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German Pages 332 Year 2006
HERMAEA GERMANISTISCHE F O R S C H U N G E N NEUE F O L G E HERAUSGEGEBEN VON JOACHIM HEINZLE UND KLAUS-DETLEF MÜLLER
BAND 111
SYLVIA KOHUSHÖLTER
Die lateinische und deutsche Rezeption von Hartmanns von Aue »Gregorius« im Mittelalter Untersuchungen und Editionen
MAX N I E M E Y E R VERLAG T Ü B I N G E N 2006
Meiner Mutter und dem Andenken meines Vaters
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. ISBN-13: 978-3-484-15111-6 ISBN-10: 3-484-15111-0
ISSN 0440-7164
€> Max Niemeyer Verlag, Tübingen 2006 Ein Imprint der Walter de Gruyter GmbH & Co. KG http://www. niemeyer. de Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Printed in Germany. Gedruckt auf alterungsbeständigem Papier. Satz: Johanna Boy, Brennberg Gesamtherstellung: AZ Druck und Datentechnik, Kempten
Vorwort
Die vorliegende Arbeit wurde im Wintersemester 2000/2001 von der Philosophischen Fakultät der Universität Münster als Dissertation angenommen. Zur Drucklegung habe ich den Text der Dissertation überarbeitet und mit Registern versehen. Die Anregung zu dieser Arbeit gab Herr Professor Dr. Tomas Tomasek mit einem Hauptseminar im Wintersemester 1993/94. E r betreute diese Arbeit mit Interesse und Umsicht und stand mir stets mit zuverlässigem Rat und wertvollen Anregungen zur Seite. Ihm gilt mein besonderer Dank. Nicht weniger bedanke ich mich bei Herrn Professor Dr. Jochen Splett, der mich in die Editionsphilologie eingeführt hat, und bei Herrn Professor Dr. Volker Honemann für seine Bereitschaft als Gutachter zur Verfugung zu stehen. Herrn Professor Dr. Burghart Wachinger bin ich für Gespräche über die >GregoriusHermaea< herzlich gedankt. Von der Graduiertenförderung an der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster wurde meine Arbeit unterstützt. Selm-Bork, im Oktober 2006
Sylvia Kohushölter
V
Inhaltsverzeichnis
1.
Einleitung
ι. 2.
Gegenstand und Forschungslage Methodische Vorüberlegungen 2.1. Produktive Rezeption 2.2. Kontextualisierung 2.3. Editionen 2.4. Allgemeine Editionskriterien 2.4.1. Text 2.4.2. Kritischer Apparat 2.4.3. Abkürzungen 2.5. Rezeption und Rezipientenkreise 2.6. abbreviatio und dilatatio materiae. Die Uberlieferung von Hartmanns >Gregorius< Rezeption des >Gregoire< in Deutschland Gliederung der Arbeit
3. 4. 5.
ι 2 6 6 7 11 13 13 14 14 15 16 18 19 20
II. Arnold von Lübeck: >Gesta Gregorii Peccatoris
Gesta< Die Rezeption der >Gesta< im 15. Jahrhundert Profil der >Gesta< Arnolds von Lübeck
III. Die Hexameterversion >Gregorius Peccator
Gregorius Peccator< als Schulbuchtext 3.1. Die mittelalterlichen Lektürelisten 3.2. Merkmale der Schulbuchkonzeption 3.3. Bedeutung der Intertextualität Vorlage des >Gregorius Peccator< Bearbeitungstendenzen 5.1. Prolog 5.2. Formen der abbreviatio und dilatatio materiae 5.3. Abweichungen im Handlungsverlauf 5.4. Legendentypische Merkmale Zum Profil des >Gregorius Peccator
Gregorius auf dem Stein
Bamberger Legendar< 2.2. Überlieferung 2.2.1. Die Augsburger Handschrift 2.2.2. Die Innsbrucker Handschrift 2.2.3. Mitüberlieferung der Textzeugen 2.3. Editionskriterien 2.3.1. Text 2.3.2. Kritischer Apparat 2.3.3. Testimonienapparat: Hartmanns >Gregorius< 2.4. Von sant Gregorio, dem pabst auff dem stein 2.5. Überlegungen zur Prosavorlage 2.5.1. Parallelen zu Gruppe I (AHMJN) 2.5.2. Parallelen zu Gruppe II (GEKBCLD) 2.6. Verfahrensweisen der Prosifizierung Kontext II: >Der Heiligen Leben< 3.1. Die Frankfurter Legende 3.2. Grundzüge der Druckgeschichte 3.3. Der niederdeutsche >Der Heiligen LebenDer Heiligen LebenDer Heiligen LebenGregorius auf dem Stein
Gregorius< Motivische Parallelen zum >Gregoire< und seinen Rezeptionszeugnissen Sprachliche Rezeptionsspuren von Hartmanns >Gregorius< Parallelen zu anderen Rezeptionszeugnissen des >Gregorius< Zur Filiation der Exempeltradition
196
3. 4. 5.
197 199 201 202
VI. Das lateinische Gregoriusexempel
205
1. 2.
206 206 206 215 215 215 217 220 220 221 225 227 229 231 232 233 234
3.
4.
5. 6. 7.
Zur Forschungslage Edition 2.1. Der Breslauer Codex 2.2. Editionskriterien 2.3. Text 2.3.1. De Gregorio 2.3.2. Uber Gregorius Die Breslauer Exempelsammlung 3.1. Mitüberlieferung 3.2. Aufbau 3.3. Quellen Exemplifizierung des >Gregorius< 4.1. Vorgeschichte 4.2. Exemplarisches Handeln Der Sammlungskontext des Gregoriusexempels Die Breslauer Dominikaner als Rezipienten Profil des lateinischen Exempels
VII. Das deutsche Gregoriusexempel
235
1. 2.
236 237 237 238
3.
4.
Zur Forschungslage Edition 2.1. Druckbeschreibung 2.2. Editionskriterien 2.3. Das Gregoriusexempel des ersten Lübecker Mohnkopfplenars Das Lübecker Mohnkopfplenar 3.1. Entwicklung der niederdeutschen Plenardrucke 3.2. Uberlieferung des Gregoriusexempels 3.3. Die Zielgruppe des ersten Mohnkopfplenars Das niederdeutsche Gregoriusexempel
239 249 249 252 255 257
IX
4·ΐ. 4.1.1. 4.1.2. 4.2.
5. 6.
7.
Funktion und Kontext Im ersten Lübecker Mohnkopfplenar Im zweiten Lübecker Mohnkopfplenar Antiochus und Gregorius als Exempel für Hochmut und Demut 4.3. Bearbeitungstendenzen Das hochdeutsche Gregoriusexempel Die Rezipienten des deutschen Gregoriusexempels 6.1. Träger homiletisch-paränetisch geprägter Literatur in Lübeck 6.2. Besitzer der niederdeutschen Plenarien Profil des deutschen Exempels
257 257 259 261 264 268 271 271 272 274
XI. Schlussbetrachtung
277
1. 2. 3. 4. 5.
278 283 285 286
Räumliche und zeitliche Verbreitung der Rezeption Bedeutung der Mitüberlieferung Formen der >GregoriusGregoriusGregorius< und Thomas Manns Roman >Der Erwählte«. Indem Hartmann seiner Quelle, der altfranzösischen >Vie du pape Saint Gregoire«,1 durch Erzählerkommentare und signifikante Veränderungen einzelner Szenen eine eigene Prägung gegeben hat,3 ist ein zentraler Text der mittelhochdeutschen Literatur entstanden. Obwohl die sechs Hartmann-Handschriften und sechs Fragmente, 4 die in der Zeit vom 13. bis zum 16. Jahrhundert entstanden sind, sowie die Texte, die den >GregoriusGregorius< neu gestaltet worden ist, bislang von der >GregoriusGregorius< im Mittelalter untersucht die vom >Gregorius< abhängigen Texte, indem sie sprachliche und motivische Gemeinsamkeiten aufzeigt, Bearbeitungsverfahren
1 2
V g l . Frenzel: Stoffe, S. 259-261. V g l . Mertens: Gregorius eremita, S. 26—28; Henne: Herrschaftsstrukturen, S. 130-137.
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Z u m Verhältnis v o n »Gregorius« und >Gregoire< vgl. z.B. Schottmann: Gregorius, S. 373-407; Rocher: Motiv, S. 57-66; Herlem-Prey: Source, S. 12-29; dies.: Neues, S. 414-426; dies.: Schuld, S. 3-25; Plate: Gregoire und Gregorius, S. 97-118 mit einer Aufzählung älterer Forschung S. 114, A n m . 3. Zäck: Sündaere, S. 61-70, vergleicht den altfranzösischen und den mittelhochdeutschen Prolog. In w e l c h e m Verhältnis Hartmanns >Gregorius< zu den altfranzösischen Redaktionen des »Gregoire« steht, ist umstritten (vgl., die ältere Forschung zusammenfassend, Schottmann: Gregorius, S. 373-376; W a p n e w s k i : H a r t m a n n , S. 88; Kasten: Gregoire, S. 28, sowie die Position v o n Herlem-Prey: Source, S. 12—29, dies.: Neues, S. 414—426, die von Schupp: Gregorius, S. 183, A n m . 14; C o r m e a u u. Störmer: H a r t m a n n , S. 123; Mertens: Gregorius eremita, S. 27; Z ä c k : Sündaere, S. 6zf. A n m . 21 kritisch kommentiert wird).
4
Z u r Überlieferung vgl. Ernst: Gregorius, S. 1-40; Hartmann: Gregorius, S. V I I - X V ; Dittmann: Gregorius, S. 16-56.
5
»Gregorius« steht hier u n d i m Folgenden für H a r t m a n n s v o n A u e »Gregorius«. D a die auf den »Gregorius« zurückgehenden T e x t e ähnliche Titel haben, k o m m t es in der Forschung zu terminologischen Überschneidungen. D i e »Gesta Gregorii Peccatoris« des A r n o l d von Lübeck werden beispielsweise bisweilen als »Gregorius Peccator« bezeichnet (vgl. z.B. Euringer: Sünder), was aber auch die lateinische Hexameterversion meinen kann. Dieser terminologischen V e r w i r r u n g soll das Verzeichnis abgekürzter Texte, S. 297, am Schluss der Arbeit entgegen wirken.
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herausstellt und den Wandel der Rezipientenkreise und Gebrauchssituationen mit inhaltlichen und kodikologischen Befunden begründet. 6 Die Rezeption des >Gregorius< wird durch Neueditionen der Hartmann jeweils am nächsten stehenden Textformen zugänglich gemacht. Anhand der Uberlieferung der von Hartmann abhängigen Texte wird ein Verfahren entwickelt, bei dem der Einfluss der Mitüberlieferung auf die Veränderung der Textgestalt in der weiteren Überlieferung untersucht wird. Somit werden die Texte nicht, wie vielfach in der mediävistischen Forschung üblich, losgelöst von ihren Rezeptionskontexten betrachtet, sondern es entsteht ein Bild von den Gebrauchskontexten, in denen die >GregoriusGregorius< um 1190 bis zur Reformation, Anfang des 16. Jahrhunderts, produzierte und verbreitete Texte werden in der vorliegenden Arbeit als Hartmann-Rezeption nachgewiesen, kommentiert und mit ihren literatursoziologischen Hintergründen erschlossen: H A R T M A N N VON A U E : >GREGORIUS
Gesta Gregorii Peccatoris< (lateinische Verse), um 1210
>Gregorius Peccator< (lateinische Hexameter), vmtl. Anfang 14. Jh.
>De Gregorio< (lateinische Prosa), vmtl. Anfang 14. Jh. a >Gregorius auf dem Stein< (frühneuhochdeutsche Prosa), um 1400
>Gregorius de grote sunder< (mittelniederdeutsche Prosa), 1488
Produktive Rezeption des >Gregorius< im Mittelalter
6
7
Die Abhängigkeit der Hexameterversion (vgl. Schmeller: Gregorius, S. 486) sowie des lateinischen und deutschen Exempels von der mittelhochdeutschen Vorlage (vgl. Schwencke: Gregorius, S. 79; Van der Lee: Dispensatio, S. 47; Mertens: Gregorius eremita, S. 117) sind bisweilen bestritten worden, ohne dass ein detaillierter Vergleich vorgenommen worden ist. Zur Datierung von Hartmanns Werken vgl. zusammenfassend Wapnewski: Hartmann, S. 22— 27; Cormeau u. Stornier: Hartmann, S. 26-32; Cormeau: Hartmann, Sp. 50if. Allein Henne: Herrschaftsstruktur, S. 135, datiert den >Gregoire< um 1170.
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Ein erster Blick auf die Forschung zu den einzelnen >GregoriusGregoriusGesta Gregorii Peccatoris< Arnolds von Lübeck, die kurz nach der Entstehung des mittelhochdeutschen Textes im Auftrag Wilhelms von Lüneburg angefertigt worden sind. Gustav von Buchwald hat 1886 die erste — häufig kritisierte 8 — Edition der einzigen vollständigen Handschrift veröffentlicht, die erst 1986 durch die Neuausgabe von Johannes Schilling ersetzt worden ist. Durch zahlreiche Aufsätze und Monographien ist das Verhältnis von Arnolds Übertragung zu Hartmanns >Gregorius< untersucht worden. Diese Arbeit beschränkt sich deshalb darauf, den möglichen Adressaten- und Rezipientenkreis zu umreißen. Aufgrund des Verlustes der Uberlieferung können von der Kodikologie ausgehende Befunde nur sehr eingeschränkt gemacht werden. 9 Die lateinische Hexameterversion >Gregorius PeccatorGregorius Peccator< überliefert ist, so dass heute eine veränderte Uberlieferungslage des lateinischen Textes besteht. 10 Gleichzeitig wird aus der Mitüberlieferung beider Textzeugen der Schulkontext der Hexameterversion deutlich, der bislang in der >GregoriusGregorius auf dem Stein< ist meistens im Rahmen der Legendensammlung >Der Heiligen Leben« überliefert, die wahrscheinlich zwischen 1396 und 1410 für das Nürnberger Dominikanerinnenkloster angelegt worden ist." Bernward Plate hat 1983 diese Prosalegende durch den diplomatischen Abdruck dreier Textzeugen 12 ediert und außerdem die Varianten zweier weiterer Textzeugen 13 im Apparat angeführt. A u f das Verhältnis der von ihm edierten Legendenversionen des >Gregorius auf dem Stein< geht Plate nicht
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lc 11 12 15
Vgl. Martin: Rezension, Sp. 440; Paul: Rezension I, Sp. 355; Paul: Rezension II, Sp. 227; Steinmeyer: Rezension, S. 200-205. In der Nacht vom 3. zum 4. Februar 1981 wurde die einzige vollständige Uberlieferung, der Paderborner Codex Pa 54, aus der Erzbischöflichen Akademischen Bibliothek in Paderborn gestohlen. Schilling (Arnold: Gesta) veröffentlicht eine Kopie aus der >GestaScharnier< zu Hartmanns >Gregorius< steht, ist sie ftir einen Vergleich mit dem >Gregorius< geeignet, der Rückschlüsse auf die Zielgruppe der Prosalegende zulässt. Die >Der Heiligen LebenBamberger Legendär«, S. 125—128. D e r Heiligen Leben II, S. 234-245. Breslau U B , cod. I.F. 115, f. I83 v -I8 4 v . Vgl. Schwencke: Gregorius, S. Ebd., S. 69—76; Schwencke: Lubece, S. 1 2 - 1 6 . Vgl. Mertens: Gregorius eremita, S. 115—118. Vgl. Schwenke: Gregorius, S. 67. Mertens: Gregorius eremita, S. 105—154.
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>Der Erwählte< zugewandt. Der Frage der Abhängigkeit einzelner Texte von Hartmanns >Gregorius< bzw. vom >Gregoire< geht er nicht explizit nach, da die Variation des Stoffes im Mittelpunkt seines Interesses steht. Zudem basieren seine Ausführungen z.T. auf Editionen und Untersuchungen, die durch neuere Publikationen revidiert oder konkretisiert werden müssen. Unter Verweis auf die Mitüberlieferung des >Gregorius< und des >Gregoire< hat Ulrich Ernst 1996 belegt, dass Hartmanns >Gregorius< »im Mittelalter nicht als höfischer Roman, sondern als Heiligenvita aufgenommen worden« ist.23 In seine Überlegungen bezieht er auch die Rezeption von Hartmanns >Gregorius< ein, doch sein Interesse gilt weniger den Verwendungszusammenhängen der Rezeption als vielmehr dem Rezeptionskontext des >GregoriusGregorius< geführt werden müssen, weitere Desiderate deutlich werden, deren Behandlung die vorliegende Arbeit zum Ziel hat: Die Rezeptionssituation, die die Bearbeiter veranlasste, einen neuen >GregoriusGregoriusreinevermittelnde< und >produktive< Rezeption, wie sie von der Rezeptionsforschung vorgeschlagen wird, lässt sich auf den >Gregorius< und die von ihm abhängigen Texte übertragen. Dadurch können die einzelnen Schritte der Aneignung des >Gregorius< verdeutlich werden, wobei ein besonderer Schwerpunkt auf der »produktiven Rezeption< liegt. Die Textzeugen von Hartmanns >Gregorius< sind Zeugnisse einer >reinen< und einer »vermittelndem Rezeption dieses Textes, wenn man als >reine Rezeption! das Lesen, Aufnehmen und Verstehen bezeichnet/ 7 während man den Begriff »vermittelnde Rezeption< auf die Weitergabe durch »Rezension, Unterrichtseinheit, Vorlesung, wissenschaftliche Arbeit o.ä.«, 28 aber auch durch Textzeugen in Form von Handschriften und Drucken 29 bezieht. Wird die reine Rezeption in ein neues literarisches Produkt umgesetzt, spricht man von »produktiver Rezeptionreiner< von >passiver< Rezeption. Der Diskussion rezeptionsästhetischer Theorien um den Verstehensprozess, die seit den 60er Jahren besonders von der sogenannten »Konstanzer Schule< geführt wird, nachzugehen, ist für die vorliegende, auf die konkrete Rezeptionsgeschichte abzielende Arbeit nicht weiterführend. Die Überlegungen von Jauß: Provokation, S. 126—162, mit denen er den Anstoß zu einer Methodendebatte gab, werden jedoch in Einzelfällen hinzugezogen, soweit sie für die Untersuchung der Zielgruppe hilfreich sind.
28
Sudau: Werkbearbeitung, S. 219. In dem von Sudau gedachten Sinne bedeutet vermittelnde Rezeption< nicht nur Vermittlung, sondern in erster Linie Beurteilung eines Textes. Dieser Aspekt wird in der vorliegenden Arbeit für die »vermittelnde Rezeption« ausgeklammert. Link: Rezeptionsforschung, S. 89, bezeichnet die »vermittelnde Rezeption« als »reproduzierende Rezeption«. Link: Rezeptionsforschung, S. 89, macht auf die enge Verbindung zwischen der Herstellung von »»Textrealisaten« z.B. in Form von Editionen und der reproduzierenden Rezeption aufmerksam, die hier als ein Rezeptionstypus verstanden werden. Vgl. Sudau: Werkbearbeitung, S. 219. Die Rezeptionsästhetik versteht auch die reine Rezeption eines Textes als produktiven Prozess. Der literarische Text an sich wird nie von jedem Leser in gleicher Weise verstanden, da sich Stellen in ihm befinden, die Iser: Appellstruktur, S. 235, als »Leerstellen« bezeichnet. Gerade dort, wo der Text etwas verschweigt, muss der Leser seine Erwartungen und Erfahrungen einfließen lassen und versuchen, aus dem, was der Text vorgibt, Sinnkonfigurationen zu erstellen. Weil der Leser selbst am Verstehensprozess aktiv beteiligt ist, kann die reine Rezeption auch als ein produktiver Vorgang verstanden werden. Produktive Rezeption in dem hier verstandenen Sinne bedeutet aber nicht nur das Verstehen eines Textes, sondern immer auch die Erstellung eines neuen literarischen Produktes.
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Vgl. Sudau: Werkbearbeitung, S. 220. Jauß: Provokation, S. 1 2 9 , 1 4 1 , weist auf das Ineinandergreifen von Rezeption und Produktion hin. Seine Ausführungen beschränken sich jedoch nicht nur auf die Rezeption einer bestimmten, ganz konkreten Vorlage, sondern plädieren dafür, Werke in einer literarischen Reihe ihrer Vorgänger zu betrachten.
6
Rezeption< wird im Folgenden die Neugestaltung der mittelhochdeutschen Verserzählung im Ganzen und nicht ein einzelner intertextueller Verweis auf den >Gregorius< verstanden. 33 Die Eigenständigkeit der produktiven Rezeption gegenüber der Vorlage zeigt sich darin, dass die Texte jeweils einen eigenen literarischen Anspruch erheben und sich nicht, wie eine Ubersetzung, auf die getreue Übertragung und Vermittlung der Vorlage beschränken. Merkmale des neuen Textes sind in den vorliegenden Fällen die Veränderung der Sprache (Volkssprache / Latein) oder der Form (Vers / Prosa) bzw. beides. Die Distanzierung von der Vorlage ist zudem dadurch gegeben, dass Hartmanns Name in keinem auf den >Gregorius< zurückgehenden Text angeführt wird. 3 4 Die mittelbare bzw. unmittelbare Nutzung des >Gregorius< als Vorlage lässt sich für vier der Texte eindeutig belegen (>GestaGregorius PeccatorGregorius auf dem Steinlebten< (z.B. Uberlieferungssymbiosen in Codices oder Bibliotheken; Redaktionen von
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Die Begriffe »Adaptation« und »Adaption«, die vornehmlich in der romanischen Forschung Übernahmeprozesse bezeichnen, scheinen für den >Gregorius< weniger geeignet, zumal die Diskussion um die »adaptation courtoise< zu einer wenig fruchtbaren Debatte um die literarischen Bewertung von mittelhochdeutschen höfischen Romanen, die auf altfranzösische Vorlagen zurückgehen, geführt hat (vgl. beispielsweise die Kontroverse zwischen Wolf: Adaptation courtoise, S. 257-283, und Huby: Definition, S. 301-322, sowie die Position von Perennec: Adaptation, S. 289-303). Arnold erwähnt in der Prefatio der >GestaGregoriusFassung< und >Bearbeitung< beschrieben, doch diese Klassifikation eignet sich nicht für die >GregoriusFassung< und >Bearbeitung< klassifiziert Bumke die Varianten in den überlieferten Textzeugen, die entweder ohne erkennbare Abhängigkeit nebeneinander stehen oder deren Verwandtschaft nachweisbar ist. Diese von Bumke verwendeten Begriffe reichen aber nicht aus, um das Verhältnis zwischen einer Vorlage und ihrer Rezeption sowie die Genese von neuen Versionen unter dem Einfluss eines Kontextes hinreichend zu beschreiben. Denn die Überlieferung der >GregoriusGregorius auf dem Stein< legen zudem die Vermutung nahe, dass neue Textversionen nicht zufällig entstehen, sondern im Zusammenhang eines bei mehreren Textzeugen in ähnlicher Weise auftretenden Überlieferungskontextes gesehen werden müssen. Für die Beschreibung der Überlieferung der >GregoriusGregorius< und die Filiation ihrer Textzeugen darstellen zu können, erscheint es deshalb notwendig, ein neues Beschreibungsverfahren zu entwickeln, das gleichbleibende Kontexte der Uberlieferung berücksichtigt, soweit ihr Einfluss auf die Textgestalt erkennbar ist. Dieser im Folgenden als >Kontextualisierung eines Textes< bezeichnete Uberlieferungszusammenhang manifestiert sich in erster Linie in der Mitüberlieferung. D i e vorliegende Arbeit beschränkt die Untersuchung der Textvarianz nicht nur auf die einzelnen Textzeugen, sondern bezieht die Kontextualisierung der Uberlieferungsträger ein. Als >Bearbeitung< wird somit eine G r u p p e von Textzeugen bezeichnet, die sich durch eine andere Kontextualisierung von anderen Textversionen unterscheidet. Diejenigen Textzeugen, die zu einer bestimmten Bearbeitung gehören, werden im Folgenden >Bearbeitungszeugen< genannt. Sie sind in Schaubildern am A n f a n g jedes Kapitels verzeichnet, die zur Verdeutlichung der Überlieferungsverhältnisse und des Kontextwandels dienen. U m dieses Darstellungsverfahren zu veranschaulichen, erweist sich die Überlieferung der Prosalegende >Gregorius auf dem Stein< als besonders geeignet, da sie zahlreiche Textzeugen in unterschiedlichen Kontexten umfasst. Sie wird an dieser Stelle in vereinfachter F o r m dargestellt, ohne die Überlieferungsverhältnisse des Beispiels im Einzelnen zu erörtern. 4 0 Jeder Text wird durch einen geschlossenen Kasten dargestellt (Textkasten), in dem der Titel und gegebenenfalls der Autor 4 ' sowie die Anzahl der Textzeugen eingetragen sind [z.B. Hartmann von Aue: >Gregorius< — 12 Textzeugeri\. Die zu untersuchende >GregoriusGregorius< in einem eigenen Textkasten [hier: >Gregorius auf dem Steint]. Beide sind durch einen Doppelpfeil miteinander verbunden, der die Abhängigkeit der Rezeption von der Vorlage zum Ausdruck bringen soll.42 Die Kontextualisierungen der Textzeugen werden durch gepunktete Kästen (Kontextkästen) innerhalb des geschlossenen Textkastens dargestellt [z.B. Kontext I (vmtl. im >Bamberger Legendart)}. Wenn die Filiation zweier Textzeugen unterschiedlicher Kontexte nicht genau bestimmt werden kann, weist ein Doppelpfeil und die Berührung der Kontextkästen auf die Richtung der Beeinflussung. [Die Verwandtschaft von P(A) zu P(F) kann beispielsweise nicht näher bestimmt werden, so dass nur die Berührung der Kästen von Kontext I und Kontext II sowie der Doppelpfeil eine Abhängigkeit ausdrücken]. Lässt sich jedoch die Abhängigkeit eines bestimmten Textzeugen des einen Kontextes von dem eines anderen Kontextes belegen, drückt ein einfacher Pfeil den Einfluss aus. Dafür gibt es in der Uberlieferung der Prosalegende kein Beispiel,
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41 42
Eine differenziertere Darstellung der Überlieferung des >Gregorius auf dem Stein< findet sich am Anfang von IV. Die Prosalegende >Gregorius auf dem Steins S. 121. Vgl. Verzeichnis abgekürzter Texte, S. 297. In den meisten Fällen kann keine konkrete Handschriftengruppe des >Gregoriusi als Vorlage für die Rezeption ausmacht werden. Deshalb wird die Abhängigkeit der Rezeption von der Vorlage nur durch einen Doppelpfeil markiert. Eine Ausnahme bildet die Prosalegende >Gregorius auf dem Steins deren Abhängigkeit von der Handschriftengruppe II des >Gregoriusi durch einen zusätzlichen Doppelpfeil im Kasten des >Gregoriusi dargestellt wird. Vgl. IV.2.5. Überlegungen zur Prosavorlage, S. 167-173.
9
HARTMANN VON A U E : >GREGORIUS
GREGORIUS AUF DEM STEIN
Bamberger Legendari*) P(A) - Augsburg UB, cod. (Dettingen-Wallerstein
\
III, 1, 2°, 25, f. 2i4rb-222rb, um 1457
l
P(I) - Innsbruck UB, cod. 631, f. 254'-27ir, 2. V. 15. Jh.
Kontext II in >Der Heiligen Leben< P(F) - Frankfurt UB, MS Präd. 7, f. 151'-158", 1431 (+ 36 Handschriften)
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Kontext l i l a in >Der Heiligen Leben £ ι 8 4 „ _ 2 9 ι Λ I5
'
'
Hsl. Vorlage* (+ 39 Drucke)
τ
Kontext I l l b (Prosaromane) Ρ (Hei) - Heidelberg UB, cpg 119, f. II4-I34 V 15. Jh.
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Darstellung der Kontextualisierung am Beispiel der Überlieferung der Prosalegende >Gregorius auf dem Stein
Der Heiligen Lebern überliefern]. Ein Asteriscus hinter einem Titel bedeutet, dass es sich um einen erschlossenen, nicht überlieferten Textzeugen bzw. Kontext handelt [z.B. das >Bamberger LegendärGregorius auf dem Stein« zeigt den Einfluss der Uberlieferungskontexte besonders sinnfällig. I m R a h m e n dieser Arbeit wird die Kontextualisierung jedes >GregoriusGregorius< zurückgehenden Texte liegen in verschiedenen, bisweilen schwer zugänglichen Editionen vor, die auch durch ihr unterschiedliches editorisches Niveau eine umfassende Betrachtung erschweren. In der vorliegenden Arbeit sind Neueditionen der einzelnen Texte dem jeweiligen Untersuchungsteil vorangestellt, die auf der dem >Gregorius< am nächsten stehenden Uberlieferung basieren. D e n lateinischen Texten ist eine textnahe Ubersetzung beigegeben. Eine A u s n a h m e bilden die »Gesta Gregorii Peccatoris< des A r n o l d v o n Lübeck, die auf der Grundlage der einzigen überlieferten, heute aber verschollenen Handschrift von Schilling herausgegeben worden sind und deshalb hier nicht wieder abgedruckt werden. D i e Neueditionen sollen möglichst homogenen Editionskriterien unterliegen. D a aber die Art der Edition entscheidend durch die Uberlieferungslage eines Textes bestimmt ist, weisen die Editionen auch Unterschiede auf. Sogar die grundsätzliche Entscheidung f ü r eine textkritische Edition Lachmannscher Prägung, die versucht, einen dem Autortext nahen T e x t zu rekonstruieren, 4 4 oder f ü r die überlieferungskritische Edition, die einen T e x t nach einer Leithandschrift auf einer bestimmten Uberlieferungsstufe repräsentiert, ist an die Uberlieferungslage gebunden. 4 5
44
S t a c k m a n n : Mittelalterliche T e x t e , S. 246f., nennt vier Voraussetzungen einer textkritischen E d i t i o n , die von H ö v e r : Stand, S. 133—140, erläutert werden.
45
V g l . Schnell: Philology, S. 7 0 . M i t der Kritik am A u t o r b e g r i f f u n d an der Vorstellung v o n einem festen Autortext, den es zu rekonstruieren gelte, ging in den vergangenen Jahrzehnten eine grundsätzliche Infragestellung der L a c h m a n n s c h e n M e t h o d e einher, die ihren N i e d e r schlag besonders in den Beiheften zu >Editio< u n d in d e m 1 9 9 0 erschienenen >Speculunn-Heft g e f u n d e n hat. D i e Überlieferungslage vieler mittelalterlicher T e x t e lässt einen »offenen· T e x t erkennen, so dass nur eine überlieferungskritische Edition sinnvoll erscheint. »Editionsziel einer überlieferungskritischen E d i t i o n ist ein »historischer«, d.h. nachweisbar gelesener T e x t — im II
Die Überlieferung des >Gregorius Peccator< gibt beispielsweise Anlass zu der Vermutung, dass der Darmstädter Textzeuge durch Verbesserungsversuche Uberlieferungsverluste auszugleichen sucht.46 Damit ist die Bedingung für eine textkritische Edition, dass die Schreiber »den Wortlaut ihrer Quelle getreu wiederzugeben«47 bestrebt sind, nicht erfüllt. Präsumptiwarianten 48 erschweren zusätzlich die Erstellung eines archetypnahen Textes. Gleichwohl weist das Akrostichon am Textanfang des >Gregorius Peccator< darauf hin, dass der Verfasser den Text in der ursprünglich gegebenen Form sichern wollte und ihn nicht als einen >offenen< Text verstanden hat, für den er sich die Rezipienten als Mitautoren gedacht hat.49 Dieser Text wird deshalb im Folgenden nach der Münchener Handschrift als Leithandschrift ediert, wobei deren offensichtliche Fehler nach dem Darmstädter Textzeugen korrigiert bzw. konjiziert werden. Die Uberlieferungslage der Prosalegende >Gregorius auf dem Stein< entspricht dagegen den Anforderungen Ruhs an einen für die überlieferungskritische Edition geeigneten Text: Die überlieferungskritische Ausgabe bietet sich bei Texten an, die durch ihren vielfachen Gebrauch mit unterschiedlicher Zweckbestimmung eine offene Uberlieferungsform aufweisen, d.h. zahlreichen Textmutationen ausgesetzt waren, ja z.T. in verschiedenen Redaktionen erscheinen. 50
Da sich die Augsburger Legendenversion, wie zu zeigen sein wird, aufgrund ihrer besonderen Nähe zum Verstext vor den anderen Uberlieferungszeugen auszeichnet, soll sie als Repräsentant des >Gregorius auf dem Stein< ediert werden. Das unikal überlieferte, lateinische Exempel wird nach der Breslauer Handschrift ediert, wobei offensichtliche Schreiberfehler konjiziert und zusammen mit den Abweichungen von dem bei Klapper edierten Text im Apparat verzeichnet werden.51 Das mittelniederdeutsche Exempel unterliegt als ein nur im
Gegensatz zum Rekonstruktionstext der kritischen Ausgabe, — und dieser gelesene Text ist so darzustellen, dass er das gesamte Rezeptionsfeld des Denkmals zu erschließen vermag« (Ruh: Votum, S. 36). Trotz aller Kritik an der Lachmannschen Methode geht es jedoch nicht darum, »das klassische Ziel der Textkritik, die Wiedergewinnung des originalen Wortlauts, weniger ernst zu nehmen als bisher« (Bumke: Untersuchungen, S. 301), sondern die Editionsform von der Überlieferungslage abhängig zu machen. Die Rekonstruktion eines sinnvollen Textes wird auch dann zur einzig möglichen Editionsform, wenn keine Verwandtschaften der Überlieferungsträger zu erkennen sind und jede Handschrift fehlerhaft ist (vgl. Mundhenk: Occultus Erfordensis, S. 9of.). 4i
Vgl. III.2.1.3. Das Verhältnis der Handschriften zueinander, S. 64f. Stackmann: Mittelalterliche Texte, S. 247. Vgl. dazu Höver: Stand, S. I39f. 48 Höver: Stand, S. 137: »Präsumptiwarianten, das sind gleichwertige Varianten, die nicht in die Gruppe der Iteratiwarianten fallen, und oftmals inhaltliche Unterschiede verschiedener Qualität aufweisen.« 49 Vgl. Bein: Der >ofifene< Text, S. 22f. 5° Ruh: Votum, S. 35. 51 Klapper: Erzählungen, S. 296—298, weicht an einigen Stellen ohne Kennzeichnung vom Wortlaut der Handschrift ab. 47
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Druck überlieferter Text eigenen Gesetzmäßigkeiten. Die Editio princeps des mittelniederdeutschen Exempels im Mohnkopfplenar von 1488 repräsentiert den Text, wie er zum ersten Mal einer breiteren Öffentlichkeit bekannt gemacht wurde. Deshalb wird dieser Textzeuge in der vorliegenden Edition im Kontext der Glosse, in dem das Exempel verwendet wird, wiedergegeben. Dort, wo sich eine überlieferungskritische Edition anbietet, kommen verschiedene Darstellungsformen in Frage: Ein diplomatischer Textabdruck, der gerade von Seiten der Sprachhistoriker gefordert wird, und eine normalisierte Textausgabe, die Eigenarten der Orthographie und Interpunktion mittelalterlicher Texte zugunsten der besseren Lesbarkeit beseitigt, sind Extrempunkte eines breiten Spektrums an Editionsmöglichkeiten.52 Bei den vorliegenden Editionen wird versucht, »einen Mittelweg zwischen diesen beiden Extrempositionen« zu beschreiten, indem einerseits »orthographische Eigenheiten« der volkssprachigen und lateinischen Texte übernommen werden, andererseits aber angestrebt ist, »durch bestimmte geringfügige Eingriffe ins Druckbild den Rezeptionsgewohnheiten des modernen Lesers entgegenzukommen.«53 Doch selbst dieser Mittelweg gestaltet sich abhängig von der Überlieferungslage unterschiedlich. Deshalb werden die folgenden allgemeinen Editionskriterien vor jeder Edition nach der Beschreibung der Uberlieferungsträger durch spezifische Editionsgrundsätze ergänzt. 2.4. Allgemeine Editionskriterien Allen Editionen gemeinsam sind folgende Zugeständnisse an die Gewohnheiten des modernen Lesers: 2.4.1. Text Abbreviaturen und Ligaturen werden ohne Kennzeichnung aufgelöst. Dabei handelt es sich in den deutschen Texten in den meisten Fällen um Nasalstri-
52
Stellvertretend für die Forderung nach einer diplomatischen Edition sei auf Simmler: Prinzipien, S. 36-127, verwiesen. Er begründet die »Notwendigkeit von diplomatischen Wiedergaben [...], indem aus Handschriften und Drucken Informationen gegeben werden, die die Grundlage für sprachwissenschaftliche Untersuchungen von den Makrostrukturen bis zu den Phonemen bilden und die in Editionen und theoretischen Ausführungen unbeachtet blieben oder durch Normalisierungen nicht mehr erkennbar waren.« (S. 41). Vertreter anderer Disziplinen (z.B. Literaturwissenschaftler, Historiker, Theologen) plädieren hingegen ftir eine Normalisierung des Textes, wobei die Veränderungen genau in den Editionskriterien dargelegt sein sollen (vgl. beispielsweise Empfehlungen, S. 299-315, Mündt: Empfehlungen, S. 186-192). Besch: Editionsprinzipien, S. 467-489, versucht zwischen beiden Positionen zu vermitteln, indem er einzelne Vorschläge der 'Empfehlungen zur Edition frühneuzeitlicher Texte< erläutert und relativiert.
53
Mündt: Empfehlungen, S. 186.
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che, um den er-Haken und Abkürzungen der Nomina sacra.54 Die Abkürzung dz wird als daz, spcb als sprach aufgelöst. In den lateinischen Texten tauchen weitere Abkürzungen auf, wie beispielsweise im >Gregorius Peccator< die Abbreviaturen fur per, pre, pro, quod, quia, quid, con-, -er, -us, sed, vel, et. In den Handschriften tritt besonders die r-Ligatur auf, im Plenardruck zusätzlich die rf?-Ligatur. Die Orthographie folgt der Handschrift bzw. dem Druck, das gilt auch für die Verteilung von u, ν und w sowie i, j, i und y, y, die nicht vereinheitlicht wird. Die Graphien Schaft-.? und rundes s, r und Ligatur- r sowie j und ζ werden hingegen normalisiert. Auseinander- und Getrenntschreibungen werden entsprechend der Uberlieferung wiedergegeben. Wenn eine Wortgrenze nicht eindeutig zu erkennen ist, erfolgt die Schreibung der sonstigen Gewohnheit des Textes. Die Groß- und Kleinschreibung folgt der Handschrift bzw. dem Druck. Nur Eigennamen werden generell groß geschrieben. Initialen und Auszeichnungsschrift werden durch Fettdruck gekennzeichnet. Nicht ausgeführte Initialen erscheinen in eckigen Klammern. Angaben zu einer besonderen Farbgebung beziehen sich auf die Textteile, vor denen sie stehen. Dies gilt auch für die Tintenfarbe in den Initien der Handschriftenbeschreibungen. Bei Verstexten (Hexameterversion >Gregorius PeccatorGregorius< als Vorlage hatten, der Zielgruppen, für die der >Gregorius< neu gestaltet worden ist, und der Rezipienten dieser Texte skizziert und somit werden die Gebrauchssituationen umrissen, in denen die neuen Texte wirksam waren. Dazu werden einerseits Erkenntnisse der Rezeptionsästhetik über die Möglichkeit, einen Erwartungshorizont zu rekonstruieren, hinzugezogen und andererseits kodikologische Befunde nutzbar gemacht. Folgt man den Überlegungen von Jauß, so setzt jeder Text für sich beim Publikum Vorkenntnisse voraus, da kein Text völlig isoliert zu verstehen ist, sondern immer in einer »literarischen Reihe« erscheint. E i n literarisches W e r k , auch w e n n es neu erscheint, präsentiert sich nicht als absolute N e u h e i t in einem informatorischen V a k u u m , sondern prädisponiert sein Publik u m d u r c h A n k ü n d i g u n g e n , o f f e n e u n d versteckte Signale, vertraute M e r k m a l e oder implizite H i n w e i s e f ü r eine ganz bestimmte W e i s e der Rezeption. 5 5
Die vom Text vorausgesetzten Vorkenntnisse ermöglichen es, das Profil einer Zielgruppe zu ermitteln, selbst wenn der Text wenig explizite Signale ftir eine bestimmte Rezeption enthält. D e n n die spezifische Disposition f ü r ein bestimmtes W e r k , m i t der ein A u t o r bei seinem P u b l i k u m rechnet, kann beim Fehlen expliziter Signale auch aus drei allgemein voraussetzbaren Faktoren g e w o n n e n werden: erstens aus bekannten N o r m e n oder der i m m a n e n t e n Poetik der G a t t u n g , zweitens aus den impliziten Beziehungen zu bekannten W e r k e n der literarhistorischen U m g e b u n g u n d drittens aus d e m G e g e n s a t z v o n Fiktion u n d W i r k l i c h k e i t , poetischer u n d praktischer F u n k t i o n der Sprache, der f ü r den reflektierenden Leser w ä h r e n d der Lektüre als M ö g l i c h k e i t des Vergleichs i m m e r gegeben ist. 56
Diese Möglichkeit der Rekonstruktion des Erwartungshorizontes, vor dem ein Werk geschaffen und aufgenommen wurde, erlaubt es auch ftir die >GregoriusMetamorphosen< voraus, wie sie nur bei einem an der antiken Literatur geschulten Kreis zu finden sind. Die Untersuchung eines Autorprofils und seiner Zielgruppe verbindet die vorliegende Arbeit mit der Erforschung der »literarischen Interessenbildung«, d.h. »außerliterarische(r) Begründungs- und Wirkungszusammenhänge«, 57 des
55
Jauß: Provokation, S. 131. Ebd., S. 132. '7 Heinde: Vorbericht, S. X. 56
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Mittelalters. Doch die Ziele dieser Arbeit sind nur bedingt kompatibel mit denen der Studien zur literarischen InteressenbildungGregorius< zur Vorlage hatten, zum einen durch den von den einzelnen im Text evozierten Erwartungshorizonten und zum anderen durch kodikologische Befunde so weit wie möglich zu rekonstruieren. Wenn ein Text in späterer Zeit nicht völlig zweckentfremdet worden ist, wofür es in den vorliegenden Fällen keine Hinweise gibt, stimmen die Zielgruppe und die Rezipientenkreise in weiten Teilen überein. So sind etwa die Signale eines Schultextes bei der Hexameterversion auf der Textebene ebenso deutlich wie durch die Mitüberlieferung und durch den kodikologischen Befund. 2.6. abbreviatio und dilatatio materiae Beim Vergleich zwischen dem >Gregorius< und den auf ihn zurückgehenden Texten lassen sich mittelalterliche Bearbeitungsverfahren verifizieren, wie sie beispielsweise in der >Ars versificatoria< des Matthäus von Vendome (vor 1175) und der >Poetria nova< des Galfrid von Vinsauf (vor 1216) beschrieben werden. Diese im Mittelalter bekannten und verbreiteten Poetiken kodifizieren offenbar allgemein verbreitete Verfahren des Umgangs mit Vorlagen,62 ohne dass man belegen kann, dass die Verfasser der vom >Gregorius< abhängigen Texte sich der einen oder anderen Poetik förmlich angeschlossen haben. Mit ihrer Hilfe können die Umgestaltungsprozesse der produktiven Rezeption skizziert und damit weitere Indizien für die Abhängigkeit vom >Gregorius< aufzeigt werden. Weil mit dieser Veränderung der Textgestalt immer auch eine neue Gewichtung und Beurteilung des Erzählten einhergeht, treten beim Vergleich 58
Vgl. die Beiträge von Schulz-Grobert: Autoren gesucht, S. 60—74 und Knapp: Literarische Interessenbildung, S. 106-119. Klammerzusatz von mir SK. 60 Heinzle: Geschichte, S. 36. 6 > Ebd. 62 Vgl. dazu grundlegend Worstbrock: Dilatatio materiae, S. 11. 59
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mit der Vorlage die veränderten Erzählschwerpunkte der Rezeption deutlich hervor. Die >Ars versificatoria< des Matthäus von Vendome und die >Poetria nova< des Galfrid von Vinsauf vermitteln einen Eindruck davon, welchen Stellenwert die produktive Rezeption besonders der antiken Literatur für das Mittelalter hatte und welche Anforderungen an neue Dichtungen gestellt wurden. Für Matthäus von Vendome hat die Bearbeitung eines Stoffes — im Gegensatz zu modernen Originalitätsansprüchen - einen höheren Wert als eine Neuschöpfung. 63 Als Möglichkeiten des Umgangs mit einer Vorlage nennt er die Umschreibung sowie die Ausweitung und Verknappung eines vorgegebenen Ausdrucks.64 Auch Galfrid von Vinsauf fordert in der seit dem 13. Jahrhundert weit verbreiteten >Poetria nova< dazu auf, alte, abgegriffene Gedanken in neuem, jüngerem Ausdruck erscheinen zu lassen.65 Die produktive Rezeption des >Gregorius< erscheint vor diesem Hintergrund nicht als minderwertige Nachahmung, sondern als Literatur mit eigenem Anspruch. Beim Umgang mit einer Vorlage unterscheidet Galfrid zwischen der Lehre von der Ausweitung, der dilatatio materiae,66 und der Lehre von der Raffung des Stoffes, der abbreviatio. Zur dilatatio materiae gehören folgende Techniken: Synonymenhäufung {interpretatio, V. 219-225),67 Umschreibung (periphrasis, circuitio oder cirumlocutio, V. 226-240), Vergleich {graduum collatio, V. 241-263), Abwendung vom Hörer durch Wechsel der Anrede (apostropha, V. 264-460),68 Personifikation (prosopopoeia, V. 461-531), Exkurs (digressio, V. 532-558), Beschreibung (descriptio, V. 556-672) und Erweiterung einer Aussage durch ihr negiertes Gegenteil (1oppositum, V. 673-691).69 Zu der von Galfrid wesentlich kürzer behandelten abbreviatio (V. 695—741) zählen folgende Verfahren: Verbindung eines an sich eng gefassten Bedeutungsträgers mit einem weiten Bedeutungsumfang {emphasis), Verwendung kurzer syntaktischer Einheiten (articulus), ablativus absolutus, Vermeidung von Wiederholungen, Anspielung als Mittel zur Andeutung eines umfassenden Sachver63
Vgl. Matheus: Ars Versificatoria, Bd. 4, 5-19. -> Vgl. ebd., Bd. 4, 21-31. 65 Vgl. Klopsch: Dichtungslehren, S. 129. Im >Documentum de modo et arte< II, 3, heißt es explizit zum Problem der Stoffauswahl: Et quanto difßcilius tanto lauddbilius est bene tractare materiam talem, scilicet communem et usitatam, quam aliam, scilicet novam et inusitatam. 66 Zur Unterscheidung der Terminologie 'amplification und >dilatatio materiae< vgl. Worstbrock: Dilatatio materiae, S. 27—30. Die antike amplificatio, wie sie bei Quintilian: Institutio oratoria 8,4, beschrieben ist, meint eine »gedankliche Steigerung, eine qualitative Funktion«, wogegen »die mittelalterliche Amplificatio Entfaltung und Erweiterung eines Sujets, eine quantitative Funktion« bedeutet (Worstbrock: Dilatatio materiae, S. 27). 67 Einfache Versangaben beziehen sich auf die >Poetria novaDocumentum< zur apostropha auch die conduplicatio, die subiectio und die dubitatio zählt (Documentum, II, 2, 24-28). 65 Vgl. Klopsch: Dichtungslehren, S. I3if. 6
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haltes (synecdoche), unverbundene Reihung von Wörtern oder Wortgruppen {asyndeton) und Vereinigung von mehreren Sätzen zu einem. 70 Auch die Kürzung einer amplifizierten Stelle wird als abbreviatio verstanden, während die Ausweitung einer konzisen Stelle eine dilatatio materiae bedeutet. Obwohl Galfrids Poetik formalistisch erscheint, zeigen Beispiele, dass die Bearbeitungsverfahren keine bloße formale Technik sind, sondern sinngebend eingesetzt werden. Worstbrock belegt mit der Beschreibung von Enites Pferd im >ErecGesta Gregorii Peccatoris
Gregorius< hat Arnold von Lübeck1 im Auftrag des Herzogs Wilhelm von Lüneburg, 2 eines Sohns von Heinrich dem Löwen, die >Gesta Gregorii Peccatoris< angefertigt. Er hat damit einen Text geschaffen, der sich durch seine Stellung zwischen volkssprachiger und lateinischer Literaturtradition auszeichnet, indem er seiner volkssprachigen Vorlage in weiten Teilen genau gefolgt ist und sogar das Metrum an die mittelhochdeutschen Reimpaarverse angelehnt, aber sie gleichzeitig ins Lateinische übertragen und Bezüge zur antiken Literatur und Mythologie hergestellt hat. Predigthafte Kommentare unterstreichen die erbauliche Tendenz der >GestaGesta< in einer Handschrift der Augusti-
1
Z u r Biographie vgl. Lappenberg: Ausgabe, S. 566—584; Damus: Slavenchronik, S. 195-253; Herbst: Leben, S. 137-140; Wattenbach: Geschichtsquellen, S. 437-441; Arnold: Gesta, S. 12-15; Zäck: Sündaere, S. 453-461; Hucker: Kaiser Otto IV., S. 432f. und Grabkowsky: Abt Arnold, S. 207—231, sowie folgende Artikel »Arnold von Lübeck« von Wattenbach: Arnold, S. 582; Freytag: Arnold, S. 381; Friederici: Arnold, S. 43f.; Wesche: Arnold, Sp. ioo7f.; Berg u. Worstbrock: Arnold, Sp. 4 7 2 - 4 7 6 .
2
Z u r Biographie vgl. Zimmermann: Wilhelm, S. 727-729; Ganz: Dienstmann, S. 252f.; Arnold: Gesta, S. i6f.; Zäck: Sündaere, S. 462—480; Hucker: Kaiser Otto IV, S. 368-376.
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ner-Chorherren überliefert, die zwar aufgrund ihres Formats und ihrer Ausstattung als Materialsammlung für die von den Augustiner-Chorherren groß angelegte Legendensammlung, das Menologium, identifiziert werden kann, in das die >Gesta< jedoch nicht aufgenommen worden sind. Die Aufnahme des Textes in diese Sammlung hätte ihn in einen homogenen Kontext gebracht, für den die >Gesta< hätte überarbeitet werden müssen. Das Berliner Fragment 3 ist seit dem 19. Jahrhundert verschollen und kann leider nicht mehr für die Frage nach den Rezipienten nutzbar gemacht werden.
i.
Z u r Forschungslage
Im Vergleich zu den anderen Texten, die den >Gregorius< zur Vorlage hatten, haben die >Gesta< Arnolds von Lübeck die stärkste Resonanz in der Forschung gefunden, deshalb beschränkt sich die vorliegende Arbeit auf die Untersuchung der Bearbeitungstendenzen und des Rezeptionskontextes. Die 1886 nach dem codex unicus veröffentlichte, häufig kritisierte 4 Ausgabe durch Gustav von Buchwald war die Grundlage für zahlreiche Arbeiten zur Textkritik, in denen andere Aspekte wie die Metrik 5 oder die Beziehungen zu Hartmanns >GregoriusGesta< zu einem bestimmten Uberlieferungszweig von Hartmanns >GregoriusGregorius< näher gestanden zu haben als jede überlieferte Handschrift. Die neuere Forschung konzentriert sich im Wesentlichen auf den Vergleich zwischen dem >Gregorius< und den >Gesta< sowie auf die Gründe für die Übertragung. Peter Ganz, 9 der die >Gesta< als »ein Objekt des repräsentativen Bildungsluxus, der zum Idealbild eines großen Herrschers gehörte«,10 versteht,
3
4
5 6 7 8 9 0
Textabdruck: Leo: Rezension, S. I43if. Das Fragment wurde wieder abgedruckt bei Grimm u. Schmeller: Lateinische Gedichte, S. X L V f . , Lippold: Quelle, S. 3, Buchwald: Arnoldi Gregorius, S. X X I I I f . , Arnold: Gesta, S. 19. Das Fragment hatte Heinrich Leo 1827 auf einem Pergamentblatt aus einer Dublette der Königlichen Bibliothek zu Berlin herausgelöst. Es enthält die Verse I, 17, 31 bis II, I, 20 der >Gesta< und bezieht sich damit auf Hartmanns Verse 911-947. Die Qualität der Uberlieferung wird von Schilling als geringer als die Paderborner Handschrift eingeschätzt. Vgl. Arnold: Gesta, S. 20. Die Ausgabe wurde an folgenden Stellen rezensiert: Paul: Rezension I, Sp. 355; [Paul]: Rezension II, Sp. 227; Martin: Rezension, Sp. 440; Steinmeyer: Rezension, S. 200—205; Seelisch: Bearbeitungen, S. 121—126; Leitzmann: Gregorius, S. f.; Sparnaay: Hartmann, S. I36f. Vgl. Schuppe: Textkritik, S. 5. Vgl. Mey: Kritik, S. 81. Vgl. Seegers: Beiträge, S. 22f. Vgl. Zwierzina: Überlieferung, S. 184. Vgl. Ganz: Dienstmann, S. 250-275. Ebd., S. 253.
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ist 1974 zu dem Ergebnis gekommen: »Der geistliche Sinn des Erzählten und seine Nutzanwendung werden immer wieder, und zwar ausführlicher als bei Hartmann, herausgearbeitet.« 11 Im Rahmen der Untersuchung des Herzog Ernst Ε hat Hans-Joachim Behr 1978 die >Gesta< als Vergleichstext hinzugezogen, wobei er beide Texte im Anschluss an Ganz als »Demonstration fürstlichen Mäzenatentums« 1 1 beurteilt und den jeweiligen Stil auf die politische Situation der Mäzene zurückgeführt hat. Volker Schupp' 3 hat sich in seinem Aufsatz von 1980 den verschiedenen Rezipientenkreisen des >Gregorius< und der >Gesta< zugewandt, die er als »Relegendarisierung«' 4 des mittelhochdeutschen Textes versteht, und hat damit einen Ansatz für eine rezipientenorientierte Untersuchung gegeben. Den ersten detaillierten Vergleich von >Gesta< und >Gregorius< hat Markus Euringer' 5 1987 vorgestellt, bevor Johannes Schilling' 6 1989 durch eine kritische Neuedition eine verbesserte Textgrundlage geschaffen hat. Ausgehend von den Prologen hat Rainer Zäck' 7 1989 das Schuldverständnis beider Texte auf der Grundlage der mittelalterlichen Theologie diskutiert. Hartmut Freytag' 8 hat sich 1992 auf den Umgang Arnolds mit den Antonomasien seiner Vorlage, also mit der Umschreibung von Eigennamen, beschränkt. Die Unterschiede in beiden Erzählungen hat Bernward Plate'9 1993 durch die »unterschiedlichen gesellschaftlichen Positionen der Autoren« 1 0 zu erklären versucht. Jens-Peter Schröder hat 1997 bei seinem Vergleich der Texte den »Anspruch [der >GestaGregorius Peccator< auf die Zeit als Papst konzentriert und die eine Praefiguration assozierenden Vergleiche zwischen Gregorius und Christus getilgt werden,37 stellt Arnold das vierte Buch der Umkehr, Buße und Vergebung explizit unter den Gedanken der imitatio Christi,38 Die Geduld, mit der Gregorius die Weltabkehr und Buße erträgt, stellt ihn ebenfalls in die Nähe Christi. Arnold betont über seine Vorlage hinaus die Geduld des Büßers, als Gregorius die Schmähungen des Fischers ertragen muss (vgl. GGP IV, 8, 23—26). Trotz romanhafter Elemente lässt die Uberlieferung des >GregoriusGestaGregorius«Gesta< erst nach 1210 entstanden sind. Zäck: Sündaere, S. 484, und Schröder: Arnold, S. 42, sprechen sich für die frühere Datierung der >Gesta< aus, die demnach seit 1202 parallel zur Chronik bearbeitet wurde. Die historische Situation scheint nur in einem vorgefassten System von Anlässen, Zwecken und Nutzen von Dichtung durch und wird dort deutlich, wo die Aussagen über das Topische hinausgehen. Andererseits besagt die Verwendung von Topoi nichts über den Wahrheitsgehalt der Aussage (vgl. Simon: Untersuchungen I, S. 60, Anm. 27). Schröder: Arnold, S. 19—27, untersucht den Toposgebrauch in der Prefacio und versucht, die über das Topologische hinausgehenden Aussagen zu ermitteln. Vgl. Simon: Untersuchungen I, S. 59. Vgl. ebd., S. 69. Schilling (Arnold: Gesta, S. 178) zitiert die »Übersetzungen, Paraphrasen und Interpretationen« dieses Satzes (vgl. Zäck: Sündaere, S. 342f.; Euringer. Sünder, S. 25-40; Schröder: Arnold, S. 25f.). Vgl. Buchwald: Arnoldi Gregorius, S. X I V ; Steinmeyer: Rezension, S. 201; Seegers: Beiträge, S. 3; Mey: Kritik, S. 82. Seelisch: Bearbeitungen, S. 121. Ganz: Dienstmann, S. 253, versteht den Ausdruck modus locu-
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keine Übersetzungsfehler im lateinischen Text nachzuweisen sind, die auf ein Missverstehen des mittelhochdeutschen Textes hindeuten könnten, bleiben beide Ubersetzungen möglich. Der Hinweis auf die ungewöhnliche deutsche Vorlage muss jedoch nicht, wie in der Forschung vielfach behauptet, als Abwertung des >Gregorius< verstanden werden.58 Arnold ist als Kleriker nicht an volkssprachige Texte gewöhnt. Im Kontext der Bescheidenheits- und Unfähigkeitstopik kommt diesem Hinweis die Funktion zu, das Publikum dem Text geneigt zu machen und sein Wohlwollen zu erlangen. Explizit weist Arnold mit einem Aratorzitat59 darauf hin, dass er die Geschichte aus einem wahren Bericht entnommen hat, wie es in Legenden üblich ist (sed hystoriam sequens, quod ex relacione veridica intellexi [GGP Prefacio, Ζ. n]). 6 ° Das Ubersetzungsprinzip wird einem Topos entsprechend auf Vorgänger zurückgeführt, indem Arnold es durch Horaz-61 und Aratorzitate begründet, 62 und damit in die lateinische Tradition gestellt. Da die Rahmenteile darauf abzielen, die Rezipienten für das Werk geneigt zu machen, ist eine negative Bewertung des >GregoriusGregorius< bzw. seines ungewohnten Stils verstehen diesen Satz Ganz: Dienstmann, S. 253; Euringer: Sünder, S. 34; Zäck: Sündaere, S. 343, während Schröder: Arnold, S. 73, feststellt: »Arnold bringt lediglich zum Ausdruck, dass ihm dieser Literaturtypus fremd ist.« Vgl. Arator: De actibus Apostolorum, S. 4, V. 19-22. Vgl. Harthun: Übersetzung, S. 91. Einen ähnlichen Ausdruck für seine Quelle verwendet Arnold, als er bei einem Vergleich aus der Bibel zitiert: ut testatur veridica / regum nobis hystoria (GGP III, 15, 2if). Diese Stelle, die veridica und hystoria verbindet, belegt, dass gegen den Vorschlag Schröders: Arnolds Gesta, S. 30, nicht zwischen der hystoria als äußerer Handlung und der relacio veridica als wahrer Sinn der Erzählung zu unterscheiden ist. Die Erzählung selbst enthält eine Wahrheit, die nicht erst in der Auslegung zum Ausdruck kommt. Arnold zitiert aus der >Ars poetica< des Horaz Vers I33f: nec verbo verbum curabis redderefidus / interpres in der Prefacio, Z. 9f. Vgl. Simon: Untersuchungen I, S. 71. Vgl. Schröder: Arnold, S. 5of. Vgl. Simon: Untersuchungen I, S. in.
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virtutis augmentum [GGP Prosaepilog, Ζ. ijf.]). Explizit auf den Auftraggeber bezieht Arnold, dass die Schrift seinen Gefallen finden und ihn erfreuen soll (Placeat igitur exercitatio, placeat et lectio [GGP Prosaepilog, Z. 14]). Mit dem Legendentopos, dass die Leser durch ihre Gebete seinen Verdienst vergrößern mögen (ipsorum oracionibus nobis crescat meritum [GGP Prosaepilog, Z. 15]),105 verwendet Arnold einen ähnlichen Allgemeinplatz wie Hartmann in seinem Epilog (vgl. G 3989-3999). Bei einem kursorischen Vergleich von Arnolds und Hartmanns Rahmenteilen hat Schröder66 festgestellt, dass Arnold zahlreiche Motive von Hartmann übernimmt, sie aber anders akzentuiert. Mit der Auslegung des Samaritergleichnisses67 (In memoriam veniat, quod Iherusalem castra [...] linquens descendit quidam Iherichoque tetendit [GGP Prolog, Z. 17—19]) wird zunächst auf gemeinsame Kenntnisse des Erzählers und der Rezipienten zurückgriffen. Anders als der mittelhochdeutsche Erzähler, der sich selbst im Prolog als Sünder darstellt, schafft er eine Distanz zum Rezipienten, da sich der Erzähler im lateinischen Text als jemand, der die Worte Gottes auslegen kann (sapiens)·, versteht. Gelehrte Rezipienten bittet er um Verständnis, wenn er eigentlich Bekanntes fiir die Laien auslegt (vgl. GGP Prolog, Z. 22-25). Der Text geht also von einem heterogenen Publikum aus: Er wendet sich an gelehrte sapientes, bei denen niemand zweifelt, dass sie die Bibel auslegen und die Erzählung in den heilsgeschichtlichen Kontext einordnen können, womit am Anfang des 13. Jahrhunderts in erster Linie Kleriker gemeint sein müssen. Außerdem und vor allem erwartet Arnold aber einen Leser, der weiterer Unterweisung durch den Erzähler bedarf, da er simplex vel insipiens ist. Auch dieser Leser muss lateinkundig sein und ist deshalb im Kloster anzusiedeln. Aus dem Prolog und den Epilogen lässt sich rekonstruieren, welchen Bildungsanspruch der Text an das Publikum stellt. Wenn der erste Epilog den Leser auffordert: Memineris, quid dixerit /poeta, qui sic intulit: / Sincerum nisi vas, quodcumque infiindis, acescit (GGP Versepilog I, Z. 17-19), wird die Kenntnis der Horazverse vorausgesetzt. Nur von einem Lateinkundigen mit klassischer Bildung kann Arnold die Kenntnis antiker Autoren annehmen, auf die er sich bezieht. In den Epilogen kommt noch einmal zum Ausdruck, welche Anforderungen der Text an die Rezipienten stellt. Der erste Versepilog führt analog zum Prolog als Zweck des Werkes an, den Sünder vor der Verzweiflung zu schützen (vgl. GGP Versepilog I, 1—12) und nimmt damit den desperatio-GedAnken des >GregoriusGesta< aufgefordert, Gott aufrichtig zu suchen und den Teufel zu meiden (vgl. G G P Versepilog I, 13-33). Während der erste Versepilog den Zweck mit dem Inhalt der Erzählung begründet, beschreibt der zweite Versepilog allgemeiner die erbauliche Lektüre als Weg zur Umkehr (vgl. G G P Versepilog II, 1-12). Der zweite Versepilog ist formal analog zum ersten aufgebaut, denn mit Vers 13 wendet sich auch dieser Abschnitt wieder direkt an den Leser und fordert ihn zur stilistischen Korrektur der Erzählung auf. Im zweiten Versepilog benennt der lateinische Erzähler seine Unfähigkeit genauer, indem er die Befürchtung äußert, sein Ausdruck und sein Stil (verborum rusticitas [ G G P Versepilog II, 21]) seien unzulänglich und verbesserungswürdig 68 und den Leser um Korrektur bittet: 69 GGP Versepilog II, 13
Sed, si quid inpericia depromsit aut inercia minus limare studuit, vestro submitti placuit corrigendum iudicio, [...]•
Für Nachlässigkeiten entschuldigt er sich mit dem Umfang des Werkes, der zur Unachtsamkeit im Einzelnen verleitet 70 (Pluribus intentus minor est ad singula senus [ G G P Versepilog II, 25]). Der Erzähler unterstellt sich in stilistischer Hinsicht dem Urteil des Lesers, während er ihn zuvor mit der Erzählung belehrt hat, wie er sein Seelenheil finden kann. Dass die Beurteilung des Stils nicht explizit vom Auftraggeber Wilhelm verlangt wird, korrespondiert mit der Beobachtung Bumkes, dass gelehrte Bildung in der Familie der Weifen wie bei den meisten deutschen Fürsten des 12. Jahrhunderts nicht vorhanden war. 7 ' Die Rahmenteile signalisieren durch Hinweise auf den erbaulichen Zweck des Textes und die Legendentopik, dass die Erzählung von einer Legende handelt, die in einen heilsgeschichtlichen Kontext eingebunden ist. Diesem Anspruch wird der lateinische Text gerecht, indem er die höfisch-ritterlichen Elemente des mittelhochdeutschen Textes zugunsten legendenspezifischer Merkmale zurückdrängt. Die lateinische Sprache, die Kenntnisse antiker und christlicher Literatur und die Beschreibung des heterogenen Rezipientenkreises als sapientes und insipientes lassen eine monastische Zielgruppe der >Gesta< erwarten.
68
70 71
Vgl. Simon: Untersuchungen I, S. 112. Vgl. ebd. II, S. i z 4 f . Die Bitte um Nachsicht ist als Topos belegt (vgl. ebd. I, S. 105). Vgl. Bumke: Höfische Kultur, S. 604. Bumke stellt fest, dass nicht einmal über Kaiser Otto IV., den Bruder Wilhelms, bekannt ist, ob er lesen und schreiben konnte, obwohl er am englischen H o f erzogen worden ist. Auch wenn bis 1192 Zahlungen fur Wilhelms Unterhalt und einen Lehrer am englischen H o f überliefert sind (vgl. Zack: Sündaere, S. 464), kann das nicht belegen, dass der damals achtjährige Wilhelm über eine Elementarbildung hinaus gekommen ist.
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Schon in der Prefacio wird deutlich, dass das Werk nicht allein für Wilhelm und den Umkreis seines Hofes, sondern auch für weitere Rezipienten gedacht ist {ad edificacionem auditorum [GGP Prefacio, Z. nf.]). Indem der Unfähigkeitstopos im Prosaepilog durch den Hinweis auf die Benediktiner aus St. Michaelis in Lüneburg als würdigere Bearbeiter ausgedrückt wird, lobt Arnold ihre Fähigkeit und Bildung und übergibt ihren Ruhm der Nachwelt, indem er sie im Epilog namentlich erwähnt: 72 GGP Prosaepilog, Z. 1-5: Paruimus, princeps, quamquam haut tolleranda iubebas. Nec purum miramur, cum apud vos habeatis litteratos eciam in ecclesia beati Michaelis, quod opus tarn nominatum parvitati nostre iniungere voluistis, quod non sine multa meditacione vel eciam vigiliis ad finem usque prout potuimus Christo favente perduximus. Diese positive Erwähnung der Lüneburger Mönche erscheint nur dann sinnvoll, wenn Arnold an sie als Rezipienten denkt. Sie gehören zu den sapientes, von denen im Prolog gesagt wird, dass sie selbstverständlich den Schriftsinn und ebenso den Sinn der Erzählung erkennen. In ihrem Konvent leben zudem insipientes, die den einfachen lateinischen Text verstehen und sich daran erbauen können. Das nicht nur räumlich enge Verhältnis zwischen dem Michaeliskloster und dem Hof spricht für die Benediktiner als einem Teil des Rezipientenkreises. Die enge Beziehung der Weifen zum Kloster St. Michaelis lässt sich schon unter Heinrich dem Löwen durch Schenkungen und Beurkundungen belegen.73 Dass Abt Berthold II. von St. Michaelis und Abt Heinrich von St. Aegidien in Braunschweig Heinrich den Löwen 1172 ins Heilige Land begleiteten, 74 beweist die enge Beziehung der Weifen zu beiden Klöstern. In dem Braunschweiger Benediktinerkloster lebte Arnold, bevor ihn der Abt Heinrich, der 1173 als Bischof von Lübeck eingesetzt wurde, zum Abt von St. Johannes in Lübeck machte. Vermutlich hatten die Landesherren auch die Vogtei über St. Michaelis inne, 75 in jedem Fall bestand zu keinem anderen Lüneburger Kloster vor 1213 eine ähnlich enge Beziehung.715 Da das Michaeliskloster die
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Die zitierte Textstelle enthält keinen Hinweis darauf, dass die Mönche von St. Michaelis eine Übersetzung des >Gregorius< abgelehnt haben, weil Gregorius kein sanktionierter Heiliger ist, wie Zack: Sündaere, S. 494—496, im Rahmen seiner Überlegungen zu den Gründen fur den Übersetzungsauftrag vermutet. Vgl. Reinhardt: Weifen, S. 133-140. Vgl. Arnold: Chronica Slavorum I, 2, S. 14. Vgl. Reinhardt: Weifen, S. i36f. Zweimal bestätigt Wilhelm von Lüneburg Verträge des Klosters. 1205 verschafft er dem Abt vom St. Michaelis von Papst Innozenz III. das Recht zum Tragen der Inful und zur Weihe geistlicher Gewänder (vgl. Brosius: Klöster, S. 141). Aus Urkunden ergibt sich auch, dass Wilhelms Frau Helene sich nach seinem T o d , während sie für ihren noch unmündigen Sohn Otto die Regierung übernahm, für das Kloster einsetzte. Im Fürstentum Lüneburg bestanden um 1213 folgende Klöster: das Kanonikerstift in Bardowick, das Benediktinerkloster Oldenstadt, das Kanonissenstift Walsrode, das Benediktinerinnenkloster Lüne und das Benediktinerinnenkloster Ebstorf (vgl. Brosius: Klöster, S. 135—139). In der zwischen 1229 und 1233 entstanden Klosterchronik werden die Stifterfamilie und deren
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Pfarrrechte auf der Burg besaß, lässt sich auch von Seiten des Klosters ein enger Kontakt nachweisen. 77 Von dem literarischen Interesse des Michaelisklosters zeugt eine süddeutsche, durch Heinrich den Schwarzen veranlasste Sammlung weifischer Hausüberlieferung, die zwischen 1132 und 1137 durch Heinrich den Stolzen nach Lüneburg gebracht und dort wahrscheinlich in St. Michaelis überarbeitet wurde. 7 8 Nach den Aussagen in den Widmungsteilen und entsprechend der historischen Situation kommen der H o f Wilhelms in Lüneburg 7 9 und das Kloster St. Michaelis als Rezipienten in Betracht. 80 Hier lebten lateinkundige Laien und Kleriker, die die >Gesta< zur Erbauung lesen und vorlesen konnten. Wilhelm könnte mit dem Ubersetzungsauftrag die Weitergabe an das Kloster St. Michaelis intendiert haben, 81 so dass Arnold deshalb in der Widmung nicht nur auf den Auftraggeber, sondern auch auf den Rezipientenkreis Bezug nimmt. 8 2 Die Kenntnis weltlicher Dichtung, die Arnold beim Rezipienten voraussetzt, spricht nicht gegen das Kloster als Rezeptionskreis, da nicht nur Bischöfe, sondern auch Äbte, Pröpste und andere kirchliche Würdenträger häufig aus hochadeligen Familien stammten und als Mäzene und Auftraggeber höfischer Literatur bekannt sind. Als Beweis für seine eigene Ergebenheit gegenüber Heinrich dem Löwen und damit seine Verbundenheit mit dem Weifengeschlecht kann Arnold seine Kindheit in Braunschweig unter der weifischen Herrschaft und die von
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Nachfolger ehrenvoll erwähnt (vgl. Reinhardt: Weifen, S. 143). Aus einem Necrologium des Klosters geht ebenfalls die Verehrung der Weifen hervor. 1244 bestätigt Erzbischof Siegfried von Mainz Abt und Konvent von St. Michaelis die Pfarrrechte in der Burg (vgl. Faust: Benediktinerklöster, S. 327), die also schon zuvor gegolten haben müssen. Vgl. Reinhardt: Weifen, S. i 4 2 f . Wilhelm von Lüneburg wohnte seit 1202 in seinem Regierungssitz in Lüneburg (vgl. Zäck: Sündaere, S. 480). Auf die enge Verbindung zwischen H o f und Hauskloster im Mittelalter und ihre Bedeutung besonders für die Geschichtsschreibung, aber auch für die weitere Literaturförderung, hat Bumke: Mäzene, S. 44—53, hingewiesen. Schilling (Arnold: Gesta, S. 224) weist darauf hin, dass in der Krypta von St. Michael dem Hl. Gregorius und anderen Heiligen ein Altar geweiht wurde, so dass im Kloster ein gewisses Interesse an der Gregoriuslegende vorhanden sein könnte. Die Motivation für die Übersetzung wird in der Forschung kontrovers diskutiert: Die von der frühen Forschung vertretene These, dass Wilhelm den mittelhochdeutschen >Gregorius< nicht oder nur schwer verstand und ihn deshalb übersetzen ließ (vgl. Buchwald: Arnoldi Gregorius, S. X V I [Vorrede]; Paul: Rezension II, Sp. 227; Steinmeyer: Rezension, S. 201; Mey: Kritik, S. 82), wird von Ganz: Dienstmann, S. 252, widerlegt, da Wilhelm seine Geiselhaft am Wiener H o f verbrachte. Zäck: Sündaere, S. 4 8 7 ^ vermutet, dass sich Wilhelm im Schicksal des Gregorius wiederfand, da auch er als Elfjähriger unschuldig für seinen Vater zu einer längeren Geiselhaft als die übrigen verurteilt war. Dass Wilhelm den Text für jemand anderen übersetzen ließ, der kein Deutsch verstand, sei es für seine Frau Helene, die als Dänin vielleicht kein Oberdeutsch verstand (vgl. Zäck: Sündaere, S. 4 8 7 ^ , oder um ihn nach England oder Dänemark zu verschicken (vgl. Arnold: Gesta, S. 17), kann nicht aus den >Gesta< selbst begründet werden.
35
ihm verfasste Chronik nennen (vgl. G G P Prosaepilog, Z. 6—9). Damit drückt Arnold den Topos der Dankbarkeit mit Bezug auf eine konkrete Person aus. Zugleich bringt er sein erstes Werk als Maßstab fur die Auswahl durch den Auftraggeber mit ein. Dem Leser wird erklärt, dass Wilhelm ihn nicht zufällig beauftragt, sondern aufgrund seiner Fähigkeiten und seiner bereits dokumentierten Verbundenheit mit dem Welfengeschlecht ausgewählt hat. Ebenso wie die Mönche von St. Michaelis hat Arnold seine Treue zu den Weifen bereits durch seine Werke zum Ausdruck gebracht. Diese Erinnerung an sein Leben in Braunschweig als Referenz an das Benediktinerkloster St. Aegidius könnte auf die Braunschweiger Mönche als weitere Rezipienten hindeuten. Mit dem Hinweis auf Heinrich den Löwen erinnert Arnold an das Mäzenatentum des Sachsenherzogs.83 Wilhelm von Lüneburg fügt sich mit seinem Auftrag in diese weifische Tradition der Literaturförderung 84 ein.
4.
D i e Rezeption der >Gesta< im 15. Jahrhundert
Der vollständige Text der >Gesta< wird in dem Paderborner Codex Pa 54 s ' überliefert, der wenigstens teilweise in dem Kloster der Augustiner-Chorherren in Böddeken um 1461 entstanden ist.86 Seit der Gründung des Augustiner-Chorherrenstiftes 1408/09 in Böddeken wurde durch Bücherabschriften und Bücherkäufe eine Bibliothek aufgebaut. 87 Unter dem Prior Arnold Hüls (1432-1449) und seinem Nachfolger Arnold Holt
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Im Umkreis von Heinrich wird die Entstehung des >RolandsliedsLucidariusTristrant< von Eilhart von Oberg und des >Herzog Ernst< diskutiert (vgl. Steer: Literatur, S. 347-375). Das weifische Mäzenatentum gilt für das >Rolandslied< des Pfaffen Konrad, das am Regensburger H o f entstanden sein könnte, als wahrscheinlich, da Mathilde, die Gattin Heinrichs und Tochter Heinrichs II. von England, am angevinischen H o f die Vorlagen fur den Dichter erworben haben könnte (vgl. Mertens: Literatur, S. 204f., ders.: Eilhart, S. 270—276). Als Auftraggeber des >Tristrant< Eilharts von Oberg wird weniger Heinrich der Löwe als vielmehr einer seiner Söhne Heinrich oder Wilhelm oder deren Ministeriale Jordan von Blankenburg vermutet (vgl. Mertens: Literatur, S. 208). Steer: Literatur, S. 353, bezweifelt, dass Heinrich der Löwe Auftraggeber volkssprachiger Literatur war. Sein Interesse an historischen Werken, an das auch Arnold erinnert, wenn er Heinrich im Zusammenhang mit seiner Chronik nennt, kann jedoch durch den Hinweis Gerhards II. von Steterburg (t 1209) in seiner >Steterburger Chronik« (vgl. Annales Steterburgenses, S. 230) belegt werden.
84
Zur Literaturförderung durch Otto IV., den Bruder Wilhelms von Lüneburg, vgl. Hücker: Literatur, S. 377—396. Zur Handschrift vgl. Arnold: Gesta, S. 22—25. Schilling (Arnold: Gesta, S. 20, Anm. 25) muss bei seiner Handschriftenbeschreibung auf Richter: Handschriften-Verzeichnis, S. n f . , und Oeser: Handschriftenbestände, Sp. 369^ u. 430, zurückgreifen, da er die Handschrift vor dem Diebstahl zwar gesehen, sich aber nur wenig Notizen zu den übrigen Teilen gemacht hatte. Vgl. die Subscription f. 183" Arnold: Gesta, S. 23. Urkunden aus der Zeit von 1412 bis 1441 bezeugen Bücherkäufe von Handschriften aus Osnabrück, Herford und Lübeck (vgl. Schatten: Kloster Böddeken, S. 18). Darüber hinaus vermehren Schenkungen und Abschriften den Bestand der Bibliothek.
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(i449 - i 465) setzte eine vermehrte Bücherproduktion ein.88 Man begann eine planvoll angelegte Sammlung von Heiligenviten, für die zunächst das Material gesammelt und anschließend in zwölf Foliobänden (39 χ 28 cm mit je 250—300 Blättern) nach Monaten geordnet zusammengestellt worden ist. Vor der Zusammenstellung des Menologiums legten die Chorherren eine Materialsammlung an, für die sie sich an andere Klöster wandten. Einige Texte wurden nicht einfach übernommen, sondern überarbeitet und stilistisch geglättet.89 Eine Abgrenzung zwischen weitgehend zufällig nach Böddeken gelangten Viten und bewusster Sammlertätigkeit ist schwer zu ziehen, doch durch das gleiche Format, die Entstehungszeit und den hagiographischen Inhalt lassen sich einige Handschriften als Sammlung für das Legendarium identifizieren. Mit großer Wahrscheinlichkeit gehören zur Materialsammlung für das Menologium Handschriften, die auf Papier in einem Format von etwa 14 χ 2i cm ohne Buchschmuck von verschiedenen Händen geschrieben wurden. 90 Auch der Paderborner Codex Pa 54, der in eben diesem Format im Entstehungszeitraum des Legendariums angefertigt wurde, 9 ' scheint zur Materialsammlung für das Menologium gehört zu haben. 92 Von den drei im Paderborner Codex enthaltenen Viten wurde nur die Legende von Leo IX. in den Aprilband des Menologiums aufgenommen, 93 die mit der aus dem Codex Pa 54 identisch gewesen sein könnte. Die Vita von Robert dem Teufel findet sich in einer zweiten Handschrift, 94 die nach Oeser auch zur sogenannten Materialsammlung gehört. Möglicherweise war sie in zwei Fassungen an das Kloster gekommen oder wurde versehentlich zweimal aus einer Vorlage abgeschrieben. Die Gregoriuslegende scheint nicht ins Legendarium aufgenommen worden zu sein. Da das Kloster Böddeken das Material fur das Menologium aus anderen Klöstern anforderte, ist es naheliegend, dass auch die >Gesta< schon in Klöstern 88 89 90 91
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94
Vgl. Schmalor: Klosterbibliotheken, S. 514. Vgl. Oeser: Handschriftenbestände, Sp. 364. Vgl. ebd., Sp. 367. Staender: Chirographorum, Nr. 217 bis 220. Aus dem Bericht über die Mainzer Stiftsfehde und die Einnahme der Stadt Mainz durch den Kurfürsten Adolf II. von Nassau ergibt sich der 28. Oktober 1462 (Textabdruck Hegel: Mainz, S. 95—99) als terminus post quem fur die erste Zusammenstellung der Paderborner Sammelhandschrift. Da das Datum der Stiftsfehde nach dem für die Abschrift des >Liber Quadrupertiti Apologetici< angegebenen Jahr 1461 liegt, müssen die Teile der Handschrift zu unterschiedlichen Zeiten entstanden sein. Aufgrund eines Inhaltsverzeichnisses (f. 4V) von einer Hand des 15. Jahrhunderts kann man auf die erste Bindung noch in der 2. Hälfte des 15. Jahrhunderts schließen. Vgl. Oeser: Handschriftenbestände, Sp. 369-370. Vgl. Moretus, De legendario, S. 299: Codex Monasteriensis 21, f. 2421 .'SS': 255v-257r. Staender: Chirographorum, Nr. 214, 2. Das Legendarium wurde schließlich nicht in der Reihenfolge der Kalendermonate geschrieben, denn der Februarband, der zu den zuletzt bearbeiteten Bänden gehört, wurde 1464 fertiggestellt, während der Maiband schon 1459 abgeschlossen war (vgl. Oeser: Handschriftenbestände, Sp. 372). Vgl. Moretus: De legendario, S. 279f.: Codex Monasteriensis 354, f. 453-463; Staender: Chirographorum, Nr. 220. 37
weiter tradiert worden sind, bevor sie nach Böddeken gekommen sind. Die >Gesta< wären, wenn sie ins Menologium aufgenommen worden wären, wahrscheinlich überarbeitet worden, um sie dem Sammlungskontext anzupassen. Die Uberlieferung in dem Sammelband Pa 54 und die Provenienz der Handschrift, Kloster Böddeken, erweisen sich als geeignete Konstituenten, den historischen Rezeptionshorizont im 15. Jahrhundert zu skizzieren. Die im Rahmen der Legendensammlung nach Böddeken gelangten >Gesta< scheinen als Legende von einem der >Devotio moderna< verpflichteten Kreis rezipiert worden zu sein,95 dem der Text »Identifikationsmöglichkeiten«96 anbot. Wo die durch den lateinischen Text vermittelte Geisteshaltung also mit den Gedanken der »neuen Frömmigkeit« konform geht, werden Erwartungen dieser Rezipienten erfüllt. Die Nachfolge Christi gehört zu den Grundgedanken der neuen Frömmigkeitsbewegung. Indem man sich in Betrachtungen über das Leben Christi versenkte, sollte man lernen, die Demut Christi und seinen Gehorsam in der Niedrigkeit des Leidens nachzuahmen. 97 Neben dem Leben Jesu wurden auch Heiligenviten als Beispiele herangezogen, die vorbildlich für die Nachfolge Christi sind.98 Die in den >Gesta< verstärkte Analogie zum Leben Christi, die den Text deutlich in die Legendentradition stellt, bietet eine Identifikationsmöglichkeit für die der >Devotio moderna< verpflichteten Rezipienten.
5.
Profil der >Gesta< Arnolds von Lübeck
Das Zurückdrängen höfisch-ritterlicher Elemente des >Gregorius< in den >Gesta< kann nicht nur als Folge der Bearbeitung der Vorlage durch einen Abt erklärt werden, sondern es ist der Ausdruck einer veränderten Zielgruppe. Weder durch die Uberlieferung noch durch die Signale im Text kann belegt werden, dass Arnold — wie Mertens behauptet99 — für einen ähnlichen Rezipientenkreis wie Hartmann schreibt, der eine aus Adel und Ministeralität gemischte Gesellschaft umfasst. 100 Arnold verfasst seine >Gesta< zwar im Auftrag des Herzogs Wilhelms von Lüneburg, doch nach den im Text gestellten Erwartungen über die Kenntnisse des Publikums kommt dem Auftraggeber kaum mehr als die Funktion eines Dedikators zu, der für die Qualität des Textes bürgen soll. Überlegungen zum Bildungsstand Wilhelms und seiner Frau werden damit redundant. Sowohl die Rahmenteile als auch die Legendarisierung und die
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Die Geisteshaltung der >Devotio moderna« lässt sich auch in der Bibliothek von Böddeken nachweisen (vgl. Oeser: Handschriftenbestände, S. 331-388). Schupp: Gregorius, S. 179. Vgl. Iserloh: Devotio moderna, S. 533. Vgl. Staubach: Pragmatische Schriftlichkeit, S. 437. Vgl. Mertens: Gregorius eremita, S. 105. Vgl. ebd., S. 37.
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Sprache des Textes belegen, dass Arnold seine Version für einen monastischen Rezipientenkreis angefertigt hat, wobei in erster Linie die Benediktiner in Lüneburg und Braunschweig in Frage kommen. M i t der Übertragung ins Lateinische sowie den Bezügen zur antiken Literatur und Mythologie verankert Arnold die >Gesta< in der lateinischen Literaturtradition. Durch den Verweis auf die volkssprachige Vorlage und durch das an den mittelhochdeutschen Reimpaarvers angelehnte Metrum gelangen die >Gesta< in eine Zwischenstellung zwischen lateinischer und volkssprachiger Literatur. Die >Gesta< schließen sich den Handschriften des >Gregorius< an, die den Text in den Kontext hagiographisch-geistlicher Texte stellen und vermutlich im monastischen Bereich rezipiert worden sind. Während der lateinische Text keinen Hinweis darauf gibt, dass er in eine Sammlung eingefügt werden sollte, sondern als Einzeltext möglicherweise als Geschenk Wilhelms an sein Hauskloster erscheint, deutet die Paderborner Überlieferung im Kontext von Legenden darauf hin, dass die Aufnahme in einen Sammlungskontext geplant war, der zur Veränderung der Textgestalt gefuhrt hätte. Ebenso wie für das Lübecker Mohnkopfplenar 1 0 1 lassen sich im 15. Jahrhundert Rezipienten aus dem Umfeld der >Devotio moderna« für die >Gesta< nachweisen.
101
V g l . V I I . 6 . 2 . Besitzer der niederdeutschen Plenarien, S. 272—274.
39
III. Die Hexameterversion >Gregorius Peccator
GREGORIUS
GREGORIUS PECCATOR< X
(Schulbuchkontext) Μ - München S B ^ C h r i ^ ^ f. 4 2 V - J 2 V , - 1 3 7 0
y D - Darmstadt U L B , Hs 2780, f. 229^238 V 1 3 8 0
Modell der Entwicklung und Filiation des >Gregorius Peccator
Gregorius Peccator< ist Hartmanns >Gregorius< zu einem lateinischen Schulbuchtext umgeformt worden, wie anhand der Textgestalt und des kodikologischen Befundes belegt werden kann. Die Uberlieferung des Textes im Kontext von Schulbuchtexten in einer M ü n c h e n e r und einer Darmstädter Sammelhandschrift aus dem letzten Drittel des 14. Jahrhunderts und die im Folgenden nachgewiesenen Anspielungen auf die antike Literatur (besonders Ovid) sowie die Vergleiche der H a n d l u n g mit biblischen Figuren (z.B. Moses) und die V e r w e n d u n g von biblischem Formelgut lassen auf die Entstehung des Textes in einem gelehrten U m f e l d schließen. D u r c h Eingriffe in den Handlungsablauf und Kürzungen der Vorlage ist ein unterhaltsamer und zugleich erbaulicher T e x t entstanden, der in der T r a d i t i o n v o n Ovids >Metamorphosen< steht und aufgrund der Hexameterform als Lateinlektüre im Unterricht verwendet werden konnte. Damit lässt sich der >Gregorius Peccator< in das seit dem 13. Jahrhundert gewandelte Bildungsprogramm einordnen, das nicht länger nur die antiken Texte als Unterrichtsgegenstand empfiehlt. D i e Textgestalt und der Überlieferungskontext belegen, dass der >Gregorius Peccator< den Schulbuchkontext nicht verlassen hat, in dem er entstanden und tradiert worden ist. D i e U m f o r m u n g e n machen die Abhängigkeit von Hart-
41
manns >Gregorius< nicht auf den ersten Blick offensichtlich, sondern lassen sich erst bei genauerem Vergleichen der Texte erschließen. Dem Untersuchungsteil geht eine Edition des Textes nach der Münchener Handschrift voraus, wobei der bislang nicht edierte Darmstädter Textzeuge in einem kritischen Apparat dokumentiert wird. Im Zusammenhang der Edition wird eine ausführliche Beschreibung der zwei Textzeugen geboten, da der Katalogeintrag der Bayerischen Staatsbibliothek1 von 1894 völlig unzureichend ist und sich der Katalogeintrag zur Darmstädter Handschrift noch in Vorbereitung befindet. Neben der Mitüberlieferung belegt auch die Ausstattung beider Handschriften die Rezeption des »Gregorius Peccaton im Schulkontext. Im Anschluss an die Textausgabe mit Ubersetzung werden in dem Kommentar einzelne textkritische Fragen erörtert sowie intertextuelle Bezüge des >Gregorius peccator< aufgezeigt.
1.
Z u r Forschungslage
Die Hexameterversion >Gregorius peccaton ist im Gegensatz zu den >Gesta Gregorii Peccatoris< Arnolds von Lübeck von der Forschung kaum beachtet worden. Johann Andreas Schmeller hat 1842 den Text nach der Münchener Handschrift Clm 4413 2 ediert und vielfach konjiziert, ohne seine Eingriffe zu kennzeichnen. Z u dieser Edition hat der Herausgeber der Zeitschrift für deutsches Altertums Moritz Haupt, weitere Verbesserungsvorschläge gemacht, die er unter den von Schmeller vorgeschlagenen Text gesetzt hat. Über vierzig Jahre nach der ersten Edition hat sich Adolf Seelisch3 als Reaktion auf die Edition von Arnolds >Gesta Gregorii Peccatoris< durch von Buchwald 4 auch zu der Hexameterversion geäußert. Seine Abwertung des Textes als »ein muster von geschmacklosem schulwitz«5 hat die Studie von Hendrik Sparnaay 1933 bestätigt, der die Hexameterversion als »Geschmacklosigkeit und Gelehrttuerei«6 bezeichnet. Im Rahmen seiner Unterscheidung der Rezeption des >Gregorius< sind von Volker Mertens kurz der Inhalt und die Veränderungen der »mit sprachlichen Manierismen (Alliteration) und gelehrtem Beiwerk aufgeputzte(n) interessante(n) Geschichte«7 gegenüber dem >Gregorius< Hartmanns von Aue besprochen worden. 8 Christine Mundhenk hat 1995 die Hexameterversion dem Handlungsverlauf folgend erörtert und »zu einem unvoreingenommenen
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Vgl. Halm u. Laubmann: Catalogus, S. I9if. Schmeller: Gregorius, S. 486—500. Vgl. Seelisch: Bearbeitungen, S. 121—128. Vgl. Buchwald: Amoldi Gregorius peccator. Seelisch: Bearbeitungen, S. 126. Sparnaay: Hartmann, Bd. 1, S. 138. Mertens: Gregorius eremita, S. n o f . Vgl. Mertens: Gregorius eremita, S. 109-111.
42
Zugang zum Text« aufgefordert, durch den sich Details eröffnen, »die eine Einschätzung erlauben, die dem Text gerecht wird.«9 Alle bisherigen Äußerungen zum >Gregorius Peccator< haben die unzureichende Edition der Münchener Handschrift Clm 4413 als Textgrundlage und ziehen nicht die Überlieferung im Darmstädter Codex 2780 hinzu.10 Bei den wenigen Bemerkungen zum >Gregorius Peccator< wurde der Schulbuchkontext, in dem er in beiden Handschriften überliefert wird, nicht beachtet und so die Leistung des Bearbeiters nicht angemessen gewürdigt. Im Folgenden werden die Abhängigkeit von Hartmanns >GregoriusGregorius< mit den mittelalterlichen Bearbeitungsverfahren zu einem Schulbuchtext in die Nachfolge Ovids untersucht.
2.
Edition
2.1.
Überlieferung
2.1.1. Die Münchener Handschrift Signatur: München SB, Clm 4413" (olim Vol. VI N. LXXXVI, olim Augsburg St. Ulrich 113). Die jüngste Signatur ist auf dem Signaturschild in der Mitte des Buchrückens zu lesen. Darüber und darunter befinden sich unleserliche Reste alter Papierschilder. Auch im vorderen Spiegel steht die Signatur cod. lat 4413 auf einem Aufkleber (21 χ 23 mm). Auf f. i r erkennt man rechts oben die Signatur Vol. VI N. LXXXVI. aus dem Katalog des Placidus Braun. 12 Blattzahl: Die Handschrift umfasst 96 Blätter, die mit einer Foliierung aus jüngerer Zeit versehen sind.
9 10
11
12
Mundhenk: Peccator, S. 92. Henkel: Übersetzungen, S. zo-zz, weist im Rahmen der Untersuchung von Schultexten darauf hin, dass die Darmstädter und die Münchener Sammelhandschrift ähnliche Texte enthalten und sich als Schultextsammlungen auszeichnen. Die Handschrift habe ich im August 1999 in der Bayerischen Staatsbibliothek eingesehen. Kurze Handschriftenbeschreibungen finden sich an folgenden Stellen: Halm u. Laubmann: Catalogus, S. I9if., Pylatus, S. iz3f., und in den unten angegebenen Textausgaben zu den einzelnen Werken der Handschrift. Die Kopie einer Textseite der Handschrift befindet sich im Anhang Abbildungen, S. 291. Vgl. Braun: Notitia, S. 110. Der Klosterbibliothekar Placidus Braun schied 1786 Handschriften aus dem allgemeinen Bestand aus und signierte sie in sechs Gruppen nach Größe geordnet unter einem Buchstaben mit fortlaufender Nummer. Dabei wurde auch der Codex Clm 4413 erfasst (vgl. Schmidt: Reichenau, S. 55; Kraft: Handschriften, S. io8f.).
43
Inhalt:13 ι.) i - 3 r Facetus Incipit fehlt; vmtl. fehlen zwei Blätter am Anfang. Ir Des tacite que das pro Christi nomine cuivis I Exemplum dandi poteris sic dare cui vis 3r Virtutes disce nec abhijs numquam resipisse I Si facis hoc gratis cunctis eris ac veneratus Explicit facetus Vgl. D I, 2. Walther: Initia 4238b (Frg. d. Facetus); 3692; Stohlmann: Nachträge. In: Mittellatjb 8, 1973, S. 291; 12, 1977, S. 300; 16, 1982, S. 414; Henkel: Übersetzungen, S. 245-248; Schnell: Facetus, Sp. 701-703. 2.) f. 3 r -io r De contemptu mundi (Cartula) 3r Incipit. Berenhardus I 3V CArtula nostra tibi mandat dilecte salutes I Pluraque uidebis ibi si non mea14 dona refutes Γ ιο Letitiam vere lucet merearis habere I Hoc tibi det munus qui regnat trinus et unus I Explicit Bernhardus D I, 13. Walther: Initia 2521; Stohlmann: Nachträge. In: Mittellatjb 7, 1972, S. 296; 8, 1973, S. 290; 9, 1973, S. 323; 15, 1980, S. 262; 16, 1981, S. 413; Henkel: Übersetzungen, S. 23jf.; Rudolf: De contemptu mundi, Sp. 5-8. 3.) f. io r -i8 r Vita Pilati io r SI ueluti quondam scriptor vel scripta placerent I In nova dicendo multi velud ante studerent i8r Hijs igitur gestis redierunt ad sua quem I Cessauitque vetus sub mersio pestis iniqui15 I Laus tibi Christe sit quolibet explicit iste I"5 Explicit Pylatus D I, 3. Walther: Initia 18058; Stohlmann: Nachträge. In: Mittellatjb 7, 1972, S. 310; 9, 1973, S. 340; Pylatus, S. 194-235 (S. 123-124); Knape: Pilatus, Sp. 669-682. 4.) f. Ι8γ-24γ Contemptus mundi i8r Incipit contemptus mundi I
14 15 16
Kommentare sind kursiv gedruckt. A m Anfang der Kollationszeile wird auf die Überlieferung in der Darmstädter bzw. Münchener Handschrift durch Angabe der Sigle und der Textnummer, bei der Darmstädter Handschrift zusätzlich des Bandes, hingewiesen. Die Ausgabe wird nur genannt, wenn der Text der Handschrift bei der Edition berücksichtigt wurde. In Klammern ist angegeben, auf welcher Seite die Handschrift beschrieben wird. Wenn es keine Ausgabe gibt, die die vorliegende Überlieferung berücksichtigt, wird in der Regel nur Literatur angegeben, die auf Textausgaben und Forschungsliteratur verweist. >mea< über der Zeile. >iniqui< korrigiert aus >iniqueVita Pilati* attain die phennigrichen über soli nummosi (V. 5), angesehen über inspecta (V. 273), geben über proferre (V. 354), alieni über cuiquam (V. 8), splendens über nitescens (V. 64), dicite über narrate (V. 294).31
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Vgl. Anonymi Historia, S. 224. Die Untersuchung der Handschrift hat ergeben, dass die Lagenformel 12 I V ' 6 von Werner (Pylatus, S. 123, Anm 2), die einen Codex ohne Blattverlust suggeriert, korrigiert werden muss. Vgl. Pylatus, S. 123.
48
An einigen Stellen sind Zahlen über den Wörtern zur Kennzeichnung gleicher grammatischer Satzteile eingetragen, die als Konstruktionshilfe im Unterricht verwendet worden sind (z.B. auf f. y f , Z. 23-25). 32 Auf f. i r -38 r sieht man dunkelbraune Textkorrekturen und Zusätze von einer zweiten Hand in einer Bastardaschrift des 15. Jahrhunderts. Einzelne Buchstaben sind nachgezogen, Wörter korrigiert und Verse am Rand mit Verweisungszeichen nachgetragen. In dem >Physiologus Theobalde (f. 85v—93Ο befinden sich von dieser Hand Glossen, die Erläuterungen zu einzelnen Begriffen geben, indem sie bisweilen ein Wort im Zwischenraum zwischen Vers und abgesetztem Endbuchstaben wieder aufnehmen und in lateinischer Sprache erklären. Auch über den Zeilen befinden sich erklärende Glossen. Nachdem das Blatt 18 am oberen Außenrand durch Ankleben eines neuen Blattstücks restauriert worden ist, hat man darauf den Text ergänzt. Schreibsprache der Glossen: Der Münchener Codex ist aufgrund seiner Schrift und Wasserzeichen in das letzte Drittel des 14. Jahrhunderts zu datieren. 33 Die -Schreibung (f. i3 r verdierbt, 86r giehesi) statt mhd. kurzem Iii in geschlossener Silbe vor r, seltener vor / und ht findet sich im gesamten Oberdeutschen. 34 Die neuhochdeutsche Diphthongierung, die in Augsburg erst um 1400 einsetzt,35 ist in den Glossen nicht belegt (f. 4V tristari — trurig, io r soli
numosi dingni — allain die phening riehen, 4r solempnis — hochzitlich, f Studium — flisz). Die Schreibung für loul, z.B. f. speculatur — schauen, ist im Ostschwäbischen besonders in Augsburg belegt, während im Westschwäbischen bis in die 2. Hälfte des 15. Jahrhunderts dominant bleibt. 30 Kennzeichnend für das Westschwäbische im 14. und 15. Jahrhundert ist die Schreibung für mhd. /ou/ z.B. in f. 5w fidi — globen. Die für das Schwäbische seit der zweiten Hälfte des 13. Jahrhunderts kennzeichnende Schreibung für /a/ ist in den Glossen 37 (z.B. f. n r obmisisse— han glari) zu finden. Der a-Vokalismus im Präsensparadigma (z.B. f. io v ab eunt — von gand) bestätigt noch einmal die Entstehung im alemannisch-schwäbische Sprachgebiet in Abgrenzung
31 33
M
35
36 37
Vgl. Anonymi Historia, S. 224. Stohlmann (Anonymi Historia, S. 224) datiert den Codex auf die zweite Hälfte des 14. Jahrhunderts. Vgl. Moser: Frühneuhochdeutsche Grammatik, § 72, Anm. 1, S. 130; Reichmann u. Wegera: Frühneuhochdeutsche Grammatik, § L30; Paul: Mittelhochdeutsche Grammatik, § 81. Vgl. Paul: Mittelhochdeutsche Grammatik, § 42, S. 68; Moser: Frühneuhochdeutsche Grammatik, § 77, S. 154f-; Lindgren: Ausbreitung, S. 34. Vgl. Moser: Frühneuhochdeutsche Grammatik, § 79, 1, S. 170; Bürgisser: Anfänge, S. 78f. Vgl. Paul: Mittelhochdeutsche Grammatik, § 70, S. 99; Reichmann u. Wegera: Frühneuhochdeutsche Grammatik, § L 28; Moser: Frühneuhochdeutsche Grammatik, § 75, 3, S. 145; Weinhold: Alemannische Grammatik, §§ 87, 96; Sprachatlas, Karte 40, 42; Glaser: Studien, S. 79-82.
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vom Bairischen.38 Da die Schreibsprache der Schreiberglossen Kennzeichen des Schwäbischen aufweist, spricht nichts dagegen, dass sie in Augsburg eingetragen wurden. Ausstattung: Die Textanfänge und markante Sinneinschnitte sind durch abgesetzte, drei Zeilen übersteigende, rote Initialen gekennzeichnet (f. 3V, io r , 24r, 32v, 38v, 43r, 52v, 6o v , 7θ ν , 82r, 85v, 93v). Einschnitte im Text beginnen mit kleineren, zwei Zeilen übersteigenden Initialen (6r, io r , I2V, I3V, I4V (2), i>)T, zor, 2θν, 2iv, 22v v r v r v r v r ν (3), 2 3 r ( 2 ) , 2 3 (3), 2 5 r , 2 5 v , 26-, 2 7 v , 2 8 r , 3 o , 3 o , 3 9 , 3 9 (2) 4 o , 4 o , 5 3 , 5 5 , v v 93 , 94 ). Incipits und Explicits wurden in roter Auszeichnungsschrift geschrieben. Ebenso wie die rubrizierten Großbuchstaben am Versanfang geringfügig vom folgenden Text abgerückt sind, begrenzen abgesetzte und rubrizierte Großbuchstaben jedes Verses den Schriftspiegel. Benutzerspuren: Die Handschrift ist gerade in den ersten, vom Schreiber glossierten Teilen (>FacetusDe contemptu mundiVita PilatiContemptus mundiDoctrina rudium< und >Novus CatoPhysiologus Theobalde stark abgenutzt, die Blätter sind schmutzig und abgerieben. Andere Texte, zu denen auch der >Gregorius Peccator< zählt, wirken unbenutzt und kaum gelesen. Federproben findet man z.B. auf f. 3r, i8r, 23r, 34", 42v, 641, 75' und im inneren Vorder- und Rückendeckel. Im Rückendeckel ist neben anderem als Federprobe folgender Vers deutlich zu erkennen: Multa sciens stulte que agens magnus habetur /pauca sciens sapienter agens probitate mereturP Außerdem kann man dort folgende lateinische Wörter mit deutschsprachigen Interpretamenten lesen: opulentusgerichet*0 / furca istgabel*1 / strangulo [...] erwirgen / sub voce I Erwirgen,41 Im inneren Vorderdeckel befinden sich Federzeichnungen, beispielsweise eine Frau mit Gürtel, die den rechten Arm gebeugt hält und den linken Arm ausgestreckt. Sie hat einen Halskragen und trägt auf dem Kopf einen Blumenkranz oder eine Krone. Eine sehr ähnliche Federzeichnung befindet sich auf f. ji r am Rande des Gregoriustextes. Außerdem erkennt man im Vorderdeckel zweimal einen mit einer Krone geschmückten Kopf und auf f. 3r den Oberkörper einer gekrönten Figur mit ausgestrecktem Arm und Schwert. Eine Frau mit Gürtel, Halskrause und Krone ohne Arme sieht man auf f. 75r.
38 39
40 41 41
Vgl. Glaser: Augsburg, S. 358; Paul: Mittelhochdeutsche Grammatik, § 280. Einen ähnlichen Vers enthält die bei Walther: Proverbia, Bd. 2, N r . 15425, verzeichnete Handschrift Basel U B Α. XI. Vgl. Vocabularius Ex quo, Bd. 4, Ο 266: »opulentus — riche«. Vgl. ebd., Bd. 3, F 590: »furca ein gabil vel furcke ...«. Vgl. ebd., Bd. 5, S 1063: »strangulare worgen«.
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Einband: Der vermutlich mittelalterliche Originaleinband besteht aus mit Leder überzogenen Holzdeckeln. Seine alte Fadenbindung und kleine Reste von Beschlägen und zwei Metallschließen sind noch erhalten. Auf dem Vorderdeckel befindet sich ein mittelalterliches Titelschild (80 χ 2θ mm) mit der Aufschrift: diuersi auctores. Im vorderen Spiegel klebt über dem Signaturschild cod. lat. 4415 ein Schild von der Größe 86 χ 52 mm mit der Aufschrift P.P. Benedictinorum. Lib. et Imp. Monasterii. SS Udalrici et Affrae Augustae Vindelicorum, über der die Heiligen unter dem »Auge Gottes« und drei Wappen abgebildet sind. Provenienz: Die Handschrift stammt, wie durch das Exlibris deutlich wird, aus der Bibliothek des Benediktinerklosters St. Ulrich und Afra in Augsburg, wo sie — wie die Glossen belegen - auch entstanden sein kann. Das unter dem Augsburger Bischof Bruno (1006-1029) 1 0 1 2 gegründete Kloster erlebte im 12. und frühen 13. Jahrhundert eine Blüte, bei der der Bücherbestand stetig anwuchs. Vom 13. bis zum 15. Jahrhundert sank die Bedeutung des Klosters als literarisches Zentrum. Erst Anfang des 15. Jahrhunderts erlebte es einen neuen Aufschwung. 43 Seit dem Ende des 13. Jahrhunderts belegen Urkunden die Unterrichtstätigkeit in St. Ulrich und Afra. 44 Das Pergamentschild (cod. lat. diuersi auctores) geht auf die Gliederung der Bibliothek Ende des 15. Jahrhunderts in Bücherkästen unter je einem Buchstaben zurück, wobei ein Distichon den Inhalt dieser Abteilung umschrieb.45 Die Handschrift scheint also schon im Mittelalter in der Klosterbibliothek gewesen zu sein.46
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Vgl. Schmidt: Reichenau, S. 46-50. Vgl. Daisenberger: Volksschulen, S. 4f. Darüber hinaus gab es aber im Mittelalter weitere Schulen in Augsburg, z.B. die Domschule, die Schulen bei St. Moriz, St. Georg, Heilig Kreuz und St. Anna (vgl. Daisenberger: Volksschulen, S. 2—13). Der Andechser Benediktiner Georg Polster verfasste im Jahre 1493 oder 1497 Distichen für die zwanzig Bücherkasten, in denen die Bibliothek aufbewahrt wurde. Wenige Jahre später formulierte vermutlich der udalrikanische Konventuale Veit Bild (gest. 1529) die Verse der Bibliothek neu, um damit der klassischen Form und Metrik näher zu kommen. J e zwei Distichen beschreiben den Inhalt eines Kastens, wobei der Hexameter immer mit dem Buchstaben der Signatur beginnt (vgl. Schmidt: Reichenau, S. 52—55). Schmidt: Reichenau, S. 85, versucht, den Bibliotheksversen - die auch etwas über die Sachgruppe aussagen, über der sie stehen - Werke der ehemaligen Klosterbibliothek zuzuordnen. Die Münchener Handschrift C l m 4413 ordnet er der Signatur V zu, unter der christliche Dichter gesammelt sind, weil die Handschrift das >Dittochaeon< des Prudentius enthält. Da der >Prudentius< aber das einzige frühchristliche Werk der Sammelhandschrift ist, wäre es sinnvoller, die Handschrift unter Ρ oder R einzuordnen, wo die Werke des Triviums aufbewahrt worden sind.
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2.1.2. Die Darmstädter Handschrift 47 Signatur: Darmstadt U L B , Hs 2780, Bd. I und II (olim Sammlung Hübsch 152 und 148 in dem Katalog Hs 3512, 3 r bzw. 471 und 474 in dem Katalog Hs 2257, S. 6i).* 8 Blattzahl: Die Handschrift umfasst 312 Blätter, die als zweibändige Sammlung (laut alter Paginierung: f. 1—155; f. 156—313) angelegt sind, wie die durchgängige Paginierung und das Inhaltsverzeichnis fur beide Bände im zweiten Band belegen. Aus der Lagenformel (s.u.) ist ersichtlich, dass die zwei Bände auch früher keine Einheit gebildet haben. Beide Bände sind durchgehend mit römischen Ziffern vom Schreiber foliiert worden, der nach der Foliierung auch das Inhaltsverzeichnis am Ende des zweiten Bandes angelegt hat. Eine neuere Paginierung in arabischen Ziffern findet sich in Bd. I: Vorsatzblatt recto-ii r . Bei f. 35 r -37 r überspringt die alte Foliierung zwei Blätter, die eine neuere Foliierung mit arabischen Ziffern zählt. Inhalt: Band I (f. ir-i55v): 1.) f. I r -i6 v : Catonis Disticha (Antiquus et Novus Cato commixti) ir Cum animadverterem quam plurimos I homines graviter errare inuia morum sie iv rot19: Primum capitulum I schwarz. Si deus est animus nobis ut carmina dicunt I Hic tibi preeipue sit pura mente colendus I Omnis sapientia a domino deo est I Lingwa paterna sonat quod ei sapientia donat i6v Nullus miretur si nudum carmen habetur Mens paupertina coniungxit (!) carmina bina. I explicit commixtura utriusque kal thonis
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Die Handschrift habe ich im Februar 1996 in der Hessischen Landes- und Hochschulbibliothek Darmstadt eingesehen. Beschreibungen der Handschrift finden sich bei Roth: Mittheilungen, S. 29—35; Novus Avianus, S. 256-259; Anonymi Historia, S. 110—112; Novus Physiologus, S. 7—13, und in der zu den einzelnen Werken angegebenen Literatur. Außerdem wurde mir von Herrn Dr. Kurt Hans Staub, dem ich ftir seine Auskünfte danke, eine Beschreibung der Handschrift aus dem noch ungedruckten Katalog der Hessischen Landes- und Hochschulbibliothek Darmstadt zur Verfugung gestellt. Die Kopie einer Textseite der Handschrift befindet sich im Anhang, Abbildungen, S. 292. Bei Hs 2257 und Hs 3512 handelt es sich um zwei Kataloge, die vom Bibliothekar Koester im Januar 1805 zur Inventarisierung des Nachlasses von Baron Hüpsch angelegt worden sind. Wenn nicht ausdrücklich die Farbgebung vor der Zeile angegeben wird, ist der Text mit braun-schwarzer Tinte geschrieben.
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Walther: Initia a) 3551, b) 17703, c) 10340; Stohlmann: Nachträge. In: Mittellatjb a) 7, 1972, S. 310; 8, 1973, S. 291; b) 8, 1973, S. 301; c) 8, 1973, S. 295; Henkel: Übersetzungen, S. 228-231, 274-276; Kesting: Cato, Sp. 1192-1196; Worstbrock: Novus Cato, Sp. 12361240. 2.) f. i6 v -22 r : Facetus >Cum nihil utilis< (Supplementum Catonis) i6 v rot. Male tibi mente dones ter tresque ducenti I Annos si queris hie bene doctus eris I schwarz: Cum nichil vtilius humane credo saluti 22v Sepe nocet, qui multa docet, que uix retinentur I Excogitur quidquid capitur dum pauca docentur I Explicit facesias deo gracias Vgl. Μ ι. Walther: Initia a) 3692, b) 10632; Stohlmann: Nachträge. In: Mittellatjb a) 8, 1973, S. 291; Henkel: Ubersetzungen, S. 245-248; Schnell: Facetus, Sp. 701-703. 3.) f. 22 r -29 r : Vita Pilati 22r Si veluti quondam scriptor vel scripta placerent I Innova dicendo multi velut ante studerent 29r Hijs igitur gestis redierunt ad sua quique I Cessavitque vetus submersio pestis inique I Explicit prawus pylatus deo gracias Μ 3· Walther: Initia 18058; Stohlmann: Nachträge. In: Mittellatjb 7, 1972, S. 310; 9, 1973, S. 340; Pylatus, S. 194-235 (S. 110-122); Knape: Pilatus, Sp. 669-682. 4.) f. 29 r -35 v Militarius (-De beata virgine Maria) 29r Laudis vt eximie tytulos augere marie I Possim christe peto formam da carmine leto 35v Cum patre sit nato laus spirituique beato I Dicite fiat amen dicite semper amen I Explicit militarius deo gracias50 Μ 9· Walther: Initia 10178; Stohlmann: Nachträge. In: Mittellatjb 7, 1972, S. 303; Militarius, S. 24-42 (S. 27); Worstbrock: Militarius, Sp. 527-529. f. sind in der alten Foliierung übergangen. Sie enthalten den Anfang (V. 1-97) der im zweiten Band f . 24f-264" vollständig wiedergegebenen »Vita scolastica« des Bonvicinus de Ripa. Die Seiten 3$.2r und35.3" sind durchgestrichen; die Initialen sind nicht ausgefiihrt und die Versanfdnge nicht rot gestrichen. Der Text ist nicht in das Inhaltsverzeichnis aufgenommen worden. 35.2r 35·3ν
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ic rudium primo vivendi forma docetur I Post modo doctorum denique finis erit Cor frequens consiliumque negat I Ut sis rixosus contendens inuidus asper
Die letzte Zeile wurde rot durchgestrichen und nicht in Auszeichnungsschrift geschrieben.
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5·) f. }6r~44r Doctrina rudium seu quinque claves sapientiae 36 r Vtilis est rudibus presentis cura libelli I Et facilem pueris prebet in arte viam 44 r Instituere simul doctores artis vt ipsum I Suscipiant pueri discipulique rüdes I Explicit doctrina rudium Μ J. Walther: Initia 19926; Stohlmann: Nachträge. In: Mittellatjb 7, 1972, S. 312; 8, 1973, 5. 303; 9, 1973, S. 342; Qvinqve claves sapientiae incerti auctoris, S. 5-36 (S. X). 6.) f. 44 r -59 r Passio S. Catharinae Alexandrinae metrica 44 r Palma triumphales katherine virginis alme I A scriptore nouo sit noua lege metri 59r Fine bono vitam da claudi da sub mire I Regina poli faciem daque videre tuam I explicit historia katherine Walther: Initia 13588; B H L Nr. 1666; Stohlmann: Nachträge. In: Mittellatjb 7, 1972, S. 305; Assion: Katharina von Alexandrien, Sp. 1055—1073. 7.) f. 59v-8OV Fabule Esopi moralisate 59v rot. ysopus / schwarz. V t iuvat et prosit conatur pagina presens I Dulcis arrident seria picta iocis 8o v Fine fruor uersu gemino quod rogitat omnis I Fabula declarat datque quod intus habet I Explicit esopus deo gracias51 Siquis scribebat nomen se dare nolebat I Finis adest uere scriptor vult pretium habere I Ο scriptor cessa quod manus est tibi fessa I Explicit esopus / deo gracias Walther: Initia 19812; Stohlmann: Nachträge. In: Mittellatjb 8, 1973, S. 303; Hervieux: Fabulistes, Bd. III, S. 316-351; Grubmüller: Meister Esopus, S. 61. 8.) f. 8i r -84 v Prudentius: Dittochaeon 8i r Eva columba fuit tunc Candida nigra deinde I Facta per anguinum swasa male fraude venenum 84v Mandere sed dominus iubet omnia munda putare I Surgit et immundas vocatus admisteria gentes Text bricht unvollendet mit PL 60, Iii
Vers 188 ab.
Μ 7. Walther: Initia 5963; Stohlmann: Nachträge. In: Mittellatjb 8, 1973, S. 293; 12, 1977, S. 302; 16, 1981, S. 417; Kurfeß: Prudentius, Sp. 1039-1071. / 8?-87"
51
fehlen
Die Zeile wurde durchgestrichen.
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9 · ) f. 8 8 Γ - Ι Ο 3 Γ Avianus: Fabulae (= Avianus antiquus) Anfang fehlt, der lt. Inhaltsverzeichnis f . 8/ begann; Text beginnt jetzt nach der Ausgabe von Guaglione mit III, n.
88r I03r
Iam stultum nimis est cum tu pravissima temptes I Alterius censor si vitiosa notes Sic quotiens duplici subeuntur tristia casu I Expedit insignem promeruisse necem I explicit antiquus avianus
Walther: Initia 16951; Stohlmann: Nachträge. In: Mittellatjb 8, 1973, S. 300; Aviani Fabulae, (S. LVIII). 10.) f. IO3v-IO8v Visio Philiberti 103" Noctis sub silentio tempore brumali I Dedicusque amodo sopreno spumali io8v Rebus transitoriijs ab re nuntiaui I Et me christi manibus totum commendaui I explicit lis de corpore et de anima Walther: Initia 11894; Stohlmann: Nachträge. In: Mittellatjb 7, 1972, S. 304; 9, 1973, S. 333; 15, 1980, S. 274; 16, 1981, S. 426; Walther: Streitgedicht, S. 66-75, 211-214 (ohne Erwähnung der Hs.). 11.) f. I09 r -ni r Johannes de Garlandia:''1 Poenitentiarius io9 r rot primas agas I schwarz; PEniteas cito peccator cum sit miserator I Judex et sunt hec quinque notanda tibi in r Fur caueas fieri non sis testis non ueri I Non cupias nuptam nec res queras alienas I Explicit summa penitencie Waither: Initia 13564; Stohlmann: Nachträge. In: Mlat. Jb 8, 1973, S. 298; 15, 1980, S. 276f.; Henkel: Ubersetzungen, S. 268f.; Worstbrock: Johannes de Garlandia, Sp. 612-623. f . in" leer, f . 112 fehlt. 12.) f. ii3 r -i32 v Avianus novus 113' rot. novus avianus I schwarz Rustica deflentem uagitus et facientem I Dixit ad infantem mihi crede lupo lacrimantem 132" I (!) pede germanus claudus nowus est avianus I Sic et ego dictus quamvis cum asene victus I explicit nows avianus Walther: Initia 16950; Stohlmann: Nachträge. In: Mittellatjb 8, 1973, S. 301; Novus Avianus, S. 257-300.
5Z
Die Autorschaft ist unsicher. 55
I3-) f. I33 r -i40 v De contemptu mundi (Cartula) i33r Cartula nostra tibi mandat dilicte salutes I Plura uidebis ibi si non hec dona refutes i40r Et cuicunque datur sine fine beatificatur I Hoc tibi det munus qui regnat trinus et unus I explicit contemptus mundi Μ ζ. Walther: Initia 2521; Stohlmann: Nachträge: In: Mittellatjb 7, 1972, S. 296; 8, 1973, S. 290; 9, 1973, S. 323; 16, 1981, S. 413; 15, 1980, S. 262; 16, 1981, S. 413; Henkel: Ubersetzungen, S. 235f.; Rudolf: De contemptu mundi, Sp. 5-8. 14.) f. ΐ4ΐ Γ -ΐ5θ Γ Rainerus Alemannicus, Thesmophagia (= Phagifacetus) 141' Res rerum natura parens ita concipit omnis I Et parit ut nate potuque ciboque dyatim 150' Sum uerum quo proparte rei maiore locutus I Doctoresque meos quos re casu orem secutus I Explicit fagifacetus Μ Ii. Waither: Initia 16645; Stohlmann: Nachträge. In: Mittellatjb 7, 1972, S. 308; 9, 1973, S. 339; Stohlmann: Reiner der Deutsche, Sp. 1161-1165. 15.) f. ijo v -i55 v Vita ]udae 150" Auctorum veterum placuere poemata multum I Nunc noua scribentem plebs iridet quasi stultum 155" Criste tuum solita famulum bonitate guberna I Possit ut inuita te collaudare superna I explicit vita iude Waither: Initia 1685; Stohlmann: Nachträge. In: Mittellatjb 7, 1972, S. 295; 9, 1973, S. 322; Worstbrock: Judaslegende, Sp. 882-887. Band II (f. I56r-3i2v): 1.) f. i5Ör—i8yr Nävus Physiologus ij6 r Que sit natura vegetans animalia plura I Vix rate secura presens parat edere cura 185' Ense penetrauit regem tellureque strauit I Qua fuerat natus et sacra fonte levatus I explicit novus phisiologus Walther: Initia 15037; Henkel: Studien, S. 4if.; Novus Physiologus (S. 7-17) S. 25-68. 2.) f. i85r-i99v Adolf von Wien: Doligamus 185' Augurio docti fraudes didici muliebres I De quarum fraude nemo cavere potest I99v Et post hanc metam det ei sedem bene letam I Jungeque solamen nunc dicat quilibet amen I Explicit doligamus Walther: Initia 1753; Stohlmann: Nachträge. In: Mittellatjb 8,1973, S. 296; 12,1977, S. 304; Adolf: Doligamus, S. 103-147 (S. 104); Worstbrock: Adolf von Wien, Sp. 68-71.
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3·) f. 2θθΓ—22θΓ Heinrich von Septimello: Elegia 200 r Quomodo sola sedes probitas flet et ingemit pro aleph I Facta uelut uidua quae prius uxor erat 22θΓ Videntis melior quam morientis amor I Hie liber est scriptus qui scripsit sit benedictus I Explicit hainrici liber hie qui samariens I Patriam miseram huic fuit acre sequens I explicit pauper hainricus Waither: Initia 16339; Henricus Septimellensis: Elegia, Sp. 843-868." 4.) f. 22θν-229Γ Frowin von Krakau: Antigameratus 22θ ν HOs morum flores si carpseris ut rosa flores I Hiis quod disce regi hoc placet summo quoque regi 228r Et iuste moritur, qui sic faciendo moritur I Hec etenim scripta tibi sunt per dogmata scripta I Antigameratus codex est iste vocatus I explicit antigameratus54 Walther: Initia 8454; Stohlmann: Nachträge. In: Mittellatjb 8, 1973, S. 296; 12, 1977, 5. 304; Frowin: Antigameratus, S. 60-77 (S. 63); Frowin von Krakau, Sp. 988—990. 5.) f. 229 v -238 v Vita S. Gregorii 229" GRatia potenis que cunctarum moderatur I Rerum processus que regem misit ab arce 238v Mater saluatur gregorius almificatur I Laus tibi sit Christe quomodo Über explicit iste I explicit vita sancti gregorij I Christi corpus aue sancta de virgine natum Μ 8. Walther: Initia 7329; Stohlmann: Nachträge. In: Mittellatjb 9, 1973, S. 32; BHL 3649; Schmeller: Gregorius, S. 486-501; Mertens: Gregorius, Sp. 245. 6.) f. 239 r -245 r Physiologus Theobaldi (= Physiologus antiquus) 239r TRes leos naturas et tres habet inde figuras I Quas ego Christe tibi pisseno carmine scripsi 245' Namque palam nullos licet audet fallere multos Quos tunc defendat qui secula peromnia regnat I explicit antiquus physiologus Μ 13. Walther: Initia 19395; Stohlmann: Nachträge. In: Mittellatjb 7, 1972, S. 312; 9, 1973, S. 342; 16, 1981, S. 438; Theobaldi Physiologus; Schröder: Physiologus, Sp. 620-634. 7.) f. 245 r -264 v Bonvesin da la Riva: Vita scolastica 245' Hic rudium primo uiuendi forma docetur I Post modo doctorum denique finis erit 204v Quid boni si fecimus des ipse noscere lector I
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Die Ausgabe von Migne (PL 204) berücksichtigt diese Überlieferung nicht. Aus >antigamemeratus< durch Streichung des ersten >me< korrigiert.
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Sic vis composuit carmine dante deo I explicit uita scolastica Walther: Initia 8088; Stohlmann: Nachträge. In: Mittellatjb 7, 1972, S. 301; Quinque claves sapientiae incerti auctoris, S. 38-102 (S. XXVI). 8.) f. 205γ-283γ Historia Trojana Daretis Frigii 26 f HIstoriam troye figmenta poetica turbant I Unde licet magnis fortuna sit invida ceptis 283r Quatenus ad Christum redeat mens ut nostra delictum I Et precor ille mei sit consumacio cepti I explicit hystoria troye Walther: Initia 8218, 8227; Stohlmann: Nachträge. In: Mittellatjb 7,1972, S. 301; Anonymi Historia (S. 220-227). 9.) f. 283r-290v Facetus, >Moribus et vita< 283r MOribus et uita quisquis vult esse facetus I Me legat et discat quod mea musa docet 2 9°v Que super dixi orde suo teneat I Doctus inarte mea nate facetus erit I explicit facetus deo gratias Walther: Initia 11220; Stohlmann: Nachträge. In: Mittellatjb 9, 1973, S. 321; 12, 1977, S. 519; 16, 1981, S. 410; Schnell: Facetus, Sp. 700-703. 10.) f. 290 v -297 r Ecloga Theodoli 29θν Ethyopum terras iam feruida torruit estas I Incancro solis dum volvitur aureus axis 297r Sol petit occasum frigus succedit opacum I Desine quod restat ne desperatis ledat I explicit theodolus deo gratias Walther: Initia 664; Stohlmann: Nachträge. In: Mittellatjb 9,1973, S. 321; 12,1977, S. 519; 16, 1981, S. 410; Henkel: Ecloga, S. 151-162; Theoduli eclogam (S. 18). 11.) f. 297v-303r Vita S. Alexii 2 97 v Vir quidam magnus rome fuit ephamianus I Qui fuerat diues et primus regis inaula 303' Alexij uitam Christi ueritate peregij I Alexij uitam conscripsi inordine totam I explicit vita sancti alexij Μ 14. Walther: Initia 20422; Stohlmann: Nachträge. In: Mittellatjb 7, 1972, S. 313; 9, 1973. S. 343; Rosenfeld: Alexius, Sp. 226-235. 12.) f. 303 r -3ii r Hugo von Trimberg: Laurea sanctorum 303' Cum sit necessarium sanctos invocare I Vt factorem omnium velint exorare 3iir Vos male tornatos incudi reddite versus I
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exsplicit flores sanctorum 155 Expliciunt flores sanctorum Walther: Initia 3796; Stohlmann: Nachträge. In: Mittellatjb 7, 1972, S. 297; Hugo: Registrum, S. 278-281 (S. 278); Schweikle: Hugo von Trimberg, Sp. 268-282.
f. 3iiv-3i2v Tabula 31Γ oberer Teil der Seite beschädigt
3I2V 3i2 v
... [prim]ο libro Et primo antiquus katho I 1° fo Cum animadverterem antiquus ka I mixtum ambo I Lingwa paterna sonat nowus katho I CCCiij" fo Cum sit tuam flores sanctorum rot: Anno domini M ° C C C ° L X X X ° finitus est iste I Liber in vigilia Assumptionis marie permanus I Conradi dicti hanchel finito libro sit laus I et gloria Christo Detur propenna scriptori celica I regna Amen
Beschreibstoff: Folgende Wasserzeichen befinden sich in der Papierhandschrift:56 a) Ochsenkopf mit Augen und Nüstern und sternförmig gekreuzter Stange in dem Vorsatzblatt von Bd. I: fast so wie das Wasserzeichen Briquet: Filigranes, Nr. 15058 (nachgewiesen für Memmingen 1443, Minden 1445-1452, Marburg 1459), größere Ähnlichkeit besteht mit dem Wasserzeichen Piccard: Ochsenkopf, Bd. II, 2 VII 236 (nachgewiesen für Basel und Nürnberg 1473). b) Ochsenkopfmit sternförmig gekreuzter Stange in Bd. I, Lage 1-3, z.B. f. 2425: ähnlich dem Wasserzeichen Briquet: Filigranes, Nr. 14614 (nachgewiesen für Würzburg 1374) und Piccard: Ochsenkopf, Bd. II, 2, Nr. VI 136 (nachgewiesen für Bamberg, Würzburg, Arnheim, Culemborg, Xanten 1379-1383). c) Ochsenkopf mit sternförmig gekreuzter Stange in Bd. I, Lage 1—3, z.B. f. 8—9: ähnlich dem Wasserzeichen Briquet: Filigranes, Nr. 14613 (nachgewiesen für Mantua 1374 und Magdeburg 1373-1390) und ähnlich Piccard: Ochsenkopf, Bd. II, 2, Nr. VI 137 (nachgewiesen fur München, Nürnberg, Rothenburg 1372-1376). d) Ochsenkopf in Bd. I, Lage 7-9, in Lage 10 f. i2of.; Lage 11, z.B. f. 89: ähnlich dem Wasserzeichen Briquet: Filigranes, Nr. 14447 (nachgewiesen fiir Würzburg 1379, Bologna 1381) und ähnlich Piccard: Ochsenkopf, Bd. II, 2, Nr. I 162 (nachgewiesen für Bologna, München und Kl. Tegernsee 1376—1381, Würzburg, Arnheim, Köln, Xanten und Braunschweig 1373—1379).
" 56
D i e Zeile wurde durchgestrichen. D i e Wasserzeichen wurden aufgrund von Durchzeichnungen, die Frau Brüning, H L u H B Darmstadt, anfertigte, von mir bestimmt.
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e) zwei Kreise an sternförmig gekreuzter Stange in Bd. I: Lage 4, 7, 10, 12. Bd. II ganz, z.B. f. 40: ähnlich dem Wasserzeichen Briquet: Filigranes, Nr. 3228 (nachgewiesen für Udine 1376). f) zwei Kreise an sternförmig gekreuzter Stange, anders angeordnet als c) in Bd. I: Lage 5-6; 12, z.B. f. 46: ähnlich dem Wasserzeichen Briquet: Filigranes, Nr. 3225 (nachgewiesen fur Ferrara 1371, Bologna 1372, Venedig 1373, Würzburg 1375, Zürich 1373, Frankfurt am Main 1376 und Augsburg 1378). Lagenverteilung: Aus der Bindung ergibt sich folgende Lagenformel: Bd. I: 2 VHP 2 + VI 44 + 2 V 64 + V P 6 + (VI-i) 8 ? + (VII-2)99 + (VI-1)» 0 + VII 124 + 2 VI 148 + (III—l)1«; Bd. II: (V-2) 8 + 12 V F 2 + (IV-1) 159 . Teilweise kennzeichnen Reklamanten am Ende einer Lage oder Lagenzählungen zu Beginn einer Lage auf dem oberen Rand in beiden Bänden den Anfang bzw. das Ende einer Lage. Der erste Band hat ein Vorsatzblatt. Es fehlen zwischen der siebten und achten Lage drei Blätter, dadurch werden f. 74, 99 und 100 gegenblattlos. Am Ende der neunten Lage fehlt f. 112. Weil f. 151 eingeklebt ist, fehlt am Ende der Lage das Gegenblatt, ohne dass es zu einem Textverlust gekommen ist. Der zweite Band beginnt mit zwei Vorsatzblättern, die mit f. 159 und f. 160 verbunden sind. In der ersten Lage sind f. 158 und f. 161 gegenblattlos. Am Ende des zweiten Bandes sind das letzte Blatt der Lage und zwei Nachsatzblätter herausgeschnitten. Format: Beide Bände sind in Quartformat mit dem Blattumfang 202 χ 143 mm. Der Schriftraum schwankt bis zu einer Größe von ca. 155 x 70 mm. Jede einspaltig beschriebene Seite umfasst etwa 23 bis 27 Zeilen auf einer Vorlinierung, wobei die Verse abgesetzt sind. Beide Bände sind oben beschnitten, so dass dadurch teilweise geringfügiger Textverlust entstanden ist. Schrift und Schreiber: Der Text ist in Textualis currens geschrieben, als Auszeichnungsschrift der Explicits kann man eine Textura erkennen; das Kolophon dagegen ist in einer stilisierten Kursive abgefasst. Die zwischen der Gothica textualis und der frühen Bastarda stehende Schrift beschreibt Stohlmann folgendermaßen: Das doppelstöckige >addedof< und >s< sind noch charakteristische Merkmale der gotischen Buchschrift. Die Buchstaben und Schäfte haben jedoch nicht spitze Anstriche und Abstriche, sind nicht mehr gebrochen und eckig, sondern zeigen Ansätze zur Rundung. Der Buchstabe >t< am Wortende ist oft mit einem waagerechten Zierstrich versehen; der Schreiber setzt nicht mehr Striche, sondern Punkte über Doppel-ii (in der Form >i j< geschrieben),
60
durchweg auch über einfachem >iy< und >js< in doppelstöckiger Form überwiegt am Wortende.57 Die Buchstaben m, η, ρ und j haben zuweilen einen verdickten Anstrich. Die Unterschleife des g ist rund und geschlossen. Das r erscheint in zwei Varianten: Neben der Zusammensetzung aus glattem Aufstrich mit Schulterstrich kommt es auch vor, dass der Schulterstrich durch einen Aufstrich mit dem unteren Schaftende verbunden ist und damit dem ν ähnlich wird. Die Darmstädter Schrift wirkt im Ganzen kurrenter als die Münchener Handschrift. Auf f. i r steht am oberen Rand von der Hand des Schreibers: Assit in principle sancta maria mea. In der Handschrift findet man lateinische und frühneuhochdeutsche Glossen von der Hand des Schreibers. Im >Gregorius Peccator< kommen keine Glossen vor, aber beispielsweise in der >Vita Pilatic probant über perhibent (V. 28)*8 more über ritu (V. 56), pilatus über perditus (V. 347), von engeland über Anglorum (V. 93), von der gunst über assensu (V. 149). Teilweise stehen - ebenso wie in der Münchener Handschrift — Zahlen über den Wörtern zur Kennzeichnung gleicher grammatischer Satzteile.59 Schreibersprüche in schwarzer Tinte befinden sich neben und unter dem Text von einer zweiten Hand des 15. Jahrhunderts. Schreibsprache der Glossen: Die Lokalisierung des 1380 entstandenen Darmstädter Codex vermutet Stohlmann aufgrund der hochgestellten Buchstaben im Namen Hanchelund in den Glossen (z.B. secuture — nächgänt [Anonymi Historia, V. 273]), der fehlenden neuhochdeutschen Diphthongierung und der Verwechslung von f und ν am Wortanfang lateinischer Wörter (fatibus = vatibus [Anonymi Historia, V. 8]) »in Südwestdeutschland im Gebiet des Oberrheins.«60 Seemann begründet den Entstehungsort der Handschrift durch die Glossen: »durch sie werden wir auf alemannisches Gebiet verwiesen und zwar in einen nordöstlich liegenden schwäbischen Teil, in welchem ä als au oder a, sowie mhd. «als ai erscheint.«61 Die Diphthongierung des mhd. /ä/ erweist sich als das deutlichste Kennzeichen des Schwäbischen62 (z.B. Armiger — wauffen treger [Novus Avianus, V. 34],
57 58
*9
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Anonymi Historia, S. 223. Die Versangaben beziehen sich auf die Ausgabe des Pylatus, aus der auch die Beispiele entnommen sind. Diese Syntax-Glossen sind auch in einem Codex aus Basel zu finden, der aus derselben Zeit stammt: Ms Basel U B Α. X. 136. Es handelt sich um eine von Johannes Landolt 1368 und von Johannes Elsacie 1370 in der Kartause von Basel geschriebene Sammelhandschrift. Sie hat mit der Darmstädter Handschrift neben dem Merkmal der Zahlen auch fünf Texte gemeinsam (vgl. Anonymi Historia, S. 225). Ebd. Novus Avian, S. 258. Vgl. Paul: Mittelhochdeutsche Grammatik, § 70, S. 99; Reichmann u. Wegera: Frühneuhochdeutsche Grammatik § L 28; Moser: Frühneuhochdeutsche Grammatik, § 73, 3, S. 145; Weinhold: Alemannische Grammatik, §§ 87, 96; Sprachatlas, Karte 40, 42; Glaser: Studien, S. 79-82.
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spiramen — guten [V. 224], Eolius flatus — der wind von dem tail, da diu sunn ufgät [V. 360]). Die mittelhochdeutschen Langvokale /ü/ und Iii sind nicht diphthongiert, da die neuhochdeutsche Diphthongierung im schwäbischen Sprachgebiet erst um 1400 einsetzt63 (z.B. [Novus Avianus, V. 360,]; deductio — daz diu kurczwilung des wegs [V. 194], discursibus latis — die wit swaifen weg [V. 486]). Der mhd. Diphthong /ei/, aus germ, /ai/ oder durch Kontraktion entstanden, erscheint als , wie es im alemannisch-schwäbischen Sprachgebiet belegt 1st,64 z.B. zaigenlich, zaigen [Novus Avianus, V. 344], tail [V. 360], ain6s [V. 411] rupis — stainuels [V. 573], tendens — raichent [V. 603]. Mhd. /ou/ erscheint in den Glossen als , was ein Kennzeichen des Westschwäbischen im 14. und 15. Jahrhundert ist,66 z.B. globendens [Pylatus, V. 264], acerre — wiroch fas [Novus Avianus, V. 504]. Die Schreibung für Iii/ ist, wie z.B. Novus Avianus V. 90 lügen, V. 299 vnglük, im schwäbisch-alemannischen Sprachgebiet verbreitet.67 Die nicht abgeschwächten unbetonten Vokale (z.B. dilataui— bra.it machet [Novus Avianus 271], coaxat - mtschott\V. 116], zittrotent\y. 208]) sind kennzeichnend für das Alemannisch-Schwäbische.68 Die Schreibung für Isl vor l, m, n, w ist seit dem späten 13. Jahrhundert ausgehend vom Ostschwäbischen belegt. Vor w ist dieser Vorgang verzögert und findet in Augsburg erst um 1480 statt.69 In den Glossen sind vor w beide Schreibungen belegt (z.B. feda - schmeckent ans [Novus Avianus, V. 194], aber discursibus latis — die wit swaifen weg [V. 486]). Der a-Vokalismus im Präsensparadigma ist für das Alemannisch-Schwäbische in Abgrenzung vom Bairischen charakteristisch:70 gut (Novus Avianus, V. 360). Da die Glossen nur wenig Material für eine Schreibsprachenbestimmung bieten, muss diese ungenau bleiben. Die dargelegten Merkmale deuten auf die Entstehung der Handschrift im alemannisch-schwäbischen Sprachgebiet. Gegen eine Entstehung im Ostschwäbischen spricht, dass in den Glossen nicht die Schreibung für /ou/ belegt ist.7' Für das Westschwäbische spricht die Schreibung für mhd. /ou/.
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69 70 71
Vgl. Paul: Mittelhochdeutsche Grammatik, § 42, S. 68; Moser: Frühneuhochdeutsche Grammatik, § 77, S. I54f.; Lindgren: Ausbreitung, S. 34. Vgl. Moser: Frühneuhochdeutsche Grammatik, § 79, S. i68f.; Glaser: Studien, S. I04f., Sprachatlas, Karte 55, 62. Vgl. Sprachatlas, Karte 62. Vgl. Moser: Frühneuhochdeutsche Grammatik, § 79, A n m . 9, S. I72f.; Sprachatlas, Karte 75-77; Reichmann u. Wegera: Frühneuhochdeutsche Grammatik, § L 22. Die Monophthongierung des /ou/ ist auch kennzeichnend für das Mitteldeutsche, vgl. Paul: Mittelhochdeutsche Grammatik, § 162, 1. Vgl. Reichmann u. Wegera: Frühneuhochdeutsche Grammatik, § L 30. Glaser: Augsburg, S. 358; Paul: Mittelhochdeutsche Grammatik, § 59, 4; Kauffmann: Geschichte, §§ 1 1 1 - 1 1 7 ; Sprachatlas, Karte 99. Vgl. Reichmann u. Wegera: Frühneuhochdeutsche Grammatik, § L 54. Vgl. Glaser: Augsburg, S. 358; Paul: Mittelhochdeutsche Grammatik, § 280. Vgl. Moser: Frühneuhochdeutsche Grammatik, § 79, Anm 1, S. 170; Sprachatlas, Karte 75; Glaser: Studien, S. 1 0 9 - m und Tab. 19.
62
Ausstattung: Schwarz-rote Initialen, die bis zu drei Zeilen übersteigen, stehen häufig am Anfang eines neuen Textes. Mit roten Initialen werden Sinnabschnitte gekennzeichnet. Die abgesetzten Initialen am Zeilenanfang sind rot gestrichen. In einigen Texten befindet sich eine Gliederung am Rand von der Hand des Schreibers in stilisierter Kursive, z.B. f. 1561—1851" im >Novus PhysiologusGregorius Peccator< ist in beiden Handschriften in grammatischer, semantischer und metrischer Hinsicht derart fehlerhaft, dass keiner der Textzeugen einen korrekten Text enthält. Gemeinsame Verstöße gegen die Grammatik, den Sinn und bzw. oder das Metrum können vielfach als einfache Schreiberfehler erklärt werden (z.B. signat statt signa [GP 124], obscura statt obscure [GP 325], velles statt velle [GP 328], Infra statt Intra [GP 153], tabulam statt capsam [GP 83], Depresses statt Oppresses [GP 5] jeweils in beiden Handschriften). Durch diese Bindefehler kann man auf eine gemeinsame fehlerhafte Vorlage beider Handschriften schließen. An den Stellen, an denen die Münchener Version durch die Darmstädter korrigiert werden kann, sind die Fehler auf nicht oder falsch aufgelöste Abbreviaturen (z.B. vide statt videre [GP 205], queram statt queramque [GP 318], miseri statt misereri [GP 403]), auf Verwechselung und Auslassung einzelner Buchstaben (z.B. renovarem statt revocarem [GP 309]), Auslassungen einzelner Wörter (z.B. fehlt in G P 33 ut, in G P 302 tempora) und einfache Umstellungen (z.B. versa vice statt vice versa [GP 206]) zurückzufuhren. Auch an den Korrekturen in der Handschrift (z.B. G P 235, 248, 330) kann man erkennen, dass versucht wurde, Fehlerhaftes zu verbessern. Die Darmstädter Handschrift gibt häufig an den fehlerhaften Stellen des Münchener Textes Varianten, die zum Textverständnis der Hexameterversion wertvoll sind. Dennoch überliefert die Münchener Handschrift den besseren Text, da in der Darmstädter Version an mehreren Stellen neben der Grammatik auch der Sinn durch Auslassungen oder Verwechselungen völlig entstellt ist (z.B. seculum statt speculum [GP 9], prole mater quoque statt proplemnata [GP 280], cum pede reperta statt compede rapta [GP 395]). Deshalb wird im Folgenden der >Gregorius Peccator< nach der Münchener Handschrift als Leithandschrift abgedruckt, und offensichtliche Fehler werden soweit möglich nach der Darmstädter Handschrift bzw. durch Konjekturen verbessert. Dennoch sind einige Textstellen so verderbt, dass kein Vorschlag für einen korrekten Text eingebracht werden konnte, sondern nur in der Übersetzung eine Vermutung über den Inhalt eingefügt worden ist.
Vgl. ebd.
64
Etwa Vers 352, der von der Beschaffenheit des Felsens, auf dem Gregorius seine Buße tut, handelt, enthält in beiden Handschriften eine Verderbnis: 351 352
... vbipauca gramina tantum Et (danach rem getilgt) riueis fluxit remis nullum quoque lingnum Μ Creuerunt fluxit tenuisque ripa legumen D Nec pira nec poma creuerunt, sed neque mora.
Der Versanfang Creuerunt fluxit tenuis(que) erscheint in D noch sinnvoll, doch die Mitte des Verses ist auch hier fehlerhaft und nur durch eine Konjektur zu rekonstruieren. In der Darmstädter Handschrift sind an zwei Stellen Verse umgestellt (GP i o j f . steht nach 101; G P 387 steht nach 389), in derem Umkreis eine verderbte Überlieferung den Sinn der Verse entstellt. 77 Außerdem ist nach Vers 34 und nach Vers 84 jeweils ein Vers eingefügt. Für die Versumstellungen und -zusätze lässt sich keine einheitliche Begründung im Sinne einer Bearbeitungstendenz finden, doch man kann daraus schließen, dass die Darmstädter Handschrift eine verderbte Vorlage zu korrigieren versuchte, so dass sie durch ein weiteres Zwischenglied von der mit der Münchener Handschrift gemeinsamen Vorlage getrennt ist. Nach Vers 337 müssen in der Münchener Handschrift Verse ausgefallen sei, da an dieser Stelle ein inhaltlicher Bruch zu verzeichnen ist. Die Darmstädter Handschrift enthält nach Vers 337 zwei Verse, von denen der zweite mit requiescat endet, so dass man in der Münchener Handschrift einen Augensprung vermuten kann (GP 337 quiescat). Die Darmstädter Zusatzverse sind jedoch so fehlerhaft, dass sie nur Vermutungen über den Inhalt, nicht aber über den Wortlaut der ausgefallenen Verse zulassen. Aufgrund der Bindefehler muss eine gemeinsame Vorstufe angenommen werden. Die Trennfehler schließen eine Abhängigkeit der Versionen aus. Außer den zwei überlieferten Textzeugen und dem Original sind also mindestens noch zwei weitere Uberlieferungszeugen anzunehmen. 2.2. Editionskriterien Z u den im Rahmen dieser Arbeit beachteten Editionsgrundsätzen 78 treten folgende für die Hexameterversion gültige Prinzipien hinzu.
77
78
V . io5f. steht nach V . 101, in dem der zentrale Begriff metro mit metus vertauscht worden ist; V. )8jf. steht nach V . 389, wobei in V . 389 das letzte Wort inaugo verderbt ist. Vgl. I.2.4 Allgemeine Editionskriterien, S. i}f.
65
2.2.1. Text Der Text wird nach der Münchener Handschrift abgedruckt, wobei offensichtliche Schreiberfehler korrigiert werden. Dem Leithandschriftenprinzip entsprechend wird die Orthographie der Münchener Handschrift beibehalten, denn nur so wird verständlich, wie es zu manchen Varianten kommen konnte. Folglich weicht der Text z.T. deutlich von der klassischen Schreibung ab, und es gibt Schwankungen in der Graphie desselben Wortes. 79 Eingriffe in den Text der Münchener Handschrift werden kursiv gesetzt und sind im Apparat aufgeführt. Handelt es sich dabei um Verwechselungen einzelner Buchstaben bzw. falsch aufgelöste Abkürzungen, wird nur der ausgetauschte Buchstabe kursiv gesetzt. Umstellungen der Wortfolge sind lediglich im Apparat verzeichnet und nicht im Text kursiviert. Da die meisten Verse dem antiken Metrum, abgesehen von den üblichen Veränderungen, entsprechen, werden auch offensichtliche metrische Fehler der Münchener Handschrift durch den Darmstädter Text korrigiert und bisweilen durch Konjekturen verbessert. Diese äußerst seltenen Eingriffe aufgrund der Metrik führen nicht zu inhaltlichen Veränderungen. Die Reflexion des Erzählers über das Metrum (GP 101—106) deutet zudem auf ein Bemühen des Verfassers um die Metrik. Folgende Eingriffe in den Text sollen die Lektüre erleichtern: — Der Textabdruck trennt die Präpositionen, auch wenn sie in der Handschrift mit einem direkt folgenden Bezugswort verknüpft sind, z.B. in terra für interra (GP 12). — Die Majuskeln am Versende der Münchener Version bleiben beim Abdruck unberücksichtigt. — Es wird eine Interpunktion eingefügt, die Haupt- und Gliedsätze kennzeichnet. — Eine Crux vor und nach einer Textstelle kennzeichnet, dass ein korrekter Text nicht hergestellt werden kann. — Die Folioangaben der Leithandschrift Μ sind recte, die der Darmstädter Handschrift kursiv am Rand angegeben. 2.2.2. Kritischer Apparat In einem kritischen Apparat sind die Lesarten der Handschriften, die über rein orthographische Varianten hinausgehen, aufgenommen. Die Konjekturen von Schmeller (Sch.), Haupt (Ha.) und Seelisch (Se.) werden nur dann angemerkt und gegebenenfalls eingefügt, wenn sie nicht durch die Uberlieferung ersetzt werden können.
79
Die regelmäßigen Abweichungen von der klassischen Orthographie werden im folgenden Kapitel zusammengestellt.
66
Wenn eine Emendation auf die Darmstädter Handschrift zurückgeht, wird dieses nicht eigens angemerkt, sondern nur die Variante der Münchener Handschrift im Apparat aufgenommen. Ist durch eine Konjektur in den Text eingegriffen worden, werden im Apparat die Lesarten beider Handschriften angeführt (z.B. GP 186 Castro mater] castroque Μ catro tutaque D). Die bloße Sigle des Konjektors weist darauf hin, dass die Konjektur nicht aufgenommen worden ist (z.B. GP 112 ceperunt] caperunt Μ capiuntque D capuerunt Seh. rapuerunt Ha.). 2.2.3. Orthographie Die Abweichungen der mittellateinischen Orthographie von der klassischen Latinität lassen sich nur in der Tendenz angeben und sind nicht streng durchgeführt.80 Durch die folgenden Merkmale weichen die Handschriften von der klassischen Orthographie ab:8' — Die Buchstabenverbindungen -ae- und -oe- wurde durch e verdrängt: z.B. in Μ que (GP 2), Ceperunt (GP 12), leserit (GP 138), sepe (GP 249); in D mense (GP 109). — Graphie y für i nicht nur in griechischen Wörtern: z.B. in Μ ymmo (GP 32), moyses (GP 87), lay (GP 284); in D helyam (GP 361). — ii wechselt mit ij innerhalb einer Handschrift: z.B. in Μ solij (GP 3), perijt (GP 17), subijt (GP 364); in D gregorij (GP 454). — t vor i mit folgendem Vokal wird bisweilen c geschrieben, selten kommt die umgekehrte Schreibung vor: z.B. in Μ Tristicie (GP 163), letieiam (GP 160). — Wenn mihi und «^//ausgeschrieben sind, wechseln sie mit michi und niehil: z.B. in Μ niehil {GP 116). — ph undyf c und qu, d und t wechseln sich ab: z.B. in Μ nephas (GP 303), velud (GP 223); in D velut. — Die Aspiration wird weggelassen oder zusätzlich gesetzt: z.B. in Μ honus (GP 14), prochus (GP 37, 70), proehari (GP 70), heliam (GP 361); in D helyam. — Schwer zu artikulierende Konsonantenverbindungen werden vereinfacht, so wechselt -sc- zu c, s oder z: z.B. in Μ zelus (GP 247), eresente (GP 13) oder cresit (GP 134). — ζ steht für e oder s: z.B. in Μ zelat (GP 43, 66, 153), zelare (GP 52) zelaho (GP 53), zelatum (GP 79), baptizari (GP 127, 130).
80
V g l . Pylatus, S. 140.
81
V g l . Langosch: Lateinisches Mittelalter, S. 53?. V g l . Pylatus, S. 140—146. D a die rein orthographischen Varianten nicht im K o m m e n t a r enthalten sind, zitiere ich aus den Handschriften.
67
— η wird vor gn eingefügt, um die Nasalierung wiederzugeben: z.B. in Μ Ingnorat (GP 113), Inpungnat{GP 197), lingnum (GP 352), congnoscere (GP 417); in D dingnetur (GP 7), rengni (GP 49), rengnum (GP 58, 65, 319), ingnarum (GP 375). — Zwischen m und t, m und s, m und η wird ein Stützkonsonant eingeschoben: z.B. in Μ dampnare (GP 88); in D dampnis (GP 222). — Vertauschung von Tenuis und Media: z.B. in D appas (GP 133), stirbs (GP 292). — Das einsilbig gemessene sua- erscheint entsprechend der Aussprache als swa-: z.B. in Μ swadetis (GP 236). — Konsonantengemination wird vereinfacht oder abundierend gesetzt: z.B. in Μ corexit (GP 108), adderat (GP 151), occulos (GP 297); in D mira (GP 35). — Unregelmäßiger Gebrauch von/"und ν besonders in der Darmstädter Handschrift, sowie u, ν und w: z.B. in D adoptiwus (GP 136), fastat (GP 197), festes (GP 212), awus (GP 276). — Unregelmäßiger Gebrauch von unbetontem e und i: z.B. in Μ precepiti (GP 10); in D feminin (GP 164), gemebundus (GP 297). 2.2.4. Metrik Der Verfasser bleibt im Umgang mit den Quantitäten weitgehend im Rahmen dessen, was im Mittelalter für den Hexameter üblich war.82 Folgende Abweichungen von den klassischen Quantitäten treten regelmäßig auf und sind deshalb nicht als Fehler zu betrachten: — Kürzungen des Endvokals 0 im Dual (z.B. GP 445, 448) bei nemo (z.B. GP 55), in der 3. Deklination (z.B. GP 27, 34, 175, 301, 370), in der ersten Person Indikativ Aktiv (z.B. GP 293, 328, 334) und im Ablativ des Gerundiums (z.B. GP 383). — Productio in arsi (z.B. GP 79, 262, 450 eine Dehnung vor der Trithemimeres; GP 31, 140, 164, 322, 340, 353 eine Dehnung vor der Penthemimeres; GP 260 eine Dehnung der Hebung im fünften Metrum). — Dehnung von betonten kurzen Silben (z.B. processus [GP 2], reuertor [GP 94], recedit [GP 120], rogat [GP 232], trahit [GP 261]). — Gespaltene Hebung ersetzt eine Länge (z.B. bene [GP 32], zelus [GP 42], Reginaque [GP 79], fecit ac [GP 443]). — Monosyllaba im sechsten Fuß (z.B. GP 97, 127, 166). — Hiat (z.B. GP 110, 170, 253 und 300). — Der fünfte Versfuß ist nicht immer ein Daktylus (z.B. GP 112, 120, 284). — Angehängtes -que unterliegt bisweilen einer metrischen Längung (z.B. patrique GP 275).
82
Vgl. Seelisch: Bearbeitungen, S. 126; Pylatus, S. 74.
68
Berücksichtigt man diese Veränderungen, so bleiben nur wenige Auffälligkeiten bestehen. So ist beispielsweise Vers 428 Quem non ignorat, quem seit sicut et ipsa metrisch defekt, ohne dass eine Konjektur naheliegt, da es keine inhaltlichen Auffälligkeiten gibt. 2.2.5. Übersetzung Die Ubersetzung versucht zwischen Ausgangs- und Zielsprache zu vermitteln. Die bisweilen ungewöhnlichen lateinischen Konstruktionen und abgelegenen Bedeutungen der Worte erschweren es, dem Text gerecht zu werden. Der lateinische Text wechselt häufig im Tempus. In der Ubersetzung wird das Präteritum durchgehend als Erzähltempus verwendet. 2.2.6. Siglen- und Abkürzungsverzeichnis München SB, Clm 4413, f. 42 v -52 v Darmstadt ULB, Hs 2780, f. 229 v -238 v Schmeller: Gregorius, S. 486-500. Haupt. In: Schmeller: Gregorius, S. 486-500. Seelisch: Bearbeitungen, S. 121-128.
Μ D Sch. Ha. Se. 2.3.
Text
2.3.1. Gregorius peccator Incipit Gregorius Gregorius
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[42v] [43' / 229·]
G ratia potentis, que cunctarum moderatur R erum processus, que regem misit ab arce Ε xcelsi solij miseris succurere, sanetos G ratuitis ditare boms, relevare iacentes Ο />pressos homines extollere, vineula vinetis R umpere, peccata dimittere, crimina mundi I ustitia delere sua, dignetur adesse, V t valeam uitam cuiusdam scribere metro S aneti, qui possit speculum peccantibus esse.
Überschrift Gregorius] über dem Text von einer Hand des 15. Jh.s; evtl. dieselbe, die Textkorrekturen auf f . jr — vornahm Mi potentis] pollentis Ha. 4 bonis] donis M\ relevare] reuelare Μ $ Oppressos] v. Sch. konjiziert Depressos Μ D\ vinetis] victis D 9 speculum] seculum D
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Ρ ostquam precepiti ceciderunt omnia casu, Ε xpulsis primis de sede parentibus alma, C eperunt homines in terra multiplicari. C rimina creuerunt populo cresente, nec ullus A lterius portabat honus, sed lege relicta Τ otus erat mundus confusus. venit Olimpo Ο mnipotens, ut ferret opem, solusque valebat R eddere, quod perijt, et solus cuncta redemit. Rex recto ritu regendo regna tenebat. Nobilis huic dederat prolem natura gemellam, Natum cum nata. probus hie fuit, ilia decora. Tempus edax longusque dies seniumque molestans Regem cogebat morti sua soluere iura. Conuocat hie proceres, veniunt. presentibus illis Nato committitur regnum. natam quoque nato Committit, sed committit nimium meliusque Non commississet. manet inviolabile fatum. Sed quoniam, sicut testatur Naso poeta, Exitus acta probat et finis cuncta coronat, Qui mala commisit, conclusit fine beata. Rex moritur, sed non penitus, quia filius eius In regno regnat et recte regna gubernat. Cuncta regendo bene, se non regit, ymmo ruinam In se conuertit, dum non ut frater amauit Germanam. dilexit earn, dilectio creuit, Et Biblis fratrem dilexit, Mirra parentem. Hanc multi petiere prochi. procul ipse prochorum Esse iubet turbam, quoniam prochus inprobus ipse Vult optatque sibi soli, quam non cupit ulli. Ergo iocos fingit, dat basia, brachia stringit, Agreditur. sic transgreditur commissa, querelas Exequitur, solatur earn quocumque vouendo. Et licet ambo zelus hoc velint dissimilare Non tamen id zelat uterus, loquiturque pudorem Voce carens, partu turgens. iam iam manifesta Crimina sunt utero, ne factum fama loquatur,
[43* / 230']
14 relicta] relictia Μ i8 ritu] + sua Se.; regendo] regengo durch übergeschriebenes d korrigiert Μ j p natura] nata D 22 cogebat] cogebant D 24 committitur] committit D 2f nimium] nimiumque D 29 commisit] permisit D 30 Rubrikzeichen vor der Zeile D\ sed non] 0 D 33 ut] 0 M 34 dilexit] dilegit durch Überschreiben korrigiert Μ 34 + / Et nimis exereuit quod vterque dolens mage flevit D js Et Biblis] Et bilis Μ Sic ilia D Ut Byblis Sch. 38 ulli] nili Μ 39 stringit] stricto D 40 commissa] commissas D 41 vouendo] remitto D 42 hoc velint] vellent hoc D 43 uterus] virtus D 44 partu turgens] partus surgens D\ manifesta] manifeste D 4 j n e ] sic D; loquatur] loquitur D
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Rex quodam conclusit eam. fuit vnus in eius Regno vir prudens, qui regi iam tumulato Consulerat, cuius sapientia vicerat omnes Illius regni sapientes. hunc vocat, illi Factum denudat humilis consultor. ad ista Vir prudens stupuit, relevat, solatur et illis Consilium spondet dicens zelare pudorem. »Hunc ego zelabo, quoniam mihi prouidtf coniunx, Auxilio cuius sic facta premam, quod in omni Nemo sciat regno preter nos. esse paratus Ad mea verba velis.« se totum subicit illi Rex humilis, proceres uocat, coram quibus illi Regnum committit prudenti. nam cruce mentem Et vestem signat, dicens se uelle sepulcrum Visere pro uoto domini. benedixit et iuit. Istud consilium sapiens suggesserat illi. Quid moror? hic moritur, seu conscia precipitauit Mens vitam seu summa dies, angustia mentis Sepe dies hominis prorupto tempore rupit. Vir prudens regnum moderatur, femina cuius Factum sie zelat, quod nulli fama reuelat, Dicens quod nullus reginam cernere possit, Donee rex reditum faciet, vel forte per annum Hanc seruare uelit, ne fiat causa doloris, Si prochus hanc rapiat vel si velit ipsa prochari. Cuius adest partus, puerum parit et pariendo Efficitur mater. amitam tarnen esse fatetur Se. si uixisset pater eius, auoncolus esset. Vir prudens puerum tollit capsaque recondit. Purpureo panno circumvoluit mediamque Particulam panni mater linquit. superaddit Viginti marcas auri tabulisque notauit, Quod puer gentilis adhuc quoque rex pater eius Reginaque mater. zelatum non negat ortum Et rogat in tabulis, si forte pepercerit illi Sors, siquis fuerit pueri tabuleque repertor,
[44' / 2)ir]
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47 tumulato] tumulatur D 48 vicerat] vincerat Μ yo consultor] prostratus D 5/ relevat] v. Sch. konjizicn rrvehu MD; illis] illi Sch. 5*5 prouida] providi M; coniunx] + estt Μ $4 cuius] coniunx D; premam quod in omni] prema quod omni D yy sciat] seiet D f6 mea] ilia D 57 proceres] proceresque Ha. $S nam] danach cum getilgt Μ 6) Mens] Mors D\ seu] 0 Μ 66 nulli] nulla D 68 faciet] faciant D 70 rapiat] 0 Μ γι Cuius] Tempus Sch.; et pariendo] compariendo D 72 mater] danach ein Wort getilgt D; amitam] amita D 7} Se] Sed D 76 linquit] + et Μ 78 puer] + est D 7p Reginaque] Reginamque D
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too
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Aurum tollat, alat puerum, baptizet eundem. Hijs actis capsam claudit, linit intus et extra Glutine, ne possit humor fluctinus obesse. In mare mittit earn, procul hanc rapuere procelle. Ο puer infelix, miser et miserabilis, heu! En alter Moyses reperit cum piscibus vndas. Ο fatum dirum, cur non dampnare vereris Tam paruum puerum, sic innocuum sine noxa, Qui nil delinquii nisi quod genuere parentes Incesti? sed nos numquid peccata parentum Sic omnes luimus? sed et excusabile fatum Se faceret, si fata forent. sed fata relinquo, Ac ad factorem reuertor, qui mare fecit, Qui mare calcauit. puerum seruauit in vnda. Est locus ad litus maris, illic regula quondam Coll