produziert und das Wandern in der Welt als Wandeln innerhalb der Mauern ermöglicht.¹⁹⁴ Die Materialisierungen von Orten der Heilsgeschichte in der Klausur durch Ablasstafeln waren dabei intermedial mit der oben erörterten Imagination der drei Zellen in der
Als Auslöser für die Anfertigung und das Aufhängen der Pergamente (später Tafeln) und damit die Einrichtung der Pilgerstätten innerhalb der Klausur nimmt man die bereits eben erwähnte Pilgerreise des Beichtvaters der Klarissen, Stephan Fuchs, nach Jerusalem und dessen Pilgerbericht aus dem Jahr 1483 an. Auch die Rezeption anderer zeitgenössisch kursierender Pilgerberichte wie dem 1488 als erstem in deutscher Sprache erschienenen Bericht des Mainzer Domherrn Bernhard von Breidenbach könne für Villingen angenommen werden, vgl. StegmaierBreinlinger, Ablaßsammlung, 177. Zur Einrichtung der Pilgertafeln in Villingen vgl. Stegmaier-Breinlinger, Ablaßsammlung, 178 – 179; Boewe-Koob, Kloster, 178 – 179. Das Grab Ursula Haiders wurde 1498 in der 1494 geweihten Ölbergkapelle errichtet, vgl. Boewe-Koob, Kloster, 181. Auch männliche Religiose praktizierten das Konzept des virtuellen Pilgerns zur Steigerung der Frömmigkeit, aber auch aus disziplinarischen Erwägungen, ging doch mit der Pilgerpraxis als Reise in und durch die Welt immer auch die Befürchtung der „Ausschweifung“ einher. Aus diesen Erwägungen heraus wurde den observanten Franziskanern 1459 das Privileg der Stationsablässe für die sieben römischen Hauptkirchen gewährt, vgl. Hubert Frank, Der „Besuch der sieben Kirchen“ als religiöse Übung der ultramontanen Observanten. Franziskanische Studien 37 (1955), 260 – 272, hier 260 – 261. Die Aktualisierung der Heilsgeschichte in der mittelalterlichen Pilgerpraxis ist als Zusammenspiel von Körpern und den Orten der Pilgerschaft zu verstehen, die gleichermaßen als Träger des Heiligen produziert wurden, vgl. Dünne, Pilgerkörper, 80.
II.2 Die Welt in der Klausur
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zweiten Neujahrsansprache Ursula Haiders verbunden.¹⁹⁵ Die geistliche Pilgerfahrt war dadurch doppelt in die Klausur eingebaut. In Verbindung mit ihrer Darstellung der Klausur als Christus-Imago ist die Villinger Klausur als ein komplexes räumliches Aushandlungsgefüge von Subjektivierung als Teil der Gemeinschaft in Christo und seiner Nachfolge zu verstehen. In ihren verschiedenen Ausgestaltungen überlagerten sich Diesseits und Jenseits durch die permanente Wiederholung der Heilsgeschichte, die jeder Schwester, in einem gewissen Rahmen, zur eigenen Gestaltung oblag.¹⁹⁶ In den Raumproduktionen überlagerten sich kartografische Beschreibungen des Körpers Christi (als Tempel) und der Heilsgeschichte (anhand der drei Zellen), die die Lebensform in der Klausur selbst zu einer Karte werden ließen.¹⁹⁷ Bei diesen Raumrepräsentationen handelte es sich um eine Verräumlichung des Ideals der Christusnachfolge, das in nachvollziehbare Bilder und Bewegungsabläufe zerlegt wurde.¹⁹⁸ In einer derart vollzogenen Praktizierung des
Die Materialisierung der Pilgerorte in der Klausur wurde in verschiedenen weiblichen Konventen praktiziert und konnte auch durch andere Medienformen wie Bilder erfolgen, so geschehen beispielsweise in Helfta, Engelthal und Augsburg, vgl. Ehrenschwendtner, Virtual, 65 – 66. Ein kunstgeschichtlich herausragendes Beispiel für Pilgerstätten in der Klausur ist der Dominikanerinnenkonvent Augsburg. Die dortigen Schwestern bestellten als Reaktion auf die Einführung der Observanz in ihrem Haus Tafeln mit Darstellungen der römischen Pilgerkirchen aus der Werkstatt Hans Holbein des Älteren, vgl. Ehrenschwendtner,Virtual, 46 ff.; Heidrun SteinKecks, Der Kapitelsaal in der mittelalterlichen Klosterbaukunst. Studien zu den Bildprogrammen (Italienische Forschungen des Kunsthistorischen Institutes in Florenz, Max-Planck-Institut 4). München, Berlin: Deutscher Kunstverlag, 2004, 204– 205. Auf die Verknüpfung von Frömmigkeitspraktiken mit räumlichen Metaphern in Villingen verweist auch eine Anleitung zur Andacht in einer Villinger Sammelhandschrift, in der die Imagination von Orten und Themen der Heilsgeschichte über einen Zeitraum von neun Tagen verknüpft wird, vgl. Andachtsbuch für eine Nonne (1401– 1500), Berlin, Staatsbibliothek zu Berlin – Preußischer Kulturbesitz, Ms. germ. octav 127, fol 1r – 45v, hier fol 35v – 39r. Die Gestaltung des Tempels bzw. seine kartografische Darstellung als Christuskörper korrespondierte dabei auch mit den Weltkarten des späten Mittelalters, in denen Erdteile in Gestalt heiliger Figuren dargestellt wurden, vgl. Claudia Bruns, Europas Grenzdiskurse seit der Antike. Interrelationen zwischen kartographischem Raum, mythologischer Figur und europäischer Identität. In Grenzen in Europa. Neue wissenschaftliche Ansätze, Methoden und Inhalte, hg. von Michael Gehler, Andreas Pudlat. (Historische Europa-Studien 2). Hildesheim: Olms, 2009, 17– 64, hier 24. „Kartographie als Konstitution eines Erinnerungsraums bedeutet in diesem Kontext nicht Kartierung von etwas historisch Vergangenem, sondern die Aufforderung zur Aktualisierung des dargestellten Heiligen in einem Vollzugsraum.“ Dünne, Pilgerkörper, 83. Zu Bewegungsmetaphern in den Schriften der Klara von Assisi, die auf eine Analogie zur franziskanischen Tradition hinweisen könnten, vgl. Benedikt OFM Mertens, Die Dynamik des geistlichen Weges:
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liturgischen Alltags stellte sich eine Form der Christusnachfolge her, in bzw. aus der die Lebensform und die daran geknüpfte Haltung der Religiosen in räumlichen Strukturen erfasst werden können. In ihr bildeten sich die Raumkonzepte des Unterwegsseins in franziskanischer Tradition in der maximalen Aneignungsmöglichkeit, die den klausurierten Klarissen zu Verfügung stand, ab. Die Raumrepräsentationen in der Villinger Chronik erlaubten den Schwestern gegenüber den jeweiligen Anforderungen des Lebens eine dynamische Aktualisierung der Lebensform.¹⁹⁹
Bewegung und Fortschritt im Vokabular der Klaraschriften. In Klara. Schmies (Hg.), 2010, 33 – 41, hier 33. Eine weitere Möglichkeit einer solchen Aktualisierung zeigen die zahlreichen Beispiele von Migration, zu der viele Konvente zu unterschiedlichen Zeitpunkten und aus unterschiedlichen Gründen veranlasst waren. Neben den bereits erwähnten Reisen in andere Konvente zur Einrichtung einer neuen Gemeinschaft (vgl. Kapitel I in diesem Band) gehören dazu vor allem die Umzüge und Fluchten von Klostergemeinschaften, die während der Reformation und des Dreißigjährigen Krieges stattfanden. Auch der Genfer Klarissen-Colettinen-Konvent Sainte-Claire musste die Stadt im August 1535 in Richtung Annecy endgültig verlassen (vgl. Feld, Einleitung, XVIIff., sowie Kapitel I.1 in diesem Band). Die Petite Chronique beschreibt die Bewegung der Gemeinschaft, die sich von einem Kloster zum anderen vollzog und an verschiedenen festen Orten innerhalb einer (auch Sakral‐)Landschaft im Umbruch pausierte. Dort wurden zur Überbrückung jeweils temporäre sakrale Räume errichtet, quasi als „Kloster unterwegs“ oder wie eine „Pop-upKlausur“, vgl. PC, fol 250v – 281v. Die Dominikanerinnen von St. Katharinental in Diessenhofen, Kanton Thurgau, weisen ebenfalls eine Migrationsgeschichte auf. Hier migrierte eine größere Gruppe inklusive der Priorin mit dem Klosterschatz 1529 nach einem Angriff auf das Kloster und bekam Exil in Konventen in Schaffhausen, Engen und Villingen. Eine kleinere zurückgebliebene Gruppe erhielt den Klosterbetrieb minimal aufrecht und wahrte somit die Ansprüche auf das Gebiet. Das Sakralitätsmanagement der Katharinentaler Schwestern, das ihr Konventsleben über einen Zeitraum von mehreren Monaten und über mehrere Orte hinweg aufrechterhalten musste, ist in einer chronikalischen Schrift überliefert, vgl. Denkschrift der Priorin und Schwestern in sant Catharina Thal bei Diessenhofen. „wie sie in der Zwinglischen uffruor ir Gottshauss so sauer erstritten und erhalten hand“. In Archiv für die schweizerische Reformations-Geschichte. Bd. 3, hg. von Schweizerischer Piusverein. Freiburg im Breisgau, 1875, 99 – 115. Die Quelle ist nicht im Original erhalten, die Edition bezieht sich auf zwei Handschriften aus dem 18. Jahrhundert: Ms. C und Ms. D (Abschrift von C), Frauenfeld, Staatsarchiv Thurgau, 7’44’9’J 1 und 7’44’9’J 2. Ein drittes, aus der Perspektive auf Raumdarstellungen ebenfalls spannendes Beispiel bildet der Exilaufenthalt der Brixener Klarissen zwischen 1461 und 1464 in St. Caecilia in Pfullingen. In der Chronik wird dezidiert darauf hingewiesen, dass beide Konvente dort zwar in einem Gebäude, jedoch jeweils als eigene Gemeinschaft gelebt hätten: „Die zwen Convent blyben by ein ander drü jar […].“ PfullChron, fol 10r.
III Die Sakralisierung des Klausurraums durch die Regulierung der Worte III.1 Sprechen und Schweigen als Praktiken sakralisierender Raumproduktion Sprechen und Schweigen lassen sich in der Ordens- und Literaturgeschichte des Mittelalters bis zum frühen 13. Jahrhundert entlang unterschiedlicher Ordnungen im Rahmen der Antithese von Kloster und Welt erzählen. Die Dichotomie Welt vs. Kloster geht dabei nicht in einer Dichotomie Sprechen vs. Schweigen auf, sondern setzt vielmehr schlicht besagte unterschiedliche Ordnungsweisen für diese Sphären voraus.¹ Mit der Entstehung der Bettelorden veränderte sich die KlosterWelt-Dichotomie, da sich sowohl der Prediger- als auch der Minderbrüderorden zunächst aus männlichen Personen konstituierten, die sich „in der Welt“ bewegen und das Wort verkündigen wollten. Der so mittels der Stimme angenommene Durchbruch der Grenze des Klosters, verstanden auch als Grenze zwischen weltlichen und geistlichen Worten, zwischen Reden und Schweigen, ergibt sich aus der Konzeption des franziskanischen Lebens als Wandeln in der Welt, das ohne ein Kloster auskomme.² Mit der Entstehung franziskanischer Klosterbauten im 13. Jahrhundert entwickelten sich indes eigene Traditionen eines Ordenslebens „im Haus“, zu dem auch ein ortsspezifisches Schweigen „in claustro, dormitorio, choro, studio et refectorio, dum comeditur“ gehörte.³ Die weiblichen Gemeinschaften der Bettelorden konnten diese Transgression der Worte in die Welt nicht mit vollziehen, da sie nach dem Vorbild der Regula Benedicti an einen festen Ort mit Klausurumschluss gebunden waren. Wenn ihre Worte in die Welt außerhalb des Klosters gelangten, dann nur nach strenger Kontrolle des Vorgangs und der Inhalte. Auch die Neuregulierung ihrer Konvente und Lebensformen in den Observanzbewegungen des 15. Jahrhunderts erfolgte,
Gegen eine Dichotomie von Sprechen und Schweigen verwahrt sich auch Michel Foucaults Konzeption von Diskursen, die neben den Inhalten und Modi des Gesagten mindestens ebenso durch Strategien des Schweigens bestimmt werden können, vgl. Foucault, Wissen, 40. Zur Operationalisierung in Bezug auf die verschriftlichten Repräsentationen des Schweigens vgl. Beatrice Michaelis, (Dis‐)Artikulationen von Begehren. Schweigeeffekte in wissenschaftlichen und literarischen Texten (Trends in Medieval Philology 25). Berlin, New York: de Gruyter, 2011. Vgl. Leonie Silberer, Architektur der Franziskanerklöster. Annäherungen, Forschungsfragen und Baubefunde. In Klöster. Melville et al. (Hg.), 2015, 3 – 18, hier 3. Diese Festlegungen waren Teil der Generalstatuten von Narbonne für die Franziskaner von 1260, vgl. Silberer, Architektur, 4; vgl. dazu auch Melville, Müller, Raumkonzepte, 118. https://doi.org/10.1515/9783110744613-005
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III Die Sakralisierung des Klausurraums durch die Regulierung der Worte
wie in den ersten Kapiteln dargelegt wurde, in erster Linie über die Einführung oder Wiederbeachtung der Klausur gemäß der „ursprünglichen“ Regel. Das Konzept der Umschließung setzte sich dabei über die Kontrolle und Disziplinierung aller Körper der in der Klausur lebenden Gemeinschaftsmitglieder durch. Dafür war die Regulierung ihrer Sprech- und Blickpraktiken und derjenigen aller Personen, die mit ihnen in Kontakt traten, notwendig.⁴ Die Disziplinierung materialisierte sich dabei unter anderem auch in spezifischen architektonischen Formen. Das Zusammenwirken von Kommunikationspraktiken und Architektur erzeugte Räume einer bestimmten Qualität von Sakralität und Kollektivität. Die (Wieder‐)Einführung der Klausur und ihre Raumpraktiken bildeten eigene Topologien für die weiblichen religiösen Gemeinschaften heraus. Für die Untersuchung dieser Topologien erweisen sich zwei Forschungsfragen als leitend. Susanne Knackmuß schlägt für die Analyse von Kommunikationsstrukturen in spätmittelalterlichen observanten weiblichen Klöstern das Begriffspaar „privat“ und „öffentlich“ vor, dessen Semantik dann während der Neubewertung des Ordenslebens in der Reformation einer Umbewertung unterzogen worden sei.⁵ Sie definiert den Klausurraum als „Sonderraum“ mit einer eigenen Privatheit nach außen bei gleichzeitiger Öffentlichkeit nach innen. ⁶ Der zweite Frageaspekt ergibt sich aus den Forschungsbefunden zum spezifisch franziskanischen Raumkonzept des äußeren und inneren Hauses, dem Raum der Gemeinschaft bzw. dem der Einzelperson, was sich architektonisch in Kreuzgang und Zelle abbildete.⁷ Klarissenkonvente müssen in ihrer Position zwischen der Observanz, die eine Re-Formulierung benediktinischer Raumtraditionen implizierte, und der franziskanischen Ordensfamilie und deren Bezügen auf die imitatio Christi verortet werden. Die Untersuchung der Topologien in Klarissenkonventen zwischen Reform und Reformation erweist sich dabei als Chance, durch eine genaue Beschreibung der Klausurraumproduktion in ihren Ausformungen und Grenzen die Dichotomien von Innen und Außen, Klausur und Welt, Person und Gemeinschaft sowie Diesseits und Jenseits produktiv zu befragen.⁸ Die einzelnen Dichotomien können allerdings nichtsdestotrotz als räumliche Leitdifferenzen dienen, um zu beleuchten, in welchen Semantiken sie im historischen
Zu diesen Aspekten der Klausur der observanten Dominikanerinnen vgl. Uffmann, Innen. Die Begriffswahl entspricht vordergründig der kommunikationshistorischen Perspektive mit dem Fokus auf Briefquellen, vgl. Knackmuß, KlausurUnterDruck, 49. Vgl. Knackmuß, KlausurUnterDruck, 43. Vgl. Melville, Müller, Raumkonzepte. Bisherige Arbeiten zu Klausur und Lebensform sind entweder durch die Epochensetzung „um 1500“ begrenzt oder beinhalten keine Klarissenklöster. Spezifisch raumanalytische Forschungsarbeiten zu Klarissenkonventen stehen bislang aus.
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Kontext der frühen Reformationszeit auftauchten und in welcher Weise sie die Diskussion von Lebensform und Gemeinschaft strukturierten. Im Zentrum dieses Kapitels steht die Untersuchung der Praktiken, die durch den Austausch von Worten innerhalb der Klausurräume selbst und durch sie hindurch in verschiedene Richtungen stattfanden und raumproduzierend wirkten. Mit dieser Analyse wird der Prozess der Erzeugung einer Dimension der Klausur beschreibbar, bei der die Regelung der Kommunikation die Produktion sakraler Räume durch einen medialen Transfer sicherstellen sollte. Sakralisierung – und daran gebunden ihr Gegenteil, Profanisierung – galt dabei als Modus der Grenzziehung im Rahmen der Gestaltung und Hervorbringung religiöser Räume, das heißt, sie trug dazu bei, Räume jedenfalls bis zu einem bestimmten Grad als religiös, heilig, jenseitig etc. wahrzunehmen.⁹ Der von Gerd Schwerhoff entwickelte Begriff des Sakralitätsmanagements berücksichtigt dabei den Modus des Handelns und vor allem den des Aushandelns konkurrierender Raumvorstellungen an ein und demselben Ort, der zugleich sakrale und profane Räume aufweisen konnte.¹⁰ Eine Operationalisierung des Sakralisierungsmodells für religiöse Räume verläuft dann über die leitenden Fragen, was einen Raum sakral macht, woran dies erkennbar ist und welche Hinweise gebaute Raumtypen, räumliche Anordnungen sowie Raumfiguren in menschlichen Praktiken darauf geben.¹¹ Die Regeltexte der Klarissen beinhalten eine Vielzahl von Regularien für die Kommunikation mit Worten.¹² Die Praktiken des Sprechens und Schweigens sind darin in Verbindung mit Orts- und Zeitbestimmungen sowie der Markierung legitimierter Personengruppen dargestellt. In einem observanten Konvent musste das geschriebene und gelesene, das gesprochene, gesungene und gehörte Wort kontrolliert werden, das von den Schwestern und konventszugehörigen sowie konventsexternen Personen gesendet oder empfangen wurde und dafür entweder die Grenzen der Klausur passieren musste oder unter bestimmten Vorausset-
Vgl. Schwerhoff, Sakralitätsmanagement, 40 – 41. Zur Re-Sakralisierung protestantischer Kirchenräume vgl. am Beispiel Hildesheims Renate Dürr, Politische Kultur in der Frühen Neuzeit. Kirchenräume in Hildesheimer Stadt- und Landgemeinden, 1550 – 1750 (Quellen und Forschungen zur Reformationsgeschichte 77). Gütersloh: Gütersloher Verlagshaus, 2006. Vgl. Schwerhoff, Sakralitätsmanagement, 41. Vgl. Rau, Religion, 13. Die Reformstatuten für die Klarissen der Straßburger Observanz etwa widmen den Kommunikationsregelungen drei von fünf Kapiteln, hier zitiert aus den Brixener Statuten des Johannes de Lare: „Von der reinigkeit vnd was dar zu mag fudern“, BrixStat, fol 47v; „Von dem goͤ tlich dienst das IIII capitel“, BrixStat, fol 53v; „Uon der still vnd sweygen halten das V. vnd leczt capitel“, BrixStat, fol 60r.
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zungen innerhalb der Klausurräume ausgetauscht werden durfte.¹³ Bestimmungen bezüglich des Gesprochenen und die Unterbindung des Sprechens betrafen zuweilen aber auch exklusiv die Gruppe der Schwestern. Ihr Sprechen miteinander war ebenfalls örtlich und zeitlich reguliert. Eine besondere Form der Regulation stellt(e) dabei das Schweigegebot dar, also das bewusst vermiedene, unterbundene, einbehaltene Wort. Damit sind die Modi der Kommunikation innerhalb des Klosteralltags herausgestellt, die der Regulierung bedurften. Es galt dabei vor allem, das mögliche Passieren der Grenzen der Klausur und der zu ihr gehörenden einzelnen Körper zu verhindern, das eine Beziehungsaufnahme in oder mit anderen Räumen als dem Klausurraum bedeuten konnte, sowie das Potenzial an Veränderung, das dem Eintreffen von Medien „von außen“ im Klausurraum innewohnen konnte, zu beschränken. Die absolute Kontrolle der Produktionsbedingungen und Produktionselemente der Klausur und ihrer Passierbarkeit waren konstitutiv für ihren Entwurf. Im Anspruch auf Reinheit war in erster Linie die Reinheit des Raumproduktionsprozesses angelegt. Dieser erfolgte durch die Angehörigen der Gemeinschaft und unter Kontrolle der beteiligten Akteur:innen von außerhalb. Nur so konnte der notwendige sakrale Charakter der Klausur sichergestellt werden. Die detaillierte Beschreibung der Kommunikationsvorgänge im Zusammenhang mit der Klausur und der mit ihnen verknüpften Elemente der Raumproduktion verbindet in den Regeltexten mehrere Ebenen der Repräsentation von Raum. Die diesbezüglichen Befunde werden im Folgenden mit den Raumerzählungen aus den chronikalischen Texten, die Kommunikationsregelungen im Zusammenhang mit Klausur thematisieren, konfrontiert. Der Beschreibungsmodus ist dabei stets die Relations- und Konstitutionsbeschreibung der Elemente des Raums, die durch die Kommunikationsregulierung und gemäß den Vorstellungen von Reinheit konstituiert wurden. Die in den Analysen herausgearbeiteten architektonischen Strukturelemente der Klausur werden um die Befunde zum materiellen Klausurraum der in dieser Studie untersuchten Konvente erweitert und in Beziehung zum Forschungskontext der franziskanischen Ordensarchitektur bzw. Bettelordensarchitekturgeschichte gesetzt.¹⁴ Die daraus entstehende Klausurtopologie weist analytisch eine dreidimensionale Struktur auf, die sich nach den Regulae, den historiografischen Erzählungen und den Befunden zur Architektur richtet.
Das galt auch für observante Klöster anderer Orden, vgl. Uffmann, Innen. Grundlage liefert die kunst-, architektur-, ordens- und regionalhistorische Forschungsliteratur, vgl. Kapitel II in diesem Band.
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Dieses Forschungsdesign orientiert sich an der Theoriebildung Henri Lefebvres zur Produktion des Raumes als Triplizität. Diese Triplizität (triplicité) beschreibt die dreidimensionale simultane Produktion des Raumes als räumliche Praxis (pratique spatiale), Repräsentation des Raumes (représentation de l’espace) und Raum der Repräsentation (espace de représentation), die wiederum die drei Modi le perçu (das Wahrgenommene), le conçu (das Konzipierte) und le vécu (das Gelebte/Erfahrene) implizieren.¹⁵ Das Modell der Triplizität des Raumes und seiner Modi der Erfahrbarkeit erweist sich für den Untersuchungsgegenstand als zielführend, ermöglicht es doch, sowohl den Zusammenhang zwischen Kommunikationspraktiken und Raumerzeugung in den jeweiligen Quellentypen zu erfassen als auch die Raumproduktion als Prozess in historischer Perspektive zu beschreiben. Die historische Analyse von Raumproduktion ist immer zugleich mit mehreren Ebenen der Produktion konfrontiert, mit der Beschreibung der historischen Raumproduktionsverläufe und ihrer Darstellung in der historiografischen Erzählung. Ist die Untersuchung der Raumerzeugung durch Sprache in der Literatur ein intensiv bearbeitetes Forschungsfeld in den Literaturwissenschaften mit eigenen Raumtheoriebildungen, so ist das Feld der Raumproduktion durch Sprachpraktiken in historischen Quellen für vormoderne Kontexte noch weitgehend unterbestimmt.¹⁶ Sowohl literarische Texte als auch historische Quellentexte bilden dabei Praktiken – stattgefundene oder imaginierte – auf der Ebene der Repräsentation ab; Praktiken aus anderen historischen Zeiträumen als der Gegenwart sind ausschließliche über die Form der Repräsentation überlieferbar
Vgl. Lefebvre, Production, 38 – 39. und 46. Zur Genealogie des Konzepts im Werk Henri Lefebvres vgl. Christian Schmid, Stadt, Raum und Gesellschaft. Henri Lefebvre und die Theorie der Produktion des Raumes (Sozialgeographische Bibliothek 1). München: Steiner, 2005, vor allem die Unterkapitel „Physischer, mentaler und sozialer Raum“; „L’espace perçu – die räumliche Praxis“; „L’espace conçu – die Repräsentation des Raumes“; „L’espace vécu – Räume der Repräsentation“, ebd., 205 – 231; Jenny Bauer, Thirdings, Representations, Reflections. How to Grasp the Spatial Triad. In Perspectives on Henri Lefebvre. Theory, Practices and (Re)Readings, hg. von Jenny Bauer, Robert Fischer. (SpatioTemporality / RaumZeitlichkeit 4): de Gruyter Oldenbourg, 2018, 207– 224. Hier sei in erster Linie auf die klassischen theoriebildenden Arbeiten von Jurij Lotmann und Michail Bachtin verwiesen, vgl. Michael C. Frank, Die Literaturwissenschaften und der spatial turn. Ansätze von Jurij Lotman und Michail Bachtin. In Raum und Bewegung in der Literatur. Die Literaturwissenschaften und der Spatial Turn, hg. von Birgit Neumann, Wolfgang Hallet. (Lettre). Bielefeld: transcript, 2009, 53 – 75. Für eine umfassende forschungsgeschichtliche Darstellung zu Raum und Räumlichkeit in den Literaturwissenschaften vgl. Bauer, Geschlechterdiskurse, und zwar das Kapitel „Raumdiskussionen“, 57– 76. Zu Raum und Räumlichkeit in Bezug auf Subjektivierungspraktiken und mit quellentypologischer Ausrichtung auf Selbstzeugnisse vgl. Andreas Bähr; Peter Burschel; Gabriele Jancke (Hg.), Räume des Selbst. Selbstzeugnisforschung transkulturell (Selbstzeugnisse der Neuzeit 19). Köln, Weimar, Wien: Böhlau, 2007.
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und zugänglich zu machen.¹⁷ Der entscheidende Unterschied historischer Quellen zu literarischen Texten besteht in der Voraussetzung ihrer wirklichkeitsregulierenden oder wirklichkeitsabbildenden Funktion, die differente Raumproduktionen einerseits auf der Ebene der Texte und andererseits auf der Ebene der Wissensproduktion mit sich bringt. Diese disziplinären Herausforderungen im Umgang mit theoretischen Konzepten des Raums verdeutlicht Jenny Bauer in ihrer Lefebvre-Lektüre aus literaturwissenschaftlicher Perspektive.¹⁸ So sei dessen Raumtrias, etwa bei einer Beleuchtung der unterschiedlichen Dimensionen der Produktion des Raums in literarischen Texten, zwar durchaus produktiv für die literaturwissenschaftliche Analyse. Gleichwohl nähmen literarische Texte als Fiktionen immer eine Distanz zum Anspruch der sozialen Realität des Raums ein, die Lefebvres Theorie voraussetze.¹⁹ Man könnte auch das Raumphänomen Klausur mittels der einzelnen Dimensionen des Raumes, wie sie die Raumtrias vorgibt, durchdeklinieren. Danach wären die liturgischen Praktiken als tägliche Routine oder Spuren des täglichen Lebens als die räumliche Praxis (pratique spatiale) und durch den Modus des perçu, des Wahrgenommenen, bestimmt. Das Kloster selbst kann als Repräsentation des Raumes (représentation de l’espace) und damit als das Konzipierte (conçu) gelten, das dem abstrakten Raum des Wissens über den Raum entspricht. Die einzelnen Bereiche der Klausur wie der Kreuzgang, der Chor und die Wohnräume können als Räume der Repräsentation (espaces de représentation) und im Modus vécu, der Gelebtes oder Erlittenes bezeichnet, verstanden werden. Die analytische Produktivität dieses Modells der Raumanalyse für die historische Rekonstruktion von Klausurraumproduktionen wird hieraus allein zwar kaum ersichtlich. Jedoch können die einzelnen Quellentypen jeweils als Schnittmengen dieser Dimensionen erschlossen werden, auch wenn die Raumtrias nicht vollständig deckungsgleich darin aufgeht. Die Idee dahinter ist, eine möglichst genaue Annäherung an die historischen Dimensionen der Produktion des Klausurraums zu erhalten und dabei die Dialektik des Faktischen und des Vorgestellten, die die Dimension der Repräsentation beinhaltet, einzufangen.²⁰ Damit soll auch der Herausforderung begegnet werden, die eine Kombination aus re-
Vgl. die konzeptionelle Diskussion praxistheoretischer Ansätze für die Geschichtswissenschaften bei Böth, Praxistheorie. Vgl. Jenny Bauer, Poesie und Poesis. Literaturwissenschaftliche Perspektiven auf Henri Lefebvre. In Mediale Räume, hg. von Stephan Günzel. (DesignWissen 2). Berlin: Kulturverlag Kadmos, 2018, 125 – 139. Vgl. Bauer, Poesie, 133. Zur Genealogie der Repräsentation in Lefebvres Werk vgl. Bauer, Poesie, 135 ff.
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gulativen und narrativen schriftlichen Quellen und dem Wissen über materielle architektonische Quellen beinhaltet. In diesem Kapitel stehen Sprechen und Schweigen als Praktiken der Produktion von religiösen Räumen im Mittelpunkt. Die Verbindung von als Handlung konzipierter Sprache und Raumerzeugung orientiert sich an der Verknüpfung von Sprach- und Raumtheorie bei Lefebvre. Wie später die Raumproduktion dachte Lefebvre auch Sprache als dreidimensionales, dialektisches Konzept. Die Verbindung zwischen beiden Feldern, Sprache und Raum, liege in ihrer ordnungsstiftenden Wirksamkeit, in den Worten Christian Schmids: „Tatsächlich postuliert Lefebvre, dass die Aktivität im Raum eine Ordnung etabliere, die bis zu einem gewissen Punkt mit der Ordnung der Worte übereinstimme […].“²¹ Auch die vielfältigen Phänomene des Schweigens und seine verschiedenen Semantiken in unterschiedlichen sozialen Feldern sind Thema vielfältiger Auseinandersetzungen seit der Antike. In der umfangreichen, vor allem sozialwissenschaftlichen, philosophischen und literaturwissenschaftlichen Forschung hat sich dabei der Konsens herausgebildet, dass das Schweigen an das Reden gebunden sei.²² Die Rede versehe das Schweigen mit Bedeutung und markiere es sprachlich. Überlieferte Zeugnisse des Schweigens können nur durch Worte vermittelt werden.²³ Das Schweigen als „sprachlich markierte Auslassung“ im monastischen Kontext strukturiert(e) wie alle anderen regulierten Praktiken den rituellen Ablauf des Alltags als fortlaufende Liturgie.²⁴ Das „Schweigen der Mönche“ geht auf die Regula Benedicti und weitere zeitgenössische Ordensregeln zurück und war bis zum Ende des 12. Jahrhunderts als asketisches Paradigma fest in die Praxis des
Schmid, Stadt, 237; vgl. auch Bauer, Poesie, 138. Bemerkenswert ist in diesem Zusammenhang außerdem auch die Formulierung einer verräumlichten Geschlechtertheorie von Jenny Bauer, die sich auf Lektüren Lefebvres und der sprechaktorientierten Theorie Judith Butlers zur vergeschlechtlichten Subjektivierung bezieht, vgl. Bauer, Geschlechterdiskurse, 77– 88 (Kapitel „Verflechtungen: Theorien von Raum und Geschlecht“). Für einen Überblick über die umfangreiche Wissensproduktion zu Phänomen des Schweigens innerhalb der Disziplinen vgl. die Überblicksdarstellungen in den jüngeren mediävistischen Studien von Michaelis, Schweigeeffekte, und Mireille Schnyder, Topographie des Schweigens. Untersuchungen zum deutschen höfischen Roman um 1200 (Historische Semantik 3). Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht, 2003. Zur älteren, vor allem literaturwissenschaftlichen Forschung vgl. Volker Roloff, Reden und Schweigen. Zur Tradition und Gestaltung eines mittelalterlichen Themas in der französichen Literatur (Münchener romanistische Arbeiten 34). München: Fink, 1973. Innerhalb literarischer Texte wird Schweigen laut der Literaturwissenschaftlerin Beatrice Michaelis in einer Logik des Zeigens und Inszenierens verarbeitet, vgl. Michaelis, Schweigeeffekte, 3 und 24. Vgl. Michaelis, Schweigeeffekte, 1.
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III Die Sakralisierung des Klausurraums durch die Regulierung der Worte
monastischen Lebens männlicher und weiblicher Religioser verankert.²⁵ Das Schweigen verstärkte das Bestreben nach Transzendenz in einer Bewegung weg von der Welt – während es gleichzeitig zu einer Erzeugung von Welt wurde.²⁶ Die im Orden der Kartäuser und Zisterzienser entwickelten Schweigezeichen stellten eigene Zeichensysteme dar. Ihre spezifische Gestik zu erschließen ist eine Variante, das Schweigen semiotisch zu erfassen.²⁷ Schweigevorschriften entwickelten sich genealogisch aus zwei Typen: dem kontemplativen Schweigen als Einkehr und dem disziplinierenden Schweigen aus Demut, Gehorsam und Armut.²⁸ Die Sprachregelungen zum Schweigen boten und bieten dabei über den individuellen Glauben hinaus Hilfe für die Gemeinschaft in der Nachfolge Christi an.²⁹ In seiner Abhandlung zu den Schichtungen des Gewissens, die die mittelalterlichen Diskurse um das Sprechen und Schweigen vor allem im Zusammenhang mit der Beichte entwickelt hätten, stellt Peter von Moos die Intentionen des Schweigegebots aus zwei Richtungen dar: Neben der asketischen Schweigepraxis der Weltflucht zum Zwecke der Abhärtung habe in Spätantike und Frühmittelalter die Rede von der Vorsicht vor den Worten entscheidenden Einfluss auf die Regulierung des Sprechens gehabt. Dieser Diskurs habe auf einem Modell des Körpers als Gefäßraum gefußt, den man sich als ständig vom Eindringen des Bösen bedroht vorgestellt habe. Aufgrund dessen habe jedwedes Sprechen in Gehalt und Intensität reguliert werden müssen.³⁰ Dieser Diskurs der Rede sprach der Zunge eine machtvolle Position zu als dem Körperteil, das es zu kontrollieren und zu bändigen gelte. Diese Konzeption der
Das titelgebende Motiv der „Weltflucht“ im Essay von Peter Fuchs, der die monastische Praxis des Schweigens als soziologisch wirksamen Kommunikationscode konzeptualisiert, illustriert die Wirkmächtigkeit der Imagination monastischer Traditionen als Vorbild für die Entwicklung und Ausdifferenzierung sozialer Strukturen und Systeme im historischen Wandel, vgl. Peter Fuchs, Die Weltflucht der Mönche. Anmerkungen zur Funktion des monastisch-aszetischen Schweigens. Zeitschrift für Soziologie 15: 6 (1986), 393 – 405. Vgl. auch Schnyder, Topographie, 91. Vgl. Fuchs, Weltflucht, 395. Vgl. dazu die grundlegende Untersuchung von Jean-Claude Schmitt, Die Logik der Gesten im europäischen Mittelalter. Stuttgart: Klett-Cotta, 1992. Vgl. Schnyder, Topographie, 136. Vgl. Schnyder, Topographie, 135. Vgl. Moos, Herzensgeheimnisse, 94. Darin allerdings wird auf den gefährdeten Raum, in den das Böse eindringen könne, als den innersten Teil des Subjekts verwiesen, der in den gelehrten Texten und Bußschriften gewissermaßen als unhintergehbarer Kern des Gewissens konstituiert worden sei. Die Schlussfolgerung aus dieser dem Ansatz nach vielversprechenden Subjektivierungsanalyse mündet jedoch unkritisch in eine Rückverlegung psychoanalytischer Ursprünge in das 12. Jahrhundert. Die hier beobachtete vorgebliche Entstehung von Innerlichkeit in den Reformdiskursen des 12. Jahrhunderts wird im Sinne einer Essentialisierung von Subjektivität gelesen.
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Gefahr durch die machtvolle Zunge nahm auch die Regula Benedicti auf: Mönche hätten auf ihre Wege und ihre Zunge zu achten und besser vom Guten zu schweigen als zu viel zu reden.³¹ Das Sprechen sei Vorrecht des Meisters, den Jüngern gebührten hingegen Hören und Schweigen. Den discipuli sei das Reden grundsätzlich nur selten erlaubt, Albernheiten und Geschwätz seien verboten und verbannt.³² Die Schweigegebote nach dem Vorbild antiker Eremiten, die die Regula Benedicti auffächert, materialisierten sich in den karolingischen Klöstern des 9. Jahrhunderts in einer Verortung des Sprechens (nur) zu verschiedenen Tageszeiten und in speziellen Bereichen wie Teilen des Kreuzgangs, unter Aufsicht, leise, ruhig, synchron und über spirituelle Inhalte; das normative Schweigen erstreckte sich auf die Nacht sowie ebenfalls verschiedene Tageszeiten und gesonderte Räume in der Klausur. Als Raum für das exponierte Sprechen wurde das Auditorium (Sprechzimmer) konzipiert, das durch seine kanalisierende Funktion die übrigen Räume vor Verunreinigung schützte.³³ Mit der Entstehung der Bettelorden um 1200 veränderte sich die Bezugnahme auf Schweigetraditionen für deren männliche Ordensmitglieder. Die predigenden Brüder bewegten sich in der Welt und verkündeten dort das Wort, anstatt eine ausschließlich ortsgebundene Liturgiepraxis zu ver- und befolgen. Damit veränderte sich die Antithese von Kloster und Welt entlang des Sprechens, wenngleich, wie oben bereits dargestellt, ortsbezogenes und temporäres Schweigen mit der Errichtung der franziskanischen Klöster Einzug in die Klausur hielt. Die weiblichen Religiosen blieben der stabilitas loci und den zugehörigen Schweigegeboten nach dem Vorbild der Regula Benedicti verpflichtet; durch die Observanzbewegungen wurden die in der Ordensregel festgelegten Vorschriften zum Schweigen noch verstärkt. Die weiblichen franziskanischen Gemeinschaften standen und stehen durch ihre Bezugnahme auf die franziskanische Lebensweise der Christusnachfolge als aktives Raum- und Bewegungskonzept einerseits und die
Vgl. Jö rg Sonntag, Klosterleben im Spiegel des Zeichenhaften. Symbolisches Denken und Handeln hochmittelalterlicher Mö nche zwischen Dauer und Wandel, Regel und Gewohnheit (Vita regularis. Abhandlungen 35). Berlin: LIT Verlag, 2008, 248. Auf die Konzeption der Zunge als potentes, phallisches Körperteil und Machtinstrument rekurriert auch Lynda Coons geschlechterspezifische Analyse der Regula Benedicti, in der sie die vergeschlechtlichte und vergeschlechtlichende Hierarchisierung der homosozialen benediktinischen Mönchsgemeinschaft anhand der Sprechpositionen erläutert, vgl. Coon, Bodies, insbesondere das Kapitel „Gendering the Benedictine Rule“, 69 – 97, hier vor allem 96. Zur Theologie des Lachens vgl. Christoph Auffarth, Glaubensstreit und Gelächter. Religion – Literatur – Kunst. Eine Einführung. In Glaubensstreit und Gelächter. Reformation und Lachkultur im Mittelalter und in der Frühen Neuzeit, hg. von Christoph Auffarth, Sonja Kerth. (Religionen in der pluralen Welt Bd. 6). Berlin, Münster: LIT Verlag, 2008, 1– 18, hier 9 ff. Vgl. Sonntag, Klosterleben, 249 ff.
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Verpflichtung zur Verortung in einem claustrum andererseits in einer gesonderten Position. Ihre Praktiken und Bezugnahmen auf diese Leitideen innerhalb der Quellen werden im Folgenden analysiert und auf die Möglichkeit einer eigenen Schweigetradition befragt. Das Schweigen wird als Teil des mappings eines sakralen Klausurraums untersucht.
III.2 Regulierte Worte III.2.1 Geschriebenes Das geschriebene Wort wird in den Regeltexten der Klarissen in erster Linie durch die Vorgabe reguliert, dass keine Schwester ohne das Wissen der Äbtissin Briefe schreiben, senden oder zu empfangen habe. Die Brixener Statuten begründen die dementsprechende „behaltung der regel“ mit dem Anspruch, zu verhindern, dass eine swester etwas schedlichs hin auß sagt oder schrib, es wer heimlich oder offenlich, da von besunder der orden oder das closter zu sorgen oder verleumung moͤ cht kumen [.] [Schwestern, die dem zuwider handelten, BR], die sol man in das zucht hauß sliessen oder anders hertigklich püßen, ja auch bis in den kercker, wer sach das swer der schuld semlichs verdient, nach vrteil der abtissin vnd ir ratt swestern. ³⁴
Das mit hoher Strafe bis hin zur Kerkerhaft geahndete Verbot der Verleumdung, der üblen Rede oder Nachrede betraf dabei jegliches Wort, das vom Konvent aus an die andere Welt außerhalb gerichtet wurde, in schriftlicher und auch mündlicher Form. Die Kontrolle über das geschriebene Wort oblag der Äbtissin, die jeden der ein- und ausgehenden Briefe lesen und mit ihrem Siegel genehmigen musste. Unterstützt wurde sie darin von zwei Amtsbereichen des Konvents und den entsprechenden Amtsschwestern: Die Windenmeisterin als Bewacherin des Konvents an der Schnittstelle des Transfers physischer Gegenstände sowie die Schreiberin als Verantwortliche für die Schriftproduktion des Klosters hätten diese Regulierung zu gewährleisten, indem sie ohne Wissen und Genehmigung der Äbtissin „nit lassen ein noch auß nemen oder geben […] [,] noch keiner swester nit hinein enphahen vnd yr geben […].“³⁵ Die in diesen Statuten kommentierte Urban-Regel enthält in dem Kapitel über das Amt der Äbtissin die Vorgaben zur Regulierung der Schrift. Da es der Äbtissin obliege, das Siegel des Konvents zu verwalten
BrixStat, fol 47– 48r. BrixStat, fol 48r.
III.2 Regulierte Worte
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und alle Schriftstücke, die das Kloster verlassen, zu versiegeln, während sie an den Konvent gerichtetes Schriftgut im Kapitel verlesen solle, sei es auch keiner Schwester erlaubt, einen Brief zu „senden noch enpfahen [, ohne, BR]·das in die Abtassin gelese oder ir aber gelesen wird von einer andern die da zu geseczt ist.“³⁶ Die Vorschriften zum geschriebenen Wort unterscheiden sich jedoch in ihrer semantischen Verortung in den jeweiligen Themenfeldern der Regeltexte. Als Teil der Aufgabenbereiche des Äbtissinnenamtes in die Urban-Regel aufgenommen, diskutieren die Brixener Statuten den Schriftverkehr im Zusammenhang mit der Reinheit und Reinhaltung der Gemeinschaft und ihrer Räume. In der Regula Sanctae Clarae und auch den kommentierenden Constitutions der Colette Corbier wird das Thema dem Armutsdiskurs zugewiesen, wodurch das Empfangen einer persönlich adressierten Sendung als eine Form des Eigenbesitzes anzusehen ist. Die Gewährleistung von „lautrykeit vnd reinikeit“ als höchsten Tugenden, die von observanten Klarissen gefordert wurden, umfasste die Reinheit des Wortes und des Wissens, das diese Worte transportierten. Daher war die Kontrolle des heraus- und hereingehenden Wortes ein konstitutiver Teil der Klausurpraxis; sie unterstand, wie gesagt, der Äbtissin, deren Person und Amt als Kopf des Konvents konzipiert waren. Die Äbtissin organisierte, verwaltete und reproduzierte das Wissen, das für die Schwestern notwendig war, um den Konventsalltag in praktischer wie spiritueller Hinsicht zu gestalten. Briefe konnten in diesem Zusammenhang als Speicher von „eigensinnigen“, ungeprüften Gedanken oder als aufgeladen mit fremdem Wissen, das unkontrolliert ins Kloster eindringen könnte, angesehen werden.³⁷ Der Klausurraum musste jedoch ständig kontrolliert Urban-Regel XXII, zitiert in der Fassung der BrixStat, fol 33r – v. Nach der inhaltlich übereinstimmenden Vorschrift in der Regula Sanctae Clarae sollte es keiner Schwester erlaubt sein, „Briefe fortzuschicken oder etwas anzunehmen oder aus dem Kloster wegzugeben ohne Erlaubnis der Äbtissin.“ RSC VIII, 3. Der Begriff „Eigensinn“ wurde zum Verständnis der Handlungsweisen historischer Akteur: innen durch den Historiker Alf Lüdke als wissenschaftlicher Terminus für die Historische Anthropologie geprägt, vgl. Alf Lüdtke, Lohn, Pausen, Neckereien. Eigensinn und Politik bei Fabrikarbeitern in Deutschland um 1900. In Eigen-Sinn. Fabrikalltag, Arbeitererfahrungen und Politik vom Kaiserreich bis in den Faschismus. Hamburg: Ergebnisse Verlag, 1993, 120 – 160; zur Historiografie vgl. Thomas Lindenberger, Eigen-Sinn, Herrschaft und kein Widerstand, Version: 1.0. Docupedia-Zeitgeschichte 2. 9.2014, 1– 19. http://docupedia.de/zg/Eigensinn (05.03. 2019), S. 2. Zum „Eigensinn“ von Dingen im Zusammenhang mit der Historisierung materieller Kultur vgl. Hans Peter Hahn, Vom Eigensinn der Dinge. Bayerisches Jahrbuch für Volkskunde (2013), 13 – 22, sowie den Sammelband Hans Peter Hahn (Hg.), Vom Eigensinn der Dinge. Für eine neue Perspektive auf die Welt des Materiellen. Berlin: Neofelis, 2015. Zur Bedeutung von Briefen als Überbrückung der „Kluft zwischen Kloster und Welt“ vgl. Gabriela Signori, Irdische Gaben oder himmlische Früchte? Geschenk und Brief in Frauenklöstern und -stiften des ausgehenden 15. Jahrhunderts. In Ein Platz für sich selbst. Schreibende Frauen und
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werden, um als einheitlicher gemeinsamer Wissensraum produziert werden zu können. Das betraf neben Briefen auch alle anderen Schriftprodukte wie Handschriften und Bücher, die Objekte regen Austausches zwischen den Konventen waren und darüber hinaus als Schenkungen, mitgebrachter Besitz oder Erwerb Eingang in das Kloster finden konnten.³⁸ Briefe als in Schrift manifestierte Worte waren dabei zunächst als Gegenstände leichter zu kontrollieren als ausgetauschte Worte, deren Kontrolle ja eine Zeug:innenschaft im unmittelbaren Moment des Sprechens erfordert. Ihr Status als Objekte zeigt darüber hinaus einen Mehrwert an, der über den inhaltlichen Gehalt der Worte hinausgeht. Darauf verweist auch der diesbezüglich für deutschsprachige weibliche Konvente im Spätmittelalter sicher spektakulärste Fall aus dem Klarissenkloster Söflingen. Die Söflinger Briefe, entstanden um 1484, haben innerhalb der Geschichtsschreibung zur Schriftpraxis in Nonnenklöstern einen besonderen Status als einzige bekannte deutschsprachige Quelle für Privatbriefe von und an Nonnen bzw. Schwestern in der Klausur zugewiesen bekommen, aus denen sich auf personale „Liebesbeziehungen“ bzw. Versuche, solche aufzunehmen, rückschließen lässt.³⁹ Um Nachweise für seine Reformbedürftigkeit zu erbringen, wurde das Kloster damals visitiert, und man fand diese Nachweise dann auch in Form von dreiundsechzig Briefen, Liebesliedern und einigen auffälligen Gegenständen wie verbotenen Kleidungsstücken in den Einzelzellen der Schwestern.⁴⁰ Der größte Teil der Briefe wurde zwischen den Schwestern und befreundeten Ordensbrüdern gewechselt. Für die Visitatoren und deren Einschätzung der Reformbedürftigkeit ausschlaggebend war indes weniger der Verdacht auf die Verletzung des Zölibats als die in den Briefen und im sonstigen Bereich des Klosters offenbar gewordene
ihre Lebenswelten (1450 – 1700), hg. von Anne Bollmann. (Medieval to Early Modern Culture 13). Frankfurt am Main: Lang, 2010, 179 – 195, hier 179. Vgl. Uffmann, Rosengarten, Unterkapitel „Käufe, Kopien und Geschenke: Bucherwerb in Frauenklöstern“, 101– 107; Knackmuß, KlausurUnterDruck, 47. Zu Aufbau und Organisation von Klosterbibliotheken der Dominikanerinnen vgl. Schlotheuber, Bücher. Vgl. Gabriela Signori, Die Söflinger Liebesbriefe oder die vergessene Geschichte von Nonnen, die von Liebe träumen. Metis 4 (1995), 14– 23. Vgl. Marc Müntz, Freundschaften und Feindschaften in einem spätmittelalterlichen Frauenkloster. Die sogenannten Söflinger Briefe. In Meine in Gott geliebte Freundin. Freundschaftsdokumente aus klösterlichen und humanistischen Schreibstuben, hg. von Gabriela Signori. (Religion in der Geschichte 4). Bielefeld, 1995, 107– 116, hier 116.
III.2 Regulierte Worte
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Umgehung des Armutsgebots, das ja persönlichen Besitz und die Anhäufung von Gütern verbot.⁴¹ Auch die Denkwürdigkeiten der Caritas Pirckheimer thematisieren das schriftliche Wort gehäuft im Zusammenhang mit dem Äbtissinnenamt. Die außergewöhnliche Textstruktur dieser Chronik, die aus Abschriften der thematisch gefilterten aus- und eingegangenen Briefkorrespondenz der Äbtissin, Suppliken und Berichten über die in den beiden Textsorten thematisierten Ereignisse erstellt wurde, bietet einen anschaulichen Einblick in den Teil der Kommunikationspraxis des Konvents, der ausgehend von der Lesung und Diskussion der ein- und ausgehenden Briefe gestaltet wurde.⁴² Die Kommunikation aus den Jahren 1524 und 1525, die in die Chronik aufgenommen wurde, beinhaltete die Auseinandersetzung um die dem Kloster zugeordneten Seelsorger, den geforderten Austritt von drei Schwestern aus dem Konvent sowie die Debatten um den Stand des Klosterlebens und die (Re‐)Organisiation der Herrschaftsverhältnisse und Lebensformen, die sich daran entzündet hatten. Verweise auf verschriftlichte Kommunikation im Chroniktext beziehen sich außerdem etwa auf das Verlesen und Diskutieren von Suppliken, die, von der Äbtissin formuliert und von der Schreiberin verschriftlicht, dem gesamten Konvent zumeist von der Priorin verlesen wurden.⁴³ Die Chronik schildert diese Form der Kommunikation als ein reges Austauschverhältnis zwischen Äbtissin und Konvent, bei dem alle Schwestern regelmäßig nach ihrer Einschätzung befragt wurden.⁴⁴ Dieses Handeln gemäß der Regel wird auch in den Briefen an den Klosterpfleger – und bezüglich dessen eigener Briefe – geschildert, etwa an dieser Stelle: […] und so eyr brif an mich und den convent gestanden ist, hab ich den offenlich vor allem c[onvent] loßen leßen du ein itliche insunderheit jung und allt gefrogt, was ir will sey, daz sy wider antwurten wollen; also hat mir ein itliche ir gut beduncken gesagt, dy meynung, wy dann der priff innhelt.⁴⁵
Auch der Prozess der Verschriftlichung des eigenen Antwortschreibens wird als vorbildlich dargestellt: Die Äbtissin habe den Entwurf für den Antwortbrief an
Daneben spielte die offensichtliche Uneinigkeit im Konvent, die über die jeweiligen Kontakte zu den Ordensbrüdern ausgetragen wurde, offenbar eine entscheidende Rolle, vgl. Müntz, Freundschaften, 110 – 111. Zur Diskussion des Liebesdiskurses in den Söflinger Briefen vgl. Signori, Liebesbriefe. Eine Edition der Briefe ist enthalten in Max Miller, Die Söflinger Briefe und das Klarissenkloster Söflingen bei Ulm a. D. im Spätmittelalter. Würzburg-Aumühle: Triltsch, 1940. Vgl. zur Textgeschichte Woodford, Nuns, 88 ff. DW, 34. DW, 44. DW, 50.
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eine Tafel geschrieben und die Schreiberin davon abgeschrieben, woraufhin der Brief vor dem Versiegeln erneut vorgelesen und diskutiert worden sei.⁴⁶ Dieser Einblick in die Prozesse der Meinungsbildung und Verschriftlichung zeigt den Entwurf einer perfekt organisierten Konventsgemeinschaft, in der die Hierarchisierung ausschließlich nach funktionalen Kriterien erfolgte. Darüber hinausgehendes personengebundenes Schreiben war ausschließlich an das Amt der Äbtissin gebunden und nicht hervorhebenswert.⁴⁷ Die Petite Chronique der Justine de Jussie erwähnt Praktiken des Schreibens in Abweichung von der Regel gebunden an Personen, die als „Abtrünnige“, das heißt ausgetretene Schwestern, ohnehin nicht länger zur Konventsgemeinschaft gehört hätten. Durch diesen Bruch mit der Regel wurde es möglich, Vergehen von Schwestern wie die Nichteinhaltung der liturgischen Vorschriften zu thematisieren.⁴⁸ Schreiben als Ausdruck einer individuellen Perspektive, wie es für Klosterchroniken des späten 16. und 17. Jahrhunderts diskutiert wird, ist kein Teil der Diskurse um Schriftlichkeit innerhalb der hier untersuchten Chroniken. Ein eigener – jedoch nicht eigensinniger – Ausdruck der Meinungsäußerung floss in die kollektive Produktion einer gemeinsamen Stimme ein, die zu einem in der Regel lebenden Konvent gehörte.
III.2.2 Gesagtes Die Regeltexte der Klarissen formulierten zahlreiche Vorschriften über das gesprochene Wort, die zugleich die Reinheit seines Gehalts und den Vorgang des Transfers der Worte überwachen sollten. Entworfen wurde darin eine Hierarchisierung von Orten des Sprechens, die auch durch Zeitlichkeit, vor allem aber durch die Legitimität der einzelnen Sprecher:innen gekennzeichnet war. Die Richtlinien für erlaubtes und verbotenes Sprechen in den Räumen der Klausur und an ihren Grenzen wurden mit den entsprechenden Orten und Gebäudeteilen verknüpft, die die Architektur eines klausurierten Klosters bildeten. Dazu gehörten das Tor/die Pforte⁴⁹, die Winde/das Drehfenster (tournet)⁵⁰, das Sprechfenster/ Redfenster (parloir/locutorium)⁵¹ und das Gitter (grille/crates)/das Fenster im
DW, 50. Vgl. zur intensiven Briefpraxis der Caritas Pirckheimer Knackmuß, Äbtissin. Vgl. PC, fol 228v. Vgl. RSC XI; RegUrb XIII. Die Urban-Regel sieht neben dem oberen Tor noch ein zweites Tor („nydern thor“, RegUrb XV, vor. Vgl. RegUrb XIV. Vgl. RSC V; RegUrb XVI.
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Gitter (gater)⁵² als Orte, an denen Personen, Gegenstände, Worte und Blicke die Mauer des claustrums – jedenfalls theoretisch – in beide Richtungen passieren konnten. Sämtliche dieser Passageorte ermöglichten zwar Kommunikation, waren aber nicht sämtlich dafür auch eingerichtet. Sie mussten daher jederzeit bewacht und von innen verschlossen gehalten werden. Die Urban-Regel verbietet das Sprechen an den beiden Toren: „[…] das kein persone mug da gereden […].“⁵³ An der Winde sollten nur die für die Bewachung eingesetzte Schwester und ihre als Gehilfin eingesetzte Gefährtin sprechen, außer im Fall von Ausnahmen, die die Äbtissin zu regeln habe, was allerdings „auch gar selten geschehen vnd auch nach der masse des redens als da vor geschriben“⁵⁴ stattfinden solle. Die Brixener Statuten übernahmen diese Vorschrift und gestatteten das Sprechen an der „winden“ mit nicht konventsangehörigen Personen nur den Amtsschwestern und ausschließlich nach Notwendigkeit.⁵⁵ Die Regula Sanctae Clarae weist als legitime Orte des Sprechens für alle Schwestern lediglich das Sprechfenster und das Gitter aus. Am Sprechfenster musste das Sprechen innerhalb der allgemeinen Redezeit von der Terz bis zur Komplet, allerdings außerhalb der Fastenzeit und der Martini-Fastenzeit stattfinden, die Erlaubnis der Äbtissin oder Vikarin bekommen haben und in Anwesenheit von zwei weiteren Schwestern erfolgen.⁵⁶ Das Sprechen am Gitter war zusätzlich zu den genannten Bedingungen noch weiter eingeschränkt, da hier anstelle der beiden „normalen“ Schwestern mindestens drei Ratsschwestern, also Angehörige des inneren Kreises des Konvents, sowie zusätzlich Äbtissin oder Vikarin anwesend sein mussten.⁵⁷ Die Urban-Regel teilte die Vorschrift bezüglich der Orte, an denen das Sprechen legitimiert werden könne, ebenfalls in zwei, „redvenster“ und „gater“, versehen mit detaillierten Angaben über Lage und Beschaffenheit. Das „redvenster“ sei „in der capellen oder an einer andern stat des closters“⁵⁸ einzurichten und mit einem durchlöcherten Eisenblech zu versehen, es solle mit Nägeln beschlagen und inwendig mit einem schwarzen Leinentuch verhängt werden.⁵⁹ An diesem Fenster sei das Sprechen von der Komplet bis zur Prim des folgenden Tages verboten, ebenso während des Schlafens, Essens
Vgl. RSC V; RegUrb XVII. Die Brixener Statuten zählen „winden, venster, schupf vnd loͤ cher“ auf, vgl. BrixStat, fol 48v. Vgl. RegUrb XV, fol 21v. RegUrb XIV, 21r – v. BrixStat, 48v. Vgl. RSC V, 1 m 5, 6, 14. RSC V, 7– 8. Vgl. RegUrb XVI, 22r. RegUrb XVI, 22v.
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und des Gottesdienstes. Das erlaubte Sprechen ist in diesem Text gekennzeichnet von Mäßigkeit und Zucht und soll so kurz wie möglich erfolgen.⁶⁰ Das reguläre Fenster, das sich am Gitter („gater“) befinden solle, das den Chor der Schwestern und die Kapelle voneinander trenne, sei mit einem eisernen Blech zu verschließen.⁶¹ Für die Erteilung der Kommunion, während der Predigt und für Besuche von Verwandten könne außerdem die Tür am Gitter geöffnet werden, das aber „selten […] vnd alweg mit der abtassin vrlaub […].“⁶² Während des Gottesdienstes in der Kirche konnten so gesungene und gesprochene Worte der Schwestern den Chorraum in Richtung Kapelle verlassen, während Worte aus dem Kirchenraum den Chorraum erreichen konnten.⁶³ Über innerklösterliche Zeuginnen der Unterredungen am Gitter sagt diese Ordensregel nichts. Die Brixener Statuten privilegierten das „venster“ als einzigen Ort, der explizit dafür eingerichtet war, allen Schwestern reguläres Sprechen zu ermöglichen. Sie benötigten dabei für das Sprechen mit anderen, also konventsfernen Personen einen akzeptablen Grund und die Erlaubnis der Äbtissin. An Sonn- und Feiertagen habe niemand bis auf die Amtsschwestern an den Kontaktorten zu sprechen, es sei denn, die Notwendigkeit erfordere es. Eine Ausnahme bestand dann, wenn es sich bei den Besucher:innen um auswärtige Personen handelte, die nicht ohne Weiteres hätten am Folgetag wiederkommen können.⁶⁴ Eine dezidierte Zeitangabe für die Sprechdauer legten einzig die Brixener Statuten fest und erlaubten eine halbe Stunde Sprechzeit am Fenster, die ohne Erlaubnis der Äbtissin nicht überschritten werden durfte, sollte der betroffenen Schwester die Erlaubnis, mit Besucher:innen zu sprechen, nicht für einen Zeitraum von einem Viertel- bis zu einem ganzen Jahr entzogen werden.⁶⁵ Zur Unterstützung dieser zeitlichen Begrenzung sollte es am Fenster unterlassen werden, Speisen und Getränke zu reichen, damit die Besucher:innen nicht ins „Zechen“ verfallen und dadurch die Anwesenheit der Schwestern verlängern und diese so vom Gottesdienst abhalten würden.⁶⁶ Diese Regelung muss als Reaktion auf beobachtete (oder mindestens unterstellte) Praktiken in vor-observanten Klarissenkonventen verstanden werden, in denen, so die Anklage bzw. der Verdacht der Observanzbewegung, unregulierte Kontakte zu Besucher:innen hin-
RegUrb XVI, 22v – 23r. RegUrb XVII, 23r. RegUrb XVI, 23v – 24r. RegUrb XVI, 24v. Vgl. BrixStat, fol 49r. BrixStat, 49v. BrixStat, 49r.
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sichtlich Dauer, Ort und der Art und Weise der Gesprächsführung stattgefunden hätten.⁶⁷ Die Constitutions ergänzten und verschärften die Vorschriften der Regula prima zur Sprechregelung am Gitter in Bezug auf den Gehalt der Worte, die möglichen Sprechgäste und die Häufigkeit des Gesprächs. Das Sprechen solle thematisch beschränkt sein auf „la Règle“ (die Forma vitae) und mit „des personnes de grande qualité, prudentes et sûres, des proches parents, des amies spirituels, et cela très rarement“ erfolgen.⁶⁸ Für die Kontrolle des Sprechens am Fenster durch innerklösterliche Zeuginnen führten die Brixener Statuten die Figur der „hoͤ rerin“ ein, die prinzipiell von jeder geweihten Schwester verkörpert werden konnte.⁶⁹ Nur in ihrem Beisein durfte eine Schwester am Fenster sprechen. Bei einer Novizin musste während des Sprechens jedoch zusätzlich die Äbtissin oder mindestens die Novizenmeisterin anwesend sein und die Rolle der Hörerin einnehmen.⁷⁰ In insgesamt drei der hier vorgestellten Regeltexte soll gewährleistet werden, dass jedes Wort, das die Klausur verlässt oder in diese eindringt, von mindestens einer dritten Person gehört wird. Ein exklusiver Dialog zwischen einer Schwester und einer auswärtigen Person sollte nach der Regel nicht existieren. Auch durch diese Praxis konnte innerhalb des Klosters kein individuelles Wissen (weder über das Kloster noch die „Welt“) entstehen. Das Sprechen ausschließlich unter den Ohren von Zeuginnen konstituierte zusätzlich zur Klausur der Klosterräume auch den einzelnen Körper einer Schwester als Klausurraum, den kein Wort passieren durfte, das nicht mit der Gemeinschaft geteilt wurde. Dabei kam es in zwei klausurrelevanten Aspekten einerseits zu einer Konstruktion des Körpers als Raum, der, gerade da man ihn sich als durchlässig dachte, stets und an allen Öffnungen überwacht werden müsse, um nicht neben dem Zugang für Gottes Wort und der Passage von Speisen, Getränken und Ausscheidungen dem Teuflischen Durch- bzw. Eingang zu gewähren.⁷¹ Die bezeugte Sprechsituation bedeutete andererseits aber auch eine Die „Feststellung“ solcher Gesprächspraktiken in weiblichen Klöstern des 15. Jahrhunderts war Teil des Narrativs vom „Niedergang des Ordenswesens“ und wurde ordensübergreifend in Visitationsberichten und Reformschriften formuliert, vgl. Uffmann, Rosengarten, 42; die explizite Beschreibung der verbotenen Bewirtungspraxis legt nahe, dass diese zumindest an einigen Orten so oder ähnlich stattgefunden hat. Vgl. Const Coll IX, 6. BrixStat, 48r. BrixStat, 49r. Vgl. Moos, Herzensgeheimnisse, 93 – 94. Zu Körperkonzepten spätmittelalterlicher Dominikanerinnen vgl. Uffmann, Körper. Zur Transzendenz des Körpers in die Stimme in den Praktiken der Regula Benedicti, die auf das Refektorium bezogen sind, vgl. Coon, Bodies, 70 – 71.
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III Die Sakralisierung des Klausurraums durch die Regulierung der Worte
Aufhebung der Dualität von Beziehungen. Einzig die Beichte fand in einer Sprechsituation ohne Hörerin statt, hier übernahm der Priester als Übermittler die Position und Funktion der Dritten. Die Regulierungen von Kommunikation und Klausur zeigen, dass an allen Kontaktorten der Klausur das Sprechen prinzipiell möglich war, die einzelnen Orte jedoch durch den Stand sowohl der jeweiligen Schwester als auch der von außen herantretenden Person hierarchisiert wurden. Eine weitere Ordnung erfolgte über die Zeitbestimmungen hinsichtlich der Dauer der einzelnen Rede, der Tageszeit nach dem Stundengebetsrhythmus und der Jahreszeit im liturgischen Kalender. Das Sprechfenster und das Gitter als Orte des Sprechens für alle Schwestern waren des Weiteren ausdifferenziert nach der Art der Sakramente, die jeweils an diesen Orten vollzogen wurden, und den unterschiedlichen Sichtbarkeitsregelungen. Die in den Regularien implizierten Sprechpraktiken, die sich auf Akteur:innen auf beiden Seiten der Klausur beziehen, verweisen auf Orte, die Kontaktmöglichkeiten zwischen dem Konvent und der umliegenden Welt ermöglichten. Für die Bestimmung der an diesen Orten produzierten Räume eignen sich zwei ineinandergreifende Raumkonzepte, die ursprünglich innerhalb der postkolonialer Theoriebildung entwickelt wurden: die contact zone und der Zwischenraum. So entwirft die Literaturwissenschaftlerin Mary Louise Pratt eine Theorie der Grenze als einem Raum, den sie als „contact zone“ bezeichnet, als „social [place] where disparate cultures meet, clash, and grapple with each other, often in highly asymmetrical relations of domination and subordination.“⁷² Die Konzeption der contact zone erlaubt es, Akteur:innen verschiedener Positionierungen in ihren Machtasymmetrien zu erfassen; sie konzeptualisiert die Grenze damit als einen relationalen Raum.⁷³ In der Interaktion von Sprechakten der Akteurinnen aus dem Inneren des Konvents mit solchen von Personen außerhalb wurde eine Kontaktzone produ-
Mary Louise Pratt, Imperial Eyes. Travel Writing and Transculturation. London, New York: Routledge, 1992, 7.Vgl. dazu auch Günzel, Einführung, 68; Tobias Döring, 11. Postkoloniale Räume. In Handbuch Literatur & Raum, hg. von Jörg Dünne, Andreas Mahler. (Handbücher zur kulturwissenschaftlichen Philologie 3). Berlin: de Gruyter, 2015, 137– 147, hier 145 – 146. Für einen Forschungsüberblick über Grenzen in verschiedenen Disziplinen vgl. Étienne François, Jörg Seifarth, Bernhard Struck, Einleitung. Grenzen und Grenzräume. Erfahrungen und Konstruktion. In Die Grenze als Raum, Erfahrung und Konstruktion. Deutschland, Frankreich und Polen vom 17. bis zum 20. Jahrhundert, hg. von Étienne François, Jörg Seifarth, Bernhard Struck. Frankfurt am Main, New York: Campus Verlag, 2007, 7– 32. Zur Auffächerung des Themas Grenzen und Grenzräume in frühneuzeithistorischer Perspektive vgl. Christine Roll; Frank Pohle; Matthias Myrczek (Hg.), Grenzen und Grenzüberschreitungen. Bilanz und Perspektiven der Frühneuzeitforschung. Köln, Weimar, Wien: Böhlau, 2010.
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ziert, die noch genauer als Zwischenraum zwischen der Klausur und dem Außen bzw. auch dem Raum der jeweils herantretenden Person und deren Zugehörigkeitspositionierung erfasst werden kann. Diese „materielle oder imaginäre Grenze“ verweist „auf ein besonderes Feld von Praktiken im Raum, die in einem Zwischenbereich stattfinden, nämlich die Bewegungen im Zwischenraum.“⁷⁴ Der Zwischenraum hebt als Zwischenraum die Differenz zu den ihn umgebenden Räumen der Klausur und der „weltlichen“ Gesellschaftsordnung hervor. Damit soll zugleich eine analytische Trennschärfe zum semantischen Gehalt der Grenzraumfigur erreicht werden. Neben dem Sprechen in den Kontaktzonen bzw. Zwischenräumen der Klausur regelten die Vorgaben außerdem die Begegnungen, die innerhalb der Klausurräume zwischen der Gemeinschaft und Außenstehenden stattfanden. Auch dort unterlag das Sprechen Ortszuweisungen, Zeitlichkeitsbestimmungen und Klassifizierungen nach dem Stand bzw. der Zugehörigkeit der beteiligten Personen. Dabei kann man zwei Gruppen unterscheiden. Zunächst war die Auswahl der Personen, die diese Räume überhaupt betreten durften, begrenzt auf jene, die qua Ordensregel dazu legitimiert waren. Die Urban-Regel schloss dabei grundsätzlich alle weltlichen und geistlichen Personen aus und definierte in Kapitel XVIII Ausnahmen „allein den die das vrlavc haben von dem pabst oder von dem cardinal den der swester Orden bevolhen ist.“⁷⁵ Des Weiteren war dem Generalminister der Franziskaner selbst der Zutritt gestattet, und zwar in Begleitung von vier oder fünf Brüdern zum Zweck der Messe oder Predigt.⁷⁶ Andere Prälaten benötigten eine Erlaubnis von einem Bischof oder Kardinal und durften nur zwei oder drei Begleiter mitführen. Bischöfe durften für Messen oder Segen grundsätzlich, aber selten in die Klausur eintreten und Gesellen oder Diener mitführen.⁷⁷ Ausgenommen vom Verbot waren außerdem behandelnde Ärzte, Handwerker oder sonstige Arbeiter, die im Notfall oder bei Bedarf Tätigkeiten im und am Kloster verrichten durften.⁷⁸ Die Urban-Regel spricht außerdem weitere Einschränkungen aus, die durch den Ermessensspielraum der Äbtissin bestimmt
Uwe Wirth, Zwischenräumliche Bewegungspraktiken. In Bewegen im Zwischenraum, hg. von Uwe Wirth, Julia Paganini, Tina Bawden. (Wege der Kulturforschung Band 3). Berlin: Kulturverlag Kadmos, 2012, 7– 34 Vom Zwischenraum analytisch zu unterscheiden ist das Konzept des Dritten Raums, das auf die Lefebvre-Lektüre des Sozialgeografen Edward Soja zurückgeht und begrifflich als Third Space von dem postkolonialen Theoretiker Homi K. Bhabha geprägt wurde, vgl. Günzel, Einführung, 75 ff. Vgl. RegUrb XVIII, fol 25r. RegUrb XVIII, 26r. RegUrb XVIII, 26v. RegUrb XVIII, fol 25v.
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waren, die die Notwendigkeit des Eintritts von Personen, die die prinzipielle Erlaubnis zum Eintritt erhalten hatten, anerkennen musste.⁷⁹ Garantierten Eintritt erhalten nur die Personen, die einen Brief des Papstes oder Kardinals vorweisen können.⁸⁰ Einen besonderen Platz nahmen die Bestimmungen zum Eintritt der konventsangehörigen Geistlichen ein. Dazu gehörten die Kaplane und deren Konversen, also die dem Konvent zugehörigen Franziskanerbrüder, Visitatoren und Kardinäle.⁸¹ Auch deren Aufenthalt war dabei mit Vorschriften bedacht. So durfte der Kaplan die Klausur nicht ohne seinen Gefährten betreten.⁸² Sowohl die Brixener Statuten als auch die Constitutions intensivierten die Vorschriften für den Aufenthalt der legitimierten Personen – und gleichzeitig die für das Verhalten der Schwestern ihnen gegenüber. Außerhalb der „Notwendigkeit“ und dem daraus resultierenden Gesprächsrahmen war den Schwestern das Reden mit diesen Personen nicht gestattet. Das erlaubte Sprechen verlangte auch hier eine „hoͤ rerin“.⁸³ Die Constitutions, die man bezüglich vieler Aspekte als die strengste der Regelauslegungen für die Klarissen(‐Colettinen) ansehen kann, verschärften die Ausschlussregeln auch für den Aufenthalt der Priester in der Klausur. Diesen war darin nur noch für die Kommunion schwer kranker Schwestern der Zutritt zum Kloster (und das Gespräch mit den Schwestern) gestattet, und auch das nur zu den regulär festgelegten Zeiten im Jahr⁸⁴; außerdem noch für Bestattungen.⁸⁵ Ortsbezogenes Sprechen innerhalb der Klausur erstreckte sich auf sakramentale und liturgische Sprechakte. Die Brixener Statuten präzisierten in diesem Zusammenhang die Form des Sprechens im Rahmen der Beichte, indem sie deren Dauer und Inhalt bemaßen und einschränkten: Der peicht vatter sol kein swester gancze peicht hoͤ rne an sunder vergunen des visitators mit namen, die innwendig dreyen yarn ein gancze peicht hett getan, außgenommen die diechen, von den er nit maint, das sy genesen oder yr leben vrtailt zweyfelhaftig sein. Es sol auch die
Vgl. RegUrb XVIII, fol 27r. Der durch die Observanz beschränkte Ermessensspielraum der Äbtissin konnte je nach Persönlichkeit, Ressourcen und regionalen Strukturen sehr groß werden. Vgl. RegUrb XVIII, 27v. Vgl. RegUrb XX, XXIV, XXV sowie RSC XII. RSC XII. BrixStat, 51r – v. Dies war an Weihnachten, am Gründonnerstag, zu Ostern, Pfingsten, Mariä Himmelfahrt, am Tag des Hl. Franziskus sowie zu Allerheiligen, vgl. dazu auch Lopez, Colette, 259. Vgl. ConstCol V, 5.
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peicht mit kurcz begryffen tapfern, notturftige worten beschehen, auf das durch etlicher vberflüßig lang hystorien für paßer vermitten, die gemein nit gehindert wert.⁸⁶
Es bestand zwar die Notwendigkeit und Pflicht zur regelmäßigen, vierzehntägigen Beichte, deren Zweck war jedoch keineswegs ein in Maß und Inhalt unreguliertes Sprechen. Auch die Regula Sanctae Clarae regulierte den Inhalt und dadurch auch die Quantität der Worte während der Beichte: „Und sie sollen sich hüten, dabei andere Worte einzufügen, außer solche, die sich auf die Beichte und das Heil der Seele beziehen.“⁸⁷ In dieser Vorschrift verdichtete sich sowohl die Vorstellung vom Körper der Schwestern als Klausur als auch die von Worten als etwaig gefährlichen Medien, deren Potenzial es sei, negative Effekte auf den Charakter der Klausurräume auszulösen. Es ist hier allerdings nicht klar zu unterscheiden, ob eher der Gehalt der Worte oder die Dauer des Sprechens als dazu befähigt betrachtet wurden. Die Brixener Statuten markieren das Sprechen der einzelnen Schwester mit dem Priester in der Beichtsituation als potenziell gefährdend für die „gemein“ des Konvents. Als Sakrament notwendig, konnte der Bereich der Legitimität des Sprechens in der Beichte nichtsdestotrotz sehr schnell verlassen bzw. überschritten werden. Die besondere Gewichtung des Chorgebets und die Ausdifferenzierung der kollektiven Frömmigkeitspraktiken spiegeln die Festlegungen für die liturgischen Praktiken dieses Chorgebets und der Tischlesung. Die Brixener Statuten formulieren das angemessene Sprechen und Singen für das Chorgebet nach Zeitmaß und nach Qualität, also dem Einsatz der Stimme, folgendermaßen: […] das sy das götlich ampt vnd zeyt ersamlich volpringen mit allem fleyß, erwerlich und geistlich, vnd sich hüetten vor verlassen vnd faulen geperden, in rechter maß, waß zu singen ist, an vahen, geleich harren, enden vnd pausieren, nit zu palt eylen in singen oder sprechen, nit ze hoch oder noten prechen vnd yr stym mutwilligklichen oder treglichen nit sparen vnd alle vngestumikeit vnd zwitracht in dem götlichen dienst gancz vermeiden.⁸⁸
Betont wird hier die Einbeziehung des Körpers und der Zeitbemessung für das angemessene Sprechen im Chorraum.⁸⁹ Die Mahl-Zeiten als liturgische Praxis der körperlichen und geistlichen Speisung wurden durch die währenddessen ge-
BrixStat, fol 54r – v. RSC III, 12. BrixStat, 55v. Zur Bedeutung des Chorgebets in den Observanzdiskursen der Reformer und der Schwestern für die Neustrukturierung der Gemeinschaft vgl. das Unterkapitel „Chorgebet und Memoria“ in Neidhardt, Autonomie, 341– 348.
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III Die Sakralisierung des Klausurraums durch die Regulierung der Worte
sprochenen Worte vermessen.⁹⁰ Nur die Brixener Statuten sprechen detaillierter von der Ordnung der Tischzeit, der Reihenfolge der Speisen und den dabei zu sprechenden Worten.⁹¹ Das Sprechen der Schwestern untereinander als eine weitere Dimension des Redens in der Klausur war grundsätzlich maßvoll und mäßig zu halten bzw. auf das Notwendige zu beschränken: Item es sullent sich auch all swestern fleyssen aller zucht, behutsamkeit vnd erbarkeit in allen worten, weyßen vnd wandel, nit allein gegen aussern vnd weltlichen personen, sunder auch wo sy vnter ein ander oder eine allein ist, sullent sy sich in sollicher maß geistlich, junckfrawlich vnd ersamlich halten, als sy vor den Engeln Gottes wandelten […].⁹²
Vor allem in der letztgenannten Regulierung wird deutlich, inwiefern die Sprechakte jeder einzelnen Schwester innerhalb der Klausur zur Raumproduktion beitrugen, womit sich das Potenzial ergab, auch negativen Einfluss darauf zu nehmen. Die Regeltexte entwarfen eine raumzeitliche Landkarte für den Raum der Klausur, die Orte mit unterschiedlichem Sakralitätsmanagement miteinander verknüpfte.
III.2.3 Schweigen und nicht-Gesagtes: „sprachlich markierte Auslassung[en]“ Wie die Regulierung des Sprechens waren auch die Vorschriften zum Schweigen von Ortszuweisungen, zeitlichen Bestimmungen und personengebundenen Markierungen gekennzeichnet.⁹³ Dabei entwarfen die Regula Sanctae Clarae/Regula prima und die Urban-Regel/Regula secunda in ihren Schweigegeboten zwei unterschiedliche Raumordnungen. Die Regula Sanctae Clarae erklärt in Kapitel V das zweckgebundene Sprechen zur universalen Ausnahme – und damit als zu allen Zeiten und an allen Orten mögliche Option für den Austausch des Nötigen, sofern dies „in Kürze und mit
Zur Rahmung und Taktung der monastischen Speisung vgl. Sonntag, Klosterleben, Kapitel „Die klösterliche Mahlgemeinschaft – Zur institutionellen Rahmung paradiesischer Harmonie und irdischer Notwendigkeiten“, 286 – 333; darin wiederum vor allem das Unterkapitel „Zeremonieller Ablauf und normativer Gestikgebrauch“, 304– 327. Vgl. BrixStat, 56v – 57r. BrixStat, 53r. Es war ihnen damit also außerdem jegliches Verhalten verboten, das sich „geistlichen abgestorben menschen vnd kewschen herczen nit zymen“, wozu es gehörte, sich unziemlich zu entblößen, ferner zu laufen, zu springen, zu tanzen, weltlich zu singen, laut zu lachen, unmäßig zu essen und zu trinken, vgl. BrixStat, 53r. Michaelis, Schweigeeffekte, 1.
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leiser Stimme“ geschehe.⁹⁴ In dieser Regelung verdeutlicht sich der große Ermessensspielraum der ersten Äbtissin und ihrer Nachfolgerinnen, jederzeit im konkreten Fall für ihre Schwestern zu entscheiden. Angelegt ist aber auch ein Handlungsspielraum für die einzelne Schwester, den Grad der Notwendigkeit für sich zu entscheiden. Diese Handlungsmöglichkeiten unterscheiden die Regula Sanctae Clarae auch von allen anderen Fassungen der Klarissenregel.⁹⁵ Das Schweigen war in der Regula Sanctae Clarae ebenfalls an Zeiten und Orte gebunden. Die Schwestern (mit Ausnahme der Servizialschwestern) hatten täglich von der Komplet bis zur Terz Stillschweigen zu bewahren.⁹⁶ Das Schweigen war außerdem „beständig“ in der Kirche, im Dormitorium und im Refektorium während des Essens einzuhalten.⁹⁷ Explizit erlaubt zu allen Zeiten war das Reden im Krankenzimmer.⁹⁸ Die Sprechöffnung (locutorium) wurde zu dem Ort erklärt, der dem Sprechen am nächsten sei, eingeschränkt durch die Notwendigkeit der Zeuginnenschaft und die generelle Schweigezeit während der Fastenzeiten.⁹⁹ In diesen Zeiten war das Reden auf die Beichte beschränkt.¹⁰⁰ Auch hier war eine Ausnahme qua Notwendigkeit eingelassen, die von der Äbtissin oder der Vikarin festgestellt werden musste. Die Regula Sanctae Clarae sah außerdem auch personengebundene Schweigeregelungen vor. Die Eignung der Pförtnerin für ihr Amt wird durch das Attribut „verschwiegen“ (discreta) ausgedrückt.¹⁰¹ Die Servizialschwestern, denen der Ausgang aus der Klausur für ihren Dienst gestattet war, wurden zum Zwecke eines angemessenen Verhaltens mit Rede- und damit auch Schweigevorschriften bedacht. Sie sollten grundsätzlich wenig reden und außerdem auch durch ihr Verhalten keinen Anlass für Gerede geben. Weder sollten sie „Gerüchte von der Welt“ ins Kloster bringen, noch sollten sie Informationen über die Geschehnisse im Kloster „nach außen“ berichten.¹⁰² Neben der Regulierung des gesprochenen Wortes über die Grenzen der architektonischen Klausur hinweg, die an den einzelnen klausurierten Personen bzw. Körpern vollzogen wurde, verlängerte sich
Vgl. RSC V, 4. Zu Klaras Konzeption der monastischen Tugenden als nicht um ihrer selbst willen wichtig, sondern zur Konstitution der Gemeinschaft notwendig vgl. Knox, Creating, 52. Vgl. RSC V, 1. Vgl. RSC V, 2. Vgl. RSC V, 3. Vgl. RSC V, 5 – 6. Vgl. RSC V, 14. RSC XI, 1. Vgl. RSC IX, 7, 9 – 11.
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III Die Sakralisierung des Klausurraums durch die Regulierung der Worte
auch der Raum des Schweigens, hier gebunden an die Körper der Servizialschwestern, über die Räume des Klosters hinaus. Der in der Regula Sanctae Clarae produzierte Klausurraum war damit insgesamt ein Raum, der sowohl das Sprechen als auch das Schweigen je nach Ort und Zeit implizierte. Die Orte der Klausur wurden entlang einer Skala hierarchisiert, deren Endpunkte vom ständig möglichen Reden bis zum absoluten und immerwährenden Schweigen reichten.¹⁰³ Dieser Struktur folgten nachher auch die Constitutions, die das Schweigekapitel der Regula prima vollständig in ihrem eigenen Kapitel IX enthalten. Als Schweigezeit gilt diesem Kapitel die Zeit zwischen Komplet und Terz. Zwischen Terz und Komplet sei darüber hinaus stets das Schweigen an festgelegten Orten zu beachten, zu denen die Kirche, das Dormitorium und das Refektorium während der Mahlzeiten gehörten. Die Infirmerie war auch hier vom Schweigen ausgenommen.¹⁰⁴ Colette de Corbie weitete das Schweigegebot außerdem noch aus, indem sie die Entstehungsbedingungen der Regula prima zu Lebzeiten Claras historisierte. Als die Schwestern in S. Damiano ihre Forma vitae bekommen hätten, habe ihnen „à cause de l’extrême pauvreté“ noch kein Kreuzgang (cloître), wie er nun zu einem Klostergebäude gehöre, zur Verfügung gestanden. Dieser sei nach der Kirche jedoch der erste Ort, an dem das Schweigen beachtet werden müsse. Daher sollten die Schwestern fortan wie an den drei anderen genannten Orten im Kreuzgang schweigen.¹⁰⁵ Mit dieser Erweiterung bezog sich de Corbie auf die Hugolinische Regel, die das Schweigen zu allen Zeiten und an allen Orten vorschreibt; im Sinne einer Inspiration, das Schweigen auszuweiten, grenzte sie sich aber zugleich davon ab, indem sie die Grundstruktur der Regula Sanctae Clarae beibehielt und Raum-Zeiten des Schweigens sowie ortsgebundenes Schweigen, angepasst an die gegenwärtigen Bedingungen, festlegte. Ein universelles Schweigen war damit nicht intendiert. In Bezug auf die Raumstruktur des Schweigens folgten die Brixener Statuten der Regula Sanctae Clarae, Johannes de Lare versah die Schweigerichtlinien darüber hinaus noch mit Begründungen und Anweisungen zur Strafpraxis. Im fünften Kapitel, „Uon der still vnd sweygen halten das V. vnd leczt capitel“, wird das Schweigen als die „gezyrt aller tugent“¹⁰⁶, dienend der Stärkung und Ordnung geistlicher Menschen, definiert. Der Regeltext leitet das Schweigegebot aus der Heiligen Schrift und der Lehre der Kirchenväter ab, die ebenfalls zum Schweigen anhalten würden. Die Gefahren des Sprechens sind dabei an das oben beschrie Diese Endpunkte müssen dabei als Pole verstanden werden, denen sich das Verhalten an den jeweiligen Klausurorten annähern sollte, ohne sie jemals vollständig zu erreichen. Vgl. ConstCol IX, 1. Vgl. ConstCol IX, 2. BrixStat, 60r.
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bene Modell des durchlässigen Körpers gebunden, dessen lockere, unkontrollierte Zunge in Differenz zur Absicht der Seele einen Überschuss an Worten produzieren könne, „so doch der todt vnd das leben in gewalt ist der zungen, vnd wer die vnd seinen mundt behüet, der bewart sein sel vor angsten.“¹⁰⁷ Die Warnung vor diesen Gefahren spricht die Schwestern an dieser Stelle in vergeschlechtlichter Perspektive an, sie sollten sich „wider yr natur in worten wollen, massen […].“¹⁰⁸ De Lare schloss damit an mittelalterliche Diskurse von der willensschwächeren Frau an, die der Sünde der Redseligkeit zugeneigt sei.¹⁰⁹ Auch die Brixener Statuten legten konkrete Schweigezeiten fest. Von Ostern bis Mariae Geburt solle täglich nach der zweiten Mahlzeit eine Schweigezeit eingerichtet werden, die mit der Tischglocke beginne. In dieser Zeit dürfe Ruhe gehalten und geschlafen oder still gearbeitet werden. Das Sprechen mit äußeren Personen an den entsprechenden Orten in diesen Zeiten sei, wiederum bis auf Notfälle, zu unterbinden.¹¹⁰ Neben diesen Zeiträumen werden Orte markiert – die „heilige[n] vnd geweichten oder gemeinen stetten“¹¹¹ –, an denen zu allen Zeiten des Tagesverlaufs geschwiegen werden müsse. Dazu gehörten der Chor, der Kreuzgang, das Dormitorium und während der Sommermonate „stube“ und Reventer, die Schlafstätten im Sommer. Während des Essens, zu heiligen Zeiten und Stunden und von der Komplet bis zur Terz sei grundsätzlich zu schweigen.¹¹² Das Brechen des Schweigens an den festgelegten Orten und zu den beschriebenen Zeiten wurde als schweres Vergehen angesehen. Ausnahmen waren auch hier nur in Notfällen möglich oder mit Erlaubnis der Oberen.¹¹³ Ein begangenes Fehlverhalten war vor dem Kapitel zu gestehen und hinsichtlich Ort, Zeit und Dauer der Unterbrechung des Schweigegebots exakt zu kennzeichnen. Die dabei illegitim gesprochene Zeit war genau zu beziffern und wird im Text in Gebetszeitenmaß angegeben. Die betroffenen Schwestern waren dazu angehal-
BrixStat, 60v. BrixStat, 60v. So auch in den Denkwürdigkeiten der Caritas Pirckheimer die „armen einfaltigen frawenpilden, die nit groß verstants sind und nit hoh disputirn kunen, in dem wir leicht verfürtt möchten werden“, DW, 36. Der Bescheidenheitstopos der Figur der durch Worte verführbaren „Frau“ eröffnete dabei auch den Spielraum, sich als Ordensschwester dem Zugriff des Verhörs und der Rechtfertigung zu entziehen. Vgl. BrixStat, 61r. BrixStat, 61r. Vgl. BrixStat, 61v. Vgl. BrixStat, fol 61v. Mit der Observanz wurde die Autorität der Äbtissin abgeschwächt, indem Verantwortung und Entscheidungsgewalt in Teilen auf die Person des Visitators übergingen. Der Begriff „Obere“ wird im Statutentext jedoch auch synonym für die oberen Schwestern des Konvents verwendet, bezeichnet also Äbtissin, Vikarin und Ratsschwestern.
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III Die Sakralisierung des Klausurraums durch die Regulierung der Worte
ten, „in dem capitel yr schuld zu bekennen vnd offenlich auß zu sprechen in warheit nach gutter gewissen vnd on alle gevert, wen, wo vnd wie lang sy yr sweygen hab geprochen mit Pater noster, Miserere oder ander benennung der zeyt getrewlichen auß zu messen.“¹¹⁴ Die an das detaillierte Gestehen des Schweigebruchs anschließende Disziplinierungspraxis ist in den Statuten ebenfalls detailliert aufgeschlüsselt und appelliert in besonderem Maße an die Sorgfaltspflicht der Oberen: Vnd dar vmb sullen in dissen puncten die oͤ bern gar vntterscheidenlich vnd fleyssigklich acht nehmen der vnheilsamen sucht, diß alten schedlichen gepresten vnd den mit emßiger, scharffer erczney, als mit wasser trincken, speyß abprechen, erlaubtes reden verpietten, das crewcz zu tragen, füeß zu küssen vnd ander schamhaft pueß auf legen.¹¹⁵
Das Schweigegebot bzw. sein hoher Stellenwert wurde als Teil der wieder zu beachtenden „ursprünglichen“ Regel zur fundamentalen Größe des monastischen Alltags und prägte das Raumkonzept der Klausur.¹¹⁶ Die Kennzeichnung der Schweigeorte bei gleichzeitiger Wiederholung der Schweigezeiten in den Brixener Statuten produzierte eine doppelte Raum-Zeitlichkeit (spatio-temporality) des Schweigens, „benemlich zu zeytten vnd an enden, an vnd zu den es ob gemelt aller meist ist verboten […].“¹¹⁷ Die Schweigezeit, die für alle Orte des Klosters galt, wurde an den Orten, an denen immer zu schweigen war, verstärkt und sakralisierte dadurch die an diese Orte gebundenen Räume des Klosters mehr als andere. Die Klausur in den Brixener Statuten wird durch die Schweigerichtlinien von Räumen mit unterschiedlichem Grad an Sakralität überlagert. Die Schweigeregelung der Urban-Regel unterschied sich strukturell und im Hinblick auf Rigidität von den anderen Regeltexten. Die Regula secunda regelte das Schweigen in einem eigenen Kapitel, in der deutschen Fassung „Von der swester sweigen halten“, und entwarf ein im Vergleich zur Regula prima/Regula Sanctae Clarae umgekehrtes Szenario des beständigen Schweigens, das bis auf die im Einzelnen bestimmten Ausnahmen von allen einzuhalten sei. Diese Ausnahmen ergaben sich aus der – auch hier von der Äbtissin kontrollierten – Not BrixStat, fol 61v. In der quantitativen Überprüfung der Sünden spiegelt sich der Höhepunkt der Heilsarithmetik des Spätmittelalter, vgl. Arnold Angenendt, Thomas Braucks, Rolf Busch, Thomas Lentes, Hubertus Lutterbach, Gezählte Frömmigkeit. Frühmittelalterliche Studien 29 (1995), 1– 71, hier 40 – 41. BrixStat, 62r – v. Vgl. Roest, Order, 284. Zum Schweigen als „Schlafkammer des Heiligen Geistes“ in Klöstern der dominikanischen Observanz vgl. Neidhardt, Autonomie, 170. BrixStat, 62r.
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wendigkeit eines Sprechens der Ordensschwestern, „das zu irem ampt oder zu irem werk gehort wa vnd wenne vnd wie es gut dunket die Abtassin.“¹¹⁸ Auch kranke und sterbende Schwestern waren vom Schweigen ausgenommen. Verschiedentliche Feiertage, gesellige Festtage und solche, die die Äbtissin festlegte, bestimmten die zeitlichen Ausnahmen vom Schweigen und werden im Text als Sprechzeiten „von der Non pis an die vesper“¹¹⁹ deklariert. Zwischen Komplet und Terz konnte allerdings auch die Äbtissin keine Ausnahme erteilen.¹²⁰ Einzig die Servizialschwestern durften mittels ihres Auftrags das Schweigen „ausser halb des closters“ auch während dieser Zeit unterbrechen.¹²¹ Auch die Urban-Regel deklarierte durch diese Festlegungen die Zeit in der Klausur als eine Raum-Zeit (spatiotemporality) des Schweigens, die zu verschiedenen „zeiten vnd steten“, also Orten, Einlassungen für das Sprechen bekommen konnte.¹²² Diese Unterbrechungen durch das Sprechen mussten hinsichtlich Zeitpunkt, Ort und Modus sorgsam von der Äbtissin abgewogen werden, „also das die Regeleich behaltnusse, die niht wenik kumt von sweigen das da ist ein vbung der gerehtikeit, keinigweis zerlassen wird.“¹²³ Die Urban-Regel definierte das Schweigen als „vbung der gerehtikeit“, also des „rechten Lebens“, mit dem Zweck des Erhalts der regulierten Lebensweise. Unachtsame Störungen des Schweigens könnten die Regel unterbrechen und dadurch zum „zerlassen“ der Lebensform führen. Dieses Konzept des Schweigens als Teil der Regel und Lebensform konzipiert die Klausur als ein komplexes Raum-Zeit-Gefüge, das durch das regulierte Schweigen aufrechterhalten und durch unreguliertes, unordentliches, maßloses oder nicht gerechtfertigtes Sprechen unterbrochen, letztendlich gar aufgelöst („zerlassen“) werden konnte. In den hier diskutierten Regeltexten für Klarissen werden zwei unterschiedliche Raumordnungen erkennbar, die durch die Schweigegebote hergestellt werden sollen. Diese Raumordnungen gehen auf die jeweilige Ordensregelfassung zurück, also die Regula Sanctae Clarae/Regula prima und die Urban-Regel/Regula secunda. Beide Statutentexte als Kommentation und Verdeutlichung der Regulae RegUrb IX, 14r. RegUrb IX, 14r. RegUrb IX, 14v. RegUrb IX, 14v. Der Begriff der „Raum-Zeit“ rekurriert auf eine jüngere Debatte bzw. Forschungsrichtung innerhalb der geistes- und kulturwissenschaftlichen Forschung zu Raum und Räumlichkeit, die die Interdependenz der Kategorien Raum und Zeit zum analytischen Programm erhebt, um die soziale Produktion von Raum und zugleich Zeit fassbar zu machen, vgl. das gleichnamige Themenheft (herausgegeben von Dorsch und Rau) und den programmatischen Aufsatz von Dorsch, Space/Time. RegUrb IX, 14v.
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III Die Sakralisierung des Klausurraums durch die Regulierung der Worte
folgen den Bestimmungen der Regula prima. Die Regula secunda steht damit also für sich allein. Die Differenz zwischen der päpstlich formulierten Klarissenregel, der Urban-Regel, und der Regula Sanctae Clarae hinsichtlich der Strenge des Schweigegebots ist dabei evident.¹²⁴ Interessant ist außerdem die Differenz der Regeltexte hinsichtlich der durch das Schweigen produzierten Räume der Klausur. Die Regula Sanctae Clarae und die Urban-Regel verhalten sich in Bezug auf die aus ihren jeweiligen Schweigekonzepten resultierenden Raumproduktionen invers zueinander. Wurde der Klausurraum in ersterer als Raum konzipiert, in dem das Sprechen regulär zu allen Zeiten und an allen Orten vorgesehen war, während Ausnahmen zeit-, orts- und personengebunden festgelegt wurden, so entwarf die Urban-Regel den Raum der Klausur als regulären Schweigeraum, der – ebenfalls zeit-, orts- und personengebunden – vom Sprechen unterbrochen werden durfte.
III.3 Chronikalische Raumproduktionen Die Zunahme an Besuchen, Ansprüchen und Forderungen, die mit der beginnenden Reformationszeit in den Städten Nürnberg und Genf auf die dortigen Konvente zukam, wurde in den entsprechenden Klosterchroniken verarbeitet, und man begegnet dem in den Erzählungen über das Sprechen an den Grenzorten der Klausur auf vielfältige Weise. Dabei wurde auf das vorhandene Wissen über die Organisation des Konventslebens und der Klausurraumstrukturen aus den Regeltexten, die zum Klosterbesitz und zum Repertoire der liturgischen und teilweise auch einzelnen Lesepraxis gehörten, zurückgegriffen. In den Auseinandersetzungen um Ordnung, Stand und Lebensform entstanden an den Grenzorten der Klausur Zwischenräume. Ist die Ineinssetzung von Klausur und Ordnung eine bekannte Figur aus früheren Reformdebatten, werden im Folgenden die topologischen Bezüge aus den Regeltexten, die mit den Reformen verpflichtend festgelegt und eingeübt wurden, in der Konfrontation mit neuen Raumordnungen der Reformation verwendet. Dabei sind von besonderem Interesse die Verschiebungen, die durch den Einsatz des Wissens von der regulierten Raumpraxis der Observanz in den Reformationsdiskursen der Chroniken vor dem Hintergrund differenter räumlicher und zeitlicher Horizonte und Begrenzungen hinsichtlich der Konzeption von Lebensform und Raum abzusehen sind. In den folgenden Analyseschritten werden Praktiken des Sprechens und Schweigens in den Chro-
Vgl. zuletzt Roest, Order, 257; vgl. auch Grau, Regel. In den Regularien zum Schweigen folgten die von Johannes de Lare konzipierten Statuten für die Klarrissen der Straßburger Franziskanerprovinz der Regula prima.
III.3 Chronikalische Raumproduktionen
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niktexten untersucht und die Bezüge zu den raumzeitlichen Karten der Regeltexte herausgearbeitet. Der Fokus liegt auf den Raumstrukturen und Ortsbeziehungen, die in den Diskursen um Ordnung und Lebensform in den chronikalischen Erzählungen verhandelt werden. Ziel ist es darzulegen, wie die Räume der Gemeinschaft eines Konvents in Abgrenzung zur Reformation produziert wurden. Die Chroniken der Reformationsjahre spiegeln in einer Verdichtung geschilderter Kontaktaufnahmen und daraus resultierender Sprechakte an bzw. in den Kontaktzonen der Klausur die gewandelten und konkurrierenden Vorstellungen von religiösen Lebensformen und den dazugehörigen Raumkonzepten wider. Dies erfolgt in der Nürnberger Chronik – den Denkwürdigkeiten der Caritas Pirckheimer – für den Berichtszeitraum 1525, in der Genfer Chronik – der Petite Chronique der Justine de Jussie – für das Jahr 1535, wobei damit jeweils der Zeitraum der (religions‐)politischen Wende in der betreffenden Stadt samt den konkreten Folgen für das Fortbestehen der Orden und Klöster markiert ist. Die Kontakte in den chronikalischen Erzählungen lassen sich nach Herkunft und Zugehörigkeit der Personen in zwei Kategorien fassen. Angehörige der Schwestern, Stifter:innen, Bürger:innen der Stadt, Ratsherren, deren Abgesandte, der Klosterpfleger, das Militär und reformatorische Prediger bildeten die Gruppe, die sich als reformiert oder reformationsaffin erwies. Die andere Gruppe bestand aus den Personen, die sich der Reformation gegenüber erwartungsgemäß weniger unterstützend verhielten, namentlich die seelsorgerischen Betreuer der Konvente und pro-altgläubige Personen aus dem Stadtgebiet. Je nach Zugehörigkeit und Intention der besuchenden Person sind die Schilderungen der Sprechsituationen mit Raumproduktionen verknüpft, die, wie auch die Regeltexte, Ortszuweisungen und Zeitbestimmungen enthalten. Die Grenzorte der Klausur, also das Sprechfenster, das (Sprech‐)Gitter und die Pforte, sowie darüber hinaus die Klausurräume Chor, Kapitelsaal und Refektorium bis hin zum Dormitorium werden in den Chroniktexten als Sprechorte aufgeführt. Die an diesen Orten erfolgten Raumproduktionen werden im Folgenden im Zusammenhang mit den damit verbundenen unterschiedlichen Themenfeldern rekonstruiert und ihre Raumordnungen herausgearbeitet.
III.3.1 Zwischenräume an den Grenzen In den Denkwürdigkeiten der Caritas Pirckheimer werden wiederholt Sprechsituationen an den Grenzen der Klausur beschrieben, in denen es um die Besuche von Angehörigen der Schwestern geht. So suchte Ursula Tetzel, Mutter der Konventsschwester Margaret Tetzel, laut Chronik im Februar 1525 das Kloster St. Klara auf und forderte die Äbtissin unter Drohungen auf, sie mit ihrer Tochter
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III Die Sakralisierung des Klausurraums durch die Regulierung der Worte
sprechen zu lassen. Dies solle innerhalb des Klosters und unter vier Augen bzw. Ohren geschehen, „man solt ir die thür aufsperrn und ir die tochter frey dahyn stellen, das ir nymant zu möcht hörn.“¹²⁵ Die Äbtissin schlug diese Bitte ab, da solcherlei nicht zur Gewohnheit des Klosters gehöre und sie nicht für eine einzelne Person von dieser Gewohnheit abweichen werde. Dabei bezeichnet die Gewohnheit hier die regulierte Weise, mit Besucher:innen zu sprechen, die am Gitter und im Beisein Dritter zu erfolgen hatte. Aber auch die Tochter, so die Denkwürdigkeiten weiter, Schwester Margaret Tetzel, habe die Äbtissin darum gebeten, sie nicht bei offener Tür mit der Besucherin allein zu lassen, da sie fürchte, die Mutter wolle sie „mit gewalt hinaußzerren“.¹²⁶ Schließlich fand ein Gespräch am Fenster der Kapelle statt, durch das auch das Sakrament gereicht wurde. Die Äbtissin gestattete den beiden außerdem, ohne Zuhörerinnen und über die übliche Zeit hinaus miteinander zu sprechen und formulierte darin ein Abweichen von der Regel über die räumlichen und zeitlichen Bestimmungen und über die Sichtbarkeitsvorschriften. Diese Situation wird innerhalb der Chronik sowohl in Berichtsform als auch in der Abschrift eines Briefes an den Pfleger des Konvents dargestellt.¹²⁷ In beiden Fällen ist der Gesprächssituation als Ort des Sprechens das Fenster der Kapelle, durch das das Sakrament gereicht wurde, zugewiesen.¹²⁸ Diese Ortszuweisung wird jeweils damit begründet, noch mehr Unruhe und Gewalt („allerley handlung“) abwenden zu wollen. Man habe sy nach allerley handlung gepetten, das sy sich benugen wol lassen, das wir ir die tochter allein stellen, sye sehen und nach ir notturft mit ir reden lassen, solchs auch geschehen und sy pey einer stund allein geredt an fensterlein, durch das uns das h[och] w[irdig] sacrament geraicht wirt.¹²⁹
Der Verweis an genau diesen Ort wird wiederholt begleitet von der Versicherung, die Äbtissin würde die Tochter jederzeit gehen lassen und ihr auch „thür und thor aufsperen“¹³⁰, sofern es nur ihr eigener Wille sei. Keineswegs jedoch, so stellt sich am Anschluss heraus, war Margaret Tetzel gewillt, das Kloster zu verlassen; sie
DW, 14. DW, 14. Der Nürnberger Ratsherr Kaspar Nützel war von 1517 bis 1525 als Pfleger von St. Klara eingesetzt. Seine Tochter Klara wurde 1519 als Schwester des Konvents eingekleidet. Sie verließ, wie auch drei andere Schwestern, das Kloster 1525. Vgl. DW, 16. DW, 22. DW, 16.
III.3 Chronikalische Raumproduktionen
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verweigerte das Anliegen ihrer Mutter und bat den Konvent darum, sie zu unterstützen, um bei ihrem Gelübde verbleiben zu können.¹³¹ Wenige Tage später forderte Ursula Tetzel bei einem zweiten Besuch, dieses Mal in Begleitung ihrer Brüder, der Ratsherren Sigmund und Christoph Fürer von Haimendorf, erneut, ihr die Tochter wiederzugeben und sie aus dem Ordensstand zu entlassen, da sie sie nach „vil unterricht durch das clar ewangelium und die prediger“¹³² nicht mehr guten Gewissens dort lassen könne. Auf ein Gespräch mit Margaret am „gesichtfenster“ verzichtete sie dieses Mal und wollte ihre Tochter weder „am fenster in der capeln“ noch am „redfenster“ sprechen, da sie einem solchen Gespräch nicht viel Sinn beimesse. Die Bitte der Mutter, ihre Tochter stattdessen für vier Wochen zu entlassen, damit sie sie in ihrem Haus im neuen Glauben unterrichten könne, wurde von der Äbtissin abgelehnt.¹³³ Verhandelt wurde bei beiden Besuchen keine einmalige Erlaubnis für das Sprechen, sondern die Möglichkeit, einen Austritt der Margaret Tetzel aus dem Kloster zu erreichen. Die verwendete Rhetorik, nach der die Verwandten auf die Entscheidung ihrer Angehörigen starken Einfluss hätten nehmen und ihren Widerstand brechen müssen, ist in den Zusammenhang der Reformationsdiskurse um den Wert des Klosterlebens, speziell für weibliche Religiose und deren Perspektiven, einzuordnen, die in Traktaten und Flugschriften von Reformatoren und ehemaligen Ordensangehörigen über den Ordensstand und darüber hinaus in Briefen zwischen Angehörigen über die Klausurgrenzen hinweg sowie in Berichten von deren Interventionen überliefert sind.¹³⁴ Im Topos der „starrsinnigen“ Ordensschwestern, die sich hinter ihren Klostermauern verschanzen würden, verdichteten sich drei verschiedene Diskursstränge: erstens der aus dem Mittelalter übernommene Geschlechterdiskurs über weibliche Personen, deren Körper sie aufgrund ihrer physischen Konstitution angeblich nicht zur Vernunft befähige (ein Diskurs, der sich auch nach der Frühen Neuzeit nicht erledigt haben würde); zweitens die reformatorische Religionspolemik über fehlgeleitete Ordensleute, die in einem überkommenen Glaubenssystem verharren würden, und drittens die Manifestation der laut Reformation soziopolitisch zu überwindenden Grenze zu den Klausurmauern.
DW, 17. DW, 24. DW, 24. Vgl. Charlotte Woodford, „Es werd nu wol zeit, das sie wartet, was einem frumen ee weib zu stund“. Women′s Letters from the Reformation. Daphnis 30 (2001), 37– 52; Merry E. Wiesner (Hg.), Convents Confront the Reformation. Catholic and Protestant Nuns in Germany (Women of the Reformation 1). Milwaukee: Marquette University Press, 1996; Leonard, Nails, Kapitel „From Neighbor to Neighbor: Reformation Theories of the Utility of the Cloister“, 38 – 58.
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Die erste Vorstellung, also die der zur Vernunft nicht oder wenig begabten „Frau“, entspricht einem Geschlechterkörpermodell, das seit der Antike und im Mittelalter Bestandteil zahlreicher gelehrter Diskurse war. Ihm liegt das Konzept des Ein-Geschlechter-Modells zugrunde, nach dem der männliche Körper als Standard galt, während der weibliche als ein davon abgeleiteter, weniger perfekter, in jedem Fall dem männlichen unterlegener Körper verstanden wurde.¹³⁵ Der als inferior konzipierte weibliche Körper war in den Vorstellungen vor allem der scholastischen Theologie des 12. Jahrhunderts und gesteigert noch durch Thomas von Aquin im 13. Jahrhundert von der Fähigkeit zur rationalen Gotteserkenntnis ausgeschlossen.¹³⁶ Zuschreibungen wie die angeblich geringe Befähigung weiblicher Personen zur Gelehrsamkeit resultierten daraus.¹³⁷ Dabei ließ sich die angebliche materielle Unterlegenheit weiblicher Körper jedoch durch die verschiedenen Versionen, die diese weiblichen Körper innerhalb asketischer Diskurse differenzierten und hierarchisierten, ausgleichen und perfektionieren. Danach war etwa der Körper der virgo ein zölibatär lebender Körper, der sich nicht durch Empfängnis und Geburt reproduziere, nicht in heterosozialen Bezügen lebe und sich keiner „heterosexuellen“ Praktiken bediene. Dieses Konzept entstand in antiken Diskursen um engelsgleiche Lebensweisen und orientierte sich mit der Vgl. Michael Stolberg, A Woman Down to Her Bones. The Anatomy of Sexual Difference in the Sixteenth and Early Seventeenth Centuries. Isis 94: 2 (2003), 274– 299. Das vieldiskutierte, durch die Arbeit von Thomas Laqueur populär gewordene one-sex-model wurde umfangreich kritisiert, weil es, so die Kritik, ausblende, dass bereits im medizinischen Diskurs des 16. Jahrhunderts Vorstellungen des Zwei-Geschlechter-Körpers existiert hätten und darüber hinaus Praktiken der Geschlechtertransgression politisch streng bestraft worden seien, vgl. nichtsdestotrotz Thomas W. Laqueur, Making Sex: Body and Gender from the Greeks to Freud. 2. Aufl. Cambridge, Mass, London: Harvard University Press, 1992. Für eine Perspektive, die das Nebeneinander verschiedener Geschlechterkörperdiskurse in der Vormoderne herausarbeitet, vgl. Mareike Böth, Erzählweisen des Selbst. Körperpraktiken in den Briefen Liselottes von der Pfalz (1652– 1722) (Selbstzeugnisse der Neuzeit 24). Köln, Weimar, Wien: Böhlau, 2015, Unterkapitel „Körper und Geschlecht – ein forschungsbezogener Problemaufriss“, 195 – 204. Eine kritische Herausforderung von Laqueurs These der Hegemonialität des one-sex-Körpers bis zum 18. Jahrhundert liefert Helen King, die Laqueurs Ansatz vor allem auf dessen selektive Lektüre der klassischen und vormodernen Schriften zurückführt, vgl. Helen King, The One-Sex Body on Trial. The Classical and Early Modern Evidence (The History of Medicine in Context). Farnham, Surrey: Ashgate, 2013. Vgl. Eva Schlotheuber, Klostereintritt und Übergangsriten. Die Bedeutung der Jungfräulichkeit für das Selbstverständnis der Nonnen der alten Orden. In Frauen. Hamburger et al. (Hg.), 2007, 43 – 55, hier 43 ff. Davon zu unterscheiden ist die Nichtbefähigung weiblicher Personen, die Messe abzuhalten, außerdem das Gebot, sich temporär überhaupt von Altar und Altargerät fernzuhalten, die in verschiedensten spätantiken und mittelalterlichen Texten mit einer möglichen aktuellen Menstruation begründet werden, vgl. Gisela Muschiol, Reinheit und Gefährdung? Frauen und Liturgie im Mittelalter. Heiliger Dienst 51 (1997), 42– 54, hier 50.
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Entstehung des Christentums an der Figur der Gottesmutter Maria.¹³⁸ Genau dieses Körperkonzept wurde in reformatorischen Geschlechterentwürfen zu revidieren versucht, interessanterweise nicht, wie in den letzten Dekaden immer wieder aufgegriffen, im Sinne einer „Aufwertung“ weiblicher Körper und deren Sexualität, sondern in einer schöpfungstheologisch begründeten Festschreibung ihrer Subordination unter männliche Körper.¹³⁹ Wurden ihnen einerseits (hetero‐) sexuelle Praktiken als gottgewollt und Teil ihrer Bestimmung zugestanden und sogar von ihnen gefordert, so dienten diese jedoch ausschließlich dem Zweck der Reproduktion, einer Aufgabe, die weiblichem Leben als dessen ausschließlicher Zweck eingeschrieben wurde.¹⁴⁰ Der Betonung des Wertes von Frauenkörpern für ein gottgewolltes Leben war damit zugleich ihre Inferiorität eingeschrieben, wie sich in den Diskussionen um die weibliche Bewältigung von Schwangerschaft, Geburt und Mutterschaft zeigt, nach denen es letztlich keine Rolle spielte, ob Frauen diese Herausforderungen, etwa den Geburtsvorgang, überleben würden oder nicht.¹⁴¹ Der zweite Diskursstrang bzw. Topos der „fehlgeleiteten“ Ordensleute rekurrierte auf eine theologische Vorstellung, die die Gelübde der Religiosen – wie grundsätzlich das Ordensleben – als wertlos und nicht gottgewollt konzipierte, und zwar im Rückgriff auf die sogenannte Zwei-Reiche-Lehre Martin Luthers, nach
Zu einem Überblick über Konzepte und Diskussionen der Virginität als begehrter Lebensform vgl. Claudia Opitz, Hunger nach Unberührbarkeit? Jungfräulichkeitsideal und weibliche Libido im späteren Mittelalter. Feministische Studien 5: 1 (1986), 59 – 75. Das Prinzip virgo kann als eine Subjektivierungsweise verstanden werden, die prinzipiell allen Geschlechtern als Identifikationsangebot offenstand, vgl. Christoph Auffarth, Nonnen auf den Kreuzzügen. Ein drittes Geschlecht? Das Mittelalter 21: 1 (2016), 159 – 176, hier 167. Das Modell der „Braut Christi“ als Konzept für weibliche und männliche Religiose diskutiert Lutter, Geschlecht, 150 – 151. Für eine literaturwissenschaftliche Interpretation von Virginität als Geschlechter- und Körpermodell vgl. Salih, Virginity. Vgl. die Analyse Sini Mikkolas von Martin Luthers Geschlechteranthropologie, Sini Mikkola, „In Our Body the Scripture Becomes Fulfilled“. Gendered Bodiliness and the Making of the Gender System in Martin Luther’s Anthropology (1520 – 1530). Dissertation (2017). https://helda.helsinki. fi/bitstream/10138/228638/1/inourbod.pdf (02.02. 2021). Darin wird die Konzeption des weiblichen Körpers vor allem an den Genesis-Predigttexten Luthers untersucht, vgl. Mikkola, Bodiliness, 68 – 69. Zur Figur der oboedientia corporalis, der das bereits im Spätmittelalter normativierte Begehren von „Frauen“ nach Mutterschaft zugeordnet wurde, vgl. Mikkola, Bodiliness, 72 und 89. Vgl. Mikkola, Bodiliness, 88 – 89; Ulinka Rublack, Pregnancy, Childbirth and the Female Body in Early Modern Germany. Past & Present 150 (1996), 84– 110, hier 90. So nachzulesen auch in Luthers Predigt „Vom ehelichen Leben“ [1522]. In D. Martin Luthers Werke. Kritische Gesamtausgabe. Band 10, Zweite Abteilung, Joachim Karl Friedrich Knaake (Hg.). Weimar: Hermann Böhlaus Nachfolger, 1907, 267– 304, hier 296.
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III Die Sakralisierung des Klausurraums durch die Regulierung der Worte
der die Wirkungsbereiche von Evangelium und weltlicher Herrschaft getrennt voneinander gedacht werden müssten und ein Transfer vom einen in den anderen Herrschaftsbereich nicht zulässig sei.¹⁴² Luther ging in der Flugschrift „Ursach und Antwort, daß Jungfrauen Klöster göttlich verlassen mögen“ von 1523 von einem grundsätzlichen Widerwillen der Ordensschwestern aus, im Kloster zu verbleiben.¹⁴³ Die Nürnberger Chronik (also die Denkwürdigkeiten) hingegen zeigt eine Äbtissin, die auf den freien Willen jeder einzelnen Schwester rekurrierte und darin auf reformationstheologische Diskurse um das Gewissen Bezug nahm: „[…] als wol wir auch keine wider irn willen mit gewalt pey uns wollten behalten.“ ¹⁴⁴ Die Forderung nach dem freien Entschluss einer jeden Schwester für das Klosterleben war ein wichtiger Aspekt der Observanz, auf dem auch das Heraufsetzen des Lebensalters für einen Klostereintritt beruht hatte. Die dreiundzwanzigjährige Margaret Tetzel, die mit vierzehn Jahren in St. Klara aufgenommen worden war und demnach seit neun Jahren dort lebte, sei dazu in jedem Fall in der Lage, so die Äbtissin Pirckheimer.¹⁴⁵ Auf eine eigene dementsprechende Entscheidung der Schwester hin würde man dieser „thur und thor aufsperen, wo aber das kindt nit darzu wolt verwilligen, begert ich, das sy keinen gewalt anlegenten […].“¹⁴⁶ Diese Formulierung berührt den dritten oben genannten Diskursstrang reformatorischer Debatten, die die monastische Klausur als Manifestation des „nutzlosen“, „alten“ Glaubens und seiner Lebensweisen konstruierten. Neben der Wirksamkeit des Klostergebäudes als architektonisches, visuell und akustisch wahrnehmbares Zeichen in der Sakrallandschaft spielte hier vor allem die Konzeption der monastischen Klausur als Allegorisierung weiblicher Körper eine Rolle, wie im Folgenden noch zu zeigen sein wird.¹⁴⁷
Vgl. Leonard, Nails, 41 ff. Zum Konzept der Zwei-Reiche-Lehre und ihrer historiografischen Rezeption vgl.Volker Leppin, Das Gewaltmonopol der Obrigkeit. Luthers sogenannte Zwei-ReicheLehre und der Kampf zwischen Gott und Teufel. In Krieg und Christentum. Religiöse Gewalttheorien in der Kriegserfahrung des Westens, hg. von Andreas Holzem. (Krieg in der Geschichte 50). Paderborn, München, Wien: Schöningh, 2009, 403 – 414. Vgl. Martin Luther, Ursach und Antwort, daß Jungfrauen Klöster göttlich verlassen mögen. [Augsburg 1523]. In D. Martin Luthers Werke. Kritische Gesammtausgabe. Band 11, hg. von Joachim Karl Friedrich Knaake. Weimar: Böhlau, 1900, 387– 400. Vgl. auch Steinke, Paradiesgarten, 229 ff. Vgl. DW, 18. Eine andere Strategie war Pirckheimers Argumentation gegenüber dem Rat, sie bzw. das Kloster könne die Schwestern nicht selbst herausgeben, da es ja auch ohne den Rat selbst keine aufnehmen könne, vgl. DW, 15. Vgl. DW, 23. Vgl. DW, 16. Vgl. die literaturgeschichtliche Analyse der Klausur als „realem“ und gleichzeitg „imaginärem“ Raum bei Barbara R.Woshinsky, Imagining Women’s Conventual Spaces in France, 1600 – 1800. The Cloister Disclosed (Women and Gender in the Early Modern World). Abingdon, Oxon:
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Die Ortsbestimmung des korrekten Sprechens, die aus den Beispielen aus der Nürnberger Chronik hervorgeht, ist identisch mit dem in der Ordensregel (UrbanRegel) festgelegten Gitter, an dem die Kommunion gereicht werden sollte. Der Chroniktext verortet dieses Fenster in einem Raum in einer oberen Etage. Das zeigt eine Formulierung, laut der der Beichtvater „raufgegangen“ ist, um die Schwestern am Gitter zu erreichen.¹⁴⁸ Diese Beschreibung legt ein Fenster im Gitter eines oberen Chores für die Schwestern nahe. Der Chor der Schwestern sei, so die Denkwürdigkeiten weiter, außerdem nicht an allen Stellen verschließbar.¹⁴⁹ Dieser Chorraum der Schwestern eines Konvents bezeichnet(e) innerhalb des Kirchengebäudes eine spezifische architektonisch materialisierte Abgrenzung vom Kirchenraum und reguliert(e) die mögliche Kommunikation. Jäggi, deren Arbeiten zu den Kirchengebäuden der weiblichen Bettelordensgemeinschaften im Spätmittelalter eine Pionierleistung darstellen, die bislang keine systematische Fortsetzung gefunden hat, bezeichnet den Nonnenchor auch als „Kirche in der Kirche“.¹⁵⁰ Sie verweist auf die schwierige und oft missverständliche Historiografie zum „Nonnenchor“ als „Nonnenempore“, wobei diese standardmäßig an der Westwand der Klosterkirche, in größtmöglicher Entfernung zum Altar und abgegrenzt von den restlichen Besucher:innen der Kirche angebracht gewesen sei. Nonnen hätten demnach keinen Zugang zum Chorraum vor dem Altar gehabt. Durch die Tatsache, dass die Brüder ohnehin ihren eigenen Kirchenraum für die Predigt zu ihrer Verfügung hatten, seien die Kirchen der weiblichen Bettelordensgemeinschaften entsprechend medioker ausgestattet gewesen.¹⁵¹ Die Befunde aus den Bettelordenskirchen weiblicher Gemeinschaften des Spätmittelalters setzen dieser holzschnittartigen Zeichnung ein anderes, differenzierteres Bild entgegen. In einigen Fällen existierten Langchöre, es gab nicht überall Emporen, in einigen Fällen existierte sogar beides nebeneinander.¹⁵² Die 1274 der Hl. Maria Magdalena, 1339 dann auf St. Klara geweihte Klarissenkirche in Nürnberg entsprach als einschiffige, turmlose Kirche den Vorstellungen bezüglich einer typischen Mendikantenkirche und ist bis heute in
Ashgate Publishing; Routledge, 2010, vor allem die hinführende Einleitung („Introduction/ Opening“), die den mittelalterlichen Kontext zusammenfasst, 1– 40. „Fur das mal sind sye keyn tag mer heraufgangen […].“ DW, 28. „So kann auch unser chor nit an allen ortten verspert werden.“ DW, 34. Vgl. Jäggi, Frauenklöster, 185. Der für eine nähere Bestimmung der Platzierung des Chores zu klärende Öffentlichkeitscharakter der jeweiligen Kirchen steht für St. Klara zu Nürnberg, St. Elisabeth zu Brixen, St. Caecilia zu Pfullingen und Sainte-Claire zu Genf noch aus, vgl. Jäggi, Frauenklöster, 189. Vgl. Jäggi, Frauenklöster, 191; Uffmann, Innen. Vgl. Jäggi, Frauenklöster, 192.
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III Die Sakralisierung des Klausurraums durch die Regulierung der Worte
den Grundformen ihrer Entstehungszeit erhalten. Im Osten schließt ein Chor an das Kirchenschiff an.¹⁵³ Im ersten Drittel des 15. Jahrhunderts wurde das Kirchengebäude inklusive des zweigeschossigen Nonnenchors stark verändert und erweitert. An der Westwand wurde das Obergeschoss des Chores in Form einer Empore neu und auf einer höheren Ebene errichtet, die weit in das Kirchenschiff hineinragte.¹⁵⁴ Auf der rechten Seite führte eine Treppe vom Kreuzgang aus in das obere Chorgeschoss.¹⁵⁵ Der untere Chorraum wurde in einen Anbau an der Nordseite der Kirche, die heutige St. Klara-Kapelle, verlegt; er enthielt zwei Sichtgitter, Türen und ein Kommunionfenster. Der Kirchenraum war zukünftig für alle Lai:innen zugänglich, weshalb auch das in den Klausurbereich führende Westportal in dieser Bauphase vermauert wurde. Die Klarissen waren von den Lai:innen deutlich separiert.¹⁵⁶ Die Verweise in den Denkwürdigkeiten, nach denen die Gesprächssituation am Gitter mit einem Hinauf- und Hinabsteigen verbunden war, veruneindeutigen die bisherigen Befunde über die Klarissenkirchen und ihre Chöre.¹⁵⁷ Das in dieser Chronik genannte Fenster im Gitter, also das Fenster zum unteren Chorraum, war der privilegierte Ort des Sprechens, der auf eine korrekte Raumordnung und einen sakramentalen Kontext, das Spenden der Kommunion, verwies. Um etwaigen größeren Konflikten aus dem Weg zu gehen, gab es für Besuchssituationen das Angebot, an das weniger gut geeignete Redfenster zu gehen. Die Tatsache, dass keiner der beiden Orte akzeptiert wurde, wie es im obigen Beispiel der Ursula Tetzel der Fall war, lässt auf konfrontative Absichten schließen. Die hier beschriebenen Sprechsituationen am Gitter können als Versuch verstanden werden, die regulär festgelegten Grenzen der Klausur zu erhalten, indem verstärkt Zwischenräume produziert wurden. Aus diesem Bestreben kann man eine gewisse Flexibilität hinsichtlich der Regelvorschriften ablesen. Als die Angebote des Sprechens in Ausnahme der Regel nicht mehr genügten, um den gesteigerten Forderungen der Verwandten und des Stadtrates zu begegnen, mussten die Schwestern von St. Klara schließlich der Forderung des Rats Vgl. Kammel, Kirche, 11. Vgl. Germanisches Nationalmuseum (Hg.), Verborgene Schönheit. Spätgotische Schätze aus der Klarakirche in Nürnberg: Ausstellung im Germanischen Nationalmuseum, Nürnberg, 10. Mai – 5. August 2007. Nürnberg: Verlag des Germanischen Nationalmuseums, 2007, 15. Erkennbar ist dies an einer inzwischen vermauerten Tür zwischen den Etagen, vgl. Deichstetter, Klarakirche, 9. Vgl. Kammel, Kirche, 16. Die Nürnberger Klarissenkirche und ihre Nonnenchöre gehören nicht in die engere Auswahl der systematisch untersuchten Standorte in Jäggis Studie. Eine Diskussion der narrativen Darstellungen im Zusammenhang mit den kunsthistorischen Befunden erfolgt am Beispiel der Klosteraustritte aus St. Klara in diesem Kapitel meiner Studie.
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zustimmen, ihre Grenze im Sinne einer Öffnung der Klausur zu verändern. Sowohl im Nürnberger Religionsgespräch im März 1525 als auch in der Beratschlagung der Nürnberger Prediger vor dem Rat im Mai 1525 darüber, wie mit den Klöstern zu verfahren sei, sprachen sich die reformatorischen Prediger in Empfehlungen an den Rat für eine Erweiterung der Sichtbarkeit der Schwestern für die sie besuchenden Verwandten aus, also dafür, „den clostern offene fenster“ einzurichten.¹⁵⁸ Der Nürnberger Rat beschloss daraufhin fünf Artikel bezüglich des Verfahrens mit den städtischen Klöstern, die auch St. Klara überbracht wurden. Darin wurde gefordert, „gesichtsfenster“ an mindestens drei Stellen des Klosters einzurichten. Die Redfenster und das Fenster im Gitter sollten so umgestaltet werden, dass es den Angehörigen ermöglicht werde, die Schwestern öfter und ohne Wartezeit zu besuchen, sie physisch zu sehen und zugleich allein, ohne Gegenwart einer Hörerin, sprechen zu können. Nur unter diesen Umständen sei gewährleistet, dass eine Schwester ihre „wahre Meinung“ ausdrücken könne.¹⁵⁹ Die in der Chronik übermittelte Argumentation seitens des Rats und auch des Klosterpflegers Kaspar Nützel verstand Gesichtsfenster als Kompromiss, um einen vollständigen Aufbruch der Klausur zu verhindern, der angeblich ständig vom Rat gefordert werde: „[…] so musten wir eygentlich den eingang leyden, dann ein rot wurd stettiglich angeloffen von vill leutten, daz man in den eingang in das closter erlaubt […].“¹⁶⁰ Nachdem dann schließlich im Juni 1525 drei Schwestern gezwungen wurden, aus dem Kloster auszutreten, ging der Konvent auf den Kompromiss ein und richtete ein Gesichtsfenster ein.¹⁶¹ Auch in der Chronik des Genfer Konvents Sainte-Claire, der Petite Chronique der Jeanne de Jussie, werden in den zahlreichen und teils umfangreichen Darstellungen von Sprechpraktiken in den Klausurkontaktzonen die Kontaktorte gemäß der Legitimität des Sprechens hierarchisiert, die durch den Stand der
So der Ratskonsolent Christoph Scheurl in seiner Stellungnahme an den Rat, zitiert nach Andreas Osiander d. Ä., Nr. 54. Ratschlag über die Klöster. 1525, Mai 31. In Gesamtausgabe. Bd. 2: Schriften und Briefe. April 1525 bis Ende 1527. Hg. v. Gerhard Müller in Zusammenarbeit mit Gottfried Seebaß, hg. von Gerhard Müller. Gütersloh: G. Mohn, 1975 – 1997, 142– 160, hier 159, FN 130. Vgl. auch 49. Ratschlag, 31. Mai 1525. In Quellen zur Nürnberger Reformationsgeschichte. Von der Duldung liturgischer Änderungen bis zur Ausübung des Kirchenregiments durch den Rat (Juni 1524 – Juni 1525), hg. von Gerhard Pfeiffer. (Einzelarbeiten aus der Kirchengeschichte Bayerns 45). Nürnberg: Selbstverlag des Vereins für Bayerische Kirchengeschichte, 1968, 243 – 248, hier 248. Vgl. DW, 69 – 72. DW, 73. Für die Zeit danach werden die Gespräche zwischen der Äbtissin und den Ratsabgesandten in der Chronik wie selbstverständlich am Gesichtsfenster verortet, vgl. DW, 85 – 86. Die Denkwürdigkeiten vermerken, dass der Konvent trotz des neuen Fensters von besonderem Andrang verschont geblieben sei, vgl. DW, 84.
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Schwestern sowie der Besucher:innen bestimmt wurde. In besonders häufiger und verdichteter Form enthält diese Chronik für das Jahr 1535, das letzte Jahr des Konvents in Genf, kommunikative Praktiken der Konventsmitglieder am legitimen Sprechort (dem Gitter bzw. treillie). Auch diese Sprechakte werden mit einer Bewegung „hinauf“ zum Sprechgitter verknüpft (der Besuch „steigt zum Sprechgitter hinauf“ oder „vom Sprechgitter hinab“), wodurch die Kommunikationssituationen eine ortsbezogene Markierung erhalten und auf den legitimen Kontaktort für das Sprechen im Klausurraum verwiesen wird.¹⁶² Die Besuchenden beschritten den Weg von der Klosterkapelle aus über die Treppe, die zum Nonnenchor führte, die Schwestern ihrerseits bewegten sich von ihrem jeweiligen Aufenthaltsort in den Konventsräumen aus hin oder hinauf zum Gitter, das den Chorraum zum öffentlich zugänglichen Kirchenraum hin abschloss.¹⁶³ Für eine Rekonstruktion der Klosterkirche von Sainte-Claire wie auch der gesamten Anlage des vollständig abgetragenen Klostergebäudes und seiner Ausgestaltung sind die schriftlichen Quellen die zentrale Grundlage. Edmont Ganter entwickelte auf dieser Basis unter Bezugnahme einiger archäologischer Befunde einen möglichen Bauplan für Sainte-Claire.¹⁶⁴ Der Haupteingang in das Klostergebäude führte demnach von der Place du Bourgde-Four aus in einen großen Korridor, von dem aus alle Bereiche des Bauwerkes zu erreichen waren. In dessen linker Hälfte lagen die Konventsräume und die Klosterkirche bzw. -kapelle, ein einfacher rechteckiger Raum ohne Säulen oder Pfeiler. Er bestand aus dem von einem Doxale begrenzten Kirchenschiff, zwei Kapellen und einer Sakristei. Im hinteren Teil des Schiffes befand sich der vom Kirchenraum abgetrennte Nonnenchor, mit größter Wahrscheinlichkeit auf einer Empore, die über eine Treppe zu erreichen war. Der Chorraum war zum Kirchenschiff hin von einem Eisengitter mit einem darin eingelassenen Fenster begrenzt (dem erwähnten treillie). Die für etliche Nonnenklöster bekannten funktional unterschiedlichen Fensteröffnungen an den Grenzen des Klausurraums lassen sich für die Genfer Klarissen anhand der vorliegenden Quellen nicht verifizieren. Vielmehr legen die Chronikaufzeichnungen nahe, dass es sich beim
„monter a la treillie“, PC, fol 192r; „descendant de la treillie“, PC, fol 229v. Eine zum Gitter führende Treppe im Kirchenraum wird explizit auf fol 227r der Petite Chronique erwähnt. Evident sind ebenfalls die räumlichen Vokabeln „monter“ und „descendant“. Diese Beschreibungen lassen auf eine Lage des Gitters am Chorraum und damit auf der gleichen Ebene wie die Konventsräume im Obergeschoss des Klosters schließen. Weniger leicht zu erschließen sind die Größe des Gitters und das etwaige Vorhandensein eines Zugangs vom Chor- in den Kirchenraum, vgl. dazu auch Jäggi, Frauenklöster, 186 ff. Vgl. Ganter, Clarisses, 178 ff., sowie zur Rekonstruktion 173 – 185.
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Fig. 4: Grundriss von Sainte-Claire de Genève, erstellt von Edmond Ganter, in: Ganter, Edmond, Les Clarisses de Genève. 1473 – 1535 – 1793. Genève: Éditions de la Société Catholique d’Histoire, 1949.
Gitter um den einzigen Sprechort, der allen Schwestern zur Verfügung stand, handelte. Der Verweis auf den legitimen Ort des Sprechens wird um eine Bemerkung bezüglich der Funktion des Gitters ergänzt, die „Welt“ nicht nur hereinzulassen, sondern auch nach Bedarf jederzeit ausschließen zu können: Nach wiederholt geschilderten Sprechsituationen mit der Genfer Bürgerin Hemme Faulson, die den Klosteraustritt ihrer leiblichen Schwester Blaisine Varembert durch wiederholte Besuchen vorbereitete und dabei, so die Erzählung, die Gelegenheit genutzt habe,
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dem Konvent ihre kontroversen Ansichten in Glaubensfragen auf konfrontative Weise mitzuteilen, verschloss ihr die Vikarin „die Tür, indem sie sagte, daß ihr Oberer [sic!] ihnen verboten habe, diese Irrtümer anzuhören. Und sie blieb noch eine ganze Zeitlang da, in der sie aber immer gegen Holz sprach.“¹⁶⁵ Faulson hatte mit ihrer Schwester und ihrer Tante, beide Schwestern in Sainte-Claire, über die Möglichkeit gesprochen, das Klosterleben zu beenden, und war zu diesem Zweck erstmalig im April 1534 an das Sprechgitter des Konvents geführt worden.¹⁶⁶ Bei einem zweiten Besuch im Folgejahr 1535 handelte die Vikarin ähnlich, verschloss „ohne weiteren Abschied die Tür […] und zeigte ihnen | ein Gesicht, unbewegt wie aus Holz geschnitzt.“¹⁶⁷ Die Darstellung enthält außerdem eine Beschreibung der laut Regula prima korrekten Ausstattung des Gitters mit einer hölzernen, fest verschließbaren Tür als Möglichkeit für die Schwestern, die Klausur von sich aus verschließen zu können.¹⁶⁸ Der Zwischenraum am Sprechgitter war also in erster Linie als ein Raum gedacht, den der Konvent am besten kontrollieren konnte, und zwar durch Öffnung, Ausdehnung und Abschluss. Ähnlich verhielt es sich auch mit dem Drehschalter an der Pforte von Sainte-Claire, der bei Störung oder Belästigung einfach verschlossen werden konnte.¹⁶⁹ Dieses Raumarrangement des regulären Sprechens am legitimen Ort prägte das Handeln der Konvente durchgehend auch in Ausnahmesituationen wie in Genf, als die Klausur bereits aufgebrochen war, oder während der Migration in eine neue Unterkunft, in der dann zuerst eine provisorische Pforte eingerichtet wurde, um das Sprechen zu kanalisieren. Der Ortszuweisung, sich zum Sprechgitter zu begeben, begegnet man in der Genfer Chronik in gesteigerter Form dann, wenn es um die Abwehr einer größeren Gefahr geht. Während der Besatzung Genfs im Oktober 1530 durch militärische Truppen aus Bern und Fribourg war der Konvent gezwungen, dreißig Soldaten zu beherbergen und für deren Versorgung und die ihrer Pferde Sorge zu tragen, eine zweifellos große Belastung für ein kleines städtisches Kloster mit vierundzwanzig Chorschwestern.¹⁷⁰ Die Soldaten ließen es, so erzählt die Petite Chronique, nicht „[…] et luy barrat la porte, contredisant, que leur prelat leur avoit deffandu de non escuter ses herreur. Et demorat la bonne piesse, que tousiour elle parloy ou boix […].“ PC, fol 122r – v. Vgl. PC, fol 120v. „Puis sens aultre congie vat ferme la porter et leur feit | visage de boix.“ PC, fol 193r – v. RSC V, 11, schreibt eine hölzerne Tür am Gitter vor, die mit zwei verschiedenen Schlössern versehen sein musste. Diese Tür sollte hauptsächlich nachts und darüber hinaus zu allen anderen Zeiten außerhalb von Gottesdienst- oder Besuchszeiten verschlossen werden. Vgl. PC, fol 194r. Die Zahl von dreißig Soldaten sowie die Einquartierung von Truppen in Sainte-Claire überhaupt konnte anhand anderer Quellen nicht verifiziert werden. Genf hatte sich 1526 zusammen mit den freien Städten Bern und Fribourg im Rahmen des Burgrechts (combourgeoisie)
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dabei bewenden, sondern versuchten mehrfach, nachts zu den Schwestern „ein[zu]dringen und ihnen Böses und Gewalt an[zu]tun“.¹⁷¹ Neben dem tatkräftigen Einsatz eines Laienbruders, der sich vor die Tür gestellt habe, sei der Einbruch, so stellt es die Chronik weiter dar, durch ein spezifisches Handeln der Schwestern aktiv verhindert worden. Die Schwestern seien der Gefahr dabei dadurch begegnet, „ihre Gäste ans Sprechgitter heraufsteigen“¹⁷² zu lassen, wo sie selbst positioniert gewesen seien und die Soldaten „unter großen Strömen von Tränen und in tiefer Demut und Barmherzigkeit“¹⁷³ um Schutz vor den Häretikern gebeten hätten. Die Besatzer verwiesen zwar auf ihre Bündnisverpflichtungen, die ihnen eine derartige Parteinahme nicht gestatteten, ließen sich jedoch mit Blick auf die „die armen Schwestern[,] halbtot vor Angst und Furcht“¹⁷⁴, also durch eine Herzensbewegung, zu einer Änderung ihres Verhaltes umstimmen: „Die Soldaten hatten mit ihnen solches Mitleid, daß sie ihnen versprachen, sie zu beschützen und ihr Leben für sie einzusetzen, falls es notwendig werden sollte.“¹⁷⁵ Die Rettung der Schwestern aus dieser höchst bedrohlichen Lage wird in der Petite Chronique als aktives Handeln präsentiert, das Mitleid der Soldaten zu erregen und diese zu einer anderen Haltung zu bewegen. In der entsprechenden Folge von Sprechakten wird der Konvent exakt nach den räumlichen Parametern der Ordensregel präsentiert: Die Schwestern zitieren die sie bedrohenden Personen an das Gitter, positionieren sich dort vor ihnen als Gruppe und nehmen eine ihrem Stand angemessene körperliche und emotionale Haltung ein; die Schwesterngruppe wird dabei in sich hierarchisch nicht unterschieden, sondern spricht und handelt als ein Ganzes.¹⁷⁶ Die Choreografie als Kollektivkörper wird innerhalb der Chronik als erfolgversprechende Handlungsanweisung präsentiert.¹⁷⁷
zusammengeschlossen.Während des Angriffs des Bischofs Pierre de la Baume auf Genf im Herbst 1530 erhielt die Stadt daher starke militärische Unterstützung seitens der Bündnispartner, vgl. Reinhardt, Tyrannei, 30. „[…] voillant entre deuers elles et leurs faire de mal et viollance“, PC, fol 22v. „firent monter leurs ditz hoste a la treillie“, PC, fol 23r. „Puis toutes assistnates a grans habondance de larmes et en profundes humilite leur demanderent misericorde […].“ PC, fol 23r. „les poures seurs estoien demie mortes dangoisse et paur“, PC, fol 23v. „Et en hurent telle pitie, qui leur promirent, qui les garderoient et qui mettroient leur vie pour elles, se besoing estoit.“ PC, fol 22v – 23r. Erst im weiteren Verlauf des Quellentextes werden Handlungen der sprachgewandten Schwester Pernette erwähnt, vgl. PC, fol 23v. Pernette de Mont Loye war Pförtnerin und später Vikarin in Genf und wurde in Annecy zur sechsten Äbtissin des Konvents gewählt: Im Aufnahmeund Totenbuch des Konvents wird sie als „cette admirable Vicaire“ und „cette femme forte qui a marqué tant de courage et de prudence a la sortie de Geneve“ beschrieben, vgl. Livre receptions, fol 7r; Livre mortuaire, fol 54v.
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Fig. 5: Die Hl. Klara und die anderen Schwestern (Detail), Fresken, 14. Jahrhundert, Oratorium der Hl. Klara in San Damiano, Assisi (PG), Italien.
Die Schwestern erzeugen mit ihren Sprechakten, die auf das Gitter am Nonnenchor als den einzig legitimen Sprechort verweisen, einen Zwischenraum zwischen ihrer Klausur und dem Raum, den die Soldaten als Besatzer der Stadt in ihrem Kloster eingenommen haben. In narrativen Rückgriffen auf die Legende vom Leben der Heiligen Klara von Assisi von Thomas von Celano wird das Motiv der Vertreibung der Sarazenen durch die Hl. Klara in die Darstellung der Auseinandersetzungen mit den gegnerischen Kräften eingewoben: Während der Belagerung der Gegend um Assisi durch kaiserliches Militär hatten im September 1240 arabische Soldaten Assisi und auch das Kloster von S. Damiano bis in die Klausur hinein überfallen. Der Legende nach erhob sich daraufhin die von ihren Schwestern durch Wehklagen angerufene Äbtissin Klara, die bereits seit Jahrzehnten bettlägerig war, von ihrem Lager, ließ sich vor die Soldaten hinlegen und das „Allerheiligste“ vor sich hertragen und ihnen entgegenhalten.¹⁷⁸ Ihr
Zur Repräsentation der Klausur als Konventskörper bei den Genfer Klarissen vgl. Wengler, Women, 113. Vgl. Celano, Leben, 53. Der Herausgeber und Übersetzer Engelbert Grau betont die Differenz zwischen der textlichen Überlieferung der Legenda und den meisten bildlichen Repräsenta-
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Beschwören der weinenden Schwestern in das Vertrauen auf Gott ließ die Sarazenen daraufhin fliehen bzw. der „Macht der Beterin“ weichen.¹⁷⁹ Die aus der Petite Chronique geschilderten Sprechsituationen unterscheiden sich durch die politische Verortung der Besucher:innen. Die einquartierten Soldaten gelten demnach zwar als Fremde, jedoch als Angehörige der Genfer Bündnispartner trotz ihres bedrohlichen Verhaltens (noch) nicht als religiöse Feinde, während die reformierten Prediger, Bürgerinnen und Bürgermeister als Kontrahent:innen in Glaubensfragen und politische Feinde in der Auseinandersetzung um die Zukunft der Klöster in der Stadt auftreten.¹⁸⁰ In jedem Fall ein Ort größtmöglicher Sicherheit, konnte der Raum am Grenzort Sprechgitter je nach Voraussetzung und Situation durch das Verschließen der Tür reduziert oder durch die Bewegung in Herz und Gewissen der Feinde ausgedehnt werden. Das in der Logik der Genfer Chronik erfolgreiche Handeln nach der Regel und in der Lebensform der imitatio Christi war jedoch nur möglich, sofern das Gegenüber zumindest potenziell zur Gruppe der eigenen Glaubensgemeinschaft gehörte und/oder wie die Soldaten durch den Anblick der tränenüberströmt um Hilfe bittenden Schwestern zum Mitleid angeregt werden konnte.¹⁸¹ In diesem Fall führte die Begegnung im Zwischenraum am Sprechgitter zu einer Erweiterung der Klausur. Eine Expansion des Klausurraums konnten auch die notwendigen, regulär vorgesehenen Kontakte zu Personen bewirken, die zum Kloster gehörten, darunter
tionen, in denen Klara selbst das Gefäß mit dem Eucharistieopfer trägt, vgl. Celano, Leben, 53 – 54, FN 67. Vgl. Celano, Leben, 54. Zwar fiel die Entscheidung des Rats für die Einführung der Reformation erst im August 1535, doch konnte spätestens mit dem Ergebnis der Disputation zu Rive im Mai 1535 von einer solchen Entscheidung ausgegangen werden, vgl. dazu den weiteren Verlauf dieses Kapitels sowie Rudolf Pfister, Kirchengeschichte der Schweiz. Band 2: Von der Reformation bis zum zweiten Villmerger Krieg. Zürich: Zwingli-Verlag, 1974, 156 – 157. Es dürfte sich bei den Tränen der Schwestern um „Tränen des Elends“ gehandelt haben, die Bonaventura in seiner Typologie der Tränen im 13. Jahrhundert differenziert hatte, vgl. Klaus Schreiner, „Brot der Tränen“. Emotionale Ausdrucksformen monastischer Spiritualität. In Gemeinsam leben. Spiritualität, Lebens- und Verfassungsformen klösterlicher Gemeinschaften in Kirche und Gesellschaft des Mittelalters. Hrsg. in Verbindung mit Mirko Breitenstein und Gert Melville, hg. von Gert Melville, Mirko Breitenstein. (Vita regularis. Abhandlungen 53). Berlin, Münster: LIT Verlag, 2013, 63 – 122, hier 97. Zur Semantik von Tränen in der christlichen frühneuzeitlichen Kultur- und Wissensproduktion vgl. auch Claudia Ulbrich, Tränenspektakel. Die Lebensgeschichte der Luise Charlotte von Schwerin (1731) zwischen Frömmigkeitspraxis und Selbstinszenierung. L’Homme 23: 1 (2012), 27– 42.
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hier etwa der Beichtvater des Konvents, Jean Gacy.¹⁸² Dieser verließ Genf im Mai 1535 und nahm vorher seinen Abschied von den Schwestern am Sprechgitter, der von unermesslichem „Weinen und Schluchzen“¹⁸³ begleitet wurde. Nachdem die Äbtissin und Vikarin gemäß den Vorgaben für Colettaner ihr Einverständnis zu seiner Abreise bekundet hatten, konnte er ihnen Segen und Lossprechung erteilen, bekam aber die Prognose mitgeteilt, dass es sich hier um einen endgültigen Abschied handele und der „Tag der Zerstreuung“ gekommen sei: So stieg er sehr verstört hinunter, und wie er so allein durch das Kirchenschiff ging, schien er gänzlich von Sinnen zu sein und nicht zu wissen, was er tun solle. Und als er in dieser Bedrängnis war, da kamen, wie Gott es fügte, zwei gute Bauersleute aus den Dörfern hinzu, die ihn nach dem Grund seiner Traurigkeit fragten.¹⁸⁴
Die Bauern hätten, so fährt die Petite Chronique fort, ihn schließlich davon überzeugen können, die Schwestern gerade in dieser Gefahrensituation nicht zu verlassen, weil dies „eine große Schande vor Gott und der Welt“¹⁸⁵ bedeute, sie hätten ihm sogar zur Unterstützung angeboten, den ganzen folgenden Tag im Konvent zu verbleiben, um den Fortgang mit zu beobachten. Der in dieser Weise unterstützte Beichtvater verblieb also im Konvent und nahm an der Disputation am Folgetag teil.¹⁸⁶ Ganz offensichtlich steckt in dieser Erzählung auch ein Anteil von Verärgerung über einen Beichtvater, der sich dem Zugriff einer verpflichtenden Diskussion über Glaubensfragen lieber entziehen wollte, als der Pflicht nachzukommen, den Konvent zu versorgen und nach außen zu repräsentieren. Die zufällig anwesenden „guten Bauersleute“ aus der Umgebung – das heißt aus savoyischem Herrschaftsgebiet, der politischen Zugehörigkeit der Klarissen – konnten dabei formulieren, was die Ordnungsstruktur der Äbtissin nicht gestattete: Eine Flucht
Vgl. PC, fol 201v; PC, fol 252r; PC, fol 256v; außerdem Feld, Einleitung, S. XLVIIIff. Jean Gacy lebte mit seinem Gefährten und zwei Konversen in eigenen Räumen innerhalb des Klosters an der Place du Bourg-de-Four. „le pleurs et dolloreulx congie“, PC, fol 176r. Jean Gacy war ein Reformationsgegner und Kritiker Luthers, vgl. Jean Gacy, La deploration de la cité de Genève, Jules Vuy (Hg.). Genève: Trembley, 1882. „Et anssin il descendit moult afflit, soit promenant seul par la nefz de lesglise, et sembloit estre tout transporte, non sachant, qui depuoit faire. Et estant en ceste angonie, survindrent, coment, dieu vollut, deux bons hommes paysant des vilage, que linterriguerent de sa tristesse […].“ PC, fol 177v. „grant difasme deuant dieu et le monde“, PC, fol 178r. Die Disputation von Rive fand am 26 Mai 1535 statt. Der Beichtvater und sein Gefährte verließen den Konvent endgültig nach der letzten Messe am 15. August 1535, vgl. PC, fol 201r.
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zu diesem Zeitpunkt wäre eine Schande und gereichte dem Priester nicht zur Ehre. Die Episode erweist sich darüber hinaus aber auch als eine detaillierte Beschreibung der Verbindungslinie von der Klausur der Schwestern durch den (öffentlich zugänglichen) Kirchenraum hin zum Ort der Unterstützung und Stärkung und schließlich der Zugehörigkeit: Der Priester durchschreitet vom Gitter ausgehend den Kirchenraum, dessen Heiligkeit er durch die darin zelebrierte Messfeier ansonsten den Nonnen mit seiner Person an das Gitter brachte, und bewegt sich hin zu den Vertretern der politischen Verbündeten, den savoyischen Bauern. In dieser Weise wird für die Schwestern durch eine doppelte Bewegung des Beichtvaters – sein Abschreiten des Kirchenschiffs vom Gitter zu den Bauern sowie seine Gewissensbewegung – ein Raum produziert, der den bevorstehenden Fluchtweg nach Annecy antizipiert, zugleich aber auch ihre Zugehörigkeit bzw. Identität als Colettinen-Klarissen-Konvent markiert. Die Erweiterung des Klausurraums durch das Gitter hindurch in den Kirchenraum hinein wird auch an den Darstellungen der liturgischen und alltagsreligiösen Praktiken in der Chronik deutlich. Der Konvent nahm im Chorraum am Gottesdienst teil und sah und hörte währenddessen durch das Sprechgitter hindurch. Nach dem Besuch der Genfer Bürgermeister im Mai 1535, die die Schwestern zur Teilnahme an der Disputation verpflichten wollten, vermerkt die Chronik, wie der Konvent in vorbildlicher Formation zum Gebet in den Chor gegangen sei: Als sie weg waren, stiegen die Hochwürdige | Mutter Äbtissin, die Vikarin und die Pförtnerinnen zusammen mit den anderen hinauf in die Kirche. Dann zogen sie den Vorhang des Gitters hoch, um das heilige Sakrament anzubeten, das auf dem Altar ruhte, wie es guter Brauch ist.¹⁸⁷
Der Chorraum und das Gitter/die Öffnung waren also derart platziert, dass den Schwestern eine ausreichende Sicht auf den Altar ermöglicht wurde.¹⁸⁸ Dies lässt zugleich auch eine Vermutung über die tatsächliche Größe des Gitters zu, das immerhin vierundzwanzig Schwestern vom Chorgestühl aus die Sicht auf den
„Eulx estre despartir la reuerente | mere abbesse, la vicaire et les portiere monterent a lesglise auecques les aultres. Puis leuerent le drapt de la traille pour adoree le saint sacrament, qui repousoit sur lhaultel, comme est bonne coustumes.“ PC, fol 174r – v. Im Gegensatz dazu stehen die Befunde für spätmittelalterliche italienische Klarissenkonvente, deren Chorräume, mit Ausnahme dessen von S. Chiara in Neapel, keinen direkten Blick auf den Altar ermöglichten, vgl. Caroline A. Bruzelius, Hearing Is Believing: Clarissan Architecture, ca. 1213 – 1340. Gesta 31: 2 (1992), 83 – 91.
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Altarraum freigeben musste.¹⁸⁹ Der Chorraum als Erweiterung der Klausur durch die Transzendenz in einen jenseitigen Raum war für die Schwestern, sofern es die Umgebung zuließ, visuell passierbar. Die in den Chroniken geschilderten Praktiken des Sprechens an den Grenzorten der Klausur sind durchzogen von Raum- und Ortsbestimmungen. Diese beziehen sich auf die verschiedenen Dimensionen der Raumproduktion und der Produzent:innen, die mit den Körpern der Schwestern, dem Konvent als Kollektiv(‐körper) und den mit ihnen in Kontakt tretenden Personen verknüpft sind. Die beschriebenen Grenzorte werden durch die Praktiken, die sich an und mit ihnen vollzogen, konstituiert.¹⁹⁰ Einbezogen sind gleichwohl auch die architektonischen Manifestierungen der Ordensregel im Klausurraum und deren Materialität, beispielsweise etwa die hölzerne Tür am Gitter. Damit sind die dargestellten Grenzorte jedenfalls teilweise immer auch topografisch bestimmte Plätze innerhalb der Klausurarchitektur. Der Bezug auf einen „stabilen Ort“ (stabilitas loci) kann jenseits der Bezugnahme auf real existente Räume nichtsdestotrotz auch imaginiert sein. Die Klausurräume erscheinen aber zunächst für das Ideal der Lebensform immer auch mit einem topografischen Moment verbunden worden zu sein und sind daher nicht als beliebig oder „nomadisch“ (re‐)produzierbar anzusehen.¹⁹¹ In größeren historischen Zeiträumen betrachtet, zeigt die Geschichte der Konvente zahlreiche Ablösungen von den topografischen Orten ihrer Gründung. Inwieweit in den daraus resultierenden Praktiken beispielsweise der Memorialkultur die Orte des Konvents abgelöst wurden, wäre das Thema einer eigenen Untersuchung. Die Räume der Klausur in den Chroniken werden als Klausurräume und Räume der Konventsgemeinschaft unter anderem durch das Befolgen der Vorschrift, die Schwestern am Grenzort Sprechgitter zu kontaktieren, produziert. Die intendierte Abgeschlossenheit des Prinzips Klausur konnte durch das Verschließen der Holztür am Sprechgitter ausgedrückt, genauso aber auch strategisch
Zur Problematik der Lokalisierung der Gitteröffnungen an den Klausurgrenzen vgl. Jäggi, Frauenklöster, 188 – 189. Vgl. hierzu auch den Ansatz von Julie Ann Smith, die mit ihren Befunden für die Klausur in Dominikanerinnenkonvente des 13. Jahrhunderts die Ortsphilosophie de Certeaus mit ihren festen Platzbestimmungen zurückgewiesen hat, vgl. Smith, Clausura, 16. Stephan Günzel diskutiert die Ortsphilosophie zwischen den Polen „Heimat“ und „Nomadentum“, die philosophiegeschichtlich durch die Arbeiten Martin Heideggers und Otto Bollnows einerseits und das Buch Mille Plateaux/Tausend Plateaus von Gilles Deleuze und Félix Guattari auf der anderen Seite repräsentiert würden, im Hinblick auf ihre jeweilige „zeitgeschichtlich-kontingente Motivation“, Orte in dieser oder jener Weise zu konzeptualisieren, vgl. Günzel, Ort, 27– 33.Vgl. auch Deleuze, Guattari, Plateaus, vor allem das Kapitel „Abhandlung über Nomadologie. Die Kriegsmaschine“, 481– 584.
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temporär geöffnet oder in ein Unendliches erweitert werden. Die Körper der Schwestern wurden durch die Raum- und Ortsbezogenheit zu einem kollektiven Körper, dessen gedachter Aufbau der traditionellen funktional hierarchisierten Konventsstruktur der Klarissen folgte, die die Äbtissin zugleich als Mutter, Hirtin und Dienerin der Schwestern konzipierte, die deren Kopf und Wächterin ihres Gewissens ist. Diese normativ regulierte Ungleichheit bei gleichzeitigem Streben nach dem Ideal der vita apostolica, das die Gleichheit aller vor Gott impliziert, wird auf der Chronikebene als Gemeinschaftsideal in ständiger Wiederholung performativ und innerhalb räumlicher Parameter vollzogen und produziert dadurch den Klausurraum.¹⁹² Die Raumproduktion in diesen Darstellungen von Sprechakten evoziert ein Verbleiben in der Regel und in der Forma vitae als ein evidentes Argumentationsmuster. Die notwendigen Abweichungen von Regel und Lebensform, die, wie am Beispiel des Gesichtsfensterns in St. Klara ersichtlich wurde, außerhalb der Entscheidungsgewalt der Konvente lagen, konnten auf der Ebene der Geschichtsschreibung wieder kontrolliert werden. In den Chroniken wird daher ein Klausurraum produziert, der von An- und Eingriffen in seiner Funktionalität temporär unterbrochen werden kann, solange der Bezug auf die Räumlichkeit der Lebensform bestehen bleibt.
III.3.2 Grenzen übertreten Mit dem Voranschreiten der Reformationspolitiken in Genf und Nürnberg veränderten sich auch die Zugriffe auf die städtischen Klöster. In Genf wurden nach der Bürgermeisterwahl im Februar 1535 die reformatorischen Prediger Guillaume Farel und Pierre Viret als Prädikanten im ehemaligen Franziskanerkonvent zu Rive, dem „Hauptquartier der Reformierten“, eingesetzt.¹⁹³ In Nürnberg predigte ab 1525 unter anderem Andreas Osiander der Ältere in St. Klara. Anfragen nach Austritten vor allem der weiblichen Religiosen aus den Klöstern seitens der Herkunftsfamilien häuften sich. Wie auch der Pfarrklerus wurden die Geistlichen der Klöster verpflichtet, an den Glaubensdebatten teilzunehmen. Je nach Intention der Stadtregierungen und Landesherrschaften wurden die Klöster entweder reformiert, nach Aufnahmestopp bis zu ihrem daraus folgenden „Aussterben“ geduldet und abgewickelt oder ganz aufgelöst, während die Gebäude durch Umnutzung vollständig verändert wurden. Die Umbrüche und Verschiebungen in Vgl. Christina Lutter, Zwischen Hof und Kloster. Kulturelle Gemeinschaften im mittelalterlichen Österreich (Stabwechsel. Antrittsvorlesungen aus der Historisch-Kulturwissenschaftlichen Fakultät der Universität Wien 2). Wien, Köln, Weimar: Böhlau, 2010, 22– 23. Vgl. Reinhardt, Tyrannei, 49.
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den Diskursen und Politiken um Religion, Lebensform und alle zugehörigen Praktiken betrafen die Konvente auf verschiedenen Ebenen und mit unterschiedlichen Auswirkungen. Eine Zugriffsmöglichkeit bestand in der Anstrengung von Stadträten, die Klöster in den politisch-religiösen Diskurs einzubeziehen, indem die Mitglieder der Gemeinschaft dazu verpflichtet wurden, Predigten in ihren Kirchen anzuhören, sich in der neuen Lehre unterweisen zu lassen und sich in Form von Visitationen zu ihren Glaubens- und Lebensvorstellungen befragen zu lassen. Die Schwestern von Sainte-Claire und ihr Beichtvater Jean Gacy wurden, wie erwähnt, nachdrücklich dazu aufgefordert, an der Disputation in Rive teilzunehmen.¹⁹⁴ Vorfälle dieser Art wurden ab dann auch gehäuft in den Klosterchroniken thematisiert. Die Genfer Chronik berichtet an verschiedenen Stellen davon, dass Bürger:innen, Bürgermeister, Prediger und Militärangehörige die Schwestern an der Pforte aufgesucht, sie dort belästigt oder sich gar unter Drohungen Einlass in die Klausur erzwungen hätten.¹⁹⁵ Wie auch die Darstellungen der Sprechpraktiken an den Grenzorten der Klausur enthalten diese Erzählungen dezidierte raum- und ortsbezogene Angaben, sind jedoch mit Transgressionsbewegungen von den Grenzen der Klausur in den Klausurraum verbunden. Als die reformatorischen Prediger Farel und Viret im Juli 1535 an der Pforte von Sainte-Claire ihren Besuch anmeldeten, um als ihre „Väter und guten Freunde“ zum „Wohl und Trost“ der Schwestern Einlass in die Klausur zu erhalten, wurden sie nach Angabe der Petite Chronique von einem Mönch, den vier Genfer Bürgermeistern sowie zwölf weiteren männlichen Personen begleitet.¹⁹⁶ Im Chroniktext beginnt diese Erzählung mit der Darstellung eines exakt regelkonformen Verhaltens der Klarissen: Die Gäste traten dieser Narration nach zuerst an die Pforte, von der aus die Pförtnerin umgehend Äbtissin und Vikarin konsultierte. Diese beiden übernahmen zusammen die Gesprächsführung, währenddessen alle anderen Schwestern zur Kirche, das bedeutet in den Chor, liefen. Der Anweisung, „hinauf an das Sprechgitter zu steigen“¹⁹⁷, um als Gäste empfangen zu werden, kamen die Besucher jedoch nicht nach, sondern erwirkten unter der Androhung, die Pforte aufzubrechen, einen Einlass in die Klausur durch den Drehschalter. Mit der Begründung der großen Angst vor schlimmeren Folgen wurde der Gruppe nach wiederholtem Nachfragen bezüglich ihrer Absichten schließlich Eintritt gewährt: „Und um ihrer Wut zu entgehen, wurden die Pforten Vgl. Reinhardt, Tyrannei, 49. Vgl. PC, fol 184v; PC, fol 194r; PC, fol 143r; PC, fol 167v – 168r; PC, fol 182v – 183r. Vgl. PC, fol 183v; PC, fol 182v – 183r. Die Bürgermeister waren laut Helmut Feld A. Chiccand, A. Bandire, H. du Mollard und J. Philippin, vgl. Jussie, Kleine Chronik, 115, FN 385. „Mais si vos plait de monter ala treillie […].“ PC, fol 183r.
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geöffnet.“¹⁹⁸ Dabei stellte sich heraus, dass die Pförtnerin über die Anzahl der anwesenden Personen getäuscht worden war. Nach Auskunft der Bürgermeister handelte es sich um „drei oder vier von euren guten Freunden“, die Chronik vermerkt indes „ihrer fünfzehn“, zusammen mit dem Beichtvater des Konvents und seinem Gefährten.¹⁹⁹ Das Verweisen auf den regulären Ablauf der Klausur deutet dabei voraus auf die gestörte Ordnung, die die Kommunikation innerhalb der Klausurräume nach sich ziehen konnte. Angekommen im Kapitelsaal, erzwangen die Bürgermeister die Einbestellung aller Schwestern des Konvents, um die Predigt Farels anzuhören.²⁰⁰ Anhand der Episode dieser Predigtsituation und der anschließenden Befragungen der Schwestern werden in der Chronik exemplarisch die reformatorischen Diskurse um den Wert des Klosterlebens in Klausur und Keuschheit, dem das „Gut der Ehe“ entgegengesetzt wird, dargestellt und in Form einer Auseinandersetzung der Schwestern mit diesen Thesen in dialogischer Form aufbereitet. Ausgehend vom Leben der Jungfrau Maria delegitimiert Farel in der Petite Chronique den Kern des Ordenslebens, abgeschlossen und in Askese zu leben, indem er das Marienleben als Paradigma weiblicher Nächstenliebe dem „Einsiedlerleben“²⁰¹ der Schwestern entgegensetzt. Das „Gut der Ehe und Freiheit“ sowie „das Thema vom großen und verdammenswerten Mißstand […] fleischlicher Verderbnis“²⁰² werden zur Sprache gebracht und führen schließlich zur Unterstellung, das Ordensleben sei ein Betrug an der Welt, gar sei das Leben in Keuschheit in der Klausur nur vorgetäuscht. Das Gelübde und die Gehorsamspflicht hindere vor allem die jungen Schwestern daran, zur „Wahrheit des Evangeliums und zum großen Gut der Ehe“²⁰³ zu gelangen. Die Darstellung von Farels Predigt und der anschließenden Diskussion führt die Kernthesen Martin Luthers über den Klosterstand, vor allem in Bezug auf weibliche Religiose, die Bedeutung der Ehe, den Wert der Ordensgelübde und das Gewissen der einzelnen Gläubigen, zusammen. Diese sind sämtlich in dessen Schrift Ursach und Antwort, daß Jungfrauen Klöster göttlich verlassen mögen von 1523 angelegt, der Apologetik, die Luther auf die Flucht – und deren Beihilfe – von
„Et pour euiter leurs fureurs furent ouuertes les portes.“ PC, fol 184v. „[…] troi ou quatres de vos bons amys.“ PC, fol 184r; „Mais il entrerent vne quinzenne auecque le pere confesseur, qui donna conseil de leurs ouurit pour crainte deulx, et vng aultre bon pere, son conpaignon.“ PC, fol 184v. Vgl. PC, fol 185r. „vie solitaire“, PC, fol 185r. Vgl. auch PC, fol 185r – v. „du bien de mariage et liberte et de propost de grant abut et dangnable“, PC, fol 187r; „de corruption charnelle“, PC, fol 187r. „ala verite de leuangille et ou grant bien de mariage“, PC, fol 187v.
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neun Zisterzienserinnen aus dem sächsischen Kloster Marienthal nach Wittenberg hin im April 1523 verfasste.²⁰⁴ Der Text fand als Flugschrift außerordentliche Verbreitung als die reformatorische Position zum weiblichen Ordensstand und erreichte auch die Klöster.²⁰⁵ Caritas Pirckheimers Textkenntnis und ihre eigene Auseinandersetzung – sowie höchstwahrscheinlich die weiterer Schwestern des Nürnberger Konvents – mit den reformatorischen Schriften, die trotz des Verbots für die franziskanischen Orden, die „ketzerischen“ Werke zu rezipieren, offenbar stattfand, zeigen die etlichen sich darauf beziehenden Anteile dieser Chronikerzählung. Wahrscheinlich waren Übersetzungen von Luthers Schriften jedenfalls inhaltlich auch in Sainte-Claire bekannt. Eine genaue Textkenntnis und Auseinandersetzung mit den Texten deutschsprachiger Reformatoren wie im Fall Caritas Pirckheimers kann jedoch weder angenommen noch, mangels überlieferten Archivmaterials, überprüft werden. Jedoch lassen die Darstellung des Diskurses und seine differenzierte und erzählerisch versierte Diskussion in der Petite Chronique darauf schließen, dass im Konvent zumindest bei einigen Schwestern sowohl Lektüren als auch Diskussionen darüber stattgefunden hatten.²⁰⁶ Dies musste schon einige Jahre vor dem Beginn der Predigttätigkeit Farels in Genf 1534 erfolgt sein, wurden doch bereits im Mai 1531 die Klarissen in Orbe zum Anhören der reformatorischen Predigten Farels in ihrem Kloster gezwungen, was die Petite Chronique ebenfalls erwähnt.²⁰⁷ Guillaume Farel gehörte zu den französischen Reformatoren, die Luthers Positionen rezipierten und in die französischsprachigen Reformationsdebatten
Vgl. Luther, Ursach. Auf die schnelle geografische Verbreitung verweisen die Ortsangaben zu den einzelnen Drucken in der Einleitung zur Quelle, vgl. Luther, Ursach, 389 – 390. Zur Einordnung von Luthers Positionen zu Ehe und Klosterstand, die auf die ausschließlich in lateinischer Sprache veröffentlichte Schrift De votis monasticis iudicium (1521) zurückgehen, vgl. Leonard, Nails, 166, FN 6; Hans-Christoph Rublack, Zur Rezeption von Luthers De votis monasticis Judicium. In Reformation und Revolution. Beiträge zum politischen Wandel und den sozialen Kräften am Beginn der Neuzeit. Festschrift für Rainer Wohlfeil zum 60. Geburtstag, hg. von Rainer Postel, Franklin Kopitzsch. Stuttgart: Franz Steiner Verlag, 1989, 224– 238, hier 228 und 230 – 231. Auf die eingeschränkte historiografische Perspektive der Klarissen, die ja auch auf die Vermittlung von Wissen über das „Außen“ durch die Beichtväter und deren Ressourcen angewiesen gewesen sei, weist Helmut Feld hin, vgl. Feld, Klarisse, 77. Gleichwohl lag der Entstehung der Chronik ein umfangreiches Wissen über die historische Entwicklung seit Beginn des 16. Jahrhunderts zugrunde. Vgl. PC, fol 45v; Ansgar Wildermann, Colettinnenkloster Orbe. In Franziskusorden. DeglerSpengler et al. (Hg.), 1978, 577– 586, hier S. 578.
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einbrachten.²⁰⁸ In seiner Abhandlung Summaire, et briefve declaration d’aucuns lieux fort necessaires a ung chascun Chrestien, pour mettre sa confiance en Dieu, et ayder son prochain. Item, ung traicté du Purgatoire nouvellement adjousté sur la fin aus dem Jahr 1529 beschrieb er die Ehe in Abgrenzung zu monastischen Gelübden: „Husbands, love your wives and live with them to avoid fornication. Be grounded in the word of God and not in the murmurings and dreams of monks and priests.“²⁰⁹ Die Diskussion der reformatorischen Positionen in der Chronik zeigt deutliche Bezüge auf Luthers Positionen über den weiblichen Ordensstand aus der oben genannten Schrift, in der sämtliche Begründungslogiken, mit denen die Abschaffung des Ordenslebens legitimiert wurde, angelegt waren. Die Verdichtung der Diskurse in dieser Schrift Luthers sowie ihre Reichweite und Verbreitungswahrscheinlichkeit bis in die französischsprachige Reformation, aber auch die diskursiven Bezugnahmen im Chroniktext der Genfer Klarissen selbst legen es nahe, Ursach und Antwort als Folie für die Debatte um den Klosterstand in der hier diskutierten Chronikerzählung heranzuziehen. Mit Verweis auf den 1. Paulusbrief an die Korinther erklärte Martin Luther in diesem Text die Keuschheit zur Gottesgabe, die nur einigen wenigen, von Gott auserwählten Menschen gegeben sei.²¹⁰ Die überwiegende Mehrzahl der Menschen sei jedoch physisch nicht dazu in der Lage, im Zölibat zu leben, da sie diese Gabe nicht besitze und sich auch nicht als Tugend aneignen könne. Vielmehr seien sie, also die meisten oder so gut wie alle Menschen, nach der Schöpfungstheologie dazu berufen, in der Ehe und mit Kindern zu leben, wobei besonders Frauen durch das Vorbild Evas dazu bestimmt seien, als Ehefrauen und Mütter zu leben.²¹¹ Die virginitas als Lebensform sei demnach nicht frei bzw. überhaupt nicht wählbar und müsse daher als eine nur vorgegebene Heuchelei
Vgl. zum Einfluss Luthers auf den französischen Calvinismus Jon Balserak, Luther in French Calvinism. In Luther and Calvinism. Image and Reception of Martin Luther in the History and Theology of Calvinism, hg. von Herman J. Selderhuis, van Ravenswaay, J. Marius J. Lange. (Academic Studies 42). Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht, 2017, 485 – 494, hier 486 – 487. Balserak folgt Jonathan Reid in der Auffassung, Guillaume Farel sei innerhalb der französischen Reformationsdebatten als Teil des separatistischen Flügels einzuordnen, vgl. Balserak, Luther, 487; vgl. auch Jonathan A. Reid, King’s Sister, Queen of Dissent. Marguerite of Navarre (1492– 1549) and her Evangelical Network. Band 1 (Studies in Medieval and Reformation Traditions 139). Leiden, Boston: Brill, 2009. Das Zitat entnehme ich der englischen Übersetzung der Summaire in Jason Zuidema, Theodore van Raalte, Early French Reform. The Theology and Spirituality of Guillaume Farel (St. Andrews Studies in Reformation History). Farnham, Surrey, Burlington, VT: Ashgate Publishing Group, 2011, 117– 180, hier 169. Vgl. Luther, Ursach, 396. Vgl. Luther, Ursach, 398.
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enttarnt und aufgegeben werden.²¹² Mehr noch sei der Versuch eines Menschen, anders zu leben, als Gott ihn geschaffen habe, als das eitle Bemühen, besser als Gott sein zu wollen, abzulehnen: „Wo er das nicht thutt, soll ein weybs bild ein weyb bleiben, frucht tragen, datzu es gott geschaffen hat, und nicht besser machen denn ers gemacht hatt.“²¹³ Hier wurde der „Wille Gottes“ zum Geschlechterdeterminismus dem dem Virginitätskonzept inhärenten Glauben an die vita perfecta, die Gott als Kraftquelle konzipiert, sich zu verbessern und ihm nachzufolgen, gegenübergestellt. Schließlich lieferte die Annahme, die allermeisten Ordensleute seien un-freiwillig in ihrem Stand und könnten demnach genauso gut in den für sie göttlicherseits vorgesehenen Ehestand wechseln, die Möglichkeit, nach einer utalitaristischen Logik der Nützlichkeit die eine gegenüber der anderen Lebensform zu privilegieren: Were es nicht besser, wenn sie ja etwas ungerne und mit unlust tun soll, sie were ehlich und thet solche muhe und unlust ym ehlichen standt euserlich gegen die menschen, als yhr man, kind, gesind und nachbar […]?²¹⁴
Im Chroniktext wird die Auseinandersetzung um den Klosterstand in einer Erzählsituation, die im Zentrum der Klausur, dem Kapitelsaal, angesiedelt ist, platziert. Nachdem die Gruppe von fünfzehn Personen eingetreten war, sei die Äbtissin verpflichtet worden, den Konvent sämtlich zu versammeln und zur Befragung bereitzuhalten. Die folgende Darstellung einer Visitation bildet die Struktur des Diskurses um das Klosterleben topologisch in ihrem Zugriff auf den Konvent ab: Die „Evangelischen“ und Guillaume Farel fokussierten auf die jüngeren Schwestern, „um ihnen zu schmeicheln und sie zu betrügen“.²¹⁵ Farel diskreditierte die Säulen des Ordenslebens, speziell die Klausur und den zölibatären Stand.²¹⁶ Diese Gesprächssituation wird als eine Verhandlung beschrieben, bei der die jungen Schwestern zu einer Beute und die Prediger zu „Galanen“ ge-
Vgl. dazu auch die Diskussion des theologischen Diskurses der deutschsprachigen Reformatoren Martin Luther und Lazarus Spengler in Auseinandersetzung mit den spätmittelalterlichen Konzepten der virginitas bei Steinke, Paradiesgarten, Unterkapitel „‚Eyn weybs bild ist nicht geschaffen, jungfrau zu seyn, sondern kinder zu tragen‘ (Luther). Die fundamentale Neubewertung der Rolle der Frau“, 229 – 234. Luther, Ursach, 398. Luther, Ursach, 397. Zur Figur der Nützlichkeit in den reformatorischen Diskursen um das weibliche Ordensleben vgl. Leonard, Nails, 40 und 46. Feld erkennt in diesem Konzept, hier in Bezug auf Farel, den Einfluss zwinglianischer Auffassungen von gesellschaftlicher Nützlichkeit, die auf spätmittelalterliche Vorstellungen trafen, vgl. Feld, Jeanne, 318. „por les flacter et desepuoir“, PC, fol 185r. Vgl. PC, fol 185v.
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worden seien.²¹⁷ Die Versuche der Vikarin, zu intervenieren und die „Alten“ (Schwestern) als Gruppe zur Autorität und Gegenwehr zu formieren, wurden schnell verhindert, indem die Vikarin nach und während lautstarkem Protest aus dem Saal befördert und nicht mehr eingelassen wurde.²¹⁸ Die Prediger versuchten also, sie als Wortführerin von der Gruppe, vor allem den jüngeren Schwestern, zu trennen. Wiederholt war der Konvent darum bemüht, als geschlossene Gemeinschaft zusammenzufinden und die Reden Farels zu ignorieren, er musste jedoch schließlich den Forderungen nachgeben, anwesend zu bleiben. Nicht nur konnte er dadurch nicht mehr als ein Kollektivkörper gegenüber den Besuchern auftreten, wie es an anderen Stellen der Chronik als Handlungsstrategie nahegelegt wird. Der Konvent als Gesamtes wurde dadurch des Weiteren nach Kriterien zerteilt, die dem Motiv des reformatorischen Ehediskurses entsprachen: Junge, heirats- und reproduktionsfähige Schwestern wurden von den älteren Schwestern geschieden, die für die Ehe und das Gebären von Kindern nicht mehr geeignet zu sein schienen.²¹⁹ Dieser heteronormative Diskurs bildet sich in der Petite Chronique in der Form von „Eheanbahnungsgesprächen“ ab, in deren Rahmen auf die Schwestern im Hinblick auf ihre Potenzialität als Ressource bzw. ihre Nützlichkeit für eine Gesellschaftsordnung außerhalb des Ordensstandes zugegriffen wurde. Die Schwestern versuchten einzeln, den Anwürfen zu entgehen, indem sie sich die Ohren mit Wachs verstopften oder sich in der Kirche versteckten.²²⁰ Die Prediger konnten sich schließlich durchsetzen und die Befragungen der Schwestern über einen ganzen Tag lang durchführen, begleitet von Unterstellungen, die ihre Reinheit in Zweifel zogen, und körperlichen Übergriffen.²²¹ Solche Übergriffe unter Ausübung von sexualisierter Gewalt auf weibliche Klostergemeinschaften während der Reformationszeit sind zwar ein bekanntes Thema der historischen Forschung zu Reformation und Gewalt, werden jedoch nach wie vor selten als direkte Folge theologischer Diskurse und als Effekt einer strukturellen Verwobenheit dieser Diskurse mit politischen und sozioökonomi-
„ses gallant“, PC, fol 185v. Vgl. PC, fol 186rv. Vgl. PC, fol 185v – 190v. Vgl. PC, fol 188v – 189r. Vgl. PC, fol 187v; PC, fol 189v. Ähnliches berichtete auch Caritas Pirckheimer anlässlich der Verlesung der fünf Artikel zur Neuordnung des Klosterlebens, vgl. DW, 69 – 71; vgl. auch ihren Brief vom 18. Juni 1525 an (vermutlich) Kaspar Schatzgeyer, München, in Charitas Pirckheimer, Briefe der Äbtissin Caritas Pirckheimer des St. Klara-Klosters zu Nürnberg. Nach d. Erstveröffentlichung von Josef Pfanner übertr. von Benedicta Schrott, Georg Deichstetter (Hg.). Sankt Ottilien: EOS, 1984, Nr. 17, 27– 37, hier 30.
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schen Interessen diskutiert.²²² Die Petite Chronique zeigt eindrucksvoll und in einzigartiger Weise nicht nur die Dimension sexualisierter Gewalt in den Zugriffen auf weibliche Gemeinschaften auf, sondern stellt die Delegitimierung und Verwerfung ihrer Lebensform auch in räumlichen Bezügen dar.²²³ In den Debatten um neue Glaubensvorstellungen wurde die forma vitae der Klarissen, deren Funktionsweise durch die Konventsstruktur, die Klausurordnung und die Regel konstituiert wurde, buchstäblich fragmentiert. Die Überschreitung der Klausurgrenzen von Sainte-Claire wird dabei im Verlauf der Chronikerzählung bis zum vollständigen Bruch der Klausur gesteigert: Nach dem Verbot der altgläubigen Rituale in der Stadt Genf wurde am 15. August 1535 die letzte Messe in Sainte-Claire gefeiert. Am 24. August 1535, sechs Tage vor der Migration des Konvents nach Annecy, drangen mehrere bewaffnete Personen aus der Stadt Genf ins Kloster ein.²²⁴ Sie zerstörten dort zunächst die Räume und das Inventar der Brüder und begaben sich anschließend zur Pforte der Schwestern. Dort wurden mit Brechstangen und Äxten Schlösser und Türen zerstört und die Pförtnerin überwältigt, die die Tür der Pforte (und dadurch die
Vgl. als Beispiele für die gängige Forschung etwa Roper, Haus; Woodford, Letters; Leonard, Nails; Wiesner, Convents; Claudia Ulbrich, Die Heggbacher Chronik. Quellenkritisches zum Thema Frauen und Bauernkrieg. In Gemeinde, Reformation und Widerstand. Festschrift für Peter Blickle zum 60. Geburtstag, hg. von Heinrich Richard Schmidt, André Holenstein, Andreas Würgler. Tübingen: Biblioteca academica, 1998, 391– 399. Eine jüngere Bestandsaufnahme zur Geschlechtergeschichte der Reformation differenziert männlich-protestantische Perspektiven auf „Sexualität“ zwischen Kloster und Welt kritisch gegenüber einem Verständnis von Emanzipation vs. Unterdrückung von „Sexualität“, jedoch bleibt auch hier eine Leerstelle in Bezug auf Gewalt und Machtstrukturen, vgl. Schmidt-Funke, Reformation, 50 ff. Auch hier hat man es außerdem mit einem (eher modernen) Verständnis von „Sexualität“ zu tun, das diese als Gegensatz zu „Askese“ konstituiert und letztere als körperverleugnende und sinnesfeindliche Praxis missversteht. Zu den Dimensionen der Einschränkung für weibliche Personen durch die Reformation hingegen vgl. Conrad, Evangelium, 45 ff. Zahlreiche Klosterchroniken gestalten Schilderungen von Gewalt sprachlich auf unterschiedliche Weise, von markierten Auslassungen bis zu drastischen Formulierungen, vgl. über den Zeitraum des Bauernkrieges etwa die Chronik einer Pfullinger Klarisse, PfullChron, fol 2; außerdem den Bericht einer Bamberger Klarisse über Gewaltaktionen gegen das Kloster im Bauernkrieg, Bericht einer Bamberger Klarissin über Gewaltaktionen gegen das Kloster im Bauernkrieg (1525), München, Bayerische Staatsbibliothek, BSB Cgm 9171, fol 1r – v; Heggbacher Chronik. In Quellen zur Geschichte des Bauernkriegs in Oberschwaben, hg. von Franz Ludwig Baumann. (Bibliothek des litterarischen Vereins in Stuttgart 129). Tübingen: Litterarischer Verein, 1876, 277– 295, hier 279; Gabriel P. Meier, Bericht über das Frauenkloster St. Leonhard in St. Gallen von der Frau Mutter Wiborada Fluri (1524– 1538). Anzeiger für Schweizerische Geschichte 13: 1 (1915), 14– 44, hier 24– 25. Darunter waren drei als Haupttäter ikonoklastischer Aktionen bekannte Genfer, vgl. Jussie, Kleine Chronik, 128, FN 406.
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Klausur) mit ihrem Körper verteidigte. Während die Schwestern in die Kirche liefen, verteilten sich die Einbrecher über den ganzen Konvent, zerstörten Mobiliar, Bilder und Andachtsgegenstände und griffen die Schwestern an. In der Folge dieses Einbruchs verblieb der Konvent für die restliche, wenn auch kurze Zeit mit zerstörter Pforte und ohne Klausur.²²⁵ Alle Gäste, die das Kloster während dieses Zeitraums noch aufsuchten, traten zwar durch die Tür an der Pforte ein. Dennoch berichtet die Chronik von einem Minimum an „Klausurverhalten“, das weiterhin aufrechterhalten wurde, indem die Besucher:innen zwar hineingegangen seien, vorher jedoch noch an das Sprechgitter hätten treten müssen und damit die Klausur der Schwestern zumindest in Teilen performativ anerkannten.²²⁶ Dieser in der Chronik geschilderte Klausurbruch ist dabei zunächst als die sehr bildhafte Darstellung eines Konvents zu begreifen, dessen Körper vollständig mit der Klausur in eins gesetzt wird. Die aufgebrochenen Schlösser, zerspaltenen Türen und das zerschlagene Inventar gehen angesichts der Waffenschläge schwer unterscheidbar ineinander über. Mit den Grenzen der Klausur werden darüber hinaus die Grenzen des Konventskörpers und aller seiner Teile verletzt.²²⁷ Außerdem zeigt die Erzählung den Zusammenhang von religionspolitischen diskursiven Veränderungen in der Umgebung des Klosters mit der Ausübung physischer Gewalt. Während die Klosterarchitektur die Körper der Schwestern repräsentiert, zerschlagen die Worte reformatorischer Diskurse als Eisenstangen in den Händen von Bilderstürmern die Materialität des Konvents.²²⁸ Während das Gitter am Chor der Ort des Sprechens für alle Schwestern war, wurde der Konvent von der Pforte aus durch die Amtsschwestern geschützt und organisiert. Die Pforte erscheint dabei sowohl als ein Ort, der Handlungsspiel-
Vgl. PC, fol 202r – 206r. Vgl. PC, fol 229v. Zur sprachlichen Gestaltung der Überschneidung von Konventsarchitektur und Körper der Klarissen vgl. Klaus, Architecture, 290 ff.; Klaus, Neither, 130 ff. Zur leiblichen Dimension von Gewalt in der Sprache vgl. Bernhard Waldenfels, Aporien der Gewalt. In Gewalt. Strukturen, Formen, Repräsentationen, hg. von Mihran Dabag, Antje Kapust, Bernhard Waldenfels. (Schriftenreihe „Genozid und Gedächtnis“ des Instituts für Diaspora- und Genozidforschung an der Ruhr-Universität Bochum). München: Fink, 2000, 9 – 24, hier 14– 15. Zur Differenzierung der Anteile körperlicher und sprachlicher bzw. realer und imaginierter Gewalt in spätmittelalterlicher Literatur vgl. Jutta Eming, Gewalt im Geistlichen Spiel. Das Donaueschinger und das Frankfurter Passionsspiel. The German Quarterly 78: 1 (2005), 1– 22, hier besonders 3 sowie 8 ff.; Jutta Eming, Sprache und Gewalt im mittelalterlichen Passionsspiel. In Blutige Worte. Internationales und interdisziplinäres Kolloquium zum Verhältnis von Sprache und Gewalt in Mittelalter und Früher Neuzeit, hg. von Jutta Eming, Claudia Jarzebowski. (Berliner Mittelalter- und Frühneuzeitforschung 4). Göttingen: V & R Unipress, 2008, 31– 51.
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räume ermöglichte, darunter etwa das kurzfristige Ausgehen im Notfall, andererseits war deren Tür mit ihrem Drehschalter doch gemäß ihrer Lage und Beschaffenheit weitaus fragiler und durchlässiger als der Platz am Sprechgitter. Das Sprechgitter war als Grenze für den Konvent offen und erweiterbar, bei gleichzeitiger Kontrolle über das Öffnen und Schließen des Fensters. Es erlaubte Ausblicke in Weltliches und Geistliches, Diesseitiges und Jenseitiges. Am Gitter und am Sprechfenster war den Schwestern das Sprechen mit Konventsexternen erlaubt. Die Pforte war demgegenüber nur begrenzt kontrollierbar; gewünschte Ein- und Ausgänge waren ebenso möglich wie Einbrüche, die nur bedingt abwehrbar waren. Hier zeigen sich außerdem unterschiedliche Konzepte für die Klausur der Nürnberger und der Genfer Klarissen. In St. Klara war die Sakralität auf zwei Orte verteilt, und zwar durch die Zuordnung der Sakramente, einmal dem der Kommunion an das Gitter, an dem gesprochen wurde, und dann dem der Beichte an das Sprechfenster, an dem nur ausnahmsweise mit anderen gesprochen werden sollte. Obwohl die Regula Sanctae Clarae bzw. die Constitutions der Colette Corbie ein parloir erlaubten, fanden in Sainte-Claire laut der Chronikerzählung die Sakramente, das Sprechen und der Gottesdienst für die Schwestern an einem einzigen Ort statt. Die Klausur tritt aus den chronikalischen Texten als Raum mit verschiedenen Modi der Begrenzung, Öffnung, Schließung, Durchlässigkeit und Vulnerabilität hervor. In einer Dramaturgie zwischen Gitter und Pforte wird in der Petite Chronique die Pforte als Grenzraum zerstört, indem die Grenze der Klausur etwa mittels erzwungener Rede übertreten wird. Zugleich wurde versucht, den Chor als Grenze zu erhalten, der dadurch als Raum größter Sakralität produziert wird, zu bzw. an dem ein letzter Rückzug möglich war. Der Klausurbruch als die höchste Gefahr für die Integrität und Selbstbestimmung der Schwestern wird als Angriff auf die körperliche und architektonische Materialität des Konvents präsentiert. Die Verbindung oder, in Giorgio Agambens Konzeption, der Zusammenfall von Lebensform und Regel wird so freigelegt, und es wird deutlich, dass diese Lebensform an den Raum der Klausur gebunden war. Die Reaktion auf die Angriffe auf die Lebensform erfolgte entsprechend in der Form raumbezogener und raumproduzierender Praktiken. Ein anderes finales Szenario der Überschreitung von Klausurgrenzen, jedoch in die umgekehrte Richtung, war der erzwungene Klosteraustritt. Die Nürnberger Klarissen wurden im Juni 1525 vom Rat und den Herkunftsfamilien gezwungen, drei der Schwestern aus dem Konvent zu entlassen und sie ihren Familien „zurückzugeben“. Dies schloss die Verpflichtung zu einer rituellen Zeremonie ein, die sich in einer umgekehrten Bewegung von Sakralität zu Profanität vollzog. Bei der Transgression vom Kloster in die Welt traten die Schwestern zugleich aus dem
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Ordensstand in einen anderen Stand über sowie von der Lebensform innerhalb der Regel und des Gehorsams in eine andere Ordnung ein. Diese Transgressionsbewegungen werden in den Denkwürdigkeiten anhand der räumlichen Bezüge des Klosters beschrieben: Erwähnt werden die äußeren Grenzen des Klosters, die ansonsten im Text unsichtbar bleiben, namentlich die Tür vom Kloster in die Kirche und das Gartentor, offenbar eine Tür in der Mauer, die das Klostergelände umschloss. Auch die Kapelle enthielt mehrere Türen in die Klausur bzw. in den Kirchhof und trennte damit Sphären unterschiedlicher Sakralisierungsstufen voneinander.²²⁹ Das Austrittsprozedere begann mit dem Eintreffen der Mütter der drei betroffenen Schwestern, die zunächst darüber verhandelten, mit ihren Töchter sprechen zu dürfen. Dieser Versuch, zur Sprechsituation hinzugelangen, vollzog sich in drei Schritten, von der Maximalforderung hin zur regulären Sprechweise: Das Anliegen, direkt in das Kloster hineinzugehen, und der zweite Versuch, frei mit den Schwestern in der Kirche zu sprechen, wurden von der Äbtissin abgewiesen.²³⁰ Die dritte Möglichkeit, am Redfenster oder dem Fenster im Gitter zu sprechen, wie es der Gewohnheit entsprach, wurde wiederum von den Bürgerinnen abgelehnt.²³¹ Nach erneuter Beschwerde beim Rat über die Schwestern traf zwei Tage später, an Fronleichnam 1525, die Nachricht im Konvent ein, dass man die Schwestern nun holen wolle. Die Äbtissin beantragte daraufhin beim Rat zwei Zeugen für den Vorgang, um sich und ihr Verhalten abzusichern, da die Bürgerinnen auch Zeugen mit sich führen würden.²³² Die zentralen Schritte des Austritts, das heißt der Herauslösung, und damit der Entsakralisierung der Schwestern vollzogen sich über deren Entkleidung vom Habit und die Lossprechung vom Gehorsam gegenüber der Äbtissin. Man zog den drei Schwestern ihre Ordenstracht (Schleier, Gürtel, weißer Rock) aus: „Do theten wyr in mit vil zehern dy weyel und sayl ab und dy weißen Rock, legten in hemdlein an und weltlich gurtel und auflegerleyn auf das haubt.“²³³ Sie wurden in die zur Klausur gehörende Kapelle geführt.Währenddessen kam es mit dem Eintreffen der Mütter in
Zur Simultaneität verschiedener Stufen von Heiligkeit in Kirchenräumen vgl. Dürr, Kirchenräume. Vgl. DW, 76. Vgl. DW, 77. Als Zeugen für den Konvent werden Sebald Pfinzing und Endres (Andreas I.) Imhoff genannt, vgl. DW, 79 – 80. DW, 79. Bei den entlassenen Schwestern handelte es sich um Margaret Tetzel, dreiundzwanzig Jahre alt, neun Jahre im Konvent gewesen; Katharina Ebner, zwanzig Jahre alt, sechs Jahre im Konvent, und Clara Nützel, neunzehn Jahre alt, die Tochter des Klosterpflegers, ebenfalls sechs Jahre im Konvent.
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III Die Sakralisierung des Klausurraums durch die Regulierung der Worte
der Kirche zu einer großen Menschenansammlung von „gemeynem volck“ in „gancz gaßen und kirckhof voll“, eine Anzahl von Zeug:innen, die die Mütter, die Bürgerinnen Tetzel, Ebner und Nützel, lieber vermieden hätten.²³⁴ Jedenfalls hätten sie, so der Chronikbericht, ihre Töchter lieber „zum hyntern thor im garten hynauß“²³⁵ in Empfang genommen, ein Anliegen, dass die Äbtissin Pirckheimer, ebenso wie den Vorschlag der Schwestern selbst, sich zu verstecken, ablehnte: „Ich wollt nit heymlich mit der sach umbgen […].“²³⁶ Öffentlichkeit und Bezeugung des korrekten Verlaufs waren nämlich wichtige Voraussetzungen für den erfolgreichen Vollzug des Austritts, der für die Orden eine hohe Amtshandlung darstellte. Mit dem Eintritt in ein Kloster und damit in eine Ordensgemeinschaft trat die betreffende Person aus sämtlichen sozialen und rechtlichen Bezügen aus und in eine neue Sphäre gesellschaftlicher Ordnung ein. An die Änderung des sozialen Standes und das Herausfallen aus familiären Verpflichtungen und Privilegien war das Gebundensein an Kirchenrecht geknüpft. Ein Austritt aus diesen Bezügen, der aus altgläubiger Perspektive nicht vorgesehen und in den reformatorischen Begründungslogiken nicht denkbar war, die ja schon den gottgewollten Eintritt dahinein leugneten, konnte zu diesem Zeitpunkt, also in den 1520er-Jahren, noch auf keine etablierte rechtliche oder soziale Praxis zurückgreifen.²³⁷ Um den Vorgang also jedenfalls so offiziell wie möglich zu gestalten, war es für die Äbtissin notwendig, den Übergang für alle sichtbar und überprüfbar abzuhalten. Dafür sollten die Schwestern am gleichen Ort „hynaußgeben, denn do ich sye herein het genumen, daz was durch dy cappeln thur […].“²³⁸ Nach dem Eintreffen der Angehörigen in der Kirche des Klosters wurden die Nürnberger Bürger:innen hinausge- und die Kirche versperrt. Die Äbtissin musste
Vgl. DW, 79 – 80. Vgl. DW, 80. DW, 80. Zu Klosteraustritten und den damit verbundenen rechtlichen, sozialen und ökonomischen Herausforderungen sowie zu den Chancen eines „gelingenden“ Austritts aus dem Kloster vgl. nach wie vor die Studie von Antje Rüttgardt, Klosteraustritte in der frühen Reformation. Studien zu Flugschriften der Jahre 1522 bis 1524 (Quellen und Forschungen zur Reformationsgeschichte 79). Gütersloh: Gütersloher Verlagshaus, 2007, vor allem 327– 328. Vgl. auch die ältere Fallstudie von Marilyn Oliva über den Verbleib von hundertdreiunddreißig Nonnen der Diözese Norwich im Zeitraum bis in die 1560er-Jahre, Marilyn Oliva, Unsafe Passages. The State of the Nuns at the Dissolution and their Conversion to Secular Life. In The Vocation of Service to God and Neighbour. Essays on the Interests, Involvements and Problems of Religious Communities and their Members in Medieval Society, hg. von Joan Greatrex. (International Medieval Research 5). Turnhout, 1998, 87– 103. Die Folgen eines Klosteraustritts für weibliche Religiose als Forschungsdesiderat konstatiert Bünz, Schicksale, 99. DW, 80.
III.3 Chronikalische Raumproduktionen
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nun „laider des closters thur in der capeln aufsperen“²³⁹ und die drei Schwestern in die Kirche gehen lassen, was diese, wie angedeutet, eigentlich gar nicht wollten.²⁴⁰ Daraufhin zogen sich die Äbtissin und der Rest des Konvents zurück in die Klausur neben der Kapelle. In der Kapelle, hier: im zugänglichen Kirchenraum, vollzog sich nun unter Anwendung von Gewalt ein Ringen um den Austritt der Schwestern, der doch an deren freiem Willen hängen sollte und hier vor allem mit der Anerkennung des Gehorsams gegenüber den Verwandten und dem Verlassen aus dem Bereich des Gehorsams der Äbtissin gegenüber verbunden war. Die Äbtissin musste daraufhin ein zweites Mal das Lossprechen bekunden und die Schwestern von dem Teil des Gehorsams freisprechen, der an die Konventsstruktur gebunden war. Den Teil des Gelübdes, der gegenüber Gott abgelegt worden war, konnte sie aber selbstredend nicht auflösen. Der Austritt vollzog sich ausgehend von der Mitte der Konventsgemeinschaft und des Ordenslebens über mehrere Stufen der Entsakralisierung in die Welt, die in der Chronik vor allem durch gewalttätige Angehörige und sensationsgieriges „gemeines Volk“ repräsentiert wird. Die Mütter prügeln die Töchter sprichwörtlich aus den Kirchenräumen hinaus, weil diese es jeweils verweigern, sie anders als nur als die „mutter meins flaysch“ anzuerkennen.²⁴¹ Als geistliche Mütter, eine Kategorie, die auf die Logik des Ordenslebens verweist, zählen sie ihren Töchtern nicht.²⁴² Die Darstellung der bürgerlichen Mütter der ehemaligen Schwestern als „böse Weiber“ stellt zudem die Geschlechterdifferenz heraus, in der sich die Klarissen offenbar verstanden.²⁴³ Die Kapelle von St. Klara wird in der Chronikerzählung durch die Zugriffe und Ansprüche der Nürnberger Bürgerinnen und das Verhalten des Volkes aus der klösterlichen Perspektive entsakralisiert. Die ehemaligen Schwestern aber und der Weg, den sie daraufhin beschreiten mussten, wurden aus der Perspektive der Nürnberger Bürger:innen zugleich rehabilitiert: Sie sollten in weltlichen Kleidern den Weg in die Welt, den bürgerlichen Stand und die „natürliche“ Ordnung des Gehorsams gegenüber den Eltern beschreiten.
Vgl. DW, 80. „Gesegenten an einander mit unzelligen hayßen zechern, fielen die kinder alle umb mich, heulten und schryen und begerten, ich solt sie nit loßen, aber ich kunt in laider nit helfen […].“ DW, 80. Vgl. DW, 81. Vgl. DW, 81. Vgl. außerdem die detaillierte Analyse der geistlichen und weltlichen Verwandtschaftsstrukturen in den Beziehungen der Nürnberger Klarissen untereinander und zu ihren Herkunftsfamilien bei Strasser, Brides, vor allem 215 – 228. Zu den Differenzkategorien im Zusammenhang mit Klosteraustritten vgl. Knackmuß, Reformation. Ulrike Strasser verweist auf die Hierarchisierung weltlicher väterlicher und mütterlicher Ansprüche an ihre Verwandten im Kloster, vgl. Strasser, Brides, 223.
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III Die Sakralisierung des Klausurraums durch die Regulierung der Worte
Die extreme Ausnahmesituation des Klosteraustritts macht in den Denkwürdigkeiten zum einen die Orte des Klosters sichtbar, die ansonsten – außer in pragmatischen Bezügen – keine Erwähnung finden: das Gartentor und die Tür, die den Nonnenchor von der allgemein zugänglichen Kirche abgrenzte („dy cappeln thur“). Beide Orte waren sonstigenfalls nicht in die Praktiken des Klosteralltags einbezogen, jedenfalls nicht in die, die Eingang in die Chronikerzählung fanden. Sie markieren hier als Orte einerseits die äußeren Grenzen der Klausur zur Welt und topologisch die größte Entfernung vom Zentrum der Klausur; zugleich bedeuten sie den topografisch kürzesten, direkt begehbaren Weg für den Übertritt von der einen in die andere Welt. Die detaillierten räumlichen Markierungen, mit denen das Austrittsprozedere in den Denkwürdigkeiten versehen ist, ermöglichen dabei ebenso einen Rückschluss auf die Sakralität der einzelnen Orte der Klausur. Der Übergang von der Klausur in die Welt findet in zwei Stufen statt. Im Chorraum, der als einer der heiligsten Orte der Klausur konzipiert wird, erfolgt die Entkleidung und Lossprechung der austretenden Schwestern. An der Tür, die vom Chor in die Kapelle/Kirche führt, verlassen diese die Klausur und treten in diesem Zusammenhang in einen Zwischenraum ein, der sich als eine Brücke verstehen lässt.²⁴⁴ Die Grenzraumfigur der Brücke verweist dabei auf die Zugehörigkeit des Körpers zu einem raumzeitlichen Sowohl-als-Auch, einem Zwischenraum zwischen Kloster und Welt, Diesseits und Jenseits, Klarisse und bürgerlicher Frau, asketischem Körper und nicht-asketischem Körper.²⁴⁵ Dieser Zwischenraum an der Grenze ist ein Raum der Passage und Transgression, der Personen aus dem Konventsgefüge ausschleust. Die Verwendung der Brückenfigur für die Beschreibung klösterlicher Räume zeigt dabei gerade die Durchlässigkeit von Ortsbezügen. Die Beschreibung des Klosteraustritts erzeugt insgesamt eine Landkarte der Klausur als ein Nebeneinander und eine Überlagerung verschiedener Räume und ihrer dazugehörigen Orte, die je nach Situation unterschiedlichen Sakralitätsgraden entsprechen konnten. Daran wird evident, dass in den chronikalischen Quellen nicht nur die Räume, sondern auch Orte durch Diskurse und die beschriebenen raumerzeugenden Praktiken hervorgebracht werden.
Die Figur der Brücke als Zwischenraum an der Grenze geht auf die ortsphilosophischen Überlegungen Heideggers in seinem 1951 gehaltenen Vortrag „Bauen Wohnen Denken“, einem „Klassiker“ der Raumtheorie, zurück, vgl. Martin Heidegger, Bauen Wohnen Denken [1951]. In Vorträge und Aufsätze. Pfullingen: Neske, 1954, 139 – 156, hier 152– 153. Zur Problematik der territorialen Implikationen von Heideggers Ortsbegriff, der die Entwicklung der deutschsprachigen Raumtheorie im 20. Jahrhundert erschwerte, vgl. Wirth, Zwischenräumliche, 15 ff., und Günzel, Ort, 43. Zur Figur des Zwischenraums vgl. Wirth, Zwischenräumliche, 15.
IV Sichtbarkeitsordnungen: Subjektivierung durch räumliche Ordnung Die (Wieder‐)Einführung der Klausur in den observanten Klarissenkonventen brachte neben den im vorangegangenen Kapitel diskutierten Raumproduktionen, die auf die Regulierungen des Sprechens und Schweigens zurückgingen, auch eine neue Systematik des Sehens und Gesehenwerdens hervor. Diese materialisierte sich in den Regeltexten, den spezifischen Architekturen der Klostergebäude und den dazugehörigen Praktiken der Klausur und wird hier unter dem Terminus der Sichtbarkeitsordnung als eine weitere Dimension der Topologie von Konventsgemeinschaften untersucht. Der Soziologe Andreas Reckwitz definiert die Sichtbarkeitsordnung als „Organisation von Aufmerksamkeit […], die sich in einem sozialen Komplex von Praktiken oder in einer Gesellschaft als Ganzer vollzieht.“¹ Dabei treten bestimmte Subjekte, Dinge und andere Entitäten in den Fokus der Wahrnehmung, andere hingegen werden ausgeblendet. Diese Wahrnehmung wird durch Kommunikation, visuelle Kultur und Raumarrangements organisiert: „Folglich stellen sich Sichtbarkeitsordnungen als Arrangements von wahrnehmenden und wahrgenommenen Subjekten, Artefakten, Wissensordnungen, Affekten und ganzen räumlichen Settings dar, in denen die Aufmerksamkeit auf bestimmte Weise gelenkt wird.“² Für die Rekonstruktion der Sichtbarkeitsordnungen in Klarissenkonventen um 1500 interessieren mich einerseits die Wahrnehmungen der Schwestern eines Klosters selbst, die diese hinsichtlich anderer Personen, Objekte und Wissensordnungen produzierten, und andererseits das Wahrgenommenwerden der Schwestern, ihrer räumlichen Arrangements, Praktiken und Wissensordnungen durch andere Akteur:innen. Zu diesen anderen Akteur:innen gehörten Personen, Institutionen und andere Entitäten verschiedener Zugehörigkeit und sozialer bzw. übermenschlicher Positionierung, wobei sich folgende Gruppen unterscheiden lassen: erstens jene Personen und Institutionen außerhalb der Klausur und der Ordenszusammenhänge; zweitens all jene, die im Zusammenhang mit der Konventsstruktur standen (darunter auch die Schwestern selbst), in sich wiederum unterschieden nach ihren jeweiligen Ämtern, außerdem die zu Andreas Reckwitz, Die Transformation der Sichtbarkeitsordnungen.Vom disziplinären Blick zu den kompetitiven Singularitäten. In Vierzig Jahre „Überwachen und Strafen“. Zur Aktualität der Foucault’schen Machtanalyse, hg. von Marc Rölli, Roberto Nigro. (Edition Moderne Postmoderne). Bielefeld: transcript, 2017, 197– 211, hier 200. Reckwitz, Sichtbarkeitsordnungen, 200. https://doi.org/10.1515/9783110744613-006
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IV Sichtbarkeitsordnungen: Subjektivierung durch räumliche Ordnung
ständigen Kontrollinstanzen innerhalb der Ordensprovinz sowie der kirchenrechtlichen Einrichtungen. Eng damit verbunden war eine dritte Gruppe, die hier als Instanz des Sakralen bezeichnet werden soll und die durch Entitäten wie Gott und die Heiligen, hier natürlich in erster Linie die Ordensgründer:innen Franziskus und Klara, verkörpert wurde. Die derart kenntlich gemachten Subjekte der Sichtbarkeitsordnungen stehen in Zusammenhang mit verschiedenen Dimensionen von Sichtbarkeit, die den hier verhandelten Themenkomplex der räumlichen Ordnung monastischer Gemeinschaft berühren. Die reformierten Klarissenkonvente waren mit verschiedenen konkurrierenden Sichtbarkeitsregimen konfrontiert. Das mit der Observanz eingerichtete Disziplinarregime der (Wieder‐)Beachtung der „ursprünglichen“ Ordensregel und der (Wieder‐)Einführung der strengen Klausur für alle weiblichen Gemeinschaften war Thema von Auseinandersetzungsprozessen der Schwestern bis in das frühe 16. Jahrhundert hinein, die hauptsächlich in historiografischen Praktiken wie dem Erarbeiten von Klosterchroniken resultierten. Mit den Reformationsdebatten des 16. Jahrhunderts wurden Ordnungskonzepte auch hinsichtlich der Sichtbarkeit der Orden in einer Gesellschaft im sprichwörtlichen Umbau erfunden, verworfen, durchgesetzt und festgeschrieben, sodass sich in der Begegnung der Konvente mit den Reformationsbewegungen konkurrierende Sichtbarkeitsordnungen beobachten lassen. In diesem Kapitel werde ich jene verschiedenen Aspekte der Lebensform der Konvente darstellen, die auf mehreren Ebenen in Diskursen um Sichtbarkeit verhandelt wurden. Sichtbarkeit bildete sich zunächst in der Materialisierung der Lebensform in Gestalt der Klausurarchitektur und den darin implizierten Praktiken heraus. Die Gebäudestrukturen der Klausur erzeugten eigene Blickregime und wurden zugleich mit anderen Regimen des Sehens konfrontiert, die es zu kontrollieren galt. Es soll daher die räumliche Ordnung der Klausur im Hinblick auf das Gesehenwerden der Schwestern von allen oben genannten Gruppen untersucht werden. Leitgröße ist hier die Disziplinierung, die jeder Sichtbarkeitsordnung inhärent ist und die eine Subjektivierung der Konventsmitglieder sowohl als Schwestern als auch als Teil einer Gemeinschaft herausbildete. Dabei interessiert mich neben dem Gesehenwerden durch Personen und Vertreter von Institutionen auch die Ebene des Wahrgenommenwerdens, die in erster Linie durch die Blicke der Konventsmitglieder selbst aufeinander als kontrollierende Instanz eingerichtet wurde und dadurch den Blick obrigkeitlicher Instanzen und göttlicher bzw. heiliger Entitäten, die nicht notwendigerweise anwesend waren oder sich bemerkbar machten, imaginierte. Dieser Blick war jederzeit präsent und in den Raumrepräsentationen der Klausur impliziert, ohne dabei jedoch unbedingt von der einzelnen Schwester wahrgenommen werden zu können. Anhand der Konzeption des Panoptismus, den Michel Foucault in seiner Analyse der Subjektivierung in
IV.1 Der disziplinierende Blick
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disziplinierenden Institutionen als die disziplinäre Sichtbarkeitsordnung avant la lettre hervorhob, wird dieser Zusammenhang unter der Fragestellung diskutiert, wer von wem und mit welchen Folgen gesehen wurde. Der Komplex der Disziplinierung soll aber auch in seiner Ausformung einerseits als Teil der Regulierung der monastischen Lebensform und andererseits der Bestrafung von Abweichungen davon behandelt werden. Diese Abweichungen von der Lebensform waren mit solchen von der Sichtbarkeitsordnung verschränkt, was in den Strafpraktiken deutlich wird, die ihrerseits mit dem Sichtbarmachen und Sichtbarwerden der delinquenten Subjekten zu tun hatten. Die architektonische Materialität soll dabei als Teil der Raumordnung auf ihre Verknüpfungsmomente mit Körpern, Subjektivität und Geschlecht befragt werden. Ein wichtiger Aspekt der Materialität der Klausur war durch die Körper der Schwestern selbst gegeben, die als (von) ihr untrennbarer Teil konzipiert wurden und in verschiedenen Diskursen mit der Materialität der Architektur zusammenfielen. Die Körper repräsentierten zudem selbst verschiedene räumliche Ordnungen, wie an den Beispielen kollektiver Körperformationen deutlich wird. Die Funktion jedes einzelnen Körpers als klausurrepräsentierend wurde durch verschiedene Praktiken gewährleistet, die das Sehen und weitere körperliche Akte bzw. Gesten betrafen. Zudem war der (Klausur‐)Körper mit einer bestimmten Kleidung ausgestattet, die als Habit (!) die Lebensform repräsentierte. Ich begreife den Körper der Schwestern in diesem Zusammenhang als Ort des (Aus‐)Tragens der Sichtbarkeitsordnung und fokussiere somit den Zusammenhang mit der Raumproduktion. Es ist das Ziel dieses Kapitels, über eine möglichst differenzierte Bestimmung der Praktiken des Gesehenwerdens und des Sehens deren raumkonstituierende, raumnutzende und raumordnende Aspekte und ihre Verknüpfung zum Körper der Gemeinschaften als Teil einer Lebensform in differenten disziplinären Sichtbarkeitsordnungen sichtbar zu machen.³
IV.1 Der disziplinierende Blick Die Regulierung des Sehens und des Gesehenwerdens zum Zwecke der Disziplinierung als ein Phänomen der Raumordnung ist historiografisch zweifellos mit der kanonischen Arbeit Michel Foucaults über die Entstehung der Disziplinarmacht von der Frühen Neuzeit bis zur Moderne verbunden. In dem 1975 veröf-
Zur Erläuterung dieses von Susanne Rau entwickelten Analysemodells für historische, raumbezogene Forschungszugänge vgl. Rau, Räume, sowie die Einleitung zu dieser Studie.
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IV Sichtbarkeitsordnungen: Subjektivierung durch räumliche Ordnung
fentlichten Band Überwachen und Strafen. Die Geburt des Gefängnisses analysierte er den Wandel der Strafsysteme und die damit verbundenen veränderten Technologien des Selbst im Übergang von der Frühen Neuzeit bis zum 19. Jahrhundert. Während noch zu Beginn der Frühen Neuzeit die Strafe als öffentlich zugängliches (Folter‐)Spektakel am Körper der Verurteilten vollzogen wurde und die Gestalt der Souveränitätsmacht bzw. des souveränen Herrschers ebenfalls in ihrer körperlichen Sichtbarkeit manifest wurde, evozierten um 1800 entstandene Institutionen wie eben das Gefängnis, das als Ort der Rehabilitation nicht mehr allein auf Straf- bzw. Rachemaßnahmen reduziert war, einen Modus des „Sichselbst-Regierens“. Dies geschah, indem sich die Macht selbst in ein körperloses, diffuses, vervielfältigtes Gefüge transformierte, wobei es für die damit einhergehenden Maßnahmen der Disziplin nicht zuletzt eine Rolle spielte, als selbst sichtbares Individuum einem unsichtbar bleibenden System der Überwachung und Kontrolle ausgesetzt zu sein. In diesem System wurde das einzelne Subjekt dazu ausgebildet, die Techniken des Regierens auf dem eigenen Körper abzubilden und anzuwenden. Infolge dieser Logik – und Praxis – war eine stets präsente kontrollierende Instanz nicht mehr notwendig.⁴ Das plakativste Beispiel für eine Einrichtung, mittels deren sich dieser Wandel, so Foucault, historisch vollzogen habe, stellt das Modell des panoptischen Gefängnisses dar, das der englische Philosoph und Ökonom Jeremy Bentham zusammen mit dem Architekten Willey Revely 1791 entworfen hatte.⁵ Dieser Bau wurde in der geplanten Form zwar nur ein einziges Mal, und zwar im 1931 auf der kubanischen Isla de la Juventud (damals Isla de Pinos) errichteten Presidio Modelo, annähernd umgesetzt.⁶ Der Entwurf beeinflusste jedoch die Entstehung bzw. Anlage verschiedenster Einrichtungen, darunter Gefängnisse, Krankenhäuser und Sanatorien. Darüber hinaus wurde die räumliche Repräsentation des Panopticons für das Verständnis der in ihm wirksamen Machttechnologien nachhaltig wirksam.⁷ Diese umfassen sowohl die Institution in ihrer Ma-
Vgl. Foucault, Überwachen, 221; 267– 268. Vgl. die Zusammenstellung der einschlägigen Texte aus der Korrespondenz von Jeremy Bentham in Jeremy Bentham, Panoptikum oder Das Kontrollhaus. Aus dem Engl. v. Andreas Leopold Hofbauer. Hrsg. von Christian Welzbacher, Christian Welzbacher (Hg.) (Batterien 14). Berlin: Matthes & Seitz, 2013. Zur raumtheoretischen Einordnung vgl. Günzel, Einführung, 129. Vgl. Corina Kolbe, „Aus Menschen wurden Monster“. Kubas Höllenknast. Spiegel Online (3.1. 2018). https://www.spiegel.de/einestages/presidio-modelo-ueberwachung-in-kubas-rundem-mo dellgefaengnis-a-1183049.html (13.08. 2019). Die Architekturtheoretikerin Beatriz Colomina ordnet Baupläne neben Fotos, schriftlichen Quellen und der Architektur selbst gleichermaßen als Repräsentationen des „perceived space“ (des l’espace perçu im Sinne Henri Lefebvres) ein, vgl. Beatriz Colomina, The Split Wall. Domestic Voyerism. In Sexuality & Space. (Proceedings of a Symposium, held at Princeton University School of
IV.1 Der disziplinierende Blick
217
terialität als eine Gebäudeanlage als auch das System der disziplinierenden Überwachung im Sinne einer verräumlichten gesellschaftlichen Ordnung.⁸ Der Entwurf des panoptischen Gefängnisses von Bentham sieht einen Zellentrakt für die Insass:innen vor, der ringförmig um einen Turmbau herum errichtet ist, in dem sich das Wachpersonal befindet.⁹ Die Zellen sind nach innen und außen mit großen Fenstern ausgestattet und daher gut beleuchtet und für die Wärter:innen einsehbar. Die Wachzimmer hingegen sind nur mit kleinen Fenstern versehen. Die Wachposten darin und deren Aktivität (oder auch, ob überhaupt jemand anwesend ist) können daher von den Gefangenen nicht gesehen werden. Aus dieser architektonischen Struktur resultiert ein Regime des Blicks, der von der kontrollierenden Instanz auf die zu kontrollierenden Personen derart gerichtet ist, dass diese den Blick nicht nur nicht wahrnehmen können, sondern damit rechnen müssen, jederzeit überwacht zu werden. Der Blick der Überwachung wandelt sich in dieser Raumstruktur vom individuellen Blick einer einzelnen und nur möglicherweise überwachenden Person zur wahrscheinlichen, sicherheitshalber aber als immer vorhanden anzunehmenden und damit diffusen und vervielfältigten lückenlosen Beobachtung. Durch diese Struktur des vervielfältigten, stets präsenten und nicht kontrollierbaren Blicks wird eine Kontrolle über die Insass: innen des Gefängnisses ausgeübt, die sich schließlich zu einer Technologie des Selbst entwickelt und auf dem Körper der Gefangenen ab- und ausbildet. Indem die Macht durch die Bauweise der Gefängnisräume entindividualisiert und automatisiert wird, geht sie auf die zu disziplinierenden Individuen über. Diese übernehmen die Macht und wenden sie auf sich selbst an.¹⁰ Das Raummodell des Panopticons, einer materialisierten Raumstruktur des „alles Sehenden“, erweist sich für die Analyse der Sichtbarkeitsordnung in Klarissenkonventen um 1500 aufgrund zweier zentraler Aspekte als vielversprechend.¹¹ Erstens wird der Zusammenhang vom Blick auf die einzelnen Subjekte (hier die Insass:innen des Gefängnisses) mit deren räumlicher Organisation hergestellt, die als Parzellierung des Raumes und Verortung der einzelnen Person in
Architecture, March 10 – 11, 1990), hg. von Beatriz Colomina. (Princeton Papers on Architecture). New York, N.J.: Princeton Architectural Press, 1992, 73 – 128, hier 75. Zur Triplizität der Raumdimensionen bei Henri Lefebvre vgl. Lefebvre, Production, sowie Kapitel III in diesem Band. Vgl. Marc Rölli, Roberto Nigro, Einleitung. In Machtanalyse. Rölli et al. (Hg.), 2017, 7– 20. Vgl. hier und im Folgenden Jeremy Bentham, 738: To William Pitt, 23 January 1791. In Correspondence of Jeremy Bentham. Volume 4: October 1788 to December 1793, hg. von Alexander Taylor Milne. London: UCL Press, 2017, 223 – 229, sowie die Rekonstruktion, spezifisch im Kapitel „Der Panoptismus“, in Foucault, Überwachen, 251– 292, hier vor allem 256 ff. Vgl. Foucault, Überwachen, 258 ff. Vgl. Günzel, Einführung, 129.
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IV Sichtbarkeitsordnungen: Subjektivierung durch räumliche Ordnung
jeweils einer einzelnen, abgeschlossenen, aber vollständig einsehbaren Zelle beschrieben wird.¹² Die räumliche Organisation der Gefangenen in der Institution wird von Foucault auch als die „Machttechnik der parzellierenden Disziplin“ bezeichnet.¹³ Dieser Zusammenhang von Person und Zelle ist ein Fixpunkt für eine Diskussion monastischer Raumkonzepte, die Fragen zu Individualisierung, Eigensinn und Frömmigkeit im Zusammenhang mit ihrer räumlichen Organisationweise behandeln möchte. Die Verortung der Geschichte der abendländischen Klöster innerhalb dieser Genealogie ist dabei von Foucault in Überwachen und Strafen selbst vorgenommen worden: Das Kloster wird darin als ein wenn auch imaginärer, rückverlegter Ausgangspunkt verstanden, dem ein Zusammenhang zwischen Raumstruktur, körperlicher Vereinzelung und verschiedenen Techniken zur Herausbildung einer Haltung „gelehriger Körper“ zugeordnet ist.¹⁴ Zugleich werden das Bild der Klausur als Einschluss von Personen zum Zwecke der Selbstbildung und die Entstehung der Zellen in den Klöstern als Referenzpunkt für die Geschichte der disziplinierenden Subjektivierung eingeführt.¹⁵ Bildet das Kloster in Überwachen und Strafen trotz allem eine eher vage, beliebig bespielbare Referenzfolie, so griff Foucault den Zusammenhang indes bereits in einer früheren Arbeit auf, nämlich in einer seiner Vorlesungen aus der Reihe zur Strafgesellschaft im Jahr 1973. Hier untersuchte er die Genealogie des Gefängnisses „von einer bestimmten Form der klösterlichen Gemeinschaft aus“ und fragte, ob die Gefängniszelle als eine Anknüpfung an den klösterlichen Raum gelesen werden könne.¹⁶ In der fünften Vorlesung des Wintersemesters 1972/73 erklärte Foucault allerdings außerdem dezidiert, dass er das Gefängnis nicht als eine Fortsetzung des Klosters sehe, und er differenzierte beide Einrichtungen nach den Modi der Durchlässigkeit und der Funktionalität des Aufenthaltes, der
Vgl. Foucault, Überwachen, 251. Vgl. Foucault, Überwachen, 256. Die Rückführung der Machttechnologien auf klösterliche Techniken wie die Zeitplanung, die Rhythmisierung und die zeitliche Organisation der Arbeit über den Tag hinweg werden dem Unterkapitel über „Die Kontrolle der Tätigkeit“ vorangestellt, vgl. Foucault, Überwachen, 192 (wobei das Unterkapitel insgesamt die Seiten 192– 201 umfasst). Vgl. Foucault, Überwachen, 179. Vgl. Michel Foucault, Vorlesung 5 (Sitzung vom 31. Januar 1973). In Die Strafgesellschaft. Vorlesungen am Collège de France 1972 – 1973. Berlin: Suhrkamp, 2015, 121– 143, hier 123. Diese Analogie korrespondiert im Ansatz mit der bereits 1961 entwickelten Denkfigur der „totalen Institution“, die von Erving Goffman in seinem Werk zu den Asylen entwickelt wurde, zu denen er das Kloster als Einrichtung zählte, vgl. Erving Goffman, Asyle. Über die soziale Situation psychiatrischer Patienten und anderer Insassen. 20. Aufl. Frankfurt am Main: Suhrkamp, 2016.
IV.1 Der disziplinierende Blick
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im Falle des Klosters der Freiwilligkeit unterliegen soll(t)e.¹⁷ Diese Foucault’sche Darstellung des Klosters mit der Klausur als halbdurchlässiger Zugangsbeschränkung – die passive Klausur, die nur Menschen von außerhalb ausschloss, nicht aber den Ausgang von Menschen aus dem Kloster heraus – entlarvt seine auch später zum Einsatz gebrachte Folie des Klosters als eine für männliche Gruppen und mit männlichen Bewohnern gedachte Einrichtung. Die Frage, ob die Konzeption des Klosters als vollständig klausurierter Raum für weibliche Bewohnerinnen dann andere Ähnlichkeiten zur Disziplinarinstitution aufweist als das „Männerkloster“, soll jedoch hier nicht weiterverfolgt werden. Stattdessen wird der Zusammenhang von Körper(n) und einer spezifischen Organisation des Raums, die disziplinierend und subjektivierend wirkt, in den Mittelpunkt des Interesses gerückt. Wie wirkt sich die Verteilung von Individuen in einer architektonischen Anlage, die bestimmte Blickregime zulässt und andere verhindert, auf die sie bewohnenden Körper aus? Der zweite, unmittelbar daran anschließende Aspekt, der aus Foucaults Erörterungen der Disziplinarmacht bzw. der Disziplinierungssysteme hervorgeht, ist die Wirkungsweise der beschriebenen Blicke auf den einzelnen Körper und die damit verknüpfte konkrete Einflussnahme auf die Individuen. In Überwachen und Strafen wird der Blick der Macht, der auf die Individuen trifft, im Verlauf des Prozesses von ihnen antizipiert, was in verschiedenen Körperpraktiken resultiert, die der Strafordnung des Gefängnisses entsprechen. Diese Wirksamkeit auf die Körper der Individuen versteht Foucault als das „Sich-Einschreiben“ (inscrire en soi) des Blickregimes auf die Oberfläche der Individuen. Diese Formulierung ist in der deutschen Übersetzung der Schrift als „internalisieren“ kanonisiert worden, wodurch einer allzu voreiligen bis hin zu psychologischen Lesart der Verinnerlichung von Machttechniken durch die Individuen Vorschub geleistet wurde, wie Petra Gehring in ihrer Bestandsaufnahme des Foucault-Textes zeigen konnte.¹⁸ Jedoch setzt auch Gehring diese – hier unkritisch weitergeführte – Trennung in „am Außen“ sichtbare Macht und „im Inneren“ der Individuen wirksame Macht fort, also eine Lesart der Trennung des Körpers in Außen und Innen, der die Vorstellung einer „Psyche“ zugrunde liegt, indem sie die Techniken des gelehri-
Vgl. Foucault, Vorlesung, 123 ff. Damit ist zugleich jedoch noch nicht gesagt, dass das Kloster von Foucault nicht als jedenfalls in Teilen analog zum Gefängnis gedacht wurde. Vgl. Foucault, Überwachen, 260. Gehring übersetzt die Formulierung „inscrire en soi“ als „in sich einschreiben“. Aus diesem Zwiespalt ergebe sich die missverständliche Lektüre des „Panoptismus“-Kapitels als subjektivierungstheoretischer Text, nach der es darin darum gehe, im Panopticon den Blick der Macht vorwegzunehmen und verinnerlicht auf sich selbst zu richten, vgl. Petra Gehring, Das invertierte Auge. Panopticon und Panoptismus. In Machtanalyse. Rölli et al. (Hg.), 2017, 21– 41, hier 31– 32.
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IV Sichtbarkeitsordnungen: Subjektivierung durch räumliche Ordnung
gen Körpers, die die diffuse Überwachung hervorbringt, von einem angenommenen Inneren des Körpers abgrenzt. Dieses „Innere“ sei in Foucaults Genealogie erst durch die Untersuchung der Triebe in den Geständnispraktiken möglich geworden.¹⁹ Diese Lesart, die zwar an Foucaults Texten orientiert ist, übersieht jedoch die Auswirkungen dessen, was die Herausbildung „gelehriger Körper“, die auf die Existenz, das heißt die zeitgleiche Produktion, entsprechender Räume angewiesen ist, hervorbringen kann: nichts weniger als die Produktion einer umfassenden Lebensform und eines Verständnisses von sich selbst, in dieser Form zu existieren. In dieser Logik lässt sich das Disziplinierungstheorem Foucaults produktiv machen, indem die Wirkungsweise der Machttechniken als Selbsttechnologien für die einzelnen Personen untersucht wird, ohne auf den Grad der Wirksamkeit auf einer Achse von außen nach innen zu schauen. Vielmehr sind die einzelnen Wirkungsbereiche des bzw. der Blickregime der Klausur für das Leben der Konventsmitglieder und deren körperliche Materialisierung auszuloten.²⁰ Diese Wirkungsweise bzw. die Folgen, die in spezifischen Körperpraktiken und (Selbst‐)Wahrnehmungsweisen der beteiligten Personen resultierten, sind es, die die Verknüpfungen von Raumproduktion und Körperpraktiken bzw. von Raum und Körper als Materialisierungen sichtbar und untersuchbar werden lassen. Daher erweisen sich die Überlegungen zum topologischen Modell des Panopticons für die Sichtbarkeitsordnungen der observanten Klarissenkonvente im Übergang vom 15. zum 16. Jahrhundert als produktives Analysewerkzeug, ohne dass die Grundkoordinaten im Hinblick auf Blickrichtungen und Hierarchien damit schon festgelegt wären. Es soll danach gefragt werden, wer in der Klausur auf welche Weise sichtbar gemacht wurde, für wen und in welchen Zusammenhängen. Dabei interessieren mich besonders die folgenden Aspekte: Welche Bezüge zu den Körpern der Gesehenen, ihren Teilen und Praktiken, wurden hergestellt? Welche Räume wurden besonders und welche weniger überwacht? Welche Hierarchisierungen ergaben sich in Bezug auf Körper, Räume und auf den
Vgl. Gehring, Panoptismus, 32 ff. Die Protolektüre für derartige Fragen stelle demzufolge die Schrift Foucaults Der Wille zum Wissen dar. Der französische Philosoph und Foucault-Biograph Didier Eribon plädiert für die Chance einer Foucault-Lektüre, die nicht nach einem verborgenen Inneren des Menschen sucht, sondern auf die Techniken des Körpers fokussiert, die letztlich das abbildeten und ausformten, was, je nach disziplinärer Ausrichtung, als „Psyche“ oder „Unbewusstes“ bezeichnet wird, vgl. Didier Eribon, Der Psychoanalyse entkommen. 2. Aufl. Wien: Turia + Kant, 2017, 129 – 130. Diese Lesart weist im Anschluss an Foucault ein „Dahinter“ zurück und versteht Subjektivität als Produkt der Disziplinierung des Körpers.
IV.2 Regulierte Blicke: die Kontrolle des Gesehenwerdens
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Status der Gesehenen? Wie gestalteten sich die Verknüpfungen zwischen Architektur, Körper und Sehen? Geht es im Panopticon um das „invertierte Auge“, den diffusen Blick, der zwangsweise auf die Delinquent:innen gerichtet ist, so ging es im Kloster auch darum, gezielt Blicke auszuschließen, zu verhindern und zu unterbinden. Gerade dadurch wurden diese Blicke allerdings als existent vorausgesetzt und auf der Ebene der Regeltexte zu einem allgegenwärtigen Fakt. Zugleich war der imaginierte Blick Gottes ein stets präsentes Kontrollorgan. Das Kloster repräsentierte ein durch seine spezielle architektonische Materialität hervorgerufenes Blickregime, das Disziplinartechniken evozierte und die Weise, sich selbst und zugleich einander wahrzunehmen, gestaltete. Welche Körper wurden in dieser Ordnung produziert? Welche architektonischen Gestaltungen wurden für diese Körperproduktionen wirksam? In welcher Weise waren die Körper vergeschlechtlicht markiert? Und wie lässt sich die Verknüpfung von Körper und Raum formulieren?
IV.2 Regulierte Blicke: die Kontrolle des Gesehenwerdens Die Sichtbarkeitsordnung der Klarissenkonvente bestand laut ihren Regeltexten aus zwei miteinander verwobenen Modi: der Beschränkung der Sichtbarkeit der Schwestern für alle Personen, die nicht zum Konvent gehörten, sowie gleichzeitig dem Zwang zu Sichtbarkeit und deren Überwachung. Die reguläre Beschränkung der Blicke auf die klausurierten Schwestern war ein grundsätzliches Prinzip für alle Personen, die nicht zur Gemeinschaft der Schwestern gehörten, und konstitutiv für das Prinzip der Umschließung. Die Klausurgebäude kontrollierten die Einblicke in deren Räume in nämlicher Art wie die Blicke auf die Körper der Schwestern. Idealerweise sollten diese von niemand anderem als ihren Mitschwestern gesehen werden. Von dort aus formulierten die Regeltexte Ausnahmen, die sich nach der Notwendigkeit der Versorgung bzw. der Aufrechterhaltung des alltäglichen Funktionierens des Konvents richteten. Die Vorschriften differenzierten die verschiedenen berücksichtigten Personengruppen dabei nach ihrem Status, der Nähe zum Orden und ihrem jeweiligen Verantwortungsbereich und strukturierten die Gruppen in einem System von Entfernung, das über Häufigkeit und Platzierung der Kontakte entschied. Dabei war die tatsächliche, in Raummetern messbare Entfernung weniger entscheidend als die Qualität des Aufenthalts bzw. die Wirksamkeit des von den jeweiligen Personengruppen ausgehenden Sehens der Schwestern. Die Personengruppe der Externen nahm gegenüber der grundsätzlich ausgeschlossenen, nicht befugten Menge der Außenstehenden den nächst näheren Status bezüglich des Sehenkönnens ein. Zu ihnen zählten sämtliche Lai:innen
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IV Sichtbarkeitsordnungen: Subjektivierung durch räumliche Ordnung
wie Besucher:innen, Angehörige der Herkunftsfamilien, Unterstützer:innen wie die Stifterfamilien, Freund:innen, Personen wie Ärzte und Pflegende sowie Handwerker, die Bau- oder andere Arbeiten verrichteten, die die Schwestern, die Konversen und die Bediensteten des Klosters nicht selbst bewältigen konnten, oder die in Notfällen wie Bränden Rettungsarbeiten leisteten.²¹ Ihre Kontakte mit den Schwestern erstreckten sich auf die Kontaktzonen der Klausur zur umliegenden Außenwelt, konnten darüber hinaus aber je nach Art der anfallenden Arbeit alle Bereiche innerhalb der Klausur betreffen. Die zweite Gruppe kann als Zugehörige des Konvents bezeichnet werden. Zu ihr gehörten die betreuenden Seelsorger und Konversen sowie Amtsträger der Ordensprovinz, darunter die Provinziale und Bischöfe. Für die Kontakte an den Klausurgrenzen war das Schauen auf die Schwestern vergleichsweise leicht zu regulieren. Die Hierarchisierung der Kontaktzonen der Klausur nach dem Grund des Sprechens ermöglichte auch Blicke auf die Schwestern nur an den Orten (und zu den Zeiten), da die Erlaubnis bestand, die Vorhänge zu öffnen, also an Gitter und Sprechfenster, oder bei der Übergabe von Gütern an der Pforte auf die Pförtnerin und ihre assistierenden Schwestern.²² Die Essenz dieser unterschiedlichen Grade des erlaubten Sehens war ein räumlich und zeitlich eingeschränkter Blick in einem festgesetzten architektonischen Rahmen an den Grenzen zur Klausur. Dieses Sehen erfolgte unter gleichzeitiger Beobachtung durch andere Schwestern als Zeuginnen und in einer zeitlichen Begrenzung der Gesprächsdauer sowie der Frequenz der Besuche. Der Anlass, die Besuche der Schwestern durch Angehörige oder Personen mit Erlaubnis, war als Ausnahme deklariert, jedoch grundsätzlich vorgesehen und daher als regulär einzuberechnen, sofern die Äbtissin die Genehmigung erteilte. Das Gitter im Chorraum und das Redfenster (locutorium) waren im Hinblick auf die Möglichkeit des Sehens noch weiter differenziert. Das Gitter im Chor war durch eine darin eingelassene hölzerne Tür verschließbar und mit einem Vorhang verhängt, wobei beide für das Verfolgen des Gottesdienstes, das Beten nach der Messe sowie auch für Gespräche am Gitter geöffnet werden durften.²³ In diesem Fall mussten die Schwestern ihr Gesicht bedecken und den Kopf neigen.²⁴ Der Vorhang am Sprechfenster hingegen, dem zweiten Ort legitimen Sprechens für
Das Spektrum der formulierten Ausnahmen verweist auf die Spezifik der städtischen Bettelordensgemeinschaften, die auf die vielfältige Unterstützung der Stadt für die Aufrechterhaltung der Lebensform angewiesen waren. Vgl. Kapitel III.1 in diesem Band. Vgl. RSC V, 10; RegUrb XVII, fol 23v – 24v. Vgl. RegUrb XVII, fol 24r – 25r.
IV.2 Regulierte Blicke: die Kontrolle des Gesehenwerdens
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alle Schwestern, durfte nicht entfernt werden.²⁵ Die Constitutions der Colette Corbier erklären den signifikanten Unterschied der beiden Grenzorte Gitter und Sprechfenster anhand der Kategorien des Öffentlichen und des Heiligen: „[…] parloir, qui es tun lieu public et moins sacré.“²⁶ Aus dieser Unterscheidung resultierten die Vorschriften zur Sichtbarkeit, nach denen an beiden Orten mit entsprechender Begründung und Genehmigung zwar gesprochen werden durfte, die Sichtbarkeit der Sprechenden (und der Hörenden) allerdings unterschiedlich geregelt war, was am Sprechfenster durch die Begleitung zweier Ratsschwestern kontrolliert werden sollte und am Gitter durch die Anwesenheit von drei Ratsschwestern.²⁷ Weitere (mitunter noch stärker) regulierte Kontaktorte an den Klausurgrenzen waren die Pforte, die Winde und ein weiteres Tor. Die Pförtnerin und ihre Gehilfinnen befanden sich in einem offenen Kämmerchen ohne Tür an der Pforte und waren daher jederzeit für Ankommende sichtbar.²⁸ Die Urban-Regel schrieb eine Pforte mit einem oberen Tor (ohne Fenster oder weitere Tür) vor, die über eine Leiter erreicht werden sollte. Diese Leiter sei mit einer eisernen Kette zu versehen, um von den Schwestern zur Nachtzeit eingezogen werden zu können.²⁹ Die Winde, die in der Mauer des Klosters anzubringen sei (ohne nähere Lagebeschreibung) und deren Öffnung so bemessen sein sollte, dass keine Person hindurchpasse, ließ keine Blicke nach innen oder außen durch. Auch das Sprechen war hier nicht erlaubt.³⁰ Neben der Pforte und der Winde sah die Urban-Regel außerdem noch ein weiteres Tor zum Transfer nötiger Gegenstände in der Mauer der Klausur vor. Auch an dieser Stelle durfte nicht gesprochen werden.³¹ Sämtliche Kontaktorte an den Grenzen der Klausur waren – wie auch im Fall des Sprechens – in Bezug auf das Schauen der Schwestern strikt reguliert. Der Austausch von Blicken war dabei, wie der gesamte Kontakt, auf das Notwendige zu beschränken. Die Körper der Schwestern sollten nicht als einzelne sichtbar werden, sondern waren im Fall des erlaubten Gesprächs durch die Begleitung der Hörenden als Teil eines Kollektivs angeordnet. Wurde ein Gespräch mit einer Schwester notwendig, so sollte dabei ausschließlich ihr verhüllter Körper zu sehen sein: der Körper im Habit, dessen Kopf so mit Stoff zu bedecken war, dass auch Teile des Gesichts dadurch verdeckt wurden. Der eingeschränkte, zusätzlich
Vgl. RSC V, 13; RegUrb XVI, fol 22v. ConstCol IX, 3. So verlangte es auch die Regula Sanctae Clarae, vgl. RSC V, 6 – 7. Vgl. RSC XI, 1. Vgl. RegUrb XIII, fol 18r. Vgl. auch Jäggi, Frauenklöster, 186. Vgl. RegUrb XIV, fol 20v – 21r. Vgl. RegUrb XV, fol 21v.
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IV Sichtbarkeitsordnungen: Subjektivierung durch räumliche Ordnung
gesenkte Blick der Schwester verhinderte das Ein- und Austreten von Blicken und damit von Informationen, die in der Lage dazu hätten sein können, bei einer der beteiligten Personen Affekte auszulösen. Das Auge der einzelnen, klausurierten Schwester wurde dabei, gleich einem Fenster in das Klausurgebäude, als Fenster in die körperliche Klausur begriffen. Dieses dachte man sich dazu in der Lage, zum Einfallstor für unerwünschte Affekte und Gedanken zu werden, die Transgressionen im Körper der Schwestern auslösen könnten.³² Zugleich dachte man sich das sehende Auge der Schwester als in der Lage dazu, solche Affekte beim Gegenüber, sowohl bei einer anderen Schwester als auch bei einer dritten Person, auszulösen.³³ Das Eintreten in die Klausur aufgrund notwendiger Arbeiten, der medizinischen Versorgung oder der Betreuung kranker Schwestern war wie auch das in den Kontaktzonen an die mit Notwendigkeit und Ausnahme verknüpfte Genehmigung der Äbtissin gebunden und konnte dadurch jeden einzelnen Ort in der Klausur betreffen – und damit einhergehend auch Begegnungen bzw. Sicht- und Blickkontakte mit den Schwestern beinhalten. Um diese Möglichkeiten des Sehens auf die Schwestern dennoch weitgehend zu begrenzen und kontrollierbar zu halten, war neben der Prüfung der Notwendigkeit ein bestimmtes Verhalten beider Seiten vorgeschrieben. Sobald eine externe Person in der Klausur anwesend war, sollten die Schwestern, die sich in der Nähe aufhalten mussten und/ oder durften, ihr Gesicht bedecken, sich „ziemlich“ und „züchtig“ verhalten und nicht sprechen oder gestikulieren, wobei andernfalls eine Strafe von vierzehn Tagen Zuchthaus vorgesehen war. Die eintretenden Personen wurden wiederum über ihre eigene Sichtbarkeit kontrolliert. Sie waren stets von einigen ausgewählten Schwestern zu beaufsichtigen und im Anschluss an ihre Tätigkeit im Kloster unverzüglich wieder hinauszubegleiten.³⁴ Auch erhielten sie allein keinen Zutritt, sondern mussten von mindestens zwei Personen aus dem Kloster selbst, rekrutiert aus der Gruppe der Schwestern, den Laienbrüdern oder dem Gesinde, begleitet werden. Musste also ein Arzt oder „lasser“ (also ein Chirurg bzw. Zur Analogie des Auges und der Klausuröffnungen als Garanten für die Reinheit weiblicher Religioser, die eine Entsprechung zu Traktaten des 13. Jahrhunderts über die Optik aufweisen, vgl. Sauer, Desire, 547– 548. Vgl. Sauer, Desire, 549. Dieser dort von Sauer dargelegten Doppelfunktion des Auges als penetrierend und penetrierbar entspricht auch das Konzept des Körpers der Religiosen in der Regula Benedicti als offen und voller Öffnungen, die vor den verschiedensten Möglichkeiten des Eindringens geschützt werden müssten, vgl. Coon, Bodies, 89. Diese Vorstellung des offenen Körpers war ein verbreitetes Körperkonzept in allen Sphären vormoderner Gesellschaften. Im monastischen Kontext mussten Körper besonders intensiv und mit spezifischen Askesepraktiken verschlossen und geschützt werden, um die Lebensform zu erreichen bzw. zu gewährleisten. Vgl. BrixStat, fol 50v; RegUrb XVIII, fol 25v – 26r.
IV.2 Regulierte Blicke: die Kontrolle des Gesehenwerdens
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Aderlasser) das Kloster betreten, so musste er von zwei Gesellen des Klostergesindes hineinbegleitet werden, von den Brixener Statuten dahingehend präzisiert, dass diese noch von einer „tapferen“ Schwester begleitet werden sollten, „das kein leichtfuertigkeit oder vngestemikeit do gestattet.“ ³⁵ Andere Schwestern als diese und/oder die Aufsichtsschwestern durften in Gegenwart der eingetretenen Personen nicht gesehen werden. Die Besucher:innen der kranken Schwestern in der Klausur konnten die anderen Schwestern nicht ohne Weiteres kontaktieren bzw. sprechen; eine besondere Regulierung des Blickkontakts war hier dementsprechend nicht vorgesehen.³⁶ Musste eine Person jenseits der extra in den Regeltexten aufgeführten Personengruppen für eine Arbeit oder in einem Notfall die Klausur betreten, so war darauf zu achten, dass die Schwestern von den Eintretenden nicht gesehen wurden.³⁷ Die regulierten Möglichkeiten des Betretens der Klausur waren darüber hinaus, wiederum bis auf Notfälle, grundsätzlich nicht zwischen Komplet und Prim zu gestatten. Damit war die Nachtzeit als eine Zeit der absoluten, audiovisuellen Klausur gerahmt, in der die Schwestern von niemand, die nicht zu ihrer Gemeinschaft gehörte, gesehen oder gehört werden konnten. Die andere relevante Gruppe, die Eintritt in die Klausur erhalten konnte, bestand, wie gesagt, aus den qua Amt legitimierten Personen. Zu ihnen gehörten in erster Linie der Kaplan des Konvents, sein Gefährte und die beiden Laienbrüder, die dem Konvent direkt zugeordnet waren, wobei alle diese Brüder in vielen Fällen auch entweder in einem benachbarten Gebäude oder im gleichen Haus lebten. Anlässe für diese Franziskaner, die Klausur zu betreten, gaben die Beichte, die Kommunion, die Ölung und die Sterbegebete der Kranken, die nicht bis zum Sprechfenster gehen konnten.³⁸ Als Ort der Beichte der gesunden Schwestern legten beide Regelfassungen, die Regula prima wie die Regula secunda, das Sprechfenster fest.³⁹ Die Totenmesse für eine verstorbene Schwester hielt der Kaplan nicht in der Klausur, sondern in der Kapelle ab, nach Erlaubnis der Äbtissin durfte er jedoch zum Begräbnis die Klausur betreten.⁴⁰ Einzig die Regula Sanctae Clarae erlaubte es dem Kaplan, mit beiden, den gesunden und den kranken Schwestern, die heilige Kommunion innerhalb des Klosters zu zelebrieren.⁴¹ Die Constitutions beschränkten das Betreten der Klausur durch den Kaplan
BrixStat, fol 51r; vgl. auch RegUrb XVIII, fol 26v. Vgl. RSC VIII, 12. Vgl. RSC XI, 10 – 11; BrixStat, fol 50v. Vgl. RSC XII, 8; RegUrb VII, fol 11v; RegUrb X, fol 15v. Vgl. RSC XII, 8; RegUrb VII, fol 11r. Vgl. RegUrb VII, fol 12r – v. Vgl. RSC III, 14.
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IV Sichtbarkeitsordnungen: Subjektivierung durch räumliche Ordnung
und seinen Gefährten zum Spenden der Sakramente auf die schwer- und todkranken, etwa an Lepra leidenden Schwestern.⁴² Colette de Corbie verschärfte in ihrer Auslegung der Regel die Forderungen nach der Einschränkung der Kommunikation durch Blicke noch. Das Sprechen am Gitter sei bei verschlossenem Vorhang abzuhalten, erst am Ende des Gesprächs könne der Vorhang kurz beiseitegeschoben werden.⁴³ De Corbies deutliche Verschärfung der passiven Klausurregeln gegenüber der Regula Sanctae Clarae erlaubte weder den Schwestern noch der Äbtissin, einem Priester die Messe innerhalb der Klausur zu gestatten. Außer den Todkranken und Sterbenden sollten die Sakramente an keine Schwester innerhalb der Klausur gespendet werden. Der Handlungsspielraum der Äbtissin in diesen Fragen wurde kleiner bemessen. Personen, die innerhalb der Klausur notwendige Arbeiten zu verrichten hatten, unter ihnen Ärzte, aber auch Arbeiter oder Lieferanten von Lebensmitteln, wurde weiterhin der Zugang gestattet. Für alle diese wie auch die Personen von höherem Rang, darunter Visitatoren, der Generalminister der Franziskaner und der Bischof der jeweiligen Diözese, legten die Regeltexte Vorschriften zu deren eigener Sichtbarkeit in den Klausurräumen fest.⁴⁴ Reduzierte die Kollektivität der Schwestern den Ausschnitt, den Dritte im Blick auf den Körper der einzelnen Schwester erlangen konnten, so wurden diese dritten Personen hingegen durch ihre Begleitung besonders sichtbar. So sollte der Kaplan nur in Begleitung des Gefährten die Klausur betreten und sich dort in einem „allgemein zugänglichen Raum aufhalten, daß sie sich stets gegenseitig sehen und von den anderen gesehen werden können.“⁴⁵ Die gleiche Vorschrift galt auch für den Visitator und seine erforderlichen Begleiter.⁴⁶ Auch für den Generalminister der Ordensprovinz und den Prälaten war die Begleitung durch vier bis fünf Brüder des Ordens vorgesehen.⁴⁷ Den Schwestern ihrerseits war es generell verboten, mit den Visitatoren und Beichtvätern ohne die Erlaubnis bzw. Beauftragung der Äbtissin zu sprechen.⁴⁸
Vgl. ConstCol V, 5. Vgl. ConstCol IX, 5. Lopez bezeichnet de Corbies Interpretation der Regula Sanctae Clarae als gekennzeichnet von Strategien der Unsichtbarmachung der Schwestern für die umliegende Welt, vgl. Lopez, Colette, 256 – 257. Der Bischof der jeweiligen Diözese durfte mit Erlaubnis zwecks der Nonnen- oder Äbtissinnenweihe oder weiterer ähnlich wichtiger Anlässe innerhalb der Klausur eine Messe feiern, vgl. RSC XI, 9. RSC XII, 6 – 7. Vgl. RSC XII, 4. Vgl. RegUrb XVIII, fol 26r. Es liegt hierfür keine Ortsbestimmung vor; durch die Platzierung innerhalb des Regeltextes inmitten von Vorschriften, die Kontakte innerhalb der Klausur betreffen, ist aber davon auszu-
IV.2 Regulierte Blicke: die Kontrolle des Gesehenwerdens
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Diesen Regulierungen der Blicke auf die Schwestern und zugleich ihres eigenen Sehens lag eine Sichtbarkeitsordnung zugrunde, die das Sehen nach Orten, Zeiten und Personengruppen sortierte und kollektive Formationen für die zu sehenden Körper festlegte. Die Blicke auf die Schwestern sowie der Blickaustausch zwischen den Schwestern eines Konvents und Dritten waren, wie auch das Sprechen, auf ein Minimum bzw. das absolut Notwendige zu reduzieren. Sämtliche Blicke auf die Schwestern wurden in diesem Zusammenhang auch durch die spezifische Architektur der Grenzorte der Klausur gerahmt. Sichtbar war also stets nur ein Ausschnitt des Körpers, auf den durch spezifische Öffnungen des Gebäudes durch oder wie durch ein Fenster geschaut wurde. Dieser Ausschnitt war dabei zum Teil außerdem verdeckt durch die textilen Applikationen an den Klausuröffnungen sowie durch den Habit der Schwestern, der Körper der Einzelnen konnte also teilweise auch nur als eine Silhouette in Erscheinung treten. Die Sichtbarkeitsordnung regulierte auch die Konstellation der Körper, die dem Blick zugänglich gemacht wurde. Eine Schwester war grundsätzlich nicht einzeln zu erblicken, sondern nur in Begleitung anderer Schwestern; der Körper der Schwester, auf die Blicke fallen konnten, war immer Teil eines Kollektivs. War der sichtbare Körper der Schwestern in den Klausurkontaktzonen hauptsächlich durch die architektonische Struktur der Öffnung oder des Fensters gerahmt, so übernahmen diese Rahmung innerhalb der Klausur die Modi der Funktionalität (nur die beauftragten, mit einem Amt bzw. einer spezifischen Aufgabe versehenen Schwestern wurden sichtbar) und der Kollektivität. Sowohl die Schwestern in der Klausur als auch die Eintretenden in die Klausur mussten sich in vorgeschriebener Begleitung befinden. Alle Beteiligten durften sich nur in gut einsehbaren Bereichen aufhalten. Die kollektive Formation übernahm innerhalb der Klausurräume die Funktion der Architektur, durch ihre Anordnung Ausschnitte der Körper freizugeben und sichtbar werden zu lassen. Die Wirkungsweise von Architektur als „viewing mechanism that produces the subject“⁴⁹ lässt sich hier auf kollektive Körperformationen und damit die räumliche Ordnung von Körpern übertragen. Die Bestimmungen zum Ort, an dem Blicke möglich waren, wurden, wie angedeutet, durch die Dimension der Zeitlichkeit ergänzt. Blicke waren nur zu bestimmten Momenten des Tages, niemals jedoch nachts gestattet. Durch diese raum-zeitlichen Regulierungen konnte jegliches zufällige, beiläufige, absichtsvoll beobachtende, musternde, ausforschende, begehrende, erregende und/oder ablehnende Erblicken der Schwestern reduziert werden. In gleicher Weise wurde die
gehen, dass es auch an dieser Stelle um deren Aufenthalt innerhalb der Klausur geht, vgl. BrixStat, fol 51r. Colomina, Voyerism, 83.
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IV Sichtbarkeitsordnungen: Subjektivierung durch räumliche Ordnung
Kommunikation mit den Schwestern über Blicke stark eingeschränkt. Dadurch konnten der Ein- und der Austritt unerwünschter Informationen oder Erscheinungen und die aus ihnen möglicherweise resultierenden Affekte und Emotionen kontrolliert werden. Die Macht des sehenden Auges Dritter wurde darin ausgemacht, sich ein eigenes, unkontrolliertes und unkontrollierbares Bild von den Schwestern zu machen, das sie von der Kollektivität ihrer Gemeinschaft und aus den räumlichen Arrangements sowohl der Klausurarchitektur als auch der Kleidung ablösen könne. Die Körper der Schwestern wurden durch die Regularien zum Sehen vor diesem Potenzial des Blicks geschützt. Die viewing mechanisms der Klausurarchitektur und des Kollektivgebots sowie der dadurch zugleich antizipierte Blick Dritter brachten die Subjekte auch als geschlechtlich markierte Subjekte hervor.⁵⁰ Durch den Schutz vor dem Einfall des Blickes – sowohl in die Gebäude als auch auf die einzelnen Körper – wurde ihre Differenz zu anderen, nicht klausurierten Personen hergestellt, wobei sich diese Differenz auch in der Gebundenheit an ein Körperkollektiv und an spezifische Gebäudestrukturen und durch eine spezifische Offenheit und Geschlossenheit der Körper selbst manifestierte.⁵¹
IV.3 Zwang zur Sichtbarkeit IV.3.1 Sichtbarkeit und Aufenthalt Die Sichtbarkeitsordnung wurde neben der Kontrolle der Blicke Dritter auf die Klarissen um die Dimension dessen erweitert, was hier Zwang zu Sichtbarkeit und Kollektivität genannt werden soll. Den Regulierungen des Aufenthalts und der Überwachung ihrer Einhaltung lag ein Disziplinierungssystem zugrunde, bei dem das überwachende Sehen, also das wachende Auge, zwar zunächst an hierarchisch höhere Positionen wie die der Äbtissin gebunden war, aber zugleich jede
Zur Interdependenz von Architektur und Geschlecht vor allem in monastischen Räumen vgl. Helen Hills, Theorizing the Relationships Between Architecture and Gender in Early Modern Europe. In Architecture and the Politics of Gender in Early Modern Europe, hg. von Helen Hills. (Women and Gender in the Early Modern World). Aldershot: Ashgate; Routledge, 2003, 3 – 22. Hills versteht Architektur als „both the locus and the agent of change“ in Bezug auf soziale Praktiken, vgl. Hills, Theorizing, 4. Vgl. hierzu auch die Analyse der Geschlechterhierarchie innerhalb eines Benediktinerklosters anhand der räumlichen Positionierungen der einzelnen Mitglieder und des Umgangs mit ihren Körperöffnungen in Coon, Bodies, darin vor allem die Kapitel „Gendering the Benedictine Rule“, 69 – 97, und „Inscribing the Rule onto Carolingian Sacred Space“, 134– 164.
IV.3 Zwang zur Sichtbarkeit
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einzelne Schwester betraf bzw. diese in die Verantwortung für die Überwachung einbezog. Auf diese Weise war die ständige Kontrolle der Einhaltung der Praktiken gewährleistet, indem jede Schwester zu jeder Zeit überwacht werden konnte und ihrerseits überwachen musste, da auch ein diesbezügliches Unterlassen strafbar sein konnte. Die in den Regeltexten aufgeführten Verstöße gegen die Ordnung und die damit verbundenen Strafpraktiken geben Aufschluss darüber, welche Kollektivität vorgesehen war und an welcher Stelle Vereinzelung, also die Absonderung von der Gruppe, einen Verstoß gegen die Ordnung bedeutete. Zugleich wird daran deutlich, dass die Vereinzelung in den Strafpraktiken zur Disziplinierung eingesetzt wurde, die Strafpraxis also auch auf raumerzeugenden Praktiken basierte. Untersuchung und Bewertung des Verhaltens erfolgten in den Kapitelversammlungen und Visitationen; die Strafen wurden ebenfalls dort vollzogen sowie darüber hinaus im Refektorium, im Chor und in den extra dafür vorgesehenen Gebäudeteilen des Klosters wie den Arrestzellen und dem Gefängnis. Die Vereinzelung konnte also zugleich Straftatbestand als auch Strafpraxis sein, wie zu zeigen sein wird. Im Folgenden soll die Dimension der Disziplinierung in der Sichtbarkeitsordnung aus den Regeltexten rekonstruiert werden. In einem zweiten Schritt wird diese Struktur dann mit dem Komplex von Disziplinierung und Strafpraxis, der in den Klosterchroniken verhandelt wird, konfrontiert. Dabei geht es um die Frage, welche Ordnungen jeweils (re‐)produziert wurden, aber auch darum, an welchen Stellen Verschiebungen in der Struktur der Sichtbarkeit deutlich werden. Die Regeltexte der Klarissen beinhalten Regulierungen der Aufenthaltsbestimmungen für die Schwestern (auch) in den Klausurräumen, die sich entlang der Differenzen sichtbar/heimlich (im Sinne von „geheim“ bzw. „verborgen“) und kollektiv/vereinzelt beschreiben lassen. Das betraf zunächst die Vorschrift, außer in Notfällen Bereiche des Klosters nicht zu betreten, die nur für bestimmte Ämter vorgesehen waren, etwa Küche, Siechhaus oder Keller.⁵² Neben dem Abweichen von der eigenen jeweiligen Befugnis oder dem eigenen Aufgabenbereich sind diese Vorschriften mit den Regulierungen der Speisepraktiken verknüpft, die, gemäß dem Armutsgebot, jede Schwester nur nach Notwendigkeit, nicht aber nach eigenem Geschmack oder Willen ausstatten.⁵³ Zudem gehörte und gehört das Essen als kollektive Praxis zu den Säulen des monastischen Lebens, wobei immer
Vgl. BrixStat, fol 52r. Vgl. Julie Ann Smith, Observing the Gospel: Obedience in the Clarissan Formae Vitae (1212– 1253). In Interpreting Francis and Clare of Assisi. From the Middle Ages to the Present, hg. von Constant J. Mews, Claire Renkin. Mulgrave, N.S.W.: Broughton Publishing, 2010, 121– 134, hier 123 – 124.
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IV Sichtbarkeitsordnungen: Subjektivierung durch räumliche Ordnung
auch die Balance gehalten werden muss zwischen der Anerkennung der Kostbarkeit der geschenkten Gabe, der Speise, und der Vorsicht bezüglich Verlockungen durch die Lüste, die aus der Nahrungsaufnahme entstehen können.⁵⁴ Aus diesem Grund durfte niemand Essen und Trinken für sich behalten oder abzweigen oder es verstecken und die Aufnahme von Nahrung somit der Kontrolle durch die kollektive Praxis der Speisung entziehen. Nach der Komplet durfte laut den Regeltexten niemand außer den kranken Schwestern essen oder trinken. Zuwiderhandlungen zogen den Entzug von Essen und Trinken für einen bestimmten Zeitraum nach sich. Ein Verstoß gegen das Fastengebot, etwa durch „leicht vertikeit oder vberflüßikeit der speiß oder des tranckes“, wurde mit „swerer puß“ während der Visitation bestraft.⁵⁵ Ein zweiter Komplex betrifft den Bereich der unbotmäßigen „Vereinzelung“, die unter dem Verdacht stand, unangemessenes Verhalten in interpersonalen Kontakten zu ermöglichen und dieses zu verheimlichen, also für sich zu behalten und nicht mit der Gruppe zu teilen. Dabei galt in dieser Ordnung bereits das generelle Unterhalten solcher Kontakte ohne das Wissen der anderen Schwestern als unangemessen, ohne dass speziell verbotene Praktiken hinzukommen mussten. Dieses Verhalten musste besonders in den Zonen des Klosters kontrolliert werden, die schwerer zugänglich waren, da sie dem Bereich eines privaten, nicht gemeinsamen Raums am nächsten kamen, darunter die Zellen sowie das Dormitorium als der Teil des Klostergebäudes, in dem kollektiv geruht werden sollte. Durch die dauerhafte Präsenz vieler Personen auf engem Raum zur dunklen und stillen Tageszeit war die Möglichkeit der unerwünschten oder sogar streng verbotenen Kontakte dabei immer präsent. Das Dormitorium wird in den Regeltexten der Klarissen zugleich als Ort der Ruhe und des Mit-sich-Alleinseins zur Regeneration konzipiert, also als ein Raum der Intimität. Innerhalb des Klosters galt das Dormitorium als der Ort, der topografisch am weitesten von der Pforte entfernt und dafür dem Zentrum der Heiligkeit, dem Chorraum, am nächsten gelegen sein sollte. Topologisch befand sich das Dormitorium damit auch dem Zentrum der Klausur am nächsten, sofern man diese als Materialisierung der Askese definiert. Im Gegensatz zu fast allen anderen Räumen der Klausur, die aus funktionellen Gründen oder in Ausnahmesituationen von dritten Personen aufgesucht werden konnten, war das Dormitorium von solchen Möglichkeiten völlig ausgenommen. Es war also in der
Zur Semiotik der monastischen Speisegemeinschaft vgl. das Kapitel „Die klösterliche Mahlgemeinschaft – Zur institutionellen Rahmung paradiesischer Harmonie und irdischer Notwendigkeiten“ in Sonntag, Klosterleben, 286 – 334. Vgl. BrixStat, fol 52v-53r.
IV.3 Zwang zur Sichtbarkeit
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Konzeption der Ort der größten Reinheit, die hier jedoch zugleich in hohem Maße gefährdet war und daher überwacht werden musste. Die Geschichte des Dormitoriums repräsentiert beinahe eine eigene Geschichte des Klosters, da anhand ihrer die Frage des Anteils von kollektiven und separaten Räumen für ein gelingendes Klosterleben während des Mittelalters immer wieder diskutiert wurde.⁵⁶ Mit dem Dormitorium und seinem Stellenwert verschränkt waren die Existenz und Bedeutung der Zellen, also der Räume, die die Religiosen für sich allein in Anspruch nehmen konnten. Dort war es ihnen möglich, Praktiken der Frömmigkeit als Einzelpersonen auszuüben. Darüber hinaus konnte in den Zellen auch gelesen, studiert, geschlafen und zuweilen sogar gegessen werden. Auch die klösterliche Zelle ist ein zentrales räumliches Phänomen, an dem sich die Entwicklung des christlichen Ordenswesens veranschaulichen lässt. Mehr noch wurde der Zelle die Funktion zugeschrieben, den Weg der Individualisierung des modernen Subjekts von der Spätantike in die „Moderne“ als sich abgrenzende und abgegrenzte Existenzweise nicht nur begleitet, sondern sogar maßgeblich befördert zu haben. Die Disziplinartechniken, die das moderne Subjekt hervorgebracht haben, sah, wie ich erwähnt habe, etwa Foucault als zunächst in der Privilegierung der einzelnen Zelle gegenüber den Gemeinschaftsräumen im Kloster verortet.⁵⁷ Die Organisation der Klosterarchitektur in ihren neben Kirchraum bzw. Kapelle wesentlichen Elementen Kreuzgang, Refektorium und Dormitorium repräsentierte im Kern die Idee des gemeinsamen monastischen Lebens und gab durch ihre Raumordnung spezifische Bewegungsabläufe und Körpertechniken vor. Gleichzeitig produzierten diese spezifischen körperlichen Praktiken die klösterlichen Räume. Die Antwort auf die Frage beispielsweise, ob das Wohnen und Schlafen in einem gemeinsamen Raum essenziell für das kollektive Leben sei oder ob dem monastischen Ideal nicht eine eigene Zelle pro Mönch oder Nonne näherkomme, da hier die Gottesbegegnung besonders direkt und effektiv erfolgen könne, war von etlichen Faktoren abhängig. So hatten die einzelnen Ordens-
Zur Entwicklung seit Beginn des Mönchtums vgl. Signori, Zelle. Zum Zusammenhang des abgeschlossenen Raumes Zelle mit den monastischen Idealen der Frömmigkeit und Kollektivität vgl. grundlegend Lentes, Einzelzelle, zu Zelle und Dormitorium dort vor allem 128 – 145. Vgl. Foucault, Überwachen, 184. Lentes bezeichnet das Leben in der Zelle, in dem die Person auf sich selbst zurückgeworfen war, als „Instrument der Zivilisation“, ohne sich jedoch mit der These Foucaults auseinanderzusetzen, vgl. Lentes, Einzelzelle, 155 und 134. Leider lässt diese individualisierungsgeschichtliche Lesart der Zelle jegliche Differenzierung nach Ordenszugehörigkeit, Geschlecht, Region und sozialer Herkunft der Bewohner:innen unberücksichtigt, die die Einhegung der Geschichte der Zelle in das Fortschrittsnarrativ des westlichen Individuums durchaus verändern könnte. Vgl. auch Kapitel II.2.3, 164 in diesem Band.
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IV Sichtbarkeitsordnungen: Subjektivierung durch räumliche Ordnung
gründer:innen und ihre jeweiligen Theologien, die sich in den Regeln niederschlugen, unterschiedliche Vorstellungen vom Zusammenhang zwischen Raumordnung und individueller Frömmigkeit. Die Benedikt-Regel beispielsweise lehnte die Einzelzelle ab und entwarf anstelle ihrer eine sozusagen „(proto‐)panoptische“ Form des Schlafsaals, in dem eine vorgesetzte Person die darin Liegenden überwachen konnte, die Mönche, abgetrennt durch eingezogene Holzwände, einander jedoch nicht beim Lesen oder Schlafen sehen sollten.⁵⁸ Ebenso ausschlaggebend für die Raumkonzeption war zweifelsfrei die ökonomische Ausstattung eines Klosters, die Einzelzellen ermöglichte oder es eben erforderte, dass mehrere Personen in einer Zelle schliefen. Grundsätzlich lässt sich für das Mittelalter von einem Nebeneinander mehrerer Bauformen ausgehen. So existierten neben den klassischen Dormitorien die Zellendormitorien, also Schlaftrakte mit eingebauten Zellen oder zellenähnlichen Abgrenzungen eigener Bereiche. Eine andere Variante größerer Separierung waren die Zellenbauten, die eigene Zellen vorsahen, in denen nicht nur geschlafen wurde, sondern auch andere Tätigkeiten verrichtet werden konnten. Im Übergang zur Frühen Neuzeit lösten die Einzelzellen nach und nach flächendeckend die Gemeinschaftsschlafsäle ab.⁵⁹ Im Verlauf dieser Entwicklung wurden neben den ordensspezifischen, ökonomischen und regionalen Unterschieden vor allem geschlechtsspezifische Differenzierungen wirksam. Die Variante des Klosterbaus mit abgegrenzten Einzelzellen wurde für die Häuser weiblicher Gemeinschaften insgesamt zeitlich später eingerichtet.⁶⁰ Die Bedeutung der Zelle als Rückzugsort nahm vor allem in den spätmittelalterlichen Debatten um die Ordensreformen eine komplett andere Position ein, wenn, wie im Falle der männlichen Religiosen, die Abgrenzungsfolie für die Zelle nicht das unruhige Leben außerhalb des Klosters oder sogar im Kloster selbst war, sondern der Klausurraum der weiblichen Religiosen mit seinen differenten Implikationen von Öffentlichkeit und Privatheit.⁶¹ Nur so lässt sich erklären, dass die Zellenklöster von den Observanzbewegungen für männliche Vgl. Regula Benedicti/Die Benediktinerregel. (lat./dt.). 2. Aufl. Beuron: Beuroner Kunstverlag, 1996, Kapitel 22; Signori, Zelle, 63. Die Formulierung „panoptisch“ ist für diese Raumordnung freilich verkürzt, da die Möglichkeit der Mönche, den Abt zu sehen, nicht auszuschließen ist. Im Dormitorium überlagerten sich das Ideal der größtmöglichen Kollektivität und die Gefahr der Vereinzelung durch Praktiken, die im neuzeitlichen Verständnis als sexuell und, konkreter, als homosexuell verstanden werden, vgl. Coon, Bodies, 125 und 199. Vgl. Lentes, Einzelzelle, 134 ff. Vgl. Signori, Zelle, 67. Zu den Auswirkungen von zu viel Öffentlichkeit auf die Bauweise der franziskanischen Klöster, in denen zwei Kreuzgänge eingerichtet wurden, um eine bessere Abgrenzung des religiösen Lebens zu erzielen, vgl. Silberer, Haus am Fluss.
IV.3 Zwang zur Sichtbarkeit
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Religiose als besonders positiv und zielführend für die vita religiosa hervorgehoben wurden.⁶² Die Bewertung der Zellenbauten in weiblichen Klöstern zielte demgegenüber in erster Linie auf die Frage ab, ob dadurch das gemeinschaftliche Leben ab- und also Schaden nehmen würde. Die Forschung über Klausurbestandteile und architektonische Formen weiblicher Klöster ist bis auf wenige populäre Ausnahmen bislang noch selten über systematische Studien erschließbar.⁶³ Erkenntniszuwachs konnten die Arbeiten zur Klausurregulierung während der historischen Umbrüche durch die Ordensreformen im Spätmittelalter und im Rahmen der posttridentinischen Erneuerung des Ordenslebens erzielen. So gehört der beobachtete Rückzug in die Vereinzelung und weg von der Gemeinschaft, der durch die Zellenarchitektur und die Aufgabe des gemeinschaftlichen Schlafraums unterstützt wurde, in die Observanzdiskurse vom Niedergang des Ordenslebens. Im Kontext der Maßnahmen zur Verbesserung des Ordenslebens, zu denen für weibliche Gemeinschaften vor allem die Errichtung der Klausur gehörte, war die Errichtung kollektiver Schlafräume zwar ein zentraler und ordensübergreifender Anspruch, dessen Umsetzung jedoch höchst individuell geregelt wurde. Die Einrichtung und Gestaltung regelkonformer Klausurbauten hing von Alter und Struktur der bisherigen Klosteranlage, den ökonomischen Möglichkeiten und den individuellen Interessen und Kräfteverhältnissen ab, sodass sich auch hier von einem Nebeneinander der Formen ausgehen lässt.⁶⁴ So wie das Verhalten in den Schlafsälen detailliert in die Vorschriften einging, waren auch für die Klosterzellen Verhaltensregeln festgelegt, beispielsweise das Verbot, sich längerfristig in einer anderen als der eigenen Zelle aufzuhalten.⁶⁵ Die Vgl. Lentes, Einzelzelle, 144. Bis auf die Untersuchungen zu den Kirchen, den Gräbern und zu den Funktionsbauten mittelalterlicher Klöster existiert keine vergleichbare Forschung, die die Bau- und Funktionsweisen und die Formensprache weiblicher Klöster als eigenes Feld innerhalb der Kunst- und Kulturgeschichte monastischer Orden ernst nehmen würde. Somit ist die Blickrichtung immer die vom „Allgemeinen“ der männlichen Klöster hin zur „Ausnahme“ (oder der angeblich vereinfachten, reduzierten Version des „Eigentlichen“) in Bezug auf weibliche Klöster.Vgl. dazu auch die Kommentare zur Charakterisierung der Kirchen weiblicher Bettelorden, die bei Jäggi, Frauenklöster, 10, dokumentiert sind. Eine wichtige Schneise hat die Forschung im Umfeld der Ausgrabungen um das Pfullinger Sprechgitter geschlagen, vgl. Jäggi, Mohn [et al.], Sprechgitter. Vgl. auch die Zusammenführung bei Bacher, Pfullingen, 66 – 71 (Kapitel „Baubestand“). Vgl. dazu die Ausführungen zur Klausur in Kapitel II in diesem Band. Eine Geschichte der klösterlichen Zelle, die Thomas Lentes als Desiderat auswies, steht auch zwanzig Jahre später weiterhin aus, vgl. Lentes, Einzelzelle, 162. Für eine solche Untersuchung der Topologie der Zelle wäre jedoch ein intersektionaler Zugriff mit Berücksichtigung der Kategorien Geschlecht, soziale Herkunft, ökonomische Ausstattung und regionale Situierung die Voraussetzung. Vgl. Signori, Zelle, 63.
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IV Sichtbarkeitsordnungen: Subjektivierung durch räumliche Ordnung
Einrichtung der Zelle war ebenfalls abhängig von den Grundkoordinaten, die die Ordenszugehörigkeit hinsichtlich des erlaubten oder verbotenen Eigenbesitzes vorsah, was bestimmte Einrichtungsgegenstände ermöglichte. Die Konstruktion der Zelle selbst war theologisch durch ihre Dopplung von Begrenzung und Entgrenzung des Raumes definiert. Dieses Wesen der Zelle als ein enger, geschlossener Raum, der zugleich ein Ort unendlich dehnbarer Weite sein kann, spielt besonders in den verschriftlichten mystischen Visionen von Nonnen eine entscheidende Rolle.⁶⁶ Während die Regula Sanctae Clarae und die Constitutions keine Angaben zu diesem Aspekt der Klausur aufweisen, regelte die Urban-Regel das Schlafen der Schwestern deutlich nach dem benediktinischen Vorbild, demzufolge alle Schwestern in einem gemeinsamen Raum, dabei aber jeweils in ihrem eigenen Bett schlafen sollten.⁶⁷ In diesem liegend, hätten sie zusätzlich in ihr mit einem Gurt versehenes Gewand gekleidet zu sein. Das Bett der Äbtissin solle dabei so angeordnet werden, dass sie von diesem aus die anderen Betten im Dormitorium sehen könne. Alle Schwestern, die nächtens nicht schlafen wollten oder könnten, sollten sich mit Gebet, göttlicher Betrachtung oder leichten Arbeiten beschäftigen. Während der gesamten Nacht solle stets ein Licht in der Mitte des Dormitoriums brennen. Der Schlafraum war also als ein Ort der gemeinsamen Ruhe konzipiert, wobei das permanente oder jedenfalls potenzielle Gesehenwerden durch die Blicke der Äbtissin einbezogen war. Bezüglich des als Reformkonvent gegründeten (und gebauten) Kloster SainteClaire erwähnt die Petite Chronique beide Bauteile, das Dormitorium und Einzelzellen. An zwei Stellen betont sie das gemeinschaftliche Schlafen im Dormitorium als regelkonformes Verhalten im Konvent.⁶⁸ So wird zum Beispiel im Zusammenhang mit der bedrohlichen Situation im Jahr 1534 in der Stadt Genf von dem Schrecken berichtet, den das Versehen einer der Schwestern ausgelöst habe, die nach dem nächtlichen Gebet im Chor eingeschlafen und nicht mit den anderen Schwestern in den Schlafsaal zurückgekehrt war. Ihr lautes Schlagen an die Tür habe die Schwestern über alle Maßen erschreckt, da sie annehmen mussten, es seien Menschen aus der Stadt in das Kloster eingedrungen und durch die Kirche in die Klausur gekommen.⁶⁹ Diese Annahme führt der Chroniktext auf die vorausgegangene Gefahr zurück, die die Schwestern mit der Androhung von Plün-
Vgl. Salome Flühler, Ausgeschlossen durch den eigen Willen. Ein Negativexempel aus den Nonnenviten von St. Katharinental. In Schwierige Frauen – schwierige Männer in der Literatur des Mittelalters, hg. von Ingrid Kasten, Alois Maria Haas. Bern, Berlin: Lang, 1999, 221– 248. Vgl. hier und im Folgenden RegUrb V, fol 9r – v. Vgl. im Folgenden, zum zweiten Beispiel vgl. PC, fol 229r. Vgl. PC, fol 129v – 130v.
IV.3 Zwang zur Sichtbarkeit
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derung und sexualisierter Gewalt konfrontiert hatte.⁷⁰ Als Erfolg versprechende Reaktion auf diese und andere uneindeutige Situationen wird auf der Chronikebene wiederholt das konforme Verhalten als geschlossener Körper thematisiert. Die Vikarin habe alle Schwestern im Dormitorium aus ihren Betten heraus antreten lassen, diese durchgezählt und dabei festgestellt, welche fehlte, und sei dann mit den anderen zusammen zum Chor gegangen. Dort wartete die „verlorene“ Schwester und bat die Äbtissin um Verzeihung für ihr eigenes Fehlverhalten, die Absonderung von der Gruppe durch ihre eigene Nachlässigkeit und fehlende Disziplin beim Chorgebet.⁷¹ Die Schilderung dieser Selbstrettung aus der angenommenen Bedrohung ergibt indes ein uneindeutiges Bild der Beschaffenheit des Schlaftraktes. Erwähnt wird das Dormitorium, in dem alle während der Nachtruhe geschlafen oder für sich gebetet hätten.⁷² Die geschilderte Situation, dass alle Schwestern erst aus den Betten steigen und vor der Vikarin antreten hätten müssen, um gezählt werden zu können (bei dreiundzwanzig Schwestern in einem Saal, sie selbst nicht mitgerechnet, sollte das der Vikarin auch ohne die Aufstellung möglich gewesen sein), lässt die Möglichkeit zu, dass es eine Architektur für das Schlafen gab, die eine Form von abgetrennten Bereichen beinhaltete. Darauf deutet außerdem die Darstellung einer Zelle in der Chronik hin, welche in Zusammenhang mit den Verhandlungen über den Klosteraustritt einer Schwester steht und in der die monastische Lebensform wiederholt legitimiert wird. Als Reaktion auf die Anschuldigungen der ehemaligen Konventsschwester, sie habe unter unmenschlichen Bedingungen in einem Gefängnis leben müssen, wird eine Zelle – ihre Zelle – en détail beschrieben.⁷³ Es handele sich dabei um ein „Zimmer, in dem man ihr ein hohes, ringsum geschlossenes Bett aufgestellt hatte, das wie ein kleines warmes Zimmer war und zu dem es eine mit Schlüssel aufschließbare Tür und ein sehr hübsches Fenster mit einem eisernen Fensterkreuz gab. In dem Zimmer befand sich auch ihre Truhe und über ihrem Bett ein Bild.“⁷⁴
„[…] qui venoien pour acomplis leur mauldite intencion, que tant les avoiens menasses de les faorrages et viollees toutes vne nuyt.“ PC, fol 130v. Vgl. auch Kapitel III.3.2 in diesem Band. Vgl. PC, fol 131v – 132r. Auch an einer anderen Stelle in der Chronik wird auf das gemeinschaftliche Schlafen aller Schwestern in einem Dormitorium hingewiesen: „Et de nuyt couchoiens les conuers auecque elles, et pourse de moy et de la poure folle ce caichoiens.“ PC, fol 229r. Vgl. PC, fol 229r. „[…] la chambre en la quelle vng luy avoit fait vne couche haulte, toute clouse, coment vne chambrette chaulde, et vne porte serrant ala clefz et vne fenestre bien jolie ferre dune croisee de fert, et dedans son arche et vng tabla oudessus de sa couche.“ PC, fol 230r. Einen Hinweis auf die Ausstattung der Klausur mit Bildern und Andachtsgegenständen enthält die Chronik im Zusammenhang mit der Zerstörung der Einrichtung während des Überfalls nach dem Klausur-
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IV Sichtbarkeitsordnungen: Subjektivierung durch räumliche Ordnung
Alles sei noch so geblieben, wie es die ausgetretene Schwester drei Tage vorher zurückgelassen habe, „denn es sei noch keine Schwester dort gewesen.“⁷⁵ Diese Schilderung verweist einerseits als apologetische Reaktion auf die Anschuldigungen, die Schwester habe in einer Gefängniszelle leben müssen, auf die guten Lebensbedingungen im Konvent. Die Beschreibung dieser Zelle und ihrer Einrichtung zeigt andererseits bzw. zugleich aber auch die Möglichkeit an, dass es sich in Sainte-Claire um eine Form des Dormitoriums handelte, die abgetrennte Bereiche mit eigenen Wänden, Fenstern und Platz für die Truhen aufwies, also ein Zellendormitorium.⁷⁶ Somit wäre dann nur der Gesamttrakt dieser Zellen oder Zellenbereiche als Dormitorium bezeichnet worden. Gemäß dem Reformverständnis von Kollektivität ist eine solche architektonische Mischform zwischen Gemeinschaftsschlafsaal und Einzelzellen bzw. die Weiterentwicklungsstufe vom Saal zur Zelle wahrscheinlich. Die Hinweise auf kollektive Praktiken sind in der Petite Chronique verknüpft mit der Wertschätzung des eigenen Bereiches einer Schwester, den keine andere zu stören habe, wenn es nicht sein müsse.⁷⁷ Während der Aufenthalt im Schlafbereich während der Ruhezeit unter strikter Beobachtung stand, war eine Anwesenheit dort tagsüber oder gar, um sich dort zu verstecken, nicht allein in Genf strikt verboten.⁷⁸ Eine Verschärfung des diesbezüglichen Aufenthaltsverbots kennen so etwa auch die Brixener Statuten, die den Aufenthalt in Zellen, Winkeln oder heimlichen Orten untersagen: Es sullen die swester nit in die cellen oder winckeln vnd heimlichen stetten, da von arquan moͤ cht auf ersten, sich zu ein ander verpergen vnd keine der andern gen an vrlaub in yr cellen.⁷⁹
Entsprechende Vergehen wurden nach dem dritten Wiederholungsfall sogar mit einem Tag Zuchthaus bestraft und fielen damit in den Bereich schwerwiegender einbruch: „[…] et ne delaisserant ymaige ny forme de deuotion ou dortoit, alenfermerie ny en lieu du conuent.“ PC, fol 204v. „[…] car nulle seur ny avoit este.“ PC, fol 230r. Diese Annahme stützen auch die Befunde aus dem Klarissenkloster Söflingen, in dem nach dem Umbau des Klostergebäudes 1492 drei Flügel im Obergeschoss über dem Kreuzgang, also über dem Klaustrum, mit zweiundsiebzig Einzelzellen versehen wurden, die laut Karl Suso Frank wie „kastenförmige Einbauten“ erscheinen, vgl. Frank, Klarissenkloster, 104 f. „[…] car nulle seur ny avoit este.“ PC, fol 230r. Vgl. BrixStat, fol 52r – v. BrixStat, fol 51v, spricht von Zellen und verweist somit auf die Praxis von Zellenbauten auch während der Klosterreformen. Gemäß den Befunden aus den Klarissenklöstern der Straßburger Observanz ist allerdings von der oben angesprochenen Mischform mit abgetrennten Bereichen innerhalb des Schlaftraktes, der als Dormitorium bezeichnet wird, auszugehen, vgl. Frank, Klarissenkloster, 104– 105; Bacher, Pfullingen. Vgl. auch Kapitel II.2.3 in diesem Band.
IV.3 Zwang zur Sichtbarkeit
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Straftaten. Auch hier sind zwei problematische Tatbestände verknüpft: einerseits die Vereinzelung an sich, also das Absondern von der Gruppe und allen anstehenden Aufgaben und Praktiken des Alltags. Das Sich-Entziehen aus der Kollektivität und damit zugleich aus der Überwachung durch den Aufenthalt an „heimlichen“, also verborgenen, abgegrenzten Orten war ein unbedingt zu unterbindendes Verhalten. Der Ausdruck „sich zu ein ander verpergen“ und, damit korrespondierend, das Verbot, die Zellen der anderen Schwestern ohne Erlaubnis zu betreten, verweist andererseits auf eine weitere Dimension, die bislang in der Forschung zu monastischem Leben, aber auch der Körper- und Sexualitätengeschichte wenig diskutiert wurde, namentlich die Möglichkeit sexueller Praktiken unter den Angehörigen der weiblichen Klöster. Sexuelle Praktiken oder Spuren sexuellen Begehrens in weiblichen Klöstern werden in der bisherigen historischen Forschung zunächst an den Orten vermutet, die heterosexuelle Kontakte nahelegen, also beispielsweise mit männlichen Besuchern und den Beichtvätern. Diese sind zu nicht geringfügigen Anteilen jedoch als Fälle sexualisierter Gewalt zu klassifizieren und als solche auch diskursiviert worden.⁸⁰ Aufgrund der Herausforderung, Spuren sexueller Lüste und Praktiken zwischen weiblichen Religiosen in den Quellen auszuweisen, stützt sich die Sexualitätengeschichte nach wie vor einzig auf die exzeptionellen Erzählungen um Benedetta Carlini (1590 – 1661), eine Theatinerinnenschwester aus der Nähe von Florenz, und Juana Inés de la Cruz (1648 – 1695), Hieronymitin in Ciudad de México.⁸¹ Ein entsprechender Vermerk in den Brixener Statuten, dem Reformwerk für die Klarissen der Straßburger Ordensprovinz, ist der im Forschungsumfeld dieser Studie bislang einzig bekannte Hinweis darauf, dass Praktiken, die aus heutiger, durch das Sexualitätsdispositiv geschulter Perspektive als sexuelle Praktiken gelesen werden können, in Regeltexten für weibliche Religiose aufgeführt werden:
Vgl. Mary Laven, Sex and Celibacy in Early Modern Venice. The Historical Journal 44: 4 (2001), 865 – 888; Jodi Bilinkoff, Related Lives. Confessors and their Female Penitents, 1450 – 1750. Ithaca, N.Y.: Cornell University Press, 2005. Vgl. Judith C. Brown, Immodest Acts. The Life of a Lesbian Nun in Renaissance Italy (Studies in the History of Sexuality). New York: Oxford University Press, 1986; Babette Reicherdt, Benedetta Carlini (1590 – 1661) und die Klosterzelle als Pornotopie. Raumproduktion und Sexualität in einem italienischen Nonnenkonvent im frühen 17. Jahrhundert. In Orte der Begegnung. Orte des Widerstands. Zur Geschichte homosexueller, trans*geschlechtlicher und queerer Räume, hg. von Carolin Küppers, Martin Schneider. (Geschichte der Homosexuellen in Deutschland nach 1945). Hamburg: Männerschwarm, 2018, 27– 44; Birgit Wagner, Christopher F. Laferl, Anspruch auf das Wort. Geschlecht, Wissen und Schreiben im 17. Jahrhundert. Suor Maria Celeste und Sor Juana Inés de la Cruz. Wien: WUV Universitätsverlag, 2002.
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IV Sichtbarkeitsordnungen: Subjektivierung durch räumliche Ordnung
Es sullen die swester nit in die cellen oder winckeln vnd heimlichen stetten, da von arquan mocht auf ersten, sich zu ein ander verpergen vnd keine der andern gen an vrlaub in yr cellen.⁸²
Bislang wurden zu diesem Themenkomplex üblicherweise Quellen wie Verhörprotokolle, Beichtbücher und Briefe herangezogen.⁸³ Als besonders lohnenswert erwies es sich in diesem Zusammenhang, diese Quellen – wie auch die Regeltexte – auf Hinweise zur räumlichen Ordnung zu untersuchen.⁸⁴ Erwähnungen von sexuellen Praktiken zwischen den Schwestern, ob in der Deskription eines stattgefundenen Verhaltens oder dem Versuch, ein solches Verhalten als mögliches zu verhindern, sind, wenig überraschend, aus den anderen Regel- bzw. Chroniktexten oder auch dem Umfeld der hier besprochenen Klarissenklöster nicht bekannt. Es ist allerdings auch hier der Gedanke weiterzuverfolgen, dass, obgleich Praktiken der Sodomie oder Unzucht nach jeglicher Rechtsordnung ausgeschlossen werden mussten, das Augenmerk der Regeltexte auf dem Verhalten lag, etwas „heimlich“, also im Verborgenen, zu tun. Das Verbergen eines Tuns vor den Augen und damit dem Wissen der anderen Schwestern entzog diesen die Möglichkeit, die dergestalt Tätigen zu sehen und/oder an ihrem Tun teilzuhaben. Aus diesen Ordnungsvorstellungen geht auch hervor, dass der Körper der einzelnen Schwester in dieser Sichtbarkeitsordnung ein Körper war, der, wie ich dargelegt habe, von den Mitschwestern zu allen Zeiten und an allen Orten gesehen werden musste, der aber vor allem nicht als einzelner Körper nach
Vgl. BrixStat, fol 51v. Während die Regeltexte für männliche Ordenspersonen sämtliche in den Bereich der Sündenkataloge fallenden sexuellen Praktiken als Verbote auflisten, sind derartige Verweise aus den Regeltexten weiblicher Religioser nicht bekannt. Eine systematische dahingehende Prüfung der Regeltexte für weibliche Orden und Gemeinschaften steht nach bisherigem Kenntnisstand allerdings noch aus. Eine Untersuchung von asketischen bzw. keuschen Körperproduktionen auf der Grundlage von Regeltexten hat Albrecht Diem für Nonnen im Übergang zum Frühmittelalter vorgenommen, vgl. Diem, Techniques. Den Zugang zu asketischen und/oder zölibatären Körpern als Möglichkeit, Aussagen über das jeweilige Verständnis von Sexualität und Geschlecht zu treffen, hat überzeugend Sarah Salih dargelegt, vgl. Salih, Virginity. Eine jüngere Studie verfolgt diese Lesart als Teil der Sexualitätengeschichte des Mittelalters, vgl. Robert Mills, Seeing Sodomy in the Middle Ages. Chicago: The University of Chicago Press, 2015, vor allem 248 – 254 (Unterkapitel „Holding it Straight: Virginity as a Sexual Orientation“). Vgl. die oben genannten Arbeiten von Bilinkoff, Confessors; Brown, Immodest; Laven, Celibacy. Einige Studien über früh- und hochmittelalterliche Mönche haben dies vorgelegt, vgl. Coon, Bodies; Diem, Experiment; Thomas Füser, Mönche im Konflikt. Zum Spannungsfeld von Norm, Devianz und Sanktion bei den Cisterziensern und Cluniazensern (12. bis frühes 14. Jahrhundert) (Vita regularis 9). Münster: LIT Verlag, 2000. Für frühmittelalterliche Nonnen vgl. die Analyse der Klosterregeln in Diem, Techniques.
IV.3 Zwang zur Sichtbarkeit
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einer eigenen „Richtung“ (hier als Eigenwille verstanden) unterwegs sein durfte. Jeder Körper hatte durch sein Verhalten Anteil an der Reinheit des Konvents. Diese Reinheit war dann gefährdet, wenn ein Teil des Kollektivkörpers versuchte, sich der Überwachung zu entziehen. Bezogen auf den Aufenthalt von Angehörigen des Konvents und ihre Verteilung in den Räumen der Klausur lässt sich also auch hier von einer kartenähnlichen Struktur der Regeltexte sprechen, die Orte und Zeiten der Reinheit bzw. Unreinheit markiert. Dabei war ein Ort grundsätzlich weniger rein, wenn an ihm eine permanente Überwachung nicht gewährleistet werden konnte. Das ununterbrochene Gesehenwerden schloss allerdings, anders als im Panopticon-Modell, das Sehenkönnen der Beobachteten nicht aus. Die Blicke der Äbtissin und der Hörerinnen am Redfenster, im Dormitorium sowie an allen anderen beschriebenen Orten blieben nicht notwendigerweise, wie es in einem (idealen) Panopticon der Fall gewesen wäre, unsichtbar. Die Sichtbarkeitsordnung der Klarissengemeinschaften produzierte Körper, die einerseits zeitlich und örtlich nur stark eingeschränkt gesehen werden durften, an architektonische und körperbezogene Raumordnungen gebunden waren und als Körper selbst weitestgehend verschlossen sein mussten (wie es etwa die Kleidervorschrift für die Nachtruhe festlegte). Innerhalb der Klausur mussten die Körper der Schwestern andererseits idealerweise vierundzwanzig Stunden täglich von allen anderen Mitgliedern des Konvents oder wenigstens von der Äbtissin gesehen werden können – was die Sehenden notwendigerweise auch den Blicken der Gesehenen preisgab. Die Pflicht zur Sichtbarkeit beinhaltete es, dass jegliches Handeln sowie auch bereits die Absicht zu handeln sichtbar und überprüfbar bleiben mussten, was den Aufenthalt an „heimlichen stetten“⁸⁵ beschränkte oder ausschloss.
IV.3.2 Strafpraktiken Verstöße gegen die Sichtbarkeitsordnung wurden mittels einer Skala geahndet, die von einer leichteren Bußpraxis bis hin zu schwerer Strafe durch Kerkerhaft reichte. Wenn eine Schwester sich beispielsweise vom Konvent entfernte, sodass man nach ihr suchen musste, so sollte diese damit bestraft werden, die Füße der anderen Schwestern küssen oder um Brot betteln zu müssen, während sie fünf Vaterunser in Kreuzeshaltung vor dem Tisch der Gemeinschaft sprach.⁸⁶ Mehrfache Verstöße gegen das Sichtbarkeitsgebot durch das einzelne oder gemein-
Vgl. BrixStat, fol 51v. Vgl. BrixStat, fol 52v.
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IV Sichtbarkeitsordnungen: Subjektivierung durch räumliche Ordnung
same Aufsuchen heimlicher Orte wurden mit einem Tag Kerkerhaft aufwärts bestraft. Die vorgesehene ständige Kontrollierbarkeit der Schwestern des Konvents und damit die Bedeutung der Sichtbarkeit in der Disziplinierungspraxis werden in der Beschreibung der einzelnen Vergehen und der Verteilung ihrer Konsequenzen auf der Bestrafungsskala deutlich. Die in den Statuten der Straßburger Observanz vorgesehene Anleitung zur Strafpraxis ordnete dabei auf der bereits beschriebenen „Landkarte“ des Klosters die einzelnen Orte der Klausur auf einer Skala von Reinheit bis Unreinheit an, die deckungsgleich mit dem Ausmaß der Sichtbarkeit war, das den Schwestern an den jeweiligen Orten erlaubt war. Ein Verstoß gegen die Verpflichtung zur korrekten Sichtbarkeit, also dem Aufenthalt nur zur legitimen Zeit am legitimen Ort, wurde hier in gleicher Weise geahndet wie der Fall, in dem eine oder mehrere Schwestern eine andere Schwester an ungewöhnlichem Ort oder zu ungewöhnlicher Zeit gesehen hatten, ohne diese Schwester zu rügen. Alle beteiligten Schwestern sollten dann einen Tag lang „in dem weyssen rock gen“, das heißt durch ein Vorenthalten ihres Habits als Delinquent:innen sichtbar werden.⁸⁷ In dieser Strafpraxis wurde also eine doppelte Sichtbarkeit des Vergehens der ersten Schwester konstruiert: Der Blick der anderen Schwester(n) musste das Verhalten der ersten Schwester als ein Vergehen sichtbar machen, das Gesehene musste aber zusätzlich als etwas Illegitimes bezeugt werden, um es in den Wissensvorrat des Gesehenen einzuspeisen. Verstöße gegen die Sichtbarkeitsordnung wurden zusammen mit allen anderen Vergehen bei der Versammlung im Kapitelsaal, die einmal wöchentlich abzuhalten war, mit einer Strafe belegt.⁸⁸ Die Constitutions führen das Abhalten des Kapitels detailliert aus und beschreiben die Praktik des Geständnisses einer Schwester vor der Äbtissin und allen anderen Schwestern als durchzuführen in einer Haltung, bei der Arme und Knie am Boden abgestützt und die Hände gefaltet sein sollen, während niemand sonst ohne die Erlaubnis der Äbtissin zu sprechen habe.⁸⁹ Die Regula prima und die Brixener Statuten setzten, wie andere zeitgenössische Regeltexte, im Rahmen ihrer Strafpraktiken eine zusätzliche Sichtbarkeit ein, die die schuldig gewordene Schwester als Delinquentin ganz wörtlich zur Schau stellte, während sie am Boden des Refektoriums Brot und Wasser essen bzw. trinken musste⁹⁰ bzw. ohne Habit und nur in einen weißen Rock gekleidet war oder die Füße der anderen Schwestern küssen und um Brot betteln musste, Vgl. BrixStat, fol 51r. Vgl. RSC IV, 11– 12; RegUrb XXII, fol 32r – v. RegUrb III, fol 6v, sieht vor, die aufgenommenen Novizinnen im ersten Jahr ihres Noviziats nicht am Kapitel teilnehmen zu lassen. Vgl. ConstCol VIII, 5 – 6. Vgl. RSC IX, 1.
IV.3 Zwang zur Sichtbarkeit
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währenddessen fünf Vaterunser „creuczweyß vor dem tisch“ zu sprechen waren.⁹¹ Auch bei Vergehen bezüglich der liturgischen Praxis, vor allem dem Zuspätkommen zum Chorgebet, wurde die Strafe für die betreffende Schwester sichtbar für den Konvent im Chorraum vollzogen. Eine Schwester, die ohne das Vorliegen eines Notfalls oder einer Erlaubnis zu spät zum Gebet kam, hatte vor der Höchsten unter den Anwesenden zu knien, und zwar so lange, bis diese ihr erlaubte, wieder aufzustehen.⁹² Auch hier wird eine Übertragung der „Macht“ bzw.Vollzugsgewalt, in diesem Fall der Überwachungspflicht und der Strafberechtigung und selbstverständlich unter Einhaltung der hierarchischen Rangordnung, auf jede einzelne Schwester deutlich. Dem Sichtbarwerden (in) der Strafe lag ein Modus der temporären räumlichen Distanzierung von der Gemeinschaft zugrunde. Diese Technik bildete das Fundament der mittelalterlichen monastischen Strafpraxis.⁹³ So konnte die Historikerin Valerie Flint anhand verschiedener Ordensregeln aus dem 6. bis 9. Jahrhundert die Wirkungsweise des Räumlichen für die Disziplinierungspraxen mönchischer Gemeinschaften aufzeigen.⁹⁴ Das bevorzugt eingesetzte Mittel der Bestrafung war in diesem Zusammenhang an bestimmte räumliche Vorgaben und Orte gebunden und bestand darin, eine Distanz zwischen der schuldigen Person und der Gemeinschaft zu schaffen, indem diese Person vom gemeinsamen Aufenthalt in Refektorium (bzw. auf den Stühlen am Tisch) und Oratorium und von den gemeinsam verrichteten Praktiken des Alltags ausgeschlossen wurde. Die räumliche Distanzierung exponierte das Individuum derart, dass es, so der Gedanke, durch diese räumliche Erfahrung zur räumlichen Bewegung der Umkehr gelangen würde. Der Weg der Buße, Reue und der anschließenden Vergebung erfolgte ebenfalls in genau festgelegten räumlichen Strukturen und verlief in Schritten vom Hinlegen auf den Boden vor dem Abt und der Gemeinschaft außerhalb des Kapitelsaals über eine Annäherungsbewegung bis hin zum Platz des
Vgl. BrixStat, fol 52v. Vgl. BrixStat, fol 55r. Die Brixener Statuten erläutern die Vorschrift zu Sichtbarkeit und Pflichterfüllung beim Chorgebet eingehend. Die Schwestern werden ermahnt, pünktlich und während der ganzen Zeit des Gebets im Chor anwesend zu sein, vgl. BrixStat, fol 54v. Damit soll nicht ausgedrückt werden, dass das monastische Strafsystem strukturell in anderen Modi verlief als das „weltliche“. Bislang ist der größte Teil der Forschung jedoch entlang dieser Trennlinie aufgebaut, vgl. die Diskussion bei Ulrich L. Lehner, Monastic Prisons and Torture Chambers. Crime and Punishment in Central European Monasteries, 1600 – 1800. Eugene, OR: Cascade Books, 2013, 3 ff. Vgl. Valerie I. J. Flint, Space and Discipline in Early Modern Europe. In Medieval Practices of Space, hg. von Barbara Hanawalt, Michal Kobialka. (Medieval Cultures 23). Minneapolis: University of Minnesota Press, 2000, 149 – 166.
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Abtes im Kern der Klausur.⁹⁵ Ziel dieser Bestrafung war einerseits der Schutz der Gemeinschaft vor der „Ansteckung“ durch die Sünde, andererseits die Sorge um den abtrünnigen Einen, der zur Besserung und Wiedereingliederung bewegt werden sollte.⁹⁶ Begann die Strafe mit Augenblicken kurzer Sichtbarwerdung und schnell zu vollziehender Buße direkt im Anschluss an das Vergehen, wie das beim Knien bzw. „Bodensitzen“ nach einer Verspätung bei der Ankunft zum Chorgebet der Fall war, so konnte bei Wiederholungen der Vergehen die Bußzeit verlängert und die Separierung von der Gemeinschaft ausgeweitet werden.⁹⁷ Nach Einschätzung der Äbtissin waren dann auch schwerere Strafen wie die Haft für einen bestimmten Zeitraum möglich.⁹⁸ Der inhaltliche Kern der Strafen lag sowohl im Sichtbarwerden der Schuld als auch in der Notwendigkeit des Schuldbekenntnisses sowie der Reue und Buße der delinquenten Schwester vor den Ohren, vor allem aber Augen des Konvents. Um ein Schuldbekenntnis der jeweiligen Schwester zu erwirken, das über ein bloßes Geständnis hinausgehen sollte und musste, wurden ihr Strafen auferlegt, die sie vor den Augen der anderen in einen Zwischenraum zwischen dem Konventskörper als dem einer „reinen“ Gemeinschaft und der Sphäre des Übertritts in die Sündhaftigkeit treten ließen. Die Brixener Statuten wie auch andere kommentierende Regeltexte der Straßburger Franziskanerobservanz setzen sich intensiv mit den Strafpraktiken auseinander, die einen großen Teil des Textes beanspruchen. Ihnen zufolge soll eine Schwester, die ein Vergehen nicht gesteht oder bereut und damit im Zustand des Ungehorsams für ganze vierundzwanzig Stunden verbleibt, von der Äbtissin dazu verpflichtet werden, Nahrung allein in Form von Wasser und Brot aufzunehmen und dabei auf dem Boden zu sitzen, „so lang, piss y demütigklich vor yr vnd allen swestern yr schuld wirt erkennen.“⁹⁹ Sollte sie ihre Schuld binnen vier Tagen nicht bekennen, so solle die Äbtissin sie in das „zucht hauß“ verbringen.¹⁰⁰ Sollte dort spätestens nach Ablauf von sieben Wochen immer noch keine Einsicht erfolgt sein, so sei die Schwester in den „rechten kerker“ zu sperren, von wo aus nur noch der Visitator selbst entscheiden konnte, wie mit ihr weiter zu verfahren
Vgl. Flint, Discipline, 154. Vgl. Flint, Discipline, 157. Das „Bodensitzen“ gehörte zu den häufig angewandten Strafen der temporären Separierung von der Gemeinschaft in Klöstern, so etwa bei den Zisterzienserinnen von Neu-Helfta, vgl. Rüttgardt, Klosteraustritte, 308. Die Stufen der Bestrafung gingen wesentlich auf das Vorbild der Regula Benedicti zurück, vgl. Flint, Discipline, 152. Vgl. RSC IX, 1. BrixStat, fol 40r. Vgl. auch den bereits oben zitierten entsprechenden Teil in RSC IX, 1. Vgl. BrixStat, fol 40r.
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sei.¹⁰¹ Die Brixener Statuten geben demnach Anweisungen für eine Strafpraxis, die das Strafmaß bis zum Einsperren in den Kerker (das Klostergefängnis) genau spezifiziert. So sei auch darauf zu achten, niemanden wegen geringer Vergehen, sondern erst für schwere Verbrechen wie Diebstahl oder hartnäckigen und wiederholten Ungehorsam in das Gefängnis zu verbringen.¹⁰² Auch die üble Nachrede über andere Schwestern gab, je nach Einschätzung der Äbtissin, Anlass, das Einsperren im Zuchthaus bis hin zur Kerkerhaft zu verhängen.¹⁰³ Während der Haft sei die Schwester von ihren Ämtern zu suspendieren, und es solle ihr außerdem die Ordenskleidung entzogen werden. Der Unterschied zwischen „zucht hauß“ und Kerker, den beiden Formen von Hafträumen im Kloster, bestand topografisch in der Lage innerhalb der Klosterarchitektur und topologisch in der jeweiligen Verortung nach der Skala der Abweichung (Qualität des Vergehens) bzw. Buße. Leichtere Vergehen und die Bereitschaft zur Einsicht führten zunächst zu einer temporären Haft in einer extra dafür vorgesehenen Zelle im Klostergebäude, dem „zucht hauß“. Die Kerkerhaft wurde, wie eben ausgeführt, nach schwereren Vergehen veranlasst und wenn man bezüglich der delinquenten Person davon ausging oder ausgehen musste, dass eine vollständige Besserung so schnell oder gar überhaupt nicht zu erwarten sei. Die Kerkerhaft setzte dabei wiederum auch einen entsprechenden Trakt im Klostergebäude voraus, der abseits der Gemeinschafts- und Wirtschaftsräume gelegen und so angelegt war, dass eine – wenn auch geringe – Anzahl von Personen dort, sofern das nötig werden würde, auch mehrere Jahre lang inhaftiert werden konnte. Da systematische Untersuchungen über diesen Bestandteil der Klosterarchitektur wie auch für andere Bauteile der Anlagen weiblicher Klöster bislang nicht vorliegen, stützt sich das Wissen über die Praxis der Inhaftierung in diesen Konventen neben den chronikalischen Quellen auf die Rechtstexte. Die Strafordnung in den Brixener Statuten ist daher nicht nur eine wichtige Quelle für die völlig in den Anfängen stehende Forschung zur Strafpraxis in weiblichen Klostergemeinschaften des Mittelalters und der Frühen Neuzeit, sondern auch bzw. spezifischer für das Wissen über Strafpraktiken in Gemeinschaften des Klarissenordens.¹⁰⁴
Vgl. BrixStat, fol 40r – v. Vgl. BrixStat, fol 40v. Vgl. BrixStat, fol 48r. Ulrich L. Lehner verweist in seiner Studie zu Klostergefängnissen und monastischer Strafpraxis zwischen Posttridentinum und Aufklärung auf die grundsätzlich schwierige Quellenlage bezüglich der in den Klöstern praktizierten Bestrafung. Diese oblag dem jeweiligen Haus, das daran interessiert war, so wenige Informationen wie möglich nach außen zu geben. Lehner verweist zudem auf die Differenz zwischen männlichen und weiblichen Orden hinsichtlich des
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IV Sichtbarkeitsordnungen: Subjektivierung durch räumliche Ordnung
Die Bestrafung mit dauerhafter Kerkerhaft, also einem Ausschluss vom Leben der Gemeinschaft bis zum Lebensende der jeweiligen Schwester, setzte sich schließlich in der Verweigerung fort, innerhalb der Klausur des Konvents begraben zu werden.¹⁰⁵ Angesichts des Selbstverständnisses monastischen Lebens im Allgemeinen als eine zeichenhafte Überbrückung des irdischen Lebens mit besonderer Nähe zur Heiligkeit und angesichts des besonderen Zwecks vieler Klosterstiftungen für weibliche Gemeinschaften, die sich als Verantwortliche für das Totengedenken ihrer Angehörigen betrachteten, ist dies zweifellos als die höchste Form der Strafe und als eine ins Unendliche reichende Sichtbarmachung des Ausschlusses zu begreifen. Die Grabstätten der Mitglieder eines Konvents befanden sich, bis auf Ausnahmen im Falle besonders herausragender, heiliggesprochener Personen, grundsätzlich innerhalb des Klausurbereichs, im Kreuzgang oder auf der Fläche, die vom Kreuzgang eingeschlossen war.¹⁰⁶ Einzelfälle von Bestattungen im Kapitelsaal sind bekannt, grundsätzlich gehörten jedoch dieser Bereich sowie die Grabstätten im Kirchenraum den zahlungskräftigen Stifter:innen, auf deren Zuwendung gerade die Bettelordensgemeinschaften angewiesen waren.¹⁰⁷ Die Sichtbarkeit der Konventsschwestern auch noch durch ihre Gräber bezeugte ihre dauerhafte, überzeitliche Anwesenheit und Zugehörigkeit als Teil der Gemeinschaft.¹⁰⁸ Aus der in diesem Kapitel interessierenden Perspektive auf Sichtbarkeit und unter Berücksichtigung des generellen Themas dieses Bandes, also der Topologien von Gemeinschaft, sind sowohl die Überprüfung des Verhaltens der einzelnen Konventsmitglieder als auch der Gebrauch von Mitteln der Strafe und Disziplinierung in räumlichen Bezügen und unter Anwendung räumlicher PrakStrafmaßes und auch des Katalogs an Vergehen. So spielten etwa Beschuldigungen der Sodomie und des Mordes bei Mönchen eine größere Rolle, vgl. Lehner, Prisons, 5 – 6. Zu religiösen Repräsentationen von Gefängnissen (vorrangig des 13. Jahrhunderts) in einem breiteren Spektrum schriftlicher Quellen, zu denen auch literarische Texte gehören, vgl. die Studie von Megan Cassidy-Welch, Imprisonment in the Medieval Religious Imagination, c. 1150 – 1400. Houndmills, Basingstoke, Hampshire, UK, New York: Palgrave Macmillan, 2011. Vgl. BrixStat, fol 42r. Vgl. Carola Jäggi, Gräber und Memoria. In Bettelorden in Mitteleuropa. Geschichte Kunst Spiritualität. Referate der gleichnamigen Tagung vom 19. bis 22. März 2007 in St. Pölten, hg. von Heidemarie Specht, Ralph Andraschek-Holzer. (Beiträge zur Kirchengeschichte Niederösterreichs 15). St. Pölten: Diözesanarchiv, 2008, 689 – 705, hier 699. Vgl. Jäggi, Gräber, 694 und 703. Der zwangsweise Verlust der Klosterstätte von Sainte-Claire in Genf wurde in der Chronik des Konvents als heftiger Verlust betrauert und als „endgültiger Abschied von den toten Schwestern“ bezeichnet, vgl. PC, fol 248r. Dieser Verlust bestand darin, die verstorbenen Schwestern im aktiven Memorialgedenken nicht mehr aus der geografischen Nähe zu ihren Gräbern erreichen zu können.
IV.3 Zwang zur Sichtbarkeit
245
tiken in Strafmaß und Strafart von Bedeutung. Um es noch einmal zu präzisieren: Anhand des Zyklus des zu absolvierenden Beicht- und Bußkreislaufes im Anschluss an ein Vergehen entwickelten die Regeltexte eine Topologie der Strafe innerhalb des Klosters, die mit und am Körper der jeweils beschuldigten Schwester und an verschiedenen Orten der Klausur in einer ersichtlichen Bewegung weg von der Gemeinschaft vollzogen wurde. Über den Zwischenschritt der temporären Haft im Zuchthaus konnte die Delinquent:in schließlich bis in den „Kerker“ verbracht werden. Dieser Ort lag im Kloster am weitesten entfernt von der Gemeinschaft, der vita perfecta und der Heiligkeit. Die Bewegung weg von der Gemeinschaft reichte bis zum langfristigen oder dauerhaften Ausschluss, der seine Vollendung im Begräbnis abseits der anderen Schwesterngräber fand. Die vollendete Bewegung der absoluten Strafe im dauerhaften Ausschluss durch dauerhafte Kerkerhaft und getrenntes Begräbnis ist im Sinne der Topologie des Ausnahmezustands, den Giorgio Agamben unter Rückgriff auf eine römische Rechtsfigur für Gesellschaften des 20. Jahrhunderts in Gestalt des Homo sacer entwickelt hat, zu erfassen. Hierbei ist eine Person dauerhaft von der Gesellschaft ausgeschlossen, bleibt aber zugleich und gerade durch den Ausschluss konstitutiver Teil dieser Gemeinschaft.¹⁰⁹ Ein geweihtes Mitglied einer Gemeinschaft konnte durch ein Vergehen zwar jegliches Privileg der Lebensform, einschließlich der physischen Sichtbarkeit für die anderen Schwestern und als Schwester, verlieren, blieb aber auch als inhaftierte Ausgeschlossene sozusagen „am Rande“ des Gefüges weiterhin sichtbar bzw. diesem angeschlossen. Eine weitere Quelle über die Strafpraktiken in Klöstern bilden die Berichte ehemaliger Ordensleute aus der Reformationszeit. Diese waren durch ihre entsprechenden Interessensbekundungen oder Entscheidungen gegen das Klosterleben sowie teilweise auch erfolglose Versuche, die Klöster zu verlassen, zu Delinquent:innen nach der Ordnung geworden. Ihre Darstellungen wurden in die reformatorischen Diskurse als Plädoyers gegen die Klöster aufgenommen und vielfach in Flugschriften veröffentlicht. Darin wurde nicht nur das Gleichnis vom gesamten Kloster als Gefängnis reproduziert, sondern auch teilweise ziemlich drastisch der „unrechte“ und „grausame“ Umgang mit den angeblich unfreiwillig in Klausur lebenden Nonnen und Mönchen geschildert.¹¹⁰ Die Petite Chronique nahm diesen Diskurs auf und verhandelte die Strafpraxis des Klosters und deren Legitimität am Beispiel dieser Vorwürfe bzw. an einem konkreten Fall: Die Schwester Blaisine Varembert habe geklagt, wiederholt und Vgl. Agamben, Homo sacer, 27– 28. Vgl. Rüttgardt, Klosteraustritte, dort vor allem die quellenkritisch differenzierte Diskussion des Falles der Florentina von Oberweimar, einer geflüchteten Zisterzienserin aus Neu-Helfta im Kapitel „Florentina von Oberweimar (OCist) – ‚… ein direkter Weg in die Hölle!‘“, 256 – 315.
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IV Sichtbarkeitsordnungen: Subjektivierung durch räumliche Ordnung
grundlos mit Schlägen und mit Gefängnishaft in Fesseln und Fußeisen bestraft worden zu sein.¹¹¹ Drei Schwestern des Konvents hätten sie so stark gegeißelt, dass sie ihr schwere Wunden zugefügt hätten. Der einzige Grund für diese Behandlung sei, so behauptete Varembert laut der Chronik, ihre Kritik an der monastischen Lebensform gewesen.¹¹² In einem daran anschließenden Dialog mit der Äbtissin rechtfertigen diese und die Vikarin diese Bestrafungspraktiken, sodass die Chronik Einblick in die Strafpraxis des Konvents und deren Begründungslogiken liefert. In der Argumentation der Äbtissin sind dabei sowohl das Gefängnis als auch die Geißelung/Flagellation als Korrekturmaßnahmen bzw. legitime Mittel zur Besserung anzuwenden, und zwar von den anderen Schwestern oder sogar von der betroffenen Schwester an sich selbst.¹¹³ Der Anklage Varemberts, sie sei wegen Varembert wird wie folgt zitiert: „Et dauentaige nos affait grosse plaintes, | que laues battus, en prisonner et mys les grusillons en mains et fers ou piedz, et sens occasion. Et pourse fault scauoir, porquoy laue si tormenter. Se sont ouures de multrier et de larron.“ PC, fol 227r – v. Vgl. PC, fol 228v – 229r. Die Äbtissin habe demzufolge so argumentiert: „La prison luy a este bonne, car je vous fait juge du bon portement de sa personne. Quant abattre et discipline vos scaue, que partout est de | neccessitte correttion et hamendement, et aussi bien en religion que aultre part, et na james este discipline sens bonne cause.“ PC, fol 227v – 228r. Die Geißelung zur Bestrafung sei allerdings, so die Äbtissin weiter, nicht an den hohen Feiertagen anzusetzen, vgl. PC, fol 228v. Zur Praxis der Flagellation als Mittel der Disziplinierung und Sichtbarmachung von Schuld im regulären Alltag von Zisterziensern vgl. das Kapitel „Der Alltag der Büßer – Die Symbolizität mönchischen Bestrafungs- und Bußverhaltens“ in Sonntag, Klosterleben, 390 – 442, vor allem 390 – 418. Zur Strafpraxis der Zisterzienser- und Kluniazensermönche vgl. ausführlich Füser, Mönche. Die Regula Benedicti konzipiert die körperliche Züchtigung bei Vergehen als geradezu medizinische Maßnahme, die der Abt vornehmen müsse, um eine Ansteckung der Gemeinschaft durch eine einzelne Person zu verhindern: „Wenn er sich aber auch so nicht heilen läßt, dann erst setze der Abt das Messer zum Abschneiden an. Es gelte, was der Apostel sagt: ‚Schafft den Übeltäter weg aus eurer Mitte!‘“ Vgl. Benediktinerregel, 28, 6 bzw. 149. Und weiter heißt es: „‚Wenn der Ungläubige gehen will, soll er gehen.‘ Ein räudiges Schaf soll nicht die ganze Herde anstecken.“ Benediktinerregel, 28, 7– 8 bzw. 149. Vgl. auch Flint, Discipline, 156 – 157. Die Geißelung wird in der Chronik jenseits dieses Beispiels ausschließlich im Kontext alltäglicher liturgischer Praktiken erwähnt. Diese wurden kollektiv vollzogen, indem die Schwestern einander und sich selbst schlugen, vgl. PC, fol 30r, und PC, fol 175r. Das Geißeln zählte im ausgehenden Mittelalter in verschiedenen Orden zu den üblichen am Körper vollzogenen Frömmigkeitspraktiken, vgl. Niklaus Largier, Lob der Peitsche. Eine Kulturgeschichte der Erregung. München: C. H. Beck, 2001, 77– 82 (Unterkapitel „Rituale der Geißelung“), zur rituellen Geißelung als Teil klösterlicher Liturgie. In den hier zitierten Erzählungen aus der Petite Chronique erfolgt die Geißelung nicht als individuelle Frömmigkeitspraktik, sondern als ein Element der Kollektivierung im Schmerz. Zur Performativität von Schmerzpraktiken vgl. Ariel Glucklich, Sacred Pain. Hurting the Body for the Sake of the Soul. Oxford, New York: Oxford University Press, 2001; Marla Carlson, Performing Bodies in Pain. Medieval and Post-Modern Martyrs, Mystics, and
IV.3 Zwang zur Sichtbarkeit
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ihrer grundsätzlichen Kritik an der Lebensform sowie an den tatsächlichen Zuständen im Konvent, darunter Uneinigkeit und Zerwürfnisse, Heuchelei, Lügen und Betrug, Verstöße gegen das Armutsgebot und das Keuschheitsgelübde, in Gefängnishaft gekommen, begegnet die Vikarin im Text mit der Rechtfertigung, das Gefängnis sei ein legitimes Mittel der Disziplinierung, mit dem „Gutes“ getan werde.¹¹⁴ Damit folgt sie der Ordensregel, die die schlechte Rede oder das Verbreiten von Lügen über den Orden sowie das Besprechen von internen Sachverhalten in der Außenwelt unter Strafe stellte.¹¹⁵ Die Praxis, die „widerspenstige“ (in der Logik des Konvents: eigenwillige) Schwester in Kerkerhaft zu verbannen und mit Eisen zu fesseln, findet sich auch in der Beschreibung der Behandlung der Florentina von Oberweimar, einer geflüchteten Zisterzienserin, womit ihr Vorhandensein und ihre Anwendung als Reaktion auf einen möglichen Klosteraustritt als sehr wahrscheinlich eingeschätzt werden können.¹¹⁶ Die regelmäßig erfolgende visitatio, also die Kontrolle des korrekten Klosterlebens durch die Ordensverwaltung, war ein weiterer Aspekt der Sichtbarwerdung von und durch Strafe. Der Visitator wurde von der Äbtissin über das Betragen der Schwestern unterrichtet.¹¹⁷ Diese durfte genauso wenig wie die Schwestern etwas vor ihm verbergen, „wann das wer ein vbel zeichen vnd ein missetat die swerleichen ze peinigen wer.“¹¹⁸ Der Visitator hatte das Recht, sowohl die Schwestern als auch die Äbtissin zu bestrafen, und dies beispielsweise auch dann, wenn die Äbtissin oder Priorin die notwendige Bestrafung der Schwestern nicht korrekt hatte durchführen lassen bzw. die Äbtissin ihrer Aufgabe als Hüterin der Schafe nicht gerecht geworden war.¹¹⁹ Das Amt der Äbtissin wird in den Brixener Statuten neben der bekannten Darstellung der Hl. Klara als Mutter, Freundin und Magd als „meysterin in püssen vnd straffen“ konzipiert.¹²⁰ Die Überprüfung der Schwestern und der Äbtissin durch den Visitator fand am Sprechfenster jeweils unter Beisein zweier anderer Schwestern statt, sodass der Visitator für seine Aufgaben so selten wie möglich die Räume des Klosters betreten musste.¹²¹ Die Prüfung der Reinheit
Artists. New York: Palgrave Macmillan, 2010, sowie religionsphilosophisch grundlegend Talal Asad, Notes on Body Pain and Truth in Medieval Christian Ritual. Economy and Society 12: 3 (1983), 287– 327. Vgl. PC, fol 227v; PC, fol 229r. Vgl. PC, fol 228r. Vgl. Rüttgardt, Klosteraustritte, 309 – 310. Vgl. RegUrb XXIV, fol 36r – v. RegUrb XXIV, fol 37v. Vgl. RegUrb XXIV, fol 38r; BrixStat, fol 58v; BrixStat, fol 62v. Vgl. BrixStat, fol 66r. Vgl. BrixStat, fol 38r; BrixStat, fol 39r.
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IV Sichtbarkeitsordnungen: Subjektivierung durch räumliche Ordnung
des Konvents während des Visitationsvorganges wird in den Statuten auch in Bezug auf die Novizinnen und deren Gehorsam gegenüber der Novizenmeisterin verdeutlicht: […] so sol solch yr meisterin pey swerer straff zu der zeyt der visitierung, wo sy es nit wurden tun, solcher swester frevel verkünden der äbtissin; die sol sy den also züchtigen, das es den andern sey ein ebenpild.¹²²
Die Verpflichtung zur Sichtbarmachung von Vergehen und deren Sichtbarwerdung in der Strafe umfasste also die Konventsgemeinschaft auf allen Ebenen der hierarchischen Ordnung. Während der Visitation, also der Sichtbarwerdung des Klosters als der Ordensfamilie in korrekter Weise zugehöriges Kollektiv, setzte sich die Bewegung der Verpflichtung zur Sichtbarkeit fort.
IV.4 Raus aus den „Schlupflöchern“: gefährliche Sichtbarkeit In der Konfrontation mit der Kritik an monastischen Lebensformen, die sich bei weiblichen Klöstern vor allem mit der Ordnungsstruktur der Klausur beschäftigte, trafen auch neue Diskurse um Sichtbarkeit auf die Klöster, mit denen sich diese auseinandersetzen mussten. Dabei wurden Annahmen über Körper sowie Fragen der Teilhabe und Öffentlichkeit verhandelt, die hier an zwei Aspekten diskutiert werden sollen: zum einen der Verpflichtung der Schwestern zur Sichtbarkeit in und ihrer Teilnahme an der städtischen Öffentlichkeit sowie zum anderen an der daraus resultierenden Gefährdung in dieser neuen Sichtbarkeitsordnung, die die bisherige Sichtbarkeit der Klosterangehörigen angriff und verschob.¹²³ Die Verpflichtung der Klöster zu einer neuen Sichtbarkeit im Stadtbild und die Zuführung der Konventsmitglieder in die öffentliche Wahrnehmung als Personen, die allen anderen in ihrer Religionspraxis gleichgestellt werden sollten, wurde in Nürnberg im Juni 1525 durch den Rat in mehreren Artikeln bzw. „Ratschlägen“ postuliert und diese den Klöstern als Forderung zugestellt.¹²⁴ Die Beschlüsse gingen auf das im März 1525 stattgefundene Nürnberger Religionsgespräch mit reformierten Predigern zurück und beinhalteten die Lossprechung
BrixStat, fol 39v. Die in der Kapitelüberschrift apostrophierte Bezeichnung „Schlupflöcher“ als anti-monastische Formulierung für die Klausur ist der Petite Chronique entlehnt: „Mais mettes les de hors de leurs tanes et les faite venir ou sermons publiques.“ PC, fol 191r. Vgl. 50. Ratschlag, Juni 1525. In Nürnberger Reformationsgeschichte. Pfeiffer (Hg.), 1968, 249 – 258.
IV.4 Raus aus den „Schlupflöchern“: gefährliche Sichtbarkeit
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der Nonnen und Mönche von ihren Ordensgelübden, sofern sie dies wünschten, die Ermöglichung des Klosteraustritts, das Ablegen der Ordenskleider, in Konventen mit Klausur die Einrichtung von „Gesichtsfenstern“, an denen Besucher: innen die Schwestern öfter, länger, ohne Aufsicht und ohne Sichtbeschränkung aufsuchen konnten, sowie für alle Klöster die Anfertigung und Herausgabe von Inventarlisten des kompletten Vermögens, des Einkommens, der Einlagen durch Mitgifte sowie des Besitzes an Gegenständen und Ausstattung.¹²⁵ Die Denkwürdigkeiten der Nürnberger Klarissen setzen sich mit diesen Artikeln in Form einer Stellungnahme auseinander, mit der sie in die Verhandlung mit dem Rat getreten seien.¹²⁶ Die Einführung des Gesichtsfensters und der Zwang zur Präsenz auf dem Chor während der Predigt stellten materielle und administrative Eingriffe in die Klausurpraxis dar. So bezeichnete Caritas Pirckheimer in der Auseinandersetzung mit den Ratsabgesandten die Klausureingriffe durch ein Gesichtsfenster als den Versuch, „ein garttendurlein auß dysem woll reformyrten closter“ zu machen.¹²⁷ Dieser indirekte Verweis auf die Analogie der Klausur zum hortus conclusus, als Paradiesgarten ein wichtiges Motiv in der Marienverehrung, in dessen Mauer nun eine Tür eingelassen werden sollte, womit die Kontrolle über die Zugangsmöglichkeiten größtenteils aus der Hand des Klosters gegeben würde, spielt zweifellos auch noch auf eine weitere traditionelle Analogie des Klosters als Bordell an. Die Imagination, in Klöstern würden abseits der Überwachung durch die öffentliche Kontrolle und die weltliche Verwaltung Praktiken der Unzucht und Sodomie vollzogen werden, war ein fester Bestandteil vor allem antimonastischer Propaganda, in der die reformatorischen Polemiken historisch gesehen nur einen Teilbereich einnahmen.¹²⁸ In den Denkwürdigkeiten wird die Vorstellung des Klosters als Garten benutzt, um sowohl die eigenen als auch die reformatorischen Vorstellungen vom Raum der richtigen Lebensform zu kennzeichnen. In der Definition der Schwestern ist das Kloster der Ort und die Ursache von Keuschheit und Askese, um die Werke gerichtet auf die jenseitige Stätte zu vollziehen: Derhalben erkenn wyr und schuldig, werden auch das geheißen den alten Adam untterzutrucken, den leib dem geist durch kestigung untterwürffig zu machen, der wir geleichwoll im closter mer stat und ursach haben dann außwendig; das wir ausserhalb auch nit selig hoften zu werden, sunder das wir je gern in der berufung, zu der uns got erfordert hat,
Vgl. 50. Ratschlag. Vgl. DW, 71– 73. Vgl. DW, 72. Zum Diskurs über die Sünde „hinter Klostermauern“ als Teil der politischen Propaganda in der Frühen Neuzeit vgl. Woshinsky, Imagining.
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IV Sichtbarkeitsordnungen: Subjektivierung durch räumliche Ordnung
pleiben wollten, […] aber unßer hoffnung streckt sich weitter, dieweill wir wißen, das wir hie kein beleibende stat haben.¹²⁹
Auch das Motiv des umschlossenen Konvents als Weingarten Christi, in den die Wölfe einfallen oder einzufallen drohen, war als ein verbreiteter Rückgriff auf den alttestamentarischen Weingarten des Herrn, der bestellt werden muss oder verdorren kann, fester Bestandteil mittelalterlicher Frömmigkeit und Mystik. Die Darstellung der pro-reformatorischen Kräfte, die den Weingarten des Herrn als einen konzipierte, in den die renitenten Ordensleute noch eintreten könnten, sofern sie sich bekehren ließen, rekurrierte auf eine Konzeption der Christusnachfolge, die eher einem lutherkritischen Zweig der Reformation, allen voran sei hier Thomas Müntzer genannt, entsprach.¹³⁰ Beide hier skizzierten Pole sahen die Verräumlichung ihrer jeweiligen Überzeugung als „Weingarten Christi“ versinnbildlicht.¹³¹ Pirckheimer beschwerte sich außer beim Rat auch in Briefen an befreundete Ordensleute über das Ansinnen, das Kloster auf diese Weise zu öffnen: Wegen des Gesichtes und Alleinredens habe ich zweimal einen großen Streit gehabt. Ich sagte unter anderem: Ich merke wohl, daß sie ein offenes Kloster machen wollten. Wenn sie ein offenes Gartentürlein aus diesem reformierten Kloster machen wollten, sollten sie mir es vorher sagen. Ich wollte dann wahrlich nicht im Kloster bleiben, denn ich getraute mir nicht meine Seele darin selig zu machen. Sie sagen, nein, das meinten sie nicht, daß es ein offenes Kloster werden sollte. Der Rat hätte darum das Gesichtsfenster als ein Mittel vorgeschlagen, damit der Eingang verschlossen bliebe.¹³²
Das neue Gesichtsfenster wurde nach einiger Auseinandersetzung schließlich in St. Klara eingerichtet. Der oben beschriebene erzwungene Klosteraustritt dreier Schwestern und der Ratschlag befreundeter Ratsmitglieder, die Fensteröffnung als Zugeständnis anzusehen, um Schlimmeres zu verhindern, legten es sehr wahrscheinlich nahe, diesen Kompromiss einzugehen. Nach dem Umbau wurde DW, 11. Vgl. Karl Suso Frank, Art. Nachfolge Jesu II: Alte Kirche und Mittelalter. In Theologische Realenzyklopädie. Teilband 23, hg. von Gerhard Krause, Gerhard Müller. Berlin: de Gruyter, 1994, Sp. 686 – 691. So auch der Klosterpfleger Kaspar Nützel in einem Brief aus dem Frühjahr 1525, der in die Denkwürdigkeiten aufgenommen wurde: „Hof unangesehen, das ir spet in den weyngarten werdt kumen, euch wird ganze belonung darnach nit mangeln; der herr des weyngarttens geb euch seinen willen, darumb ich in herzlich, mer denn umb mich selbs, pit. Amen, damit der ewr und der ewrn dyner willig und geflissen, ir wollt oder wollt nit.“ DW, 53. Das Zitat stammt aus dem bereits zitierten Brief vom 18. Juni 1525 an (wahrscheinlich) Kaspar Schatzgeyer, München, auf den S. 27– 37 abgedruckt in Pirckheimer, Briefe, hier 29.
IV.4 Raus aus den „Schlupflöchern“: gefährliche Sichtbarkeit
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die Nutzung des Fensters als unproblematisch in die Chronikerzählung integriert.¹³³ Die Funktion des Klosters, darin die „Seele selig zu machen“, konnte somit grundsätzlich erhalten werden.¹³⁴ Die Sichtbarkeit und grundsätzliche Präsenz auch an einem einsehbaren Fenster war von den Schwestern selbst zu kontrollieren; ein „offenes Gartentürlein“ im Sinne eines freien Zugangs zum Haus wäre das hingegen nicht gewesen. Die Gartentür-Referenz von Pirckheimer eröffnete dabei mehrere Bedeutungsebenen bezüglich der Transgression der Klausurgrenzen. Zunächst spielte die Gartentür im Fall der zahlreichen Beispiele geflüchteter Ordensleute eine Rolle, die das Konventsgelände durch die Tür in der Klostermauer verließen und dort zum Teil auch von Verbündeten abgeholt wurden.¹³⁵ Die Gartentür in der Klostermauer eignete sich als Ort außerhalb der Sichtbarkeit der Klausur zudem als Möglichkeit der Passage, ohne dass es der Öffentlichkeit des Konvents oder auch der umliegenden Stadtbevölkerung auffallen musste, was sich manche Gemeinschaft durchaus auch zu eigenen Zwecken nutzbar zu machen wusste.¹³⁶ Auch in der Topologie der Klausur von St. Klara in Nürnberg, die in den Denkwürdigkeiten erkennbar wird, gehörte das Gartentor zu den Orten außerhalb der Aufmerksamkeit.¹³⁷ Nicht zuletzt repräsentierte es als das Gartentor des erwähnten hortus conclusus, hier vor allem: des Klosters, allegorisch die Transgression hin zu Reinheit und Unverletztheit im paradiesischen Einschluss, sozusagen durch die „Hintertür“. Einen weiteren, bereits angedeuteten Eingriff in die Sichtbarkeitsordnung stellte die ab dem Frühjahr 1525 in Nürnberg eingeführte Verpflichtung für die Angehörigen der weiblichen Konvente dar, während der Predigt in den Klosterkirchen auf dem Chor anwesend zu sein, zuzuhören und im Chor am Gitter sichtbar zu sein, also öffentlich in der Kirche zu sitzen und am Gottesdienst teilzunehmen:
Vgl. DW, 75; DW, 84; außerdem Kapitel III.3 in diesem Band. Auch in St. Katharina, dem anderen weiblichen Kloster Nürnbergs, sowie in Engelthal und Pillenreuth in der Umgebung wurde ein Gesichtsfenster eingerichtet, vgl. Osiander d. Ä., Nr. 54, 147; Steinke, Paradiesgarten, 264. Vgl. den zitierten Brief vom 18. Juni 1525 in Pirckheimer, Briefe, 29. So geschah es im berühmten Fall der Ursula von Münsterberg, die 1528 zusammen mit zwei anderen Nonnen aus dem Freiberger Magdalenerinnenkloster floh, vgl. Domröse, Frauen, 75. So war es den Katharinentaler“ Dominikanerinnen möglich, Teile ihres Besitzes sowie etliche Personen des Konvents über die Flusspassage über den Rhein temporär auszulagern. Der Weg dorthin führte durch ein zum Fluss hin gelegenes Tor, vgl. Denkschrift, 107. Zu St. Katharinental vgl. Kapitel II.3.2 in diesem Band. Vgl. Kapitel III.3.2 in diesem Band.
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IV Sichtbarkeitsordnungen: Subjektivierung durch räumliche Ordnung
Man hyelt uns auch gancz hart an, daz der gancz c[onvent] predig sollt horn und keyn swester dy versaumen; was wir sagten, so gelaubt man uns nit, daz wir do wern, troet uns wen man erfur, daz wir nit predig horten, wollt man uns leut uber den halß hereinsezen, dy pey uns an der predig wern und uns aufmerckten, ob wir all do wern und wy wir uns hyellten und ob wir nit wolln in dy orn styßen. Es ryetten auch etlich tapffer, daz man dy thur in der capeln sollte abprechen und eyn gytter dohyn machen, daz wir also offenlich an der predig musten siczen vor iderman.¹³⁸
Diese neue Überwachung der Präsenz der Schwestern qua Sichtbarkeit, die nun auch durch die Gemeinde kontrolliert werden konnte, bedeutete ihre Präsentation und Verfügbarkeit im öffentlichen Raum und hatte konkrete negative Folgen für ihre Sicherheit. Sie wurden während ihres Chorgebets aus dem Kirchenraum mit Steinen angegriffen und während des nächtlichen Gebets bedroht: Do wir nun also in vill engsten und notten warn und teglich mer ungelucks warteten und wir uns also truckten und schmuckten, das wir kaym den gotlichen dinst dorfften hallten noch dy glocken im chor leutten, denn wen man etwas von uns hort, so hub sich fluchen und schelten, schryren in der kirchen herauf gegen uns, wurffen mit steynen in unßern chor und zerwurffen uns dy fenster in der kirchen und sungen schentliche lyeder auf dem kirchof, troeten uns offt, wen wir noch ein nacht metten leutten, wolt man uns große ding thun. Aber wir wogten es immer auf dy genad gottes, lyeßen keyn nacht on geleudt und ungehallten dy metten; sunst warn lengst all metten abgegangen, dy swester zu s. Katterina leutten woll in einem halben jar keyn metten.¹³⁹
Auch in Sainte-Claire wurde das Chorgebet nach dem Verbot der Messe in Genf weiterhin durchgeführt. Die Petite Chronique berichtet außerdem, dass die Klarissen als einzige in der Stadt am Stundengebet festgehalten hätten, hinter verschlossenen Türen und „ganz leise in der Mitte des Chores und einige Male im Refektorium.“¹⁴⁰ Das neu installierte Sichtbarkeitsregime verschob das öffentlich zugängliche Stundengebet der Schwestern, das einen zentralen Aspekt der Legitimität eines Schwesternkonvents ausmachte und das die Einwohner:innen der Stadt eingeschlossen hatte, als illegitim und unsichtbar in den Klausurraum, während zugleich mehr Sichtbarkeit und Präsenz gefordert, kontrolliert und im Fall ihres angeblichen Mangelns auch sanktioniert wurde. Die also sichtbaren Nürnberger Schwestern wurden dann außerdem gar während der Predigt von der Kanzel aus vor der Öffentlichkeit der Stadtgemeinde in der Kirche, die voller „groß geleuff, geschrey und unrwe“¹⁴¹ war, beschämt:
DW, 54. DW, 67. „[…] mais tout bas ou millieux du cueur et quelque fois ou refettoyt.“ PC, fol 201r. Vgl. DW, 54.
IV.4 Raus aus den „Schlupflöchern“: gefährliche Sichtbarkeit
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[…] wye grobtlich, uncristenlich wider alle pruderliche lieb sye und antasten und was großer sundt sye erdencken mochten, von uns predigten, damit sye dy leut uber uns mochten rayczen […].¹⁴²
Die Denkwürdigkeiten heben besonders die Manipulation der Stadtbevölkerung durch die entsprechenden Prediger hervor, die die Ehre und Legitimität der Klarissen öffentlich in Zweifel zogen und dadurch ihre Sicherheit gefährdeten: […] ich furcht mer, daz ewr prediger, dy wir horn mußen, gern ein solchs verursachten, so sy uns stettiglich auf der canczel also schentten und lestern und solch groß sund und unreinigkeit von uns sagen, das uns die leut unter dy augen zusprechen, thun wir dy ding, dy man von uns predig, so wer gut, daz man uns all in dem closter verprent […].¹⁴³
So sei ihnen Sünde und „unreinigkeit“ vorgeworfen worden, die laut Prediger nun endlich ans Tageslicht komme.¹⁴⁴ Die neue Öffentlichkeit der Schwestern offenbare ihre Ähnlichkeit mit den Frauen „hynter der maurn“, gemeint war hier: im städtischen Bordell.¹⁴⁵ Auf die entsprechenden Beschwerden, die Caritas Pirckheimer auch in dieser Sache führte, reagierte der Rat einlenkend, indem die Prediger angehalten wurden, diese Reden zu unterlassen.¹⁴⁶ Durch das Engagement von Caritas Pirckheimers einflussreichem Bruder Willibald Pirckheimer gelang schließlich die Kontaktaufnahme zu Philipp Melanchthon, der eine Unterredung zwischen diesem und der Äbtissin im November 1525 folgte. Dabei gelang es ihr offenbar, gemeinsame Perspektiven mit dem reformatorischen Theologen zu entwickeln, denn Melanchthon verwendete sich anschließend gegenüber dem Nürnberger Rat für die weiblichen Klöster der Stadt.¹⁴⁷ Die gesteigerte Gefahr für die Schwestern durch die Verschiebung ihrer Sichtbarkeit in die Sphäre des „Weltlichen“ zeigte sich neben dem Chor- und Kirchenraum gerade auch in dem Bereich des Klosters, der, wie ich dargelegt habe,
DW, 54. DW, 72. Vgl. DW, 72. Vgl. DW, 72. Diese Beschimpfungen gingen vor allem von Andreas Osiander aus, Prediger in St. Lorenz zu Nürnberg, der von April bis September 1525 in St. Klara predigte. Nach Beschwerden an den Rat über die drastischen Beschimpfungen der Schwestern vor der Öffentlichkeit der Kirchengemeinde endete die Predigttätigkeit Osianders in St. Klara, vgl. Andreas Osiander d. Ä, Nr. 57. Osiander an einen Nürnberger Bürgermeister. Nürnberg, 1525, August vor 22. In Gesamtausgabe. Müller (Hg.), 1975 – 1997, 170 – 172. Vgl. DW, 55 – 56; DW, 101; DW, 116. Vgl. Frank P. Lane, „Not for Time but for Eternity“: Family, Friendship and Fidelity in the Poor Clare Monastery of Reformation Nürnberg. Franciscan Studies 64 (2006), 255 – 279, hier 269 – 270.
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IV Sichtbarkeitsordnungen: Subjektivierung durch räumliche Ordnung
allegorisch für die asketische Lebensform selbst stand und zugleich die vergeschlechtlichten Zuschreibungen der antimonastischen Kritik mit aufnahm: dem Klostergarten. Hier erwies sich die erhöhte Aufmerksamkeit für die Schwestern als Teil des öffentlichen Raums als besonders gefährlich, da der Klostergarten zwar im Klausurbereich lag, jedoch über die Mauer aus dem städtischen Raum zumindest visuell erreicht werden konnte. So beschreibt die Petite Chronique einen Angriff von Stadtbürger:innen auf die Schwestern in ihrem Garten, den sie in Zusammenhang mit den Predigten des ebenfalls bereits oben erwähnten Guillaume Farel bringt, der im April 1535 im ehemaligen Franziskanerkonvent Rive eingezogen war. Nachdem er in verschiedenen Predigten über die Klarissen als „im Glauben Irrende“, die man aus ihrem Gefängnis erretten müsse, gesprochen hatte, rief er laut Chronik dazu auf, sich zu versammeln und die Schwestern zu steinigen, da sie „nichts als Hurerei und Heuchelei veranstalteten“.¹⁴⁸ Die Existenz des Klarissenkonvents halte die Stadt davon ab, sich im Glauben zu vereinen, sodass man diese Lebensweise beenden und die Schwestern verheiraten müsse.¹⁴⁹ Infolgedessen versammelten sich mehrere Bürger:innen aus Genf auf der Stadtmauer, die den Klostergarten auf einer Seite begrenzte, gaben Schüsse in seine Richtung ab und sangen „unverschämte Lieder“.¹⁵⁰ Den Schwestern war es nun nicht mehr möglich, ihren Garten zu betreten, ohne gesehen und beleidigt zu werden, worauf sie mit der Verhüllung ihrer Gesichter reagierten und schließlich von den Personen auf der Mauer mit Steinen beworfen wurden. In letzter Konsequenz konnten die Klarissen ihren Garten fortan aus Sicherheitsgründen gar nicht mehr betreten.¹⁵¹ Die Tragweite dieser Einschränkung wird auch unter Berücksichtigung der Tatsache ersichtlich, welche Bedeutung den Klostergärten zukam. Einerseits wurden sie als Möglichkeit der Selbstversorgung mit Obst, Gemüse, Kräutern und Arzneipflanzen genutzt. Andererseits repräsentierte der Garten für die Schwestern den einzigen Ort der Berührung mit der „Natur“, also einem Raum unter freiem Himmel, in dem Pflanzen wachsen konnten und der damit gleichzeitig ein Ort besonderer Gottesbegegnung war.¹⁵² Zudem konnten innerhalb der Fläche des Gartens auch die
„errantes en la foy“, PC, fol 159v; „car ce nestoit que toutes paillardises et ypocrisie“, PC, fol 159v. Vgl. PC, fol 159v – 160r. „chanson deshonneste“, PC, fol 160r. Vgl. PC, fol 160 r – v. Zur Bedeutung der Pflanzenkultur mittelalterlicher Klostergärten für das monastische Leben vgl. Johannes Gottfried Mayer, „Ein umfriedeter Garten ist meine Schwester“ (Hohes Lied 4,12). Kräutergärten in Frauenklöstern. In Musikort Kloster. Kulturelles Handeln von Frauen in der Frühen Neuzeit, hg. von Susanne Rode-Breymann: Böhlau, 2009, 237– 250, hier 237– 238.
IV.4 Raus aus den „Schlupflöchern“: gefährliche Sichtbarkeit
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Grabstätten der verstorbenen Konventsmitglieder bzw. der Klosterfriedhof angelegt sein.¹⁵³ In St. Klara zu Nürnberg erwies sich der Aufenthalt auf dem einsehbaren Teil des Klostergeländes ebenfalls als gefährlich, vor allem nachdem die Schwestern verpflichtet werden sollten, den Habit abzulegen. In seiner Erklärung vom Juni 1525 forderte der Nürnberger Rat: Item das sie fuderlichen und in n[eun] tagen die clostercleidung von ine legen, sich ander leuten gemeß cleiden, dieweil sie doch wissen, das ir seligkeit in kutten oder cleidern nit lige.¹⁵⁴
Im Text der Denkwürdigkeiten wird daraufhin eine intensive Diskussion der Kleiderproblematik entfaltet. Kleidung wurde in der historischen Forschung lange vor allem in ihrer Zeichenhaftigkeit als Markierung sozialer Zugehörigkeit diskutiert.¹⁵⁵ Die Markierung eines Körpers durch seine Kleidung als Technik der Selbstbildung wird bereits in der Studie von Stephen Greenblatt zum Konzept des self-fashioning aus dem Jahr 1980 behandelt, der darin die gleichzeitige Entstehung des Bewusstseins von einem Selbst und des Wissens um seine Gestaltbarkeit in der Epoche der Renaissance verortete.¹⁵⁶ Kulturgeschichtliche Debatten um Kleidung und Mode haben die Forschung zu Körper und Leiblichkeit in der Perspektive auf Körper als etwas in der sozialen Wahrnehmung und Verortung – bzw. in einer Matrix von Zuschreibungen – „Gemachtes“ entschieden bereichert.¹⁵⁷ Der Beschäftigung mit
Dies war so etwa im Klarissenkloster Gnadental in Basel, vgl. Brigitte Degler-Spengler, Das Klarissenkloster Gnadental in Basel. 1289 – 1529 (Quellen und Forschungen zur Basler Geschichte 3). Basel: Reinhardt, 1969, 25. Die Ausführungen in der Petite Chronique legen ebenfalls nahe, dass sich die Gräber im Garten der Schwestern befanden. In St. Klara zu Nürnberg befand sich ein Friedhof im Kirchhof, vgl. Germanisches Nationalmuseum, Schönheit, 26. Vgl. 50. Ratschlag, 249. Vgl. Martin Dinges, Von der „Lesbarkeit der Welt“ zum universalisierten Wandel durch individuelle Strategien. Die soziale Funktion der Kleidung in der höfischen Gesellschaft. Saeculum 44: 1 (1993), 90 – 112, hier 90 – 91. Vgl. Stephen Greenblatt, Renaissance Self-Fashioning. From More to Shakespeare. Chicago, London: The University of Chicago Press, 1984, 2; Rudolf Suntrup, Jan R.Veenstra, Introduction. In Self-Fashioning. Personen(selbst)darstellung, hg. von Rudolf Suntrup, Jan R.Veenstra. (Medieval to Early Modern Culture. Kultureller Wandel vom Mittelalter zur Frühen Neuzeit 3). Frankfurt am Main, Berlin, Bern, Bruxelles, New York, Oxford, Wien: Peter Lang, 2003, 9 – 19, hier 9. Vgl. grundlegend zu dieser Konzeption des Körpers Judith Butler, Körper von Gewicht. Die diskursiven Grenzen des Geschlechts. Frankfurt am Main: Suhrkamp, 1997, 22– 23.; Eva Brinkschulte, Gabriele Sorgo, Art. Körper. In Enzyklopädie der Neuzeit. Band 7: Konzert – Männlichkeit, hg. von Friedrich Jaeger. Stuttgart: Metzler, 2008, Sp. 47– 56, hier Sp. 50; Irmela Marei Krüger-
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IV Sichtbarkeitsordnungen: Subjektivierung durch räumliche Ordnung
Diskursen und Praktiken der Kleidung und des Sich-Kleidens als Praktiken des Selbst, die es durch Formen der (Re‐)Inszenierung erlauben, die eigene Person auf eine bestimmte Weise zu gestalten, liegt größtenteils explizit oder implizit die „postmoderne“ Annahme zugrunde, es gebe kein „wahres“ Selbst – seinerseits eine ausgesprochen „moderne“ Idee – hinter der Inszenierung, weshalb die Untersuchung der Maske oder Theatralität die nächstmögliche Annäherung an „Identität“ sein könne.¹⁵⁸ Die Gebundenheit an standeszugehörige und -bestätigende Kleidung, darunter beispielsweise liturgische Ornate oder eben Ordenstrachten, eröffnet in diesem Kontext einen Spielraum, neben der sozialen Funktion von Kleidung in Umordnungsprozessen wie der Reformation auch die Frage nach der Wirksamkeit von Kleidung als Grenze im Zusammenhang mit den Grenzen von Körper und „Selbst“ zu stellen.¹⁵⁹ Die zentrale Bedeutung der ordensspezifischen Kleidung für die monastische Lebensform als symbolische Unterscheidung des Standes bei gleichzeitiger Materialisierung einer Haltung zum Leben zeigt sich unter anderem in den Darstellungen von Heiligenleben und in den verschiedensten Vorschriften zum Anund Einkleiden der Religiosen.¹⁶⁰ Die Funktion bestimmter Teile des Habits, etwa
Fürhoff, Körper. In Gender@Wissen. Ein Handbuch der Gender-Theorien, hg. von Christina von Braun, Inge Stephan. Köln, Weimar, Wien: Böhlau, 2013, 77– 95, hier 83. Vgl. beispielsweise Ronald G. Asch, Der Höfling als Heuchler? Unaufrichtigkeit, Konversationsgemeinschaft und Freundschaft am frühneuzeitlichen Hof. In Krumme Touren. Anthropologie kommunikativer Umwege, hg. von Wolfgang Reinhard. (Veröffentlichungen des Instituts für Historische Anthropologie e.V 10).Wien: Böhlau, 2007, 183 – 203. Zur Perspektive auf Inszenierung als Praxis des Selbst, der ein „grundsätzlich dynamisches, veränderungsoffenes Verständnis von personaler Identifikation und Körperpraxis“ zugrunde liege, vgl. Böth, Erzählweisen, 301, sowie die Beiträge in Thomas Alkemeyer; Gunilla Budde; Dagmar Freist (Hg.), Selbst-Bildungen. Soziale und kulturelle Praktiken der Subjektivierung (Praktiken der Subjektivierung 1). Bielefeld: transcript, 2013. Neben der Funktion als Zeichensystem eröffnet die Geschichte von Mode und Kleidung zugleich immer auch den Weg in das Feld der materiellen Kultur: „Fashion, clothing, dress, and costume, then, must be understood as elements of sign systems produced by historically specific material conditions.“ Margaret F. Rosenthal, Cultures of Clothing in Later Medieval and Early Modern Europe. Journal of Medieval and Early Modern Studies 39: 3 (2009), 459 – 481, hier 463. Zur Bedeutung von Kleidung als Grenze bzw. „als interdisziplinärer Grenzgänger, als unbegrenzter Stoff für unterschiedlichste Forschungsansätze, als Grenzphänomen, als Mittel zu Grenzziehung, Grenzüberschreitung und Grenzerfahrung“ vgl. – mit einem interdisziplinären Problemaufriss – Susanne Goebel, Das textile Medium – innen:außen. Kleidung als Grenze. In Nichts ist drinnen. Museumsverband Baden-Württemberg e.V. (Hg.), 2002, 87– 108, hier 108. Vgl. Eva Schlotheuber, Best Clothes and Everyday Attire of Late Medieval Nuns. In Fashion and Clothing in Late Medieval Europe. Mode und Kleidung im Europa des späten Mittelalters, hg. von Rainer Christoph Schwinges, Regula Schorta, Klaus Oschema. Riggisberg, Basel: AbeggStiftung; Schwabe Verlag, 2010, 139 – 154, hier 139 – 140.; Schlotheuber, Klostereintritt, Unter-
IV.4 Raus aus den „Schlupflöchern“: gefährliche Sichtbarkeit
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des Schleiers der weiblichen Ordenspersonen als Markierung des asketischen Körpers, geht dabei über die Wirksamkeit als Symbol noch hinaus, wenn an diesen Gegenständen die Grenzen der Zugehörigkeit verhandelt werden und ihre An- oder umgekehrt Aberkennung Körper in bestimmter Weise produziert bzw. Körpergrenzen verletzt.¹⁶¹ In den Reformationsdiskursen um das Ordensleben und die angebliche Gegenstandslosigkeit der altgläubigen Gelübde und Praktiken für ein gottgefälliges Leben diente das Thema Kleidung wiederholt dazu, die evangelisch-lutherische Konzeption der Werkgerechtigkeit ad absurdum zu führen und sich von der Vorstellung zu distanzieren, Kleidung könne (wie andere Gegenstände auch) ein sakralisierendes Potenzial besitzen.¹⁶² Weit wichtiger schien jedoch die Markierung der Gleichwertigkeit der Gläubigen, die auch denjenigen Forderungen des Nürnberger Rats sowie etlichen protestantischen Kirchenordnungen inhärent sind, die das Tragen der Ordenstracht verboten.¹⁶³ Die reformatorische Argumentation traf bei den hier im Mittelpunkt der Untersuchung stehenden Klarissen auf Reformkonvente, die um diese Begründungslogiken wussten und diesen auf gleicher Ebene zu begegnen versuchten. So wandte Caritas Pirckheimer ein, es sei bekannt, dass das Tragen der Ordenskleidung allein nicht zur Seligkeit führe – ebenso wenig wie das Tragen patrizischer Kleidung: Item der claydung halben sprach ich, wir westen woll, daz uns dy kutten nit sellig machet, westen aber auch wol, daz das hymelreich nit in den schamleten schauben stund […].¹⁶⁴
Es sei jedoch Teil des freien Willens, das eine wie das andere zu tragen. So argumentierte auch die Äbtissin von Sainte-Claire auf die Frage nach der Wahl ihrer Kleidung. Sie trage diese, weil es ihr gefalle, so wie ein weltlicher Ratsherr seine standesgemäß prachtvolle Kleidung trage: kapitel „Einkleidung und Noviziat“, 134– 146. Einen fundierten Überblick über das Quellenspektrum zur Kleidung weiblicher Religioser über das Mittelalter hinweg zeigt die kunsthistorische Studie von Désirée G. Koslin, The Dress of Monastic and Religious Women as seen in Art from the Early Middle Ages to the Reformation. Dissertation, New York University (1999), hier vor allem 8 – 43. Vgl. die soziologische Perspektive auf Ordenskleidung in Gertrud Hüwelmeier, Die Macht der Ordenstracht. Transformationen von Körpergrenzen. In Körper und Status. Zur Soziologie der Attraktivität, hg. von Cornelia Koppetsch. Konstanz: UVK, Universitätsverlag Konstanz, 2000, 189 – 209, hier 189 – 190. Vgl. Ulinka Rublack, Dressing Up. Cultural Identity in Renaissance Europe. Oxford [u. a.]: Oxford University Press, 2010, 85 – 86, sowie zur Reformation insgesamt S. 82– 96. Vgl. Rublack, Dressing, 85. DW, 72. Die „schamleten schauben“ waren Mäntel aus Kamelhaar, vgl. die Anmerkung des Herausgebers der Edition, DW, 72.
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IV Sichtbarkeitsordnungen: Subjektivierung durch räumliche Ordnung
‚Pourquoy est ce que vos porte ses sinple habit de fassons et de colleur?‘ ‚Pourse qui nos plaist‘, dit mere vicayre. ‚Et vos, pourquoy este ansin vestus ponpeusement de ceste roube?‘ ¹⁶⁵
Die Bedeutungsebene der Kleidung als Markierung der Zugehörigkeit zur Lebensform und als Teil der Klausur, die etwa die Regeltexte zu den Klausurvorschriften zeigen, wurde mehr noch als in dieser Konfrontation in anderen Zusammenhängen des Konventslebens hervorgebracht. So wird in der oben diskutierten Schilderung des erzwungenen Klosteraustritts der drei Schwestern aus St. Klara zu Nürnberg die Sakralisierungsfunktion der Ordenskleidung en détail dargelegt: Die Schwestern mussten vom Habit entkleidet werden und weltliche Kleidung angezogen bekommen, bevor sie den Boden außerhalb der Klausur betreten durften.¹⁶⁶ Die klausurkonstituierende Funktion der Kleidung am Körper zeigen auch die ebenfalls bereits erwähnten Vorschriften in den Regeltexten zum Einschluss des Körpers für die Nachtruhe und zur Verhüllungspflicht beim Sprechen am offenen Fenster und in der Klausur.¹⁶⁷ In der Petite Chronique wird dieses regelkonforme Verhalten, insbesondere fremden Personen nur den verhüllten Körper zu zeigen, mit einer handfesten Androhung dessen verknüpft, was passieren könne, sollten die Schwestern ihre Lebensform verlieren.Während des Aufenthalts des Predigers Farel im Konvent wurde Jeanne de Jussie von einem der anwesenden Genfer Bürger erkannt: „Er wollte mir gewaltsam den Schleier wegnehmen und mir ins Gesicht sehen.“¹⁶⁸ Nachdem sie ihm dies verweigerte, habe er damit gedroht, sie „binnen kurzem […] nach Belieben auf offener Straße an[zu]sehen!“¹⁶⁹ Im Kern dieser Ankündigung bzw. Drohung steckt die Verschiebung der Sichtbarkeitspolitik in Bezug auf die Schwestern in Richtung einer freien Verfügbarkeit ihrer Körper innerhalb der sozialen Ordnung. Dabei wurde der Schleier des Habits zum Objekt, das den asketischen Körper – wie die Mauer der Klausur – beschützen konnte, ihn aber zugleich auch als asketischen Körper erst produzierte. Beiden Parteien, den Bürger:innen wie den Schwestern, galt der Schleier offenbar als nahezu organischer Teil des monastischen Körpers.¹⁷⁰ Trotz des Gefahrenpotenzials der Ordenskleidung, die negative Reaktionen auf sich ziehen konnte, sahen die Klarissen nicht vom Tragen des Habits ab, sondern nahmen, wie das Beispiel
PC, fol 221v. Vgl. DW, 79; außerdem Kapitel IV.3.2 in diesem Band. RegUrb IV legt die Kleiderordnung der Schwestern fest, Kapitel V schreibt die Schlafordnung „gegurtet vnd in irem gewand“ vor, vgl. RegUrb V, fol 9r; außerdem Kapitel IV.3.1 in diesem Band. „[…] qui par forse moy vollant descouurir et veoir en la fasse.“, PC, fol 189r. „Mais en peu de temps je vos verrey aloisir en plaine rue!“ PC, fol 189v. Vgl. zur Funktionsweise des Nonnenschleiers Salih, Virginity, 128.
IV.4 Raus aus den „Schlupflöchern“: gefährliche Sichtbarkeit
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der Episode im Klostergarten zeigt, eher gefährliche Verletzungen in Kauf bzw. gar den gänzlichen Verzicht auf den Aufenthalt im Garten.¹⁷¹ Mit der neuen Sichtbarkeit der Schwestern im Kirchenraum wurden die Abschaffung der Klausur qua Öffentlichmachung und damit die Um- und Einsortierung der Schwestern in die neue gesellschaftliche Ordnung vorbereitet (und in der Beschreibung der Chroniktexte vorausgedeutet). Die reformatorischen Rhetoriken, die in die Klosterchroniken Eingang fanden, verwiesen auf das Kloster als einen verschlossenen, den Blicken unzugänglichen Raum, der nun aufgeschlossen werden sollte, um eine bestimmte „Wahrheit“ über die darin lebenden Religiosen hervorbringen zu können. So bezeichnete etwa Martin Luther in seiner ersten Schrift über die Klöster, De votis monasticis aus dem Jahr 1521, die Klöster als „lupanaria Satanae“, Bordelle Satans, und ging wie auch in späteren Texten wie selbstverständlich von ausufernden sexuellen Praktiken in den Konventen aus.¹⁷² Das Kloster war in diesem Zusammenhang ein Ort, der mit einem angenommenen bzw. vorausgesetzten Wissen über Sexualität aufgeladen war, wobei diese Sexualität sowohl als etwas aufgefasst wurde, von dessen Vorhandensein man ausgehen könne, als auch als etwas, das durch einen Geständniszwang allererst hervorgebracht werden musste. Der Wissenskomplex über sexuelle Praktiken in Klöstern, der im Zusammenhang mit antimonastischer Propaganda hervorgebracht wurde, lässt sich damit auch als Vorläufer moderner Geständnispraktiken deuten, die von Foucault als eine maßgebliche Grundlage des Sexualitätsdispositivs angenommen werden.¹⁷³ Der zeitgenössisch präsente Entwurf einer Gesellschaft aller Gläubigen in Gleichheit sollte keineswegs einen hierarchiefreien Raum bedeuten. Die verschiedenen Verordnungen zur Kleidung im Nürnberg des 16. Jahrhunderts illustrieren, wie detailliert und tief die ständische Gesellschaft von den verschiedenen (Macht‐)Kategorien wie Alter, Geschlecht, Stand und Religion sowie deren Intersektionen strukturiert war.¹⁷⁴
Vgl. PC, fol 160v. Vgl. Martin Luther, De votis monasticis Martini Lutheri iudicium [1522]. In D. Martin Luthers Werke. Kritische Gesammtausgabe. Band 8, hg. von Gustav Kawerau. Weimar: Böhlau, 1889, 573 – 669, hier 583. Vgl. dazu auch Sauerbrey, Straßburger, 67. Zur Einordnung der Schrift in die reformatorischen Diskurse um das Ordensleben vgl. Steinke, Paradiesgarten, 213 – 214.; Rüttgardt, Klosteraustritte, Unterkapitel „Rechtfertigungsschriften ehemaliger Klosterpersonen“, 27– 56, vor allem 27– 37, und Leonard, Nails, Kapitel „From Neighbor to Neighbor: Reformation Theories of the Utility of the Cloister“, 38 – 58. Vgl. Foucault, Wissen; zur Genealogie der Geständnispraktiken außerdem Foucault, Omnes. Vgl. Jutta Zander-Seidel, Das erbar gepent. Zur ständischen Kleidung in Nürnberg im 15. und 16. Jahrhundert. Waffen- und Kostümkunde 27 (1985), 119 – 140. In diesem Zusammenhang ist es auch nicht ganz unerheblich, dass sich die Kleidungspraxis, den weiblichen Kopf je nach bür-
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IV Sichtbarkeitsordnungen: Subjektivierung durch räumliche Ordnung
Die Ordenstracht der weiblichen Religiosen stand einerseits in ihrer Zeichenhaftigkeit für die Standeszugehörigkeit und andererseits als Markierung körperlicher Grenzen zur Disposition. Mit dem Habit der Klarissen wurde nicht nur die Zugehörigkeit zum religiösen Stand und, spezieller noch, zur franziskanischen Ordensfamilie kenntlich gemacht.Vielmehr wurde durch und im Habit im Sinne eines Ihn-Bewohnens (habitare) die Lebensform der Schwestern selbst sichtbar¹⁷⁵, für die die Kleidung mehr als nur ein Symbol war: der Habit als Habitat. Die Bedeutung des Konzepts habitare hatte sich bereits in der patristischen Literatur der Spätantike von der Idee einer gemeinsam geteilten Wohnung der Mönche in Richtung der Kleidung als allen gemeinsame Tracht verschoben. Diese wurde in verschiedenen Regeltexten moralisch aufgeladen und schließlich zum Ausdruck der Lebensform selbst, die sich hernach durch das Tragen der gleichen Kleidung ebenso wie durch das Bewohnen der gleichen Räume konstituierte.¹⁷⁶ Im Modus des Wohnens in der Kleidung wurde mit und um den Körper der einzelnen Schwester jeweils ein eigener Raum produziert, der die Grenzen des Körpers wiederum erweiterte.¹⁷⁷ So ermöglichte und verlangte der Habit die Ausführung bestimmter Gesten und Bewegungen, die sowohl konstitutiv für die Frömmigkeitspraxis der Schwestern waren als auch raumproduzierend wirkten.¹⁷⁸ Dieser Raum des Körpers im Habit lässt sich als eine personal-individuelle Dimension der Klausur verstehen, wobei es auch hier indes darum ging, die gemeinsame Lebensform zu erzeugen, zu repräsentieren und zu teilen. Der Terminus der „geistlichen Klausur“ als „die innere Haltung der Abgeschlossenheit von der Welt, die die Bewohner oder Bewohnerinnen eines Klosters zeigen sollen“¹⁷⁹, verweist dabei einerseits auf einen Raum um jede Ordensperson, in dem man diese innere Haltung zeigen sollte, impliziert vor allem aber auch eine Trennung der Raumproduktion bezüglich materieller und geistig-geistlicher
gerlichem Stand zu bedecken, bis weit in die Frühe Neuzeit hinein fortsetzte, vgl. Jutta ZanderSeidel, „Haubendämmerung“. Kopfbedeckungen zwischen Mittelalter und Früher Neuzeit. In Fashion. Schwinges et al. (Hg.), 2010, 37– 43. Vgl. Agamben, Armut, 31. Vgl. Agamben, Armut, 29 ff. „[I]nsofern ist der Mönch ein Mensch, der im Modus des ‚Wohnens‘ lebt, das heißt, einer Regel und einer Lebensform folgt.“ Agamben, Armut, S. 32. Zum Modus des Wohnens als Sein auf der Erde, unter dem Himmel und vor Gott, jedoch ohne Bezugnahme auf monastische Begründungen vgl. Heidegger, Bauen, 143. Zur performativen Körperproduktion durch Ordenskleidung und Gestik in observanten weiblichen Gemeinschaften im Spätmittelalter und den geschlechtsspezifischen Anteilen des gestischen Repertoires vgl. Uffmann, Körper, 203 ff. Zur Geste vgl. grundlegend Schmitt, Gesten. Muschiol, Klausurkonzepte, 59. Zu diesen Kategorien vgl. auch den Abschnitt zur Begriffsdefinition in Kapitel II.1.1 in diesem Band.
IV.4 Raus aus den „Schlupflöchern“: gefährliche Sichtbarkeit
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Sphären, die für ein Verständnis der lebensformkonstituierenden Effekte des Habits nicht hilfreich ist. Das Konzept der geistlichen Klausur verstellt, sofern man es sich als einen abgeschlossenen Raum um den Körper im Sinne eines Behälterraums denkt, auch den Blick auf das unbedingte Angewiesensein auf die Produktion eines geschlossenen, asketischen Körpers, der an jedem Tag vierundzwanzig Stunden lang erneut erzeugt werden musste. Die Grenzen um die Person verliefen dabei nicht an den Rändern der Materie entlang, sondern waren an der Verortung in der Lebensform als Form orientiert. Darauf verweist auch die observante Praxis, das Tragen der Ordenskleidung als Teil des geordneten und erneuerten Ordenslebens zu (re‐)installieren und als Symbol einer erfolgreichen Reform anzuerkennen.¹⁸⁰ Auch hier verknüpften sich materielle und imaginäre Aspekte der Raumproduktion um die Körper, deren Ziel es war, das gemeinschaftliche Leben dadurch zu be- und verstärken, indem alle äußerlich gleich sein und in einer gemeinsamen Form leben sollten. Auf dieses Raum-Wissen griffen die Klarissen unter dem Druck der Reformation in den 1520er- und 1530er-Jahren zurück, indem sie alles daransetzten, am Habit als Möglichkeit körperlicher Unversehrtheit und des Verbleibens in der Lebens-Form festzuhalten.
Vgl. Uffmann, Körper, 208.
Fazit I knew […] that longing is an effect of loss. […] But it can also work the other way around […]. Missing a person means they’re there. Olga Tokarczuk, The Tender Narrator¹
In der vorliegenden Studie habe ich die Lebensformen von Klarissen der Konvente in Genf, Nürnberg, Pfullingen, Villingen und Brixen von den 1450er- bis in die 1540er-Jahre untersucht. Durch die Reformationsbewegungen im frühen 16. Jahrhundert waren diese Gemeinschaften vor allem in den Städten Nürnberg, Genf und Pfullingen besonders herausgefordert, ihre Lebensweise zu behaupten. In diese Lebensweise wurde durch die neue Theologie und die städtischen Verordnungen für die Klöster eingegriffen: Sie wurde ihnen abgesprochen bzw. sollte ihnen verboten werden. In diesen Auseinandersetzungen konnten die Klarissen auf Ressourcen zurückgreifen, um sich zu behaupten und zu verteidigen. Diese Ressourcen bestanden neben den Kontakten innerhalb ihrer eigenen Netzwerke, also etwa zu Herkunftsfamilien, Beichtvätern, befreundeten Ordensleuten und Adligen, zum größten Teil aus dem Wissen und den Kompetenzen aus den wenige Jahrzehnte zuvor erfolgten observanten Ordensreformen. Im Rahmen der entsprechenden Rückformungs- und Zentralisierungsversuche, die alle Orden während des 15. Jahrhunderts betroffen hatten, war unter der Maßgabe, das „richtige“ Leben im Glauben (wieder‐)herzustellen und auf einen „originären“ Ursprung der vita religiosa zu rekurrieren, in einigen Gemeinschaften, vor allem der weiblichen Religiosen, das Klosterleben massiv verändert worden: Ihr Leben sollte in allen Punkten an ein der „wahren“ Regel gemäßes angepasst werden. Dazu gehörte vor allem, die grundlegenden Tugenden wie Armut, Demut und Gehorsam zu priorisieren und die Klausur zu beachten oder sie gar erstmals zu verordnen. Diese observanten Reformen erfolgten nicht ohne Konflikte und oft unter großem Widerstand der Schwestern. Besonders prägnant waren in der Folge die (re‐)installierte Klausurpraxis, das Tragen von Ordenskleidung und die strengere Einhaltung des liturgischen Alltags. Dazu kamen verbesserte Lese- und Schreibkompetenzen, die notwendig waren, um das Reformprogramm umzusetzen. Aus dem somit akkumulierten Wissen ging hervor, wie und mit welchen Praktiken man ein vorbildliches Klarissenleben herzustellen hatte. Dieses Wissen um das richtige Leben in der Nachfolge Christi wurde auch
Tokarczuk, Olga, The Tender Narrator. Nobel Lecture, 07.12. 2019, Swedish Academy Stockholm. https://www.nobelprize.org/prizes/literature/2018/tokarczuk/104871-lecture-english/ (15.12. 2019). https://doi.org/10.1515/9783110744613-007
Fazit
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während der Konflikte in den 1520er- bis 1540er-Jahren aufgegriffen und nutzbar gemacht, wie es allen voran die Klosterchroniken aus Genf und Nürnberg zeigen. Die Reformationsdebatten, die zunächst das Potenzial für Veränderungen und Wandel auf allen Ebenen der gesellschaftlichen Ordnung ausdrückten und schlussendlich zu einer Neuorganisation nahezu aller sozialen, politischen und religiösen Verhältnisse in den betreffenden Regionen des christlichen Europas führten, bedeuteten für die hier besprochenen Klöster in Genf, Nürnberg und Pfullingen de facto die Auflösung oder wenigstens mittelfristige Beendigung der Lebensweise. Die Lebensform der Klarissen – wie überhaupt der altgläubigen Ordensgemeinschaften –, die als homosoziale Gemeinschaften in einen Ordensverband integriert waren und dem Kirchenrecht unterstanden, wurde theologisch dekonstruiert und ihrer Funktion in der sozialen Ordnung entbunden. Sie galt aus religiöser und sozialer Sicht als nutzlos und nicht (länger) gottgewollt. Im Zusammenhang einer gewandelten sozialen Ordnung, vor allem in Bezug auf Geschlecht, wurde sie als verworfenes und zu verwerfendes Leben ausgeschlossen. Diese verworfene Lebensform zu rekonstruieren hat mich im Zuge meiner Arbeit an dem vorliegenden Projekt aus mehreren Gründen interessiert. Zunächst ist festzuhalten, dass diese Lebensform kein diffuses, überzeitliches Konstrukt bezeichnet, sondern ein ständig zu erneuerndes Ensemble von Praktiken, das auf implizites Wissen zurückgriff und dabei in sich zugleich normativ und vorgegeben als auch gemacht war, das heißt, es befolgte und verwies auf Normen und (re‐) produzierte und (re‐)aktualisierte diese dabei stetig neu. Darin lag außerdem seine Störanfälligkeit, die das Potenzial für Veränderungen auch aus und im Inneren barg.² Unter dieser Prämisse war die Lebensform Klarisse, die ich in dieser Studie rekonstruiert habe, eine, die auch und insbesondere in der konkreten Situation des Ereignisses der Reformation performativ hervorgebracht wurde. Ihre Rekonstruktion, gerade im Zusammenhang von Verwerfung und Ausschluss, erlaubt es, einen wichtigen Teilaspekt der gewandelten Geschlechterordnung in und nach der Reformation, die ich in Anlehnung an Berndt Hamm als heteronormative Zentrierung gefasst habe, dem Verständnis zu erschließen. Die theologisch begründete Zuordnung bzw. Ein-Weisung von Menschen weiblichen und männlichen Geschlechts in eine eheliche Lebensform samt der Verpflichtung zur Reproduktion schloss erschiedene andere Lebensweisen aus, und dies ungeachtet der Pluralität, die sich in den verschiedenen Konfessionsbildungen, welche sich im Verlauf der Reformation und den folgenden Jahrzehnten herausbilden sollten, ergeben würde, und ungeachtet auch anderer alternativer
Vgl. Jaeggi, Lebensformen, sowie die Ausführungen in der Einleitung dieses Bandes.
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Fazit
Lebensformentwürfe, beispielsweise denen der Täufer[:innen], die die Reformationsbewegungen selbst hervorbrachten. Im Zentrum stand zunächst der Diskurs um die Abschaffung des Zölibats und die Befürwortung des ehelichen Lebens – mit Folgen für die dadurch ausgeschlossenen Leben. Es konnte gezeigt werden, dass die Perspektive auf verworfene Lebensformen eine Geschlechtergeschichte der Reformation unterstützt, die die bisherigen Binaritäten von Gewinn vs. Verlust, Emanzipation vs. Einschränkung, positive vs. negative Implikationen bis hin zu Befreiung vs. Unterdrückung hinter sich lassen kann, um stattdessen auf die Ereignishaftigkeit der Reformation abzuzielen. Diese Perspektive eröffnet dabei auch einen Blick auf die Frage, warum sich unter welchen Bedingungen und für welche Personen und Gruppen Wissensformen durchsetzen und tradieren konnten, andere jedoch nicht.³ Mit dem Sichtbarmachen der Lebensform Klarisse an den „Bruchlinien [ihres] Auftauchens“⁴ wird auch deutlich, dass es nicht um eine positivistische/positivierende Erzählung einer oder mehrerer Lebensformen gehen kann, sondern immer um die Frage, welche Handlungsspielräume sich im Moment des Umbruchs als Aufeinandertreffen konkurrierender Normensysteme für wen eröffneten. Sowohl aus Sainte-Claire in Genf als auch aus St. Klara in Nürnberg nahmen Klarissen das Angebot an, ihr Kloster zu verlassen und in die städtische Gesellschaft als Bürgerinnen reintegriert zu werden. Dies geschah einerseits unter dem starken Druck ihrer Herkunftsfamilien und andererseits oder jedenfalls möglicherweise auch in Anbetracht ihrer eigenen Möglichkeiten, in einem jungen Lebensalter noch heiraten zu können und damit ökonomisch und sozial versorgt zu sein. Für die Konvente schlugen diese Austritte als schwer zu verschmerzender sowohl ökonomischer als auch symbolischer Verlust zu Buche. Vor allem aber verletzten sie das Selbst-Verständnis der Klöster als untrennbare und unauflösbare Gemeinschaft, das in den historiografischen Erzählungen aus der Reformationszeit daher umso nachdrücklicher produziert werden musste. Aus diesem Grund ist in diesen Narrationen auch kein Raum für die Darstellung alternativer Wünsche von Konventsmitgliedern, die vielleicht gern ausgetreten wären, es aber aufgrund ihres höheren Alters, mangelnder ökonomischer und sozialer Ressourcen und passender Netzwerke nicht oder nur unter stark prekarisierten Bedingungen hätten tun können. In diesem Spektrum trat die Lebensform Klarisse als eine hervor, die unter genau diesen Umständen entstehen konnte, als eine Existenzweise unter oder vielmehr noch in starker Betonung ihrer monasti-
Vgl. Foucault, Kritik, 30 ff. Foucault, Kritik, 30.
Fazit
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schen Tugenden Armut, Demut, Gehorsam und Klausur sowie der Zugehörigkeit zur Ordensfamilie und der Gemeinschaft des Konvents selbst. Es konnte gezeigt werden, dass die Konflikte, die aus den konkurrierenden Normensystemen entstanden, einen dynamischen und bisweilen auch kreativen Umgang mit Normen zur Folge hatten. So war die Ordensregel zwar konstitutiv bzw. der „grund-legende Grund“⁵ für das Konzept von Lebensform und Gemeinschaft, innerhalb ihres Rahmens war es jedoch möglich, eine temporär begrenzte, abweichende Performanz zu vollführen, ohne dass die Grundlage sich änderte, was das Beispiel des offenen Sprechfensters in St. Klara zu Nürnberg, aber auch der Umgang der Genfer Klarissen mit den zunehmenden Einschränkungen und Unterbrechungen der Klausur zeigen (Kapitel III.3 sowie IV.4). Diese Abweichungen von der Regel wurden als Kompromisse innerhalb des als unendlich begriffenen Daseinszeitraums der Lebensform verstanden. Sie änderten nicht die Grundkonzeption der Regel, das überzeitliche Kollektiv selbst zu repräsentieren. So konnten bestimmte Praktiken für einen begrenzten Zeitraum, der für Stunden oder Tage und gar bis hin zu Monaten oder sogar Jahren denkbar war, die erforderliche Realität und besondere Sakralität von Räumen herstellen, auch wenn sie auf die sonst dafür notwendigen materiellen Raumstrukturen oder Objekte verzichten mussten, sofern diese Praktiken nur auf die Gemeinschaft ausgerichtet waren. Damit erweist sich Zugehörigkeit als eine stabile und notwendige Bedingung der Konstitution der Lebensform. Die strenge Klausur konnte, je nach Situation oder Bedingung, als eine Pflicht aufgefasst werden, die durch die Reformen verordnet wurde, oder auch als Privileg, wenn sie durch Aneignungen so gestaltet werden konnte, dass sie der gemeinschaftlichen klösterlichen Lebensform von Nutzen war. Das zeigt sich bereits in den präreformatorischen Klausurraumrepräsentationen der Villinger Klarissen, in denen das Klausurprinzip der Begrenzung des zur Verfügung stehenden Welt-Raumes in eine nahezu unendliche geistig-geistliche Weite ausgedehnt werden konnte. Indem dort verschiedene Pilgerorte von Rom bis Jerusalem innerhalb der Klausurräume stellvertretend eingerichtet und über die Meditationsübungen zu den drei Zellen die Stationen des Kreuzweges Christi integriert wurden, gelang es nicht nur, räumliche und zeitliche Ausdehnungen in alle Richtungen zu erzeugen, sondern auch, das Verhältnis von Alleinsein und Gemeinsamsein auf spezifische Art und Weise zu arrangieren (Kapitel II.2– 4). Hier wurde deutlich, dass Foucaults Auffassung von der Zelle als dem ursprünglichen Diese Formulierung entlehne ich von Judith Butler, Kontingente Grundlagen. Der Feminismus und die Frage der „Postmoderne. In Der Streit um Differenz. Feminismus und Postmoderne in der Gegenwart, hg. von Seyla Benhabib, Drucilla Cornell, Nancy Fraser. Frankfurt am Main: Fischer Taschenbuch Verlag, 1993, 31– 58, hier 50.
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Fazit
Raumtypus der Vereinzelung und Fluchtpunkt der Geschichte der modernen Subjektivität in den hier analysierten Raumarrangements nicht aufgeht. Zwar wurden auch in den weiblichen Konventen – im Nachzug gegenüber den männlichen Klöstern – Zellenstrukturen in den Dormitorien eingerichtet, bis sie mit dem Ende des 16. Jahrhunderts flächendeckend umgesetzt wurden und (erst) damit als selbstverständlich für die Raumordnung angesehen werden müssen. Das Übereinander und Nebeneinander von Aufenthaltsmöglichkeiten in den imaginären Räumen der Klausur zeigt jedoch einerseits, dass mit dem begrenzten Raumangebot des nicht allzu großzügig angelegten Hauses eines städtischen Klosters kreativ umgegangen werden musste, um einen offenbar vorhandenen Wunsch nach Alleinsein integrieren zu können. Gleichwohl waren andererseits sämtliche klösterliche Praktiken auch in Räumen, in denen eine Person zumindest für eine Weile für sich sein konnte, auf Gemeinschaftlichkeit ausgelegt. Die Repräsentation des Körpers Christi als Klausurraum in einer ins Unendliche ausgedehnten Vervielfachung und Schachtelung dieses Raumes verweist außerdem auf das Prinzip, durch die gemeinsame Regel und die Zugehörigkeit zur Lebensform als Kollektiv in Christi verbunden zu sein (Kapitel II.2.1). Die Villinger Chronik/Chronik des Bickenklosters zu Villingen zeigt Raumkonzepte, durch die in einer Bewegung der Transgression von Geschlechterrollen überdies die Zugehörigkeit zum Franziskanerorden bzw. die Geschwisterlichkeit mit dessen Brüdern als „in der Welt“ Wandelnden hergestellt werden sollte, wobei die Gemeinschaften über das Gehorsamsprinzip miteinander „wie ein Bienenstaat“ verbunden waren.⁶ Zugleich erweisen sich die Raumrepräsentationen vor allem durch ihre intermedialen Konstitutionsmomente als Aneignungen im Rahmen einer Subjektivierung, die zwar qua Geschlecht unter und mit differenten Handlungsmöglichkeiten erfolgen musste, dennoch aber nicht in der besonders in der Geschlechtergeschichte vielfach angenommenen Leitdifferenz eines Innen und Außen aufgeht. Dieses Konzept der Subjektivierung sowie die für mein Forschungsdesign gewählte Kategorie der Lebensform samt den inkludierten Anschlüssen an die analytischen Kategorien Raum und Geschlecht ergaben sich zuallererst aus dem Untersuchungsgegenstand selbst. Das Kloster war bzw. ist mit einer determinierten Raumordnung ausgestattet; Regel und Lebensform waren bzw. sind durch ihre Raumordnung konstituiert. Raum ist dabei ein Funktionsprinzip, das auch der Logik des zeitgenössischen Kontexts entsprach. Ebenso entspricht der Begriff der Lebensform dem franziskanischen Selbstverständnis eines Lebens in der
Vgl. Julia Burkhardt, Die Welt der Mendikanten als Bienenschwarm und Vorstellung. Zum Ideal religiöser Gemeinschaften bei Thomas von Cantimpré. In Klöster. Melville et al. (Hg.), 2015, 73 – 88.
Fazit
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Form und Nachfolge Christi. Geschlecht wurde als das Differenzkriterium wirksam, das die Lebensform als weibliche Gemeinschaften in einem klausurierten Kloster in signifikanter Unterschiedlichkeit zu den Gemeinschaften männlicher Ordensangehöriger konstituierte. Als analytische Kategorien ermöglichten es mir diese Konzepte bzw. An-Ordnungen nicht nur, die entsprechenden Aushandlungsmomente zu erschließen und semantisch zu differenzieren, sondern auch, sie in einer vergeschlechtlicht geprägten Wissensordnung und Geschichtsschreibung selbst zu verorten. Subjektivierung war und ist unter anderem an räumliche (An‐)Ordnungen gebunden. Sie erfolgt zum einen etwa in den räumlichen Strukturen, die durch die Architektur und sämtliche Praktiken, die aus ihr resultieren, vorgegeben werden. Subjektivierung wird zudem selbst in Kategorien des Räumlichen erfahr- und erzählbar. Die Geschichte der Subjektivierung ist damit ein auch topologisches Projekt, in dem die Wirkungsweise der Kategorie Geschlecht sichtbar gemacht werden kann, während es darüber hinaus aufzeigt, wie sich deren Räume – und damit also auch die Möglichkeiten der Lebensform bzw. Existenzweise – gestalten lassen. Die topologische Analyse der Lebensform Klarisse erfolgte in drei Schritten, die jeweils unterschiedliche Dimensionen des Klausurraums, verstanden als konstitutiver Raumtypus, beleuchtet haben. Neben den Raumrepräsentationen des Klausurraums als Ort des imaginären Unterwegsseins und der geistlichen Pilgerfahrt (Kapitel II) konnten die den Konventen zugrunde liegenden Raumstrukturen über jene regulierten wortbezogenen bzw. Praktiken der Kommunikation erschlossen werden, durch die eine prozesshafte Sakralisierung des Klausurraums erreicht wurde (Kapitel III). Dabei hat sich das Modell der Triplizität der Raumproduktion von Lefebvre, demzufolge Raum in den Modi des Wahrgenommenen, des Konzipierten und des Gelebten erfahrbar werde, als geeignet erwiesen, um sowohl die Dimensionen der Erfahrbarkeit der Klausur aufzuzeigen als auch den Zusammenhang zwischen Kommunikationspraktiken und Raumerzeugung darzustellen. Dieses Modell erlaubt es zudem, Raumproduktionsprozesse in historischer Perspektive nachzuzeichnen. Im dritten analytischen Teil dieser Arbeit wurden die Dimensionen von Sichtbarkeit (und Verborgensein) durch die Analyse von Praktiken des Sehens und Gesehenwerdens beleuchtet, die sowohl das Wahrgenommenwerden als auch das Wahrnehmen von sich selbst und anderen sowie von Objekten und Wissensordnungen implizierten. Es konnte gezeigt werden, dass (Un‐)Sichtbarkeit in und von den untersuchten Klarissengemeinschaften als Teil der Raumordnung konzipiert werden konnte – und zuweilen musste –, was es mir ermöglichte, gesellschaftliche Ordnungen anhand konkurrierender Sichtbarkeitsregime zu plausibilisieren (Kapitel IV).
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Dabei gelang es, durch praxeologische und topologische Zugriffe einen Korpus aus Quellen mit unterschiedlichen normativen Anteilen über einen Epochen übergreifenden Untersuchungszeitraum hinweg zusammenfassen. Anders als bisherige Arbeiten zur Bedeutung von Geschlecht, den Ordensreformen oder der Reformation in weiblichen Gemeinschaften betrachte ich zusätzlich zum Kriterium der Observanz die Zugehörigkeit zum zweiten franziskanischen Orden als konstitutiv für die hier untersuchte Lebensform.
Fig. 5: Sibilla von Bondorf, Die Heiligen Klara und Franz von Assisi. Miniatur in: Das Leben und die Legende der Heiligen Elisabeth, Deutsches Buch- und Schriftmuseum der Deutschen Nationalbibliothek Leipzig, Klemmsammlung, I, 104, fol 13v.
Diese Studie zeigt, dass es lohnenswert ist, eine ordensspezifische Auswahl zu treffen, um eine Matrix mit gleichen oder zumindest stark ähnlichen Koordinaten zu erhalten und deren Details herausarbeiten zu können. Erst dann wird es möglich, regionale Spezifika überhaupt wahrzunehmen und in einem späteren Schritt vergleichende Forschungsdesigns entwerfen zu können. Übergreifende Erkenntnisse aus meinen einzelnen Analyseschritten werde ich im Folgenden abschließend noch einmal knapp erläutern. Sichtbarkeit Sehen und Gesehenwerden haben sich überzeugend als Praktiken der Raumproduktion erwiesen. Diese Praktiken waren jeweils an vorgestellte oder verfügbare Materialitäten wie Körper, Kleidung, architektonische Arrangements, Bilder
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und/oder kartografische Elemente geknüpft. Die sich daraus ergebenden Kriterien der Sichtbarkeit können auf andere Kontexte (nicht allein) mittelalterlicher und frühneuzeitlicher städtischer Lebensformen übertragen werden, darunter zum Beispiel Tavernen oder Spinnhäuser oder sämtliche Formen von Haushalten. Die untersuchten Aspekte können besonders für Fragestellungen bezüglich der Kategorie Geschlecht produktiv gemacht werden – und das natürlich auch außerhalb des Klosters. In diesem Sinne verstehe ich meine Studie auch als einen Beitrag zur Geschichte städtischer Lebensformen. Verknüpfungen Von Körper Bzw. Materialität und Raum Die Verknüpfung von Raum und Körper wurde über Praktiken, die mit Worten oder deren Abwesenheit zu tun hatten, sowie in den Praktiken des Sehens und Gesehenwerdens hergestellt. Dabei hat sich erwiesen, dass die Grenzen einer Person nicht an deren materiellen bzw. physischen Rändern (den Körpergrenzen) lagen, sondern an den Grenzen der Lebensform bzw. Existenzweise. Diese konnte einerseits durch die Kleidung markiert werden, die den Raum der Person sowie den Raum um die Person herum erzeugte. Des Weiteren wirkten die Blick- und Sichtbarkeitsregime, das heißt die Bestimmungen darüber, was wo wann und zu welchem Zeitpunkt von wem gesehen werden durfte oder sollte, raumproduzierend und subjektivierend. All diese Verknüpfungen, die zugleich vergeschlechtlichend und vergeschlechtlicht erfolgten, bezogen Formen von Materialität ein. Dazu gehörten neben der Kleidung die Klausurarchitektur sowie Gesten und Sprechakte, die die jeweiligen Grenzziehungen ermöglichten – bisweilen aber auch ein Überschreiten der Grenzen im positiven oder negativen Sinn, unter anderem auch geschlechtertransgressive Aneignungsprozesse vs. Klausurbruch. Die Kategorie der Lebensform ermöglichte es dabei in der topologischen Rekonstruktion dieser Studie, Materialität zu denken, ohne allein auf die physikalische „Materie“ von etwa Objekten, Dingen oder Artefakten zu rekurrieren. Diese waren oftmals in die dargestellten Praktiken einbezogen, ihre Bedeutsamkeit wird jedoch nicht ohne die entsprechenden Diskurszusammenhänge erfassbar. Vielmehr erweist sich in den Ergebnissen zu den Verknüpfungen der Raumproduktion eine weitere Anknüpfung an ein Postulat der poststrukturalistischen und vor allem feministischen Theorie, demzufolge die Materialisierung von Körpern an Machtverhältnisse, etwa auch in Gestalt von Normen, gebunden ist.⁷
Vgl. Butler, Körper, 23.
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Ort und Raum Auch das Postulat des prozesshaft produzierten Ortes ist nicht nur ein Ergebnis der poststrukturalistischen Philosophie des Raumes,⁸ sondern wird dezidiert in den in dieser Arbeit untersuchten Quellen evident. Die dargestellten Orte und Räume wurden je nach Situation und Notwendigkeit produziert und in Anpassung an das Koordinationssystem der Tradition bzw. der Lebensform hergestellt. Topografische Orte waren dabei zweifellos von großer Bedeutung, ersichtlich beispielsweise anhand der an ein Haus gebundenen Weihe, mit dem Haus verbundenen ökonomischen und materiellen Aspekten und nicht zuletzt den Bedingungen innerhalb der städtischen Gemeinschaft. Jedoch konnten Orte und Räume topologisch auch dynamisch (re‐)produziert werden, was die Beispiele der Zwischenraumproduktionen im Klausurraum, des Aushandelns seiner Grenzen und des spirituellen Pilgerns zeigen – und worauf auch die hier nur angedeuteten Migrationsbewegungen der Konvente verweisen. Diese Ergebnisse sind besonders interessant für die Forschung zu historischen Orts- und Raumkonzepten etwa der Wissensgeschichte. Auch die Raumgeschichtsschreibung der Reformation, die bislang vor allem auf protestantische Kirchenbauten konzentriert war, kann davon profitieren. Die Ergebnisse können außerdem für transregionale und interkonfessionelle Zugänge zu den Reformationsbewegungen geprüft werden. Besonders vielversprechende Anschlüsse könnten die hier angestellten Überlegungen zum Raum auch für die historische Migrationsforschung ergeben. Meine Studie hat das Kloster zweifellos als historisches und historiografisches Laboratorium der Moderne herausgestellt. Beispiele wie das Totengedenken oder die Konzeption von Erinnerungsräumen zeigen damit auch vielversprechende Anschlüsse für ein Verständnis moderner Anthropologie. Insgesamt hat es sich als überaus produktiv erwiesen, die Geschichte von Lebensform und Subjektivierung aus topologischer Perspektive zu schreiben. Durch den raumanalytischen Zugriff wurde es möglich, die bisherigen Konzeptionen von Subjektivierung (Foucault) und Lebensform (Agamben) gleichermaßen für eine Geschlechtergeschichte wie für eine Geschichte der Räume zugänglich zu machen.⁹ Geschlecht und Lebensform können damit als Ge-
Vgl. insbesondere Deleuze, Guattari, Plateaus. In Bezug auf die angeblich geschlechtsblinde Konzeption des Subjekts bei Michel Foucault wurde dessen Arbeit für eine kritische Geschlechtergeschichte mitunter zurückgewiesen, vgl. exemplarisch Silvia Federici, Caliban und die Hexe. Frauen, der Körper und die ursprüngliche Akkumulation (kritik & utopie). 4. Aufl. Wien: Mandelbaum, 2017. Andere Positionen legen indes überzeugend dar, dass diese behauptete Leerstelle so gar nicht existiert, vgl. etwa Alex Demirović, Sex Machine oder: die Führung der Individuen durch Sexualität. Überlegungen zur Gouvernementalität. In Gouvernementalität und Geschlecht. Politische Theorie im Anschluss an Michel
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schichte(n) erzählt werden, die Fragen nach ihren Orten und Räumen berücksichtigt. Für eine Geschichte des sozialen Wandels eröffnen gerade Foucaults Topologien weitere aussichtsreiche Optionen. Für eine Geschlechtergeschichte der Reformation unter Einbeziehung der longue durée der religiösen Reformen seit dem 15. Jahrhundert, die diese als Teil des Prozesses gouvernementaler Subjektivierung perspektiviert, kann diese Studie Anschlüsse aufzeigen. Radikalen sozialen Wandel und dessen Möglichkeitsbedingungen aus topologischer und praxistheoretischer Perspektive zu konzeptualisieren, wie es die Philosophin Eva von Redecker für Revolutionen unternommen hat¹⁰, wäre auch für die Geschichtswissenschaft eine spannende Möglichkeit. Gleichzeitig und vielleicht noch dringender darf für die Geschlechtergeschichte nicht nur der Reformation ein radikaler Wandel auf der Ebene der Epistemologie angestrebt werden, wie diese Studie über die Rekonstruktion monastischer weiblicher Lebensformen zeigen konnte. Eine topologische Perspektive legt die Möglichkeitsbedingungen dessen offen, wonach gefragt wird, was erzählt wird, wer und was von wem gesehen werden kann – und was in Erinnerung bleibt.
Foucault, hg. von Brigitte Bargetz, Gundula Ludwig, Birgit Sauer. (Politik der Geschlechterverhältnisse Band 52). Frankfurt, New York: Campus Verlag, 2015, 62– 89. In Bezug auf den vernachlässigten Raum des Subjekts in Foucaults Werk vgl. Lefebvre, Production, 3 – 4. Vgl. Eva von Redecker, Praxis und Revolution. Eine Sozialtheorie radikalen Wandels. Frankfurt am Main, New York: Campus Verlag, 2018.
Abkürzungsverzeichnis BrixStat ConstCol DW PC PfullChron PfullStat RSC RegUrb VillChron
Brixener Statuten Constitutions der Colette de Corbie Die Denkwürdigkeiten der Caritas Pirckheimer Petite Chronique der Justine de Jussie Chronik einer Pfullinger Klarisse Pfullinger Statutenbuch Regula Sanctae Clarae Urban-Regel, Nürnberger Übertragung der Urbanregel Villinger Chronik/Chronik des Bickenklosters zu Villingen
https://doi.org/10.1515/9783110744613-008
Abbildungsverzeichnis Titelbild Die Hl. Klara und die anderen Schwestern (Detail), Fresken, 14. Jahrhundert, Oratound Fig. 5: rium der Hl. Klara in San Damiano, Assisi (PG), Italien. (Abdruck mit Genehmigung der Fratres der Provincia Serafica O. F. M., San Francesco Assisi. Fig. 1: Statutenbuch der Klarissinnen in Pfullingen, Stuttgart, Württembergische Landesbibliothek, Cod. hist. 4° 177, fol 21v. Fig. 2: Jeanne de Jussie, Petite Chronique, Bibliothèque de Genève, Manuscrit supplement 1453, fol 2v – 3r. Fig. 3: Sprechgitter der Klarissen von St. Caecilia, Areal des ehemaligen Klosters in Pfullingen. Bildquelle: Stadt Pfullingen. Fig. 4: Grundriss von Sainte-Claire de Genève, erstellt von Edmond Ganter, in: Ganter, Edmond, Les Clarisses de Genève. 1473 – 1535 – 1793. Genève: Éditions de la Société Catholique d’Histoire, 1949. Fig. 6: Sibilla von Bondorf, Die Heiligen Klara und Franz von Assisi. Miniatur in: Das Leben und die Legende der Heiligen Elisabeth, Deutsches Buch- und Schriftmuseum der Deutschen Nationalbibliothek Leipzig, Klemmsammlung, I, 104, fol 13v.
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Ortsregister Annecy 59, 81, 98, 100, 152, 193, 197, 206 Assisi 61, 81, 119, 194 Augsburg 84, 151 Avignon 41, 66 Bamberg 47, 93, 206 Bastia 61 Bern 58, 192 Brixen (mit „Brixener Statuten“) 37, 47, 4851, 53, 68, 77-85, 90, 97, 117, 119, 123, 125, 152, 162f, 167-169, 172-174, 176178, 187, 225, 236f, 240-243, 247, 262 Chambéry 56, 116 Collonge-Bellerive 57 Corbie 65f Corpus Christi 67 Diessenhofen
119, 152
Ebstorf 90, 92, 119 Eger 47 Engelthal 151, 251 Engen 152 Fribourg
58, 192
Genf
37, 40, 55-59, 67, 76, 81f, 84, 89f, 97100, 116, 138, 152, 180f, 187, 189-197, 199f, 202f, 206, 208, 234, 236, 244, 252, 254, 258, 262-265 Ghent 116 Golgatha 139f Heiligkreuztal 119 Himmelkron 119 Jerusalem 132f, 139f, 145, 149f, 265 Jussy-l’Évêque 100 Leonberg 54, 118 Lérins 70
https://doi.org/10.1515/9783110744613-011
Leutkirch 127 Lyon 45 Mantua 67 Morges 57 München 47 Münster ? Neapel 63, 197 Nürnberg 1f, 32, 34f, 37, 41f, 43-47, 48, 50f, 53, 68, 77, 79, 82-85, 87, 89f, 92, 93-96, 99, 119-122, 180-182, 187-189, 199, 202, 208, 210f, 248f, 251-253, 255, 257-259, 262-265 Nyon 57 Orbe
56f, 67, 116, 202
Padua 146 Palästina 148 Paradies 127f Pfullingen 37, 47, 51-55, 77f, 80, 82f, 90, 97, 117-120, 152, 187, 262f Plainpalais 57 Poligny 56, 116 Prag 26, 64 Regensburg 82, 84 Reute 128 Rive 57, 195f, 199f, 254 Rom 41, 132, 148, 150, 265 Sainte-Claire (Genf) 55-59, 81, 85, 97, 100, 152, 187, 189-192, 200, 202, 206, 208, 234, 236, 244, 252, 257, 264 Sainte-Croix 59, 99 San Damiano 61, 194 Sankt Gallen 127 Schaffhausen 152 Sinai 150 Söflingen 54, 77, 122, 164, 236 St. Caecilia 51-55, 97, 118-120, 152, 187 Hl. Cäcilie → St. Caecilia
Ortsregister
St. Elisabeth 48-51, 78, 84, 97, 117, 123, 187 St. Katharinental 119, 152, 234 St. Klara 43-47, 50, 77, 83, 85, 93-96, 119122, 129, 181f, 186-189, 199, 208, 211, 250f, 253, 255, 258, 264f Straßburg (mit „Straßburger Ordensprovinz“) 30, 32, 35, 40, 44-47, 50, 65, 68, 76f, 79, 82, 85, 114, 117, 122, 123, 128, 155, 180, 236f, 240, 242
309
Tabennisi 106 Tirol 50f Töss 119 Valduna 128 Vevey 56f, 67, 116 Villingen 37, 114, 126-129, 150-152, 262, 266 Vorarlberg 128 Wienhausen
119
Personenregister Achler von Reute, Elisabeth 127 f Agamben, Giorgio 4 – 9, 14, 21 f, 125, 208, 245, 260, 270 Ambrosius von Nyssa 108 Amédée IX. von Savoyen 55 Arendt, Hannah 8, 14 Augustinus 34, 107, 143 Bake, Alijt 82 Hl. Barbara 83 Basilius von Caesarea 106 f, 109 Bauer, Jenny 22, 159 de Baume, Henry 66 – 68 de la Baume, Pierre 58, 193 Benedikt XIII. 66 Bentham, Jeremy 14, 216 f Bernard, Jacques 57 Bernhard von Breidenbach 150 Bernhard von Clairvaux 132, 147 Blarer, Ambrosius 54 Bonifatius VIII. 110, 113 Büchelbach, Alfred 50 Butler, Judith 8, 13 f, 16, 22, 159, 255, 265 Caesaria von Arles 107 Caesarius von Arles 70, 107 f, 110, 113 Calixtus III. 50 Calvin, Jean 57, 59, 100 da Capestrano, Giovanni 46, 66, 68, 81, 89 Carlini, Benedetta 237 de Certeau, Michel 136, 141, 198 Charles III. von Savoyen 58 f Colomina, Beatriz 216 Columban von Luxeuil 70 de Corbie, Colette 55 – 57, 65 – 68, 81 f, 84, 116, 163, 176, 208, 223, 226 Boylet de Corbie, Colette → de Corbie, Colette Boylet, Nicole → de Corbie, Colette de la Cruz, Juana Inés 237 Cusanus, Nicolaus 49 – 51
https://doi.org/10.1515/9783110744613-012
David von Augsburg 145 Deleuze, Gilles 26, 28, 137, 198 di Favarone, Agnes/Agnese 61 Diem, Albrecht 75, 238 Dünne, Jörg 136 f Ebner, Patrizierfamilie 45 Einstein, Albert 104 Elisabetta (Äbtissin in Mantua) Ernstin, Juliana 127, 131, 133 Papst Eugen → Eugenius IV. Eugenius IV. 65 f, 68, 81
67
Farel, Guillaume 58, 199 – 205, 254, 258 Faulson, Hemme 191 f Feld, Helmut 55 f, 98 f Florentina von Oberweimar 245, 247 Foucault, Michel 2 f, 5, 10 – 15, 20 f, 36, 87, 125, 144, 146, 153, 214 – 216, 218 – 220, 231, 259, 265, 270 f Franziskus von Assisi 2, 8, 22, 59 – 63, 69, 72, 112, 115, 133, 146, 214, 268 Bernardone, Giovanni Battista → Franziskus von Assisi Francesco → Franziskus von Assisi Franziskus → Franziskus von Assisi Freydung, Barbara 50 f, 77, 83 Froment, Antoine 58 Fuchs, Stephan 149 f Fürer von Haimendorf, Christoph 183 Fürer von Haimendorf, Sigmund 183 Gacy, Jean 196, 200 Ganter, Edmont 55, 190 f Gehring, Petra 219 Grau, Engelbert 112, 194 Greenblatt, Stephen 255 Gregor IX. 51, 62 f Gregor von Nyssa 108 f Grundherr, Margarete 120 Guattari, Félix 26, 28, 137, 198 Gundelfinger, Klara 46 Günzel, Stephan 104, 198
Personenregister
Hadot, Pierre 10 Haider, Ursula 126 – 139, 141 – 143, 147, 149 – 151 Hamm, Berndt 34, 263 Heidegger, Martin 5, 14, 104, 198, 212 Heinrich von Schwarzburg 122 Hieronymus von Nyssa 108 Hildegard von Bingen 143, 147 Höfler, Constantin 93 Honorius III. 60 Kardinal Hugolin → Gregor IX. Huyghe, Gérard 105 Innozenz III. 60 Innozenz IV. 51, 62, 63, 81, 83, 85 Innozenz VIII. 150 Jaeggi, Rahel 4 f, 7 f Jäggi, Carola 45, 52, 116, 187 de Jussie, Jeanne 56, 85, 97 – 100, 166, 181, 189, 258 de Jussie, Justine → de Jussie, Jeanne Kafka, Franz 26 Karrer, Heinrich 128 f Ketzel, Anna 122 Klara von Assisi 48, 57, 59 – 66, 71, 81 – 85, 111, 129, 133, 151, 194, 247 – di Favarone, Chiara → Klara von Assisi – Hl. Klara → Klara von Assisi Knackmuß, Susanne 44, 98, 115 Koler, Dorothea 50, 51, 53 Konrad von Preußen 43 Kormann, Eva 91 de Lare, Johannes 51, 68, 76 – 79, 88, 122 – 124, 155, 176 f, 180 Leclercq, Jean 105, 110 Lefebvre, Henri 17, 19, 21 f, 124, 158 f, 171, 217, 267 Luther, Martin 36, 185 f, 196, 201 – 204, 259 Maihofer, Andrea 16 Maria von Wolkenstein 49 – 51 Mechthild von Magdeburg 53 Meister Eckhart 130
311
Melanchthon, Philipp 253 Melville, Gert 70, 72, 74, 143, 146 Methodius von Nyssa 108 Meyer, Johannes 123 de Mont Loye, Pernette 193 Newton, Isaac 104 Nikolaus V. 49 Nützel, Kaspar 182, 189, 250 Nymelbergerin, Anna 78 Osiander, Andreas der Ältere 199, 253 Oswald von Wolkenstein 50 Pachomios 106 Pirckheimer, Caritas 44, 47, 90, 93 – 96, 99, 121, 165 f, 177, 181, 186, 205, 210, 249 – 251, 253, 257 Pirckheimer, Katharina die Jüngere 96 Pirckheimer, Willibald 96, 253 Pius II. 81 Pratt, Mary Louise 170 Preciado, Paul 27 Rau, Susanne 179, 215 Reckwitz, Andreas 213 Revely, Willey 216 Scheurl, Christoph 189 Schlotheuber, Eva 91 f, 144 Schwäbin, Barbara 50 Sibilla von Bondorf 268 Sigismund 50 f Sigismund der Münzreiche → Sigismund Sixtus IV. 128 Spengler, Lazarus 204 Suso, Heinrich 130, 133, 142 Seuse, Heinrich → Suso, Heinrich Tauler, Johannes 130 Teresa von Ávila 143 Tetzel, Margaret 181 – 183, 186, 209 Tetzel, Ursula 181, 183, 188 Thomas von Aquin 184 Thomas von Celano 61, 112, 194 Tokarczuk, Olga 262
312
Personenregister
Ulrich von Württemberg 54 Urban IV. 45, 64, 68, 78, 82 f, 129 Ursula von Münsterberg 251 Varembert, Blaisine 191, 245 f Varnbühler, Angela 127
Viret, Pierre 58, 199 f von Weil, Katharina 78 Wagner, Magdalena 129 Wilhelm von Saint-Thierry 145 Yolande von Savoyen
55, 57
Sachregister Containerraum 35, 104, 261 – Behälterraum → Containerraum – Container → Containerraum – Schachtel → Containerraum Dormitorium 117, 120 – 122, 129, 146, 175 – 177, 181, 230 – 232, 234 – 236, 239 Drehfenster 166 – tournet → Drehfenster
Kreuzgang 117 – 119, 121 f, 125, 130, 146, 148, 154, 158, 161, 176, 188, 231, 236, 244 Nonnenchor 121, 168, 173, 186, 188, 190, 194, 197 f, 212, 222, 230 – Chorraum → Nonnenchor – Nonnenempore → Nonnenchor Oratorium
forma vitae 2, 9, 60, 62 – 64, 66 f, 71, 73, 81 f, 112, 169, 176, 199, 206 Gesichtsfenster
189, 249 – 251
Habit 9, 59, 112, 209, 215, 223, 227, 240, 255, 257 f, 260 f – Ordenstracht → Habit Heterotopie 27, 125 Imitatio Christi
104, 116, 121, 127, 154
Kapelle 116 ,129, 134, 168, 182, 188, 190, 209, 211 f, 225, 231 Klausur – aktive Klausur 105, 107, 113, 115 – Klausurarchitektur 107, 114, 198, 214, 228, 269 – passive Klausur 105 – 107, 113, 115, 219 Klostergarten 143, 210, 249, 254 f, 259, 261, – Gartentor 209, 212, 251 – Gartentür 251 – Gartentürlein 250 f – Garten → Klostergarten Klostermauer 101, 106, 114, 120, 123 f, 127, 183, 209, 223, 249, 251, 254, 259 – Mauer → Klostermauer Kollektivität 19 f, 91, 154, 226 – 229, 231 f, 236 f Kollektivkörper 193, 205
https://doi.org/10.1515/9783110744613-013
241
Pforte 106, 116, 181, 192, 200, 206 – 208, 222 f, 230 Pförtnerin 107, 175, 193, 198, 200 f, 206, 222 f Raum – Geschichte der Räume 27 f, 86, 270 – Raumkonstitution 136 f, 141, 149 – Raumproduktion 21, 24, 37, 132, 142, 144, 147 f, 153, 156 f, 159, 174, 198 f, 215, 220, 260 f, 267 – 269 – Raumrepräsentation(en) 103, 136, 151 f, 214, 266 f – Raumtrias 19, 158 – Triplizität des Raumes 157, 216, 267 Redfenster 54, 118, 122, 166, 175, 183, 188 f, 209, 222, 239 – Locutorium → Redfenster Refektorium 53, 120 f, 169, 175 f, 181, 229, 231, 241, 252 – Ordensregel 2 f, 9, 21, 40, 43, 52, 59, 61, 63 f, 67, 69, 72, 76 f, 79, 83, 111, 114, 127, 159, 161, 168, 171, 179, 187, 193, 198, 214, 241 Reventer 177 Schreiberin 55, 78, 90, 92, 94, 97 f, 100, 127, 131, 162, 165 f Sprechgitter 106, 116, 118 f, 190, 192 – 198, 200, 207 f, 233 Sprechzimmer 116, 161, 166, 208, 223 – Parloir → Sprechzimmer
314
Sachregister
stabilitas loci 61, 104, 111, 115, 148, 161, 192 – Ortsgebundenheit → stabilitas loci
Topologie 13 – 15, 21, 107, 204, 212 f, 230, 233, 243, 245, 251, 270 – Topologisch → Topologie
Topografisch
Zeitlichkeit
132, 139, 198, 212, 230, 243
18, 139, 166, 178, 227