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German Pages 200 Year 2012
Hermann Graml Bernhard von Bülow und die deutsche Außenpolitik
Hermann Graml
Bernhard von Bülow und die deutsche Außenpolitik Hybris und Augenmaß im Auswärtigen Amt
Oldenbourg Verlag München 2012
Herausgegeben in Verbindung mit dem Institut für Zeitgeschichte München-Berlin
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Inhalt Vorbemerkung
7
Einleitung
11
Familiärer Hintergrund und berufliche Anfänge
13
Mitglied der deutschen Friedensdelegation in Versailles
23
Diplomat außer Dienst
33
Rückkehr ins AA: Völkerbundreferent und Kritiker Stresemanns
47
Staatssekretär in der Endphase der Weimarer Republik: Verschärfung des revisionistischen Kurses
81
Staatssekretär im Dritten Reich: Zwischen Illusion und Kompetenzverlust
117
Konflikt mit Hitler und Resignation
151
Schlußbemerkung
175
Anmerkungen
183
Zu Quellen und Literatur
196
Vorbemerkung
Die Rolle, die das Auswärtige Amt im Institutionengewirr des NSRegimes gespielt hat, wird seit einiger Zeit wieder lebhaft diskutiert. Bei dieser Debatte, wenn es also um die Beziehungen des Amts zu den genuin nationalsozialistischen Organisationen und deren Führern geht, um seinen politischen Einfluß und um das Verhalten seiner Angehörigen, steht die Beteiligung des Reichsaußenministeriums am Holocaust im Mittelpunkt. Mittlerweile ist es uns ja fast schon zur Gewohnheit geworden, ein Geschehen im Dritten Reich überwiegend unter dem Auschwitz-Aspekt zu sehen. Doch ist eine solche Verengung des Blickwinkels, so zentral der Holocaust und alle Fragen seiner Geschichte sind, oft wenig erkenntnisfördernd. Der Holocaust begann – so traurige Höhepunkte die Verfolgung der Juden in Deutschland auch schon zuvor erreicht hatte – in den Kriegsjahren, als das Auswärtige Amt, das 1933 mit Hitlers Machtübernahme und danach der Stabilisierung der NS-Herrschaft konfrontiert worden war, seine alte Bedeutung längst verloren hatte. Die Uniform, die der Angehörige des Auswärtigen Dienstes zu tragen hatte, war im Laufe der Jahre immer prächtiger, die Bedeutung des Dienstes jedoch in gleichem Maße geringer geworden. Spätestens seit Beginn des Angriffs auf die Sowjetunion war das Dritte Reich zu Außenpolitik im wahren Sinn des Begriffs nicht mehr fähig, vermochte es nur noch Krieg zu führen, und so degenerierte das Auswärtige Amt – etwas übertreibend gesagt – zu einer Relaisstation, die den Regierungen der Satellitenstaaten in Ost-, Südost- und Südeuropa die Wünsche des „Führers“ oder einiger seiner Paladine – vor allem des Reichsführers SS und Chefs der deutschen Polizei Heinrich Himmler – übermittelte. Daß seit Anfang 1938 an der Spitze des Außenministeriums Joachim von Ribbentrop stand, ein Mann der NSDAP und treuer Diener des „Führers“, hat zwar erheblich dazu beigetragen, daß mehr und mehr überzeugte Nationalsozialisten in etliche Abteilungen des Amts gelangten, aber jenen Schwund an Kompetenzen weder bremsen noch gar verhindern können, da dieser Prozeß objektive Ursachen hatte. Ribbentrop war ohnehin in keinem Sinne Repräsentant von Geist und Tradition des alten Auswärtigen Amts, und im übrigen kann nicht einmal von persönlichem Einfluß des Ministers die Rede sein: Hitler war Ribbentrop verpflichtet, schätzte ihn auch einige Zeit, doch hat sich der „Führer“ von seinem außenpolitischen „Berater“ nie etwas 7
ein- oder ausreden lassen, schon gar nicht, nachdem Außenpolitik und Auswärtiges Amt nahezu bedeutungslos geworden waren. Wenn das Verhältnis des Amts – und damit eines nicht unwichtigen Segments der alten Führungsschicht – zu den Theoremen, den Zielen und dem Handeln der NS-Bewegung und ihres Führers Adolf Hitler verstanden werden soll, ist es unumgänglich, jene Periode ins Auge zu fassen, auf die in der neuerdings entstandenen Kontroverse bislang nur flüchtige Blicke gefallen sind, nämlich die Vorkriegsjahre, als das Dritte Reich noch Außenpolitik machte und das Auswärtige Amt auf seinem ureigensten Felde, eben dem der Außenpolitik, mit den Absichten und Plänen der NS-Führung konfrontiert war. Als besonders aufschlußreich müssen die ersten Phasen der NS-Herrschaft gelten, die Zeit von Hitlers Machtübernahme bis etwa zur Remilitarisierung des Rheinlands im März 1936, als das Amt noch eigenes Profil besaß, eigene politische Konzeptionen verfocht und diese Konzeptionen auf ihre Nähe oder Distanz zu Hitlerschen und nationalsozialistischen Vorstellungen geprüft werden können. Zu solcher Prüfung sollen die folgenden Seiten beitragen. Dabei wurde – auch wenn sich der Verfasser durchaus bewußt ist, daß andere Herangehensweisen ebenso möglich sind – die Form des biographischen Essays gewählt, weil politische Fragen und Abläufe im Handeln beteiligter Personen besonders anschaulich und verstehbar werden. „Held“ des Essays ist der am 19. Juni 1885 in Potsdam geborene Bernhard Wilhelm von Bülow, und zwar nicht nur deshalb, weil er in den für das gegebene Problem so wichtigen ersten Jahren des Dritten Reichs als Staatssekretär das Auswärtige Amt geleitet hat, sondern mehr noch als Folge der begründeten – und dann auch bestätigten – Annahme, daß er das Amt, so wie es sich in der ausgehenden Weimarer Republik und in der Anfangszeit des NS-Regimes darbot, sowohl hinsichtlich der Schwäche wie der Stärken geradezu personifiziert; er war, wie sein Kollege Ulrich von Hassell mit Fug und Recht – und durchaus auch kritisch gemeint – gesagt hat, „ein Mann des alten AA“, also ein traditioneller Diplomat, zwar gebildet, in etlichen Sprachen zu Hause und guter Verhandler, doch zu behutsam, zu vorsichtig, ohne kühne Visionen, im Grunde noch dem 19. Jahrhundert zugehörig. Daß der Essay nahezu ausschließlich den politischen Akteur Bülow behandelt, lag allerdings nicht – jedenfalls nicht in dieser Radikalität – in der Absicht des Verfassers. Aber die private Existenz des zunehmend menschenscheuen Junggesellen Bülow wird in den noch verfügbaren Quellen kaum greifbar. Er wurde durch seinen frühen Tod daran gehindert, Memoiren zu schreiben, er hat keine Tagebücher hinterlassen, und die 8
in seinem Nachlaß reichlich überlieferten Privatbriefe behandeln fast ausschließlich politische Fragen und Vorgänge. Nicht zum ersten Mal hat der Verfasser dem mittlerweile aus dem Amt geschiedenen Direktor des Instituts für Zeitgeschichte, Prof. Dr. Dr. h.c. mult. Horst Möller, herzlich zu danken, der diese Studie ermöglicht hat. Für kritische Durchsicht des Manuskripts und hochwillkommene Ratschläge ist der Verfasser dem Stellvertretenden Direktor des IfZ, Prof. Dr. Udo Wengst, und dem Chefredakteur der Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte, Dr. Hans Woller, großen Dank schuldig. Daß Frau Sybille Benker ein altmodisch mit der Hand geschriebenes – und zunehmend schwerer zu lesendes – Manuskript wie immer glorios bewältigt hat, verdient nicht nur Dankbarkeit, sondern auch Bewunderung.
9
Einleitung
Bernhard Wilhelm von Bülow starb am 21. Juni 1936; bei einer der von ihm geliebten Paddelboot-Fahrten, diesmal auf niedersächsischen Gewässern, hatte er sich eine Lungenentzündung zugezogen, die zu einer Embolie führte. Im Mai 1930 zum Staatssekretär ernannt und seit 18. Juni 1930 tatsächlich am Schreibtisch des Chefs sitzend, hatte er sechs Jahre lang in den Kabinetten Brüning, Papen, Schleicher, Hitler und unter den Außenministern Julius Curtius, Heinrich Brüning und Konstantin Freiherr von Neurath das Auswärtige Amt geleitet. Die Londoner „Times“ widmete dem Verstorbenen am 22. Juni einen respektvollen Nachruf: „Bülow besaß eine gründliche Kenntnis der internationalen Politik, ging an die Probleme des Tages mit scharfem analytischen Verstand heran, und wenn er die Regierung, der er diente, für seinen Standpunkt gewinnen wollte, bewies er große Beharrlichkeit ... In den frühen Tagen der nationalsozialistischen Regierung, als Herr Hitler und seine Kollegen in auswärtigen Angelegenheiten noch nicht so versiert waren wie jetzt, war Bülow ein unschätzbarer Ratgeber ..., der auch zu bremsen wußte ..., freilich auch deshalb, weil seine Politik dem neuen Regime keineswegs mißfiel ... Man wird von Bülow als einen ungewöhnlich fähigen Diplomaten im Gedächtnis behalten, der seiner Regierung vielleicht ein noch besserer Berater hätte sein können, wäre sein Geist weniger zur Kritik gestimmt und konstruktiver gewesen.“ Auch André François-Poncet, der langjährige französische Botschafter in Berlin, hat ein Profil Bülows gezeichnet: „[Er] war ein reizender Mensch, immer von gleicher Höflichkeit, mit ausgezeichneten Umgangsformen ..., etwas eigenbrötlerisch ... von einem fast religiösem Vaterlandsgefühl durchdrungen ... Seine Augen, von hellem Blau, wie Vergißmeinnicht, verliehen seinem feinen und vornehmen Gesicht einen melancholischen Ausdruck ..., er war groß, vornübergebeugt, und neigte den Kopf zur Schulter. Eine Kriegsverletzung hinderte ihn, die rechte Hand voll zu öffnen ... Zweifellos verfügte er nicht über die glänzenden Fähigkeiten seines Onkels [des Reichskanzlers Fürst Bülow] ... Aber er war ernsthaft, genau, pünktlich und wußte gründlich Bescheid über die Akten.“ Kein Nazi, „war [Bülow] übrigens als ein gründlicher Jurist und guter Dialektiker zu fürchten; er erhitzte sich nie und verlor nie den Faden der Gedankenfolge.“1 Lutz Graf Schwerin11
Krosigk, von 1932 bis 1945 Reichsfinanzminister, der Bülow gut kannte, hat ihn, was Geist und Witz angeht, durchaus auf eine Stufe mit dem Fürsten Bülow gestellt, doch sogleich hinzugefügt: „Aber er unterschied sich vom Kanzler Wilhelms II., weil ihm der Fundus sittlichen Ernstes eigen war, aus dessen Fehlen sich das Versagen seines Onkels erklärt.“2 Ein norwegischer Schriftsteller fühlte sich, als er von Bülows Tod hörte, sogar zu dem trauervollen Satz hingerissen, mit dem Dahingeschiedenen habe die Politik Europas „einen ihrer besten Köpfe und einen ihrer reinsten Charaktere verloren“3 . Niemand hat Bülow zu seinen Lebzeiten je vorgeworfen, Nationalsozialist und – seit dem 30. Januar 1933 – ein williges Werkzeug Hitlers zu sein. Auch nicht nach seinem Tode. Immerhin ist im Nachsatz der „Times“ eine gewisse Nähe zu nationalsozialistischer Politik angedeutet, und der „Führer und Reichskanzler“ Adolf Hitler hat sich veranlaßt gesehen, an der Trauerfeier zu Bülows Beerdigung teilzunehmen, die am 25. Juni 1936 in der Berliner Kaiser Wilhelm Gedächtniskirche stattfand. Hier scheinen Widersprüche vorzuliegen, die der Auflösung bedürfen. Ob eine geringe oder doch eine größere Nähe zu nationalsozialistischer Politik konstatiert werden muß, ist denn auch eine Frage, die zu beantworten ist. Allerdings ist eine plausible Antwort keineswegs durch den Hinweis zu finden, Bülow sei ja nach Hitlers Machtübernahme im Amt geblieben. Das wäre zu simpel. Im Rückblick ist außerdem zu erkennen, daß die Nachrufe, ob sie nun mit skeptischer Achtung, mit Bewunderung oder sogar – wie das „Lebensbild“, das der Kollege Gerhard Köpke gezeichnet hat4 – mit Zuneigung geschrieben sind, zwar sehr wohl als Wegweiser zu Person und Politik Bülows dienen können, jedoch wesentliche Elemente sowohl der Person wie der Politik unbeleuchtet lassen. Im Abstand von einem Dreivierteljahrhundert ist ein grelles Mißverhältnis zu sehen. Bernhard Wilhelm von Bülow hat im Auswärtigen Amt, und zwar auf Grund unbestreitbarer und auch unbestrittener Fähigkeiten, eine glanzvolle Karriere gemacht, zugleich aber ist er, wenn er versuchte, die ihm wirklich am Herzen liegenden politischen Absichten zu verwirklichen, jedesmal völlig gescheitert. Gerade weil das professionelle Können Bülows außer Frage steht, wird so die von ihm verfochtene Politik problematisch. Ist Bülow, der auf national-konservativem Boden ein Verfechter sans phrase der Revision des Vertrags von Versailles war, vielleicht die Personifizierung der Vergeblichkeit, im Deutschland der Zwischenkriegszeit national-konservative Außenpolitik verfolgen zu wollen? Aus in unterschiedlichen Lagen und Zeiten ganz verschiedenen Gründen? 12
Familiärer Hintergrund und berufliche Anfänge Die Bülows gehören zu jenen Familien, deren eine, die Manns, Harold Nicolson, Schriftsteller, Politiker und einer der großen Diaristen des 20. Jahrhunderts, „amazing“ genannt hat. Es ist nicht mehr als selbstverständlich, daß ein Geschlecht, das zum mecklenburgischen Uradel zählt, stets mit stattlichem Grundbesitz gesegnet war und daß zahlreiche seiner Mitglieder in früheren Zeiten hohe Ämter an den Höfen Norddeutschlands und am dänischen Hof bekleideten. Darin liegt noch kein sonderliches Verdienst. Aber schon der militärische Ruhm der Bülows ist, ohne daß man weiter als bis zum 18. Jahrhundert zurückzugehen braucht, eindrucksvoll, wesentlich eindrucksvoller als der vieler dem Stande nach gleichgestellten Familien. Nur einige Beispiele: 1760 hat General Christoph Karl von Bülow, noch als Oberst und Kommandeur der Ansbach-Bayreuth-Dragoner, den Kavallerieangriff geführt, der in der Schlacht von Torgau den Sieg Friedrichs des Großen über den österreichischen Feldmarschall Graf Daun besiegelte. In den napoleonischen Kriegen zeichnete sich Friedrich Wilhelm von Bülow in ungewöhnlicher Weise aus; er hatte großen Anteil an der Niederlage Napoleons bei Waterloo, und schon zuvor war ihm für seinen Sieg über französische Truppen bei Dennewitz der Grafentitel verliehen worden. Im Ersten Weltkrieg befehligte Generaloberst Karl von Bülow 1914 die 2. Armee des deutschen Westheeres; bis 1916 fielen elf Bülows, und unter denen, die bis zum November 1918 noch folgten, befand sich auch der am 6. Januar 1918 abgeschossene Leutnant Walter von Bülow, ein mit dem Pour le Mérite ausgezeichneter Jagdflieger. Seine Tradition setzte im Zweiten Weltkrieg Harry von Bülow fort, Träger des Ritterkreuzes und Kommodore des Jagdgeschwaders 2 „Richthofen“. Das Ritterkreuz erhielt auch Oberst Karl-August von Bülow, Kommandeur des Panzerregiments 24, und das Ritterkreuz mit Eichenlaub verdiente sich Kapitänleutnant Otto von Bülow, Kommandant von U-404, der als Kapitän zur See noch die Marine der Bundesrepublik Deutschland aufbauen half. Neben den Soldaten stehen indes bedeutende Politiker, so Hans von Bülow, der von 1813 bis 1817 als preußischer Finanzminister amtierte und von 1817 bis 1825 als Minister für Handel und Gewerbe. Doch brachte das Geschlecht auch Schriftsteller hervor wie Eduard von Bülow, der mit Ludwig Tieck befreundet war und Manzoni übersetzt hat, da13
zu Historiker wie Heinrich von Bülow, der von 1757 bis 1808 lebte und sich als Verfasser von „Prinz Heinrich von Preußen. Eine kritische Geschichte seiner Feldzüge“ (1805) einen Namen machte; er tritt auch als Nebenfigur in Fontanes „Schach von Wuthenow“ auf, und er pflegte seine Werke mit hübschen Bonmots zu schmücken. So merkte er zu seinem Helden Prinz Heinrich, dem Bruder Friedrichs des Großen, an: „Die Bibliothek des Prinzen war sehr ansehnlich. Er besaß auch ein Exemplar der Bibel, aber er las nur darin, wie man sich in einem Prozeß um die Akten der Gegenpartei kümmert.“ Eine bedeutende Figur der Musikwelt des 19. Jahrhunderts war Hans von Bülow, Dirigent und Pianist, der 1865 im Münchner Hoftheater die Uraufführung von Richard Wagners „Tristan und Isolde“ und 1868 die der „Meistersinger“ dirigierte; in erster Ehe war er mit Cosima, der Tochter von Franz Liszt, verheiratet, die ihn aber 1870 verließ, um als Egeria Richard Wagners zu wirken. In unseren Tagen hat Vicco von Bülow die unterschiedlichsten Stränge Bülowscher Überlieferung zu verknüpfen gewußt: er war Offizier, ein glänzender Regisseur und ein exzellenter Schauspieler; als „Loriot“, den mit szenischer und sprachlicher Genauigkeit brillierenden Satiriker – dessen Satiren zuviel Humor haben, als daß ihre Schärfe verletzen könnte – kannte und liebte ihn ganz Deutschland. Und dann sind da die Diplomaten. Heinrich von Bülow, der mit Gabriele von Humboldt verheiratet war, einer Tochter Wilhelms von Humboldt, amtierte, nach einer Periode als preußischer Gesandter am Bundestag in Frankfurt, von 1842 bis 1846 als preußischer Außenminister. 1873 holte Bismarck den Großherzoglich mecklenburgischen Staatsminister Bernhard Ernst von Bülow, der seine Laufbahn als Diplomat in dänischen Diensten begonnen hatte, in die Reichshauptstadt und machte ihn, einen vielleicht nicht brillanten, doch soliden und zuverlässigen Mann, dem der Kanzler blind vertraute, zum Leiter des Auswärtigen Amts; als der Staatssekretär sechs Jahre später schwer erkrankte, sagte Bismarck bekümmert: „Könnte ich ihm nur einen neuen Blasbalg einsetzen!“1 Als Bernhard Ernst von Bülow 1879 im Sterben lag, ließ er den Geheimrat Fritz von Holstein, damals bereits ein einflußreicher Beamter im Auswärtigen Amt, kommen und legte ihm seine beiden ältesten Söhne ans Herz, Bernhard und Adolph2 . Nun, Adolph entschied sich fürs Militär und starb nach einem schweren Reitunfall schon am 1. November 1897 als Generalmajor und Kommandeur einer Kavalleriebrigade. Zu diesem Zeitpunkt war der Älteste, Bernhard, bereits zum deutschen Botschafter in Rom avanciert, in der Tat von Holstein erfolgreich 14
protegiert. Ein Jahr später wurde er Chef des Auswärtigen Amts, und 1900 ernannte ihn Kaiser Wilhelm II. zum Reichskanzler. Darauf hatten sein Freund Graf Philipp von Eulenburg, der mit dem Kaiser eng verbunden war, und nicht zuletzt er selbst zielbewußt hingearbeitet; in den vierbändigen Memoiren Bülows, den der Kaiser zum Fürsten erhob, ehe er ihn 1909 im Zorn aus dem Amt stieß, ist weder die Energie noch das taktische Geschick erwähnt, die Bülow und Eulenburg bei ihrem Streben nach der Kanzlerschaft aufbrachten. Bülow war gewiß ein wendiger und auch umsichtiger Diplomat, außerdem ausgerüstet mit Geist, Witz und einem unerschöpflichen Vorrat an Zitaten. Hätte er sich mit der Position des Staatssekretärs begnügt und hätte er auf die Niederschrift von Erinnerungen verzichtet, wäre sein Bild in der Geschichte wohl ganz freundlich ausgefallen. Aber sein Ehrgeiz trieb ihn weiter, und wenn er auch als Reichskanzler nicht ohne Geschick operierte, in der Innen- wie in der Außenpolitik, so konnte es ihm, da er gemeinsam mit Eulenburg das persönliche Regiment Wilhelms II. bewußt förderte, ja recht eigentlich installierte, doch nicht gelingen, den als Politiker allzu sprunghaften Kaiser zu zügeln; namentlich lieh er Wilhelm die unentbehrliche politische Unterstützung bei der Realisierung des kaiserlichen Lieblingstraums, dem Bau einer großen und zur Rivalisierung mit England bestimmten Schlachtflotte. Das war kein simpler Fehler, sondern trug entscheidend dazu bei, daß sich Deutschland 1914 einer Mächtekonstellation gegenübersah, zu der auch Großbritannien gehörte und gegen die das Deutsche Reich mithin keine ernsthafte Chance hatte3 . Nachdem dann der Krieg, für dessen Kommen und für dessen Aussichtslosigkeit er also durchaus mitverantwortlich zeichnete – und der ihn sogleich den jüngsten Bruder kostete, Karl Ulrich, der am 6. August 1914 als Kommandeur der 3. Garde-Kavallerie-Brigade ums Leben kam – tatsächlich ausgebrochen war, wurde der widerstrebende Kaiser überredet, den davongejagten Fürsten Bülow als Botschafter nach Rom zu schicken, um Italien neutral zu halten. Daß er an dieser Aufgabe scheiterte, ist ihm freilich nicht anzulasten. Das Interesse und gewisse Expansionswünsche machten Italien zum natürlichen Feind Österreich-Ungarns und damit auch zum Feind des mit Wien verbündeten Deutschen Reiches; ein Diplomat konnte dagegen nichts ausrichten, und mochte er noch so geschickt sein. Volle Verantwortung trägt er jedoch für seine Memoiren, die er nach Kriegsende verfaßte. Nahezu alle Politiker, die Erinnerungen schreiben, trachten danach, ihre Person und ihre Politik zu rechtfertigen, dabei ihr Licht nicht unter den Scheffel zu stellen. Aber Fürst Bülow verlor dabei jedes Maß, und allzu offensicht15
lich fühlte er sich nicht als Diener der Wahrheit, sondern als ihr Despot, der mit ihr nach Belieben umspringen darf; auch offenbarte er ohne jede Zurückhaltung hemmungslosen Egoismus und grenzenlose Eitelkeit. Er starb am 28. Oktober 1929, und da die vier Bände nach seinem Ableben im Verlag Ullstein erschienen, der vierte und letzte 1931, ist der boshafte Kommentar eines Zeitgenossens nicht von der Hand zu weisen, Fürst Bülow sei der einzige Mensch, der es fertiggebracht habe, noch nach seinem Tode Selbstmord zu begehen4 . Der dritte Bülow, der bis zum Staatssekretär und Leiter des Auswärtigen Amtes aufsteigen sollte, Bernhard Wilhelm, wurde am 19. Juni 1885 in Potsdam geboren5 . Sein Vater Adolph, Bruder des Fürsten und später General, war mit Carola Gräfin Vitzthum von Eckstaedt verheiratet, die aber schon ein Jahr nach der Geburt Bernhard Wilhelms im zweiten Wochenbett starb. Der Witwer ehelichte dann Marie Gräfin von der Schulenburg, die Bernhard Wilhelm eine liebevolle und von ihm zeitlebens sehr geliebte Stiefmutter wurde. Obwohl Offizierssohn, wurde er nicht, wie die Sprößlinge so vieler anderer norddeutscher Adelsfamilien, ins Kadettenkorps gesteckt und damit frühzeitig auf eine militärische Karriere festgelegt; vermutlich hing das auch mit den bequemen Vermögensverhältnissen dieses Zweigs der Bülows zusammen. Er kam aufs Gymnasium, erst in Magdeburg, dann in Frankfurt/Main und Goslar; die Wechsel erklären sich aus den üblichen Versetzungen eines Offiziers. Schon in ganz jungen Jahren stand für Bernhard Wilhelm indes fest, daß er es nicht seinem Vater, sondern dem Großvater und Onkel nachtun werde6 . Mit festem Blick auf den Beruf des Diplomaten studierte er nach dem Abitur von 1901 bis 1908 an den juristischen Fakultäten der Universitäten Lausanne und München, danach noch, als Gasthörer, drei Semester an der philosophischen Fakultät Berlin, wo er nationalökonomische Vorlesungen besuchte; am 15. Februar 1909 erlangte er an der Universität Heidelberg den Grad eines Dr. jur. Zwischendurch, 1904/05, diente er als Einjährig-Freiwilliger im 2. GardeDragoner-Regiment Kaiserin Alexandra von Rußland, in dem er am 18. Oktober 1908 zum Leutnant d. R. ernannt wurde. Aber trotz Familientradition und ausgezeichneter verwandtschaftlicher Beziehungen fand er nach dem Abschluß seiner Studien nicht sogleich Aufnahme in den Diplomatischen Dienst; der Grund ist nicht mehr erkennbar. Die so unerwartet geschenkte Zeit nutzte er zu etlichen Weltreisen, so nach Südamerika, Australien und vor allem nach Ostasien, und bei diesem Drang in die Ferne zeigte Bernhard Wilhelm von Bülow, dessen Leben bislang in durchaus konventionellen Bahnen verlaufen war, erstmals ei16
ne gewisse Abweichung von der Norm seines Standes. Er begnügte sich nämlich nicht damit, die von ihm besuchten Länder und Kontinente als ordinärer Tourist nur oberflächlich kennenzulernen, obschon ihm seine finanziellen Mittel sehr wohl Luxusreisen erlaubt hätten. Er wollte Menschen und Zustände etwas genauer studieren, und so heuerte er zum Beispiel im Fernen Osten als Zahlmeister auf einem englischen Handelsschiff an7 . 1911 war es dann aber so weit. Am 24. Juni reichte er sein Gesuch um Zulassung zur Vorbereitung auf die diplomatische Laufbahn ein. Der erste Bearbeiter vermerkte am Rande des Gesuchs: „Absender ist Neffe des früheren Reichskanzlers.“8 Ob das für den Bewerber nützlich oder – 1911 war ja Fürst Bülow noch in tiefster Ungnade – potentiell schädlich gewesen ist? Letzteres ist jedoch offensichtlich „potentiell“ geblieben, da das Verfahren ohne erkennbare Störung weiterlief. Am 14. Dezember 1911 bestand er die Sprachenprüfung, wobei seine französischen Kenntnisse mit „genügend, allenfalls“, die englischen hingegen mit „gut“ bewertet wurden9 ; später hat sich das offenbar geändert, und seine Kollegen und Vorgesetzten bescheinigten ihm auch fließendes Französisch, dazu müheloses Lesen italienischer und spanischer Texte10. Auch das damals von einem Diplomaten verlangte Privateinkommen konnte er nachweisen: Sein Kapitalvermögen belief sich 1911 auf 594 000 Mark, die jährlich 27 000 Mark abwarfen; wollte man diese Summen, die Kaufkraft vergleichend, in Euro ausdrücken, müßten die Zahlen verzehnfacht, je nachdem sogar verzwanzigfacht werden. Mithin stand der Einstellung nichts im Wege. Die erste Sprosse an der Leiter war die deutsche Botschaft in Washington, wo er am 25. Januar 1912 eintraf. In den folgenden vierzehn Monaten gewann er nicht nur das Wohlwollen seines Chefs, des Botschafters Johann Heinrich Graf von Bernstorff, der dem jungen Attaché attestierte, „die ihm überwiesenen Aufgaben mit Eifer und Geschick erfüllt“ zu haben, er erwarb sich überdies eine vorzügliche Stellung in der Washingtoner Gesellschaft11 ; das ist insofern auffallend, als er in späteren Jahren gesellschaftliches Leben eher mied – wenn er es auch bis zuletzt liebte, exzellente intime Dinners zu geben – und als „verschlossen“ galt12 . Graf Bernstorff war jedenfalls mit Bülow so zufrieden, daß er am 1. Juni 1912 bei der Berliner Zentrale beantragte, den wertvollen Mitarbeiter noch bis zum nächsten April in Washington zu belassen, was der Reichskanzler, der dazu seine Zustimmung geben mußte, am 16. Juni denn auch genehmigte13 . Bleibende Frucht der Zeit in den USA war eine Studie über „Die Einwanderungsprobleme der Vereinigten Staaten von Amerika“, die das Auswärtige Amt nach der von 17
Bülow selbst angebotenen Tilgung einiger „amerikakritischer“ Stellen zur Veröffentlichung freigab14 . Wieder hatte der angehende Diplomat eine nicht gewöhnliche Neugier auf außerdeutsche und außereuropäische Verhältnisse an den Tag gelegt und die Zeit, die ihm nach der Erledigung seiner dienstlichen Obliegenheiten geblieben war, nicht nur dem Tennisspiel gewidmet. Nach Berlin zurückbeordert, trat Bülow am 16. April 1913 in die Abteilung II des Auswärtigen Amtes ein, wurde aber schon am 1. Oktober 1913 in die Abteilung A versetzt. Lorbeeren konnte er sich dort allerdings kaum erwerben, da er ab 5. Mai 1914 an einer längeren Übung seines Regiments teilnahm; der Personalchef des AA, Graf Wedel, hatte dem bereits am 13. Dezember 1913 zugestimmt15 . Und am 1. August 1914 begann der Krieg. Bülow zog mit den 2. Gardedragonern ins Feld und zeichnete sich in den ersten Monaten der Kämpfe an der Westfront vor allem als Patrouillenführer aus. Das so vielen Bülows eigene Talent zum militärischen Führen zeigte sich aufs schönste; er verdiente sich nicht nur das EK II, sondern, noch wertvoller und auch charakteristischer, die Zuneigung und die Bewunderung seiner Dragoner. Wie sehr er sich dessen sicher sein durfte und wie gern er selbst Soldat war, zeigt, daß er nach dem Krieg schon 1919 daran ging, mit einigen ehemaligen Kameraden ein Kriegstagebuch der 1. Eskadron des 2. GardedragonerRegiments zusammenzustellen16 ; noch Jahre nach Kriegsende erhielt er Zeichen der Verbundenheit und Anhänglichkeit. Nicht daß er sich in einen Kommißknopf verwandelt hätte, der nichts anderes mehr kennt als sein Regiment. Als er Anfang Januar 1920 erfuhr, daß ein Familienmitglied, genannt Niels, bei der Reichswehr diente, kommentierte er das mit dem Satz: „Hat er denn das Soldatenspielen noch immer nicht über?“17 Da die Infanterie allmählich unvergleichlich höhere Verluste hatte als die nach Beginn des Stellungskriegs jedenfalls an der Westfront zur Untätigkeit verurteilte Kavallerie, wurde Bülow 1915, nun Oberleutnant, zum 4. Garderegiment zu Fuß versetzt. Als Kompanieführer am 28. August 1915 schwer verwundet, mußte er einsehen, daß er für den Dienst als Frontoffizier auf lange Zeit nicht mehr taugte. Das Regiment schickte ihm Anfang 1916 das inzwischen verliehene EK I zu, er selbst kehrte schon im Herbst 1915 ins Auswärtige Amt zurück18 . Zunächst an die Botschaft in Konstantinopel versetzt, wo er sich am 2. Dezember 1915 zum Dienst meldete, wurde er am 11. Mai 1916 zur Gesandtschaft in Athen kommandiert; da sich aber die Reise dorthin angesichts der wirren Kriegsverhältnisse als ebenso abenteuerlich wie schwierig erwies – damit fertig zu werden, war der in unkonventionel18
len Fahrten bereits erfahrene Bülow sehr gut geeignet –, erreichte er die griechische Hauptstadt erst am 28. Juni19 . Politische Erkenntnisse scheint er auf dem Balkan nicht gewonnen zu haben. Doch nachdem er im Dezember 1916 nach Berlin zurückbeordert und dort in der Politischen Abteilung beschäftigt wurde, zeigte er erste und schon überraschend starke Ansätze zu selbständigem politischen Denken und Urteilen, und zwar, scheinbar ebenso erstaunlich, vornehmlich in innenpolitischen Fragen. Die Erklärung liegt in erster Linie darin, daß die allmählich diktatorische Formen annehmende Einmischung in die Politik, die sich die seit August 1916 von Feldmarschall Paul von Hindenburg und mehr noch von seinem Generalquartiermeister Erich Ludendorff geführte Oberste Heeresleitung erlaubte, gerade im Auswärtigen Amt scharfen Widerspruch herausforderte. Die sehr selbstbewußten Fachleute der Außenpolitik reagierten jedoch nicht nur auf die ständig häufiger werdenden Verletzungen ihrer eigenen Kompetenzen. Einige, darunter Bülow, sahen den Machthunger Ludendorffs und die Machterweiterung der OHL bald auch als grundsätzliches Verfassungsproblem und als eine höchst bedenkliche Militarisierung der deutschen Innenpolitik, gleichsam als gesteigerte, erweiterte und radikalisierte Form jener Präponderanz, mit der die Spitzen der Armee bereits vor Kriegsbeginn den Schlieffen-Plan durchgesetzt hatten, einen Plan, der nicht allein militärisch chancenlos war, sondern überdies verheerende außenpolitische Folgen hatte. Bülow und etliche Gesinnungsgenossen erlebten und begriffen 1917 erneut die Verbindung von militärischer Hybris, außenpolitischer Ignoranz und leichtherziger Mißachtung ziviler Kompetenz, vor allem bei der Proklamierung des unbeschränkten U-Boot-Kriegs am 1. Februar 1917, der Deutschland die letzten Sympathien in den neutralen Ländern kostete und den Kriegseintritt der USA bringen mußte20 ; zwar stammten Idee und Planung naturgemäß von der Marine, doch daß es tatsächlich zur Eröffnung des unbeschränkten U-Boot-Kriegs kam, war in erster Linie das Werk der OHL, die es nicht über sich brachte, von dem illusionären Trachten nach einem „Siegfrieden“ Abschied zu nehmen. In einer Aufzeichnung zur Julikrise 1917, bei der es um eine Friedensresolution des Reichstags ging und die mit dem Rücktritt des Reichskanzlers Theobald von Bethmann Hollweg endete, geißelte Bülow mit Schärfe das Vordringen der OHL auf das Feld der Innenpolitik21 , und an seinen Freund Baron Reibnitz, damals Landrat im oberschlesischen Falkenberg, schrieb er im Juni 1917, bei den Auseinandersetzungen um die Friedensresolution „haben die Militärs 19
sich nicht sehr vornehm und nicht sehr konsequent benommen“. Der Sturz des Kanzlers sei keineswegs eine Sache des Reichstags gewesen. „Die Abgeordneten waren in ihrer Mehrheit bereit, mit Bethmann weiterzuarbeiten. Die „Kanzlerhetze“ – diesen Ausdruck scheute er nicht – „setzte vielmehr ausschließlich in der Presse ein, gegen den Willen der Parteien und in außerparlamentarischen Kreisen“. Die Hetze sei „zu einem schnellen Abschluß [gekommen] durch das Eingreifen von Ludendorff, der erklärte, er könne mit dem Kanzler nicht länger“. Der Generalquartiermeister habe sogar verbreitet, er sei für eine parlamentarische Regierung, aber Bethmann sei dagegen. Bülow kommentierte trocken: „hat aber niemand so recht geglaubt“. Zusammen mit dem Rücktritt des Kanzlers erwähnte er auch die Suche nach einem neuen Mann, der an die Spitze des Auswärtigen Amtes treten solle, und als er einige Kandidaten kurz charakterisierte, kam er auch auf den Grafen Brockdorff-Rantzau, den Gesandten in Kopenhagen, und meinte dazu – ohne dies als Makel zu empfinden –, der Graf dürfte der Kandidat der Mehrheitsparteien sein; gegen ihn spreche nur „der Verdacht, daß er Morphinist sei, und seine unüberwindliche Gewohnheit, nur von 4 Uhr nachmittags bis 5 Uhr Früh zu arbeiten“. Unter den gegebenen Umständen „wäre Bernstorff [sein erster Chef in Washington] Favorit“. Allerdings, so schränkte er bedauernd ein, „traut man ihm nicht zu, daß er energisch gegen Militär und Marine vorgeht“. Bülow hielt das mittlerweile für die zentrale Frage, und er ging – für einen noch recht jungen und untergeordneten Beamten sehr ungewöhnlich, doch für Selbstbewußtsein sprechend – so weit, das Problem mit einem der Führer der Mehrheitsparteien, dem Zentrumspolitiker Matthias Erzberger, zu erörtern; bislang waren Parlamentarier bei der Besetzung der Spitzenposition des Auswärtigen Amts nicht zu Rate gezogen worden22 . Mehr und mehr begann er in verfassungs- und gesellschaftspolitischen Fragen moderner zu denken. Schon am 18. April 1917 konnte ihm sein Vetter Vicco Bülow schreiben, und zwar offensichtlich in Erwartung verständnisvoller Zustimmung: „Die Tatsache wird sich aus dem Kriege, auch nach einem glücklichen Ende, ergeben: der Soldat, der es vorher nicht war, wird nachher ganz gewiß Sozialdemokrat.“ Wohl könne die Monarchie bewahrt werden, „aber wir werden eine starke demokratische Beimischung erleben. Vielleicht ist das nicht einmal ein Schade“. Vicco Bülow und allem Anschein nach auch Vetter Bernhard Wilhelm hielten eine solche Entwicklung für unaufhaltsam und waren bereit, jeder reaktionären Politik im Innern abzusagen: „Versuche, ge20
gen den Strom zu schwimmen, erscheinen mir ebenso aussichtslos wie gefährlich.“23 Freund Reibnitz warnte im Juli 1917, als er außerdem konstatierte, der U-Boot-Krieg scheine eine „absolute Pleite zu sein“, daß im Herbst, wenn dann eine Militärdiktatur statt einer demokratischen Regierung kommen sollte, eine Revolution unabwendbar sei; er versäumte nicht, darauf hinzuweisen, daß in einem solchen Falle mit Gewaltakten sogar gegen Landräte zu rechnen sei. Die Ambition der OHL, die Außenpolitik zumindest mitzubestimmen, ist von Beamten wie Bülow ebenfalls nicht nur als ungehöriger Übergriff empfunden und übelgenommen worden. Zunehmend stießen auch die außenpolitischen Methoden, die Ludendorff praktiziert sehen, und die außenpolitischen Ziele, die er erreichen wollte, auf Kritik und Widerspruch. Bülow wurde der deutschen Delegation zugeteilt, die seit Ende Dezember 1917 in Brest-Litowsk mit den Bolschewiki über einen Waffenstillstand und dann Friedensvertrag verhandelte. Der immer noch als Oberleutnant d. R. figurierende Legationssekretär hatte gewiß keinen Einfluß auf den Gang der Dinge; er war lediglich mit untergeordneten Aufgaben, zum Beispielt Protokollieren, Telegrafieren, Berichten usw., betraut. Aber er beobachtete genau, und das Zustandekommen des Friedens von Brest-Litowsk wie der Friedensvertrag selbst, beides zu einem großen Teil das Werk der OHL, fand seine Mißbilligung. Er hat damals und später kein Hehl daraus gemacht, daß die neuen Herren Rußlands einen „Gewaltfrieden“ hinzunehmen hatten24 .
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Mitglied der deutschen Friedensdelegation in Versailles Mit Augen ausgestattet, die oft und oft Realität – auch verschleierte oder unwillkommene Realität – zu sehen vermochten, und mit der Kraft begabt, aus der Erkenntnis der Wirklichkeit politische Einsicht zu gewinnen und auf solche Einsicht politische Aktion zu gründen, fiel Bülow nun doch einer Illusion anheim, die sein politisches Denken wie sein berufliches Handeln entscheidend bestimmen sollte. Nach seiner Teilnahme an den Verhandlungen in Brest-Litowsk war er im Auswärtigen Amt und in Ländern wie Ungarn mit Arbeiten und Missionen betraut worden, deren Art und Zweck nicht ganz deutlich wird, die aber offenkundig keine sonderliche Bedeutung hatten. Im Mai 1919 jedoch – inzwischen hatte eine revolutionäre Welle die deutschen Monarchien gestürzt, war in Berlin wie in allen Bundesstaaten Deutschlands die konstitutionelle durch die parlamentarische Regierungsform abgelöst worden und hatten deutsche Parlamentarier in Compiègne mit der gegen das Reich Krieg führenden Mächtegruppierung am 11. November 1918 einen Waffenstillstand abgeschlossen – wurde Bülow der deutschen Delegation zugeteilt, die in Versailles mit den bisherigen Gegnern den Frieden aushandeln sollte. Tatsächlich waren die Mitglieder der Delegation, an deren Spitze der jetzt wirklich Reichsaußenminister gewordene Graf Brockdorff-Rantzau stand, nach Versailles in dem Glauben gekommen, dort verhandeln zu können1 . Auch Bülow. Wie andere Angehörige der bislang herrschenden Oberschicht, die zu Kritikern der inneren Struktur wie der Außen- und Kriegspolitik des wilhelminischen Deutschland geworden waren, hatte er sich die Auffassung angeeignet, das Deutsche Reich müsse, nach dem großen Wandel, der Deutschland völlig verändert habe, an der Friedenskonferenz als gleichberechtigter Partner teilnehmen dürfen – fast als habe es den großen Krieg und die deutsche Niederlage nicht gegeben. Schon am 10. November 1918 schrieb der Staatssekretär des Auswärtigen Amtes Wilhelm Solf treuherzig an seinen amerikanischen Kollegen Robert Lansing: „Herr Staatssekretär! Überzeugt von der Gemeinsamkeit der demokratischen Ziele und Ideale hat sich die deutsche Regierung an den Herrn Präsidenten der Vereinigten Staaten mit der Bitte gewandt, den Frieden wiederherzustellen. Dieser Friede sollte den Grundsätzen entsprechen, zu denen sich Präsident Wilson stets bekannt hat. Er sollte 23
eine gerechte Lösung aller Streitfragen und eine dauernde Versöhnung der Völker zum Zweck haben.“2 Zwar sahen Graf Brockdorff-Rantzau und seine Mitarbeiter ein, daß Elsaß-Lothringen wohl wieder abgetreten und dem jungen polnischen Staat Posen überlassen werden müsse3 . Mit dem Begriff „Rechtsfrieden“ operierend und die Bereitschaft zum Eintritt in den gerade entstehenden Völkerbund nachdrücklich bekundend, meinten sie aber anderen Folgen der Niederlage und namentlich sonstigen territorialen Einbußen entrinnen zu können; sie legten eine Haltung an den Tag, als habe das Deutsche Reich sogar einen moralischen, juristischen und damit erst recht politischen Anspruch auf solches Entrinnen. So fochten sie wacker und zäh dafür, im Osten Westpreußen, Ostpreußen und Oberschlesien, im Norden Schleswig, im Westen Eupen-Malmedy und vor allem das Saargebiet bei Deutschland zu halten; selbst im Falle Elsaß-Lothringen wollten sie anfänglich wenigstens eine Volksabstimmung erreichen. Was den zur Verhinderung künftiger Kriege vornehmlich vom amerikanischen Präsidenten Woodrow Wilson forcierten Zusammenschluß der Nationen anging, beließ es die deutsche Delegation nicht bei häufigen Bekenntnissen zum „Völkerbundsgedanken“ und beim Beitrittswunsch. Zugleich wurde der von den Alliierten bereits vorgelegte und veröffentlichte Entwurf eines Völkerbundsvertrags schroff abgelehnt, da er den „fünf feindlichen Großmächten“ eine überragende Stellung sichere4 . Am 9. Mai 1919 überreichte Graf Brockdorff-Rantzau dem französischen Ministerpräsidenten Georges Clemenceau sogar einen deutschen Satzungsentwurf für die neue internationale Institution – zu dem Clemenceau am 22. Mai immerhin teils zustimmend, teils kritisch Stellung nahm5 –, und am 10. Mai ließ der deutsche Delegationschef den Entwurf eines Abkommens über internationales Arbeiterrecht folgen, nicht ohne den unter den gegebenen Umständen recht arrogant klingenden Hinweis, daß in Deutschland die Forderung nach sozialer Gerechtigkeit bereits erfüllt sei6 . Bülow war dem Grafen Brockdorff in all diesen aussichtslosen Gefechten eine große Hilfe. Hier entstand zwischen dem sechzehn Jahre älteren Grafen und dem noch jungen Legationssekretär eine enge persönliche Beziehung, die geradezu freundschaftlichen Charakter annahm und bei beiden die Hoffnung auch auf spätere Zusammenarbeit weckte7 . Nicht zuletzt in den Völkerbundsfragen stand Bülow seinem Chef zur Seite und begründete so eine Spezialisierung, die noch Folgen haben sollte. Vor allem aber war es Bülows Aufgabe, Materialien und Argumente zusammenzutragen, die der Behauptung der Alliierten ent24
gegengesetzt werden konnten, Deutschland trage allein die Schuld am eben zu Ende gegangenen großen Krieg. Die Bedeutung der Aufgabe war klar; schließlich lag sämtlichen Strafbestimmungen des Friedensvertrags, den die Alliierten Deutschland aufzuerlegen gedachten – von der Wegnahme der Kolonien bis zum Anspruch auf offenkundig enorme Reparationen –, die Feststellung der deutschen Kriegsschuld zugrunde. Den deutschen Diplomaten war selbstverständlich bewußt, daß es sich bei dem Kampf gegen die sogenannte „Kriegsschuldlüge“ – wie auch bei dem Bemühen um den Beitritt zum Völkerbund – in erster Linie um Interessenpolitik handelte. Das sah auch Bülow nicht anders. Jedoch ist nicht zu verkennen, daß er und etliche seiner Kollegen, die sich ja während der Julikrise 1914 allesamt noch in untergeordneten Stellungen befunden hatten, auch in der Überzeugung fochten, Deutschland sei in der Tat in den Krieg gezwungen worden oder doch 1914 nicht allein schuldig gewesen. Zwar blieb das bei Bülow nicht so. Als er Anfang 1933 bemerkte, daß die veröffentlichten Memoiren seines Onkels, des Fürsten Bülow, viele Sätze nicht enthielten, in denen sich der Verfasser des Manuskripts unmißverständlich zur deutschen Kriegsschuld bekannt hatte, da verlangte er vom Ullstein Verlag, die vom Bearbeiter weggelassenen Stellen in einer eigenen kleinen Broschüre zusammenzufassen und diese den Beziehern der Memoiren nachzuliefern; auf den erstaunten Einwand eines Bekannten, er, ein deutscher Diplomat, könne doch nicht daran interessiert sein, daß Deutschlands Schuld am Kriege bezeugt werde, antwortete er, das sei alles völlig gleichgültig, die komplettierende Ergänzung der Erinnerungen seines Onkels müsse an die Öffentlichkeit8 . 1919 kämpfte er aber noch guten Glaubens. Mit Feuereifer betrieb er zum Beispiel die Zusammenstellung eines deutschen Farbbuchs, mit dem, als Auftakt und Grundlage einer förmlichen Kampagne, die Anklage der Alliierten widerlegt werden sollte. Das Projekt brauchte die Unterstützung des Auswärtigen Amtes, und an eben dieser Unterstützung fehlte es, wie Bülow meinte. In Berlin schien eine ihm unbegreifliche Saumseligkeit und Schlaffheit zu herrschen, die in ihm einen Unmut hervorriefen, dem er in Briefen an das Amt unverhohlen Ausdruck verlieh. Mit Leidenschaft griff er außerdem die alliierte Interpretation der Lansing-Note vom 5. November 1918 an. Der amerikanische Außenminister hatte darin erklärt, die alliierten Regierungschefs seien der Auffassung, „daß Deutschland für allen durch seine Angriffe zu Wasser und zu Lande und in der Luft der Zivilbevölkerung der Alliierten und ihrem Eigentum zugefügten Schaden Ersatz leisten soll“9 , und Clemenceau erklärte wiederholt, so am 20. Mai 1919, 25
die deutsche Regierung habe mit der Annahme der Note die deutsche Kriegsschuld bereits eingestanden10 . Graf Brockdorff-Rantzau legte am 24. Mai scharfen Protest gegen ein solches Verständnis der Note ein11 , und die zitierten Sätze waren ja auch ein dankbares Objekt für den Scharfsinn des Juristen Bülow. Bei alledem machten sich offensichtlich weder Graf Brockdorff-Rantzau noch Bülow klar, daß ihre Behauptung, die Alliierten hätten es jetzt mit einem reformierten neuen Deutschland zu tun, das gute Behandlung verdiene, durch ihre leidenschaftliche Verteidigung des kaiserlichen Deutschland in der Kriegsschuldfrage etwas fragwürdig wurde. Sie machten diesen Fehler freilich nicht allein. Ebenfalls 1919 beginnend, wich ein großer Teil der deutschen Bevölkerung – mit wenigen Ausnahmen gerade auch die Zunft der Historiker – einer kritischen Auseinandersetzung mit der Außenpolitik des Kaiserreichs, ebenso mit der politischen und militärischen Führung des Krieges, beharrlich aus. Verbunden mit der „Dolchstoßlegende“, also mit der unhaltbaren Behauptung, das deutsche Heer sei im November 1918 nicht geschlagen gewesen, vielmehr einem Dolchstoß in den Rücken erlegen, den die linken Kräfte Deutschlands geführt hätten, hielt diese Verweigerung – namentlich im Bürgertum zur Exkulpierung wilhelminischer Politik und Kriegführung gesteigert – aber nicht nur die Zweifel der Alliierten am liberalen und demokratischen Wandel in Deutschland am Leben, sondern trug nicht wenig dazu bei, daß es dem jungen deutschen Staat, der Republik von Weimar, nie so recht gelang, in den Augen einer Majorität den Deutschen als legitim zu gelten. Ohne solchen Makel hätten sich Hitler und die NS-Bewegung erheblich schwerer getan. Die Illusionen der deutschen Diplomaten in Versailles hatten allerdings nur wenige Tage Bestand. Was eigentlich von Anfang an deutlich zu sehen war, faßte Clemenceau am 16. Juni 1919 in die unmißverständlichen Worte, die deutsche Delegation habe gezeigt, „daß sie die Lage, in der sich Deutschland heute befindet, überhaupt noch nicht verstanden hat. Sie scheint zu glauben, Deutschland habe nur ,Opfer zu bringen, um Frieden zu erhalten‘, als ob das lediglich das Ende eines bloßen Kampfes um Territorium und Macht sei“. Es gehe indes um anderes und wichtigeres. Sein Zusatz war durchaus als Drohung zu verstehen: „Gerechtigkeit ist das, was die Deutschen fordern und was ihnen, wie sie sagen, versprochen wurde. Und Gerechtigkeit werden sie bekommen.“12 Solch scharfe Töne vermochten es gewiß nicht, Bülow und seinen Kollegen den Glauben zu nehmen, sie seien im Recht, wenn sie im Namen des neuen Deutschland eine andere Gerechtigkeit verlangten, als 26
sie der französische Regierungschef verstand, nämlich eine weitgehende Schonung der deutschen Republik, ja eine Berücksichtigung deutscher Interessen; sie hielten es zum Beispiel auch für gerechtfertigt, in der Kolonialfrage auf die Solidarität der Europäer oder, anders gesagt, der weißen Rasse zu setzen und auf die Erhaltung des deutschen Kolonialbesitzes zu dringen. Aber wenn sie auch die Überzeugung nicht verloren, Anspruch auf einen „Rechtsfrieden“ im deutschen Sinne zu haben, so mußten sie doch begreifen, daß sie es nach einem langen, überaus blutigen und – jedenfalls dem Anschein nach – nur knapp gewonnenen Krieg mit Siegern zu tun hatten, die zwar geneigt waren, hinsichtlich der europäischen Grenzen Deutschlands mehr oder weniger im Geiste der „14 Punkte“ Wilsons vom 8. Januar 1918 zu verfahren und sich mit der Abtrennung Elsaß-Lothringens, Eupen-Malmedys, Nordschleswigs, Westpreußens, Posens und Teilen Oberschlesiens zu begnügen, andererseits jedoch entschlossen waren, ihr Sicherheitsbedürfnis zu befriedigen und Deutschland sowohl weitgehend zu entwaffnen wie auch durch absurd hohe Reparationen die finanzielle Bewegungsfreiheit zu nehmen. Es konnte alsbald nicht mehr übersehen werden, daß die Alliierten einen harten Friedensvertrag durchzusetzen gedachten und daß sie dabei, durchdrungen von der Gewißheit, Deutschland habe den Krieg vom Zaune gebrochen, guten Gewissens handelten und weit von der vernünftigen Überlegung entfernt waren, die deutsche Republik bedürfe der Stützung und sei eines milden Friedensvertrags auch würdig. Bereits am 7. März 1919 hatte die britische Regierung konstatiert, der deutsche Vorschlag – gemacht in einer Note der Reichsleitung vom 29. November 191813 –, eine neutrale Kommission zur Untersuchung der Kriegsschuldfrage einzusetzen, werde nicht beantwortet, „da nach der Meinung der verbündeten Regierungen die Verantwortlichkeit Deutschlands für den Krieg längst unzweifelhaft festgestellt ist“14 . Im Bewußtsein, auf verlorenem Posten zu stehen, kämpfte die deutsche Delegation gleichwohl zäh um das Zustandekommen von Verhandlungen. „Es gibt nur eine Lösung: Verhandeln, und zwar möglichst lange und langsam“, schrieb Bülow am 11. Mai 1919 an seinen Freund Friedrich von Prittwitz und Gaffron, der seit Februar 1919 im Auswärtigen Amt das Referat Deutschland leitete15 . Bülow war dabei von zwei Überlegungen beherrscht: Erstens nahm er an, daß die Alliierten, so mächtig sie im Augenblick auch scheinen mochten, den Frieden kaum weniger nötig hatten als Deutschland; also werde beharrliches Ringen um Verhandlungen am Ende zum Erfolg führen. Zweitens kalkulierte er mit der Furcht vor der Ausbreitung des Bolschewismus. So notierte er: 27
„Während nun unsere Gegner nach Formeln und Mitteln suchen, um ihre widerstreitenden Ziele zu vereinigen, sie uns mit dem Schein der Gerechtigkeit aufzuzwingen und zugleich den Wünschen Wilsons nach einer Weltdemokratie Rechnung zu tragen, wächst täglich die Gefahr des Bolschewismus, sowohl für uns wie für die Entente ... Unsere Gegner werden in Kürze nicht mehr zwischen Gewaltfrieden und Wilsonscher Weltdemokratie zu wählen haben, sondern zwischen Weltdemokratie und Weltrevolution ... Es ist möglich, daß unsere Gegner noch im letzten Augenblick zur Erkenntnis der wahren Lage gelangen und versuchen werden, einen überstürzten Friedensschluß herbeizuführen ... Sie [die Entente] wird uns [dann] nicht, wie sie hoffte, und wie vor einigen Monaten noch möglich gewesen wäre, übermächtig gegenüber stehen, sondern wird mit uns darüber verhandeln müssen, ob und zu welcher Bedingung der Bolschewismus in Deutschland abzuwenden sein werde. Der Preis, den wir für unsere Mitwirkung an der Bekämpfung der kommunistischen Seuche, die ganz Europa bedroht, verlangen müssen und verlangen werden, ist ein gerechter Frieden.“16 Solche Gedankenspiele führten Bülow dazu, die ersten Kontakte der Siegermächte mit den in Moskau herrschenden Bolschewiki höchst ungnädig aufzunehmen. „Zuweilen“, so schrieb er zornvoll, „hat es den Anschein, als wüßten die Staatsmänner, die sich in Paris beraten, gar nicht was in Europa vorgeht. Die Einladung zur Konferenz auf die Prinzeninseln, die für die Moskauer Bolschewisten die Anerkennung und eine gewaltige Stärkung ihrer Stellung bedeutet, beweist, daß die Entente die Bedeutung des Bolschewismus als geistige Bewegung nicht erkannt hat. Will man in Paris der Gefahr der Weltrevolution gegenüber Vogel-Strauß-Politik treiben?“17 Nicht weniger kritisch urteilte er über die Regierung in Berlin – einschließlich des Auswärtigen Amts –, die gegenüber den Alliierten und hinsichtlich eines Friedensvertrags ohne Sinn und Verstand agiere, dazu einerseits an der Delegation in Versailles herumkrittle, andererseits die Delegierten alleine lasse. Vor allem vermißte er eine umfassende, energische und konsequente propagandistische Anstrengung zur Sammlung der Nation gegen einen „Gewaltfrieden“; bei den Feindstaaten dürfe nicht der Eindruck entstehen, am Ende würden die Deutschen, des Protestgeschreis ungeachtet, die Forderungen der Entente doch akzeptieren. Seine Briefe ans Auswärtige Amt waren häufig und deutlich. Das fand dort nicht nur Beifall. In seiner Antwort auf ein derartiges Geschoß, das Bülow am 2. Juni 1919 abgefeuert hatte, schrieb Hans Heinrich Dieckhoff am 6. Juni: „Lieber Bülow! ... Ihre Kritik scheint mir reichlich scharf ... Ich bin der Letzte, der verkennt, welch 28
glänzende Arbeit in Versailles geleistet worden ist. Aber Sie müssen nun nicht glauben, daß wir hier spazieren gehen.“ Nach einer Klage über die schlechte Verbindung zwischen Versailles und Berlin schloß Dieckhoff mit den vielsagenden Sätzen: „Also bitte nicht zu kritisch sein. Wir könnten sonst hier wirklich auf den Gedanken kommen, den Sie uns in so wenig freundlicher Weise imputieren: Laßt die Versailler machen, was sie wollen. Man könnte diesen Gedanken auch so ausdrücken, wie es ein alter Landrat gegenüber seiner vorgesetzten Behörde einmal getan hat: ,Den hohen Erlaß vom ... habe ich vor mir, bald werde ich ihn hinter mir haben.‘ Im übrigen herzliche Grüße!“18 Unter dem Staatssekretär Bülow hat Dieckhoff dann als Ministerialdirektor die Abteilung III des Auswärtigen Amts geleitet. Die Erkenntnis, daß die Entente nicht gewillt war, mit Deutschland zu verhandeln, jedenfalls nicht so zu verhandeln, wie das die deutsche Delegation erhofft, ja erwartet hatte, wirkte tief auf das politische Denken der Delegationsmitglieder ein. Wenn also statt eines „Rechtsfriedens“ ein, wie sie es sahen, „Gewaltfrieden“ geschlossen werden sollte, dann, so folgerten sie, waren all die hehren Ideale, mit denen die Entente spätestens seit 1917 den Krieg gegen das Deutschen Reich begründet hatte – Demokratie, Selbstbestimmungsrecht der Völker, Überwindung des Militarismus, friedenssichernde Organisierung der Staatengesellschaft usw. –, nur tönende Worte, nur Heuchelei. Tatsächlich hatten sie offensichtlich für das Krieg geführt, was Clemenceau als Sinn und Zweck des Orlogs so energisch bestritt, nämlich für Territorien und für Macht19 . Als Konsequenz nahm auch bei moderner denkenden Diplomaten wie Graf Brockdorff-Rantzau und Bülow die Bereitschaft ab, neue Wege für das friedliche Miteinander der Staaten und Nationen mitzugehen. Trieb die Entente, verbrämt, doch mittlerweile deutlich zu erkennen, die gute böse alte Machtpolitik, so gab es für das Deutsche Reich ebenfalls keinen Anlaß, die Prinzipien und die Praxis seiner Außenpolitik neu zu orientieren. Im Gegenteil. Nachdem der wahre Charakter der alliierten Kriegszielpolitik verstanden war, galt es, den internationalistischen Sirenenklängen, die aus dem Westen kamen, zu widerstehen und, um selber handlungsfähig zu bleiben, an den Maximen und Zielen traditioneller nationalistischer Machtpolitik festzuhalten. Jede Abweichung davon mußte als Preisgabe oder, schroffer ausgedrückt, als Verrat deutscher Interessen verstanden und abgewehrt werden. Es war gewiß nicht richtig und in den Folgen auch gefährlich, daß die Brockdorff und Bülow das Kind mit dem Bade ausschütteten und die realen Verhältnisse nicht mehr zu begreifen vermochten: Sie ver29
loren völlig aus dem Blick, daß es den westlichen Demokratien, bei allem Ernst ihrer ideologisch-moralischen und politischen Botschaft, unmöglich war, den viereinhalb Jahre währenden blutigen, materiell opferreichen, kostspieligen Krieg und die deutsche Niederlage einfach zu ignorieren, zumal die Überzeugung von der deutschen Kriegsschuld echt war. Ein solches Verhalten lag zur Zeit der Kabinettskriege und noch am Ende der napoleonischen Ära innerhalb der menschlichen Möglichkeiten. Aber in der Periode der Volkskriege waren gerade Demokratien zu sofortiger Versöhnung und zu darauf basierender politischer Klugheit nicht fähig. So konnten den edlen und vernünftigen Grundsätzen, die für die Friedensregelung maßgeblich sein sollten, nur halbe Siege vergönnt sein. Daß die deutschen Delegierten in Versailles – und mit ihnen eine überwältigende Mehrheit der deutschen Nation – dafür blind waren, ist sicherlich beklagenswert, war aber in der gegebenen Situation verständlich, ja fast unvermeidlich. Die erste Schlußfolgerung, die nahezu alle Mitglieder der deutschen Delegation aus der Lage in Versailles zogen, lautete: Ein „Gewaltfrieden“ darf und kann nicht unterzeichnet werden. Am 17. Mai 1919 schrieb Bülow in einem Privatbrief: „Wir erklären einfach, wir unterzeichnen nicht, denn wir können diesen Vertrag nicht ausführen. Wenn dann der Einmarsch beginnt und die Blockade von neuem einsetzt, erklären wir: Laßt sein, wir wehren uns nicht. Die Regierung bleibt als geschäftsführendes Ministerium bis sich eine andere gefunden hat, die den Vertrag unterschreibt. Diese findet sich aber nicht, denn es gibt keine Regierung, die imstande wäre, diesen Vertrag zu ratifizieren. Deshalb ist auch der Gedanke, die Macht auf die Unabhängigen übergehen zu lassen, verfehlt. Die Regierung braucht sich nur zu weigern, diesen Vertrag zu unterschreiben und seine Bedingungen auszuführen, dann können die Gegner nichts machen. Sie werden das Ruhrgebiet und Teile von Süddeutschland vorübergehend besetzen, haben aber nichts davon. Sie sind machtlos, wenn alle Behörden passive Resistenz üben.“20 In Versailles, wo die Delegierten von den Realitäten in Deutschland abgeschnitten waren, mochte eine solche Politik der radikalen Verweigerung logisch und praktikabel erscheinen, als der einzig richtige Kurs in eine am Ende von Vernunft bestimmte Zukunft. Auch im Rückblick kann man für diese Haltung Sympathie und spontane Zustimmung aufbringen. Bei genauerem Hinsehen wird jedoch klar, daß die Anwendung des Bülowschen Rezepts ein totales politisches, wirtschaftliches und finanzielles Chaos in Deutschland beschert und überdies polnischen Ambitionen in Ostpreußen, Pommern und Schlesien Tür und Tor geöffnet hätte. 30
Die Regierung in Berlin, die Verantwortung für das ganze Deutschland zu tragen und der Pflicht zur Vermeidung chaotischer Wirren – ein Treibhaus für links- wie rechtsradikale Kräfte – zu gehorchen hatte, mußte sich über die dringlichen Empfehlungen der Versailler Delegation hinwegsetzen. Am 28. Juni 1919 wurde der Vertrag von Versailles unterzeichnet. Graf Brockdorff-Rantzau trat als Außenminister zurück, und Bülow verließ zum Zeichen des Protests den Diplomatischen Dienst21 . Es ist nicht weiter verwunderlich, daß beide fortan den Kampf gegen Versailles, die Revision des Versailler Vertrags, als die Hauptaufgabe deutscher Politik und als ihren ganz persönlichen Auftrag ansahen. In unterschiedlichen Rollen und Funktionen sollten sie in den folgenden Jahren reichlich Gelegenheit bekommen, solcher Mission zu dienen. Insbesondere Bülow erlitt in Versailles einen Schock, den er zeitlebens nicht überwand und der ihn zu einem geradezu besessenen Verfechter der Revisionspolitik machte. Ursache war nicht allein die Politik der Alliierten. In fast gleichem Maße wirkte die Art und Weise des Umgangs mit der deutschen Delegation, der Stil der Friedenskonferenz gegenüber den Besiegten. Auch hier kam die Überzeugung von der deutschen Kriegsschuld ins Spiel. Guten Gewissens traten Vertreter der Entente, nicht zuletzt Clemenceau, den Deutschen derart hochfahrend entgegen, daß Bülow, der Gardereiter aus altem Adel, eine nie vernarbende Wunde davontrug. So brannte das Gefühl, politisch gescheitert zu sein, noch heißer, ein Gefühl, das sowohl der Entente wie der eigenen Regierung galt.
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Diplomat außer Dienst
Bülow empfand die Unterzeichnung des Versailler Vertrags allerdings lediglich als Schlappe in einem noch andauernden und vermutlich noch länger währenden Konflikt. So zitierte er Clemenceau, der – angeblich – gesagt habe, „der Friedensvertrag ist die Fortsetzung des Krieges mit anderen Mitteln“, und stimmte dem durchaus zu, indem er daran die Bemerkung knüpfte, es herrsche in der Tat noch Krieg1 . Aus dem Diplomatischen Dienst ausgeschieden, zog er sich in das kleine mecklenburgische Städtchen Fürstenberg an der oberen Havel zurück, und zwar mit der Absicht, sich an dem noch nicht beendeten Krieg mit den Waffen des Schriftstellers zu beteiligen. Tatsächlich schrieb er in den ersten Jahren nach Versailles einige Beiträge zur Widerlegung der „Kriegsschuldlüge“, so „Die Grundlinien der diplomatischen Verhandlungen bei Kriegsausbruch“, eine Broschüre, die 1920 in einem Charlottenburger Verlag erschien und 1922 unter dem Titel „Die Krise“ ihre dritte Auflage erlebte, ferner „Die ersten Stundenschläge des Weltkrieges. Eine Zeittafel der wichtigen Vorgänge bei Kriegsausbruch mit Hinweisen auf die einschlägigen Urkunden“2 . Freilich vermochten ihn Arbeiten dieser Art wohl kaum zu befriedigen, war er doch im Grunde der Meinung, daß der Ablauf der Julikrise 1914 mitsamt den so oft ins Treffen geführten Daten der Mobilmachungen und Kriegserklärungen für die Frage nach der Kriegsschuld irrelevant sei. In jener Aufzeichnung, in der er den erwähnten Satz Clemenceaus zitierte, sagte er auch: „Aus welchen Anlässen der Weltkrieg hervorging, spielt keine Rolle gegenüber der Tatsache, daß er auf Grund der Gegensätze geführt wurde, die Deutschlands natürliches Wachstum geschaffen hatte.“ Der Kampf gegen Versailles müsse ganz unabhängig von der Kriegsschuldfrage geführt werden, weil der Friedensvertrag „eine kurzsichtige und, trotz aller Raffiniertheit, primitive Gewaltlösung dieser Gegensätze“ darstelle. „Mit Ketten beladen, sollen wir Frondienste leisten ... Die Angelsachsen im Bunde mit den Franzosen wollen sich zu Herren der ,niederen‘ Völker der Erde machen und auch die Deutschen unter ihr Joch zwingen.“ Mit einem rassistischen Hochmut, der, wie schon gesagt, damals eine gesamteuropäische Erscheinung war, fuhr er fort: „Völkerkonflikte auf diesem Wege zu lösen, ist gegenüber halbwilden Stämmen möglich. Die Zusammenhänge der Kulturwelt lassen jedoch nicht zu, daß ein Glied der europäischen Völkerfamilie ungestraft ver33
gewaltigt und zum Sklaven herabgewürdigt werde.“ Das Ziel sei mithin die Aufklärung der feindlichen Völker3 . Die Aufklärung der Feinde erforderte in seinen Augen aber als erstes die Sammlung der Deutschen gegen Versailles. Auch bei dieser Aufgabe dachte er anfänglich an schriftstellerische Bemühungen. So faßte er den Plan, erst ein Buch über den Frieden von Brest-Litowsk und dann einen Band über Versailles zu schreiben; schließlich sei er, so äußerte er mehrmals, einer der wenigen, die aus nächster Nähe und „von jeder Seite“ die Entstehung zweier Gewaltfrieden verfolgen konnten4 . Doch gab er diese Vorhaben wieder auf, zunächst um ein großes Opus über Politik zu schreiben. Im beschaulichen Fürstenberg suchte er sich mit Ernst und Fleiß zum Theoretiker der Politik zu bilden. Während in Berlin, in Preußen und im übrigen Reich linke Revolutionäre und rechte Konterrevolutionäre für chaotische Zustände sorgten, der Kapp-Putsch das Land erschütterte und im Ruhrgebiet wie in Mitteldeutschland „Rote Armeen“ nach der Macht griffen, las Bülow Autoren, die über Politik nachgedacht hatten, von Friedrich Christoph Dahlmann über David Hume bis zu Walter Rathenau, dessen Werk „Die neue Gesellschaft“ er aufmerksam studierte; auch Cicero und Montesquieu zählten zu seiner Lektüre5 . Er stand auf dem Standpunkt, daß man sich nicht, was er sowohl der Berliner Regierung wie dem Ausland ankreidete, von „Tagesfragen“ wie den Spartakusunruhen in der Reichshauptstadt und der Ermordung Rosa Luxemburgs von der wirklich wichtigen Aufgabe, der Überwindung von Versailles, ablenken lassen dürfe6 . Indes gedieh das Projekt nicht über Exzerpte, eine detaillierte Gliederung und etliche Notizen hinaus, von denen einige aber durchaus aufschlußreich sind. So schrieb er: „Beklagenswert die Staatskunst, die den Faktor der Nächstenliebe nicht in ihre Berechnung einstellen könnte“, und zum „Rassenstolz“ bemerkte er, dieser sei aus „der den Menschen eigenen Eitelkeit“ zu erklären, die „Vorurteile gegen andere Rassen“ hervorbringe7 . Daß er in Vorarbeiten steckenblieb, lag jedoch nicht an einer etwa gegebenen Unfähigkeit zu wissenschaftlicher Systematik; daß er dazu sehr wohl imstande war, sollte er wenig später zeigen. Doch während er zum Beispiel noch notierte, daß „das Streben nach unerreichbaren Zielen ... Fantasie-Politik“ wäre, wofür „die Extravaganzen extremer Alldeutscher und die französischen Hoffnungen auf Kriegsentschädigung gemäß den Bestimmungen des Versailler Friedens“ Beispiele böten, dürstete es ihn bereits nach aktiverem Eingreifen in die Politik. Einen Sprung in die Öffentlichkeit, der etwas anderer Art war 34
als die Publikation propagandistischer Werke, die nur wenige Leser fanden, hatte Bülow noch 1918 gewagt, acht Tage nach dem Waffenstillstand. Zusammen mit 23 anderen Staatsbeamten, darunter etliche aus dem Auswärtigen Amt, unterzeichnete er einen Aufruf „An Deutschlands Jugend“, der am 17. November 1918 im Berliner Tageblatt abgedruckt wurde. Es handelte sich um ein denkwürdiges Dokument. 24 Angehörige der führenden Schicht und zentraler Institutionen des wilhelminischen Deutschland beschworen den für Konservative durchaus anrüchigen „Geist, der 1848 die deutschen Lande durchwehte“, äußerten sich zum Sturz der Monarchien recht gelassen und schlugen, wenngleich sie sich gegen einen „geistlosen Zentralismus“ erklärten, zentralistische Töne an, die konservativen preußischen oder bayerischen Föderalisten nicht gefallen konnten. Wichtiger noch: Sie forderten den Fall aller „Einrichtungen, die einzelnen Klassen eine wirtschaftliche, soziale und politische Vorherrschaft sichern“; auch müsse, so hieß es weiter, „die vielfach mißbrauchte Machtstellung der Besitzer der großen, in privater Hand monopolisierten Produktionsmittel ... durch Vergesellschaftung gebrochen werden“8 . Für kaiserliche Beamte war das ein weiter Ausflug auf sozialistisches Gelände, zumal zu den Unterzeichnern drei (Reserve-)Offiziere der preußischen Gardekavallerie zählten: die beiden Gardeulanen Harry Graf Kessler und Friedrich von Prittwitz und Gaffron, der Gardedragoner Bernhard Wilhelm von Bülow. Die „Gesellschaft vom 16. November“, deren Gründung Kurt Riezler angeregt hatte, bei Kriegsbeginn noch vertrauter Mitarbeiter des Reichskanzlers Theobald von Bethmann Hollweg, fand alsbald zahlreiche weitere Mitglieder, nahezu alle aus der bisherigen Oberschicht; sie bildete eine Arbeitsgemeinschaft mit Arbeitsgruppen für Außenpolitik, Innenpolitik, Wirtschaft, Kultur und Verfassung. Ihren Zweck definierte sie in ihrer Satzung: „. . . bei der Neugestaltung des Deutschen Reiches und der Erneuerung des Volksgeistes in demokratischem Sinne tätig mitzuhelfen.“ Die Mitglieder arbeiteten sogar eine Verfassung aus, angelehnt an die Entwürfe der deutschen Revolutionäre von 1848/49 und auch orientiert an angelsächsischen Vorbildern. Mit einigem Stolz erinnerte sich Friedrich von Prittwitz noch nach dem Zweiten Weltkrieg: „Ich glaube, daß sich unser Entwurf durchaus sehen lassen konnte und in manchem die Weimarer Verfassung an Einfachheit und Klarheit in Struktur und Ausdrucksweise übertraf.“9 Auch eine Zeitschrift wurde gegründet, „Die deutsche Nation“; sie erschien – bis 1925 – monatlich, zuletzt unter der Leitung von Theodor Heuss, dem ersten Präsidenten der Bundesrepublik 35
Deutschland. Heuss schloß damals eine lebenslange Freundschaft mit Bülow10 , der an der Zeitschrift als Autor wie redaktionell eifrig mitwirkte. Allerdings litt die Tätigkeit der „Gesellschaft vom 16. November“ darunter, daß fast alle ihre Mitglieder Dienstpflichten zu erfüllen hatten, die nur wenig Zeit zu aktiver politischer Arbeit ließen; so wurde ja Bülow alsbald zur deutschen Friedensdelegation in Versailles abgestellt, und Prittwitz war im Auswärtigen Amt tätig, bis er im November 1920 als deutscher Konsul nach Triest ging. Mangel an Geld und Willen verhinderte den Aufbau eines Funktionärsapparats, den aus dem Staatsdienst kommenden Enthusiasten fehlte politische Erfahrung, und eine Zeitschrift, wie es „Die deutsche Nation“ war, vermochte keinen größeren Einfluß zu gewinnen. So fiel die „Gesellschaft“ in eine Kategorie zwischen politischem Debattierklub und politischer Partei, und die eigentliche Bedeutung dieser bemerkenswerten Erscheinung der deutschen Nachkriegsgesellschaft lag am Ende darin, daß sie der jetzt gegründeten Deutschen Demokratischen Partei eine Anzahl gescheiter, politisch modern denkender – das heißt liberal und demokratisch gesinnter – wie auch zu rühriger Mitarbeit bereiter Anhänger vermittelte, von Theodor Heuss bis Bülow und Prittwitz; in der DDP hatten sich Linksliberale gesammelt, denen der rechte Flügel der Liberalen, der sich nun in Stresemanns Deutscher Volkspartei organisierte, zu wirtschaftsabhängig schien. Bülow arbeitete, wie schon gesagt, fleißig an der Zeitschrift mit, doch in der DDP hielt er sich eher zurück. Wohl unterstützte er die Partei, trat für sie ein und ermunterte Freunde, die, wie Prittwitz, sogar als Abgeordnete der DDP in den Reichstag einziehen wollten. So gab er dem Kandidaten in seiner oft etwas zynisch anmutenden Art den Rat, sich bei Parteiversammlungen im Wahlkreis „recht unelegant zu kleiden“. Die Provinz verlange das und habe „sicherlich zu einem Kandidaten, der ihr äußerlich nähersteht, mehr Vertrauen als zu einem sehr eleganten“. Er berief sich bei dieser Ermahnung – von Gardist zu Gardist – auf den ehemaligen Präsidenten der USA, Theodore Roosevelt, „der sich niemals die Stiefel wichsen ließ, wenn er nach dem Westen fuhr“. Bülow setzte hinzu: „Du solltest Dir noch einen Anzug reservieren, der einige Wochen nicht gebügelt wird, und Deinen Schnurrbart recht ruppig wachsen lassen. Der deutsche Provinzspießer wird Dich dann viel ernster nehmen, als wenn Du Deine Berliner Toga anhast, die ihm leicht Mißtrauen einflößen könnte.“11 Aber während er sporadisch für die DDP tätig war und nach seinem Ausscheiden aus dem Diplomatischen Dienst 36
im mecklenburgischen Fürstenberg schriftstellerte, wurde eines immer deutlicher: Der Schock von Versailles hatte ihn in der Tat so heftig und so nachhaltig getroffen, daß seine politische Leidenschaft in allererster Linie im Kampf gegen den „Gewaltfrieden“ Erfüllung finden konnte und er für anderes nur noch mäßiges Interesse aufzubringen vermochte. Im Sinne von „Kampf “ befriedigten ihn die Aufsätze zu Versailler Problemen, die er in der „Deutschen Nation“ publizierte, naturgemäß nicht, und auch eine Organisation wie die DDP, die sich nicht allein dem „Revisionismus“ widmen konnte, sondern sich mit zahlreichen und vielfältigen sonstigen politischen Fragen herumschlagen mußte, war in seinen Augen kein wirklich taugliches Instrument, zumal schon früh erkennbar wurde, daß es der Partei wohl stets an politischem Gewicht mangeln werde. So faßte Bülow einen anderen Plan. Am 24. November 1919 schrieb er an Oskar Trautmann, den Vorsitzenden der „Gesellschaft vom 16. November“: „Es muß eine große Volksbewegung ins Leben gerufen werden, getragen von dem Gedanken des Rechts. Nur so kann man eine moralische Macht schaffen, die der Regierung und den sonst mit unseren Gegnern verhandelnden Gruppen einen Rückhalt bietet.“ Eine solche Bewegung werde auch das Ansehen der DDP steigern, „denn es liegt in der Natur der Sache, daß die Deutsche Demokratie, wenn auch nicht die Partei selbst, im Zentrum einer auf dem Rechtsstandpunkt aufgebauten Revisionsbewegung stehen muß.“12 Als ein nicht zuletzt werbend gemeintes Argument fügte er hinzu: „Endlich ist es vielleicht auf diese Weise auch möglich, die drohende Welle des Chauvinismus ein wenig einzudämmen.“ Daraus entwickelte er die Vorstellung, daß zunächst ein Komitee zur Organisierung einer geschlossenen Front des deutschen Volkswillens geschaffen werden müsse. Könne ein solches Komitee gebildet werden, und gelinge es dem Komitee, das gesteckte Ziel zu erreichen, so sei „der Feindbund dem Organisierten Willen unseres Volkes gegenüber machtlos“13 . Im Laufe des Jahres 1920 widmete Bülow einen erheblichen Teil seiner Zeit und seiner Energie der Verwirklichung seines Plans. Er hielt sich dabei streng an den Leitgedanken, daß die Bewegung, die ihm vorschwebte, überparteilich zu sein habe und unabhängig von der Regierung operieren müsse. Die Regierung sei allein nicht stark genug, schrieb er im Juni 1920. Aber eine organisierte öffentliche Meinung könne die Regierung stützen, ja vorwärtstreiben14 . Da außerdem die unbedingt notwendige Überparteilichkeit der Bewegung zu sichern sei, verstehe es sich von selbst, so Bülow, daß Gründung und Leitung der Bewegung in privater Hand zu liegen habe15 . So saß er nun in seinem 37
Fürstenberger Refugium und eröffnete eine lebhafte, briefliche Kampagne zur Gewinnung von Mitstreitern und natürlich auch Geldgebern. Er strebte keine führende Stelle in dem anvisierten Organisationsausschuß an. Zwar „würde ich nicht zögern“, schrieb er an Dr. Schall, einen Direktor der Daimler-Motoren-Gesellschaft in Stuttgart, „wenn ich mir einen Erfolg davon versprechen könnte. Das ist aber durchaus nicht der Fall. Wenn ich z. B. ... eine Anzahl führender Persönlichkeiten zu einer Besprechung nach Berlin einladen würde, so käme keiner von ihnen ..., denn viele von den hier in Frage kommenden Personen haben nie von mir gehört; andere kennen mich zwar, haben aber kein Urteil über meine Fähigkeiten, und kaum einer dürfte zu den letzteren das erforderliche Vertrauen haben. Dieses Vertrauen habe ich selbst auch nicht.“ Namentlich fehle ihm eine unabdingbare Eigenschaft: „Betriebsamkeit oder Gschaftelhuberei“!“16 Seine Rolle sah er vielmehr als die eines Beraters, der bereit sei, „Kenntnisse und Erfahrungen zur Verfügung zu stellen“17 . Er hielt sich für sehr geeignet, diese Aufgabe zu erfüllen: „Da ich ... der Deutschen Friedensdelegation sowohl in Brest-Litowsk wie in Versailles angehört habe, verstehe ich mich etwas auf Gewaltfrieden“, schrieb er im Juni 192018 . Zunächst aber galt es, da er ja selbst ausschied, eine Führungsfigur zu finden, die genügend bekannt war, über politische Erfahrung verfügte und das notwendige Organisationstalent besaß. Bülow dachte an Carl Freiherrn von Weizsäcker, den letzten Minister der auswärtigen Angelegenheiten und der Familienangelegenheiten des Königs von Württemberg: „Für ihn sprechen, rein äußerlich betrachtet, seine Erfahrungen an Leitender Stelle, der Umstand, daß er sich keiner Partei angeschlossen hat, und vor allem die Tatsache, daß er zur Zeit unbeschäftigt ist, wahrscheinlich keine Aussicht auf einen Posten hat und sich lediglich mit der Abfassung seiner Memoiren beschäftigt.“19 So schrieb er denn mehrmals an den Württemberger, den Vater Ernst von Weizsäckers, eines Marineoffiziers, der seit Februar 1920 im Auswärtigen Amt diente und Anfang 1938 in die Fußstapfen Bülows als Staatssekretär des AA treten sollte20 . Freund Schall aus Stuttgart warnte, Weizsäcker sei „zu alt und müde“21 , doch zerschlug sich die Sache ohnehin. Bülow faßte auch Walter Rathenau ins Auge; es gebe vieles, was für ihn spreche, meinte er: „Die Planwirtschaft wird er wohl an den Nagel gehängt haben.“22 Daraus wurde ebenfalls nichts. Bülow tat sich freilich auch schwer – natürlich, ist man versucht zu sagen –, genauer zu erklären, wie denn der Organisationsausschuß praktisch operieren, welche Form eigentlich die Volksbewegung haben und 38
mit welcher Art von Aktivitäten die Öffentlichkeit aufgerüttelt werden solle. Das lag einmal an der unpolitischen Idee, eine auf ein einziges Ziel, doch auf ein eminent politisches Ziel, eingeengte politische Massenbewegung oberhalb der eigentlichen politischen Ebene, der Ebene der Parteien und der Regierung, organisieren zu wollen; eine solche Absicht mußte in Ratlosigkeit enden. Es lag aber auch daran, daß Bülow, bei aller Verranntheit, in die ihn der Schock von Versailles getrieben hatte, immer wieder Anfälle jenes Realismus erlebte, der seinem Wesen eigentümlich war und der ihn daran hinderte, seiner fixen Idee gänzlich zu verfallen. Er wußte einerseits genau, daß „politische Verbrechen und Dummheiten“, „politische Torheiten und Fehler“ – so pflegte er den Versailler Vertrag zu charakterisieren – „erfahrungsgemäß mit besonderer Liebe und Wärme verteidigt“ werden23 . Auch war ihm klar, „daß das heute lebende Geschlecht niemals die Furcht vergessen wird, die es vier Jahre lang unter dem Druck des deutschen Heeres ausgestanden hat, und daß wenig an einem deutschen Sieg fehlte“. Er zog daraus den durchaus vernünftigen Schluß, daß alles geschehen müsse, „was dazu beitragen kann, um die Angst der feindlichen Völker vor einem Wiedererstehen der deutschen Wehrmacht zu beheben“24 . Durch propagandistische Aktivität im Ausland sei zuerst zu „erreichen, daß die feindlichen Völker mit der in Paris ausgeheckten Gewaltlösung unzufrieden werden“25 . Allerdings: Wer sollte aber eine solche Propaganda machen, wie sollte sie aussehen und wo waren die Gelder dafür zu finden? Am Ende produzierte die Dosis Realismus doch wieder Illusionen. „Daß der Frieden revidiert werden muß“, schrieb er schon im Februar 1920, „erscheint mir garnicht zweifelhaft. Auch die Entente weiß, daß sehr viele Bestimmungen revidiert werden müssen.“26 Und er schloß daran die von keinem Tropfen Wirklichkeitssinn getrübte Bemerkung, mit der Revision einzelner Punkte sei „uns ... garnicht gedient“: „Wir müssen die Ungeheuerlichkeit des Vertrages und die Undurchführbarkeit so vieler seiner Bestimmungen benutzen, um den ganzen Versailler Frieden zu Fall zu bringen.“ Andererseits sah er dann doch wieder die eigene Nation als ersten Adressaten der gegen Versailles gerichteten Propaganda, und dabei verstrickte er sich erst recht in unrealistische und widerspruchsvolle Gedankengänge. Zunächst, so stipulierte er einmal, „müssen Deutsche überzeugt werden“. Gerade hier sei jedoch „eine laute und mit Schlagworten arbeitende Propaganda ... nicht angebracht. Sie würde schon an der Hartnäckigkeit der Meinung wie an den Parteiinteressen der Einzelnen scheitern und vermutlich mehr Schaden als Nutzen stiften.“27 Es gelte, die Gebildeten durch „langsame, zähe Auf39
klärungsarbeit“ zu gewinnen und „mit Hilfe einer immer größer werdenden Zahl von Unterrichteten eine geschlossene öffentliche Meinung in diesen Fragen zu schaffen“. Mit leiser und vorsichtiger „Aufklärung“ war nun gewiß keine Massenbewegung ins Leben zu rufen, fähig, die Regierung vorwärts zu treiben, und eine Sammlung von Gebildeten war keine Mobilisierung der Nation. Mit derartigen Unklarheiten zu einer handlungsfähigen Organisation zu finden und für diese eine anwendbare Taktik zu entwickeln, war unmöglich. Bülow spürte das und verriet seine Unsicherheit auch dadurch, daß er zögerte oder ablehnend blieb, wenn ihm irgendwelche Aktionen vorgeschlagen wurden. Einmal, nachdem jemand geraten hatte, durch ein Rundschreiben an alle deutschen Universitäten die Professoren zur Mitarbeit aufzufordern, reagierte er recht unwirsch: „Für diesen Gedanken kann ich mich gar nicht erwärmen“, schrieb er, „denn ich habe ein tiefgründiges Mißtrauen gegen den deutschen Professor. Gerade in meiner Amtszeit habe ich sehr traurige Erfahrungen mit diesen Brüdern gemacht.“28 Es gab auch ein weiteres Problem, das organisatorische Bemühungen und taktische Überlegungen behinderte. Ihre demokratischen Vorstellungen und ihre sozialistischen Anwandlungen – ihre „linken“ Tendenzen – brachten Bülow und seine Gesinnungsgenossen immer wieder in die Nähe zu radikal pazifistischen Gruppen und Grüppchen. Sie hielten das aus zwei Gründen für unangenehm und für gefährlich: Erstens waren Bülow und seine Freunde – Heuss, Prittwitz, Professor Hashagen usw. – keineswegs Pazifisten. Zweitens mußte befürchtet werden, daß die Anziehungskraft der eigenen Organisation – sollte sie denn Wirklichkeit werden – schwand, wenn man etwa mit der „Arbeitsgemeinschaft für eine Politik des Rechts“ gleichgesetzt wurde, in der radikale Pazifisten wie Ludwig Quidde und Hans Wehberg den Ton angaben. Bülow zum Beispiel lehnte jede engere Zusammenarbeit mit Professor Julius Bonn ab, einem aus jüdischer Bankiersfamilie stammenden Nationalökonomen, der schon der deutschen Friedensdelegation in Versailles angehört hatte und auch in den folgenden Jahren als Reparationsexperte für die Regierung tätig war. Bülow bescheinigte ihm jedoch, ein „extremer Pazifist mit flagellantischem Einschlag“ zu sein29 . Andererseits stellte er dem Grafen Maximilian Montgelas, einem bayerischen General, der sich zum Pazifismus bekehrt hatte, das Zeugnis aus, sich von „einem extremen zu einem vernünftigen Pazifisten entwickelt“ zu haben, mit dem eine Kooperation möglich sei30 . Den Unterschied zwischen „extrem“ und „vernünftig“ hat er allerdings nie definiert; vermutlich ist unter ersterem „doktrinär“ und unter letzterem 40
„pragmatisch“ zu verstehen. Immerhin hielt er es für denkbar, daß sich die „Arbeitsgemeinschaft für eine Politik des Rechts“ durch den Anschluß „vernünftiger Leute“ – wie dem Anfang 1920 beigetretenen Hamburger Bankier Max Warburg31 – zu einer brauchbaren Organisation mausern könne32 . Mit Carl Melchior, Warburgs Teilhaber, verstand er sich bereits ganz gut, und auch mit dem Staats- und Völkerrechtler Walther Schücking, der in der Deutschen Liga für den Völkerbund eine maßgebende Rolle spielte, vertrug er sich; wohl war Professor Schücking ein überzeugter Pazifist, doch litt auch er unter der Versailler Erfahrung – er war Mitglied der deutschen Delegation gewesen – und hatte danach leidenschaftlich gegen die Unterzeichnung des Friedensvertrags agiert, als Abgeordneter der DDP – ganz im Sinne und mit der wärmsten Sympathie seines Parteifreunds Bülow – sogar dagegen stimmen können. Aber es blieben Unklarheiten und Unsicherheiten, zumal die Gefahr bestand, daß der Kampf gegen den „Betrug“ von Versailles und die „Kriegsschuldlüge“ auf der anderen Seite allzu rechte, gar alldeutsche Elemente anziehen mochte, Bülow mithin versuchen mußte, zwischen Scylla und Charybdis zu navigieren33 . Dazu irritierte es den noch jungen Diplomaten, daß sein Blick seit Kriegsende auf eine innerdeutsche Perspektive beschränkt war; die Wochen in Versailles konnten in dieser Hinsicht naturgemäß nicht zählen. Seinem Stuttgarter Freund Dr. Schall war es im Frühjahr 1920 vergönnt, in die Schweiz zu reisen. Bülow schrieb ihm, wie sehr er ihn beneide: Es gehe ihm „sehr ab, daß ich solange keine direkte Verbindung mit dem Ausland gehabt habe und es mir seit Kriegsende nicht möglich war, Deutschland von außen zu sehen“. Dies sei ja doch „für eine richtige Einschätzung unserer Lage und selbst unserer inneren Verhältnisse unerläßlich“34 . Solche Einsichten brachten ihn bald dazu, sich von den aus etlichen Gründen wenig aussichtreichen organisatorischen Aktivitäten fast ganz zurückzuziehen und sich wieder aufs Schreiben zu konzentrieren. Dazu trug sicherlich bei, daß das Auswärtige Amt von ihm dankbar Denkschriften zu Aspekten der Kriegsschuldfrage und zu Problemen des Völkerbunds akzeptierte, gelegentlich auch anforderte; seit Versailles galt er als Experte auf diesen Feldern, und weder das Schuldreferat noch die Presseabteilung des Amtes konnten da – verständlicherweise – mit ihm konkurrieren35 . Daß er also mit dem AA in Verbindung blieb, nährte im übrigen die Erwartung, bald wieder in den Diplomatischen Dienst zurückzukehren, zumal zwischen ihm und dem Grafen Brockdorff-Rantzau, dem ebenfalls wegen des Versailler Vertrags ausgeschiedenen, jedoch mit Sicherheit auf Wiederverwendung 41
rechnenden älteren Freund, eine lockere Absprache bestand, die in Versailles so erfreulich begonnene Zusammenarbeit eines nahen Tages fortzusetzen. Inzwischen aber gedachte es Bülow nicht beim Zeitvertreib mit kleinen Schriften zu belassen. Was ihn vom Pläneschmieden und von den organisatorischen Ansätzen, die auf eine machtvolle Volksbewegung gegen Versailles zielten, schließlich ablenkte, war der erneut sich regende und am Ende unwiderstehliche Drang, ein großes Werk zu schaffen. Allerdings wollte er auch mit einer solchen Arbeit politische Wirkung ausüben, und zwar doch – von der Notwendigkeit und Richtigkeit dieses Kampfes besessener denn je – als Teil des Angriffs auf die „ebenso ungerechte wie törichte“ Friedensregelung der Alliierten. Eine Studie zu der Frage, was denn Politik sei, schien ihm dafür nicht recht tauglich zu sein, und so schob er die bereits gesammelten Lesefrüchte beiseite und entschloß sich – auch auf alle Pläne zu Essays über Brest-Litowsk oder Versailles endgültig verzichtend – zu einem Buch über den Völkerbund. Die League of Nations, die er gelegentlich „League of Damnation“ nannte, bot in seinen Augen den Punkt, an dem die Offensive gegen Versailles anzusetzen hatte, aber in einem anderen Sinne als manche seiner Gesprächs- und Korrespondenzpartner der Jahre 1919, 1920 und 1921 meinten, die im bestehenden Völkerbund ein Instrument zur Revision von Versailles sehen zu dürfen glaubten. Nicht zuletzt zur Abwehr derartiger Irrtümer sollte das Buch deutschen wie nichtdeutschen Lesern zu drei Einsichten verhelfen: Erstens daß der Völkerbund, so wie er sich zu Beginn der zwanziger Jahre darbot, kein wahrer Völkerbund sei, sondern ein „Feindbund“, der die Entente der Kriegszeit mit politischen Mitteln fortsetze, als ein Instrument der Siegermächte zur Verewigung des „Betrugs von Versailles“ und zur dauernden Knechtung Deutschlands; namentlich der Völkerbundsrat sei keine rechtliche Instanz, sondern eine politische Einrichtung, in der die Feindmächte so dominierten, daß sie das Kriegsergebnis perpetuieren könnten. Daß sich daraus, zweitens, die Notwendigkeit einer grundlegenden Reform der Genfer Institution ergebe, und zwar vor allem durch „Universalisierung“, das heiße durch den Beitritt sämtlicher zivilisierter Nationen, so Rußlands, der Türkei, Mexikos. Und daß drittens Deutschland erst nach der Reform des Bundes beitreten dürfe. Von diesen Absichten erfüllt, schrieb Bülow ein Buch, das auf der einen Seite Organisationsform und Funktionsweise des existierenden Völkerbunds erstmals in deutscher Sprache exakt beschrieb und daher für die ja miserabel informierten Deutschen eine durchaus nützliche 42
Lektüre sein konnte. Auch zollte er dem Völkerbundsgedanken tiefen und keineswegs gänzlich unaufrichtigen Respekt, wenn er zum Beispiel die Einsicht notierte, der „Zug der Zeit“ weise „zweifellos ... auf Zusammenschluß. Die allgemeine Not zwingt dazu. Soll die Völkerfamilie der einzige Verbund sein, der sich nicht organisiert?“36 Auf der anderen Seite hafteten dem existierenden Völkerbund nicht nur „die üblichen Mängel aller irdischen Schöpfungen“ an37 , vielmehr hätten die Sieger, so rügte er voll Bitterkeit, gehandelt „wie Menschen, die in den Stunden der Lebensgefahr Gelübde ablegten, die sie dann später nicht einhalten. Die Besiegten dagegen sahen sich getäuscht und betrogen. Sie sind im Glauben an die Gerechtigkeit irre geworden.“38 Was speziell Deutschland und die Deutschen angehe, so seien die Deutschen in Eupen-Malmedy „mit Wissen des Völkerbunds vergewaltigt worden. Im Saargebiet wurden sie mit Willen des Rates unterdrückt. In Danzig wird die Polonisierung der alten deutschen Stadt vom Bunde geduldet. Die Rechte der deutschen Mehrheiten, die durch den Gewaltfrieden zu Minderheiten wurden, sind nirgends festgelegt. Soweit sie überhaupt Schutz genießen, hängen sie ganz von der politischen Willkür einer ihnen feindlichen Stelle ab, des Rates des Völkerbunds.“39 Es habe gewiß einen Fortschritt gegeben, aber, so erklärte er seinen Lesern, nur einen Fortschritt in Technik, nicht in Ethik oder politischer Einsicht: „Vor dreihundert Jahren hätten Deutschlands Feinde Eupen und Malmedy, das Saargebiet, Danzig und Oberschlesien einfach annektiert und auch keinen Minderheitenschutz in den von Polen annektierten Gebieten eingerichtet. Die Bevölkerung hätte man unterdrückt oder vertrieben, etwaige Aufstände blutig niedergeschlagen. Im Vergleich dazu ist das heutige Verfahren human ... Der ,Fortschritt‘ der Völker besteht [aber] lediglich darin, daß er Mittel und Wege bietet zu einer ,friedlichen‘ Annexion und unblutigen, allmählichen Austreibung oder Entnationalisierung der Bevölkerung ... Die politische Ethik ist dieselbe wie im Mittelalter. Grundlage für alle diese Aufgaben des Völkerbunds aus den Friedensverträgen ist und bleibt das brutale ,Recht‘ des Eroberers.“40 Und die deutschen Schwärmer, die das Reich ungesäumt im Bund sehen wollten, – manche kannte er ja gut –, belehrte er, die Frage des Eintritts sei eine politische Frage, und die Antwort hänge von unserem Verhältnis zu den Hauptmächten der Sieger ab: „Es läßt sich kein größerer Widersinn denken, als wenn das unglückliche, betrogene und vergewaltigte Deutschland seine Haltung zum Völkerbund von Traumgesichten und verschwommenen Idealen bestimmen ließe.“ Unter den gegebenen Umständen dürfe die deutsche 43
Regierung nur dann über einen Beitritt verhandeln, wenn sie zuvor als gleichberechtigter Partner anerkannt sei. Der Beitritt habe „für uns nur Sinn, wenn der Feindbund mit seiner bisherigen Politik bricht. Unsere Zulassung in Genf kann diesen Umschwung nur bestätigen und veranschaulichen, nicht aber herbeiführen.“41 Geist, Form und Handlungsprinzipien der Institution müßten sich ändern, folgerte er, was not tue, sei eine „Neugründung des Völkerbunds“42 . Fraglos sprach Bülow mit seiner Verdammung des existierenden Völkerbunds und mit seiner Forderung nach Gerechtigkeit für Deutschland einer klaren Mehrheit der Deutschen – auch wenn diese Mehrheit sein Buch überhaupt nicht zur Kenntnis nahm – aus dem Herzen, und es ist ja auch nicht zu bestreiten, daß das Bild, das Bülow vom Völkerbund und den politischen Konstellationen der ersten Nachkriegsjahre zeichnete, zwar ein Zerrbild war, doch nicht wenige Elemente von Realität enthielt. Gleichwohl ist es – und nicht nur im Rückblick – schon erstaunlich, mit welch unbekümmerter und naiver Selbstverständlichkeit die Majorität der Nation und selbst ein in internationaler Politik nicht mehr unerfahrener Diplomat wie Bülow deutsche Interessen und Gerechtigkeit gleichsetzten, dabei nach wie vor das Faktum der Niederlage ignorierten bzw. von der Entente erwarteten, ihren Sieg zu ignorieren. Unmittelbare Wirkung hatten Bülows Gedanken offensichtlich im Auswärtigen Amt, das er, noch ehe das Buch abgeschlossen und erschienen war, mit etlichen Aufzeichnungen und Denkschriften bedachte, in denen er seine Überlegungen in knapper Form darlegte. Diese Schriftstücke wurden nicht nur von guten Bekannten und Beamten noch unterhalb der Spitze, so dem späteren Staatssekretär Carl von Schubert, gelesen43 , sondern ebenso von den Chefs des Amtes44 . Namentlich zwei Bülowsche Argumente machten auf die Praktiker der Außenpolitik Eindruck. Wenn er zum Beispiel am 9. März 1922 warnte: „Würde Deutschland als gewöhnliches Mitglied in den Völkerbund eintreten, so käme zu den Einwirkungen des Feindbundes auf unsere Geschicke nur eine weitere hinzu. Unsere Fesseln würden um eine neue, leicht vergoldete vermehrt!“45 so leuchtete das ein, ebenso die Folgerung, daß Deutschland die sofortige Gewährung eines ständigen Sitzes im Völkerbundsrat zur conditio sine qua non seines Beitritts machen müsse. Nicht weniger überzeugend fanden Anwälte einer gründlichen Revision des Versailler Vertrags – und im Amt gab es nur Revisionisten – die unermüdlich wiederholte Feststellung Bülows, daß der Völkerbund, wie er im Augenblick beschaffen sei, auch nach dem Beitritt Deutschlands keine Möglichkeit biete, den Friedensvertrag im deutschen Sinne zu re44
vidieren, namentlich bestünden keine Chancen, gegen die territorialen Bestimmungen – in Bülows Augen die wichtigsten46 – anzugehen. So leistete der Produzent der Aufzeichnungen und Denkschriften einen nicht geringen Beitrag dazu, daß sich im Amt eine Fronde gegen die Verständigung Deutschlands mit den Siegermächten formierte, sofern die Verständigung mit der deutschen Anerkennung des Status quo einherging, und zwar des Status quo des Völkerbunds wie des Status quo der europäischen Grenzen. Es dauerte nicht lange und Bülow erhielt Gelegenheit, zur Zentralfigur solcher Fronde zu werden.
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Rückkehr ins AA: Völkerbundreferent und Kritiker Stresemanns Am 11. Januar 1923 besetzten französische und belgische Truppen das Ruhrgebiet. Die Pariser und die Brüsseler Regierung verfolgten mit ihrer Aktion gewiß auch politisch dubiose Absichten, etwa die Stärkung separatistischer Kräfte im ganzen Rheinland. Ferner sollten jene antiwestlichen und gegen die ganze Nachkriegsordnung gerichteten Neigungen deutscher Politiker im Keim erstickt werden, die im deutsch-sowjetischen Vertrag von Rapallo vom 16. April 1922 manifest geworden waren. Doch hatte die deutsche Seite den Okkupanten einen immerhin vorzeigbaren primären Grund geschenkt. Am 13. November 1922 hatte noch das Kabinett Joseph Wirth und dann am 24. November das als „Geschäftsministerium“ der Fachleute präsentierte Kabinett Wilhelm Cuno – als erster derartiger Fall in der Geschichte Weimars leitete der bisherige Generaldirektor der HAPAG in der Tat eine von Parlamentsmehrheiten gelöste Regierung – den Alliierten die Einstellung deutscher Reparationszahlungen mitgeteilt, also den Abbruch der von Wirth selbst und dem am 24. Juni des Jahres ermordeten Außenminister Walther Rathenau eingeleiteten „Erfüllungspolitik“; die damals wie später oft zu hörende Behauptung, Franzosen und Belgier seien ins Ruhrgebiet eingefallen, weil Deutschland mit der Lieferung von etlichen – im Rahmen der Reparationsverpflichtung geschuldeten – Telegrafenstangen im Rückstand geblieben sei, ist eine in nationalistischer Propagandaküche zusammengebraute Legende. Die Reichsregierung reagierte spontan mit Proklamierung des „passiven Widerstands“, den sie mit den Produkten der Druckerpresse finanzierte, womit sie die an sich ausreichend böse Inflation des Jahres 1922 zur Hyperinflation des Jahres 1923 verschärfte. Doch glaubte sich die Reichsregierung durch das französisch-belgische Vorgehen noch mit anderen politischen Problemen konfrontiert. So sah man in Berlin die Möglichkeit, daß, von wem auch immer und auf welche Weise auch immer, der Völkerbund eingeschaltet wurde. Plötzlich und völlig überraschend stand die Regierung und stand vor allem das Auswärtige Amt vor der Aufgabe, sich über den Völkerbund gründlich informieren, eine Einstellung zum Bund finden und eine stetige praktische Behandlung von Völkerbundsfragen sichern zu müssen. Mit anderen Worten: Ein Völkerbundsreferat war im Amt einzurichten, und 47
dieses Referat verlangte offensichtlich nach einer – mehr als üblich – kompetenten Leitung. Im Amt selbst bot sich niemand an, und daher fiel das Auge seines Chefs auf den ehemaligen Kollegen, der sich ja bereits, mit seinen Aufzeichnungen und Denkschriften als Experte für Völkerbundsprobleme ausgewiesen hatte und gewissermaßen in Bereitschaft stand. So wurde Bülow im Januar 1923 ins Auswärtige Amt einberufen, zunächst freilich, da es Etatschwierigkeiten gab, nur als Angestellter1 . Daß er zurückgeholt wurde, war offensichtlich das Werk des Staatssekretärs Ago von Maltzan, der als Leiter der Ostabteilung die deutsch-sowjetische Verständigung von Rapallo eingefädelt und durchgesetzt hatte und in der Einschätzung von Versailles wie der französischen Politik mit Bülow übereinstimmte. Trotz der Protegierung durch Maltzan – und obwohl die Einrichtung des Völkerbundsreferats wie die Ernennung seines Chefs im für die Etatisierung des Referats zuständigen Reichstag die Unterstützung durch Parteifreunde wie Walther Schücking gefunden hatten2 – sollte es aber bis zum 7. Oktober 1924 dauern, ehe er die vom Reichspräsidenten unterzeichnete Bestallung als Vortragender Legationsrat erhielt3 ; dabei war er seit dem 1. November 1923 nicht nur für Völkerbundsfragen, sondern überdies für die Beziehungen des Reiches zu Frankreich, Belgien, Luxemburg, die Niederlande und die Schweiz zuständig4 . Seit 29. November 1924 durfte er dann, so eine Verfügung Maltzans, die Bezeichnung „Geheimrat“ führen, die auch in der Weimarer Republik noch eine Hebung des Status bedeutete5 . Bülow war trotz seiner privaten Arbeit für das AA, die ja nun schon zwei Jahre währte, überrascht, daß man ihn wieder im Amt selbst beschäftigen wollte. Er scheint auch einen Augenblick gezögert zu haben, das Angebot anzunehmen, weil er, wie er dem mittlerweile in Moskau residierenden Grafen Brockdorff-Rantzau schrieb, nicht wußte, „ob und in welchem Grade Eure Exzellenz vielleicht auf mich zählten“. Doch sei die Schaffung des Referats dringend notwendig gewesen; bislang habe man Völkerbundsfragen „unzulänglich, falsch oder gar nicht behandelt“. Er, Bülow, kenne sich in den jetzt anstehenden Problemen aus, und so „glaubte ich“, „unter den besonderen, kriegsmäßigen Verhältnissen ... nicht ablehnen zu können“6 . Graf Brockdorff-Rantzau beruhigte ihn: Obwohl es ihm sehr leid tue, die Hoffnung auf eine Zusammenarbeit endgültig aufgeben zu müssen, sei er doch objektiv genug, Bülows Argumente zu würdigen. Der Botschafter schloß mit den für ihn charakteristischen Worten: „Übrigens verlieren Sie, abgesehen von dem zweifelhaften Genuß, mit mir zu arbeiten, selbst auch manches. Der Posten hier ist tatsächlich sehr interessant.“7 Allerdings schmerzte es 48
Bülow auch sehr, sich „nach Jahren der Freiheit und Selbständigkeit“ in Fürstenberg wieder ins „Räderwerk einer Behörde“ einzufügen, jedenfalls behauptete er das8 . In Wahrheit bewegte er sich in seiner neuen Stellung, auch wenn er einen großen Teil des Jahres 1923 kränkelte und den regelmäßigen Dienst im AA erst im November 1923 aufnehmen konnte9 , sogleich wie ein Fisch im Wasser. Dazu trug sicher bei, daß das Völkerbundsreferat und sein Chef direkt dem Staatssekretär unterstanden, also Bülows Möglichkeiten, etwas zu bewirken, weit größer waren als die eines normalen Referatsleiters. Er hat dies auch erkannt und anerkannt; man sei ihm im Amt, so sagte er dankbar, „in jeder Hinsicht im Rahmen des Möglichen entgegengekommen ..., was Selbständigkeit und Einfluß anlangt“10 . Trotz Krankheit griff er bereits am 22. Januar 1923 in die interne Debatte über das Ruhrproblem ein. In einer Aufzeichnung warnte er vor einer Situation, die manchem anderen als vorteilhaft für Deutschland erschienen wäre. Es müsse damit gerechnet werden, sagte er, daß Frankreich den Kampf an der Ruhr abbrechen und eine Rückzugslinie finden wolle, auch könne es sein, schrieb der professionelle Diplomat mit scharfem Auge für die Lage, in die sich Frankreich manövriert hatte, daß England oder eine andere Macht versuchen werde, „Frankreich seine [sic] Vermittlung aufzuzwingen“. Bülow fand das deshalb bedenklich, weil „in beiden Fällen sehr leicht der Weg der Intervention des Völkerbunds gewählt werden“ könnte, und das würde „Deutschland sehr ernsten Gefahren aussetzen“. Die Sache würde dann nämlich vom Völkerbundsrat entschieden, einer politischen – nicht rechtlichen – Instanz, die von den Siegermächten gesteuert werde. Der Rat „würde zweifellos eine ,oberschlesische‘ Entscheidung fällen, also eine deutsche Interessen mißachtende Entscheidung“11 . Da der Völkerbund erst eingeschaltet werde, wenn „die Krisis bereits äußerst fühlbar und die Öffentlichkeit im In- und Ausland sehr nervös geworden“ sei, würde der Spruch des Rates als „Erlösung“ wirken: „Seine Entscheidung, mag sie auch noch so ungerecht sein, wird vom Ausland bewillkommnet werden, wenn sie nur als brauchbarer Kompromiß erscheint. Oberschlesien sollte uns gerade in diesem Punkte eine Lehre sein.“ Er zog daraus den Schluß, die deutsche Öffentlichkeit müsse – im Gegensatz zu der törichten deutschen Haltung vor dem Urteil des Rats in der oberschlesischen Frage – schon jetzt darauf vorbereitet werden, daß „Deutschland eine gerechte Entscheidung des Völkerbunds ... nicht zu erwarten hat“12 . Im Amt hat Bülows Aufzeichnung nicht nur Zustimmung gefunden. Ministerialdirektor Carl von Schubert, für die deutsche Englandpolitik 49
zuständig und wenig später als Staatsekretär der wichtigste Mitarbeiter des verständigungswilligen und völkerbundsfreundlichen Außenministers Gustav Stresemann, reichte das ihm zugegangene Schriftstück jedenfalls ohne jeden Kommentar zurück, was zweifellos Mangel an Einverständnis zeigt13 . Man wird vermuten dürfen, daß Schuberts Kritik weniger Bülows Haltung in der akuten Ruhrkrise galt, sondern mehr eine Ablehnung der prinzipiellen Völkerbundsfeindschaft des Kollegen zum Ausdruck brachte. Hier ist ein Vorgeplänkel jenes Konflikts zu sehen, der in den folgenden Jahren das Verhältnis zwischen Stresemann/ Schubert auf der einen und einer nicht geringen Zahl von wichtigen Beamten des AA auf der anderen Seite immer wieder belasten sollte. Auf den Gang der Dinge hatten Bülows Ansichten und gleichartige Reaktionen in der Regierung, im Auswärtigen Amt, in den Parteien und in der Öffentlichkeit nicht den geringsten Einfluß. Zwar traf seine Prophezeiung ein, daß Großbritannien – und die USA – intervenieren und die französische Regierung zur Annahme einer für Deutschland zumindest vorübergehend erträglichen Reparationsregelung und zum Abbruch des danach nicht mehr begründbaren Ruhr-Abenteuers zwingen würden; im Sommer 1924 mußte Paris den sogenannten Dawes-Plan akzeptieren, der in die alliierte Reparationspolitik erstmals einige Elemente von Vernunft brachte, die Belastung Deutschlands verringerte und den Weg zur Räumung des Ruhrgebiets frei machte14 . Hingegen hatte sich seine Annahme, die beteiligten Mächte würden den Ruhrkampf durch ein Urteil des Völkerbundsrats beenden, nicht bewahrheitet; die Genfer Institution war in diesem Fall am Rande des Geschehens geblieben. Gleichwohl wird Bülow den Schlußpunkt der Krise als eine „oberschlesische“ Lösung empfunden haben. Immerhin hatte Deutschland den passiven Widerstand im Ruhrgebiet abbrechen und durch die Stabilisierung der Mark endlich die Grundlage für eine rationalere Kalkulation der deutschen Zahlungsfähigkeit schaffen müssen; auch hatte die von dem Amerikaner Parker Gilbert geleitete Reparationskommission ein gewisses Aufsichtsrecht über die Finanzen des Reiches bekommen. Bülow war sicherlich der Meinung, daß festere Haltung und geschicktere Politik ein besseres Ergebnis gezeitigt hätten. Er sollte bald noch mehr Grund zu Unmut und Kritik finden. Inzwischen war, im Herbst 1923, nach Überwindung von mancherlei verlegerischen und finanziellen Schwierigkeiten sein Buch über den Völkerbund erschienen. Eigentlich hätte es ihn überraschen müssen, daß seinem Werk gerade auch von linksliberalen Demokraten hohes Lob gespendet wurde. Aus dem Reichstag meldete sich Walther 50
Schücking: „Das ist eine ganz erstaunliche Leistung und straft alle Vorurteile Lügen, die über Oberflächlichkeit, Kenntnislosigkeit, Trägheit usw. der Diplomaten meistens von alldeutscher und militaristischer Seite verbreitet werden.“ Auch der „radikale Freund“ Wehberg nenne es das „bisher beste juristische Werk über den Völkerbund“, das „beste politische Buch“15 . Hier ist zu sehen, daß in Deutschland selbst doktrinäre Pazifisten und leidenschaftliche Verfechter des Völkerbundsgedankens dazu neigten, unter Gerechtigkeit die Berücksichtigung deutscher Interessen zu verstehen. Graf Brockdorff-Rantzau zeigte sich ebenfalls beeindruckt. Nach der Lektüre schrieb er etwas wehmütig: „Mir ist dabei immer klarer geworden, wie recht ich hatte, Sie vor einem Jahr zu bitten, mit mir zu arbeiten. Das bedeutet ein aufrichtiges Kompliment ...“16 Einige Zeit später, Anfang 1926, konnte man freilich in der „Weltbühne“ lesen: „Schon seit Jahren herrscht im Auswärtigen Amt der sonderbare Zustand, daß der Völkerbundsreferent der größte Gegner des Völkerbunds war. Die persönlichen Qualitäten des Herrn v. Bülow seien hier nicht angezweifelt; sein Buch ist das Ergebnis fleißigen Studiums, obwohl Vieles falsch gesehen ist. Er selbst würde mit seiner angenehmen, äußerlich konzilianten Art einen ausgezeichneten Gesandten abgeben – aber an die Stelle, wo er sitzt, paßt er gerade wie die berühmte Faust auf ein in dem Fall erblindetes Auge.“17 Der Kommentar in der Zeitschrift Siegfried Jacobsohns, Carl von Ossietzkys und Kurt Tucholskys kam der Zielsetzung des Bülowschen Buches wie den politischen Absichten, denen der Völkerbundsreferent im Auswärtigen Amt dienen wollte, gewiß näher als das Lob Schückings, und die „Weltbühne“ hätte sich noch bestätigt fühlen dürfen, wären ihre Mitarbeiter in der Lage gewesen, die ersten amtlichen Aktivitäten Bülows, die nichts mit der Ruhrkrise zu tun hatten, genauer unter die Lupe zu nehmen. Im Laufe des Jahres 1923 hatten Lord Robert Cecil und der französische Oberst Réquin, beide Mitglieder der sogenannten zeitweiligen Gemischten Kommission, die im Auftrag des Völkerbunds das Abrüstungsproblem studieren sollte, einen Plan ausgearbeitet, mit dem sie eines der größten Hemmnisse einer umfassenden Abrüstung aus dem Weg zu räumen hofften. Bislang war jede Bemühung um Abrüstung allenthalben an dem Argument gescheitert, eine nennenswerte Reduzierung der Streitkräfte sei nur dann möglich, wenn erst das Problem der Sicherheit gelöst werde, das heißt wenn jedes angegriffene Land mit Gewißheit auf die Hilfe der Staatengesellschaft bauen könne; der Völkerbund schien das nicht zu garantieren. Lord Robert Cecil und Oberst Réquin legten nun im September 1923 der Vollversamm51
lung des Völkerbunds den Entwurf eines „Vertrags zur gegenseitigen Hilfeleistung“ vor, der die Signatarstaaten verpflichtet hätte, jedem angegriffenen Unterzeichner militärische Unterstützung zu gewähren, sofern der angegriffene Unterzeichner zuvor nach einem vom Völkerbundsrat aufzustellenden Plan abgerüstet hatte; der Völkerbundsrat sollte außerdem die Befugnis erhalten, den Aggressor zu bezeichnen. Allerdings, so sagten die Verfasser des Entwurfs, sei jedes Land nur bei Konflikten auf dem eigenen Kontinent zur Intervention gehalten, dafür hatten sie aber andererseits die Erlaubnis zum Abschluß regionaler Sekuritätspakte eingebaut. Im übrigen sollten die Völkerbundssatzung und die nach Kriegsende abgeschlossenen Friedensverträge unberührt bleiben. Der Gedanke, die Abrüstung von einer zuverlässigen Sicherheitsgarantie, andererseits die Sicherheitsgarantie von der Abrüstung abhängig zu machen, war an sich beachtenswert, fand aber wenig Beifall. Gerade Anhänger der kollektiven Sicherheit und die im Krieg neutral gebliebenen Länder vertraten mit Recht die Ansicht, daß die Ermutigung regionaler Allianzen in der Praxis zu einer Renaissance eben jener Militärbündnisse führen müsse, die mit dem Völkerbund allmählich überflüssig werden sollten, und daß bestehende Bündnissysteme wie die Kleine Entente zwischen der Tschechoslowakei, Rumänien und Jugoslawien geradezu sanktioniert würden. Außerdem dachte man in Frankreich noch nicht daran, sich gegenüber dem potentiell nach wie vor gefährlichen deutschen Nachbarn auf etwas anderes zu verlassen als auf die eigenen Waffen, und das britische Commonwealth war nicht bereit, eine Interventionsverpflichtung zu übernehmen, die über den Wortlaut der Völkerbundssatzung hinausging. So reagierten alle europäischen Regierungen mit höflicher, doch entschiedener Ablehnung. In London war ausgerechnet das erste reine Labour-Kabinett der britischen Geschichte, dem Prinzip der kollektiven Sicherheit tief verpflichtet, gezwungen, sich den außenpolitischen Traditionen Englands wie dem klaren „Nein“ der Dominien zu fügen und sich ebenfalls dem Vertragsvorschlag zu entziehen18 , obwohl Premierminister Ramsay MacDonald mit dessen Grundgedanken sympathisierte. Etliche Staaten, die nicht dem Völkerbund angehörten, waren trotzdem zur Unterzeichnung aufgefordert worden, so die Sowjetunion und die USA. Am 9. Januar 1924 auch Deutschland. Die sowjetische Regierung winkte ebenso ab wie die amerikanische, und in Berlin entdeckte man im Vertragsentwurf sehr viel mehr Réquin als Cecil, also die selbstverständlich zu verwerfende Französisierung einer gut gemeinten 52
englischen Idee. Bülow machte das Reichswehrministerium sogleich darauf aufmerksam, daß der Völkerbundsrat darüber entscheiden solle, wer als Aggressor zu gelten habe, eine rein politische Instanz, in der Frankreich dominiere19 , und General Hans von Seeckt, Chef der Heeresleitung, erkannte danach: „Der Vertragsentwurf ist entstanden als Kompromiß zwischen den von Lord Robert Cecil einerseits und dem französischen Oberst Réquin andererseits aufgestellten Forderungen. So liegt die Vermutung nahe, daß der Vertragsentwurf Deutschlands Interesse nicht wahrt, daß der zwischen England und Frankreich angestrebte Ausgleich auf Kosten Deutschlands erfolgt.“20 Den General Graf Montgelas hinderte sein nach wie vor verfochtener Pazifismus nicht an dem harschen Urteil: „Der in jeder Beziehung französische Gedankengänge verratende, ganz von französischem Einfluß beherrschte Entwurf stellt einen Versuch dar, unter dem Deckmantel einer scheinbaren Rüstungsminderung und unter dauernder Aufrechterhaltung der entehrenden militärischen Diktate von Versailles, Neuilly, St. Germain und Trianon ein dauerndes und erhöhtes militärisches Übergewicht – durch den Namen ,Sicherheit‘ verschleiert – für die europäischen Staaten zu schaffen, die jetzt schon infolge der erwähnten Diktate eine ungeheure Überlegenheit über die anderen Völker Mitteleuropas besitzen und mißbrauchen.“21 Kurzum: Der von Lord Robert Cecil und Oberst Réquin vorgestellte Pakt schien in deutschen Augen nur dazu tauglich zu sein, die politische Dominanz der Entente zu stärken, den territorialen Status quo zu verewigen und deutscher Revisionspolitik ein weiteres hohes Hindernis in den Weg zu stellen. Zwar hatten die beiden Verfasser des Vertragsentwurfs tatsächlich ohne Auftrag und ohne Hilfe irgendwelcher Regierungen gearbeitet, wenn sie auch bemüht waren, voraussehbaren Einwänden namentlich Frankreichs zuvorzukommen und so ihre Überlegungen für Paris akzeptabel zu machen. Aber in Berlin wähnte man sich noch immer im Kriege – schließlich hielten französische und belgische Soldaten das Ruhrgebiet besetzt –, und so wurden Gedanken, die aus dem Westen oder vom Völkerbund kamen, fast ohne Nachdenken, erst recht ohne emotionslose Analyse, als mehr oder weniger durchsichtige Manöver von Feinden empfunden. In Regierungsstellen sah man noch andere Gefahren. Übernahm Deutschland eine Verpflichtung zu automatischer Hilfeleistung, rückte die Sowjetunion in den Kreis der Staaten, gegen die eventuell zu intervenieren war, und dies mußte, so fürchtete man im Auswärtigen Amt, auch wenn es nur als bloße Möglichkeit am politischen Horizont auftauchte, die auf gemeinsamen antipolnischen Revisionismus gegrün53
dete Spezialbeziehung zwischen Berlin und Moskau in Frage stellen22 . Im Reichswehrministerium wie auch im AA witterte man im übrigen in jeder Abrüstungsvereinbarung – so sehr man öffentlich die Abrüstung der Nachbarn Deutschlands verlangte – eine Gefährdung eigener, in absehbarer Zukunft zu realisierender Aufrüstungsvorhaben. Solche Motive brauchten aber in der Antwort, die Berlin auf die Einladung zur Unterzeichnung des Vertragsentwurfs gab, nicht einmal andeutungsweise zu erscheinen. Lord Robert Cecil und Oberst Réquin waren in dem geradezu ängstlichen Bestreben, französische Empfindlichkeiten zu schonen, doch so weit vom Geist wie von der Satzung des Völkerbunds abgewichen, namentlich mit der ausdrücklichen Zulassung regionaler Militärbündnisse, daß sich die Reichsregierung in der angenehmen Lage fand, den Vorschlag – nach einem feierlichen Bekenntnis zum Völkerbundsgedanken – mit völkerbundsfreundlichen oder zumindest an der Friedenssicherung orientierten Argumenten zu kritisieren und abzulehnen. Bülow legte Außenminister Stresemann nahe zu bemängeln, „daß er [der Paktentwurf] lediglich auf der augenblicklichen Machtverteilung und auf rein militärischer Grundlage basiert ist. Den schon in der Völkerbundssatzung selbst ungenügend entwickelten Gedanken der schiedlichen Erledigung von Staatsstreitigkeiten fördert der Entwurf in keiner Weise.“ Eine allgemeine Abrüstung werde keineswegs erreicht. Daher sei in der deutschen Antwort besonders zu betonen, wie wichtig die Entwicklung eines internationalen Schiedsverfahrens sei23 : Im Grunde genügte es, wenn sich Deutschland einfach die negativen schriftlichen Reaktionen Englands und der neutralen Staaten zum Vorbild nahm; in den skandinavischen Ländern gab es gar nicht wenige Anhänger der Überzeugung, Frankreich wolle mit Manövern wie dem Paktvorschlag, „in Europa eine Hegemonie aufbauen, die die Welt seit Napoleons Tagen nicht erlebt“ habe24 . Staatssekretär von Maltzan und Bülow kamen dann auf die Idee – wer den Einfall hatte, ist unklar –, die deutsche Ablehnung in das Gewand einer Denkschrift zu kleiden, die nicht von der Regierung, sondern von unabhängigen Persönlichkeiten – Wissenschaftlern und Politikern – auszuarbeiten und zu unterschreiben sei. So holten Maltzan und Bülow Anfang Mai 1924 eine Anzahl in Frage kommender Kandidaten ins Amt, wobei sie streng darauf achteten, den Verdacht einer Rechtslastigkeit des Vorhabens gar nicht erst aufkommen zu lassen. Zu den Teilnehmern der Besprechung beziehungsweise den unmittelbar danach noch Beteiligten zählten zum Beispiel die Professoren Friedrich Meinecke und Walther Schücking, der auch als Repräsentant der Deutschen Liga 54
für Völkerbund gelten konnte, ferner die ehemaligen Minister Rudolf Hilferding (SPD) und Eugen Schiffer (DDP); mit dem Juristen Heinrich Triepel und dem Historiker Otto Hoetzsch, beide Parteigänger der Deutschnationalen, war natürlich auch die Rechte vertreten. Maltzan eröffnete den Anwesenden Sinn und Zweck des „Unternehmens Denkschrift“, wobei er versicherte, die Mitarbeiter am guten Werk würden selbstverständlich „in voller Unabhängigkeit und freier Entschließung“ wirken können. Anschließend machte er ihnen klar, daß sie in der Denkschrift vom „Gesamtproblem der Friedenssicherung“ auszugehen hätten; Leitlinie sollte sein, daß freiwillige Abrüstung erst möglich sei, wenn eine umfassende Rechtsordnung Sicherheit geschaffen habe – die bislang nicht erreicht sei. Auch müßten folgende Mängel aufgespießt werden: Der Entwurf lasse militärische Sonderabkommen nicht nur zu, sondern begünstige sie, und die Abrüstungsbestimmungen seien völlig ungenügend25 . Da Bülow danach als nimmermüder Organisator und Koordinator der Gruppe tätig wurde, konnte die Denkschrift, die den genannten Richtlinien folgte, in wenigen Wochen fertiggestellt werden. Zu den Unterzeichnern gesellten sich noch prominente Pazifisten wie Graf Montgelas, während Hilferding, der mit der Kritik am Paktentwurf völlig übereinstimmte, seine Unterschrift am Ende doch verweigerte, weil, wie er an Stresemann schrieb, „der Eintritt Deutschlands in den Völkerbund ein im Vordergrund der aktuellen Politik stehendes Problem geworden“ sei, die Denkschrift aber „zum Beitritt ... nur in sehr verklausulierter Form Stellung“ nehme und ihn „von einer Reihe von Voraussetzungen und Bedingungen abhängig“ mache, so daß „mir diese Antwort unter den jetzigen politischen Umständen nicht ausreichend erscheint“26 . Das war ein herber Verlust, gleichwohl übersandte das Auswärtige Amt die Denkschrift am 24. Juli 1924 Sir Eric Drummond, dem Generalsekretär des Völkerbunds, und zwar mit dem Bemerken, die Reichsregierung schließe sich den Gedanken der Schrift an27 . Aus zwei Gründen fand die Note – das war die Denkschrift de facto – im Ausland eine teils skeptische, teils feindselige Aufnahme: Erstens wies sie partiell eine auffallende Übereinstimmung mit dem Ablehnungsschreiben auf, das MacDonald an Sir Eric Drummond geschickt hatte, und so argwöhnte man in Frankreich – aber nicht nur dort – eine britisch-deutsche Konspiration, die der französischen Regierung naturgemäß höchlichst mißfallen mußte28 ; ein solcher Eindruck lag allerdings nicht im deutschen Interesse, weshalb Bülow den deutschen Botschafter in Paris, Hans von Hoesch, sogleich bat, derartigen Behaup55
tungen der französischen Presse nach Möglichkeit entgegenzuwirken29 . Zweitens schlug jeder politischen Aktion einer deutschen Regierung noch immer ein Mißtrauen entgegen, das an Stärke dem Mißtrauen nicht nachstand, das viele Deutsche jedem Schritt der Siegermächte entgegenbrachten. Vor allem in Frankreich und in allen damals französisch beeinflußten Ländern Europas faßte man die friedens- und völkerbundsfreundlichen Sätze der Denkschrift als schiere Heuchelei auf, was die „Prager Presse“, die im Auswärtigen Amt als „ein autoritatives Sprachrohr des französischen Bündnissystems“ galt, veranlaßte, den beteiligten deutschen Staatsgelehrten vorzuhalten, sie hätten sich eines „boshaften Pazifismus“ schuldig gemacht30 . In England sah sich auch MacDonald, ausgerechnet, in den „Daily News“ dem Vorwurf ausgesetzt, sich mit seinem Schreiben an Sir Eric Drummond eine „Schmähung des Bundes“ geleistet zu haben31 . Bülow freilich, der für die von Hilferding gerügte Verwässerung der völkerbundsfreundlichen Partien der deutschen Denkschrift verantwortlich zeichnete, kommentierte einen in der Pariser „Temps“ erschienen kritischen Artikel, den ein bekannter französischer Journalist laut Hoesch „in alter Giftigkeit“ geschrieben hatte, mit den kühlen Worten: „Die französische Enttäuschung über das Scheitern des Cecil-Réquin-Entwurfes eines Garantiepakts ist nur zu begreiflich. Eine gerechte Würdigung des deutschen Standpunkts in dieser Frage wird deshalb in Frankreich nicht zu erzielen sein, erscheint auch kaum erforderlich, da dieser Entwurf als erledigt angesehen werden kann.“32 Daneben widmete sich Bülow mit nie erlahmendem Eifer der Verhinderung eines – wie er meinte – vorzeitigen Beitritts Deutschlands zum Völkerbund. Zwar lag der Diplomat nicht auf der Linie des Reichswehrministeriums, das noch im Dezember 1924 kurz und bündig erklärte, der Beitritt lege „der durch den Versailler Vertrag und das Londoner Abkommen [Dawes-Plan] schon stark beschränkten deutschen Außenpolitik neue Fesseln an.“33 Bülow dürfte nicht sehr erbaut gewesen sein, als ihm General Otto Hasse, ein enger Mitarbeiter Seeckts, die in diesem Satz gipfelnde Aufzeichnung übergab. Einmischungen des Militärs in außenpolitische Angelegenheiten lehnte er grundsätzlich ab – wenn er sie nicht selbst bestellt hatte –, außerdem schätzte er das politische Urteil der Generale, die an der Spitze der Reichswehr standen, sehr gering ein; auch kannte er seine Pappenheimer. Als sich General von Seeckt darüber beschwerte, daß das Auswärtige Amt der französischen Regierung das Beileid zum Verlust des Luftschiffs „Dixmuiden“ ausgesprochen hatte, wollte Außenminister Stresemann zunächst kein 56
erklärendes Schreiben an das Reichswehrministerium; mündliche Auskünfte des Ministerialdirektors von Schubert müßten genügen. Bülow setzte jedoch eine schriftliche Replik durch, weil, so sagte er, der General von Seeckt „seine Herren nur ungenügend informieren“ werde; „er ist auch nicht überzeugt, und unser Schreiben wird wenigstens im R wehr [ministerium] zirkulieren und zu pädagogischen Zwecken nützlich sein“34 . Kollege Köpke stimmte dem zu, und am 9. Januar 1924 ging das Schriftstück ab. Doch Bülow war auch in der Sache anderer Meinung. Wohl reagierte er noch längere Zeit schroff negativ, nicht selten mit an den Haaren herbeigezogenen Argumenten, wenn sich jemand, ob im Inland oder im Ausland, für Deutschlands Beitritt zum Völkerbund aussprach. Am 1. August 1923 hatte der deutsche Botschafter in London berichtet, William O’Molony, der Privatsekretär Lord Robert Cecils, habe ihm gesagt, alle maßgebenden Stellen in England würden ein deutsches Gesuch um Aufnahme in den Bund „mit größter Genugtuung“ begrüßen, freilich seien amtliche englische Schritte „zur Ermunterung“ nicht möglich, weil sonst Frankreichs Mißtrauen geweckt werde. Bülow hatte diese Einschränkung sogleich benutzt, um zu empfehlen, „den Anregungen von O’Molony keinerlei Folge zu geben. Es erscheint ganz unmöglich, irgendwelche Beschlüsse oder Schritte mit derartigen unverbindlichen und auch unzuverlässigen Äußerungen zu begründen.“35 Sieben Monate später, am 19. März 1924, sprach er nach wie vor von Deutschlands „natürlicher Feindschaft“ gegen den Völkerbund36 . Im folgenden Juni äußerte der tschechoslowakische Außenminister Eduard Benesch, als er sich in Genf mit dem deutschen Geschäftsträger in der Schweiz unterhielt, wie erwünscht die Mitgliedschaft Deutschlands im Bund doch sei. Zwar notierte Eduard Hoffmann, der Geschäftsträger, Benesch habe vor Übereilung gewarnt: „Da er in immer neuen Wendungen riet, ja nichts zu überstürzen, hatte ich den Eindruck, daß ihm unser Eintritt höchst unerwünscht ist und er persönlich alles tun wird, ihn zu hintertreiben.“ Maltzan und Bülow kommentierten etwas ironisch: „In Übereinstimmung mit der Auffassung des Herrn Benesch wird hier die Frage unseres Eintritts in den Völkerbund nicht als spruchreif angesehen ... Deutschland drängt sich nicht nach einer Beteiligung am Völkerbund, da es die Mängel seiner Organisation und die Fehler seiner Praxis klar erkennt.“37 Und als ein alter Freund aus den Tagen gemeinsamer Arbeit für die „Deutsche Nation“, Graf Harry Keßler, im Herbst 1924 ohne amtlichen Auftrag in Genf mit französischen Politikern und auch dem britischen Kabinettsmitglied Lord Parmoor über Deutschlands Beitritt palaverte, spöttelte Bülow, Graf Keßler habe 57
„in Genf alles beobachtet, außer der nötigen Diskretion“; der Graf dürfe in Genf nicht mehr verwendet werden38 . Aber Bülow war zu klug und zu realistisch, um nicht zu wissen, daß Deutschland eines durchaus absehbaren Tages in den Bund eintreten mußte. Er unterstützte die Deutsche Liga für den Völkerbund nach Kräften, politisch wie finanziell – und das nicht nur seinem Freund Walther Schücking zuliebe. Am 28. Juni 1924 fand in Lyon der Kongreß der Internationalen Union der Völkerbundsliga statt. Die französischen Vertreter wehrten sich anfänglich mit Zähnen und Klauen dagegen, daß die deutsche Delegation mit Bülows früherem Washingtoner Vorgesetzten, dem Grafen Bernstorff, an der Spitze erschien; er sei schließlich für die Sabotage verantwortlich gewesen, die sein Militärattaché Franz von Papen während der ersten Kriegsjahre an der amerikanischen Ostküste organisiert hatte. Für den Fall, daß die Deutschen unter den gegebenen Umständen absagten, wollten auch, wie man in Berlin erfuhr, die Engländer zu Hause bleiben, selbst wenn sie damit einen internationalen Skandal beträchtlichen Ausmaßes heraufbeschworen – ein Zeichen, wie tief in England die Unzufriedenheit mit der negativen französischen Deutschlandpolitik und der durch die Besetzung des Ruhrgebiets symbolisierten starren Verteidigung von Versailles bereits geworden war. Bülow half zunächst dabei, die Engländer von einer solchen Politik der Gesten abzubringen – die den französischen Widerstand gegen den Grafen Bernstorff nur verhärten konnte – und sie statt dessen zum argumentativen Druck auf die Franzosen zu bewegen. Sodann beteiligte er sich mit Erfolg an dem Versuch, auch von Berlin aus die französischen Widerstände zu überwinden, wobei er keineswegs davor zurückscheute, zum Beispiel Hellmut von Gerlach für seine Zwecke einzuspannen, einen Politiker und Journalisten, der in seinem Blatt „Welt am Montag“ einen radikalen Pazifismus predigte, für eine vorbehaltlose Verständigung mit Frankreich kämpfte und einem bedingungslosen Beitritt Deutschlands zum Völkerbund das Wort redete; Bülow hat diesen Standesgenossen politisch stets höchst unsympathisch gefunden. Die Bemühungen hatten übrigens Erfolg. Die französische Seite gab nach, und als Graf Bernstorff in Lyon erschien und durch ebenso würdiges wie geschicktes Auftreten zum Star der Veranstaltung wurde, zollte ihm nun sogar ein Teil der französischen Presse Beifall – was wiederum beweist, daß auch in Frankreich hinter der offiziellen harten Politik schon ein lebhaftes Verlangen nach französisch-deutscher Aussöhnung herrschte39 . Ebenso griff Bülow helfend ein, als Konrad Heiden – damals noch 58
Student, 1936/37 Verfasser der ersten ernsthaften Biographie Hitlers40 – Schwierigkeiten hatte, nach Prag zu reisen, um dort im April 1924 als Delegierter der „Zentralstelle für studentische Völkerbundsarbeit in Deutschland“ an einem Kongreß zur Konstituierung einer internationalen Union der studentischen Vereinigungen für Völkerbundsarbeit teilzunehmen; seine Teilnahme, schrieb Bülow, „liegt im unmittelbar deutschen Interesse“41 . Auch reagierte er sofort, als ihn im Oktober 1924 ein Vertreter des Reichsverbands der Industrie, der Major a. D. von Düring, aufsuchte, um ihm mitzuteilen, der Verband trage sich mit dem Gedanken, im Reichsverband eine Stelle zur Verfolgung der Völkerbundsarbeit zu schaffen; Düring nannte – kurios und bezeichnend zugleich – als Grund: „Vorläufig sei man sich über die Bedeutung des Völkerbunds im Reichsverband noch gar nicht klar.“ Bülow empfahl den Beitritt zur Völkerbundsliga und versorgte Düring umgehend mit Informationsmaterial über diese Organisation42 . Was lag aber Bülows Interesse an der Liga zugrunde? Einerseits sah er sie zunächst noch als „unseren Völkerbundsersatz“, vor allem aber sollte sie, so meinte er, nach Deutschlands Beitritt „eine riesige propagandistische Aufgabe“ erfüllen – nach den Regieanweisungen des Auswärtigen Amts43 . Daher begrüßte er die im Juni 1924 zu beobachtende Entfremdung zwischen dem kompromißlos pazifistischen Friedenskartell und der Völkerbundsliga: Für die bald nötige Aktivität der Liga sei die Nähe zu solchen pazifistischen Organisationen nur „hemmend und kompromittierend“44 . Dieser Realismus, der seine starre Zielgerichtetheit immer wieder und so auch jetzt aufweichte, bewog ihn, die Unhaltbarkeit seiner bisherigen Konzeption einzusehen: Vom Kampf gegen den deutschen Beitritt zum Völkerbund ging er über zum Kampf um die Bedingungen für den Beitritt. Zu seinem Wandel trug gewiß auch bei, daß zwischen der Entente und Deutschland im zweiten Halbjahr 1924 eine Entspannung zu wirken begann, die der temporären Lösung des Reparationsproblems durch den Dawes-Plan zu danken war, also der Rückkehr Deutschlands zu einer gemilderten Form der Erfüllungspolitik. Die schon recht flotten Verständigungsschritte der britischen und die noch sehr zögerlichen der französischen Regierung nahm Bülow außerdem als Signale und erste Elemente jener Umkehr der alliierten Deutschlandpolitik, die, zur Gleichberechtigung des Reiches führend, er ja von Anfang an als Voraussetzung einer deutschen Annäherung an den Völkerbund gefordert hatte. Schon im Juli 1924, als der Dawes-Plan zwar noch nicht definitiv angenommen worden war, aber doch schon als feste Größe der europäischen Politik wirkte, hatte Bülow in einer Aufzeichnung, die 59
Staatssekretär von Maltzan unterschrieb, erklärt, falls den deutschen Bedenken Rechnung getragen werde, „dürften für Deutschland die Vorteile seiner Aufnahme in den Völkerbund die sonstigen Nachteile überwiegen“45 . Um so hartnäckiger verlangte er aber nun von seinen Vorgesetzten, Außenminister Stresemann und dessen Staatssekretär von Maltzan – der im Dezember 1924 als Botschafter nach Washington ging und von Carl von Schubert abgelöst wurde –, daß sie die deutschen Bedingungen für den Beitritt auch durchsetzten, die er für unaufgebbar hielt: den sofortigen ständigen Sitz im Völkerbundsrat und die Befreiung von jeglicher Beteiligung, wenn der Völkerbund es aus irgendwelchen Gründen für notwendig halten sollte, Sanktionen gegen die Sowjetunion zu verhängen; die Wendung zum Völkerbund und zur Entente durfte auf keinen Fall die gegen Polen gerichtete deutsch-sowjetische Spezialbeziehung stören oder gar zerstören. Das zarte Pflänzchen „Verständigung“ blühte weiter auf, und Stresemann öffnete mit dem am 20. Januar 1925 erst England und dann am 9. Februar auch Frankreich gemachten Angebot, die in Versailles festgelegte deutsch-französische Grenze anzuerkennen und zu garantieren, also auf Elsaß-Lothringen definitiv und jetzt sozusagen freiwillig zu verzichten, den Weg, der im Oktober zur Konferenz von Locarno und den Locarno-Verträgen führte. Angesichts dieser Entwicklung fügte Bülow den Bedingungen für Deutschlands Völkerbundsbeitritt noch ein weiteres Ziel hinzu, das zwar auch einen völkerbundspolitischen Aspekt hatte, im wesentlichen jedoch bereits als erster Schritt zu aktiver Revisionspolitik gedacht war. Nicht so verwegen oder so wirklichkeitsfremd, daß er bereits die Hoffnung gehegt hätte, Österreich anschließen oder gar die deutschpolnische Grenze im Ernst anfechten zu können, erwartete er aber sehr wohl, daß der Geist von Locarno kräftig genug sein werde, um die Befreiung des ganzen Rheinlands von fremden Besatzungstruppen und damit die volle internationale Handlungsfreiheit des Deutschen Reiches zu bringen; im Grunde hoffte er überdies, daß mit Belgien über EupenMalmedy geredet und das Saarland vorzeitig aus der stark französisch beeinflußten Völkerbundsverwaltung gelöst werden könne. Nun mißtraute Bülow dem Verhandlungsgeschick, der Standfestigkeit und vielleicht auch den politischen Absichten Stresemanns und Schuberts. Als die beiden anfingen, das deutsche Staatsschiff in Richtung Locarno zu steuern, verfolgte er daher ihr Vorgehen einerseits mit Wohlwollen, da er Versuche zur Verbesserung des deutsch-französischen Verhältnisses und zur Anbahnung des deutschen Beitritts zum 60
Völkerbund mittlerweile ja prinzipiell guthieß, andererseits aber auch mit tiefer Skepsis. In seiner Funktion mußte er freilich recht oft auf Argumentation verzichten und sich, wenn er einen Schritt Stresemanns kritikwürdig fand, mit stummer Mißbilligung begnügen. Bei einer solchen Gelegenheit fand der irritierte Reichsaußenminister für Bülow das Wort: „Der Mann mit dem offensiven Schweigen!“46 Am Ende – er nahm an der Konferenz von Locarno teil – behielt er insofern recht, als es Stresemann in der Tat nicht gelang, die vollständige Räumung des Rheinlands zu erreichen. Enttäuscht und erbost fällte Bülow – wobei er Kollegen wie Weizsäcker aus dem Herzen sprach – das Verdammungsurteil: „Wir zahlen ja alles zu teuer, weil wir nicht abzuwarten verstehen. Hätten wir Locarno nicht so überstürzt, so hätten wir nach meiner Überzeugung das ganze Rheinland freibekommen.“47 Offensichtlich überschätzte er das Gewicht Stresemanns und das Deutschlands, auch wenn beide inzwischen zugenommen hatten, ebenso offensichtlich unterschätzte er die innenpolitischen Widerstände, die Stresemanns französischer Partner, der selber zu weitgehenden Konzessionen bereite Aristide Briand, in dieser Frage noch nicht zu überwinden vermochte. Daß er seinen Groll über Stresemanns und Schuberts Verhandlungsführung zeitlebens behielt und überdies nicht selten laut kundtat, hat ihm sowohl bei Kollegen wie bei nachlebenden Historikern den Ruf eingetragen, ein Gegner der Locarno-Politik gewesen zu sein48 . Das ist aber nicht ganz zutreffend. Er fand lediglich den Gewinn, den Deutschland eingeheimst hatte, zu gering – dies allerdings wog für den Diplomaten schwer. Immerhin war es der Berliner Regierung vergönnt, die beiden wichtigsten Bedingungen für den Beitritt zum Völkerbund erfüllt zu sehen. Nach einigem Hin und Her gaben Frankreich, Italien, Polen und die Staaten der Kleinen Entente ihren Widerstand gegen die sofortige Gewährung eines ständigen Ratssitzes an Deutschland auf; auch hier wirkte der Geist von Locarno. England hatte ohnehin nichts dagegen einzuwenden gehabt, nur anfänglich daran gezweifelt, daß Frankreichs Zustimmung zu bekommen sei, und daher der Reichsregierung geraten, einfach beizutreten und den ständigen Ratssitz, auf den Deutschland zweifellos Anspruch habe, halt erst in einigen Jahren einzunehmen49 . Gerade in dieser Frage fühlte sich Bülow ebenfalls als Wachhund, der aufpassen mußte, daß die Stresemann und Schubert nicht vom rechten Wege abirrten und sich womöglich mit einem – Deutschlands Status als wiedererstehende Großmacht nicht angemessenen, auch für die politische Praxis im Völkerbund hinderlichen – nichtständigen Ratssitz 61
abspeisen ließen. Dabei ging er gelegentlich ziemlich weit. Zum Beispiel schreckte er nicht davor zurück, den Text eines Interviews, das Reichskanzler Wilhelm Marx der New York Tribune und dem Daily Telegraph zu Deutschlands Verhältnis zum Völkerbund gewährt hatte, vor der Veröffentlichung eigenmächtig zu verschärfen, und zwar derart, daß aus den milden Worten des Kanzlers eine böse Kritik am Völkerbund wurde; den deutschen Anspruch auf einen ständigen Ratssitz formulierte Bülow gleichfalls recht rüde. Diesmal hatte er sich allerdings Ärger eingebrockt. Georg Bernhard von der „Vossischen Zeitung“ bekam Wind von der Sache – Bülow selbst wußte nicht, wer den Chefredakteur des Blattes darauf gestoßen hatte – und griff das Vorgehen des Völkerbundsreferenten scharf an. Bülow – Bernhard nannte Roß und Reiter – habe sich herausgenommen, seiner „Sonderpolitik“ unter „Mißbrauch des Namens des Herrn Reichskanzlers“ zu dienen. Der Attackierte setzte sich zur Wehr, begründete seinen redaktionellen Eingriff mit der Notwendigkeit, keine Unklarheiten über den deutschen Kurs in der Völkerbundsfrage entstehen zu lassen, und erinnerte daran, daß seine Korrekturen die offizielle deutsche Haltung korrekt wiedergäben. Danach hatte er die Stirn, alle „VölkerbundsInterviews“ für unangebracht zu erklären, jedenfalls solche, die ohne Kenntnis des Völkerbundsreferenten gegeben würden. Ernster war das Argument, die „Auslandsvertreter der Voss werden, insbesondere in London und in Genf, dafür sorgen, daß die Bernhardsche These den maßgeblichen Stellen bekannt wird. Hierdurch und insbesondere durch eventuelle Wiederholungen der Voss-Angriffe würden meine bisherigen (und etwaige künftige) Verhandlungen mit Sir Eric Drummond, Lord Parmoor und anderen Stellen vollkommen entwertet werden. Es erscheint unerläßlich, dem vorzubeugen.“ Er verlangte eine offizielle – und ihn natürlich rechtfertigende – Stellungnahme des AA zu dem Interview und lieferte dazu gleich den Text50 . Als eine solche öffentliche Ehrenrettung etwas auf sich warten ließ, konstatierte Bülow, das Auswärtige Amt habe „den Weg der Desavouierung des Interviews gewählt“, und bat um Enthebung als Völkerbundsreferent51 . Es zeigt den Wert, den die Spitzen des Amts auf seine Mitarbeit legten, daß solche Bekundung seines Mißvergnügens ausreichte, die gewünschte Erklärung zu produzieren52 . Das „Leipziger Tageblatt“ schrieb daraufhin, das Interview sei „in hochfahrender, altjüngferlicher Sprache“ gehalten, und übte herbe Kritik an Bülow53 , der wiederum über die „Eigenpolitik gewisser schlecht informierter Chefredakteure“ wetterte54 . Bei der zweiten Bedingung verspürte Bülow keine Notwendigkeit, 62
eine Wächterrolle zu spielen. Der Außenminister und sein Staatssekretär waren nicht weniger als ihr Völkerbunds- und Westeuropareferent entschlossen, den Draht nach Moskau intakt zu halten. Stresemann und Schubert standen gewiß unter dem Druck der Reichswehr, die ihre so nützliche Zusammenarbeit mit der sowjetischen Armee schützen wollte; auch waren einige deutsche Unternehmen am Rußlandgeschäft und an dessen politischer Absicherung interessiert. Aber die beiden Chefs des Auswärtigen Amts hielten auch aus eigener Überzeugung, so sehr sie von der Notwendigkeit einer revisionspolitische Opfer kostenden Verständigung mit den Westmächten durchdrungen waren, unverrückbar am Ziel einer Revision der polnischen Westgrenze fest – und dazu mußte eines Tages die Mitwirkung der Sowjetunion erforderlich sein. Ende Dezember 1924 hatte Graf Brockdorff-Rantzau in einer Unterhaltung mit Georgij W. Tschitscherin, dem sowjetischen Außenminister, gesagt, „daß die Lösung der polnischen Frage von Deutschland und Rußland wohl in einem Zurückdrängen Polens auf seine ethnographischen Grenzen“ liege. Der Botschafter informierte das Auswärtige Amt über das Gespräch und hob hervor, seine „Bedeutung“ sei von Tschitscherin „begrüßt“ worden. Carl von Schubert, Verständigungspolitiker par excellence, antwortete trocken: „Ihre Andeutungen über unsere Absicht, gemeinsam mit Rußland Polen auf seine ethnographischen Grenzen zurückzudrängen, entsprechen hiesiger Auffassung.“55 Der Kampf um die Dispensierung Deutschlands von seinen Völkerbundspflichten, falls Sanktionen gegen die Sowjetunion beschlossen werden sollten, war allerdings härter und dauerte länger als die Auseinandersetzung um den ständigen Ratssitz. Das ist nur zu verständlich. Daß ein Staat erklärt, dem Völkerbund zwar beitreten, jedoch eine der wichtigsten Aufgaben des Bundes in einem bestimmten Falle nicht erfüllen zu wollen, war nicht nur ein Novum und eine Seltsamkeit, sondern als Sünde wider den Geist des Bundes im Grunde nicht akzeptabel. Außerdem hatte die Berliner Regierung mit diesem Anspruch auf eine Sonderrolle die deutsche Entschlossenheit zur Zerstörung Polens – nichts anderes brachte auch die Zurückdrängungs-Formel zum Ausdruck – so deutlich wie irgend möglich bekundet. Das hätte zumindest für Polens Schutzmacht Frankreich unannehmbar sein müssen, zumal eine abermalige Teilung Polens eines der wichtigsten Glieder aus der um Deutschland gelegten französischen Bündniskette herausgesprengt hätte. Daß Stresemann mit seiner Politik des Vorbehalts durchkam, war vornehmlich darauf zurückzuführen, daß erstens der Dawes-Plan, zweitens die französische Zusage, immerhin das besetzte Ruhrgebiet 63
wieder zu räumen, und drittens das deutsche Angebot, in aller Form wenigstens auf die Rückgewinnung Elsaß-Lothringens zu verzichten, ein Klima in Europa geschaffen hatten, in dem ein Stillstand oder gar ein Abbruch der Verständigungspolitik als unerträglich erschien. Da auf der anderen Seite Stresemann keinen Zweifel an der deutschen Unbeugsamkeit in der Rußland-Frage ließ, gelang es der amerikanischen und vor allem der britischen Regierung, ihre französischen Kollegen mit sanftem Nachdruck zu der Auffassung zu bekehren, daß es geraten sei, sich im Augenblick mit einer halben deutschen Anerkennung von Versailles zu begnügen; danach seien weitere deutsche Akte der Versöhnung ja doch unausweichlich. Die britischen Politiker machten im übrigen sowohl gegenüber Franzosen wie gegenüber Deutschen kein Hehl daraus, daß sie die polnische Grenze für antastbar ansahen, daß Großbritannien jedenfalls keine Verpflichtungen zum Schutz der östlichen und südöstlichen Nachbarn Deutschlands übernehmen werde. So war die „Sonne von Locarno“ nur „blaß“, wie Winston Churchill meinte, während Bülow vielsagend bemerkte, die „Sonne von Locarno“ sei „an Zeit und Ort gebunden“; sie werde „später weder in Berlin noch in Paris und London scheinen“56 . Als das Deutsche Reich am 8. September 1926 offiziell in den Völkerbund aufgenommen wurde, waren mithin seine beiden unverzichtbaren Bedingungen zuvor akzeptiert worden. Wohl hatten Frankreich und Polen noch ein nicht ganz erfolgloses Nachhutgefecht geliefert. Ursprünglich hätte der Beitritt Deutschlands schon im März 1926 vollzogen werden sollen. Doch forderte Polen plötzlich ebenfalls einen ständigen Ratssitz und wollte diesen zum gleichen Zeitpunkt wie Deutschland zugesprochen bekommen. Frankreich stand hinter dem polnischen Verlangen, und auch die britische Regierung lieh ihm anfänglich ihre Unterstützung; hofften französische Nationalisten darauf, mit dem Manöver derart scharfe deutsche Reaktionen zu provozieren, daß der Geist von Locarno wieder verschied, so hegten verantwortliche französische Staatsmänner wie Briand und der britische Außenminister Sir Austen Chamberlain die vage Erwartung, auf solche Weise eine Art Ersatz für die ausgebliebene deutsche Anerkennung der polnischen Westgrenze zu finden. Die deutsche Regierung wandte sich indes vehement gegen eine Gleichstellung mit Polen und die damit verbundene Aufwertung der polnischen Souveränität wie der polnischen Grenze; sie dachte in der Tat daran, dem Geist von Locarno wieder abzusagen. In Wahrheit konnten aber beide Seiten – im Augenblick – den Kurs von Locarno nicht verlassen, und so mußte ein Kompromiß gefunden 64
werden. Es zeigt die immer noch prekäre Stellung Deutschlands im internationalen Staatensystem, daß dieser Kompromiß einerseits das deutsche Prestige und die deutsche Eigenliebe schonte, andererseits die polnischen Wünsche faktisch erfüllte: Polen erhielt zwar nur einen nichtständigen Ratssitz, der aber durch die Möglichkeit ständiger Wiederwahl praktisch perpetuiert wurde, und die „Belehnung“ fand erst acht Tage nach Deutschlands Beitritt – und sofortiger Einnahme eines ständigen Ratssitzes – statt. Bülow hatte also sein Maximalprogramm nicht verwirklicht gesehen; am bittersten wird er empfunden haben, daß im Rheinland nach wie vor fremde Besatzungstruppen standen und Eupen-Malmedy nach wie vor zu Belgien gehörten, daß mithin Deutschland seinen alten Großmacht-Status noch nicht hatte wiederherstellen können und in Wahrheit noch kein einziger Schritt konkreter Revisionspolitik getan worden war. Gleichwohl schloß er sich dem geradezu wütenden Widerstand nicht an, den die Reichswehrführung, Teile des Zentrums, führende Mitglieder der Deutschen Volkspartei und nahezu alle Deutschnationalen der Locarno-Politik entgegensetzten; der dauernde Verzicht auf Elsaß-Lothringen war vielen, wie General von Seeckt mehr als deutlich erklärte, unerträglich57 . Doch Bülow durfte sich einreden, daß mit dem ständigen Sitz im Völkerbundsrat und mit der Rettung der bündnisähnlichen Beziehung zu Moskau immerhin zwei wichtige Teilerfolge erzielt worden waren, auf denen künftige Revisionspolitik aufgebaut werden konnte – sofern Stresemann und Schubert genau auf die Finger geschaut wurde. Der Völkerbundsreferent begann sich mit dem Beitritt seines Landes zum Bund anzufreunden oder, besser gesagt, er begann Möglichkeiten zu entdecken, daraus etwas zu machen. Mitte Dezember 1925, als Deutschlands Beitritt zum Völkerbund bereits feststand, legte Bülow in einer ausführlichen Aufzeichnung seine Beurteilung der Lage dar. Einige Sätze aus diesem Schriftstück werden gelegentlich zitiert, um des Verfassers zynischen Umgang mit dem Völkerbundsgedanken und der Institution Völkerbund zu belegen58 . Das ist auch verständlich. Bülow schrieb zum Beispiel, die künftigen Vertreter Deutschlands in Genf müßten – da dort jeder deutsche Schritt „mit Argusaugen verfolgt werden wird“ und die Welt die Frage stelle, „ob wir in den letzten ... Jahren etwas hinzugelernt bzw. umgelernt haben“ – die eigentlichen deutschen Bestrebungen durch Reden verschleiern, denen sie einen „salbungsvollen Ton“ zu geben hätten. Ein solcher Satz fordert seine Qualifizierung als Zynismus förmlich heraus. Und doch sieht die Wahrheit etwas anders aus. Der Völkerbundsgedanke war ihm ja – in Entsprechung 65
zu seiner verfassungs- und gesellschaftspolitischen Modernität – nie fremd gewesen, wie schon erwähnt wurde; er hatte eine Reform des Völkerbunds, dessen „Neugründung“, gefordert. Jetzt, im Dezember 1925, konstatierte er, Locarno bedeute den „Schiffbruch der Nachkriegspolitik unserer Gegner“, da sie sich endlich zu Verhandlungen mit Deutschland – wie in Versailles vergeblich verlangt – gezwungen gesehen hätten, und damit sei in der Tat der rechte Zeitpunkt für den Völkerbundsbeitritt des Reiches gekommen: „Angesichts des Wandels der Einstellung Deutschland gegenüber zwischen 1919 und 1925 ist die jetzt vielfach beliebte Behauptung, es handle sich um eine Neugründung des Völkerbunds, nicht unberechtigt.“ Er wollte nun Deutschland sogar die Aufgabe zuerkennen, das geistige Erbe Wilsons anzutreten. Aber, so warnte er, es sei die Neigung keineswegs erloschen, „uns die Rolle des verlorenen Sohnes spielen zu lassen, bei dem Rückfälle zu befürchten sind und der scharf kontrolliert werden muß“. Die „meisten alliierten Staaten sehen unserer Mitgliedschaft mit gemischten Gefühlen entgegen“. Frankreich wünsche „unsere Einordnung in ein bereits entwickeltes System ..., ist aber zugleich um seine geistige Führerrolle als (angeblicher) Vertreter des Fortschritts besorgt und wird auch nicht die Gründe vergessen, die es fünf Jahre lang veranlaßten, Deutschlands Zulassung zu widersprechen“. Angesichts dieser richtig erkannten Schwierigkeiten erscheinen die als zynisch verstandenen Worte zumindest auch als eine salopp – wohl zu salopp – formulierte, doch durchaus notwendige Handlungsanleitung. Bülow liebte es, sich gegen Kollegen und manchmal sogar gegen Vorgesetzte derartige sprachliche Freiheiten herauszunehmen. Auf der anderen Seite kam in der Aufzeichnung schon auch der Diplomat kräftig zu Wort, der nach wie vor in Kategorien wie Macht, Einfluß, Allianzen, wirtschaftliche Vorteile dachte und der daher die junge Genfer Institution mit Selbstverständlichkeit auch als eine Arena politischer Interessenkämpfe sah. Als Mitglied des Völkerbunds habe das Reich, so hoffte er, wesentlich bessere Möglichkeiten, der Gefahr der Isolierung zu entgehen, und daneben falle auch die Wahrung der wirtschaftlichen Interessen Deutschlands leichter; in letzterem Zusammenhang hatte er – was sich einige Jahre später wiederholen sollte – insbesondere eine stärkere wirtschaftliche Anbindung der Tschechoslowakei an das Reich im Auge. Als allgemeines Ziel postulierte er, daß dem bisherigen Zustand, da im Völkerbund im wesentlichen nur „interalliierte Politik getrieben wurde“, „mit unserem Eintritt“ ein Ende gemacht werden müsse, „vorsichtig und ohne Konflikt“, doch „vom er66
sten Tage an“. Mit alledem „würden wir das französische Bündnissystem untergraben und ein Gegengewicht gegen die Feindschaften schaffen können, die sich gegenüber fast allen Nachbarstaaten aus den uns aufgezwungenen Gebietsabtretungen des Versailler Vertrags ergeben“. Eine Arbeit gegen die Hegemonie Frankreichs sollte, das verstand sich für Bülow von selbst, der Vorbereitung deutscher Revisionspolitik dienen. Jedoch vermochte er im Völkerbund – auch in einem Bund, dem Deutschland angehörte – keine Einrichtung zu erkennen, die sofortige revisionistische Schritte erlaubt hätte. Er sah klar, daß Artikel 10 der Bundessatzung den territorialen Bestand der Mitglieder zu gut garantierte und daß deshalb Artikel 19, in dem von der schiedlich-friedlichen Revision von Verträgen die Rede war, nicht als Instrument zur Anfechtung von Versailler Grenzen taugte. Deutscherseits, so schrieb er, gegen Artikel 10 „Sturm zu laufen, wäre wohl taktisch verfehlt, weil sich die Alliierten dann sofort zusammenschließen und mit Verdächtigungen über uns herfallen würden“. Man müsse ruhig abwarten, bis andere eine Änderung des Artikels 10 versuchten. Bülow konnte jedoch keinen Zweifel daran haben, daß die handlungsunfähigen „anderen“ nur dann aktiv werden würden, wenn Deutschland „die Führung der Schwachen“ übernahm, eine Möglichkeit, die er damals wie später nicht ausprobiert haben wollte. Wenn er denn das Warten empfahl, so meinte er die Spekulation auf zwei differente Entwicklungen. Im Dezember 1925 notierte er, die deutsche Regierung müsse sich energisch für Rußlands Beitritt zum Völkerbund einsetzen. Was er sich davon versprach, hatte er schon im Vorjahr in einem Brief an den Grafen BrockdorffRantzau festgehalten: Bislang sei ja der Völkerbund ein „konservatives Element in der internationalen Politik“ gewesen, trete aber Rußland bei, werde sich der Charakter des Bundes „grundlegend ändern“; die „Dinge würden in Fluß geraten“. Er hatte damals sogar seinen Besuch in Moskau vorgeschlagen; während Stresemann bezeichnenderweise sofort einverstanden war, hatte aber Brockdorff-Rantzau die Reise als vorzeitig abgelehnt59 . Jetzt, im Dezember 1925, blühte erneut die Hoffnung auf eine von Deutschland und der Sowjetunion bewerkstelligte wahre „Neugründung“ des Völkerbunds, nach der dann deutsch-sowjetische Revisionspolitik den Vertrag und das System von Versailles zerschmettern werde60 . Als zweite Entwicklung, die sich mit der ersten vielleicht irgendwann schnitt, sah Bülow die militärische Kräftigung Deutschlands, solange das Reich Mitglied des Völkerbunds war. Falls der Bund die zu seiner Hauptaufgabe erklärte internationale Abrüstung nicht erreichte, weil 67
Staaten wie Frankreich die Abrüstung aus Furcht vor Deutschland verweigerten – was sehr wahrscheinlich war –, entstand möglicherweise schon in wenigen Jahren eine Situation, die es Deutschland gestattete, derart aufzurüsten, daß es die Revision von Versailles mit der Androhung militärischer Gewalt oder eben tatsächlich mit Krieg erzwingen konnte. Anfang März 1926 übermittelte Oberst Karl Heinrich von Stülpnagel, der im Führungsstab der Reichswehr diente, Bülow eine Denkschrift, die der Absender als Grundlage der Zusammenarbeit zwischen Armee und Auswärtigem Amt aufgefaßt wissen wollte. Die Denkschrift hatte General von Seeckt gelesen und war von diesem offensichtlich, auch wenn er sie nicht durch seine Unterschrift sanktionieren wollte, gebilligt worden; sonst hätte er ihre Absendung ans AA nicht zugelassen. In ihr entwarf der Oberst ein wahrlich umfassendes Programm deutscher Revisionspolitik; es reichte von der Aufkündigung der Locarno-Verträge über die Rückgewinnung der an Polen gefallenen Territorien und den Anschluß Österreichs bis zu einer erneuten Auseinandersetzung mit Frankreich, anscheinend nicht nur um Elsaß-Lothringen (auf das die Reichsregierung eben feierlich für immer verzichtet hatte). Mehr noch: Nachdem das Reich seine europäische Stellung solchermaßen gefestigt – sich also zum Hegemon Europas aufgeschwungen – habe, müsse es wieder, sagte Stülpnagel, „Weltpolitik“ treiben und dabei auch einen Konflikt mit dem „amerikanischenglischen Machtkreise“ ins Auge fassen61 . In seiner Antwort schien sich Bülow mit den Ausführungen des Soldaten „im wesentlichen einverstanden“ zu erklären62 . Liest man sein Schreiben genauer, wird jedoch klar, daß sein Einverständnis, soweit er es aussprach, im Grunde lediglich einer Ansicht galt, die in Deutschland fast jedermann teilte, der Ansicht nämlich, Ziel habe zu sein, Frankreich „seiner militärischen Vormacht zu entkleiden“. Die wilhelminischen Fantasien Stülpnagels ließ Bülow unkommentiert, und es darf als sicher gelten, daß namentlich deren antienglische Elemente nicht seinen Beifall fanden; zu oft hatte er in den Jahren seit Kriegsende erfahren, wie wichtig die britische Appeasement-Politik für das Reich war, vor allem die vorsichtige britische Hilfestellung gegen Frankreich63 . Im übrigen mangelte es ihm längst an Sympathie für den Imperialismus wilhelminischer Observanz. Gleichwohl: Radikaler Revisionist war er, und so wird ihm der revisionistische Teil des Stülpnagelschen Programms keinesfalls mißfallen haben. Daß aber schon die Verwirklichung dieses Teils auf irgendeiner Etappe zum Krieg führen konnte, vielleicht sogar führen mußte, wenn Deutschland mit der Androhung militärischer Gewalt 68
zu arbeiten vermochte, war dem Diplomaten ebenso klar wie dem Militär. Und er sprach auch aus, daß kriegerische Mittel einen Platz in seinen mittelfristigen Kalkulationen hatten. In seiner Aufzeichnung vom Dezember 1925 sagte er, Hauptzweck des Völkerbunds sei die Kriegsverhinderung, und er knüpfte davon die in ihrer Form für ihn typische Bemerkung, dies sei „ein Ziel, an dem uns nicht ganz soviel gelegen ist als den anderen, insbesondere den alliierten Mächten“. Indes war sich Bülow durchaus bewußt, daß das Reich im Augenblick und noch auf kurze Sicht nicht über die geringste außenpolitische Bewegungsfreiheit verfügte. Zwar kühner Patrouillenführer und auch verwegen träumender oder sogar hoffender Revisionspolitiker, leitete den Diplomaten doch ein dieser Profession wohl anstehender Sinn für Tatsachen. Er war nicht blind gegen die Fortschritte, die in Locarno und durch den Völkerbundsbeitritt erzielt worden waren, auch wenn er Stresemann die Unvollständigkeit des Erfolgs wohl nie ganz verziehen hat. Kollege Köpke beklagte sich unter dem Eindruck von Locarno über die Torheit und Uneinsichtigkeit der Deutschnationalen: „Die Tatsache, daß in Locarno die Möglichkeit einer neuen aktiven Politik sich für uns abzeichnete, ist diesen Politikern nicht aufgegangen. Auch die Anzeichen einer neuen Entwicklung in Europa haben sie nicht gesehen oder sie wollen sie nicht sehen. Das Schlagwort, mit dem jetzt die Massen bearbeitet werden, lautet: ,Kein Verzicht auf deutsches Land und deutsche Leute‘, und ,keine Bindungen für die Zukunft, um in Europa freie Hand zu behalten.‘ So viele Worte, so viele Phrasen.“ Und er konnte in diesem Brief an Bülow sagen: „Aber ich weiß, Sie sind derselben Ansicht wie ich“.64 Man kann fragen, ob Köpke die Übereinstimmung mit seinem Freund nicht etwas überschätzte, doch hat Bülow ebenso klar gesehen, daß es Deutschland und die für dessen Außenpolitik zuständigen Staatsmänner und Diplomaten erst mit „Möglichkeiten“ und mit „Anzeichen“ zu tun hatten. An den in London stationierten Botschaftsrat Dieckhoff schrieb Bülow nüchtern, das Deutsche Reich werde noch lange „eine bescheidene Rolle“ spielen; sein „Großmachtcharakter“ stehe „nur auf dem Papier“, sei von der „Gnade der anderen Großmächte abhängig“65 . So hieß denn seine Parole: Vorsicht, Vorsicht und nochmal Vorsicht! Es ist außerdem nicht zu übersehen, daß der weltgewandte und der parlamentarischen Demokratie ja keineswegs abgeneigte Bülow sich in der Genfer Atmosphäre eines – sozusagen – internationalen Parlaments alsbald nicht unwohl fühlte, fast so wohl wie sein Chef Stresemann und viel wohler als sein späterer Chef Julius Curtius66 . Am 5. Oktober 1927 verfaßte er einen Bericht über die vorhergegangene Völkerbundsver69
sammlung, in dem er – das AA machte den Bericht zu einem Runderlaß – die Versammlung einen „ungewöhnlich imposanten politischen Kongreß“ nannte, und für die Reden etlicher Teilnehmer fand er Worte, die für einen in dieser Hinsicht recht anspruchsvollen Hörer ungewöhnlich lobend ausfielen: So charakterisierte er den Diskussionsbeitrag des norwegischen Kammerpräsidenten Carl Joachim Hambro als „energisch und humorvoll“, Briands Ansprache als zwar „keine klare und eindeutige Stellungnahme“, doch als „rednerisch vollen Erfolg“; Sir Austen Chamberlain habe „nüchtern, aber mutig“ gesprochen und der 81 Jahre alte ungarische Vertreter Graf Albert Apponyi „formvollendet“. Bülow registrierte zudem, daß die Abwesenheit zweier ständiger Mitglieder der französischen und der britischen Delegation – Henry de Jouvenal und Lord Robert Cecil waren kurz vor Beginn der Sitzung zurückgetreten – „unbeabsichtigterweise“ dazu beizutragen habe, „die Bedeutung des deutschen Auftretens in Genf zu erhöhen“. Mit Genugtuung und im Gegensatz zu früheren Äußerungen verzeichnete er: „Mehr als einmal konnte Deutschland die Rolle des Völkerbundsgewissens und des verständnisvollen Förderers der Interessen kleinerer Staaten übernehmen.“ Er zog daraus den nach seiner Meinung für deutsche Politik bedeutungsvollen Schluß, die Bundesversammlung habe „während dieser Tagung deutliche Ansätze zu einer Entwicklung gezeigt, die unseren Interessen und unseren Wünschen durchaus entspricht ... Es ist nicht zu verkennen, daß der Völkerbund den Charakter als Werkzeug der Siegerstaaten, dessen Wünschen sich die anderen Mitglieder zu fügen haben, mehr und mehr abgestreift hat.“ Allerdings fügte er hinzu, „die allmähliche Ausgestaltung des Bundes zu einer auf demokratischer Basis beruhenden Gemeinschaft gleichberechtigten Mitglieder“ liege deshalb im deutschen Interesse, weil sie die „Bewegungsfreiheit und Entschlußmöglichkeiten“ des Reiches stärke67 . In der Tat: Auch wenn sich Bülow in der europäischen Konstellation von Locarno heimischer zu fühlen begann, zeigte sein Kompaß doch unverrückbar auf eine Konstellation, die Deutschland den Aufbruch zu aktiver Revisionspolitik erlauben würde. Der Drang zu solchem Aufbruch beherrschte ihn so sehr, daß sein Realismus bald abermals den kürzeren zog und er nach kaum einem Jahr deutscher Völkerbundsmitgliedschaft vagen Begriffen wie „Bewegungsfreiheit“ und „Entschlußmöglichkeiten“ Inhalt zu geben anfing. Naturgemäß sah er im Abzug der letzten französischen Besatzungstruppen die Voraussetzung eines jeden weiteren Schrittes. War aber das Rheinland – und wenn möglich auch das Saargebiet – erst einmal frei und konnte 70
das Wohlwollen eines hoffentlich von Labour regierten Großbritannien gesichert werden, dann, so schrieb er dem Kollegen Johann Smend, Botschaftsrat in Rom, seien „die Fragen des Korridors und Oberschlesiens sowie die Anschlußfrage ... die Probleme, die sich ... von selbst in den Vordergrund drängen“. Priorität verdiene die Auseinandersetzung mit Polen, doch könne es sehr wohl sein, daß „die Zeit für eine Erörterung der Ostprobleme noch nicht reif ist und daß wir uns in irgendeinem Sinne mit der Anschlußfrage beschäftigen müssen“. Er persönlich denke „hierbei nicht an einen Anschluß im weitesten Sinne des Wortes“, könne sich „aber ein aktives Vorgehen in bezug auf Vorzugszölle und dergleichen sehr wohl vorstellen“68 . Noch ehe Stresemanns Nachfolger Curtius zu einem derartigen Projekt drängte, dachte also ein mittlerweile einflußreich gewordener Beamter des Auswärtigen Amts bereits an eine Zollunion mit Österreich. Und es hat Bülow sicherlich nicht entmutigt, daß Smend aus Rom zustimmend antwortete und der – gänzlich unbegründeten – Hoffnung Ausdruck gab, Benito Mussolini, Italiens „Duce“, sei mit der Zeit für eine deutsche Aktivität in Richtung Zollunion – die Smend mit Selbstverständlichkeit als „vorbereitenden Schritt in der Anschlußfrage“ bezeichnete – zu gewinnen69 . Wie weit ihn sein nun erwachter und ständig wachsender Optimismus fortriß, bewies Bülow nicht zuletzt dadurch, daß er sich gedanklichen Spielereien mit diplomatisch-politischen Chancen hingab, die in Wirklichkeit nicht existierten. Wenn er eine Labour-Regierung in London als nützlich wertete, so nicht weil er Sozialist geworden wäre, sondern weil er sich von ihr ein stärkeres Engagement Englands auf dem europäischen Kontinent und so eine noch kräftigere englische Hilfe bei Deutschlands Abschüttelung der Versailler Ketten versprach als von einem konservativen – und frankophilen – Politiker wie Sir Austen Chamberlain. Noch unrealistischer war allerdings sein plötzlich zutage tretender Glaube an die Möglichkeit ausgerechnet französischer Unterstützung territorialer deutscher Revisionspolitik. Im Mai 1928 wandte er sich in einer Aufzeichnung gegen ein über korrekte Beziehungen hinausgehendes engeres Verhältnis zu Italien. Er führte dabei Gründe an, die im Blick auf kriegerische Verwicklungen, zu denen es bei aktiver Revisionspolitik kommen konnte, in der Tat als vernünftig erscheinen mußten: Italien sei militärisch schwach, seine „weiten Küsten“ seien allzu angreifbar. Er stellte aber auch Überlegungen zu der im Augenblick gegebenen Mächtekonstellation an: Mussolini versuche – bislang erfolglos –, die Kleine Entente zu sprengen, und so werde das Reich, wenn es sich Italien annähere, unweigerlich in „Balkan71
Händel“ verstrickt, was völlig verfehlt wäre; ferner sei auf dem Weg über Rom keine Besserung der Beziehungen zu England zu erreichen, da London an einer Stärkung Italiens im Hinblick auf dessen Stellung im Mittelmeerraum nicht interessiert sei. Überdies aber: Angesichts des italienisch-französischen Gegensatzes würde ein intimeres deutsch-italienisches Verhältnis eine Spitze gegen Frankreich enthalten, und das müsse Deutschland unbedingt vermeiden, da es das Entgegenkommen der jeweiligen französischen Regierung nicht nur bei der Räumung des Rheinlands und bei der bald nötigen Verringerung der Reparationslast brauche, sondern ebenso bei der Korrektur der deutschen Ostgrenzen70 . Andere hegten die gleiche Hoffnung. Kollege Albert Dufour-Ference, erst Botschaftsrat in London und seit November 1926 Untergeneralsekretär des Völkerbunds, bedachte, seit er in Genf amtierte, Bülow mit einem Strom von Privatbriefen, die zwar den Empfänger nicht selten irritierten, eben weil sie zu oft einliefen und weil sie mehr als eine Spur von Wichtigtuerei enthielten, die jedoch Bülow darin bestärken mußten, mit französischer Hilfe zu kalkulieren. Bereits im Februar 1927 schrieb Dufour-Ference an Staatssekretär von Schubert, Unterhaltungen mit französischen Diplomaten, so mit dem Kabinettschef des französischen Außenministeriums, hätten bestätigt, daß französische Unterstützung möglich sei, „wenn es endlich dazu kommt, sich mit der Regelung unserer Ostgrenzen zu befassen“71 , und ein paar Wochen später versicherte er Bülow, nach Unterhaltungen eines Genfer Kollegen mit französischen Politikern sei klar, „daß die französische Politik eine geradezu erstaunliche Wandlung durchgemacht“ habe. Frankreich wolle sich „in allererster Linie mit Deutschland“ verständigen, und dagegen seien „auch die Interessen Polens ... für die gegenwärtige französische Regierung ganz sekundärer Art“72 . Das war natürlich nur Diplomatenklatsch, doch wenn ein augenscheinlich ausgezeichnet informierter Kollege, der jetzt auch noch zur Nachrichten- und Stimmungsbörse des Völkerbunds Zugang hatte, das schon halb zur Überzeugung gereifte eigene Wunschbild ebenfalls als real behandelte, so blieb das gewiß nicht ohne Wirkung. Indes verließ Bülow die Einsicht nie, daß man in Paris, so ernst der Wille zur Annäherung an Deutschland sein mochte, sehr wohl nach wie vor auch in ganz anderen Kategorien dachte. Daher widersetzte er sich der in Berlin immer wieder aufflackernden Neigung zu Versuchen, England gänzlich von Frankreich zu trennen, um so die französische Tendenz zur Verständigung mit dem Deutschen Reich noch zu verstärken. Er wußte gut genug, daß keine diplomatisch-politische Aktion 72
deutscher Außenpolitiker eine solche Trennung herbeiführen konnte; sollte man in Paris aber doch zu der Ansicht gelangen, daß Frankreich in einem deutsch-französischen Konflikt nicht mit der militärischen Unterstützung Englands rechnen dürfe, werde keine französische Regierung die Annäherung an Deutschland beschleunigen, vielmehr würden „die Franzosen dann erst recht bestrebt sein ..., ihre gegenwärtige militärische Übermacht uns gegenüber noch mehr fühlbar zu machen als dies bisher unter dem mäßigenden Einfluß der Engländer der Fall war und noch ist“73 . Eben diese militärische Überlegenheit Frankreichs lenkte Bülows Blick wieder und wieder auf das Problem der Rüstung, zumal eine allgemeine Abrüstung in den Mittelpunkt der internationalen Diskussionen gerückt war, seit es dem Völkerbundsrat – trotz aller Schwierigkeiten – am 12. Dezember 1925 gelungen war, eine „Vorbereitungskommission für die Abrüstungskonferenz“ ins Leben zu rufen. Zwar brachte die Kommission zunächst nichts zustande; Locarno hatte ja nicht ernstlich etwas daran geändert, daß sich Verteidiger und Gegner des territorialen Status quo in Europa unversöhnt gegenüberstanden, und so war – der feierlichen Bekenntnisse zum Ziel der Abrüstung ungeachtet – bei den Verteidigern nach wie vor nicht die geringste Neigung zu irgendwelchen Schritten vorhanden, die an das Ziel herangeführt hätten. Immerhin existierte die Kommission, Vollversammlungen des Völkerbunds erörterten die Detailfragen eines Vorhabens, zu dem sich nahezu alle Staaten offiziell verpflichtet hatten, und es war nicht daran zu zweifeln, daß in absehbarer Zukunft eine allgemeine Abrüstungskonferenz stattfinden werde. Deutschland hatte sich an den Debatten zu beteiligen und intern über die deutsche Haltung auf einer derartigen Konferenz nachzudenken. Bülow war überzeugt davon, daß sich das Deutsche Reich einerseits zum Abrüstungsgedanken – wie ja auch zum Völkerbundsgedanken – zu bekennen und mit deutlich hörbarer Stimme für eine Konferenz zu werben habe, auf der das hehre Prinzip in praktische Politik umzusetzen war. Andererseits vertraute er – wie auch früher schon – darauf, daß die Abrüstung an Frankreich scheitern und mithin der Zeitpunkt kommen werde, da zur Schaffung einer sozusagen „Rüstungsgerechtigkeit“ Deutschland endlich eine Aufrüstung zugestanden werden mußte. Wann die Abrüstungskonferenz kommen und wann sie scheitern werde, wann also das Reich ungestraft zur Aufrüstung übergehen durfte, war freilich noch nicht abzusehen. Bis dahin hatte die deutsche Regierung alles zu vermeiden, was Pferde vorzeitig scheu
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machen und die Verantwortung für das Scheitern der Abrüstung von Frankreich auf Deutschland verlagern konnte. Ein schwieriger Kurs war zu steuern: Die Reichsregierung mußte das Wort „Aufrüstung“ peinlich vermeiden. Bülow gab gegenüber Weizsäcker, der in der Vorbereitenden Abrüstungskommission mitwirkte, schon im März 1927 der Sorge Ausdruck, „daß Sie ... durch das Verhalten der Gegner oder durch die Nervosität der eigenen Sachverständigen dazu veranlaßt werden könnten, von deutscher Aufrüstung zu sprechen, und ich möchte diese Gelegenheit nochmals wahrnehmen, um davor dringendst zu warnen“. Auch in versteckter oder verschleierter Form dürfe das „jetzt noch nicht“ geschehen. Allenfalls sei von „Nivellement oder Rüstungsausgleich“ zu reden74 . Nachdem der mittlerweile verabschiedete General von Seeckt – er war darüber gestolpert, daß er im Oktober 1926 einem Hohenzollernprinzen die Teilnahme an einem Manöver der Reichswehr gestattet hatte – 1928 ein Buch unter dem Titel „Gedanken eines Soldaten“ veröffentlicht und darin von deutscher Aufrüstung gesprochen hatte, wies ihn der von Bülow vergatterte Weizsäcker in einem Gespräch zurecht: „Was die mehr in das Gebiet des Auswärtigen Amts schlagenden Äußerungen des Generals über die Notwendigkeit eines Rüstungsausgleichs auf dem Wege der deutschen Aufrüstung angeht“, notierte Weizsäcker, „so habe ich Herrn von Seeckt nicht verhehlt, daß diese seine Äußerungen dem Auswärtigen Amt nicht gelegen gekommen sind.“75 Reichswehrminister Wilhelm Groener beging die Sünde, in einem Augenblick der Unachtsamkeit sogar während einer Etatdebatte im Reichstag die Möglichkeit deutscher Aufrüstung zu erwähnen. Bülow bat umgehend seinen Außenminister, den General über die außenpolitische Inopportunität seiner Äußerung aufzuklären. Stresemanns Tod kam dazwischen, doch ließ Bülow das Reichswehrministerium nicht im unklaren über seine Mißbilligung, allerdings bemerkte er, daß „intern und theoretisch“ schon einmal darüber diskutiert werden dürfe, welche Aufrüstungsschritte im Falle des Falles denn Priorität haben sollten; danach kam es am 10. Januar 1930 tatsächlich zu einer dieser Frage gewidmeten Besprechung, an der General Kurt von Schleicher, Köpke, Bülow und Weizsäcker teilnahmen. Doch sah die Reichsregierung auch die gewissermaßen entgegengesetzte, nicht weniger große Gefahr. Legte sie allzuviel Abrüstungseifer an den Tag, konnte es geschehen, daß sie unversehens Deutschland auf Vereinbarungen festlegte, die eine spätere Aufrüstung unmöglich machten oder sehr erschwerten. Seeckt, zwar verabschiedet, aber von der Reichsregierung als inoffizieller Abrüstungssachverständiger enga74
giert, warnte in zwei Denkschriften vor dieser Gefahr, und wenn ihm das Auswärtige Amt auch versicherte, die Sorge sei unbegründet76 , wußte man dort sehr wohl, daß der General ein Problem benannt hatte, das künftiger Revisionspolitik vielleicht reale Schwierigkeiten bereitete. Mehr noch: Im Auswärtigen Amt herrschte die Befürchtung, daß Deutschland über die internationalen Abrüstungsverhandlungen womöglich sogar in „alliierte Geleise hineingleiten“, das heißt zu freiwilliger Anerkennung nicht nur des westlichen, sondern auch des östlichen Status quo verleitet werden könne. Bülow hatte schon beim Eintritt in den Völkerbund derartige Möglichkeiten beschworen77 , und jetzt bewegten ähnlich Ängste ausgerechnet auch Staatssekretär von Schubert, einen, was die deutsche Westgrenze betraf, in der Wolle gefärbten Verständigungspolitiker. Ende November 1927 schrieb Schubert an den Grafen Albrecht Bernstorff, der in London stationiert war: „Immer deutlicher zeichnet sich die Gefahr ab, daß die Sieger des Weltkriegs den allgemein bestehenden Wunsch nach Ausbau der sécurité dazu ausnutzen, um die aus dem Weltkrieg hervorgegangene Ordnung Europas neu zu befestigen, und daß wir vor die Wahl gestellt werden sollen, hierbei entweder freiwillig mitzuwirken oder als der Staat zu erscheinen, der die Herstellung eines allgemeinen Weltfriedens verhindert.“ Es sei aber klar, „daß wir keinerlei Maßnahmen zur Stabilisierung der jetzigen Gebietsverhältnisse in Europa mitmachen können, die uns den Weg für die Revision der Ostgrenzen und den Anschluß Österreichs verbauen würden“78 . Gerade in der ruhigeren Phase, in der sich Europa nach Dawes-Plan und Locarno befand, war die Lage deutscher Außenpolitiker höchst unbequem und voller Ansprüche an ihre Geschicklichkeit – sofern sie die Tür zu künftiger Revisionspolitik nicht zufallen lassen wollten. Die Äußerungen Schuberts beweisen im übrigen zur Genüge, daß die Spitzen des Auswärtigen Amts auch in der Stresemann-Ära mit Bülow durchaus übereinstimmten, was die Revision der deutschen Ost- und Südgrenze anging; jedenfalls war ihnen das Ziel gemeinsam, auch wenn die Urteile über das richtige Tempo und die rechten Methoden differierten, wie sich noch zeigen sollte. Andererseits: Es stellte sich heraus, daß die Meinungsverschiedenheiten in der Westpolitik doch ernster waren als ein bloßer Streit um Verhandlungsergebnisse. Der „offensive Schweiger“ fand offensichtlich, Locarno hin, Locarno her, nicht zu der nämlichen vorbehaltlosen Anerkennung der gegebenen deutschen Westgrenze wie Stresemann und Schubert. Im Falle Eupen-Malmedy hoffte er sogar, den Anschluß an das Reich durch direkte Verhandlungen 75
mit Belgien erreichen zu können, und zwar schon in nächster Zukunft. Als deutsch-belgische Gespräche über finanzielle Fragen anzustehen schienen, kommentierte er im August 1928, hier biete sich eine Chance, „das Wiederanschneiden der Rückgabe von Eupen-Malmedy zu ermöglichen“79 . Den Legationsrat Dr. Werner Neumeister, einen seiner Mitarbeiter, wies er an, dem Potsdamer Reichsarchivrat Dr. Oswald, der sich für die Flamen in Belgien engagierte und in den „Süddeutschen Monatsheften“ einen Aufsatz über diese germanischen Brüder unter dem Titel „Los von Belgien“ veröffentlicht hatte, „nachdrücklich auseinanderzusetzen“, daß „seine Haltung in der Flamenfrage unserer amtlichen Politik abträglich ist und daß er deshalb ersucht werde, künftig sich einer Stellungnahme zu der politischen Bewegung der belgischen Flamen zu enthalten“. Offensichtlich waren ihm die Flamen, „mit denen uns die Zufälle des Krieges in Verbindung gebracht haben“, recht gleichgültig, und er verhehlte seinen Mangel an Interesse nicht. Doch begründete er seine gestrenge Weisung, mit der er im Grunde als Zensor auftrat, vor allem mit dem Argument, daß „wir ... mit dem belgischen Staat, so wie er nun einmal heute besteht, so gute Beziehungen unterhalten [müssen] wie irgend möglich“, da es darum gehe, Belgiens Abhängigkeit von Frankreich zu verringern und die belgische Bereitschaft zur Herausgabe Eupen-Malmedys nicht zu gefährden; die Chancen der dortigen Deutschen „zugunsten der Flamen zu verspielen, wäre unverantwortlich“80 . Er war geradezu ängstlich bemüht, jede Störung vom deutsch-belgischen Verhältnis fernzuhalten. Nachdem in einem Tübinger Verlag ein Buch erschienen war, dessen Autor versuchte, die „Lügen“ über die Kriegsgreuel zu widerlegen, die deutsche Truppen 1914 in Belgien verübt hatten81 , fürchtete er sofort, daß belgische Wunden wieder aufgerissen und damit deutsch-belgische Gespräche gefährdet würden. Erscheinen und Verbreitung des Buches konnten natürlich nicht verhindert werden. Aber Bülow beschwor sofort, mit recht gewundener und sein wahres Motiv verschleiernder Argumentation, die für Derartiges zuständige Abteilung III des AA, sie möge auf alle erreichbaren und zugänglichen Organisationen und Propagandastellen einwirken, sich jeder Äußerung zu Greueln in Belgien zu enthalten. Der Schlußsatz seiner Aufzeichnung führt indes wieder einmal vor Augen, daß er in solchen Detailfragen politischer Taktik Emotionen im Zaum halten konnte und stets fähig blieb, „to see the other guy’s point“. „Schließlich laufen wir Gefahr“, so warnte er, „daß sich die Diskussion an Punkten festzieht, an denen auch nach Auskunft unserer Akten der Sachverhalt für uns äußerst ungünstig ist.“82 76
Eupen-Malmedy und das deutsch-belgische Verhältnis waren nun keine zentralen Fragen; hier mochte einem Abteilungsleiter des Auswärtigen Amts ein von den Spitzen des Ministeriums so nicht geteiltes Urteil oder auch eine gewisse Narrenfreiheit zugestanden werden. Schwerer wog, daß Bülow, wiewohl mit weit größerer Anteilnahme an der Revision von Deutschlands Grenzen im Osten und Süden interessiert, Stresemann und Schubert auch beim Verzicht auf ElsaßLothringen nicht folgen wollte. Unter seiner Ägide unterstützte das Auswärtige Amt mit beträchtlichen Summen nicht nur kulturelle deutsche Einrichtungen und Veranstaltungen in den ehemaligen Reichslanden, sondern auch politische Organisationen und politische Presseorgane83 . Merkwürdigerweise gelang, wie Bülow mehrmals voll Stolz konstatierte, die Geheimhaltung solcher Zuwendungen, die vielleicht nicht den Buchstaben, gewiß aber dem Geist der Verträge von Locarno stracks zuwiderliefen84 . Gerüchte waren nicht zu vermeiden. Als der Presseattaché der britischen Botschaft in Berlin einen Beamten des Auswärtigen Amtes darauf hinwies – anklagend –, Poincaré habe sich in einem Gespräch mit Lord Crewe, dem britischen Botschafter in Paris, bitter über die von Berlin finanzierte politische Propaganda im Elsaß beschwert, da leugnete der Beamte, Ministerialdirektor Walter Zechlin, daß es diese Propaganda und ihre Berliner Finanzierung gebe85 . Auch in ElsaßLothringen selbst formierte sich Widerstand gegen reichsdeutsche Beeinflussung der Bevölkerung. So habe der Bischof von Straßburg „seine geistliche Autorität genutzt“, um „gegen deutsch-kulturelle Bestrebungen der Elsässer anzugehen“86 , sagte Bülow und machte daraufhin den Versuch, beim Papst Verständnis für jene Bestrebungen zu wecken und den Heiligen Vater zur Zähmung des Straßburger Bischofs zu bewegen87 . Es könnte fraglich scheinen, ob Bülow dabei ohne Kenntnis des Reichsaußenministers operierte oder ob sich Stresemann – wie er es gelegentlich für notwendig hielt – intern nationalistischer gab, als er es tatsächlich noch war, mithin den Versuch zur Bewahrung der Grundlage für spätere Ansprüche auf Elsaß-Lothringen tolerierte oder gar aktiv unterstützte. Doch ist die Frage leicht zu beantworten. In einer der letzten Unterhaltungen, die Stresemann mit seinem Partner von Locarno hatte, erwähnte Briand beiläufig, in Frankreich halte sich hartnäckig das Gerücht, daß noch immer deutsche Propagandagelder ins Elsaß flössen. Er, Briand, könne das nicht glauben; „er nehme als selbstverständlich an, daß es sich hierbei, falls an dem Gerede überhaupt etwas Wahres sei, höchstens um eine Unterstützung bestimmter kultureller 77
Veranstaltungen handle. So würde er selber z. B. die Finanzierung eines deutschen Theater- oder Konzertunternehmens in Straßburg ... durchaus begreifen und auch trotz Locarno für vertretbar halten“88 . Nach diesem zarten, doch deutlichen Wink ist nun Stresemann keineswegs im Auswärtigen Amt erschienen, um einen ungebärdigen Referatsleiter zur Rechenschaft zu ziehen. Vielmehr hat er, wie Köpke festhielt, unmittelbar nach dem Gespräch einfach die Weisung erteilt, die Zahlung amtlicher Gelder an die elsässische „Heimatbewegung“ einzustellen, doch weiterhin die von der Kulturabteilung betreuten Veranstaltungen zu finanzieren89 . Er war also genau im Bilde. Seine prompte Reaktion auf Briands Bemerkung zeigt aber, daß ihm der Geist von Locarno und die deutsch-französische Verständigung doch weit wichtiger waren als die Präservierung ethnischer Stützpunkte in Elsaß-Lothringen. Vielleicht hatte ihm zuvor das Argument Bülows eingeleuchtet, der Verzicht auf Elsaß-Lothringen sei dort und in Deutschland noch nicht allgemein akzeptiert, weshalb die Reichsregierung bis zur Beruhigung der Gemüter noch zahlen müsse; das könne man eine „Politik der Vernarbung“ nennen90 . Wenn Bülow seinen Chef mit solchen Floskeln überzeugt oder jedenfalls beruhigt hatte, ist Stresemanns Weisung ohne weiteres zu erklären: Eine bloße „Politik der Vernarbung“ aufzugeben, wenn höherrangige politische Gesichtspunkte Rücksichtnahme fordern, fällt naturgemäß leichter als die Preisgabe der ernst gemeinten Fundierung eines insgeheim nach wie vor gehegten und irgendwann doch wieder geltend zu machenden Anspruchs. Und hier wurde abermals deutlich, daß Bülows politische Zielsetzung in der Tat doch von der Stresemanns abwich. Locarno und der Beitritt zum Völkerbund stellten für Bülow, wie schon gesagt, zwar nicht nur, aber in erster Linie Manöver dar, die dem Reich wieder größere internationale Bewegungsfreiheit verschaffen sollten. Seine Feindschaft gegen Versailles und sein Revisionismus waren nicht nur unerbittlich, sondern überdies, anders als beim Reichsaußenminister, unteilbar; er ließ sich nicht darauf ein, Erfüllung im Osten mit dauerhaftem Verzicht im Westen zu erkaufen. So dachte er gar nicht daran, Stresemanns Weisung einfach hinzunehmen. Eine klare Gehorsamsverweigerung war dem Beamten unmöglich. Doch kamen ihm die Umstände entgegen. Kaum hatte Stresemann die finanzielle Unterstützung politischer deutscher Gruppen im Elsaß untersagt, starb er, am 3. Oktober 1929, und kurz danach konnten sich Bülow und sein Freund Köpke daran machen, Stresemanns Nachfolger Julius Curtius und Staatssekretär von Schubert davon zu überzeugen, daß es doch richtig sei, den Deutschen 78
im Elsaß durch entsprechend zweckbestimmte Zuwendungen politische Hilfe zu gewähren. Sie mußten, um ihre wahre Absicht zu verbergen, die vor allem Schubert vielleicht doch nicht gefallen hätte, zunächst dartun, daß es ihnen nicht um die Rückkehr Elsaß-Lothringens gehe, sondern lediglich um das bescheidenere Ziel, den Elsässern zur Autonomie zu verhelfen. Diese Autonomie aber, so behaupteten sie dann, liege im Interesse des Reiches. Schon jetzt werde „eine kraftvolle elsässische Autonomiebewegung ... doch immer eine gewisse Lockerung des französischen Staatsgefüges zur Folge haben“, zumal eine solche Erscheinung im Elsaß unweigerlich auf die Bretonen und andere ethnische Gruppen in Frankreich ermunternd wirken werde. Die elsässische Bewegung habe jedoch im Land selbst bereits Erfolge zu verzeichnen, so die „Spaltung der Zentrumspartei und liberalen Partei in eine nationalistische [das heißt frankophile] und eine heimattreue, [die] Trennung der Kommunisten von der Pariser Parteileitung und Organisation, [die] Gründung von drei Tageszeitungen“. Eine „kraftvoll weiterbetriebene Bewegung“ biete überdies die Möglichkeit, „sie für unsere Zwecke unmittelbar nutzbar zu machen“. Ein erfolgreicher Kampf „der Elsässer um Gewährung der Autonomie bedeutet für uns eine wichtige Waffe in unserem Kampf gegen den Vertrag von Versailles“. Auf die Frage, ob die reichsdeutsche Unterstützung einer politischen deutschen Organisation im Elsaß mit Locarno vereinbar sei, gingen Bülow und Köpke durchaus ein; ihren Chefs gegenüber blieb ihnen auch nichts anderes übrig. Rechtliche Bedenken bestünden nicht, erklärten sie kühn, mußten aber zugeben, daß „eine schwere Belastung der deutsch-französischen Beziehungen möglich“ sei – falls Regierung oder Presse in Frankreich Beweise in die Hand bekämen. Das brauche jedoch nicht befürchtet zu werden, die Geheimhaltung sei weiterhin gesichert. Sowohl Curtius wie Schubert stimmten alledem zu91 . Der Geldstrom wurde also nicht unterbrochen, auch wenn die Summen nun geringer ausfielen; die Weltwirtschaftskrise und die Brüningsche Deflationspolitik ließen selbst diese nicht nur dem Ausland, sondern notwendigerweise auch der deutschen Bevölkerung verborgenen Hilfsprojekte des Auswärtigen Amts nicht ungeschoren. In ähnlicher Weise setzte sich Bülow dafür ein, sudetendeutschen Organisationen unter die Arme zu greifen, welche darum bemüht waren, „deutschen Bodenbesitz“ nicht in „tschechische Hände“ fallen zu lassen92 . Hingegen ließen er und Freund Köpke sich auf nichts ein, wenn es um die Südtiroler ging. Sie hatten keine Einwände gegen bescheidene Mittel für kulturelle Zwecke, wohl aber gegen Gelder zur politischen 79
Stützung der Deutschen um die Städte Sterzing, Brixen, Bozen und Meran. Als der „Verein für das Deutschtum im Ausland“ (VDA) vom Auswärtigen Amt verlangte, den Fall Südtirol vor den Völkerbund zu bringen, lehnte Bülow rundweg ab, und Staatssekretär von Schubert war damit völlig einverstanden93 . Das war im Juli 1927. Ein halbes Jahr später bemerkte Köpke zur „maßvollen“ Unterstützung kultureller deutscher Einrichtungen in Südtirol, diese diene gerade der Absicht, „insgesamt eine zurückhaltende Politik in der Südtirolfrage durchzusetzen“; vor allem wolle das Amt dadurch „radikale und politisch unvernünftige Tendenzen des VDA-Verbands Bayern“ zügeln94 . Der Mangel an Bereitschaft zur politischen Hilfeleistung hatte seinen Grund aber nicht in außenpolitischen Erwägungen, etwa in der Hoffnung auf künftige italienische Bundesgenossenschaft; von der hielt Bülow ja, wie erwähnt, nicht viel. Aber er und seine Freunde im Auswärtigen Amt waren sich darüber im klaren, daß sie es in Südtirol mit härteren Gegenspielern zu tun hatten als im Elsaß, nämlich mit Mussolini und dem faschistischen Italien. Jede Einmischung von außen, konstatierte Köpke, befeuere die faschistischen „Italianisierungstendenzen“ und trage damit – statt den deutschen Südtirolern zu nützen – zu der von Rom gewollten „Entnationalisierung“ des Landes bei95 . Die hier gewahrte Passivität war also nur eine andere Form der im Elsaß und in der Tschechoslowakei aktiv verfolgten Politik der Erhaltung ethnischer deutscher Stützpunkte außerhalb der Reichsgrenzen.
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Staatssekretär in der Endphase der Weimarer Republik: Verschärfung des revisionistischen Kurses Seit 1. Januar 1928 fungierte Bülow als alleiniger Dirigent in der Abteilung II des Auswärtigen Amts; im Völkerbundsreferat, das auch die Abrüstungsfragen bearbeitete, folgte ihm Ernst von Weizsäcker1 . Auch wenn Gerhard Köpke Leiter der Abteilung und damit Bülows Vorgesetzter blieb, kam hier zum Ausdruck, daß der Vortragende Legationsrat im Rang an seinem Freund herangerückt war und diesem an Einfluß nicht mehr nachstand. Daß sich also sein Aufstieg im Amt fortsetzte, muß Bülow Befriedigung gegeben haben, doch wird er sich andererseits nicht verhehlt haben, daß er seinen politischen Zielen nicht um einen Schritt nähergekommen war. Im Gegenteil. Die Rückkehr Deutschlands in die europäische Staatengesellschaft, die Stresemann bewirkt hatte, war nur durch die Annäherung des Reiches an Frankreich ermöglicht worden, und solche Annäherung wiederum mußte mit der Halbierung der revisionistischen Ansprüche Deutschlands bezahlt werden, in der Tat mit einer partiellen Anerkennung des Vertrags von Versailles. Der springende Punkt war die Unvermeidlichkeit des Vorgangs: Verständigung und mit ihr der Wiederaufstieg bedingten Verzicht und Vertragserfüllung. Auch wenn er sich in der Stresemannschen Politik gewissermaßen eingerichtet hatte und sogar am Beitritt zum Völkerbund Gutes zu entdecken begann, auch wenn es ihm gelegentlich vergönnt war, wider den Stachel zu löcken, so durch die von seinem Minister eigentlich inhibierte Finanzierung politischer Unternehmungen im Elsaß, konnte Bülow doch nicht umhin, sich einzugestehen, daß sein Revisionsprogramm, das ja die im Westen verlorenen Gebiete einschloß, auf der Strecke geblieben war, jedenfalls vorerst. Und daß die Forderungen zur Revision der deutschen Ost- und Südgrenze, die Stresemann und Schubert nicht geopfert hatten, im Augenblick nichts anderes waren als eben Forderungen, lag auf der Hand. Wäre es ihm eingefallen, am Silvesterabend 1929 Bilanz zu ziehen, hätte er zu dem Ergebnis kommen müssen: in der Karriere erfolgsverwöhnt – politisch gescheitert. Beides fand alsbald eine Fortsetzung, und zwar fiel der gänzlich unerwartete neuerliche Fortschritt in der beruflichen Laufbahn ebenso persönlich befriedigend aus wie das Scheitern dramatisch. Am 27. März 1930 zerbrach das von Hermann Müller, einem Sozialdemokraten, 81
geleitete Kabinett einer Großen Koalition aus SDP, Demokratischer Partei, Zentrum, Bayerischer Volkspartei und Deutscher Volkspartei. Äußerer Anlaß war ein recht kleinlicher, aber von den Kontrahenten mit verbissenem Ernst – das heißt mit verantwortungslosem Egoismus – geführter Streit zwischen SPD und DVP um die Finanzierung der Arbeitslosenversicherung. Reichspräsident Paul von Hindenburg und Reichswehrführung, dazu etliche Politiker der DVP und des Zentrums, alle schon seit einiger Zeit entschlossen, die Machtteilhabe der SPD zu beenden, nutzten die Situation, um bereits am 30. März eine Regierung zu bilden, in der kein Sozialdemokrat mehr saß, der jedoch ein Deutschnationaler und ein Volkskonservativer angehörten. Hindenburg hatte, als er den Zentrumspolitiker Heinrich Brüning mit der Kabinettsbildung beauftragte, öffentlich erklärt, die neue Regierung habe von „koalitionsmäßigen Bindungen“ unabhängig zu sein2 . Das innenpolitische Ziel Brünings, seiner Mitstreiter und seiner Hintermänner bestand also darin, die politischen Gewichte in Deutschland so weit nach rechts zu verschieben, wie es die Verfassung gerade noch zuließ. In der Praxis hieß das, den Reichstag zumindest partiell zu entmachten und das Deutsche Reich wie in Zeiten ernster Krisen mit Hilfe der präsidialen Notverordnungsrechte zu regieren. Es war also ein Rechtsruck ins Werk gesetzt worden, der den Weg zur Beendigung der Parlamentsherrschaft öffnen und dem Reichstag allenfalls jene Rolle lassen sollte, die er im wilhelminischen Kaiserreich gespielt hatte. Das außenpolitische Ziel der neuen Mannschaft war die Abschüttelung der Reparationslast. Im Januar 1930 hatte Deutschland einer Regelung der Reparationszahlungen zugestimmt, die, nach dem amerikanischen Bankier Owen D. Young benannt, einen Fortschritt gegenüber dem Dawes-Plan, freilich immer noch eine gewichtige und vor allem lange finanzielle Belastung Deutschlands darstellte. Nicht anders als der Dawes-Plan galt indes auch der Young-Plan in ganz Europa und in den USA nur als Provisorium; in einigen Jahren würde er, so die allgemeine Meinung, von einem neuen und für Deutschland abermals günstigeren Abkommen abgelöst werden. Brüning war jedoch nicht an einer Reform des Young-Plans interessiert. Er gedachte vielmehr eine Gelegenheit zu suchen oder zu schaffen, die es schon in Bälde erlaubte, die Reparationen gänzlich loszuwerden. Er folgte dabei erst in zweiter Linie einem finanz- oder wirtschaftspolitischen Motiv. Er wollte vor allem die finanzielle Bewegungsfreiheit des Reiches zurückgewinnen, weil ohne sie die Finanzierung der von ihm – und nicht nur von ihm – für absolut notwendig gehaltenen Heeresvermehrung und Aufrüstung 82
nicht möglich war. Ohne Schaffung einer schlagkräftigen Armee aber konnte es nicht gelingen, jene weltpolitische Position zu restaurieren, die das Deutsche Reich vor dem Krieg eingenommen hatte – und hierin sah Brüning seine eigentliche Aufgabe. Es lag aber auf der Hand, daß die Befreiung von den Reparationen nur mit einer Finanzpolitik zu erreichen war, „die das Land an den Rand des wirtschaftlichen Zusammenbruchs steuerte – wie hätte er die an die USA verschuldeten Gläubigerstaaten sonst zum Verzicht auf deutsche Reparationen bringen sollen? – und mithin die Unabhängigkeit der Regierung vom Parlament erforderte.“3 Dazu kam, daß nicht nur der Reparationspolitiker Brüning, der den Gläubigern zunächst den vom Young-Plan verlangten ausgeglichenen Reichshaushalt vorzuweisen hatte, sondern auch der Finanzexperte Brüning, der unerschütterlich an die Richtigkeit und Notwendigkeit ausgeglichener Staatshaushalte glaubte, eine Politik der Geldverknappung für unausweichlich hielt. Auch damit mußte er das Land in der globalen Wirtschaftskrise, die 1929/30 einsetzte, immer tiefer in Not und Elend stoßen, mußte er Maßnahmen treffen, die nur noch mit präsidialen Notverordnungen durchzusetzen waren. „Liquidierung des Young-Plans, Deflationspolitik und Zurückdrängung des Reichstags, also hinter der Weimarer Fassade der allmähliche Aufbau eines autoritären Systems, hingen aufs engste zusammen.“4 Am Ende handelte es sich beim Kabinett Brüning um eine Regierung, die statt vom Vertrauen einer Reichstagsmehrheit vom Vertrauen des Reichspräsidenten abhing, und dessen Machtbasis war, neben seinem Ruhm als „Sieger von Tannenberg“, die Reichswehr; wer mit dem Artikel 48 der Verfassung, dem Notverordnungsartikel, regierte, stützte sich letzten Endes auf die Armee. Lange Zeit begriffen die meisten Deutschen nicht, was sich da abspielte. Das lag auch daran, daß es Brüning immer wieder gelang, mit finanzpolitischen und nicht zuletzt patriotischen Argumenten die SPD zur Tolerierung einzelner Akte seiner Finanzpolitik zu bewegen. Hermann Pünder, Staatssekretär in der Reichskanzlei, kommentierte dies in seinem Tagebuch mit den Sätzen: „Wir können ihnen immer nur wieder dazu sagen: wir verlangen alles und versprechen nichts? Fast nur Unpopuläres wird gefordert gegen die gewisse Sicherheit, daß dann in einem anderen Kriege Deutschland insgesamt leidlich gerüstet dastehe.“5 Auch das Auswärtige Amt rückte nach rechts. Zwar blieb der Außenminister, Julius Curtius, der sich selber als „Testamentsvollstrecker Stresemanns“ bezeichnete, dessen Nachfolger er gewesen war. In Wahrheit aber vollzog Curtius den Bruch mit der Politik seines Vorgängers. 83
Sein politisches Programm war ganz anders. Er, der sich bezeichnenderweise im Parlament der Nationen, im Völkerbund, gar nicht wohl fühlte6 , hielt wie Brüning die Zeit für gekommen, zwei der wichtigsten Elemente des Versailler Vertrags anzugreifen: Erstens die Reparationen, also den eben erst unterzeichneten Young-Plan, zweitens die zahlenmäßige und qualitative Beschränkung der deutschen Armee. Auch hoffte er auf baldige territoriale Revisionen: Westpreußen, Posen, Österreich. Wohl hatten er und Brüning erheblich dazu beigetragen, daß der Young-Plan von einer Mehrheit des Reichstags angenommen worden war. Doch hatte beide dabei die – durchaus richtige – Überzeugung geleitet, daß ohne deutsche Annahme des Young-Plans die vorzeitige Räumung des Rheinlands von französischen Besatzungstruppen nicht zu erreichen war; tatsächlich wurde die Akzeptierung der neuen Reparationsregelung mit der französischen Zusage honoriert, alle Einheiten der französischen Armee bis zum 30. Juni 1930 abzuziehen. Im übrigen hatte Julius Curtius, Mitglied der Deutschen Volkspartei, keinen rechten Begriff von der Interessenlage der europäischen Staaten, noch weniger von der praktischen und taktischen Behandlung außenpolitischer Fragen. Dem Volksparteiler, der sich vor seinem Einzug ins Auswärtige Amt gewisse Meriten als Wirtschaftsminister erworben hatte, waren selbst die geheiligten Rituale des zwischenstaatlichen diplomatischen Verkehrs unbekannt und gleichgültiger als erlaubt. Als der neue deutsche Botschafter in Italien nach einigen Wochen immer noch nicht über eine Audienz bei Mussolini berichten konnte, schickte er ein ungnädiges Telegramm nach Rom. Der Botschafter erklärte, vor einem Antrittsbesuch beim Duce müsse er sein Beglaubigungsschreiben beim Staatsoberhaupt abgegeben haben, und der König sei die letzten Wochen nicht in der Hauptstadt gewesen. Der Minister ergrimmte noch mehr und beschied den Botschafter, von solchem protokollarischen Firlefanz verstehe er, Curtius, nichts, er gebe auch nichts darauf und erwarte ehebaldigst den Bericht über ein Gespräch mit Mussolini, wo immer der König sich aufhalten möge7 . Der unschuldig gescholtene Botschafter war Carl von Schubert. Der wichtigste Mitarbeiter Stresemanns – ein Verfechter Stresemannscher Politik, der von ihr wohl noch überzeugter war als der Minister selbst – hatte in der Tat seinen Platz als Staatssekretär räumen und sich nach Rom abschieben lassen müssen, wo er Konstantin von Neurath ablöste, der nach London ging. Brüning und Curtius hätten kein deutlicheres Signal geben können: Unter der Vollstreckung des Testaments Stresemanns verstand Curtius offensichtlich die Beendigung der Ära 84
Stresemann; an die Stelle von Verständigungspolitik würde von nun an aktive Revisionspolitik treten. Die Wahl des Nachfolgers konnte solches Urteil nur bestätigen und bekräftigen. Neuer Staatssekretär im Auswärtigen Amt wurde Bernhard Wilhelm von Bülow. In den Augen Brünings und seines Außenministers war Bülow, der mannhafte Streiter in Versailles und gegen den Versailler Vertrag, der Feind des Völkerbunds, der Kritiker Stresemanns, der unbeirrbare Verfechter eines umfassenden Revisionismus, der richtige Mann, das Amt in ihrem Sinne zu führen. Die Bedeutung der Ernennung trat besonders scharf hervor, da der Vortragende Legationsrat Bülow an seinem Chef, dem Ministerialdirektor Gerhard Köpke, vorbeizog, ein nicht ganz gewöhnlicher Vorgang. Daß es im Amt gleichwohl kaum Kritik gab, lag daran, daß er sich seit 1923 einen ungewöhnlichen Ruf erworben hatte, der seinen Karrieresprung als natürlich erscheinen ließ; in einem Brief an seine Mutter schrieb Kollege Weizsäcker, der freilich selber dem Revisionismus Bülowscher Prägung anhing: „Es ist ... geradezu ein Amtsplebiszit, daß er der richtige sei.“8 . In einem anderen Sinne ungewöhnlich ist allerdings, daß der übergangene Köpke mit Bülow weiterhin freundschaftlich verbunden blieb. Aber wenn es auch verständlich ist, daß Kanzler und Außenminister in Bülow einen Gesinnungsgenossen und willigen Gehilfen sahen, so erwies sich das doch als nur bedingt richtig. In einer Frage, die für die Politik des neuen Kabinetts zentral war, wich er, jedenfalls zunächst, von den Vorstellungen Brünings sogar völlig ab. Statt einen baldmöglichen Angriff auf den Young-Plan zu wünschen und ins Auge zu fassen, nahm er an, „daß die Reparationsfrage nunmehr für eine Reihe von Jahren gelöst und beigelegt ist“9 . Auch sonst zeigte er sich nicht als revisionspolitischer Stürmer und Dränger. Von zwei Ausnahmen abgesehen, wirkte er eher bremsend. Daß er nun als Staatssekretär größere Verantwortung auf seinen Schultern fühlte, stärkte offensichtlich eine Neigung zur Vorsicht, die auch bisher schon einige Male zu bemerken war. Selbstverständlich behielt sein Revisionismus leitende Kraft. Als Victor von Heeren, ein Mitarbeiter Köpkes, in einer am 20. Juni 1930 geschriebenen Aufzeichnung etliche revisionistische Ziele als „selbstverständlich“ anstrebenswert bezeichnete10 , stimmte der neue Chef des Amtes durchaus zu, doch nicht zuletzt deshalb, weil Heeren diese Ziele „politische Wunschträume“ genannt hatte, die in der „gegenwärtigen Lage des Reiches“ nur mit Geduld und Behutsamkeit angesteuert werden dürften. Im Gegensatz zu den Spitzen der Regierung war Bülow – wie gesagt mit zwei Ausnahmen – nicht der Meinung, daß die Zeit für aktive Revisi85
onspolitik schon gekommen sei, vielmehr ging es ihm darum, die Wege zu solcher Politik offen zu halten. Kaum im Amt bekam er dazu die erste Gelegenheit. Aristide Briand hatte seit Herbst 1929 an der Konzeption für eine europäische Union gearbeitet, die bereits ein festeres organisatorisches Gefüge haben sollte. Dem französischen Außenminister dünkten weder der Völkerbund noch die Verträge von Locarno als zulänglicher Schutz des Status quo. Um die europäischen Grenzen – in erster Linie die französischen Grenzen gegen deutschen Revisionismus und italienischen Imperialismus – noch besser zu sichern, hielt er es für geboten, zusätzlich zum Völkerbund – doch in dessen Rahmen – einen engeren Zusammenschluß der europäischen Staaten zuwege zu bringen. Nach dem Tode Stresemanns erschien ihm das Vorhaben erst recht als notwendig und als dringlich. Am 17. Mai 1930 haben die französischen Botschafter und Gesandten Briands Entwurf den europäischen Regierungen überreicht. Die Aufnahme war allenthalben – Warschau ausgenommen – kühl, ja ablehnend. Noch war es für einen solchen Anschlag auf die Souveränität der europäischen Staaten zu früh. In Berlin wirkte ein zusätzliches Motiv. Bülow schrieb an Weizsäcker: „Der Zweck der ganzen Union dürfte ... sein, uns neue Fesseln anzulegen unter Ausnutzung der Tatsache, daß nach herrschender Ansicht die Konsolidierung Europas nur auf der Basis des Status quo möglich ist ... Hierbei handelt es sich nicht nur um den territorialen Status quo, sondern um alle Auflagen der Friedensverträge. Dieser Status soll in einem engeren Kreise, als es der Völkerbund ist, verankert werden, weil in einem solchen engeren Rahmen Frankreichs Einfluß noch stärker wäre. Zugleich sollen unsere außereuropäischen Beziehungen (Amerika und Rußland) abgeschnürt werden, die uns bisher eine gewisse Rückendeckung gewährten.“11 So hieß es denn in einer Denkschrift des Auswärtigen Amts, „die politische Diskussion über eine union fédérale européenne im Briandschen Sinne“ könne „gar nicht unmißverständlich genug abgelehnt werden“, und zwar um der Revisionspolitik willen: „Wenn der Zeitpunkt der Revision vielleicht jetzt nicht gegeben ist, so können wir doch nicht auf die Möglichkeit einer solchen verzichten. Und wir würden darauf verzichten, wenn wir auf Briands Pläne einer ,vertraglich festgelegten Solidarität‘ eingehen würden.“12 Leopold von Hoesch, der Botschafter in Paris, sprach sich ebenfalls gegen die Union aus, wünschte aber, um das Verhältnis zu Frankreich und Briands innenpolitische Stellung nicht mehr als unbedingt nötig zu 86
beschädigen, eine Verständnis zeigende, ruhig und vernünftig gehaltene Ablehnung13 . Bülow gab einen ähnlichen Rat: „Wir sollten unsererseits als Anwalt des Völkerbunds auftreten“, den Ausbau des Kellogg-Pakts – eines am 27. August 1928 in Paris unterzeichneten Abkommens zur Kriegsächtung, dem bis 1933 fünfundsechzig Staaten beitraten – propagieren und auch für die Universalität des Völkerbunds eintreten; viel wichtiger als eine europäische Union, dies müsse betont werden, sei, Rußland und die USA in den Völkerbund hineinzuziehen14 . Da die Mitglieder des Kabinetts und vor allem Reichskanzler Brüning eine entschiedene deutsche Reaktion für angezeigt hielten, konnten sich die Diplomaten nicht ganz durchsetzen. Als das Kabinett am 8. Juli 1930 über den vom Auswärtigen Amt formulierten Entwurf der deutschen Antwortnote auf Briands Memorandum diskutierte, sagte Brüning, der Entwurf sei „vielleicht etwas zu vorsichtig gehalten“. Der Absicht des französischen Außenministers, „die jetzigen europäischen Zustände zu stabilisieren, müsse Deutschland eine Antwort geben, die als grundsätzliche Festlegung seiner Politik von geschichtlichem Wert sein könne. In deutlichen, wenn auch vorsichtigen Worten müsse Deutschland gegenüber den französischen Aspirationen klare Grenzen aufzeigen.“15 Beim Endprodukt der Beratungen konnte allerdings von „geschichtlichem Wert“ keine Rede sein. Die deutsche Note, die am 15. Juli der französischen Regierung übermittelt wurde, verriet zwar im Kern den deutschen Anspruch auf Revision des Status quo, war aber zu lang und recht verklausuliert. Da Briand nahezu nirgends Entgegenkommen fand, hatte die Haltung der Regierung Brüning allerdings keine Auswirkung auf die internationalen Beziehungen des Deutschen Reiches. Selbst in Frankreich blieb größere Erregung aus; auch dort wurde eher der mit Briands Plan drohende Souveränitätsverlust bemerkt als die ja recht vage Aussicht auf ein Mehr an Stabilität. In Moskau ist die deutsche Kritik an Briands Unionsplan sogar mit Beifall bedacht worden. Die Sowjetunion, die nach dem Ende des Weltkriegs Territorien an Polen und Rumänien verloren hatte, war ebenfalls ein revisionistischer Staat, ein Feind des Status quo, und so hatte sie alles Interesse daran, daß der Stabilisierungsversuch Briands scheiterte. Daß die deutsche Regierung den französischen Vorschlag auch mit der Begründung abgelehnt hatte, Deutschland werde sich auf kein Vertragssystem einlassen, das die deutsch-sowjetische Spezialbeziehung gefährden könne, gefiel besonders; Herbert von Dirksen durfte aus Moskau melden, daß Maxim Litwinow, der sowjetische Außenkommissar, sehr erfreut sei16 . Mithin setzte also das Kabinett Brüning – und mit 87
ihm Bülow – die von Maltzan, Wirth und Rathenau eingeleitete, dann von Stresemann und Schubert noch ausgebaute Rußlandpolitik bruchlos fort. Es braucht kaum gesagt zu werden, daß ein Mann wie Bülow nicht einen Funken Sympathie für den Bolschewismus und das innere System der Sowjetunion aufbrachte. Er sah die fast schon bündnisartige Verbindung mit Moskau kühl und nüchtern als eine politische Notwendigkeit: Rußland drückte schon jetzt auf Polen und verhinderte damit einen polnischen Griff nach Ostpreußen, der von ihm ständig zu den polnischen Ambitionen gerechnet wurde, und dereinst, wenn zur aktiven Revisionspolitik übergegangen werden konnte, war die sowjetische Hilfestellung gegen Polen unverzichtbar. Aus seiner Meinung über das in Rußland herrschende Regime hat er nie ein Hehl gemacht. Nachdem Dirksen berichtet hatte, Nikolaj Krestinski, der stellvertretende sowjetische Außenkommissar, habe sich über antisowjetische Propaganda in Deutschland beklagt, wie sie zum Beispiel im Berliner Sportpalast auf einer Kundgebung des „Deutschen Bunds zum Schutze der abendländischen Kultur“ zu hören gewesen sei, schrieb Bülow in einem beruhigend gemeinten Brief, der im übrigen verrät, daß sein eigenes Weltbild immer noch kräftige Elemente der bei Kriegsende verfochtenen Überzeugungen enthielt: „... die Veranstaltung [trug] ein stark religiöses Gepräge, und ich neige der Ansicht zu, daß die Russen es unseren Kirchen nicht verübeln können, wenn sie aus der Besorgnis, daß die rote Welle auch zu uns einmal hinüberschlagen könnte, die Auswirkungen der russischen Kultur- und Kirchenpolitik ihren Anhängern in einer Weise darstellen, die ihnen die Augen darüber öffnet, wie wenig die von den Bolschewisten angestrebten Zustände sich mit unserer Auffassung von Kultur und Menschenwürde decken.“17 In der gleichen Periode notierte dagegen ein Angehörigen der britischen Botschaft in Berlin nach einem Gespräch mit Hermann Göring, der in der NSDAP bereits als zweiter Mann hinter Hitler fungierte: Hauptmann Göring verabscheue zwar die in der Sowjetunion gelehrte Ideologie, bewundere aber das ihm als Vorbild erscheinende politische System18 . Nicht Curtius, sondern im Grunde sein Staatssekretär Bülow war ein Fortsetzer Stresemannscher Politik; angesichts der Kritiker-Rolle, die der Vortragende Legationsrat Bülow im Auswärtigen Amt der Stresemannjahre gespielt hatte, kann das gewiß ironisch anmuten. Aber Bülow suchte, so wie in der Rußlandpolitik, den Kurs Stresemanns gerade auch in der deutschen Westpolitik beizubehalten. Stresemann hatte ja seine Erfolge erst einheimsen können, als er, um die Jahreswende 1923/24, begriffen hatte, daß zwar die britische Unterstützung 88
in bestimmten Situationen nützlich gewesen sei und weiterhin sein werde, daß aber der Wiederaufstieg Deutschlands ohne Verständigung und künftige Zusammenarbeit mit Frankreich schlichtweg unmöglich sein mußte; schließlich war in Locarno Briand der Partner Stresemanns gewesen und nicht Sir Austen Chamberlain, der mehr als einer der Geburtshelfer dieser ersten deutsch-französischen Bemühung gewirkt hatte. Bülow schätzte die Wichtigkeit Frankreichs für Deutschlands Geschicke nicht anders ein als Stresemann. „Angelpunkt unserer Politik“, so schrieb er im Januar 1931 an seinen alten Freund Prittwitz, „ist nach wie vor unser Verhältnis zu Frankreich.“19 Wieder und wieder verriet er, daß nach seiner Meinung die künftige deutsche Revisionspolitik nicht im Konflikt mit Frankreich, sondern nur mit der Unterstützung oder doch der passiven Tolerierung durch den westlichen Nachbarn gemacht werden könne. Noch war Frankreich nicht so weit. Keine Pariser Regierung, wie immer sie zusammengesetzt sein mochte, war, im Hinblick auf die Stimmung der eigenen Bevölkerung, in der Lage, Deutschland die Revision territorialer Bestimmungen des Versailler Vertrags zuzugestehen. Doch war es möglich, so glaubte Bülow, darauf hinzuarbeiten und auf Gelegenheiten zu lauern. Es lag auf der Linie solcher Politik, daß der Staatssekretär zwar gute Beziehungen zu Staaten wie Italien und Ungarn wünschte – beider Unterstützung wurde in den bevorstehenden Rüstungsverhandlungen gebraucht –, daß er aber nach wie vor keineswegs daran dachte, durch ein zu enges Verhältnis mit Italien Frankreich zu verärgern oder gar unter deutscher Führung eine Partei der Revisionisten zu sammeln und mit ihr den Status quo im Streit mit Frankreich anzugreifen. „Wir haben ... kein Interesse, uns mit zweitklassigen Mächten zusammenzutun“, sagte er, daher „keine zu weite Annäherung an Italien“, erst recht kein Beitritt zum „italienischen Club der Lahmen und Blinden (Griechenland, Bulgarien, Türkei und Ungarn)“20 . Hierin stimmte er mit seinem Chef, Julius Curtius, nicht überein, der bei Gesprächen mit italienischen Politikern gelegentlich schon sozusagen verschwörerisch blinzelte21 . Bülow hingegen lehnte es ab, mit Geldern des Auswärtigen Amts Artikel in der Presse zu finanzieren, die eine deutsch-italienische Allianz propagieren sollten22 , und als der italienische Außenminister Dino Grandi in einer Unterhaltung mit Schubert, dem neuen deutschen Botschafter in Rom, nicht ganz wahrheitsgemäß jegliche Zusammenarbeit zwischen italienischen Faschisten und deutschen Nationalsozialisten leugnete, notierte er: „Es zeugt zweifellos von dem realen politischen Sinn Grandis, wenn er die übertriebenen Anbiederungen der Hitler-Leute als ,bétises‘ ab89
lehnt und sich mit der natürlichen Interessengemeinschaft bescheidet, die uns in manchen Fragen mit Italien verbindet.“23 . Es lag ebenfalls auf der Linie einer mit stetem Blick auf Frankreich verfolgten Politik, daß Bülow ein freundschaftliches Verhältnis selbst zu Staaten suchte, die der gewöhnliche deutsche Nationalist wegen ihrer Funktion im antirevisionistischen französischen Bündnissystem und wegen ihrer Benachteiligung deutscher Minderheiten zu den natürlichen Feinden des Reiches zählte. So war er bereit, das Anwachsen eines zum Anschluß an Deutschland drängenden Nationalismus in der sudetendeutschen Minorität der Tschechoslowakei ebenso zu ignorieren wie die an diesem Anwachsen nicht unschuldigen Aktivitäten tschechischer Nationalisten. Als Walter Koch, der deutsche Gesandte in der Tschechoslowakei, über eben solche Aktivitäten berichtete, so über Versuche, die Aufführung deutschsprachiger Filme in Prager Kinos zu verhindern, da schrieb ihm Bülow: „Trotz ... deutschfeindlicher Kundgebungen dortiger Chauvinisten“ habe „nach wie vor“ ein „freundnachbarliches Verhältnis ... aus gesamtpolitischen Gründen entscheidendes Gewicht“. Die deutsche Gesandtschaft solle die Bemühungen der Prager Regierung um Beruhigung unterstützen24 . Sogar zu Polen, dem bevorzugten Objekt des deutschen Revisionismus, fand Bülow jetzt eine Haltung, die in Zielsetzung und taktischer Rezeptur dem Vorbild Stresemanns folgte, der in seinen beiden letzten Amtsjahren den verlorenen Teil Oberschlesiens und Posen nicht mehr so wichtig zu nehmen und die deutschen Ansprüche auf den eigentlichen Korridor zu reduzieren begann. Darin unterschied sich der Staatssekretär erheblich von seinem Außenminister, anderen Kabinettsmitgliedern und dem Reichskanzler. Nachdem am 30. Juni 1930 tatsächlich der letzte französische Soldat deutschen Boden verlassen hatte, fegte eine Welle des Nationalismus über Deutschland, und in dem noch völlig unbegründeten Gefühl, das Reich habe nun jene außenpolitische Handlungsfreiheit zurückgewonnen, die vor 1914 gegeben war, predigten nicht nur die Führer rechtsextremer Verbände, sondern auch Vertreter der Mittelparteien öffentlich und ungeniert den Kampf gegen Locarno und für die westlichen wie östlichen Ziele des deutschen Revisionismus. Auch das offizielle Deutschland machte keine Ausnahme. Reichspräsident von Hindenburg wandte sich auf Befreiungsfeiern in Koblenz, Trier, Aachen und Wiesbaden gegen die in Locarno vereinbarte Entmilitarisierung des Rheinlands, und der Reichsverkehrsminister Gottfried Treviranus grüßte „in Wehmut, aber auch in unbeugsamer Hoffnung ... die Brüder an der Saar wie die Eifelwacht in Eupen und 90
Malmedy“, um dann fortzufahren: „Nun fordert der Osten Einheit und Einsatz des ganzen deutschen Volkes ... Wir gedenken in der Tiefe unserer Seele des zerschnittenen Weichsellandes, der ungeheilten Wunde in der Ostflanke, diesem verkümmerten Lungenflügel des Reichs.“25 Sechzehn Tage später erklärte er in Königsberg, Revision sei nötig, indes könne der Zeitpunkt für eine solche Aktion doch erst dann bestimmt werden, „wenn die innere Stärke unseres Volkes uns die Gewißheit gibt, daß wir Atemkräfte genug haben, um einen solchen Anspruch durchzuhalten“. Diese Worte des volkskonservativen Ministers sind allenthalben als Ankündigung verstanden worden, Deutschland werde, sobald es dazu in der Lage sei, Polen angreifen26 . Reichskanzler Brüning sah sich nicht veranlaßt, einen klaren Satz der Distanzierung zu sagen, und Reichsaußenminister Curtius verbat sich zwar den Ausflug des Verkehrsministers auf das Feld der Außenpolitik, war aber mit dem Inhalt der Reden des ehemaligen Marineoffiziers Treviranus durchaus einverstanden; als Brüning einige Monate später in Beuthen an der Feier zum 10. Jahrestag der Abstimmung in Schlesien teilnahm, gab ihm Curtius zuvor den Rat, eindringlich von der „blutenden Grenze“ zu sprechen, das werde seinen Eindruck auf das Ausland nicht verfehlen27 . Mitte Juli 1930 war Brünings Programm zur Haushaltsdeckung im Reichstag von SPD, KPD, DNVP und NSDAP abgelehnt worden, Brüning hatte daraufhin den Reichstag aufgelöst und für den 14. September Neuwahlen angesetzt. Der Wahlkampf stimulierte noch die nationalistischen Eiferer der gemäßigten Rechten, der Mitte und der demokratischen Linken, zumal die Konkurrenz der ultrarechten NSDAP fühlbar wurde, die offensichtlich ständig neue Anhänger gewann. All das löste im übrigen bei den Nachbarn Deutschlands, insbesondere in dem ohnehin an permanentem Sicherheitsfieber leidenden Frankreich, ernsthafte Kriegsfurcht aus und trieb die so mühsam gebesserten deutsch-französischen Beziehungen in eine böse Krise. Bülow indes, der auch die französischen Ängste zu dämpfen suchte28 , gestand dem polnischen Gesandten in Berlin zu, daß die Polen Grund hätten, sich über die Auslassungen des Reichsverkehrsministers zu erregen29 , und dem britischen Botschafter versicherte er – „verlegen“, wie Sir Horace Rumbold notierte –, das Auswärtige Amt habe weder mit den Attacken auf Locarno, die sich Reichsinnenminister Joseph Wirth erlaubt hatte, noch mit den polenfeindlichen Ausfällen „Trevis“ etwas zu tun gehabt30 . In einem Privatbrief an Freund Prittwitz in Washington kommentierte er die Tiraden der Minister recht unwirsch: „Dieses Thema [die Ostgrenze] ist mehr als genug bei uns erörtert worden, und die 91
dadurch entstandene Beunruhigung im In- und Ausland hat überall die nachteiligsten Folgen. Sie schädigt unseren Kredit, und sie steht einer zweckmäßigen Regelung der Abrüstungsfrage, des Minderheitenproblems und vieler anderer Dinge im Wege.“ Seit längerer Zeit bemühe er sich, dem gefährlichen Geschwätz ein Ende zu machen, müsse freilich zugeben, daß es für keinen Minister einfach sei, „die unpopuläre Parole auszugeben, daß nunmehr genug hierüber geredet worden sei“31 ! In dem Brief sagte er auch, daß er auf bessere deutsch-polnische Beziehungen hoffe. Über diplomatische Gesten, Gespräche und Beruhigungsmanöver hinaus trachtete er in der Tat danach, eine Polenpolitik zu entwickeln, die zwar einerseits zur Befriedigung deutscher Ansprüche führen, andererseits aber auch für Polen annehmbar sein sollte, eine Polenpolitik überdies, die von England unterstützt und von Frankreich zumindest toleriert werden konnte. In der gegebenen Situation plagte ihn eine – höchstwahrscheinlich völlig unbegründete – Angst vor Polen. An den Zentrumsabgeordneten – im preußischen Landtag – Franz von Papen, mit dem er gelegentlich korrespondierte, schrieb er am 18. September 1930: „Die jetzige Grenzregelung gegenüber Polen bedeutet eine ständige sehr ernste Bedrohung Ostpreußens ... In Polen spricht man ziemlich offen, wenn nicht von einer Annexion dieser Provinz, so doch von einer Zollunion zwischen Ostpreußen und dem polnischen Staat, die einem Verlust Ostpreußens gleichkäme.“32 Um dieser Gefahr zu begegnen, doch auch „um die Basis für ein künftiges friedliches Verhältnis zu schaffen“, „scheint es mir nicht angebracht, Polen der Bedrohung einer künftigen Aufteilungspolitik auszusetzen. Diese liegt uns ganz fern.“ Wieder lagen die Konditionierung gegen Versailles und der Wille zur Revision im Kampf mit realistischer Lagebeurteilung und wieder unterlagen Vorsicht und Realismus. Es war nichts als Selbstbetrug, wenn Bülow glaubte, die territorialen Ziele Deutschlands im gegebenen polnischen Staatsgebiet könnten ohne eine erneute Teilung Polens erreicht werden; schließlich gehörten nicht nur England und Frankreich zu den Ländern, die er als Mitspieler gegen Polen zu brauchen meinte, sondern vor allem die Sowjetunion, und wie er zu der Ansicht gelangte, die Hilfe der Moskauer Freunde werde – ein vitales Element seiner Absage an die Teilung Polens – politisch-diplomatischer Natur bleiben und nicht in der Erfüllung russischer revisionistischer Forderungen bestehen, war und bleibt sein Geheimnis. Vermutlich nahm er an, bei einer Reduzierung der deutschen Ansprüche auf das eigentliche Korridorgebiet werde Polen durch westlichen Druck und das Angebot einer Entschädigung mit litauischem Territorium zur freiwilligen Herausgabe des Korridors 92
zu überreden sein – eine „einmalige und endgültige Operation“33 –, ehe sich der schwerfällige Bär im Osten in Bewegung setzen könne. Eine gewisse Ermunterung lag gewiß darin, daß er und die Angehörigen der deutschen Missionen im Ausland immer mehr englische, amerikanische und selbst französische Gesprächspartner fanden, die den Korridor als ungerecht, unsinnig, Deutschland nicht zumutbar oder gar als monströs bezeichneten34 . Jedenfalls warb er im Auswärtigen Amt für seine Konzeption, und zwar bemerkenswerterweise nicht ohne Erfolg. Ende November 1930 fragte Oskar Trautmann, Leiter der Abteilung IV im AA, ebenso naiv wie grundlos bei der deutschen Botschaft in London an, warum England eigentlich Polen unterstütze; niemals werde Deutschland auf den Osten verzichten35 . Botschafter von Neurath antwortete ihm, bei einem Kampf mit Polen würden die Engländer allerdings nicht an der Seite Deutschlands stehen: „Wohl aber werden diese sich einem fait accompli beugen. Es bleibt deshalb nach meiner Ansicht nur der Versuch übrig, sich mit den Polen direkt zu verständigen. Daß das sehr schwer ist, weiß ich. Man wird den Augenblick dazu auch sorgfältig auswählen müssen.“ Dann aber sei „ohne Skrupel“ vorzugehen; Litauen könne als Tauschobjekt dienen. An den Rand der schon fast unverhüllt Krieg oder doch die Drohung mit militärischer Gewalt ankündigenden Epistel, die sich Neurath hier gestattet hatte, schrieb Bülow mißbilligend, doch angesichts seiner etwas anderen Vorstellung von richtiger Polenpolitik zu diplomatisch: „Noch zu früh, viel zu früh!“36 Anschließend machte er sich aber ans Werk und brachte es fertig, daß im März 1931 eine von ihm und zwei Kollegen entworfene zurechtweisende Instruktion mit der Unterschrift des Reichsaußenministers an Neurath ging. Zunächst hieß es in ihr – im Sinne des „Noch zu früh“ –, „der Zeitpunkt für die förmliche Aufrollung der Revisionsfrage, deren Kernpunkt unsere Ostgrenzen bilden, ist noch nicht gekommen“. Danach wurde der deutschnationale Neurath jedoch belehrt, daß „keine Aufteilung Polens“ beabsichtigt sei, daß „selbst bei günstigster allgemein politischer Lage die Wiederherstellung der Vorkriegsgrenzen praktisch nicht in Frage kommen“ werde. Posen sei „unbestreitbar“ polnisch. Deutschland erhebe lediglich, und zwar unter Berufung auf die von Präsident Wilson proklamierten politischen Ideale, Anspruch auf das „Gebiet von der Netze nördlich bis zur Ostsee ..., Danzig selbstverständlich eingeschlossen“37 . Im Rückblick ist klar zu sehen, daß es, von der internationalen Problematik abgesehen, schon eine allzu verwegene Hoffnung war, es könne eine Situation geschaffen werden, in der Polen solch herabgesetzte Forderungen freiwillig erfüllen 93
werde, doch blieben sie, das ist ebenfalls klar, tatsächlich um einiges hinter dem Programm nahezu aller deutschen Revisionisten zurück, ob in der Regierung, ob in den Parteien der Mitte und der Rechten, ob in der Armee. Auch noch auf den Korridor und auf die Revision der sonstigen Bestimmungen des Versailler Vertrags zu verzichten, kam Bülow allerdings nie in den Sinn. Dabei hatte er nach wie vor ein gutes Gewissen, da er immer noch überzeugt davon war, die moralische und politische Begründung aller für Deutschland schädlichen oder diskriminierenden Versailler Regelungen, nämlich die Behauptung von der Schuld des Deutschen Reiches am Weltkrieg, sei falsch. Zwar hatte ihm Johann Sass, Vortragender Legationsrat in der Abteilung I des AA, im Dezember 1930 ein Briefchen geschrieben, in dem er „entsetzt“ darauf aufmerksam machte, das Reichsinnenministerium plane die Freigabe sämtlicher Regierungsakten, die bis zum Inkrafttreten der Weimarer Verfassung entstanden seien: „Man mache sich die Konsequenzen für das AA klar. Unsere Weltkriegsakten, die gesamten Vorkriegsakten, von denen doch ein großer Teil aus guten Gründen nicht in die Aktenpublikation aufgenommen ist.“38 Ein solcher Warnruf war eigentlich deutlich genug, doch hat ihn Bülow entweder überhört oder nicht richtig verstanden. Im Dezember 1928 hatte Graf Kuno Westarp, damals noch Vorsitzender der Deutschnationalen – später einer der Führer der Volkskonservativen –, im Reichstag den Entwurf eines Gesetzes eingebracht, mit dem er die Behauptung der deutschen Kriegsschuld unter Strafe gestellt sehen wollte. Anfang 1931 erfuhr Bülow, daß man sich in der Reichskanzlei mit dieser Idee beschäftigte. In einem Schreiben an Staatssekretär Pünder wandte er sich entschieden gegen ein derartiges Vorhaben. Den Standpunkt, so sagte er, „daß wir die Wahrheit nicht zu fürchten haben, ... würden wir in dem Augenblick verlassen, wo wir den Versuch machten, mit Gesetzesparagraphen eine bestimmte Ansicht über die Kriegsschuld, zumindest in negativer Hinsicht, zu dekretieren. In gewissem Sinne würden wir damit die Methode des Versailler Vertrags, historische Ereignisse im Wege von Artikeln und Paragraphen zu entscheiden, geradezu adoptieren.“ Danach schrieb er dem Kanzler und seinen Mitarbeitern einen Satz ins Stammbuch, der nicht nur gutes Gewissen, sondern auch geistige Souveränität verrät: „Es erscheint weder der Stärke unserer Stellung in der Kriegsschuldfrage noch dem hohen Ansehen Deutschlands als dem Lande der Gelehrten, insbesondere der Historiker, angemessen, mit Strafbestimmungen in den Kampf der Geister einzugreifen.“39 94
Der wohl etwas reduzierte, doch ansonsten ungebrochene Revisionismus setzte auch Bülows Bereitschaft, das Verhältnis zu Frankreich zu pflegen, enge Grenzen. Das zeigte sich alsbald in der Frage französischer Finanzhilfe für Deutschland. Die Krise im deutsch-französischen Verhältnis, die durch die nationalistischen Fanfarenklänge in Deutschland nach dem 30. Juni 1930 ausgelöst und durch die noch schrilleren Töne während des Wahlkampfs im Frühherbst verschärft worden war, geriet durch den Erfolg der NSDAP in den Reichstagswahlen vom 14. September (12 auf 107 Sitze) in Gefahr, zur Dauerkrise zu werden. Etliche Politiker und Diplomaten auf beiden Seiten der Grenze suchten nach Mitteln und Wegen, diese unheilvolle Entwicklung zu stoppen und die Beziehungen dann wenn irgend möglich wenigstens wieder auf den Stand von Locarno zu heben40 . In Paris wie in Berlin keimte der Gedanke, das von der Weltwirtschaftskrise noch kaum berührte und kapitalkräftige Frankreich müsse sich im kapitalschwachen Deutschland finanziell engagieren; das werde Annäherung und politische Verständigung automatisch zurückbringen. Nachdem die sensationelle Zunahme der NS-Bewegung ängstlich gewordene amerikanische Investoren veranlaßt hatte, kurzfristige Kredite in beträchtlicher Höhe aus Deutschland abzuziehen, nahm außerdem der deutsche Kreditbedarf in einer ohnehin ständig schlimmer werdenden wirtschaftlichen Situation ungewöhnliche Ausmaße an. Die Medizin sowohl gegen das politische Unheil wie gegen die wirtschaftlichen Nöte schienen langfristige französische Kredite zu sein. Reichskanzler Brüning tat alles, um diese Medizin nicht einnehmen zu müssen: jede Besserung der deutschen Wirtschaftslage mußte ja den Angriff auf die Reparationen erschweren; das Verhältnis zu Frankreich war ihm nicht gleichgültig, doch spielte er zu dessen Rettung, wie noch zu sehen sein wird, mit ganz anderen Kombinationen, und zwar politischer Art. Im Auswärtigen Amt fand die Kredit-Idee zunächst durchaus Beifall. Botschafter von Hoesch war ein geradezu leidenschaftlicher Anhänger der deutsch-französischen Verständigung. Daß die mit Locarno eingeleitete Entwicklung abzubrechen drohte, erfüllte ihn, wie man wohl sagen kann, mit Verzweiflung. Als er schilderte, wie die französische Presse auf eine Rede des deutschen Außenministers im Reichsrat, in der Curtius die deutschen „Lebensnotwendigkeiten“ im Osten beschworen hatte, mit der Betonung polnischer „Lebensnotwendigkeiten“ antwortete, machte er darauf aufmerksam, solche Reden hätten „in der französischen Öffentlichkeit die Erkenntnis gefördert, daß wir am Beginn eines neuen Abschnittes der deutsch-französischen Beziehun95
gen stehen und daß die im Frühjahr 1924 begonnene Periode zum Abschluß gekommen ist“. Statt wie bisher „wechselseitige Schonung“ zu üben und dadurch eine Atmosphäre zu schaffen, die zu „einem sehr weitgehenden Vertrauensverhältnis“ geführt habe, gehe man jetzt den „Weg der öffentlichen Polemik“ und des „Gegeneinanderarbeitens“41 . In einem offiziellen Bericht drücken solche Worte mehr als Melancholie aus, und sie lassen außerdem keinen Zweifel daran, wo für Hoesch die Verantwortung für den traurigen Gang der Dinge lag. Um so begieriger griff der Botschafter andeutende Fragen französischer Politiker wie Briand, André Tardieu und Philippe Berthelot auf, ob nicht die Lage durch französische Kredite an deutsche öffentliche Hände und deutsche Unternehmen gebessert werden könne. Von Bülow ermuntert, machte Hoesch aus Tastversuchen ernsthafte Verhandlungen über langfristige französische Anleihen, und wenn sich die Verhandlungen auch als schwierig erwiesen, endeten sie doch mit seriösen französischen Angeboten. Bülow war anfänglich auch eine französische Beteiligung an englischen und amerikanischen Überbrückungskrediten für die Reichsbank willkommen – „aus politischen Gründen“42 . Am 21. März 1931 durfte Hoesch endlich nach Berlin berichten, daß Briand und seine Freunde tatsächlich bereit seien, Deutschland finanziell unter die Arme zu greifen: „Ich glaube mich in Übereinstimmung mit dem Auswärtigen Amt zu befinden, wenn ich die Tatsache, daß die französische Regierung nunmehr zur Bereitwilligkeit gebracht worden ist, eine umfassende finanzielle und wirtschaftliche Aktion mit Bezug auf Deutschland grundsätzlich ins Auge zu fassen, als ein an sich erfreuliches Ergebnis betrachte. Darauf waren ja während der letzten Monate alle meine, im Auftrag des Auswärtigen Amts unternommenen Bemühungen abgestellt.“43 Davon abgesehen aber, daß gerade in jenen Märztagen die deutsch-französischen Finanzgespräche auf Grund eines Ereignisses, das noch zu behandeln sein wird, ohnehin ein abruptes Ende fanden, war Hoesch in einem grundlegenden Irrtum befangen. Als er seine Erfolgsmeldung nach Berlin sandte, besaß er die Rückendeckung des Amtes eben nicht mehr. Während der monatelangen Verhandlungen war klar geworden, daß die französische Regierung die Gewährung von Krediten an politische Bedingungen knüpfen wollte, das heißt Deutschland – genauer die deutsche Regierung – sollte sich zu einem revisionspolitischen Moratorium oder noch besser zum Verzicht auf die Anfechtung des Status quo verstehen. Was den Franzosen vorschwebte, hat Finanzminister Pierre Flandin in einem Gespräch mit Franz von Papen präzise ausgesprochen: Langfristige Kredite und die französische 96
Finanzierung deutscher industrieller Vorhaben in Südosteuropa seien nur möglich, so Flandin laut Papen, wenn Deutschland seine revisionistischen Ziele, ob einen Angriff auf den Young-Plan, ob territoriale Forderungen, zurückstelle; das enge Verhältnis des Reiches zu Rußland müsse preisgegeben und durch eine Entente Frankreich–Polen–Deutschland ersetzt werden; diese Entente habe die polnische Ostgrenze zu garantieren und Deutschland die polnische Westgrenze für zwanzig Jahre zu respektieren44 . Einen solchen politischen Preis für französisches Geld zu zahlen, kam für Bülow nicht in Frage. Wie bei Lord Robert Cecils Garantiepakt von 1928 und bei Briands Europaplänen reagierten die deutschen Revisionisten mit automatischer Verwerfung dieses erneuten französischen Versuchs, sie irgendwie zur Versöhnung mit dem Status quo zu bewegen. Auch als die Pariser Gesprächspartner Hoeschs zuletzt nur noch sehr allgemein gehaltene Versicherungen der deutschen Seite verlangten und der Botschafter zur Annahme riet45 , änderte sich daran nichts; Hoesch war zum einsamen Rufer in der Wüste geworden. Bülow dagegen trat in der Kreditfrage an die Seite des Reichskanzlers und sollte daher bis zuletzt eine zuverlässige Stütze der Brüningschen Reparationspolitik bleiben. Nun war die Reparationspolitik weitestgehend Sache des Finanzexperten Brüning und der Reichskanzlei, nicht des Auswärtigen Amts. In einer anderen Frage aber, ebenfalls überaus wichtig, stand Bülow nicht nur von Anfang an hinter dem Kanzler, sondern war an dessen Kursbestimmung maßgeblich beteiligt; gelegentlich galt es sogar, Brüning gegen gewisse Anfechtungen bei der Stange zu halten. Ein zentrales Ziel des deutschen Revisionismus war die militärische Kräftigung des Deutschen Reiches, und nachdem Bülow Staatssekretär geworden war, behielt er die zuvor entwickelte Konzeption unverändert bei: Deutschland habe als Verfechter allgemeiner Abrüstung aufzutreten, äußerstenfalls Rüstungsgleichheit zu verlangen und dann, wenn die bevorstehende Abrüstungskonferenz an der Haltung des jeglicher Abrüstung abgeneigten Frankreich gescheitert sei, Rüstungsfreiheit zu erlangen, das heiße sich „einseitig von den Verpflichtungen des Teils V des Versailler Vertrags“ loszusagen46 . Bis Frankreich den Weg geöffnet hatte, durfte jedoch, davon war er nach wie vor überzeugt, kein Wort über Aufrüstung fallen. Wollte man die Forderung nach Aufrüstung, so belehrte er den ungeduldig wartenden Prälaten Ludwig Kaas, den Vorsitzenden der Zentrumspartei, „jetzt direkt und ausdrücklich aussprechen, so würde uns das in eine außerordentlich ernste außenpolitische Lage bringen“, uns „in den Augen der Weltöffentlichkeit völlig 97
ins Unrecht setzen und den Staaten auf der anderen Seite, insbesondere Frankreich, den erwünschten Ausweg aus ihrer Lage verschaffen“47 . Botschafter von Hoesch stimmte mit seinem Freund nicht überein. Auf ein Schreiben, in dem Bülow seine Konzeption erwähnt hatte, ließ sich Hoesch aus Paris mit der Mahnung vernehmen, die Abrüstungskonferenz müsse sehr wohl Ergebnisse zeitigen, und Deutschland dürfe nicht auf ihr Scheitern spekulieren oder gar darauf hinarbeiten48 . Reichskanzler Brüning dagegen war ohnehin der Meinung, daß territoriale Revisionspolitik erst dann möglich sei, wenn hinter der Politik und Diplomatie Berlins eine schlagkräftige Armee stehe, und so strebte er wie Bülow nicht nach der Abrüstung der anderen Staaten, sondern nach Rüstungsfreiheit für das Deutsche Reich. Bülow unterschied sich zwar insofern vom Kanzler, als er nicht an eine große oder gar uferlose Aufrüstung dachte, sondern lediglich an die Schaffung einer respektablen und effizienten, also einer maßvoll vergrößerten und mit modernen Waffen ausgerüsteten Reichswehr49 . Aber über Rüstungsfreiheit und den Weg dahin waren sich beide zumeist einig. Der Staatssekretär wuchs in eine wichtige Beraterrolle hinein und übte auch auf die öffentlichen Erklärungen des Kanzlers Einfluß aus: In wesentlichen Elementen stammte von ihm zum Beispiel die Rede, die Brüning zum Auftakt der am 2. Februar 1932 in Genf beginnenden großen Abrüstungskonferenz hielt und in der er die militärische Gleichberechtigung Deutschlands ebenso zum unverrückbaren Ziel seiner Politik erklärte wie die allgemeine Abrüstung, jedoch kein Wort über eine deutsche Aufrüstung verlor50 . Im weiteren Verlauf der Abrüstungsgespräche machte dann die Reichsregierung und machte auch Bülow deutlich, daß Teil V des Versailler Vertrags, der die zahlenmäßige Reduzierung und die Beschränkung der Rüstung deutscher Streitkräfte festgelegt hatte, durch eine Abrüstungsvereinbarung ersetzt werden müsse. Bülow ging – angesichts der in der Tat immer klarer werdenden französischen Abneigung gegen eine Verringerung der eigenen militärischen Machtmittel – alsbald so weit, offen zu sagen, daß unter einer Abrüstungsvereinbarung die Angleichung der Reichswehr an die Armeen der Nachbarn Deutschlands und mithin etwa eine Verdoppelung und eine Modernisierung der deutschen Streitkräfte zu verstehen sei51 . Dabei gab er sich Mühe, zumindest jenen Regierungen, die den deutschen Standpunkt vielleicht würdigen und die Reichsregierung sogar unterstützen mochten, die Angst von der Anerkennung der militärischen Gleichberechtigung Deutschlands zu nehmen. Die Furcht vor einem von Deutschland 98
womöglich ausgelösten Wettrüsten war sehr lebendig; die von solchem Wettlauf bestimmten Jahre vor dem Weltkrieg lagen ja noch nicht lange zurück. So sagte Bülow zu Sir Horace Rumbold, für die Reichswehr wäre eine Stärke von 200.000 Mann angemessen, doch könne man sich auch mit einem 100.000 Mann starken Heer bescheiden52 , und als ihn der britische Geschäftsträger Basil Newton einmal fragte, ob seine, Newtons, Ansicht richtig sei, daß Deutschland nur die prinzipielle Gleichberechtigung wolle, nicht aber daran denke, wirklich aufzurüsten, antwortete er ohne Zögern: „Ja!“53 Eine Störung seiner Politik schien Bülow manchmal ausgerechnet von der Reichswehr zu drohen. Anfänglich hatte er nicht ohne Ironie beobachtet, daß Reichswehrministerium und Heeresleitung Verbindung zu führenden französischen Militärs suchten. Als sein früherer Kollege Freiherr von Lersner einmal nach Paris fuhr, um dort – unter anderem – im Auftrag des Chefs des Ministeramts im RWM, General Kurt von Schleicher, wenn irgend möglich mit dem Generalinspekteur des französischen Heeres, General Maxime Weygand, zu sprechen, kommentierte er in einem Brief an Hoesch: „Es ist ja dies ein alter Wunsch der Reichswehr ... Die Generalität bei uns glaubt, daß der ritterliche Sinn des französischen Generalissimus eine Verständigung zwischen beiden Armeen und damit eine Besserung der Beziehungen beider Völker ermöglichen werde. Ich halte dies für einen Irrtum und wüßte nicht, warum man Weygand so Vieles und so Gutes zutrauen sollte.“ Gewisse Erfolge einer Annäherung der beiderseitigen Militärs hielt er aber doch für möglich, und gerade das wäre ihm unwillkommen gewesen: „Ich halte auch die Taktik für falsch“, sagte er, „denn es wird nur dazu führen, daß man uns für ein billiges Trinkgeld die Handlungsfreiheit abknöpfen würde, die wir nach dem Scheitern der allgemeinen Abrüstungskonferenz wieder erlangen könnten.“54 Obwohl es aber weder Lersner noch dem in gleicher Mission nach Paris gekommenen Franz von Papen gelungen war, eine Unterhaltung mit General Weygand zuwege zu bringen, gaben die Militärs ihr Projekt nicht auf, und allmählich glaubte Bülow, die Sache ernster nehmen zu müssen. Nach einem erneuten Versuch, welcher einer Pariser Beschwerde folgte, der französische Militärattaché in Berlin werde nicht zu Manövern der Reichswehr eingeladen, grollte er wiederum: Solche Fühler, die auf eine Verständigung zwischen den unmittelbar beteiligten militärischen Stellen zielten, seien „nicht ungefährlich, weil hierdurch der ... Weg zur Rüstungsfreiheit verbaut werden könnte, der, ganz grob gesprochen, darin bestehen würde, daß wir nach Scheitern der Abrü99
stungskonferenz uns einseitig von den Verpflichtungen des Teils V des Versailler Vertrags lossagen ...“ Reichskanzler und Reichswehrminister bedauerten es, daß es immer noch keinen Kontakt zu Weygand gebe, teilte er Hoesch mit und knüpfte daran die ebenso heitere wie für seine Art des Ausdrucks charakteristische Bemerkung: „Ich habe es natürlich leicht gehabt, den vorgenannten Herren auseinanderzusetzen, daß sie unmöglich derartig scheues Wild zur Strecke bringen könnten, nachdem zwei Sonntagsjäger wie Papen und Lersner vorbeigeschossen und das Wild vergrämt hätten.“55 Schließlich entdeckte Bülow jedoch, daß das Drängen der Reichswehrführung nicht nur seine Politik in der Rüstungsfrage, sondern seine außenpolitische Gesamtkonzeption in Frage stellte. In einer Unterhaltung mit General Kurt von Hammerstein wurde ihm klar, „daß unser Chef der Heeresleitung letzten Endes auf ein Militärbündnis mit Frankreich hinaus will“56 . Wenn nur die Soldaten ein solches Ziel verfolgten, war das lediglich bedenklich. Aber Bülow mußte die weitere Entdeckung machen, daß der Kanzler „für meinen Geschmack zu sehr den Theorien unserer Militärs zuneigt“57 . Offenbar spielte Brüning, jedenfalls in manchen – und vom Staatssekretär aus gesehen in „schwachen“ – Stunden mit dem Gedanken, die Probleme der deutschen Außenpolitik, ob es um die Reparationen oder um die östlichen Grenzprobleme ging, durch eine weit über Locarno hinausgehende Verständigung mit Frankreich zu lösen. So durfte Bülow immerhin den Argwohn hegen, daß neben einigen Generälen eine um Papen entstandene Gruppe der Zentrumspartei, welche nicht ohne Einfluß auf den ja zum Zentrum gehörenden Brüning war, die deutsche Revisionspolitik von ihrer bisherigen Basis, der gegen Polen gerichteten Beziehung zwischen Berlin und Moskau, lösen und durch eine französisch-deutsch-polnische Allianz ersetzen wollte. Daß es in Frankreich Befürworter dieser Kombination gab, war ja bekannt. Brüning hat einen solchen Kurswechsel sicher nicht ernsthaft erwogen, daß aber Bülows Verdächtigung Papens vollauf berechtigt war, sollte sich noch zeigen. Als er Hoesch über Hammersteins Neigung zu Frankreich unterrichtete, legte er jedoch Wert darauf, in den Augen des Botschafters nicht als frankophob zu erscheinen; seine Ablehnung einer deutsch-französischen Allianz gelte im Augenblick, so machte er klar, lediglich einer Störung seiner Rüstungspolitik. Das Auswärtige Amt werde noch im Laufe des Jahres 1931 zwar nicht mit militärischen oder bündnispolitischen, wohl aber mit wirtschaftlichen Vorschlägen „in ganz großzügige Verhandlungen mit den Franzosen“ eintreten. Erklärend setzte er hin100
zu: „Wenn wir in Mitteleuropa selbständige Schritte in Richtung auf eine wirtschaftliche Union, um dieses viele Lösungen zulassende Schlagwort zu gebrauchen, in den nächsten Monaten unternehmen, dann würde Frankreich sicherlich gezwungen sein, über ähnliche Projekte mit uns zu verhandeln.“ Welcher Platz solchen Vorhaben in der Revisionspolitik zukomme, umschrieb er mit den Begriffen „Vorspiele“ und „Zwischenakte“. Bülow kündigte damit seinem Freund ein Unternehmen der deutschen Außenpolitik an, das mit dem schlimmsten Desaster der Berliner Diplomatie seit der französisch-belgischen Ruhrbesetzung enden sollte. Wem auf deutscher Seite das Erstgeburtsrecht an der Idee zukommt, eine Zollunion zwischen Deutschland und Österreich zu schließen und mit einer derartigen Union den Anschluß Österreichs an das Deutsche Reich vorzubereiten, ja bereits einzuleiten, ist nicht mehr klar zu erkennen. Am 6. Mai 1931, als die europäische Krise, die das ZollunionsProjekt heraufbeschworen hatte, ihrem Höhepunkt zustrebte, äußerte sich Bülow zu dieser Frage in einer Unterhaltung mit Sir Horace Rumbold. Schon als noch untergeordneter Beamter habe er an eine deutsch-österreichische Zollunion gedacht, sagte er, und das traf, wie zu sehen war, durchaus zu. Nachdem er Staatsekretär geworden sei, hätten ihn Beamte des Auswärtigen Amts gefragt, ob Bedenken gegen eine Zollunion bestünden; er habe „nein“ gesagt und Vorbereitungen autorisiert58 . In seinem Bericht war von Reichsaußenminister Julius Curtius keine Rede. Doch steht fest, daß Curtius noch als Außenminister der Großen Koalition, etwa zur gleichen Zeit wie Bülow, ebenfalls Österreich in den Blick genommen hatte. Nach der Räumung des Rheinlands von dem Gefühl erfaßt, Deutschland habe Bewegungsfreiheit gewonnen, übernahm dann Curtius sofort die Rolle des Antreibers, und da ihm Bülow folgte, ohne Zögern und jedenfalls ohne erkennbaren Widerspruch, wurden sie die deutschen Protagonisten des Projekts. Reichskanzler Brüning schloß sich zwar an, hielt sich aber im Hintergrund und ließ seine beiden Außenpolitiker mehr gewähren, als daß er sie ermunterte; wahrscheinlich schätzte er die Erfolgsaussichten des Unternehmens gering ein und wollte daher mit diesem, im Hinblick auf die bevorstehenden Reparationsgespräche mit den Westmächten, nicht identifiziert werden. Die österreichische Regierung war anfänglich sehr reserviert. Vertreter Österreichs hatten ja Verträge unterschrieben, die zur Wahrung der Unabhängigkeit des Landes verpflichteten, so am 4. Oktober 1922 das sogenannte Genfer Protokoll, das Vorbedingung einer lebenswichtigen Anleihe des Völkerbunds gewesen war. Doch 101
gaben die Wiener Politiker am Ende dem deutschen Drängen nach und wurden zu halbherzigen Partnern. Daß Curtius, dessen Urteil über die Interessen der europäischen Staaten und über außenpolitische Zusammenhänge oft recht naiv war, sich geradezu frohgemut auf eine Sache einließ, die nicht gutgehen konnte, ist nicht überraschend. Daß aber Bülow, Anhänger vorsichtiger Taktik und Gegner jeglicher Dramatik, nicht nur mitmachte, sondern seinem Außenminister in diesem Falle überzeugt zur Seite stand, ja ihm eigentlich vorgedacht hatte, ist nicht erst im Rückblick erstaunlich. Wie konnte ein überlegter und erfahrener Diplomat glauben, eine deutsch-österreichische Zollunion werde nicht als Ouvertüre zum Anschluß Österreichs verstanden – in London, Warschau und vor allem in Paris und Rom? Er und alle Mitspieler oder Beobachter auf deutscher Seite meinten ja selber auch die Union mit Selbstverständlichkeit als solches Vorspiel. Ihm war im übrigen nur zu bewußt, daß wirtschaftliche und finanzielle Zusammenschlüsse in bestimmten Fällen politische Konsequenzen haben müssen. Hatte er nicht geschrieben, Ostpreußen werde verloren gehen, wenn eine polnisch-ostpreußische Zollunion zustande kommen sollte? Wie konnte er außerdem annehmen, der Anschluß Österreichs könne gegen den Widerstand Frankreichs, Italiens und damit auch Englands durchsetzbar sein? Angesichts der immer noch gegebenen militärischen Ohnmacht des Deutschen Reiches? Am 21. Februar 1931 präsentierte Ministerialdirektor Gerhard Köpke, als Leiter der Abteilung II des Amtes nun Untergebener Bülows, eine Aufzeichnung, in der er den europäischen Widerstand gegen Union und Anschluß präzise vorhersagte. Eine seiner Warnungen lautete: Schon die Zollunion werde auch der Tschechoslowakei erst die wirtschaftliche und dann die politische Unabhängigkeit nehmen: „Daß Frankreich die Tschechoslowakei in einer so vitalen Frage im Stich lassen könnte, ist nicht gut vorstellbar.“59 Und aus Paris kam Hoeschs bündige Feststellung: „Aussichten für eine erfolgreiche Diskussion der Frage [Anschluß] bestehen im Augenblick nicht.“60 Es fehlte also Bülow nicht an trefflichen Ratschlägen, die um so wirksamer hätten sein sollen, als sie von so guten – und politisch klugen und erfahrenen – Freunden wie Köpke und Hoesch kamen. Doch er schlug auch freundschaftlichen Rat in den Wind und hat offenbar tatsächlich nicht nur die Hoffnung, sondern die Erwartung gehegt, Europa werde es ohne größere Widerstände hinnehmen, wenn sich ein militärisch handlungsunfähiges Deutschland durch den Anschluß Österreichs – ein Dutzend Jahre nach dem Ende des Weltkriegs – zur stärksten Macht Mittel- und Südosteuropas machen wollte. Daß er die 102
Versuche Berlins ernstgenommen hat, die Zollunion als Schritt im Sinne des von Briand konzipierten Europaplans auszugeben, ist allerdings fraglich. Zwar sagte er in einem Privatbrief an Prittwitz, man werde dem deutsch-österreichischen Unternehmen „ein paneuropäisches Mäntelchen umhängen“61 . Aber kurz bevor Curtius die Zollunion im Reichstag vorstellte und verteidigte, mahnte Hoesch, wenn der Außenminister die Zollunion als Eingehen auf die Pläne Briands hinstellen sollte, würde das in Paris als „Hohn“ empfunden62 , und in solch kleinen Fragen der Taktik war Bülow nicht weniger realistisch als sein Freund; also wird er kaum großes Vertrauen in die paneuropäische Textilie gesetzt haben. Auch hat ihn eine Sorge gewiß nicht bewegt, die so mancher in den Berliner Ministerien zu verspüren behauptete, nämlich die Sorge, Österreich werde sich, wenn Deutschland nicht mit einem besseren Angebot eingreife, einer Donau-Konföderation mit Ungarn und den Balkanstaaten anschließen. Wohl sprach Curtius gelegentlich von einer solchen Gefahr63 . und auch in der Wirtschaftsabteilung des Auswärtigen Amts wurde sie beschworen64 , Bülow aber und die wichtigen politischen Beamten des Auswärtigen Amts wie Köpke wußten sehr gut, daß es in Österreich keine Neigung zu wirtschaftlichen und politischen Bindungen an Südosteuropa gab, wo so bitter verfeindete Länder wie Ungarn und Rumänien ohnehin völlig unfähig zu politischer Zusammenarbeit waren65 . Es bleibt nur eine Erklärung. Offenbar ist auch Bülow von der nationalistischen Gefühlsaufwallung bewegt worden, die Deutschland nach dem 30. Juni 1930 erlebte. Zwar zeigte seine Haltung gegenüber Polen, der Tschechoslowakei und selbst Frankreich keine Veränderung, jedenfalls keine Spur der Erregung, wie sie Curtius und Treviranus offenbarten. Aber einige Spritzer der nationalistischen Welle müssen ihn doch getroffen und ihm die reale Situation Deutschlands im Jahre 1931 undeutlich gemacht haben. So wurde der in ihm aufkommende Drang, nun wenigstens einen revisionspolitischen Zug zu wagen, so stark, daß er ihm nicht mehr zu widerstehen vermochte. Daß sein Blick dabei auf Österreich fiel, hatte anscheinend drei Gründe. Erstens trug er sich ja schon einige Zeit mit dem Gedanken, den südlichen Nachbarn wirtschaftlich mit dem Reich zu vereinigen und so den ersten Schritt zum politischen Anschluß zu tun. Zweitens überschätzte er in der Tat die Bereitschaft der europäischen Mächte, Deutschland bereits jetzt territoriale Revisionspolitik zu erlauben. Während der Zollunions-Krise sagte er einmal zum britischen Botschafter, er könne die allgemeine Aufregung über die deutsch-österreichischen 103
Pläne nicht verstehen, schließlich hätten im Vorjahr Rumänien und Jugoslawien ähnliche Absichten verkündet, ohne daß es zu Protesten gekommen wäre66 . Dieses Argument war natürlich bloß gespielte Naivität. Wenn er aber in der gleichen Unterhaltung meinte, von allen revisionistischen Forderungen Deutschlands sei doch die Zollunion „die bei weitem ungefährlichste“67 , so kam darin durchaus die Überzeugung zum Ausdruck, daß sich Europa eigentlich wieder beruhigen und mit der deutsch-österreichischen Verbindung abfinden könne und solle. Von solch irriger Lagebeurteilung ausgehend, sah Bülow, drittens, in der Zollunion einen – um es mit militärischen Begriffen zu illustrieren – wichtigen und folgenreichen operativen Zug in seiner revisionspolitischen Strategie. Er glaubte, wie er Prittwitz schrieb, daß sich Ungarn und die Tschechoslowakei alsbald der deutsch-österreichischen Zollunion anschließen müßten68 . Was er damit für Hoffnungen verband, setzte er Walter Koch auseinander, dem deutschen Gesandten in Prag: „Die Einbeziehung der Tschechoslowakei in unser Wirtschaftssystem läge ganz in der Richtung der Außenpolitik des Reichs auf weite Sicht, wie sie mir vorschwebt. Ist die deutsch-österreichische Zollunion einmal Tatsache geworden, so rechne ich damit, daß der Druck wirtschaftlicher Notwendigkeiten den Beitritt der Tschechoslowakei nach wenigen Jahren in der einen oder anderen Form erzwingen wird. Ich würde darin den Anfang einer Entwicklung sehen, die geeignet wäre, lebenswichtige Interessen des Reiches einer auf anderem Wege kaum möglich erscheinenden Lösung zuzuführen. Ich denke dabei an die deutsch-polnischen Grenzprobleme. Wenn es uns gelingt, die Tschechoslowakei unserem Wirtschaftsgebiet anzugliedern, und wenn wir inzwischen auch mit den Randstaaten [Litauen, Estland, Lettland] nähere wirtschaftliche Beziehungen geschaffen haben werden, dann ist Polen in einer Zange, die es vielleicht doch über kurz oder lang reif machen kann, dem Gedanken des Austauschs politischer Konzessionen gegen handgreifliche wirtschaftliche Vorteile näherzutreten.“69 Kühne Gedanken, die es freilich nur um so seltsamer erscheinen lassen, daß Bülow damit rechnete, die Zollunion durchsetzen zu können. Offensichtlich kam es ihm nicht in den Sinn, daß derartige Konsequenzen der deutsch-österreichischen Aktion auch von den Nachbarn Deutschlands und Österreichs gesehen werden mußten, daß also die Berliner Hoffnungen und Erwartungen anderswo unweigerlich als Befürchtungen auftauchten. Das Vorgehen, das Curtius und Bülow für richtig hielten, ist auf den ersten Blick ebenso schwer verständlich. Nach einem letzten Gespräch 104
zwischen den Außenministern der beiden Länder, das Anfang März 1931 in Wien stattfand, kamen beide Seiten überein, das Projekt am 23. März den Regierungen der europäischen Staaten mitzuteilen. Bis dahin sollte strikte Geheimhaltung gewahrt werden. Daß man es unterließ, wenigstens die Kabinette der besonders interessierten Länder vorzubereiten und zu konsultieren, ist mit dem seltsamen Argument begründet worden, man habe vermeiden wollen, daß „die Sache wie eine Bombe“ einschlägt70 . Selbstverständlich sorgte eben die bis zuletzt durchgehaltene Geheimniskrämerei für eine europäische Sensation. Es ist denn auch anzunehmen, daß ein Mann wie Bülow in diesem Falle gerade den „Bombeneinschlag“ wünschte, weil er einerseits befürchtete, daß bei längeren Verhandlungen Frankreich die Chance haben und nützen würde, das Unternehmen versacken zu lassen, und er andererseits darauf spekulierte, daß Europa ein Fait accompli schon akzeptieren werde. Wie dem auch sein mag, eine vorsichtigere Taktik hätte die Zollunion in der Tat erst recht nicht beschert; Bülows Besorgnis war ja nur zu berechtigt. Indiskretionen der Wiener Presse brachten die deutsch-österreichischen Absichten bereits am 17. März an den Tag, weshalb die diplomatischen Missionen des Reiches schon am 18. in den europäischen Hauptstädten aktiv werden und die Zeitungsberichte offiziell bestätigen mußten – fünf Tage früher als geplant und trotzdem auch zu spät. Erstes Opfer des Schocks, den die europäische Staatenwelt erfuhr, waren die deutsch-französischen Finanzgespräche. In Frankreich, wo jedermann ohnehin unter chronischem Sicherheitsfieber litt, war erwartungsgemäß niemand gewillt, Deutschland einen Machtzuwachs zuzubilligen, wie ihn die Zollunion bringen mußte; außerdem wurde die deutsch-österreichische Aktion sofort als Auftakt zu einem Generalangriff auf den Versailler Vertrag verstanden. Eine französische Regierung, die dem Übeltäter auch noch Geld gegeben hätte, wäre unverzüglich gestürzt worden. Das sollte sich zwar, nach einer gewissen Beruhigung der Gemüter, wieder ändern. In den folgenden Monaten unternahm Paris mehrmals den Versuch, Deutschland den Verzicht auf die Zollunion sozusagen abzukaufen, was nun von der deutschen Seite indigniert zurückgewiesen wurde. Aber für die ersten Wochen nach dem deutsch-österreichischen Überraschungscoup war Hoeschs Erfolgsmeldung vom 17. März gegenstandslos geworden. Ein zweites Opfer war Briand, der sich noch am 3. März in einer Rede über aufgeregte französische „Anschluß-Propheten“ lustig gemacht hatte71 . Er sah sich blamiert und seine Stellung erschüttert; daß er am 13. Mai bei der 105
Wahl des Präsidenten dem Gegenkandidaten Paul Doumer unterlag, war, wie Hoesch das Auswärtige Amt wissen ließ, nicht zuletzt das Werk Berlins72 . Auch das Vertrauen in die Stabilität und die politische Kraft der Regierung Brüning war angeschlagen. Namentlich in jenen Ländern, in denen Brüning und sein Kabinett als Bollwerk gegen die deutschen Rechtsextremisten geschätzt wurden, so in England, entstand der Verdacht, das Zollunions-Projekt könne ein Indiz dafür sein, daß die Regierung unter dem Druck der ständig wachsenden NS-Bewegung selber mehr und mehr nach rechts rücken werde; am 14. Oktober 1930 hatte ja die NSDAP im Reichstag beantragt, die Regierung solle „sofort Verhandlungen mit der Österreichischen Regierung auf Herstellung einer Zoll- und Wirtschaftsunion mit dem Deutschen Reich“ einleiten. Den größten Schaden nahmen aber die Bemühungen um eine allgemeine Abrüstung. Nach dem deutsch-österreichischen Streich und angesichts der bösen Aussichten, die er eröffnete, schwand die ohnehin geringe Abrüstungsbereitschaft der europäischen Staaten vollends dahin. Die vom Völkerbundsrat nach vielen vergeblichen Anläufen am 23. Januar 1931 endlich beschlossene Abrüstungskonferenz, die dann am 2. Februar 1932 in Genf tatsächlich eröffnet wurde, stand daher vom ersten Tag an unter keinem guten Stern – was Bülow und all den anderen deutschen Revisionisten freilich nur recht war. Die Wirkung der „Bombe“ vom März 1931 war eben auch nach einem knappen Jahr noch zu spüren, obwohl der Trichter, den sie in den Boden der europäischen Politik gerissen hatte, mittlerweile planiert worden war. Zwar gelang es Frankreich nicht, Großbritannien und Italien für eine Kollektivaktion gegen Deutschland und Österreich zu gewinnen. Aber die beiden Mächte waren doch auch gewillt, die Zollunion wieder aus der Welt zu schaffen. In London sah man in der deutsch-österreichischen Verbindung eigentlich nichts Verwerfliches oder die eigenen Interessen Gefährdendes; es gab sogar britische Politiker, etwa Winston Churchill, die meinten, es sei klug, die Regierung Brüning zu stärken, indem man ihr einen außenpolitischen Erfolg gestatte. Doch angesichts der französischen Entschlossenheit, den Deutschen und Österreichern in den Arm zu fallen, glaubte die britische Regierung, die Frankreich nicht vergrämen wollte, keine andere Wahl zu haben, als zumindest die französische Zielsetzung zu übernehmen. Italien wiederum hatte, was in Berlin anscheinend von allen an der Sache beteiligten Akteuren übersehen oder vergessen worden war, ein vitales Interesse an einem unabhängigen Österreich, teils um Deutschland nicht zu mächtig und zum unmittelbaren Nachbarn werden zu lassen, teils um die wirtschaft106
liche und politische Dominanz des Deutschen Reiches in Südosteuropa zu verhindern; jedenfalls war das im Jahre 1931 so, als Mussolini noch rational reale italienische Interessen zu definieren vermochte und sich noch nicht völlig in imperialistische Träume verloren hatte. So bugsierte britische Diplomatie, nachdem das französische Einverständnis gesichert war, die Zollunions-Frage mit italienischer Unterstützung vor den Völkerbundsrat, der das Problem erwartungsgemäß an den Internationalen Gerichtshof im Haag weiterreichte. Am 5. September 1931 entschied das Gericht – allerdings nur mit acht gegen sieben Stimmen –, daß die Zollunion mit der vertraglichen Verpflichtung Österreichs, seine Unabhängigkeit zu bewahren, nicht vereinbar sei. Zu diesem Zeitpunkt war das Projekt freilich bereits tot. Frankreich hatte sich mit der Prozedur, die zum Internationalen Gerichtshof führte, nicht begnügt, sondern parallel dazu Österreich unter massiven politischen und vor allem finanziellen Druck gesetzt. Wien galt naturgemäß als der schwächere Partner in der Union, doch stellte sich rasch heraus, daß die Österreicher auch widerwillige Partner der Deutschen waren. Von Anfang an zögerlich und von den Vorteilen der Union nicht wirklich überzeugt, hatte sich die Wiener Regierung, kaum war die Sache ruchbar geworden, starkem innerösterreichischen Widerstand gegenüber gesehen, der in erster Linie auf die Angst vor der wirtschaftlichen Übermacht Deutschlands zurückging. Als dann die französische Pression dazu kam, setzte sich die Wiener Regierung nicht ungern ab. Der Rückzug begann schon früh. Nur wenige Wochen nach der Bekanntgabe des Projekts, am 11. April, mußte die deutsche Regierung dem Wiener Verlangen nachgeben und, wie Bülow in einem Runderlaß vom 20. des Monats feststellte, die Verhandlungen über die Details der Union abbrechen73 . Gleichwohl rechnete man in Berlin weiterhin – was gut zu all den anderen Irrtümern und Denkfehlern der deutschen Politiker und Diplomaten paßt – mit österreichischer Treue und so mit einem erfolgreichen Ende des Unternehmens. Noch nach der Einstellung der Verhandlungen glaubte Bülow, daß Edvard Benesch, der tschechoslowakische Außenminister, demnächst zurücktreten müsse, weil er sich als Gegner der Zollunion allzuweit exponiert habe74 . Erst Mitte Juli begriff man in Berlin, daß man den Partner längst verloren hatte. Nach dieser Einsicht leiteten Brüning und Bülow allerdings sofort, ihrem Außenminister noch ein Weilchen Hoffnung auf Erfolg gönnend, auch die deutsche Kapitulation ein75 . Am 3. September 1931, zwei Tage vor dem Haager Urteil, sprachen die deutsche und die österreichische Regierung offiziell ihren „freiwilligen“ Verzicht auf die Zollunion aus. Am 3. Okto107
ber trat Reichsaußenminister Julius Curtius, der aktivste deutsche Protagonist des Unternehmens, zurück. Die seit Ende des Weltkriegs erste Aktion einer deutschen Regierung, welche eine territoriale Bestimmung der Pariser Friedensverträge angriff, war also fehlgeschlagen, nicht auf tragische, sondern auf klägliche Weise. Es hatte sich gezeigt, daß Deutschland, wenn es die 1919/21 geschaffene territoriale Neuordnung Europas anzufechten versuchte, ohne militärische Trümpfe in der Hinterhand zu haben, fast mühelos mit politischen Mitteln zurechtgewiesen werden konnte. Die Regierung Brüning hatte dieses simple Faktum, die deutlichsten Warnsignale mißachtend, ignoriert und war dafür hart bestraft worden. Und wenn der Gang in die Niederlage auch einen jämmerlichen Verlauf genommen hatte, so war das Desaster für die in Berlin Betroffenen und Verantwortlichen doch dramatisch genug. Neben dem Reichsaußenminister zählten dazu führende Beamte des Auswärtigen Amts, in erster Linie dessen Chef, der Staatssekretär Bernhard von Bülow. Curtius mußte gehen, doch war sein nächster Mitarbeiter nicht weniger verantwortlich, sowohl für jene Fehleinschätzung der internationalen Lage und der internationalen Kräfteverhältnisse, die andere und ihn selbst zum Sprung ins Zollunions-Abenteuer verleitet hatte, wie mithin für das böse Ende des Unternehmens. Nach dem Scheitern in Versailles und nach dem partiellen Scheitern in der Stresemann-Ära war er nun zum dritten Mal gescheitert. Die bittere Lektion, die er zu lernen hatte, lautete: In einem noch immer von den Ergebnissen der Pariser Friedenskonferenz regulierten Europa gab es für Deutschland keine Chance, gegen den territorialen Status quo anzugehen; das Kernziel national-konservativer Revisionspolitik war unerreichbar. Eigentlich hätte Bülow also das Schicksal des Außenministers teilen müssen, nicht nur weil er für eine beschämende Schlappe der deutschen Außenpolitik mitverantwortlich war, sondern mehr noch, weil sich seine revisionspolitische Konzeption als für geraume Zeit unrealisierbar erwiesen hatte. Doch blieb er im Amt und mußte sich nicht einmal auf irgendeine Botschaft abschieben lassen. Nachdem Curtius zurückgetreten war, hatte Brüning zwischen dem 7. und dem 9. Oktober 1931 seine Regierung umgebildet und im neuen Kabinett das Außenministerium selbst übernommen. Von den finanziellen und wirtschaftlichen Problemen des krisengeschüttelten eigenen Landes – und von seinen Notverordnungsgefechten mit dem Reichstag – stärkstens in Anspruch genommen, konzentrierte sich der Kanzler im übrigen auf die Auseinandersetzung mit den Reparationsgläubigern des Reiches; 108
für die vielfältigen sonstigen Aufgaben des Auswärtigen Amts blieb ihm keine Zeit. Er brauchte an der Spitze des Amtes einen Mann, der, salopp gesagt, den Laden im Griff hatte und als loyal gelten konnte. In diesem Sinne sah er Bülow als unentbehrlich an, der sich in der Tat zu einem souveränen und trotz der unvermeidlichen gelegentlichen Reibereien allseits respektierten Leiter des Amtes und des Diplomatischen Dienstes entwickelt hatte. Bülow wiederum kannte seine Fähigkeiten wie die Stellung, die er sich geschaffen hatte, und trotz der jüngsten Niederlage war er keineswegs amtsmüde. Das Gefühl, dem Kanzler nützlich zu sein, verband sich mit dem Pflichtbewußtsein des preußischen Beamten, und so sah er keinen Grund, den Platz zu räumen. Das Prestige, das die Stellung des Staatssekretärs im Auswärtigen Amt brachte, war gewiß auch ein Faktor, wenngleich der Junggeselle nicht den Sporn einer ehrgeizigen Frau spürte – in anderen Fällen ein nicht unwichtiger Faktor. Auf zwei Feldern arbeitete er mit dem Kanzler nach wie vor eng zusammen: In der Reparationspolitik und in der Rüstungsfrage. Ohnehin dazu entschlossen, glaubten sich die Berliner Revisionisten gerade nach dem Fehlschlag der Zollunion dazu genötigt, den Kampf gegen die Reparationen und um die Vergrößerung einer modernisierten Reichswehr aufzunehmen und zu forcieren. Was die Reparationen anging, beschränkte sich der Beitrag Bülows freilich darauf, dem hier tonangebenden Kanzler die loyale Zuarbeit des Auswärtigen Amtes zu sichern und Störungen aus dieser Ecke auszuschließen. Solche Bescheidung war auch praktikabel, da Brüning bei der Auseinandersetzung um die Reparationen eine Taktik überwiegender Passivität verfolgen konnte. Die aktive – und entscheidende – Rolle spielten die Briten und die Amerikaner, die Frankreich zur ersatzlosen Liquidierung des YoungPlans zwingen wollten, weil sich in London, New York und Washington die Überzeugung durchgesetzt hatte, die politischen Schulden, die mit dem Weltkrieg zusammenhingen, ob die amerikanischen Kredite an die Alliierten, ob die deutschen Reparationen, seien bei der Überwindung der Weltwirtschaftskrise ein Haupthindernis und hätten zu verschwinden. Aufgabe der Berliner Akteure war es, die diversen Züge der angloamerikanischen Politik zu erkennen und richtig zu deuten. Das gelang keineswegs immer. Noch während des Schlußgefechts, der Konferenz von Lausanne, die am 9. Juli 1932 das faktische Ende der Reparationen brachte, hätten hanebüchene taktische Fehler der deutschen Seite den Franzosen beinahe die Möglichkeit beschert, Deutschland doch noch mit einem erheblichen Restbetrag zu belasten. 109
Das Auswärtige Amt und Bülow, der an der Konferenz teilnahm, trugen jedoch keine Schuld daran. Am 30. Mai 1930 hatte Reichspräsident von Hindenburg Kanzler Brüning auf Druck der Reichswehr und einiger hochkonservativer Interessengruppen entlassen; die Gewichte der deutschen Politik sollten noch weiter nach rechts verschoben werden. Daß eine Situation entstanden war, in der die Ungnade des Reichspräsidenten genügte, um den Kanzler zu stürzen – wie einst Kaiser Wilhelm II. den Fürsten Bülow davongejagt hatte –, lag freilich nicht zuletzt an der Entmachtung des Reichstags, die das Resultat konsequenter Brüningscher Politik war. Zum Nachfolger hatte Hindenburg – abermals auf Verlangen der Reichswehr – Franz von Papen ernannt, wie Brüning ein Mann des Zentrums, jedoch anders als dieser ein politisches Leichtgewicht, das für seine Berufung nicht die geringste Qualifikation aufzuweisen hatte; General von Schleicher, der politische Kopf der Armee, der in dem neuen Kabinett, dem er selber als Reichswehrminister angehörte, einen ihm gefügigen Kanzler haben wollte, hatte die Sympathie Hindenburgs für Papen schamlos ausgenutzt, um dem alt werdenden Reichspräsidenten Brüning aus- und Papen einzureden. Daß dieser politische Flaneur dem rechten Flügel des Zentrums angehörte, fiel weniger ins Gewicht als der totale Mangel an Fähigkeiten; eine derart frivole Ernennung ist weder im wilhelminischen Deutschland noch – bis dahin – in der Weimarer Republik ausgesprochen worden. So fuhr denn als Leiter der deutschen Delegation ein Reichskanzler nach Lausanne, der erst wenige Wochen im Amt und daher ohne Kenntnis des komplizierten Verhandlungsstoffs war, dem außerdem das Vermögen abging, politische Probleme zu sehen, zu verstehen und zu analysieren, der mithin gar nicht fähig sein konnte, aus einer zutreffenden Lagebeurteilung die richtige Taktik zu entwickeln, und der all dies durch eine naturgegebene Unbedarftheit im Taktischen noch verschlimmerte. Daß er gute Berater an seiner Seite hatte, etwa Bülow und den neuen Außenminister Konstantin Freiherrn von Neurath – der bisherige Botschafter in London war ein Wunschkandidat Hindenburgs gewesen –, nützte nur wenig; Reichskanzler von Papen schenkte Ratschlägen nicht oft Gehör. Doch dank der britischen Entschlossenheit, die Franzosen zur Aufgabe ihres Widerstands und – wenn es denn sein mußte – die Deutschen zu ihrem Glück zu zwingen, führte die Konferenz von Lausanne zum Erfolg. Eine Last, die der Versailler Vertrag Deutschland mit anfechtbarer Begründung und in unsinniger Schwere auferlegt hatte, war endlich abgestreift. In der Rüstungsfrage waren das Auswärtige Amt und Bülow stärker gefordert und mit mehr Einfluß am Werk. Nachdem der Staatssekretär, 110
wie erwähnt, Brüning die Rede zum Auftakt der Genfer Abrüstungskonferenz geschrieben hatte, hielt er bis in den Sommer 1932 hinein die deutsche Delegation – mit dem Einverständnis Brünings und dann Neuraths – auf jenem Kurs, der Frankreich die Schuld am Scheitern der Konferenz zuschieben und Deutschland danach eine begrenzte Aufrüstung ermöglichen sollte. Deutschland trat also in Genf mit Nachdruck für eine allgemeine Abrüstung ein und verlangte nicht minder energisch und mit einer jeglichen Kompromiß ausschließenden Konsequenz die militärische Gleichberechtigung des Reiches. Mit Härte wurde eine dem Anschein nach maßvolle und vernünftige Forderung verfochten. Außer in den revisionistischen Staaten Sowjetunion, Ungarn und Italien sah man in allen europäischen Ländern einem militärisch gleichberechtigten – und das konnte in der Praxis nur heißen einem aufgerüsteten – Deutschland allerdings mit größter Besorgnis entgegen. Da aber Frankreich den Deutschen tatsächlich den Gefallen tat und in dem Wirrwarr der Konferenzdebatten, dem nach kurzer Zeit undurchsichtigen Hin und Her von Vorschlägen und Gegenvorschlägen, nur eines klar blieb, nämlich die französische Abneigung gegen jede reale Schwächung der Streitkräfte Frankreichs, gewann die deutsche Position von Woche zu Woche an Plausibilität. Briten und Amerikaner, die das französische Sicherheitsbedürfnis durchaus verstanden und berücksichtigen wollten, begannen gleichwohl nach Wegen zu suchen, die, was die Gleichberechtigung anging, zur Befriedigung der deutschen Wünsche führen sollten, ohne den Franzosen allzu weh zu tun. Die Konferenz nahm mithin einen für die deutsche Seite günstigen Verlauf. Angesichts solch positiver Tendenz war Bülow bereit und fähig, wieder jene – beim Zollunion-Projekt nur eingeschläferte – realistische Vorsicht walten zu lassen, die an sich zu seiner Natur als Politiker und Diplomat gehörte. Monatelang setzte er sich mit Erfolg für ein bedachtsames Vorgehen ein, und im Juli 1932 notierte er zufrieden, daß die deutsche Delegation die Entscheidung über die deutsche Gleichberechtigung weder „erzwingen“ solle noch zu erzwingen brauche76 . Aber noch im Sommer jenes Jahres geriet die deutsche Delegation mehr und mehr unter den Druck der erfolgshungrigen und ungeduldig werdenden Reichswehrführung. Da Außenminister Neurath, einerseits wahrlich nicht risikofreudig, sondern eher bequem und mit Neigung zu einem ruhigen Gang der Geschäfte, andererseits jedoch am rechten Rand des national-konservativen Segments der deutschen Gesellschaft beheimatet, mit der Armeeführung zu sympathisieren begann, zeitigte der Druck am Ende Wirkung. Als der französische 111
Botschafter am 26. Juli gegen eine Rede des Reichswehrministers protestierte, in der Frankreich scharf angegriffen und eine baldige selbständige Militärpolitik Deutschlands angekündigt worden war, wies Neurath den Protest schroff zurück: Die Franzosen hätten kein Recht, Reden eines Ressortministers zu kritisieren, seien freilich von den bisherigen Reichsregierungen „verwöhnt“ worden77 . Das war ein neuer Ton. Umgekehrt überreichte der Außenminister dem französischen Botschafter am 29. August eine Denkschrift der Reichsregierung, in der die wenig zurückhaltende Formel vom deutschen Recht „auf einen seiner nationalen Sicherheit entsprechenden Rüstungsstand“ auftauchte78 . Die französische Antwort vom 11. September wurde von ihm mit Vergnügen als höchst unbefriedigend charakterisiert, und am folgenden Tag erhielt er das Einverständnis des Kabinetts, dem Präsidenten der Abrüstungskonferenz, Arthur Henderson, mitzuteilen, daß es Deutschland „ablehnen müsse, bei der weiteren Verhandlung zur Abrüstungsfrage in Genf vertreten zu sein“79 . Bülow war mit diesem groben Verfahren keineswegs einverstanden, zumal er wußte, daß der französische Widerstand bald erlahmen werde; der französische Ministerpräsident, Edouard Herriot, hatte bereits zu Botschafter von Hoesch frank und frei gesagt, am Ende der Abrüstungskonferenz werde Deutschlands „Befreiung von den Versailler Bestimmungen“ stehen, so wie Lausanne die Liquidierung der Reparationen gebracht habe80 . Neurath war die Mißbilligung seines Staatssekretärs auch bewußt und so fühlte er sich veranlaßt, ihm aufmunternd zu schreiben: „Wir müssen uns bei der Aufnahme dieses Kampfes darüber klar sein, daß uns nur die stärkeren Nerven zum Erfolg führen können.“81 Tatsächlich hatte die Grobheit sogar erstaunlich rasch Erfolg. Ohne deutsche Beteiligung wäre die Abrüstungskonferenz vollends steril gewesen, und so brachten es die vereinten Bemühungen der Briten, Amerikaner und Italiener nun fertig, den Franzosen bis zum 11. Dezember die Unterschrift unter eine Erklärung abzuhandeln, in der es hieß, „daß einer der Grundsätze, die die Konferenz leiten sollen, darin bestehen muß, Deutschland und den anderen durch die Verträge abgerüsteten Staaten die Gleichberechtigung zu gewähren, in einem System, das allen Nationen Sicherheit bietet, und daß dieser Grundsatz in dem Abkommen, das die Beschlüsse der Konferenz enthält, verwirklicht werden soll“82 . Das war gewiß noch recht verklausuliert, doch immerhin nicht bloßes Papier. Die Deutschen kehrten nach Genf zurück, wonach sich die Konferenz am 14. Dezember auf den 31. Januar 1933 vertagte. 112
Es war Bülow bei seiner Kritik natürlich nicht bewußt, daß er das erste Beispiel eines neuen Stils der deutschen Außenpolitik erlebt hatte: Mit dem ebenso auftrumpfenden wie unnötigen Boykott der Abrüstungskonferenz war aber eine Periode eröffnet, in der Berliner Machthaber immer wieder mit großer Gebärde – und von einem Trompetengeschmetter begleitet, das alle nichtdeutsche Ohren schmerzte – Äpfel vom Baum schlugen, die kurz danach sowieso abgefallen wären. Mit der Zurückdrängung des Reichstags hatten Brüning und seine beiden Kabinette die Weimarer Republik in eine höchst bedenkliche Verfassungssituation gebracht, und mit der schrillen revisionistischen Propaganda wie mit dem ersten Experiment in aktiver Revisionspolitik, der Zollunion, waren auch in den internationalen Beziehungen der Geist und die Methoden Stresemannscher Politik aufgegeben worden. Doch mit der Übernahme des Kanzleramts durch Franz von Papen kam es zu einem tiefer greifenden Wandel: in der Innenpolitik mit dem totalen Verzicht auf eine Mehrheit im Reichstag wie in der Bevölkerung, mit der Wiederzulassung der nationalsozialistischen Bürgerkriegsarmee SA, die Brünings Innenminister Wilhelm Groener verboten hatte, und mit der gewaltsamen Abservierung der geschäftsführenden preußischen Regierung am 20. Juli 1932, der die Entlassung politisch mißliebiger Beamter folgte; in der Außenpolitik zunächst mit dem ersten Ausbruch aus der europäischen Staatengesellschaft. Indes wurde Bülow bald klar, daß auch auf dem Felde der Außenpolitik mehr geschah als ein Wechsel der Methoden und des Tempos. Auf der Konferenz von Lausanne bestätigte sich der von Bülow seit einiger Zeit gehegte Argwohn, daß bei Papen und bei so manchem in dessen Umgebung die Neigung zu einer radikalen außenpolitischen Kursänderung bestand. Neben den sonstigen Torheiten, die er sich in Lausanne erlaubte, brachte es Papen fertig, den französischen Gesprächspartnern ein gegen die Sowjetunion gerichtetes Militärbündnis zwischen Frankreich und Deutschland zu offerieren83 . Da er das in einer sehr schwierigen Phase der Verhandlungen tat, nahmen es die Franzosen selbstverständlich als konferenztaktisches Manöver und folglich nicht ernst, was sie freilich nicht daran hinderte, sogleich die sowjetische Führung zu unterrichten, die einen schweren Schock erlitt. Bülow und in diesem Falle auch Neurath hatten Papen nicht nur von seinem – unter den gegebenen Umständen – unseriösen Angebot abgeraten, sie waren vielmehr entsetzt, weil sie begriffen, daß es Papen ernst meinte, und wenn der Reichskanzler Gedanken äußerte, die sie schon in Unterhaltungen mit Reichswehrgenerälen gehört hatten, durfte das 113
nicht mehr beiseite geschoben werden. Hier kündigten sich die Abkehr von der bisher vertretenen Revisionspolitik und die Einleitung einer Eroberungspolitik mit weitgesteckten Zielen im Osten an. Papen war nicht lange genug im Amt; er vermochte aus seinen Ansätzen noch keine praktische Politik zu machen. Aber Bülow und Neurath begannen doch sofort die Konzeption des Kanzlers zu konterkarieren, indem sie vermehrte Anstrengungen unternahmen, die Verbindung zu Moskau intakt zu halten, und der Staatssekretär scheute nicht vor offener Kritik an der Zielsetzung Papens zurück84 . Ein Grund dieser Radikalisierung der deutschen Außenpolitik war fraglos der ständig zunehmende Druck, den das sturmflutartige Anschwellen der NS-Bewegung auf die Regierung ausübte, wenngleich es gewiß ebenso richtig ist, daß der immer aufreizender und herausfordernder zur Schau gestellte Nationalismus des offiziellen Deutschland wiederum das Wachsen der NSDAP förderte. Anfänglich haben Angehörige des Auswärtigen Amts und der Missionen im Ausland das Erscheinen und das Wachsen der Hitler-Partei nicht ungern gesehen. So schrieb Weizsäcker an seine Mutter: „Solange die Nazis nur randalieren und die Regierung zur politischen Aktivität treiben, ohne sie etwa zu stürzen, sollen sie mir als Folie willkommen sein. Nachträglich verstehe ich ganz gut, warum diese Partei so kommen mußte. Die national fühlende Jugend konnte einfach bei keiner anderen Partei befriedigt werden ... Die Schwierigkeiten für unser Amt bestehen nur darin, daß es die Angabe des Tempos nicht aus der Hand verlieren darf.“85 Die Vorstellung, sich bei mancher Forderung und bei manchem Verweigern darauf berufen zu können, daß auf die „nationale Opposition“ Rücksicht zu nehmen sei, hatte für die Profis der Außenpolitik großen Reiz, zumal sie seit Jahren das französische Vorbild vor Augen hatten: immer dann, wenn sie bei der Verteidigung von Versailles auch eine offensichtlich unhaltbar gewordene Bastion nicht räumen wollten, pflegten Pariser Regierungen jeder Couleur ihre „öffentliche Meinung“ ins Treffen zu führen. Im Laufe des Jahres 1932 gewannen aber die Nationalsozialisten eine Stärke, die eine „Übernahme der Macht“ – so Ministerialdirektor Dieckhoff bereits im August 193286 – und des Kanzleramts durch ihren Führer Adolf Hitler erst als möglich und dann mehr und mehr als wahrscheinlich erscheinen ließ. Damit änderte sich die Stimmung. Aus Washington schrieb Friedrich von Prittwitz, er hoffe, daß Deutschland ein solches Experiment erspart bleibe, und in seinem Brief klang bereits die Absicht an, das Experiment nicht mitzumachen87 . Sein Freund Bülow sagte, ebenfalls im August, zu Sir Horace Rumbold, bislang habe 114
er sich ja geweigert, an eine Kanzlerschaft Hitlers zu denken, doch müsse man diese Eventualität jetzt wohl ins Auge fassen; er selber habe wenig Vertrauen zu Hitler, der für das Amt des Kanzlers ungeeignet sei88 . Daß er nie an einen Kanzler Hitler gedacht habe, traf allerdings nicht ganz zu. Bereits im Januar 1932 hatte er die Meinung geäußert, das Auswärtige Amt werde auch unter einer Regierung Hitler die deutsche Außenpolitik auf gutem Wege halten können89 . Seiner Antwort auf das besorgte Schreiben von Freund Prittwitz ist denn auch zu entnehmen, daß er sich auf das ungern Gedachte einzustellen begann und gegebenenfalls im Amt bleiben wolle90 . Einige Monate später machte er seine Haltung definitiv klar, indem er mit den Botschaftern Adolf Köster (Paris) und Leopold von Hoesch (London) vereinbarte, beim Einzug Hitlers in die Reichskanzlei nicht abzutreten, sondern weiter zu dienen, solange das mit der Ehre vereinbar sei91 . Doch verriet der wenig präzise und dem politischen Geschehen auch nicht angemessene Ehrenvorbehalt, daß alle drei das Gefühl hatten, im Falle des Falles schweren und sogar bösen Zeiten entgegenzugehen. Vielleicht hing die Gelassenheit, die Bülow um die Jahreswende 1932/33 trotzdem gerne zur Schau stellte, damit zusammen, daß General von Schleicher, der dafür gesorgt hatte, daß Papen am 17. November 1939 zurücktreten mußte, am 3. Dezember selber das Amt des Kanzlers übernahm. Schleicher konnte in den 57 Tagen seiner Kanzlerschaft nichts Konkretes zuwege bringen, doch zeigte er Ansätze, die auf einen Mann wie Bülow ermutigend wirkten. Die Konzeption, die der General zur innenpolitischen Stabilisierung andeutete – Zusammenarbeit mit den Gewerkschaften, Spaltung der NSDAP –, schien eine Rückkehr zur Politik Brünings zu versprechen, und Bülow hatte zwar dessen System der präsidialen Herrschaft ohne Kritik hingenommen, weil es, wie er glaubte, für die Revision des Versailler Vertrags in der Reparations- wie in der Rüstungsfrage die vorübergehend notwendige innenpolitische Basis darstellte, aber eine blindwütend nach links auskeilende Rechtsdiktatur, wie Papen sie zu schaffen und zu praktizieren begonnen hatte, war nicht nach dem Geschmack des einstigen DDP-Aktivisten. Erst recht fanden die ersten außenpolitischen Signale, die Schleicher aussandte, Bülows Zustimmung. Es wurde rasch klar, daß der neue Kanzler mit Papens Ostplänen nichts anzufangen wußte, daß er vielmehr die für östliche Revisionspolitik so wichtige deutsch-sowjetische Spezialbeziehung gepflegt wissen wollte. Damit war er in den Augen Bülows ein brauchbarer Kanzler. Daß der Spuk der Papenschen Aspirationen so rasch verflogen war und nun wieder der alte Kurs gesteuert wurde, 115
wirkte auch insofern beruhigend, als dadurch das Gefühl, ja fast schon die Annahme gestärkt wurde, Abirrungen vom Pfad der revisionspolitischen Tugend seien nicht von Dauer. Hier liegt eine Wurzel jener im Rückblick seltsam anmutenden Erwartung, eine Kanzlerschaft Hitler werde nur ein kurzes Zwischenspiel sein. Schleicher war in etwas mehr als einem halben Jahr der dritte Kanzler nach Brüning und Papen. Stürzte auch er bald und kam es dann zur Ernennung des Führers der NSDAP – warum sollte ausgerechnet dieses vierte Kanzlerexperiment eine längere Laufzeit haben?
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Staatssekretär im Dritten Reich: Zwischen Illusion und Kompetenzverlust Nachdem der Führer der NS-Bewegung tatsächlich zum Reichskanzler ernannt worden war, machten sich aber sogleich Ängste bemerkbar. Noch am 30. Januar 1933 verfaßte Bülow einen Runderlaß an die deutschen Missionen im Ausland, in dem er konstatierte, daß kein Grund zur Beunruhigung bestehe, da die aus dem Kabinett Schleicher übernommenen Ressortchefs, Außenminister Freiherr von Neurath und Finanzminister Graf Schwerin-Krosigk, ebenso Garanten der Kontinuität der deutschen Politik seien wie der neue Reichswehrminister, General Werner von Blomberg1 . Mit diesem Argument sollten die Diplomaten die außerhalb Deutschlands sofort entstandene Nervosität dämpfen, doch ist unverkennbar, daß sich Bülow auch selbst zu trösten suchte, zumal der Erlaß ja klar und deutlich besagte, von allen anderen Mitgliedern der Regierung Hitler, nicht zuletzt gerade vom Reichskanzler, seien Gefährdungen der Kontinuität zu erwarten. Am Tag nach der Ernennung Hitlers meldete Botschafter von Dirksen aus Moskau, daß die sowjetische Führung zutiefst besorgt sei: Die NSDAP und ihr Oberhaupt, Verfasser von „Mein Kampf “ mit dem Lebensrraum-Programm, seien „sowjetfeindlich“, im Kabinett sitze als Vizekanzler eben jener Franz von Papen, der vor einem halben Jahr in Lausanne Frankreich ein Militärbündnis gegen die UdSSR angeboten habe, und der Regierung gehöre nun Alfred Hugenberg an, der nicht nur Vorsitzender der weit rechts stehenden Deutschnationalen Volkspartei sei, sondern vor allem doktrinärer Verfechter einer imperialistisch nach Osten ausgreifenden Autarkie-Politik2 . Bülow schrieb beschwichtigend: „Ich glaube man überschätzt dort die außenpolitische Tragweite des Regierungswechsels. Die Nationalsozialisten in der Regierungsverantwortung sind natürlich andere Menschen und machen eine andere Politik als sie vorher verkündigt haben. Das ist immer so gewesen und bei allen Parteien dasselbe.“3 Einige Wochen später folgte Neurath mit einer Epistel, in der er dem Botschafter – und über ihn den sowjetischen Spitzenfunktionären – versicherte, für die russischen Befürchtungen liege „objektiv ein Anlaß ... nicht vor“4 . Zumindest der Staatssekretär versuchte sich hier jedoch im Pfeifen in einem schon recht dunklen Walde. Daß er in Wahrheit nicht weniger alarmiert war als der Botschafter in Moskau, 117
verriet er, indem er dessen Vorschlag, nach Berlin zu kommen und die drohende Krise in den deutsch-sowjetischen Beziehungen durch eine eingehende Besprechung abzuwenden, keineswegs ablehnte. Doch warf er die Flinte nicht ins Korn. Er schied nicht aus dem Dienst wie sein Freund Friedrich von Prittwitz, der am 6. März sein unzweideutig als Verwerfung des NS-Regimes formuliertes Abschiedsgesuch einreichte – der einzige Fall dieser Art im Diplomatischen Dienst – und es Bülow bei aller weiterhin bestehender Wertschätzung bis in die Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg nachtrug, daß er nicht ebenso gehandelt hat5 . Doch gab sich Bülow der Hoffnung hin, jedenfalls zunächst, das Auswärtige Amt und die deutsche Außenpolitik von nationalsozialistischen Einflüssen freihalten und zumindest den Sprung der Nation in bedenkliche Abenteuer verhindern zu können. Hier wirkte aber noch nicht die später so oft gebrauchte Formel, es gehe darum, „Schlimmeres zu verhüten“, eine Formel der Selbsttäuschung, ja meist der Selbstbetäubung. Auch gibt es keine Anzeichen dafür, daß Bülow ein Anhänger der etwa von Papen vertretenen Ansicht gewesen wäre, mit der Berufung Hitlers zum Kanzler einer Koalitionsregierung seien der Führer der NSDAP und seine Massenbewegung „gezähmt“. Solcher Leichtsinn und solcher Ehrgeiz waren nicht seine Sache. Vielmehr verhielt er sich bescheidener nach einer Einschätzung der Situation, die gewiß ebenfalls die tödliche Energie der Nationalsozialisten und die konsequente Inhumanität Hitlers völlig verkannte, auch die Fähigkeit der NS-Bewegung und ihres Führers zur Befestigung und Einwurzelung ihrer Macht böse unterschätzte, die jedoch auf der ernsthaften und selbstbewußten Überlegung beruhte, während der vermutlich nur kurzen Zeit der Herrschaft dieser Leute sei es möglich, ihrem Elan, ihrem Irrealismus und ihrem im wahrsten Sinne des Wortes idiotischen Programm erfolgreich die in den Ämtern des Reiches konzentrierte Vernunft entgegenzusetzen. Die schlimmen anderen Erfahrungen der folgenden Jahre waren noch nicht gemacht, ja lagen jenseits des Horizonts – des menschlichen, des geistigen, des politischen – eines Mannes wie Bülow, und so ist es ahistorisch und ungerecht, sogar töricht, ihm vorzuwerfen, daß er noch nicht mit Auschwitz-Augen zu sehen vermochte. Sein Urteil und sein Verhalten waren falsch, sind aber durchaus verständlich. Zudem durfte er in jenen Anfangsmonaten des Dritten Reiches zwei Erfolge verbuchen, die seine Zuversicht zu rechtfertigen schienen. Noch in der ersten Februarhälfte erfuhr Bülow, daß die Reichsregierung beabsichtigte, einen seiner Vettern, den Rittmeister a. D. Vicco von Bülow auf Schwante, zum Dirigenten der Personalabteilung des Auswär118
tigen Amts zu machen. Sofort setzte er sich hin und schrieb Neurath einen Brief, in dem er mit unzweideutigen Worten dartat, daß dies nicht geschehen dürfe. Zwar sei gegen Moral und Charakter seines Vetters „nicht das Mindeste“ einzuwenden. Trotzdem scheide er aus: Erstens habe er „keine Kenntnis des Amts“, zweitens müsse der Stahlhelm-Führer und Angehörige des rechten Flügels der DNVP als Repräsentant der jetzt an die Macht gelangten Parteien gelten. Mit seiner Ernennung würde also eine „Politisierung“ des Amts eingeleitet, die nicht hingenommen werden könne. Ebenso empört wie sarkastisch sagte er: „Zu keiner Zeit, auch nicht in den besonders ,marxistischen’ Jahren nach dem Kriege, ist einem der wenigen Beamten, von denen gesagt werden könnte, daß sie ihre Aufnahme in das AA und ihre Karriere mehr oder weniger ihrer Parteizugehörigkeit verdankten, jemals maßgeblicher Einfluß auf die Personalien der Behörde eingeräumt worden. Niemals hat zum Beispiel die S.P.D. oder eine andere Partei der Linken dem AA zugemutet, einen ihr besonders nahestehenden Beamten, geschweige denn einen Außenseiter, in die Personalabteilung aufzunehmen ... So konnte der gerade für den auswärtigen Dienst besonders wichtige Grundsatz, daß die Beamten Diener der Gesamtheit und nicht einer Partei sein sollten, im wesentlichen gewährleistet werden.“ Bülow wies auch – was seiner Meinung entsprach und seine Epistel argumentativ stärken sollte – darauf hin, daß die vom Auswärtigen Amt zu betreuenden Auslandsdeutschen „einen Vertreter des Reiches wollen, nicht den Vertreter einer Partei“, daß also die Politisierung des Amtes zu einer „schweren Gefährdung der deutschen Schulen, Kirchen und anderen kulturellen Einrichtungen“ führen werde. Bislang, so fügte er hinzu, sollten Entstehung und Verschärfung parteipolitischer Gegensätze bei Auslandsdeutschen verhindert werden, und dafür sei Voraussetzung die parteipolitische „Neutralität“ der Auslandsvertretungen des Reiches. Er schloß mit der nur zu berechtigten Mahnung, alle diese Gesichtspunkte würden „selbstverständlich in Frage gestellt, wenn die Leitung der zuständigen Abteilung des AA einer Persönlichkeit übertragen wird, die weder die Beamten und ihre Qualifikation noch die Erfordernisse der Einzelposten und des Dienstes überhaupt genügend kennt und deshalb von vornherein das Gepräge erhält, daß sie die politischen Ziele und Ideen derjenigen Parteien und Verbände fördern soll, auf die sich die Reichsregierung gegenwärtig stützt“. In Bülows Protest ist sicherlich eine Staatsvorstellung zu erkennen, die, eng verwandt mit den politischen Idealen der Gründungsväter der USA, Elemente enthält, welche die demokratische Entwicklung mittlerweile zersetzt hat. Aber wenn seine Auffassung auch eine gewisse Distanz et119
wa zum Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland aufweist, so ist die Entfernung zum nationalsozialistischen Grundsatz „Die Partei befiehlt dem Staat“ doch noch viel größer, und wenn man bedenkt, welche politischen Kräfte da ihren Befehlsanspruch anmeldeten, verdient sein Versuch, das Amt dagegen abzuschirmen, jeden Respekt. Ihm selber war es bitter ernst: Er bat Neurath, den Inhalt des Schreibens, auch wenn er nicht oder nicht ganz damit übereinstimme, im Kabinett vorzutragen6 . Einen Augenblick lang konnte er sich durchsetzen; Vicco Bülow zog nicht in die Personalabteilung des AA ein. Für eine zweite Äußerung des Staatssekretärs lieferte Hitler selbst den Anlaß. Wenige Tage nach seiner Ernennung zum Reichskanzler, am 3. Februar, trug Hitler im Hause des Chefs der Heeresleitung vor den führenden Generälen der Reichswehr sein innen- und außenpolitisches Programm vor, und da er in diesem Kreise ganz offen sprechen zu dürfen glaubte, machte er aus seiner Absicht, „Lebensraum“ im Osten zu erobern und diesen „rücksichtslos zu germanisieren“, kein Hehl7 . Bülow, der häufig und ohne diplomatische Verbrämung mit den Spitzen des Reichswehrministeriums und General von Hammerstein sprach, dem nach diesem Abend tief beunruhigten Gastgeber Hitlers, war alsbald über die Auslassungen des NSDAP-Führers unterrichtet8 und nicht weniger beunruhigt als der Chef der Heeresleitung. Im Laufe einiger Wochen arbeitete er ein Memorandum aus, in dem er Hitlers außenpolitische Zielsetzung, ohne sie zu erwähnen, rundum verneinte9 ; parallel dazu entstand übrigens auf Wunsch des Reichswehrministers von Blomberg eine gleichfalls überaus kritische Denkschrift des Chefs des Truppenamts, Generalleutnant Wilhelm Adam10 . Den Herausgebern und Autoren eines vor kurzem erschienenen Beitrags zur Geschichte des Auswärtigen Amts hat es gefallen, in Bülows Memorandum einen „Stufenplan“ für die Außenpolitik des Deutschen Reiches zu entdecken, und zwar einen „revisionistischimperialistischen“ – Hitlers Plänen verwandt11 . Eine solche Interpretation ist unhaltbar. Gewiß finden sich in Bülows Antwort auf die Hitler-Rede vor den Militärs, – vom Staatssekretär dem Reichsaußenminister Mitte März vorgelegt – alle seit Jahr und Tag erhobenen revisionistischen Forderungen. Doch geschah das nicht, um Hitler ganz oder partiell zuzustimmen – dazu hätte es der schriftlichen Skizze überhaupt nicht bedurft –, sondern um den neuen Reichskanzler, der gerade einen uferlosen Expansionismus verkündet hatte, wieder auf die Erde herunterzuholen und auf den von solchen Wahngebilden weit entfernten Tugendpfad eines realistischen Revisionismus zu lotsen. 120
Bülows Absicht, Versailles zu überwinden, lief sicherlich darauf hinaus, jene Position wiederzugewinnen, die das wilhelminische Deutschland eingenommen hatte, doch ist keine Rede von einer Rückkehr zu wilhelminischer Weltpolitik, erst recht nicht von einem Einschwenken auf Hitlers Lebensraum-Phantasien. Und selbst bei der Nennung der einzelnen revisionistischen Ansprüche flocht er sofort die Warnung ein, daß es natürlich unmöglich sei, den Anspruch jetzt oder in absehbarer Zeit zu verwirklichen, ob es nun um den Korridor, um Österreich oder um das Elsaß ging. Ungeachtet der seit Jahren ritualisierten Formel, daß Deutschland vor dem Beginn territorialer Revisionspolitik erst wirtschaftlich, finanziell und militärisch kräftiger werden müsse, ist das Memorandum ein eindringliches, für Bülows Verhältnisse sogar leidenschaftliches Plädoyer für außenpolitischen Quietismus, für einen mehrjährigen – wie er es ausdrückte – „Gottesfrieden“. Im übrigen verfolgte der Verfasser nicht zuletzt das Ziel, dem Reichskanzler beizubringen, daß er – im Hinblick auf künftige Revisionspolitik – die politische wie militärische Kooperation mit der Sowjetunion fortzusetzen habe und eine Verständigung mit Polen „weder möglich noch erwünscht“ sei. Abschließend bezeichnete er als wesentlich „eine enge diplomatische Zusammenarbeit mit England und Italien, möglichste Beruhigung der französischen Regierung über die Frankreich besonders interpretierenden [sic! interessierenden] Punkte (z. B. das deutsche Wehrprogramm), ... vertrauensvolle Beziehungen zu den Vereinigten Staaten und aktive Mitarbeit an allen international behandelten Fragen“. Bülow schickte ein Exemplar seines Memorandums an den Reichswehrminister, der sein Einverständnis erklärte, und hatte die Genugtuung, daß Baron Neurath eine etwas gekürzte Fassung am 7. April im Kabinett verlas12 . Der Außenminister begegnete in der Sitzung offenbar kaum einem Widerspruch. Gleichwohl sah Bülow schon nach kurzer Zeit, daß er nur Scheinerfolge errungen hatte. Zunächst erlebte er, daß Deutschland nach der sogenannten Machtübernahme in eine moralische Isolierung geriet, wie sie nicht einmal während des Weltkriegs und den ersten Nachkriegsjahren bestanden hatte. Dies konfrontierte das Auswärtige Amt mit bislang gänzlich unbekannten Herausforderungen. Es zählte noch zu den geringsten Übeln, daß Bülow gerade in den ersten Monaten nach dem 30. Januar einen erheblichen Teil seiner Zeit der unangenehmen und nur mit wachsender Verlegenheit zu meisternden Aufgabe zu opfern hatte, aufgebrachte Botschafter und Gesandte zu beschwichtigen, die sich darüber beschwerten, daß Bürger ihres Staates 121
– Iran, Türkei, Polen usw. – auf offener Straße von SA- oder SS-Trupps zusammengeschlagen worden waren, weil sie in den Augen dieser Terroristen „jüdisch“ aussahen13. Schlimm aber war, daß die Vertreter des Amts und die Angehörigen der deutschen Missionen im Ausland jetzt etwas tun mußten, für das es kein Beispiel gab. In den Weimarer Jahren hatten die Diplomaten nicht selten beruhigend wirken müssen, wenn die Aktivitäten rechter Verbände oder auch nationalistische Äußerungen von Kabinettsmitgliedern Unmut und Furcht in Frankreich, England oder Polen hervorgerufen hatten. Jetzt ging es jedoch um etwas qualitativ anderes, nämlich darum, die Innenpolitik des neuen Regimes zu vertreten und zu decken, innenpolitische Maßnahmen zu verteidigen, die außerhalb der Grenzen Deutschlands überall Entsetzen und Abscheu weckten. So begann mit antijüdischen Gewaltakten und antijüdischen Gesetzen schon in den ersten Tagen und Wochen der NS-Herrschaft eine von der NSDAP und ihren Gliederungen wie von Organen des Staates exekutierte Judenverfolgung; das „Gesetz zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums“, das als Instrument zur Entfernung politisch „unzuverlässiger“ Elemente und vor allem auch der Beamten jüdischer Herkunft diente, wurde ja bereits am 7. April erlassen. Die deutschen Diplomaten berichteten getreulich, daß und warum in England, Frankreich und sogar im faschistischen Italien eine antideutsche Stimmung entstand, die von völligem Unverständnis zu Horror fortschritt. Ihnen schon diese Berichterstattung als fast antisemitisch anzukreiden, wie das manchmal geschieht14 , entbehrt nicht der Komik; sie handelten nur pflichtgemäß. Auch ist in etlichen Fällen dem Ton der Berichte und den gewählten Formulierungen zu entnehmen, daß die Verfasser die von ihnen mitgeteilte Kritik an der nationalsozialistischen Judenverfolgung teilten; so wenn Hoesch schrieb, den Briten seien die antisemitischen Maßnahmen in Deutschland ein „Rätsel“: es herrsche „Enttäuschung darüber, daß im 20. Jahrhundert von [ihnen] als heilig angesehene Grundsätze, und zwar diese noch dazu von einem führenden Kulturstaat wie Deutschland, über Bord geworfen werden können“15 . Natürlich war niemand im Ausland plausibel zu machen, daß es, wie die jetzt im Deutschen Reich herrschende Staatsreligion wollte, eine Verschwörung des „Weltjudentums“ zur Vernichtung Deutschlands gebe und daß die Juden in den nichtjüdischen Volksorganismen als Tuberkelbazillen wirkten. Mit anderen Worten: den in Deutschland eröffneten antijüdischen Feldzug vermochten die deutschen Diplomaten nicht zu erklären, geschweige denn zu rechtfertigen, zumal kaum 122
einer den gefährlichen Unsinn, den er verteidigen sollte, selber glaubte; nicht einmal die gar nicht so seltenen deutschnationalen und sozusagen ordinären Antisemiten, die von der Notwendigkeit, den sogenannten „jüdischen Einfluß“ zurückzudrängen und jüdische Zuwanderung zu stoppen, überzeugt waren, hingen dem rassistischen Antisemitismus an oder billigten radikale antijüdische Gesetze und Gewaltakte. Allen fiel zunehmend auf die Nerven, fast Tag für Tag auf die Vorgänge zu Hause angesprochen zu werden, in England sogar von König Georg V.16 ; sie begannen sehnlichst zu wünschen, daß das Thema aus der Diskussion verschwinde. Als bestes Mittel empfahlen sie der Reichsregierung – in ihren Berichten an das Auswärtige Amt – die Schaffung eines Dauerzustands durch eine umfassende und abschließende Gesetzgebung17 . Es muß freilich konstatiert werden, daß sich daraus keine wirksame Opposition der Diplomaten entwickelte. Die Mehrzahl legte ohnehin eine im Rückblick beschämende Gleichgültigkeit an den Tag, und auch wer nicht gleichgültig blieb, glaubte genug getan zu haben, wenn er in seinen Berichten ein genaues und aussagekräftiges Bild von der entstandenen Deutschfeindlichkeit zeichnete, von der moralischen Isolierung der deutschen Nation. Daß sich in Berlin die Spitzen des Amts nicht anders verhielten, hat die Lage noch verschlimmert. Die Missionen und ihre Chefs konnten ja auf das Geschehen im Reich keinen direkten Einfluß ausüben. Es wäre Sache des Amtes und in erster Linie des Außenministers gewesen, Hitler und der NS-Führung entgegenzutreten. Baron Neurath hat das unterlassen. Moralische Argumente standen ihm nicht zu Gebote, jedenfalls führte er sie nie ins Treffen. Aber auch wenn solche Abstinenz darauf zurückging, daß er mit der Kampagne gegen die jüdischen Deutschen, so wie sie 1933 betrieben wurde, partiell sympathisierte – und offenbar tat er das –, so wäre es doch seine Pflicht als Leiter der deutschen Außenpolitik gewesen, Hitler zur Berücksichtigung des im Ausland angerichteten und Deutschlands internationales Handeln zunehmend erschwerenden Schaden zu zwingen – oder eben zurückzutreten. Daß er auch darauf verzichtete, hing gewiß nicht zuletzt mit seiner Bequemlichkeit und seiner Konfliktscheu zusammen, dazu mit dem Willen, an den immateriellen und materiellen Vorteilen des Amts so lange wie möglich festzuhalten. Ein Vorfall illustriert die Haltung des AA aufs schönste. Im November 1933 erklärte der sogenannte „Reichsbischof “ Ludwig Müller, der mit anfänglicher Unterstützung Hitlers die evangelischen Kirchen Deutschlands zusammenzuschließen und in ein Kraftwerk des Nationalismus umzuwandeln suchte, daß er auf der bevorstehenden 123
Nationalsynode die offizielle Einführung des Arierparagraphen beabsichtige. Vom Auswärtigen Amt wurde er zwar darauf hingewiesen, daß ein derartiger Akt die evangelischen Kirchen in den skandinavischen Ländern dazu bringen könne, die bislang so engen Beziehungen zur Deutschen Evangelischen Kirche abzubrechen, doch gab das Amt nur zu erwägen, „ob nicht eine Durchführung des Arierparagraphen auf dem Verwaltungswege anstelle einer offiziellen Annahme des Gesetzes möglich wäre“18 . Manchmal wurde aufgemuckt. Aber dann griff man lediglich zu wirtschaftlichen Argumenten – und das zaghaft und, aufs Ganze gesehen, ohne Erfolg. So hieß es einmal, ein Hemmnis des deutschen Exports sei die Behandlung der „Judenfrage“, etwa „die regellose Bekämpfung einzelner Juden außerhalb des Gesetzes, ja gegen ausdrückliche Regierungsverordnungen, die den Juden im Wirtschaftsleben eine Betätigungsmöglichkeit gewährleistet haben. Die quälende Verfolgung einzelner jüdischer Personen unter Führung oder Mitwirkung parteimäßiger Stellen und das Versagen der staatlichen Organe demgegenüber läßt den jüdischen Boykott gegen den deutschen Export immer wieder aufflammen.“19 Damit war gegen die fortschreitende Verfolgung, Entrechtung und Isolierung der jüdischen Deutschen nichts auszurichten. Bülow war kein Rassist, wie Notizen zu dem Buch über Politik, das er nach Kriegsende geplant hatte, zur Genüge belegen; einem Antisemiten wäre es auch nicht eingefallen, ausgerechnet Walther Rathenau zum Leiter der erhofften Volksbewegung gegen Versailles machen zu wollen – zu einer Zeit, da in ganz Deutschland die Parole zu hören war: „Schlagt ihn tot, den Rathenau, die gottverdammte Judensau!“ Dennoch ist es auch Bülow nicht eingefallen, für eine Restaurierung der bis 1933 bestehenden Verhältnisse zu fechten. Auch er trat lediglich dafür ein, durch eine endgültige gesetzliche Regelung Ruhe zu schaffen und so das Thema aus den internationalen Beziehungen des Deutschen Reiches zu eliminieren; daß der nationalsozialistische Rassismus und Antisemitismus durch keine legislatorischen Akte zu befriedigen waren, vielmehr von ihrer Radikalität notwendigerweise von Stufe zu Stufe der Verfolgung getrieben wurden, war ihm offensichtlich völlig unklar. Gelegentlich suchte er sogar nach Argumenten, die er seinen im Ausland tätigen Beamten in die Hand geben wollte; so fahndete er nach Material über das unverhältnismäßige Vordringen jüdischer Deutscher in bestimmten Berufszweigen. Seine Motive sind nicht zu erkennen, und über sie zu spekulieren, kann nur zu leicht in die Irre führen. Aber welche Gründe er auch gehabt haben mag, so muß doch festgestellt werden: Angesichts der ersten Wellen 124
der nationalsozialistischen Judenverfolgung hat – wie der übrige Staatsapparat, wie nahezu alle Organisationen der Gesellschaft und wie eine große Mehrheit der Bevölkerung – das Auswärtige Amt versagt und mit ihm sein Staatssekretär. Empfindlicher reagierten die Missionen im Ausland und das Amt in Berlin auf die vor allem in den angelsächsischen und skandinavischen Ländern – wo die protestantischen Kirchen noch eine starke Stellung hatten – lauter und lauter werdende Kritik an der nationalsozialistischen Kirchenpolitik – empfindlicher heißt, daß nicht nur ungeschminkt über jene Kritik berichtet, sondern zudem mit mehr Energie versucht wurde, den Gang der Dinge in Deutschland zu beeinflussen. Das galt für die Konflikte zwischen Regime und Katholischer Kirche, zumal sich in diesem Falle Benito Mussolini dem Chor der Tadler zugesellte, vor allem aber für die Ziele und das Vorgehen des von der NS-Führung protegierten „Reichsbischofs“ Müller. Briten, Amerikaner oder Schweden empörten sich über die Kirchenfeindschaft des Nationalsozialismus noch um einiges heftiger als über dessen Judenfeindschaft20 , weshalb hier die internationalen Beziehungen des Reiches auf gefährlichere Weise in Mitleidenschaft gezogen wurden; außerdem waren doch viele Angehörige des Dienstes kirchlich gebunden und als selber Betroffene zu stärkerem Engagement bereit. So notierte Legationsrat Friedrich Stieve einmal: „Die Verhältnisse in der evangelischen Kirche im Reich haben sich im Laufe der letzten Monate in einer Weise entwickelt, daß die Gefahr einer ernstlichen Beeinträchtigung der politischen und wirtschaftlichen Beziehungen des Reichs zum Ausland heraufbeschworen wird.“21 Und Botschaftsrat Fürst Otto Bismarck meldete aus England, der evangelische Kirchenstreit in Deutschland werde in London mit „gespanntester Aufmerksamkeit und unverkennbarer Besorgnis“ verfolgt; besonders habe auf die Stimmung gewirkt, daß evangelische Christen, die gegen Maßnahmen des „Reichsbischofs“, nicht zuletzt gegen die Absetzung des Bischofs Wurm, demonstrierten, von Polizei und Organen der NSDAP angegriffen wurden22 . Von seinen Beamten geschoben, raffte sich sogar Neurath zu einer energischeren Intervention auf. Im September 1934 bestellte er den „Reichsbischof “ zu einem Gespräch, in dem er Ludwig Müller vorhielt, er und seine Organe trügen in das deutsche evangelische Kirchenvolk Unruhe und Aufregung, noch schlimmer aber „sei die Wirkung, die seine Methoden auf die evangelischen Christen des Auslandes, insbesondere in England, Amerika und Skandinavien gehabt hätten“. Dies sei für die deutsche Außenpolitik „nicht mehr tragbar“. Neurath stellte unumwunden fest, „daß es nicht 125
angängig sei, daß durch Maßnahmen irgendeiner kirchlichen Institution die Gesamtpolitik des Reiches gefährdet und die Wiederaufbauarbeit gestört werde“. Der Außenminister hatte zuvor mit Hitler über den Fall gesprochen und war in der Lage, dem „Reichsbischof “ zu erklären, daß er ihm im Auftrag des Reichskanzlers zu eröffnen habe, „wenn es ihm nicht gelinge, die Einheit der evangelischen Kirche auf friedlichem Wege herbeizuführen, ... so werde er in Zukunft keine Unterstützung mehr seitens des Herrn Reichskanzlers erfahren und habe ihn zum letzten Mal gesehen“23 . Daß Ludwig Müller danach keine sonderliche Rolle mehr in der evangelischen Kirche zu spielen vermochte, war also nicht zuletzt das Werk des Auswärtigen Amtes. Ab und an wurde auch der Abbau des Rechtsstaats gegeißelt, zwar stets mit dem Blick auf die Wirkung des Vorgangs im Ausland, aber doch mit erkennbar eigenem Abscheu. In einer Aufzeichnung, in der die Gestapo als notwendiges Instrument zur Bekämpfung der „kommunistischen Gefahr“ durchaus akzeptiert wurde, hieß es jedoch dann: „Die Tätigkeit der Gestapo greift aber weit über dieses Gebiet hinaus, und es finden zahlreiche Verhaftungen, Überführungen ins Konzentrationslager etc. statt, ohne daß der Betreffende überhaupt erfährt, warum er verhaftet ist, und leider auch oft, ohne daß überhaupt eine Schuld, sondern vielmehr nur ein Verdacht vorliegt. Der Innenminister erläßt zwar Verordnungen ..., aber er setzt sich damit nur der Lächerlichkeit aus, denn die Gestapo macht sich aus solchen Verordnungen nichts. Vor 700 Jahren garantierte die Magna Charta dem englischen Staatsbürger die persönliche Freiheit und vor 300 Jahren setzte die Habeas-Corpus-Akte fest, daß kein englischer Bürger verhaftet werden dürfe, ohne die gegen ihn vorliegende Anschuldigung zu erfahren und ohne den Anspruch auf gerichtliche Verhandlung zu haben. Seitdem gilt das Recht der persönlichen Freiheit und der Anspruch auf ein ordentliches Rechtsverfahren als das höchste Gut des zivilisierten Menschen. Das gegenteilige Verfahren der Gestapo trägt uns in der ganzen Welt Verachtung ein.“24 Diese Sätze stammen aus einer Denkschrift, die Reichsbankpräsident und Reichswirtschaftsminister Hjalmar Schacht verfaßt und sogar Hitler überreicht hatte, der ihn mit ein paar nichtssagenden Worten abspeiste25 . Gleichartige Stimmungen gab es indes auch im Auswärtigen Amt. Doch fanden sie nur intern Ausdruck und blieben mithin politisch folgenlos. Mittlerweile sah sich das Auswärtige Amt auch mit dem Problem konfrontiert, daß ihm das neue Regime vielfältige Kompetenzverluste bescherte. Schon immer, ob im Kaiserreich oder in der Weimarer Republik, hatte es Amateurdiplomaten gegeben, die sich einbildeten, in 126
den außenpolitischen Geschäften mitmachen zu können. Doch hatten sie meist im Dienste oder unter der Kontrolle des Amts gestanden, und wenn das nicht der Fall war, hatte es sich stets um unbedeutende Personen gehandelt, die von den Berufsdiplomaten gefahrlos ignoriert werden konnten. Im Dritten Reich gewannen solche Einmischungen jedoch sofort eine andere Qualität. Die NSDAP besaß ein Außenpolitisches Amt (APA), dessen Leiter Alfred Rosenberg war, der als Chefredakteur des „Völkischen Beobachters“ und als der nach Hitler zweite Chefideologe der NS-Bewegung über ein gewisses Ansehen in der Partei verfügte und zunächst auch den Respekt seines „Führers“ genoß. Dem eigenen Drange folgend und dem Auftrag Hitlers gehorchend, unternahm er, bald nach der „Machtübernahme“, Reisen nach England und Frankreich, wo er für das NS-Regime Verständnis wecken wollte und sollte und wo er sich zugleich als Exponent einer spezifischen nationalsozialistischen England- und Frankreichpolitik gerierte. Rosenberg, dessen großes ideologisches Werk „Der Mythus des 20. Jahrhunderts“ Christenfeindschaft und einen brutalen rassistischen Imperialismus predigte, ob seiner krausen Gedankengänge und sprachlichen Armseligkeit aber kaum einen Leser fand, war jedoch nicht der Mann, in England oder Frankreich zu reüssieren. Seine Auftritte wurden zu hallenden Fehlschlägen; wer in London und Paris mit ihm sprach, hatte danach noch weniger Verständnis für das Geschehen in Deutschland als zuvor schon. Auch Hitler begriff, daß er mit Rosenberg keine glückliche Wahl getroffen hatte, und so brauchten das Amt und die beiden Botschaften, so vernehmlich sie über Rosenbergs Aktivitäten klagten, diesen Emissär einer NS-Außenpolitik nicht weiter zu fürchten26 . Als ein partiell erfolgreicherer Rivale entpuppte sich Franz von Papen. Als Vizekanzler hatte Papen keinen genau definierten Aufgabenbereich, und so begann er nicht nur auf dem innenpolitischen, sondern auch auf dem außenpolitischen Gefilde zu wildern. Auch er reiste nach Paris und knüpfte dort mit allen möglichen Partnern Gespräche an, in denen er rußlandfeindliche Tendenzen an den Tag legte, die der Linie des Auswärtigen Amts diametral entgegengesetzt waren. Neurath mußte Hitler um eine Unterredung bitten, „die veranlaßt war durch alle möglichen Betätigungsbestrebungen des Vizekanzlers“. Wegwerfend und doch beunruhigt bemerkte er, diese Bestrebungen „alle einzeln aufzuführen, lohnt sich nicht“27 . Die Beunruhigung nahm zu, als Papen für die Verhandlungen über die Abstimmung im Saargebiet zuständig wurde – die dann am 13. Januar 1935 stattfand – und auch diese Aufgabe sogleich zu Einmischungen in die deutsche 127
Frankreichpolitik nutzte. Neurath, der mit Recht, aber vergeblich die Beteiligung des Auswärtigen Amts an den Saar-Gesprächen forderte, wandte sich einmal, als der auch früher schon mit Sonderaufträgen betraute Freiherr von Lersner zu den Saar-Verhandlungen entsandt wurde, an Staatssekretär Meißner im Präsidialamt und beschwerte sich: „Von der Entsendung wurde mir von Herrn von Papen mit dem Bemerken Mitteilung gemacht, daß der Herr Reichskanzler sie genehmigt habe. Ich habe daraufhin erklärt, daß ich mich mit dieser Mission nur dann abfinden könne, wenn Herr von Lersner sich jeden politischen Gesprächs außerhalb der Saarfrage enthalte. Für die Verhandlungen über die Saarfrage hatte Herr von Lersner, wie er den Beamten des Auswärtigen Amts in Genf sagte, Instruktionen von Herrn von Papen erhalten, die mir nicht vorher mitgeteilt worden sind.“28 Ein trauriges Eingeständnis einer bösen Schlappe, das natürlich nichts bewirkte. Nachdem Papen am 30. Juni 1934 das Gemetzel des sogenannten Röhmputschs, dem Mitarbeiter von ihm zum Opfer gefallen waren, überlebt hatte, jedoch danach das Amt des Vizekanzlers räumen und als Gesandter – später Botschafter – nach Wien gehen mußte, erhielt Bülow einen Anruf aus der Reichskanzlei. Staatssekretär Lammers teilte ihm mit, der Reichskanzler habe als Nachfolger Papens den Gauleiter der Pfalz Josef Bürckel zum Saarbeauftragten der Reichsregierung ernannt; Reichspräsident und Reichsaußenminister seien einverstanden. Das Auswärtige Amt war also nun erst recht und offiziell ausgeschaltet. Bülow quittierte am Telefon mit der resignierten Bemerkung: „Ich sagte, wenn der Reichsminister bereits zugestimmt habe, könne ich nichts mehr sagen.“29 Als Missionschef in Wien wahrte Papen im übrigen ebenfalls Distanz zum Amt. Ob Bericht, ob Weisung, er verkehrte direkt mit Hitler. Den Reichsaußenminister und das AA informierte er nur. So trug er dazu bei – andere Faktoren, von denen noch die Rede sein muß, waren freilich viel wichtiger –, daß das Auswärtige Amt von der Berliner Österreich- und damit phasenweise auch Italienpolitik praktisch ausgeschlossen wurde. Kurz nach der „Machtübernahme“ hatte er bereits die Verhandlungen mit dem Vatikan an sich gezogen, die am 20. Juli 1933 zum Abschluß eines Reichskonkordats führten, und damit ebenfalls ein Feld betreten, das eigentlich zu den Domänen des Auswärtigen Amts gehörte. Doch war dieser Übergriff zu begründen und fand außerdem, der Natur der Sache nach, ein rasches Ende. In gewissem Sinne noch gefährlicher war Hermann Göring, preußischer Ministerpräsident, Luftfahrtminister und bald Oberbefehlshaber der entstehenden Luftwaffe. Der ehemalige Jagdflieger griff mehr und 128
mehr in die deutschen Beziehungen zu Südosteuropa ein30 . Er reiste nach Jugoslawien und Rumänien, wo er dann, von allem anderen abgesehen, Dinge sagte, die alle Revisionisten im Amt entsetzten. Wie jeder nationalsozialistische Spitzenmann ein habitueller Lügner und außerdem in dem Wahn lebend, ein Politiker brauche bei taktisch gemeinten Äußerungen nicht die mindeste Rücksicht auf die Wahrheit zu nehmen, behauptete er in Belgrad und Bukarest ungeniert, das Dritte Reich habe dem Revisionismus abgeschworen und strebe nach keinerlei territorialen Veränderungen in Europa. Solche tölpelhaften Versuche, Jugoslawien und Rumänien auf die Seite Deutschlands zu ziehen und so die Kleine Entente zu sprengen, jedenfalls als Bündnispartner Frankreichs auszuschalten, riefen jedoch nicht nur die Gruppe der Revisionisten im Amt auf den Plan, sondern auch das befreundete Ungarn, das seine eigenen revisionistischen Ambitionen mit Hilfe des deutschen Revisionismus zu verwirklichen hoffte. Jene verstörten Diplomaten mußten nun den Freunden in Budapest erklären, daß General Göring zwar dies und das gesagt, aber natürlich alles ganz anders gemeint habe31 . Als zweiter Mann im Staat, nur knapp hinter Hitler stehend, war Göring gegen Kritik aus dem Auswärtigen Amt gefeit und hätte daher zu einem sehr ernsthaften Rivalen werden können. Daß er das nicht in dem möglichen Maße wurde, lag einerseits daran, daß ihn der Aufbau der Luftwaffe und bald auch die Kontrolle der Wirtschaft – nicht zu reden von der wachsenden Zahl sonstiger Ämter – doch zu sehr in Anspruch nahmen; es lag aber auch an seiner Sprunghaftigkeit und an seiner Abneigung gegen allzu starke Arbeitsbelastung. Zum gefährlichsten Konkurrenten entwickelte sich indes Joachim von Ribbentrop. Als Importeur und Exporteur von Spirituosen aller Art erfolgreicher Geschäftsmann und mit Annelies Henkell, Erbin der gleichnamigen Sektkellerei, verheiratet, hatte er in der Schlußphase der Weimarer Republik, nachdem er am 1. Mai 1932 in die NSDAP eingetreten war, Gespräche zwischen Hitler und Papen vermittelt und auch sonst den Weg Hitlers in die Reichskanzlei ebnen helfen. Da er vor dem Kriege einige Jahre in Kanada und den USA gelebt hatte – er war 1914 Mitglied der kanadischen Eishockey-Nationalmannschaft gewesen –, gehörte er zu den wenigen Männern in Hitlers Umgebung mit Sprach- und Weltkenntnis. Aus solchen Gründen hatte er das Ohr und besaß er bis zu einem gewissen Grade das Vertrauen des „Führers“. Außerdem war er nicht nur außerordentlich ehrgeizig, sondern überdies zielstrebig und allein an Außenpolitik interessiert. Dagegen wog nicht schwer, daß es ihm an Geist und Verstand mangelte, von 129
Klugheit und Vernunft ganz zu schweigen, und daß er ungewöhnlich taktlos, hochmütig und streitsüchtig war, weshalb er mit nahezu allen anderen Spitzenfunktionären der NS-Bewegung und später dann mit allen Kabinettskollegen in Dauerfehde lag. Auch er tauchte schon früh in England und Frankreich auf, wo er mit wichtigen Politikern sprechen und sie im Sinne Hitlers beeinflussen sollte. Seine Aufträge sind nicht genau zu erkennen; vermutlich handelte es sich um eine Art Stimmungsmache, die Teil jener außenpolitischen Gesamtanstrengung war, mit der Hitler die Aufrüstung Deutschlands gegen eine von ihm ja geraume Zeit befürchtete französische Intervention abzuschirmen suchte. Im Auswärtigen Amt wurden solche Extratouren verständlicherweise wenig geschätzt. Mißmutig notierte Neurath am 10. März 1934, Ribbentrop sei altes Mitglied der NSDAP und besitze das Vertrauen des Reichskanzlers, weshalb er Reisen nach England und Frankreich unternehmen könne: „Ihr Erfolg und damit ihr Nutzen ist meist gering ... Jetzt hat Herr Barthou dem Botschafter Köster gegenüber die Art der Einführung des Herrn von Ribbentrop bemängelt ... Aus geheimen Nachrichten geht hervor, daß Herr Barthou von dem Besuch wenig angenehm berührt war und deshalb Herrn von Ribbentrop mit betontem Sarkasmus begegnet ist.“32 Bülow gab sich nicht mit passivem Mißmut zufrieden. Er spielte die Nachricht über die Verärgerung des französischen Außenministers Reichspräsident von Hindenburg zu, der in der Tat, wie von Bülow erbeten und erhofft, kundtat, „daß er die Verwendung solcher Mittelsleute für nicht zweckmäßig erachte“33 . Der Erfolg dieser hübschen kleinen Intrige bestand darin, daß Neurath vier Wochen später den Botschaftern in London und Paris mitteilen mußte: „Einer Anregung des Herrn Reichskanzlers folgend, hat der Reichspräsident Herrn Joachim von Ribbentrop zum Beauftragten für Rüstungsfragen [sic! Abrüstungsfragen] ernannt.“34 Der frischgebackene Abrüstungsbeauftragte durfte sich, nun in amtlicher Eigenschaft tätig, ein „Büro Ribbentrop“ einrichten und immer dreister werdende Versuche unternehmen, am Auswärtigen Amt vorbei Außenpolitik zu machen; er begann namentlich die deutsch-englischen Beziehungen als sein Revier zu betrachten. Wie sehr er sich bald als der vom Amt völlig unabhängige Mittler zwischen Hitler und der britischen Regierung fühlte, zeigte sich auch daran, daß er anfing, dem Botschafter in London Wünsche zu übermitteln und sogar eine Art Weisungen zukommen zu lassen, ohne den Außenminister und dessen Staatssekretär auch nur zu informieren. Es ist für die zunehmende Schwäche des Amts bezeichnend, daß Bülow, wenn er über derartige Unverschämthei130
ten vom Botschafter unterrichtet wurde, zwar Hoesch noch sagen konnte, er solle die Einmischungen Ribbentrops einfach ignorieren35 , daß er aber einen direkten Angriff auf Hitlers Sendboten bereits für aussichtslos hielt und deshalb unterließ. Auch andere Mittelchen, die ihm einfielen, zeigen, daß es unmöglich geworden war, den Aufstieg Ribbentrops mit der Autorität des Amtes zu hindern. Als der Abrüstungsbeauftragte erstmals in dieser Eigenschaft nach London reiste, wurde ihm vom AA der Legationssekretär Erich Kordt attachiert, dessen Bruder Theo persönlicher Referent des Staatssekretärs war. Bülow erteilte nun Erich durch Theo die Order, die Berichte, die Ribbentrop aus London senden werde, ja nicht bessernd zu redigieren; „die ganze Torheit dieses Mannes müsse klar zum Ausdruck kommen“: „Über Ribbentrops Qualitäten darf sowohl beim Reichspräsidenten als auch bei Hitler keine falsche Vorstellung aufkommen“, dann sei „zu hoffen, daß Ribbentrops Tätigkeit ein baldiges Ende finden werde“36 . Einer der Paladine Hitlers dachte über Ribbentrops Fähigkeiten nicht anders. Goebbels notierte einmal in seinem Tagebuch: „Ribbentrop berichtet von Paris und London. Ein eitler Schwätzer.“ Der Reichspropagandaminister setzte hinzu: „Kann nicht verstehen, daß Hitler ihn schätzt.“37 Das aber war der springende Punkt. Hitler schätzte Joachim von Ribbentrop eben, und so focht Bülow auf verlorenem Posten. Er wußte das wohl auch; seine Instruktion an Erich Kordt war offensichtlich, trotz des optimistischen Schlußsatzes, nur noch eine Geste der Hilflosigkeit. Am 1. Juni 1935 wurde Ribbentrop zum Sonderbotschafter ernannt und mit der Leitung der Verhandlungen betraut, die am 18. Juni zum Abschluß eines deutsch-britischen Flottenabkommens führte. Das Auswärtige Amt wurde dabei nicht weiter bemüht, und nachdem Hitler, der das Abkommen als großen Erfolg und als Vorstufe zu einem deutsch-britischen Bündnis wertete, den von ihm mehr denn je geschätzten Ribbentrop zum regulären Botschafter in London gemacht hatte, war das Amt von den wichtigeren Strängen der Beziehungen zwischen Deutschland und Großbritannien endgültig abgeschnitten. Gewiß ging der Geschäftsverkehr zwischen Botschaft und Zentrale weiter, doch alles, was irgendwie mit Entscheidungen zu tun hatte, spielte nun direkt zwischen Ribbentrop und Hitler. Als Botschafter war Ribbentrop keineswegs ein Seiteneinsteiger, wie man das heute nennt, der jetzt einen zumindest vorläufig eingenommenen Platz in der Hierarchie gefunden hätte; durch seine Immediatstellung zu Hitler hatte er vielmehr eine eigenständige Position neben dem Reichsaußenminister und dessen Amt erobert und mit der alleinigen 131
Zuständigkeit für das Verhältnis Berlin–London überdies die Möglichkeit zur Mitbestimmung – selbstverständlich als Diener Hitlers – der deutschen Außenpolitik gewonnen. Dies wurde noch dadurch verdeutlicht, daß er sich eine außerhalb des Amts existierende Machtbasis schaffen durfte. Bei seiner Ernennung zum Sonderbotschafter avancierte das „Büro Ribbentrop“ zur „Dienststelle Ribbentrop“, die auch bestehen blieb, als er nach London ging. In ihr sammelten sich jüngere Nationalsozialisten, von denen viele später ins Auswärtige Amt übersiedelten und in den Kriegsjahren erheblich dazu beitrugen, daß das Amt in die Verbrechen des Regimes verstrickt wurde. Doch schon geraume Zeit vor dem „Büro“ oder der „Dienststelle Ribbentrop“ trachteten andere Institutionen und Organisationen danach, dem Auswärtigen Amt Kompetenzen abzuringen oder abzuluchsen. Alfred Rosenberg mochte als Person seine Ambitionen als Außenpolitiker nicht befriedigen können, doch hatte er am 1. April 1933 das Außenpolitische Amt der NSDAP ins Leben rufen dürfen, und in diesem Amt wurden – unter der nominellen Leitung des Gründers – energischere Nationalsozialisten aktiv. Zwar scheiterte das Amt – dessen Aufgaben ohnehin mehr auf pädagogischen und agitatorischen Feldern lagen – mit den meisten Versuchen, die deutsche Außenpolitik zu beeinflussen, doch in der Fernost-Politik Berlins wurden Rosenbergs Amateure mit folgenreicher Wirkung tätig. Das Kaiserreich Japan war Anfang der dreißiger Jahre zu der bereits vor der Jahrhundertwende verfolgten imperialistischen Politik zurückgekehrt und hatte China im September und Oktober 1931 fast die ganze Mandschurei entrissen; aus dem eroberten Territorium machten sie den Marionettenstaat „Mandschukuo“. Sich mit einem derart expansionistischen Staat zu verbünden, war unter rationalen Gesichtspunkten ein abenteuerlicher Gedanke, schließlich hatte Japan – ganz abgesehen vom Bruch diverser Verträge, nicht zuletzt der Satzung des Völkerbunds, dem sowohl China wie Japan angehörten – sich auf gefährliche Weise den Interessengebieten der Sowjetunion, auch der Seemächte England, USA, Holland und Frankreich genähert; ernste Konflikte waren absehbar. Die außenpolitischen Strategen der NS-Bewegung aber empfanden den japanischen Expansionismus als verwandt und glaubten ihn außerdem für ihre eigenen Zwecke nutzen zu können. Nicht zuletzt hoffte damals noch Hitler auf einen militärischen Konflikt zwischen Japan und der Sowjetunion, der ihm die Eroberung von „Lebensraum im Osten“ erleichtern sollte38 . So begannen in Berlin etliche Leute über eine Annäherung an Japan nachzudenken, an deren Ende eine Allianz stehen soll132
te; einige fanden eine solche Allianz auch deshalb wünschenswert, weil japanischer Druck auf die britischen Interessen in Fernost die Engländer vielleicht geneigter machen werde, in Europa deutschen Expansionismus hinzunehmen: Weltpolitische Zangenoperation. Erster Schritt einer Annäherung mußte die bislang von allen Mächten verweigerte Anerkennung des Marionettenstaats Mandschukuo sein. Hier übernahm das APA eine Vorreiterrolle. Das Amt hatte sich eine Handelspolitische Abteilung zugelegt, dessen Leiter, Werner Daitz, es erreichte, daß das Amt – mit Wissen und im Auftrag Hitlers – einen Emissär, den Unternehmer Ferdinand Heye, nach Mandschukuo entsandte, um dort Verhandlungen über ein „Handelsverhältnis“ zwischen dem Deutschen Reich und dem Satelliten Japans einzuleiten39 . Heye, der sich mit dem Titel „Reichskommissar“ schmücken durfte, operierte durchaus erfolgreich und handelte vertragsreife Vereinbarungen aus; schließlich schloß er tatsächlich einen Vertrag ab – im Namen des Reiches40 . Das Auswärtige Amt stellte sich entschieden gegen die Politik des APA, und zwar nicht nur deshalb, weil die Japan- und damit die Chinapolitik aus den Händen des Amts in die der Amateure von der NSDAP zu gleiten begann, sondern vor allem weil das AA eine diametral entgegengesetzte politische Position vertrat. Bülow hatte schon vor 1933 die auch damals sich bereits regenden Tendenzen zu einer mit Japan zu verfolgenden „Weltpolitik“ mit der Bemerkung glossiert, daß er sich darunter nicht einmal etwas vorstellen könne41 . Im Amt war man bestürzt, zumal sich herausstellte, daß die Daitz und Heye in dem von Moskau nach Tokio gewechselten Herbert von Dirksen einen Verbündeten besaßen. Wie zuvor in Moskau ein Verfechter deutsch-sowjetischer Zusammenarbeit, so drängte er jetzt in Tokio auf eine deutsch-japanische Annäherung und wollte die Vertreter des APA durch eine Reise nach Mandschukuo unterstützen; Hitler habe ihn damit beauftragt. Neurath ließ Dirksen sofort wissen, daß er die Reise unterlassen müsse, und als der Botschafter nach dem Grund fragte42 , wurde Bülow sehr deutlich: „Einen derartigen demonstrativen Akt, der Rußland beunruhigen und China verstimmen müßte, halte ich für unmöglich. Auch haben Sie den Herrn Reichskanzler offenbar mißverstanden.“ Danach nützte der Staatssekretär die Gelegenheit zur Erklärung eines der Prinzipien deutscher Fernost-Politik: „Unsere Annäherung an Japan darf auf lange Zeit weder zu einer nach außen erkennbaren Gemeinsamkeit der Politik noch zu irgendwelchen bündnisartigen Abmachungen führen. Litwinow [der sowjetische Außenminister] behauptet nicht mit Unrecht, wenn auch mit unwahren Unterstellungen, daß Deutschland und 133
Japan als die unruhigen Elemente angesehen werden, gegen die sich die übrige Welt in Gruppen zusammenschließt ... Japan wird seine Expansionspolitik noch lange fortsetzen. Wir dürfen uns nicht dem aussetzen, mit Recht oder Unrecht der Konnivenz oder gar Unterstützung des japanischen Vorgehens beschuldigt zu werden.“43 Dirksen zeigte sich wenig beeindruckt und meinte, kurz nach Erhalt der Epistel Bülows, jetzt da gerade das Kaiserreich Mandschukuo ausgerufen worden sei, halte er den Zeitpunkt für dessen Anerkennung für gekommen; er wisse, so wiederholte er, daß die Reichsregierung und vor allem der Reichskanzler seine Meinung teilten44 . Neurath bedeutete ihm kurz und gemessen, die Anerkennung Mandschukuos sei noch keineswegs spruchreif und eine Reise des Botschafters dorthin nicht zweckmäßig45 . Indigniert – und mit Fug und Recht – antwortete Dirksen, er habe den Reichskanzler mitnichten mißverstanden46 , und in einem weiteren Schreiben behauptete er abermals, einen Auftrag Hitlers zu haben, und hielt dem AA vor: „Der Herr Reichskanzler begleitete diese Weisung mit grundsätzlichen Erwägungen des Inhalts, daß Japan für uns ein wichtiger politischer Gegenspieler sei, nachdem die Beziehungen zur Sowjetunion sich grundlegend geändert hätten.“47 Da Hitler in der Anerkennungsfrage noch zögerte, aus Rücksicht auf England, gelang es dem AA, den störrischen Botschafter vorerst noch in Zaum zu halten. Mit dem APA und seinen Vertretern war hingegen nicht mehr fertig zu werden. Das Auswärtige Amt gab sich redlich Mühe, aber seine Mahnungen, Beschwerden, Einsprüche wurden von Daitz und Heye einfach ignoriert, die ja wußten, daß sie und nicht die Leiter des AA auf der Linie des „Führers“ lagen. Es kam so weit, daß Daitz den amerikanischen Botschafter in Berlin bedrängte, die Regierung in Washington zur Anerkennung von Mandschukuo zu bewegen; wenn die Vereinigten Staaten vorangingen, so meinte der Mann des APA, könne Deutschland unbedenklich folgen und auf solche Weise unauffällig mit dem Aufbau einer Achse Berlin – Tokio beginnen. Diesen bewußten Übergriff fand selbst Wilhelm Keppler, der als Wirtschaftsberater zum Kreis um Hitler gehörte, unerhört, und er riet zu stärkerem Auftreten48 . Doch ließ es das AA bei der Formulierung und Vertretung seines Standpunkts nicht an Nachdruck fehlen. So schrieb Ministerialdirektor Meyer deutlich genug: Gewiß müßten die Beziehungen zu Japan gepflegt werden, aber: „Das gleiche Recht auf Berücksichtigung hat China.“ Gerade für die Zukunft sei in wirtschaftlicher Beziehung Deutschlands Verhältnis zu China bedeutungsvoll. „Ein Äquivalent ... kann uns Japan nicht bieten ... Wir 134
können und wollen ... nicht die Ausgestaltung unserer Beziehungen zu China, zu Rußland und den anderen Mächten lediglich japanischen Gesichtspunkten unterordnen.“49 Obwohl indes auch die an Ostasien interessierten Teile der Wirtschaft gegen das Treiben des Ferdinand Heye, das „in China zu großen Erregungen geführt“ habe, protestierten50 , blieben derartige Proteste wirkungslos. Am 21. Juni 1934 schrieb Neurath an Rudolf Heß, den „Stellvertreter des Führers“: „Am 5. Juni hat Herr Heye der Botschaft in Tokio telegraphisch den Abschluß eines Abkommens mit der Regierung von Mandschukuo vorbehaltlich der Genehmigung der Reichsregierung mitgeteilt; wie sich später herausstellte, hatte Herr Heye dieses Abkommen schon zwei Wochen vorher getätigt ... Zunächst darf ich darauf aufmerksam machen, daß gemäß der Absprache mit dem Herrn Reichskanzler Herr Heye nicht zum Abschluß irgendwelcher Abkommen ohne vorherige Genehmigung der Reichsregierung ermächtigt war. Ich habe Herrn Daitz, der bei mir wegen des Abkommens vorsprach, erwidert, daß ich mir eine weitere Entschließung in dieser Sache vorbehalten müsse.“ Auch habe er, Neurath, einen Vorschlag von Herrn Daitz, Herrn Heye erneut als Reichskommissar zu bestätigen, „mündlich und schriftlich abgelehnt“. Gleichwohl habe Herr Daitz Herrn Heye die Bestätigung angekündigt, wogegen er sich „nachdrücklich verwahren“ müsse51 . Klarer konnte der Reichsaußenminister seine Ohnmacht und seine Resignation kaum ausdrücken. Ein Vierteljahr später durfte denn auch Heye, nach wie vor „Reichskommissar“, vorschlagen, daß Dirksen endlich mit dem mandschurischen Wirtschaftsminister in Verhandlungen eintreten solle, und jetzt reagierte das Auswärtige Amt mit Zustimmung, die nur noch an die schwache Einschränkung geknüpft war, daß die Gespräche „unverbindlich“ zu führen seien52 . Bülow gab noch nicht ganz auf. Als ihm der chinesische Gesandte erzählte, Franz von Papen habe dem chinesischen Geschäftsträger in Wien auseinandergesetzt, Deutschland sei auf Grund der Änderung in seinen Beziehungen zur Sowjetunion und auf Grund der französisch-sowjetischen Annäherung „gezwungen“, sich enger mit Japan zu verbinden, antwortete er deutlich und in einer Weise, die für Papen nicht schmeichelhaft war: „Ich erklärte dem chinesischen Gesandten bestimmt und bündig, daß keinerlei Geheimabkommen zwischen uns und Japan bestünden.“ Der Gedanke, die französischsowjetische Annäherung nötige Deutschland zur Anlehnung an Japan, sei „abwegig“ und passe „nicht in unser politisches System“53 . In Wahrheit hatten Neurath und das Amt bereits kapituliert, und Bülow wußte das auch. Zwar sprach er noch von „Gerüchten“, als ihn der 135
italienische Botschafter fragte, ob die russischen Besorgnisse begründet seien, daß das Außenpolitische Amt der NSDAP politische Abmachungen mit Japan aushandle. Doch der Schlußsatz seiner Aufzeichnung lautete vielsagend: Der Botschafter sei mit der Auskunft nicht zufrieden gewesen54 . Im Dezember 1935 kam es dann auch zu Gesprächen über ein Handelsabkommen mit Mandschukuo, das dann am 30. April 1936 in Tokio unterzeichnet wurde, und schon waren – auf deutsche Initiative, bei der jetzt auch Ribbentrop eine Rolle spielte –beidseitige Fühler über ein weitergehendes Vertragsverhältnis ausgestreckt worden; Partner auf japanischer Seite war Hiroshi Oshima, Militärattaché an der Berliner Botschaft Japans und Exponent jener Gruppen in der japanischen Armee, die sich von einer Verbindung mit dem Deutschen Reich Druck auf Großbritannien und damit eine Förderung ihrer Expansionspläne erwarteten: Ebenfalls eine weltpolitische Zangenoperation! Als Neurath zu Ohren kam, daß diese Gespräche stattfanden und von dem im Gegensatz zum Außenminister informierten Dirksen gebilligt wurden, notierte er ärgerlich: „Völlig abwegig!“55 Einige Monate danach unterhielt sich indes Hitler bereits aufs freundschaftlichste mit dem japanischen Botschafter. Graf Mushakoji erklärte, nach den Vorgängen der letzten Jahre sei nun auch Japan ein „autoritärer“ Staat, und er stimmte dem „Führer“ zu, daß es vor allem darauf ankomme, den Kommunismus zu bekämpfen. Hitler wiederum legte dem Grafen dar, daß man nicht den Kommunismus als Weltanschauung bekämpfen und gleichzeitig freundschaftliche Beziehungen mit Sowjetrußland unterhalten könne56 . Der Grundriß zum Antikominternpakt war gezeichnet, der dann schon am 25. November 1936 unterzeichnet werden konnte. Die Unterschrift leisteten auf deutscher Seite Ribbentrop, auf japanischer Oshima; die Außenminister beider Staaten waren weder beteiligt noch offiziell informiert. Damit war auch öffentlich bekundet, daß hier ein außenpolitischer Akt von erheblicher Bedeutung nicht von den zuständigen staatlichen Organen vollzogen wurde, sondern von NSDAP und japanischer Armee – in einem politischen Sinne die japanische Entsprechung zu der deutschen Partei. Das Auswärtige Amt vermochte auch nicht zu verhindern, daß die NSDAP zugleich in Europa Sprengstoff anhäufte, der später nur gezündet zu werden brauchte, daß also die deutschen Minderheiten in den Nachbarstaaten für ihre politische Instrumentalisierung reif gemacht wurden. Gewiß hatte auch die Weimarer Republik die deutschen Gruppen im europäischen Ausland unterstützt, selbst in Übersee, und in einer Institution wie dem Auswärtigen Amt war die Konservierung 136
deutscher Minoritäten in benachbarten Ländern nicht nur als kulturelle Aufgabe gesehen worden, sondern ebenso als politische Verpflichtung; wie dargetan, hat gerade auch Bülow ethnische Stützpunkte zur Fundierung revisionistischer Ansprüche des Deutschen Reiches zu erhalten gesucht: in Polen, in der Tschechoslowakei, im Elsaß. Doch war das noch einen Schritt entfernt von der jetzt angestrebten Aufreizung der Minderheiten gegen den Staat, in dem sie lebten, zur Zerstörung dieses Staates. Vor allem aber verlor das Amt die Kontrolle über das Geschehen. In den Weimarer Jahren war die Unterstützung unter der führenden Mitwirkung des Amts von diversen Organisationen geleistet worden, nicht zuletzt vom Verein für das Deutschtum im Ausland (VDA). 1933 verwandelte sich der „Verein“ in einen „Volksbund“ und erhielt mit dem Kärntner Hans Steinacher einen „Reichsführer“. Steinacher war kein Rassist, dazu verstand er den VDA als eine zur Defensive geschaffene Organisation. Doch entwickelte auch er schon Grundsätze, die Defensive sehr leicht in Offensive umschlagen lassen und dann friedensbedrohend wirken konnten. So setzte er Ende 1933 dem interministeriellen Ausschuß für Volkstums- und Minderheitenfragen auseinander: „Im Gegensatz zu dem konservativen oder liberalen Staat betrachte der nationalsozialistische Staat in der Hauptsache nicht den ,Staatsbürger’, sondern den ,Volksgenossen’ als Objekt seiner Fürsorge. Damit seien die auslandsdeutschen Volksgenossen ein den Reichsdeutschen gleichberechtigter Faktor der deutschen Politik geworden.“57 Das klang nicht nur, das war gefährlich, und mit solchen Vorstellungen taugte Hans Steinacher nicht dazu, dem weiteren Gleichschaltungsprozeß und der von neuen Organen verfolgten Politik festeren Widerstand entgegenzusetzen. Das VDA wurde einem von der NSDAP ins Leben gerufenen „Volksdeutschen Rat“ unterstellt, und dieser Rat wiederum unterstand Rudolf Heß, dem „Stellvertreter des Führers“. Wie rasch sich der Volksdeutsche Rat der Kontrolle durch das Auswärtige Amt entziehen konnte, ist mit der Entwicklung der Berliner Politik gegenüber Prag und den Sudetendeutschen zu illustrieren. Im Herbst 1933 war die tschechoslowakische Regierung gegen die beiden sudetendeutschen Rechtsparteien vorgegangen, die auf die Auflösung des Staates und den Anschluß der deutsch besiedelten Gebiete Böhmens und Mährens an das Deutsche Reich hinarbeiteten: die Deutsche Nationalsozialistische Arbeiterpartei (DNSAP) war verboten worden, die Deutsche Nationalpartei (DNP) dem Verbot durch Selbstauflösung zuvorgekommen. Daraufhin gründete Konrad Henlein, Führer der 137
in hohem Maße politisierten, das heißt nationalistisch aufgeladenen sudetendeutschen Turnerschaft, am 1. Oktober 1933 die Sudetendeutsche Heimatfront (SHF), die nicht nur die Anhänger der verbotenen Parteien auffangen sollte, sondern als Sammlungsbewegung aller Sudetendeutschen gedacht war. Als Minimalziel galt der SHF in ihren ersten Jahren die Autonomie der deutschen Territorien, doch fanden sich in ihr von Anfang an viele Sudetendeutsche – naturgemäß vornehmlich aus DNP und DNSAP –, die den Anschluß an Deutschland im Auge hatten58 . Im Auswärtigen Amt verfolgte man diese Vorgänge mit großer Aufmerksamkeit. Getreu der bisher gegenüber der Tschechoslowakei eingenommenen Haltung waren dem Amt die Beziehungen zum Nachbarstaat wichtiger als die Sudetendeutschen, und Ende März 1934 konnte als Maxime deutscher Politik festgelegt werden, daß das Verhältnis Berlin – Prag „nicht gestört“ werden dürfe und die SHF „ohne reichsdeutsche Einwirkung“ operieren müsse; auch der Volksdeutsche Rat war scheinbar darauf eingeschworen59 . Aber der Erfolg war nur kurzlebig. Bereits ein Vierteljahr später fand eine Besprechung statt, in der SA-Standartenführer Heinrich Kersken, im Stabe von Heß Leiter der Abteilung für volksdeutsche Fragen, eine bereits im Oktober 1933 einmal ausgesprochene Formel zur gültigen politischen Leitlinie zu erheben vermochte: „Die sudetendeutsche Volksgruppe untersteht ... ausschließlich der Obhut und Aufsicht des Stellvertreters des Führers.“60 Trotz des Zusatzes, der Stab von Heß und der Volksdeutsche Rat würden natürlich stets im „engsten Einvernehmen“ mit dem Auswärtigen Amt handeln, war damit das Amt aus einem wichtigen – und offensichtlich gefahrvoll werdenden – Bereich deutscher Politik verabschiedet und dieser Bereich der NSDAP übergeben worden. Zugleich hatte Heß das Prinzip der politischen Verfügbarkeit der Sudetendeutschen formulieren lassen; wenn den nicht gefragten sudetendeutschen Kommunisten, Sozialdemokraten und Christlichsozialen oder auch jenen Mitarbeitern Henleins, die Gegner des Nationalsozialismus und Jünger der Ständestaats-Lehre des Wiener Professor Othmar Spann waren, zu Ohren gekommen wäre, daß sie plötzlich der „Aufsicht“ des „Stellvertreters des Führers unterstellt seien, hätten sie einen solchen Anspruch damals noch ebenso verwundert wie empört negiert. Im übrigen gehört es zu den Ironien, an denen die Geschichte so reich ist, daß jene Besprechung, die mit der Niederlage des Auswärtigen Amtes endete, im Amt und unter dem Vorsitz Köpkes stattfand. Ein knappes Jahr danach begann die Finanzierung des Wahlkampfs der mittlerweile in Sudetendeutsche Partei 138
umbenannten SHF und nach den Parlamentswahlen – aus denen am 19. Mai 1935 die SdP als zweitstärkste Partei des Staates hervorging – ihres weiteren Ausbaus. Der Apparat des Auswärtigen Amts war an den Finanzoperationen zwar beteiligt, aber daß es sie gab und daß durch sie die deutsch-tschechoslowakischen Beziehungen schon Jahre vor der Sudetenkrise von 1938 aufs schwerste gefährdet wurden, hatten andere entschieden. Daß Neurath und seine Beamten – offenbar auch Bülow – ihre Verdrängung aus den sudetendeutsch-tschechischen Angelegenheiten recht gleichmütig hinnahmen, jedenfalls dem Anschein nach, lag vielleicht zum Teil daran, daß der Verkehr zwischen der deutschen Mission in Prag und der Zentrale in Berlin – wie auf der anderen Seite zwischen der Berliner Gesandtschaft der Tschechoslowakei und dem Prager Außenministerium – weiterlief, ein Anschein von Normalität gewahrt blieb und die Gefahr, die mit der innerdeutschen Kompetenzverlagerung verbunden sein mußte, noch nicht auf den Nägeln brannte. Es dürfte aber auch daran gelegen haben, daß sich das Amt zur gleichen Zeit an einer anderen Front in einen Konflikt mit der NSDAP verstrickt sah, dem es weder ausweichen wollte noch ausweichen konnte, weil sofort bedeutende Interessen des Reiches auf dem Spiel standen. Es durfte an sich niemand überraschen, daß nach dem 30. Januar 1933 die Nationalsozialisten in Österreich in eine Art Erwartungsfieben gerieten und von der eigenen Machtübernahme in Wien zu träumen begannen; die als Teil der „großdeutschen“ NSDAP von München aus dirigierte österreichische Partei besaß durchaus eine gewisse Stärke – schließlich hatten in Österreich, Böhmen und Mähren die Wiegen der NS-Bewegung gestanden –, und seit dem 20. Juli 1931 agierte an ihrer Spitze als Landesgeschäftsführer (ab 20. August 1932 Landesinspekteur) Theo Habicht, ein Nationalsozialist, der bis 1931 nichts mit Österreich zu tun gehabt, sich vielmehr bei Ausbau und Aufstieg der NSDAP in Hessen hervorgetan hatte, indes zu seinem neuen Wirkungskreis beträchtlichen Tatendurst mitbrachte. So machte sich die österreichische NSDAP sogleich daran, der Verwirklichung ihres Traums nachzuhelfen, und selbstverständlich rechnete sie dabei auf die Hilfe der Parteigenossen im Norden, denen jetzt die Machtmittel des Deutschen Reiches zu Gebote standen. Wäre die Hilfe ausgeblieben, hätte die österreichische und vermutlich auch die süddeutsche NSDAP eine schwere Krise erlebt; selbst die Autorität Hitlers, der ja noch nicht der „Führer“ der späten dreißiger und frühen vierziger Jahre war, wäre womöglich angefochten worden. Unter allen Problemen, die in der Geschichte des Dritten 139
Reiches auf dem Felde der Außenpolitik auftauchten oder doch einen außenpolitischen Aspekt hatten, war mithin das Geschick der österreichischen Nationalsozialisten insofern von besonderer Art, als dies die einzige Frage war, in der Hitler tatsächlich unter Druck von unten stand. Er hat das auch gespürt, für Gefährdungen seiner Macht besaß er eine feine Witterung. Doch fiel es ihm ohnehin nicht ein, die österreichischen Parteigenossen sozusagen im Stich zu lassen, so kaltherzig er bereit war, politische Freunde und auch „nationale“ Interessen zu opfern, wenn ihm das taktische und strategische Überlegungen opportun erscheinen ließen. Österreich rangierte jedoch in seinen nah- und mittelfristigen Eroberungsplänen ganz oben; er brauchte das Land, um die militärische Kraft Deutschlands zu erhöhen und um – dies fast noch mehr – die geostrategische Ausgangsbasis für seine Expansionspolitik zu verbessern. Mit der österreichischen NSDAP das Instrument zu verlieren, das hervorragend geeignet schien, seine Macht in irgendeiner Form auf Österreich auszudehnen, kam also nicht in Frage. Nun standen die Partei und ihr „Führer“ vor zwei unterschiedlichen Hindernissen. Das eine war die Situation in Österreich61 . Dort hatte Engelbert Dollfuß 1932/33 ein auf diverse rechtsgerichtete Organisationen gestütztes und am Bild eines „christlichen Ständestaats“ orientiertes austro-faschistisches Regime begründet, das zwar – nicht zuletzt unter dem Einfluß Mussolinis – alle linken Kräfte, ob kommunistisch oder sozialdemokratisch, mit Brachialgewalt unterdrückte, andererseits aber ebensowenig bereit war, die Macht ganz oder teilweise an die Nationalsozialisten abzugeben, die wohl auch rechts waren, doch nicht christlich und keineswegs Anhänger des Ständestaats-Gedanken. Als klar wurde, daß die Nationalsozialisten unter dem Eindruck der Ereignisse in Deutschland einen ungebührlichen Ehrgeiz an den Tag legten, der sich auch schon in Gewaltakten äußerte, zögerte Dollfuß nicht lange: Am 19. Juni 1933 wurden – wiederum nicht ohne Zutun Mussolinis – die NSDAP und ihre Gliederungen verboten. Unter politisch-taktischen Gesichtspunkten war das ein Fehler. Die in die Illegalität abgedrängten Nationalsozialisten, namentlich diejenigen, die der SA angehörten, steigerten nur ihre Aktivitäten; die terroristischen Anschläge wurden zahlreicher und zugleich brutaler. Der innenpolitische Druck auf Dollfuß nahm also noch zu. Immerhin: noch stand das Regime. Das zweite Hindernis ergab sich aus der internationalen Lage. Daß das französische und italienische – im Gefolge beider auch das britische – Interesse an der Bewahrung des europäischen Gleichgewichts und damit ihr Interesse an der Unabhängigkeit Österreichs mit dem 140
30. Januar 1933 noch gewachsen war, lag auf der Hand; Mussolini hatte sogar die Rolle des Protektors Österreichs und des Dollfuß-Regimes übernommen, das er nicht nur mit Ratschlägen, sondern auch mit Geld und Waffenlieferungen unterstützte. Wie sollten die neuen Machthaber in Berlin unter solchen Umständen ihren österreichischen Gesinnungsgenossen unter die Arme greifen, ohne sich – noch war das Reich militärisch schwach – in einer internationalen Krise selber zu gefährden? Hitler litt in der ersten Phase seiner Herrschaft ohnehin unter der Angst, Frankreich werde, um ihn wieder davonzujagen, einen Präventivkrieg gegen Deutschland führen. Lieferte er dafür nicht einen Grund und einen Vorwand, wenn er in österreichischen Angelegenheiten intervenierte, und zwar so intervenierte, daß er offenbar den Anschluß Österreichs an das Reich oder doch durch die Machtteilhabe der österreichischen Nationalsozialisten die Gleichschaltung des Landes erzwingen wollte? Außerdem spekulierte er ja auf die Bundesgenossenschaft Italiens, und die Aussichten dafür waren gut; schon am 6. Februar 1933 hatte Mussolini zum deutschen Botschafter gesagt, wenn die Regierung Hitler nach den kommenden Reichstagswahlen stabilisiert sei, könnten Deutschland und Italien eine „politica molto vicina“ treiben62 . Und hatte der „Duce“ nicht selber erheblich zur Stabilisierung des von ihm als künftige Stütze seiner eigenen imperialistischen Politik gesehenen NS-Staats beigetragen, indem er gleich nach den Wahlen vom 5. März vorschlug, Italien, Deutschland, Frankreich und Großbritannien sollten – unter Ausschluß der Sowjetunion – einen Viermächtepakt schließen. Mussolini hatte ausdrücklich gesagt, der Pakt sei dringend erforderlich, weil er französischen Neigungen zu präventivem Vorgehen gegen das NS-Regime den Boden entziehe63 , und beiläufig hatte er ferner bemerkt, während der Verhandlungen über den Viererpakt und auch in der Zeit danach dürfe natürlich die österreichische Problematik nicht berührt werden64 . Nachdem die britische Regierung die Pakt-Idee den Franzosen schmackhaft gemacht hatte, konnte der Vertrag am 15. Juli 1933 – fünf Tage vor dem Reichskonkordat mit dem Vatikan – tatsächlich unterzeichnet werden, und Außenminister Neurath konstatierte in einem Runderlaß an die diplomatischen Vertretungen dankbar: „Wichtiger als Vertragsinhalt selbst ist für uns ... die Tatsache, daß derartiger allgemeiner politischer Vertrag jetzt überhaupt abgeschlossen wird. Er desavouiert alle Versuche der Isolierung Deutschlands und bringt zum Ausdruck, daß Deutschland nicht Objekt, sondern nur mitbestimmendes Subjekt der europäischen Politik sein kann.“ Das Prestige der Reichsregierung sei gestärkt und 141
den vier Mächten „de facto die Rolle der politischen Führung in Europa zugewiesen“65 . Setzte man solch günstige Entwicklungen nicht wieder aufs Spiel, wenn man die österreichischen Nationalsozialisten offen unterstützte? Die Haltung des Auswärtigen Amts trug der Lage Rechnung. Von Anfang an hieß die Parole: Keine Einmischung der deutschen Regierung in Österreich, keine Herausforderung Italiens und Frankreichs66 . Noch ein Jahr später, als die Situation schon völlig anders geworden war, schrieb Bülow, der auch sichtlich noch unter dem Eindruck der Zollunionskrise von 1931 stand: „Nach der gegenwärtigen Gesamtsituation der internationalen Politik und allen früheren Erfahrungen dürfte feststehen, daß Deutschland jetzt nicht in der Lage ist, eine Lösung der österreichischen Frage im deutschen Sinne international durchzusetzen. Dabei ist unter Lösung im deutschen Sinne nicht nur die direkte Vollziehung des Anschlusses, sondern auch schon die Gleichschaltung (nach dem Muster von Danzig) zu verstehen.“ Insbesondere machte er auf die Gefahren einer italienisch-französischen Annäherung aufmerksam67 . Als Baron Neurath im Juni 1933 an der Weltwirtschaftskonferenz teilnahm, die in London stattfand, mußte er erleben, wie er nach Hause berichtete, daß Dollfuß’ Rede mit „demonstrativem Applaus“ bedacht wurde68 , und so sah sich selbst der Außenminister zu einem für seine Verhältnisse recht deutlichen Brief an Hitler veranlaßt: Die Franzosen, so schrieb er, verfolgten die Entwicklung der deutsch-österreichischen Beziehungen sehr aufmerksam und könnten „bei anderen Regierungen Stimmung für eine unter Umständen sogar militärische Intervention zu machen suchen“. Er mahnte den Kanzler, die Reichsregierung müsse solche „Tendenz bei unserem Verhalten gegenüber Österreich auch fernerhin im Auge behalten“69 . Hitler zeigte sich von derartigen Warnungen wenig beeindruckt. Er hielt sie offenbar für bloße Unkenrufe, was in Anbetracht seiner Angst vor Frankreich nicht leicht zu erklären ist. Offenbar unterschätzte er, wie einige Jahre zuvor die Regierung Brüning, das Interesse Italiens an der Unabhängigkeit Österreichs, und so glaubte er wohl, sein potentieller Freund Mussolini werde untätig bleiben, sofern nicht schon jetzt auf den Anschluß zugesteuert, sondern vorerst lediglich die Gleichschaltung Österreichs herbeigeführt werde. Bei solcher Bescheidung, so dürfte er weiterhin überlegt haben, sei es höchst unwahrscheinlich, daß England etwas unternehmen werde, und ohne britische Begleitung könne Frankreich nicht handeln. So setzte er einen Zangenangriff auf Dollfuß in Gang. Einerseits ließ er gegen den Bundeskanzler und 142
sein Regime ein wüstes Propagandatrommelfeuer eröffnen, das er mit wirtschaftlichen Pressionen unterstützte. Andererseits gab er in München angesiedelten Stellen der NSDAP und vor allem der SA die Zügel frei zur Unterstützung der österreichischen Nationalsozialisten. Die Propagandakampagne hatte gleichsam einen offiziellen Beginn, als der bayerische Justizminister Hans Frank – der spätere Generalgouverneur in Polen – im Mai 1933 eine Vortragsreise durch Österreich unternahm und dabei das Regime und seine führenden Personen mit üblen Beschimpfungen bedachte; in Graz zum Beispiel nannte er Dollfuß einen „kleinen Metternich“ – ein für das damalige Europa unerhörter Vorgang70 . Und bereits im Juli mußte Bülow festhalten, daß der österreichische Gesandte beinahe täglich bei ihm erscheine, „um Vorstellungen wegen der Überfliegung österreichischen Gebietes und des Abwurfs von Propagandazetteln zu erheben“71 . Zentrum einer lebhaften Rundfunk-Propaganda war München. Die wirtschaftlichen Maßnahmen gipfelten in der Anordnung einer 1000-Mark-Sperre: jeder Deutsche, der nach Österreich reiste, hatte 1000 Mark zu zahlen; damit wollte Hitler Österreich vom deutschen Tourismus und auch von einem Großteil des Geschäftsverkehrs abschneiden. Waffen und Sprengstoff wurden nach Österreich geschmuggelt und die dortigen Nationalsozialisten mit Erfolg zu Terrorakten angestachelt. Überdies flohen viele NS-Aktivisten, die vor der Verhaftung zu stehen meinten oder tatsächlich standen, nach Deutschland, wo sie in einem Lager bei Augsburg nicht nur gesammelt, sondern auch militärisch ausgebildet und bewaffnet wurden. Naturgemäß gewannen diese Angehörigen der „Legion Österreich“ die Überzeugung, für einen Putsch gegen Dollfuß bestimmt zu sein. Wie Bülow an Neurath schrieb: „Gewisse untergeordnete Stellen der Partei“ seien der Ansicht, „daß zur Lösung unseres Konflikts mit Österreich eine Aktion der in Bayern zusammengezogenen österreichischen SA mit in Rechnung gestellt“ werde, und auch die Nationalsozialisten in Österreich erwarteten, wie aus den Berichten des Gesandten in Wien Rieth hervorgehe, ein Eingreifen dieser Legion72 . Bei solchem Druck, so glaubte Hitler, müsse Dollfuß bald stürzen, und in den dann notwendigen Wahlen werde die österreichische NSDAP die Macht oder fürs erste wenigstens die Machtteilhabe gewinnen und so die innere Gleichschaltung durchsetzen. „Der Kampf “, prophezeite er zuversichtlich Ende Mai 1933, „wird noch in diesem Sommer entschieden sein.“73 Angesicht der gegensätzlichen Auffassungen war ein Konflikt zwischen NSDAP und Auswärtigem Amt nicht abzuwenden. Zwar hatte 143
das Amt keine Möglichkeit, direkt auf die reichsdeutsche oder gar die österreichische Partei einzuwirken, doch suchte es schon früh das Kabinett und Hitler mit Warnungen zu beeinflussen. Wie es dem Ministerium anstand, machte es auf die Gefahren aufmerksam, die der Kurs der NSDAP und Hitlers für die internationale Lage Deutschlands heraufbeschwor. Von Neuraths Einlassung war schon die Rede. Zum ersten, aber nicht zum letzten Male registrierte Botschafter Ulrich von Hassell bereits im April 1933 die Unnachgiebigkeit Italiens in der Österreich-Frage. Nachdem sich Dollfuß vom 11. bis zum 17. April in Rom aufgehalten hatte, schrieb Hassell, der Bundeskanzler sei nach seinen Gesprächen mit Mussolini sicher, „daß Italien in der Erhaltung eines selbständigen Österreichs einen der Angelpunkte seiner europäischen Politik erblickt“74 . Hassell selbst hatte von Mussolini gehört, es sei für den Augenblick richtig, „Dollfuß ruhig arbeiten zu lassen“75 . Köpke notierte, die Wiener Beschwerden über das Auftreten Hans Franks in Österreich seien gerechtfertigt, und er mahnte eine Genugtuung an76 . Die Frankschen Eskapaden – von Hitler nie mißbilligt – scheinen im übrigen für das Amt der Anlaß gewesen zu sein, die eigene Linie klar zu definieren. Bülow wollte sich, wie immer, nicht mit Warnungen zufriedengeben. Nach einigen Monaten des Terrors in Österreich und der von Deutschland aus betriebenen Propaganda gegen Dollfuß legte er dem Außenminister dar, „daß die Österreicher mit Erfolg in London vorstellig geworden sind und daß die Engländer in Paris und Rom vorgeschlagen haben, eine gemeinsame Demarche im Rahmen des Viererpakts bei uns zu unternehmen“. Das werde nicht geschehen, weil dann der Pakt erledigt sei. Der Vorgang zeige aber, „wie ernst die Lage ist, und ich habe deshalb heute mit Herrn Köpke und dem Prinzen Waldeck [SS-Gruppenführer und seit dem 1. April 1933 Referent in der Abteilung I des AA] vereinbart, daß Herr Habicht nach Berlin bestellt wird, um mit ihm gewisse Grenzen der Propagandatätigkeit zu vereinbaren“77 . Neurath war einverstanden, Habicht kam, hörte sich die Ermahnungen des Staatssekretärs an, der danach illusionslos konstatierte: „Seine Freude an Kriegsspielen läßt ihn aber keine Rücksicht auf andere Kriegsschauplätze nehmen, und er berücksichtigt nicht oder kaum den Schaden, der auf anderen politischen Gebieten entstehen kann.“ Bülow plädierte für den Abbruch des Feldzugs gegen Österreich, „der schon so viel länger dauert als wir erwartet hatten“ und der „uns ganz außerordentlich viel kostet“. Die folgende Argumentation ist für seine Auffassung von richtigem außenpolitischen Verhalten recht 144
bezeichnend: „Wir verlieren die Sympathien aller kleinen Länder, die sich sagen müssen, daß wir eventuell eines Tages mit ähnlichen Mitteln gegen sie vorgehen könnten. Wir verfeinden uns die größeren Mächte.“ Man sage mit Recht, wenn wir so vorgehen, solange wir noch schwach sind, wie dann erst wenn wir stark sind. Sein Fazit: Außenminister Neurath müsse ein ernstes Wort mit Hitler reden78 . Genau das war der Punkt, der Bülow alsbald sehr klar wurde: Unterredungen mit Habicht und ähnlichen Funktionären hatten nicht den geringsten Zweck. Sollte etwas erreicht werden, mußte Hitler überzeugt werden, daß die Österreich-Kampagne das Reich in zu große Gefahr brachte. Allenfalls sein Machtwort konnte auf die Rabauken von der deutschen und der österreichischen SA Eindruck machen. Der Gedanke schien plausibel, doch waren gleich zwei Haken dabei. Erstens stand ja Hitler auf der Seite der Unruhestifter. Wenn Habicht und Genossen in den Gesprächen mit den Vertretern des Auswärtigen Amts etwas Reue an den Tag legten, Besserung gelobten und danach ihr Treiben munter fortsetzten, taten sie das in der Gewißheit, daß sie sowohl mit der versuchten Täuschung der Beamten wie mit der Mißachtung der empfangenen Mahnungen im Sinne und nach dem Willen des „Führers“ handelten. Hitler beteiligte sich noch an dem Spiel. So wollte er mit Habicht gesprochen und Zurückhaltung befohlen haben79 . Nur wenige Tage danach griff Habicht in einer Rundfunkrede Dollfuß in übelstem Ton so scharf an, daß der italienische Botschafter im Auswärtigen Amt erschien, um im Namen Mussolinis zu protestieren, auf den die Rede einen „peinlichen Eindruck“ gemacht habe80 . Das löste bei Hitler nur einen Wutanfall aus: Man habe nicht Verzicht auf Propaganda versprochen, sondern lediglich Eindämmung, und das, so behauptete er dreist, sei auch geschehen81 . Schon damals hätte Mussolini sehen können, daß sich Hitler wenig um die Meinung des „Duce“ kümmerte – wenn der „Führer“ selbst eine hatte. Hitler ließ es auch kalt, daß Mussolini mitteilte, er werde sich, wenn auch ungern, der englisch-französischen Demarche gegen Deutschland tatsächlich anschließen müssen, sollten die Aktivitäten gegen Dollfuß nicht eingestellt werden82 . Mussolinis Stimmung verschlechterte sich noch, weil er etliche andere politische Aktionen Hitlers zutiefst mißbilligte. Jetzt ließ er Berlin wissen, daß es ihm unverständlich sei, „wie man einen Mann wie Habicht weiter in dieser Weise tätig sein lassen könne. Habicht richte gerade vom deutschen Standpunkt aus solchen Schaden an, daß es s. E. das einzig richtige sein würde, ihn in ein Manicomio zu sperren“83 . Daß er das gleiche Verfahren auch noch für Alfred Ro145
senberg vorschlug, verriet das Maß seines Ärgers und zugleich seine damals noch gegebene Fehleinschätzung der Grundrichtung Hitlerscher Außenpolitik. Der „Führer“ ignorierte jedenfalls selbst so deutliche Worte, und der von Münchner Partei- und SA-Stellen finanzierte und materiell unterstützte Terrorismus der österreichischen Nationalsozialisten ging munter weiter. Noch vor dem Treffen Hitler – Mussolini, das am 14./15. Juni 1934 in Venedig stattfand, verlangte Bülow wieder einmal, in der Österreich-Frage „den Kampf mit Ehren und ohne Opfer an Dritte abzubrechen“; die beiderseitigen Einschränkungen im Reiseverkehr seien aufzuheben, die 1000-Mark-Sperre müsse verschwinden und die gegenseitige Propaganda in Presse und Rundfunk eingestellt werden84 . Fast zur gleichen Zeit sagte Hitler zu Habicht: „... ein Nachgeben in der österreichischen Frage käme für ihn nicht in Betracht ... er denke vor allem nicht daran, einem Druck Italiens zu weichen und etwa Zugeständnisse zu machen, die die österreichische nationalsozialistische Partei als Preisgabe empfinden könne. Insbesondere käme eine Aufhebung der 1000-Mark-Sperre oder der übrigen Kampfmaßnahmen nicht in Frage.“85 Die Begegnung in Venedig brachte keine Veränderung, da Hitler und Mussolini, wenn sie in ihren Gesprächen das Thema Österreich berührten, vage blieben, um nicht im Streit auseinandergehen zu müssen; weder zog Mussolini die Hand von Dollfuß noch versprach Hitler dessen Schonung. Als zweites Problem bei der Beeinflussung Hitlers erwies sich der Reichsaußenminister. Nicht daß Baron Neurath in der Sache anderer Meinung gewesen wäre als Bülow und nahezu alle übrigen Spitzenleute des Auswärtigen Amts. Aber seine Abneigung gegen Konflikte und seine Liebe zur Bequemlichkeit führten dazu, daß seinen Versuchen, auf Hitler einzuwirken, Nachdruck und Überzeugungskraft fehlten – und dieser Mangel wurde sozusagen von Monat zu Monat schlimmer. Nach „einer längeren Unterhaltung mit Hitler“ teilte er Bülow lakonisch mit, eine „Änderung der derzeitigen Haltung der Nationalsozialistischen Partei gegenüber Österreich habe er nicht erreichen können“86 . Wieder und wieder beschwor Bülow seinen Minister vergeblich, zu Hitler zu gehen und diesem ein Machtwort gegen die Anti-Dollfuß-Kampagne abzuringen. Zu einer Epistel, in der Bülow besonders sorgenvoll über die Österreichische Legion in Bayern sprach und abermals an Neurath appellierte, eine Intervention Hitlers zu erwirken, bemerkte der Außenminister, offenbar etwas belästigt: „Ich habe zwar gesprächsweise die Anregung verwertet, aber keine besonderen Schritte getan.“ Im übrigen, 146
so behauptete er entgegen der ihm durchaus bekannten Realität, sei „die Aufregung wegen der österreichischen Legion zurückgegangen“87 . Manchmal redete er doch eindringlicher mit dem „Führer“, aber dann tischte ihm Hitler Lügen auf, er werde Befehle zur Mäßigung erteilen oder habe sie schon erteilt, und Neurath ließ sich damit abspeisen, obschon er sehr wohl wußte, daß ihm der Reichskanzler etwas vorschwindelte; schließlich schrieb er an Innenminister Wilhelm Frick eine Beschwerde über die Legion, in der er kein Blatt vor den Mund nahm: „Die geschilderte Situation und die Gefahren, die sich aus ihr tagtäglich ergeben“, so warnte er, „wachsen sich zu einer sehr starken außenpolitischen Belastung der Reichsregierung aus und sind nachgerade für diese unerträglich geworden.“ Er halte eine Besprechung für notwendig, an der neben Reichskanzlei und Reichswehrministerium auch der Stellvertreter des Führers und der Stabschef der SA teilnehmen müßten88 . Ein derartiges Bemühen, die Front gegen die Österreich-Politik der NSDAP zu verbreitern, war freilich ein Versuch am untauglichen Objekt, da alle angeführten Institutionen, das Reichswehrministerium möglicherweise ausgenommen, der Linie Hitlers folgten. Davon abgesehen, hätte Neurath solchen Ton gegenüber Hitler anschlagen müssen; das tat er jedoch nicht und ließ sich lieber vom „Führer“ düpieren. Bülow war dazu nicht bereit. In den Tagen nach dem gescheiterten Putsch der österreichischen Nationalsozialisten, bei dem am 25. Juli 1934 Dollfuß ermordet wurde und auf den Mussolini mit militärischen Drohgebärden reagierte, rief General von Reichenau, Amtschef im Reichswehrministerium, den Staatssekretär an und berichtete, Hitler habe ihm gesagt, er beabsichtige jetzt die nationalsozialistische Politik in Österreich zu liquidieren und die Österreichische Legion aufzulösen. Bülow notierte dazu, grimmig und ein gesundes Mißtrauen gegen Versicherungen des „Führers“ verratend: Er wolle nicht wissen, was beabsichtigt sei, er wolle vielmehr wissen, in welchem Stadium der Durchführung sich die Absichten befänden89 . Mit anderen Worten: der vom Auswärtigen Amt entschlossen aufgenommene Kampf gegen die österreichischen Aktivitäten der NSDAP nahm einen recht kläglichen Verlauf. De facto verlor das Amt die Zuständigkeit für die Österreich – und damit auch zu einem erheblichen Teil für die Italienpolitik des Reichs an die NSDAP, deren Führer sich in diesem Falle eindeutig mehr als Partei- denn als Regierungschef verhielt. Es war danach kein Wunder, daß der Kampf auch ein ruhmloses Ende fand. Am 8. August 1934, mittlerweile hatte sich Franz von Papen als Missionschef in Wien etabliert, ordnete Hitler an, „daß künftig we147
der von Parteistellen noch von anderer Seite Fragen, welche die deutschösterreichische Politik berühren, im Rundfunk oder in der Presse behandelt werden dürfen, ohne daß zuvor eine Einigung darüber zwischen dem Herrn Reichspropagandaminister und dem derzeitigen Gesandten in Wien, Herrn von Papen, erzielt ist“. Angesichts der Immediatstellung zu Hitler, die Papen sich von Anfang an verschaffte, war mit dieser Anordnung das Auswärtige Amt aus dem öffentlich sichtbaren Bereich der deutsch-österreichischen Beziehungen ausgeschaltet, und da die Anordnung auf eine Anregung Neuraths zurückging, handelte es sich um eine Selbstausschaltung90 . Doch kam es noch schlimmer. Während die deutschen Missionschefs den Regierungen, bei denen sie akkreditiert waren, nach dem Juliputsch in Wien unentwegt zu versichern hatten, die Österreichische Legion sei aufgelöst, sei in Auflösung begriffen oder werde demnächst aufgelöst, brachte es das Auswärtige Amt in Wahrheit nicht fertig, die Auflösung der Legion durchzusetzen. Bülows Zweifel an der Aufrichtigkeit der Bemerkung, die Hitler gegenüber Reichenau gemacht hatte, waren nur zu berechtigt. Auf die nämliche Hinhaltetaktik, die von den Diplomaten im Ausland verfolgt werden mußte, stieß das Amt, wenn es die SA bedrängte, der die Legion zugehörte: Mal hieß es, die Legion sei bereits aufgelöst oder die angeblich schon aufgelöste Legion werde aus Bayern abgezogen und nach Norddeutschland verlegt, mal hieß es, die Legion sei umbenannt worden und habe ihren Charakter geändert, fungiere nur noch als „Hilfsbund“ oder als eine Art Arbeitsdienst. Während einer Besprechung im Reichsinnenministerium über das „Österreichische Hilfswerk Nord-West“ sagte aber schließlich – im Februar 1935 – SA-Obergruppenführer Hermann Reschny mit frecher Offenheit, die „Legion“ sei mittlerweile in Nordwestdeutschland stationiert, verrichte dort jedoch keine Kultivierungsarbeiten, sondern werde militärisch ausgebildet91 . Neurath stimmte nun, wie Köpke festhielt, sowohl der Unterbringung wie der Art der Beschäftigung der „Österreichischen Legion“ zu, und danach sei, so Köpke weiter, „zunächst vom AA ... nichts zu veranlassen“; zuständig sei jetzt das Reichsinnenministerium92 . Somit war das Auswärtige Amt aus der Österreich-Politik endgültig hinausgeworfen, und der Reichsaußenminister hatte dem zuletzt – obwohl er sowohl die Einmischung wie den Kurs der Partei nach wie vor verurteilte – keinen Widerstand mehr entgegengesetzt. Daß das Amt kurz darauf wenigstens den technischen Vollzug der deutschen Italienpolitik wieder in die Hand nehmen konnte, lag nicht etwa an einer plötzlich zurückgewonnenen Durchschlagskraft, sondern an Mussolini. 148
Als sich der „Duce“ in sein abessinisches Abenteuer stürzte, sah er sich genötigt, das Verhältnis zu Deutschland wieder zu kitten und die Rolle als Protektor Österreichs aufzugeben. Bei diesem Prozeß bediente er sich einige Zeit ganz selbstverständlich des offiziellen Apparats, zumal er Ulrich von Hassell schätzte, den deutschen Botschafter in Rom. Doch hatte das Amt auch hier nichts mit den wesentlichen Entscheidungen zu tun. Daß die deutsch-italienische Annäherung alsbald zur „Achse Berlin – Rom“ führte, entsprach weder den Intentionen des Reichsaußenministers noch denen der Spitzenbeamten wie Bülow und Köpke, zu deren revisionistischem Programm zwar eine gewisse Zusammenarbeit mit Italien gehörte, aber kein Bündnis.
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Konflikt mit Hitler und Resignation
Anderes wird Bülow aber noch weit schwerer belastet haben. Er hatte doch Dirksen in Moskau prophezeit, halb zynisch, halb hoffnungsvoll, der Erwerb der Macht werde die Nationalsozialisten milder, vernünftiger, realistischer machen, wobei er unter vernünftiger und realistischer naturgemäß unter anderem verstand, daß sie in der Außenpolitik zu seinen Auffassungen finden, also die in „Mein Kampf “ und in Rosenbergs Schriften gepredigten Eroberungsträume vergessen und auf ein – noch dazu vorsichtig exekutiertes – revisionistisches Programm einschwenken würden. Hitlers Ansprache vor der Generalität war jedoch ein erstes Warnsignal, auf das er mit seiner März-Denkschrift reagierte. In den folgenden Wochen und Monaten stellte sich dann heraus, daß bei Hitler und der NS-Bewegung keineswegs mit einem Bekehrungsprozeß gerechnet werden durfte, daß vielmehr der Gegensatz, der auch und gerade in den zentralen Fragen der deutschen Außenpolitik zwischen Bülow und dem Führer der Nationalsozialisten bestand, sozusagen von Tag zu Tag schroffer wurde. Die Denkschrift blieb ohne jede Wirkung, und in jenen zentralen Fragen trafen Bülow und das Auswärtige Amt nicht auf Personen und Organisationen, die zwar im Auftrag oder im Sinne des „Führers“ zu handeln behaupteten, gegen die jedoch – obwohl die Behauptungen ja in nahezu allen Fällen offensichtlich der Wahrheit entsprachen – noch ein Appell an den Reichskanzler möglich schien – sie trafen direkt auf Hitler. Manchen Konflikt dieser Art mochte dem einen oder anderen Beobachter noch als Methodenstreit oder als Meinungsverschiedenheit über das Tempo des außenpolitischen Vorgehens erscheinen, tatsächlich ging es aber stets um Differenzen im Grundsätzlichen. Am 14. Oktober 1933 erklärten Hitler und die Reichsregierung den Austritt Deutschlands aus dem Völkerbund und den Abzug der deutschen Delegation von der Genfer Abrüstungskonferenz, ohne daß vorher das Auswärtige Amt in irgendeiner Form zu Rate gezogen oder auch nur rechtzeitig informiert worden wäre. Gleichwohl ist Hitlers Akt gerade im Rückblick durchweg wohl als Alleingang gesehen worden, doch als ein Alleingang, bei dem Hitler immerhin im Sinne auch der alten, konservativen Eliten, im gegebenen Fall repräsentiert durch Auswärtiges Amt und Reichswehrführung, gehandelt habe. Doch trifft eine solche Interpretation für das Amt nur mit erheblichen Einschränkun151
gen zu. Was den Austritt aus dem Völkerbund angeht, so hatten sich Bülow und erst recht Neurath gewiß immer die Rückgewinnung der vollen außenpolitischen Bewegungsfreiheit des Reiches gewünscht, doch waren sich der Außenminister und sogar der frühere Erzfeind des Völkerbunds Bülow mittlerweile der Möglichkeiten bewußt geworden, die Genf als Plattform für Diskussion und politische Einflußnahme bot. Vor allem glaubten sie jedoch, daß der Austritt, wenn ihn jetzt das neue Regime vollzog, das Deutschland ohnehin schon politische Isolierung und moralische Ächtung eingebrockt hatte, dem Selbstausschluß des Reiches aus der europäischen Staatengesellschaft gleichkomme und daß dieser Selbstausschluß sogar eine reduzierte Revisionspolitik für lange Zeit ausschließen werde. Noch Mitte September 1933 fand Neurath in einer Ministerbesprechung freundliche Worte für den Völkerbund, wenn er auch darauf aufmerksam machte, daß auf der bevorstehenden Vollversammlung die deutsche Delegation mit dem Vorwurf rechnen müsse, in Deutschland sei eine entrechtete jüdische Minderheit geschaffen worden. Aber Austritt? Nein! Es wäre falsch, Genf den politischen Gegnern zu überlassen. „Der Zeitpunkt, den Völkerbund zu verlassen, dürfte erst bei völligem Zusammenbruch der Abrüstungskonferenz und nach endgültiger Regelung der Saar-Frage gekommen sein.“ Er setzte hinzu, auch die italienische Regierung habe sich trotz grundsätzlicher Gegnerschaft stets des Völkerbunds bedient, und damit gab er deutlich zu verstehen, daß er dafür sei, auch nach dem Eintreten der beiden genannten Ereignisse in Genf zu bleiben1 . Darin zeigt sich ein prinzipieller Gegensatz. Hitler und seine Gesinnungsgenossen wollten Deutschland in einen imperialen Staat umwandeln, der zu einer weit über die Ziele des normalen deutschen Revisionismus hinausgreifenden Expansion bestimmt war, sie sahen das Reich nicht als Macht unter anderen europäischen Mächten, sondern als Beherrscher des Kontinents. Um sich expansionistischer Politik zu nähern, kam es ihnen darauf an, schon frühzeitig – auch wenn das gefahrvoll sein sollte – das Geflecht internationaler Bindungen zu zerreißen, wie sie mit dem Völkerbund und den multilateralen Beratungen der Abrüstungskonferenz gegeben waren. Neurath und Bülow hingegen stellten Überlegungen an und äußerten Argumente, in denen ein Denken in den normalen Kategorien europäischer Politik Ausdruck fand. Sie dachten nicht an Herrschaft über den Kontinent, vielmehr glaubten sie mittlerweile daran, ihre revisionistischen Ziele im Einklang mit den europäischen Mächten – oder doch nicht in Feindschaft zu ihnen – erreichen zu können. So hielten sie die bereits eingetretene 152
Isolierung Deutschlands für bedenklich – sogar für gefährlich – und den Austritt aus dem Völkerbund für eine mutwillige und überdies völlig sinnlose Vermehrung der Gefahren. Eine solche Haltung, von des Gedankens Blässe angekränkelt und stillschweigend auch moralische Grenzen respektierend, war den nationalsozialistischen Führern wesensfremd und verächtlich. Noch deutlicher trat diese Verschiedenheit in der Rüstungsfrage zutage. Weder vor noch nach dem Beginn der Abrüstungskonferenz hatten die jeweilige deutsche Regierung und das Auswärtige Amt daran gedacht, durch die Aufkündigung des deutschen Mitwirkens die Konferenz in eine Farce zu verwandeln und die Verantwortung für das Ende jeglicher europäischer Abrüstungsanstrengung zu übernehmen. Daß Reichskanzler von Papen die deutsche Delegation am 22. Juli 1932 abberufen und erklärt hatte, sie werde erst wieder nach Genf zurückkehren, wenn Deutschlands Gleichberechtigung in militärischen Angelegenheiten anerkannt sei, war ein konferenztaktisches Manöver und nicht zur Torpedierung der Veranstaltung bestimmt gewesen, der Schachzug hatte ja auch Erfolg gehabt und im Dezember 1932 die grundsätzliche Anerkennung der deutschen Gleichberechtigung gebracht. Bülow hatte seit Jahren intern kein Hehl daraus gemacht, daß er das Scheitern der Konferenz wünsche und danach Rüstungsfreiheit für Deutschland. Aber der Schuldige am Scheitern sollte Frankreich sein, nicht das Deutsche Reich; in seinen Augen war nur dann die Vermehrung und Modernisierung der Reichswehr dem übrigen Europa plausibel und schmackhaft zu machen. Schon hierin liegt etwas mehr als eine taktische Differenz zum Hitlerschen Vorgehen. Das ganze Ausmaß des Gegensatzes zeigte sich dann nach dem 14. Oktober 1933. Schon in der ersten Phase der Aufrüstung wurde durch ihr Tempo und vor allem ihre Richtung deutlich, daß Hitler nicht eine gewisse Stärkung der militärischen Defensivkraft des Reiches wollte, sondern eine zu Angriffskriegen taugliche moderne Stoßarmee; namentlich der zunächst noch geheime, aber nicht geheim zu haltende Aufbau einer mit genügend Bombenflugzeugen ausgerüsteten Luftwaffe verriet Offensivabsichten. Nun waren Bülow und sein Kreis keine Pazifisten, und der Wunsch, revisionistischer Politik mit einer kräftigeren und modern bewaffneten Reichswehr Nachdruck verleihen zu können, verstand sich für sie von selbst. Doch schwebte ihnen, wie Bülow mehrmals den britischen Diplomaten in Berlin versicherte2 , allenfalls eine Verdoppelung der Reichswehr vor; sie dachten nicht an die Rückkehr zur allgemeinen Wehrpflicht, sondern nur an eine Ergänzung der Berufsarmee durch 153
eine Miliz nach dem Muster der amerikanischen Territorialtruppen, wobei Bülow nach dem 30. Januar 1933 mit der Aufstellung einer solchen Miliz auch die Auflösung aller sonstigen „militärähnlichen Verbände“ – also von SA und SS – zu begründen und durchzusetzen hoffte3 . Im Vergleich zu Hitlers Ambitionen war diese militärische Konzeption nicht bloß bescheidener, sondern die militärische Seite einer qualitativ anderen Politik. Daher waren Bülow und zum Beispiel ein Diplomat wie Hoesch, der die Ansichten des Staatssekretärs in wesentlichen Punkten teilte, auch bereit, auf ausländische Kritik an der deutschen Aufrüstung sogleich Rücksicht zu nehmen, sofern diese Kritik gerechtfertigt erschien. Im Sommer 1934 kam Oberst Leo Freiherr Geyr von Schweppenburg, Militärattaché in London, nach Berlin, um Bülow – mit ausdrücklicher Ermächtigung seines Botschafters – auseinanderzusetzen, daß die Schaffung einer starken deutschen Luftwaffe, insbesondere der Bau von Bombenflugzeugen, in England größte Beunruhigung hervorrufe; viele glaubten bereits daran, daß eines Tages deutsche Bombengeschwader ohne jede Vorwarnung London in Schutt und Asche legen würden. Es müsse etwas zur Beruhigung der Engländer geschehen4 . Bülow verhielt sich zunächst etwas zurückhaltend. In einer zweiten Unterredung berichtete Geyr, er habe inzwischen mit dem Chef der Heeresleitung, General Werner Freiherr von Fritsch, und mit Reichenau gesprochen und bei beiden Verständnis für die Sorgen der Londoner Botschaft gefunden, während im Luftfahrtministerium Staatssekretär Erhard Milch gesagt habe, über eine Konvention zur Begrenzung der Luftrüstung lasse sich reden, wenn Deutschland über genügend Bomber verfüge. Bülow notierte dazu: „Herr von Geyr konnte mir nicht erklären, wie sich das Luftfahrtministerium zu der Tatsache stellt, daß der Herr Reichskanzler stets erklärt hat, er verlange für Deutschland keine Bombenflugzeuge, sondern nur Jagdflugzeuge und Aufklärungsflugzeuge.“5 Die beiden überlegten sich, ob ihre Minister gemeinsam bei Hitler vorstellig werden sollten, und wenige Tage später schrieb Bülow in der Tat an Neurath und führte ihm vor Augen, wie „bedenklich ... die Überschreitung des vom Reichskanzler offen geforderten Rüstungsstands“ sei, „den ich immer“, fügte er vielsagend hinzu, „als offizielles Maximalprogramm angesehen habe“. Wollen Sie, fragte er den Außenminister, „in dieser Sache etwas unternehmen, etwa wenn Blomberg zurück ist? Sollen wir etwas tun?6 Hoffnungsvoll klang das nicht mehr, und so muß es schiere Verzweiflung gewesen sein, daß er kurz danach in einem weiteren Schreiben 154
an Neurath, in dem er konstatierte, die Londoner Warner hätten völlig recht, den Gedanken äußerte, die deutsche Regierung solle sich eventuell doch zu einem Ostpakt verstehen7 . Bislang hatte er ein – vor allem von Großbritannien hartnäckig angestrebtes – Ost-Locarno stets strikt abgelehnt, da dies mit dem Verzicht auf die revisionistischen Ansprüche an Polen verbunden sein mußte. Jetzt aber, da er nach Mitteln suchte, die Hitlersche Herausforderung der europäischen Mächte abzuwenden, dem NS-Regime bestimmte Angriffswaffen vorzuenthalten und ihm damit außenpolitische Abenteuer unmöglich zu machen, war er, zumindest einen Augenblick lang, sogar bereit, von seinem seit vierzehn Jahren unbeirrbar verfochtenen Revisionismus endgültig Abschied zu nehmen. Wie er allerdings glauben konnte, bei den Revisionisten innerhalb und außerhalb des Amts Unterstützung zu finden, wie er außerdem glauben konnte, die neuen Machthaber in Deutschland seien mit den Zwirnsfäden von Vertragsparagraphen zu fesseln, ist zu diesem Zeitpunkt nicht mehr verständlich. Bülow unternahm es auch, auf die Militärs einzuwirken. Seit dem Weltkrieg saß ja tief in den Soldaten die Furcht vor einem Mehrfrontenkrieg, dem Deutschland, wie sie erlebt hatten, nicht gewachsen war, und diese Furcht gedachte er als Bundesgenossin zu mobilisieren. So plädierte er in einer Unterhaltung mit General Ludwig Beck, dem Chef des Generalstabs, dafür, „die Aufrüstung nicht zu übertreiben“, weil erstens „die wirtschaftliche Gesundung und finanzielle Erstarkung Deutschlands damit unmöglich Schritt halten könnten, und weil zweitens eine übertriebene Aufrüstung „einen Ring von Gegnern“ schaffe8 . Aus London unterstützte Hoesch diese Argumentation Bülows mit einem längeren Memorandum. Das „militärische Wiedererstarken Deutschlands“, so drückte sich der Botschafter diplomatisch aus, habe binnen kurzer Zeit „zu einer Entwicklung geführt, die noch vor Jahresfrist niemand für möglich gehalten hätte“. Eine wirkliche Annäherung zwischen Italien und Frankreich, erst recht zwischen Italien und Jugoslawien habe man sich nicht vorstellen könne, „und der Gedanke, daß Frankreich und Rußland jetzt bereits in einem bündnisähnlichen Verhältnis stehen, erscheint wie ein Traumgebilde, wenn man sich vergegenwärtigt, mit welchem Maß und mit welchem Abscheu das so überaus bürgerliche Frankreich noch bis vor kurzem das bolschewistische Rußland behandelte. Daß vollends ein konservativer englischer Minister Moskau besuchen würde, hätte wohl niemand vorausgeahnt.“ So stehe denn, folgerte Hoesch, „das Gerüst für eine Einkreisung Deutschlands bereits fertig aufgerichtet“. In dieser Lage sei die Haltung 155
Englands entscheidend, und da habe man einen Trumpf in der Hand, nämlich die Abscheu Englands gegen einen Bruch mit Deutschland und gegen die Rückkehr zur reinen Macht- und Bündnispolitik. England sei also von der Beteiligung an der Einkreisung abzuhalten und diese damit zu verhindern, wenn Deutschland konstruktiv an Plänen zur Friedenssicherung mitarbeite. Bleibe das aus und glaube man in London die Aussichtslosigkeit weiterer Verständigungsversuche zu erkennen, „so erhebt sich ... für uns die Gefahr einer Umzingelung, mit der die Einkreisung des Vorkriegsdeutschland einen Vergleich nicht aushalten würde“9 . In Anbetracht der englischen Angst vor einem deutschen Luftüberfall hatte Bülow den Gedankengang Hoeschs in die knappe Forderung gefaßt: Keine Bomber, keine Bomben!10 Nun, Hitler hatte sich beim Verlassen von Völkerbund und Abrüstungskonferenz nicht um die Meinung der Fachleute des Auswärtigen Amts geschert. Als der Reichskanzler am 4. Oktober 1933 Bülow die Absicht eröffnete, die er dann am 14. Oktober wahr machte, hatte der Staatssekretär versucht, die Dinge doch noch auf ein Verhandlungsgleis zu schieben, und zwar mit dem Vorschlag, vor der Austrittserklärung in Verbindung mit den Führern der wichtigsten Konferenzdelegationen zu treten11 ; Hitler hatte das nicht weiter beachtet, übrigens auch – nicht zum letzten Mal – die Vermittlung Mussolinis zurückgewiesen. An der – ohne Bülow stattfindenden – Kabinettssitzung, auf der Hitler zehn Tage später den Entschluß zum Austritt offiziell mitteilte, nahm ein schweigsamer Neurath teil. Die Aufzeichnung einer Besprechung, die einer zentralen Frage der internationalen Beziehungen des Deutschen Reichs gewidmet war, vermerkt in der Tat nicht einen Satz des Reichsaußenministers12 ; selbst die praktischen Schritte, die jetzt erforderlich waren – so Schreiben an den Präsidenten der Abrüstungskonferenz und an den Generalsekretär des Völkerbunds –, nannte Innenminister Frick. Man kann nur annehmen, daß Neurath nach Hitlers Äußerungen in den Vortagen wußte, wie vergeblich jeder Widerspruch gewesen wäre, und daß er durch sein Schweigen so etwas wie fehlende Zustimmung zum Ausdruck bringen wollte. Nach dem 14. Oktober setzte sich die Mißachtung der Kritik fort, mit der jedenfalls Neuraths Mitarbeiter nicht hinter dem Berg hielten und die zu einem Teil Hitler auch erreichte. Ohne vorherige Konsultation oder sonst eine irgendwie geartete Mitwirkung des Auswärtigen Amts gab Hermann Göring am 13. März 1935 bekannt, daß Deutschland sich in aller Stille eine starke Luftwaffe zugelegt habe und diese Luftwaffe weiter ausbauen werde; zwei Tage später teilte Hitler der deutschen 156
und der europäischen Öffentlichkeit mit, das nationalsozialistische Deutschland führe die allgemeine Wehrpflicht ein und stelle ein Heer von zunächst 36 Divisionen auf. In ganz Europa wuchs nun noch die Angst vor dem schon bald militärisch aktionsfähigen Deutschen Reich, aber sofortige Reaktionen der europäischen Mächte blieben aus; im Gegenteil: die britische Regierung schloß kurz darauf mit Deutschland das Flottenabkommen und gab damit dem doppelten Bruch des Versailler Vertrags, den sich Hitler geleistet hatte, gewissermaßen den Segen. Die Chuzpe des „Führers“ und seine Spekulation auf das Ruhebedürfnis der Europäer waren erfolgreich gewesen, während sich die Warner widerlegt und die Verfechter anderer Methoden der Außenpolitik und einer anderen außenpolitischen Konzeption geschlagen sahen. Zu diesem Zeitpunkt hatte Bülow allerdings in der Frage, die als Kern seines revisionistischen Programms gelten darf, die Schlacht, auf die er sich auch hier gegen Hitler eingelassen hatte, ebenfalls schon verloren. Wenn er in seinem März-Memorandum mit Nachdruck dafür eingetreten war, die Kooperation mit der Sowjetunion fortzusetzen, und andererseits bündig gesagt hatte, eine Verständigung mit Polen sei weder „möglich noch erwünscht“, so mußte er in den folgenden Monaten, mit wachsender Bitterkeit und mit zunehmender Erkenntnis der Konsequenz des ideologisch-politisch anders orientierten Gegenspielers, mit ansehen, daß Hitler in beiden Fällen genau das Gegenteil tat. Wie gleichgültig dem „Führer“ das Verhältnis zur Sowjetunion war, die ja in einigen Jahren Opfer eines nationalsozialistischen Eroberungskriegs werden sollte, zeigte sich zunächst daran, daß er keine Hand rührte, um die antisowjetischen Aktivitäten der SA zu stoppen. Seit Jahren befand sich die SA in einem Bürgerkrieg mit den deutschen Kommunisten – mit „Rotfront“ –, der von beiden Seiten mit Erbitterung und größter Brutalität geführt wurde; entsprechend lang war die Liste der Verletzten und der Toten geworden. Daher hatte es eine gewisse Logik – wenn auch nicht Legitimation –, daß die Bürgerkriegsarmee der NS-Bewegung nach dem 30. Januar 1933 nicht nur gewaltsam gegen Juden vorging, sondern noch dazu – und dabei bald als „Hilfspolizei“ staatliche Autorität in Anspruch nehmend und mißbrauchend – eine wilde Kommunistenverfolgung inszenierte. Doch begnügte sich die SA damit nicht. Mit der gleichen Roheit und Lust an Gewalt, die Angehörige der KPD – und auch der SPD – zu spüren bekamen, griffen die Schlägertrupps der SA sowjetische Einrichtungen und ihr Personal an, zum Beispiel Handelsmissionen; Funktionäre der eben gegründeten Gestapo beteiligten sich mit Verhaftungen, Hausdurchsuchungen und 157
Beschlagnahmungen – alles durch nichts zu begründen, geschweige denn zu rechtfertigen – eifrig am Treiben der Rabauken. Bevor am 21. September 1933 in Leipzig der Prozeß gegen Marinus van der Lubbe, der den Reichstag in Brand gesteckt hatte, und etliche vermeintliche Hintermänner, darunter der deutsche Kommunist Ernst Torgler und der bulgarische Komintern-Funktionär Georgi Dimitroff, eröffnet wurde, fragte die sowjetische Regierung in Berlin an, ob Vertreter von Tass und Iswestija als Berichterstatter an dem Verfahren teilnehmen könnten. Hitler lehnte ab, und als die Journalisten trotzdem in Leipzig auftauchten, wurden sie morgens um 7 Uhr in ihrem Hotel verhaftet. Da es sich bei Tass und Iswestija nicht um Organe der KPdSU handelte – jedenfalls formal –, war der Vorfall einmalig im damaligen Europa und erregte größtes Aufsehen. Bereits im April hatte sich Dirksen beschwert, der Feldzug der Polizei gegen sowjetische Einrichtungen sei recht grob, widerspreche außerdem „den von mir im Auftrag des Reichsministers Litwinow gemachten Zusicherungen“13 , und Ende September hielt Bülow dann in einer Chefbesprechung, an der Hitler teilnahm, dem Reichskanzler vor, bislang habe es 113 Fälle von Übergriffen gegen sowjetische Institutionen und Personen gegeben. Die Russen hätten „sich bisher geduldig gezeigt“, aber durch die Verhaftung der Journalisten in Leipzig sei nun eine ernste Krise entstanden; die Sowjetunion habe alle Pressevertreter aus Deutschland zurückgezogen und den deutschen Journalisten in Moskau die Abreise nahegelegt, was der Ausweisung gleichkomme14 . Für Russen herrsche in Deutschland praktisch Rechtlosigkeit, und auf ihre Beschwerden habe die sowjetische Regierung in kaum einem Fall Genugtuung erhalten. Dieser Zwischenfall konnte von den Diplomaten zwar noch einmal aus der Welt geschafft werden, doch trat im Verhalten von SA und Gestapo nicht die kleinste Änderung ein. Während der erwähnten Besprechung kam es im übrigen zu einer bezeichnenden Szene. Ehe er über die sowjetischen Gravamina referierte, hatte Bülow das Problem der deutschen Emigranten zur Sprache gebracht, dabei mitgeteilt, daß sich zur Zeit in Holland, Frankreich und der Tschechoslowakei rund 50.000 Flüchtlinge aufhielten, und vorgeschlagen, in einer offiziellen Erklärung den nicht ausdrücklich Ausgewiesenen zu erklären, daß sie nach wie vor den Schutz des Deutschen Reiches genössen und jederzeit zurückkehren könnten. Hitler wischte den Vorschlag mit der ebenso stupiden wie kaltherzigen Bemerkung vom Tisch, bei den politischen Flüchtlingen handle es sich „vorwiegend um Ostjuden“ und daher sei es „nicht mehr als recht und billig, wenn auch andere 158
Länder gezwungen würden, eine bescheidene Quote dieser Quelle ostjüdischer Einwanderer bei sich aufzunehmen“. Trotz all der Gewaltakte, die Organe des neuen Regimes verübten, und obwohl der neue Reichskanzler der deutschen Außenpolitik von Anfang an eine antisowjetische Orientierung zu geben suchte, bemühten sich die Leiter des Auswärtigen Amts noch eine Weile lang darum, die Erosion der deutschen-sowjetischen Beziehungen aufzuhalten oder doch zu bremsen. Die bisherigen Moskauer Partner kamen ihnen dabei weit entgegen, denn ungeachtet ihrer bitteren Klagen über die Vorfälle in Deutschland und ihres Mißtrauens gegen die jetzt an die Macht gelangten Ideologen wie Rosenberg oder Hitler selbst versäumten sie keine Gelegenheit, den Angehörigen der deutschen Botschaft, ob Missionschef, ob Militärattaché, zu versichern, wie leid es ihnen tue, daß sich das deutsch-sowjetische Verhältnis so verschlechtere, und wie gerne sie zur alten Freundschaft zurückkehren würden; namentlich die Führer der Roten Armee bekundeten wieder und wieder ihre Bereitschaft zur Fortsetzung der guten Zusammenarbeit mit der Reichswehr15 . In Moskau spürte man den zunehmenden japanischen Druck im Fernen Osten und glaubte sich schon deshalb genötigt, neuen Feindschaften in Europa aus dem Wege zu gehen. Jedenfalls blieb das Klima zwischen dem sowjetischen Außenkommissariat und der deutschen Botschaft noch monatelang gut, und in Berlin gab sich Bülow redlich Mühe, eine gleiche Atmosphäre zu bewahren. Nachdem Alfred Hugenberg, Leiter der Deutschnationalen und in Hitlers Koalitionsregierung Reichswirtschaftsminister, Mitte Juni 1933 auf der Londoner Weltwirtschaftskonferenz eine törichte Rede entworfen und zwar nicht gehalten, doch der Presse zugeleitet hatte, in der eine uferlose deutsche Expansion sowohl in Afrika wie im Osten Europas als notwendiges Ziel deutscher Außenpolitik verkündet worden war, herrschte in Moskau – und nicht nur dort – naturgemäß helle Aufregung; Hitler nützte den Skandal mit Vergnügen, um den unbequemen Deutschnationalen zum Rücktritt zu zwingen und so den Koalitionspartner zu schwächen. Als der sowjetische Botschafter bei Bülow erschien und gegen den Hugenbergschen Imperialismus schärfstens protestierte, da wies der Staatssekretär die Moskauer Interpretation der Rede des Wirtschaftsministers zurück und erklärte, die deutsche Politik gegenüber Rußland habe sich keineswegs geändert. Dann fuhr er fort: „Eine russische Empfindlichkeit in Bezug auf den Gedanken eines Kreuzzugs gegen Rußland könnte ich nach den von Rußland gemachten Erfahrungen einigermaßen verstehen. Das sei aber der unerschütterliche Fels, auf dem die deutsch-russischen Bezie159
hungen aufgebaut seien, daß wir niemals uns an einer solchen Aktion beteiligen würden.“ Und er konstatierte, das Gespräch habe schließlich eine „versöhnliche Wendung“ genommen16 . Zeitweilig muß Bülow in der Tat den Eindruck gehabt haben, daß seiner und seiner Mitstreiter Bemühungen nicht ohne Erfolg blieben. Noch Anfang Juni 1933 konnte er an Oskar Trautmann, den Gesandten in Peking, schreiben, der Draht nach Moskau funktioniere wieder17 . Das war freilich eine Illusion. Der Wirtschaftsverkehr zwischen Deutschland und der Sowjetunion ging laufend zurück, und die politische Zusammenarbeit hörte auf, obwohl der Berliner Vertrag von 1926, der damals Ausdruck der deutsch-sowjetischen Freundschaft gewesen war, am 5. Mai 1933 noch einmal verlängert werden konnte; die militärische Kooperation schlief ein. Das Auswärtige Amt brachte es nicht fertig, die NS-Führung von ihrem sowjetfeindlichen Kurs abzudrängen. Bülow bekam es von Hitler selber zu hören. Ende September suchte der Staatssekretär den Kanzler davon zu überzeugen, daß eine Preisgabe der deutsch-sowjetischen Spezialbeziehung „außenpolitisch schwer tragbar“ sei. Im Augenblick, fuhr Bülow fort, „könnten wir für den Bruch mit Rußland außenpolitisch nichts eintauschen und könnten auch in unserer gegenwärtigen Lage nur schwer auf den russischen ,Schatten‘ verzichten. Dazu komme der Abbruch der bisherigen militärischen Beziehungen, die an sich sehr wohl durch neue und anders geartete ersetzt werden könnten.“ Aber auch eine solche Argumentation, für Hitler auf „Realpolitik“ getrimmt, fruchtete nicht. Alles, was sich Bülow für seine Ausführungen einhandelte, war die für seine künftigen Absichten höchst aufschlußreiche Bemerkung Hitlers: „... das Schicksal Sowjetrußlands ist mit unserer Revolution entschieden worden.“18 Gleichwohl gab man im Amt die Hoffnung noch nicht auf. Als sei bislang nichts geschehen, erhielt Rudolf Nadolny, als er im November 1933 Dirksen in Moskau ablöste, von Neurath die Instruktion: „Gute deutsch-sowjetische Beziehungen sind für Deutschland von wesentlicher Bedeutung. Im Verhältnis Deutschlands zu Polen sind sie sogar von außerordentlicher Wichtigkeit.“19 Eine solche Distanz zu den Berliner politischen Realitäten, im Frühjahr und Sommer wenigstens nicht ganz unerklärlich, ist zu diesem Zeitpunkt nicht mehr recht verständlich, zumal Hitler längst dabei war, gerade die deutsche Polenpolitik um 180 Grad zu drehen. Mit anderen Worten: Auch das zweite Postulat der März-Denkschrift Bülows: „Eine Verständigung mit Polen ist weder möglich noch wünschenswert!“ wurde von Hitler beiseite geschoben. Nicht daß Bülow gegen eine friedliche Nachbarschaft mit 160
Polen gewesen wäre. Es war ja immer wieder zu erkennen, daß er ein gutes Verhältnis zu Warschau wünschte, nicht an eine Teilung Polens dachte und die Hoffnung hegte, das Korridorgebiet einmal irgendwie ohne Beschädigung der deutsch-polnischen Beziehungen zurückzugewinnen. Er bemühte sich stets, überflüssige Konflikte mit Polen zu vermeiden und antipolnische Propaganda zu verhindern20 . Nachdem die Danziger NSDAP Ende Mai 1933 bei den Senatswahlen die absolute Mehrheit erreicht hatte und nun Danzig praktisch gleichzuschalten vermochte, investierte er erhebliche Anstrengungen in den Versuch, die radikalen Danziger Nationalsozialisten, an ihrer Spitze Albert Forster und Arthur Greiser, zurückzuhalten, die im Siegesrausch anfänglich durchaus zu Provokationen Warschaus aufgelegt waren. Er stützte dabei den Senatspräsidenten Hermann Rauschning, der gewiß auch Nationalsozialist war – er schrieb später das überaus einflußreiche Buch „Gespräche mit Hitler“ –, aber Streit mit Polen möglichst aus dem Wege gehen wollte und als Regierungschef sozusagen den Staat gegen die Partei vertrat21 . Da er Rauschning aber nicht nur gegen Forster und Greiser, sondern bald auch gegen Hitler zu stützen hatte – wobei die Berliner oder Danziger Polenpolitik keine Rolle spielte –, ging auch dieses auf einem Nebenkriegsschauplatz ausgetragene Gefecht verloren; am 24. November 1934 zum Rücktritt gezwungen, mußte Rauschning 1936 emigrieren. Wogegen sich Bülow wehrte, war eine Verständigung mit Polen ohne vorherige Erfüllung der territorialen Ansprüche des Reiches. Und genau das tat Hitler. Das erste Signal kam allerdings aus Warschau. Die polnische Regierung hatte den Gedanken eines Präventivkriegs gegen das neue nationalsozialistisch geführte Deutschland, wenn sie ihn denn je gehabt haben sollte, rasch wieder aufgegeben. Die unbedingt notwendige Voraussetzung, nämlich die Mitwirkung Frankreichs, war nicht zu schaffen, teils weil die französischen Politiker seit der bösen Erfahrung mit der Ruhrbesetzung den Geschmack an solchen Interventionen verloren hatten und ohnehin zu einer dem Wesen nach defensiven Politik neigten, teils weil der Vertrag von Locarno die deutsche Westgrenze schützte und die Pariser Regierung einen Konflikt mit den Garantiemächten von Locarno, England und Italien, scheute. Auf der anderen Seite zeichnete sich schon in den ersten Wochen nach dem 30. Januar 1933 die Zerrüttung der deutsch-sowjetischen Beziehungen ab, und das weckte in Warschau die Hoffnung, ein nicht mehr mit der Sowjetunion gegen Polen verbundenes Deutschland verständigungsbereit zu finden. Außerdem zeigte die Lektüre gerade jener Schriften 161
Hitlers und Rosenbergs, die Stalin und seine Gehilfen mit Recht so mißtrauisch stimmten, daß der neue Reichskanzler kein preußischer Revisionist war und Polen im Hinblick auf seine rußlandfeindlichen Absichten vielleicht sogar als potentiellen Bundesgenossen ansah. Eine Realisierung der nationalsozialistischen Eroberungspläne erschien ja doch – einem 1933 überlegenden und agierenden Politiker – völlig ausgeschlossen, im Augenblick aber mochten sie als Katalysator einer die deutsch-polnischen Grenzen sichernden diplomatisch-politischen Annäherung Polens an Deutschland dienen. Als der deutsche Gesandte in Warschau, Adolf von Moltke, Mitte April 1933 bei Józef Beck vorsprach, um im Namen des Deutschen Reiches gegen eine deutschfeindliche Welle in Polen zu protestieren, fand er den polnischen Außenminister „überraschend versöhnlich“22 . Hitler, dessen Denken in der Tat dem polnischen entgegenkam und der überdies eine Chance witterte, Polen von Frankreich zu trennen, reagierte sofort. Anfang Mai empfing er Alfred Wysocki, den polnischen Gesandten in Berlin, und wenn er es auch für nötig hielt, polnische Ansprüche auf Danzig zurückzuweisen und den Polen zu sagen, einen Zugang zur Ostsee hätten sie doch auch östlich von Ostpreußen finden können, gab er sich im übrigen verständigungsbereit. Die beiden Länder sollten „ihre gemeinsamen Interessen beiderseits leidenschaftslos überprüfen und behandeln“. Er sei Nationalist und achte daher jede Nationalität; er denke gar nicht an die Eroberung nicht-deutscher Gebiete. Er „betrachte Polen als eine Realität“23 . Bereits einen Tag danach überbrachte Wysocki den Dank der polnischen Regierung für die Worte des Reichskanzlers, die geeignet seien, „eine wesentliche Entspannung“ der deutsch-polnischen Beziehungen zu ermöglichen; in Warschau teile man den „Wunsch nach einer leidenschaftslosen Atmosphäre“ für die Behandlung deutsch-polnischer Fragen24 . Wie eine Aufzeichnung Bülows belegt, war das Auswärtige Amt durchaus für eine solchermaßen eingeleitete Entspannung zwischen Polen und Deutschland25 . Doch Hitler trieb die Dinge weiter. Zwar gingen nach den ersten Fühlern einige Monate ins Land, da sich die beiden potentiellen Partner nicht über den Weg trauten. Aber Mitte November kam es zu einer Unterredung zwischen Hitler und Józef Lipski, der inzwischen Wysocki abgelöst hatte, und nachdem der Gesandte gesagt hatte, daß Marschall Józef Pilsudski freundschaftliche Beziehungen zu Deutschland wolle, versicherte der Reichskanzler abermals, daß er Polen als „etwas Gegebenes“ betrachte, daß Deutsche und Polen nun einmal Nachbarvölker seien und daß „dieser Tatsache Rechnung getragen werden“ müsse. 162
Danach kam er vollends mit der Sprache heraus: „... es sei ein Unsinn, etwa wegen kleiner Grenzberichtigungen einen Krieg zu führen“, und er sei durchaus zu einer „Gewaltverzicht-Erklärung“ bereit26 . Bestürzt schrieb ausgerechnet Ministerialdirektor Meyer, der die Aufzeichnung über das Gespräch Hitler – Lipski verfaßt hatte, an Moltke in Warschau, daß Hitler keineswegs von „Nichtangriffspakt“ gesprochen habe27 . Aber eben das war der Sinn der Bemerkungen des Reichskanzlers, und so enthielt denn auch ein Memorandum des Amts, das ohne Unterschrift ist, als dessen Autor man aber Bülow vermuten darf, den Mahnruf der Revisionisten: Ein Nichtangriffspakt zwischen Deutschland und Polen würde, „auch wenn er ohne direkte Anspielung auf territoriale Fragen abgeschlossen würde, international zweifellos als die Aufgabe oder mindestens als eine wesentliche Abschwächung des bisherigen deutschen Standpunkts hinsichtlich der Ostgrenzen aufgefaßt werden“. Das Memorandum schloß mit der zutreffenden Feststellung, die Kündigung eines solchen Pakts nach etlichen Jahren sei eigentlich kaum möglich, „da dies Bekundung deutschen Angriffswillens“ wäre28 . Ob derartige Einsprüche Hitler erreichten, ist unklar; wenn sie ihn erreichten, hat er sie jedenfalls ignoriert. Am 26. Januar 1934 wurde der deutschpolnische Nichtangriffspakt unterzeichnet. Wieder einmal hatte das Auswärtige Amt erfahren müssen, daß im NS-Regime Entscheidungen über den außenpolitischen Kurs und die diplomatischen Aktionen von anderen getroffen wurden, von Hitler selbst und den vom Führer der NSDAP ermächtigten oder gedeckten Funktionären. Jeder einzelne Fall und erst recht die Summe der Fälle bewiesen außerdem, daß hier nicht eine simple Kompetenzverlagerung stattfand, wie sie zwischen Regierungschef und Außenministerium in allen Staaten vorkommt, in Demokratien so gut wie in Diktaturen. Was Hitler und seine Gehilfen taten oder unterließen, geschah aber nicht nur ohne Beteiligung des Amts am Entscheidungsprozeß, sondern gegen dessen dezidiert geäußerte Meinung und zeugte von einem Geist und einer politischen Zielsetzung, die sich vom Revisionismus, wie er im Amt heimisch war, qualitativ unterschieden. Um so merkwürdiger ist es, daß die Angehörigen des Amts trotz solcher Erfahrungen immer wieder überlegten, dachten, kalkulierten und mit Berichten, Memoranden, Gesprächen sozusagen handelten, als seien sie es, die nach wie vor Deutschlands Außenpolitik bestimmten. Im letzten Konflikt zwischen Amt und Hitler, den Bülow noch erlebte, zeigte sich das besonders deutlich. Dieser Konflikt ergab sich aus der Entwicklung der deutsch-sowjetischen Beziehungen. Wie nicht anders zu erwarten, führte ihre mit 163
Hitlers Machtübernahme beginnende und sich alsbald beschleunigende Zerrüttung zu einer Umorientierung der Moskauer Außenpolitik. Angesicht des drohenden Konflikts mit Japan war die Sicherung der sowjetischen Westgrenzen notwendiger denn je. Daher wurde die Abwendung des deutschen Partners in Moskau als herber Verlust empfunden. Schon deshalb begannen Stalin und seine Gehilfen nach einem Ersatz für den verlorenen Freund Ausschau zu halten, und da sich der verlorene Freund offenbar in einen Feind mit aggressiven Absichten verwandelte, erhielt die Sache Dringlichkeit. Auch hatte Stalin mit Zwangskollektivierung und Beschleunigung der Industrialisierung die Sowjetunion in einen Zustand gebracht, in dem die innere Revolutionierung Ruhe an den Grenzen erforderte, also eine defensive Außenpolitik und nach dem Ausfall Deutschlands die Kräftigung der außenpolitischen Defensive durch die Gewinnung neuer Freunde. Abgesehen von etlichen Nichtangriffspakten mit Nachbarstaaten, entdeckte man in Moskau zwei Mittel der Abschirmung gegen äußere Angriffe, etwa Deutschlands und des mit dem Reich neuerdings freundschaftlich verbundenen Polen: die kollektive Sicherheit, also den Völkerbund, und die Wiederherstellung der Allianz mit Frankreich, die von den achtziger Jahren des 19. Jahrhunderts bis zum Beginn der Russischen Revolution bestanden hatte. Dabei war den Führern der sowjetischen Außenpolitik klar – bzw. es wurde ihnen von der französischen Regierung klargemacht –. daß ein Bündnis mit Frankreich das Bekenntnis zur kollektiven Sicherheit und folglich den Eintritt in den Völkerbund voraussetzte. Bereits Anfang Januar 1934 berichtete Nadolny aus Moskau, ihm gegenüber habe der sowjetische Außenkommissar Litwinow den Völkerbund als „nützliches Instrument für die Aufrechterhaltung des Friedens“ gelobt; er zeige „keine aggressive Tendenz mehr gegen die Sowjetunion“, die daher einen Eintritt nicht mehr grundsätzlich ablehne29 . Tatsächlich trat die Sowjetunion der Genfer Institution schon am 18. September des Jahres bei, und danach begannen sogleich Verhandlungen über einen Freundschaftsvertrag, die rasch abliefen und am 2. Mai 1935 mit der Unterzeichnung endeten. Frankreich war die sowjetische Beteiligung an der politischen Eindämmung des Dritten Reiches zunächst sehr erwünscht. Im Auswärtigen Amt ist die französisch-sowjetische Verständigung genau und mit größtem Bedauern registriert worden. Auch wurde die Bedeutung des Vorgangs für die internationalen Konstellationen durchaus erkannt; Bülow nannte den Eintritt Rußlands in den Völkerbund, zu dem es nun unter ganz anderen als den einst von ihm gesehenen Aus164
pizien kam, sogar ein „Ereignis von weltpolitischer Tragweite“30 . Doch fiel es im Amt niemand ein, dramatische Folgerungen für die deutsche Position und die deutsche Politik zu ziehen. Anfänglich lag dies in erster Linie daran, daß die Überzeugung, man könne den Prozeß noch stoppen und zum alten deutsch-sowjetischen Verhältnis zurückfinden, nur langsam abstarb. Daran hatte, wie schon angedeutet, die unklare Haltung sowjetischer Spitzenfunktionäre keinen geringen Anteil. Am 10. Januar 1934, wenige Tage nach Litwinows Lobrede auf den Völkerbund, setzte Karl Radek, einflußreich im Moskauer Führungskreis und damals außenpolitischer Redakteur der Iswestija, dem deutschen Botschafter auseinander, daß Stalin einfach nicht wisse, „woran er mit Deutschland ist“. Das könne auch nicht anders sein: „Wir konnten den Nazis nicht anders als mit Mißtrauen begegnen.“ Aber Deutschlands Stärke werde wachsen und bald die Stärke Frankreichs übertreffen. Nichts werde geschehen, „was [uns] für immer die Wege zu einer Politik mit Deutschland verbauen würde“31 . Neben Bülow hegte auf deutscher Seite vor allem Nadolny, der Vertreter des Reiches in Moskau, noch einige Zeit die Hoffnung, daß es möglich sei, das deutsch-sowjetische Verhältnis zu reparieren. Als ihm Außenminister Neurath, der in dieser Frage allmählich auf den Kurs Hitlers einschwenkte, Mitte Januar 1934 bedeutete, er solle den noch immer recht häufigen sowjetischen Avancen mit „kühler, ruhiger Reserve begegnen32 , da antwortete er, „kühle, ruhige Reserve“ sei ganz falsch, und er versicherte seinem Berliner Chef, Rußland habe noch nicht für Frankreich optiert33 . Die in seinen Augen unverständliche Haltung des Reichsaußenministers konnte aber Nadolny nicht entmutigen. Obwohl inzwischen der Vertrag mit Polen unterzeichnet und damit der Bruch mit Moskau besiegelt worden war, verfaßte er noch Ende Mai 1934 eine von Bülow gebilligte Denkschrift, in der er darlegte, daß man in Moskau zwar einen nationalsozialistischen Kreuzzug gegen den Osten fürchte und auch die Judenverfolgung in Deutschland bei diversen Personen der sowjetischen Führung verstimmend wirke, daß jedoch trotzdem „der Versuch einer Besserung des deutsch-russischen Verhältnisses“ keineswegs „aussichtslos“ sei; etwas Geduld müsse aufgebracht werden34 . Drei Wochen danach gab Neurath eine Presseerklärung heraus, die besagte, der deutsche Botschafter in Moskau Rudolf Nadolny sei in den einstweiligen Ruhestand versetzt worden; Nachfolger wurde Friedrich Werner Graf von der Schulenburg, bisher Gesandter in Bukarest. Graf Schulenburg setzte die Bemühungen seines Vorgängers fort, taktvoller, weniger stürmisch und genauso erfolglos. Die Anhänger einer rußlandfreundlichen Politik bekehrten sich aber nicht und blie165
ben, bis sie einige Jahre später für kurze Zeit wieder auftauchen durften, unterhalb der offiziellen Politik als lockere Gruppe bestehen, sie mußten jedoch einsehen, daß die Hindernisse, welche einer Wiederherstellung guter deutsch-sowjetischer Beziehungen im Wege standen, bei der eigenen und nicht bei der sowjetischen Führung zu suchen, mithin vorerst unüberwindlich waren. Dennoch erregte die sowjetisch-französische Annäherung keinen Schrecken im Amt. Mit und nach dem Weltkrieg hatte sich ja die Situation grundlegend gewandelt. Deutschland grenzte nicht mehr an Rußland, dazwischen lagen jetzt Polen und Litauen, folglich war eine simple Restauration der französisch-russischen Allianz, wie sie bis 1917 existiert hatte, unmöglich. Die polnische Regierung sagte jedem, der es hören sollte, daß Warschau einen Durchmarsch russischer Truppen – ganz unabhängig vom deutsch-polnischen Nichtangriffspakt – niemals zustimmen werde35 , und aus diesem Grunde sprachen auch französische Generäle der Verständigung zwischen Paris und Moskau keinen militärischen Nutzen zu36 . In den europäischen Verhältnissen, wie sie sich seit Anfang der dreißiger Jahre entwickelt hatten, zählten aber zwischenstaatliche politische Vereinbarungen nur noch dann, wenn sie mit militärischen Zähnen zu beißen vermochten, und so war der französisch-sowjetische Vertrag nur eine leere Geste. Bülow sah noch einen anderen Aspekt: Da nicht daran zu denken sei, schrieb er Mitte Februar 1934 an Nadolny, „daß Frankreich bereit sein könnte, sich zu verpflichten, Rußland gegebenenfalls gegen Japan Beistand zu leisten, kommt ein eigentliches russisch-französisches Bündnis überhaupt nicht in Frage“37 . Ähnlich – und aus ähnlichen Gründen – wertlos war das Abkommen zwischen Moskau und Prag, das dem französisch-sowjetischen Vertrag am 16. Mai folgte; die bis heute in der Literatur erwähnten sowjetischen Flugplätze auf tschechoslowakischem Territorium waren ein trotz überzeugender Widersprüche – empörte aus Prag und besorgte aus London – hartnäckig verbreitetes Produkt der nationalsozialistischen Propaganda, in diesem Fall mit Hermann Göring als Stichwortgeber38 . Im übrigen fand eine Mehrheit der Franzosen die plötzliche Kooperation mit den Bolschewisten so widerwärtig, daß der französisch-sowjetische Vertrag schon deshalb keinem härteren Test standgehalten hätte. Und da gab es schließlich noch die Abmachungen von Locarno. War Deutschlands Ostgrenze gegen eine jetzt möglicherweise feindselige Sowjetunion durch das als Puffer wirkende Polen geschützt, so Deutschlands Westgrenze gegen etwaige französische Aggressivität durch die Verträge von Locarno. Schon im November 1933 hatte Köpke 166
in einer Notiz festgehalten, wie günstig Locarno für Deutschland sei, und seine Warnung vor einer deutschen Verletzung oder gar Zerstörung von Locarno, nämlich durch die Remilitarisierung des Rheinlands, war deutlich ausgefallen: „Geschähe dies, so würde freilich Frankreichs Position mit einem Schlage überaus günstig sein, da dann sämtliche Vertragspartner von Locarno, d. h. England, Italien, Belgien mitsamt den Polen und Tschechoslowaken vertraglich verpflichtet wären, Frankreich Beistand zu leisten.“ Und er fuhr fort: „Geschieht dies aber nicht und unterlassen wir jeden Verstoß gegen die Bestimmungen über die 50-Kilometer-Zone, so wird Frankreichs Bewegungsfreiheit jedenfalls schon durch die völkerrechtliche Lage wesentlich behindert.“39 Im Dienste dieses Kalküls trat Bülow den gelegentlich laut werdenden Ambitionen der Reichswehr energisch entgegen. Die Militärs verspürten naturgemäß den Drang, endlich auch über das Rheinland wieder verfügen, also dort Soldaten rekrutieren, Truppen stationieren und Befestigungen anlegen zu können. Wenn aber zum Beispiel Generalleutnant Ludwig Beck, Chef des noch 1935 offiziell in Generalstab umbenannten Truppenamts, auf die Remilitarisierung des Rheinlands drängte, wies ihn Bülow sofort in die Schranken: Locarno dürfe nicht angetastet werden; außerdem würde ein solcher Schritt nur Belgien in die Arme Frankreichs treiben40 . Noch im November 1935 erwirkte Bülow eine Verfügung des Reichswehrministeriums, die allen Teilen und Einheiten der entstehenden Wehrmacht einschärfte, die Bestimmungen über die entmilitarisierte Zone peinlich genau einzuhalten41 . Nachdem Italien am 3. Oktober 1935 mit dem Angriff auf Abessinien begonnen hatte, klagte Bülow, die italienische Aktion gefährde Locarno, „an dem wir festhalten, weil die Zusammenarbeit ... der 4 Locarno-Mächte die einzige sichere und nützliche Grundlage für die Gestaltung der europäischen Politik“ abgibt42 . Eine derart positive Einschätzung Locarnos zeigt, daß die Einwände, die der „Mann mit dem offensiven Schweigen“ gegen Stresemanns Locarno-Politik gehabt hatte, inzwischen hinfällig geworden waren; sie belegt darüber hinaus einen politischen Reifeprozeß, der bereits in den ersten Amtsjahren des Staatssekretärs Bülow eingesetzt und den nach dem 30. Januar 1933 die ständige Konfrontation mit der Außenpolitik der NS-Führung, mit ihren Zielen wie mit ihren Methoden, erheblich beschleunigt hatte. Nach der Unterzeichnung des französisch-sowjetischen Vertrags hat Locarno in Bülows Augen noch an Bedeutung gewonnen. Die Verbindung Paris – Moskau stellte zwar keine Gefährdung der Sicherheit Deutschlands dar, verdeutlichte aber die Isolierung des Reiches 167
und machte dessen internationale Position unbequemer; auch war nicht gänzlich auszuschließen, daß sich Frankreich durch die Gewinnung eines neuen Bundesgenossen, der bisher in den Kombinationen französischer Regierungen nicht die geringste Rolle gespielt hatte, zu außenpolitischen Abenteuern ermuntert fühlte. Irgendeine Reaktion war also unumgänglich. Ausgangspunkt war dabei die völkerrechtlich wohl zutreffende Annahme, daß, wie Bülow einige Tage nach dem sowjetisch-französischen Vertragsabschluß in einem Runderlaß konstatierte, „wir ... gegen den Vertrag keinen formellen Protest in dem Sinne einlegen können, daß er eine direkte Verletzung von Locarno darstellt“43 . Wenn man mithin die Vereinbarung zwischen Paris und Moskau nicht anfechten konnte, mußten etwaige unangenehme Folgen anders abgewehrt werden, und als probatestes Mittel gegen französischen Übermut erschien, wie Bülow die Dinge sah, die Bekräftigung von Locarno. Noch im April 1935 hatte Sir Eric Phipps, der britische Botschafter in Berlin, im Auswärtigen Amt eine Note mit einer gemeinsamen englisch-italienischen Erklärung überreicht, in der Großbritannien und Italien sich aufs neue zu ihren LocarnoVerpflichtungen bekannten. Als Bülow die Note entgegennahm, zeigte er sich sehr befriedigt und erklärte dem Botschafter, daß, „die LocarnoVerpflichtungen der beiden Garantiemächte naturgemäß zu unseren Gunsten sich ebenso auswirkten wie zugunsten von Frankreich bzw. Belgien, und die englisch-italienische Erklärung im gegenwärtigen Augenblick besonders wertvoll sei, wo Frankreich sich auf gefährliche militärische Bindungen mit Rußland einlasse“44 . Offenbar hat Bülow diese Unterredung im Gedächtnis behalten, in der er seine Auffassung so klar in Worte gefaßt hatte. Jedenfalls kündigte er in seinem Runderlaß vom 7. Mai eine Demarche bei den Garanten von Locarno an, „daß angesichts des zumindest zweideutigen Vertragsinhalts wir gegen jede einseitige Auslegung von Locarno Verwahrung einlegen“. Tatsächlich konnte Hoesch im Juli 1935 eine Note des britischen Kabinetts nach Berlin übermitteln, in der es hieß, gemeinsam mit der französischen Regierung stelle die britische Regierung fest, „daß im französischsowjetischen Vertrag nichts enthalten ist, was zum Locarnovertrag im Widerspruch steht oder seine tatsächliche Anwendung irgendwie ändert“45 . Allerdings verlor die Front des Auswärtigen Amts im Laufe der Wochen und Monate ihre Geschlossenheit. Während Bülow und die anderen Spitzenbeamten in der Debatte um die Neuorientierung der sowjetischen Außenpolitik und das französisch-russische Beistands168
abkommen nicht mit einer Silbe andeuteten, jenes Abkommen könne für Deutschland ein Grund oder ein Anlaß sein, den Locarno-Vertrag einseitig aufzukündigen und ins Rheinland einzumarschieren, während sie überhaupt nicht von der Notwendigkeit oder wenigstens Wünschbarkeit einer Remilitarisierung des Rheinlands sprachen, äußerte sich der Reichsaußenminister etwas anders. Offensichtlich sah auch Neurath in der französisch-sowjetischen Verbindung keine Verletzung von Locarno; das Abkommen war ja auch sorgsam der Satzung des Völkerbunds angepaßt. Aber er begann immerhin davon zu reden, daß in bestimmten Situationen deutsche Truppen ins Rheinland einmarschieren müßten. Es war verständlich, daß er in einem Gespräch, das er und Hitler mit Sir Eric Phipps hatten, auf einen groben Klotz einen groben Keil setzte. Der Botschafter machte die vorerst noch lediglich als Drohung gemeinte Mitteilung, seine Regierung denke an die Errichtung britischer Luftstützpunkte in Frankreich und Belgien, damit England bei einer deutschen Verletzung von Locarno seine Verpflichtung als Garantiemacht besser erfüllen könne. Baron Neurath erwiderte, „daß eine Verlegung der Basis der englischen Luftflotte nach Frankreich und Belgien in die Nähe der deutschen Grenze zur Folge haben würde, daß wir gezwungen wären, um nicht wehrlos einer eventuellen Zerstörung unserer Industriebezirke ausgesetzt zu sein, unsere Luftabwehr gleichfalls an die belgisch-französische Grenze vorzurücken, anstatt sie, wie bisher, hinter der 50-Kilometer-Zone zu halten. Das würde also dann die Aufgabe der entmilitarisierten Zone bedeuten“46 . Als sich Neurath im Januar 1936 in London aufhielt, um am Begräbnis König Georgs V. teilzunehmen, drückte er sich in einer Unterhaltung mit Anthony Eden, der gerade Sir Samuel Hoare als Außenminister abgelöst hatte, zwar etwas sibyllinisch, aber ohne Provokation bemerkenswert forsch aus. Auf Edens Frage, wie sich Deutschland jetzt zum Locarno-Vertrag stelle, sagte Neurath, Reichskanzler Hitler habe ja wiederholt erklärt, „daß er sich an ihn halten werde, solange die Gegenseite dies auch tue. Sollten allerdings von den anderen Unterzeichnern oder Garanten des Locarno-Paktes zweiseitige Abreden, die dem Geiste des Locarno-Paktes widersprächen, getroffen werden, so würden wir uns gezwungen sehen, unsere Stellung zum Locarno-Pakt einer Prüfung zu unterziehen. Wir hielten zweiseitige Abmachungen unter den Mitgliedern des Locarno-Paktes für abwegig und im übrigen auch für völlig überflüssig“47 . Der Reichsaußenminister hatte Eventualitäten genannt, die in der Zukunft lagen, und er hatte Pakte zwischen Locarno-Partnern erwähnt, also konnte er den französisch-sowjetischen Vertrag, der ja bereits ein Dreivierteljahr 169
zuvor unterzeichnet worden war, nicht gemeint haben. Doch hatte er immerhin erstmals davon gesprochen, daß die deutsche Regierung bereits unter bestimmten politischen – nicht militärischen – Umständen den Locarno-Vertrag zerreißen werde. Eine solche Überlegung stand zu der im Auswärtigen Amt herrschenden Auffassung zwar nicht in einem schroffen Gegensatz, stellte aber doch eine erhebliche Abweichung dar. Wenn Neurath solchermaßen den Gedanken äußerte, auf den Schutz der deutschen Westgrenze, wie ihn Locarno darstellte, könne womöglich schon bald verzichtet werden, lag das vermutlich daran, daß ihm klar war, wie anders sich Hitlers Überlegungen entwickelten, und daß er sich mählich an die Vorstellungen des „Führers“ heranpirschte. Hitler versicherte wohl auch bei zahlreichen Gelegenheiten, so am 21. Mai 1935 in öffentlicher Rede oder am 25. Oktober 1935 während der Abschiedsaudienz des belgischen Gesandten48 , daß er sich selbstverständlich an die von einer deutschen Regierung freiwillig unterschriebenen Vereinbarungen von Locarno halten werde. Bei seiner von keinerlei Skrupeln angekränkelten Auffassung von Vertragstreue wußte er jedoch die Schutzfunktion von Locarno nie recht zu schätzen, wogegen ihm andererseits das Faktum höchlichst mißfiel, daß ein nicht kleiner Teil des Deutschen Reiches der militärischen Nutzung entzogen war; dazu war ihm Locarno einfach als multinationales Vertragssystem zuwider, aus dem wie aus Völkerbund und Abrüstungskonferenz beim ersten Anlaß auszusteigen sei. Im Laufe des Jahres 1935 begann er die Furcht vor einer französischen Intervention zu verlieren, wenn er auch gelegentlich Rückfälle erlebte49 ; vor allem das Flottenabkommen mit England gab ihm Sicherheit, denn ohne britische Mitwirkung war eine französische Aktion nicht denkbar. Auf der anderen Seite verleiteten ihn schon die ersten Phasen der Vermehrung und Modernisierung der Reichwehr, nicht zuletzt die Entstehung einer bereits beachtlichen Luftwaffe, zu einer gewissen Überschätzung der militärischen Leistungsfähigkeit Deutschlands, jedenfalls zu der Meinung, bei den Nachbarn des Deutschen Reiches seien Regierungen und die Bevölkerung zu einer ähnlich hohen Bewertung der deutschen Kraft wie er selber gelangt und deshalb kriegsunwillig. Als nun die französischsowjetische Annäherung erkennbar wurde, sah er hier – weit entfernt von der Reaktion des Auswärtigen Amts – einen Vorgang, der ihm den Vorwand zur Befreiung von Locarno liefern konnte. Er brauchte mithin das Abkommen zwischen Paris und Moskau, und so untersagte er jeden Versuch, in Paris gegen den Vertrag und dessen – am 27. März 1936 erfolgende – Ratifizierung zu arbeiten. 170
Daß er dann seine Absicht in die Tat umzusetzen vermochte, war freilich nicht zuletzt der Haltung Mussolinis zuzuschreiben. Der Duce war, nachdem seine Truppen Abessinien am 3. Oktober 1935 tatsächlich angegriffen hatten, wider Erwarten heftiger französischer und britischer Kritik ausgesetzt, und auf Druck namentlich der Londoner Regierung verhängte der Völkerbund etliche Sanktionen gegen Italien; schließlich hatte ein Völkerbundsmitglied ohne vorzeigbaren Grund ein anderes Mitglied des Bundes überfallen. Aus mehreren Gründen – vor allem weil Italien als Bundesgenosse gegen Deutschland unentbehrlich schien – wurde jedoch nichts unternommen, was Mussolini hätte aufhalten können oder von dem er wenigstens ernstlich behindert worden wäre. Gleichwohl war er verstimmt, ja erbost und zog den Schluß, daß er, auch mit dem Blick auf noch nicht erreichte Ziele des faschistischen Imperialismus, die Freundschaft mit dem von Hitler geführten Deutschland wieder heilen müsse, die an den nationalsozialistischen Umtrieben in Österreich und an der Dollfuß-Affäre zerbrochen war. Erster Schritt konnte Italiens Verzicht auf seine Rolle als Garant von Locarno sein, und wie Hitler kam auch Mussolini zu der Meinung, daß die französischsowjetische Verständigung als Vorwand für einen – sozusagen gemeinsamen – Schlag gegen Locarno brauchbar sei. Schon Mitte November 1935, als ihm Botschafter von Hassell noch guten Glaubens versicherte, daß Deutschland am Locarno-Pakt festhalten wolle, „erwiderte er, auch dieser sei ihm problematisch für die Zukunft. Jedenfalls habe er den Belgiern sagen lassen, daß Italien jetzt überlegen müsse, ob es an ihm festhalten könne.“50 Im Laufe der folgenden Monate löste sich die zunächst natürlich noch bestehende Ungewißheit über Italiens Verhalten mehr und mehr auf, doch tat Hitler noch ein übriges. Im Februar 1936, nachdem er einigen Mitarbeitern eröffnet hatte, Locarno demnächst aufgeben zu wollen, beauftragte er Hassell, Mussolini zu einer Festlegung zu bewegen. Hassell gelang das ohne Schwierigkeiten51 , und die Bahn war frei, wenn auch Hitler das Risiko, das er mit seiner Aktion einging, trotz der Sicherheit über Mussolinis Passivität noch immer sehr, sehr hoch einschätzte. Am 11. Februar legte die französische Regierung das Abkommen mit der Sowjetunion der Abgeordnetenkammer zur Ratifizierung vor, am 27. Februar fand die Abstimmung mit positivem Ergebnis statt, und am 3. März ging das Ratifizierungsgesetz an den Senat. Am 7. März marschierten einige Bataillone der Reichswehr in die entmilitarisierte Zone des Rheinlands ein. Während die Würfel fielen und nachdem sie gefallen waren, kam es in Berlin zu einigen charakteristischen Szenen. Am 20. Februar kam Bot171
schafter von Hassell aus Rom, um sich weitere Instruktionen für die Behandlung Mussolinis abzuholen. Er sprach zuerst mit Neurath, und dieser „äußerte starke Bedenken gegen das vom Führer geplante Vorgehen, vor allem weil die ,Beschleunigung‘ den Einsatz nicht lohne. Er, Neurath, glaube zwar auch nicht, daß die Leute gegen uns marschieren würden, aber es sei doch nicht nur an den Augenblick, sondern auch daran zu denken, daß die Folge eine automatische Konzentration gegen uns sein würde. Wir seien aber doch schon isoliert genug.“52 Zur anschließenden Konferenz bei Hitler notierte Hassell jedoch: „Baron Neurath erhob keine Bedenken mehr und scheint sich mit der Entscheidung abgefunden zu haben.“ Hassell selber, der schon kurz zuvor Hitler von dem Angriff auf Locarno abgeraten hatte, zurückhaltend und höflich, doch deutlich, quittierte Hitlers Darlegung der frommen Angebote, mit denen er die Westmächte zur Hinnahme seines Coups bewegen werde – Abrüstungsvereinbarung, Rückkehr in den Völkerbund –, immerhin mit der Bemerkung, „95 % der Franzosen und wohl auch die meisten Engländer würden trotz allem die in der Besetzung liegende Bedrohung empfinden“. Er fand nicht einmal Beachtung: „Der Führer erwiderte darauf nichts.“ In der noch folgenden Erörterung der Frage, welcher Zeitpunkt für die Aktion zu wählen sei, traten Neurath und Hassell dafür ein, unbedingt die Ratifizierung des französisch-sowjetischen Abkommens durch den Senat abzuwarten. Tatsächlich hat aber der Senat in Paris erst am 12. März ratifiziert, fünf Tage nach der Remilitarisierung des Rheinlands. In einem bedeutenden und bedeutsamen Konflikt um Grundrichtung und Methoden deutscher Außenpolitik hatte das Auswärtige Amt nicht einmal dieses Rückzugsgefecht gewinnen können. Jahre nach dem Krieg erzählte Lutz Graf Schwerin von Krosigk, damals Reichsfinanzminister, folgende kleine Geschichte: „Als am 7. März 1936 Deutschland den Locarno-Vertrag kündigte und deutsche Truppen die entmilitarisierte Zone des Rheinlands besetzten, stand ich mit Bülow nach der Heldengedenkfeier vor der Berliner Staatsoper, als [Generalstabschef] Beck auf uns zutrat und zu Bülow sagte: ,Was macht Ihr für Sachen?‘ Bülow entgegnete: ,Sind wir in das Rheinland einmarschiert oder Ihr?‘“53 In zwei simplen Sätzchen war hier ausgedrückt, daß sowohl das Auswärtige Amt wie bereits auch die Führung der Armee vom Feld der außenpolitischen Entscheidungen verdrängt worden waren. Bülow, der nur noch wenige Monate zu leben hatte, gab aber überdies in schlichtester Form zu den Akten, daß die deutsche Außenpolitik mit dem Bruch von Locarno die letzten Spuren europäischer Normalität zu verlieren begann. In der Aufzeichnung eines Gesprächs mit dem französischen 172
Botschafter, zu dem es vierzehn Tage nach Hitlers Aktion kam, hielt er fest, François-Poncet habe während der Unterhaltung „alle Äußerungen des Führers, des Reichsministers und von mir, besonders aber des Herrn Reichsministers, registriert, in denen bis in die Märztage hinein jede Absicht einer Besetzung des Rheinlands abgeleugnet wird. Einige dieser Unterredungen gab er mit photographischer Treue wieder.“54
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Schlußbemerkung
Nach dem Fiasko in Versailles, nach dem vergeblichen Widerstand gegen den Kurs Stresemanns und nach dem verunglückten Abenteuer mit der deutsch-österreichischen Zollunion war Bülow also ein viertes Mal politisch gescheitert, jetzt bei den diversen Konflikten mit Hitler. Nun lag der schlüssige Beweis auf dem Tisch, daß seine Politik, eine Politik, die nichts anderes wollte als die Überwindung und Revision des Vertrags von Versailles, im Europa und im Deutschland nach 1918 zur Erfolglosigkeit verurteilt war. Solange die Sieger des Weltkriegs militärisch stark, politisch selbstbewußt und moralisch selbstgewiß genug waren, wie in den zwanziger Jahren und noch 1931, besaßen sie die Kraft und vor allem die Entschlossenheit, Deutschland für die Wiederaufnahme in die europäische Staatengesellschaft den Preis einer wenigstens partiellen Anerkennung des Versailler Systems zahlen zu lassen; von der Reparationslast abgesehen, die schließlich ihre eigenen Interessen schädigte, waren sie ferner gewillt und fähig, jeden Angriff des Deutschen Reichs auf die von den Deutschen nicht anerkannten Regelungen des Friedensvertrags abzuwehren. Als aber die moralische Selbstgewißheit ins Wanken geriet, als Europa sich daran gewöhnt hatte, Deutschland wieder als europäische Großmacht zu behandeln, als die Westmächte mit wachsendem Abstand zum Weltkrieg die Bereitschaft verloren, bei politischen Konflikten in Europa das Militär als Lösungsmittel zu verwenden, als mithin für ein kräftiges und energisches Deutsches Reich erstmals seit der Pariser Friedenskonferenz die Chance auftauchte, eine Politik der territorialen Revisionen mit Aussicht auf Erfolg zu versuchen, just in dieser Situation fiel in Deutschland die politische Macht in die Hände einer Bewegung, deren Führer den Protagonisten der Revision von Versailles jeden Einfluß nahmen und ihnen den Einsatz der ihrer politischen Zielsetzung gemäßen Mittel und Methoden unmöglich machten; den neuen Herren stand der Sinn nach Krieg und Eroberung, nicht nach Revision. Gewiß barg auch die Revisionspolitik das Risiko eines Krieges, und Revisionisten wie Bülow war der Gedanke an eine militärische Durchsetzung der deutschen Ansprüche etliche Jahre lang keineswegs fremd gewesen. Einige hielten die Anwendung von Gewalt sicherlich auch für notwendig; schließlich mußte erfolgreiche territoriale Revision dem Deutschen Reich eine hegemoniale Position auf dem europäi175
schen Kontinent verschaffen, und das war für Großbritannien und Frankreich fast so unangenehm wie für die Nachbarn Deutschlands im Osten und Süden; einem Staat wie Polen drohte Gebietsverlust und der Tschechoslowakei ein Verlust an Eigenständigkeit, da das Land nach einem Anschluß Österreichs an Deutschland in eine Umklammerung geriet, die es für Frankreich als Bundesgenosse wertlos und damit bis zu einem gewissen Grade vom Deutschen Reich abhängig machte. Aus zwei Gründen hatte sich das Kriegsrisiko jedoch Jahr für Jahr verringert. Erstens hatte außerhalb Deutschlands, namentlich in Großbritannien und den USA, das Verständnis für die deutschen Forderungen stetig zugenommen, und in der Folgezeit erwies die im Münchner Abkommen von 1938 kulminierende Appeasement-Politik Englands und Frankreichs, daß die Westmächte sogar bereit waren, um des Friedens willen eine beherrschende Stellung des Deutschen Reiches in Mittel- und Südosteuropa zu akzeptieren. Vor allem aber war, zweitens und andererseits, in Bülow und seinen Freunden die Neigung mehr und mehr geschwunden, Krieg als revisionspolitisches Mittel anzusehen. Die Haltung, die sie nach dem 30. Januar 1933 in der Rüstungsfrage einnahmen, zeigt deutlich genug, daß sie nicht länger einen Krieg mit Großbritannien und Frankreich riskiert hätten, nur um eine revisionspolitische Forderung einzutreiben. Da sie außerdem der – irrigen – Meinung waren, ein solches Risiko werde bei jedem Schritt territorialer Revision eingegangen, den eine deutsche Regierung rücksichtslos und ohne vorherige Verständigung mit London und Paris unternehme, schwächte sich selbst ihr Revisionismus ab. Wenn dem so ist, stellt sich die Frage, warum denn Bülow im Amt blieb. Die Diagnose „Teilidentität der Ziele“, die bei vielen Angehörigen der deutschen Eliten angebracht sein mag, trifft auf Bülow nicht zu. Zwar ist es richtig, daß die nationalsozialistische Außenpolitik notwendigerweise – schon aus geographischen Gründen – eine Phase zu durchlaufen hatte, in der sie, ehe sie zu reiner Eroberung übergehen konnte, diverse revisionspolitische Stationen passieren mußte. Und die Propaganda des Regimes gab ja – zur Beruhigung des Auslands und nicht zuletzt der deutschen Bevölkerung – zudem vor, daß Hitler lediglich Revisionspolitik treibe. Innerhalb wie außerhalb Deutschlands ließen sich von dieser Propaganda viele täuschen. Bülow und einige seiner Kollegen gehörten jedoch nicht zu den Getäuschten. Ihre besondere Postierung im Dritten Reich und ihre ständige persönliche Konfrontation mit den außenpolitischen Aktivitäten der Führer wie etlicher Organisationen des neuen Regimes nötigten sie schon früh zu der Erkenntnis, daß Hitler 176
und seine Genossen nicht nur dilettantisch und unbedacht, nicht nur ohne Rücksicht auf die gewachsenen politischen Usancen der europäischen Zivilisation und äußerst brutal handelten, sondern auch für einen den rüden Methoden entsprechenden Expansionismus arbeiteten. Sie begriffen schnell, daß zwischen den nationalsozialistischen Zielen und ihrem eigenen Revisionismus ein qualitativer Unterschied bestand. Damit stellt sich die Frage nach den Gründen ihres Verbleibens im Amt freilich noch schärfer. Bülow hat ernsthaft an Rücktritt gedacht. Wohl im Mai 1933 schrieb er ein Abschiedsgesuch, das formal korrekt an Baron Neurath gerichtet und mit der Bitte versehen war, es an den Reichspräsidenten, den Reichskanzler und das Reichskabinett weiterzuleiten. Peter Krüger, dem die Entdeckung dieses Dokuments zu danken ist, hat mit Recht konstatiert, daß Bülow seine Absicht mit der Gefährdung der internationalen Position des Reiches begründete und kein Wort über die Zerstörung der parlamentarischen Demokratie verlor, anders als sein Freund Prittwitz, der bei seinem Abschied genau umgekehrt verfuhr1 . Ähnliches ist den beiden schon einmal geschehen. Während Prittwitz 1919 trotz seiner Ablehnung des Versailler Vertrags im Dienst blieb, weil er die Parlamentarisierung und Demokratisierung Deutschlands bejahte, verließ Bülow damals trotz seiner Zustimmung zur inneren Wandlung des Reiches den Dienst, weil er sich mit der Unterzeichnung des Friedensvertrags nicht abfinden wollte. Offensichtlich war Prittwitz der überzeugungsfestere Demokrat, während für Bülow die Außenpolitik größeres Gewicht besaß. Andererseits ist es nicht gerade überraschend, daß ein Staatssekretär des Auswärtigen Amts seinen Wunsch nach Enthebung von seiner Stelle auf einen Protest gegen die Außenpolitik der Regierung stützt. Auch hat Bülow zwar nicht zuletzt mit kritischen Bemerkungen zur Rußland- und Polenpolitik Hitlers argumentiert, zugleich aber dargetan, die mißliche außenpolitische Lage Deutschlands sei in erster Linie eine Folge der innenpolitischen Entwicklung. Er bediente sich dabei einer offenen Sprache. Gleich zu Beginn seines Schreibens sagte er, trotz wiederholter Warnungen habe „die innenpolitische Neugestaltung in Deutschland Erscheinungen und Vorgänge gezeitigt, die mit der Würde und Sicherheit des Reiches und mit der Fortführung einer gesunden Außenpolitik unvereinbar sind“. So habe „die Sondergesetzgebung gegen die Juden (und die Verletzung des oberschlesischen Minderheitenabkommens) ... uns die Sympathien der angelsächsischen Länder gekostet und ganz besonders in England eine Feindschaft gegen Deutschland hervorgerufen, die nahezu alle 177
Schichten der Bevölkerung erfaß hat“. Im gleichen Tone fuhr er fort: „Dieselben Vorgänge, verbunden mit dem militaristischen Gepräge politischer, an sich unmilitärischer Organisationen hat eine derartige Beunruhigung in Frankreich hervorgerufen, daß nur der friedfertige Charakter des französischen Volkes uns noch vor der Gefahr eines Präventivkrieges schützt.“ Er zog das Fazit: „Nur eine Anpassung der inneren Politik an die Bedürfnisse einer gesunden und realen Außenpolitik vermögen die größten Gefahren für Deutschlands Sicherheit und Weltgeltung abzuwenden.“ Formulierungen und Ton lassen keinen Zweifel daran, daß er die Erregung außerhalb Deutschlands für berechtigt und folglich die moralisch-politische Isolierung des Reiches für natürlich hielt. Er hat also – dies steckt in seiner Argumentation – zumindest Teile der nationalsozialistischen Innenpolitik und der ihr zugrunde liegenden Ideologie auch selber abgelehnt. Allerdings hat er das Abschiedsgesuch nicht abgeschickt. Einige Gründe sind zu vermuten. Nach Hitlers Machtübernahme hatte Bülow, wie schon erwähnt, für den Fall, daß das neue Regime doch nicht rasch abwirtschaften sollte, mit den Botschaftern Köster (Paris) und Hoesch (London) verabredet, dann gemeinsam aus dem Amt zu scheiden, wenn ein Verbleiben „gegen die Ehre“ ginge. Wiederum hat Peter Krüger mit einigem Recht gesagt, daß „Ehre als Kriterium für den Zeitpunkt des Rücktritts etwas anderes“ sei „als die politische Überzeugung“2 . Jedoch darf man hinzufügen, daß für Bülow nach Herkunft und Erziehung „Ehre“ nicht nur etwas Bedeutungsvolles war, sondern auch einen moralischen und damit angesichts eines amoralischen Regimes einen politischen Aspekt hatte. Aber wie dem auch sei, die beiden Botschafter schlossen sich am Ende doch nicht an – die Frage nach ihren Motiven ist nicht mehr zu beantworten –, und so mußte Bülow aus seinem Entwurf ihre Namen streichen und das Wörtchen „wir“ überall durch „ich“ ersetzen. Damit hatte die Rücktrittsaktion ihren Charakter als politische Demonstration verloren und war auf einen ganz persönlichen Schritt reduziert; als solchen würde ihn kaum jemand beachten und folglich besaß er für Bülow anscheinend keinen rechten Sinn mehr. Im weiteren Verlauf der Dinge dürfte der Glaube eine Rolle gespielt haben, doch Einfluß auf den Gang der Außenpolitik ausüben zu können – immer wieder als Illusion erkannt, kehrte dieser Glaube gleichwohl immer wieder. Als dritter Grund wirkte offenbar der Aufstieg Ribbentrops. Bülow verachtete und fürchtete Ribbentrop. Dieser beschränkte Dilettant, der in Hitlerschen Bahnen dachte, Hitlers Ohr hatte und den „Führer“ in seinen expansionistischen Zielen und seinen brutalen Methoden noch 178
bestärkte, schien dem Auswärtigen Amt als Staatssekretär zu drohen, wenn Bülow ausschied. Nach dessen Tod hat sich das zwar nicht sofort bewahrheitet, doch sah es einige Zeit danach aus, und es ist begreiflich, daß die Vorstellung, das Amt einem solchen Manne auszuliefern, für Bülow ein Alptraum war, zumal er seinen Außenminister schon früh als schwach und sogar als wiederholten Überläufer ins nationalsozialistische Heerlager kennenlernte. Bülows erfolglose Versuche, Joachim von Ribbentrop wieder die Flügel zu stutzen, verraten deutlich genug, wie ernst er diese Aufgabe nahm. Viertens wird man wohl auch annehmen müssen, daß es Bülow einfach schwer fiel, das Amt, das er sich so trefflich in die Hand gespielt hatte, aufzugeben, wobei das Geld keine Rolle spielte, denn er war finanziell unabhängig und hätte außerdem bei einem Rücktritt – in jenen ersten Jahren des Dritten Reiches – selbstverständlich auskömmliche Ruhestandsbezüge erhalten. Doch bleibt ein Rest an Rätselhaftigkeit. Bei aller Gegnerschaft endete jede Auseinandersetzung ja doch damit, daß Bülow und seine Gesinnungsgenossen die außenpolitischen Aktionen Hitlers und seiner Spießgesellen nicht nur hinzunehmen, sondern großenteils technisch zu exekutieren und in allen Fällen nach außen zu vertreten hatten. Wie die Notiz belegt, die Bülow nach Hitlers Bruch von Locarno über ein Gespräch mit dem französischen Botschafter angefertigt hat, standen er und seinesgleichen dann nur allzuoft als Komplizen des „Führers“ da. Auch spürten sie bald eine gewisse Isolierung im Amt, da mehr und mehr Kollegen zu willigen Vollstreckern des Führerwillens wurden. Dieser Prozeß ist gewiß nicht an der Zahl der Beitritte zur NSDAP abzulesen. Ein solcher Beitritt sagt nichts aus über die politischen Neigungen des neuen Parteimitglieds; ein Diplomat wie Ulrich von Hassell vollzog ihn bereits 1933, ohne ein Jota seines kritischen Urteilsvermögens einzubüßen. Gleichwohl war nicht zu übersehen, daß ein Angehöriger des Dienstes nach dem anderen – ob mit oder ohne Eintritt in die Partei – zu den neuen Machthabern überging. Sicherlich war da auch Druck im Spiele. Am 20. März 1933 wurde das im Januar 1931 aufgehobene Sonderreferat Deutschland wieder eingerichtet, und mit Vicco von Bülow-Schwante an der Spitze – der Vetter des Staatssekretärs, den dieser als Leiter der Personalabteilung verhindert hatte, war also doch ins Amt geschlüpft – entwickelte sich das Referat zu einer Art ideologischer Kontrollinstanz, namentlich in Fragen der „Judenpolitik“. Als Bülow-Schwante die Regel durchzusetzen suchte, daß innere Ressorts Konzessionen an Juden grundsätzlich nicht mit außenpolitischer Begründung fordern dürften, wagte es Neurath 179
tatsächlich, den Standpunkt einzunehmen, eine solche Regel könne nicht immer gelten3 . Damit handelte er sich sofort ein Memorandum des Legationssekretärs Emil Schumburg ein, der in seiner Eigenschaft als Angehöriger des Referats Deutschland den Außenminister zur Ordnung rief: „Referat D hat seit seinem Bestehen versucht, jedes Hinneigen zu einer Kompromißlösung oder zum Paktieren in der Judenfragen abzuwehren ... Während des Kampfes darf nur an Sieg gedacht werden ... Diese ... Haltung ... hat sich bisher auch gegen den offenen oder versteckten Widerstand verschiedener Stellen durchgesetzt ..., die eine Aussöhnung mit dem Judentum für vorteilhaft hielten ... Die vorliegende Notiz des Herrn Reichsministers enthält ein Urteil, das als Abweichung von dem Grundsatz des Durchhaltens gewertet werden und damit die Arbeit von RD in der Judenfrage erschweren könnte.“4 Aber mehr als Druck wirkte bei vielen offensichtlich eine freiwillige Aneignung nationalsozialistischer Theoreme und Ziele. Sie erlagen der Kraft und dem Elan, die der NS-Bewegung und ihrem Führer innewohnten, und wurden nach ihrer inneren Kapitulation nicht nur willige, sondern überzeugte Exekutoren Hitlerscher Politik. Auch wenn der Korpsgeist, der in den Angehörigen des Auswärtigen Dienstes lebte, manches überdeckte, müssen sich Bülow und seine Freunde gelegentlich fast als Fremde im Amt gefühlt haben. Andererseits dürften sie, gerade auch angesichts des Gesinnungswandels, den so viele Kollegen vorexerzierten, jenes Gefühl der Hilflosigkeit empfunden haben, das Vertreter und Freunde von moralischer und politischer Normalität ergreift, wenn sie mit der Dynamik des Außerordentlichen konfrontiert sind; da erscheint ein Abschiedsgesuch wohl als leere Geste. Nun ist es freilich unwahrscheinlich, daß sich ein Mann wie Bülow längere Zeit in diese Hilflosigkeit gefügt hätte, zumal die Innenpolitik des Regimes von Jahr zu Jahr krimineller wurde, während die Außenpolitik ständig gefahrvoller werdende Klippen passierte und schließlich in einem ebenso verbrecherischen wie aussichtslosen Krieg endete. Zu spekulieren, wie sich Bülow verhalten hätte, wäre er nicht im Sommer 1936 gestorben, ist gewiß unfruchtbar, aber doch reizvoll. Sicher ist, daß er, unabhängig von seinen eigenen Wünschen, nicht mehr lange im Amt geblieben wäre. Nicht nur Ribbentrop, sondern auch Göring arbeitete an seinem Sturz, und der Erfolg war abzusehen5 . Man kann durchaus annehmen, daß er dann zu oppositionellen Zirkeln gravitiert wäre, am ehesten wohl zu dem Kreis um Ulrich von Hassell. Das Verhältnis der beiden war nicht ohne Spannung. Hassell fand Bülow zu sehr „alte Schule“, Bülow nahm es Hassell übel, daß er die deutsch-italienische Annäherung zu 180
schnell voran und auch zu weit treiben wollte und daß er sich gelegentlich allzu belehrend gab. Aber sie konnten sich stets offen aussprechen und dann zusammenarbeiten6 . Sie kannten sich mithin gut genug, um in der herrischer werdenden Herausforderung, vor die sie das Regime stellte, zu einer Allianz zu finden. Doch hätte es auch ganz anders kommen können. Die Wahl, vor der Bülow möglicherweise gestanden hätte, wäre jedenfalls eine Wahl zwischen scharfen Nesseln gewesen. Wäre er der Herausforderung ausgewichen und passiver Beobachter geblieben, hätte er moralisch-politisch versagt und sich in die Schar der Schuldigen eingereiht. Hätte er sich der „band of brothers“, wie Hassell das genannt hat, angeschlossen, wäre er gehängt worden. So oder so wäre er ein fünftes Mal gescheitert.
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Anmerkungen Einleitung 1 2 3 4
André François-Poncet, Als Botschafter in Berlin 1931–1938, Mainz 1949, S. 245. Lutz Graf Schwerin von Krosigk, Es geschah in Deutschland. Menschenbilder unseres Jahrhunderts, Stuttgart 1951, S. 307. Personalakte Bernhard Wilhelm von Bülow, Politisches Archiv (PA) des Auswärtigen Amts (AA), Berlin. Gerhard Köpke, Bernhard Wilhem von Bülow. Lebensbild, Personalakte Bülow, PA AA.
Familiärer Hintergrund und berufliche Anfänge 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20 21 22 23
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Das Tagebuch der Baronin Spitzemberg, ausgewählt und herausgegeben von Rudolf Vierhaus, Göttingen 1960, S. 177. Tagebuch Baronin Spitzemberg, S. 480. John C. G. Röhl, Wilhelm II. Der Weg in den Abgrund 1900–1941, München 2008, S. 130–160. So Hermann Oncken, dem Verf. mitgeteilt von Helmut Krausnick. Personalakte Bülow, PA AA, ferner Köpke, Lebensbild, Personalakte Bülow, PA AA. Ebenda. Ebenda. Personalakte Bülow, PA AA. Ebenda. Köpke, Lebensbild, Personalakte Bülow, PA AA. Graf Bernstorff, 1.6.1912, Personalakte Bülow, PA AA. Köpke, Lebensbild, PA AA. Graf Bernstorff, 1.6.1912, Personalakte Bülow, PA AA. Bericht an Geheimen Legationsrat Graf Wedel, 23.9.1913; Genehmigung durch Abteilung II des AA, 15.11.1913, Personalakte Bülow, PA AA. Personalakte Bülow, PA AA. Nachlaß Bülow, PA AA. Bülow an Onkel Fritz, 8.1.1920, Nachlaß Bülow, Bd. 5, PA AA. Personalakte Bülow, PA AA. Ebenda. U-Boot-Krieg, in: Enzyklopädie Erster Weltkrieg, hrsg. von Gerhard Hirschfeld/ Gerd Krumeich/Irina Renz, Paderborn u. a. 2003, S. 931. Nachlaß Bülow, Bd. 1, PA AA; der folgende Brief an Freiherrn von Reibnitz, ebenda. Ebenda. Vicco von Bülow an Bernhard Wilhelm von Bülow, 18.4.19, Nachlaß Bülow, Bd. 10, PA AA; Reibnitz an Bernhard Wilhelm von Bülow, 20.7.1917, Nachlaß Bülow, Bd. 1, PA AA. Z. B. Bülow an Freytag, 7.6.1920, Nachlaß Bülow, Bd. 1, PA AA.
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Mitglied der deutschen Friedensdelegation in Versailles 1 2
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Richtlinien für die deutschen Friedensunterhändler, o. D., Nachlaß Bülow, Bd. 2, PA AA. Ursachen und Folgen. Eine Urkunden- und Dokumentensammlung zur Zeitgeschichte, hrsg. von Herbert Michaelis und Ernst Schraepler, Zweiter Band, Berlin o. D., Nr. 455a. Richtlinien für die deutschen Friedensunterhändler, o. D., Nachlaß Bülow, Bd. 2, PA AA; Graf von Brockdorff-Rantzau an Georges Clemenceau, 13.5.1919, Nachlaß Bülow, Bd. 2, PA AA. Richtlinien für die deutschen Friedensunterhändler, Nachlaß Bülow, Bd. 2, PA AA. Georges Clemenceau an Graf Brockdorff-Rantzau, 22.5.1919, Nachlaß Bülow, Bd. 2, PA AA. Graf Brockdorff-Rantzau an Georges Clemenceau, 10.5.1919, Nachlaß Bülow, Bd. 2, PA AA. Bülow an Graf Brockdorff-Rantzau, 6.3.1923, Personalakte Bülow, BA AA. Zu Brockdorff-Rantzau s. Udo Wengst, Graf Brockdorff-Rantzau und die außenpolitischen Anfänge der Weimarer Republik, Bonn – Frankfurt/Main 1979. Harry Graf Kessler, Tagebücher 1918–1937, Frankfurt/Main 1961, S. 701. Georges Clemenceau an Graf Brockdorff-Rantzau, 20.5.1919, Nachlaß Bülow, Bd. 2, PA AA. Ebenda. Graf Brockdorff-Rantzau an Georges Clemenceau, 24.5.1919, Nachlaß Bülow, Bd. 2, PA AA. Georges Clemenceau an Graf Brockdorff-Rantzau, 12.6.1919, Nachlaß Bülow, Bd. 2, PA AA. Ursachen und Folgen, Dritter Band, Nr. 706. Ursachen und Folgen, Dritter Band, Nr. 706a. Bülow an Friedrich von Prittwitz und Gaffron, 11.5.1919, Nachlaß Bülow, Bd. 2, PA AA. Aufzeichnung, o. D., Nachlaß Bülow, Bd. 3, PA AA. Ebenda. Hans Heinrich Dieckhoff an Bülow, 6.6.1919, Nachlaß Bülow, Bd. 3, PA AA. Georges Clemenceau an Graf Brockdorff-Rantzau, 16.6.1919, mit Unterstreichung und Randbemerkung Bülow, Nachlaß Bülow, Bd. 2, PA AA. Friedrich von Prittwitz und Gaffron, Zwischen Petersburg und Washington. Ein Diplomatenleben, München 1952, S. 233. Personalakte Bülow, PA AA.
Diplomat außer Dienst 1 2 3
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Aufzeichnung, o. D., Nachlaß Bülow, Bd. 5, PA AA. Personalakte Bülow, PA AA. Aufzeichnung, o. D., Nachlaß Bülow, Bd. 5, PA AA.
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Bülow an Freytag, 7.6.1920, Nachlaß Bülow, Bd. 1, PA AA. Materialien zu Buch „Politik“, Nachlaß Bülow, Bd. 9, PA AA. Bülow an Hauptschriftleitung der München-Augsburger Abendzeitung, 9.6.1922, Nachlaß Bülow, Bd. 4, PA AA. Materialien zu Buch „Politik“, Entwurf zu „Der Mensch“; Entwurf zu „Der allgemeine Zweck der Politik“, Nachlaß Bülow, Bd. 7, PA AA. Friedrich von Prittwitz und Gaffron, Zwischen Petersburg und Washington, S. 238. A.a.O., S. 126. Theodor Heuss, Erinnerungen 1905–1933, Tübingen 1963, S. 300; zu Bülows Tätigkeit für die „Deutsche Nation“ auch Harry Graf Kessler, Tagebücher, S. 130. Zur DDP Lothar Albertin, Liberalismus und Demokratie am Anfang der Weimarer Republik. Eine vergleichende Analyse der Deutschen Demokratischen Partei und der Deutschen Volkspartei, Düsseldorf 1972. Bülow an Preo, 20.4.1920, Nachlaß Bülow, Bd. 5, PA AA. Bülow an Oskar Trautmann, 24.11.1919, Nachlaß Bülow, Bd. 5, PA AA. Bülow an Carl Freiherr von Weizsäcker, 14.7.1920, Nachlaß Bülow, Bd. 5, PA AA. Bülow an Carl Freiherr von Weizsäcker, 19.6.1920, Nachlaß Bülow, Bd. 5, PA AA. Ebenda. Bülow an Dr. Schall, 19.6.1920, Nachlaß Bülow, Bd. 5, PA AA. Bülow an Karo, 6.1.1920, Nachlaß Bülow, Bd. 5, PA AA. Bülow an Carl Freiherr von Weizsäcker, 19.6.1920, Nachlaß Bülow, Bd. 5, PA AA. Bülow an Preo, 20.4.1920, Nachlaß Bülow, Bd. 5, PA AA. Bülow an Carl Freiherr von Weizsäcker, 19.6.1920, 14.7.1920, Nachlaß Bülow, Bd. 5, PA AA. Bülow an Preo, 20.4.1920, Nachlaß Bülow, Bd. 5, PA AA. Bülow an Preo, 6.1.1920, Nachlaß Bülow, Bd. 5, PA AA. Aufzeichnung, o. D., Nachlaß Bülow, Bd. 5, PA AA. Ebenda. Ebenda. Bülow an Dr. Engel, 16.2.1920, Nachlaß Bülow, Bd. 5, PA AA. Aufzeichnung, o. D., Nachlaß Bülow, Bd. 4, PA AA. Bülow an Freytag, 6.1.1920, Nachlaß Bülow, Bd. 4, PA AA. Bülow an Freytag, 27.1.1920, Nachlaß Bülow, Bd. 4, PA AA. Bülow an Hashagen, 2.2.1920, Nachlaß Bülow, Bd. 4, PA AA. Bülow an Langwerth, 27.1.1920, Nachlaß Bülow, Bd. 4, PA AA. Bülow an Langwerth, 7.1.1920, Nachlaß Bülow, Bd. 4, PA AA. Bülow an Freytag, 20.2.1920, Nachlaß Bülow, Bd. 4, PA AA. Bülow an Dr. Schall, 1.6.1920, Nachlaß Bülow, Bd. 5, PA AA. AA an Bülow, 27.2.1921, 26.2.1921, Nachlaß Bülow, Bd. 4, PA AA. Bernhard Wilhelm von Bülow, Der Versailler Völkerbund. Eine vorläufige Bilanz, Berlin-Stuttgart-Leipzig 1923, Vorbemerkung. Bülow, Der Versailler Völkerbund, S. 580. Bülow, Der Versailler Völkerbund, S. 2. Bülow, Der Versailler Völkerbund, S. 471. Bülow, Der Versailler Völkerbund, S. 493f. Bülow, Der Versailler Völkerbund, S. 548. Bülow, Der Versailler Völkerbund, S. 580. Aufzeichnung Bülow, 9.3.1922, Nachlaß Bülow, Bd. 1, PA AA. Bülow, Aufzeichnung zum Völkerbund, 8.9.1922, Nachlaß Bülow, Bd. 1, PA AA.
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Aufzeichnung, 9.3.1922, Nachlaß Bülow, Bd. 1, PA AA. Bülow an Grunelius, 2.3.1920, Nachlaß Bülow, Bd. 5.
Rückkehr ins AA: Völkerbundreferent und Kritiker Stresemanns 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14
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Personalakte Bülow, PA AA. Schücking an Bülow, 2.2.1923, Personalakte Bülow, PA AA. Personalakte Bülow, PA AA. Personalakte Bülow, PA AA. Personalakte Bülow, PA AA. Bülow an Graf Brockdorff-Rantzau, 7.3.1923, Personalakte Bülow, PA AA. Graf Brockdorff-Rantzau an Bülow, 5.4.1923, Personalakte Bülow, PA AA. Bülow an Graf Brockdorff-Rantzau, 7.3.1923, Personalakte Bülow, PA AA. Notiz Hellwig; Telegramm Maltzan, 30.10.1923, Personalakte Bülow, PA AA. Bülow an Graf Brockdorff-Rantzau, 7.3.1923, Personalakte Bülow, PA AA. Aufzeichnung Bülow, 22.1.1923, Nachlaß Bülow, Bd. 1, PA AA. Ebenda. Ebenda. Schubert reichte die Aufzeichnung am 15.3.1923 zurück. Bruce Kent, The Spoils of War. The Politics, Economics and Diplomacy of Reparations 1918–1932, Oxford 1989; Carole Fink, Genoa, Rapallo and the European Reconstruction in 1922, Cambridge 1991. Schücking an Bülow, 1.12.1923, Nachlaß Bülow, Bd. 7, PA AA. Graf Brockdorff-Rantzau an Bülow, 26.10.1923, Nachlaß Bülow, Bd. 7, PA AA. Die Weltbühne, 12.1.1926. Müller an AA, 26.7.1924, R 96617, PA AA. AA an Reichswehrministerium, 3.7.1923, Personalakte Bülow, PA AA. Reichswehrministerium an AA, 12.3.1924, R 96615, PA AA. General a.D. Graf Max Montgelas, Militärisches Gutachten zu Garantiepakt – Entwurf, o. D., R 96614, PA AA. Z. B. Denkschrift Bülow, Mitte September 1924, Akten zur deutschen auswärtigen Politik (ADAP), Serie A, B.XI, Nr. 88. Bülow für Reichsminister über Garantiepakt, 7.5.1924, R 96611, PA AA. Gesandtschaft Christiania an AA, 13.6.1923, Bericht über Debatte im Storting am 12.6., R 96611, PA AA. Besprechung bei Staatssekretär, Anfang Mai 1924, R 96611, PA AA. Hilferding an Stresemann, 14.7.1924, R 96611, PA AA. Reichsregierung an Sir Eric Drummond, 24.7.1924, R 96611, PA AA. Svenska Dagbladet, 13.8.1924; Pester Lloyd, 7.8.1924. Bülow an Hoesch, 8.8.1924, R 96617, PA AA. Aufzeichnung, o. D., R 96617, PA AA. Ebenda. Bülow an Hoesch, 8.8.1924, R 96617, PA AA. Reichswehrministerium an AA, o. D. (Dezember 1924), ADAP, A, XI, 228. Aufzeichnung Schubert, 7.1.1924, ADAP, A,VIII, 8, 85. Sthamer, London, an Bülow, 1.8.1923, ADAP, A, VIII, 93. Aufzeichnung Bülow, 19.3.1924, ADAP, A, IX, 229.
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Runderlaß Maltzan (Entwurf Bülow, 23.6.), 6.7.1924, ADAP, A, X, 183. Aufzeichnung Bülow, 13.10.1924, ADAP, A, XI, 62. Bülow an Hoesch, 21.5.1924; Hoesch an Bülow, 27.5.1924; Bülow an Botschaft London, 28.5.1924; Botschaft London an AA, 29.5.1924; Sthamer, London, an Bülow, 2.6.1924; Hoesch an Bülow, 4.7.1924, R 96399, PA AA. Konrad Heiden, Adolf Hitler. Eine Biographie, 2 Bde., Zürich 1936/37. Bülow, Bescheinigung für Konrad Heiden, Empfehlung, 8.4.1924, R 96399, PA AA. Notiz Bülow, 20.10.1924, R 36339, PA AA. Bülow an Kastl, 10.10.1926, R 96400, PA AA; Notiz Bülow, 21.10.1924, R 96399, PA AA. Bülow an Bernstorff, 14.7.1924, R 96399, PA AA. Aufzeichnung Maltzan (von Bülow entworfen), 11.7.1924, ADAP, A, X, 199. Köpke, Lebensbild Bülow, Personalakte Bülow, PA AA. Ebenda. Peter Krüger, Die Außenpolitik der Republik von Weimar, Darmstadt 1985, S. 513. Aufzeichnung Bülow, 5.6.1924, ADAP, A, X, 125. Bülow an stellvertretenden Staatssekretär, 23.6.1924, 24.6.1924, Nachlaß Bülow, Bd. 10, PA AA. Bülow an stellvertretenden Staatssekretär, 26.6.1924, Nachlaß Bülow, Bd. 10, PA AA. Germania, 27.6.1924. Leipziger Tageblatt, 6.7.1924. Notiz Bülow, Mehr Anstand, o. D., Nachlaß Bülow, PA AA. Schubert an Graf Brockdorff-Rantzau, 29.12.1924, ADAP, A, Bd. XI, 258. Köpke, Lebensbild Bülow, Personalakte Bülow, PA AA. Hans Meier-Welcker, Seeckt, Frankfurt 1967, S. 475. Aufzeichnung Bülow (Aschmann, Poensgen), 12.12.1925, ADAP, B, I, 22. Ebenda; Bülow an Graf Brockdorff-Rantzau, 27.3.1924, ADAP, A, IX, 232. Aufzeichnung Bülow (Aschmann, Poensgen), 12.12.1925, ADAP, B, I, 22. Stülpnagel an Bülow, 6.3.1926, ADAP, B, I, 144. Ebenda. Siehe etwa den Bericht Bülows über seinen Besuch in London, 1.3.1924, ADAP, A, VIII, 176. Ebenso rechnete Bülow mit den USA, Aufzeichnung Schubert (mit Kommentar Bülow), 27.2.1926, ADAP, B, II, 76. Köpke an Bülow, 26.10.1925, Nachlaß Bülow, Bd. 1, PA AA. Bülow an Dieckhoff, 27.7.1926, ADAP, B, V, 71. Julius Curtius, Sechs Jahre Minister der deutschen Republik, Heidelberg 1948, S. 167. Runderlaß AA (Bülow), 5.10.1927, ADAP, B, VII, 9. Bülow an Smend, 5.6.1929, ADAP, B, XII, 11. Smend an Bülow, 13.6.1929, ADAP, B, XII, 27. Aufzeichnung o. U. (Bülow), 25.5.1928, ADAP, B, IX, 21. Dufour an Schubert, 8.2.1927, R 97520, PA AA. Dufour an Bülow, 28.2.1927, R 97520, PA AA. Dufour an de Haas, 23.9.1927, R 97520, PA AA. Bülow an Weizsäcker, 30.3.1927, ADAP, B, V, 42. Aufzeichnung Weizsäcker, 2.1.1929, ADAP, B, XI, 3. Aufzeichnung Bülow, 2.11.1927, ADAP, B, VII, 65.
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Aufzeichnung Bülow (Aschmann, Poensgen), 12.12.1925, ADAP, B, I, 22. Schubert an Graf Bernstorff, 26.11.1927, ADAP, B, VII, 148. Aufzeichnung Bülow, 20.8.1928, ADAP, 13, IX, 246. Aufzeichnung Bülow, 14.9.1929, ADAP, B, XIII, 18. Aufzeichnung Bülow, 18.9.1929, ADAP, B, IX, 18. Ebenda. Aufzeichnung Köpke, 5.4.1930, ADAP, B, XIV, 191. Ebenda. Aufzeichnung Zechlin, 12.7.1927, ADAP, B, VI, 24. Bülow an von Bergen, 9.1.1929, ADAP, B, XI, 12. Ebenda. Aufzeichnung Köpke, 5.4.1930, ADAP, B, XIV, 191. Ebenda. Aufzeichnung Bülow, 28.3.1927, ADAP, B, V, 37; Aufzeichnung Bülow 28.6.1927, ADAP, B, V, 262; „Politik der Vernarbung“: Bülow an von Bergen, 9.1.1929, ADAP, B, XI, 12. Aufzeichnung Köpke, 5.4.1930, ADAP, B, XIV, 191. Koch an AA, 1.4.1928, ADAP, B, VIII, 205. Aufzeichnung Bülow, 15.7.1927, ADAP, B, VI, 36. Aufzeichnung Köpke, 27.12.1927, ADAP, B, VII, 236. Ebenda.
Staatssekretär in der Endphase der Weimarer Republik: Verschärfung des revisionistischen Kurses 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17 18
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Bülow an Dufour, 31.1.1928, R 97520, PA AA. Schulthess 1930, S. 93. Hierzu Hermann Graml, Zwischen Stresemann und Hitler. Die Außenpolitik der Präsidialkabinette Brüning, Papen und Schleicher, München 2001. A.a.O., S. 41. Hermann Pünder, Politik in der Reichskanzlei. Aufzeichnungen aus den Jahren 1929–1932, Stuttgart 1961, S. 61. Julius Curtius, Sechs Jahre Minister, S. 167. Aufzeichnung Curtius, 24.11.1930, ADAP, B, XVI, 73. Die Weizsäcker-Papiere, 1900–1932, hrsg. von Leonidas Hill, Berlin o. D., S. 406. Aufzeichnung Köpke, 5.4.1930, ADAP, B, XIV, 191. Aufzeichnung Heeren, 20.6.1930, ADAP, B, XV, 87. Bülow an Weizsäcker, 21.5.1930, ADAP, B, XV, 38. Akten der Reichskanzlei (AdRK), Die Kabinette Brüning, Bd. 1, Nr. 40. Hoesch an AA, 20.6.1930, ADAP, B, XV, 90. Aufzeichnung Bülow, 11.6.1920, ADAP, B, XV, 71. AdRK, Die Kabinette Brüning, 1, 68. Dirksen an AA, 20.6.1930, ADAP, B, XV, 91. Dirksen an Bülow, 28.11.1930, ADAP, B, XVI, 86. Notes of a Conversation between Embassy people/Correspondents and Captain
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Goering, 24.11.1931, Documents on British Foreign Policy (DBFP), Second Series, Vol. II, Nr. 303. Bülow an Prittwitz, 20.1.1931, ADAP, B, XIV, 174. Bülow an Dirksen, 14.6.1932, R 29518, PA AA. Aufzeichnung Curtius, 25.1.1931, R 27977, PA AA; Aufzeichnung Curtius, 24.11.1930, R 29513, PA AA. Bülow an Escherich, 14.7.1930, R 29465, PA AA. Bülow an Schubert, 13.1.1931, R 29514, PA AA. Bülow an Koch, Prag, 10.10.1930, ADAP, B, XVI, 8. Schulthess, 1930, S. 188f. Zur französischen Reaktion Hans Riesser aus Paris, 20.8.1930, R 28251 k, PA AA. AdRK, Die Kabinette Brüning, 2, 256. Aufzeichnung Bülow, 7.8.1930, ADAP, B, XV, 172; Bülow an Botschaft Paris, 9.10.1930, ADAP, B, XVI, 6. Aufzeichnung Bülow, 16.10.1930, R 29449, PA AA. DBFP, Second Series, Vol. I, Nr. 317. Bülow an Prittwitz, 20.1.1931, ADAP, B, XVI, 174. Bülow an von Papen, 18.9.1930, ADAP, B XIV, 219. Ebenda. Selbst Pierre Laval, der französische Ministerpräsident, bezeichnete in einem Gespräch mit dem amerikanischen Präsidenten Herbert Hoover und dessen Außenminister Henry Stimson den Korridor als „Monstrosität“, Sir Donald Lindsay an Foreign Office, 28.11.1931, DBFP, Second Series, Vol. II, Nr. 298; Lindsay an Foreign Office, 26.10.1931, DBFP, Second Series, Vol. II, Nr. 280. Trautmann an Graf Bernstorff, 25.11.1930, ADAP, B, XVI, 75. Graf Bernstorff an Trautmann, Neurath an Trautmann, 8.12.1930, ADAP, B, XVI, 98. Curtius (Meyer, Trautmann, Bülow) an Neurath, 17.3.1991, ADAP, B, XVII, 18. Sass an Bülow, 11.12.1930, ADAP, B, XVI, 101. Bülow an Staatssekretär in der Reichskanzlei, 5.2.1931, ADAP, B, XVI, 207. Graml, Zwischen Stresemann und Hitler, S. 81–111. Hoesch an AA, 22.11.1930, ADAP, B, XVI, 72. Bülow an Botschaft Paris, 9.10.1930, ADAP, B, XVI, 6. Hoesch an AA, 17.3.1931, R 3069/70, PA AA. Papen an Bülow, 20.2.1931, ADAP, B, XVI, 224. Hoesch an AA, 17.3.1931, R 3069/70, PA AA. Bülow an Hoesch, 14.1.1931, ADAP, B, XVI, 159. Bülow an Kaas, 15.12.1930, ADAP, B, XVI, 103. Hoesch an Bülow, 16.1.1931, ADAP, B, XVI, 166. Sir Horace Rumbold an Foreign Office, 30.8.1932, Newton an Foreign Office, 12.11.1932, DBFP, Second Series, Vol. IV, Nr. 49, 172. Sir Horace Rumbold an Foreign Office, 23.9.1932, DBFP, Second Series, Vol. IV, Nr.110. Sir Horace Rumbold an Foreign Office, 30.8.1932, DBFP, Second Series, Vol. IV, Nr. 49. Ebenda. Newton an Foreign Office, 7.10.1932, DBFP, Second Series, Vol. IV, Nr. 146. Bülow an Hoesch, 11.10.1930, ADAP, B, XIV, 50. Bülow an Hoesch, 14.1.1931, ADAP, B, XVI, 159. Bülow an Hoesch, 23.1.1931, ADAP, B, XVI, 181.
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Zitat in: Hoesch an Bülow, 16.1.1931, ADAP, B, XVI, 166. Sir Horace Rumbold an Foreign Office, 6.5.1931, DBFP, Second Series, Vol. II, Nr. 34. Aufzeichnung Köpke, 21.2.1931, R 30368 k, PA AA. Hoesch an AA, 6.3.1931, R 70504, PA AA. Bülow an Prittwitz, 20.1.1931, R 29514, PA AA. Hoesch an AA, 2.4.1931. ADAP, B, 64. AdRK, Die Kabinette Brüning, Bd. 2, Nr. 263. Aufzeichnung AA, 8.3.1931, R 30368 k, PA AA. Hierzu Heinrich A. Winkler, Weimar 1918–1933. Die Geschichte der ersten deutschen Demokratie, München 1998; Josef Becker, Heinrich Brüning und das Scheitern der konservativen Alternative in der Weimarer Republik, in: Aus Politik und Zeitgeschichte, Bd. 22 (1930), S. 3–17; Udo Wengst, Heinrich Brüning und die „konservative Alternative“. Kritische Anmerkungen zu neuen Thesen über die Endphase der Weimarer Republik, in: Aus Politik und Zeitgeschichte, Bd. 50 (1980), S. 19–26; Hans-Jürgen Schröder, Deutsche Südosteuropapolitik 1929–1936. Zur Kontinuität deutscher Außenpolitik in der Weltwirtschaftskrise, in: Geschichte und Gesellschaft 2 (1976), S. 5–32; Hugh Seton-Watson, Eastern Europe between the Wars 1918–1941, New York u. a. 1967. Sir Horace Rumbold an Foreign Office, 6.5.1931, DBFP, Second Series, Vol. II, Nr. 33. Ebenda. Bülow an Prittwitz, 20.1.1931, R 29514, PA AA. Bülow an Koch, 15.4.1931, R 29515, PA AA. Sir Horace Rumbold an Foreign Office, 17.4.1931, DBFP, Second Series, Vol. II, Nr. 28. Hoesch an AA, 23.3.1931, R 28253 k, PA AA. Hoesch an AA, 15.5.1931, 16.5.1931, R 28254, PA AA; Aufzeichnung Curtius, 15.5.1931, R 29506, PA AA. Runderlaß Bülow, 20.4.1931, ADAP, B, XVII, 91. Bülow an Koch, 15.4.1931, R 29515, PA AA. Sir Horace Rumbold an Foreign Office, 16.7.1931, DBFP, Second Series, Vol. II, Nr. 210; ferner Aufzeichnung Bülow, 16.7.1931, R 29450, PA AA. Aufzeichnung Bülow, 12.7.1932, R 29507, PA AA. Aufzeichnung Neurath, 27.7.1932, R 70509, PA AA. Denkschrift Reichsregierung, 29.8.1932, ADAP, B, XXI, 20. AdRK, Das Kabinett von Papen, Bd. 2, Nr. 132. Hoesch an AA, 29.7.1932, R 29507, PA AA. Neurath an Bülow, 6.9.1932, R 29507, PA AA. Schulthess, 1932, S. 481f. Aufzeichnung Papen, 29.6.1932, ADAP, B, XX, 174. Aufzeichnung Bülow, 18.8.1932, R 29453, PA AA. Weizsäcker-Papiere, S. 412. Aufzeichnung Dieckhoff, August 1932, St. 5., Pol, A, Bd. 9 (4606/E 193485–86), PA AA. Prittwitz an Bülow, 12.2.1932, R 29517, PA AA. Sir Horace Rumbold an Foreign Office, 13.8.1932, DBFP, Second Series, Vol. IV, Nr. 12. Bülow an Prittwitz, 25.1.1932, R 29517, PA AA.
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Hierzu Peter Krüger/Erich Hahn, Der Loyalitätskonflikt des Staatssekretärs Bernhard Wilhelm von Bülow im Frühjahr 1933, in: VfZ 20 (1972), S.380ff. A. a. O., S. 396ff.
Staatssekretär im Dritten Reich: Zwischen Illusion und Kompetenzverlust 1 2 3 4 5 6 7 8 9
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Runderlaß Bülow, 30.1.1933, ADAP, C, Bd. I, 1, 1. Dirksen an Bülow, 31.1.1933, ADAP, C, Bd. I, 1, 6. Bülow an Dirksen, 6.2.1933, R 29518, PA AA. Neurath an Dirksen, 22.2.1933, ADAP, C, Bd. I, 1, 33. Prittwitz, Zwischen Petersburg und Washington, S. 127. Bülow an Neurath, 10.2.1933, Personalakte Bülow, PA AA. Thilo Vogelsang, Neue Dokumente zur Geschichte der Reichswehr 1930–1933, in: VfZ 2 (1954), S. 434f. Krüger, Loyalitätskonflikt, S. 389. In: Hans-Adolf Jacobsen, Materialsammlung, PA AA; dazu Jacobsen, Nationalsozialistische Außenpolitik 1933–1938, Frankfurt/Main u. a. 1968, S. 387. Günter Wollstein, Eine Denkschrift des Staatssekretärs Wilhelm von Bülow vom März 1933. Wilhelminische Konzeption der Außenpolitik zu Beginn der nationalsozialistischen Herrschaft, in: Militärgeschichtliche Mitteilungen 1973, H. 1, S. 77– 97. Krüger, Loyalitätskonflikt, S. 388f. Eckart Conze/Norbert Frei/Peter Hayes/Moshe Zimmermann (Hrsg.), Das Amt und die Vergangenheit. Deutsche Diplomaten im Dritten Reich und in der Bundesrepublik, München 2010, S. 41f. Aufzeichnung Hans Thomsen (Reichskanzlei), 7.4.1933, ADAP, C, I, 1, 142. Graml, Zwischen Stresemann und Hitler, S. 226. Das Amt, S. 40ff. ADAP, C, I, 2, 406. ADAP, C, II, 2, 426. So Hoesch in einem Schreiben an das AA, 16.8.1933, ADAP, C, I, 2, 406. Reichsbischof Müller an AA, November 1933, ADAP, C, II, 1, 55, Anm. 2. Aufzeichnung o. U., 3.5.1935, ADAP, C, IV, 67. Fürst Bismarck an AA, 22.9.1934, ADAP, C, III, 1, 218. Aufzeichnung Stieve, 18.6.1934, ADAP, C, III, 1, 15. Fürst Bismarck an AA, 17.9.1934, ADAP, C, III, 1, 211. Aufzeichnung Neurath, 20.9.1934, ADAP, C, III, 1, 213. Aufzeichnung o. U., 3.5.1935, ADAP, C, IV, 1, 67. Ebenda; Hjalmar Schacht, 76 Jahre meines Lebens, Bad Wörishofen 1953, S. 437ff. ADAP, C, II, 1, 57, 59, 19. Neurath an Bülow, 31.7.1933, ADAP, C, I, 1, 384. Neurath an Meissner, 12.6.1934, ADAP, C, II, 1, 499. Aktennotiz Bülow, 26.7.1934, ADAP, C, III, 1, 121. Alfred Kube, Pour le mérite. Hermann Göring im Dritten Reich, München 1986, S. 74–103.
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Aufzeichnung Bülow, 30.10.1934, ADAP, C, III, 1, 284; Aufzeichnung Neurath, 2.11.1934, ADAP, C, III, 2, 291; Aufzeichnung Renthe-Fink, 2.11.1934, ADAP, C, III, 2, 292; Karl Schnurre (Budapest) an Köpke, 6.11.1934, ADAP, C, III, 2, 313. Aufzeichnung Neurath, 10.3.1934, ADAP, C, III, 2, 314. Bülow an Köster, 15.3.1934, ADAP, C, III, 2, 343. Neurath an Botschafter London und Paris, 18.4.1934, ADAP, C, III, 2, 405. Hoesch an AA, 27.5.1934, ADAP, C, III, 2, 467; Aufzeichnung Bülow, 5.7.1934, ADAP, C, III, 1, 60. Erich Kordt, Nicht aus den Akten ..., Stuttgart 1950, S. 70. Die Tagebühcer von Joseph Goebbels, Teil I: Aufzeichnungen 1923–1941, hrsg. von Elke Fröhlich, München 1998–2006, Bd. 2/III, S. 359. Zu Ribbentrop vor allem Wolfgang Michalka, Ribbentrop und die deutsche Weltpolitik 1933–1940, München 1980. Goebbels-Tagebücher, Teil I, Bd. 3/1, S. 279. Aufzeichnung Robert Ulrich, 19.2.1934, ADAP, C, II, 1, 269. Aufzeichnung Ritter, 8.6.1934, ADAP, C, II, 1, 493; Neurath an Heß, 21.6.1934, ADAP, C, III, 1, 24. Bülow an Dirksen, 14.6.1932, R 29518, PA AA. Dirksen an AA, 29.12.1933, ADAP, C, II, 1. 154; Neurath an Dirksen, 1.1.1934, ADAP, C, II, 1, 158; Dirksen an Bülow, 4.1.1934, ADAP, C, II, 1, 162. Bülow an Dirksen, 10.1.1934, ADAP, C, II, 1, 174. Dirksen an AA, 15.1.1934, ADAP, C, II, 1, 183. Neurath an Dirksen, 18.1.1934, ADAP, C, II, 1, 198. Dirksen an Bülow, 4.2.1934, ADAP, C, II, 2, 237. Dirksen an AA, 17.2.1934, ADAP, C, II, 2, 267. Aufzeichnung Ritter, 23.3.1934, ADAP, C, II, 2, 353. Meyer an Dirksen, 14.4.1934, ADAP, C, II, 2, 403. Der Ostasiatische Verein Hamburg-Bremen e.V. an Neurath, 13.3.1934, ADAP, C, II, „, 324. Neurath an Heß, 21.6.1934, ADAP, C, II, 1, 24. Dirksen an AA, 22.9.1934, ADAP, C, III, 1, 217. Aufzeichnung Bülow, 7.3.1935, ADAP, C, III, 1, 521. Aufzeichnung Bülow, 31.7.1935, ADAP, C, IV, 1, 238. Dirksen an Erdmannsdorff, 1.1.1936, ADAP, C, IV, 2, 479, Anm. 6. Aufzeichnung Meissner, 9.6.1936, ADAP, C, V, 1, 362. AA an Reichinnenministerium, 20.12.1933, ADAP, C, II, 1, 140. Volker Zimmermann, Die Sudetendeutschen im NS-Staat. Politik und Stimmung der Bevölkerung im Reichsgau Sudetenland (1938–1949), Essen 1999, S. 35–70 (Vorgeschichte). Aufzeichnung Hüffer, 28.3.1934, ADAP, C, II, 2, 361. Köpke an Koch, 18.6.1934, ADAP, C, III, 1, 16. Jürgen Gehl, Austria, Germany and the Anschluß 1931–1938, London 1963; Günter Bischof (Hrsg.), The Dollfuß-Schuschnigg era in Austria. A reassessment, Brunswick u. a. 2003. Hassell an AA, 6.2.1933, ADAP, C, I, 1, 12. Aufzeichnung Neurath, 14.3.1933, ADAP, I, 1, 83. Hassell an AA, 20.4.1933, ADAP, C, I, 1, 171. Runderlaß Neurath, 7.6.1933, ADAP, C, I, 2, 291. Aufzeichnung Heeren, 20.5.1933, ADAP, C, I, 2, 256.. Aufzeichnung Bülow, 9.4.1934, ADAP, C, II, 2, 389.
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Neurath an AA, 15.6.1933, ADAP, C, I, 2, 313. Ebenda. Aufzeichnung Köpke, 19.5.1933, ADAP, C, I, 2, 249. Bülow an Neurath, 27.7.1933, ADAP, C, I, 2, 376. Bülow an Neurath, 25.8.1933, ADAP, C, I, 2, 411. Aufzeichnung Thomsen, Ministerbesprechung, 26.5.1933, ADAP, C, I, 2, 262. Hassell an AA, 20.4.1933, ADAP, C, I, 1, 173. Hassell an AA, 20.4.1933, ADAP, C, I, 1, 171. Aufzeichnung Köpke, 19.5.1933, ADAP, C, I, 2, 249. Bülow an Neurath, 27.7.1933, ADAP, C, I, 2, 376. Bülow an Neurath, 1.8.1933, ADAP, C, I, 2, 385. Neurath an Bülow, 4.8.1933, ADAP, C, I, 2, 390. Aufzeichnung Heeren, 12.8.1933, ADAP, C, I, 2, 401. Aufzeichnung Neurath, 14.8.1933, ADAP, C, I, 2, 402. Bülow an Neurath, 1.8.1933, ADAP, C, I, 2, 385. Hassell an AA, 26.2.1934, ADAP, C, II, 2, 278. Aufzeichnung Bülow, 9.4.1934, ADAP, C, II, 2, 389. Aufzeichnung Hüffer, 19.4.1934, ADAP, C, II, 2, 409. Neurath an Bülow, 31.7.1933, ADAP, C, I, 2, 384. Bülow an Neurath, 25.8.1933, ADAP, C, I, 2, 411. Neurath an Frick, 24.5.1934, ADAP, C, II, 2, 462. Aufzeichnung Bülow, 1.8.1934, ADAP, C, III, 1, 141. Hitler an Heß, Goebbels, Papen und Gestapo, 8.8.1934, ADAP, C, III, 1, 151. Aufzeichnung Altenburg, 27.2.1935, ADAP, C, III, 2, 510. Aufzeichnung Altenburg, 8.3.1935, ADAP, C, III, 2, 522.
Konflikt mit Hitler und Resignation 1 2
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Niederschrift Ministerbesprechung, 12,9.1933, ADAP, C, I, 2, 426. Sir Horace Rumbold an Foreign Office, 30.8.1932, DBFP, Second Series, Vol. IV, Nr. 56; Newton an Foreign Office, 7.10.1932, DBFP, Second Series, Vol. IV, Nr. 146. Bülow an Prittwitz, 6.2.1933, ADAP, C, I, 1, 11. Aufzeichnung Bülow, 16.7.1934, ADAP, C, III, 1, 90. Aufzeichnung Bülow, 19.7.1934, ADAP, C, III, 1, 98. Bülow an Neurath, 21.7.1934, ADAP, C, III, 1, 105. Bülow an Neurath, 23.7.1934, ADAP, C, III, 1, 109. Aufzeichnung Bülow, 1.12.1934, ADAP, C, III, 2, 369. Hoesch an AA, 19.5.1935, ADAP, C, III, 1, 542. Bülow an Neurath, 16.8.1934, ADAP, C, III, 1, 163. Aufzeichnung Bülow, 4.10.1933, ADAP, C, I, 2, 479. Aufzeichnung Thomsen, 13./14.10.1933, ADAP, I, 2, 499. Dirksen an Bülow, 14.4.1933, ADAP, C, I, 1, 157. Aufzeichnung Thomsen, 26.9.1933, ADAP, C, I, 2, 456. So etwa Twardowski an AA, 6.11.1933, ADAP, C, II, 1, 47. Aufzeichnung Bülow, 22.6.1933, ADAP, C, I, 2, 331. Trautmann an Bülow, 24.8.1933, ADAP, C, I, 2, 410.
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Aufzeichnung Thomsen, 26.9.1933, ADAP, C, I, 2, 456; Aufzeichnung Bülow, 26.9.1933, ADAP, C, I, 2, 457. Instruktion Neuraths an Nadolny, 13.11.1933, ADAP, C, I, 2, 66. Moltke an Bülow, 26.4.1933, ADAP, C, I, 1, 192. Koester an Meyer, 5.12.1933, ADAP, C, I, 2, 102; Aufzeichnung Radowitz, 7.11.1934, ADAP, C, III, 2, 308; Radowitz an Meyer, 15.11.1934, ADAP, C, III, 2, 329. Moltke an AA, 19.4.1933, ADAP, C, I, 1, 167. Aufzeichnung Neurath, 2.5.1933, ADAP, C, I, 1, 201. Aufzeichnung Neurath, 3.5.1933, ADAP, C, I, 1, 206. Aufzeichnung Bülow, 6.9.1933, ADAP, C, I, 2, 417. Meyer an Gesandtschaft Warschau, 15.11.1933, ADAP, C, II, 1, 69. Meyer an Gesandtschaft Warschau, 16.11.1933, ADAP, C, II, 1, 70. Aufzeichnung o. U., o. D., ADAP, C, II, 1, 77. Nadolny an AA, 5.1.1934, ADAP, C, II, 1. 163. Runderlaß Bülow, 3.9.1934, ADAP, C, III, 1, 189. Nadolny an AA, 10.1.1934, ADAP, C, II, 1, 173. Neurath an Nadolny, 17.1.1934, ADAP, C, II, 1, 190. Nadolny an Bülow, 23.1.1934, ADAP, C, II, 1, 210. Aufzeichnung o. U. (Nadolny, von Bülow gebilligt), 31.5.1934, ADAP, C, II, 1, 476. Moltke an AA, 25.5.1934, ADAP, C, II, 2, 465. Köster an Bülow, 30.11.1934, ADAP, C, III, 2, 365. Bülow an Nadolny, 12.2.1934, II, 2, 251. Aufzeichnung Renthe-Fink, 24.3.1936, ADAP, C, V, 1, 205. Aufzeichnung Köpke, 13.11.1933, ADAP, C, II, 1, 65. Aufzeichnung Bülow, 1.12.1934, ADAP, C, III, 2, 369. Reichskriegsministerium an AA, 19.11.1935, ADAP, C, IV, 2, 420. Aufzeichnung Bülow, 20.11.1935, ADAP, C, IV, 2, 423. Runderlaß Bülow, 7.5.1935, ADAP, C, IV, 1, 72. Aufzeichnung Bülow, 16.4.1935, ADAP, C, IV, 1, 33. Runderlaß Bülow, 7.5.1935, ADAP, C, IV, 1, 72. Aufzeichnung Neurath, 14.12.1935, ADAP, IV, 2, 462. Aufzeichnung Neurath, 27.1.1936, ADAP, IV, 2, 523. Aufzeichnung Meissner, 25.10.1935, ADAP, IV, 2, 381. Goebbels-Tagebücher, Teil I, Bd. 3/I, S. 212. Hassell an AA, 16.11.1935, ADAP, C, IV, 2, 414. Hassell an AA, 22.2.1936, ADAP, C, IV, 2, 579. Aufzeichnung Hassell, 20.2.1936, ADAP, C, IV, 2, 575. Graf Schwerin-Krosigk, Es geschah in Deutschland, S. 308. Aufzeichnung Bülow, 20.3.1936, ADAP, C, V, 1, 169.
Schlußbemerkung 1 2 3
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Krüger, Loyalitätskonflikt, S. 397f. Ebenda, S. 401. Aufzeichnung Bülow-Schwante, 25.1.1935, ADAP, C, III, 2, 458 (Bemerkung Neuraths in Anm. 5).
4 5
6
Notiz Schumburg, 30.1.1935, ADAP, C, III, 2, 467. Ulrich von Hassell, Römische Tagebücher und Briefe 1932–1938, hrsg. von Ulrich Schlie, München 2004, Tagebuch-Eintrag vom 26.7.1936 (Unterhaltung mit Göring), S. 146. Z. B. Brief Hassells an seine Frau, 26.11.1933, in: Hassell, Römische Tagebücher und Briefe, S. 52.
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Zu Quellen und Literatur Eine biographische Studie, die den ganzen Lebensweg oder doch die berufliche Karriere des Staatssekretärs Bernhard Wilhelm von Bülow behandelte, liegt bislang nicht vor. Nach seinem Tode hat sein Kollege und Freund Gerhard Köpke, bis 1930 sein Vorgesetzter und dann sein Untergebener, eine „Lebensbild“ genannte Skizze verfaßt, aber die wenigen Seiten dieser Skizze, ein Dokument großen Respekts und großer Zuneigung, sind nicht mehr als eine Grabrede, und die Würdigung, die Peter Krüger auf der Gedenkfeier zum 100. Geburtstag Bülows vortrug, am 18. Juni 1985, war schon durch die räumlichen Zwänge behindert, die der Anlaß auferlegte. Nun hat Peter Krüger in seinem grundlegenden Werk „Die Außenpolitik der Republik von Weimar“ (Darmstadt 1985) das politische Denken und Handeln Bülows während der Locarno-Ära untersucht. Da jedoch die detaillierte Darstellung nur bis zum Beginn der Kanzlerschaft Heinrich Brünings reicht, zeigt sich naturgemäß auch der Staatssekretär zur Zeit der Präsidialkabinette nur in Umrissen, und der Staatssekretär, der unter dem Außenminister Konstantin von Neurath im Dritten Reich amtierte, spielt noch gar keine Rolle. In dem tief dringenden Aufsatz „Der Loyalitätskonflikt des Staatssekretärs Bernhard Wilhelm von Bülow im Frühjahr 1933“, den Peter Krüger – zusammen mit Erich J. Hahn – 1972 schrieb (Vierteljahrshefte 20, S. 376–410), geht es keineswegs nur um das Frühjahr 1933; die Verfasser beschreiben durchaus auch Bülows Entwicklung seit Ende des Ersten Weltkriegs, aber begreiflicherweise knapp und in großen Linien, dazu wird Bülows amtliche Tätigkeit in den Jahren 1934, 1935 und 1936 nicht mehr in den Blick genommen. Günter Wollstein hat 1973 in den Militärgeschichtlichen Mitteilungen (13, S. 77–94) „Eine Denkschrift des Staatssekretärs Bernhard von Bülow vom März 1933“ ediert, doch mußten seine einleitenden Bemerkungen punktuell bleiben. Ein biographischer Essay hat sich also vornehmlich auf die Quellen zu stützen. Wertvolle Aufschlüsse bieten Aufzeichnungen und Erinnerungen von Freunden, Kollegen und politischen Weggefährten. In erster Linie sind zu nennen Harry Graf Kessler (Tagebücher 1918–1937, Frankfurt/Main 1961, jetzt auch die komplettierte Edition: Harry Graf Kessler, Das Tagebuch 1880–1937, hrsg. von Roland S. Kamzylab und Ulrich Ott, o. D., o. O., besonders Siebter Band 1919–1923, hrsg. von Angela Reinthal, und Achter Band 1923–1926, hrsg. von Angela Reinthal, Günter Riederer und Jörg Schuster), Friedrich von Prittwitz und Gaffron (Zwischen Petersburg und Washington. Ein Diplomatenleben, München 1952), Theodor Heuss (Erinnerungen 1905–1938, Tübingen 1963), Julius Curtius (Sechs Jahre Minister der deutschen Republik, Heidelberg 1948), Ernst Freiherr von Weizsäcker (Die Weizsäcker-Papiere, 1930–1932, 1933–1950, hrsg. von Leonidas Hill, Berlin o. D.), Ulrich von Hassell (Römische Tagebücher und Briefe 1932–1938, hrsg. von Ulrich Schlie, München 2004), Erich Kordt (Nicht aus den Akten, Stuttgart 1950) und Lutz Graf Schwerin von Krosigk (Es geschah in Deutschland. Menschenbilder unseres Jahrhunderts, Stuttgart 1951). Auch Diplomaten, die ihre Staaten in Berlin vertraten, haben sich zu Bülow geäußert, so André François-Poncet (Als Botschafter in Berlin 1931–1938, Mainz 1949). In reicher Fülle liefern aber Material vor allem die im Politischen Archiv des Auswärtigen Amt aufbewahrten Quellen, so der Nachlaß Bülow, die Personalakte Bülow und die unveröffentlichten wie die in den Akten zur deutschen Auswärtigen Politik (ADAP, Serie A, B und C) veröffentlichten Dokumente. Die Berichte ausländischer Botschaften und Gesandtschaften zeigen ebenfalls den Staatssekretär Bülow
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in Aktion, namentlich die der britischen Mission (Documents on British Foreign Policy, First Series and Second Series). Auch die publizierten Akten der Reichskanzlei, sowohl der Präsidialkabinette wie der Regierung Hitler, waren heranzuziehen. Im folgenden noch einige wichtige Gesamtdarstellungen und etliche Werke – mit weiteren Literaturangaben – zu Vorgängen, an denen Bernhard von Bülow in irgendeiner Weise beteiligt war: Ádám, Magda, Richtung Selbstvernichtung. Die Kleine Entente 1920–1938, Budapest – Wien 1988. Albertin, Lothar, Liberalismus und Demokratie am Anfang der Weimarer Republik, Düsseldorf 1972. Bariéty, Jacques, Tauziehen um ein neues Gleichgewicht. Konsolidierung oder Revision von Versailles, in: Knipping, Franz/Weisenfeld, Ernst (Hrsg.), Eine ungewöhnliche Geschichte. Deutschland und Frankreich seit 1870, Bonn 1988, S. 101– 111. Becker, Josef, Heinrich Brüning und das Scheitern der konservativen Alternative in der Weimarer Republik, in: Aus Politik und Zeitgeschehen 22 (1980), S. 3–17. Becker, Josef, Probleme der Außenpolitik Brünings, in: Becker, Josef/Hildebrand Klaus (Hrsg.), Internationale Beziehungen in der Weltwirtschaftskrise 1929–1933, München 1980, S. 265–286. Beer, Siegfried, Der „unmoralische“ Anschluß. Britische Österreichpolitik zwischen Containment und Appeasement 1931–1934, Wien 1988. Bollmus, Reinhard, Das Amt Rosenberg und seine Gegner, München 2 1997. Bracher, Karl Dietrich, Das Anfangsstadium der Hitlerschen Außenpolitik, in: VfZ 5 (1957), S. 63–76. Bracher, Karl Dietrich, Die Auflösung der Weimarer Republik. Eine Studie zum Machtverfall in der Demokratie, Düsseldorf 9 1978. Broszat, Martin, Zweihundert Jahre deutscher Polenpolitik, München 1963. Challener, Richard D., The French Foreign Office. The Era of Philippe Berthelot, in: Craig, Gordon A./Gilbert, Felix (Hrsg.), The Diplomats 1919–1936, Princeton 1953, S. 49–85. Chappuis, Charles W., Anglo-German Relations 1929–1933. A Study of the Role of Great Britain in the Achievement of the Aims of German Foreign Policy, Indiana 1966. Corsini, Umberto/Zaffi, Davide (Hrsg.), Die Minderheiten zwischen den beiden Weltkriegen, Berlin 1997. Deist, Wilhelm, Internationale und nationale Aspekte der Abrüstungsfrage 1924– 1932, in: Rößler, Hellmuth/Hölzle, Erwin (Hrsg.), Locarno und die Weltpolitik, Göttingen 1969, S. 67–93. Dengg, Sören, Deutschlands Austritt aus dem Völkerbund und Schachts „Neuer Plan“. Zum Verhältnis von Außen- und Außenwirtschaftspolitik in der Übergangsphase von der Weimarer Republik zum Dritten Reich (1929–1934), Frankfurt/Main – Bonn – New York 1986. Döscher, Hans-Jürgen, Das Auswärtige Amt. Amt im Dritten Reich. Diplomatie im Schatten der „Endlösung“, Berlin 1987.
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