Deutsche Fachtexte der frühen Neuzeit: Naturkundlich-medizinische Wissensvermittlung im Spannungsfeld von Latein und Volkssprache [Reprint 2011 ed.] 9783110886696, 9783110169638

Despite German specialist texts in the fields of medicine, pharmacy and botany making up a considerable proportion of ea

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German Pages 600 [604] Year 2001

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Table of contents :
Vorwort
Tabellenverzeichnis
Abbildungsverzeichnis
1 Einleitung
2 Deutsch-lateinischer Sprachenkontakt: ein Forschungsüberblick
2.1 Die deutsch-lateinische Diglossiesituation bis zum Beginn der Neuzeit
2.2 Der direkte Kontakt: Übersetzungsliteratur und Deutsch-Latein in zweisprachigen Texten
2.3 Der Einfluß des Lateinischen auf das Deutsche
2.4 Latein versus Deutsch: schriftliche versus mündliche Varietät?
2.5 Zusammenfassung
3 Historische Fachprosaforschung: Das Wissen und seine Vermittlung
3.1 Schwerpunkte mediävistischer Fachprosaforschung
3.2 Kommunikationsrelevante Veränderungen durch das Medium Buchdruck
3.3 Sprachwissenschaftliche Ansätze zur Analyse der Textkonstitution von Fachtexten
3.4 Zusammenfassung und Ausblick
4 Anlage und Ziele der Untersuchung
4.1 Das Textkorpus
4.2 Zur Analyse der Textorganisation volkssprachiger Fachtexte
4.3 Zur Analyse des Einflusses lateinischer Vorbilder
4.4 Fachtextkonstituierende Faktoren im Überblick
5 Frühneuzeitliche Kräuterbücher und ihre makrostrukturelle Textorganisation
5.1 Kurzcharakterisierung der Kräuterbücher des Untersuchungskorpus
5.2 Titelblatt und Kolophon in frühneuzeitlichen Kräuterbüchern
5.3 Orientierungshilfen in den deutschen Kräuterbüchern
5.4 Anordnungsprinzipien und Kapitelüberschriften in lateinischen und deutschen Kräuterbüchern
5.5 Zusammenfassung
6 Struktur und Inhalt der Vorworte
6.1 Zum Untersuchungsgegenstand
6.2 Themen und Motive in den Vorworten der volkssprachigen Kräuterbücher
6.3 Syntaktisch-stilistische Untersuchungen in Leservorreden
6.4 Die rhetorische Struktur von Widmungsvorreden am Beispiel des Vorwortes bei Camerarius (1585/1624)
6.5 Der ,Sprachenstreit‘ und seine rhetorisch-stilistischen Konsequenzen
6.6 Zusammenfassung
7 Die humanistischen Stilvorgaben und ihr Einfluß auf die volkssprachige Fachprosa
7.1 Das genus humile in den Elementa Rhetorices des Philipp Melanchthon (1531)
7.2 Der Ciceronianismus und die damit verbundenen Stilvorstellungen
7.3 Humanistische Vorgaben zur Reformierung der Volkssprache
7.4 Die proprietas verborum im Deutschen
7.5 Zusammenfassung
8 Deutsch-lateinische Interdependenz in den Werken der Gart-Tradition
8.1 Zur Überlieferungsgeschichte der Gart-Werke
8.2 Grob- und Feingliederung in der Gart-Tradition
8.3 Zur Reihenfolge der Kapiteleinträge im Großabschnitt De Animalibus
8.4 Zusammenfassung
9 Frühneuzeitliche Kräuterbücher und ihre mikrostrukturelle Textorganisation
9.1 Die Binnengliederung des Kapitels Sabina in den lateinischen Werken
9.2 Zur Variation der Binnengliederung bei Otho Brunfels (1530 und 1531)
9.3 Beobachtungen zur Stabilität der Binnengliederung in lateinischen Werken
9.4 Die Binnengliederung des Kapitels Sadebaum in den deutschen Werken
9.5 Zur Variation der Binnengliederung bei Otto Brunfels (1532 und 1537)
9.6 Beobachtungen zur Stabilität der Binnengliederung volkssprachiger Werke
9.7 Zusammenfassung
10 Die Darstellung des ,Sadebaums’ in der Kräuterbuchliteratur
10.1 Der Sadebaum im Gart der Gesundheit (1485)
10.2 Der Sadebaum im Circa instans und im Hortus sanitatis (1491)
10.3 Der Sadebaum bei Rößlin (1535) und Dorstenius (1540)
10.4 Der Sadebaum in den lateinischen Kräuterbüchern von Fuchs (1542) und Lonitzer (1551)
10.5 Der Sadebaum in den volkssprachigen Kräuterbüchern von Fuchs (1543) und Lonitzer (1557)
10.6 Der Sadebaum bei Brunfels (1536/1537)
10.7 Der Sadebaum bei Bock (1551/1556) und Kyber (1552)
10.8 Der Sadebaum bei Handsch (1563) und Camerarius (1586)
10.9 Der Sadebaum bei Tabernaemontanus/Braun (1591) und in der erweiterten Ausgabe von 1731
10.10 Zusammenfassung
11 Die Übertragung eines antiken Textes: die Celsus-Übersetzung durch Johann Küffner (1531 und 1539)
11.1 Zur Übersetzungsadäquatheit der volkssprachigen Version
11.2 Zur Wiedergabe lateinischer Fachbegriffe in der deutschen Übersetzung
11.3 Strategien der Wissensvermittlung
11.4 Zusammenfassung
12 Volkssprachige Chirurgie für (angehende) Wundärzte
12.1 Zur Auswahl des Inhalts in der ,kleinen‘ und ,großen Chirurgie‘
12.2 Popularisierungstendenzen in der ,kleinen Chirurgie‘
12.3 Strategien der Wissensvermittlung in der ,großen Chirurgie‘
12.4 Zusammenfassung
13 Frühe gedruckte Fachprosa und ihre späteren Bearbeitungen
13.1 Das Feldbůch der wundtartzney von Hans von Gersdorff (1517) und das Feld vnd Stattbůch Bewerter Wundtartznei von Walther Hermann Ryff (1556)
13.2 Die Destillierbücher Hieronymus Brunschwigs (1500, 1512) und ihre Bearbeitungen (ca. 1556 und 1610)
13.3 Zusammenfassung
14 Deutsche Fachtexte der frühen Neuzeit – ein Resümee
14.1 Zur Makro- und Mikrostruktur in volkssprachigen Kräuterbüchern
14.2 Der Einfluß der Textorganisation lateinischer Werke auf die volkssprachigen Kräuterbücher
14.3 Strategien der volkssprachigen Umsetzung lateinischer Werke
14.4 Verfahren der Textoptimierung in ausgewählten volkssprachigen Bearbeitungen
Bibliographie
1 Quellenverzeichnis
1.1 Kräuterbücher und Materia medica-Texte
1.2 Medizinisch-arzneikundiche Schriften
2 Sekundärliteratur
Namenregister
Sachregister
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Deutsche Fachtexte der frühen Neuzeit: Naturkundlich-medizinische Wissensvermittlung im Spannungsfeld von Latein und Volkssprache [Reprint 2011 ed.]
 9783110886696, 9783110169638

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Mechthild Habermann Deutsche Fachtexte der frühen Neuzeit

W G DE

Studia Linguistica Germanica

Herausgegeben von Stefan Sonderegger und Oskar Reichmann

61

Walter de Gruyter · Berlin · New York 2001

Mechthild Habermann

Deutsche Fachtexte der frühen Neuzeit Naturkundlich-medizinische Wis sens vermitdung im Spannungsfeld von Latein und Volkssprache

Walter de Gruyter · Berlin · New York 2001

© Gedruckt auf säurefreiem Papier, das die US-ANSI-Norm über Haltbarkeit erfüllt.

Die Deutsche Bibliothek - Cataloging-in-Publication Data Habermann, Mechthild: Deutsche Fachtexte der frühen Neuzeit: naturkundlich-medizinische Wissensvermitdung im Spannungsfeld von Latein und Volkssprache / Mechthild Habermann. - Berlin ; New York : de Gruyter, 2002 (Studia linguistica Germanica ; 61) Zugl.: Erlangen, Nürnberg, Univ., Habil.-Schr., 1999 ISBN 3-11-016963-0

© Copyright 2001 by Walter de Gruyter GmbH & Co. KG, D-10785 Berlin Dieses Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Printed in Germany. Druck: Werner Hildebrand, Berlin. Buchbinderische Verarbeitung: Lüderitz & Bauer-GmbH, Berlin.

Vorwort Die vorliegende Arbeit wurde im Wintersemester 1999/2000 von der Philosophischen Fakultät II der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg als Habilitationsschrift angenommen. Die Vorarbeiten sind während meiner Tätigkeit als wissenschaftliche Assistentin am Institut für Germanistik der Universität Erlangen-Nürnberg entstanden. Ein zweijähriges Habilitandenstipendium der Deutschen Forschungsgemeinschaft ermöglichte mir intensive Archivstudien und die Fertigstellung der Arbeit. Das Manuskript wurde im Sommer 1999 abgeschlossen und für die Druckfassung leicht überarbeitet. Seither erschienene Literatur konnte nur noch in Ausnahmefällen berücksichtigt werden. Mein besonderer Dank gilt Herrn Prof. Dr. Horst Haider Munske für freundliche Betreuung und wertvolle fachliche Hinweise. Er weckte mein Interesse, mich mit Fragen der Sprachenkontaktforschung zu beschäftigen, und ließ mir die Freiheit, eigene Wege zu gehen. Fachliche Anregungen verdanke ich ferner Herrn Prof. Dr. Karlheinz Jakob und Herrn Prof. Dr. Theodor Ickler. Für die kritische Lektüre des Manuskripts und zahlreiche Hinweise bin ich zu großem Dank verpflichtet Herrn Prof. Dr. Dr. Gundolf Keil, dem Nestor der mittelalterlichen und frühneuzeitlichen Medizingeschichte, und Herrn Dr. Johannes Gottfried Mayer, Mitarbeiter der Forschergruppe Klostermedizin an der Universität Würzburg. Danken möchte ich schließlich den Beschäftigten der Universitätsbibliothek Erlangen-Nürnberg für ihren Einsatz bei der Beschaffung der frühneuzeitlichen Quellen, den Mitarbeitern des Verlages Walter de Gruyter für die professionelle Lektorierung und meinen Freunden und Kollegen für die Aufmunterung dann, wenn sie nötig war.

Erfurt, im Herbst 2001

Mechthild Habermann

Inhalt

Vorwort

V

Tabellenverzeichnis

XIV

Abbildungsverzeichnis

XVI

1

Einleitung

2

Deutsch-lateinischer Sprachenkontakt: ein Forschungsüberblick . . 7

2.1

Die deutsch-lateinische Diglossiesituation bis zum Beginn der Neuzeit

7

Der direkte Kontakt: Übersetzungsliteratur und Deutsch-Latein in zweisprachigen Texten

9

2.2

1

2.3

Der Einfluß des Lateinischen auf das Deutsche

13

2.3.1

Die Wirkung sprachkodifizierender Werke

14

2.3.2

Der Anteil des Lateinischen an der Herausbildung der deutschen Schriftsprache

27

2.3.2.1

Wortbildungsmuster und -modelle unter lateinischem Einfluß

28

2.3.2.2

Syntaktische Strukturen unter lateinischem Einfluß

33

2.3.2.2.1

Stellungsregularitäten im Deutschen und Lateinischen

35

2.3.2.2.2

Der Ausbau der Hypotaxe im Deutschen

38

2.3.2.2.3

Infinitiv- und Partizipialkonstruktionen des Deutschen

53

2.4

Latein versus Deutsch: schriftliche versus mündliche Varietät?

57

Volkssprachige Erzähltexte zwischen elaborierter Mündlichkeit und Schriftlichkeit

58

2.4.1 2.4.2

Gesprochenes Latein und lateinisch-deutsche Sprachmischung . . . 62

2.5

Zusammenfassung

67

VIII

3

Inhalt

Historische Fachprosaforschung: Das Wissen und seine Vermittlung

69

3.1

Schwerpunkte mediävistischer Fachprosaforschung

70

3.2

Kommunikationsrelevante Veränderungen durch das Medium Buchdruck

75

Sprachwissenschaftliche Ansätze zur Analyse der Textkonstitution von Fachtexten

81

3.4

Zusammenfassung und Ausblick

85

4

Anlage und Ziele der Untersuchung

88

4.1

Das Textkorpus

89

4.2

Zur Analyse der Textorganisation volkssprachiger Fachtexte

4.3

Zur Analyse des Einflusses lateinischer Vorbilder

94

4.4

Fachtextkonstituierende Faktoren im Überblick

96

5

Frühneuzeitliche Kräuterbücher und ihre makrostrukturelle Textorganisation

98

3.3

5.1

. . . . 91

Kurzcharakterisierung der Kräuterbücher des Untersuchungskorpus

98

5.2

Titelblatt und Kolophon in frühneuzeitlichen Kräuterbüchern

5.2.1

Das Kolophon und die Anfänge der Titelblattgestaltung in der Kräuterbuchliteratur

110

5.2.2

Zur Funktion der Buchtitel in der Kräuterbuchliteratur

116

5.2.3

Funktionaler und stilistischer Ausbau der Titelblätter in volkssprachigen Kräuterbüchern

120

Lateinisch-deutsche Sprachmischung auf Titelblättern volkssprachiger Kräuterbücher

127

5.3

Orientierungshilfen in den deutschen Kräuterbüchern

132

5.3.1

Die Begleittexte .Inhaltsverzeichnis' und .Register' und ihre Funktionen

133

Die Techniken einer benutzerorientierten Seiten- bzw. Blattorganisation

144

5.2.4

5.3.2

...

109

Inhalt

5.3.3

IX

Die Abbildungen als visuelle Informationsquelle in der volkssprachigen Kräuterbuchliteratur

150

Anordnungsprinzipien und Kapitelüberschriften in lateinischen und deutschen Kräuterbüchern

155

5.5

Zusammenfassung

165

6

Struktur und Inhalt der Vorworte

168

6.1

Zum Untersuchungsgegenstand

168

6.2

Themen und Motive in den Vorworten

5.4

der volkssprachigen Kräuterbücher

170

6.3

Syntaktisch-stilistische Untersuchungen in Leservorreden

178

6.3.1

Der Schöpfungsbericht am Beginn von Leservorreden

178

6.3.2

Zur Schilderung von Ursache und Auswirkung von Krankheiten

181

6.4

Die rhetorische Struktur von Widmungsvorreden am Beispiel des Vorwortes bei Camerarius (1585/1624)

189

Das rhetorische decorum und die .Handlungsrituale' in der Widmungsvorrede

189

6.4.2

Die stilistische Ausgestaltung der Widmungsvorrede

196

6.5

Der .Sprachenstreit' und seine rhetorisch-stilistischen Konsequenzen

200

Die Legitimierung des Gebrauchs der Volkssprache in heilkundlichen Werken

200

Sprach- und Stilkommentare in den lateinischen Vorworten von Brunfels bis Fuchs

207

Rhetorisch-stilistische Erläuterungen in der lateinischen Übersetzung von Kyber (1552)

214

6.6

Zusammenfassung

221

7

Die humanistischen Stilvorgaben und ihr Einfluß auf die volkssprachige Fachprosa

224

Das genus humile in den Elementa Rhetorices des Philipp Melanchthon (1531)

225

6.4.1

6.5.1 6.5.2 6.5.3

7.1

χ

7.2

Inhalt

Der Ciceronianismus und die damit verbundenen Stilvorstellungen

228

Humanistische Vorgaben zur Reformierung der Volkssprache

232

7.4

Dieproprietas verborum im Deutschen

239

7.5

Zusammenfassung

243

8

Deutsch-lateinische Interdependenz in den Werken der Gari-Tradition

245

8.1

Zur Überlieferungsgeschichte der Garf-Werke

245

8.2 8.2.1

Grob- und Feingliederung in der Gari-Tradition Die Gliederungsprinzipien vom Gart der Gesundheit bis zur Bearbeitung Eucharius Rößlins (1535) Die Neugestaltung durch Adam Lonitzer

248 249 252

Zur Reihenfolge der Kapiteleinträge im Großabschnitt De Animalibus

260

8.3.1

Die Anordnung der Tierkapitel im Gart und im Hortus

261

8.3.2

Die Anordnung der Tierkapitel bei Eucharius Rößlin (1535) . . . . 265

8.3.3

Die Anordnung der Tierkapitel bei Adam Lonitzer

269

8.4

Zusammenfassung

272

9

Frühneuzeitliche Kräuterbücher und ihre mikrostrukturelle Textorganisation

274

Die Binnengliederung des Kapitels Sabina in den lateinischen Werken

274

Zur Variation der Binnengliederung bei Otho Brunfels (1530 und 1531)

277

Beobachtungen zur Stabilität der Binnengliederung in lateinischen Werken

279

Die Binnengliederung des Kapitels Sadebaum in den deutschen Werken

280

7.3

8.2.2 8.3

9.1 9.2 9.3 9.4

Inhalt

9.5

XI

Zur Variation der Binnengliederung bei Otto Brunfels (1532 und 1537)

282

9.7

Beobachtungen zur Stabilität der Binnengliederung volkssprachiger Werke Zusammenfassung

288 291

10

Die Darstellung des .Sadebaums' in der Kräuterbuchliteratur

10.1

Der Sadebaum im Gart der Gesundheit (1485)

10.2

Der Sadebaum im Circa instans und

9.6

. . . 294 295

im Hortus sanitatis (1491) . .

303

10.3

Der Sadebaum bei Rößlin (1535) und Dorstenius (1540)

310

10.4

Der Sadebaum in den lateinischen Kräuterbüchern von Fuchs (1542) und Lonitzer (1551)

320

10.5

Der Sadebaum in den volkssprachigen Kräuterbüchern von Fuchs (1543) und Lonitzer (1557)

331

10.6

Der Sadebaum bei Brunfels (1536/1537)

339

10.7

Der Sadebaum bei Bock (1551/1556) und Kyber (1552)

343

10.8

Der Sadebaum bei Handsch (1563) und Camerarius (1586)

355

10.9

Der Sadebaum bei Tabernaemontanus/Braun (1591) und in der erweiterten Ausgabe von 1731

364

10.10

Zusammenfassung

376

11

Die Übertragung eines antiken Textes: die CelsusÜbersetzung durch Johann Küffner (1531 und 1539)

379

11.1

Zur Übersetzungsadäquatheit der volkssprachigen Version

381

11.1.1

Der Satzbau und die text- und satzverknüpfenden Mittel in der Celsus-Vorrede

381

11.1.2

Übersetzungsstrategien bei schwierigen Wörtern

390

11.2

Zur Wiedergabe lateinischer Fachbegriffe in der deutschen Übersetzung

395

11.2.1

Die Übersetzungen von lippitudo und arida lippitudo

395

11.2.2

Die Übersetzungen von destillatio und gravedo

399

XII

Inhalt

11.2.3

Übersetzungsprobleme im fachsprachlichen Kontext

405

11.3

Strategien der Wissensvermittlung

408

11.3.1

Die Überschriftengestaltung im Vergleich mit der lateinischen Vorlage

409

Zur Funktion der Randkommentare und der Erläuterungen im Text

420

11.3.3

Textverweise auf Autor und Adressaten

425

11.4

Zusammenfassung

427

12

Volkssprachige Chirurgie für (angehende) Wundärzte

429

12.1

Zur Auswahl des Inhalts in der .kleinen' und

11.3.2

,großen Chirurgie'

432

12.2

Popularisierungstendenzen in der .kleinen Chirurgie'

435

12.2.1

Strategien der Vereinfachung und Veranschaulichung

435

12.2.2

Das Verhältnis zwischen Autor und Adressat

442

12.3

Strategien der Wissensvermittlung in der ,großen Chirurgie'

12.3.1

Unterschiede in der Darstellungsart zwischen ,kleiner' und .großer Chirurgie'

447

Der Vergleich mit De Chirurgica institutione (1543) und der Tagault-Übersetzung von 1574

455

12.4

Zusammenfassung

466

13

Frühe gedruckte Fachprosa und ihre späteren Bearbeitungen . . . . 468

13.1

Das Feldbüch der wundtartzney von Hans von Gersdorff (1517) und das Feld vnd Stattbüch Bewerter Wundtartznei von Walther Hermann Ryff (1556)

468

Inhalt, Aufbau und Orientierungshilfen der beiden Werke im Vergleich

469

13.1.2

Textuelle Veränderungen in der Ryffschen Bearbeitung

476

13.1.3

Modifikationen im Wortschatz und in den Bedeutungserläuterungen bei Ryff

480

12.3.2

13.1.1

13.1.4

. . . 447

Verfahren zur Rationalisierung und Versachlichung bei Ryff . . . . 484

Inhalt

13.2 13.2.1 13.2.2 13.2.3

XIII

Die Destillierbücher Hieronymus Brunschwigs (1500, 1512) und ihre Bearbeitungen (ca. 1556 und 1610)

487

Inhalt und Wirkungsgeschichte der Destillierbücher Brunschwigs

487

Stilistisch-syntaktische Charakteristika bei Brunschwig und Uffenbach

489

Kontinuität und Variation in der Textgestaltung

494

13.2.3.1 Die Darstellung der Destilliergeräte

494

13.2.3.2 Die Darstellung der Heilwirkung destillierter Wässer

497

13.3

Zusammenfassung

501

14

Deutsche Fachtexte der frühen Neuzeit - ein Resümee

503

14.1

Zur Makro- und Mikrostruktur in volkssprachigen Kräuterbüchern

503

Der Einfluß der Textorganisation lateinischer Werke auf die volkssprachigen Kräuterbücher

507

14.2 14.3

Strategien der volkssprachigen Umsetzung lateinischer Werke . . . 512

14.4

Verfahren der Textoptimierung in ausgewählten volkssprachigen Bearbeitungen

517

Bibliographie

521

1

Quellenverzeichnis

521

1.1

Kräuterbücher und Materia medica-Texte

521

1.2

Medizinisch-arzneikundiche Schriften

538

2

Sekundärliteratur

547

Namenregister

578

Sachregister

581

Tabellenverzeichnis Tab. 1: Tab. 2: Tab. 3:

Domänenspezifische Verteilung von Latein und Deutsch im Mittelalter

8

Volkssprachige Bearbeitungen lateinischer Kräuterbücher des 16. Jahrhunderts

99

Die lateinischen Umsetzungen deutschsprachiger Kräuterbücher des späten 15. und des 16. Jahrhunderts

104

Tab. 4:

Titelblatt und Kolophon in volkssprachigen Kräuterbüchern . . . .

110

Tab. 5:

Das Inhaltsverzeichnis in volkssprachigen Kräuterbüchern

133

Tab. 6:

Inhaltserschließende Mittel in volkssprachigen Kräuterbüchern I: Register und Grobgliederung

136

Inhaltserschließende Mittel in volkssprachigen Kräuterbüchern II: Formen der Seitengestaltung und Abbildungen

146

Kapitelanordnung und Gestaltung der Kapitelüberschriften in lateinischen Kräuterbüchern

156

Kapitelanordnung und Gestaltung der Kapitelüberschriften in volkssprachigen Kräuterbüchern

159

Tab. 7: Tab. 8: Tab. 9:

Tab. 10: Grundtendenzen in der Sprachpflege des Deutschen unter lateinischem Einfluß

232

Tab. 11: Grobgliederung in der lateinischen und deutschen Gari-Tradition

249

Tab. 12:

Feingliederung (des Bereichs De Animalibus) in der lateinischen und deutschen Gteri-Tradition

251

Tab. 13: Prinzipien der Reihung im Bereich De Animalibus in der Gtori-Tradition

261

Tab. 14: Binnengliederung des Kapitels Sabina in den lateinischen Kräuterbüchern

275

Tab. 15: Binnengliederung des Kapitels Sadebaum in den volkssprachigen Kräuterbüchern

281

Tabellenveizeichnis

XV

Tab. 16: Die volkssprachigen Varianten zu lippitudo und arida lippitudo und die Erläuterung der Xerophthalmia in der Celsus-Übersetzung Küffners

396

Tab. 17: Die volkssprachigen Varianten zu destillatio und gravedo in der Celsus-Übersetzung Küffners

400

Tab. 18: Kapitelüberschriften aus dem sechsten Buch des Celsus bei Aldus und in den Küffner-Übersetzungen

410

Tab. 19: Ersetzung von Wörtern des Gersdorff-Textes in der Ryff-Bearbeitung

480

Tab. 20: Bedeutungserläuterungen im Gersdorff-Text und in der Ryff-Bearbeitung

483

Tab. 21: Verfahren der Ökonomisierung des Gersdorff-Textes in der Ryff-Bearbeitung

484

Tab. 22: Verfahren der Entpragmatisierung des Gersdorff-Textes in der Ryff-Bearbeitung

485

Abbildungsverzeichnis Abb. 1: Abb. 2: Abb. 3:

Abb. 4: Abb. 5:

Adam Lonitzer: Kreuterbüch/ New zügericht. Frankfurt a. M.: Christian Egenolff 1557, Titelblatt

119

Jakob Theodor (Tabernaemontanus): Neuw Kreuterbuch. Frankfurt a. M.: Nicolaus Bassaeus 1588, Titelblatt

123

Joachim Camerarius: Kreutterbuch. Frankfurt a. M.: in Verlegung Sigmund Feyerabends, Peter Fischers und Heinrich Täcks 1586, Bl. Llll jr

143

Hieronymus Bock/Melchior Sebizius: Kreutterbuch. Straßburg: Josias Rihel 1577, Bl. 25Ί2&

149

Otho Brunfels: Herbarum vivae eicones. Straßburg: Johann Schott 1530, S. 25

151

Abb. 6:

Hortus sanitatis Deutsch. Mainz: Peter Schöffer 1485, Vorwort

Abb. 7:

Hieronymus Bock/David Kyber: Hieronymi Tragi, de stirpium Libri tres. Straßburg: Wendelin Rihel 1552, Bl. c jv/ijv

219

Adam Lonitzer: Naturalis historiae opus novum. Frankfurt a. M.: Christian Egenolff 1551, Bl. 268r

253

Eucharius Rößlin: Kreüterbuch. Frankfurt a. M.: Christian Egenolff 1569, Bl. 34v

257

Abb. 8: Abb. 9:

. 177

Abb. 10: Hortus sanitatis Lateinisch. Mainz: Jacob Meydenbach 1491, Bl. η 8V

263

Abb. 11: Eucharius Rößlin: Kreutterbuch. Frankfurt a. M.: Christian Egenolff 1535, S. 21

267

Abb. 12: Leonhart Fuchs: NEw Kreüterbuch. Basel: Michael Isingrim 1543, Bl. e 2V

283

Abb. 13: Leonhart Fuchs: De historis stirpium commentarii. Basel: Michael Isingrim 1542, S. 150

323

Abb. 14: Ioannes Ruellius: Pedanii Dioscoridis Anazarbei de medica materia Libri sex. Basel: Michael Isingrim 1539, S. 68f

327

Abb. 15: Johann Küffner: Dje acht Bücher des Hochberümpten A. Cornelij Celsi vo beyderley Medicine. Worms: Sebastian Wagner 1539, Bl. bjVbb ijr

383

Abbildungsverzeichnis

XVII

Abb. 16: Aurelii Cornelii Celsi medicinae libri. VIII. Venedig: bei Aldus und Andreas Asulanus 1528, Bl. 97v/98r

413

Abb. 17: Johann Küffner: Dje acht Bücher des hochberümpten Aurelij Cornelij Celsi vö beyderley Medicine. Mainz: Johann Schöffer 1531, Bl. 98r

417

Abb. 18: Walther Hermann Ryff: Die kleyner Chirurgi. Straßburg: Balthasar Beck, 1542, Bl. 21v/22r

439

Abb. 19: Walther Hermann Ryff: Die groß Chirurgei. Frankfurt a. M.: Christian Egenolff 1545, Bl. 57r

449

Abb. 20: Jean Tagault: De chirurgica institutione libri quinque. Paris: Christian Wechel 1543, S. 125

457

Abb. 21: Hans von Gersdorff: Feldtbüch der wundtartzney. Straßburg: Johann Schott 1517, Bl. 19r

471

Abb. 22: Walther Hermann Ryff: Feld vnd Stattbüch Bewerter Wundtartznei. Frankfurt a. M.: Christian Egenolff 1556, Bl. 19v/20r

. . 475

Abb. 23: Hieronymus Brunschwig: Liber de arte distillandi. Straßburg: J. Grüninger 1500, Bl. Iv

493

Abb. 24: Hieronymus Brunschwig/Peter Uffenbach: Ars destillandi. Frankfurt a. Μ.: Johann Bringer, in Verlegung Konrad Corthois' 1610, S. 479

495

1

Einleitung

Einen Schwerpunkt im Rahmen der frühneuzeitlichen Buchproduktion stellen volkssprachige Fachprosadrucke dar, in denen naturkundlichmedizinisches Wissen, das zuvor ganz überwiegend in lateinischen Werken überliefert ist, für den interessierten Laien aufbereitet wird. Die Publikation entsprechender Texte erreicht im 16. Jahrhundert einen ersten Höhepunkt, also in einer Zeit, in der im Zuge der wissenschaftlichen Erneuerung im Zeichen der Renaissance das mittelalterliche Buchwissen allmählich durch eine auf unverfälschte antike Quellen und eigene Anschauung basierende Erkenntnis ersetzt wird. Die Verbreitung von Wissen wurde durch die Erfindung des Buchdrucks begünstigt, in dessen Sog neue Leserschichten, wie die ungelehrten, aber bildungswilligen Laien an Bedeutung gewannen. Religiöse, kulturelle und soziale Veränderungen durch die Reformation und die starke Expansion volkssprachiger Schriftlichkeit sowie eine zunehmende Verweltlichung der Wissenschaft führten dazu, daß sich ein Markt für volkssprachige Werke etablierte. Dieser ist neben dem dominanten religiös-erbaulichen Schwerpunkt durch einen hohen Anteil an Gebrauchsliteratur heilkundlich-medizinischen Inhalts gekennzeichnet. Der Wechsel von der Handschrift zum Buchdruck bewirkte zugleich Veränderungen in der Bucheinrichtung und der Manuskriptgestaltung, wobei sich nach einer Phase des Experimentierens feste Muster herauszubilden begannen. Thema der vorliegenden Untersuchung ist die Frage, wie naturkundlich-medizinisches Wissen in volkssprachigen Druckschriften der frühen Neuzeit für ein überwiegend unkundiges Laienpublikum aufbereitet wurde. Hier soll eigens darauf hingewiesen werden, daß viele der im Folgenden betrachteten Phänomene keine .Erfindungen' der Neuzeit sind, sondern ihren Ausgangspunkt in der älteren Überlieferung haben. Die Grundlage der empirischen Analyse bildet ein Korpus von Kräuterbüchern und arzneikundlich-medizinischer Literatur aus dem späten 15. bis frühen 17. (und vereinzelt 18.) Jahrhundert. Es setzt sich aus

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Einleitung

volkssprachigen und lateinischen Druckschriften zusammen, die überwiegend aus dem deutschsprachigen, vereinzelt aber auch italienischen und französischen Raum stammen. Im Mittelpunkt steht die Art und Weise der Wissenspräsentation, also die Frage, in welche textuelle und stilistische Formen Inhalte ,verpackt' werden, um eine erfolgreiche Rezeption durch den Adressaten gewährleisten zu können. Angesichts ausgeprägter Intertextualität ist die Interdependenz von frühneuzeitlichen Fachprosaschriften und ihren lateinischen bzw. volkssprachigen Vorlagen von entscheidender Bedeutung. Berücksichtigt wird stets die Herkunft der Texte, um auf der Basis ihrer Vorlagengebundenheit das Ausmaß ihrer Bearbeitung feststellen zu können. Die Erforschung des lateinischen Einflusses auf Sprache, Stil und Textorganisation der volkssprachigen Fachprosadrucke ist ein zentrales Anliegen der Untersuchung: Es geht darum, inwieweit Inhalte, Formen und Texte lateinischer Provenienz in die Volkssprache übernommen bzw. modifiziert werden. Da unterschiedliche Teilbereiche des lateinisch-deutschen Sprachenkontakts fokussiert werden, stellt die Untersuchung auch einen Beitrag zum lateinisch-deutschen Wissenstransfer in der frühen Neuzeit dar. Die Charakterisierung der Fachtexte erfolgt - unter Berücksichtigung der jeweiligen, in den einzelnen Kapiteln unterschiedlich akzentuierten Schwerpunkte - nach syntaktischen, stilistischen, textlinguistischen und -pragmatischen Aspekten: Dabei geht es um die makrostrukturelle Textorganisation, wobei vor allem die ,Beitexte', die den eigentlichen Text begleiten, beschrieben werden. Zum anderen erfolgen mikrostrukturelle Analysen der Kapitelbinnengliederung sowie der Überschriftengestaltung oder für bestimmte Textstrecken Textvergleiche mit den Vorlagen. Im Hinblick auf Textoptimierung und Adressatenorientierung werden die syntaktische Komplexität, textuelle Vernetzungen und pragmatische Aspekte wie leserorientierte Hinweise und direkte Adressatenbezüge berücksichtigt. Außerdem wird die Frage erörtert, inwieweit die in den lateinischen Werken auf der Basis der antiken Rhetorik erhobenen Stilanforderungen in den volkssprachigen Werken umgesetzt werden. Bei lateinischer Vorlagenabhängigkeit steht zum einen die Übersetzungsgenauigkeit mit der Feststellung inhaltlicher Modifikationen, sprachlicher Adaptionen und Angleichungen wissensvermittelnder Strategien an den Adressaten sowie zum anderen die Adäquatheit der Wiedergabe von Fachtermini im Mittelpunkt. Bearbeitungen volkssprachiger Vorlagen werden unter

Einleitung

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den Aspekten der sprachlich-stilistischen Modifikation und der Maßnahmen zur Verbesserung der Textgestaltung analysiert. Für die berücksichtigten volkssprachigen Fachprosatexte, die eine Zeitspanne vom Spätmittelalter bis in das frühe 17. (und vereinzelt 18.) Jahrhundert umfassen, werden schließlich auch Entwicklungen aufgezeigt. Damit wird ein Beitrag zur diachronen Fachtextforschung geleistet. Die zentralen Themen der Untersuchung lassen sich in sechs Punkte zusammenfassen: 1. Analyse der Begleittexte frühneuzeitlicher Kräuterbücher, deren Funktion es ist, den Zugang zum eigentlichen Text zu erleichtern. Es handelt sich um leserorientierte Zugriffsstrukturen wie Register und um Orientierungshilfen wie z.B. Titelblatt und Kolophon, Abbildungen oder Erläuterungen zum Text wie die Randglossierung. 2. Untersuchung der syntaktisch-stilistischen Gestaltung exponierter Textteile wie z.B. der Vorworte. Es sollen Verbindungen zu zeitgenössischen stilistisch-rhetorischen Programmen und etwaige Konsequenzen für die stilistische Gestaltung von Fachprosawerken aufgezeigt werden. 3. Analyse der Verzahnung deutscher und lateinischer Werke naturkundlichen Inhalts im Hinblick auf Kapitelanordnung, Binnengliederung und Überschriftengestaltung. 4. Vergleich des Aufbaus von Pflanzenbeschreibungen in Kräuterbüchern unter Berücksichtigung ihrer Vorlagengebundenheit mit lateinischen bzw. volkssprachigen Werken, ihrer Modifikationen in Artikelaufbau, Inhalt und Adressatenorientierung sowie unter Berücksichtigung ihrer diachronen Entwicklung. 5. Vergleich von Übersetzungen lateinischer Werke medizinischen Inhalts hinsichtlich ihrer Übersetzungsadäquatheit, stilistischer Auffälligkeiten und textorganisatorischer Eingriffe. 6. Vergleich von Bearbeitungen volkssprachiger Vorlagen unter dem Aspekt ihrer sprachlich-stilistischen Revision und der Verfahren zur Textoptimierung.

4

Einleitung

Die Untersuchung ist wie folgt aufgebaut: Kapitel 2 bietet einen ausfuhrlichen Forschungsbericht zum deutschlateinischen Sprachenkontakt des Mittelalters und der frühen Neuzeit. Es werden die wichtigsten Strömungen der lateinischen Sprachenkontaktforschung beleuchtet und bleibende Einflüsse des Lateinischen auf das deutsche Sprachsystem und auf stilistische Gestaltungsmöglichkeiten bei der Nachahmung klassischer Vorbilder aufgezeigt. Daneben stehen pragmatische Aspekte im Mittelpunkt wie die Interdependenz im Bereich der Sprachverwendung mit der Frage nach möglichen Verteilungen der beiden Varietäten in unterschiedlichen Schriftzeugnissen. In Kapitel 3 erfolgt ein Überblick über die bisherige wissenschaftliche Beschäftigung mit historischen Fachtexten, die von der traditionellen Fachprosaforschung der Schule um Gerhard Eis, den medizinhistorischen Ansätzen, den kommunikationstheoretischen Untersuchungen zu den Folgen des Medienwandels bis zu sprachwissenschaftlichen Textanalysen frühneuzeitlicher Sachprosa reicht. In Kapitel 4 wird das Textkorpus charakterisiert und der Untersuchungsrahmen abgesteckt, wobei die Schwerpunkte der empirischen Analyse der naturkundlich-medizinischen Fachtexte zum einen auf der Textorganisation unter dem pragmatischen Gesichtspunkt der Leserorientierung und zum anderen auf der lateinischen Vorlagenabhängigkeit liegen. In Kapitel 5 werden die makrostrukturellen Elemente der Kräuterbuchliteratur miteinander verglichen, wozu hier Titelblatt, Register, Kapitelanordnung oder Abbildungen etc. gezählt werden. Sie geben Aufschluß über dem Text beigegebene Ordnungsstrukturen, deren Ausgestaltung, Abhängigkeit von lateinischen Vorgaben und Entwicklung über einen längeren Zeitraum hinweg verglichen werden. In Kapitel 6 steht ein zentraler Begleittext, das Vorwort, im Mittelpunkt, das nicht nur metasprachlich im Hinblick auf die texterschließende Funktion mit Aussagen zur Legitimation des Werkes, Adressaten, Aufbau und Sprachwahl betrachtet wird, sondern auch objektsprachlich als Text sui generis, dessen syntaktisch-stilistische Gestaltung in der Widmungsvorrede mit dem sozialen Stand des jeweiligen Empfängers korreliert.

Einleitung

5

Welche Stilvorstellungen Humanisten mit lateinischen Sachtexten verbanden, wird in Kapitel 7 dargelegt. Dort geht es auch darum, ob bzw. inwieweit stilistische Postulate der lateinischen Rhetorik von Autoren volkssprachiger Werke aufgegriffen und fruchtbar gemacht wurden. In Kapitel 8 wird die Tradition des Gart der Gesundheit mit einer kontinuierlichen Überlieferung heilkundlich-botanischen Wissens vom Mittelalter bis in das 18. Jahrhundert näher untersucht. Anhand der wichtigsten Überarbeitungen soll die enge Verflechtung im Aufbau und in der Kapitelabfolge von volkssprachiger und lateinischer Tradition aufgezeigt werden. Thema von Kapitel 9 ist die mikrostrukturelle Betrachtung der Gliederungsstrukturen innerhalb der Kapitel lateinischer und volkssprachiger Kräuterbücher, wobei der diachrone Aspekt der Herausbildung bestimmter Muster in der Kapiteleinteilung und in der Überschriftengestaltung von großer Bedeutung ist. Mit Kapitel 10 folgt eine ausfuhrliche Musteranalyse einer Pflanzenbeschreibung, des Sadebaums. Anhand der einzelnen Kräuterbücher werden über eine längere historische Distanz hinweg Unterschiede in der inhaltlichen Gewichtung, Herkunft der einzelnen Textblöcke, verständnissichernde Maßnahmen und Innovationen darstellungstechnischer und inhaltlicher Art nachgezeichnet. In Kapitel 11 wird die volkssprachige Wiedergabe eines antiken Textes, und zwar die Celsus-Übersetzung durch Küffner, untersucht. Die Übersetzungsadäquatheit soll zunächst anhand der Vorrede mit ihren text- und satzeinleitenden Konnektoren, mit der Übersetzung abstrakter Begriffe und der Funktion von Paarformeln und schließlich im Fachtext anhand der volkssprachigen Umsetzung lateinischer Fachbegriffe diskutiert werden. Zugleich geht es um Strategien der Wissensvermittlung, die aus der lateinischen Vorlage teils übernommen, teils modifiziert oder erweitert wurden. Es handelt sich dabei um spezifische Formen der Überschriftengestaltung, der Randglossierung und Texterläuterung sowie um besondere Formen der Gestaltung des Autor-Adressatenbezugs. Werke der Chirurgie, die teils als Anfängerlektüre volkssprachig verfaßt sind, teils Bearbeitungen oder Übersetzungen lateinischer Werke darstellen, werden in Kapitel 12 analysiert. Dort stehen die Auswahl

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Einleitung

der Themen, die Ausgestaltung des Adressatenbezugs und die stilistischen Annäherungen an die lateinische Vorlage im Vordergrund. In Kapitel 13 werden schließlich Bearbeitungen volkssprachiger Werke erörtert, wobei sprachlich-stilistische Veränderungen im Bereich der Chirurgie und Destillierkunst ebenso thematisiert werden wie die Verfahren der Textoptimierung zu größerer Transparenz und Steigerung der Lesermotivation. Die Ergebnisse der Untersuchung werden abschließend in komprimierter Form in Kapitel 14 zusammengefaßt.

2 2.1

Deutsch-lateinischer Sprachenkontakt: ein Forschungsüberblick

Die deutsch-lateinische Diglossiesituation bis zum Beginn der Neuzeit

Das Lateinische stand wie keine andere Sprache für mehr als 1000 Jahre in engem Kontakt mit dem Deutschen. Die mittelalterliche und frühneuzeitliche Gesellschaft ist in unterschiedlicher Ausprägung durch lateinisch-deutsche Bilingualität gekennzeichnet. Latein blieb als Wissenschaftssprache für das 18. und zum Teil auch 19. Jahrhundert bestimmend und wirkte schließlich nachhaltig auf die bildungspolitischen Konzepte des muttersprachlichen Unterrichts an den Gymnasien. Demgegenüber gilt noch immer, daß das vielschichtige Phänomen des deutsch-lateinischen Sprachenkontakts erst ansatzweise erforscht ist. Dieses Defizit ist unter anderem darauf zurückzuführen, daß in den klassischen und mittellateinischen Philologien sprachwissenschaftlichen Fragestellungen ebenso wie der Erforschung humanistischer Gebrauchsliteratur kaum Interesse entgegengebracht wird. Aber auch von germanistischer Seite gibt es nur wenige Untersuchungen, wobei die von Linguisten wie Literaturwissenschaftlern favorisierten Forschungsschwerpunkte sich zum Teil eng berühren, tangiert doch der wie auch immer geartete lateinische Einfluß auf das Deutsche offene Fragen der Sprach- und Literaturwissenschaft in gleicher Weise.1 Dies ist aus bekannten Gründen nicht verwunderlich: Denn zum einen ist über Jahrhunderte hinweg Schriftlichkeit eng mit

Wenn im Folgenden vom Einfluß des Lateinischen auf das Deutsche die Rede ist, muß deutlich bleiben, daß dies lediglich eine verkürzte, die Sprecher als Sprachhandelnde vernachlässigende und damit hypostasierende Formulierung ist, denn: „Nicht das Lateinische hat die deutsche Sprache beeinflußt, sondern deutsche Sprecher haben unter dem Eindruck der Kenntnis des Lateinischen als Zweitsprache ihre eigene Sprache durch die Aufnahme lateinischer Elemente und Regeln bereichert und verändert. (...) Die sogenannten .Einflüsse' sind eher Erscheinungen der .Attraktion'. Die im Wort .Einflüsse' signalisierte Überfremdung, welche so viele Emotionen zu erwecken vermag, ist zumeist Ausdruck einer besonderen Loyalitätsbeziehung in einer Sprachgemeinschaft gegenüber einer anderen Sprache, Kultur und Zivilisation" (Munske 1982: 242f.).

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Deutsch-lateinischer Sprachenkontakt

dem Gebrauch der lateinischen Sprache verbunden, und zum anderen findet Bildung über die frühe Neuzeit hinaus im Rahmen des seit der Spätantike ausgebildeten Kanons der artes liberales statt. Die literatur- wie sprachwissenschaftliche Beschäftigung mit Deutsch und Latein im Mittelalter läßt sich auf Themen reduzieren, die stets in der domänenspezifischen Verteilung zwischen Volkssprache und Latein ihren Ausgangspunkt haben. Sie soll nun in stark vereinfachter Form an folgenden Gegensatzpaaren veranschaulicht werden: Deutsch

Latein

a) Glossierungen, Kommentierungen, Übersetzungen, Nachahmungen: Nehmersprache, Behelfssprache

a) Vorbildfunktion: Gebersprache

b) Normierung: Grammatik, Artes

dictaminis

c) prestigeträchtige Sprache Domänen der Bildungssprache: -

Bibel, Kirche und Kleriker Schulen, Universitäten, Gelehrte antike und mittellateinische Dichtung

-

Diplomatie, Beurkundung und Verwaltung

d) schriftliche Varietät: überregionale Gültigkeit

Tab. 1:

b) Variation: Ausbildung von Schreibdialekten

c) Sprache mit geringerem Prestige Domänen der Volkssprache: - Laienbildung, Mystik - Alltag, Familie, Gesellschaft -

volkssprachige Literatur, höfische Dichtung

-

ab dem 13. Jh. Urkundensprache

d) mündliche Varietät: regionale Gebundenheit

Domänenspezifische Verteilung von Latein und Deutsch im Mittelalter

Charakteristisch ist und bleibt - bis in die Neuzeit hinein - das nichtäquivalente Verhältnis beider Sprachen zueinander: Es besteht ein Gefälle zwischen der höher bewerteten Varietät des Lateinischen und der an Prestige ärmeren Volkssprache, das am treffendsten mit dem soziolinguistischen Begriff der Diglossie erfaßt werden kann. Auch wenn das Latein nicht ausschließlich auf den Bereich .Schriftsprache' fixierbar ist und andererseits die Volkssprache keineswegs ausschließlich

Der direkte Kontakt

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dem mündlichen Sprachverkehr dient, so sind hier doch prototypische Domänen erfaßt, die trotz zahlreicher Übergänge die Komplementarität beider Varietäten verdeutlichen. Inwieweit die Diglossiesituation mit Bilingualismus verbunden war, läßt sich für die mittelalterliche Gesellschaft indes nur schwer und ungenau beantworten: Zum einen dürfte eine echte Zweisprachigkeit, die zum mündlichen Gebrauch von Latein z.B. im wissenschaftlichen Streitgespräch befähigte, nur die allerwenigsten erreicht haben. Es wird davon auszugehen sein, daß es unterschiedliche Grade der Beherrschung gegeben hat. Diejenigen etwa, die lateinische Texte zur Niederschrift diktiert bekamen, brauchten z.B. keineswegs deren Inhalt zu verstehen. In welchem Ausmaß auch immer der überwältigenden Mehrheit der Bevölkerung, den illiterati, der Weg zur Bildung verschlossen war, als Sprache des kirchlichen Ritus blieb Latein auch den Unkundigen im Alltagsleben präsent.

2.2

Der direkte Kontakt: Übersetzungsliteratur und Deutsch-Latein in zweisprachigen Texten

Der größte Teil der Publikationen beschäftigt sich mit der Übersetzungsliteratur (vgl. Tab. 1, Punkt a). Es ist hier nicht der Ort, die vielfältigen Erscheinungsformen volkssprachiger Übersetzungstätigkeit von vereinzelt auftretender Glossierung bis zu Interlinearversionen oder auch Glossaren seit althochdeutscher Zeit nachzuzeichnen.2 Hier geht es vielmehr darum, die Fragestellungen zu umreißen, die bislang das Interesse an Übersetzungen hervorgerufen haben. Naheliegend ist es, Original und Übersetzung nach dem Grad ihrer sprachlichen Abhängigkeit zu beurteilen. Es geht um die Nähe der Wiedergabe zur Vorlage, die im idealen Fall die Bereiche Lexik, Syntax und Stil gleichermaßen umfaßt und sich in zwei Konzepten greifen läßt: der verbum de verbo-Übersetzung und der sensus de sens «-Übersetzung, also einer weitgehend wörtlichen Wiedergabe und einer primär am Sinn orientierten Umsetzung. Die Faktoren, die die eine oder andere Übersetzungsart begünstigen, sind sowohl sprachlicher als auch nichtsprachlicher Natur.

Eine Charakterisierung der Formen althochdeutscher Übersetzungsliteratur bietet Sonderegger (1987: 95-114).

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Deutsch-lateinischer Sprachenkontakt

Die sprachlichen Argumente für eine wörtliche Übersetzung zielen überwiegend auf eine Ausbildung der als inferior eingeschätzten Volkssprache zur Schriftsprache durch Imitation des Lateinischen vor allem im Satzbau (hierzu näher in P. 2.3.2.2). Die außersprachlichen Gründe für eine verbum de verbo-Wiedergabe korrelieren so gut wie immer mit dem Prestigewert des zu übersetzenden Textes: Vorlutherische Bibelübersetzungen, wie die Mentel-Bibel3, zeigen z.B. eine strenge Orientierung an der lateinischen Vulgata. Wenngleich derartige Verdeutschungen zum Zweck der Laienbildung für den Lateinunkundigen erfolgten, so blieb dennoch nach wie vor die althergebrachte Meinung unangefochten, daß Latein als Sprache der Offenbarung einen einzigartigen Stellenwert unter allen Sprachen einnimmt, der gestützt durch die römische Kirche und ihren Universalitätsanspruch von vorneherein nicht von den Volkssprachen gefordert werden konnte. Größere Freiheiten zeigen sich hingegen bei literarischen Übersetzungen, die weitaus stärker zur sensus de sensM-Wiedergabe tendieren, wie z.B. die Prosaübertragungen der Frühhumanisten Heinrich Steinhöwel und Albrecht von Eyb. Das Programm der Treue zum Original, das in seiner rigidesten Form von Übersetzern des 15. Jahrhunderts, so etwa von Niclas von Wyle4, verfochten wurde, geriet ab den 20er Jahren des 16. Jahrhunderts zunehmend in Vergessenheit.5 Adaptionen antiker Vorlagen an das frühneuzeitliche Publikum gingen sogar so weit, daß eine Popularisierung durch Vermeidung von Fremdem wie z.B. von antiken Eigennamen und Orten angestrebt wurde.6

4

5

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Es handelt sich um die Bibelübersetzung von Johann Mentel aus der Mitte des 14. Jahrhunderts, die 1466 erstmals in Straßburg von Zainer gedruckt wurde. Bis 1518 erschienen 13 weitere, z.T. überarbeitete Auflagen (vgl. Sonderegger 1984: 158-161). Vgl. hierzu Strauß (1912), Worstbrock (1970), Bernstein (1978: 43-62) und Eggers (1986, Bd. 2: 126-128). Nach Puff (1995a: 55) reicht die Entwicklung „von der wortgetreu-imitatorischen Übersetzungstechnik, etwa beim Übersetzer von Heinrichs von Langenstein Unterscheidung der Geister, von der humanistischen Nobilitierung der Volkssprache bei Niklas von Wyle bis zur Ausrichtung an einem gemeinverständlichen Deutsch bei Heinrich Steinhöwel". So z.B. bei Ulrich von Hutten (vgl. Kuhlmann 1986: 130-142). Manchmal findet eine Umsetzung ins deutsche Kolorit statt, die sich in der Eindeutschung fremder Maße und Münzen zeigt (vgl. Bernstein 1978: 91). In der ersten Übersetzung der Germania des Tacitus (1526) ist sogar die Erzählperspektive umgekehrt, wenn dort die Germani, auf die der Römer Tacitus in der dritten Person Plural („sie")

Der direkte Kontakt

11

Einen zweiten wesentlichen Aspekt bildet das räumliche Nebeneinander zwischen Latein und Deutsch, das vorwiegend an Handschriften untersucht wurde und das Verhältnis beider Sprachen von den Überlieferungszusammenhängen her thematisiert. Der enge Rahmen der Übersetzung wird dabei gesprengt, denn über das Nebeneinander von mehr oder weniger übersetzten Partien hinaus geht es um die häufig komplementäre Rollenverteilung der deutschen und lateinischen Passagen. Dieser Ansatz wird vor allem für die Gebrauchsliteratur fruchtbar gemacht, da die spezifische Verteilung beider Sprachen in einer bestimmten Benutzersituation einem spezifischen Interesse von Autor und Rezipienten gleichermaßen entspricht. Eine Typologie der Strukturen der Zweisprachigkeit in medizinischen Fachprosa-Handschriften des Mittelalters bietet Gundolf Keil (1997), der acht Typen enger Verflechtung unterscheidet. Sie reichen von den „mechanisch-textexternen Formen des Zusammenbringens", für die der Buchbinder verantwortlich ist, bis zu den „textinternen Voraussetzungen für das Zustandekommen von Zweisprachigkeit" (S. 102), die in den Skriptorien beim Vervielfältigen durch Schreiber bzw. Arrangieren durch Kompilatoren bzw. bei der Textgenese durch Autor und Übersetzer entstanden. Das Nebeneinander von Deutsch und Latein im administrativen Schrifttum (wie etwa in einer klerikalen Haushaltsführung des frühen 15. Jahrhunderts) läßt erkennen, daß z.B. gehobene .Gegenstände' zwischen dem höheren Klerus oder Lehensherren auf Latein verhandelt wurden, das auch die Sprache des Rechnens und der Notizen war, während das Deutsche als Sprache der rechtsverbindlichen Einträge für Bürger und Klienten reserviert war und dabei durchaus keine minderwertige Rolle spielte (vgl. Löffler 1991: 85). In deutschen Handschriften kann darüber hinaus die „BenutzungsRegie" lateinisch sein oder Gebetsanweisungen in lateinischen Handschriften deutsch (vgl. Henkel/Palmer 1992b: 8); lateinische Rezepte stehen gleichberechtigt neben volkssprachigen in medizinischen Kurztraktaten des Spätmittelalters7, und im Druck erschienene Schulgram-

referiert, nicht ohne Nationalstolz nunmehr mit „wir" apostrophiert werden (vgl. Masser 1990: 229f.). Vgl. Riha (1992b: 6 9 , 7 4 f . ) . N a c h Keil sind rein „deutsche Werke medizinischer Fachprosa ( . . . ) - w e n n man v o n Kleinschriften absieht - selten: Lateinische Textsplitter b e g e g n e n fast immer" (1997: 107). .Autorbedingte Heteroglottie' kann bis z u m Codeswitching (vgl. P. 2 . 4 . 2 . ) , d e m Sprachwechsel im selben Satz (unter

12

Deutsch-lateinischer Sprachenkontakt

matiken der lateinischen Sprache werden aus didaktischen Gründen zunehmend mit volkssprachigen Erklärungshilfen versehen (vgl. Puff 1995a und b). Derartige deutsche Subtexte in zweisprachigen Überlieferungen sind vor allem in der Gebrauchsliteratur kaum jemals völlig autonom, da ihre spezifische Funktion erst aus dem Zusammenspiel mit den lateinischen Partien unter Berücksichtigung textsorten- und adressatenspezifischer Faktoren hervorgeht. Die in die Volkssprache übersetzten Passagen dienen unterschiedlichen Zwecken. Die Autoren verfolgen oft andere Ziele als das einer originalunabhängigen Verständlichkeit: In bestimmten Gebrauchszusammenhängen, wie etwa in zweisprachigen religiösen Schriften oder Grammatiken, kann das Kriterium der Verständlichkeit zweitrangig sein gegenüber einer vielfältig gestaltbaren Vermittlerrolle zum lateinischen Original. Die Koexistenz von Latein und Deutsch im räumlichen Nebeneinander bzw. die Nachgestaltung lateinischer Vorlagen in deutschen Übersetzungen lenken das Augenmerk auf besondere Formen mittelalterlicher und frühneuzeitlicher Textproduktion und -organisation. Im Rahmen der Kontaktforschung bildet die Frage nach der Funktionalität von Sprachmischung oder Übersetzung in Abhängigkeit von der Wirkungsabsicht des Autors einen neuen, erst ansatzweise erforschten Untersuchungsschwerpunkt, der auch in der vorliegenden Arbeit aufgegriffen wird. Die bis weit in die Neuzeit häufig zu beobachtende Praxis der Übersetzung einer deutschen Vorlage ins Lateinische ist allenfalls rudimentär erforscht. Die Übersetzung in das Lateinische ist für das Gebrauchsschrifttum dann feststellbar8, wenn volkssprachig vermitteltes Fachwissen über die Wissenschaftskoine Latein einem .internationalen' Leserkreis erschlossen werden sollte. Als Forschungsdefizit kann für

Wahrung der deutschen Syntax) führen, so etwa bei dem klösterlichen Verfasser des ,Innsbruck-Prüler-Arzneibuchs' aus dem 12. Jahrhundert (vgl. S. 108). Die Rezeptionsrichtung vom Deutschen ins Lateinische ist z.B. in der mittelalterlichen medizinischen Fachprosa nicht selten: „Der .Ältere deutsche Macer' [Fn.] wurde einmal, der .kurze Harntraktat' des .Bartholomäus' [Fn.] zweimal, der 'Salbeitraktat' [Fn.] mehrfach ins Lateinische übertragen und bei Ortolfs [Fn.] chirurgischem Traktat haben wir die Möglichkeit, die Textgeschichte über vier Sprachstufen hinweg (nämlich Latein > Deutsch > Latein > Deutsch) zu verfolgen, wobei Mehrfachübersetzungen auf der zweiten und dritten Stufe und Abschweifungen (...) das Bild zusätzlich verkomplizieren" (1997: 101).

Der Einfluß des Lateinischen auf das Deutsche

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den Zeitraum der frühen Neuzeit die Nachgestaltung deutscher Gebrauchstexte in lateinischen Übersetzungen proklamiert werden.

2.3

Der Einfluß des Lateinischen auf das Deutsche

Von herausragender Bedeutung ist traditionell die Frage, inwieweit das Deutsche in Lexik und Grammatik nachhaltig vom Lateinischen beeinflußt wurde. Die Erforschung lateinischer Interferenzerscheinungen bleibt nicht mehr nur auf die Übersetzungsliteratur beschränkt, sondern bezieht das gesamte Überlieferungsspektrum mit ein. Die festgestellten Einflüsse werden dabei nach Transferenzerscheinungen und Integrationen in das eigensprachige System unterschieden:9 Die Transferenzen treten meist in der Übersetzungsliteratur auf; es handelt sich um singuläre Übernahmen aus dem Lateinischen, die keinen Einfluß auf die Struktur der Volkssprache nehmen. Im lexikalischen Bereich sind dies auffällige Hapax legomena, in der Syntax Übernahmen lateinischer, vom deutschen Satzbau abweichender Konstruktionen (wie etwa A.c.I., Ablativus absolutus oder Participium coniunctum). Integrationen hingegen werden an das eigensprachige System adaptiert. Dies ist auf phonologisch-graphematischer Ebene in unterschiedlicher Abstufung bei den Lehnwörtern der Fall. Das sprachwissenschaftliche Interesse am deutsch-lateinischen Sprachenkontakt konzentrierte sich bislang vor allem auf die Ebene des Wortschatzes. Dabei zeichnet sich einerseits eine Überbetonung des Althochdeutschen ab, die aus der Erforschung des inneren Lehnguts durch Werner Betz (1949 u.a.) und dessen Schüler auf der Grundlage von Übersetzungs- und Glossenliteratur resultiert.10 Über die traditionelle Lehnwortforschung hinaus wird hierbei das Augenmerk auf die Lehnbildungen gelenkt, also auf Nachbildungen lateinischer Muster mit den Mitteln der Volkssprache wie z.B. ahd. almahtig als Lehnübersetzung aus lat. omnipotens. Einen weiteren Schwerpunkt bildet die Sondierung des lexikalischen Lehnguts für den Zeitraum des 16. Jahrhunderts, das im Rahmen

9 10

Zur Terminologie vgl. Clyne (1975: 16) und Munske (1980: 663). Einen Überblick über die althochdeutsche Literatur in ihrer Abhängigkeit vom Latein und eine Typologisierung der Kontraste lateinischer und volkssprachiger Varietäten bietet Sonderegger (1985).

14

Deutsch-lateinischer Sprachenkontakt

deutscher Wortgeschichte von Rosenfeld (1974) ausführlich gesammelt und nach Bezeichnungsklassen geordnet wurde. Die Dominanz des lexikalischen Bereichs zeigt sich nicht zuletzt auch in den einschlägigen Artikeln sprachwissenschaftlicher Handbücher, so etwa des Lexikons der Germanistischen Linguistik (vgl. Rosenfeld 1980) und des HSKBands .Sprachgeschichte' (vgl. Drux 1984), oder in neueren sprachenkontaktorientierten Gesamtdarstellungen (vgl. Schmidt 1986). Die traditionelle Lehngutforschung rückte mit der Untersuchung von Lehnprägungen die verborgenen Einflüsse des Lateinischen auf den deutschen Wortschatz in den Vordergrund. Der Nachweis, es handele sich bei ausdrucksseitig unauffälligen Wörtern der Volkssprache in Wirklichkeit um Lehnübersetzungen oder -Übertragungen sowie Lehnschöpfungen und -bedeutungen aus dem Lateinischen (vgl. hierzu Betz 1974: 137), ist im Einzelfall weitaus schwieriger als die Feststellung von Lehn- und Fremdwörtern. Daß auch Wortbildungsmuster, syntaktische Strukturen und der Ausbau bestimmter grammatischer Kategorien wesentlich vom Lateinischen beeinflußt seien, wurde zwar immer wieder behauptet, eindeutige Beweise stehen aber in den meisten Fällen wegen der Komplexität der einwirkenden Faktoren aus. Im Folgenden sollen die verborgenen Einflüsse des Lateinischen im Mittelpunkt stehen. Des weiteren wird versucht, Charakteristika des lateinischen Einflusses auf das Deutsche näher zu bestimmen.

2.3.1

Die Wirkung sprachkodifizierender Werke

Der Einfluß sprachkodifizierender Werke auf das Deutsche wurde wiederholt geltend gemacht. Die indirekte, verborgene Infiltration könnte ihren Weg über die Grammatiken der lateinischen Sprache genommen haben (vgl. Tab. 1, Punkt b). Die Kodifizierung des Lateins in den spätantiken Grammatiken, die als Lehrstoff an Schule und Universität eine auch im Mittelalter starke Normierung als Schriftsprache förderten, könnten stets auch u.a. beim Erwerb von Deklinations- und Konjugationsschemata volkssprachige Adaptionen hervorgerufen haben. Im Mittelalter waren als Lehrwerke Donats De octo partibus orationis. Ars minor (4. Jahrhundert n. Chr.), Priscians Institutiones grammaticae (6. Jahrhundert) und das Doctrinale, ein in Hexametern verfaßtes Lehrgedicht von Alexander de Villa Dei aus dem 11. Jahrhun-

Die Wirkung sprachkodifizierender Werke

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dert, gebräuchlich." Während bei Priscian und im Doctrinale auch syntaktische Erscheinungen erörtert werden, bilden im Donat die acht lateinischen Wortarten und deren Flexionsmorphologie den Schwerpunkt. Die einführende Ars minor war über die frühe Neuzeit hinaus erfolgreich; Teile des Priscian und des Doctrinale gingen in die humanistischen Lateingrammatiken ein (vgl. hierzu Jensen 1997). Den volkssprachigen Einsprengseln im grammatischen Schrifttum - als Glossen am Rand oder in Beispielen - kommt zunächst nur die ganz auf den Unterricht abgestellte Funktion zu, als ancilla linguae latinae das Verstehen des Lateinischen zu unterstützen. Diese dienende Rolle erfüllen z.B. die Interlinearversionen von Donats Ars minor aus dem 14. bis 16. Jahrhundert12, die vor allem die lateinische Flexionslehre mit deutschen Übersetzungsvorschlägen begleiten.13 Neben der erläuternden Funktion der deutschen Äquivalente finden sich manchmal lateinische Angaben zur Übersetzbarkeit bestimmter Formen und Konstruktionen ins Deutsche.14 Das Deutsche als Beschreibungssprache in Lateingrammatiken wird bei einigen Autoren bereits relativ früh für ganze Sinnabschnitte in größeren syntaktisch zusammenhängenden Textpartien verwendet.15 Die erste bislang bekannte Lateingrammatik mit ausschließlich deutscher

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Weitere, zum mittelalterlichen Kanon zählende Lehrwerke sind das Catholicon von Johannes von Genua, das Elementarium doctrinae rudimentum von Papias, der Priscian-Kommentar des Petrus Helias sowie der Graecismus von Eberhard de Bethune und schließlich als enzyklopädisches Werk die Etymologiae des Isidor von Sevilla (vgl. Jensen 1997). Aus dem 15. Jahrhundert sind zwölf interlineare Donatausgaben bekannt. 1522 erscheint die textkritische Edition des Schweizer Humanisten Heinrich Glarean, die ab 1536 „in Augsburger (später auch in Straßburger und Nürnberger) Drucken mit einer aktualisierten, auf den früheren Drucken beruhenden Interlinearübersetzung versehen" wird (vgl. Puff 1995a: 61f.). Vgl. hierzu Puff (1995a: 63). Zahlreiche volkssprachige Flexionsäquivalente sind vor allem auch im Exercitium puerorum grammaticale per dietas distribution (Antwerpen: Gerard Leeu 1585) nachweisbar; Teilabdruck der Ausgabe 1491 (im Vergleich mit der Ausgabe von 1485) bei Müller (1882: 17-42); zu den humanistischen Lateingrammatiken vgl. Jensen (1997). Vgl. hierzu Joannes Cocleus: Quadriuium Grammatices (Nürnberg: J. Stuchs 1511); Teilabdruck bei Müller (1882: 43-49). Grammatischer Wissensstoff wurde zumindest teilweise in deutscher Sprache behandelt von Johannes Aventin (1477-1534), Ortolph Fuchsperger (um 1490 nach 1542), Johann Toltz (um 1495-1573), Johannes Rivius (1500-1553) und Lorenz Ludwig (1536-1594). Die erste konsequent lateinisch-deutsch verfaßte Grammatik sind die weitgehend unbekannt gebliebenen Rudimenta grammatices von Jakob Mercurius Morshemius (1556); vgl. hierzu Puff (1995a: 67f.).

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Deutsch-lateinischer Sprachenkontakt

Beschreibungssprache stammt aus dem Jahr 1600 und ist für den Anfangsunterricht konzipiert.16 Wenngleich der Sprachunterricht ganz auf den Erwerb des Lateinischen abgestellt ist, so führte doch die Gegenüberstellung von Deutsch und Latein auch deren Vergleichbarkeit vor Augen. Durch die Übersetzungsgleichungen wird darüber hinaus die Volkssprache, die bisher kaum einer theoretischen Reflexion für wert befunden wurde, in die streng reglementierte Lateingrammatik, die ars grammatica, eingebunden. Lateinische Regelwerke wie der Donat haben zudem unbestritten eine Sogwirkung auf eine vergleichbare grammatikalische Erfassung der Volkssprache ausgeübt, und in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts gibt es von Albertus, Ölinger oder Claius erste deutsche Grammatiken mit normativem Anspruch.17 Die dort gebotenen Flexionsparadigmen werden nun zwar nach dem Muster des Lateinischen, aber ohne lateinisches Interpretament geboten. Ob allerdings das lateinische Vorbild die deutsche Sprache in der Hinsicht beeinflußte, daß es zum Ausbau grammatischer Kategorien in der Volkssprache kam, bleibt umstritten. In älteren Arbeiten werden in diesem Zusammenhang des öfteren die Tempora, Modi und Genera des Verbs genannt.18 Hier kommt der Annahme, das Lateinische habe für das Deutsche die Rolle eines stabilisierenden Faktors ausgeübt, die größte Plausibilität zu. Denn sowohl in den lateinischen Grammtiken wie auch in der Unterrichtssituation ist z.B. aus Gründen der Symmetrie dem sechsgliedrigen Tempussystem des Lateinischen eine vollständige Paradigmenreihe des Deutschen gegenübergestellt worden. Dabei griff man zur Wiedergabe der synthetisch gebildeten lateinischen Tempora wie z.B. des Futur II in der Volkssprache zu analytischen Periphrasen wie die des Infinitiv Perfekt mit Hilfsverb werden.19 Dieses

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Es handelt sich hierbei um die Rudimenta grammaticae (Augsburg: M . Manger 1600); vgl. Puff (1995a: 71f. und 1995b: 388). Vgl. u.a. Laurentius Albertus: Teutsch Grammatick oder SprachKunst (Augsburg: M . Manger 1573), Albert Ölinger: Vnderricht der Hoch Teutschen Spraach (Straßburg: N . Wyriot 1573) und Johannes Claius: Grammatica germanicae lingvae (...): ex bibliis Lutheri germanicis et aliis eivs libris collecta (Leipzig: H. Rambau 1578). Zu frühen grammatischen Beschreibungen des Deutschen vgl. RössingHager (2000). Zum Futur Π vgl. vor allem Behaghel (Bd. 2: 298). Die Grammatikalisierung des Futur Π mit allen Formen des Aktivs und Passivs, die im 16. Jahrhundert für das Passiv noch seltene viergliedrige Verbgefüge

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kontrastierende Verfahren brachte eine Konventionalisierung seltener Tempusperiphrasen mit sich, die - zuvor wohl nur gelegentlich in Texten bezeugt - nun zum festen grammatischen Bestand des Deutschen zählten.20 Hinzu kommt, daß gerade die in Deutschland verfaßten Humanistengrammatiken ein besonderes Interesse an der Abhandlung der lateinischen Tempora und Modi zeigen, während sie in den italienischen Vorbildern (wie z.B. bei Perotti, s.u.) fehlen.21 Für die mittelalterlichen und frühneuzeitlichen Lateingrammatiken bleibt - dem synthetischen Sprachtyp des Lateinischen entsprechend die Dominanz von Flexionsmorphologie und die Reduzierung von Syntax auf morphosyntaktische Fragen charakteristisch. Nur eine italienische Grammatik bildet eine Ausnahme: Es handelt sich um Niccolo Perottis Rudimenta grammatices von 1478, bei dem der grammatische Teil mit einer Stilistik, und zwar einer Stillehre des Briefes, verbunden ist.22 Aussagen zu den höheren Sprachebenen ,Satz' und ,Text' finden sich in mehr oder weniger expliziter Form vor allem aber in den Stillehren, den mittelalterlichen Artes dictandi und den humanistischen Brieflehren und Rhetoriken.

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voraussetzt, ist erst im 17. Jahrhundert erreicht (vgl. Betten 1987: 114). Von Polenz (2000: 188) schreibt: „In allgemeinen Prinzipien komplexer Textstrukturen ist die frühneuhochdeutsche Schriftlichkeit jedoch zumindest indirekt eine Frucht der lateinischen Schreibsprachkultur. Die oberflächenstrukturelle Lösung mit Hilfsverben entspricht jedenfalls der Entwicklungstendenz vom synthetischen (flektierenden) zum analytischen Sprachbau, wie in anderen germanischen Sprachen." Vgl. Jensen (1997: 88f.). Weitere signifikante Unterschiede betreffen die stärkere Berücksichtigung der Kongruenz (nach Priscian), die häufige Einteilung der Verben nach transitio und intransitio (wie im Doctrinale) und die Kasuslehre bei den Nomina in den deutschen Humanistengrammatiken, während die italienischen Grammatiken die Anordnung der Verben nach ihrer „Kasusforderung" bieten (1997: 70-89). Grundsätzlich können die deutschen Grammatiken durch häufigeren Rückgriff auf Priscian und das Doctrinale als konservativer beurteilt werden. „Thus, the first part consists of an elementary morphology, i.e., noun and verb paradigms, definitions of the parts of speech (...). The second part of the Rudimenta, the central section, is chiefly concerned with verbal syntax (...). Perotti, however, broke new ground by adding to his grammar a manual of epistolary style, which comprises the final third of the work" (Percival 1981: 233). Eine Übertragung (translatum) von Perottis Grammatik auf deutsche Verhältnisse, die gegenüber der Vorlage auch im stilistischen Teil zahlreiche Veränderungen aufweist, bietet die lateinische Grammatik von Bernhard Perger (Grammatica Noua. Venedig: L. Wild 1481); vgl. hierzu Jensen (1997: 71-73).

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Was die ars dictandi des Mittelalters betrifft, so ist sie eng mit der Schulung von Sekretären und Notaren für die Kanzleien verknüpft und erfüllt die Forderung nach speziellen Anweisungen für das Verfassen von Rechtstexten wie Urkunden und Verträgen.23 Das Schema der funfgliedrigen Briefdisposition - salutatio, exordium (captatio benevolentiae), narratio, petitio, conclusio - ist auf dem Aufbau der Rede der antiken ars rhetorica gegründet. Neu hinzu kamen die Teile salutatio mit den festgelegten Anredeformen des jeweiligen adressierten Standes und petitio, das erfolgreiche Vortragen einer Bitte, die in der ars dictandi von zentraler Bedeutung waren (vgl. Worstbrock 1981: 188190). Obwohl man sich auch im Mittelalter auf die antiken Autoritäten der Rhetorica ad Herrenium und Ciceros De inventione berief, entfernte man sich von den Vorbildern durch den Ausbau des Briefeschreibens als regelgebundene ars. Eigene Stilvorstellungen zeigen sich darin, daß vereinzelte Autoren für die Gestaltungsformen der Briefe gehäufte Verwendungen bestimmter Wortfiguren empfehlen. Seit dem letzten Drittel des 14. Jahrhunderts bilden die Forderung nach Ausweitung und Kürzung des Stoffes, die prolongatio und breviatio, und die Ornatuslehre (transsumptio) sowie die Verfahren der Wortstellung {transgressio) und die Variation des sprachlichen Ausdrucks (commutatio) den Kanon stilprägender Gestaltung.24 Die seit der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts erscheinenden volkssprachigen Briefsteller bleiben bis weit in das 16. Jahrhundert der spätmittelalterlichen Tradition verhaftet. An den praktischen Bedürfnissen der Kanzleien und alltäglicher Rechtsgeschäfte orientiert, treten die theoretischen Erörterungen, die durch ein hohes Maß an Formelhaftigkeit und stereotypem Aufbau gekennzeichnet sind, gegenüber den umfangreichen Musterbriefsammlungen deutlich in den Hintergrund.25

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Vgl. die Zusammenstellung der Artes dictandi des Mittelalters von Worstbrock/ Klaes/Lütten (1992). Vgl. Worstbrock (1981: 191-193). Die mittellateinisch vermittelten Kategorien der transgressio, transsumptio, breviatio und prolongatio treten auch in der lateinischen Rhetorica nova des Friedrich von Nürnberg (um die Mitte des 15. Jahrhunderts) auf. Ob sie auch in seine deutsche Übertragung Aufnahme fanden, bleibt noch zu prüfen. Vgl. Worstbrock (in: Verfasserlexikon 2, 1980, Sp. 955f., s.v. Friedrich von Nürnberg), der die .Deutsche Rhetorik' als „eine in der Sache durchweg getreue Übersetzung" charakterisiert (1980: 956). In der dominanten pragmatischen Zielsetzung der Briefsteller, die nun Lehrbücher zum Verfassen von Missiven, Kauf-, Schuldbriefen, Vollmachten und Urkunden

Die Wirkung sprachkodifizierender Werke

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Im Mittelpunkt des Theorieteils steht neben der dispositio, der Gliederung von Briefen, die salutatio mit einer Zusammenstellung der Titel und Anredeformen der weltlichen und geistlichen Stände sowie zum anderen eine allgemeine Phraseologie (Sinonima rethoricalia) und Phrasensammlung {Colores rethoricales) für die verschiedenen Teile des Briefes.26 Sie gehören zum dritten großen Schwerpunkt, der elocutio, in der es um die sprachliche Gestaltung bestimmter Briefteile geht. Die Traditionslinie des mittellateinischen Lehrguts läßt sich dabei am besten an den zum Zweck der Verdeutlichung angeführten Wortfiguren, den Colores rethoricales, aufzeigen. Sie sind in der volkssprachigen Überlieferung bis zum Ende des 16. Jahrhunderts keineswegs direkt aus der antiken Quelle, der Rhetorica ad Herennium, entnommen, sondern aus spätmittelalterlichem Lehrgut eines Meisters Tybinus, das der Frühhumanist Niclas von Wyle verdeutschte: Ein Teilstück seiner verloren geglaubten Colores rethoricales konnte in einem der erfolgreichsten Lehrbücher des 16. Jahrhunderts, in Alexander Hugens von Calw Rethorica und Formularium Teutsch (Tübingen: U. Morhart 1528) nachgewiesen werden, das bis 1572 in fünf Neuauflagen und einer weiteren, gekürzten Fassung vorlag.27 Die deutschsprachige Rhetorik von Friedrich Riederer steht den lateinischen Stillehren humanistischer Autoren noch am nächsten. Der Spiegel der waren Rhetoric, Vß M. Tulio C. Vnd andern getütscht (Freiburg i.Br.: F. Riederer 1493) ist eine sinngemäße, stark verkürzte Übersetzung der Cicero zugeschriebenen Herennius-Rhetorik, die durch Beispiele aus mittelalterlichem Florilegiengut erläutert wird. Neben traditionellem Lehrgut greift Riederer auch auf Ciceros De inventione zurück und verwendet Textbeispiele aus den Translationen Wyles, die er aus der lateinisch orientierten Wort-für-Wort-Übersetzung Wyles in eine klare und verständliche Sprache umsetzt. Humanistischer Einfluß zeigt sich zum einen in der eigenständigen Textorganisation, in der Zitate aus dem Sinnzusammenhang legitimiert werden und es daher

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etc. darstellen, zeigt sich noch die ursprüngliche Einheit mit rechtswissenschaftlichen Formelbüchern (vgl. Rockinger 1863: 68). Die Trennung der Briefsteller für allerhand Rechtsgeschäfte von der wissenschaftlichen Disziplin der Jurisprudenz hat vermutlich auch den Gebrauch der Muttersprache befördert, der seit 1450 verstärkt beobachtet werden kann. Vgl. Worstbrock (in: Verfasserlexikon 2, 1980, Sp. 794f., s.v. Formulare und deutsch Rhetorica) sowie ferner Herr (1917: 356) und Worstbrock (1987: 189ff.). Vgl. Joachimsohn (1893: lOlf.) und Worstbrock (1987: passim).

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nicht mehr wie in einer Kompilation um die bloße Zusammenstellung tradierten Bildungsguts geht. Zum anderen ist er sichtbar in einem kenntnisreichen und kritischen Praxisbezug bei den Musterentwürfen, die von eigenständigen Hinweisen und Kommentierungen des Autors zur Gestaltung begleitet sind.28 Die Frühphase des Humanismus in Deutschland ist von der Ambivalenz geprägt, einerseits an mittelalterlichem Gedankengut festzuhalten und sich andererseits nicht (völlig) der Neurezeption der Antike zu verschließen. Die Verfasser lateinischer Stillehren des späten 15. Jahrhunderts bewahrten entweder die tradierte Briefdisposition oder ersetzten die mittelalterliche Reglementierung durch eine neue. Der Verzicht auf eine regelgeleitete Anleitung entwickelte sich erst unter dem Einfluß der berühmtesten Humanistengrammatik, Perottis Rudimenta grammatices, in der die exempla der Antike in der strikten Nachahmung Ciceros die einzige Empfehlung darstellen, so daß ab jetzt „das Prinzip der Ars durch das der Imitatio" überwunden ist (Worstbrock 1981: 197). Erasmus von Rotterdam ordnet den Brief in seinem Opus de conscribendis epistolis (Cambridge 1521) dem genus familiare zu, das bei ihm zwar nicht mehr unter der Vorbildfunktion Ciceros steht, aber dennoch wesentlich durch Faktoren wie Anlaß, Ort und Zeit etc. bestimmt ist und einer spezifischen elaboratio bedarf, ohne daß diese durch einen Regelkanon festgelegt werden kann.29 Während italienische Humanisten von Anfang an Briefsammlungen in der Muttersprache ein großes Interesse entgegenbrachten, fehlen außerhalb der Kanzleitradition entsprechende Mustersammlungen für das Deutsche, da die Vorreiter des deutschen Humanismus ausschließlich auf die lateinische Briefkunst konzentriert waren. Andererseits kann davon ausgegangen werden, daß die am Lateinischen erworbene Stilbildung bei humanistisch Interessierten wohl auch dann nicht völlig vernachlässigt wurde, wenn es um Sprachgestaltung in der Volkssprache ging. Bislang wurde nur ein Strang, die Brieflehren vom Mittelalter bis zur Neuzeit, nachgezeichnet. Seit dem Frühhumanismus gibt es darüber hinaus eine Vielzahl weiterer Textzeugnisse wie Kommentare, Vor-

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Vgl. Kleinschmidt (1983: 304-307 und in: Verfasserlexikon 7, 1989, Sp. 70-72, s.v. Riedrer (Riederer), Friedrich)·, zu Riederer vgl. auch S. 20f.. Zu Erasmus von Rotterdam vgl. Gerlo (1971) und Worstbrock (1981: 197f.).

Die Wirkung sprachkodifizierender Werke

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worte, philosophische Werke und Geschichtskompendien, die Platz zu sprachcharakterisierenden oder -regulierenden Kommentaren bieten (vgl. hierzu Rössing-Hager 1985: 1569-1575). In dem bedeutendsten sprachkritischen Werk des Frühhumanismus, Laurentius Vallas De elegantia linguae Latinae (1444), verurteilt der Autor das von antiken Vorbildern abgerückte und verderbte mittelalterliche Latein und fordert eine Neuorientierung an der Reinheit des klassischen Lateins. Das Werk, das eine bunte Mixtur aus grammatikalischen und stilistischen Anmerkungen darstellt, wurde nicht nur in zahlreichen Neuauflagen gedruckt, sondern schon relativ früh einer breiteren Leserschaft in Kurzfassungen, wie die Elegantiolae des Augustinus Dati (1420-1478), verfügbar gemacht oder zu einem Regelwerk, wie die Elegantiarum medulla des Jakob Wimpfeling (Mainz: P. von Friedenberg 1493), bearbeitet. Unter dem Postulat der latinitas, der Sprachrichtigkeit des klassischen Lateins, versuchte Ulrich Eberhard {Modus Latinitatis. Memmingen: H. Kunne 1484), dem gesprochenen Latein von Schuljungen die Germanismen auszumerzen. Ein Lehrwerk über den guten Stil im Sinne der latinitas verfaßte auch Michael Lindelbach (Prcecepta Latinitatis. Reutlingen: J. Otmar 1486), der Rektor der Universität Tübingen war (vgl. hierzu Jensen 1997: 66f.). In den für den Unterricht konzipierten Schriften wurden die neuen Programme der italienischen Humanisten und ihre Ausrichtung auf die exempla der Antike dem spätmittelalterlichen scholastischen Bildungskanon gegenübergestellt. Den dritten wichtigen Strang bilden die lateinischen Rhetoriken, die zwar einerseits stiltheoretischen Betrachtungen mehr Raum einräumen als die Briefsteller, andererseits aber in ihrer starren Ausrichtung auf antikes Bildungsgut zum Großteil als völlig unoriginell bezeichnet werden müssen. Grundlage bildet überall die Cicero zugeschriebene Herennius-Rhetorik, die meist nur durch Übernahmen aus Quintilians Institutio oratoria oder Ciceros De inventione angereichert wurde. Als erste Profanrhetorik des Humanismus gelten die Rhetoricorum libri quinque des aus Griechenland stammenden Italieners Georgius Trapezuntius (1395-1484) aus dem Jahr 1433/34. Die erste Rhetorik, in der zwar auf die Reden Ciceros, nicht aber auf Quintilian zurückgegriffen wird, übte bedeutenden Einfluß auf die Diskussion im 16. Jahrhundert aus (vgl. Knape 1993: 56). In nicht wenigen frühen Humanistenrhetoriken sind auch elementargrammatische Angaben eingestreut, wie etwa in De variis loquendi figuris sive de modo dictandi des Augustinus Dati oder Niccolö Perottis De elegan-

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tia linguae Latinae.30 Die wichtigsten Rhetoriken des deutschen Frühhumanismus sind anonyme Werke, wie die Memminger oder die umfangreiche Kölner Rhetorik; später folgen Jakob Lochers Werke, die Elementa rhetorica von Joachim Camerarius oder die bedeutendste Rhetorik, De rhetorica libri tres (1519) von Philipp Melanchthon31, der neben antiken Bezügen vor allem auf Trapezunt und Erasmus von Rotterdam, aber auch auf die 1515 erstmals im Druck erschienenen De dialectica inventione libri tres von Rudolf Agricola zurückgreift. Neben den Rhetoriken, Stil- und Brieflehren stehen schließlich weitere sprach- und stilkodifizierende Werke. Dazu gehören beispielsweise Predigttheorien und pädagogisches Schrifttum wie die Adolescentia von Jakob Wimpfeling (Straßburg: J. Grüninger 1500); rhetorisch beeinflußt ist auch die Dialektik Agricolas, wobei das dritte Buch lange Zeit als eines „nur rhetorischen Inhaltes" galt.32 Nicht zuletzt soll auf die in reicher Zahl überlieferten humanistischen Schülergespräche aufmerksam gemacht werden, deren Ziel es ist, die elegantia im Stil der Schüler zu heben (vgl. Börner 1897/99). Es handelt sich um Unterrichtswerke, die Streckenbach folgendermaßen charakterisiert: Jedes Gesprächsbüchlein ist ein theoretisches Manifest über die Stellung seines Verfassers zu den humanistischen Bemühungen um die lateinische Sprache, und zwar so (...), daß die Gespräche im Gegensatz zur theoretischen Literatur vor allem diejenigen Probleme des stilistisch-rhetorischen Gebietes behandeln, die den Humanisten am meisten am Herzen liegen. (Streckenbach 1979: 6)

Die Sprachrichtigkeit des Lateinischen ist auch in den Schülergesprächen das vorherrschende Thema. Unter humanistischem Vorzeichen und in Abkehr von Vorstellungen der Artes dictandi werden hier Pro-

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Vgl. Streckenbach (1979: 81). Nach Streckenbach (1979: 77, 208) bieten auch die Elegantiae Latinitatis von Paulus Niavis - dem rhetorischen elegantia-Konzept entsprechend - neben ein paar Erläuterungen zur varietas und der Klarheit und Kürze des Stils ganz überwiegend Elementargrammatisches (Kongruenz von Subjekt und Prädikat; Gebrauch von Präpositionen, Negationen, Konjunktionen; die Steigerung; das Relativpronomen; die Konstruktion einzelner Verben, die Deklination einzelner Substantive sowie Bedeutungserklärungen). Die Sprachrichtigkeit des reinen Lateins ist ein wesentliches Merkmal der elegantia, die sich dadurch von der Verderbtheit der mittelalterlichen Varietät abhebt. Vgl. hierzu P. 6.5 und 7. Vgl. hierzu Streckenbach (1979: 73), zu Melanchthon vgl. Berwald (1994) und die Edition von Knape (1993) sowie P. 7.1. Zitiert nach Knape (1993: 57); zum Verhältnis von Dialektik und Rhetorik bei Rudolf Agricola und Philipp Melanchthon vgl. Berwald (1994 und 1997).

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bleme der Anrede (Plural- oder Singularanrede) und des Grußes erörtert. Hinzu kommt die obligatorische Empfehlung des Sprachgebrauchs antiker Autoritäten (der consuetudo) und eine Polemik gegen die barbaries. Da die Texte relativ kurz sind, fehlen Themen der großen Rhetoriken wie etwa Regeln über Wort- und Satzverbindungen, die Stilarten und die Erörterung von Reim und Rhythmus (vgl. hierzu Streckenbach 1979: 40-42 und 97-124). Insgesamt kann festgestellt werden, daß die im lateinischen Schrifttum zu Sprache und Stil getroffenen Aussagen in erster Linie auf das Lateinische in Wort und Schrift ausgerichtet sind. Der Volkssprache kommt zunächst nur eine marginale Rolle zu. Dabei greifen deutsche Autoren weitaus seltener auf ihre Muttersprache zurück als italienische Humanisten. In den Lateingrammatiken dient der Rückgriff auf das Deutsche in erster Linie der Verständnissicherung des grammatischen Wissensstoffs, wobei der Anteil des Deutschen als Beschreibungssprache bei einigen Autoren durchaus beachtlich ist. In den Stillehren fehlen zwar auf die Volkssprache ausgerichtete Stilempfehlungen, stattdessen findet man aber vereinzelt metasprachliche Kommentare zur Bewertung der Volkssprache: Sie geben Aufschluß über den Stellenwert des Deutschen, dessen Beurteilung zwischen strikter Abhängigkeit vom Lateinischen und einer mehr oder weniger stark ausgeprägten Autonomie schwankt (vgl. hierzu auch P. 6.5). Seit der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts existieren zwar lateinische Grammatiken zum Deutschen, aber keine lateinischen Stillehren, Rhetoriken und Brieflehren mit volkssprachiger Ausrichtung. Die deutschen Rhetoriken sind in erster Linie als Briefsteller für den alltäglichen Rechtsverkehr konzipiert und weisen daher einen deutlich erkennbaren Praxisbezug auf. Er zeigt sich auch in den für die Volkssprache konzipierten lateinischen Grammatiken, die u.a. dazu dienten, das Deutsche als Fremdsprache zu erwerben. Den deutschen Brieflehren haftet noch im 16. Jahrhundert ein spätmittelalterlicher, regelzentrierter Zug an, der von einzelnen wie Friedrich Riederer zwar nicht überwunden, aber durch Orientierung an den antiken Primärquellen einer neuen Bewertung unterzogen wurde. Es stellt sich abschließend die Frage, welche stiltheoretischen Forderungen lateinischer wie volkssprachiger Provenienz tatsächlich in volkssprachigen Texten der frühen Neuzeit greifbar sind. Bislang unternahm nur Monika Rössing-Hager (1990, 1992) den Versuch, Häufungen

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.auffälliger' Quellenbelege aus der Zeit um 1500 damit zu erklären, daß sie „zeitgenössische(n) Qualitätsvorstellungen" entsprechen (1990: 410f.). Übereinstimmungen zwischen den Stilempfehlungen der in der Nachfolge Vallas stehenden Elegantiarum medulla Jacob Wimpfelings (1493) und den deutschsprachigen Quellen sieht Rössing-Hager in folgenden Punkten: - Die Zunahme von Konstruktionen mit Verbal- und Adjektivabstrakta in volkssprachigen Texten deckt sich mit der stiltheoretischen Vorstellung, daß eine Substantivgruppe mit Abstraktum als Kern einem Konjunktionalsatz vorzuziehen sei, vgl. z.B. Wenn man sagt: ich wundere eleganter:

ich bestaune

deine

mich, daß du so unbeständig

bist...,

heißt

es

Unbeständigkeit.33

Es handelt sich dabei um satzäquivalente Kurzformen mit dem Ziel der Informationsverdichtung. Die Tendenz zur kürzeren Form korreliert mit der Beobachtung Kurt Ruhs, eine Frequenzsteigerung von Abstrakta sei in den von ihm untersuchten religiösen Schriften des Spätmittelalters besonders dann feststellbar, wenn eine lateinische Vorlage vorhanden ist.34 - Die Beliebtheit von „nominal-verbalen Verbindungen" des Typs Ein geschrey machen für ,schreien', die aus einem (Verbal-)Abstraktum und einem Funktionsverb wie machen, tun, geschehen bestehen, könnte ihren Grund in der Vielzahl paralleler oder verwandter Konstruktionen im Lateinischen vom Typ clamores facere haben. Die zahlreichen Belege, die auch durch entsprechende Wörterbucheinträge gestützt werden, sind nach Rössing-Hager (1992: 378) Anzeichen dafür, „daß es in der Zeit um 1500 Stränge von Ausdrucksformen gibt, auf die der zweisprachige Autor gleichermaßen zurückgreifen kann, ob er lateinisch oder deutsch schreibt." Bei Wimpfeling werden derartige Konstruktionen aus Abstraktum und Verben wie afßcere, dare, facere, habere oder agere z.B. in gratias agere hinsichtlich ihrer Latinität, ihrer Synonymität zu Vollverben, ihrer syntaktischen Verbindbarkeit und semantischer Unter-

(...) vi cum dicitur. Miror quod es adeo inconstans (...) elegantius dicitur. Miror tantam inconstantiam tuam. (Bl. A 4V; zitiert nach Rössing-Hager 1990: 411; dort auch Anm. 8). 34

Vgl. hierzu Ruh (1956) und Rössing-Hager (1992: 3 7 8 - 3 8 1 ) .

Die Wirkung sprachkodifizierender Werke

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schiede bei wechselndem Funktionsverb genau erfaßt. Die dort für das Lateinische festgestellten Bedeutungsnuancen bleiben auch in den entsprechenden deutschen Interpretamenten des Dictionarium Latinogermanicum von Johannes Fries (Zürich: Chr. Froschauer d.Ä. 1556) gewahrt (vgl. Rössing-Hager 1990: 412f.). - Eine weitere Empfehlung Wimpfelings betrifft den Satzabschluß mit einer allgemeinen Beteuerung oder einer Negation. Als Beispiele werden genannt: Was der gute Mann tut, loben alle. Einen, den ich mehr liebe als Dich, habe ich nicht, (wörtlich: Welchen ich mehr liebe als dich, habe ich keinen)35

Die Umsetzung der für die oratorische Stilebene geltenden Anweisung kann in Quellenbelegen aus dem Schrifttum des Predigers Eberlin von Günzburg nachgewiesen werden. Das erweiterte attributive Partizipialattribut, dessen Herkunft aus dem Lateinischen auch in neueren Darstellungen proklamiert wird (vgl. hierzu P. 2.3.2.2.3), ist sowohl bei Friedrich Riederer als auch bei Valentin Ickelsamer Gegenstand der Erörterung: - In Valentin Ickelsamers Teutscher Grammatica (o.O., um 1534), die einige von lateinischen Vorgängern stammende stilistische Empfehlungen enthält, wird das Partizip als satzäquivalente Kurzform gegenüber längeren Satzkonstruktionen empfohlen: Es sei ein fain zierlich tail der rede und könne eben so wol/ mitt feiner lieblichen kürtze/ von den Teütschen gebraucht werden/ als von den Latinern/ aber er würdt selten recht trojfen. Der Gebrauch des Partizips betrifft nicht die Sprachrichtigkeit, sondern die Sprachschönheit. Als eine potentielle Ausdrucksmöglichkeit steht sie neben anderen, die zwar gebräuchlicher, aber weniger zierlich sind: Es ist vil lieblicher gesagt/ Jch hab das geredt mit lachendem mund/ oder lachend/ dann so man also sagt/ Jch habs geredt/ vnd darzü gelachet/ oder habs geredt mit lachen. Jtem/ der Fürst kumbt belaitet mit so vil reytern/ ist lieblicher/ dann er kumbt vnd so vil reyter belaiten jnP6

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Commendabitur oratio que dictionem habeat vniuersalem afflrmatiuam vel negatiuam in fine, vt quod vir bonus facit laudant omnes. Quem te magis diligam habeo neminem (Bl. A 4V; zitiert nach Rössing-Hager 1990: 413, Anm. 12). Zitiert nach der Ausgabe A2 bei Müller (1882: 121; Ternsche Grammatica: Bl. A 2 v f.); vgl. auch Rössing-Hager (1992: 364f.).

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Die hier gebotenen syntaktischen Alternativen zeigen zugleich, daß in der Volkssprache ein größeres Potential an Ausdrucksmöglichkeiten bereits vorhanden ist, das durch derartige Empfehlungen nur erweitert werden soll. Dem Sprachbenutzer wird die Möglichkeit gegeben, zur variatio seiner sprachlichen Ausdrucksmittel von der Vielfalt der Muster Gebrauch zu machen. Die Verwendung des Partizips wird bei Ickelsamer durchaus in Nachahmung des Lateinischen empfohlen. Nach Ausweis der Beispiele stellt Ickelsamer Fälle mit vorangestelltem (und flektiertem) Partizipialattribut (mit lachendem mund) bzw. in absoluten Konstruktionen unflektiert als Adverbiale oder Apposition (lachend bzw. belaitet mit so vil reytern) zur Kennzeichnung der Gleichzeitigkeit zweier Handlungen zusammen, die in der zeitgenössischen Literatur - wenn auch nicht häufig - nachweisbar sind (vgl. auch RössingHager 1992: 382). - Friedrich Riederer erörtert topologische Probleme beim erweiterten, vorangestellten Partizipialattribut: Unter Berücksichtigung der Klammerbildung innerhalb der Substantivgruppe befürwortet er die auch im Neuhochdeutschen gültige - zentripetale - Stellung der Glieder (mit Voranstellung der Erweiterung vor dem Partizip: die edel in tugend wolgeziert/ iungfrow37). Die von Riederer abgelehnte Nachstellung der Erweiterung nach dem Partizip (z.B. die edel wolgeziert in tugend iunckfrow), die noch bei Autoren des frühen 16. Jahrhunderts nachweisbar ist, könnte allerdings eine explizite Ablehnung lateinischer Stilanweisungen sein, denn Wimpfeling z.B. empfiehlt Reihungen wie etwa maxima in rempublicam diligentia mit einem eingebetteten Glied zwischen Adjektiv und Substantiv. 38 Die auf das Deutsche übertragenen Stilempfehlungen lateinischer Provenienz bereichern die Ausdrucksmöglichkeiten der Volkssprache dann, wenn die vorgeschlagenen Alternativen eigensprachlichen Entwick-

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In den von ihm übersetzten Passagen der Herennius-Rhetorik bevorzugt er allerdings einen dritten Stellungstyp: Partizip - (Bezugswort) Substantiv - Erweiterung des Partizips; zu Riederers Spiegel der waren Rhetorik (1493) vgl. RössingHager (1990: 414f.).

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Vgl. Rössing-Hager (1990: 416f.); zu Wimpfeling: Elegantiarum medulla (Bl. A 3 r/v ). In der Kanzleisprache ist ferner ein Stellungstyp mit der Abfolge Adjektiv + Genitiv + Substantiv belegt, den Behaghel (Bd. 4: 180) lateinischem Einfluß zuschreibt (vgl. auch Ebert 1986: 96f.) und den auch Wimpfeling bereits empfohlen hat (magna Salustij breuitas ...).

Der Anteil des Lateinischen an der Herausbildung der deutschen Schriftsprache

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lungstendenzen entsprechen. Die Flexibilität der Wortstellung des Lateinischen beim erweiterten Partizipialattribut führt vereinzelt zu Stellungsvarianten, die sich aufgrund systemimmanenter Faktoren im Deutschen nicht durchsetzen konnten.

2.3.2

Der Anteil des Lateinischen an der Herausbildung der deutschen Schriftsprache

Die Stilempfehlungen gehen z.T. mit grammatischen Entwicklungen des Deutschen seit dem Spätmittelalter konform, die in Zusammenhang mit der starken Zunahme an volkssprachigen Prosatexten gesehen werden können. Sie ist zum einen auf die vermehrte Übersetzungstätigkeit antiker oder mittelalterlicher Quellen zurückzuführen und zum anderen auf das wachsende Interesse an wissensvermittelnder Literatur. Auch hier ist ein Großteil der Sachprosa aus dem Lateinischen übersetzt. Selbst dann, wenn eine direkte Quelle fehlt, handelt es sich bei den Verfassern der Texte beinahe ausnahmslos um Autoren, die ihre wissenschaftliche Bildung lateinisch vermittelt bekamen (vgl. Tab. 1, Punkt c). Die Beschäftigung mit Themen aus dem Umfeld der artesLiteratur war weitgehend dem Lateinischen vorbehalten: In dieser Sprache schrieb man nicht nur, sondern man sprach sie auch und dachte darin über bestimmte Themen nach. Die am lateinischen Sprachmodell geschulte Denkweise geht bei der Umsetzung in die Volkssprache nicht völlig verloren. Einflüsse lassen sich am deutlichsten in der Übersetzungssprache nachweisen; derartige Interferenzen sind aber keineswegs auf verbum de verbo-Übersetzungen beschränkt; sie können auch in Schriften zweisprachiger Autoren vermutet werden, die kein direktes lateinisches Vorbild haben. Von besonderem Interesse sind daher die verborgenen Einflüsse des Lateinischen auf Wortschatz und Grammatik des Deutschen, weshalb im Folgenden die ausdrucksseitig markierten Entlehnungen, also Übernahme und Integration lateinischen Wortmaterials, nur am Rand in einem für den Ausbau des deutschen Wortschatzes wesentlichen Aspekt gestreift werden sollen: Es handelt sich dabei um Wortbildungen mit entlehnten Elementen, die im Deutschen produktiv werden, indem sie mit heimischen oder fremden Elementen (Basen oder Affixen) verbun-

Deutsch-lateinischer Sprachenkontakt

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den werden.39 Fremd- und Lehnwörter bleiben im Folgenden ganz ausgeklammert. 2.3.2.1

Wortbildungsmuster und -modelle unter lateinischem Einfluß

Der verborgene Einfluß des Lateinischen auf deutsche Wortbildungsmuster führt seit dem Spätmittelalter sowohl zum quantitativen als auch qualitativen Ausbau indigener Muster: Im ersten, am häufigsten zu beobachtenden Fall wird eine Frequenzsteigerung eines Bildungsmodells erreicht, das ausdrucksseitig und funktional bereits in der Volkssprache vorhanden ist. Im zweiten, weitaus selteneren Fall wird ein indigenes Wortbildungsmuster sowohl ausdrucksseitig als auch funktional, d.h. hinsichtlich der Verbindbarkeit mit Basislexemen und der Wortbildungsbedeutung der Bildungen, ausgebaut und dadurch verändert. Am besten erforscht ist der am lateinischen Vorbild erfolgte qualitative Ausbau des Wortbildungsmusters -bar zur Bildung von Adjektiven (vgl. Flury 1964): Während sich das Suffix im Althochdeutschen mit Basislexemen teils nominaler, teils nichtnominaler Herkunft verband (vgl. fruchtbar, dankbar), entwickelte sich in spätmittelhochdeutschen Übersetzungstexten eine enge strukturelle und funktionale Anbindung deutscher -bar-Adjektive an das lateinische Modell. Denn analog zu den Adjektiven auf -bilis, die in der Mehrzahl verbale Basen haben, ging -bar nicht mehr nur Nominalverbindungen ein, sondern konnte nun auch mit Handlungsverben kombiniert werden, bis schließlich im 16. Jahrhundert die deverbalen Neubildungen erstmals die desubstantivischen übertrafen. Hinzu kam, daß die meisten Verbaladjektive bereits passivische und z.T. auch modale Bedeutung hatten: z.B. inflexibilis zu unbiegbar(es x) in der Bedeutung ,(ein x), das dazu geeignet ist, gebogen werden zu können'. 40 Die Zahl der sogenannten Eignungsadjektive

39

40

Den (erstmals) bedeutenden Anstieg der Lehnwortbildungen im 16. Jahrhundert dokumentiert die Alphabetstrecke R-Z des DFWB. Während dort vor 1500 86 Erstbelege bezeugt sind, kommen füir den Zeitraum um 1600 302 neue Lehnwortbildungen hinzu; vgl. hierzu von Polenz (2000: 212) und Munske/ Kirkness (1996); zu fremden Wortbildungselementen in deutschen Grammatiken des 17. bis 19. Jahrhunderts vgl. Habermann (2000); zur europäischen Dimension der Lehnwortbildung vgl. Habermann (1999). Vgl. Flury (1964: 55) und von Polenz (2000: 197). Von 46 Neubildungen im 16. Jahrhundert sind 24 deverbal. Davon haben 18 bereits eine passivische Bedeutung. Der Anteil der Deverbativa an den Neubildungen beträgt im 15. Jahrhundert

Wortbildungsmuster und -modelle unter lateinischem Einfluß

29

mit Basisverb und passivisch-modaler Bedeutung, deren Bildungsweise strukturell und funktional am lateinischen Vorbild ausgerichtet ist, stieg seit dem 17. Jahrhundert kontinuierlich an und blieb schließlich als einziger semantischer Ableitungstyp des Musters -bar bis in die Gegenwartssprache produktiv. Die durch das fremdsprachige Vorbild geförderte Verbindung mit verbalen Basen stellt keine völlig neue, von außen herangetragene Kombinationsmöglichkeit dar, sondern ist latent bereits seit althochdeutscher Zeit in denjenigen Wortbildungen angelegt, die sowohl nominal als auch verbal interpretiert werden können: z.B. kostbar zu Kosten und kosten oder wunderbar zu Wunder und wundern. Derartig ambig interpretierbare Wortbildungen könnten den Boden für ausschließlich verbale Lesarten (z.B. trinkbar zu trinken) bereitet haben. Etabliert und stabilisiert wurden sie aber erst unter dem fördernden Einfluß des Lateinischen. Die in Übersetzungen häufig zu beobachtende Praxis, lateinische Wortbildungen durch volkssprachige Äquivalente nachzubilden, die entweder Lehnübersetzungen oder nur teiläquivalente Lehnübertragungen darstellen, konnte zu einer Frequenzsteigerung bestimmter, bereits etablierter Muster und Modelle der Volkssprache führen. Für die religiöse Übersetzungsliteratur des Spätmittelalters machte Kurt Ruh (1956: 85) auf den Anstieg deutscher Abstrakta in Anlehnung an lateinische Vorbilder aufmerksam, wobei er „zwischen -tasl-heit ein ebenso festes Verhältnis" konstatierte „wie zwischen -(at)io/-ung". Die enge Entsprechung von -io/-ung bestätigte auch eine neuere Untersuchung wissensvermittelnder Texte des Spätmittelalters in verbum de verboÜbersetzungen, während eine feste Korrelation für - (i)tas und -heit dort nicht besteht (vgl. Brendel et al. 1997: 601). Aber selbst dann, wenn eine Reihe von -ίο-Ableitungen in wörtlichen Übersetzungen mechanisch mit -««^-Substantiven wiedergegeben wird und in diesen Fällen von einem „Lehnmuster" gesprochen werden kann, besteht zwischen dem Suffixpaar keine Eins-zu-eins-Entsprechung, da -io einerseits auch durch -heit, -nis, -schafi, -t und andere Wortbildungsmittel übersetzt wird und -ung andererseits nicht nur -io, sondern auch -tus, -mentum, -ia, -(i)tas, -ium und andere Konstruktionen wiedergibt.41

41

ungefähr ein Drittel, im 16. Jahrhundert etwas mehr als die Hälfte und im 20. Jahrhundert 98% (Flury 1964: 55 und 90-94). Vgl. Brendel et al. (1997: 600f.). Affixentsprechungen zu 100% sind dagegen für folgende Paare belegt, die im untersuchten Korpus jedoch eine verschwindend

30

Deutsch-lateinischer Sprachenkontakt

Die Steigerung der Vorkommenshäufigkeit deutscher Diminutivbildungen steht ebenfalls unter lateinischem Einfluß. Polzin (1901) ging sogar so weit, die gesamte deutsche Diminution in sklavischer Nachahmung lateinischer Vorbilder zu sehen. Grund hierfür sei ihr beinahe völliges Fehlen in der originären Literatur des Mittelalters, während in den lateinisch-deutschen Glossen von einer Korrespondenz lateinischer Wörter mit diminutivähnlichen Endungen und deutschen Wortbildungen auf -lin auszugehen sei, wie z.B. bei habitaculum - herbergelin, camelus - kamlin oder cocodrillus - lintwürmeltn,42 Für die bei Polzin genannten Beispiele und für die Vielzahl der Entsprechungen, die im Korpus wissensvermittelnder Texte vor allem in naturkundlichen Schriften mit lateinischer Vorlage nachweisbar sind, ist nicht der semantische Gehalt, also die Übereinstimmung in der diminutiven Bedeutung maßgebend, sondern eine phonologische Korrespondenz, die dazu führt, daß funktionsdifferente -/-haltige Suffixe des Lateinischen in der Volkssprache durch eine -/-haltige Variante des Diminutivsuffixes abgebildet werden: So sind die lateinischen Suffixe -cuius/a/um, -ulus/a/um und -llus/a/um zwar überwiegend diminutiv gebraucht, werden aber auch dann im Deutschen mit -lein (-Ii) wiedergegeben, wenn aufgrund homophoner Suffixe oder gleichlautender Wortendungen Verwechslungen vorliegen: z.B. bei ergastulum ,Stall' zu kärkerli oder cella ,Zimmer' zu kämerli; oft genügt die Existenz eines bloßen -l(-) zur Wiedergabe mit Diminutiv z.B. bei virgulta mit ästli oder animal mit tierli/hünli/leonlin.43 Gefördert hat diese Entwick-

kleine Gruppe (19 Bildungen mit 52 Belegen) darstellen: urur- zu lat. ab-, -icht zu -etum, -isse zu -issa, ur- zu pro- und -ei zu -atus, hinzu kommt erz- zu archi- mit einer nahezu vollständigen Entsprechung. Die Affixe außer ur- und -ei sind monofunktional. Kirchensprachlicher Einfluß macht sich bei den -«/-Korrelaten und den erz- und -wie-Bildungen geltend, die zum einen kirchliche Ämter, zum anderen kirchliche Amtsträger bezeichnen (1997: 599). 42

43

Vgl. hierzu Polzin (1901: 9 - 1 3 ) und den Forschungsbericht zur Diminutiv- und Augmentativmodifikation von Ettinger (1980: 4 7 - 5 9 ) , der die an Polzin anschließende Kontroverse, ob die Diminution lateinischen oder germanischen Ursprungs sei, aufrollt. Eine wohlwollende Beurteilung seiner These („Und so ganz Unrecht hatte er nicht!") erfährt Polzin im Sammelband von Brendel et al. (1997: 358f.). Vgl. hierzu Brendel et al. (1997: 352-354). Im untersuchten Korpus geht mehr als 40% der (auf ein lateinisches Wort beziehbaren) -fei/z-Bildungen „ein / in der Nähe des lateinischen Wortendes" voraus, ohne daß ein Diminutivsuffix vorliegt, wobei die Zahl - unter Berücksichtigung einer fehlenden vollständigen Deckung der deutschen Texte durch die lateinischen Vorlagen - noch wesentlich höher liegen dürfte (1997: 354).

Wortbildungsmuster und -modelte unter lateinischem Einfluß

31

lung eine schon im Spätlatein stark zunehmende Bedeutungsentleerung des Diminutivsuffixes. Der Verlust der verkleinernden Funktion geht vielfach sogar so weit, daß die Wortbildung mit Diminutivsuffix nur noch eine längere, gelegentlich auch prosodisch gewichtigere Variante des Basislexems darstellt.44 Die Häufung passivisch-modaler Adjektive und substantivischer Abstrakta bzw. Diminutiva in Übersetzungstexten färbt auch auf ihren Gebrauch in vorlagenunabhängigen, mehrheitlich von Zweisprachigen verfaßten Texten der Volkssprache ab.45 Die als Mittel der Komprimierung genutzten Muster und Modelle führen sowohl in der Übersetzungsliteratur durch Lehnübersetzungen und -Übertragungen als auch in originären Schriften zu einer Reihe von Gelegenheitsbildungen mit zahlreichen synonymen Varianten, die erst allmählich in ihrer Bedeutung differenziert oder auf ein Lexem reduziert werden. Über den maßgeblichen Einfluß des Lateinischen hinaus kamen entscheidende Impulse auch aus der Romania, wobei vor allem das Französische hervorzuheben ist: Zum einen erhalten lateinische Wortbildungsmodelle, die in die gesamte Romania tradiert wurden, durch lebendsprachige Vorbilder eine zusätzliche Stütze, wie dies die französischen -able/-ible-Adjektive für deverbale -öar-Ableitungen oder Diminutivbildungen bestimmter Sinnbezirke46 für deutsche Diminutiva sein könnten. Geht es hier um die stabilisierende Wirkung auf volkssprachige Wortbildungsmodelle, so darf zum anderen nicht übersehen werden, daß die meisten der lateinischen Affixe, die erst allmählich im Deutschen produktiv genutzt werden, über das Französische vermittelt wurden oder fremdsprachige Basislexeme unter Verwendung des fran-

44

45

46

Vgl. hierzu Brendel et al. (1997: 357f. und 602). Eine ähnliche phonologische Entsprechung besteht auch zwischen den deutschen Dentalsuffixen -de und -t und den lateinischen -f-haltigen Suffixen -tus/-sus, -tura, -(en)tia, -(i)tas und -itia sowie -t-io und -t-ium mit knapp einem Viertel aller Belege, z.B. sepultura: (be)grebde, venatio: geiägt, auditus: gehoerde. Eine unabhängig von der fremdsprachigen Vorlage beobachtbare Produktivität zeigen die Diminutivbildungen z.B. bei Luther, der in seiner Bibelübersetzung auch dann Diminutive gebraucht, wenn sie weder im lateinischen noch im griechischen Ausgangstext belegt sind (vgl. Polzin 1901: 73-83). So wies vor allem Öhmann (1946) darauf hin, daß bestimmte .Bedeutungssphären' des diminuierten Wortschatzes zwischen dem Deutschen und Französischen übereinstimmten, wie etwa Bezeichnungen für Vögel, Blumen, Schmuck- und Kleidungsstücke oder Körperteile sowie Anredewörter.

32

Deutsch-lateinischer Sprachenkontakt

zösischen Suffixes -ier als -ieren-Bildungen in die Volkssprache integriert wurden.47 Nach Lüdtke (1980: 677) wurde das Regelsystem zur Integration lateinischer und griechischer Fremdwörter ins Deutsche dem Französischen entnommen. So dienen bei Nomina der Akkusativ, bei Verben der Infinitiv als Ausgangsform. Nach Wegfall der lateinischen Flexionsendung wird das lateinische Suffix durch seine französische Entsprechung ersetzt: -(i)tas durch -(i)täfl, -atio durch -ationm, -ia durch -ei (frz. -ie), -aris durch -är, -alis durch -eil, -osus durch -ös und -(a/i)bilis durch -(a/i)bel.50 Als Höhepunkte des französischen Einflusses gelten die höfische Zeit des Mittelalters und das 17. und 18. Jahrhundert, während der Lehneinfluß im 16. Jahrhundert trotz eines Anstiegs ab 1560 vergleichsweise beschränkt blieb (vgl. u.a. von Polenz 2000: 220). Für diesen Zeitraum sind zwar die französisch vermittelten Lehnsuffixe für die Substantive nachweisbar, nicht aber diejenigen für die Ableitung von Adjektiven: Für lat. -alis findet sich proportional (Erstbeleg 1562) und national (Erstbeleg 1571), während z.B. generell oder formell nicht vor dem 17. Jahrhundert nachweisbar sind. Ebenso ist zunächst religiös zu religiosus belegt und wurde erst allmählich von religiös verdrängt, und pekuniär oder revolutionär sind nicht vor Ende des 18. Jahrhunderts nachweisbar. Die meisten Adjektive auf -abel/-ibel wurden um 1700 und um 1840 entweder entlehnt oder im Deutschen neugebildet.51

47

48

49

50 51

Ob hierbei allerdings das altfranzösische Verbalsuffix -ier (Rosenqvist 1934: 590) oder das gleichlautende Nominalsuffix (Öhmann 1937: 314f.) zugrunde liegt, ist nicht zu entscheiden. Mittelniederländische Vermittlung kann nach Lüdtke (1984: 874f.) nicht ausgeschlossen werden. Zu den -/eren-Ableitungen im Frühneuhochdeutschen vgl. die Auflistung bei Malherbe (1906: 47-60); zu -ieren in der frühneuzeitlichen Fachliteratur vgl. Habermann (1996: 26-32). Französischen Einfluß auf das frühneuhochdeutsch in der Graphie -(i)tet nachweisbare Suffix, der nicht ganz unbestritten ist, macht vor allem Öhmann (1967: 243f.) geltend, der von einer Kontamination von lat. -tat(em) mit frz. -te ausgeht. Daneben gab es eine Reihe mittellateinischer Entlehnungen im klassischen Mittelhochdeutsch auf -tat (wie z.B. majestät, trinität). Im Frühneuhochdeutschen stehen noch -tat-Ableitungen neben -tet: z.B. Facultat neben Facultet (vgl. Malherbe 1906: 7). Zu den lateinischen Wörtern auf -tion, ihrer Flexion und ihrer vorwiegend im Mittelhochdeutschen üblichen Integration (Disputatio > Diputazie > Disputaz) vgl. Malherbe (1906: 36-42) und Rosenfeld (1974: 417f.). Vgl. hierzu auch Lüdtke (1984: 874f.) und von Polenz (2000: 220f.). Vgl. hierzu die Angaben im DFWB (Bd. 7: 368ff.) und bei von Polenz (1994: 291f.). Geringe Zahlenwerte für die Adjektive mit Lehnsuffix für die Zeit um

Syntaktische Strukturen unter lateinischem Einfluß

33

Grundsätzlich muß aber festgehalten werden, daß weder die Geschichte der Entlehnungen noch Anfänge und Entwicklung der Lehnwortbildung für die deutsche Sprachgeschichte über verdienstvolle Detailstudien hinaus ausreichend erforscht sind. Die meist älteren Untersuchungen konzentrierten sich bislang ganz überwiegend auf (Gelegenheits-)Funde in der Literatursprache oder in religiösen Texten.52 Es fehlen hingegen Untersuchungen auf größerer Materialbasis, die die seit der frühen Neuzeit in großer Zahl überlieferten volkssprachigen Sachtexte ebenso mit einbeziehen wie die neulateinische Literatur. Dieses äußerst umfangreiche Schrifttum, dessen Existenz und Interdependenz von volkssprachigem Schrifttum ein wesentliches Merkmal der bilingualen Gesellschaft darstellt, wurde bislang jedoch kaum zur Kenntnis genommen53, obwohl es eine beträchtliche Rolle als mögliche Quelle von Entlehnungen und Ausgangspunkt von Lehnwortbildungen gespielt haben dürfte.

2.3.2.2

Syntaktische Strukturen unter lateinischem Einfluß

Der Einfluß des Lateinischen auf die Syntax ist mit dem auf volkssprachige Wortbildungsmuster und -modelle vergleichbar. Die Veränderungen im Satzbau seit dem Spätmittelalter gehen mit Entwicklungstendenzen konform, die von Anfang an in der Struktur des Deutschen angelegt sind. Mag auch der Einfluß des Lateinischen in der

52

53

1800 sind im Innsbrucker IdS-Korpus dokumentiert: Dort ergab eine Auswertung der Wörterbücher Adelungs bzw. Campes 9 Adjektive auf -al/-ell (gegenüber 68 im Korpus der Gegenwartssprache), 2 auf -os/-ös (ebenso wie im Korpus der Gegenwartssprache (!)), aber insgesamt 83 -abel/-ibel-Bildungen, von denen nur 20 (neben 33 Neubildungen) noch heute belegt sind (vgl. Deutsche Wortbildung 3: 291 und 393ff.). Höher ausfallen dürften die Zahlenwerte wohl bereits für das 18. Jahrhundert bei einer Auswertung von Schriften der (Natur-)Wissenschaft und Technik. Hierzu zählen vor allem die umfangreicheren Untersuchungen zum Fremdwort im Reformationszeitalter von Malherbe (1906) sowie zum späteren Mittelhochdeutschen und Mittelniederdeutschen von Möller (1915). Einen Überblick über die humanistischen Strömungen im deutschen Wortschatz bietet Rosenfeld (1974). Zum Fremdwortgebrauch einzelner Autoren vgl. vor allem Krüger (1955) mit einer Untersuchung von Luthers Bibelübersetzung und Eckel (1978) zum Fremdwortschatz Thomas Murners. Auf dieses Manko wurde aus sprachwissenschaftlicher Sicht vor allem von Kirkness aufmerksam gemacht (nach einer Notiz bei von Polenz 2000: 221).

34

Deutsch-lateinischer Sprachenkontakt

älteren Literatur überschätzt worden sein, so kommt ihm doch eine fördernde Wirkung zu, die nach von Polenz (2000: 219) sowohl Frequenz wie extreme Ausnutzung systemimmanenter Entwicklungen betrifft. Unbestritten ist wohl das Vorbild lateinischer Texte auf die deutsche Satzstruktur und -organisation im weitesten Sinn. Betroffen sind hiervon zum einen Einzelerscheinungen wie die Frequenzsteigerung von Infinitivkonstruktionen oder das erweiterte Partizipialattribut, die in Nachahmung lateinisch äquivalenter oder teiläquivalenter Strukturen eine formale Komprimierung der Aussage bewirken. Es herrscht zum anderen weithin Einigkeit darüber, daß die Präferenz hypotaktischer Strukturen gegenüber parataktischer Anordnung in Zusammenhang mit dem lateinischen Einfluß zu sehen ist. Den Ausbau der Satzperiode mit Unterordnung höheren Grades, der vor allem in Kanzleitexten beobachtet wurde, führte man fast durchweg auf die Nachahmung lateinischer Muster zurück. Dementsprechend proklamierte man eine mehr oder weniger starke Beeinflussung derjenigen Bausteine, die zur Transparenz komplexer Satzstrukturen beitrugen. Hierbei handelt es sich zum einen um das Konjunktionensystem, dessen Aus- und Umbau dazu führte, Funktionsüberschneidungen, die - mit Abstrichen - für das Mittelhochdeutsche nachweisbar sind, einzudämmen. In syntaktischer Hinsicht führt diese Entwicklung zu einer Trennung des Bestandes nach nebenordnender und unterordnender Funktion, in semantischer Hinsicht zur Profilierung vereinzelter Konjunktionen, für die mitunter auch lateinischer Einfluß geltend gemacht wird. Wesentliche Mittel zur Strukturierung von Satzperioden stellen zum anderen die Endstellung des finiten Verbs im Nebensatz und ein differenziertes Tempus- und Modussystem dar, die die Unterscheidung von Vordergrund- und Hintergrundinformation im reliefartig strukturierten Satzgefüge erlauben.54 Im Anschluß wird die These vom lateinischen Einfluß auf die Wortstellung des Deutschen diskutiert, wobei die Endstellung des finiten Verbs in Nebensätzen im Mittelpunkt steht (P. 2.3.2.2.1). Es folgen Beobachtungen zur Rolle des Lateins bei der Entwicklung der Hypota-

54

Nach Weinrich (1993: 760) hat eine Argumentation dann , R e l i e f , „wenn sie zwischen Auffälligkeit und Unauffälligkeit vermittelt." Ein Textrelief entsteht durch eine Unterscheidung von Vordergrund- und Hintergrundgeschehen durch den Sprecher; zur Relieftheorie vgl. Weinrich (1985; 1. Auflage 1964) und Fleischmann (1973).

Stellungsregularitäten im Deutschen und Lateinischen

35

xe und dem Ausbau des deutschen Konjunktionalsystems (P.2.3.2.2.2), bevor abschließend der Einfluß des Lateinischen auf die Entwicklung der Infinitivkonstruktionen und des erweiterten Partizipialattributs erläutert wird (P. 2.3.2.2.3). 55

2.3.2.2.1

Stellungsregularitäten im Deutschen und Lateinischen

Die Verbendstellung im Nebensatz führten vor allem Behaghel (1892 und 1900) und Maurer (1926) auf lateinischen Einfluß zurück. Heute hingegen werden vielmehr systemimmanente Ursachen genannt, wie etwa die Tendenz des Deutschen zur zentripetalen Anordnung im Satz - d . h . das abhängige Glied geht dem übergeordneten voraus - , die auch zur Ausbildung des Satzrahmens führt. 56 Die These des lateinischen Einflusses auf die Verbendstellung im Nebensatz ist aus mehreren Gründen widerlegt. Das wohl gewichtigste Argument ist die keineswegs konsequente Endstellung des Finitums selbst im klassischen Latein, die bei Cicero, dem unumstrittenen Stilvorbild des Humanismus, sogar nur für etwa die Hälfte der Haupt- und Nebensätze nachweisbar ist.57 Vermutete Maurer (1926: 180) den Einfluß der mittelalterlichen Schulgrammatik, so forderten weder Priscian noch die humanistische Lateingrammatik des Melanchthon die Endstellung des finiten Verbs, sondern empfahlen dessen Zweitstellung hinter dem Nomen bzw. Pronomen (vgl. hierzu Fleischmann 1973: 47-49). Die Zweitstellung im Lateinischen bestätigte auch Stolt (1964) in ihrer Untersuchung zur Sprachmischung in Luthers Tischreden, die bei dem Vergleich deutscher mit lateinischen Nebensätzen zu dem

55

Zur stabilisierenden Wirkung des Lateinischen auf die Etablierung des sechsstufigen Tempussystems des Deutschen vgl. P. 2.3.1. Der Impuls für die Ausbildung des neuhochdeutschen Tempussystems ging aber wesentlich von eigensprachlichen Entwicklungen aus: Entscheidend ist der Verlust der alten aspektuellen Opposition (perfektiv/imperfektiv), die sowohl durch eine (den Standort des Sprechers berücksichtigende) Phasenopposition (unvollzogen/vollzogen) als auch durch eine temporale Opposition (Futur/Präsens/Präteritum) ersetzt wird; vgl. hierzu u.a. Oubouzar (1974).

56

Zum Einfluß des Lateinischen auf die Verbstellung des Deutschen vgl. BericDjukic (1988). Vgl. hierzu Hofmann/Szantyr (1997: § 214a). Eine wesentlich häufigere Endstellung im Haupt- und noch mehr im Nebensatz ist allerdings in historischen Schriften nachweisbar (z.B. bei Caesar (Gall. Π) zu 84% im Hauptsatz und 93% im Nebensatz).

57

36

Deutsch-lateinischer Sprachenkontakt

Ergebnis kam, daß im Deutschen die Endstellung des Verbs überwiegt, während im Latein die Bildung eines Satzrahmens durch Konjunktion und finitem Verb mehr die Ausnahme als die Regel sei.58 Daß die Anfänge der Satzklammer im Germanischen liegen, darf als gesichert gelten, und bereits im Althochdeutschen wird der Nebensatz durch Nicht-Zweitstellung des Finitums, und zwar durch Stellung nach der zweiten Position, gekennzeichnet. Während im Frühneuhochdeutschen in den Texten mit einfacheren Sätzen und größerer Nähe zur gesprochenen Sprache, wie den Fabeln Luthers, die Rahmenbildung bereits weitgehend etabliert ist, stellt Admoni (1967: 185) für die Traktate, die in besonderem Maß lateinischem Einfluß ausgesetzt waren, einen wesentlich höheren Anteil an entweder nur teilweise vorhandener oder fehlender Rahmenbildung fest. Hieraus wäre sogar der Schluß zu ziehen, daß das fremdsprachige Vorbild bei der Ausbildung deutscher Rahmenkonstruktionen wohl eher hindernd als fördernd gewirkt hat. Diese Ansicht bestätigt auch Tschirchs Beobachtung (1966: 84-87), daß Luther teilweise ausgebildete Satzklammern in der noch stark am Lateinischen orientierten Übersetzung des Septembertestaments (1522) in späteren Revisionen korrigierte und - meist durch Eingliederung ausgeklammerter Präpositionalphrasen - vollständige Satzrahmen schuf.59 Unvollständige Satzrahmen mit Ausklammerung sind allerdings nicht nur in bestimmten Übersetzungstexten, sondern ganz besonders auch bei komplexeren Strukturen in der gesprochenen Sprache üblich. Im Unterschied zu Admoni, der in ungekünstelter Sprache den vollständigen Satzrahmen am häufigsten nachweisen konnte, findet Ebert (1986: 11 Of.) gerade in Privatbriefen weltlicher Frauen, die eine nur geringe Schulbildung hatten und kein Latein konnten, die Rahmenstruktur seltener ausgeprägt, während sie in den von ihm untersuchten Nürn-

58

59

Die deutschen daß-Sätze weisen zu 72% Endstellung des Finitums auf (gegenüber 15% Mittelstellung und 13% Hauptsatzfolge). Die lateinischen quod-, ut- und neSätze weisen zu 27% Endstellung des Finitums auf (gegenüber 45% Zweitstellung, d.h. das Finitum nach der Konjunktion, 19% Hauptsatzfolge und 9% Mittelstellung); vgl. Stolt (1964: 161-164). Derartigen Beobachtungen stehen auf der anderen Seite Untersuchungsergebnisse zur Übersetzungsliteratur des Wiener Humanistenkreises aus dem späten 14. Jahrhundert entgegen. In einem religiösen Traktat Heinrich von Langensteins begegnen End- oder Späterstellung des finiten Verbs in über 90% der konjunktionalen Nebensätze und korrespondieren dabei nur zu einem Bruchteil mit der lateinischen Vorlage (vgl. Putzer 1979: 194).

Stellungsregularitäten im Deutschen und Lateinischen

37

berger Quellen des 14. bis 16. Jahrhunderts (fast) regelhaft in der deutschen Amts- und Geschäftssprache verwirklicht war. Die mit städtischen Ämtern betrauten Verfasser der Kanzleitexte waren zwar alle lateinkundig, aber ein direkter Einfluß des Lateinischen auf die Wortstellung kann nicht nachgewiesen werden. Hier scheinen andere Faktoren wirksam zu sein: Die größere Varianz der gesprochenen Sprache könnte im geschriebenen Deutsch von regelbewußten Autoren eingedämmt worden sein, so daß die dort häufig genutzte und auffällige Stellungsvariante der Verbendstellung in geschriebenen Texten zur Norm erhoben wurde. Die signifikante Wortstellung unterstützt die eindeutige Markierung des Nebensatzes, die im Frühneuhochdeutschen noch nicht in gleicher Weise durch eindeutige Konjunktionen gewährleistet war, und ermöglicht im Zuge der Ausbildung einer Lesesyntax eine dementsprechend schnellere Orientierung im Satz. 60 Übereinstimmung zwischen dem Befund bei Admoni und Ebert besteht vor allem darin, daß stilistische Faktoren einen bedeutenden Einfluß auf die Ausprägung der Rahmenstruktur haben. Dem unvollständigen Satzrahmen in Traktaten entsprechen bei Ebert die Vielzahl der Ausklammerungen in Reisebeschreibungen und Chroniken, in der Fachprosa und in Tagebüchern. 61 Die Autoren derartiger Schriften haben ebenso wie die städtischen Kanzlisten in den meisten Fällen ein Universitätsstudium absolviert und sind daher lateinkundig, ohne daß dieser Faktor die Bildung des vollständigen Satzrahmens begünstigt. Demnach scheint die Neigung zur Rahmenstruktur, die erst im 17. Jahrhundert mit absoluten Endstellungen im Haupt- und Nebensatz ihren Höhepunkt erreicht, in erster Linie durch die Kanzleiausbildung und den Umgang mit Kanzleidokumenten gefördert worden zu sein; gestützt wurde sie durch systemimmanente Entwicklungen in der gesprochenen Sprache, die die Tendenz zum Satzrahmen ebenso aufwiesen wie die zur Ausklammerung. Als Defizit bleibt jedoch bestehen, daß empirische Untersuchungen zu lateinischen Kanzleitexten fehlen und zur deutschen Übersetzungsliteratur in nicht genügendem Ausmaß vorliegen. Die älteren Untersu-

60

E b e r t ( 1 9 8 6 : 1 1 4 ) spricht von „statistischer H y p e r k o r r e k t i o n " , die sich von der A m t s s p r a c h e a u f die privaten Geschäftsbriefe ausdehnte (vgl. auch von Polenz 2 0 0 0 : 190f.).

61

Vgl. E b e r t ( 1 9 8 6 : 1 1 4 ) . Die Ausbildung des Satzrahmens im Hauptsatz schwankt zwischen den F a c h p r o s a t e x t e n mit häufiger Ausklammerung und einzelnen F l u g schriften s o g a r bis zu 3 0 % (S. 1 1 3 , A n m . 1).

38

Deutsch-lateinischer Sprachenkontakt

chungen zu Wyle und Steinhöwel geben Belege für den Einfluß der Übersetzungstechnik auf die Wortstellung: Während die sklavische Nachahmung der lateinischen Wortstellung bei Wyle in mehreren Fällen zur Endstellung des finiten Verbs im Hauptsatz führt, gilt die Wortstellung in der sinngemäßen Übersetzung Steinhöwels als völlig unbeeinflußt.62 Eine andere stilistisch bedingte Stellungsvariante, die Erststellung des finiten Verbs im Aussagesatz, könnte hingegen tatsächlich unter lateinischem Einfluß reaktiviert worden sein, nachdem sie im Althochdeutschen durchaus üblich war und erst wieder in Übersetzungstexten des 15. Jahrhunderts verstärkt nachweisbar ist. Später begegnet sie recht häufig auch in Texten ohne lateinische Vorlage. Die ursprüngliche Begrenzung der Spitzenstellung auf Verben des Sagens u.ä. wurde dabei zunehmend aufgegeben.63 Es sind also stilistisch motivierte Abweichungen von der sich allmählich herauskristallisierenden Grundfolge mit Verbzweitstellung im Haupt- und Verbendstellung im Nebensatz, die in frühneuhochdeutscher Zeit unter lateinischem Einfluß stehen. Dieser führt dazu, daß alte Serialisierungen - wie die Erststellung des finiten Verbs im Aussagesatz - wieder aufgegriffen werden und zwar so häufig, daß sie schließlich auch außerhalb der Übersetzungsliteratur in Gebrauch kamen.

2.3.2.2.2

Der Ausbau der Hypotaxe im Deutschen

Die prestigeträchtige, Stilvarianten fördernde Wirkung des Lateinischen läßt sich auch für den Ausbau komplexer Satzstrukturen nachweisen. Lange Zeit versuchte man den Unterschied lateinischer und deutscher Prosa an stereotypen Etiketten festzumachen, die erst allmählich diffe-

62

Zu Wyle vgl. Strauß (1912: 136), zu Steinhöwel vgl. Borwitz (1914: 6 3 - 6 7 ) . Auf die Endstellung des finiten Verbs im Hauptsatz trifft man bei lateinisch Gebildeten des 16. Jahrhunderts auch außerhalb der Übersetzungsliteratur. Die auffällige Stellungsvariante erlangte als Merkmal eines gehobenen Sprachstils oder als Stilmittel der bewußten Abweichung einen gewissen Prestigewert (vgl. Ebert 1986: 104f.).

63

Vgl. hierzu Behaghel (Bd. 4: 3 7 - 3 9 ) und Ebert (1986: 102) mit Beispielen bei Behaghel auch zum Gebrauch in der volksnahen Dichtung und im Volkslied (sah ein Knab' ein Röslein stehri) sowie in der gesprochenen Sprache bis heute (erzählt mir der die ganze Geschichte noch einmal).

Der Ausbau der Hypotaxe im Deutschen

39

renzierteren Bewertungen weichen. Als vollkommene Sprachkunst galt dabei die klassische lateinische Satzperiode, der des öfteren die Attribute Klarheit, Logik, Schärfe, Kürze und Straffheit, Deutlichkeit und Genauigkeit, Konzentration und Anschaulichkeit zugeschrieben wurden. Von diesen Attributen weicht nach Gumbel (1930) die sogenannte „primitive Struktur" als wesentliches Kennzeichen des deutschen Prosastils ab, die noch im 16. Jahrhundert nachweisbar ist: Sie trage wesentliche Merkmale der „gesprochenen, naiven Rede" (1930: 87) und sei durch Attribute wie Assoziation, konkrete Dinghaftigkeit, Statik, Unverschmolzenheit und dem Nebeneinander von Elementen im Raum geprägt, die zu Logisch-Systematischem und Kausalem als höherer Bewußtseinsstufe in Gegensatz stehen. 64 Aus heutiger Sicht ist die Abwertung der an der Mündlichkeit ausgerichteten und primär parataktisch orientierten Satzstruktur als .primitiv' oder ,defizitär' obsolet. Die zwei in Kontrast stehenden Strukturprinzipien werden spätestens seit Ong (1958) unter die Leitbegriffe Oralität und Literalität gestellt (vgl. P. 2.4.1). Dabei beurteilt man die Strukturen der alten, vorwiegend mittelhochdeutschen Prosa gegenüber der .logischen Struktur' des Lateinischen bzw. der späteren neuhochdeutschen Satzstrukturierung in nicht mehr abwertender Weise als different. Den Gesichtspunkt der Andersartigkeit mittelalterlicher Satzstrukturen rückt vor allem Betten in den Vordergrund: Die mittelalterliche Prosasyntax erscheint aus dieser Perspektive [d.h. der Andersartigkeit, M . H . ] nicht simpler, sondern nach anderem Stilwillen b z w . anderen strukturellen Ausdrucksmöglichkeiten (gesehen als R e f l e x v o n Kommunikationsbedürfnissen) gestaltet. (...) A n vielen Beispielen läßt sich zeigen, daß verschiedene Mittel Vergleichbares leisten oder aber Ausdruck ganz unterschiedlicher Mitteilungsbedürfnisse sind, die man als Widerspiegelung einer anderen Weltsicht, Psychologie o.a. deuten mag, aber a n g e m e s s e n e r w e i s e im Sinne einer D i f f e renz

und nicht eines D e f i z i t s

(...). (Betten: 1987: 163)

Die wichtigsten Kennzeichen der mittelalterlichen Prosasyntax sollen im Folgenden knapp skizziert werden, die für den Prosastil in der frühen Neuzeit als Phase des Umbruchs nicht zuletzt unter dem Vorzeichen des lateinischen Einflusses allmählich an Bedeutung verlieren:

64

Vgl. Gumbel (1930: 1 3 3 - 1 3 6 ) . Als zweite wesentliche Strömung sieht Gumbel in der Prosa des 16. Jahrhunderts die Tendenz der strukturellen Annäherung an das Lateinische, die auch Folge des Wandels des M e d i u m s sei. D e n n angesichts der zunehmenden Verschriftlichung des Lebens sei das Geschriebene auf „Klarheit und Übersicht über das Satzganze" a n g e w i e s e n , weil im Unterschied zur Rede die direkte Reaktion des Rezipienten fehlt (1930: 88).

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Derartige Strukturen sind durch eine spezifische Art der Satz- bzw. Textkohäsion charakterisiert. Es herrschen parataktische Reihungen vor; diese werden durch pronominale Mittel verknüpft, oder die Elemente stehen unverbunden nebeneinander. Kennzeichnend ist vor allem die „Sparsamkeit im Ausdruck" (Paul 1920: 313) mit Ellipsen von Partikeln oder mit apokoinu-artigen Konstruktionen. Es dominiert also die anaphorische und asyndetische Verknüpfung über die konjunktionale. Hinzu kommt, daß anaphorische von konjunktionalen Mitteln wegen der größeren Variabilität in der Wortstellung mittelhochdeutscher Satzstrukturen nicht immer scharf voneinander unterschieden werden können. Die strukturelle Ambiguität läßt sich zwar überwiegend bei den koordinierenden ,Satzanknüpfungen' feststellen (vgl. Wolf 1978: 34), aber auch bei subordinierender Verbindung sind die Grenzen zwischen Subjunktion und homonymem Adverb fließend (vgl. Betten 1987: 80f.). Beim Vergleich mittelhochdeutscher und neuhochdeutscher Satzkonnektoren fällt auf, daß der Wortbestand an Verknüpfungsmitteln mit stärkerer semantischer Profilierung im Neuhochdeutschen deutlich größer ist: Hiervon betroffen sind zum einen situative und logische Verhältnisse65 sowie zum anderen die Möglichkeit der Anknüpfung einer Einschränkung oder eines Widerspruchs (nhd. allerdings, jedoch) bzw. eines konzessiven Verhältnisses (nhd. immerhin), die im untersuchten mittelhochdeutschen Korpus nicht nachweisbar ist. Demgegenüber existieren im Mittelhochdeutschen Konnektoren, deren Funktion in der Ankündigung bestimmter Satz- bzw. Redetypen besteht wie etwa die des Erzählens bei do, da, nü und die des Heischens bei nü und sö (vgl. Wolf 1978: Ali.). Ein diesem Befund vergleichbares Ergebnis zeichnet sich auch für die spätmittelhochdeutsche Übersetzungsliteratur ab, wie eine Untersuchung von Bibelübersetzungen des 14. und 15. Jahrhunderts bestätigt

65

Betrachtet man nur die koordinierenden Satzkonnektoren, so ergeben sich z.B. deutliche Unterschiede bei der Kennzeichnung einer Begründung: mhd. (d.h. im Nibelungenlied belegt) want/wande gegenüber nhd. denn, nämlich, deshalb, deswegen, schließlich. Eine Folgerung wird mhd. durch darumbe und alsus realisiert, nhd. durch daher und so. Für einen Gegensatz steht mhd. oder (Alternative) und doch, jedoch, nhd. oder, sonst (Alternative) und aber, dagegen und dennoch. Konnektoren zur situativen Einordnung des nachfolgenden Satzes sind mhd. dan, dar nach, sit, da vor, noch sowie sus und nhd. da, nun, dann, danach, später, unterdessen, jetzt (vgl. Wolf 1978: 30-36).

Der Ausbau der Hypotaxe im Deutschen

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(vgl. hierzu Betten 1990c: 162). Dort bewahrt der deutsche Text gegenüber dem lateinischen Partikelbestand trotz großer Unterschiede im einzelnen eine weitgehende Eigenständigkeit: Sie zeigt sich vor allem in der drastischen Reduktion des lateinischen Bestandes, wobei bevorzugt die argumentativen Partikeln, wie etwa ergo, enim oder igitur, entweder unübersetzt bleiben oder mit der jeweiligen Leitpartikel des Textes (meist do, aber auch unde und abir) wiedergegeben werden. Auch bei großer Vorlagennähe werden die wenigen logischen Partikeln des Spätmittelhochdeutschen unabhängig von der Vorlage im deutschen Text neu verteilt. Die meisten mittelhochdeutschen Konnektoren sind polyfunktional - nü leitet z.B. einen erzählenden und einen auffordernden Satz ein und aus diesem Grund semantisch vage: Der wohl häufigste Konnektor und, dessen „ungeheure Vielfalt" als „Universalkonjunktion" zum Neuhochdeutschen hin auf die kopulative Funktion eingeschränkt ist (vgl. Rieck 1977: 181), wird noch im älteren Frühneuhochdeutschen sowohl als koordinierende wie auch als subordinierende Konjunktion verwendet zur Kennzeichnung von Gleichzeitigkeit, Nachzeitigkeit oder kausaler, konditionaler, konzessiver, adversativer etc. sowie relativischer und komparativischer Verhältnisse. Und bietet dem Rezipienten ein breites Spektrum möglicher Interpretationen, das nur durch Kontext und Weltwissen von Autor und Adressat eingeschränkt werden kann.66 Ein ebensolcher Spielraum besteht bei asyndetischen Verbindungen und apokoinu-artigen Konstruktionen, die wegen ihrer semantischen Undeterminiertheit und fehlenden Eindeutigkeit Klärungsversuche der Rezipienten notwendig machen. Eine differenzierte Beurteilung der mittelalterlichen Syntax ist erst dann möglich, wenn neben der Dichtung verstärkt Prosatexte unterschiedlicher Textsorten mit z.T. stark voneinander abweichenden Funktionalstilen untersucht sind. Textsortenunabhängig ist wohl die größere Unbestimmtheit im Bedeutungsspektrum der Verknüpfungsmittel, die recht häufig, wie etwa und, da oder wände, sowohl koordinierend wie auch subordinierend gebraucht sind und die Unterschiede zwischen

66

Vgl. hierzu auch Wolf (1978: 47). Einen Überblick über die Funktionen der Konjunktion im Frühneuhochdeutschen auf der Basis eines Quellenkorpus aus der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts (sieben Handschriften der Erbauungsschrift ,Die vierundzwanzig Alten' von Otto von Passau) bietet Rieck (1977: 175-181).

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Haupt- und Nebensatz bei noch nicht vollständig ausgeprägter Verbendstellung des Finitums im Nebensatz weniger deutlich hervortreten lassen. Im Vergleich mit dem Neuhochdeutschen sind zwar parataktische Strukturen gegenüber hypotaktischen dominant, aber Satzperioden treten durchaus nicht selten z.B. in Urkundentexten auf. Bei ihrer Untersuchung lateinisch-deutscher Parallelurkunden des 13. Jahrhunderts betont Ursula Schulze (1975: 194) grundsätzlich die Selbständigkeit der deutschen Syntax, da sich keine Abhängigkeit syntaktischer Erscheinungen vom Lateinischen zeige, stellt aber zugleich fest, daß von der syntaktischen Gestaltung lateinischer Paralleltexte und der lateinischen Beurkundungspraxis insofern Wirkungen ausgegangen sein können, als sie ansatzweise im Deutschen vorhandene Fügungsmöglichkeiten intensiviert und den Gebrauch bestimmter Formen gefördert haben, wie z.B. die Verwendung partizipialer Fügungsgruppen zur charakterisierenden Bestimmung einiger Größen (...) sowie der verschiedenartige Einsatz von ze + Infinitiv als Äquivalent für das lateinische Gerundiv. (Schulze 1975: 194)

Obwohl hypotaktische Strukturen in den untersuchten Urkunden überaus häufig sind, stellt Schulze eine größere Nähe zum parataktischen Satzbau der frühmittelhochdeutschen Dichtung fest als zur neuhochdeutschen Syntax. Als Grund sieht auch sie den „z.T. prälogischen Charakter", denn hinsichtlich „der logischen Durchbildung der formalen Satzverknüpfungen kommt erst das Nhd. dem Lateinischen gleich". Hierin und in weiteren Punkten stehe die neuhochdeutsche Syntax „dem Lateinischen sogar näher als der Vorstufe der eigenen Sprache" (1975: 196). Die prälogische Gestaltung der mittelhochdeutschen Urkundensprache zeigt sich in der Dominanz der inhaltlichen Komponente gegenüber der formalen, d.h. die logisch-semantische Struktur der Satzgefüge wird durch den Kontext verständlich und nicht durch formale Markierungen wie etwa Konjunktionen, die von sich aus Bedeutungsrelationen anzeigen könnten. Es überwiegen also Nebensätze ohne eindeutige semantische Spezifizierung, die entweder mit Relativpronomen oder der bedeutungsarmen Konjunktion daz - eine Art .universeller Nebensatzinitiale' - eingeleitet sind. Ein wesentlicher Unterschied der mittelhochdeutschen Satzperiode zur lateinischen und neuhochdeutschen zeigt sich auch in dem beinahe völligen Fehlen von Sperrstellungen: Die Nebensätze stehen direkt bei ihrem Bezugswort und unterbrechen wie Einschübe die übergeordneten Satzstrukturen und Spannungsbögen. In den seltenen Fällen, in denen Ausklammerung des Nebensatzes belegt ist,

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wird das Bezugswort noch einmal wiederholt. 67 Die vom neuhochdeutschen Usus vielfach abweichenden Stellungen bewirken eine Trennung zusammengehörender Satzteile, die der Geschlossenheit der Konstruktion ebenso hinderlich ist, wie die Tatsache, daß selbst bei relativ geschlossenen Sinneinheiten durch stetes Rückverweisen auf Vorangehendes eine größere Verwobenheit mit dem Kontext hergestellt wird. Eine derartige anaphorische Vernetzung kann schließlich auch dazu führen, daß Urkundenteile wie etwa die narratio aus einem einzigen großen Satz bestehen (vgl. Schulze 1975: 197f.). In seinen Untersuchungen zur Satzkomplexität in Texten der frühen Neuzeit bestätigte auch Admoni der Urkundensprache des 14. und 15. Jahrhunderts einen „außerordentlich verwickelten Periodenbau", der die hypotaktische Struktur in anderen zeitgenössischen Quellen bei weitem übertrifft (1967: 166). Besonders aufschlußreich ist sein Befund für das 16. Jahrhundert: Gegenüber den vorausgehenden Jahrhunderten stellt er generell keinen Anstieg der Hypotaxe, sondern vielmehr eine Vereinfachung des Satzgefüges fest. Für diesen Zeitraum gibt es bei Admoni keinen Text, in dem die Gesamtzahl der Nebensätze ersten Grades nicht mehr als die Hälfte aller Nebensätze ausmachte (1967: 167). Dennoch muß das Ergebnis differenziert werden, da zum einen nur Originaltexte untersucht wurden und zum anderen eine funktionalstilistische Abhängigkeit hinsichtlich der Neigung zu komplexeren Gefügen auffällig ist. Sie zeigt sich tendenziell in den Traktaten, Reisebeschreibungen und in der Kunstprosa größeren Umfangs, während in Texten, die der mündlichen Rede am nächsten stehen, wie etwa Schwänke, einfachere Strukturen bevorzugt werden, ebenso wie in Traktaten von Paracelsus oder vereinzelten Reisebeschreibungen, wofür Admoni individuell-stilistische Einstellungen der Verfasser verantwortlich macht (ebd.). Der außerordentliche Anstieg der Hypotaxe mit Unterordnungen bis zum zehnten Grad erfolgt nach Admoni erst im 17. Jahrhundert. Dort weisen alle untersuchten Texte mindestens Nebensätze dritten Grades

67

Das Vermeiden von Sperrstellungen in der mittelhochdeutschen Urkundensprache könnte allerdings auch als bewußte Maßnahme zur unmißverständlichen Kennzeichnung semantisch-syntaktischer Bezüge gewertet werden. Der im rechtlichen Sinn geforderten Eindeutigkeit der Aussage wird ein höherer Stellenwert eingeräumt als einem schnelleren, unmittelbaren Verstehen, dem eine besondere rhythmische Anordnung innerhalb der Periode Vorschub leisten würde.

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auf, und die Zahl der Nebensätze ersten Grades tritt in der Gesamtzahl deutlich zurück. Demgegenüber ist für das 18. Jahrhundert wiederum eher ein Rückgang in der Komplexität zu verzeichnen: Typisch sei nun ein Umkreisen des stark ausgebauten Hauptsatzes mit Nebensätzen, wobei die Nebensätze ersten Grades mehr als zwei Drittel aller untergeordneten Sätze ausmachen (1967: 168-170). Aus den Untersuchungen Admonis kann der Schluß gezogen werden, daß die Satzkomplexität in hohem Maß zeitgenössischen Strömungen, der Textsorte und dem individuellen Stil verpflichtet ist. Offen bleibt hingegen die Frage, inwieweit das Lateinische etwa in der Übersetzungsliteratur hypotaktische Strukturen des Deutschen nach Häufigkeit und Beschaffenheit beeinflußte. Die Untersuchungen auf diesem Gebiet sind spärlich und behandeln meist grundlegende Aspekte des syntaktischen Einflusses. Auch wenn vor allem die Eigenständigkeit der deutschen Syntax und eine fehlende Deckungsgleichheit mit dem lateinischen Satzbau für die Urkundensprache betont wurde, so ist dennoch mit großer Wahrscheinlichkeit die hohe Konzentration ausgeprägter Hypotaxen in lateinisch-deutschen Parallelurkunden zumindest indirekt der lateinischen Vorlage oder der am Lateinischen ausgerichteten Kanzleischulung verpflichtet. Diese Vermutung scheint sich auch für die Wiener Übersetzungsliteratur des späten 14. Jahrhunderts zu bestätigen: In der volkssprachigen Umsetzung einer scholastischen Erbauungsschrift fällt ebenfalls ein hoher Grad an syntaktisch-struktureller Eigenständigkeit bei gewahrter inhaltlicher Äquivalenz auf (vgl. Putzer 1979: 242). Die Übersetzung gilt als frei von Latinismen, da typische Strukturen des Lateinischen wie etwa Partizipialkonstruktionen, Ablativi absoluti, Gerundien etc. im Deutschen durch konjunktionale Nebensätze wiedergegeben sind. In dem von Putzer untersuchten Text entsprechen ca. 14% aller Nebensätze derartigen lateinischen Konstruktionen (1979: 195), wobei die Umstrukturierung der meist nominalen Komplexe in Prädikationen zumindest indirekt zu einem Ansteigen der Hypotaxe in der Übersetzungsliteratur fuhrt. Die syntaktische Transformation ist dabei von einem zweiten Prozeß, einem semantischen begleitet: Die Umsetzung einer nominalen Konstruktion wie die eines Ablativus absolutus erfordert eine semantische Interpretation, die im Lateinischen nur über den Kontext erfolgt, im Deutschen aber in der Regel durch Konjunktionalsätze „mit deutlich gekennzeichnetem satzsemantischem Bestimmungswert" geleistet wird (ebd.). Auf dem ersten Blick widerspricht dieses Ergebnis der üblichen Charakterisierung (spät)mittelhochdeut-

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scher Nebensätze, für die eine semantisch schwache konjunktionale Einleitung typisch ist. Die Konjunktionalsätze der Übersetzung weisen jedoch ein Charakteristikum auf, nämlich ein Korrelat im Hauptsatz, das im lateinischen Text in der Regel nicht vorhanden ist, im deutschen aber für eine zusätzliche semantische „Absicherung" sorgt: Bei den vorangestellten Nebensätzen folgt ein Korrelat fast immer an der Spitze des nachfolgenden Satzes, und bei nachgestellten geht es in erster Linie vor allem notwendigen Nebensätzen voraus.68 Der Förderung der Hypotaxe durch die volkssprachige Umsetzung lateinspezifischer Konstruktionen und der semantischen Präzisierung von Nebensätzen durch Korrelate steht ein Ersatz durch äquivalente Strukturen gegenüber, die in Konkurrenz zu Konjunktionalsätzen treten können: Am häufigsten nachweisbar sind hierbei parataktische Auflösungen, die es ermöglichen, Abhängigkeitsverhältnisse auszusparen, daneben Infinitive oder Abstrakta (Nomina actionis/qualitatis) mit Attributen und Relativsatzkonstruktionen. Die Verteilung von konjunktionalen Nebensätzen und ihren Ersatzstrukturen geschieht oft unabhängig von der lateinischen Vorlage und ist vielfach aus einer stilistischrhetorischen Wirkungsabsicht des Autors motiviert (vgl. Putzer 1979: 241f.). Der freie Gestaltungswille des Übersetzers, der sich im Ausspielen struktureller Variationsmöglichkeiten aus dem Streben nach Klarheit und Verdeutlichung heraus zeigt, erschwert die Feststellung von Abhängigkeiten fremdsprachiger Vorlagen. Trotz der Heterogenität in der Wiedergabe sind Einflüsse jedoch zum Teil beobachtbar, wenn etwa lateinische Strukturen bevorzugt mit bestimmten, der Volkssprache eigenen Strukturen wiedergegeben werden, die häufiger als sonst in Übersetzungstexten anzutreffen sind. Eine in Übersetzungstexten auffällige strukturelle Besonderheit, die vor allem in der böhmischen Kunstprosa eines Johann von Neumarkt oder des .Ackermanns' reichlich belegt ist, betrifft den Ausbau des Satzes nicht durch eine Steigerung der Hypotaxe, sondern durch um-

68

Vgl. Putzer (1979: 194f.). Bei kausalen Nebensätzen stellt Putzer folgende „satzsemantischen Signalpartikeln" fest, die bei Voranstellung des Kausalsatzes aus Konjunktion und Korrelat bestehen: seit (nv) so, seit (nv) darumb, seit (nv) dauon, wann dauon, wann so (aber auch vereinzelt dauon das (des) und darumb das), für die Nachstellung des Nebensatzes sind darumb wann, davon wann, darumb das, dauon das und denn wenn belegt. Daneben kommen auch einfaches wann und seit vor (vgl. Putzer 1979: 254).

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fangreichere Nebenordnung von Satzteilen oder Sätzen. Wenzlau (1906) ging in seiner Untersuchung lateinisch-deutscher Prosawerke der Frage nach, in welchem Ausmaß Mehrgliedrigkeit, d.h. parallele Strukturen in Teil- oder Ganzsätzen, nachweisbar sind, deren Wurzeln Wenzlau noch ausschließlich in der antiken Rhetorik verankert sah. Dabei stellt er für das 15. Jahrhundert die Neigung zur Zweigliedrigkeit fest; überboten wird sie durch häufige Dreigliedrigkeit im ,Ackermann', der die literarische Produktion der Folgezeit nachhaltig beeinflußte. Die humanistische Kunstprosa des 15. und frühen 16. Jahrhunderts spiegelt die zeitgenössische Kontroverse über die angemessene Übersetzungstechnik wider und oszilliert daher zwischen größeren Gestaltungsmöglichkeiten der Übersetzer und der strengen Imitation der lateinischen Vorlage. Die sklavische Nachahmung des Lateinischen, wie sie z.B. bei Niclas von Wyle begegnet, stellt dabei ein gewagtes Experiment dar, das in seiner radikalen Ausformung für die Folgezeit krasse Ausnahmeerscheinung blieb. In der Übersetzungsliteratur der frühen Humanisten machen sich die Unterschiede in der Vorlagengebundenheit besonders bei Auswahl und Gestaltung der Satzstrukturen bemerkbar: Die Syntax des Wort-fürWort-Übersetzers Wyle gilt als völlig unselbständig (vgl. Strauß 1912: 75), da dort dem Latein eigene Strukturen wie das Participium coniunctum oder der Accusativus cum Infinitivo im Deutschen nachgeahmt werden und nur der Ablativus absolutus vermieden ist (vgl. Strauß 1912: 23-42). Demgegenüber bevorzugt Heinrich Steinhöwel in seiner Sinn-für-Sinn-Übersetzung einen parataktischen Satzbau, der zwar viele Satzanakoluthe aufweist, aber in bewußtem Kontrast zur lateinischen Hypotaxe steht (vgl. Borvitz 1914: 70-73). Auffallend ist die stark ausgeprägte Vernetzung des Textes durch zahlreiche Partikeln und Konjunktionen. Diese syndetische Diktion ist nach Borwitz (1914: 87-91) der lateinischen Vorlage nachgebildet, wobei die Konjunktion wan die Funktion einer Leitpartikel übernimmt und vor allem lateinisch nam, enim, quia, quidem oder ergo wiedergibt. 69

69

Zu ähnlichen Ergebnissen wie Borvitz kommt auch Roloff ( 1 9 7 0 : 1 5 4 - 1 6 4 ) , der den 1456 fertiggestellten Prosaroman der Melusine des Thüring v o n Ringoltingen mit seiner französischen Vorlage verglich: Zum einen bestätigt er die primär parataktische Gefiigestruktur der frühen Romane. Z u m anderen erklärt er die B e v o r z u g u n g des Polysyndetons mit der bereits von D i c k h o f f (1906: 144) festgestellten Beobachtung, daß die .gehobene Prosa' des 15. und frühen 16. Jahr-

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Die Feststellung der Vereinfachung syntaktischer Strukturen und der Auflösung von Nebensätzen ist beinahe zu einem Stereotyp in der Beurteilung von Übersetzungsliteratur auch des 16. Jahrhunderts geworden: Kuhlmann (1986: 57) kommt bei ihrem Vergleich von lateinischer und deutscher Fassung der Reformationsdialoge Ulrich von Huttens zu dem Ergebnis, daß vielfach „lateinische Nebensätze im Deutschen aufgehoben werden und nur als Teil eines Hauptsatzes im Text erscheinen". Da sich Hutten in den als Streitschriften konzipierten Dialogen um besondere Expressivität bemühte, könnten funktionalstilistische Faktoren wie etwa der Wechsel des Adressatenkreises syntaktische Vereinfachungen beim Wechsel in die Volkssprache beeinflussen. Den gegenteiligen Fall, die regelmäßige Nachbildung der lateinischen Periode im Deutschen, bietet z.B. Luther, dessen Übersetzung des an den Papst gerichteten Begleitbriefs seines Freiheitstraktats die komplexe Syntax der lateinischen Vorlage bewahrt, so daß Stolt (1969b: 86) von einem für die deutsche Version nachteiligen „Schachtelstil" spricht. Dennoch handelt es sich hierbei nicht um eine wörtliche Übersetzung: Die spezifischen Konstruktionen des Lateinischen werden im Deutschen umstrukturiert, aber auch hier wird das Partizip z.B. oft übernommen und gelegentlich „undeutsch und schwerverständlich übersetzt" (1969b: 88). In der deutschen Fassung des Freiheitstraktats hingegen wechselt sklavische Übersetzung mit völlig freien, vereinfachten Partien. Die Anpassung an das veränderte Publikum führt dort - zumindest strekkenweise - zu einer stilistisch adäquateren Aufbereitung des lateinischen Vorbilds und bewirkt einen Wechsel in der Textfunktion, denn nach Stolt (1969b: 112) ist der lateinische Text „im Abhandlungsstil, der deutsche im Predigtstil abgefaßt". Dieser zeigt sich u.a. in einem Verzicht auf prägnante Kürze, in der Betonung affektischer Darstellung oder auch in der Wichtigkeit thematischer Wortwiederholung. Die Wahl der Satzorganisation hängt in hohem Maß von der Intention des Autors und seiner Adressatengebundenheit sowie der jeweiligen Textsorte ab. Wenngleich Nebensätze immer auch eine grammatische Möglichkeit des Deutschen waren und bereits im Althochdeutschen fast durchweg von Hauptsätzen unterschieden sind (vgl. Betten 1987: 138),

hunderte das „archaistische Asyndeton, eine markante syntaktische Erscheinung der Vulgärsprache," verschmäht.

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so zeigen sie doch dem Neuhochdeutschen gegenüber eine wesentliche Andersartigkeit, die hauptsächlich auf der mangelnden semantischen Differenzierung durch das Fehlen hinreichend distinktiver Konjunktionen beruht. Der schon im Mittelhochdeutschen reichlich belegten Hypotaxe in Parallelurkunden und übersetzter Erbauungsliteratur steht ein parataktisch orientierter Stil in zahlreichen frühen Prosaauflösungen entgegen, der durchaus auch als stilistischer Kunstgriff gedeutet werden kann. Denn daneben gibt es in der Romanliteratur recht früh Ansätze zu einer reicher entwickelten Syntax, die etwa wie der ,Prosa-Lancelot' aus dem 13. Jahrhundert spätere Prosafassungen des 15. Jahrhunderts übertreffen konnten. Die Entwicklung ist also keineswegs stringent und vom Bemühen der einzelnen Autoren abhängig, alte Konjunktionen neben neue zu stellen oder (Pronominal-)Adverbien als Korrelate für vorausgehende oder nachfolgende Nebensätze zur Bedeutungsdifferenzierung einzusetzen. Bei einem Vergleich der Vorkommenshäufigkeit von Nebensatzeinleitungen in Prosatexten des (Spät-)Mittelalters fällt neben der häufigen Verwendung von Relativsätzen die Konzentration auf wenige universell verwendbare Konjunktionen auf, wobei daß die erste Position einnimmt. Der zur Einleitung von Objekt-, Subjekt- und Adverbialsätzen wie Final- und Konsekutivsätzen verwendete Subjunktor dominiert auch in Prosaromanen des 15. Jahrhunderts, wie in der Melusine des Thüring von Ringoltingen, vor den Relativsätzen und mit deutlichem Abstand vor Temporal- und Kausalsätzen, während indirekte Fragesätze, Konditional- und vor allem Konzessivsätze kaum ins Gewicht fallen.70 Für das 16. Jahrhundert läßt sich in Luthers Adventspostille (1522) ebenfalls die Dominanz der daß-Sätze vor den Relativsätzen nachweisen, die beide zusammen deutlich mehr als die Hälfte aller Nebensätze ausmachen.71 In der Mischsprache seiner deutsch-lateinischen Tischreden übertreffen nach Stolt (1964: 207) daß-Sätze bei weitem die lateinischen, mit quod, ut und ne eingeleiteten Äquivalente vor allem bei Subjekt- und Objektsätzen. Bei Konsekutiv- und Finalsätzen steht ut wesentlich häufiger am Beginn eines Nebensatzes als daß\ viermal

70

R o l o f f ( 1 9 7 0 : 1 6 5 ) ermittelt dabei folgende Zahlenwerte: 4 8 3 Az/3-Sätze, 4 1 3 Relativsätze, 1 6 4 Temporalsätze, 1 4 8 Kausalsätze, 5 6 indirekte F r a g e s ä t z e , 4 2 Konditionalsätze und 7 Konzessivsätze.

71

Simon ( 1 9 6 9 : 3 9 ) ermittelte 5 6 3 Nebensätze, die mit einer Konjunktion oder einem A d v e r b eingeleitet wurden, wobei der Anteil der rfa/3-Sätze 2 6 4 beträgt, 2 3 9 mit einem Relativpronomen eingeleitete Sätze und 107 nicht eingeleitete Nebensätze.

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leitet daß - möglicherweise in Anlehnung an das lateinische quod explicativum - einen Kausalsatz ein. Besonders aufschlußreich ist vor allem die Beobachtung, daß Temporal- und Modalsätze ganz überwiegend lateinisch verfaßt sind, wobei die si-, nisi-, etiamsi- und quodsiSätze die größte Gruppe vor den quando- und cum-Sätzen ausmachen. Hinzu kommt, daß keine deutsche Konjunktion einen lateinischen Nebensatz, wohl aber lateinische Konjunktionen deutsche Nebensätze einleiten (vgl. Stolt 1964: 152f. und 210). Eine vorsichtige Interpretation dieses Sachverhalts läßt eine gewisse Ungeübtheit und Unsicherheit im Gebrauch der deutschen, semantisch undifferenzierter bleibenden Konjunktionen erkennen. Das temporalmodale Feld scheint über die lateinischen Satzeinleitungen, die in den meisten Fällen funktional klar bestimmbar sind, leichter zugänglich zu sein als über die volkssprachigen. 72 Im Folgenden sollen Bestand, Funktion und Entwicklung ausgewählter Konjunktionen der Volkssprache betrachtet und die mögliche Rolle des Lateinischen an ihrer funktionalen Differenzierung erwogen werden: - Den Anfang macht das temporal-modale Feld mit den mittelhochdeutschen Konjunktionen swanne, swenne und swie oder ob und so, für die ein hoher Grad an Vermischung von temporal-konditionaler, modaler und konzessiver Bedeutung charakteristisch ist.73 Die Übergänge bleiben auch in frühneuhochdeutscher Zeit fließend, wobei jedoch deutliche Anzeichen einer zunehmenden semantischen Profilierung zu beobachten sind: Die Markierung von Konditionalsätzen erfolgt in Luthers deutschsprachigen Traktaten vor allem durch wenn, so, wo und ob, wovon wenn beinahe doppelt so häufig nachweisbar ist wie konditionales so und wo. Ob hingegen ist bereits relativ selten in konditionaler Bedeutung belegt74, da die Konjunktion

72

73 74

Auch Stolt (1964: 210) stellt fest, „dass die Sprachen auf diesem Gebiet nicht gleichwertig sind: um einen Sachverhalt durch einen Temporal- oder Modalsatz zu modifizieren, griff man vorwiegend zur lateinischen Sprache." Vgl. Mittelhochdeutsche Grammatik (§§ 459-461 und 465). Große (1970: 89) zählte auf 550 Seitender Weimarer Ausgabe 196 wenn-Sätze, 98 so- und 91 wo-Sätze sowie 23mal ob, 13mal wan und 6mal sofern in konditionaler Bedeutung. Hinzu kommen Konditionalsätze ohne Konjunktion, die bei Luther noch sehr häufig sind. Auch und ist im Frühneuhochdeutschen noch als unterordnende Konjunktion in temporalem, konditional-konzessivem oder auch kausalem Sinn belegt (vgl. S. 33 und Rieck 1977: 180).

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in Verbindung mit modalen Partikeln wie wol, gleich, schon und vereinzelt auch doch und auch primär für die Einleitung von Konzessivsätzen verwendet wird.75 Während ob als konditionale Konjunktion zunehmend an Bedeutung verliert, avanciert wenn zum prototypischen konditionalen Subjunktor. Dabei bleibt der temporale Grundcharakter der Konjunktion - bis heute - erhalten. So und wo sind polysem, denn so dient nicht nur als konditional-temporaler Subjunktor, sondern folgt u.a. einem nicht eingeleiteten Konditionalsatz als Adverb erst im Hauptsatz76, und wo kann als relativisches oder interrogatives Adverb auch konzessiv oder verallgemeinernd gebraucht werden (vgl. Rieck 1977: 204). In der Gegenwartssprache gelten beide in konditionaler Bedeutung als veraltet, während bei so die vergleichende sowie bei wo die lokale dominiert und zum Bestand der Konditionalkonjunktionen neben wenn und sofern nun scach falls, soweit und in dem Fall, daß gehören. Hieraus wird deutlich, daß der konditionale Bereich auch im 16. Jahrhundert zwar noch zweifellos von der Polysemie der Nebensatzeinleitungen geprägt ist, andererseits aber eine zunehmende Konturierung zum einen durch Bedeutungsverschiebung und zum anderen durch Frequenzsteigerung bestimmter Konjunktionen erfährt. - Die im Mittelhochdeutschen polyfunktional gebrauchten Konjunktionen daß und wan werden im Frühneuhochdeutschen zunehmend semantisch .aufgefächert', wobei das lateinische Konjunktionalsystem zumindest indirekt die allmähliche semantische Profilierung stützen und begünstigen konnte. Wechselt ob durch präzisierende Zusätze

75

Eine Auswertung von 261 Konzessivsätzen ergab, daß die meisten mit wie-wol (29,5%) vor ob-gleich (18,8%), ob-wol (13,6%) und wenn-gleich (11,9%) sowie vereinzelt mit ob-auch, ob-schon, ob-doch, wenn-auch, wenn-schon, wenn-dennoch, wenn-wol und wo-gleich eingeleitet sind (vgl. Große 1970: 90). Auffallend sind die strukturellen Parallelen zwischen lateinischen und deutschen Konjunktionen im morphologischen Bau, wobei nur die Reihenfolge der Glieder vertauscht ist: lat. etiam-si, et-si und dt. ob-auch, wenn-auch; lat. tamet-si und dt. ob-doch, wenn-dennoch.

76

So hat in den meisten Fällen nur die syntaktische Funktion, formal eine Verbindung zwischen Nebensatz und Hauptsatz herzustellen. Gerade bei nichteingeleiteten Konditionalsätzen trennt es Haupt- und Nebensatz voneinander, die sonst wegen der Formgleichheit nicht zu unterscheiden wären. So markiert dabei die Satzgrenze, deren Kennzeichnung später von einer geregelten Interpunktion übernommen wird (vgl. Rieck 1977: 163 und 165). Vgl. ferner den Überblick über das Bedeutungsspektrum von so bei Rieck (1977: 162-172).

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vom konditionalen in den konzessiven Bereich, so kann bloßes daß auf längere Sicht ohne adverbiale Präzisierung keine final-kausale, temporale oder konsekutive Funktion mehr erfüllen: Dabei stehen in frühneuhochdeutscher Zeit die semantisch unspezifische Nebensatzuniversale daß und die formal komplexeren Formen auf daß (und damit) in finalem, bis daß in temporalem, darum daß in final-kausalem und so daß in konsekutivem Sinn noch häufig nebeneinander77, bevor die allmählich obligatorisch werdende formale Markierung den Interpretationsspielraum der Konjunktion einengte. - Die Konjunktion wande/wan, die koordinierend wie subordinierend gebraucht wurde, deckte bis in die erste Hälfte des 15. Jahrhunderts den kausalen Bereich ab. In relativ kurzer Zeit ging die kausale Funktion an denn/dann und dieweil/weil verloren, die nun im Unterschied zur mittelhochdeutschen Konjunktion eine klare Trennung zwischen koordinierender (bei denn/dann) und subordinierender Funktion (bei dieweil/weil) und damit eine klare Differenzierung von parataktischer und hypotaktischer Satzstruktur erlauben.78 Danne/ dann konkurrierte bereits im Mittelhochdeutschen als Vergleichspartikel mit exzipierendem wan bei der komparativischen Negation79, die die Grundlage für die Übertragung auf den kausalen Bereich bot. - Die aus dem adverbialen Akkusativ die wtle (daz) entstandene Konjunktion weil leitete ursprünglich ausschließlich Temporalsätze ein. Grundsätzlich ist der Weg von einer zeitlichen Relation zweier Handlungen zu ihrer kausalen Interpretation nicht weit: Bereits im Mittelhochdeutschen gab es temporale Konjunktionen wie sit und nu, die auch kausale Bedeutung hatten, so daß schließlich auch weil im 15. und 16. Jahrhundert sowohl temporal wie auch kausal gebraucht

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Vgl. Rieck (1977: passim) und Frühneuhochdeutsche Grammatik (§§ S 2 8 4 - 3 0 3 ) . Vereinzelte Belege dieser Entwicklung lassen sich bis ins Mittelhochdeutsche verfolgen (vgl. Mittelhochdeutsche Grammatik: § 466, 2). Die Aufgabe von wande/wan ist bei Nicolaus von Wyle - im Unterschied zu Steinhöwel - bereits vollzogen. Wyle bevorzugt in 98% aller Fälle denn im Hauptsatz, während im Nebensatz diewile zu 45,5 %, denn zu 27,25 % und do.ru.nib das oder das zu 20% gebraucht werden. Zählt man nur die vorangestellten kausalen Nebensätze, so erreicht diewile einen Prozentsatz von 75% (vgl. hierzu Huldi 1957: 84 und Arndt 1959). Im Mittelhochdeutschen standen z.B. nichts mer wan und nichts mer dann nebeneinander; vgl. Arndt (1959: 393) und Mittelhochdeutsche Grammatik (§ 396, Anm. 1).

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wurde.80 Dabei ging das Bedeutungsspektrum der Konjunktion zeitweise mit der polyfunktionalen lateinischen Konjunktion cum konform, denn über die temporale Grundbedeutung ,so lange' und j ä h rend' hinaus ist weil auch in den temporalen Funktionen ,als', ,seit' und .nachdem' belegt und darüber hinaus in adversativer (.während'), konzessiver (.obwohl') und konditional-temporaler (Neben-) Bedeutung (.wenn'). 81 Obwohl die Entwicklung von der temporalen zur kausalen Konjunktion, die schon in der Mitte des 16. Jahrhunderts abgeschlossen ist, als eigensprachliche Systemveränderungen interpretiert werden kann, wird weil in seiner Bedeutungsentwicklung durch die lateinische Konjunktion cum gestützt, deren Polyfunktionalität es kurzzeitig innehatte.82 Differenzierung und Ausbau des Konjunktionensystems fuhren dazu, daß neben den situativen Konnektoren vor allem auch Konnektoren zur Kennzeichnung logischer (d.h. kausaler, finaler oder konzessiver) Bezüge zur Verfügung stehen, die eine hinreichend eindeutige Markierung gewährleisten. Die BedeutungsVerschiebungen, die den situativen und logischen Bereich gleichermaßen betreffen, lassen vorübergehend Polysemien entstehen, woraus sich vielfach - wie bei weil - eine prototypische Gebrauchsweise herauskristallisiert. Dabei können nicht nur vereinzelt Analogien zu lateinischen Konjunktionen aufgezeigt werden, es wurden vielmehr eigensprachliche Entwicklungen durch den großen Bestand an distinktiven logischen Signalen im Lateinischen - zumindest indirekt - gestützt und gefördert.

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Vgl. Mittelhochdeutsche Grammatik (§ 459, 10 und 11 sowie § 462, 1 und 2) und Arndt (1959: 397-400). Vgl. hierzu Arndt (1959: 397-400) und Rieck (1977: 124-126). In den wenigen Belegen bei Rieck ist die wile in temporaler Bedeutung (,so lange' und .während'), vereinzelt aber auch mit konditionaler, adversativer und konzessiver Nebenbedeutung belegt (vgl. ferner Frühneuhochdeutsche Grammatik §§ S 292, 6; S 298, 5; S 316). Nach Tschirch (1966: 71) stehen bei Luther temporales und kausales weil nebeneinander. Eine parallele Entwicklung zeigt sich für die französische Konjunktion comme, die erst seit der Renaissance kausale Funktion hat (vgl. Blatt 1957: 139).

Infinitiv- und Partizipialkonstruktionen des Deutschen

2.3.2.2.3

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Infinitiv- und Partizipialkonstruktionen des Deutschen

Die lateinischen Nominalformen des Verbs wie der Accusativus cum Infinitivo (A.c.I.), das Gerundivum oder das Partizip haben Vorkommenshäufigkeit und Ausbau (teil)äquivalenter deutscher Strukturen beeinflußt. A.c.I.-Konstruktionen sind den germanischen Sprachen, wie dem Altnordischen oder Altenglischen, nicht fremd. Für das Althochdeutsche ist eine dem lateinischen A.c.I. nah verwandte Konstruktion bezeugt, und zwar der Infinitiv mit Akkusativ nach den Verben der sinnlichen Wahrnehmung wie sehen, hören, fühlen sowie nach heißen .befehlen', finden, bitten oder lassen u.a., deren Akkusativobjekt dem übergeordneten transitiven Verb zugeordnet werden kann (z.B. ich höre sielsingen). Erst eine Gliederungsverschiebung analog zu den lateinischen Konstruktionen ermöglicht eine Interpretation als A.c.I., indem das Akkusativobjekt nun als logisches Subjekt zum Verb im Infinitiv interpretiert wurde (z.B. ich höre/sie singen). Derartige Uradeutungen ebnen A.c.I.-Konstruktionen den Weg, die aber, sofern sie über den kleinen Kreis der Kausativa oder Verben der Sinneswahrnehmung hinausgehen, Transferenzerscheinungen im Deutschen blieben. In den lateinisch-deutschen Parallelurkunden des 13. Jahrhunderts bestand zunächst die Tendenz, lateinische A.c.I.-Konstruktionen im Deutschen mit daz-Sätzen wiederzugeben (vgl. Schulze 1975: 181— 186). Seit dem 15. Jahrhundert ist ein Anstieg lehnübersetzter A.c.I.Konstruktionen auch nach Verben des Sagens und Meinens in der Übersetzungsliteratur bemerkbar. Derartige Nachahmungen lateinischer Muster gehen vor allem dann nicht mit der Satzbauweise des Deutschen konform, wenn zum einen Subjektidentität zwischen finitem und infintem Verb besteht oder zum anderen der A.c.I. bei subjektlosen Verben nachgeahmt wird.83 Neben den Übersetzungsverfahren der Auflösung in einen Nebensatz und der wortgetreuen Nachbildung des lateinischen Vorbilds kommt

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Für Wyle stellt Strauß (1912: 42) z.B. fest, daß die Nachahmung lateinischer A.c.I.-Konstruktionen ohne Beschränkung neben der Partizipialkonstruktion „das am meisten in die Augen stechende Merkmal Wylescher Diktion" ist. A.c.I. nach subjektlosem Verb bei Wyle: desshalben aber not gewesen ist: mich in disen Translatzen bei dem Latein bliben sein (vgl. Frühneuhochdeutsche Grammatik: § S 195).

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Deutsch-lateinischer Sprachenkontakt

dort, wo dies möglich ist, in größerem Umfang die Wiedergabe mit einer Infinitivkonstruktion mit zu in der Funktion eines Objektsatzes auf.84 Die um 1390 entstandene Erbauungsschrift des Heinrich von Langenstein weist im Bereich der Inhaltssätze daz-Sä.tze und Infinitive noch im Verhältnis 4 : 1 auf, und die lateinischen Infinitive werden häufiger mit einem daz-Satz als mit einer Infinitivkonstruktion wiedergegeben.85 Für die Zunahme der Infinitive fehlen vergleichende Untersuchungen über einen längeren Zeitraum; deshalb ist eine kleine Studie zu den Bibelübersetzungen vom 14. bis 16. Jahrhundert anhand ausgewählter Verben besonders aufschlußreich (Zatocil 1959): Dort zeigt sich z.B., daß bei der Verdeutschung von iubere -I- A.c.I. im ältesten Text, einer Ostdeutschen Apostelgeschichte des 14. Jahrhunderts, die Übersetzung mit einem daz-Satz {gebieten, daz) überwiegt, während bei Mentel (1461) und Luther (1522) Infinitivkonstruktionen bereits dominieren: gebieten + Infinitiv (mit 10 Belegen bei Mentel) und heißen + Infinitiv (mit 16 Belegen bei Luther und 7 bei Mentel). Hingegen ist die unpersönliche Konstruktion oportet + A.c.I. nur ein einziges Mal mit geziemen, daß (in der Mentelbibel 1461) wiedergegeben, während sonst Infinitivkonstruktionen mit müssen, sollen und geziemen vorherrschen (vgl. Zatocil 1959: 82f.). Die Übersetzung des prädikativen und adnominalen Gerundivs des Lateinischen mit ze/zu + Infinitiv begegnet bereits regelhaft in den lateinisch-deutschen Parallelurkunden des 13. Jahrhunderts.86 Auch der

84

Der weitgehende Verzicht auf Infinitivkonstruktionen in den Parallelurkunden des 13. Jahrhunderts könnte eine textsortenspezifische Ursache haben: Es sollte die mit Infinitivkonstruktionen einhergehende „mehr oder weniger konsequente Ausschaltung expliziter und sinngemäßer Personalbezüge bei Verbalvorgängen und -zuständen" vermieden werden (Schulze 1975: 186). Demgegenüber stellt Strauß (1912: 4 2 - 4 9 ) für Wyle - über zahlreiche Nachahmungen lateinischer Konstruktionen, aber auch Auflösungen mit daß-Satz hinaus - eine häufigere Übersetzung von A.c.I.-Konstruktionen mit dem Infinity auf ze besonders nach Impersonalien fest.

85

Dort stehen 78 Infinitive 307 daz-Sätzen und 4 6 konjunktionslosen Nebensätzen gegenüber. Dabei werden lateinische Infinitivkonstruktionen 57mal mit Nebensatz und 44mal mit Infinitiv wiedergegeben (vgl. Putzer 1979: 246). Der Ersatz für das adnominale Gerundiv konnte erst in das Vorfeld treten, als die Möglichkeit zur adjektivischen Flexion vorhanden war: vgl. z.B. domus aedificanda = ein Haus zu bauen (Auflösung mit ,zu + Infinitiv') oder ein zu bauendes Haus (Auflösung mit ,zu + -end...'); vgl. hierzu Schulze (1975: 1 6 9 - 1 7 1 ) . Das vorangestellte Verbaladjektiv ist nach Dal (1966: 110) erst zu Beginn des 17. Jahrhunderts in der Kanzleisprache entstanden.

86

Infinitiv- und Partizipialkonstruktionen des Deutschen

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präpositionale Infinitiv, der bis zum 16. Jahrhundert nur sporadisch mit um in finaler Bedeutung, später auch häufiger mit anstatt oder ohne gebildet wurde, könnte von lateinischen mit Präposition eingeleiteten Gerundivkonstruktionen gestützt worden sein (vgl. Ebert 1978: 30-32). Derartigen präpositionalen Infinitiven gingen im Deutschen zunächst Belege voraus, die um als Präposition mit Kasusrektion im Akkusativ zum übergeordneten Verb erscheinen lassen, wie etwa bei bitten um im Satz er bat in umb pfärd ze mieten (Steinhöwel). Erst in Kontexten, deren übergeordnetes Verb kein präpositionales Objekt mit um erlaubt, hat eine Gliederungsverschiebung stattgefunden: Denn im Satz er kam, um seine Pferde zu holen kann um (zu) nur noch als präpositionaler Infinitiv in finaler Bedeutung interpretiert werden (vgl. hierzu auch Dal 1966: 111). Der Einfluß lateinischer Partizipialkonstruktionen auf das Deutsche wird im Folgenden anhand des erweiterten Partizipialattributs dargestellt.87 Im Lateinischen behielt das Partizip auch in attributivischer Verwendung seine verbale Rektion und konnte sowohl die verbspezifischen Ergänzungen wie auch adverbiale Angaben bei sich haben. Es stand dabei meist im Nachfeld seines Bezugswortes und bildete mit dem Nukleus der Nominalphrase unter Einschluß der Erweiterungen einen Rahmen.88 Für das Altnordische und Altenglische sind wie bei Nomina agentis nur Genitive beim Partizip Präsens belegt (vgl. Dal 1966: 113f.), im Althochdeutschen zeigt sich vor allem bei Notker eine eingeschränkte eigensprachliche Produktivität des (meist um Adverbien oder Präpositionalgefüge) erweiterten Partizipialattributs auch ohne direkte lateini-

87

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Zum besonderen Interesse der Autoren frühneuzeitlicher Stillehren am (erweiterten) Partizipialattribut vgl. P. 2.3.1. Der Wiedergabe mit einem erweiterten Partizipialattribut im Deutschen entsprechen im Lateinischen ein attributives Partizip oder ein Participium coniunctum (häufig zur Bezeichnung eines Zustands). Das erweiterte lateinische Participium coniunctum im Satz Frater adfornacem sedens litteram scribit kann im Deutschen mit erweitertem Partizipialattribut (Der am Ofen sitzende Bruder schreibt einen Brief), mit unflektierter Partizipialapposition (Am Ofen sitzend schreibt mein Bruder einen Brief) oder mit Nebensatz (Während mein Bruder am Ofen sitzt, schreibt er einen Brief) wiedergegeben werden. Absolute Konstruktionen wie der Ablativus absolutus werden im Deutschen mit einem Nebensatz oder einer Präpositionalphrase übersetzt: z.B. Tarquinio regnante Pythagoras in Italiam venit-, dt.: Als Tarquinius König war, (während der Herrschaft des Tarquinius) kam Pythagoras nach Italien.

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Deutsch-lateinischer Sprachenkontakt

sehe Vorlagenabhängigkeit (vgl. Weber 1971: 78f.). Die höfische Dichtung des 12. und 13. Jahrhunderts, die hauptsächlich Erweiterungen mit vil, so und wol aufwies, fiel wieder hinter dem Stand bei Notker zurück. Ab dem 15. Jahrhundert sind dann stereotype Verwendungen erweiterter Attribute recht häufig in der Kanzleisprache belegt.89 Besteht die Erweiterung einmal aus einem nominalen Glied, so kann dies meist als Kompositionsglied des Partizips aufgefaßt werden, das in der Sprache der Mystik häufiger mit dem Partizip verschmolzen ist (z.B. mit minneweinenden ogen\ vgl. hierzu Weber 1971: 87-89). Bis zur zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts bleiben allerdings Partizipialattribute, die nominale Ergänzungen bei sich haben und keine Komposita bilden, aus. Belege für erweiterte Partizipialappositionen fand Weber (1971: 103-107) in der zumindest mittelbar vom Lateinischen beeinflußten Sachprosa Huttens, Luthers und Melanchthons.90 Für erweiterte Partizipialattribute ist erst ab 1550 ein Anstieg vor allem in der Kanzleisprache zu verzeichnen, der für die erzählende Prosa weitaus weniger deutlich ausfällt. Der Anteil der nominalen Erweiterung steigt auf nahezu 50%, wobei vor allem Präpositionalphrasen bevorzugt werden.91 Es bleibt zu fragen, wieso erst relativ spät ein eigenständiger Gebrauch von erweiterten Partizipialattributen im Deutschen einsetzte. Weber (1971: 148) macht für die Produktivität im Deutschen seit der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts eine Änderung der Stellungsregeln im Humanistenlatein verantwortlich. Denn infolge der Rezeption des

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Vgl. Weber (1971: 8 2 - 8 7 und 92). Zur Urkundensprache des 13. Jahrhunderts vgl. Schulze (1975: 135-158). Zuvor gibt es vor allem in den Wort-für-Wort-Übersetzungen Niclas von Wyles (2. Hälfte des 15. Jahrhunderts) zahlreiche Partizipien in appositioneller Verwendung, die gerade bei Erweiterungen ihrem Bezugswort nachgestellt sind, z.B. Eurialus...percussus = eur. mit dem bogen der minne getroffen. Hat die lateinische Vorlage attributive Partizipien, so werden sie bei Wyle oft in Appositionen aufgelöst und nachgestellt (vgl. Strauß 1912: 2 3 - 3 5 ) . Umfang und Frequenz des erweiterten Partizipialattributs stehen allerdings zunächst noch weit hinter dem Befund des 17. Jahrhunderts zurück: Beträgt anfangs der durchschnittliche Umfang der Erweiterung 1,84 Wörter, so beläuft er sich im 17. Jahrhundert auf 2,95 Wörter; und finden sich auf circa 5 Druckseiten zunächst knapp 2 Belege (erweiterter Partizip- oder Adjektivattribute), so wächst der Anteil im 17. Jahrhundert auf 9,4 Belege (vgl. Weber 1971: 125). Für das 16. Jahrhundert ist als Attributkern das Partizip Präteritum (mit 71 Belegen auf ca. 400 Druckseiten) geringfügig häufiger als das Adjektiv (mit 65 Belegen) belegt, für das Partizip Präsens zählt Weber 17 Belege (1971: 214).

Latein versus Deutsch: schriftliche versus mündliche Varietät?

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römischen Rechts ging man zu einer Voranstellung der erweiterten Attribute über, die einer direkten Übertragung ins Deutsche entgegenkam, zumal sich in dieser Zeit die zentripetale Wortstellung (das abhängige Glied geht dem übergeordneten voraus) auch in der Endstellung des finiten Verbs im Nebensatz erkennbar abzeichnete. Wurde in den mittelalterlichen Parallelurkunden zur Wiedergabe erweiterter Partizipialattribute noch weitgehend der Relativsatz verwendet (vgl. Schulze 1975: 136), so bringt nun die getreue Nachahmung partizipialer Konstruktionen im Deutschen eine Verdichtung und formale Verkürzung der Aussage innerhalb der Nominalphrase und hilft komplexe Strukturen übersichtlich zu gestalten. Der lateinische Einfluß erleichterte und beschleunigte dabei nach Admoni (1964: 324) „die Schaffung und Verbreitung dieser Formen im Deutschen, aber die Fähigkeit zu ihrer Schaffung war im Deutschen schon früher da".

2.4

Latein versus Deutsch: schriftliche versus mündliche Varietät?

Hinsichtlich ihrer domänenspezifischen Verteilung (vgl. Tab. 1, Punkt d) wird für die mittelalterliche Epoche die lateinische Sprache der schriftlichen Varietät und die Volkssprache der mündlichen Varietät zugewiesen. In der Sprachwirklichkeit sind derartige klare Konturen verwischt, und es finden sich allerorts Beispiele für die mündliche Verwendung des Lateinischen und für den schriftlichen Gebrauch der Volkssprache, da funktionale und adressatenspezifische Gesichtspunkte den Ausschlag für die Wahl der jeweiligen Sprache geben. Wie sehr die Beherrschung der Schriftlichkeit allerdings mit dem Lateinischen verbunden war, zeigt der Lese- und Schreibunterricht in und mit der lateinischen Sprache, auch wenn die literale Bedeutung der Muttersprache bereits deutlich vor der Etablierung der sogenannten Deutschen Schulen des 15. Jahrhunderts und ihrer programmatischen Hinwendung zur Volkssprache zunahm (vgl. Henkel/Palmer 1992b: 10). Vor diesem Hintergrund bleibt die Tatsache unbestritten, daß das geschriebene Deutsch vergleichsweise jung ist gegenüber der jahrtausendalten lateinischen Schriftkultur. Hinzu kommt, daß die volkssprachige Überlieferung in bestimmten Sparten nur zögerlich einsetzt. Sie steht zahlenmäßig zunächst hinter dem lateinischen Schrifttum weit

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Deutsch-lateinischer Sprachenkontakt

zurück oder ist zum Teil durch längere Überlieferungslücken gekennzeichnet.

2.4.1

Volkssprachige Erzähltexte zwischen elaborierter Mündlichkeit und Schriftlichkeit

Daß die sich entwickelnde volkssprachige Schriftlichkeit durch die gesprochene Sprache beeinflußt ist, ist naheliegend: So könnte die vor allem in mittelhochdeutschen Erzähltexten in besonderem Ausmaß feststellbare Andersartigkeit zum Neuhochdeutschen im Satzbau und bei der Satz- und Textverknüpfung als „Reflex" der gesprochenen Sprache gewertet werden.92 Die Differenz interpretiert Betten dabei nicht als „strukturellen Zwang", sondern als „stilistische Alternative", die vor allem in der durch Tradition und bestimmte Rezeptionsbedingungen (wie z.B. das Vorlesen) gesteuerten Informations Vermittlung bei narrativen Texten begründet ist.93 Da schriftlich verfaßte Texte aber immer auch stilistisch ausgestaltet sind, präzisiert sie den facettenreichen Begriff .Mündlichkeit' und spricht mit Koch/Oesterreicher (1985: 31) von „Spuren distanzsprachlicher, elaborierter Mündlichkeit" (1995: 261).

Hinter der Konzeption der ,elaborierten Mündlichkeit' steht die Auffassung, daß die Pole der Äußerungsformen nicht medial (mündlich versus schriftlich), sondern konzeptionell mit den Begriffen ,Nähe' und .Distanz' beschreibbar sind (vgl. Koch/Oesterreicher 1985: 29). Dies führt dazu, daß sowohl das mündliche wie auch das schriftliche Medium Merkmale der Nähe- und Distanzsprache aufweisen können. Die „Sprache der Nähe" wird dabei durch Attribute charakterisiert, die aus der besonderen Kommunikationssituation der /ace-to-/ace-Interaktion erwachsen und demnach u.a. durch Kennzeichen wie Vertrautheit der Partner, durch freie Themenentwicklung und Situations verschränkung ausgewiesen sind. Diesem Katalog stehen als Merkmale der „Sprache der Distanz" die Fremdheit der Partner, die raumzeitliche Trennung, die Themenfixierung, die Situationsentbindung und eine gewisse .Objektivität' im Unterschied zur Spontaneität, Expressivität und Affektivi-

92

Vgl. hierzu P. 2 . 3 . 2 . 2 . 2 und Betten (1990b und 1995).

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Vgl. Betten (1995: 262). Von den mittelhochdeutschen Prosatexten mit „Parallelen im Mündlichen" nimmt die Autorin die Urkunden explizit aus (ebd.).

Volkssprachige Erzähltexte

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tät der Nähesprache gegenüber. Zur kommunikativen Nähe gehört der Dialog, zur Distanz der Monolog. Aus den unterschiedlichen Kommunikationsbedingungen leiten sich Versprachlichungsstrategien ab, die für die Nähesprache durch eine geringere Informationsdichte, Kompaktheit, Integration, Komplexität, Elaboriertheit und Planung sowie durch Prozeßhaftigkeit und Vorläufigkeit gekennzeichnet sind, während bei kommunikativer Distanz den Faktoren ,Verdinglichung' und .Endgültigkeit' Rechnung getragen wird (vgl. hierzu Koch/Oesterreicher 1985: 23).

Die im Mittelalter gängige Praxis des Lautlesens, das meist auch ein Vorlesen war, verstärkt den Eindruck einer Dialogsituation, und zahlreiche Besonderheiten der mittelhochdeutschen Prosasyntax entsprechen einzelnen Parametern der Nähesprache, auch wenn ein allzu pauschales Urteil wegen der großen Spannweite mittelalterlicher Schriftlichkeit nicht gefällt werden kann. Der späteren Abgeschlossenheit der Satzperiode gehen durchaus umfangreiche, aber locker strukturierte Satzfügungen mit parataktischen Reihungen voraus, die Satzgrenzen bei fehlender, sporadisch gesetzter und Sprechpausen signalisierender Interpunktion nicht immer klar erkennen lassen. 94 Hinzu kommen Satzkonnektoren, die eine Unterscheidung von Haupt- und Nebensatz nicht in jedem Fall gewährleisten und in semantischer Hinsicht sachliche oder logische Zusammenhänge oft nicht genügend explizit machen. Anaphorische und asyndetische Verknüpfungen und Satzanakoluthe führen zu inhaltlichen Ambiguitäten, die nur durch das Wissen der Rezipienten entschlüsselt werden können. Die oft kaum gestrafften Darstellungen sind insofern weniger ökonomisch, als auf verkürzende Formulierungen noch weitgehend verzichtet wird: Sie treten später zum einen im Vermeiden von Wiederholungen oder andererseits im Gebrauch von Verbalabstrakta, infiniter Strukturen (Infinitiv- oder Partizipialkonstruktionen) oder erweiterter Partizipial-

94

Als Beispiel einer lockeren Struktur führt Betten (1990b: 330) die von ihr segmentierte Satzfügung aus dem Prosa-Lancelot (Ed. Kluge, I: 107ff.) an: Ich han mich also beraten das ich uch dißen thorn wil offgeben, ich und myn gesellen, // wann mich dunket das ich yn dheyme frümern man noch dheynem beßern mocht offgeben, und solt uns mit uch behalten Hund mußet ir uch des underwinden, und mußent uns des sicher thun das ir uns solt helffen wiedder alle man und solt uns helffen des rechten gegen allen lüten, / / off solch Vorworte, ο b dheyn man uff uns clage, w i r haben im unrecht gethan, w i r wollen des vor uch zu recht stan, und han wir off dheynen der uwern icht zu sprechen, das ir uns da von riechtet.

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Deutsch-lateinischer S p r a c h e n k o n t a k t

attribute auf, die übereinstimmend zur Einsparung von Nebensätzen beitragen und ganz besonders unter lateinischem Einfluß ausgebaut oder gefördert wurden. 95 Die kumulativ-lineare Strategie der Informationshäufung wird dabei zusehends durch integrative Verfahren, die sich in der Zunahme an nominalen Konstruktionen, Attribuierungen und gestaffelten Satzgefügen zeigt, ersetzt. Hier ist eine zunehmende Ausrichtung des Textes auf eine Lesesyntax spürbar, die mit dem Übergang zur stillen Lektüre eingeleitet wird und sich - neben vielem anderen mehr - vor allem auch in einer konsequenteren Verwendung der Interpunktion zur Verständnissicherung äußert. Der in mittelhochdeutschen Satz- und Textstrukturen feststellbare Mangel an Kompaktheit und Informationsdichte geht einher mit einer sich von späteren Erzähltexten unterscheidenden Lesersteuerung: Da der Nebensatz noch nicht regelhaft das ihn auffällig vom Hauptsatz unterscheidende Kriterium der Endstellung des finiten Verbs aufweist, erscheint die mittelhochdeutsche Satzstruktur als eher plan, denn bei der Nivellierung der Unterschiede der beiden Struktureinheiten erweist sich das Satz- oder Textrelief mit einer hinreichenden Unterscheidung von Vordergrund- und Hintergrundinformation als äußerst schwach konturiert. Das logisch wie zeitlich stärker abgestufte, hierarchisch organisierte Satzgefüge des späten 15. und 16. Jahrhunderts bietet hingegen durch plastische Hervorhebungen dem Rezipienten markante Anhaltspunkte, den Hauptstrang des Geschehens von erläuternden Nebeninformationen etc. zu unterscheiden. Denn die vielfältigen Abstufungen von Hauptund Nebensatz sowie das Zusammenwirken der logisch konturierten Konnektoren und der abgestimmten Tempuswechsel steuern und erleichtern die Textperzeption, da die Anforderungen an die interpretative Leistung des Rezipienten verringert werden. 96 Die Reliefbildung in

95

Der Tendenz zur Kürze entspricht auch die sogenannte „afinite Konstruktion", bei der die finiten temporalen Hilfsverben haben und sein eingespart werden. Als Grund dafür wurde die häufige Formengleichheit von Präteritum und Partizip II angeführt, aber auch gelegentlich der Einfluß lateinischer Partizipialkonstruktionen (vgl. hierzu Bock 1 9 7 5 : 5 6 9 ) . Derart verkürzte Konstruktionen treten häufiger in der Kanzleisprache auf (vgl. Admoni 1 9 6 7 : 190).

96

Vgl. Betten ( 1 9 8 7 : 162f.). Nicht der quantitative Ausbau des Satzgefüges mit einer numerisch bestimmbaren Folge abhängiger Strukturen, sondern die angeführten qualitativen Veränderungen, die aus einer Kombination unterschiedlicher Mittel bestehen und eine „perspektivische Tiefenwirkung" im Satzgefüge ermöglichen, sind nach Betten ( 1 9 8 7 : 163) der wichtigste Faktor bei dem sich um 1500 an-

Volkssprachige Erzähltexte

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der frühneuhochdeutschen Syntax erfolgt dabei durch den Einsatz von Mitteln, die vor allem auch im Lateinischen zur Satz- und Textstrukturierung dienen.97 Während die Strukturmerkmale der frühneuhochdeutschen Reliefbildung dem Lateinischen sehr ähnlich sind, weichen viele alt- und mittelhochdeutsche Übersetzungen in den Mitteln der Hervorhebung von der lateinischen Vorlage ab. Dort übernehmen Konnektoren wie do und und die Markierung, die zum Teil völlig unabhängig von der Vorlage gesetzt werden. Der Unterschied zwischen den beiden Konnektoren besteht darin, daß und ein Fortbestehen einer Hintergrund- oder Vordergrundinformation markiert, während do eine Vordergrundsetzung anzeigt, der im Lateinischen nicht selten ein Tempus Wechsel entspricht.98 Auf der textsyntaktischen Ebene werden unabhängig von der Vorlage indigene Signale zur Steuerung der Rezeption auch dann bevorzugt, wenn die Syntax in verbum de veröo-Übersetzungen eng am Original ausgerichtet ist. Demgegenüber zeigen Untersuchungen zur Bibelübersetzung Luthers ein völlig anderes Bild: Bemühte sich Luther um eine volkssprachige Syntax, in der er vorlagengebundene Interferenzen zu vermeiden suchte, so folgte er in der Satz- und Textverknüpfung seiner lateinischen bzw. griechischen Vorlage wesentlich genauer als Bibelübersetzungen vor ihm (vgl. hierzu Stolt 1983 und Betten 1990b: 327-330). Hier ist eine Umkehrung zu früheren Verfahren feststellbar, da nun gerade die Signale zur Lesersteuerung dem

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bahnenden Stilwandel. In der Ausnutzung der Mittel besteht allerdings keine vollständige Kongruenz zum klassischen Latein: Bei der zeitlichen Differenzierung des Geschehens wird z.B. der Tempus Wechsel, der im klassischen Latein im Satzgefüge nach der strengen Regel der Consecutio temporum erfolgt, im Deutschen weitaus weniger restriktiv gehandhabt. Die Nichtbeachtung der Zeitenfolge ist allerdings auch für das Mittellatein und Humanistenlatein durchaus häufig zu beobachten. Vgl. hierzu Riehl (1993) und Betten (1995: 262-265), die auch auf die Feststellung Paul Hoppers verweist, daß die Vordergrundsetzung in nicht-indoeuropäischen Sprachen meist durch Partikeln geschieht. In Betten (1990b: 329) ist eine Passage aus dem Berliner Evangelistar zitiert, deren Satzanschlüsse häufiger von denjenigen der lateinischen Vulgata (in Klammern) abweichen: Joh. 1,37. D ο (et) horten en dy czwene jüngeren sprechen und e (et) volgeten Mesum. 38. S und ir (autem) Jhesus karte sich umme und e (et) sach sy ym uolgen unde sprach czu en: ,waz suchit ir?' und e (relativer Satzanschluß: qui) sy saiten ym: ,rabi', daz sich bedutit meister, ,wo wonystu?' 39. D ο (-) saite her en: ,kumit unde seet.' und e (-) sy quomen unde soen wo her wonte, u nd e (et) blebyn by ym den tak. sund i r (autem) iz waz umme dy czende stunde.

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Deutsch-lateinischer Sprachenkontakt

fremdsprachigen Vorbild entsprechen, während er im Satzbau indigenen Mustern verpflichtet ist. Es bleibt die Frage, in welchem Rahmen und Umfang die Ergebnisse - über manche Textsortengrenze hinaus - verallgemeinert werden können. Feststehen dürfte jedoch, daß die entscheidenden Veränderungen in den Rezeptionsbedingungen - wenn auch keineswegs stringent langfristig zu einer Ausrichtung der Texte an eine „Syntax für die Augen" (Giesecke 1990b) führten, die den Autoren für längere Zeit neue Experimentierfelder eröffnete.

2.4.2 Gesprochenes Latein und lateinisch-deutsche Sprachmischung Im mündlichen Sprachgebrauch war Latein bis weit in die Neuzeit hinein als Sprache des theologischen, wissenschaftlichen und diplomatischen Disputs präsent. Durch die liturgischen Formen und Gebete des Gottesdienstes hatte auch der illiteratus Anteil an der Sprache der Kirche, deren universeller Anspruch in der Reformation u.a. auch durch die Einführung des deutschen Gottesdienstes von protestantischer Seite abgelehnt wurde. Als Wissenschaftskoine hatte Latein über volkssprachige Grenzen hinaus eine unumstrittene Vorrangstellung; die prestigeträchtige Variante wurde auch für wichtige Verhandlungen sowie die Anrede hoher Personen verwendet. Noch 1485 erklärte der Mainzer Erzbischof die Volkssprache für nicht geeignet zur Abhandlung theologischer und wissenschaftlicher Themen und erteilte ein generelles Übersetzungsverbot (vgl. von Polenz 2000: 256f.). Dieses Verbot galt zwar in erster Linie für die im neuen Medium des Buchdrucks verbreiteten Schriften, aber die Begründung, die Volkssprache habe nicht die für derartige Inhalte nötige copia verborum, trifft auch für das mündlich geführte Streitgespräch zu. Die Ausbildung an den Lateinschulen sah die mündliche Beherrschung des Lateinischen vor", auch wenn die Tragweite des Verbots der Volkssprache in der Schule bislang überschätzt wurde (vgl. Henkel/Palmer 1992b: 9). Für die Unterrichtssituation im Frühmittelalter

99

So heißt es z.B. in einem sächsischen Schulplan von 1528: Es sollen die knaben dazu angehalten werden, das sie lateinisch reden, Vnd die schulmeister sollen selbs, so viel miiglich, nichts denn lateinisch mit den knaben reden, dadurch sie auch zu solcher vbung gewonet vnd gereitzt werden (zitiert nach Müller 1882: 379).

Gesprochenes Latein und lateinisch-deutsche Sprachmischung

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konstatiert Amsler in seinem Aufsatz „The role of linguistics in early medieval education": There is clear evidence that grammarians taught Latin using the students' vernacular in the classroom. Grammarians provided vernacular glosses for teaching grammars in a vernacular, and began to describe other European languages using the structural framework of the Latin ars grammatica (...)• (Amsler 2000: 537)

Den lange Zeit auf Studenten ausgeübten Zwang, das Lateinische auch in der informellen mündlichen Kommunikation zu benutzen, stellt Schiewe (1996: 117) in den Rahmen des von der mittelalterlichen Universität propagierten Denkstils100, der erst gegen Ende des 17. Jahrhunderts aufzubrechen beginnt und im 18. Jahrhundert durch den der neuzeitlichen Universität ersetzt wird. Die an Studenten gerichtete Aufforderung, lateinisch auch in informellen Kommunikationssituationen zu sprechen, hatte neben der rein praktischen Sprachübung auch den Zweck, die in die universitäre Zunft aufzunehmenden Mitglieder von der alltagssprachlichen Denkwelt abzukoppeln und in die gelehrte Denkwelt einzugliedern. Latein war, neben einem Ausdrucksmittel, stets auch ein Disziplinierungs- und Ordnungsinstrument. (Schiewe 1996: 278)

Die in ihrem scholastischen Erbe verankerte Universität bewahrte bis zum 18. Jahrhundert und gelegentlich darüber hinaus das Lateinische in der „Sphäre der akademischen Repräsentation", d.h. in den an die Öffentlichkeit gerichteten Reden und Programmen, ganz besonders zur identitätsstiftenden Abgrenzung als privilegierte und autonome Einrichtung gegenüber anderen Institutionen. Neben den wissenschaftlichen Veröffentlichungen, der wissenschaftlichen Korrespondenz und der akademischen Verwaltung gehörten vor allem der Unterricht und die Prüfungen der lateinischen Sprachsphäre an, in der allerdings Konventionalisierung und Ritualisierung und die Wiedergabe schriftlich fixierten Wissens in lateinischer Sprache eine wichtige Rolle spielten (vgl. Schiewe 1996: 254-258).

10Π Für den wissenschaftlichen Denkstil der mittelalterlichen Universität führt Schiewe (1996: 117) den folgenden Merkmalskanon an: Scholastik, Verwaltung und Tradierung des kanonischen Wissensbestandes, philologischer Charakter der Wissensfindung und -interpretation, autoritätsgebunden, gebundene Lehrnorm, Praxisferne der Wissenschaften, realistischer/gemäßigt nominalistischer Sprachbegriff, propädeutischer Charakter der Septem artes liberales, Theologie als führende Wissenschaft.

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Deutsch-lateinischer Sprachenkontakt

Der Bereich der Lehre wurde schon im 16. Jahrhundert durch einige wenige Hochschullehrer mit Vorlesungen in deutscher Sprache aufgebrochen; dabei ging der Sprachwechsel manchmal auch mit einer Kritik an der herrschenden wissenschaftlichen Meinung einher. Vor Christian Thomasius, der 1687 nicht mehr dadurch Aufsehen erregte, daß er an der Universität Leipzig eine Vorlesung auf deutsch hielt, sondern vielmehr dadurch, daß er die Ankündigung einer philosophischen Vorlesung erstmals auf deutsch bot, sind 20 bis 27 Professoren namentlich bekannt, die - in den weniger angesehenen Realdisziplinen deutsche Vorlesungen gehalten haben sollen.101 Die Gruppe der fünf oder sechs Gelehrten des 16. Jahrhunderts führt Tilemann Heverlingh mit einer Lesung über die Satiren des Juvenal (1501 in Rostock) an. In einem Zeitraum von nur neun Jahren sind an der Universität Basel allein vier deutschsprachige Vorlesungen nachweisbar, die von Thomas Murner (1518/19), Johannes Oecolampadius (1523), Stephan Stör (1524) und Paracelsus (1527) gehalten wurden. Daß die Wahl der deutschen Sprache Signalwirkung für eine Neuorientierung im religiösen oder wissenschaftlichen Sinn hatte, wird vor allem an Paracelsus deutlich: Er benutzte seine Vorlesung über die chirurgia vulnerum dazu, mit den Irrtümern der bisherigen Medizin abzurechnen. An der Universität spielte die deutsche Sprache schon immer eine wichtige Rolle, wenn sie in Kontakt mit nicht lateinischsprachigen Institutionen oder Personen im direkten, mündlichen Umgang oder im Bereich der Rechtsbeziehungen trat. Aber auch innerhalb der akademischen Gerichtsbarkeit war der Anteil des Deutschen vor allem im spontanen, weniger ritualisierten Umgang selbst zwischen Professoren und Studenten beträchtlich (vgl. Schiewe 1996: 255 und 278). Der mündliche Gebrauch der deutschen Sprache im akademischen Bereich dürfte besonders deutlich durch Sprachmischung gekennzeichnet sein. Die Sprachsituation des 15. Jahrhunderts charakterisiert Grubmüller (1986: 45) als „überaus enge Symbiose zwischen dem Lateinischen und der Volkssprache"; sie ist durch Sprachvermischung und Amalgamierung ebenso gekennzeichnet wie „durch die Selbstverständlichkeit ihrer Koexistenz, die Leichtigkeit des Wechsels zwischen den

101

Eine chronologische Liste der Professoren und deutschsprachigen Vorlesungen vor Thomasius bietet Schiewe (1996: 90f.). Es muß allerdings darauf hingewiesen werden, daß Vorlesungen in deutscher Sprache auch bei den genannten Professoren keine dauerhafte Einrichtung waren. Zu Thomasius und Paracelsus vgl. auch Pörksen (1986: 4 5 - 4 7 und 1994: 67-74).

Gesprochenes Latein und lateinisch-deutsche Sprachmischung

65

beiden Ausdrucksinstrumenten: vielleicht durch ihre Austauschbarkeit." Erst die Neuorientierung am klassischen Latein führt zu einer Besinnung auf den Eigenwert und die z.B. bei Aventin betonte Eigenart der einzelnen Sprachen.102 Die bilinguale Durchmischung wurde von Luther vor allem dann kritisiert, wenn an der alten Praxis des durch volkssprachige Regeln verderbten „Küchenlateins" und der nach lateinischem Muster verbogenen Volkssprache festgehalten wurde.103 Bleiben die beiden Sprachen jedoch unvermischt in ihrer Eigenart erhalten, so akzeptiert Luther nicht nur den Sprachwechsel auf engstem Raum, sondern praktiziert ihn selbst. Das heute als Codeswitching bekannte Verfahren Bilingualer bezeichnet er in einem Brief an Spalatin als mixtim vernacula lingua, als gemischtes Deutsch, dessen er sich gewöhnlich (ut fit) - so etwa in der im Brief erwähnten Situation einer halboffiziellen Disputation oder bei vergleichbaren Anlässen bedient.104 Die gesprochene Mischsprache Luthers versuchte Stolt (1964) in den lateinisch-deutschen Tischreden zu fassen, die hinsichtlich der Satzorganisation und des Wortschatzes wesentliche Einblicke in die Praxis des Sprachwechsels erlauben, auch wenn mitunter Einflüsse der Niederschrift in Rechnung zu stellen sind. Als wichtige Faktoren

102

In der Einleitung zu seiner .Bayerischen Chronik' erläutert J. Aventinus (1526) sein Sprachprogramm und verurteilt sowohl die Amalgamierung als auch die Sprachmischung: „(...) in dieser verteutschung brauch ich mich des alten lautern gewönlichen iederman verstendigen teutsches; dan unser redner und Schreiber, voraus so auch latein künnen, biegen, krümpen unser sprach in reden, in schreiben, vermengens, felschens mit zerbrochen lateinischen Worten, machens mit grossen umbschwaifen unverstendig ziehens gar von irer auf die lateinisch art mit schreiben und reden, das doch nit sein sol, wan ein ietliche sprach hat ir aigne breuch und besunder aigenschaft. Es laut gar übel und man haist es kuchenlatein, so man latein redt nach ausweisung der teutschen zungen: also gleichermaß laut's übel bei solcher sach erfarnen, wo man das teutsch vermischt mit frembden Worten, verändert's auf ein frembde sprach, demnach's zerbrochen und unverstendig wirt (...)." (zitiert nach der Ausgabe Frankfurt a. M. 1566 bei Rössing-Hager 1992: 361). 103 In einem Sendbrief ,An die Ratherren aller Städte deutsches Landes' (1524) verurteilt Luther das elend grewlich exempel des in den hohen Schulen und Klöstern beobachteten Sprachgebrauchs. Er sei dadurch gekennzeichnet, das die elenden leut (...) wider deutsch noch lateinisch recht reden odder schreiben künden (Weimarer Ausgabe Bd. 15: 38; zitiert nach Grubmüller 1986: 42f.). 104 v g l . hierzu den bei Stolt (1969a: 435) angeführten Brief an Spalatin vom 14.1.1519 (Weimarer Ausgabe Briefe Bd. 1: 301-303). Ein weiterer Hinweis auf die gesprochene Mischsprache bei Luther stammt von Bugenhagen. Innerhalb der schriftlichen Kommunikation gibt es Belege für die Sprachmischung auch in den Briefen (vgl. Stolt 1969a: 4 3 2 - 4 3 4 ) .

66

Deutsch-lateinischer Sprachenkontakt

des Wechsels gelten Zitate und Fachtermini des theologischen, juristischen und (natur-)wissenschaftlichen Bereichs, die überwiegend lateinisch sind, während die Sprache des Affekts, des häuslichen Bereichs und der Paraphrasierung meist deutsch ist. Neben Sprichwörtern und festen Wendungen kommen Bilder und Gleichnisse hinzu, die eine größere Anschaulichkeit in der Muttersprache gewährleisten.105 Ein vergleichbares Ergebnis bietet Pörksen (1994: 61-64) für die in Vorlesungen des Paracelsus belegte Mischsprache, die durch Hörernachschriften zugänglich sind. Zum einen finden sich in lateinischen Mitschriften deutsche Redensarten und Sprichwörter, eventuell sogar Spuren von Patientensprache. Im zweiten Fall ist die deutsch gehaltene Vorlesung über chirurgische Krankheiten - wohl nicht nur in den Hörermitschriften - von lateinischem Fachvokabular durchwoben. Diesen Sprachtyp, der auch in abgeschwächter Form das Schrifttum des Paracelsus charakterisiert, bezeichnet Pörksen als „Fachwerksprache", da die weniger feste Volkssprache durch das starre Gerüst der bekannten Fachterminologie gestützt wird. Die Fachwerksprache läßt eine innersprachliche hierarchisch und funktional differenzierte Zweisprachigkeit erkennen, die als „sprachinterne Diglossie" bezeichnet wird.106 Es ist davon auszugehen, daß Fälle ,sprachinterner Diglossie' zumindest im halboffiziellen Kreis unter den Lateinkundigen durchaus üblich waren. Die Formulierung der Inhalte erfolgt hierbei jeweils in der Varietät, die der Sprecher je nach Äußerungswunsch für angemessen hält, da die eine Sprache in bestimmten Zuständigkeitsbereichen als kompetenter, einfacher oder üblicher als die andere gilt.

105

Vgl. hierzu Stolt (1964: 169-171, 243 und 252-254). 106 pörksen (1994: 65f.). Zweifel an der Qualität der Lateinkenntnisse des Paracelsus hegt dagegen Keil: „Als Nicht-Absolvent einer Hochschule vermag er lateinisch nicht zu disputieren [Fn.] (und muß auch seine Vorlesungen deutschsprachig halten [Fn.], was für seine Studenten eine nicht geringe Belastung darstellt), und wenn er auch über privat oder durch eine Lateinschule vermittelte Lateinkenntnisse verfügt, so haben diese doch nicht ausgereicht, ihn ans lateinische Fachschrifttum heranzuführen [Fn.]" (1995a: 32f.).

Zusammenfassung

2.5

67

Zusammenfassung

Die Forschungsschwerpunkte des deutsch-lateinischen Sprachenkontakts im Spätmittelalter und in der frühen Neuzeit betreffen den Wortschatz und Satzbau sowie stilistische und textpragmatische Gesichtspunkte: - Der lateinisch-deutsche Sprachenkontakt ist für den Bereich des Wortschatzes am besten untersucht. Dies gilt sowohl für das äußere (Lehnwörter) wie auch für das innere Lehngut (Lehnprägungen). Demgegenüber ist über die Anfänge der Lehnwortbildungen, d.h. der Wortbildungen mit entlehnten Elementen, - von älteren Studien abgesehen - bislang nur wenig bekannt. Eine größere Produktivität entlehnter Elemente im eigensprachigen System scheint sich erst für das 16. Jahrhundert abzuzeichnen. Hingegen wurde der Einfluß von Lehnübersetzungen oder -Übertragungen auf den Ausbau (z.B. bei bar) oder die Vorkommenshäufigkeit deutscher Wortbildungsmuster des öfteren proklamiert. Dabei haben lateinische Vorbilder vor allem auf den Anstieg substantivischer Verbalabstrakta in spätmittelhochdeutschen Übersetzungstexten eingewirkt. - Das bei von Polenz (2000: 219) gefällte Urteil vom weit überschätzten Einfluß des Lateinischen auf den Satzbau des Deutschen kann sowohl bestätigt als auch präzisiert werden. Bei den wesentlichen syntaktischen Veränderungen zum Neuhochdeutschen hin handelt es sich nicht um Neuerungen, die von außen herangetragen und deutschen Strukturen gleichsam übergestülpt wurden, sondern um Ausbau und Erweiterung latent vorhandener Dispositionen, da die vom Lateinischen geförderten und gestützten Strukturen im System des Deutschen bereits angelegt sind. Die nicht selten getroffene Feststellung, die neuhochdeutsche Syntax sei der lateinischen ähnlicher als der mittelhochdeutschen, beruht auf dem Wechsel von nähesprachlichen zu distanzsprachlichen Merkmalen. Er führt zu einer kontextunabhängigen Steuerung des Lesers durch formale Mittel, wie z.B. durch semantisch hinreichend differenzierte Konjunktionen oder durch eine mittels Verbstellung eindeutig markierte Unterscheidung von Haupt- und Nebensätzen. Die Präzisierung logischer Beziehungen durch formale Mittel und der damit vollzogene Wechsel von einer Hörer- zu einer Lesersyntax erfolgt unter .Anleitung' des lateinischen Vorbilds. - Durch den fördernden Einfluß des Lateinischen werden im Deutschen Ausdrucksvarianten bereitgestellt, die zu einer stilistischen

68

Deutsch-lateinischer Sprachenkontakt

Bereicherung der Volkssprache führen. Hervorgerufen wird der (meist nur) frequentielle Ausbau nominaler Verbformen des Deutschen durch äquivalente oder teiläquivalente Partizip-, Gerundivoder Infinitivkonstruktionen des Lateinischen. Während z.B. in mittelalterlichen Urkundentexten derartige Strukturen noch bevorzugt in verbale Fügungen wie Relativ- oder daz-Satz aufgelöst wurden, werden sie später nicht selten durch Infinitivkonstruktionen, erweiterte Partizipialattribute oder -appositionen ersetzt. Sie fördern die Komplexität der deutschen Satzstruktur und tragen zu einer wesentlichen Verdichtung und Verknappung des dargestellten Inhalts bei. Es handelt sich dabei um neue Ausdrucksmittel, die neben die alten treten und als stilistische Alternativen dem Autor die Möglichkeit zur Auswahl bieten. - Die enge Verzahnung der beiden Sprachen bei (mehr oder weniger) bilingualen Sprechern, deren mündlicher Sprachgebrauch bis ins Spätmittelalter durch Amalgamierung und im 16. Jahrhundert recht häufig durch Sprachmischung gekennzeichnet war, ist nur ein Indiz der Wechselwirkung zwischen Latein und Deutsch, die sich zum einen in der starken Übersetzungstätigkeit, zum anderen im direkten räumlichen Nebeneinander lateinisch-deutscher Einträge in Handschriften und Drucken zeigt. Hierbei ist eine domänenspezifische Verteilung erkennbar, da bestimmte Inhalte oder Formulierungswünsche bevorzugt in einer der beiden Sprachen realisiert werden. Für die gesprochene Sprache Luthers und (mit Vorbehalten) des Paracelsus bedeutet dies, daß etwa Zitate und die wissenschaftliche Terminologie lateinisch wiedergegeben werden, während Themen des häuslichen Bereichs oder bildhafte Vergleiche auf deutsch geboten sind. Die Mehrzahl der angesprochenen Themen spielt in der nachfolgenden empirischen Analyse der Fachtexte unter den Aspekten der volkssprachigen Umsetzung lateinischer Vorlagen, stilistisch-syntaktischer und pragmatischer Gesichtspunkte eine zentrale Rolle. Die wichtige Frage nach dem Einfluß lateinischer Vorbilder auf die Textgestaltung im besonderen oder auf Textsorten im allgemeinen bleibt hierbei ausgeklammert und wird, soweit sie mit der Zielsetzung der Arbeit korreliert, in Kapitel 3 und 4 erörtert.

3

Historische Fachprosaforschung: Das Wissen und seine Vermittlung

Das germanistische Interesse an deutschsprachigen Fachtexten ist eng mit der von Gerhard Eis begründeten Fachprosaforschung verbunden. In Orientierung an die in der Literaturwissenschaft gültige Grenze zwischen Alt- und Neugermanistik, die auf das Jahr 1500 festgesetzt ist, beschäftigen sich die meisten Fachprosaforscher bis heute überwiegend mit den sprachlichen Zeugnissen aus alt-, mittel- sowie spätmittelhochdeutscher Zeit. Die große Zahl der im Druck erschienenen Fachtexte des 16. Jahrhunderts wurde weder von Alt- noch von Neugermanisten gebührend beachtet. Angesichts der sich in der Renaissance vollziehenden Veränderungen wissenschaftlicher Betrachtung zeigten dagegen nichtgermanistische Wissenschaftshistoriker ein größeres Interesse an den Textzeugnissen frühneuzeitlicher Autoren. Dabei wurden zunächst fast ausnahmslos lateinische Quellen unter wissenschaftshistorischem Aspekt untersucht, und erst in jüngster Zeit geraten auch volkssprachige Druckschriften stärker in den Blickpunkt. Das Interesse gilt dabei meist den durch das Medium Buchdruck hervorgerufenen Veränderungen, die von kommunikationstheoretischer Seite diskutiert werden. In diesem Zusammenhang kommt der Buch- und Textgestaltung des Gebrauchsschrifttums im Hinblick auf eine leserfreundliche Aufbereitung für einen größeren Markt besondere Aufmerksamkeit zu. Derartige Fragestellungen, die terminologische, stilistische oder semiotische Aspekte umfassen, führen auch bei Sprachhistorikern und Fachlinguisten allmählich zu einer stärkeren Beachtung nichtliterarischer Schriften der frühen Neuzeit. Im Folgenden gebe ich einen knappen Überblick über Schwerpunkte der älteren und neueren Fachprosaforschung (P. 3.1), über informationstheoretisch ausgerichtete Forschungen zum Buchdruck (P. 3.2) sowie über text- und pragmalinguistische Analysen frühneuzeitlicher Gebrauchstexte (P. 3.3). Sich hieraus ergebende Forschungsdefizite sind schließlich im Rahmen eines Resümees zusammengestellt (P. 3.4).

Historische Fachprosaforschung: Das Wissen und seine Vermittlung

70

3.1

Schwerpunkte mediävistischer Fachprosaforschung

Die bei Gerhard Eis unter dem Begriff „Fachprosa" zusammengefaßten Texte waren zuallererst auf die Bereiche beschränkt, „die über spezielles, gemeinsprachlich nicht abgebildetes Wissen verfügen und solches über eigene Terminologie im Sinne von Fach- und Sondersprachen vermitteln" (Keil/Mayer 1998: 348). Hiervon ausgeschlossen blieb dementsprechend das gesamte theologische, juristische und historiographische Schrifttum. In seiner Gesamtdarstellung zur mittelalterlichen Fachliteratur zählt Eis hingegen „alles nichtdichterische Schrifttum geistlichen und weltlichen Inhalts" zur „Fachliteratur im weiteren Sinne" (1967: 1). Den Schwerpunkt der Untersuchungen von Gerhard Eis und seiner Schule bildete die sogenannte Artesliteratur, die sich in die auf die Septem artes liberales bezogenen freien Künste (artes liberales), in die Eigenkünste (artes mechanicae) und in die verbotenen Künste (artes magicae) gliedert.1 Die systematische Beschäftigung mit der Fachliteratur wird dabei von folgenden literaturgeschichtlich und philologisch ausgerichteten Zielsetzungen geleitet:2 - Sichtung und Aufarbeitung der Handschriftenbestände mit dem Ziel, die aus der Vielzahl der Überlieferung .herausgeschälten' Texte durch Editionen zugänglich zu machen, wobei ein gereinigter Abdruck ohne normative Eingriffe in die Schreibung gefordert ist, auf die Rekonstruktion des Archetypus aber verzichtet wird. - Quellenforschung der überlieferten Texte, die eventuelle lateinische Vorlagen mit der volkssprachigen Überlieferung - nach literaturwis-

1

2

Vgl. hierzu Eis (1967), Haage (1993: 2 3 0 - 2 3 6 ) und Crossgrove (1994: 9 - 1 0 2 ) . Die artes liberales umfassen die im Trivium und Quadrivium an der Artistenfakultät gelehrten Künste Grammatik, Rhetorik, Dialektik sowie Arithmetik, Geometrie, Astronomie und Musik. Die urspünglich den freien Künsten nachgeordneten Eigenkünste, die artes mechanicae, werden bei Eis in Anlehnung an Hugo von St. Victor (gest. 1141) nach den Sachgebieten Handwerk, Kriegswesen, Seefahrt Erdkunde - Handel, Landbau und Haushalt, Tiere und Wald, Heilkunde und Hofkünste gegliedert, während für die verbotenen Künste, die artes magicae, vor allem die Methoden der Magie und Mantik kennzeichnend sind. Die in der vorliegenden Untersuchung berücksichtigten Fachtexte des 16. Jahrhunderts gehören mit ihrer naturkundlich-medizinischen Ausrichtung den Realdisziplinen an, die im mittelalterlichen Schema den handwerklichen Künsten der zweiten Artes-Reihe entsprechen. Vgl. hierzu Eis (1967: 53-78), Keil (1974: 192-196) und Haage (1993: 2 3 8 - 2 5 0 bzw. 1998: 272-275).

Schwerpunkte mediävistischer Fachprosaforschung

71

senschaftlichen Methoden - vergleicht und auch der Überlieferung in anderen Sprachen nachgeht. - Darstellung der Wirkungsgeschichte eines Textes in räumlicher, zeitlicher und soziologischer Hinsicht (geographische und chronologische Reichweite, Verbreitungszentren, direkte oder indirekte Rezeption, Informationen zur Gebrauchssituation und Zuordnung zu Adressatengruppen). - Erläuterung der Fachwortschätze, die nicht selten durch Glossare erschlossen sind. Die Fachterminologie wird von zahlreichen Fachprosaforschern als das typische stilprägende Merkmal der Fachsprache angesehen.3 Die Deutung der Fachlexik und der damit verbundenen Darstellung fachspezifischer Handlungen ist sowohl für die Interpretation von Dichtungen als auch für die Volkskunde und vor allem für die Geschichte des jeweiligen Faches essentiell. Eine sachorientierte Analyse bleibt dabei auf die Zusammenarbeit mit Fachhistorikern angewiesen. Die auf Edition, Überlieferungsgeschichte und Quellenkommentar ausgerichtete Erforschung der Artesliteratur hat ihr Verdienst in der philologischen Aufbereitung und Kommentierung weit verzweigt überlieferter Textzeugen, die recht häufig zur Erhellung fachhistorischer Fragen und zur lexikographischen Aufbereitung des Spätmittelalters und der frühen Neuzeit einen bedeutenden Beitrag liefern. Die Zusammenarbeit von Fachhistorikern und Philologen zeigte sich vor allem am Würzburger Projekt zur .wissensorganisierenden und wissensvermittelnden Literatur des Mittelalters', dessen Ziel es ist, Art und Umfang, Qualität und Wirkung der Weitergabe von ursprünglich lateinisch gefaßtem Buchwissen an ein immer größeres, dabei besonders auch neues, d.h. volkssprachiges Publikum etwa vom 12. Jh. bis an die Schwelle der Aufklärung zu untersuchen und zu beschreiben: in den wesentlichen Inhalten, ihren literarischen Formen, ihren funktionalen Sprachtypen, den Überlieferungswegen sowie deren Trägern vom Auftraggeber bis zum Rezipienten (.Forschungsprogramm des Sonderforschungsbereichs 226' in Wolf 1987a: 9).

So heißt es z.B. bei Haage (1993: 242), „daß kennzeichnend ausschließlich die jeweilige Fachterminologie .Fachsprache' konstituiert." Die dominante Bedeutung der Fachbezeichnungen für die historische Fachsprachenforschung belegen auch die einschlägigen Artikel des Fachsprache-Handbuchs (2. Halbbd., 1999), wie etwa aus dem medizinisch-naturkundlichen Bereich zu .Paracelsus und der Fachwortschatz der Artes mechanicae' von Weimann und zur .Botanik und Fachsprache in den Kräuterbüchern' von Seidensticker.

72

Historische Fachprosaforschung: Das Wissen und seine Vermittlung

Die von Gundolf Keil initiierten medizinhistorischen Forschungen zu spätmittelalterlichen Fachtexten sind zwar ebenfalls auf Edition, Quellenerfassung, Überlieferungsgeschichte sowie Wort- und Sacherklärungen ausgerichtet, erhalten jedoch durch die Einbindung sozio- und textpragmatischer Faktoren sowie durch die besondere Überlieferungssituation einer Vielzahl von Klein- und Kleinstformen im medizinischen Sektor ein besonderes Gepräge. Gerade die kaum überschaubare Anzahl und inhaltliche Vielfalt medizinischer Textzeugen führte zu einer Veränderung der in der herkömmlichen Artesforschung üblichen Fragestellungen und zu einer starken Expansion bisheriger Forschungsthemen. Die große Bedeutung des medizinischen Sektors zeigt sich allein an dem Umstand, daß als .meistgelesenes Werk mittelhochdeutscher Literatur' nach heutigem Kenntnisstand das vor 1300 entstandene Arzneibuch Ortolfs von Baierland gilt. Das Werk nimmt bislang mit über 400 handschriftlich oder im Druck überlieferten Texten die Spitzenposition ein und könnte aber durchaus noch von weiteren medizinisch-arzneikundlichen Texten wie dem .Bartholomäus' übertroffen werden.4 Zentraler Gegenstand entsprechender Untersuchungen ist die Überlieferungsgeschichte medizinischer Texte. Hierbei ist das Augenmerk nicht nur auf die inhaltliche Konstanz des überlieferten Textzeugen gerichtet, sondern auch auf die Mitüberlieferung, d.h. auf das Nebeneinander und die Zusammenstellung verschiedener Texte im Gesamtgefüge von Sammelhandschriften, die Einblick in die mittelalterlichen Gebrauchsbedürfnisse erlauben. Hinzu kommt die Streuüberlieferung im weiteren Sinn, wonach aus wirkungsmächtigen Texten Bausteine, größere Versatzstücke oder nur Textsplitter nach der üblichen Kompilationstechnik mit weiteren Exzerpten neu zusammengesetzt werden können. Es geht hier darum, nicht nur die Herkunft der Exzerpte aufzudecken, sondern gegebenenfalls auch den durch die Kompilation entstandenen Funktionswandel.5

Vgl. hierzu Keil (1993b: xviii f.). Des weiteren ergaben Stichproben im .Verfasserlexikon', daß 10% des gesamten altdeutschen Schrifttums (unter Einschluß von Dichtung und geistlicher Literatur) medizinische Texte darstellen. Danach wäre eine Ausklammerung der Medizinliteratur aus der Sachliteratur, den artes mechanicae, und eine Behandlung als eigener Gegenstandsbereich durchaus vertretbar (vgl. Crossgrove 1994: 60). Aus der Vielzahl der Arbeiten zur Kompilationstechnik sei hier verwiesen auf Mayer (1993) mit der Annahme eines .Kompilationsleittextes', Riha (1992) und Bentele (2000).

Schwerpunkte mediävistischer Fachprosaforschung

73

Angesichts solcher Fragestellungen zeigt sich bereits, wie sehr die Wirkungsgeschichte neben der stets vorherrschenden inhaltlich-sachbezogenen Komponente mit textgeschichtlichen Aspekten verbunden ist: sie beobachtet Textlücken, -Umstellungen, -ersatz; sie erkennt Schrumpfformen, Texterweiterungen, Textschleppen, Textverschränkungen und stößt über Versatzstücke bzw. Streuüberlieferung bis in den Bereich der Quellenforschung vor; sie hat es zu tun mit Gestalt- und Gattungswandel, sie begegnet auf Schritt und Tritt gebrauchsfunktional bedingten Varianzen und begleitet die Texte auf ihrem Weg über die Sprachgrenzen hinweg bis zur Rückübersetzung zweiten Grades [Fn.]. Überlieferungsgeschichte arbeitet Kompilationsschemata auf, legt die Baupläne von Kompendien frei [Fn.] und eröffnet den Blick auf die Organisationsstrukturen wissensvermittelnden Schrifttums.[Fn.] (Keil 1993: xvi)

Die Einbeziehung der Ebene der Textgestaltung führt dazu, daß zum einen auch dem Themenkreis ,Stil und Rhetorik in der Fachprosa' und zum anderen dem semiotischen Aspekt der Wechselwirkung zwischen Text und Bild Aufmerksamkeit zuteil wird. 6 Von zentraler Bedeutung ist die Frage nach der Anordnung medizinischen Wissens, die nach ganz bestimmten Schemata erfolgen kann: Als mögliche Ordnungsprinzipien, die sich in größeren Werken auch überlagern können, gelten z.B. prozessuale Sequenzen (bei der Arzneimittelherstellung), Farbreihen und Intensitätsstufen (bei der Harnschau), das Viererschema (bei der Darstellung der Elemente und Temperamente) oder die anatomische Reihung a capite ad calcem (,vom Scheitel zur Sohle'; vgl. hierzu Keil 1987: 243f.). Hier sind also Fragen der ,Textstruktur' von zentralem Interesse ebenso wie Fragen des ,Gestaltwandels'. 7 Die textorganisatorischen Untersuchungen erfolgen stets vor dem Hintergrund einer möglichen Benutzersoziologie im Rahmen einer konkreten Gebrauchssituation. Da mit den volkssprachigen Fachtexten ein nichtakademisches Publikum angesprochen wird, geht es ferner darum aufzuzeigen, durch welche Vermittlungsformen die Verbreitung von Wissen organisiert wird und ob Popularisierungstendenzen wie

6

7

Zu Bild und Text vgl. Groß (1993) und Harms (1990). Keil/Riha (1993) erheben den Anspruch, einen Fachprosatext erstmals nach den stilistischen Methoden der Literaturwissenschaft zu beschreiben. Anhand des Arzneibuchs Ortolfs von Baierland werden spezifische Stilmerkmale wie „das Arbeiten mit Kontrasten" herausgestellt (1993: 2). So etwa bei Ekkehard Hlawitschka: „wazzer der tugent, trank der jugent". Textund überlieferungsgeschichtliche Untersuchungen zum Salbeitraktat (=Mittelalterliche Wunderdrogentraktate, V). Würzburg 1990 (Würzburger medizinhistorische Forschungen 49) mit je einem Kapitel zu .Textgestalt' (S. 34-70) und den .Beobachtungen zum Gestaltwandel' (S. 97-116).

74

Historische Fachprosaforschung: Das Wissen und seine Vermittlung

etwa bei der noch völlig unzureichend erforschten Umsetzung lateinischen Fachwissens oder bei der Aufbereitung von Standardwerken in volkssprachige, an ein breites Publikum gerichtete Kompendien feststellbar sind.8 Neben der lateinisch-deutschen Vermittlung ist eine Weitergabe von Wissen auch in die andere Richtung zu beobachten, da deutsche medizinische Fachtexte bis ins 16. Jahrhundert hinein für die akademisch gebildeten Ärzte lateinisch aufbereitet wurden (vgl. hierzu das .Forschungsprogramm des Sonderforschungsbereichs 226' in Wolf 1987a: 14). Die Vielfalt der verfügbaren Fachtexte des heilkundlichen Bereichs, die entweder als Gesamtdarstellungen konzipiert sind oder Teilaspekte herausgreifen, kann unter textsortenspezifischen Gesichtspunkten zur Zeit noch nicht adäquat erfaßt werden. Die in Wolf (1987a: 15) genannten fünf kompilatorischen Großformen ,Rezeptar', ,Kräuterbuch', .Traktat', ,Regimen sanitatis' und .Arzneibuch' zeigen auf, daß die im fachsprachlichen Bereich übliche Textsortenbestimmung primär über den Inhalt erfolgt. 9 Die Reihe der kleinen Formen reicht von der Rezeptgruppe oder dem Einzelrezept über die aus umfangreicheren Gesundheitslehren isolierten Monatsregimina bis zu den thematisch geschlosseneren Kurztraktaten, die die Gebiete Diagnostik (Harn-, Blutund Stuhlschau usw.), Therapie (Schröpfen und Aderlaß), Diätetik (kurze Gesundheitsregimina oder Verhaltensregeln mit astromedizinischer Ausrichtung) sowie Drogenkunde mit Arzneimittelwerbung nebst etlichen Mischformen umfassen können (vgl. Keil 1979: 79-81). Die im Rahmen der medizinhistorischen Forschungen aufgegriffenen überlieferungsgeschichtlichen und textorganisatorischen Schwerpunkte einschließlich sozio- und textpragmatischer Aspekte bestimmen auch

Zu den Popularisierungstendenzen im ärztlichen Aufgabenbereich bei Texten ohne Werkcharakter vgl. Riha (1992b: 26-117). Dort ist z.B. für den Bereich der Diagnostik die Umsetzung einer urologischen Monographie zum Harnfarbentraktat nachgezeichnet. Allerdings kommt Riha (1992b: 165) bei ihrer Untersuchung ausgewählter spätmittelalterlicher Sammelhandschriften zu dem - nicht völlig überrraschenden - Ergebnis, „daß viele der sogenannten .Gebrauchstexte' für den Gebrauch völlig ungeeignet sind." Nach Riha (1992b: 165) weicht die inhaltliche Bestimmung zwar von antiken und modernen Klassifikationen ab, erweist sich jedoch als „unersetzlich, wenn auch als logisch fragwürdig." Auf das fehlende Interesse der Literatur- wie Medizingeschichte an der Beschreibung der .Literaturkomplexe' im heilkundlichen Bereich verweist Keil (1987: 229).

Kommunikationsrelevante Veränderungen durch das Medium Buchdruck

75

ganz wesentlich die Analyse der naturkundlich-medizinischen Texte des 16. Jahrhunderts (s.u.). Hierbei wird jedoch der primär sachorientierte medizinhistorische Blickwinkel eingetauscht gegen eine darstellungsorientierte linguistisch-pragmatische Position, die stärker das Wie als das Was im Prozeß der Wissensvermittlung akzentuiert.

3.2

Kommunikationsrelevante Veränderungen durch das Medium Buchdruck

Das Interesse am Medienwandel des elektronischen Zeitalters hat bereits seit längerem zu medientheoretisch ausgerichteten Arbeiten zum Buchdruck in der frühen Neuzeit geführt und zum Vergleich mit den typographischen Anfängen angeregt (vgl. McLuhan 1962, dt. 1968 mit Nachdruck von 1995; Eisenstein 1983, dt. 1997 und Giesecke 1991). Seither gelten die Auswirkungen des Buchdrucks auf die geistigen, politischen, sozialen und kommunikativen Verhältnisse der Renaissance und Reformation sowie der damit verbundenen Entwicklung der neuzeitlichen Wissenschaften als Gemeinplatz. Dennoch gehen der facettenreichen Nutzung der neuen Technik lange Phasen des Experimentierens voraus, die nicht frei von Rückschlägen blieben und erst allmählich zu einer Optimierung von Verfahren und Produkt führten. Zum einen mußten die wesentlichen Unterschiede zwischen handschriftlicher und drucktechnischer Überlieferung und der daraus resultierenden Konsequenzen erkannt und berücksichtigt werden, während andererseits aber auch Ansätze zu einer Verbesserung der Benutzerfreundlichkeit z.B. aus der spätmittelalterlichen Handschriftentradition aufgegriffen und ausgebaut werden konnten.10 Bei den sich auf Text- und Sprachgestaltung unmittelbar auswirkenden Begleitumständen der Druckkultur handelt es sich um - den Faktor ,anonymer Rezipientenkreis': Die Druckschriften werden von einem dem Autor größtenteils unbekannten Adressatenkreis rezipiert, der weitaus weniger als bei handschriftlicher Rezeption überschaubar ist. Nach Honemann löst der Buchdruck „die enge Bindung zwischen Herstellung und Rezeption des Buches auf", die Produktion erfolgt nun „angebotsorientiert" (1999: 543). Demgegen-

10

Zu einem Vergleich von Handschrift und Druck vgl. u.a. Honemann (1999) und Wolf (2000).

76

Historische Fachprosaforschung: Das Wissen und seine Vermittlung

über beurteilt er die Herstellung von Handschriften als „abnehmerorientiert", denn jede Handschrift „stellt ein Individuum dar, ein Einzelstück, das je nach dem intendierten Verwendungszweck bzw. den Wünschen des Auftragsgebers hergestellt wurde" (2000: 541). - die weite Verbreitung und Entregionalisierung: An Werke mit überregionaler Geltung stellte sich die Forderung nach der sprachlichen Verständlichkeit, so daß bei volkssprachiger Produktion der Verwendung von Lexemvarianten verschiedener Schreibdialekte Vorschub geleistet werden konnte. Hierbei muß allerdings bedacht werden, daß etliche Drucker auch nur für den regionalen Markt produzierten (vgl. Hartweg 2000: 1682-1705). - Reproduktion und Standardisierung: Mittelalterliche Abschriften weisen je nach Sachgebiet eine mehr oder weniger große Textkonstanz auf. Besonders häufig sind Abweichungen in der heilkundlichen Literatur, wo zwar einerseits Rezepte und Kapitelebene einigermaßen getreu tradiert werden, für die andererseits aber auch Auslassungen und Hinzufügungen (von Rezepten, Kapiteln etc.) sowie Umgestaltungen der Grobstruktur kennzeichnend sind (vgl. u.a. Mayer 1993, Crossgrove 1994: 77). Die im Druck erschienenen Werke sind indessen in größerer Anzahl als identische Exemplare verfügbar. Die Konservierung des identischen Textes hat zur Folge, daß sich nun Rezipienten im Austausch untereinander auf den exakten Wortlaut einer bestimmten Ausgabe berufen können. Marshall McLuhan stellt für die Manuskriptkultur fest, sie „vermochte nicht, die Sprache zu fixieren oder eine bestimmte Landessprache in das Massenmedium einer nationalen Einigung zu verwandeln." 11 Die identische Reproduktion förderte hingegen auch eine formale Standardisierung und Korrektheit. 12 Wie mühevoll sie zu

11

McLuhan (1995: 286). Hierzu bemerkter weiterführend: „Kenner des Mittelalters weisen darauf hin, daß es unmöglich sei, ein lateinisches Wörterbuch für das Mittelalter zu verfassen, einfach darum, weil ein mittelalterlicher Autor glaubte, es stehe ihm frei, seine Begriffe durch den wechselnden Denkzusammenhang fortlaufend zu definieren. Der Gedanke, daß ein Wort einen bestimmten, durch ein Wörterbuch fixierten Sinn habe, konnte ihm gar nicht kommen" (ebd.).

12

Auf den Anteil des Buchdrucks an einer Standardisierung der (Ortho-)Graphie verweist vor allem Giesecke (1990a). Bei Wolf heißt es: „Die Technik weckt und fördert somit die Bestrebungen nach einer Normierung der Orthographie, insbesondere von dem Augenblick an, in dem es nicht mehr um Imitation und Perfektion der Handschrift, sondern um eine Anerkennung des Eigenwerts und der Ei-

Kommunikationsrelevante Veränderungen durch das Medium Buchdruck

77

erreichen war, zeigen u.a. die zahlreichen Errata- und CorrigendaListen der Druckschriften. 13 Neben die Setzer treten nun häufiger .Korrektoren'; diese waren ,Intellektuelle der Zeit', wie z.B. der als Korrektor tätige Sebastian Brant, oder die Autoren selbst, wie z.B. Erasmus von Rotterdam (vgl. Honemann 1999: 543). - vereinfachte Reproduktion von Bildern, Karten, Schautafeln oder Diagrammen: Die drucktechnische Vervielfältigung graphischer Hilfsmittel oder bildlichen Schmucks ist um ein vieles einfacher als die handschriftliche Reproduktion, so daß die bildliche Ausstattung mit einer übersichtlichen und unmittelbaren Informationsvermittlung verknüpft werden kann. Hierbei wird der lineare Informationsfluß des Textes unterbrochen und zumindest im Ansatz eine selektive Rezeption nur über die graphische Ebene ermöglicht. Die in der Renaissance entwickelten Techniken der Zentralperspektive kommen zudem einer der visuellen Wahrnehmung entsprechenden adäquaten Umsetzung des dreidimensionalen Raumes auf die zweidimensionale Fläche der Buchseite entgegen. 14 - vereinfachte Texterschließung über Inhaltsverzeichnisse, Seitenzählung und Kapitelnumerierung sowie über Querverweise, Kopfzeilen, Zwischentitel, Randglossierung und Register: Die Etablierung von Ordnungssystemen durch texterschließende Mittel mit dem Ziel der größeren Benutzerfreundlichkeit und schnelleren Orientierung wurde ganz wesentlich durch den kommerziellen marktorientierten Charakter der frühen Buchproduktionen begünstigt. Dabei handelt es sich meist nicht um Erfindungen der Buchdrucker, denn Inhaltsverzeich-

gendynamik einer (neuen und als neu erkannten) Kulturtechnik geht" (2000: 1711). 13

Vgl. hierzu Eisenstein ( 1 9 9 7 : 1 4 - 2 1 und 4 7 f . ) . In diesem Z u s a m m e n h a n g sind auch die Klagen frühneuzeitlicher Autoren zu sehen, sie hätten nach der Drucklegung ihr e i g e n e s Werk nicht mehr erkannt. Spätere A u f l a g e n v o n W e r k e n werden beinahe ausnahmslos mit dem folgenden oder ähnlichen H i n w e i s e n versehen, wider überlesen und gebessert zu sein (Otho Brunfels über die v o n ihm herausgegebene Neuauflage des zuvor fehlerhaften Spiegels der Arznei v o n L. Fries. Straßburg: B. Beck 1532, a 3 r ; vgl. hierzu auch G i e s e c k e 1991: 120 und 123).

14

Zur Standardisierung der Bilder, ihrer Uniformität (in der S c h e d e i s c h e n Weltchronik werden mehrere Städte durch ein- und dieselbe Ansicht abgebildet) und Verschiedenheit, zu dem Wechselspiel v o n Bildausstattung einerseits und bilderstürmerischen Tendenzen andererseits vgl. Eisenstein (1997: 2 1 - 5 9 ) . D i e Rolle der perspektivischen Darstellung in der Frühzeit des Buchdrucks und die Versprachlichung der Bilder ist ausführlich, aber nicht immer nachvollziehbar bei G i e s e c k e (1991: 5 9 7 - 6 3 9 ) behandelt.

78

Historische Fachprosaforschung: Das Wissen und seine Vermittlung

nisse oder Register, Querverweise, Randglossen oder (sporadische) Foliierung gehen z.B. auf mittelalterliche Gewohnheiten zurück.15 Die Standardisierung von Inhaltsverzeichnissen und Gliederungspunkten, die Anlage mehrgliedriger Register, eine angemessene Vollständigkeit der Angaben sowie die Zuverlässigkeit der Seitenverweise wurden allerdings erst im Laufe von mehr als 60 Jahren durch den Druck zur Norm erhoben. Zur entscheidenden Verbesserung und wohl auch leichteren Handhabung der Seitenverweise trug die allmähliche Kombination (oder auch Aufgabe) der Foliierung mit der Paginierung durch römische oder arabische Ziffern bei.16 Derartige Maßnahmen fuhren zur Schnellverfiigbarkeit der vom Rezipienten gewünschten Information und ermöglichen eine selektive Lektüre. - übersichtlichere Textgestaltung durch Kapitelüberschriften und Abschnitte, größere unbedruckte Abstände und abgesetzte Anmerkungen, Alinea und Satzzeichen: Im Unterschied zu den mittelalterlichen Praktiken fällt neben der Umwertung der Satzzeichen, die allmählich verstärkt Sinneinheiten abgrenzen, vor allem eine großzügigere Flächeneinteilung auf, wobei zur Optimierung nun auch Leerzeilen beitragen. Hinzu kommt die Nutzung skalierbarer Drucktypen sowie die Hervorhebung einzelner Begriffe durch Größe oder Wechsel der Drucktype (z.B. Antiqua bei Fremdwörtern). Durch den Gebrauch abschnittsweise variierender Schriftgrößen wird der Rezipient - ohne Worte - auf Unterschiede oder Abstufungen in der Wichtigkeit des dargebotenen Stoffes aufmerksam gemacht. Schrifttypen können also im Druck mit beweglichen Lettern „als graphostilistisches Element" eingesetzt werden (Wolf 2000: 1712). - die Ausstattung der Drucke mit Titelblättern: Während zunächst wie in den mittelalterlichen Handschriften am Ende von Drucken das Kolophon wichtige Druckdaten beeinhaltete, findet sich 1484 das erste Titelblatt mit Titel, Druckort, Druckjahr und einer Drucker-

15

16

Honemann hingegen führt derartige inhaltserschließende Maßnahmen darauf zurück, „daß die Drucker mit einer hohen Zahl von ,Erstlesern' rechneten, die im Umgang mit Büchern weniger geübt waren, als Handschriftenbenützer" (1999: 544). Für die Übergangsphase ist der Variantenreichtum charakteristisch, wenn alte Ordnungssysteme neben neue gestellt werden, die sich erst langsam zu etablieren beginnen, wie das Nebeneinander von Foliierung und Paginierung. Lange Zeit blieben aus den mittelalterlichen Handschriften im Druck auch die Kustoden bewahrt, die durch Wortwiederholung unten rechts und oben links die richtige Abfolge der Seiten sicherstellen.

Kommunikationsrelevante Veränderungen durch das Medium Buchdruck

79

marke, die auf den Drucker Peter Schöffer verweist. Als wichtige Konstante des Titelblatts kommt später der Name des Autors hinzu. Am nun eigentlich überflüssig gewordenen Kolophon hielten die Drucker aber noch lange Zeit fest. 17 Die wichtige Errungenschaft des Titelblatts kann für ein sinnvolles Katalogisieren und Bibliographieren nicht bedeutend genug veranschlagt werden. Reduziert auf die Grundkonstanten Autor - Titel - Druckort und -jähr ist zudem eine schnelle und eindeutige Identifizierung des im Druck erschienenen Werkes gewährleistet. Schnelle Vervielfältigung in (weitgehend) standardisierter Form stellt zweifellos den immensen Vorteil des Buchdruckes gegenüber handschriftlicher Reproduktion dar. Dennoch hat dieser Vorzug auch eine Kehrseite: Denn mit dem neuen Medium ist auch die Gefahr des allzu schnellen, inflationären Gebrauchs verbunden, der unter anderem zur Folge hat, daß das geschriebene Wort, das im Mittelalter als .Garant der Wahrheit' galt, in seiner Glaubwürdigkeit erschüttert wurde. JanDirk Müller stellt dazu fest: Conrad Gesner asserts in 1545, after almost a hundred years of printing, that books disappear as quickly as they are produced. H e demands the establishment of public libraries at least for the valuable old manuscripts, as the apparently unlimited possibilities of reproduction by print lead to arbitrariness and u s e l e s s n e s s [...; Gesner, Conrad: Bibliotheca Universalis and Appendix. Zürich 1966 ( 1 5 4 5 ) , 30]. The written word loses the ,aura' that it p o s s e s s e d in medieval culture as a guarantor of truth, as a vessel of arcane knowledge, e v e n as a c o m p o n e n t of magical practices. (Müller 1994: 34)

Bekanntlich stehen die volkssprachigen Drucke trotz kontinuierlichen Anstiegs hinter den lateinischen Druckschriften bis gegen Ende des 17. Jahrhunderts zahlenmäßig weit zurück. Kam um 1500 auf 20 lateinische Werke ein volkssprachiger Druck, so verbesserte sich das Verhältnis zwischen Latein und Deutsch in der Reformationszeit um 1524 auf 3 : 1 , während um 1570 noch 70% aller gedruckten Werke lateinisch waren. Es dauerte bis 1681, bevor die volkssprachigen Drucke erstmals die lateinischen übertrafen (vgl. Hartweg 2000: 1686). Der Anteil naturkundlich-medizinischer Texte sowohl an der lateinischen als auch deutschen Buchproduktion ist nur schwer bestimmbar. Für den Zeitraum von 1480 bis 1599 ermittelte Giesecke (1991: 508) einen Anstieg der lateinischen wissenschaftlichen Texte von etwa einem Zehntel bis

17

Vgl. G i e s e c k e (1991: 4 2 0 - 4 2 4 ) und Wellmann (1990: 2 6 2 und 2 7 1 ) .

80

Historische Fachprosaforschung: Das Wissen und seine Vermittlung

zu einem Fünftel an der Gesamtproduktion von Druckern in Straßburg. Der Bestand an volkssprachiger Fachprosa ist nach Schätzungen im Vergleich mit entsprechenden lateinischen Werken erstaunlich groß: Zwischen 1520 und 1580 dürften beide Bestände sogar deckungsgleich gewesen sein, bevor sich die Verhältnisse zugunsten des Lateinischen wandelten.18 Der überproportional große Anteil volkssprachiger Fachliteratur hat seinen Grund in einer stärkeren Nachfrage einer neuen Käuferschicht, die mit der Erfindung des Buchdrucks und der Zunahme der allgemeinen Lesefähigkeit entstanden war. Hinter dem allenthalben apostrophierten gemeinen man als Adressat und Käufer der Werke verbirgt sich eine relativ unspezifische Leseröffentlichkeit, die sich vor allem aus akademisch Ungebildeten zusammensetzte und vom Laien bis zum fachspezifisch ausgebildeten Handwerker, Chirurgen oder Baumeister reichte.19 Die Autoren, die für ein derartig weit gefaßtes Lesepublikum in der Volkssprache schrieben, waren bemüht, das nun volkssprachig vermittelte Wissen, das zunächst entweder handwerkliches Werkstattwissen war oder aus lateinischen Quellen stammte, für das Lese- und Informationsbedürfnis des angestrebten Adressatenkreises aufzubereiten. Neben den durch den Druck forcierten Verfahren einer Optimierung der formalen Textgestaltung kamen auf der inhaltlichen Ebene mehr oder weniger verständigungssichernde Maßnahmen hinzu mit dem Ziel, das ursprünglich für Fachleute verfügbare Wissen zu .popularisieren'. Ob die Autoren tatsächlich erfolgreich waren, bleibt zumindest für die Frühphase der im Druck erschienenen Fachtexte fraglich. Eingeräumt werden muß, daß in der Inkunabelzeit vor allem alte Wissensbestände aufbereitet wurden, die den Handwerkern aus der Praxis meistens ohnehin bekannt waren und für den Laien wohl nur von geringem Gebrauchswert gewesen sind. Auf der anderen Seite darf

18

Das Ergebnis beruht auf Auszählungen des ,Wolfenbüttler Verzeichnisses medizinischer und naturwissenschaftlicher Drucke. 1472-1831' von Zachert (Chronologischer Index, Reihe B, Bd. 5 - 7 , 1976); vgl. hierzu Pörksen (1986: 55f.).

19

Zu der Adressatengruppe des gemein man bzw. gemeinen folck oder des Konzeptes gemein nutz vgl. Giesecke (1991: passim) sowie Keil (1991), der zur Rezeption heilkundlicher Literatur in Mittelalter und früher Neuzeit schreibt: „Laien als Benutzer medizinischen Schrifttums sind häufig bezeugt, einerseits textextern durch Besitzeinträge und sonstige Notizen [Fn.], andrerseits durch Hinweis in den Texten selbst, wo sie als Empfänger, Patienten, Textbearbeiter sowie -vermittler genannt werden [Fn.] (...)" (S. 230).

Sprachwissenschaftliche Ansätze zur Analyse der Textkonstitution von Fachtexten

81

allerdings auch nicht übersehen werden, daß allmählich neues Wissen durch die zunehmende Übersetzung lateinischer Quellen und die häufigere, für die Autoren äußerst werbewirksame Brechung sogenannter Werkstattgeheimnisse erstmals von jedermann' rezipiert werden konnte.

3.3

Sprachwissenschaftliche Ansätze zur Analyse der Textkonstitution von Fachtexten

Für die historische Fachsprachenforschung der Gegenwart zeichnet sich im wesentlichen eine zweiteilige Aufgabenstellung ab: Neben den traditionellen lexikalischen und an philologischen Fragestellungen ausgerichteten Quellenstudien in der Nachfolge von Gerhard Eis, deren Ergebnisse nach wie vor bedeutende Forschungsleistungen darstellen, steht die in jüngerer Zeit erhobene Forderung, die auf das Fachwort zentrierte Forschung durch text- und pragmalinguistische Untersuchungen zu ergänzen. Im Zuge einer Pragmatisierung der Sprachgeschichtsschreibung kommt einerseits vor allem einer historischen Textlinguistik besondere Bedeutung zu, die Steger (1998: 297) als „Geschichte der Ausgliederung und des Ausbaus von funktionalen Sprachvarietäten und Texttypen-/Gattungsinventaren für kommunikative Aufgaben in einer sich differenzierenden Welt" begreift. Zum anderen fordert die gegenwartssprachlich orientierte Fachsprachenforschung eine diachrone Perspektive, die die zur Zeit im Mittelpunkt stehenden Fragen wie etwa zur Stilistik der Wissenschaftssprachen oder zur Verständlichkeitsproblematik aus ihrer Genese heraus zu beantworten hilft (vgl. Kalverkämper 1993). Grundsätzlich kann festgestellt werden, daß sowohl die Textgeschichte des Deutschen als auch die Geschichte der Fachtexte im besonderen nicht hinreichend erforscht sind. Die gedruckte Fachprosa rückte vor allem seit den medientheoretisch ausgerichteten Forschungen von Giesecke20 in das allgemeine Interesse, der die neue Kommunikationstechnologie des Buchdrucks als Auslöser für eine „Umschichtung überkommener kommunikativer Verhältnisse" betrachtet (1991: 22). Da das zuvor in Handschriften dokumentierte Wissen nun einer breiteren Öffentlichkeit zuteil werde, beeinflusse

20

Vgl. hierzu Giesecke (1980, 1990b, 1991 und 1992).

82

Historische Fachprosaforschung: Das Wissen und seine Vermittlung

diese Umwälzung auch die Darstellungsprinzipien der Fachprosa. Die im Zuge des Buchdrucks allmählich erfolgende „Verschriftlichung des Lebens" führt zugleich dazu, daß das zuvor durch praktische Tätigkeit, konkrete Anschauung der Sachverhalte und mündliche Beschreibung vermittelte Wissen nun in der Schrift durch ein „begriffliches und dekontextualisiertes Wissen" ersetzt werde.21 Die Umsetzung des konkreten „Anschauungswissens" der Werkstätten in ein abstraktes „Beschreibungswissen" des Lehrbuchs mache dabei Veränderungen notwendig, die der Situationsentbundenheit des Dargestellten Rechnung tragen, indem nun die Versprachlichung von Raum und Zeit der Handlungsabläufe sowie der kausalen Verknüpfung von Arbeitsgängen zur Verständigungssicherung unentbehrlich werde.22 Die als Folge des Medienwandels veränderte sprachliche Kodierung zeigt sich nach Giesecke konkret an einer Ausdifferenzierung von Präpositionen zur Signalisierung räumlicher (und zeitlicher) Verhältnisse und an der (durch Konjunktionen geleisteten) logischen Koordinierung der in einzelne Sequenzen aufgelösten Handlung.23 Der von Giesecke proklamierte Umschichtungsprozeß der Kommunikationsverhältnisse ist an ausreichend empirischem Material noch nicht überprüft, zumal sprachwissenschaftliche Aspekte bislang allenfalls gestreift wurden. Unberücksichtigt bleiben bei Giesecke zudem alle dem Fortschritt gegenläufige Strömungen und Retardierungen der Entwicklung, die ebenfalls zum Erscheinungsbild frühneuzeitlicher Drucke gehören.

21

22

23

Jan-Dirk Müller stellt fest: „The ties and analogies to situations involving oral communication are severed" (1994: 44). Vgl. hierzu Giesecke (1980). Als das entscheidende Kodierungsverfahren des Wissens wird aus der Vielfalt möglicher Wahrnehmungen die visuelle Perspektive gewählt, wobei die Versprachlichung visueller Wahrnehmung - was sowohl ihre produktive wie auch rezeptive Seite betrifft - erst allmählich erworben werden mußte (vgl. hierzu Giesecke 1990b: 340f.). Hinter dem Begriff .Syntax für die Augen' versteht Giesecke (1990b: 343) vor allem „eine Syntax für Informationen, die mit den Augen (des Autors) gewonnen sind, und es ist eine Syntax, die den Leser zur Sammlung visueller Erfahrungen anleiten soll." Den sich allmählich erweiternden Bestand an Konjunktionen und Präpositionen als Anzeichen einer zunehmenden Syntaktisierung zeigt Giesecke anhand einer diachronen Studie zu einer Beschreibung der ,Mayenblume' in der heilkundlichbotanischen Literatur der frühen Neuzeit auf (1990b: 344-350). Hierbei ist allerdings die Zunahme der Präpositionen (in Anbetracht der untersuchten Textmenge) weniger signifikant als die der Konjunktionen. Allerdings muß bedacht werden, daß das spärliche Belegmaterial für beide Wortarten ohnehin kaum ausreicht, um eine empirisch abgesicherte Entwicklungslinie aufzeigen zu können.

Sprachwissenschaftliche Ansätze zur Analyse der Textkonstitution von Fachtexten

83

Aspekte der Verständlichkeit und Anschaulichkeit des vermittelten Wissens in frühneuzeitlichen Fachkompendien beschäftigen auch Kästner/Schütz/Schwitalla (1990), die sich den vom Autor gewählten Vermittlungsstrategien aus sprachpragmatischer Sicht nähern. Für die von ihnen angestrebte ,textsortenspezifische Stilistik' ist das Wechselverhältnis von Textstruktur, Syntax und Lexik konstitutiv, wobei Brüche und gegenläufige, die Allgemeinverständlichkeit hemmende Tendenzen ebenfalls mit einbezogen sind. Besondere Beachtung gilt dabei einer möglichen Orientierung an rhetorischen Regeln, die eine größere Präzision und Variation auf syntaktischer Ebene bedingen oder zur Anschaulichkeit des Vermittelten durch spezifische Stilmittel beitragen wie etwa durch den Vergleich von Unbekanntem mit Bekanntem oder den Gebrauch von Metaphern, Redewendungen und Sprichwörtern. Hinzu kommen rezeptionssteuernde Strategien auf Textebene, die entweder der Verständnissicherung (z.B. durch Bilder oder sacherläuternde Glossare) oder der bloßen Unterhaltung (z.B. durch Einschübe narrativer Passagen in informierenden Texten) dienen. Die in jüngster Zeit zu historischen Textformen nach der Erfindung des Buchdrucks erschienenen Untersuchungen gehen beinahe standardmäßig auf die sich in Wortschatz und Textkonstitution manifestierenden Veränderungen ein, wobei das Forschungsinteresse in Abhängigkeit von den untersuchten (Fach-)Texten unterschiedlicher Provenienz divergiert. 24 Mit der Untersuchung der „Textbildung", die Formen und Inhalte gleichermaßen umfaßt, stellt Wellmann (1990: 263) einen weit gesteckten Untersuchungsrahmen vor, der bislang allerdings nur programmatischen Charakter hat. Seine Vorstellung von Textbildung verdeutlicht ein elf Punkte umfassender Katalog, wobei er von einem Zusammenwirken der Redesituation (Thema, Betrachtungsperspektive, Intention des Autors), der Wahl der Textform und der Art der Textgestaltung (lexikalische Elemente und Isotopien, Textsyntax, graphische Gestaltung und optische Gliederung) ausgeht. Bei den Faktoren, die die Textform wesentlich prägen, handelt es sich um die Kommunikationsform (schriftlich oder mündlich), die Darstellungsart (z.B. die Sprech-

24

Vgl. hierzu die Beiträge im Sammelband v o n Große/Wellmann (1996); einzelne Aspekte der sprachlichen Gestaltung in Fachtexten des 16. Jahrhunderts thematisieren Döring/Eichler (1994); zur Vermittlung geometrischen W i s s e n s vgl. die Beiträge v o n Müller ( 1 9 9 3 , 1999) und zu d e n Orientierungshilfen in der frühneuzeitlichen Sachprosa vgl. ferner Heitel ( 1 9 9 5 , 1996).

84

Historische Fachprosaforschung: Das Wissen und seine Vermittlung

akte), den Stiltyp, die inhaltliche Zusammensetzung des Textes (die Textformanten) und schließlich die Berücksichtigung der Normen der Textgattung (die Textart). Der von Wellmann aufgestellte Kriterienkatalog baut weitgehend auf textlinguistischen, an der Gegenwartssprache erprobten Klassifikationsschemata auf, während den Besonderheiten der Textgestaltung in der Frühphase des Buchdrucks wie etwa der stark ausgeprägten Intertextualität zwischen den volkssprachigen Werken und der Art der Interdependenz von lateinischen Vorlagen kaum Beachtung geschenkt wird. Von sprachwissenschaftlicher Seite wurde die starke Bindung frühneuzeitlicher Fachtexte an lateinische Vorlagen allenfalls am Rande gestreift: Es interessierten bislang beinahe ausschließlich die metasprachlichen Äußerungen der Fachautoren arzneikundlicher Literatur zur Entscheidung ihrer Sprachwahl innerhalb des deutsch-lateinischen Sprachenstreits25 und nicht Vergleiche der Satz- oder Textorganisation in Abhängigkeit von lateinischen Mustern. Nur Pörksen (1984, 1994), der den Abbau des Gelehrtenlateins durch die deutsche Fachliteratur als langwierigen Prozeß beschrieb, beschäftigte sich auch mit der lateinischen Seite der deutschen Fachprosa und machte darauf aufmerksam, daß volkssprachige Texte, selbst wenn sie keine direkten Vorlagen haben, in ihrer stilistisch-rhetorischen Gestaltung wie Übersetzungen einer lateinisch gedachten oder tatsächlich konzipierten Vorlage erscheinen können.26 Es soll daher auch in dieser Arbeit die Frage Pörksens (1994) aufgegriffen werden, inwieweit die volkssprachige Sachprosa als ,Lehnbildung der lateinischen Schriftkultur' bezeichnet werden kann.

25

Vgl. hierzu Teile (1979). Mit der Sprachwahl in dem lateinisch-deutschen Fachkompendium Urania Propitia (1650) von Maria Cunitz beschäftigt sich der Beitrag von Guentherodt (1987), in dem die deutsche Wissenschaftssprache - dort werden u.a. die wissenschaftliche Argumentation der Autorin, Erläuterungen von Fachtermini und wissenschaftliche Definitionen abgehandelt - ohne Rekurrenz auf den lateinischen Text erläutert ist.

26

Vgl. hierzu die lateinische Übersetzung der .Dritten Defension' des Paracelsus bei Pörksen (1994: 7 2 - 7 4 ) .

Zusammenfassung und Ausblick

3.4

85

Zusammenfassung und Ausblick

Die bisherigen Untersuchungen zur historischen Fachprosa, die einen deutlichen Schwerpunkt auf der Erforschung naturkundlich-medizinischer Schriften erkennen lassen, können nach den folgenden Forschungsansätzen und -interessen klassifiziert werden: - Fachprosaforscher und Fachhistoriker räumen zum einen den „Wörtern und Sachen" und zum anderen spezifischen Themenkreisen, wie etwa im heilkundlichen Sektor der Blutschau oder dem Aderlaß, Priorität ein: Hierbei stehen Textedition, Sacherläuterung, Quellenforschung und Wirkungsgeschichte im Vordergrund. - Kommunikationstheoretiker machen die Erfindung des Buchdrucks verantwortlich für tiefgreifende Umwälzungen der kommunikativen Verhältnisse. Die durch den Buchdruck hervorgerufene Aufwertung der Schriftlichkeit und die Produktion für einen weitgehend anonymen Markt führt zu einer Loslösung der gedruckten Fachprosa aus der mündlichen Sphäre der Werkstätten und aus der halboffiziellen Schreibkultur der Handschriften. - Die neuere Fachsprachenforschung ist stark auf die durch den Buchdruck bedingte Erschließung neuer Kommunikationsräume vor dem Hintergrund ihrer Auswirkung auf die Satz- und Textorganisation ausgerichtet. Dabei interessiert die besondere Redesituation sowie die Vermittlungs- und Popularisierungsstrategien der Autoren für eine lateinunkundige Leserschaft. Als offene Fragen der historischen Fachprosaforschung, die im Folgenden Untersuchungsziele der vorliegenden Arbeit darstellen sollen, lassen sich festhalten: - Die Erforschung der volkssprachigen Drucke naturkundlich-medizinischen Inhalts bleibt von der traditionellen Fachprosaforschung weitgehend ausgeklammert. - Bei den fachhistorisch ausgerichteten Untersuchungen zu spätmittelalterlichen Fachtexten liegt - trotz fruchtbarer Ansätze - noch immer ein deutlicher Schwerpunkt auf der Sache, dem Inhalt (dem „ W a s " ) und weniger auf der Art der Wissensvermittlung (dem „Wie"). - Die Betrachtung der spätmittelalterlichen Fachtexte erfolgt primär aus der Sicht der Textgeschichte, d.h. der Quellenexzerption und Wirkungsgeschichte, während die spezifische Verarbeitung von Ex-

86

Historische Fachprosaforschung: Das Wissen und seine Vermittlung

zerpten durch den Autor - mit Ausnahme des Fachwortbereichs unter sprachlich-formalen, textlinguistischen oder gattungsspezifischen Gesichtspunkten in den Hintergrund treten. - Die von medientheoretischer und sprachhistorischer Seite konstatierten Zusammenhänge zwischen dem Buchdruck und der Textorganisation im weitesten Sinn geben zwar wesentliche Impulse für die Erforschung der gedruckten Fachprosa, allerdings blieb diese bislang nahezu vollständig auf die Suche nach metasprachlichen Kommentaren zu den veränderten Kommunikationsverhältnissen sowie auf knappe Studien zu einzelnen Textexemplaren beschränkt. Als Defizite können festgestellt werden: Es fehlen Untersuchungen zur Satz- und Textorganisation von Druckschriften unter text- und pragmalinguistischen Gesichtspunkten, die die innerhalb des medizinisch-naturkundlichen Sektors starke Intertextualität hinreichend berücksichtigen. Jeder neue Text muß im Kontext seiner Vorläufer gelesen werden, so daß die Frage nach der Vorlagenabhängigkeit und Kompilationstechnik von zentraler Bedeutung bleibt. Hier wird auch eine diachrone Perspektive relevant, da Übernahme und Bearbeitung inhaltlicher Blöcke Einblick in die Tradierung und Entwicklung eines sich allmählich etablierenden Textmusterwissens geben. Völlig vernachlässigt blieben aber auch Abhängigkeit und Wechselbeziehung der gedruckten Fachprosa im Hinblick auf ihre lateinischen Vorlagen. Hier fehlen Untersuchungen, die die Spannweite des Einflusses von der genauen Übersetzung lateinischer Satzmuster, der Paraphrasierung oder Kürzung bis zur freieren Nach- und Umgestaltung der Vorlage nachzeichnen. Darüber hinaus bleibt zu fragen, ob Veränderungen aufgrund einer dem jeweiligen Publikum angepaßten Stilhaltung vorgenommen werden oder inwiefern die Textorganisation oder sogar Textmuster lateinischen Vorbildern verpflichtet sind.

Zusammenfassung und Ausblick

87

Für die empirische Untersuchung der naturkundlich-medizinischen Fachprosa sollen drei Zielsetzungen verfolgt werden: 1. Analyse eines hinreichend umfangreichen Textkorpus aus dem medizinisch-naturkundlichen Bereich nach textorganisatorischen und pragmatischen Aspekten unter Berücksichtigung der Vorlagenabhängigkeit. 2. Untersuchung der Übersetzungsliteratur in ihrer Abhängigkeit von der lateinischen Vorlage. 3. Charakterisierung von Existenzformen naturkundlich-medizinischer Fachprosa der frühen Neuzeit.

4 Anlage und Ziele der Untersuchung Im Mittelpunkt der Untersuchung stehen naturkundlich-medizinische Drucke volkssprachiger und lateinischer Provenienz, deren überwiegender Teil aus dem 16. Jahrhundert stammt. Die massenhafte Produktion von volkssprachigen Fachtexten dieses Sachgebiets läßt auf einen Markt schließen, der die Autoren vor die Aufgabe stellte, das zuvor teils mündlich, teils in mittelalterlichen Handschriften tradierte oder in lateinischer Sprache vermittelte Wissen nun für eine breitere Öffentlichkeit im Druck aufzubereiten. Der botanisch-medizinische Sektor, der heute die Wissenschaftsdisziplinen Botanik, Pharmazie, Medizin und Chemie abdecken würde, war wegen seines erhofften Nutzwerts von überragender Bedeutung. Nicht berücksichtigt werden Werke aus anderen Realdisziplinen, die seit dem Spätmittelalter ebenfalls in der Volkssprache verfaßt oder ins Deutsche übersetzt worden sind: Deutsche Druckschriften liegen aus den Bereichen Architektur, Geometrie und Mathematik vor sowie Zoologie, Alchemie, Astronomie/Astrologie und schließlich dem Bergbau. Die Palette der deutsch-lateinischen Wechselwirkung ist weit gespannt: Albrecht Dürer verfaßte architektonisch-geometrische Schriften ausschließlich auf deutsch, die später ins Lateinische übersetzt wurden, während der Mathematiker Michael Stifel seine Arithmetik sowohl auf Latein als auch in deutscher Sprache herausgab und die lateinischen Werke der Humanisten Konrad Gesner und Georg Agricola von dritten (Konrad Forer, Rudolf Heußlin und Philipp Bech) ins Deutsche übersetzt wurden.1 Für die Auswahl des naturkundlich-medizinischen Sektors können die folgenden Gründe geltend gemacht werden: Es handelt sich nicht nur um einen thematisch geschlossenen Bereich, der durch unzählige Text-

Vgl. Habermann (1996: 14f.). Zu Übersetzungen vom Deutschen ins Lateinische vgl. auch P. 2.2, Anm. 8). Die Analyse derartiger Werke unter textorganisatorisch-pragmatischen Gesichtspunkten, für die sich bislang überwiegend Fachhistoriker und Humanismusforscher - mit höchst unterschiedlicher Zielsetzung - interessierten, würde den Rahmen der vorliegenden Untersuchung sprengen, bleibt aber trotz etlicher Detailbeobachtungen bei Giesecke (1991: passim) ein Desiderat der Forschung.

Das Textkorpus

89

zeugen besonders reich vertreten ist, sondern auch um ein Wissenschaftsgebiet, das sowohl im botanischen als auch im medizinischanatomischen Bereich durch Erweiterung des tradierten Wissens gekennzeichnet und durch eine Vielfalt an unterschiedlichen Textformen und Verfahren der Textorganisation ausgewiesen ist. Im Folgenden soll das Textkorpus nach Umfang und Zusammensetzung kurz charakterisiert werden (P. 4.1). Danach werden die Kriterien für eine Analyse der Textorganisation dargelegt, die sowohl die Makrostruktur als auch die Mikrostruktur der Texte umfaßt (P. 4.2). Es folgen die Untersuchungsaspekte zum Einfluß des lateinischen Musters (P. 4.3) und schließlich eine Zusammenfassung der Aspekte, die bei einer text- und pragmalinguistischen Klassifizierung der Fachtexte dieses Sektors berücksichtigt werden müssen (P. 4.4). Nachfolgend werden zwar aus Gründen der Übersichtlichkeit die Untersuchungsziele klar differenziert zwischen der Textorganisation in der volkssprachigen Fachprosa auf der einen und dem lateinischen Sprachkontakteinfluß auf der anderen Seite, doch läßt sich wegen der engen Verbindung die strikte Trennung der beiden Aspekte im empirischen Teil nicht sinnvoll aufrechterhalten und wird daher aufgegeben.

4.1

Das Textkorpus

Den Kern der Untersuchung bilden zentrale Kräuterbücher und wichtige arzneikundlich-medizinische Werke, die nach den Kriterien Herkunft (Übersetzungsliteratur), Thema (Chirurgie) oder Person (Schriften des populärwissenschaftlichen Autors Ryff) ausgewählt wurden. Die botanisch-medizinischen Druckschriften stammen mehrheitlich aus dem 16. Jahrhundert, wobei vereinzelt ältere Quellen des 15. Jahrhunderts und Neuauflagen älterer Drucke aus dem 17. und 18. Jahrhundert herangezogen werden. Das Textkorpus umfaßt ca. 60 Quellen (vgl. das Quellenverzeichnis S. 521-546). Wegen der Vielzahl der Auflagen, die für einen Großteil der ausgewählten Fachtexte nachweisbar sind, kann das Korpus als hinreichend repräsentativ für das naturkundlich-medizinische Schrifttum der frühen Neuzeit gelten.2 Mit Ausnahme begründeter Einzelfälle stellt die Erst-

Als Basis für die Zusammenstellung des Textkorpus wurden das .Verzeichnis medizinischer und naturwissenschaftlicher Drucke 1472-1830' von Zachert (1976)

90

Anlage und Ziele der Untersuchung

ausgabe des Druckes den Ausgangspunkt der Untersuchung dar. Hinzu kommen diejenigen späteren Nachdrucke, die in inhaltlich-formaler Hinsicht grundlegend überarbeitet sind, so daß in diesen Fällen ein Vergleich mit der Erstfassung wichtige Einblicke in Verfahren der Umarbeitung bietet.3 Die spezifische Zusammenstellung des Textkorpus richtet sich nach den folgenden Auswahlprinzipien, die bereits wichtige Ziele der empirischen Untersuchung anzeigen: Im Mittelpunkt stehen die naturkundlich-medizinischen Texte, die in der Volkssprache verfaßt sind. Das Textkorpus ist heterogen hinsichtlich der Autorschaft, des Umfangs der Werke, der Herkunft des Stoffes und vor allem der Textorganisation.4 Zentrale Bedeutung kommt dabei denjenigen Fachtexten zu, die als Übersetzungen oder Bearbeitungen lateinischer Vorlagen gelten können. Hier wird die lateinische Quelle zur Feststellung von Übernahmen und Abweichungen ebenfalls mit einbezogen. Dabei handelt es sich zum einen um antike Quellen (wie z.B. der lateinische Dioskurides oder Celsus), die in volkssprachigen Übersetzungen aufbereitet wurden, oder zum anderen um lateinische Texte der Neuzeit, die in der Mehrzahl von humanistisch ambitionierten Verfassern (Mattioli, Fuchs, Tagault etc.) stammen. Umgekehrt findet auch die Übersetzung volkssprachiger Werke ins Lateinische Beachtung (wie etwa das Kräuterbuch von Bock durch Kyber). Für die Auswahl der Texte ist zudem entscheidend, daß nicht immer ein und derselbe Autor sowohl für die lateinische als auch für die volkssprachige Textversion verantwortlich

sowie das .Verzeichnis der im deutschen Sprachbereich erschienenen Drucke des XVI. Jahrhunderts' (VD 16) ausgewertet. Etliche Kräuterbücher und anatomischchirurgische Schriften sind als Faksimile-Nachdrucke zugänglich. Als besonders vorteilhaft erwies sich der Umstand, daß die meisten Fachtexte (in der Erstauflage und in mehreren späteren Auflagen) in der Universitätsbibliothek Erlangen eingesehen werden konnten: Dort steht mit der Sammlung Trew ein Großteil des Nachlasses von Konrad Gesner zur Verfügung, womit eine einzigartige Konzentration naturkundlich-medizinischer Literatur der frühen Neuzeit erreicht ist. Außer acht gelassen werden dabei die für die einzelnen Druckersprachen charakteristischen graphematischen Veränderungen. Von einer vollständigen Erfassung aller naturkundlich-medizinischen Werke muß schon allein wegen der ungeheueren Materialfülle der überlieferten Texte Abstand genommen werden. Ausgeschlossen bleiben z.B. alle anonymen Werke und die äußerst zahlreichen Pesttraktate, die nicht selten literarische Kleinstformen mit einem Umfang von nur vier Blatt im Oktavformat darstellen. Vertreten sind hingegen die Werke aller wichtigen Fachautoren mit Ausnahme von Paracelsus, der aufgrund seiner Sonderstellung für lange Zeit nicht im Wissenschaftsgefüge der frühen Neuzeit integriert war (vgl. hierzu Teile 1981 und Zimmermann 1995).

Zur Analyse der Textorganisation volkssprachiger Fachtexte

91

zu machen ist (wie z.B. bei Lonitzer (lat./dt.) oder Fuchs (lat./dt.), nicht aber bei Rösslin (dt.) - Dorstenius (lat.) oder Mattioli (lat.) Handsch/Camerarius (dt.)). Neben der antiken und humanistischen Tradition wird an einem ausgewählten Beispiel auch der mittelalterliche Überlieferungsstrang lateinischer und volkssprachiger Texte hinreichend berücksichtigt. Da die volkssprachige Fachprosa des 16. Jahrhunderts im Schnittpunkt alter und neuer Sichtweisen steht, bleibt der Blickwinkel humanistischer Erneuerung ohne Rückbesinnung auf ihre mittelalterlichen Wurzeln völlig ungenügend. Übersetzungen oder Bearbeitungen lateinischer Quellen bilden dabei nur einen Teil der volkssprachig überlieferten Fachkompendien. Zum anderen werden indigene Texte ausgewählt, die keine direkte lateinische Vorlage erkennen lassen. Besonderes Augenmerk wird dabei auf die wirkungsmächtigen Texte gelegt, die immer wieder in neuen Auflagen oder Bearbeitungen erschienen und wesentliche inhaltlich-formale Veränderungen erfuhren (wie z.B. das Destillierbuch von Brunschwig oder die Wundarznei von Gersdorff). Einen Schwerpunkt bilden die Bearbeitungen medizinisch-heilkundlicher Werke von Walther Hermann Ryff, der als der größte Popularisator deutscher Fachprosa im 16. Jahrhundert gilt.5 Die Auswahl der Fachtexte, die allesamt einen bedeutenden Platz in der volkssprachigen Fachliteratur einnehmen, ist einerseits durch das Kriterium der lateinischen Vorlage und andererseits durch die Eingebundenheit in eine lange volkssprachige Tradition bestimmt.

4.2

Zur Analyse der Textorganisation volkssprachiger Fachtexte

Von zentraler Bedeutung ist die Textgestaltung der volkssprachigen Fachtexte, die nach ihrer Makro- und Mikrostruktur unter Berücksichtigung ihrer Rolle als wissensvermittelnde Dokumente im Kommunikationsprozeß des 16. Jahrhunderts beschrieben werden. Der Terminus .Makrostruktur' bezieht sich im folgenden auf die Grobstrukturen der Texte mit den texterschließenden Elementen (wie Titelblatt, Register

Einen Überblick über das umfangreiche Gesamtwerk von Ryff bietet die Bibliographie von Benzing (1959). Vgl. auch P. 12.

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Anlage und Ziele der Untersuchung

etc.) unter Einschluß der Anordnungsprinzipien des Wissensstoffes (in Großkapitel und Unterkapitel, alphabetisch oder sachgruppenorientiert); mit dem Terminus .Mikrostruktur' werden die Feinstrukturen wie die Kapitelgestaltung, Binnengliederung und Darstellungsprinzipien bezeichnet.6 Thema der Untersuchung sind also Formen der Wissensvermittlung, die die Intention des Verfassers und die Bedürfnisse der Rezipienten als tragendes Fundament erkennen lassen: Wer schreibt für wen in welcher Absicht mit welchen Mitteln? Berücksichtigt werden aber auch textlinguistische und -pragmatische Ansätze, die innerhalb der neueren Fachsprachenforschung bislang beinahe ausschließlich an der Gegenwartssprache erprobt wurden (vgl. z.B. Baumann/Kalverkämper 1992, Schröder 1993, Kalverkämper 1996). Den Ausgangspunkt der Arbeit bildet die These, daß der vom Autor intendierte Adressatenkreis die Art der Textgestaltung wesentlich beeinflußt: Hiervon hängen die Komplexität des vermittelten Wissens bzw. der Grad der Vereinfachung und Verdeutlichung ab sowie die vom Autor gewählten Strategien der Verständnissicherung. Über die Intention des Autors, für welchen Adressatenkreis zu welchem Zweck aus welchem Grund er die Schrift verfaßte, geben die Titelblätter und Vorworte hinreichend Auskunft. Aufschlußreich sind ebenso Biographie und CEuvre des Autors mit Angaben zum Bildungsweg, zum wissenschaftlichen Betätigungsfeld, zum Nebeneinander lateinischer und deutscher Schriften oder zur Übersetzungstätigkeit. Die Untersuchungen zu den Kräuterbüchern einerseits und den medizinisch-arzneikundlichen Schriften andererseits werden nach den entsprechenden thematischen Schwerpunkten der einzelnen Kapitel voneinander geschieden. Im makro- und mikrostrukturellen Bereich werden die folgenden Aspekte berücksichtigt: - die Gliederung und Reihung des Stoffes im großen wie im kleinen: Signale einer bewußten Textstrukturierung sind sowohl Begleittexte wie Titelblatt, Vorwort, Inhaltsverzeichnis, Register oder Glossar der verwendeten Fach-

Zu den Termini .Makro-' und ,Mikrostruktur' in der Lexikographie vgl. Wiegand (1989 a und b). Eine hiervon abweichende makrostrukturelle Konzeption nimmt Simmler (1996) vor.

Zur Analyse der Textorganisation volkssprachiger Fachtexte

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termini als auch Segmentierungsformen innerhalb des Textes wie Kapitel, Absätze, (Teil-)Überschriften, Marginalien oder Zifferngliederung. - die thematische Anordnung und quantitative Gewichtung des Inhalts: In Kräuterbüchern können Pflanzen z.B. nach ihrer gattungsgemäßen Zugehörigkeit zusammengestellt oder alphabetisch bzw. teilalphabetisch aneinandergereiht werden. Es bleibt zu fragen, in welchem quantitativen Verhältnis z.B. die Beschreibung von Pflanzen zu den Angaben ihrer Heilwirkung steht. - die Charakterisierung der Textsegmente nach Herkunft und textueller Verflechtung: Anhand eines Kräuterbucheintrags {De Savina - Der Sadebaum) werden die einzelnen Informationsblöcke auf ihre Vorlagenabhängigkeit geprüft. Die Quellenuntersuchung zeigt auf, wo jeweils wörtliche Übernahmen oder Veränderungen einzelner Bauelemente vorgenommen werden. Dabei geht es nicht allein um die Kompilationstechnik, sondern auch um Fragen der Textverknüpfung: Sind die übernommenen Textblöcke lediglich additiv aneinandergereiht oder werden kohäsionsstiftende Verweismittel (Pronomina, Partikeln etc.) zu einer inhaltlichen Verflechtung der Bauteile verwendet? Hierbei soll auch beobachtet werden, inwieweit die häufig stereotype Gestaltung der wenigen Grundmuster stilistisch variiert wird. - die Verfahren der Vermittlung von Wissen an den gemeinen man: Die auf das intendierte Publikum ausgerichtete Aufbereitung der Inhalte begünstigt die Vermittlung eines zweckorientierten Anwendungswissens (wozu?), wobei Begründungen (warum?) zunächst selten auftreten. Von Interesse ist vor allem die Frage, wie das Thema „angepackt" wird: Sind z.B. über die wissensvermittelnden Sprechakte der .Beschreibung' (von Pflanzen oder Krankheiten) und .Anweisung' (z.B. zur Medikation) hinaus weitere Sprachhandlungen zu finden, die die Aufmerksamkeit des Lesers (wie z.B. durch den Einbau narrativer Elemente) beeinflussen könnten? - die Darstellung der verständnisfördernden Maßnahmen: Hierzu zählen zum einen volkssprachige Erläuterungen von Fachtermini, Randglossierungen oder Anmerkungen sowie Vergleiche schwieriger Sachverhalte durch Bezug auf Bekanntes oder zum anderen textsemiotische Aspekte wie etwa Zeichnungen, die die verbale Beschreibung und Erklärung komplexer Vorgänge ersetzen oder ergänzen können. Es geht auch um die Funktion der Bildunterschriften sowie um die Wechselbeziehung zwischen Text und Bild. Darüber hinaus bleibt zu fragen, wie verständlich der Text hinsichtlich der Satzorganisation ist: Ist es dem Autor gelungen, die Vorgänge in Raum und Zeit oder kausal verknüpfte Handlungen durch ein ausreichendes .Inventar' an Raum- und Zeitadverbien, Präpositionen und Konjunktionen auch ohne direkte Anschauung mit Worten .sichtbar' zu machen?

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Anlage und Ziele der Untersuchung

- die diachrone Perspektive: Hier geht es um die Entwicklung und Veränderung der Darstellungsformen innerhalb der Kräuterbuchliteratur und der zahlreichen Bearbeitungen der in hoher Auflagenzahl erschienenen arzneikundlich-medizinischen Textzeugen, deren Bearbeiter nicht selten behaupten, die Neuauflage mit bessern Teutsch begabt zu haben. Besonderes Interesse gilt dem für die Naturwissenschaften der frühen Neuzeit proklamierten Paradigmenwechsel, wonach die auf Autoritäten gestützte Rezeptliteratur des Mittelalters zunehmend durch Beschreibung und Erklärung ersetzt worden sein soll. Es wird ferner auf die Frage eingegangen, inwiefern die verstärkt auf das schriftliche Medium ausgerichteten Darstellungsformen Auswirkungen auf die syntaktische Gestaltung der Texte haben, d.h. ob tatsächlich eine Zunahme situativer oder logischer Textverknüpfung oder der Komplexität bei hypotaktischen Gebilden bzw. Verfahren der Komprimierung als Reflex morphosyntaktischer Präzisierung und Verdeutlichung festzustellen sind.

Auf der Grundlage der synchron wie diachron ausgerichteten Analyse der naturkundlich-medizinischen Fachprosa des 16. Jahrhunderts werden zugleich Aussagen darüber möglich sein, inwiefern Elemente der modernen Wissenschaftssprache auf stilistisch-syntaktischer Ebene schon in der frühen Neuzeit ausgebildet waren.

4.3

Zur Analyse des Einflusses lateinischer Vorbilder

Die Darstellung der Textorganisation volkssprachiger Fachtexte soll einen Beitrag dazu liefern, wie ein zuvor primär dem Latein vorbehaltener Wissenschaftsbereich allmählich durch die Volkssprache aufbereitet wird. Die Verlagerung auf das eigensprachige Kommunikationsmedium kann dabei als ausgesprochen vielschichtiges Phänomen beschrieben werden: Neben Übersetzungen lateinischer Vorlagen finden sich volkssprachige Texte, die eine lediglich mittelbare Abhängigkeit von lateinischen Quellen aufweisen. Da zudem die überwiegende Mehrzahl der Autoren volkssprachiger Texte akademisch gebildet war, ist ohnehin zu vermuten, daß die für die lateinische Sprache erworbenen Kenntnisse der Verfertigung von Texten einen - wie auch immer gearteten - indirekten Einfluß auf die volkssprachigen Texte nehmen. Hierbei muß grundsätzlich beachtet werden, daß jede Art von Umsetzung lateinischen Wissens ins Deutsche begleitet war von einem Akt bewußter Lesersteuerung mit dem Ziel, den gelehrten Wissensstoff für den gemeinen man zu popularisieren. Die Aufbereitung zeigt sich an

Zur Analyse des Einflusses lateinischer Vorbilder

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der Filtrierung lateinischer Vorlagen, die in der Regel gekürzt werden, sowie an deren Erläuterung und Paraphrasierung. Die durch den intendierten Adressatenkreis bedingten Veränderungen, die auch Syntax und Stil betreffen, führten dazu, die Wiedergabe lateinischer Texte in der Volkssprache als descensus zu bewerten. Das lateinisch-deutsche Nebeneinander in der naturkundlich-medizinischen Fachprosa des 16. Jahrhunderts wird dabei unter folgenden Gesichtspunkten untersucht: - Da die Vorworte der Fachtexte, d.h. ihre Widmungs- bzw. Leservorreden, in den meisten Fällen eine Stellungnahme oder Rechtfertigung des Autors zur Wahl der deutschen Sprache bieten, werden die metasprachlichen Kommentare im Hinblick auf den Sprachenstreit Deutsch-Latein und der allmählichen Emanzipation der Volkssprache zusammengestellt und bewertet. - Im Zentrum der Untersuchung stehen die volkssprachigen Umsetzungen lateinischer Texte sowohl aus der Antike, die in humanistischen Klassikerausgaben zugänglich sind, als auch aus der frühen Neuzeit: Hier soll zum einen der Grad der Textnähe (Welche Passagen werden übersetzt, paraphrasiert, kommentiert oder ausgelassen? Welche verständnisfördernde Strategien sind beobachtbar?) bestimmt und zum anderen Unterschiede in der Wiedergabe antiker Autoritäten (des lateinischen Dioskurides oder des Celsus) und der Werke neuzeitlicher Autoren (Fuchs, Tagault etc.) aufgedeckt werden. Beim Übersetzungsvergleich geht es auch um die Frage, inwieweit die Satzorganisation der lateinischen Vorlage Satzstruktur und Verknüpfungsmittel der Übersetzung beeinflußte. - Anhand der Kräuterbuchliteratur wird überprüft, in welcher Form noch immer aus mittelalterlichen Quellen (z.B. aus dem Circa instans) geschöpft und in welchem Umfang auf antike oder humanistische Quellen zurückgegriffen wird. - Des weiteren geht es um das räumliche Nebeneinander von Latein und Deutsch in ein und demselben Text. Welche Textpartien werden in der volkssprachigen Literatur auf Latein geboten und welche Gründe können für die Sprachmischung verantwortlich gemacht werden? - An ausgewählten Beispielen wird die Umsetzung volkssprachiger Fachtexte in die Wissenschaftskoine Latein, die als ascensus bewertet wurde, hinsichtlich der Veränderungen in der Textorganisation und der vom Übersetzer praktizierten Strategien der Wissensvermittlung beleuchtet. - Da die im eleganten Latein ciceronianischer Prägung geschriebenen Fachtexte (z.B. von Celsus) auch als Stilvorbild fungierten, soll überprüft

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Anlage und Ziele der Untersuchung

werden, in welchem Umfang Syntax und Stil an den lateinischen Vorbildern orientiert sind. Werden z.B. hypotaktische Satzgefüge des Lateinischen nachgebildet oder in parataktische Strukturen aufgelöst? Sind auch Stilhöhe und rhetorische Ausschmückungen in der volkssprachigen Wiedergabe beibehalten? - Es ist ferner zu fragen, inwieweit die Hochschätzung des reinen Lateins, die in Italien zu einer Neubewertung des Volgare führte, eine Aufwertung des Deutschen nach sich zog. In welchem Umfang sind die Gestaltungsmöglichkeiten und Darstellungsstrategien in der volkssprachigen Fachprosa einer bewußten rhetorischen Gestaltung verhaftet oder sogar aus lateinischen Vorbildern .importiert'? Welche Charakteristika weist der volkssprachige Fachprosastil auf und inwieweit entsprechen sie dem genus subtile der lateinischen Rhetorik? - Einen weiteren Schwerpunkt der Analyse bilden die Vorworte, d.h. die Widmungs- bzw. Leservorreden. Einerseits dienen sie der Verständigung zwischen dem Verfasser und dem Publikum und nehmen eine Vermittlungsfunktion wahr. Zum anderen handelt es sich bei Vorworten um einen eigenen Texttyp mit bestimmten Kennzeichen. Es soll aufgezeigt werden, inwieweit rhetorische Muster bei deren Gestaltung berücksichtigt wurden, wie z.B. bei der Ausgestaltung der salutatio oder petitio der mittelalterlichen ars dictandi. Ferner wird die besondere persuasive Strategie thematisiert, die sich aus der Werbung für das Werk ergibt und mit spezifischen sprachlich-stilistischen Mitteln wie auffälligem Redeschmuck und komplexem Periodenbau verbunden sein kann. - Schließlich soll nach einer sich abzeichnenden diachronen Entwicklung im Bereich der lateinisch-deutschen Wissensvermittlung gefragt werden. Inwiefern ist eine Annäherung der beiden Überlieferungsstränge hinsichtlich der Satz- und Textorganisation feststellbar? Welche traditionellen und innovativen Teile weist die volkssprachige Literatur am Ende des Untersuchungszeitraums auf?

4.4

Fachtextkonstituierende Faktoren im Überblick

Die verschiedenen Untersuchungsaspekte lassen sich in folgender Weise schematisch zusammenfassen:

Fachtextkonstituierende Faktoren im Überblick

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5 Frühneuzeitliche Kräuterbücher und ihre makrostrukturelle Textorganisation 5.1

Kurzcharakterisierung der Kräuterbücher des Untersuchungskorpus

Die im Folgenden untersuchten Kräuterbücher des späten 15. und des 16. Jahrhunderts sind alle im Druck erschienen und in den meisten Fällen durch mehrere Ausgaben bis in das 18. Jahrhundert als besonders wirkungsmächtig ausgewiesen. Es können insgesamt drei Gruppen unterschieden werden: Die erste umfaßt die volkssprachigen Bearbeitungen lateinischer Vorlagen, die zweite die lateinischen Bearbeitungen deutscher Vorlagen, und die dritte schließlich bietet eine deutschsprachige Ausgabe, die weder direkt aus lateinischen Vorlagen geschöpft noch in das Lateinische übersetzt wurde. Aus der Umsetzung lateinischer Vorlagen entstanden die in Tabelle 2 angeführten Werke.1 Als die drei deutschen Väter der Botanik gelten Otho Brunfels, Hieronymus Bock und Leonhart Fuchs. Von diesen publizierten Otho Brunfels2 und Leonhart Fuchs3 ihre Kräuterbücher zunächst in latei-

In den nachfolgenden aus frühneuzeitlichen Quellen entnommenen Zitaten werden alle Diakritika der Textvorlagen übernommen; verzichtet wird lediglich auf die Wiedergabe des Stab-s und des geschwänzten 3. Abkürzungen der Vorlagen werden nur dann aufgelöst, wenn es die Verständnissicherung erfordert. Otho Brunfels [Brunnfels] (1489/90 in Mainz - 1534 in Bern) war zunächst Kartäusermönch in Mainz und Straßburg, floh mit Hilfe Huttens, kehrte erneut in das reformierte Straßburg zurück, bis er schließlich nach dem Studium der Medizin in Basel Stadtarzt in Bern wurde. Er verfaßte nicht nur medizinischbotanische, sondern auch theologische und pädagogische Schriften, die ihn als Anhänger Luthers, Huttens, Rudolf Agricolas und Erasmus' ausweisen. Als medizinische Schriften hinterließ er den Catalogus illustrium medicorum (Straßburg: J. Schott 1529) und ein Onomasticon Medicinae (Straßburg: J. Schott 1534). O b w o h l er ü b e r w i e g e n d auf Latein s c h r i e b , regte er die H e r a u s g a b e volkssprachigen Schrifttums vor allem aus dem medizinisch-arzneikundlichen Bereich an. Zu Leben und Werk vgl. DBE (2: 260f.), NDB (2: 677f.), Roth (1900) und Sprague (1928). Leonhart Fuchs (1501 in Wemding bei Nördlingen/Bayern - 1566 in Tübingen) wirkte von 1535 bis zu seinem Tod als Professor der Medizin in Tübingen, war

Kurzcharakterisierung der Kräuterbücher

deutsche Bearbeitung

lateinische Vorlage 1530ff.

Otho Brunfels Herbarum vivae eicones 3 Bde: 1530, 1531, 1536

1532ff.

Otho Brunfels Contrafayt Kreüterbüch 2 Teile: 1532, 1537

1542

Leonhart Fuchs De historia stirpium

1543

Leonhart Fuchs New Kreüterbüch

155Iff.

Adam Lonitzer Naturalis historiae opus novum 2 Teile: 1551, 1555

1557

Adam Lonitzer Kreüterbüch

1569

unter dem Namen Eucharius Rößlins Kreüterbüch

Pietro Andrea Mattioli Commentary in VI. libros Pedacij Dioscoridis Anazarbei ital. Ausgabe: 1544 lateinische Version: 1554 und 1558 [verwendete Ausgabe: 1583]

1563

Georg Handsch New Kreüterbüch

1586

Georg Handsch/ Joachim Camerarius Kreutterbuch

Pedanius Dioskurides (1. Jh. n. Chr.) De materia medica griechische und lateinische Editionen der frühen Neuzeit

1546

Johann Dantz von Ast: Dioskurides (deutsch) Kreutter Buch [verwendete Ausgabe: 1610]

1574

Antoine Mizauld Historia hortensium frz. Ausgabe: 1565 lateinische Übersetzung: 1574 [verwendete Ausgabe: 1577]

1574

Georg Henisch von Bartfeld Artztgarten [verwendete Ausgabe: 1577]

1571

Nikolaus Winckler Chronica herbarum

1577

Nikolaus Winckler Kreüter Chronica

1554

1529

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Tab. 2: Volkssprachige Bearbeitungen lateinischer Kräuterbücher des 16. Jahrhunderts

100

Frühneuzeitliche Kräuterbücher und ihre makrostrukturelle Textorganisation

nischer Sprache. Während Leonhart Fuchs die volkssprachige Ausgabe selbst besorgte 4 , sind Teile des Kräuterbuchs von Otho Brunfels erst nach dem Tod des Autors (1534) von Michael Herr herausgegeben worden. 5 Neben den Kräuterbuchern von Otho Brunfels und Leonhart Fuchs gibt es ein drittes bedeutendes Werk aus dem letzten Drittel des 16. Jahrhunderts, das mittelbar auf einer lateinischen Fassung beruht, und zwar das Kräuterbuch des Joachim Camerarius d.J. von 1586. Ihm liegt der Dioskurides-Kommentar des Italieners Pietro Andrea Mattioli zugrunde, den der Autor zunächst in italienischer Sprache herausgab, bevor 1554 und 1558 zwei lateinische Versionen entstanden6, die ihrerseits

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5

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u.a. mit Gesner, Vesal und Melanchthon bekannt und zeichnete sich vor allem als Übersetzer (aus dem Griechischen ins Lateinische), Kommentator und Verfasser medizinischer Lehrbücher aus, die allesamt unter dem Anspruch des Autors standen, das Wissen der Antike von der mittelalterlichen arabistischen Medizin zu reinigen. Zu Leben und Werk vgl. DBE (4: 55f.), NDB (5: 681f.), Stübler (1928) und Sprague/Nelmes (1931). Neben der deutschsprachigen Ausgabe von 1543 entstand eine auf die Abbildungen reduzierte Ausgabe (der sog. „kleine Fuchs" als Exkursions-Taschenbuch unter dem Titel Primi de stirpium historia commentariorum tomi vivae imagines. Basel: M. Isingrim 1545 und 1549 bzw. Läbtiche abbildung und contrafaytung aller kreüter. Basel: M. Isingrim 1545) sowie eine holländische Ubersetzung (Herbarius. Basel: M. Isingrim o.J.), die Isingrim nicht zuletzt wegen der teueren und daher schlecht absetzbaren lateinischen Folio-Ausgabe auf den Markt brachte. Michael Herr (geb. in Speyer, gest. um 1550 in Straßburg) war 1508 in Heidelberg immatrikuliert und trat danach in die Straßburger Kartause ein, wo er Otho Brunfels traf; nach dem Übertritt zum neuen Glauben studierte er Medizin in Montpellier und wurde 1534 Arzt in Straßburg. Er ist hauptsächlich als Übersetzer (aus dem Griechischen und Lateinischen ins Deutsche) bekannt, wobei er u.a. Plutarch und Seneca ebenso wie die Fachschriftsteller zum Feldbau, nämlich Columella, Palladius und Cassianus Bassus, ins Deutsche übersetzte. Zu Leben und Werk vgl. NDB (8: 679). Michael Herr besorgte die Ausgabe des dritten Buches der Herbarum vivae eicones (1536) und gab den zweiten Teil des deutschen Kräuterbuchs (1537) heraus. Vermutlich konnte er dabei neben den von Hans Weiditz geschaffenen Abbildungen auf ein von Brunfels besorgtes Pflanzenverzeichnis zurückgreifen; inwieweit Pflanzenbeschreibungen von Brunfels bereits fertig vorlagen, bleibt unklar. Pietro Andrea Mattioli (1501 in Siena - 1577 in Trient) wurde 1523 in Padua als Arzt promoviert und stand danach in fürstbischöflichen Diensten in Trient und der Stadt Görz (Kärnten) sowie ab 1554 in den Diensten von Erzherzog Ferdinand II. von Tirol. Er war einer derjenigen, der die Gründung von Heilkräutergärten, die damals in Mode kamen, forcierte. Neben etlichen lateinischen Fachschriften schuf er 1544 eine italienische Übersetzung (mit Kommentar) der lateinischen Dioskurides-Übersetzung des französischen Arztes Jean Ruelle (Ioannes Ruellius; 1474-1537). Die zunächst unbebilderte Ausgabe erhielt in der lateinischen Version ab 1554 Abbildungen, die allerdings von schlechter Qualität waren. Bis 1563

Kurzcharakterisierung der Kräuterbücher

101

Grundlage der deutschsprachigen Bearbeitung durch Georg Handsch7 und Joachim Camerarius8 wurden. Mit den Schriften Adam Lonitzers9 wird der Kreis der wissenschaftlich bedeutsamen Kräuterbuchliteratur verlassen, denn die lateinische Naturalis historia und die deutschen Bearbeitungen, die 1569 unter dem Namen Eucharius Rößlins10 erschienen, gehören in die Tradition des Gart der Gesundheit, die durch enge Anlehnung an arzneikundliche Schriften des Spätmittelalters gekennzeichnet ist und der sogenannten

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8

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sollen angeblich sogar 32 000 Exemplare des Werkes verkauft worden sein; als Indiz für den zweifellos großen Erfolg des Dioskurides-Kommentars kann die hohe Zahl von über 60 Auflagen gewertet werden. Die materielle Unterstützung durch die Habsburger ermöglichte zwei Prachtausgaben, die die Prager Offizin Georg Melantrichs in tschechischer (1562) und ein Jahr später in deutscher Sprache herausgab. Die tschechische Ausgabe besorgte der Arzt Thaddäus Hajek, während für die deutsche Ausgabe der Arzt Georg Handsch verantwortlich war. Joachim Camerarius (1534 - 1598 in Nürnberg), Sohn des Nürnberger Humanisten Joachim Camerarius d.Ä., war Schüler Melanchthons in Wittenberg, studierte in Leipzig Medizin und setzte später seine Studien in Padua und Bologna fort. 1564 wurde er zum Stadtarzt von Nürnberg ernannt und Leibarzt des Bamberger Fürstbischofs. Neben seinen botanischen Schriften (u.a. Hortus medicus et philosophicus. Frankfurt a. M.: J. Feyerabend 1588) zeichnete er sich dadurch aus, daß er wesentlich zur Neuordnung des Gesundheitswesens seiner Stadt beitrug und einen botanischen Garten einrichtete (vgl. DBE 2: 269). Wegen der großen Nachfrage gab Camerarius das deutsche Kräuterbuch des Mattioli erneut heraus, überarbeitete die Handsche Übersetzung und ergänzte sie z.T. durch Abbildungen aus dem Nachlaß Konrad Gesners. Das sehr erfolgreiche Kräuterbuch erlebte mehrere Auflagen (Frankfurt a. M. 1586, 1590, 1598, 1600, 1611, 1626 und Basel 1678, 1696 und 1744). Adam Lonitzer (1528 in Marburg - 1586 in Frankfurt a. M.), der ab 1553 Professor für Mathematik in Marburg war und dort 1554 zum Doktor der Medizin promoviert wurde, folgte noch im selben Jahr Eucharius Rößlin d.J. im Amt des Stadtarztes von Frankfurt nach, das er bis zu seinem Tod innehatte. In der Offizin seines Schwiegervaters Christian Egenolff veröffentlichte er neben dem Kräuterbuch mehrere kleinere medizinische Werke, die ausschließlich auf Latein verfaßt sind. Zu Leben und Werk vgl. NDB (15: 147f.), DBE (7: 341) und Roth (1902). Eucharius Rößlin d.J. (gest. 1548 in Frankfurt a. M.) war Sohn des gleichnamigen medizinischen Fachbuchautors Eucharius Rößlin d.A. (um 1470 - 1526), der vor allem mit dem Hebammenbuch Der Swangern Frauwen vnd hebammen Rosegarten (Straßburg: M. Flach d.J. 1513) erfolgreich war. Der Vater bekleidete zuletzt das Stadtarztamt von Frankfurt, dem sein Sohn bis zu dessen Tod nachfolgte. Für den Erfolg des Hebammenbüchleins war neben weiteren volkssprachigen Ausgaben die von Rößlin d.J. besorgte lateinische Übersetzung De partu hominis (Frankfurt a. M.: Chr. Egenolff 1532) verantwortlich, die zum Ausgangspunkt für weitere Übersetzungen ins Niederländische, Französische und Englische wurde. Daneben trat der Sohn nicht nur als Kräuterbuchautor, sondern auch als Kalenderverfasser hervor; vgl. vor allem DBE (9: 502f., s.v. Rösslin d.Ä.).

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Frühneuzeitliche Kräuterbücher und ihre makrostrukturelle Textorganisation

,Hausväterliteratur' nahesteht. Der Themenkreis ist sowohl in den Werken der Gart-Tradition als auch im Dioskurides-Kommentar Mattiolis erweitert, da dort nicht wie bei Brunfels und Fuchs ausschließlich Pflanzen (Kräuter, Sträucher und Bäume oder Getreidearten) abgehandelt werden, sondern auch Tiere und Mineralien, die als Simplicia, d.h. als arzneikundliche Basisstoffe, seit Dioskurides zur materia medica gehören." Eine Sonderstellung nimmt die deutsche Dioskurides-Ausgabe des Johann Dantz von Ast12 ein, die er auß den Griechischen vnd Lateinischen Exemplarn/ in vnsere Teutsche Muttersprach übersetzte (1610: (:) 2V).13 Im Unterschied zu den bereits angeführten Werken verweist der Autor auf mehrere Vorlagen griechischer und lateinischer Herkunft. Auch wenn für das 16. Jahrhundert 78 Ausgaben des Dioskurides in verschiedenen Sprachen nachweisbar sind, so läßt sich der Kreis der möglichen Quellen bis zum Zeitpunkt des Erscheinens der Erstausgabe von 1546 einengen: Die griechischsprachige Editio princeps stammt aus der Offizin von Aldus Manutius (Venedig 1499 u.ö.) 14 , und die erfolgreichste lateinische Übersetzung verfaßte Ioannes Ruellius (Paris: H. Stephanus 1516 (?), Straßburg: J. Schott 1529 und Basel: M. Isingrim 1539).15 Daneben existierte die zweisprachige, d.h. griechisch-lateini-

11

Dort sind z.B. neben 813 pflanzlichen Drogen 101 tierische und 102 mineralische Arzneimittel behandelt. In den volkssprachigen Bearbeitungen von Handsch (1563) und Camerarius (1586) werden allerdings nur die pflanzlichen Drogen berücksichtigt.

12

Johann Dantz von Ast (gest. 1546) war Arzt in Frankfurt, wo er im Jahr der Drucklegung seiner Übersetzung starb; vgl. Christian Gottlieb Jöcher (Allgemeines Gelehrten-Lexicon, Π, 1750, Sp. 30).

13

In der neu bearbeiteten Ausgabe (Frankfurt a. M.: J. Bringern 1610) verspricht der Frankfurter Stadtarzt und Herausgeber Peter Uffenbach, Dantzij alte/ verlegene/ vnnd vbel gegebene Translation/ so viel müglich zu verbessern (1610: (:) 2V); vgl. hierzu auch P. 6 . 5 . 1 .

14

Der 1518 bei Aldus herausgegebene revidierte Text von Asulanus wurde von Janus Cornarius 1529 mit einem Kommentar versehen. Revidierte Fassungen der Aldine wurden bis 1800 in 100 Auflagen nachgedruckt; davon existieren allein 80 aus dem 17. Jahrhundert.

15

Sie ist Ausgangspunkt zahlreicher Kommentare zu Dioskurides wie etwa dem des Hermolaus Barbarus und Marcellus Vergilius (Straßburg: J. Schott 1529), Konrad Gesners Historia Plantarum et vires ex Dioscoride (Basel: R. Winter 1541; Paris: J. L. Tiletanus 1541) oder Valerius Cordus' Annotationes in Dioscoridem (herausgegeben von Walther Hermann Ryff; Frankfurt a. M.: Chr. Egenolff 1543 und 1549).

Kurzcharakterisierung der Kräuterbücher

103

sehe Ausgabe des Marcellus Vergilius (Köln: J. Soter 1529)16, die in späteren Auflagen auf den lateinischen Text beschränkt blieb (Basel: M. Isingrim 1532 und 1542). Höchstwahrscheinlich benutzte Johann Dantz wie viele seiner Zeitgenossen die lateinische Übersetzung des Ruellius und ergänzte sie eventuell um eine griechischsprachige Aldine bzw. die Edition des Marcellus Vergilius. Die Dioskurides-Übersetzung von Dantz nimmt eine Sonderstellung ein, da das primäre Anliegen des Autors nicht darin besteht, eine weitgehend vollständige Erfassung der Pflanzen zu bieten, sondern darin, einen antiken Text einer in der Renaissance vielgeachteten Autorität in die Volkssprache zu übersetzen. Ebenso handelt es sich weder bei Antoine Mizaulds Historia hortensium17 und dem mit Artztgarten betitelten Übersetzung durch Georg Henisch von Bartfeld18 noch bei Nikolaus Wincklers Chronica herbarum und seiner von ihm verfaßten deutschen Ausgabe Kreuter Chronica19 um Kräuterbuchliteratur im engeren Sinne. Denn diese Autoren greifen mit den im Oktav- bzw. Quartformat deutlich kleineren Schriften anwendungsbezogene Teilaspekte wie die Pflanzen im Jahreskreis oder die Gartenpflanzen und ihre heilkundliche Wirkung auf. Bei Wincklers Kreuter Chronica handelt es sich um eine recht genaue Übersetzung der lateinischen Vorlage; Henischs Artztgarten hingegen weicht durch Kürzungen und Einfügungen unterhaltsamer poetischer Einlagen deutlich von Mizaulds Werk ab. Die gleichsam auf Taschenbuchformat komprimierten Schriften, die keine Abbildungen aufweisen, gehören der Ratgeberliteratur an und werden ebenso wie die Übersetzung von Dantz nur ergänzend herangezogen.

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Die lateinische Übersetzung des Marcello Vergilio (Marcellus Vergilius; 1 4 6 4 1521) erschien erstmals 1518 in Florenz. Antoine Mizauld (Antonius Mizaldus) war Arzt in Frankreich und verfaßte die Historia hortensium 1565 zunächst auf französisch, bevor eine lateinische Übersetzung entstand. Der Augsburger Arzt und Mathematiker Georg Henisch von Bartfeld übersetzte 1574 (benutzte Auflage 1577) Mizaulds Werk aus dem Lateinischen; 1575 entstand die Übersetzung des Arzneibuch(s) Sexti Platonici philosophici. Von ihm stammt auch das bis zum Buchstaben G erschienene Wörterbuch Teütsche Sprach vrtd Weißheit. Thesaurvs Lingvae et Sapientiae Germanicae (Augsburg: D. Frank 1616).

19

Nikolaus Winckler stammt aus Forchheim und war Stadtphysicus von Schwäbisch Hall.

104

Frühneuzeitliche Kräuterbücher und ihre makrostrukturelle Textorganisation

In Tabelle 3 sind die volkssprachigen Werke zusammengestellt, die in lateinische Ausgaben umgesetzt wurden: deutschsprachige Vorlage

lateinische Umsetzung

1485

Bernhard von Breidenbach Gart der Gesundheit (Hortus sanitatis deutsch)

1491

Hortus sanitatis

1535

Eucharius Rößlin d.J. Kreutterbuch überarbeitete Fassung des Kräuterbuchs von 1533

1540

Theodor Dorstenius Botanicon

155Iff.

Neubearbeitung durch Adam Lonitzer Naturalis historiae opus novum 2 Teile: 1551, 1555

Hieronymus Bock Kreiiter Büch überarbeitete Fassung des Kräuterbuchs von 1539 und 1546 [verwendete Ausgabe: 1556]

1552

David Kyber De stirpium (...) Commentariorum Libri tres

1551

Tab. 3:

Die lateinischen Umsetzungen deutschsprachiger Kräuterbücher des späten 15. und des 16. Jahrhunderts

Von den drei angeführten deutschsprachigen Werken gehören zwei der Garr-Tradition an, die mit der ersten volkssprachigen Kräuterbuchinkunabel des Gart der Gesundheit beginnt. Der kommerzielle Erfolg des Gart führte dazu, eine lateinische Fassung für einen erweiterten Leserkreis zu erstellen, wobei allerdings der erfolgreichen deutschsprachigen Version hauptsächlich die Funktion einer Ausgangsform zukam. Der sechs Jahre nach dem deutschen Gart erschienene lateinische Hortus sanitatis stellt keine Übersetzung dar, sondern bietet neben Umschichtungen in der Stoffanordnung weitere Kapitel vor allem aus dem Tier- und Mineralienbereich.20 Das 1535 neu bearbeitete Kreutterbuch von Eucharius Rößlin d.J.21 baut auf der volkssprachigen wie lateinischen Gari-Tradition auf, stellt

20

21

Zu den Initiatoren und Entstehungsbedingungen der ersten Werke der Garf-Tradition vgl. P. 8. Zu Leben und Werk des Autors vgl. Anm. 10.

Kurzcharakterisierung der Kräuterbücher

105

jedoch aufgrund der Verflechtung beider Stränge ein eigenständiges Werk dar, das wiederum Ausgangspunkt einer lateinischen Fassung wurde. Das auf Drängen des Druckers Christian Egenolff entstandene Botanicon von Theodor Dorstenius22 ist eine auf die Beschreibung von Pflanzen und tierischen Substanzen beschränkte, freie Übersetzung mit streckenweise umgearbeiteten Partien. Die Neuredaktion Adam Lonitzers in seiner Naturalis historia fußt auf Rößlins Bearbeitung, bietet aber eine vollständige Revision der ursprünglichen Fassung, so daß hier eine komplette Umarbeitung der Ausgangsversion vorliegt. Eines der wirkungsmächtigsten Werke des 16. Jahrhunderts, das Kreüter Büch des Hieronymus Bock23, erschien zunächst in deutscher Sprache, wobei die erste Fassung von 1539 noch ohne Abbildungen blieb; erst die Ausgabe von 1546 ist mit Holzschnitten von David Kandel versehen. Die von David Kyber24 besorgte lateinische Ausgabe (De stirpium (...) Commentariorum Libri tres) bietet eine recht genaue Übertragung der deutschsprachigen Vorlage und ist somit das einzige Kräuterbuch des Untersuchungskorpus, das als originalgetreue Übersetzung von der Volkssprache ins Lateinische bezeichnet werden kann.

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23

24

Von Theodor Dorstenius (gest. nach 1548), der eigentlich Gluntius hieß, sich aber auch nach seinem Heimatort Dorsten in Westfalen benannte, ist nur soviel bekannt, daß er im Winterhalbjahr 1532 in Marburg immatrikuliert und 1542 Professor und Vorsteher des Marburger Paedagogicums war. 1548 als Doktor zu Marburg bezeichnet, scheint er Arzt in Kassel gewesen zu sein; vgl. hierzu Roth (1902: 274f.). Hieronymus Bock (1498 in Heidelsheim bei Bretten/Baden - 1554 in Hornbach bei Zweibrücken/Pfalz) lebte seit 1533 überwiegend in Hornbach, war protestantischer Prediger und Arzt des Grafen von Nassau-Saarbrücken und stand mit Konrad Gesner und Otho Brunfels in Kontakt, der ihn zur Veröffentlichung eines Kräuterbuchs anhielt. Bock bemühte sich zwar um eine auf Wanderungen und in botanischen Gärten durch eigene Anschauung erworbene Pflanzenkenntnis, blieb aber nach wie vor auch der Tradition verpflichtet. Das äußerst erfolgreiche Werk gab Melchior Sebitz d.Ä. 1577 in einer aktualisierten Fassung heraus, die 1630 noch einmal überarbeitet wurde; durch Übernahmen in andere Kräuterbücher (wie z.B. das von Adam Lonitzer) wurden Textteile bis ins 18. Jahrhundert tradiert. Darüber hinaus verfaßte Bock kleinere arzneikundliche Schriften ebenfalls in der Volkssprache (Kurtz Regiment fur das grausam Hauptwehe vnd Breune. Straßburg: G. Messerschmidt bei Knobloch 1544 oder Teutsche Speiszkammer. Straßburg: W. Rihel 1550); vgl. DBE (2: 38f.), NDB (2: 343) und Hoppe (1969). David Kyber war Arzt in Straßburg und starb 1553 28jährig an der Pest. Neben der lateinischen Übersetzung des Kräuterbuchs von Bock (Tragus) verfaßte er ein Lexicon rei herbariae trilingue, das nach dessen Tod noch im selben Jahr Konrad Gesner herausgab; zu Kyber vgl. Christian Gottlieb Jöcher (Allgemeines Gelehrten-Lexicon, Π, 1750, Sp. 2188).

106

Frühneuzeitliche Kräuterbücher und ihre makrostrukturelle Textorganisation

Zu einer dritten Gruppe gehört schließlich ein Werk, das weder auf eine direkte lateinische Vorlage zurückgeht noch Ausgangspunkt für eine Übersetzung ist: Es handelt sich dabei um das gegen Ende des 16. Jahrhunderts erschienene Neuw Kreuterbuch des Jakob Theodor, genannt Tabernaemontanus25, dessen erster Band (über die Pflanzen und Getreidearten) 1588 erschien und das nach dem Tod des Autors von dem Marburger Arzt Nikolaus Braun mit dem zweiten Band (den Teilen II und III über die Sträucher und Bäume) 1591 fortgesetzt wurde.26 Das volkssprachige Kräuterbuch des Tabernaemontanus ist das meistzitierte Werk in der für die botanische Nomenklatur wissenschaftlich bedeutsamen Schrift Pinax theatri botanici des Caspar Bauhin (Basel 1623), der auch eine Neuauflage des Kräuterbuchs besorgte. Dies ist ein Indiz dafür, daß das zunächst in der Volkssprache aufbereitete Wissen nun auch in der auf Latein stattfindenden wissenschaftlichen Diskussion hinreichend berücksichtigt wird. Die Übersicht macht deutlich, daß alle botanischen Werke des Untersuchungskorpus mit Ausnahme des zeitlich spätesten in enger Verflechtung mit der lateinischen Überlieferung stehen. Die meisten volks-

25

Jakob Theodor, genannt Tabernaemontanus (um 1525 in Bad Bergzabern - 1590 in Heidelberg), der bei Otho Brunfels und Hieronymus Bock in die Lehre ging, absolvierte als Arzt mehrere Stationen, die von seiner Tätigkeit bei den Grafen von Nassau-Saarbrücken und beim Speyerer Bischof über das Stadtarztamt von Worms bis zum Dienst am pfalzgräfischen Hof reichen. An der Universität Heidelberg war er 1562 immatrikuliert. Er verfaßte mehrere medizinische Schriften in der Volkssprache, wie z.B. eine Pestschrift, die unter der Mitwirkung Bocks entstand, aber erst in Heidelberg 1564 gedruckt wurde, Monographien zur Bekämpfung des „Seitenstechens" (Cur (...). Straßburg: J. Rihel 1561), der „geschwinden Krankheit" (Regiment. Frankfurt a. M.: G. Rab und S. Feyerabend 1568) und des „hitzigen Febers" {Kurtier underricht. Heidelberg: M. Harnisch 1573). Neben weiteren Pesttraktaten (Frankfurt a. Μ.: N. Bassaeus 1581 und 1587) und seinem wirkungsmächtigen Neeuw Kreuterbuch (Frankfurt a. Μ.: N. Bassaeus 1588) brachte er eine volkssprachige Fassung von Wirsungs Medicina practica unter dem Titel Ein neuwes Artzney Büch (Heidelberg: M. Harnisch 1577) und ein wichtiges balneologisches Werk (Neuw Wasserschatz. Frankfurt a. Μ.: N. Bassaeus 1581) heraus; zu Leben und Werk vgl. DBE (11: 328f.) und Bergdolt (1992).

26

Von dem ersten Band des Kräuterbuchs kam 1590 in Frankfurt bei Nikolaus Bassaeus eine textlose Ausgabe mit 2255 Holzschnitten heraus (Eicones plantarum). Nach der Edition des zweiten Teils folgten im 17. Jahrhundert Bearbeitungen von Caspar Bauhin (Frankfurt a. Μ.: M. Becker für J. Dreutel und J. Bassaeus 1613, 1625) und Hieronymus Bauhin (Basel: J. L. König und J. Brandmüller 1664, 1687). Die letzte Ausgabe erschien 1731; vgl. hierzu DBE (11: 329).

Kurzcharakterisierung der Kräuterbücher

107

sprachigen Kräuterbücher entstanden aus der Umsetzung lateinischer Vorlagen; eine gewisse Autonomie, die noch an keiner Stelle die Absage an lateinisch tradiertes Wissen mit einschließt, haben dabei zum einen nur der Gart der Gesundheit mit der Bearbeitung durch Rößlin und zum anderen das Kräuterbuch des Hieronymus Bock, das Tabernaemontanus als Vorbild galt. Die Autoren der Kräuterbücher versuchten in der Mehrzahl, den seit dem Mittelalter bestehenden Mißständen entgegenzuwirken. Diese waren Resultat einer langen Überlieferungskette, die zu Entstellungen und Verfälschungen sowie der unkontrollierten Weitergabe des einmal in Büchern dargelegten Wissens führten. Demgegenüber verfolgten die meisten Kräuterbuchautoren der frühen Neuzeit zumindest dem Anspruch nach das folgende Programm: - die Identifizierung der beobachtbaren Pflanzen mit ihren Bezeichnungen; dies schließt zugleich soweit möglich die Identifikation der bei Dioskurides, Theophrast oder Plinius überlieferten Bezeichnungen mit ein; - die möglichst naturgetreue Abbildung der Pflanzen, die eine Identifizierung der heimischen Gewächse durch den Laien erleichtern sollte; die Kräuterbücher von Brunfels mit den Pflanzenzeichnungen des Dürerschülers Hans Weiditz bzw. von Fuchs mit den Abbildungen, die unter Mitwirkung des Autors von A. Meyer, H. Füllmaurer und V. R. Speckle geschaffen wurden, waren in erster Linie wegen der hohen Qualität ihrer Abbildungen berühmt 27 ; - die Angabe der Heilwirkung mit Hinweisen zur Zubereitung von Medikamenten und deren Applikation. Die Beigabe von Rezepten soll zumindest gelegentlich eine Selbstmedikation des Laien möglich machen. Dabei setzte der in der antiken und mittelalterlichen Überlieferung großen Raum einnehmende heilkundliche Teil, sofern er Nutzen bringen sollte, eine zweifelsfreie Identifikation der Pflanzen voraus; - die Korrektur und vor allem auch Erweiterung der antiken Kenntnisse. Schon im Kräuterbuch von Brunfels waren von den 258 Arten lediglich 162 aus der Antike und 49 aus mittelalterlichen Quellen bekannt, während 47 Arten erstmals beschrieben wurden. Im Ver-

27

Zur Geschichte der botanischen Buchillustration vgl. N i s s e n (1951 und 1956) b z w . Mägdefrau (1992: 2 3 - 3 2 ) ; vgl. hierzu auch P. 5 . 3 . 3 .

108

Frühneuzeitliche Kräuterbücher und ihre makrostrukturelle Textorganisation

gleich zu Brunfels wuchs der Bestand bei Fuchs um beinahe das Doppelte auf 487 an mit einem Anteil von 103 neuen, erstmals abgebildeten Arten.28 Es wurden nicht nur bislang unbeachtet gebliebene heimische Kräuter erstmals beschrieben, sondern auch importierte Kulturpflanzen, wie z.B. die Tulpe, und Pflanzen, die durch die Entdeckungsreisen vor allem in die Neue Welt in das Blickfeld rückten (wie z.B. der Mais oder das Zuckerrohr). Allen Kräuterbüchern des 16. Jahrhunderts ist ein klassifikatorisches Defizit gemein, das sich in der unzureichenden Bestimmung der verwandtschaftlichen Verhältnisse der Pflanzen zeigt. Es fehlt eine hierarchisch geordnete Taxonomie, mit deren Hilfe die Arten und Gattungen voneinander unterschieden und Familienzugehörigkeiten aufgezeigt werden können. Das ordnende System ist trotz einiger Vorläufer verbindlich erst mit der Einführung der binären Nomenklatur {genus proximum et differentia specified) in Carl von Linnes Species plantarum von 1753 konsequent zur Anwendung gebracht worden. Demgegenüber müssen die frühneuzeitlichen Klassifizierungen trotz guter Ansätze aus heutiger Sicht im ganzen als ungenügend beurteilt werden, denn in einem Kapitel wird teils eine einzige Spezies, d.h. eine einzige Art, teils aber auch mehrere Pflanzen zusammengestellt, die nur gelegentlich nach moderner Klassifikation ein und derselben Gattung angehören. Bei aller Unklarheit über die verwandtschaftlichen Beziehungen sind die Kriterien für die Gruppierung nicht in jedem Fall einsichtig und zudem höchst variabel, jedoch gaben Ähnlichkeiten im Phänotyp oder auch Übereinstimmungen in der Heilwirkung des öfteren den Ausschlag. Bevor Reihung der Kräuter und Gestaltung der Kapitelüberschriften für die zentralen Kräuterbücher ausführlich thematisiert werden (P. 5.4), geht es zunächst um das „Buchhafte" an einem Kräuterbuch. In einem ersten Schritt werden die Texte thematisiert, die gleichsam einen Rahmen um die eigentliche Pflanzenbeschreibung bilden. Es handelt sich um Begleittexte in ergänzender Funktion, die Beiwerk zum Text

28

Von den 487 Arten waren 289 bereits in der Antike bekannt, 64 kamen in den mittelalterlichen Beschreibungen hinzu; von Brunfels wurden 31 (und damit nicht alle neuen, bei ihm erstmals erfaßten Arten) übernommen und von den 103 neuen, erstmals bei Fuchs abgebildeten Arten wurde ein Großteil zuvor schon bei Bock (1539) beschrieben (vgl. Sprague/Nelmes 1931: 565).

Titelblatt und Kolophon in frühneuzeitlichen Kräuterbüchem

109

und als eine Art Gebrauchsanweisung betrachtet werden können; denn sie steuern und erleichtern die Rezeption des Lesers. Ein Teil der hier behandelten rezeptionssteuernden Maßnahmen stimmt mit den bei Gerard Genette als ,Paratexte' bezeichneten Begleittexten überein: Nach Genette wird durch diese Begleittexte ein Text erst zum Buch; sie stellen gleichsam eine Schwelle dar, die dem Rezipienten die Möglichkeit bietet, einzutreten oder umzukehren.29 Eine solche Funktion erfüllen vor allem das Titelblatt und das Kolophon (P. 5.2) sowie das Vorwort mit wichtigen Informationen über die pragmatische und funktionale Einbettung des Werkes (P. 6). Hinzu kommen Inhaltsverzeichnisse und Register, die den raschen und selektiven Zugriff auf ausgewählte Kapitel gewährleisten (P. 5.3.1), Blattbzw. Seitennumerierung mit Kopfleiste und Kapitelzählung sowie die Randglossierung (P. 5.3.2) und schließlich die Abbildungen, die eine zusätzliche, visuelle Informationsquelle neben dem geschriebenen Text als dessen Ergänzung darstellen (P. 5.3.3).

5.2 Titelblatt und Kolophon in frühneuzeitlichen Kräuterbüchern .Titelblatt' und .Kolophon' stellen signifikante Begleittexte der Kräuterbuchliteratur dar, wie aus Tabelle 4 (S. 110) hervorgeht. Dabei weist das älteste Werk des Untersuchungskorpus, die Inkunabel des Gart der Gesundheit, noch kein Titelblatt auf. Die Entwicklung und Gestaltung der beiden Rahmentexte soll hier ab dem späten 15. Jahrhundert mit den lateinischen Entsprechungen verglichen werden: Es geht um die Herausbildung obligatorischer Konstituenten sowie um den Vergleich lateinischer und deutscher Titelblattgestaltung. Im Mittelpunkt steht ferner die Frage nach der Funktion von Titelblättern, nach der Entwicklung volkssprachiger Titelblattgestaltung und nach der lateinisch-deutschen Sprachmischung auf Titelblättern.

29

Vgl. Genette (1992: 10). Zu den Paratexten gegenwärtiger Buchorganisation zählen bei Genette der verlegerische Peritext (d.h. die Zone, für die der Verlag verantwortlich ist), der Name des Autors, der Titel, der Waschzettel, Widmungen, Motti, das Vorwort, Zwischentitel, Anmerkungen und der Epitext (er umfaßt Texte außerhalb des Buches, wie z.B. die Werbung des Verlegers für das Werk).

HO

Frühneuzeitliche Kräuterbücher und ihre makrostrukturelle Textorganisation

Gart der Gesundheit 1485

Rößlin 1535

Brunfels 1532 1537

Fuchs 1543

Bock 1556

Lonitzer Handsch Tabernae1557 montanus 1563 Rößlin Camera1588 1569 Braun rius 1591 1586

Titelblatt

nein

ja

ja

ja

ja

ja

ja

ja

Kolophon

ja

ja

am Ende des ersten Buches

ja

ja

ja

ja

ja

Tab. 4:

Titelblatt und Kolophon in volkssprachigen Kräuterbüchern

5.2.1

Das Kolophon und die Anfänge der Titelblattgestaltung in der Kräuterbuchliteratur

Titelblatt und Kolophon stammen in der überwiegenden Mehrzahl nicht vom Autor, sondern sind als Begleittexte vom Verleger bzw. Drucker geschaffen. Das Kolophon ist eine alte, auch für mittelalterliche Handschriften charakteristische Schlußformel, die Aufschluß über den Verfasser, den Ort und die Zeit der Entstehung eines Textes gibt. Das erste Titelblatt in der Druckgeschichte weist der lateinische Herbarius Moguntianus des Mainzer Druckers Peter Schöffer aus dem Jahr 1484 auf, der die erste Kräuterbuchinkunabel des deutschsprachigen Raumes darstellt. Dieses Titelblatt enthält bereits wichtige, später standardisier te Konstituenten wie den Titel (.Herbarius), den Druckort und das Jahr {Mag-1 guntie impressus. || Anno... Ixxxiiij). Hinzu kommt die Druckermarke von Peter Schöffer in roter Farbe, der Verfasser des lateinischen Werkes bleibt hingegen anonym (vgl. Geldner 1978). Während das Kolophon bis zum Ende des Untersuchungszeitraums und darüber hinaus einen festen Bestandteil der Frühdrucke ausmacht, wird auch nach Einführung des Titelblatts selbst bei umfangreichen Werken häufiger auf Titelblätter verzichtet: So haben nicht nur wirkungsmächtige Werke wie der Gart der Gesundheit von 1485 kein Titelblatt, sondern auch die zwei weiteren in der Offizin Schöffers entstandenen Auflagen des Herbarius. Im Gart wird die wichtigste Information eines Titelblatts im Vorwort geboten: Denn dort nennt der Initiator dieses Kräuterbuchs, Bernhard

Das Kolophon und die Anfänge der Titelblattgestaltung

111

von Breidenbach, den zuvor in einer ausführlichen Erläuterung wohlbegründeten Buchtitel: Vnd nenne disz buch zu latin Ortus sanitatis vff teutsch ein gart der gesuntheit. Anonym bleibt auch hier der Verfasser des Vorworts, obwohl dieser ausführlich über seine Motive für ein volkssprachiges Kräuterbuch in der icA-Form spricht und als wichtigen biographischen Hinweis eine Palästinareise anführt. Das hinter der letzten Textzeile angehängte Kolophon (Disser herbarius ist czu mencz gedruckt vnd geendet uff dem xxviij dage des merrcz Anno Μ ccccixxxv ), das wie in spätmittelalterlichen Handschriften in roter Schrift erscheint, gibt Aufschluß über die nach inhaltlichen Kriterien bestimmte Textsorte (herbarius), den Ort {Mainz) und das mit Tag, Monat und Jahr genau angeführte Druckdatum (28. März 1485), wobei Schöffer durch das Druckersignet am Ende des Druckes als Typograph identifiziert werden kann. Andere Verhältnisse zeigen sich im lateinischen Hortus von 1491; dort ist ein Titelblatt vorhanden, das ausschließlich über den Titel des Werkes (Ortus sanitatis) informiert. Im Kolophon {Jacobus meydenbach II Anno salutis Millesimo Quadringentesimo Nonagesimo primo. Die vero Jouis vicesima tercia mensis Junij.) erscheint der Name des Druckers mit Angabe des Jahrs, des Wochen- und Kalendertags und Monats, während der Druckort fehlt. Beim lateinischen Hortus sanitatis ergänzen sich die auf dem Titelblatt und im Kolophon gebotenen Informationen. Im Laufe des 16. Jahrhunderts kommt es allerdings mit der Wiederholung der Nennung von Drucker, Druckort und -jähr zu inhaltlichen Überschneidungen. Eine Überschneidung der Informationen von Titelblatt und dem aus der handschriftlichen Tradition bekannten Incipit ist für die Kräuterbuchliteratur nicht feststellbar, wohl aber z.B. für die pharmazeutischmedizinischen Werke Brunschwigs.30 Insgesamt kann festgehalten werden, daß wichtige Konstituenten der verlegerischen Angaben - wenn auch nicht konsequent - bereits im 15.

30

Der Titel seiner Chirurgie von 1497 lautet: Dis ist das buch der Cirurgia. Hantwirchung der wundartzny von Hyeröimo brüschwig; im nachfolgenden Incipit unter der Überschrift Die vorred werden der Buchtitel und der Name des Autors wiederholt: Hie vahet an disz buch in Chirurgia das da genant ist die hantwirckung der wüd Artzeny von Jheronimo Brunschwig wüd artzet der keyserlichen fryen stat straßburg alß er von vil herfarnden artzte gelernet ouch durch syn practica gebracht hat (Bl. ij1).

112

Frühneuzeitliche Kräuterbücher und ihre makrostrukturelle Textorganisation

Jahrhundert begegnen, wobei im Bereich der Kräuterbuchliteratur die mit einem Titelblatt ausgezeichneten Werke lateinische Schriften sind. Neben der sich überschneidenden Funktion von Titelblatt und Kolophon werden im Laufe der Zeit die Titelblätter immer aufwendiger gestaltet und die Titel der Werke immer umfangreicher. Bei Otho Brunfels können für den ersten Teil der lateinischen (1530) und dem ersten der deutschen Fassung (1532) die folgenden für die Titelblattgestaltung konstitutiven Elemente festgestellt werden: HERBA\\RVM\\ VTVAEEICOMsS|| ad nature imitationem, suma cum || diligentia et artifico effigiate, || una cum EFFE= I CTIBVS earundem, in gratiam ue = || teris illius, & iamiam renascentis || Herbarice Medicinm, || PER OTH. BRVNF. || recens editce. M.D.XXX. || 1 Quibus adiecta ad calcem, || APPENDIX isagogica de usu & ad = I ministratione SIMPLICIVM. I Item Index Contentorü rum. I

singulo-

Argentorati apud Ioannem Schottü, cum\ Cces. Maiest. Priuilegio ad Sexennium.

Contrafayt Kreüterbüch || Nach rechter vollkommener art/ vnud [!] || Beschreibungen der Alten/ besst= || berionpten hrtzt/ vormals || in Teütscher sprach/\\ der masßen nye || gesehen/ noch im Truck außgangen. || Sampt einer gemeynen Jnleytung der Kreüter vrhab/ erkant = || nüsß/ brauch/ lob/ vnd herrlicheit. || Durch Otho Brunnfelß\ Newlich beschriben. M.D.XXXII. || 5 Mit eim besonderen Register/ zum fleissigsten verordnet auff || allerley kranckheyten/ nach anzeyg der Kreüter kräfft so hyer= || inn begriffen. Bey dem auch ein Kreüter Register, mit sein | en Synonymis vnd beynammen. || Mit Keiszerlicher Maiest&t Freyheit | vff Fünff jar/ nit nachzütrucken. rc. bey der pen I fiinff marck 16tigs golds. || 1 Zu Strasßburg bey Hans Schotten || zürn Thy er garten.

Das deutsche Titelblatt ist keine Übersetzung aus dem Lateinischen, obwohl in der Titelgestaltung mit einem hier wie dort neunzeiligen Buchtitel sowie dem Hinweis auf Autor (zentriert in der Seitenmitte, wobei Vor- und Nachname in der lateinischen Fassung abgekürzt erscheinen), Druckjahr, Register bzw. Appendices, Druckprivileg, Druckort und Drucker eine große Übereinstimmung besteht. In beiden Fassungen sind entweder durch Versalien oder durch eine größere Schrifttype zentrale Bestandteile des Titels, der Name des Autors, das Druckjahr etc. hervorgehoben. Die Unterschiede betreffen nicht das Schema der Titulatur als vielmehr deren Inhalt und Intention: Ist im lateinischen Titel herausgestellt, daß die Pflanzen nach der Natur gezeichnet und zusammen mit ihren

Das Kolophon und die Anfänge der Titelblattgestaltung

113

aus der Antike bekannten Heilkräften dargeboten sind, so werden in der deutschen Version vielmehr marktorientierte und werbewirksame Informationen bevorzugt. - Die sachbezogenen Aussagen, die den Inhalt des Buches betreffen, umfassen in der lateinischen Ausgabe sechs Teilinformationen: Es handelt sich um Bilder von Pflanzen (1), die der Natur nachgeahmt sind (in vivus und ad naturae imitationem wiederholt sich die Information) (2), sie werden zusammen mit ihren Heilwirkungen geboten (3), gemäß der Kräutermedizin (4), die alt ist (5) und nun endlich wieder zum Leben erweckt worden ist (6). Die Sachinformationen sind in der deutschen Ausgabe auf drei reduziert, da dort lediglich ein Kräuterbuch mit Abbildungen (1) und den Beschreibungen der Alten angekündigt wird (2), die zudem die berühmtesten Ärzte waren (3). Verzichtet wird auf die an Vorwissen anknüpfenden Mitteilungen des lateinischen Titels, nämlich die Kenntnis der zuvor herrschenden Zustände hinsichtlich entstellender Abbildungen und unzureichender Texttradierung, gegen die die eigene Publikation positiv abgehoben ist. - Die marktorientierten Aussagen bleiben im Lateinischen auf die Angabe der sorgfältigen und kunstvollen Ausführung der Abbildungen beschränkt (diligentia et artiflco effigiatae), während in der deutschen Fassung an vier Stellen auf den besonderen Wert des Werkes aufmerksam gemacht wird. Es enthalte Bilder nach rechter vollkommener art, die antiken Ärzte seien besstberianpt, und das Kräuterbuch sei als Ganzes einzigartig, da ein solches zuvor in deutscher Sprache nicht im Druck erschienen sei. Daß die deutsche Fassung als eine Art anwendungsbezogene Einführung aufzufassen ist, geht aus der gemeynen Einleitung in die Kräuterlehre und die Anlage der nach den Krankheiten und nach den Pflanzenbezeichnungen geordneten Register hervor. Der Hinweis auf einen Index steht auch im lateinischen Titelblatt; er bezieht sich jedoch auf den Inhalt eines Appendix am Schluß des Werkes, der mit Gebrauch und Handhabung der Simplicia, d.h. nicht-zusammengesetzter Arzneimittel, beginnt. Das ungefähr zehn Jahre später erschienene Kräuterbuch von Leonhart Fuchs hat sowohl in der lateinischen (1542) als auch deutschen Version (1543) ein wesentlich informationsreicheres Titelblatt als das von Brun-

114

Frühneuzeitliche Kräuterbücher und ihre makrostrukturelle Textorganisation

fels, wobei auch hier keine Übersetzung des lateinischen Textes bei der ein Jahr später erschienenen volkssprachigen Version vorliegt: DE HISTOR1A STIR-\\PIVM COMMENT ARII INS1GNES, MA\\XIMIS IMPENSIS ET VIGHIIS ELA || BORAU, ADIECnS EARVNDEM VMS PLVSQVAM/ I quingentis imaginibus, nunquam antea ad natura imitationem artificiosius e f f i || ctis & expressis, LEONHARTO FVCHSIO medico hac || nostra cetate longe clarissimo, autore. || Reglones peregrinas plerique, alij alias, sumptu ingenti, studio indefesso, nec sine discrimine uitce non-1| nunquam, adierunt, ut simplicium materice cognoscendce facultatem compararent sibi: || earn tibi materiam uniuersam summo & impensarum & temporis compendio, || procul discrimine omni, tanquam in uiuo iucundissimöqut uiridario, || magna cum uoluptate, hinc cognosces licebit. || Accessit ijs succincta admodum uocum difficilium & obscurarum || passim in hoc opere occurrentium explicatio. Κ Vnä cum quadruplici Indice, quorum primus quidem stirpium nomencla-1| turas groecas, alter latinas, tertius officinis seblasiariorum & || herbarijs usitatas, quartus germanicas continebit. II PALMA ISING > || Cautum prceterea est inuictißimi CAROLI Imperatoris decreto, ne quis || alius impune usquam locorum hos de stirpium historia com-1| mentarios excudat, iuxta tenorem priuilegij ante ä nobis euulgati. || BASILEAE, IN OFFICINA ISINGRINIANA, II ANNO CHRISTI M.D. XLII.

NEw Kreüterbüch/ in welchem || nit allein die gantz histori/ das ist/ na || men/ gestalt/ statt vnd zeit der wach = | sung/ natur/ krä f f t vnd würckung/ des meysten theyls der Kreüter so in || Teütschen vnnd andern Landen wachsen/ mit dem besten vleiß beschri/\\ ben/ sonder auch aller derselben wurtzel/ Stengel/ bletter/ blümen/ samen/1| frücht/ vnd in summa die gantze gestalt/ allso artlich vnd kunst/1 lieh abgebildet vnd contrafayt ist/ das deßgleichen vor/1| mals nie gesehen/ noch an tag komen. || Durch den hochgelerten Leonhart Fuchsen der artzney Doctorn! || vnnd derselbigen zu Tübingen Lesern. ||

Mit dreyen nützlichen Registern/ auß welchen die zwey ersten/ aller kreüter || daruon hierin gehandlet/ Teütsche! Lateinische vnnd Griechische namen/ auch I deren sich die Apotecker gebrauchen/ begreiffen. Jm dritten aber mag man zu al || len kranckheyten vnd gebresten so dem menschen/ vnd auch zum teyl dem | viech/ mögen zufallen/ vilfeltig artzney vnnd radt eilends finden/ Ι sampt ettlichen andern stucken zur haußhaltung treffen = || lieh nütz vnd dienstlich. || > PALMA ISING. < || Mit Keyserlicher Maiestat freiheyt/ in fünjf jaren weder nach zu tru = || cken/ noch durch ein außzug zu bekürtzen/ bey der peen so die form/ gleich auffs Register volgend/ außweißt. || Getruckt zu Basel!/1| durch Jsingrim/1543.

Michael

Das Kolophon und die Anfänge der Titelblattgestaltung

115

Da sich in der Zwischenzeit die Marktsituation auch für das lateinische Kräuterbuch in Konkurrenz zu den Werken von Brunfels (1530-1537) und Bock (1539) entscheidend verändert hat, bietet nun der Verleger auch für den lateinischen Teil werbungsorientierte Aussagen, wenn er die Kommentare als .beispiellos' (insignis) preist, die mit dem höchsten Aufwand und größter Sorgfalt ausgearbeitet seien (maximis impensis et vigiliis elaborati)·, den Beschreibungen wurden mehr als 500 Bilder beigegeben, die niemals zuvor kunstvoller nach der Natur ausgeführt seien (adiectis earundem vivis plusquam/ quingentis imaginibus, nunquam antea ad natures imitationem artificiosius effictis & expressis), so daß Fuchs sämtliche Vorgänger an Anzahl und Qualität des Bildschmucks übertrifft. Wird noch bei Brunfels der Stellenwert der antiken Autoren hervorgehoben, so steht hier der ,bei weitem berühmteste' zeitgenössische Arzt Leonhart Fuchs im Mittelpunkt (Leonharto Fuchsio medico hac nostra estate longe clarissimo, autore). Das Titelblatt des deutschen Kräuterbuchs ist hier in erster Linie sachorientiert, indem in einer komplexen Satzreihe mit koordinierendem nit allein - sonder auch zum einen die bei der Beschreibung relevanten Gliederungspunkte (die gantz histori/ das ist/ namen/ gestalt/ statt vnd zeit der wachsung/ natur/ krafft vnd würckung) und zum anderen die bei den Abbildungen berücksichtigten Pflanzenteile (aller derselben wurtzel/ stengel/ bletter/ blümen/ samenffrücht/ vnd in summa die gantze gestalt) angeführt werden. Als werbewirksam dürfte die Heraushebung der Beschreibung einheimischer Kräuter empfunden worden sein, die beim volkssprachigen Rezipienten ein besonderes Interesse erwarten lassen; hinzu kommt das Lob der Qualität von Beschreibung (mit dem besten vleiß) und Abbildung (artlich vnd kunstlich) und das Übertreffen der Vorgänger, denn das Buch sei new und in seiner Art vormals nie gesehen noch an tag komen. Besondere Sorgfalt ist auf die stilistische Ausgestaltung des Buchtitels gelegt, denn neben der kunstvoll gebauten Satzperiode gibt es zwei sechsgliedrige Substantivreihen, die noch dazu insofern chiastisch verschränkt sind, als in der ersten der übergeordnete Begriff (die gantz histori) am Beginn und im zweiten Fall in summa die gantze gestalt am Schluß zu finden ist. Hinzu kommen drei Paarformeln zur Steigerung der Aussage, wobei in zwei Fällen die hybriden Bildungen (artlich (zu ars ,Kunst') bzw. contrafeyt) mit ihren deutschen Interpretamenten (kunstlich bzw. abgebildet) zusammengestellt sind.

Wird in der volkssprachigen Version die Darstellung einheimischer Kräuter eigens betont, so folgt in der lateinischen Fassung ein Abschnitt, der die Mühen der durch eigene Anschauung begründeten

116

Flühneuzeitliche Kräuterbücher und ihre makrostrukturelle Textorganisation

Pflanzenforschung für heilkundliche Zwecke vor Augen stellt, deren Erkenntnisse in diesem Kräuterbuch geboten sind.31 Im Unterschied zu dem lateinischen Kräuterbuch von Brunfels mit der Betonung der Vorbildfunktion der antiken Autoren erfolgt bei Fuchs eine Akzentverschiebung zugunsten einer empirischen Pflanzenforschung, ohne daß antike Vorläufer auch nur erwähnt werden. Die bewußte Abgrenzung gegenüber Brunfels betrifft auch ein den Pflanzendarstellungen vorangestelltes, lateinische Fachtermini (voces difficiles et obscurae) erläuterndes Glossar.32 Die beiden Passagen fehlen zwar im volkssprachigen Kräuterbuch, aber hier wie dort wird auf Register verwiesen, wobei in der lateinischen Version ein vierteiliger Index mit den griechischen, lateinischen, in den Apotheken gebräuchlichen sowie deutschen Bezeichnungen angezeigt ist, dem ein dreiteiliger Index mit deutschen und (als ein Register gezählten) fremdsprachigen Pflanzenbezeichnungen sowie ein praxisorientiertes Krankheitsregister gegenübergestellt ist. Der Nützlichkeitsaspekt, der in der lateinischen Version fehlt, kommt in der deutschen Fassung nicht nur durch die Ankündigung von vilfeltig artzney vnnd radt, sondern auch durch den Hinweis auf nützliche Register (treffenlich nütz vnd dienstlich) zum Ausdruck.

5.2.2

Zur Funktion der Buchtitel in der Kräuterbuchliteratur

Zahlreiche bei Fuchs begegnende konstitutive Elemente der Titelblattgestaltung werden in der nachfolgenden Zeit übernommen und immer weiter ausgebaut: Die wachsende Vielfalt der untersuchten Aspekte spiegelt sich in den immer länger werdenden Aufzählungen wider, deren Zweck es ist, sowohl über den Inhalt zu informieren als auch für

31

In stilistischer Hinsicht ist die dem Buchtitel nachfolgende Passage wegen ihres antithetischen Aufbaus bemerkenswert, da der immense Aufwand, der unermüdliche Eifer und die mitunter vorhandene Lebensgefahr der Forscher (sumptu ingenti, studio indefesso, nec sine discrimine uitce nonnunquam) der angenehmen und vergnüglichen Rezeption des direkt angesprochenen Lesers fern aller Gefahr und unter Einsparung von Kosten und Zeit (summo & impensarum & temporis compendia, procul discrimine omni, tanquam in uiuo iucundissimöque uiridario, magna cum uoluptate) gegenübergestellt wird. Bewegt sich der Forscher in der Fremde (peregrinae regiones), so kann der Leser nun gleichsam die Früchte der Arbeit anderer in einem Lustgarten (in viridario) genießen.

32

Vgl. hierzu auch P. 5.3.1.

Zur Funktion der Buchtitel

117

das neue Werk zu werben. Denn in den meisten Fällen ersetzt das Titelblatt ein Inhaltsverzeichnis und bietet den Herausgebern genügend Raum, sich gegen volkssprachige Vorläufer abzugrenzen, um für die neue Auflage eines älteren Buches oder für ein vollständig neues Werk eine größere Leserschaft zur Sicherung besserer Absatzchancen trotz ständig wachsender Konkurrenz gewinnen zu können.33 Von den drei Funktionen, die heute üblicherweise dem Buchtitel zugeschrieben werden, nämlich die, „das Werk zu identifizieren", „seinen Inhalt zu bezeichnen" und „ihn in ein günstiges Licht zu rükken"34, erfüllen die Verleger und Autoren der volkssprachigen Kräuterbücher die Funktion der Identifizierung am wenigsten. Sie erfolgt entweder nur über die Gesamtlektüre des Titelblatts oder über den Namen des Autors, während die Buchtitel im engeren Sinn kaum hinreichend distinktiv sind. Eine gewisse Ausnahme bildet zwar der metaphorische Titel des Gart der Gesundheit, der in der überarbeiteten Groß-Gart-Version des 16. Jahrhunderts konstant unter ein- und demselben Titel erscheint35, die meisten Werke sind aber nur mit Kr euterbuch oder vereinzelt mit Contrafayt Kreuterbuch (Brunfels 1532) bzw. New Kreuterbuch (Fuchs 1543 und Tabernaemontanus 1588) oder Kreuterbuch new zugericht (Lonitzer 1557; vgl. Abb. 1) überschrieben.36

33

D i e Praktikabilität eines ö k o n o m i s c h e n Bibliographierens und Zitierens der angeführten Literatur, wie es heute mit der kompletten A u f n a h m e des Titelblatts üblich ist, stößt in fast allen Fällen an ihre Grenzen. D e n heutigen Gepflogenheiten am nächsten kommt ein lateinisches Titelblatt des Franzosen Jean Ruelle mit der A n g a b e eines knappen Buchtitels, des Autornamens s o w i e des Druckprivilegs, des Druckorts, N a m e n des Druckers und des Druckjahrs: De Natura stir- \PTVM LIBR1TRES. || Ioanne Ruellio authore.\\ Cumpriuilegio\\ REGIS. || PARISIIS || Ex officina Simonis Colincei. || 1536.

34

D i e Z u s a m m e n f a s s u n g der Titelfunktionen nach Charles Grivel ist bei Genette (1992: 7 7 ) zitiert.

35

Der Titel bleibt auch dann konstant, w e n n die A u f l a g e einen über weite Strecken neuen Inhalt gegenüber der ursprünglichen Version bietet, wie im Gart der gesuntheit I Zü late in/ HORTVS || SANITATIS. (Sagt in vier || Bbcheren wie hernach volget. I [...] Getruckt zu Straßburg bei Mathia | Apiario nach Christi geburt || M. D. XXXVIjar) mit den Schwerpunkten ,Tiere' und .Steine' anstelle v o n ,Kräuter(n)'.

36

Hierbei wird nur derjenige Teil des Buchtitels angeführt, der am B e g i n n des Titelblatts steht und in den meisten Fällen durch eine größere Schrift hervorg e h o b e n ist. D i e sich daran anschließenden langen Ausführungen, die v o r allem den Inhalt, aber auch die Darstellungsart (wie z . B . Beschreibung, Abbildung, kurzer Bericht etc.) betreffen, sind zwar e b e n s o Teil des Buchtitels, erfüllen aber

118

Frühneuzeitliche Kräuterbücher und ihre makrostrukturelle Textorganisation

Machen die nahezu einheitlich gestalteten deutschen Titel eine augenfällige Unterscheidung der Werke auf den ersten Blick unmöglich, so bieten die Titel der lateinischen Werke hinreichend Kontraste, wobei die Versalien der Anfangszeile(n) den Buchtitel zudem ins Blickfeld rücken: Das lateinische Kräuterbuch des Brunfels ist im Hinblick auf seine wertvollen Abbildungen mit Herbarum vivae eicones betitelt, bei Dorstenius steht Botanicon, bei Fuchs De historia stirpium commentarii insignes und bei Lonitzer Naturalis historiae opus novum, während die lateinische Übersetzung des Kräuterbuchs von Bock mit dem Namen des Autors Hieronymi Tragi, de stirpium (...) libri tres beginnt. Durch die stilistische Varianz der Titelwahl werden z.T. bereits unterschiedliche Schwerpunkte akzentuiert, die den einzelnen Werken ein unverwechselbares Profil verleihen. Unterscheidet man die Buchtitel nach thematischer und Thematischer Aussage, also danach, worüber man etwas sagt (Thema) bzw. was man darüber sagt (Rhema), so herrschen durchweg die gemischten Titel mit sowohl thematischen als auch rhematischen Elementen vor. Das Thema wird bevorzugt in den mit de bzw. von37 eingeleiteten Präpositionalphrasen sowie in direkt an den Buchtitel angeschlossenen Relativsätzen (wie z.B. bei Fuchs) bzw. nach anaphorischen Verweismitteln (wie darin) beginnenden Aufzählungen angeführt, während die rhematischen Aussagen meist auf gattungs- bzw. textsortenspezifische Angaben beschränkt bleiben. Beim Buchtitel im engeren Sinne beziehen sich die rhematischen Anteile auf den in volkssprachigen Werken üblichen Titel Kreuterbuch mit seinen Attribuierungen contrafayt .bebildert', new bzw. new zugericht, das als Gattungsbestimmung durch eine Koppelung von Informationen zum Text (z.B. ,Buch' bzw. ,neu' oder ,mit Abbildungen') mit Informationen zum Inhalt (,Kräuter') gekennzeichnet ist: Dabei dürfte das Thema .Kräuter' beim frühneuzeitlichen Leser ein Vorverständnis dessen eröffnet haben, was ein Kräuterbuch bietet und was man hinsichtlich des Textmusters erwarten konnte. Mit diesem Befund korrelieren die rhematischen Elemente der lateinischen Buchtitel, die mit libri tres bzw. opus novum recht allgemeine

37

primär die Funktion von Untertiteln bzw. sekundären Titeln. Die Länge und der weitgehend ähnliche Wortlaut verhindern eine rasche Identifizierung des Werkes. So z.B. bei Rößlin (1533) und (1535), bei Lonitzer (1557: Von allerhand Bäumen/ Stauden/ Hecken ...) oder bei Dantz (1610).

Zur Funktion der Buchtitel

119

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Das rhetorische decorum und die .Handlungsrituale' in der Widmungsvorrede

193

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Das rhetorische decorum und die .Handlungsrituale' in der Widmungsvorrede

195

In den direkt an den Adressaten gerichteten Teilen der Widmungsvorrede, in der salutatio, petitio und conclusio, ist der Grad an Sprachhandlungsritualen besonders hoch, da es sich beim .Grüßen', .Bitten' oder bei .Segenswünschen' für den Gönner und der .Empfehlung' der eigenen Person um verbindlich festgelegte Zugänglichkeitsrituale handelt. Solche Rituale „fungieren als soziale .Tatsachen', sie tendieren zur Verselbständigung", so daß Abweichungen davon „als Verletzungen von .höheren' Prinzipien sanktioniert werden können" (Cherubim 1990: 272). Hierbei werden Wendungen gebraucht, die viele formelhafte Elemente aufweisen und in ihrem Inhalt weitgehend entleert sind. Die Funktion der Teiltexte wird durch Verben wie dediciren, wuendschen bzw. befehlen .empfehlen' oder Verbalabstrakta wie bitt angezeigt, die den Vollzug der Sprachhandlung signalisieren. Als stereotypes Versatzstück, das sich einer individuellen Gestaltung durch den Autor größtenteils entzieht, kann die Dedikationsformel mit der sich daran anschließenden Bitte betrachtet werden.29 Sie ist nicht nur in eine äußerst komplexe Satzstruktur eingebettet, sondern auch durch Redundanzen (Wiederholung des Fürstentitels oder des Epithetons gnedigst), sinnentlehrte Adjektivattribute (mit vnterthenigster bitt bzw. diese meine wolgemeinte Arbeit), paarformelähnliche Streckformen (Churfhrsten vnnd Herrn·, zu dediciren, vnd zu vberschicken bzw. auffvn annemen) und eine Verstärkung referentieller Ausdrücke (diese meine (Arbeit), derselben (gefallen lassen)) gekennzeichnet. Dieselben Merkmale sind auch für die conclusio charakteristisch mit den Segenswünschen und der Empfehlung des Autors30, wobei es sich um drei Wünsche handelt, die der Autor äußert und die hinsichtlich der Attributkonstruktionen nach dem Gesetz der wachsenden Glieder angeordnet sind. Hinzu kommt die Ich-Vermeidung des Autors als Bescheidenheitstopos (Vnnd wuendsche hiemit (...), Thue (daneben)),

29

30

(...) Ε. Churfiirstlichen Gnad als meinem gnädigsten Churfhrsten vnnd Herrn zum vnterthenigsten zu dediciren, vnd zu vberschicken/ mit vnterthenigster bitt/ E. Churf. G. wblle solches gnedigst von mir auff vn annemen! vnd diese meine wolgemeinte Arbeit/ derselben gnedigst gefallen lassen (Camerarius 1626: (:) 31). Vnnd whndsche hiemit E. Churf. Gn. zu dero angehenden Churfürstliche Regierung von Gott dem Allmächtigen seinen Göttlichen Segen/ langwiriges gesundes Leben/ vnd alle zeitliche vnnd ewige Wolfart. Thue daneben derselbigen E. Churf. G. als meinem gnedigsten Churfhrsten vnd Herrn/ mich jeder Zeit mit vnterthenigstem Fleiß vnnd Gehorsam befehlen (Camerarius 1624: (:) 3").

196

Struktur und Inhalte der Vorworte

gepaart mit einer reichen Ausstattung referentieller Rollen (dero, derselbigen, meinem), die sich stets auf den Adressaten beziehen. Im Unterschied zu den adressatenorientierten Teilen bleibt in der darstellungsorientierten narratio eine größere Eigenständigkeit bewahrt. Mit drei Vierteln des Textes ist sie umfangreicher als in Briefen gestaltet, in deren Disposition sie auch als verzichtbar gilt. Dort erfolgt eine Begründung der Wichtigkeit des Themas in den folgenden Schritten, die auf die einzelnen Absätze verteilt sind: (1) Die Betrachtung der Schöpfung dient dem Lobpreis Gottes (hier wird ohne Nennung der Metapher der Sinn des .Buchs der Natur' erklärt); (2) die Pflanzen sind ein Teil der Schöpfung (mit dem Hinweis auf die Erschaffung am dritten Tag); (3) es wird auf den Nutzen der Kräuter für den Menschen hingewiesen, deren Erforschung sich Ärzte und hohe Personen widmeten; (4) die Bedeutung der Kräuter zeigt sich daran, daß sie im Wappen bedeutender Herrscherhäuser zu finden sind; (5) die narratio schließt mit einer praeteritio, denn Camerarius gibt die Absicht einer Auslassung kund; es sei hier nicht der Platz, auf alle, Herrscher wie auch andere, einzugehen, die sich mit der Kräuterkunde beschäftigten.

6.4.2

Die stilistische Ausgestaltung der Widmungsvorrede

Die einzelnen Argumentationsschritte sind in der gesamten Widmungsvorrede kunstvoll durch ein Geflecht referentieller und rhetorischer Mittel miteinander verwoben: Im ersten Absatz führt das Modaladverbiale auff dreyerley weiß aufgrund seiner kataphorischen Funktion zur Strukturierung der enumeratio all der Mittel, auf welche Weise man Gott ehren könne, in dem die vorgegebenen Gliederungspunkte mit erstlich, Fürs ander sowie Vnnd dann zum dritten wieder aufgegriffen werden. Der nachfolgende Absatz nimmt mit solchen) anaphorisch auf den unmittelbar vorausgehenden Punkt Bezug, wobei die Paarformel Geschbpff vnnd Creaturen nach dem rhetorischen Prinzip der variatio durch WerckeQi) vnd Creaturen partiell substituiert ist. Die Dreizahl des ersten Absatzes wird im zweiten Abschnitt durch den Hinweis auf die Erschaffung der Pflanzen am dritten Tag der Schöpfung wieder aufgenommen. Die Anknüpfung des nachfolgenden dritten Textblocks erfolgt über das anaphorische Kausaladverb Daher und in der Rekurrenz des Lexems ,Erde', das zunächst als auß der erden und auß bemeldter

Die stilistische Ausgestaltung der Widmungsvorrede

197

Erden mit referentiellem Attribut erscheint und im dritten Absatz in der Erdboden variiert wird. Auch die nachfolgenden Absätze sind durch ein Nebeneinander von Konjunktionen, Wortwiederholungen und lexikalische Substitutionen aufgrund des stilistischen Ideals der variatio mit den jeweils vorausgehenden verflochten. Eine Schlüsselstellung in der Vorrede kommt dem vierten Absatz zu, der dem in der Mitte piazierten lateinischen Gedicht folgt und mit der nebenordnenden Konjunktion Vnnd an das Vorausgehende angeschlossen ist. Das Gedicht fungiert als Scharnier zwischen dem bis dahin dominierenden Gedanken der göttlichen Dimension der Kräuterkunde und der erstmals im dritten Absatz erwähnten Heilwirkung der Pflanzen, die zum tragenden Thema der zweiten Hälfte des Vorwortes wird. Es wird dort mit kraffi vn wirckung eingeführt und im vierten Absatz nach dem häufig zu beobachtenden Schema von Rekurrenz und Varianz in Kraffi vnnd Tugend wieder aufgegriffen. Die zweite Wiederaufnahme betrifft den Personenkreis, der sich mit der Kräuterkunde beschäftigt. Die zunächst erwähnten andere(n) hohe(n) Personen werden durch die Wendung hohe fürnemme Potentaten präzisiert, deren Interesse an der Kräuterkunde in der weiteren Argumentation den Grund dafür darstellt, das vorliegende Kräuterbuch dem sächsischen Kurfürsten zu widmen. Neben der formalen und thematischen Verkettung der einzelnen Absätze im Sinne einer thematischen Progression werden etliche Stilmittel zum Zweck der Veranschaulichung und Unterhaltung eingesetzt. Die einzelnen Textblöcke weisen jeweils signifikante Stilmittel auf, wobei in den ersten beiden Absätzen die religiöse Bedeutung des Gegenstands durch Zitate eines Heiligen, und zwar auf Latein, bzw. aus dem Schöpfungsbericht der Bibel - mit Angabe der Textstelle - untermauert werden. Hinzu kommen Aufzählungen (enumerationes) im ersten Textblock zur Illustration der Mittel der Gottesverehrung und zur Darlegung der göttlichen Eigenschaften sowie eine Litotes im zweiten Block (nicht vnter die geringsten gezehlet, d.h. ,zu den wichtigsten gezählt'). Der dritte Absatz enthält den Vergleich, daß die Pflanzen die Erde .zieren' und .schmücken' wie ein herrlich-schönes Kleid zur Sommerzeit. Und auch die Vorrede imitiert gleichsam den Pflanzenschmuck durch diesen geschmückten Stil, den ornatus, dessen Funktion der kundige Leser zu deuten versteht. Am Ende des dritten Absatzes steht das neulateinische Gedicht des Humanisten Johannes Stigelius, das drei Disticha umfaßt und den ersten stilistischen Höhepunkt der Vorrede darstellt. Im umfangreichen vierten Absatz werden heraldische und historische exempla als Beweis der Kräuterliebe von Potentaten herangezogen, und zwar mit drei Beispielen von Pflanzen in Wappen hoher Häuser und zwei ausführlich geschilderten Historien von Kaisern, deren ausgezeichnete Kräuterkenntnisse wiederum durch Gewährsmänner bezeugt werden.

198

Struktur und Inhalte der Vorworte

Die Einhaltung humanistischer Prinzipien zeigt sich aber nicht nur im Wahrheitsanspruch, der sich an der Absicherung des Autors durch Quellennachweise zeigt, sondern auch in den lateinischen Einsprengseln, die in Antiqua in den laufenden Text eingeflochten werden. So wird die Botanik als Studium rei Herbarice oder Studium herbarium, das u.a. von Medici ausgeführt wird, als hochstehende humanistische Wissenschaft ausgewiesen, die zur cognitio stirpium führt und zu der auch die cultura hortensis ,der Gartenbau' gehört. Das Nebeneinander von Exempla und Exempel belegt andererseits eine gewisse Austauschbarkeit der Sprachen, die durch das Gebot der variatio begünstigt wird. Lateinische Lexeme treten vereinzelt auch in den Doppelformen Cultur vnd Pflantzung und Lust vnd Recreation auf, wobei es sich nur im ersten Beispiel um synonyme Wortentsprechungen handelt. Die stilistische Aufwertung des Textes durch Redeschmuck und lateinische Einsprengsel setzt sich auf der syntaktischen Ebene fort. Ihr wesentliches Kennzeichen ist die retardierende Wiederholung durch extensiven Gebrauch an Doppelformen, die eine besondere Gewichtigkeit der Aussage suggerieren, vor allem in der Kanzleisprache auftreten und mit der Konnotation des Höherwertigen versehen sind. Sie erinnern an die antik-rhetorische Figur des Hendiadyoin (,eins durch zwei') zur Signalisierung von Ausdrucksvielfalt und Wortvarianz.31 Hierbei handelt es sich meist um bedeutungsähnliche Lexeme, die zusammengestellt werden, aber nur zum Teil um synonyme Paarformeln, wie etwa bei Anschawung vnd betrachtung bzw. Geschbpff vnnd Creaturen, zu rühmen vnnd zu preisen, geziert vnd geschmückt, nutz vnd dienstlich oder lieb vnnd werth. Die meisten Adjektivattribute treten in überwiegend asyndetischen Doppelformen auf, in denen recht häufig ein stereotypes Epitheton wie flirtrefflich{st), herrlich, höchst, löblich, schbn oder weitberühmbt erscheint. Die recht komplexen syntaktischen Strukturen unterstreichen ebenfalls das hohe Prestige der an einen Fürsten adressierten Vorrede. Von zehn bei Lötscher (1995: 18-21) verzeichneten syntaktischen Prestigesignalen lassen sich acht in der Vorrede von Camerarius feststellen: Hierzu zählt er neben den „Zwillingsformen" oder „Paarformen", bei denen ein Gedanke „durch zwei - oder drei - synonyme oder teilsynonyme Ausdrücke wiedergegeben" wird, ganz besonders auch die

31

Zur Einordnung der copia Humanismus vgl. P. 7.2.

verborum

und variatio

in die Stilvorstellungen des

Die stilistische Ausgestaltung der Widmungsvorrede

199

„erhöhte Satzkomplexität, vor allem aufgrund von Nebensätzen im Vorfeld, eingeschachtelten Nebensätzen und komplexen Nominal- und Adjektiv-/Partizipialkonstruktionen".32 Als Prestigesignale gelten des weiteren spezifische Stellungsvariationen, und zwar sowohl die .Anfangsstellung des finiten Verbs im Aussagesatz'33 als auch dessen ,Endstellung' in Verbindung mit .relativem Satzanschluß'.34 Hinzu kommen ,afinite Konstruktionen' mit Ellipse des Hilfsverbs in Verbendstellung35 sowie ,asyndetische Verbindungen bzw.

32

Als Beispiel einer komplexen Satzkonstruktion dient der Daher vnd dieweίί-Snlz ((:) 2 r/v ), der fast den gesamten dritten Absatz (... mitgetheilet) ausmacht: Vor dem Hauptsatz, der nach einem Doppelpunkt folgt, steht ein kausaler Nebensatz (dieweil ... seyn), in dem ein finaler Nebensatz (damit ... wird) eingebettet ist. Im Kausalsatz werden zwei Propositionen durch nicht allein - sondern auch nebengeordnet, wobei die erste aus einer Infinitivkonstruktion mit zu (und elliptischem seyn) besteht, die einer lateinischen Gerundivkonstruktion entspricht; bei seyn für die 3. Person Plural Indikativ Präsens handelt es sich um eine ostmitteldeutsche Form (vgl. Frühneuhochdeutsche Grammatik § Μ 149) (Daher vnd dieweil so viel vnnd mancherley art!... Geschlecht der Gewechs vnd Kreuter/ damit der Erdboden ... als mit einem herrlichen schbnen Kleyd/ nach Ablegung deß winterischen kalten Traurmantels/ geziert vnd geschmücket wird/ menniglich nicht allein lustig vnnd verwunderlich anzusehen/ sondern auch von wegen jrer von Gott eingepflanzten mannigfaltigen krafft vn wirckung/ ... sehr nutz vnd dienstlich seyn:). Im angeschlossenen Hauptsatz sind durch die nebenordnende zweigliedrige Konjunktion nicht allein ... sondern auch sowie die Konjunktion vnd die einzelnen Subjektteile koordiniert, wobei von dergleichen Leut ein Relativsatz abhängt. Der zweite Hauptsatz wird asyndetisch, der dritte Hauptsatz syndetisch (vn) angeschlossen (Haben ... nicht allein die Medici, vnd dergleichen Leut/ zu welcher Profession die erkündigung vn erfahrung ... gehört/ sondern auch viel andere hohe Personen ... fir einen besonderen lust vnnd erfrewliche ergetzligkeit/ jhrer in ander weg viel gehabten Mähe vnd Arbeit/ vor allem andern erwehlet vn gebraucht/ die verborgene Eygenschafften ... erforschet/ vn solche hernachmals andern mit höchster Dancksagung vnd rühmung ... geoffenbaret vnd mitgetheilet.). Im Gesamtsatz sind des weiteren 13 mit vnd verbundene Zwillingsformen, zwei asyndetisch verbundene Adjektivattribute und zwei erweiterte pränukleare Partizipialattribute enthalten.

33

Es findet sich Inversion nach und (und + finites Verb), die zwar seltener als die Verbzweitstellung nach einem Satzglied auftritt, aber während der gesamten frühneuhochdeutschen Periode durchaus geläufig ist (Vnnd haben hohe f&rnemme Potentaten ... gehalten/ daß ...; (:) 2V); (vgl. Frühneuhochdeutsche Grammatik § S 239). Der nach der Satzperiode des dritten Abschnitts folgende Satz ((:) 2V) beginnt mit relativem Satzanschluß (Relativpronomen mit Wiederholung des Bezugs worts), der dem Lateinischen nachgeahmt ist, und weist - wie ein Relativsatz - Endstellung des finiten Verbs auf (... vnd mitgetheilet. Von welchem Studio ... der gelehrte firtreffliche Poet... geschrieben hat). Das Hilfsverb hat fehlt in Verbendstellung im Hauptsatz in: Dazu mich neben andern insonderheit auch dieses bewogen/ dieweil (...) ((:) 31).

34

35

200

Struktur und Inhalte der Vorworte

Verbindungen mit auch06 und schließlich .abstrakte Nominalgruppen', und zwar vor allem Adverbialgruppen37 zur Formulierung propositionaler Inhalte.38 Viele der erwähnten syntaktischen Besonderheiten erschweren geradezu die Textverständlichkeit und verstoßen gegen Prinzipien der Sprachökonomie. Lötscher (1995: 26) bezeichnet sie sogar als „Verständlichkeitshemmer" , deren Prestigewert auf dem Prinzip „Was mehr kostet, ist mehr wert" basiert. Die im ganzen gesehen syntaktisch eher seltenen Phänomene treten nur in bestimmten Textsorten auf: Hierzu zählen ganz besonders auch die Widmungsvorreden, die die an lateinischen Stilidealen ausgerichtete Kanzlei- und Urkundensprache mit einem hohen Grad an sozialer Verbindlichkeit imitieren.

6.5

Der ,Sprachenstreit' und seine rhetorisch-stilistischen Konsequenzen

6.5.1

Die Legitimierung des Gebrauchs der Volkssprache in heilkundlichen Werken

Die Rechtfertigung des Gebrauchs der Volkssprache steht in engem Zusammenhang mit dem intendierten Rezipientenkreis. In beinahe allen volkssprachigen Werken wird der Sprachgebrauch thematisiert und begründet. Vor allem dann, wenn die deutsche Fassung aus einer Umsetzung einer lateinischen Vorlage resultiert, werden Einschränkungen im Inhalt angekündigt und damit andere Zielsetzungen verfolgt. Übereinstimmung besteht in den meisten Fällen darin, daß die volkssprachige Fassung in erster Linie für ein nicht-gelehrtes Publikum bestimmt ist, und zwar für den Laien oder gemeinen man, der praktischen Nutzen aus der Kenntnis der Kräuter ziehen soll und kann.

36

37

38

Vgl. z.B.: welche (...) vns allezeit sein Gbttliche Krafft vnnd Allmacht/ auch vnaußforschliche Weißheit (...) ßr Augen stellen ((:) 2"). Vgl. z.B.: (...) die nicht allein in diesem herrlichen vnnd löblichen studio Herbario sich mit sonderlicher erftewung zu oblectiren pflegen (...) ((:) 31). Aus Lötschers Katalog fehlen die „Ellipse eines Subjekts unter anaphorischen Bedingungen", die in der Vorrede des Camerarius nur bei ic/i-Subjekt vorliegt, sowie die syntaktisch stark stigmatisierten „ Infinitiv/Aci-Konstruktionen mit Verben des Sagens, Denkens, Verursachens".

Die Legitimierung des Gebrauchs der Volkssprache in heilkundlichen Werken

201

Bei Rößlin (1535) ist der Zweck der Kräuterbücher der Gart-Tradition besonders deutlich formuliert: Sie dienen als Haußapoteck vnd Artzneibuch der laikalen Selbstmedikation, wenn Arzt und Apotheke aus wirtschaftlichen und/oder geographischen Gründen nicht aufgesucht werden können (vgl. hierzu auch Teile 1972: 36). Dabei wird der gemeyne man den gelerten gegenübergestellt, die der Autor von vorneherein, um keine falschen Erwartungen zu wecken, als Zielgruppe des Werkes ausklammert.39 Die Polarisierung der beiden Gruppen hat ihren Grund in der Ablehnung der wohl als utopisch beurteilten Position des Gart-Verfassers, der 1485 den Gart der Gesundheit noch mit der Begründung auf deutsch herausgab, damit er aller weit gelerten vnd leyen zu nütze komen möge (1485: Vorwort).40 Die Unterweisung soll den therapeutischen Wissensstand heben, um Kurpfuschern Einhalt zu gebieten, die nach Lonitzer nichts anderes wollen, als die willigen leut billich zu bescheissen. Neben Landfarern/ vnd andern Wurtzel/ vnd Theriacskrbmern/ welchen jr betrug/ wie auch andern Krämern/ weltlich hingeht, ereifert er sich vor allem gegen Juden/ welche Christliches blüts erbfeind seind (1557: a 3V), andere fügen Zygeuner und die alten Weiber hinzu (so z.B. bei Bock/Sebizius 1577: b 4V; vgl. auch Anm. 5). Die volkssprachige Verbreitung der Kräuterkenntnisse soll vor allem die ,Armen' befähigen, aus den Simplicia, den einfachen pflanzlichen oder tierischen Substanzen, einfache Arzneien herzustellen, so daß Mittellose auf teure Composita, die in den Apotheken aus Mineralien, chemiatrischen Produkten und importierten Drogen hergestellt wurden, verzichten konnten.41

39

40

41

Hat mich auch also der lust getriben/ souil diser kurtzen zeit hat sein mbgen/ dem gemeynen man/ so etwan den Artzten vnd Apotecken entsessen (Die gelerten Wissens anderstwo zesuchen/ denen ich auch hiemit nit gnüg than wil haben) Ein Haußapoteck vnd Artzneibuch zuzerichten (Rößlin 1535: a 1"). Hierbei scheint der Topos der lateinischen universalitas (aller weit) noch weiterzuwirken, der allerdings unreflektiert auf die regional beschränkte deutsche Sprache übertragen an Gültigkeit verliert. Daß hier Anspruch und Wirklichkeit auseinanderklaffen, betont vor allem Teile (1972: 37), denn die meisten Kräuter- und Arzneibücher im engeren Sinn zeichnet gerade eine Mischung von .Armen-' und .Reichenarznei' aus einfachen bzw. .exotischeren' Drogen aus.

202

Struktur und Inhalte der Vorworte

Nicht alle Kräuterbuchautoren befürworteten allerdings die Selbstmedikation.42 Zwar nahm vor allem Bock gegenüber der an den Universitäten gelehrten Medizin einen kritischen Standpunkt ein, denn Doctor es Schemen sich der Einfachen ding. Grund hierfür ist die (noch immer maßgebliche) arabische Medizin, die einer empirischen Kräuterkunde entgegensteht (Bock/Sebizius 1577: b 4V). Auf der anderen Seite zeigen sich aber die studierten Medici und Doctores wie etwa Fuchs und Lonitzer skeptisch gegenüber der Laienmedikation. Dementsprechend wendet sich Fuchs in seiner volkssprachigen Version an diejenigen, so der Lateinischen spraach vnerfaren seind/ vnd doch lust vnd liebe zu der pflantzung vnd erkantnuß der kreüter haben. Ihm geht es primär um Erkenntnisgewinn, und den Vorwurf, der Laie werde zum Arzt, entkräftet er in einer dreiteiligen refutatio: (...) dan das mich für güt vn nützlich angesehen/ das die kreüter nit allein von den ärtzten/ sonder auch von den Leyen vnd dem gemeinen man in gärten hin vnd wider vleissig gepflantzt vn aufferzogen werden/ darmit derselben erkantnuß in Teütschen landen dermassen täglich wachs vnd züneme/ das sie nimer in vergessung möge gestelt werden. Das hab ich für nemlich hie darumb wällen anzeygen/ darmit nit die vnuerstendigen mächten meynen/ das ich derhalben mein Kreüterbüch hette wällen inn die Teütschen spraach bringen/ damit auch der gemein man kündte jhm selben in der not artzney geben/ vnd allerley kranckheyt heylen. (I) Dan mir wol bewüßt/ das vil mehr zu einem rechtgeschaffnen artzt gehört/ dan allein kreüter vnd derselbigen würckung erkennen vnd wissen. (Π) Darumb ob schon einer vil kreüter kent/ so würdt er dannest noch lang kein artzt sein/ sonder er muß auch andre ding die zu einem volkomen artzt gehören/ wissen vn gelernt haben. (ΙΠ) Es sol aber auch niemands derhalben vnderlassen dise edle creatur Gottes zu erlernen/ ob schon jhre erkantnuß keinen volkomen artzet macht. Jn dem Teütschen aber hab ich mich in sonderheyt beflissen/ das die ding so dem gemeinen man zu wissen nit dienstlich noch nötig seind/ würden außgelassen vnd überschritten (Fuchs 1543: 2V).

Der Eindringlichkeit halber wiederholen sich die Argumente mit der steten Beteuerung, Kräuterkenntnisse machten noch keinen vollständigen Arzt. Deshalb wird alles, was dem Laien nicht nützt - oder was er vielmehr nicht wissen soll - , in der volkssprachigen Version - zur Beschwichtigung der Schulmediziner - ausgelassen.

„Grenzen und Gefahren eines therapeutisch autarken Laiensystems" sind vor allem von schulmedizinischer Seite gesehen worden, wie etwa vom Medizinprofessor Euricius Cordus, der sich in seinem Marburger .Theriakbüchlein' von 1532 vor allem gegen die weiblichen (aber auch die männlichen) Vertreter laienärztlicher Tätigkeit wandte. Cordus sprach sich auch gegen die frühen Kräuterbuchdrucke aus, und Paracelsus Schloß sich seinen Bedenken mit Nachdruck an (vgl. Keil 1991: 221f.).

Die Legitimierung des Gebrauchs der Volkssprache in heilkundlichen Werken

203

In seinem Arzneibuch entschuldigt und rechtfertigt Lorenz Fries den Gebrauch der Volkssprache vor den .gelehrtesten Hütern der apollinischen Disziplin' in einer dem volkssprachigen Vorwort eingestreuten lateinischen Passage: Jgnoscant mihi eruditissimi Appollinee Discipline inuigilatores si qua traduxerim non traducenda 'Aeque in dignatosque in me collocent obsecro. 'Non enim aliud (aut moriar) libuit guoque grossum error em presenti pagina extirpare et vi medicorum laus ampliaretur subsequentia decreui materna lingua promulgare. Quibus expletis et inexternis oris circumquaque reuisis/procul dubio fiituris ttmporibus abunde pluries visitentur et colentax medicorum cons ilia saluberrima. Quoniam vulgus peritum ab impeiito noa nisi per informatosqut dinoscit. Vale feruide amator sacerrime Medicine euo quoque tempore valeas in eo qui omnes sanat languores. Cui laus et victoria per ora omniü sonet in secla (Fries 1518: X).

Zuallererst bittet er um Verzeihung, falls er etwas übersetzt habe, das nicht übersetzt werden darf. Was man ihm aber als einzigen Fehler überhaupt vorwerfen könne, sei der Gebrauch der Muttersprache. Die Verbreitung von Wissen in der Volkssprache geschah aber allein aus dem Grund, den Ruhm der Ärzte zu mehren, denn durch Unterweisung lerne das Volk, Erfahrene von Unerfahrenen zu unterscheiden, und werde daher zukünftig den Rat der Ärzte suchen. Mit der Wahl der Volkssprache und dem damit intendierten Rezipientenkreis geht eine Auswahl des Inhalts einher, die nach den Kriterien .nützlich' und .nötig' erfolgt. Am ausführlichsten berichtet Brunfels darüber, was er in der volkssprachigen Version gegenüber der lateinischen Fassung entweder nur streift oder ganz wegläßt: - Es fehlt vor allem die wissenschaftliche Diskussion in Streitfällen: Jn spännigen sacken/ vnd do sich die geleerten entzweyen/ hab ich den handel mit kurtzem entdeckt/ vn den gelerten beuolhen die außzütragen. dan in Teütscher sprach soliche ding zu. handelen/ ist dem gemeynen man beschwerlich/ vnuerstendig/ vnd auch on sonderliche frucht (Brunfels 1532: c 5V). - Ausgeklammert werden ferner pharmazeutische Proben, ob ein fremdes, importiertes Kraut, das zur Herstellung von Composita benötigt wurde, echt sei. Hierdurch sollte ein Schwindel der Händler ausgeschlossen werden: Es ist auch solichs meer den Apotheckeren vnnd kaujfleüten beuolhen/ die mit dißen materialen werben vnnd mercantieren/ dan dem gemeynen man (1532: c 2V). - Recht knapp fallen auch die Ausführungen zur Elementenlehre und der theoretischen Erörterung der Heilwirkung von Kräutern aus. Die

204

Struktur und Inhalte der Vorworte

kurze Einführung bricht Brunfels ab mit dem Hinweis Wie hierin weiter zu handelen/ findet man bey Galeno de Elementis vn temperamentis/ ist nicht diß orts (1532: c 4r). Auffällig häufig geben die Verfasser volkssprachiger Kräuterbücher zumindest indirekt die volle Verantwortung für das Werk ab, indem sie toposartig darauf hinweisen, von anderen zur Publikation gedrängt und überredet worden zu sein.43 Bock widmet das 13. Kapitel seiner Vorrede der Frage Was mich disz Kreutter vnd Gewächszbuch zu ordnen/ vnd ins Teutsch zu stellen erstmals verursacht hat (zitiert nach Bock/ Sebizius 1577: b 6 r ). Es werden drei gewichtige Gründe angeführt, die in klimatischer Steigerung aufeinander folgen, und zwar die Bitte Otho von Brunfels' um Edition der reichen Sammlung, die zahlreichen Irrtümer in alten Kräuterbüchern und die Bitte der Armen um Hilfe. Da Bock sein Kräuterbuch nicht selbst loben wollte, gab ihm der Blick eines anderen, und zwar eines .Hochgelehrten', auf seine Arbeit die Möglichkeit, das von ihm Geleistete herauszustellen: Denn Brunfels nahm einige Mühen auf sich (er hat sich zu fuß erhaben/ vnd von Straßburg an biß gehn Hornbach inn das rauhe Waßgaw verfügt), Bocks Vilfaltige arbeitselige Colligierung viler Gew&chß/ sampt der selben auffschreibung inn Gärten vnd Schrifften ersehen, und er drängte ihn, das groß mühselig Werck inn ein Ordnung stellen/ vnnd erstmals dem Teutschen Vatterland darmit dienen. Obwohl Bock seine eigene Leistung mit einer Reihe positiver Epitheta charakterisiert, hält er sich - dem Bescheidenheitstopos gemäß - einer so großen Aufgabe für nicht gewachsen. Als alle Entschuldigungen kein Gehör fanden, unterzog er sich der Ausfertigung des Werkes und nahm dabei nach grosser mühe vnd arbeit/ noch grössere auf sich. Neben der personellen Bindung an Brunfels, der ihm als vielbeachteter Kräuterbuchautor vorausging, kommt ein sachliches Argument hinzu, das in der Fehlerhaftigkeit der ,alten', d.h. spätmittelalterlichen Kräuterbücher besteht: Denn weder die dort verwendeten Bezeichnungen der Kräuter, Krankheiten und Gebrechen seien korrekt noch die heilkundlichen Angaben, so daß großer Schaden entstehen könne.

43

So ist etwa Fuchs zum offtermal von ertlichen derselbigen auffs höchst vnd vleissigest ersucht vnd gebetten worden! diß mein Lateinisch Kreüterbüch in das Teiitsch zu bringen/ (...)/ das ich dan auff vilfeltig jhr ansuchen hab gethon/ vnnd sblchs auß keiner andern vrsachen/ dan das mich für gut vn nützlich angesehen/ (...) (Fuchs 1543: 2rf.).

Die Legitimierung des Gebrauchs der Volkssprache in heilkundlichen Werken

205

Das gewichtigste Argument jedoch ist das dritte, die Bitte der Armen, er wöllte doch Gott zu Ehren/ vnd dem armen gemeinen hauffen zu. dienst vnd wolfart/ die empfangene gaben/ nicht allein für mich selbs behalten/ ans Hecht lassen kommen. Die Armenhilfe ist der entscheidende Grund für den Gebrauch der Muttersprache. Die Verbreitung von Wissen und Kenntnissen vergleicht Bock mit der Vergabe von Almosen an Arme als Gebot der christlichen Nächstenliebe. Dabei erfährt die Volkssprache eine Erhöhung, denn durch sie allein kann das christliche Gebot ganz im reformatorischen Sinn eingelöst werden. Daher verwundert es nicht, daß ein Gebet (Der Herr im Himel/ der alles inn allem wärcket/ verleihe zü seinem eygenen werck Gnad vnd Beistandt Amen) das Kapitel beschließt. Die Aufwertung des volkssprachigen Kräuterbuchs geschieht auf recht subtile Weise, denn anstatt der allzu unbescheidenen Lobpreisung der eigenen Talente stilisiert der Autor sein Werk zum Akt christlicher Nächstenliebe. Das neue Kräuterbuch ist aber nicht nur nützlich, sondern auch wahrhaftig, was sich in den neuen Erkenntnissen und der Korrektur alter Irrtümer zeigt. Es ist ein Topos in der gesamten Kräuterbuchliteratur, zum Verfassen oder Vollenden des Werkes überredet worden zu sein. Handelt es sich um eine Neubearbeitung eines bereits zuvor gedruckten Werkes, so wird der besondere Erfolg des Vorgängers betont, der wegen der starken Nachfrage eine Neuauflage nötig machte.44 Ein gewisses Unbehagen bei der deutschen Edition zeichnet Joachim Camerarius aus, der prototypisch für die Haltung der bedeutenden deutschen Humanisten stehen kann. Nach eigenem Bekunden verspürte er eigentlich keine Lust, die Schriften anderer in deutschen Ausgaben zu publizieren, da er lieber eigene Sachen betreibe.45 Die fehlende Originalität von Trans-

44

45

Dieses Argument verwendet z.B. Camerarius 1586 zur Rechtfertigung einer Neubearbeitung der deutschen Fassung des Kräuterbuchs vonMattioli: (...) haben viel meiner guten Herren vnd Freund/ vnd auch etliche firnemme Personen mich erinnert vnd gebeten/ daß ich (...) solle verfertigen/ vnnd mit denselbigen zu einem guten Anfang/ das teutsche Kräuterbuch/ deß Hochgelehrten H. Matthioli seligen/ dieweil es ein grosse Nachfrag hette/ vnd keine Exemplaria mehr zu finden weren/ wiederumb auff ein newes/ mit vielen guten St&cken gemehret/ drucken lassen (zitiert nach Camerarius 1626: Vorred an den günstigen Leser J1). Wiewol ich aber zu solchen teutschen Editionibus durchauß nicht sondern Lust habe/ vnd viel lieber mein eygene Sachen/ dann anderer Scripta, tanquam alienos partus, zu elaborirn bedacht gewesen! weiß auch wol/ daß allerley Meynung vnd Urtheil von diesem Buch werden firlauffen/ dieweil ich solches nicht hab können andern Leuten wol abschlagen/ vnd jederman zu dienen vnnd willfaren mich

206

Struktur und Inhalte der Vorworte

lationen war wohl der Grund dafür, daß die wichtigsten Wegbereiter des deutschen Humanismus kaum Interesse daran zeigten, lateinische Werke (fremder Autoren) in volkssprachigen, an ein breiteres Publikum gerichteten Übersetzungen aufzubereiten. Findet eine Übersetzung wie die des Dioskurides-Kommentars von Mattioli durch den Arzt Georg Handsch statt, so rechtfertigt der Übersetzer im Vorwort nicht nur sein Unterfangen, sondern auch die stilistische Qualität der Wiedergabe: Was die Dolmetschung antrifft/ hab ich mich allwegen viel zu gering darzu geachtet/ sondern dieweil der Author solches von mir zum mehrermal begert/ vnd keines wegs hat wöllen ablassen/ habe ich endtlich darein verwilligt/ vnnd diß Buch auß dem Latein in Teutsch bracht/ nach meinem höchsten fleiß vnd vermögen,t wiewol auffs schlechste vnnd einfaltigste. Aber ich versehe mich zu allen guthertzigen/ vnnd Liebhabern dieser Kreutterkunst/ sie werden mehr denn Nutz/ so in diesem Buch trewlich vnnd reichlich f&rgetragen wirdt/ dann die geschmückte Wolredenheit erwegen/ vndßr lieb annemen (Georgius Handsch von Limus D. Zum Leser, zitiert nach Camerarius 1624: Jiii ij1).

Hier werden der Nutz und eine Verdeutschung aujfs schlechste vnnd einfaltigste gegen die geschmückte Wolredenheit aufgewogen. Es steht der schlichte (schlecht) und einfache Stil der deutschen Ausgabe dem ornatus der geblümten Rede gegenüber.46 Das Adjektiv einfaltig .einfach, schlicht' ist dabei nicht nur ein Stilattribut, sondern auch ein Charakteristikum des gemeynen mans, wenn wie bei Brunfels vom teütschen einfaltigen leser die Rede ist (1532: a 3V)·47 Zwischen lateinischen und deutschen Werken besteht in erster Linie ein .informatives' Gefalle, das durch den Wechsel des Adressatenspektrums hervorgerufen wird: Die gelehrte Leserschaft lateinischer Werke hat aufgrund humanistischer Vorbildung eine andere Erwartungshaltung hinsichtlich des Inhalts wie auch der rhetorisch-sprachlichen Gestaltung. Dabei bleibt auch der lateinische Text in der dem

46

47

schuldig erkenne/ bin ich guter Hoffnung/ es werden desto ehe diese newe edition, guthertzige Leut/ im besten aufnemmen/ vnnd jhnen gefallen lassen (zitiert nach Camerarius 1626: Vorred an den günstigen Leser J1)· Nicht auszuschließen ist, daß die der deutschen Übersetzung beigegebenen Stilattribute eine weitere Untertreibung durch den Autor als Bescheidenheitstopoi im Sinne der captatio benevolentiae darstellen. Eine vergleichbare Argumentation findet sich bei Henisch (1577: 331), der seine Abhandlung der Kräuter auffs khrtzest (...) alß die sach selbs hat erfoddert/ nicht mit weitleufftigen vnd vmbschweiffenden/ sondern schlechten vn wenig Worten zum Nutz den armen vnuermbgenden leuten so wol burgern alß bawern verfaßte.

Sprach- und Stilkommentare in den lateinischen Vorworten

207

Gegenstand und der .Redehaltung' des Unterweisens angemessenen Stilebene, dem genus subtile, dem rhetorischer Ornatus48 ebenso fremd ist wie die geschmückte Wolredenheit den volkssprachigen Werken. 6.5.2

Sprach- und Stilkommentare in den lateinischen Vorworten von Brunfels bis Fuchs

In den lateinischen Vorworten der frühen Kräuterbuchautoren ist die Auseinandersetzung mit dem durch die Neubesinnung auf die antiken Quellen eingeleiteten inhaltlichen und sprachlichen Wechsel stets präsent. Thematisiert wird die nun erreichte neue Qualität der antiken Texte, und zwar vor allem des Dioskurides, die durch die Prozedur der Textkritik inhaltlich revidiert und sprachlich korrigiert in der von Humanisten für ursprünglich gehaltenen Version vorliegen. Die Bilder, Vergleiche und Metaphern zur Charakterisierung der neuen Überlieferungssituation basieren auf Kontrastierung, wobei die Antike und Jetztzeit als hell (Licht) und das Mittelalter als dunkel (Finsternis) gezeichnet ist. In der conclusio der einleitenden Teile des ersten Bandes seines lateinischen Kräuterbuchs (1530) bietet Otho Brunfels eine Gegenüberstellung von einst und jetzt.49 Er erklärt die neue Medizin für genuina

48

49

Von den drei genera dicendi ist vor allem das genus grande durch reichen ornatus (Figuren und Tropen) ausgewiesen, der im genus medium deutlich sparsamer eingesetzt wird. In der .niederen Schreibart' des genus subtile ist Redeschmuck, wenn überhaupt, äußerst zurückhaltend - wie etwa im Gebrauch von Metaphern angewandt (vgl. auch Lausberg 1990: 519-525, §§ 1078-1082 und P. 7.1). (...) hec res aliam uitä, aliä etiam dietam postulat, relictis tot ueteribus ambagibus, & barbarorum nenijs, tot incertis tradimentis, immo nugacissimus nugis, pro his genuince ac puree ilia Medicince se maneipent. Puram uoco, qua ex Hypocrate, Galeno. Theophrasto, Plinio, Dioscoride, Oribasio, & id genus priscis rei Medicce scriptoribus, & artis ipsius primis prineipibus petitur, agnoscetque in,oaeiflon perationcö. a agsrc.c*p.3cbafat> eft concbtliü tjt fpcdtboe oftracoi-ΐ eftfimfliKiee concbflijeporpotdertrc p a f o n ! (nrcefonßwefnd«. ι (n aqoia teet*t et« fpiicanardi.sOdotaoti t i n t fwimatiaifl Iqm (pmaial comcdit l » n f o m . £ t ipfacoUigunf (ntpc cfttoo. οίϊ«ή ocflccaf.t Kßimrcriitjtde (n lit eojibosmarieatjom.etcolojiloseftDe cHniead albcdintm.« ambt font mdio tts.1 d t puiguie. ejiOaqntnafcffinba b Jonia d t fabnigri colons. ? dt minoi U la.i omte büt bonö odo:cm. £ t qfi fumi garoroonmecü tiefen ttfodoi caaficut ca(toKi.©ic (cfelangen. nie an. « e äberwinbt auch groffe t^icr mit ber be 3a vertreiben biemeap/ fofcfeiribee men benbigtift feine c&pere. tin m&ilin.rcm ben meufett / wtb l a f t bae ffXJo« »nötigen feigen mit bemfreut im baafe lauflren/ober »erfcfeneibt jr/oixr macht man tin pflafter »ffber wifel bif. fyavctt (m btnfefewane ab/ aber bae fefein* «Der wifel biftfi fcfenellee fcfemernenne/ t>en ifl bae befi. mberbeii man ein pfUtfler macht mit swib Jtemtin gebiatten maaf einem (ungen len vnbtnoblaucb. hnb geben 5"ffen/befceltet jm bae gtufftrn t>er geruefe ber rauten vertreibt bie wU p(ine monbe. tier wifel efefe vnb blöt bellet bett anffa0 »nbbifeblarern.

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282

Frühneuzeitliche Kräuterbücher und ihre mikrostrukturelle Textorganisation

Das im Untersuchungszeitraum früheste Werk, der Gart der Gesundheit, weist keine explizite auf Teilüberschriften gestützte Binnengliederung auf; selbst Absätze finden sich dort nur sporadisch, und Abschnitte werden noch größtenteils durch das Alinea-Zeichen mitten in der Zeile markiert. Wie beim lateinischen Befund so zeigt sich auch bei der Binnenstrukturierung der volkssprachigen Kräuterbücher, daß die Kapitelgliederung bei Fuchs am differenziertesten ausgebaut ist (vgl. Abb. 12).

9.5

Zur Variation der Binnengliederung bei Otho Brunfels (1532 und 1537)

Im Folgenden bleibt zu fragen, ob und inwieweit die Klassifizierung des Kapitels Sadebaum in Form und Inhalt das für alle Einträge übliche Gliederungsmuster darstellt. Im Mittelpunkt steht zunächst die deutschsprachige Version des Kräuterbuchs von Brunfels, aus dessen zweiten, von Michael Herr postum herausgegebenen Band von 1537 das Kapitel Sadebaum stammt. Für die volkssprachige Version der in P. 9.2 angeführten lateinischen Kapitel De plantagine: Wegrich (1532: 57ff.) und De ungula caballina: Rosszhüb. Brantlattich (S. 7f.) ist im ersten, noch von Brunfels 1532 besorgten Band die folgende Binnengliederung nachweisbar: Wegrich

Rosszhüb. Brantlattich

ί Von den Namen des Wegrichs. Wie der Wegrich geformyert vnd gestalt/ auch wie vil deszselbigen geschlecht. Von der gestalt des breytten Wegerichs. Contrafactur des Spitzen Wegrichs. Wie Fröschlöffelkraut geformyert. An was statt der Wegrich gern wechszt. Welcher Wegrich der besszer. Zü Welcher zeit man den Wegrich samlen soll. Wie lang disz kraut werhafft. Wie ein Wegrich vmb den anderen mag braucht werden. Von der Complexion des Wegerichs. 1 Kräfft vnd tugent des Wegrichs.

1 Von dem namen dises krauts. Wie Rosszhüb gestaltet. Von zweyerley geschlecht diszes krauts. Von statt der Rosszhüb. Was die Alten von diszem kraut gehalten, Von Complexion diszes krauts. 1 War zü Brantlattich/ oder Rosshüb güt.

Zur Variation der Binnengliederung bei Otho Brunfels (1532 und 1537)

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Cap.

283

XVI.

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Abb. 12:

Leonhart Fuchs: NEw Kreüterbüch. Basel: Michael Isingrim 1543, Bl. e 2V [Reprint München 1983]

284

Frühneuzeitliche Kräuterbücher und ihre mikrostrukturelle Textorganisation

Die Instabilität in der Kapitelstruktur, die bereits für die lateinische Version zu beobachten war, setzt sich vor allem im ersten Teil des deutschen Kräuterbuchs von 1532 fort. Hinzu kommt, daß die lateinische Fassung lediglich der Sache nach als Vorlage diente, denn weder die autorenbezogene Anordnung hatte Bestand, noch wurde die Form der entsprechenden Kapitelüberschriften kopiert. Auffällig ist allerdings die große inhaltliche Nähe der Gliederungsstruktur des Eintrags Wegrich zu dem bei Fuchs gültigen Schema, das sich bei Brunfels langsam abzuzeichnen beginnt: Neben der Übereinstimmung der Abschnitte Namen bei Fuchs und Von den Namen des Wegrichs korrelieren Geschlecht und Gestalt (Fuchs) auf der inhaltlichen Ebene mit vier aufeinanderfolgenden Kapiteln bei Brunfels, und zwar Wie der Wegrich geformyert vnd gestalt/ auch wie vil deszselbigen geschlecht. - Von der gestalt des breytten Wegerichs. - Contrafactur des Spitzen Wegrichs. - Wie Frbschlbffelkraut geformyert. Der Abschnitt über Ort und Zeit (bei Fuchs Statt seiner wachsung und Zeit) erscheint bei Brunfels in der Form einer indirekten Frage An was statt der Wegrich gern wechszt bzw. Zu Welcher zeit man den Wegrich samlen soll. In der Angabe der Sammelzeit tritt der heilkundliche Schwerpunkt des frühen deutschen Kräuterbuchs deutlicher als etwa bei Fuchs hervor ebenso wie in den drei nur bei Brunfels nachweisbaren Kapiteln Welcher Wegrich der besszer. - Wie lang disz kraut werhafft. - Wie ein Wegrich vmb den anderen mag braucht werden. Bei der Angabe der Primärqualitäten und der Heilwirkung stimmen beide Autoren überein (Fuchs: Die natur vnd complexion bzw. Die krafft vnd würckung\ Brunfels: Von der Complexion des Wegerichs bzw. H Krbfft vnd tugent des Wegrichs).

Der komplexen Gliederung des Wegrich-Kapitels kann bei Brunfels der Eintrag Rosshüb/Brantlattich gegenübergestellt werden, der auf die in späteren Kräuterbüchern (wie etwa Bock) obligatorischen Teile: Bezeichnungen, Form, Arten, Ort des Wachstums sowie die Primärqualitäten und Heilwirkung reduziert ist, wobei zusätzlich in Anlehnung an die autoritätenorientierte Gliederung des lateinischen Kräuterbuchs darüber informiert wird, Was die Alten von diszem kraut gehalten. Begegnet hier ein Grundmuster, das mit leichten Schwankungen in der Mehrzahl der Pflanzenbeschreibungen des ersten Teils anzutreffen ist, so kann dennoch die Kapitelstruktur bei Brunfels um alle Teile gekürzt werden bis hin zu dem auf zwei Sätze reduzierten Eintrag Einblatt?

Jst mir nicht weyter bekafit/ dan dem augenschein nach/ hab auch sonst vö nyemants anders möge bericht werden/ was es fir andere nammen hab. Jst aber ein Waldtkraut/ vnnd ausser der gewültnuß vns zu häden gestanden (1532: 235).

Zur Variation der Binnengliederung bei Otho Brunfels (1532 und 1537)

285

Die im Kapitel Eberwurtz vorhandene Zweiteilung in die Abschnitte 1 Von dem Nammen und f Kräfft vnd Artzeneyen (1532: 218)8 bildet den Ausgangspunkt der am häufigsten nachweisbaren Kapitelstruktur des zweiten, von Michael Herr bearbeiteten Bandes. Eine größere Stabilität im späteren Werk zeigt sich nun auch darin, daß neben dem Grundmuster recht wenige Gliederungsvarianten nachweisbar sind, die aber vergleichsweise häufig verwendet werden: In fast einem Drittel aller Fälle ist z.B. nur der heilkundliche Abschnitt durch die Überschrift Sein Krä f f t abgetrennt; in einem Fünftel ist eine Drei- bzw. Vierteilung in Namen und Geschlecht (mit bzw. ohne Überschrift, in einem bzw. in zwei Abschnitten), Sein Complexion und Sein Krafft nachweisbar und in einem weiteren Fünftel kommt Sein Statt hinzu. Die allmählich entstehende Stabilisierung betrifft nicht nur die Standardisierung der Grundstruktur, sondern auch die formale Gestaltung der Kapitelüberschriften: Während im Kapitel Wegrich Nominal- und mit von eingeleitete Präpositionalphrasen sowie indirekte, z.T. auch mehrgliedrige Fragesätze einander abwechseln, manifestiert sich später die Struktur der ein- bzw. zweigliedrigen Nominalphrase.9 In welchem Rahmen die formale Gestaltung der Überschriften gegenüber dem ersten Kräuterbuchteil von 1532 eine gewisse Stabilität erreicht, soll ein Vergleich eines einzigen Abschnitts, und zwar des heilkundlichen Bereichs (Vires) erweisen. Für den zweiten Band von 1537 konnten dabei die folgenden Varianten ermittelt werden: - Neben der bereits erwähnten, am häufigsten vertretenen Form Sein Krafft steht vereinzelt die Pluralform Seine Krhfften (S. 99) sowie die um einen Genitiv mit Nennung der Pflanze erweiterte Variante Kblkrauts Krafft (S. 51). - Sein(e) Krafft! Kr&ffte erscheint manchmal in mit vnd verbundenen Paarformeln zusammen mit den Synonymen würckung (S. 5), tugent (S. 10) und hylff (S. 95), aber auch mit Artzneyen (S. 37) bzw. Schäden (S. 35). - Werden die zwei Abschnitte zur Angabe der Primärqualitäten und der Heilkräfte in einem Kapitel zusammengefaßt, so kommt es zu den Kollokationen Krhfft vnd Com-

Die Wichtigkeit der beiden Abschnitte zeigt sich in beinahe allen Kapiteln des ersten Bandes darin, daß beide als einzige konsequent mit der Alinea (f) als zusätzlichem, besonders auffälligem Gliederungssignal versehen sind. Vereinzelt tritt bei der ersten, unmittelbar nach der Pflanzenbezeichnung gebotenen Kapitelüberschrift eine Präpositionalphrase mit von (vor allem Von seim Nammen) auf.

286

Frühneuzeitliche Kiäuterbücher und ihre mikrostrukturelle Textorganisation

plexion (S. 41), Sein Complexion/ vnd Krafft (S. 43), Jr Complexion vnd würckung (S. 151) sowie Complexionen vnd Juuamenten vszDioscoride (S. 147; mit Nennung der im folgenden zitierten Autoriät).

Die Spannweite der (vereinzelt nur sporadisch belegten) Varianten ist im späteren Band (1537) gegenüber denjenigen von 1532 ausgesprochen gering. Der Experimentiercharakter zeigt sich dort in der Vielgestaltigkeit der Einleitung zum heilkundlichen Teil, der die wenig ausgeprägte Schematisierung der Kapitelüberschrift deutlich macht. Wenngleich auch im ersten Band (1532) eine Form, und zwar die Paarformel Kr&jft vnd Artzeneyen (S. 19), am häufigsten vorkommt, so handelt es sich bei der vielfältigen Abwandlung und Ersetzung in keinem Fall um die dominante Form. Als Varianten der Paarformel treten im ersten Band (1532) auf: - die Kollokationen Artzeneyen vnd kreffte (S. 17), Sein krbfft vnd artzeneyen (S. 39) bzw. reduzierte Varianten wie Artzeneyen (S. 48) oder Sein krbffte (S. 133). - Erweiterungen durch die Angabe des Krautes im Genitiv, dessen Heilwirkung beschrieben werden soll: Krafft vnd Artzeneyen der Hymmelschlüssel (S. 29), Krbffte der Blawen Gilgen (S. 113) oder Mancherley artzeneyen vnd kreffte diszes krauts (S. 25). Dabei handelt es sich in den meisten Fällen um redundante Informationen, da die Pflanzenbezeichnung ohnehin in der Hauptüberschrifit am Beginn der Beschreibung erscheint und der Genitiv diszes krauts lediglich die Funktion hat, anaphorisch auf diese Überschrift zu verweisen. - Erweiterungen durch die Angabe der meist antiken Autorität, nach der die Beschreibung erfolgt. Sie wird angeführt a) in einer Präpositionalphrase: Krbfft der grossen Naterwurtz nach der beschreibung Dioscoridis (S. 77), Seine krbfft! vszDioscoride/ vnd Plinio (S. 260). b) in einem Relativsatz: Krbfft vnd Artzeneyen so Dioscorides vnd Galenus diszer blümen zügibt (S. 104), Krbfft so da zuleget Dioscorides dem Lynsamen (S. 81), Krbfft der Meyenblümen die ynen zügibt Hieronymus von Braunszweigk (S. 165).10 - Ersetzungen des einen Teils der Paarformel durch (Quasi-)Synonyme wie z.B. in Tugent vnd krafft der Seeblümen (S. 4), Tugenden/ vnd Artzeneyen (S. 21), Sein tugend vnd Artzeneyen (S. 34), Seine krbffte vnd Juuamenten (S. 116), Sein krbffte vnd Juuament (S. 138), vereinzelt mit Angabe der Autorität in Relativsätzen wie Krbffte vnd Juuamenten/ so da zügeben haben die Alien dem Ephew (S. 152) und Tugent vnd Krbfft/ so Dioscorides diszem kraut zügibt (S. 155f.).

10

Nur das erste der gebotenen Beispiele bietet die heutige Normalstellung mit dem füllten Verb (hier im Singular) an letzter Stelle im Relativsatz. Für die beiden folgenden Beispiele könnte die im Frühneuhochdeutschen noch variablere Wortstellung genutzt worden sein, die Informationen zu gewichten und entweder Pflanze (dem Lynsamen) oder Autorität (Hieronymus von Braunszweigk) in die kommunikativ besonders auffallige Endposition zu rücken.

Zur Variation der Binnengliederung bei Otho Brunfels (1532 und 1537)

287

Die komplette Paarformel wird ersetzt durch: -

Synonyme wie Nutzbarkeytten

-

indirekte Fragesätze, eingeleitet mit a) ,was': Was die Empirici diszem kraut zu geben (S. 201), Wiai Ringelblumen krbfft haben (S. 211), b) ,wie': Wie man den Andorn in sonderheyt bereyten soll (S. 85), c) ,wozu': War zü Brantlattich/ oder Rosszhüb güt (S. 10);

-

diszes krauts (S. 10);

fiir

Berichte aus der Praxis, betitelt mit Etliche Erfarnüssen von der Weisszwurtz (S. 217) oder Erfarnüssen Hieronymi von Braunschweyg von diszem kraut vnd wasser (S. 280).

Der Eindruck von Inkonsequenz und Unübersichtlichkeit wird im ersten Band verstärkt durch die Streuung heilkundlicher Informationen auf mehrere Binnenabschnitte: Dies ist meist dann der Fall, -

wenn mehrere Arten unter der Pflanzenbezeichnung der Hauptüberschrift gebündelt sind, wie z.B. unter Nachtschatt mit den Teilüberschriften Krüfft des gemeynen Nahtschatts [!] und Krbfft des roten Nachtschattens/ oder Boborellen/ oder Judenkyrszen (S. 195);

-

wenn mehrere Autoritäten zitiert werden, wie z.B. beim Leberkraut mit Krbfft vnd Artzeneyen des krauts/ das Dioscorides Liehen nennet als auch Artzeneyen so Serapion/ Platearius/ Vigonius/ vnd Hieronymus Leberkreüteren zu geben (S. 180), beim Mannstreu mit Sein krbffte ausz Dioscoride und Ausz dem Plinio (S. 282f.) oder beim Eppich mit den strukturell heterogenen Gliederungspunkten Das Epffes krbfft vnd Artzeneyen und Plinius (S. 298);

-

wenn die Zubereitung des Krautes von der Heilwirkung getrennt wird, wie bei der Walwurtz mit den Abschnitten Von den artzenneyen diszes krauts und Wie man diszes kraut brauchen soll (S. 15), beim Engelsüß mit den drei Teilen Kräffi vnd Juuamenten und Wie man den Engels&sz in der artzeney brauchen soll sowie Dosis (S. 308) oder beim Rosmarin mit Seine krbfft vnd Juuamenten und Composita (S. 31 lf.).

Die im ersten Band von 1532 bezeugte Vielfalt dokumentiert augenfällig, daß im ersten deutschen Kräuterbuch mit umfangreicher Binnengliederung elaborierte Gliederungsschablonen noch fehlen, die durch eine weitgehend standardisierte Reihenfolge und formale Schematisierung nicht nur die Abfassung von Pflanzenbeschreibungen erleichtern könnten, sondern auch eine schnellere Orientierung und selektive Zugriffsmöglichkeit dem Rezipienten bieten. Die Faktoren, die bei Brunfels zur Abgrenzung von Binnenabschnitten führen, sind vielfältig, da neben dem inhaltlichen Kriterium des

288

Frühneuzeitliche Kräuterbücher und ihre mikrostrukturelle Textorganisation

abgeschlossenen Themas" die Exponierung der vom Autor als wichtig erachteten Aspekte eine zentrale Rolle spielt. Hierbei ist die Bündelung von Informationen in einem eigenen Gliederungspunkt nicht immer einsichtig, wie beispielsweise beim Abschnitt Dosis, dessen einzeilige Mitteilung auch unter dem vorangehenden Absatz Wie man den Engelsüsz in der artzeney brauchen soll (s.o.) subsumierbar wäre. Hinzu kommt die Gliederung des Stoffes nach den bei den Autoritäten belegten Aussagen, die in der Kapitelüberschrift genannt werden. Die autoritätenorientierte Gliederung zur Untermauerung der Gültigkeit, die das dominierende Verfahren in der lateinischen Version darstellt, ist trotz deutlichen Rückgangs noch signifikant häufig, während sie in allen späteren volkssprachigen Werken - mit Ausnahme gelegentlicher Annotationen - nicht mehr beobachtet werden kann. Als Zeugnis der Übergangsphase zu einer ausschließlich themenbestimmten Binnengliederung kann die einzige, innerhalb der Kräuterkapitel gebotene Überschrift bei Rößlin (1533 und 1535) gewertet werden, die auch in den späteren Ausgaben der deutschsprachigen Gö/t-Tradition bei Lonitzer 1557 und Rößlin 1569 erhalten blieb. Durch Seuenbaum wasser als einzigem Gliederungspunkt wird ein Abschnitt abgegrenzt, der aus dem Destillierbuch des Hieronymus Brunschwig entnommen ist, ohne daß die zitierte Autorität genannt wird.

9.6

Beobachtungen zur Stabilität der Binnengliederung volkssprachiger Werke

Wie für die lateinischen Werke so ist auch für die deutschen Kräuterbücher in der Nachfolge Brunfels' eine größere Regelhaftigkeit in der Aufeinanderfolge bestimmter Gliederungspunkte einschließlich der Bewahrung formaler Muster der Überschriftengestaltung charakteristisch. Am konsequentesten wurde ein einheitliches Muster in der deutschen Bearbeitung des Kräuterbuchs von Fuchs (1543) eingehalten; dort wird in der großen Folioausgabe am durchweg konstanten Aufbau in Abfol-

11

Dabei ist die thematische Geschlossenheit eines Kapiteleintrags keineswegs immer gewährleistet: So wird die erwartete Angabe der Primärqualitäten unter Complexion teils mit bei Galen gefundenen Verwendungen (z.B. beim Flachß\ 1532: 80f.), teils mit einer Auflistung von Rezepten (wie z.B. beim Scabiosenkraut-, 1532: 93f.) gekoppelt.

Beobachtungen zur Stabilität der Binnengliederung volkssprachiger Werke

289

ge und Form der Kapitelüberschriften auch dann festgehalten, wenn der Eintrag nur eine Zeile umfaßt. Verzichtet wird lediglich auf die autoritätenzentrierte Gliederung der Vires sowie auf gelegentlich gebotene Appendices, deren Inhalt aber den entsprechenden deutschen Gliederungspunkten zugeordnet ist. Die Stereotypie der Kapiteleinteilung bei Fuchs weicht in den späteren Werken einer größeren Flexibilität, wobei die mitunter dürftige Kenntnislage oder das Mitteilungsbedürfnis des Autors entscheidende Faktoren für Abweichungen vom Grundmuster darstellen. So wird nicht selten auf die Unterscheidung der Heilwirkung nach innerer und äußerer Anwendung verzichtet, wie etwa von Bock bei der Beschreibung der Schblwurtz (1556: 40 r f., Cap. xxxiij), deren Anwendung im Kapitel Von der krä f f t vnd würckung auf einen Satz beschränkt bleibt. Abgesehen von solchen Verkürzungen bewahrt Bock konstant die Dreiteilung der Kapitel mit dem vorangestellten botanischen Teil ohne Überschrift sowie den die stets gleiche Kapitelüberschrift aufweisenden Abschnitten über die Bezeichnungen und die heilkundliche Wirkung. Ein Dreierschema in anderer Gliederung, und zwar botanischer Teil + Bezeichnung (ohne Überschrift) - Primärqualitäten - heilkundliche Wirkung, wird auch von Lonitzer bzw. Rößlin (1569) bevorzugt, wobei dort eine verkürzte Variante mit nur einer Teilüberschrift Krafft vnd wirckung ebenfalls häufig verzeichnet ist. Drei- oder Zweiteilung der Kapitel korrelieren dabei mit der entsprechenden Klassifikation der lateinischen Fassung von 1551. Der vereinzelt dem Abschnitt .Heilwirkung' angefügte Teil über die destillierten Wässer findet sich nur in der deutschen Fassung und geht auf Angaben aus Brunschwigs Destillierbuch zurück, die Lonitzer - im Unterschied zu Dorstenius - im Hinblick auf den Leserkreis seiner lateinischen Historia naturalis für nicht weiter beachtenswert hält. Während bei Bock und Lonitzer lediglich Verkürzungen in der vom Sadebaum repräsentierten Gliederungsstruktur beobachtet werden können, ist das Spektrum an Variationen bei Mattioli/Handsch (1563) und in der Neubearbeitung von Camerarius (1586) weitaus umfangreicher. Je nach Bedarf werden Gliederungspunkte in einer Überschrift zusammengefaßt, oder es kommen neue hinzu. Das bei der Beschreibung des Sadebaums unter Geschlecht vnd Gestalt gebotene zusammenfassende Kapitel, das gelegentlich auch ohne Überschrift vorkommt, ist in zahlreichen weiteren Einträgen nach Gestalt als einleitendem Kapitel

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Frühneuzeitliche Kräuterbücher und ihre mikrostrukturelle Textorganisation

und Geschlecht getrennt, wobei Gestalt wiederum vereinzelt - so z.B. beim riechende^n) Andorn (1586: 289r, Cap. LXXXIIII.) - mit Stell kombiniert werden kann.12 Die Hinzunahme neuer Gliederungspunkte wird durch differenzierte heilkundliche Beobachtungen zu Arten bzw. Teilen von Pflanzen oder Früchten notwendig, was teilweise zu recht komplexen Gliederungsstrukturen wie etwa bei den Granatbpfflen (1586: 77 r -78 v , Cap. LXXIIII.) führt: Gestalt. - Stell. - Geschlecht. - Natur/ Krafft/ vnd Wirckung/ der bpffel. - Der süssen. - Der sauren. - Der Weinsauren. - Granatwein. Vinum Granatorum. Krafft der Bletter. - Der Blumen. - Der Schalen oder Rinden. - Wilder Granatbaum. - (ohne Überschrift) die Aufzählung der Bezeichnungen. 13

Während wie hier die Anfügung der Bezeichnungen meist am Kapitelschluß erfolgt, so finden sich andererseits auch Gliederungen wie die der Veielwurtz (1586: P-3 r ; Cap: /.), die an Fuchs orientiert sind und die Punkte Namen. - Geschlecht/ vnd Gestalt. - Stell. - Zeit. - Natur/ Krafft/ vnd Würckung. - Jn Leib. - Aussen.- Veielwurtz&l. Oleum Irinum aufweisen. Trotz derartiger Mischungen ist eine übersichtliche Kapitelstruktur nicht zuletzt wegen der formalen Konstanz der Kapitelüberschriften, die ausschließlich Nomina oder Nominalphrasen darstellen, stets gewahrt. Bei Tabernaemontanus und Braun sind Abweichungen vom Grundschema weitaus seltener beobachtbar. Dort gilt das Dreierschema Bocks mit zwei Teilüberschriften, die im Unterschied zu Bock recht häufig die Pflanzenbezeichnung aufweisen. Da die Beschreibungen dort nicht selten mehrere Seiten umfassen, ist die Wiederholung der Pflanzenbezeichnung nicht zur Hauptüberschrift redundant, sondern stellt eine zusätzliche schnelle Orientierungshilfe für den Leser dar. Neben gelegentlichen Verkürzungen (so fehlt das Kapitel Von dem Namen bei der Beschreibung des blauwen Indianischen Fench; 1588: 818, Das XXX. Capitel.) werden auf der anderen Seite recht häufig Kapitel über Herstellung und Gebrauch der aus der Pflanze gewonnenen Wässer, Säfte

12

13

Der Abschnitt Stell, der in der Beschreibung des Sadebaums erst von Camerarius (1586) eingefügt wurde (vgl. Tab. 15), ist hingegen in anderen Pflanzenbeschreibungen gelegentlich schon bei Handsch (1563) belegt. Untergliederungen wie Der süssen zu dem übergeordneten Kapitel Natur/ Krafft/ vnd Wirckung/ der bpffel oder Der Blumen zu Krafft der Bletter werden hier noch ausschließlich syntaktisch (Adjektiv- bzw. Genitivattribut) als abhängig markiert, nicht aber typographisch, wie z.B durch die Verwendung kleinerer Schriftzeichen.

Zusammenfassung

291

oder Salze hinzugefügt wie bei der Beschreibung der Schellwurtz (1588: 122, Das II. Capitel.), die erweitert ist um die Abschnitte Von Schellkraut wasser. Aqua Chelidonij stillatitia. - Innerlicher gebrauch deß Schellkraut wassers. - Eusserlicher gebrauch deß Schellkraut wassers. - Auffgetruckneter Schellwurtz safft. Chelidonij succus exiccatus. - Schellkraut saltz. Chelidonij Sal (S. 130).

Komplexere Gliederungsstrukturen finden sich auch hier bei der Beschreibung der Granathpffel (1590: Das LXV. Cap.), wo die von Bock übernommenen Gliederungspunkte Von den Namen und Von der Natur/ Kraffi/vnd Eigenschafft der Granathpffel kombiniert sind mit der teilweise bei Handsch und Camerarius gebotenen Heilwirkung - der drei unterschiedenen Arten (Von süssen Granaten. - Von sauren Granaten. Von weinsäurlichen Granaten.), - der verwertbaren Teile der Frucht (Von den Schalen oder Rinden der - Von Granatblüht oder Blumen. - Von den Kernen.)

-

Granatäpffel.

- und schließlich des aus den Früchten zu Heilzwecken hergestellten Weins bzw. Sirups (Von Granatwein. - Granatäpffelsyrup. Syrupus granatorum.).

9.7

Zusammenfassung

Für die Binnengliederung in den Kräuterbüchern von 1485 bis 1590 (und darüber hinaus) können insgesamt die folgenden vier, zwischen lateinischen und deutschen Werken weitgehend parallel verlaufenden Entwicklungsstadien festgestellt werden. Gibt es zunächst keine oder allenfalls rudimentäre Gliederungsstrukturen, so folgen nach einer Phase des Experimentierens bei Brunfels starre Ordnungskonzepte bei Dorstenius (lat.), Fuchs (lat. und dt.) und Bock (dt. und lat.), die in der darauffolgenden Phase aufgelockert werden durch Verkürzungen oder Erweiterungen des einmal etablierten Grundschemas. Vergleicht man die zunächst für das lateinische Kräuterbuch vorgenommene Gliederung bei Fuchs mit der volkssprachigen bei Bock, so fällt für die lateinische Fassung eine striktere thematische Trennung des Inhalts entsprechend der jeweiligen Kapitelüberschrift auf. Der Beginn der Pflanzenbeschreibung bei Bock, der essentielle Informationen wie die Arten der Pflanze und ihre Beschreibung enthält, wird ohne eigene Überschrift geboten und auch im heilkundlichen Teil wird die Angabe der Primärqualitäten nicht eigens von den Heilwirkungen getrennt. Die differenzierte Gliederung bei Fuchs steht einer stärker assoziativen

292

Fnihneuzeitliche Kräuterbücher und ihre mikrostrukturelle Textorganisation

Struktur bei Bock (mit der Einsparung der Benennung des ohnehin Selbstverständlichen) gegenüber.14 Unter Berücksichtigung des Wechselverhältnisses von deutschsprachiger Vorlage und lateinischer Übertragung bzw. lateinischer Vorlage und deutscher Ausgabe kann grundsätzlich festgestellt werden, daß die lateinischen Vorlagen eine größere Vorbildfunktion für die deutschsprachigen Ausgaben haben als umgekehrt. So kopiert man zwar die lateinischen Gliederungskonzepte von Fuchs und Lonitzer in den späteren volkssprachigen Ausgaben, ersetzt aber die allenfalls rudimentäre Gliederung der frühen Gart-Versionen in den lateinischen Fassungen durch differenziertere Gliederungen. Eine gewisse Vorbildfunktion errang das deutsche Kräuterbuch von Bock (in der Fassung von 1546 bzw. 1551): Die Bocksche Gliederungsschablone findet sich nicht nur in der lateinischen Version von Kyber, sondern beeinflußte zudem die lateinische Naturalis historia von Lonitzer sowie die späteren deutschsprachigen Werke, die in ihrer Anlage nicht mehr direkt lateinische Vorlagen nachahmten. Obwohl das Kräuterbuch von Handsch und Camerarius als Übersetzung des lateinischen Mattiolikommentars gilt, richtet sich die Anordnung des Stoffes weitaus mehr nach Gliederungskonzepten, die zuvor in deutschsprachigen Werken erprobt wurden. Tabernaemontanus und Braun, die keine lateinische Vorlage haben, orientieren sich mit Bock in erster Linie an dem volkssprachigen Vorläufer, der wie sie von keiner lateinischen Vorlage ausging. Die Vorbildfunktion der volkssprachig vorgeprägten Gliederungskonzepte führte allerdings nicht dazu, daß die einmal festgelegten Sequenzen - wie noch zuvor - schablonenhaft kopiert wurden. Die Abweichungen, die dem jeweiligen Untersuchungsgegenstand entsprechend entweder aus Kürzungen oder Zusatzinformationen bestehen, haben ihren Grund nicht zuletzt in der verschärften Konkurrenzsituation der neu auf den Markt gekommenen Bücher: Der Kaufanreiz wurde durch Innovationen verstärkt, die u.a. darin bestehen, die An-

14

Die streng argumentative Struktur bei Fuchs könnte darauf hinweisen, daß Fragestellungen der seit Rudolf Agricola und Philipp Melanchthon bedeutsamen inventio beachtet wurden, die in der humanistischen Rhetorik als erste Pflicht des Redners galt. Hierunter werden loci communes, wie etwa Ort und Zeit, verstanden, die in erster Linie als .Inventivraster' das Auffinden von .Argumenten' steuern und bei Fuchs zugleich als Kapitelüberschriften fungieren (vgl. hierzu Berwald 1997: 111 und P. 6.5.2).

Zusammenfassung

293

zahl der besprochenen Pflanzen zu erhöhen, die Qualität der Abbildungen zu verbessern, Irrtümer aufzudecken, die gebotenen Informationen zu vermehren und damit den Gebrauchswert zu steigern. Hinsichtlich der Binnengliederung betreffen sie die Erweiterung durch neue, arzneikundliche Informationen bietende Unterpunkte und die Optimierung der Überschriftengestaltung. Ihr formaler Ausbau blieb allerdings bereits seit den 40er Jahren mit einer nur geringen Anzahl an Variationsmöglichkeiten (vor allem zwischen Nominal- und Präpositionalgruppen bzw. Adverbien) recht konstant. Die hingegen in der Frühphase bei Brunfels zu beobachtende Varianz in der Überschriftengestaltung lief durch ihre Vielfalt dem Prinzip der perspicuitas zuwider und war aus diesem Grund einer schnellen Rezeption, die durch die Wiederkehr gleicher Muster begünstigt wäre, eher hinderlich.

10 Die Darstellung des ,Sadebaums' in der Kräuterbuchliteratur Der Sadebaum (+Säbenbaum[; Juniperus Sabina L.) zählt zu den ursprünglich im Mittelmeerraum beheimateten Pflanzen, die auch in Deutschland als Kulturpflanzen gezogen wurden. Es handelt sich um einen bis zu 3 m hohen Strauch, ein Nadelgehölz, das zur Gattung der Wacholdergewächse und zur Familie der Zypressen (Cupressaceae) gehört. Aufgrund seiner besonders heftigen Reizwirkung wurde der Sadebaum als hochwirksames Arzneimittel seit der Antike geschätzt. Heute gilt das aus den jungen Zweigspitzen gewonnene ätherische Öl schon bei relativ geringer Dosierung als giftig. 2 Der Sadebaum ist aus antiken Quellen bekannt: Sowohl Dioskurides {De materia medica 1, 104) als auch Plinius (Naturalis historia 24, 102) beschreiben ihn, und bei Galen sind überdies die für die frühneuzeitliche Arzneilehre maßgebenden Primärqualitäten der Pflanze angegeben, die deren pharmakologische Anwendung signifikant beeinflussen. Im Mittelalter ist er Bestandteil der Überlieferungskette des Circa instans (vgl. Wölfel 1939: 111) und gelangt so auch in die volkssprachigen Fassungen des Arzneidrogenbuchs. Die Kenntnis vom Sadebaum hat somit eine von alters her ununterbrochene Tradition, und es ist nicht verwunderlich, Beschreibung und heilkundliche Nutzung der hochwirksamen Droge in allen - lateinischen und volkssprachigen - Kräuterbüchern des späten 15. und 16. Jahrhunderts zu finden. Die Darstellung tradierter Pflanzen hängt hierbei von einem verwirrenden Geflecht aus Überkommenem und Neuem ab, das im Folgenden nachgezeichnet werden soll: - In einem ersten Schritt geht es um die Struktur der Darstellung zum Sadebaum, d.h. um die Anordnung, Gliederung und Verknüpfung der einzelnen Textteile sowie um die Art der Wissensvermittlung.

Vgl. den Eintrag von Keil in: Lexikon des Mittelalters 7 (1995, Sp. 1216), s.v. Säbenbaum, Sadebaum. „Sadebaum gilt allgemein als ein äußerlich wie innerlich sehr starkes Irritans, das außer einer Hyperämisierung im Becken Hämaturie und heftige Beschwerden im Gastrointestinalbereich verursachen kann" (Hagers Handbuch der Pharmazeutischen Praxis 5 (1993): 585).

Der Sadebaum im Gart der Gesundheit (1485)

295

- In einem zweiten Punkt sollen die Kräuterbücher miteinander verglichen werden, um Traditionen wie Innovationen innerhalb der untersuchten Texte fassen zu können. Im Unterschied zu wissenschaftsgeschichtlichen Darstellungen zur Botanik (wie etwa Tilmann 1988 oder die Monographie zum Kräuterbuch des Hieronymus Bock von Hoppe 1969) wird hier die Frage nach der wissenschaftlichen Adäquatheit des Dargestellten ausgeblendet und allein die Fragestellung in den Mittelpunkt gerückt, welches Wissen w i e vermittelt wird. An die Stelle der Sachkompetenz der Autoren tritt ihre Darstellungskompetenz.

10.1

Der Sadebaum im Gart der Gesundheit (1485)

Der Artikel Sadebaum (lat. Sabina/Savina/Sauina) steht als Kapitel 353 entsprechend der im Gart üblichen alphabetischen Anordnung nach dem Erstbuchstaben der lateinischen Bezeichnung unter S hinter dem Eintrag Sinapis senff samen (Kap. 352) und vor saxifraga. stein brech. (Kap. 354). Eine Zeichnung (ohne Titulatur) geht der Beschreibung voraus. Es folgt in großer und fetter Type die lateinische und deutsche Bezeichnung sowie die Kapitelnummer. Der Text umfaßt eine komplette Buchseite und enthält keine Absätze, wobei 14 im Text vorhandene Alinea-Zeichen als Gliederungssignale dienen. Es lassen sich folgende inhaltliche Abschnitte feststellen:

1. Nomenklatur 2. Qualität

3. morphologische Beschreibung 4. Arten - die erste

die zweite

Gart der Gesundheit 1485 Sauina siebenbaum 1 Cap cccliij ' SAuina latine grece brarceos[\] arabice abhel • 1 Galienus in dem vi buch genant simpliciü farmacorü in dem capitel sauina beschribt vns vnd spricht das diß krut sy heyß vnd drücken an dem dritten grade vnd ist ein bäum vnd hait bletter by noch als wecholler Dißer bäum wechset meen in die breyde dä in die leng 1 Serapio in dem büch aggregatoris in dem capitel abhel beschribt vns vnd spricht das diß gewechs sy zweyerhand Eyns hait bletter bynoch als zyppressen wan das sie fast scherpfer ist vn dornichter sin vnd hait ein guten geroch vnd diß ist wecholler krut Diß doget findestu in de capitel iuniperus Das ander gewechs hait bletter glich den tamarisse vnd der geroch von den glichet den Zypresse vnd diße heyßet sauina 1 Galienus sieben

296

Die Darstellung des .Sadebaums' in der Kräuterbuchliteratur

5. heilkundliche Anwendung (bei) - Stuhlzwang

- Erkältung - Grind - Magenschmerzen - Harnzwang - Darmverschluß - digerierend, ätzend und reinigend

- Wundrose, Milzbrand - Menstruation - Blutausscheidung - abtreibend

- ätzend - Karbunkel - offene, stinkende Wunden 6. Rezept

- gegen den Grind - gegen sich ausbreitende Wunden - zur Wundheilung

genutzt den die da haben ein kranckeit tenasmö genant das ist ein kranckeit wie das eyne alle zyt düncket gern zu stül gan vnd halt groß arbeyt mit drücken also das der affter flir den lyp gait vnd mag doch nicht geschaffen der sal nemen sauinä vnd den sieden mit eßig vn wyn vn de dampf vnden vff laißeti gan in den afftern es hilf et an zwyfel oder sal dar vff sitzen so es warm ist' 1 Sauina ist auch gut vor den snopfen der da kumpt von kelte 1 Sauina gestoßen zu puluer vnd das gethan in die vnguent die da dienet zu dem grind die da sere eytern es hilfet • 1 Sauina gesotten in wyn vnd den gedrücken macht ein gute magen vnd benymt den smertzen der derme 1 Diß ist auch gut dissurus das ist der kalt seych 1 Sauina gestoßen vnd als ein plaster geleyt vff die lenden benymt die lenden sücht · 1 Serapio mit bewerug Galieni spricht daz die do dogent des baums sy von eynander thün vn vß etzen das full fleysche in de fiilen wunden oder alt schaden wie die wem • vnd reyniget auch die stinckende wunde das puluer vö sieben bäum gemischt mit honig vnd dar vff geleyt 5 Sauina gesotten in waßer ist gut vor das roit lauffen oder das freyßhem genät herisipila 1 Jtem die lerer sprechen gemeynlich das sauina meen an den frauwen wirck an yrer kranckeyt menstruum genät wan keyn ander krut vnd sie ist also stercklichen durch dringen in den frauwe das es macht blüt bruntzen vnd dödet das kint in der mutter vn dry bet vß das dbit kint vnd darvmb sollen die frauwe diß krut myden vn sunderliche die swanger synt also das sie got dar vmb mögen antworte am iungsten gericht 1 Diascorides spricht daß sieben baüm etze vff geswern vnd beneme den smertzen der selben blatern · 1 Platearius ein plaster gemacht vö sieben baüm macht die fließende hut drocken vnd glat vnd benympt den gestanck von der stinckende hudt die da stinckt vö großen sweyß als dick geschickt vn ist ein großer gebreste an eine mensche 1 Sieben bäum gepuluert vnd swebel vn silberglit mit spitz wegerich soft vermengt vn wenig swine smaltz macht man ein salbe widder den grint hilfet gar sere 5 Sieben bäum mit eßig vnd mit den blaen kolen zu samen gestoßen vnd vf wunden gelacht die sich wyt breyden vnd vmb sich freßen benymt der wunde yr bbßheit das sie sich nit wyder spreyden ist vnd mit blywyß vermengt ist die selbigen wunden zu heylen

Der Sadebaum im Gart der Gesundheit (1485)

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Die Binnenstruktur des Artikels weist die Grobgliederung: 1. Nomenklatur - 2. Qualität - 3. morphologische Beschreibung - 4. Arten 5. heilkundliche Anwendung - 6. Rezepte auf. Dabei nehmen die arzneikundlichen Passagen 2.+ 5.+ 6. vier Fünftel des Textes ein, so daß sich bereits quantitativ das primär pharmakologisch ausgerichtete Interesse des Gart an der Pflanzendarstellung zeigt. Die Verteilung der Alinea-Zeichen korreliert mit fast allen Hauptgliederungspunkten und den meisten Unterpunkten. In sieben Fällen folgt hinter dem Gliederungssignal die Pflanzenbezeichnung Sauina oder Sieben bäum, einmal das Strukturierungssymbol Jtem sowie fünfmal der Name einer Autorität (Galienus, Serapio, Diascorides).3 Die immer wiederkehrende Nennung der Pflanzenbezeichnung hat leitmotivischen Charakter und gibt vor allem im heilkundlichen Bereich in Verbindung mit der Alinea eine optische Orientierungshilfe im Text. Es fällt auf, daß im Rezeptteil (6) die lateinische Bezeichnung Sauina durch das deutsche Synonym Siebenbaum ersetzt ist, was auf einen Wechsel der Vorlage hindeutet. Die Pflanzenbeschreibung des Gart erweckt den Eindruck einer Kompilation, die durch die häufige Nennung von Gewährspersonen verstärkt wird.4 Die Autonomie der Textteile zeigt sich besonders daran, daß kohäsionsstiftende Verweise zwischen den einzelnen Blökken beinahe vollständig fehlen: So wird auf die Verwendung anaphorischer Pronomina wie z.B. sie für Sauina verzichtet. Zum anderen fehlen textverknüpfende Partikeln mit Ausnahme von auch, das zweimal in fast identischen Kontexten, wie z.B. Sauina ist auch gut vor (...), belegt ist: Durch die Fokuspartikel wird eine Aussage auf die vorausgehende bezogen und dieser als gleichwertig zugeordnet. Den Kompilationscharakter verstärkt vor allem die Wiederholung von Informationen, die durch einen Wechsel der Quelle hervorgerufen ist: Die ätzende Wirkung bei Wunden und Geschwüren wird erstmals von Serapion5 mit Berufung auf die Autorität Galen vermeldet und

Nur einmal folgt auf die Alinea ein anaphorischer Verweis ( D i ß ist auch...) mit Anknüpfung an die Vorinformation. Höchstwahrscheinlich hat der Autor des Gart eine lateinische Version des Circa instans als Hauptquelle benutzt. Hierfür spricht die Vielzahl der materia-Kapitel, wofür rein volkssprachige Vorläufer nicht ausreichten (vgl. Mayer/Czygan 2000: 178, Anm. 16). Die Serapion zugeschriebenen Beiträge könnten tatsächlich dem .Aggregator' entnommen sein (vgl. Ineichen 1 (1962: 252f.); Hinweis von Herrn Dr. Mayer).

298

Die Darstellung des .Sadebaums' in der Kräuterbuchliteratur

später von Dioskurides. Und die von Serapion genannte Anwendung bei .stinkenden Wunden' ist ebenfalls, jetzt unter Berufung auf Platearius, wiederholt. Im Folgenden soll die Analyse der Mikrostruktur einzelner Gliederungspunkte Aufschluß über die Strategien der Wissensvermittlung geben, wobei zunächst unberücksichtigt bleibt, ob Textpassagen übernommen sind oder nicht:6 Die Nennung der Bezeichnung (1) beschränkt sich auf eine Aufzählung der lateinischen, griechischen und arabischen Nomenklatur (mit lateinischer Transkription des griechischen und arabischen Äquivalents). Angeführt werden die Sprachen der wichtigsten wissenschaftlichen Quellen der Antike und des Mittelalters. Der griechische Terminus brarceos wurde infolge der mittelalterlichen Tradierung verfälscht (häufig: bratheus\ später: brathys). Die Äquivalenz der Bezeichnungen ist durch die zitierte Literatur verbürgt, die Richtigkeit der Gleichsetzung steht im Gart außer Frage. Das deutsche Äquivalent siebenbaum erscheint hinter Sauina in der Überschrift: Die deutsche Bezeichnung dient zunächst der Glossierung des lateinischen Terminus, darüber hinaus aber auch der Identifizierung der Pflanze bei Unkenntnis des lateinischen Äquivalents. Weitere volkssprachige Synonyme werden nicht genannt.7 Die Angabe der heilkundlich bedeutsamen Qualitäten des Sadebaums (2) erfolgt in Anlehnung an Galen. Ihre zentrale Rolle in der traditionellen Pharmakologie markiert zum einen die exponierte Stelle im Text, zum anderen die Tatsache, daß die Autorität Galen (in der mittelalterlichen Form Galienus) nicht nur genannt, sondern auch mit Quellennachweis (Angabe von Buch und Kapitel) angeführt ist.8 Die Feststellung der Qualitäten bietet der Gart in indirekter Rede in Abhängigkeit von einem Verbum dicendi (spricht) und der Konjunktion das. Auch die morphologische Beschreibung (3) ist durch Galen autorisiert, da durch die Konjunktion vnd und die Ellipse des Subjekts eine Verbindung mit dem Vorhergehenden besteht. Der Wechsel in den

Die Darstellung der Mikrostruktur erfolgt hier besonders ausführlich, da sie als Folie für den Vergleich mit späteren Fassungen dient. Zu den volkssprachigen Synonymen, lateinischen und vor allem griechischen Varianten des Sadebaums vgl. Daems (1993: Lemmata 101, 416, 703, 416"). Aufgrund arabisch-lateinischer Vermittlung des griechischen Textes lautet die nach Galen zitierte Kapitelüberschrift sauina.

Der Sadebaum im Gart der Gesundheit (1485)

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Indikativ unterstreicht die feste Geltung der Beschreibung des Aussehens. Es folgt zunächst eine Definition mit dem Prädikat ist und der Angabe des genus proximum bäum als Definiens. Der Phänotyp wird ausschließlich anhand der Blätter und der Form des Baumes beschrieben, wobei der Vergleich mit dem Wacholder, der nächstverwandten Spezies, das einzige Kriterium der Blattbeschreibung darstellt. Bei der Differenzierung der Arten des Sadebaums9 (4) folgt der Gart Serapion; die Wichtigkeit der Unterscheidung wird auch hier durch eine genaue Quellenangabe signalisiert. Nachdem nun Galen Ähnlichkeiten mit dem Wacholder festgestellt hat, unterscheidet Serapion eine dem Wacholder ähnliche Art vom .eigentlichen' Sadebaum. Die Abhandlung der wacholderähnlichen Spezies (mit Angabe ihrer Heilwirkung) findet nach dem Autor des Gart nicht hier, sondern im Kapitel iuniperus statt, auf das der mit du apostrophierte Leser verwiesen wird: flndestu in de capitel iuniperus. Das Mittel der morphologischen Unterscheidung der beiden Arten ist wiederum der Vergleich: Die eine Art sei dem Wacholder ähnlich, deren Blätter mit der Zypresse verglichen werden, wobei drei signifikante (in einem wan das-Satz angeführte) Unterschiede bestehen, und der eigentliche Sadebaum habe Blätter wie die Tamariske und einen Geruch wie die Zypresse. Daß Galen, von dem eine Vielzahl von Heilwirkungen übernommen ist, offensichtlich eine andere Art (und deren Heilwirkung) beschreibt und damit im Widerspruch zu Serapion steht, wird nicht thematisiert. Die grundsätzlich zu beobachtende Fülle an Ähnlichkeiten, Verschiedenheiten und unterschiedlichen Abgrenzungen, die die morphologische Beschreibung der Pflanzen kennzeichnen, resultiert nicht zuletzt daher, daß eine systematische Einordnung der Pflanzen in die hierarchisch gegliederten Gruppen: Art - Gattung - Familie (- Reihe - Klasse Abteilung) aufgrund ihrer jeweiligen verwandtschaftlichen Beziehungen fehlt. Fast zwei Drittel des Textes nimmt die Schilderung der heilkundlichen Wirkung (5) ein. Es werden elf Anwendungsgebiete genannt, wovon

Heute unterschiedene Formen sind u.a.der tamariskenblättrige (Juniperus Sabina L. var. tamaricifolia Ait.), zypressenblättrige (vor. cupressifolia Ait.), kriechende (var. prostata hört.) oder buntblättrige Sadebaum {var. variegata hört.); vgl. Geßner (1953: 370, Anm. 3).

300

Die Darstellung des .Sadebaums' in der Kräuterbuchliteratur

sechs von Galen, zwei von Serapion (mit Berufung auf Galen) und je eines von Dioskurides und Platearius stammen. Bei einer weiteren Indikation verweist der Autor des Gart auf die Übereinstimmung aller lerer, wodurch dieser Bereich - es handelt sich um die gynäkologische Wirkung der Droge - als zentral und unzweifelhaft gültig ausgewiesen ist. Bei der Nennung der Autoritäten sind zwei Muster beobachtbar: Entweder wird die Gewährsperson nur genannt, wie z.B. Galienus sieben bäum ist gut genutzt (...), oder es wird die Aussage nach dem Verbum dicendi spricht als indirekte Rede in den darauffolgenden daßSatz gestellt, wie z.B. Diascorides spricht daß (...). Die Nennung des Anwendungsgebiets ist in den meisten Fällen mit der Darreichungsform der Droge verbunden: So folgt z.B. bei der Behandlung von Stuhlzwang im Rezeptstil eine Handlungsanweisung an den Erkrankten, wie er vorgehen soll·. der sal nemen sauinä vnd den sieden mit eßig vn wyn vn de dampf vnden vff laißen gan in den afftern es hilfet an zwyfel. oder sal dar vff sitzen so es warm ist.

Die einzelnen Handlungsschritte betreffen die Zubereitung des Dampfes aus dem Absud von sauina}0, eßig und wyn, die Anwendung und eine alternative Verwendungspraxis11, gekoppelt mit der Beteuerung der Wirksamkeit der Medikation. In der Regel begnügt sich der Autor jedoch mit einer kurzen Notiz über die Darreichungsform, die im Partizip II der Drogenbezeichnung folgt: Das nachgestellte Partizipialattribut ist meist um eine Präpositionalphrase erweitert, die in offener Wortstellung dem Partizip nachgestellt ist: Sauina gesotten in waßer (...). Überaus häufig sind zwei erweiterte Partizipialattribute nach dem folgenden Muster belegt: (...) das puluer vö sieben bäum gemischt mit honig vnd dar vff geleyt.12 Die Praktikabilität der einzelnen Rezepte wird allerdings entscheidend dadurch geschmälert, daß Maß- und Gewichtsangaben fehlen. Die mit dem Sadebaum kurierbaren Krankheiten werden überwiegend mit volkssprachigen Termini bezeichnet, die auch aus anderem

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Auf das feminine Substantiv sauina wird nachfolgend mit dem maskulinen Pronomen den - in Anlehnung an den siebenbaum - referiert. Es gehört selbstverständlich zum Weltwissen, daß das Pronominaladverb dar vff sich nur auf den Behälter der Flüssigkeit bzw. des Dampfes beziehen kann. Der deiktische Verweis des lokalen Adverbs ist aus der konkreten bildlichen Vorstellung des Handlungszusammenhangs erklärbar. In zwei Fällen wird durch Verwendung der Modalpartikel auch in der Formel ist auch gut auf die zuvor genannte Indikation verwiesen.

Der Sadebaum im Gart der Gesundheit (1485)

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arzneikundlich-medizinischen Schrifttum bekannt sind. Allerdings nennt der Autor des Gart mitunter auch den griechisch-lateinischen Terminus, wie z.B. dissurus, der in einer das «ί-Paraphrase mit dem deutschen Äquivalent kaltseych .Harnzwang' erläutert wird. Oder es folgen zunächst die deutschen Begriffe, wie z.B. roit laufen oder freyßhem, die mit genät herisipila .Erysipelas ( = rote Haut), d.h. Wundrose' erklärt werden.13 Ein weiteres Mal wird die vage Umschreibung yrer (d.h. der Frauen) kranckeyt, die unter ein Tabu fällt, durch die lateinische Bezeichnung menstruum präzisiert. Für tenasmos ,Stuhlzwang' scheint ein übliches volkssprachiges Äquivalent zu fehlen, so daß dort das Hyperonym kranckeit genannt und deren spezifische Ausprägung in einer anschaulichen Schilderung der Symptome geboten wird. 14 Die syntaktische Struktur der Sätze ist weitgehend stereotyp: Es dominieren Satzreihen, die mit der Konjunktion vnd verbunden sind. Auffällig ist die Vielzahl der Partizipialkonstruktionen. Bei den Gliedsätzen handelt es sich meist um mit daß eingeleitete Inhaltssätze oder seltener um Relativsätze.15 Alle Aussagen werden als wahr und gültig dargestellt, Begründungen fehlen. Durch wertende Adjektive wie gut werden direkte Empfehlungen an den Leser ausgesprochen. Eine Sonderstellung nimmt die Schilderung der bei allen Gewährsmännern übereinstimmend bezeugten gynäkologischen Wirkung ein: Die Feststellung der Folgen bei Gebrauch - nämlich die Ausscheidung von Blut und vor allem seine abtreibende Wirkung - dient der Warnung vor dem Sadebaum, der als wirksamstes aller Mittel charakterisiert wird. Der Warnung folgt auf einer zweiten Stufe eine Aufforderung zur Meidung («darvmb sollen ... dyß krut myden), die noch durch

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Es ist nicht eindeutig, ob die über die Konjunktion oder miteinander verbundenen volkssprachlichen Bezeichnungen .Rotlauf und .Freisam' tatsächlich dieselbe oder wegen der Röte der Haut nur ähnliche Krankheiten bezeichneten (zur Bedeutungsvielfalt vgl. Höfler 1899: 353f., s.v. laufen, Lauf, Läufer). Auch Riha (1993: 16) stellt für Ortolf von Baierland (2. Hälfte des 13. Jahrhunderts) fest, daß hauptsächlich bei Darmerkrankungen ein „gebräuchliches und vor allem genügend aufschlußreiches deutsches Wort" nicht vorhanden sei. Ortolf paraphrasiert in ähnlicher Weise: Tenasmon jst ein sucht, daz eynen menschen gelust zu stul gen, vnd mag doch nicht vom im kummen (120, 1). Die Umschreibung bei Brunschwig kommt der des Gart recht nahe: 1 Thenasmö ist ein kranckheit/ welcher die kranckeit hat/ den duckt wie er wbl zu stül gon vn so er vff den stül sitzt so will nüt vö im gö vn mag nit haruß/(...) (Liter de arte distillandi 1512: 323^· Hinzu kommt in einem Fall eine anakoluthähnliche Konstruktion: (...) in die vnguent die da dienet zu dem grind die [!] da sere eytern es hilfet (...).

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Die Darstellung des .Sadebaums' in der Kräuterbuchliteratur

eine vor allem an Schwangere gerichtete Drohung mit dem Jüngsten Gericht gesteigert wird. Um Mißbrauch zu verhindern, verzichtet der Autor des Gart - nur hier - auf die Angabe von Rezeptur und Darreichungsform. An den Schluß des Kapitels sind drei Rezepte (6) gestellt, die wie ein Appendix zu den heilkundlichen Ausführungen (5) wirken. Im Unterschied dazu fehlt zum einen der Hinweis auf Autoritäten.16 Zum anderen handelt es sich um aufwendigere Rezepturen mit Ingredienzen, die z.T. Minerale sind und vermutlich nur in Apotheken erworben werden konnten. Daher steht deren Zubereitung mehr als deren Indikation und Anwendung im Mittelpunkt. Redundanz zur heilkundlichen Darstellung in (5) macht sich vor allem darin bemerkbar, daß Anwendungsgebiete der Medikation, wie z.B. der Grind, bereits dort besprochen sind, aber erst in (6) ein nachträgliches Rezept folgt. Der Grund für die Trennung von Zusammengehörendem liegt in den Gliederungsprinzipien des Gart, bei dem die Anordnung nach der Autorität das wichtigste Kriterium darstellt: Ein nicht bei Galen überliefertes Salbenrezept gegen den Grind hat somit auch keinen Platz bei dessen genereller Abhandlung nach Galen. Der Gart ist daher über weite Strecken eine volkssprachige Kompilation des durch Autoritäten gestützten bzw. ihnen zugeschriebenen Wissens. Da diese als Garanten der Wahrheit gelten, unterstreicht der Autor des Gart die Glaubwürdigkeit seiner Darlegungen durch eine autorenzentrierte Anordnung. Die Versatzstücktechnik, ob aus den zitierten Werken oder ungenannten volkssprachigen Quellen, bringt inhaltliche Dubletten und Widersprüche mit sich. Eine gewisse Eigenständigkeit weist dagegen der gynäkologische Abschnitt mit der eindringlichen Warnung vor Mißbrauch auf. Der (aus einer volkssprachigen Circa msta/M-Übersetzung entnommene?) Rezeptteil am Schluß des Kapitels verstärkt den Eindruck einer deutlicheren praxisbezogenen Ausrichtung des Kräuterbuchs, die zweifellos zu einer Ergänzung der tradierten Berichte von Galen, Dioskurides u.a. um mittelalterliches Rezeptwissen führt.

16

Es bleibt allerdings fraglich, ob der zuletzt genannte Platearius, Arzt in Salerno, der als Verfasser des berühmten mittelalterlichen Arzneidrogenbuch Circa instans (Mitte des 12. Jahrhunderts) galt, auch Verfasser der Rezepte ist. Als Vorlage könnte eine (erweiterte) volkssprachige Version des Circa instans oder - wie sehr häufig beim Gart - der Ältere dt. Macer benutzt worden sein; zur Macer-Rezeption vgl. Keil (in: Verfasserlexikon 2, 1980, Sp. 1077f.).

Der Sadebaum im Circa instans und im Hortus sanitatis (1491)

10.2

303

Der Sadebaum im Circa instans und im Hortus sanitatis (1491)

Der lateinische Hortus ist eine Kompilation, die aus lateinischen Quellen für den Gelehrten verfaßt ist.17 Unabhängig von der Vorlagenfrage interessiert hier, inwieweit Binnenstruktur und Versatzstücke des Gart im lateinischen Hortus beobachtbar sind und welche signifikanten Unterschiede bei der Textgestaltung auftreten.18 Der lateinische Hortus (rechte Spalte) wird in inhaltliche Abschnitte gegliedert und mit dem Circa instans (linke Spalte) verglichen, das als eine der wichtigsten mittelalterlichen Heilkräuterbeschreibungen aus der Mitte des 12. Jahrhunderts stammt.19 Sadebaum 1. Nomenklatur 2. morphologische Beschreibung

3. Qualität Savina calida est et sicca in tertio gradu 4. Arten: - die erste •Aussehen •Geruch

17

18

19

Hortus sanitatis 1491: d 7'f. Ca.ccccxj. SAuina. Pandecta. ca.viij. Abhelarabice. grece bracht latine sauiaa Sauina est arbor cuius folia sunt similia folijs tamarisci. et magis spinosa habenb [!] bonum odorem. et arbor ista crescit magis in latum guam in longum. Est calida. et sicce complexionis in tercio gradu. Serapion libro aggre. cap. Abhel Λ. sauina Et sunt eius due species. Una cuius folia sunt similia folijs Cipressi. et magis sunt spinosa 4uam alia. Habens bonum odorem et arbor

Sie fußt vermutlich auf einem um 1450 entstandenen Urhortus und weist vor allem Textstücke aus naturwissenschaftlichen Enzyklopädien des Mittelalters, wie den Pandekten des Matthäus Sylvaticus und dem Speculum naturale des Vinzenz von Beauvais, auf (vgl. Keil in: Verfasserlexikon 4, 1982, Sp. 154-157, s.v. ,Hortus sanitatis'). In der folgenden Übersicht sind diejenigen Textpassagen durch Fettdruck hervorgehoben, die mehr oder weniger genau mit dem Gart übereinstimmen; die recte gesetzten Buchstaben resultieren aus den Auflösungen der Abkürzungen. Der lateinische Text des mittelalterlichen Drogenbuchs richtet sich nach einer Fassung aus dem 13. Jahrhundert, die in der Edition von Wölfel (1939) zugänglich ist. Der Erfolg des Circa instans, von dem seit dem 14. Jahrhundert volkssprachige Versionen bekannt sind, liegt an der Fülle des gebotenen Materials, an der alphabetischen Anordnung sowie an einer auf das Wesentliche beschränkten Beschreibung (vgl. Crossgrove 1994: 67f.). Zu mittelalterlichen .Kräuterbüchern' vgl. Keil/Dilg in: Lexikon des Mittelalters 3 (1991, Sp. 1475-1480, s.v. Kräuterbücher).

Die Darstellung des .Sadebaums' in der Kräuterbuchliteratur

304 •Wuchs •Frucht

- die zweite sola folia competunt usui medicine •Bezeichnung •Beschaffenheit •Geruch •Qualität 5. Beschreibung des Avicenna

6. Erläuterung der heilkundlichen Wirkung nach Serapion/Galen - Vergleich des Geschmacks mit der Zypresse - Begründung für die Heilwirkung

7. Anwendungen - nach Galen Item contra thenasmon ex frigida causa fiat decoct, eius in aceto et vino et paciens fumum recipiat, herba etiam ipsa naribus cataplasmata ad idem valet.

Per annum servantur et etiam per 2. Vin. decoct, eius valet contra dolorem stomachi et intestinorum, decocta

huius est fortis. et crescit magis m amplum guam in longum Et fructus eius est sicut zaror. Pro quo lege capittulum .ccix Juniperus. Et quidam vtuntur folijs eias est sicut sapor cipressi. hec latine vocatilr sauina. cuius substautia [!] est subtilis. et in odore eius est aromaticitas. et calefacit et de siccat in. iij. gradu. Auicenn. Ii. ij. capitalo abhel. Abhel est fructus arboris similis Junipero factus sicut zaror. sed tarnen vehementer est niger boni odoris. et acuti saporis. et ista arbor est prima species sauine. etposita per Serapionem: Gal'. vj. sim:far. ca. de sauina. Brachi siue sauina de siccantibus fortiter est jöecunduffi tres spores: quos in gustando monstrat. equaliter cypresso. nisi inquantum acrior est eo. et vi vtique dicat quis magis aromatica. huius ergo et ipsius qualitatis p&rticeps est videlicet acris. stiptica complexione calida: Ad hue autem in amaritudine et stipticitate debilius est quam eipressus. quantum etiam superat eipressum acredine tanto diminuitur in stipticate quo pacta t&rcchtc h a n g e n / a b a · inn beben/btte i(l / j m fcblage vnnbgcb:c({en bee Auqu a p f e l e / folle m a n fich chen alltrnmß balttn / wie i n n ben Ä e c e p t e n v o n trnebc v n b nübligFeiteberangett fürgchrtlten V n n b ^ e b o t t e n i ( l / g a r w e n i g biermne vcr4nbere~t. ?>tttn b a u b t a b e r folle m a n ye vnber b j a w lilitn falb oi> o l c / n i u n eiftcb/ y e m a l e a n e b einen niter mifeben / b a e »fi g e n u g i n n b o n i g ««nget η ncFet»

V Abb. 17:

ij

Johann Küfftier: Dje acht Bücher des hochberümpten Aurelij Cornelij Celsi vö beyderley Medicine. Mainz: Johann Schöffer 1531, Bl. 98 r [Reprint München 1980]

418

Die Übertragung eines antiken Textes

denheit der deutschen Versionen. Sie zeigt sich zum einen in der redundanten Information des Temporaladverbs erstlich nach der Überschrift Das erste capitel (vgl. Nr. 2 [1531]), das allerdings weder im laufenden Text (Bl. 89v) noch in der späteren Ausgabe von 1539 wiederholt wird. 47 Zum anderen gibt es Kapitelüberschriften, die nur über Vorinformationen verständlich sind, wie z.B. Eyn anders/ auch des Cleonis und Noch eyn anders/auch des selben Cleonis (Nr. 7 [1539]). Derartige Überschriften bieten keinerlei Hinweise darauf, daß es sich hierbei um Rezepte für Augensalben handelt, was nur aus der vorausgehenden Überschrift (Des Cleonis augsalb) hervorgeht. Durch anaphorische Bezüge dieser Art (eyn anders, auch, noch eyn anders, auch desselben) wird nicht nur ein enger thematischer Verbund konstituiert, sondern auch eine Reihenfolge angezeigt, wozu auch die Partikel noch beiträgt. Diese nachgeordneten Überschriften wurden im übrigen erst in der Übersetzung eingeführt, wie dies in Rezeptpassagen häufiger zu beobachten ist. Die stärkere Binnengliederung der volkssprachigen Texte kann als Indiz einer benutzerfreundlichen Gestaltung gewertet werden, denn durch die Einführung neuer Überschriften sind die einzelnen Rezepte optisch voneinander abgegrenzt und dadurch auch schneller auffindbar. Während anaphorische Verweisstrukturen in lateinischen Kapitelüberschriften beinahe ganz fehlen48, finden sich in der volkssprachigen Version darüber hinaus Rückbezüge auf Vorerwähntes: So ist eine Medikation wirksamer als die bisher angeführten {dann so bißher angezeigt·, Nr. 10), oder der im Lateinischen durch & angezeigte Anschluß mehrerer Augensalben wird im Deutschen durch ein anaphorisches Lokaladverb mit Fokuspartikel Daneben auch (...) markiert (vgl. Nr. 12).

47

48

Die durch Adverbien geleistete Gliederung bleibt im sechsten Buch auf dies eine Beispiel beschränkt. Eine doppelte Kapitelgliederung findet sich vor allem im Register zum ersten Buch, wo neben der Kapitelnumerierung die ersten fünf Überschriften mit den Gliederungssignalen Anfing lieh {gibt er ...), Darnach (wie ...), Jtem (...), Jtem (von denen ...) und Auch (von denen ...) versehen sind (Bl. a 3V), die sowohl in der Überschriftengestaltung im laufenden Text (Bl. l r ff.) als auch im Inhaltsverzeichnis der nachfolgenden Auflage aufgegeben wurden. Der in Nr. 13 angeführte Beleg mit anaphorischem De alio genere (...) (Von einer andern ...) belegt auch für das Lateinische eine kontextuelle Gebundenheit der Kapitelüberschrift, die dort aber angesichts der Information (de) genere inflammationis oculorum autonom ist; vgl. hierzu auch Eyn andere artzney Cleonis zu den äugen (Nr. 7 [1531]; ferner Nr. 11).

Die Überschriftengestaltung im Vergleich mit der lateinischen Vorlage

419

Den Kapitelüberschriften ist sowohl in der lateinischen Version als auch in den volkssprachigen Fassungen ein werbewirksamer Zug gemein. Er zeigt sich daran, daß neben der Instruktion über den Inhalt die Interessen der potentiellen Käuferschicht berücksichtigt sind. So wird z.B. der besondere Nutzen durch Die aller beste augsalbe Nilei des meysters (Nr. 8) oder aufgrund von ualidioribus medicamentis (Nr. 10) hervorgehoben und die Glaubwürdigkeit der Aussagen durch Nennung antiker Ärzte als unumstrittene Autoritäten unterstrichen (vgl. Nr. 7, 8, 10 und II). 49 Beim Vergleich der Ausgaben von 1531 und 1539 wird erkennbar, daß ein Großteil der in den Registereinträgen von 1539 bezeugten Veränderungen bereits im laufenden Text der Erstausgabe von 1531 vorgenommen wurde. Während also in der ersten Fassung die Einträge des Registers mit den Kapitelüberschriften des laufenden Textes divergieren, ist diese Inkonsequenz in der Zweitausgabe beseitigt. Die beiden Fassungen weichen erheblich in der orthographischen Gestaltung voneinander ab; es fällt auf, daß alle bei Einschüben bezeugten Klammern durch Virgeln ersetzt sind (vgl. 3, 10 und 11). Wichtige Korrekturen betreffen auch den Lexembereich, indem Fachbegriffe wieporplen für .Finnen, Pickel' durch knbpperlin ausgetauscht werden (vgl. Nr. 5) oder Beinahe-Komposita wie vom haar außfallen in Genitivsyntagmen Von außfallen des hars aufgelöst sind (vgl. Nr. 2). Darüber hinaus gibt es Veränderungen bei den komplexen Attributen, wo Relativsätze zu nachgestellten und erweiterten Partizipialattributen verkürzt (vgl. Nr. 6) oder umfangreiche Partizipialkonstruktionen zu Relativsätzen erweitert wurden (vgl. Nr. 11). Zu den inhaltlichen Veränderungen gehört die Beseitigung von Redundanzen (vgl. 1, 2, 7, 8 und 18), Präzisierungen durch erläuternde Zusätze (vgl. Nr. 2, 10 und 12) sowie Korrekturen (vgl. 14-16).50

49

50

Der in Nr. 8 in der Apposition genannte und besonders werbewirksame Titel des meysters findet sich nur im Register der ersten Ausgabe, während er im laufenden Text (Bl. 93") und im Inhaltsverzeichnis der zweiten Ausgabe fehlt. Besonders kraß ist der Unterschied bei dem ersten Registereintrag zum ersten Buch: 1 Anfänglich gibt erßr etliche gemeine reglen/ darnach die gesundten yr leben anschicken vnnd richten sbllen (1531: a 3") vs. Wie sich die gesundten menschen halten sollen (1539: a 3V, vgl. auch 1531: l v ). Hier fallen nicht nur Gliederungssignal und verbale Paarformel weg, sondern es ändert sich auch die Perspektive des Berichts.

420

Die Übertragung eines antiken Textes

Die in der zweiten Auflage vorgenommenen Veränderungen führen nicht zu kurzen und prägnanten Überschriften, die eine schnelle Orientierung gewährleisten. Sie zeugen aber vom Bemühen um größere Stabilität, die sich in der Übereinstimmung der Überschriften von Register und laufendem Text sowie in der Stärkung bestimmter Strukturmuster zeigt51, sowie von Verbesserungen in der Informationsvermittlung, da über die in der Überschrift gemachten Angaben eine bessere Identifizierung der besprochenen Krankheit möglich ist. In den Kapitelüberschriften wird in knapper Form über eine Zuordnung bestimmter Symptome zu den entsprechenden Krankheitsbezeichnungen infomiert; sie fungieren ferner als Glossar-Ersatz, indem lateinisch-griechische Fachbegriffe mit deutschen Bezeichnungen parallelisiert sind.

11.3.2 Zur Funktion der Randkommentare und der Erläuterungen im Text Neben den Kapitelüberschriften wird auch der Textrand für Erläuterungen und Kommentare des Übersetzers genutzt. Während die AldusAusgabe (1528) keine Randnotizen aufweist, ist die Caesarische Ausgabe mit zahlreichen Randkommentierungen versehen. Dazu gehören: Griechische Fachbegriffe, die in anderen Ausgaben fehlen oder fehlerhaft sind52, Hinweise auf weitere Quellen, textkritische Bemerkungen zur Erläuterung schwer verständlicher Stellen, Worterklärungen53 oder Textmarkierungen für den Leser.

51

52

53

Ein Indiz hierfür ist z.B. der Austausch der Präposition zu durch das geläufigere Muster mit von (vgl. Nr. 16). Die bereits im Text der Erstfassung vorgenommene Kürzung bei der zweiten und dritten Überschrift in Nr. 7 zeigt zudem, daß hier mit Eyn anders einem gängigen Muster in Rezeptaren gefolgt ist. Im Vorwort Ad Lectorem, das zusammen mit dem Buchtitel auf dem Titelblatt abgedruckt ist, beschreibt der Verleger und Buchdrucker die Leistung der Kommentierung des Caesarius: HoslibrosD. loan. Ccesarius, uir ingenio atque iuditio acri, summa cura, studioque inenarrabili, sub in cudem reuocatas, castigauit. Adiecto perdocto Commentario, in eorum gratiam, qui huius profeßionis rüdes sunt, adpositis paßim grcecis dictionibus, quce in alijs libris desyderabantur, uel mutile mendosequt & adulterinis legebantur Uteris (...). Auch Aldus wirbt mit textkritischen Korrekturen bzw. Erläuterungen, die bei ihm allerdings nicht als Randglossen erscheinen, sondern im Text berücksichtigt werden: quädo breues notulas uocabulorü, sensuum etiam obscuriorü, grcecarum etiä diötionum interpretameta instituerä (1528: *ijr).

Zur Funktion der Randkommentare und der Erläuterungen im Text

421

Betreffen die Randkommentare in der lateinischen Vorlage die emendierte und kommentierte Edition eines Klassikertextes, die gelehrten Ansprüchen genügen soll, so sind die Kommentare der volkssprachigen Version ganz auf das Textverständnis und den praktischen Nutzen ausgerichtet. Die meisten lateinischen Randglossen werden daher nicht übernommen, sondern ersetzt. Gelegentlich ist auch in der volkssprachigen Fassung dann auf andere Lesarten verwiesen, wenn diese sinnverändernd sind: Sie werden z.B. eingeleitet mit dem Hinweis: etlich vermeyne/ es wer besser alhie zu lesen (1539: b 5V), wobei an der angeführten Stelle die verbesserte Lesart, die in der lateinischen Kommentierung durch zwei antike Autoritäten abgesichert wird, nur noch auf eine Autorität gestützt ist.54 Randkommentare erscheinen in der Übersetzung auch dann, wenn Küffner bewußt von der überlieferten Vorlage abweicht, um z.B. antike ,Kulturbegriffe' durch zeitgenössische Interpretamente zu ersetzen: So bietet er anstelle der antiken athletici (1,1: 5V), deren Lebensweise man nicht nachahmen solle, die onmässigen arbeyter mit dem Hinweis am Textrand: +sunst Iis et man/ Also seind auch der Athletischen kempfern speiß vnnd Übungen vnnötig (1531: l r ). Hinzu kommen Randglossen an schwer verständlichen Stellen, die durch sinngemäße Paraphrasen erläutert werden, wobei die Abweichung vom Text durch die in Klammern angeführte Kommentierung wie jetz gsagt markiert ist.55

54

55

Textpassage: Dan eyn jung mensch mag leichter hunger leiden/ weder eyn kindt: leichter * im groben weder subteilen luffl: leichter im Winter/ weder im Sommer mit der Randnotiz: etlich vermeyne/ es wer besser alhie zu lesen/ im subteilen/ weder im groben lufft. Jm Sommer/ wed' im Winter Oerhalbe daß Hipocrates am erste Büch Aphoris. sagt/Daß der leib od' bauch winters vnfrälings zeite am aller wärmbste sei: dz man alßdan dester mer speiß mhß geben. (1539: b 5 v f.). Die entsprechende lateinische Randnotiz lautet: Quibusdä uidetur hic legendü potius in tenui colo, qua in denso, & (estate qua hyeme, propterea quod Hippo, dicat lib. 1. Apho. Ventres hyeme & uere sunt calidißimi. Quare per ea tempore alimenta copiosora sunt exhibenda. Unübersetzt bleibt: Et Paulus Aegineta lib. itidem primo cap. 53. Hyeme quide & fortiori exercitatione & pleniore cibo utendum est. Nisi eö referas, quod in denso caelo & per hyemem corpora sunt robustiora, atque ideo etiam facilius quam übet molestiam ferunt. Textpassage: Haben also auch angefangen zufragen/ ob die vrsach eben das anzeyg/ so auß der erfarung mag erlernt werden/ oder eyn anders. * Jst es eyns/ so mbcht man der vrsach mangeln: ist es eyn anders/ so were die vrsach widerwertig. Mit der Randnotiz: oder/ ist es dz (wie jetz gsagt) so ist es tgebens vn on not (1539: b 3")· (Die entsprechende Celsus-Stelle lautet: Requirere it si ratio idi

422

Die Übertragung eines antiken Textes

Derartige Randnotizen sind in den volkssprachigen Ausgaben selten und beziehen sich auf exponierte Textstellen, wie die Vorrede des Celsus oder die Anfangskapitel. Relativ häufig begegnen hingegen Übersetzungsalternativen, die im gesamten Text zu finden sind: - Darüber wirt auch von nbtten sein/ sich linder speiß zugebrauchen/ * denen wol süsser wein zugethon mag werden. Randnotiz: * od' dar zu mag er wol süsen wein mit maß trincken. (6,10: 103*) - (...) vnnd der eyn/ wie er beim andern sitzet/ soll des krancken lincken waden/ der ander den rechten/hergegen der kranck * diser zweyer kniescheiben ergreiffen vnnd anziehen/ Randnotiz: * od' sein selbs knie Scheiben anstrecke. (7,26: 1301)56

Vereinzelt werden deutsche Suppletivbezeichnungen angeführt, wie z.B. ohrleplein, d.h. ,Ohrknorpel', für kritspel .Knorpel' (lat. cartilagines\ 8,6: 14Γ), pfanneküche für fladen (8,7: 142v) oder pomerantzen für granat .Granatapfel' (4,19: 57v). Bei der Beschreibung der Brustbeine erscheint anstelle von scherpffer sogar schwecher (8,1: 137r), was Übersetzungsprobleme für hebes (hebetior) .stumpf' (.stumpfer') indiziert. Viele Randglossen beziehen sich auf griechische Formvarianten oder neue griechische Wörter, die als alternative Lesarten den lateinischen Vorlagen entnommen sind und stets in lateinischen Buchstaben angeführt werden: - (...) der arm ror/den die Griechen *Cecrida nennen/ (...) Randnotiz: * oder Cercida/ (8,1: 1370 - Aber vnder den vorderste fiinjf rippen so von den Griechen *nothe genent

werden!

(...)

Randnotiz: *oder/ rhoas. (8,1: 136")

Relativ häufig finden sich explizite Bedeutungserläuterungen, durch die tradierte lateinisch-griechische Fachbegriffe entweder genau beschrie-

56

doceat quod experientia, an aliud. Si idi, superuacuam esse, si aliud, it contrariam (Aldus 1528: 31) - „Man forsche auch darüber nach, ob die Theorie dasselbe oder etwas anderes lehre als die Praxis. Lehre sie dasselbe, so sei sie überflüssig, lehre sie aber etwas anderes, so sei sie sogar schädlich"). Hier bleibt völlig unklar, wer das Knie bewegen soll. Bei Celsus heißt es, daß zur Behandlung von Steinkranken „der Kranke (...) auf beider Knie gelegt [wird], worauf dann der eine Gehilfe (...) das linke, der andere das rechte Bein des Kranken, dieser letztere selbst aber zugleich seine Knie an den Leib heranzieht." (vgl. die Celsus-Übersetzung von Scheller 1906: 417).

Zur Funktion der Randkommentare und der Erläuterungen im Text

423

ben oder Oberbegriffen zugeordnet und durch bestimmte Charakteristika erklärt werden: - * Cephalean mit der Randnotiz: - Cantharides* mit der Randnotiz: - Mirmecia* mit der Randnotiz:

* ist weetag des gantzen haupts. (4,2: 43") * oder/golt würmelein. (5,22: 70v) * seind wartze in der grbse feigbone gleich. (5,28: 871) - * roß Siriacum mit der Randnotiz: * ist ein same/ de mä sonst Sumach nennet.

(6,11: 1040 Die in den Randglossen gebotenen Informationen gehen in etlichen Fällen kaum über die des laufenden Textes und der jeweiligen Kapitelüberschrift hinaus.57 Die meisten Texterläuterungen stehen allerdings nicht am Textrand, sondern im fortlaufenden Text, in den häufig Bedeutungserläuterungen eingestreut sind: (...) adiuuat id quod ex crocomagmate fit

Auch hilfft wol die artzney/die man von wegen der saffrigen färbe Crocomagma/ dz ist/ vberbleibunge von saffran salb nennet. (6,6: 97v)

Unter ,Crocomagma' verstand man den holzigen Überrest des Safrans nach der Bereitung des Safranöls, das in der recht ausführlichen Erläuterung nicht nur mit Angabe des Oberbegriffs (,Arznei'), sondern auch mit der Begründung und näheren Bestimmung der vberbleibunge .Überrest' erklärt wird. Daß es sich um das Destillationsprodukt handelt, wird allerdings als bekannt vorausgesetzt. Die Mischung aus Übersetzung und Kommentierung innerhalb des laufenden Textes könnte von der Textedition des Caesarius (mit Einfügung kurzer Erläuterungen im Text) beeinflußt sein:

57

Die Redundanz der am Rand gebotenen Information zeigt sich z.B. an der ausführlichen Beschreibung von Mirmecia, wo zugleich Ungereimtheiten zwischen der Textfassung und der Glossierung hinsichtlich der Beurteilung der Größe feststellbar sind: Von manger ley w&rtzen/ oder vrschlechten/ knorren oder herten (...) Mirmetica [!] (...) genant. (...) Vnderweilen geht vil blüt herauß vnd ist vast eyner Aegyptischen bonen groß/ selten grbsser! zuzeitten vast kleyn immer nur eyns/ immer wachsen jr vil an den knoden/ oder inwendig inn der handt/ oder gar zu vnderist an den fiissen/ die bbssesten seind am heymlichen ort vnd blütten da selbst am basten. Mirmecia* heyssen die/ so kleyner vnd herter seind/ weder Thymium/ vnd machen tieffer wurtzlen/ vn grbssern schmertzen/ vnden breyt/ oben aber schmal oder diin/blütten nit vast/ seind hart/ grbsser weder feigbonen [Randnotiz: in der grbse feigbone gleich]/ sie wachssen auch in den hhnden/ oder vndersten glidern derßß (5,28: 870-

424

Die Übertragung eines antiken Textes

Frigus modo neruorü distentionem, modo rigore infert (illud σπασμός, id est spasmus) hoc τέτανος, id est tasmus grcece nominator, nigritiem in ulceribus, horrorem in febribus excitat (Caesarius 1528: 3 ( 0

Die kelte macht erstarre das ge&der/ jetz erzittern/ das eyn wirt genant Spasmus oder krampf das ander Tetanos/ das ist/ starrige krümme des hals/ bewegt auch schwertze in den geschweren/ vnd schütlen in den Fiebern (2,1: 7*)

Ebenso wie Caesarius die griechischen Fachbegriffe mit den lateinischen Äquivalenten versieht, verfährt Küffner, indem er anstelle der lateinischen Interpretamente die mit oder bzw. das ist verbundenen deutschen Entsprechungen anführt. In anderen Fällen werden die bei Celsus gebrauchten lateinischen Äquivalente griechischer Fachbegriffe von Küffner nicht übersetzt, sondern direkt mit ihren deutschen Bezeichnungen wiedergegeben: (...) urince difficultas [.Beschwerden beim Urinlassen'], quam στραγγουρίαν appellant; tenuioris intestini morbus [.Krankheit des Dünndarms'], quam "ikeov [.Darmverschlingung'] nominant. Fit item lenitas intestinorum [.Glätte der Därme'], qu(e \tievrep'ux uocatur (...). (Aldus 1528: 2,1: 11")

(...) harnwind/stranguiria genant/ darmgicht oder grimmen/ Jlean genant/ item die rür oder das außlauffen/ Lyenteria genant/ (·..)· (2,1: 7")

Auch hier steht die Identifikation der Krankheit und damit der praktische Nutzen für den Leser im Vordergrund, wobei der Übersetzer die lateinischen Umschreibungen der griechischen Begriffe als .Krankheitsbezeichnungen' auffaßt, die durch die entsprechenden deutschen Bezeichnungen ausgetauscht werden können. Die lateinischen Interpretamente sind aber keineswegs die (aus neuzeitlicher Sicht) etablierten und üblichen Fachbegriffe, sondern Interpretationsversuche der griechischen Benennungen, die als Lehnwörter ins Lateinische übernommen sind58: Die deutsche Bezeichnung Harnwinde glossiert üblicherweise nicht urinae difficultas, sondern das als Fachterminus gebräuchliche gräco-lateinische Lexem stranguria, ebenso wie die Darmgicht oder das Darmgrimmen (,Darmkolik') für die Lehnwörter ileus und colica steht. Die Ruhr oder das Auslaufen

58

Xetevrepia (aus: λείος .glatt' und evrepov .Inneres'), lat. lyenteria, ist z.B. mit lenitas intestinorum lehnübersetzt (die Krankheit bezeichnet die Magen-Ruhr, da die Speisen wie unberührt aus dem Magen durch den Darm abgehen; vgl. Höfler 1899: 530f., s.v. Ruhr, etc.). Daß Celsus mittels Lehnübersetzung und Paraphrasierung den Versuch machte, eine lateinische Fachterminologie zu etablieren, ist nicht ausgeschlossen.

Textverweise auf Autor und Adressaten

425

(,Durchfall') entspricht am häufigsten der lyenteria und die ,rote Ruhr' der dysenteria. Neben diesen stehen mit alvi deiectiones .Magenruhr' und tormina (intestinorum) ,rote Ruhr' zwei etablierte lateinische Fachbegriffe zur Verfügung, die Celsus in unmittelbarem Kontext bietet und Küffner mit außlauffung des bauchs (neben überflüssige stülgeng und vil stülgeng) bzw. mit rot rür übersetzt (vgl. 2,1: 7rf.).59 Die von Küffner genannten Krankheiten werden als bekannt vorausgesetzt, so daß er auf weitere Erläuterungen verzichtet. Die Orientierung am praktischen Nutzen seiner Informationen zeigt sich nicht nur bei den Krankheitsbezeichnungen, sondern auch bei der Rezeptherstellung mit der Angabe von alternativen Bezeichnungen oder Drogen bzw. Gewichtsangaben, was den Gebrauchswert der antiken Rezepte - unter Berücksichtigung der im Vorwort des Übersetzers gebotenen Ausführung zur Umrechnung in geläufige Maße - erhöht: -

* esels kilrbs safft mit der Randnotiz: * wilder melonen safft. (5,21: 69*) * gewässert maltz/ oder kleien saffi mit der Randnotiz: * od' auß getrückte gersten safft. (5,22: 71 v ) - * erdzwibeln mit der Randnotiz: * oder quendel kraute. (6,14: 105*) - bleiweiß/ saffran/ jedweders G * x x . # mit der Randnotiz: od' xij.%. (5,26: 78 v )

Durch derartige Suppletivinformationen, wozu auch die Bedeutungserläuterungen gezählt werden können, steigt der Nutzwert des antiken Celsus-Textes. Ein Glossar, in dem wichtige medizinisch-heilkundliche Begriffe zusammengestellt und erläutert sind und das die Rezeption erleichtern würde, fehlt allerdings. Auch ist der Celsus-Text nicht als historisches Zeugnis gewürdigt, so daß die bei ihm gebotenen Medikationen ohne Sachkommentar zum Stellenwert der antiken Aussage in Küffners Übersetzung zeitlose Gültigkeit besitzen.

11.3.3 Textverweise auf Autor und Adressaten Angesichts der großen Nähe zur lateinischen Vorlage überrascht es nicht, daß die deiktischen Verweise auf den Autor und die Adressaten ebenso wie die expliziten Textverweise der antiken Version nachgeahmt

59

Vgl. hierzu Höfler (1899: 806f., s.v. Winde etc., 189ff„ s.v. Gicht, 2 0 2 f . , s.v. Grimm(e), etc. und 530f., s.v. Ruhr, etc.). In der Dioskurides-Übersetzung durch Dantz (1610: 68f. et passim) wird die rote Rhur zur Verständnissicherung in Klammern stets mit Dysenteria angegeben und der Bauchftuß anstelle von lyenteria mit Coeliacus.

426

Die Übertragung eines antiken Textes

werden. So wird nicht nur die Ich-Form des Autors Celsus kopiert, auf den die Verbformen in der ersten Person Singular verweisen, sondern ebenso die Textverweise anaphorischer und kataphorischer Art60, die gelegentlich durch zusätzliche verständnissichernde Hinweise ergänzt werden ( z.B. (ist hüfflich darzu/ die salbe Asclepias genandtf) dauon obgesagt ist-, 6,6: 97v). Bei der Anrede des Adressaten, des weitgehend unkundigen Lesers oder des Arztes, ist ein wesentlicher Unterschied zwischen der deutschen Übersetzung und vergleichbaren volkssprachigen Werken ohne lateinische Vorlagengebundenheit feststellbar. An die Stelle der direkten Anrede mit du, die dort ganz besonders in den Rezeptteilen bevorzugt ist, tritt bei Küffner die indirekte Anrede durch das Indefinitpronomen man. Angeschlossen ist eine durch das Modalverb sollen (im Indikativ und Konjunktiv) ausgedrückte Aufforderung. Neben sollen treten des weiteren auch mögen und müssen auf. Der Konstruktion mit man entsprechen im Lateinischen Aktivsätze mit der Aufforderung in oportet oder debet, die unpersönliche Konstruktionen darstellen oder mit inhärentem Subjekt (debet - ,er, sie, es soll') auftreten. Ein Großteil der lateinischen Passivkonstruktionen ist bei Küffner ins Aktiv mit dem Subjekt man umgesetzt: Oportet itaque ubi aliquid non respondit, non tanti putare auctori, quanti cegrü: & experiri aliud, atque aliud: sie tarnen, ut in acutis morbis cito mutetur, quod nihil prodest: in longis, quos tempus, utfacit, sie etiam soluit: non statim condemnetur, si quid non statim profiiit. minus uero remoueatur, si quid paulum saltern iuuat: quia profectus tempore expletur. (Aldus 1528: 3,1: 19")

60

Zürn andern müß man des nit vnbewußt sein/ daß nit allen kranckheyten eyn jede artznei tauglich sei. Demnach hat sichs begeben/ daß jnen die höchsten meyster allerley artznei fürgenommen/ nach dem vnd sie eynem jedwedem geraten ware/ darumb so die artznei etwa mißratet/ sol man nit den artznei meister/ gleich wie den krancken achten/ sonder eyns vnd das ander erfare/ doch also/ daß man in scharpffen kranckheyten das bald verwandle/ Weichs nit geholjfen hat. Jnn langen aber/ welche mit der zeit auff vnd abneme/ soll man nit zuhand verwerffen/ so etwas gleich nit so bald geholffen hat/ doch soll man es weniger hinweg thün! so es nur eyn wenig hülfflich erscheinet/ dann die wolfart oder besserung mit der zeit wol kommen mag. (3,1: 25 r f.)

Dabei handelt es sich um rück- bzw. vorverweisende Elemente: als oben gesagt (2,2: 8"), BJßher ist von dene (...) gehandelt worden (4,1: 42") bzw. (...) welches ich dann oben clärlicherßrgetragen habe (6,18: 1070; NVn volget (...) (2,8: 91), Nun wil ichßrter vondenen sagen (...) (4,1: 42"), Nhgsthierauff volge (...) (6,18: 106 1 ).

Zusammenfassung

427

Bei der aktivischen Konstruktion mit Indefinitpronomen und Modalverb handelt es sich um eher indirekte Aufforderungen mit einem geringeren Verbindlichkeitsgrad als etwa bei Imperativen in der zweiten Person Singular. Anstelle des abstrakten man, das die gesamte Leserschaft einschließt, steht gelegentlich in Übereinstimmung mit der lateinischen Vorlage der Artzet (vgl. z.B. 7,4: 116r), der als Berufsgruppe eigens herausgehoben ist. Nur in den Rezepten findet sich vereinzelt Nim, das in der spätmittelalterlichen und frühneuzeitlichen Arzneibuchliteratur beinahe formelhaft zur Kennzeichnung der für die Zubereitung notwendigen Ingredienzen verwendet ist. Bei den wenigen vorhandenen Belegen fehlt ein entsprechender Imperativ in der lateinischen Version, so daß an dieser Stelle nach dem üblichen Muster volkssprachiger Rezeptare verfahren wird.61 In den meisten Fällen jedoch werden die zahlreich eingestreuten Rezepte wortgetreu nach der lateinischen Vorlage, aber mit Präferenz von /«««-Konstruktionen übersetzt. Mit der Dominanz der ma«-Konstruktionen wählt Küffner einen Mittelweg zwischen den im lateinischen Text bevorzugten Mustern mit unpersönlichen bzw. subjektlosen Verben oder agenslosen Passivstrukturen einerseits und der in den volkssprachigen Fachtexten üblichen direkten Ä w /a sinews w

439

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Volkssprachige Chirurgie für (angehende) Wundärzte

466

vereinigen vnd zusamen fügen übersetzt ist, oder Ampliatio und Astrictio, die mit erweitert werden bzw. enger machen wiedergegeben sind. Im Unterschied zu Ryff bevorzugt Zechendorfer an gleicher Stelle die Verbalparaphrase und löst fast alle Substantivierungen der lateinischen Vorlage in einem stereotyp mit daß eingeleiteten Objektsatz auf, vgl. z.B.: Daß man etwas gantz mach/ lehrnet man von der entgentzung deß dings/ welches gantz gewesen ist. Daß man etwas erkfile/ lehret vns die vbrige hitz. Daß man etwas erwerme/zeiget vns die vbrige kälte. (...) Daß etwas vermindert werde/ lehrnen wir von der vberfl&ssigen grbsse vnd menge. Daß etwas ergrbssert oder groesser werde/ lehrnen wir von dem das zu klein ist. (...)

Daß etwas eröffnet werde! lehret vns die verstopffung. Daß etwas erweytert werde/ lehret vns das jenige was zu eng ist. Daß etwas enger gemacht werde! lehret vns das jenige was zu weyt ist. (...) (Tagault-Übersetzung: a 4rf.)

In diesen Beispielen kommt Ryff der lateinischen Vorlage näher als Zechendorfer. Allerdings ist die bei beiden Autoren gewahrte Nähe zum lateinischen Text einschließlich der bei Zechendorfer vorgenommenen Ergänzungen der Textverständlichkeit nicht zuträglich.

12.4

Zusammenfassung

Beim Vergleich der Werke zeigt sich ein markantes Gefälle hinsichtlich des Adressatenkreises, der vermittelten Inhalte sowie der Vorlagenabhängigkeit. Ryffs ,kleine Chirurgie' für die angehenden Wundärzte trägt alle Züge eines einführenden Werkes, für das die Vermeidung allzu detaillierter, über fremdsprachige Fachbegriffe vermittelter Informationen ebenso charakteristisch ist wie die starke inhaltliche Konzentration auf die Vermittlung von Rezepten. Die Einbindung des Lesers, der vom Autor gleichsam an der Hand durch das Werk geführt wird, ist in der Konzeption der Darstellung überall spürbar. Die neulateinische Chirurgie von Tagault, die Einflüsse der Wundarznei von Gersdorffs aufweist, bildet demgegenüber den anderen Pol der Skala: Es handelt sich um eine auf die Zitierung von Gelehrtenmeinungen basierte Gesamtdarstellung, in der auch Rezepte und zusammenfassende Merkhilfen ihren Platz haben. Der Bezug zum Leser fehlt

Zusammenfassung

467

auch hier nicht völlig, wenngleich unpersönliche Konstruktionen zur adäquaten Darstellung von Handlungsanweisungen überwiegen. Konstitutiv für die neulateinische Chirurgie ist die terminologische Klassifikation chirurgischer Befunde, die jeweils den einzelnen Buchteilen vorangestellt wird. Die volkssprachigen Adaptionen stehen in der Mitte, wobei Ryffs ,große Chirurgie' eine Bearbeitung und Zechendorfers Werk eine Übersetzung von Tagaults Chirurgie darstellt. Ryff läßt den Leser über seine Vorlage im unklaren, von der er nicht nur die Binnenstruktur der einzelnen, allerdings umgestellten Buchteile übernimmt, sondern auch wichtige Passagen übersetzt. Darüber hinaus bearbeitet er seine Vorlage jedoch und läßt vieles weg bzw. ergänzt die einzelnen Buchteile um weitere Kapitel. Hinsichtlich der Adressatenorientierung zeigt die ,große Chirurgie' im Vergleich zur .kleinen Chirurgie' eine Verringerung lesersteuernder Indikatoren und direkter, an ein du gerichteter Handlungsanweisungen, die dennoch in Ryffs ,großer Chirurgie' wesentlich zahlreicher verwendet sind als bei Tagault und Zechendorfer: Sind bei Ryff z.B. die Rezepte ausnahmslos nach volkssprachigen Formulierungsmustern strukturiert, orientiert sich Zechendorfer an der lateinischen Vorlage. Dies führt dazu, daß die weitgehend wortgetreue Übersetzung weitaus weniger den Eindruck eines persönlichen Erfahrungsaustausches vermittelt, der in Ryffs .großer Chirurgie' als stilistisches Muster gewahrt bleibt, aber nur in der .kleinen Chirurgie' deutlich erkennbare Einflüsse konkreter Unterrichtssituationen zeigt. In Abhängigkeit von der lateinischen Vorlage ist die Entpragmatisierung und Versachlichung der Inhalte in der Übersetzung weiter fortgeschritten als in der Bearbeitung, die wiederum ein Gefälle zum originären Werk aufweist. Auf der anderen Seite aber prägen bestimmte stilistische Merkmale des lateinischen Textes die deutsche Adaption bei Ryff mehr als die Zechendorfers. Denn es ist Ryff, der - direkt oder indirekt - in Anlehnung an die lateinische Vorlage komplexe Verbal- und Nominalkonstruktionen bevorzugt. Sie treten dort in auffallender Häufigkeit auf und kontrastieren mit den z.B. in der ,kleinen Chirurgie' zu beobachtenden Stilgewohnheiten. An beiden Beispielen zeigt sich, wie unterschiedlich eine lateinische Vorlage volkssprachige Adaptionen beeinflussen konnte, und auch, daß um die Mitte des 16. Jahrhunderts die Umsetzung lateinischsprachiger Texte in einem Rahmen erfolgt, der durch individuelle Stilvorstellungen und -möglichkeiten der einzelnen Autoren abgesteckt ist.

13 Frühe gedruckte Fachprosa und ihre späteren Bearbeitungen 13.1

Das Feldbüch der wundtartzney des Hans von Gersdorff (1517) und seine Bearbeitung durch Walther Hermann Ryff (1556)

Der elsässische Militärarzt Hans von Gersdorff (ca. 1455-1529) verfaßte für die Barbierer und Wundärzte aus langjähriger praktischer Erfahrung heraus ein äußerst erfolgreiches Feldbüch der wundtartzney, das erstmals 1517 in Straßburg von Johann Schott gedruckt wurde und mit dessen Erscheinen sich der Autor über die Geheimhaltungspraxis der Zunft hinwegsetzte.1 Die von Walther Hermann Ryff (um 1500-1548) besorgte Überarbeitung erschien 1551 zunächst unter dem Titel Stat vnd Feldtbüch Bewerter Wundtartznei bei Christian Egenolff in Frankfurt2; die zweite von Egenolff gedruckte Ausgabe, die der folgenden Untersuchung' zugrunde liegt, stammt aus dem Jahr 1556 und bildet die Grundlage späterer bis in das 17. Jahrhundert reichender Editionen.3 Sie trägt nun

Zur Biographie von Gersdorffs vgl. NDB (6: 322f.). Einige spärliche Nachrichten über sein Leben können dem Feldbüch der wundartzney entnommen werden: So reichen die Anfänge seiner Tätigkeit bis zu den Kriegen gegen Karl den Kühnen von Burgund (ca. 1475/77) zurück, und in Straßburg führte er nach eigenen Angaben 100 bis 200 Amputationen - ohne Narkose - durch. Das erfolgreiche Feldbüch der wundtartzney erschien in Straßburg bei Johann Schott in weiteren Ausgaben 1526, 1528, 1530, 1535, 1540 und 1542 sowie in Augsburg bei Heinrich Steiner um 1530 und in den Jahren 1532 und 1542. Erwähnt werden zudem Übersetzungen ins Lateinische (Straßburg 1542, 1551; Frankfurt a. M. 1551) und ins Niederländische (Amsterdam 1591, 1593, 1622 und 1651); vgl. NDB (6: 322). Eine weitere Bearbeitung, die die weitgehend unveränderte Textfassung der Erstausgabe von 1517 bietet, aber in den Holzschnitten abweicht, erschien im selben Jahr bei dem Frankfurter Drucker Hermann Gülfferich: FEldtbuch der Wundt Artzney/ sampt des Menschen Cbrpers Anatomey/ vnnd Chirurgischen Jnstrumenten/ warhafftig Abcontrafeyt/ vnd beschrieben. (...) Getruckt zu Franckfiirdt am Mayn/ durch Hermann Gblfferichen/ inn der Schnurgassen zum Krug. M.D.LI. [Signatur: UB Erlangen 2 Trew. F 385], Alle nachfolgenden Ausgaben erschienen in Frankfurt a. M.: bey Christian Egenolffs Erben/Jn Verlegung Doct: Adami Loniceri/ Doct: Johannis Cnipij/ vnd Pauli

Inhalt, Aufbau und Orientierungshilfen der beiden Werke

469

den Titel Feld vnd Stattbüch Bewerter Wundtartznei und weist ebenso wie die Ausgabe von 1551 den Zusatz New widerumb ersehen auf. Da der Autor 1548 starb, ist davon auszugehen, daß Ryff eine einmalige Bearbeitung des Gersdorff-Textes zuzuschreiben ist, die erst postum in mehreren Auflagen im Druck erschien.4 Im Folgenden wird der Erstdruck von Hans von Gersdorff 1517 mit der Ryff-Bearbeitung von 1556 verglichen, die im wesentlichen mit der von 1551 identisch ist. Dabei gilt es zu bedenken, daß einige Veränderungen und (kleinere) Texteingriffe schon in der 1540 herausgegebenen Straßburger Edition von Schott beobachtet werden können.5 Es geht hier also nicht um die diachrone Rezeptionsgeschichte, sondern um den Vergleich der Wissensvermittlungsstrategien im Querschnitt, indem die Editio princeps einer späteren, sehr erfolgreichen Bearbeitung, deren Nachdrucke bis in das 17. Jahrhundert reichen, gegenübergestellt wird. 13.1.1 Inhalt, Aufbau und Orientierungshilfen der beiden Werke im Vergleich Gersdorffs Feldbüch der wundtartzney besteht aus folgenden Teilen: Nach einem kurzen Vorwort, in dem der Autor bekennt, daß er in alle

Steinmeyers, 1576 (VD 16 G 1630) bzw. bey Christian Egenolffs Erben/ Jn Verlegung Barbarae Doct: Johannis Knipij/ vnd Mariae Pauli Steinmeyers Wittiben, 1598 (VD 16 G 1631) und Jn Verlegung Vincentij Steinmeyers, 1606; vgl. auch Benzing (1959: Nr. 175-177). Die Textausgaben von 1556 und 1606 sind nahezu identisch. Es fallt auf, daß lediglich einzelne Bilder ausgetauscht wurden und das Druckbild verbessert ist (Kapitelüberschriften stehen z.B. nicht mehr am Seitenende, sondern zu Beginn der neuen Seite). Im Unterschied zu anderen bearbeiteten Werken, in denen Ryff den Namen des Urhebers der Schrift meistens verschweigt, verweist hier das abgedruckte Vorwort von Hans von Gersdorff auf den ursprünglichen Verfasser. Es handelt sich um das Feldtbüch der Wund/ Artzney/sampt vilen Jnstrumenten der Chirurgey Vß dem Albucasi contrafayt. (...) 1 Zü Strasßburg bey Hans Schotten. M.D.XL. [Signatur: UB Erlangen 2 Trew. F 522']. Die wichtigste Veränderung betrifft die Einteilung des Feldtbüchs in sieben Traktate und die Einführung von Randglossen, die ganz überwiegend in lateinischer Sprache verfaßt sind (bei der Behandlung der ,Augen' steht z.B. Oculi. am Rand, während im Text selbst nur das deutsche Lexem erscheint; vgl. Bl. 91). Zudem wurden die Abbildungen modifiziert, die Anordnung des Textes in Spalten aufgegeben und kleinere sprachliche Veränderungen vorgenommen.

470

Frühe gedruckte Fachprosa und ihre Bearbeitungen

weg hohe/ vnnütz/ vnd überflüßige wort geschücht und sich mer kurtzer vnd notwendiger geflisßen hab (1517: Vorwort), folgt ein sechsseitiges Inhaltsverzeichnis mit der Auflistung aller Überschriften und der dazugehörigen Blattangabe. Das Buch ist in vier Traktate eingeteilt, wovon der erste - unter Einfluß der Chirurgie des Guy de Chauliac der menschlichen Anatomie gewidmet ist (Bl. l r -19 r ). Das Kernstück des Buches bildet der zweite Traktat mit einem Überblick über chirurgische Maßnahmen nach dem Anordnungsprinzip vom Scheitel bis zur Sohle unter Einschluß der Behandlung von Stichen, Geschossen, Brüchen und Verrenkungen sowie der Herstellung und Anwendung entsprechender Arzneimittel (Bl. 19r-71v; vgl. Abb. 21). Im dritten Traktat wird die Lepra bzw. die Aussätzigkeit abgehandelt (Bl. 71 v -82 v ), während der vierte Traktat ein Glossar zur Erläuterung der lateinischen Terminologie darstellt, das nach anatomischen Begriffen, Krankheitsbezeichnungen und pharmazeutischen Begriffen eingeteilt ist {Ein vorredlin (Bl. 82v); vierter Traktat: Bl. 83 r -95 v ). Die Wundarznei Ryffs beginnt mit einem Register (1556: *ij v -*iv r ); sowohl das Inhaltsverzeichnis am Anfang als auch das Glossar am Schluß sind ausgelassen. Es gibt auch keine Traktateinteilung und Kapitelzählung: Einzelne Großkapitel stimmen aber in inhaltlicher Hinsicht mit Gersdorffs Traktaten über die Chirurgie (Vonn Handwirckung der Wundartznei einschließlich des Kapitels Erkantnuß der Medicinalen vnnd Materialien/ so vildem Wundartzt sonderlich notwendig zuwissen; Bl. 24 v -62 r bzw. Bl. 65 v -75 v ) und über den Aussatz (Von der Außsetzigkeit oder Maltzei; Bl. 75 v -84 r ) trotz etlicher Streichungen überein. Eingefügt wurde ein neues Großkapitel (Bl. 62 r -65 v ), das als Antidotarium die pharmazeutische Ausrichtung der Wundarznei verstärkt. 6 Der erste Teil ist zwar wie bei Gersdorff der Anatomie gewidmet, aber inhaltlich stark gekürzt und modifiziert (Bl. 3 v -20 r ); hierbei können etliche Übernahmen aus der lateinischen Anatomie des Marburger

6

Der Titel des Abschnitts lautet: Die Fürsorg oder Antidotari der Wundtartznei/ Von Meysterlicher zübereytung des Mässinen Salbb&chslins/ mit den fiinff ßrnemen Artzneien/ sampt andern Meyster stucken/ Jedem Balbirer vnd Wundartzt in der notturfft haben zu gebrauchen/Beschrieben von Walthero Ryffio (Bl. 62r). Abgehandelt werden die Salben Basilicon, Apostolorum, Aureum, Das weiß Shlblin und Das Shlblin Dialthea sowie vier Pflaster, deren Beschreibung - mit Ausnahme des Pflasters Andromachi - der großen Chirurgie von 1545 (Bl. 23 r -24 v und 156rf.) entnommen ist.

Inhalt, Aufbau und Orientierungshilfen der beiden Werke

W 3 o n D e m C b i r u r g i c d . (Bin g e m e i n

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i n b e n a n b e r e n ' E r a c t a t bißee Jclötf 6 ΰ φ β beYDunbamney. S* ΙτΤαφοΛεηΐιφεΓ ooibeftyiibung ber 3 n « t o m y öee inneren pnb »fjjec cn inenfcl^ene/feinecgliöecabreylüg e n / e r f o t b m gfcl?tcfte o t b n u n g in t>ic C f r i r u r g y jugnffcn/iufelltgc fcl^abe betmcnfcbcn j ü cutteren tmb tyeylen. *>nb fo ι φ meifter D a n e ( f u n | t ge« η β η ι β φ ν ε φ β η β ) Ρ ο η (ßerffbo.'ff/ w u n b a r ^ t »fi burger j u S t r a ß b u r g in langtt»yagen jaren bar/buret? l?ilf w i b beyffanb t>otab g o a l t ^ e r g n a ö öiK^eedul^netfun|f/wlmtrnteinee eygen b a n b r n r n r c f ü g pioburr/evpe t i m e n r t m o n b geyebtl?ab in η ω ι ι φ crleygeffalt/ folid) fünf? j ä offenbare guter freunb o n ö gonnerc A b l i e b e t b i t t o f f r e m t a n t . JDenfclbtgenjewill farenAtitcb crnffUcl?cc bewertet tmb erfarener f u n | f u c f e r entbeefung flylS enöe/ale ben gemeinen n u g bem e yg incnfurfcRenö.CÖorr b e m a l ^ l ^ t ^ i g e n j ü lob oozaii/fetner fyKfygebene beyteon maifei murervlOana jfieet en/»nb 5Ü ηιιι$φη|?1ίφβη π κ η Γ φ β / jutro|? wib bilff ben franefen fo big erfun|fberYDunbar£nev norrurfft' i g feint / α ι ι φ gemeinen C b t r u r g i a a » n b f t y e r e r e n jft gut/eil m u u n g j u t erfparen/ben gerotffjeretwg tfigon/ bifl f e ß t b f i c b btcmtt a n f a b / f t a f f j i g et bitte ben C e f ^ b c g t u f f j e n b t / m e i n trete »nb f u r erfarenbe Fünf? n i t 5ttueracl?ren/fonber bie wyrer fff yfel η ο φ erienrerrooiljett f t t y n r i t n i f W I banefbar e r j o i g e n . Wi\ m t φ α υ φ Eternit entjcbulbiget I?ab en fcetFurg

471

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Abb. 21: Hans von Gersdorff: Feldtbüch der wundtartzney. Straßburg: Johann Schott 1517, Bl. 19r [Signatur: UB Erlangen 2 Trew. F 389]

472

Frühe gedruckte Fachprosa und ihre Bearbeitungen

Universitätsmediziners Johann Dryander7 beobachtet werden, die Ryff zu popularisieren versuchte. Dem Abschnitt sind zwei kleinere Kapitel vorangestellt, nämlich Wie der Mensch in Mütterleib erstlich geformt vnd erhalten und Von erkantnus des Menschen Complexion, die keine Entsprechung bei Gersdorff haben. Separiert wurde ein Teil über das Aderlassen (Von dem Aderlassen in Gemeyn; Bl. 20r-24v), der bei Gersdorff dem ersten Traktat über die Anatomie subsumiert ist. Das an den Anfang gestellte Register erleichtert aufgrund seiner alphabetischen Anordnung den schnellen Zugriff auf die entsprechenden Seiten der Abhandlung. Trotz der Aufnahme von Pharmazeutika wie einzelnen Salben erfolgen die Verweise im allgemeinen recht lückenhaft; auch vereinzelte sperrige Einträge sind nicht ausreichend distinktiv und daher kaum hilfreich: M. Materialien/ so vil dem Wundartzt notwendig/ erkantnuß/ als/ Repercussiua, Stiptica, Confortatiua, Attractiua, Mollificatiua, Maturatiua, Mundificatiua, Sedatiua dolorum, Incarnatiua, Corrosiua, Caustica (1556: *iijv).

Die Zugriffsstrukturen auf den Text sind bei Gersdorff über das Inhaltsverzeichnis sequentiell nach dem Aufbau des Werkes und bei Ryff über das Register alphabetisch organisiert, wobei alphabetische Ordnungssysteme eine kontextunabhängige, gezielte Suche und - bei gutem Ausbau - einen schnelleren Zugriff ermöglichen. Eine weitere Orientierungshilfe bietet bei Gersdorff eine Kopfleiste mit Angabe der Textgliederungspunkte. Das Feldt vnd Stattbüch Ryffs enthält in der Kopfleiste dagegen nur die Buchtitelangabe in Abgrenzung zu einer Bearbeitung des Brunschwigschen Destillierbuchs, mit dem die Gersdorff-Bearbeitung zusammen im Druck erschien. Während die Editio princeps Folioformat aufweist, ist der Frankfurter Druck von 1556 in Quart erschienen. Die Aufgabe der Anordnung des Textes in Spalten und die Abgrenzung der Kapitelüberschriften durch Spatien führen zu einer deutlichen Verbesserung der optischen Gestaltung und Übersichtlichkeit der Darstellung in der Bearbeitung.8

Das Titelblatt lautet: ANATOMIAE, HOC EST, CORPORIS humani dissectionis pars prior, in qua singula qua ad Caput spectant recensentur membra, atque singulce partes, singulis suis ad uiuum commodissime expressisfiguris, deliniantur. Omnia recens nata. PER 10. DRYANDRVM Medicum & Mathematicum. (...) Walpurgi apud Eucharium Ceruicornum, Anno 1537 mense Junio. [Signatur: UB Erlangen 4 Trew. Μ 96], Bei Gersdorff sind sowohl Kapitelnumerierung (z.B. Das. XIII. Capitel.) als auch die erste Textzeile mit verzierter Initiale in größerer Schrifttype gesetzt, während

Inhalt, Aufbau und Orientierungshilfen der beiden Werke

473

Kommt der Alinea als Absatzkennzeichen bei Gersdorff noch eine bedeutende Rolle zu, so markiert sie bei Ryff lediglich Überschriften. Zusätzliche Orientierungshilfen bieten hier die Wiederholung von Gliederungs- bzw. Stichpunkten am Rand (vgl. 1556: 3 \ 4 \ 4 4 \ AT, 48v u.a.) oder Hinweise wie Nota (Bl. 430 bzw. Warnung (Bl. 46v) am Rand oder über Abschnitten. Das schon bei Gersdorff verwendete Hinweiszeichen mit dem Fingerzeig wird durch einen Hinweispfeil ersetzt (vgl. Bl. 34v), so daß eine Indexikalisierung des ursprünglich ikonischen Zeichens beobachtet werden kann. Beide Werke sind mit zahlreichen Holzschnitten ausgestattet, die aber nur zum Teil in Ausführung und Plazierung übereinstimmen.9 Beibehalten ist die Mehrzahl der Abbildungen chirurgischer Instrumente, völlig neu gestaltet hingegen der anatomische Teil mit einer Vielzahl neuer Anatomiebilder. Optimiert wurde auch die Koordination zwischen Abbildung und der in kleinerer Schrift gebotenen Erläuterung, die Ryff - im Unterschied zu vorher - meist so lokalisiert, daß der Leser direkt die Abbildung mit der gleich danebenstehenden, vor- oder nachgestellten Beschreibung vergleichen kann.10 Gersdorff hat nur eine mit Buchstabenverweisen versehene Figur, und zwar den Contrafactet Lasßman zur Erläuterung der Aderlaßstellen (vgl. Bl. 141), die entsprechend ihrer Markierungen (a-z und aa-rr) im nachfolgenden Text erläutert werden." Derartige Verweisstrukturen sind bei Ryff im anatomischen Abschnitt die Regel, wobei die Buchstaben meist ohne Hinweispfeil in der Abbildung erscheinen (vgl. z.B. Bl. 1\ 2r, 5V, 6', 7rf. etc.).12

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12

die eigentliche Kapitelüberschrift (z.B. Von aller äderen so zeschlagen seind am menschen vßleg νή fruchtbarkeit) in der Normaltype erscheint, die auch für alle nachgeordneten, größtenteils mit Alinea gekennzeichneten Teilüberschriften (z.B. 1 Am Haubt.\ 1517: 14*) gilt. Da Ryff auf Kapitelnumerierungen verzichtet, bietet der Frankfurter Druck nur die erste Zeile der Hauptüberschriften in größerer Schrifttype, wovon die Teilüberschriften (mit Alinea) durch die Wahl einer kleineren Schrifttype optisch deutlich abgegrenzt sind. In der Wundarznei Gersdorffs stammen zwei große Holzschnitte, und zwar ein Skelett und eine sezierte Leiche mit Beschriftung, von dem Straßburger Maler Johannes Wechtlin, wovon der zweite Holzschnitt in den Spiegel der Artzny von Lorenz Fries 1518 aufgenommen wurde (vgl. NDB 6: 322). Die beiden Faltbilder fehlen allerdings im Exemplar der UB Erlangen [Signatur: 2 Trew F 389]. Vgl. z.B. Ryff (1556: 45vf.) mit der Abbildung chirurgischer Instrumente, der Angabe ihrer Bezeichnung und einer kurzen Beschreibung. Vgl. z.B.: / 1 Ein oder obe v f f d ' naßen geschlagen ist gütßr all beschwerunge des haubts/ vn wider den augenflusß (1517: 14"). Dabei tritt auch der Fall auf, daß in der bei Ryff recht kleinen Aderlaßfigur, in der überdies die inneren Organe verzeichnet sind, Zahlen zur Anzeige von Adern stehen, auf die - im Unterschied zu den Buchstaben bei Gersdorff - als Strukturie-

474

Frühe gedruckte Fachprosa und ihre Bearbeitungen

Ein großer Teil der Abbildungen samt Etikettierung stammt aus Dryander (1537; vgl. Anm. 7) bzw. einer 1532 erschienenen ISAGOGE Breues (...) in Anatomiä humani Corporis des Jakob Carpi.13 Von dort (Bl. 25r) ist z.B. die Figur der Gebärmutter einschließlich der Hinweispfeile übernommen (Ryff: 19r), die aber nur in der lateinischen Ausgabe auch mit Erläuterungen versehen sind.14 Die Einsparung an Informationen zeigt sich ebenfalls bei der Kommentierung der einzelnen Knochen eines abgebildeten Skeletts (Bl. 19v), wo mehrere - aus einer Vorlage entnommene - Zahlenvermerke mit ein und derselben Erklärung versehen sind (z.B. 14.15.16. Jst der hende vnd finger gebeyne; Bl. 20r; vgl. Abb. 22). Die von Gersdorff übernommenen Holzschnitte werden insofern verändert, als die abgebildeten Vorgänge auf das Wesentliche reduziert sind: Anstelle der drastischen Darstellung einer Serratura, einer Unterschenkelamputation bei Gersdorff (vgl. die Abbildung nach Bl. 70), beschränkt sich Ryff auf eine Abbildung der hierfür notwendigen Säge (Bl. 74r); kleinere szenische Darstellungen sind als schmückendes Beiwerk nur Kapitelanfängen beigegeben (vgl. z.B. Bl. 38r, 58v). Der unterhaltsame Charakter etlicher Abbildungen bei Gersdorff, der sich in kleinen, über den Abbildungen piazierten Gedichten zeigt und selbst eine Abbildung des heiligen Antonius mit einschließt, ist bei Ryff nur noch in Ausnahmefällen (vgl. Bl. 50v) greifbar. 15

13

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15

rungshilfe für die Erläuterungen im Text verzichtet wird (vgl. Ryff: 20 r ff.). Vgl. ISAGOGE Breues/perlucide ac uberime/ in Anato/miä humani Corporis/ a/ cömuni Medicorü Aca/demia usitatä/ a/ Carpo in Almo Bononiesi Gymnasio Ordinariä Chirurgie publice Docente/ ad sworum Scholiasticorü preces in lucem date. A m Schluß (Bl. 72 1 ): 1 Hic finiüt Vberime ac Breues/ Isagoge Anatomices: Authore eximio Artiü ac Medicine Doctore Domino M. Iacobo Beregario Carpesi Regii Lepidi ac Bononie Ciue: Chirurgiam ordinariä ϊΑΙ/mo Bononiesi Gymnasio docete. Anno Virginei partus. M.D.XXII. Sub die. xxx. Decebris. ί Jmpressum Bononie per Benedicta Hectoris Bibliopolä Bonon. [Signatur: U B Erlangen Trew. Μ 94]. Die Legende fehlt ebenso zu der Buchstaben-Etikettierung in einer von Dryander (1537: gl 1 ) übernommenen Abbildung des Schädels (vgl. Bl. δ1)· So ist z.B. bei Gersdorff der Holzschnitt zur Serratura mit folgendem bei Ryff fehlenden Gedicht versehen (vgl. nach Bl. 70): Arm/ bein abschniden hat sein kunst/ Gehört auch nit eim yeden zü/ Vertriben sanct Anthonien brunst. Er schick sich dan wie ich im thu.

Textuelle Veränderungen in der Ryffschen Bearbeitung

475 Ο CJ

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Abb. 23: Hieronymus Brunschwig: Liber de arte distillandi. Straßburg: J. Grüninger 1500, Bl. Ρ [Signatur: UB Erlangen 2 Trew. G 33]

494 13.2.3

Frühe gedruckte Fachprosa und ihre Bearbeitungen

Kontinuität und Variation in der Textgestaltung

13.2.3.1 Die Darstellung der Destilliergeräte Einen wesentlichen Bestandteil der Destillierbücher macht die Erläuterung der Destilliergeräte aus. Dort werden die Instrumente in Wort und Bild beschrieben, die nach Meinung der Autoren ein jeder Destillator besitzen muß. Bei der Darstellung der Instrumente sind drei Punkte wesentlich, und zwar die Abfolge der Vorstellung der einzelnen Destilliergeräte, der Hinweis auf die Notwendigkeit, das entsprechende Gerät zu besitzen, und der Verweis auf die Abbildung. In den beiden Destillierbüchern Brunschwigs sind Einleitung, Empfehlung und Bildverweis weitgehend standardisiert (vgl. Abb. 23).42 Zur Überleitung von einem Punkt zum nächsten wird bevorzugt das temporale Adverb darnach gebraucht, das als Gliederungsmarkierung dieselbe Funktion wie das in anderen Werken häufig belegte item hat. Die Empfehlung an den Leser erfolgt durch müstu haben im ersten und soltu haben (bzw. du solt auch haben) im zweiten Destillierbuch. Eine seltener gebrauchte Wendung ist gebürt (sich/dir) zu haben, vereinzelt begegnet überdies ist not (bzw. notturfi) zu haben. Die Standardformel, mit der auf die Abbildung verwiesen wird, lautet deren/des form also ist im ersten und der/des/deren figur also ist im zweiten Buch. Vereinzelt finden sich auch Wendungen aus der ichPerspektive mit temporalem bzw. lokalem Verweis auf die Abbildung, wie z.B. als ich hernach/ hie vnden zeigen wil, und mit figur als Subjekt, wie etwa also disse figur zeigt/ hie zeigen ist/ hie neben anzogen ist. Im zweiten Band wird der Bildverweis gelegentlich um lokale Zusätze, wie z.B. wie (hie) ob (nach) stot, erweitert. Die relative Konstanz der Brunschwigtexte ist bei Uffenbach gänzlich aufgegeben (vgl. Abb. 24).43 Die sprachlich-stilistische Gestaltung von Einleitung, Empfehlung und Bildverweis variiert in fast allen Belegen.

42

43

Vgl. Brunschwig (1500: l r - 6 r und 1512: 36 v -41 r )- Zur Gestaltung der Einträge vgl. das folgende Beispiel: Darnach soltu habe ander glesser ouch genant circulatorium. denen figur also ist (1512: 370. Vgl. Uffenbach (1610: 479-487). Zur Gestaltung der Einträge vgl.: Sich gebührt auch zu haben besondere Vorsetzlin von Glaß/ Violen genannt/ mit langen Hälsen vnd engen Mundtlöchlin/ das Wasser/ so durch den Schnabel deß Halms herauß iaufft/ in sich zu empfangen/ vnd solche Vorsetzlin sindt also gethan (S. 480).

Die Darstellung der Destilliergeräte

"Soitbirßuttfoutofriüierti.

495

47p

Die geffleittfie/ »n6 Den 2i!d>imijtcn fampiUti? »ol Mamtmb wiuflrfcorgm fin&tStom auff . D ic er(lc met (V ο hncJfiwtwmB Äeflctt I alsntmitchMircij Dae FUtrumju befMlttrn/ m u f j ^ X ^ man hjfcen Drcijcefecfrt JiIb oöer CSlacfen/Darneb m leim/giem gebrannt rnDwtgebrannt/

6m O&runnmfWnradadj: ferner rutiBc Ο>|ΪΓΠΓ Dvöfi I eine» quer Singers ö'.cf/ wmD einer rutiten iwetfccfctcn gortn iwU gegcmt>4rtige gigur tc jtugt. ^ttmanbem muj; man haben befonbere Papeln»on wcilTcr kfr&cn / aul; Deren matt Den (9olDt|chmtDen »nnD CDMnpmoftotl (gchmili.Digci 511 machen pflegt I etliche verglafurt l etliche aber / als Die gemeine/ nicht/ Dnthalb »lerfcleiner (Jfeti mcit / »nnS fc>tieff I ale fang oDerhochfic|lnDt/ icDocfj «liehe größer / etliche fiemer / nach ©clci genheit Der -Oefcn / Deren Jorm alfo ge» fc^affmif?.

3um Dritten iwrDen erfordert Süyffttt neftejfd oDer Papeln/ inDern)eiteDrithaI& »icrtel einer (£lcn I miDmDcr Xieffegleicft alfo / mit einer jiüpffcrncnIXiShreincrIjafc Den CSlen lang I welche Sehr ötwen que* ginger oben am gen tvifl·

ferner mtif? Du haben QMetxrne Siitgf in Der mit« eingefentf tl mit tier DurchWch? men £>hrn / grof; »nnDflcin/ leicfcionti» fehtrehr/ Die miteimaiTwe »on φ η ρ fun; Itösr—· Den I Die fleine ron acht pfunDen/ Diegroffe »on 3n'ölffmoDcrDrci);cijci! / irieoicicji; gurf'Mhilicf) Demon|?riert/Drf;g(cicljen hvU perne Fretter / ale ttxit Die Papeln cDcr Der .Ofen ift / Damit man Das @la|; Durch Das iochitiDcr Dritte tonne hinein »erfcn-efen. ^Darnach mancherlei) £>cfen «>te in Dem Balneo MarixwtrDtgeicigt / Damit tue @la|; nicht ober (ich flcige ι fonDcrn Durch DK twhre Defi Daran hangenDee «leres / fo Daran gelumDcit wmD aehefftet ill / !VcrD(vutinDcrt»nDmiDeweri; gehalten.

aum

Abb. 24: Hieronymus Brunschwig/Peter Uffenbach: Arsdestillandi. Frankfurt a. M. Johann Bringer, in Verlegung Konrad Corthois' 1610, S. 479 [Reprint München 1964]

496

Frühe gedruckte Fachprosa und ihre Bearbeitungen

Die von Uffenbach angekündigte größere Ziehrligkeit zeigt sich an diesen Stellen in der Demonstration der copia verborum der Volkssprache, die in der Vielfalt synonymer Wendungen wie in der Vermeidung von Wiederholungen sichtbar wird. Die Gliederungsfiinktion wird durch zahlreiche Adverbien, Partikeln und Ordinalzahlen geleistet. Hierzu zählen ferner, deßgleichen, darnach, gleicherweiß, vber das, weniger nicht, endtlich, auch, also auch, wie gleichfals auch, item, vnd denn, zum andern, zum dritten und zum finfften. Der rhetorische Anspruch ist auch in der Empfehlung des entsprechenden Destilliergeräts an den Leser erkennbar: Dort erscheint nur einmal die häufigste Wendung des alten Destillierbuchs must du haben mit persönlicher Anrede des Lesers, die ein weiteres Mal in der Wendung muß [!] du versehen sein mit nachweisbar ist. Anstelle der direkten Anrede bevorzugt Uffenbach unpersönliche Konstruktionen wie gehört darzu, sindt von nbthen, sich gebührt {auch) zu haben oder auch das Passiv werden erfordert·, hinzu kommen vereinzelt raört-Konstruktionen und überaus häufig Ellipsen mit Aussparung der Empfehlung, wie z.B. in Beneben solchen Pfannen auch besondere Gläser (...) (1610: 480).

Die stilistische Variation setzt sich im Bildverweis fort, wo ebenfalls kein Eintrag dem anderen gleicht: Nur in einem Fall folgt die Darstellung aus der ich-Perspektive (z.B. als ich hernach zeigen will)·, hingegen werden Figur, Form und Gestalt bevorzugt als Subjekte gebraucht, wobei die (gegenwärtige) Figur im übertragenen Sinn als Agens dient und bezeugt oder klährlich demonstriert. Sie gibt auch bericht, oder deren Form vnnd Gestalt verhelt sich also. Andererseits ist sie zu sehen oder steht allhie vor Augen. Die von Autor und Leser abstrahierende Darstellungsweise setzt sich in den zahlreichen Passivkonstruktionen mit Vorgangs- und Zustandspassiv fort, wie z.B. in wird gezeigt, wie hernach offenbart werden soll oder geschaffen ist, formiert (sein), ist also gethan. Mit diesen variierenden Formulierungen sind keine inhaltlichen Präzisierungen verbunden; es handelt sich lediglich um eine Demonstration stilistischer Möglichkeiten zum Beweis der copia verborum des Deutschen. Mit dem Bemühen um eine stilistisch ansprechende Textfassung wird dem Leser eine gefälligere Lektüre ermöglicht, in der ermüdende Monotonie vermieden und dadurch Aufmerksamkeit und Lesemotivation gesteigert werden sollen.

Die Darstellung der Heilwirkung destillierter Wässer

497

13.2.3.2 Die Darstellung der Heilwirkung destillierter Wässer Der zweite große Bereich, in dem Variation greifbar wird, betrifft die Ausführungen über die Heilwirkung destillierter Wässer, die Gegenstand des zweiten Buches der 1500 erstmals erschienenen Destillierkunst Brunschwigs ist. Ein Auszug der nach pflanzlichen und tierischen Substanzen geordneten Wässer findet sich in der bearbeiteten Edition von Weygand Han (1556). Uffenbach greift in seiner Bearbeitung (1610) auf den Bestand bei Brunschwig zurück, der hier wie dort nach den Bezeichnungen der einzelnen Wässer alphabetisch angeordnet ist, modernisiert diesen aber in sprachlicher Hinsicht. Inhaltlich sind die einzelnen Kapitel bei Uffenbach um den einleitenden Abschnitt mit der Erläuterung der Bezeichnungen und einer knappen Charakterisierung der zu destillierenden Pflanze gekürzt.44 Alle drei Textfassungen stimmen darin überein, daß ein kurzer Hinweis auf die beste Zeit der Destillierung erfolgt45 und sodann katalogartig die Heilwirkung des pflanzlichen Destillats angeführt wird. In diesem heilkundlichen Katalog, in dem stereotyp eine Nutzanwendung des Destillats nach der anderen aufgelistet ist, gibt es zwei herausgehobene Positionen, und zwar die Nennung des Destillats zu Beginn des Eintrags und den Hinweis auf seinen Nutzen bei der entsprechenden Erkrankung, die beide essentieller Bestandteil der einzelnen Listenpunkte sind.46 In der sprachlich-stilistischen Gestaltung dieser exponierten Stellen ist den Bearbeitern die Möglichkeit gegeben, die Vorlage beizubehalten oder abzuändern. Die größte Konstanz an Darstellungsmustern zeigt die ursprüngliche Version von Brunschwig (1500), denn dort beginnt jede einzelne mit Buchstabenkennzeichnung (A. B. C. etc.) versehene Anwendung im heilkundlichen Katalog stereotyp mit der ausführlichen Nennung des Wassers (z.B. Blow gilgenwurtzel wasser, Bl. 23r). Die Heilwirkung

44

45

46

Im Eintrag Von Lindenbl&et Wasser der Abschnitt: LJndenbläet Wasser/ von den Latinischen Floß tili genannt/ vn ist zweyerley/eins mit grossen blettern/ das ander mit kleinen blettern/ Steinlind genant/ deren in Welschen Landen wenig fanden werden/ wenn ich habe manchen Menschen gefraget/ was sein Welscher name sey/ kund mir es nie keiner sagen/ denn daß sie nie keinen gesehen hetten (1556: 71 ). Vgl. z.B. Die beste zeyt seinerDistillierung ist im Brachmonat/allein die blhet/ so sie vollkommenlich zeytig ist/ von der Linden breiten bletter gebrannt (1556: 71"). Vgl. z.B.: Agleyenwasser getruncken/jedes mal drey lot/ ist gutfhrvergifft (1556: 19").

498

Frühe gedruckte Fachprosa und ihre Bearbeitungen

folgt ganz überwiegend in der Standardwendung ist gut (ßtr), die nur gelegentlich durch Handlungsverben wie vertreibt etc. ersetzt ist. Das Standardmuster wird in Einzelfällen durch hinzugefügte Partikeln wie vast oder auch modifiziert. Die Bearbeitungen variieren dagegen entweder im ersten oder zweiten formelhaften Bestandteil: Denn während Uffenbach in Übereinstimmung mit Brunschwig bei allen Anwendungen - und in fast allen Einträgen - stereotyp die Destillatsbezeichnung wiederholt, ist in der Hanschen Ausgabe die stereotype Präsentation der vollständigen Bezeichnung vermieden. Dort erscheinen Kurzformen wie blauw Gilgenwurtzel (1532: 38r) oder der Oberbegriff das Wasser (bzw. dieses Wasser, Bl. 71v) mit anaphorischem Bezug. Hinzu kommt die Einbindung in die Satzstruktur, die zu flektierten Formen wie deß Wassers (getruncken ... vier lot) oder mit diesem wasser (das Angesicht ... bestricke) führt (120r). Anders als in der Hanschen Ausgabe steht also bei Brunschwig und Uffenbach die vollständige und stets unflektierte Bezeichnung.47 Die Präsentation der vollen Bezeichnung des Destillats wirkt bei beiden Autoren in erster Linie als Gliederungssignal zur Markierung und Abgrenzung der einzelnen Applikationen. Hinsichtlich der Angabe des Nutzens des Destillats ist die Hansche Ausgabe am stabilsten, indem die Formel ist gut (fltr) stets bewahrt bleibt und die bei Brunschwig vorhandenen Erweiterungen durch Partikel fehlen. Variation ist hingegen bei Uffenbach gegeben, der die Formel durch eine Reihe semantisch differenzierter Verben ersetzt, die die Heilwirkung des Destillats genau beschreiben. Für den Eintrag Blow Gilgenwurtzel wasser handelt es sich um folgende Varianten: Hansche Edition (1556: 38rf.) Das destillierte Wasser ist gut - flir alle geschwulst - zu verdauwen die groben Humores - die vnreinen Geschwer damit gewäschen/ morgens vnd abends/ macht sie rein

47

Uffenbach (1610: 511) Das destillierte Wasser - resoluiert vnd vertheilt alle Geschwulst - dämpffi vnd schafft alle grobe humores ab - reiniget die vnflätige Geschwer/ morgens vnd Abents damit gewaschen

Die Unflektiertheit der Formel bringt mit sich, daß die Bezeichnung außerhalb der Konstruktion steht. Im nachfolgenden Satz wird auf das bezeichnete Wasser allenfalls im Pronominaladverb damit verwiesen.

Die Darstellung der Heilwirkung destillierter Wässer

- fir dz krimmen deß Bauchs -

fir die Wassersucht fir vergifftiger Thierbiß dem Miltz fir Febres fir den schmertzen der Mutter/ vnnd verstopffung jrer MundIßcher - fir schmertzen Jmpetiginis flekken/ vnnd vnreinigkeit der haut - fir Zanweh - fir schmertzen d' seite - fir die Harnwind/

Stranguria

499

-

ist fast gut fär das Grimmen deß Bauchs - ist gut fir die Wassersucht - ist gut fir der giffügen thier Bisß - ist dem Milizen sehr bequem - thut den Fibern widerstandt - stillet die Schmertzen der mutter/ vnd reutet die Verstopffung jhrer mundtWcher auß - vertreibt/ Schmertzen/ impetigines die Flecken vnd vnreinigkeit der Haut - ist gut fir Zän wehe - ist gut fir die Schmertzen der Seiten vnd H&fft - macht der Harnwinde/ Stranguria genannt/ ein erwünschtes Endt

Im Hanschen Druck bleibt die Wendung ist gut in den angeführten Beispielen konstant, wobei statt der Präposition for je einmal eine Infinitivkonstruktion, ein Dativobjekt und eine anakoluthartige Konstruktion mit Satzneubeginn steht. Uffenbach übernimmt in fünf Fällen die Wendung samt Präposition und variiert in den restlichen Beispielen, indem er zu erläuternden Paarformeln (resolviert vnd vertheilt, dämpfft vnd schafft ab) greift, macht rein zu reiniget verkürzt und das Adjektiv gut durch sehr bequem ersetzt. Die Inkompatibilität der Formel ist gut for bei Krankheiten, die eigentlich bekämpft werden müssen, korrigiert er in einigen Fällen durch Austausch mit passenden Verben wie thut (...) widerstandt und vertreibt bzw. stillet und reutet auß. Hierzu zählt auch die letzte Applikation, die nicht nur der angeführten Krankheit ein erwünschtes Endt macht, sondern auch das Kapitel abschließt. Im Unterschied zur rein stilistischen Variation bei den Gerätebeschreibungen ist die Variantenvielfalt in diesen Beispielen durch die Suche nach dem passenden Ausdruck zur möglichst differenzierten Angabe der Heilwirkung bedingt. Die von Uffenbach gebrauchten Verben haben einen semantischen Mehrwert gegenüber der nahezu sinnentleerten Wendung ist gut for. In den Fällen, in denen die Floskel erhalten bleibt, werden die präpositionalen Anschlüsse übernommen; es handelt sich in den obigen Beispielen um fir und in weiteren Kontexten auch um zu (ist gut zu den Wunden-, 1610: 535). Belege mit Dativus commodi werden häufiger ersetzt als beibehalten:

500

Friihe gedruckte Fachprosa und ihre Bearbeitungen

ist gut denen den jr Hend vnnd F6ß erfroren seind/ dqß sie wund seyn/ Tücher darinn genetzt/ vnnd darüber gelegt. getruncken/ ist gut den Frauwen/ wenn in die Mutter erkalt ist. (Hansche Edition 1556: 721)

- heilet die von k< verwundete fi.fi vnd händ/ t&cher darein genetzt! vnnd deß tags zwey oder dreymal darüber gelegt/ es zeucht den Frost herauß/ vnd heilet die Verserungen zu. - ist gut getruncken in vorgemelter masen/ den Frauwen/ welchen die Mutter erkältet ist/ die wärmbt es widerumb. (Uffenbach 1610: 560)

Im ersten Beispiel ist die Wendung ist gut denen durch heilet ersetzt. Die Information des Relativsatzes mit anschließendem Konsekutivsatz wird in eine komplexe Nominalgruppe gefaßt, die ein erweitertes Partizipialattribut aufweist. Die Einsparung von Nebensätzen durch Verkürzung zu Partizipialgruppen ist bei Uffenbach ein häufiger angewandtes Mittel zur Informationsbündelung: vgl. u.a. Ampfferwasser so mans offt trinckt/ vnd der Mensche seinen Tranck damit mischt (1556: 17") vs. AMpffer Wasser offt vnd viel getruncken/ vnd den täglichen Tranck damit gemischt (1610: 505); der nemme deß Wasser auff sein Zungen (1556: 721) vs. deß Wassers auff sein Zungen genommen (1610: 560). Im zweiten Beispiel bleibt zwar die Wendung ist gut den Frauwen erhalten, wird aber durch das umgestellte, bei Uffenbach erweiterte Partizip getruncken unterbrochen. Der häufige Einschub von Partizipialgruppen führt zu einer Störung der Satzstruktur und vermittelt den Eindruck einer versatzstückhaften Aneinanderreihung von Textsplittern.4® Andererseits findet sich aber auch eine Korrektur der semantischen Verhältnisse von Satzanschlüssen, wenn der Konditionalsatz (wenn...) durch einen Relativsatz ausgetauscht oder, was häufiger vorkommt, veraltete oder logisch unpassende Konjunktionen der Vorlage ersetzt werden.49

Die Satzstrukturen sind also an einigen Stellen durch Kürzungen mittels Partizipialkonstruktionen, die zur Aufgabe geschlossener Satzstrukturen führen können, und an anderen Stellen durch semantisch-logische Präzisierungen der Satzanschlüsse gekennzeichnet. Die inhaltlichen

48

49

Vgl. z.B. den Satzanakoluth in: (...) ist gut getruncken morgens vnd Abents/jedes mal auff zwey loht/die mit dem fallenden Siechtage beladen sind (Uffenbach 1610: 560). Die bei Brunschwig kausal verwendete Konjunktion wan wird in der Hanschen Edition mit ihrer neuhochdeutschen Entsprechung wenn und bei Uffenbach mit der nebenordnenden Konjunktion denn aufgelöst: (...) ist gilt da ein mensch maßleidig ist in dem magen von überiger hitz des magens/ wan es abstreiften ist die schlymigkeit des mages (...)(Brunschwig 1500: 16*) vs. (...) wenn es streiffet ab die schleimigkeit deß Magens (...) (1556: 180 vs. (...) denn es streifft ab die Schleimigkeit deß Magens (...) (1610: 505). Die in der Vorlage für konditionale Verhältnisse verwendete Konjunktion da wird durch so ersetzt: vgl. z.B. (...) ist gut da ein Mensch nicht reden kan (...) (1556: 721) vs. (...) ist gut so ein Mensch nicht reden mag (...) (1610: 560).

Zusammenfassung

501

Ergänzungen betreffen stets eine genauere Schilderung der Wirkungsweise von Destillaten, die gegenüber der Vorlage ein Mehr an Information in der Unterweisung des Lesers bietet.

13.3

Zusammenfassung

Die Chirurgie Gersdorffs und die Destillierbücher Brunschwigs gehören zu den Werken des frühen 16. Jahrhunderts, die besonders erfolgreich waren und in mehreren Auflagen bzw. Bearbeitungen bis in die ersten Jahre des 17. Jahrhunderts dokumentiert sind. Überarbeitungen wurden im ersten Fall durch Walther Hermann Ryff in der Jahrhundertmitte und im zweiten Fall etwa 50 Jahre später durch Peter Uffenbach vorgenommen. Die mit Ryff zeitgleich erschienene Hansche Edition des ersten Destillierbuchs Brunschwigs stellt eine zwar gekürzte, aber in sprachlicher Hinsicht wenig modifizierte Ausgabe dar. Der Uffenbachtext zeigt eine engere Textbindung an die Vorlage als die Bearbeitung durch Ryff, der den Anatomieteil Gersdorffs in Bild und Text weitgehend durch Übernahmen aus der lateinischen Anatomie Dryanders ersetzte und dem Werk ein eigenes Antidotarium hinzufügte. Popularisierungsmaßnahmen lassen sich vor allem in der Textredaktion durch Ryff beobachten: Die anatomischen Abbildungen sind mit Buchstaben- oder Zahlenverweisen versehen, die in einer Legende erläutert werden. Die inneren Organe werden durch Vergleiche mit Gegenständen der Alltagswelt veranschaulicht. Die Kapitelüberschriften sind durch Spatien leicht kenntlich gemacht, wobei Randglossen dem Leser eine zusätzliche Orientierungshilfe bieten. In inhaltlicher Hinsicht ist der Text stark gekürzt, da Rezepte der Vorlage ausgelassen werden und auf die bei Gersdorff praktizierte Anordnung des Textes nach den angeführten Autoritätenmeinungen verzichtet wird. Die sprachlich-stilistische Revision des Textes ist durch Wegfall bzw. Austausch veralteter, dialektal gebundener und verballhornter Wörter gekennzeichnet, der für die Bearbeitung des Gersdorff- wie auch des Brunschwig-Textes zu beobachten ist. Bei Ryff zeigt sich die Tendenz, lateinische Fachbegriffe durch deutsche Äquivalente zu ersetzen und Erläuterungen von Fachwörtern zu vereinfachen. Die stilistische Redaktion Ryffs führt angesichts der Streichung von Redundanzen und inhaltlich Verzichtbarem zu einer Ökonomisierung von Satz- und Textstruktur. Durch Aufgabe der starken Kontextgebun-

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Frühe gedruckte Fachprosa und ihre Bearbeitungen

denheit ist der Text im Vergleich zu seiner Vorlage weitgehend entpragmatisiert und stärker sachorientiert ausgerichtet. Derartige Texteingriffe können auch bei Uffenbach z.B. in der Versachlichung von Kapitelüberschriften und -einleitungen beobachtet werden. Die syntaktische Revision des Brunschwigtexts erfolgt in stärkerem Ausmaß als in der Gersdorff-Bearbeitung. Denn die lose organisierten Satzstrukturen der Vorlage werden zu hierarchisch geordneten und übersichtlich strukturierten Satzverbänden umgestaltet. Die periphrastischen Verbformen, die meist nur Umschreibungen des einfachen Verbs sind und ein auffälliges Charakteristikum des Brunschwigschen Textes darstellen, sind aufgegeben. Im Unterschied zur Gersdorff-Bearbeitung durch Ryff weist der Uffenbach-Text etliche deverbale Nominalisierungen auf -ung auf, die auf verbale Konstruktionen der Vorlage zurückgehen. Nebensätze des Brunschwigtexts werden zu erweiterten Partizipialkonstruktionen verkürzt. Nominalisierungen und Partizipien sowie die Wahl einschlägiger Adverbien und Pronomina wie derowegen und desselbigen deuten auf kanzleisprachliche Einflüsse hin. Die in der Vorrede angekündigte größere Zierlichkeit der Bearbeitung Uffenbachs äußert sich in der Demonstration der copia verborum des Deutschen. Stereotype Wendungen, die vor allem bei der Vorstellung der Gerätschaften und der Heilwirkung von Destillaten begegnen, werden durch sprachlich-stilistische Varianten ersetzt. In der Variation, die mit einer semantischen Präzisierung des Inhalts verbunden ist, geht es um die Ersetzung sinnentleerter Wendungen durch den treffenden Ausdruck. Dagegen ist die rein stilistische Variation ohne semantischen Mehrwert ein Beweis dafür, daß die Volkssprache über hinreichend viele Synonyme und synonyme Wendungen verfügt, die einen kurzweiligen und abwechslungsreichen Stil ermöglichen. Beim Vergleich der beiden Bearbeitungen kann festgestellt werden, daß Ryff in erster Linie an der bestmöglichen Veranschaulichung des Inhalts interessiert war. Uffenbach ging einen Schritt weiter und bemühte sich um einen gefälligen und stilistisch gefeilten Text. Die Popularisierung des Inhalts und Ökonomisierung der Darstellungsweise bei Ryff erfüllen ganz die Anforderungen des genus subtile. Mit dem bei Uffenbach vertretenen Konzept der Zierlichkeit werden zwei Generationen nach Ryff stilistisch höhere Anforderungen, und zwar die des genus medium, selbst an einen Sachtext gestellt.

14 Deutsche Fachtexte der frühen Neuzeit ein Resümee Im Folgenden sind die zentralen Ergebnisse der Untersuchung zusammengefaßt. Es geht dabei insbesondere - um die Herausbildung und Entwicklung makro- und mikrostruktureller Elemente in volkssprachigen Kräuterbüchern sowie ihre Abhängigkeit von lateinischen Kräuterbüchern, - um lateinische Stilvorgaben und den Einfluß der Textorganisation lateinischer Werke auf die volkssprachige Fachprosa, - um Modifikationen bei der Umsetzung lateinischer Vorlagen, - um Verfahren der Textoptimierung in volkssprachigen Bearbeitungen.

14.1

Die Makro- und Mikrostruktur volkssprachiger Kräuterbücher

Die Entwicklung von Gestaltung und Inhalt der Kräuterbücher, die vom späten 15. Jahrhundert bis in das 16. und 17., vereinzelt auch bis in das 18. Jahrhundert nachgezeichnet werden kann, ist von Konservativität und Progressivität gleichermaßen gekennzeichnet. Trotz stetig wachsenden Umfangs infolge der Aufnahme neuer Pflanzen und der Erweiterung der Beschreibung um neue Arzneimittel zeigt sich das Konservative in der Bewahrung der Inhalte der aus Vorgängerwerken stammenden Pflanzenbeschreibungen. So finden sich in der spätesten Ausgabe des Tabernaemontanschen Kräuterbuchs von 1731 Heilanzeigen der spätmittelalterlichen Tradition, die im Laufe des 16. Jahrhunderts aufgegeben und im Zuge enzyklopädischer Bestrebungen später wieder aufgenommen wurden. Größere Varianz weist der botanische Teil der Pflanzenbeschreibung auf, der nicht nur durch zusätzliche Übernahmen aus anerkannten Quellen informationsreicher wird, sondern zunehmend auch Ergebnisse eigener Pflanzenbeobachtung bietet. Bestehen bleibt aber das quantita-

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Deutsche Fachtexte der frühen Neuzeit - ein Resümee

tive Übergewicht der heilkundlichen Anzeigen; im Laufe des Untersuchungszeitraums werden die botanischen Anteile geringfügig umfangreicher. Was die Herkunft der Heilanzeigen in den deutschen Kräuterbüchern betrifft, so fällt ihre weitgehende Unabhängigkeit gegenüber ihren direkten lateinischen Vorlagen auf. In den meisten Fällen wurde ein Teil der antiken Heilwirkungen aus der lateinischen Vorlage übernommen und um volkssprachig tradierte ergänzt. Die lateinischen Heilwirkungen bei Lonitzer sind in seiner deutschen Ausgabe von 1557 vollständig durch volkssprachig überlieferte ersetzt. Dabei erwies sich die Tradition des Gart der Gesundheit, dem allerdings seinerseits das mittelalterliche Wissen des lateinischen Circa instans zugrunde lag, als besonders wirkungsmächtig. In der Darstellung überwiegt die Versatzstücktechnik, die vor allem im Gart der Gesundheit (1485) dazu führt, daß die Heilwirkungen nach den zitierten Autoritäten angeordnet sind. Da jede einzelne Medikation fast ausnahmslos mit der stereotypen Nennung der Pflanze eingeleitet wird, sind die einzelnen Textblöcke nur selten durch textverknüpfende Pronomina oder Partikeln miteinander verbunden. Ferner hat die autorenorientierte Auflistung der Medikationen zur Folge, daß gleiche oder ähnliche Anwendungen, die bei mehreren Gewährspersonen genannt sind, mehrfach aufgeführt werden. In den nachfolgenden Werken wird diese autoritätenorientierte Anordnung der Medikationen weitgehend aufgegeben und der Stoff durch neue Klassifikationskriterien wie z.B. die Anordnung nach innerer und äußerer Anwendung des Heilmittels neu gegliedert. Wenngleich nun Wiederholungen vermieden und auch textverknüpfende Mittel verstärkt zu beobachten sind, bleibt die Struktur der additiven Aneinanderreihung im heilkundlichen Teil stets erkennbar. Während in der Tradierung der Heilwirkungen eine große Stabilität über den ganzen Untersuchungszeitraum registriert werden kann, zeichnen sich massive Veränderungen der Ordnungsstrukturen ab: Sie betreffen sowohl Anzahl und Ausbau makrostruktureller Zugriffsmöglichkeiten als auch die Kapitelanordnung, den Ausbau von Binnengliederungen und die Überschriftengestaltung. Titelblatt und Register ersetzen in den meisten Fällen ein Inhaltsverzeichnis. Im Gart der Gesundheit von 1485 fehlt noch ein Titelblatt, während das Kolophon mit der Nennung von Drucker, Druckort und -jähr über den gesamten Zeitraum zum festen Bestand der Buch-

Die Makro- und Mikrostruktur volkssprachiger Kräuterbücher

505

gestaltung gehört. Kolophon und Titelblatt stehen als (Teil-)Dubletten mit der Wiederholung wichtiger Druckinformationen im ganzen 16. Jahrhundert nebeneinander. Die Doppelung von Titelblatt und Incipit mit der Wiederholung des Buchtitels begegnet nicht in der Kräuterbuchliteratur, wohl aber noch in den pharmazeutisch-medizinischen Werken Brunschwigs um 1500. Auf dem Titelblatt, das stetig an Umfang zunimmt, werden neben den Angaben zum Thema rhematische Elemente über das Wie der Darstellung (mit der Erwähnung der Abbildungen, der Differenziertheit der Beschreibung, der wiederholten verbesserten Überarbeitung) immer wichtiger; sie haben zugleich die Funktion, das neue Kräuterbuch von Vorlagen abzugrenzen und für das vorliegende Werk zu werben. Die meisten volkssprachigen Kräuterbücher bieten ein nach Krankheiten geordnetes Register, das die heilkundliche Ausrichtung dieser Werke unterstreicht, aber in lateinischen Kräuterbüchern meist fehlt, sowie darüber hinaus (mindestens) ein Register mit den Pflanzenbezeichnungen. Gegen Ende des Untersuchungszeitraums wird das heilkundliche Register, das entweder alphabetisch oder sachlich nach dem Anordnungsprinzip „vom Scheitel bis zur Sohle" gegliedert ist, zu einem eigenständigen Text. Es fungiert nicht mehr nur als Index für den Zugriff auf Informationen über Seiten- bzw. Blattverweise, sondern dient nun als heilkundliches Vademecum für eine erste Orientierung zur Medikation bestimmter Erkrankungen. Die Zahl der Register mit den Pflanzenbezeichungen wächst vor allem in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts bis auf zehn bei Tabernaemontanus/Braun (1591) mit überwiegend lebendsprachigen Benennungen. In der ersten Jahrhunderthälfte wurden die mittelalterlich tradierten Pflanzenbezeichnungen durch die bei anerkannten Autoritäten überlieferten lateinischen und griechischen Termini ersetzt. Die Trennung des lateinischen und griechischen Verzeichnisses, wie sie in den lateinischen Kräuterbüchern zu beobachten ist, erfolgt erst in der Rößlin-Bearbeitung durch Lonitzer (1569), wobei erstmals griechische Bezeichnungen nicht mehr latinisiert sind. Die Registerverweise beziehen sich auf die Blattzählung (häufig in vier Teile A - D unterschieden) oder später auf die Seitenzählung. Die Doppelung von Blatt- und Kapitelzählung ist (mit Ausnahme von Brunfels (1532, 1537) und der Gari-Tradition bis Lonitzer) durchgängig gegeben. Zusätzliche Strukturierungshilfen bieten die Kopfleisten, die zunächst nur den Buchtitel wiederholen und allmählich spezifischere Informationen wie z.B. die Angabe des entsprechenden Buch-

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Deutsche Fachtexte der frühen Neuzeit - ein Resümee

teils präsentieren. Hinzu kommen Randglossierungen (bei Bock oder Rößlin), in denen Gliederungspunkte noch einmal aufgegriffen bzw. Quellenverweise geboten werden und die in den meisten Fällen eine zusätzliche Orientierungshilfe darstellen. Die Abbildungen, die z.T. bereits im Gart nach der Natur gezeichnet und später wesentlich detailgetreuer gestaltet sind, werden in den meisten Fällen in die entsprechenden Kapitel eingebunden, so daß eine eindeutige Zuordnung von Text und Bild gegeben ist. Die zentrale Bedeutung der Abbildungen bei Fuchs (1542, 1543) wird dadurch dokumentiert, daß die Holzschnitte mit Bildunterschrift die ganze Buchseite einnehmen und im Text vereinzelt auf die abgebildete Pflanzenart verwiesen wird. Die Abbildungen, die auch Blüten, Wurzelwerk oder aufgeschnittene Früchte umfassen, sind z.B. bei Camerarius (1586) mit lateinischer und deutscher Legende versehen. Die Anordnung der Pflanzen und der heilkundlich genutzten Tiere oder Mineralien ist nach unterschiedlichen Prinzipien organisiert: Die Serialisierung erfolgt entweder (halb)alphabetisch (d.h. nach dem Erstbuchstaben), wobei im Gart das lateinische Stichwort die Reihenfolge festlegt. Die Reihung des deutschen Kräuterbuchs von Fuchs ist abhängig von der griechischen, bei Dioskurides überlieferten Pflanzenbezeichnung, die auch im lateinischen Werk die Grundlage bildet. In der Gart-Tradition ab Rößlin (1535), bei Bock, Handsch und den späteren Werken ist der Stoff nach Büchern gegliedert, in denen teilweise alphabetisierte Strecken und Gruppierungen nach thematischen Gesichtspunkten abwechseln. So bestimmen z.B. bei Bock die gemeinsame morphologische Gestalt oder der gleiche Standort bzw. eine ähnliche heilkundliche Nutzung gelegentlich die Zusammenstellung von Pflanzenbeschreibungen. Die fehlende hierarchische Ordnung der Pflanzen macht es schwer, zwischen den Gattungen und Arten zu unterscheiden, so daß fast immer mehrere Arten unter einer Pflanzenbezeichnung subsumiert und manchmal wie etwa bei Brunfels mehrere Gattungen in einem Kapitel zusammengefaßt sind. Die Binnengliederung der einzelnen Kapitel erfolgt im Gart lediglich durch die Verwendung des Alinea-Zeichens, wobei auf eine Absatzgliederung verzichtet ist. In den nachfolgenden Werken der volkssprachigen Gart-Tradition wird stets das aus dem Destillierbuch Brunschwigs entnommene Kapitel über das destillierte Wasser und ab Lonitzer (1557) auch die Angabe der Heilkräfte und die Heilwirkun-

Der Einfluß der Textorganisation lateinischer Werke

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gen durch eigene Überschriften abgetrennt. Der naturkundliche Teil der Pflanzenbeschreibungen ist im deutschen Kräuterbuch von Fuchs (1543) - mit den Abschnitten Namen - Arten - Ort des Wachstums Zeit der heilkundlichen Nutzung - am differenziertesten gegliedert, während im heilkundlichen Teil seit Bock (1539, 1556 u.a.) eine Unterscheidung nach innerer und äußerer Anwendung der Droge dominiert. Vor allem in den späten Werken werden starre Binnenstrukturierungen aufgegeben und durch flexible, dem darzustellenden Gegenstand angepaßte Gliederungen ersetzt. Was die Stabilität in der formalen Gestaltung der Überschriften betrifft, so ist sowohl bei der Kapitelüberschrift als auch bei der Binnengliederung ein und dasselbe Muster nur von Fuchs gewahrt. Neben der Nennung der Pflanzenbezeichnung in einer Präpositionalphrase mit von (lateinisch de) bzw. im Nominativ tritt vor allem in der GartTradition ein reiches Repertoire an Erweiterungen hinzu, die aus Erläuterungen, lateinischen Äquivalenten, Kumulationen von Heteronymen oder Nennungen unterschiedlicher Arten etc. bestehen. Dabei nimmt mit Ausnahme des Befunds im Gart die volkssprachige Bezeichnung die erste Stelle ein, der z.B. bei Rößlin und Lonitzer das lateinische Interpretament folgt. Die formale Variation in der Gestaltung der Binnenüberschriften ist hingegen bei Brunfels (1532) am größten, weicht aber relativ schnell festen und stabilen Mustern, wie etwa der Verwendung von Substantivpaarformeln im Nominativ zur Angabe der Heilwirkung.

14.2

Der Einfluß der Textorganisation lateinischer Werke auf die volkssprachigen Kräuterbücher

Einige wesentliche Entwicklungen in der Präsentation des Inhalts zeichnen sich in den lateinischen Kräuterbüchern auffällig früher als in den volkssprachigen Werken ab: So sind die Kapitelüberschriften mit der Dominanz des Musters de + Pflanzenbezeichnung bzw. der bloßen Nennung der Pflanzenbezeichnung deutlich stabiler als vergleichbare volkssprachige Muster, und auch die Binnengliederung der Kapitel ist im lateinischen Hortus sanitatis mit der Abgrenzung der Operations und bei Dorstenius mit einer differenzierten Feingliederung gegenüber ihren deutschen Vorlagen erkennbar ausgeprägter. Die Binnengliederungen der lateinischen Kräuterbücher werden in den

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Deutsche Fachtexte der frühen Neuzeit - ein Resümee

volkssprachigen Umsetzungen kopiert, und zwar am genauesten bei Fuchs. Dies ist umgekehrt, d.h. bei der lateinischen Umsetzung volkssprachiger Werke, nicht der Fall, so daß die dort verzeichneten Ordnungsstrukturen (mit Ausnahme der Bock-Übersetzung durch Kyber; 1552) von ihren volkssprachigen Vorlagen abweichen. Als Orientierungshilfen treten vor allem Register mit der (halb)alphabetischen Auflistung der Pflanzenbezeichnungen auf; eine praxisorientierte heilkundliche Ausrichtung, die sich in den volkssprachigen, nach den Krankheiten geordneten Registern und der Zuweisung entsprechender Medikationen zeigt, ist nur in Ausnahmefällen (z.B. bei Lonitzer) erkennbar. Früher als in den deutschen Werken werden lateinische und griechische Register getrennt und die griechischen Bezeichnungen in griechischer Schrift geboten. Hinzu kommen Glossare zur Erläuterung schwieriger Wörter wie z.B. bei Fuchs, die in den volkssprachigen Ausgaben fehlen. Einen wesentlichen Unterschied in der Titelblattgestaltung lateinischer Werke stellt die größere Varianz hinsichtlich der Buchtitel dar, so daß durch die variatio des Haupttitels im Gegensatz zu den gleichoder ähnlichlautenden volkssprachiger Kräuterbücher eine eindeutige Identifikation der einzelnen Werke gewährleistet ist. Die lateinischen Buchtitel sind dagegen in den entsprechenden volkssprachigen Ausgaben niemals übersetzt, da jeweils ein unterschiedlicher Leserkreis (der Gelehrte vs. der gemeine man) durch Herausstellung werbewirksamer Informationen wie z.B. des besonderen wissenschaftlichen Wertes der lateinischen Werke und des praktischen Nutzens der volkssprachigen Werke angesprochen werden soll. Bei den Pflanzenbeschreibungen liegt aber auch in den lateinischen Werken der Schwerpunkt auf den heilkundlichen Erläuterungen und nicht auf botanischen Ausführungen, die allerdings seit der Mitte des 16. Jahrhunderts zunehmend wichtiger werden. Die Zitierung der Lehrmeinung anerkannter Autoritäten spielt während des gesamten Untersuchungszeitraums, und ganz besonders bei Brunfels (1530 u.a.) und Fuchs (1542), eine überragende Rolle, während der lateinische Hortus sanitatis (1491) noch stark der mittelalterlichen Tradition verpflichtet ist. Die Diskussion zu Bezeichnungs- und Identifikationsproblemen ist in allen frühen lateinischen Kräuterbüchern seit Brunfels von entscheidender Bedeutung. Legitimation und Reputation eines neuen lateinischen Kräuterbuchs erfolgen stets sowohl über die Absi-

Der Einfluß der Textorganisation lateinischer Werke

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cherung des dokumentierten Wissens als auch über die Auseinandersetzung mit der bisherigen Forschungsmeinung. Die Autoren der lateinischen Kräuterbücher wollen einem gebildeten Leser Wissen vermitteln, wobei der Adressat hinter der Apostrophierung der latinitas (der .lateinischen Welt') anonym bleibt. Eine kritische Haltung gegenüber volkssprachiger Überlieferung zeigt sich darin, daß zunächst beinahe ausnahmslos Rezepte antiker Überlieferung vermittelt werden. Warnungen und Mahnungen, die vor Mißbrauch gefährlicher Drogen abschrecken sollen, fehlen ebenso wie unterhaltende Elemente und Erlebnisberichte, die auf der anderen Seite die erzieherisch-didaktischen Absichten der für den gemeinen man schreibenden Fachprosa-Autoren hervortreten lassen. Die Reihenfolge der Abhandlung von Pflanzen, Tieren bzw. Mineralien richtet sich vor allem in der Gari-Tradition nach dem Alphabet der lateinischen Bezeichnung, das in den volkssprachigen Werken als Ordnungsprinzip beibehalten und z.B. bei Lonitzer durch thematische Gruppierungen unterbrochen wird. In der volkssprachigen Kräuterbuchliteratur werden seit den 30er Jahren die mittelalterlich tradierten Bezeichnungen durch klassische lateinische Äquivalente ersetzt. Die Wahl des lateinischen Terminus als Leitform in deutschen Werken ist durch eine Reihe von Faktoren begünstigt: In einigen Fällen fehlt ein volkssprachiges Äquivalent, oder die Identifikation des Bezeichneten mit volkssprachigen Äquivalenten ist nicht eindeutig, bzw. es mangelt an einer überregionalen volkssprachigen Bezeichnung, während sprachlandschaftlich gebundene Äquivalente reichlich belegt sind. Neben der Omnipräsenz des lateinischen Terminus in allen volkssprachigen Kräuterbüchern sind lateinische Krankheitsbezeichnungen mit Ausnahme des volkssprachigen Gart sehr selten; die Krankheiten werden entweder durch volkssprachige Interpretamente ersetzt oder mittels ihrer Symptome beschrieben bzw. durch Oberbegriffe nur unzureichend spezifiziert. Unter Berücksichtigung weiterer domänenspezifischer Verteilungen ist das seltene Vorkommen lateinischer Textpassagen in den deutschen Kräuterbüchern auffallend. Auf dem Titelblatt finden sich Druckprivileg und Ort bzw. die Jahresangabe Anno gelegentlich in lateinischer Sprache. Zweisprachige Titelblätter mit allen Angaben sowohl auf deutsch als auch lateinisch werden bei Bilderausgaben bevorzugt,

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Deutsche Fachtexte der frühen Neuzeit - ein Resümee

die auch die Pflanzenbezeichnungen zweisprachig bieten. Deutschlateinische Mischtitel hingegen, in denen der Haupttitel zweisprachig ist, fielen nur am Beginn und am Ende des 16. Jahrhunderts auf, während sie vor allem im 17. Jahrhundert äußerst zahlreich nachweisbar sind. Das weitgehende Fehlen deutsch-lateinischer Mischtitel in der Kräuterbuchliteratur des 16. Jahrhunderts korrespondiert mit der in Hinblick auf den gemeinen man vermiedenen gelehrten Einflüsse. In den lateinischen Werken ist eine Zusammenstellung der zitierten Autoren am Anfang des Buches üblich, die sich - für Gelehrte - erst gegen Ende des Untersuchungszeitraums bei Tabernaemontanus auch in deutschsprachigen Werken, und zwar als Abschnitt in lateinischer Sprache, findet. Im Beschreibungsteil deutscher Werke kommen zweisprachig gestaltete Legenden bei den Holzschnitten hinzu, die (wie z.B. bei Camerarius) eine Rezeption der als bedeutsam eingestuften Abbildungen über den Kreis der volkssprachigen Leser hinaus unabhängig vom Textteil ermöglichen. Es finden sich auch sporadisch eingeflochtene lateinische Verse oder Alltagsweisheiten mit volkssprachigen Erläuterungen (bei Lonitzer), bibliographische Verweise auf antike Quellen sowie Randglossen in lateinischer Sprache (bei Bock oder Rößlin) oder lateinische Psalmen, die in epilogartiger Funktion am Schluß einzelner Buchteile stehen (bei Bock). Lateinische Rezepte oder Mitteilungen, die nicht für den gemeinen man bestimmt sind, kommen hauptsächlich in arzneikundlich-medizinischen Schriften (wie z.B. bei Fries; 1518) vor, nicht aber in den volkssprachigen Kräuterbüchern. Die lateinischen und volkssprachigen Fachprosawerke divergieren auch in rhetorisch-stilistischer Hinsicht: Die Unterschiede in der Zielsetzung zeigen sich bereits in den Vorworten, in denen die Autoren volkssprachiger Werke fast ohne Ausnahme ihr Vorhaben, heilkundliches Wissen dem Laien zu vermitteln, rechtfertigen, während die Autoren lateinischer Werke die philologischen Leistungen der Vorgänger bei der Rekonstruktion unverfälschter Quellen in Abgrenzung zu der dunklen Phase des Mittelalters würdigen. Die humanistischen Autoren legen dabei den Wertekanon der antiken Rhetorik zugrunde, nach dem die lateinischen Fachtexte in unterweisender Funktion beurteilt werden können: Für die sprachliche Ausgestaltung von Fachprosatexten ist das genus subtile, die niedrige Schreibart, charakteristisch, die im Gegensatz zum ornatus des genus

Der Einfluß der Textorganisation lateinischer Werke

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medium und vor allem des genus grande tritt. Das genus subtile ist durch eine Ausdrucksweise gekennzeichnet, in der latinitas (,grammatikalische Korrektheit') und perspicuitas (.Durchsichtigkeit, Klarheit') als zentrale Merkmale der elegantia die wichtigsten Stilprinzipien darstellen. Bevorzugt wird das verbum proprium, der ,treffende Ausdruck', der eindeutig für eine Sache, die res, steht und sich grundlegend von den uneigentlichen Ausdrücken des Redeschmucks unterscheidet. Ein derartiges Stilprogramm, das am ausführlichsten für die lateinische Übersetzung des volkssprachigen Kräuterbuchs von Bock durch Kyber formuliert wurde, ist für die volkssprachigen Vorworte nicht typisch. Dort wird allenfalls dem rhetorischen aptum gemäß ein einfacher Stil proklamiert, der im Gegensatz zur .geblümten Rede' steht. Daß aber zwischen dem einfachen Stil im Deutschen und Lateinischen dennoch ein Gefälle vorhanden ist, zeigt allein die Haltung der Humanisten gegenüber volkssprachiger Fachprosa, die allenfalls wegen des Inhalts einer Rezeption für würdig erachtet wird. Das Inferioritätsverhältnis der Volkssprache gegenüber Latein kommt darüber hinaus besonders deutlich in den volkssprachigen Schreiblehren und Vorworten von Klassikerübersetzungen zum Ausdruck: Bemängelt wird dort der Zustand der Volkssprache, der durch fehlende Sprachpflege in grammatikalischer Hinsicht und durch Mangel an der copia verborum gekennzeichnet sei. Das Vorhandensein einer .ausreichenden Menge von Wörtern' ist die Voraussetzung dafür, zum einen die richtige Bezeichnung (verbum proprium) einer Sache und zum anderen eine variatio des Ausdrucks u.a. durch Bereitstellung von Synonymen zu gewährleisten. Die syntaktisch-stilistische Ausgestaltung der volkssprachigen Kräuterbücher entspricht wesentlichen Merkmalen des einfachen Stils: Der Satzbau ist überwiegend parataktisch organisiert, wobei etliche Aufzählungen oder Vergleiche mit Bekanntem der Veranschaulichung dienen. Das Bemühen um die .richtige Benennung' äußert sich zum einen in der Ersetzung der überkommenen Pflanzenbezeichnungen durch die klassischen Termini und in der Zuordnung der .richtigen' volkssprachigen Äquivalente sowie zum anderen bei den Krankheiten, die bei Fehlen eines (überregional gebräuchlichen) verbum proprium in der Volkssprache vor allem in den medizinischen Texten mit dem üblichen (griechisch-)lateinischen Terminus bezeichnet werden.

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Deutsche Fachtexte der frühen Neuzeit - ein Resümee

Betrachtet man die stilistischen Neubearbeitungen von Vorgängerwerken, so fallen Wortersetzungen, Kürzungen durch Univerbierungen und Beseitigungen von Redundanzen auf, die zur Präzisierung und Deutlichkeit der Aussage beitragen. Optimiert wird auch die Präsentation der Rezepttexte, die ansatzweise schon bei Bock und dann hauptsächlich bei Sebizius (1577) stereotyp nach einem standardisierten syntaktischen Muster dargestellt sind. Im gesamten Untersuchungszeitraum zeigt sich aber generell eine gewisse Stabilität der Darstellungsmuster in der katalogartigen Anordnung der Medikationen mit regelmäßiger Nennung der Pflanzenbezeichnung. Von der stilistischen Ausgestaltung der Pflanzenbeschreibungen hebt sich die Vorrede und ganz besonders die Widmungsvorrede an einen sozial hochgestellten Empfänger ab. Hier werden kanzleisprachige Einflüsse greifbar, da dem ständischen decorum gemäß eine syntaktisch-stilistisch aufwendigere Gestaltung beobachtet werden kann, die sich in monströsen Satzperioden, in Zwillings- und Drillingsformeln, in der reichen Verwendung von Redeschmuck und in einer Reihe weiterer prestigeträchtiger Merkmale äußert. Diese erweisen sich als verständnishemmend und dienen gerade aufgrund des höheren Zeitaufwands, den ihre Rezeption erfordert, als Indiz für die sozial herausgehobene Position des Empfängers.

14.3

Strategien der volkssprachigen Umsetzung lateinischer Werke

Die Umsetzung lateinischer Werke in die Volkssprache wurde angesichts unterschiedlicher Intentionen der Autoren auf verschiedene Weise gelöst. In den deutschen Kräuterbüchern von Brunfels (1532, 1537) und Fuchs (1543) wird die in den lateinischen Vorlagen gebotene Anordnung des Stoffes nach den zitierten Autoritäten aufgegeben und der Text (mit größeren Abstrichen im heilkundlichen Bereich) nur zum Teil auch übersetzt. Grundsätzlich ist der botanisch-naturkundliche Abschnitt stärker an die lateinische Vorlage gebunden als die heilkundlichen Teile. Neben Kürzungen zeigen sich Veränderungen gegenüber der lateinischen Version auch darin, daß neutrale Berichte der lateinischen Fassung in der volkssprachigen Umsetzung zu adressatenbezogenen Warnungen modifiziert, Rezepte vereinfacht bzw. aus-

Strategien der volkssprachigen Umsetzung lateinischer Werke

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getauscht werden, daß neue Rezepte hinzukommen und etliche an die Gelehrten gerichtete Hinweise und Vergleiche entfallen. Wortgetreue Wiedergaben finden sich vor allem in den Übersetzungen antiker Werke (wie z.B. in der Dioskurides-Übersetzung durch Dantz (1546, 1610) oder der Celsus-Übersetzung durch Küffher (1531, 1539)). Diese sind ausschließlich sensus de ie/ww-Übersetzungen, in denen lateinische Konstruktionen ohne Entsprechung im Deutschen durch funktionsgleiche volkssprachige Strukturen (wie z.B. der A.c.I. durch daß-SätzQ) wiedergegeben werden. Die besonders im Vorwort auftretenden syntaktisch komplexen Satzperioden des Lateinischen werden in Satzgefüge mit Unterordnung ersten oder zweiten Grades aufgelöst, wobei die text- und satzverknüpfenden Mittel mit einem hohen Anteil anaphorisch und kataphorisch gebrauchter Demonstrativpronomina, Adverbien oder Partikeln weitgehend beibehalten sind. Neben der syntaktischen Vereinfachung unter Beibehaltung der meisten kohäsionsstiftenden Mittel verwenden die Übersetzer vor allem Paarformeln zur Wiedergabe schwieriger theoretischer Begriffe oder medizinischer Fachtermini. Sie finden sich bei Umschreibungen oder Angaben von sprachlandschaftlich gebundenen Lexemen, wenn ein eindeutiges und verbreitetes verbum proprium in der Volkssprache fehlt. Darüber hinaus entsprechen volkssprachige Paarformeln lateinischen Doppelformen in stilistischer Funktion, die gehäuft im Vorwort als Signal einer bewußten stilistischen Gestaltung auftreten. Schließlich kommen vor allem bei Verben in Endposition von Nebensätzen über die lateinische Vorlage hinausgehende Paarformeln zur Markierung von Satzgrenzen hinzu. Die Wiedergabe lateinischer Krankheitsbezeichnungen ist angesichts des Fehlens stabiler verba propria und sprachlandschaftlicher Unterschiede durch eine Vielzahl (teil)äquivalenter Varianten gekennzeichnet, die wegen fehlender Bezeichnungskonstanz eine schnelle Rezeption durch den Leser eher erschwert. Wenngleich auch im Lateinischen keine .eindeutige' Stabilität erreicht ist, sind die Schwankungen im Vergleich zur deutschen Version äußerst gering. In der Übersetzung stehen die verwendeten volkssprachigen Bezeichnungen - es handelt sich meist um durchsichtige Komposita, Ableitungen oder um Nominalgruppen - teils für eine spezifische Krankheit, teils unspezifisch als Oberbegriff für eine Reihe ähnlicher Erkrankungen bzw. in weiteren Fällen für die Krankheitssymptome (vgl. z.B. Greckigkeyt zur Wiedergabe von lippitudo ,Augenfluß, Triefäugigkeit' im engeren und

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Deutsche Fachtexte der frühen Neuzeit - ein Resümee

weiteren Sinn (als Oberbegriff), von arida lippitudo u.a. .eitrige Bindehautentzündung' sowie pituita ,Augenschleim' bei Küffner). Hinzu kommt eine stilistische Modifikation der Begriffe nach dem Stilprinzip der variatio bei Häufungen ein und derselben Krankheitsbezeichnung im unmittelbaren Kontext. Obwohl die volkssprachigen Umsetzungen lateinischer Werke durch die semantische Unschärfe der volkssprachigen Fachbegriffe, etliche folgenschwere Übersetzungsfehler oder elliptische und daher mißverständliche Wiedergaben gekennzeichnet sind, kann auf der anderen Seite eine Reihe verständnissichernder Maßnahmen beobachtet werden, die teils mit denjenigen der lateinischen Humanistenausgaben korrespondieren, teils darüber hinausgehen. So werden Überschriften und Randglossen übernommen, wobei sich die Nähe zu den lateinischen Vorgaben in der Präferenz bestimmter syntaktischer Muster wie der Präpositional- oder Nominalphrase in Überschriften zeigt. Über lateinische Vorgaben hinaus werden Überschriften und Randglossen zur Wissensvermittlung genutzt, indem fremdsprachige Krankheits- oder Drogenbezeichnungen mit deutschen Äquivalenten versehen oder hinsichtlich ihrer Symptome erläutert bzw. durch Angabe von Oberbegriffen beschrieben werden. Die in den lateinischen Randglossen gebotenen Lesartvarianten bzw. die Hinweise auf in der weiteren Literatur anzutreffende Parallelstellen treten in der volkssprachigen Übersetzung gegenüber dem Anliegen der Verständnissicherung und der Praxisorientierung (z.B. mit Nennung alternativer Heilmittel) deutlich in den Hintergrund. In der Ausgestaltung des Autor-Adressatenbezugs macht sich der Einfluß der lateinischen Vorlage in der Vermeidung der direkten Anrede an den Leser (mit du) bemerkbar, da die Vielzahl der lateinischen Passivstrukturen sowie unpersönlichen Konstruktionen bei der Umsetzung durch das Indefinitpronomen man aufgelöst wird und nur in den Rezepten im Unterschied zum Lateinischen gelegentlich die Rezeptinitiale Nim auftritt. Die (unterschiedlich ausgeprägte) Vermeidung eines direkten Adressatenbezugs und die damit verbundene Entkontextualierung des Textes ist ein wesentliches Merkmal von Übersetzungen und Bearbeitungen lateinischer Vorlagen: So werden etwa in der wortgetreuen Übersetzung der Chirurgie Tagaults (1543) durch Zechendorfer (1574) die Handlungsanweisungen des Lateinischen fast durchweg mit man wie-

Strategien der volkssprachigen Umsetzung lateinischer Werke

515

dergegeben und auch die lateinische Rezeptstruktur weitgehend imitiert. Dagegen sind in einer volkssprachigen Bearbeitung des lateinischen Werkes, in der .großen Chirurgie' (1545) des Walther Hermann Ryff, zwar ein deutliches Ansteigen direkter Handlungsanweisungen mit du sowie Rezepte nach volkssprachigem Muster mit Imperativketten nachweisbar, aber der persönliche Adressatenbezug ist im Vergleich zu den Werken des Autors ohne (direkte) lateinische Vorlage deutlich schwächer ausgeprägt. Am Beispiel der .großen Chirurgie' Ryffs können darüber hinaus die folgenden Strategien der Bearbeitung des neulateinischen Chirurgiehandbuchs beobachtet werden: Die einzelnen Buchteile der Vorlage bleiben in inhaltlicher Hinsicht zwar erhalten, sind aber in der volkssprachigen Fassung insofern stark modifiziert, als Umstellungen, Neukonzeptionen und Erweiterungen um neue Kapitel vorgenommen werden. Bei den übernommenen Kapitelteilen handelt es sich um partielle Übersetzungen oder Paraphrasierungen, wobei vieles ausgelassen und manches ergänzt ist. Wortgetreu wiedergegeben werden stets die zusammenfassenden Merkhilfen, die numerisch gegliedert sind und als ein kurzer praxisorientierter Wegweiser mit den wichtigsten Ergebnissen fungieren. Die Art und Weise der Darstellung im lateinischen Werk prägt hingegen wesentlich deutlicher die volkssprachige Umsetzung: Dies zeigt sich an der Wichtigkeit von Präsentation und Erläuterung lateinischer Benennungen anatomischer Teile oder Krankheiten, wodurch die .große Chirurgie' in die Nähe eines Terminologiehandbuchs gerückt wird. Hinzu kommt die Erörterung der Meinung anerkannter Autoritäten, wobei ausschließlich antike Ärzte zitiert werden. Es dominieren die benennenden, beschreibenden und erklärenden Anteile; hiermit tritt die ,große Chirurgie' in Kontrast zu der an den angehenden Wundarzt gerichteten .kleinen Chirurgie' Ryffs (1542), in der der Anweisungscharakter die vorherrschende Darstellungsart ist. Werden dort fast alle Schilderungen als Handlungsanweisungen an den direkt apostrophierten Adressaten formuliert und eine Vielzahl von Rezepten geboten, so zeigt sich das Zurückdrängen der adressatenorientierten Perspektive in der .großen Chirurgie' auch in einer drastischen Reduktion der vermittelten Rezepte. Bei allen textkommentierenden Hinweisen des Autors bleibt in beiden Werken die Adressatenanrede erhalten. Während in der .kleinen Chirurgie' auch Absatzgliederungen in kataphorischer Funktion als

516

Deutsche Fachtexte der frühen Neuzeit - ein Resümee

adressatenorientierte Aufforderungen (z.B. Ψ eitler soltu mercken) be-

gegnen, kann für die .große Chirurgie' wie schon in der lateinischen Vorlage eine Entpragmatisierung der Textkonnexionen (z.B. zu Weitter) beobachtet werden. In sprachlich-stilistischer Hinsicht begegnen in den übersetzten Teilen bei Ryff außerordentlich komplexe Satzgefüge z.T. in Nachahmung lateinischer Satzperioden, die - trotz aller Bemühungen um die Verbesserung der Verständlichkeit auf pragmatischer Ebene - verständnishemmend wirken. Hinzu kommt eine auffallende Häufung von Konstruktionen, die über das in volkssprachigen Werken übliche Maß hinausreichen: Zum einen ist eine Vielzahl von Infinitivkonstruktionen zur Wiedergabe lateinischer Partizipien oder komplexerer Nebensätze und zum anderen umfangreiche Verbalkomplexe mit Modalitätsverben wie pflegen oder beduncken belegt, die lateinischen Konstruktionen mit solere oder videri entsprechen. Die im neulateinischen Text massenhaft auftretenden Substantivabstrakta führen dazu, daß überdurchschnittlich viele Nominalisierungen in der volkssprachigen Bearbeitung vorkommen, die Verbalabstrakta auf -ung bzw. Adjektiv- oder Verbkonversionen darstellen und das markanteste Stilmerkmal der Ryffschen Bearbeitung ausmachen. Daß es sich hierbei nur um eine stilistische Möglichkeit neben anderen handelt, zeigt die Zechendorfer-Übersetzung, in der die umfangreichen Verbkomplexe fehlen und Nominalisierungen zwar nicht grundsätzlich vermieden werden, in der aber die verbale Auflösung lateinischer Abstrakta deutlich bevorzugt ist. Die (zeitlich frühere) Bearbeitung steht demnach in sprachlich-stilistischer Hinsicht dem lateinischen Original näher als die spätere Übersetzung, in der umfangreiche Satzgefüge, Infinitivkonstruktionen und komplexe Verbalstrukturen sowie die Nominalisierungen eher selten nachweisbar sind. Demgegenüber kommt der Bearbeitung in inhaltlicher und pragmatischer Hinsicht im Vergleich zum lateinischen Original größere Eigenständigkeit zu als der Übersetzung mit wortgetreuer Adaption der Vorlage. Die in der vorliegenden Untersuchung herangezogenen Übersetzungen und Bearbeitungen sind alle nach 1530 erschienen und dadurch gekennzeichnet, daß dem Deutschen fremde lateinische Konstruktionen nicht bzw. kaum mehr nachgeahmt, sondern durch äquivalente deutsche Konstruktionen ersetzt werden. Kennzeichnend ist der sprachlichstilistische Einfluß, der sich in einem größeren Umfang der Satzgebil-

Verfahren der Textoptimierung

517

de, in einer Bevorzugung bestimmter Textkonnektoren, im häufigen Gebrauch infiniter Konstruktionen und von Nominalisierungen sowie auch in der Ellipse von Hilfsverben in Nebensätzen zeigt. Derartige Merkmale treten in Abhängigkeit von lateinischen Texten besonders häufig auf, können aber auch je nach Stilintention des Autors bewußt vermieden werden. Eine größere Übereinstimmung lassen die untersuchten Werke hinsichtlich der lateinischen Terminologie erkennen, die nicht - wie in manchen volkssprachigen Werken ohne lateinische Basis - bewußt vermieden, sondern übernommen und erläutert wird. Gemeinsam ist den Werken auch das Vorherrschen indirekter Adressatenbezüge, die teilweise zur Aufgabe indigener Rezeptmuster durch Nachahmung des lateinischen Rezeptstils führen. Anhand der untersuchten Texte bestätigt sich die im Forschungsbericht erörterte Annahme, daß durch Nachahmung lateinischer Stilmerkmale eine Erweiterung der stilistischen Möglichkeiten des Deutschen im Sinne der variatio geschaffen wurde. Die Förderung bestimmter Strukturen unter lateinischem Einfluß führt dazu, daß neben traditionellen Ausdrucksmitteln neue Stilvarianten auftreten, die zwar schon zuvor in der Volkssprache bekannt, nun aber dem Stilideal der copia verborum und variatio entsprechend auch in volkssprachigen Texten der frühen Neuzeit wichtiger werden. Die rhetorischen Postulate des genus subtile stehen mit den Bedürfnissen der Autoren in Einklang, durch Bezeichnungsadäquatheit für die Rezipienten verständlich zu sein sowie durch maßvolle syntaktisch-stilistische Variationen eine der Lesermotivation abträgliche Monotonie zu vermeiden.

14.4

Verfahren der Textoptimierung in ausgewählten volkssprachigen Bearbeitungen

Die aus der Mitte des 16. und dem Beginn des 17. Jahrhunderts stammenden Bearbeitungen volkssprachiger Fachprosa aus den Bereichen Chirurgie und Destillierkunst sind durch zahlreiche rezeptionserleichternde Maßnahmen gekennzeichnet, die in der optischen Präsentation des Textes einen großen Fortschritt allein durch die Abhebung von Kapitelüberschriften sowie durch häufigere Spatien und Absätze dokumentieren. Eine rasche Orientierung ermöglichen zudem Randglossen

518

Deutsche Fachtexte der frühen Neuzeit - ein Resümee

und Überschriften, die prägnant auf das Wesentliche reduziert sind und daher schnell rezipiert werden können. Die Chirurgie Gersdorffs (1517) wird in der Ryffschen Bearbeitung (1556) durch eine Reihe verständnissichernder Maßnahmen leserorientiert aufbereitet, wozu die enge Bild-Text-Koordination ebenso zählt wie die Vergleiche aus der Alltagswelt zur Veranschaulichung anatomischer Teile. Der Text ist weitgehend popularisiert: Das zeigt sich in der Aufgabe der Zitierung von Autoritätenmeinungen und der damit verbundenen starken Textkürzung, in der Vermeidung der Angabe von (meist falschen) Etymologien sowie in der Revision und Ergänzung von Rezepten. Veraltete, sprachlandschaftlich gebundene bzw. verballhornte Wörter werden weggelassen oder ausgetauscht, lateinische Drogenbezeichnungen durch deutsche ersetzt. Neben den Popularisierungsmaßnahmen ist der Text in sprachlichstilistischer Hinsicht durch Rationalisierung und Entpragmatisierung gekennzeichnet. Die Straffung der Darstellung wird durch Streichung von Überflüssigem in den Überschriften, Vermeidung von Wiederholungen, Vereinfachung der Satzstruktur (z.B. durch Gleichschaltung von Nebensätzen) und Wegfall versprachlichter Präsuppositionen erreicht. Die Entpragmatisierung zeigt sich in der Aufhebung der Kontextgebundenheit von Äußerungen, die sich vor allem im Auslassen anaphorischer und kataphorischer Deiktika bemerkbar macht. Persönliche Notizen des Autors und manche wertenden Adjektive werden nicht übernommen und die icÄ-Nennungen deutlich reduziert. Der Adressatenbezug ist durch Wegfall des Personalpronomens oder der Rezeptinitiale Nim sowie durch fehlende textgliedernde Phrasen (z.B. Nun vermerck hye) auffallend verringert. Ergebnis der Kürzungen ist ein gestraffter und versachlichter Text, in dem verständnissichernde Maßnahmen von großer Bedeutung sind. Alle angewandten Verfahren fallen unter das Stilideal der brevitas und fördern die perspicuitas des Textes, wobei durch die Erläuterungen fremdsprachiger Fachbegriffe bzw. durch deren Ersetzung ein Bemühen um die Etablierung von verba propria erkennbar ist. Die etwa hundert Jahre später erfolgte Bearbeitung der Brunschwigschen Destillierbücher (1500, 1512) durch Uffenbach (1610) zeichnet sich durch tiefgreifende Veränderungen in der syntaktischen Struktur und in der stilistischen Gestaltung aus. Die den Brunschwig-Text bestimmenden Verbperiphrasen mit sein, tun oder machen und Infinitiv sind bei Uffenbach vollständig aufgegeben. Dort ist ferner die

Verfahren der Textoptimierung

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Tendenz feststellbar, verbale Konstruktionen der Vorlage in Nominalisierungen zu transponieren. Die umfangreichen Satzgebilde mit geringer Varianz in der Konjunktionenwahl und unüberschaubarer Binnenstruktur werden durch Satzgefüge mit semantisch distinktiven Konjunktionen und weitgehend durchsichtiger Satzorganisation ersetzt. Besonders auffallend sind aber die häufigen Wortvariationen, die bei Uffenbach anstelle stereotyper Wendungen der Vorlage stehen. Wenn die bei Medikationen gebotene Formulierung ist gut für durch präzisere Ausdrücke im Sinn des verbumproprium ersetzt wird, dann handelt es sich zum einen um Variationen, die der semantischen Präzisierung dienen. Zum anderen aber werden Wendungen auch dann variiert, wenn das Nacheinander einer Abfolge oder der Verweis auf Abbildungen bezeichnet werden soll. In diesen Fällen liegt ausschließlich eine stilistisch motivierte Variation ohne semantischen .Mehrwert' vor, die der Vermeidung von Wiederholungen dient und die copia verborum des Deutschen unter Beweis stellt. Hierin sind Ansätze einer bewußten stilistischen Gestaltung zu .größerer Zierlichkeit' erkennbar, die die Grenzen des genus subtile mit der Suche nach dem verbum proprium, der einen - adäquaten - Bezeichnung für eine Sache, bereits übersteigt. Resümierend zeigt sich, daß die Fachsprache der frühneuzeitlichen Fachtexte in ihrer Heterogenität und in der Instabilität der Fachbegriffe noch weit von den an moderne Fachsprachen gestellten Anforderungen entfernt ist. Trotz einer starken Traditionsgebundenheit der Inhalte werden zunächst antike Meinungen korrigierend überliefert und allmählich neue Erkenntnisse präsentiert. Die Formen der Darstellung sind sukzessive einem Wandel unterzogen, wobei ihre Ausrichtung an den gemeinen man besondere Strategien der Wissensvermittlung und der Leseoptimierung erfordert. Die erste, wichtige Stufe stellt das Postulat nach Verständlichkeit dar, das mit der sprachlichen Klarheit als Grundvoraussetzung für das Gelingen von Kommunikation überhaupt verbunden ist. Sie geht einher mit einer mehr oder weniger vollzogenen Entpragmatisierung der Texte, die vor allem in Übersetzungen oder Bearbeitungen zu beobachten ist. Erst zu Beginn des 17. Jahrhunderts werden schließlich von einzelnen Autoren stilistisch höhere Ziele selbst in der Fachprosa für jedermann verfolgt. Die dort formulierten stilistischen Postulate deuten bereits auf die Anliegen der Sprachgesellschaften voraus, das Deutsche

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Deutsche Fachtexte der frühen Neuzeit - ein Resümee

zu einer dem Lateinischen ebenbürtigen Literatursprache auszubauen. Die Überprüfung der Frage, in welchem Umfang Autoren und Bearbeiter von Fachprosatexten im 17. und 18. Jahrhundert an diesem Prozeß teilhaben, bleibt jedoch genauer zu untersuchen. Mit der volkssprachigen Fachprosa des 16. Jahrhunderts liegt ein Musterbeispiel enger Verflochtenheit zwischen der lateinischen und deutschen Wissenschaftskultur vor. Fokussiert wurden bislang allzu oft die inhaltlichen Bindungen lateinisch vermittelten Wissens, die bis in die Neuzeit hinein das tragende Fundament gelehrter Betätigung bildeten und mit dem Postulat der uneingeschränkten Gültigkeit der in antiken Quellen transportierten Inhalte wohl ihren Höhepunkt erreichten. Die Profilbildung volkssprachiger Fachprosa, die im 16. Jahrhundert nicht abgeschlossen ist, geschieht in Übersetzungen, Bearbeitungen oder inhaltlichen Adaptionen vor dem Hintergrund lateinischer Schriftlichkeit. In Auseinandersetzung mit den neuen kommunikativen Verhältnissen werden Darstellungs- und Textoptimierungsstrategien notwendig, die seit alters her zum Themenkreis der antiken Rhetorik gehören und nun als übereinzelsprachlich gültige kommunikative Prinzipien neu .entdeckt' werden können. Das Ergebnis ist eine Fachprosa, die allmählich an Konturierung in syntaktisch-stilistischer Hinsicht, an Stringenz in Darstellung und Anordnung und an Transparenz durch leserorientierte Hilfestellungen gewinnt. Angesichts ihrer pädagogischen Ausrichtung an jedermann' kommt sie der populärwissenschaftlichen Sachliteratur der Gegenwart recht nahe.

Bibliographie 1

Quellenverzeichnis

1.1 Kräuterbücher und materia

medica-Literatur

Hieronymus Bock 1546 Kreüter Buch. || Darin Vnderscheid/ Würckung || vnd Namen der Kreüter so in Deutschen Lan=\den wachsen/ Auch der selbigen eigentlicher vnd wolge= I gründter gebrauch inn der Artznei fleissig darge= || ben/ Leibs gesundheit zu behalten vnd zu ßr- || deren seer nutzlich vnd tröstlich/ Vorab || dem gemeinen einfaltigen man. || Durch H. Hieronymum Bock aus lang =\\ wiriger vnd gewisser erfarung be= \schriben/ Vnd. jetzund || Von newem fleissig übersehen/ gebessert \\ vnd gemehret/ Dazu mit hüpschen artigen || Figuren allenthalben gezieret. || Darüber findestu || Drei volkomene nutzliche Register/1| vnder welchen/ Das erst die gemeine Latinische vnd || Griechische Namen der Kreüter hat/ Das an = I der die Deutsche/ Das dritt die anzeig der || Artznei vnd rhat ßr allerlei kranck || heiten vnd leibs gepresten. || Mit Keiserlicher Freiheit auff Siben Jar. || M.D.xlvj. || letzte Seite: Gedruckt zu Straßburg bei Wendel Rihel/1| den ersten Aprilis/ Jm Jar. I M. D. XLVI. Signatur: UB Erlangen 2 Trew. F 219 [= VD 16 Β 6016] 1553

VERAE ATQVE || AD V1WM EX PRESSAE IMAGINES || OMNIVM HERBARVM, FRVTICVM, ET ARBORVM, QVA=\\rum nomenclaturam, & descriptions uir hac in re citra controuer= || siam doctiss. Hieronymus Bockius in suo tum Germanico, || tum latinitate donato, ac recens cedito Herbario || comprehendit, nunc primum hac minori || forma in gratiam & utilitatem om I nium Herbarice rei studio || sorum excusce. || Eigentliche vnd Warhafftige abbildung || vnnd Contrafactur aller Kreutter/ Stauden/ Hecken vnnd || Beum/ so der Wolgelerte Herr Hieronymus Bock/ in seinem || newlich außgangenen Latinischen vnd Teutschen Kreutter | buch begriffen/ Jetzund inn dise kleinere form ge= || stellet allen den jenigen zu nutz vnd güt/1 so die Kreutter selber zusuchen || vnd zu erfaren lust || hettind. || Gedruckt zu Straßburg bei Wendel || Rihel/ Jm jar M.D.Liij. Signatur: UB Erlangen 4 Trew. X 953 [= VD 16 Β 6027]

522 1556

Bibliographie

Kreüter Büch. || Darinn Vnderscheidt/ Namen || vnnd Würckung der Kreutter/ Stauden/ Heck= || en vnnd Beumen/ sampt jhren Früchten/ so in Deutschen Landen || wachsen/ Auch der selbigen eigentlicher vnnd wolgegründter ge= I brauch inn der Artznei! fleissig dar geben/ Leibs gesund = || heit zu fördern vnd zu behalten sehr nutzlich || vnd tröstlich/ Vorab dem gemeinen || einfaltigen Man. || Durch H. Hieronymum Bock aus lang= || wiriger vnd gewisser erfarung beschriben/\ Vnd jetzund || Von newem fleissig übersehen/ gebessert vnd || gemehret/ Dazu mit hilpschen artigen vnd l&blichen || Figuren der Kreutter allenthal= \\ben gezieret. || Darüberfindestdu || Drei volkommene nutzliche Register/\\ vnder welchen/ Das erst die gemeine Latinische vnd || Griechische Namen der Kreutter/ Stauden/ Hecken || vnd Beumen hat/ Das ander die Deutsche/1| Das dritt die anzeig der Artznei vnd || raht für allerlei kranckheiten || vnd leibs gepresten. || Mit Keiserlicher Frei [Blattstück fehlt] Gedruckt zu Straßburg/ im || Jar M.d.lvj. || letzte Seite: Gedruckt zu Straßburg durch Josiam Rihel. || Nach Christi vnsers Herren geburt/ als || man zalet || M. D. LVI. Signatur: UB Erlangen 2 Trew. G 118 [= VD 16 Β 6018]

Hieronymus Bock/David Kyber 1552 HIERONYMI fl TRAGI, DE STIRPIVM, MAXIME\\ EARVM, QVAE IN GERMANIA NOSTRA NASCVNTVR, || usitatis nomenclaturis, proprijsqae dijferentijs, neqae. non || temperaturis ac facultatibus, Commentariorum || Libri tres, Germanica primum lingua con = || scripti, nunc in Latinam conuersi, In= || terprete DAVIDE KYBERO|| Argentinensi. || HIS ACCESSERVNTA FRONTE PRAEFAnONESDVAE:\\ altera D. CONRADI GESNERI Tigurini, Medici clarißimi, rei herbarice scri= \\ptorum, qui in hunc usque diem scripserunt, catalogum complectens: altera ipsius Au-1| thoris, herbarice cognitionis laudes, & alia nonnulla scitu tum necessaria, tum iucund-1| dißima, continens. || PRAETEREA, COROLLARII VICE ADCALCEM OPERIS, || adiectis est Benedicti Textoris Segusiani de Stirpium differentijs, ex Dioscoride secun = || dum locos communes, Libellus, omnibus plantaris cognitionis studiosis || utilißimus. || AD HAEC INDICES SEX: QVIBVS NON TANTVMj Nomenclaturce Grcecce, Latince, Germanica, Arabicce, Hebra= || icceqae, sed & morborum curationes optimo ordine || indicantur, subiunximus. || Cautem est Priuilegio Caroli V Imperatoris, ne quis intra || septennium Typography ά se impressum cedat: aut || aliunde empta uendat. [bei Wendelin Rihel 1552] Signatur: UB Erlangen Med. III, 247 [= VD 16 Β 6026]

Kräuterbücher und materia medica-Literatur

523

Hieronymus Bock/Melchior Sebizius 1577 Kreütterbuch. || Darin vnderscheidt, Nam= ||men, vnd, Würckung der Kreütter, Stau = || den/ Hecken vnnd Beumen/ sampt jhren Früchten/ so inn || Teutschen Landen wachsen/ auch der selben eigentlicher vnnd wolgegründter Gebrauch inn der || Artzney/ fleissig dargeben/ Leibs gesundtheit zu firdern vnd zu behalten/ sehr || nützlich vnd tröstlich/ beuorab dem Gemeinen vnd || Einfaltigen Mann. || Jtem von den vier Elementen/ zamen vnd wilden Thie= || ren/ auch Vbglen vnd Fischen/ Milch/ Käß/ Butter/ Honig/ Wachß/ Zucker/ Saltz/1| Brot/ Wein/ Eßig/ Oely/Eyer/ Blüt/ Schmaltz/ Vnschlit/ allerhand Kochkreütter/ Specerei || vnd Gewürtz. Auch wie alle Speiß vnd Dranck/ Gesunden vnd Krancken/1| dargereicht werden sollen. || Alles durch H. Hieronymum Bock/ auß langwiriger || vnd gewisser erfahrung beschriben. || Jetzund auffs new mit allem fleiß vbersehen/ vnd mit vilen nützlichen Experimenten I gebessert vn gemehret. Auch wie man die Kreütter zü rechter Zeit samlen vn Distillieren soll. || Durch den Hochgelehrten MELCHIOREM SEBIZIVM Silesium, || der Artzney Doctorn zu Straßburg. || Sampt Fünff nützlichen Registern. || Mit Rbm. Kay. May. Freiheit auff acht Jar. || Gedruckt zu Straßburg/1| durch Josiam Rihel. || letzte Seite: Gedruckt inn der Freyen || Reichsstat Straßburg/ durch || Josiam Rihel. I M. D. LXXVII. Reprint München 1964

[ = VD 16 Β 6022]

Otho Brunfels 1530

HERBA\\RVM\\ VIVAE EICONESI ad nature imitationem, suma cum || diligentia et artifico effigiate, || unä cum EFFE= || CTIBVS earundem, in gratiam ue= I teris illius, & iamiam renascentis || Herbarice Medicince, || PER OTH. BRVNF. | recens editce. M.D.XXX. || 5 Quibus adiecta ad calcem, || APPENDIX isagogica de usu & ad= || ministratione SIMPLICIVM. || Item Index Contentorü singulorum. || Argentorati apud Ioannem Schottü, cum || Cces. Maiest. Priuilegio ad Sexennium. I letzte Seite: 1 ARGENT, per Io. Schottum, C 4 = || ROL. Imp. V. Anno 10. CHRI= 177 [!] uero eruatoris, 1530. Signatur: UB Erlangen 2 Trew. F 212 [ = VD 16 Β 8499]

524

1531

Bibliographie

NOVl\\ HER\\BARII\\ TOMVS .II. || PER OTH. BRVNF. || recens editus, M.D.XXXI. I f Continens quce uersa pagina | subnotantur. | ARGENT, apud Ioannem Schottum, | cum Cces. Maiest. Priuilegio ad Sexenniü. Signatur: UB Erlangen 2 Trew. Ε 165

1536

[ = VD 16 Β 8500]

TOMVS 1 HERBARII\\ OTHONIS BRVNFELSII|| ///|| COROLLARIIS|| Operi prcefixis, quibus respondet || Calumniatoribus suis: passim || Errata qucedam priorum || TOM. diluens. || LECTORI II S. Habes tandem Lector candide, desyderatum Opus OTH. quod prematura morte raptus, posthumium reliquit, monumentum inque laboris sui, quem Herbarum indagationi tanto studio, eaque diligentia impend.it, ut immortalis ilium gloria, non immerito sequatur, uirum & pietate & eruditione nostri seculi darum, quemque iure ceques ueterum etiä stemmatibus. Tu lege, & fruere gratus. 1 VALE. || Cum Cces. Maiest. Priuilegio ad Sexennium. || ARGENT, apud Ioannem Schottum. I M.D. XXXVI. letzte Seite (hinter dem 2. Teil von Tomus 2)

f APODIXIS Germanica sua ipsius serie sese legenti offert: || f ARGENTORATI apud Ioannem || Schottum librarium. XIIII. Febr. || Anno. M.D.XXXII. 1 [...]

CVM Gratia & priuilegio Imperatorice || Maiestatis ad Quinquennium.

Signatur: UB Erlangen 2 Trew. D 523

1532

[ = V D 16 Β 8501]

Contrafayt Kreüterbüch || Nach rechter vollkommener art/vnud [\] \ Beschreibungen der Alten/ besst= || berämpten hrtzt! vormals || in Teütscher sprach/1| der masßen nye || gesehen/ noch im Truck außgangen. || Sampt einer gemeynen Jnleytung der Kreüter vrhab/ erkant= || nüsß/ brauch/ lob/ vnd herrlicheit. || Durch Otho Brunnfelß || Newlich beschriben. || M.D.XXXII. || f Mit eim besonderen Register/ zum fleissigsten verordnet auff || allerley kranckheyten/ nach anzeyg der Kreüter kraffi so hyer= || inn begriffen. Bey dem auch ein Kreüter Register, mit sein || en Synonymis vnd beynammen. || Mit Keiszerlicher Maiestbt Freyheit || vff Fünff jar/ nit nachzütrucken. rc. bey der pen || fünff marck Wtigs golds. || 1 Zu Strasßburg bey Hans Schotten || zum Thy ergarten. Reprint München 1975

[ = VD 16 Β 8503]

Kiäuterbücher und materia medica-Literatur

1537

525

ANder Teyl des Teütsch || en Contrafayten || Kreüterbüchs. || Durch Doctor Otth [!] Brunnfelß || zusammen verordnet vnd || beschriben. || M.D.XXXvij. || Mit Keyserlicher Maiestät Freyheyt || vff Sechs jar. || 1 Zu Strasszburg bey Hans Schotten zürn Thyergarten. Reprint München 1975 [= VD 16 Β 8503]

Joachim Camerarius 1588 HORTVS\\ MEDICVS ET PHI-1|LOSOPHICVS: IN QVO\\ PLVRIMARVM STIRPIVM BRE-1| VES DESCRIPTIONES, NOV JE ICONES \\ non paucce, indicationes locorum natalium, obseruationes de cul-1| tura earum peculiares, atque insuper nonnulla remedia || euporista, nec non philologica qucedam || continentur. || AVTOREIΟ ACHIMΟ CAMERARIO | Reipub. Norimberg. Medico D. || ITEM I SYLVA HERCYNIA: || SIVE CATALOGVS PLANTARVM SPONTE \\ nascentium in montibus & locis plerisque Hercynice Syluce quce || respicit Saxoniam, conscriptus singulari studio ä Ioanne || Thalio Medico Northusano. Omnia nunc primum in lucem edita. || Francofurti ad Maenum || M.D. LXXXVIII. || Cum Gratia & Priuilegio Cces. Maiest. || letzte Seite: IMPRESSVM FRANCO-1FVRTI AD MCENVM, APVDIO-1| HANNEM FEYERABEND, IMPENSIS SI-1| gismundi Feyerabendij, Heinrici Dakkij, 0 & Petri Fischeri.

I

Signatur: UB Erlangen 4 Med. I 781

[= VD 16 C 558]

Johann Dantz/Peter Uffenbach 1610 Kräuterbuch || Deß vralten vnnd|| in aller Welt berühmtesten Griechin || sehen Scribenten || PEDACII DIOSCORIDIS || ANAZARBAEI, || Von allerley wolriechenden Kräutern/ Gewürtzen/ köstlichen Oe= \\len vnd Salben/ Bäumen/ Hartzen/ Gumi/ Geträyt/ Kochkräutern/ scharpff= || schmäckenden Kräutern/ vnd andern/ so allein zur Artzney gehörig/ Kräuterwein/ Metalln/1| Steinen/ allerley Erden/ allem vnd jedem Gifft! viel vnd mancherley Thieren/\ vnd derselbigen heylsamen vnd nutzbaren Stück. || Jn siben sonderbare Bücher vnderschieden. || Erstlich durch || IOANNEM DANZIVM von Ast/ der || Artzney Doctorem, verteutscht/\\ Nun mehr aber von \ PETRO VFFENBACH, bestehen || MEDICO zu Franckfurt\ Auffs newe vbersehen/ verbessert/ in ein richtige Form gebracht/ vnd nicht allein || mit vielen Figuren in Kupjfer geziert/ sondern auch mit deß wolerfahrnen Wundtartztes fl HIERONYMIBRAVNSCHWEIG Büchern/als der Kunst zu destillieren/ vnd \ dann dem heylsamen vndzweyen vielfaltigen Gebrauch aller vnd jeden destillier= ten Wasser/ vermehrt. |

526

Bibliographie

Mit Kays. Maj. Freyheit nit nach zu trucken. || Gedruckt zu Franckfurt am Mayn/ durch Johann || Büngern/ in Verlegung Conrad Corthoys || ANNO M. DC X II

letzte Seite: Gedruckt zu Franckfurt am || Mayn/ durch Johann Bringern/ in || Verlegung Conrad Carthoys/Anno\ 1610. Reprint München 1964

Pedacius Dioscorides 1516 Übersetzung des Ioannes Ruellius

Pedacij Dioscoridis || Anazarbei de medici = || nali materia libri quinque. || De viruletis animalibus, || et venenis cane rabioso, et || eorum notis, ac remedijs || libri quattuor || Ioanne Ruellio Suessio = || nensi interprete. || Habetur venale in officina Henrici Stephani || Ε regione Schölte Decretorum. || oben: CVM PRIVILEGIO AD || QVADRIENNIVMj vor Errata-Liste: Impressum est inprceclarissimo Parrhisiorum Gymnasio hoc || celeberrimum Dioscoridis opus in officina Henrici Stephani e re=\\gione scholce decretorum. Absolutumqae octauo Calendas Maias. An || no domini M. D. XVI. [vermutlich 1516] Signatur: UB Erlangen 2 Trew. F 156

1529

Kommentar des Hermolaus Barbaras und des Marcellus Vergilius

P. DIOI SCORIDM\ PHARMACORVMl Simplicium, reique Medicce || LIBRI VIII. Ι IO. RVELLIO interprete. || Vna cum HERM. Barbari Corolla = ||rijs,& MARC. Vergilij, in singula || Capita cesuris, siue Annotationibus. || Adiecto INDICE duplici singulorü Sim-1| plicium, & difficilium terminorum. || Prceter alia multa, quce in Prcefatione indi-\\cantur, qucequt in prioribus ceditio-1| nibus desyderabantur. f In inclyta Argentorato apud Io. Schottum. 1529.1 Cum gratia & priuilegio Ces. Ma= | iest. ad sexennium. | vor dem Index: 1 ARGENT. APVD IOANNEM SCHOT= || tum librariü, 28. Augusti, Anno Christ. M. D. XXIX. Signatur: UB Erlangen 2 Trew. F 228

1529

[nicht im VD 16]

[ = VD 16 D 2000]

Übersetzung und Kommentar des Marcellus Vergilius ΠΕΔΑΚΙΟΥI ΔΙΟΣΚΟΡΙΔΟΥ|| ΑΝΑΖΑΡΒΕΩΣ, II ΠΕΡΙ 'ύλης Ιατρικής. Βιβλία Ε'. || [...]

PEDACII DIO || SCORIDAE ANAZARBEI, || DE MEDICA MATERIA LIBRI V. Ι DE LETALIBVS VENENIS, EORVMQVE || praecautione & curatione.

Kräuterbücher und materia medica-Literatur

527

De cane rabido: DeQae. notis quce || morsus ictusüe animalium uenenum reliquen-1| tium sequuntur: Όβφ.le eorum curatione || LIB. VNVS. I Interprete Marcello Vergilio || Secretario Florentino. | EIVSDEM Marcelli Vergilij hosce Dioscoridis libros commetarij doctissimi, in quibus prceter omnigenam ιιαηάφιε eruditione, collatis aliorum Interpretern uersionibus, suce tralationis ex utriusque lingua autoribus certissima adferuntur documenta. Morborum prceterea atqae humani corporis uitiorum genus omne, quorum subinde meminit Dioscoridis, diligentissime explicatur. COLONIAEII OPERA ET IMPEN-\sa IOANNIS SOTERIS, AN-1|NO Μ D XXIX, I Mense Augusto, || (*) || Cum gratia & priuilegio Imperiali, ad Sexennium. I letzte Seite: COLONIAE \\ OPERA ETIMPEN-1| sa IOANNIS SOTERIS, AN-1| NO MD XXIX, Ι Mense Augusto. Signatur: UB Erlangen 2 Trew. F 231 [= VD 16 D 1998] 1539

überarbeitete Übersetzung des Ioannes Ruellius (Jean Ruelle) PEDANII DIOSCO || REDIS ANAZARBEI DE ME-\\dica materia Libri sex, Ioanne Ruellio || Suessionensi interprete, nunc pri-1| mum ab ipso Ruellio reco-1| gniti, & suo nitori || restituti. || HISACCESSIT, PRAETER PHAR-1| macorum simplicium catalogum, co- \\piosus omnium fere medela-1| rum siue curationum || Index. ||

[...] BasilecE, apud Mich. Isingrinium, || M.D.XXXIX. Signatur: UB Erlangen Trew. F" 221 [= VD 16 D 2002] 1554

korrigierte Übersetzung des Ruellius durch Pietro Andrea Mattioli (Matthiolus) PEDACII\\ DIOSCORIDIS \\ ANAZARBEI, DE || MATERIA MEDICA || LIBRI SEX, I Jnnumeris locis ab ANDREA || MATTHIOLO emen-1| dati, ac restituti. || Accesserunt tres Indices: vnus propriorum no-1| minum, alter nothorum, Tertius remedio-1| rum, Isqae maximi vsus. || LVGDVNI, Ι Apud Ioannem Frellonium. || M.D.LIIII. || letzte Seite: Lugduni, || Excudebat Balthazar \\ Arnolletus. Signatur: UB Erlangen Trew. Z" 237

Dioskurides-Kommentar des Pietro Andrea Mattioli

Mattioli

Theodericus Dorstenius 1540 BOTANICON, || CONTINENS HERBARVM, ALIORVMQVE || Simplicium, quorum usus in Medicinis est, descriptiones, & Ico-1| nas ad uiuum effigiatas: ex prcecipuis tarn Gratis quäm Latinis || Authoribus iam recens concinnatum.

528

Bibliographie

Additis etiam, quce Neotericorum obseruationes & experientice uel conbrobarunt I denuo, uel nuper inuenerunt. || AVT. THEODERICO DOR-1| stenio, Medico. || Cum Gratia & Priuilegio Ccesareo. || FRANCOFORTI, Christianus Egenolphus I excudebat. || letzte Seite: FRANCOFORTI, Apud Christianum Egenolphum || Hadamarium, ANNO M.D.Xl. II Mense Martio. Signatur: UB Erlangen 2 Trew. F 217 [= VD 16 D 2442] Leonhart Fuchs 1542 DEHISTORIA STIR- PIVM COMMENTARIIINSIGNES, MA \\XIMISIMPENSIS ET VIGELIIS FLA BORATI, ADIECTIS EARVNDEM VIVIS PLVSQVAM/1| quingentis imaginibus, nunquam antea ad naturce imitationem artificiosius e f f i I ctis & expressis, LEONHARTO FVCHSIO medico hac || nostra eetate longe clarissimo, autore. || Regiones peregrinas pleriqac, alij alias, sumptu ingenti, studio indefesso, nec sine discrimine uitce non-\nunquam, adierunt, ut simplicium materice cognoscendcefacultatem compararent sibi: || earn tibi materiam uniuersam summo & impensarum & temporis compendio, || procul discrimine omni, tanquam in uiuo iucundissimoqae uiridario, || magna cum uoluptate, hinc cognoscere licebit. || Accessit ijs succincta admodum uocum difficilium & obscurarum || passim in hoc opere occurrentium explicatio. || Vnä cum quadruplici Indice, quorum primus quidem stirpium nomencla-1| turns grcecas, alter latinas, tertius officinis seblasiariorum & || herbarijs usitatas, quartus germanicas continebit. || PALMA ISING > || Cautum prceterea est inuictißimi CAROLI Imperatoris decreto, ne quis || alius impune usquam locorum hos de stirpium historia com-1| mentarios excudat, iuxta tenorem priuilegij ante ä nobis euulgati. || BASILEAE, IN OFFICINA ISINGRINIANA, || ANNO CHRISTI M.D. XLII. Signatur: UB Erlangen 2 Trew. C 185 [= VD 16 F 3242]

1543

NEw Kreüterbüch/ in welchem || nit allein die gantz histori/ das ist/ na || men/ gesta.lt/ statt vnd zeit der wach= || sung/ natur/ krafft vnd würckung/ des meysten theyls der Kreüter so in || Teütschen vnnd andern Landen wachsen/ mit dem besten vleiß beschri/1| ben/ sonder auch aller derselben wurtzel/ Stengel/ bletter/ blümen! samen/1| frücht/

vnd in summa die gantze

gestalt/

allso artlich vnd kunst/1| lieh abgebildet vnd contrafayt ist/ das deßgleichen vor/ II mals nie gesehen/ noch an tag komen. ||

Kräuterbücher und materia medica-Literatur

529

Durch den hochgelerten Leonhart Fuchsen der artzney Doctorn/1| vnnd derselbigen zu Tübingen Lesern. || Mit dreyen nützlichen Registern/ auß welchen die zwey ersten/ aller kreüter || daruon hierin gehandlet/ Teütsche/ Lateinische vnnd Griechische namen/ auch I deren sich die Apotecker gebrauchen/ begreiffen. Jm dritten aber mag man zu al || len kranckheyten vnd gebresten so dem menschen/ vnd auch zum teyl dem || viech/ mögen zufallen/ vilfeltig artzney vnnd radt eilends finden/\\ sampt ettlichen andern stucken zur haußhaltung treffen = || lieh nütz vnd dienstlich. II > PALMA ISING. < || Mit Keyserlicher Maiestat freiheyt/ in fünff jaren weder nach zu tru = || cken/ noch durch ein außzug zu bekürtzen/ bey der peen so die || form/ gleich auffs Register volgend/ außweißt. || Getruckt zu Basell/1| durch Michael Jsingrim/ 1543. || letzte Seite: Getruckt zu Basell/ durch || Michael Jsingrim/ do man zalt nach Chri= I sti gebärt M.D.XLIII. Reprint München 1983

[= VD 16 F 3243]

Konrad Gesner 1541 HISTORIA PLAN-1TARVM ET VIRES EX | DIOSCORIDE, PA VLO AEGI-1 NETA, Theophrasto, Plinio, & recetio\\ribus Graecis, iuxta elementorü ordine. || PER CONRADVM GES-\nerum Tigurinum. | Adiecta ad margine nomenclatura, qua || singulas herbas ojficince, herbarij, & I vulgus Gallicum effere solent. || PARISIIS I Apud Ioannem Lodoicum Tiletanum, || 1541. || letzte Seite: PARISIIS || EXCVDEBATIOANNES LODOICVS TILETANVS. || M.D.XLI. Signatur: UB Erlangen Trew. F" 518 Hortus sanitatis Deutsch. ( = Gart der Gesundheit) 1485 Mainz: Peter Schöffer 1485 [Disser herbarius ist czu mencz gedruckt vnd geendet uff dem xxviij dage des merez. Anno .M.ccc.lxxxv.]. Reprint München 1924 Hortus sanitatis Lateinisch. 1491 Ortus sanitatis, Mainz: Jacob Meydenbach 1491 [Jacobus meydenbach Anno salutis Millesimo Quadringentesimo Nonagesimo primo. Die vero Jouis vicesima tercia mensis Junij.]. Signatur: UB Erlangen 2 Trew. G 136

530

Bibliographie

Adam Lonitzer 1551 NATVRALIS HI-\\STORIAE OPVS NOWM. IN QVO TRACTA-1| TVR DE NATVRA ET VIRIBVS ARBORVM, FRVTICVM, HERBA-1| rum, Animantiumqnt terrestrium, uolatilium & aquatilium: Item, Gem-1| marum, Metallorum, Succorumque concretorum, adeoque de uera cogni-1| tione, delectu & usu omnium simplicium medicamentorum, quo-1| rum & Medicis & Officinis usus esse debet: Vnä cum eo-1| rundem ad uiuum effigiatis imaginibus. Ex utriusque I lingue summorum uirorum penetralibus, sum-1 mo labore & studio conscripta, Per || Adamum Lonicerum. || ACCESSERVNT QVAEDAM DE STIL-1| latitiorum liquorum ratione, eiusqae artis & Instrumentorum usi, || atque de peculiaribus medicamentorum simpli-1| dum facultatibus. || CVM INDICE QVINTVPLICI: GRAECO, LA-1| tino, Germanico, Gallico, & morborum Medicinas continente. ||

[...]

Cum Gratia & Priuilegio Imperiali. || FRANCOFVRTI, Apud Chr. Egenolphum. [1551] Signatur: UB Erlangen 2 Trew. F 225 [= VD 16 L 2414] 1555

NATVRALIS HISTORIAE || TOMVS II, | DE PLANTARVM, || EARVMQVE POTISSIMVM, I QVAELO-1| CIS NOSTRIS RARIORES SVNT, DESCRIPTIONS, NATV-1 ra & uiribus. Iam recens summo studio & diligentia || congestus, Per ADAMVM LONICE-1| RVM, Medicum Physicum || Francofortensem. || Acceßit Onomasticon, continens uarias Plantarum nomenclaturas, || utpote Grcecas, Latinos, Italicas, Gallicas, Germanicas:\ Vocumqae, quorum in Plantarum descriptionibus || frequens est usus, explicationem. || CVM Indice multiplici. || [...] Cum Gratia & Priuilegio Imperiali. || FRANC. Apud Christ. Egenolphum. || [1555] letzte Seite: FRANCOFORTI AD MOENVM\\ IN OFFICINA CHRISTIA-1| NI EGENOLPHI. Signatur: UB Erlangen 2 Trew. F 226 [= VD 16 L 2414]

1557

Kreuterbüch/ New zugericht/\ Von allerhand Bäumen/ Stauden/ Hecken/1| Kreutern/ Früchten/vnnd Gewärtzen/ Eygentlicher beschreibung || der Gestalt/ vnderscheyd der Geschlecht/ vnnd leblicher abcon = || terfaytung/ sampt jrem natürlichen Gebrauch/1| Krafft vnd Wirckung. || Mt vilen newen Kreutern vnd Figuren/ in die zweyhundert/ vber ande= | re außgangene Edition gemehret. ||

Kräuterbücher und materia merfica-Literatur

531

Auch Distillierens Bereytschafft vnd Bericht/ allerley köst= || liehe Wasser zubrennen/ abziehen/ halten/ vnd zugebrauchen. | Jtem der fürnembsten Gethier/ Vögel vnd Fische/ Metal = || len/Edel gesteinen/ gebreuchlichen Gummi/ vnd gestandenen Säff-1| ten/ beschreibung/ vnd nutzung. I Mit dreien fleissigen vollkomlichen Registern. || t Gemeynen Jnnhalt dises Büchs findestu an der andern || Seiten dises blats. || Mit Rbm. Keyserlicher Maiestat Gnaden vnd || Priuilegio/ auff acht Jar. || Getruckt zu Franckfort am Mayn/ Bei Christian Egenolffs Erben/1| Jm Jar M.D.LVII. I letzte Seite: Getruckt zu Franckfort am Meyn/1| Bei Christian Egenolffs Erben/ Jm Jar || M.D.LVII.. Signatur: UB Erlangen 2 Trew. F 222

[= VD 16 L 2416]

Adam Lonitzer/Peter Uffenbach 1679 Kreuterb üch/\\ Künstliche Conterfeytunge\ der Bäume/ Stauden/ Hecken/ Kräuter/ Getreyd/ Gewür— || tze! rc. Mit eigentlicher Beschreibung/ derselben Nahmen/ in sechserlei Spra = || chen/ nemlich Teutsch/ Griechisch/Lateinisch/ Frantzösisch/ Jtaliänisch und Hispanisch/ und\ derselben Gestalt/ natürlicher Krafft und Wirckung. Sampt vorher gesetztem und gantz außfürlich || beschriebenem Bericht der schönen und nützlichen Kunst zu Destillieren/ wie auch Bauung der Gärten || und Pflantzung der Bäume. || Jtem von den fühmehmsten Gethieren der Erden/ Vögeln/\ Fischen und Gewürm. Deßgleichen von Metallen/ Ertze/ Edelgesteinen/\ Gummi und gestandenen Säfften. || Bißhero von dem Edlen/ Ehrnvesten und Hochgelährten || Herrn ADAMO LONICERO, 1 der Artzney Doctorn und weyland Ordinario Primario Physico zu Franckfurt/zum || öfftermal in offenen Druck verfertiget worden/\\ Nunmehr aber durch\ PETRUM UFFENBACHIUM, Med. D. und Ordinarium|| Physicum in Franckfurt/ auf das allerfleissigste übersehen/ Corrigirt und verbessert/ an vielen || Orten augirt und vermehrt/ und in acht sonderbahre Theil unterscheiden Sampt dreyen unterschiedlichen vollkommenen nützlichen Registern/ alles seines Jnnhalts hierzu dienlich ||

[...]

ULM/1 Druckts und Verlegts Matthäus Wagner/Jm Jahr 1679. Reprint Grünwald bei München 1962 Pietro Andrea Mattioli (Matthiolus) 1583 PETRI ANDREM| MATTHIOLlf SENENSIS, || MEDICI CAESAREI, ET SERENISSIMI\\ PRINCIPIS FERDINANDI || ARCHIDVCIS AVSTRIAE &c. || Commentarij in VI. libros Pedacij Dioscoridis || Anazarbei de Medica materia, II

532

Bibliographie

AB IPSO AVTORE RECOGNITI, ET LOCIS || PLVS MILLE AVCTI. || Adiectis magnis, ac nouis plantarum, ac animalium Iconibus, supra priores || editiones longe pluribus, ad viuum delineatis. || Accesserunt quoque ad margines Grceci contextus quam plurimi, ex antiquissimis codicibus|| desumpti, qui Dioscoridis ipsius deprauatam\ lectionem restituunt. || CVM LOCVPLETISSIMIS INDICIBVS, TVM AD REM | Herbariam, tum Medicamentariam pertinentibus. || CVM PRIVILEGIIS. || [.·.] MDLXXXIII. I Venetijs, Apud Felicem Valgrisium. Signatur: UB Erlangen 2 Trew. C 189. 190 Pietro Andrea Mattioli (Matthiolus)/Georg Handsch 1563 New Kreüterbuch\ Mit den allerschbnsten vnd artlich = ||sten Figuren aller Gewechß/ dergleichen vor= || mals in keiner sprach nie an tag kommen. || Von dem Hochgelerten vnd weit — || berümbten Herrn Doctor Petro Andrea Matthiolo, R6: Kay: || May: Rath/ auch derselben/ vnd Fürstlicher Durchleuchtigkeit Ertz= || hertzog Ferdinanden rc. Leibdoctor. Erstlich in Latein || gestellt. Folgendts durch Georgium Handsch/ der || Artzney Doctorem verdeutscht/ vnnd endtlich || zu gemeinem nutz vnd wolf art Deut= || scher Nation in druck || verfertigt. || Gezieret mit vilen feinen newen experimented künstlichen || Distillierbfen/ dreyen wolgeordneten Registern/ vnd anderer || nutzbarkeit/ wie auß der Vorred zuersehen. || [...] Gedruckt zu Prag/ durch Georgen Melantrich von Auentin/ auff || sein vnd Vincenti Valgriß Buchdruckers zu Venedig vncosten. || M.D.LXIII. I Mit Rbm: Kay: May: Freyheit vnd Priuilegien. || letzte Seite: Insignia Typographi, Gergii Me-1| lantrichi ab Auentino. [...] Signatur: UB Erlangen Med. III 151 Pietro Andrea Mattioli/Georg Handsch/Joachim Camerarius 1586 Kreutterbuch || Deß Hochgelehrten vnnd || weltberühmten Herrn D. Petri Andrece || Matthioli, Jetzt widerumb mit viel schönen neuwen || Figuren/ auch nützlichen Artzneyen/ vnd andern guten || stücken/ auß sondermfleiß gemehret/ vnd verfertigt || Durch I Ioachimum Camerarium, || der löblichen Reichsstatt Nürm= || berg Medicum. D. || Sampt dreyen wolgeordneten nützlichen Registern/1| der Kreutter Lateinische vnd Deutsche Namen/ vnd dann/ die Artzeneyen/ darzu dieselbigen zu gebrauchen/1 jnnhaltendt. ||

Kräuterbücher und materia merfica-Literatur

533

Mit besonderem Röm. Kays. Maiest. Priuilegio, || in keinerley Format nachzudrucken. ι Gedruckt zu Franckfort am Mayn/\\ M.D.LXXXVI. || letzte Seite: Gedruckt zu Franckfurt am Mayn/\\ in Verlegung Sigmund Feyerabends/ Peter Fischers/\ vnd Heinrich Dacken. || M.D.LXXXVI. Signatur: UB Erlangen 2° RAR. A 38 [= VD 16 Μ 1614] 1626

Kreutterbuch || Deß Hochgelehrten vnd || weitberühmbten Herrn D. Petri Andreae || Matthioli, Jetzt widerumb mit vielen schönen newen || Figuren/ auch nützlichen Artzneyen/ vnd andern guten || Stücken/ zum vierdten mal auß sondern Fleiß || gemehret/ vnd verfertiget/1| Durch I Ioachimum Camerarium, || der löblichen Reichsstatt Nürn = || berg Medicum, Doct. || Sampt dreyen wolgeordneten nützlichen Registern || der Kreutter Lateinische vnd Teutsche Namen/ vnd dann || die Artzeneyen/ darzu dieselbigen zugebrauchen I jnnhaltendt. || Beneben gnugsamen Bericht/ von den Distil = || lier vnd Brennöfen. || Mit besonderem Röm. Keys. Majest. Priuilegio, || in keinerley Format nachzutrucken. || Gedruckt zu Franckfurt am Mayn/\ Bey Jacob Fischers S. Erben. || M.DC.XXVI. I letzte Seite: Gedruckt zu Franckfurt am Mayn/\ bey Wolff gang Hoffman/ Jn Verlegung Jacob Fischers/\ S. Erben. || M.DC. XXVI. Reprint Grünwald o.J. [1982]

Antonius Mizaldus 1577 HISTORIA || HORTENSIVM QVA= \TVOR OPVSCVLIS METHODI-1| CIS CONTEXTA, QVORVM PRI-1| MVM, HORTORVM CVRAM, ORNATVM\\ & secreta quamplurima ostendit. Secundum, In-1| sitionum artes proponit. Tertium, Auxiliares || & medicos Hortensium vtilitates percurrit. || Quartum, Iucunda et benefica medicando-1| rum Hortensium olerum, radicum, fru-1| ctuum, vuarum, vinorum et carnium || artificia explicat. || OMNIA AMOENAE VOLVPTATIS ET\ inenarrabilis vtilitatis abunde lena: rerum varia-1| rum acceßione nunc primum aucta & || illustrata. || AVCTORE ANTONIO MIZALDO || MONLVCIENSI, MEDICO. || Accesserunt & alia quce decimasexta indicat pagina. || COLONIAE AGRIPPINAE, || Apud Ioannem Gymnicum sub Mono-1| cerote, Anno M.D.LXXVII. Signatur: UB Erlangen Trew. G* 474 [ = VD 16 Μ 5691]

534

Bibliographie

Antonius Mizaldus/Georg Henisch 1577

Artztgarten || Von Kreutern || so in den Gärten gemein = || lieh wachsen/ vnnd wie man || durch dieselbigen allerhand kranck= || heiten vnd gebrechen eylends || heilen sol. || Durch I Den Hochgelehrten Antho = || nium Mizaldum aus Franckreich erstlich I in Lateinischer sprach außgangen. || Jetzt Ι Aber neuwlich verteutschet durch]] Georg Henisch von Bartfeld: || vormals in Teutscher sprach || nie gesehen worden. || Zu Basel bey Peter Perna. || M.D.LXXVII Sigantur: UB Erlangen Trew. G* 72 [ = VD 16 Μ 5683]

Eucharius Rößlin 1533 Kreutterbüch fl von allem Erdtgewächs/\ Anfenglich von Doctor Johan Cuba zusa= || men bracht/ Jetz widerum new Corn girt/]] vnd auß den bestberümptsten Artzten/\ auch täglicher erfarnuß/ gemehrt. || Mit warer Abconterfeitung || aller Kreuter. I Distillierbüch Hierony || mi Braunschwig/ von aller kreu ]] ter außgebrenten Wassern/ hiemit || füglich ingeleibt. || D. Eucharius Rhodion, Stattartzt zu Franckfurt am Meyn. || if Zu Franckfurt am Meyn, Bei Christian Egenolph. || letzte Seite: 1 Getruckt zu Franckfutt [!] am Meyn/ Bei || Christian Egenolff/ Volendet vff den || xxvi. tag Mertzens. Nach der || geburt Christi vnsers Se || ligmachers M.D.XXXiij. iare. Signatur: UB Erlangen 2 Trew. F 220 [ = VD 16 R 2869] 1535

Kreutterbüch. || Von aller Kreutter/Gethier/1| Gesteyne vnnd Metal/natur/1| nutz/ vnnd gebrauch. || Distillier zeug vnd Bericht/1| Allerhandt Kostbarliche Wasser zubrennen/1| halten vnnd gebrauchen. || [·..] Mit Keyserlicher Maiestat Gnad vnd Priuilegio/1| Getruckt zu Franckenfurt am Meyn/ Bei || Christian Egenolff. letzte Seite: M.D.XXXV. Signatur: UB Erlangen 2 Trew. F 221 [ = V D 16 R 2870]

1569

Kreüterbuch || Künstliche Conterfeytunge der || Bäume/ Stauden/ Hecken/ Kreuter/ Getreyde/ Gewür-1| tze. Mit eigentlicher Beschreibung derselbigen Namen/ Vnderscheidt/1| Gestalt/ Natürlicher Krafft vnd Wirckung. || Jtem von fürnembsten Gethiern der Erden/ Vögeln/1| vnd Fischen. Auch von Metallen/ Gummi/ vnd gestandenen || Säfften. Sampt Distillierens künstlichem vnd kurtzem bericht. ||

Kräuterbücher und materia medica-Literatur

535

Durch weylandt Doctorem Eucharium Rbßlin erstmals in Truck I verfertiget/ Nun aber zum vierdten mal von newem durchsehen/|| gebessert/ vnd weit vber alle vorige Edition gemehret. || Mit fleissigen vollkommenen Registern in Sechserley Spraachen/ Nem= || lieh/ Griechisch/ Lateinisch/ Jtalianisch/ Frantzbsisch! Spanisch/ Teutsch. || Auch besonderem Register der heylung allerhand gebresten. || Cum Inuictissimae Caesarea Maiestatis Gratia & Pri-1| uilegio, ad octennium. || [..·] Zu Franckfort am Meyn/ Bey Christian Egenolffs Erben/1| Anno M.D.LXIX. || letzte Seite: Getruckt zu Franckfort am Meyn/ bey || Christian Egenolffs Erben. I Anno M. D. LXIX. Signatur: UB Erlangen 2 Trew. D 362

[= VD 16 L 2419]

Ioannes Ruellius (Jean Ruelle) 1536

De Natura stir-1| PIVMLIBRITRES. || Ioanne Ruellio authore. || Cum priuilegio I REGIS. I PARISIIS I Ex officina Simonis Colincei. || 1536 Signatur: UB Erlangen 2 Trew. C 183 Jacobus Theodorus (Tabernaemontanus) 1588: Neuw Kreuterbuch/\ Mit schönen/ kunstlichen vnd|| leblichen Figuren vnnd Conterfeyten/ aller Ge= || w&chß der Kreuter/ Wurtzeln/ Blumen/ Frücht/ Getreyd/ Ge= || würtz/ der Bäume/ Stauden vnd Hecken/ so in Teutschen vnd Welschen Lan = || den/ auch deren so im Gelobten Landt auff dem Berg Synai/ inn Hispanien/\\ Ost vnnd West Jndien/ oder in der neuwen Welt wachsen/ vnd zu vnser Zeit || gepflantzt werden/ mit eygentlicher Beschreibung derselben/ auch deren Vn= || derscheidt/ Krafft vnd Wirckung/ sampt jhren rechten Namen in mancherley || Sprachen/ darinn aujf 3000. Gew&chß beschrieben vnd angezeigt wer= I den/ dergleichen vormals in keiner Sprach nie ans Liecht || oder in Druck kommen. || Darinn viel vnd mancherley heylsamer Artzeney/\\ vor allerley innerlichen vnd eusserlichen Kranckheiten vnnd Ge= || brechen/ beyde der Menschen und deß Viehes/ beschrieben werden/ sampt jhrem || nützlichen Gebrauch: Als da seindt Tränck/ Säfft! Syrupen/ Conseruen/ gedistillierte Wasser/fl Latwergen/ Puluer/ künstliche Extracten/ gemeine vnd gedistillierte Oele/ Confect/ Saltz/ Sal= || ben/ Wundtsalben/ Pflaster vnd dergleichen: Darinnen auch vber tausendt Experimen= || ten vnd heimliche Künst angezeigt werden/ die in keiner Sprach in I Schrifften gefunden werden. || Allen Aertzten/ Apoteckern/ Wundthrtzten/ Marsthllem/ Huff= || schmidten/ Rossztäuschem! Gärtnern/ Hofmeyern/ Köchen/ Weinkellern/ Heb= || amen/ Haußvättern/Haußmüttem/ vnd allen andern Liebhabern der Artzney vnd guter Känst I dienstlich vnd nützlich: Auß langwiriger vnd gewisser erfahrung/

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Bibliographie

unserm geliebten Vatterlandt || zu Ehren/ mit sonderem Fleiß treuwlich beschneben/ II Durch I Iacobum Theodorum Tabemaemontanum, derArtzeney\\ Doctorem, vnd Churfürstlicher Pfaltz bestellten | Medicum zu Neuwhausen. || Mit Rbm. Key. May. Frey, auff zehen Jar nicht nachzudrucken/ begnadet. || Franckfurt am Mayn/1588. || letzte Seite: Gedruckt zu Franckfurt am Mayn/1| durch Nicolaum Basseum. || ANNO I M.D.LXXXVIII. Signatur: UB Erlangen 2 Trew. C 461 [= VD 16 Τ 826] 1591:

D. THEODORI|| TABERNAEMONTANI|| Neuw/ vnd volkommenlich\\ Kreuterbuch/\ Mit schönen/ künstlichen vnd leblichen Fi = || guren vnnd Conterfeyten/ allerhandt frembder vnd einheymischer | Gewächß/ Kreuter/ Blumen/ Stauden/ Hecken/ Bäume/ auch köstlicher außl&ndischer || Wurtzeln/ Rinden/ Früchten/ rc. Sampt jren rechten Namen in mancher = || ley Sprachen/ dergleichen vormals nie ans Liecht oder in || Truck kommen. || Das Ander Theyl. || Darinn von jhrer Gestalt/ Vnterscheidt/ Complexion/ Natur/\\ Eygenschafften/ vnd Tugenden/ auch wie sie jnner vnd ausser Leibs || zugebrauchen/ ordentlich vnd fleissig gehandelt wirdt. | Beneben den Säjften/ Syrupen/ Conseruen/ Latwergen/ Extracten/ Träncken/\\ Wassern/ Saltz/ Oelen/ Salben/ rc. Wie die von einem jedem Gewächß künstlich I bereyt vnd eingemacht werden sollen/ Alles digerirt || vnd vollbracht durch I NICOLA UM BRA VN MEDICINAE || Doctorem Marpurgensem. || Mit Rbm. Käys. Maiest. Frey, auff zehen Jahr nicht nach zutrucken/ begnadet. ι Getruckt zu Franckfurt am Mayn/ durch Nicolaum Bassceum. || M.D.XCI. Ι letzte Seite: Getruckt zu Franckfurt am Mayn/ durch Nicolaum Bassceum. || M.D.XCI. Signatur: UB Erlangen 2 Trew. C 462 [= VD 16 Τ 827]

1731

D. JACOBI THEODORI || TABERNAEMONTANI || Neue vollkommen || Kräuter=Buch/\ Darinnen || Uber 3000. Kräuter/ mit schönen und\ kunstlichen Figuren/ auch deren Underscheid und || Würckung/ samt ihren Namen in mancherley Sprachen/1| beschrieben: Deßgleichen auch/ wie dieselbige in allerhand || Kranckheiten/ beyde der Menschen und des Viehs/ sollen || angewendet und gebraucht werden/ angezeigt wird. || Erstächen durch | C ASPARUM BAUHINUM, D.|| und Profess. Basil, mit vielen neben Figuren/1| nutzlichen Artzneyen/ und anderem/ mit || sonderem Fleiß gebessert: ||

Kräuterbücher und materia medica-Literatur

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Zum Andern | Durch HIERONYMUM BAUHINUM, D. | und Profess. Basil, mit sehr nutzlichen Marginalien, || Synonymis, neüen Registeren und || anderem vermehrt. || Und nun zum vierdten mahl aufs fleissigst übersehen/1| an unzahlbaren Orten absonderlich verbessert/ an scheinbaren || Mimgeln durchaus ergäntzt/ vnd endlichen zu hoch-1| verlangter Vollkommenheit gebracht. || Gedruckt zu BASEL/\\ Jn Verlegung Johann Ludwig Königs/ Buchhändlern/1| der Zeit in Offenbach am Mäyn/ 1731. || 2. Seite: Neue Vollkommen | Kräuter=Buch, || Mit schönen und künstlichen Figuren/ aller || Gewächs der Bäumen/ Stauden und Kräutern/ so in denen Teutschen und I Welschen Landen/ auch in Hispanien/ Ost- und West-Jndien/oder in der Neueen Welt wachsen/ deren ein grosser Theil eigentlich beschrieben/ auch deren Lenderscheid und Würckung/1| sampt ihren Nahmen in mancherley Sprachen angezeigt werden/ derengleichen | vormahls nie in keiner Sprach in Truck kommen: || Das Erste Theil/1| Darinn viel und mancherley heilsamer Artzney vor allerley innerlichen und | äusserlichen Kranckheiten/ beyde der Menschen und des Viehes/ sampt ihrem nützlichen Gebrauch/1 beschrieben werden/ es sey mit Träncken/ Säfft! Syrupen/ Conseruen/ Lattwergen/ Wassern/ Pulver/\\ Extracten/ Oelen/ Saltz/ Salben/ Pflastern und dergleichen: Darinnen auch über tausend hochbewährte || vortreffliche Experiment/ und heimliche Künste angezeigt werden. || Allen Aertzten! Apotheckern/ Wundärtzten/ Schmieden/ Gärtnern/ Köchen/ Kellern/1 Hebammen/ Haußvättern/ und allen andern Liebhabern der Artzney sehr nutzlich: || Auß langwieriger und gewisser Erfahrung/ unserem geliebten Vatterland || zu Ehren/ mit sonderem Fleiß treulich beschrieben/\\ Durch | JACOBUM THEODORUM TABERN^MONTANUM || der Artzney D o l o rem, und Chur=Fürstlicher Pfaltz Medicum, so an diesem Werck 36. Jahr colligirt/ auch | einverleibte Kräuter und Gewächs/ den mehrertheil selbsten gebraucht/ und fleißig beschrieben hat. | Erstlichen durch || C ASP ARUM BAUHINUM, D. und Profess. Basil, mit vielen neüen | Figuren/ nutzlichen Artzneyen/ und anderem/ mit sonderm Fleiß gebessert; | Zum Andern durch || HIERONYMUM BAUHINUM, D. und Profess. Basil. mit sehr nutzlichen | Marginalien, Synonymis, neüen Registern und anderem vermehrt. | Und nun zum vierten mahl aufs fleißigst übersehen/ an unzahlbaren Orten absonderlich verbessert/ an schein-1 baren Mängeln durchaus ergäntzt/ und endlichen zu hochverlangter Vollkommenheit gebracht. |

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Bibliographie

Gedruckt zu BASEL/1| Auff Unkösten und in Verlag Johann Ludwig Königs/ Buchhändlern/} der Zeit in Offenbach am Mäyn. || MDCCXXXI. Reprint München 1993 Nikolaus Winkler 1571 CHRONICA HER=\\BARVM, FLORVM, SEMINVM, FRV-\\CTWM, RADICVM, SVCCORVM, ANIMALIVM, || atqaz eorundem partium, quo nimirum tempore singu-1| la eorum colligenda, atque. in vsum adferenda sint || Medicum, res utscitu pharmacopceis || dignissima, ita reipublicce ma-1| xime necessaria: || Authore, || NICOLAO WINCKLERO FOR-1| chemio, Medico, & Halce Suceuorum I physico ordinario. fl Cum gratia & priuilegio Imperiali, || ad decennium. || AVGVSTJE VINDELICO-1| rum, in officina Typographica || Michaelis Mangeri. II Anno M.D.LXXI. Signatur: UB Erlangen Trew. Ρ 500 [= VD 16 W 3442] 1577

Kreüter Chronica/\ mit sampt deren Blomen/ Sa = || men/ Wurtzeln/ S&fften vnd Thyren/ zu || welcher zeyt/ dise zu der Artzney am bequembsten || vnd besten wachsen/ nach dem natürlichen laujf \ der Sonnen/ in die zwölff Monaten getheylet/1| vormals in Latein/ jetzmals aber in die Teut= \sche sprach/ für den gemainen Mann/1| gantz dienstlich/ vnd nutzlich/1| außgangen vnd be= I schriben. || Durch: || Nicolaum Winckler Forchemium || der Artzney Doctorem, vnd verordneten I Physicum der Statt Schwebi= || sehen Hall. || Getruckt zu Augspurg/ durch || Michael Manger. || Mit R6m. May. Freyhait nit || nachzutrucken. || M.D.LXXVII. Signatur: UB Erlangen Trew. G* 71 [= VD 16 W 3443]

1.2 Medizinisch-arzneikundliche Quellen Hieronymus Brunschwig 1497 Dis ist das buch der Ci = ||rurgia. Hantwirch\ung der wundartzny von\ Hyeröimo bruschwig letzte Seite: Vnd durch Johänem grüninger getruckt vn vollendet zu. straßburg vffdinstag nach sant Peter vnnd pauls tag. Anno dni M.cccc.xcvij [Straßburg: J. Grüninger 1500] Reprint München 1968 1500

Hie anfahen ist das buch genät Liber de arte distil/\\ landi von der künst der distillierung zesammen colligiert vnnd gesetzt von Hierony = | mo Brunschwygk/

Medizinisch-arzneikundliche Quellen

539

so dan von vilen erfarenden meystern der ertznyer erfaren/ vn ouch || durch sin teglich hantwürckung erkundet vnd geleret hatt. [Straßburg: J. Grüninger 1500] Signatur: UB Erlangen 2 Trew. G 33 1512

Liber de arte Distiljlandi de Compositis. || Das büch der waren kunst zu distillieren die || Composita vn simplicia/ vnd dz Büch thesaurus pauperü/ Ein schätz d' arme ge= || nät Micariü/ die brbsamlin gefallen vö de büchern d' Artzny/ vnd durch Experimet || vö mir Jheronimo brüschwick vff geclubt vn geoffenbart zu trost dene die es begere. letzte Seite vor den Corrigenda: Vnd hie dis büch seliglich getruckt vn gendigt in d' keisserlichen frye stat Straßburg vff sant Mathis abent in dem Jar M.V. vnd xii. Signatur: UB Erlangen 2 Trew. F 155 Reprint Leipzig 1972 [ = V D 16 Β 8698]

— 1565 Distilierbuch || der rechten Kunst/ Neu = || we vnd gemein Distillier vnd || Brennöfen/ mit aller zugehören = || der bereitschafft zu machen/ auß allen Kreu= I tern die Wasser zu brennen vnnd Distillie= || ren. Von M. Hieronymo Braun = || schweigen Colli giert. \ Sampt lebendiger Abcontrafa= | ctur der Kreuter/ von mancherley gebranntem Ι vnd gedistilliertem gewisser/ krafft vnd tugen = || ten/ für alle gebrechen deß gantzen Leibs. Je= || tzund von neuwem gemehrt vnd gebessert/Ei = |j nem jeden sehr nützlich zu ge- || brauchen. || letzte Seite: Gedruckt zu Franckfurt || am Mayn/ durch Wey = || gand Hanen || Erben. Signatur: UB Erlangen 4 Trew. Ρ 481 [ = VD 16 Β 8730] 1610

Hieronymus Brunschwig/Peter Uffenbach ARS DESTILLANDI, I Oder || DiestellierKunst || Deß Wolerfahrnen | HIER O N Y M I BRAVNSCHWEIG, || eines Chirurgi oder Wundartztes von \ Straßburg. || Jn welcher nicht allein viel vnterschiedliche Art vnd Weisen zu || destilliern/ sondern auch die darzu gehörige Gefäß/ vnd welcher || gestallt/ vnd wie lang man ein jedes destillierte Wasser || könne behalten/ werden verzeichnet vnd || beschrieben/\\ Vor vielen Jahren/ von jhme dem Autore selbst in Truck || verfärtigt/ vnd in zwey sonderbare Bücher || unterschieden. || Nun aber || Widerumb auffs new vbersehen/ mit schönen || Figuren in Kupffer geziert/ von allen Erratis || entlediget/ vnd mit bessern Teutsch || begabt. || 1610

540

Bibliographie

letzte Seite: Gedruckt zu Franckfurt am || Mayn/ durch Johann Bringern/ in || Verlegung Conrad Carthoysf Anno\ 1610. [= zweiter Teil des Kräuterbuchs von Dantz/Uffenbach 1610 (S. 471-616)] Reprint München 1964 Aurelius Cornelius Celsus 1528 A VRELII || CORNELII CELSI, DE RE | Medica, libro octo eruditißimi. | Q. Sereni Samonici prcecepta Medica, || uersibus Hexametris. || Q. Rhemnij Fannij Paleemonis, de Ponderibus || & Mensuris, Uber rarus & utilißimus. || Ad Lectorem. || Hos libros D. loan. Ceesarius, uir ingenio atqae iuditio acri, summa cura, studioqae inenarrabili, sub in cudem reuocatos, castigant. Adiecto perdocto Commentario, in eorum gratiam, qui huius profeßionis rüdes sunt, adpositis paßim grcecis dictionibus, quce in alijs libris desyderabantur, uel mutile mendoseque. & adulterinis legebantur Uteris. Quod si quis per ocium hos eum prioribus contulerit, animaduertet, tantum interesse inter utrosque quantum inter peßimos & optimos. His, quia castigati, integri, & forma pulcherrima sunt, falix utere, & uale. Haganoe per loan. Sec. || Anno M.D.XVIII. [Antreas Marggrauius 1528] Q. SERENI I SAMONICI, DEMEDI || CIN A, PRAECEPTA SA || Iuberrima, per eundem D. Ccesariü, || ab omnibus quibus scatebant men || dis, prope ac diligenter\\ emaculata. || ITEMQ. RHEMNIIFANNII || Paleemonis, de ponderibus & men= || suris, liber utilißimus. || AD LECTOREM. || Prcescripsit uitee finem natura creatrix Vnicuiqae sato, quem superare nequit. Sed medicum prcestans ars, naturceque, ministrum Finem contingas, qua ratione, docet. letzte Seite: Haganoce, per Iohannem Secerium. || Anno. M.D.XXVIII. || Mense Martio. Signatur: UB Erlangen Trew. P* 470 [= VD 16 C 1890] 1528

IN HOC VOLVMINE HAEC | CONTINENTVR. fl AVRELII CORNELII CELSI MEDICINAE || LIBRI. VIII. QVAM EMENDATISSIMI, || GRAECIS ETIAM OMNIBVSI DICTIONIBVS RESn= | TVTIS. || QVINTI SERENI LIBER DE MEDICINA || ET IPSE CASTIGATISS. || ACCEDTT INDEX IN CELSVM, ET SERE-1| NVM SANE QVAM COPIOSVS. || ALDVS. I

Medizinisch-arzneikundliche Quellen

541

Κ Venetorum decreto, ne quis aliquo in loco Venetee ditionis || hos libros imprimat, impressosüe alibi || uendat, cautum est. || letzte Seite: VENETIIS IN AEDIBVS ALDI, ET AN-1| DREAE ASVLANISOCERIMENSEI MARTIO. M.D.XXVIII. Signatur: UB Erlangen Trew. A* 28 Lorenz Fries 1518 Spiegelder || Artzny/ des || geieichen vormals nie\ vö keine doctor in tütfsch vßgange || ist nützlich vn gut alle || denen so der artzet radt begeret/ auch || den gestreiffeiten leye/ welche sich vnd'\ winden mit artzney vmb zegon. Jn || welchem du findest bericht aller hend | el der artzney/ gezoge vß den ßrne\sten büchern d' alten/ mit schöne|| bewerte stücken vn kürtz wy ||gen reden/ gemacht von| Laurentio Phryesen vö||Colmar/ d'Philoso\phy vnd Artzney Doctor. || Cum gratia et Priuilegio Jmperiali || letzte Seite: Getruckt vn vollendet in der Keiserli\che stat Straßburg vö Johan = I nes Grieninger vff sant Gil || gen tag im iar nach || Christi geburt Μ. II ccccc. xviii. Signatur: UB Erlangen Trew. F 142 Hans von Gersdorff 1517 Feldtbüch der wundtartzney. || t Mit Keyserlicher freyheit getruckt zu Straßburg durch Joanne Schott. || letzte Seite: Μ CCCCC Xvij. || Κ Zu Straßburg in der freyen statt || Joänes Schott mich getruckt hat || Als man tusent fünff hundert zalt || Vnd sybenzeh/ vorm winterkalt. Signatur: UB Erlangen 2 Trew. F 389 [= VD 16 G 1618] —1530 Feldbüch der wundartzney. 1517. Reprint Lindau 1976. [= Nachdruck der Ausgabe Augsburg: Heinrich Steiner, um 1530]. [= VD 16 G 1621] Johann Küffher 1531 DJe acht Bücher des || hochberümpten Au = || relij Cornell] Celsi vö || beyderley Medicine: das ist von der || leib vnd wund artznei: zu errettung || menschlichs lebens: in allen kranck= || heyten seer dienstlich vnd behutsam || Newlich jetzo verdeutscht durch || D. Johansen Khüffher von || Ratemberg am Yne. || Mit eynem gnügsam anzeyglichen Register /|| alles innhalts hierin begriffen. || Jtem verstandt der gewicht vnd Recepten (so inn || disem Büch gesetzt seindt) mag man ausz der || nechst hie nachuolgenden vorred nemen. ||

542

Bibliographie

letzte Seite: Getruckt zü Meyntz durch Jo= || hannem Schbffer/ Jm jar nach der geburt Christi || vnsers seligmachers M.D. xxxj. vnnd || volendt auffden vierdtzehenden tag || des Mertzen. Reprint München 1980 [= VD 16 C 1893] 1539

DJe acht Bücher || des Hochberüm= ||pten A. Cornelij Celsi vö bey= || derley Medicine: das ist: von || der Leib vnd Wund artz=\nei: zu errettung men = || schlichs lebens: in al=\\len kranckheyten || seer dienstlich || vnd beh&t= I sam. || Jetzund new verdeutscht durch D. Johan K&ffner von Ratenberg am Yn. || Sampt eynem gnugsam anzeyglichen Register || alles inhalts hierin begriffen. || Zü Wormbs truckts Sebastia= || nus Wagner. || letzte Seite: Zü Wormbs truckts Sebastianus Wagner/\ im jar. M.D.xxxix. Signatur: UB Erlangen 2 Trew. F 300 [= VD 16 C 1894]

Walther Hermann Ryff 1541 DEs aller fürtrejf= || liebsten/ höchsten vnnd adelich = \sten gschbpffs aller Creaturen/ von Got || dem Herren/ schbpffer aller ding auff er= || den/ erschaffen/Das ist/ des menschen/\ (oder dein selbst) warhafftige beschreibung oder Anatomi/ seines wunderbarlichen vrsprungs/ entpfängniß/ schbpffung inn mutter \ leib/ vnd sorglicher geburt/ sampt künstlicher vnd artlicher Contra = Wfactur/ aller eüsserlicher vnd innerlicher glider vnnd glidstuck/ auß || welchen der mensch wunderbarlich züsamen gesetzt ist/ mit gnügsa = || mer/ eygentlicher vnd gründtlicher erklärung jrer vilfaltigen nutz = || barkeyt/ krefft/ würckung/ natur vnd vermögen/ warzü sy von Got || dem Almechtigen verordnet seind. Die trefflichen vnd vnaußsprech || liehen wunderwerck Gott des Herren/ in disem indischen gsch6pff\\ vnd sterblichen Cbrper! augenscheinlich zuerkennen vnnd mercken. || Allen denen so die herrlichen vnergründtlichen wunderwerck Got= || tes vnnd würckung natur/ zü lob vnnd ehr des Schbpffers/ nutz 1 vnd wolf ort jres nechsten/ betrachten vnd erkündigen wolten/ von || vnzälicher vilf altiger nutzbarkeyt wegen menschlicher blbdigkeyt/1| auß sunderlichem geneygtem willen/ erstmals inn Teütsche || sprach verfasset vnd an tag geben. Vormals weder || gesehen noch gelesen worden. | Durch M. Gualtherum Hermenium Ryff/1| Argentinum/ Medicum. || Kumpt her/ vnd schawet die werck des Herren/ dann der Herr ist || wunderbar/ vnd seine werck vnergründtlich. || M.D. XLI. I Mit Künigklicher Maie. Freiheyt. || letzte Seite: Zü Straszburg bey Balthassar Beck. Signatur: UB Erlangen 2 Trew. F 299 [= VD 16 R 3897]

Medizinisch-arzneikundliche Quellen

1542

543

Die kleyner Chirurgi Η. || Gualtheri Η. Ryff. || DAs ist/ der grund vnnd kern gemeyner eynley= || tung der gantzen wundartzney/ alle züßll vnd || gebrechen menschlichs Cörpers/ als verwund = || ung vn Verletzung/ Apostem/ beule/ geschwell/1|offne eyngebrochne veraltete vnd newe böse Schäden/ vnd\ dergleichen böser zufäl/ so die handtwürckung erfordern/\\ künstlich vnd artlich zuheilen vnd Curieren/ auß rechtem | grundt der leib vnd wundartzney/ durch heymliche griff/ verborgne vnd be= || werte stuck/ biß auff dise zeyt in Teütscher sprach nit gelesen worden/\ für die jungen angonden wundärtzt/ in kürtze begriffen/ vnd || in sechs fümäme theyl vnderscheyden. || Sampt gwisser vnbetrüglicher prob/ besichtigung vnnd || Cur der aussetzigen oder veldtsiechen. || Auch wie man alle salben/ pflaster vnd öl/ künstlichen vnd artlichen bereytten I soll/ so von den erfarnesten berämpiste meystern gebraucht/ auch in rechtge= \schaffnen Apotecken bereyt werden. || Mit Künigklicher Maiestat freyheyt. | M.D. XLII. I letzte Seite: Getruckt zu Straßburg bey || Balthassar Beck. Signatur: H A B Wolfenbüttel 47 Medica (6) [ = V D 16 R 3916]

1545

Die groß Chirurgeil oder volkommene || Wundtartzenei. || CHirurgischen Handtwirckung eigentlicher Be || rieht/ vnd Jnhalt alles so der Wundartznei angehörig. || Mit kunstlicher Fürmalung/ klarer Beschreibung/ vnd Anzeyg || Vilfaltiger nutzbarkeyt vnd gebrauchs/ aller hierzu dienlicher vnd gebreuchlicher I Instrument oder Ferrament. Durch Gwaltherum H. Ryff/1| Argent. Medicum, vnd Chirurgum. || [.··]

Mit Rbm. Kais. Maiestat Gnad vnd Freiheyt. Zu Franckfurt bei Chr. Ege. || letzte Seite: Κ Gedruckt zu Franckfurt am Meyn/\ Bei Christian Egenolph/1| Anno M.D.XLV. || Jm Mertzen. Signatur: UB Erlangen 2 Trew. G 150 1559

[ = V D 16 R 3910]

Groß Chirurgeil oder volkommene || Wundtartznei. || CHirurgischen Handtwirckung eigentlicher Be = ||riehtIvnd Jnhalt alles so der Wundartznei angehörig. || Mit künstlicher Fürmalung/ klarer Beschreibung vnd Anzeyg vilfaltiger | nutzbarkeyt vnnd gebrauchs/ aller hierzu dienlicher vnnd gebreuchlicher Instrument oder || Ferrament. Deren gestalt vormals im Truck nit außgangen. Durch Ι Gwaltherum H. Ryff/ Argent. Medicum || vnnd Chirurgum. || [.·•]

544

Bibliographie

Mit Römischer Kaiserlicher Maiestat Gnad vnd Freiheyt. || Getruckt zu Franckfiirt am Meyn/ Bei Christian Egenolffs Erben. || Jm Jar Μ. D. LIX. || letzte Seite: Gedruckt zu Franckfort am Meyn/ Bei Chri = || stian Egenolffs Erben/ Jm Jar || M.D.LIX. Signatur: UB Erlangen 2 Trew. G i l l [= VD 16 R 3911] 1562

Letzste Theyl der grossen || Teutschen Chirurgeil oder vollkomme= || nen Wundtartznei. || Rechte/ warhaffte/ eygentliche vnderscheydung/\ vnd grändtliche Cur allerhandt eusserlicher Ge-1| schwulst/ Apostem/ Bläterlin/ vnd mancherley || Geschwelten des gantzen Leibs. || Gualtheri H. Ryff, Argentini Medici || & Chirurgi. || Zusampt angehenckten Antidotario/ Jnnhaltendt\ fast notwendigen vnd nützlichen bericht/ der Krafft/ tugent/1| vnd rechter ordenlicher Vermischung aller einfachen vnd Componierten stück/1| so als ein Werckzeug in aller Chirurgischen Handtwirckung von nb= || then/ wie solche bey den Alten/ auch jetzigen Ertzten || vnd Chirurgis im brauch vnd vbung. || Vormals im Truck nicht || auszgangen. || Cum Gratia & Priuilegio Imperiali. | Getruckt zu Franckfurt am Mayn/bey Chri= || stian Egenolffs seligen Erben. | Μ.Ό. LXIl. letzte Seite: Getruckt zu Franckfurt am Mccyn/ bey Chri = || stian Egenolffs seligen Erben. || Jm jhar M.D. LXII. Signatur: UB Erlangen 2 Trew. G 112 [= VD 16 R 3912]

1545

DAs NEW groß Distillier || Büch/ Wolgegründter Künstlicher Distillation. || GVALTHERIH. RYFF, | Medici, & Chirurgi. || Vnderweisung vnd bericht/ die fürnembste Distil =\\lierte Wasser/ Kostliche Aquas vita, Quintam essentiam, Heyl= | same 61/ Balsam/ vnd dergleichen vil guter Abzug/ so zu vilfaltigen || kranckheyten/ fehl vfl gebrechen menschlichs Cbrpers/fast nützlich gebraucht || werden mögen/Recht künstlich/ vnd vil auff bequemere art dann bißher/\ auch mit bequemerm zeug der Gefeß vnd Jnstrument/ des gantzen || Distillierzeugs/ Von Kreutern/ Blumen Wurtzlen/ Früch= || ten/ Gethier vnnd anderen stucken/ darinn natürliche || feuchte vnd Elementische krafft/ Einfach oder || mancherley gestalt vermischt vnd Compo= || niert/ Künstlichen ab zuziehen || oder Separieren. || 1 Mit ordenlichen vnd volkommenen Registern. | Mit Kais. Mai. vnd Rbm. Küniglichen Priuilegien. || Zu Franckfurt! Bei Christian Egenolff. letzte Seite: Getruckt zu Franckfurt am Meyn/1| Bey Christian Egenolph/ im Jar II M. D. XLV. Signatur: HAB Wolfenbüttel 24.3 Phys. 2° (2) [= VD 16 R 3978]

Medizinisch-arzneikundliche Quellen

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1556

FEld vnd Stattbüch\\ Bewerter Wundtartznei. New wi=\derumb ersehen. Zusampt dem Antidotari/\ Fürsorg vnd Vorrath der Chirurgei. Beschri\ben von Herrn Vualthero Ryffio, || Medico. || Cum Priuilegio Imperiali. | Zu Franckfort/ Bei Christian Egenolffs Erben. letzte Seite: Getruckt zu Franckfort am Meyn/ Bei Chri= || stian Egenolffs Erben. || M.D.LVI. Signatur: UB Erlangen 4 Trew. Ρ 482 [= VD 16 G 1629]

1606

Feldt vnd Stattbuch || Bewerter Wundtartz= || ney/durch den Wolerfahrnen vnd lang ge— || übten Wundartzt Hans von Gerdoiff[\] / genant Schyl= || hans/ mit sondern fleiß beschrieben. Zu sampt dem An = || tidotari/ Fhrsorg vnd Vorrath der I Chirurgia. || Cum Gratia & Priuilegio Imperiali. || [.··]

Getruckt zu Franckfurt am Mayn/ Jn Verlegung | Vincentij Steinmeyers. || MDC.VI. Signatur: UB Erlangen Med-II 1429 g Jean Tagault (Ioannes Tagaultius) 1543 IOANNIS TAGAVL-1 TU AMBIANI VIMACI, PARISIEN-1| SIS MEDICI, DE CHIRVRGICA || institutione libri quinque. || His accessit sextus Uber de materia chirurgica, authore || Iacobo Hollerio Stempano, medico Parisiensi. ||

[...]

PARISIIS. I Apud Christianum wechelum, sub scuto Basiliensi, || in vico Iacobceo: & sub Pegaso, in vico || Bellouacensi. M.D. XLIII. || Cum Priuilegio Signatur: UB Erlangen Med. III, 58 Jean Tagault/Gregor Zechendorfer 1574 Gr&ndtliche f vnd rechte Vnderweysung | der CHIRVRGLE oder Wundartzney: Nemlich/1| Von allerley Apostemen/ Peulen vnd Geschwulsten. Jtem/ Von allen frischen \ Wunden/ vnd alten offenen Schäden. Wie man allerley Geschoß auß den Wunden gewin - || nen/ vnd alle vnd jede Gebrechen vnd Zufell derselben verhüten vn vertreyben sol. Wie man auch allerley gifftiger Thier || Bissz vnd Stich vnd sonderlich eines tobenden vnd rasenden Hunds/ recht vnd wol sol heylen/ damit dem Verwundten || kein grössere beschwerung vnd andere gefahr darauß erfolge. Deßgleichen von Beinbrüchen/ von verrenckung der Ge= I lenck/ wie solche beschwerung erkannt/ vnd die Bein künstlich eyngericht/ zu recht gebracht/ vnd curiert werden sollen: || Vnd letzlich/ von vielen

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Bibliographie

vnd mancherley einfachen vnd vermischten Artzneyen/ welche einem Wundartzt notwendig || plagen/ vnd der Chirurgiae bedürften/ mit gutem Gewissen recht vnd I künstlich vertreyben vnd curim wil. || Erstlich von den hochgelehrten/fürtrefflichen vnd weytberühmpten Jo = || hanne Tagaultio von Amiens/ vnd Jacobo Hollerio von Stamps/ Statt&rtzt zu Pa= I riß/ in Lateinischer Sprach beschrieben. Nunmals aber zu ehren/ vnd vnderthänigstem gehorsam/ dem Durchlauchtigsten hochgebornen Fürsten vnd Herrn/ Herrn Augusto/ Hertzogen zu Sachsen/ deß heyligen R6mi= \ sehen Reichs Ertzmarschaln/ vnd Churfürsten/ rc. verdeutscht/ vnd allen liebhabern dieser || Kunst zum besten in druck verfertigt/ vormals in Teutscher Sprach || nie gesehen noch außgangen. || Durch I Gregorium Zechendorffern/ von der Leßnitz/ der freyen Künsten vnd Artzney Doctorem. ||

[...] Gedruckt zu Franckfurt am Mayn/ mit Röm. Keys. Mt. Freyheit/1| in zehen Jaren nicht nach zudrücken. || M. D. LXXIIII. letzte Seite: Gedruckt zu Franckfurt am Mayn/ bey Georg || Raben/ vnd Sigmund I Feyrabend. || [...] M.D. LXXIIII. Signatur: UB Erlangen 2 Trew. D 731 [= VD 16 Τ 67]

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