Die medizinisch nicht indizierte Beschneidung des männlichen Kindes: Rechtslage vor und nach Inkrafttreten des § 1631d BGB unter besonderer Berücksichtigung der Grundrechte [1 ed.] 9783428545841, 9783428145843

Der Autor untersucht die Frage der rechtlichen Zulässigkeit medizinisch nicht indizierter Beschneidungen männlicher Mind

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German Pages 218 Year 2015

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Die medizinisch nicht indizierte Beschneidung des männlichen Kindes: Rechtslage vor und nach Inkrafttreten des § 1631d BGB unter besonderer Berücksichtigung der Grundrechte [1 ed.]
 9783428545841, 9783428145843

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Schriften zum Gesundheitsrecht Band 34

Die medizinisch nicht indizierte Beschneidung des männlichen Kindes Rechtslage vor und nach Inkrafttreten des § 1631d BGB unter besonderer Berücksichtigung der Grundrechte

Von Andreas Manok

Duncker & Humblot · Berlin

ANDREAS MANOK

Die medizinisch nicht indizierte Beschneidung des männlichen Kindes

Schriften zum Gesundheitsrecht Band 34 Herausgegeben von Professor Dr. Helge Sodan, Freie Universität Berlin, Direktor des Deutschen Instituts für Gesundheitsrecht (DIGR) Präsident des Verfassungsgerichtshofes des Landes Berlin a.D.

Die medizinisch nicht indizierte Beschneidung des männlichen Kindes Rechtslage vor und nach Inkrafttreten des § 1631d BGB unter besonderer Berücksichtigung der Grundrechte

Von

Andreas Manok

Duncker & Humblot · Berlin

Die Juristenfakultät der Universität Leipzig hat diese Arbeit im Jahre 2014 als Dissertation angenommen.

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

Alle Rechte vorbehalten

© 2015 Duncker & Humblot GmbH, Berlin

Fremddatenübernahme: Konrad Triltsch GmbH, Ochsenfurt Druck: CPI buch.bücher.de, Birkach Printed in Germany ISSN 1614-1385 ISBN 978-3-428-14584-3 (Print) ISBN 978-3-428-54584-1 (E-Book) ISBN 978-3-428-84584-2 (Print & E-Book) Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier entsprechend ISO 9706

Internet: http://www.duncker-humblot.de

Vorwort Diese Arbeit wurde im Sommer 2014 von der Juristenfakultät der Universität Leipzig als Dissertation angenommen. An allererster Stelle möchte ich meinem Doktorvater Herrn Prof. Dr. BerndRüdiger Kern meinen tiefen Dank zum Ausdruck bringen. Er hat dieses Promotionsvorhaben in vorbildlicher Weise betreut und mich jederzeit mit Anregungen und Kritik unterstützt und motiviert. Darüber hinaus hat er trotz seiner vielfältigen Verpflichtungen angesichts der Aktualität des Themas das Gutachten in sehr kurzer Zeit erstellt, wofür ich ihm sehr dankbar bin. Dies gilt gleichermaßen für Herrn Prof. Dr. Adrian Schmidt-Recla, der als Zweitgutachter ebenfalls äußerst rasch sein Gutachten erarbeitet hat. Auch ihm gebührt mein ganz herzlicher Dank. Ebenfalls möchte ich mich bei dem Dekan der Juristenfakultät, Herrn Prof. Dr. Jochen Rotzek, sowie den Mitarbeiterinnen des Dekanats für die stets rasche, unkomplizierte und professionelle Bearbeitung des Promotionsverfahrens bedanken. Besonderer Dank gilt auch Frau Miriam Angelstorf, Frau Claudia Holzner und meiner Frau, die durch ihre präzise Korrekturarbeit den orthographischen Fehlern zu Leibe gerückt sind. Ebenfalls herzlich danken möchte ich meinen Partnern in unserer Anwaltskanzlei, die mich in der Zeit des Entstehens dieser Arbeit sicherlich das eine oder andere Mal etwas angespannt erdulden mussten. Last but not least will ich aber vor allem auch meiner Familie von ganzem Herzen für die gewährten Freiräume und ihre Geduld danken. Ohne sie, denen ich diese Arbeit in Liebe und Dankbarkeit widme, wäre dieses Projekt nicht möglich gewesen. Überlingen, im November 2014

Andreas Manok

Inhaltsverzeichnis 1. Kapitel Einführung

13

2. Kapitel Genitalbeschneidungen

19

A. Historischer, religiöser und kultureller Kontext . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19 I. Beschneidung im alten Ägypten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19 II. Beschneidung im Judentum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21 III. Beschneidung im Islam . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23 IV. Beschneidung im Christentum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 25 V. Beschneidung bei Naturvölkern . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 27 VI. Keine konstitutive Wirkung der Beschneidung für die Religionszugehörigkeit . 28 B. Männliche Genitalbeschneidung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 29 I. Prävalenz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 29 II. Funktion der Vorhaut . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 30 III. Durchführung der Zirkumzision . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 30 IV. Erforderlichkeit wirksamer Anästhesie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 32 V. Indikationen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 34 VI. Risiken und Folgen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 36 VII. Hygienische und präventiv-medizinische Vorteile . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 39 C. Weibliche Genitalbeschneidung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 40 I. Prävalenz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 41 II. Unterschiede zu männlicher Genitalbeschneidung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 41 III. Modephänomen ästhetisch motivierte Genitalveränderung . . . . . . . . . . . . . . . . . 43 IV. Strafbarkeit weiblicher Genitalbeschneidung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 45

3. Kapitel Rechtslage vor Inkrafttreten des § 1631d BGB

46

A. Männliche Beschneidung in der bisherigen Judikatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 46

8

Inhaltsverzeichnis

B. Das „Beschneidungs-Urteil“ des Landgerichts Köln . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 50 C. Die Zirkumzision als Körperverletzung i.S.d. §§ 223 ff. StGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 52 I. Objektiver Tatbestand des § 223 Abs. 1 StGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 52 II. Qualifikation des § 224 Abs. 1 Nr. 2, 2. Alternative StGB . . . . . . . . . . . . . . . . . 54 III. Erfolgsqualifikation schwere Körperverletzung gem. § 226 Abs. 1 StGB . . . . . 55 IV. Exkurs: Meinungsstreit über Tatbestandslosigkeit des ärztlichen Heileingriffs . 56 V. Tatbestandsausschluss infolge von Sozialadäquanz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 58 VI. Subjektiver Tatbestand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 60 VII. Rechtfertigung durch Einwilligung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 61 1. Selbstbestimmungsaufklärung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 65 a) Form der Aufklärung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 65 b) Umfang der Aufklärung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 66 c) Zeitpunkt der Aufklärung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 67 d) Person der Aufklärungspflichtigen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 68 e) Entbehrlichkeit der Aufklärung und Aufklärungsverzicht . . . . . . . . . . . . . 68 2. Einwilligungsfähigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 68 3. Stellvertretende Einwilligung durch Sorgeberechtigte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 70 4. Schranken der Einwilligung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 71 a) Disponibilität des Rechtsguts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 72 b) Sittenwidrigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 72 c) Kindeswohl . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 74 aa) Begriff des Kindeswohls . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 75 bb) Bestimmung des Kindeswohls . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 76 cc) Meinungsstand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 79 dd) Stellungnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 91 (1) Erziehungsrecht der Eltern vs. Grundrecht auf körperliche Unversehrtheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 92 (2) Grundrecht auf Religionsfreiheit der Eltern vs. Grundrecht auf körperliche Unversehrtheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 99 (3) Grundrecht auf Religionsfreiheit des Kindes vs. Grundrecht auf körperliche Unversehrtheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 103 5. Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 105 VIII. Schuld . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 106 D. Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 107

Inhaltsverzeichnis

9

4. Kapitel Rechtslage nach Inkrafttreten des § 1631d BGB

109

A. Gang des Gesetzgebungsverfahrens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 109 I. Gesetzentwurf der Bundesregierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 109 II. Alternativentwurf der Abgeordneten Rupprecht u. a. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 112 III. Änderungsanträge zum Gesetzentwurf . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 114 1. Änderungsantrag der Abgeordneten Lischka u. a. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 114 2. Änderungsantrag der Abgeordneten Montag u. a. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 115 3. Änderungsantrag der Abgeordneten Reimann u. a. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 117 IV. Expertenanhörung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 117 V. Empfehlungen des Deutschen Ethikrats . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 123 VI. Gemeinsame Stellungnahme der DGKJP, des BKJPP und der BAG . . . . . . . . . . 124 VII. Stellungnahmen des BVKJ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 125 VIII. Stellungnahme der Deutschen Kinderhilfe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 126 IX. Abstimmung im Bundestag . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 126 B. Verfassungsgemäßheit des § 1631d BGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 127 I. Grundrecht auf körperliche Unversehrtheit aus Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG . . . . . . . . 127 1. Schutzbereich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 127 2. Eingriff . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 128 3. Rechtfertigung des Eingriffs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 129 a) Gesetzesvorbehalt als Schranke des Grundrechts aus Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG 130 b) Schranken-Schranken . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 130 aa) Formelle Verfassungsmäßigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 130 bb) Verbot des Einzelfallgesetzes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 131 cc) Zitiergebot . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 132 dd) Parlamentsvorbehalt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 134 ee) Bestimmtheitsgebot . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 134 ff) Grundsatz der Verhältnismäßigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 141 (1) Geeignetheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 142 (2) Erforderlichkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 142 (3) Verhältnismäßigkeit im engeren Sinne . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 144 (4) Einschränkende verfassungskonforme Auslegung auf religiöse Motive . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 151 4. Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 153 II. Gleichheitsgrundrecht aus Art. 3 GG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 153 1. Besondere Diskriminierungsverbote aus Art. 3 Abs. 3 S. 1 GG . . . . . . . . . . . 154 a) Benachteiligung wegen des Geschlechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 154 aa) Rechtlich relevante Ungleichbehandlung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 154 bb) Rechtfertigung der Ungleichbehandlung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 155

10

Inhaltsverzeichnis cc) Einschränkende verfassungskonforme Auslegung . . . . . . . . . . . . . . . . 158 b) Benachteiligung wegen des Glaubens oder der religiösen Anschauung . . . 159 2. Allgemeiner Gleichheitssatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 160 a) Rechtlich relevante Ungleichbehandlung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 160 b) Rechtfertigung der Ungleichbehandlung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 161 3. Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 162 III. Grundrecht auf Religionsfreiheit aus Art. 4 Abs. 1 u. 2 GG . . . . . . . . . . . . . . . . 163 1. Schutzbereich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 163 2. Eingriff . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 163 3. Rechtfertigung des Eingriffs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 164 a) Schranken des Grundrechts aus Art. 4 Abs. 1 u. 2 GG . . . . . . . . . . . . . . . . 165 b) Schranken-Schranken . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 165 4. Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 167 IV. Grundrecht auf Schutz der Menschenwürde aus Art. 1 Abs. 1 GG . . . . . . . . . . . 167 1. Schutzbereich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 168 2. Eingriff . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 170 3. Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 172 V. Ergebnis der Grundrechteprüfung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 172 VI. Rechtsfolgen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 173

C. Konformität des § 1631d BGB mit überstaatlichen Menschen- und Grundrechten . . . 174 I. UN-Menschenrechtserklärung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 174 II. IPBPR als Konkretisierung der Menschenrechtserklärung . . . . . . . . . . . . . . . . . . 175 III. UN-Kinderrechtskonvention . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 177 IV. Europäische Menschenrechtskonvention . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 182 V. EU-Grundrechtecharta (EGRC) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 185 D. Konformität des § 1631d BGB mit dem AGG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 188 E. Zusammenfassung der Ergebnisse und Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 189

5. Kapitel Nachkodifizielle Judikatur und aktuelle Praxis

194

A. Nachkodifizielle Judikatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 194 B. Aktuelle Praxis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 197

Inhaltsverzeichnis

11

6. Kapitel Schlussbetrachtung und Ausblick

201

Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 204 Sachwortverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 215

1. Kapitel

Einführung Im Mai 2012 verkündete das Landgericht Köln ein Urteil,1 mit dem es entschieden hatte, dass die auf Wunsch der Eltern aus religiösen Gründen von einem Arzt fachgerecht durchgeführte Beschneidung eines männlichen Kleinkindes den Straftatbestand des § 223 Abs. 1 StGB erfülle und die Handlung des Arztes nicht durch die Einwilligung der Eltern des betroffenen Kindes gerechtfertigt sei, weil die Einwilligung nicht dem Kindeswohl entsprochen habe. Der angeklagte Arzt wurde dennoch freigesprochen, weil das Gericht angesichts einer für ihn unklaren Rechtslage vom Vorliegen eines unvermeidbaren Verbotsirrtums i.S.d. § 17 Abs. 1 StGB ausgegangen war. Dieses Urteil war zwar – jedenfalls aus juristischer Perspektive – schon im Hinblick auf die seit der wegweisenden Entscheidung des Reichsgerichts vom 31. 05. 18942 von der ständigen höchstrichterlichen Rechtsprechung vertretenen Körperverletzungsdoktrin, wonach jeder die körperliche Integrität tangierende ärztliche Eingriff als den Tatbestand der Körperverletzung erfüllende Handlung angesehen wird,3 keineswegs überraschend, zumal in der Literatur bereits seit 1981 darauf hingewiesen wurde, dass das Kindeswohl grundsätzlich mit der medizinischen Indikation gleichzusetzen sei, was bedeute, dass die Eltern nur in medizinisch indizierte Eingriffe an ihren selbst noch nicht einwilligungsfähigen Kindern einwilligen dürften.4 Konkret auf die Problematik der rituellen Beschneidung bezogen, wurde im Jahr 2006 die Auffassung vertreten, dass in eine Beschneidung ohne medizinische Indikation nur der Betroffene selbst einwilligen könne, was bei Kindern unter 14 Jahren grundsätzlich nicht möglich sei, weshalb sich bei konsequenter Anwendung der Rechtsprechung der ausführende Arzt strafbar mache.5 Und ab dem Jahr 2008 wurde die Frage der strafrechtlichen Relevanz religiös-ritueller, medizinisch nicht indizierter Beschneidungen an nicht einwilligungsfähigen männlichen Minderjährigen in der juristischen Fachliteratur lebhaft diskutiert.6 Überraschend ist demgemäß 1

LG Köln (Az: 151 Ns 169/11), NJW 2012, S. 2128 f. RGSt 25, 375 ff. 3 Vgl. etwa BGH, NJW 2011, S. 1088 ff.; BGHSt 11, S. 111; 12, S. 379; 16, S. 309; 35, S. 246. 4 Kern, FamRZ 1981, S. 738 ff.; Kern, NJW 1994, S. 753 ff. 5 Kern/Köhler, S. 104 f. 6 Es ist das Verdienst Putzkes, durch die Veröffentlichung seiner eingehenden Untersuchung in FS für Herzberg, S. 669 ff., die Frage der strafrechtlichen Relevanz medizinisch nicht in2

14

1. Kap.: Einführung

eher der Umstand, dass eine gerichtliche Entscheidung wie die des Landgerichts Köln nicht bereits zu einem früheren Zeitpunkt ergangen ist.7 Dies dürfte dem Umstand geschuldet sein, dass religiöse Beschneidungen regelmäßig nicht zur Anzeige gebracht werden. Denn nachvollziehbarer Weise haben weder die Eltern noch der Arzt oder nichtärztliche religiöse Beschneider ein Interesse daran, den Sachverhalt den Strafverfolgungsbehörden zur Kenntnis zu bringen. In dem der Entscheidung des Landgerichts Köln zugrunde liegenden Fall erfolgte die Anzeige durch einen Mitarbeiter der Universitätsklinik Köln, in die das Kind wegen Nachblutungen zur Notaufnahme gebracht worden war, weil dort der Verdacht aufgekommen war, die Zirkumzision sei möglicherweise nicht entsprechend dem Facharztstandard durchgeführt worden. Wenngleich das „Kölner Beschneidungsurteil“ also an sich keinen Anlass zu größerer Verwunderung hätte geben müssen, rückte es doch schlagartig die bis dahin der Diskussion juristischer Fachkreise vorbehaltene Frage der rechtlichen Zulässigkeit von Beschneidungen nicht einwilligungsfähiger Minderjähriger in den Focus der Aufmerksamkeit einer breiten Öffentlichkeit, der Medien und der Politik und erfuhr damit eine Beachtung, wie sie sonst allenfalls gerichtlichen Verfahren mit Beteiligung Prominenter zuteil wird.8 Neben zahlreichen Beiträgen in der juristischen Fachliteratur,9 unzähligen Berichten in Print- und Online-Ausgaben von Zeitungen und Zeitschriften sowie Beiträgen in Internetforen und Blogs waren das Urteil und die damit verbundenen rechtlichen, medizinischen und ethischen Fragestellungen auch Gegenstand zum Teil leidenschaftlich geführter Diskussionen zwischen Befürwortern und Gegnern ritueller Beschneidungen in Talk Shows im Fernsehen zu den besten Sendezeiten.10 Erwartungsgemäß wurde das Urteil von Seiten Angehöriger derjenigen Religionsgemeinschaften, in denen das Beschnei-

dizierter Beschneidungen zum Gegenstand breiterer juristischer Diskussionen gemacht zu haben. 7 Zur bisherigen Judikatur im Zusammenhang mit Beschneidungen siehe 3. Kapitel, A. 8 So Krüper, S. 547 mit Hinweis auf den „Kachelmann-Prozess“. 9 So etwa: Bartsch, StV 2012, S. 603 ff.; Bernat, EF-Z 2012 (Österreich), S. 196 ff.; Bielefeldt, DtschÄrztebl 2012, Heft 31, http://www.aerzteblatt.de/down.asp?id=9526 (zuletzt aufgerufen 14. 04. 2014); Beulke/Dießner, ZIS 2012, S. 338 ff.; Brocke, StraFo 2012, S. 450 ff.; Czerner, ZKJ 2012, S. 374 ff. (Teil1) u. S. 433 ff. (Teil 2); Herzberg, ZIS 2012, S. 486 ff.; Jahn, JuS 2012, S. 850 ff.; Kelle, ZfMER 2012, S. 72 ff.; Kempf, JR 2012, S. 434 ff.; Krüper, ZJS 2012, S. 547 ff.; Lack, ZKJ 2012, S. 336 ff.; Merkel, Die Haut des Anderen, http://www.sued deutsche.de/wissen/beschneidungs-debatte-die-haut-eines-anderen-1.1454055 (zuletzt aufgerufen 14. 04. 2014); Muckel, JA 2012, S. 636 ff.; Putzke, MedR 2012, S. 621 ff.; Putzke, Recht und Politik 2012, S. 138; Putzke/Dietz/Stehr, DtschÄrztebl 2012, Heft 31, http://www.aerzteblatt. de/down.asp?id=9526 (zuletzt aufgerufen 14. 04. 2014); Ring, FPR 2012, S. 522 ff.; Spickhoff, FamRZ 2012, S. 1423 f.; Wiater, NVwZ 2012, S. 1379 ff.; Zypries, Recht und Politik 2012, S. 139. 10 Beispielhaft: Anne Will, ARD, 11. 07. 2012; Menschen bei Maischberger, 14. 08. 2012.

1. Kap.: Einführung

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dungsritual regelmäßig praktiziert wird, teilweise scharf kritisiert.11 So wurde das Urteil etwa seitens des Zentralrats der Juden in Deutschland als ein „beispielloser und dramatischer Eingriff in das Selbstbestimmungsrecht der Religionsgemeinschaften“ angesehen; er äußerte die Auffassung, die Entscheidung sei „ein unerhörter und unsensibler Akt“12 und befürchtete gar, dass durch die mit dem Urteil geschaffene Rechtslage die „Juden kalt in die Illegalität abgedrängt“13 würden und nach dem Kölner Urteil jüdisches Leben in Deutschland nicht mehr möglich sei.14 Auch der Zentralrat der Muslime in Deutschland sah in dem Urteil „einen eklatanten und unzulässigen Eingriff in das Selbstbestimmungsrecht der Religionsgemeinschaften und in das Elternrecht“.15 Das Urteil wurde als „rechtsgeschichtlich […] in der an Tiefpunkten nicht eben armen neueren deutschen Geschichte beispiellos“ bezeichnet.16 Auch der Sprecher des Koordinationsrates der Muslime in Deutschland kritisierte das Urteil als einen „massiven Eingriff in die Religionsfreiheit und das Elternrecht“.17 Die Politik wurde unter Berufung auf die jahrtausendealte Tradition religiöser Beschneidungen minderjähriger Knaben aufgefordert, gesetzgeberische Maßnahmen zu ergreifen, um die „Kriminalisierung der Brit Mila“18 zu verhindern und die Beschneidung minderjähriger Knaben für deren Eltern und die ausführenden Ärzte und religiösen Beschneider straffrei zu stellen.19 Aber nicht nur die Vertreter der Ansicht, das Urteil des Landgerichts Köln sei fehlerhaft, „ärgerlich“20 oder weise 11 Siehe etwa: Interview des Präsidenten des Zentralrats der Juden in Deutschland vom 23. 08. 2012 in: Jüdische Allgemeine, http://www.zentralratdjuden.de/de/article/3770.html? sstr=beschneidung (zuletzt aufgerufen 14. 04. 2014). 12 Presseerklärung des Zentralrats der Juden in Deutschland, http://www.zentralratdjuden. de/de/article/3705.html?sstr=landgerichtjk%F6ln (zuletzt aufgerufen 14. 04. 2014). 13 Interview des Präsidenten des Zentralrats der Juden in Deutschland vom 14. 07. 2012 in: Rheinische Post, http://www.zentralratdjuden.de/de/article/3737.html?sstr=landgerichtjk% F6ln (zuletzt aufgerufen 14. 04. 2014). 14 Siehe etwa: Erklärung des Präsidenten des Zentralrats der Juden in Deutschland zur Strafanzeige gegen einen Mohel, http://www.zentralratdjuden.de/de/article/3769.html?sstr=be schneidung (zuletzt aufgerufen 14. 04. 2014). 15 http://islam.de/20585 (zuletzt aufgerufen 14. 04. 2014). 16 Heil/Kramer (Hrsg.), Einleitung S. 9. 17 http://islam.de/20585 (zuletzt aufgerufen 14. 04. 2014). 18 Siehe etwa: Interview des Vizepräsidenten des Zentralrats der Juden in Deutschland vom 31. 10. 2012, http://www.zentralratdjuden.de/de/article/3856.html?sstr=landgerichtjk%F6ln (zuletzt aufgerufen 14. 04. 2014); der Begriff ,Brit Mila’ stammt aus dem Hebräischen, bedeutet übersetzt ,Bund der Beschneidung’ und bezeichnet die partielle oder vollständige Beschneidung der Penisvorhaut nach jüdisch-religiösem Brauch. 19 Siehe etwa: Interview des Präsidenten des Zentralrats der Juden in Deutschland vom 14. 07. 2012 in: Rheinische Post, http://www.zentralratdjuden.de/de/article/3737.html?sstr= landgerichtjk%F6ln (zuletzt aufgerufen 14. 04. 2014). 20 So etwa Beulke/Dießner, S. 338 (345), die in diesem Zusammenhang wohl spekulieren, das LG Köln habe dem angeklagten Arzt deshalb einen unvermeidbaren Verbotsirrtum zugebilligt, um eine höchstrichterliche Klärung zu verhindern.

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1. Kap.: Einführung

„gravierende handwerkliche Mängel“21 auf, sondern zum Teil auch Vertreter der Auffassung, dass das Landgericht Köln die Rechtslage zutreffend beurteilt habe, riefen nach entsprechender gesetzgeberischer Initiative, wobei auch die spezifische politische Dimension22 in Deutschland offenbar wurde, etwa wenn zu bedenken gegeben wurde, ob ausgerechnet die deutsche Rechtsordnung eine fundamentale jüdische Religionstradition kriminalisieren wolle,23 oder wenn sich „eine Vielzahl von Politikern, darunter Bundeskanzlerin Merkel und der damalige Außenminister Westerwelle Sorgen um das internationale Ansehen des Landes“ machten.24 Mit einer für den Gesetzgeber bemerkenswerten Geschwindigkeit25 forderte der Deutsche Bundestag mit einer breiten, parteiübergreifenden Mehrheit bereits am 19. 07. 2012 die Bundesregierung auf, bis zum Herbst 2012 die Beschneidung aus religiösen Gründen per Gesetz generell zu erlauben.26 Daraufhin leitete die Bundesregierung in dem erklärten Bestreben, Rechtssicherheit herbeizuführen, ein Gesetzgebungsverfahren in die Wege und stellte einen Regierungsentwurf27 für ein „Gesetz zum Umfang der Personensorge bei einer Beschneidung des männlichen Kindes“ vor, mit dem kodifiziert werden sollte, dass die Personensorge auch das Recht der Sorgeberechtigten umfassen solle, in eine medizinisch nicht erforderliche Beschneidung des nicht einsichts- und urteilsfähigen männlichen Kindes einzuwilligen. Bereits am 12. 12. 2012 beschloss der Deutsche Bundestag in zweiter und dritter Lesung dieses Gesetz, mit welchem ein neuer § 1631d in das Bürgerliche Gesetzbuch eingefügt wurde,28 der folgenden Wortlaut hat: „(1) Die Personensorge umfasst auch das Recht, in eine medizinisch nicht erforderliche Beschneidung des nicht einsichts- und urteilsfähigen männlichen Kindes einzuwilligen, wenn diese nach den Regeln der ärztlichen Kunst durchgeführt werden soll. Dies gilt nicht, 21 So etwa Muckel, S. 636 (639), der meint, Examenskandidaten sollte das Urteil „als Negativbeispiel dafür dienen, wie ein fachgerichtliches Urteil, in dem die Grundrechte eine tragende Rolle spielen, nicht auszuführen“ sei. 22 Vgl. hierzu etwa: Merkel, Die Haut des Anderen, http://www.sueddeutsche.de/wissen/be schneidungs-debatte-die-haut-eines-anderen-1.1454055 – 3 (zuletzt aufgerufen 14. 04. 2014), der zwar der Auffassung ist, die Beschneidung sei weder aus dem Grundrecht der Religionsausübungsfreiheit noch aus dem elterlichen Erziehungsrecht gerechtfertigt, aber vor dem Hintergrund der besonderen historischen Schuld Deutschlands gegenüber den Juden einen „rechtspolitischen Notstand“ sieht, der den Gesetzgeber zu einer Lösung zwingt. 23 Krüper, S. 547 (551); hierzu auch Spickhoff, FamRZ 2013, S. 337, (338). 24 Jacobs, S. 5. 25 Das Gesetzgebungsverfahren des aus Sicht der Betroffenen sicherlich ebenfalls wichtigen Gesetzes zur Stärkung der Rechte von Opfern sexuellen Missbrauchs (StORMG) benötigte vom Gesetzentwurf bis zur Veröffentlichung etwas mehr als zwei Jahre; Die Frist zur Umsetzung der EU-Richtlinie gegen Menschenhandel vom April 2011 in nationales Recht ist im April 2013 verstrichen, ohne dass bisher ein Gesetzgebungsverfahren eingeleitet worden wäre. 26 Bundestagsdrucksache 17/10331 vom 19. 07. 2012. 27 Bundestagsdrucksache 17/11295 vom 05. 11. 2012. 28 Siehe: Plenarprotokoll 17/213 vom 12. 12. 2012.

1. Kap.: Einführung

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wenn durch die Beschneidung auch unter Berücksichtigung ihres Zwecks das Kindeswohl gefährdet wird. (2) In den ersten sechs Monaten nach der Geburt des Kindes dürfen auch von einer Religionsgesellschaft dazu vorgesehene Personen Beschneidungen gemäß Absatz 1 durchführen, wenn sie dafür besonders ausgebildet und, ohne Arzt zu sein, für die Durchführung der Beschneidung vergleichbar befähigt sind.“

Am 27. 12. 2012 erfolgte die Veröffentlichung im Bundesgesetzblatt29 und am darauf folgenden Tag trat das Gesetz in Kraft. Wer glaubte, durch das Inkrafttreten des § 1631d BGB würde der Diskussion um die rechtliche Beurteilung der Beschneidung (männlicher) Minderjähriger ein Ende gesetzt, sah sich allerdings getäuscht: Ungeachtet der gesetzgeberischen Aktivitäten wurde und wird die Diskussion nicht nur in der juristischen Fachliteratur30 und den allgemeinen Medien31 fortgeführt, sondern das Thema wurde auch zum Gegenstand der internationalen politischen Diskussion. So verabschiedete der Europarat am 01. 10. 2013 mit überwältigender Mehrheit eine Resolution, mit der die 47 Mitgliedstaaten aufgefordert wurden, eine öffentliche Debatte mit dem Ziel einer Konsensfindung herbeizuführen und durch gesetzliche Maßnahmen sicherzustellen, dass „bestimmte Vorgänge und Praktiken nicht erfolgen dürfen, bevor ein Kind alt genug ist, um hierüber selbst zu bestimmen“,32 wobei zu diesen Praktiken neben Piercings, Tätowierungen, körperlicher Züchtigung, frühkindlicher Intervention bei Intersexualität und weiblicher Genitalbeschneidung auch die Beschneidung männlicher Minderjähriger aus religiösen Gründen gezählt wird. Diese Arbeit soll anhand einer Überprüfung der Rechtslage vor Inkrafttreten des § 1631d BGB untersuchen, ob die Kodifizierung dieser Vorschrift ausschließlich klarstellenden Charakter hatte, oder ob sie zum Erreichen der gesetzgeberischen Intention, für die betroffenen Minderjährigen und deren Sorgeberechtigten sowie für Ärzte und nichtärztliche religiöse Beschneider Rechtssicherheit zu schaffen und medizinisch nicht indizierte Beschneidungen männlicher Minderjähriger durch die Regelung des § 1631d BGB rechtlich zu legitimieren, erforderlich war. Letzteren Falls soll geprüft werden, ob die beabsichtigte Intention des Gesetzgebers erreicht 29

BGBl. 2012 Teil I, Nr. 61, S. 2749. Siehe etwa: Rixen, NJW 2013, S. 257 ff.; Hahn, Erik, MedR 2013, S. 215 ff.; Spickhoff, FamRZ 2013, S. 337 ff.; Grams, GesR 2013, S. 332 ff.; Höfling, GesR 2013, S. 463 ff.; Putzke, Monatsschr Kinderheilk 2013, S. 950 f.; Isensee, JZ 2013, S. 317 ff.; Jakobs, myops 2013, S. 25 ff.; Scheinfeld, HRRS 2013, S. 268 ff.; Hörnle/Huster, JZ 2013, S. 328 ff.; Germann, MedR 2013, S. 412 ff. 31 Statt vieler: Kirchner, Der Gesetzgeber kannte nicht alle Risiken der Beschneidung, ZeitOnline, 18. 03. 2013, http://www.zeit.de/wissen/gesundheit/2013 – 03/beschneidungsgesetz-kin deraerzteverband-aap (zuletzt aufgerufen 14. 04. 2014); Walter, Das unantastbare Geschlecht, Die Zeit vom 04. 07. 2013, S. 13. 32 Resolution 1952 (2013) „Children’s right to physical integrity“ der Parliamentary Assembly des Europarats, http://assembly.coe.int/nw/xml/XRef/X2H-Xref-ViewPDF.asp?Fi leID=20174&lang=en (zuletzt aufgerufen 14. 04. 2014). 30

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1. Kap.: Einführung

wurde, oder ob der Gesetzgeber in der Eile des Gesetzgebungsverfahrens mit § 1631d BGB eine Vorschrift erlassen hat, die in einem verfassungsrechtlich nicht zu rechtfertigenden Maß in Grundrechte der Betroffenen eingreift. Hierbei wird insbesondere die Frage von Bedeutung sein, ob der Gesetzgeber die widerstreitenden Grundrechte der betroffenen Grundrechtsträger in rechtlich zutreffender Weise gegeneinander abgewogen hat. Zunächst soll in einem kurzen Abriss der kulturhistorische und religiöse Hintergrund von Genitalbeschneidungen dargestellt werden. Ferner sollen die medizinischen Aspekte der Beschneidung des männlichen Genitals und die Unterschiede zur weiblichen Genitalbeschneidung aufgezeigt werden.

2. Kapitel

Genitalbeschneidungen A. Historischer, religiöser und kultureller Kontext I. Beschneidung im alten Ägypten Die Ursprünge der Beschneidung lassen sich Jahrtausende weit zurückverfolgen. Seit es überhaupt historische Belege in Schrift- oder Bildform gibt, die frühesten aus der Zeit der Hochkultur des antiken Ägyptens um etwa 4000 v. Chr., soll sich die Beschneidung belegen lassen, so etwa anhand von erhaltenen männlichen Mumien aus dieser Zeit.33 Es wird vermutet, dass die Beschneidung in der ägyptischen Hochkultur weit verbreitet war, was sich jedoch nur bedingt belegen lässt. Eine bildliche Darstellung in Gestalt eines Grabreliefs, das aus der Zeit um etwa 2400 bis 2300 v. Chr. stammen soll,34 überliefert den Akt der Beschneidung durch Priester.35 Aus etwa derselben Zeit existieren Inschriften, aus denen sich ergibt, dass die Beschneidung in größeren Gruppen durchgeführt wurde,36 wobei angenommen wird, dass der Eingriff damals nicht an Neugeborenen vorgenommen wurde, sondern erst vor Eintritt der Pubertät.37 Es wird vermutet, dass die Beschneidung in einer frühen Phase „ein Zeichen des Auserwähltseins“ war, „das nur Priestern zustand“.38 Wahrscheinlich wurde die Vorhaut zur damaligen Zeit aber nicht partiell oder vollständig entfernt, sondern nur eingeschnitten, so dass sie ein V-förmiges Aussehen annahm, was anhand männlicher Statuen aus dieser Zeit erkennbar ist.39 Neben der Überlieferung der männlichen Beschneidung gibt es aus ägyptischer Zeit auch Belege für weibliche Beschneidungen, wobei Mumienfunde darauf hinweisen, dass diese ebenso wie die männlichen Beschneidungen nicht in radikaler Form durchgeführt wurden.40 So schreibt Sankt Ambrosius von Mailand im 4. Jahrhundert n. Chr. in einem Papyrus: „Die Ägypter beschneiden ihre männlichen Kinder im 33 34 35 36 37 38 39 40

Gollaher S. 13; Quack, S. 18; Bundschuh, S. 10. Lichtenheldt, S. 151; Quack, S. 19; Gollaher, S. 13 f. Gollaher, S. 14. Quack, S. 19. Quack, S. 19. Gollaher, S. 16. Quack, S. 20. Quack, S. 20 m.w.N.; Ruwe, S. 76.

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2. Kap.: Genitalbeschneidungen

Alter von 14 Jahren, von den Frauen sagt man dasselbe, denn in diesem Alter setzt das sexuelle Verlangen ein und bei den Frauen die monatlichen Blutungen.“41 Genitalbeschneidungen sind also bereits in Zeiten vor dem Entstehen der großen monotheistischen Religionen durchgeführt worden. Die Gründe hierfür liegen allerdings weithin im Unklaren. Mehrheitlich wird unter Anthropologen vermutet, dass die Beschneidungen den Übergang vom Kindesalter zum Erwachsenenleben symbolisieren sollten.42 Aufgrund von Überlieferungen des griechischen Historikers Herodot, wonach die Ägypter „die Reinlichkeit der Ansehnlichkeit“ vorzögen, wird auch angenommen, die männliche Beschneidung habe der Hygiene gegolten.43 Gegen diese Annahme spricht zwar, dass dieser Umstand keinen Eingang in die überlieferten medizinischen Texte der Ägypter gefunden hat.44 Für diese Vermutung streitet jedoch der Umstand, dass die Reinheit in der ägyptischen Kultur bekanntermaßen ein fundamentales Anliegen war und eine der wichtigsten Aufgaben der Medizin darin bestand, Körper und Geist zu reinigen.45 Vor diesem Hintergrund könnte vermutet werden, dass die Penisvorhaut deshalb beschnitten wurde, weil sich darunter ein Sekret, das sog. Smegma bildet, das zu einem unangenehmen Geruch führen kann, wenn dieser Bereich – was in heißen Gegenden mit knappen Wasservorräten vermutlich nicht immer möglich war – nicht regelmäßig gereinigt wird,46 was allerdings keine Erklärung für weibliche Genitalbeschneidungen liefern würde. Andererseits wird auch angenommen, dass es sich „um eine Art Opferritus gehandelt haben könnte, mit dem man die Götter versöhnlich stimmen wollte“.47 In Bezug auf die monotheistischen Religionen geben die Überlieferungen des alttestamentarischen Pentateuchs,48 wonach die männliche Beschneidung an die Stelle der vormals bestandenen Bündnispflicht zu Gott, jeweils den erstgeborenen Sohn zu opfern,49 treten sollte,50 Anhaltspunkte für diese These. Belegt ist das Verbot der Beschneidung im römischen Reich durch Kaiser Hadrian,51 welches dazu führte, dass die Beschneidungspraxis in Ägypten weitge-

41

Zitiert nach: Gollaher, S. 248. Gollaher, S. 15; Bundschuh, S, 10. 43 Quack, S. 19; Ruwe, S. 77. 44 Gollaher, S. 16. 45 Gollaher, S. 17. 46 Gollaher, S. 18. 47 Lichtenheldt, S. 151. 48 Als Pentateuch werden in der Religionswissenschaft die fünf Bücher Mose bezeichnet, in der jüdischen Religion auch Thora genannt. 49 2. Mose 22, 28: „Deiner Frucht Fülle und Saft sollst du nicht zurückhalten. Deinen ersten Sohn sollst du mir geben.“ 50 Exner, S. 23. 51 Regentschaft von 117 bis 138 n. Chr. 42

A. Historischer, religiöser und kultureller Kontext

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hend beendet wurde, wobei es Ausnahmen für die Priesterschaft gegeben haben soll.52

II. Beschneidung im Judentum Im Judentum wird die männliche Beschneidung aus religiöser Sicht auf das im Pentateuch (1. Mose 17, 9 – 13) wie folgt überlieferte, an Abraham – der sich noch im Alter von 99 Jahren der Beschneidung unterzogen haben soll – gerichtete Gebot Gottes, seine männlichen Nachkommen beschneiden zu lassen, zurückgeführt: „Das ist mein Bund zwischen mir und euch samt deinen Nachkommen, den ihr halten sollt: Alles, was männlich ist unter euch, muss beschnitten werden. Am Fleisch eurer Vorhaut müsst ihr euch beschneiden lassen. Das soll geschehen zum Zeichen des Bundes zwischen mir und euch. Alle männlichen Kinder bei euch müssen, sobald sie acht Tage alt sind, beschnitten werden in jeder eurer Generationen, seien sie im Haus geboren oder um Geld von irgendeinem Fremden erworben, der nicht von dir abstammt.“53 Ob „der Abraham der Bibel im Sinne einer historischen Gestalt“ jedoch tatsächlich gelebt hat, ist nicht nachweisbar.54 Alles, was über diesen gemeinsamen „Vorvater des Judentums, des Christentums und des Islam“55 bekannt ist, steht im 1. Buch Mose. Jedenfalls aber lässt sich die männliche Beschneidung in der jüdischen Religion seit etwa 2500 Jahren nachweisen, länger zurück liegende Zeiträume müssen als spekulativ betrachtet werden.56 Es wird angenommen, dass der Brauch der Beschneidung durch den ägyptischen Einfluss auf das untergebene Volk der Israeliten Einzug in dessen Kultur und Religion gefunden hat.57 Während die Beschneidung im alten Ägypten vermutlich den Übergang vom Kindes- zum Mannesalter symbolisieren sollte und deshalb erst vor Beginn der Pubertät durchgeführt wurde, wandelte sie sich im Judentum zu einem Eingriff an Säuglingen.58 Dies ist nach Auffassung des bedeutendsten Denkers des hellenistischen Judentums, des Philosophen Philon von Alexandria,59 darauf zurückzuführen, dass die Vorväter empfohlen hatten, die Beschneidung an Neugeborenen vorzunehmen, um damit „die Zugehörigkeit des Kindes zur Gemeinschaft“ zu besiegeln, „bevor es die Möglichkeit hat, selbst zu wählen“, denn es könnte als „Erwachsener aus Furcht vor den Schmerzen zögern, sich dieser Prozedur freiwillig zu unterziehen“.60 Bis heute erfolgt bei jüdischen Knaben das Beschneidungsritual ,Brit Mila‘ i. d. R. am achten Tag 52

Quack, S. 21. Alle Bibelzitate entstammen der „Einheitsübersetzung der Heiligen Schrift“ der Katholischen Bibelanstalt Stuttgart von 1980. 54 Brumlik, S. 229. 55 Gollaher, S. 22. 56 Brumlik, S. 229; Ruwe, S. 73. 57 Gollaher, S. 19. 58 Gollaher, S. 27. 59 Geboren ca. 15 – 10 v. Chr., gestorben nach 40 n. Chr. 60 Zitiert nach: Gollaher, S. 27. 53

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2. Kap.: Genitalbeschneidungen

nach der Geburt. Die Beschneidung männlicher Neugeborener war – und ist es im Judentum noch heute – Ausdruck der Zugehörigkeit zum Bund mit Gott. Zugleich war sie aber auch ein Mittel, um zu verhindern, dass die als Kinder Beschnittenen sich von ihrem Volk abwenden oder ihre jüdische Herkunft verleugnen würden. Deshalb wurde der Eingriff mit der Zeit radikaler durchgeführt, so dass er nicht mehr rückgängig gemacht werden konnte. Zunächst wurde nur ein Stück der kindlichen Vorhaut entfernt, die Vorhaut also „beschnitten“ im eigentlichen Sinn des Wortes. Dies eröffnete den Betroffenen jedoch die Möglichkeit, durch künstliches Langziehen des verbliebenen Vorhautrestes den Eindruck des Nichtbeschnittenseins zu erwecken, wovon Juden in der hellenistischen Welt, in der das Beschnittensein als unschicklich galt, und in der viele Sportarten nackt ausgeführt wurden, Gebrauch machten.61 Um dies zu verhindern, musste der Eingriff auf Weisung der Rabbiner ab etwa der Mitte des 2. Jh. durch vollständiges Entfernen der Vorhaut durchgeführt werden.62 Bei dieser noch heute gebräuchlichen Form der Beschneidung handelt es sich um die sog. Periah.63 Jedenfalls ab dem Mittelalter ist belegt, dass die Beschneidung auch den Sinn haben sollte, das sexuelle Verlangen zu mindern.64 So argumentiert Maimonides,65 ein bekannter Mediziner, Philosoph und Rechtsgelehrter des Judentums im Mittelalter, dass die Beschneidung deshalb positive Auswirkungen habe, weil sie dem Mann erleichtere, andere Vorschriften einzuhalten, und es der Sinn aller Gesetze sei, die „Anfechtungen des Fleisches zu unterdrücken“.66 Seiner Auffassung nach war es allgemein bekannt, dass die Vorhaut das sexuelle Erlebnis verstärke, und zwar offenbar nicht nur beim Mann selbst, denn es falle einer Frau, die mit einem unbeschnittenen Mann Geschlechtsverkehr hatte, schwer, diesen zu verlassen.67 Aber auch schon zur Zeit Philons von Alexandria scheint dies von Bedeutung gewesen zu sein, jedenfalls pries dieser die Gesetzgeber, die gut daran getan hätten, „jenes Organ zu beschneiden, das für den Geschlechtsverkehr nötig ist“, weil damit „die Beschneidung zu einem Symbol der Ausmerzung des ausschweifenden und übermäßigen Genusses“ geworden sei.68 Demnach dürfte es wohl auch ein Zweck des überlieferten Beschneidungsgebots Gottes an Abraham gewesen sein, dass dieser und seine Nachkommen „sich darauf konzentrierten, Gott 61

Jerouschek, S. 313. Gollaher, S. 32 f. 63 Jerouschek, S. 313. 64 Jütte, S. 174 m.w.N. 65 Geboren ca. 1135 n. Chr., verstorben 1204 n. Chr. 66 Zitiert nach: Gollaher, S. 36. 67 Zitiert nach: Aldeeb Abu-Salieh, S. 27 m.w.N., Originaltext in englischer Sprache: „It’s hard for a woman, with whom an uncircumcised had sexual intercourse, to separate from him.“; Dies scheint durch Studien von O’Hara und O’Hara aus dem Jahr 1999 untermauert zu werden, bei denen von 138 untersuchten Frauen, die sowohl Erfahrungen mit beschnittenen als auch nicht beschnittenen Partnern hatten, 118 Frauen (85,5 %) nicht beschnittene Partner bevorzugten. 68 Zitiert nach: Gollaher, S. 28. 62

A. Historischer, religiöser und kultureller Kontext

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zu dienen und nicht den Freuden des Fleisches folgten“.69 Dass zu den ,Freuden des Fleisches‘ auch autoerotische Handlungen zählten, wird daran deutlich, dass im Judentum die Masturbation lange Zeit als schwere Sünde angesehen wurde,70 „schlimmer als alle Sünden in der Thora“,71 und weil die Vorhaut als vermeintliche Hauptursache der Masturbation identifiziert worden war, galt es sie zu entfernen. Noch Ende des 19. Jh. behaupteten führende jüdische Ärzte in den USA, dass die Beschneidung „gegen Masturbation immun“ mache.72 Die weibliche Genitalbeschneidung nimmt in der jüdischen Religion eine untergeordnete Rolle ein, sie wird hier lediglich von den Falasha-Juden in Äthiopien praktiziert.73

III. Beschneidung im Islam Für den Islam wird vermutet, dass der Ursprung der Beschneidung auf den Einfluss konvertierter Juden zurückzuführen sei.74 Dem Koran selbst sind keine Hinweise auf ein religiöses Gebot zur Beschneidung zu entnehmen, dieses wird vielmehr aus den gewohnten, prophetisch anempfohlenen Riten (sog. Sunnah) sowie den überlieferten Aussprüchen des Propheten Mohammed und den Erzählungen über seine Handlungsweisen (sog. Hadith) hergeleitet.75 Die Beschneidung wird daher als Empfehlung Mohammeds „im Sinne eines Bekenntnisses und Zeichens zum religiösen Urvater Abraham“ verstanden.76 Allerdings gibt es keinen sicheren Beweis dafür, dass der Prophet Mohammed die Beschneidung als Voraussetzung für den Glauben angesehen hat.77 Ob er selbst beschnitten war, ist unklar und sogar eher unwahrscheinlich.78 Teilweise wird angenommen, dass er am siebten Lebenstag beschnitten worden sei. Es existiert aber auch die Legende, dass Mohammed bereits beschnitten geboren worden sein soll, was jedoch auch von islamischen Religionsgelehrten für nicht sehr glaubwürdig angesehen wird.79 Ein verbindliches Gebot, in welchem Alter die Beschneidung durchzuführen sei, besteht im Islam nicht. Sie wird jedoch meist im Kindesalter vor Eintritt der Pubertät, je nach Land, Region und Auslegung durch die verschiedenen islamischen Schulen zwischen dem siebten Lebenstag, an dem der Prophet Mohammed beschnitten worden sein soll, und dem 69 70 71 72 73 74 75 76 77 78 79

Gollaher, S. 37. Gollaher, S. 141; Jütte, S. 173. Gollaher, S. 143. Gollaher, S. 142. Graf, S. 40. Gollaher, S. 148; Exner, S. 25. Kern/Köhler, S. 104; Exner, S. 25. Engin, S. 256. Gollaher, S. 67. Aldeeb Abu Sahlieh, S. 7; Jerouschek, S. 314 m.w.N. Jerouschek, S. 314.

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2. Kap.: Genitalbeschneidungen

dreizehnten Lebensjahr,80 spätestens jedoch mit Vollendung des 14. Lebensjahres vorgenommen.81 Zwar ist in den Überlieferungen im Sinne einer Sunnah nur von der männlichen Beschneidung die Rede, die auf vorislamisches Brauchtum zurückgeführte Beschneidung von Mädchen und Frauen ist allerdings nicht verboten,82 „und was nicht verboten ist darf auch angewendet werden“.83 Sie wurde und wird nach wie vor in zahlreichen islamisch geprägten Ländern und Stammesgemeinschaften praktiziert.84 Es wird überliefert, Mohammed habe bestimmt, dass die Beschneidung für „die Männer eine Sunnah und für die Frauen eine Makruma ist“85, wobei die Vorschrift einer Makruma schwächer als die einer Sunna ist, hierdurch aber gleichwohl zum Ausdruck kommt, dass „die weibliche Beschneidung ein Segen ist, der die Frau erhöht“.86 Während in früheren Zeiten islamische Religionsgelehrte der vier großen sunnitischen Rechtsschulen, der Malikiten, der Hanbaliten, der Schafiiten und der Hanafiten Genitalbeschneidungen an Männern als Pflicht und an Frauen als Pflicht oder Empfehlung ansahen,87 wird die weibliche Genitalbeschneidung heute von den meisten Vertretern der hanafitischen Rechtsschule abgelehnt, von Vertretern der konservativen Schule der Malikiten und der streng konservativen Schule der Hanbaliten empfohlen und von schafiitischen Rechtsgelehrten als Pflicht angesehen.88 Der Grund weiblicher Genitalbeschneidungen im Islam steht vermutlich in einem Kontext mit der islamischen Vorstellung von Erotik und Sexualität. In der Erfahrungswelt des Propheten Mohammed wird die Frau „als Inbegriff des Stolzes, der Schönheit und der Sinnesfreuden beschrieben“, gleichzeitig stellt sie jedoch auch die Ursache von Sittenlosigkeit dar.89 Aus der Angst „vor den Verführungskünsten der Frau, ihren listigen Charaktereigenschaften und den verheerenden Folgen, die einem Mann drohen, wenn er der Versuchung erliegt“, erklärt sich ihre Darstellung als „ewige Verführerin“ mit „zwanghafter Sinnlichkeit“ und „übermächtiger Erotik“, die es zu kontrollieren gelte.90 Vor diesem Hintergrund nimmt die Bändigung der Verführungskunst der Frauen im Koran eine zentrale

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Engin, S. 256. Exner, S. 26 m.w.N.; Jerouschek, S. 314. 82 Kern/Köhler, S. 104. 83 So Dr. Almut Hinz vom Orientalischen Institut der Universität Leipzig im Gesprächskreis Ethik in der Medizin der Sächsischen Landesärztekammer (zitiert nach: Kern/Köhler, S. 104). 84 Graf, S. 34 ff. 85 Aldeeb Abu Sahlieh, S. 20. 86 Gollaher, S. 68, 244. 87 Aldeeb Abu-Sahlieh, S. 9 f. unter Hinweis auf die Religionsgelehrten Al-Musuli (verstorben 1284, Hanafit), Ibn-Qudamah (verstorben 1223, Hanbalit), Al-Bahuti (verstorben 1641, Hanbalit), Al-Nawawi (verstorben 1277, Schafiit), Ibn-al-Jallab (verstorben 988, Malikit) und Al-Dardir (verstorben 1786, Malikit). 88 Graf, S. 41. 89 Haeger, S. 41. 90 Heller/Mosbahi, S. 66. 81

A. Historischer, religiöser und kultureller Kontext

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Position ein,91 was beispielsweise die zwölfte Sure Yusuf veranschaulicht.92 Der Überwachung und Bändigung der Sexualität der Frau „durch Einschränkung der Bewegungsfreiheit, Verschleierung, Geschlechtersegregation oder eben Genitalverstümmelung“93 kam demgemäß in der patriarchalisch orientierten islamischen Welt ein hoher Stellenwert zu.94 Noch heute wird die Genitalbeschneidung von Mädchen und Frauen vor allem in den islamisch geprägten Ländern Afrikas und in Indonesien vielfach durchgeführt, denn häufig weigern Männer sich, eine unbeschnittene Frau zu heiraten.95 So hat ungeachtet der UN-Resolution gegen die Praxis der weiblichen Genitalverstümmelung nach Angaben der Organisation Terres des Femmes der Rat der Muslimgelehrten in Indonesien im Dezember 2012 die weibliche Beschneidung als religiöse Pflicht verteidigt, und ein ägyptischer Arzt hat angesichts der Beschneidungsdebatte in Deutschland und der sich abzeichnenden Legitimierung der männlichen Beschneidung auch die Legalisierung bestimmter Formen der weiblichen Genitalbeschneidung gefordert.96

IV. Beschneidung im Christentum In Anbetracht der Wurzeln des Christentums in der jüdischen Religion überrascht es nicht, dass in den Anfängen des Christentums auch bei dessen Angehörigen die männliche Beschneidung ebenfalls weit verbreitet war. Auch Jesus von Nazareth, selbst jüdischer Abstammung, soll beschnitten gewesen sein,97 ebenso wie die meisten seiner frühen männlichen Anhänger, welche gleichfalls jüdischer Abstammung und daher bereits als Kinder beschnitten worden waren.98 Noch bis ins Jahr 1962 war der 1. Januar als Tag der Beschneidung Christi in der römisch-katholischen Kirche ein Feiertag, der erst durch das Zweite Vatikanische Konzil als solcher abgeschafft wurde. Allerdings wird bereits im Neuen Testament von dem Beschneidungsbrauchtum Abstand genommen, was namentlich auf den Apostel Paulus zurückgeführt wird, in dessen Theologie der Glaube an Christus die Beschneidung überflüssig machte,99 weil der hierdurch eingegangene neue Bund den alten Bund 91

Heller/Mosbahi, S. 15. Haeger, S. 41. 93 Graf, S. 42. 94 Haeger, S. 41. 95 Kern/Köhler, S. 104. 96 Ärztezeitung v. 06. 02. 2013, http://www.aerztezeitung.de/politi_gesellschaft/article/83 0834/weibliche-genitalverstuemmelung-schleichende-legalisierung.html?sh=1&h=194010493 7 (zuletzt aufgerufen 05. 05. 2013). 97 Luk. 2, 21: „Und als acht Tage um waren und man das Kind beschneiden musste, gab man ihm den Namen Jesus, wie er genannt war von dem Engel, ehe er im Mutterleib empfangen war.“ 98 Gollaher, S. 51. 99 Paulus an die Galater (Gal. 5, 6): „Denn in Jesus Christus gilt weder Beschneidung noch Unbeschnittensein etwas, sondern der Glaube, der durch die Liebe tätig ist.“ 92

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2. Kap.: Genitalbeschneidungen

Gottes mit Abraham mit einschließe.100 An die Stelle der Beschneidung trat in der christlichen Religion die Taufe als Merkmal der Zugehörigkeit.101 Gleichwohl wurden und werden auch in der christlich geprägten Kultur Genitalbeschneidungen vorgenommen. Dabei waren zwar vordergründig oft nicht religiöse, sondern stattdessen vermeintliche medizinische Aspekte maßgeblich, die allerdings wohl weitgehend als Folge einer puritanischen Sexualmoral religiösen Ursprungs bemüht worden sein dürften und „einer allgemeinen Angst vor Sexualität und Masturbation“102 entsprangen. So wurde im 19. Jahrhundert in der Beschneidung ein probates Mittel gegen Masturbation gesehen, von welcher behauptet wurde, dass sie für eine Vielzahl von Krankheiten verantwortlich sei, „so z. B. Gedächtnisschwund und Verblödung, jugendliche Rebellion, Hysterie, Neurosen, Wahnsinn, Pocken, Epilepsie und Sehschwäche“.103 Die Krankheitsbilder, die auf die Masturbation zurückgeführt wurden, nahmen im Lauf der Zeit immer mehr zu. So galten „Faulheit, zitternde Hände, Blässe, Rückenmarkschwund und flackernde Augen“ sowie mögliche Impotenz als Folgen von Onanie,104 die demgemäß erschwert werden müsste, indem die Vorhaut entfernt wird. Später wurden – und werden bis heute – als Argumente für eine Beschneidung Hygiene und Prävention vor Geschlechtskrankheiten, Krebs oder AIDS genannt.105 Dies führte dazu, dass in Nordamerika zahlreichen männlichen Neugeborenen bis heute alsbald nach der Geburt die Vorhaut entfernt wird, was „in amerikanischen Entbindungskliniken eine reine Fließbandarbeit“106 darstellt und zu einer lukrativen Beschneidungsindustrie geführt hat, in der Ärzte und Kliniken massiv für den Eingriff werben und pharmazeutische und biotechnische Unternehmen ihnen die entfernten Vorhäute abkaufen und daraus Hautprodukte herstellen.107 Als Parallele zu der erwähnten Vorstellung von weiblicher Erotik und Sexualität im Islam zeigt sich, dass im Christentum gleichfalls jede Form weiblicher Sexualität bekämpft wurde, die nicht ausschließlich innerhalb der Ehe stattfand und gleichzeitig der Fortpflanzung diente.108 So galt im Mittelalter, insbesondere zur Zeit der Hexenverfolgung das Dogma, Frauen seien „defekt und naturwidrig zum Beischlaf mit dem Teufel geneigt“.109 Wie bei der männlichen Zirkumzision wurden im Lauf der 100

Gollaher, S. 51. Gal. 3, 26 f.: „Denn ihr seid alle Söhne Gottes durch den Glauben in Jesus Christus. Denn ihr alle, die ihr auf Christus getauft seid, habt Christus angezogen.“ 102 Graf, S. 54. 103 Tissot, Von der Onanie – oder Abhandlung über die Krankheiten, die von der Selbstbefleckung herrühren (zitiert nach: Lichtenheldt, S. 158). 104 Lichtenheldt, S. 158. 105 Vgl. hierzu etwa: Deusel, S. 184 ff. 106 Lichtenheldt, S. 163. 107 Graf, S. 55. 108 Lichtenheldt, S. 155. 109 Lichtenheldt, Fn. 108. 101

A. Historischer, religiöser und kultureller Kontext

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Zeit auch für die weibliche Beschneidung gesundheitliche Aspekte ins Feld geführt. Der weibliche Orgasmus galt als Ursache verschiedenster Krankheiten wie „Hysterie, Nymphomanie, Melancholie, Paralyse und Geisteskrankheiten“, weshalb bei Mädchen und Frauen die Klitoris und die inneren Schamlippen ganz oder teilweise entfernt wurden110 oder ähnliche „Behandlungen“111 durchgeführt wurden. Noch bis in die 1950er Jahre wurden in den Vereinigten Staaten Mädchen aus diesen vorgeblich gesundheitlichen Erwägungen die Klitoris entfernt; erst 1977 wurde diese Art der ,Behandlung‘ aus dem Leistungskatalog der letzten amerikanischen Krankenkasse gestrichen.112 Zusammenfassend lässt sich daher feststellen, dass die medizinisch nicht indizierte Beschneidung in der jüdischen und islamischen Kultur ebenso in einem Kontext mit der Unterdrückung der natürlichen sexuellen Lust steht, wie dies auch in christlich geprägten (säkularen) Kulturkreisen das zentrale Motiv für Genitalbeschneidungen beiderlei Geschlechts gewesen ist und, jedenfalls mit Blick auf die männliche Beschneidung, möglicherweise auch heute noch sein könnte.

V. Beschneidung bei Naturvölkern Dass Genitalbeschneidungen jedoch keineswegs auf die Hochkultur des alten Ägyptens und die großen monotheistischen Religionen Islam, Judentum und Christentum, als deren gemeinsamer Urvater Abraham angesehen wird, beschränkt sind, wird daran deutlich, dass sie auch in geographisch und kulturell weit voneinander entfernt liegenden Gesellschaften oder Stammesgemeinschaften und in den unterschiedlichsten Epochen der Menschheitsgeschichte durchgeführt wurden. So finden sich Beschneidungsrituale bei den Aborigines in Australien113 ebenso wie in afrikanischen Naturvölkern.114 Sie wurden und werden teilweise bis heute in unterschiedlichsten Varianten praktiziert, so etwa bei der männlichen Beschneidung von vergleichsweise geringen Eingriffen, wie lediglich dem Durchtrennen des Frenulums beim Stamm der Luo in Kenia, bis hin zu massivsten Eingriffen wie dem zusätzlich zum Entfernen der Vorhaut erfolgten Aufschneiden der Harnröhre bis an die Peniswurzel bei einigen Aborigines-Stämmen in Australien oder dem regelrechten Häuten des Penis beim Stamm der Dowayos in Kamerun.115 Auch hier wird von Anthropologen teilweise vermutet, dass die Beschneidung den Übergang von der Kindheit zu Erwachsensein symbolisieren sollte. Dies würde jedoch derart massive 110

Lichtenheldt, S. 156. Kellogg ,Treatment for Self-Abuse an its Effects: „Bei Mädchen […] ist die Behandlung der Klitoris mit unverdünnter Karbonsäure hervorragend geeignet, die unnatürliche Erregung zu mindern“ (zitiert nach: Lichtenheldt, S. 157). 112 Lichtenheldt, S. 157. 113 Gollaher, S. 86. 114 Gollaher, S. 101. 115 Lichtenheldt, S. 165 ff. 111

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2. Kap.: Genitalbeschneidungen

Eingriffe wie etwa das Häuten des gesamten Penis, das im weiteren Wachstum der Betroffenen zu starken Deformierungen führt und teilweise den Geschlechtsverkehr unmöglich macht,116 kaum erklären. Eher wäre dies mit dem Motiv der Bändigung des – in diesem Fall männlichen – Sexualtriebs in Einklang zu bringen. Ein weiterer Erklärungsansatz ist, dass durch die Beschneidung weiblicher und männlicher Genitalien versucht werde, diese durch Entfernen bestimmter Teile, „die an das andere Geschlecht erinnern, zu vervollkommnen“.117 So resultiert bei einigen afrikanischen Stämmen die Beschneidung aus dem Glauben an die „Dualität des menschlichen Wesens“, wonach jedes Neugeborene „eine doppelte Seele beiderlei Geschlechts besitze“, wobei sich beim Mädchen die männliche Seele in der Klitoris und beim Jungen die weibliche Seele in der Vorhaut befinde; beides müsse entfernt werden, um den Betroffenen erst zu ermöglichen, die Identität ihres eigenen Geschlechts vollständig anzunehmen.118 Allerdings ist es keineswegs so, dass alle Volksstämme, die Beschneidungen durchführen, überhaupt eine Erklärung dafür haben, warum sie dies tun. So halten es die Angehörigen des Volks der Merina in Madagaskar zwar für unvorstellbar, einen Jungen nicht zu beschneiden. Außer dem Hinweis, dass es sich hierbei um Tradition handle und die Vorväter dies schon gemacht hätten, oder dass der Junge dadurch „süß“ oder „schön“ würde, vermochten sie jedoch keine Erklärung für dieses Ritual abzugeben.119

VI. Keine konstitutive Wirkung der Beschneidung für die Religionszugehörigkeit Weder im Judentum noch im Islam stellt die männliche Beschneidung einen konstitutiven Akt für die Zugehörigkeit zur Glaubensgemeinschaft dar, denn sowohl im jüdischen wie auch im islamischen Glauben ergibt sich die Religionszugehörigkeit des Neugeborenen bereits aufgrund des Umstandes, von einer jüdischen bzw. muslimischen Mutter geboren worden zu sein.120 Gleichwohl wird der Akt der männlichen Beschneidung sowohl in der jüdischen wie auch in der islamischen Religion als ein für die Religionszugehörigkeit wichtiger, identitätsstiftender Ritus angesehen, der die qua Geburt vermittelte Religionszugehörigkeit bestätigen soll. Aus jüdischer Sicht stellt die Beschneidung noch heute eines der höchsten Gebote im Judentum dar,121 wenngleich es auch Stimmen gibt, die ihre Bedeutung relativieren. So wird etwa darauf hingewiesen, dass die Beschneidung „nicht das zentrale Element des Bundesgedankens“ mit Gott sei, vielmehr in den pentateuchischen und pro116

Lichtenheldt, S. 168. Gollaher, S. 85. 118 Gollaher, S. 101. 119 Gollaher, S. 92. 120 Veltri, S. 210 (für die jüdische Religion); Putzke, in FS für Herzberg, S. 669 (700, 703) m.w.N. 121 Deusel, S. 181; Brumlik, S. 231; Wolff in: Langanke/Ruwe/Theißen, S. 137 f. 117

B. Männliche Genitalbeschneidung

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phetischen Schriften „der Shabbat als das Bundeszeichen herausgestellt“ werde,122 und die Beschneidung „ein Zeichen der Zugehörigkeit zum Judentum [sei], das weder ausschließlich (oder ausschließend) noch grundlegend“ sei und man daher auch „ohne Beschneidung Jude sein oder werden“ könne.123 Auch für muslimische Eltern ist die Beschneidung ihrer Söhne von herausragender Bedeutung Beschneidung, weil sie als Voraussetzung für die Teilnahme an zentralen Religionspraktiken wie etwa der Eheschließung oder der Pilgerfahrt nach Mekka angesehen wird.124

B. Männliche Genitalbeschneidung I. Prävalenz Das Statistische Bundesamt verfügt über keine statistischen Zahlen zur Prävalenz männlicher Beschneidungen in Deutschland. Schätzungen zufolge sollen in Deutschland etwa „15 % der männlichen Bevölkerung aus religiösen oder medizinischen Gründen beschnitten sein“.125 In Großbritannien wird aufgrund einer aktuellen Schätzung davon ausgegangen, dass ca. 5,6 % aller Jungen bis zur Vollendung des 15. Lebensjahres beschnitten sind,126 während es in Dänemark nur 1,7 % sein sollen, wobei allerdings davon ausgegangen wird, dass es sich bei diesen Zahlen lediglich um medizinisch indizierte Zirkumzisionen handelt.127 Diese wenig validen Zahlen basieren darauf, dass religiös motivierte, nicht medizinisch indizierte Beschneidungen zumeist nicht in Kliniken oder von Ärzten vorgenommen werden, sondern von religiösen Beschneidern. Dabei handelt es sich in der jüdischen Religion um den Mohel und in der islamischen Religion um den Sünnetci, die diese Eingriffe häufig im häuslichen Umfeld oder anlässlich religiöser Rituale durchführen. In den USA wird der Anteil Zirkumzidierter an der männlichen Bevölkerung aufgrund der jahrzehntelang durchgeführten Routinebeschneidungen Neugeborener, die erst seit wenigen Jahren rückläufig sind, auf über 50 % geschätzt.128 Unter Einbeziehung der religiös motivierten Beschneidungen, die zwar weitgehend nicht statistisch erfasst 122

Liss, S. 57 ff. Veltri, S. 215. 124 Engin, S. 257. 125 Jacobs, S. 3. 126 Statistik des Department of Health Statistics, zitiert nach: http://www.beschneidung-vonjungen.de/home/zeitgemaesse-behandung-von-peniserkrankungen-phimose-balanitis-paraphi mose/phimose/british-journal-of-urology-medizinische-indikationen-zur-beschneidung.html#n3 (zuletzt aufgerufen 14. 04. 2014). 127 Frisch/Friis/Kruger/Kjaer/Melbye, Falling incidence of penile cancer in a uncircumcised population (Denmark 1943 – 90), Br Med J 1995, S. 311, zitiert nach: http://www.beschneidungvon-jungen.de/home/zeitgemaesse-behandung-von-peniserkrankungen-phimose-balanitis-para phimose/phimose/british-journal-of-urology-medizinische-indikationen-zur-beschneidung. html#n4 (zuletzt aufgerufen 14. 04. 2014). 128 Fateh-Moghadam, Strafrecht und Religion im liberalen Rechtsstaat, S. 146 (155). 123

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2. Kap.: Genitalbeschneidungen

werden, in muslimisch geprägten Ländern ebenso wie in Israel jedoch eine hohe Prävalenz aufweisen, wird angenommen, dass ca. 25 bis 30 % der männlichen Weltbevölkerung beschnitten sein sollen.

II. Funktion der Vorhaut Bei der Penisvorhaut (Präputium) handelt es sich um einen beweglichen, aus Haut und Schleimhaut bestehenden Hautlappen, der die Eichel umschließt. Er nimmt etwa ein Drittel der gesamten Haut der Penis ein und liefert die für eine vollständige Erektion notwendige Haut.129 Physiologisch dient das Präputium zum einen dem Schutz der empfindsamen Oberfläche der Eichel gegen mechanische Einwirkungen und „erhält deren sexuelle Sensibilität“.130 Zum anderen produzieren die Drüsen der Vorhaut das Smegma, ein Sekret das die Eichel feucht hält und vor Austrocknung und Verhornung schützt, sowie sogenannte Defensine. Diese bilden eine Art „Säureschutzmantel“, welcher antivirale und antibakterielle Wirkung hat und Infektionen des Urogenitaltrakts vorbeugt.131 Unabhängig hiervon hat die Vorhaut bedeutende erogene Funktionen. Denn das bei der Erektion zurück gezogene und außen liegende innere Vorhautgewebe, das dicht mit Nerven durchzogen und daher hoch sensibel ist, bildet eine für das sexuelle Lustempfinden des Mannes wichtige erogene Zone.132 Darüber hinaus gleitet der Penis beim Geschlechtsverkehr zum Teil innerhalb der Ummantelung der eigenen Vorhaut, was die vaginale Reibung reduziert und auf natürliche Weise den Mann und seine Partnerin stimuliert.133 Fällt diese Funktion weg, können Schwierigkeiten bei der Penetration und bei der Partnerin Schmerzen beim Geschlechtsverkehr auftreten.134

III. Durchführung der Zirkumzision Bei der Beschneidung wird die Vorhaut zumeist ganz abgeschnitten. Bei einer Durchführung nach dem hierzulande geltenden medizinischen Standard auf dem Fachgebiet der Kinderchirurgie oder Urologie erfolgt der Eingriff durch einen Arzt unter meist allgemeiner oder lokaler Anästhesie mit einem Skalpell oder Feder-

129

Graf, S. 57. Graf, S. 57. 131 Bundschuh, S. 24 f.; Graf, S. 57. 132 Cold/Taylor, S. 34 ff., http://www.cirp.org/library/anatomy/cold-taylor/ (zuletzt aufgerufen 14. 04. 2014); Graf, S. 57. 133 Graf, S. 57. 134 Frisch/Lindholm/Grønbæk, S. 1 ff., zitiert nach Alternativer Gesetzentwurf der Abgeordneten Rupprecht u. a. (BT-Drucksache 17/11430 vom 08. 11. 2012). 130

B. Männliche Genitalbeschneidung

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messer.135 Ein Teil des inneren Vorhautblatts bleibt bestehen und wird „ähnlich einem nach außen umgeschlagenen Ärmel“136 unterhalb der Kranzfurche vernäht. Bei einer lediglich teilweisen Entfernung der Vorhaut bleibt ein Teil des äußeren Vorhautblattes bestehen, so dass die Naht unter dem verbleibenden Vorhautrest „versteckt“ werden kann.137 Eine andere Möglichkeit des Eingriffs besteht unter Verwendung einer sogenannten Gomco-Klemme. Dabei wird eine kleine Metallglocke über die Eichel gestülpt. Die zuvor längs aufgeschnittene Vorhaut wird über die Glocke wieder nach vorne gezogen und mit der Klemme an der vorgesehenen Schnittstelle abgeklemmt, wodurch Blutleere hergestellt wird. Sodann wird die Vorhaut mit einem Skalpell an der von der Klemme definierten Linie abgetrennt.138 Eine weitere Variante stellt die sogenannte Plasti-Bell-Methode dar. Bei dieser wird ähnlich wie bei der Methode mit einer Gomco-Klemme zunächst eine Plastikglocke über die Eichel geschoben und über diese die längs aufgeschnittene Vorhaut gespannt. Diese wird sodann mit einem Faden an der gewünschten Trennungslinie so stark abgeschnürt, dass die Durchblutung unterbunden und die Vorhaut so nach einigen Tagen zum Absterben gebracht wird und abfällt.139 Wie bei allen ambulanten Operationen sind auch bei der ambulanten Durchführung von Zirkumzisionen nach dem anerkannten medizinischen Standard die Hygieneanforderungen140 des Robert-Koch-Instituts zu beachten, um – auch nosokomiale – Infektionen zu vermeiden. Denn plastische Operationen der Vorhaut und/oder des Frenulums zählen zum Katalog ambulant durchführbarer Operationen, für welche ebenfalls die Hygieneanforderungen des Robert-Koch-Instituts gelten.141 Es handelt sich hierbei um baulich-funktionelle, und betrieblich-organisatorische Anforderungen.142 In jüdisch-orthodoxen Kreisen wurde und wird teilweise auch heute noch das Beschneidungsritual mit der sogenannten mezizah b’peh abgeschlossen. Dabei nimmt der Mohel den frisch beschnittenen Penis des Neugeborenen in den Mund, um das Blut abzusaugen. Auch in Deutschland soll dieses Ritual zuweilen noch

135

Vgl. hierzu die ausführliche Beschreibung bei Putzke in: FS für Herzberg, S. 669 (674); sowie die S1-Leitlinie „Phimose und Paraphimose“ der Deutschen Gesellschaft für Kinderchirurgie, AMWF-Leitlinienregister Nr. 006/052, http://www.awmf.org/uploads/tx_szleitlini en/006 – 052l_S1_Phimose_Paraphimose_2013 – 08.pdf (zuletzt aufgerufen 14. 04. 2014); Berufsverband der Deutschen Urologen e.V., auf: http://www.urologenportal.de/beschneidung. html (zuletzt aufgerufen 14. 04. 2014). 136 Lichtenheldt, S. 110. 137 Lichtenheldt, S. 111. 138 Lichtenheldt, S. 111. 139 Putzke, in FS für Herzberg, S. 669 (674); Lichtenheldt, S. 111 f. 140 AWMF-Leitlinienregister Nr. 029/014, http://www.awmf.org/uploads/tx_szleitlinien/02 9 – 014l_S1_Hygieneanforderungen_ambulantes_Operieren_01.pdf (zuletzt aufgerufen 14. 04. 2014). 141 Anhang zur Anlage zu Ziffern 5.1 und 4.3.3 der Anforderungen der Hygiene beim ambulanten Operieren in Krankenhaus und Praxis, Bundesgesundheitsbl. 1997, S. 361 ff. 142 Bundesgesundheitsbl. 2000, S. 644 ff.

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2. Kap.: Genitalbeschneidungen

durchgeführt werden. Dass dies nicht dem nach § 1631d BGB einzuhaltenden medizinischen Standard entspricht, liegt auf der Hand.

IV. Erforderlichkeit wirksamer Anästhesie Während in Deutschland Zirkumzisionen von Ärzten in der Regel unter Anästhesie vorgenommen werden, wurden die in den USA an vielen neugeborenen Jungen durchgeführten Routinebeschneidungen bis in die jüngste Zeit meist ohne Betäubung durchgeführt.143 Der Grund hierfür liegt darin, dass die – teilweise auch heute noch vertretene – Auffassung vorherrschte, bei Neugeborenen seien Gehirn und Nervensystem noch nicht so entwickelt, so dass sie noch kein Schmerzempfinden hätten, sondern bei der Beschneidung allenfalls ein geringes Unbehagen verspürten, oftmals sogar während des Eingriffs einschliefen.144 Diese Ansicht ist zwischenzeitlich wissenschaftlich widerlegt.145 Im Gegenteil entwickelt sich das schmerzunterdrückende System erst in den ersten Lebensmonaten, weshalb Neugeborene mehr Schmerz als Erwachsene empfinden.146 Die Beschneidung führt beim Neugeborenen daher zu starken und anhaltenden Schmerzen und löst körperliche Reaktionen wie starkes Schreien, unregelmäßige Atmung und Tachykardie aus.147 Wird das Neugeborene plötzlich ganz ruhig, stellt diese Situation keinen friedlichen Schlaf, sondern einen komaähnlichen Zustand dar, bei dem es sich um „eine drastische Schutzreaktion des Gehirns [handelt], das bestimmte Areale bei zu großem Schmerz einfach abschaltet, was bleibende hirnorganische Beeinträchtigungen und eine lebenslange posttraumatische Belastungsstörung nach sich ziehen kann“.148 Eine unzureichende Schmerztherapie kann bei der weiteren Entwicklung des Kindes zur Ausbildung eines Schmerzgedächtnisses führen.149 Wenn bei nur einem einzigen Eingriff eine wirksame Betäubung unterlassen wird, kann dies „bei Folgeeingriffen zu einem höheren Analgetikabedarf, vermehrtem Stress und Schmerz, sowie einem größeren Anteil an frustranen Analgosedierungen“ führen.150 Eine Anästhesie in Form einer Vollnarkose und/oder einer lokalen Betäubung, z. B. in Form einer Kaudalanästhesie oder eines dorsalen Peniswurzelblocks, muss daher als zwingend erforderlich angesehen werden, um den medizinischen Facharztstandard einzuhal143

Lichtenheldt, S. 162; Gollaher, S. 185 f. Gollaher, S. 185. 145 Gollaher, S. 187 m.w.N; Jerouschek, S. 313 (316) m.w.N. 146 Stellungnahme der Deutschen Kinderhilfe vom 01. 10. 2012 zum ,Eckpunktepapier – Beschneidung von Jungen’ des BMJ vom 28. 09. 2012, https://www.kinderhilfe.de/blog/artikel/ stellungnahme-der-deutschen-kinderhilfe-zum-eckpunktepapier-beschneidungen-von-jungendes-bmj/ (zuletzt aufgerufen 05. 01. 2014). 147 Gollhaher, S. 187. 148 Lichtenheldt, S. 163. 149 Stegmeier, S. 9. 150 Stegmeier, S. 9. 144

B. Männliche Genitalbeschneidung

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ten.151 Anders als bei Erwachsenen sollte bei Kindern aus oben genannten Gründen sogar vorzugsweise eine Kombinationsanästhesie aus Vollnarkose und Regionalanästhesie erfolgen, die eine „oberflächlichere Allgemeinanästhesie“ durch die Vollnarkose und eine „Optimierung der intra- und postoperativen Analgesiequalität“ ermöglicht, wodurch „eine ruhigere, schmerzärmere Aufwachphase im Aufwachraum“ erreicht wird.152 Die bei Zirkumzisionen Neugeborener zur Schmerzlinderung häufig eingesetzte Emla-Creme153 ist bei Kindern unter zwölf Jahren lediglich bei minimalst-invasiven Maßnahmen wie Blutentnahmen, Impfungen und chirurgischen Eingriffen auf der Hautoberfläche indiziert. Während der Hersteller dieses Arzneimittels, die Firma Astra-Zeneca in früheren Beipackzetteln in widersprüchlicher Weise darauf hingewiesen hatte, dass die Emla-Creme bei Kindern unter zwölf Jahren zwar nicht auf die Schleimhäute gelangen dürfe, bei Neugeborenen die Anwendung für die Beschneidung jedoch unbedenklich sei, wurden die Arzneimittelinformationen im Sommer 2013 geändert. Es fehlt nun der Hinweis, dass die Anwendung der Creme bei der Beschneidung Neugeborener unbedenklich sei.154 Auf der genitalen Haut wird die Anwendung nur noch bei Erwachsenen und Jugendlichen ab zwölf Jahren beschrieben.155 Damit stellt die Verwendung von EmlaCreme zur Schmerzlinderung bei der Beschneidung Neugeborener einen sog. OffLabel-Use dar. Wie bereits dargelegt, werden medizinisch nicht indizierte, religiös motivierte Beschneidungen jedoch auch in Deutschland häufig nicht von Ärzten, sondern von religiösen Beschneidern nach dem jeweiligen religiösen Ritual durchgeführt. Dies scheint auch heute noch, trotz der zwischenzeitlich in Kraft getretenen Regelung des § 1631d BGB, die das Einhalten der Regeln der ärztlichen Kunst verlangt, häufig ohne effektive Betäubung stattzufinden. So wirbt etwa der Rabbiner David Goldberg auf seiner Internetseite156 unter dem Navigationspunkt „Ablauf und Heilungsprozess“ damit, dass bei einer Beschneidung am achten Lebenstag kein Betäubungsmittel verwendet werde, weil die Injektion von Anästhetikum „ein weit höheres Risiko als der Schmerz durch den Schnitt“ aufweise. Zur Begründung wird die wissenschaftlich überholte These angeführt, dass der Schmerz „bei kleinen Babys minimal [sei], weil das Schmerzempfinden noch nicht voll ausgebildet“ sei.157 Es 151

So auch die S1-Leitlinie ,Phimose und Paraphimose‘ der Deutschen Gesellschaft für Kinderchirurgie, http://www.awmf.org/uploads/tx_szleitlinien/006 – 052l_S1_Phimose_Paraphi mose_2013 – 08.pdf (zuletzt aufgerufen 14. 04. 2014). 152 Stegmeier, S. 9. 153 Emla® Creme (Eutectic Mixture of Local Anaesthetics) ist eine Mischung aus Prilocain und Lidocain. 154 Süddeutsche Zeitung, 19. 08. 2013, http://www.sueddeutsche.de/wissen/beschneidungvon-neugeborenen-fragwuerdige-betaeubung-1.1747655 – 3 (zuletzt aufgerufen 14. 04. 2014). 155 Siehe: Gebrauchsinformationen Emla® Creme (Stand August 2013). 156 http://www.beschneidung-mohel.de (zuletzt aufgerufen am 14. 04. 2014). 157 http://www.beschneidung-mohel.de/ablauf_und_heilungsprozess.html (zuletzt aufgerufen am 14. 04. 2014).

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2. Kap.: Genitalbeschneidungen

wird ferner darauf hingewiesen, dass die Beschneidung „im häuslichen Umfeld, Synagoge oder Gemeindesaal“ stattfinden könne.158

V. Indikationen Unter einer Indikation (Heilanzeige) wird ein Kriterium zur Verordnung eines bestimmten diagnostischen oder therapeutischen Verfahrens verstanden, das die Anwendung der Maßnahme in einem Krankheitsfall rechtfertigt.159 Es wird zwischen Notfallindikationen, vitalen, absoluten und relativen Indikationen unterschieden. Eine Notfallindikation besteht, wenn ein lebensbedrohliches, akutes Krankheitsbild vorliegt, das unverzüglich lebensrettender Maßnahmen zur Abwendung des sonst zeitnah eintretenden Todes bedarf. Eine vitale Indikation liegt bei Bestehen eines lebensbedrohlichen, akuten Krankheitsbildes vor, das lebensrettender Maßnahmen bedarf, weil es andernfalls binnen weniger Monate zum Tod führt. Von einer absoluten Indikation wird gesprochen, wenn eine Therapie erforderlich ist, um die negativen Auswirkungen der Erkrankung auf den Gesundheitszustand des Patienten so gering wie möglich zu halten. Eine relative Indikation wird angenommen, wenn nur eine bedingte Gefährdung des Patienten besteht und der Eingriff für das Krankheitsbild nützlich, aber nicht zwingend erforderlich ist oder sinnvolle andere Therapiemöglichkeiten in Betracht kommen.160 Als OP-Indikationen für eine Zirkumzision werden in der Leitlinie „Phimose und Paraphimose“ der Deutschen Gesellschaft für Kinderchirurgie folgende genannt: - „Lichen sclerosus et atrophicus.161 - Vernarbung nach rezidivierenden Vorhautentzündungen, forcierten - Retraktionsversuchen, Trauma (z. B. Einklemmung in Reißverschluss) sowie - Paraphimose. - Akute Dysurie bei dekompensierter Phimose.“162 Relative Indikationen für eine operative Intervention sind nach Angaben der genannten Leitlinie: 158

http://www.beschneidung-mohel.de (zuletzt aufgerufen 14. 04. 2014). Pschyrembl 2013, Stichwort: Indikation, S. 996. 160 Pschyrembl 2013, Fn. 159. 161 Hierbei handelt es sich um eine seltene Hauterkrankung, die möglicherweise durch Autoimmunprozesse hervorgerufen wird. Beim Mann zeigt sich Lichen sclerosus genitalis durch Verhärtung und Verengung der Vorhaut, weißlicher Verfärbung der Eichel und des inneren Vorhautblattes, Verdickung und Schrumpfung des Frenulums (Quelle: Pschyrembel 2013, Klinisches Wörterbuch, Stichwort: Lichen sclerosus); Es kann zu einer Verengung der Harnröhre, Problemen beim Wasserlassen und beim Geschlechtsverkehr führen; siehe hierzu auch: Hoppe in: Langanke/Ruwe/Theißen, S. 160 f. 162 AMWF-Leitlinienregister Nr. 006/052, http://www.awmf.org/uploads/tx_szleitlinien/ 006 – 052 l_S1_Phimose_Paraphimose_2013 – 08.pdf (zuletzt aufgerufen 14. 04. 2014). 159

B. Männliche Genitalbeschneidung

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- „Beim älteren Kind Unmöglichkeit bzw. Schmerzen bei Retraktion einer zu engen Vorhaut. - Prophylaxe von Harnwegsinfektionen bei deutlich gesteigertem Infektionsrisiko infolge komplexer Harnwegsfehlbildungen durch Modifikation der periurethralen bakteriellen Vorhaut-/Glansbesiedlung (dilatierender vesiko-ureteraler Reflux, primärer Megaureter, posteriore Harnröhrenklappen). - Ballonieren der Vorhaut beim Wasserlassen infolge einer Behinderung der Urinentleerung nach Entzündung oder Vernarbung (beim Säugling u. Kleinkind teilw. physiologisch). - Hypertrophe oder verengte Vorhaut bei intermittierendem Katheterismus (Blasenentleerungsstörung, Myelomenigozele163). - Rezidivierende Balanoposthitiden.“164 Eine Phimose liegt vor, wenn sich die Vorhaut nicht über die Eichel zurückschieben lässt, ohne dass dies mit Verletzungen verbunden wäre. Dies ist im Säuglings- und Kleinkindalter allerdings weit verbreitet und stellt einen Normalbefund dar, der aus einer natürlichen Adhäsion der Vorhaut mit der Eichel resultiert. Bis zur Vollendung des dritten Lebensjahres lässt sich die Vorhaut in ca. 90 % der Fälle, im Alter von 16 bis 17 Jahren sogar in ca. 99 % der Fälle zurückschieben, ohne dass es irgendwelcher Behandlungen bedarf.165 Eine Phimose im Sinne eines pathologischen Befundes liegt vor, wenn sich die Vorhaut infolge einer Fibrose oder Vernarbung ganz oder teilweise nicht über die Eichel schieben lässt. Differentialdiagnostisch ist die „echte“ Phimose daher von einer entwicklungsbedingt nicht zurückschiebbaren Vorhaut und einer Adhäsion des inneren Vorhautblattes mit der Eichel zu unterscheiden, wie sie bei ca. 96 % aller neugeborenen Knaben vorliegt, sich durch Reifeprozesse jedoch von selbst wieder auflöst.166 Bei Vorliegen einer Phimose kann als Alternative vor der Indikationsstellung zu einer Zirkumzision eine konservative Behandlung in Form von Auftragen corticoidhaltiger Salbe über ca. vier bis acht Wochen durchgeführt werden, wobei die Eltern des betroffenen Kindes nach etwa zwei Wochen „mit vorsichtigem Zurückschieben der Vorhaut unter Vermeidung von Einrissen“ beginnen sollen.167 Diese Behandlungsmöglichkeit ist in ca. 95 % der Fälle erfolgreich.168 Für die vom Landgericht Köln zu beurteilende religiös moti163 Angeborene Veränderung der Wirbelsäule in Form eines Neuralrohrdefekts des Rückenmarks, wodurch Harninkontinenz entstehen kann. 164 AMWF-Leitlinie „Phimose und Paraphimose“, Fn. 162. 165 Deutsche Gesellschaft für Urologie, Patienteninfo Phimose, http://www.dgu.de/phimo se.html (zuletzt aufgerufen 14. 04. 2014). 166 AMWF-Leitlinie „Phimose und Paraphimose“, Fn. 162. 167 AMWF-Leitlinie „Phimose und Paraphimose“, Fn. 162. 168 Stehr/Putzke/Dietz, Dtsch Ärztebl 2008, A 1778 – 1780, http://www.aerzteblatt.de/ar chiv/61273/Zirkumzision-bei-nicht-einwilligungsfaehigen-Jungen-Strafrechtliche-Konsequen zen-auch-bei-religioeser-Begruendung?src=search (zuletzt aufgerufen 14. 04. 2014); Deutsche

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2. Kap.: Genitalbeschneidungen

vierte Beschneidung lag demnach, wie vom Gericht zutreffend angenommen, keine medizinische Indikation vor. Dies gilt auch für die von der Regelung des § 1631d BGB umfassten Fälle, mit welcher der Gesetzgeber gerade medizinisch nicht indizierte Beschneidungen von Minderjährigen der Einwilligungsbefugnis der Sorgeberechtigten unterstellt.

VI. Risiken und Folgen Wie jeder operative Eingriff ist auch die Zirkumzision mit nicht unerheblichen Risiken verbunden. In der Leitlinie „Phimose und Paraphimose“ der Deutschen Gesellschaft für Kinderchirurgie169 wird belegt, dass die Beschneidung „mit einer signifikanten Komplikationsrate behaftet“ ist. Neben der Nachblutungsrate, die mit ca. 6 % angegeben wird, tritt stets „ein mehr oder weniger ausgeprägtes postoperatives Ödem“ ein. Wundinfektionen und Narbenbildung sowie Komplikationen wie „Meatusstenosen durch eine Meatitis der ungeschützten Glans“ und postoperative Durchblutungsstörungen werden als seltenere Komplikationen beschrieben. In „Ausnahmefällen können urethrokutane Fisteln in Sulcushöhe“ entstehen.170 Das Auftreten „einer mehr oder weniger ausgeprägten Sensibilitätsstörung der Glans ist gegeben, ihre Bedeutung für das spätere Sexualleben jedoch umstritten.“ Ein „störender hypertropher oder verengter Narbenwulst kann Erektionsprobleme“ verursachen. Als seltene Folgen werden „kosmetisch oder funktionell (insbesondere bei der Erektion) störende Narbenbildung“,171 „erektile Dysfunktion, Harnverhalten infolge Narbenbildung mit möglichen Nierenfunktionsstörungen, Nekrosen, Schrumpfpenis [und] Penisschiefstellung“172 genannt. Als extrem selten vorkommende Komplikationen werden Verletzungen von Glans, Schwellkörper oder Harnröhre beschrieben.173 Nach einer amerikanischen Studie aus dem Jahr 2010 soll es in den USA jährlich mehr als einhundert Todesfälle im Zusammenhang mit Beschneidungen geben, wobei diese Zahl bei ca. einer Million pro Jahr durchgeführter Beschneidungen relativiert.174 Bei dem jüdisch-orthodoxen Ritual der sog. mezizah b’peh, bei dem der Mohel den frisch beschnittenen Penis des Neugeborenen in den Mund nimmt, um das Blut abzusaugen, besteht die nicht unerhebliche Gefahr, dass das Neugeborene mit Krankheitserregern, z. B. mit Herpes-Viren infiziert

Gesellschaft für Urologie, Patienteninfo Phimose, http://www.dgu.de/phimose.html (zuletzt aufgerufen 14. 04. 2014). 169 AMWF-Leitlinie „Phimose und Paraphimose“, Fn. 162. 170 AMWF-Leitlinie „Phimose und Paraphimose“, Fn. 162. 171 Deusel, Medizinische Aspekte der Brit Mila, S. 184. 172 Bundschuh, S. 15. 173 Deusel, Medizinische Aspekte der Brit Mila, S. 183. 174 http://www.examiner.com/article/new-study-estimates-neonatal-circumcision-death-ra te-higher-than-suffocation-and-auto-accidents (zuletzt aufgerufen 14. 04. 2014).

B. Männliche Genitalbeschneidung

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wird.175 In den USA wurde 1994 ein Fall eines mit HIV infizierten Neugeborenen bekannt, dessen Mutter jedoch nicht infiziert war. Es wurde daher vermutet, dass die Infektion mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit bei der rituellen Beschneidung erfolgt sein musste.176 Werden Zirkumzisionen von nichtärztlichen Beschneidern durchgeführt und hierbei der medizinische Standard nicht eingehalten, bestehen noch signifikant höhere Risiken, die nicht selten sogar zum Tod führen, was auf mangelnde Ausbildung und unsaubere Instrumente zurückgeführt wird. So berichteten die Medien im Juli 2013, dass bei ländlichen Beschneidungszeremonien in Südafrika „erst im Mai 34 junge Männer bei dem Ritual gestorben“ waren und es nun „30 neue Todesfälle“ gegeben habe. Etwa 300 weitere Jugendliche, von denen „einige von ihnen keine Genitalien mehr“ hätten, müssten im Krankenhaus behandelt werden.177 Aber nicht nur die Zirkumzision selbst, auch die Anästhesie ist mit Risiken behaftet. So wird etwa von einem vierjährigen Jungen berichtet, der im August 2013 in einem Krankenhaus in Johannesburg zur Durchführung der Beschneidung mit Sedativa und Inhalationsanästhetika betäubt worden war, infolge dessen einen Herzstillstand erlitt und dann verstarb.178 Insbesondere bei Säuglingen und Kleinkindern sind die Wirkungen und möglichen Folgen von Anästhetika noch nicht hinreichend erforscht. Des Weiteren wird auf mögliche psychische Auswirkungen wie das Wahrnehmen des „Eingriffs als Angriff“ sowie ein „Schmerzgedächtnis“ hingewiesen.179 Der Eingriff ist darüber hinaus mit dauerhaften Folgen verbunden. Neben dem irreversiblen Verlust der Vorhaut zeigt sich in Studien, dass beschnittene Männer „häufiger als genital intakte mit Chlamydia trachomatis und Neisseria gonorrhoeae

175 Das US-Magazine TIME berichtete am 07. 06. 2012, dass nach Angaben der ,Centers for Disease Control and Prevention‘, eine dem US-amerikanischen Gesundheitsministerium United States Department of Health and Human Services unterstellte Behörde, in der Zeit von November 2000 bis Dezember 2011 elf männliche Babys in New York City nach Beschneidungen mit dem Ritual der mezizah b’peh an Herpes-Infektionen erkrankt seien, wovon zwei verstorben seien und mindestens zwei weitere Hirnschädigungen erlitten hätten; Quelle: http:// healthland.time.com/2012/06/07/how-11-new-york-city-babies-contracted-herpes-through-circ umcision/#ixzz1x8nUkEOs (zuletzt aufgerufen 14. 04. 2014). 176 Gollaher, S. 48. 177 Süddeutsche Zeitung vom 08. 07. 2013, http://www.sueddeutsche.de/panorama/suedafri ka-junge-maenner-sterben-nach-beschneidung-1.1715047 (zuletzt aufgerufen 14. 04. 2014); Bild-Zeitung vom 08. 07. 2013, http://wap.bild.de/bild/json.bild.de/servlet/json/wap/31171664/ 9-cnv.html (zuletzt aufgerufen 14. 04. 2014). 178 Shortnews 18. 08. 2013, http://www.shortnews.de/id/1045288/johannesburg-vierjaehri ger-junge-ueberlebt-nach-beschneidung-die-narkose-nicht (zuletzt aufgerufen 14. 04. 2104). 179 Stehr/Putzke/Dietz, Dtsch Ärztebl 2008, A 1778 – 1780, http://www.aerzteblatt.de/ar chiv/61273/Zirkumzision-bei-nicht-einwilligungsfaehigen-Jungen-Strafrechtliche-Konsequen zen-auch-bei-religioeser-Begruendung?src=search (zuletzt aufgerufen 14. 04. 2014); zu den möglichen psychischen Folgen siehe auch: Hässler in: Langanke/Ruwe/Theißen, S. 149 ff.

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2. Kap.: Genitalbeschneidungen

infiziert sind und unter unspezifischen Urethritiden und Genitalwarzen leiden“.180 Die unbewegliche Haut des beschnittenen Penis ist für Rissbildungen und Blutungen anfälliger als die intakte Haut.181 Wenn die Eichel nach der Beschneidung dauerhaft ungeschützt frei liegt, verliert sie infolge der nicht mehr vorhandenen Befeuchtung durch das von der Vorhaut produzierte Smegma und durch den ständigen Kontakt mit der Kleidung an Sensibilität und kann verhornen.182 „Der Vorteil des natürlichen Gleitens“ des erigierten Penis in der Vorhaut ist nicht mehr gegeben, was beim Geschlechtsverkehr zu Missempfindungen oder Schmerzen der Sexualpartnerin führen kann. Auch das Masturbieren wird erschwert.183 Neuere Studien belegen ferner, dass als dauerhafte Folge der Beschneidung eine Reduzierung der sexuellen Empfindsamkeit und daraus resultierend eine Funktionseinbuße eintritt, da mit der Vorhaut einer der sensitivsten Teile des Penis entfernt wird.184 Betroffene „berichten über sensorische Defizite in der verbliebenen Vorhaut und an der Eichel und über sexuelle Dysfunktionen, die sich als Ejakulations- und Erektionsprobleme zeigen, da ihr Penis manchmal nicht über genügend Haut für eine Erektion verfügt,“ und geben an „unter sichtbaren Narben, schmerzhafter Biegung des erigierten Penis, Schmerzen und Blutungen bei der Erektion oder bei Berührung des Penis, und schmerzhaften Hautbrücken“ zu leiden.185 Durch die mit dem Eingriff verbundene Entfernung erogen hoch empfindsamen Gewebes wird dauerhaft die sexuelle Sensitivität reduziert und das Schmerzempfinden kann erhöht werden. In einer Studie belgischer Urologen, die 1059 nicht beschnittene und 310 beschnittene Männer befragten, wurde festgestellt, dass beschnittene Männer signifikant weniger sexuellen Genuss und eine geringere Orgasmusintensität bei Reizung der Glans empfinden, wobei die unterschiedliche Erregbarkeit vor allem den lateralen und dorsalen Bereich betraf, bei dem der materielle Verlust an Körpersubstanz am größten ist, während der ventrale Bereich weniger betroffen war. Am Penisschaft verspürten die beschnittenen Probanden mehr Missempfindungen und Schmerzen als nicht Beschnittene.186 Ebenso gelangte eine dänische Studie zu dem Ergebnis, dass Zirkumzisionen mit 180

Graf, S. 57. Zwang, zitiert nach: Reichhart, http://www.beschneidung-von-jungen.de/home/medizini sche-aspekte/anatomie-und-funktion-der-vorhaut/funktionen-der-vorhaut/anatomie-der-vor haut-und-ihre-sexuelle-funktion.html (zuletzt aufgerufen 14. 04. 2014). 182 Graf, S. 57. 183 Grams, S. 332 (333). 184 Die Sensibilitätsstudie von Sorrels/Snyder/Reiss/Eden/Milos/Wilcox/van Howe aus den USA belegt, dass durch die Beschneidung die sensitivsten Stellen des Penis entfernt werden. Und auch eine aktuelle Studie der Forschergruppe um den belgischen Urologen Bronselaer von der Universitätsklinik Gent, an der 1059 nicht beschnittene und 310 beschnittene Männer teilgenommen haben, ergab, dass beschnittene Männer weniger sexuellen Genuss und eine geringere Orgasmusintensität sowie mehr Missempfindungen und Schmerzen am Penisschaft als nicht beschnittene Männer aufweisen (Ärztezeitung, 19. 02. 2013). 185 Graf, S. 57. 186 Zitiert nach Ärztezeitung 19. 02. 2013, http://www.aerztezeitung.de/politik_gesellschaft/ gp_specials/beschneidung/article/831903/weniger-lustig-beschneidung-kostet-sex-spass. html?sh=1&h=475677720 (zuletzt aufgerufen 14. 04. 2014). 181

B. Männliche Genitalbeschneidung

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sexuellen Problemen der Betroffenen und deren Partnerinnen assoziieren, die zu einer mangelnden sexuellen Erfüllung führen können und den Schluss nahelegen, dass Männer und Frauen weniger sexuelle Probleme haben könnten, wenn der Mann nicht beschnitten ist.187 Dies ist allerdings nicht unumstritten. Andere Analysen gelangen zu dem Ergebnis, dass beschnittene Männer keine Defizite hinsichtlich Penisempfindlichkeit, sexueller Erregung, Orgasmusfähigkeit und sexueller Zufriedenheit aufweisen, vor allem dann, wenn die Beschneidung in der Kindheit durchgeführt wurde.188 Hier ist allerdings zu berücksichtigen, dass es für Männer, die in ihrer Kindheit beschnitten wurden, schwierig ist, überhaupt aussagekräftige Angaben zu möglicher reduzierter Empfindsamkeit, sexueller Erregung und Zufriedenheit zu machen, weil sie aus eigener Erkenntnis gar keinen Vergleich zum sexuellen Erleben Nichtbeschnittener haben. Zudem sind sie „in der Regel nicht über die Funktion der Vorhaut aufgeklärt, sie wissen oft nicht, wie ein normaler Penis aussieht und funktioniert und wachsen in einem Umfeld auf, in dem fast alle Jungen und Männer beschnitten sind, sodass sie wenig Möglichkeiten haben ein Problembewusstsein zu entwickeln“.189

VII. Hygienische und präventiv-medizinische Vorteile Den Risiken einer Zirkumzision stehen aber auch mit ihr einhergehende gesundheitliche Vorteile gegenüber. An erster Stelle werden die Vermeidung des Auftretens von Phimosen, eine Verringerung des Risikos von Harnwegsinfektionen sowie eine Vermeidung von Vorhautentzündungen (Balanoposthitidis/Balanitis) genannt, die bei nicht beschnittenen Männern durch bakterielle Besiedelung des Smegma verursacht werden können.190 In der medizinischen Wissenschaft sind diese Vorteile allerdings nicht unumstritten. Es wird im Gegenteil auch ausgeführt, die Wahrscheinlichkeit, an einer Balanitis zu erkranken, sei „bei beschnittenen 3-jährigen Knaben achtmal größer als bei gleichaltrigen nicht beschnittenen Jungen“.191 Das Risiko, an Peniskrebs zu erkranken ist bei Beschnittenen zwar möglicherweise geringer.192 Es ist insgesamt aber auch bei nicht beschnittenen Männern derart gering, 187

Frisch/Lindholm/Grønbæk, S. 1 (13). Morris/Krieger, Journal of Sexual Medicine, online 12. 08. 2013, zitiert nach: Bublak, Spaß am Sex wird nicht beschnitten, Ärzte Zeitung online, 02. 10. 2013, http://www.aerztezei tung.de/politik_gesellschaft/gp_specials/beschneidung/article/845392/beschneidung-spass-sexnicht-beschnitten.html (zuletzt aufgerufen 14. 04. 2014). 189 Graf, S. 56. 190 Deusel, Medizinische Aspekte der Brit Mila, S. 185; Fateh-Moghadam, RW 2010, S. 115 (136). 191 Bundschuh, S. 16. 192 Die dänische Studie von Frisch/Friis/Kjaer/Melbye, S. 1471, deutet dagegen daraufhin, dass zwischen der Beschneidung und dem Rückgang der Peniskrebsrate in Dänemark keine Korrelation besteht, sondern dies eine Folge der in diesem Zeitraum gestiegenen Körperhygiene ist. 188

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2. Kap.: Genitalbeschneidungen

dass nach Ansicht der American Cancer Society die Letalitätsrate von Zirkumzision das höhere Risiko Nichtbeschnittener, an Peniskrebs zu sterben, aufwiegt.193 Beschnittene Männer sollen außerdem ein signifikant geringeres Risiko aufweisen, sich mit HIV zu infizieren, weshalb die WHO und das Joint United Nations Programme on HIV/AIDS (UNAIDS) in bestimmten Hochprävalenzländern männliche Beschneidungen befürworten.194 Ebenfalls soll für beschnittene Männer ein geringeres Risiko von Infektionen mit Gonorrhoe, Syphilis und ähnliche bakteriellen oder viralen Erkrankungen bestehen, was jedoch umstritten ist.195 Zudem soll das Risiko für Sexualpartnerinnen beschnittener Männer, sich beim Geschlechtsverkehr mit HP-Viren zu infizieren, die als mögliche Auslöser für das Zervixkarzinom gelten, geringer sein.196 Diese Vorteile erlangen jedoch erst in einem Alter Bedeutung, in welchem der Betroffene selbst einwilligungsfähig ist, weshalb sie ohne weiteres durch eine selbstbestimmte Entscheidung erreicht werden können. Denn erst in der sexuell interaktiven Lebensphase, in der Geschlechtsverkehr praktiziert wird, werden diese Infektionsrisiken überhaupt virulent.197 Ihnen kommt somit keine Bedeutung für die Durchführung des Eingriffs im Kindesalter zu. Von denjenigen Beschneidungsbefürwortern, die sich auf die präventiv-medizinischen Vorteile der Beschneidung berufen, wird häufig nicht nur unerwähnt gelassen,198 dass die WHO/UNAIDS ihre Aktivitäten vor allem auf HIV-Hochprävalenzländer richten, sondern auch nicht berücksichtigt, dass WHO/UNAIDS ausdrücklich feststellen, dass von den Berufsorganisationen der Kinderärzte die Beschneidung Neugeborener in westlichen Industrienationen zum Teil abgelehnt wird, weil die mit dem Eingriff verbundenen Risiken höher sind als seine Vorteile.

C. Weibliche Genitalbeschneidung Zwar ist Gegenstand dieser Arbeit die medizinisch nicht indizierte Beschneidung bei nicht einwilligungsfähigen männlichen Minderjährigen, dennoch soll an dieser Stelle zumindest kurz auch auf weibliche Genitalbeschneidungen eingegangen 193

Gollaher, S. 194; Barthlen in: Langanke/Ruwe/Theißen, S. 140 f. WHO and UNAIDS announce recommendations from expert consultation on male circumcision for HIV prevention vom 28. 03. 2007, http://www.who.int/mediacentre/news/relea ses/2007/pr10/en/ (zuletzt aufgerufen 14. 04. 2014). 195 Deusel, Medizinische Aspekte der Brit Mila, S. 186 f.; Fateh-Moghadam, RW 2010, S. 115 (136); Demgegenüber weist Graf, S. 57 (siehe Fn. 180) auf Studien hin, wonach das Infektionsrisiko beschnittener Männer höher ist. 196 Deusel, Medizinische Aspekte der Brit Mila, S. 187; Fateh-Moghadam, RW 2010, S. 115 (136). 197 Putzke in: FS für Herzberg, S. 669 (690). 198 So etwa Beck/Künast, in Berliner Zeitung vom 09. 07. 2012, http://www.berliner-zeitung. de/kultur/beschneidungs-debatte-das-ist-keine-straftat,10809150,16572948.html (zuletzt aufgerufen 14. 04. 2014). 194

C. Weibliche Genitalbeschneidung

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werden. Denn diese werden im Zusammenhang mit der Beschneidungsdebatte häufig, allerdings mit unterschiedlicher Zielrichtung, argumentativ ins Feld geführt.

I. Prävalenz Auch hier existieren keine belastbaren statistischen Zahlen über die Prävalenz weiblicher Genitalbeschneidungen. Geschätzt wird, dass weltweit ca. 130 bis 170 Millionen Mädchen und Frauen von fremdbestimmten Genitalbeschneidungen betroffen sind und noch heute jährlich ca. 2 bis 3 Millionen Mädchen und Frauen auf diese Weise verstümmelt werden.199 Betroffen hiervon sind etwa 28 Länder, vor allem afrikanische Länder, aber auch Länder des Nahen Ostens sowie Indonesien.200 In europäischen Ländern, Australien, den USA oder anderen Ländern, in denen afrikanische Migranten leben, wird die weibliche Genitalbeschneidung ebenfalls praktiziert. Schätzungen von Nichtregierungsorganisationen zufolge sollen in Deutschland etwa 30.000 Mädchen und Frauen betroffen sein.201 Bei diesen handelt es sich überwiegend um Migrantinnen aus den oben genannten Ländern, in denen die weibliche Genitalbeschneidung praktiziert wird, sowie deren weibliche Abkömmlinge.

II. Unterschiede zu männlicher Genitalbeschneidung Befürworter einer Strafbarkeit nicht medizinisch indizierter Beschneidungen an nicht einwilligungsfähigen Jungen warnen davor, dass deren Straffreistellung zu einer schleichenden Legalisierung weiblicher Beschneidungen führen könnte. Sie verweisen darauf, dass bestimmte islamische Rechtsschulen, etwa die Schafiiten, weibliche Beschneidungen als religiöse Pflicht ansehen. Die Vertreter der Gegenansicht heben unisono darauf ab, dass männliche und weibliche Genitalbeschneidungen überhaupt nicht vergleichbar seien: Bei Ersteren handle es sich um einen harmlosen kleinen Eingriff ohne nennenswerte Folgen, Letztere hingegen seien etwas völlig anderes, nämlich stets durch nichts zu rechtfertigende, irreversible Genitalverstümmelungen. Wer beides vergleiche, rede der Frauenfeindlichkeit das Wort.202 Bei genauerem Hinsehen zeigt sich jedoch, dass es weder zutreffend ist, dass männliche und weibliche Genitalbeschneidungen gleichgelagert sind, noch richtig 199

Graf, S. 34. Aldeeb Abu-Salieh, S. 2; Studie zu weiblicher Genitalverstümmelung „Die Anwendung der Female Gender Mutilation (FGM) bei Migrantinnen in Österreich“ der Afrikanischen Frauenorganisation Wien; Graf, S. 34. 201 Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage der Abgeordneten Laurischk u. a. vom 08. 05. 2006 zum Thema „Schutz von Frauen und Mädchen vor der Verstümmelung weiblicher Genitalien“, BT-Drucksache 16/1391, S. 2. 202 Klein, S. 255. 200

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2. Kap.: Genitalbeschneidungen

ist, dass männliche Beschneidungen lediglich ein kleiner, harmloser Eingriff sind, während weibliche Beschneidungen stets grausame Genitalverstümmelungen sind. Vielmehr bedarf es einer differenzierteren Betrachtung, denn die Erscheinungsformen weiblicher Genitalbeschneidungen sind sehr unterschiedlich.203 Sie reichen von vergleichsweise milden Formen wie dem Einstechen oder Einritzen der Klitorisvorhaut und der auf die Tradition des Propheten Mohammed zurück geführten, verbreiteten sog. ,milden Sunnah’ oder „sunnah circumcision“,204 bei der die Klitorisvorhaut reduziert oder entfernt wird, über schwerwiegende Eingriffe wie der teilweisen oder vollständigen Exzision der Klitoris und/oder der partiellen oder vollständigen Entfernung der kleinen Schamlippen bis zu massiven Eingriffen wie etwa der sog. Infibulation oder pharaonischen Beschneidung, bei der Klitoris und kleine Labien vollständig und große Labien ganz oder teilweise entfernt und die Wundränder bis auf eine kleine Öffnung zum Austritt von Urin, Vaginalsekret und Menstruationsblut zugenäht werden. Die schwerwiegenden und massiven Eingriffe führen – neben den erheblichen Risiken des Eingriffs und anderen dauerhaften Folgen – dazu, dass den betroffenen Mädchen und Frauen die sexuelle Empfindsamkeit vollständig geraubt oder diese in Abhängigkeit des Grades der Beschneidung zumindest ganz erheblich reduziert wird. Dass derartige Eingriffe zu Recht häufig mit dem Begriff ,Genitalverstümmelung’ oder ,Female Gender Mutilation‘ – wie ihn auch die WHO verwendet – bezeichnet werden, ist verständlich.205 Die mildere Form der weiblichen Genitalbeschneidung, die in der Reduktion oder Entfernung der Klitorisvorhaut besteht, ist jedoch von Art, Umfang, Risiken und Folgen des Eingriffs durchaus mit dem teilweisen oder vollständigen Entfernen des Präputiums vergleichbar.206 Denn die Klitorisvorhaut ist beim weiblichen Genital das Pendant zur Penisvorhaut beim männlichen Geschlechtsteil. Sie hat dieselbe Funktion wie die Penisvorhaut: Beide sollen die Klitoris bzw. die Eichel schützen. Die Form der Genitalbeschneidung, die zur teilweisen oder vollständigen Freilegung der Klitorisglans durch Reduktion oder Entfernung der Klitorisvorhaut führt, entspricht daher dem teilweisen oder vollständigen Entfernen der Penisvorhaut. Zeitweise wurde die Klitorisvorhautbeschneidung sogar propagiert, weil sie der Stei-

203 Siehe Klassifizierung der WHO, http://www.who.int/reproductivehealth/topics/fgm/over view/en/ (zuletzt aufgerufen 14. 04. 2014). 204 Aldeeb Abu-Sahlieh, S. 21, 38; die Existenz dieser milden Formen weiblicher Beschneidung wird von den Befürwortern der Beschneidung männlicher Kinder weitgehend unbeachtet gelassen, beispielhaft: Bielefeldt, Der Kampf um die Beschneidung, http://www. blaetter.de/archiv/jahrgaenge/2012/september/der-kampf-um-die-beschneidung (zuletzt aufgerufen 14. 04. 2014); Lack, S. 336 f.; Klinkhammer, S. 1913 (1915); Schramm, Ehe und Familie im Strafrecht, S. 221 ff.; ders., in: Heil/Kramer, S. 140; Schwarz, S. 1125 (1126); Zähle, S. 434 (447 f.). 205 Aus Respekt vor den Betroffenen, um diese nicht als „verstümmelt“ zu stigmatisieren, wird teilweise auch der Begriff „Female Gender Cutting“ propagiert; siehe hierzu etwa: Preller, S. 13 f. 206 Cold/Taylor, S. 34 f.; so auch Putzke, MedR 2012, S. 621 (624).

C. Weibliche Genitalbeschneidung

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gerung des sexuellen Lustempfindens dienen sollte.207 Damit verfolgte sie allerdings einen Zweck, der religiös motivierten oder traditionellen Genitalbeschneidungen von Mädchen und Frauen diametral entgegengesetzt ist. Auch dürfte der aus dem Motiv der sexuellen Luststeigerung durchgeführte Eingriff in der Regel nicht fremdbestimmt an einwilligungsunfähigen Minderjährigen vorgenommen werden, sondern zu ihm entscheiden sich einwilligungsfähige Frauen aus freiem Willen.208 Aber auch männliche Genitalbeschneidungen sind nicht nur auf die Zirkumzision der Vorhaut beschränkt. Wie bereits dargelegt, finden sich auch hier Eingriffe unterschiedlicher Grade, beginnend von lediglich dem Durchtrennen des Frenulums oder dem Einschneiden der Vorhaut bis hin zu massivsten Eingriffen wie dem zusätzlich zum Entfernen der Vorhaut erfolgten Aufschneiden der Harnröhre bis an die Peniswurzel oder dem Häuten des ganzen Penis.209 Angesichts dessen wird deutlich, dass der vielfach – auch vom Gesetzgeber – angenommene und vermeintlich klare Unterschied zwischen männlicher und weiblicher Genitalbeschneidung keineswegs in einer solchen Eindeutigkeit besteht. Dementsprechend findet sich auch für männliche Genitalbeschneidungen als Pendant zu dem von der WHO für die weibliche Genitalbeschneidung verwendeten Begriff Female Gender Mutilation vermehrt der Begriff ,Male Gender Mutilation’, also männliche Genitalverstümmelung.210 Jedenfalls die milden Formen weiblicher Genitalbeschneidung wie die Reduktion oder die Entfernung der Klitorisvorhaut entsprechen aus medizinischer Sicht von Intensität und Folgen vollumfänglich der Beschneidung der Penisvorhaut.

III. Modephänomen ästhetisch motivierte Genitalveränderung Seit einigen Jahren tritt ein weiteres Phänomen – allerdings ebenfalls freiwilliger211 – weiblicher Genitalbeschneidungen in Erscheinung, nämlich sogenannte „Genitalkorrekturen“. Dabei werden aus (vermeintlich) ästhetischen Gründen z. B. die inneren und/oder äußeren Schamlippen verkleinert oder die äußeren Schamlippen aufgefüllt, die Klitorisvorhaut reduziert oder entfernt und/oder der Venushügel modelliert. Allein in Brasilien ließen sich innerhalb eines Jahres knapp zehntausend Frauen durch derartige Genitalbeschneidungen die Schamlippen „formen“.212 In Großbritannien stellen solche Schamlippenverkleinerungen den ästhetisch-chirur207

Gollaher, S. 257 f.; siehe hierzu auch Walter, JZ 2012, S. 1110 (1112). Der Frage, ob der menschliche Wille überhaupt frei sein kann, oder ob jedwedes Handeln durch neurophysiologische Vorgänge determiniert ist, soll hier nicht nachgegangen werden; Hierzu anschaulich: Laufs, Der aktuelle Streit um das alte Problem der Willensfreiheit. Eine kritische Bestandsaufnahme aus juristischer Sicht, MedR 2011, S. 1 ff. 209 Siehe hierzu 2. Kapitel, A. V. 210 Graf, S. 52 ff. 211 Fn. 208. 212 Burghardt, Es werde Licht, in: Süddeutsche Zeitung 8./9. 05. 2013, S. 3. 208

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2. Kap.: Genitalbeschneidungen

gischen Eingriff mit den höchsten Zuwachsraten dar,213 in Deutschland sollen im Jahr 2005 etwa 1.000 Eingriffe an Schamlippen vorgenommen worden sein.214 Als Grund für diesen Trend wird die insbesondere bei jungen Frauen seit Ende der 1990er Jahre populäre Modeerscheinung der Intimrasur vermutet.215 Durch die Darstellung des rasierten weiblichen Genitals in verschiedenen Medien rückt dieses von der privaten Sphäre in den Fokus der öffentlichen Aufmerksamkeit.216 Hierdurch entsteht das Schönheitsideal einer glatten Vulva mit von den äußeren Schamlippen vollständig verdeckten kleinen Labien, das von vielen jungen Frauen zu erreichen versucht wird.217 Frauenrechtsorganisationen befürchten deshalb, dass durch die zunehmende Popularität freiwilliger Schamlippenkorrekturen und ähnlicher genitalverändernder Eingriffe politische Initiativen gegen weibliche Genitalbeschneidungen in afrikanischen Ländern an Glaubwürdigkeit verlieren.218 Die Abgrenzung solcher freiwilliger „Genitalkorrekturen“ zu Genitalbeschneidungen, wie sie etwa in afrikanischen Ländern durchgeführt werden, scheint auf den ersten Blick darin zu bestehen, dass diese meist fremdbestimmt an zumeist nicht Einwilligungsfähigen vorgenommen werden und je nach Art und Weise des Eingriffs zu einem Verlust oder einer Verringerung der sexuellen Empfindsamkeit führen können, während jene freiwillig und selbstbestimmt aus ästhetischen Gründen durchgeführt werden. Eine Abgrenzung anhand dieser Kriterien ist jedoch nicht uneingeschränkt möglich, da in einigen afrikanischen Volkstämmen die rituelle Beschneidung auch an erwachsenen Frauen mit deren Zustimmung vorgenommen wird und wie bereits dargestellt nicht bei allen Formen ritueller weiblicher Beschneidungen die Klitoris betroffen ist. Und auch unter Zugrundelegung der Definition der WHO219 für weibliche Genitalbeschneidungen, wonach jede nicht therapeutisch, z. B. religiös oder kulturell begründete, teilweise oder vollständige Entfernung oder Verletzung des äußeren weiblichen Genitals als Genitalverstümmelung angesehen wird, ist festzustellen, dass eine medizinisch nicht indizierte, auf die Verkleinerung der Schamlippen oder auf die Reduktion der Klitorisvorhaut beschränkte Operation ebenfalls von dieser Definition umfasst wird. 213 Borkenhagen/Brähler/Kentenich, Dtsch Arztebl 2009, S. 500., http://metro.co.uk/2008/ 08/17/the-privates-sector-is-shown-up-in-the-perfect-vagina-386162/ (zuletzt aufgerufen 14. 04. 2014). 214 http://www.aerzteblatt.de/archiv/63783 (zuletzt aufgerufen 14. 04. 2014). 215 Adams, Körperhaarentfernung bei immer mehr jungen Erwachsenen im Trend, http:// www.idw-online.de/pages/de/news289305 (zuletzt aufgerufen 14. 04. 2014). 216 Borkenhagen/Brähler/Kentenich, S. 500. 217 Borkenhagen/Brähler/Kentenich, S. 500; Krause, S. 214 ff. 218 http://www.time.com/time/printout/0,8816,1859937,00.html (zuletzt aufgerufen 14. 04. 2014). 219 Female genital mutilation (FGM) constitutes all procedures which involve the partial or total removal of the female external genitalia or other injury to the female genital organs, whether for cultural or any other non-therapeutic reasons; http://www.who.int/topics/female_ge nital_mutilation/en/ (zuletzt aufgerufen 14. 04. 2014).

C. Weibliche Genitalbeschneidung

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IV. Strafbarkeit weiblicher Genitalbeschneidung Im Gegensatz zur männlichen Genitalbeschneidung, die mit der Kodifizierung des § 1631d BGB bei nicht einwilligungsfähigen Minderjährigen mit Einwilligung der Sorgeberechtigten ausdrücklich gestattet wurde, bleibt die Beschneidung des weiblichen Genitals strafbar. Während sich die Strafbarkeit bisher aus § 223 StGB oder gegebenenfalls aus §§ 224, 226 StGB ergab, hat der Gesetzgeber mit dem am 28. 09. 2013 in Kraft getretenen neuen § 226a StGB für diese eine eigenständige, als Verbrechenstatbestand ausgestaltete Norm mit folgendem Wortlaut in das Strafgesetzbuch aufgenommen:220 „§ 226 a Verstümmelung weiblicher Genitalien (1) Wer die äußeren Genitalien einer weiblichen Person verstümmelt, wird mit Freiheitsstrafe nicht unter einem Jahr bestraft. (2) In minder schweren Fällen ist auf eine Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu fünf Jahren zu erkennen.“

Dies war in Teilen der Literatur mit der Begründung gefordert worden, die bestehende Strafbarkeitsregelung sei nicht ausreichend.221 Danach wird mit Freiheitsstrafe nicht unter einem Jahr bestraft, „wer die äußeren Genitalien einer weiblichen Person verstümmelt“. Als Verstümmelung ist „jede mechanische Einwirkung auf den Körper, die zur Zerstörung, zum Verlust oder zur sonstigen substanziellen Beeinträchtigung eines Organs, eines Körpergliedes oder sonstigen Körperteils führt“, anzusehen, was für § 226a StGB zur Folge hat, dass alle Handlungen, „die mit mechanischen Mitteln zu Einbußen an Körpersubstanz im Bereich der äußeren weiblichen Genitalien führen“, dem Tatbestandsmerkmal des Verstümmelns unterfallen.222 Die Vorschrift stellt somit nicht nur schwerwiegende Formen der Beschneidung wie das teilweise oder ganze Entfernen der Klitoris oder die Infibulation unter Strafandrohung, vielmehr sollen nach der Gesetzesbegründung unter das Tatbestandsmerkmal des Verstümmelns jedwede Veränderungen an den weiblichen Genitalien fallen, also auch eine Reduktion der Klitorisvorhaut und sogar bloße Einschnitte in diese. Lediglich rein kosmetische Eingriffe wie Intimpiercing oder Schönheitsoperationen sollen nicht erfasst sein. Die unterschiedliche Handhabung durch den Gesetzgeber offenbart einen gewisser Wertungswiderspruch: Während selbst mildeste Formen der Genitalbeschneidung von Mädchen und Frauen stets eine strafbare Genitalverstümmelung darstellen, soll das vollständige Entfernen der Penisvorhaut bei Jungen, das bei Anwendung der genannten Definition ebenfalls als Verstümmelung bezeichnet werden könnte, nur als harmloser kleiner Eingriff zu bewerten sein.223

220 221 222 223

Bundestagsdrucksache 17/13707; Bundesgesetzblatt 2013 I, S. 3671. So etwa Hahn, Uwe, ZRP 2010, S. 37 ff. Fischer, § 226a, Rn. 10 f. Walter, „Die Zeit“ vom 04. 07. 2013, S. 13.

3. Kapitel

Rechtslage vor Inkrafttreten des § 1631d BGB A. Männliche Beschneidung in der bisherigen Judikatur Bereits vor der Entscheidung des Landgerichts Köln war die rituelle Beschneidung hierzulande vereinzelt Gegenstand der Judikatur, wobei allerdings nie höchstrichterlich die Frage entschieden worden ist, ob die Einwilligung der Sorgeberechtigten eines nicht einwilligungsfähigen Minderjährigen in eine medizinisch nicht indizierte, lege artis durchgeführte Zirkumzision dem Kindeswohl entspricht und damit rechtfertigende Wirkung entfaltet. Im Jahr 2002 entzog das Amtsgericht Erlangen den leiblichen Eltern eines bei Pflegeeltern untergebrachten Jungen das Recht zur Gesundheitsfürsorge und das Recht zur Vertretung des Kindes in Passangelegenheiten, weil der Kindesvater das dreieinhalb Jahre alte Kind beschneiden lassen wollte. Unter Hinweis auf die Risiken des die körperliche Integrität verletzenden Eingriffs untersagte es den Eltern, religiös motivierte Operationen an dem Kind vornehmen zu lassen.224 Ebenfalls im Jahr 2002 entschied das OVG Lüneburg,225 dass ein hilfebedürftiges Kind muslimischen Glaubens Anspruch darauf habe, dass der Sozialhilfeträger als einmalige Leistung aus besonderem Anlass die Kosten für die Durchführung der medizinisch nicht indizierten Beschneidung durch einen Arzt übernehmen müsse. Zwar ergebe sich dieser Anspruch nicht aus Krankenhilfe, aber im muslimischen Kulturkreis habe die Beschneidung eine der Taufe im Christentum vergleichbare religiöse und gesellschaftliche Bedeutung. Daher liege in der Beschneidung ein besonderer Anlass, für den die notwendigen Leistungen in Form der privaten Feier und der Beschneidungsoperation gewährt werden müssten. Dem Umstand, dass die Beschneidung im Gegensatz zur christlichen Taufe jedoch keinen konstitutiven Charakter für die Zugehörigkeit zur Glaubensgemeinschaft hat, schenkte das Gericht dabei allerdings keine Beachtung.

224 AG Erlangen Beschluss vom 30. 07. 2002, Az: 4 F 1092/04, dargestellt bei Putzke, in: FS für Herzberg, S. 669 (700). 225 OVG Lüneburg, NJW 2003, S. 3290.

A. Männliche Beschneidung in der bisherigen Judikatur

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Das Landgericht Frankenthal226 führte in einem Urteil im Jahr 2004 aus, dass „auch bei religiösen Beschneidungen, die medizinisch nicht indiziert sind, zum Wohle des Kindes zumindest der in Deutschland geltende Standard eingehalten werden“ müsse. Ob über dieses „zumindest“ hinaus weitere Anforderungen an das Kindeswohl zu stellen sind, lässt sich der Entscheidung nicht entnehmen, dies konnte vom Gericht aber auch offen gelassen werden. Das Gericht führte aber aus, nach dem Personensorgerecht sei die Entscheidungsfreiheit in aller Regel auf medizinisch indizierte Eingriffe beschränkt und „Schönheitsoperationen nur ganz ausnahmsweise zulässig“.227 Es sprach einem neun Jahre alten Minderjährigen einen Schmerzensgeldanspruch in Höhe von 5.000,00 E zu. Bei ihm hatte ein nicht über eine medizinische Ausbildung verfügender, sich selbst als „wissenschaftlicher Beschneider“ bezeichnender Mann mit Einwilligung der Eltern ohne Betäubung eine Beschneidung durchgeführt, bei der er nicht nur die Vorhaut, sondern auch einen Teil der Penisschafthaut entfernt hatte. Es war zu starken Blutungen gekommen und der Kläger musste sich zweier stationärer Revisionseingriffe unterziehen. Das Gericht führte aus, dass „die Einwilligung der Eltern des Klägers in den medizinisch nicht indizierten, von einem Nichtmediziner unter unsterilen Bedingungen durchgeführten körperlichen Eingriff […] gegen das Kindeswohl“ verstoße und „daher nicht mehr von dem elterlichen Sorgerecht“ gedeckt sein könne. Das Amtsgericht Düsseldorf228 verurteilte ebenfalls im Jahr 2004 einen in Deutschland lebenden, aus der Türkei stammenden rituellen Beschneider wegen gefährlicher Körperverletzung. Er hatte Zirkumzisionen an Minderjährigen mit Einwilligung deren Eltern, aber unter unhygienischen Bedingungen durchgeführt. Das Gericht vertrat die Auffassung, die mit Einwilligung der gesetzlichen Vertreter vorgenommenen operativen Eingriffe seien „nicht schon deswegen rechtswidrig, weil der Täter kein Arzt ist“.229 Eine Begründung für diese Auffassung – immerhin hielt das Gericht es nicht für nicht rechtswidrig, wenn jemand, der nicht Arzt ist, eine Operation durchführt – hätte man erwarten dürfen, sucht sie aber vergeblich. Das Gericht hätte diese Frage gar nicht entscheiden müssen, denn es billigte den Einwilligungen der Sorgeberechtigten keine rechtfertigende Wirkung zu, weil das von dem Angeklagten verwendete Instrumentarium verdreckt war und sich in seinem „Arztkoffer“ auch dort nicht hingehörende Gegenstände wie eine Bahncard und Reiseunterlagen befunden hatten und die Eltern nach Überzeugung des Gerichts „bei Kenntnis dieses Hygienezustandes von der Beauftragung des Angeklagten Abstand genommen hätten“.230 Zu der Frage, ob die Einwilligung dem Kindeswohl entsprochen hätte, brauchte das Gericht damit keine Stellung mehr zu nehmen. Im Hinblick auf die Argumentation des Gerichts ist allerdings zu vermuten, dass es die 226 227 228 229 230

LG Frankenthal, MedR 2005, S. 243 ff. (mit Problemstellung Kern). LG Frankenthal, Fn. 222. AG Düsseldorf, Urteil vom 17. 11. 2004, Az: 411 Ds 60 Js 3518/00 (juris). AG Düsseldorf, Urteil vom 17. 11. 2004, Az: 411 Ds 60 Js 3518/00 (juris), Rn. 5. AG Düsseldorf, Fn. 228.

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3. Kap.: Rechtslage vor Inkrafttreten des § 1631d BGB

Einwilligung als rechtfertigend angesehen hätte, wenn die hygienischen Verhältnisse beanstandungsfrei gewesen wären. Im Jahr 2007 bewilligte das OLG Frankfurt231 einem minderjährigen Jungen Prozesskostenhilfe für eine Schmerzensgeldklage über 10.000,00 E gegen seinen Vater. Dem lag zugrunde, dass der damals Zwölfjährige, der bei der von seinem Vater getrennt lebenden Mutter lebte, in den Ferien, die er bei seinem Vater verbracht hatte, auf dessen Veranlassung hin von einem Arzt ohne medizinische Indikation beschnitten worden war. Der Minderjährige selbst hatte auf die Frage des Vaters, ob er mit der Beschneidung einverstanden sei, „notgedrungen“ sein Einverständnis erklärt. Die Vorinstanz hatte den PKH-Bewilligungsantrag mangels hinreichender Erfolgsaussicht mit der Begründung abgelehnt, zum einen sei im muslimischen Lebens- und Kulturkreis die Beschneidung sozialadäquat, zum anderen sei nicht ersichtlich, dass der minderjährige Antragsteller nicht einwilligungsfähig gewesen wäre. Das OLG Frankfurt meinte zwar – was einer rechtlichen Überprüfung nicht standhält232 – unter Hinweis auf § 5 RelKEG, wonach ein Kind nach Vollendung des zwölften Lebensjahres gegen seinen Willen nicht mehr zu einem anderen als dem bisherigen religiösen Bekenntnis erzogen werden darf, es sei danach „bei Fehlen weiterer Anhaltspunkte davon auszugehen, dass ein Zwölfjähriger über die Einsichtsfähigkeit für eine solche Entscheidung verfügt“,233 billigte der Einwilligung des Jungen jedoch gleichwohl keine rechtfertigende Wirkung zu, weil bei ihm Umstände vorlagen, aus denen sich besondere Gründe für eine Verzögerung der Reife ergaben. Die Frage, „ob generell und bis zu welchem Alter die Einwilligung zu einer Beschneidung durch muslimische Eltern oder durch einen muslimischen Vater allein als vom Erziehungs- und Sorgerecht umfasst angesehen werden kann“, ließ das Gericht dabei offen, da dem Vater das Sorgerecht ohnehin nicht zugestanden hatte.234 Schon aufgrund der „Anmaßung des Sorgerechts“ durch den Vater sah das Gericht den Antragsteller in seinem Persönlichkeitsrecht verletzt.235 Das Verwaltungsgericht Augsburg236 lehnte im Jahr 2011 die Klage eines damals knapp ein Jahre alten Kindes und dessen nigerianischer Mutter auf Anerkennung als Flüchtlinge ab. Die dem christlichen Stamm der Yoruba zugehörige Mutter hatte geltend gemacht, ihrem Sohn drohe in Nigeria, wo ca. 90 % der männlichen Bevölkerung beschnitten seien, die medizinisch nicht notwendige, zwangsweise Beschneidung. Im Jahr 2008 sei ihre damals zwei Jahre alte Tochter an den Folgen der Beschneidung verstorben. Sie wolle nicht, dass ihr Sohn, wie beim Volk der Yoruba üblich, im Säuglingsalter beschnitten werde. Wenn sie mit dem Kind nach Nigeria zurückkehren müsse, werde ihre Familie gegen ihren Willen die Beschneidung des 231 232 233 234 235 236

OLG Frankfurt, NJW 2007, S. 3580 ff. Siehe hierzu 3. Kapitel, C. VII. 2. OLG Frankfurt, NJW 2007, S. 3580 (3581). OLG Frankfurt, Fn. 231. OLG Frankfurt, Fn. 231. VG Augsburg, Urteil vom 12. 10. 2011, Az.: Au 7 K 11.30174 (juris).

A. Männliche Beschneidung in der bisherigen Judikatur

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Kindes veranlassen. Dem nicht einwilligungsfähigen Kind drohe durch die zwangsweise Beschneidung daher eine Verletzung des Selbstbestimmungs- und Persönlichkeitsrechts. Das Gericht wies die Klage mit der Begründung ab, die drohende Beschneidung überschreite nicht die Schwelle einer asylerheblichen Intensität und stelle sich auch nicht als ausgrenzende Verfolgung dar. Denn im Gegensatz zur weiblichen Beschneidung bleibe die männliche Beschneidung, obgleich auch sie „zweifellos einen Eingriff in die körperliche Integrität“ darstelle, „in den weitaus meisten Fällen ohne relevante gesundheitliche Folgen für den Betroffenen“.237 Da die Familie nach Angaben der Mutter des Kindes in Nigeria in guten finanziellen Verhältnissen lebe, könne sie es sich leisten, die Beschneidung des Kindes in Nigeria „zur Vermeidung von Komplikationen unter adäquaten medizinischen Bedingungen durchführen zu lassen“.238 Dabei ließ das Gericht ausdrücklich offen, ob eine von den gesetzlichen Vertretern veranlasste medizinisch nicht indizierte Beschneidung eines nicht einwilligungsfähigen Jungen nach deutschem Recht eine rechtswidrige Körperverletzung darstellt, weil dies für die Frage, ob die für das Kind in Nigeria zu erwartende Beschneidung eine politische Verfolgung darstelle, irrelevant sei.239 Die verschiedenen Entscheidungen zeigen kein einheitliches Bild. Während das Amtsgericht Erlangen die Einwilligung des Sorgeberechtigten in die medizinisch nicht indizierte Beschneidung mit Blick auf die Risiken als nicht dem Kindeswohl entsprechend ansah, gingen das OVG Lüneburg sowie – zumindest in der Tendenz – das Amtsgericht Düsseldorf von einer gegenteiligen Ansicht aus. Das Landgericht Frankenthal sah es als geboten an, dass „zumindest“ der hierzulande geltende medizinische Standard einzuhalten sei, und das OLG Frankfurt und das Verwaltungsgericht Augsburg ließen ausdrücklich offen, ob die Einwilligung der Personensorgeberechtigten rechtfertigend wirke. Die vorgenannten gerichtlichen Entscheidungen machen allerdings deutlich, dass die immer wieder anzutreffende Ansicht, vor der Entscheidung des Landgerichts Köln sei die Rechtslage klar und eindeutig zugunsten einer Zulässigkeit nicht indizierter Beschneidungen männlicher Minderjähriger im Rahmen der Einwilligung der Personensorgeberechtigten gewesen, und erst das Landgericht Köln habe für Rechtsunsicherheit gesorgt,240 indem es „aus einer gefestigten Rechtsprechung ausgebrochen“241 sei, nicht zutreffend ist.

237

VG Augsburg, Urteil vom 12. 10. 2011, Az.: Au 7 K 11.30174 (juris), Rn. 30. VG Augsburg, Fn. 236, Rn. 31. 239 VG Augsburg, Fn. 236, Rn. 32. 240 So auch die Begründung zum Gesetzentwurf der Bundesregierung, siehe Bundestagsdrucksache 17/11295 vom 05. 11. 2012, S. 6. 241 Prantl, Süddeutsche Zeitung vom 10. 10. 2012, http://www.sueddeutsche.de/politik/be schneidung-wie-ein-unnoetiges-gesetz-notwendig-wurde-1.1492659 (zuletzt aufgerufen 14.04. 2014). 238

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3. Kap.: Rechtslage vor Inkrafttreten des § 1631d BGB

B. Das „Beschneidungs-Urteil“ des Landgerichts Köln Anhand des „Beschneidungs-Urteils“ des Landgerichts Köln soll zunächst die Rechtslage vor Inkrafttreten des § 1631 d BGB überprüft und hierbei das Urteil einer kritischen Prüfung unterzogen werden. Der Entscheidung des Landgerichts Köln lag folgender Sachverhalt zugrunde:242 „Am 04. 11. 2010 führte der Angeklagte in seiner Praxis […] in Köln unter örtlicher Betäubung die Beschneidung des zum Tatzeitpunkt vierjährigen J. mittels eines Skalpells auf Wunsch dessen Eltern durch, ohne dass für die Operation eine medizinische Indikation vorlag. Er vernähte die Wunde des Kindes mit vier Stichen und versorgte ihn bei einem Hausbesuch am Abend desselben Tages weiter. Am 06. 11. 2010 wurde das Kind von seiner Mutter in die Kindernotaufnahme der Universitätsklinik in Köln gebracht, um Nachblutungen zu behandeln. Die Blutungen wurden dort gestillt.“

Die Staatsanwaltschaft Köln hatte gegen den Arzt mit dem Vorwurf, eine andere Person mittels eines gefährlichen Werkzeugs körperlich misshandelt und an der Gesundheit beschädigt zu haben (§§ 223 Abs. 1, 224 Abs. 1 Nr. 2, Alternative 2 StGB), Anklage erhoben. Vom Amtsgericht Köln243 war der angeklagte Arzt freigesprochen worden. Das Amtsgericht begründete dies damit, dass die Einwilligung rechtswirksam gewesen sei, weil die Beschneidung eine Stigmatisierung des Kindes innerhalb der muslimischen Gemeinschaft vermeide. Hiergegen hatte die Staatsanwaltschaft Berufung eingelegt. Das Landgericht Köln ging davon aus, dass die medizinisch nicht indizierte Beschneidung des vierjährigen Jungen den objektiven Tatbestand der Körperverletzung gem. § 223 Abs. 1 StGB erfüllt habe. Es führte diesbezüglich aus, dass die aufgrund der Einwilligung der Eltern von dem angeklagten Arzt ordnungsgemäß durchgeführte Beschneidung nicht schon unter dem Aspekt der Sozialadäquanz vom objektiven Tatbestand ausgeschlossen sei. Denn dem Gesichtspunkt der Sozialadäquanz komme „neben dem Erfordernis tatbestandspezifischer Verhaltensmissbilligung keine selbständige Bedeutung zu“, insbesondere nicht die Funktion, „ein vorhandenes Missbilligungsurteil aufzuheben“.244 Als nicht erfüllt sah das Gericht dagegen die Tatbestandsvoraussetzungen des § 224 Abs. 1 Nr. 2, Alternative 2 StGB an, denn das Skalpell sei dann, wenn es wie hier von einem Arzt bestimmungsgemäß verwendet werde, kein gefährliches Werkzeug im Sinne dieser Vorschrift. Eine Rechtfertigung der Tat gem. § 228 StGB durch Einwilligung lehnte das Gericht ab. Eine Einwilligung des vierjährigen Kindes habe nicht vorgelegen und komme in Ermangelung „hinreichender Verstandesreife“ auch nicht in Betracht. Eine Einwilligung der sorgeberechtigten Eltern habe zwar vorgelegen, ihr sprach das Gericht jedoch keine rechtfertigende Wirkung im Sinne des § 228 StGB zu, weil vom Sorgerecht nur solche Erziehungsmaßnahmen gedeckt seien, die dem Wohl des 242 243 244

LG Köln, Fn. 1. AG Köln, Urteil vom 21. 09. 2011, Az.: 528 Ds 30/11 (juris). LG Köln, Fn. 1.

B. Das „Beschneidungs-Urteil“ des Landgerichts Köln

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Kindes dienten. Die Beschneidung eines nicht einwilligungsfähigen Knaben entspreche jedoch „weder unter dem Blickwinkel der Vermeidung einer Ausgrenzung innerhalb des jeweiligen religiös-gesellschaftlichen Umfelds noch unter dem des elterlichen Erziehungsrechts dem Wohl des Kindes“.245 Die Grundrechte der Eltern aus Art. 4 Abs. 1, 6 Abs. 2 GG erführen eine Begrenzung durch das Grundrecht des Kindes auf körperliche Unversehrtheit und Selbstbestimmung. Dies folge möglicherweise bereits aus Art. 140 GG i.V.m. Art. 136 WRV, „wonach die staatsbürgerlichen Rechte durch die Ausübung der Religionsfreiheit nicht beschränkt werden“, zumindest aber Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG stelle eine verfassungsimmanente Grenze der Grundrechte der Eltern dar. Aus der Wertung des § 1631 Abs. 2 S. 1 BGB folge, dass die in der „Beschneidung zur religiösen Erziehung liegende Verletzung der körperlichen Unversehrtheit […] unangemessen“246 sei. Durch die Beschneidung werde der Körper dauerhaft und irreparabel verändert, was auch dem Interesse des Kindes, später selbst über seine Religionszugehörigkeit zu entscheiden, entgegenstehe. Demgegenüber stelle es keine unzumutbare Beeinträchtigung der Rechte der Eltern dar, zuzuwarten, ob sich ihr Kind später selbst für eine Beschneidung als sichtbares Zeichen der Religionszugehörigkeit entscheiden werde. Zu einer Verurteilung des angeklagten Arztes gelangte das Gericht trotz Feststellens einer tatbestandsmäßigen und rechtswidrigen Körperverletzungshandlung gleichwohl nicht, weil sich der Arzt in einem unvermeidbaren Verbotsirrtum gem. § 17 S. 1 StGB befunden und daher ohne Schuld gehandelt habe. Der Angeklagte habe guten Gewissens gehandelt und sei überzeugt davon gewesen, dass sein Handeln rechtmäßig gewesen sei. Zwar habe er keinen Rechtsrat eingeholt; dies könne ihm jedoch nicht zum Nachteil gereichen. Denn wenn er sich bei kundiger Stelle nach der Rechtslage erkundigt hätte, sei kein eindeutiges Ergebnis zu erwarten gewesen. Wie einleitend bereits erwähnt, erfuhr das Urteil des Landgerichts Köln zahlreiche Reaktionen nicht nur in juristischen Fachkreisen. In diesen wurden die Diskussionen allerdings trotz leidenschaftlich vertretener kontroverser Rechtsauffassungen weitgehend sachlich geführt, während Diskussionsteilnehmer anderer wissenschaftlicher Fachrichtungen zuweilen die gebotene Sachlichkeit vermissen ließen.247 Im Folgenden soll die Rechtslage vor Inkrafttreten des § 1631d BGB geprüft und dargestellt werden. 245

LG Köln, Fn. 1. LG Köln, Fn. 1. 247 Die Feststellung von Kempf, S. 436, die Diskussion sei „bisher frei von ideologischer Voreingenommenheit geführt“ worden, ist so nicht zutreffend. Als insoweit eher ideologisch geprägt in Erscheinung getreten und hierbei offensichtlich dem Argumentationsmuster der ,Täter-Opfer-Umkehr‘ folgend soll beispielhaft der Beitrag von Krochmalnik ,Mila und Schoa‘ in: Heil et al., ,Beschneidung: Das Zeichen des Bundes in der Kritik‘, genannt werden, der in der Beschneidungsdebatte „ein wiederkehrendes Muster“ in der Geschichte des Antisemitismus erkennt und ausführt: „Es ist – von mir aus gesehen – gerade einmal eine Generation her, da haben Deutsche geschätzte eineinhalb Millionen jüdische Kinder umgebracht. […] Nun ereifern sich viele Deutsche über die jüdischen Eltern, die die Körper und Rechte ihrer Kinder 246

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3. Kap.: Rechtslage vor Inkrafttreten des § 1631d BGB

C. Die Zirkumzision als Körperverletzung i.S.d. §§ 223 ff. StGB I. Objektiver Tatbestand des § 223 Abs. 1 StGB Nach § 223 Abs. 1 StGB wird bestraft, wer eine andere Person körperlich misshandelt oder an der Gesundheit schädigt. Tatobjekt ist ein anderer Mensch. Die Leibesfrucht wird tatbestandlich von den Körperverletzungsdelikten nicht umfasst. Aus „dem Begriff des Schwangerschaftsabbruchs sowie dem Vergleich der Strafandrohungen und des tatbestandlichen Pönalisierungsumfangs“ folgt, dass das Menschsein nach dem Beginn der Geburt248 vorliegt, was – auch nach Auffassung des Bundesgerichthofs249 – mit dem Einsetzen der Eröffnungswehen der Fall ist.250 Das geschützte Rechtsgut dieser Norm ist „die körperliche Unversehrtheit und Gesundheit eines anderen Menschen“251 bzw. das „körperliche Wohl des Menschen, und zwar durch Schutz seiner körperlichen Integrität und Gesundheit“,252 was jedoch nicht auf das reine körperliche Wohl begrenzt ist, sondern auch das seelische Wohl umfasst,253 soweit es sich um seelische Beeinträchtigungen handelt, die „den Körper in einen pathologischen, somatisch objektivierbaren Krankheitszustand versetzen“.254 Das Gesetz unterscheidet demnach zwei Tatmodalitäten, zum einen die körperliche Misshandlung und zum anderen die Gesundheitsbeschädigung, wobei sich beide überschneiden können.255 Unter körperlicher Misshandlung wird nach ständiger Rechtsprechung und überwiegender Literaturansicht eine üble, unangemessene Behandlung verstanden, durch die das Opfer in seinem körperlichen Wohlbefinden, wenn auch nicht unbedingt durch Zufügung von Schmerzen,256 so doch in mehr als nur unerheblichem Grad beeinträchtigt wird.257 Vor allem bei Handlungen, die mit Substanzschäden wie beschneiden.“ Und: „ […] der Zeitraffer zeigt den Übergang von der wohlgemeinten Auslöschung des Zeichens des Jüdischseins bis zur Auslöschung der Juden.“ 248 Ulsenheimer in: Laufs/Kern, § 139 Rn. 1. 249 BGHSt 32, S. 194 (196). 250 Ulsenheimer in: Laufs/Kern, § 139 Rn. 2. 251 Fischer, § 223 Rn. 2; Lilie in: Leipziger Kommentar, vor § 223 Rn. 1. 252 Eser in: Schönke/Schröder, 29. Aufl., § 223 Rn. 1 m.w.N. 253 Ulsenheimer in: Laufs/Kern, § 139 Rn. 1; Momsen/Momsen-Pflanz in: Satzger/Schluckebier/Widmaier, § 223 Rn. 20; Tag, S. 62. 254 BGH, NStZ 1997, S. 123 ff.; Momsen/Momsen-Pflanz in: Satzger/Schluckebier/Widmaier, § 223 Rn. 53; Eser in: Schönke/Schröder, 29. Aufl., § 223 Rn. 6; Horn/Wolters in: SKStGB, § 223 Rn. 9. 255 Lilie in: Leipziger Kommentar, § 223 Rn. 4; Fischer, § 223 Rn. 3; Tag, S. 95; Momsen/ Momsen-Pflanz in: Satzger/Schluckebier/Widmaier, § 223 Rn. 4. 256 BGH NJW 1995, S. 2643. 257 BGHSt 25, 277; Rengier, § 13 Rn. 7; Horn/Wolters in: SK-StGB, § 223 Rn. 6; Joecks in: Münchener Kommentar zum StGB, § 223 Rn. 4; Kühl, § 223 Rn. 4.

C. Die Zirkumzision als Körperverletzung i.S.d. §§ 223 ff. StGB

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Beulen oder Wunden oder mit Substanzverlusten wie Verlust von Organen, Gliedern oder Zähnen verbunden sind,258 ist dies der Fall, wobei eine dauerhafte Funktionsbeeinträchtigung oder Entstellung nicht erforderlich ist.259 Als unangemessen wird eine körperliche Misshandlung angesehen, wenn die Beeinträchtigung des körperlichen Wohlbefindens mehr als nur unerheblich ist, wobei dies nicht nach dem subjektiven Empfinden, sondern aus der Sicht eines objektiven Betrachters zu bestimmen ist.260 In der Literatur wird zum Teil die Auffassung vertreten, dass es der Feststellung einer üblen, unangemessenen Behandlung nicht bedürfe,261 die Frage der ,unangemessenen und üblen Behandlung’ nicht als Tatbestandsmerkmal definiert werden sollte, weil damit zugleich die der Frage der objektiven Zurechenbarkeit zuzuordnende Frage nach der Überschreitung des erlaubten Risikos beantwortet werde, weshalb „aus Gründen der dogmatischen Klarheit […] die Definition der körperlichen Misshandlung von der Frage […], ob eine Behandlung übel und unangemessen ist“, befreit werden sollte.262 Dass durch das teilweise oder ganze Abtrennen der Vorhaut ein aus Sicht eines objektiven Betrachters nicht nur ganz unerheblicher Eingriff in die körperliche Integrität stattfindet, der darüber hinaus mit einem dauerhaften Substanzverlust und einer Funktionseinbuße einhergeht, ist vernünftigerweise unbestreitbar, und zwar unabhängig davon, ob die Frage nach der Unangemessenheit dieses Eingriffs als Tatbestandsmerkmal oder im Rahmen der objektiven Zurechenbarkeit beantwortet wird. Unter Gesundheitsbeschädigung wird jedes „Hervorrufen oder Steigern eines, wenn auch nur vorübergehenden pathologischen Zustandes“ verstanden.263 Auch der Tatbestand dieser Tatmodalität ist durch das Entfernen der Vorhaut erfüllt, denn die durch das Abschneiden der Vorhaut eintretenden Folgen wie Blutungen, Wunde, Schmerzen, etc. stellen ohne Zweifel einen, zumindest vorübergehenden, vom Normalen abweichenden, also pathologischen Zustand dar. Der endgültige Verlust der Vorhaut als Körpersubstanz mit einer physiologischen Funktion untermauert diesen pathologischen Zustand irreversibel. Die Durchführung einer Zirkumzision erfüllt daher den objektiven Tatbestand des § 223 StGB. Demgemäß ging das Landgericht Köln in seinem Urteil in rechtlich zutreffender Weise davon aus, dass die Beschneidung des nicht einwilligungsfähigen minderjährigen Jungen durch den angeklagten Arzt den objektiven Tatbestand des § 223 Abs. 1 StGB erfüllt habe. 258

Eser in: Schönke/Schröder, 29. Aufl., § 223 Rn. 3; Horn/Wolters in: SK-StGB, § 223 Rn. 6; Joecks in: Münchener Kommentar zum StGB, § 223 Rn. 8. 259 Fischer, § 223 Rn. 7. 260 Eser in: Schönke/Schröder, 29. Aufl., § 223 Rn. 4a. 261 Horn/Wolters in: SK-StGB, § 223 Rn. 8. 262 Putzke in: FS für Herzberg, S. 673; So auch Joecks in: Münchener Kommentar zum StGB, § 223 Rn. 27, der darauf hinweist, dass das Merkmal der üblen, unangemessenen Behandlung aus einer Zeit stammt, als es in der allgemeinen Lehre die objektive Zurechenbarkeit noch nicht gegeben habe. 263 Rengier, § 13 Rn. 11; Fischer, § 223 Rn. 8; Eser in: Schönke/Schröder, 29. Aufl., § 223 Rn. 5; Kühl, § 223 Rn. 5; BGH NJW 1960, S. 2253; LG Düsseldorf, MedR 1984, S. 29.

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3. Kap.: Rechtslage vor Inkrafttreten des § 1631d BGB

II. Qualifikation des § 224 Abs. 1 Nr. 2, 2. Alternative StGB Die Körperverletzung unterliegt nach dem Qualifikationstatbestand des § 224 StGB einer höheren Strafandrohung, wenn die „Art und Weise der Handlung die Gefahr erheblicher Verletzungen begründet“.264 Es handelt sich bei § 224 StGB daher um ein konkretes Gefährdungsdelikt.265 Maßgeblich ist daher für die höhere Strafandrohung zunächst alleine die Tatausführung durch eine der in § 224 Abs. 1 StGB abschließend aufgezählten Tatbegehungsmodalitäten. Als Erfolg muss nicht zwingend eine erhebliche Körperverletzung eintreten, es genügt der Eintritt einer leichten Körperverletzung.266 Ein gefährliches Werkzeug im Sinne des § 224 Abs. 1 Nr. 2, 2. Alternative StGB ist jeder Gegenstand, der nach seiner objektiven Beschaffenheit und der konkreten Art der Benutzung, also der Einwirkung auf das Körperteil, auf welches er angewendet wird, geeignet ist, erhebliche Verletzungen hervorzurufen.267 Dass ein Skalpell, mit dem beispielsweise der Bauchraum eröffnet oder – wie in dem vom LG Köln zu entscheidenden Fall – die Vorhaut entfernt wird, geeignet ist, erhebliche Verletzungen herbeizuführen, ist evident. Allerdings soll nach der Rechtsprechung und der überwiegenden Ansicht in Lehre und Literatur die Qualifikation des § 224 StGB nur dann erfüllt sein, wenn das Werkzeug zu Angriffs- oder Verteidigungszwecken eingesetzt wird,268 was bei einem Skalpell in der Hand des Arztes nicht der Fall sei. Der BGH hebt daher neben der Frage der Geeignetheit des Werkzeugs darauf ab, ob es in der konkreten Situation als gefährlich oder ungefährlich eingesetzt wird und bejaht die Ungefährlichkeit bei chirurgischen Instrumenten, die von einem Arzt bestimmungsgemäß für einen chirurgischen Eingriff eigesetzt werden. Dieser Auffassung wird in Teilen der Literatur allerdings entgegen gehalten, dass allein der Umstand, dass ein Arzt das Skalpell nicht als Angriffs- oder Verteidigungsmittel einsetze, es nicht zum „ungefährlichen“ Werkzeug mache, zumal als Voraussetzung hierfür noch nicht einmal das Vorliegen einer medizinischen Indikation erforderlich sein solle. Aber selbst wenn eine medizinische Indikation für einen Eingriff vorliege, sei nicht einleuchtend, wieso ein Arzt, der „lege artis und medizinisch indiziert einen entzündeten Oberschenkelabszess operiert“, ohne dass der Patient hierin seine Einwilligung erteilt hat, „vom Risiko befreit werden [sollte], ein gefährliches Werkzeug zu verwenden“.269 Bei der Zirkumzision 264 265 266

Rn. 1.

Stree/Sternberg-Lieben in: Schönke/Schröder, 29. Aufl., § 224 Rn. 1. Lilie in: Leipziger Kommentar, § 224 Rn. 2. Fischer, § 224, Rn. 2; Stree/Sternberg-Lieben in: Schönke/Schröder, 29. Aufl., § 224

267 Stree/Sternberg-Lieben in: Schönke/Schröder, 29. Aufl., § 224 Rn. 4; Fischer, § 224 Rn. 9; Momsen/Momsen-Pflanz in: Satzger/Schluckebier/Widmaier, § 224 Rn. 17; Kühl, § 224 Rn. 5. 268 So etwa der BGH im sog. Zahnextraktionsfall, NJW 1978, S. 1206; Rengier, § 13 Rn. 35; Ulsenheimer in: Laufs/Kern, § 139 Rn. 12; Momsen/Momsen-Pflanz in: Satzger/ Schluckebier/Widmaier, § 224 Rn. 19; Kühl, § 224 Rn. 5. 269 Putzke in: FS für Herzberg, S. 669 (682).

C. Die Zirkumzision als Körperverletzung i.S.d. §§ 223 ff. StGB

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zeige sich bereits durch die eingetretene erhebliche Verletzung, dass das Skalpell nicht nur von der objektiven Beschaffenheit her, sondern auch bei der konkreten Anwendung geeignet sei, erhebliche Verletzungen zu verursachen.270 Es komme daher etwa bei der Frage, ob „die Säge in der Hand des Arztes“, mit der dieser ohne Einwilligung des betroffenen Patienten das falsche Bein amputiere, als gefährliches Werkzeug zu qualifizieren sei, nicht darauf an, ob der Eingriff an sich lege artis ausgeführt werde.271 Entscheidend für die Straffreiheit des Arztes – auch von der erhöhten Strafandrohung des § 224 StGB – sei vielmehr die durch wirksame Einwilligung in den Eingriff durch den Betroffenen entfallende Rechtswidrigkeit. Ein nachvollziehbarer Grund dafür, den Arzt, der ohne Einwilligung des Patienten mit einem gefährlichen Gegenstand wie einem Skalpell eine Verletzung des Patienten herbeiführe, ausschließlich wegen des Arztberufes zu privilegieren, sei nicht vorhanden.272 Diese Ansicht vermag jedoch nicht zu überzeugen. Denn der Arzt, der ein Skalpell einsetzt, um lege artis einen Oberschenkelabszess zu operieren, verwendet das Skalpell nicht zu Angriffszwecken, sondern in kurativer Absicht zur Heilung oder Linderung. Genau dies unterscheidet ihn etwa vom Messerstecher, der das Messer als Angriffsmittel einsetzt, um seinem Opfer Verletzungen zuzufügen. Das Messer in der Hand des Messerstechers stellt daher aus objektiver Sicht einen gefährlicheren Gegenstand als das bestimmungsgemäß eingesetzte und sorgfältig geführte Skalpell eines ausgebildeten Chirurgen dar. Dies ist auch dann der Fall, wenn die Einwilligung des Patienten aus welchen Gründen auch immer rechtsunwirksam sein sollte. Aus diesem Grund verdient die Auffassung des BGH den Vorzug. Dass diese Auffassung zu dem Ergebnis führt, dass beispielsweise ein sehr erfahrener Mohel, der eine Zirkumzision kunstgerecht durchführt, einer höheren Strafandrohung unterliegt, als ein Arzt, der dies tut, ist vor dem Hintergrund, dass in typisierender Weise gerade nur der chirurgisch ausgebildete, approbierte Arzt privilegiert werden soll, nicht jedoch andere Berufsträger, hinnehmbar. Das Landgericht Köln verneinte demgemäß unter Berufung auf diese vom Bundesgerichtshof zutreffend vertretene Ansicht zu Recht die Frage, ob durch die Vornahme der medizinisch nicht indizierten Zirkumzision durch den angeklagten Arzt mittels eines Skalpells die Qualifikation des § 224 Abs. 1 Nr. 2, 2. Alternative StGB erfüllt wurde.

III. Erfolgsqualifikation schwere Körperverletzung gem. § 226 Abs. 1 StGB Nicht geprüft wurde vom Landgericht Köln die Frage, ob die Tat die Erfolgsqualifikation des § 226 Abs. 1 StGB erfüllt. Nach dieser Vorschrift wird die Tat als schwere Körperverletzung mit einer Freiheitsstrafe von einem Jahr bis zu zehn 270 271 272

Kempf, S. 437; Bartsch, S. 603 (605). Fischer, § 224 Rn. 9 a; Putzke, MedR 2012, S. 622. Putzke in: FS für Herzberg, S. 669 (682); Bartsch, S. 603 (605).

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Jahren geahndet, wenn durch sie eine der in Abs. 1 Nr. 1 bis 3 bezeichneten Folgen eintritt. Vorliegend könnte daran gedacht werden, dass die Qualifikationen des § 226 Abs. 1 Nr. 2 oder 3 erfüllt sind. Aber die Penisvorhaut stellt kein ,wichtiges Glied des Körpers‘ im Sinne der Nr. 2 dar. Darunter wird nach h. M. „ein Körperteil, welcher durch ein Gelenk mit dem Rumpf oder einem anderen Körperteil verbunden ist, Also Arme, Beine, Hände, Füße, Finger, Zehen und deren Glieder“273 verstanden. Auch eine in erheblicher Weise eintretende dauernde Entstellung im Sinne des Abs. 1 Nr. 2, durch welche eine „Verunstaltung der Gesamterscheinung“274 des Betroffenen „in ihrer ästhetischen Wirkung derart verändert wird, dass er für Dauer starke psychische Nachteile im Verkehr mit seiner Umwelt“275 erleiden würde, wird durch die Zirkumzision nicht bewirkt. Die Tat stellt daher kein erfolgsqualifiziertes Delikt der schweren Körperverletzung i.S.d. § 226 Abs. 1 StGB dar. Als Zwischenergebnis ist daher festzuhalten, dass der angeklagte Arzt den objektiven Tatbestand des § 223 Abs. 1 StGB erfüllt hat.

IV. Exkurs: Meinungsstreit über Tatbestandslosigkeit des ärztlichen Heileingriffs An diesem Zwischenergebnis ändert auch der Umstand nichts, dass der Eingriff von einem Arzt durchgeführt wurde. Denn seit der Entscheidung des Reichsgerichts vom 31. 05. 1894276 geht die ständige höchstrichterliche Rechtsprechung davon aus, dass jede, selbst die in kurativer Absicht in die körperliche Integrität eingreifende ärztliche Handlung als den Tatbestand der Körperverletzung erfüllende Handlung angesehen wird.277 So bekräftigte der Bundesgerichtshof auch in der Entscheidung vom 22. 12. 2010, dass jede in die körperliche Unversehrtheit eingreifende ärztliche Behandlungsmaßnahme den Tatbestand einer vorsätzlichen Körperverletzungshandlung erfüllt.278 Demgegenüber ist ein bedeutender Teil des Schrifttums und der Lehre der Auffassung, durch den lege artis und mit kurativer Absicht ausgeführten ärztlichen Eingriff werde der Tatbestand der Körperverletzung nicht erfüllt.279 Denn aufgrund der Ziele jeglicher ärztlicher Heilbehandlungen sei der ärztliche Heileingriff keine 273

Rn. 6. 274

Stree/Sternberg-Lieben in: Schönke/Schröder, 29. Aufl., § 226 Rn. 2; Fischer, § 226

Fischer, § 226 Rn. 9. Stree/Sternberg-Lieben in: Schönke/Schröder, 29. Aufl., § 226 Rn. 3. 276 RGSt 25, 375. 277 Etwa BGHSt 11, 111; 12, 379; 16, 309; 35, 246. 278 BGH NJW 2011, S. 1088 ff. = GesR 2011, S. 237 ff. 279 Bockelmann, JZ 1962, S. 525 (527); Eser in: Schönke/Schröder, § 223 Rn. 30; Fischer, § 223 Rn. 11; hierzu ausführlich: Tag, S. 18 ff. 275

C. Die Zirkumzision als Körperverletzung i.S.d. §§ 223 ff. StGB

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Körperverletzungshandlung, da die Behandlung des Kranken der Wiederherstellung seiner Gesundheit diene und daher von ihrer Zielrichtung schon tatbestandlich keine Körperverletzung sein könne. Welche Forderungen dabei im Einzelnen an den Heileingriff zu stellen sind, ist in der Literatur umstritten. Nach der so genannten Erfolgstheorie ist zwischen gelungenem und misslungenem Eingriff zu unterscheiden. Da es für den Heileingriff auf dessen Gesamterfolg ankomme, sei § 223 StGB schon tatbestandlich zu verneinen, wenn im Ergebnis das körperliche Wohl im Ganzen erhöht oder jedenfalls bewahrt worden sei. Sei der Eingriff hingegen misslungen und der Patient in einem schlechteren Zustand, als er ohne den Eingriff vorliegen würde, liege tatbestandsmäßig eine Körperverletzung vor.280 Eine andere Auffassung stellt nicht auf den Erfolg der Heilbehandlung, sondern auf deren Kunstgerechtheit ab. Sei der Eingriff von Heilungstendenz getragen und kunstgerecht durchgeführt worden, so liege selbst bei Misslingen tatbestandsmäßig keine Körperverletzung vor.281 Nach zutreffender Auffassung der ständigen Rechtsprechung282 kommt es für die Frage der Tatbestandsmäßigkeit jedoch nicht darauf an, ob dem Eingriff eine medizinische Indikation zugrunde liegt oder nicht. Vielmehr stellt jede in die körperliche Integrität eingreifende ärztliche Behandlungsmaßnahme eine tatbestandliche Körperverletzung dar, gleich ob sie medizinisch indiziert, behandlungsfehlerfrei oder behandlungsfehlerhaft, erfolgreich oder missglückt ist. Diese Auffassung ist auch überzeugend, da es keinen plausiblen Grund dafür gibt, einen ärztlichen Eingriff, selbst wenn er zum Erfolg führt, alleine wegen des Vorliegens seiner medizinischen Indikation und des mit ihm verfolgten diagnostischen oder therapeutischen Zwecks außerhalb des Anwendungsbereichs der §§ 223 ff. StGB zu stellen. Daher bedarf auch der durch einen Arzt in kurativer Absicht und lege artis ausgeführte, die körperliche Integrität des Behandelten verletzende Eingriff einer besonderen Rechtfertigung, die i. d. R. durch die wirksam erteilte Einwilligung des Patienten gem. § 228 StGB erfolgt und erst auf der Ebene Rechtswidrigkeit die Strafbarkeit entfallen lässt. Obgleich diese Rechtsprechung von der Ärzteschaft und in Teilen der Literatur seit Jahrzehnten heftig kritisiert wird, weil damit eine „Gleichstellung des Operateurs mit dem Messerstecher“283 erfolge, hat der Gesetzgeber bis heute keine Notwendigkeit dafür gesehen, die ärztliche Heilbehandlung aus der Anwendung der §§ 223 ff. StGB herauszunehmen und in einem eigenen Straftatbestand zu regeln.284

280

Eser in: Schönke/Schröder, 29. Aufl., § 223 StGB Rn. 30. So schon Schmidt, Eberhard, S. 12 ff.; Lilie in: Leipziger Kommentar, vor § 223 Rn. 3 ff. 282 Rengier, § 13 Rn. 17; vgl. BGHSt 16, 303; BGHSt 12, 379; BGHSt 11, 111; BGH NJW 1956, 1106; RG 25, 375. 283 Bockelmann, Strafrecht des Arztes, S. 62. 284 Ulsenheimer, Arztstrafrecht in der Praxis, Rn. 56. 281

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Für die Durchführung religiös motivierter Zirkumzisionen ist dieser Meinungsstreit allerdings ohne Bedeutung, da – wie oben dargestellt285 – hierfür keine medizinische Indikation vorliegt und sie daher auch unter Zugrundelegung der genannten Literaturmeinungen den Tatbestand der objektiven Körperverletzung erfüllen.

V. Tatbestandsausschluss infolge von Sozialadäquanz Das Landgericht Köln führte in seinem Urteil aus, dass die Tat „nicht unter dem Gesichtspunkt der sogenannten Sozialadäquanz vom Tatbestand ausgeschlossen“ sei. Denn dem Merkmal der Sozialadäquanz komme „neben dem Erfordernis der tatbestandsspezifischen Verhaltensmissbilligung keine selbständige Bedeutung zu“. Im Schrifttum wird teilweise die Lösung auf Tatbestandsebene bejaht,286 und auch in der Kommentarliteratur wurde mit Blick auf die nicht medizinisch indizierte Zirkumzision teilweise die Auffassung vertreten, dass die Beschneidung von noch nicht einwilligungsfähigen „Knaben aus religiösen Gründen […] nach wohl h.M. als sozialadäquate Handlung […] tatbestandslos“ sei, was hingegen „in keinem Fall für die als Beschneidung bezeichnete Genitalverstümmelung von Mädchen“ gelte, da letztere „regelmäßig als Misshandlung und Gesundheitsbeschädigung anzusehen“ sei.287 Die letztgenannte Ansicht verkennt allerdings, dass die Argumentation, weibliche Gentalbeschneidungen könnten im Gegensatz zu männlichen Genitalbeschneidungen deshalb nicht als sozialadäquat angesehen werden, weil sie regelmäßig eine Misshandlung und Gesundheitsbeschädigung darstellen, nicht plausibel ist. Dieser Umstand taugt schon deshalb nicht als Abgrenzungskriterium, weil männliche Beschneidungen – wie oben im 2. Kapitel unter C. II. dargestellt – gleichermaßen als körperliche Misshandlung und Gesundheitsbeschädigung anzusehen sind. Hinzu kommt, dass auch nach der Rechtsprechung nur solche Handlungen als sozialadäquat angesehen werden, die „üblich, von der Allgemeinheit gebilligt und daher in strafrechtlicher Sicht völlig unverdächtig sind“.288 Dies dürfte in Bezug auf die Zirkumzision zweifelhaft sein. Denn zu Recht wird diesbezüglich darauf hingewiesen, dass von einer allgemeinen Billigung keine Rede sein könne, weil wohl nicht einmal eine Mehrheit der hiesigen Bevölkerung religiös motivierte Beschneidungen billige, was neuere Meinungsumfragen ergeben hätten.289 Demgemäß 285

Siehe hierzu 2. Kapitel, Ziff. 2. Exner, S. 190, ist der Auffassung, der formell erfüllte Tatbestand sei wegen Sozialadäquanz der Beschneidung aus materiellen Gründen ausgeschlossen. 287 So noch in der 55. Aufl. 2008: Fischer, § 223 Rn. 6b. 288 Bartsch, S. 603 (605). 289 Bartsch, S. 603 (605), mit Verweis auf Meinungsumfragen der Meinungsforschungsinstitute YouGov, http://yougov.de/news/2012/07/19/umfrage-fast-die-halfte-der-deutschen-furbeschnei/ (zuletzt aufgerufen 14. 04. 2014), wonach 45 % der Befragten für ein Verbot, 42 % gegen ein Verbot der Beschneidung waren und 13 % zu diesem Thema keine Meinung hatten, und Emnid, http://www.focus.de/politik/beschneidung-essentieller-glaubensinhalt-mehrheitder-deutschen-lehnt-beschneidungsgesetz-ab_aid_785174.html (zuletzt aufgerufen 14.04. 286

C. Die Zirkumzision als Körperverletzung i.S.d. §§ 223 ff. StGB

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vertritt Fischer seit der 56. Auflage nunmehr zu Recht die Ansicht, dass kein Anlass dazu bestehe, die Beschneidung von Knaben „als sozialadäquat schon vom Tatbestand auszunehmen“.290 Exner ist der Auffassung, dass Handlungen, die sozial unauffällig, allgemein gebilligt und geschichtlich üblich seien, bereits auf der Tatbestandsebene mit der „eigenständigen Rechtsfigur“ der Sozialadäquanz dem Strafbarkeitsverdikt entzogen werden müssten, da die „gängigen dogmatischen Figuren“ dem nicht gerecht würden.291 In der rituellen Knabenbeschneidung sei ein solch „sozial unauffälliges Handlungsmuster“ zu erblicken, wobei deren allgemeine Billigung aus dem Fehlen einer gesellschaftlichen Diskussion generiert werden könne.292 Dem ist entgegenzuhalten, dass es fraglich erscheint, ob allein aus dem Fehlen einer gesellschaftlichen Diskussion eine allgemeine Billigung erwächst. So kann das Fehlen einer gesellschaftlichen Diskussion etwa auch auf schlichter Gleichgültigkeit beruhen, woraus nicht der Schluss auf eine allgemeine Billigung gezogen werden kann. Überdies kann kaum ernsthaft die Auffassung vertreten werden, dass eine medizinisch nicht indizierte Zirkumzision eine aus strafrechtlicher Sicht gänzlich unverdächtige Handlung darstelle. Denn im Hinblick darauf, dass hierbei ein erogen sensibler und physiologisch funktionaler Teil des Körpers irreversibel entfernt wird, stellt sich der Eingriff nicht als gänzlich unverdächtig dar. Nach Auffassung Roxins beschränkt sich das Merkmal der Sozialadäquanz auf die zwei Fallgruppen des erlaubten Risikos und der ganz geringfügigen, sozial allgemein tolerierten Handlung, die zum Ausschluss der objektiven Zurechenbarkeit führen.293 Dass die zweite Fallgruppe nicht vorliegt, wurde bereits dargelegt. Die Zirkumzision unterfällt aber auch nicht der Fallgruppe des erlaubten Risikos. Dies wird schon daran deutlich, dass die Zirkumzision eine ,üble, unangemessene Behandlung‘ im Sinne des objektiven Tatbestands des § 223 Abs. 1 StGB darstellt.294 Durch die Verortung des Merkmals der ,üblen, unangemessenen Behandlung‘ im objektiven Tatbestand des § 223 Abs. 1 StGB wird die Frage des Überschreitens des erlaubten Risikos bereits mitbeantwortet:295 Wenn die körperliche Misshandlung oder Gesundheitsbeschädigung auf einer ,üblen, unangemessenen Behandlung‘ beruht, ist damit zugleich der Bereich des erlaubten Risikos überschritten.296 Aber auch unter Berücksichtigung der Risiken sowie der Vor- und Nachteile einer medizinisch nicht indizierten Beschneidung297 ist festzuhalten, dass die Grenze des erlaubten Risikos überschritten wird und damit gleichzeitig eine üble und unangemessene Behandlung 2014), wonach sich 48 % der Befragten gegen eine Erlaubnis der Beschneidung und 40 % für eine solche ausgesprochen haben. 290 Fischer, § 223 Rn. 11. 291 Exner, S. 190. 292 Exner, Fn. 285. 293 Roxin, § 10 Rn. 38 ff. 294 Siehe hierzu 3. Kapitel, C. I. 295 Hierauf weist Putzke in: FS für Herzberg, S. 669 (673) zutreffend hin. 296 Putzke in: FS für Herzberg, S. 669 (681). 297 Siehe hierzu 2. Kapitel, B. IV. und V.

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3. Kap.: Rechtslage vor Inkrafttreten des § 1631d BGB

vorliegt.298 Im Ergebnis hat das Landgericht Köln das Vorliegen einer sozialadäquaten Handlung daher zu Recht verneint, wobei es – worauf zutreffend hingewiesen wurde299 – bereits wegen des Fehlens des Merkmals der Sozialadäquanz hätte offen lassen können, ob dieser eine eigenständige Bedeutung auf der Ebene des Tatbestandes zukommt oder nicht. Aber selbst wenn das Kriterium des Fehlens einer gesellschaftlichen Diskussion zum Zeitpunkt der Veröffentlichung der Arbeit Exners im Jahr 2010 Gültigkeit gehabt haben mag und aus dem Fehlen einer gesellschaftlichen Diskussion der Rückschluss auf eine allgemeine Billigung zulässig wäre, so wird man dies jedenfalls heute angesichts der durch das Kölner Urteil ausgelösten Diskussion, die sich nicht mehr nur auf juristische Fachkreise beschränkt, sondern in der breiten Gesellschaft angekommen ist, nicht mehr annehmen können.300 Es ist also durch die im Anschluss an das Urteil des Landgerichts Köln stattgefundene Diskussion das eingetreten, was Exner in dem Ausblick seiner Arbeit als mögliche Entwicklung bereits ins Auge gefasst hatte: „Sollte die Zirkumzision […] infolge der gewachsenen Sensibilität gegenüber der körperlichen Unversehrtheit die Billigung durch die Allgemeinheit im Wege einer offenen sozialen Auseinandersetzung einbüßen, würde der Eingriff zugleich seine soziale Adäquanz verlieren – wie weiland für das elterliche Züchtigungsrecht zu verzeichnen.“301 Ungeachtet der Frage, ob das Merkmal der Sozialadäquanz als eigenständige Rechtsfigur bereits auf der Ebene der objektiven Tatbestandsmäßigkeit zu prüfen ist, oder ob ihm erst auf der Ebene der Schuld eine Bedeutung zu Teil wird, ist jedenfalls festzustellen, dass die Knabenbeschneidung ihre allgemeine Billigung – wenn es sie denn überhaupt gegeben hat – und damit ihre Sozialadäquanz verloren hat. Selbst unter Zugrundelegung der Auffassung, dass sozialadäquate Handlungen bereits auf der Ebene des Tatbestandes der Strafbarkeit nach dem betreffenden Delikt entzogen werden müssten, kann die Zirkumzision nicht in den Genuss dieser Rechtsfolge kommen, da sie jedenfalls heute ihre Sozialadäquanz eingebüßt hat.

VI. Subjektiver Tatbestand Der subjektive Tatbestand des § 223 StGB erfordert Vorsatz hinsichtlich der Handlung sowie das Bewusstsein, dass durch sie das Wohlbefinden des Körpers oder dessen Unversehrtheit beeinträchtigt oder die Gesundheit geschädigt wird. Bedingter Vorsatz genügt.302 Vorsatz ist „Wissen und Wollen der Tatbestandsverwirkli-

298 299 300 301 302

Putzke in: FS für Herzberg, S. 669 (681). Bartsch, S. 603 (605). So auch Putzke, MedR 2012, S. 622, Bartsch, S. 603 (606). Exner, S. 191. BGH, NStZ 1987, S. 362.

C. Die Zirkumzision als Körperverletzung i.S.d. §§ 223 ff. StGB

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chung“.303 Damit hat der Vorsatz ein kognitives und ein voluntatives Element. Voraussetzung für Vorsatz sind „die Kenntnis der vergangenen und gegenwärtigen sowie die Voraussicht der künftigen Tatbestandsmerkmale sowie des Ganges der Tathandlung“, und zwar nach der Rechtsprechung als „aktuelles Vorstellen bei der Tat, nicht nur als bloßes ins Bewusstsein gekommenes Wissen“.304 Nach allgemein anerkannter Auffassung handelt „der Täter vorsätzlich, wenn er den Eintritt des tatbestandlichen Erfolgs als möglich und nicht ganz fern liegend erkennt und damit in der Weise einverstanden ist, dass er die Tatbestandsverwirklichung billigend in Kauf nimmt oder sich um des erstrebten Zieles Willen wenigstens mit ihr abfindet, mag ihm auch der Erfolgseintritt an sich unerwünscht sein“.305 Durch die Vornahme der Zirkumzision hat der angeklagte Arzt wissentlich und willentlich in die körperliche Integrität des vierjährigen Jungen eingegriffen und diesen mehr als nur unerheblichem in seinem körperlichen Wohlbefinden beeinträchtigt und in einen vom normalen Zustand abweichenden, pathologischen Zustand versetzt. Er hat somit die Körperverletzungshandlung mit direktem Vorsatz begangen.

VII. Rechtfertigung durch Einwilligung Nachdem das Landgericht Köln zutreffend davon ausgegangen ist, dass die von dem angeklagten Arzt durchgeführte Zirkumzision den Tatbestand des § 223 StGB erfüllte, bedarf es nun der Prüfung, ob der Eingriff durch Einwilligung gem. § 228 StGB eine Rechtfertigung306 erfahren hat, oder ob dies – wie vom Landgericht Köln angenommen – nicht der Fall war, weil der Eingriff nicht dem Kindeswohl entsprochen habe. Zur Rechtfertigung eines die körperliche Integrität verletzenden ärztlichen Eingriffs ist grundsätzlich kumulativ das Vorliegen von drei Voraussetzungen erforderlich, nämlich der medizinischen Indikation des Eingriffs, der Einwilligung des Patienten in den Eingriff sowie dessen Durchführung nach dem geltenden medizi-

303

Vgl. BGHSt 36, 1. BGH, NJW 1953, S. 152. 305 BGHSt 7, 363. 306 Die Einwilligung in den Eingriff ist aber nicht nur aus strafrechtlicher Sicht bedeutsam. Trotz tatbestandsmäßiger Körperverletzung können grundsätzlich zivilrechtliche Behandlungsverträge über nicht medizinisch indizierte Eingriffe zwischen Arzt und Patient rechtswirksam abgeschlossen werden. Auch in deren Rahmen muss jedoch gem. § 630d BGB rechtswirksam in den Eingriff eingewilligt werden, da dieser andernfalls eine unerlaubte Handlung i.S.d. §§ 823 ff. BGB darstellt und Schadensersatzansprüche des Patienten auslösen kann. Ferner wurde auch im ärztlichen Berufsrecht das Einwilligungserfordernis kodifiziert. Gemäß § 8 MBO bedürfen Ärztinnen und Ärzte „zur Behandlung der Einwilligung des Patienten“, der „grundsätzlich die erforderliche Aufklärung im persönlichen Gespräch vorauszugehen“ hat. 304

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nischen Standard.307 Da die erstgenannte Voraussetzung indes nur vorliegen kann, wenn ein Heilzweck besteht, könnte die Auffassung vertreten werden, dass bei Wunscheingriffen, bei denen es am Vorliegen einer medizinischen Indikation fehlt, niemals eine Rechtfertigung durch Einwilligung möglich ist. Folgte man dieser Ansicht, die in der Rechtsprechung auch bis zur sog. Dohrn-Entscheidung des BGH,308 welche die Vornahme einer nicht medizinisch indizierten Sterilisation für straflos erklärte, vertreten wurde, wäre die Prüfung an dieser Stelle beendet.309 Zwar ist dem sog. „Zahnextraktionsfall“310 wieder eine gewisse, wenn auch nicht eindeutige paternalistische Tendenz dahin zu entnehmen, dass der BGH angesichts der fehlenden Indikation des Eingriffs der Einwilligung keine rechtfertigende Wirkung zubilligen wollte,311 weil diese „in laienhaftem Unverstand aufgrund einer unsinnigen selbstgestellten Diagnose“312 erklärt worden sei. Die Auffassung, dass die genannten drei Voraussetzungen kumulativ vorliegen müssen, ist jedoch nicht unumstritten. So wird beispielsweise mit Blick auf die Stärke des Selbstbestimmungsrechts die Auffassung vertreten, dass es für die Rechtfertigung alleine auf die wirksame Einwilligung des Patienten ankomme.313 Heute ist darüber hinaus allgemein anerkannt, dass ärztliches Handeln nicht zwingend rechtswidrig sein muss, wenn ihm keine medizinische Indikation zugrunde liegt und damit kein Heileingriff vorliegt. Dies machen etwa die Fälle der freiwilligen Sterilisation, der freiwilligen Kastration, geschlechtsverändernder Maßnahmen, der Sectio auf Wunsch314 oder sog. Schönheitsoperationen deutlich, wobei in Teilen der Literatur entgegen der gefestigten sozialgerichtlichen Rechtsprechung die Ansicht vertreten wird, bei Letzteren könne sich eine Indikation auch aus psychologischen oder psychopathologischen Aspekten ergeben.315 Dementsprechend wird in der Literatur316 zu Recht darauf hingewiesen, dass die „Grenzen ärztlichen Handels und damit auch des ärztlichen Heileingriffs zu verschwimmen beginnen“.317 Gestützt wird dies auch 307 Laufs in: Laufs/Kern, § 6 Rn. 1; Kern/Richter, S. 129 f.; Damm, GesR 2012, S. 641 (642); Ulsenheimer in: Huch et al., S. 125. 308 BGH, NJW 1965, S. 355. 309 Vgl. Kern/Richter, S. 131. 310 BGH, NJW 1978, S. 1206 ff. 311 Kern/Richter, S. 133. 312 BGH, NJW 1978, S. 1206 ff. 313 Lorz, S. 93 f.; kritisch hierzu mit Blick auf Piercing: May, S. 242 ff. 314 Dazu sehr ausführlich: Markus, Die Zulässigkeit der Sectio auf Wunsch. 315 Vgl. hierzu Lorz, S. 175 f.; Stock, S. 262 ff.; In der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts werden psychologische Indikationen für körperliche Eingriffe jedoch zu Recht mit der Begründung abgelehnt, mit operativen Eingriffen am aus krankenversicherungsrechtlicher Sicht gesunden Körper zur Beeinflussung psychischer Leiden würde „nicht gezielt gegen die eigentliche Krankheit selbst vorgegangen, sondern nur mittelbar die Besserung eines an sich einem anderen Bereich zugehörigen gesundheitlichen Defizits angestrebt.“ (BSG, GesR 2011, S. 41 (42). 316 Eser in: Schönke/Schröder, 29. Aufl., § 223 Rn. 50. 317 Sternberg-Lieben, Die objektiven Grenzen der Einwilligung im Strafrecht, S. 193 f.

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durch die Rechtsprechung des BGH, der folgendes feststellt: „Nicht jede ärztliche Maßnahme geschieht zu Heilzwecken. Der Arzt führt vielmehr in grundsätzlich zulässiger Weise auch Behandlungen durch, die wie Sterilisationen oder kosmetische Operationen anderen Zielen dienen können.“318 Auch derartige indikationslose Eingriffe müssen jedoch lege artis, d. h. nach dem anerkannten medizinischen Standard des jeweiligen ärztlichen Fachgebietes, durchgeführt werden. In diesem Zusammenhang ist darauf hinzuweisen, dass das Fehlen einer Indikation nicht dazu führt, dass der Eingriff per se nicht als lege artis durchgeführt anzusehen wäre. Denn das Vorliegen einer Indikation ist nicht Voraussetzung für das Einhalten des medizinischen Standards bei Durchführung des Eingriffs. Dies ergibt sich daraus, dass die Indikation „den Grund für medizinisches Handeln, nicht die Handlung selbst“ darstellt.319 Es sind in diesen Fällen allerdings wesentlich höhere Anforderungen an die für die Rechtswirksamkeit der Einwilligung erforderliche Selbstbestimmungsaufklärung des Patienten zu stellen.320 Das Defizit, das durch das Fehlen der Indikation als „einem Rechtfertigungselement [entsteht] wird […] durch ein Übermaß bei einem anderen kompensiert“.321 Des Weiteren besteht bei – etwa wegen unzureichender Aufklärung – unwirksamer Einwilligung eine Haftung des Arztes gegenüber dem Patienten dem Grunde nach auch dann, wenn der Eingriff völlig fehlerfrei und lege artis durchgeführt wurde.322 Keine Einwilligungsmöglichkeit besteht indes bei Vorliegen einer Kontraindikation. Als kontraindiziert wird ein Eingriff bezeichnet, wenn ein Umstand vorliegt, der die Anwendung eines diagnostischen oder therapeutischen Verfahrens bei an sich gegebener Indikation verbietet.323 So wäre etwa die Gabe von Penicillin an einen gegen diesen Wirkstoff allergischen Erkrankten kontraindiziert, auch wenn dieser an sich Antibiotikum zur Behandlung einer Infektion benötigt. Trotz eindringlichster Aufklärung dieses Patienten würde eine Einwilligung nicht rechtfertigend wirken.324 Dies wird zu Recht damit begründet, dass die Durchführung einer kontraindizierten Maßnahme behandlungsfehlerhaft ist und eine Einwilligung in einen Behandlungsfehler nicht möglich ist.325 Ob nicht medizinisch indizierte Beschneidungen kontraindiziert im Sinne dieser Begriffsbestimmung sind, ist allerdings zweifelhaft. Dagegen spricht, dass es an dem nach der genannten Definition erforderlichen Merkmal „bei an sich gegebener Indikation“ fehlt. Danach könnte ein indikationsloser Eingriff nie gleichzeitig auch kontraindiziert sein. Diese Interpretationsweise würde aber Sinn und Zweck der Versagung einer Einwilligungsmöglichkeit in kontraindizierte Eingriffe zuwider318

BGH, NJW 1978, S. 1206. Stock, S. 88. 320 Siehe hierzu 3. Kapitel C. VII. 1. b); Kern/Laufs, S. 68 ff. 321 Kern/Richter, S. 131. 322 BGH, NJW 1989, S. 1538; Fehn, GesR 2009, S. 11 (16). 323 Pschyrembl 2013, Sichwort: Kontraindikation, S. 1121. 324 Siehe hierzu auch OLG Karlsruhe, MedR 2003, S. 104 ff. für den Fall einer kontraindizierten ophthalmologischen Mehrfach-Laserbehandlung. 325 Kern/Richter, S. 131 m.w.N. 319

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laufen, denn auch einem medizinisch nicht indizierten Eingriff können im Einzelfall Umstände entgegenstehen, die seine Durchführung verbieten und sie als behandlungsfehlerhaft erscheinen lassen würden. So wäre sicherlich die freiwillige Blutspende eines Bluterkranken kontraindiziert, obgleich es sich um einen indikationslosen Eingriff handelte. Um auch solche Umstände zu berücksichtigen, ist der Begriff der Kontraindikation in Anlehnung an die o.g. Definition besser so zu bestimmen, dass ein Eingriff kontraindiziert ist, ,wenn ein Umstand vorliegt, der die Anwendung eines diagnostischen oder therapeutischen Verfahrens bei an sich gegebener oder unterstellter Indikation verbietet‘. Dass aber nicht jeder indikationslose Eingriff eine Kontraindikation darstellt, ergibt sich aus oben Gesagtem, wonach Ärzte heute grundsätzlich auch Eingriffe durchführen dürfen, die anderen Zielen als Heilzwecken dienen. Die Frage der Kontraindikation ist daher mit Blick auf nicht medizinisch indizierte Beschneidungen jedenfalls bei Einwilligungsfähigen im Einzelfall danach zu entscheiden, ob Umstände vorliegen, welche die Durchführung des Eingriffs verbieten. Bei nicht einwilligungsfähigen Minderjährigen spielt die Frage des Kindeswohls eine zentrale Rolle, auf die unten näher eingegangen wird.326 Grundlage der Einwilligung ist als zentrale Kriterium das Selbstbestimmungsrecht des Patienten, das aus Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG hergeleitet wird und welches den Patienten berechtigt, selbst über seinen Körper und seine Gesundheit zu entscheiden.327 Das Bundesverfassungsgericht führte hierzu folgendes aus: „Die Entscheidung über einen ärztlichen Eingriff steht grundsätzlich dem betroffenen Patienten zu. Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG gewährleistet das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit als Freiheitsrecht und macht deshalb [die ärztliche Behandlung] vom Willen des Patienten abhängig.“328 Das Erfordernis der Einwilligung in eine die körperliche Integrität verletzende ärztliche Behandlung ist Ausdruck der „Respektierung der Patientenautonomie“.329 Sie stellt einen Verzicht auf ein höchstpersönliches Rechtsgut dar, über das der Patient – innerhalb bestehender Schranken – verfügen kann. Von seinem verfassungsrechtlich verbürgten Selbstbestimmungsrecht kann jedoch nur der Patient in autonomer Entscheidung Gebrauch machen, der von dem Arzt über den geplanten Eingriff hinreichend aufgeklärt wurde und der einwilligungsfähig ist.330 Die Einwilligung muss ferner frei von Willensmängeln sein und muss auf einer stabilen Entscheidung des Betroffenen beruhen. 326

Siehe hierzu 3. Kapitel, C. VII .4. c). Tag, S. 285; BGH, NJW 2010, S. 2963 ff.; hierzu: Höfling, GesR 2011, S. 199 ff. 328 BVerfGE 89, S. 120 ff. (In der Entscheidung vom 25. 07. 1979 – BverfGE 52, S. 131 ff. – war der 2. Senat über die zutreffende Herleitung noch gespalten: Die Mehrheit leitete das Selbstbestimmungsrecht aus dem in Art. 2 Abs. 1 GG postulierten allgemeinen Persönlichkeitsrecht her, während drei Richter in ihrer dissentierten Begründung das Selbstbestimmungsrecht mit dem in Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG garantierten Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit begründeten; dieser damaligen Mindermeinung hat sich der 2. Senat zwischenzeitlich angeschlossen). 329 Schroth et al., S. 79. 330 Kern, GesR 2009, S. 1 ff. 327

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1. Selbstbestimmungsaufklärung Der Einwilligung hat die Aufklärung durch den Arzt vorauszugehen, da nur ein über alle wesentlichen Umstände der Behandlung aufgeklärter Patient in autonomer Selbstbestimmung entscheiden kann, ob er die vorgeschlagene Behandlung durchführen lassen möchte. Ziel der ärztlichen Aufklärung ist es demgemäß, den Patienten die selbstverantwortliche Entscheidung zu ermöglichen.331 Die Einwilligung des Patienten in den ärztlichen Eingriff wird durch die Aufklärung gedeckt. Die Einwilligung reicht daher nicht weiter als die Aufklärung und das durch sie vermittelte Wissen. Demgemäß ist die ohne ordnungsgemäße Aufklärung erklärte Einwilligung unwirksam, mit der Folge dass sie keine rechtfertigende Wirkung entfalten kann und der ärztliche Eingriff damit rechtswidrig ist.332 a) Form der Aufklärung Seit Einführung der Bestimmungen zum Behandlungsvertrag in den §§ 630a ff. BGB durch das Patientenrechtegesetz besteht eine gesetzliche Normierung der Aufklärungspflicht in § 630e Abs. 1 BGB. Als Form der Selbstbestimmungsaufklärung ist in § 630e Abs. 2 BGB vorgesehen, dass die Aufklärung „mündlich“ durchzuführen ist. Ebenso ist im ärztlichen Berufsrecht333 bestimmt, dass die „Aufklärung in einem persönlichen Gespräch“ zu erfolgen habe. Aber auch schon vor der Einführung der §§ 630a ff. BGB forderte die ständige Rechtsprechung „das vertrauensvolle Gespräch zwischen Arzt und Patient“.334 Aufklärungsbögen oder Informationsblätter können die persönliche Unterredung zwischen Arzt und Patient vorbereiten oder unterstützen, aber auf keinen Fall ersetzen.335 Sie können dem Arzt, der für die hinreichende Aufklärung die Beweislast trägt,336 aber als Beweismittel dienen.337 Der Arzt soll sich im Aufklärungsgespräch einer auch für medizinische Laien allgemein verständlichen Sprache bedienen und die medizinische Fachsprache vermeiden.338

331

Laufs in: Laufs/Kern, § 59 Rn. 11. Kern/Laufs, S. 7. 333 § 8 MBO. 334 BGH, VersR 1985, S. 361 (362). 335 Laufs in: Laufs/Kern, § 64 Rn. 8. 336 Laufs in: Laufs/Kern, § 59 Rn. 3. 337 Kern/Laufs, S. 44. 338 Kern, GesR 2009, S. 1 (4); OLG München, Urteil vom 31. 05. 2012, Az: 1 U 3884/11 (juris); Urteil vom 23. 02. 2012, Az: 1 U 2781/11 (juris); OLG Köln, Urteil vom 11. 07. 2011, Az: 5 U 184/10 (juris). 332

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b) Umfang der Aufklärung Komponenten der Selbstbestimmungsaufklärung sind die Diagnoseaufklärung, die Verlaufsaufklärung und die Risikoaufklärung.339 Durch die Diagnoseaufklärung wird der Patient über die von dem Arzt gestellte Diagnose informiert. Durch die Verlaufsaufklärung soll der Patient in wesentlichen Zügen erfahren, was mit ihm im Verlauf der Behandlung geschehen wird, ohne dass der Arzt dem Patienten hierbei alle Einzelheiten der Behandlungsmaßnahme erläutern muss.340 Bei Vorliegen ernsthafter Behandlungsalternativen, die dem Patienten eine Wahlmöglichkeit geben, ist auch über die therapeutischen Alternativen und deren unterschiedliche Erfolgsaussichten und Risiken aufzuklären.341 Dem Patienten sind in diesem Rahmen alle Informationen zu erteilen, die er benötigt, um sich für die eine oder andere Art der Behandlung zu entscheiden.342 Bei der Risikoaufklärung ist der Patient über die allgemeinen und besonderen Risiken des Eingriffs aufzuklären, also über möglicherweise eintretende dauerhafte oder vorübergehende Folgen, „die sich auch bei Anwendung der allergrößten ärztlichen Sorgfalt nicht mit Gewissheit ausschließen lassen“.343 Auch über seltene Risiken ist aufzuklären. Jedenfalls genügt allein der Umstand, dass ein Risiko äußerst selten auftritt, nicht, um eine Aufklärungspflicht zu verneinen. Maßgeblich ist vielmehr „die Bedeutung, die das Risiko für die Entschließung des Patienten haben kann. Bei einer möglichen besonders schweren Belastung für seine Lebensführung ist deshalb die Information über ein Risiko für die Einwilligung des Patienten auch dann von Bedeutung, wenn sich das Risiko sehr selten verwirklicht“.344 Aufzuklären ist nur über bekannte Risiken. Über solche Risiken, die dem Arzt nicht bekannt waren und auch nicht bekannt sein mussten, etwa weil sie „nur in anderen Spezialgebieten der medizinischen Wissenschaft, aber nicht in seinem Fachgebiet diskutiert“ wurden, braucht der Arzt nicht aufzuklären.345 Von dem Grundsatz der Aufklärung ,im Großen und Ganzen‘ wird mit schwächer werdender Indikation des Eingriffs abgewichen. Je weniger ein sofortiger Eingriff medizinisch geboten ist, umso ausführlicher und eindrücklicher ist der Patient über die Erfolgsaussichten und etwaige schädliche Folgen zu informieren.346 Dies bedeutet, dass bei indikationslosen Eingriffen äußerst strenge Anforderungen an die Aufklärung gestellt werden. Der Patient ist in diesen Fällen mit besonderer Sorgfalt und umfassend über die Erfolgsaussichten und Risiken des gewünschten Eingriffs, vor allem über gesundheitliche Beeinträchtigungen und dauerhafte Entstellungen

339 340 341 342 343 344 345 346

Kern, GesR 2009, S. 5 f.; Fehn, GesR 2009, S. 12 f. Kern, GesR 2009, S. 5; Fehn, GesR 2009, S. 13. Kern/Laufs, S. 64. Kern, GesR 2009, S. 5. Kern, GesR 2009, S. 6. BGH, ZMGR 2011, S. 21 (22). BGH, ZMGR 2011, S. 21 (23); BGH VersR 1990, S. 522 (523). Vgl. etwa BGH Urteil vom 22. 12. 2010, Az: 3 StR 239/10 (juris).

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aufzuklären.347 Es gilt eine „absolut vollständige (Brutal-)Aufklärung“.348 Für den Fall der nicht medizinisch indizierten Beschneidung gilt daher, dass der Betroffene und/oder die Sorgeberechtigten über sämtliche, auch sehr seltene Risiken und Folgen des Eingriffs und der Anästhesie, einschließlich der Möglichkeit des Todes vollständig aufgeklärt werden müssen.349 Darüber hinaus muss dann, wenn – was bei medizinisch nicht indizierten Zirkumzisionen i. d. R. der Fall ist – die vollständige Übernahme der Behandlungskosten durch einen Kostenträger nicht gesichert ist, gem. § 630c Abs. 3 BGB über die voraussichtlich entstehenden Kosten in Textform informiert werden. c) Zeitpunkt der Aufklärung Die Aufklärung muss vor der Einwilligung erfolgen, andernfalls ist sie unwirksam. Sie muss zu einem Zeitpunkt erfolgen, in dem der Patient einwilligungsfähig ist, d. h. er muss im Besitz der vollen Einsichts- und Urteilsfähigkeit sein.350 Der Patient darf nicht unter zeitlichen Entscheidungsdruck gesetzt werden, vielmehr muss ihm nach durchgeführter Aufklärung noch ausreichend Zeit zur Überlegung zur Verfügung stehen, um seinen Entschluss zu überdenken.351 Andererseits soll der Aufklärungszeitpunkt auch nicht so frühzeitig gewählt werden, dass der Patient bis zum Operationstag den Inhalt des Aufklärungsgesprächs schon wieder ganz oder teilweise vergessen hat.352 Je dringender die Behandlungsmaßnahme ist, umso dichter kann die Aufklärung am Zeitpunkt des Eingriffs liegen.353 Bei einer medizinisch nicht indizierten Zirkumzision hat die Aufklärung daher so frühzeitig zu erfolgen, dass dem Patienten bzw. dessen Personensorgeberechtigten ausreichend Zeit zur Überlegung und ggf. Besprechung mit Vertrauten bleibt, um sich für oder gegen die Maßnahme zu entscheiden. Bei der medizinisch nicht indizierten Beschneidung wäre demgemäß eine Überlegungsfrist von zumindest mehreren Tagen einzuhalten, im Hinblick auf die Irreversibilität des Eingriffs sollte im Idealfall zwischen der Aufklärung und dem Eingriff ein Zeitraum von zwei bis drei Wochen liegen. Vor dem Eingriff müsste sich der Arzt davon überzeugen, ob der Inhalt der Aufklärung noch präsent ist und die Einwilligung noch fortbesteht.

347 348 349 350 351 352 353

BGH, Urteil vom 06. 11. 1990, Az: VI ZR 8/90 (juris). Kern/Richter, S. 131; Kern, GesR 2009, S. 1 (3); BGH, NJW 1991, S. 2349 ff. Siehe hierzu 2. Kapitel, B. VI. BGH, NJW 1993, S. 2372; BGH, MedR 1992, S. 277. Laufs in: Laufs/Kern, § 62 Rn. 6; Lippert, in: Ratzel-Lippert § 8 Rn. 10. Kern, GesR 2009, S. 4. Kern/Laufs, S. 41.

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d) Person der Aufklärungspflichtigen Die Aufklärung ist grundsätzlich von dem behandelnden Arzt durchzuführen, bei Tätigkeit mehrerer Ärzte von jedem Arzt für die von ihm übernommene Aufgabe,354 also z. B. vom Chirurgen hinsichtlich der Operation und vom Anästhesisten hinsichtlich der Narkose. Die Aufklärung kann auf eine Person delegiert werden, die über die zur Durchführung der Maßnahme notwendige Ausbildung verfügt (§ 630e Abs. 2 Nr. 1 BGB), was in der Regel ein anderer Arzt ist. e) Entbehrlichkeit der Aufklärung und Aufklärungsverzicht Gemäß § 630e Abs. 3 BGB braucht ein bereits informierter Patient ausnahmsweise nicht mehr aufgeklärt zu werden. Bereits vor der Kodifizierung der §§ 630a BGB war in der Literatur anerkannt, dass „ein bereits instruierter oder sonst informierter Patient […] nicht aufgeklärt zu werden braucht“.355 Auch der BGH führte diesbezüglich aus, dass eine Haftung wegen nicht ausreichender Aufklärung durch den behandelnden Arzt entfällt, „wenn feststeht, dass der Patient über das maßgebliche Risiko bereits anderweit aufgeklärt ist, da er dann weiß, in welchen Eingriff er einwilligt“.356 Aus welchen Quellen sich das für die Einwilligung maßgebliche Wissen des Patienten speist, spielt hierbei keine Rolle.357 Je nach dem Grad der Kenntnisse, über die der Patient – z. B. aufgrund beruflicher Ausbildung oder infolge einer wegen eines gleichen Eingriffs bereits früher durchgeführten Aufklärung – verfügt, kann die Aufklärung daher entfallen oder in nur vermindertem Umfang erfolgen.358 2. Einwilligungsfähigkeit Da die Einwilligung im Unterschied zu den auf Abschluss des Behandlungsvertrages gerichteten Willenserklärungen keinen rechtsgeschäftlichen Charakter hat, sondern eine natürliche Willensbekundung darstellt, kommt es für die Frage der Einwilligungsfähigkeit nicht auf die bürgerlich-rechtliche Geschäftsfähigkeit359oder auf die strafrechtliche Schuldfähigkeit360 an, sondern auf die natürliche Einsichtsund Urteilsfähigkeit. Der Patient muss das Einsichts-, Urteils- und Verständnisvermögen besitzen, um „Wesen, Bedeutung, Dringlichkeit und Tragweite“361 des geplanten ärztlichen Eingriffs und dessen Folgen und Risiken ermessen zu können und 354 355 356 357 358 359 360 361

OLG Köln, GesR 2010, S. 409 ff. Kern/Laufs, S. 112. BGH, NJW 2003, S. 2012 ff. m.w.N. Ulsenheimer, Arztstrafrecht in der Praxis, Rn. 125. Laufs in: Laufs/Kern, § 60 Rn. 15 m.w.N.; Tag, S. 346. BGHZ 29, 33 (36); Kern, NJW 1994, S. 755; Kern, FamRZ 1981, S. 738 (739). Tag, S. 309. Ulsenheimer in: Laufs/Kern, § 139 Rn. 43.

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in autonomer Entscheidung das Für und Wider abwägen zu können.362 Maßgeblich für die Bewertung der natürlichen Einsichts- und Urteilsfähigkeit ist stets die Sachlage im Einzelfall.363 Schwierigkeiten bereitet die Beurteilung der Einwilligungsfähigkeit vor allem bei Minderjährigen. Ab welchem Alter bei Minderjährigen von einer Einwilligungsfähigkeit ausgegangen werden kann, ist nicht unumstritten. Eine starre Altersgrenze besteht nicht.364 Maßgeblich sind die geistige Entwicklung des Minderjährigen sowie die Tragweite und das Risiko des Eingriffs. Vor Vollendung des 14. Lebensjahres liegt die Einsichtsfähigkeit i.d.R nie vor.365 Je näher der Minderjährige an der Grenze zur Volljährigkeit liegt, umso eher wird von seiner Einwilligungsfähigkeit ausgegangen werden können,366 wobei stets eine Einzelfallbetrachtung erforderlich ist, bei der auch Dringlichkeit und Schwere des Eingriffs zu berücksichtigen sind.367 Bei schweren Eingriffen ist der an die Einsichts- und Urteilsfähigkeit anzulegende Maßstab strenger als bei Bagatelleingriffen.368 Bei einer Zirkumzision, die mit dauerhaften und irreversiblen Folgen und einem Verlust an Körpersubstanz einhergeht, ist demnach ein strengerer Maßstab an die Einsichtsund Urteilsfähigkeit anzulegen. Das OLG Frankfurt ging in seiner Entscheidung vom 21. 08. 2007369 davon aus, dass die Einwilligungsfähigkeit mit Vollendung des zwölften Lebensjahres zu bejahen sei.370 Es begründete diese Annahme mit der Regelung des § 5 S. 2 RelKEG, nach der ein Kind nach Vollendung des zwölften Lebensjahres gegen seinen Willen nicht mehr zu einem anderen Religionsbekenntnis erzogen werden darf, als dies bisher der Fall war. Nach dem Wortlaut dieser Regelung soll das Kind ab Vollendung des zwölften Lebensjahres davor geschützt werden, auf Wunsch der Eltern, jedoch gegen den eigenen Willen zu einer anderen Religion konvertieren zu müssen. Es soll daher den status quo sichern, ohne dem Kind eine eigene Entscheidungsbefugnis für einen Glaubenswechsel zuzubilligen.371 Hieraus den Schluss zu ziehen, dass der Minderjährige ab der Vollendung des zwölften Lebensjahres die Einsichts- und Urteilsfähigkeit für die Einwilligung in eine Zirkumzision erlangte, ist daher nicht verständlich. Eher wäre aus der Regelung des § 5 S. 1 RelKEG, die Minderjährigen das Recht einräumt, ab Vollendung des 14. Lebensjahres über ihre Konfession frei zu entscheiden, abzuleiten, dass damit auch das Recht einhergeht, in die mit einer Zirkumzision verbundene Körperverletzung einzuwilligen. Ein solcher Automatismus erscheint jedoch gleichfalls nicht überzeu362

BGH, MDR 1981, S. 810. Tag, S. 309. 364 Kern, NJW 1994, S. 753 (755). 365 Ulsenheimer in: Laufs/Kern, § 139 Rn. 45; Kern, NJW 1994, S. 753 (755); Kern, FamRZ 1981, S. 738 (739). 366 Kern, NJW 1994, S. 753 (755); Kern, FamRZ 1981, S. 738 (739). 367 Ulsenheimer in: Laufs/Kern, § 139 Rn. 45. 368 Ulsenheimer in: Laufs/Kern, § 139 Rn. 43. 369 OLG Frankfurt, NJW 2007, S. 3580. 370 Siehe hierzu 3. Kapitel, A. 371 Putzke, NJW 2008, S. 1568 (1570). 363

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gend, denn das Recht, sein religiöses Bekenntnis frei zu wählen, ist nicht gleichzusetzen mit der individuell sehr unterschiedlich ausgeprägten Fähigkeit, das Wesen, die Bedeutung und die Tragweite eines die körperliche Integrität verletzenden Eingriffs sowie dessen Folgen und Risiken zu ermessen und in autonomer Entscheidung das Für und Wider abwägen zu können. Die Frage nach der Einsichts- und Urteilsfähigkeit ist daher unabhängig von der Religionsmündigkeit nach § 5 S. 1 RelKEG im Einzelfall nach der jeweiligen geistigen Reife des betroffenen Minderjährigen zu beantworten.372 Allerdings räumt § 5 S. 1 RelKEG dem Kind ab Vollendung des 14. Lebensjahres ein Vetorecht gegen die Entscheidung der Sorgeberechtigten zur Vornahme seiner religiös motivierten Beschneidung ein. Denn nach § 5 S. 1 RelKEG erlangt das Kind mit der Vollendung des 14. Lebensjahres die „volle Geschäfts- und Prozessfähigkeit für alle mit der religiösen Erziehung zusammenhängenden Fragen“,373 was das Recht umfasst, gegen eine Entscheidung der Sorgeberechtigten zur Vornahme einer Beschneidung aus religiösen Gründen ein Veto einzulegen. Für den vom Landgericht Köln beurteilten Fall liegt auf der Hand, dass der 4-jährige Junge selbst noch nicht einwilligungsfähig war. Denn ein Vierjähriger ist von seiner geistigen Reife her noch keinesfalls in der Lage, die Tragweite und die Folgen eines derartigen Eingriffs einzusehen und sich hierüber ein Urteil zu bilden. 3. Stellvertretende Einwilligung durch Sorgeberechtigte Grundsätzlich muss der Patient in ärztliche Eingriffe selbst einwilligen, da bei körperlichen Eingriffen höchstpersönliche Rechtsgüter betroffen sind, die im Grundsatz stellvertretungsfeindlich sind.374 Bei nicht einwilligungsfähigen Minderjährigen ist dies mangels eigener Einsichtsfähigkeit jedoch nicht möglich, weshalb an die Stelle des nicht einwilligungsfähigen Minderjährigen daher ausnahmsweise die Entscheidung dessen gesetzlicher Vertreter tritt. Da bei der Einwilligung in höchstpersönliche Rechtsguteingriffe die Selbstbestimmung die Regel und die Fremdbestimmung die Ausnahme ist, der Selbstbestimmung also der Vorrang zukommt, ist eine Fremdbestimmung nur bei notwendigen, nicht hingegen bei nicht notwendigen oder ohne weiteres aufschiebbaren Eingriffen möglich.375 Dies wird im Rahmen der nachfolgend zu erörternden Schranken der Einwilligung, insbesondere der Kindeswohlwidrigkeit, zu berücksichtigen sein.376 Die Entscheidungskompetenz zur Erteilung der Einwilligung in Rechtsguteingriffe zu Lasten nicht einwilligungsfähiger Minderjähriger ist Gegenstand des elterlichen Sorgerechts gem. §§ 1626 ff. BGB und damit im Regelfall der Eltern zugewiesen. Auch die stell372 373 374 375 376

Putzke, Fn. 371. Huber in: Münchener Kommentar zum BGB, § 5 RelKEG Rn. 2. Kern, NJW 1994, S. 753. Kern, NJW 1994, S. 753 f. Siehe hierzu 3. Kapitel, C. VII. 4. c).

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vertretende Einwilligung der Sorgeberechtigten muss frei von Willensmängeln sein,377 das heißt, sie darf nicht durch einen Irrtum bestimmt sein und muss auf Grundlage „freier Einsicht, nicht aber auf unwiderstehlichen Druck des sozialen Umfelds erfolgen“.378 Ob diese Willensfreiheit bei der Einwilligung der Sorgeberechtigten in eine religiös motivierte Beschneidung ihres Kindes tatsächlich vorhanden ist, erscheint oftmals zweifelhaft.379 Denn angesichts der Einflussnahme aus dem „kollektiven Umfeld“ der Religionsgemeinschaft ist es für die Sorgeberechtigten oft nicht möglich, bei der von ihnen zu treffenden Entscheidung die mit dem Eingriff verbundenen Vor- und Nachteile abzuwägen.380 Wie massiv dieser Druck sein kann, zeigt ein Fall aus Israel, wo eine alleinerziehende Mutter zweier Kinder von einem Rabbinergericht zur Zahlung von täglich umgerechnet ca. 100 EUR Zwangsgeld verurteilt wurde, weil sie sich weigert ihren Sohn beschneiden zu lassen.381 In Anbetracht solch hoher Erwartungshaltung und solch extremen Drucks des sozial-religiösen Umfelds beugen sich die Sorgeberechtigten diesem häufig selbst dann, wenn sie auf den Eingriff an sich verzichten würden.382 Ärzte müssten daher – um dem Risiko einer infolge mangelnder Willensfreiheit unwirksamen Einwilligung und damit einer Strafbarkeit ihres Handelns zu begegnen – überprüfen, ob die Sorgeberechtigten, die ihr Kind beschneiden lassen wollen, diese Entscheidung wirklich aus freiem Willen ohne unwiderstehlichen Druck des sozialen oder religiösen Umfelds getroffen haben. 4. Schranken der Einwilligung Aber nicht jeder mit Einwilligung des Verletzten oder dessen Sorgeberechtigten durchgeführte Eingriff in dessen körperliche Integrität ist rechtmäßig. Der Einwilligung sind vielmehr Schranken gesetzt, so etwa durch das Erfordernis der Disponibilität des Rechtsguts und durch die Sittenwidrigkeit, aber auch durch das Kindeswohl und die im Rahmen dessen zu berücksichtigenden Grundrechte des einwilligungsunfähigen Minderjährigen.

377

Steiner, S. 272; Eser in: Schönke/Schröder § 223 Rn. 39; Momsen/Momsen-Pflanz in: Satzger/Schluckebier/Widmaier, § 223 Rn. 36. 378 Isensee, S. 317 (325). 379 Stumpf, S. 141 (144). 380 Stumpf, S. 141 (143). 381 Times of Israel, Online-Ausgabe vom 26. 11. 2013, http://www.timesofisrael.com/ woman-fined-nis-500day-for-failing-to-circumcise-son/ (zuletzt aufgerufen 14. 04. 2014). 382 Stumpf, S. 141 (144) unter Hinweis auf eine Umfrage des israelischen Elternportals Mamy, wonach „rund ein Drittel der Väter und Mütter am liebsten auf den Eingriff verzichten würden, sich aber – auch wegen des sozialen und familiären Drucks – letztlich dafür entscheiden.“

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a) Disponibilität des Rechtsguts Das verfassungsrechtlich geschützte Rechtsgut der körperlichen Unversehrtheit ist grundsätzlich im Rahmen des aus Art. 2 Abs. 1 GG hergeleiteten individuellen Selbstbestimmungsrechts disponibel. Dass dies jedenfalls dann so ist, wenn der Rechtsgutträger die Körperverletzungshandlung an sich selbst vornimmt, wird daran deutlich, dass die Selbstschädigung – sofern sie nicht zum Zweck der Wehrpflichtentziehung durch Verstümmelung i.S.d. § 109 StGB erfolgt – ebenso wie sogar die Selbsttötung straflos sind. Weitergehende Grenzen ergeben sich indes, wenn Handlungen Dritter im Spiel sind. Sie werden durch die in Art. 1 Abs. 1 GG postulierte Menschenwürde bestimmt, wonach die Würde des Menschen unantastbar und sie zu schützen aller staatlichen Gewalt aufgegeben ist.383 Hieraus wird abgeleitet, dass der Einzelne „dieser Würde entsprechend sich selbst gegenüber zu verhalten“384 habe und die Dispositionsbefugnis „jedenfalls bei schwerer, irreversibler Beeinträchtigung“ im Interesse des Einzelnen eingeschränkt werden müsse.385 Das Bundesverfassungsgericht sieht in Anlehnung an die von Dürig geprägte Objektsformel386 die Menschenwürde jedoch erst dann als verletzt an, wenn der Betroffene „zum Objekt, zum bloßen Mittel, zur vertretbaren Größe herabgewürdigt wird“387 und die „Subjektsqualität prinzipiell in Frage gestellt wird“.388 Bei ärztlichen Behandlungen kann der Patient im Regelfall jedoch selbst über die Frage entscheiden, ob und wie sie ausgeführt werden. An dieser Entscheidungskompetenz wird deutlich, dass die Subjektsqualität gerade nicht in Frage gestellt wird und das verfassungsrechtlich verbriefte Gut der Menschenwürde die Patientenautonomie daher nicht begrenzt. Auch die fehlende Einwilligungsmöglichkeit in die Tötung auf Verlangen (§ 216 StGB) begrenzt nicht die Befugnis des Betroffenen, selbst über sein Leben zu entscheiden. Dem Lebensmüden wird jedoch abverlangt, den letzten Schritt selbst zu tun, für Dritte gilt der Grundsatz der Tabuisierung fremden Lebens.389 Wenn daher schon das Recht auf Leben in der Dispositionsbefugnis des Rechtsgutsträgers steht, ist erst recht das Recht auf körperliche Unversehrtheit disponibel. Mit Blick auf nicht einwilligungsfähige Minderjährige steht diese Dispositionsbefugnis gem. §§ 1626 ff. BGB den Sorgeberechtigten zu. b) Sittenwidrigkeit Gem. § 228 StGB ist die Körperverletzung trotz Einwilligung nicht gerechtfertigt, wenn die Tat gegen die guten Sitten verstößt. Diese Vorschrift stellt „eine general-

383 384 385 386 387 388 389

Tag, S. 289. Nitschmann, S. 559. Hoerster, S. 1786 (1789). Dürig, AöR 1956, S. 117 (127). BVerfG, NJW 1998, S. 519 (521). Tag, S. 289. Sternberg-Lieben, Die objektiven Schranken der Einwilligung im Strafrecht, S. 117.

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präventiv begründete Grenze individueller Autonomie“390 dar, der der Gedanke zugrunde liegt, dass „trotz des mit der Einwilligung zum Ausdruck gebrachten Verzichts auf Rechtsschutz das Rechtsgut nicht dem Zugriff Dritter preisgegeben werden soll, wenn dieser sozialethischen Wertvorstellungen zuwider läuft“.391 Der Begriff der guten Sitten entstammt dem bürgerlichen Recht.392 Mit ihm sollen „tatsächlich bestehende und als solche feststellbare außerrechtliche Normen juristische Bedeutung“ erlangen.393 Ein Verstoß gegen die guten Sitten soll vorliegen, wenn eine Handlung „dem Anstandsgefühl aller billig und gerecht Denkenden zuwiderläuft“.394 Diese Definition kommt freilich weitgehend einem Zirkelschluss gleich, weil das ,Anstandsgefühl aller billig und gerecht Denkenden‘ nicht identifizierbar ist, „ohne erneut einen Rekurs auf Moral und gute Sitten zu nehmen“.395 Die Einschränkung der rechtfertigenden Einwilligung durch die ,Gute-Sitten-Klausel‘ des § 228 StGB ist nach h.M. in Rechtsprechung und Literatur zwar grundsätzlich zulässig.396 Da aber auch Rechtfertigungsgründe dem Bestimmtheitsgrundsatz397 des Art. 103 Abs. 2 GG unterliegen, wenn auch nicht in einem so strengen Maß wie Tatbestände,398 gebietet dieser „als spezielle Ausgestaltung des Willkürverbots in der Strafgerichtsbarkeit“ die gesetzliche Bestimmtheit des Straftatbestandes und der Strafandrohung399 und damit die Vorhersehbarkeit staatlichen Strafens. Aus ihm folgt, dass es dem Einzelnen möglich sein muss, abzuschätzen, welche Verhaltensweisen welche staatlichen Reaktionen hervorrufen können.400 Der Bestimmtheitsgrundsatz erfordert somit eine verfassungskonforme Auslegung der Generalklausel des § 228 StGB. Nicht alle Verhaltensweisen, die den allgemeinen sozialethischen Wertvorstellungen – die ohnehin einem stetigen Wandel unterworfen sind und damit eine dynamische Bezugsgröße darstellen – zuwider laufen, stellen sich daher als Sittenverstoß dar. Demgemäß führte auch der Bundesgerichtshof aus, dass der Begriff der guten Sitten „weniger außerrechtliche, moralische Kategorien“ be-

390

Fischer, § 228 Rn. 8. So noch Stree/Sternberg-Lieben in: Schönke/Schröder, 28. Aufl., § 228 Rn. 5, während in der 29. Aufl., § 228 Rn. 2 ff. von einer Verfassungswidrigkeit der Regelung ausgegangen wird. 392 Hirsch in: Leipziger Kommentar, § 228 Rn. 6. 393 Armbrüster in: Münchener Kommentar zum BGB, § 138 Rn. 11. 394 Vgl. etwa RG, JW 1938, S. 30; BGH, NJW 2004, S. 1055; Stree in: Schönke/Schröder, § 228 Rn. 6; Tag, S. 299. 395 Schramme, S. 164. 396 Hirsch in: Leipziger Kommentar § 228 Rn. 6; ausführlich zu den verfassungsrechtlichen Vorgaben strafrechtlicher Generalklauseln: Niedermair, S. 12 ff.; vgl. hierzu auch Weigend, S. 44 ff. 397 Sternberg-Lieben in: Gedächtnisschrift für Rolf Keller sieht die Vorschrift wegen Verstoßes gegen den Bestimmtheitsgrundsatz als verfassungswidrig an. 398 Hirsch in: Leipziger Kommentar, § 228 Rn. 2. 399 Schmahl in: Schmidt-Bleibtreu/Hofmann/Hopfauf, Art. 103 Rn. 24. 400 BVerfGE 83, S. 130 (145). 391

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3. Kap.: Rechtslage vor Inkrafttreten des § 1631d BGB

treffe, sondern „auf seinen rechtlichen Kern“ begrenzt werden müsse.401 So sieht der Bundesgerichtshof etwa in den Sadomasochismus-Fällen402 oder im Fall von Körperverletzung aufgrund verabredeter Schlägereien403 die Einwilligung in Körperverletzungshandlungen nur dann als sittenwidrig an, wenn durch sie eine konkrete Todesgefahr herbeigeführt wird. Durch das Reduzieren des Begriffs der guten Sitten auf den rechtlichen Kern wird deutlich, dass gesinnungsethische und moralische Kriterien im Hinblick auf das Erfordernis der Vorhersehbarkeit staatlichen Strafens beim Ausfüllen der Generalklausel des § 228 StGB außer Betracht zu bleiben haben und stattdessen die Schwere des Rechtsgutseingriffs als objektives Kriterium für die Frage der Sittenwidrigkeit maßgeblich ist.404 Die Einwilligung ist daher nur dann unbeachtlich, wenn die Tat eindeutig sittenwidrig ist.405 Ist die Bewertung als sittenwidrig zweifelhaft, kommt eine Strafbarkeit wegen Körperverletzung nicht in Betracht und das Gericht muss wegen rechtfertigender Einwilligung freisprechen.406 Werden diese Maßstäbe an die Bewertung der rituell-religiösen Zirkumzision angelegt, wird deutlich, dass ein eindeutiges Sittenwidrigkeitsverdikt auch mit Blick auf die grundgesetzlich gewährte Religionsausübungsfreiheit nicht gefällt werden kann.407 c) Kindeswohl Der stellvertretenden Einwilligung der Eltern im Rahmen ihrer Personensorgeberechtigung in eine Rechtsgutsverletzung zu Lasten ihres Kindes ist darüber hinaus durch das Erfordernis des Kindeswohls eine weitere Schranke gesetzt. Dies ergibt sich einerseits aus dem Personensorgerecht des BGB unmittelbar, wo sich seit dem mit der zum 01. 01. 1980 in Kraft getretenen Reform des Kindschaftsrechts verbundenen Paradigmenwechsel von der elterlichen Gewalt zur elterlichen Sorge an zahlreichen Stellen das Primat des Kindeswohls bei Ausübung der elterlichen Sorge wie ein roter Faden durch das Gesetz zieht408 und in § 1627 S. 1 BGB ausdrücklich geregelt ist, dass die Personensorge „zum Wohl des Kindes“ auszuüben ist. Andererseits folgt dies aus dem Umstand, dass nicht einwilligungsfähige Minderjährige selbst Träger von Grundrechten sind, welche den Sorgeberechtigten bei der Ausübung der Personensorge Schranken setzen können. 401 402 403 404

S. 85. 405

BGH, Beschluss vom 25. 03. 2013, Az: 1 StR 585/12 (juris). BGH, NJW 2004, S. 2458 ff. BGH, Beschluss vom 25. 03. 2013, Az: 1 StR 585/12 (juris). Vgl. hierzu mit Blick auf freiwillige Amputationen gesunder Gliedmaßen auch: Manok,

Hirsch in: Leipziger Kommentar, § 228 Rn. 2. Hirsch in: Leipziger Kommentar, § 228 Rn. 2; BGH, NJW 2004, 2458 ff. 407 So auch Exner, S. 37. 408 § 1626 Abs. 3, § 1627 S. 1, § 1629 Abs. 1 S. 4, § 1631 b S. 2, § 1632 Abs. 4, § 1666 Abs. 1, § 1671 Abs. 2 Nr. 2, § 1678 Abs. 2, § 1680 Abs. 2, § 1681 Abs. 2, § 1682 Abs. 1 S. 1, § 1684 Abs. 4 S. 1 u. 2, § 1685 Abs. 1, § 1686 Abs. 1 S. 1, § 1687 Abs. 2, § 1687 b Abs. 2 u. 3, § 1688 Abs. 3, § 1696 Abs. 1 u. 2, § 1697 a BGB. 406

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Wie ausgeführt ging das Landgericht Köln in seiner Entscheidung davon aus, dass die von den Eltern des 4-jährigen Jungen aus religiösen Gründen gewünschte Beschneidung „weder unter dem Blickwinkel der Vermeidung einer Ausgrenzung innerhalb des jeweiligen religiös gesellschaftlichen Umfeldes noch unter dem des elterlichen Erziehungsrechts“409 gem. § 1627 S. 1 BGB dem Kindeswohl entsprochen habe, was „möglicherweise bereits aus Artikel 140 GG i.V.m. Artikel 136 Abs. 1 WRV folge, wonach die staatsbürgerlichen Rechte durch die Ausübung der Religionsfreiheit nicht beschränkt“410 würden, jedenfalls aber ziehe das Grundrecht des Minderjährigen auf körperliche Unversehrtheit aus Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG den Grundrechten der Eltern aus Art. 4 Abs. 1 und Art. 6 Abs. 2 GG eine „verfassungsimmanente Grenze“.411 Aus der Wertung des § 1631 Abs. 2 BGB folge, dass die mit der Beschneidung einhergehende dauerhafte und irreparable Verletzung der körperlichen Unversehrtheit nach dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit unangemessen sei. Demgegenüber sei es für die Eltern nicht unzumutbar, wenn sie abwarten müssten, ob sich ihr Sohn später, wenn er einwilligungsfähig ist, „selbst für die Beschneidung als sichtbares Zeichen der Zugehörigkeit zum Islam“412 entscheide. aa) Begriff des Kindeswohls Der Begriff des Kindeswohls ist umfassend zu verstehen, was daran deutlich wird, dass das „körperliche, geistige oder seelische Wohl des Kindes“413 geschützt ist. Es handelt sich um einen unbestimmten Rechtsbegriff, „der vom Richter anhand bestimmter Kindeswohlkriterien und gewisser objektiver Entwicklungsstandards zu konkretisieren ist“414 und daher auch „für Ideologien anfällig“415 ist. Der Begriff des Kindeswohls umfasst aber nicht nur rechtliche Aspekte, vielmehr ist er interdisziplinär auch unter Einbeziehung moralphilosophischer, ethischer und psychologischer Aspekte zu bestimmen. Aus kinderethischer Sicht muss eine inhaltliche Bestimmung des Kindeswohls einerseits „Aufschluss über die Interessen, die Kinder und Volljährige gleicherweise haben“, z. B. das Recht auf Leben, und andererseits darüber, „welche spezifischen Interessen und Bedürfnisse Kinder im Unterschied zu Erwachsenen haben“, z. B. das Recht auf Bildung, geben.416 Als Teilaspekte des Kindeswohls werden die Bedürfnisse des Kindes nach körperlicher Zufriedenheit, Nahrung, Pflege und Versorgung, nach Sicherheit, nach emotionaler Zuwendung in stabilen sozialen Beziehungen, nach Umwelterkundung, Zugehörigkeit, Anerken409

LG Köln, Fn. 1. LG Köln, Fn. 1. 411 LG Köln, Fn. 1. 412 LG Köln, Fn. 1. 413 Olzen in: Münchener Kommentar zum BGB, § 1666 Rn. 42, Michalski/Döll in: Erman, § 1666 Rn. 6. 414 Götz in: Palandt, § 1666 Rn. 7. 415 Götz in: Palandt, § 1666 Rn. 7. 416 Schickhardt, S. 160. 410

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nung, Orientierung, Selbstbestimmung, Selbstverwirklichung und Wissen/Bildung genannt.417 Die Problematik des Kindeswohls betrifft in zeitlicher Hinsicht zwar lediglich die Spanne zwischen der Geburt und der eigenen Einwilligungsfähigkeit des Kindes. Gleichwohl spielt für die Bestimmung des Kindeswohls nicht nur die Zeit der Kindheit eine Rolle, sondern auch die Betrachtung nach Erreichen der eigenen Entscheidungskompetenz, da die Kindheit Auswirkungen auf das gesamte Leben eines Menschen hat. Dabei spielt auch die Frage der „richtigen Balance zwischen Beachtung des aktuellen und des zukünftigen Kindeswohls“ eine Rolle, etwa wenn die Sorgeberechtigten mit Blick auf das künftige Kindeswohl Entscheidungen gegen den aktuellen Willen des Kindes treffen.418 In körperlicher Hinsicht wird das Wohl des Kindes vor allem durch den Aspekt der Gesundheit und körperlichen Integrität ausgefüllt. Aus ethischer Sicht gehören zum Kindeswohl ferner die Merkmale „Glück und personale Autonomie“ und mit Blick auf die Bedeutung des Kindeswohls für die Zukunft somit auch die Grundsteinlegung zu künftigem Glück und künftiger personaler Autonomie.419 Hierdurch soll dem Kind die Möglichkeit eröffnet werden, zu einer selbständigen und verantwortungsbewussten Person heranzuwachsen.420 bb) Bestimmung des Kindeswohls Für die Beantwortung der Frage, ob die vom Landgericht Köln getroffene Entscheidung richtig war, wonach die Einwilligung der Eltern unbeachtlich war, weil die Beschneidung nicht dem Kindeswohl entsprochen habe, ist entscheidend, ob sich der Inhalt des Kindeswohls ausschließlich an der – wie auch immer zu objektivierenden – tatsächlichen oder mutmaßlichen Interessenlage des Kindes selbst orientiert, oder ob demgegenüber die Sorgeberechtigten im Rahmen des ihnen zustehenden Erziehungsrechts definieren können, was ihrer Auffassung nach für das Kindeswohl das Richtige ist. Für die erstgenannte Interpretation spricht zum Einen der Umstand, dass die Frage der Einwilligung in eine Körperverletzungshandlung ein höchstpersönliches Rechtsgut betrifft, das grundsätzlich nur dem Betroffenen selbst zur Disposition steht, weshalb dann, wenn – wie dies bei nicht einwilligungsfähigen Minderjährigen der Fall ist – ausnahmsweise eine Einwilligung durch Fremdbestimmung seitens der gesetzlichen Vertreter zulässig ist, sich diese ausschließlich an der Interessenlage des Kindes orientieren sollte.421 Auch aus der Wertung des § 1626 Abs. 2 BGB, wonach die Eltern bei der Ausübung der elterlichen Sorge die wachsenden Fähigkeiten und 417

Dettenborn/Walter, S. 63. Schickhardt, S. 184 f. 419 Schickhardt, S. 160 ff. 420 Olzen in: Münchener Kommentar zum BGB, § 1666 Rn. 43; Michalski/Döll in: Erman, § 1666 Rn. 6a. 421 Kern, NJW 1994, S. 753 f. 418

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Bedürfnisse des Kindes zu berücksichtigen haben, lässt sich entnehmen, dass die Interessen des Kindes ein maßgebendes Kriterium bei der Einwilligung im Wege der Fremdbestimmung sind.422 Ferner streitet der Umstand, dass bei einem grundsätzlich einwilligungsfähigen Minderjährigen, der nur vorübergehend – beispielweise infolge schweren Erkrankung oder eines Unfalls – seine Selbstbestimmung nicht ausüben kann, bei der Fremdbestimmung allein dessen mutmaßliche und nicht die Interessen des gesetzlichen Vertreters entscheidend sind,423 für diese Interpretationsweise. Gleichfalls hierfür spricht, dass auch in anderen Fällen der erforderlichen Fremdbestimmung, etwa bei Einwilligungsunfähigkeit wegen geistiger Behinderung oder Bewusstlosigkeit, ausschließlich das mutmaßliche Interesse des Betroffenen von Bedeutung ist – und dieses „nach objektiven Gesichtspunkten zu ermitteln“ ist – nicht das des Betreuers.424 Dafür, dass bei der Bestimmung des Kindeswohls auch die Interessen der Eltern maßgeblich sind, spricht zum Einen, dass die Sorgeberechtigten im Rahmen der ihnen durch Art. 6 Abs. 2 S. 1 GG zugewiesenen Erziehungsautonomie die Inhalte der Erziehung grundsätzlich frei von staatlichem Paternalismus nach ihren eigenen Vorstellungen festlegen und insoweit auch darüber entscheiden können, was sie für das Wohl ihres Kindes für richtig und zuträglich halten. Mit Blick auf die rechtfertigende Einwilligung ist zudem zu berücksichtigen, dass diese Ausfluss des Selbstbestimmungsrechts ist und die Entscheidung darüber, ob in einen – sei es ärztlichen oder nichtärztlichen – Eingriff, der die körperliche Integrität tangiert, eingewilligt wird oder nicht, oft keiner objektivierbaren Vernünftigkeitskontrolle unterliegt, sondern an der eigenen Interessenlage ausgerichtet ist und höchst subjektiver Natur sein kann. Wenn daher die Sorgeberechtigten stellvertretend für den nicht einwilligungsfähigen Minderjährigen diese Entscheidung treffen, müssten sie diese ebenfalls an ihrer subjektiven Interessenslage orientieren können, anstatt an einer objektiv zu ermittelnden Interessenslage des Minderjährigen.425 Zum anderen räumt die Regelung des § 5 S. 1 RelKEG Minderjährigen erst ab Vollendung des 14. Lebensjahres das Recht ein, über ihre Konfession frei zu entscheiden. Hieraus folgt im Umkehrschluss, dass bis zum Erreichen der eigenen Religionsmündigkeit des Minderjährigen alleine die Eltern über dessen Zugehörigkeit zu einer Glaubensgemeinschaft und über die religiöse Erziehung entscheiden. Ferner könnte für diese Auslegung § 1631c S. 1 BGB sprechen; denn wenn es den Sorgeberechtigten nach dieser Regelung ausdrücklich verwehrt ist, in die Sterilisation ihres Kindes einzuwilligen, könnte argumentiert werden, dass sie umgekehrt in allen anderen Fällen selbst nach ihren Vorstellungen entscheiden können.426

422 423 424 425 426

Kern, NJW 1994, S. 755. Roxin, § 13 Rn. 92. Kern, NJW 1994, S. 753 (756). Exner, S. 41. Exner, S. 41.

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Gegen die erste Variante könnte eingewandt werden, dass möglicherweise nicht in jedem Fall nur der medizinisch indizierte Eingriff dem Kindeswohl entsprechen könnte. Wenn beispielsweise ein Elternteil einen schweren Unfall hatte und zur Lebensrettung unverzüglich eine Bluttransfusion benötigt, welche er z. B. wegen exotischer Blutgruppe o. ä. schnell nur von seinem minderjährigen Kind erhalten könnte,427 würde eine solche Bluttransfusion möglicherweise gleichfalls dem Kindeswohl dienen, weil durch sie der in Lebensgefahr befindliche Elternteil überlebt und sich so weiterhin um Sorge, Pflege und Erziehung des Kindes kümmern könnte, auch wenn dem Minderjährigen hieraus kein unmittelbarer gesundheitlicher Nutzen erwächst. Gegen die zweite Variante muss der Einwand erhoben werden, dass elterliches Erziehungsrecht zwar von den Sorgeberechtigten ausgefüllt wird, der Schutz des elterlichen Erziehungsrechts aus Art. 6 Abs. 2 S. 1 GG vor staatlichen Eingriffen aber durch die Verpflichtung, „das Wohl des Kindes zur obersten Richtschnur der Erziehung zu machen“,428 begrenzt wird. Demgemäß sind die Elterninteressen vom Kindeswohl zu trennen, im Fall von Kollisionen haben die Elterninteressen zurückzutreten; das Kindeswohl ist daher nicht Gegenstand, sondern Grenze des elterlichen Erziehungsrechts.429 Soweit hiergegen eingewandt wird, dass die Regelungen der §§ 1626 u. 1627 BGB lediglich das Innenverhältnis zwischen Eltern und Kind definierten, die rechtliche Vertretung des Kindes durch die Sorgeberechtigten im Außenverhältnis sich nach § 1629 BGB richte und grundsätzlich unbeschränkt sei,430 begegnet dies deshalb Bedenken, weil dabei zum einen nicht berücksichtigt wird, dass auch in § 1629 Abs. 1 BGB jedenfalls insoweit auf das Kindeswohl als Maßstab rekurriert wird, als ein Sorgeberechtigter allein nur Rechtshandlungen vornehmen darf, die zum Wohl des Kindes notwendig sind. Auch die systematische Stellung des § 1629 BGB spricht dafür, dass die Sorgeberechtigten nicht nur bei der Pflege und Erziehung, sondern auch bei der rechtlichen Vertretung der Minderjährigen nach außen das Kindeswohl zu berücksichtigen haben. Nicht zuletzt ergibt sich dies auch aus dem Zweck des § 1629 BGB, der die Fremdbestimmung der Kinder durch die Eltern aus Gründen des Schutzes der Minderjährigen, also gerade zur Verwirklichung des Kindeswohls vorsieht, weshalb die Vertretung an die elterliche Sorge geknüpft ist.431 Zum anderen steht dem der Umstand entgegen, dass das Grundrecht der Eltern auf Erziehung aus Art. 6 Abs. 2 S. 1 GG nicht über dem Grundrecht der Minderjährigen auf körperliche Unversehrtheit aus Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG steht, sondern sich beide im System der Grundrechte gleichrangig und gegenseitig begrenzend gegenüber stehen. Hieran wird deutlich, dass die tangierten Grundrechte – sowohl die des Minderjährigen wie auch diejenigen der Sorgeberechtigten – nicht für sich isoliert be427 428 429 430 431

Siehe hierzu: Kern, FamRZ 1981, S. 738 (739). BVerfGE 56, S. 363 (381). Exner, S. 41. Klinkhammer, FamRZ 2013, S. 1913 f. Huber in: Münchener Kommentar zum BGB, § 1629 Rn. 4, 7.

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trachtet werden dürfen. Sie müssen vielmehr als Teile der Grundrechtsgewährung der verschiedenen Grundrechtsträger insgesamt betrachtet werden, die miteinander kollidieren und sich gegenseitig begrenzen können. Dies gilt auch für vorbehaltlos gewährte Grundrechte, die gegenüber Grundrechten Dritter und sonstigen Rechtsgütern von Verfassungsrang „nicht automatisch Vorrang“432 genießen, sondern durch sie Einschränkungen erfahren können. Da sich diese Einschränkungen aus dem Grundgesetz selbst ergeben, werden sie als verfassungsimmanente Schranken bezeichnet. Die kollidierenden Grundrechte sind im Rahmen der sog. praktischen Konkordanz so miteinander in einen schonenden Ausgleich zu bringen, dass beide in möglichst großem Umfang zur Geltung und Entfaltung kommen.433 Im Rahmen der praktischen Konkordanz wird daher dem elterlichen Erziehungsrecht dort eine Grenze gezogen, wo seine Ausübung dem Kindeswohl zuwiderläuft. Im Ansatz zutreffend hat das Landgericht Köln daher unter dem Topos des Kindeswohls als möglicher Grenze der rechtfertigenden Einwilligung die Prüfung der Grundrechte des Kindes einerseits und der Eltern andererseits vorgenommen und gegeneinander abgewogen. Auf Seiten des Kindes handelt es sich dabei evidentermaßen zunächst um das Grundrecht auf körperliche Unversehrtheit aus Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG. Tangiert sein könnten ferner das aus Art. 1 Abs. 1 GG folgende Allgemeine Persönlichkeitsrecht des Kindes sowie dessen Recht auf Religionsausübungsfreiheit gem. Art. 4 Abs. 1 u. 2 GG.434 Auf Seiten der Sorgeberechtigten sind deren Grundrecht auf Religionsausübungsfreiheit aus Art. 4 Abs. 1 u. 2 GG und das aus Art. 6 Abs. 2 S. 1 GG folgende elterliche Erziehungsrecht betroffen. Wie ausgeführt, hat die Entscheidung des Landgerichts Köln sowohl Zustimmung wie auch Kritik erfahren. Zunächst soll daher im Folgenden der Meinungsstand skizziert werden. cc) Meinungsstand Das Landgericht Köln führte in seinem Urteil aus, dass nach „wohl herrschender Auffassung in der Literatur“ die Beschneidung des nicht einwilligungsfähigen Knaben nicht dem Wohl des Kindes entspreche. Mit dem relativierenden Terminus „wohl“ gab das Gericht bereits zu erkennen, dass es die Frage, welche der in der Literatur vertretenen Meinungen die „herrschende“ ist, nicht ganz eindeutig erscheint. Unabhängig von der Frage, was denn eine Meinung überhaupt zur „herrschenden“ macht – ist es die Anzahl der Autoren, die eine bestimmte Auffassung vertreten im Vergleich zu der Anzahl der Autoren mit einer anderen veröffentlichten Meinung, oder ist es die Anzahl oder der Umfang von deren Beiträgen, oder kommt es auf das Renommee der Autoren oder der Medien, in denen deren Beiträge erscheinen an? – dürfte festzustellen sein, dass vorliegend weder die eine noch die 432

von Coelln in: Gröpl/Windthorst/von Coelln, Vorbem. Rn. 110. von Coelln in: Gröpl/Windthorst/von Coelln, Vorbem. Rn. 87; Michael/Morlock, Rn. 23. 434 Dass Letzteres vom Landgericht Köln nicht in den Blick genommen wurde, ist zu Recht kritisiert worden; siehe etwa: Beulke/Dießner, S. 344; Kelle, ZfMER 2012, S. 74. 433

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andere Meinung die „herrschende“ sein dürfte. Die Literaturstimmen, die sich gegen die Vornahme medizinisch nicht indizierter Beschneidungen an nicht einwilligungsfähigen männlichen Minderjährigen aussprechen, halten sich in etwa die Waage mit denjenigen, die sich für eine Zulässigkeit solcher Beschneidungen aussprechen. Die wesentlichen Argumente von Gegnern und Befürwortern medizinisch nicht indizierter Beschneidungen Minderjähriger aus religiösen Gründen sollen im Folgenden dargestellt werden: Wie einleitend bereits erwähnt, wurde die Frage der rechtlichen Zulässigkeit nicht medizinisch indizierter Beschneidungen in der juristischen Literatur in größerem Umfang seit der eingehenden Untersuchung Putzkes435 in der Festschrift für Herzberg ab dem Jahr 2008 diskutiert. Aber auch bereits zu früherer Zeit wurde in der Literatur die Auffassung vertreten, dass eine Einwilligung der Sorgeberechtigten in die nicht medizinisch indizierte Beschneidung nicht einwilligungsfähiger Minderjähriger keine diesen Eingriff rechtfertigende Wirkung entfalte. So wiesen etwa Kern/Köhler436 bereits im Jahr 2006 darauf hin, dass in eine Beschneidung ohne medizinische Indikation nur der Betroffene selbst einwilligen könne, was bei Kindern unter 14 Jahren grundsätzlich nicht möglich sei, weshalb sich ein Arzt, der einen solchen Eingriff mit Einwilligung der Eltern dennoch vornimmt, strafbar mache. Sie begründeten das damit, dass die Eltern bei ihrer Einwilligung an das Kindeswohl gebunden seien. Im Einzelfall könne es zwar schwierig sein, das Kindeswohl zu bestimmen, insbesondere im Bereich der Erziehung; soweit es aber um das körperliche Wohl gehe, sei das Kindeswohl am ehesten einer objektiven Beurteilung zugänglich.437 Hier sei es objektiv nach dem Grad der Indiziertheit des Eingriffs zu bestimmen. Denn grundsätzlich unterlägen Verfügungen über höchstpersönliche Rechtsgüter nicht der Einwilligung Dritter; eine Ausnahme von diesem Grundsatz stelle lediglich die Einwilligung in eine Heilbehandlung dar, die im Interesse des Betroffenen keinen Aufschub dulde.438 So dürften im Hinblick darauf, dass die Personensorge zum Wohl des Kindes auszuüben sei, die Sorgeberechtigten etwa nicht aus religiösen Gründen die Einwilligung in eine lebensnotwendige Bluttransfusion bei ihrem Kind verweigern. Dies führe dazu, dass die Personensorgeberechtigten in einen medizinisch indizierten Eingriff bei ihrem minderjährigen Kind einwilligen müssten,439 in einen nicht indizierten Eingriff umgekehrt nicht einwilligen dürften.440

435

Putzke, Fn. 6. Kern/Köhler, Fn 5. 437 Kern, FamRZ 1981, S. 738 (739). 438 Kern, FamRZ 1981, S. 738 (740). 439 Dies ist jedenfalls bei einer Notfallindikation und einer absoluten Indikation der Fall, während bei einer relativen Indikation den Sorgeberechtigten ein Ermessensspielraum zustehen dürfte; vgl. hierzu Putzke in: FS für Herzberg, S. 669 (692) in Bezug auf Schutzimpfungen. 440 Kern, NJW 1994, S. 753 (756); Kern/Richter, S. 129 (133). 436

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Putzke441 ist der Ansicht, dass unter Beachtung des Kindeswohls ein medizinisch nicht notwendiger Eingriff nur dann zu rechtfertigen sei, wenn dessen Nutzen seine Risiken und die damit verbundenen Nachteile überwiege.442 Er wägt die Vor- und Nachteile der Beschneidung für das Kind gegeneinander ab und gelangt zu dem Ergebnis, dass bei nicht medizinisch indizierten Beschneidungen deren Nachteile für den nicht einwilligungsfähigen Minderjährigen die Vorteile überwögen, weshalb die Einwilligung der Personensorgeberechtigten nicht dem Kindeswohl entspreche. Er verweist darauf, dass die von den Beschneidungsbefürwortern ins Feld geführten medizinischen Vorteile einer vorbeugenden Beschneidung jedenfalls hierzulande äußerst gering seien und die mit einer nicht medizinisch indizierten Beschneidung verbundenen Nachteile in Form des endgültigen und irreversiblen Verlustes physiologisch bedeutsamer Körpersubstanz nicht kompensierten.443 Er erwägt auch die möglichen psychischen Nachteile des Minderjährigen, die sich aus einer Stigmatisierung als nicht Beschnittener in seinem religiös-sozialen Umfeld ergeben könnten, und stellt hierzu fest, dass der durch die Beschneidung selbst eintretende körperliche und seelische Schaden des betroffenen Minderjährigen schwerer wiege als die möglichen Nachteile einer Stigmatisierung bis zum Erreichen der eigenen Einwilligungsfähigkeit aufgeschobenen Beschneidung.444 Letztere würden im Übrigen umso geringer ins Gewicht fallen, je mehr Eltern sich dazu entschlössen, ihre Kinder nicht im einwilligungsunfähigen Alter beschneiden, sondern sie zu gegebener Zeit selbst entscheiden zu lassen.445 Auch bei der Genitalbeschneidung von Mädchen, die „jedenfalls mit Blick auf leichte Formen“ wie etwa die Beschneidung der Klitorisvorhaut mit der Knabenbeschneidung vergleichbar sei, sei „der Umstand der Ausgrenzung bei fehlender Genitalmanipulation“446 bedeutsam. Wer daher dem Argument der Ausgrenzung ein entscheidendes Gewicht beimesse, müsse erklären, weshalb Formen weiblicher Genitalbeschneidungen, „die nicht über den Verletzungsgrad einer Knabenbeschneidung hinausgehen“, verboten sein sollten, und wie dieses Verbot mit Art. 3 Abs. 3 S. 1 GG in Einklang zu bringen sei, wonach niemand 441

Putzke in: FS für Herzberg, S. 669 ff.; ders., MedR 2008, S. 268 ff.; ders., NJW 2008, S. 1568 ff.; ders., Rezension zu Schneider, ZIS 2009, S. 177 ff.; Putzke/Stehr/Dietz, Monatsschr Kinderheilk 2008, S. 783 ff.; Stehr/Putzke/Dietz, Dtsch Ärztebl 2008, S. 1778 ff. 442 Putzke in: FS für Herzberg, S. 669 (691); in ähnlicher Weise argumentiert Bernat, EF-Z 2012, S. 196 ff. in Bezug auf Rechtslage in Österreich, indem er darauf hinweist, dass durch die Beschneidung von Knaben die „Rechtsordnung zwar nicht fundamental in Frage gestellt“ werde, es hierauf für die Grenzziehung zwischen Erlaubtem und Verbotenem aber nicht ankomme, weil die Rechtsordnung generell keine Eingriffe an nichteinwilligungsfähigen Minderjährigen dulde, „deren Schädigungspotenzial größer als ihr Nutzen“ sei. 443 Putzke in: FS für Herzberg, S. 669 (696); ders., Recht und Politik 2012, S. 138; ders., MedR 2008, S. 268 (270); Putzke/Stehr/Dietz, Monatsschr Kinderheilk 2008, S. 783 (786); Stehr/Putzke/Dietz, Dtsch Ärztebl 2008, S. 1778 (1779). 444 Putzke in: FS für Herzberg, S. 669 (706 f.); ders., MedR 2008, S. 268 (272); ders., MedR 2012, S. 621 (623); Putzke/Stehr/Dietz, Monatsschr Kinderheilk 2008, S. 783 (786). 445 Putzke in: FS für Herzberg, S. 669 (703). 446 Putzke, MedR 2012, S. 621 (623).

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wegen seiner religiösen Anschauung benachteiligt werden dürfe.447 Darüber hinaus weist er daraufhin, dass sich nach § 24 des Übereinkommens der Vereinten Nationen über die Rechte des Kindes (UN-KRK) die Vertragsstaaten verpflichtet haben, alle Maßnahmen zu treffen, um überlieferte, schädliche Bräuche für die Gesundheit des Kindes abzuschaffen, und die Beschneidung einen solchen Brauch darstelle.448 An dem so gefundenen Ergebnis änderten auch die Rechte der Eltern aus Art. 4 Abs. 2 i.V.m. Art. 6 Abs. 2 S. 1 GG nichts. Denn dem Rechtsgut der körperlichen Unversehrtheit aus Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG gebühre der Vorrang vor den Elternrechten.449 Jerouschek teilt die Auffassung Putzkes und sieht darüber hinaus das Grundrecht des Minderjährigen auf Menschenwürde aus Artikel 1 Abs. 1 GG tangiert.450 Er hält es aus diesem Grund für nicht nachvollziehbar, dass mit der die körperliche Unversehrtheit verletzenden, nicht medizinisch indizierten Beschneidung nicht bis zum Eintritt der Mündigkeit der Betroffenen abgewartet werden kann, um diesen dann selbst die Entscheidung zu überlassen, ob und wie sie sich dem Eingriff unterziehen wollen oder nicht.451 Der Kommentator Fischer, der noch – wie zuvor Tröndle452 bis zur 49. Auflage – bis zur 55. Auflage die Ansicht vertrat, dass die Beschneidung von noch nicht einwilligungsfähigen „Knaben aus religiösen Gründen […] nach wohl h.M. als sozialadäquate Handlung […] tatbestandslos“ sei,453 weist nunmehr darauf hin, dass sich die Religionsfreiheit „innerhalb der staatlichen Ordnung zu vollziehen“ habe. Es gehe nicht um eine Abwägung zwischen den Grundrechten der Kinder auf körperliche Unversehrtheit und auf Religionsausübungsfreiheit, weil „wenige Wochen oder Monate alte Kinder […] keine Religion“ hätten. Vielmehr gehe es um verschiedene Rechtsgutinhaber, wobei eine Abwägung zwischen dem Grundrecht der gläubigen Sorgeberechtigten und der körperlichen Unversehrtheit „von (noch) nicht Gläubigen“ nicht möglich sei, weshalb die Religionsfreiheit niemals absichtliche Körperverletzungen Dritter rechtfertige. Bei der Abwägung zwischen dem elterlichen Erziehungsrecht und der körperlichen Integrität sei zu berücksichtigen, dass das Erziehungsrecht nicht der Selbstbestimmung der Sorgeberechtigten gelte, sondern dem Kindeswohl. Diesem aber könne es nicht dienen, dem Kind Körperteile zu amputieren, „soweit nicht tragfähige medizinische Gründe“ dies erforderten.454 Auch Lenckner/Sternberg-Lieben schließen sich dieser Auffassung an, indem sie darauf hinweisen, dass die Einwilligung der Eltern „infolge Missbrauchs des el447 448 449 450 451 452 453 454

Putzke, MedR 2012, S. 621 (624). Putzke in: FS für Herzberg, S. 669 (704). Putzke in: FS für Herzberg, S. 669 (705 f.). Jerouschek, NStZ 2008, S. 313 ff. Jerouschek, NStZ 2008, S. 313 (319). Tröndle/Fischer, 49. Auflage; § 223 Rn. 16a. Fischer, 55. Auflage, § 223 Rn. 6b. Fischer, 61. Auflage, § 223 Rn. 47 f.

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terlichen Sorgerechts unwirksam sein [könnte], da sie mangels medizinischer Indikation nicht am Kindeswohl orientiert ist“.455 Herzberg hält das Abwägen des Grundrechts der Eltern auf Religionsausübungsfreiheit gegen die Grundrechte des nicht einwilligungsfähigen Minderjährigen für nicht statthaft und beruft sich diesbezüglich auf Art. 136 der Weimarer Reichsverfassung, der gemäß Art. 140 GG Bestandteil unseres Grundgesetzes ist und bestimmt, dass die bürgerlichen und staatsbürgerlichen Rechte und Pflichten durch die Ausübung der Religionsfreiheit weder bedingt noch beschränkt werden.456 Er zieht hieraus den Schluss, dass Eingriffe in die Rechte Anderer in besonderen Notlagen und aufgrund Einwilligung des Anderen erlaubt sein können, nicht aber deshalb, weil der Täter mit ihnen seine Religion ausübt.457 Er führt beispielhaft an, dass etwa dann, wenn in einer Sekte von außen unbeachtet die christliche Tradition des Flagellantentums fortlebe, und die Eltern die Kinder zwängen, „zur Buße ihrer Sünden sich selbst blutig zu geißeln“, oder wenn sich ein muslimischer Vater während des Ramadans weigere, „entgegen ärztlicher Weisung […] seinem zuckerkranken Kind Nahrung und Getränk“ zu geben, so dass es gesundheitlichen Schaden nehme, dies nicht vom Grundrecht der freien Religionsausübung gedeckt sein könne.458 Folglich verschöben sich die Schranken, die Gesetze unserer Handlungsfreiheit ziehen, „im Fall der Religionsausübung um keinen Millimeter“.459 Den Rückschluss der Zulässigkeit der medizinisch nicht indizierten Knabenbeschneidung unter Hinweis auf deren weltweite Prävalenz hält er für einen „naturalistischen Fehlschluss vom Sein aufs Sollen“, mit dem man nicht argumentieren dürfe, „wenn es um die […] Verstümmelung von Menschen geht, die den Eingriff nicht selbst fordern, sondern ihn erleiden, weil sie sich gegen erwachsene Machthaber nicht wehren können“.460 Er lässt daher der Einwilligung der Sorgeberechtigten in die nicht medizinisch indizierte Beschneidung ihres nicht einwilligungsfähigen minderjährigen Kindes aus religiösen Motiven keine rechtfertigende Wirkung zukommen. Czerner wägt die widerstreitenden Grundrechte der Beteiligten ausführlich ab und gelangt zu dem Ergebnis, dass sich die Sorgeberechtigten muslimischer und jüdischer Glaubensgemeinschaften „nicht einerseits auf den Schutz der Grundrechte berufen und jene andererseits in Bezug auf Kinder unter extensivster Ausnutzung der Glaubensfreiheit übertreten bzw. missachten“ dürften.461 Eine Lösung des Problems im Wege der praktischen Konkordanz sei nur dann zu erzielen, „wenn dem Kind angesichts der Tragweite des Eingriffs die Beschneidung bis zu seinem Volljährig455 So noch zur alten Rechtslage, Lenckner/Sternberg-Lieben in: Schönke/Schröder, 28. Aufl., Vorbemerkung § 32 ff. Rn. 41. 456 Herzberg, ZIS 2010, S. 471; ders., JZ 2009, S. 332 (337 f.). 457 Herzberg, JZ 2009, S. 332 (337). 458 Herzberg, JZ 2009, S. 332 (337). 459 Herzberg, ZIS 2010, S. 471. 460 Herzberg, ZIS 2010, S, 471 (475). 461 Czerner, S. 433 (434).

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keitsalter vorenthalten“ werde, weil andernfalls „eine irreversible Verletzung seiner Grundrechte aus Art. 2 S. 1, Art. 4 Abs. 1 u. 2 GG und dem Schutz des Kindeswohls nach Art. 6 Abs. 2 GG“ eintrete.462 Auch hält er es mit Blick auf Art. 19 Abs. 1 UNKRK für zweifelhaft, ob sich die Beschneidung mit dieser Regelung vereinbaren lasse, weil dies „das völkerrechtlich verbürgte Recht von Kindern auf autonome Wahrnehmung eigener Rechte irreversibel vereiteln“ würde.463 Krüper hält die Entscheidung des LG Köln im Ergebnis ebenfalls für richtig. Auch er wägt die betroffenen Grundrechte gegeneinander ab und gelangt zu einem Vorrang des Grundrechts des Minderjährigen auf körperliche Unversehrtheit. Das Erziehungsrecht der Eltern aus Art. 6 Abs. 2 S. 1 GG sei nicht zu deren Selbstverwirklichung eingeräumt und nicht frei von staatlicher Regulierung. Dort, wo es bei der Wahrnehmung der elterlichen Sorge für das Kind zu Grundrechtseingriffen komme, sei der Staat in der Verantwortung.464 Mit Blick auf das Grundrecht der Religionsausübungsfreiheit weist er darauf hin, dass „das transzendentale Heilsversprechen der Religionszugehörigkeit […] aus der legitimen Perspektive der Religion wichtig und vorrangig“ sei, sich das säkulare Recht aber nicht „ohne weiteres […] auf die Erheblichkeit religiöser Richtigkeitsvorstellungen einlassen“ dürfe.465 Solange der Gesetzgeber keine eindeutig andere Regelung treffe, spreche in einer individualistischen Rechtsordnung die Vermutungsregel „zugunsten der körperlichen Unversehrtheit des Kindes“.466 Soweit die Befürworter religiös motivierter, medizinisch nicht indizierter Beschneidungen zu einem anderen Ergebnis gelangten, liege dies daran, dass der Eingriff und dessen Folgen „mit hohem Begründungsaufwand […] marginalisiert und unter Verweis auf die Üblichkeit im jüdischen, muslimischen und US-amerikanischer Kulturkreis banalisiert“ würden.467 In einer Dissertation aus dem Jahr 2008 gelangte Schneider zu dem Ergebnis, dass die nicht medizinisch indizierte Beschneidung männlicher Minderjährigen deren Grundrechte auf negative Religionsfreiheit,468 Menschenwürde469 und körperliche Unversehrtheit470 verletze, denen in Abwägung zu den Grundrechten der Sorgeberechtigten aus Art. 4 und 6 GG der Vorrang gebühre.471

462 463 464 465 466 467 468 469 470 471

Czerner, Fn. 461. Czerner, Fn. 461. Krüper, S. 547 (549). Krüper, S. 547 (550). Krüper, Fn. 465. Krüper, Fn. 465. Schneider, S. 66 ff. Schneider, S. 89 ff. Schneider, S. 95 ff. Siehe hierzu auch die Rezension Putzkes in: ZIS 2009, S. 177 ff.

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Merkel ist wie Herzberg der Auffassung, dass kein Freiheitsgrundrecht „das direkte Eindringen in den Körper eines anderen“ rechtfertigen könne.472 Aus dem Erziehungsrecht der Eltern ergebe sich nichts anderes, weil dieses ein treuhänderisches Recht sei, gebunden „an das Wohl der Kinder, nicht die Autonomie der Eltern“. Zwar gehöre zum Erziehungsrecht der Eltern auch die religiöse Erziehung. Bei der Beschneidung handle es sich aber nicht um eine Maßnahme der Erziehung, sondern um „das irreversible körperliche Mal der rituellen Integration in eine religiöse Gemeinschaft“. Eine solche „auf Dauer zu sichern“, liege „jenseits des Rechts der Eltern“, weil diese nicht „zur Beglaubigung einer nicht dauerhaft erzwingbaren Zugehörigkeit dem kindlichen Körper ein unlöschbares Zeichen aufzwingen“ dürften.473 Zwar sieht er mit Blick auf die „weltweit singuläre Pflicht [Deutschlands] zur besonderen Sensibilität gegenüber allen jüdischen Belangen“ einen „rechtspolitischen Notstand“, der jedoch kaum befriedigend zu lösen sei, weil „die Pflichten, die hier kollidieren, […] inkommensurabel“ seien. Denn „das politische Gebot der besonderen Sorge um jüdische Belange in Deutschland“ lasse sich nicht „mit dem verfassungs- und menschenrechtlichen Gebot, alle Kleinkinder, auch die jüdischer Eltern, vor erheblichen Verletzungen zu schützen, die ihnen vorsätzlich beigebracht“ werden, abwägen.474 Kempf ist der Ansicht, dass das Argument, nicht beschnittene Minderjährige könnten in ihrem verwandtschaftlichen und religiös-sozialen Umfeld ausgegrenzt werden, niemals einen hinreichenden Grund für eine „Rechtfertigung eines anderweitig nicht zu rechtfertigenden und vor allem irreversiblen Eingriffs in die körperliche Unversehrtheit“ darstellen könne.475 Wenn man die Religionsfreiheit anerkenne und berücksichtige, dass Kinder gem. § 5 des Gesetzes über die religiöse Kindererziehung erst mit Vollendung des 14. Lebensjahres religionsmündig werden, könne zwar – wenn nicht die Religionsfreiheit überhaupt erst zu diesem Zeitpunkt entstehe – ihre Ausübung zuvor stellvertretend den Eltern zustehen, die dann grundsätzlich auch „in nicht rückgängig zu machende Riten“ einwilligen könnten.476 Dies habe jedoch seine Grenze dort, wo Riten „neben der theologischen Irreversibilität gleichzeitig mit einem irreversiblen Eingriff in die grundrechtlich geschützte körperliche Unversehrtheit“ einhergingen, denn die Religionsausübungsfreiheit könne im Strafrecht „niemals einen Rechtfertigungsgrund“ darstellen.477 Sie hält das Urteil des Landgerichts Köln demgemäß zwar für zutreffend, eine gesetzliche Regelung aber dennoch für geboten, die medizinisch lege artis durchgeführte Zir472 Merkel, Die Haut eines Anderen, http://www.sueddeutsche.de/wissen/beschneidungs-de batte-die-haut-eines-anderen-1.1454055 (zuletzt aufgerufen 14. 04. 2014). 473 Merkel, Es geht um das Wohl der Kinder, http://www.sueddeutsche.de/wissen/beschnei dungs-debatte-die-haut-eines-anderen-1.1454055 – 2 (zuletzt aufgerufen 14. 04. 2014). 474 Merkel, Betroffenen ohne öffentliche Lobby, http://www.sueddeutsche.de/wissen/be schneidungs-debatte-die-haut-eines-anderen-1.1454055 – 3 (zuletzt aufgerufen 14. 04. 2014). 475 Kempf, S. 434 (438). 476 Kempf, Fn. 475. 477 Kempf, Fn. 475.

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kumzisionen im Interesse der betroffenen Kinder im Rahmen „eines (fingierten) Tatbestandsausschlusses“ ähnlich wie bei § 218 a StGB straffrei stellen, da andernfalls die Wahrscheinlichkeit bestehe, dass Beschneidungen in der Illegalität durch Nichtärzte unter medizinisch und hygienisch unzureichenden Bedingungen durchgeführt würden.478 Klinkhammer vertritt die Ansicht, in der Beschneidungsdiskussion komme die familienrechtliche Betrachtung zu kurz. Die §§ 1626 und 1627 BGB definierten lediglich das Innenverhältnis zwischen Eltern und Kind.479 Die Vertretungsmacht im Außenverhältnis sei durch § 1629 BGB geregelt und grundsätzlich unbeschränkt.480 Sie decke auch den Abschluss riskanter und sogar schädlicher Geschäfte, soweit dies nicht ausdrücklich ausgeschlossen oder eingeschränkt sei, was für den Fall der Einwilligung in Operationen lediglich in Bezug auf die Sterilisation und die Lebendorganspende, nicht aber hinsichtlich der (männlichen) Beschneidung der Fall sei.481 Dieser könnten die Eltern daher bei selbst noch nicht einwilligungsfähigen (männlichen) Kindern unbeschränkt zustimmen. Eine Grenze würde erst durch die Gefährdung des Kindeswohls im Sinne des § 1666 BGB als Ausdruck des staatlichen Wächteramts gebildet. Das Kindeswohl sei aber durch die Beschneidung des männlichen Kindes nicht gefährdet. Dies sei lediglich für die Beschneidung von Mädchen anerkannt.482 Wiater weist darauf hin, dass die Religionsausübungsfreiheit „trotz schrankenloser Formulierung des Art. 4 GG“ verfassungsimmanenten Schranken ausgesetzt sei, um „die von der Verfassung ebenso garantierten Rechte und Interessen des Kindes zu schützen“, weshalb im Kollisionsfall dem Kindeswohl der Vorrang gebühre, weil die den Eltern eingeräumten Rechte „treuhänderisch an das Kindeswohl gebunden“ seien.483 Allerdings gestalte sich die Prüfung der Verhältnismäßigkeit komplexer, als das LG Köln sie vorgenommen habe. Das Gericht hätte sich mit der „konkreten Erklärung der Eltern, weshalb die Beschneidung ihres Sohnes als Ausdruck ihrer religiösen Überzeugung für das Wohl des Kindes eine existenzielle, die verursachten Schmerzen weit übersteigende Bedeutung“ habe, „im Rahmen der Abwägung auseinandersetzen müssen“.484 Rohe, der Jurist und Islamwissenschaftler ist, vertritt die Ansicht, die Scharia erfülle im Wesentlichen dieselbe Funktion wie westliche Rechtsordnungen, weshalb aus westlicher Sicht das Rechtsverständnis der Scharia keine größeren Probleme

478 479 480 481 482 483 484

Kempf, S. 434 (439). Klinkhammer, S. 1913. So auch Jakobs, S. 25 (29). Klinkhammer, S. 1913 (1914). Klinkhammer, S. 1913 (1915). Wiater, S. 1379 (1380). Wiater, S. 1379 (1381).

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aufwerfe.485 Er hält die Einwilligung der Eltern in nicht indizierte Beschneidungen ihrer minderjährigen Knaben für rechtlich unbedenklich und den Eingriff rechtfertigend, da er nur geringe Auswirkungen habe und sozialadäquat sei.486 Spickhoff weist darauf hin, dass das Landgericht Köln die „notwendigen Bewertungsparameter entscheidend verkürzt“ habe, indem es in die Grundrechteabwägung lediglich das Recht der Kinder auf körperliche Unversehrtheit und das Religionsausübungsrecht der Eltern einbezogen habe, nicht jedoch das Recht der Kinder auf eigene Religionsausübungsfreiheit. Werde auch dieses berücksichtigt, bilde die verfassungsrechtlich geschützte körperliche Unversehrtheit im Falle der Beschneidung keine „unüberwindliche Schranke“, da es sich bei der Beschneidung nicht um einen schwerwiegenden Eingriff handle. Er plädiert im Hinblick auf den „besonderen und in die Zukunft wirkenden Eingriff in die Intimsphäre ohne Möglichkeit einer vollständigen Rekonstruktion“ jedoch dafür, medizinisch nicht indizierte Beschneidungen von Knaben nur durchzuführen, wenn sie „religiös wirklich zwingend“ geboten seien.487 Schwarz stellt vor der Prüfung der Frage, ob die religiös motivierte Beschneidung von Knaben durch das Grundrecht der Religionsausübungsfreiheit verfassungsrechtlich legitimiert ist, zunächst fest, dass diese „sich, was kaum zu bestreiten sein dürfte, in grundsätzlicher Weise von der Genitalverstümmelung von Frauen“ unterscheide,488 ohne dies jedoch näher zu begründen.489 Er führt aus, dass der Akt der Beschneidung von dem Grundrechtsschutz des Art. 4 GG erfasst sei und den „Binnenfestlegungen einer Religionsgemeinschaft nur dann die Verbindlichkeit innerhalb der staatlichen Rechtsordnung versagt werden“ dürfe, wenn sie im „Widerspruch zu Grundentscheidungen der Rechtsordnung“ stünden, was bei der Knabenbeschneidung nicht der Fall sei, weil diese keine Gefährdung des Kindeswohls darstelle.490 Die lege artis durchgeführte Beschneidung männlicher Minderjähriger stelle deshalb schon keine erhebliche körperliche Misshandlung dar.491 Auch Goerlich/Zabel verneinen bereits, dass die Beschneidung überhaupt den objektiven Tatbestand der Körperverletzung erfülle, weil sie eine „sinnstiftende

485

So in einem Vortrag „Gottesrechte und Menschenrechte – Scharia und weltliche Rechte“ am 10. 03. 2003 vor der Bundeszentrale für politische Bildung, http://www.bpb.de/veranstaltun gen/XKTC9 V,0,0,Gottesrechte_und_Menschenrechte_Scharia_und_weltliche_Rechte.html (zuletzt aufgerufen 14. 04. 2014). 486 Rohe, JZ 2007, S. 801. 487 Spickhoff, FamRZ 2012, S. 1423 (1424). 488 Schwarz, S. 1125 (1126). 489 Offensichtlich soll sich dies schon selbsterklärend aus Verwendung des vergleichsweise harmlos anmutenden Begriffs „Beschneidung“ im Kontrast zu dem Terminus der „Genitalverstümmelung“ ergeben. 490 Schwarz, S. 1125 (1128). 491 Schwarz, S. 1125 (1128).

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Integration und Anerkennung als Person“,492 darstelle, die „seit Jahrhunderten im forum externum […] dieser Kulturen verortet“493 sei. Ebenso ist auch Zähle der Ansicht, dass die medizinisch nicht indizierte Zirkumzision minderjähriger Knaben unter dem Gesichtspunkt des Grundrechts aus Art. 4 GG gerechtfertigt sei. Die auf der Schrankenebene durchzuführende Abwägung zwischen dem Grundrecht des Kindes auf körperliche Unversehrtheit und dem Recht der Eltern auf religiöse Erziehung falle dann zugunsten des Elternrechts aus, wenn die Beschneidung unter Einhaltung des hierzulande geltenden ärztlichen Standards durchgeführt werde.494 Sie dürfe daher nur von Personen mit ärztlicher Ausbildung und unter hygienischen Bedingungen durchgeführt werden.495 Für die weibliche Beschneidung gelte dies jedoch nicht, da „wegen der Verstümmelung des Geschlechtsorgans […] bei jeglicher Form der weiblichen Genitalbeschneidung die leibseelische Integrität verletzt“ werde.496 Während die meisten Gegner der Strafbarkeit medizinisch nicht indizierter Beschneidungen an nicht einwilligungsfähigen Knaben neben dem Erziehungsrecht der Eltern namentlich das Grundrecht auf Freiheit der Religionsausübung ins Feld führen, stützt Fateh-Moghadam seine Auffassung, wonach die Personensorgeberechtigten in die Beschneidung wirksam einwilligen könnten, allein auf das elterliche Erziehungsrecht. Eine religiöse Rechtfertigung für eine Verletzung des Kindeswohls hält er für „schlechthin ausgeschlossen“.497 Nach seiner Ansicht ergibt sich aus dem Verhältnis zwischen dem elterlichen Sorgerecht und dem staatlichen Wächteramt, dass zwischen den Sorgeberechtigten und dem Staat keine gleichberechtigte Erziehungskonkurrenz bestehe, sondern die Rolle des Staates auf eine Unvertretbarkeitskontrolle beschränkt sei.498 Hieraus folge, dass die strafrechtliche Grenze der stellvertretenden Einwilligung der Missbrauch der Dispositionsbefugnis sei.499 Zwar handle es sich bei der Zirkumzision nicht um einen sozialadäquaten Eingriff,500 sie stelle jedoch einen „relativ leichten Eingriff in die Körperintegrität dar, der nicht mit negativen gesundheitlichen Folgen für den Minderjährigen verbunden“501 sei, dem aber erhebliche präventiv-medizinische und hygienische Vorteile gegenüberstün-

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Goerlich/Zabel, S. 1058 (1059). Goerlich/Zabel, S. 1058 (1061). 494 Zähle, S. 434 (451). 495 Zähle, S. 434 (451 f.). 496 Zähle, S. 434 (447 f.). 497 Fateh-Moghadam, RW 2010, S. 115 (139). 498 Fateh-Moghadam, RW 2010, S. 115 (131). 499 Fateh-Moghadam, RW 2010, S. 115 (133). 500 Fateh-Moghadam, RW 2010, S. 115 (122). 501 Fateh-Moghadam, RW 2010, S. 115 (134); ders., Strafrecht und Religion im liberalen Rechtsstaat, S. 146 (152). 493

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den.502 Infolgedessen stelle es keine Überschreitung der Dispositionsbefugnis und damit in der Regel keinen Missbrauch der elterlichen Sorge dar, wenn sich die Eltern für eine medizinisch nicht indizierte Beschneidung ihres minderjährigen Knaben entschlössen, und zwar gleich, ob hierbei religiöse oder präventiv-medizinische Motive ausschlaggebend seien.503 Er erkennt allerdings ein Vetorecht auch des nicht einwilligungsfähigen Minderjährigen an, so dass die stellvertretende Einwilligung der Eltern keine Wirkung entfalte, wenn der Minderjährige über eine „ausreichende natürliche Urteilsfähigkeit“ verfüge und seine Ablehnung gegen den Eingriff erkennbar zum Ausdruck bringe.504 Valerius weist auf die „nicht zu vernachlässigende Bedeutung“ hin, welche die Religion für das Kindeswohl habe. Diese könne die mit der Beschneidung verbundenen gesundheitlichen Risiken aufwiegen, wenn sie gering seien, was er mit Blick auf eine geringe Komplikationsrate bejaht. Die Eltern dürften daher in eine „ausschließlich religiös motivierte“ Beschneidung einwilligen, wenn der Eingriff „nach ärztlichen Standards und durch einen Mediziner“ vorgenommen werde.505 Schramm vertritt die Ansicht, im Gegensatz zur Beschneidung von Mädchen, die nie durch religiöse Motive gerechtfertigt werden könne, sei die Beschneidung von Knaben nicht rechtswidrig, „wenn sie medizinisch oder religiös indiziert [sei] und lege artis vorgenommen wird“.506 Denn die Grundrechte der Eltern auf Religionsund Sorgerechtsausübung seien gewichtiger als das Grundrecht des Kindes auf körperliche Unversehrtheit, weil die Knabenbeschneidung keinen gravierenden Eingriff darstelle. Würde man jüdischen Eltern die Beschneidung ihrer nicht einwilligungsfähigen Söhne verbieten, bedeutete dies, dass diese „bis zur Erreichung eines bestimmten Alters nicht Juden werden dürften“.507 Germann wirft dem Landgericht Köln vor, „nicht bloß ein gesellschaftspolitisch unkluges juristisches Ergebnis produziert, sondern juristische, rechtsstaatliche Standards verletzt“508 zu haben, indem es „die gebotene Verhältnismäßigkeitsprüfung und damit die gesamte Grundrechtsprüfung auf den Kopf gestellt“509 habe. Denn anstatt des Beschneidungsverbots habe es die Beschneidung, also nicht den Eingriff in die Grundrechtsausübung, sondern die Grundrechtsausübung selbst der Verhältnismäßigkeitsprüfung unterzogen. Dies entspringe offenbar einer Vorstellung des

502 Fateh-Moghadam, RW 2010, S. 115 (136 f.); ders., Strafrecht und Religion im liberalen Rechtsstaat, S. 146 (152 f.). 503 Fateh-Moghadam, RW 2010, S. 115 (138); ders., Strafrecht und Religion im liberalen Rechtsstaat, S. 146 (153). 504 Fateh-Moghadam, RW 2010, S. 115 (126 f.). 505 Valerius, S. 481 (485). 506 Schramm, Ehe und Familie im Strafrecht, S. 221 ff.; ders. in: Heil/Kramer, S. 140. 507 Schramm, in: Heil/Kramer, S. 140. 508 Germann, in: Heil/Kramer, S. 83. 509 Germann, in: Heil/Kramer, S. 85.

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Gerichts, wonach „nicht der Staat die Freiheitsbeschränkung […], sondern der Bürger seine Freiheit“ rechtfertigen müsse.510 Beulke/Dießner kritisieren an der Entscheidung des Landgerichts Köln und den Auffassungen der Befürworter einer Strafbarkeit medizinisch nicht indizierter Beschneidungen an Minderjährigen insbesondere, dass bei deren Betrachtungen das Grundrecht des Minderjährigen selbst auf Ausübung der Religionsfreiheit aus Art. 4 Abs. 2 GG außer Acht gelassen werde. Es müsse berücksichtigt werden, dass dem betroffenen Kind selbst das Grundrecht auf Religionsausübungsfreiheit ab der Geburt zustehe, es dieses jedoch erst ab Eintritt der Religionsmündigkeit selbst ausüben könne. Aus einem „Gegenschluss zu § 5 S. 2 RelKEG“ folge, dass bis zum Eintritt der Religionsmündigkeit des Kindes an dessen Stelle die Eltern treten würden.511 Sie könnten anstelle des Kindes die „anstehenden Fragen“ regeln, wobei das, was im religiösen Sinne als „anstehend“ anzusehen sei, „der jeweiligen Religion vorbehalten“ sei.512 Mit der Zustimmung zur medizinisch nicht indizierten Zirkumzision aus religiösen Gründen realisierten die Eltern das eigene Grundrecht des Kindes auf Religionsausübungsfreiheit und verzichteten insoweit „wirksam für das Kind auf das Recht auf körperliche Unversehrtheit“, was eine vergleichbare Situation wie bei einer Patientenverfügung sei.513 Die teilweise von anderen Autoren514 hervorgehobenen gesundheitlichen und hygienischen Vorteile einer auch medizinisch nicht indizierten Beschneidung werden von Beulke/Dießner außen vor gelassen, weil sie erkennen, dass diese umstritten sind.515 Bielefeldt ist der Ansicht, wer wie Putzke die Anerkennung religiöser Positionen von deren rationaler Begründbarkeit abhängig mache, vertrete „letztlich ein doktrinäres, antipluralistisches Verständnis von Aufklärung, das mit der humanistischen Tradition […] nicht viel gemein“ habe.516 Er räumt ein, dass die Beschneidung von Knaben einen irreversiblen Eingriff darstellt, der im rechtlichen Sinn als Körperverletzungshandlung zu betrachten ist, der aber „von Intention und Folgen […] etwas völlig anderes als die Geschlechtsverstümmelung von Mädchen“ sei.517 Das Menschenrecht der Religionsfreiheit umfasse das Elternrecht auf religiöse Sozialisation der Kinder und stehe im Fall der Beschneidung in Spannung mit dem Grundrecht des Kindes auf körperliche Unversehrtheit, das ebenfalls ein Menschenrecht sei. Daher seien „Eingriffstiefe, Risiken, Schmerzen und mögliche Langzeitfolgen“ der Be-

510

Germann, Fn. 509. Beulke/Dießner, S. 338 (344). 512 Beulke/Dießner, Fn. 511. 513 Beulke/Dießner, S. 338 (345). 514 So etwa Fateh-Moghadam, RW 2010, S. 115 (136 f.). 515 Beulke/Dießner, S. 338 (339). 516 Bielefeldt in: Heil/Kramer, S. 79 f. 517 Bielefeldt, Der Kampf um die Beschneidung, http://www.blaetter.de/archiv/jahrgaenge/2 012/september/der-kampf-um-die-beschneidung (zuletzt aufgerufen 14. 04. 2014). 511

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schneidung für ihre rechtliche Beurteilung von Bedeutung.518 Ein generelles Verbot der religiös motivierten Knabenbeschneidung hält er für „sicher unverhältnismäßig“.519 Rox ist der Auffassung, das Landgericht Köln habe „die Reichweite und Besonderheit“ des elterlichen Erziehungsrechts „untergewichtet“ und – „gehüllt in den Schleier der Objektivität“ – die Eltern aus ihrer Position der zur Bestimmung des Kindeswohls Berufenen verdrängt. Dabei habe es verkannt, wo die „Grenzen der Bestimmung des Kindeswohls“ verliefen. Diese seien bei Übergriffen auf das Rechtsgut „Leben“ eindeutig überschritten, bei ihrer Beurteilung seien somit die Schwere des Eingriffs und dessen Folgen maßgeblich. Dabei habe das Landgericht Köln nicht berücksichtigt, dass die Beschneidung „mit kontrollierbaren Risiken verbunden“ sei und „nicht zu einer Beeinträchtigung oder Funktionsveränderung“ führe.520 Auch Steiner gelangt in ihrer Dissertation zu dem Ergebnis, bei der Beschneidung handle es sich um einen „relativ einfachen chirurgischen Eingriff“.521 Auf Grundlage einer „umfassenden Risiko-Nutzen-Abwägung“ stelle die Zirkumzision keine Kindewohlgefährdung dar, wenn der Eingriff „lege artis, unter hygienischen Bedingungen und unter vorheriger Betäubung“ durchgeführt werde. Dies müsse nicht zwingend von einem Arzt, sondern könne auch von einem entsprechend kompetenten religiösen Beschneider vorgenommen werden.522 dd) Stellungnahme Der Meinungsstand zeigt auf, dass mit durchaus nachvollziehbaren Argumenten sowohl die Ansichten der Gegner einer rechtfertigenden Einwilligung der Personensorgeberechtigten in die nicht indizierte Beschneidung ihrer selbst (noch) nicht einwilligungsfähigen Minderjährigen wie auch die Auffassungen deren Befürworter begründet werden können. Weil bei der Abwägung im Rahmen der praktischen Konkordanz wertende Fragen zu beantworten sind, ist „vieles vertretbar“.523 Umso mehr erscheint daher erforderlich, wie etwa Hassemer524 es anmahnt, nicht ergebnisorientiert zu argumentieren oder in ein Lamento über religiöse Intoleranz zu verfallen, sondern die kollidierenden Rechtsgüter ernst zu nehmen und stringent gegeneinander abzuwägen. Diese Abwägung kann weder durch eine Berufung auf den säkularen Staat ersetzt werden, dessen Regeln sich die Religionsgemeinschaften 518

Bielefeldt in: Heil/Kramer, S. 78. Bielefeldt, Der Kampf um die Beschneidung, http://www.blaetter.de/archiv/jahrgaenge/2 012/september/der-kampf-um-die-beschneidung (zuletzt aufgerufen 14. 04. 2014). 520 Rox, S. 806 (808). 521 Steiner, S. 297. 522 Steiner, S. 301. 523 Jahn, S. 850 (851). 524 Hassemer, S. 179 (180). 519

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uneingeschränkt zu unterwerfen hätten, noch auf die „Evidenz normaler Lebenswege“525 mehrerer 100 Millionen beschnittener Männer, was einem unzulässigen Schluss vom Sein aufs Sollen526 entspräche. Mit dieser Argumentation lieferte man im Übrigen angesichts von weltweit ca. 150 Millionen genitalbeschnittener Frauen, die in den jeweiligen Kulturkreisen sicherlich überwiegend ebenfalls normale Lebenswege durchlaufen, dem Ritual der weiblichen Genitalbeschneidung eine Rechtfertigungsgrundlage. (1) Erziehungsrecht der Eltern vs. Grundrecht auf körperliche Unversehrtheit Das Erziehungsrecht der Eltern aus Art. 6 Abs. 1 S. 1 GG unterliegt keinem Gesetzesvorbehalt. Es garantiert den Eltern das Recht auf Pflege und Erziehung ihrer Kinder als „natürliches Recht“, das ihnen nicht vom Staat verliehen, sondern von diesem als durch die Natur „vorgegebenes Recht anerkannt“527 wird. Es gewährleistet „den Eltern gegenüber dem Staat den Vorrang als Erziehungsträger“ und gibt ihnen das Recht, auferlegt ihnen aber auch die damit verbundene Pflicht, „die Pflege und Erziehung ihrer Kinder nach ihren eigenen Vorstellungen […] frei und mit Vorrang vor anderen Erziehungsträgern zu gestalten“.528 Mit dem Erziehungsrecht der Eltern korrespondiert das Recht des Kindes auf Fürsorge,529 das die Pflicht der Sorgeberechtigten begründet, die elterliche Sorge zum Wohl des Kindes auszuüben.530 Diese Pflicht steht dem Sorgerecht „nicht als Schranke gegenüber, sondern sind ihm als Pflichtengehalt gleichgewichtig immanent“.531 Die Besonderheit des Erziehungsrechts besteht daher in der „einzigartigen Verknüpfung von Grundrecht und Grundpflicht“.532 Es findet seinen Ausdruck in § 1626 ff. BGB, insbesondere in § 1626 Abs. 1 BGB. Das Erziehungsrecht gewährt den Eltern darüber hinaus Abwehrrechte gegenüber staatlichen Eingriffen, soweit solche nicht durch das Wächteramt der staatlichen Gemeinschaft gem. Art. 6 Abs. 2 S. 2 GG oder durch kollidierendes Verfassungsrecht gedeckt sind. Das staatliche Wächteramt stellt eine „dem Grundrecht des elterlichen Erziehungsprimats im Grundgesetz selbst gesetzte Schranke“533 dar und „rechtfertigt die in verschiedenen Gesetzen zum Schutze des 525

So etwa Höfling, GesR 2013, S. 463 (465); in diese Richtung argumentiert auch Zypries, in: Recht und Politik 2012, S. 139, unter Hinweis darauf, dass weltweit ca. 30 % der Männer beschnitten seien und „dass – soweit bekannt – noch nie jemand im Erwachsenenalter gegen die an ihm vorgenommene Beschneidung vorgegangen wäre“. 526 Herzberg, ZIS 2010, S, 471 (475). 527 Hofmann in: Schmidt-Bleibtreu/Hofmann/Hopfauf, Art. 6 Rn. 41. 528 BVerfGE 31, S. 194 ff. (juris). 529 BVerfGE 121, S. 69 (93). 530 Huber in: Münchener Kommentar zum BGB, Band 8, § 1626, Rn. 7. 531 Huber in: Münchener Kommentar zum BGB, Fn. 530. 532 Michael/Morlok, § 9, Rn. 256. 533 BVerfGE 4, S. 52 ff. (juris).

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Kindes enthaltenen Normen“534, wie z. B. § 1666 BGB oder die §§ 1631 ff. BGB. Das elterliche Erziehungsrecht wird ferner durch kollidierendes Verfassungsrecht, also andere Grundrechte und Bestimmungen der Verfassung begrenzt. Denn auch vorbehaltlose, also ohne Gesetzesvorbehalt gewährleistete Grundrechte gelten nicht schrankenlos. Dies ergibt sich aus dem Gedanken, dass kein Grundrecht isoliert betrachtet werden darf. Es ist daher nach herrschender Meinung anerkannt, dass Grundrechte Dritter und sonstige Rechtsgüter von Verfassungsrang jedenfalls den vorbehaltlos gewährleisteten Grundrechten Schranken setzen, die – weil sie sich aus der Verfassung selbst entnehmen lassen – als verfassungsimmanente Schranken bezeichnet werden.535 Kollidierende Grundrechte Dritter und sonstige Rechtsgüter von Verfassungsrang können daher auch uneingeschränkt gewährleisteten Grundrechten Schranken setzen und als Eingriffsrechtfertigung dienen, was aus dem Grundsatz der Einheit der Verfassung folgt.536 Zwar ist Schutzziel des Erziehungsrechts „nicht nur die Selbstverwirklichung eigener Erziehungsvorstellungen der Eltern, sondern auch und vor allem das Kindeswohl“.537 In Art. 6 Abs. 2 GG liegt aber die Vermutung, dass die Personensorgeberechtigten am besten bestimmen können, was im Rahmen der Pflege und Erziehung ihrer Auffassung nach dem Kindeswohl zuträglich ist. Wie ausgeführt, ist der Begriff des Kindeswohls in § 1666 Abs. 1 S. 1 BGB umfassend zu verstehen, er schützt das „körperliche, geistige und seelische Wohl des Kindes“. Angesichts dessen, dass das Kindeswohl damit nicht auf die körperliche Komponente beschränkt ist, sondern auch eine religiös sinngebende Komponente haben kann, die grundsätzlich einer staatlichen Beurteilung ihrer Wahrheit entzogen ist,538 könnten beispielsweise Eltern jüdischen Glaubens, für welche die Beschneidung ihres Kindes einen hohen religiösen Stellenwert hat, zu der Auffassung gelangen, dass mit der Beschneidung und der dadurch symbolisierten Aufnahme des Kindes in den Bund mit Gott das von § 1666 Abs. 1 S. 1 BGB ebenfalls geschützte geistige und seelische Wohl ihres Kindes verwirklicht werde und die Beschneidung in einer Gesamtschau dem Kindeswohl diene, weil die positiven Effekte für das geistige und seelische Wohl ihres Kindes die negativen Auswirkungen auf dessen körperliches Wohl überwögen. Hierfür streitet auch der Umstand, dass Gegenstand des elterlichen Erziehungsrechts aus Art. 6 Abs. 2 S. 1 GG in Verbindung mit dem Grundrecht auf Religionsfreiheit aus Art. 4 Abs. 1 und 2 GG gerade auch die religiöse Erziehung ihrer Kinder ist. Gemäß § 5 S. 1 RelKEG können die Eltern bis zum Erreichen der eigenen Religionsmündigkeit des Minderjährigen allein über dessen Zugehörigkeit zu einer Glaubensgemeinschaft und über dessen religiöse Erziehung entscheiden. Zur religiösen Erziehung gehört auch die Vornahme religiöser Handlungen, denn das von der 534 535 536 537 538

BVerfGE, Fn. 519. von Coelln in: Gröpl/Windthorst/von Coelln, Vorbem. Rn. 111. Hofmann in: Schmidt-Bleibtreu/Hofmann/Hopfauf, Art. 19 Rn. 14 m.w.N. Michael/Morlok, § 9, Rn. 256. Isensee, S. 317 (318).

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Religionsfreiheit umfasste Recht der Religionsausübung ist weit auszulegen und „erstreckt sich auf kultische Handlungen, die ein Glauben vorschreibt oder in denen er Ausdruck findet“.539 Eine religiös motivierte, medizinisch nicht indizierte Beschneidung könnte eine solche kultische Handlung darstellen. Folgte man dieser Argumentation, könnten die sorgeberechtigten Eltern im Rahmen ihres Erziehungsrechts in eine medizinisch nicht indizierte Beschneidung ihres nicht einwilligungsfähigen Minderjährigen rechtswirksam einwilligen. Eine Versagung der rechtfertigenden Wirkung der Einwilligung der sorgeberechtigten Eltern in die nicht medizinisch indizierte Beschneidung ihrer nicht einwilligungsfähigen Knaben würde daher einen Eingriff in das Erziehungsrecht der Eltern darstellen, der zu einer Grundrechtsverletzung der Eltern führte, wenn er nicht gerechtfertigt wäre. Staatliche Eingriffe in das Erziehungsrecht können nur mit dem Kindeswohl gerechtfertigt werden.540 Es ist daher zu untersuchen, ob die mit dem Erziehungsrecht kollidierenden Grundrechte der Minderjährigen einen Eingriff in das elterliche Erziehungsrecht rechtfertigen. Tangiert ist auf Seiten der Minderjährigen das Grundrecht auf körperliche Unversehrtheit aus Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG. Dessen Schutzbereich erstreckt sich in persönlicher Hinsicht auf alle lebenden Menschen jeden Alters und erfasst daher selbstverständlich auch Minderjährige. Der sachliche Schutzbereich des Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG umfasst die Unversehrtheit des menschlichen Körpers „in biologischphysiologischer Hinsicht“.541 Wie ausführlich dargelegt,542 wird durch die Beschneidung wird die körperliche Unversehrtheit des Betroffenen nicht unerheblich beeinträchtigt. Abgesehen von den vorübergehenden Schmerzen, die auch nach Vornahme des Eingriffs unter Betäubung in den Tagen oder Wochen während der Wundheilung entstehen, sowie den mit dem Eingriff verbundenen Operations- und Anästhesierisiken, wird den Betroffenen irreversibel physiologisch bedeutsames, schützendes und sexuell sensibles Körpergewebe entfernt, wodurch die sexuelle Sensitivität dauerhaft reduziert wird. Die Beschneidung stellt daher entgegen der Auffassung ihrer Befürworter, auch wenn sie an sich lege artis medicinae durchgeführt wird, keineswegs einen harmlosen und ohne nennenswerte Folgen bleibenden, sondern einen gravierenden Eingriff mit dauerhaften Folgen dar. Die demgegenüber bestehenden gesundheitlichen und präventiv-medizinischen Vorteile543 sind zum einen auch nach Auffassung von Beschneidungsbefürwortern umstritten,544 zum anderen rechtfertigen sie angesichts der mit dem Eingriff verbundenen Risiken und Dauerfolgen nicht die Durchführung der Beschneidung im Kindesalter. Sie dürfen daher in eine Abwägung von Nachteilen und Vorteilen der 539 540 541 542 543 544

BVerwGE 141, S. 223 ff. Michael/Morlok, § 23, Rn. 658. Vgl. etwa BVerfGE 56, S. 54 ff.; siehe hierzu auch 4. Kapitel, B. I. 1. Siehe hierzu 2. Kapitel, B. VI. Siehe hierzu 2. Kapitel, B. VII. Beulke/Dießner, S. 338 (339).

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Beschneidung nicht eingestellt werden.545 Die mit der Zirkumzision verbundenen Risiken und Dauerfolgen überwiegen daher deren kindeswohlspezifischen medizinischen Vorteile bei weitem.546 Hinzu kommt, dass der Eingriff bei Neugeborenen in aller Regel ohne die nach dem medizinischen Facharztstandard erforderliche Anästhesie547 in Form einer Allgemeinanästhesie und/oder eines kaudalen Peniswurzelblocks durchgeführt wird, weil beide Betäubungsarten in diesem Alter mit unkalkulierbaren Risiken verbunden sind. Die häufig verwendete Emla-Creme bewirkt aber keine adäquate Schmerzvermeidung durch Betäubung, sondern allenfalls eine kurze Schmerzlinderung. Der Eingriff ohne wirksame Betäubung entspricht nicht dem allgemein anerkannten medizinischen Standard. Der Umstand, dass aus den genannten Gründen im Neugeborenenalter keine Anästhesie möglich ist, verbietet den Eingriff in diesem Alter, weshalb der Eingriff kontraindiziert ist. Aus dem Vorgenannten wird deutlich, dass das Recht der Eltern, an ihrem Kind ohne medizinische Indikation die kultische Handlung Zirkumzision durchführen zu lassen, in ganz erheblicher Weise mit dem Grundrecht des Kindes auf körperliche Unversehrtheit aus Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG kollidiert. Diese Grundrechtekollision ist nach dem Grundsatz der praktischen Konkordanz zu lösen, der besagt, dass die widerstreitenden Rechtspositionen „einen möglichst schonenden Ausgleich erfahren“.548 Zu beachten ist dabei, dass aus der besonderen Struktur des Elternrechts, das „wesentlich ein Recht im Interesse des Kindes [ist], wie sich schon aus dem Wortlaut des Art. 6 Abs. 2 S. 1 GG ergibt, der vom Recht zur Pflege und Erziehung spricht und schon per definitionem das Kindesinteresse in das Elternrecht einfügt“,549 folgt, dass bei Interessenskollisionen zwischen den Eltern und ihrem Kind den Interessen des Kindes grundsätzlich der Vorrang gebührt.550 Um bei solchen Interessenskollisionen feststellen zu können, worin die Interessen des Kindes bestehen, kommt man nicht umhin, diese – und damit das Kindeswohl – soweit möglich nach objektiven Kriterien zu bestimmen. Andernfalls ließen sich beliebig viele Verletzungen von Rechtsgütern des Kindes durch dessen Eltern mit nicht objektivierbaren pädagogischen, religiösen oder sonstigen Motiven rechtfertigen, welche die Eltern im Rahmen ihres Erziehungsrechts geltend machen könnten. Auch im Hinblick auf die bereits genannte Einflussnahme aus dem kollektiven Umfeld der Religionsgemeinschaft551 erscheint die Orientierung des Kindeswohls an 545

Steiner, S. 237, 244. Dies wird auch von Bauer, S. 202 ff., übersehen, die den Eingriff in körperlicher Hinsicht als geringfügig betrachtet, weshalb die positiven Aspekte für das seelische Wohl die körperlichen Beeinträchtigungen überwögen. 547 Siehe hierzu 2. Kapitel, B. IV. 548 Vgl. etwa BVerfGE 28, S. 243 (260 f.); 52, S. 223 (247). 549 BVerfGE 61, S. 358 (378). 550 BVerfGE 61, S. 358 (378); BVerfGE 37, S. 217 (252). 551 Siehe hierzu 3. Kapitel, C. VII. 3. 546

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objektiven Kriterien erforderlich. Denn für unter dem Einfluss sozialen oder klerikalen Drucks stehende Sorgeberechtigte ist es oft nicht möglich, bei der von ihnen stellvertretend zu treffenden Entscheidung Vor- und Nachteile abzuwägen und zu hinterfragen, ob ihr Kind sich für den Eingriff entscheiden würde, wenn es bereits einwilligungsfähig wäre.552 Stattdessen beugen sie sich diesem dem Druck und der Erwartungshaltung des religiösen und sozialen Umfelds.553 Um derartige Einflüsse, die in keiner Weise einem Abwägen von Für und Wider im Interesse des Kindes entsprechen, zu limitieren, ist das Kindeswohl daher „vor allem objektiv zu bestimmen“.554 Im Hinblick auf das körperliche Wohl ist das Kindeswohl auch am ehesten einer objektiven Beurteilung zugänglich.555 Angesichts der beschriebenen Risiken der Zirkumzision, des irreversiblen Verlustes von Körpersubstanz mit physiologischer Bedeutung und der damit verbundenen Reduzierung sexueller Empfindsamkeit, denen jedenfalls im sexuell nicht interaktiven Lebensalter keinerlei signifikanten Vorteile gegenüber stehen, entspricht die nicht medizinisch indizierte Beschneidung in keiner Weise dem Kindeswohl, zumal wenn dabei berücksichtigt wird, dass zu den Bestandteilen des Kindeswohls auch und gerade das künftige Glück und die künftige personale Autonomie des Kindes zählen,556 die Beschneidung für die Betroffenen aber über die Kindheit hinaus lebenslange Folgen mit sich bringt. Immer da, wo durch die Ausübung des elterlichen Erziehungsrechts die körperliche Unversehrtheit des Kindes nicht nur unerheblich und mit der Gefahr von Dauerfolgen geschädigt wird und daher aus objektiver Sicht eindeutig dem körperlichen Wohl des Kindes zuwiderläuft, entspricht die Ausübung des Erziehungsrechts insgesamt nicht dem Kindeswohl, weil ein erheblicher und mit dauerhaften Folgen verbundener Eingriff in das Grundrecht des Kindes auf körperliche Unversehrtheit vorliegt, der nicht mit den aus der subjektiven Einschätzung der Sorgeberechtigten mit der Körperverletzung einhergehenden geistigen oder seelischen Vorteilen für das Kind aufgewogen werden kann. Denn die dem Wunsch der Sorgeberechtigten auf religiöse Erziehung ihrer Kinder entspringende Motivation zu deren Beschneidung vermag nicht „die physische Amputation wegzuspiritualisieren“.557 Zutreffend verweist das Landgericht Köln in seiner Entscheidung auch auf die Wertung des § 1631 Abs. 2 S. 1 BGB. Zwar ist diese Norm nicht unmittelbar anwendbar, denn die Beschneidung stellt nicht nur in dem vom Landgericht Köln entschiedenen Fall, sondern auch im Regelfall keine „körperliche Bestrafung“ im Sinne dieser Vorschrift dar, weil es an einem strafenden Charakter fehlt. Anders wäre dies etwa in einem Fall zu beurteilen, in dem neben der mit der Beschneidung

552 553 554 555 556 557

Stumpf, S. 141 (143). Stumpf, S. 141 (144). Putzke in: FS für Herzberg, S. 669 ( 687). Kern, FamRZ 1981, S. 738 (739). Siehe hierzu 3. Kapitel, C. VII. 4. c) aa). Isensee, S. 317 (318).

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verbundenen Körperverletzung auch eine seelische Verletzung einherginge,558 was im Einzelfall möglich und zu überprüfen ist, wofür in dem vom Landgericht Köln entschiedenen Fall jedoch keine Anhaltspunkte vorlagen. Aus dem Rechtsgedanken des § 1631 Abs. 2 BGB ergibt sich jedoch auch mit Blick auf die medizinisch nicht indizierte Beschneidung, dass diese kindeswohlwidrig ist. Dies lässt sich an folgendem Beispiel Herzbergs559 verdeutlichen: Wenn ein Sorgeberechtigter seinen nicht einwilligungsfähigen Sohn, den er beim Masturbieren erwischt, mit Schlägen wie z. B. einer heftigen Ohrfeige bestraft, liegt darin zweifellos ein Verstoß gegen das aus § 1631 Abs. 2 BGB folgende Recht auf gewaltfreie Erziehung sowie das Verbot körperlicher Bestrafung. Wenn derselbe Sorgeberechtigte seinen Sohn stattdessen zum Kinderchirurgen bringt und diesen beauftragt, das Kind aus religiösen Gründen zu beschneiden, soll dies nach Ansicht der Beschneidungsbefürworter rechtlich unbedenklich sein. Dies ist mit der Wertung des § 1631 Abs. 2 BGB nicht in Einklang zu bringen. Denn die Beschneidung stellt im Gegensatz zu einer Ohrfeige nicht nur einen mit vorübergehenden, sondern einen gravierenden, irreversiblen und dauerhaften Folgen wie dem partiellen Verlust sexueller Sensibilität verbundenen Eingriff dar. Der Umstand, dass bei der Beschneidung ein Teil des Körpers ohne medizinische Notwendigkeit unwiederbringlich entfernt wird und als Folge daraus zeitlebens eine Reduzierung der sexuellen Empfindsamkeit eintritt, macht deutlich, dass die medizinisch nicht indizierte Beschneidung in weit höherem Maß als eine Ohrfeige dem Kindeswohl zuwiderläuft. Die nicht medizinisch indizierte Zirkumzision ist aber nicht nur nicht kindeswohldienlich, sie stellt vielmehr eine Gefährdung des Kindeswohls im Sinne des § 1666 BGB dar. Eine solche wird angenommen, wenn eine „gegenwärtige, in einem solchen Maße vorhandene Gefahr [besteht], dass sich bei der weiteren Entwicklung eine erhebliche Schädigung mit ziemlicher Sicherheit voraussehen lässt“.560 Dies ist allein objektiv zu beurteilen, d. h. es kommt nicht auf die Gesinnung oder ein „schuldhaftes oder pflichtwidriges Elternverhalten“ an.561 An den Grad der Wahrscheinlichkeit des Eintritts der Gefährdung „sind umso geringere Anforderungen zu stellen, je größer und gewichtiger der drohende Schaden ist“.562 Mit dem irreversiblen Entfernen des erogen bedeutenden Gewebes der Penisvorhaut verwirklicht sich die Gefahr einer solchen erheblichen Schädigung bereits. Denn der unwiederbringliche Verlust hoch sensiblen erogenen Gewebes ist notwendigerweise mit einem partiellen Verlust der sexuellen Sensibilität verbunden und stellt damit eine schwerwiegende und nachhaltige Schädigung dar. Hinzu kommen die nicht unerheblichen Risiken, die mit dem Eingriff selbst und der zu seiner Durchführung notwendigen Anästhesie verbunden sind. Ohne zwingende medizinische Notwen558

Vgl. hierzu: Wüstenberg, GuP 2012, S. 205 (207 ff.). Herzberg, ZIS 2012, S. 486 f. 560 BGH, Beschluss vom 15. 12. 2004, Az: XII ZB 166/03 (juris); BVerfG, NJW 2010, S. 2333. 561 Olzen in: Münchener Kommentar zum BGB, Band 8, § 1666 Rn. 36. 562 Olzen in: Münchener Kommentar zum BGB, Band 8, § 1666 Rn. 48. 559

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digkeit dürfen die Sorgeberechtigten die Minderjährigen diesen Gefahren nicht aussetzen. Dies gilt umso mehr für die nicht nur indikationslosen, sondern sogar kontraindizierten Eingriffe im Neugeborenenalter. Die möglichen gesellschaftlichen Nachteile, wie etwa die Gefahr der Ausgrenzung innerhalb der Religionsgemeinschaft oder des Gehänseltwerdens in der Peergroup, die für Kinder entstehen könnten, wenn ihre Beschneidung bis zum Erreichen der eigenen Einwilligungsfähigkeit aufgeschoben wird, sind im Verhältnis zu den beschriebenen erheblichen und irreversiblen körperlichen Nachteilen, die mit der Beschneidung einhergehen, gering. Bereits bei erheblich weniger schwer wiegenden Eingriffen, welche die körperliche Unversehrtheit nicht tangieren, wird eine Gefährdung des Kindeswohls angenommen, etwa dann, wenn sich die Sorgeberechtigten beharrlich weigern, in Erfüllung der Schulpflicht „ihre Kinder der öffentlichen Grundschule oder einer anerkannten Ersatzschule zuzuführen“, was „sich als ein Missbrauch der elterlichen Sorge darstellt, der das Wohl der betroffenen Kinder nachhaltig gefährdet und Maßnahmen des Familiengerichts nach §§ 1666, 1666a erfordert“.563 Die medizinisch nicht zwingend indizierte Beschneidung stellt daher eine Gefährdung des Kindeswohls i.S.d. § 1666 Abs. 1 BGB dar.564 Aus diesem Grund ist die Einwilligung der Sorgeberechtigten auch nicht durch die aus § 1629 BGB folgende Vertretungsmacht im Außenverhältnis gedeckt, denn § 1666 BGB als Ausdruck des staatlichen Wächteramts setzt zum Schutz des Selbstbestimmungsrechts des Kindes dem durch die Vertretungsmacht verliehenen Fremdbestimmungsrecht der Sorgeberechtigten eine Grenze.565 Den Eltern ist es daher angesichts der schwerwiegenden Nachteile der Beschneidung zuzumuten, mit dem Eingriff solange zuzuwarten, bis das Kind selbst über die Einwilligungsfähigkeit verfügt und entscheiden kann, ob es sich beschneiden lassen möchte oder nicht. Die Abwägung der widerstreitenden Grundrechte und die Lösung im Wege der praktischen Konkordanz ergibt im Fall der medizinisch nicht indizierten Beschneidung nicht einwilligungsfähiger Minderjähriger daher, dass das Grundrecht des Kindes auf körperliche Unversehrtheit das Erziehungsrecht der Sorgeberechtigten überwiegt und diese nicht rechtswirksam in die Beschneidung einwilligen können, weil dies nicht nur gem. § 1627 S. 1 BGB dem Kindeswohl zuwiderläuft, sondern eine Gefährdung des Kindeswohls i.S.d. § 1666 Abs. 1 BGB darstellt. Das Grundrecht der Minderjährigen auf körperliche Unversehrtheit zieht dem Erziehungsrecht der Sorgeberechtigten daher insoweit eine Schranke, als die in § 1629 BGB geregelte Vertretungsmacht der Sorgeberechtigten im Außenverhältnis da563

So etwa BGH, Beschluss vom 17. 10. 2007, Az: XII ZB 42/07 (juris). So für die drohende Beschneidung eines minderjährigen Mädchens gambischer Abstammung, der im Herkunftsland ihrer Eltern die Beschneidung drohte, BGH, NJW 2005, S. 672 ff. 565 Dies erkennt auch Klinkhammer (siehe Fn. 479), der jedoch in der männlichen Genitalbeschneidung keine Kindeswohlgefährdung sieht und die Einwilligung der Sorgeberechtigten durch die Vertretungsmacht im Außenverhältnis als gedeckt ansieht; so auch Jakobs, S. 25 (29). 564

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hingehend begrenzt ist, dass sie eine Einwilligung der Sorgeberechtigten in die medizinisch nicht indizierte Beschneidung ihrer selbst noch nicht einwilligungsfähigen männlichen Kinder verbietet. Der Einwand Germanns, das Landgericht Köln habe die Verhältnismäßigkeitsprüfung und damit die gesamte Grundrechtsprüfung auf den Kopf gestellt, indem es anstelle des Beschneidungsverbots die Beschneidung, also nicht den Eingriff in die Grundrechtsausübung, sondern die Grundrechtsausübung selbst der Verhältnismäßigkeitsprüfung unterzogen habe, übersieht, dass auch die Beschneidung selbst einen Grundrechtseingriff darstellt. Beide Grundrechtseingriffe, der in das Grundrecht der Sorgeberechtigten auf Erziehung, Sorge und Pflege ihrer Kinder ohne staatliche Einflussnahme und der in das Grundrecht des Kindes auf körperliche Unversehrtheit sind daher in Konkordanz zu bringen, was zu dem oben genannten Ergebnis führt. (2) Grundrecht auf Religionsfreiheit der Eltern vs. Grundrecht auf körperliche Unversehrtheit Das Grundrecht der Eltern auf Religionsfreiheit aus Art. 4 Abs. 1 und 2 GG schützt die Glaubens- und Religionsausübungsfreiheit, wozu auch die Freiheit gehört, an „kultischen Handlungen, die ein Glaube vorschreibt oder in denen er Ausdruck findet“,566 teilzunehmen. Es gebietet dem Staat nicht nur, sich einer Einmischung in Glaubensüberzeugungen zu enthalten, sondern auch Einzelnen und Religionsgemeinschaften „einen Betätigungsraum zu sichern, in dem sich die Persönlichkeit auf weltanschaulich-religiösem Gebiet frei entfalten kann“.567 Auch das Grundrecht auf Religionsfreiheit wird nach seinem Wortlaut vom Grundgesetz ohne Gesetzesvorbehalt gewährleistet.568 In Art. 136 Abs. 1 WRV, der i.V.m. Art. 140 GG Bestandteil des Grundgesetzes ist, wird jedoch geregelt, dass die bürgerlichen und staatsbürgerlichen Rechte durch die Ausübung der Religionsfreiheit weder bedingt noch beschränkt werden dürfen. Dies wird von der überwiegenden Meinung in der Literatur als „Vorbehalt allgemeiner, also nicht religionsspezifischer Gesetze“ ausgelegt.569 Das Bundesverfassungsgericht ist dagegen der Ansicht, dass der Vorbehalt des Art. 136 Abs. 1 WRV durch die vorbehaltlose Gewährleistung der Grundrechte aus Art. 4 Abs. 1 und 2 GG überlagert sei,570 und ein Teil der Literatur vertritt die Auffassung, die Art. 136 ff. WRV normierten „keine allgemeinen Schranken“, vielmehr seien sie als „objektives Verfassungsrecht Auslegungsgesichtspunkte für die Interpretation des Art. 4 GG“.571 Gegen diese Überlagerungstheorie spricht allerdings der gewichtige Umstand, dass Art. 136 Abs. 1 WRV durch 566

BVerfGE 93, S. 1 ff. („Kruzifix-Beschluss“). BVerfGE, Fn. 566. 568 Vgl. etwa BVerfGE 32, S. 98 (107). 569 von Coelln in: Gröpl/Windthorst/von Coelln, Art. 4 Rn. 29; Pieroth/Schlink/Kingreen/ Poscher, § 12 Rn. 577. 570 BVerfGE 33, S. 23 ff. 571 Michael/Morlok, § 9, Rn. 188. 567

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Art. 140 GG zum Bestandteil des Grundgesetzes erhoben wurde und damit uneingeschränktes gleichrangiges Verfassungsrecht geworden ist.572 Als solches stellt Art. 136 Abs. 1 WRV daher – wenn auch nicht einen einfachen Gesetzesvorbehalt – jedenfalls kollidierendes Verfassungsrecht und somit eine verfassungsimmanente Schranke des Grundrechts auf Religionsfreiheit dar. Dem Grundrecht auf Religionsfreiheit können daher durch andere Bestimmungen der Verfassung Grenzen gezogen werden, was freilich nicht bedeutet, dass der Gesetzgeber nicht mit gesetzlichen Vorschriften in dieses Grundrecht eingreifen dürfte. Sie haben jedoch nur dann „vor dem Grundgesetz Bestand, wenn sie der Ausgestaltung von Grundrechtsnormen in verfassungsgemäßer Weise dienen“.573 Solche Eingriffsnormen sind etwa §§ 823 ff. BGB, §§ 1631 ff. BGB und §§ 223 ff. StGB. Das Grundrecht der Eltern auf Freiheit des Glaubens und der Religionsausübung umfasst auch das Recht, gemäß § 5 S. 1 RelKEG bis zur eigenen Religionsmündigkeit der Kinder über deren Religionszugehörigkeit zu bestimmen und sie religiös zu erziehen. Im Rahmen dessen können die Eltern ihren religionsunmündigen Kindern die „Überzeugungen in Glaubens- und Weltanschauungsfragen […] vermitteln, die sie für richtig halten“.574 Dies umfasst auch das Recht, an ihnen die religiös-kultischen Handlungen vorzunehmen oder vornehmen zu lassen, die ihnen ihre Religionsgemeinschaften aufgeben. Gemäß Art. 140 GG i.V.m. Art. 137 Abs. 3 WRV sind die Religionsgemeinschaften berechtigt, ihre Angelegenheiten selbständig und ohne staatliche Einflussnahme oder Überwachung zu regeln, denn der Staat muss im Rahmen des verfassungsrechtlich garantierten kirchlichen Selbstbestimmungsrechts die Entscheidungen der Religionsgemeinschaften achten. In Ausübung ihres Rechts auf Religionsfreiheit könnten die Eltern daher grundsätzlich in ihnen von ihren Religionsgemeinschaften aufgegebene kultische Handlungen und damit auch in die nicht medizinisch indizierte Zirkumzision ihres Kindes einwilligen. Ein Verbot dieser Einwilligung würde einen Eingriff in das Grundrecht der Eltern auf Religionsfreiheit darstellen, der einer Rechtfertigung bedürfte. Wie vorstehend ausgeführt, stellt die Beschneidung nicht einwilligungsfähiger Minderjähriger allerdings einen schwerwiegenden, mit Risiken behafteten und irreversiblen Eingriff in deren Grundrecht auf körperliche Unversehrtheit aus Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG dar. Dem Grundrecht auf Religionsausübungsfreiheit wird daher durch das Grundrecht des Kindes auf körperliche Unversehrtheit eine verfassungsimmanente Grenze gesetzt. Denn die Sorgeberechtigten sind auch bei Ausübung ihrer Religionsfreiheit an die Schranken gebunden, welche durch die für alle geltenden Gesetze gezogen werden. Eine solche Schranke stellt das Grundrecht aus Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG dar. Durch Freiheitsrechte wie das Grundrecht auf Religionsausübungsfreiheit kann jedenfalls dann niemals das Grundrecht auf körperliche Unversehrtheit Dritter eingeschränkt werden, wenn durch die Ausübung des Freiheitsrechts ein nicht unerheblicher Eingriff in die 572

Pieroth/Schlink/Kingreen/Poscher, § 12 Rn. 577. Hofmann in: Schmidt-Bleibtreu/Hofmann/Hopfauf, Art. 4 Rn. 9. 574 BVerfGE, Fn. 566; zum Verhältnis von Religiosität und Wertebildung siehe: Schlag in: Fischer/Gruden, S. 202 (203 ff.). 573

C. Die Zirkumzision als Körperverletzung i.S.d. §§ 223 ff. StGB

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körperliche Unversehrtheit Dritter herbeigeführt wird. Dies wird an dem von Herzberg gebildeten Beispiel des Flagellantentums deutlich, wonach es nicht vom Grundrecht der freien Religionsausübung gedeckt wäre, wenn in einer christlichen Sekte die Eltern ihre Kinder zwängen, sich zur Buße ihrer Sünden selbst blutig zu geißeln.575 Auch anhand der Fälle, in denen Eltern moderne medizinische Maßnahmen ablehnen, wie dies etwa bei Angehörigen der Glaubensgemeinschaft der Zeugen Jehovas für Bluttransfusionen der Fall ist, fällt die Abwägung zwischen den widerstreitenden Grundrechten – einerseits des Grundrechts auf Religionsfreiheit der Eltern, andererseits des Grundrechts auf körperliche Unversehrtheit der Kinder – selbst dann, wenn dieses den Glauben der Eltern teilt, eindeutig zugunsten des Kindes aus.576 Daraus folgt, dass Freiheitsgrundrechte zwar „ihrem Träger Selbstbestimmung nicht aber Fremdbestimmung über einen anderen“577 gewähren. Das Grundrecht der Religionsfreiheit kann demgemäß seinen Träger nie dazu ermächtigen, Körperverletzungshandlungen zu Lasten Dritter zu begehen: Wo „Blut fließt, tritt der säkulare Staat auf den Plan“.578 Das Grundrecht des Kindes aus Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG setzt daher dem Grundrecht auf Religions- und Religionsausübungsfreiheit der Sorgeberechtigten aus Art. 4 Abs. 1 und 2 GG dort eine Grenze, wo der Akt der Religionsausübung zu einer erheblichen Verletzung der körperlichen Unversehrtheit des Kindes führt. Hinsichtlich der Kollision des Grundrechts der Eltern auf Religionsfreiheit mit dem Grundrecht des Kindes auf körperliche Unversehrtheit ergibt sich in Bezug auf die medizinisch nicht indizierte Beschneidung nicht einwilligungsfähiger Minderjähriger daher ein Vorrang des Rechts des Kindes auf körperliche Unversehrtheit. Dies wird auch dadurch untermauert, dass der Staat selbst in weit weniger einschneidenden Fällen religiösem Handeln dann Grenzen setzen darf – und muss –, wenn dadurch Rechte Dritter in nicht zumutbarer Weise beeinträchtigt werden. So ist etwa im Fall des liturgischen Läutens anerkannt, dass es zwar in erster Linie Sache der Kirchen ist, „darüber zu befinden, ob, wann und wie sie zu kultischen Zwecken läuten wollen“, der Staat aber im Hinblick darauf, dass „dieses Läuten […] mit Geräuschimmissionen verbunden [ist], die zu schädlichen Umwelteinwirkungen führen und damit staatlich zu wahrende Belange oder Rechtspositionen Dritter beeinträchtigen können“, auch dem Läuten, das kultischen Zwecken dient, „Grenzen setzen darf und muss“.579 Dass eine medizinisch nicht indizierte Zirkumzision, durch die gesundes, funktionales und erogenes Gewebe entfernt wird, einen erheblichen Eingriff in die körperliche Unversehrtheit des Kindes und eine wesentlich schwerwiegendere Beeinträchtigung von Rechtspositionen Dritter darstellt, als sie durch 575

Siehe 3. Kapitel, C. VII. 4. c) cc). Vgl. hierzu etwa: OLG Celle, NJW 1995, S. 792 ff.; BayObLG, FamRZ 1976, S. 43 ff.; OLG Hamm, FamRZ 1968, S. 221. 577 Isensee, S. 317 (319). 578 Isensee, S. 317 (318). 579 BVerfGE 42, S. 312 (332 ff.); 53, S. 366 (404); im Fall des liturgischen Läutens stellt die Vorschrift des § 22 Abs. 1 Satz 1 BImSchG eine solche Grenze dar. 576

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3. Kap.: Rechtslage vor Inkrafttreten des § 1631d BGB

liturgisches Geläut hervorgerufen wird, kann nicht ernsthaft in Abrede gestellt werden. Der Staat muss daher religiösem Handeln erst Recht dort Grenzen setzen, wo es die körperliche Unversehrtheit Dritter in erheblichem Umfang verletzt. Hierfür streitet im Übrigen auch die Vorschrift des Art. 136 Abs. 4 WRV wonach „niemand […] zu einer kirchlichen Handlung oder Feierlichkeit oder zur Teilnahme an religiösen Übungen oder zur Benutzung einer religiösen Eidesform gezwungen werden“ darf.580 Dass durch die Ausübung von Freiheitsgrundrechten nicht das Grundrecht auf körperliche Unversehrtheit Dritter verletzt werden darf, ergibt sich auch aus folgender Erwägung: Angenommen die Eltern eines neugeborenen Kindes sind beide Künstler und leidenschaftliche Anhänger kunstvoller Tätowierungen. Sie wollen in Ausübung ihres Rechts auf Kunstfreiheit, flankiert durch das elterliche Erziehungsrecht, das auch das Recht zur künstlerischen Erziehung mit umfasst, den Körper ihres z. B. acht Tage alten Säuglings großflächig an Armen, Beinen, Brust und Rücken mit kunstvollen Ornamenten tätowieren lassen. Dies würde ohne Zweifel einen erheblichen Eingriff in das Recht auf körperliche Unversehrtheit ihres Kindes darstellen und wäre deshalb als dem Kindeswohl widersprechend unzulässig und damit strafbar. Denn das Grundrecht des Kindes auf körperliche Unversehrtheit würde dem Grundrecht der Eltern auf Kunstfreiheit eine verfassungsimmanente Grenze ziehen.581 Dieses Ergebnis führt entgegen der die Auffassung Putzkes kritisierenden Ansicht Bielefeldts auch keineswegs dazu, dass jegliches religiöse Handeln nur im Falle seiner rationalen Begründbarkeit und seinem nachgewiesenen Nutzen zulässig wäre. Solange religiöse Handlungen die Rechte Dritter nicht in erheblicher Weise beeinträchtigen, bedürfen sie weder der rationalen Begründbarkeit noch eines objektiv messbaren Nutzens.582 Die Grenze ist aber eindeutig dann überschritten, wenn durch religiöse Handlungen die körperliche Unversehrtheit Dritter irreversibel verletzt und dadurch in erheblichem Umfang Rechte Dritter beeinträchtigt werden, wie dies bei der Zirkumzision der Fall ist. Wäre dies nicht so, liefe der säkulare, zur religiösen Neutralität verpflichtete Rechtsstaat Gefahr, die Bestimmung des Kindeswohls in vollem Umfang, auch hinsichtlich des objektiv zu bestimmenden körperlichen Wohlergehens, den Religionsgemeinschaften zu überlassen. Der staatliche Schutz 580

Grams, S. 332 (335). Bei konsequenter Anwendung der Auffassung Wüstenbergs in GuP, S. 205 (207 ff.), wonach das Vertretungsrecht der Eltern alleine durch „eine (separate) Verbotsvorschrift beschränkt werden könne“, wie z. B. § 1631 Abs. 2 BGB, der zusätzlich zur Verletzung des Körpers eine Verletzung der Seele erfordert, was bei einem wenige Tage alten Säugling vermutlich ausbleibe, weshalb er die Beschneidung jüdischer Säuglinge (vor Einführung des § 1631d BGB) für straffrei, die älterer muslimischer Kinder dagegen für strafbar hält, wäre die Tätowierung des Neugeborenen auf Veranlassung der Eltern wohl straflos. 582 Dies gilt etwa für die im Christentum übliche Taufe, die aus nicht-religiöser Sicht weder rational begründbar ist noch einen objektiven Nutzen mit sich bringt, aber keine irreversible Körperverletzung darstellt. 581

C. Die Zirkumzision als Körperverletzung i.S.d. §§ 223 ff. StGB

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Minderjähriger vor Eingriffen in ihre körperliche Unversehrtheit wäre dann nicht mehr gewährleistet, weil mit dem Argument des religiösen Gebots oder Brauchs, deren Einhaltung dem geistigen oder seelischen Kindeswohl zuträglich seien, Eingriffe in die körperliche Unversehrtheit des Kindes, auch wenn sie nicht unerheblich sind und dauerhafte Beeinträchtigungen nach sich ziehen, hingenommen werden müssten. Dies dürfte wohl von einem überwiegenden Teil der Befürworter von nicht indizierten Beschneidungen Minderjähriger ebenso gesehen werden, was daran deutlich wird, dass sie durchweg versuchen, die Zirkumzision als völlig harmlosen und praktisch folgenlosen Eingriff darzustellen, um damit zu belegen, das im Fall der Beschneidung diese Grenze nicht überschritten wird. Die Ansicht von Beschneidungsbefürwortern, wenn es den Eltern versagt würde, in die nicht medizinisch begründete Beschneidung ihrer noch nicht einwilligungsfähigen Söhne wirksam einzuwilligen, könnten die Söhne jüdischer Eltern bis zu einem bestimmten Alter nicht Juden werden, ist nicht zutreffend. Denn die Beschneidung hat im Judentum – ebenso wie im Islam – gerade keinen konstitutiven Charakter für die Zugehörigkeit zur Religionsgemeinschaft.583 Die möglichen Nachteile einer Ausgrenzung innerhalb des religiös-sozialen Umfeldes, die für Kinder entstehen könnten, wenn ihre Beschneidung bis zum Erreichen der eigenen Einsichts- und Urteilsfähigkeit aufgeschoben wird, wiegen wie ausgeführt im Vergleich zu den erheblichen und irreversiblen körperlichen Nachteilen, die durch die Beschneidung verursacht werden, deutlich geringer. Im Übrigen muss auch den Angehörigen von Glaubensgemeinschaften eine Toleranz gegenüber Andersseienden und Andersdenkenden abverlangt werden. Eine Stigmatisierung (noch) nicht beschnittener Kinder oder Jugendlicher und deren Eltern, die im Interesse des Kindeswohls mit dem Eingriff zuwarten, bis ihre Kinder selbstbestimmt darüber entscheiden können, ob sie den Eingriff vornehmen lassen wollen oder nicht, ist – gerade in einem pluralistischen Rechtsstaat – verfehlt. Stigmatisierungen in der Peergroup wären wohl ohnehin ein passageres Phänomen, denn wenn viele Eltern mit der Beschneidung bis zur eigenen Einwilligungsfähigkeit ihrer Jungen zuwarteten, wäre die Peergroup alsbald dadurch geprägt, dass viele ihrer Mitglieder, bald sogar die Mehrheit, nicht beschnitten sind.584 (3) Grundrecht auf Religionsfreiheit des Kindes vs. Grundrecht auf körperliche Unversehrtheit Nicht überzeugend ist die Ansicht von Beulke/Dießner, mit der Einwilligung in seine medizinisch nicht indizierte Beschneidung übten die Sorgeberechtigten nicht ihr Grundrecht auf Religionsausübungsfreiheit, sondern der Minderjährige selbst sein eigenes Recht auf Religions- und Religionsausübungsfreiheit aus und verzichte insoweit selbst auf sein Grundrecht auf körperliche Unversehrtheit, wobei er wegen seiner Religionsunmündigkeit hierbei von den sorgeberechtigten Eltern vertreten 583 584

Siehe hierzu 2. Kapitel, A. VI. Putzke in: FS für Herzerg, S. 669 (703).

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3. Kap.: Rechtslage vor Inkrafttreten des § 1631d BGB

werde. Angenommen, es gälte noch das Gebot, Gott den erstgeborenen Sohn zu opfern.585 Würde dann dieser Argumentation folgend das Kind selbst – hierbei vertreten durch die Sorgeberechtigten – in Ausübung seines eigenen Grundrechts auf freie Religionsausübung zugunsten derselben auf sein Recht auf Leben verzichten? Oder man denke an die verweigerte Bluttransfusion für das Kind von Angehörigen der Glaubensgemeinschaft der Zeugen Jehovas.586 Verzichtet das nicht einwilligungsfähige Kind in Ausübung seines eigenen Grundrechts auf Glaubens- und Religionsausübungsfreiheit – hierbei vertreten durch die Sorgeberechtigten – auf seine Grundrechte auf Leben und körperliche Unversehrtheit, weil es wegen des in dieser Glaubensgemeinschaft geltenden Gesetzes der Heiligkeit des Blutes den eigenen Tod einer Fremdblutspende vorzieht? Die Beispiele verdeutlichen die Absurdität dieses Ansatzes: Er bemüht das eigene Grundrecht des Kindes auf Religionsfreiheit, in dessen Ausübung das Kind selbst in freien Stücken auf seine körperliche Unversehrtheit verzichte – damit dem irreversiblen Verlust seiner Vorhaut und einem partiellen Verlust sexueller Sensibilität zustimmt –, wobei diese Entscheidung stellvertretend von den Eltern getroffen wird. Mit diesem Kunstgriff über das eigene Grundrecht des Kindes auf Religionsfreiheit soll offensichtlich die Bindung der Entscheidung der Sorgeberechtigten an das Kindeswohl umschifft und das Grundrecht des Kindes auf körperliche Unversehrtheit konterkariert werden, weil das Kind gleichsam selbst darüber entscheide, was es als seinem Wohl entsprechend ansieht, und ihm dabei seine eigene Glaubens- und Religionsausübungsfreiheit wichtiger sei, als seine körperliche Unversehrtheit. Diese Situation soll nach Meinung von Beulke/Dießner mit der einer Patientenverfügung vergleichbar sein. Dieser Vergleich leidet an dem Mangel, dass der Wille des – im Falle jüdischer Glaubenszugehörigkeit bei der Beschneidung acht Tage alten – Kindes schlechterdings nicht feststellbar ist, bei einer Patientenverfügung der Betroffene seinen Willen jedoch gerade vorab geäußert hat. Würde man die Betroffenen mit Eintritt der Einwilligungsfähigkeit fragen, ob die in ihrem Säuglings- oder Kindesalter vorgenommene Zirkumzision ihrem mutmaßlichen Willen entsprochen hat oder nicht, würde sich vermutlich ein deutlich differenzierteres Meinungsbild ergeben. Es liegt daher keineswegs eine mit der Patientenverfügung vergleichbare Situation vor. Dieser Ansatz lässt schlicht den Gesichtspunkt des Kindeswohls außer Acht, indem er darüber hinweg sieht, dass die Sorgeberechtigten auch dann, wenn sie stellvertretend für ihre nicht einwilligungsfähigen Minderjährigen deren Recht auf Religionsfreiheit ausüben, ihre Entscheidung ausschließlich am Kindeswohl orientieren müssen. Es gibt ihnen „nicht die gleiche Freiheit über das Kind, wie sie [die Sorgeberechtigten] für sich selbst beanspruchen“ können.587 Wird bei der Bestimmung des Kindeswohls berücksichtigt, dass durch die Beschneidung unwieder585

2. Mose 22, 28: „Deiner Frucht Fülle und Saft sollst du nicht zurückhalten. Deinen ersten Sohn sollst du mir geben.“ 586 Vgl. hierzu etwa: OLG Celle, NJW 1995, S. 792 ff.; BayObLG, FamRZ 1976, S. 43 ff.; OLG Hamm, FamRZ 1968, S. 221. 587 Isensee, S. 317 (319).

C. Die Zirkumzision als Körperverletzung i.S.d. §§ 223 ff. StGB

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bringlich physiologisch bedeutsames und erogenes Körpergewebe entfernt wird und durch den Eingriff Risiken und dauerhafte Folgen wie der partielle Verlust der sexuellen Empfindsamkeit damit eine Funktionseinbuße eintreten, wird deutlich, dass die medizinisch nicht indizierte Beschneidung weder dem mutmaßlichen Interesse des Kindes entspricht, noch dem Kindeswohl dient, sondern das Kindeswohl gefährdet. Der Kunstgriff über das eigene Grundrecht des Kindes auf Religionsfreiheit ändert daher nichts an dem gefundenen Ergebnis. Darüber hinaus ist zu berücksichtigen, dass das nicht religionsmündige Kind auch Träger des Grundrechts auf negative Religionsfreiheit ist. Zwar können die Eltern gemäß § 5 S. 1 RelKEG bis zum Erreichen der eigenen Religionsmündigkeit des Minderjährigen alleine über dessen Zugehörigkeit zu einer Glaubensgemeinschaft und über dessen religiöse Erziehung entscheiden. Ob der Minderjährige mit Eintritt der Religionsmündigkeit oder später die Glaubensüberzeugung der Eltern, in der er erzogen wurde teilt, ist jedoch völlig offen. Eine irreversible Körperverletzung als dauerhaftes Zeichen der Zugehörigkeit zu einer bestimmten Glaubensgemeinschaft, „vergleichbar mit einer Brandmarkung“588 verletzt nicht nur das Grundrecht des Kindes auf körperliche Unversehrtheit, sondern auch dessen Grundrecht auf religiöse Selbstbestimmung. Wie das Bundesverfassungsgericht bereits in dem sogenannten „Kruzifix-Beschluss“589 entschieden hat, schützt das Grundrecht auf negative Religionsfreiheit auch das individuelle Recht jedes Menschen, zu entscheiden, ob und welche religiösen Symbole er anerkennt oder ablehnt.590 Dieser Schutz gegenüber „nicht invasiven christlichen Symbolen“591 muss im Sinne eines argumentum a fortiori erst Recht einen Schutz zur Abwehr solcher Symbole verleihen, die mit irreversiblen Körperverletzungen verbunden sind. Daran ändert auch der – vom Landgericht Köln verkannte – Umstand nichts, dass es selbstverständlich auch Beschnittenen möglich ist, später die Religionszugehörigkeit zu wechseln. 5. Zwischenergebnis Im Ergebnis zutreffend hat das Landgericht Köln daher festgestellt, dass die Einwilligung der Eltern des vierjährigen Jungen in dessen medizinisch nicht indizierte Beschneidung nicht dem Kindeswohl entsprach. Damit war sie rechtsunwirksam und konnte keine die Körperverletzungshandlung rechtfertigende Wirkung entfalten.

588 589 590 591

Czerner, S. 374 (381). BVerfGE, Fn. 566. BVerfGE 93, S. 1 (16). Czerner, S. 374 (381).

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3. Kap.: Rechtslage vor Inkrafttreten des § 1631d BGB

VIII. Schuld Das Landgericht Köln sprach den angeklagten Arzt dennoch frei, weil er „in einem unvermeidbaren Verbotsirrtum und damit ohne Schuld“ gehandelt habe. Er habe glaubhaft geschildert, guten Gewissens gehandelt zu haben und sei davon ausgegangen, dass er als frommer Muslim und Arzt die Beschneidung aus religiösen Gründen habe durchführen dürfen und dies auch sicher rechtmäßig sei. Dass er sich zuvor nicht bei fachkundiger Stelle Rechtsrat eingeholt habe, dürfe ihm nicht zum Nachteil gereichen, denn dies hätte zu keinem eindeutigen Ergebnis geführt. Denn die Frage der Rechtmäßigkeit nicht medizinisch indizierter Beschneidungen von Knaben werde in Rechtsprechung und Literatur unterschiedlich beantwortet. In derartigen Fällen, in denen die Rechtslage insgesamt sehr unklar sei, müsse ein unvermeidbarer Verbotsirrtum angenommen werden. Gemäß § 17 S. 1 StGB handelt ein Täter ohne Schuld, wenn ihm bei der Tatbegehung die Einsicht fehlte, Unrecht zu tun, und er diesen Irrtum nicht vermeiden konnte. Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs setzt die Unvermeidbarkeit eines Verbotsirrtums voraus, dass „der Täter sein Gewissen anspanne“592 und „alle seine geistigen Erkenntniskräfte eingesetzt und etwa aufkommende Zweifel durch Nachdenken oder erforderlichenfalls durch Einholung verlässlichen und sachkundigen Rechtsrats beseitigt hat“.593 Dagegen ist der Verbotsirrtum vermeidbar, wenn dem Täter sein Vorhaben zum Zeitpunkt der Tathandlung „unter Berücksichtigung seiner Fähigkeiten und Kenntnisse hätte Anlass geben müssen, über dessen mögliche Rechtswidrigkeit nachzudenken oder sich zu erkundigen.“594 Der Angeklagte war zum Zeitpunkt der Durchführung der Zirkumzision davon ausgegangen, dass die von ihm als Arzt lege artis durchgeführte Beschneidung mit Einwilligung der Eltern rechtlich zulässig sei. Zum Zeitpunkt der Tathandlung wurden hierzulande seit langem und von den staatlichen Behörden unbeanstandet durch Ärzte lege artis medizinisch nicht indizierte Zirkumzisionen an männlichen Minderjährigen auf Veranlassung und mit Einwilligung der Sorgeberechtigten aus religiösen Motiven vorgenommen. Auch unter Einsatz seiner „geistigen Erkenntniskräfte“ mussten bei dem Angeklagten daher keine Zweifel an der rechtlichen Legitimität des Eingriffs aufkommen. Zwar war – wie oben dargestellt – zum Zeitpunkt der vom Landgericht Köln zu beurteilenden Tat die Rechtslage unklar. Denn weder ergab sich aus der Judikatur ein klares Bild noch wurden in der Literatur einheitliche Auffassungen vertreten. Zumindest seit dem Jahr 2008 wurde die Frage der Zulässigkeit medizinisch nicht indizierter Beschneidungen in der juristischen Literatur lebhaft diskutiert. Diese seinerzeit geführte Diskussion beschränkte sich allerdings 592 Sternberg-Lieben/Schuster in: Schönke/Schröder, 29. Aufl., § 17, Rn. 14; Fischer, 61. Aufl., § 17 Rn. 8. 593 BGH NStZ 2013, S. 461 f. 594 Fischer, 61. Aufl., § 17 Rn. 7; zu den in diesem Zusammenhang bestehenden Sorgfaltspflichten siehe auch: Sternberg-Lieben/Schuster in: Schönke/Schröder, 29. Aufl., § 17, Rn. 17.

D. Ergebnis

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auf juristische Fachkreise und war in breiteren gesellschaftlichen oder auch nur ärztlichen Kreisen weitgehend unbekannt. An der gängigen Praxis der religiös motivierten Beschneidung männlicher Minderjähriger änderte sie nichts. In Krankenhäusern und Arztpraxen wurden weiterhin zahlreiche nicht medizinisch indizierte Beschneidungen aus religiösen Motiven vorgenommen, ohne dass dies – wenn der Einriff lege artis durchgeführt wurde – von Behörden oder gar Strafverfolgungsorganen beanstandet worden wäre. Aus Sicht des angeklagten Arztes bestand daher keine Veranlassung, sich zu der Frage der rechtlichen Zulässigkeit nicht indizierter Beschneidungen männlicher Minderjähriger aus religiösen Motiven Rechtsrat einzuholen. Das Landgericht Köln hätte daher bereits mit der Begründung, dass für den Angeklagten keine Notwendigkeit bestanden hatte, Rechtsrat einzuholen, den unvermeidbaren Verbotsirrtum annehmen können.595 Im Ergebnis hat das Landgericht Köln den Angeklagten daher zutreffend wegen Vorliegens eines unvermeidbaren Verbotsirrtums gem. § 17 S. 1 StGB freigesprochen. Die Kritik hieran, das Urteil sei „ärgerlich“,596 weil das Gericht durch die Annahme eines unvermeidbaren Verbotsirrtums mit einem „juristischen Trick“597 „die weitreichende Frage keiner weiteren Instanz vorgelegt“598 und so eine höchstrichterliche Entscheidung verhindert habe, stellt nicht nur eine unangebrachte Richterschelte dar, sondern ist auch sachlich unzutreffend. Offensichtlich haben die Kritiker übersehen, dass die Staatsanwaltschaft gegen das den Angeklagten freisprechende Urteil ohne weiteres das Rechtsmittel der Revision hätte einlegen können.

D. Ergebnis Das Landgericht Köln hat in seinem „Beschneidungs-Urteil“ zutreffend festgestellt, dass die Einwilligung der Sorgeberechtigten in eine medizinisch nicht indizierte Beschneidung ihres selbst noch nicht einwilligungsfähigen männlichen Kindes nicht dem Kindeswohl entspricht und damit keine die tatbestandsmäßige Körperverletzungshandlung rechtfertigende Wirkung entfaltet, weil dem Grundrecht des betroffenen Kindes auf körperliche Unversehrtheit im Rahmen der Abwägung mit den widerstreitenden Grundrechten auf Religionsfreiheit und elterlichem Erziehungsrecht der Vorrang gebührt. Durch das elterliche Erziehungsrecht und das Grundrecht auf freie Religionsausübung sind die Personensorgeberechtigten berechtigt, das Kind religiös zu erziehen und ihm in diesem Rahmen religiöse Über-

595

Bartsch, S. 603 (608). So etwa Beulke/Dießner, S. 338 (345). 597 Beck/Künast, in: Berliner Zeitung vom 09. 07. 2012, http://www.berliner-zeitung.de/kul tur/beschneidungs-debatte-das-ist-keine-straftat,10809150,16572948.html (zuletzt aufgerufen 14. 04. 2014). 598 Widmann, S. 219. 596

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3. Kap.: Rechtslage vor Inkrafttreten des § 1631d BGB

zeugungen zu vermitteln. Dem sind jedoch da Grenzen gesetzt, wo die (religiöse) Erziehung mit erheblichen Verletzungen der körperlichen Unversehrtheit einhergeht. Die Ansichten der Beschneidungsbefürworter halten demgegenüber einer rechtlichen Überprüfung nicht stand. Es verwundert nicht, dass sie sich mit erheblichem Aufwand bemühen müssen, die männliche Zirkumzision als leichten und völlig harmlosen Eingriff, der keine nennenswerten negativen Folgen nach sich ziehe, sondern im Gegenteil sogar gesundheitlich vorteilhaft sei, darzustellen. Denn nur mit dieser Argumentation ist es überhaupt vertretbar, im Rahmen der Grundrechteabwägung dem Erziehungs- und Religionsausübungsrecht der Eltern den Vorrang vor dem Grundrecht des Kindes auf körperliche Unversehrtheit einräumen zu können. Anhand der neueren medizinisch-wissenschaftlichen Erkenntnisse wird allerdings zweifelsfrei deutlich, dass es sich bei der Beschneidung um einen gravierenden Eingriff in die körperliche Integrität des Kindes handelt, der nicht nur mit nicht unerheblichen Risiken, sondern auch mit dauerhaften, irreversiblen Folgen verbunden ist. Der Grund für den hohen Argumentationsaufwand für die Zulässigkeit nicht indizierter Beschneidungen bereits im Säuglings- oder Kindesalter dürfte möglicherweise auch der Angst der Eltern geschuldet sein, ihr Kind könnte sich, wenn sie mit der Entscheidung über die Beschneidung bis zum Eintritt der Einwilligungsfähigkeit abwarten, gegen den Eingriff aussprechen. Dies gab schon Philon von Alexandria599 zu bedenken, der es gutgeheißen hatte, die Beschneidung bereits am Neugeborenen vorzunehmen, „bevor es die Möglichkeit hat, selbst zu wählen“, weil es als „Erwachsener […] zögern [könnte], sich dieser Prozedur freiwillig zu unterziehen“.600 Dass diese Angst auch heute noch besteht, zeigt sich etwa daran, dass die Beschneidungsbefürworter befürchten, die von Beschneidungsgegnern angestellten Überlegungen einer Wartezeit bis zum Erreichen der Einwilligungsfähigkeit könnten „zur selbstbestimmten (Verweigerung der) Beschneidung“601 führen. Das Landgericht Köln hat die bisherige Rechtslage daher im Ergebnis zutreffend beurteilt. Die Kodifizierung des § 1631d BGB hatte somit nicht lediglich klarstellenden Charakter. Um eine nicht medizinisch indizierte Beschneidung nicht einwilligungsfähiger Minderjähriger zu legitimieren und damit den Angehörigen der Religionsgemeinschaften, die sich auf die religiöse Tradition der Beschneidung ihrer männlichen Säuglinge oder Kinder berufen, zu ermöglichen, an diesem Brauch auch hierzulande festzuhalten, war eine gesetzliche Regelung erforderlich. Im Folgenden ist zu überprüfen, ob die mit der Regelung des § 1631d BGB beabsichtigte Intention des Gesetzgebers erreicht wurde, für die betreffenden Religionsangehörigen sowie für Ärzte und nichtärztliche religiöse Beschneider Rechtssicherheit zu schaffen und medizinisch nicht indizierte Beschneidungen männlicher Minderjähriger rechtlich zu ermöglichen. 599 600 601

Vgl. 2. Kapitel, A. II. Gollaher, S. 27. Beulke/Dießner, S. 338 (345).

4. Kapitel

Rechtslage nach Inkrafttreten des § 1631d BGB A. Gang des Gesetzgebungsverfahrens I. Gesetzentwurf der Bundesregierung Der Deutsche Bundestag forderte mit Beschluss vom 19. 07. 2012, also nur zweieinhalb Monate nach dem Bekanntwerden des Urteils des Landgerichts Köln vom 07. 05. 2012, auf Antrag der Fraktionen von Union, Sozialdemokraten und Freien Demokraten die Bundesregierung auf, „unter Berücksichtigung der grundgesetzlich geschützten Rechtsgüter des Kindeswohls, der körperlichen Unversehrtheit, der Religionsfreiheit und des Rechts der Eltern auf Erziehung einen Gesetzentwurf vorzulegen, der sicherstellt, dass eine medizinisch fachgerechte Beschneidung von Jungen ohne unnötige Schmerzen grundsätzlich zulässig“ sei.602 Dem leistete die Bundesregierung unter Federführung des Bundesministeriums der Justiz zügig Folge. Sie beschloss einen „Entwurf eines Gesetzes über den Umfang der Personensorge bei einer Beschneidung des männlichen Kindes“, der dem Bundestagspräsidenten mit Drucksache vom 05. 11. 2012 zur Beschlussfassung durch den Bundestag vorgelegt wurde.603 Der Gesetzentwurf sah vor, dass das Recht der Personensorge im BGB durch Einfügung eines neuen § 1631d mit folgenden Wortlaut ergänzt wird: „(1) Die Personensorge umfasst auch das Recht, in eine medizinisch nicht erforderliche Beschneidung des nicht einsichts- und urteilsfähigen männlichen Kindes einzuwilligen, wenn diese nach den Regeln der ärztlichen Kunst durchgeführt werden soll. Dies gilt nicht, wenn durch die Beschneidung auch unter Berücksichtigung ihres Zwecks das Kindeswohl gefährdet wird. (2) In den ersten sechs Monaten nach der Geburt des Kindes dürfen auch von einer Religionsgesellschaft dazu vorgesehene Personen Beschneidungen gemäß Absatz 1 durchführen, wenn sie dafür besonders ausgebildet und, ohne Arzt zu sein, für die Durchführung der Beschneidung vergleichbar befähigt sind.“

Zur Begründung des Gesetzentwurfs führte die Bunderegierung an, durch das Urteil des Landgerichts Köln sei bei vielen Eltern und in der medizinischen Praxis Rechtsunsicherheit entstanden, denn bis zum Bekanntwerden des Urteils sei es „in 602 603

Bundestagsdrucksache 17/10331 vom 19. 07. 2012. Bundestagsdrucksache 17/11295 vom 05. 11. 2012.

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4. Kap.: Rechtslage nach Inkrafttreten des § 1631d BGB

der Rechtspraxis unbestritten [gewesen], dass Eltern grundsätzlich auch in eine nicht medizinisch indizierte, zum Beispiel religiös motivierte Zirkumzision rechtswirksam einwilligen“ könnten.604 Mit dem Gesetzentwurf solle diese Rechtsunsicherheit wieder beseitigt werden. Es sei „klarzustellen, dass die Personensorge der Eltern grundsätzlich auch das Recht umfasst, […] in eine Beschneidung ihres nicht einsichts- und urteilsfähigen Sohnes einzuwilligen“.605 Die mit einer chirurgisch durchgeführten Zirkumzision verbundenen Risiken seien gering, es würden Komplikationsraten von ca. 2 %, bei Neugeborenen sogar nur 0,2 % angegeben. Ob der mit der Beschneidung einhergehende Verlust der an der Vorhaut befindlichen Rezeptoren Auswirkungen auf das sexuelle Erleben des Betroffenen und seiner Sexualpartner hätte, sei in der Wissenschaft ebenso umstritten wie die Frage möglicher Traumatisierungen der betroffenen Kinder durch die Beschneidung. Die American Academy of Pediatrics habe im August 2012 erklärt, „dass die gesundheitlichen Vorteile beschnittener Neugeborener schwerer wögen als die Risiken“.606 Angesichts dessen, dass weltweit ca. 30 % der Männer beschnitten seien, könne der Besorgnis einer Traumatisierung die vom Deutschen Ethikrat erwähnte „Evidenz normaler Lebenswege“ entgegengehalten werden.607 Die religiös motivierte Beschneidung sei als jahrtausendealtes Ritual „in der Vergangenheit in Deutschland stets erlaubt“ gewesen und nach zutreffender Rechtsauffassung „auch in Deutschland nach dem geltenden Recht grundsätzlich erlaubt“.608 Bei der Darstellung der grundrechtlichen Rahmenbedingungen werden die Rechte der Eltern zur Pflege und Erziehung ihrer Kinder aus Art. 6 Abs. 2 S. 1 GG und auf Religionsfreiheit aus Art. 4 Abs. 1 und 2 GG genannt und unter Bezugnahme auf Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts darauf hingewiesen, dass „in der Beziehung der Eltern zum Kind […] das Kindeswohl die oberste Richtschnur sein“609 müsse und dann, wenn „die Interessen der Eltern mit dem Wohl des Kindes in Widerstreit“ gerieten, „das Kindeswohl Vorrang“610 habe. Sodann werden die Grundrechte des Kindes auf Entfaltung seiner Persönlichkeit gem. Art. 1 Abs. 1 GG i.V.m. Art. 2 Abs. 1 GG, auf eigene Religionsfreiheit gem. Art. 4 Abs. 1 GG und auf körperliche Unversehrtheit aus Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG erwähnt, wobei darauf hingewiesen wird, dass letzteres nicht nur den Schutz vor staatlichen Eingriffen umfasse, sondern „zugleich verfassungsrechtliche Schutzpflichten, bei deren Erfüllung dem Gesetzgeber allerdings ein weiter Einschätzungs-, Wertungs- und Gestaltungsbereich“ zukomme. Über einen Eingriff in die körperliche Unversehrtheit des Kindes entschieden „im Grundsatz letztlich die 604

Bundestagsdrucksache 17/11295 vom 05. 11. 2012, S. 6. Bundestagsdrucksache 17/11295 vom 05. 11. 2012, S. 14, 16. 606 Bundestagsdrucksache 17/11295 vom 05. 11. 2012, S. 8; dass der Deutsche Berufsverband der Kinder- und Jugendärzte dem widersprochen hat, lässt die Begründung des Gesetzentwurfs unerwähnt. 607 Bundestagsdrucksache 17/11295 vom 05. 11. 2012, S. 9. 608 Bundestagsdrucksache 17/11295 vom 05. 11. 2012, S. 11. 609 Bundestagsdrucksache 17/11295 vom 05. 11. 2012, S. 12; BVerfGE 60, S. 358 (372). 610 Bundestagsdrucksache 17/11295 vom 05. 11. 2012, S. 12; BVerfGE 37, S. 217 (252). 605

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Eltern“, wobei ihnen Grenzen, etwa bei der Wahl der zulässigen Erziehungsmittel durch § 1631 Abs. 2 BGB gesetzt würden, wonach Kinder ein Recht auf gewaltfreie Erziehung haben.611 Die weibliche Genitalverstümmelung unterscheide sich „grundlegend“ von der männlichen Beschneidung, auch wenn sie „in einigen islamisch geprägten Ländern auch religiös begründet“ werde. Ohne eine Differenzierung zwischen verschiedenen Formen und Schweregraden vorzunehmen, wird darauf hingewiesen, dass es sich dabei stets um eine gefährliche Körperverletzung i.S.d. § 224 StGB, gegebenenfalls auch um eine schwere Körperverletzung gem. § 226 StGB handle.612 Ferner wird darauf hingewiesen, dass der Gesetzentwurf weder der UN-Kinderrechtekonvention (KRK), der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK), dem Internationalen Pakt über bürgerliche und politische Rechte (IPBPR) noch dem EU-Recht widerspreche.613 Im besonderen Teil der Begründung des Gesetzentwurfs wird zunächst die Stellung des § 1631d BGB im Recht der Personensorge damit begründet, dass die Frage, ob Eltern in Eingriffe in die körperliche Unversehrtheit ihrer Kinder einwilligen könnten, „grundsätzlich eine kindschaftsrechtliche Frage und daher primär dort zu verorten“ sei.614 So habe auch das Landgericht Köln seine Entscheidung damit begründet, dass Eltern nicht in die medizinisch nicht indizierte Beschneidung ihres einwilligungsunfähigen Sohnes einwilligen könnten. Durch die Einbettung im Recht der Personensorge solle verdeutlicht werden, dass die Einwilligung in die Beschneidung im Rahmen der Sorgerechtsausübung zulässig sei. Im weiteren wird dargelegt, dass es sich bei dem Entwurf des § 1631d BGB nicht um religiöses Sonderrecht, sondern um eine allgemeine Regelung ohne religiösen Bezug handle, weil Eltern aus unterschiedlichsten Motiven eine Beschneidung für kindeswohldienlich halten könnten. Zwar sei sie häufig religiös motiviert, aber z. B. die Alevitische Gemeinde hätte darauf hingewiesen, dass die bei ihr praktizierte Beschneidung in erster Linie ein tradierter „kultureller Ritus“ sei. Auch könne eine Beschneidung aus präventiv-medizinischen Gründen „Ausdruck von im Interesse des Kindes gelebter Elternverantwortung sein“. In allen diesen Fällen unterfalle die Beschneidung nicht dem Verbot des § 1631 Abs. 2 BGB, weil es sich „nicht um eine (verbotene) Erziehungsmaßnahme als Sanktion für ein Fehlverhalten des Kindes“ handle, sondern es um dessen Wohlergehen gehe.615 Indem die Einwilligung der Sorgeberechtigten in die nicht medizinisch indizierte Beschneidung ihres Kindes an bestimmte Voraussetzungen geknüpft sei, erfülle der Staat sein Wächteramt aus Art. 6 Abs. 2 S. 2 GG und seine grundrechtliche Schutzpflicht für die körperliche Unversehrtheit des Kindes. Bei diesen Voraussetzungen handle es sich um die Durchführung „nach den Regeln der ärztlichen Kunst“, zu der auch eine „effektive 611 612 613 614 615

Bundestagsdrucksache 17/11295 vom 05. 11. 2012, S. 13. Bundestagsdrucksache 17/11295 vom 05. 11. 2012, S. 14. Bundestagsdrucksache 17/11295 vom 05. 11. 2012, S. 14 f. Bundestagsdrucksache 17/11295 vom 05. 11. 2012, S. 16. Bundestagsdrucksache 17/11295 vom 05. 11. 2012, S. 16.

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4. Kap.: Rechtslage nach Inkrafttreten des § 1631d BGB

Schmerzbehandlung“ zähle, das Erfordernis der „umfassenden Aufklärung“ und die „Berücksichtigung des Kinderwillens“.616 Im Rahmen des staatlichen Wächteramtes sei der Staat nicht berufen, gegen eine aus „kindeswohlgetragenen Gründen und fachgerecht durchgeführten Beschneidung ohne besondere Risiken“ einzuschreiten; dies sei nur dann der Fall, „wenn durch die Beschneidung auch unter Berücksichtigung ihres Zwecks im Einzelfall das Kindeswohl gefährdet“ werde, was durch § 1631d Abs. 1 S. 2 BGB gesichert werde. Im Einzelfall könne eine Beschneidung z. B. das Kindeswohl gefährden, wenn sie aus rein ästhetischen Gründen oder zur Erschwerung der Masturbation durchgeführt werden solle.617 Zu Abs. 2 wird in der Begründung des Gesetzentwurfs ausgeführt, dass die Regelung es den von den Religionsgemeinschaften für die Durchführung der Beschneidung speziell vorgesehenen Personen ermöglichen solle, „ihre Tätigkeit auch in Zukunft auszuüben“, womit „dem grundrechtlichen Schutz der Religionsfreiheit und der Freiheit der Religionsgesellschaften zur selbständigen Ordnung und Verwaltung ihrer Angelegenheiten“ Rechnung getragen werde, was jedoch mit Blick auf die Schutzpflicht des Staates für die körperliche Unversehrtheit nur in den ersten sechs Monaten nach der Geburt möglich sein solle.618 Diese Regelung sei jedoch auf Personen beschränkt, die eine „besondere Ausbildung für die Vornahme von Beschneidungen absolviert“ hätten, was eine „dem Arzt vergleichbare Befähigung“ voraussetze. Hierzu gehörten „vertiefte Kenntnisse und Fertigkeiten im Umgang mit Hygiene, Desinfektion und Sterilität sowie über die Erstversorgung in – seltenen, aber nicht auszuschließenden – akuten Zuständen und Notfällen.“ Ferner müsse die Person die „erforderliche ordnungsgemäße und besonders umfassende Aufklärung der Eltern gewährleisten können.“ Ein bestimmtes Verfahren, durch das diese Personen von den Religionsgemeinschaften vorgesehen werden, sei jedoch ebenso wenig erforderlich wie eine behördliche Erlaubnis. Darüber hinaus blieben spezialgesetzlich geregelte Arztvorbehalte unberührt.619

II. Alternativentwurf der Abgeordneten Rupprecht u. a. Die Bundestagsabgeordnete Marlene Rupprecht und weitere 65 Abgeordnete brachten einen alternativen Gesetzentwurf620 ein, nach welchem der neu in das BGB einzufügende § 1631d wie folgt formuliert werden sollte: „Die Personensorge umfasst auch das Recht, in eine medizinisch nicht erforderliche Beschneidung des männlichen Kindes einzuwilligen, wenn es das 14. Lebensjahr vollendet hat, 616 617 618 619 620

Bundestagsdrucksache 17/11295 vom 05. 11. 2012, S. 17 f. Bundestagsdrucksache 17/11295 vom 05. 11. 2012, S. 18. Bundestagsdrucksache 17/11295 vom 05. 11. 2012, S. 18. Bundestagsdrucksache 17/11295 vom 05. 11. 2012, S. 19. Bundestagsdrucksache 17/11430 vom 08. 11. 2012.

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einsichts- und urteilsfähig ist, der Beschneidung zugestimmt hat und diese nach den Regeln der ärztlichen Kunst von einer Ärztin oder einem Arzt mit der Befähigung zum Facharzt für Kinderchirurgie oder Urologie durchgeführt werden soll. Dies gilt nicht, wenn durch die Beschneidung auch unter Berücksichtigung ihres Zwecks das Kindeswohl gefährdet wird.“621

Die 66 Abgeordneten begründeten ihren alternativen Gesetzentwurf ebenfalls mit der durch das Urteil des Landgerichts Köln herbeigeführten Rechtsunsicherheit. Durch das Gesetz solle dadurch Rechtssicherheit geschaffen werden, dass klargestellt werde, „dass und unter welchen Voraussetzungen Eltern im Rahmen ihrer elterlichen Sorge berechtigt sind, in eine nicht medizinisch indizierte Beschneidung ihres Sohnes einzuwilligen“. Im Hinblick auf Schwere und Irreversibilität des Eingriffs solle dies allerdings nur möglich sein, wenn das Kind das 14. Lebensjahr vollendet hat, selbst einsichts- und urteilsfähig ist, der Beschneidung zugestimmt hat und der Eingriff von einer Ärztin oder einem Arzt mit der Befähigung zum Facharzt für Kinderchirurgie oder Urologie durchgeführt werden soll. Es wird darauf hingewiesen, dass die Beschneidung zwar weltweit verbreitet ist, die gewonnenen Erkenntnisse über die menschliche Sexualität und darüber, dass die frühere Annahme, Neugeborene hätten noch kein oder lediglich ein unterentwickeltes Schmerzempfinden, falsch gewesen sei, jedoch in den letzten Jahrzehnten zu einem Umdenken geführt hätten und die Deutsche Akademie für Kinder- und Jugendmedizin sowie der Berufsverband der Kinder- und Jugendärzte nicht medizinisch indizierte Beschneidungen ablehnten.622 Unter Hinweis auf den Aufbau und die wichtige Funktion der Vorhaut – die bei einer Beschneidung in der Regel vollständig entfernt wird –, die Risiken des Eingriffs und die irreversiblen Folgen wie den Verlust „von großen Teilen der Penishaut, insbesondere der sensorisch wichtigsten Teile“ und die hieraus resultierenden Folgen gelangen die Abgeordneten zu der Folgerung, dass es sich bei der Zirkumzision um „einen schmerzvollen, mit Risiken behafteten chirurgischen Eingriff, der zu einer irreversiblen Entfernung eines hochsensiblen, erogenen und funktional wichtigen Körperteils führt“, handle.623 Die Einwilligung der Sorgeberechtigten in einen die körperliche Unversehrtheit der Kinder verletzenden Eingriff entspreche deshalb, soweit er nicht medizinisch indiziert sei, nicht dem Kindeswohl und sei daher nicht mehr allein an eine Entscheidung der Sorgeberechtigten gebunden, sondern müsse „die Entscheidung des einsichts- und urteilsfähigen Kindes zur Voraussetzung haben“.624

621 622 623 624

Bundestagsdrucksache 17/11430 vom 08. 11. 2012, S. 4. Bundestagsdrucksache 17/11430 vom 08. 11. 2012, S. 5. Bundestagsdrucksache 17/11430 vom 08. 11. 2012, S. 6. Bundestagsdrucksache 17/11430 vom 08. 11. 2012, S. 7.

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4. Kap.: Rechtslage nach Inkrafttreten des § 1631d BGB

III. Änderungsanträge zum Gesetzentwurf Neben dem Alternativentwurf wurden mehrere Änderungsanträge625 verschiedener Gruppen von Bundestagsabgeordneten gestellt. 1. Änderungsantrag der Abgeordneten Lischka u. a. Der Änderungsantrag der Abgeordneten Lischka u. a. sah vor, dass der Gesetzestext des Regierungsentwurfs in § 1631d Abs. 1 S. 1 BGB nach dem ersten Halbsatz noch um die Worte „nach vorangegangener ärztlicher Aufklärung“626 ergänzt und die Regelung um folgenden Abs. 3 erweitert wird: „(3) Das Bundesministerium für Gesundheit wird ermächtigt, durch Rechtsverordnung das Nähere hinsichtlich 1. der Ausbildungsvoraussetzungen und Befähigungsnachweis der nichtärztlichen Beschneider, 2. der Anforderungen und Modalitäten des Eingriffs, insbesondere der Schmerzbehandlung, 3. der Anforderungen an die Ermittlung und Feststellung eines entwicklungsabhängigen Vetorechts des minderjährigen männlichen Kindes bei erkennbarer Abwehrreaktion gegen eine Beschneidung zu regeln.“627

Ferner sollte Art. 2 des Gesetzes folgender Abs. 2 hinzugefügt werden: „Die Regelungen dieses Gesetzes sind innerhalb von fünf Jahren ab Inkrafttreten von dem Bundesministerium der Justiz im Einvernehmen mit dem Bundesministerium der Gesundheit zu evaluieren. In diesem Zeitraum unterzieht das Bundesministerium der Justiz in Abstimmung mit dem Bundesministerium der Gesundheit unter Hinzuziehung von Experten aus Wissenschaft und Praxis die neuen gesetzlichen Regelungen einer eingehenden Überprüfung hinsichtlich der Erfahrungen in der Praxis. Die Bundesregierung unterrichtet den Bundestag bis zum 31. Dezember 2018 über die Ergebnisse der Evaluierung.“628

Zur Begründung wurde angeführt, dass das durch den Gesetzentwurf der Bundesregierung bezweckte Ziel, „Rechtssicherheit für alle Beteiligten“ zu schaffen, zwar grundsätzlich erreichbar sei, der Regierungsentwurf jedoch gleichwohl Unklarheiten enthalte, die „bei der Auslegung zu gerichtlichen Urteilen führen könnten, die dem Ziel des Gesetzes zuwider liefen“. So sei es erforderlich, in dem Gesetzestext klarzustellen, dass die nicht medizinisch indizierte Beschneidung „in jedem Fall der 625 Änderungsantrag der Abgeordneten Burkhard Lischka u. a., Ausschussdrucksache 17(6) 214 vom 21. 11. 2012; Änderungsantrag der Abgeordneten Jerzy Montag u. a., Ausschussdrucksache 17(6)216 vom 23. 11. 2012; Änderungsantrag der Abgeordneten Carola Reimann u. a., Bundestagsdrucksache 17/11835 vom 12. 12. 2012. 626 Änderungsantrag der Abgeordneten Burkhard Lischka u. a., Ausschussdrucksache 17(6) 214 vom 21. 11. 2012, S. 1. 627 Änderungsantrag der Abgeordneten Burkhard Lischka u. a., Ausschussdrucksache 17(6) 214 vom 21. 11. 2012, S. 1. 628 Änderungsantrag der Abgeordneten Burkhard Lischka u. a., Ausschussdrucksache 17(6) 214 vom 21. 11. 2012, S. 2.

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vorherigen ärztlichen Aufklärung über Art, Umfang und Folgen des Eingriffs“ bedürfe. Diesbezüglich lasse der Regierungsentwurf „Raum für Zweifel“. Denn die Formulierung in der Begründung des Gesetzentwurfs der Bundesregierung, wonach der nichtärztliche Beschneider eine ordnungsgemäße und umfassende Aufklärung gewährleisten können müsse, könne dahin ausgelegt werden, dass die Aufklärung auch durch den nichtärztlichen Beschneider durchgeführt werden könnte, was jedoch der ständigen höchstrichterlichen Rechtsprechung widerspreche, wonach die Aufklärung über einen operativen Eingriff „nur durch einen approbierten Arzt erfolgen“ könne.629 Darüber hinaus sei es erforderlich, durch Anforderungen einerseits an die Qualifikation nichtärztlicher Beschneider und andererseits an die Modalitäten des Eingriffs, insbesondere der Schmerzbehandlung „einheitliche Standards auf einer sicheren Rechtsgrundlage“ zu schaffen. So müsse sichergestellt werden, dass bei Durchführung der Beschneidung durch nichtärztliche Beschneider Rituale wie z. B. die jüdisch-orthodoxe Metzitza B’peh, die mit einem hohen Infektionsrisiko verbunden sei, nicht erlaubt seien.630 Schließlich müsse auch gewährleistet werden, dass der entgegenstehende Wille des nicht einsichts- und urteilsfähigen Kindes berücksichtigt werden müsse, etwa wenn dieses seinen entgegenstehenden Willen unmissverständlich zum Ausdruck bringt, was auch „durch ein rein physisches Abwehrverhalten bzw. nonverbale Kommunikation geschehen“ könne.631 Diese Regelungspunkte sollten in einer Rechtsverordnung kodifiziert werden. Da durch die einzuführende Norm die Knabenbeschneidung erstmals gesetzlich normiert werde, sei es geboten, durch die nach Ablauf von fünf Jahren vorgeschlagene Evaluierung zu prüfen, ob sich die Norm bewährt habe, oder ob bei der praktischen Umsetzung der Regelung Probleme aufträten.632 2. Änderungsantrag der Abgeordneten Montag u. a. Die Abgeordneten Montag u. a. stellten den Antrag, den § 1631d Abs. 1 S. 2 BGB wie folgt zu fassen: „Dies gilt nicht, wenn das Kind einen entgegenstehenden Willen zum Ausdruck bringt oder durch die Beschneidung auch unter Berücksichtigung ihres Zwecks das Kindeswohl gefährdet wird.“633 629

Änderungsantrag der Abgeordneten Burkhard Lischka u. a., Ausschussdrucksache 17(6) 214 vom 21. 11. 2012, S. 3. 630 Änderungsantrag der Abgeordneten Burkhard Lischka u. a., Ausschussdrucksache 17(6) 214 vom 21. 11. 2012, S. 5. 631 Änderungsantrag der Abgeordneten Burkhard Lischka u. a., Ausschussdrucksache 17(6) 214 vom 21. 11. 2012, S. 6. 632 Änderungsantrag der Abgeordneten Burkhard Lischka u. a., Ausschussdrucksache 17(6) 214 vom 21. 11. 2012, S. 6. 633 Änderungsantrag der Abgeordneten Jerzy Montag u. a., Ausschussdrucksache 17(6)216 vom 23. 11. 2012.

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4. Kap.: Rechtslage nach Inkrafttreten des § 1631d BGB

Ferner beantragten sie, dass in § 1631d Abs. 2 BGB die Worte „sechs Monaten“ durch die Worte „vierzehn Tage“ ersetzt werden. Die ausdrückliche Aufnahme der Berücksichtigung eines entgegenstehenden Willens des Kindes wurde von den Abgeordneten Montag u. a. damit begründet, dass auch nach der Begründung des Regierungsentwurfs unterhalb der Schwelle der Einwilligungsfähigkeit ein ernsthaft und unmissverständlich zum Ausdruck gebrachter Wille des Kindes nicht irrelevant sei, der Gesetzestext des Regierungsentwurfs aber eine ausdrückliche Beachtung des Kindeswillens nicht vorsehe. In der Begründung sei lediglich die Rede davon, dass der Wille des Kindes im Einzelfall Berücksichtigung finden könne und die Eltern sich mit dem Kindeswillen auseinander setzen müssten. Dies sei jedoch „zu wenig“. Statt dessen müsse im Gesetzestext ausdrücklich festgehalten werden, „dass eine Einwilligung der Eltern in eine Beschneidung ihres nicht einsichts- und urteilsfähigen Sohnes gegen seinen ernsthaft und unmissverständlich zum Ausdruck gebrachten Willen nicht möglich ist“.634 Denn auch noch nicht einwilligungsfähige Kinder seien durchaus in der Lage, ihren einer Beschneidung entgegen stehenden Willen zu äußern. Dies könne auch nonverbal geschehen. In solchen Fällen solle eine Einwilligung der Eltern in die Beschneidung nicht möglich sein. Ferner müsse der in § 1631d Abs. 2 BGB vorgesehene Zeitraum von sechs Monaten ab der Geburt, innerhalb dessen Beschneidungen auch von nichtärztlichen, von einer Religionsgemeinschaft bestimmtem Beschneidern durchgeführt werden könnten, auf vierzehn Tage verkürzt werden. Denn wenn der Eingriff ohne die ärztliche Assistenz durchgeführt werde, sei die Verabreichung von Anästhetika zur Schmerzlinderung nicht möglich. Eine Begründung für die Zeitspanne von sechs Monaten ergebe sich aus dem Gesetzentwurf nicht, es werde lediglich darauf hingewiesen, dass „das Oberrabbinat in Israel mitgeteilt habe, dass bei Kindern die älter als sechs Monate sind, Beschneidungen mit Narkose und von einem Arzt mit MohelLizenz durchgeführt werden.“ Dies sei als Begründung nicht ausreichend. Vielmehr sei darauf abzustellen, dass lediglich bei Neugeborenen die Belastungen der Anästhesie so beträchtlich seien, dass medizinische Eingriffe, für die eine Narkose notwendig ist, unterlassen oder verschoben würden. Zudem werde in der jüdischen Religion die Beschneidung männlicher Kinder „in aller Regel am achten Tag nach der Geburt“ durchgeführt, weshalb es richtig sei, die Ausnahme in § 1631d Abs. 2 BGB „auf den Zeitraum von zwei Wochen nach der Geburt zu beschränken“.635

634

Änderungsantrag der Abgeordneten Jerzy Montag u. a., Ausschussdrucksache 17(6)216 vom 23. 11. 2012, S. 2. 635 Änderungsantrag der Abgeordneten Jerzy Montag u. a., Ausschussdrucksache 17(6)216 vom 23. 11. 2012, S. 3.

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3. Änderungsantrag der Abgeordneten Reimann u. a. Die Abgeordneten Reimann u. a. stimmten mit dem Gesetzentwurf der Bundesregierung im Wesentlichen überein und beantragten lediglich eine Änderung dahin, dass der Sechs-Monats-Zeitraum in § 1631d Abs. 2 BGB auf zwei Monate verkürzt werden sollte, da dies ausreichend sei.

IV. Expertenanhörung Am 26. 11. 2012 fand im Rechtsausschuss des Bundestages eine öffentliche Expertenanhörung statt. Zu dieser wurden als Sachverständige folgende Personen geladen, die bereits zuvor schriftliche Stellungnahmen beim Rechtsausschuss eingereicht hatten: Dr. Antje Deusel, Fachärztin für Urologie und Rabbinerin der israelitischen Kultusgemeinde Bamberg Prof. Dr. Hans Kristof Graf, Chefarzt der Klinik für Innere Medizin des Jüdischen Krankenhauses Berlin Prof. Dr. Oliver Hakenberg, Direktor der Urologischen Universitätsklinik Rostock und Generalsekretär der Deutschen Gesellschaft für Urologie Dr. Wolfram Hartmann, Präsident des Berufsverbandes der Kinder- und Jugendärzte BVKJ e.V. Prof. Dr. Hans Michael Heinig, Universität Göttingen, Lehrstuhl für Öffentliches Recht, Kirchenrecht und Staatskirchenrecht Stephan J. Kramer, Generalsekretär des Zentralrates der Juden in Deutschland Aiman A. Mazyek, Vorsitzender des Zentralrates der Muslime in Deutschland Prof. Dr. Reinhard Merkel,Universität Hamburg, Lehrstuhl für Strafrecht und Rechtsphilosophie Prof. Dr. Henning Radtke, Richter am BGH Prof. Dr. Christian Walter, Universität München, Lehrstuhl für Öffentliches Recht, Völkerrecht und Europarecht Prof. Siegfried Willutzki, Direktor des Amtsgerichts Brühl a.D. Die Auswahl dieser Sachverständigen zeigt eine deutliche Überrepräsentation von Personen, die – wie die Vertreter des Zentralrates der Juden in Deutschland, des Zentralrates der Muslime in Deutschland, des Jüdischen Krankenhauses Berlin und die Rabbinerin – gleichsam von Berufs und Funktion wegen Beschneidungsbefürworter sind und die das Urteil des Landgerichts Köln heftig kritisiert hatten, sowie von Experten, die sich bereits im Vorfeld deutlich für die gesetzliche Erlaubnis von Beschneidungen ausgesprochen hatten, während mit Hartmann und Merkel nur zwei erklärte Gegner der Beschneidung nicht einwilligungsfähiger Minderjähriger geladen wurden, von denen Letzterer sich ausschließlich deshalb, weil sich das Gesetz nicht mehr verhindern ließ und er dem Alternativentwurf der Abgeordneten Rupprecht u. a. keine Chancen einräumte, der Forderung im Änderungsantrag der Ab-

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geordneten Lischka u. a. anschloss und hierzu noch eine Modifizierung empfahl. Es verwundert angesichts dieser einseitigen Auswahl nicht, dass der Eindruck entstanden ist, die Expertenanhörung sei ergebnisorientiert eher mit Blick auf die schnelle Realisierung der fraktionsübergreifenden Aufforderung des Bundestags636 und des Gesetzentwurfs der Bundesregierung,637 als an einer umfassenden und ergebnisoffenen Erörterung aller für und gegen den Gesetzentwurf, den Alternativentwurf und die Änderungsanträge streitenden Argumente interessiert gewesen. So resultierten aus der Expertenanhörung auch keine wesentlichen neuen Aspekte:638 Graf erläuterte, dass von 385 an im Jüdischen Krankenhaus Berlin an Neugeborenen durchgeführten Beschneidungen lediglich in 0,78 % der Fälle Komplikationen aufgetreten seien, wobei es sich überwiegend um Nachblutungen gehandelt habe; Infektionen seien nicht zu verzeichnen gewesen. Bei älteren Jungen zwischen sechs und zwölf Jahren sei die Komplikationsrate ähnlich gering gewesen, hier hätten die Infektionen aber die Nachblutungen überwogen. Er wiederholte, dass seine Klinik mit der lokalen Anästhesie durch EMLA-Salbe sehr gute Erfahrungen gemacht habe, wenngleich er einräumte, dass es schwer zu beurteilen sei, in welchem Ausmaß Neugeborene, denen keine Lokalanästhetika injiziert würden, Schmerzen wahrnähmen. Er gab an, er unterstütze den Regierungsentwurf, könne sich aber auch mit dem Änderungsantrag des Abgeordneten Montag abfinden, wobei die Verkürzung der Frist auf lediglich 14 Tage etwas zu kurz bemessen sei.639 Hakenberg wies darauf hin, dass die Vorhaut zwar „an sich kein überflüssiger Teil des Körpers“ sei, sondern „gewisse Funktionen“ habe und „auch erheblich sensorisch innerviert“ sei, also medizinisch einen Sinn habe, sie andernfalls im Lauf der „Evolution irgendwann verschwunden“ wäre. Der Eingriff weise eine geringe Komplikationsrate von jedenfalls unter 3 % auf. Für Europa sei die Empfehlung der amerikanischen Kinderärzte, die Beschneidung „aus hygienischen und infektionsprophylaktischen Gründen“ durchzuführen, abzulehnen. Daten zur Veränderung des sexuellen Erlebens nach durchgeführter Beschneidung bestünden kaum, jedoch seien entsprechende Einzelfallberichte, die aber keinesfalls die Mehrheit der im Kindesalter Beschnittenen beträfen, ernst zu nehmen. Beschneidungen aus kosmetischen und hygienischen Gründen seien abzulehnen. Gleichwohl begrüße die Deutsche Gesellschaft für Urologie den Gesetzentwurf der Bundesregierung, wobei sie der Auffassung sei, dass der Sechs-Monatszeitraum in Abs. 2 zu lang sei.640 Hartmann wiederholte, dass es keine medizinische Indikation zur prophylaktischen Beschneidung von Jungen gebe, schon gar nicht vor Beginn der Pubertät, da 636

Siehe Fn. 26. Siehe Fn. 603. 638 Die nachstehenden Ausführungen entstammen dem Wortprotokoll der Expertenanhörung vom 26. 11. 2012, http://www.bundestag.de/bundestag/ausschuesse17/a06/anhoerungen/ar chiv/31_Beschneidung/05_Wortprotokoll.pdf (zuletzt aufgerufen 05. 01. 2014). 639 Wortprotokoll der Expertenanhörung vom 26. 11. 2012 (Fn. 638), S. 3 ff. 640 Wortprotokoll der Expertenanhörung vom 26. 11. 2012 (Fn. 638), S. 5 f. 637

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die behaupteten geringeren Infektionsrisiken vor Eintritt der sexuell aktiven Phase keine Rolle spielten. Mediziner, die mit derartigen Argumenten für Beschneidungen im Kindesalter einträten, sollten offenlegen, ob sie nicht ein wirtschaftliches Interesse an der Durchführung von Zirkumzisionen hätten; aus wirtschaftlichen Interessen seien Beschneidungen jedoch „ethisch nicht vertretbar“ und verstießen gegen den hippokratischen Eid. Die Behauptung von Beschneidungsbefürwortern, die Beschneidung sei „ein harmloser, weitgehend schmerzfreier medizinischer Eingriff“, sei „wissenschaftlich nicht haltbar“. Die Risiken des Eingriffs und das Schmerzempfinden von Säuglingen seien wissenschaftlich belegt. Die zur Schmerzbehandlung angeblich wirksame EMLA-Creme sei höchst umstritten, da sie zum einen nicht auf die Schleimhaut gelangen dürfe und eine Karenzzeit von ca. acht Stunden benötige, zum anderen der Höhepunkt der Schmerzen am dritten postoperativen Tag auftrete. Sie habe allenfalls den Effekt einer Schmerzlinderung, erforderlich für eine lege artis durchgeführte Beschneidung sei aber eine Schmerzvermeidung. Viele betroffene Männer berichteten über die körperlichen und psychischen Langzeitfolgen der Beschneidung. Dies alles werde von den Beschneidungsbefürwortern bagatellisiert, die den Gegnern der Beschneidung im Kindesalter Antisemitismus vorwerfen würden. Für den Berufsverband der Kinder- und Jugendärzte sei daher im Kindesalter nur eine symbolische Beschneidung akzeptabel. Eine religiöse Kindererziehung sei auch „ohne blutige Beschneidung im frühen Kindesalter“ möglich. Er spreche sich daher für den Alternativentwurf mit einer Beschneidungsmöglichkeit ab Vollendung des vierzehnten Lebensjahres aus.641 Deusel machte unter Hinweis auf die religiösen Grundlagen in der Bibel und die sozio-kulturelle Entwicklung deutlich, dass die Beschneidung im Judentum noch heute „einer der grundlegenden Fixpunkte des jüdischen Glaubens“ sei und ein Verstoß gegen das Beschneidungsgebot als eine „bewusste Abkehr vom Judentum“ angesehen werde. Dass die Beschneidung im Kindesalter erforderlich sei und keinen Aufschub bis zum vierzehnten Lebensjahr dulde, begründete sie unter anderem damit, dass andernfalls ein Hineinwachsen in Tradition und Lehre des Judentums nicht möglich sei. In ihrer vorangegangenen schriftlichen Stellungnahme an den Rechtsausschuss wies sie mahnend auf die aus den ehemaligen Sowjetrepubliken nach Deutschland eingewanderten männlichen Mitbürger hin, die nur in geringer Zahl „ihre Beschneidung nachholen“ wollten und bei denen dann zumeist auch der Kontakt zu den jüdischen Gemeinden und die „Weitergabe des Jüdischseins an die nachfolgenden Generationen“ unterbleibe. Um den Söhnen jüdischer Eltern das „psychische Trauma des Ausgeschlossen-Seins“ zu ersparen, müsse daher die Beschneidung im Säuglingsalter zugelassen bleiben, damit jüdisches Leben in Deutschland weiterhin möglich sei.642 Merkel erklärte, dass er den Gesetzentwurf der Bundesregierung nicht billige. Er wies daraufhin, dass es die Alternative gegeben hätte, die Strafverfolgung jüdischer 641 642

Wortprotokoll der Expertenanhörung vom 26. 11. 2012 (Fn. 638), S. 6 ff. Wortprotokoll der Expertenanhörung vom 26. 11. 2012 (Fn. 638), S. 8 ff.

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und muslimischer Eltern durch eine Ergänzung im Strafgesetzbuch zu verhindern, indem z. B. in einem Absatz 3 zu § 223 StGB religiöse Beschneidungen als tatbestandslos hätten erklärt werden können, was dann nicht – wie in dem Gesetzentwurf vorgesehen – dazu geführt hätte, dass die Beschneidung von Kindern generell als dem Kindeswohl entsprechend angesehen werde. Auch er wies darauf hin, dass der Hinweis in der Gesetzesbegründung auf die EMLA-Salbe falsch sei, da diese – was sich aus einer neueren Studie ergebe – nicht zur Schmerzausschließung bei Kleinkindern geeignet sei. Ein weiterer Kritikpunkt an dem Regierungsentwurf sei, dass das kindliche Veto nicht berücksichtigt werden müsse, sondern sich die Eltern nur mit dem dadurch zum Ausdruck gebrachten entgegenstehenden Willen des Kindes auseinandersetzen müssten. Ferner sei zu bemängeln, dass der Versuch des Gesetzentwurfs, weltanschauliche Neutralität zu wahren und kein religiöses Sonderrecht zu schaffen, nicht gelungen sei. Vorausgesetzt, dass „so eine Beschneidungserlaubnisnorm kommen“ werde, unterstütze er die Änderungsanträge Lischka und Montag.643 Radtke äußerte die Ansicht, dass entgegen der Auffassung seines Vorredners die Regelung richtigerweise im Familienrecht zu verorten sei, weil damit klargestellt werde, inwieweit die Eltern befugt seien, über die körperliche Unversehrtheit ihres Kindes zu disponieren. Im Hinblick auf die Körperverletzungsdoktrin liege bei einer Beschneidung unzweifelhaft eine Körperverletzung i.S.d. § 223 StGB vor, die nur dann nicht rechtswidrig sei, wenn der Verletzte selbst einwillige. Kinder seien aber erst ab einem gewissen Alter einwilligungsfähig und bis dahin stehe die Dispositionsbefugnis gem. § 1629 BGB den Sorgeberechtigten zu. Daher sei die Klarstellung durch die geplante Regelung im Familienrecht am richtigen Platz. Das vom Ethikrat geforderte Vetorecht weise das Problem auf, dass damit das verfassungsgemäße Recht der Eltern aus Art. 6 Abs. 2 Satz 1 GG ausgeschlossen werde, ohne dass hierfür die verfassungsrechtlichen Voraussetzungen vorlägen. Denn dieses Recht könne nur bei einer Kindeswohlgefährdung ausgeschlossen werden, was bei einer Beschneidung „bislang nicht belegt“ sei. Im Übrigen weise ein Vetorecht auch die praktische Problematik auf, dass es kaum nachgewiesen werden könne.644 Walter hob hervor, dass es beim Ob der Beschneidung um die drei Aspekte Kindeswohl, Elternrecht und staatliches Wächteramt gehe, wobei „das Kindeswohl die zentrale Richtschnur“ sein müsse. Aber der Kindeswohlbegriff sei aus der Perspektive der Eltern und der des Staates unterschiedlich zu beurteilen. Aus Sicht der Eltern könne das Kindeswohl nicht objektiviert werden, sie bestimmten vielmehr, was für das Kindeswohl dienlich sei. Die Schutzpflicht des Staates greife nur dann ein, wenn Entscheidungen der Eltern „klar und eindeutig kindeswohlwidrig“ seien. Dieser Maßstab werde aber bei der Beschneidung nicht erreicht. Zum Wie der Beschneidung sei mit dem Hinweis auf die Notwendigkeit der Einhaltung der Regeln der ärztlichen Kunst „alles Wesentliche gesagt“. Hieran müssten sich auch nicht643 644

Wortprotokoll der Expertenanhörung vom 26. 11. 2012 (Fn. 638), S. 10 ff. Wortprotokoll der Expertenanhörung vom 26. 11. 2012 (Fn. 638), S. 12 ff.

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ärztliche Beschneider halten. Er halte daher den Gesetzentwurf der Bundesregierung für richtig, mit dem nur ein Zustand klargestellt werde, der auch zuvor bereits bestanden habe.645 Auch Willutzki hob darauf ab, dass das Elternrecht nicht durch die Kindeswohldienlichkeit, sondern durch die Kindeswohlgefährdung begrenzt werde. Er vertrat die These, dass niemandem so sehr am Kindeswohl gelegen sei, wie den Eltern selbst, die deshalb treuhänderisch über das Grundrecht des Kindes auf körperliche Unversehrtheit verfügen dürften. Die Eltern dürften daher in die Beschneidung ihres Kindes einwilligen. Der Standort des geplanten § 1631d BGB im Familienrecht sei die richtige Wahl. Die Schwelle einer Kindeswohlgefährdung werde im Fall einer lege artis vorgenommenen Beschneidung nicht überschritten, weshalb der Staat nicht eingreifen dürfe. Auch ein Verstoß gegen die Kinderrechtskonvention liege nicht vor. Der Regierungsentwurf sei „sorgfältig und durchdacht“ begründet, gewisse Bedenken habe er lediglich hinsichtlich der SechsMonats-Frist in § 1631d Abs. 2 BGB, die verkürzt werden solle, um ihren Ausnahmecharakter hervor zu heben. Er halte daher den Änderungsantrag der Abgeordneten Montag u. a. für sinnvoll, während der Alternativentwurf der Abgeordneten Rupprecht u. a. einen Eingriff in das Elternrecht darstelle und daher abzulehnen sei. Das „weltweit negative Echo des Kölner Urteils“ verlange ein rasches Handeln der Rechtspolitik, „um Schaden vom deutschen Ansehen in der Welt abzuwenden“. Diesem Erfordernis hätten der Bundestag mit seinem Entschließungsantrag und die Bundesregierung mit ihrem Gesetzentwurf sowie teilweise auch die Änderungsanträge entsprochen.646 Heinig stellte an den Beginn seiner Ausführungen folgendes Zitat des Philosophen Jürgen Habermas: „Das universalistische Anliegen der politischen Aufklärung erfüllt sich erst in der fairen Anerkennung der partikularistischen Selbstbehauptungsansprüche religiöser und kultureller Minderheiten.“ Davon ausgehend wies er darauf hin, dass eine „faire Anerkennung der Interessen einer Minderheit“ in diesem Sinne zwar nicht grenzenlose Freiheit, aber „ein Mindestmaß an Anerkennung und Respekt für eine Jahrtausende alte Tradition“ sei, die eine Religionsgemeinschaft lebendig gehalten habe. Mit Bezug auf die Beschneidung müsse man sich deren „Gefahren, Risiken und Nutzen […] ausgewogen kundig“ machen und habe „sich darüber aufzuklären, welche Studien welchen wissenschaftlichen Aussagewert haben [und] sich der Grenzen des verfügbaren Wissens und seiner kulturellen Verstrickung bewusst zu sein“. Unter Zugrundelegung eines so verstandenen Gebots der Fairness sehe er in dem Gesetzentwurf der Bundesregierung eine geeignete Lösung der durch das Urteil des Landgerichts Köln – bei dem es sich „um ein klassisches Fehlurteil“ handle – aufgeworfenen Rechtsfragen. In der ausdrücklichen Aufnahme eines Vetorechts des Kindes sehe er lediglich eine symbolische Geste oder Klarstellung; das damit verbundene Ziel sei bereits durch das Personensorgerecht ge645 646

Wortprotokoll der Expertenanhörung vom 26. 11. 2012 (Fn. 638), S. 14 ff. Wortprotokoll der Expertenanhörung vom 26. 11. 2012 (Fn. 638), S. 16 ff.

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deckt. Sowohl der Verkürzung der Frist des § 1631d Abs. 2 BGB auf vierzehn Tage wie auch einer ergänzenden Verordnung stehe er skeptisch gegenüber, weil es sich dabei letztlich um Fragen der ärztlichen Kunst handle, bei deren Definition der Gesetzgeber im Hinblick auf die Dynamik wissenschaftlicher Erkenntnisse bisher aus gutem Grund Zurückhaltung geübt habe.647 Kramer wies zunächst darauf hin, dass der zuweilen erhobene Vorwurf, die jüdischen Religionsgemeinschaften hätten alle Gegner religiös motivierter Beschneidungen als Antisemiten bezeichnet, falsch sei. Vielmehr sei das Thema von der jüdischen Glaubensgemeinschaft stets sachlich und respektvoll diskutiert worden. Zur Sache führte er aus, die Beschneidung sei „keine Folter, sondern ein Initiationsritual zur Aufnahme in die Religionsgemeinschaft“ und daher ein wesentlicher Teil des Kindeswohls. Kinder hätten „ein Recht auf religiöse Erziehung und auf Zugehörigkeit zu einer kulturellen und religiösen Gemeinschaft.“ Das Grundrecht des Kindes auf körperliche Unversehrtheit sei nicht tangiert, da die Beschneidung das Kind nicht versehren würde, denn die Beschneidung führe nicht „zu einer Behinderung oder Verschlechterung des vorigen Gesundheits- bzw. körperlichen Zustandes“. Zur Begründung dieser Ansicht verwies er auf Fegert, der ausgeführt habe, es gebe „bisher keinen den herrschenden wissenschaftlichen Standards entsprechenden Hinweis […], dass durch eine Zirkumzision eine erhebliche Schädigung in der weiteren kindlichen Entwicklung zu erwarten wäre“.648 Mit Blick auf den Änderungsantrag der Abgeordneten Lischka u. a. wies er darauf hin, dass der Zentralrat gemeinsam mit der Rabbinerkonferenz ein Institut zur Zertifizierung von Mohalim plane, so dass hierdurch die Qualitätssicherung und die Durchführung der Beschneidung lege artis sichergestellt werde. Der Alternativentwurf der Abgeordneten Rupprecht u. a. widerspreche dem Recht auf Religionsfreiheit und sei für den Zentralverband inakzeptabel. Auch die Verkürzung der Sechsmonatsfrist auf vierzehn Tage sei abzulehnen, da sie nicht praktikabel sei. Im Hinblick auf die Schmerzbehandlung verteidigte er die lokale Schmerzbehandlung, insbesondere mit Emla-Salbe und Zäpfchen. Zum Vetorecht bezog er sich auf die Ausführungen von Radtke und ergänzte, dass ein Säugling schon schreien könne, wenn ihm die Hose oder die Windel ausgezogen werde, weshalb es nicht möglich sei, bei einem wenige Tage alten Kind ein Veto zu eruieren.649 Mazyek stellte seinen Ausführungen die Feststellung voran, das Urteil des Landgerichts Köln sei deshalb von allen Religionsgemeinschaften in Deutschland abgelehnt worden, weil „es bemerkenswert oberflächlich, ausschließlich religionskritisch und nicht juristisch argumentiert“ habe. Man frage sich, warum das Kindeswohl gerade mit Blick auf die Beschneidung so leidenschaftlich diskutiert werde, wo es doch etwa in Bezug auf Kinderarmut, Werteverfall oder Bildungschancen gute 647

Wortprotokoll der Expertenanhörung vom 26. 11. 2012 (Fn. 638), S. 18 ff. Da Fegert jedoch Kinder- und Jugendpsychiater ist, bezieht sich diese Aussage wohl nur auf die psychische, nicht auf die körperliche Entwicklung des Kindes. 649 Wortprotokoll der Expertenanhörung vom 26. 11. 2012 (Fn. 638), S. 21 ff. 648

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Möglichkeiten gebe, sich der Förderung des Kindeswohls anzunehmen. In der islamischen Religion werde die Verpflichtung zur Beschneidung an Aussagen des Korans und des Propheten Mohammed in der Sunnah festgemacht. Sie sei sowohl bei schiitischen wie sunnitischen Rechtsschulen eine Pflicht oder zumindest eine „mit Nachdruck empfohlene Prophetentradition“. Das Beschneidungsritual sei daher „unerlässlich und nicht durch andere Handlungen ersetzbar“. Meist werde die Beschneidung im Neugeborenenalter vorgenommen, sie könne aber auch bis zur Geschlechtsreife durchgeführt werden. Das Beschneidungsritual ermögliche dem Kind „die religiöse und soziale Vergemeinschaftung mit den entsprechenden Religionsgemeinschaften“. Es werde geschätzt, dass an muslimischen Jungen in Deutschland jährlich ca. 46.000 Beschneidungen durchgeführt würden, wobei die Komplikationsrate lediglich bei 0,1 % liege. Der Zentralrat der Muslime befürworte daher den Gesetzentwurf, wobei der Kindeswohlvorbehalt keiner ausdrücklichen Erwähnung bedürfe, weil die gesamte Kindererziehung unter diesem Vorbehalt stehe. Der Alternativentwurf der Abgeordneten Rupprecht u. a. werde demgegenüber abgelehnt.650

V. Empfehlungen des Deutschen Ethikrats Der Deutsche Ethikrat befasste sich in einer öffentlichen Plenarsitzung am 23. 08. 2012 mit der Beschneidung männlicher Minderjähriger „aus religiösen und weltanschaulichen Gründen“, um zur „Versachlichung des Diskurses“ beizutragen. Der in dieser Plenarsitzung geführten Diskussion gingen Vorträge der Mitglieder des Ethikrates Latasch, Ilkilic, Merkel, Höfling und Dabrock voraus.651 Obgleich sich in der Diskussion „tiefgreifende Differenzen“ gezeigt hatten, empfahl der Ethikrat „einmütig“, im Rahmen einer Festlegung rechtlicher Standards für die Durchführung der Beschneidung männlicher Minderjähriger als „Mindestanforderungen“ eine „umfassende Aufklärung und Einwilligung der Sorgeberechtigten“, eine „qualifizierte Schmerzbehandlung“, eine „fachgerechte Durchführung des Eingriffs“ und die „Anerkennung eines entwicklungsabhängigen Vetorechts des betroffenen Jungen“ umzusetzen.652

650

Wortprotokoll der Expertenanhörung vom 26. 11. 2012 (Fn. 638), S. 24 ff. Diese können als Audioprotokolle und teilweise als Präsentationen und/oder Referate abgerufen werden unter: http://www.ethikrat.org/sitzungen/2012/religioese-beschneidung (zuletzt aufgerufen 14. 04. 2014). 652 Pressemitteilung des Deutschen Ethikrats 09/2012 vom 23. 08. 2012, http://www.ethi krat.org/presse/pressemitteilungen/2012/pressemitteilung-09 – 2012 (zuletzt aufgerufen 14. 04. 2014). 651

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VI. Gemeinsame Stellungnahme der DGKJP, des BKJPP und der BAG Die Deutsche Gesellschaft für Kinder- und Jugendpsychiatrie, Psychosomatik und Psychotherapie (DGKJP), der Berufsverband für Kinder- und Jugendpsychiatrie, Psychosomatik und Psychotherapie in Deutschland e.V. (BKJPP) und die Bundesarbeitsgemeinschaft der leitenden Klinikärzte für Kinder- und Jugendpsychiatrie, Psychosomatik und Psychotherapie e.V. (BAG) nahmen in einer gemeinsamen Stellungnahme vom 27. 09. 2012 zum Gesetzentwurf Stellung. Sie begrüßten die Regelung des § 1631d Abs. 1 S. 1 BGB-(E), da sie dem Kindeswohl nicht widerspreche, und führten zu Abs. 1 S. 2 des Entwurfs aus, dass dieser unsinnig und unlogisch sei, weil die Personensorge „prinzipiell nie das Recht“ zu Entscheidungen umfasse, die das Kindeswohl gefährden.653 Sie hielten diesen Satz daher für überflüssig und empfahlen, ihn zu entfernen. Gegen die Regelung in Abs. 2 wurden von ihnen „als ärztliche Verbände“ keine Einwände erhoben, da es sich bei der medizinisch nicht indizierten Beschneidung nicht um einen Heileingriff handle.654 Der Umstand, dass durch die in Abs. 2 vorgesehene Altersbeschränkung auf die ersten sechs Lebensmonate traditionelle islamische Beschneider in ihrem Aktionszeitraum beschränkt würden, sei medizinisch durch die „höheren Anforderungen an Anästhesie etc. und auch die höheren Komplikationsraten bei älteren Jungen“ gerechtfertigt.655 Aus kinderpsychiatrischer und psychotherapeutischer Sicht sei zu bemängeln, dass „für den Bereich der im Grundschulalter beschnittenen islamischen Jungen keine Regelung getroffen“ werden solle, die sicherstelle, „dass diese Jungen in altersgemäßer Form über den Eingriff und seine möglichen unmittelbaren Folgen, Schmerzen etc. aufgeklärt werden“.656 Hier sei bei Kindern ab dem sechsten Lebensjahr ein Assent zu fordern, der ein Mitspracherecht bei Entscheidungen, die die körperliche Unversehrtheit betreffen, gewährleiste. Eine Kollision mit Art. 24 Abs. 2 UN-KRK liege nicht vor, da es sich bei der Beschneidung zwar um einen überlieferten Brauch handle, dieser jedoch „nicht allgemein als schädlich bezeichnet werden“ könne.657 Dass die drei Verbände hierbei auf die körperlichen Risiken und Folgen der Beschneidung nicht eingegangen sind, mag mit dem Fachgebiet der Kinder- und Jugendpsychiatrie zu erklären sein, das den Focus weniger auf die körperlichen Auswirkungen lenkt. Zu erwarten wäre allerdings gewesen, dass sie die möglichen psychischen Verletzungen und Folgen des Eingriffs wie Einschränkungen der se653 Gemeinsame Stellungnahme vom 27. 09. 2012 zum Regelungsvorschlag des BMJ, http:// www.dgkjp.de/publikationen/stellungnahmen/stellungnahmen-2012/108-stellungnahme-zum-re gelungsvorschlag-des-bmj-vom-25 – 09 – 2012-zur-knabenbeschneidung (zuletzt aufgerufen 14. 04. 2014). 654 Fn. 653. 655 Fn. 653. 656 Fn. 653. 657 Fn. 653.

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xuellen Erlebnisfähigkeit, das Wahrnehmen des „Eingriffs als Angriff“ sowie das Entwickeln eines Schmerzgedächtnisses658 in ihre Bewertung einfließen lassen. Dass dies in der gemeinsamen Stellungnahme nicht erfolgt ist, überrascht.

VII. Stellungnahmen des BVKJ In mehreren Stellungnahmen wies der Berufsverband der Kinder- und Jugendärzte (BVKJ) darauf hin, dass seiner Auffassung zufolge das Kindeswohl und das Recht der minderjährigen Jungen auf körperliche Unversehrtheit „an erster Stelle“ stehen müssten.659 Die Befürworter der Beschneidung bagatellisierten „diese Form der Körperverletzung, bei der es auch zu lebenslangen körperlichen und vor allem seelischen Verletzungen kommen“ könne. Für die Politik scheine „der Rechtsfrieden mehr zu zählen als das persönliche Trauma“, womit sie „die körperliche Unversehrtheit von Kindern in Frage“ stelle.660 Die Empfehlungen des Deutschen Ethikrats stießen bei dem BVKJ auf „Unverständnis und Entsetzen“, weil hierbei das Kindeswohl und das Recht der Kinder auf körperliche Unversehrtheit „offenbar keine Rolle gespielt“ hätten.661 Während des Gesetzgebungsverfahrens forderte er ein „Moratorium und die Einrichtung eines Runden Tisches“, um voreilige Schritte zu verhindern und eine sachliche Debatte unter Einbeziehung des Rechts der Kinder auf körperliche Unversehrtheit zu ermöglichen.662 Nach der Abstimmung über den Gesetzentwurf, den Alternativentwurf und die Änderungsanträge im Bundestag erklärte der BVKJ, die Kinder- und Jugendärzte seien enttäuscht darüber, dass die Mehrheit der Abgeordneten des Bundestags „Jungen nicht ebenso wie selbstverständlich den Mädchen das Grundrecht auf körperliche Unversehrtheit“ einräume und „die Beschneidung der männlichen Vorhaut als harmlosen Eingriff ohne wesentliche Komplikationen“ einstufe, „obwohl pädiatrische Verbände aus vielen Ländern der Welt in verschiedenen Dokumentationen erhebliche Komplikationen

658

Siehe hierzu 2. Kapitel, B. VI. Rituelle Beschneidungen bei Minderjährigen – Kinder- und Jugendärzte fordern: Allein das Recht eines Kindes auf körperliche Unversehrtheit zählt, http://www.kinderaerzte-im-netz. de/bvkj/aktuelles1/show.php3?id=4277&nodeid=26&nodeid=26&query=beschneidung (zuletzt aufgerufen 14. 04. 2014). 660 Fn. 659. 661 ,Recht eines Kindes auf körperliche Unversehrtheit zählt offenbar nicht!‘, http://www. kinderaerzte-im-netz.de/bvkj/aktuelles1/show.php3?id=4322&nodeid=26&nodeid=26&quer y=beschneidung (zuletzt aufgerufen 14. 04. 2014). 662 Verbände und Experten fordern Moratorium und Einrichtung eines Runden Tisches in der Diskussion um Beschneidungen von einwilligungsunfähigen Jungen, http://www.kinder aerzte-im-netz.de/bvkj/aktuelles1/show.php3?id=4331&nodeid=26&nodeid=26&query=be schneidung (zuletzt aufgerufen 14. 04. 2014). 659

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4. Kap.: Rechtslage nach Inkrafttreten des § 1631d BGB

dargelegt“ hätten. Das „Beschneidungsgesetz“ sei „als Rückschritt in der Geschichte der Kinder- und Menschenrechte in Deutschland zu werten“.663

VIII. Stellungnahme der Deutschen Kinderhilfe Auch die Deutsche Kinderhilfe e.V. kritisierte das Gesetzesvorhaben auf Grundlage des Eckpunktepapiers des Bundesjustizministeriums. Durch die geplante „weitgehende Ermächtigung der Eltern, in die körperliche Unversehrtheit ihrer Söhne eingreifen zu dürfen“, werde deren Recht auf gewaltfreie Erziehung konterkariert.664 Der Kindewohlvorbehalt in Abs. 2 stelle „reine Rhetorik“ dar, da die medizinisch nicht indizierte Beschneidung „stets zu einer Kindeswohlgefährdung“ führe und „daher gesetzlich nicht legitimiert werden“ dürfe.665 Eine Beschneidung im Säuglingsalter sei als „unzumutbare Körperverletzung“ abzulehnen; wenn es eine gesetzliche Regelung geben solle, dann nur „als Einstieg in den Ausstieg“, wobei der Eingriff nur „von Fachärzten und unter qualifizierter Anästhesie in Kliniken“ und erst ab Erreichen der Religionsmündigkeit nach umfassender Aufklärung „der Eltern und des religionsmündigen Kindes“ durchgeführt werden dürfe.666

IX. Abstimmung im Bundestag Nachdem der Bundesrat bereits in seiner Sitzung vom 02. 11. 2012 mehrheitlich beschlossen hatte, keine Einwendungen gegen den Gesetzentwurf der Bundesregierung zu erheben,667 stimmte der Bundestag dem Gesetzentwurf am 12. 12. 2012 nach zweiter Beratung mehrheitlich und nach dritter Beratung in namentlicher Abstimmung mit 434 Ja-Stimmen, 100 Nein-Stimmen und 46 Enthaltungen zu.668 Der Alternativentwurf der Abgeordneten Rupprecht u. a. wurde ebenso abgelehnt wie die Änderungsanträge der Abgeordnetengruppen um Burkhard Lischka, Jerzy Montag und Carola Reimann. Das Gesetz wurde am 27. 12. 2012 im Bundesgesetzblatt669 veröffentlicht und trat am darauf folgenden Tag in Kraft. 663 Berufsverband der Kinder- und Jugendärzte (BVKJ) zum Beschneidungs-Gesetz: „Gesetz missachtet Kindeswohl!“, http://www.kinderaerzte-im-netz.de/bvkj/aktuelles1/show. php3?id=4409&nodeid=26&nodeid=26&query=beschneidung (zuletzt aufgerufen 14. 04. 2014). 664 Stellungnahme der Deutschen Kinderhilfe zum „Eckpunktepapier – Beschneidungen von Jungen“ des BMJ, https://www.kinderhilfe.de/blog/artikel/stellungnahme-der-deutschenkinderhilfe-zum-eckpunktepapier-beschneidungen-von-jungen-des-bmj/ (zuletzt aufgerufen 05. 01. 2014). 665 Fn. 664. 666 Fn. 664. 667 Plenarprotokoll 902 des Deutschen Bundesrats vom 02. 11. 2012, S. 491 B. 668 Plenarprotokoll 17/213 des Deutschen Bundestags vom 12. 12. 2012, S. 26073 ff. 669 BGBl. 2012 Teil I, Nr. 61, S. 2749.

B. Verfassungsgemäßheit des § 1631d BGB

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B. Verfassungsgemäßheit des § 1631d BGB Im Folgenden ist nun zu prüfen, ob die Regelungen des § 1631d BGB verfassungskonform sind, oder ob sie einen nicht gerechtfertigten Eingriff in Grundrechte oder sonstige Rechtsgüter von Verfassungsrang darstellen und damit verfassungswidrig sind.

I. Grundrecht auf körperliche Unversehrtheit aus Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG Als erster verfassungsrechtlicher Prüfmaßstab ist zunächst das Grundrecht der betroffenen Minderjährigen auf körperliche Unversehrtheit in den Blick zu nehmen, da durch die Beschneidung dieses Grundrecht offensichtlich tangiert ist. 1. Schutzbereich In persönlicher Hinsicht erstreckt sich der Schutzbereich des Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG als Menschengrundrecht auf jeden lebenden Menschen ohne Rücksicht auf dessen Alter. Es ist daher eine Selbstverständlichkeit, dass er auch Minderjährige erfasst. Der sachliche Schutzbereich des Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG umfasst die Unversehrtheit des menschlichen Körpers in biologisch-physiologischer Hinsicht.670 Inwieweit von dem sachlichen Schutzbereich auch psychisch-seelische Beeinträchtigungen umfasst werden, ist umstritten. Erfasst werden zumindest auch nichtkörperliche Einwirkungen, wenn sie zu körperlichen Schmerzen oder vergleichbaren Beeinträchtigungen führen671 und damit „ihrer Wirkung nach körperlichen Eingriffen gleichzusetzen“ sind, die also „das Befinden einer Person in einer Weise verändern, die der Zufügung von Schmerzen entspricht“.672 Eine Zirkumzision stellt ohne Zweifel einen Eingriff in die körperliche Unversehrtheit dar. Das Recht auf körperliche Unversehrtheit schützt „vor gezielten staatlichen Eingriffen, wie Zwangsversuchen an lebenden Menschen, Zwangssterilisationen und ähnlichem“. Es erschöpft sich nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts aber nicht in einem subjektiven Abwehrrecht gegenüber derartigen Eingriffen. Vielmehr ergibt sich aus ihm auch eine Schutzpflicht des Staates vor schwerwiegenden Eingriffen in das geschützte Rechtsgut, „deren Vernachlässigung von dem Betroffenen mit der Verfassungsbeschwerde geltend gemacht werden kann“.673

670

Vgl. etwa BVerfGE 56, S. 54 ff.; Jarass in: Jarass/Pieroth, Art. 2 Rn. 83. Windthorst in: Gröpl/Windthorst/von Coelln, Art. 2 Rn. 134; Jarass in: Jarass/Pieroth, Art. 2 Rn. 83. 672 BVerfGE 56, S. 54 ff. 673 BVerfGE 79, S. 174 ff. m.w.N. 671

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2. Eingriff Grundrechte schützen jedoch nicht vor jeglicher Einwirkung des Staates auf ihre Rechtsgüter, „sondern nur vor solchen, die als Eingriff zu qualifizieren sind“.674 Für den „klassischen Eingriffsbegriff“, wonach unter einem Grundrechtseingriff „ein rechtsförmiger Vorgang verstanden [wird], der unmittelbar und gezielt (final) durch ein vom Staat verfügtes, erforderlichenfalls zwangsweise durchzusetzendes Ge- oder Verbot, also imperativ, zu einer Verkürzung grundrechtlicher Freiheiten führt“,675 sind daher folgende vier Kriterien maßgeblich: „(1.) Imperativität, verstanden als Inanspruchnahme hoheitlicher Befehls- und Zwangsgewalt; (2.) Unmittelbarkeit zwischen staatlichem Handeln und Beeinträchtigung des grundrechtlichen Schutzguts; (3.) Finalität im Sinne einer zielgerichteten Einwirkung auf das grundrechtlich geschützte Gut; (4.) Rechtsförmlichkeit des staatlichen Vorgehens, d. h. Handeln durch Gesetz, Verwaltungsakt oder Urteil.“676 Da es mit Sinn und Zweck der Grundrechte aber nicht vereinbar wäre, den Grundrechtsschutz auf unmittelbare und rechtliche Einwirkungen des Staates zu beschränken, sind auch mittelbare, also nicht an den Grundrechtsträger selbst, sondern an Dritte gerichtete sowie faktische, also nicht rechtliche Einwirkungen des Staates als Grundrechtseingriff anzusehen, wenn sie nach Zielsetzung und Wirkung einem klassischen Grundrechtseingriff gleichkommen.677 Nach dem „modernen Eingriffsbegriff“ liegt daher ein Eingriff in den Schutzbereich eines Grundrechts bereits dann vor, wenn die Beeinträchtigung dem Staat zurechenbar ist und „eine nicht unerhebliche Einwirkung auf das Schutzgut gegen den Willen des Berechtigten“678 herbeiführt.679 In Bezug auf das Grundrecht der körperlichen Unversehrtheit besteht daher in „jedem staatlichen Handeln, das eine beeinträchtigende Wirkung auf den Körper eines Menschen hat“,680 ein Grundrechtseingriff. § 1631d Abs. 1 S. 1 BGB gestattet es den Eltern, aufgrund ihres Personensorgerechts in die medizinisch nicht notwendige Beschneidung ihres nicht einsichts- und urteilsfähigen männlichen Kindes einzuwilligen, wenn der Eingriff nach den Regeln der ärztlichen Kunst vorgenommen wird. Dies soll nach der Ausnahme in Abs. 1 S. 2 der Vorschrift nur dann nicht gelten, „wenn durch die Beschneidung auch unter Berücksichtigung ihres Zwecks das Kindeswohl gefährdet wird“. § 1631d Abs. 2 BGB regelt darüber hinaus, dass in den ersten sechs Monaten nach der Geburt des Kindes auch „von einer Religionsgesellschaft dazu vorgesehene Personen Beschneidungen gemäß Absatz 1 durchführen“ dürfen, „wenn sie dafür besonders ausgebildet und, ohne Arzt zu sein, für die Durchführung der Beschnei674

Müller-Franken in: Schmidt-Bleibtreu/Hofmann/Hopfauf, Vorb. v. Art. 1 Rn. 35. BVerfGE 105, S. 279 (300); Jarass in: Jarass/Pieroth, Art. 2, Rn. 88. 676 Müller-Franken in: Schmidt-Bleibtreu/Hofmann/Hopfauf, Vorb. v. Art. 1 Rn. 35; Pieroth/Schlink/Kingreen/Poscher, Rn. 251. 677 BVerfGE 105, S. 252 (273); 110, S. 177 (191). 678 Müller-Franken in: Schmidt-Bleibtreu/Hofmann/Hopfauf, Vorb. v. Art. 1 Rn. 36. 679 Windthorst in: Gröpl/Windthorst/von Coelln, Art. 2 Rn. 135. 680 Windthorst in: Gröpl/Windthorst/von Coelln, Art. 2 Rn. 134. 675

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dung vergleichbar befähigt sind“. Den Eltern wird damit das Recht eingeräumt, zu bestimmen, dass ihrem Kind, in den ersten sechs Lebensmonaten auch von einem Nichtmediziner, ein Teil des Körpers ohne medizinischen Grund irreversibel abgetrennt wird. Die Regelungen des § 1631d Abs. 1 S. 1 und Abs. 2 BGB stellen daher eine nicht unerhebliche Einwirkung auf die biologisch-physiologische Unversehrtheit des Körpers von Minderjährigen bzw. Neugeborenen und damit einen Eingriff in den Schutzbereich deren Grundrecht aus Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG dar. 3. Rechtfertigung des Eingriffs Der Eingriff in das Grundrecht auf körperliche Unversehrtheit durch § 1631d BGB ist gerechtfertigt, wenn er von den Schranken des Grundrechts unter Berücksichtigung der Schranken-Schranken gedeckt ist. Denn das Grundrecht auf körperliche Unversehrtheit ist nicht schrankenlos gewährleistet, vielmehr enthält es in Art. 2 Abs. 2 S. 3 GG eine Schranke in Form eines einfachen Gesetzesvorbehalts. Ob dem Grundrecht auf körperliche Unversehrtheit darüber hinaus auch die Grundrechte Dritter und sonstigen Rechtsgüter von Verfassungsrang verfassungsimmanente Schranken setzen, oder ob dies nur bei vorbehaltlos gewährten Grundrechten der Fall ist, ist umstritten. Dass auch die vorbehaltlos gewährten Grundrechte nicht schrankenlos gelten, ergibt sich aus dem Gedanken, dass kein Grundrecht isoliert betrachtet werden darf. Es ist daher anerkannt, dass Grundrechte Dritter und sonstige Rechtsgüter von Verfassungsrang jedenfalls den vorbehaltlos gewährleisteten Grundrechten Schranken setzen, die – weil sie sich aus der Verfassung selbst entnehmen lassen – als verfassungsimmanente Schranken bezeichnet werden.681 Eine an Systematik und Wortlaut angelehnte Auffassung spricht zwar dafür, dass Gesetzesvorbehalte in Grundrechten als abschließende Schrankenregelung zu verstehen sind und die verfassungsimmanenten Schranken diesen Grundrechten keine weiteren Begrenzungen setzen.682 Dafür, dass die verfassungsimmanenten Schranken auch für unter Gesetzesvorbehalt gestellte Grundrechte gelten, lässt sich jedoch überzeugend das argumentum a fortiori anführen: Wenn schon vorbehaltlose Grundrechte durch die verfassungsimmanenten Schranken Einschränkungen erfahren, muss dies erst recht für die unter Gesetzesvorbehalt gestellten Grundrechte gelten.683 Denn andernfalls würden die Grundrechte mit Gesetzesvorbehalt in stärkerem Maße als die vorbehaltlosen Grundrechte gewährleistet.684

681 682 683 684

von Coelln in: Gröpl/Windthorst/von Coelln, Vorbem. Rn. 111. Pieroth/Schlink/Kingreen/Poscher, Rn. 342. von Coelln in: Gröpl/Windthorst/von Coelln, Vorbem. Rn. 111. Jarass, in Jarass/Pieroth, Vorb. vor Art. 1 Rn. 50.

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a) Gesetzesvorbehalt als Schranke des Grundrechts aus Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG In Art. 2 Abs. 2 S. 3 GG ist vorgesehen, dass „in diese Rechte […] nur aufgrund eines Gesetzes eingegriffen“ werden darf. Es handelt sich dabei um einen sog. einfachen Gesetzesvorbehalt, der eine Begrenzung des Grundrechts durch ein Gesetz zulässt, ohne dass daran besondere, konkrete Bedingungen gestellt werden.685 Anhand des Wortlauts („diese Rechte“) und der systematischen Stellung wird deutlich, dass sich dieser Gesetzesvorbehalt sowohl auf das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit wie auch auf das Recht auf Freiheit der Person bezieht. Bei dem „Gesetz über den Umfang der Personensorge bei einer Beschneidung des männlichen Kindes“, mit dem § 1631d BGB in das Bürgerliche Gesetzbuch eingefügt wurde, handelt es sich um ein Gesetz im Sinne des Gesetzesvorbehalts des Art. 2 Abs. 2 S. 3 GG. Dieser stellt die unmittelbare Eingriffsgrundlage in das Grundrecht der körperlichen Unversehrtheit nicht einwilligungsfähiger Minderjähriger dar. b) Schranken-Schranken Für die verfassungsrechtliche Rechtfertigung eines Grundrechtseingriffs genügt es jedoch nicht, dass sich der Eingriff auf eine Grundrechtsschranke stützen kann. Denn von den Schranken darf der Gesetzgeber nicht in beliebigem Umfang Gebrauch machen.686 Der Eingriff muss vielmehr „diejenigen Grenzen beachten, die Verfassung für die Ausnutzung der Beschränkungsmöglichkeiten vorsieht“.687 Hierfür wird auch der Begriff Schranken-Schranken verwendet. aa) Formelle Verfassungsmäßigkeit Dem Bundestag stand für die Kodifizierung des § 1631d BGB die Gesetzgebungskompetenz zu. Für die Regelung in § 1631d Abs. 1 BGB ergibt sie sich aus Art. 74 Abs. 1 Nr. 1 GG. Soweit die Bundesregierung in ihrem Gesetzentwurf in Bezug auf die Gesetzgebungskompetenz für § 1631d Abs. 2 BGB die Ansicht vertrat, diese ergebe sich aus Art. 74 Abs. 1 Nr. 19 GG,688 könnte dem entgegengehalten werden, dass es sich bei von einer Religionsgemeinschaft bestimmten nichtärztlichen Beschneidern nicht um Angehörige ,der anderen Heilberufe oder des Heilgewerbes’, sondern um Gewerbetreibende handle und sich bei zutreffender Betrachtung die Gesetzgebungskompetenz des Bundes daher aus Art. 74 Abs. 1 Nr. 11 GG ergäbe. Allerdings werden die Begriffe des Heilberufs und des Heilgewerbes weit ausgelegt. Darunter werden alle Tätigkeiten verstanden, die einen medizinischpflegerischen Schwerpunkt haben, wozu nicht nur die Heilung, sondern auch die 685 686 687 688

In letzterem Fall spricht man von einem qualifizierten Gesetzesvorbehalt. von Coelln in: Gröpl/Windthorst/von Coelln, Vorbem. Rn. 102, 116. von Coelln in: Gröpl/Windthorst/von Coelln, Vorbem. Rn. 102. Bundestagsdrucksache 17/11295 vom 05. 11. 2012, S. 14.

B. Verfassungsgemäßheit des § 1631d BGB

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Linderung von Beschwerden zählt.689 Bei nichtärztlichen Beschneidern bildet zwar weder die Heilung noch die Linderung von gesundheitlichen Beschwerden den Schwerpunkt ihrer Tätigkeit. Im Gegenteil besteht der Schwerpunkt dieser Tätigkeit in der Verletzung des gesunden Körpers. Maßgeblich für die Betrachtung erscheint aber, dass die nicht medizinisch indizierte Beschneidung von Art und Weise der Durchführung, Eingriffstiefe und Folgen weitestgehend der medizinisch indizierten Zirkumzision entspricht und daher mit einer Heilbehandlung vergleichbar ist. Sie setzt vor, während und nach ihrer Durchführung ärztliches Fachwissen voraus. Darüber hinaus obliegt den nichtärztlichen Beschneidern auch die Nachsorge der von ihnen durch die Verletzung des gesunden Körpers verursachten Wunden. Angesichts der weiten Auslegung des Begriffs der Ausübung der Heilkunde sind daher auch die nichtärztlichen Beschneider unter das Tatbestandsmerkmal der ,anderen Heilberufe oder des Heilgewerbes‘ zu subsumieren.690 Die aus Art. 74 Abs. 1 Nr. 19 GG folgende Gesetzgebungskompetenz des Bundes für § 1631d Abs. 2 BGB beschränkt sich allerdings auf die „Zulassung zu […] anderen Heilberufen und zum Heilgewerbe“, sie umfasst nicht die Befugnis, Regelungen betreffend die Berufsausübung zu treffen, hinsichtlich derer die Gesetzgebungsbefugnis gem. Art. 30, 70 Abs. 1 GG bei den Bundesländern liegt. Die Bundesländer könnten daher in Ergänzung zu der Regelung des § 1631d Abs. 2 BGB Regelungen zur Berufsausübung erlassen. bb) Verbot des Einzelfallgesetzes Nach Art. 19 Abs. 1 S. 1 GG muss ein Gesetz, mit welchem ein Grundrecht aufgrund eines Gesetzesvorbehalts eingeschränkt wird, „allgemein und nicht nur für den Einzelfall gelten.“ Das Verbot des Einzelfallgesetzes dient „der Sicherung derjenigen Grundrechte, die aufgrund eines speziellen im Grundgesetz enthaltenen Vorbehalts durch Gesetz oder aufgrund eines Gesetzes eingeschränkt werden können“.691 Diese Vorschrift „verbietet dem Gesetzgeber, aus einer Reihe gleichartiger Sachverhalte willkürlich einen Fall herauszugreifen und zum Gegenstand einer Ausnahmeregelung zu machen“.692 Diese Anforderung ist erfüllt, „wenn sich wegen der abstrakten Fassung des gesetzlichen Tatbestandes nicht absehen lässt, auf wie viele und welche Fälle das Gesetz Anwendung findet“.693 Dass diese Voraussetzung durch die Regelung des § 1631d Abs. 1 BGB eingehalten wird, ist offensichtlich. Zweifelhaft könnte allerdings sei, ob dies auch für die Regelung des § 1631d Abs. 2 BGB gilt. Denn dabei handelt es sich um religiöses Sonderrecht, das ausschließlich auf männliche Kinder jüdischer Eltern bis zum Alter von sechs Monaten zugeschnitten ist. Damit soll zwar nicht ein bestimmtes Individuum in seinem 689 690 691 692 693

BVerfGE 106, S. 62 (106 ff.). Rixen, S. 257 (258). BVerfGE 24, S. 367 ff. BVerfGE 25, S. 371 ff. BVerfGE 121, S. 30 ff.

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4. Kap.: Rechtslage nach Inkrafttreten des § 1631d BGB

Grundrecht auf körperliche Unversehrtheit in stärkerem Maße als andere Individuen bevorzugt oder eingeschränkt werden. Es sollen aber für eine bestimmte Personengruppe Ausnahmen vom Grundrecht auf körperliche Unversehrtheit geschaffen werden. Dass „der Gesetzgeber eine Anzahl konkreter Fälle vor Augen hat, die er zum Anlass einer Regelung nimmt“, macht diese jedoch dann nicht zu einem Einzelfallgesetz, „wenn sie nach Art der in Betracht kommenden Sachverhalte geeignet ist, unbestimmt viele weitere Fälle zu regeln“.694 So liegt der Fall hier, denn die Regelung des § 1631d Abs. 2 BGB erfasst aufgrund ihrer abstrakten Formulierung eine im Zeitpunkt ihrer Kodifizierung nicht abschließend bestimmte Zahl von Betroffenen. cc) Zitiergebot Gemäß Art. 19 Abs. 1 S. 2 GG muss das Gesetz, mit dem ein Grundrecht aufgrund eines Gesetzesvorbehalts eingeschränkt wird, „das Grundrecht unter Angabe des Artikels nennen“. Mit dieser Regelung sollten die Grundrechte im Grundgesetz „auf eine neue Stufe gehoben“695 werden. Ihr kommt eine Warn- und Besinnungsfunktion696 zu, die den Gesetzgeber an seine Grundrechtsbindung erinnern und sicherstellen soll, „dass nur wirklich gewollte Eingriffe erfolgen“.697 Ausgehend von seinem Wortlaut bezieht sich Art. 19 Abs. 1 S. 2 GG nur auf Fälle des Art. 19 Abs. 1 S. 1 GG, also Einschränkungen von Grundrechten durch den Gesetzgeber aufgrund ausdrücklicher Ermächtigung im Grundgesetz. In der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts wird das Zitiergebot restriktiv ausgelegt und angewandt. Auf vorkonstitutionelles Recht, Gleichheitsgrundrechte und vorbehaltlos gewährleistete Grundrechte, die Beschränkungen im Rahmen verfassungsimmanenter Schranken erfahren, findet das Zitiergebot ebenso wenig Anwendung wie auf Schrankenziehungen im Grundgesetz selbst (z. B. Art. 2 Abs. 1, Art. 5 Abs. 2 GG), die lediglich den Schutzbereich der Grundrechte definieren, sowie auf Regelungs- und Ausgestaltungsvorbehalte, die lediglich der Ausgestaltung eines Grundrechts dienen.698 Auf Grundrechte, die aufgrund ausdrücklicher Ermächtigung durch den Gesetzgeber eingeschränkt werden dürfen, findet das Zitiergebot Anwendung.699 Das Grundrecht auf körperliche Unversehrtheit wird durch Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG geschützt und steht nach Art. 2 Abs. 2 S. 3 GG unter einem ausdrücklichen Gesetzesvorbehalt. Es gehört daher zu den vom Zitiergebot erfassten Grundrechten.700 Es soll jedoch nur An-

694

BVerfGE 99, S. 367 ff. Michael/Morlok, Rn. 580. 696 BVerfGE 64, S. 72 ff.; Hofmann in: Schmidt-Bleibtreu/Hofmann/Hopfauf, Art. 19 Rn. 11, 12. 697 Jarass in: Jarass/Pieroth, Art. 19 Rn. 3. 698 Windthorst in: Gröpl/Windthorst/von Coelln, Art. 19 Rn. 19 ff.; Hofmann in: SchmidtBleibtreu/Hofmann/Hopfauf, Art. 19 Rn. 12, 13. 699 BVerfGE 113, S. 348 ff. 700 BVerfGE 64, S. 72 ff. 695

B. Verfassungsgemäßheit des § 1631d BGB

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wendung finden, wenn ein zielgerichteter Grundrechtseingriff701 stattfindet. Dies wird damit begründet, dass der Gesetzgeber „nur bei wirklich gewollten Eingriffen“ verpflichtet sei, sie im Gesetzestext anzugeben, weil er nur in diesen Fällen „über die Auswirkungen seiner Regelungen für die betroffenen Grundrechte Rechenschaft“ ablegen müsse.702 Das Zitiergebot fände daher auf das „Gesetz über den Umfang der Personensorge bei einer Beschneidung des männlichen Kindes“ dann Anwendung, wenn mit diesem ein zielgerichteter Eingriff in das Grundrecht der Minderjährigen auf körperliche Unversehrtheit verbunden wäre. Mit den Regelungen des § 1631d BGB soll ausdrücklich bezweckt werden, eine Beeinträchtigung der körperlichen Unversehrtheit der selbst noch nicht einwilligungsfähigen Minderjährigen zu ermöglichen, indem den Sorgeberechtigten das Recht verliehen wird, in die Beschneidung einzuwilligen. Dem Gesetzgeber ging es dabei gerade darum, die mit Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG geschützten Rechtsgüter der Minderjährigen „um bestimmter Ziele willen […] zu beeinträchtigen“.703 § 1631d BGB stellt daher einen gezielten und gewollten Eingriff des Gesetzgebers in das Grundrecht der Minderjährigen auf körperliche Unversehrtheit dar. Hieraus folgt, dass das Zitiergebot des Art. 19 Abs. 1 S. 2 GG auf das ,Gesetz über den Umfang der Personensorge bei einer Beschneidung des männlichen Kindes’ Anwendung findet. Es verlangt eine ausdrückliche Benennung des Eingriffs im Wortlaut des Gesetzes unter Angabe des Artikels, ein Hinweis in der Gesetzesbegründung ist nicht ausreichend.704 Weder in dem Wortlaut des Artikelgesetzes über den Umfang der Personensorge bei einer Beschneidung des männlichen Kindes noch im Gesetzestext des § 1631d BGB selbst findet sich jedoch der erforderliche Hinweis auf die damit verbundene Einschränkung des Grundrechts auf körperliche Unversehrtheit. Das Zitiergebot ist somit verletzt. Die Verletzung des Zitiergebots führt zur Verfassungswidrigkeit und damit zur Nichtigkeit des Gesetzes.705 § 1631d BGB ist damit infolge der Verletzung des Zitiergebots aus Art. 19 Abs. 1 S. 2 GG verfassungswidrig und damit nichtig. Gleichwohl soll die weitere Prüfung der Verfassungsgemäßheit an dieser Stelle nicht beendet, sondern fortgeführt werden, um festzustellen, ob die Regelung des §1631d BGB auch an weiteren verfas-

701

BVerfG, NJW 1999, S. 3399 ff.; Jarass in: Jarass/Pieroth, Art. 19 Rn. 4. BVerfGE 64, S. 72 ff. 703 Vgl. hierzu die Entscheidung des BVerfG in NJW 1999, S. 3399 ff., in der das BVerfG einen gezielten Eingriff in das Grundrecht auf Leben und körperliche Unversehrtheit Betroffener durch § 8 TPG nicht erkannte, weil der Gesetzgeber mit dieser Vorschrift einen Eingriff in die körperliche Unversehrtheit weder durch den Staat noch durch Dritte ermöglichen wolle, und es ihm nicht darum gehe, um bestimmter Ziele willen die durch Art. 2 Abs. 2 S. 1 geschützten Rechtsgüter zu beeinträchtigen. 704 Jarass in: Jarass/Pieroth, Art. 19 Rn. 7. 705 Vgl. BVerfGE 5, S. 13 ff.; 113, S. 348 ff.; 120, S. 274 ff; Hofmann in: Schmidt-Bleibtreu/Hofmann/Hopfauf, Art. 19 Rn. 11; Windthorst in: Gröpl/Windthorst/von Coelln, Art. 19 Rn. 27. 702

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sungsrechtlichen Hürden scheitert, oder ob der Gesetzgeber ein inhaltsgleiches Gesetz lediglich unter Beachtung des Zitiergebots neu erlassen könnte. dd) Parlamentsvorbehalt Die Formulierung in Art. 2 Abs. 2 S. 3 GG, wonach das Grundrecht aus Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG „aufgrund“ eines Gesetzes eingeschränkt werden kann, erweckt den Eindruck, dass auch eine Beschränkung durch untergesetzliche Normtypen wie Rechtsverordnungen, Verwaltungsvorschriften und Satzungen ausreichend sei, die aufgrund von Delegation erlassen werden. Dies ist jedoch bei Eingriffen in das Lebensrecht und bei gezielten, schwerwiegenden Eingriffen in die körperliche Unversehrtheit nicht der Fall, hier ist vielmehr nach der aus Art. 20 Abs. 3 GG hergeleiteten Wesentlichkeitstheorie ein Parlamentsgesetz als Eingriffsgrundlage erforderlich.706 Dieser sog. Parlamentsvorbehalt verlangt, dass der Gesetzgeber, also das Parlament, die wesentlichen Fragen der Grundrechtsausübung, insbesondere die Einschränkung von grundrechtlichen Freiheiten und den Ausgleich zwischen kollidierenden Grundrechten in einem förmlichen Gesetz selbst regeln muss,707 um sicherzustellen, dass in Entscheidungen von solcher Tragweite auch die Öffentlichkeit eingebunden wird. Dieses Erfordernis wurde bei der Kodifizierung des § 1631d BGB beachtet. ee) Bestimmtheitsgebot Gleichfalls aus Art. 20 Abs. 3 GG wird das Bestimmtheitsgebot abgeleitet, das der Vorhersehbarkeit und rechtsstaatlichen Überprüfbarkeit von Grundrechtseingriffen dienen soll.708 Danach ist der Gesetzgeber gehalten, Normen nach Inhalt, Gegenstand, Zweck und Ausmaß hinreichend so bestimmt zu fassen, wie dies nach der Eigenart der zu ordnenden Lebenssachverhalte mit Rücksicht auf den Normzweck möglich ist.709 Gesetze müssen daher „in Tatbestand und Rechtsfolgen so klar gefasst sein, dass der Normadressat sein Verhalten an den Anforderungen der Rechtsordnung“710 orientieren kann. Ferner sollen durch hinreichend klar bestimmte gesetzliche Regelungen „Regierung und Verwaltung im Gesetz steuernde und begrenzende Handlungsmaßstäbe vorfinden und […] die Gerichte eine wirksame Rechtskontrolle durchführen können“.711 Im Hinblick auf die Vielfalt auftretender Lebenssachverhalte und menschlicher Verhaltensweisen können gesetzliche Rege706 BVerfGE 7, S. 198 ff.; 17, S. 108 ff. („Dazu genügt es nicht, dass der Eingriff auf einer gesetzlichen Grundlage beruht; denn das Gesetz, das den Eingriff erlaubt, muss seinerseits im Lichte der Bedeutung des Grundrechts gesehen werden.“). 707 von Coelln in: Gröpl/Windthorst/von Coelln, Vorbem. Rn. 122. 708 Michael/Morlok, § 22 Rn. 564 m.w.N. 709 BVerfGE 128, S. 282 ff. m.w.N.; Hofmann in: Schmidt-Bleibtreu/Hofmann/Hopfauf, Art. 20 Rn. 85. 710 von Coelln in: Gröpl/Windthorst/von Coelln, Vorbem. Rn. 124. 711 BVerfGE 120, S. 378 ff.

B. Verfassungsgemäßheit des § 1631d BGB

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lungen jedoch nicht alle Einzelheiten detailliert regeln. Die Anforderungen an das Bestimmtheitsgebot dürfen daher nicht überspannt werden. Insbesondere kann sich der Gesetzgeber Generalklauseln und Pauschalierungen anhand typischer Fallgruppen bedienen,712 damit zum einen unterschiedliche Fälle erfasst und zum anderen dynamische Entwicklungen, wie etwa der technische, wissenschaftliche oder medizinische Fortschritt, eingefangen werden können. Soweit daher in § 1631d Abs. 1 S. 1 BGB die Generalklausel „nach den Regeln der ärztlichen Kunst“ Verwendung findet, begegnet dies mit Blick auf das Bestimmtheitsgebot keinen Bedenken. Gesetzessystematisch wäre es zwar stringenter gewesen, statt dessen den von der höchstrichterlichen Rechtsprechung zum Arzthaftungsrecht entwickelten und im Rahmen der Kodifizierung des Gesetzes zur Stärkung der Patientenrechte in § 630a Abs. 2 BGB eingeführten Begriff des „zum Zeitpunkt der Behandlung bestehenden, allgemein anerkannten fachlichen Standards“ auch in § 1631d Abs. 1 BGB zu verwenden;713 letztlich ist jedoch mit dem eher veralteten Begriff der „Regeln der ärztlichen Kunst“ nicht anderes gemeint. Demgegenüber stellt sich die Frage, ob die Bestimmung in § 1631d Abs. 1 S. 2 BGB dem Bestimmtheitsgebot genügt. Nach dieser soll eine Einwilligung der Personensorgeberechtigten in die nicht medizinisch indizierte Beschneidung ihres männlichen Kindes ausnahmsweise dann keine rechtfertigende Wirkung entfalten, wenn durch sie „auch unter Berücksichtigung ihres Zwecks das Kindeswohl gefährdet wird.“ Der Gesetzgeber hatte hierbei ausweislich des Gesetzentwurfs der Bundesregierung z. B. solche Fälle im Blick, in welchen die Sorgeberechtigten die Beschneidung ihres Kindes aus rein ästhetischen Gründen oder zur Erschwerung der Masturbation durchführen lassen wollen, oder in denen medizinische Gründe einer Beschneidung entgegen stehen.714 Diese Formulierung ist jedoch völlig unbestimmt und damit praktisch bedeutungslos. Denn der Gesetzgeber wollte mit § 1631d Abs. 1 BGB bewusst kein religiöses Sonderrecht schaffen, welches die Zulässigkeit der Einwilligung der Sorgeberechtigten in die medizinisch nicht indizierte Beschneidung ihrer minderjährigen Kinder an religiöse Motive knüpft. Vielmehr soll die Einwilligung der Sorgeberechtigten grundsätzlich möglich sein und nicht dem Kindeswohl widersprechen, gleich aus welchen Motiven diese die Beschneidung ihrer Kinder wünschen. Wenn also die Sorgeberechtigten ihr Kind beschneiden lassen wollen, brauchen sie hierfür keinerlei Begründung anzugeben. Sie müssen lediglich zum Kinderchirurgen, chirurgisch tätigen Urologen oder zu einem von einer Religionsgemeinschaft bestimmten nichtärztlichen Beschneider gehen, den Wunsch nach der Beschneidung ihres Minderjährigen äußern und nach erfolgter Aufklärung die Einwilligung in die Beschneidung erteilen. Daraufhin wird diese durchgeführt, unabhängig davon, welche Motive die Sorgeberechtigten hierzu be712 Windthorst in: Gröpl/Windthorst/von Coelln, § 20 Rn. 183 ff.; Hofmann in: SchmidtBleibtreu/Hofmann/Hopfauf, Art. 20 Rn. 86. 713 Spickhoff, FamRZ 2013, S. 337 (340). 714 Bundestagsdrucksache 17/11295 vom 05. 11. 2012, S. 18.

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wogen haben. Die Motive sollen für die Zulässigkeit grundsätzlich unbeachtlich sein. Selbst wenn ein Sorgeberechtigter die Beschneidung aus rein ästhetischen Gründen oder zur Erschwerung der Masturbation vornehmen lassen wollte, würde dieses Motiv nach außen nie in Erscheinung treten, weil niemand ihn danach fragen würde. Aber selbst wenn der Sorgeberechtigte danach gefragt würde, bräuchte er lediglich auf hygienische Vorteile oder religiöse Motive zu verweisen, um mit diesen sein tatsächliches, nach Ansicht des Gesetzgebers kindeswohlgefährdendes Motiv zu bemänteln.715 Die Regelung des § 1631d Abs. 1 S. 2 BGB lässt somit völlig offen, unter welchen Voraussetzungen durch die Beschneidung das Kindeswohl als gefährdet angesehen wird und ob und gegebenenfalls wie dies im Einzelfall überprüfbar und feststellbar sein soll. Zutreffend weist Walter daher darauf hin, dass die Bedingungen, „die bei suspekter Zwecksetzung eine Beschneidung verhindern sollen, im Nebel“ bleiben.716 Übrig bleiben letztlich die Fälle, in welchen aus medizinischen Gründen eine Beschneidung nicht oder noch nicht möglich und daher kontraindiziert ist. Diese Fälle bedürfen aber der Regelung in § 1631d Abs. 1 S. 2 BGB ohnedies nicht, da eine Beschneidung in diesen Fällen schon nach Abs. 1 unzulässig wäre, denn eine kontraindizierte Beschneidung entspräche nicht den Regeln der ärztlichen Kunst. Hätte der Gesetzgeber geregelt, dass nur Angehörige bestimmter Religionsgemeinschaften in die Beschneidung ihrer selbst noch nicht einwilligungsfähigen männlichen Minderjährigen einwilligen können, andernfalls die Einwilligung nicht dem Kindeswohl entspreche, wäre diese Regelung bestimmt und normenklar gewesen. So bleibt alles im Nebulösen und es entsteht der Eindruck, dass der Gesetzgeber mit der Regelung in § 1631d Abs. 1 S. 2 BGB lediglich nach außen hin symbolisieren wollte, dass er trotz seines massiven Eingriffs in das Grundrecht der Minderjährigen auf körperliche Unversehrtheit dem staatlichen Wächteramt Rechnung trage. Bei der Frage, welche Anforderungen an die Bestimmtheit gesetzlicher Regelungen zu stellen sind, sind „die betroffenen Rechtspositionen, das Ausmaß der Beeinträchtigung, deren Reversibilität und die Zahl der Betroffenen“717 in den Blick zu nehmen. Je stärker die Grundrechtsträger durch eine Norm belastet werden, umso strengere Anforderungen sind an ihre Bestimmtheit zu stellen.718 Die Anzahl der durch die Regelung in § 1631d Abs. 1 S. 2 BGB Betroffenen ist sehr hoch, weil sie eine unbestimmte Vielzahl Minderjähriger erfasst, deren Beschneidung medizinisch nicht indiziert ist. Der Eingriff ist mit nicht unerheblichen Risiken und Schmerzen verbunden, er ist irreversibel, und er führt zu dauerhaften Folgen wie dem Verlust von gesundem, funktionalem und erogenem Körpergewebe.719 Angesichts von Intensität, Ausmaß und Folgen dieses Eingriffs sind an das Bestimmtheitsgebot aus Art. 20 715

Scheinfeld, S. 268 (280). Walter, JZ 2012, S. 1110 (1113). 717 Windthorst in: Gröpl/Windthorst/von Coelln, § 20 Rn. 182. 718 BVerfGE 128, S. 282 ff. m.w.N.; Hofmann in: Schmidt-Bleibtreu/Hofmann/Hopfauf, Art. 20 Rn. 85. 719 Siehe hierzu 2. Kapitel, B. VI. 716

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Abs. 3 GG in Bezug auf die Regelung, in welchen Fällen durch die Beschneidung das Kindeswohl gefährdet wird und wie dies im Einzelfall überprüft werden soll, daher strenge Anforderungen zu stellen. Um einen auch nur ansatzweise hinreichenden Grad an Bestimmtheit zu erfüllen, müsste zumindest im Kern geregelt werden, in welchen Fallgruppen der Gesetzgeber das Kindeswohl als gefährdet ansieht und wie überprüft und festgestellt werden soll, ob eine Kindeswohlgefährdung vorliegt oder nicht.720 Dies gilt umso mehr, als der Gesetzgeber mit § 1631d Abs. 1 S. 1 BGB offensichtlich davon ausgeht, dass die nicht medizinisch indizierte Beschneidung Minderjähriger auf Wunsch deren Sorgeberechtigter grundsätzlich dem Kindeswohl entspreche, und er damit das Kindeswohl der alleinigen Bestimmung der Sorgeberechtigten anheimstellt. In der jetzigen, völlig unbestimmten Fassung des § 1631d Abs. 1 S. 2 BGB kommt diesem lediglich eine Alibifunktion zu und das staatliche Wächteramt läuft ins Leere. Der Mangel der Bestimmtheit der Regelung kann hier nicht durch eine verfassungskonforme Auslegung geheilt werden, denn dies würde erfordern, dass zumindest die wesentlichen Fragen im Kern geregelt sind,721 was aber tatsächlich nicht der Fall ist. § 1631d Abs. 1 S. 2 BGB ist damit wegen Verletzung des Bestimmtheitsgebots aus Art. 20 Abs. 3 GG verfassungswidrig. Gleichfalls fraglich ist, ob die Regelung in § 1631d Abs. 2 BGB, wonach in den ersten sechs Monaten nach der Geburt des Kindes auch von einer Religionsgesellschaft dazu vorgesehene Personen Beschneidungen durchführen dürfen, wenn sie dazu besonders ausgebildet und für die Durchführung der Beschneidung einem Arzt vergleichbar befähigt sind, dem Bestimmtheitsgebot hinreichend Rechnung trägt. Welche Anforderungen an die besondere Ausbildung dieser nichtärztlichen religiösen Beschneider gestellt werden, ob sie von den Religionsgesellschaften in einem prozeduralen Verfahren bestimmt werden und wie dabei die einem Arzt vergleichbare Befähigung festgestellt werden soll, und ob die betreffenden Personen einer behördlichen Genehmigung bedürfen oder ihre Ausbildung und Befähigung durch staatliche Organe verifiziert werden soll, bleibt in § 1631d Abs. 2 BGB völlig ungeregelt. Zu diesen Fragen fehlt es an jedweden Bestimmungen, welche die näheren Voraussetzungen für Ausbildung, Ernennung und Überprüfung der Fähigkeiten auch nur ansatzweise regeln. Im Hinblick darauf, dass auch bei der Beschneidung durch religiöse, nichtärztliche Beschneider der Facharztstandard einzuhalten ist, müssten die von der Religionsgemeinschaft bestimmten Personen daher vertiefte Kenntnisse und Fertigkeiten hinsichtlich des chirurgischen Eingriffs Zirkumzision besitzen. Sie müssten darüber hinaus Kenntnisse in Anästhesie und Notfallmedizin besitzen, um den Eingriff und die Schmerzbetäubung nach dem allgemein anerkannten Standard durchführen und auf Komplikationen schnell und adäquat reagieren zu können. 720 Dass die mit § 1631 d BGB verfolgte gesetzgeberische Intention, Rechtssicherheit zu schaffen, nicht zuletzt im Hinblick auf die Unbestimmtheit des Abs. 1 Satz 2 fehlgeschlagen ist, wird an der Entscheidung des OLG Hamm (NJW 2013, S. 3662 ff.) deutlich; siehe hierzu 5. Kapitel, A. 721 BVerfGE 128, S. 282 ff. m.w.N.; BVerfGE 107, S. 104 ff. (juris).

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Ferner müssten sie zur ordnungsgemäßen Aufklärung der Sorgeberechtigten und des nicht einwilligungsfähigen Minderjährigen, soweit dieser selbst schon über eine gewisse Verständnisfähigkeit verfügt, in der Lage sein. Woher sollen die Eltern wissen können, ob ein von einer Religionsgemeinschaft dazu vorgesehener nichtärztlicher Beschneider einem Arzt vergleichbar zur Durchführung von Beschneidungen befähigt ist? Dieses Wissen ist aber zur wirksamen Einwilligung in den Eingriff erforderlich. Durch die Regelung in § 1631d Abs. 2 BGB ist es jedoch schlechterdings weder staatlicherseits noch durch die Sorgeberechtigten überprüfbar, ob die Person die besonderen Kenntnisse und Fertigkeiten besitzt. Etwas anderes könnte allerdings dann gelten, wenn die von einer Religionsgesellschaft vorgesehenen nichtärztlichen Beschneider einer Erlaubnis nach dem Heilpraktikergesetz bedürften. Nach Abs. 1 § 1 HeilpraktikerG bedarf der Erlaubnis, wer die Heilkunde ausübt, ohne als Arzt bestallt zu sein. Unter Ausübung der Heilkunde wird nach § 1 Abs. 2 HeilpraktikerG „jede berufs- oder gewerbsmäßig vorgenommene Tätigkeit zur Feststellung, Heilung oder Linderung von Krankheiten, Leiden oder Körperschäden bei Menschen…“ angesehen. Wegen des Zwecks des Heilpraktikergesetzes, die Bevölkerung vor Behandlungen durch ungeeignete Personen zu schützen, wird das Tatbestandsmerkmal der Ausübung der Heilkunde von der Rechtsprechung weit ausgelegt. Damit soll der Gefahr begegnet werden, dass sich „ein Heilbehandler nur möglichst weit von den Regeln ärztlicher Wissenschaft entfernen müsste“, um nicht von dem Erlaubnisvorbehalt des Heilpraktikergesetzes erfasst zu werden.722 Maßgeblich ist daher zum einen, ob die Behandlung insoweit mit einer ärztlichen Heilbehandlung vergleichbar ist, als sie ärztliches Fachwissen voraussetzt und gesundheitliche Beeinträchtigungen herbeiführen kann. Dabei reicht es schon aus, wenn die Behandlung als solche keine ärztlichen Fachkenntnisse voraussetzt, aber vor ihrer Durchführung diagnostisches Fachwissen notwendig ist. Bei der Beschneidung ist sowohl vor als auch zur Durchführung des Eingriffs medizinisches Fachwissen erforderlich, ebenso für die begleitende Anästhesie.723 Grundsätzlich wäre die Regelung des § 1 Abs. 1 HeilpraktigerG daher auf religiöse nichtärztliche Beschneider anwendbar. Allerdings wollte der Gesetzgeber mit § 1631d Abs. 2 BGB ausdrücklich keine Regelung dahingehend treffen, dass die von den Religionsgesellschaften vorgesehenen Beschneider einer besonderen staatlichen Erlaubnis bedürfen. Entsprechende Änderungsanträge724 im Gesetzgebungsverfahren hat er abgelehnt und wollte die Voraussetzungen, unter denen die Beschneider bestimmt werden, alleine den Religionsgesellschaften überlassen. Damit sollten die nichtärztlichen religiösen Beschneider entweder schon „als besonderer Berufsstand“ nicht dem Erlaubnisvorbehalt von § 1 Abs. 1 HeilpraktikerG unterfallen oder jedenfalls ihr Vorsehen durch die Religionsgemeinschaft eine Art „Bestallungsakt“ in Form einer „an den Beschneider selbst gerichteten Legitimationsregel“ darstellen, die eine 722 723 724

Hahn, Erik, MedR 2013, S. 215 (216). Hahn, Erik, MedR 2013, S. 215 (217). Siehe hierzu 4. Kapitel, A. III. 1.

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Rechtfertigung i.S.d. § 5 Heilpraktikergesetz entbehrlich macht.725 Es verbleibt somit dabei, dass weder staatlicherseits noch durch die Sorgeberechtigten auch nur im Ansatz überprüfbar ist, ob der nichtärztliche Beschneider die besonderen Kenntnisse und Fertigkeiten besitzt, die zur diagnostischen Voruntersuchung, zur ordnungsgemäßen Aufklärung, zur Durchführung des Eingriff selbst, zur notwendigen Anästhesie und zur fachgerechten Reaktion auf Komplikationen erforderlich sind. Dies führt zu einer Rechtsunsicherheit der Eltern. Erst wenn ,etwas schief geht‘, stellt sich dadurch nachträglich heraus, dass die Person nicht gleich einem Arzt befähigt und damit von vorne herein nicht in der Lage war, den Eingriff entsprechend dem allgemein anerkannten medizinischen Facharztstandard auf dem Gebiet der Kinderchirurgie oder -Urologie durchzuführen. In einem solchen Fall wäre aber ohnedies die Einwilligung der Sorgeberechtigten unwirksam, weil in einen nicht dem anerkannten Facharztstandard entsprechenden Eingriff nicht rechtswirksam eingewilligt werden kann. Um verifizieren zu können, ob eine einem Arzt vergleichbare Befähigung besteht, bedarf es einer Prüfung unter ärztlicher Aufsicht, z. B. bei den Gesundheitsämtern oder den Ärztekammern, denn nur ein (Fach-)Arzt kann sicher beurteilen, ob der nichtärztliche Beschneider, der den operativen Eingriff Zirkumzision ausführen dürfen soll, dies mit einer vergleichbaren Befähigung wie ein Arzt durchführen kann. Die Auffassung, eines staatlichen Zulassungsverfahrens bedürfe es hierzu nicht, weil die Zulassung dem Grunde nach durch § 1631d Abs. 2 BGB bereits erfolgt sei und der Vollzug der Zulassung dem Selbstbestimmungsrecht der Religionsgemeinschaften überlassen bleibe,726 ist deshalb nicht überzeugend, weil gem. Art. 140 GG i.V.m. Art. 136 WRV die staatsbürgerlichen Rechte durch die Ausübung der Religionsfreiheit nicht beschränkt werden dürfen und es daher gerade nicht den Religionsgemeinschaften, sondern dem Staat obliegt, zu entscheiden, ob eine Person, die gravierende Eingriffe in die körperliche Unversehrtheit Dritter vornehmen dürfen soll, eine Befähigung hierzu aufweist, die der eines Facharztes entspricht. Ungeklärt ist auch die Frage der Fortbildungspflicht. Muss sich ein von einer Religionsgemeinschaft vorgesehener nichtärztlicher Beschneider – gleich einem Arzt – fortbilden, um auf dem jeweils aktuellen Stand der medizinischen Wissenschaft zu sein, damit er die sich dynamisch entwickelnden „zum Zeitpunkt der Behandlung bestehenden allgemein anerkannten fachlichen Standards“, also die – um in der Diktion des § 1631d Abs. 1 BGB zu bleiben – Regeln der ärztlichen Kunst einhalten kann? Wenn ja, auf welche Weise? Dies alles ist in § 1631d Abs. 2 BGB völlig offen gelassen. Von einer normenklaren Bestimmung kann daher nicht einmal im Ansatz die Rede sein. Wie oben ausgeführt, sind bei der Frage, welche Anforderungen an die Bestimmtheit gesetzlicher Regelungen zu stellen sind, „die betroffenen Rechtspositionen, das Ausmaß der Beeinträchtigung und deren Reversibilität sowie die Zahl der

725 726

Hahn, Erik, MedR 2013, S. 215 (219). Rixen, S. 257 (261).

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4. Kap.: Rechtslage nach Inkrafttreten des § 1631d BGB

Betroffenen“727 zu betrachten. Je stärker die Betroffenen durch eine gesetzliche Regelung belastet werden, desto strengere Anforderungen sind an ihre Bestimmtheit zu stellen.728 Durch die Regelung in § 1631d Abs. 2 BGB wird eine Vielzahl Minderjähriger erfasst. Die Regelung greift in deren Grundrecht in besonders starkem Ausmaß ein, da es sich bei ihnen einerseits um Babys bis zum Alter von sechs Monaten nach der Geburt, also um einen besonders schutzbedürftigen und hilflosen Personenkreis handelt, andererseits gerade bei diesen trotz der besonderen Schutzbedürftigkeit von dem ansonsten im deutschen Recht geltenden Arztvorbehalt des § 1 Abs. 1 HeilpraktikerG abgewichen und zugelassen wird, dass die Operation von medizinischen Laien durchgeführt wird. Diese Operation ist medizinisch nicht indiziert, sie ist mit nicht unerheblichen Risiken verbunden und führt zu dauerhaften Folgen wie dem Verlust von gesundem, erogen wichtigem Körpergewebe, der irreversibel ist.729 Angesichts der Eingriffsintensität und der Folgen der Beschneidung sind an das Bestimmtheitsgebot aus Art. 20 Abs. 3 GG für die durch nichtärztliche Beschneider an Kindern bis zum Alter von sechs Monaten nach der Geburt durchgeführte Beschneidungen demnach äußerst hohe Anforderungen zu stellen. Zumindest müsste das Gesetz – ähnlich wie dies für Ärzte in der Approbationsordnung geregelt – im Ansatz Regelungen über Ausbildung, Prüfung der Fähigkeiten und Fortbildung der von Religionsgemeinschaften vorgesehenen nichtärztlichen Beschneider für den Zugang zum Beruf treffen, wie dies etwa in dem Änderungsantrag der Abgeordneten Lischka u. a.730 vorgesehen war, nach welchem das Bundesministerium für Gesundheit ermächtigt werden sollte, durch Rechtsverordnung das Nähere hinsichtlich der Ausbildungsvoraussetzungen und des Befähigungsnachweises der nichtärztlichen Beschneider sowie der Anforderungen und Modalitäten des Eingriffs, insbesondere der Schmerzbehandlung, zu regeln. In § 1631d Abs. 2 BGB wurden jedoch weder für die betroffenen Sorgeberechtigten noch für die von Religionsgesellschaften zur Vornahme der Beschneidung vorgesehenen nichtärztlichen Beschneider, die für ihre Tätigkeit einer klaren, Rechtssicherheit vermittelnden Eingriffsnorm sowohl im eigenen wie auch im Interesse der betroffenen Babys bedürfen, die wesentlichen Voraussetzungen ihrer Berechtigung gesetzlich normiert. Diese Bestimmtheitsdefizite in Form vollständig fehlender Regelungen insbesondere zur Ausbildung, zum Befähigungsnachweis, zur Ernennung und zur Fortbildungspflicht nichtärztlicher religiöser Beschneider können auch nicht durch eine einengende verfassungskonforme Auslegung geheilt werden. Eine solche Auslegung kann bei Bestimmtheitsmängeln nur nach Sinn und Zweck des Bestimmtheitsgebots erfolgen.731 Sie kommt nicht in Betracht, wenn es „an einem die wesentlichen Fragen 727 728 729 730 731

Fn. 717. BVerfGE 120, S. 378 ff. (juris); BVerfGE 107, S. 104 ff. (juris). Siehe hierzu 2. Kapitel, B. VI. Siehe hierzu 4. Kapitel, A. III. 1. BVerfGE 120, S. 378 ff.

B. Verfassungsgemäßheit des § 1631d BGB

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umfassenden Regelungskern fehlt“.732 An einem solchen Regelungskern fehlt es in § 1631d Abs. 2 BGB jedoch gerade. Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts gilt dies erst recht, „wenn der Gesetzgeber die Vorschrift bewusst unbestimmt gehalten und deshalb von einer entsprechenden Konkretisierung abgesehen hat“.733 So liegt der Fall hier. Trotz im Gesetzgebungsverfahren geäußerter Kritik und Bedenken hat sich der Gesetzgeber bewusst dafür entschieden, die Regelung der § 1631d Abs. 2 BGB völlig unbestimmt zu halten und von der erforderlichen Konkretisierung im Hinblick auf Ausbildung, Ernennungsvoraussetzungen, Fortbildungspflicht etc. der religiösen Beschneider abzusehen. Auch die Regelung des § 1631d Abs. 2 BGB verstößt damit gegen das Bestimmtheitsgebots aus Art. 20 Abs. 3 GG. ff) Grundsatz der Verhältnismäßigkeit Aus dem Rechtsstaatsprinzip des Art. 20 Abs. 3 GG wird des Weiteren der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit der Mittel, auch als Übermaßverbot bezeichnet, als entscheidendes Prinzip mit verfassungsrechtlichem Rang abgeleitet.734 Er ergibt sich aus dem Rechtsschutzgedanken des Rechtsstaatsprinzips, im Grunde aber „bereits aus dem Wesen der Grundrechte selbst, die als Ausdruck des allgemeinen Freiheitsanspruchs des Bürgers gegenüber dem Staat von der öffentlichen Gewalt jeweils nur so weit beschränkt werden dürfen, als es zum Schutz öffentlicher Interessen unerlässlich ist“.735 Dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit kommt eine zentrale Bedeutung für die Bestimmung inhaltlicher Grenzen von Grundrechtseingriffen zu736 dar und erfordert eine Mittel-/Zweck-Relation. Die staatliche Maßnahme muss geeignet und erforderlich sein, um das damit angestrebte Ziel zu erreichen.737 Dabei steht dem Gesetzgeber grundsätzlich ein weiter Beurteilungsspielraum zu.738 Des Weiteren muss sie verhältnismäßig im engeren Sinne sein, das geeignete und erforderliche Mittel muss also in einem angemessenen Verhältnis zu dem Gewicht und zur Bedeutung des betroffenen Grundrechts stehen. Dabei ist eine strenge Prüfung geboten.739

732

Fn. 720. BVerfGE 120, S. 378 ff. 734 BVerfGE 19, S. 342 ff. 735 BVerfGE 19, S. 342 ff. 736 von Coelln in: Gröpl/Windthorst/von Coelln, Vorbem. Rn. 125; Hopfauf in: SchmidtBleibtreu/Hofmann/Hopfauf, Einl. Rn. 132. 737 Jarass in: Jarass/Pieroth, Art. 2 Rn. 96. 738 BVerfGE 90, S. 145 ff. m.w.N. 739 Jarass in: Jarass/Pieroth, Art. 2 Rn. 96. 733

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4. Kap.: Rechtslage nach Inkrafttreten des § 1631d BGB

(1) Geeignetheit Es ist daher zunächst das konkrete Ziel des Grundrechtseingriffs zu ermitteln, damit dieses auf seine Verhältnismäßigkeit zu dem eingesetzten Mittel hin überprüft werden kann. Ziel des § 1631d Abs. 1 BGB ist es, die nach Auffassung des Gesetzgebers „durch das Kölner Urteil entstandene Rechtsunsicherheit“ zu beseitigen und klarzustellen, „dass und unter welchen Voraussetzungen Eltern im Rahmen ihrer elterlichen Sorge berechtigt sind, in eine nicht medizinisch indizierte Beschneidung ihres nicht einsichts- und urteilsfähigen Sohnes einzuwilligen“.740 Der Gesetzgeber wollte daher eine seiner Auffassung nach aus der durch das Urteil des Landgerichts Köln entstandenen Rechtsunsicherheit resultierende Einschränkung des elterlichen Erziehungs- und Sorgerechts verhindern. Dies stellt ein legitimes Ziel dar, denn grundsätzlich ist jedes öffentliche Interesse legitim, um ein unter einfachem Gesetzesvorbehalt stehendes Grundrecht zu beschränken.741 Zu beachten ist hierbei, dass dem Gesetzgeber bei der Festlegung seiner Ziele ein weiter Einschätzungs- und Gestaltungsspielraum zusteht.742 Die Regelung des § 1631d BGB ist geeignet, um dieses vom Gesetzgeber mit ihr verfolgte Ziel zu erreichen. Denn die Wahrscheinlichkeit, dass durch die Kodifizierung des § 1631d BGB bei den Sorgeberechtigten die Rechtsunsicherheit beseitigt wird und sie sich trotz der Entscheidung des Landgerichts Köln dazu entschließen, ihren minderjährigen Sohn beschneiden zu lassen, wird erhöht. Für die Geeignetheit des Mittels reicht es aus, dass es dem erstrebten Zweck „in irgendeiner ersichtlichen Weise förderlich ist“.743 An der Geeignetheit des vom Gesetzgeber gewählten Mittels ändert auch der Umstand nichts, dass zur Zweckerreichung auch andere Möglichkeiten in Betracht kommen.744 Auch die Regelung in § 1631d Abs. 2 BGB ist geeignet, das mit ihr gesetzgeberisch verfolgte Ziel zu erreichen. Dieses besteht darin, es insbesondere den Angehörigen der jüdischen Religion zu ermöglichen, an ihren männlichen Neugeborenen bis zum Alter von sechs Monaten das religiöse Ritual der Beschneidung durch Mohalin durchführen zu lassen, auch wenn diese keine Ärzte sind. Dieses Ziel wird durch das vom Gesetzgeber gewählte Mittel gefördert. (2) Erforderlichkeit Das gewählte Mittel ist erforderlich, „wenn der Gesetzgeber nicht ein anderes, gleich wirksames, aber das Grundrecht nicht oder weniger stark einschränkendes Mittel hätte wählen können“,745 wenn es also „unter den geeigneten Mitteln bei gleicher Wirksamkeit“746 das mildeste ist. Es stellt sich daher zunächst die Frage, ob 740 741 742 743 744 745 746

Bundestagsdrucksache 17/11295, S. 6. Michael/Morlok, § 23 Rn. 615. Windthorst in: Gröpl/Windthorst/von Coelln, Art. 20 Rn. 157. Michael/Morlok, § 23 Rn. 619. Windthorst in: Gröpl/Windthorst/von Coelln, Art. 20 Rn. 162. BVerfGE 90, S. 145 ff.; 30, S. 292 ff. Windthorst in: Gröpl/Windthorst/von Coelln, Art. 20 Rn. 164.

B. Verfassungsgemäßheit des § 1631d BGB

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dem Gesetzgeber anstelle der von ihm gewählten Regelung in § 1631d Abs. 1 BGB ein ebenso wirksames, aber grundrechtsschonenderes Mittel zur Wahl gestanden hätte. Zu denken ist z. B. daran, dass der Gesetzgeber die Zulässigkeit der Einwilligung der Sorgeberechtigten in die nicht medizinisch indizierte Beschneidung Minderjähriger auf Angehörige bestimmter Religionsgemeinschaften, in denen Beschneidungen Minderjähriger gepflegt werden, hätte beschränken können. Dem Gesetzgeber ging es jedoch erklärtermaßen gerade nicht darum, ein religiöses Sonderrecht zu schaffen, sondern darum, klarzustellen, dass das elterliche Sorgerecht grundsätzlich die Befugnis verleihe, in medizinisch nicht indizierte Beschneidungen männlicher Minderjähriger einzuwilligen – auch wenn die Motive hierfür nicht religiöser Natur sind – und hierdurch die durch das Urteil des Landgerichts Köln entstandene Rechtsunsicherheit zu beseitigen. Dieses Ziel wäre durch eine Beschränkung auf Angehörige bestimmter Religionsgemeinschaften jedoch nicht erreicht worden. Dem Gesetzgeber wird bei der Wahl des Mittels zugebilligt, dasjenige zu wählen, mit dem der erstrebte Zweck „am schnellsten, am besten bzw. am wahrscheinlichsten erreicht werden“747 kann. Um das vom Gesetzgeber gewollte Ziel zu erreichen, war die Regelung des § 1631d Abs. 1 BGB daher erforderlich. Dies gilt jedoch nicht für die Regelung in § 1631d Abs. 2 BGB. Zwar wollte der Gesetzgeber kein religiöses Sonderrecht schaffen, mit dieser Vorschrift macht er jedoch genau dies, indem er es ermöglicht, dass männliche Säuglinge bis zum Alter von sechs Monaten auch von nichtärztlichen Beschneidern, die von Religionsgemeinschaften dazu vorgesehen sind, beschnitten werden können. Wie dargelegt bezweckt der Gesetzgeber damit, es insbesondere den Angehörigen der jüdischen Religion zu ermöglichen, an ihren männlichen Neugeborenen das in der Regel am achten Tage nach der Geburt durchgeführte religiöse Ritual der Beschneidung durch nichtärztliche Mohalin vornehmen zu lassen. Um diesen Zweck zu erreichen, war es zwar grundsätzlich ein geeignetes Mittel, die Vornahme des Eingriffs auch durch nichtärztliche Mohalin zu gestatten und insoweit den Arztvorbehalt zu durchbrechen.748 Der gesetzgeberisch intendierte Zweck hätte mit jedoch mit gleicher Effektivität auch durch einen grundrechtsschonenderen Eingriff erreicht werden können, indem anstelle der Frist von sechs Monaten ab der Geburt eine kürzere Frist gewählt worden wäre. Denn im Judentum werden die männlichen Neugeborenen üblicherweise am achten Tag nach ihrer Geburt beschnitten. Lediglich dann, wenn aus medizinischen Gründen eine Beschneidung zu diesem Zeitpunkt noch nicht möglich ist, etwa bei Frühgeborenen oder Erkrankungen des Neugeborenen wie z. B. erhöhtem Bilirubinspiegel, wird mit dem Ritual noch kurze Zeit zugewartet. Demgemäß sah der Änderungsantrag zum Gesetzentwurf der Abgeordneten Montag u. a. vor, die Frist in Abs. 2 von sechs Monaten auf vierzehn Tage zu verkürzen, die Abgeordneten Reimann u. a. schlugen eine Verkürzung auf zwei Monate vor. Die von den Abgeordneten Montag u. a. vorgesehene Verkürzung auf lediglich vierzehn Tage 747

Michael/Morlok, § 23 Rn. 621. Ob dies auch dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit im engeren Sinne entspricht, ist der Prüfung unter nachfolgender Ziff. (3) vorbehalten. 748

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4. Kap.: Rechtslage nach Inkrafttreten des § 1631d BGB

wäre sicherlich nicht ebenso geeignet, das Ziel des Gesetzgebers zu verwirklichen, weil diese Frist lediglich sechs Tage über den üblichen Beschneidungszeitpunkt jüdischer Neugeborener hinausgeht. Aber die von den Abgeordneten Reimann u. a. vorgesehene Verkürzung auf zwei Monate, zumindest aber alternativ dazu eine Frist bis zur Vollendung des dritten Lebensmonats hätte die Ziele des Gesetzgebers ebenso effektiv erreicht, weil innerhalb einer solchen Zeitspanne die Beschneidung auch bei denjenigen Neugeborenen jüdischer Religionszugehörigkeit, bei welchen der Eingriff wegen einer Erkrankung des Neugeborenen nicht am achten Lebenstag durchgeführt werden konnte, nachgeholt werden kann. Die vom Gesetzgeber in § 1631d Abs. 2 BGB gewählte Frist von sechs Monaten ab dem Tag der Geburt, innerhalb derer die Beschneidung an männlichen Neugeborenen auch von einem nichtärztlichen, von einer Religionsgemeinschaft vorgesehenen Beschneider vorgenommen werden kann, ist somit wegen Verstoßes gegen das Gebot der Erforderlichkeit verfassungswidrig und damit nichtig. (3) Verhältnismäßigkeit im engeren Sinne Es ist nun zu prüfen, ob die Regelungen des § 1631d BGB in angemessenem Verhältnis zu dem Gewicht und zur Bedeutung des betroffenen Grundrechts stehen, ob also die Verhältnismäßigkeit im engeren Sinne gewahrt ist. Trotz des Gesetzesvorbehalts in Art. 2 Abs. 2 S. 3 GG sind gezielte Eingriffe in das Grundrecht auf körperliche Unversehrtheit nur zur Verwirklichung übergeordneter Ziele gerechtfertigt.749 Das Bundesverfassungsgericht führt hierzu folgendes aus: „Der Gesetzgeber hat das Individualinteresse, das durch einen Grundrechtseingriff beschnitten wird, den Allgemeininteressen, denen der Eingriff dient, angemessen zuzuordnen. Die Prüfung an diesem Maßstab kann dazu führen, dass ein an sich geeignetes und erforderliches Mittel zur Durchsetzung von Allgemeininteressen nicht angewandt werden darf, weil die davon ausgehenden Grundrechtsbeeinträchtigungen schweren wiegen, als die durchzusetzenden Interessen.“750 Es hat daher eine Abwägung zwischen dem Grundrechtseingriff und dem damit vom Gesetzgeber intendierten übergeordneten Ziel stattzufinden. Da wie gezeigt auch das gesetzgeberisch gewollte Ziel, der Schutz der Sorgeberechtigten vor Beschränkungen ihres Grundrechts auf Erziehungsfreiheit, Ausfluss der staatlichen Schutzpflicht vor Grundrechtseingriffen ist, wird deutlich, dass sich im Regelungsbereich des § 1631d BGB einerseits das hierdurch beeinträchtigte Grundrecht der Minderjährigen auf körperliche Unversehrtheit aus Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG und andererseits das Grundrecht der Eltern auf Erziehungsfreiheit aus Art. 6 Abs. 2 S. 1 GG, das i.V.m. Art. 4 Abs. 1 und 2 GG auch das Recht auf religiöse Erziehung ihrer Kinder und ungestörte Religionsausübung mit ihren Kindern umfasst, in einem Spannungsverhältnis gegenüber stehen, wobei sich beide gegenseitig begrenzen.

749 750

Windthorst in: Gröpl/Windthorst/von Coelln, Art. 2 Rn. 145. BVerfGE 115, S. 320 ff.; 118, S. 168 ff.

B. Verfassungsgemäßheit des § 1631d BGB

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Zur Lösung dieses Spannungsverhältnisses können in Bezug auf die Frage der Verhältnismäßigkeit im engeren Sinne die bereits zur Rechtslage vor der Kodifizierung des § 1631d BGB gemachten Ausführungen751 zur praktischen Konkordanz zwischen den widerstreitenden Grundrechten herangezogen werden, da sich hier wie dort gleichermaßen das Grundrecht der Minderjährigen auf körperliche Unversehrtheit und das Grundrecht der Eltern auf Erziehung kollidierend gegenüber stehen und sich beide gegenseitig begrenzen. Es wurde ausführlich dargestellt, dass durch die Beschneidung die körperliche Unversehrtheit der Betroffenen nicht unerheblich verletzt wird.752 Die Beschneidung verursacht erhebliche Schmerzen, die auch nach Vornahme des Eingriffs unter Betäubung in den Tagen oder Wochen während der Wundheilung fortdauern. Den Betroffenen wird unwiederbringlich physiologisch und erogen bedeutsames Körpergewebe entfernt. Durch den Eingriff können dauerhaft die sexuelle Empfindsamkeit reduziert und das Schmerzempfinden erhöht werden. Mit dem Eingriff sind darüber hinaus die typischen Operations- und Anästhesierisiken verbunden. Die demgegenüber bestehenden gesundheitlichen und präventiv-medizinischen Vorteile753 einer Beschneidung sind umstritten und rechtfertigen für sich allein angesichts der mit dem Eingriff verbundenen Risiken die Durchführung des Eingriffs im Kindesalter nicht,754 wenn nicht eine medizinische Indikation755 für die Beschneidung besteht. Denn das geringere Infektionsrisiko mit HIV, Gonorrhoe, Syphilis und ähnlichen Erkrankungen kann problemlos durch eine selbstbestimmte Beschneidung in einem Alter erreicht werden, in dem der Betroffene einwilligungsfähig ist, weil solche Infektionsrisiken erst mit Beginn des sexuell interaktiven Lebensabschnitts eintreten.756 Auch das Risiko, an Peniskrebs zu erkranken, das bei Beschnittenen zwar möglicherweise geringer ist, rechtfertigt eine Beschneidung im Kindesalter nicht, weil es auch bei nicht beschnittenen Männern so gering ist, dass die Letalitätsrate von Zirkumzisionen höher ist, als das Risiko Nichtbeschnittener, an Peniskrebs zu sterben.757 Die mit dem Eingriff verbundenen dauerhaften Folgen beeinträchtigen das Grundrecht des Kindes auf körperliche Unversehrtheit dagegen in einem solch hohen Ausmaß, das nicht mit den einhergehenden sozialen, geistigen oder seelischen Vorteilen für das Kind aufgewogen werden kann. Denn die möglichen gesellschaftlichen Nachteile, die für Kinder entstehen könnten, wenn ihre Beschneidung bis zum Erreichen der eigenen Einwilligungsfähigkeit aufgeschoben wird, sind im Vergleich zu den erheblichen und irreversiblen körperlichen Nachteilen der Beschneidung gering. Die Beschneidung hat insbesondere keinen konstitutiven Charakter für die Zugehörigkeit des Kindes 751 752 753 754 755 756 757

Siehe hierzu 3. Kapitel, C. VII. 4. c) dd) (1). Siehe hierzu 2. Kapitel, B. VI. Siehe hierzu 2. Kapitel, B. VII. Siehe hierzu auch Spickhoff, FamRZ 2013, S. 337 (342). Siehe hierzu 2. Kapitel, B. V. Putzke in: FS für Herzberg, S 669 (690); Scheinfeld, S. 268 (271). Gollaher, S. 194.

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4. Kap.: Rechtslage nach Inkrafttreten des § 1631d BGB

zur Religionsgemeinschaft.758 Der Einwand, religiöses Leben sei im Falle eines Zuwartens mit der Beschneidung bis zur eigenen Einwilligungsfähigkeit des Minderjährigen nicht mehr möglich,759 ist daher nicht zutreffend. So hat etwa der Abgeordnete Raju Sharma anlässlich der Expertenanhörung in seiner Frage an den Präsidenten des Zentralrats der Juden in Deutschland darauf hingewiesen, dass es führende Repräsentanten jüdischer Glaubensgemeinschaften in Deutschland gibt, die aus den GUS-Staaten eingewandert sind und nicht beschnitten sind, die sich aber trotzdem bemühten, hier jüdisches Leben zu pflegen. Auch wird teilweise seitens der jüdischen Religionswissenschaft760 selbst eingeräumt, dass zwar nach „biblischem Verständnis die Beschneidung die Voraussetzung für die (männliche!) Kultfähigkeit ist, derer die jüdischen Männer allerdings heute nicht mehr bedürfen, da der Tempelund Opferkult, einschließlich der mit Blick auf das Heiligtum geltenden Regeln von Rein und Unrein, nicht mehr ausgeübt“761 wird. Die mögliche Gefahr einer Ausgrenzung innerhalb des religiösen Umfelds ist daher eher gering, da die nicht beschnittenen Minderjährigen zum einen vollwertige Mitglieder der Religionsgemeinschaft sind, und zum anderen im pluralistischen Rechtsstaat auch den Angehörigen von Glaubensgemeinschaften eine Toleranz gegenüber ihren Mitgliedern (und deren Kindern), die mit dem Eingriff solange zuwarten, bis das Kind selbst über die Einwilligungsfähigkeit verfügt und entscheiden kann, ob es sich beschneiden lassen möchte oder nicht, abverlangt werden muss. Die Regelung des § 1631d Abs. 1 BGB steht daher nicht in einem angemessenem Verhältnis zu dem Gewicht und zur Bedeutung des Grundrechts der betroffenen Minderjährigen auf körperliche Unversehrtheit. Der Gesetzgeber hat mit § 1631d Abs. 1 BGB das aus dem Grundrecht auf körperliche Unversehrtheit folgende bedeutende Interesse der Minderjährigen an ihrer genitalen Integrität und Intaktheit dem Erziehungsrecht der Eltern untergeordnet und es im Hinblick auf nicht medizinisch indizierte Beschneidungen dem Belieben der Eltern preisgegeben. Dabei hat der Gesetzgeber auch unbeachtet gelassen, dass es bei Entscheidungen im Bereich des Art. 6 Abs. 2 GG – dieses Grundrecht der Eltern wollte der Gesetzgeber mit der Regelung des § 1631d BGB stärken – nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts von wesentlicher Bedeutung ist, dass „das Wohl des Kindes immer

758 Siehe hierzu 2. Kapitel, A. VI.; a.A. Rixen, NJW 2013, S. 257, der unter Hinweis auf die Ausführungen in der Gesetzesbegründung (BT-Drucksache 17/11295, S. 7), wonach die Beschneidung in der jüdischen Religion „ein bindendes Gebot von höchster Bedeutung“ ist, meint, sie sei von „konstitutiver Bedeutung“. 759 So etwa Schramm in: Heil/Kramer, S. 134 (140), der meint, dass Kinder jüdischer Eltern „bis zur Erreichung eines bestimmten Alters nicht Juden werden dürften“, wenn die Beschneidung verboten würde, und dabei außer Acht lässt, dass die Beschneidung nicht konstitutiv für die Zugehörigkeit zur jüdischen Religionsgemeinschaft ist. 760 Prof. Dr. Hanna Liss, Lehrstuhl für Bibel und Jüdische Bibelauslegung, Hochschule für Jüdische Studien Heidelberg. 761 Liss in: Heil/Kramer, S. 51 (59), die darin allerdings kein Plädoyer gegen die Beschneidung sieht.

B. Verfassungsgemäßheit des § 1631d BGB

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den Richtpunkt bildet, so dass bei Interessenskollisionen Kind und Mutter oder Kind und Vater dem Kind der Vorrang zukommen muss“.762 An diesem Ergebnis ändert auch der Umstand nichts, dass nach dem Wortlaut des Gesetzes bei der Durchführung des Eingriffs die „Regeln der ärztlichen Kunst“ eingehalten werden müssen. Dieser Voraussetzung hätte es zum einen gar nicht bedurft, denn das Einhalten des zum Behandlungszeitpunkt bestehenden allgemein anerkannten fachlichen Standards stellt bei jedem ärztlichen Eingriff eine bare Selbstverständlichkeit dar, was schon vor dem Inkrafttreten des Gesetzes zur Stärkung der Patientenrechte in Rechtsprechung und Literatur einhellige Auffassung war und zwischenzeitlich durch die Regelung des § 630a Abs. 2 BGB auch Eingang in das Gesetz gefunden hat. Zum anderen mag das Einhalten des medizinischen Standards zwar die Komplikationsraten verringern, die – bei einem nicht einwilligungsfähigen Minderjährigen nur durch eine absolute medizinische Indikation zu rechtfertigenden – gravierenden und irreversiblen Folgen der Beschneidung reduziert es indes in keiner Weise. Gegenüber diesen Folgen wiegt der Eingriff in das Grundrecht der Eltern auf (auch religiöse) Erziehung ihrer Kinder, der damit verbunden ist, dass ihnen ein Zuwarten mit der Beschneidung ihrer Kinder bis zu deren eigener Einwilligungsfähigkeit abverlangt wird, ganz erheblich leichter. Denn die Beschneidung stellt keinen konstitutiven Akt dar, mit dem die Religionszugehörigkeit begründet würde. Vielmehr wird sowohl in der jüdischen wie in der islamischen Religion die Zugehörigkeit zur Religionsgemeinschaft bereits durch die Geburt vermittelt.763 Das vom Gesetzgeber mit § 1631d BGB verfolgte Ziel, die Entscheidung zur Einwilligung in eine medizinisch nicht indizierte Beschneidung ihrer selbst noch nicht einwilligungsfähigen männlichen Kinder grundsätzlich unabhängig von den sie tragenden Gründen in das Belieben der Sorgeberechtigten zu stellen, stellt daher einen unangemessenen Eingriff in das Grundrecht auf körperliche Unversehrtheit dar, weil die damit verbundenen Grundrechtsbeeinträchtigungen auch dann, wenn die zum Behandlungszeitpunkt bestehenden allgemein anerkannten fachlichen Standards eingehalten werden, erheblich schweren wiegen, als die Interessen der Eltern. Ebenso wenig vermag an diesem Ergebnis die Regelung des § 1631d Abs. 1 S. 2 BGB etwas zu ändern, nach der eine Einwilligung der Personensorgeberechtigten in die nicht medizinisch indizierte Beschneidung ihres männlichen Kindes ausnahmsweise dann nicht zulässig sein soll, wenn durch sie „auch unter Berücksichtigung ihres Zwecks das Kindeswohl gefährdet wird“. Mit dieser Reglung wollte der Gesetzgeber deutlich machen, dass er insoweit das staatliche Wächteramt ausübe, als solche Fälle der Einwilligungsbefugnis der Sorgeberechtigten entzogen seien, in welchen diese die Beschneidung ihres Kindes z. B. aus rein ästhetischen Gründen

762 763

BVerfGE 37, S. 217 (252). Siehe 2. Kapitel, A. VI.

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4. Kap.: Rechtslage nach Inkrafttreten des § 1631d BGB

oder zur Erschwerung der Masturbation durchführen lassen möchten.764 Gleichfalls soll im Rahmen dessen die Berücksichtigung des Kinderwillens erfolgen. Diese Klausel ist nicht nur – wie bereits dargelegt765 – völlig unbestimmt und daher bereits aus diesem Grund verfassungswidrig. Sie ist darüber hinaus auch nicht in der Lage, die mit ihr gewünschte Abgrenzung und Feststellung zu ermöglichen, wann ausnahmsweise das Kindeswohl gefährdet sein soll. Der Gesetzgeber wollte mit § 1631d Abs. 1 BGB bewusst kein religiöses Sonderrecht schaffen, sondern der Einwilligung der Sorgeberechtigten in die medizinisch nicht indizierte Beschneidung ihrer minderjährigen Kinder grundsätzlich unabhängig von deren Motiven eine rechtfertigende Wirkung zubilligen. Er hat damit die Entscheidung getroffen, dass die nicht medizinisch indizierte Beschneidung nicht einwilligungsfähiger männlicher Minderjähriger grundsätzlich nicht das Kindeswohl gefährde. Dies stellt einen Paradigmenwechsel dar, denn während seit dem durch die Reform des Kindschaftsrechts 1980 erfolgten Ersetzen der elterlichen Gewalt durch elterliche Sorge bei der Ausübung des Sorgerechts stets das Kindeswohl – das weitgehend nach objektiven Maßstäben zu bestimmen ist und jedenfalls in körperlicher Hinsicht auch objektiv bestimmt werden kann766 – die oberste Richtschnur des Handelns bildete, lässt der Gesetzgeber nunmehr zu, dass die Sorgeberechtigten in medizinisch nicht indizierte, irreversible Folgen verursachende und dadurch das Kindeswohl gefährdende Operationen ihrer männlichen Kinder einwilligen können, fingiert jedoch gleichzeitig, dass hierdurch grundsätzlich das Kindeswohl nicht als gefährdet anzusehen sei. Die Sorgeberechtigten brauchen keine Begründung für den Wunsch, ihr Kind beschneiden zu lassen, anzugeben, ihre Motive sind grundsätzlich unbeachtlich. Selbst wenn Sorgeberechtigte die Beschneidung aus rein ästhetischen Gründen oder zur Erschwerung der Masturbation vornehmen lassen wollten, würde dieses Motiv nach außen nicht in Erscheinung treten, weil niemand sie danach fragte. Aber selbst wenn sie danach gefragt würden, müssten sie lediglich z. B. auf mit der Beschneidung verbundene hygienische Vorteile verweisen, was völlig ausreichen würde. Die Regelung des § 1631d Abs. 1 S. 2 BGB stellt daher unter Zugrundelegung der gesetzgeberischen Prämisse, dass die Beschneidung grundsätzlich nicht dem Kindeswohl widerspreche, in keiner Weise noch nicht einmal ansatzweise sicher, dass Gefährdungen des Kindeswohls im Einzelfall überhaupt festgestellt und verhindert werden können. Auch die vom Gesetzgeber in der Begründung des Gesetzentwurfs der Bundesregierung erwähnte Auseinandersetzung der Sorgeberechtigten mit einem entgegenstehenden Willens des Kindes,767 die in den Gesetzestext selbst jedoch keinen Eingang gefunden hat, verfehlt jegliche Wirkung. Denn gleichzeitig wird in der Begründung des Gesetzentwurfs zutreffend darauf hingewiesen, dass Beschneidungen männlicher Kinder, die nicht medizinisch indiziert 764 765 766 767

Bundestagsdrucksache 17/11295 vom 05. 11. 2012, S. 18. Siehe hierzu 4. Kapitel, Ziff. B. I. 3. b) ee). Siehe hierzu 3. Kapitel, Ziff. C. VII. 4. c) dd) (1). Bundestagsdrucksache 17/11295 vom 05. 11. 2012, S. 17 f.

B. Verfassungsgemäßheit des § 1631d BGB

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sind, regelmäßig in einem Alter erfolgen, in dem keine Einwilligungsfähigkeit vorliegt. Dass für eine Ablehnung eines medizinisch nicht indizierten Eingriffs aber auch eine natürliche Willensbekundung ausreichend sein kann, ergibt sich aus der Wertung des § 1905 Abs. 1 Nr. 1 BGB. Ob und auf welche Weise ein entgegenstehender Wille des Kindes identifiziert werden und Berücksichtigung finden soll, bleibt völlig offen. Aber selbst wenn die Sorgeberechtigten einen entgegenstehenden Willen des Kindes feststellen, brauchen sie diesen nicht zu beachten, sondern sich nur mit ihm auseinanderzusetzen. Ein Auseinandersetzen mit dem entgegenstehenden Kindeswillen liegt aber auch schon dann vor, wenn die Eltern den Unwillen und die Angst des Kindes zur Kenntnis nehmen und zu dem Ergebnis gelangen, dass die religiöse Pflicht schwerer wiege als der Wille des Kindes. Die betroffenen Kinder bleiben insoweit absolut schutzlos und der Erwähnung der Berücksichtigung ihres Willens kommt eine reine Alibifunktion zu.768 Die Regelung des § 1631d Abs. 1 S. 2 BGB ist daher wirkungslos und stellt keinerlei Korrektiv zu dem mit der Regelung des § 1631d Abs. 1 S. 1 BGB verbundenen, unverhältnismäßigen Grundrechtseingriff dar. Diese Ausführungen gelten erst Recht für die Regelung des § 1631d Abs. 2 BGB, die in noch erheblich stärkerem Ausmaß in das Grundrecht auf körperliche Unversehrtheit eingreift. Denn mit Babys bis zum Alter von sechs Monaten nach der Geburt betrifft sie einen besonders schutzbedürftigen und hilflosen Personenkreis. Diesem soll gleichsam als Steigerung zu dem mit der Regelung in Abs. 1 verbundenen ohnehin schon erheblichen Grundrechtseingriff auch noch der sonst im deutschen Recht geltende Arztvorbehalt des § 1 Abs. 1 HeilpraktikerG vorenthalten werden, indem die Operation nicht von einem Arzt durchgeführt zu werden braucht, sondern von religiösen Beschneidern, also medizinischen Laien ausgeführt werden darf. Hierbei handelt es sich entgegen der ausdrücklichen Annocierung des Gesetzgebers um religiöses Sonderrecht, mit welchem zugunsten von Religionsgemeinschaften von dem grundlegenden Prinzip des Arztvorbehalts abgewichen wird. Auch wenn der Gesetzgeber es damit Religionsgemeinschaften ermöglichen wollte, deren kultischen Brauch der Beschneidung nach religiösem Ritual an – in der jüdischen Religion im Regelfall acht Tage alten – Neugeborenen durchführen zu können, steht dies in keinerlei angemessenem Verhältnis zu dem damit verbundenen Grundrechtseingriff zu Lasten der betroffenen Grundrechtsträger. Zwar müssen die von Religionsgemeinschaften vorgesehenen nichtärztlichen Beschneider über eine vergleichbare Befähigung wie ein Arzt verfügen, womit sichergestellt werden soll, dass der Eingriff ordnungsgemäß durchgeführt wird. Ob und wie diese vergleichbare Befähigung nachgewiesen werden muss, ist dabei völlig ungeregelt. Gleichfalls offen ist, ob die einem Arzt vergleichbare Befähigung auch die Kenntnisse und Fähigkeiten umfassen muss, um bei auftretenden Komplikationen suffizient einschreiten zu können. Nach dem Wortlaut des § 1631d Abs. 2 BGB reicht es aus, dass die von einer Religionsgesellschaft dazu vorgesehene Person für die Durchführung 768 Scheinfeld, S. 268 (280) spricht diesbezüglich zutreffend davon, dass der Gesetzgeber die Forderung des Ethikrates nach einem Vetorecht des Kindes karikiere.

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„der Beschneidung“ vergleichbar befähigt ist. Kenntnisse in Notfallmedizin, die erforderlich werden können, wenn die vitalen Körperfunktionen bedrohende Komplikationen auftreten, scheinen nach dem Wortlaut nicht erforderlich zu sein. Um den Eingriff – wie es im Gesetzestext heißt – „gemäß Absatz 1“, also nach den „Regeln der ärztlichen Kunst“ durchzuführen, müsste jedoch bei Auftreten derartiger Komplikationen unverzüglich ärztliche Hilfe zur Verfügung stehen. Ob die religiösen nichtärztlichen Beschneider aber in der Lage sind, erforderliche notfallmedizinische Maßnahmen zur Sicherstellung und Wiederherstellung der Vitalfunktionen zu ergreifen, wird nicht überprüft. Des weiteren bedarf es zur Durchführung einer Zirkumzision nach dem allgemein anerkannten fachlichen Standard auf dem Fachgebiet der Kinderchirurgie oder -urologie einer Anästhesie in Form einer Vollnarkose und/oder einer effektiven lokalen Betäubung, z. B. durch eine Kaudalanästhesie oder einen sogenannten Peniswurzelblock.769 Auch diese Maßnahmen fallen jedoch unter den Arztvorbehalt, da sie der Linderung von Schmerzen dienen, weshalb sie grundsätzlich von einem Arzt entsprechend dem für einen Facharzt für Anästhesiologie geltenden Standard durchzuführen sind und von nichtärztlichen Beschneidern nicht durchgeführt werden dürfen.770 Daraus folgt, dass nach der Konzeption des § 1631d Abs. 2 BGB, wonach auch bei Durchführung der Beschneidung durch religiöse Beschneider der Eingriff nach Abs. 1, also nach den Regeln der ärztlichen Kunst ausgeführt werden muss, dem anästhesiologisch nicht ausgebildeten Beschneider ein Arzt zur Seite stehen muss, der eine wirksame Betäubung durchführt und die Narkotika hierfür beschafft. Letztere dürfen den nichtärztlichen Beschneidern nicht ausgehändigt werden, da nach dem Gesetzentwurf spezialgesetzlich bestehende Arztvorbehalte, so etwa nach dem Arzneimittel- und dem Betäubungsmittelgesetz unberührt bleiben.771 Aber selbst dann, wenn die nichtärztlichen Beschneider über die entsprechenden Kenntnisse und Fähigkeiten verfügen würden oder ein Anästhesist zugegen wäre, sind die Risiken für Neugeborene, die mit einer Vollnarkose, einer Kaudalnarkose oder einem Peniswurzelblock verbunden sind, für sich genommen schon so erheblich, so dass es nicht dem allgemein anerkannten fachlichen Standard auf dem Fachgebiet der Anästhesiologie entspräche, sie ohne Bestehen einer medizinischen Indikation anzuwenden. Trotz diesbezüglicher Einwendungen im Gesetzgebungsverfahren hat sich der Gesetzgeber bewusst darüber hinweg gesetzt, dass es somit bei Neugeborenen für nichtärztliche Beschneider gar nicht möglich ist, den medizinisch nicht indizierten Eingriff nach den Regeln der ärztlichen Kunst durchzuführen. Tatsächlich führen religiöse Beschneider, selbst wenn sie Ärzte sind, den Eingriff bei Säuglingen in der Regel auch weder unter Vollnarkose noch mit einer Kaudalanästhesie oder einem Peniswurzelblock durch, sondern verwenden zur vorübergehenden Schmerzlinde-

769 770 771

Siehe 2. Kapitel, B. IV. Grams, S. 332 (335); Walter, JZ 2012, S. 1110 (1114). Walter, JZ 2012, S. 1110 (1114).

B. Verfassungsgemäßheit des § 1631d BGB

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rung während des Eingriffs lediglich Emla-Creme und/oder ein Schmerzzäpfchen,772 was zum einen keine effektive Schmerzbetäubung, sondern allenfalls eine gewisse Linderung bringt und damit gegen den allgemein anerkannten fachlichen Standard verstößt, zum anderen einen Off-Label-Use darstellt.773 Daraus folgt, dass bei Neugeborenen die Durchführung einer Zirkumzision ohne medizinische Indikation nicht nur einen Verstoß gegen die Regeln der ärztlichen Kunst darstellt, sondern kontraindiziert ist und der Eingriff demgemäß aus anästhesiologischer Sicht so lange aufgeschoben werden muss, bis wirksame Narkose möglich ist. Die Konzeption des § 1631d Abs. 2 BGB führt somit dazu, dass neugeborene Jungen in den ersten sechs Monaten ihres Lebens faktisch einen geringeren Anspruch auf staatlichen Schutz gegen Eingriffe in ihre körperliche Unversehrtheit als ältere Jungen haben, indem der Gesetzgeber es zulässt, dass an ihnen von medizinischen Laien kontraindizierte Eingriffe vorgenommen werden dürfen. Dies stellt eine massive Gefährdung des Kindeswohls im Sinne des § 1666 BGB dar.774 Es stellt daher eine unangemessene gesetzliche Regelung dar, den Eltern zu gestatten, im Rahmen ihres Erziehungsrechts ihre männlichen Neugeborenen gleich aus welchen Gründen ohne medizinische Indikation durch Laien und unter Verstoß gegen den allgemein anerkannten medizinischen Standard beschneiden zu lassen. Denn dadurch wird so gravierend in das Grundrecht der Minderjährigen auf körperliche Unversehrtheit eingegriffen, dass dies auch unter Berücksichtigung des elterlichen Erziehungsrechts und deren Grundrecht auf Religionsfreiheit in keinem Fall zu rechtfertigen ist. Die Regelungen in § 1631d Abs. 1 u. Abs. 2 BGB sind daher nicht verhältnismäßig im engeren Sinn und damit verfassungswidrig. (4) Einschränkende verfassungskonforme Auslegung auf religiöse Motive Fraglich ist, ob dieses Ergebnis zwingend zu einer Normverwerfung führen muss, oder ob eine verfassungskonforme Auslegung der Vorschrift des § 1631d Abs. 1 S. 1 BGB als schonenderes, normerhaltendes Mittel möglich ist. Infolge des Vorrangprinzips der Grundrechte ist durch Behörden und Gerichte jedes „nachrangige Recht so auszulegen und anzuwenden, dass es nicht gegen die Grundrechte verstößt“.775 Wie dargestellt, stellt sich der mit § 1631d Abs. 1 BGB verbundene Eingriff in das Grundrecht der Minderjährigen auf körperliche Unversehrtheit als unverhältnismäßig dar, weil er das Recht zur Einwilligung in die medizinisch nicht indizierte Beschneidung ihrer nicht einwilligungsfähigen männlichen Minderjährigen grundsätzlich und unabhängig von den Motiven in das Belieben der Sorgeberechtigten stellt, das damit intendierte gesetzgeberische Ziel des Schutzes des Erziehungsrechts 772 So nach Angaben von Graf in der Expertenanhörung auch die Praxis bei der Beschneidung Neugeborener im Jüdischen Krankenhaus Berlin, vgl. Fn. 639. 773 Siehe hierzu 2. Kapitel, B. IV. 774 Siehe hierzu 3. Kapitel, C. VII. 4. c) dd) (1). 775 Michael/Morlok, § 7 Rn. 90.

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4. Kap.: Rechtslage nach Inkrafttreten des § 1631d BGB

jedoch den schwerwiegenden Eingriff in das Grundrecht auf körperliche Unversehrtheit nicht zu rechtfertigen vermag. Durch eine einschränkende Auslegung der Norm, die nicht, wie vom Gesetzgeber ausdrücklich beabsichtigt, alle Motive der Sorgeberechtigten gelten ließe, sondern die Einwilligung in die medizinisch nicht indizierte Beschneidung Minderjähriger auf religiöse Motive – der Eltern und der Minderjährigen – beschränken würde, könnte die Norm verfassungskonform erhalten werden, so dass der Schutz der religiösen Gründe der Eltern, auch mit Blick auf das eigene Grundrecht des Minderjährigen auf Religionsfreiheit, das von den Eltern bis zur Religionsmündigkeit des Kindes ausgeübt wird, den Eingriff in die körperlicher Unversehrtheit der Minderjährigen rechtfertigen könnte. Eine solche einschränkende Auslegung führt jedoch nicht zu Verfassungskonformität des § 1631d Abs. 1 S. 1 BGB. Denn das mit einer derartigen Auslegung verfolgte Ziel, zwar nicht alle Motive, aber das Grundrecht der Sorgeberechtigten und der Minderjährigen auf Bekenntnis- und Religionsausübungsfreiheit zu schützen, wiegt im Hinblick auf Schwere des Eingriffs in die körperliche Integrität und die damit verbundenen irreversiblen Folgen vor dem Hintergrund, dass das Ritual der Beschneidung keinen konstitutiven Charakter für die Religionszugehörigkeit der Minderjährigen hat,776 deutlich weniger schwer als das Interesse der Minderjährigen auf körperliche Integrität. Durch das Zuwarten mit dem Eingriff bis zur eigenen Einwilligungsfähigkeit des Minderjährigen ist das Grundrecht auf Religionsfreiheit der Eltern und der Minderjährigen weit weniger stark tangiert, als die Beschneidung das Grundrecht der Minderjährigen auf körperliche Unversehrtheit verletzt. Auch mit Blick auf das eigene Grundrecht der nicht einwilligungsfähigen Minderjährigen auf Religionsfreiheit, stellvertretend ausgeübt durch die Sorgeberechtigten, ergibt sich nichts anderes, denn diese müssen ihre Entscheidung ausschließlich am Kindeswohl orientieren. Unter Berücksichtigung dessen, dass durch die Beschneidung unwiederbringlich physiologisch und erogen bedeutsames Körpergewebe entfernt wird und der Eingriff dauerhafte Folgen wie den partiellen Verlust sexueller Empfindsamkeit nach sich zieht, gefährdet die medizinisch nicht indizierte Beschneidung das Kindeswohl. Daran ändert auch der Umstand nichts, dass, worauf in der Literatur zurecht hingewiesen wird, „nicht (deutsche) Beamte, Behörden und Gerichte, sondern […] die Religionsgemeinschaften die schrankenlose Deutungshoheit darüber haben, was für sie identitätsstiftend ist“,777 denn das Grundrecht auf Religionsfreiheit wird wie dargelegt durch das Grundrecht auf körperliche Unversehrtheit der Minderjährigen jedenfalls in den Fällen in die Schranken gewiesen, in welchen durch seine Ausübung – wie dies bei der Beschneidung der Fall ist – an selbst noch nicht einwilligungsfähigen Minderjährigen gravierende und dauerhaft bleibende körperliche (und möglicherweise auch seelische) Schäden herbeigeführt werden sollen. Eine verfassungskonforme Auslegung dahin, dass das Sorgerecht nicht – wie vom Gesetzgeber ausdrücklich vorgesehen – grundsätzlich unabhängig von den Motiven 776 777

Siehe hierzu 2. Kapitel, A. VI. Spickhoff, S. 337 (339).

B. Verfassungsgemäßheit des § 1631d BGB

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der Sorgeberechtigten die Einwilligung in die nicht medizinisch indizierte Beschneidung umfasst, sondern nur im Fall des Vorliegens religiöser Gründe, ist daher nicht möglich. Die Norm des § 1631d Abs. 1 S. 1 BGB ist damit verfassungswidrig und nichtig. Damit ist auch eine einschränkende verfassungskonforme Auslegung des § 1631d Abs. 2 BGB nicht mehr möglich, weil diese auf Abs. 1, der verfassungswidrig ist, verweist. 4. Zwischenergebnis Die Regelungen des § 1631d Abs. 1 und 2 BGB sind damit wegen Verstoßes gegen den aus Art. 20 Abs. 3 GG folgenden Grundsatz der Verhältnismäßigkeit verfassungswidrig und damit nichtig.

II. Gleichheitsgrundrecht aus Art. 3 GG Da § 1631d BGB nur die Einwilligung in die Beschneidung männlicher Minderjähriger der Dispositionsbefugnis der Personensorgeberechtigten unterstellt und in der Begründung zu dem Gesetzentwurf der Bundesregierung ausdrücklich klargestellt wird, dass eine rechtfertigende Einwilligung der Sorgeberechtigten in die Beschneidung weiblicher Minderjähriger „in keinem Fall in Betracht“778 komme, ist evident, dass der Gesetzgeber die Genitalbeschneidung weiblicher und männlicher Minderjähriger unterschiedlich gehandhabt wissen wollte. Dies ist zwischenzeitlich auch durch die als Verbrechenstatbestand neu in das Strafgesetzbuch aufgenommene und am 28. 09. 2013 in Kraft getretene Vorschrift des § 226a StGB bekräftigt worden, wonach mit Freiheitsstrafe nicht unter einem Jahr bestraft wird, „wer die äußeren Genitalien einer weiblichen Person verstümmelt“, wobei nach der Gesetzesbegründung unter das Tatbestandsmerkmal des Verstümmelns jede Veränderungen an den weiblichen Genitalien fallen soll, also auch die als sog. milde Sunnah bezeichnete Beschneidung der Klitorisvorhaut und sogar bloße Einschnitte in diese.779 Ausgenommen sein sollen lediglich rein kosmetische Eingriffe wie Schönheitsoperationen oder Intimpiercing. Es ist daher zu prüfen, ob in der unterschiedlichen Handhabung weiblicher und männlicher Genitalbeschneidungen ein Verstoß gegen das Gleichheitsgrundrecht liegt. Ein solcher könnte sich sowohl aus der Perspektive männlicher Minderjähriger ergeben, weil bei ihnen allein wegen des Geschlechts eine Einwilligung der Sorgeberechtigten, grundsätzlich gleich aus welchen Motiven, in die Beschneidung gerechtfertigt sein soll und damit eine Ungleichbehandlung gegenüber weiblichen Minderjährigen besteht. Umgekehrt könnte ein Verstoß auch aus der Sicht weiblicher

778

Bundestagsdrucksache 17/11295, S. 14. Zur Strafbarkeit weiblicher Genitalbeschneidung siehe 2. Kapitel, C. IV.; zu den verschiedenen Graduierungen weiblicher Genitalbeschneidung siehe 2. Kapitel, C. II. 779

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4. Kap.: Rechtslage nach Inkrafttreten des § 1631d BGB

Minderjähriger und deren Sorgeberechtigter vorliegen, weil sie die Beschneidung, gleich aus welchen Gründen und in welcher Form, nicht durchführen lassen dürfen. Der allgemeine Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG findet in dem besonderen Gleichheitssatz des Abs. 2 und in den speziellen Diskriminierungsverboten des Abs. 3 seine Konkretisierung und tritt daher hinter diesen „speziellen Gleichheitsgrundrechten“ zurück.780 Er wird als „Auffangrecht gegenüber den speziellen Diskriminierungsverboten“ im Sinn eines Willkürverbots verstanden, denn „die Anforderungen an die Rechtfertigung von Eingriffen in die besonderen Diskriminierungsverbote sind ungleich höher als beim allgemeinen Gleichheitssatz“.781 Dieser Systematik entsprechend wird zunächst geprüft, ob ein Eingriff in die besonderen Diskriminierungsverbote des Art. 3 Abs. 3 GG vorliegt. 1. Besondere Diskriminierungsverbote aus Art. 3 Abs. 3 S. 1 GG Nach Art. 3 Abs. 3 S. 1 GG darf niemand wegen seines Geschlechts, seiner Abstammung, seiner Rasse, seiner Sprache, seiner Heimat und Herkunft, seines Glaubens, seiner religiösen oder politischen Anschauungen benachteiligt oder bevorzugt werden. In Bezug auf § 1631d BGB kommt zunächst eine Benachteiligung wegen des Geschlechts in Betracht. a) Benachteiligung wegen des Geschlechts Das Diskriminierungsverbot wegen des Geschlechts in Art. 3 Abs. 3 S. 1 GG stellt eine „Wiederholung, Hervorhebung und Verstärkung“782 des Gleichberechtigungsgebots des Art. 3 Abs. 2 S. 1 GG dar. Nach beiden Grundrechten darf das Geschlecht grundsätzlich kein Grund für eine Bevorzugung oder Benachteiligung sein. Da dies nicht nur für unmittelbare, sondern auch für mittelbare Ungleichbehandlungen gelten soll, ist der Diskriminierungsbegriff teleologisch weit auszulegen.783 Der persönliche Schutzbereich („niemand“) erstreckt sich auf jede natürliche Person. Eine Verletzung des Diskriminierungsverbots wegen des Geschlechts liegt vor, wenn wegen des Geschlechts eine rechtlich relevante Ungleichbehandlung vorliegt und diese nicht verfassungsrechtlich gerechtfertigt ist. aa) Rechtlich relevante Ungleichbehandlung Durch § 1631d BGB tritt eine Ungleichbehandlung männlicher und weiblicher Minderjähriger und ihrer Sorgeberechtigten ein, weil die Norm die Einwilligung in medizinisch nicht indizierte Beschneidungen nur für nicht einwilligungsfähige 780 781 782 783

Kannengießer in: Schmidt-Bleibtreu/Hofmann/Hopfauf, Art. 3 Rn. 10 f. Michael/Morlok, § 24 Rn. 751, 783. Gröpl in: Gröpl/Windthorst/von Coelln, Art. 3 Rn. 72. Michael/Morlok, § 26 Rn. 809.

B. Verfassungsgemäßheit des § 1631d BGB

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männliche Minderjährige der Personensorge unterstellt, während eine Einwilligung der Sorgeberechtigten in die Beschneidung ihrer weiblichen Minderjährigen unzulässig ist. Relevant ist nur die Ungleichbehandlung von wesentlich Gleichem.784 Um dies feststellen zu können, müssen die Personengruppen männliche Minderjährige einerseits und weibliche Minderjährige andererseits „in Bezug auf etwas, […] also in Bezug auf ein Merkmal, eine Eigenschaft u. dgl.“785 verglichen werden. Dieser gemeinsame Bezugspunktes (tertium comparationis) stellt vorliegend die ,Einwilligung der Sorgeberechtigten in die nicht medizinisch indizierte Genitalbeschneidung Minderjähriger‘ dar. Hinsichtlich dieses Bezugspunktes findet durch § 1631d BGB eine unmittelbare Ungleichbehandlung weiblicher und männlicher Minderjähriger sowie ihrer Sorgeberechtigten statt, weil nach § 1631d BGB ausschließlich die Einwilligung in eine Genitalbeschneidung männlicher Minderjähriger der Personensorgeberechtigung unterstellt wird. Damit liegt ein relevanter Eingriff in das besondere Diskriminierungsverbot des Art. 3 Abs. 3 S. 1 GG vor. Der Formulierung „vor dem Gesetz“ in Art. 3 Abs. 1 GG ist zu entnehmen, dass die Ungleichbehandlung von rechtlicher Relevanz sein muss.786 Damit sollen faktische Ungleichheiten ausgeschlossen werden, „für die der Gesetzgeber keine Verantwortung trägt“.787 Auch Ungleichbehandlung durch verschiedene Rechtsetzungsgewalt, etwa wenn ein Bundesland die Bürger seines Landes aufgrund eines Landesgesetzes anders behandelt, als die Bürger eines anderen Landes behandelt werden, ist insoweit nicht von rechtlicher Relevanz. Dass die durch § 1631d BGB vom Bundesgesetzgeber selbst veranlasste unmittelbare Ungleichbehandlung männlicher und weiblicher Minderjähriger von rechtlicher Relevanz ist, liegt auf der Hand. Eine rechtlich relevante Ungleichbehandlung wegen des Geschlechts indiziert grundsätzlich die Verletzung des speziellen Diskriminierungsverbots.788 bb) Rechtfertigung der Ungleichbehandlung Es ist daher zu prüfen, ob die rechtlich relevante Ungleichbehandlung verfassungsrechtlich gerechtfertigt ist, was nur in eng begrenzten Ausnahmefällen zulässig ist, soweit die „Ungleichbehandlung zur Lösung von Problemen, die ihrer Natur nach nur entweder bei Männern oder bei Frauen auftreten können, zwingend erforderlich“ ist.789 Hierzu ist eine Prüfung der Verhältnismäßigkeit durchzuführen, im Rahmen derer insbesondere festzustellen ist, ob für die Ungleichbehandlung ein zwingender

784

Pieroth/Schlink/Kingreen/Poscher, § 11 Rn. 463. Gröpl in: Gröpl/Windthorst/von Coelln, Art. 3 Rn. 29. 786 Gröpl in: Gröpl/Windthorst/von Coelln, Art. 3 Rn. 36, 76. 787 Michael/Morlok, § 25 Rn. 787. 788 Gröpl in: Gröpl/Windthorst/von Coelln, Art. 3 Rn. 77. 789 BVerfGE 92, S. 91 ff. (Verfassungswidrigkeit der in Baden-Württemberg und Bayern nur bei Männern erhobenen Feuerwehrabgabe); Jarass in: Jarass/Pieroth, Art. 3 Rn. 95. 785

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4. Kap.: Rechtslage nach Inkrafttreten des § 1631d BGB

Grund besteht.790 Fehlt es an einem zwingenden Grund für die Ungleichbehandlung, lässt sich diese nur noch im Wege einer Abwägung mit kollidierendem Verfassungsrecht legitimieren.791 In dem Gesetzentwurf der Bundesregierung wird ausgeführt, die „Verstümmelung weiblicher Genitalien“ sei „mit keinerlei medizinischen Vorteilen verbunden“, sie berge „aber die Gefahr schwerwiegender Gesundheitsrisiken und weitreichender Folgen“ und gelte in Deutschland „als gefährliche (§ 224 StGB), ggf. auch als schwere Körperverletzung (§ 226 StGB)“. Eine rechtfertigende Einwilligung der Sorgeberechtigten in die Genitalbeschneidung weiblicher Minderjähriger komme daher „in keinem Fall in Betracht“.792 Der Gesetzgeber ging demgemäß davon aus, dass sich die weibliche „grundlegend von der männlichen Beschneidung“793 unterscheide, weshalb eine Ungleichbehandlung erforderlich und gerechtfertigt sei. Dies wäre zutreffend, wenn in den biologischen Unterschieden der Geschlechter, insbesondere in der anatomischen Verschiedenheit weiblicher und männlicher Genitalien ein rechtfertigender Grund für die geschlechtsdifferenzierende Regelung des § 1631d BGB läge. Die Prämisse des Gesetzgebers, dass es sich bei der weiblichen und der männlichen Genitalbeschneidung um völlig unterschiedliche Sachverhalte handle, die in keinem Fall zu vergleichbar seien, ist in dieser Undifferenziertheit nicht zutreffend. Wie bereits ausführlich dargestellt,794 führt eine eingehende Betrachtung und Untersuchung beider Phänomene zu der Erkenntnis, dass die Einschätzung, männliche Beschneidungen seien stets ein harmloser kleiner Eingriff, während weibliche Beschneidungen ausnahmslos grausame und folgenschwere Genitalverstümmelungen seien, nicht zutreffend ist, weil die Erscheinungsformen weiblicher (wie auch männlicher795) Genitalbeschneidungen vielfältig sind und von milderen Formen wie lediglich der Reduktion oder der Entfernung der Klitorisvorhaut (sog. milde Sunnah) über schwerwiegende Eingriffen wie der partiellen oder vollständigen Entfernung der Klitoris und/oder der kleinen Schamlippen bis hin zu massivsten Eingriffen wie der Infibulation reichen. Die milderen Formen der weiblichen Genitalbeschneidung, die in der Reduktion oder Entfernung der Klitorisvorhaut bestehen, entsprechen aber nach Art, Umfang, Risiken und Folgen des Eingriffs gerade dem teilweisen oder vollständigen Entfernen des Präputiums oder bleiben sogar dahinter zurück.796 Denn die Klitorisvorhaut beim weiblichen Genital ist das Pendant zur Penisvorhaut beim männlichen Genital. Diese beiden milderen Formen weiblicher Genitalbeschneidung 790 791 792 793 794 795 796

(951).

Michael/Morlok, § 26, Rn. 820. BVerfGE 85, S. 191 ff. Bundestagsdrucksache 17/11295, S. 14. Bundestagsdrucksache 17/11295, S. 11. Siehe hierzu 2. Kapitel, C. Siehe hierzu 2. Kapitel, A. V. Putzke, MedR 2012, S. 621 (624); Putzke, Monatsschrift Kinderheilkunde 2013, 950

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sind daher entgegen der Einschätzung des Gesetzgebers sehr wohl mit der männlichen Vorhautbeschneidung vergleichbar. Sie sind sowohl hinsichtlich der Eingriffsintensität als auch der mit dem Eingriff verbundenen Risiken und Folgen ähnlich. Auch die dahinter stehenden Motive sind vergleichbar. Denn entgegen der Vermutung des Gesetzgebers liegen auch der sog. milden Sunnah i. d. R. religiöse Motive zugrunde, so etwa bei der sunnitischen Rechtsschule der Schafiiten.797 Es besteht daher kein zwingender Grund für eine Ungleichbehandlung zwischen weiblicher Klitorisvorhautbeschneidung und männlicher Penisvorhautbeschneidung. Soweit als Rechtfertigung der Ungleichbehandlung der Knabenbeschneidung und der Mädchenbeschneidung das Argument ins Feld geführt wird, letztere diene der Unterdrückung der weiblichen Sexualität und sei deshalb mit einer negativen sozialen Botschaft verbunden,798 überzeugt dies hinsichtlich der mit der Penisvorhautbeschneidung vergleichbaren milden Sunnah sowie noch leichterer Formen wie lediglich dem Einritzen oder Einstechen der Klitorisvorhaut oder der Schamlippen nicht. Denn diese dienen nicht der Unterdrückung der weiblichen Sexualität und sind aus Sicht der Eltern der betroffenen Minderjährigen ebenso wenig mit einer negativen sozialen Botschaft verbunden, wie dies bei der Penisvorhautbeschneidung des männlichen Kindes der Fall ist. Des weiteren wurde bereits darauf hingewiesen,799 dass aus historisch-religiöser Sicht auch die Penisvorhautbeschneidung als ein „Symbol der Ausmerzung des ausschweifenden und übermäßigen Genusses“800 dem Zweck dienen sollte, dass Abraham und seine Nachkommen „sich darauf konzentrierten, Gott zu dienen und nicht den Freuden des Fleisches folgten“.801 Es ist daher keineswegs so, dass die Genitalbeschneidung männlicher Kinder niemals der Unterdrückung der männlichen Sexualität, die Beschneidung weiblicher Kinder jedoch stets der Unterdrückung deren Sexualität diene. Das Verbot oder die Zulässigkeit solcher Genitalbeschneidungen sind somit kein Regelungsfeld zur Lösung von Problemen, die ihrer Natur nach nur entweder bei Männern oder bei Frauen auftreten können. Für eine geschlechtsspezifische Ungleichbehandlung besteht daher keine Rechtfertigung. Obgleich es somit an einem zwingenden Grund für die geschlechtsspezifische Ungleichbehandlung fehlt, könnte sich die Legitimation der Regelung des § 1631d BGB durch Abwägung mit kollidierendem Verfassungsrecht ergeben. Als kollidierende Normen des Verfassungsrechts kommen wiederum das Grundrecht der Eltern auf Erziehungsfreiheit aus Art. 6 Abs. 2 S. 1 GG, das i.V.m. Art. 4 Abs. 1 und 2 GG auch das Recht auf religiöse Erziehung ihrer Kinder umfasst, und das Grundrecht auf Religionsfreiheit in Betracht, die dem aus Art. 3 Abs. 3 S. 1 GG folgenden besonderen Diskriminierungsverbot als besonderem Gleichheitsgrund797 798 799 800 801

Siehe hierzu 2. Kapitel, A. III. Hörnle/Huster, S. 328 (335). Siehe hierzu 2. Kapitel, A. II. Zitiert nach: Gollaher, S. 28. Gollaher, S. 37.

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recht gegenüber stehen. Sie begrenzen sich gegenseitig und sind im Wege der praktischen Konkordanz gegeneinander abzuwägen. Dies führt jedoch zu keinem anderen Ergebnis. Denn die durch § 1631d BGB geschaffene Ungleichbehandlung von männlichen Kindern, denen zugemutet wird, dass ihre Sorgeberechtigten die nicht medizinisch indizierte Beschneidung ihres Genitals – bis zur Vollendung des sechsten Lebensmonats sogar durch medizinische Laien – veranlassen dürfen, während bei Mädchen vergleichbare Eingriffe wie die milden Formen der Genitalbeschneidung nicht nur nicht gestattet, sondern sogar gem. § 226a StGB als Verbrechen unter Strafandrohung gestellt sind, steht in keinem angemessenen Verhältnis zum Ziel des Gesetzgebers, die nach seiner Auffassung „durch das Kölner Urteil entstandene Rechtsunsicherheit“ zu beseitigen und klarzustellen, „dass und unter welchen Voraussetzungen Eltern im Rahmen ihrer elterlichen Sorge berechtigt sind, in eine nicht medizinisch indizierte Beschneidung ihres nicht einsichts- und urteilsfähigen Sohnes einzuwilligen“.802 Um eine Diskriminierung männlicher und weiblicher Minderjähriger wegen des Geschlechts zu vermeiden, hätte der Gesetzgeber anstelle des § 1631d BGB in der verabschiedeten Form als milderes Mittel entweder, gegebenenfalls beschränkt auf religiöse Motive, die Einwilligung in milde Formen der Genitalbeschneidung beiderlei Geschlechts – die Beschneidung der Penisvorhaut bei männlichen und der Klitorisvorhaut bei weiblichen Minderjährigen – dem Personensorgerecht unterstellen können, oder er hätte klarstellen können, dass medizinisch nicht indizierte Genitalbeschneidungen an nicht einwilligungsfähigen Minderjährigen gleich welchen Geschlechts ausnahmslos der Dispositionsbefugnis der Sorgeberechtigten entzogen sind.803 Mit Blick auf das oben ausgeführte Ergebnis, dass das Grundrecht der körperlichen Unversehrtheit im Rahmen der Verhältnismäßigkeitsprüfung das elterliche Erziehungsrecht ebenso wie das Grundrecht der Eltern und der Minderjährigen auf Religionsfreiheit überwiegt,804 hätte sich der Gesetzgeber richtigerweise für die zweite Alternative entscheiden müssen, die keinerlei medizinisch nicht indizierte Genitalbeschneidungen bei nicht einwilligungsfähigen Minderjährigen gleich welchen Geschlechts zulässt. Auch die Abwägung mit kollidierendem Verfassungsrecht führt daher zu dem Ergebnis, dass die durch die Regelung des § 1631d BGB das Verbot der Diskriminierung wegen des Geschlechts aus Art. 3 Abs. 3 S. 1 GG verletzt wird. cc) Einschränkende verfassungskonforme Auslegung Dieses Ergebnis müsste nicht zwingend zu einer Normverwerfung führen, wenn eine verfassungskonforme Auslegung der Vorschrift des § 1631d Abs. 1 S. 1 BGB als schonenderes, normerhaltendes Mittel möglich wäre. Infolge des Vorrangprinzips der Grundrechte ist durch Behörden und Gerichte jedes „nachrangige Recht so 802 803 804

Bundestagsdrucksache 17/11295, S. 6. Putzke, Monatsschrift Kinderheilkunde 2013, S. 950 (951). Siehe hierzu 4. Kapitel, B. I. 3. b) ff) (3) und B. I. 3. b) ff) (4).

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auszulegen und anzuwenden, dass es nicht gegen die Grundrechte verstößt“.805 Demgemäß wird vorgeschlagen, § 1631d BGB dahingehend verfassungskonform auszulegen, dass auch mit der Penisvorhautbeschneidung vergleichbare milde Formen weiblicher Beschneidung wie die Klitorisvorhautbeschneidung, wenn sie religiös begründet sind, keine nachhaltigen gesundheitlichen Beeinträchtigungen bewirken und lege artis durchgeführt werden, gerechtfertigt sein können.806 Als Grund hierfür wird eine vermeintliche Regelungslücke in § 1631d BGB genannt, weil der Gesetzgeber von der männlichen Beschneidung lediglich die schwerwiegenden Formen der weiblichen Beschneidung habe abgrenzen wollen.807 Diese Argumentation begegnet jedoch deshalb Bedenken, weil der Gesetzgeber alle Arten weiblicher Genitalbeschneidung als nicht mit der männlichen Beschneidung vergleichbar angesehen hat, was dadurch zum Ausdruck kommt, dass in der Begründung des Gesetzentwurfs ausgeführt wird, eine Einwilligung der Sorgeberechtigten in die Beschneidung weiblicher Minderjähriger komme „in keinem Fall“808 in Betracht. Diese Auffassung wurde durch die Begründung des neuen § 226a StGB nochmals bekräftigt. Denn danach sollen unter das Tatbestandsmerkmal der ,Verstümmelung’ jedwede Veränderungen an den äußeren weiblichen Genitalien fallen, also auch eine Reduktion der Klitorisvorhaut und sogar bloße Einschnitte in diese.809 Eine auslegungsfähige Gesetzeslücke besteht demgemäß nicht, weshalb für eine verfassungskonforme Auslegung des § 1631d Abs. 1 S. 1 BGB kein Raum bleibt. b) Benachteiligung wegen des Glaubens oder der religiösen Anschauung Das Diskriminierungsverbot wegen des Glaubens oder der religiösen Anschauung stellt in den speziellen Diskriminierungsverboten des Art. 3 Abs. 3 S. 1 GG das Korrelat zu dem Grundrecht auf Bekenntnis- und Religionsausübungsfreiheit des Art. 4 Abs. 1 u. 2 GG dar.810 Es stellt klar, dass niemand wegen seines religiösen Bekenntnisses und der damit einhergehenden Lebenseinstellung benachteiligt oder bevorzugt werden darf. Nach dem Willen des Gesetzgebers soll die Norm des § 1631d BGB kein religiöses Sonderrecht darstellen und der Wortlaut des § 1631d Abs. 1 BGB knüpft auch nicht an den Glauben oder die Religionszugehörigkeit an. Allerdings könnte die Regelung in Abs. 2, wonach in den ersten sechs Monaten nach der Geburt auch „von einer Religionsgesellschaft dazu vorgesehene Personen“ Beschneidungen durchführen dürfen, eine Ungleichbehandlung der bis zu sechs Monate alten Minder805 806 807 808 809 810

Siehe hierzu 4. Kapitel, B. I. 3. b) ff) (4). Steinbach, S. 1 (7). Steinbach, Fn. 806. Bundestagsdrucksache 17/10331, S. 10. Siehe hierzu 2. Kapitel, C. IV. Gröpl in: Gröpl/Windthorst/von Coelln, Art. 3 Rn. 94.

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jährigen, die bestimmten Religionsgemeinschaften angehören, gegenüber den Gleichaltrigen, die keiner oder einer anderen Glaubensgemeinschaft anhören, darstellen. Zwar handelt es sich bei dieser Regelung entgegen der Bekundung des Gesetzgebers eindeutig um religiöses Sonderrecht, das auf Sorgeberechtigte jüdischen Glaubens zugeschnitten ist. Denn mit dieser Regelung wollte der Gesetzgeber es den Angehörigen des jüdischen Glaubens ermöglichen, die Beschneidung ihrer männlichen Kinder dem religiösen Ritual entsprechend durchzuführen. Bei der Schlechterstellung der bis zu sechs Monate alten Babys handelt es sich jedoch nicht um eine Ungleichbehandlung wegen des Glaubens oder der Religionszugehörigkeit, vielmehr findet die Differenzierung alleine aufgrund des Lebensalters statt. Es ist daher nach § 1631d Abs. 2 BGB ohne weiteres möglich, dass bis zu sechs Monate alte Babys auch dann von nichtärztlichen Beschneidern, die von einer Religionsgesellschaft dazu vorgesehen sind, beschnitten werden können, wenn sie selbst oder ihre Sorgeberechtigten nicht Mitglied dieser Religionsgemeinschaft sind. Eine rechtlich relevante Ungleichbehandlung wegen des Glaubens oder der religiösen Anschauung findet daher nicht statt. 2. Allgemeiner Gleichheitssatz Wie dargestellt tritt der allgemeine Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG als Auffangtatbestand hinter die speziellen Gleichheitsgrundrechte zurück. Es bleibt daher nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts „für eine Prüfung am Maßstab des allgemeinen Gleichheitssatzes kein Raum mehr, wenn die zu prüfende einfache Gesetzesnorm einer speziellen Grundrechtsnorm zuwiderläuft“.811 Da § 1631d BGB bereits einen Verstoß gegen das besondere Diskriminierungsverbot wegen des Geschlechts aus Art. 3 Abs. 3 S. 1 GG darstellt und daher verfassungswidrig ist, bleibt damit zwar für die Prüfung eines Verstoßes der Ungleichbehandlung wegen des Geschlechts nach dem allgemeinen Gleichheitssatz kein Raum mehr, wohl aber für die Prüfung eines Verstoßes gegen den allgemeinen Gleichheitssatz aus anderen Gründen. a) Rechtlich relevante Ungleichbehandlung In Betracht kommt ein Verstoß in der Weise, dass durch die Regelung des § 1631d Abs. 2 BGB männliche Neugeborene bis zum Alter von sechs Monaten gegenüber älteren männlichen Minderjährigen insoweit benachteiligt werden, als an ihnen der Eingriff der nicht medizinisch indizierten Beschneidung auch durch nichtärztliche Beschneider und damit durch medizinische Laien durchgeführt werden darf. Hinsichtlich des tertium comparationis ,Einwilligung der Personensorgeberechtigten in die nicht medizinisch indizierte Beschneidung ihrer männlichen Minderjährigen‘ als gemeinsamen Bezugspunktes wird die Ausgangsgruppe der männlichen Minder811

BVerfGE 59, S. 128 (156) m.w.N.

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jährigen bis zum Alter von sechs Monaten, an denen die Beschneidung aus nicht medizinisch indizierten Gründen durchgeführt werden soll, schlechter gestellt als die Referenzgruppe der Minderjährigen über sechs Monate, weil für die Ausgangsgruppe eine Ausnahme von dem Arztvorbehalt gilt und an ihr auch nichtärztliche Beschneider den Eingriff durchführen dürfen, für die Referenzgruppen dagegen der Arztvorbehalt gilt. Es liegt somit eine rechtlich relevante Ungleichbehandlung der männlichen Minderjährigen bis zum Alter von sechs Monaten vor. b) Rechtfertigung der Ungleichbehandlung Wie bereits oben ausführlich nachgewiesen,812 führt die Konzeption des § 1631d Abs. 2 BGB dazu, dass männliche Neugeborene in den ersten sechs Monaten ihres Lebens im Vergleich zu den mehr als sechs Monate alten männlichen Kindern faktisch einen geringeren Anspruch auf staatlichen Schutz gegen Eingriffe in ihre körperliche Unversehrtheit haben. Die Beschneidung bis zu sechs Monate alter Babys müsste, wenn sie lege artis durchgeführt werden soll, unter Allgemeinanästhesie oder lokaler Betäubung in Form von Kaudalanästhesie oder Peniswurzelblock durchgeführt werden. Tatsächlich führen religiöse Beschneider den Eingriff bei Säuglingen in der Regel aber weder unter Vollnarkose noch mit einer Kaudalanästhesie oder einem Peniswurzelblock durch. Denn die Anwendung dieser Narkosemaßnahmen bei Neugeborenen im Alter bis zu sechs Monaten ohne medizinische Indikation würde wegen der damit verbundenen Risiken einen Verstoß gegen den Facharztstandard darstellen. Es ist daher nicht möglich, den Eingriff bei Säuglingen bis zum Alter von sechs Monaten nach dem medizinischen Standard durchzuführen. Die Beschneidung Neugeborener ohne medizinische Indikation stellt nicht nur einen Verstoß gegen die Regeln den allgemein anerkannten medizinischen Standard dar, sondern ist kontraindiziert. Während früher im Hinblick auf die Einschätzungsprärogative des Gesetzgebers, zu entscheiden, „welche Merkmale beim Vergleich von Lebenssachverhalten er als maßgebend ansieht, um sie im Recht gleich oder verschieden zu behandeln“,813 die Rechtfertigung von rechtlich relevanten Ungleichbehandlungen nach der sog. Willkürformel eine bloße Evidenzprüfung bedeutete und Art. 3 Abs. 1 GG nur verletzt war, wenn sich nicht ein „vernünftiger […] oder sonst wie einleuchtender“ Grund finden ließ, erfordert die Prüfung der Rechtfertigung von Ungleichbehandlungen nach der sog. Neuen Formel, dass „Gründe von solcher Art und solchem Gewicht, bestehen, dass sie die Ungleichbehandlung rechtfertigen“.814 Dies bedeutet jedoch nicht, dass der Staat nur da ungleich behandeln darf, „wo er die Ungleichbehandlung rechtfertigende Unterschiede bereits vorfindet“, um diesen Rechnung zu tragen. Vielmehr darf „der regelnde und gestaltende Staat“ auch Unterschiede erst 812 813 814

Siehe hierzu 4. Kapitel, B. I. 3. b) ff) (3). BVerfGE 103, S. 242 (258). Gröpl in: Gröpl/Windthorst/von Coelln, Art. 3 Rn. 54.

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schaffen, um externe Zwecke wie Allgemeinwohlziele zu verfolgen.815 Um der Vielfalt und dem Facettenreichtum auftretender Lebenssachverhalte in einem zu gestaltenden Bereich Rechnung zu tragen, darf der Staat mit Generalisierungen und Typisierungen arbeiten, da er nicht jeden erdenklichen Einzelfall gesetzlich regeln kann. Hierzu zählen z. B. Altersgrenzen. Grundsätzlich ist es daher – wie im Fall des § 1631d Abs. 2 BGB geschehen – möglich, an eine Altersgrenze anzuknüpfen. Allerdings sind die mit Typisierungen einhergehenden Ungleichbehandlungen dann nicht gerechtfertigt, „wenn deren Folgen in einem Missverhältnis zu den damit verbundenen Vorteilen stehen“ und „sich für den Betroffenen nachteilig auf die Ausübung eine Grundrechts auswirken kann“.816 Wie ausführlich dargelegt, betrifft die Regelung des § 1631d Abs. 2 BGB mit Babys bis zum Alter von sechs Monaten nach der Geburt einen besonders schutzbedürftigen und hilflosen Personenkreis, dem zusätzlich zu dem mit § 1631d Abs. 1 BGB verbundenen erheblichen Grundrechtseingriff auch noch der sonst im deutschen Recht geltende Arztvorbehalt des § 1 Abs. 1 HeilpraktikerG vorenthalten werden soll, indem die Operation von medizinischen Laien ausgeführt werden darf. Des weiteren stellt sich die nicht medizinisch indizierte Zirkumzision jedenfalls bei Neugeborenen bis zum Alter von sechs Monaten als kontraindizierter Eingriff dar, weil es zu dessen Durchführung nach dem allgemein anerkannten fachlichen Standard einer Anästhesie in Form einer Vollnarkose und/oder einer effektiven lokalen Betäubung, z. B. durch eine Kaudalanästhesie oder einen sogenannten Peniswurzelblock bedürfte, diese aber angesichts der damit verbundenen Anästhesierisiken für sich genommen ohne medizinische Indikation gar nicht durchgeführt werden darf. Daraus folgt, dass bei Neugeborenen die Durchführung einer Zirkumzision ohne medizinische Indikation aus anästhesiologischer Sicht so lange aufgeschoben werden muss, bis eine wirksame Narkose möglich ist. Es stellt sich daher als massives Missverhältnis dar, dass der Gesetzgeber schwerwiegend in das Grundrecht Minderjähriger auf körperliche Unversehrtheit eingreift, indem er an Neugeborenen bis zum Alter von sechs Monaten medizinisch nicht indizierte, ja sogar kontraindizierte und mit nicht unerheblichen Risiken und Dauerfolgen verbundene Operationen, durch die gesundes, physiologisch und sexuell bedeutsames Körpergewebe irreversibel entfernt wird, unter Ausschluss des sonst geltenden Arztvorbehalts durch medizinische Laien gestattet und dadurch das Kindeswohl gefährdet, allein um das elterliche Erziehungsrecht nicht zu tangieren. Dieser schwere Grundrechtseingriff zulasten der Neugeborenen ist nicht gerechtfertigt.

3. Zwischenergebnis Als Zwischenergebnis ist festzuhalten, dass durch die Regelung des § 1631d Abs. 1 BGB eine Verletzung des Grundrechts auf Gleichbehandlung männlicher und 815 816

Pieroth/Schlink/Kingreen/Poscher, § 11 Rn. 473. Gröpl in: Gröpl/Windthorst/von Coelln, Art. 3 Rn. 57.

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weiblicher Minderjähriger in Form einer Diskriminierung wegen des Geschlechts als besonderem Diskriminierungsverbot aus Art. 3 Abs. 3 S. 1 GG stattfindet, die nicht gerechtfertigt und daher verfassungswidrig ist.817 Des weiteren verstößt § 1631d Abs. 2 BGB gegen den allgemeinen Gleichbehandlungsgrundsatz aus Art. 3 Abs. 1 GG, da die dortige Regelung, wonach männliche Minderjährige bis zum Alter von sechs Monaten gegenüber älteren männlichen Minderjährigen ungleich behandelt werden, nicht gerechtfertigt ist.

III. Grundrecht auf Religionsfreiheit aus Art. 4 Abs. 1 u. 2 GG Da § 1631d BGB auch die Beschneidung aus religiösen Gründen zulässt, bei Neugeborenen bis zum Alter von sechs Monaten auch durch von einer Religionsgemeinschaft dafür vorgesehene Personen, selbst wenn es sich dabei um medizinische Laien handelt, und weil das Beschnittensein aus religiösen Gründen ein Merkmal der Zugehörigkeit zu einer Religionsgemeinschaft ist, könnte eine Verletzung des Grundrechts der betroffenen Minderjährigen auf negative Religionsfreiheit vorliegen. 1. Schutzbereich Das Grundrecht auf Religionsfreiheit schützt nicht nur das Recht jedes – es handelt sich somit um eine sog. „Jedermann-Recht“ – Menschen, sich für einen Glauben oder eine Weltanschauung zu entscheiden und „sich im Sinne der eigenen Überzeugung zu äußern und zu handeln“,818 sondern umgekehrt auch die Freiheit, sich gegen ein Bekenntnis zu entscheiden und diesbezügliche Entscheidungen beizubehalten oder wieder zu ändern. Es schützt daher die positive und die negative Religionsfreiheit. 2. Eingriff Zwar knüpft § 1631d BGB nicht an die Religionszugehörigkeit an, sondern gestattet die Beschneidung gleich aus welchen Gründen, also auch aus nicht religiösen Motiven. Nach dem „modernen Eingriffsbegriff“819 liegt aber ein Eingriff in den Schutzbereich eines Grundrechts bereits dann vor, wenn die Beeinträchtigung dem Staat zurechenbar ist und „eine nicht unerhebliche Einwirkung auf das Schutzgut gegen den Willen des Berechtigten“820 herbeiführt. Durch § 1631d BGB wird den Eltern gestattet, in eine irreversible Körperverletzung ihres männlichen Kindes einzuwilligen, um hierdurch ein dauerhaftes Zeichen der Zugehörigkeit des Kindes zu einer bestimmten Glaubensgemeinschaft herbeizuführen. Es liegt daher eine dem 817 818 819 820

So auch: Mandla, S. 244 (247); Walter, Die Zeit v. 04. 07. 2013, S. 13. von Coelln in: Gröpl/Windthorst/von Coelln, Art. 4 Rn. 11. Siehe hierzu 4. Kapitel, B. I. 2. Müller-Franken in: Schmidt-Bleibtreu/Hofmann/Hopfauf, Vorb. v. Art. 1 Rn. 36.

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Staat zurechenbare Beeinträchtigung des Grundrechts des Kindes auf religiöse Selbstbestimmung vor, woran der – vom Landgericht Köln verkannte – Umstand nichts ändert, dass selbstverständlich auch als Minderjährige Beschnittene später die Religionszugehörigkeit wechseln können. In Bezug auf diejenigen Minderjährigen, die aus religiösen Motiven beschnitten werden, liegt daher ein Eingriff in deren Grundrecht auf negative Religionsfreiheit vor. 3. Rechtfertigung des Eingriffs Wie bereits dargelegt,821 unterliegt das Grundrecht auf Religionsfreiheit aus Art. 4 Abs. 1 und 2 GG seinem Wortlaut nach keinem Gesetzesvorbehalt. Art. 136 Abs. 1 WRV i.V.m. Art. 140 GG, der regelt, dass die bürgerlichen und staatsbürgerlichen Rechte durch die Ausübung der Religionsfreiheit weder bedingt noch beschränkt werden dürfen, wird zwar von der überwiegenden Meinung in der Literatur als „Vorbehalt allgemeiner, also nicht religionsspezifischer Gesetze“ ausgelegt,822 das Bundesverfassungsgericht ist jedoch der Ansicht, dass der Vorbehalt des Art. 136 Abs. 1 WRV durch die vorbehaltlose Gewährleistung der Grundrechte aus Art. 4 Abs. 1 und 2 GG überlagert sei.823 Deshalb sollen die Art. 136 ff. WRV „keine allgemeinen Schranken“ normieren, sondern als „objektives Verfassungsrecht Auslegungsgesichtspunkte für die Interpretation des Art. 4 GG“824 liefern. Demgemäß hat in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts nur die Regelung in Art. 136 Abs. 3 S. 2 WRV Bedeutung erlangt,825 durch die Eingriffe in negative Religionsfreiheit wie etwa statistische Erhebungen der Zugehörigkeit oder Nichtzugehörigkeit zu einer Religionsgemeinschaft gerechtfertigt werden können.826 Wie ausgeführt, spricht gegen diese Überlagerungstheorie der Umstand, dass Art. 136 Abs. 1 WRV durch Art. 140 GG zum Bestandteil des Grundgesetzes erhoben wurde und damit uneingeschränktes gleichrangiges Verfassungsrecht geworden ist.827 Als solches stellt Art. 136 Abs. 1 WRV daher – wenn auch keinen einfachen Gesetzesvorbehalt – jedenfalls kollidierendes Verfassungsrecht und somit eine verfassungsimmanente Schranke des Grundrechts auf Religionsfreiheit dar. Daneben können auch andere kollidierende Grundrechte und sonstige Rechtsgüter von Verfassungsrang eine immanente Schranke bilden. Der Eingriff in das Grundrecht der Minderjährigen auf Religionsfreiheit durch § 1631d BGB ist gerechtfertigt, wenn er von den Schranken des Grundrechts unter Berücksichtigung der Schranken-Schranken gedeckt ist. 821

Siehe hierzu 3. Kapitel, C. VII. 4. c) dd) (2). von Coelln in: Gröpl/Windthorst/von Coelln, Art. 4 Rn. 29; Pieroth/Schlink/Kingreen/ Poscher, § 12 Rn. 577. 823 BVerfGE 33, S. 23 ff. 824 Michael/Morlok, § 9 Rn. 188. 825 Pieroth/Schlink/Kingreen/Poscher, § 12 Rn. 578. 826 Siehe etwa BVerfGE, 65, S. 1 ff. (Volkszählung). 827 Pieroth/Schlink/Kingreen/Poscher, § 12 Rn. 577. 822

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a) Schranken des Grundrechts aus Art. 4 Abs. 1 u. 2 GG Es ist daher zu prüfen, ob § 1631d BGB auf die Schranken des Grundrechts auf Religionsfreiheit, also auf kollidierende Grundrechte oder sonstige Rechtsgüter von Verfassungsrang gestützt werden kann. Kollidierende Grundrechte sind das Erziehungsrecht der Eltern aus Art. 6 Abs. 2 S. 1 GG, das auch das Recht auf religiöse Erziehung umfasst, sowie das Grundrecht der Eltern auf Religionsfreiheit aus Art. 4 Abs. 1 und 2 GG, wozu auch das Recht auf ungestörte Religionsausübung mit ihren Kindern gehört. Da wie dargestellt auch der Schutz der Sorgeberechtigten vor Beschränkungen ihres Grundrechts auf (religiöse) Erziehungsfreiheit Ausfluss der staatlichen Schutzpflicht vor Grundrechtseingriffen und damit ein legitimes gesetzgeberisches Ziel ist, stellen die Grundrechte der Eltern eine verfassungsimmanente Schranke des Grundrechts der Minderjährigen auf negative Religionsfreiheit dar, auf welche die Regelung des § 1631d BGB gestützt werden kann. b) Schranken-Schranken Für die Rechtfertigung des Grundrechtseingriffs genügt es nicht, dass sich der Eingriff auf eine Grundrechtsschranke stützen kann.828 Der Eingriff muss ferner die Grenzen beachten, welche „die Verfassung für die Ausnutzung der Beschränkungsmöglichkeiten vorsieht“.829 Hinsichtlich der in diesem Zusammenhang zu prüfenden Punkte der formellen Verfassungsgemäßheit, des Verbots des Einzelfallgesetzes, des Zitiergebots, des Parlamentsvorbehalts, des Bestimmtheitsgebots, der Geeignetheit und der Erforderlichkeit wird auf die bereits gemachten Ausführungen verwiesen.830 In Bezug auf das Erfordernis der Verhältnismäßigkeit im engeren Sinne ist zu prüfen, ob die Regelungen des § 1631d BGB in angemessenem Verhältnis zu dem Gewicht und zur Bedeutung des betroffenen Grundrechts stehen, ob also die Verhältnismäßigkeit im engeren Sinne gewahrt ist. Hierzu hat eine Abwägung zwischen dem Grundrechtseingriff und dem damit gesetzgeberisch intendierten Ziel stattzufinden. Dieses besteht wie ausgeführt im Schutz der Sorgeberechtigten vor Beschränkungen ihres Grundrechts auf Erziehungsfreiheit und Religionsfreiheit und resultiert seinerseits aus der staatlichen Schutzpflicht vor Grundrechtseingriffen. Es stehen sich daher einerseits das durch § 1631d BGB beeinträchtigte Grundrecht der Minderjährigen auf negative Religionsfreiheit aus Art. 4 Abs. 1 und 2 GG und andererseits die Grundrechte der Eltern auf Erziehungsfreiheit aus Art. 6 Abs. 2 S. 1 GG und auf Religionsfreiheit aus Art. 4 Abs. 1 und 2 GG gegenüber und begrenzen sich gegenseitig. Zur Lösung dieses Grundrechtskonfliktes im Wege der praktischen Konkordanz bedarf es daher einer Abwägung der widerstreitenden Grundrechte. 828 829 830

Siehe hierzu 4. Kapitel, B. I. 3. b). von Coelln in: Gröpl/Windthorst/von Coelln, Vorbem. Rn. 102. Siehe hierzu 4. Kapitel, B. I. 3. b) bis B. I. 3. b) ff) (2).

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Eine irreversible Körperverletzung als dauerhaftes Zeichen der Zugehörigkeit zu einer bestimmten Glaubensgemeinschaft, „vergleichbar mit einer Brandmarkung“831, verletzt das Grundrecht des Kindes auf religiöse Selbstbestimmung. In dem „Kruzifix-Beschluss“832 hat das Bundesverfassungsgericht entschieden, dass das Grundrecht auf negative Religionsfreiheit das individuelle Recht jedes Menschen schützt, zu entscheiden, ob und welche religiösen Symbole er anerkennt oder ablehnt.833 Wenn dieser Schutz schon gegenüber „nicht invasiven christlichen Symbolen“834 wie einem Kruzifix oder einem von einer muslimischen Lehrerin getragenen Kopftuch835 in Schulräumen gilt, muss er im Sinne des argumentum a fortiori erst Recht zur Abwehr solcher Symbole gelten, die mit irreversiblen Körperverletzungen verbunden sind. Zwar können die Eltern gemäß § 5 S. 1 RelKEG bis zum Erreichen der eigenen Religionsmündigkeit des Minderjährigen über dessen Zugehörigkeit zu einer Glaubensgemeinschaft entscheiden, ob der Minderjährige später die Glaubensüberzeugung der Eltern, in der er erzogen wurde, teilt, ist aber völlig offen. Obgleich entgegen der Auffassung des Landgerichts Köln natürlich auch beschnittene Minderjährige nach Erreichen ihrer eigenen Religionsmündigkeit aus ihrer Glaubensgemeinschaft austreten oder einer anderen Religionsgemeinschaft beitreten können, verletzt die Beschneidung als invasives und irreversibles religiöses Symbol ihr Grundrecht auf negative Religionsfreiheit. Denn auch nach einem möglichen Austritt aus der Religionsgemeinschaft, deren Symbol die Beschneidung ist, wird der Betroffene ein Leben lang daran erinnert, dass seine Sorgeberechtigten ihm dieses irreversible Symbol zur Zugehörigkeit ihrer Glaubensgemeinschaft ohne seine Zustimmung zugefügt haben. Wie bereits ausgeführt, ist der Staat bereits bei wesentlich geringfügigeren Beeinträchtigungen in Rechtspositionen Dritter, wie etwa im Fall des liturgischen Läutens, berufen, kultischen Handlungen Grenzen zu setzen. Eine medizinisch nicht indizierte Zirkumzision, durch die der Betroffene lebenslang als einer Glaubensgemeinschaft zugehörig gekennzeichnet wird, stellt eine wesentlich schwerwiegendere Beeinträchtigung von Rechtspositionen Dritter dar, als sie etwa durch liturgisches Geläut hervorgerufen wird. Dem Grundrecht der Minderjährigen auf negative Religionsfreiheit gebührt daher insoweit der Vorrang vor dem Grundrecht der Eltern auf Religionsfreiheit und deren Erziehungsrecht, als eine Einwilligung in medizinisch nicht indizierte Beschneidungen nicht einwilligungsfähiger Minderjähriger zum Zweck der Schaffung eines irreversiblen körperlichen Symbols der Zugehörigkeit zu einer Religionsgemeinschaft nicht gerechtfertigt sind. Den Sorgeberechtigten ist es daher zuzumuten, mit der Beschneidung ihrer minderjährigen Söhne solange zuzuwarten, bis diese selbst einwilligungsfähig sind und selbstbestimmt entscheiden können, ob sie die Beschneidung als dauerhaftes körperliches Symbol der Zugehörigkeit zu einer Religions831 832 833 834 835

Czerner, S. 374 (381). BVerfGE, Fn. 566. BVerfGE 93, S. 1 (16). Czerner, S. 374 (381). BVerfGE 108, S. 282 ff.; siehe hierzu auch: Sacksofsky, NJW 2003, S. 3297 ff.

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gemeinschaft wünschen. Die möglichen Nachteile, die den Sorgeberechtigten – aber auch den Minderjährigen selbst – z. B. in Form einer Ausgrenzung innerhalb des religiös-sozialen Umfeldes drohen könnten, wenn mit der Beschneidung bis zum Erreichen der eigenen Einsichts- und Urteilsfähigkeit abgewartet wird, wiegen im Vergleich zu den irreversiblen Nachteilen, die mit der durch die Beschneidung verursachten dauerhaften „Brandmarkung“ verbunden sind, weitaus geringer.836 Die Auffassung, wenn es den Sorgeberechtigten versagt würde, in die nicht medizinisch indizierte Beschneidung ihrer noch nicht einwilligungsfähigen Söhne wirksam einzuwilligen, könnten die Söhne z. B. jüdischer Eltern bis zu einem bestimmten Alter nicht Juden werden, ist nicht zutreffend, weil – wie ausgeführt – weder im Judentum noch im Islam die Beschneidung konstitutiven Charakter für die Zugehörigkeit zur Religionsgemeinschaft hat.837 4. Zwischenergebnis Als Zwischenergebnis ist festzustellen, dass durch die Regelung des § 1631d Abs. 1 und 2 BGB eine Verletzung des Grundrechts auf negative Religionsfreiheit der Minderjährigen aus Art. 4 Abs. 1 und 2 GG stattfindet, die wegen eines Verstoßes gegen den aus Art. 20 Abs. 3 GG folgenden Grundsatz der Verhältnismäßigkeit nicht gerechtfertigt und daher verfassungswidrig ist.

IV. Grundrecht auf Schutz der Menschenwürde aus Art. 1 Abs. 1 GG Mit Art. 1 GG steht das Bekenntnis zur Unantastbarkeit der Würde des Menschen an der Spitze des Grundgesetzes, wobei diese Stellung „nicht nur systematisch“838 ist, denn der Parlamentarische Rat hat angesichts der Verbrechen des Nationalsozialismus den Schutz der Menschenwürde mit Art. 1 Abs. 1 GG bewusst ganz „an den Anfang der Grundrechte“839 gestellt, alle staatliche Gewalt verpflichtet, sie zu schützen und zu achten, und nicht nur ihre Unantastbarkeit in Art. 1 Abs. 1 GG selbst proklamiert, sondern darüber hinaus auch in Art. 79 Abs. 3 GG ausdrücklich normiert, dass Art. 1 GG selbst durch den Verfassungsgesetzgeber nicht abänderbar ist. Ob es sich aber bei der Menschenwürde überhaupt um ein Grundrecht im eigentlichen Sinn oder um eine Art Vorentscheidung handelt, ist nicht unumstritten. Aus dem Wortlaut „die nachfolgenden Grundrechte“ in Art. 1 Abs. 3 GG wird teilweise der Schluss gezogen, dass Art. 1 GG selbst kein Grundrecht darstelle, 836 837 838 839

Siehe hierzu 3. Kapitel, C. VII. 4. c) dd) (2) und C. VII. 4. c) dd) (3). Siehe hierzu 2. Kapitel, A. VI. Windthorst in: Gröpl/Windthorst/von Coelln, Art.1 Rn. 1. Pieroth/Schlink/Kingreen/Poscher, § 7 Rn. 364.

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sondern „den Grundrechten präambelhaft vorangestellt“840 sei. Die Überschrift über dem I. Abschnitt des Grundgesetzes spricht hingegen dafür, dass Art. 1 Abs. 1 GG systematisch zu den Grundrechten zählt.841 Demgemäß geht auch das Bundesverfassungsgericht davon aus, dass die Norm des Art. 1 Abs. 1 GG „die Würde jedes individuellen Menschen schützt“842 und „als Grundrecht“ nicht nur gem. Art. 1 Abs. 1 S. 1 GG ein Abwehrrecht gegen Eingriffe des Staates ist, sondern dieser gem. Abs. 1 S. 2 auch positiv verpflichtet ist, die Menschenwürde gegen Eingriffe Dritter zu schützen.843 Durch diese ausdrücklich auferlegte Schutzpflicht gewährt es jedem Menschen einen einklagbaren Leistungsanspruch.844 Dabei ist das Grundrecht auf Menschenwürde nicht etwa lediglich ein Auffangtatbestand, sondern aus „subjektivrechtlicher Sicht ein Freiheitsgrundrecht und aus objektiv-rechtlicher Sicht ein tragendes Konstitutionsprinzip und oberster Verfassungswert“.845 Dem Schutz der Menschenwürde kommt auch insoweit eine besondere Stellung im Vergleich zu den anderen Grundrechten zu, als Eingriffe in dieses Grundrecht niemals gerechtfertigt werden können und es damit nicht nur vorbehaltlos, sondern schrankenlos gewährleistet wird. Denn Art. 1 Abs. 1 GG steht weder unter einem Gesetzesvorbehalt noch unterliegt er den verfassungsimmanenten Schranken des kollidierenden Verfassungsrechts.846 Letzteres ergibt sich aus dem Wortlaut „unantastbar“, mit dem deutlich gemacht wird, dass selbst durch eine Abwägung mit anderen, kollidierenden Grundrechten keinerlei Einschränkung der Menschenwürde begründet werden kann. Bekräftigt wird dies durch den Umstand, dass der Verfassungsgesetzgeber gem. Art. 79 Abs. 3 GG nicht einmal im Wege einer Verfassungsänderung Art. 1 Abs. 1 GG ändern darf. Das Grundrecht auf Schutz der Menschenwürde ist insoweit den anderen Grundrechten übergeordnet und „dominiert und determiniert“ diese.847 Wenn daher die Norm des § 1631d BGB einen Eingriff in das Grundrecht auf Menschenwürde darstellen würde, wäre ein solcher unter keinen Umständen zu rechtfertigen und die Vorschrift wäre verfassungswidrig. 1. Schutzbereich In persönlicher Hinsicht schützt Art. 1 Abs. 1 GG jede natürliche Person, nicht hingegen Personenvereinigungen und juristische Personen, weil diesen die Eigen-

840

Enders, S. 92 ff. Pieroth/Schlink/Kingreen/Poscher, § 7 Rn. 365. 842 BVerfGE 87, S. 209 (228). 843 BVerfGE 125, S. 175 ff. 844 Pieroth/Schlink/Kingreen/Poscher, § 7 Rn. 365. 845 Windthorst in: Gröpl/Windthorst/von Coelln, Art.1 Rn. 9. 846 Pieroth/Schlink/Kingreen/Poscher, § 7 Rn. 381; Windthorst in: Gröpl/Windthorst/von Coelln, Art.1 Rn. 67; Hofmann in: Schmidt-Bleibtreu/Hofmann/Hopfauf, Art. 1 Rn. 77. 847 Hofmann in: Schmidt-Bleibtreu/Hofmann/Hopfauf, Art. 1 Rn. 77. 841

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schaft als Mensch, durch die das menschliche Leben als „vitale Basis der Menschenwürde“848 geprägt wird, fehlt.849 In sachlicher Hinsicht stößt die Bestimmung des Schutzbereichs des Art. 1 Abs. 1 GG auf Schwierigkeiten,850 weil der Begriff der Menschenwürde mit philosophischen, ethischen, soziologischen und religiösen Vorstellungen in Zusammenhang steht,851 die unterschiedlichen Wertungen zugänglich sind, was demgemäß auch zu unterschiedlichen juristischen Interpretationen führen kann, und die darüber hinaus einem stetigen gesellschaftlichen Wandel unterworfen sind.852 Nach der sog. Mitgifttheorie soll der dem Menschen „von außen durch die göttliche Schöpfungsordnung“853 mitgegebene Eigenwert, der sich durch „seine Gottebenbildlichkeit, seine Vernunftbegabung, seine Willens- und Entscheidungsfreiheit“854 auszeichne, die ihm „gegenüber allen anderen Lebewesen eine besondere Würde“855 verliehen, maßgeblich sein. Die sog. Leistungstheorie hebt auf die Bildung der persönlichen Identität und Selbstdarstellung durch das selbstbestimmte Handeln ab.856 Sie sieht die Würde des Menschen also nicht kraft Geburt verliehen, sondern erst darin begründet, dass dieser sich „als Individuum entfaltet“.857 Nach der sog. Anerkennungstheorie liegt die Menschenwürde in „der Anerkennung, die sich Menschen als freie und gleiche gegenseitig schulden und gewähren und durch die sie sich zur staatlichen Gemeinschaft als Anerkennungs- und Solidargemeinschaft verfassen“858 begründet. Kumulativ machen diese drei Theorien die wesentlichen Gesichtspunkte dessen deutlich, „was unter dem Begriff der Menschenwürde als unantastbar“859 zum Schutzbereich des Art. 1 Abs. 1 GG gehören soll, nämlich die drei Teilbereiche „menschliche Subjektivität, besonders die körperliche und seelische Identität und Integrität, die prinzipielle rechtliche Gleichheit der Menschen und die Gewährleistung eines Existenzminimums“.860 Schutz gegen Eingriffe in die körperliche Integrität gewährt zwar zunächst das Grundrecht auf körperliche Unversehrtheit aus Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG, er wird aber darüber hinaus auch durch Art. 1 Abs. 1 GG 848

BVerfGE 115, S. 118 ff. (Abschussermächtigung im Luftsicherheitsgesetz). Windthorst in: Gröpl/Windthorst/von Coelln, Art.1 Rn. 14. 850 Pieroth/Schlink/Kingreen/Poscher, § 7 Rn. 368; Windthorst in: Gröpl/Windthorst/von Coelln, Art.1 Rn. 21; Michael/Morlok, § 8 Rn. 134. 851 Windthorst in: Gröpl/Windthorst/von Coelln, Art.1 Rn. 21. 852 Pieroth/Schlink/Kingreen/Poscher, § 7 Rn. 368. 853 Windthorst in: Gröpl/Windthorst/von Coelln, Art.1 Rn. 21. 854 Pieroth/Schlink/Kingreen/Poscher, § 7 Rn. 369. 855 Michael/Morlok, § 8 Rn. 136. 856 Windthorst in: Gröpl/Windthorst/von Coelln, Art.1 Rn. 21; Pieroth/Schlink/Kingreen/ Poscher, § 7 Rn. 370. 857 Michael/Morlok, § 8 Rn. 137. 858 Pieroth/Schlink/Kingreen/Poscher, § 7 Rn. 371. 859 Pieroth/Schlink/Kingreen/Poscher, § 7 Rn. 371a. 860 Pieroth/Schlink/Kingreen/Poscher, § 7 Rn. 372. 849

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gewährleistet,861 soweit durch Eingriffe in die körperliche Unversehrtheit gleichzeitig der die Menschenwürde tangierende Kern betroffen ist. Da durch § 1631d BGB die körperliche und seelische Integrität der betroffenen Minderjährigen und damit die Menschenwürde in Form der menschlichen Subjektivität tangiert sein kann, ist der Schutzbereich des Art. 1 Abs. 1 GG eröffnet. 2. Eingriff Das Bundesverfassungsgericht hat sich bei der Frage, ob ein Eingriff in das Grundrecht auf Menschenwürde vorliegt, zunächst der von Dürig geprägten sog. Objektformel bedient, wonach die Menschenwürde verletzt ist, „wenn der konkrete Mensch zum Objekt, zu einem bloßen Mittel, zur vertretbaren Größe herabgewürdigt wird“,862 und demgemäß angenommen, dass Art. 1 Abs. 1 S. 2 GG die staatliche Gewalt zum Schutz des Einzelnen gegen Angriffe auf die Menschenwürde durch Dritte, wie „Erniedrigung, Brandmarkung, Verfolgung, Ächtung“863 verpflichte. Allerdings begegnete die Objektformel Bedenken, denn mit Blick darauf, dass einerseits der Mensch „nicht selten bloßes Objekt nicht nur der Verhältnisse und der gesellschaftlichen Entwicklung, sondern auch des Rechts, dem er sich zu fügen hat“,864 ist, erscheint die Formulierung zu vage, weil sie die Gefahr birgt, dass Eingriffe in den Schutzbereich des Grundrechts aus Art. 1 Abs. 1 GG vorschnell angenommen werden, diese aber niemals gerechtfertigt werden können.865 Zur Vermeidung einer solchen Ausuferung ist die Objektformel wenig handhabbar und präzisionsbedürftig.866 Sie wurde vom Bundesverfassungsgericht daher zu einer Objekt-Subjekt-Formel weiter entwickelt,867 was damit begründet wird, dass der Mensch eine Würde als Subjekt hat und es dementsprechend seiner Würde zuwider laufe, ihn zum „bloßen Objekt des Staates zu machen oder ihn einer Behandlung auszusetzen, die seine Subjektqualität prinzipiell in Frage stellt“.868 Aber auch diese Präzisierung ist nur bedingt geeignet, was besonders an den Fällen deutlich wird, in denen es sich um einen Wertkonflikt handelt.869 Zur weiteren Konkretisierung werden daher anhand des Konsenses,870 dass zum Schutzbereich die drei Teilbereiche körperliche und seelische Identität und Integrität, prinzipielle rechtliche Gleichheit 861

Windthorst in: Gröpl/Windthorst/von Coelln, Art. 1 Rn. 27. Dürig, S. 117 (127). 863 BVerfGE, 1 S. 97 ff.; Hofmann in: Schmidt-Bleibtreu/Hofmann/Hopfauf, Art. 1 Rn. 15. 864 BVerfGE, 109, S. 279 ff. 865 Siehe hierzu 4. Kapitel, B. IV. 1. 866 Pieroth/Schlink/Kingreen/Poscher, § 7 Rn. 375; Windthorst in: Gröpl/Windthorst/von Coelln, Art. 1 Rn. 23 ff. 867 Windthorst in: Gröpl/Windthorst/von Coelln, Art. 1 Rn. 23. 868 BVerfGE, 87, S. 209 ff.; Hofmann in: Schmidt-Bleibtreu/Hofmann/Hopfauf, Art. 1 Rn. 7. 869 Michael/Morlok, § 8 Rn. 145. 870 Siehe hierzu 4. Kapitel, B. IV. 1. 862

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der Menschen und Gewährleistung eines Existenzminimums gehören,871 auch hinsichtlich der Bestimmung des Eingriffs entsprechende Fallgruppen gebildet.872 Danach wird in die durch Art. 1 Abs. 1 GG geschützte Achtung der körperlichen oder seelischen Identität und Integrität eingegriffen, „wenn der Eingriff über die Beeinträchtigung […] hinaus spezifisch menschenwürdewidrige Merkmale aufweist“.873 Dies ist bei besonders erniedrigenden Eingriffen der Fall, weil gerade in der darin liegenden Missachtung des Personenwerts ein Verstoß gegen die Menschenwürde liegt. Eine derartige Erniedrigung wird bei Folter, grausamen und erniedrigenden Strafen, Brechung des Willens durch Drogen oder Hypnose, heimliche und gewaltsame Manipulation zu Forschungs- und Züchtungszwecken und Zerstörung menschlicher Intimität angenommen.874 Ob durch die von den Sorgeberechtigten veranlasste medizinisch nicht indizierte Beschneidung nicht einwilligungsfähiger Minderjähriger in deren Grundrecht aus Art. 1 Abs. 1 GG eingegriffen wird, ist daher danach zu beurteilen, ob die Beschneidung über die Verletzung der körperlichen Unversehrtheit hinaus spezifisch menschenwürdewidrige Merkmale aufweist. Dies könnte mit der Begründung bejaht werden, dass die betroffenen Kinder von ihren Eltern zum bloßen Objekt herabgewürdigt werden, indem die Eltern die Kinder als Mittel zum Zweck der Erfüllung ihrer eigenen religiösen Pflichten benutzen. So wird argumentiert, dass „Babys, deren Recht auf körperliche Unversehrtheit nicht respektiert, deren Gesundheit ohne jeden medizinischen Grund gefährdet und deren Körperfunktion und Sexualität auf Dauer beeinträchtigt“ werden, herabgewürdigt würden.875 Diese Auffassung überzeugt jedoch nicht uneingeschränkt. Denn durch die mit § 1631d BGB ermöglichte Einwilligung der Sorgeberechtigten in die medizinisch nicht indizierte Beschneidung ihrer nicht einwilligungsfähigen männlichen Minderjährigen sollen diese nicht herabgewürdigt, erniedrigt und zum „bloßen Objekt des Staates“ oder einer Behandlung ausgesetzt werden, die ihre „Subjektqualität prinzipiell in Frage stellt“.876 Vielmehr soll es den Sorgeberechtigten – im Regelfall den Eltern – ermöglicht werden, im Rahmen ihres (auch religiösen) Erziehungsrechts zu entscheiden, ob sie ihre männlichen Kinder beschneiden lassen wollen. Die Motive der Sorgeberechtigten sind dabei zwar grundsätzlich unbeachtlich, was seine Begründung darin findet, dass der Gesetzgeber kein religiöses Sonderrecht schaffen wollte. In aller Regel liegen der nicht medizinisch indizierten Beschneidung jedoch religiöse Motive zugrunde. Die Sorgeberechtigten wollen die betroffenen Minderjährigen durch den Akt der Beschneidung und den dadurch herbeigeführten Zustand des Beschnitten871

Fn. 860. Pieroth/Schlink/Kingreen/Poscher, § 7 Rn. 378; Windthorst in: Gröpl/Windthorst/von Coelln, Art. 1 Rn. 26 ff.; Michael/Morlok, § 8 Rn. 150 f. 873 Windthorst in: Gröpl/Windthorst/von Coelln, Art. 1 Rn. 27. 874 Pieroth/Schlink/Kingreen/Poscher, § 7 Rn. 378; Windthorst in: Gröpl/Windthorst/von Coelln, Art. 1 Rn. 28. 875 So Grams, S. 332 (334). 876 BVerfGE, 87, S. 209. 872

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4. Kap.: Rechtslage nach Inkrafttreten des § 1631d BGB

seins aber nicht erniedrigen, zum bloßen Objekt herabwürdigen und ihre Subjektqualität in Frage stellen oder deren Personenwert missachten, sondern verfolgen damit im Gegenteil Absichten, die im Regelfall aus ihrer Sicht wohlmeinend sind. So soll bei religiös motivierten Beschneidungen, die der Gesetzgeber mit der Regelung des § 1631d BGB im Blick hatte – auch wenn er ausdrücklich kein religiöses Sonderrecht schaffen wollte – und die den weitaus größten Anteil an den von der Regelung erfassten Beschneidungen haben, die Beschneidung als Initiationsritus die religiöse Identität des Minderjährigen und dessen Zugehörigkeit zur Religionsgemeinschaft bekräftigen und seine Integration in das religiös-kulturelle Umfeld fördern. Der Eingriff ist meist mit einer festlichen Zeremonie verbunden, bei der die betroffenen Minderjährigen im Mittelpunkt stehen und oftmals beschenkt werden. Trotz des Eingriffs in die körperliche Integrität ist damit eine Missachtung des Personenwerts des betroffenen Minderjährigen gerade nicht verbunden. Anders wäre dies in Fällen zu beurteilen, in denen die Beschneidung z. B. zur Vermeidung der Masturbation vorgenommen wird. Damit würden die Sorgeberechtigten den betroffenen Minderjährigen zum bloßen Objekt herabwürdigen, seine Subjektqualität in Frage stellen oder seinen Personenwert missachten. Solche Ausnahmefälle wollte der Gesetzgeber jedoch ausdrücklich nicht zulassen, sie sollen von der Zweckklausel des § 1631d Abs. 1 S. 2 BGB erfasst werden und damit unzulässig sein. Auch wenn durch die medizinisch nicht indizierte Beschneidung ein nicht gerechtfertigter Eingriff in das Grundrecht auf körperliche Unversehrtheit der Minderjährigen verbunden ist, liegt darin kein Eingriff in deren Grundrecht auf Menschenwürde, weil es an einem spezifisch menschenwürdewidrigen Merkmal fehlt. 3. Zwischenergebnis Ein Eingriff durch § 1631d BGB in das Grundrecht auf Menschenwürde aus Art.1 Abs. 1 GG liegt damit nicht vor.

V. Ergebnis der Grundrechteprüfung Die Prüfung der Verfassungskonformität des § 1631d BGB weist nach, dass die Vorschrift in mehrfacher Hinsicht verfassungswidrig ist: Zum einen liegt ein Verstoß gegen das Zitiergebot aus Art. 19 Abs. 1 S. 2 GG vor. Des Weiteren wird durch § 1631d Abs. 1 S. 2 und Abs. 2 BGB das aus Art. 20 Abs. 3 GG folgende Bestimmtheitsgebot verletzt. Darüber hinaus sind die Regelungen des § 1631d Abs. 1 und 2 BGB wegen Verstoßes gegen den gleichfalls aus Art. 20 Abs. 3 GG folgenden Grundsatz der Verhältnismäßigkeit verfassungswidrig, weil der damit verbundene Eingriff in das Grundrecht auf körperliche Unversehrtheit der betroffenen Minderjährigen unverhältnismäßig ist. Durch die Regelung des § 1631d Abs. 1 BGB findet ferner eine Verletzung des Grundrechts auf Gleichbehandlung männlicher und weiblicher Minderjähriger und ihrer Sorgeberechtigten in Form einer

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Diskriminierung wegen des Geschlechts als besonderem Diskriminierungsverbot aus Art. 3 Abs. 3 S. 1 GG statt, die nicht gerechtfertigt und daher verfassungswidrig ist. Auch verstößt § 1631d Abs. 2 BGB gegen den allgemeinen Gleichbehandlungsgrundsatz aus Art. 3 Abs. 1 GG, da die dortige Regelung, wonach männliche Minderjährige bis zum Alter von sechs Monaten gegenüber älteren männlichen Minderjährigen ungleich behandelt werden, nicht gerechtfertigt und damit verfassungswidrig ist. Schließlich verletzen die Regelungen des § 1631d Abs. 1 und 2 BGB in einer nicht dem aus Art. 20 Abs. 3 GG folgenden Grundsatz der Verhältnismäßigkeit entsprechenden und daher nicht gerechtfertigten Weise das Grundrecht der Minderjährigen auf negative Religionsfreiheit aus Art. 4 Abs. 1 und 2 GG. § 1631d BGB ist daher insgesamt verfassungswidrig.

VI. Rechtsfolgen Angesichts von Schwere, Risiken, Folgen und Irreversibilität des mit der medizinisch nicht indizierten Beschneidung Minderjähriger verbundenen Eingriffs in deren Grundrecht auf körperliche Unversehrtheit aus Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG würden die Nachteile, die mit einer vorläufigen Weitergeltung des § 1631d BGB bis zu einer Neuregelung durch den Gesetzgeber einhergingen, die Nachteile, die mit einem sofortigen Außerkrafttreten der Norm verbunden wären, bei weitem überwiegen. Denn während bei einer vorläufigen Fortgeltung der Norm weiterhin massive, irreversible Eingriffe in die körperliche Unversehrtheit der betroffenen Minderjährigen stattfänden, würde ein Beschneidungsverbot nur einen geringfügigen Eingriff in das Erziehungsrecht der Eltern darstellen, der weit weniger schwer wöge. Auch der mit einem möglichen Eingriff in das Grundrecht der Sorgeberechtigten auf Religionsfreiheit verbundene Nachteil wäre im Vergleich zu den Nachteilen, die im Fall einer Fortgeltung der Norm für die betroffenen Minderjährigen entstünden, weit geringer zu bewerten, da weder in der jüdischen noch in der islamischen Religion die Beschneidung konstitutiven Charakter für die Religionszugehörigkeit hat und daher in beiden Glaubensrichtungen mit dem Eingriff bis zur eigenen Einwilligungsfähigkeit der Minderjährigen zugewartet werden kann. Im Fall einer Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts würden die Voraussetzungen für eine bloße Unvereinbarerklärung mit einer befristeten vorläufigen Weitergeltung bis zu einer Entscheidung des Gesetzgebers daher nicht vorliegen.877 Das Bundesverfassungsgericht müsste somit feststellen, dass § 1631d BGB verfassungswidrig und damit nichtig ist.

877

BVerfGE 128, S. 282 (322); 100, S. 313 (402); 87, S. 153 (177); 61, S. 319 (356).

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4. Kap.: Rechtslage nach Inkrafttreten des § 1631d BGB

C. Konformität des § 1631d BGB mit überstaatlichen Menschen- und Grundrechten Auch auf überstaatlicher Ebene haben sich Grundrechte entwickelt. Es handelt sich dabei um eine „Konsequenz des überpositiven, vorstaatlichen“ Geltungsgedankens von Menschen- und Freiheitsrechten, wonach „Grundrechte als vorstaatliche Rechte begriffen“ werden, zu deren Verwirklichung es freilich des Rechtsstaats bedarf.878 Diese Entwicklung wird auf Kants philosophischen Entwurf „Zum ewigen Frieden“ zurückgeführt.879 Als Mitgliedsstaat internationaler Organisationen wie der Vereinten Nationen und supranationaler Vereinigungen wie der Europäischen Union und dem Europarat, die selbst Menschen- und Grundrechte normiert haben, können vertragliche Verpflichtungen der Bundesrepublik Deutschland zur deren Einhaltung oder Umsetzung in nationales Recht bestehen. Gegebenenfalls müsste sich die Norm des § 1631d BGB insoweit auch an diesen messen lassen. Im Folgenden ist daher zu überprüfen, welche Rechtsnatur diesen überstaatlichen Grundrechten zukommt und in welchem Verhältnis sie zu den Grundrechten des Grundgesetzes stehen.880

I. UN-Menschenrechtserklärung In Anbetracht der Kriegsverbrechen und der großen Anzahl ziviler Opfer des Zweiten Weltkriegs beschlossen die Gründungsmitglieder der Vereinten Nationen in Art. 1 Nr. 3 der Charta der Vereinten Nationen vom 26. 06. 1945, dass es zu einer der Hauptaufgaben der UN gehören solle, „die Grundfreiheiten für alle ohne Unterschied der Rasse, des Geschlechts, der Sprache oder der Religion zu fördern und zu festigen“.881 Infolge dessen verabschiedete die Generalversammlung der Vereinten Nationen am 10. 12. 1948 mit Resolution 217 A (III) „The Universal Declaration of Human Rights“.882 Diese in der deutschen Übersetzung883 als „Allgemeine Erklärung der Menschenrechte“ bezeichnete Deklaration konkretisiert die Charta der Vereinten Nationen in Bezug auf die Grundrechte. Zwar wird die körperliche Unversehrtheit in der Menschrechtserklärung nicht als Menschenrecht genannt, in Art. 1 werden jedoch die Menschenwürde, in Art. 5 Schutz vor grausamer, unmenschlicher und er878

Michael/Morlok, § 2 Rn. 14. Michael/Morlok, Fn. 878. 880 Siehe zum Verhältnis der EMRK und der EGRC nach dem Beitritt der EU zur EMRK sehr ausführlich: Schmidt, Christopher, Grund- und Menschenrechte in Europa. 881 Kapitel I, Art. 1 Nr. 3 UN-Charta, siehe: http://www.unric.org/de/charta#kapitel1 (zuletzt aufgerufen 14. 04. 2014). 882 The Universal Declaration of Human Rights, siehe: http://www.un.org/en/documents/ udhr/ (zuletzt aufgerufen 14. 04. 2014). 883 Deutsche Übersetzung u. a. Sartorius II Nr. 15; Offizielle Übersetzung des Deutschen Übersetzungsdienstes der Vereinten Nationen siehe auch: http://www.unric.org/html/german/ menschenrechte/UDHR_dt.pdf (zuletzt aufgerufen 14. 04. 2014). 879

C. Konformität des § 1631d BGB mit überstaatlichen Grundrechten

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niedrigender Behandlung oder Strafe und in Art. 7 die Gleichheit sowie ein Anspruch auf gleichen Schutz gegen Diskriminierung gewährleistet. Dass durch § 1631d BGB die Menschenwürde nicht verletzt wird, weil es an einem spezifisch menschenwürdewidrigen Merkmal fehlt, und dass die Beschneidung keinen Akt der Erniedrigung darstellt, wurde bereits ausgeführt.884 Insofern gilt hinsichtlich der in der UNMenschenrechtserklärung normierten Menschenrechte nichts anderes, als es zu den im Grundgesetz verankerten Grundrechten ausgeführt wurde, denn es besteht kein Grund dafür, jenen einen stärkeren Schutz als diesen zukommen zu lassen. Jedoch wird durch § 1631d BGB auch Art. 7 der Menschenrechtserklärung verletzt, da die Norm zu einer nicht gerechtfertigten Diskriminierung wegen des Geschlechts führt.885 Einen Individualrechtschutz können die Betroffenen daraus jedoch nicht ableiten. Zwar sind die UN-Mitgliedsstaaten nach Art. 56 der Charta der Vereinten Nationen verpflichtet, die in Art. 55 der Charta genannten Ziele, wozu die Menschenrechte gem. Art. 55 lit. c) gehören, anzustreben. Der Begriff ,anstreben‘ deutet bereits darauf hin, dass die Menschenrechtserklärung nur die Rechtsnatur einer Empfehlung hat und nicht mit einer gerichtlichen Durchsetzbarkeit verbunden ist.886 Sie soll die Rechtsentwicklung der Mitgliedstaaten dadurch beeinflussen, dass sie als „Maßstab für die Anerkennung und Durchsetzung der Menschenrechte“887 dienen soll. Demgemäß entschied auch das Bundesverfassungsgericht, dass eine Verfassungsbeschwerde nicht auf die Verletzung der „rechtlich nicht verbindlichen Menschenrechtserklärung der Vereinten Nationen“ gestützt werden könne.888 Und die Bundesregierung wies in ihrer Denkschrift zum Internationalen Pakt über bürgerliche und politische Rechte ebenfalls darauf hin, dass die UN-Menschenrechtserklärung zwar grundsätzlich bedeutend, jedoch nicht formell rechtsverbindlich sei.889

II. IPBPR als Konkretisierung der Menschenrechtserklärung Um die UN-Menschenrechtserklärung zu bekräftigen und in eine rechtlich verbindliche Form zu bringen, beschloss die Generalversammlung der Vereinten Nationen mit ihrer Resolution 2200 A (XXI) am 16. 12. 1966 zwei Konventionen, den

884 Siehe hierzu 4. Kapitel, B. IV. 2.; Grams, S. 332 (337) ist demgegenüber ohne nähere Begründung der Ansicht, „normales, gesundes und funktionales Gewebe zu entfernen“ sei mit Art. 5 der Menschenrechtserklärung nicht in Einklang zu bringen. 885 Siehe hierzu 4. Kapitel, B. II. 886 Tomuschat, S. 8; siehe auch BVerfGE 41, S. 88 (106). 887 Simma, Art. 55 Rn. 23 ff. 888 BVerfGE 41, S. 88 ff. (juris); BVerfGE 10, S. 271 (juris). 889 Bundestagsdrucksache 7/660 vom 17. 10. 1973, S. 27.

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4. Kap.: Rechtslage nach Inkrafttreten des § 1631d BGB

Internationalen Pakt über bürgerliche und politische Rechte (IPBPR)890 und den Internationalen Pakt über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte.891 Beide wurden von der Bundesrepublik Deutschland nicht nur unterzeichnet, sondern auch ratifiziert,892 weshalb sie als völkerrechtliche Verträge über Art. 59 Abs. 2 S. 1 GG in Deutschland die Wirkung eines einfachen Bundesgesetzes entfalten.893 Diese Rangzuweisung hat zur Folge, dass die Gerichte hierzulande bei Kollisionen zwischen Vertragsnormen und deutschen Gesetzen „eine Lösung auf der Ebene der Gleichordnung zu finden haben“, wobei die Vertragsnormen „wie jedes andere Gesetzesrecht des Bundes [im Rahmen] methodisch vertretbarer Auslegung zu beachten und anzuwenden“ sind.894 Die Normen menschenrechtlicher Verträge sind darüber hinaus zur Auslegung der Grundrechte des Grundgesetzes heranzuziehen.895 Durch die Regelung des § 1631d BGB werden die in Art. 24 Abs. 1 und Art. 26 IPBPR geschützten Rechte verletzt. Gemäß Art. 24 Abs. 1 IPBPR hat jedes Kind „ohne Diskriminierung hinsichtlich […] des Geschlechts das Recht auf diejenigen Schutzmaßnahmen durch seine Familie, die Gesellschaft und den Staat, die seine Rechtsstellung als Minderjähriger erfordert.“ Wie eingehend dargelegt, findet durch die Norm des § 1631d Abs. 1 BGB eine Diskriminierung männlicher Minderjähriger gegenüber weiblichen Minderjährigen statt, weil noch nicht selbst einwilligungsfähigen männlichen Minderjährigen alleine wegen ihres Geschlechts in nicht gerechtfertigter Weise schwerwiegende und dauerhafte Eingriffe in die körperliche Unversehrtheit auf Veranlassung der Sorgeberechtigten aufgebürdet werden, Mädchen aber vor vergleichbaren Eingriffen – sogar strafbewehrt durch § 226a StGB – geschützt werden.896 Umgekehrt findet gleichfalls eine Diskriminierung weiblicher Minderjähriger statt, die z. B. aus religiösen Gründen an der Klitorisvorhaut beschnitten werden möchten, denen dieses jedoch versagt wird. Während Art. 24 Abs. 1 IPBPR ausdrücklich Kinder schützt, gilt ein entsprechender Schutz gegen Diskriminierung gem. Art. 26 IPBPR für alle Menschen. Auch den von § 1631d BGB betroffenen Minderjährigen, die noch nicht selbst einwilligungsfähig, aber keine Kinder mehr sind, wird daher der Schutz vor Diskriminierung zuteil. Durch § 1631d Abs. 2 BGB findet eine Diskriminierung männlicher Kinder bis zum Alter von sechs Monaten gegenüber älteren männlichen Minderjährigen statt, weil an jenen die 890

International Covenant on Civil and Political Rights, siehe etwa: http://treaties.un.org/ doc/Publication/UNTS/Volume%20999/volume-999-I-14668-English.pdf (zuletzt aufgerufen 14. 04. 2014); Deutsche Übersetzung siehe: BGBl. 1973 II S. 1534. 891 International Convenant on Economic, Social and Cultural Rights, siehe: http://www. ohchr.org/EN/ProfessionalInterest/Pages/CESCR.aspx (zuletzt aufgerufen 14. 04. 2014); Deutsche Übersetzung siehe: BGBl. 1973 II S. 1570. 892 BGBl. 1973 II S. 1534 und 1570. 893 BVerfGE 19, S. 342 (347); 22, S. 254 (265); 25, S. 327 (331); 35, S. 311 (320); 74, S. 358 (370). 894 Schmahl, Einl. Rn. 25 m.w.N. 895 Schmahl, Fn. 894. 896 Siehe hierzu 4. Kapitel, B. II. 1. und B. II. 2.

C. Konformität des § 1631d BGB mit überstaatlichen Grundrechten

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Beschneidung sogar durch nichtärztliche religiöse Beschneider vorgenommen werden darf und sie dadurch allein wegen ihres Alters in nicht gerechtfertigter Weise benachteiligt werden, indem ihnen auch noch der sonst im deutschen Recht geltende Arztvorbehalt des § 1 Abs. 1 HeilpraktikerG vorenthalten wird.897 An diesem Ergebnis ändert auch der Umstand nichts, dass durch Art. 18 Abs. 1 S. 2 und Abs. 4 IPBPR die Ausübung der Religionsfreiheit, auch durch „Beachtung religiöser Bräuche“, und das Recht der Eltern „auf religiöse und sittliche Erziehung ihrer Kinder in Übereinstimmung mit ihren eigenen Überzeugungen“ geschützt sind. Denn gem. Art. 18 Abs. 3 IPBPR ist dieses Freiheitsrecht „den gesetzlich vorgesehenen Einschränkungen unterworfen […], die zum Schutz der öffentlichen Sicherheit, Ordnung, Gesundheit, Sittlichkeit oder der Grundrechte und -freiheiten anderer erforderlich“ sind. Als solches Gesetz zum Schutz der Gesundheit ist das Grundrecht der betroffenen Minderjährigen auf körperliche Unversehrtheit aus Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG anzusehen, dem wie dargelegt Vorrang vor dem Recht auf Religionsfreiheit gebührt. Über die o.g. Heranziehung der Art. 24 Abs. 1 und Art. 26 IPBPR zur Auslegung der Grundrechte des Grundgesetzes hinaus ist der Rechtsschutz der betroffenen Minderjährigen allerdings von sehr begrenzter Effektivität, da sich der IPBPR mit einem Berichtssystem begnügt, nach dem die Vertragsstaaten gem. Art. 40 ff. IPBPR in regelmäßigen Zeitabständen dem nach Art. 28 ff. IPBPR gebildeten Ausschuss über die Verwirklichung der Konventionsziele zu berichten haben.898 Diese Berichte können lediglich in Empfehlungen münden. Eine Individualbeschwerde nach Art. 2 des Fakultativprotokolls899 zum IPBPR ist nur zulässig, wenn der innerstaatliche Rechtsweg erschöpft ist, und kann allenfalls dazu führen, dass „der IPBPR-Menschenrechtsausschuss seine Auffassung, das geltend gemachte Konventionsrecht sei verletzt worden, dem jeweiligen Vertragsstaat und dem Beschwerdeführer mitteilt“.900 Dieser Mitteilung kommt keine Rechtsverbindlichkeit zu, allenfalls kann von ihr „ein politisch-moralischer Druck ausgehen“.901

III. UN-Kinderrechtskonvention Die Vollversammlung der Vereinten Nationen nahm am 20. 11. 1989 die „Convention on the Rights of the Child“ (CRC) an, die in offizieller deutscher Überset897

Siehe hierzu 4. Kapitel, B. II. 1. b). Brunner, Internationaler Minderheitenschutz, http://www.uni-koeln.de/jur-fak/ostrecht/ minderheitenschutz/Vortraege/internationaler_minderheitenschutz_brunner.htm (zuletzt aufgerufen 14. 04. 2014). 899 Deutsche Übersetzung siehe etwa: http://www.igfm.de/menschenrechte/abkommenund-vertraege/1-protokoll-ipbpr/ (zuletzt aufgerufen 14. 04. 2014). 900 Brunner, Fn. 898. 901 Brunner, Fn. 898. 898

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zung „Übereinkommen über die Rechte des Kindes“ oder umgangssprachlich auch kurz Kinderrechtskonvention (KRK) genannt wird.902 Sie trat am 02. 09. 1990 mit Hinterlegung der 20. Ratifizierungsurkunde in Kraft. Die Bundesrepublik unterzeichnete sie am 26. 01. 1990 und ratifizierte sie mit Gesetz vom 17. 02. 1992,903 worauf sie am 05. 04. 1992 in Deutschland in Kraft trat.904 Sie wurde von 193 Mitgliedstaaten ratifiziert und ist damit eines der meist ratifizierten Übereinkommen.905 Zwar hatte die Bundesrepublik bei der Ratifizierung mehrere die Verpflichtungen aus der Konvention einschränkende Erklärungen abgegeben, diese Einschränkungen wurden jedoch mit Wirkung zu 01. 11. 2010 vollständig zurück genommen, so dass die Kinderrechtskonvention seither auch hierzulande unbeschränkt gilt.906 Als völkerrechtlichem Vertrag kommt ihr der Rang eines einfachen Bundesgesetzes mit den beschriebenen Rechtsfolgen zu.907 Allein daraus ergibt sich allerdings eine unmittelbare Anwendung der Bestimmungen der UN-Kinderrechtskonvention noch nicht.908 Vielmehr ist es für den Charakter einer self-executing-Norm erforderlich, „dass die völkervertraglichen Bestimmungen nach Wortlaut, Zweck und Inhalt geeignet und hinreichend bestimmt sind, wie innerstaatliche Vorschriften rechtliche Wirkung zu entfalten, also dafür keiner weiteren normativen Ausfüllung bedürfen“.909 Die UN-Kinderrechtskonvention „betont die Vorrangigkeit des Kindeswohls als Maßstab für alle kindesbezogenen Maßnahmen“.910 Nach Art. 24 Abs. 3 UN-KRK sind die Vertragsstaaten verpflichtet, „alle wirksamen und geeigneten Maßnahmen [zu treffen], um überlieferte Bräuche, die für die Gesundheit der Kinder schädlich sind, abzuschaffen.“ Ob die Beschneidung männlicher Minderjähriger solch einen überlieferten Brauch darstellt, ist allerdings umstritten. So wird in der Begründung des Gesetzentwurfs der Bundesregierung sowie teilweise in der Literatur darauf hingewiesen, dass dies nicht der Fall sei.911 Begründet wird dies zum einen mit der Entstehungsgeschichte, wonach Art. 24 Abs. 3 UN-KRK namentlich die Abschaffung der weiblichen Genitalbeschneidung, nicht aber der männlichen bezwecken sollte. Zum anderen wird angenommen, dass die Beschneidung männlicher im Gegensatz zur Beschneidung weiblicher Kinder nicht gesundheitsschädlich sei, weil man gegen die durch sie verursachten „zumeist geringfügigen Beeinträchtigungen 902 Offizielle deutsche Übersetzung siehe: http://www.national-coalition.de/pdf/UN-Kinder rechtskonvention.pdf (zuletzt aufgerufen 14. 04. 2014). 903 BGBl. 1992 II S. 121. 904 BGBl. 1992 II S. 990. 905 Schmahl, Einl. Rn 3. 906 Huber in: Münchener Kommentar zum BGB, Band 8, vor § 1626 Rn. 6. 907 Siehe hierzu 4. Kapitel, Ziff. 3.2. 908 OVG Lüneburg, Beschluss vom 02. 10. 2012, Az: 8 LA 209/11 (juris). 909 OVG Lüneburg, Fn. 908. 910 Huber in: Münchener Kommentar zum BGB, Band 8, vor § 1626 Rn. 4. 911 Bundestagsdrucksache 17/11295, S. 14 f.; Rixen, S. 257 (259); Schmahl, Art. 24, Rn. 20.

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des körperlichen Wohlbefindens“ auch „zukünftig wirkende gesundheitliche Vorteile“ sowie das „soziale Wohlbefinden“ in die Waagschale legen müsse, wodurch per Saldo der „Zustand des Beschnittenseins […] dann auch keine Beeinträchtigung des körperlichen Wohlbefindens mehr“ sei.912 Wie ausführlich dargelegt, ist die Beschneidung jedoch für die Gesundheit auch der männlichen Kinder schädlich, da sie erhebliche gesundheitliche Risiken birgt, zu einem irreversiblen Verlust von funktional und erogen bedeutsamem Gewebe führt und die sexuelle Sensibilität dauerhaft einschränken kann. Es kann darüber hinaus auch nicht ernsthaft bestritten werden, dass es sich bei der Beschneidung Minderjähriger gleich welchen Geschlechts um einen überlieferten Brauch handelt. Nach zutreffender Ansicht stellt daher entgegen der in der Begründung des Gesetzentwurfs vertretenen Auffassung auch die männliche Genitalbeschneidung einen gesundheitsschädlichen überlieferten Brauch dar i.S.d. Art. 24 Abs. 3 UN-KRK dar.913 Der Umstand, dass in den Vertragsverhandlungen hierüber diskutiert wurde, vermag daran nichts zu ändern. Wenn auch die Regelung im Sinne eines Formelkompromisses so abgefasst wurde, dass die Staaten, in denen männliche Genitalbeschneidungen häufig praktiziert werden, sie so auslegen konnten, dass männliche Beschneidungen als nicht von der Regelung erfasst angesehen werden, weil sie nicht gesundheitsschädlich seien, ist eine solche Auslegung angesichts der neueren medizinischen Erkenntnisse nicht mehr möglich. Denn diese belegen die Gesundheitsschädlichkeit der männlichen Beschneidung eindeutig. Und der Wortlaut von Art. 24 Abs. 3 UN-KRK, der zur Auslegung maßgeblich heranzuziehen ist, lässt angesichts dessen, dass die Tatbestandsmerkmale ,Gesundheitsschädlichkeit’ und ,überlieferter Brauch‘ erfüllt sind, keine andere Interpretation der Regelung zu. Auch die männliche Beschneidung von Kindern ist daher von Art. 24 Abs. 3 UN-KRK erfasst. Nach Art. 19 Abs. 1 UN-KRK sind die Vertragsstaaten verpflichtet, „alle geeigneten Gesetzgebungs-, Verwaltungs-, Sozial- und Bildungsmaßnahmen [zu treffen], um das Kind vor jeder Form körperlicher oder geistiger Gewaltanwendung, Schadenzufügung oder Misshandlung, vor Verwahrlosung oder Vernachlässigung, vor schlechter Behandlung oder Ausbeutung einschließlich des sexuellen Missbrauchs zu schützen, solange es sich in der Obhut der Eltern oder eines Elternteils, eines Vormunds oder anderen gesetzlichen Vertreters oder einer anderen Person befindet, die das Kind betreut“.914 Auch leichte körperliche Züchtigungen werden von dieser Regelung erfasst.915 Dies soll jedoch nach Schmahl dann nicht für die Genitalbeschneidung von männlichen Kindern gelten, wenn diese unter hygienischen Bedingungen und nach dem ärztlichen Standard durchgeführt werden, weil sie im Gegensatz zur Genitalbeschneidung von Mädchen nicht zu dauerhaften Ge912

Kelle in: Heil/Kramer, S. 115 (123 f.). Putzke, MedR 2012, S. 621 (623); Walter, JZ 2012, S. 1110 f.; Grams, S. 332 (337). 914 Siehe: Offizielle deutsche Übersetzung, http://www.national-coalition.de/pdf/UN-Kin derrechtskonvention.pdf (zuletzt aufgerufen 14. 04. 2014). 915 Schmahl, Art. 19, Rn. 2; Kelle in: Heil/Kramer, S. 115 (127). 913

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sundheitsbeeinträchtigungen führe.916 Diese Argumentation lässt jedoch zweierlei unberücksichtigt: Zum einen gibt es Formen der weiblichen Genitalbeschneidung wie etwa die auf den Propheten Mohammed zurückgeführte, als milde Sunnah bezeichnete Klitorisvorhautreduktion oder -Entfernung, welche nach Eingriffsintensität und Folgen in jeder Hinsicht mit der männlichen Genitalbeschneidung vergleichbar sind.917 Zum anderen zieht auch die Beschneidung oder Entfernung der Penisvorhaut erhebliche dauerhafte Gesundheitsbeeinträchtigungen nach sich.918 Eine nachvollziehbare Begründung dafür, die Genitalbeschneidung männlicher Kinder im Gegensatz zur Genitalbeschneidung weiblicher Kinder nicht dem Anwendungsbereich von Art. 19 Abs. 1 UN-KRK zu unterstellen, besteht daher nicht. Dies käme einer Diskriminierung männlicher Kinder allein wegen ihres Geschlechts gleich. § 1631d BGB verstieße mithin auch gegen Art. 19 Abs. 1 UN-KRK. Hinzu kommt der Umstand, dass der Gesetzgeber nach Art. 3 Abs. 1 UN-KRK verpflichtet ist, „bei allen Maßnahmen, die Kinder betreffen, gleichviel ob sie von öffentlichen oder privaten Einrichtungen der sozialen Fürsorge, Gerichten, Verwaltungsbehörden oder Gesetzgebungsorganen getroffen werden, […] das Wohl des Kindes […] vorrangig zu berücksichtigen.“ Hierbei handelt es sich nicht lediglich um eine Verpflichtung an die Vertragsstaaten, die diesen bei der Durchsetzung der Kinderrechte einen weiten Gestaltungsspielraum eröffnet, sondern um eine „konkret an innerstaatliche Rechtsanwender“ gerichtete Forderung, „bei der Auslegung und Anwendung innerstaatlichen Rechts das Wohl des Kindes“ zu berücksichtigen.919 Als nach Wortlaut, Zweck und Inhalt geeignete und hinreichend bestimmte Regelungen gelten Art. 24 Abs. 3 und 19 Abs. 1 i.V.m. Art. 3 Abs. 1 UN-KRK daher für den deutschen Gesetzgeber als self-executing-Normen unmittelbar.920 Der Gesetzgeber ist daher verpflichtet, unter Beachtung dieses Vorrangs des Kindeswohls aus Art. 3 Abs. 1 UN-KRK alle wirksamen und geeigneten Maßnahmen zu treffen, um den überlieferten, für die Gesundheit der Kinder schädlichen Brauch der männlichen Genitalbeschneidung abzuschaffen. Dabei handelt es sich um eine objektive Verpflichtung zur Beachtung des Inhalt der Konvention und erforderlichenfalls seiner Konkretisierung im Wege der Normsetzung.921 Mit der Kodifizierung des § 1631d BGB hat der Gesetzgeber diese Verpflichtung jedoch genau in ihr Gegenteil verkehrt, indem er Beschneidungen männlicher Kinder noch dadurch fördert, als er ihre Vornahme ohne Vorliegen einer medizinischen Indikation in die Disposition der Sorgeberechtigten stellt. Neben dieser objektiven Verpflichtung des Gesetzgebers ist in näherer Zukunft auch damit zu rechnen, dass aus der Kinderrechtskonvention auch subjektive Rechte 916 917 918 919 920 921

Schmahl, Art. 19, Rn. 2. Siehe hierzu 1. Kapitel, Ziff. 3.2. Siehe hierzu 2. Kapitel, Ziff. 2.5. OVG Lüneburg, Fn. 908. Kelle in: Heil/Kramer, S. 115 (119). Schmahl, Einl. Rn. 27.

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der betroffenen Kinder geltend gemacht werden können. Denn der Menschenrechtsrat der Vereinten Nationen hat am 17. 06. 2011 dem 3. Fakultativprotokoll zur Kinderrechtskonvention zugestimmt, mit dem ein Individualbeschwerdeverfahren und ein Untersuchungsverfahren bei schwerwiegenden und systematischen Verletzungen eingeführt werden soll. Dieses Fakultativprotokoll wurde von der UN-Generalversammlung am 19. 12. 2011 verabschiedet.922 Seit 18. 02. 2012 liegt das Protokoll zur Unterzeichnung auf.923 Mit der 10. Ratifikation wird es als völkerrechtlicher Vertrag in Kraft treten. Aber nicht nur die Vertragsstaaten sind verpflichtet, unter Beachtung des Vorrangs des Kindeswohls alles zu unternehmen, um den gesundheitsschädlichen überlieferten Brauch der Beschneidung abzuschaffen. Gem. Art. 5 Art. i.V.m. Art. 18 Abs. 1 S. 2 und 3 UN-KRK obliegt es in erster Linie beiden Eltern oder dem Vormund, „das Kind bei der Ausübung der in diesem Übereinkommen anerkannten Rechte in einer seiner Entwicklung entsprechenden Weise angemessen zu leiten und zu führen“, wobei „das Wohl des Kindes ihr Grundanliegen“ zu sein hat und sie bei der Erfüllung dieser Aufgaben von dem Vertragsstaat „in angemessener Weise“ unterstützt werden. Hieran wird deutlich, dass die Eltern für die Erfüllung der ihren Kindern in der Kinderrechtskonvention gewährleisteten Rechte verantwortlich sind und bei Interessenskonflikten zwischen Kind und Eltern dem Kindeswohl der Vorrang gebührt.924 Demgemäß weist Schmahl zutreffend darauf hin, dass sich die Eltern bei medizinischen Eingriffen „besonders am Wohlergehen des Kindes orientieren“ müssen, weshalb sie „schwerwiegenden irreversiblen Eingriffen in die körperliche Integrität des nicht einsichtsfähigen Kindes ohne dringende medizinische Notwendigkeit nicht wirksam zustimmen“ könnten.925 Beispielhaft werden hierfür etwa geschlechtszuweisende Eingriffe bei Intersexualität genannt.926 Unter Hinweis darauf, dass es sich bei Beschneidungen männlicher Kinder um weniger schwerwiegende Eingriffe handle, soll hier jedoch eine Zustimmung der Eltern wirksam sein.927 Diese Ansicht lässt indes die neueren medizinischen Erkenntnisse außer Acht. Danach handelt es sich auch bei der männlichen Beschneidung um einen mit nicht unerheblichen Risiken und schwerwiegenden Folgen wie dem partiellen Verlust sexueller Sensibilität verbundenen Eingriff.928 Unter Berücksichtigung dieser medizinisch-wissenschaftlichen Erkenntnisse ist es daher nicht mehr vertretbar, die Zirkumzision nicht als 922 Resolution der Generalversammlung vom 19. 12. 2011 A/Res/66/138, offizielle deutsche Übersetzung siehe: http://www.institut-fuer-menschenrechte.de/fileadmin/user_upload/ PDF-Dateien/Pakte_Konventionen/CRC/crc_op3_A__RES__66_138_de.pdf (zuletzt aufgerufen 14. 04. 2014). 923 Schmahl, Einl. Rn. 34. 924 Kelle in: Heil/Kramer, S. 115 (122). 925 Schmahl, Art. 18, Rn. 10. 926 Schmahl, Fn. 925; siehe zur rechtlichen Entscheidungskompetenz der Eltern bei Intersexualität des Kindes auch: Fischer, Gerfried, S. 25 ff. 927 Schmahl, Fn. 925. 928 Siehe hierzu 2. Kapitel, B. VI.

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4. Kap.: Rechtslage nach Inkrafttreten des § 1631d BGB

schwerwiegenden irreversiblen Eingriff zu klassifizieren. Vielmehr ist es den Sorgeberechtigten ebenso versagt, in die Beschneidung ihrer männlichen Kinder einzuwilligen, wenn hierfür nicht eine absolute medizinische Indikation besteht.

IV. Europäische Menschenrechtskonvention Im Jahr 1949 wurde als erste der völkerrechtlichen Organisationen in Europa der Europarat mit Sitz in Straßburg gegründet, zu dessen Hauptaufgaben angesichts der Menschenrechtsverletzungen der nationalsozialistischen Diktatur in Deutschland und des Zweiten Weltkriegs die Förderung von Menschenrechten, Demokratie und Rechtstaatlichkeit auf dem europäischen Kontinent zählt929 und dem heute alle europäischen Staaten mit Ausnahme von Weißrussland und Kosovo angehören.930 Im Rahmen dieser Aufgabenzuweisung beschloss der Europarat die 1953 in Kraft getretene „Europäische Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten“ (EMKR), die einen umfangreichen Katalog von Menschen- und Freiheitsrechten enthält. Als „multilateralem, völkerrechtlichem Vertrag“931 kommt ihr in Deutschland der Rang eines einfachen Bundesgesetzes zu,932 das heißt, sie steht hierarchisch unter dem Grundgesetz, ist aber bei der Auslegung „auch und gerade der Grundrechte zu berücksichtigen“,933 was sich aus dem aus Art. 20 Abs. 3 GG folgenden Rechtsstaatsprinzip ergibt, ist aber „Teil des geltenden Bundesrechts, das unmittelbar gilt und ohne weiteres vor deutschen Gerichten und Behörden geltend gemacht werden kann“.934 Das Bundesverfassungsgericht führte hierzu aus, dass zur Bindung an Gesetz und Recht „die Berücksichtigung der Gewährleistungen der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten und der Entscheidungen des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte im Rahmen methodisch vertretbarer Gesetzesauslegung“ gehören.935 In Betracht kommt zunächst eine Verletzung von Art. 3 EMKR, wonach niemand der Folter oder erniedrigender oder unmenschlicher Behandlung oder Strafe unterworfen werden darf. Die Aufzählung dieser Begriffe veranschaulicht, dass Zweck dieser Norm der Schutz vor besonders gravierenden, die Menschenwürde verachtenden und den Betroffenen herabwürdigenden Eingriffen ist. Eine erniedrigende Behandlung liegt dann vor, wenn sie geeignet ist, den moralischen und körperlichen Widerstand einer Person zu brechen, wobei für den Europäischen Gerichtshof für 929

Grabenwarter/Pabel, § 1 Rn. 1. Siehe hierzu auch: Offizielle Website der Ständigen Vertretung der Bundesrepublik Deutschland beim Europarat Straßburg, http://www.strassburg-europarat.diplo.de/Vertretung/ strassburg-europarat/de/Startseite.html (zuletzt aufgerufen 14. 04. 2014). 931 Mayer in: Karpenstein/Mayer, Einl. Rn. 12. 932 Schmidt, Christopher, S. 40. 933 von Coelln in: Gröpl/Windthorst/von Coelln, Vorbem. Rn. 23. 934 Mayer in: Karpenstein/Mayer, Einl. Rn. 78. 935 BVerfGE 111, S. 307 ff. 930

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Menschenrechte (EMGR) „überwiegend von Bedeutung ist, ob mit der Behandlung die Erniedrigung oder Demütigung des Opfers beabsichtigt“ ist.936 Dies ist bei der Beschneidung männlicher Minderjähriger gem. § 1631d BGB aber in der Regel nicht der Fall. Denn durch die medizinisch nicht indizierte Beschneidung ihrer nicht einwilligungsfähigen männlichen Minderjährigen wollen die Sorgeberechtigten diese nicht herabwürdigen oder erniedrigen. Ausnahmefälle, die eine Erniedrigung und/oder Demütigung darstellen, sollen von der Zweckklausel des § 1631d Abs. 1 S. 2 BGB erfasst werden und unzulässig sein. Hingegen kommt eine Verletzung von Art. 8 EMKR, wonach jeder Mensch ein Recht auf Achtung seines Privatlebens hat, in Betracht. Zu dem Schutzbereich des Privatlebens zählt auch das Selbstbestimmungsrecht über den eigenen Körper, den der EGMR als „intimsten Bereich des Privatlebens“ ansieht.937 So gewährt Art. 8 EMRK Schutz vor erzwungenen medizinischen Behandlungen938 und das Recht auf sexuelle Selbstbestimmung.939 Durch die Entfernung der sehr stark mit Nerven durchzogenen und daher hoch sensiblen Penisvorhaut und den Verlust ihres Schutzes für die Oberfläche der Eichel wird die sexuelle Sensibilität des Betroffenen dauerhaft reduziert, was Einfluss auf das Intimleben und mithin auch auf das Privatleben haben kann. Auch die sexuelle Selbstbestimmung ist betroffen, wenn nicht einwilligungsfähigen Minderjährigen ein erogen bedeutender Teil des Genitals entfernt wird. Durch § 1631d BGB wird daher in das Grundrecht der Minderjährigen auf Achtung des Privatlebens aus Art. 8 EMRK eingegriffen. Ein Eingriff in den intimsten Lebensbereich kann „nur durch schwerwiegende Gründe“ gerechtfertigt werden.940 Weder das Recht auf Religionsfreiheit der Eltern noch des Minderjährigen kann einen solchen Eingriff rechtfertigen, da Freiheitsgrundrechte niemals einen Eingriff in die körperliche Integrität rechtfertigen können.941 Ebenso wenig vermag das gleichfalls durch Art. 8 EMRK im Rahmen des Schutzes des Familienlebens gewährleistete Erziehungsrecht der Eltern den Eingriff zu rechtfertigen, da das Kindeswohl stärker wiegt.942 Insoweit kann auf die zu den Grundrechten nach dem Grundgesetz gemachten Ausführungen verwiesen werden, da sich bei der Abwägung der widerstreitenden Grundrechte keine anderweitigen Gesichtspunkte ergeben. Ferner könnte § 1631d BGB gegen Art. 9 Abs. 1 EMRK verstoßen, wenn dadurch das dort verbürgte Recht der betroffenen Minderjährigen auf Religionsausübungsfreiheit, das auch das Recht auf negative Religionsfreiheit umfasst, in nicht gerechtfertigter Weise tangiert würde. Der Schutz, den Art. 9 EMRK dem Recht auf negative Religionsfreiheit gewährt, entspricht jedenfalls dem aus Art. 4 GG, geht 936 937 938 939 940 941 942

Sinner in: Karpenstein/Mayer, Art. 3 Rn. 8. Pätzold in: Karpenstein/Mayer, Art. 4 Rn. 6. Pätzold in: Karpenstein/Mayer, Art. 4 Rn. 8 u. 63 ff.. Pätzold in: Karpenstein/Mayer, Art. 4 Rn. 12 u. 68. Pätzold in: Karpenstein/Mayer, Art. 8 Rn. 103 m.w.N. Siehe 3. Kapitel, C. VII. 4. c) dd) (2). Siehe 3. Kapitel, C. VII. 4. c) dd) (1).

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jedoch möglicherweise sogar insoweit darüber hinaus, als der EGMR „insbesondere die Freiheit gestärkt [hat], nicht zur Offenbarung der eigenen Überzeugungen verpflichtet zu sein und sich unerwünschter religiöser […] Einflüsse erwehren zu können“.943 Wie ausgeführt,944 gehört zu dem Recht auf negative Religionsfreiheit auch das individuelle Recht jedes Menschen, zu entscheiden, ob und welche religiösen Symbole er anerkennt oder ablehnt. Dieser Schutz gilt schon gegenüber „nicht invasiven christlichen Symbolen“945 wie einem Kruzifix in Schulräumen. Er muss daher im Sinne des argumentum a fortiori erst Recht zur Abwehr solcher Symbole gelten, die mit irreversiblen Körperverletzungen verbunden sind. Obwohl entgegen der Auffassung des Landgerichts Köln auch beschnittene Minderjährige nach Erreichen ihrer eigenen Religionsmündigkeit aus ihrer Glaubensgemeinschaft austreten oder einer anderen Religionsgemeinschaft beitreten können, verletzt die Beschneidung als invasives und irreversibles religiöses Symbol ihr Grundrecht auf negative Religionsfreiheit. Denn auch nach einem möglichen Austritt aus der Religionsgemeinschaft, deren Symbol die Beschneidung ist, wird der Betroffene ein Leben lang daran erinnert, dass seine Sorgeberechtigten ihm dieses irreversible Symbol zur Zugehörigkeit ihrer Glaubensgemeinschaft ohne seine Zustimmung zugefügt haben. Wie bereits ausgeführt,946 muss der Staat bereits bei deutlich geringfügigeren Beeinträchtigungen, wie etwa im Fall des liturgischen Läutens, religiösen Handlungen Grenzen zu setzen. Eine medizinisch nicht indizierte Beschneidung eines Minderjährigen, durch die er lebenslang als einer Glaubensgemeinschaft zugehörig gekennzeichnet wird, stellt eine wesentlich schwerwiegendere Beeinträchtigung dar, als sie etwa durch liturgisches Geläut hervorgerufen wird. Dem Grundrecht der Minderjährigen auf negative Religionsfreiheit gebührt daher insoweit der Vorrang vor dem Grundrecht der Eltern auf Religionsfreiheit, als deren Einwilligung in medizinisch nicht indizierte Beschneidungen ihrer nicht einwilligungsfähiger Minderjährigen zum Zweck der Schaffung eines irreversiblen körperlichen Symbols als Merkmal der Zugehörigkeit zu einer Religionsgemeinschaft nicht gerechtfertigt sind. Der Eingriff in das ebenfalls aus Art. 9 Abs. 1 EMRK geschütztes Recht auf Religionsausübungsfreiheit der Eltern ist daher gem. Art. 9 Abs. 2 EMRK gerechtfertigt, weil dies zum Schutz der Gesundheit und negativen Religionsfreiheit ihrer Kinder erforderlich ist. Daneben kommt ein Verstoß gegen das Diskriminierungsverbot aus Art. 14 Abs. 1 EMKR in Betracht. Danach ist „der Genuss der in dieser Konvention anerkannten Rechte und Freiheiten […] ohne Diskriminierung insbesondere wegen des Geschlechts, der Rasse, der Hautfarbe, der Sprache, der Religion, der politischen oder sonstigen Anschauung, der nationalen oder sozialen Herkunft, der Zugehörigkeit zu einer nationalen Minderheit, des Vermögens, der Geburt oder eines 943 944 945 946

von Ungern-Sternberg in: Karpenstein/Mayer, Art. 9 Rn. 5 u. 23 ff. Siehe hierzu 4. Kapitel, B. III. 1. Czerner, S. 374 (381). Siehe hierzu 3. Kapitel, C. VII. 4. c) dd) (2).

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sonstigen Status zu gewährleisten“. Das Diskriminierungsverbot bezieht sich demnach auf die in der Konvention gewährleisteten Rechte und hat somit akzessorischen Charakter.947 Voraussetzung für die Anwendbarkeit des Diskriminierungsverbots ist daher die Verletzung von Konventionsrecht. Erst in Verbindung mit dem Zusatzprotokoll Nr. 12 zur EMRK, mit der Art. 14 EMRK um einen zweiten Absatz erweitert wurde, wonach „niemand […] von einer Behörde diskriminiert werden [darf], insbesondere nicht aus einem der in Absatz 1 genannten Gründe“, erstarkt der Anwendungsbereich des Art. 14 EMRK zu einem echten Diskriminierungsverbot, das den Gesetzgeber möglicherweise verpflichten könnte, Normen zu kodifizieren, die auch unter Rechtsträgern jeder Art Diskriminierungen verbieten. Die Bundesrepublik Deutschland sowie einige weitere europäische Staaten haben das 12. Zusatzprotokoll noch nicht ratifiziert.948 Infolge der Verletzung der Rechte der männlichen Minderjährigen aus Art. 9 Abs. 1 EMRK durch § 1631d BGB ist die Voraussetzung der Akzessorietät jedoch erfüllt. Mit der Norm des § 1631d BGB wird daher auch gegen das Diskriminierungsverbot aus Art. 14 Abs. 1 EMRK verstoßen, da die Verletzung des Grundrechts aus Art. 9 Abs. 1 EMRK nur der männlichen Minderjährigen zugleich deren Diskriminierung wegen des ihres Geschlechts darstellt. Die Verletzungen der genannten Grundrechte der EMRK durch § 1631d BGB können beim Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) von einem anderen Mitgliedstaat im Wege der Staatenbeschwerde gem. Art. 33 EMRK oder von den Betroffenen durch Individualbeschwerde von jeder natürlichen oder juristischen Person gem. Art. 34 EMRK gerügt werden. Voraussetzung hierfür ist allerdings die Erschöpfung aller innerstaatlichen Rechtsbehelfe.949 Urteile des EGMR sind gem. Art. 44 EMRK endgültig und nach Art. 46 EMRK für die Vertragsstaaten verbindlich und von diesen zu vollziehen.

V. EU-Grundrechtecharta (EGRC) In der Europäischen Gemeinschaft bzw. später der Europäischen Union gab es bis zum Jahr 2000 noch keine Grundrechtsnormierung, wenngleich auf Grundlage der Verfassungstradition der Mitgliedstaaten vom EuGH und in der Literatur Grundrechte als europäisches Gemeinschaftsrecht anerkannt wurden.950 Mit Inkrafttreten des Lissaboner Vertrages am 01. 12. 2009 wurde die im Jahr 2000 von europäischem

947

Sauer in: Karpenstein/Mayer, Art. 14 Rn. 14. Mayer in: Karpenstein/Mayer, Einl. Rn. 15. 949 Mayer in: Karpenstein/Mayer, Einl. Rn. 32. 950 Pieroth/Schlink/Kingreen/Poscher, § 2 Rn. 48; von Coelln in: Gröpl/Windthorst/von Coelln, Vorbem. Rn. 24. 948

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4. Kap.: Rechtslage nach Inkrafttreten des § 1631d BGB

Parlament, Rat und Kommission als unverbindliches Recht proklamierte EUGrundrechtecharta951 primäres EU-Recht.952 Art. 3 Abs. 1 EGRC schützt für „jede Person […] das Recht auf körperliche und geistige Unversehrtheit“ und entspricht damit im wesentlichen dem Grundrecht auf körperliche Unversehrtheit aus Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG, stellt im Gegensatz zu diesem in seinem Wortlaut aber ausdrücklich klar, dass von seinem sachlichen Schutzbereich auch psychisch-seelische Beeinträchtigungen umfasst werden, während der Schutzbereich des Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG zumindest auch nichtkörperliche Einwirkungen einschließt, „wenn sie mittelbar zu körperlichen Beeinträchtigungen führen“953 und damit „ihrer Wirkung nach körperlichen Eingriffen gleichzusetzen“ sind. Wie bei der Prüfung der Verfassungsgemäßheit von § 1631d BGB ausführlich dargelegt, verstößt diese Norm gegen das Grundrecht auf körperliche Unversehrtheit aus Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG, indem sie in nicht verfassungsrechtlich legitimierter Weise in diese eingreift.954 Es liegt damit auch ein Verstoß gegen das Grundrecht auf körperliche und geistige Unversehrtheit aus Art. 3 Abs. 1 EGRC vor. Nach Art. 10 Abs. 1 EGRC ist ebenfalls als Jedermann-Recht das „Recht auf Gedanken-, Gewissens- und Religionsfreiheit“ einschließlich des Rechts geschützt, „seine Religion oder Weltanschauung zu wechseln“ und sie „einzeln oder gemeinsam mit anderen privat oder öffentlich durch Gottesdienst, Unterricht, Bräuche und Riten zu bekennen“. Es umfasst auch den Schutz auf negative Religionsfreiheit. Es entspricht dem Grundrecht auf Religionsfreiheit aus Art. 4 Abs. 1 u. 2 GG und aus Art. 9 Abs. 1 EMRK. Wie zu diesen beiden Grundrechten ausführlich dargelegt wurde955 verstößt die Norm des § 1631d BGB gegen diese. Es liegt daher auch ein Verstoß des § 1631d BGB gegen Art. 10 Abs. 1 EGRC vor. Durch Art. 21 Abs. 1 EGRC werden „Diskriminierungen, insbesondere wegen des Geschlechts, der Rasse, der Hautfarbe, der ethnischen oder sozialen Herkunft, der genetischen Merkmale, der Sprache, der Religion oder der Weltanschauung, der politischen oder sonstigen Anschauung, der Zugehörigkeit zu einer nationalen Minderheit, des Vermögens, der Geburt, einer Behinderung, des Alters oder der sexuellen Ausrichtung“ verboten. Dieses Diskriminierungsverbot stellt in Bezug auf Diskriminierungen wegen des Geschlechts eine Konkretisierung des Gleichheitsgrundsatzes von Männern und Frauen aus Art. 23 EGRC dar. Es entspricht dem Diskriminierungsverbot des Art. 3 Abs. 3 S. 1 GG. Wie zu diesem ausgeführt wurde,956 werden männliche Minderjährige durch die Norm des § 1631d BGB wegen ihres Geschlechts in nicht gerechtfertigter Weise benachteiligt, da sie zu einem 951

Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften 2000/C, 364/1 – 22. Schmidt, Christopher, S. 56; Pieroth/Schlink/Kingreen/Poscher, § 2 Rn. 49; von Coelln in: Gröpl/Windthorst/von Coelln, Vorbem. Rn. 25. 953 Windthorst in: Gröpl/Windthorst/von Coelln, Art. 2 Rn. 134. 954 Siehe hierzu 4. Kapitel, B. I. 1. bis B. I. 3. 955 Siehe hierzu 4. Kapitel, B. III. und. C. IV. sowie 3. Kapitel, C. VII. 4. c) dd) (2). 956 Siehe hierzu 4. Kapitel, B. II. 1. 952

C. Konformität des § 1631d BGB mit überstaatlichen Grundrechten

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Zeitpunkt, zu dem sie selbst noch nicht einwilligungsfähig sind, mit Einwilligung der Sorgeberechtigten – grundsätzlich ohne Ansehung der zugrunde liegenden Motive – am Genital beschnitten werden dürfen, während dies bei weiblichen Minderjährigen verboten ist. Gleichzeitig werden aber auch weibliche Minderjährige benachteiligt, die beispielsweise aus traditionellen, religiösen oder sonstigen Gründen eine Reduktion oder Entfernung der Klistorisvorhaut und damit einen Eingriff wünschen, welcher der männlichen Zirkumzision entspricht, deren Sorgeberechtigte hierin jedoch nicht einwilligen dürfen. Darüber hinaus liegt in § 1631d Abs. 2 BGB eine nicht gerechtfertigte Diskriminierung wegen des Alters, weil männliche Minderjährige bis zum Alter von sechs Monaten gegenüber älteren männlichen Minderjährigen insoweit benachteiligt werden, als an ihnen der Eingriff der nicht medizinisch indizierten Beschneidung auch durch nichtärztliche Beschneider und damit durch medizinische Laien durchgeführt werden darf.957 Männliche Neugeborene in den ersten sechs Monaten ihres Lebens haben daher nach der Konzeption des § 1631d Abs. 2 BGB im Vergleich zu den mehr als sechs Monate alten männlichen Kindern faktisch einen geringeren Anspruch auf staatlichen Schutz gegen Eingriffe in ihre körperliche Unversehrtheit. § 1631d BGB verstößt damit auch in mehrfacher Hinsicht gegen das Diskriminierungsverbot des Art. 21 Abs. 1 EGRC. In Art. 24 Abs. 1 EGRC werden die Rechte der Kinder in Form eines Anspruchs auf „den Schutz und die Fürsorge, die für ihr Wohlergehen notwendig sind“ und die Berücksichtigung ihrer Meinung in sie betreffende Angelegenheiten „in einem ihrem Alter und ihrem Reifegrad entsprechenden Weise“ geschützt. § 1631d BGB sieht seinem Wortlaut nach eine Berücksichtigung der Meinung der Minderjährigen zu der Entscheidung ihrer Sorgeberechtigten, sie beschneiden zu lassen, nicht vor. In der Begründung des Gesetzentwurfs der Bundesregierung ist lediglich die Rede davon, dass sich die Sorgeberechtigten mit einem entgegenstehenden Willen des Minderjährigen auseinandersetzen müssen.958 Trotz entsprechender Forderungen im Gesetzgebungsverfahren959 hat der Gesetzgeber aber darauf verzichtet, die Berücksichtigung des Willens des Minderjährigen entsprechend seinem Alter und Reifegrad anzuordnen. Dies stellt einen Verstoß gegen Art. 24 Abs. 1 EGRC dar. Die durch Art. 1 EGRC geschützte Menschenwürde und das in Art. 4 EGRC normierte Verbot von Folter und unmenschlicher oder erniedrigender Strafe oder Behandlung sind durch § 1631d BGB nicht tangiert. Zweck dieser Normen ist der Schutz vor besonders gravierenden, die Menschenwürde verachtenden und den Betroffenen herabwürdigenden Eingriffen, was aus den genannten Gründen bei der Beschneidung männlicher Minderjähriger in der Regel nicht der Fall ist. Ausnah-

957

Siehe hierzu 4. Kapitel, B. II. 2. Bundestagsdrucksache 17/11295 vom 05. 11. 2012, S. 18. 959 Änderungsantrag der Abgeordneten Burkhard Lischka u. a., Ausschussdrucksache 17(6) 214 vom 21. 11. 2012, S. 6; Änderungsantrag der Abgeordneten Jerzy Montag u. a., Ausschussdrucksache 17(6)216 vom 23. 11. 2012, S. 2. 958

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4. Kap.: Rechtslage nach Inkrafttreten des § 1631d BGB

mefälle sollen von der Zweckklausel des § 1631d Abs. 1 S. 2 BGB erfasst werden und nicht zulässig sein. Sollte ein deutsches Gericht im Rahmen eines bei ihm anhängigen Verfahrens die Frage der Vereinbarkeit von § 1631d BGB mit den Art. 3 Abs. 1, 10 Abs. 1, 21 und 24 EGRC aufwerfen, könnte es diese gemäß Art. 267 Abs. 3 AEUV dem EuGH zur Vorabentscheidung vorlegen.

D. Konformität des § 1631d BGB mit dem AGG Das durch das „Gesetz zur Umsetzung europäischer Richtlinien zur Verwirklichung des Grundsatzes der Gleichbehandlung“ am 18. 08. 2006 in Kraft getretene Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz (AGG) hat die Zielsetzung, „Benachteiligungen aus Gründen der Rasse oder wegen der ethnischen Herkunft, des Geschlechts, der Religion oder der Weltanschauung, einer Behinderung, des Alters oder der sexuellen Identität zu verhindern oder zu beseitigen.“ Der Schutzbereich des AGG bezieht sich auf das Arbeitsleben und weitgehend den allgemeinen Zivilrechtsverkehr.960 Gemäß § 2 Abs. 1 AGG sind Benachteiligungen in diesem Sinne unzulässig in Bezug auf den Zugang zur Erwerbstätigkeit und den beruflichen Aufstieg (Abs. 1 Nr. 1), die Beschäftigungs- und Arbeitsbedingungen (Abs. 1 Nr. 2), den Zugang zu Berufsberatung, Berufsausbildung, Weiterbildung, Umschulung und Berufserfahrung (Abs. 1 Nr. 3), die Mitgliedschaft in Arbeitgeber-, Arbeitnehmeroder Berufsvereinigungen (Abs. 1 Nr. 4), den Sozialschutz (Abs. 1 Nr. 5) mit Ausnahme des Sozialversicherungsrechts (Abs. 2), die sozialen Vergünstigungen (Abs. 1 Nr. 6), die Bildung (Abs. 1 Nr. 7) und den Zugang zu und die Versorgung mit Gütern und Dienstleistungen einschließlich Wohnraums (Abs. 1 Nr. 8). Bei der Begründung, Durchführung und Beendigung von Massengeschäften oder solchen Schuldverhältnissen, bei denen das Ansehen der Person typischerweise eine nachrangige Bedeutung hat, ist gem. § 19 Abs. 1 Nr. 1 AGG eine Benachteiligung aus Gründen der Rasse oder wegen der ethnischen Herkunft, wegen des Geschlechts, der Religion, einer Behinderung, des Alters oder der sexuellen Identität unzulässig. Bei sonstigen zivilrechtlichen Schuldverhältnissen i.S.d. § 2 Abs. 1 Nr. 5 bis 8 AGG sind gem. § 19 Abs. 2 AGG Benachteiligungen aus Gründen der Rasse oder wegen der ethnischen Herkunft unzulässig. Nach § 19 Abs. 4 AGG finden diese Vorschriften jedoch keine Anwendung auf familien- und erbrechtliche Rechtsverhältnisse. Da sich die Regelung des § 1631d BGB nicht auf das Arbeitsleben auswirkt und das Familienrecht nicht vom Schutzbereich des AGG erfasst wird, bleiben privatrechtliche Behandlungsverträge mit Ärzten oder Krankenhäusern961 als alleinige 960

Bauer/Göpfert/Krieger, Einl. Rn. 2. Bauer/Göpfert/Krieger, § 2 Rn. 37; Thüsing in: Münchener Kommentar zum BGB, Band 1, § 2 AGG Rn. 31. 961

E. Zusammenfassung der Ergebnisse und Fazit

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Schuldverhältnisse, die im Zusammenhang mit Beschneidungen nach § 1631d BGB von Relevanz sind. Diese unterfallen als „die Gesundheitsdienste“ i.S.d. § 2 Abs. 1 Nr. 5 AGG betreffende Verträge dem zivilrechtlichen Benachteiligungsverbot der §§ 19 ff. AGG. Nach § 19 Abs. 1 Nr. 1 AGG könnten daher Benachteiligungen aus Gründen des Geschlechts oder des Alters in Bezug auf Verträge mit Ärzten oder Krankenhäusern zur Durchführung einer Beschneidung unzulässig sein. Denn unter den Voraussetzungen des § 1631d Abs. 1 BGB soll es gestattet sein, zivilrechtliche Verträge betreffend die Beschneidung männlicher Minderjähriger abzuschließen, während gleiches für die Klitorisvorhautbeschneidung oder vergleichbar milde Formen weiblicher Genitalbeschneidung nicht zulässig ist. Dies stellt eine Benachteiligung wegen des Geschlechts dar. Gleiches müsste für Verträge mit nichtärztlichen Beschneidern gelten, da es sich hierbei wegen der weiten Auslegung des Begriffs der „anderen Heilberufe“ i.S.d. Art. 74 Abs. 1 Nr. 19 GG um Angehörige eines solchen handelt. In Bezug auf die Regelung des § 1631d Abs. 2 BGB könnte eine Benachteiligung wegen des Alters vorliegen, da männliche Minderjährige bis zum Alter von sechs Monaten dadurch benachteiligt werden, dass ihre Sorgeberechtigten Verträge betreffend ihre medizinisch nicht indizierte Beschneidung ohne den sonst geltenden Arztvorbehalt mit medizinischen Laien eingehen können. Da es sich bei solchen Behandlungsverträgen aber nicht um Massengeschäfte oder massengeschäftsähnliche Geschäfte i.S.d. § 19 Abs. 1 Nr. 1 AGG handelt, ist der Anwendungsbereich des § 19 Abs. 1 Nr. 1 AGG nicht eröffnet. Eine Benachteiligung bei sonstigen zivilrechtlichen Schuldverhältnissen i.S.d. § 19 Abs. 2 AGG besteht nicht, da zwischen männlichen und weiblichen Minderjährigen sowie zwischen männlichen Minderjährigen bis zum Alter von sechs Monaten und Älteren keine Benachteiligung aus Gründen der Rasse oder der ethnischen Herkunft stattfindet.

E. Zusammenfassung der Ergebnisse und Fazit Das Urteil des Landgerichts Köln hat die Rechtslage, wie sie vor dem Inkrafttreten des § 1631d BGB bestand, im Ergebnis zutreffend beschieden. Der Kodifizierung des § 1631d BGB kam somit nicht lediglich ein klarstellender Charakter zu. Die Untersuchungen haben allerdings gezeigt, dass § 1631d BGB in mehrfacher Hinsicht verfassungswidrig und damit nichtig ist. Die Regelung verstößt gegen das Zitiergebot aus Art. 19 Abs. 1 S. 2 GG. Durch § 1631d Abs. 1 S. 2 und Abs. 2 BGB wird darüber hinaus das aus Art. 20 Abs. 3 GG folgende Bestimmtheitsgebot verletzt. Ferner sind die Regelungen des § 1631d Abs. 1 und 2 BGB wegen Verstoßes gegen den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit verfassungswidrig, weil der damit verbundene Eingriff in das Grundrecht auf körperliche Unversehrtheit der betroffenen Minderjährigen nicht verhältnismäßig ist. § 1631d Abs. 1 BGB verletzt au-

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4. Kap.: Rechtslage nach Inkrafttreten des § 1631d BGB

ßerdem das Grundrecht auf Gleichbehandlung in Form einer nicht gerechtfertigten Diskriminierung wegen des Geschlechts als besonderem Diskriminierungsverbot aus Art. 3 Abs. 3 S. 1 GG. Des Weiteren verstößt § 1631d Abs. 2 BGB gegen den allgemeinen Gleichbehandlungsgrundsatz aus Art. 3 Abs. 1 GG, da männliche Minderjährige bis zum Alter von sechs Monaten gegenüber älteren männlichen Minderjährigen in nicht gerechtfertigter Weise ungleich behandelt werden. Schließlich verletzen die Regelungen des § 1631d Abs. 1 und 2 BGB in einer nicht dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit entsprechenden Weise das Grundrecht der Minderjährigen auf negative Religionsfreiheit aus Art. 4 Abs. 1 und 2 GG. § 1631d BGB ist daher insgesamt verfassungswidrig und damit nichtig. Daneben verstößt § 1631d BGB gegen die in Art. 7 UN-Menschenrechtserklärung, Art. 24 Abs. 1 und Art. 26 Abs. 1 IPBPR, Art. 24 Abs. 3 und Art. 19 Abs. 1 UN-KRK, Art. 8, Art. 9 Abs. 1 und Art. 14 Abs. 1 EMRK und in Art. 3 Abs. 1, Art. 10 Abs. 1, Art. 21 Abs. 1 und Art. 24 Abs. 1 verbrieften Menschen- und Grundrechte der von der Beschneidung betroffenen Minderjährigen. Das Kindeswohl ist in körperlicher Hinsicht nach objektiven Kriterien zu bestimmen. Andernfalls könnten Körperverletzungen an Kindern stets aus religiösen Gründen, die aus Sicht der Sorgeberechtigten für das psychische Wohl des Kindes förderlich sein sollen, gerechtfertigt werden. Die Personensorge umfasst daher weder aus religiösen noch aus sonstigen metaphysischen Gründen das Recht, Kindern ohne zwingende medizinische Indikation den Körper irreversibel verletzende Eingriffe zuzufügen, auch nicht im Genitalbereich. Der Gesetzgeber hat die Schwere und Dauerhaftigkeit der durch die Beschneidung männlicher Minderjähriger verursachten Verletzung deren körperlicher und psychischer Integrität, die zu einem unverhältnismäßigen und damit verfassungsrechtlich nicht zu rechtfertigenden Eingriff in deren Grundrecht auf körperliche Unversehrtheit aus Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG führt, aus offensichtlichen Gründen politischer Opportunität ignoriert und stattdessen den „kindeswohlschädlichen Eingriff als kindeswohldienlich“962 fingiert. Angesichts dessen vermag der verschiedentlich laut gewordene Verdacht auf ein „Einknicken“ der Politik vor den Religionsgemeinschaften, deren Mitglieder ihren kleinen Kindern aus vorgeblich religiösen Gründen einen Teil der Genitalien entfernen, kaum zu überraschen. Man mag mit Blick auf die unmenschlichen Verbrechen des nationalsozialistischen Unrechtsstaates gegenüber jüdischen Menschen und das darauf beruhende besondere Verhältnis der heutigen rechtsstaatlichen Bundesrepublik Deutschland zu jüdischen Religionsangehörigen und zum Staat Israel Verständnis dafür haben, dass der deutsche Gesetzgeber keine Vorreiterrolle zum Schutz der körperlichen und psychischen Integrität der betroffenen Kinder übernehmen wollte. Diese Motivlage vermag ihn jedoch nicht von seiner Bindung an die verfassungsmäßige Ordnung und Pflicht zur sorgfältigen Prüfung von Gesetzesvorhaben auf deren Verfassungskonformität zu befreien. Diese Verpflichtung hat der Gesetzgeber bei der Kodifizierung 962

Putzke, Monatsschrift Kinderheilkunde 2013, S. 950 (951).

E. Zusammenfassung der Ergebnisse und Fazit

191

des § 1631d BGB mit einer bemerkenswerten Nonchalance außer Acht gelassen. Seit der Einführung des Verbots körperlicher Bestrafungen, seelischer Verletzungen und anderer entwürdigenden Maßnahmen durch § 1631 Abs. 2 BGB im Rahmen des Gesetzes zur Ächtung von Gewalt in der Erziehung ist zwar die körperliche Züchtigung von Minderjährigen verboten, hingegen will der Gesetzgeber mit § 1631d BGB es allen Sorgeberechtigten – grundsätzlich ungeachtet der Motive und ohne medizinische Notwendigkeit – erlauben, ihren hilf- und wehrlosen männlichen Kindern die Vorhaut und damit einen Teil des Genitals unwiederbringlich abzuschneiden, um damit allein ihre eigenen, aus religiösem Gruppenzwang resultierenden Bedürfnisse zu befriedigen. Damit vollführt der Gesetzgeber aus Rücksichtnahme auf Religionsgemeinschaften eine partielle Kehrtwende von der elterlichen Sorge zurück zur elterlichen Gewalt. Die zuweilen anzutreffende Meinung, mit § 1631d BGB hätte der Gesetzgeber die Grundrechte des elterlichen Erziehungsrechts aus Art. 6 Abs. 2, der Religionsfreiheit aus Art. 4 Abs. 1 u. 2 sowie der körperlichen Unversehrtheit des Kindes aus Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG „in einen angemessenen Ausgleich“ gebracht, und „in vorbildlicher Weise begründet“,963 ist daher nicht nachvollziehbar, kommt letztlich sogar einer Verhöhnung der betroffenen Minderjährigen gleich, mag diese auch unbeabsichtigt sein. Sie macht sich unkritisch die Prämisse des Gesetzentwurfs der Bundesregierung zu eigen, bei der medizinisch nicht indizierten Penisvorhautentfernung handle es sich um einen harmlosen kleinen Eingriff, der keine nennenswerten Risiken und Folgen zeitige. Diese Prämisse ist mit Blick auf die aktuellen medizinischen Erkenntnisse schlechterdings nicht haltbar. Im Gegenteil ist der Eingriff mit nicht unerheblichen Risiken einschließlich des Risiko des Todes und mit dauerhaften und irreversiblen Folgen verbunden. Durch die medizinisch nicht indizierte Beschneidung nicht einwilligungsfähiger Minderjähriger auf Veranlassung der Sorgeberechtigten tritt eine Gefährdung des Kindeswohls i.S.d. § 1666 BGB ein. Ebenso wenig zutreffend ist die weitere Prämisse des Gesetzgebers, wonach sich die männliche Genitalbeschneidung grundlegend von der weiblichen Genitalbeschneidung unterscheide und diese im Gegensatz zu jener stets eine schwerwiegende Gesundheitsschädigung darstelle. Dabei ignoriert der Gesetzgeber, dass z. B. mit der als ,milde Sunnah’ bezeichneten Klitorisvorhautbeschneidung auch religiös motivierte Formen der weiblichen Genitalbeschneidung existieren, die der Penisvorhautbeschneidung von Eingriffstiefe, Risiken und Folgen entsprechen oder – soweit sie sich auf bloßes Einstechen oder Einritzen der Klitorisvorhaut beschränken – sogar weniger gravierend sind. Indem der Gesetzgeber Vorhautbeschneidungen bei nicht einwilligungsfähigen männlichen Minderjährigen gleich aus welchen Gründen zulässt, gleichzeitig aber entsprechende und leichtere Eingriffe bei weiblichen Personen als Verbrechenstatbestand unter Strafandrohung stellt, diskriminiert er männliche Minderjährige allein wegen ihres Geschlechts in einer verfassungsrechtlich nicht gerechtfertigten Weise. 963

So etwa Windthorst in: Gröpl/Windthorst/von Coelln, Art. 6 Rn. 56.

192

4. Kap.: Rechtslage nach Inkrafttreten des § 1631d BGB

Genitalbeschneidungen an nicht einwilligungsfähigen Minderjährigen gleich welchen Geschlechts, die ohne zwingende medizinische Indikation durchgeführt werden, verletzen in schwerwiegender, nicht gerechtfertigter Weise das Grundrecht der Minderjährigen auf körperliche Unversehrtheit und stellen eine Gefährdung des Kindeswohls dar. Sie verdienen es ausnahmslos, mit dem abwertenden Begriff der Genitalverstümmelung belegt zu werden, den der Gesetzgeber zwar für weibliche Genitalbeschneidungen gebraucht, während er für das Abschneiden der Penisvorhaut den harmlos anmutenden Begriff „Beschneidung“ verwendet. Das mit der Kodifizierung des § 1631d BGB intendierte Ziel des Gesetzgebers, medizinisch nicht indizierte Beschneidungen an männlichen Minderjährigen auf Wunsch deren Sorgeberechtigten rechtlich zu legitimieren, damit einer Strafbarkeit zu entziehen und so für die Sorgeberechtigten sowie für Ärzte und nichtärztliche religiöse Beschneider Rechtssicherheit zu schaffen, ist mithin fulminant fehlgeschlagen. Infolge der Nichtigkeit des § 1631d BGB bleibt die medizinisch nicht indizierte Beschneidung auch männlicher Minderjähriger strafbar. Das Verfahren der Kodifizierung des § 1631d BGB war eine gesetzgeberische Fehlleistung mit dem Ziel, die nach dem Urteil des Landgerichts Köln entflammte Debatte über die Legitimierung männlicher Beschneidungen mit Blick auf die Interessen der betroffenen Religionsgemeinschaften unter Inkaufnahme der Außerachtlassung eines gründlichen Gesetzgebungsverfahrens schnellst möglich loszuwerden. Das mit dem elterlichen Erziehungsrecht korrespondierende Recht des Kindes auf Fürsorge löst im Hinblick auf die mit einer medizinisch nicht indizierten Beschneidung verbundene Kindeswohlgefährdung eine Schutzpflicht des Staates zugunsten nicht einwilligungsfähiger Minderjähriger aus. Das staatliche Wächteramt gebietet es dem Gesetzgeber, eine gesetzliche Regelung zu erlassen, mit der die bestehende Rechtslage klargestellt wird, dass die elterliche Sorge in keinem Fall, weder aus religiösen noch aus sonstigen Gründen das Recht umfasst, in medizinisch nicht indizierte Genitalbeschneidungen nicht einsichts- und urteilsfähiger (weiblicher und männlicher) Minderjähriger einzuwilligen.964 Indem der Gesetzgeber sich dazu entschieden hat, Genitalbeschneidungen an weiblichen Personen – auch solche, die mit der Penisvorhautentfernung vergleichbar oder sogar weniger invasiv sind – durch die eigens dafür geschaffene, als Verbrechenstatbestand ausgestaltete Norm des § 226a StGB unter Strafandrohung zu stellen, ist er auch aus dem Gesichtspunkt der Gleichbehandlung verpflichtet, nämliches für männliche Genitalbeschneidungen einschließlich der Penisvorhautentfernung zu regeln. Angesichts dessen erscheint auch eine gesetzliche Regelung – ähnlich der, wie sie im Fall des Schwangerschaftsabbruchs in § 218a StGB normiert wurde – dahingehend, dass die Sorgeberechtigten und der Arzt im Fall der medizinisch nicht indizierten Beschneidung nicht einwilligungsfähiger männlicher Minderjähriger nicht bestraft werden, wenn be964 Wüstenberg, Recht und Politik 2012, S. 193 ff., zeigt als eine mögliche Variante die Ergänzung des § 1631c BGB um einen Abs. 2 auf, mit dem klargestellt wird, dass die Eltern nicht in eine medizinisch nicht erforderliche Beschneidung des Kindes einwilligen können; die Überschrift des § 1631c BGB könnte „sexuelle Selbstbestimmung“ lauten.

E. Zusammenfassung der Ergebnisse und Fazit

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stimmte Voraussetzungen erfüllt sind, etwa dass die Religionsgemeinschaft, der die Eltern angehören, den Eingriff zwingend vorschreibt, die Sorgeberechtigten ordnungsgemäß aufgeklärt wurden und der Eingriff von einem Arzt lege artis unter Vornahme einer effektiven Betäubung vorgenommen wird, aus verfassungsrechtlichen Gründen nicht möglich. Denn durch eine solche Regelung würde der Verstoß gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz und das Diskriminierungsverbot perpetuiert.

5. Kapitel

Nachkodifizielle Judikatur und aktuelle Praxis A. Nachkodifizielle Judikatur Seit dem Inkrafttreten des § 1631d BGB wurden zu dieser Norm bisher drei gerichtliche Entscheidungen veröffentlicht. Das Bundesverfassungsgericht verkündete am 08. 02. 2013 einen Nichtannahmebeschluss über eine Verfassungsbeschwerde, mit welcher der Beschwerdeführer eine Verletzung durch § 1631d BGB geltend gemacht hatte, weil er im Jahr 1991 als sechsjähriger von einem Beschneider ohne medizinische Ausbildung beschnitten worden war und an den Folgen dieses Eingriffs noch heute leide. Das BVerfG hielt die Verfassungsbeschwerde zu Recht für unzulässig, weil der Beschwerdeführer durch § 1631d BGB „nicht selbst, gegenwärtig und unmittelbar betroffen“ sei. Denn die von dem Beschwerdeführer geschilderte Situation einer Beschneidung durch einen nichtärztlichen Beschneider im Alter von sechs Jahren sei durch § 1631 d Abs. 2 BGB gerade nicht privilegiert.965 Am 13. 02. 2013 lehnte ebenfalls der 1. Senat des Bundesverfassungsgerichts einen Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung ab, mit dem sich der Antragsteller gegen die Übertragung der alleinigen elterlichen Sorge seines Sohnes auf dessen Mutter – seiner geschiedene Ehefrau – gewandt hatte, ab. Der Antragsgegner hatte geltend gemacht, die Kindesmutter könnte im Falle der Bestandskraft der Sorgerechtsentscheidung den gemeinsamen Sohn beschneiden lassen, was aus seiner Sicht das Kindeswohl gefährde. Der Senat begründete die Ablehnung des Antrags damit, dass das Bundesverfassungsgericht im Streitfall einen Zustand durch einstweilige Anordnung nur dann regeln könne, „wenn dies zur Abwehr schwerer Nachteile, zur Verhinderung drohender Gewalt oder aus einem anderen wichtigen Grund zum gemeinen Wohl dringend geboten“ sei. Dies sei jedoch – wie im zu entscheidenden Fall – „dann nicht dringend geboten, wenn das erstrebte Ziel auch auf einem anderen Wege, insbesondere durch das Anrufen anderer Gerichte erreicht werden kann“.966

965 966

BVerfG, FamRZ 2013, S. 685. BVerfG, FamRZ 2013, S. 530 f.

A. Nachkodifizielle Judikatur

195

Differenziert setzte sich das Oberlandesgericht Hamm in seiner Entscheidung vom 30. 08. 2013 mit § 1631d BGB auseinander, ohne dabei allerdings die Verfassungsmäßigkeit der Norm an sich in Frage zu stellen. Es hatte in einem Beschwerdeverfahren über einen Fall zu entscheiden, in dem sich die aus Kenia stammende, in Deutschland in zweiter Ehe lebende Beschwerdeführerin, die Mutter eines sechs Jahre alten Sohnes war, gegen eine Entscheidung des Familiengerichts gewandt hatte, mit welcher ihr das Recht zur Beschneidung ihres Sohnes entzogen und auf das Jugendamt als Ergänzungspfleger übertragen worden war. Zur Begründung ihrer Beschwerde berief sie sich auf § 1631d BGB, der eine Beschneidung gerade ohne medizinische Indikation zulasse. Da sie mit ihrem Sohn regelmäßig ihr Herkunftsland Kenia besuche, wolle sie ihn dem dortigen kulturellen Ritus entsprechend beschneiden lassen, damit er dort von ihrer Familie als vollwertiger Mann angesehen und geachtet werde.967 Das Gericht führte in seiner Entscheidung aus, dass der Kindesmutter aufgrund ihrer alleinigen Sorgeberechtigung grundsätzlich das Recht zustehe, „über den gesundheitlichen Eingriff der Beschneidung ihres Kindes“ zu entscheiden, wobei Grundlage hierfür allein § 1631d Abs. 1 BGB sei, da das Kind älter als sechs Monate sei. Danach müssten als Voraussetzungen grundsätzlich lediglich die Personensorgeberechtigung der Mutter vorliegen und das Kind dürfe nicht selbst einwilligungsfähig sein. Zwar könne bei einem fünf Jahre alten Kind nicht angenommen werden können, dass es über die erforderliche geistige und sittliche Reife verfüge, um die Bedeutung und Tragweite des Eingriffs ermessen zu können, gleichwohl müssten sich die Sorgeberechtigten und der Arzt „im Einzelfall ein Bild davon machen, ob das Kind einsichts- und urteilsfähig ist oder nicht, sowie was dessen Wünsche und Neigungen sind“. Wenn einer von beiden zur „Bejahung der Einsichts- und Urteilsfähigkeit“ komme, sei die „Einwilligung der Eltern unwirksam“ und ein entgegenstehender Wille des Kindes zwingend zu beachten“.968 Die vom Gesetzgeber mit der Kodifizierung des § 1631d BGB intendierte Rechtssicherheit sei damit „zumindest bei Kindern über etwa 10 Jahren […] nicht erreicht worden“, denn das Familiengericht dürfte sich „regelmäßig […] durch die persönliche Anhörung eines auch deutlich unter 14 Jahre alten Kindes einen Eindruck von dessen Einsichts- und Urteilsfähigkeit sowie von dessen Wünschen und Neigungen in Bezug auf den beabsichtigten Eingriff zu machen haben“. Selbst dann, wenn eine Einsichts- und Urteilsfähigkeit des Kindes danach im Einzelfall noch nicht festzustellen sei, sei „ein etwa bei einer Anhörung geäußerter Wille dieses Kindes deswegen nicht von vornherein unbeachtlich“. Vielmehr müssten gem. §§ 1626 Abs. 2 S. 2, 1631 Abs. 2 BGB „nicht erst das Familiengericht bei seiner Anhörung, sondern bereits der oder die Sorgeberechtigte/n – und im Falle des § 1631d Abs. 1 BGB auch der Arzt – […] mit dem Kind jeweils in einer seinem Alter und Entwicklungsstand entsprechenden Art und Weise die das Sorgerecht betreffende Frage des Eingriffs der Beschneidung in die körperliche Unversehrtheit des Kindes […] besprechen“. Dabei hätten „der oder die sorgeberechtigten Elternteile […] zu versuchen, mit dem Kind in 967 968

OLG Hamm, NJW 2013, S. 3662 ff. OLG Hamm, NJW 2013, S. 3662 f.

196

5. Kap.: Nachkodifizielle Judikatur und aktuelle Praxis

kindgerechter Weise Einvernehmen herzustellen“.969 In dem der Entscheidung zugrunde liegenden Fall konnte das Gericht nicht feststellen, dass eine diesen Anforderungen gerecht werdende Beteiligung des Kindeswillens stattgefunden hätte. Ferner wies das Gericht darauf hin, dass es an einer weiteren „ungeschriebenen Tatbestandsvoraussetzung“ des § 1631d Abs. 1 BGB fehle, nämlich an der erforderlichen „ordnungsgemäßen und umfassenden Aufklärung des gesetzlichen Vertreters über Chancen und Risiken des Eingriffs.“ Die Kindesmutter hätte nicht hinreichend dargelegt und glaubhaft gemacht, dass eine entsprechende Aufklärung durch den Arzt stattgefunden hätte. Im Übrigen stellte das Gericht fest, dass das Amtsgericht als Vorinstanz im Rahmen der summarischen Prüfung zutreffend davon ausgegangen sei, dass eine überwiegende Wahrscheinlichkeit für die Behauptung des Kindesvaters bestehe, wonach durch die von der Kindesmutter beabsichtigte Beschneidung eine Kindeswohlgefährdung eintrete. Hiervon sei entsprechend der höchstrichterlichen Rechtsprechung zu § 1666 BGB auszugehen, wenn eine gegenwärtige, in einem solchen Maß vorhandene Gefahr vorliege oder unmittelbar bevorstehe, „dass sich bei der weiteren Entwicklung der Dinge eine erhebliche Schädigung des geistigen oder leiblichen Wohls des Kindes mit ziemlicher Sicherheit voraussehen“ lässt. Dadurch, dass der Gesetzgeber in § 1631d Abs. 1. S. 2 BGB auch den Zweck der Beschneidung mit in die Berücksichtigung einbeziehe, habe er „deutlich gemacht, dass das Kindeswohl insoweit kein feststehender Begriff“ sei, sondern „je nach der Schutzwürdigkeit des im Vordergrund stehenden Motivs für die Beschneidung […] die Schwelle einer Kindeswohlgefährdung niedriger als nach dem dargelegten allgemeinen Maßstab des § 1666 BGB anzusetzen sein“ könne. Zwar sei der Wunsch der Kindesmutter, ihr Kind entsprechend dem Ritual ihres Herkunftslandes beschneiden zu lassen, grundsätzlich beachtlich. Die Mutter habe ihren Lebensmittelpunkt jedoch im hiesigen Kulturkreis und reise nur selten mit ihrem Sohn nach Kenia. Außerdem sei das Kind evangelisch getauft, daher bestehe kein zwingender religiöser Grund für eine Beschneidung. Auf der anderen Seite sei die Mutter ihrer eigenen Erklärung zufolge nicht bereit, dem bei dem Eingriff Schmerzen erleidenden Kind beizustehen und es zu begleiten, was nach Angaben der psychologischen Sachverständigen für das Kind unzumutbar sei und noch nach Jahren psychische Störungen nach sich ziehen könne. Ausdrücklich wies das Gericht darauf hin, dass „die von dem Kindesvater angeführten verbleibenden medizinischen Restrisiken auch einer ärztlich ordnungsgemäßen Beschneidung sowie die von mehreren Beteiligten und der Sachverständigen aufgeführten mit dem Eingriff verbundenen Schmerzen […] insoweit für sich genommen allerdings nicht entscheidungserheblich“ seien. Denn wenn diese Risiken und Schmerzen berücksichtigt würden, „würde das Recht der Eltern aus § 1631d Abs. 1 BGB ausnahmslos ins Leere laufen, da jeder medizinisch nicht indizierte Eingriff dann bereits wegen der gesundheitlichen Restrisiken und der durch den Eingriff zugefügten Schmerzen zu unterbleiben hätte“.970 969 970

OLG Hamm, NJW 2013, S. 3662 (3663). OLG Hamm, NJW 2013, S. 3662 (3664).

B. Aktuelle Praxis

197

An dieser Entscheidung wird besonders deutlich, dass die gesetzgeberische Intention, den Eltern Minderjähriger Rechtssicherheit zu verschaffen, misslungen ist. Denn unter Anwendung der vom OLG Hamm aufgestellten Grundsätze müssen sich künftig die Sorgeberechtigten und der Arzt im Einzelfall ein Bild davon machen, ob das Kind einsichts- und urteilsfähig ist oder nicht, sowie was dessen Wünsche und Neigungen sind. Selbst wenn eine Einsichts- und Urteilsfähigkeit des Kindes dabei noch nicht festgestellt wird, ist ein wie auch immer geäußerter Unwille des Kindes nicht unbeachtlich, sondern die Sorgeberechtigten und der Arzt müssen mit dem Kind in einer seinem Alter und Entwicklungsstand entsprechenden Weise die das Sorgerecht betreffende Frage des Eingriffs der Beschneidung in die körperliche Unversehrtheit des Kindes besprechen.

B. Aktuelle Praxis Auch nach dem Inkrafttreten des § 1631d BGB, der die Durchführung des Eingriffs „nach den Regeln der ärztlichen Kunst“ verlangt, werden rituelle Beschneidungen von religiösen Beschneidern nach wie im häuslichen Umfeld, in der Synagoge oder im Gemeindesaal durchgeführt, teilweise auch nach dem jüdisch-orthodoxen Ritual „mezizah b’peh“, bei dem der Beschneider den frisch beschnittenen Penis des Neugeborenen in den Mund nimmt. So berichtete der Berliner Tagesspiegel am 04. 03. 2013 über die Beschneidung des jüngsten Sohnes des Berliner Rabbiners Yehuda Teichtal. Hierzu war eigens der israelische Oberrabbiner Menachem Fleischmann eingeflogen worden, der die Beschneidung im Beisein von 400 geladenen Gästen in der Synagoge in Berlin-Wilmersdorf durchführte.971 Wie ausgeführt, stellt die Vorhautbeschneidung eine Operation nach dem Katalog ambulant durchführbarer Operationen dar, für welche die baulich-funktionellen und betrieblichorganisatorischen Hygieneanforderungen des Robert-Koch-Instituts972 eingehalten werden müssen, soll der Eingriff dem Facharztstandard entsprechend ausgeführt werden. Dass es bei einer Synagoge schon an den baulich-funktionellen Anforderungen mangelt und die Durchführung des Eingriffs im Beisein von 400 Besuchern auch nicht den betrieblich-organisatorischen Hygieneanforderungen entspricht, liegt auf der Hand. Auch wurde der Eingriff ohne Anästhesie durchgeführt, statt dessen sollte sich das Neugeborene durch Einträufeln ein paar Tropfen süßen Weines wieder beruhigen. Der Eingriff entsprach daher nicht den „Regeln der ärztlichen Kunst“ im Sinne des § 1631d Abs. 1 BGB. Zudem soll der Mohel das Blut aus der Wunde mit dem Mund abgesaugt haben,973 was ebenfalls einen eklatanten Verstoß gegen all971 Siehe auch Online-Ausgabe des Tagesspiegels, http://www.tagesspiegel.de/berlin/zugast-bei-einer-beschneidung-mazel-tov/7869864.html (zuletzt aufgerufen 14. 04. 2014). 972 Siehe Fn. 141 u. 142. 973 Tagesspiegel vom 12. 04. 2013; siehe auch Online-Ausgabe, http://www.tagesspiegel.de/ politik/strafanzeige-nach-beschneidung-berliner-staatsanwaelte-pruefen-neuen-fall/8047730. html (zuletzt aufgerufen 14. 04. 2014).

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5. Kap.: Nachkodifizielle Judikatur und aktuelle Praxis

gemein anerkannte medizinische Erkenntnisse darstellen würde. Der Eingriff entsprach demnach in keiner Weise der Regelung des § 1631d Abs. 2 i.V.m Abs. 1 BGB, weshalb bei der Staatsanwaltschaft Berlin Strafanzeige gegen den Mohel und die Eltern des Kindes wegen Körperverletzung erstattet wurde. Die Staatsanwaltschaft stellte das Strafverfahren gegen die Eltern mit der Begründung ein, ein strafbares Verhalten habe nicht mit der für eine Anklage erforderlichen Sicherheit nachgewiesen werden können, weil nicht nachzuweisen gewesen sei, dass den Eltern – diese hatten angegeben, Mohel Fleischmann habe ihnen versichert, die Beschneidung nach geltendem deutschen Recht durchzuführen – zum Zeitpunkt der Einwilligungserklärung bekannt gewesen sei, dass der Mohel bei dem Eingriff von den Regeln der ärztlichen Kunst abweichen werde.974 Dabei haben die Strafverfolger nicht berücksichtigt, dass gegen den Vater des Kindes zumindest der Anfangsverdacht einer Straftat der Misshandlung Schutzbefohlener durch Unterlassen gem. §§ 225 Abs. 1 Nr. 1, 13 StGB vorliegt, weil er während der Beschneidung „unmittelbar neben dem Mohel und seinem schreienden Sohn“975 stand und daher erkannt haben dürfte, dass keine oder zumindest keine adäquate Schmerzbehandlung durchgeführt wurde. Aufgrund seiner Garantenstellung für das Kind hätte er den Eingriff daher abbrechen lassen können und müssen. Gegen den Mohel wurde das Verfahren aus tatsächlichen Gründen vorläufig eingestellt, da sich dieser im Ausland aufhalte.976 Auch der Rabbiner David Goldberg aus Hof scheint den Eingriff trotz der Geltung des § 1631d BGB nach wie vor ohne Narkose, also nicht „nach den Regeln der ärztlichen Kunst“ durchzuführen. Wie sich aus seinem Internetauftritt ergibt, hält er an der wissenschaftlich widerlegten Behauptung fest, dass bei Neugeborenen „das Schmerzempfinden noch nicht voll ausgebildet“ sei.977 Unabhängig davon, dass Eingriffe ohne Betäubung dem ärztlichen Standard widersprechen, dürften die von Goldberg vorgenommenen Beschneidungen auch aus einem weiteren Grund rechtswidrig sein: Es ist anzunehmen, dass er nicht nur auf den Verlautbarungen seines Internetauftritts, sondern auch bei den Aufklärungsgesprächen den Eltern der zu beschneidenden Kinder erklärt, dass deren Schmerzempfinden noch nicht voll ausgebildet sei, weshalb keine Betäubung notwendig sei. Damit liegt aber keine ordnungsgemäße Aufklärung als Voraussetzung für eine wirksame Einwilligung der Sorgeberechtigten vor, weshalb deren Einwilligung keine den Eingriff rechtfertigende Wirkung zukommt.978 Gleichwohl leitete die Staatsanwaltschaft Hof trotz 974

Siehe Tagesspiegel Online-Ausgabe, http://www.tagesspiegel.de/politik/knabenbeschnei dung-als-grenzfall/9131960.html (zuletzt aufgerufen 14. 04. 2014). 975 So Scheindfeld, S. 268 (283) unter Hinweis auf das mit der Online-Ausgabe des Artikels des Tagesspiegels (Fn. 971) verlinkte Video. 976 Tagesspiegel, Fn. 974. 977 http://www.beschneidung-mohel.de/ablauf_und_heilungsprozess.html (zuletzt aufgerufen 14. 04. 2014). 978 Es zeigt sich hierbei auch, dass die Aufklärung und die Freiheit von Willensmängeln voneinander abhängig sein können: Wird im Rahmen der Aufklärung behauptet, der Säugling spüre bei der Beschneidung kaum Schmerzen, kann über diese gezielte Fehlinformation eine

B. Aktuelle Praxis

199

einer entsprechenden Strafanzeige kein Ermittlungsverfahren gegen Goldberg ein, weil sich dessen Tätigkeit im Rahmen der gesetzlichen Neuregelung bewege.979 Der Umgang der Strafverfolgungsbehörden anhand dieser Fälle erweckt den Eindruck, dass sich die Beschneidungspraxis durch nichtärztliche Beschneider seit Inkrafttreten des § 1631d BGB in keiner Weise geändert hat. Nicht einmal der Wille des Gesetzgebers, dass der Eingriff – auch wenn er von religiösen Beschneidern vorgenommen wird – wenigstens unter Einhaltung der „Regeln der ärztlichen Kunst“ durchgeführt werden solle, hat in Einzug in die Praxis gefunden und die bislang mit Fällen nicht dem medizinischen Standard entsprechend durchgeführten Beschneidungen konfrontierten Strafverfolgungsbehörden scheinen auch nicht gewillt zu sein, ihm zur Geltung zu verhelfen. Im Gegenteil drücken sie aus – jedenfalls aus juristischer Sicht – nicht nachvollziehbaren Gründen beide Augen zu. Es bleibt zu hoffen, dass andere Strafverfolgungsbehörden, wenn sie von derartigen Fällen Kenntnis erlangen, weniger mutlos agieren, als es die Staatsanwaltschaften Berlin und Hof in den genannten Fällen taten. Im Zusammenhang mit der Praxis der Strafverfolgungsbehörden ist auch auf folgenden Aspekt hinzuweisen: Nach den Feststellungen der Kassenärztlichen Bundesvereinigung ist die Zahl der ambulant durchgeführten Beschneidungen in der Zeit zwischen 2008 und 2011 um 34 % gestiegen.980 Die Allgemeinen Ortskrankenkassen verzeichneten im Zeitraum von 2006 bis 2011 eine Steigerung um 30 %, obwohl die Anzahl der Kinder in diesem Zeitraum um 5 % zurückgegangen ist.981 Dies könnte möglicherweise darauf hindeuten, dass Sorgeberechtigte, die an ihren (männlichen) Kindern den Eingriff durchführen lassen, aus Gründen der Kostenübernahme durch die gesetzliche Krankenversicherung die ausführenden Ärzte dazu drängen, eine medizinische Indikation zu bescheinigen, obgleich eine solche nicht vorliegt. Das Motiv für die Ärzte könnte darin begründet liegen, dass zum einen die Honorarzahlung über die gesetzliche Krankenversicherung gesichert ist, wenn eine medizinische Indikation behauptet wird, während andernfalls, etwa bei Familien aus prekären sozialen Verhältnissen, die privatärztliche Vergütung mangels Bonität in Frage stehen könnte, zum anderen darin, dass bei der Abrechnung möglicherweise auch vielfach betrogen wird, denn im ambulanten Bereich wird „bis zu 20 Mal häufiger eine teurere Vorhautplastik“ – bei der die Vorhaut zum Teil erhalten bleibt –

steuernde Einflussnahme auf die Entscheidung der Eltern erfolgen; siehe hierzu auch: SchöneSeifert, S. 45. 979 Siehe hierzu: http://www.spiegel.de/panorama/keine-ermittlungen-gegen-rabbiner-gold berg-wegen-beschneidung-a-884788.html (zuletzt aufgerufen 14. 04. 2014) und http://www. augsburger-allgemeine.de/bayern/Beschneidung-Gegen-Rabbiner-wird-nicht-ermittelt-id241 58541.html (zuletzt aufgerufen 14. 04. 2014). 980 FAZ vom 19. 10. 2013 und FAZ am Sonntag vom 20. 10. 2013; siehe auch OnlineAusgabe, http://www.faz.net/aktuell/politik/gesundheit-immer-mehr-jungen-im-vorschulalterwerden-beschnitten-12624967.html (zuletzt aufgerufen 14. 04. 2014). 981 FAZ, Fn. 980.

200

5. Kap.: Nachkodifizielle Judikatur und aktuelle Praxis

als eine Beschneidung, bei der die Vorhaut ganz entfernt wird, abgerechnet.982 Diese Daten könnten für die Strafermittlungsbehörden ausreichend sein, um Vorermittlungen zu möglichem Abrechnungsbetrug zu Lasten der gesetzlichen Krankenversicherung einzuleiten.

982

FAZ, Fn. 980.

6. Kapitel

Schlussbetrachtung und Ausblick Die Diskussion um die Genitalbeschneidung Minderjähriger ist nicht verstummt. Isensee bringt dies mit folgender Formulierung auf den Punkt: „Wenn das Problembewusstsein einmal geweckt worden ist, kann das Gesetz es nicht wieder einschläfern.“983 Als ,Silberstreif am Horizont‘ darf zur Kenntnis genommen werden, dass die Parlamentarische Versammlung des Europarats am 01. 10. 2013 mit breiter Mehrheit die Resolution „Children’s right to physical integrity“984 beschlossen hat, in der sie ihre Besorgnis „über den Bereich der Verletzungen der körperlichen Unversehrtheit von Kindern, deren Befürworter dazu neigen, die Verfahren trotz eindeutiger Beweise für das Gegenteil als vorteilhaft für die Kinder darzustellen“, zum Ausdruck bringt und hierzu ausdrücklich auch die Beschneidung von Jungen aus religiösen Gründen zählt.985 Die Resolution fordert die Mitgliedsstaaten auf, eine öffentliche Debatte einschließlich eines interkulturellen und interreligiösen Dialogs in Gang zu bringen, mit dem Ziel, eine Balance zwischen den Rechten und Interessen der Kinder und den Rechten und der Religionsfreiheit der Eltern herbeizuführen.986 Und auch die „Nordic Ombudsmen for Children“ aus den fünf skandinavischen Staaten Dänemark, Norwegen, Schweden, Finnland und Island sowie aus Grönland forderten in ihrer gemeinsamen Erklärung mit pädiatrischen Experten vom 30. 09. 2013987 ihre Regierungen auf, die notwendigen Schritte einzuleiten, um sicherzustellen, dass Jungen selbst entscheiden können, ob sie beschnitten werden wollen oder nicht.988 Entgegen der mit der Kodifizierung des § 1631d BGB verbundenen Erwartung des Gesetzgebers ist die Debatte über die Zulässigkeit medizinisch nicht indizierter 983

Isensee, S. 317 (318). Resolution 1952 (2013), http://assembly.coe.int/nw/xml/XRef/Xref-XML2HTMLen.asp?fileid=20174&lang=en (zuletzt aufgerufen 14. 04. 2014) 985 Original-Wortlaut in englischer Sprache: „The Parliamentary Assembly is particulary worried about a category of violation of the physical integrity of children, which supporters of the procedures tend to present as beneficial to the children themselves despite clear evidence to the contrary. This includes […] the circumcision of young boys for religious reasons […].“ 986 Siehe Ziff. 7.4. der Resolution 1952 (2013). 987 Siehe: http://barneombudet.no/wp-content/uploads/2013/11/English-statement-.pdf (zuletzt aufgerufen 14. 04. 2014). 988 Original-Wortlaut in englischer Sprache: „We request our governments to take necessary measures to ensure that boys are given the opportunity to decide for themselves whether or not they want to be circumcised.“ 984

202

6. Kap.: Schlussbetrachtung und Ausblick

Beschneidungen männlicher Minderjähriger nicht beendet. Sie wird fortgeführt werden und es bleibt zu hoffen, dass sich in naher Zukunft das Bundesverfassungsgericht mit der Prüfung der Verfassungsgemäßheit des § 1631d BGB auseinandersetzen und die Norm für verfassungswidrig erklären wird. Ob es dabei den Konflikt mit den Religionsgemeinschaften wie in Fall des Schächtens von Schlachttieren989 meidet, darf im Hinblick darauf, dass der Tierschutz zwar ein Staatsziel, die körperliche Unversehrtheit dagegen ein Grundrecht ist, bezweifelt werden.990 Zu hoffen bleibt aber auch, dass bei den Angehörigen der Religionsgemeinschaften, die Beschneidungen bisher als ein tradiertes religiöses Gebot ansehen, allmählich ein Umdenken einsetzen wird, das in der Erkenntnis mündet, dass es ihren Kindern selbst überlassen werden sollte, ob sie sich in einem Alter, in dem sie selbst über die erforderliche Einsichts- und Urteilsfähigkeit verfügen, als Bekräftigung der Zugehörigkeit zu ihrer Glaubensgemeinschaft beschneiden lassen möchten. Dies würde aufgrund der Tatsache, dass sie bereits durch die Geburt der Religionsgemeinschaft zugehörig sind, weder für die betroffenen Kinder noch für ihre Eltern einen Nachteil mit sich bringen. So wichtig Spiritualität und Religiosität für das Wohl der Sorgeberechtigten selbst sein mag,991 darf nicht darüber hinweg gesehen werden, dass die Beschneidung für die Minderjährigen mit dem unwiederbringlichen Verlust sexueller Sensibilität verbunden ist und sie damit zeitlebens beeinträchtigt. Religiöse Bräuche sind keine statische Größe, sondern können, auch einhergehend mit fortschreitenden wissenschaftlichen Erkenntnissen, einem Wandel unterliegen. Dies wird unter anderem daran deutlich, dass es in allen großen Glaubensgemeinschaften auch modernere Strömungen gibt, die alte Traditionen, Riten und Bräuche der aktuellen Zeit und ihrem Erkenntnisstand anpassen. So ist etwa in der christlichen Welt die Gleichberechtigung von Mann und Frau heute weithin unbestritten, obgleich sich in der Bibel Textstellen finden, die eine Unterwürfigkeit der Frau gegenüber ihrem Mann fordern.992 Kaum jemand käme heute mehr auf den Gedanken, dass die in Art. 3 GG gewährleistete Gleichbehandlung der Geschlechter aus religiös tradierten Gründen und wegen kollidierenden Verfassungsrechts aus Art. 4 Abs. 1 u. 2 GG dahingehend zu beschränken sei, dass die Frau dem Mann untertan sein müsse. Nachdem heute auch, anders als zu Zeiten des religiösen Urvaters Abraham, bekannt ist, dass die Beschneidung mit erheblichen gesundheitlichen Risiken bis hin zum Tod, vor allem aber mit dem irreversiblen Verlust nicht nur gesunden und funktional bedeutsamen, sondern auch erogen wichtigen Gewebes verbunden ist, der dauerhaft 989

BVerfGE 104, S. 337 ff. Siehe hierzu: Isensee, S. 317 (327). 991 Zum Wunsch nach Spiritualität in der Gesundheitsversorgung siehe auch: Ostermann/ Büssing in: Kettner, S. 123 ff. 992 Epheser 5, 22 – 24: „Ihr Frauen, ordnet euch euren Männern unter wie dem Herrn. Denn der Mann ist das Haupt der Frau, wie auch Christus das Haupt der Gemeinde ist, die er als seinen Leib erlöst hat. Aber wie nun die Gemeinde sich Christus unterordnet, so sollen sich die Frauen ihren Männern unterordnen in allen Dingen.“ 990

6. Kap.: Schlussbetrachtung und Ausblick

203

zu einem partiellen Verlust sexueller Sensibilität führt, kann es in einem Rechtsstaat auch für gläubige Menschen nicht gerechtfertigt sein, ihren Kindern weiterhin solche Körperverletzungen zuzufügen.

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Sachwortverzeichnis Abraham 21 Änderungsantrag 114, 115, 117 Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz (AGG) 188 Alternativentwurf 112 Anästhesie 32, 37, 138, 161 – Kaudalanästhesie 32, 150, 161 – Peniswurzelblock 32, 95, 150, 161 – Risiken 37 – Vollnarkose 32 Anerkennungstheorie 169 Arztvorbehalt 140, 149, 150, 162 Aufklärung 65, 198 – Diagnoseaufklärung 66 – Entbehrlichkeit der 68 – Form der 65 – Risikoaufklärung 66 – Selbstbestimmungsaufklärung 65 – Umfang der 66 – Verlaufsaufklärung 66 – Zeitpunkt der 67 Auslegung, verfassungskonforme 140, 151, 158 Balanitis 39 Benachteiligung – wegen des Geschlechts 154 – wegen des Glaubens 159 Beschneider, nichtärztlicher 29, 33, 37, 137, 140, 143, 160, 199 Beschneidung – bei Naturvölkern 27 – im alten Ägypten 19 – im Christentum 25 – im Islam 23 – im Judentum 21 Beschneidung, männliche 29 – Durchführung der 30 – Prävalenz 29 – Risiken 36 – Vorteile 37

Beschneidung, weibliche 40 – Erscheinungsformen 42 – Prävalenz 41 – Strafbarkeit 45 Bestimmtheitsgebot 134 Betäubung siehe Anästhesie Brauch, überlieferter 178 Brit Mila 15, 21 Charta der Vereinten Nationen 174 Christentum 25 Diagnoseaufklärung 66 Diskriminierungsverbot 154, 184, 186 – wegen des Geschlechts 154 – wegen des Glaubens 159 Disponibilität 72 Dispositionsbefugnis 72, 153,158 Dysfunktion – erektile 36 – sexuelle 38 Eingriffsbegriff 128 Einsichtsfähigkeit 48, 69, 195, 202 Einwilligung 61 – stellvertretende 70 Einwilligungsfähigkeit 48, 68, 195 Emla-Creme 33, 95, 119 Erektile Dysfunktion 36 Erforderlichkeit 142 Erziehungsrecht 92, 107, 144, 151, 157 Ethikrat 123 EU-Grundrechtecharta 185 Europäische Menschenrechtskonvention 182 Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte 182 Europarat 17, 201 Expertenanhörung 117 Exzision 42

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Sachwortverzeichnis

Facharztstandard 32, 137, 147, 197 Female Gender Mutilation 42 Fortbildungspflicht 139 Fremdbestimmung 70, 77 Geeignetheit 142 Gefährdung des Kindeswohls 97, 192, 196 Generalklausel 73, 135, 153 Genitalbeschneidung siehe Beschneidung Genitalveränderung, ästhetisch motivierte 43 Genitalverstümmelung 41, 153, 192 – Strafbarkeit weiblicher 45 Gesetzentwurf 109 Gesetzesvorbehalt 130 Gesundheitsbeschädigung 53 Glans 36 Gleichheitsgrundrecht 153 Gleichheitssatz, allgemeiner 160 Gonorrhoe 40 Grundrechte – Eingriff 128, 163, 170 – Erziehungsrecht 92, 107, 144, 146, 151, 157 – körperliche Unversehrtheit 92, 99, 103, 127 – Menschenwürde 167 – Religionsfreiheit 99, 103, 107, 163 – Schutzbereich 127, 154, 163, 168 – überstaatliche 174 Gute-Sitten-Klausel 73 Hadith 23 Hanafiten 24 Hanbaliten 24 Heilberuf 130 Heilkunde 138 Herpes 36 HIV 37, 39 Hygieneanforderungen 31, 197

Kindeswohl 74, 97, 105, 135, 148, 162, 178 – Begriff 75 – Bestimmung 76 Kindeswohlgefährdung 192, 196 Klitorisvorhaut 42, 153, 191 Körperverletzungsdoktrin 13 Konkordanz, praktische 79, 98, 145, 158, 165 Kontraindikation 63 Koran 23, 24 Läuten, liturgisches 101, 166, 184 Leistungstheorie 169 Makruma 24 Male Gender Mutilation 43 Malikiten 24 Massengeschäft 188 Masturbation 23, 26 Meatusstenose 36 Menschenwürde 167 Mezizah b’peh 31, 36, 115, 197 Milde Sunnah 42, 153, 156, 180, 191 Misshandlung, körperliche 52 Mitgifttheorie 169 Mohammed 23, 180 Mohel, Mohalin 29, 31, 142, 197, 198 – Fortbildungspflicht 139 Nachblutung 36 Narbenbildung 36 Objektformel 72, 170 Ödem, postoperatives 36 Off Label Use 33, 151

Indikation 34 Infibulation 42 Intimrasur 44 IPBPR 175 Islam 23

Paraphimose 34 Parlamentsvorbehalt 134 Paternalismus 77 Patientenautonomie 64, 72 Patientenverfügung 104 Peniskrebs 39 Periah 22 Personensorge 111, 155 Phimose 35 Präputium 30, 42

Judentum 21 Judikatur 46, 194

Rechtfertigung 50, 61, 129, 155, 161 Religionsfreiheit 99, 103, 107, 163

Sachwortverzeichnis Religionsmündigkeit 77 Religionszugehörigkeit 28 Risiko, erlaubtes 59 Risikoaufklärung 66 Robert-Koch-Institut 31, 197 Schafiiten 24, 41, 157 Schmerzempfinden 32, 38, 198 Schmerzgedächtnis 32, 37 Schranken 93, 129, 165 Schranken-Schranken 130, 165 Schuld 106 Selbstbestimmungsaufklärung 65 Selbstbestimmungsrecht 64, 77 Sensibilitätsstörung 36 Sittenwidrigkeit 72 Skalpell 54 Smegma 38, 39 Sonderrecht, religiöses 143, 149 Sozialadäquanz 50, 58 Stellvertretung 70 Stigmatisierung 81, 103 Sünnetci 29 Sunnah 23, 24 Sunnah, milde 42, 153, 156, 180, 191 Symbol, religiöses 166, 184 Syphilis 40

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Tatbestandlosigkeit des ärztlichen Heileingriffs 56 Taufe 26 UN-Kinderrechtskonvention 111, 177 UN-Menschenrechtserklärung 174 Ungleichbehandlung 154, 160 Verbot des Einzelfallgesetzes 131 Verbotsirrtum 51, 106 Verfassungsmäßigkeit, formelle 130 Verhältnismäßigkeit 141 – Grundsatz der 141 – im engeren Sinne 144 Verlaufsaufklärung 66 Vertretungsmacht 98 Vorhaut, Funktion der 30 Vorsatz 60 Werkzeug, gefährliches 54 Willensbekundung, natürliche 149 Willensmängel 71 Zervixkarzinom 40 Zirkumzision siehe Beschneidung Zitiergebot 132 Züchtigung, körperliche 191