Die Kompetenzordnung der Aktiengesellschaft und schuldrechtliche Vereinbarungen mit Dritten [1 ed.] 9783428557431, 9783428157433

Der Autor untersucht das Verhältnis der aktienrechtlichen Kompetenzordnung und praktisch geprägtem Schuldrecht vor dem H

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German Pages 184 Year 2019

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Die Kompetenzordnung der Aktiengesellschaft und schuldrechtliche Vereinbarungen mit Dritten [1 ed.]
 9783428557431, 9783428157433

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Abhandlungen zum Deutschen und Europäischen Gesellschafts- und Kapitalmarktrecht Band 147

Die Kompetenzordnung der Aktiengesellschaft und schuldrechtliche Vereinbarungen mit Dritten Von

Jan L. Hoffmann Linhard

Duncker & Humblot · Berlin

JAN L. HOFFMANN LINHARD

Die Kompetenzordnung der Aktiengesellschaft und schuldrechtliche Vereinbarungen mit Dritten

Abhandlungen zum Deutschen und Europäischen Gesellschafts- und Kapitalmarktrecht Herausgegeben von Professor Dr. Holger Fleischer, LL.M., Hamburg Professor Dr. Hanno Merkt, LL.M., Freiburg Professor Dr. Gerald Spindler, Göttingen

Band 147

Die Kompetenzordnung der Aktiengesellschaft und schuldrechtliche Vereinbarungen mit Dritten Von

Jan L. Hoffmann Linhard

Duncker & Humblot · Berlin

Die Rechtswissenschaftliche Fakultät der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg hat diese Arbeit im Jahre 2018 als Dissertation angenommen.

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

Alle Rechte vorbehalten

© 2019 Duncker & Humblot GmbH, Berlin Satz: 3w+p GmbH, Rimpar Druck: CPI buchbücher.de gmbh, Birkach Printed in Germany

ISSN 1614-7626 ISBN 978-3-428-15743-3 (Print) ISBN 978-3-428-55743-1 (E-Book) ISBN 978-3-428-85743-2 (Print & E-Book) Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier entsprechend ISO 9706

Internet: http://www.duncker-humblot.de

Meinen Eltern

Vorwort Die vorliegende Arbeit wurde von der Rechtswissenschaftlichen Fakultät der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg im Wintersemester 2018/19 als Dissertation angenommen. Literatur und Rechtsprechung konnten bis zum 4. Oktober 2018 berücksichtigt werden. Meinem Doktorvater, Herrn Prof. Dr. Jan Lieder, LL.M. (Harvard), danke ich für die Betreuung der Dissertation, die bei der Arbeit gewährte große Freiheit, die wertvollen und hilfreichen Hinweise und Anmerkungen sowie die zügige Korrektur meiner Arbeit. Herrn Prof. Dr. Hanno Merkt, LL.M. (Univ. of Chicago), gilt besonderer Dank für die Übernahme des Zweitgutachtens. Herrn Prof. Dr. Dr. h.c. Holger Fleischer, LL.M. (Univ. of Michigan), Herrn Prof. Dr. Hanno Merkt, LL.M. (Univ. of Chicago), und Herrn Prof. Dr. Gerald Spindler gebührt mein Dank für die Aufnahme meiner Arbeit in die vorliegende Schriftenreihe. Dr. Nico Frehse danke ich für das mühevolle Korrekturlesen meiner Arbeit und die konstruktive Kritik. Meinen Großeltern, Elke und Enno, gebührt mein ausnehmender Dank für jeden Zuspruch, jeden Rat und jede Hilfe, die sie mir seit Kindestagen zukommen lassen. Mein ganz besonderer Dank gilt schließlich meinen Eltern, Kirsten und Pablo Hoffmann Linhard, für ihre unentwegte und bedingungslose Unterstützung während meines gesamten bisherigen Lebensweges. Ihnen ist diese Arbeit gewidmet. Hamburg, im Mai 2019

Jan Lars Hoffmann Linhard

Inhaltsverzeichnis Teil 1 Einleitung

15

Teil 2 Die Kompetenzordnung der Aktiengesellschaft

18

A. Historische Entwicklung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 18 B. Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 20 I. Zuständigkeitsverteilung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 20 II. Gewaltenteilung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21 C. Der Vorstand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22 I. Leitungs- und Geschäftsführungskompetenzen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22 1. Geschäftsführungskompetenz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22 2. Leitungskompetenz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22 a) Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22 b) Leitungsbegriff . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22 aa) Abgrenzung der Leitung von der Geschäftsführung . . . . . . . . . . . . . . . . 23 (1) Meinungsstand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23 (2) Stellungnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23 (3) Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 26 bb) Inhalt der Leitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 27 (1) Organpflichten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 27 (2) Unternehmerfunktion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 27 c) Leitungsermessen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 28 aa) Die Legalitätspflicht als das Leitungsermessen ausschließende Kriterium . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 30 (1) Grundlagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 30 (2) Nützliche Vertragsverletzungen als Ausnahme von der Legalitätspflicht? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 31 (a) Meinungsstand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 31 (b) Stellungnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 33 (3) Zwischenfazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 36

10

Inhaltsverzeichnis bb) Weitere Begrenzungen des Leitungsermessens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 36 cc) Die das Leitungsermessen prägenden Interessen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 37 (1) Überblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 37 (2) Stellungnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 39 (a) Der Verbandszweck als zwingendes Argument für den Interessenmonismus? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 39 (b) Weitergeltung der Gemeinwohlbindung aus § 70 Abs. 1 AktG 1937 als dogmatischer Anknüpfungspunkt des Interessenpluralismus? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 41 (c) Bindung an weitere Interessen durch Anknüpfung an das von der Gesellschaft getragene Unternehmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 42 (3) Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 44 dd) Vorrang der Aktionärsinteressen? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 44 ee) Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 48 d) Unveräußerlichkeit der Leitung – Vorwegbindungsverbot? . . . . . . . . . . . . . . 49 aa) Meinungsstand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 49 bb) Stellungnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 51 cc) Fiduciary-out . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 54 II. Aktienrechtliche Neutralitätspflicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 56 1. Ausschluss durch übernahmerechtliches Verhinderungsverbot, § 33 Abs. 1 Satz 1 WpÜG? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 57 a) Dogmatische Grundlagen des übernahmerechtlichen Verhinderungsverbots 57 b) Qualifikation des Regelungsgehalts des § 33 WpÜG . . . . . . . . . . . . . . . . . . 58 aa) Kompetenzzuweisung an die Verwaltung? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 58 bb) Kompetenzzuweisung an die Hauptversammlung? . . . . . . . . . . . . . . . . . 59 cc) Organpflicht des Vorstands? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 60 dd) Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 61 c) Ausschluss einer „aktienrechtlichen Neutralitätspflicht“ durch § 33 WpÜG? 61 aa) Im unmittelbaren Anwendungsbereich des § 33 Abs. 1 Satz 1 WpÜG

62

(1) Zeitlicher Anwendungsbereich des § 33 Abs. 1 Satz 1 WpÜG . . . . . 62 (2) Zeitliche Expansion durch Analogie? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 62 bb) Außerhalb des Anwendungsbereichs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 63 2. Herleitung einer aktienrechtlichen „Neutralitätspflicht“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . 65 a) Aktienrechtliche „Neutralitätspflicht“ als Ausfluss der Fremdinteressenwahrung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 65 b) Aktienrechtliche „Neutralitätspflicht“ als Ausfluss des § 53a AktG? . . . . . . 68 c) Weitere Einwände gegen das Bestehen einer aktienrechtlichen „Neutralitätspflicht“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 68 3. Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 69 III. Vertretungsmacht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 70 1. Abweichende ausschließliche Zuständigkeiten des Aufsichtsrats . . . . . . . . . . . 71

Inhaltsverzeichnis

11

2. Zwingendes Recht, gute Sitten und mangelnde Gestaltungsmacht . . . . . . . . . . 72 3. Weitere gesetzliche Einschränkungen von § 78 AktG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 72 D. Der Aufsichtsrat . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 73 I. Funktion und Kompetenzen des Aufsichtsrats . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 73 II. Mitglieder, Höchstpersönlichkeit und Unabhängigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 74 III. Ermessen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 75 E. Die Hauptversammlung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 76 I. Regelmäßig wiederkehrende Maßnahmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 77 II. Strukturmaßnahmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 77 III. Ungeschriebene Zuständigkeiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 77 IV. Verbandssouveränität und Satzungsautonomie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 79 1. Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 79 2. (Bloß) gesellschaftsrechtliche oder auch schuldrechtliche Wirkung? . . . . . . . . 80 3. Rechtsfolgen eines Verstoßes gegen den Grundsatz der Satzungsautonomie . . 82 F. Kompetenzordnung, Privatautonomie und Vertragsfreiheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 82 I. Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 82 II. Die Kompetenzordnung der Aktiengesellschaft als Schranke der Vertragsfreiheit? 84 III. Zwang der Kompetenzordnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 84 G. Rechtsfolgen eines Verstoßes schuldrechtlicher Vereinbarungen gegen die Kompetenzordnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 86 I. Materielle Grundlegung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 86 II. Apodiktische Berufung auf § 134 BGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 87 III. Verstoß gegen Vertretungskompetenzen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 88 1. Problematik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 88 2. Verstoß gegen § 112 AktG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 88 a) Meinungsstand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 88 b) § 112 AktG als gesetzliches Verbot? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 89 aa) Gesetz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 89 bb) Verbotsgesetz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 89 (1) Voraussetzungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 89 (2) Grenze oder Verbot? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 90 (a) Abgrenzungskriterien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 91 (aa) § 134 BGB als Interventionsvorbehalt . . . . . . . . . . . . . . . . . . 91 (bb) Gewährleistung der Widerspruchsfreiheit und Folgerichtigkeit des Rechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 92 (cc) § 134 BGB als Rechtsfortbildungsauftrag . . . . . . . . . . . . . . . 92 (dd) Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 93

12

Inhaltsverzeichnis (b) Bestehender Rechtsfortbildungsbedarf bei § 112 AktG? . . . . . . 93 (aa) Regelungsgehalt des § 112 AktG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 93 (bb) Ausschließlich aktienrechtliche Regelung ohne Rechtsfolgengehalt für Verstöße? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 94 (cc) Mangelnder Rechtsfortbildungsbedarf wegen der Anwendbarkeit der allgemeinen bürgerlich-rechtlichen Vorschriften über vertretungsmachtloses Handeln? . . . . . . . . . . . . . . . . . . 94 c) Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 98 d) Folgen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 99 3. § 78 AktG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 99 4. Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 100 IV. Verstoß gegen § 76 Abs. 1 AktG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 100 1. Meinungsstand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 100 2. Stellungnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 101 3. Rechtsfolgen eines Verstoßes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 105 a) Außenverhältnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 105 b) Innenverhältnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 106 4. Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 106 V. Übergriffe des Vorstands in Kompetenzen anderer Organe . . . . . . . . . . . . . . . . . . 106 VI. Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 107

Teil 3 Schuldrechtliche Vereinbarungen im Bereich der Kompetenzordnung

108

A. Parteien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 108 I. AG und ihre Organe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 108 II. Weitere Personen zur Absicherung des gewünschten Erfolgs . . . . . . . . . . . . . . . . 110 B. Erscheinungsformen und Inhalte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 111 I. Investorenvereinbarungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 111 1. Motive . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 112 2. Betroffene Sachverhalte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 112 3. Rechtliche Einordnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 113 a) Gesellschaft bürgerlichen Rechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 113 b) Unternehmensvertrag . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 116 aa) Verdeckter Beherrschungsvertrag . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 117 (1) Voraussetzungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 117 (2) Keine rechtliche Durchsetzbarkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 120 bb) Gewinnabführungsvertrag . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 122 cc) Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 122

Inhaltsverzeichnis

13

c) Entherrschungsvertrag . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 123 d) Faktischer Konzern . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 124 e) Sonstiger schuldrechtlicher Vertrag . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 125 f) Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 125 4. Abschlusskompetenz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 126 II. Zusammenschlussvereinbarungen (Business Combination Agreements) . . . . . . . . 127 1. Motive . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 127 2. Rechtliche Einordnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 128 C. Zulässigkeit bestimmter Klauseln . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 128 I. Vereinbarungen betreffend Personalkompetenzen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 128 1. Besetzung des Vorstands . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 129 a) Meinungsstand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 130 b) Maßstab . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 131 c) Besetzungsverpflichtung des Dritten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 132 d) Unterlassensverpflichtung des Dritten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 132 e) Einwirkungsverpflichtung des Dritten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 134 f) Schuldrechtliche Vorschlags- oder Zustimmungsrechte gegenüber der AG 136 g) Verpflichtung der AG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 137 h) Aufsichtsratsbeteiligung? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 137 i) Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 140 2. Besetzung des Aufsichtsrats . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 140 a) Meinungsstand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 141 b) Besetzungsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 142 aa) Problematik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 142 bb) Besetzungsrecht zugunsten des Dritten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 143 (1) Handlungsverpflichtung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 143 (a) Ohne Beteiligung des kompetenten Organs . . . . . . . . . . . . . . . . . 143 (b) Unter Beteiligung des kompetenten Organs . . . . . . . . . . . . . . . . 144 (c) Bemühensverpflichtungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 145 (2) Unterlassensverpflichtung des Dritten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 145 cc) Abreden bezüglich Beschlussvorschlägen i.R.d. Hauptversammlung . . 146 dd) Rechtsfolgen unzulässiger Abreden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 146 ee) Vereinbarungen über die gerichtliche Bestellung des Aufsichtsrats . . . . 146 ff) Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 148 II. Vereinbarungen betreffend Kapitalmaßnahmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 148 1. Reguläre Kapitalmaßnahmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 149 a) Meinungsstand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 150 b) Stellungnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 152 aa) Kein Verstoß gegen § 76 Abs. 1 AktG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 152

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Inhaltsverzeichnis bb) Kein Verstoß gegen den Grundsatz der Satzungsautonomie . . . . . . . . . . 152 cc) Kein Verstoß gegen Verbotsgesetz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 152 dd) Verstoß gegen andere zwingende gesellschaftsrechtliche Prinzipien . . . 152 c) Möglichkeit zustimmenden Hauptversammlungsbeschlusses? . . . . . . . . . . . 153 aa) Meinungsstand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 153 bb) Stellungnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 155 2. Genehmigtes Kapital . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 156 a) Meinungsstand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 157 b) Stellungnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 158 aa) Kompetenzübergriff? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 158 bb) Verstoß gegen § 76 Abs. 1 AktG? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 159 cc) Keine Verzerrung des Unternehmensinteresses . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 161 c) Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 162

Teil 4 Wesentliche Thesen

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Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 167 Stichwortverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 182

Teil 1

Einleitung Schuldrechtliche Vereinbarungen zwischen einer Aktiengesellschaft (AG) und Dritten im Zusammenhang mit geplanten Transaktionen, etwa mit Investoren, sind aus der juristischen Praxis heute nicht mehr wegzudenken. Denkbar sind hierbei Regelungen zur Vermeidung der Verwässerung des Aktienanteils oder der Bestellung von Aufsichtsratsmitgliedern. Solche Vereinbarungen werfen dogmatisch allerdings verschiedene, in der juristischen Diskussion bisher erst seit kurzem beleuchtete Probleme auf. Denn obschon es in der Regel um schuldrechtliche Bindungen geht, die anerkanntermaßen eigenständig neben korporativen Bestimmungen wirksam bestehen können1, können sie – zumindest nach vielfach geäußerter Meinung – ihrem Inhalt nach dennoch derart gegen aktienrechtlich zwingende Vorschriften verstoßen, dass sie das Schicksal der Unwirksamkeit bzw. Nichtigkeit ereilt. Die Problematik zeigt sich gerade in Fällen, in denen sich eine AG, vertreten durch den Vorstand, gegenüber einem Dritten, etwa einem Bieter, verpflichtet, sich in bestimmter Weise zu verhalten, um eine Maßnahme desselben zu erleichtern, nicht zu verhindern oder nicht zu erschweren. Hier trifft das von der korporativen Ebene grundsätzlich losgelöste Schuldrecht auf die strenge Kompetenzordnung der Aktiengesellschaft. Die Wirkungen, die solche Vereinbarungen zeitigen, und die Voraussetzungen, unter denen sie wirksam sind, sind nach wie vor nicht endgültig geklärt. Probleme ergeben sich dabei teilweise bereits bei der Bestimmung der Rechtsnatur entsprechender Vereinbarungen. Misst man der Vereinbarung Wirkungen einer faktischen Leitungsunterstellung bei, ergeben sich daraus unter Anwendung der Grundsätze über den faktischen, bzw. verdeckten Beherrschungsvertrag2 vor allem Fragen im Zusammenhang mit Hauptversammlungskompetenzen. Unabhängig davon können die jeweiligen Inhalte einer solchen Vereinbarung Vorstands- bzw. Aufsichtsratskompetenzen betreffen und ggf. verletzen.

1

Vgl. nur Pentz, in: MüKoAktG, § 23 Rn. 187 f.; Solveen, in: Hölters, AktG, § 23 Rn. 41. Nur, soweit man die Figur des faktischen Beherrschungsvertrag überhaupt anerkennt; ablehnend bspw. Koch, in: Hüffer/Koch, AktG, § 291 Rn. 14; speziell die Möglichkeit der Qualifizierung einer schuldrechtlichen Vereinbarung als faktischen Beherrschungsvertrag ablehnend Ederle, AG 2010, 273, 278; anerkennend z. B. OLG Schleswig, NZG 2008, 868. 2

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Teil 1: Einleitung

Ziel der Untersuchung ist es, das dogmatische Verhältnis zwischen schuldrechtlichen Vereinbarungen der AG und ihrer gesetzlichen Kompetenzordnung darzustellen und zu überprüfen, inwiefern solche Vereinbarungen wirksam vereinbart werden bzw. bestehen können. Anlass der Untersuchung boten die in der Literatur hinsichtlich ihrer Begründung und auch ihren Ergebnissen teils stark kritisierten Entscheidungen des LG München I3 und des OLG München4 in Sachen Amerigon/W.E.T. Automotive. Dort haben die Gerichte eine sog. Zusammenschlussvereinbarung (englisch Business Combination Agreement) als unvereinbar mit der Kompetenzordnung der Aktiengesellschaft und nichtig eingestuft. Die grundsätzliche Thematik ist mittlerweile mehrfach monographisch bearbeitet worden. Hier sind insbesondere die Arbeiten von Steinert5, Heß6, Arens7, Herwig8, Heptner9 und Wiegand10 zu nennen. Sie alle befassen sich in mehr oder weniger großem Umfang und mit unterschiedlichen Schwerpunktsetzungen mit dem Verhältnis zwischen aktienrechtlicher Kompetenzordnung und allgemeinem Schuldrecht. Gegenstände der vorliegenden Untersuchung sind im Wesentlichen Investorenvereinbarungen sowie Zusammenschlussvereinbarungen. Dass die Thematik insbesondere auch aus wirtschaftlichen Gesichtspunkten ungebrochen interessant ist, zeigt sich an der Häufigkeit, mit der entsprechende Investoren- oder Zusammenschlussvereinbarungen zwischen AG und Bieter oder Parteien einer Fusion abgeschlossen werden11. Einschlägige Rechtsprechung findet sich bislang dennoch bloß sporadisch. Das Landgericht München I hatte bereits mehrmals Gelegenheit sich zu Zusammenschlussvereinbarungen zu äußern. Das Gericht sah in einer der zugrundeliegenden Zusammenschlussvereinbarung einen verdeckten Beherrschungsvertrag, welcher gem. § 293 Abs. 1 Satz 1 AktG der – nicht gegebenen – Zustimmung der Hauptversammlung bedurft hätte12. Im zweiten Fall nahm es zunächst eine rechtliche Einheit gem. § 139 BGB zwischen einem Beherrschungs- und Gewinnabführungsvertrag und einer Zusammenschlussvereinbarung sowie ferner einen Verstoß der Zusammenschlussvereinbarung gegen die aktienrechtliche Kompe3

LG München I, NZG 2012, 1152 ff. OLG München, AG 2012, 260 ff. (erstes Freigabeverfahren) und AG 2013, 173 ff. (zweites Freigabeverfahren). 5 Steinert, Investorenvereinbarung. 6 Heß, Investorenvereinbarungen. 7 Arens, Einflussrechte. 8 Herwig, Leitungsautonomie. 9 Heptner, Einschränkungen. 10 Wiegand, Investorenvereinbarungen und Business Combination Agreements. 11 Jüngst z. B. die Zusammenschlussvereinbarung zwischen Linde plc, Linde AG, Praxair Inc., Zamalight HoldCo LLC und Zamalight SubCo, Inc vom 01. 06. 2017. 12 LG München I, ZIP 2008, 555, 559 ff. 4

Teil 1: Einleitung

17

tenzordnung an.13 Folge des Verstoßes sei nach dem LG München I die Nichtigkeit gem. § 134 BGB.14 Das OLG Stuttgart konkretisierte zuletzt zumindest die Voraussetzungen, unter denen von einer rechtlichen Einheit zwischen Zusammenschlussvereinbarung und einem Beherrschungs- und Gewinnabführungsvertrag auszugehen ist.15 Daneben äußerten sich auch das OLG Schleswig16 sowie das LG Nürnberg-Fürth17 jeweils zu Fragen bezüglich der Beherrschung im Zusammenhang mit Zusammenschlussvereinbarungen. Das OLG Frankfurt entschied, dass der Abschluss einer Zusammenschlussvereinbarung nicht der vorherigen Zustimmung der Hauptversammlung bedürfe.18 Betrachtet man das Verhältnis zwischen aktienrechtlicher Kompetenzordnung und zuwiderlaufenden schuldrechtlichen Vereinbarungen, sind diverse Fragen noch nicht endgültig beantwortet. Es ist das Ziel der vorliegenden Arbeit, die sich nicht auf eine Fallgruppen-Besprechung verengen, sondern den gerade dem Aktienrecht innewohnenden kautelarjuristischen Innovationen Rechnung tragen möchte, die Bewertung auch zukünftiger Rechtskonstruktionen und deren Gestaltung durch rechtsdogmatische Grundlegung zu erleichtern. Im folgenden Teil werden die dogmatischen Grundlagen dargestellt und herausgearbeitet, die im dritten Teil auf ausgewählte Fallkonstellationen angewandt werden.

13 14 15 16 17 18

LG München I, NZG 2012, 1152 ff. LG München I, NZG 2012, 1152, 1154. OLG Stuttgart, AG 2015, 163, 164 ff. OLG Schleswig, AG 2006, 120 ff. LG Nürnberg-Fürth, AG 2010, 179 f. OLG Frankfurt a.M., NZG 2014, 1017, 1019.

Teil 2

Die Kompetenzordnung der Aktiengesellschaft A. Historische Entwicklung Ein einheitliches Recht der Aktiengesellschaften wurde (zumindest für Handelsgewerbe betreibende Gesellschaften) in Deutschland erstmalig im ADHGB 186119 in den Art. 207 – 249 gesetzlich normiert.20 Danach bestand die Aktiengesellschaft aus zwei obligatorischen Organen, nämlich der Generalversammlung (seit dem AktG 1937: Hauptversammlung) und dem von ihr gewählten und ihren Weisungen unterstehenden Vorstand als Verwaltungsorgan. Die Bildung eines Aufsichtsrats21 war (zunächst) fakultativ.22 Wurde ein Aufsichtsrat dennoch bestellt, so hatte er nach Art. 225 Abs. 1 ADHGB 1861 die Geschäftsführung der Gesellschaft „in allen Zweigen der Verwaltung“ zu überwachen.23 Mit der Aktienrechtsnovelle von 187024 beschloss der Gesetzgeber die zwingende Errichtung eines Aufsichtsrats als Überwachungsorgan.25 Diese Aktienrechtsnovelle begründete damit in Abkehr vom monistischen Verwaltungssystem ein dualistisches Verwaltungssystem für deutsche Aktiengesellschaften.26 Die Generalversammlung blieb allerdings oberstes Willensbildungsorgan der AG. Die nächste Entwicklungsstufe des normierten Aktienrechts stellte das HGB von 1897 dar. An der Verfassung der AG änderte das HGB von 1897 jedoch relativ wenig. Erwähnenswert ist hier hauptsächlich das Bekenntnis des Gesetzgebers zur Aktiengesellschaft als juristische Person durch Streichung des Satzes, nach dem ein

19

Allgemeines Deutsches Handelsgesetzbuch von 1861. Pahlow, in: Bayer/Habersack, Aktienrecht im Wandel, Bd. I, Kap. 8 Rn. 1. 21 Zur Entwicklung des Aufsichtsrats umfassend: Lieder, Aufsichtsrat, passim. 22 Lieder, Aufsichtsrat, S. 78. 23 Lieder, Aufsichtsrat, S. 78. 24 Gesetz, betreffend die Kommanditgesellschaften auf Aktien und die Aktiengesellschaften, Bundes-Gesetzblatt des Norddeutschen Bundes 1870, S. 375; dazu auch Lieder, Aufsichtsrat, S. 93 ff. 25 Lieder, in: Bayer/Habersack, Aktienrecht im Wandel, Bd. I, Kap. 10 Rn. 69; ders., Aufsichtsrat, S. 102 f.; unklar insoweit Spindler, in: MüKoAktG, Vor § 76 Rn. 7, nach dem angeblich erst die Aktienrechtsnovelle von 1884 den Aufsichtsrat als Überwachungsorgan zwischen Vorstand und Generalversammlung etabliert habe. 26 Lieder, in: Bayer/Habersack, Aktienrecht im Wandel, Bd. I, Kap. 10 Rn. 127. 20

A. Historische Entwicklung

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Aktionär „einen verhältnismäßigen Antheil am Vermögen der Gesellschaft“ innehatte, Art. 216 Abs. 1 ADHGB.27 Erst 40 Jahre später wurde das Kompetenzgefüge der AG durch das AktG 1937 gravierend neu und selbstständig außerhalb des HGB geordnet.28 Mit dem AktG 1937 stieg die Verwaltung zu dem die Gesellschaft bestimmenden Organ auf. Insbesondere die Stellung des Vorstands wurde durch den eingeführten Leitungsbegriff (§ 70 Abs. 1 AktG 1937) auf Kosten der Stellung der Hauptversammlung erheblich gestärkt:29 Die Weisungsbefugnis der Hauptversammlung gegenüber dem Vorstand entfiel. Die Hauptversammlung konnte vielmehr nur noch auf Verlangen des Vorstands über Leitungsmaßnahmen entscheiden, § 103 Abs. 2 AktG 1937. Letztlich fand so die bis dahin vorherrschende vertikale Organstruktur der Aktiengesellschaft im deutschen Recht ihr Ende.30 Als Ergebnis nationalsozialistischer Bestrebungen, d. h. dem der Zeit innenwohnenden „Führerprinzip“31, erhielt der Vorstandsvorsitzende zudem mit § 70 Abs. 2 Satz 2 AktG 1937 gesetzlich das Recht, bei Meinungsverschiedenheiten im Vorstand alleine entscheiden zu können.32 Neu daran war indes lediglich die Qualität als ausdrücklich normierte Regelung, denn auch vor Inkrafttreten des Gesetzes war es bereits möglich, einen „Generaldirektor“, ähnlich der im anglo-amerikanischen Aktienrecht typischen Figur des CEO, zu ernennen.33 Während der Zeit nach Ende des zweiten Weltkrieges war die Aktiengesellschaft als Rechtsform für den Kapitalmarkt kaum attraktiv. Das hatte zum einen damit zu tun, dass Gewinnausschüttungen wegen der neuen Kompetenzverteilung selten waren. Zum anderen haben sich Aktiengesellschaften größtenteils (auch mangels Möglichkeit der Fremdkapitalfinanzierung) selbst finanziert.34 Unter anderem diese Entwicklungen führten zu Reformbemühungen, die letztlich in der Aktienrechtsreform von 196535 mündeten. Das AktG 1965 behielt die bestehende Kompetenzordnung grundsätzlich bei, fügte allerdings einige wichtige Änderungen ein, um Befugnisse von Aufsichtsrat und Hauptversammlung zu stärken sowie die rechtliche Stellung der Aktionäre zu verbessern.36 Dabei sind die Einführung des § 58 Abs. 2 AktG, die Neufassung des § 76 AktG und damit einhergehend die Streichung des § 70 AktG 1937, die Einführung des Konzernrechts sowie 27

Pahlow, in: Bayer/Habersack, Aktienrecht im Wandel, Bd. I, Kap. 12 Rn. 13. Vgl. Bayer/Engelke, in: Bayer/Habersack, Aktienrecht im Wandel, Bd. I, Kap. 15 Rn. 56. 29 Bayer/Engelke, in: Bayer/Habersack, Aktienrecht im Wandel, Bd. I, Kap. 15 Rn. 63 f.; siehe auch Lieder, Aufsichtsrat, S. 342 ff. 30 Vgl. ausführlich dazu Lieder, Aufsichtsrat, S. 342 ff. 31 Kropff, in: Bayer/Habersack, Aktienrecht im Wandel, Bd. I, Kap. 16. Rn. 57. 32 Dazu auch Lieder, Aufsichtsrat, S. 344 f. 33 v. Godin/Wilhelmi/Wilhelmi, AktG, § 76 Anm. 6. 34 Bspw. wurden Zugänge zum Sachanlagevermögen 1955 zu 83,5 % und 1957 zu 86,8 % eigenfinanziert: Kropff, in: Bayer/Habersack, Aktienrecht im Wandel, Bd. I, Kap. 16 Rn. 6. 35 BGBl. I, S. 1089. 36 Spindler, in: MüKoAkt, Vor § 76 Rn. 24. 28

20

Teil 2: Die Kompetenzordnung der Aktiengesellschaft

die Kodifizierung der Satzungsstrenge in § 23 Abs. 5 AktG hervorzuheben. Vor allem die Neufassung des § 76 AktG führte vor dem Hintergrund der Eigenverantwortlichkeit der Leitung durch die Aufgabe der normierten Bezugnahme auf das Gemeinwohl zu kritischen Auseinandersetzungen hinsichtlich der Leitungsmaxime des Vorstands.37 § 70 Abs. 1 AktG 1937 lautete: „Der Vorstand hat unter eigener Verantwortung die Gesellschaft so zu leiten, wie das Wohl des Betriebs und seiner Gefolgschaft und der gemeine Nutzen von Volk und Reich es fordern“. Der fehlende Gemeinwohlbezug im neuen § 76 Abs. 1 AktG war dann auch Anlass zu den Diskussionen.38 In der Regierungsbegründung findet sich als Ergebnis dieser Diskussionen der Hinweis, dass der Vorstand auch weiterhin die Interessen der Aktionäre, Arbeitnehmer und der Allgemeinheit zu berücksichtigen habe. Das sei selbstverständlich und deshalb im Normtext obsolet.39 Noch heute gilt die durch das AktG 1965 gefasste Kompetenzordnung der Aktiengesellschaft als gesetzlich normiertes Recht. Die Entwicklung der Kompetenzordnung wurde in den vergangenen Jahrzehnten zuletzt daher nicht durch den Gesetzgeber, sondern maßgeblich durch die Rechtsprechung geprägt.40

B. Allgemeines I. Zuständigkeitsverteilung Bei der im Kernpunkt der Untersuchung stehenden Kompetenzordnung geht es um das korporative Prinzip der Zuständigkeitsverteilung als Teil der gesetzlichen Organisationsverfassung einer AG.41 Das Gesetz teilt den drei Organen der Gesellschaft bestimmte Zuständigkeiten (Kompetenzen) zu und schreibt gleichzeitig teilweise ausdrücklich die Grenzen vor, vgl. etwa § 111 Abs. 4 Satz 1 AktG. Geteilt sind die Kompetenzen der AG in die der Aktionäre und die der Verwaltung, d. h. des Vorstands sowie des Aufsichtsrats42. Die Kompetenzen der Verwaltung sind abermals getrennt, aufgeteilt in Kompetenzen des Vorstands und des Aufsichtsrats. Die Kompetenzordnung der Aktiengesellschaft ist nach hergebrachtem Rechtsverständnis zwingender Natur. Das bedeutet, dass betreffend die Kompetenzordnung selbst durch Satzung keine abweichenden Veränderungen getroffen werden kön-

37

s. dazu unten Teil 2, C.I.2.c). Vgl. den Ausschussbericht zum RegE bei Kropff, AktG, S. 97 f. 39 RegBegr., abgedruckt bei Kropff, AktG, S. 97 f. 40 Vor allem im Zusammenhang mit ungeschriebenen Hauptversammlungskompetenzen und ihren Folgen – Holzmüller- und Gelatine-Rechtsprechung des BGH. Dazu sogleich unter Teil 2, E.III. 41 Vgl. Brändel, in: GroßKommAktG, 4. Aufl., § 1 Rn. 27; Mertens/Cahn, in: KölnKommAktG, Vor § 76 Rn. 1 f.; Spindler, in: MükoAktG, Vor § 76 Rn. 1. 42 Spindler, in: MüKoAktG, Vor § 76 Rn. 5. 38

B. Allgemeines

21

nen.43 Die Kompetenzen des Vorstands finden sich vorrangig in den §§ 76 ff. AktG, die des Aufsichtsrats hauptsächlich in § 111 AktG und die der Hauptversammlung als Kollektiv der Aktionäre in § 119 AktG. Da sich der deutsche Gesetzgeber – gegensätzlich zu den die M&A-Praxis prägenden angloamerikanischen Modellen – für eine horizontale Organstruktur der AG entschieden hat,44 ist der gesetzlichen Konzeption zufolge kein Organ einem anderen derselben Gesellschaft von Gesetzes wegen überragend.45 Vereinzelte aktuelle Versuche, der Hauptversammlung aufgrund ihrer Aufsichtsratsbestellungsbefugnisse und der damit einhergehenden mittelbaren Beteiligung an der Bestellung der Vorstandsmitglieder sowie der Befugnis zur Änderung des Unternehmensgegenstands die Stellung als oberstes Organ der AG zuzusprechen,46 sind abzulehnen. Man kann der Hauptversammlung danach zwar eine gewisse Dominanz innerhalb der Organisationsstruktur zugestehen.47 Jedoch zeigt die historische Entwicklung der AG48 sowie die mangelnde KompetenzKompetenz und Weisungsbefugnis gegenüber dem Vorstand, dass es keine hierarchische Kompetenzordnung (mehr) gibt.49

II. Gewaltenteilung Das Vorhandensein einer Gewaltenteilung im Aktienrecht „im Sinne einer Gewaltenverzahnung und gegenseitigen Gewaltenkontrolle“50 ist inzwischen ganz allgemein anerkannt.51 Es besteht ein gesetzliches System der sog. „checks and balances of power“52.53

43

Vgl. Fleischer, in: Spindler/Stilz, AktG, § 76 Rn. 7 m.w.N. Vgl. Otto, NZG 2013, 930, 933. 45 BVerfG NJW 2000, 349, 350; Koch, in: Hüffer/Koch, AktG, § 118 Rn. 4; Raiser/Veil, Kapitalgesellschaftsrecht, § 13 Rn. 11; Kubis, in: MüKoAktG, § 118 Rn. 10; Spindler, in: K. Schmidt/Lutter, AktG, § 118 Rn. 10 u. § 119 Rn. 3. 46 Herwig, Leitungsautonomie, S. 38; in diese Richtung auch Mülbert, in: GroßKommAktG, Vor §§ 118 Rn. 43. 47 So auch Mertens/Cahn, in: KölnKommAktG, Vor § 76 Rn. 1; vgl. auch Mülbert, in: GroßKommAktG, Vor §§ 118 Rn. 43. 48 Dazu eingehend oben Teil 2, A. 49 Vgl. auch Lieder, ZHR 180 (2016), 552, 553; Seibt, in: FS K. Schmidt, 2009, 1463, 1468. 50 K. Schmidt, Gesellschaftsrecht, § 28 V; Otto, AG 1991, 369, 373; Steinert, Investorenvereinbarung, S. 78. 51 Vgl. nur LG Köln, AG 2008, 327, 330 ff.; Schall, in: Spindler/Stilz, AktG, § 117 Rn. 1; K. Schmidt, Gesellschaftsrecht, § 28 V; Dietrich, DStR 2003, 1577, 1578; Mertens, NJW 1970, 1718, 1719; Möhring, in: FS Gessler, 1971, 127 ff.; Otto, AG 1991, 369, 373; Steinert, Investorenvereinbarung, S. 77 f.; Zöllner, in: FS Westermann, 1974, 603, 606; offener noch Hommelhoff, ZHR 143 (1979), 288, 308. 52 Raiser/Veil, Kapitalgesellschaftsrecht, § 13 Rn. 11; ferner Immenga, AG 1992, 79, 81. 53 Vgl. Koch, in: Hüffer/Koch, AktG, § 76 Rn. 5; Arens, Einflussrechte, S. 59. 44

22

Teil 2: Die Kompetenzordnung der Aktiengesellschaft

C. Der Vorstand Der Vorstand leitet die AG (§ 76 Abs. 1 AktG) und vertritt sie nach außen (§ 78 AktG).

I. Leitungs- und Geschäftsführungskompetenzen 1. Geschäftsführungskompetenz Die dem Vorstand zugewiesene Geschäftsführungsbefugnis wird gesetzlich nicht ausdrücklich postuliert. Vielmehr ergibt sich die Zuweisung aus einem Blick auf einige Normen der gesetzlichen Kompetenzordnung, vgl. §§ 76, 77 Abs. 1, 78, 82 Abs. 2 AktG. Geschäftsführung beschreibt jedes Handeln des Vorstands für die Gesellschaft.54 Im Gegensatz zur (Außen-)Vertretungskompetenz des § 78 AktG bezieht sich die Geschäftsführungsbefugnis nur auf gesellschaftsinterne Willensbildung und Entscheidungsfindung.55 2. Leitungskompetenz a) Allgemeines § 76 Abs. 1 AktG regelt die Leitungsmacht des Vorstands. Die Vorschrift ist einerseits eine positive, innergesellschaftliche, und ausschließliche Kompetenzzuweisung der Unternehmensleitung der Gesellschaft an den Vorstand. Andererseits schließt sie Aufsichtsrat und Hauptversammlung negativ von der Unternehmensleitung aus.56 b) Leitungsbegriff Der Begriff der Leitung ist gesetzlich nicht definiert, sondern nur verschiedentlich erwähnt. Auch wenn § 76 Abs. 1 AktG von der Leitung der Gesellschaft spricht, fällt die Leitung des von der Gesellschaft getragenen Unternehmens als auf die Verwirklichung bestimmter Zwecke gerichtete wirtschaftliche Einheit ebenso unter die Vorschrift.57 Insgesamt lässt sich die Leitung i.S.v. § 76 Abs. 1 AktG als die Wahrnehmung der Unternehmerfunktion in der Aktiengesellschaft verstehen.58 Bei 54

Mertens/Cahn, in: KölnKommAktG, § 77 Rn. 2; Spindler, in: MüKoAktG, § 77 Rn. 6; ähnlich Kort, in: GroßKommAktG, § 77 Rn. 3. 55 Kort, in: GroßKommAktG, § 77 Rn. 1. 56 Fleischer, in: Vorstandsrecht, § 1 Rn. 4; Herwig, Leitungsautonomie, S. 69. 57 Spindler, in: MüKoAktG, § 76 Rn. 13. 58 Kort, in: GroßKommAktG, § 76 Rn. 29a; Mertens/Cahn, in: KölnKommAktG, § 76 Rn. 4; ähnlich Spindler, in: MüKoAktG, § 76 Rn. 15.

C. Der Vorstand

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schuldrechtlichen Vereinbarungen im Zusammenhang mit der Kompetenzordnung ist es gerade wegen der Rechtsfolge von Verstößen gegen § 76 Abs. 1 AktG59 wichtig, die Geschäftsführung von der Leitung abzugrenzen. aa) Abgrenzung der Leitung von der Geschäftsführung Die genaue Abgrenzung von Maßnahmen der Geschäftsführung von denen der Leitung ist nach wie vor uneinheitlich. Beide sind jedenfalls dem Vorstand zugewiesen. Einen Unterschied kann es aber machen, sobald es um das Verhältnis der Vorstandstätigkeit zu anderen Organen oder um schuldrechtliche Vereinbarungen mit Dritten geht. So stellt sich die Frage, was genau der Aufsichtsrat zu überwachen berechtigt und verpflichtet ist, wenn das Gesetz in § 111 Abs. 1 AktG von der Geschäftsführung spricht. In § 111 Abs. 4 AktG wird außerdem postuliert, dass dem Aufsichtsrat Maßnahmen der Geschäftsführung nicht übertragen werden dürfen. Daneben dient die Unterscheidung den Vertretern, die keine Inhaltsgleichheit zwischen Geschäftsführung und Leitung annehmen, als maßgebliches Kriterium zur Lösung von Fragen betreffend die Möglichkeit der Delegation verschiedener Tätigkeitsbereiche des Vorstands. Zuletzt ist unklar, ob das Gesetz, wenn es in §§ 76 und 77 AktG schon unterschiedliche Begriffe verwendet, bei Verstößen gegen die Leitungskompetenz oder Geschäftsführungskompetenz auch auf der Rechtsfolgenseite differenziert. (1) Meinungsstand Zum Teil werden den Begriffen Geschäftsführung und Leitung zumindest im Innenverhältnis identische Inhalte beigemessen. Leitung sei danach als Oberbegriff von (interner) Geschäftsführungs- und (externer) Vertretungsbefugnis zu verstehen.60 Ganz überwiegend wird die Leitung indes als ein herausgehobener Teil der innergesellschaftlichen Geschäftsführung verstanden.61 (2) Stellungnahme Der Ansicht eines innergesellschaftlich identischen Inhalts von Geschäftsführung und Leitung ist zuzugeben, dass im Gesellschaftsrecht terminologisch regelmäßig zwischen dem Außen- und Innenverhältnis, mithin zwischen Geschäftsführungs-

59 60

11 ff. 61

Hierzu s. u. Teil 2, G.IV. Mielke, Leitung, S. 37; Semler, Leitung und Überwachung, Rn. 5 f.; ders., ZGR 1983, 1,

So Dauner-Lieb, in: Henssler/Strohn, GesR, § 76 AktG Rn. 5; Fleischer, in: Spindler/ Stilz, § 76 Rn. 14; Hüffer, in: Bayer/Habersack, Aktienrecht im Wandel II, Kap. 7 Rn. 20; Kort, in: GroßKommAktG, § 76 Rn. 29a; ders., NZG 2009, 364, 365; Mertens/Cahn, in: KölnKommAktG, § 76 Rn. 4; Spindler, in: MüKoAktG, § 76 Rn. 17; Wiesner, in: MünchHdbGesR Bd. 4, § 19 Rn. 13; Henze, BB 2000, 209; Herwig, Leitungsautonomie, S. 49.

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befugnis und Vertretungsbefugnis, differenziert wird.62 Überträgt man dieses allgemeine Verständnis direkt auf die Aktiengesellschaft, ist das Ergebnis der Leitung als Oberbegriff von Geschäftsführungs- und Vertretungsbefugnis naheliegend. Daneben sieht Mielke einen Widerspruch zwischen § 111 Abs. 1 AktG und § 90 Abs. 1 Nr. 1 AktG, wenn man Leitung und Geschäftsführung innergesellschaftlich unterschiedliche Bedeutung zumesse.63 Zuletzt scheint auch die Begründung zum RegE des § 77 AktG 1965 für diese Ansicht zu streiten. Danach stünden dem Vorstand gem. § 70 Abs. 1 AktG 1937 sowohl die (Außen-)Vertretungs- als auch die (Innen-) Geschäftsführungsbefugnis zu.64 § 70 Abs. 1 AktG 1937 postulierte, dass der Vorstand die Gesellschaft „zu leiten“ habe. Und der Umstand, dass nach der Begründung zum RegE AktG 1965 „[das] Aktiengesetz […] scharf zwischen der Vertretungsbefugnis nach außen und der Geschäftsführungsbefugnis nach innen [unterscheidet]“,65 während zum Verhältnis der Geschäftsführungsbefugnis oder der Vertretungsbefugnis zur Leitung nichts erwähnt wird, könnte als Argument dafür herangezogen werden, dass der Gesetzgeber die Leitung als Oberbegriff für Geschäftsführungsbefugnis und Vertretungsmacht ansah. An anderer Stelle zeigt sich, dass der Gesetzgeber den Bereich der Leitung umfassender begriff als den Bereich der Geschäftsführung: „Absatz 1 spricht dem herrschenden Unternehmen ein Recht zu Weisungen an den Vorstand der beherrschten Gesellschaft zu. Dieses Recht ist nicht auf Fragen der Geschäftsführung beschränkt. Es umfaßt vielmehr den gesamten Bereich, in dem der Vorstand die Gesellschaft nach § 76 Abs. 1 AktG zu leiten hat.“66 Doch dass mit der getroffenen Aussage gemeint sein sollte, dass neben der Geschäftsführungsbefugnis auch die Vertretungsbefugnis des Vorstands den Weisungen des herrschenden Unternehmens unterliegen soll, ist eher fernliegend. Denn die Vertretungsbefugnis des Vorstands des beherrschten Unternehmens bleibt Dritten gegenüber nach § 82 Abs. 1 AktG unbeschränkbar. Daher deutet diese Aussage eher darauf hin, dass der Gesetzgeber eine weitere innergesellschaftliche Komponente annahm, die über die Geschäftsführungsbefugnis hinausgeht.67 Auch besteht nicht zwingend ein Widerspruch zwischen der (dem Wortlaut nach auf die „Geschäftsführung“ beschränkten) Überwachungstätigkeit des Vorstands nach § 111 Abs. 1 AktG und der Berichtspflicht des Vorstands nach § 90 Abs. 1 Nr. 1 AktG. Die Überwachungsaufgabe umfasst nämlich nicht jede Geschäftsführungsmaßnahme. Eine solche extensive Anwendung des § 111 62 Das zeigt sich gesetzlich etwa an §§ 709, 714 BGB, §§ 35, 37 GmbHG, §§ 114 f., 125 HGB. Vgl. ferner Grunewald, Gesellschaftsrecht, S. 24 ff.; K. Schmidt, Gesellschaftsrecht, § 7 I 3. b) sowie (für die OHG) § 47 V 1. 63 Vgl. Mielke, Leitung, S. 35 f. 64 RegE, abgedruckt bei Kropff, AktG, S. 98. 65 RegE, abgedruckt bei Kropff, AktG, S. 98. 66 RegE, abgedruckt bei Kropff, AktG, S. 403. 67 Anders Mielke, Leitung, S. 35.

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Abs. 1 AktG ist weder faktisch mit dem Aufsichtsratsamt, noch mit der Gesetzeshistorie68 vereinbar.69 Und daraus, dass das Gesellschaftsrecht grundsätzlich (nur) zwischen Geschäftsführungsbefugnis und Vertretungsbefugnis als Innen- und Außenverhältnis betreffend unterscheidet, folgt keineswegs zwingend diese Geltung auch im konkreten Fall der Unterscheidungen im Aktienrecht. Bereits aufgrund der Terminologie des AktG ist es vielmehr naheliegend, dass der Gesetzgeber im AktG nicht bloß die allgemeinen gesellschaftsrechtlichen Grundsätze anwenden wollte.70 Ansonsten ließe sich auch nicht erklären, warum der Gesetzgeber trotz der zwischenzeitlichen Möglichkeit der redaktionellen Änderung in den §§ 76 f. AktG die Worte Leitung, Geschäftsführung und Vertretung verwendet. In anderen Gesellschaftsformen bedient man sich für die Unterscheidung von Innenund Außenverhältnis dem Begriffspaar Geschäftsführung und Vertretung. Bemüht man einen Vergleich mit anderen Gesellschaftsformen, muss auch eine Vergleichbarkeit gegeben sein. Doch ist die zwingende Organisationsverfassung der Aktiengesellschaft besonders. Die in vielerlei Hinsicht der Aktiengesellschaft ähnliche GmbH bedient sich als Geschäftsführungsorgan dem Geschäftsführer. Seine Stellung in der Gesellschaft ist gerade nicht vergleichbar mit der des Vorstands in der Aktiengesellschaft. Denn der Geschäftsführer einer GmbH unterliegt gem. §§ 45, 46 GmbHG schon grundsätzlich der Weisungsbefugnis der Gesellschafterversammlung, sodass es einer weiteren Kategorie der „Leitung“ gesetzlich dort nicht bedarf. Die Einheit der Rechtsordnung verbietet nicht, besondere Sachverhalte besonders zu regeln. Zudem werden die Begriffe Geschäftsführung und Vertretung auch im AktG verwendet. Sofern man meint, dass Leitung nur der Oberbegriff von Geschäftsführung und Vertretungsbefugnis ist, kann es für den Begriff der Leitung in § 76 AktG deshalb keine vernünftige Legitimation geben. Unterstellt, dass der Gesetzgeber nicht bloß einen inhaltsleeren Begriff in das AktG einführte, muss man davon ausgehen, dass Leitung und Geschäftsführung inhaltlich Unterschiedliches ausdrücken wollen. Beide Begriffe unterscheiden sich denn auch im allgemeinen Sprachgebrauch. Leitung beschreibt etwas Grundlegenderes als die Geschäftsführung, nämlich eher die Führung oder Lenkung, während Geschäftsführung jegliches Handeln für jemand anderen – in diesem Fall für die Gesellschaft – beschreibt.71 Der wesentliche Unterschied kann aber, wie bereits gezeigt, nicht ausschließlich sein, dass die Leitung neben der Geschäftsführung noch die Vertretungsbefugnis umfasst. 68 Die noch in Art. 225 ADHGB und § 246 HGB a.F. geregelte Überwachungsverpflichtung des Aufsichtsrats „in allen Zweigen der Verwaltung“ wurde bereits im AktG 1937 gestrichen. 69 Vgl. OLG München, AG 2009, 745, 747; OLG Stuttgart AG 2012, 762, 762; Habersack, in: MüKoAktG, § 111 Rn. 19 f.; ferner Kort, in: GroßKommAktG, § 76 Rn. 32; Koch, in: Hüffer/Koch, AktG, § 111 Rn. 2; abw. Mielke, Leitung, S. 35 f. 70 Ähnlich auch Raiser/Veil, Kapitalgesellschaftsrecht, § 14 Rn. 1. 71 Vgl. Kort, in: GroßKommAktG, § 76 Rn. 29.

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Zuletzt deutet der Vergleich zwischen § 76 Abs. 1 AktG und § 77 Abs. 1 AktG einen ganz wesentlichen Unterschied zwischen der Leitung und der Geschäftsführung an. Während der Vorstand gem. § 76 Abs. 1 AktG zur Leitung verpflichtet ist („hat […] zu leiten“), ist er gem. § 77 Abs. 1 AktG zur Geschäftsführung befugt. Insofern besteht – jedenfalls nach hergebrachter, ein Delegationsverbot für die Leitungsmaßnahmen befürwortender Auffassung72 – ein Unterschied hinsichtlich der Delegierbarkeit, etwa einer Zuständigkeitsübertragung auf einzelne Vorstandsmitglieder (horizontale Delegation), auf nachgeordnete Stellen der AG (vertikale Delegation), auf ein anderes Organ der AG oder auf zumindest rechtlich selbstständige Funktionsträger (Outsourcing),73 da der Vorstand zur Ausübung einer bloßen Befugnis nicht verpflichtet ist74. Insofern sind Geschäftsführungsmaßnahmen einer Delegation zugänglich, während die Leitungsmaßnahmen – zumindest unter der noch weit verbreiteten Ansicht des Delegationsverbots75 – einer solchen nicht zugänglich sind. Danach sind bereits alle gesetzlich verpflichtend dem Vorstand zur Ausführung übertragenen Maßnahmen für die Gesellschaft solche der Leitung i.S.v. § 76 Abs. 1 AktG. Andere, dem Vorstand zwar zugewiesene, aber nicht auch zwingend von ihm durchzuführende Maßnahmen sind dann als Geschäftsführungsmaßnahmen anzusehen. Bezogen auf die Aktiengesellschaft ist es nach allem vorzugswürdig, die Leitung von der Geschäftsführungsbefugnis durch die originär unternehmerische Natur sowie die grundsätzlich mangelnde Delegationsmöglichkeit abzugrenzen. Leitung i.S.v. § 76 Abs. 1 AktG ist daher die eigenverantwortliche Wahrnehmung der Unternehmerfunktion in der Aktiengesellschaft durch den Vorstand innerhalb Gesetz und Satzung.76 Da auch solche Aufgaben für die Gesellschaft wahrgenommen werden, können sie nicht grundsätzlich aus dem weiten Begriff der Geschäftsführung ausgegrenzt, sondern sind in Übereinstimmung mit der h.M. vielmehr als ein herausgehobener Teil der Geschäftsführung, als Kernbereich der Vorstandstätigkeit77, anzusehen. (3) Zwischenergebnis Geschäftsführung und Leitung sind nicht identisch. Vielmehr ist die Leitung ein herausgehobener, unveräußerlicher Teil der Geschäftsführung.

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Siehe dazu auch Teil 2, C.I.2.d). Hüffer, in: Bayer/Habersack, Aktienrecht im Wandel II, Kap. 7 Rn. 37 f. 74 Vgl. Hüffer, in: Bayer/Habersack, Aktienrecht im Wandel II, Kap. 7 Rn. 20. 75 Siehe unten Teil 2, C.I.2.d). 76 Ähnlich Kort, in: GroßKommAktG, § 76 Rn. 29a; Mertens/Cahn, in: KölnKommAktG, § 76 Rn. 4; Spindler, in: MüKoAktG, § 76 Rn. 15. 77 Fleischer, in: Spindler/Stilz, AktG, § 76 Rn. 9. 73

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bb) Inhalt der Leitung Der dogmatische Unterschied zwischen Geschäftsführung und Leitung ist damit aufgezeigt. Die Leitungskompetenz setzt sich wesentlich aus zwei Merkmalen zusammen: den Organpflichten und der Unternehmerfunktion. Der konkrete Inhalt der Leitungsaufgaben erschließt sich dadurch freilich noch nicht. Insbesondere mit Blick auf die ungeschriebenen Teile der Leitungskompetenz, also auf die Unternehmerfunktion, verbietet sich eine allzu konkrete Definition aber ohnehin. (1) Organpflichten Die Leitungskompetenz umfasst zunächst die normierten Pflichtaufgaben, welche dem Vorstand als Kollegialorgan zugewiesen sind.78 Dazu gehören bspw. die §§ 83, 90, 91 Abs. 2, 92, 110 Abs. 1, 118 Abs. 2, 170 Abs. 1, 245 Nr. 4 AktG. Diese Organpflichten müssen nicht zwangsweise dem AktG entstammen.79 (2) Unternehmerfunktion Der unternehmerische Bestandteil der Leitungskompetenz ist deutlich schwieriger allgemeingültig zu fassen. Grund dafür ist die Vielfalt der in unterschiedlichen Aktiengesellschaften notwendigen unternehmerischen Aufgaben und ihrer Schwerpunktsetzung. So fordert eine mittelständische Aktiengesellschaft freilich andere unternehmerische Tätigkeiten als ein internationaler Großkonzern.80 Um allgemeingültige Aussagen über den Inhalt der Leitung zu treffen, kommt es deshalb auf unternehmerische Maßnahmen an, die in jeder Aktiengesellschaft, d. h. unabhängig von ihrer Größe, dem Tätigkeitsfeld oder einer bestehenden Börsennotierung, getroffen werden müssen. Dabei kann die Beschreibung der Unternehmerfunktion nur eine Annäherung sein. Wegen des betriebswirtschaftlichen Bezugs zur Unternehmerfunktion, liegt es nahe, Kriterien dieser Disziplin zur Konkretisierung des rechtlichen Begriffs zu entleihen. Allgemein werden daher in Anlehnung an betriebswirtschaftliche Erkenntnisse typologisierend vier Führungsfunktionen für die Unternehmerfunktion ausgemacht: Unternehmensplanung, Unternehmenskoordination und ihre Kontrolle, die Besetzung von Führungsstellen im Unternehmen.81 Zusätzlich werden teilweise auch geschäftliche Maßnahmen von außergewöhnlicher Bedeutung als Kategorie der Unternehmensleitung zugerech-

78 Weber, in: Hölters, AktG, § 76 Rn. 9; vgl. auch Kort, in: GroßKommAktG, § 76 Rn. 35; sowie Fleischer, ZIP 2003, 1, 2. 79 Hüffer, in: Liber amicorum Happ, 2006, 93, 100. 80 Spindler, in: MüKoAktG, § 76 Rn. 15. 81 Vgl. Koch, in: Hüffer/Koch, AktG, § 76 Rn. 9; Mertens/Cahn, in: KölnKommAktG, § 76 Rn. 5; Seibt, in: K. Schmidt/Lutter, AktG, § 76 Rn. 9; ders., in: FS K. Schmidt, 2009, 1463, 1471; abw. mit für die Untersuchung irrelevanten funktionalen Unterscheidungen: Fleischer, ZIP 2003, 1, 5.

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net.82 Unternehmensplanung umfasst die Zielsetzung des Unternehmens, die Festlegung ihrer (nicht nur kurzfristigen) Unternehmenspolitik, sowie die Risikovorsorge.83 Die Unternehmenskoordinierung und ihre Kontrolle beschreiben die Organisation, Abstimmung der Teilbereiche, die Führungsaufgaben innehaben, und die entsprechende Kontrolle.84 c) Leitungsermessen Die unternehmerische Tätigkeit des Vorstands fordert regelmäßig Entscheidungen beruhend auf Erwartungen zukünftiger Entwicklungen.85 Bezogen auf schuldrechtliche Vereinbarungen mit Dritten wird der Vorstand einer Zielgesellschaft vor Abschluss einer entsprechenden Vereinbarung die (zukünftigen) unternehmerischen Risiken sowie Chancen der Vereinbarung abwägen. Retrospektiv betrachtet ist es naturgemäß einfacher zu beurteilen, was die bessere von mehreren Alternativen gewesen wäre. Hinzu kommt, dass die Wahrscheinlichkeit eines Schadenseintritts aus ex-post-Sicht höher bewertet werden dürfte, falls dieser Schaden tatsächlich eingetreten ist, selbst wenn sich die Wahrscheinlichkeit ex-ante als geringer dargestellt hat.86 Um den Vorstand vor einer ständig drohenden Haftung für Fehleinschätzungen der zukünftigen Entwicklung zu schützen und damit das Eingehen jedweder mit Chancen verbundenen Risiken zu unterbinden, wird dem Vorstand bei der Ausübung seiner Leitungskompetenz ein (unternehmerischer) Ermessensspielraum zugestanden,87 „ohne den unternehmerisches Handeln schlechterdings nicht denkbar ist“88. Soweit ein Ermessensspielraum eröffnet ist, ist das Leitungsermessen auf kompetenzieller Ebene für die Bestimmung der Grenzen der Leitungsmacht des Vorstands relevant. Im Rahmen der Bestimmung einer Pflichtverletzung entzieht sich die Handlung des Vorstands innerhalb dieses Spielraums zum Teil der gerichtlichen Überprüfbarkeit. Das gilt indes nicht uneingeschränkt. Jedenfalls bei Handlungen, die unter die Business Judgment Rule des § 93 Abs. 1 Satz 2 AktG fallen, bilden bereits unverantwortliche Handlungen des Vorstands die Grenze gerichtlicher 82 Kort, in: GroßKommAktG, § 76 Rn. 36; Henze, BB 2000, 209, 210; Herwig, Leitungsautonomie, S. 57. 83 Kort, in: GroßKommAktG, § 76 Rn. 36. 84 Mertens/Cahn, in: KölnKommAktG, § 76 Rn. 5. 85 Die in diesem Abschnitt folgenden Ausführungen beziehen sich grundsätzlich auf die eigenständige Aktiengesellschaft. Zu den Besonderheiten der Leitungsmacht in der konzernierten Aktiengesellschaft vgl. etwa Kort, in: GroßKommAktG, § 76 Rn. 177 ff. und Herwig, Leitungsautonomie, S. 41 ff. 86 Holle, AG 2011, 778, 781; ausführlich zu diesem sog. „hindsight bias“: Fleischer; in: FS Immenga, 2004, 575, 579 f. 87 Vgl. BGHZ 125, 239, 246; Fleischer, in: Vorstandsrecht, § 1 Rn. 50; Koch, in: Hüffer/ Koch, AktG, § 76 Rn. 28; Kort, in: GroßKommAktG, § 76 Rn. 51. 88 BGHZ 135, 244 – „ARAG/Garmenbeck“.

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Überprüfbarkeit. Unverantwortlichkeit erfordert mehr als leichte Fahrlässigkeit.89 Deshalb sind solche Handlungen, die aus Sicht des Vorstandsmitglieds ex ante weder vernünftig noch zumindest nachvollziehbar sind, gerichtlich überprüfbar.90 Bei Ermessensspielräumen innerhalb der allgemeinen Sorgfaltspflicht des § 93 Abs. 1 Satz 1 AktG bildet die Unvertretbarkeit des Handelns des Vorstands die Voraussetzung zur gerichtlichen Überprüfbarkeit dieser Handlung. Eine genaue Definition der Unvertretbarkeit ist nicht möglich. Es lässt sich jedoch festhalten, dass ein Leitungsfehler vorliegen muss, der sogar für außenstehende Dritte offensichtlich ist.91 Hinzu kommt, dass das Ermessen selbst soweit das Leitungsermessen für eine bestimmte Maßnahme eröffnet ist, nicht von der Pflicht zur sorgfältigen Unternehmensführung entbindet, woraus sich die Pflicht zur sorgfältigen Abwägung der Vor- und Nachteile der Handlung des Vorstands ergibt.92 Das Leitungsermessen umfasst nicht nur das bewusste Eingehen geschäftlicher Risiken, sondern zudem die Gefahren von Fehlbeurteilungen und -einschätzungen.93 Der Unternehmerbezug signalisiert bereits, dass sich der Ermessensspielraum vorwiegend auf den Teil der Unternehmerfunktion innerhalb der Leitungskompetenz erstreckt. Das Ermessen ist auch vor dem Hintergrund der Haftung des Vorstandsmitglieds nach § 93 AktG (bzw. i.V.m. § 116 Satz 1 AktG entsprechend für das Aufsichtsratsmitglied) relevant. Freilich gewährt das AktG dieses Ermessen nicht unbegrenzt.94 In welchem Umfang und Sinne der Vorstand dieses Ermessen auszuüben berechtigt bzw. verpflichtet ist, ist aber höchst umstritten. In der längst ausgeuferten Diskussion um das Leitungsermessen ist es zunächst schon schwierig, eine klare Definition des Leitungsermessens auszumachen. Jedenfalls setzt das Ermessen mehr als bloß eine Handlungsalternative des Vorstands voraus. Erst mit der Möglichkeit, eine von mehreren rechtlich möglichen Entscheidungen treffen zu können, wird das Ermessen eröffnet95. Bezogen auf das Leitungsermessen des Vorstands lässt sich dieses Ermessen beschreiben als die Wahlmöglichkeit zwischen mehreren möglichen Entscheidungen innerhalb der durch Gesetz und Satzung vorgegebenen Pflichten.96 89

Bachmann, ZHR 177 (2013), 1, 9. Hopt/Roth, in: GroßKommAktG, § 93 Rn. 113 und Rn. 124; vgl. auch den Verweis auf die Unverantwortlichkeit als Grenze unternehmerischen Ermessens in BGHZ 135, 244, 253; ähnlich, aber gegen die Differenzierung nach unverantwortlichem und unvertretbarem Handeln, Spindler, in: MüKoAktG, § 93 Rn. 56. 91 Spindler, in: MüKoAktG, § 93 Rn. 56; ähnlich Hopt/Roth, in: GroßKommAktG, § 93 Rn. 114. 92 Vgl. Wiesner, in: MünchHdbGesR Bd. 4, § 25 Rn. 29; ferner Hopt/Roth, in: GroßKommAktG, § 93 Rn. 148. 93 BGHZ 135, 244, 253. 94 Vgl. nur Koch, in: Hüffer/Koch, AktG, § 76 Rn. 34. m.w.N. 95 Vgl. BGHZ 135, 244, 254. 96 Vgl. Spindler, in: MüKoAktG, § 76 Rn. 32. 90

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Teil 2: Die Kompetenzordnung der Aktiengesellschaft

Werden Grenzen des Leitungsermessens mit einer Entscheidung des Vorstands überschritten, so handelt es sich insgesamt nicht mehr um eine in das Ermessen fallende Handlung. aa) Die Legalitätspflicht als das Leitungsermessen ausschließende Kriterium (1) Grundlagen Der Vorstand der AG ist verpflichtet, die Rechtspflichten und Vorgaben der Rechtsordnung einzuhalten.97 Diese Legalitätspflicht fußt auf der aus der Generalklausel des § 93 Abs. 1 Satz 1 AktG folgenden Sorgfaltspflicht.98 Die Sorgfaltspflicht des § 93 Abs. 1 Satz 1 AktG umfasst im Allgemeinen zwei wesentliche, verschiedene Bereiche: die Legalitätspflicht betreffend die Pflichtenbindung im Außenverhältnis und die Sorgfaltspflicht betreffend die (interne) Unternehmensleitung.99 Die Legalitätspflicht umfasst jedenfalls zwingende gesetzliche Vorgaben, die Satzung, sowie rechtmäßige Hauptversammlungsbeschlüsse.100 Verletzt der Vorstand im Außenverhältnis gesetzliche Pflichten der Gesellschaft, stellt dies nach ganz h.M. auch eine interne Pflichtverletzung dar.101 Wo eine Organpflicht des Vorstands besteht, bedeutet dies aber nicht zwangsweise einen Ausschluss jeglichen Ermessens. Vielmehr kann sich bei Verpflichtung des Vorstands der Beurteilungsspielraum102 nach Sinn und Zweck der Pflicht (noch) auf die Modalitäten der Pflichterfüllung beziehen.103 Wo dem Vorstand aber die Gestaltungsmacht104 fehlt, d. h. er nicht imstande ist, bestimmte Rechtsakte wirksam vorzunehmen, bleibt ihm auf Rechtsfolgenseite grundsätzlich kein (gerichtlich nicht überprüfbarer) Ermessensspielraum. Ob und inwiefern die Normen über die Kompetenzordnung der AG Verbotsgesetze oder die Gestaltungsmacht ausschließende Normen sind, wird noch 97 BGHZ 194, 26; BGH, NJW 2011, 88, 92; Fleischer, in: Spindler/Stilz, AktG, § 76 Rn. 14 m.w.N. 98 Vgl. Hopt/Roth, in: GroßKommAktG, § 93 Rn. 58; Bicker, AG 2014, 8; Fleischer, ZIP 2005, 141, 142. 99 Thole, ZHR 173 (2009), 504, 517. 100 Mertens/Cahn, in: KölnKommAktG, § 76 Rn. 9. 101 BGH AG 2010, 874, 875; Hopt/Roth, in: GroßKommAktG, § 93 Rn. 94 f.; Fleischer, in: Spindler/Stilz, AktG, § 93 Rn. 24; Mertens/Cahn, in: KölnKommAktG, § 93 Rn. 71; Thole, ZHR 173 (2009), 504, 509; ferner auch die Regierungsbegründung zum UMAG, BTDrucks. 15/5092, S. 11. Das zeigt sich u. a. daran, dass § 396 Abs. 1 AktG für den Fall der Gefährdung des Gemeinwohls durch gesetzwidriges Verhaltens der Verwaltung sogar eine Auflösungsmöglichkeit durch ein Gericht vorsieht. 102 Soweit es um ein „Ermessen“ auf Tatbestandsebene geht, handelt es sich um den Beurteilungs-, auf der Rechtsfolgenebene hingegen um den Ermessensspielraum, Holle, AG 2011, 778, 785. 103 Hopt/Roth, in: GroßKommAktG, § 93 Rn. 75; Koch, in: Hüffer/Koch, AktG, § 93 Rn. 10; Holle, AG 778, 781. 104 Dazu s. u. Teil 2, G.III.2.b)bb)(2)(a).

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zu zeigen sein.105 Doch ist für die Untersuchung an dieser Stelle nicht lediglich die Kompetenzordnung der Aktiengesellschaft als gesetzliche Grenze des Leitungsermessens relevant. Gesetzesverstöße sind nicht vom Ermessen gedeckt. Außerdem setzt die Satzung, dabei vor allem der Unternehmensgegenstand nach § 23 Abs. 3 Nr. 2 AktG, Grenzen. Daneben ist das Leitungsermessen des Vorstands insofern begrenzt als die Entscheidung betreffende, rechtmäßige Beschlüsse der Hauptversammlung der Gesellschaft bestehen. (2) Nützliche Vertragsverletzungen als Ausnahme von der Legalitätspflicht? Es ist umstritten, ob auch sog. nützliche Vertragsverletzungen von der Legalitätspflicht umfasst sind. Dabei geht es im Kern um die Frage nach dem Umfang der Legalitätspflicht, genauer, ob eine obligatorische Bindung der Gesellschaft den Vorstand unmittelbar im Innenverhältnis bindet. Die Problematik ist vor dem Hintergrund zu sehen, dass es zum einen für die Gesellschaft – verglichen mit der ökonomischen Lage bei rechtmäßiger Erfüllung – durchaus vorteilhaft sein kann, vertragliche Pflichten nicht oder schlecht zu erfüllen. Die Legalitätspflicht gründet dogmatisch auf dem Vorrang der Gesetzesbindung vor dem Gesellschaftsinteresse und lässt sich daher jedenfalls nicht direkt auf vertragliche Pflichten übertragen,106 da Verträge keine materiellen (und auch keine formellen) Gesetze sind.107 Die rechtliche Einschätzung ist hinsichtlich der Klärung des Verhältnisses zwischen gesetzlicher Kompetenzordnung der Aktiengesellschaft und schuldrechtlichen Vereinbarungen insofern relevant, als dass regelmäßig das Leitungsermessen bei der Bewertung solcher Vereinbarungen betont wird108. Das Leitungsermessen ist sowohl im Innenverhältnis (dort bei der Frage nach dem Bestehen einer Pflichtverletzung des Vorstands) als auch im Außenverhältnis relevant (dort bezüglich der Reichweite seiner Leitungsmacht). Sollte den Vorstand eine eigene Pflicht zur Erfüllung aller vertraglichen Verpflichtungen der Gesellschaft treffen, bestünde insofern überhaupt kein Leitungsermessen. (a) Meinungsstand Nach einer verbreiteten Ansicht109 ist die Erfüllung vertraglicher Verpflichtungen der Gesellschaft gegenüber Dritten bereits grundsätzlich als innergesellschaftliche Pflicht des Vorstands zu klassifizieren. Das wird zum Teil mit dem Argument der

105

Dazu s. u. Teil 2, G.VI. Fleischer, in: Spindler/Stilz, AktG, § 93 Rn. 33; Koch, ZGR 2006, 769, 786. 107 Vgl. Wolf/Neuner, BGB, § 4 Rn. 22; Bicker, AG 2014, 8, 9. 108 Dazu s. u. Teil 2, C.I.2.c). 109 Ihrig, WM 2004, 2098, 2105; Schäfer, ZIP 2005, 1253, 1256; Wiedemann, ZGR 2011, 183, 199; tendenziell gleich, aber mit Ausnahmen für reine Zahlungsverbindlichkeiten Zöllner/ Noack, in: Baumbach/Hueck, GmbHG, § 43 Rn. 23a (für die GmbH). 106

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Teil 2: Die Kompetenzordnung der Aktiengesellschaft

Einheit der Rechtsordnung begründet.110 Außerdem führe eine gesetzliche Zulässigkeit nützlichen vertragswidrigen Verhaltens zu einer gesetzlich unvorgesehenen Schaffung abgestufter Klassen von privatrechtlichen Pflichten, welche die Reputation der Gesellschaft gar mehr zu schaden vermögen als manche Gesetzesverstöße.111 Die wohl überwiegenden Stimmen des Schrifttums112 halten nützliche Vertragsbrüche bzw. einen sog. „efficient breach of contract“ für zulässig. Sie argumentieren mit der mangelnden internen Bindungswirkung. Es könne für die Gesellschaft ökonomisch vorteilhaft sein, vertragliche Pflichten nicht zu erfüllen, sondern sich stattdessen den aus der Pflichtverletzung resultierenden Ansprüchen auszusetzen. Es kommt danach letztlich auf eine Abwägung der Vor- und Nachteile an. Diese Abwägung müsse der Vorstand aber sehr genau vornehmen.113 Teilweise schränken auch die Vertreter dieser Ansicht die Zulässigkeit nützlicher Vertragsbrüche weiter ein. So wird vertreten, die Legalitätspflicht erfasse nur nicht solche Vertragspflichten der Gesellschaft, aus deren Verletzung nur vertragliche Schadensersatzansprüche zu befürchten wären. Falls der Verstoß einer Vertragspflicht auch Schadensersatzansprüche aus „Anspruchsgrundlagen, die allgemeine Wertungen zum Ausdruck bringen, die nicht nur in dem Verhältnis der Vertragsparteien zueinander wurzeln“114 befürchten ließe, müsse diese Vertragspflicht Teil der Legalitätspflicht sein.115 Beispielhaft wird ausgeführt, dass ein Vertragsbruch letztlich auch ein Verstoß gegen gesetzliche Verbote in Form einer sittenwidriger Schädigung (§ 826 BGB) oder eines Eingehungsbetrugs nach (§ 263 Abs. 1 StGB) sein könne.116 Dabei verlagert Spindler den Blick indes weg vom reinen Vertragsverstoß hin zu dem ohnehin in die Legalitätspflicht fallenden Gesetzesverstoß.117

110

Ihrig, WM 2004, 2098, 2105. Wiedemann, ZGR 2011, 183, 199. 112 Bürgers, in: Bürgers/Körber, AktG, § 93 Rn. 8; Fleischer, in: Spindler/Stilz, AktG, § 93 Rn. 33; Grigoleit/Tomasic, in: Grigoleit, AktG, § 93 Rn. 14; Hopt/Roth, in: GroßKommAktG, § 93 Rn. 148; U. H. Schneider/Crezelius, in: Scholz, GmbHG, § 43 Rn. 79a (für die GmbH); Bicker, AG 2014, 8, 9; Thole, ZHR 173 (2009), 504, 518 ff.; tendenziell ebenso Windbichler, ZGR 1989, 434, 437; i.E. auch: Spindler, in: MüKoAktG, § 93 Rn. 88; Haas/Ziemons, in: Michalski, GmbHG, § 43 Rn. 51a (für die GmbH); Paefgen, Unternehmerische Entscheidungen, S. 25; kritisch und i.E. offen: Koch, in: Hüffer/Koch, AktG, § 93 Rn. 17; Koch, ZGR 2006, 769, 786. 113 Hopt/Roth, in: GroßKommAktG, § 93 Rn. 148. 114 Spindler, in: MüKoAktG, § 93 Rn. 88; ähnlich wohl auch Paefgen, Unternehmerische Entscheidungen, S. 25, wenn dieser von durch das private Deliktsrecht begründeten Unterlassungsgeboten spricht. 115 Vgl. Spindler, in: MüKoAktG, § 93 Rn. 88. 116 Spindler, in: MüKoAktG, § 93 Rn. 88; Thole, ZHR 173 (2009), 504, 518. 117 So auch Thole, ZHR 173 (2009), 504, 518. 111

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(b) Stellungnahme Ein bloßer Verweis118 auf die Einheit der Rechtsordnung119 ist nicht zielführend. Ein zugrundeliegender gesetzlicher Wertungswiderspruch ist jedoch zu untersuchen. Man könnte einen Wertungswiderspruch darin erblicken, dass ein gesetzlich eingeräumtes Leitungsermessen, welches die Verletzung vertraglicher Pflichten der Gesellschaft gegenüber Dritten umfasste, einer grundsätzlichen Pflicht zur Erfüllung von Verträgen zuwiderliefe. Doch führt das nicht zwingend zu einem offensichtlichen Wertungswiderspruch im Rechtssystem. Denn eine grundsätzliche Pflicht zur Erfüllung fremder vertraglicher Schulden (als solche stellen sich Gesellschaftsverpflichtungen gegenüber Dritten für den Vorstand zunächst dar) kennt das Gesetz nicht, was sich bereits an der Existenz des Trennungs- und Abstraktionsprinzips zeigt. Die vertragliche Pflicht trifft in den diskutierten Fällen einzig die Gesellschaft.120 Freilich können Handlungen des Vorstands in Bezug auf gesellschaftsexterne Pflichten in das Innenverhältnis übertragen werden, was sich an § 93 Abs. 2 AktG zeigt. Auch dies zeigt indes keinen Wertungswiderspruch im o.g. Sinne auf. Die Dritten als Vertragspartner der AG werden ohnehin bereits durch gesetzliche Ansprüche gegen Vertragsverletzungen geschützt. So bliebe letztlich (eventuell) nur eine Schutzbedürftigkeit der AG gegenüber ihrem Vorstand einzuwenden. Sie kann als juristische Person nämlich nicht selbst handeln, sondern ist im Außenverhältnis grundsätzlich auf ihren Vorstand angewiesen. Allerdings dürfte es bei einer nützlichen Vertragsverletzung gerade an der Schutzbedürftigkeit der AG fehlen. Und selbst, wenn man einen Wertungswiderspruch annimmt, vermag die Notwendigkeit einer sorgfältigen Abwägung von Vor- und Nachteilen diesen Widerspruch sachgerecht aufzulösen. Es scheint sinnvoller, auf Tatbestandsebene die Nützlichkeit der Vertragsverletzung zu konkretisieren als potentiell nützliche Vertragsverletzungen grundsätzlich vom Leitungsermessen des Vorstands auszuschließen. Umgekehrt spricht die Einheit der Rechtsordnung sogar noch eher gegen die Erstreckung der Legalitätspflicht auf vertragliche Pflichten der Gesellschaft. Denn das Gesetz sieht mitunter sogar ausdrücklich die Möglichkeit vor, einmal eingegangene Pflichten nachträglich abzuändern121, nämlich etwa in Form der Verhandlung, Auflage, Aufrechnung, Verzicht oder Vergleich.122 Auch wenn es sich bei den aufgezählten Rechtsinstituten nicht um Handlungen handelt, die einer Vertragsverletzung gleichstehen, sondern sie entweder selbst neue Verträge darstellen, nämlich beim Verzicht (§ 397 Abs. 1 BGB), Vergleich (§ 779 Abs. 1 BGB) sowie bei 118

Ihrig, WM 2004, 2098, 2105. Näher zur Einheit der Rechtsordnung etwa Rüthers/Fischer/Birk, Rechtstheorie, § 4 Rn. 145 ff. 120 Eine daneben tretende Haftung der Vorstandsmitglieder kann sich dennoch ergeben, sofern sie an der Vereinbarung beteiligt werden (z. B. als Bürgen). 121 In diese Richtung Paefgen, Unternehmerische Entscheidungen, S. 25. 122 Paefgen, Unternehmerische Entscheidungen, S. 25. 119

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auf Verhandlungen beruhenden Nachträgen, zeigt dies, dass das Gesetz grundsätzlich anerkennt, dass Vertragsparteien die Möglichkeit haben, bereits verbindliche vertragliche Pflichten neu zu regeln und zwar sogar einseitig (Aufrechnung). Wäre der Vorstand zur Erfüllung jeglicher vertraglicher Pflicht der Gesellschaft verpflichtet, würde das zur faktischen Unanwendbarkeit der o.g. Modifikationen – mit Ausnahme der Aufrechnung – nicht nur für den Vorstand, sondern vor allem für die AG führen. So würde dem Vertragspartner einer AG – im Vergleich zu einer natürlichen Person – ein vergleichsweise besonders hoher Schutz zugutekommen, indem die faktische Pflicht des Vorstands zur Erfüllung aller externen vertraglichen Vereinbarungen der Gesellschaft begründet wird. Das wiederum ist vor dem Hintergrund des gesetzlichen Schutzsystems für Vertragsverletzungen indes schwer haltbar. Letztlich kann es bezüglich der Erfüllung der vereinbarten Leistung aus Sicht des Vertragspartners keinen Unterschied machen, ob er die Vereinbarung mit einer AG, einer OHG oder einer natürlichen Person abschließt. Auch die Argumentation Wiedemanns, nützliche Vertragsbrüche schädigten die Reputation der Gesellschaft, würden schwerer wiegen als manche Gesetzesverstöße und damit letztlich Normen zweiter Klasse begründen,123 verfängt nicht. Es ist ihm zwar insofern zuzustimmen als es keine Normen zweiter Klasse gibt124. Um eine Normenhierarchie geht es aber nicht. Vertragsbrüche vermögen die Reputation der Gesellschaft beim Vertragspartner und potentiellen Vertragspartnern sowie in der Öffentlichkeit unter Umständen zu beschädigen. Doch spricht dies nicht unbedingt dafür, die Legalitätspflicht auf vertragliche Pflichten der Gesellschaft zu erstrecken, sondern primär gegen die Nützlichkeit des Vertragsbruchs. Die h.L. fordert im Rahmen der allgemeinen Sorgfaltspflicht nach § 93 Abs. 1 Satz 1 AktG vom Vorstand eine sorgfältige Abwägung der Vor- und Nachteile in Form einer Kosten-Nutzen-Analyse eines Vertragsbruchs125. Dies ist eine aus rechtlicher Sicht kaum zu konturierende Voraussetzung.126 Das Ergebnis einer solchen Analyse kann nämlich je nach Gewichtung oder zeitlicher Dimension der Betrachtung, d. h. kurz-, mittel- oder langfristig, stark variieren. Ein kurzfristiger Nutzen kann sich langfristig als übermäßige Belastung darstellen und andersherum. Im Gegensatz zum weiten Verständnis der Legalitätspflicht birgt die Ansicht der h.L. die Gefahr einer geringeren Rechtssicherheit in Bezug auf die Frage, ob ein Ermessen des Vorstands hinsichtlich der (Nicht-)Erfüllung des Vertrags gegeben ist oder nicht. Das trifft sowohl den Vorstand, der dies einschätzen muss, als auch die Gesellschaft, die gegebenenfalls Schadensersatz vom Vorstand suchen möchte. Letztlich ist dies jedoch nicht unbedingt ein Argument wider die Zulässigkeit 123

Wiedemann, ZGR 2011, 183, 199. So auch Spindler, in: MüKoAktG, § 93 Rn. 74 m.w.N. 125 Hopt/Roth, in: GroßKommAktG, § 93 Rn. 148; Wiesner, in: MünchHdbGesR Bd. 4, § 25 Rn. 29. 126 Siehe dazu auch schon Teil 2, C.I.2.b)bb)(2). 124

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nützlicher Vertragsverletzungen, sondern streitet vielmehr für die Notwendigkeit klarer Abgrenzungsvorgaben. Der von Spindler angemahnte regelmäßige Gleichlauf von Vertragsverletzungen und der Verletzung gesetzlicher Normen, insbesondere § 263 StGB oder § 826 BGB,127 mag auf den ersten Blick zutreffend sein. Wie bereits festgestellt, gibt es für den Vorstand grundsätzlich keine normierte Pflicht zur Erfüllung vertraglicher Pflichten der Gesellschaft. § 826 BGB stellt zwar einen gesetzlichen Schadensanspruch dar, dessen Voraussetzungen auch durch die Verletzung von vertraglichen Pflichten durch Vertreter erfüllt sein können.128 Man wird aber kaum davon sprechen können, dass eine bewusste Verletzung vertraglicher Pflichten „oftmals“129 gegen die guten Sitten verstoße. Nach h.M. ist ein bewusster130 Verstoß gegen vertragliche Pflichten – selbst im Bewusstsein, dass dem Vertragspartner dadurch ein Schaden entsteht – nämlich ohne das Hinzutreten weiterer Umstände nicht sittenwidrig.131 Auch die Erfüllung eines Betrugs i.S.v. § 263 StGB durch die Nichterfüllung vertraglicher Pflichten dürfte eher rar sein.132 Spindler verlagert den Blick mit diesen Beispielen weg vom reinen Vertragsverstoß hin zu dem ohnehin in die Legalitätspflicht fallenden Gesetzesverstoß.133 Die vor allem von Zöllner/Noack vorgeschlagene Beschränkung des unternehmerischen Ermessens bei der Erfüllung vertraglicher Pflichten der Gesellschaft auf reine Zahlungsverpflichtungen134 überzeugt zudem weder dogmatisch noch im Ergebnis. Da die Konsequenzen einer Vertragsverletzung ohnehin sorgfältig abgewogen werden müssen, ist es irrelevant, ob der zugrundeliegende Vertrag die Gesellschaft zur Zahlung oder sonstigen Handlungen oder Unterlassungen verpflichtet. Es kommt auf die auf sorgfältiger Abwägung begründete Nützlichkeit der Vertragsverletzung an. 127

Spindler, in: MüKoAktG, § 93 Rn. 88; ders., in: FS Canaris Bd. 2, 2007, 403, 423 f. Vgl. Sprau, in: Palandt, BGB, § 826 Rn. 22; Oechsler, in: Staudinger, BGB, § 826 Rn. 180. 129 Spindler, in: MüKoAktG, § 93 Rn. 88. 130 Der Aktiengesellschaft wird die Kenntnis bzw. das Kennenmüssen ihrer Vertreter zugerechnet, vgl. Raiser/Veil, Kapitalgesellschaftsrecht, § 9 Rn. 23; ebenda auch mit dem Streit um die dogmatische Herleitung dieser Zurechnung entweder aus § 166 BGB oder einem Rechtsgedanken, welcher sich auch in § 31 BGB zeige. 131 Vgl. BGHZ 12, 308, 317 f.; Sprau, in: Palandt, BGB, § 826 Rn. 22; Wagner, in: MüKoBGB, § 826 Rn. 58.; abw. Oechsler, in: Staudinger, § 826 Rn. 181. 132 Vor allem der von Spindler, in: MüKoAktG, § 93 Rn. 88, genannte Eingehungsbetrug dürfte aufgrund des dafür notwendigen Vorsatzes zur Vertragsverletzung im Zeitpunkt des Vertragsschlusses, vgl. Tiedemann in: Leipziger Kommentar, StGB, § 263 Rn. 247, kaum von Relevanz sein. 133 So auch Thole, ZHR 173 (2009), 504, 518. 134 Zöllner/Noack, in: Baumbach/Hueck, GmbHG, § 43 Rn. 23a (für die GmbH). Noch weniger vermag ein Liquiditätsengpass, wie Zöllner/Noack, in: Baumbach/Hueck, GmbHG, § 43 Rn. 23a (für die GmbH) hinzutretend gefordert, nicht erst die Erfüllung vertraglicher externer Pflichten aus der Legalitätspflicht des Vorstands herausfallen. 128

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Nach alledem ist es vorzugswürdig, gesellschaftsexterne vertragliche Pflichten der Gesellschaft grundsätzlich aus der Legalitätspflicht auszugrenzen. Das unternehmerische Ermessen des Vorstands erstreckt sich deshalb auch auf Entscheidungen betreffend die Erfüllung solcher Pflichten. Die Sorgfaltspflicht des Vorstands und die Rechtsfolgen bei Verletzung dieser schützt die Gesellschaft im Innenverhältnis in ausreichendem Maße. (3) Zwischenfazit Das Leitungsermessen wird durch die in der Sorgfaltspflicht gründende Legalitätspflicht eingegrenzt. Diese Legalitätspflicht umfasst nicht die Erfüllung vertraglicher Pflichten der Gesellschaft. Soweit dem Vorstand ein Ermessen zukommt, entbindet ihn das allerdings nicht von seiner allgemeinen Pflicht zur sorgfältigen Führung der Gesellschaft. Vor allem ist er verpflichtet, die Abwägung der Vor- und Nachteile seiner Entscheidung für den Vertragsbruch entsprechend sorgfältig vorzunehmen. bb) Weitere Begrenzungen des Leitungsermessens Die Legalitätspflicht ist nicht die einzige Grenze des Leitungsermessens. Insbesondere wird das Leitungsermessen des Vorstands darüber hinaus begrenzt durch das Formalziel der Gesellschaft, d. h. – vorbehaltlich anderer statuarischer Vorgaben – durch die Rechtspflicht des Vorstands, grundsätzlich für die dauerhafte Rentabilität und – sofern nicht unrentabel – für den dauerhaften Bestand der Gesellschaft zu sorgen.135 Die gesetzliche Vorgabe langfristiger, dauerhafter Rentabilität der Gesellschaft zeigt sich auch in § 91 Abs. 2 AktG, in dem der Gesetzgeber auf den Fortbestand der Gesellschaft als Ziel verweist.136 Abgesehen von Ausnahmekonstellationen, in denen sich dieses Leitungsermessen reduzieren kann, ist das Ermessen großzügig zu bemessen.137 Ermessensreduzierungen im Bereich der Leitungskompetenz des Vorstands sind – falls notwendig – primär der mehrseitigen, mitunter konträren Interessenlage um die Aktiengesellschaft geschuldet.138 Um die zu berücksichtigenden Interessenträger einerseits und die Gewichtung der Interessen bei Konflikten andererseits herrscht allerdings Uneinigkeit. 135

Vgl. OLG Hamm, AG 1995, 512, 514; Hüffer, in: Bayer/Habersack, Aktienrecht im Wandel Bd. II, Kap. 7 Rn. 44 ff.; Koch, in: Hüffer/Koch, AktG, § 76 Rn. 34; Kort, in: GroßKommAktG, § 76 Rn. 53; Mertens/Cahn, in: KölnKommAktG, § 76 Rn. 21 f.; Seibt, in: K. Schmidt/Lutter, AktG, § 76 Rn. 23; Lieder, Aufsichtsrat, S. 814 f. 136 Vgl. Seibt, in: K. Schmidt/Lutter, AktG, § 76 Rn. 23; Spindler, in: MüKoAktG, § 76 Rn. 69. 137 Fleischer, in: Vorstandsrecht, § 1 Rn. 50; Kort, in: GroßKommAktG, § 76 Rn. 51. 138 Zum Interessenkonflikt zwischen Verwaltung und Aktionären siehe auch unten Teil 2, C.II.

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cc) Die das Leitungsermessen prägenden Interessen Zunächst ist umstritten, welche Interessen überhaupt im Ermessen des Vorstands bei der Ausübung der Leitungsmacht berücksichtigt werden müssen bzw. können. Klar ist, dass bloße Eigeninteressen des Vorstands nicht Gegenstand der das Ermessen prägenden Interessen sind.139 Im Fokus des Streits steht hier die Einordnung der Aktiengesellschaft als interessenpluralistisch oder interessenmonistisch und daran teilweise anknüpfend das Bestehen einer gesetzlichen Vorgabe der Gewichtung der Interessen. (1) Überblick Einigkeit besteht zunächst weithin zumindest darüber, dass es kein von jeglichen Gesellschafterinteressen entkleidetes Gesellschaftsinteresse der Aktiengesellschaft gibt.140 Die grundsätzliche Abhängigkeit der Aktiengesellschaft von den Interessen der Aktionäre zeigt sich nämlich bereits im AktG selbst. Ein vollkommen isoliertes eigenes Interesse der AG widerspräche der Freiheit der Aktionäre, gem. §§ 119 Abs. 1 Nr. 8, 264 ff. AktG über ihre Auflösung und Abwicklung zu entscheiden. Daneben wird man der Argumentation folgen müssen, dass die von jeglichen Gesellschafterinteressen losgelöste AG den durch das UmwG eingeräumten Umwandlungsmöglichkeiten zuwiderliefe. Nach Zöllner führe das im Fall der Umwandlung der Aktiengesellschaft in eine OHG zum „Aufschwingen“ der Gesellschaft zum eigenen Träger und damit letztlich zum Widerspruch mit allgemeinen Prinzipien des Personengesellschaftsrechts.141 Betreffend die Berücksichtigung von Interessen in der Leitung liegt dem AktG nach einer Ansicht142, der sich auch der DCGK in Ziff. 4.1.1 angeschlossen hat, eine interessenpluralistische Zielkonzeption zugrunde. Danach hat der Vorstand bei seiner Ermessenausübung jedenfalls die Interessen der Aktionäre, Arbeitnehmer und Öffentlichkeit zu berücksichtigen143. Als dogmatischer Anknüpfungspunkt dient den Vertretern des Interessenpluralismus das Unternehmensinteresse. Welcher Gehalt sich hinter dem Begriff des Unternehmensinteresses verbirgt, ist allerdings bis heute umstritten144.145 Vorliegend soll das Unternehmensinteresse verstanden werden als 139

Vgl. BGHZ 135, 244 ff.; Beisel, in: Beisel/Klumpp, Der Unternehmenskauf, § 14 Rn. 37; Lieder, Aufsichtsrat, S. 828. 140 Kort, in: GroßKommAktG, § 76 Rn. 59; Weber, in: Hölters, AktG, § 76 Rn. 19; Arens, Einflussrechte, S. 76 f.; Zöllner, Schranken, S. 18 ff.; vgl. auch BGHZ 119, 257, 261 f. (für die GmbH); K. Schmidt, Gesellschaftsrecht, § 28 II.1.a); Rubner, in: KSzW 2011, 412, 413. 141 Zöllner, Schranken, S. 23. 142 Koch, in: Hüffer/Koch, AktG, § 76 Rn. 30 f.; Kort, in: GroßKommAktG, § 76 Rn. 52 ff.; K. Schmidt, Gesellschaftsrecht, § 28 II 1. a); Lieder, Aufsichtsrat, S. 814 ff. 143 Vgl. Koch, in: Hüffer/Koch, AktG, § 76 Rn. 28; Kort, in: GroßKommAktG, § 76 Rn. 52. 144 Vgl. nur Fleischer, in Spindler/Stilz, AktG, § 76 Rn. 24 ff. mit einer historischen Nachzeichnung der dogmatischen Diskussion um den Begriff des Unternehmensinteresses.

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eine Abbreviatur für eine Berücksichtigung der Interessen mehrerer Interessenträger des Unternehmens.146 Daneben werden zum Teil historisch-soziale Argumente angeführt. Danach gelte die Orientierung des Vorstands am Gemeinwohl, wie noch in § 70 Abs. 1 AktG 1937 ausdrücklich postuliert147, nach wie vor weiter. Außerdem sieht sich die Ansicht bestärkt durch das BVerfG148. Der BGH hat sich bislang zwar nicht explizit für oder wider den interessenmonistischen oder -pluralistischen Ansatz ausgesprochen, doch scheint auch der BGH nach Ansicht von Henze149 zum Interessenpluralismus zu tendieren.150 Demgegenüber steht der Ansatz einer interessenmonistischen Zielkonzeption151, wonach sich der Vorstand bei seiner Leitung jedenfalls hauptsächlich an dem Kern der Interessen der Aktionäre, gerichtet auf die Rentabilität der Gesellschaft, zu orientieren habe.152 Diese Ansicht fußt dogmatisch auf der Herleitung aus dem Verbands- oder Gesellschaftszweck. Da die Gesellschaft ein Verband der Aktionäre als (Eigen-)Kapitalgeber sei153 und diese das größte wirtschaftliche Risiko trügen, müssten die Aktionärsinteressen grundsätzlich auch die einzig zu berücksichtigenden Interessen darstellen. In diesem Kontext wird häufig auch der (strenge) Shareholder Value-Ansatz erwähnt. Dieser sollte in einem interessenmonistischen Sinne verstanden werden, welcher sich gegenüber der deutschen Ausgangsposition des interessenmonistischen Ansatzes lediglich durch die Bewertungsmethode unterscheidet.154 Danach solle es zur Bestimmung des Erfolgs des Unternehmens nicht auf den Gewinn pro Aktie, sondern auf den ökonomischen Wert ankommen.155 Hierzu soll es demnach auf den Cash Flow der Gesellschaft ankommen.156 Innerhalb der Lieder, Aufsichtsrat, S. 813 konstatiert, dass der Versuch einer genauen inhaltlichen Bestimmung des Unternehmensinteresses als gescheitert gelten müsse. 145 Dazu sogleich unter Teil 2, C.I.2.c)cc)(2). 146 So auch Koch, in: Hüffer/Koch, AktG, § 76 Rn. 15; Seibt, in: K. Schmidt/Lutter, AktG, § 76 Rn. 23. 147 s. o. Teil 2, A. 148 BVerfG, NJW 1979, 699, 703: „Die eigenverantwortliche Nutzung des von den Anteilseignern zur Verfügung gestellten Kapitals ist dem Vertretungs- und Leitungsorgan übertragen (vgl. § 76 I AktG), dem dabei die Wahrung von Interessen aufgegeben ist, die nicht notwendig diejenigen der Anteilseigner sein müssen“; BVerfG, AG 2000, 72. 149 Henze, BB 2000, 209, 212. 150 Vgl. auch Fleischer, in: Spindler/Stilz, AktG, § 76 Rn 27. 151 So Vedder, in: Grigoleit, AktG, § 76 Rn. 14 f.; Arnold, Steuerung des Vorstandshandelns, S. 47 ff.; Heß, Investorenvereinbarungen, S. 103; Dimke/Heiser, NZG 2001, 241, 244 f.; wohl auch Herwig, Leitungsautonomie, S. 113 f. 152 Vgl. Kort, in: GroßKommAktG, § 76 Rn. 52a. 153 Weber, in: Hölters, AktG, § 76 Rn. 19. 154 Vgl. dazu Schilling, BB 1997, 373 ff. 155 Rappaport, Creating shareholder value, S. 32; Schilling, BB 1997, 373. 156 Rappaport, Creating shareholder value, S. 32.

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Diskussion um das Unternehmensinteresse wird der Begriff des Shareholder Value mitunter auch genutzt, um innerhalb eines interessenpluralistischen Ansatzes einen Vorrang bzw. Gewichtungsvorsprung der Interessen der Anteilseigner zu begründen.157 Zur terminologischen Klarstellung soll dieser Ansatz in Anlehnung an Schmidt/Spindler158 im Folgenden als moderater Shareholder Value-Ansatz bezeichnet werden.159 (2) Stellungnahme (a) Der Verbandszweck als zwingendes Argument für den Interessenmonismus? Die Vertreter des interessenmonistischen Ansatzes argumentieren primär mit der Herleitung des Gesellschaftsinteresses rein aus dem Verbands- bzw. hier Gesellschaftszweck160. Das ist der richtige Ausgangspunkt, denn freilich kann das Gesellschaftsinteresse nicht losgelöst von diesem Gesellschaftszweck inhaltlich definiert werden, da „das geltende Recht die privaten Verbände nur um ihres Verbandszwecks willen [anerkennt]“161. Zwar ist der Gesellschaftszweck selbst ein weitgehend offener Begriff, doch lässt sich jedenfalls festhalten, dass die Gesellschafter insgesamt diesen Zweck bestimmen. Man wird daher nicht umhin kommen, den Gesellschaftszweck soweit nötig zu definieren. Dazu ist zunächst eine Abgrenzung zum Gesellschaftsgegenstand sinnvoll. Der Gesellschaftsgegenstand wird gleich dem Gesellschaftszweck zwar durch die Gesellschafter festgelegt, doch führt diese Gemeinsamkeit nicht zu identischem Inhalt.162 Schon das RG163 stellte – recht vage – fest, dass der Unternehmensgegenstand nicht zwangsweise die einzige Erkenntnisquelle für den Gesellschaftszweck sei.164 Inzwischen entspricht es allgemeinem Verständnis, dass der Verbandszweck dem Gesellschaftsgegenstand, dessen genaue Ausgestaltung und Änderung in den Händen der satzungsänderungsfähigen Mehrheit der Gesellschafter liegt, vgl. §§ 23 Abs. 3 Nr. 2, 179 AktG für die Aktiengesellschaft, inhaltlich übergeordnet ist.165 Der Gesellschaftszweck umfasst danach sowohl den Gesellschaftsgegenstand als auch das formale Gesellschaftsziel.166 157

Vgl. Fleischer, in: Spindler/Stilz, AktG, § 76 Rn. 36 ff. R. Schmidt/Spindler, in: Freundesgabe Kübler, 1997, 515, 516. 159 Zur Frage des Bestehens eines Gewichtungsvorsprungs bei der Interessenabwägung siehe unten Teil 2, C.I.2.c)dd). 160 So Vedder, in: Grigoleit, AktG, § 76 Rn. 14 f. 161 K. Schmidt, Gesellschaftsrecht, § 4 II 1. a), S. 61. 162 Vgl. Herwig, Leitungsautonomie, S. 83. 163 RGZ 164, 129, 140. 164 Vgl. auch K. Schmidt, Gesellschaftsrecht, § 4 II. 3., S. 65. 165 Vgl. etwa Pentz, in: MüKoAktG, § 23 Rn. 74 ff.; K. Schmidt, Gesellschaftsrecht, § 4 II. 3. a); Paefgen, S. 39 f.; Zöllner, Schranken, 1963, S. 26 f. 166 Heß, Investorenvereinbarungen, S. 97; ferner Wiedemann, Gesellschaftsrecht I, § 3 I 3. a). 158

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Der Gesellschaftsgegenstand beschreibt in sachlicher Hinsicht die Tätigkeit der Aktiengesellschaft und gibt dem Vorstand grundsätzliche Beschränkungen seiner eigenverantwortlichen Leitung vor, da er anerkanntermaßen grundsätzlich nicht diesem Gegenstand zuwiderhandeln darf. Die Änderung des Verbandszwecks unterliegt nach h.M. – anders als die Änderung des Gesellschaftsgegenstandes – entsprechend § 33 Abs. 1 Satz 2 BGB grundsätzlich167 dem Einstimmigkeitsprinzip der Gesellschafter.168 Das Formalziel der Aktiengesellschaft lässt sich nach allgemeiner Ansicht und vorbehaltlich anderweitiger satzungsmäßiger Bestimmungen beschreiben als die Ausrichtung auf dauerhafte Rentabilität169 oder – gleichbedeutend – auch die Erzielung angemessenen Gewinns170 der Gesellschaft. Das bedeutet gleichsam, dass es, wenn man den Verbandszweck als einzig maßgeblich für die Bestimmung des Begriffs des Gesellschaftsinteresses ansieht, nicht auf die Singularinteressen aller Gesellschafter ankommen kann, weder hinsichtlich des Verbandszwecks, noch hinsichtlich des Gesellschaftsinteresses. Das wird klarer, wenn man sich die höchst unterschiedlichen Interessenlagen der Gesellschafter vor Augen führt: institutionelle und private Anleger, breit diversifizierte Fondsgesellschaften und langzeit- und unternehmerisch-orientierte Investoren, ferner generell die unterschiedlichen Stoßrichtungen von Spekulanten und Investoren. Ein so verstandenes Unternehmensinteresse könnte lediglich der kleinste gemeinsame Nenner der Aktionärsinteressen sein. Freilich ist die Herleitung des Gesellschaftsinteresses aus dem Verbandszweck wegen der Überindividualität nicht zwingend so zu verstehen, dass Interessen der Arbeitnehmer und anderer stakeholder gar nicht berücksichtigt werden müssen. Umgekehrt könnte die Überindividualität nämlich ebenso dafür sprechen, dass es auf die Interessen der Gesellschafter alleine eben nicht ankommt. Dem hält Heß entgegen, dass die Überindividualität des Verbandszwecks sich nur auf die Gesellschafter beziehe, welche es in der Hand haben, den Zweck zu ändern.171 Man wird zwar im Grunde anerkennen müssen, dass das Gesellschaftsinteresse isoliert betrachtet grundsätzlich interessenmonistisch daherkommen kann. Allerdings bietet der Verbandszweck, genauer das von diesem umfasste Formalziel, das 167

Anderes kann sich aus statuarisch festgelegten geringeren Mehrheitserfordernissen für die Änderung des Gesellschaftszwecks und nur bis zur Grenze der qualifizierten Mehrheit des § 179 Abs. 2 Satz 2 u. S. 3 AktG ergeben, siehe Röhricht/Schall, in: GroßKommAktG, § 23 Rn. 126; Stein, in: MüKoAktG, § 179 Rn. 132. 168 Vgl. Brändel, in: GroßKommAktG, 4. Aufl. 2004; § 3 Rn. 12; Röhricht/Schall, in: GroßKommAktG, § 23 Rn. 126; Pentz, in: MüKoAktG, § 23 Rn. 70; Seibt, in: K. Schmidt/ Lutter, AktG, § 23 Rn. 34 u. § 1 Rn. 3; Kübler/Assmann, Gesellschaftsrecht, S. 35; a.A. Koch, in: Hüffer/Koch, AktG, § 23 Rn. 22. 169 Vgl. OLG Hamm, AG 1995, 512, 514; Koch, in: Hüffer/Koch, AktG, § 76 Rn. 34; Mertens/Cahn, in: KölnKommAktG, § 76 Rn. 21; Seibt, in: K. Schmidt/Lutter, AktG, § 76 Rn. 23; Spindler, in: MüKoAktG, § 76 Rn. 69; Heß, Investorenvereinbarungen, S. 97 f.; ferner Herwig, Leitungsautonomie, S. 87 und S. 94: „mitgliedernützige Gewinnerzielung“. 170 Vgl. Semler, Leitung und Überwachung, S. 40; Wiedemann, Gesellschaftsrecht I, § 3 I. 3 a). 171 Heß, Investorenvereinbarungen, S. 98.

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Einfallstor für die Berücksichtigung anderer Interessen als der der Gesellschafter.172 Denn eine langfristige Rentabilität der Gesellschaft ist ohne jegliche Berücksichtigung anderer Interessen als des Gesellschaftsinteresses kaum denkbar. Und so taugt die Bestimmung des Leitungsermessens alleine aus dem Verbandszweck nicht als zwingendes, finales Argument für oder wider den Interessenmonismus oder -pluralismus. Die Aussage des BVerfG173, dass die vom Vorstand zu wahrenden Interessen nicht zwangsläufig mit denen der Anteilseigner übereinstimmen müssen, führt auch nicht unbedingt zum einen oder anderen Ergebnis. Es greift zu kurz, dem ersten Senat des BVerfG zu unterstellen, dass er an der Stelle eine Stellungnahme zum Streit um Interessenmonismus oder -pluralismus der Aktiengesellschaft abgeben wollte. Denn die Überindividualität des Verbandszwecks, welcher zweifelsfrei vom Vorstand zu berücksichtigen ist, steht fest. Und so kann die Passage des Urteils auch verstanden werden als Feststellung dieser Überindividualität. (b) Weitergeltung der Gemeinwohlbindung aus § 70 Abs. 1 AktG 1937 als dogmatischer Anknüpfungspunkt des Interessenpluralismus? Zeigt der Verbandszweck zwar auf, dass die Aktionärsinteressen insgesamt nicht unberücksichtigt bleiben können, aber nicht zwingend jede andere Berücksichtigung weiterer Interessen ausschließt, bedarf es zur dogmatischen Begründung der interessenpluralistischen Ansicht anderer Anknüpfungspunkte. Hierzu wird häufig auf die Weitergeltung der Gemeinwohlbindung der mit Streichung des § 70 Abs. 1 AktG 1937 entfallenen Gemeinwohlklausel rekurriert. Das ist vor dem Hintergrund der Streichung des Gemeinwohlbezugs im neugefassten § 76 Abs. 1 AktG zu sehen174. Indes spricht die Regierungsbegründung davon, dass der Gemeinwohlbezug selbstverständlich weitergelten solle.175 Der Grund für die Streichung der Passage war neben der Ansicht der Redundanz der Normierung dieses Bezugs auch die Angst, dass die Jurisprudenz bei Normierung der Passage im AktG 1965 eine Gewichtungsvorgabe hinsichtlich der verschiedenen Interessen zu entdecken vermöge.176 Die Berücksichtigung der Gemeinwohlbelange und Arbeitnehmer ergebe sich in einem sozialen Rechtsstaat zwangsweise, ferner aus § 396 AktG und weiterer Vorschriften.177 Das Argument, dass der Gemeinwohlbezug gerade keinen wörtlichen Niederschlag in § 76 Abs. 1 AktG gefunden hat, lässt sich zwar nicht von der Hand weisen, doch ist die Diskussion um die Weitergeltung des Gemeinwohlbezugs erst durch das Fehlen der Passage aus § 70 Abs. 1 AktG 1937 bedingt. 172 173 174 175 176 177

So auch Seibert, in: FS Hoffmann-Becking, 2013, 1101, 1102. BVerfG NJW 1979, 699, 703. Vgl. dazu auch schon oben Teil 2, A. Regierungsbegründung bei Kropff, AktG, S. 97. Ausschussbericht bei Kropff, AktG, S. 98. Ausschussbericht bei Kropff, AktG, S. 98.

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Teil 2: Die Kompetenzordnung der Aktiengesellschaft

Fleischer konstatiert, dass aus dem Meinungsstreit um die Fortgeltung des Gemeinwohlbezugs wohl kein Erkenntnisgewinn mehr zu erwarten und der Wille des historischen Gesetzgebers ohnehin „verblasst“ sei.178 Freilich wird man im Rahmen historischer Auslegung – und das gilt natürlich umso mehr je größer die Zeitspanne zwischen Entstehung und der Geltung der in ihrem Gehalt umstrittenen Norm ist – stets hinterfragen müssen, ob das historische Verständnis noch verbindliche Geltung beanspruchen kann.179 Betrachtet man die umfangreiche Literatur zur Exegese der historischen Gesetzesmaterialien, wird man tatsächlich zum Schluss kommen müssen, dass die Gesetzgebungsmaterialien je nach Belieben in die eine oder andere Stoßrichtung interpretiert werden können.180 Der Umstand, dass sich die Mehrheit im Rechts- und auch im Wirtschaftsausschuss damals wegen mangelnder „rechtliche[r] Substanz“ und „selbstständige[r] Bedeutung“ gegen die Einfügung einer Gemeinwohlklausel im AktG 1965 ausgesprochen hat,181 lässt den Schluss zu, dass die Gemeinwohlbindung ohnehin nur aus anderen gesetzlichen Wertungen zu entnehmen sei. Umgekehrt ließe sich mit entsprechender Gewichtung der im Ausschussbericht relevanten Textpassagen ebenso konstruieren, dass die Mehrheit von dem Vorschlag lediglich Abstand nahm, weil sie die Interessen Dritter bereits durch grundlegende Prinzipien („sozialen Rechtstaat“) und Rechtsvorschriften geschützt sahen. Als absolut zwingendes Argument für oder wider eine dem § 76 Abs. 1 AktG zugrundeliegende Gemeinwohlbindung und damit Interessenpluralität können die Unterlagen zur Gesetzgebungshistorie daher nicht dienen. (c) Bindung an weitere Interessen durch Anknüpfung an das von der Gesellschaft getragene Unternehmen Hat sich bisher also gezeigt, dass der Gesellschaftszweck im Grunde interessenmonistisch ist und die historische Auslegung des § 76 Abs. 1 AktG kein endgültiges Ergebnis über den Interessenmonismus oder -pluralismus zu bringen vermag, ist die weitverbreitete Anknüpfung an das Unternehmen zu überprüfen. Dabei verschiebt sich der Anknüpfungspunkt weg von dem isoliert gesellschaftsrechtlichen Anknüpfungspunkt auf den Leitungsgegenstand der Aktiengesellschaft, nämlich das von ihr getragene Unternehmen. Nach verbreiteter Ansicht handelt es sich beim von der Aktiengesellschaft betriebenen Unternehmen um eine soziale und wirtschaftli178

Fleischer, in: Spindler/Stilz, AktG, § 76 Rn. 23; ähnlich ders., AG 2001, 171, 175; auch Vedder, in: Grigoleit, AktG, § 76 Rn. 15; a.A. Koch, in: Hüffer/Koch, AktG, § 76 Rn. 30, der dem entgegenhält, dass die Beweislast für die zwischenzeitlich eingetretene Korrektur der entstehungszeitlichen Auffassung bei denen liege, die eine Norm konträr dazu verstehen wollen, und keine zwingenden Beweise für diese Korrektur erbracht sieht. 179 Vgl. Rüthers/Fischer/Birk, Rechtstheorie, § 22 Rn. 788. 180 Vgl. gegen die Fortgeltung der Gemeinwohlbindung durch § 76 Abs. 1 AktG etwa: Schmidt-Leithoff, Die Verantwortung der Unternehmensleitung, S. 32 ff.; Spindler, in: MüKoAktG, § 76 Rn. 61; dafür bspw.: Koch, in: Hüffer/Koch, AktG, § 76 Rn. 30 f.; Schilling, in: FS Geßler, 1970, 159, 168 f. 181 Ausschussbericht bei Kropff, AktG, S. 98.

C. Der Vorstand

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che Einheit.182 Die Bezugnahme auf das Unternehmen ist dabei nicht im Sinne eines „Unternehmens an sich“183 zu verstehen, welches zu Recht verworfen wurde184. Der Anknüpfung an das Unternehmen wird entgegengehalten, dass die Begrifflichkeit „Unternehmen“ unbestimmt sei sowie sogar beschränkt auf das normierte Aktienrecht uneinheitliche Verwendung finde185 und damit letztlich nicht als Anknüpfungspunkt herhalten könne.186 Richtig ist zwar, dass es einen einheitlich definierten Unternehmensbegriff nicht gibt, dieser vielmehr ein zweckbezogener, offener Rechtsbegriff ist. Würde man die Leitung aber einzig am Verbandszweck und damit an der Gesellschaft ausrichten, müsste die Leitungsmacht des Vorstands konsequenterweise auch die Leitungsbefugnis über die Gesellschafter umfassen, was nicht der Fall ist.187 Ferner spricht die Unternehmerfunktion des Vorstands188 dafür, dass er sein Handeln zumindest auch am Unternehmen zu orientieren habe. Durch die Anknüpfung an den Leitungsgegenstand soll an dieser Stelle lediglich untersucht werden, ob der Vorstand weitere Interessen der am Unternehmen Beteiligten berücksichtigen darf und (noch) nicht, ob oder inwiefern bestimmten Interessen im Rahmen des Leitungsermessens Vorrang zu gewähren ist. Das hat deshalb auch nicht zu Folge, dass man sich so einem soziologisch-ökonomischen Ansatz der Gesellschaft verschreibt.189 Sofern gegen den Interessenpluralismus eingewandt wird, die Interessen weiterer potentieller Interessenträger seien durch spezielle gesetzliche Normierungen bereits ausreichend geschützt,190 so unterstreicht dies sogar eher die Interessenpluralität, da sie impliziert, dass der Gesetzgeber das Unternehmen als Bezugspunkt mehrerer Interessenträger sieht.191 Die vorgebrachten Erwägungen hinsichtlich der Schutzbedürftigkeit spielen eher eine Rolle bei der Frage, ob und inwiefern ein Vorrang bestimmter Interessen bei der Ermessensausübung besteht. In die gleiche Richtung wird man auch das Argument verweisen müssen, wonach das KonTraG192 eine ak182

Vgl. Kort, in: GroßKommAktG, § 76 Rn. 39; Hüffer, in: Bayer/Habersack, Aktienrecht im Wandel, Bd. II, S. 343 f.; Mertens/Cahn, in: KölnKommAktG, § 76 Rn. 6; Spindler, in: MüKoAktG, § 76 Rn. 62; siehe auch bereits zum Unternehmen als Leitungsgegenstand oben Teil 2, C.I.2.b). 183 Dazu eingehend Riechers, Das „Unternehmen an sich“, passim; Raiser, Das Unternehmen als Organisation, passim. 184 So auch die h.M., vgl. nur Kort, in: GroßKommAktG, § 76 Rn. 78. 185 Vgl. BGHZ 69, 334, 336 f.; grundsätzlich auch Schmidt-Leithoff, Die Verantwortung der Unternehmensleitung, S. 48 ff. 186 Heß, Investorenvereinbarungen, S. 98 f. 187 So auch Mertens/Cahn, in KölnKommAktG, § 76 Rn. 6. 188 s. o. Teil 2, C.I.2.b)bb)(2). 189 A.A. wohl Heß, Investorenvereinbarungen, S. 99. 190 Z. B. Heß, Investorenvereinbarungen, S. 102. 191 Ähnlich Lieder, Aufsichtsrat, S. 816. 192 Gesetz zur Kontrolle und Transparenz im Unternehmensbereich vom 27. April 1998, BGBl. I S. 786.

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tienrechtliche Ausprägung des (strengen) Shareholder-Value Ansatz zeige.193 Letztlich ergibt sich der Interessenpluralismus der Aktiengesellschaft dogmatisch darüber hinaus auch aus der dem (Aktien-)Eigentum inhärenten Sozialbindung nach Art. 14 Abs. 2 GG194. (3) Zwischenergebnis Die Aktiengesellschaft ist geprägt vom Interessenpluralismus. Dementsprechend ist auch die Leitungsmacht des Vorstands interessenpluralistisch. Dogmatisch ergibt sich das aus einem Zusammenspiel der Anknüpfung an den Gesellschaftszweck und den Leitungsgegenstand der Gesellschaft, nämlich das Unternehmen, sowie die dem Eigentum immanente Sozialbindung. dd) Vorrang der Aktionärsinteressen? Mit der Feststellung der Interessenpluralität ist freilich für die konkrete Ausübung des Leitungsermessens durch den Vorstand wenig gewonnen. Die Feststellung der Interessenpluralität der Aktiengesellschaft eröffnet dem Vorstand die Möglichkeit, nahezu jede (unternehmerische) Maßnahme mit dem Leitungsermessen zu begründen bzw. zu rechtfertigen. Der Vorstand könnte also beinahe jedes Ziel unter dem Deckmantel des Leitungsermessens verpacken.195 Aus diesem Grund wird diskutiert, ob konkretisierende Ausübungsdirektiven für den Vorstand bestehen. Das Hauptaugenmerk wurde dabei insbesondere in der jüngeren Vergangenheit auf die Begründung eines Vorrangs der Aktionärsinteressen gelegt. Ausgangspunkt muss an dieser Stelle das normierte Aktienrecht sein. Diejenigen, die einen Vorrang der Aktionärsinteressen annehmen wollen, sind an dieser Stelle begründungspflichtig, da die Grundform der AG – wie gezeigt – das interessenpluralistische Leitungsermessen ist und der Vorstand der Gesellschaft sowie dem Unternehmensinteresse verpflichtet ist. Rechtspolitisch liegt ein möglicher Vorteil eines Gewichtungsvorsprungs bei der Abwägung der in das Leitungsermessen berücksichtigungsfähigen Interessen prima facie auf der Hand: Eine so verstandene Leitungsmaxime wäre zumindest auf den ersten Blick bestimmbarer als ein freies Leitungsermessen mit der Forderung nach Herstellung praktischer Konkordanz. Nimmt man die durch die vorrangige Behandlung der Aktionärsinteressen erhoffte Bestimmbarkeit genauer in den Blick, so muss man sich indes dreierlei fragen.

193 I. E. auch Fleischer, in: Spindler/Stilz, AktG, § 76 Rn. 28; Ulmer, AcP 2002, 147, 158 f.; a.A. Heß, Investorenvereinbarungen, S. 100 f. 194 Spindler, in: MüKoAktG, § 76 Rn. 62; Schmidt-Leithoff, Die Verantwortung der Unternehmensleitung, S. 155 ff.; a.A. Heß, Investorenvereinbarungen, S. 101 f. 195 Ähnlich Spindler, in: MüKoAktG, § 76 Rn. 64: Gefahr des Missbrauchs des Unternehmensinteresses als „carte blanche“.

C. Der Vorstand

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Erstens bedarf es einer Klärung, welchen zeitlichen Horizont man bei der Betrachtung anlegen soll. Wenn man einen langfristigen Horizont zugrunde legt, wird man letztlich abermals vor einer gewissen Unbestimmbarkeit der Leitungsmaxime stehen, da sich in langfristige Zukunftsprognosen wiederum nahezu jegliche Erwägungen anstellen lassen.196 Zweitens bleibt unklar, wie die Ermessensabwägung zwischen Aktionärs- und anderen relevanten Interessen praktisch ablaufen soll. Soll der Vorrang so zu verstehen sein, dass der Vorstand (nur) bei Interessenkollusionen von normalerweise „gleich wichtigen“ Interessen dem Aktionärsinteresse den Vorrang zu gewähren hat? Oder bedeutet ein Vorrang der Aktionärsinteressen grundsätzlich, dass die anderen Interessen die Aktionärsinteressen erst einmal (mehr oder minder stark) überwiegen müssen, damit der Vorstand sich im Rahmen seines Leitungsermessens für diese ein- und über die Aktionärsinteressen hinweg setzen darf? Und drittens stellt sich die Frage, wie mit widerstreitenden Aktionärsinteressen umgegangen werden soll, wenn man vom Vorrang der Aktionärsinteressen insgesamt ausgeht. Soll innerhalb der Abwägung konträrer Interessen von Aktionären dann wieder ein freies Ermessen des Vorstands bestehen? Oder muss man dann nicht aus rechtspolitischen Überlegungen heraus noch weitere Vorgaben finden? Man könnte hier einerseits auf die besondere Schutzbedürftigkeit der Minderheitsaktionäre hinweisen, andererseits darauf, dass die Aktionärsmehrheit eher geeignet ist, das tendenzielle Interesse der Aktionärsgesamtheit widerzuspiegeln. Letztlich darauf aufbauend wird sich die Frage stellen, was passiert, wenn innerhalb gegenläufiger Interessen von Aktionären das eine Interesse mit dem der anderen – aber wegen eines vermeintlichen Vorrangs von Aktionärsinteressen erst einmal nachrangig zu berücksichtigenden – Interessenträger zusammenfällt. Es zeigt sich, dass der Wunsch nach klarerer Bestimmbarkeit der konkreten Ausübung des Leitungsermessens und eine damit einhergehende engere Kontrollmöglichkeit durch das Postulieren eines pauschalen Vorrangs von Aktionärsinteressen nicht erfüllt werden kann. Vielmehr werden die Probleme bei der Bestimmbarkeit der Leitungsmaxime dadurch lediglich verschoben. Es bleibt allerdings zu untersuchen, ob das Gesetz einen Vorrang der Aktionärsinteressen dennoch vorgibt. Die Vertreter des Vorrangs der Aktionärsinteressen197 (inhaltsgleich auch „Gewichtungsvorsprung“198 genannt) rekurrieren zur Begründung zunächst auf die zwingende Ausrichtung des Vorstandshandelns auf die dauerhafte Rentabilität der Gesellschaft. Dass die Ausrichtung auf die dauerhafte Rentabilität der Gesellschaft Rechtspflicht des Vorstands ist, vermag indes wenig darüber auszusagen, ob den Aktionärsinteressen Vorrang vor denen anderer zu berücksichtigender Interessen196

Ähnlich auch Kort, AG 2012, 605, 606. Dauner-Lieb, in: Henssler/Strohn, GesR, § 76 AktG Rn. 11; Koch, in: Hüffer/Koch, AktG, § 76 Rn. 33; Fleischer, in: Spindler/Stilz, AktG, § 76 Rn. 37 f.; Seibt, in: K. Schmidt/ Lutter, AktG, § 76 Rn. 23; Weber, in: Hölters, AktG, § 76 Rn. 22; einschränkend: Bürgers, in: Bürgers/Körber, AktG, § 76 Rn. 15; Spindler, in: MüKoAktG, § 76 Rn. 76; i.E. wohl auch Hüffer, in: Bayer/Habersack, Aktienrecht im Wandel II, S. 356 f. 198 So z. B. Seibt, in: K. Schmidt/Lutter, AktG, § 76 Rn. 23. 197

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träger zu gewähren ist. Eher zeigt die dauerhafte Rentabilität der Gesellschaft die Grenze des Leitungsermessens auf. Sofern der Vorstand nicht im Sinne dauerhafter Rentabilität der Gesellschaft handelt, handelt er außerhalb seines Ermessens. Eine so verstandene Grenze kann nicht das durch sie eröffnete Ermessen im Sinne eines Vorrangs bestimmter Interessengruppen lenken. Vielmehr haben i. d. R. vor allem Aktionäre und Arbeitnehmer ein gleichlaufendes Interesse an den wirtschaftlichen Folgen einer dauerhaften Rentabilität der Gesellschaft. Sofern die dauerhafte Rentabilität nur auf Kosten einer Interessengruppe erfolgen kann, ist dies keine Frage des Ermessens. Ferner sei das Leitungsermessen vorrangig an Aktionärsinteressen auszurichten199, weil die Aktiengesellschaft primär eine Veranstaltung der Aktionäre200 sei. Dem ist zuzugeben, dass die Aktionäre es in der Hand haben, die Aktiengesellschaft – selbst, wenn diese hochrentabel ist – gem. § 262 Abs. 1 Nr. 2 AktG aufzulösen. Andere Interessenträger der Gesellschaft partizipieren an dieser Entscheidung nicht.201 Daraus abzuleiten, dass der Vorstand vorrangig die Interessen der Aktionäre bei der Ausübung seines Leitungsermessens zu berücksichtigen habe, ist indes nicht zwingend. Es scheint als müsse der Vorstand mit diesem Argument vor dem Hintergrund einer Drohkulisse der Auflösung der Gesellschaft (einzig) den Aktionären gefällige Entscheidungen treffen. Als Ausfluss des Willen des Gesetzgebers zur vorrangigen Behandlung der Aktionärsinteressen wird außerdem auf die durch das KonTraG202 eingefügten § 71 Abs. 1 Nr. 8 AktG und § 192 Abs. 2 Nr. 3 AktG verwiesen, zu deren Begründung sich der Gesetzgeber Argumenten des Shareholder Value bedient habe203. Zuletzt wird zur Begründung der These vom Vorrang der Aktionärsinteressen innerhalb einer Interessenabwägung die Rechtsökonomie bemüht,204 deren Argumente mangels legislatorischer Vorprägung205 grundsätzlich auch Anwendung finden dürfen.206 Besondere Beachtung verdient die Begründung des Vorrangs von Aktionärsinteressen aus ihrer Stellung als Eigenkapitalgeber.207 Die Aktionäre als Residualgläubiger sollen danach wegen dieser Stellung ein erhöhtes Risiko tragen und daher 199 Fleischer, in: Spindler/Stilz, AktG, § 76 Rn. 37; Seibt, in: K. Schmidt/Lutter, AktG, § 76 Rn. 23. 200 Dazu Wiedemann, Organverantwortung und Gesellschafterklagen in der Aktiengesellschaft, S. 33. 201 Vgl. dazu auch Riesenhuber, in: K. Schmidt/Lutter, AktG, § 262 Rn. 8 ff. 202 Gesetz zur Kontrolle und Transparenz im Unternehmensbereich vom 27. April 1998, BGBl. I S. 786. 203 Groh, DB 2000, 2153, 2157. 204 Vgl. vor allem Fleischer, in: Spindler/Stilz, AktG, § 76 Rn. 34 f. 205 Siehe zur fehlenden legislatorischen Vorprägung oben Teil 2, C.I.2.c)cc)(2)(c). 206 Anders vor allem Koch, in: Hüffer/Koch, AktG, § 76 Rn. 30, der jedoch aufgrund der von ihm angenommenen Weitergeltung der im AktG 1937 niedergelegten Gemeinwohlbindung konsequenterweise die legislatorische Vorprägung annehmen muss. 207 Dazu Fleischer, in: Spindler/Stilz, AktG, § 76 Rn. 33.

C. Der Vorstand

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im Vergleich in erhöhtem Maße schutzbedürftig sein, da andere Interessenträger anderweitig geschützt würden, z. B. durch Arbeitsschutzbestimmungen, Mitbestimmungsrechte, Kapitalaufbringungs- und -erhaltungsvorschriften, Verbraucherschutzgesetze oder Umweltvorschriften.208 Diese Argumentation ist nicht frei von jeder Schwäche. So verstanden soll der grundsätzliche Gewichtungsvorsprung auf einer grundsätzlichen besonderen Schutzbedürftigkeit der Aktionäre beruhen. Man wird darin zustimmen können, dass weitere Interessenträger neben den Aktionären gesetzlich besonders geschützt sind. Allerdings begründet dies nicht zwangsweise eine vergleichsweise höhere Schutzbedürftigkeit der Aktionäre. Immerhin werden sie im Idealfall deutlicher von einem ertragreichen Geschäftsverlauf profitieren als die anderen Interessenträger, haben also eine höhere Chance. Es wäre deshalb durchaus denkbar, ihnen ein im Grunde erhöhtes Risiko aufzubürden, ohne darin eine besondere Schutzbedürftigkeit zu sehen. Aber gerade das erhöhte Risiko gegenüber den Arbeitnehmern der Gesellschaft ist nicht zwangsweise vorhanden. Arbeitnehmer, deren Arbeitslohn oftmals ihre einzige finanzielle Lebensgrundlage darstellt, tragen ein erhebliches wirtschaftliches Risiko. Gleiches gilt teilweise auch für Gläubiger, insbesondere, wenn die AG ihre wichtigste Kundin ist. Mertens/Cahn weisen weitergehend zu Recht darauf hin, dass Aktionäre regelmäßig diversifizierte Portfolios haben,209 was deren wirtschaftliches Risiko bei einer Gesamtbetrachtung und im Verhältnis zu den Risiken der Arbeitnehmer sowie bestimmter Gläubiger relativiert. Ferner näherte man sich damit einem Prinzipal-Agenten-Prinzip210 nach angloamerikanischem Vorbild. Obschon die Aktionäre die Eigenkapitalgeber der Gesellschaft sind, besteht zwischen Vorstand und ihnen aber kein Verhältnis gleich dem zwischen Prinzipal und Agent. Denn der Vorstand leitet die AG eigenverantwortlich, § 76 Abs. 1 AktG. Ein faktisches Auftragsverhältnis zwischen Aktionär als Auftraggeber und Vorstand als Auftragnehmer lässt sich nicht mit dem Prinzip der Gewaltenteilung der heutigen deutschen Aktiengesellschaft vereinbaren211. Die Gegenauffassung212 zur vorrangigen Behandlung von Aktionärsinteressen sieht das Leitungsermessen im Grundsatz als ergebnisoffen. Der Vorstand habe lediglich die Pflicht, praktische Konkordanz zwischen den divergierenden Interessen

208

Vgl. Fleischer, in: Spindler/Stilz, AktG, § 76 Rn. 33; Seibt, in: K. Schmidt/Lutter, AktG, § 76 Rn. 23 sowie Ulmer, AcP 202 (2002), 143, 158 mit dem Verweis auf den außerhalb des AktG bestehenden gesetzlichen Schutz der Interessen von anderen Interessenträgern. 209 Mertens/Cahn, in: KölnKommAktG, § 76 Rn. 16. 210 Zum Prinzipal-Agenten-Konflikt im Gesellschaftsrecht vgl. etwa Fleischer, ZGR 2001, 1, 7 f.; Hopt, ZGR 2004, 1, 2. 211 Ähnlich Koch, in: Hüffer/Koch, AktG, § 76 Rn. 31; Kort, AG 2012, 605, 609. 212 Mertens/Cahn, in: KölnKommAktG, § 76 Rn. 15 ff.; Kort, in: GroßKommAktG, § 76 Rn. 59 ff.; Raiser/Veil, Kapitalgesellschaftsrecht, § 14 Rn. 14; mit Gewichtungsprioritäten zugunsten der stakeholder: Henze, BB 2000, 209, 212.

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herzustellen.213 Dafür spricht, dass ein wie auch immer gearteter Vorsprung gewisser Interessen keinen gesetzlichen Niederschlag findet. Vielmehr deutet die interessenpluralistische Struktur der Aktiengesellschaft darauf hin, dass es einen solchen verpflichtenden Vorsprung gerade nicht gibt. Nach der gesetzlichen Konzeption ist der Vorstand ferner nicht den Aktionären, sondern der Gesellschaft zur Treue verpflichtet214. Der Wunsch nach größerer Bestimmbarkeit und damit letztlich mehr Rechtsklarheit hinsichtlich des Leitungsermessens bzw. die Haftung des Vorstandsmitglieds würde letztlich auch durch Gewichtungsvorgaben nicht befriedigt, sondern bloß an andere Stellen verschoben. Mit dieser Auffassung ist demnach davon auszugehen, dass der Vorstand im Rahmen seines Leitungsermessens das Unternehmensinteresse, das seine Handlungsmaxime darstellt, neu beurteilen muss und dazu letztlich widerstreitende Interessen in praktische Konkordanz zu bringen hat. Innerhalb eines so verstandenen Leitungsermessens mit den o.g. Grenzen ist der Vorstand berechtigt, die Interessen aller Interessenträger der Aktiengesellschaft zu berücksichtigen und zu gewichten. Umgekehrt ist festzuhalten, dass das Vorstandsmitglied durchaus auch berechtigt ist, die (von ihm bewerteten) Aktionärsinteressen grundsätzlich stärker zu gewichten als andere Interessen.215 Eine Verpflichtung trifft das Vorstandsmitglied indes nur zur Herstellung praktischer Konkordanz. Die Grenze des Leitungsermessens in Form des Formalziels, also i. d. R. der dauerhaften Rentabilität der Gesellschaft, wahrt die Gesamtheit der Aktionärsinteressen zur Genüge. ee) Zwischenergebnis Das Leitungsermessen ist interessenpluralistisch geprägt und begrenzt durch die Legalitätspflicht und den Gesellschaftszweck, d. h. vorbehaltlich anderweitiger satzungsmäßiger Bestimmungen die Ausrichtung auf dauerhafte Rentabilität der Gesellschaft. Sofern ein Ermessen innerhalb dieser Grenzen eröffnet ist, besteht für den Vorstand bei der Gewichtung der Interessen kein verpflichtender Vorrang bestimmter Interessen. Das Handeln des Vorstandsmitglieds innerhalb seines Ermessens ist gerichtlich auf Ermessensausübungsfehler überprüfbar. Ein Ermessensfehlgebrauch ist allerdings erst denkbar bei schlechterdings unvertretbarem Handeln des Vorstands.216 213 Vor allem Koch, in: Hüffer/Koch, AktG, § 76 Rn. 33; ähnlich auch Kort, in: GroßKommAktG, § 76 Rn. 123 und Rn. 40: „Harmonisierung der beiden Interessen“. 214 Vgl. Fleischer, in: Spindler/Stilz, AktG, § 93 Rn. 113 f.; Koch, in: Hüffer/Koch, AktG, § 93 Rn. 28. 215 Vgl. OLG Frankfurt, ZIP 2011, 2009, 2010; Fleischer, in: Spindler/Stilz, AktG, § 76 Rn. 36; Koch, in: Hüffer/Koch, AktG, § 76 Rn. 33; Spindler, in: MüKoAktG, § 76 Rn. 76; Hüffer, ZHR 161 (1997), 214, 217 f.; i.E. auch Mertens/Cahn, in: KölnKommAktG, § 76 Rn. 18 solange der Vorstand alle gesetzlichen und vertraglichen Bindungen beachtet. 216 Z. B.: Darf der Vorstand auf eine Dividendenausschüttung oder Gewinnthesaurierung (§ 58 Abs. 2 AktG) verzichten, um den daher verfügbaren Gewinn zu nutzen, Arbeitsplätze zu

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d) Unveräußerlichkeit der Leitung – Vorwegbindungsverbot? Weitergehend postuliert § 76 I AktG, dass sich der Vorstand dieser Führung nach hergebrachter Auffassung weder entledigen darf, noch kann (Delegationsverbot).217 Denkbar sind vier Fälle der Delegation, nämlich eine Delegation vom Gesamtorgan an einzelne Vorstandsmitglieder, eine Delegation vom Vorstand an ein anderes Organ der AG, eine Delegation vom Vorstand an untere Ebenen der AG und eine Delegation vom Vorstand an einen gesellschaftsexternen Dritten.218 Für die Frage nach dem Verhältnis zwischen obligatorischen Bindungen und der Kompetenzordnung der Gesellschaft ist dies insofern von Bedeutung, als sich der Vorstand seiner Leitungsmacht danach nicht begeben darf, ein striktes Verbot jedweder Vorwegbindung über Leitungsfragen allerdings die Gefahr birgt, die unternehmerische Tätigkeit des Vorstands und der AG erheblich zu erschweren.219 aa) Meinungsstand Die Versuche, den Umfang des zulässigen bzw. unzulässigen Fremdeinflusses im Bereich der Vorwegbindung des Vorstandshandelns zu bestimmen, sind vielgestaltig. Soweit in früheren Schriften überhaupt thematisiert, herrschte Einigkeit darüber, dass der Vorstand bezüglich seines Leitungsverhaltens gar keine Bindungen eingehen könne, da er so die Kompetenzordnung der AG beeinträchtigen würde.220 Die Rechtsprechung221 hat eine unzulässige Selbstbindung des Vorstands mit dem Merkmal der Beeinträchtigung der Vorstandsautonomie begründet. Eine ausführliche Auseinandersetzung mit den im Schrifttum vorzufindenden Ansätzen lässt die Entscheidung jedoch vermissen.

erhalten? Die Antwort nach den bisherigen Ergebnissen lautet: Sofern er damit auf die langfristige Rentabilität der Gesellschaft zielt und er die Interessen abgewogen und in praktische Konkordanz gebracht hat, ist er dazu berechtigt. Rechtsfolgen in Form von Schadensersatzforderungen oder Abberufung drohen ihm wegen der vorliegenden Vertretbarkeit in diesem Fall nicht, da dafür ein schlechthin unvertretbares Handeln vorausgesetzt wird, vgl. BGHZ 135, 244, 253; Spindler, in: MüKoAktG, § 93 Rn. 56 m.w.N.; ähnlich Hopt/Roth, in: GroßKommAktG, § 93 Rn. 123 ff. 217 Spindler, in: MüKoAktG, § 77 Rn. 5; Mertens/Cahn, in: KölnKommAktG, § 76 Rn. 45; Weber, in: Hölters, AktG, § 76 Rn. 12; kritisch: Herwig, Leitungsautonomie, S. 76 ff.; Koch, in: 50 Jahre Aktiengesetz, 2016, 65, 94 ff.; Seibt, in: FS K. Schmidt, 2009, 1463 ff. 218 Seibt, in: FS K. Schmidt, 2009, 1463, 1472; anders Herwig, Leitungsautonomie, S. 68, nach dem das Delegationsverbot gesellschaftsinterne Leitungsentäußerungen erfasse, während gesellschaftsexterne Entäußerungen einem „Übertragungsverbot“ unterliegen könnten. 219 Ähnlich Spindler, in: MüKoAktG, § 76 Rn. 26; Mertens/Cahn, in: KölnKommAktG, § 76 Rn. 53. 220 Lutter, in: FS Fleck, 1988, 169, 184 f. geht von allgemeiner Unverbindlichkeit entsprechender Verpflichtungen aus. 221 LG München I, NZG 2012, 1152, 1153.

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Dort unterscheidet Kort222 zwischen (unzulässigem) direktem und (zulässigem) indirektem Einfluss auf das künftige Vorstandshandeln bezüglich der Unternehmensplanung und Geschäftspolitik. Auf die Festlegung der korporativen Organisationsstruktur, auf personelle Entscheidungen bei der AG oder auf eine nicht durch den Inhalt des eigentlichen Geschäfts geprägte Einflussnahme auf die Unternehmensleitung dürfe sich die Einflussnahme nicht erstrecken.223 Teilweise224 werden zwar einerseits ein allgemeines Verbot der Vorwegbindung befürwortet, gleichzeitig auf Tatbestandsseite jedoch Ausnahmen hiervon gemacht, insbesondere für die Festlegung langfristiger Geschäftsstrategien. Eine Selbstbindung sei z. B. dann zulässig, wenn sie sich als Fortführung der ermessensfehlerfrei getroffenen Entscheidung des Vorstands darstelle.225 Außerdem sei zu differenzieren zwischen kompetenz- und haftungsrechtlich relevanten Selbstbindungen des Vorstands. Eine gemessen an § 76 Abs. 1 AktG kompetenzrechtlich zulässige Selbstbindung könne sich unter Umständen als nach 93 Abs. 1 AktG pflichtwidrig darstellen.226 Paschos227 meint, eine gegen § 76 Abs. 1 AktG verstoßende Vorwegbindung liege lediglich dann vor, wenn der Dritte eine eigenverantwortliche Entscheidung im Bereich der Leitungsmacht treffen kann. Ausnahmen könnten jedoch in den Fällen zu machen sein, in denen sich die Selbstbindung des Vorstands für die Zukunft als zulässige Ermessensbindung für die Gegenwart darstelle.228 In die gleiche Richtung argumentiert auch Herwig, der die Vereinbarung von Zustimmungsvorbehalten betreffend Einzelmaßnahmen grundsätzlich nicht beanstanden möchte, solange sie im Unternehmensinteresse liege.229 Erst, wenn der Leitungsspielraum des Vorstands mit Blick auf das Unternehmensinteresse in „unvertretbarer Weise“ eingeschränkt würde, läge ein Verstoß gegen die (von Herwig im Kern nach wie vor propagierte) Unveräußerlichkeit der Leitungsmacht vor.230 Ein allgemeines Vorwegbindungsverbot hinsichtlich der Einräumung vertraglicher Einflussmöglichkeiten sei jedenfalls abzulehnen, da ein solches Vorwegbindungs-

222

Kort, in: GroßKommAktG, § 76 Rn. 199; auch Dette, Verdeckte Beherrschungsverträge, S. 130 f. 223 Kort, in: GroßKommAktG, § 76 Rn. 199. 224 Fleischer, in: Spindler/Stilz, AktG, § 76 Rn 68 f.; ders., in: FS Schwark, 2009, 137, 154 f.; ders., ZIP 2003, 1, 10; Wiegand, Investorenvereinbarungen und Business Combination Agreements, S. 213 f. 225 Fleischer, in: Spindler/Stilz, AktG, § 76 Rn. 78. 226 Fleischer, in: Spindler/Stilz, AktG, § 76 Rn. 69. 227 Paschos, NZG 2012, 1142, 1143. 228 Paschos, NZG 2012, 1142, 1143. 229 Herwig, Leitungsautonomie, S. 100 f. 230 Herwig, Leitungsautonomie, S. 101.

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verbot den Aspekt der Verbandsautonomie über das Formalziel – die Gewinnerzielung – stellte und so kaum im Interesse der Aktionäre liegen könne.231 Nach Ansicht von Mertens/Cahn seien nur solche Selbstbindungen unzulässig, die sachlich einem Unternehmensvertrag gleichkämen.232 Es sei bei der notwendigen Einzelfallbetrachtung jedoch auch abzuwägen und dabei auch das Unternehmensinteresse zu berücksichtigen, sodass gewichtigere Gründe für den Abschluss der vertraglichen Bindung aus Sicht der AG auch empfindlichere Einwirkungsrechte des Dritten rechtfertigen könnten.233 Heptner bemüht zur Abgrenzung der unzulässigen von der zulässigen Vorwegbindung das Äquivalenzprinzip im Sinne des Prinzips der Austauschgerechtigkeit.234 Außerhalb eines Beherrschungsvertrags sei eine Autonomiehingabe nur möglich, wenn sie sachlich begrenzt und verglichen mit den Vorteilen der AG aus einer Vereinbarung finanziell äquivalent sei, was die theoretische Möglichkeit monetärer Bezifferung voraussetze.235 Nach Heß236 sei ausschließlich die unmittelbare Unterwerfung unter den Willen Dritter eine kompetenzrechtlich unzulässige Selbstbindung. Zu diesen Selbstbindungen zählten etwa abstrakte Weisungsrechte oder Zustimmungsvorbehalte. Die Eingehung einer unmittelbaren Bindung über einen konkreten Gegenstand im Rahmen einer unternehmerischen Entscheidung sei hingegen zulässig.237 Mittelbare Unterwerfungen seien grundsätzlich kompetenzrechtlich unbedenklich und einzig an den allgemeinen Sorgfaltspflichten des Vorstands zu messen.238 bb) Stellungnahme Dogmatisch hängt die Frage nach der Reichweite zulässiger Vorwegbindung des Vorstands an dem Merkmal der „Eigenverantwortlichkeit“ der Leitung nach § 76 Abs. 1 AktG. Die Frage ist letztlich, ob aus der Eigenverantwortlichkeit ein grundsätzliches Verbot der Vorwegbindung folgt oder die Kompetenzordnung der AG prinzipiell von der Zulässigkeit entsprechender Bindungen ausgeht und diese nur in besonderen Fällen nicht gestattet. Es geht um den Umfang der Einschränkung der Vertragsfreiheit der AG239 bezüglich Selbstbindungen des Vorstands durch § 76 Abs. 1 AktG.

231

Herwig, Leitungsautonomie, S. 104 ff. Mertens/Cahn, in: KölnKommAktG, § 76 Rn. 48. 233 Vgl. Mertens/Cahn, in: KölnKommAktG, § 76 Rn. 48. 234 Heptner, Einschränkungen, S. 110 ff. 235 Heptner, Einschränkungen, S. 112 f. 236 Heß, Investorenvereinbarungen, S. 180. 237 Heß, Investorenvereinbarungen, S. 180. 238 Heß, Investorenvereinbarungen, S. 180 f. 239 Die Vertragsfreiheit erwähnt in diesem Kontext auch Seibt, in: K. Schmidt/Lutter, AktG, § 76 Rn. 21. 232

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Eigenverantwortlichkeit bedeutet in diesem Zusammenhang, dass der Vorstand die Gesellschaft selbstständig und aus eigenem Recht leitet.240 Konflikte bezüglich dieses Merkmals ergeben sich grundsätzlich bereits bei langfristigen Lieferverträgen. Denn solche Vereinbarungen können – je nach Intensität – Leitung und nicht bloße Geschäftsführungsmaßnahmen (bei der die Eigenverantwortlichkeit nicht gilt) sein und zukünftige Entscheidungen vorwegnehmen. Umgekehrt sind aber die positiven – im Unternehmensinteresse liegenden – Folgen solcher Vereinbarungen zu berücksichtigen. Ansonsten drohte der vermeintliche Schutz der Entscheidungsfreiheit des Vorstands sich eher als deren Last darzustellen. Dieser Gedanke lässt sich auf andere vertragliche Bindungen mit Bezug zur Leitungsmacht ausdehnen, denn prinzipiell ist die langfristige Ausrichtung der Tätigkeit der AG gerade Kernelement der Leitung des Vorstands.241 Eine aus der Eigenverantwortlichkeit abgeleitete, umfassend verstandene Schranke der Vertragsfreiheit der AG würde ihre Teilnahme am Rechtsverkehr massiv beeinträchtigen.242 Die Annahme einer grundsätzlichen Unzulässigkeit jedweder vertraglicher Vorwegbindung ist abzulehnen.243 Denn zum einen müssen auch Fleischer und Wiegand, die das Dogma vom grundsätzlichen Vorwegbindungsverbot auch heute noch im Wesentlichen aufrechterhalten wollen, Ausnahmen für längerfristige Geschäftsbeziehungen machen.244 Zum anderen führte, wären vertragliche Verpflichtungen der AG über bestimmte Maßnahmen im Kompetenzbereich des Vorstands stets unzulässig, das strikte Vorwegbindungsverbot zu einer intensiveren Beschränkung der Leitungsmacht des Vorstands als die Annahme der grundsätzlichen Zulässigkeit solcher Vereinbarungen.245 Klar ist allerdings auch, dass Vorwegbindungen im Bereich der Leitung nicht unbegrenzt zulässig sein können. Fraglich ist daher, wie zwischen zulässiger und unzulässiger Selbstbindung zu differenzieren ist. Der insbesondere von Kort vorgeschlagenen Differenzierung nach direkter und indirekter Einflussnahme fehlt es an der umsetzbaren Möglichkeit klarer Abgrenzung.246 Gegen die Ansicht Heptners dürfte einzuwenden sein, dass es zwar theo240

Fleischer, in: Spindler/Stilz, AktG, § 76 Rn. 56. Spindler, in: MüKoAktG, § 76 Rn. 27. 242 Vgl. Mertens/Cahn, in: KölnKommAktG, § 76 Rn. 50. 243 So auch Mertens/Cahn, in: KölnKommAktG, § 76 Rn. 47; Heß, Investorenvereinbarungen, S. 180; differenzierend: Koch, in: Hüffer/Koch, AktG, § 76 Rn. 27; Fleischer, in: Spindler/Stilz, AktG, § 76 Rn. 69. 244 So auch Heß, Investorenvereinbarungen, S. 180; vgl. ferner Herwig, Leitungsautonomie, S. 106. 245 Ähnlich Heß, Investorenvereinbarungen, S. 174. 246 Selbst das von ihm in GroßKommAktG, § 76 Rn. 199 angeführte Beispiel der zulässigen, indirekten Einflussnahme durch Ausrichtung eines Unternehmens auf ein auf Dauer angelegtes Großprojekt bietet keine praktikablen Kriterien, sondern lässt vielmehr bereits offen, inwiefern im Rahmen der Ausrichtung auf das beispielhafte Großprojekt überhaupt Einflussrechte an Dritte gewährt werden. 241

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retisch denkbar ist, jedes Einwirkungsrecht im Verhältnis zur vertraglichen Maßnahme irgendwie zu monetarisieren247. Allerdings bietet die Anwendung des Äquivalenzprinzips im Rahmen des hinsichtlich der Folgen eines Verstoßes so relevanten § 76 Abs. 1 AktG keine rechtssichere Handhabe. Der Wert der Maßnahmen und Einwirkungsrechte ist zudem objektiv kaum zu bemessen. Soweit Mertens/Cahn eine typologisierende, einzelfallbetrachtende Lösung248 bevorzugen und darauf abstellen, dass nur solche Vorwegbindungen unzulässig seien, die der Wirkung eines Unternehmensvertrags gleichen, ist zunächst festzuhalten, dass dogmatischer Ausgangspunkt der Vorwegbindungsproblematik § 76 Abs. 1 AktG, nicht hingegen § 291 AktG ist. Richtig ist jedoch, dass jeder faktische Beherrschungsvertrag, der nicht auch den Erfordernissen der §§ 291 ff. AktG entspricht, stets einen Verstoß gegen § 76 Abs. 1 AktG darstellt. Gleichzeitig ließe sich insbesondere die von ihnen vorgenommene Abwägung zwischen Interesse der AG an der Bindung einerseits und Gewicht des Einwirkungsrecht des Dritten andererseits249 eher über die Sorgfaltspflichten denn über das Kompetenzrecht lösen, da so ein nötiges Maß an Rechtssicherheit kaum gegeben ist. Heß ist jedenfalls zuzugeben, dass der Gedanke der Rechtssicherheit bei der Bestimmung der Abgrenzungskriterien natürlich zu bedenken ist. Dieser Gedanke wiederum lässt sich gegen eine lediglich am Unternehmensinteresse orientierte Kontrolle der Zulässigkeit vertraglicher Bindungen im Bereich der Leitung anführen. Vorzugswürdig erscheint es, unter dem Kriterium der Eigenverantwortlichkeit des § 76 Abs. 1 AktG einzig solche Vereinbarungen als Verstoß gegen § 76 Abs. 1 AktG einzuordnen, die dem Dritten einen die Leitung betreffenden bzw. nicht kontrollierbaren Einfluss auf die Leitung der AG einräumen.250 Die Leitung ist dabei (erst) dann betroffen, wenn dem Dritten unmittelbare Einwirkungsrechte auf das künftige Leitungshandeln eingeräumt werden. Unmittelbare Einwirkungsrechte sind jedenfalls solche, die dem Dritten eigene Entscheidungen im Leitungsbereich einräumen. Ob darüber hinaus auch Zustimmungsvorbehalte entsprechend zu qualifizieren sind, ist umstritten251. Nicht kontrollierbar ist der Fremdeinfluss, wenn die Vereinbarung keine angemessene sachliche und zeitliche Begrenzung der Maßnahme vorsieht. Was in diesem Zusammenhang eine angemessene sachliche und zeitliche Begrenzung ist, lässt sich angesichts der möglichen Regelungsvielfalt nicht pauschalisieren. Richtungsweisend dürfte hier insbesondere die betroffene Maßnahme selbst und das im Rahmen der Unternehmensleitung zu berücksichtigende Unternehmensinteresse252 sein.253 Je 247 248 249 250 251 252

A.A. offenbar Heß, Investorenvereinbarungen, S. 181, dort Fn. 695. Mertens/Cahn, in: KölnKommAktG, § 76 Rn. 48. Mertens/Cahn, in: KölnKommAktG, § 76 Rn. 48. I. E. ähnlich Heß, Investorenvereinbarungen, S. 180 f.; Paschos, NZG 2012, 1142, 1143. Dazu s. u. Teil 3, C.II.2. Dazu Teil 2, C.I.2.c)cc)(2).

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schwerwiegender die Betroffenheit der Leitung, desto höhere Anforderungen sind an das Unternehmensinteresse bezüglich des Abschlusses der Vereinbarung zu stellen254. All jene Vereinbarungen, die, gemessen an den soeben genannten Kriterien, nicht unzulässig sind, sind danach – entsprechend der in jüngerer Zeit verbreiteten Auffassung in der Literatur – nicht kompetenzrechtlich, sondern auf Ebene der Sorgfaltspflichten des Vorstands zu bewerten.255 Und auf dieser Ebene ist der Abschluss einer entsprechenden Vereinbarung dann pflichtgemäß, wenn die Entscheidung aus ex-ante-Perspektive vernünftig erscheint.256 Der Vorstand muss bei der Bewertung jedoch aufgrund einer angemessenen Informationsgrundlage entscheiden. Die mit diesem Maßstab einhergehenden Abgrenzungsprobleme257 sind wegen der nach den obigen Ausführungen gebotenen Flexibilität hinzunehmen. Das Leitungsermessen258 umfasst mithin keine Gewährung unmittelbarer Einflussrechte zugunsten Dritter auf die Leitungsbefugnisse des Vorstands. Damit ist das, was unter dem Stichwort der Vorwegbindung diskutiert wird, zum einen eine Grenze der Vertragsfreiheit der AG und des Vorstands. Zugleich sichert es deren Autonomie. Zum anderen ist es ein Kriterium zur Bewertung der Rechtmäßigkeit des Vorstandshandelns im Rahmen seines Pflichtenmaßstabs nach § 93 Abs. 1 AktG. cc) Fiduciary-out Um eine Klausel im Hinblick auf mögliche Unwirksamkeitsgründe wegen Verstoßes gegen aktienrechtliche Voraussetzungen abzusichern, werden mitunter sog. Fiduciary-out-Klausel vereinbart. Solche Klauseln sind in der Literatur zunächst im Zusammenhang mit sog. Board Recommendation-Klauseln259, in jüngerer Zeit jedoch auch im Zusammenhang mit Verpflichtungen über die (Nicht-)Ausnutzung 253 Für eine Einzelfallbetrachtung mit ausschließlichem Blick auf das Unternehmensinteresse auch Herwig, Leitungsautonomie, S. 107 ff. 254 Vgl. auch Herwig, Leitungsautonomie, S. 109 ff., der insbesondere eine Betrachtung des Gegenstands der unternehmerischen Tätigkeit der AG, der Marktbedingungen und -aussichten sowie der entsprechenden geschäftlichen Chancen und Risiken als bedenkenswerte Grundlage für die Entscheidung betont. 255 So auch Heß, Investorenvereinbarungen, S. 180; Paschos, NZG 2012, 1142 f.; i.E. ebenso Herwig, Leitungsautonomie, S. 107; in diese Richtung auch Fleischer, in: Spindler/ Stilz, AktG, § 76 Rn. 69. 256 Herwig, Leitungsautonomie, S. 107 ff. 257 Auf die Schwierigkeiten der praktischen Umsetzung hinweisend Lieder, ZHR 180 (2016), 552, 554. 258 Dazu s. o. Teil 2, C.I.2.c). 259 In diesem Zusammenhang etwa Oppenhoff, in: Beck’sches HdbAG, § 27 Rn. 113; Banerjea, DB 2003, 1489, 1495; Fleischer, ZHR 172 (2008), 538, 559; Heß, Investorenvereinbarungen, S. 198.

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genehmigten Kapitals260 und mit § 93 Abs. 2 AktG261 diskutiert worden, sind indes grundsätzlich auf Konstellationen übertragbar, in denen eine Pflichtenkollision eines vertraglich Verpflichteten mit anderen Pflichten droht. Eine Fiduciary-out-Klausel soll den Berechtigten von einer eingegangenen vertraglichen Verpflichtung entbinden, soweit er aufgrund organschaftlicher Pflichten verpflichtet ist, entgegen der vertraglichen Verpflichtung zu handeln.262 Rechtstechnisch kann eine solche Klausel in Deutschland als auflösende Bedingung gem. § 158 Abs. 2 BGB ausgestaltet werden.263 Eine entsprechende Klausel sah auch die dem LG München I vorliegende Zusammenschlussvereinbarung in Sachen W.E.T. vor.264 Fraglich ist, ob eine solche Klausel auch geeignet ist, einen die Unwirksamkeit begründenden Verstoß gegen die aktienrechtliche Kompetenzordnung in Form der Vereinbarung einer kompetenzrechtlich unzulässigen Klausel zu verhindern. Die Meinungen hierüber gehen auseinander. Während sich das LG München I in besagtem Urteil gegen diese Wirkung einer Fiduciary-out-Klausel ausgesprochen hat265, geht die Literatur teilweise davon aus, dass eine entsprechende Klausel geeignet sei, vertragliche Verpflichtungen der Gesellschaft zu beeinflussen266. Gegen die Wirksamkeit einer entsprechenden Klausel könnte man die damit einhergehende Rechtsunsicherheit einwenden. Jedenfalls soweit eine Verpflichtung nur vorbehaltlich einschlägiger Rechtsvorschriften bestehen soll, darf an der notwendigen Bestimmtheit der Klausel gezweifelt werden. Bungert/Wansleben legen eine entsprechende Klausel so aus, dass die Parteien sich danach nur soweit binden, wie sich der Vorstand gegenüber der AG nicht pflichtwidrig verhält.267 So verstanden dürfte die Klausel auf den ersten Blick in der Tat auch Wirkungen zeitigen. Paschos spricht – weitergehend – von einer „Rückholkompetenz“, die den Vorstand in die Lage versetzen könne, unabhängig von einer die Leitungsmacht berührenden Verpflichtung autonome Leitungsentscheidungen zu treffen.268 Herwig argumentiert mit der Stellung des Vorstands als Sachwalter fremder Interessen und daraus folgend der Ausrichtung seines Handelns am Unternehmensinteresse, was dazu führe, dass der 260 Lieder, in: MüKo GmbHG, § 55a Rn. 38a (bzgl. GmbH-Geschäftsführer); Bungert/ Wansleben, ZIP 2013, 1841, 1843 f.; Herwig, Leitungsautonomie, S. 112 f.; Paschos, NZG 2012, 1142, 1143. 261 Kiefner, ZHR 178 (2014), 547, 579. 262 Vgl. Oppenhoff, in: Beck’sches HdbAG, § 27 Rn. 113; Fleischer, ZHR 172 (2008), 538, 559; Kiefner, ZHR 178 (2014), 547, 579. 263 Banerjea, DB 2003, 1489, 1495. 264 LG München I, Schlussurt. v. 05. 04. 2012 – 5 HK O 20488/11 (insoweit nicht abgedruckt in NZG 2012, 1152 ff.): „Der W-Vorstand darf vorbehaltlich der Rechtsvorschriften […] weder genehmigtes Kapital im Sinne von § 202 AktG ausnutzen […]“. 265 LG München I, NZG 2012, 1152, 1153 f. 266 Vgl. Bungert/Wansleben, ZIP 2013, 1841, 1845; Herwig, Leitungsautonomie, S. 112 f.; Paschos, NZG 2012, 1142, 1144. 267 Bungert/Wansleben, ZIP 2013, 1841, 1845. 268 Paschos, NZG 2012, 1142, 1144.

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Vorstand sich nicht verpflichten dürfe, eine seiner Sorgfaltspflichten zuwiderlaufende Handlung vorzunehmen.269 In korporativer Hinsicht bleibt es dem Vorstand ohnehin stets frei, entgegen einer getroffenen schuldrechtlichen Verpflichtung zu handeln.270 Die Fiduciary-outKlausel dürfte angesichts dessen lediglich bezüglich möglicher Sekundäransprüche – seien es solche der AG aufgrund der Verletzung der vertraglichen Vereinbarung oder solche des Vorstands im Rahmen des § 93 Abs. 2 AktG – relevant sein. Der von Paschos vertretenen Rückholkompetenz bedarf es deshalb gar nicht. Gleiches gilt für die Ansicht Herwigs. Ihm ist zwar darin zuzustimmen, dass der Vorstand sich nicht zur Vornahme von Handlungen, die nicht im Unternehmensinteresse liegen, verpflichten darf. Die Wirkung und die Möglichkeit der Vereinbarung einer Fiduciaryout-Klausel sollte daher zumindest bei den Erwägungen, ob eine Vereinbarung im Unternehmensinteresse liegt oder nicht, berücksichtigt werden. Kompetenzrechtlich notwendig ist eine Fiduciary-out-Klausel aber nicht. Im Übrigen dürfte angesichts der Relevanz des § 76 Abs. 1 AktG für die AG eine rechtliche Veräußerung von Leitungsmacht auch nicht durch die eine entsprechende Klausel vermeidbar sein. Das Auslegungsergebnis von Bungert/Wansleben dürfte die Interessenlage der Parteien jedoch richtig widerspiegeln. Zum einen geht es den Parteien darum, die gewünschten Vereinbarungen einzugehen, gleichzeitig freilich nur unter der Einschränkung, dass die Parteien durch die Erfüllung ihrer vertraglichen Pflichten nicht rechtswidrig handeln. Eine Fiduciary-out-Klausel ist danach lediglich in dem Sinne hier relevant, dass sie die AG vor der Auslösung von Sekundäransprüchen schützt. Der Vorstand sollte jedoch – bei der Frage, ob eine Vereinbarung im Unternehmensinteresse liegt – die Vereinbarung einer Fiduciaryout-Klausel zumindest in Erwägung ziehen.

II. Aktienrechtliche Neutralitätspflicht Geht es um den Abschluss einer schuldrechtlichen Vereinbarung im Zusammenhang mit kompetenzrechtlich relevanten Fragen, so wird regelmäßig die Frage nach der Existenz einer sog. aktienrechtlichen „Neutralitätspflicht“ des Vorstands aufgeworfen.271 Es geht dabei im Kern um das Bestehen eines Verbots der Einflussnahme des Vorstands auf die Zusammensetzung des Aktionärskreises. Diese Fragestellung ist in mehreren Hinsichten zu diskutieren: Zunächst ist zu hinterfragen, ob eine aktienrechtliche „Neutralitätspflicht“ nicht schon deshalb nicht existieren könne, weil das übernahmerechtliche Verhinderungsverbot272 nach § 33 WpÜG 269

Herwig, Leitungsautonomie, S. 112 f. Siehe auch Teil 2, C.I.2.c)aa)(2)(b). 271 Jüngst z. B. bei Heß, Investorenvereinbarungen, S. 72 ff. 272 Teils begrifflich gleichsam „übernahmerechtliche Neutralitätspflicht“ (Noack/Zetzsche, in: Schwark/Zimmer, Kapitalmarktrecht, Vor §§ 33 bis 34 WpÜG Rn. 1) oder „Vereitelungs270

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insoweit abschließende Regelungen enthält. Daher ist zunächst eine Ausschlusswirkung durch § 33 WpÜG sowohl inner- als auch außerhalb des Anwendungsbereichs zu diskutieren. Sofern eine aktienrechtliche „Neutralitätspflicht“ nicht bereits deshalb ausgeschlossen ist, ist zu untersuchen, ob und ggf. wie die Existenz einer aktienrechtliche „Neutralitätspflicht“ dogmatisch herzuleiten ist. 1. Ausschluss durch übernahmerechtliches Verhinderungsverbot, § 33 Abs. 1 Satz 1 WpÜG? Das zumindest für öffentliche Übernahmeangebote relevante Verhinderungsverbot des Vorstands nach § 33 WpÜG verbietet dem Vorstand, während des Zeitraums zwischen Veröffentlichung der Entscheidung zur Abgabe eines Übernahmeangebots273 bis zu der Veröffentlichung des Ergebnisses gem. § 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 WpÜG die Vornahme von Handlungen, die den Erfolg des Angebots verhindern könnten. a) Dogmatische Grundlagen des übernahmerechtlichen Verhinderungsverbots Insbesondere vor Inkrafttreten des § 33 WpÜG war die dogmatische Herleitung der Norm als gesellschaftsrechtlich oder kapitalmarktrechtlich umstritten. Die Anhänger einer rein kapitalmarktrechtlichen274 Herleitung sahen in dem übernahmerechtlichen Verhinderungsverbot ausschließlich eine öffentlich-rechtliche lex specialis gegenüber dem Aktienrecht275. Diesem Ansatz ist der Gesetzgeber aber ausweislich der Gesetzesbegründung nicht gefolgt.276 Die rein gesellschaftsrechtliche Herleitung277 des § 33 WpÜG kann andererseits nicht erklären, warum etwa die BaFin gem. § 40 Abs. 1 WpÜG zur Überwachung der Einhaltung des Verhinderungsverbots berechtigt ist.278 Um die sowohl kapitalmarktrechtlichen als auch die

verbot“ (Schwennicke, in: Angerer/Geibel/Süßmann, WpÜG, 2. Aufl. 2008, § 33 Rn. 10) genannt. Terminologisch streitet der Blick auf die systematisch naheliegenden §§ 27, 34 WpÜG aber für das „Verhinderungsverbot“, vgl. auch Habersack, in: Emmerich/Habersack, Konzernrecht, Vor § 311 Rn. 14. 273 Der genaue Beginn des Zeitraums ist umstritten, vgl. dazu Schlitt, in: MüKoAktG, § 33 WpÜG Rn. 70 ff. 274 Schwennicke, in: Angerer/Geibel/Süßmann, WpÜG, 2. Aufl. 2008, § 33 Rn. 10 f; Hopt ZGR 1993, 534, 546; Merkt, ZHR 156 (2001), 224, 249. 275 Vgl. Röh, in: FrankfurtKommWpÜG, § 33 Rn. 20 f. 276 BT-Drucks. 14/7034, S. 57: „Nach im Schrifttum verbreiteter Auffassung besteht das der Regelung zu Grunde liegende Verbot erfolgsverhindernder Maßnahmen durch Vorstand und Aufsichtsrat bereits nach geltendem Recht. Gesellschaftsrechtlich ist dies abzuleiten aus der Funktion des Vorstands als Wahrer fremder Interessen, d. h. der Interessen der Gesellschaft“. 277 Dafür: Schlitt, in: MüKoAktG, § 33 WpÜG Rn. 51; Michalski, AG 1997, 152, 159 zum Diskussionsstand vor Inkrafttreten des § 33 WpÜG. 278 So zutreffend Ekkenga, in: Ehricke/Ekkenga/Oechsler, WpÜG, § 33 Rn. 7.

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gesellschaftsrechtlichen Facetten der Norm zu erfassen, bietet sich daher vielmehr eine gemischt kapitalmarkt- und gesellschaftsrechtliche Herleitung an. Neben der Herleitung ist für die Frage nach der Existenz bzw. Reichweite einer aktienrechtlichen „Neutralitätspflicht“ insbesondere die dogmatische Einordnung des Regelungsgehalts des § 33 WpÜG relevant. Denkbar sind insofern verschiedene Ansätze. Erstens käme eine Organpflicht des Vorstands innerhalb seiner Leitungskompetenz279 in Betracht. Zweitens ließe sich § 33 WpÜG als Kompetenz der Hauptversammlung zur Entscheidung über die Ausübung von Abwehrmaßnahmen in Übernahmesachverhalten qualifizieren.280 Drittens könnte man andersherum annehmen, dass es sich bei § 33 WpÜG um eine Kompetenzzuweisung nicht an die Hauptversammlung, sondern an die Verwaltung handelt. b) Qualifikation des Regelungsgehalts des § 33 WpÜG aa) Kompetenzzuweisung an die Verwaltung? Rechtlicher Anknüpfungspunkt dieser Überlegung der Qualifikation als Kompetenzzuweisung an die Verwaltung der AG ist § 33 Abs. 1 Satz 2 Var. 3 WpÜG, wonach Handlungen mit Zustimmung des Aufsichtsrats nicht dem übernahmerechtlichen Verhinderungsverbot unterfallen. Anders gesprochen könnte das anhand des Wortlauts gedeutet werden als die Verwaltungskompetenz, einer im Bereich der Hauptversammlungskompetenz liegenden Maßnahme ohne Beteiligung der Hauptversammlung durch den Aufsichtsrat die Zustimmung zu erteilen und durch den Vorstand ausführen zu lassen. Fasst man die Norm also als Kompetenzzuweisung an die Verwaltung auf, so wäre die aktienrechtliche Kompetenzordnung innerhalb des Anwendungsbereichs des § 33 WpÜG (immens) modifiziert. Dagegen lässt sich zuvorderst der Zweck der Norm anführen, nämlich die Wahrung der Entscheidungsfreiheit der Aktionäre281. Die Möglichkeit, dass die Verwaltung durch die Ausnahmeregelung im Anwendungsbereich des § 33 WpÜG auch über Maßnahmen im Zuständigkeitsbereich der Hauptversammlung entscheiden können soll, führte dogmatisch zu zweifelhaften Ergebnissen. Es würde den Zweck der Vorschrift in sein Gegenteil verkehren, da die Hauptversammlung in der Phase nach Veröffentlichung der Entscheidung zur Abgabe des Übernahmeangebots faktisch kompetenzlos wäre. Ein gesetzlicher Kompetenzzuwachs eines Organs zulasten eines anderen ist dem Gesetz zwar grundsätzlich nicht fremd. 279 Vgl. Krause/Pötzsch/Stephan, in: Assmann/Pötzsch/Schneider, WpÜG, § 33 Rn. 87; Brandi, in: Angerer/Geibel/Süßmann, WpÜG, § 33 Rn. 18; Glade, in: Heidel, Aktien- und Kapitalmarktrecht, § 33 WpÜG Rn. 25; Schlitt, in: MüKoAktG, § 33 WpÜG Rn. 58; Noack/ Zetzsche, in: Schwark/Zimmer, Kapitalmarktrecht, § 33 WpÜG Rn. 41, 46. 280 Röh, in: FrankfurtKommWpÜG, § 33 Rn. 32; i.E. auch Heß, Investorenvereinbarungen, S. 82; Hopt, ZHR 166 (2002), 382, 425; Winter/Harbarth, ZIP 2002, 1, 17; wohl auch Hirte, in: KölnKommWpÜG, § 33 Rn. 28; Altmeppen, ZIP 2001, 1073, 1076 f. 281 Bürgers, in: Bürgers/Körber, AktG, § 33 WpÜG Rn. 1; Grunewald, AG 2001, 288, 289.

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Doch darf dadurch das Prinzip der Gewaltenteilung in der AG nicht untergraben werden. Eine Gewaltenteilung zwischen Kapital und Verwaltung der Gesellschaft gäbe es für den Anwendungsbereich des § 33 WpÜG aber nicht mehr, sähe man in § 33 WpÜG eine Kompetenzzuweisung an die Verwaltung. Es muss deshalb jedenfalls dabei bleiben, dass auch mit Zustimmung des Aufsichtsrats nur Handlungen vorgenommen werden können, die grundsätzlich im Kompetenzbereich der Verwaltung liegen.282 Man könnte aber immerhin annehmen, dass § 33 WpÜG die Kompetenzordnung dergestalt modifiziert, dass sich der Aufsichtsrat innerhalb des Anwendungsbereichs des § 33 WpÜG für zukünftige Maßnahmen binden könnte283. Indes kann auch das in seiner Absolutheit nicht intendiert sein, da es der Natur des Aufsichtsratsmandats284 zuwiderlaufen würde. Demnach ist § 33 WpÜG nicht als Kompetenzzuweisung an die Verwaltung zu sehen. bb) Kompetenzzuweisung an die Hauptversammlung? Zum Teil wird § 33 WpÜG als Kompetenzzuweisung an die Hauptversammlung verstanden285. Dafür streitet vor allem der Schutzzweck der Norm. Der Schutz der Aktionärsinteressen kann am effektivsten durchgesetzt werden, wenn man die Norm als Kompetenznorm auffasst. Denn einzig dann ließe sich ein effektiver Rechtsschutz des einzelnen Aktionärs gegen einen Verstoß des Vorstands gegen das Verhinderungsverbot – in diesem Fall also eine Verletzung der Kompetenzordnung – begründen286.287 Daneben muss für eine solche Qualifizierung der Norm de lege lata freilich noch mehr angeführt werden. Denn eine gewünschte Rechtsfolge alleine trägt kaum als Begründung der Rechtsnatur einer Norm. Angebracht erscheint, zunächst die dogmatische Ausgangslage zu beleuchten. Im Grundsatz ist der Vorstand zur Leitung der Gesellschaft berufen. In dessen Leitungszuständigkeit fallen grundsätzlich auch weitreichende Entscheidungen. Im Rahmen des § 33 Abs. 1 Satz 1 WpÜG geht es vorwiegend darum, den Entscheidungsprozess des Aktionärs vor eventuell interessenkonfliktbelasteten Entscheidungen des Vorstands zu schüt-

282 Ebenso Noack/Zetzsche, in: Schwark/Zimmer, Kapitalmarktrecht, § 33 WpÜG Rn. 21; Hopt, ZHR 166 (2002), 383, 427; ferner (und gegenüber § 33 Abs. 1 S. 2 Alt. 3 WpÜG ohnehin sehr kritisch) Winter/Harbarth, ZIP 2002, 1, 8. Das Ergebnis deckt sich auch mit der Begründung des Finanzausschusses zur Änderung des RegE in BT-Drucks. 14/7477, S. 53. 283 Zur Möglichkeit zukünftiger Bindungen im Bereich der Kompetenzen des Aufsichtsrats s. u. Teil 3, C.I.1.h). 284 Siehe Teil 2, D.II. 285 So Röh, in: FrankfurtKommWpÜG, § 33 Rn. 32; (wohl auch) Hirte, in: KölnKommWpÜG, § 33 Rn. 28; Altmeppen, ZIP 2001, 1073, 1076 f.; (i.E. auch) Heß, Investorenvereinbarungen, S. 82; Hopt, ZHR 166 (2002), 382, 425; Winter/Harbarth, ZIP 2002, 1, 17. 286 Zu den Rechtsfolgen von Verstößen gegen die Kompetenzordnung s. u. Teil 2, G.V. 287 Vgl. Winter/Harbarth, ZIP 2002, 1, 17 f.

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Teil 2: Die Kompetenzordnung der Aktiengesellschaft

zen288. Es ist also grundsätzlich von einer allgemeinen Zuständigkeit des Vorstands in Leitungsangelegenheiten auszugehen, doch betreffen Handlungen des Vorstands in der sog. post-bid Phase, also im Rahmen des § 33 WpÜG, primär unmittelbar die Aktionäre. Sie sind grundsätzlich frei, ihre Aktien zu einem ihnen genehmen Preis zu veräußern. Dogmatisch könnte man aus der Ermächtigungsmöglichkeit der Hauptversammlung aus § 33 Abs. 2 WpÜG darauf schließen, dass dieser Ausfluss einer allgemeinen Zuständigkeit der Hauptversammlung hinsichtlich der Entscheidung über Abwehrmaßnahmen (sowie freilich gleichzeitig eine Begrenzung der Vorstandskompetenz zur Leitung) und damit letztlich ein Fall des § 119 Abs. 1 AktG sei289. Dagegen spricht aber der umfangreiche Ausnahmenkatalog des § 33 Abs. 1 Satz 2 WpÜG. Denn die Ermächtigung der Hauptversammlung nach § 33 Abs. 2 WpÜG wird erst relevant, wenn nicht eine der Ausnahmen nach Abs. 1 Satz 2 WpÜG greift.290 Weiterhin beschränkt sich § 33 Abs. 2 WpÜG bloß auf Vorratsbeschlüsse. Handelte es sich bei der Norm um eine Kompetenzzuweisung an die Hauptversammlung zur Entscheidung über Abwehrmaßnahmen, hätte es der Begrenzung auf den Zeitraum vor Veröffentlichung der Entscheidung zur Abgabe des Übernahmeangebots gar nicht bedurft. Denn gemessen an dem Zweck der Norm wird der intendierte Schutz durch diese Beschränkung vielmehr verringert. Richtigerweise ist § 33 WpÜG deshalb nicht als außeraktiengesetzlicher Fall der Hauptversammlungszuständigkeit anzusehen. cc) Organpflicht des Vorstands? Eine stark verbreitete Meinung291 sieht in § 33 WpÜG keine Kompetenznorm, sondern eine Organpflicht des Vorstands innerhalb seiner allgemeinen aktienrechtlichen Leitungskompetenz. Dogmatisch wäre es im Gefüge der aktienrechtlichen Kompetenzordnung also eine Konkretisierung und gleichzeitig Begrenzung seiner durch die Leitungsbefugnis nach § 76 AktG vermittelten Rechte und Pflichten in Übernahmesituationen.292 Die Einordnung als Organpflicht statt als Kompetenznorm hätte Auswirkungen auf Rechtsfolgenseite. Als Organpflicht veränderte das Verhinderungsverbot die aktienrechtliche Kompetenzordnung nicht. Ein Verstoß gegen eine solche Pflicht führte auch nicht zu einem Verstoß gegen die Kompetenzordnung. Gegen das Verhinderungsverbot verstoßende Maßnahmen blieben dann im Au-

288

Vgl. Schlitt, in: MüKoAktG, § 33 WpÜG Rn. 6 f. So Röh, in: FrankfurtKommWpÜG, § 33 Rn. 32. 290 Winter/Harbarth, ZIP 2002, 1, 17 sprechen von einer „Auffangfunktion“ für ein nach § 33 WpÜG nicht legitimiertes Handeln des Vorstands. 291 Krause/Pötzsch/Stephan, in: Assmann/Pötzsch/Schneider, WpÜG, § 33 Rn. 87; Brandi, in: Angerer/Geibel/Süßmann, WpÜG, § 33 Rn. 17; Glade, in: Heidel, Aktien- und Kapitalmarktrecht, § 33 WpÜG Rn. 25; Schlitt, in: MüKoAktG, § 33 WpÜG Rn. 58; Noack/Zetzsche, in: Schwark/Zimmer, Kapitalmarktrecht, § 33 WpÜG Rn. 41, 46. 292 Altmeppen, ZIP 2001, 1073, 1077 spricht von Klarstellung. 289

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ßenverhältnis wirksam.293 Zur Begründung der These von der Organpflicht des Vorstands zieht diese Ansicht vor allem die dokumentierte Gesetzesentstehung heran294. Der RegE sah noch die grundsätzliche Notwendigkeit einer Ermächtigung zur Abwehrmaßnahme durch die Hauptversammlung vor.295 Durch die Anpassungen aufgrund des Vorschlags des Finanzausschusses wurde dieses Erfordernis indes gestrichen.296 Daneben wird die Ähnlichkeit zu „Holzmüller“-Fällen297 herausgestellt298. Gegen die Annahme der Qualifizierung als Organpflicht des Vorstands ließe sich der im Vergleich zur Hauptversammlungskompetenzlösung geringere unmittelbare Schutz der einzelnen Aktionäre einwenden. Allerdings führt ein pflichtwidriger Verstoß gegen § 33 WpÜG für den Vorstand auch bei Qualifizierung als Organpflicht zur Schadensersatzpflicht aus §§ 76, 93 Abs. 2 Satz 1 AktG gegenüber der AG. Jedenfalls ein mittelbarer Schutz der Aktionäre ist deshalb sichergestellt, da sich der Vorstand – auch mit Blick auf Entlastungen (§ 119 Abs. 1 Nr. 3 AktG) und Abberufungsmöglichkeiten aufgrund Vertrauensentzugs durch die Hauptversammlung (§ 84 Abs. 3 S. 2 Alt. 3 AktG) – davor hüten wird, gegen seine Pflichten zu verstoßen. Für die Theorie von der Organpflicht des Vorstands spricht außerdem, dass sie die wohlaustarierte gesetzliche Kompetenzordnung der Aktiengesellschaft bestehen lässt. Bei genauer Betrachtung ergibt sich nach dem Gesagten nämlich auch keine Notwendigkeit, hiervon in Übernahmesituationen abzuweichen. Deshalb ist mit der wohl h.M. in § 33 WpÜG eine Organpflicht des Vorstands zu sehen. dd) Zwischenergebnis Das übernahmerechtliche Verhinderungsverbot nach § 33 WpÜG stellt eine Organpflicht des Vorstands dar. Sie füllt die Leitungskompetenz des Vorstands aus § 76 AktG aus. c) Ausschluss einer „aktienrechtlichen Neutralitätspflicht“ durch § 33 WpÜG? Mit Blick auf den historischen Kontext wird klar, dass es zwischen dieser Vorschrift und der bereits vor Inkrafttreten des WpÜG diskutierten und vielfach angenommenen Neutralitätspflicht des Vorstands zur Diskussion um Konkurrenzen kommen muss. Diskutiert wird, ob der neuere § 33 WpÜG die Annahme einer aktienrechtlichen Neutralitätspflicht – sofern sie überhaupt existiert – ausschließe. 293

Vgl. Brandi, in: Angerer/Geibel/Süßmann, WpÜG, § 33 Rn. 17. Vgl. Krause/Pötzsch/Stephan, in: Assmann/Pötzsch/Schneider, WpÜG, § 33 Rn. 87; Schlitt, in: MüKoAktG, § 33 WpÜG Rn. 58. 295 BT-Drucks. 14/7034, S. 16. 296 BT-Drucks. 14/7477, S. 25 f. 297 Dazu s. o. Teil 2, E.III. 298 Ekkenga, in: Ehricke/Ekkenga/Oechsler, WpÜG, § 33 Rn. 78. 294

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Teil 2: Die Kompetenzordnung der Aktiengesellschaft

aa) Im unmittelbaren Anwendungsbereich des § 33 Abs. 1 Satz 1 WpÜG Das muss mit der ganz h.M.299 zumindest für den unmittelbaren Anwendungsbereich des § 33 Abs. 1 Satz 1 WpÜG bejaht werden. Der Anwendungsbereich selbst ist allerdings in Teilen umstritten. Für die Frage nach der Verdrängung einer potentiellen aktienrechtlichen Neutralitätspflicht durch § 33 Abs. 1 Satz 1 WpÜG kommt es insbesondere darauf an, wie man den zeitlichen Anwendungsbereich des § 33 Abs. 1 Satz 1 WpÜG definiert. (1) Zeitlicher Anwendungsbereich des § 33 Abs. 1 Satz 1 WpÜG Für den Zeitraum vor der Abgabe eines Übernahmeangebots wird vereinzelt300 gefragt, ob es nicht geboten sei, das übernahmerechtliche Verhinderungsverbot des § 33 Abs. 1 Satz 1 WpÜG in seiner zeitlichen Reichweite zu expandieren. Als Argument wird angeführt, dass der Erfolg von Übernahmeangeboten ohne diese Expansion bereits durch prophylaktische Handlungen des Vorstands vor Abgabe des Angebots verhindert werden könne.301 Einer zeitlichen Vorverlagerung des Verhinderungsverbots durch Auslegung widerspricht allerdings bereits der ganz eindeutige Wortlaut des § 33 Abs. 1 Satz 1 WpÜG „Nach Veröffentlichung der Entscheidung zur Abgabe eines Angebots […]“.302 Rechtstechnisch ließe sich die Ausdehnung des zeitlichen Anwendungsbereichs deshalb lediglich mit einer Analogie begründen. (2) Zeitliche Expansion durch Analogie? Dafür bedürfte es zunächst einer planwidrigen Regelungslücke bei vergleichbarer Interessenlage. Zur Beurteilung sollte der Zweck der Norm herangezogen werden. Ein einzelner, eindeutiger Zweck ist wiederum nur schwer auszumachen. Es geht jedenfalls um die Vermeidung von Interessenkonflikten des Vorstands einer börsennotierten AG in Übernahmesituationen. Denn obwohl der Vorstand naturgemäß ein Interesse daran haben wird, seine Position in der AG zu verteidigen, hat er die Pflicht, die Interessen des Aktionärs als Kapitalmarktteilnehmer zu wahren303. Da sich das Übernahmeangebot an die Aktionäre richtet und die Entscheidung über die Annahme eines Übernahmeangebots bei den Aktionären liegt304, sollen diese vor 299 Habersack, in: Emmerich/Habersack, Konzernrecht, Vor § 311 Rn. 15; Schlitt, in: MüKoAktG, § 33 WpÜG Rn. 52 m.w.N.; Hirte, in: KölnKommWpÜG, § 33 Rn. 27 f., 44; Heß, Investorenvereinbarungen, S. 73; Kiem, AG 2009, 301, 311; Krause, AG 2002, 133, 136. 300 Merkt, ZHR 165 (2001), 224, 250 ff., allerdings noch bezüglich der Rechtslage vor Inkrafttreten des WpÜG. 301 Merkt, ZHR 165 (2001), 224, 251. 302 So auch Hirte, in: KölnKommWpÜG, § 33 Rn. 37. 303 Hirte, in: KölnKommWpÜG, § 33 Rn. 3. 304 Maier-Reimer, ZHR 165 (2001), 258, 260.

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Beeinträchtigungen ihrer Entscheidungsfreiheit durch Handlungen des Vorstands geschützt werden und somit bezweckt die Norm durch Auflösung des dargestellten Interessenkonflikts zulasten des Vorstands letztlich primär den Schutz der Aktionäre.305 Schaut man also auf den Zweck der Norm, so müssten erstens die Interessen der Aktionäre vor Abgabe des Übernahmeangebots durch den Bieter in gleichem Maße wie nach Abgabe aufgrund eines potentiellen Interessenkonflikts des Vorstands gefährdet sein. Weiter müsste der Gesetzgeber dies ver- oder gar nicht erst erkannt haben. Nach der Gesetzesbegründung „steht [§ 33 Abs. 1 Satz 1 …] vorbeugenden Maßnahmen des Managements zur Verhinderung oder Erschwerung von Übernahmen nicht entgegen“306. Die Möglichkeit prophylaktischer Abwehrmaßnahmen hat der Gesetzgeber also eindeutig vor Augen gehabt. Dennoch klammerte er diesen Fall explizit aus dem Anwendungsbereich des § 33 Abs. 1 Satz 1 WpÜG aus. Eine planwidrige Regelungslücke lässt sich somit nicht begründen. Daher ist die analoge Anwendung auf den Zeitraum vor Abgabe des Übernahmeangebots abzulehnen.307 bb) Außerhalb des Anwendungsbereichs Bleibt die Frage, ob § 33 Abs. 1 Satz 1 WpÜG dennoch die Annahme einer aktienrechtlichen Neutralitätspflicht ausschließt, weil die Norm als lex specialis aktienrechtlichen Begründungen einer solchen Neutralitätspflicht eventuell vorgehe und der Entscheidung des Gesetzgebers, erst den Zeitraum ab Veröffentlichung der Entscheidung zur Abgabe eines Übernahmeangebotes einem Verhinderungsverbot zu unterwerfen, im Umkehrschluss entnommen werden könnte, dass der Vorstand für davorliegende Zeiträume keinerlei Bindungen unterliegen soll. Für den Willen des Gesetzgebers, die Materie umfänglich und damit implizit auch Fallkonstellationen vor Entscheidungsveröffentlichung zur Abgabe eines Übernahmeangebots regeln zu wollen, könnte sprechen, dass die Gesetzesbegründung selbst davon spricht, dass „das der Regelung zu Grunde liegende Verbot erfolgsverhindernder Maßnahmen durch Vorstand und Aufsichtsrat bereits nach geltendem Recht [nach verbreiteter Auffassung im Schrifttum bereits bestehe]“308. Richtigerweise wird mit Verweis auf das Ziel des WpÜG, nämlich der Schaffung von Rahmenbedingungen für Unternehmensübernahmen und anderer öffentlicher Wertpa-

305 Vgl. Röh, in: FrankfurtKommWpÜG, § 33 Rn. 25; Hirte, in: KölnKommWpÜG, § 33 Rn. 3; Schlitt, in: MüKoAktG, § 33 WpÜG Rn. 9; extensiver Krause/Pötzsch/Stephan, in: Assmann/Pötzsch/Schneider, WpÜG, § 33 Rn. 5, wonach durch die Norm auch der Schutz der Interessen der Arbeitnehmer und des Gemeinwohls bezweckt wird. 306 Begr. RegE – BtDrucks. 14/7034, S. 58. 307 So auch Habersack, in: Emmerich/Habersack, Konzernrecht, Vor § 311 Rn. 15. 308 Begr. RegE – BT-Drucks. 14/7034, S. 57.

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piererwerbsangebote309, allerdings darauf hingewiesen, dass Umkehrschlüsse auf Sachverhalte außerhalb dieses Ziels nicht problemlos möglich seien310. Und neben dem schlichten Umkehrschluss bleibt kaum ein Anhaltspunkt, der dafür streitet, dass durch § 33 WpÜG eine potentielle Neutralitätspflicht des Vorstands ausgeschlossen werden sollte. Übrig bliebe einzig der Einwand, der Vorstand unterläge bei Verneinung eines Ausschlusses einer aktienrechtlichen „Neutralitätspflicht“ sowie hinzutretender Annahme ebendieser Pflicht u. U. strengeren Bindungen als im Anwendungsbereich des § 33 WpÜG. Dies wird erst klarer, wenn man § 33 Abs. 1 Satz 2 WpÜG in den Blick nimmt, wo verschiedene, z. T. extensive311 Ausnahmen für das Verhinderungsverbot normiert sind. Dieses argumentum a maiore ad minus verfehlt allerdings. Es wäre bestenfalls geeignet, wenn der Aktionär in einer kapitalmarktrechtlichen Übernahmesituation in jeder Hinsicht schutzbedürftiger wäre als der Aktionär in einer außerhalb des Anwendungsbereichs befindlichen Übernahmesituation. Das lässt sich in seiner Absolutheit allerdings keineswegs sagen. Vielmehr ist der Aktionär bei einer außerhalb des WpÜG stattfindenden Übernahme sogar unter Umständen schutzwürdiger, da bspw. ein alternatives Übernahmeangebot mangels öffentlichen Marktes schwerer zu finden sein oder gar ganz ausbleiben könnte. Die Gefahr eines Interessenkonflikts des Vorstands ist inner- und außerhalb des Anwendungsbereichs des § 33 WpÜG jedenfalls gleichermaßen gegeben. Nähme man eine Exklusivität des kapitalmarktrechtlichen Verhinderungsverbots gegenüber rein aktienrechtlichen Neutralitätsüberlegungen außerhalb des § 33 WpÜG an, führte dies im Vergleich zu einer Stärkung der Vorstandskompetenzen zulasten des Schutzes der Aktionäre. Erst die Notwendigkeit, im internationalen Kontext der Unternehmensübernahmen sowie im Wettbewerb verschiedener Jurisdiktionen312 Rechtssicherheit und -klarheit zu schaffen, gab den Antrieb zur Schaffung des WpÜG.313 Damit lässt sich erklären, warum der Gesetzgeber in eigener Kenntnis einer im Schrifttum bis dato vorherrschend anerkannten gesellschaftsrechtlichen Neutralitätspflicht314 dennoch bloß einen herausgehobenen Anwendungsbereich normierte, während er die Normierung für die restlichen Anwendungsbereiche als entbehrlich, jedenfalls nicht als dringend notwendig erachtete. Keineswegs lässt sich folgern, dass andere ähnliche aktienrechtliche Pflichten oder Bindungen des Vorstands außerhalb dieses Anwendungsbereichs durch Nichtregelung implizit ausgeschlossen werden sollen. Daraus 309

Begr. RegE – BT-Drucks. 14/7034, S. 28. So Heß, Investorenvereinbarungen, S. 74. 311 Röh, in: FrankfurtKommWpÜG, § 33 Rn. 2 spricht von einem durch die Ausnahmen bedingten faktischen Vorrang der Handlungsautonomie des Vorstands der Zielgesellschaft gegenüber dem Schutz der Aktionäre. 312 Weiterführend dazu die rechtsvergleichende Darstellung übernahmerechtlicher „Neutralitätspflichten“ in verschiedenen Ländern bei Merkt, ZHR 165 (2001), 224, 232 ff. 313 Vgl. Begr. RegE – BT-Drucks. 14/7034, S. 28. 314 Begr. RegE – BT-Drucks. 14/7034, S. 57. 310

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folgt, dass es keinen zwingenden Grund gibt, eine aktienrechtliche Neutralitätspflicht wegen und außerhalb des Anwendungsbereichs des § 33 WpÜG kategorisch auszuschließen. Es bleibt außerhalb von § 33 WpÜG also Raum für die Anwendbarkeit der allgemeinen aktienrechtlichen Regelungen und damit einer möglichen aktienrechtlichen Neutralitätspflicht.315 2. Herleitung einer aktienrechtlichen „Neutralitätspflicht“ Ob es eine aktienrechtliche „Neutralitätspflicht“ aber überhaupt gibt, ist umstritten. Die Diskussion wurde vor allem vor Inkrafttreten des WpÜG geführt,316 da entsprechende übernahmerechtliche Sachverhalte zuvor noch keine gesetzliche Regelung erfahren haben. Doch ist die Frage, ob eine aktienrechtlichen „Neutralitätspflicht“ besteht, wie bereits gezeigt, auch mit Blick auf § 33 WpÜG noch nicht abschließend geklärt. Eine einheitliche Beantwortung dieser Frage ist vor allem mangelnder ausdrücklicher Regelung geschuldet. Wegen der (eventuellen) Gefahr von Interessenkonflikten zwischen Verwaltung und Hauptversammlung wird deshalb mitunter versucht, sie als Ausfluss gesetzlichen Normen zugrundeliegender Gedanken herzuleiten. Die grundsätzliche Diskussion ist jedenfalls hauptsächlich Gegenstand des Schrifttums, während die Rechtsprechung sich diesbezüglich bislang wenig geäußert hat. Der BGH317 ließ die Frage nach einer aktienrechtlichen „Neutralitätspflicht“ wohl offen318. Zuvor gingen sowohl das OLG Celle319 als auch das LG Düsseldorf320 von dem Bestehen einer „Neutralitätspflicht“ aus. a) Aktienrechtliche „Neutralitätspflicht“ als Ausfluss der Fremdinteressenwahrung Teilweise wird versucht, eine aktienrechtliche „Neutralitätspflicht“ aus der Pflicht des Vorstands zur Wahrung fremder Interessen herzuleiten321. Der Grundsatz 315 I. E. auch Brandi, in: Angerer/Geibel/Süßmann, § 33 Rn. 12 ff.; Krause/Pötzsch/Stephan, in: Assmann/Pötzsch/Schneider, WpÜG, § 33 Rn. 244 f.; Schwennicke, in: Angerer/ Geibel/Süßmann, WpÜG, 2. Aufl. 2008, § 33 Rn. 10 f.; Hirte, in: KölnKommWpÜG, § 33 Rn. 27; Heß, Investorenvereinbarungen, S. 75. 316 Aus dem neueren Schrifttum etwa Heß, Investorenvereinbarungen, S. 72 ff. 317 BGH AG 2008, 164 f. 318 Unklar ist der Hinweisbeschluss des BGH insofern, als dass einerseits ausdrücklich keine Klärung des Streits gewollt war, andererseits jedoch im gleichen Hinweisbeschluss an anderer Stelle (BGH, AG 2008, 164, 165) die Gefahr einer erneuten Verletzung der Neutralitätspflicht als Grund zur Abweisung einer „Gleichbehandlung im Unrecht“ hervorgehoben wird. 319 OLG Celle AG 2006, 797. 320 LG Düsseldorf, AG 2000, 233, 234. 321 So Hopt, ZGR, 1993, 534, 546.

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der Fremdinteressenwahrung solle dem Vorstandshandeln demnach dort eine Grenze ziehen, wo Vorstandsmitglieder ein Eigeninteresse an der Zusammensetzung des Aktionärskreises hätten.322 Der in dieser Konstellation potentiell eintretende Konflikt zwischen zu wahrenden Interessen und Eigeninteressen des Vorstands (bzw. der Verwaltung) ist evident. Dogmatisch bedeutsam ist hier die Frage danach, ob gesetzlich bereits der abstrakte Interessenkonflikt oder erst der konkrete Interessenkonflikt verhindert werden soll.323 Soll gesetzlich bereits der abstrakte Interessenkonflikt verhindert werden, müsste man dem Vorstand konsequenterweise die Möglichkeit absprechen, überhaupt wirksam die Zusammensetzung des Aktionärskreises beeinträchtigende Handlungen vornehmen zu können. Dann müsste ihm die Kompetenz zur Vornahme solcher Handlungen generell fehlen. So verstanden dürfte man auch von einer strikten aktienrechtlichen „Neutralitätspflicht“ sprechen. Soll aber nur der konkrete Interessenkonflikt gesetzlich aufzulösen versucht werden, so müssten solche Einflussnahmehandlungen auf den Aktionärskreis grundsätzlich Teil der Leitungskompetenz des Vorstands sein können. Der Interessenkonflikt würde dann über (Abwehr-)Ansprüche der Aktionäre oder der Hauptversammlung resultierend aus Pflichtverletzungen des Vorstands aufgelöst.324 Von einer strikten aktienrechtlichen „Neutralitätspflicht“ könnte in diesem Fall nicht die Rede sein. Zunächst ist zu beachten, wem gegenüber der Vorstand zur Interessenwahrung verpflichtet ist. Treuepflichten des Vorstandsmitglieds bestehen gegenüber der Gesellschaft.325 Wie bereits gezeigt, darf der Vorstand im Rahmen seines Leitungsermessens die Interessen der Aktionäre, Arbeitnehmer und der Öffentlichkeit berücksichtigen.326 Verpflichtet ist er dabei dem Gesellschaftszweck und dem Unternehmensinteresse. Es kann durchaus im Unternehmensinteresse liegen, in den Aktionärskreis einzugreifen,327 was sich bereits im AktG selbst zeigt. So besteht etwa die Möglichkeit des Rückerwerbs eigener Aktien zur Abwehr schwerer, unmittelbar bevorstehender Schäden gem. § 71 Abs. 1 Nr. 1 AktG, welche in die Kompetenz des Vorstands fällt328. Daneben entscheidet der Vorstand gem. § 68 Abs. 2 Satz 2 AktG grundsätzlich – vorbehaltlich anderweitiger satzungsmäßiger Bestimmungen – über die Erteilung der Zustimmung zur Übertragung von vinkulierten Aktien. Auch in diesen Fällen greift der Vorstand in den Aktionärskreis ein. Die gesetzlich normierten Möglichkeiten der Einflussnahme des Vorstands auf den Aktionärskreis lassen es bereits zweifelhaft erscheinen, dass dem Vorstand generell die Kompetenz hierzu fehlen soll. Vielmehr sprechen die gesetzlichen Möglichkeiten eher für eine konkrete Interessenkonfliktauflösung und damit für eine nicht-kompetenzielle Lösung. 322

Vgl. Hopt, ZGR 1993, 534, 546. Hopt, ZGR 1993, 534, 547. 324 Ähnlich Hopt, ZGR 1993, 534, 547; Heß, Investorenvereinbarungen, S. 81 f. 325 Spindler, in: MüKoAktG, § 93 Rn. 112. 326 s. o. Teil 2, C.I.2.c). 327 Martens, in: FS Beusch, 1993, 529, 542 f.; implizit Bayer, ZGR 2002, 588, 598; tendenziell auch Bungert, NJW 1998, 488, 492. 328 Kort, in: GroßKommAktG, § 76 Rn. 152. 323

C. Der Vorstand

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Mertens/Cahn329 unterscheiden danach, ob die hinsichtlich ihrer Wirksamkeit fragliche Handlung eine Ausgabe von Aktien durch die Gesellschaft oder eine Veräußerungshandlung durch den Aktionär darstellt. Im zweitgenannten Fall soll dem Vorstand demnach kein Ermessen betreffend die Auswahl der Erwerber oder Zeichner zustehen, da er in diesen Konstellationen zur Neutralität verpflichtet sei.330 So verstanden begreifen Mertens/Cahn die „Neutralitätspflicht“ für den Fall, der sich als Veräußerungshandlung des Aktionärs darstellt, wohl als Teil der Legalitätspflicht. Zur Begründung führen sie an, dass der Vorstand bei Einflussnahme auf den Veräußerungsvorgang in einem solchen Fall primär nicht ein Geschäft der AG, sondern Behinderung der Aktionäre betreibe.331 Dem sind zwei Überlegungen entgegenzuhalten. Erstens unterstellt die Aussage, dass der Vorstand nicht vorrangig im Interesse der Gesellschaft handelt. Das dürfte, zumindest generell betrachtet, zu weit gehen. Vor allem an der Behinderung der Aktionäre dürfte dem Vorstand angesichts drohender Abberufung und der Notwendigkeit von Entlastungsbeschlüssen kaum gelegen sein. Zweitens ist die Frage nach der Zulässigkeit der Einflussnahme auf den Aktionärskreis nicht wegen des dazu notwendigen Veräußerungs- bzw. Erwerbsvorgangs problematisch. Im Fokus steht das Ergebnis des Aktienerwerbs, nämlich die Zusammensetzung des Aktionärskreises. Der Vorstand soll sich letztlich seinen Aktionärskreis nicht nach Belieben aussuchen können.332 Die potentielle Gefahr, dass der Vorstand dies tut, besteht aber in beiden Fällen gleichermaßen. Wieso sollte der Vorstand bei der Kapitalerhöhung unter Bezugsrechtsausschluss befugt sein, die Zeichner junger Aktien oder Erwerber auszuwählen, aber nicht dazu, im Unternehmensinteresse Einfluss auf eine „bloße“ Aktientransaktion zu nehmen? Es ließe sich anführen, dass die Hauptversammlung den Bezugsrechtsausschluss selbst beschlossen und so die Auswahl der neuen Aktionäre in die Hände des Vorstands gelegt hat. Doch auch so dürften die Aktionäre nicht beabsichtigen, den Vorstand zu bemächtigen, im Eigeninteresse Einfluss auf die Aktionärsstruktur nehmen zu können. In diesem Sinne wird nach heute ganz h.M. auch eine Prüfung am Maßstab des Gesellschaftsinteresses und dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes verlangt.333 Abzustellen auf die Veräußerungs- oder Erwerbshandlung scheint demnach nicht zielführend und die Meinung von Mertens/Cahn ist daher abzulehnen. Eine allgemeine oder strikte „Neutralitätspflicht“ ist der Funktion des Vorstands also nicht zu entnehmen. Klarer wird durch die Funktion lediglich, dass bei einer Einflussnahme auf die Zusammensetzung des Aktionärskreises nicht eigennützige 329 Mertens/Cahn, in: KölnKommAktG, § 76 Rn. 25 f.; im Anschluss daran auch Steinert, Investorenvereinbarung, S. 115 f. 330 Mertens/Cahn, in: KölnKommAktG, § 76 Rn. 26. 331 Mertens/Cahn, in: KölnKommAktG, § 76 Rn. 26. 332 Dazu schon oben bei der Diskussion um eine aktienrechtliche „Neutralitätspflicht“ Teil 2, C.II. 333 Grundlegend BGHZ 71, 40, 43 ff.; vgl. ferner bsph. Koch, in: Hüffer/Koch, AktG, § 186 Rn. 25; Schürnbrand, in: MüKoAktG, § 186 Rn. 95; Veil, in: K. Schmidt/Lutter, AktG, § 186 Rn. 30.

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Interessen des Vorstands Hauptbeweggrund sein dürfen. Im Rahmen des Leitungsermessens ist der Vorstand zur Berücksichtigung seiner eigenen Interessen ohnehin nicht berechtigt. b) Aktienrechtliche „Neutralitätspflicht“ als Ausfluss des § 53a AktG? Teilweise wird die Existenz einer aktienrechtlichen „Neutralitätspflicht“ mit dem Gleichbehandlungsgebot des § 53a AktG begründet.334 Über dieses Konstrukt ließe sich eine „Neutralitätspflicht“ zwischen Verwaltung und Aktionären der Gesellschaft eventuell begründen. Problematisch an dieser Herleitung ist indes, dass § 53a AktG nach allgemeiner Meinung keine Anwendung auf Dritte, d. h. insbesondere auch nicht auf zukünftige Aktionäre, findet335. Und selbst, wenn – was nicht unüblich ist – ein potentieller Interessent bereits Aktionär der Gesellschaft ist, bezieht sich das Gleichbehandlungsgebot nur auf die bereits bestehenden Mitgliedschaftsrechte des Aktionärs.336 Maßnahmen in Vorbereitung auf einen zukünftigen Aktienerwerb fallen deshalb aus dem Anwendungsbereich des § 53a AktG heraus.337 Damit kann den Vorstand die Gleichbehandlungspflicht des § 53a AktG in diesen Fällen nicht binden, letztlich auch keine „Neutralitätspflicht“ begründen.338 Zur Begründung einer allgemeinen „Neutralitätspflicht“ lässt sich § 53a AktG somit nicht heranziehen. c) Weitere Einwände gegen das Bestehen einer aktienrechtlichen „Neutralitätspflicht“ Nicht nur die mangelnde dogmatische Begründbarkeit spricht gegen eine aktienrechtlichen „Neutralitätspflicht“. So entspricht es vorzugswürdiger Ansicht, dass der Vorstand im Rahmen seiner Leitungskompetenz zur Durchführung von gezielten Werbemaßnahmen für institutionelle Investoren (sog. „Road Shows“) berechtigt ist.339 Ferner ist es bei umfangreicheren Transaktionen heute vollkommen üblich, einem potentiellen Interessenten im Rahmen einer sog. Due Diligence Zugang zu 334 Hopt, ZGR 1993, 534, 545 f.; ders., in: GroßKommAktG, 4. Aufl. 1999, § 93 Rn. 122 (jeweils noch zur Rechtslage vor Inkrafttreten des WpÜG). 335 Bspw. Cahn/v. Spannenberg, in: Spindler/Stilz, AktG, § 53a Rn. 5 f.; Drygala, in: KölnKommAktG, § 53a Rn. 7; Fleischer, in: K. Schmidt/Lutter, AktG, § 53a Rn. 17; Koch, in: Hüffer/Koch, AktG, § 53a Rn. 4. 336 Koch, in: Hüffer/Koch, AktG, § 53a Rn. 4. 337 Cahn/v. Spannenberg, in: Spindler/Stilz, AktG, § 53a Rn. 6. 338 I. E. ebenso Heß, Investorenvereinbarungen, S. 80; Maier-Reimer, ZHR 165 (2001), 258, 260. 339 LG Düsseldorf, AG 2000, 233 (allerdings „Geschäftsführungsmaßnahme“); Kort, in: GroßKommAktG, § 76 Rn. 159; Krause, AG 2000, 217, 220; Maier-Reimer, ZHR 165 (2001), 258; 263; enger wohl Bayer, NJW 2000, 2609, 2611.

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vertraulichen Inhalten über die Zielgesellschaft zu gewähren. Die Entscheidung, ob einem Interessenten eine Due Diligence gewährt wird, liegt dabei ebenfalls in der Leitungskompetenz des (Gesamt-)Vorstands.340 Es lässt sich nicht leugnen, dass der Vorstand so die Wahrscheinlichkeit eines Anteilserwerbs und damit letztlich die Aktionärsstruktur zu beeinflussen vermag. Es spricht daher vieles dafür, Einflussnahmen des Vorstands auf den Aktionärskreis nicht per se, d. h. über eine kompetenzielle Auslegung der Handlungsmöglichkeiten des Vorstands, aus der Leitungskompetenz des Vorstands auszugrenzen. Eine so verstandene kompetenzielle Lösung ist vor dem Hintergrund der gesetzlichen Möglichkeiten zur Einflussnahme auf die Aktionärszusammensetzung kaum haltbar. Um der Gefahr eigennütziger Einflussnahme durch den Vorstand zu begegnen, bietet es sich vielmehr an, den konkreten Interessenkonflikt bei der Übernahme über die Handlungsmaxime des Vorstands innerhalb seines Leitungsermessens zu lösen. Da die Ermessensentscheidung gerichtlich teilweise überprüfbar ist,341 ist ein Schutz vor primär eigennützigem Handeln des Vorstands durch die Grenzen des Ermessens und die zwingende Ausrichtung am Unternehmensinteresse gewährleistet. 3. Zwischenergebnis Nach alledem lässt sich dem Aktienrecht zumindest im Allgemeinen keine „Neutralitätspflicht“ entnehmen.342 Sie lässt sich dogmatisch weder aus § 53a AktG, noch aus dem Grundsatz der Fremdinteressenwahrung ableiten. Seine Funktion als Fremdinteressenwahrer zeigt aber, dass der Vorstand nicht berechtigt ist, seine eigenen Interessen in die Interessenabwägung innerhalb des unternehmerischen Ermessens einzustellen. Es gibt zwar auch außerhalb des § 33 WpÜG Organpflichten des Vorstands, die einer Einflussnahme auf den Aktionärskreis durch den Vorstand entgegenstehen. Damit ist auch die Anwendbarkeit des Leitungsermessens des Vorstands eröffnet und mithin ist dieses zur Beurteilung der Rechtmäßigkeit eines Eingriffs in den Aktionärskreis heranzuziehen. Der Umfang des Leitungsermessens ergibt sich im Zusammenspiel mit der der Maßnahme zugrundeliegenden sachlichen Rechtferti340 Hölters, in: Hölters, AktG, § 93 Rn. 185; Krause/Pötzsch/Stephan, in: Assmann/ Pötzsch/Schneider, WpÜG, § 3 Rn. 42; Heß, Investorenvereinbarungen, S. 82; Hirte, ZGR 2002, 623, 640. Gewährt der Vorstand einem Interessenten im Rahmen eines öffentlichen Übernahmeverfahrens eine Due Diligence, kann er verpflichtet sein, auch anderen Interessenten die Due Diligence zu gewähren: vgl. Hopt, ZGR 2002, 333, 358. 341 s. o. Teil 2, C.I.2.c)aa)(1). 342 So auch Hüffer, in: Hüffer, AktG, 10. Aufl. 2012, § 76 Rn. 15d; Koch, in: Hüffer/Koch, AktG, § 76 Rn. 40; Kort, in: GroßKommAktG, § 76 Rn. 147; Krause/Pötzsch/Stephan, in: Assmann/Pötzsch/Schneider, WpÜG, § 3 Rn. 42; Seibt, in: K. Schmidt/Lutter, AktG, § 76 Rn. 26; Heß, Investorenvereinbarungen, S. 84 f.; Schiessl, AG 2009, 385, 386 f.; Steinert, Investorenvereinbarungen, S. 105 ff.

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Teil 2: Die Kompetenzordnung der Aktiengesellschaft

gung. Je nach konkreten Gegebenheiten einer Übernahme kann sich das Leitungsermessen aber auf eine Handlung oder ein Unterlassen des Vorstands reduzieren.

III. Vertretungsmacht Grundsätzlich vertritt der Vorstand gem. § 78 Abs. 1 Satz 1 AktG die Aktiengesellschaft.343 Als Vertretung der Gesellschaft versteht man jedes nach außen wirkende rechtsgeschäftliche Handeln im Namen der Gesellschaft.344 Die Vertretungsmacht des Vorstands ist grundsätzlich unbeschränkt und unbeschränkbar, § 82 Abs. 1 AktG, unterliegt jedoch einigen objektiven und subjektiven gesetzlichen Grenzen. Objektiv ist die Vertretungsmacht hinsichtlich Insichgeschäften des Vorstands begrenzt, während subjektive Grenzen durch Mitwirkungsbefugnisse weiterer Organe gezogen sind.345 Eine ultra-vires-Doktrin346 gibt es im deutschen Kapitalgesellschaftsrecht nicht.347 Der Schutz des Rechtsverkehrs wird – bei der AG durch § 82 AktG348 – insoweit höher bewertet als der Schutz des Vertretenen.349 Der Schutz des Rechtsverkehrs tritt jedoch nach allgemeiner Meinung beim Missbrauch der Vertretungsmacht und dabei insbesondere bei der Fallgruppe des kollusiven Zusammenwirkens des Vorstands und des dritten Geschäftspartners zum Nachteil der AG hinter die Interessen der vertretenen AG zurück. Die Lehre vom Missbrauch der Vertretungsmacht350 bildet damit eine Ausnahme vom Abstraktionsgrundsatz, d. h. vom Grundsatz, dass eine Überschreitung des rechtlichen Dürfens (Geschäftsführungsbefugnis) nicht auf das Außenverhältnis durchschlägt.351 (Nur) bei Vorliegen der Voraussetzungen der Kollusion wird ganz überwiegend von einer Nichtigkeit der Vereinbarung wegen Sittenwidrigkeit nach § 138 Abs. 1 BGB ausgegangen352 mit

343

BGHZ 103, 213, 214. Mertens/Cahn, in: KölnKommAktG, § 78 Rn. 3. 345 Fleischer, in: Spindler/Stilz, AktG, § 78 Rn. 9 ff. 346 Nach der ultra-vires-Doktrin sind außerhalb des Unternehmensgegenstands oder dem Gesellschaftszweck liegende Rechtshandlungen unwirksam, vgl. Koch, in: Hüffer/Koch, AktG, § 1 Rn. 4 und § 82 Rn. 1. 347 Kropff, AktG, S. 103; Fleischer, in: Spindler/Stilz, AktG, § 78 Rn. 9; Koch, in: Hüffer/ Koch, AktG, § 82 Rn. 1; Vedder, in: Grigoleit, AktG, § 78 Rn. 6. 348 Habersack/Foerster, in: GroßKommAktG, § 82 Rn. 1; Koch, in: Hüffer/Koch, AktG, § 82 Rn. 1. 349 Kropff, AktG, S. 103; Fleischer, in: Spindler/Stilz, AktG, § 78 Rn. 9. 350 Instruktiv dazu etwa Lieder, JuS 2014, 681 ff. 351 Habersack/Foerster, in: GroßKommAktG, § 82 Rn. 9 ff.; Lieder, JuS 2014, 681 ff. 352 BGH, NJW 1989, 26, 27; NZG 2004, 139, 140; NZG 2014, 389, 390; AG 2016, 751, 752; Fleischer, in: Spindler/Stilz, AktG, § 82 Rn. 13; ders., NZG 2005, 529, 530; Habersack/ Foerster, in: GroßKommAktG, § 82 Rn. 11 ff.; Koch, in: Hüffer/Koch, AktG, § 82 Rn. 6 ff.; Mertens/Cahn, in: KölnKommAktG, § 82 Rn. 45; Schäfer, in: Bamberger/Roth/Hau/Poseck, BGB, § 167 Rn. 47; Schilke, in: Staudinger, BGB, § 167 Rn. 93; Spindler, in: MüKoAktG, § 82 344

C. Der Vorstand

71

der Folge, dass eine Genehmigung des Geschäfts gem. §§ 177 ff. BGB nicht möglich ist353.354 Die übrigen Fallgruppen des Missbrauchs der Vertretungsmacht sind hinsichtlich ihrer Voraussetzungen und Rechtsfolgen umstritten.355 1. Abweichende ausschließliche Zuständigkeiten des Aufsichtsrats Im Fall der Führungslosigkeit wird die Aktiengesellschaft gem. § 78 Abs. 1 Satz 2 AktG durch ihren Aufsichtsrat vertreten. Besonders erwähnenswert ist aber vor allem der in seiner Rechtsnatur umstrittene356 § 112 AktG, wonach der Aufsichtsrat die AG gegenüber dem Vorstand gerichtlich und außergerichtlich vertritt. Schon nach Art. 226, 194 Abs. 1 ADHGB 1861 und ADHGB 1870 bzw. Art. 223 Abs. 3, 194 ADHGB 1884 war der Aufsichtsrat (zunächst nur in Prozessen) vorbehaltlich eines Beschlusses der Generalversammlung zur Vertretung der AG gegen die Vorstandsmitglieder befugt.357 Allerdings wurde aus dem Wortlaut der jeweiligen Normen, die lediglich vorsahen, dass der Vorstand „befugt“ sei, darauf geschlossen, dass – ebenso wie nach der Regelung des § 97 Abs. 1 AktG 1937 – neben dem Aufsichtsrat selbst in den erfassten Sachverhalten grundsätzlich auch noch der Vorstand zur Vertretung gegenüber Vorstandsmitgliedern befugt war.358 Nur hinsichtlich der Bestellung und Abberufung von Vorstandsmitgliedern und für den Abschluss und die Kündigung der Anstellungsverträge ist man schon damals von einer ausschließlichen Vertretungskompetenz des Aufsichtsrats ausgegangen.359 Daneben vertritt der Aufsichtsrat die Gesellschaft nach § 84 Abs. 1 u. Abs. 3 AktG auch bei Bestellung und Abberufung des Vorstands bzw. Abschluss und Änderung des Anstellungsvertrags.

Rn. 59; Weber, in: Hölters, AktG, § 82 Rn. 9; a.A. Lieder, JuS 2014, 681, 685 f., der sich für eine Lösung von Kollusionsfällen über das Stellvertretungsrecht ausspricht. 353 Vgl. Fleischer, in: Spindler/Stilz, AktG, § 82 Rn. 13; Mertens/Cahn, in: KölnKommAktG, § 82 Rn. 45; Lieder, JuS 2014, 681, 685. 354 Teilweise wird hingegen eine analoge Anwendung der §§ 177 ff. BGB befürwortet: Sack/Fischinger, in: Staudinger, BGB, § 138 Rn. 495 ff.; Mock, JuS 2008, 486 f.; wohl auch Maier-Reimer, in: Erman, BGB, § 167 Rn. 71. 355 Überblick bei Mertens/Cahn, in: KölnKommAktG, § 82 Rn. 46 ff. und Lieder, JuS 2014, 681 ff. 356 Dazu siehe Teil 2, G.III.2.b). 357 Vgl. Lieder, Aufsichtsrat, S. 85 und S. 851 f. sowie Hopt/Roth, in: GroßKommAktG, § 112 Rn. 1 f.; vgl. ferner auch Sethe, AG 1996, 289, 299; Werner, ZGR 1989, 369, 370. 358 Vgl. Habersack, in: MüKoAktG, § 112 Rn. 1; Hopt/Roth, in: GroßKommAktG, § 112 Rn. 1 f.; Werner, ZGR 1989, 369, 370 m.w.N. 359 Werner, ZGR 1989, 369, 370 m.w.N.

72

Teil 2: Die Kompetenzordnung der Aktiengesellschaft

2. Zwingendes Recht, gute Sitten und mangelnde Gestaltungsmacht Die Vertretungsbefugnis des Vorstands erstreckt sich nicht auf Handlungen, welche gegen zwingendes Recht oder die guten Sitten verstoßen.360 Ferner hat der Vorstand keine Vertretungsmacht, wenn ihm bezüglich des entsprechenden Gegenstands die Gestaltungsmacht fehlt.361 In diesem Zusammenhang ist fraglich, ob die Regelungen der zwingenden Kompetenzordnung der AG als Verbotsnormen i.S.v. § 134 BGB zu qualifizieren sind oder ein Verstoß gegen solche Regelungen als (rechtsunwirksames) Handeln außerhalb der Gestaltungsmacht anzusehen ist und eine wirksame Vertretung – jedenfalls ohne Beteiligung des eigentlich zuständigen Organs – aus diesem Grunde ausscheidet362. 3. Weitere gesetzliche Einschränkungen von § 78 AktG Weitere gesetzliche Abweichungen vom Grundsatz der Vertretung durch den Vorstand finden sich insbesondere in den Vorschriften betreffend die Anfechtungsund Nichtigkeitsklagen gegen Beschlüsse der Hauptversammlung (vor allem in § 246 Abs. 2 Satz 2 AktG363), wonach Vorstand und Aufsichtsrat die Gesellschaft gemeinsam vertreten. Dazu schreibt das AktG hinsichtlich der Anmeldung von Beschlüssen über Kapitalmaßnahmen teilweise364 vor, dass die Anmeldung von Vorstand und Aufsichtsratsvorsitzendem gemeinsam abzugeben sind. In diesen Fällen handelt nach wohl überwiegender Ansicht auch der Aufsichtsratsvorsitzende als Vertreter der Gesellschaft.365 Des Weiteren kann gem. § 147 Abs. 2 AktG die Vertretungsbefugnis des Vorstands für die Geltendmachung von Ersatzansprüchen durch besondere Vertreter eingeschränkt werden. Diese besonderen Vertreter sind nach ganz h.M. Vertretungsorgan.366 Zuletzt wird die Vertretungsmacht des Vor360

Vgl. Mertens/Cahn, in: KölnKommAktG, § 78 Rn. 9 u. § 82 Rn. 8. Dazu vgl. Teil 2, G.IV.4. und Teil 2, G.V. 362 Hierzu vgl. Teil 2, G.VI. 363 Daneben finden sich im Abschnitt über Anfechtungs- und Nichtigkeitsklagen häufig Verweise auf diese Norm, bspw. in §§ 249 Abs. 1 S. 1, 250 Abs. 3 Satz 1, 251 Abs. 3, 257 Abs. 2 Satz 1 AktG. 364 Etwa in §§ 184 Abs. 1 S. 1, 188 Abs. 1 AktG. 365 Str.; für die Stellung eines Vertreters: BGHZ 105, 324, 327 f. (für die GmbH); Koch, in: Hüffer/Koch, AktG, § 184 Rn. 3; Schürnbrand, in: MüKoAktG, § 184 Rn. 7; Servatius, in: Spindler/Stilz, AktG, § 184 Rn. 12; a.A. Pfeifer, in: MüKoAktG, 3. Aufl. 2011, § 184 Rn. 8, da die Erklärung eine eigene des Aufsichtsratsvorsitzenden, nicht der Gesellschaft sei; auch Lutter/Leinekugel, ZIP 2000, 1225, 1229, nach denen es sich wegen der Natur der der Anmeldung beizufügenden Versicherung als Wissenserklärung nicht um Vertretung handele; wohl auch a.A. Hopt/Roth, in: GroßKommAktG, § 112 Rn. 9. 366 Vgl. nur BGH, AG 2011, 875, 876; BGH, AG 2013, 634; LG Heidelberg, AG 2016, 182; Verhoeven, 2008, 245, 246 f.; Spindler, in: K. Schmidt/Lutter, AktG, § 147 Rn. 23 mit umfangreichen Nachweisen; a.A. noch Hopt/Roth, in: GroßKommAktG, § 112 Rn. 9 (bloße Prozessstandschafter). 361

D. Der Aufsichtsrat

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stands auch durch gesetzlich normierte Zustimmungserfordernisse der Hauptversammlung, vgl. etwa §§ 50 Satz 1, 53 Satz 1, 93 Abs. 4 S. 3, 179a AktG, eingeschränkt.367 In solchen Fällen hängt die Wirksamkeit der Vertretung von der Mitwirkung der Hauptversammlung ab, sog. mitwirkungs-368 oder zustimmungsbedürftige369 Vertretungsgeschäfte.

D. Der Aufsichtsrat I. Funktion und Kompetenzen des Aufsichtsrats Der Aufsichtsrat ist als Kontrollorgan der AG konzipiert, seine wichtigste Aufgabe ist die Kontrolle der Geschäftsführung, vgl. § 111 Abs. 1 AktG. Er bestellt daneben den Vorstand gem. § 84 AktG sowie § 31 MitbestG, schließt gem. § 84 Abs. 1 S. 5 AktG die korrespondierenden Anstellungsverträge mit den jeweiligen Vorstandsmitgliedern ab und billigt den Jahresabschluss nach § 172 AktG. Häufig wird der Aufsichtsrat als sog. „Innenorgan“ bezeichnet, da sich der Großteil seiner Aufgaben auf innergesellschaftliche Angelegenheiten bezieht.370 Ferner ist der Aufsichtsrat zur ausschließlichen Vertretung der AG gegenüber ihrem Vorstand berufen, § 112 AktG.371 Obschon der Aufsichtsrat die Geschäfte des Vorstands kontrollieren und mitunter gar blockieren kann, ist sein Einfluss zumindest der gesetzlichen Konstruktion nach im Wesentlichen auf Maßnahmen der Vergangenheit beschränkt. Denn von der Geschäftsführung ist er gem. § 111 Abs. 4 S. 1 AktG ausdrücklich ausgeschlossen. Einfluss auf die Geschäftsführungsmaßnahmen kann er allenfalls durch die Nichterteilung einer nach § 111 Abs. 4 Satz 2 AktG notwendigen Zustimmung372 nehmen. Ein Zustimmungsvorbehalt kann sich dabei aus der Satzung oder durch Bestimmung durch den Aufsichtsrat selbst ergeben. Damit wird das Geschäftsführungsverbot nach § 111 Abs. 4 Satz 1 AktG in gewissem Umfang relativiert.373 Dem Aufsichtsrat wird so in gewissem Maße auch eine zukunfts-

367

Mertens/Cahn, in: KölnKommAktG, § 78 Rn. 15. Die durch die „Holzmüller“- und „Gelatine“-Rechtsprechung begründeten Mitwirkungsrechte der Hauptversammlung schränken § 78 AktG allerdings nicht ein, sondern wirken lediglich innerhalb der Gesellschaft, Habersack/Foerster, in: GroßKommAktG, § 78 Rn. 12. 368 Kleindiek, in: Lutter/Hommelhoff, GmbHG, § 35 Rn. 20 (für die Vertretungsmacht des GmbH-Geschäftsführers). 369 So Mertens/Cahn, in: KölnKommAktG, § 78 Rn. 15. 370 v. Falkenhausen, ZIP 2015, 956. 371 Zur historischen Entwicklung des § 112 AktG siehe bereits oben Teil 2, C.III.1. 372 Umfassend zu Zustimmungsvorbehalten nach § 111 Abs. 4 Satz 2 AktG: Lieder, Aufsichtsrat, S. 840 ff. 373 Habersack, in: MüKoAktG, § 111 Rn. 100.

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Teil 2: Die Kompetenzordnung der Aktiengesellschaft

gerichtete Einflussnahme auf die Gesellschaft eröffnet.374 Nach der wohl h.M. kann der Aufsichtsrat einen Zustimmungsvorbehalt für ein einzelnes Geschäfts von großem Gewicht auch ad hoc, d. h. außerhalb einer auf Satzung oder Geschäftsordnung gründenden Beschlussfassung, fassen.375 Zukunftsgerichtet ist auch die Möglichkeit des Aufsichtsrats zur Beratung des Vorstands hinsichtlich dessen zukünftigen Geschäftsführung.376 Die Überwachung des Vorstands bezieht sich auf die Einhaltung der dem Vorstand auferlegten Pflichten, wobei der zur Überwachung berufene Aufsichtsrat nicht jegliche Geschäftsführungsmaßnahmen zu überwachen hat, sondern sich die Überwachungspflicht auf die wesentlichen Maßnahmen der Geschäftsführungen – insbesondere Leitungsmaßnahmen – beschränkt.377. Obschon die Geschäftsführung und Vertretung der Gesellschaft dem Gesetze nach ausdrücklich dem Vorstand vorbehalten sind, kann der Aufsichtsrat Hilfsgeschäfte vornehmen, also beispielweise im Rahmen von § 109 Abs. 1 Satz 2 AktG Beratungsverträge abschließen, durch die die AG verpflichtet wird.378

II. Mitglieder, Höchstpersönlichkeit und Unabhängigkeit Gemäß § 101 Abs. 1 AktG werden Aufsichtsratsmitglieder grundsätzlich von der Hauptversammlung gewählt, sofern nicht bestimmten Aktionären respektive Inhabern bestimmter Aktien satzungsmäßige Entsendungsrechte zustehen oder die Aufsichtsratsmitglieder nach dem MitbestG, dem MontanMitbestGErgG, dem MgVG, oder dem DrittelbG zu wählen sind. Für die Organstellung des Aufsichtsrats im Spannungsfeld zwischen Kompetenzordnung und Schuldrecht sind vor allem zwei Grundsätze hervorzuheben: die Höchstpersönlichkeit des Mandats (§ 111 Abs. 6 AktG) und die daher notwendige Unabhängigkeit des Mitglieds379. Aufgrund der Höchstpersönlichkeit des Mandats können andere Personen die dem Aufsichtsratsmitglied zugewiesenen Aufgaben grundsätzlich nicht für das 374 Vgl. Habersack, in: MüKoAktG, § 111 Rn. 100; auch BGHZ 135, 244, 254, der von einer begleitenden Mitgestaltung der unternehmerischen Tätigkeit des Vorstands durch den Aufsichtsrat spricht. 375 BGHZ 124, 111, 127; Mertens/Cahn, in: KölnKommAktG, § 111 Rn. 83; Habersack, in: MüKoAktG, § 111 Rn. 115 m.w.N.; ablehnend etwa Hoffmann/Preu, Aufsichtsrat, Rn. 304; Raiser/Veil, Kapitalgesellschaftsrecht, § 15 Rn. 8. 376 Vgl. Habersack, in: MüKoAktG, § 116 Rn. 20; Ihrig, WM 2004, 2098, 2106; Schäfer, ZIP 2005, 1253, 1258. 377 Vgl. Koch, in: Hüffer/Koch, AktG, § 111 Rn. 2 f.; Mertens/Cahn, in: KölnKommAktG, § 111 Rn. 16; Lieder, Aufsichtsrat, S. 793 ff. 378 Mertens/Cahn, in: KölnKommAktG, § 107 Rn. 181. 379 Vgl. dazu Drygala, in: K. Schmidt/Lutter, AktG, § 111 Rn. 68; Habersack, in: MüKoAktG, § 111 Rn. 132 ff., Spindler, in: Spindler/Stilz, AktG, § 111 Rn. 78 f.

D. Der Aufsichtsrat

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Aufsichtsratsmitglied wahrnehmen.380 Das Prinzip der Unabhängigkeit des Aufsichtsratsmitglieds besagt, dass jedes Mitglied seine Entschlüsse aufgrund autonomer Willensbildung, d. h. insbesondere ohne Fremdbeeinflussung, zu fassen hat. Geschützt wird damit die Entschließungsfreiheit des Aufsichtsrats. Das Aufsichtsratsmitglied ist danach lediglich an das Unternehmensinteresse gebunden.381 Das gilt nach allgemeiner Meinung unabhängig von der Grundlage der Bestellung des Aufsichtsratsmitglieds, d. h. auch für das gem. § 103 Abs. 2 Satz 1 AktG entsandte Mitglied.382 Ein Aufsichtsratsmitglied kann sich nicht wirksam vertraglich binden, sein Mandat nach Weisung eines anderen auszuüben. Eine zur Einschränkung der Entschließungsfreiheit des Aufsichtsratsmitglieds führende rechtsgeschäftliche Vereinbarung ist nach allgemeiner, wenn auch bezüglich der dogmatischen Grundlage umstrittener Meinung nichtig.383 Die Unabhängigkeit und Höchstpersönlichkeit des Aufsichtsratsmandats verhindern ferner die Begründung einer Bindungswirkung des Aufsichtsrats durch Beteiligung eines oder mehrerer Aufsichtsratsmitglieder als Partei der schuldrechtlichen Vereinbarung betreffend Kompetenzen des Aufsichtsrats384.385 Fraglich ist allerdings, ob eine mit vorherigem, zustimmendem Aufsichtsratsbeschluss getroffene Vereinbarung eine Bindungswirkung für den Aufsichtsrat begründen kann.386

III. Ermessen Den Aufsichtsratsmitgliedern steht, wie auch dem Vorstand387, ein unternehmerisches Ermessen bei ihren Handlungen zu. Die Sorgfaltspflichten für die Vorstandsmitglieder sind sinngemäß auf die Mitglieder des Aufsichtsrats anzuwenden, 380 Mertens/Cahn, in: KölnKommAktG, § 111 Rn. 89 ff.; Spindler, in: Spindler/Stilz, AktG, § 111 Rn. 78 f. 381 Vgl. BGHZ 36, 296, 306; 90, 381, 398; Habersack, in: MüKoAktG, § 111 Rn. 136; Koch, in: Hüffer/Koch, AktG, § 111 Rn. 60; Spindler, in: Spindler/Stilz, AktG, § 111 Rn. 79; Heß, Investorenvereinbarungen, S. 127; Lieder, Aufsichtsrat, S. 808; Reichert, ZGR 2015, 1, 7 f.; ders./Ott, FS Goette, 2011, 397, 399. 382 BGHZ 36, 296, 306; Habersack, in: MüKoAktG, § 101 Rn. 50 und § 111 Rn. 136; Heß, Investorenvereinbarungen, S. 127; Raiser, ZGR 1978, 391, 400; abweichend: Noack, Gesellschaftervereinbarungen, S. 279 f., der für das entsandte Aufsichtsratsmitglied annimmt, dass dieses sowohl auf das Gesellschaftsinteresse als auch auf das berechtigte Interesse des Entsenders verpflichtet sei. Wenn eine schuldrechtliche Weisung innerhalb des Unternehmensinteresses liege, könne daher eine wirksame Bindungswirkung begründet werden. 383 Vgl. Reichert/Ott, FS Goette, 2011, 397, 400. 384 Zu der Zulässigkeit solcher Vereinbarungen s. u. Teil 3, C.I. 385 Vgl. auch Heß, Investorenvereinbarungen, S. 135; Steinert, Investorenvereinbarung, S. 165 („unzulässige Vorverlagerung der Ausübung ihres Entschließungsermessens“). 386 Dazu s. u. Teil 3, C.I.1.h). 387 Dazu s. o. Teil 2, C.I.2.c).

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Teil 2: Die Kompetenzordnung der Aktiengesellschaft

§ 116 Satz 1 AktG.388 Das ist für den Aufsichtsrat in zweierlei Hinsicht relevant: Erstens führt die sinngemäße Anwendung der Business Judgement Rule dazu, dass ein nach der Business Judgement Rule pflichtgemäßes Verhalten des Vorstands bezüglich einer unternehmerischen Entscheidung insoweit gleichzeitig die Haftung des Aufsichtsrats ausschließt.389 Zweitens sind auch eigene unternehmerischen Entscheidungen des Aufsichtsrats so nur eingeschränkt überprüfbar.390 Entsprechende unternehmerische Entscheidungen trifft der Aufsichtsrat insbesondere bei der Mitwirkung an zustimmungsbedürftigen Geschäften, aber auch bei der Ausübung seiner Personalkompetenz nach § 84 AktG, des Abschlusses des Prüfungsvertrags mit den Abschlussprüfern nach § 318 Abs. 1 Satz 4 AktG und der Mitwirkung bei der Feststellung des Jahresabschlusses nach § 172 AktG.391 Handelt der Aufsichtsrat hingegen im Rahmen seiner vergangenheitsbezogenen Überwachungsaufgabe (§ 111 Abs. 1 AktG), steht ihm insoweit kein Ermessen zu, da die Ausübung seiner Überwachungsaufgabe Rechtsanwendung und damit Teil seiner Legalitätspflicht ist.392 Gleiches gilt für die zukunftsorientierte Beratung des Vorstands, da diesbezüglich lediglich der Vorstand eine unternehmerische Entscheidung trifft.393

E. Die Hauptversammlung Die Hauptversammlung ist das willensbildende Organ der AG394. Ihre Kompetenzen sind § 119 AktG geregelt. Dabei werden die Organkompetenzen durch § 119 Abs. 1 AktG positiv und nach § 119 Abs. 2 AktG negativ konturiert.395 Hinzu kommen die ungeschriebenen Hauptversammlungskompetenzen („Holzmüller“396und „Gelatine“397- Rechtsprechung des BGH). Um die ausdrücklichen Kompetenzen der Hauptversammlung, die durch den Gesetzgeber auf verschiedenste Stellen verteilt wurden,398 zu kategorisieren, werden sie vorwiegend in drei Gruppen ein388 389 390 391

1258.

Vgl. dazu auch Koch, in: Hüffer/Koch, AktG, § 116 Rn. 1 ff. Cahn, WM 2013, 1293. Vgl. Cahn, WM 2013, 1293. Vgl. Cahn, WM 2013, 1293; Ihrig, WM 2004, 2098, 2106; Schäfer, ZIP 2005, 1253,

392 BGHZ 135, 244, 255; Habersack, in: MüKoAktG, § 116 Rn. 42; Paefgen, AG 2008, 761; Spindler, AG 2013, 889, 893; vgl. ferner Ihrig, WM 2004, 2098, 2107; Schäfer, ZIP 2005, 1253, 1258. 393 Habersack, in: MüKoAktG, § 116 Rn. 42; Ihrig, WM 2004, 2098, 2106; Schäfer, ZIP 2005, 1253, 1258. 394 Kubis, in: MüKoAktG, § 118 Rn. 1. 395 Vgl. Kubis, in: MüKoAktG, § 119 Rn. 1. 396 BGHZ 83, 122 f. 397 BGHZ 159, 30 ff. 398 Vgl. Kubis, in: MüKoAktG, § 119 Rn. 10: willkürliche Zusammenstellung der gesetzlich bestimmten Fälle der Hauptversammlungszuständigkeit.

E. Die Hauptversammlung

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geteilt, nämlich in regelmäßig wiederkehrende Maßnahmen, Strukturmaßnahmen und Sonderfälle (z. B. die Bestellung von Gründungsprüfern gem. § 119 Abs. 1 Nr. 7 AktG).399

I. Regelmäßig wiederkehrende Maßnahmen Die regelmäßig wiederkehrenden Maßnahmen finden sich im Katalog des § 119 Abs. 1 Nr. 1 bis 4 AktG, sowie in § 120 Abs. 4 AktG und in § 286 Abs. 1 AktG.

II. Strukturmaßnahmen Die Hauptversammlungskompetenzen für Strukturmaßnahmen sind teilweise in § 119 Abs. 1 Nr. 5, 6 und 8 AktG, größtenteils jedoch in den jeweiligen Abschnitten gesondert normiert. Strukturmaßnahmen sind solche, die die organisatorische Struktur der AG betreffen. Zu ihnen gehören u. a. Satzungsänderungen (§ 179 Abs. 1 AktG), damit auch Kapitalmaßnahmen (§§ 182 ff. AktG), die Auflösung der Gesellschaft (§ 262 Abs. 1 Nr. 2 AktG), Umwandlungsmaßnahmen nach dem UmwG, sowie Squeezeouts (§ 327a Abs. 1 Satz 1 AktG).400

III. Ungeschriebene Zuständigkeiten Seit der „Holzmüller“-Entscheidung des II. Zivilsenats des BGH aus dem Jahr 1982401 haben ungeschriebene Kompetenzen der Hauptversammlung (erneut402) Einzug in die Rechtswirklichkeit gefunden. Im konkreten Fall konstatierte der BGH, der Vorstand verletze seine Sorgfaltspflicht, wenn er vor grundlegenden Eingriffen in die Rechte und Interessen der Aktionäre nicht von § 119 Abs. 2 AktG Gebrauch macht und eine Hauptversammlung herbeiführt, um diese über die Maßnahme beschließen zu lassen.403 Rechtsfolge eines Verstoßes gegen diese (interne) Vorlagepflicht sei außer in Missbrauchsfällen nicht ein Entfallen der Vertretungsmacht des 399

So bspw. Kubis, in: MüKoAktG, § 119 Rn. 10 mit ausführlicher Übersicht; Koch, in: Hüffer/Koch, AktG, § 119 Rn. 5; Liebscher, in: Henssler/Strohn, GesR, § 119 AktG Rn. 3 ff.; anders Hoffmann, in: Spindler/Stilz, AktG, § 119 Rn. 4, der eine Kategorisierung nach Wahl-, Grundlagen-, Leitungs-, Kontroll- und Konzernkompetenzen vornimmt. 400 Kubis, in: MüKoAktG, § 119 Rn. 13. 401 BGHZ 83, 122 – 144. 402 Schon das RG hatte sich 1895 mit der Frage nach ungeschriebenen Generalversammlungszuständigkeiten zu befassen und im Ergebnis solche auch bejaht: RGZ 35, 83; vgl. hierzu auch Fleischer, in: Bayer/Habersack, Aktienrecht im Wandel Bd. II, Kap. 9 Rn. 16 f. 403 BGHZ 83, 122, 131.

78

Teil 2: Die Kompetenzordnung der Aktiengesellschaft

Vorstands für die in Frage stehende Maßnahme, sondern nur eine innergesellschaftliche Unwirksamkeit.404 Freilich beschränkt sich diese Dogmatik auf Fälle, in denen die Schwelle des § 179a AktG nicht erreicht ist, da hier eine Hauptversammlungskompetenz ohnehin schon von Gesetzes wegen besteht. Die in ihrer Reichweite und Bedeutung heftig umstrittene „Holzmüller“-Entscheidung wurde 2004 durch die „Gelatine“-Entscheidungen405 des BGH aufgegriffen und konkretisiert:406 Ungeschriebene Hauptversammlungszuständigkeiten seien danach nur ausnahmsweise und in engen Grenzen in Situationen, die einer Satzungsänderung gleichen, anzuerkennen.407 Die maßgebliche Rechtfertigung für eine solche Abweichung von der üblichen Kompetenzverteilung folge aus dem sich aus der Maßnahme ergebenden Mediatisierungseffekt.408 Ferner seien die ungeschriebenen Hauptversammlungszuständigkeiten dogmatisch nicht – wie noch in der Holzmüller-Entscheidung entschieden – aus § 119 Abs. 2 AktG herzuleiten, sondern seien Ergebnis offener Rechtsfortbildung.409 Zuletzt bedürfe ein danach etwaiger notwendiger Zustimmungsbeschluss wegen der tief in die mitgliedschaftliche Stellung eingreifenden Wirkung der Maßnahme einer Dreiviertel-Mehrheit.410 Sowohl im „Holzmüller“- als auch im „Gelatine“-Fall hatte der BGH es mit Konzern-Sachverhalten zu tun, bei denen jeweils ein „Mediatisierungseffekt“411 vorlag. Dieses Kriterium bemühte der II. Zivilsenat des BGH auch als er in einem jüngeren Beschluss entschied, dass Beteiligungsveräußerungen mangels Mediatisierungseffekts keine ungeschriebenen Hauptversammlungskompetenz begründeten.412 Damit steht jedoch nach wie vor die höchstrichterliche Antwort auf die Frage aus, wie andere Konzernleitungsmaßnahmen zu bewerten sind, bei denen zwar kein Mediatisierungseffekt eintritt, die aber dennoch von erheblichem Gewicht sind.413 Festzuhalten ist vorerst, dass von einem Regel-Ausnahme-Prinzip hinsichtlich der zwingenden Partizipation der Hauptversammlung bei grundlegenden Maßnahmen des Vorstands ausgegangen wird. Dogmatisch fallen demnach auch „Holzmüller“Fälle in den Bereich der Leitungskompetenz des Vorstands. Nur in Ausnahmefällen kommt es zur Pflicht des Vorstands, die Hauptversammlung vorab um Zustimmung 404

BGHZ 83, 122, 132 f. BGHZ 159, 30 ff. 406 Vgl. hierzu auch Kubis, in: MüKoAktG, § 119 Rn. 34. 407 BGHZ 159, 30, 44. 408 BGHZ 159, 30, 40. 409 BGHZ 159, 30, 42 f. 410 BGHZ 159, 30, 45 f. 411 Dieser Begriff beschreibt die Verringerung von Aktionärseinfluss bezüglich des Gesellschaftsvermögens, das von den jeweiligen Maßnahmen betroffen ist, vgl. Drinhausen, in: Hölters, AktG, § 119 Rn. 20. 412 BGH, ZIP 2007, 24 ff. m. Anm. v. Falkenhausen. 413 Vgl. z. B. Kubis, in: MüKoAktG, § 119 Rn. 40, der die Frage „als völlig ungelöst“ ansieht. 405

E. Die Hauptversammlung

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zu bitten. In kompetenzrechtlicher Hinsicht führt das zwar in gewissem Maße zu einer Einschränkung der Leitungskompetenz des Vorstands. Jedoch hat das gerade keine Auswirkungen auf das Außenverhältnis, da die Vertretungskompetenz des Vorstands durch diese Fälle nicht berührt wird414.

IV. Verbandssouveränität und Satzungsautonomie 1. Allgemeines Satzungs- und Strukturänderungen der AG liegen nach dem Grundsatz der Verbandssouveränität415 zwingend in der Exklusivzuständigkeit der Hauptversammlung.416 Die Satzungsautonomie ist ein zwingender Bestandteil der Verbandssouveränität.417 Es besteht Einigkeit darüber, dass eine gesellschaftsrechtlich wirkende Verlagerung von Hauptversammlungskompetenzen auf andere Organe oder außenstehende Dritte daher nicht möglich ist.418 In rechtsdogmatischer Hinsicht ist der Grundsatz der Verbandssouveränität zu verstehen als eine veränderliche Schranke der Privatautonomie.419 Er entfaltet dort Wirkung, wo eine zulässige Selbstbeschränkung umschlägt in eine unzulässige Selbstentäußerung.420 Zur Begründung werden zwei Zwecke hervorgehoben. Zunächst bezwecke der Grundsatz den Schutz des Selbstbestimmungsrechts der Gesellschafter, indem dem Verband die Delegationsmöglichkeit von Entscheidungsbefugnissen abgesprochen wird.421 Für die AG ist insbesondere zu berücksichtigen, dass im Vergleich zu anderen Verbänden eine ständige Fluktuation der Mitglieder möglich ist.422 Der Schutz des Selbstbestimmungsrechts der Gesellschafter muss dabei auch zukünftigen Gesellschaftern zustehen.423 Ließe man eine (dauerhafte) Delegation von mitgliedschaftlichen Ent414

BGHZ 159, 30, 42 f. Zur Definition des Verbands wird hier nach K. Schmidt, Gesellschaftsrecht, § 7 I 1. b), ein juristischer Verbandsbegriff verwendet, wonach ein Verband „eine durch Gesellschaftsvertrag oder Satzung verfasste, auf Mitgliedschaft beruhende und gegenüber den Mitgliedern verselbstständigte, einem Verbandszweck („gemeinsamen Zweck“) dienende Organisation“ darstellt. 416 Ganz allgemeine Meinung, vgl. nur RGZ 169, 65, 80 f. für die GmbH; Wiedemann, in: GroßKommAktG, § 179 Rn. 5 f.; ders., in: FS Schilling, 1973, 105, 112; K. Schmidt, Gesellschaftsrecht, § 5 I 3. a) f. 417 K. Schmidt, Gesellschaftsrecht, § 5 I 3. b). 418 Wiedemann, in: FS Schilling, 1973, 105, 112 m.w.N. 419 Wiedemann, in: FS Schilling, 1973, 105, 114; vgl. auch Herfs, Mitwirkungsrechte, S. 53. 420 Wiedemann, in: FS Schilling, 1973, 105, 118. 421 Wiedemann, in: FS Schilling, 1973, 105, 112; Teubner, ZGR 1986, 565, 568; insoweit kritisch: Herwig, Leitungsautonomie, S. 81; Leuschner, Konzernrecht, S. 268. 422 Vgl. Holzborn, in: Spindler/Stilz, AktG, § 179 Rn. 3; Mertens/Cahn, in: KölnKommAktG, § 82 Rn. 8. 423 Holzborn, in: Spindler/Stilz, AktG, § 179 Rn. 3. 415

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Teil 2: Die Kompetenzordnung der Aktiengesellschaft

scheidungsbefugnissen durch eine Hauptversammlung zu, so folgte daraus eine Präjudizwirkung auch der Entscheidungen in der Kompetenz von nachfolgenden Mitgliedern mit der Folge, dass deren Selbstbestimmung durch eine Maßnahme ihrer Vorgänger eingeschränkt wäre. Daneben trage der Grundsatz der Verbandssouveränität dem sog. Abschichtungseffekt Rechnung, wonach die Entscheidungszuständigkeit unabhängig von außerhalb des Verbandes stehenden Dritten bleiben muss.424 Aus dem Grundsatz der Verbandssouveränität folgt, dass die Verwaltung (unstrittig jedenfalls ohne Mitwirkung der Hauptversammlung)425 außenstehende Dritte generell nicht wirksam ermächtigen kann, eine Satzungsänderung vorzunehmen.426 Der Grundsatz schützt indes nicht vor jeglichen Einflussnahmen Dritter auf die Gesellschaft. K. Schmidt weist etwa darauf hin, dass vor allem Konzernierungssachverhalte verbandsrechtlich ansonsten nicht denkbar wären.427 Insbesondere solle eine nur faktische Einflussnahme nicht Gegenstand der Verbandssouveränität sein, sondern vielmehr einzig das Verbot der Einflussnahme auf die Verfassung des Verbandes.428 2. (Bloß) gesellschaftsrechtliche oder auch schuldrechtliche Wirkung? Für die Frage nach der Zulässigkeit schuldrechtlicher Vereinbarungen betreffend Satzungsänderungen und – spezieller – Kapitalmaßnahmen ist zu klären, ob eine solche Vereinbarung überhaupt gegen den Grundsatz der Verbandssouveränität verstoßen kann und welche Rechtsfolgen aus einem gegebenenfalls vorliegenden Verstoß resultieren. Zunächst ist daher zu untersuchen, ob die Verbandssouveränität (lediglich) korporativ oder umfassend wirkt, d. h. ob der Grundsatz unmittelbar die Privatautonomie der Aktiengesellschaft als auch der potentiellen Vertragspartner beschränkt. Teilweise429 werden obligatorische Bindungen der Gesellschaft über Maßnahmen in der Kompetenz der Hauptversammlung unter Verweis auf die Satzungsautonomie 424

Wiedemann, in: FS Schilling, 1973, 105, 114; Teubner, ZGR 1986, 565, 568. Inwiefern die Gesellschaft unter Mitwirkung des für die Satzungsänderung zuständigen Organs verpflichtet werden kann, ist vor allem hinsichtlich von Kapitalmaßnahmen umstritten. Auch zu den Besonderheiten um Satzungsänderungen in der Kompetenz der Verwaltung (insb. die Ausnutzung genehmigten Kapitals) s. u. Teil 3, C.II.1.b). 426 Vgl. Seibt, in: K. Schmidt/Lutter, AktG, § 179 Rn. 46; Stein, in: MüKoAktG, § 179 Rn. 212; Wiedemann, in: GroßKommAktG, § 179 Rn. 7. 427 K. Schmidt, Gesellschaftsrecht, § 5 I 3. b). 428 K. Schmidt, Gesellschaftsrecht, § 5 I 3. b). 429 Lutter, in: FS Schilling, 1973, 206, 228; Hefermehl/Bungeroth, in: Geßler/Hefermehl/ Eckardt/Kropff, AktG, Bd. IV, § 179 Rn. 191; Holzborn, in: Spindler/Stilz, AktG, § 179 Rn. 173; Seibt, in: K. Schmidt/Lutter, AktG, § 179 Rn. 46; Stein, in: MüKoAktG, § 179 Rn. 212. 425

E. Die Hauptversammlung

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als unzulässig bezeichnet. Danach solle der Grundsatz der Satzungsautonomie auch vor schuldrechtlicher Selbstentäußerung schützen. Demgegenüber430 steht ein engeres Verständnis, wonach der Grundsatz der Satzungsautonomie ausschließlich gesellschaftsrechtlich wirke. Folglich könnte die Satzungsautonomie die Wirksamkeit schuldrechtlicher Vereinbarungen nicht unmittelbar beeinflussen. Der Selbstschutz der Aktionäre und deren Nachfolger kann zur Begründung einer umfassenden, d. h. auch schuldrechtlichen, Wirkung nicht dienen. Denn bei der Verpflichtung der Gesellschaft durch den Vorstand geht es gerade nicht um eine Selbst-, sondern um eine Fremdbindung. Mithin bedarf es hier keines Schutzes der Aktionäre vor sich selbst. Es bleibt daher zu hinterfragen, ob der Gedanke des Abschichtungseffekts die Ausdehnung der Satzungsautonomie auf schuldrechtliche Vereinbarungen gebietet. Der Abschichtungseffekt schützt die Entscheidungszuständigkeit der Gesellschafter.431 Die Entscheidungszuständigkeit wird indes gar nicht berührt, da die schuldrechtliche die gesellschaftsrechtliche Ebene aufgrund der Trennung von schuldrechtlicher und korporativer Ebene unberührt lässt, die Gesellschafter, d. h. die Aktionäre, durch bloß schuldrechtliche Vereinbarung ihre Entscheidungszuständigkeit nicht verlieren oder verringern. Damit begibt man sich auch nicht in Widerspruch zur Aussage, dass es Ansprüche Dritter auf unmittelbare Satzungsänderung nicht geben kann432. Unmittelbar wäre nämlich nur ein gesellschaftsrechtlich wirkender, zwingender Anspruch. Ansprüche, die auf eine mittelbare Satzungsänderung gerichtet sind, verletzen den Grundsatz der Satzungsautonomie hingegen nicht.433 Als ein derartiger Anspruch wäre etwa eine Verpflichtung der AG gegenüber einem Dritten zu sehen, entgegen der Satzung der AG zu handeln434. Hieraus kann sich die Notwendigkeit einer Satzungsänderung für die Gesellschaft als Partei der Vereinbarung ergeben, wenn durch die Vereinbarung ein satzungswidriger Zustand entsteht. Denn der Vorstand ist verpflichtet, einen wider die Satzung bestehenden Zustand zu beenden und kann daher in einem solchen Fall auch verpflichtet sein, dafür zu sorgen, dass die Satzung den durch die schuldrechtliche Vereinbarung entstandenen Umständen angepasst wird.435 Weitergehend

430 Vgl. Marsch-Barner, in: Bürgers/Körber, § 182 Rn. 8; Scholz, in: MünchHdbGesR Bd. 4, § 57 Rn. 14; Servatius, in: Spindler/Stilz, AktG, § 182 Rn. 25; Teubner, ZGR 1986, 565, 568; Wiedemann, in: GroßKommAktG, § 179 Rn. 155; wohl auch: Koch, in: Hüffer/Koch, AktG, § 179 Rn. 32; Pfeifer, in: MüKoAktG, 3. Aufl. 2011, § 182 Rn. 20. 431 s. o. Teil 3, C.II.1.a)aa). 432 So aber wohl Stein, in: MüKoAktG, § 179 Rn. 212; Wiedemann, in: GroßKommAktG, § 179 Rn. 155. 433 Vgl. Flume, BGB AT I/2, S. 198. 434 Stein, in: MüKoAktG, § 179 Rn. 213 nennt bspw. gesetzliche Ansprüche aus § 14 BGB, § 37 Abs. 2 HGB oder §§ 14 f. MarkenG, ferner auch vertragliche Ansprüche gerichtet etwa auf den Rückzug aus einem in der Satzung festgelegten Geschäftsfeld. 435 Vgl. Stein, in: MüKoAktG, § 179 Rn. 105; Zöllner, in: KölnKommAktG, § 179 Rn. 110.

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Teil 2: Die Kompetenzordnung der Aktiengesellschaft

kann sich seitens der Aktionäre aus deren Treuepflicht sogar eine Pflicht zur Herbeiführung einer Satzungsänderung ergeben.436 Der Grundsatz der Satzungsautonomie ist für (bloß) schuldrechtliche Einflussnahmevereinbarungen der Gesellschaft mit Dritten daher nur insofern relevant, als dass er die Privatautonomie dergestalt begrenzt, dass die unmittelbare Einflussnahme auf korporative Akte ausgeschlossen wird. Sofern die Unwirksamkeit einer solchen Vereinbarung mit der Satzungsautonomie begründet wird, müsste man (auch) die Gesellschaft als das Schutzobjekt der Satzungsautonomie begreifen. Wie sich bereits aus den Zwecken der Verbandsautonomie ergibt, sind es jedoch allein die Aktionäre und die Hauptversammlung, die hierdurch geschützt werden.437 Folglich begrenzt der Grundsatz der Satzungsautonomie nicht die Möglichkeit des Abschlusses schuldrechtlicher Vereinbarungen. Mithin begrenzt er auch nicht die Möglichkeit des Abschlusses schuldrechtlicher Vereinbarungen über Kapitalmaßnahmen.438 3. Rechtsfolgen eines Verstoßes gegen den Grundsatz der Satzungsautonomie Sofern jemand durch sein Handeln die Satzungsautonomie als Schranke der Privatautonomie überschreitet, so handelt er ohne Gestaltungsmacht. Die Satzungsautonomie beschränkt das rechtliche Können, nicht das rechtliche Dürfen. Seine Handlung ist daher insoweit unwirksam als ihm keine Gestaltungsmacht zusteht.439

F. Kompetenzordnung, Privatautonomie und Vertragsfreiheit I. Allgemeines Die Privatautonomie ist eines der fundamentalen Prinzipien rechtsgeschäftlicher Schuldverhältnisse. Sie ist das Prinzip der „Selbstgestaltung der Rechtsverhältnisse durch den einzelnen nach seinem Willen“440. Ihren Grund findet die Privatautonomie in der allgemeinen Handlungsfreiheit gem. Art. 2 Abs. 1 GG,441 ist mithin also 436

Stein, in: MüKoAktG, § 179 Rn. 105. Wiedemann, in: FS Schilling, 1973, 105, 111, wonach der Grundsatz der Verbandssouveränität notwendig sei, da die Gesellschaft nicht von den Gesellschafterinteressen zuwiderlaufenden Geschicken außenstehender Dritter gelenkt werden darf. 438 I. E. auch Wansleben, Der Konzern 2014, 29, 31. 439 Ausführlich zu den Rechtsfolgen des Handelns ohne Gestaltungsmacht unter Teil 2, G.IV.3.a). 440 Flume, BGB AT II, S. 1. 441 StRspr. vgl. nur BVerfGE 8, 274, 328; BVerfGE 70, 115, 123; BVerfGE 72, 155, 170; BVerfG NJW 1994, 36, 38; BVerfGE 103, 197, 215; BVerfGE 117, 163, 181; Di Fabio, in: 437

F. Kompetenzordnung, Privatautonomie und Vertragsfreiheit

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verfassungsmäßig geschützt. Die Privatautonomie selbst wiederum enthält insbesondere die Gewährleistung der Vertragsfreiheit. Diese lässt sich im Wesentlichen in Abschluss- und Gestaltungsfreiheit gliedern.442 Während die Abschlussfreiheit dem Individuum freistellt, ob und mit wem es einen Vertrag eingeht, kann es aufgrund der Gestaltungsfreiheit mit dem Vertragspartner über den Inhalt des Vertrages bestimmen.443 Entsprechendes gilt über Art. 19 Abs. 3 GG auch für die AG, soweit es dem Wesen nach auf diese anwendbar ist. Die Vertragsfreiheit wird nicht grenzenlos gewährleistet. Vielmehr verdeutlicht besonders § 311 Abs. 1 BGB („soweit nicht das Gesetz ein anderes vorschreibt“), dass die Vertragsfreiheit durch den Gesetzgeber weitgehend eingeschränkt werden kann.444 Die Rechtsordnung bestimmt den Umfang der Vertragsfreiheit.445 Eine solche Einschränkung der Vertragsfreiheit bedarf allerdings jedenfalls einer Rechtfertigung.446 § 311 Abs. 1 BGB zeigt außerdem gleichzeitig selbst eine wesentliche Grenze der Vertragsfreiheit, nämlich, dass die Rechtsposition Dritter, d. h. nicht am Rechtsgeschäft Beteiligter, nicht von der Vertragsfreiheit umfasst ist. Denn zur rechtsgeschäftlichen Begründung eines Schuldverhältnisses ist ein Vertrags zwischen den Beteiligten erforderlich.447 Grundsätzlich binden schuldrechtliche Vereinbarungen nach dem Relativitätsprinzip nur die an ihr Beteiligten unmittelbar.448 Das gilt auch bei der AG, sodass beispielsweise eine schuldrechtliche Vereinbarung zwischen AG und einem Dritten auch nur diesen beiden Parteien die entsprechenden vertraglichen Rechte und Pflichten zuweisen kann. Bisher wurde das Relativitätsprinzip in der gesellschaftsrechtlichen Literatur vor allem im Rahmen von sog. schuldrechtlichen Nebenabreden zwischen Gesellschaftern derselben Gesellschaft in Bezug auf die Satzung betont.449 Doch spielt das Relativitätsprinzip auch eine ganz wesentliche Rolle im Rahmen von schuldrechtlichen Vereinbarungen mit Bezug zur gesetzlichen, Maunz/Dürig, GG, Art. 2 Rn. 19; Busche, in: MüKoBGB, Vor § 145 Rn. 3; Olzen, in: Staudinger, BGB, Einl. zum Schuldrecht Rn. 49. 442 So die vorzugswürdige Unterteilung bei Olzen, in: Staudinger, BGB, Einl. zum Schuldrecht Rn. 52. Die die Vertragsfreiheit prägenden Freiheiten werden begrifflich insgesamt uneinheitlich gefasst, vgl. nur etwa Busche, in: MüKoBGB, Vor § 145 Rn. 2. 443 Vgl. Sutschet, in: Bamberger/Roth/Hau/Poseck, BGB, § 241 Rn. 12.; anders Flume, BGB AT II, S. 12, der der Vertragsfreiheit wohl nicht die Abschlussfreiheit zuordnet, sondern die Vertragsfreiheit „im engeren Sinne“ (nur) als inhaltliche Gestaltungsfreiheit ansieht. 444 Vgl. Emmerich, in: MüKoBGB, § 311 Rn. 3; Armbrüster, in: Erman, BGB, Vor § 145 Rn. 26. 445 Arnold, in: Erman, BGB, § 134 Rn. 1; Hefermehl, in: Soergel, BGB, § 134 Rn. 2. 446 Koch, AG 2015, 213; Kuntz, Gestaltung, S. 23 m.w.N. 447 Diesem Grundsatz der Relativität entspringt auch das Verbot des Vertrags zulasten Dritter; vgl. hierzu etwa Emmerich, in: MüKoBGB, § 311 Rn. 2; grundlegend Flume, BGB AT II, S. 9. 448 Sutschet, in: Bamberger/Roth/Hau/Poseck, BGB, § 241 Rn. 8 f. 449 Vgl. nur K. Schmidt, Gesellschaftsrecht, § 5 I 5.

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Teil 2: Die Kompetenzordnung der Aktiengesellschaft

zwingenden Kompetenzordnung der AG. Verpflichtet sich die AG, vertreten durch den Vorstand, einem Dritten gegenüber zu einer Leistung, die thematisch der zwingenden Kompetenzordnung zugewiesen ist, so bindet die Vereinbarung unmittelbar nur die AG, die ohne das Handeln ihrer Organe jedoch gar nicht in der Lage ist, die entsprechenden Leistungen zu erbringen. Die Organe bzw. ihre Mitglieder werden jedenfalls nicht unmittelbar gebunden. Diese sind (bloß) in der Regel450 verpflichtet, die Handlungen vorzunehmen, die zur Erfüllung der Pflichten der AG notwendig sind. Zudem hat eine (bloß) schuldrechtliche Vereinbarung grundsätzlich keine korporative Wirkung.451

II. Die Kompetenzordnung der Aktiengesellschaft als Schranke der Vertragsfreiheit? Grundsätzlich schränke die aktienrechtliche Kompetenzordnung die Vertragsfreiheit der AG ein.452 Die Vertragsfreiheit der Gesellschaft würde dann durch die Regelungen der Kompetenzordnung eingeschränkt, wenn sie sich auf das Außenverhältnis der Gesellschaft durschlüge. Sofern den kompetenzrechtlichen Vorschriften bloß gesellschaftsinterne Bedeutung zukommt, handelt es sich nicht um eine Beschränkung der Vertragsfreiheit der Gesellschaft. Durch bloß intern wirkende Regelungen würden dann die Handlungsmöglichkeiten der Organe und ihrer Mitglieder eingeschränkt.453 Es bleibt zu untersuchen, ob der Kompetenzordnung der Aktiengesellschaft Außen- oder Innenwirkung zukommt.454

III. Zwang der Kompetenzordnung Nach allgemeiner Auffassung könne von den Vorschriften über die Organisation der Aktiengesellschaft auch schuldrechtlich grundsätzlich nicht abgewichen werden.455 Vielfach wird dazu auf den Rechtsgedanken des § 23 Abs. 5 AktG verwiesen. 450 In diesem Zusammenhang vgl. die Ausführungen zur Legalitätspflicht unter Teil 2, C.I.2.c)aa). 451 Anders ist dies im Falle einer schuldrechtlichen Nebenabrede aller an der Gesellschaft beteiligten Gesellschafter, die nicht nur schuldrechtlich, sondern auch korporativ wirkt, K. Schmidt, Gesellschaftsrecht, § 5 I 5. 452 Bayer, in: Vertragsfreiheit, S. 91, 92. So auch zwangsweise, wenn man etwa § 76 AktG als Verbotsgesetz i.S.v. § 134 BGB qualifiziert, dazu siehe Teil 2, G.IV2. Für den Streit um die Qualität des § 112 AktG siehe die Nachweise unten in Teil 2, G.III.2.b). 453 Vgl. zur Diskussion um den Regelungsgehalt des § 76 I AktG z. B. Seibt, in: K. Schmidt/ Lutter, AktG, § 76 Rn. 21. 454 Dazu s. u. Teil 2, G.IV.2. 455 Die dogmatische Begründung für diesen Zwang variiert: Ganz überwiegend wird die aktienrechtliche Kompetenzordnung als Verbotsgesetz i.S.v. § 134 BGB eingestuft; dazu Teil 2, G. sogleich.

F. Kompetenzordnung, Privatautonomie und Vertragsfreiheit

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Dieser zeige einen Gesetzeszwang und sei auch auf schuldrechtliche Vereinbarungen übertragbar.456 Das lässt sich jedoch nicht alleine mit dem Wortlaut („Die Satzung kann […] nur abweichen, wenn […]“) begründen, da dieser entsprechende (bloß) schuldrechtliche Vereinbarungen eindeutig nicht erfasst. Zum anderen wird die grundsätzliche Möglichkeit der Vereinbarung von schuldrechtlichen Nebenabreden zur Satzung – auch mit Inhalten, die korporativ nicht regelbar wären – nicht in Frage gestellt457. Eine entsprechende Diskussion um die dogmatische Grundlage wird erst seit kurzem wieder intensiver geführt.458 Moderneren Einschlags als die Fundierung auf einem Rechtsgedanken des § 23 Abs. 5 AktG ist eine funktionale Betrachtung der Normen des AktG zur jeweiligen Bestimmung der Abdingbarkeit entsprechender Vorschriften. Die Satzungsstrenge, § 23 Abs. 5 AktG, ist dem Bild der AG als Publikumsgesellschaftsform mit der Möglichkeit erleichterter Kapitalbeschaffung geschuldet und soll darüber hinaus Rechtssicherheit schaffen. Insgesamt geht es um die Verkehrsfähigkeit der Aktie sowie in gewissem Maße auch um sozialen Schutz.459 Die Satzungsstrenge soll insbesondere bei börsennotierten Aktiengesellschaften den Aktienhandel vereinfachen.460 Kodifiziert wurde die schon vom Reichsgericht ins Leben gerufene461 Satzungsstrenge indes erst mit der Aktienrechtsreform 1965. Die AG und ihre Aktien wurden durch den damit eingefügten § 23 Abs. 5 AktG zu einem „hochgradig standardisierten Serienprodukt“,462 denn die wesentlichen korporativen Bestimmungen einer deutschen AG sind durch die Satzungsstrenge zwangsweise gleichermaßen publik und ähnlich. Bei Abwägung für und wider eine Aktientransaktion wird der Blick deshalb regelmäßig nicht auf das Gesellschaftsstatut sondern auf Umstände außerhalb der Satzung gerichtet. Großes Gewicht spielt hierbei der Börsenkurs oder die Dividendenerwartungen der Anleger.463 Der Handel mit Aktien wäre – so die hergebrachte Meinung – deutlich umständlicher, würde man vor jeder Transaktion gleich bei den von Satzungsautonomie geprägten Gesellschaftsformen die Satzung prüfen müssen. Entsprechend der Möglichkeit, erleichtert, gar börslich, gehandelt zu werden und damit schneller Kapital aufzubringen, müssen die Rechtsfolgen hinsichtlich des wesentlichen rechtlichen Rahmens der Aktien für den informierten Anleger klar sein. Der Handel mit Aktien würde durch 456 Röhricht/Schall, in: GroßKommAktG, § 23 Rn. 174; Dette, Verdeckte Beherrschungsverträge, S. 118; Steinert, Investorenvereinbarung, S. 78. 457 Vgl. Pentz, in: MüKoAktG, § 23 Rn. 195 f. 458 So etwa bei Mertens/Cahn, in: KölnKommAktG, § 76 Rn. 42 ff.; Arens, S. 61 ff.; Kuntz, AG 2016, 101, 109 ff.; aus dem früheren Schrifttum Mertens, AG 1982, 141, 150. 459 Seibt, in: K. Schmidt/Lutter, § 23 Rn. 53. 460 Vgl. zur seit geraumer Zeit und vielfach vorgetragenen Kritik an § 23 Abs. 5 AktG hinsichtlich seines Anwendungsbereichs und entsprechenden Lösungsvorschlägen etwa Spindler, AG 2008, 598 ff. 461 RGZ 49, 77, 80; dazu auch Limmer, in: Spindler/Stilz, AktG, § 23 Rn. 28. 462 Röhricht/Schall, in: GroßKommAktG, § 23 Rn. 174. 463 Röhricht/Schall, in: GroßKommAktG, § 23 Rn. 174.

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Teil 2: Die Kompetenzordnung der Aktiengesellschaft

eine freie Bestimmbarkeit ihrer wesentlichen rechtlichen Bestimmungen durch die Gesellschaft und ihre Anteilseigner eventuell erschwert und verlangsamt. Das würde letztlich auch die Bestimmung des Wertes einer Aktie und damit der Aktiengesellschaft insgesamt zumindest verlangsamen. Daher soll die Notwendigkeit der Standardisierung das tragende Argument für die Satzungsstrenge sein. Einer solchen Aussage dürfte dabei die Prämisse zugrunde liegen, dass die Standardisierung ohne den Gesetzeszwang nicht einträte. Hiergegen wurden jüngst gewichtigte Argumente vorgebracht.464 Aus rechtshistorischer sowie rechtsvergleichender Sicht mit dem US-amerikanischen Gesellschaftsrecht Delawares, welches ein der Satzungsstrenge ähnliches Institut nicht kennt, wird die These, die Notwendigkeit der Standardisierung der Aktie nötige zur Satzungsstrenge, weniger zwingend. Auch ohne Satzungsstrenge, so hat Kuntz nachgewiesen, finde dort nämlich eine weitgehende Standardisierung statt.465 Die Standardisierung sei zum einen Folge eines gewissen „Beharrungsvermögens“ gesetzlicher Normen466, zum anderen des Interesses der Marktteilnehmer an Kosteneinsparung467. Unabhängig davon, ob man mit Kuntz – mit guten Argumenten – davon ausgeht, dass der Zwang sich aus einer funktionalen Betrachtung des Rechts ergäbe oder den Gesetzeszwang aus Rechtsgedanken des § 23 Abs. 5 BGB herleitet, ist jeweils im Ergebnis darin zuzustimmen, dass von den Vorschriften über die aktienrechtliche Kompetenzordnung nicht abgewichen werden kann.

G. Rechtsfolgen eines Verstoßes schuldrechtlicher Vereinbarungen gegen die Kompetenzordnung I. Materielle Grundlegung Die (Un-)Zulässigkeit einzelner Klauseln in den für die Untersuchung interessierenden Vereinbarungen wurde in jüngster Zeit mehrfach monographisch untersucht.468 Nicht zur Genüge geklärt sind allerdings die Rechtsfolgen von Vereinbarungen, die mit der aktienrechtlichen Kompetenzordnung nicht vereinbar sind. Häufig wird sich begnügt mit dem Hinweis, ein Verstoß gegen die Kompetenzordnung ziehe i. d. R. die Nichtigkeit nach § 134 BGB nach sich.469 Das setzt freilich voraus, dass die Normen der aktienrechtlichen Kompetenzordnung als Verbotsgesetz 464 Vgl. dazu Kuntz, Gestaltung, S. 347 ff. und S. 515 f., wonach bei US-amerikanischen Gesellschaften eine Standardisierung auch ohne Gesetzeszwang stattfände. 465 Kuntz, Gestaltung, S. 347 ff. 466 Kuntz, Gestaltung, S. 360 ff. 467 Kuntz, Gestaltung, S. 363 ff. 468 Vgl. Arens, Einflussrechte, passim; Heß, Investorenvereinbarungen, passim; Heptner, Einschränkungen, passim; Wiegand, Investorenvereinbarungen und Business Combination Agreements, passim. 469 So etwa LG München I, NZG 2012, 1152, 1154.

G. Rechtsfolgen eines Verstoßes gegen die Kompetenzordnung

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i.S.v. § 134 BGB qualifiziert werden können. Außerdem ist klärungsbedürftig, ob „die gesetzliche Kompetenzordnung“ diesbezüglich einheitlich bewertet werden kann, d. h. ob nicht einzelne der Kompetenznormen anders als andere zu beurteilen sind. Diesen Aspekten wurde bislang insofern zu wenig Beachtung geschenkt.

II. Apodiktische Berufung auf § 134 BGB Zuhauf werden Verstöße gegen die gesetzliche Kompetenzordnung ob ihrer zwingenden Natur470 dem Dekret der Nichtigkeit nach § 134 BGB unterworfen. Ein gesetzliches Verbot i.S.v. § 134 BGB liegt grundsätzlich vor, wenn die Norm nicht nur ein Verhalten verbietet, sondern darüber hinaus nicht mit der Rechtswirksamkeit des Rechtsgeschäfts vereinbar ist.471 Darüber hinaus folgt die Unwirksamkeit bestimmter Vereinbarungen, die nur auf den ersten Blick gegen § 134 BGB verstoßen, bereits aus der betroffenen Norm. Denn die Qualifikation als gesetzliches Verbot i.S.v. § 134 BGB setzt nach allgemeiner Meinung die Gestaltungs- und Verfügungsmacht über die betroffene Norm voraus.472 Außerdem ordnet § 134 BGB die Nichtigkeit für Verstöße gegen Verbotsgesetze nur an, „wenn sich nicht aus dem Gesetz ein anderes ergibt“. In der aktienrechtlichen Literatur und Rechtsprechung wird mit Blick auf viele Normen der Kompetenzordnung der Aktiengesellschaft trotz der vorgenannten Umstände ohne tiefere Auseinandersetzung473 schlicht davon ausgegangen, diese stellten Verbotsgesetze i.S.v. § 134 BGB dar und ein Verstoß dagegen führe regelmäßig zur Nichtigkeit gem. der verletzten Norm i.V.m. § 134 BGB.474 Die Fragestellung gewinnt Bedeutung hinsichtlich der unterschiedlichen Rechtsfolgen von (bloß) unwirksamen im Vergleich zu nichtigen Rechtsgeschäften. „Unwirksam“ ist ein Rechtsgeschäft, wenn die beabsichtigten Rechtsfolgen nicht eintreten, weil ihnen die Rechtsordnung die Geltung versagt. „Nichtig“ ist ein Rechtsgeschäft, wenn weitergehend die Rechtsfolgen von Anfang an, dauerhaft und in jeder Hinsicht ausbleiben.475 Die Nichtigkeit ist demnach eine spezielle Form der Unwirksamkeit. Das unwirksame Rechtsgeschäft bleibt bestehen, entfaltet allerdings keine Wirkung, während das nichtige Rechtsgeschäft zwar als vorgenommener Akt bestehen bleibt, indes keine Rechtsfolgen auslöst. Dem lediglich unwirksamen Rechtsgeschäft kann noch zur Entfaltung von Rechtsfolgen verholfen werden, während dem nichtigen Rechtsgeschäft hinsichtlich der gewünschten Rechtsfolgen höchstens der Weg über die Umdeutung nach § 140 BGB bleibt. 470 471 472 473 474 475

Dazu s. u. Teil 2, G.II. K. Schmidt, Gesellschaftsrecht, § 5 III 1. b). Armbrüster, in: MüKoBGB, § 134 Rn. 5; Sack/Seibl, in: Staudinger, BGB, § 134 Rn. 33. Anders als viele Arens, Einflussrechte, S. 162 ff. Zum Streit um die aktienrechtlichen Vertretungsregelungen siehe Teil 2, G.III. Deinert, Zwingendes Recht, Rn. 3; Wolf/Neuner, BGB, § 55 Rn. 1.

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Teil 2: Die Kompetenzordnung der Aktiengesellschaft

III. Verstoß gegen Vertretungskompetenzen 1. Problematik Sowohl innerhalb der Rechtsprechung als auch in der Literatur ist umstritten, ob die Kompetenzzuweisungen betreffend die Vertretungsregelungen in der Aktiengesellschaft als gesetzliche Verbote nach § 134 BGB anzusehen sind. Die Frage flammte um eine jüngst ergangene Entscheidung des OLG Brandenburg476 erneut auf. Die wesentlichste Vertretungskompetenz, nämlich die generelle Vertretungsbefugnis des Vorstands, folgt aus § 78 AktG. Der in Literatur und Rechtsprechung erheblich umfangreichere Teil des Streits um die Rechtsnatur der Vertretungsregeln dreht sich indes um § 112 AktG. Angesichts dessen soll zunächst die Rechtsnatur des § 112 AktG herausgearbeitet werden. Im Nachhinein ist zu hinterfragen, inwiefern die gefundenen Ergebnisse auf § 78 AktG projizierbar sind477. 2. Verstoß gegen § 112 AktG a) Meinungsstand Nach einer starken jüngeren Ansicht sei § 112 AktG nicht als gesetzliches Verbot i.S.d. § 134 BGB zu qualifizieren.478 Die Gegenansicht479 beruht vor allem auf älterer Rechtsprechung und Literatur. Differenziertere Ansichten stellen darauf ab, welches Organ bzw. welche Person gegen § 112 AktG verstoße.480 Davon zu trennen ist die 476

586 ff. 477

OLG Brandenburg AG 2015, 428 ff.; mit Anmerkung Heinze, in: RNotZ 2015, 582,

Dazu s. u. Teil 2, G.III.3. BGH, ZIP 2013, 1274, 1277; OLG Celle, BB 2002, 1438 f.; OLG München, AG 2008, 423; Ahrens, in: Prütting/Wegen/Weinreich, BGB, § 134 Rn. 13; Wendtland, in: Bamberger/ Roth/Hau/Poseck, BGB, § 134 Rn. 16; Israel, in: Bürgers/Körber, AktG, § 112 Rn. 10; Oetker, in: ErfurtKomm, § 112 AktG Rn. 5; Hambloch-Gesinn/Gesinn, in: Hölters, AktG, § 112 Rn. 19 ff.; Habersack, in: MüKoAktG, § 112 Rn. 32; Ellenberger, in: Palandt, BGB, § 134 Rn. 5; Hefermehl, in: Soergel, BGB, § 134 Rn. 2; Sack/Seibl, in: Staudinger, BGB, § 134 Rn. 33 u. Rn. 196; Spindler, in: Spindler/Stilz, AktG, § 112 Rn. 49; Jauernig, in: FS Weber, 1975, 307, 317, Fn. 36; Köhler, NZG 2008, 161, 163; Werner, ZGR 1989, 369, 392 ff.; Schindeldecker, RNotZ 2015, 533, 549; Wolf/Neuner, BGB, § 45 Rn. 5; wohl auch: Henssler, in: Henssler/Strohn, GesR, § 112 AktG Rn. 8 f; Wiesner, in: MünchHdbGesR Bd. 4, § 23 Rn. 8 f.; Stein, AG 1999, 28, 39 f.; offen gelassen noch bei BGH AG 1994, 35; AG 2008, 894, 895. 479 OLG Hamburg NJW-RR 1986, 1483; OLG Stuttgart BB 1992, 1669; OLG Frankfurt, Urt. v. 20. März 2008 – 12 U 40/07; OLG Brandenburg AG 2015, 428; Lim, Vertretungsmacht, S. 48 f.; wohl auch Semler, in: MüKoAktG, 2. Aufl. 2004, § 112 Rn. 75 ff., nach dem materiellrechtlich alle Verstöße außer durch den Aufsichtsrat fehlerhaft getroffenen Entscheidungen innerhalb der Sachkompetenz unwirksam seien. Unklar bleibt dabei, woraus genau sich die Unwirksamkeit ergeben soll. 480 Für eine Anwendung der §§ 177 ff. BGB bei Verstoß durch Aufsichtsratsmitglieder und Nichtigkeit nach § 134 BGB bei Verstoß durch andere Personen: Hopt/Roth, in: GroßKomm AktG, § 112 Rn. 108 ff.; Mertens/Cahn, in: KölnKommAktG, § 112 Rn. 10 f.; Drygala, in: 478

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Frage, ob ein tatsächlicher Verstoß gegen § 112 AktG mit der Nichtigkeit gem. § 134 BGB sanktioniert werden muss oder die allgemeinen Regelungen über die Vertreter ohne Vertretungsmacht (§§ 177 ff. BGB) Anwendung finden. Der Diskurs um die Frage nach der Einordnung als gesetzliches Verbot verlagert sich vielfach ungenau auf die Frage nach der angemessenen Rechtsfolge eines Verstoßes gegen § 112 AktG, bevor eine dogmatische Einordnung stattfindet. Da – je nachdem, welche Rechtsnatur man § 112 AktG zuschreibt – nicht nur eine Rechtsfolge bei einem Verstoß in Betracht kommt,481 ist dieser dogmatische Ansatz zur Herausarbeitung der Rechtsnatur des § 112 AktG schon im Grundsatz verfehlt. Eine Unterscheidung zwischen Vertretungsregelung und Kompetenzzuweisung ist bei dem Streit um die Anwendbarkeit von § 134 BGB auf § 112 AktG letztlich nicht zielführend. Zum einen wird auch innerhalb des allgemeinen Vertretungsrechts des BGB unterschieden zwischen Rechtsgeschäften, die ohne Vertretungsmacht vorgenommen werden, aber schwebend unwirksam sind (§ 177 BGB) und solchen, die aufgrund von Vertretungsverboten überhaupt nicht möglich sind, also dauerhaft unwirksam und damit nichtig sind.482 Zum anderen ist die Zuweisung von Vertretungsbefugnissen an ein Organ der Aktiengesellschaft jedenfalls Teil der Kompetenzordnung. b) § 112 AktG als gesetzliches Verbot? aa) Gesetz § 112 AktG ist ein von § 134 BGB i.V.m. Art. 2 EGBGB vorausgesetztes formelles Gesetz483. bb) Verbotsgesetz (1) Voraussetzungen Um darüber hinaus als Verbotsgesetz qualifiziert werden zu können, muss das betreffende Gesetz entweder den Inhalt oder aber die Vornahme eines RechtsgeK. Schmidt/Lutter, AktG, § 112 Rn. 21; wohl auch: Weber, in: Hölters, AktG, § 78 Rn. 42, der allerdings nach Verstößen gegen objektive und subjektive Grenzen differenziert; wohl auch Koch, in: Hüffer/Koch, AktG, § 112 Rn. 12. 481 So folgt bspw. nicht aus jedem Verstoß gegen ein Verbotsgesetz i.S.v. § 134 BGB zwangsweise auch die Nichtigkeit des verstoßenden Rechtsgeschäfts, Arnold, in: Erman, BGB, § 134 Rn. 17 f. 482 Das betrifft vor allem Vertretungsverbote im Familien- und Erbrecht, vgl. etwa §§ 1311 Satz 1, 2347 Abs. 2 Satz 1, 2351 BGB. 483 Vgl. Armbrüster, in: MüKoBGB, § 134 Rn. 30; Dederer, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 100 Rn. 84. Die umstrittene Frage, ob daneben auch Rechtsverordnungen oder Satzungen Gesetze in diesem Sinne sein können, ist für die vorliegende Untersuchung unerheblich und braucht daher nicht beantwortet zu werden. Vgl. ferner Wendtland, in: Bamberger/Roth/Hau/Poseck, BGB, § 134 Rn. 5.

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schäftes untersagen.484 Dazu muss es sich um eine zwingende Vorschrift handeln,485 da nach allgemeiner Meinung eine der dispositiven Norm zuwiderlaufende Rechtsgestaltung als eine Abbedingung der Norm anzusehen ist und damit keinen Verstoß darstellt486. § 112 AktG ist als Teil der aktienrechtlichen Kompetenzordnung zwingender Natur.487 Nicht jede zwingende Vorschrift ist indes automatisch als Verbotsgesetz i.S.v. § 134 BGB zu qualifizieren488, ausschlaggebend ist vielmehr der Sinn und Zweck der Norm489. (2) Grenze oder Verbot? Ferner und in Abgrenzung zu Verbotsgesetzen ist ein Gesetz nicht als ein Verbotsgesetz anzusehen, wenn es die Parteien lediglich auf bestimmte Typen von Rechten und Geschäften (Typenzwang) oder die Gestaltungs- oder Verfügungsmacht der Parteien beschränkt, ohne darüber hinaus auch die Vornahme oder den Inhalt des intendierten Rechtsgeschäfts verbieten zu wollen.490 Denn § 134 BGB betrifft nur Sachverhalte, in denen das rechtliche Dürfen überschritten wird, nicht das rechtliche Können.491 Wo der Gesetzgeber durch Gesetz das rechtliche Können begrenzt, konturiert er nämlich lediglich die Rechtsordnung, innerhalb derer rechtsgeschäftliche Akte rechtliche Wirkung erzeugen können. Mit Blick auf Art. 2 Abs. 1 GG wird dadurch also die Vertragsfreiheit begrenzt. Rechtsgeschäftliche Akte haben außerhalb dieser Grenzen ohnehin keine Wirkung. Sie sind also zumindest unwirksam.492 Deshalb kann ein Verbot i.S.v. § 134 BGB nur da Sinn machen, wo die Rechtsordnung einer Handlung grundsätzlich einen rechtsgeschäftlichen Gehalt zuweist.

484 Vgl. Sack/Seibl, in: Staudinger, BGB, § 134 Rn. 30; Wendtland, in: Bamberger/Roth/ Hau/Poseck, BGB, § 134 Rn. 9. 485 Vgl. Armbrüster, in: MüKoBGB, § 134 Rn. 46; Sack/Seibl, in: Staudinger, BGB, § 134 Rn. 32; Wendtland, in: Bamberger/Roth/Hau/Poseck, BGB, § 134 Rn. 9; a.A. Wolf/Neuner, BGB, § 45 Rn. 4. 486 Sack/Seibl, in: Staudinger, BGB, § 134 Rn. 32. 487 Zum Zwang der aktienrechtlichen Kompetenzordnung s. o. Teil 2, F.II. 488 Ganz h.M.: vgl. Wendtland, in: Bamberger/Roth/Hau/Poseck, BGB, § 134 Rn. 9; Hefermehl, in: Soergel, BGB, § 134 Rn. 2; Sack/Seibl, in: Staudinger, BGB, § 134 Rn. 31; Deinert, Zwingendes Recht, Rn. 8; Everts, DNotZ 2013, 730, 733 f.; Flume, BGB AT II, S. 342 f.; Mayer-Maly, in: FS Hefermehl, 1976, 103, 111; i.E. auch Armbrüster, in: MüKoBGB, § 134 Rn. 46; a.A. Coing, in: Staudinger, BGB, 11. Aufl., § 134 Rn. 2. 489 BGHZ 53, 152, 156 f.; 88, 240, 242; 89, 369, 372; Sack/Seibl, in: Staudinger, BGB, § 134 Rn. 31. 490 Sack/Seibl, in: Staudinger, BGB, § 134 Rn. 33. 491 BGHZ 13, 179, 184; Wendtland, in: Bamberger/Roth/Hau/Poseck, BGB, § 134 Rn. 15; Mansel, in: Jauernig, BGB, § 134 Rn. 2 ff.; Dörner, in: Schulze, BGB, § 134 Rn. 4; Ahrens, in: Prütting/Wegen/Weinreich, BGB, § 134 Rn. 13; Bork, BGB AT, Rn. 1097; v. Tuhr, Bürgerliches Recht Bd. II/2, S. 2; vgl. auch Flume, BGB AT II, S. 343. 492 Vgl. BAG, NZA 2002, 342, 345; Hefermehl, in: Soergel, BGB, § 134 Rn. 2 f.; Wolf/ Neuner, BGB, § 45 Rn. 4.

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(a) Abgrenzungskriterien Zur Einordnung einer Norm als Verbotsgesetz oder als Grenze rechtsgeschäftlicher Gestaltungsmacht müssen zunächst die Voraussetzungen für eine solche Abgrenzung identifiziert werden. Nach vorzugswürdiger Ansicht ist bei der Abgrenzung auf den Normzweck des § 134 BGB zurückzugreifen.493 Der Normzweck jedoch ist wiederum umstritten. (aa) § 134 BGB als Interventionsvorbehalt Einer Ansicht494 nach sei der Normzweck des § 134 BGB in einem sog. Interventionsvorbehalt als Ausfluss des „Primats staatlicher Wirtschaftsordnung und -lenkung gegenüber privater Autonomie“495 zu sehen. Die Norm wolle danach keine prinzipielle Konzeption, sondern eher bloß punktuelle Intervention erreichen.496 Gegen einen Vorrang staatlicher Wirtschaftsordnung und -lenkung ist indes einzuwenden, dass dem Staat diese Ordnung und Lenkung zwar zugestanden wird. Dieses Zugeständnis wird aber nur im Zusammenspiel mit der verfassungsmäßig garantierten Privatautonomie gemacht.497 Der Sinn dieses Vorrangs erschließt sich auch nicht recht, da der Gesetzgeber grundsätzlich die Möglichkeit hat, Normen direkt mit einer Sanktion bei Verstoß zu belegen498. Ein solcher Vorrang ist deshalb zum einen im Lichte des Grundgesetzes sowie zum anderen aufgrund der ausdrücklichen Sanktionierungsmöglichkeiten des Gesetzgebers nur schwerlich haltbar. Richtig ist, dass § 134 BGB dort wirken soll, wo ein an sich grundsätzlich mögliches Handeln verboten ist, dieses Verbot indes nicht mit einer normierten Rechtsfolge einhergeht. Der Interventionsvorbehalt ist im Rahmen der Frage nach dem Normzweck des § 134 BGB deshalb nicht verfehlt. Er beschreibt aber eher dessen Wirkung und nicht den Normzweck selbst499 und taugt daher letztlich nicht zur Abgrenzung zwischen Verbotsgesetz und Grenzen rechtsgeschäftlichen Handelns.

493

Daneben finden sich auch Versuche, die Abgrenzung auf tatbestandlicher Ebene oder nach Art der Unwirksamkeitsfolge vorzunehmen, vgl. dazu Deinert, Zwingendes Recht, Rn. 10 ff. 494 Damm, in: AlternativKomm BGB, § 134 Rn. 14 ff.; ders., JZ 1986, 913, 914. 495 Damm, in: AlternativKomm BGB, § 134 Rn. 14; Canaris, Gesetzliches Verbot und Rechtsgeschäft, S. 17 f. 496 Damm, in: AlternativKomm BGB, § 134 Rn. 17. 497 Deinert, Zwingendes Recht, Rn. 22. 498 Vgl. Hefermehl, in: Soergel, BGB, § 134 Rn. 1. 499 Vgl. Deinert, Zwingendes Recht, Rn. 25.

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(bb) Gewährleistung der Widerspruchsfreiheit und Folgerichtigkeit des Rechts Eine andere Ansicht500 schreibt § 134 BGB den Zweck der Gewährleistung der Widerspruchsfreiheit bzw. wertungsmäßigen Einheit und Folgerichtigkeit des Rechts zu. Diese Auffassung ist zwar insofern zutreffend, als dass § 134 BGB grundsätzlich eine Widerspruchsfreiheit und Folgerichtigkeit des Rechts herzustellen vermag, beispielsweise indem etwa zivilrechtlich zulässige, aber strafrechtlich sanktionierte Sachverhalte unter Umständen der Nichtigkeitsanordnung unterworfen werden. Indes bringt dies keinen Erkenntnisgewinn für die gestellte Abgrenzungsfrage. Denn auch eine die Grenzen rechtsgeschäftlicher Gestaltungsfreiheit beschreibende Norm kann Widerspruchsfreiheit und Folgerichtigkeit des Rechts herstellen.501 (cc) § 134 BGB als Rechtsfortbildungsauftrag Nach weiterer Meinung502 sei der Zweck des § 134 BGB vor allem in einem Rechtsfortbildungsauftrag zu sehen. § 134 BGB verpflichte den Rechtsanwender, ein Verbotsgesetz gedanklich zu vervollständigen.503 Deshalb seien Verbotsgesetze i.S.v. § 134 BGB ausschließlich solche, die ein Rechtsgeschäft verbieten, ohne zugleich die zivilrechtlichen Folgen der Verbotsverletzung zu regeln.504 Dann muss die jeweils in Frage stehende Norm also darauf hin untersucht werden, ob der Gesetzgeber die zivilrechtlichen Folgen geregelt hat. Und überall dort, wo der Gesetzgeber sich bei einer Norm im Kern mit einer zivilrechtlichen Frage befasst, bzw. einen zivilrechtlichen Sachverhalt im Sinn gehabt hat, habe der Gesetzgeber nach Deinert die Folgen mindestens implizit mitgeregelt505. Das gelte dabei insbesondere für Fälle, in denen der Gesetzgeber die Grenzen rechtsgeschäftlicher Gestaltungsmacht festlegte506. Der Kreis potentieller Verbotsgesetze i.S.v. § 134 BGB würde damit geschmälert. Diesem dürften danach vor allem noch strafrechtliche Normen angehören, da der Gesetzgeber dort regelmäßig gerade nicht zivilrechtliche, sondern bloß strafrechtliche Folgen im Auge gehabt haben dürfte. Diesem Ansatz könnte auf den ersten Blick § 134 Hs. 2 BGB widersprechen, da dann die Frage, ob „sich nicht aus dem Gesetz ein anderes ergibt“, Tatbestandsvoraussetzung für die Frage nach dem zuvor zu prüfenden Verbotsgesetz sein könnte und dieser Halbsatz deshalb obsolet wäre. Richtig ist mit Blick darauf zwar, dass mit dem Rechtsfortbildungsansatz § 134 BGB für alle Fälle, in denen der Gesetzgeber zivilrechtliche Folgen bereits geregelt 500 Vgl. Wolf/Neuner, BGB, § 45 Rn. 2, die in diesem Zusammenhang auch von einer Scharnierfunktion sprechen; Medicus/Petersen, BGB AT, Rn. 647; Beater, AcP 197 (1997), 505, 507. 501 So auch Deinert, Zwingendes Recht, Rn. 28 f. 502 Armbrüster, in: MüKoBGB, § 134 Rn. 1; Deinert, Zwingendes Recht, Rn. 47. 503 Deinert, Zwingendes Recht, Rn. 47. 504 Deinert, Zwingendes Recht, Rn. 116. 505 Deinert, Zwingendes Recht, Rn. 57. 506 Deinert, Zwingendes Recht, Rn. 57.

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hat, unnötig wird. Andererseits behält der „wenn nicht“ Halbsatz gerade für Fälle, in denen keine Regelung erfolgt ist, seine Berechtigung als Auslegungs-507, bzw. Rechtsfortbildungsregel508 bei der Frage nach der Rechtsfolge des Verstoßes gegen ein Verbotsgesetz und ist damit auch nicht obsolet. Die Auffassung lässt sich letztlich auch mit dem Willen des historischen Gesetzgebers, wonach § 134 BGB „namentlich die gegen Rechtsgeschäfte gerichteten Verbotsgesetze des öffentlichen Rechts, insbesondere des Strafrechts im Auge [hat]“509, in Einklang bringen und scheint danach insgesamt vorzugswürdig. Zudem ermöglicht sie eine klare Abgrenzung für die Gegenstände der vorliegenden Untersuchung. (dd) Zwischenergebnis Der Zweck des § 134 BGB ist demnach primär ein Rechtsfortbildungsauftrag. Daraus folgt für die Untersuchung, dass Verbotsgesetze i.S.v. § 134 BGB in Abgrenzung zu Gestaltungsmacht beschränkenden Normen nur solche sind, die ein Rechtsgeschäft verbieten, ohne zugleich die zivilrechtlichen Folgen der Verbotsverletzung zu regeln. (b) Bestehender Rechtsfortbildungsbedarf bei § 112 AktG? Es ist also zu untersuchen, ob bei § 112 AktG Rechtsfortbildungsbedarf hinsichtlich der Rechtsfolge eines entsprechenden Verstoßes besteht. (aa) Regelungsgehalt des § 112 AktG § 112 AktG weist dem Aufsichtsrat im Wesentlichen die alleinige Vertretung der AG gegenüber dem Vorstand zu. § 112 AktG ist eine gesetzliche Ausnahme vom Grundsatz der grundsätzlichen Vertretung der AG durch den Vorstand nach § 78 AktG510.511 Der Aufsichtsrat wird in den Fällen des § 112 AktG zum organschaftlichen Vertreter der AG. Es handelt sich also um die gesetzliche Zuweisung einer Vertretungskompetenz. Mit der Schaffung des heutigen § 112 AktG durch das AktG 1965 wollte der Gesetzgeber ausweislich der Regierungsbegründung die Vertretungsmacht des Aufsichtsrats im Vergleich zu § 97 AktG 1937 erweitern.512 In dogmatischer Hinsicht führt § 112 AktG zur Verschiebung der Vertretungsmacht

507

So etwa Armbrüster, in: MüKoBGB, § 134 Rn. 103. Deinert, Zwingendes Recht, Rn. 51 f. 509 Mugdan, Bd. 1, S. 469. 510 Anders noch die Vorgängerregelung § 97 Abs. 1 AktG 1937, wonach die Vertretungsbefugnis des Aufsichtsrat keine ausschließliche war, sondern der Vorstand im Grundsatz auch bei Geschäften der Gesellschaft mit Vorstandsmitgliedern zur Vertretung ermächtigt war, vgl. Hopt/Roth, in: GroßKommAktG, § 112 Rn. 2. 511 Hopt/Roth, in: GroßKommAktG, § 112 Rn. 9. 512 Kropff, AktG, § 112. 508

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innerhalb der aktienrechtlichen Kompetenzordnung und ist Ausprägung des Gewaltenteilungsprinzips innerhalb der AG. (bb) Ausschließlich aktienrechtliche Regelung ohne Rechtsfolgengehalt für Verstöße? Für die Annahme, dass bei § 112 AktG keinerlei zivilrechtliche Regelungen durch den Gesetzgeber bedacht wurden, ließe sich eventuell der Wortlaut der Norm anführen, welcher positiv formuliert ist und keine ausdrückliche Regelung über die Rechtsfolge von Verstößen enthält. Allerdings ist die grammatische Auslegung nur ein erster, wenn auch letztlich begrenzender Anhaltspunkt bei der Ermittlung der Bedeutung einer Norm, da sich diese oftmals erst im Zusammenhang mit weiteren Aspekten um die Norm ergeben.513 (cc) Mangelnder Rechtsfortbildungsbedarf wegen der Anwendbarkeit der allgemeinen bürgerlich-rechtlichen Vorschriften über vertretungsmachtloses Handeln? Die §§ 164 ff. BGB bieten grundsätzliche Regelungen und Rechtsfolgen hinsichtlich der zivilrechtlichen Vertretung. Insbesondere für das Handeln des Vertreters ohne Vertretungsmacht bieten die §§ 177 ff. BGB Normen zur Lösung eines entsprechenden Konflikts. Mit Blick auf Verstöße gegen § 112 AktG als Vertretungskompetenznorm liegt es deshalb nahe, zu untersuchen, ob ein Rechtsfortbildungsbedarf bereits deshalb zu verneinen ist. Immerhin geht es auch bei dem Handeln des Vertreters ohne Vertretungsmacht um den Verstoß gegen eine Vertretungsvorschrift. Um einen Rechtsfortbildungsauftrag aus diesem Grund abzulehnen, müssten die Vorschriften aber überhaupt auf die Vorschriften der Vertretung der Aktiengesellschaft anwendbar sein. Nach der heute herrschenden Organtheorie514 sind die mit Vertretungsmacht ausgestatteten Organe nicht Vertreter i.S.v. § 164 ff. BGB. Stattdessen handelt die Körperschaft selbst durch ihre Organe.515 Auf diese organ513

Vgl. Larenz/Canaris, Methodenlehre, S. 145. Dazu Arnold, in: MüKoBGB, § 26 Rn. 11; Spindler, in: MüKoAktG, § 78 Rn. 5 (für die AG); Lenz, in: Michalski, GmbHG, § 35 Rn. 6; gegen die Organtheorie etwa Beuthien, NJW 1999, 1142, 1146, nach dem Organhandeln keine Stellvertretung i.S.d. BGB darstelle; wohl auch Weick, in: Staudinger, BGB, § 26 Rn. 10. 515 Da die Vertretungsmacht auf gesetzlicher Zuweisung beruht, ist eine grundsätzliche Nähe der gesetzlichen zur organschaftlichen Vertretungsmacht zu sehen. Letztlich beruht die Stellung als Organ aber auf einem Bestellungsakt des für die Bestellung zuständigen Organs, vgl. § 84 Abs. 1 S. 1 AktG für die Aktiengesellschaft. Daneben streitet § 26 Abs. 1 Satz 2 Hs. 2 BGB für eine Unterscheidung zwischen gesetzlicher und organschaftlicher Vertretung, wenn es dort heißt, „[der Vorstand] hat die Stellung eines gesetzlichen Vertreters“ (vgl. Schubert, in: MüKoBGB, § 164 Rn. 11 f.). Außerdem wird dem Organ gem. § 31 BGB, der auch auf die Organe der Aktiengesellschaft und GmbH anwendbar ist (Arnold, in: MüKoBGB, § 31 Rn. 11), nicht nur rechtsgeschäftliches, sondern auch tatsächliches Handeln zugerechnet (Schubert, in: MüKoBGB, § 164 Rn. 12). Diese Umstände führen zur Qualifizierung als eigene Form der Vertretung. 514

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schaftliche Vertretung sind die Stellvertretungsregeln nach §§ 164 ff. BGB unter Berücksichtigung spezieller Regelungen für das Organverhältnis aber entsprechend anzuwenden.516 Danach bleibt zu untersuchen, ob es für die Aktiengesellschaft spezielle Regelungen gibt, die eine Nichtanwendbarkeit der allgemeinen Vertretungsregeln gebieten. Für Fälle, in denen der Vorstand entgegen § 112 AktG mit sich selbst im Namen der Gesellschaft kontrahiert, handelt der Vorstand trotz der ihm normalerweise zugewiesenen Vertretungsmacht ohne und nicht unter Überschreitung der ihm zugewiesenen (§ 78 AktG) Vertretungsmacht. Dies gebietet die aktienrechtliche Gewaltenteilung und die zwingende, alleinige Zuweisung der Vertretungsmacht an den Aufsichtsrat in solchen Fällen. Daher handelt es sich um eine Fallgruppe des Handelns ohne Vertretungsmacht nach §§ 177 ff. BGB. Danach wäre die AG durch eine Vereinbarung zunächst überhaupt nicht verpflichtet worden, sondern das handelnde Organmitglied.517 Handelt ein Aufsichtsratsmitglied bei der vermeintlichen Vertretung nach § 112 AktG ohne Beschluss gem. § 108 Abs. 1 AktG, überschreitet es seine für Fälle des § 112 AktG zugewiesene Vertretungsmacht. Auch ein Vergleich zu erbrechtlichen Vertretungsvorschriften könnte zur Beantwortung der Frage herangezogen werden. Ein Verstoß gegen den Ausschluss der Vertretungsmöglichkeit des Erblassers gem. § 2347 Abs. 2 Satz 1 BGB führt nach ganz allgemeiner Meinung zur Unwirksamkeit bzw. Nichtigkeit des erbrechtlichen Verzichtsvertrags.518 Dabei regelt die Norm ähnlich wie § 112 AktG vordergründig den Ausschluss der Vertretung in bestimmten Sachverhalten. Eine Diskussion über die Qualifizierung dieser Norm als Verbotsgesetz i.S.v. § 134 BGB ist indes – soweit ersichtlich – überhaupt nicht geführt worden. Ferner vermag ein Blick auf die Rechtsfolgen der Verstöße gegen Vertretungsregeln der GmbH die generelle Anwendbarkeit der allgemeinen zivilrechtlichen Regeln über vertretungsmachtloses Handeln zu belegen. § 35 GmbHG ist nach allgemeiner Meinung kein gesetzliches Verbot i.S.v. § 134 BGB, sondern führt zur Anwendbarkeit der §§ 177 ff. BGB519. Allerdings fehlt es bei § 35 GmbHG bereits aufgrund der Abdingbarkeit der Norm520 an der Qualifizierung als Verbotsgesetz521. 516 Stoffels, in: Dauner-Lieb/Heidel/Ring, BGB, § 164 Rn. 81; Schubert, in: MüKoBGB, § 164 Rn. 12; K. Schmidt, Gesellschaftsrecht, § 10 II 1. 517 Eine Verpflichtung des Organs selbst kommt mangels Rechtsfähigkeit des Organs, s. o. Teil 3, A.I., nicht in Betracht. 518 Vgl. BGHZ 37, 319, 328; OLG Düsseldorf, NJW-RR 2002, 584; Litzenburger, in: Bamberger/Roth/Hau/Poseck, § 2347 Rn. 8; Schotten, in: Staudinger, BGB, § 2347 Rn. 26. 519 Vgl. Altmeppen, in: Roth/Altmeppen, GmbHG, § 35 Rn. 42; Lenz, in: Michalski, GmbHG, § 35 Rn. 44; Stephan/Tieves, in: MüKoGmbHG, § 35 Rn. 161. 520 Stephan/Tieves, in: MüKoGmbHG, § 35 Rn. 2. 521 s. o. Teil 2, G.III.2.b)bb).

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Nichtsdestotrotz zeigt die allgemeine Anwendung der BGB-Vorschriften über vertretungsmachtloses Handeln, dass betreffend die Organisationsverfassung der GmbH kein Grund vorliegt, anzunehmen, dass der Gesetzgeber bei der Normierung der Vertretungskompetenzen keinerlei zivilrechtliche Rechtsfolgen eines Verstoßes bedacht hätte. Das fällt hinsichtlich der Einordnung des § 112 AktG umso mehr ins Gewicht, als die ausschließliche Zuständigkeit des Aufsichtsrats zur Vertretung gegenüber dem Vorstand erst mit dem AktG 1965 implementiert wurde,522 d. h. lange Zeit nach dem GmbHG, welches bereits 1897 erlassen wurde und zumindest in den Absätzen 1 – 3 des § 35 GmbHG bis zum Inkrafttreten des MoMiG523 am 01. November 2008 unverändert fortbestand524. Ebenso lässt die Nähe des § 112 AktG zu § 181 BGB eventuell Rückschlüsse auf die Frage nach dem Rechtsfortbildungsbedarf zu. Denn im Kern geht es beiden Vorschriften um die Eingrenzung der Gefährdung des potentiell Vertretenden durch Interessenkonflikte des Vertreters. Es ist allgemein anerkannt, dass § 181 BGB kein Verbotsgesetz i.S.v. § 134 BGB darstellt525. Nun gilt hier wie auch für § 35 GmbHG, dass die Norm bereits aufgrund ihres Wortlauts „[…], soweit nicht ein anderes […] gestattet ist, […]“ abdingbar, d. h. damit nicht zwingend, ist und bereits deshalb kein Verbotsgesetz i.S.v. § 134 BGB sein kann. Doch bleibt festzuhalten, dass es mit § 181 BGB eine dem § 112 AktG ganz ähnliche Regelung gibt, bei der die zivilrechtliche Rechtsfolge eines Verstoßes wohl allgemein als vom Gesetzgeber bedacht angesehen wird. Außerdem sollte der Blick auch auf den Meinungsstand zur Anwendung der BGB-Vertretungsvorschriften auf § 78 AktG gerichtet werden. In Literatur und Rechtsprechung wird die Anwendbarkeit der §§ 177 ff. BGB auf die Vertretungsregelung des Vorstands (§ 78 AktG) vielfach bejaht.526 Es ist kaum erklärbar, warum das AktG ausgerechnet für die Vertretungskompetenz des § 112 AktG als Ausnahme des § 78 AktG527 gar keine zivilrechtlichen Rechtsfolgen regeln, sondern der Rechtsfortbildungsauftrag beim Rechtsanwender liegen soll. Teilweise erkennen selbst diejenigen, die für bestimmte Verstöße von der Verbotsgesetzqualität des 522

Zu den Vorgängervorschriften oben Teil 2, C.III.1. Gesetz zur Modernisierung des GmbH-Rechts und zur Bekämpfung von Missbräuchen vom 23. Oktober 2008, BGBl. I S. 2026. 524 Vgl. Stephan/Tieves, in: MüKoGmbHG, § 35 Rn. 3. 525 Vgl. RGZ 103, 417, 418; BGHZ 65, 123, 126; Fröhler, in: BeckOGK, BGB, 01. 04. 2018, § 181 Rn. 437; Leptien, in: Soergel, § 181 Rn. 45; Schilken, in: Staudinger, BGB, § 181 Rn. 45 f.; Schubert, in: MüKoBGB, § 181 Rn. 56; Stephan/Tieves, in: MüKoGmbHG, § 35 Rn. 196; Valenthin, in: Bamberger/Roth/Hau/Poseck, § 181 Rn. 2. 526 Vgl. etwa Habersack/Foerster, in: GroßKommAktG, § 78 Rn. 13, 15; Fleischer, in: Spindler/Stilz, AktG, § 78 Rn. 17; zumindest einschränkend Mertens/Cahn, in: KölnKommAktG, § 78 Rn. 20, die jedenfalls aber meinen, dass für gewisse Fallkonstellationen die §§ 177 ff. BGB Anwendung finden, womit sie allerdings ihre für andere Konstellationen eigens geforderte Einstufung als Verbotsgesetz i.S.v. § 134 BGB nach hier vertretener Meinung selbst widerlegen. 527 Siehe Teil 2, G.III.2.b)bb)(2)(b)(aa). 523

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§ 112 AktG i.S.v. § 134 BGB ausgehen, an, dass die §§ 177 ff. BGB auf wieder andere Verstöße gegen § 112 AktG Anwendung finden528. Das ist indes mit Hinblick auf den Rechtsfortbildungsbedarf widersprüchlich: Wie soll ein Gesetz, das für einen bestimmten Verstoß eine zivilrechtliche Rechtsfolge beinhaltet, gleichzeitig ohne jegliche zivilrechtliche Rechtsfolgenregelung daherkommen, was Sinn und Zweck des Verbotsgesetzes i.S.v. § 134 BGB ist? Unter diesem Gesichtspunkt müsste also konsequenter Weise von einem mangelnden Rechtsfortbildungsbedarf ausgegangen und damit der Verbotscharakter des Gesetzes verneint werden. Zuletzt bietet sich auch ein Vergleich mit § 89 Abs. 1 AktG für die Klärung nach der Frage des Rechtsfortbildungsbedarfs an, wonach eine Kreditgewährung an Vorstandsmitglieder nur auf Grund eines Aufsichtsratsbeschlusses erfolgen kann. § 89 Abs. 1 und Abs. 5 AktG sieht für die Kreditgewährung unter Verletzung des § 89 Abs. 1 AktG erstens die Genehmigungsmöglichkeit des Rechtsgeschäfts und zweitens eine Rückgewährverpflichtung bei nicht erteilter Genehmigung vor. Die Rückgewähranordnung des Abs. 5 zeigt, dass ein Rechtsfortbildungsbedarf bei § 89 Abs. 1, Abs. 5 AktG nicht bestehen kann, weshalb diese Norm kein Verbotsgesetz ist.529 Darüber hinaus ist aber vor allem die Konstellation denkbar, dass die Gesellschaft durch ihren Vorstand ohne Aufsichtsratsbeschluss einem Vorstandsmitglied Kredit gewährt, was nicht nur einen Verstoß gegen § 89 Abs. 1 AktG, sondern auch gegen § 112 AktG darstellt. Eine Genehmigung nach § 89 Abs. 5 AktG führt zur Heilung des Rechtsgeschäfts. Nach Werner müsse die Genehmigung aber auch zur Heilung des Verstoßes gegen § 112 AktG führen.530 Diese Annahme begründet er mit dem systematischen Argument des ansonsten entstehenden Ergebnisses, dass der vermeintlich geringfügigere Verstoß gegen § 112 AktG schwerer sanktioniert würde als der Verstoß gegen § 89 Abs. 1 AktG.531 Letztlich zielt die Argumentation Werners auf die Lösung der Rechtsfolge, nicht auf die Lösung der Frage nach der Qualität als Verbotsgesetz ab. Doch zeigt sein typisierender Vergleich, dass im Kontext des § 112 AktG durch den Gesetzgeber zivilrechtliche Rechtsfolgen eines Verstoßes bedacht wurden. Denn immerhin offenbart selbst die Regierungsbegründung, dass § 89 Abs. 1 AktG mit Blick auf die Neufassung des § 112 AktG angepasst wurde, da diese im Widerspruch zur bis dato geltenden bloßen Zustimmungsbedürftigkeit (§ 89 Abs. 1 Satz 1 AktG a.F.) der Kreditgewährung an Vorstände gestanden hätte.532 Nun könnte man dem Gesetzgeber unterstellen, dass er die zivilrechtliche Reichweite der Heilungsmöglichkeit des § 89 Abs. 5 AktG im Zusammenspiel mit § 112 AktG 528

Siehe Nachweise in Fn. 428. Mit Verweis darauf, dass § 89 Abs. 5 AktG zeige, dass die Kreditgewährung an sich eben nicht verboten ist, i.E. auch: Kort, in: GroßKommAktG, § 89 Rn. 133; Mertens/Cahn, in: KölnKommAktG, § 89 Rn. 22; Spindler, in: MüKoAktG, § 89 Rn. 51; Seibt, in: K. Schmidt/ Lutter, AktG, § 89 Rn. 15. 530 Vgl. Werner, ZGR 1989, 369, 394; anders Hefermehl, in: Geßler/Hefermehl/Eckardt/ Kropff, AktG, § 89 Rn. 43. 531 Werner, ZGR 1989, 369, 394 f. 532 Kropff, AktG, § 89, S. 113 f. 529

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Teil 2: Die Kompetenzordnung der Aktiengesellschaft

überhaupt nicht erblickt hat und gar einzig die zivilrechtlichen Rechtsfolgen für eine beschluss- und genehmigungslose Kreditgewährung im Sinn hatte. Doch ist dies kaum haltbar. Wenn die Regelung schon im Hinblick auf § 112 AktG angepasst wird, wird man annehmen dürfen, dass sich der Gesetzgeber auch mit dem Zusammenspiel der Normen auseinandergesetzt hat. Immerhin hat er sich gerade mit § 89 Abs. 5 AktG – einem Unterfall des § 112 AktG – auseinandergesetzt. Naheliegender ist deshalb, dass der Gesetzgeber sich Gedanken über zivilrechtliche Folgen des § 112 AktG gemacht hat. Unabhängig davon, wie diese im Ergebnis aussehen, schließt das den Rechtsfortbildungsbedarf aus. Deshalb spricht auch der systematische Vergleich mit § 89 AktG gegen einen Rechtsfortbildungsbedarf des § 112 AktG. Der systematische Vergleich zeigt also, dass zivilrechtliche Rechtsfolgen von Verstößen gegen Vertretungsregelungen nicht nur im allgemeinen bürgerlichen Recht, sondern auch im Aktienrecht grundsätzlich bedacht worden sind. Auch der Telos des § 112 AktG spricht gegen einen Rechtsfortbildungsbedarf. Nach der ganz h.M. ist der hauptsächliche Normzweck von § 112 AktG die Sicherstellung einer unbefangenen Vertretung der Gesellschaft.533 Es soll bereits eine abstrakte Gefährdung von Unternehmensinteressen durch potentielle Interessenkonflikte verhindert und dazu auch Rechtssicherheit und Rechtsklarheit bezweckt werden534. Der Zweck der unbefangenen Vertretung der Gesellschaft gegenüber dem normalerweise vertretungsbefugten Vorstand lässt für die Frage nach dem Rechtsfortbildungsbedarf auf den ersten Blick vieles offen. Die unbefangene Vertretung kann insgesamt jedoch sowohl durch Qualifizierung als Verbotsgesetz als auch durch Qualifizierung als Grenze rechtsgeschäftlicher Handlungsmacht erreicht werden. Sofern die Rechtsnatur als Verbotsgesetz deshalb mit der Notwendigkeit einer bestimmten Rechtsfolge begründet wird, scheint dieser Umstand verkannt zu werden. Damit bietet der teleologische Ansatz für die Frage nach dem Rechtsfortbildungsbedarf keine Antwort, widerspricht aber auch nicht der These, dass ein Rechtsfortbildungsbedarf nicht besteht. c) Zwischenergebnis Nach alldem ist ein Rechtsfortbildungsbedarf für § 112 AktG nicht zu erkennen. Vielmehr ist davon auszugehen, dass der Gesetzgeber zivilrechtliche Rechtsfolgen mitbedacht hat. Das zeigt der Vergleich zu anderen Vertretungsregelungen sowohl im BGB als auch in anderen zivilistischen Gesetzen. Einen Grund für eine Sonder533 StRspr. des BGH, vgl. nur BGHZ 103, 213, 214; 130, 108, 111 f.; vgl. auch Hopt/Roth, in: GroßKommAktG, § 112 Rn. 4 m.w.N.; anders Kleindiek, WuB II A. § 112 AktG 1.88, wonach § 112 AktG bloße Annexkompetenz des Aufsichtsrats sei; kritisch ebenso Behr/Kindl, DStR 1999, 119, 123. 534 Hopt/Roth, in: GroßKommAktG, § 112 Rn. 4.

G. Rechtsfolgen eines Verstoßes gegen die Kompetenzordnung

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stellung des § 112 AktG, wonach ausgerechnet dort ein Rechtsfortbildungsbedarf bestehen solle, ist nicht ersichtlich. Vor allem kann der Rechtsfortbildungsbedarf nicht auf eine als notwendig erachtete Rechtsfolge bei Verstößen gestützt werden, da sich die Rechtsfolgen eines Verstoßes gegen ein Gesetz erst aus der Rechtsnatur dieses Gesetzes ergibt. § 112 AktG ist eine die rechtsgeschäftliche Gestaltungsmacht begrenzende Norm und folglich kein Verbotsgesetz i.S.v. § 134 BGB. d) Folgen Handelt jemand ohne rechtsgeschäftliche Gestaltungsmacht, kommt – je nach Fallgestaltung – Nichtigkeit, (endgültige oder schwebende) Unwirksamkeit oder (durch Zustimmung begründete) Wirksamkeit der Handlung in Betracht. Im Rahmen von Verstößen gegen § 112 AktG als Teil der aktienrechtlichen Kompetenzordnung bietet es sich an, bezüglich der Rechtsfolgen eine Alternativbetrachtung anzustellen, in der hinterfragt wird, ob die Vereinbarung unter Beteiligung des für die betroffene Maßnahme kompetenzrechtlich zuständigen Organs wirksam sein könnte. Käme grundsätzlich eine zur Wirksamkeit der Vereinbarung führende nachträgliche Zustimmung (Genehmigung, § 184 Abs. 1 BGB) des Geschäfts durch ein anderes Organ in Frage, wäre die durch den ohne rechtsgeschäftliche Gestaltungsmacht Handelnden getroffene Vereinbarung zunächst schwebend unwirksam. Ist eine zur Wirksamkeit führende Genehmigung schon grundsätzlich nicht möglich, wäre die Vereinbarung nichtig. Die Grundsätze des Missbrauchs der Vertretungsmacht, insbesondere in Form der Kollusion,535 sind daneben weiterhin zu berücksichtigen. 3. § 78 AktG Auch bei der allgemeinen Vertretungskompetenznorm des Vorstands, § 78 AktG, handelt es sich nicht um ein Verbotsgesetz, eine Genehmigung nach den §§ 177 ff. BGB ist grundsätzlich möglich536. Die mitunter erforderliche bzw. gewünschte Rechtsfolge der Nichtigkeit, die häufig bei § 112 AktG als Grund für die Einstufung als Verbotsgesetz i.S.v. § 134 BGB angeführt wird, kann wie bereits gezeigt auch auf anderem Wege erreicht werden. Nimmt man danach an, dass Handlungen außerhalb der Vertretungskompetenzen stets auch außerhalb der Grenzen rechtsgeschäftlicher Gestaltungsmacht liegen, so ergibt sich ein flexiblerer Raum auf Rechtsfolgenseite.

535 536

Dazu s. o. Teil 2, C.III. Vgl. nur Spindler, in: MüKoAktG, § 78 Rn. 103.

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Teil 2: Die Kompetenzordnung der Aktiengesellschaft

4. Zwischenergebnis Die aktienrechtlichen Vertretungskompetenzen ziehen Grenzen rechtsgeschäftlicher Gestaltungsmacht und konturieren so das dogmatische Gefüge bestehend aus Schuld- und Aktienrecht.

IV. Verstoß gegen § 76 Abs. 1 AktG Mit Blick auf Gegenstände schuldrechtlicher Vereinbarungen der hier untersuchten Art ist die Rechtsfolge eines Verstoßes gegen § 76 Abs. 1 AktG von größtem Interesse. Dazu bedarf es zunächst einer Bestimmung der Rechtsnatur der Norm. 1. Meinungsstand Nach ganz überwiegender Meinung sei § 76 AktG ein Verbotsgesetz i.S.v. § 134 BGB, weil § 76 AktG Teil der aktienrechtlichen Kompetenzordnung sei und diese insgesamt Verbotsgesetze i.d.S. darstellten537. Zudem wird vertreten, dass § 76 Abs. 1 AktG lediglich eine Binnenorganisationsnorm sei, die im Außenverhältnis gar keine Wirkung entfalte.538 Ein Verstoß gegen § 76 Abs. 1 AktG habe für sich genommen daher auch nur gesellschaftsinterne Wirkung und ein entsprechendes Rechtsgeschäft bliebe im Außenverhältnis außer in den Fällen des Missbrauchs der Vertretungsmacht wirksam,539 da § 76 Abs. 1 AktG ausschließlich (intern) die Leitungsautonomie gegenüber der Hauptversammlung und dem Aufsichtsrat absichere.540 Der gebotene Schutz der AG sei durch die Grundsätze des Missbrauchs der Vertretungsmacht zur Genüge gewährleistet.541 Unverbindlich seien im Übrigen nur Vereinbarungen, mit denen der Vorstand über Kompetenzen des Aufsichtsrats oder der Hauptversammlung verfügte.542

537 Vgl. OLG München, AG 2013, 173, 176; LG München I, NZG 2012, 1152; Mertens/ Cahn, in: KölnKommAktG, § 76 Rn. 45 f.; Koch, in: Hüffer/Koch, AktG, § 291 Rn. 14; Arens, Einflussrechte, S. 171; Heß, Investorenvereinbarungen, S. 179; König, NZG 2013, 452, 453; Reichert, ZGR 2015, 1, 19; Steinert, a.a.O., S. 126; wohl auch Bochmann, Covenants, S. 126; einschränkend Wiegand, Investorenvereinbarungen und Business Combination Agreements, S. 269 f., der nur Vereinbarungen zwischen Vorstand und Aktionären (einzig) gerichtet auf Einräumung besonderen Einflusses auf den Vorstand von § 134 BGB erfasst sieht. 538 Herwig, Leitungsautonomie, S. 159. 539 Herwig, Leitungsautonomie, S. 159 f.; i.E. auch Schall, in: Kämmerer/Veil, Übernahmeund Kapitalmarktrecht in der Reformdiskussion, S. 75, 93. 540 Herwig, Leitungsautonomie, S. 73. 541 Herwig, Leitungsautonomie, S. 160. 542 Herwig, Leitungsautonomie, S. 159.

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Demgegenüber geht – soweit ersichtlich nur – Kuntz543 davon aus, dass es sich bei § 76 Abs. 1 AktG um eine die rechtsgeschäftliche Gestaltungsmacht begrenzende Norm und mithin nicht um ein Verbotsgesetz i.S.v. § 134 BGB handele. 2. Stellungnahme Die erstgenannte Ansicht bezieht § 76 Abs. 1 AktG größtenteils544 schlicht in den Anwendungsbereich des § 134 BGB mit ein. Dabei beruft sich die Rechtsprechung545 zur Einordnung des § 76 Abs. 1 AktG als Verbotsgesetz – sofern überhaupt eine dogmatische Begründung erfolgt546 – auf die gewünschte Rechtsfolge, nämlich die Nichtigkeit547. Gleichsam schließt auch Steinert548 von der Notwendigkeit der Nichtigkeitsrechtsfolge eines Verstoßes gegen die aktienrechtliche Kompetenzordnung auf eine Qualifikation als Verbotsgesetz. Dem ist zu entgegnen, dass diese Rechtsfolge auch eintreten kann, sofern man § 76 Abs. 1 AktG als die rechtsgeschäftliche Gestaltungsmacht begrenzende Vorschrift ansieht.549 Insbesondere die Annahme Steinerts, aus dem Gesetzeszwang der Kompetenzordnung müsse sich die Rechtsfolge der Nichtigkeit ergeben,550 geht fehl, da jedes Verbotsgesetz bereits per definitionem zwingend ist. Ähnlich der Ansicht Steinerts klingt auch die Aussage von Mertens/Cahn an, wonach für die Qualifizierung des § 76 Abs. 1 AktG als ein Verbotsgesetz i.S.v. § 134 BGB (unter anderem) der zwingende Charakter der Norm spreche551. Daneben streite auch die zentrale Bedeutung des § 76 Abs. 1 AktG „innerhalb einer Rechtsmaterie, die der Gesetzgeber aufgrund materiell-rechtlicher Erwägungen wegen ihrer öffentlichen Bedeutung prinzipiell als abschließendes Recht ausgestaltet hat“552 für ein solches Verbotsgesetz. Zwar ist das Merkmal der Unabdingbarkeit, d. h. des Gesetzeszwangs, bereits Tatbestandsmerkmal des § 134 BGB. Für sich genommen ist dies jedoch nicht ausreichend um ein Verbotsgesetz zu begründen.553 543

Kuntz, Gestaltung, S. 245 f. OLG München, AG 2013, 173, 176; LG München I, NZG 2012, 1152; Heß, Investorenvereinbarungen, S. 179; Steinert, a.a.O., S. 126. 545 OLG München, AG 2013, 173, 176; LG München I, NZG 2012, 1152, 1154, vgl. auch BGH, NJW 2011, 679, 680 zu einer Vereinbarung im Bereich der Kompetenzordnung der Wohnungseigentümergesellschaft. 546 OLG München, AG 2013, 173, 176. 547 LG München I, NZG 2012, 1152, 1154. 548 Steinert, Investorenvereinbarung, S. 126. 549 Vgl. dazu auch die Ausführungen oben Teil 2, G.III. bezüglich der Rechtsfolgen eines Verstoßes gegen die Vertretungskompetenzen, die hier entsprechend gelten. 550 Steinert, Investorenvereinbarung, S. 126. 551 Mertens/Cahn, in: KölnKommAktG, § 76 Rn. 46. 552 Mertens/Cahn, in: KölnKommAktG, § 76 Rn. 46. 553 Zu den Grenzen rechtsgeschäftlicher Gestaltungsmacht, die ebenfalls zwingender Natur sind, s. o. Teil 2, G.III.2.b)bb)(2)(a). 544

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Teil 2: Die Kompetenzordnung der Aktiengesellschaft

Zwingende Normen können nämlich auch die rechtsgeschäftliche Gestaltungsmacht begrenzen und damit gleichzeitig nicht Verbotsgesetz sein.554 Auch, dass der Gesetzgeber die aktienrechtliche Kompetenzordnung insgesamt als abschließendes Recht ausgestaltet hat, zwingt nicht zur Einordnung des § 76 Abs. 1 AktG als Verbotsgesetz i.S.v. § 134 BGB. Die Frage nach der Rechtsnatur des § 76 Abs. 1 AktG dürfte mit der Feststellung beginnen, dass die Leitung ein herausgehobener Teil der Geschäftsführung ist555. Normen betreffend die Geschäftsführung beschreiben nach hergebrachter Formel das rechtliche „Dürfen“ und Normen über die Vertretungsmacht das rechtliche „Können“.556 Das Handeln des Vorstands für die Gesellschaft gegenüber Dritten ist daher in zweierlei Hinsicht zu überprüfen, nämlich – bezüglich der Geschäftsführungsbefugnis – am rechtlichen „Dürfen“ als auch – bezüglich der Vertretungsbefugnis – am rechtlichen „Können“.557 Legt man alleine dies der Frage nach der Rechtsnatur des § 76 Abs. 1 AktG zugrunde, so scheint die Antwort auf der Hand zu liegen: Wenn es bei der Geschäftsführung – wonach sich bestimmt, ob der Vorstand eine Handlung vornehmen durfte558 – einzig um das rechtliche „Dürfen“ geht und das rechtliche „Können“ gem. §§ 78, 82 AktG unbeschränkbar ist, so müsste die Handlung außerhalb bloß des rechtlichen Dürfens auch möglich sein. Folglich käme so einerseits die Qualifizierung als Verbotsgesetz in Betracht, andererseits auch die Annahme, dass Verstöße gegen § 76 Abs. 1 AktG – mit Ausnahme der Fälle des Missbrauchs der Vertretungsmacht559 – einzig gesellschaftsinterne Wirkung entfalten könne. Doch die bloße Erkenntnis, dass die Leitung ein herausgehobener Teil der Geschäftsführung ist, genügt nicht zur Feststellung, dass es sich bei § 76 Abs. 1 AktG einzig um eine das rechtliche „Dürfen“ beschreibende Norm handelt. Wenn man – richtigerweise – davon ausgeht, dass der Gesetzgeber die aktienrechtliche Kompetenzordnung als abschließend gestaltet hat, so bleibt bezüglich eines Handelns, das die organeigenen Kompetenzen überschreitet, kein Raum, dieses als Verstoß gegen ein Verbotsgesetz zu qualifizieren. Diese auch von der überwiegenden Meinung bemühten Argumente nähren vielmehr die Erkenntnis, dass dem entsprechenden Organ hier durch den Gesetzgeber Grenzen rechtsgeschäftlicher 554

s. o. Teil 2, G.III.2.b). s. o. Teil 2, C.I.2.b)aa)(2). 556 Fleischer, in: Spindler/Stilz, AktG, § 77 Rn. 5; Koch, in: Hüffer/Koch, AktG, § 77 Rn. 3; Wiedemann, Gesellschaftsrecht I, § 10 II.1.a); vgl. für die OHG Drescher, in: Ebenroth/Boujong/Joost/Strohn, HGB, § 114 Rn. 5; Finckh, in: Henssler/Strohn, GesR, § 114 HGB Rn. 4; Haas, in: Röhricht/Graf v. Westphalen/Haas, HGB, 4. Aufl. 2014, § 114 Rn. 3. Dabei stehen sich Geschäftsführungs- und Vertretungsbefugnis nicht gegensätzlich gegenüber. Vielmehr ist auch die Vertretung ein Teilbereich der Geschäftsführung: Koch, in: Hüffer/Koch, AktG, § 77 Rn. 3; Drescher, in: Ebenroth/Boujong/Joost/Strohn, HGB, § 114 Rn. 5. 557 Vgl. nur Fleischer, in: Spindler/Stilz, AktG, § 77 Rn. 5. 558 Vgl. Spindler, in: MüKoAktG, § 77 Rn. 6. 559 Dazu s. o. Teil 2, C.III. 555

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Gestaltungsmacht gezogen sind. Das steht auch nicht im Widerspruch zu dem oben zu der Argumentation der h.M. Gesagten. Es folgt bereits aus § 134 BGB selbst. Zunächst ist festzuhalten, dass der Anwendungsbereich des § 134 BGB ohnehin eng ist.560 Typische Verbotsgesetze i.S.v. § 134 sind bereits nach der Gesetzesbegründung hauptsächlich öffentlich-rechtliche-, insbesondere strafrechtliche Gesetze.561 Der Schwerpunkt eines Verbotsgesetzes i.S.v. § 134 BGB liegt auf einem Verbot,562 während die darauf folgende Sanktion lediglich eine Folge dieses Verbots ist.563 Der Umstand, dass die Leitung herausgehobener Teil der Geschäftsführung ist, begründet daher nicht die Verbotsgesetzeigenschaft des § 76 Abs. 1 AktG. Immerhin ist auch die Vertretungsbefugnis, die unstreitig das rechtliche „Können“ beschreibt und Grenzen rechtgeschäftlicher Gestaltungsmacht zieht564, ein Teilbereich der Kompetenzordnung. Es ist der überwiegenden Ansicht zuzugestehen, dass es im Ergebnis der Unwirksamkeit einer gegen § 76 Abs. 1 AktG verstoßenden Vereinbarung bedarf. Könnte der Vorstand als Vertreter der AG nämlich eine Vereinbarung schließen, in der er Geschäftsführungsentscheidungen im Bereich der Unternehmerfunktion delegiert, er sich ohne konzernvertragliche Grundlage der Leitung Dritter unterstellt oder er Geschäftsführungsmaßnahmen Dritter im Geschäftskreis der AG aus seinem Zugriff entlässt,565 könnte der Vorstand eigenhändig das (gesetzliche) Kompetenzgefüge der AG ändern bzw. umgehen. Das hat – anders als Kuntz meint566 – nicht unbedingt etwas mit notwendigen echten Satzungsbestandteilen zu tun. Denn auch als notwendiger materieller Satzungsbestandteil567 wäre eine Regelung, die gegen § 76 Abs. 1 AktG verstößt568, – wenn auch wegen eines Verstoßes gegen § 23 Abs. 5 AktG – unwirksam. Tatsächlich ergibt sich die Unwirksamkeit eines Verstoßes gegen § 76 AktG in Form einer definitiven Verschiebung der Leitungskompetenz auf Dritte oder ein anderes Organ aber aus der aktienrechtlichen Kompetenzordnung selbst. Der Gesetzgeber hat an verschiedenen Stellen des AktG klar gemacht, dass die Normen betreffend die Kompetenzordnung der AG grundsätzlich indisponibel sind.569 Hintergrund ist auch der historische Wille 560

Siehe dazu ausführlich oben Teil 2, G.III.2.b)bb)(2)(a). Mugdan, Bd. 1, S. 469. 562 Vgl. dazu auch Hefermehl, in: Soergel, BGB, § 134 Rn. 13, wonach ein gesetzlich angeordnetes „kann nicht“, „nicht zulässig“ oder „nicht übertragbar“ auch die Qualifizierung des entsprechendes Gesetz in ein Verbotsgesetz ausschließt; vgl. ferner BGHZ 19, 355, 359. 563 Flume, BGB AT II, § 17 2., S. 343. 564 s. o. Teil 2, G.III.4. 565 Diese drei Möglichkeiten des Verstoßes gegen § 76 Abs. 1 AktG angeführt bei Mertens/ Cahn, in: KölnKommAktG, § 76 Rn. 45. 566 Kuntz, Gestaltung, S. 246; ders., AG 2016, 101, 105. 567 Dazu BGHZ 123, 347, 349 f.; Pentz, in: MüKoAktG, § 23 Rn. 40. 568 Bei Bestehen eines wirksamen Unternehmensvertrags, wodurch die Leitungsmacht eingeschränkt würde, läge freilich kein Verstoß vor. 569 Vgl. nur §§ 23 Abs. 5 und 136 Abs. 2 AktG, die beide Ausfluss der aktienrechtlichen Gewaltenteilung sind. 561

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Teil 2: Die Kompetenzordnung der Aktiengesellschaft

des Gesetzgebers, die AG den Bedürfnissen der Wirtschaft anzupassen und so zu standardisieren.570 Das AktG sieht die zulässige Übertragung von Leitungsmacht nach § 76 Abs. 1 AktG einzig in Form des Abschlusses eines Unternehmensvertrags und nur unter Beteiligung der Hauptversammlung vor. Danach ist auch die Auffassung, nach der der Schutz der AG ausreichend über die Grundsätze des Missbrauchs der Vertretungsmacht bezweckt werde, insoweit abzulehnen. Die Grundsätze des Missbrauchs der Vertretungsmacht, insbesondere die Kollusion,571 sind hier lediglich dann relevant, wenn es um Rechtsgeschäfte geht, die überhaupt durch den Vorstand als Vertreter der AG vorgenommen werden können. Die hier in Frage stehenden Rechtsgeschäfte, mit denen der Vorstand gegen § 76 Abs. 1 AktG verstößt, liegen jedoch schon prinzipiell außerhalb seiner rechtsgeschäftlichen Gestaltungsmacht. Soweit der Vorstand gegen § 76 Abs. 1 AktG verstößt, hat er überhaupt keine Vertretungsmacht. Das hat mit den Grundsätzen des Missbrauchs der Vertretungsmacht lediglich insoweit zu tun, als diese den Schutz auf solche Geschäfte erstrecken, bei denen grundsätzlich eine Vertretungsmacht des Vorstands besteht und die aus anderen als kompetenzordnungsrechtlichen Gründen unwirksam sind. Insoweit gebietet der Schutz der AG einerseits und die mangelnde Schutzbedürftigkeit des Dritten andererseits in solchen Konstellationen nicht, das Geschäft als außenwirksam zu behandeln. Anders als größtenteils angenommen, ist § 76 Abs. 1 AktG nach alledem kein Verbotsgesetz i.S.v. § 134 BGB. Vielmehr setzt § 76 Abs. 1 AktG der rechtsgeschäftlichen Gestaltungsmacht des Vorstands Grenzen.572 Außerhalb dieser Grenzen kann die Handlung nicht (jedenfalls nicht ohne Weiteres) wirksam sein.573 Das entspricht auch nicht einer dem deutschen Gesellschaftsrecht unbekannten ultra vires-Lehre574.575 Adressat der Grenze rechtsgeschäftlicher Gestaltungsmacht ist bezüglich § 76 Abs. 1 AktG primär der Vorstand, letztlich zum Schutze der AG. Zudem wird so jedoch auch die Gestaltungsmacht der AG selbst begrenzt. Sie wäre es schließlich, die Vereinbarungen der interessierenden Art abschließt. Freilich erschöpft sich die Wirkung dieser Grenzen nicht bloß im Innenverhältnis der AG, sondern gilt darüber hinaus auch im Außenverhältnis. Es gibt auch keinen Anlass, aus Gründen des Schutzes des Rechtsverkehrs Verstöße gegen § 76 Abs. 1 AktG im Außenverhältnis zu legitimieren. Vielmehr ist es am jeweiligen Vertragspartner, sich über die gesetzliche Kompetenzordnung der AG ein genaues Bild zu verschaffen576. 570

Zur Historie s. o. Teil 2, A. Dazu s. o. Teil 2, C.III. 572 A.A. Wiegand, Investorenvereinbarungen und Business Combination Agreements, S. 268 f. 573 I. E. auch Kuntz, Gestaltung, S. 246; ders., AG 2016, 101, 105. 574 Siehe zur ultra vires-Doktrin Fn. 323. 575 Ebenso Kuntz, Gestaltung, S. 246; ders., AG 2016, 101, 105. 576 Reichert, ZGR 2015, 1, 19. 571

G. Rechtsfolgen eines Verstoßes gegen die Kompetenzordnung

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3. Rechtsfolgen eines Verstoßes a) Außenverhältnis Die Frage nach der Rechtsfolge eines Verstoßes gegen § 76 Abs. 1 AktG lässt sich nicht pauschal beantworten. Es scheint vielmehr geboten, die jeweilige Rechtsfolge mit Blick auf den konkreten Verstoß festzustellen, mithin dadurch zu klären, ob bloß schwebende Unwirksamkeit oder gar eine Nichtigkeit der Handlung vorliegt.577 Es bedarf zur Umsetzung zunächst geeigneter Kriterien. Dabei bietet sich eine Alternativbetrachtung an: Hätte die gleiche Handlung – in diesem Fall die Abgabe der Willenserklärung zur schuldrechtlichen Vereinbarung – unter Beteiligung weiterer Organe der AG wirksam vorgenommen werden können? Zunächst sind sich dabei die dogmatischen Grundlagen vor Augen zu führen. Die Vertretungsbefugnis des Vorstands ist durch § 76 Abs. 1 AktG beschränkt. Hätte die – von dem Vorstand alleine vorgenommen unwirksame – Handlung durch die Beteiligung eines anderen Organs wirksam geschlossen werden können, so ist diesbezüglich im Außenverhältnis von einem zustimmungspflichtigen Vertretungsgeschäft auszugehen.578 Vereinbarte der Vorstand etwa die Einführung eines weiteren Organs, das die Leitung der AG von dem Vorstand übernehmen soll, wäre der Vertrag stets nichtig, da die Leitung nach der diesbezüglich klaren aktienrechtlichen Kompetenzordnung beim Vorstand verbleiben muss.579 Die Verpflichtung könnte auch mit Zustimmung des Aufsichtsrats oder der Hauptversammlung nicht wirksam vereinbart werden. Ein ohne die gem. § 293 Abs. 1 AktG erforderliche Zustimmung geschlossener Beherrschungsvertrag ist hingegen zunächst bloß schwebend unwirksam, obwohl die Leitungsmacht des Vorstands dadurch grundsätzlich eingeschränkt wird. Der Vorstand handelt beim Abschluss eines Unternehmensvertrags allerdings nicht außerhalb seiner gesetzlichen Vertretungsmacht. Denn es ist gesetzlich vorgesehen, dass er den Vertrag abschließt und die Hauptversammlung auch nachträglich zustimmen kann580.581

577 Inhaltlich nicht mit der Leitung im engeren Sinne zusammenhängend ließe sich auch das Beispiel einer Verpflichtung der Gesellschaft zur Abschaffung des Aufsichtsrats angelehnt an Kuntz, Gestaltung, S. 246; ders., AG 2016, 101, 105 f. anbringen. Eine deutsche AG ohne Aufsichtsrat gibt es de lege lata nicht, d. h. auch die Mitwirkung eines anderen Organs könnte nicht die Wirksamkeit der Vereinbarung bewirken. Daher wäre eine solche Vereinbarung stets nichtig. 578 Es handelt sich dabei nicht um einen Fall des Missbrauchs der Vertretungsmacht, da eine Vertretungsmacht bezüglich der ohne Gestaltungsmacht getätigten Handlung gar nicht besteht. Zum Missbrauch der Vertretungsmacht allgemein Leptien, in: Soergel, BGB, § 177 Rn. 15 ff.; konkret für die AG Mertens/Cahn, in: KölnKommAktG, § 82 Rn. 46 ff. 579 Vgl. nur Koch, in: Hüffer/Koch, AktG, § 95 Rn. 1 und Kuntz, AG 2016, 101, 105 f. 580 So schon die Regierungsbegründung, abgedruckt bei Kropff, AktG, S. 380 f. 581 Zu der rechtlichen Würdigung der im Rahmen von Vereinbarungen mit Dritten relevantesten Inhalte s. u. Teil 3, C.

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b) Innenverhältnis Unabhängig davon, ob ein Handeln des Vorstands unter Verletzung von § 76 Abs. 1 AktG im Außenverhältnis wirksam, (schwebend) unwirksam oder nichtig ist, kommt stets eine Schadensersatzpflicht des handelnden Vorstandsmitglieds gegenüber der AG nach § 93 Abs. 2 Satz 1 AktG in Betracht. Der Anspruch nach § 93 Abs. 2 Satz 1 AktG kann für die AG durch den Aufsichtsrat, die Aktionäre oder – unter den Voraussetzungen des § 93 Abs. 5 AktG – auch durch die Gläubiger der AG geltend gemacht werden.582 4. Zwischenergebnis § 76 Abs. 1 AktG ist eine die rechtsgeschäftliche Gestaltungsmacht des Vorstands und der AG begrenzende Norm und nicht – wie ganz überwiegend angenommen – ein Verbotsgesetz i.S.v. § 134 BGB. Die Rechtsfolgen eines Verstoßes lassen sich nicht pauschalisieren. Im Außenverhältnis kommt – je nach Fallgestaltung – Nichtigkeit, (endgültige oder schwebende) Unwirksamkeit oder (durch Zustimmung begründete) Wirksamkeit der Handlung in Betracht. Es ist jeweils zu hinterfragen, ob die Vereinbarung unter Beteiligung eines weiteren, anderen Organs wirksam sein könnte, weil insofern der Verstoß gegen § 76 Abs. 1 AktG entfiele. Nach der hier vorgeschlagenen Zustimmungslösung583 kommt eine schwebende Unwirksamkeit nicht in Betracht, da der Vorstand ohnehin das für § 76 Abs. 1 AktG betreffende Maßnahmen kompetente Organ ist. Die auf den Abschluss einer Vereinbarung zielende, jedoch außerhalb der Grenzen rechtsgeschäftlicher Gestaltungsmacht liegende Handlung des Vorstands kann zu einem Anspruch der AG gegen die handelnden Vorstandsmitglieder gem. § 93 Abs. 2 Satz 1 AktG führen. Unabhängig von der dogmatischen Einordnung des § 76 Abs. 1 AktG und den Rechtsfolgen eines Verstoßes hiergegen dürfte aus kautelarjuristischer Perspektive jedoch regelmäßig von größerem Interesse sein, wann ein Verstoß gegen § 76 Abs. 1 AktG vorliegt584.

V. Übergriffe des Vorstands in Kompetenzen anderer Organe Im Bereich schuldrechtlicher Vereinbarungen mit Bezug zur aktienrechtlichen Kompetenzordnung sind vor allem auch die Rechtsfolgen eines Verstoßes einer schuldrechtlichen Vereinbarung durch Übergriffe in Kompetenzen anderer Organe

582 583 584

Vgl. Fleischer, in: Spindler/Stilz, AktG, § 93 Rn. 290. s. o. Teil 2, G.III.2.d). Dazu unten Teil 3, C.II.2.c).

G. Rechtsfolgen eines Verstoßes gegen die Kompetenzordnung

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von Interesse. Liegt etwa eine unzulässige585 Vereinbarung der AG mit einem Dritten über die Zusammensetzung des Aufsichtsrats vor, kommt die Rechtsfolge der Unwirksamkeit, Nichtigkeit oder Wirksamkeit in Betracht.586 Es kommt für die Beantwortung der Frage abermals einzig darauf an, ob die Kompetenzordnung der AG – unabhängig von den zuvor in diesem Kapitel besprochenen Teilen der Vertretung und Leitung der AG – als Verbotsgesetz i.S.v. § 134 BGB oder Grenze rechtsgeschäftlicher Gestaltungsmacht anzusehen ist. Während die überwiegende Ansicht587 schlicht annimmt, dass von einem Verbotsgesetz auszugehen sei, gilt es jedoch mit der gleichen Argumentation wie zu § 76 Abs. 1 AktG588 in der Kompetenzordnung der AG insgesamt eine allgemeine Grenze rechtsgeschäftlicher Gestaltungsmacht zu sehen. Folglich kann die AG eine Vereinbarung, deren Abschluss ein Verstoß gegen ihre Kompetenzordnung durch den Vorstand darstellt, nicht wirksam abschließen.

VI. Zwischenergebnis Die aktienrechtliche Kompetenzordnung beschreibt Grenzen rechtsgeschäftlicher Gestaltungsmacht. Handelt ein Organ bezüglich einer Maßnahme im Außenverhältnis betreffend eine schuldrechtlichen Vereinbarung außerhalb seiner Kompetenzen, fehlt ihm insofern die rechtsgeschäftliche Gestaltungsmacht. Es bietet sich bei Handlungen ohne die erforderliche Gestaltungsmacht an, hinsichtlich der Rechtsfolgen für die Vereinbarung eine Alternativbetrachtung anzustellen, in der hinterfragt wird, ob die Vereinbarung unter Beteiligung des für die betroffene Maßnahme kompetenzrechtlich zuständigen Organs wirksam sein könnte. Käme grundsätzlich eine zur Wirksamkeit der Vereinbarung führende Genehmigung des Geschäfts durch ein anderes Organ in Frage, wäre die durch den ohne rechtsgeschäftliche Gestaltungsmacht Handelnden getroffene Vereinbarung zunächst schwebend unwirksam. Ist eine zur Wirksamkeit führende Genehmigung schon grundsätzlich nicht möglich, wäre die Vereinbarung nichtig.

585

s. u. Teil 3, C.I.2. s. o. Teil 2, G.III.2.d). 587 OLG München, AG 2013, 173, 176; LG München I, NZG 2012, 1152; Mertens/Cahn, in: KölnKommAktG, § 76 Rn. 45 f., die jeweils zur Nichtigkeit einer entsprechenden Vereinbarung wegen Verstoßes gegen die zwingende Organstruktur kommen; Schall, in: Kämmerer/Veil, S. 75, 91; wohl auch OLG Stuttgart, AG 2015, 163, 164 f., Heß, Investorenvereinbarungen, S. 179. 588 s. o. Teil 2, G.IV.2. 586

Teil 3

Schuldrechtliche Vereinbarungen im Bereich der Kompetenzordnung Während schuldrechtliche Vereinbarungen in Bezug auf die Kompetenzordnung in verschiedensten Varianten denkbar sind, so sind es gerade die jüngeren Investorenund Zusammenschlussvereinbarungen, die das Interesse an dem Verhältnis zwischen allgemeinem Schuldrecht einerseits und strengem Aktienrecht andererseits erneut geweckt haben. Die in Teil 2 dargestellten dogmatischen Grundlagen der aktienrechtlichen Kompetenzordnung sollen im Folgenden auf diese beiden schuldrechtlichen Vereinbarungen und deren häufigsten Regelungen übertragen werden. Zunächst ist dazu jedoch eine Definition und rechtliche Einordnung der beiden Vereinbarungen zu treffen.

A. Parteien Um Partei einer schuldrechtlichen Vereinbarung sein zu können, bedarf es der Rechtsfähigkeit.589 Diese wiederum wird gemeinhin verstanden als die Fähigkeit, Träger von Rechten und Pflichten zu sein.590

I. AG und ihre Organe Die Rechtsfähigkeit der Aktiengesellschaft ergibt sich mit ihrer Handelsregistereintragung aus §§ 41 Abs. 1, 1 Abs. 1 AktG. Sie kann daher unproblematisch Partei einer schuldrechtlichen Vereinbarung sein. Fraglich ist vielmehr, inwiefern die jeweiligen Organe der Aktiengesellschaft Partei einer solchen Vereinbarung sein können. Gesetzlich stehen den Organen jedenfalls Rechte und Pflichten zu.591 Diese Rechte und Pflichten bestehen allerdings nur gegenüber der Gesellschaft oder (Teilen von) ihren Organen.

589

Grundlegend zur Rechtsfähigkeit Fabricius, Relativität der Rechtsfähigkeit, passim. Fabricius, Relativität der Rechtsfähigkeit, S. 31; Schmitt, in: MüKoBGB, § 1 Rn. 6; Fock, in: Spindler/Stilz, AktG, § 1 Rn. 13. 591 Siehe Teil 2. 590

A. Parteien

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Zum Teil wird daraus gefolgert, dass eine Rechtsfähigkeit der Organe insgesamt nicht bestünde.592 Als Argument wird vor allem angeführt, dass die Organe stets nur für die Gesellschaft und nicht für sich selbst handeln könnten. Daneben wird vielfach die Teilrechtsfähigkeit der Gesellschaftsorgane – jedenfalls bezüglich ihrer gesetzlich zugewiesenen Rechte und Pflichten – vertreten593. Nach Hommelhoff seien Vorstand und Aufsichtsrat zumindest teilrechtsfähig im Sinne einer innergesellschaftlichen Organrechtsfähigkeit.594 Bork bejaht gleichfalls eine – auf gesetzlich begründete Rechte und Pflichten gestützte – Teilrechtsfähigkeit der Organe der Gesellschaft, stellt aber klar, dass die Organe keineswegs selbst vertraglich Rechte und Pflichten begründen könnten, da sonst die Gefahr bestünde, dass sie ihre beschränkte Rechtsfähigkeit erweitern könnten.595 Vertragliche Rechte und Pflichten könnten durch Organe bloß für die Gesellschaft begründet werden.596 Aufgrund der bestehenden gesetzlichen Rechte und Pflichten der Organe597 lässt sich eine zumindest darauf beschränkte Teilrechtsfähigkeit nicht abstreiten. Allen Ansichten gemein ist immerhin die Erkenntnis, dass ein Organ nicht insofern rechtsfähig ist, als es befugt wäre, im Außenverhältnis durch Vertrag Rechte und Pflichten für sich selbst zu begründen. Die Rechtsfähigkeit fände danach dann ihre Grenze, sofern es sich um eine Verpflichtung der Organe gegenüber gesellschaftsfremden Dritten handelte.598 Die mangelnde Außenrechtsfähigkeit wird unter anderem damit begründet, dass diese einen Haftungsverband erfordert.599 Grundsätzliche Voraussetzung für eine auch nach außen, d. h. gegenüber Dritten, wirkende Rechtsfähigkeit ist die Fähigkeit, eigene Rechte und Pflichten begründen zu können, arg. ex § 14 Abs. 2 BGB.600 Organe können gegenüber Dritten indes Rechte gerade nicht selbst begründen oder neu zuweisen, sondern erlangen ihre Rechte bereits

592 Vgl. Mertens/Cahn, in: KölnKommAktG, Vor § 76 Rn. 3; Spindler, in: MüKoAktG, Vor § 76 Rn. 1; Flume, BGB, AT I/2, S. 405 ff.; Heß, Investorenvereinbarungen, S. 14 f.; H.P. Westermann, in: FS Bötticher, 1969, 369, 378; i. E. auch Häsemeyer, ZHR 144 (1980), 265, 271; wohl auch Kort, in: GroßKomm, AktG, § 76 Rn. 19 für den Vorstand. 593 Bauer, Organklagen S. 66, der von einer relativen Rechtsfähigkeit im Innenbereich der Aktiengesellschaft spricht; Hommelhoff, ZHR 143 (1979), 288, 303 ff.; i.E. auch Hölters, in: Hölters, AktG, § 161 Rn. 8, der einerseits eine Rechtsfähigkeit verneint, gleichzeitig aber einzelne Organe als Verpflichtungssubjekte ansieht. 594 Hommelhoff, ZHR 143 (1979), 288, 303 ff. 595 Bork, ZGR 1989, 1, 14 ff. 596 Bork, ZGR 1989, 1, 14. 597 s. o. Teil 2. 598 Heß, Investorenvereinbarungen, S. 15. 599 Heß, Investorenvereinbarungen, S. 15; Hommelhoff, ZHR 143 (1979), 288, 304, der die Notwendigkeit einer Haftungsmasse, bzw. eines Haftungsverbands für das Vorliegen von (Außen-)Rechtsfähigkeit unterstellt; vgl. auch (jedoch für den Betriebsrat) DommermuthAlhäuser/Heup, BB 2013, 1461, 1462, wonach Vermögensfähigkeit Voraussetzung für die Rechtsfähigkeit ist, welche zumindest bei den Organen der Aktiengesellschaft fehlt. 600 BGHZ 146, 341, 343 f.

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Teil 3: Schuldrechtliche Vereinbarungen im Bereich der Kompetenzordnung

durch Gesetz.601 Rechte und Pflichten können sie nur für die Gesellschaft begründen. Damit können Organe nicht Partei einer schuldrechtlichen Vereinbarung mit Dritten sein. Partei einer entsprechenden Vereinbarung könnten dann seitens der Organe nur die ihnen angehörenden Mitglieder sein. An der notwendigen Rechtsfähigkeit der Mitglieder des Aufsichtsrats und Vorstands kann es keinen Zweifel geben, müssen sie nach § 76 Abs. 3 S. 1 AktG, bzw. § 100 Abs. 1 Satz 1 AktG zwangsweise natürliche und unbeschränkt geschäftsfähige Personen sein und sind sie damit bereits gem. § 1 BGB rechtsfähig. Aus praktischer Sicht stellt sich jedoch die Frage, wie zweckmäßig der Abschluss einer schuldrechtlichen Vereinbarung mit einem Organmitglied ist. Denn das einzelne Organmitglied hat – je nach Regelungsgehalt der Vereinbarung – in der Regel gar nicht die Möglichkeit, die intendierte Leistung zu erbringen.

II. Weitere Personen zur Absicherung des gewünschten Erfolgs Zur Sicherung der Durchsetzung der Vereinbarung kann es ratsam sein, auch hinter einer juristischen Person stehende – juristische oder natürliche – Personen mit in die Vereinbarung einzubeziehen.602 Insbesondere die Möglichkeit der Einbeziehung eines Garanten wurde mehrfach auch monographisch beleuchtet603 sowie praktisch umgesetzt604. Damit soll die Umgehung der getroffenen Regelungen durch diese Personen verhindert werden.

601 Die Möglichkeit für ein selbst begründetes eigenes Recht könnte man zwar beispielsweise in der Begründung eines Zustimmungserfordernisses nach § 111 Abs. 4 Satz 2 AktG sehen. Dagegen ließe sich einwenden, dass es sich dabei eher um die Ausnutzung einer bereits gesetzlich festgelegten Kompetenz des Aufsichtsrats geht. Aber selbst wenn man annimmt, dass es sich bei der Begründung eines Zustimmungsvorbehaltes um die Begründung eines neuen eigenen Rechts des Aufsichtsrats handelt, bliebe es doch bei einer reinen Innen- und gerade nicht Außenwirkung. Denn selbst bei einem Verstoß des Vorstands gegen einen Zustimmungsvorbehalt bleibt das Geschäft im Außenverhältnis wirksam, Habersack, in: MüKoAktG, § 111 Rn. 129. Zur Begründung einer Außenrechtsfähigkeit taugt demnach auch diese Norm nicht. 602 Heß, Investorenvereinbarungen, S. 16, der allerdings wohl nur die Einbeziehung natürlicher Personen als zweckmäßig ansieht. 603 Insbesondere bei Steinert, Investorenvereinbarung, S. 188 ff. 604 Prominentestes Beispiel dürfte dabei die Einbeziehung von Bundeskanzler a.D. Dr. Gerhard Schröder als Garant für die Investorenvereinbarung zwischen Continental und Schaeffler sein, vgl. Wertpapierprospekt Continental vom 11. 01. 2010, erläutert bei Wiegand, Investorenvereinbarungen und Business Combination Agreements, S. 20 f.

B. Erscheinungsformen und Inhalte

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Daneben wurden durch separaten Abschluss einer Vereinbarung neben einer Investorenvereinbarung auch bereits Arbeitnehmervertreter zum Teil miteinbezogen.605

B. Erscheinungsformen und Inhalte Schuldrechtliche Vereinbarungen mit möglichem Bezug zur aktienrechtlichen Kompetenzordnung kommen in vielfältiger Form und Bezeichnung und noch wesentlich vielfältigeren Inhalten daher. Im Folgenden sollen Investorenvereinbarung und Zusammenschlussvereinbarungen dargestellt werden und hinsichtlich ihrer Wirkungen vor dem Hintergrund der Kompetenzordnung beleuchtet werden.

I. Investorenvereinbarungen Die in der Praxis noch recht jungen606, inzwischen allerdings etablierten Investorenvereinbarungen werden als Vereinbarungen und Abreden zwischen Investor und Zielgesellschaft im Zusammenhang mit der Beteiligung des Investors definiert.607 Sie zielen darauf ab, den Ablauf und die rechtlichen Auswirkungen einer Transaktion zwischen Zielgesellschaft und Investor zu regeln. Die entsprechenden Transaktionen haben gemein, dass die Zielgesellschaft anschließend zumindest mittelfristig selbstständig bestehen bleiben soll.608 Die Rechtsnatur der Investorenvereinbarung ist noch nicht hinlänglich geklärt. Sie ist jedoch mit Blick auf die aktienrechtliche Kompetenzordnung von größter Relevanz, ergibt sich aus der Klärung der Rechtsnatur nämlich die Zuständigkeit zum Abschluss einer solchen Vereinbarung sowie mitunter die Grenzen ihrer Zulässigkeit. Im Raume steht nach wie vor insbesondere die Frage, ob die Hauptversammlung (mit-)zuständig ist oder der Abschluss der Investorenvereinbarung in den Kompetenzbereich des Vorstands fällt. Eine Primärzuständigkeit der Hauptverhandlung wäre zumindest gegeben, wenn es sich bei der Investorenvereinbarung um einen Unternehmensvertrag i.S.v. § 291 Abs. 1 AktG handelte609. 605 Siehe Pressemitteilung IG Bau vom 22. 12. 2010, abrufbar unter http://presseservice. pressrelations.de/pressemitteilung/ig-bau-vereinbart-mit-acs-sicherung-der-arbeitsplaetze-43 6638.html. 606 So Heß, Investorenvereinbarungen, S. 12, nach dem Investorenvereinbarungen erst seit der Übernahme der Continental AG durch die Schaeffler KG der breiten Öffentlichkeit bekannt seien. 607 Vgl. Heß, Investorenvereinbarungen, S. 12 ff.; Kiem, AG 2009, 301. 608 Heß, Investorenvereinbarungen, S. 5; Seibt/Wunsch, Der Konzern 2009, 195, 196; vgl. auch Seibt, in: Kämmerer/Veil, Übernahme- und Kapitalmarktrecht in der Reformdiskussion, 105, 108 f. 609 Ähnlich Kiem, AG 2009, 301, 306 f.

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Teil 3: Schuldrechtliche Vereinbarungen im Bereich der Kompetenzordnung

1. Motive Zunächst seien jedoch die unterschiedlichen Beweggründe für den Abschluss einer Investorenvereinbarung beleuchtet. Die Motive können je nach Initiierung des Abschlusses der Investorenvereinbarung kategorisiert und dann in zwei Fallgruppen eingeteilt werden.610 In der ersten Gruppe finden sich danach die Vereinbarungen, bei denen der Abschluss zunächst von der Zielgesellschaft selbst ausging. Demgegenüber steht die zweite Gruppe, in der die Initiative auf Abschluss der Investorenvereinbarung vom Investor ausgeht.611 Als Gründe für Investorenvereinbarungen der erstgenannten Konstellation macht Kiem die Regelung der Beteiligungserwerbsmodalitäten sowie die Sicherstellung der angemessenen Repräsentanz des Investors in den Gremien der Gesellschaft aus.612 Investorenvereinbarungen der zweiten Gruppe sind demgegenüber dadurch gekennzeichnet, dass die Gesellschaft durch die Investorenvereinbarung die Einflussrechte des Investors auf die Zielgesellschaft begrenzen möchte und „Spielregeln“ für die Ausübung der Gesellschafterrechte des Investors getroffen werden sollen.613 Gleichwohl ist anstelle des Abschlusses einer Investorenvereinbarung grundsätzlich auch der Abschluss einer Aktionärsvereinbarung614 zu hinterfragen. In einer solchen Vereinbarung regeln die daran beteiligten Aktionäre ihre Rechte untereinander und gegenüber der Gesellschaft.615 Gegenstand solcher Vereinbarungen sind häufig Stimmbindungen der beteiligten Aktionäre oder Regelungen betreffend Verfügungen über vinkulierte Aktien (§ 68 Abs. 2 AktG).616 Die AG selbst ist folglich regelmäßig nicht Partei einer Aktionärsvereinbarung. Da der Investor jedoch einerseits gerade auf eine rechtliche Bindung zwischen sich und der Gesellschaft abzielt, andererseits weitere Aktionäre der AG regelmäßig nicht Partei der Vereinbarung werden sollen, vermag die Aktionärsvereinbarung meist keine Alternative darzustellen. 2. Betroffene Sachverhalte Als mögliche Sachverhalte kommen zum einen und vor allem Übernahmen617 in Betracht. Außerdem können Investorenvereinbarungen auch bei Wagniskapital610

Vgl. Kiem, AG 2009, 301, 302. Kiem, AG 2009, 301, 302. 612 Kiem, AG 2009, 301, 302. 613 Kiem, AG 2009, 301, 302. 614 Die grundsätzliche Zulässigkeit der Aktionärsvereinbarung ist anerkannt, vgl. BGH, AG 2009, 163, 164; AG 2014, 705; Gätsch, in: Marsch-Barner/Schäfer, Hdb börsennotierte AG, § 4 Rn. 73; Seibt, in: K. Schmidt/Lutter, AktG, § 23 Rn. 64. 615 Sickinger, in: MünchAnwHdb AktR, § 11 Rn. 1. 616 Gätsch, in: Marsch-Barner/Schäfer, Hdb börsennotierte AG, § 4 Rn. 74 f.; Sickinger, in: MünchAnwHdb AktR, § 11 Rn. 1. 617 So unter anderem bei den öffentlichen Übernahmeangeboten Pyramus S.à r.l./D+S Europe AG (vgl. Angebotsunterlage, S. 32 ff., abrufbar unter http://www.bafin.de/SharedDocs/ 611

B. Erscheinungsformen und Inhalte

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Sachverhalten eine Rolle spielen.618 Bei Wagniskapital, bzw. Risikokapital oder englisch Venture Capital, geht es dem Investor nahezu ausschließlich darum, in ein junges, als riskant eingestuftes Unternehmen zu investieren, um nach einiger Zeit einen Veräußerungsgewinn durch das Abstoßen der Beteiligung zu erlösen.619 Da sich hier jedoch in der Regel Gesellschafter und Investoren, welchen durch die Beteiligung in der Regel zumindest die Stellung als Minderheitsgesellschafter eingeräumt wird, als Parteien gegenüberstehen, kommt in diesen Konstellationen eher eine Gesellschaftervereinbarung als eine Investorenvereinbarung in Betracht.620 3. Rechtliche Einordnung Zunächst ist die Rechtsnatur der Investorenvereinbarung zu untersuchen. Hinsichtlich der rechtlichen Einordnung der Investorenvereinbarung gibt es erheblich divergierende Auffassungen. a) Gesellschaft bürgerlichen Rechts Teilweise wird die Investorenvereinbarung als Gesellschaft bürgerlichen Rechts (GbR) i.S.d. §§ 705 ff. BGB qualifiziert.621 Damit wäre die Investorenvereinbarung kein reines Austauschverhältnis. Eine GbR bedarf zur Gründung eines Gesellschaftsvertrages, § 705 BGB. Dieser setzt zumindest die vertragliche Verpflichtung mindestens zweier Gesellschafter, durch wechselseitige Leistungspflichten einen näher zu bestimmenden gemeinsamen Zweck zu fördern, voraus622 und er kann auch konkludent geschlossen werden623. Gesellschaftszweck einer GbR kann nach all-

Downloads/DE/Angebotsunterlage/pyramus.pdf?__blob=publicationFile, zuletzt abgerufen am 11. 05. 2019); LDK Solar Germany Holding GmbH/sunways AG (vgl. Angebotsunterlage, Ziff. 4.1, abrufbar unter http://www.bafin.de/SharedDocs/Downloads/DE/Angebotsunterlage/ ldk_solar_germany.pdf?__blob=publicationFile, zuletzt abgerufen am 11. 05. 2019); VictorianFibre Holding GmbH/Versatel AG (vgl. Angebotsunterlage Ziff. 8, abrufbar unter http:// www.bafin.de/SharedDocs/Downloads/DE/Angebotsunterlage/victorianfibre_holding.pdf?__ blob=publicationFile, zuletzt abgerufen am 11. 05. 2019); Continental AG/Schaeffler KG. 618 Heß, Investorenvereinbarungen, S. 10. 619 Vgl. Pfeifer, BB 1999, 1665. 620 Heß, Investorenvereinbarungen, S. 10. 621 So Arens, Einflussrechte, S. 43 ff. bzgl. Zusammenschlussvereinbarungen; Schall, in: Kämmerer/Veil, Übernahme- und Kapitalmarktrecht in der Reformdiskussion, S. 75, 80 ff., der die Einordnung der Investorenvereinbarung als GbR als vorzugswürdig bezeichnet, gleichzeitig aber einräumt, dass eine „Gesamteinstufung“ der Zusammenschlussvereinbarungen und Investorenvereinbarungen als schuldrechtliche Austauschverträge gleichsam möglich sei; Wiegand, Investorenvereinbarungen und Business Combination Agreements, S. 137. 622 Schäfer, in: MüKoBGB, § 705 Rn. 1 und Rn. 17. 623 Schäfer, in: MüKoBGB, § 705 Rn. 26.

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Teil 3: Schuldrechtliche Vereinbarungen im Bereich der Kompetenzordnung

gemeiner Ansicht grundsätzlich jeder erlaubte Zweck sein.624 Schall meint, der Gesellschaftszweck sei hier die Förderung der reibungslosen Abwicklung der Transaktion, die zur Beteiligung des Investors an der Zielgesellschaft zu führen gedacht ist.625 Um die Rechtsnatur der Investorenvereinbarung festzustellen, greift es angesichts der Tatsache, dass grundsätzlich jeder erlaubte Zweck Gesellschaftszweck sein kann, zu kurz, wenn man wie Seibt626 die Rechtsnatur als GbR schlicht unter Hinweis darauf abtut, dass die Transaktionsdurchführung nicht als Gesellschaftszweck taugt. Denn dass die reibungslose Transaktionsdurchführung zunächst ein grundsätzlich erlaubter Zweck ist, kann kaum in Frage gestellt werden. Eine Gesetzes- oder Sittenwidrigkeit lässt sich der Förderung einer reibungslosen Transaktionsdurchführung nämlich grundsätzlich nicht entnehmen. Erst falls die zugrunde liegende Investorenvereinbarung ihres Inhalts wegen selbst gesetzes- oder sittenwidrig ist, ließe sich u. U. bejahen, dass Förderung der Durchführung dieser konkreten Investorenvereinbarung kein Gesellschaftszweck darstellen kann. Das heißt, dass die Förderung der Transaktionsdurchführung grundsätzlich Gesellschaftszweck sein kann. Erst durch einen gemeinsamen Gesellschaftszweck lässt sich die BGB-Innengesellschaft vom reinen Austauschverhältnis unterscheiden.627 Vom gemeinsamen Gesellschaftszweck sind dabei strikt getrennt die Motive der Gesellschafter zur Beteiligung an der BGB-Gesellschaft zu beurteilen.628 Wenn man einen gemeinsamen Zweck bei Investorenvereinbarungen in Übernahmesachverhalten mit der Begründung ablehnt, dass die Parteien jeweils eigene Zwecke verfolgten,629 so scheint genau diese Unterscheidung zwischen Motiv und Zweck zu fehlen. Es ist zwar zuzugeben, dass Investor und Vorstand der Zielgesellschaft hier auf den ersten Blick diametrale Ziele verfolgen. Der Investor möchte die Erfolgsaussichten seiner anvisierten Übernahme steigern, während die Zielgesellschaft dafür möglichst viele Zugeständnisse vom Investor zu gewinnen sucht.630 Beide Parteien zielen also auf die Maximierung der Stärke ihrer jeweiligen Position ab. Das geht in der Regel nur auf Kosten der anderen Partei. Letztlich sind das aber nur die Motive, die für beide Seiten zum Abschluss der Investorenvereinbarung führen. Letzter und vor allem gemeinsamer Zweck ist vielmehr, dass die Transaktion durch die und im Sinne der Inves624

Vgl. nur BGHZ 135, 387, 389; Schäfer, in: MüKoBGB, § 705 Rn. 144; Schöne, in: Bamberger/Roth/Hau/Poseck, BGB, § 705 Rn. 63; Servatius, in: Henssler/Strohn, GesR, § 705 BGB Rn. 2. 625 Schall, in: Kämmerer/Veil, Übernahme- und Kapitalmarktrecht in der Reformdiskussion, 75, 81. 626 Seibt, in: Kämmerer/Veil, Übernahme- und Kapitalmarktrecht in der Reformdiskussion, 105, 109. 627 Vgl. K. Schmidt, Gesellschaftsrecht, § 59 I 3. b). 628 Schäfer, in: MüKoBGB, § 705 Rn. 147. Zu den Motiven der Beteiligten an einer Investorenvereinbarung s. o. Teil 3, B.I.1. 629 Heß, Investorenvereinbarung, S. 29. 630 Heß, Investorenvereinbarungen, S. 29.

B. Erscheinungsformen und Inhalte

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torenvereinbarung geordnet und unter Berücksichtigung beider Interessen von statten geht. Mithin scheitert die Einordnung der Investorenvereinbarung als BGBGesellschaft nicht an der Voraussetzung der Gemeinsamkeit des Zwecks. Daneben müssen die Parteien auch eine Förderpflicht vereinbaren. Die vereinbarte Förderpflicht kann in Form von grundsätzlich allen Arten von Handlungen oder vertraglich geschuldeten Unterlassungen zu sehen sein, sofern diese sich nicht aus anderweitig bestehenden Bindungen der Parteien ergeben und die Förderpflicht zumindest solange andauert wie der Zweck verfolgt wird.631 Die Investorenvereinbarung dient einer reibungslosen Abwicklung einer Transaktion. Auch wenn die getroffenen Vereinbarungen mitunter über einen längeren Zeitraum hinweg wirken als die eigentliche Transaktion bzw. ihr Vollzug, bleibt es doch dabei, dass der Zweck der Transaktionserleichterung dann in der Regel erst dadurch erreichbar wurde, dass man längerfristige Vereinbarungen getroffen hat. Somit sind Investorenvereinbarungen in der Regel als Gesellschaftsverträge einer BGB-Gesellschaft i.S.v. § 705 BGB zu qualifizieren. Mangels rechtsgeschäftlichen Auftretens der an der Investorenvereinbarung als Gesellschaftsvertrag beteiligten Gesellschafter nach außen wäre eine darauf gründende BGB-Gesellschaft i. d. R. als BGB-Innengesellschaft anzusehen, da die Investorenvereinbarung der Anlage nach lediglich auf die interne Regelung einer Transaktion gerichtet ist632. Grundsätzlich sind aber auch auf die BGB-Innengesellschaft die §§ 705 ff. BGB anzuwenden.633 Der Gesellschaftsvertrag einer BGBInnengesellschaft – hier also ggf. die Investorenvereinbarung – ist im Innenverhältnis in der Regel einzig schuldrechtlicher Natur.634 Das führt teilweise zur Einschränkung bzw. Modifikation der schuldrechtlichen Gestaltungsfreiheit der beteiligten Parteien. Das gilt vor allem dann, wenn sie nicht wissen, dass sie mit der Investorenvereinbarung einen Gesellschaftsvertrag abschließen, was auch wegen der streitigen Rechtslage kaum mit Sicherheit beurteilt werden kann. Hervorzuheben sind als 631

Schäfer, in: MüKoBGB, § 705 Rn. 153 f. Die BGB-Außengesellschaft zeichnet sich gegenüber der Innengesellschaft dadurch aus, dass sie gerade durch organschaftliche Vertretung am Rechtsverkehr teilnehmen soll; vgl. Servatius, in: Henssler/Strohn, GesR, § 705 Rn. 7; Schäfer, in: MüKoBGB, § 705 Rn. 253 und Rn. 275; Schücking, in: MünchHdbGesR Bd. 1, § 3 Rn. 2. Ob die Gesellschaft ein Gesamthandvermögen bildet oder nicht, ist dabei nach vorzugswürdiger Ansicht zumindest für die Qualifikation als BGB-Innengesellschaft unerheblich; so Schöne, in: Bamberger/Roth/Hau/Poseck, BGB, § 705 Rn. 138; H. P. Westermann, in: Erman, BGB, § 705 Rn. 67; Servatius, in: Henssler/Strohn, GesR, § 705 BGB Rn. 8; wohl auch Stürner, in: Jauernig, BGB, § 705 Rn. 24; Schäfer, in: MüKoBGB, § 705 Rn. 280; Schücking, in: MünchHdbGesR Bd. 1, § 3 Rn. 44; Arens, Einflussrechte, S. 51; Wiegand, Investorenvereinbarungen und Business Combination Agreements, S. 141.; a.A. BGH WM 1973, 296, 297; BGH, NJW 1982, 99, 100; wohl auch BGHZ 122, 226, 234; K. Schmidt, Gesellschaftsrecht, § 58 II 2. b). 633 Saenger, in: Schulze, BGB, § 705 Rn. 25; Schäfer, in: MüKoBGB, § 705 Rn. 284 f. 634 Schäfer, in: MüKoBGB, § 705 Rn. 285; Schöne, Bamberger/Roth/Hau/Poseck, BGB, § 705 Rn. 162. 632

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Teil 3: Schuldrechtliche Vereinbarungen im Bereich der Kompetenzordnung

Besonderheiten gegenüber allgemeinen schuldrechtlichen Vereinbarungen vor allem die Haftungsbeschränkung nach § 708 BGB und die Beschränkung der Kündigungsmöglichkeit inkl. Schadensersatzanspruch gem. § 723 Abs. 3 BGB.635 Außerdem wendet vor allem die Rechtsprechung die Lehre von der fehlerhaften Gesellschaft auch auf vermögenslose BGB-Innengesellschaften an.636 Die Anwendung der Lehre von der fehlerhaften Gesellschaft ist aber nur in bestimmten Konstellationen geboten. Vor allem im Zusammenhang mit dem Verstoß einzelner Klauseln gegen zwingendes Gesellschaftsrecht ist keineswegs immer ein die Anwendung gebietender Vertragsmangel zu erblicken.637 Ohnehin und insbesondere vor dem Hintergrund der dogmatischen Begründung der Lehre von der fehlerhaften Gesellschaft als Ausprägung eines allgemeinen verbandsrechtlichen Prinzips wird die Ausdehnung dieser Lehre auf die BGB-Innengesellschaft indes zu Recht vom Großteil der Literatur abgelehnt.638 Insgesamt dürfte eine Investorenvereinbarung in der Regel durchaus eine BGB-Gesellschaft in Form der BGB-Innengesellschaft darstellen. Für die Untersuchung maßgeblich ist unabhängig von alledem jedoch primär, dass der Gesellschaftsvertrag der BGB-Innengesellschaft lediglich schuldrechtlicher Natur ist. Aufgrund der großzügigen Gestaltungsfreiheit innerhalb des Bereichs der §§ 705 ff. BGB kann der Anwendbarkeit einzelner gesetzlicher Regelungen oder gar der Gründung einer BGB-Innengesellschaft durch entsprechende Regelung in der Investorenvereinbarung vorgebeugt werden.639 b) Unternehmensvertrag Je nach konkretem Regelungsgehalt könnte die Einordnung einer Investorenvereinbarung als Unternehmensvertrag i.S.d. §§ 291 ff. AktG in Betracht kommen. Es ist dabei unerheblich, wie die Parteien die Investorenvereinbarung nennen. Sie wird jedenfalls – soweit ersichtlich – bislang in der Praxis nicht ausdrücklich als Unternehmensvertrag deklariert.640 Vor dem Hintergrund der Motive zum Abschluss einer Investorenvereinbarung641 und der strengen Voraussetzungen zur Wirksamkeit eines Unternehmensvertrags ist das nur verständlich. Insbesondere bedürfte es zum Wirksamwerden der Investorenvereinbarung gem. § 293 Abs. 1 Satz 1 AktG der Zustimmung der Hauptversammlung der AG als Zielgesellschaft und ggf. sogar der Zustimmung des anderen Teils der Investorenvereinbarung gem. § 293 Abs. 2 AktG, 635

Vgl. auch Heß, Investorenvereinbarungen, S. 30. BGHZ 62, 234, 237; 75, 214, 217; Schöne, in: Bamberger/Roth/Hau/Poseck, BGB, § 705 Rn. 162. 637 Vgl. Schäfer, in: MüKoBGB, § 705 Rn. 330. 638 Schäfer, in: MüKoBGB, § 705 Rn. 359 m.w.N. 639 Vgl. dazu auch Heß, Investorenvereinbarungen, S. 31. 640 Vgl. die Auswertung einer Reihe von Zusammenschluss- und Investorenvereinbarungen bei Wiegand, Investorenvereinbarungen und Business Combination Agreements, S. 63 ff. 641 s. o. Teil 3, B.I.1. 636

B. Erscheinungsformen und Inhalte

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wenn dieser ebenfalls eine AG oder eine KGaA ist. Vor allem aber wird ein solcher Vertrag erst mit Eintragung ins Handelsregister wirksam, § 294 Abs. 2 AktG. Ohne eine solche Eintragung ist nach zutreffender Ansicht642 auch die Anwendung der Grundsätze über die fehlerhafte Gesellschaft643 auf einen (verdeckten) Beherrschungsvertrag ausgeschlossen. Für die Investorenvereinbarung verdeutlicht dies die gravierenden Rechtsfolgen, sollte die Investorenvereinbarung einen Unternehmensvertrag darstellen: Die Investorenvereinbarung wäre unheilbar nichtig. Es stellt sich daher die Frage, ob, trotz der Tatsache, dass eine Investorenvereinbarung nicht als Unternehmensvertrag deklariert wird, sie dennoch jedenfalls als sog. verdeckter644 (bzw. faktischer645 – oder verschleierter646 –) Beherrschungsvertrag647 zu qualifizieren ist. Denn die Einwirkungsmöglichkeit des Investors auf die Zielgesellschaft durch die Investorenvereinbarung kann in ihrer Wirkung letztlich der Wirkung eines Beherrschungsvertrags nahe kommen. aa) Verdeckter Beherrschungsvertrag (1) Voraussetzungen Der verdeckte Beherrschungsvertrag wird definiert als ein Vertrag, der auf den ersten Blick nicht den Anschein eines Beherrschungsvertrags erweckt, diesem jedoch inhaltlich vergleichbare Wirkungen entfaltet.648 Der verdeckte Beherr642 OLG Karlsruhe AG 2011, 673, 675; OLG München, AG 2008, 672, 673; OLG Schleswig AG 2009, 374, 377 f.; Koch, in: Hüffer/Koch, AktG, § 291 Rn. 21; Koppensteiner, in: KölnKommAktG, § 297 Rn. 55; Mülbert, in: GroßKommAktG, § 293 Rn. 160 m.w.N.; Emmerich, AG 2015, 627, 629; Kienzle, Verdeckte Beherrschungsverträge, S. 85; Kort, NZG 2009, 364, 367 f.; a.A. zumindest für das GmbH-Recht: BGH AG 2002, 240. 643 Nach diesen zum „gesicherten Bestand des Gesellschaftsrechts“ (BGH, NJW 1971, 375, 377) zu zählenden Grundsätzen kann eine eingetragene Gesellschaft trotz Mängeln des Gesellschaftsvertrags als vollwirksam behandelt werden, sofern der Vertrag trotz des Mangels bereits durchgeführt wird, da die Nichtigkeits- und Anfechtungsfolgen des bürgerlichen Rechts nur schwerlich auf das Gesellschaftsvertragsrecht passen, vgl. BGH, NJW 1952, 97; BGH, NJW 1971, 375, 377; Schäfer, in: MüKoBGB, § 705 Rn. 323 f.; Wiedemann, GesR I, § 3 I 2 a) mit einer chronologischen Darstellung der gerichtlichen Entwicklung der Grundsätze der fehlerhaften Gesellschaft; Goette, DStR 1996, 266 ff.; Thum, VuR 2014, 413 f. 644 Die begriffliche Erfassung der in Frage stehenden Problematik variiert. Wie hier vom verdeckten Beherrschungsvertrag sprechend: OLG München, AG 2012, 802; OLG Schleswig, AG 2009, 374; Emmerich, in: Emmerich/Habersack, Konzernrecht, § 291 AktG Rn. 24 ff.; Langenbucher, in: K. Schmidt/Lutter, AktG, § 291 Rn. 29; Veil, in: Spindler/Stilz, AktG, § 291 Rn. 69; Goslar, DB 2008, 800 ff.; Ederle, AG 2010, 273; Kienzle, Verdeckte Beherrschungsverträge, S. 19 ff. 645 Balthasar, NZG 2008, 858, 859 f.; Servatius, in: Grigoleit, AktG, 2013, § 308 Rn. 32. 646 So z. B. Paschos, in: Henssler/Strohn, GesR, § 291 AktG Rn. 15. 647 Freilich stellt sich die Frage lediglich, wenn man von der Existenz verdeckter Beherrschungsverträge ausgeht. 648 Vgl. OLG München, AG 2012, 802, 803; OLG Schleswig, AG 2009, 374; LG München I, ZIP 2008, 555 f.; Emmerich, in: Emmerich/Habersack, Konzernrecht, § 17 AktG Rn. 14 f.; Bayer, in: MüKoAktG, § 17 Rn. 68; Dette, Verdeckte Beherrschungsverträge, S. 49;

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schungsvertrag ist zudem dadurch gekennzeichnet, dass praktisch keine (für den Abschluss eines Beherrschungsvertrags obligatorische) Zustimmung der Hauptversammlung der faktisch beherrschten Gesellschaft – bzw. im Falle des § 291 Abs. 2 AktG auch der Hauptversammlung der herrschenden Gesellschaft – gem. § 291 Abs. 1 Satz 1 AktG vorliegt bzw. keine Eintragung des Vertrages gem. § 294 AktG erfolgt. Einer subjektiven Komponente in Form einer Absicht der Umgehung der Konzernvorschriften bedarf es zur tatbestandlichen Erfassung eines verdeckten Beherrschungsvertrags nicht.649 Das ergibt sich bereits daraus, dass im Unternehmensvertragsrecht nach materiellen objektiven Maßstäben, nicht hingegen nach den allgemeinen Grundsätzen des §§ 133, 157 BGB, ausgelegt wird650.651 Nach dieser objektiven Auslegung ist dann auch zu ermitteln, ob es sich bei einer Investorenvereinbarung um einen verdeckten Beherrschungsvertrag handelt oder nicht. Jedenfalls ist eine Investorenvereinbarung nicht grundsätzlich als verdeckter Beherrschungsvertrag zu qualifizieren.652 Es bedarf vielmehr einer Bewertung der jeweiligen in der Vereinbarung getroffenen Verpflichtungen.653 Auch für die Einordnung als verdeckter Beherrschungsvertrag kommt es primär darauf an, dass objektiv eine Leitungsunterstellung i.S.v. § 291 Abs. 1 AktG vorliegt.654 Dabei ist zunächst festzuhalten, dass auch ein sog. Teilbeherrschungsvertrag nach umstrittener, jedoch vorzugswürdiger Ansicht unter der Voraussetzung der Unterstellung zumindest wesentlicher Leitungsbereiche zulässig ist.655 Um zu kläEderle, AG 2010, 273; Goslar, DB 2008, 800, 801 f.; Herwig, Leitungsautonomie, S. 132 f.; Kienzle, Verdeckte Beherrschungsverträge, S. 19. 649 Mülbert, in: GroßKommAktG, § 291 Rn. 117; anders anklingend Heß, Investorenvereinbarungen, S. 21 f., der zur Ablehnung der Einordnung der mit üblichen Klauseln versehenen Investorenvereinbarungen auch auf den durch die Parteien verfolgten Zweck abstellt. 650 Für eine Auslegung nach §§ 133, 157 BGB allerdings OLG Schleswig, AG 2009, 374, 375; OLG Frankfurt, AG 2010, 408, 409; Emmerich, in: Emmerich/Habersack, Konzernrecht, § 291 AktG Rn. 24b. 651 OLG München, AG 2009, 675 f.; Mülbert, in: GroßKommAktG, § 291 Rn. 74 u. 117 m.w.N.; vgl. auch KG, AG 2001, 186 f.; Koch, in: Hüffer/Koch, AktG, § 291 Rn. 14; Kort, NZG 2009, 364, 365 f. 652 I. E. auch Heß, Investorenvereinbarungen, S. 21. 653 Ähnlich Emmerich, in: Emmerich/Habersack, Konzernrecht, § 291 AktG Rn. 24e „Umstände des Einzelfalles“, jedoch bzgl. Zusammenschlussvereinbarungen. 654 Vgl. nur Kienzle, Verdeckte Beherrschungsverträge, S. 36. 655 Unter dem Stichwort des Teilbeherrschungsvertrags wird in der Literatur zumeist der Mindestinhalt eines Beherrschungsvertrags diskutiert. Die Auffassungen reichen von der Notwendigkeit vollständiger (so Koppensteiner, in: KölnKommAktG, § 291 Rn. 44; Däubler, NZG 2005, 617, 618; Würdinger, in: GroßKommAktG, 3. Aufl., § 291 Rn. 8; Windbichler, in: GroßKommAktG, § 17 Rn. 17) über die Notwendigkeit der Unterstellung zumindest wesentlicher Leistungsbereiche (so OLG München, AG 2008, 672; Emmerich, in: Emmerich/Habersack, Konzernrecht, § 291 AktG Rn. 21a; Koch, in: Hüffer/Koch, AktG, § 291 Rn. 10; Mülbert, in: GroßKommAktG, § 291 Rn. 67 f. u. 95 f.; Liebscher, in: Beck’sches HdbAG, § 15 Rn. 107 jeweils m.N.; Dette, Beherrschungsverträge, S. 11; Hirte/Schall, Der Konzern 2006, 243, 244; Kienzle, Verdeckte Beherrschungsverträge, S. 39 f.) bis hin zur Annahme, die Unterstellung jedweden Teils der Leitung sei ausreichend für die Begründung eines Teilbeherr-

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ren, ob die Investorenvereinbarung ein verdeckter Beherrschungsvertrag sein kann oder muss, kommt es letztlich darauf an, unter welchen Voraussetzungen von einer den §§ 291 ff. AktG entsprechenden Leitungsunterstellung zu sprechen ist.656 Der Leitungsbegriff des Aktienkonzernrechts ist identisch mit dem des § 76 Abs. 1 AktG657.658 Allgemein ist eine Leitungsunterstellung iS.d. § 291 Abs. 1 AktG gegeben, wenn der Vertragspartner durch die Vereinbarung insgesamt die Möglichkeit erhält, eine umfassende unternehmerische Zielkonzeption zu entwickeln und – wenn nötig – auch rechtlich durchzusetzen.659 Daraus folgt zunächst, dass die – regelmäßig in Investorenvereinbarungen vorzufindenden – Klauseln betreffend Personal- oder Strukturmaßnahmen keine Leitungsunterstellung begründen können, da diesbezüglich nicht die ausschließlich dem Vorstand zugewiesene Leitungskompetenz, sondern vielmehr Kompetenzen anderer Organe betroffen sind.660 Eine Leitungsunterstellung i.d.S. erfordert nicht unbedingt die Einräumung eines Weisungsrechts, sondern kann auch durch Zustimmungs- oder Vetorechte begründet werden.661 Eine entsprechende Limitierung auf das Weisungsrecht als Herrschaftsmittel ergibt sich aus dem Wortlaut des § 291 Abs. 1 Satz 1 AktG gerade nicht.662 Da die Zulässigkeit des sog. Teilbeherrschungsvertrags nicht in Frage steht, stellt sich daran anschließend die Frage, welche Intensität die Leitungsunterstellung zur Annahme eines verdeckten Beherrschungsvertrags bei lediglich teilweiser verdeckter Beherrschung erreichen muss, um einer Investorenvereinbarung die Geltung schungsvertrags (so Altmeppen, in: MüKoAktG, § 291 Rn. 95; Veil, in: Spindler/Stilz, AktG, § 291 Rn. 24 f.). 656 Ähnlich Ederle, AG 2010, 273, 275. 657 Zu dem Leitungsbegriff i.S.v. § 76 Abs. 1 AktG s. o. Teil 2, C.I.2.b). 658 So die auch die ganz h.M.: OLG München, AG 2008, 672; Deilmann, in: Hölters, AktG, § 291 Rn. 15; Emmerich, in: Emmerich/Habersack, Konzernrecht, § 291 AktG Rn. 12; Koch, in: Hüffer/Koch, AktG, § 291 Rn. 10; Koppensteiner, in: KölnKommAktG, § 291 Rn. 20; Paschos, in: Henssler/Strohn, GesR, § 291 AktG Rn. 10; Veil, in: Spindler/Stilz, AktG, § 291 Rn. 11; Bachmann/Veil, ZIP 1999, 348, 354; wohl auch Dette, 60 ff.; a.A. Altmeppen, in: MüKoAktG, § 291 Rn. 78; Mülbert, in: GroßKommAktG, § 291 Rn. 60: Leitung i.S.d. §§ 291 und 308 AktG umfasse über die Leitung hinausgehend alle Geschäftsführungsbefugnisse des Vorstands. 659 BGH, NJW 1988, 1326, 1327; KG, AG 2001, 186; OLG Schleswig, AG 2009, 374, 375; LG München I ZIP 2008, 555, 559 ff.; Emmerich, in: Emmerich/Habersack, Konzernrecht, § 291 AktG Rn. 14; vgl. auch Dette, Verdeckte Beherrschungsverträge, S. 162; Heß, Investorenvereinbarungen, S. 20. 660 Vgl. auch Kienzle, Verdeckte Beherrschungsverträge, S. 46. 661 Altmeppen, in: MüKoAktG, § 308 Rn. 11 f.; Emmerich, in: Emmerich/Habersack, Konzernrecht, § 308 AktG Rn. 25; Hirte, in: GroßKommAktG, § 308 Rn. 18; Dette, Verdeckte Beherrschungsverträge, S. 89 ff.; Dierdorf, Herrschaft, S. 150; Schürnbrand, ZHR 169 (2005), 44 f.; Kienzle, Verdeckte Beherrschungsverträge, S. 58 ff.; a.A. Koch, in: Hüffer/Koch, AktG, § 308 Rn. 10; Koppensteiner, in: KölnKommAktG, § 308 Rn. 23 f.; Langenbucher, in: K. Schmidt/Lutter, AktG, § 291 Rn. 33; Leuering/Goertz, in: Hölters, AktG, § 308 Rn. 11. 662 So auch Dette, Verdeckte Beherrschungsverträge, S. 89; Kienzle, Verdeckte Beherrschungsverträge, S. 49.

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der §§ 291 ff. AktG aufzuzwingen.663 Denn eine vollständige Leitungsunterstellung wird sich in einer Investorenvereinbarung kaum finden.664 Genau genommen ist für die Frage nach der Rechtsnatur der Investorenvereinbarung einzig relevant, ab wann von einem verdeckten Teilbeherrschungsvertrag gesprochen werden kann.665 Dabei wird nicht verkannt, dass es bei der Diskussion um den Teilbeherrschungsvertrag grundsätzlich um die Vertragsfreiheit im Beherrschungsvertragsrecht geht, nämlich ob die Parteien eines Beherrschungsvertrags die Leitungsunterstellung beschränken dürfen,666 während andersherum gerade in Frage steht, unter welchen Voraussetzungen von einem verdeckten Beherrschungsvertrag ausgegangen werden muss.667 Da Kern der Diskussion um den Teilbeherrschungsvertrag aber der Mindestinhalt des Beherrschungsvertrags ist, kann der so geforderte Mindestinhalt jedoch als der Umfang an Leitungsunterstellung verstanden werden, der materiell (zwingend) einen verdeckten (Teil-)Beherrschungsvertrag begründet.668 Mit der h.M.669 ist für die Einordnung des verdeckten Beherrschungsvertrags maßgeblich, ob dem Vertragspartner objektiv-materiell die Möglichkeit der Entwicklung umfassender unternehmerischer Zielkonzeption und ihre rechtliche Durchsetzung ermöglicht wird.670 Festzuhalten bleibt zunächst, dass eine Investorenvereinbarung grundsätzlich – je nach konkreter Ausgestaltung – dem Investor die Möglichkeit der Entwicklung umfassender unternehmerischer Zielkonzeption gewähren kann und in diesen Fällen die Annahme eines verdeckten Beherrschungsvertrags in Betracht kommt. (2) Keine rechtliche Durchsetzbarkeit Fraglich ist jedoch, ob die Investorenvereinbarung, die eine Entwicklung einer unternehmerischen Zielkonzeption ermöglicht, auch das Erfordernis der rechtlichen Durchsetzbarkeit erfüllt. Alleine die rechtliche Durchsetzbarkeit legitimiert die organisationsrechtliche Aufweichung der Kompetenzordnung, genauer der Leitungsbefugnis des Vorstands der beherrschten Gesellschaft im Konzern gem. § 308 AktG.671 Ohne einen Beherrschungsvertrag bleibt die Leitungskompetenz des Vorstands der Zielgesellschaft nämlich unberührt, da in dem Fall keine rechtlichen 663

Vgl. auch Dette, Verdeckte Beherrschungsverträge, S. 73. Ebenso Dette, Verdeckte Beherrschungsverträge, S. 73 f.; vgl. auch Heß, Investorenvereinbarungen, S. 21. 665 Ähnlich Kienzle, Verdeckte Beherrschungsverträge, S. 37. 666 Vgl. Herwig, Leitungsautonomie, S. 129. 667 Insofern auch Ederle, Beherrschungsverträge, S. 159 ff.; ders., AG 2010, 273, 276; vgl. ebenso Kienzle, Verdeckte Beherrschungsverträge, S. 37. 668 So auch die ganz h.M., vgl. Kienzle, Verdeckte Beherrschungsverträge, S. 43; a.A. Ederle, AG 2010, 273, 276, der vor einer Aufweichung der Schutzdimension der §§ 291 ff. AktG warnt. 669 Siehe Nachweise in Fn. 592. 670 Ähnlich Kienzle, Verdeckte Beherrschungsverträge, S. 54. 671 Vgl. auch Emmerich, in: Emmerich/Habersack, Konzernrecht, § 291 AktG Rn. 20. 664

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Mittel zur Durchsetzung etwaiger Weisungen durch die Obergesellschaft zur Verfügung stehen672. Grundsätzlich aus einer mangelnden Durchsetzbarkeit einer etwaigen unternehmerischen Zielkonzeption des Investors auf die rechtliche Natur der Investorenvereinbarung zu schließen, liefe allerdings auf einen Zirkelschluss hinaus. Denn die rechtliche Natur der Investorenvereinbarung bringt ihrerseits erst Klarheit über die rechtliche Durchsetzbarkeit. Aus diesem Grund verbietet sich an dieser Stelle eine allzu grobe Verallgemeinerung. Es bedarf einer konkreten Analyse der jeweiligen Klauseln der Investorenvereinbarung. Ergibt sich daraus, dass der Investor eine umfassende Zielkonzeption auch durchsetzen können soll, so ist von einem verdeckten Beherrschungsvertrag auszugehen. Wie Ederle673 jedoch zutreffend bemerkt, fehlt es bei bloß verdeckten Teilbeherrschungsverträgen gerade an der Möglichkeit der rechtlichen Durchsetzung einer umfassenden Zielkonzeption. Vielmehr wären selbst bei Annahme eines verdeckten Teilbeherrschungsvertrags lediglich Konzeptionen betreffend der Komponenten der Leitung rechtlich durchsetzbar, die auf den Investor materiell objektiv übertragen wurden.674 Die Durchsetzbarkeit hinsichtlich der darüber hinausgehenden Bereiche der Leitung wäre lediglich faktischer bzw. mittelbarer Natur.675 Infolgedessen ist eine Investorenvereinbarung, durch die der Investor nicht Zugriff auf alle wesentlichen Bereiche der Leitung übertragen erhält, nie als verdeckter Beherrschungsvertrag einzustufen676. Kritikpunkt an dieser äußerst restriktiven Anwendung der §§ 293 ff. AktG dürfte sein, dass so möglicherweise der Umgehung der zwingenden Regelungen der §§ 293 ff. AktG Tür und Tor geöffnet wären: Wollte man sich diesem strengen Regelungsregime entziehen, genügte es bei teilweiser Leitungsunterstellung, in zumindest einem wesentlichen Leitungsbereich einen bloß faktischen Einfluss zu vereinbaren. Indes: Eine Investorenvereinbarung, die objektiv (lediglich) einzelne wesentliche Bereiche der Leitung dem Investor überträgt, ist danach aber nach wie vor an den Vorschriften über die Kompetenzordnung der AG, insbesondere an dem nicht durch die §§ 293 ff. AktG aufgeweichten § 76 Abs. 1 AktG zu messen. Da ausschließlich das Unternehmensvertragsrecht eine Ausnahme von der zwingenden Zuweisung der Leitung gem. § 76 Abs. 1 AktG an den Vorstand der Ziel- bzw. Untergesellschaft darstellt, täten sich keine Schutzdefizite seitens der AG, ihrer Aktionäre oder Gläubiger auf.677 § 76 Abs. 1 AktG hindert die rechtliche Übertragung von Leitung. Eine Investorenvereinbarung, die – wie üblicherweise – nicht die

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Bayer, in: MüKoAktG, § 18 Rn. 20. Ederle, AG 2010, 273, 276. 674 Vgl. Ederle, AG 2010, 273, 275 f. 675 So auch Ederle, AG 2010, 273, 276. 676 In diese Richtung, aber allgemeiner, auch Ederle, AG 2010, 273, 276; i.E. auch Herwig, Leitungsautonomie, S. 129 ff. 677 Vgl. auch Ederle, AG 2010, 273, 278. 673

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gesamte Leitung auf den Investor überträgt, kann aus diesem Grunde nicht als verdeckter Beherrschungsvertrag einzustufen sein.678 bb) Gewinnabführungsvertrag Ebenfalls liegt bei der Investorenvereinbarung die Einordnung als Gewinnabführungsvertrag gem. § 291 Abs. 1 AktG fern.679 Voraussetzung für einen Gewinnabführungsvertrag ist die Verpflichtung einer Gesellschaft, ihren ganzen Gewinn an ein anderes Unternehmen abzuführen. Solch eine Verpflichtung in einer Investorenvereinbarung wäre angesichts der die Vereinbarung tragenden Motive680 grundsätzlich nicht nachvollziehbar. Lediglich die Einordnung als Teilgewinnabführungsvertrag gem. § 292 Abs. 1 Nr. 2 AktG wäre denkbar, in Fällen, in denen der Investor eines besonderen Anreizes zum Abschluss der Investorenvereinbarung bräuchte. Üblich ist auch eine solche Vereinbarung jedoch nicht. Die Annahme eins Teilgewinnabführungsvertrags setzt die Verpflichtung zur Abführung eines periodisch ermittelten Teilgewinns voraus.681 Im Falle der Vereinbarung einer solchen Teilgewinnabführung, wäre die zugrundeliegende Investorenvereinbarung an besondere Wirksamkeitsvoraussetzungen geknüpft. Zum einen ist für die Wirksamkeit eines Teilgewinnabführungsvertrags eine angemessene Gegenleistung für die Teilgewinnabführung erforderlich.682 Außerdem – und das ist angesichts der oftmals bereits bestehenden Beteiligung des Investors an der Zielgesellschaft vor Abschluss der Investorenvereinbarung besonders relevant – ist ein Teilgewinnabführungsvertrag mit einem Aktionär aufgrund der Kapitalbindungsvorschriften gem. §§ 57, 58 und 60 AktG stets nichtig.683 cc) Zwischenergebnis Die Investorenvereinbarung ist in ihrer üblichen Ausgestaltung kein Unternehmensvertrag, insbesondere kein (verdeckter) Beherrschungsvertrag.

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Mit Blick auf rein schuldrechtliche Verträge ebenso Ederle, AG 2010, 273, 278; i.E. auch: Dette, Verdeckte Beherrschungsverträge, S. 164; Heß, Investorenvereinbarungen, S. 21 f.; Steinert, Investorenvereinbarung, S. 182 f.; Wiegand, Investorenvereinbarungen und Business Combination Agreements, S. 87. 679 So auch Heß, Investorenvereinbarungen, S. 22; Steinert, Investorenvereinbarung, S. 183. 680 Dazu s. o. Teil 3, B.I.1. 681 Dierdorf, Herrschaft, S. 116. 682 Koppensteiner, in: KölnKommAktG, § 292 Rn. 54; Langenbucher, in: K. Schmidt/ Lutter, AktG, § 292 Rn. 18 f.; Mülbert, in: GroßKommAktG, § 292 Rn. 91. 683 Langenbucher, in: K. Schmidt/Lutter, AktG, § 292 Rn. 20.

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c) Entherrschungsvertrag Da in gewissen Konstellationen der Investorenvereinbarung gerade der Einfluss des Investors auf die Zielgesellschaft unterbunden werden soll, liegt allerdings die Einordnung als Entherrschungsvertrag nahe.684 Der Entherrschungsvertrag ist nach heute ganz h.M.685 anerkannt. Er ist nach zutreffender Ansicht686 als lediglich schuldrechtlicher Vertrag und nicht als Organisationsvertrag zu qualifizieren687. Allein kompetentes Organ für den Abschluss eines Entherrschungsvertrag ist auf Seite der „entherrschten“ Gesellschaft der Vorstand, da es sich bei dem Abschluss um eine Geschäftsführungsmaßnahme handelt.688 Seinem Grunde nach ist er angelegt, die Abhängigkeitsvermutung des § 17 Abs. 2 AktG zu widerlegen.689 Inhaltlich muss ein Entherrschungsvertrag dazu mehrere Voraussetzungen erfüllen. Erstens muss der Einfluss des Mehrheitsgesellschafters auf die Zusammensetzung des Aufsichtsrat der entherrschten Gesellschaft – entweder in Form der Begrenzung der Stimmrechtsmacht690 oder der Reduktion der durch den Mehrheitsgesellschafter wählbaren Mitglieder des Aufsichtsrats691 – begrenzt werden. Zweitens bedarf der Entherrschungsvertrag nach ganz h.M. einer Mindestlaufzeit, die über die nächste Aufsichtsratsbestellung hinausläuft692. Drittens unterliegt der Vertrag nach allgemeiner 684 Vgl. Heß, Investorenvereinbarungen, S. 23 ff; Kiem, AG 2013, 301, 306; Seibt, in: Kämmerer/Veil, Übernahme- und Kapitalmarktrecht in der Reformdiskussion, S. 105, 124 f.; kritisch: Wiegand, Investorenvereinbarungen und Business Combination Agreements, S. 164 ff. 685 Vgl. OLG Düsseldorf, ZIP 2006, 2375, 2376; OLG Köln, AG 1993, 86; LG Köln, AG 1992, 238; Koppensteiner, in: KölnKommAktG, § 17 Rn. 109; Vetter, in: K. Schmidt/Lutter, AktG, § 17 Rn. 60 ff.; Bayer, in: MüKoAktG, § 17 Rn. 99; Schall, in: Spindler/Stilz, AktG, § 17 Rn. 52; Heß, Investorenvereinbarung, S. 23 ff.; Korsmeier, Ausschluß von Abhängigkeit, S. 7 f.; Reichert/Ott, in: FS Goette, 2011, 397, 398; einschränkend Hüttemann, ZHR 156 (1992), 314, 318 ff., die nur Entherrschungsverträge zwischen einzelnen Aktionären oder Aktionärsgruppen anerkennt. 686 Koppensteiner, in: KölnKommAktG, § 17 Rn. 109; Götz, Entherrschungsvertrag, S. 4; Larisch/Bunz, NZG 2013, 1247, 1250; Pesch, Entherrschungsvertrag, S. 68 ff. 687 So aber Korsmeier, Ausschluß von Abhängigkeit, S. 203. 688 Bayer, in: MüKoAktG, § 17 Rn. 108; Grigoleit, in: Grigoleit, AktG, § 17 Rn. 26; Koppensteiner, in: KölnKommAktG, § 17 Rn. 114; Götz, Entherrschungsvertrag, S. 106; Pesch, Entherrschungsvertrag, S. 136; a.A. Korsmeier, Ausschluß von Abhängigkeit, S. 208 ff.; Möhring, in: FS Westermann, 1974, 427, 435 f.: Zustimmungskompetenz der Hauptversammlung analog § 293 Abs. 1 Satz 1 AktG. 689 Vgl. Bayer, in: MüKoAktG, § 17 Rn. 99. 690 So LG Mainz, AG 1991, 30, 32; LG Köln, AG 1992, 238; Bayer, in: MüKoAktG, § 17 Rn. 100; Koch, in: Hüffer/Koch, AktG, § 17 Rn. 22; Schall, in: Spindler/Stilz, AktG, § 17 Rn. 52; Götz, Entherrschungsvertrag, S. 46; Jäger, DStR 1995, 1113, 1116; Korsmeier, Ausschluß von Abhängigkeit, S. 25 f.; Pesch, Entherrschungsvertrag, S. 79 ff. 691 Dafür Barz, in: FS Bärmann, 1975, 185, 190 f.; Heß, Investorenvereinbarungen, S. 26. 692 Bayer, in: MüKoAktG, § 17 Rn. 102 m.w.N.; Emmerich, in: Emmerich/Habersack, Konzernrecht, § 17 AktG Rn. 43; Vetter, in: K. Schmidt/Lutter, AktG, § 17 Rn. 62; Larisch/ Bunz, NZG 2013, 1247, 1249; i.E. auch Koppensteiner, in: KölnKommAktG, § 17 Rn. 111, der zur Begründung einer Mindestlaufzeit allerdings auf die nächste Vorstandsbestellung rekurriert.

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Teil 3: Schuldrechtliche Vereinbarungen im Bereich der Kompetenzordnung

Meinung einem Schriftformerfordernis,693 was freilich im Zusammenhang mit Investorenvereinbarungen keine Probleme bereitet, da diese regelmäßig schriftlich abgeschlossen werden. Je nach konkreter Ausgestaltung in der Investorenvereinbarung kommt die Einordnung als ein Entherrschungsvertrag nach alledem grundsätzlich in Betracht.694 Regelmäßig wird es jedoch an den für die an die Widerlegung der Abhängigkeitsvermutung genannten, notwendigen inhaltlichen Anforderungen fehlen.695 Aufgrund der schuldrechtlichen Natur ergäben sich daraus mit Blick auf die Frage nach der Vereinbarkeit mit der Kompetenzordnung der AG allerdings ohnehin keine zu beachtenden Besonderheiten. Vielmehr sind bloß die aufgezeigten besonderen Wirksamkeitsvoraussetzungen zu beachten. d) Faktischer Konzern In Betracht käme grundsätzlich auch die Einordnung der Investorenvereinbarung als faktischer Konzern. Der faktische Konzern ist gesetzlich nicht definiert696, wird aber verstanden als die tatsächliche Zusammenfassung mehrerer Unternehmen unter eine einheitliche Leitung, ohne dass diese Leitung auf einem Beherrschungsvertrag oder einer Eingliederung beruht.697 Der faktische Konzern kann in Form des faktischen Unter- oder Gleichstellungskonzerns erscheinen.698 Die insoweit notwendige einheitliche Leitung beruht beim faktischen Unterordnungskonzern auf der Abhängigkeit (§ 17 Abs. 1 AktG) der Untergesellschaft gegenüber der Obergesellschaft. Um die Investorenvereinbarung überhaupt in die Nähe faktischer Konzernierung bringen zu können, müsste daher jedenfalls eine Abhängigkeit i.d.S. vorliegen. Bloß schuldrechtliche Einwirkungsrechte – wie sie Investorenvereinbarung allenfalls vermitteln – können eine entsprechende Abhängigkeit jedoch nicht begründen, da der Dritte für eine solche Abhängigkeit gesellschaftsrechtlich vermittelten Einfluss nehmen können müsste699.700 693

Vgl. statt aller nur Bayer, in: MüKoAktG, § 17 Rn. 106; Vetter, in: K. Schmidt/Lutter, AktG, § 17 Rn. 64. 694 So auch Heß, Investorenvereinbarungen, S. 26. 695 Wiegand, Investorenvereinbarungen und Business Combination Agreements, S. 164: Oftmals ist bereits die vereinbarte Laufzeit kürzer als die für den Entherrschungsvertrag geforderte Mindestlaufzeit. 696 Bayer, in: MüKoAktG, § 18 Rn. 8. 697 Bayer, in: MüKoAktG, § 18 Rn. 8 ff.; Koch, in: Hüffer/Koch, AktG, § 18 Rn. 3; MaierReimer/Kessler, in: Henssler/Strohn, GesR, § 18 AktG Rn. 1; Herwig, Leitungsautonomie, S. 135. 698 Bayer, in: MüKoAktG, § 18 Rn. 8. 699 Heute ganz h.M., vgl. nur BGHZ 90, 381, 395 ff.; BGH, AG 2012, 594, 595; OLG Düsseldorf, AG 2009, 873, 874; OLG Frankfurt a.M., AG 2004, 567; OLG Karlsruhe, AG 2004, 147, 148; Emmerich, in: Emmerich/Habersack, Aktien- und GmbH-Konzernrecht, § 17 AktG Rn. 15; Fett, in: Bürgers/Körber, AktG, § 17 Rn. 20; Koch, in: Hüffer/Koch, AktG, § 17 Rn. 8; J. Vetter, in: K. Schmidt/Lutter, AktG, § 17 Rn. 15; Windbichler, in: GroßKommAktG, § 17 Rn. 12; Herwig, Leitungsautonomie, S. 140 ff.; Lieder, ZHR 180 (2016), 552, 555; a.A. etwa

B. Erscheinungsformen und Inhalte

125

e) Sonstiger schuldrechtlicher Vertrag Nur sofern ausnahmsweise eine teilweise Einordnung als Organisationsvertrag in Form der BGB-Innengesellschaft in Betracht kommt,701 gelten die organisationsvertragsrechtlichen Grundsätze, insbesondere die Anwendung des fehlerhaften Verbands702. Im Übrigen hilft bei der Bestimmung der Rechtsnatur der Investorenvereinbarung die Intention der Parteien weiter. Mit Blick auf die eine Investorenvereinbarung üblicherweise tragenden Motive703 spricht Einiges dafür, dass die Parteien mehr als nur eine unverbindliche Absichtserklärung abgeben wollen. Den Motiven näheres Ziel wird eine für die Parteien verbindliche Vereinbarung sein.704 Auf eine normierte Form des schuldrechtlichen Vertrags passt die Investorenvereinbarung allerdings nicht. Insgesamt ist die Investorenvereinbarung folglich in der Regel als ein schuldrechtlicher Vertrag eigener Art einzustufen, bzw. ggf. als BGBInnengesellschaft.705 Daher sind grundsätzlich die allgemeinen schuldrechtlichen Normen anzuwenden.706 f) Zwischenergebnis Die Investorenvereinbarung ist im Grundsatz ein rein schuldrechtlich wirkender Vertrag zwischen der AG und dem Investor. Je nach konkretem Inhalt kommt die Einordnung der Investorenvereinbarung als BGB-Innengesellschaft bzw. als Entherrschungsvertrag in Betracht, was jedoch jeweils an der schuldrechtlichen Natur der Vereinbarung nichts ändert. In diesen Fällen hat die Investorenvereinbarung allerdings partiell organisationsrechtlichen Charakter.

Dierdorf, Herrschaft, S. 37 ff.; Prühs, DB 1972, 2001, 2005; mit Ausnahmen: Bayer, in: MüKoAktG, § 17 Rn. 22; Schall, in: Spindler/Stilz, AktG, § 17 Rn. 21 ff.; kritisch bzgl. der Motive der h.M. Bochmann, Covenants, S. 73. 700 Ob die Investorenvereinbarung unter dem Gesichtspunkt kombinierter Beherrschung – dazu etwa Emmerich, in: Emmerich/Habersack, Aktien- und GmbH-Konzernrecht, § 17 AktG Rn. 16; Schall, in: Spindler/Stilz, AktG, § 17 Rn. 25 ff. und Herwig, Leitungsautonomie, S. 144 ff. – eine Abhängigkeit begründen kann, lässt sich nicht allgemein feststellen, da es insoweit auf eine umfassende Einzelfallbetrachtung bzgl. aller rechtlicher und tatsächlicher Umstände, d. h. gerade nicht nur der Investorenvereinbarung, ankommt, vgl. Emmerich, in: Emmerich/Habersack, Aktien- und GmbH-Konzernrecht, § 17 AktG Rn. 16. 701 s. o. Teil 3, B.I.3.c). 702 Siehe dazu auch bereits oben Teil 3, B.I.3.a). 703 Dazu s. o. Teil 3, B.I.1. 704 Vgl. Kiem, AG 2009, 301, 304 f.; für das insoweit ganz ähnliche Business Combination Agreement: Reichert, ZGR 2015, 1, 4. 705 So auch Heß, Investorenvereinbarungen, S. 31 f.; Seibt, in: Kämmerer/Veil, Übernahmeund Kapitalmarktrecht in der Reformdiskussion, S. 105, 108 f. 706 So auch Heß, Investorenvereinbarungen, S. 32.

126

Teil 3: Schuldrechtliche Vereinbarungen im Bereich der Kompetenzordnung

4. Abschlusskompetenz Kompetentes Organ für den Abschluss von Investorenvereinbarungen ist daher grundsätzlich der Vorstand.707 Mitunter708 wird allerdings vertreten, dass solche Vereinbarungen eine Sekundärkompetenz der Hauptversammlung in Form der konstitutiven Zustimmungsbedürftigkeit nach den „Holzmüller-Gelatine“-Grundsätzen709 des BGH begründeten. Das wäre insbesondere dann der Fall, wenn sich ein entsprechender Mediatisierungseffekt durch den Abschluss einer Investorenvereinbarung einstellte. Kernargument für die Notwendigkeit ungeschriebener Hauptversammlungszuständigkeiten nach den „Holzmüller-Gelatine“-Grundsätzen ist die Gefahr des Eingriffs in die Rechte der Aktionäre der AG (durch Vornahme von Maßnahmen mit nahezu satzungsändernder Wirkung durch den Vorstand, die nach dem Wortlaut dessen alleiniger Kompetenz unterliegen).710 Einen Mediatisierungseffekt wird man bei einer Investorenvereinbarung indes nur schwerlich annehmen können. Wie gezeigt, dient die Investorenvereinbarung als schuldrechtlich zwar (zumindest intendiert) bindende, jedoch lediglich eine Transaktion begleitende Vereinbarung. Etwaige, die Aktionärsrechte unmittelbar verkürzende Eingriffe erfolgen durch die Investorenvereinbarung gerade nicht. Ob Strukturänderungen entsprechend der in der Investorenvereinbarung getroffenen Regelungen tatsächlich später (dinglich) erfolgen, liegt alleine in der Hand des entsprechend der Kompetenzordnung zuständigen Organs, insbesondere der Aktionäre.711 Der Gefahr von Verletzungen der Kompetenzordnung begegnet das AktG bereits selbst, ohne dass es der Begründung weiterer ungeschriebener Hauptversammlungszuständigkeiten i.S.d. „Holzmüller-Gelatine“-Rechtsprechung bedürfte. Solche ungeschriebenen Zuständigkeiten sind ohnehin bloß restriktiv anzunehmende Ausnahmen. Die Einwirkung auf die Rechte der Aktionäre der durch Investorenvereinbarung gebundenen AG zeigt keine entsprechend faktisch satzungsändernde Intensität.712 Es fehlt somit jedenfalls im Stadium des Abschlusses der Investorenvereinbarung an einem Mediatisierungseffekt713, mithin auch an der Notwendigkeit der Begründung einer ungeschrieben Hauptversammlungszuständigkeit.

707 Hippeli/Diesing, AG 2015, 185, 192; Seibt, in: Kämmerer/Veil, Übernahme- und Kapitalmarktrecht in der Reformdiskussion, S. 105, 123 f.; Herwig, Leitungsautonomie, S. 147 ff.; Steinert, Investorenvereinbarungen, S. 229 f.; Wiegand, Investorenvereinbarungen und Business Combination Agreements, S. 175. 708 Horn, ZIP 2000, 473, 479, allerdings in Bezug auf Zusammenschlussvereinbarungen betreffend sog. Zusammenschlüssen unter Gleichen (merger of equals). 709 Dazu s. o. Teil 2, E.III. 710 s. o. Teil 2; E.III. 711 Insofern zutreffend Wiegand, Investorenvereinbarungen und Business Combination Agreements, S. 179. 712 So für Investorenvereinbarungen im Rahmen von sog. PIPE-Transaktionen bereits Neumann, PIPE-Transaktionen, S. 216 f. 713 Ebenso Herwig, Leitungsautonomie, S. 150.

B. Erscheinungsformen und Inhalte

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Gleichsam ist grundsätzlich auch nicht der Aufsichtsrat neben dem Vorstand für den Abschluss einer Investorenvereinbarung zuständig.714 Denkbar sind allenfalls Zustimmungsvorbehalte nach § 111 Abs. 4 AktG. Selbst eine Versagung einer Zustimmung zu einer danach zustimmungspflichtigen Maßnahme lässt die alleinige Vertretungsmacht des Vorstands nicht entfallen. Vielmehr betreffen die Zustimmungspflichten ausschließlich das Innenverhältnis.715 Der Abschluss einer Investorenvereinbarung liegt damit alleine in der Kompetenz des Vorstands.

II. Zusammenschlussvereinbarungen (Business Combination Agreements) 1. Motive Im Rahmen von Unternehmenszusammenführungen werden inzwischen regelmäßig sog. Zusammenschlussvereinbarungen (englisch: Business Combination Agreements) abgeschlossen.716 Die Abgrenzung zwischen Zusammenschlussvereinbarungen und Investorenvereinbarung ist in der Literatur nicht einheitlich. Teilweise717 wird die Investorenvereinbarung verstanden als Oberbegriff von Vereinbarungen, zu denen auch eine Zusammenschlussvereinbarung gehört. Mitunter werden die Begriffe auch schlicht synonym verwendet.718 Tatsächlich unterscheiden sich die Vereinbarungen aber in der grundsätzlichen Intention der Vertragsparteien. Während die Zielgesellschaft als Partei einer Investorenvereinbarung in der Regel selbstständig bleibt, regelt eine Zusammenschlussvereinbarung in der Regel gerade den gesellschaftsrechtlichen Zusammenschluss der beteiligten Parteien, bzw. eines neu gegründeten Unternehmens.719 Die Vereinbarungen ähneln sich indes sowohl

714

So auch Herwig, Leitungsautonomie, S. 154. Vgl. Koch, in: Hüffer/Koch, AktG, § 111 Rn. 49. 716 Z. B. aus jüngerer Zeit die Zusammenschlussvereinbarungen von Linde AG/Praxair Inc., vgl. die Ad-hoc-Mitteilung der Linde AG vom 01. 06. 2017, abrufbar unter http://www.dgap.de/ dgap/News/adhoc/linde-und-praxair-inc-unterzeichnen-business-combination-agreement-fuereinen-zusammenschluss-unter-gleichen/?newsID=1009101; Diebold Inc./Wincor Nixdorf AG, abrufbar unter http://www.dieboldnixdorf.com/-/media/diebold/diebold-wincor-documents/bcadiebold-8k-20151123.pdf; Deutsche Annington Immobilien SE/GAGFAH S.A, vgl. die Adhoc-Mitteilung der Deutsche Annington Immobilien SE vom 01. 12. 2014, abrufbar unter http:// www.investoren.vonovia.de/websites/vonovia/German/4080/news-detoail.html?newsID=1434 549&type=adhoc; NYSE Euronext/Deutsche Börse AG/Alpha Beta Netherlands Holding N.V./ Pomme Merger Corporation vom 15. 02. 2011, abrufbar unter https://www.sec.gov/Archives/ed gar/data/1368007/000119312511037984/dex21.htm. 717 OLG München, AG 2012, 260, 262; Hasselbach, BB 2015, 1033, 1034 f. 718 So Kort, in: GroßKommAktG, § 76 Rn. 150. 719 Heß, Investorenvereinbarungen, S. 5. 715

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Teil 3: Schuldrechtliche Vereinbarungen im Bereich der Kompetenzordnung

hinsichtlich der betroffenen Kompetenzen als auch der beteiligten Parteien720. Hippeli/Diesing konstatieren, dass sich (Stand 2015) eine inhaltliche Standardisierung für Zusammenschlussvereinbarungen noch nicht herausgebildet habe.721 Dem ist in Teilen zuzustimmen. Es lässt sich jedoch ein gewisser Kanon an Regelungsgehalten ausmachen, die regelmäßig Eingang in Zusammenschlussvereinbarungen finden, nämlich insbesondere Klauseln betreffend Kapitalmaßnahmen, Gremienzusammensetzung und Deal-Protection.722 2. Rechtliche Einordnung Bei der Zusammenschlussvereinbarung stellt sich die Frage nach der Rechtsnatur ebenso wie bei der Investorenvereinbarung.723 Bezüglich der rechtlichen Einordnung einer Zusammenschlussvereinbarung kann jedoch im Wesentlichen auf die Ausführungen zur Investorenvereinbarung verwiesen werden.724 In der Regel dürfte auch hier die Einordnung als BGB-Innengesellschaft bzw. im Übrigen als schuldrechtlicher Vertrag eigener Art725 naheliegen, während die Zusammenschlussvereinbarung regelmäßig keinen Unternehmensvertrag begründet.726

C. Zulässigkeit bestimmter Klauseln Im Folgenden sollen bestimmte, mit Blick auf die Kompetenzordnung besonders relevante, in Investoren- und Zusammenschlussvereinbarungen regelmäßig vorzufindende Bestimmungen rechtlich gewürdigt werden.

I. Vereinbarungen betreffend Personalkompetenzen Sog. Gremienklauseln gehören zum Standardrepertoire dieser Vereinbarungen mit Dritten. Gremienklauseln727 betreffen die Zusammensetzung von Organen der AG. Eine entsprechende Klausel wäre etwa die Verpflichtung des Vorstands der AG 720

Heß, Investorenvereinbarungen, S. 5. Hippeli/Diesing, AG 2015, 185, 187. 722 Vgl. Wiegand, Investorenvereinbarungen und Business Combination Agreements, S. 201 ff. 723 Vgl. nur Schall, in: Kämmerer/Veil, Übernahme- und Kapitalmarktrecht in der Reformdiskussion, 75, 80 f. 724 s. o. Teil 3, B.I.3.e). 725 Für die Investorenvereinbarung s. o. Teil 3, B.I.3.d). 726 Für die Investorenvereinbarung s. o. Teil 3, B.I.3.e). 727 Teilweise auch „Corporate Governance-Klauseln“ genannt, etwa bei Wiegand, Investorenvereinbarungen und Business Combination Agreements, S. 235. 721

C. Zulässigkeit bestimmter Klauseln

129

gegenüber dem Dritten zum Bemühen, dass der Dritte nach Transaktion seine Personalien in den Aufsichtsrat durchsetzen kann.728 Ein weiteres Beispiel für eine Gremienklausel wäre eine Verpflichtung des Dritten, nach der Transaktion keine Veränderungen an den Personalien des Vorstands vorzunehmen.729 Die Zulässigkeit bzw. die Grenze der Zulässigkeit solcher Klauseln ist indes nicht endgültig geklärt. Adressat der jeweiligen Verpflichtung wird üblicherweise der Dritte – hier Investor oder Bieter – sein, da er letztlich als späterer Aktionär – zumindest mittelbar – durch die Transaktion an Einfluss auf die Zusammensetzung des Vorstands und des Aufsichtsrats gewinnt und durch die Gremienklauseln gerade dieser Einfluss vermindert werden soll. Eine Gremienklausel kann geeignet sein, den Widerstand der Geschäftsleitung der AG gegen eine Transaktion zu brechen.

1. Besetzung des Vorstands Die Bestellung und Abberufung des Vorstands ist originäre, ausschließliche und zwingend höchstpersönliche Kompetenz des Aufsichtsrats, § 84 AktG.730 Einschränkungen der Entscheidungsfreiheit des Aufsichtsrats durch Rechtsgeschäft sind nach allgemeiner Meinung unzulässig.731 Eine Vereinbarung der AG, die Regelungen über die Zusammensetzung des Vorstands enthält, begegnet aus diesem Grunde ganz erheblichen Bedenken. Der Kompetenzkonflikt ist offensichtlich. Kern der Problematik ist, dass sich der Vorstand als Vertreter der AG durch eine unbeschränkte Zulässigkeit und Wirksamkeit von Gremienklauseln die Bestellungs- und Abberufungskompetenz seiner eigenen Aufsicht durch den Aufsichtsrat faktisch – jedenfalls für eine gewisse Zeit – entziehen könnte. Könnte der Vorstand die AG hinsichtlich der Zusammensetzung seines eigenen Organs bindend verpflichten oder berechtigen, führte das zu einer faktischen Kompetenzverlagerung bezüglich der Bestellungs- und Abberufungskompetenz weg vom Aufsichtsrat hin zum Vorstand. So wäre der Vorstand letztlich Richter in eigener Sache. Dennoch finden sich in der Praxis, wenn auch unter gewissen Einschränkungen732, entsprechende Vereinbarungen.733 728 Vgl. Wiegand, Investorenvereinbarungen und Business Combination Agreements, S. 236. 729 Vgl. Wiegand, Investorenvereinbarungen und Business Combination Agreements, S. 235. 730 Fleischer, in: Spindler/Stilz, AktG, § 84 Rn. 9 u. 95; Koch, in: Hüffer/Koch, AktG, § 84 Rn. 5 u. 33; Lutter/Krieger/Verse, Rechte und Pflichten des Aufsichtsrats, § 7 Rn. 332; Spindler, in: MüKoAktG, § 84 Rn. 12 u. 117. 731 Vgl. nur Fleischer, in: Spindler/Stilz, AktG, § 84 Rn. 10; Mertens/Cahn, in: KölnKommAktG, § 84 Rn. 8; Spindler, in: MüKoAktG, § 84 Rn. 15; Weber, in: Hölters, AktG, § 84 Rn. 9. 732 Dazu s. u. Teil 2, C.I.2.d)cc). 733 So etwa Sec. 14.2 der Zusammenschlussvereinbarung zwischen Diebold Inc./Wincor Nixdorf AG, siehe Fn. 644; auch Ziff. III.3. der Zusammenschlussvereinbarung zwischen Amerigon/W.E.T. Automotive, vgl. LG München I Schlussurt. v. 5. 4. 2012 – 5 HK O 20488/11, BeckRS 2012, 11175.

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Teil 3: Schuldrechtliche Vereinbarungen im Bereich der Kompetenzordnung

a) Meinungsstand Die Meinungen über die Vereinbarkeit von Gremienklauseln betreffend die Vorstandsbesetzung zwischen AG und dem Dritten mit der aktienrechtlichen Kompetenzordnung divergieren stark. Ohne größeren Begründungsaufwand wird die Vereinbarkeit mitunter schlicht bejaht734 oder verneint735. Differenzierter betrachten Reichert/Ott736 solche Verpflichtungen und unterscheiden nach Unterlassungs- und Handlungspflichten des Investors als Partei einer Investorenvereinbarung. Entsprechende Unterlassungsverpflichtungen seien mit Blick auf § 84 AktG in der Regel jedenfalls dann mangels unmittelbarer Bindungswirkung des Aufsichtsratsmitglieds unproblematisch, wenn sie sich ausschließlich an den Investor richteten, nicht jedoch gegen das spätere Aufsichtsratsmitglied.737 Auch eine mittelbare Bindungswirkung bei personeller Verflechtung von Zielgesellschaft und Investor solle keinen Verstoß gegen § 84 AktG begründen.738 Die (möglicherweise die Kompetenzordnung verletzende) mittelbare potentielle Bindung eines Aufsichtsratsmitglieds käme danach lediglich dergestalt in Betracht, dass ein Mitwirken des Aufsichtsratsmitglieds an der Abberufung des Vorstands sich als ein Pflichtenverstoß des Dritten in dessen Schuldverhältnis gegenüber der AG darstellte und er so zur Umsetzung der Regelung gehalten wäre.739 Bezüglich Einwirkungsverpflichtungen sei zu hinterfragen, ob die AG durch die Vereinbarung einer Erfolgshaftung unterliege und sich dadurch ein zumindest mittelbarer rechtlicher Druck auf den Aufsichtsrats ergebe. Ist das der Fall, sei von der Unzulässigkeit der Klausel auszugehen.740 Heß kommt zu dem Ergebnis, dass unverbindliche und keine Haftungsfolgen nach sich ziehende Vereinbarungen betreffend die Besetzung des Vorstands, die den Einfluss des Investors zu beschränken gedacht sind,741 zulässig seien, sofern die Unverbindlichkeit auch klar formuliert werde.742 Zudem könne der Investor zum Bemühen verpflichtet werden, auf die Mitglieder, die er in den Aufsichtsrat bestellt, dergestalt einzuwirken, dass sie der Investorenvereinbarung entsprechend handeln.743 Dabei sei allerdings stets zu fordern, dass § 84 Abs. 3 AktG unberührt

734 735 736 737 738 739 740 741 742 743

Hahn, Feindliche Übernahme, S. 225 f. Wagner, Standstill Agreements, S. 219. Reichert/Ott, in: FS Goette, 2011, 397, 399 ff. Reichert/Ott, in: FS Goette, 2011, 397, 403. Reichert/Ott, in: FS Goette, 2011, 397, 403 f. Reichert/Ott, in: FS Goette, 2011, 397, 403 f. Reichert/Ott, in: FS Goette, 2011, 397, 405 f. Das sind solche Klauseln, die den Investor verpflichten. Heß, Investorenvereinbarungen, S. 270 f. Heß, Investorenvereinbarungen, S. 271.

C. Zulässigkeit bestimmter Klauseln

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bleibt.744 Vereinbarungen über die Besetzung des Vorstands zur Erweiterung des Einflusses des Investors – d. h. solche Vereinbarungen, die die AG oder ihren Vorstand bzw. dessen Mitglieder verpflichten – seien allerdings grundsätzlich unzulässig.745 Zulässig sei jedoch die schuldrechtliche Einräumung eines unverbindlichen Vorschlagsrechts des Investors zur Besetzung des Vorstands.746 Schall geht von der Zulässigkeit von Unterlassungsverpflichtungen aus, sieht jegliche Einwirkungsverpflichtung auf die Zusammensetzung des Vorstands aber kritisch.747 Gegen die Zulässigkeit solcher Verpflichtungen sprächen sowohl die faktische Ermessensbindung des Aufsichtsrats als auch § 136 Abs. 2 AktG.748 Daneben ist Steinert (mit anderer Begründung) der Auffassung, eine dahingehende Verpflichtung sei stets nichtig. Hierzu stützt er sich im Wesentlichen auf den allgemeinen Gedanken der Gewaltenteilung in der AG, indem er darauf hinweist, dass die effektive Kontrolle des Vorstands durch eine solche Verpflichtung gefährdet werde.749 Eine Verpflichtung des Dritten, keine Veränderungen im Vorstand vorzunehmen oder darauf hinzuwirken, sei so auszulegen, dass der Dritte es auch zu unterlassen habe, mittelbar (über den Aufsichtsrat) der Zielgesellschaft auf eine solche Veränderung hinzuwirken.750 Das OLG München hat die Frage nach der Zulässigkeit von sog. Bemühensverpflichtungen bezüglich der Vorstandsbesetzung zwar angeschnitten, aber mangels Entscheidungserheblichkeit offengelassen.751 b) Maßstab Zunächst ist festzuhalten, dass ein Verstoß gegen die Kompetenzordnung in Form des Übergriffs in die Kompetenz des Aufsichtsrats der AG grundsätzlich unwirksam ist.752 Die Überlegung, ob eine Vereinbarung betreffend Personalkompetenzen im Lichte der Kompetenzordnung als (un-)wirksam anzusehen ist, hat sich daher zu orientieren an der Frage, ob die Höchstpersönlichkeit des Aufsichtsratsmandats und die Unabhängigkeit der Aufsichtsratsmitglieder als starr oder zumindest in Teilen flexibel zu verstehen ist. Dogmatische Grenze der Überlegungen muss dabei sein, 744 Heß, Investorenvereinbarungen, S. 271 in Anlehnung an Reichert/Ott, in: FS Goette, 2011, 397, 407; ebenso Seibt, in: Kämmerer/Veil, Übernahme- und Kapitalmarktrecht in der Reformdiskussion, S. 105, 128. 745 Heß, Investorenvereinbarungen, S. 272. 746 Heß, Investorenvereinbarungen, S. 272 f. 747 Schall, in: Kämmerer/Veil, Übernahme- und Kapitalmarktrecht in der Reformdiskussion, S. 75, 97. 748 Schall, in: Kämmerer/Veil, Übernahme- und Kapitalmarktrecht in der Reformdiskussion, S. 75, 97. 749 Steinert, Investorenvereinbarung, S. 160. 750 Steinert, Investorenvereinbarung, S. 160. 751 OLG München, AG 2012, 260, 262. 752 Siehe dazu umfassend oben Teil 2, G.

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Teil 3: Schuldrechtliche Vereinbarungen im Bereich der Kompetenzordnung

dass ein fremdbestimmtes Handeln des Aufsichtsrats entgegen dem Unternehmensinteresse als unvereinbar mit dem Aufsichtsratsmandat, mithin mit der aktienrechtlichen Kompetenzordnung einzustufen ist. c) Besetzungsverpflichtung des Dritten Eine Verpflichtung des Dritten gegenüber der AG, den Vorstand in einer bestimmten Weise zu besetzen, kann lediglich wirksam, aber ohne jegliche Auswirkung, oder unwirksam sein. Das ergibt sich bereits daraus, dass der Dritte als (künftiger) Aktionär der AG keine (unmittelbare) rechtliche Möglichkeit zur Beschlussfassung über die Bestellung des Vorstands hat. Vielmehr besetzt er als Mitglied der Hauptversammlung lediglich den Aufsichtsrat, welcher dann wiederum – in seiner Entscheidung notwendigerweise frei – den Vorstand bestellt. Eine Verpflichtung des Aufsichtsrats schon im Vorwege, den Vorstand in einer bestimmten Weise zu besetzen, ist unwirksam.753 Verpflichtet sich der Dritte hingegen hierzu, steht dem grundsätzlich nicht die Entscheidungsfreiheit des Aufsichtsratsmandats entgegen. Die Leistung zur Besetzung wäre lediglich subjektiv unmöglich, aber weiterhin wirksam754. Allerdings dürfte die Auslegung einer entsprechenden Verpflichtung regelmäßig so zu verstehen sein, dass auch ein später vom verpflichteten Dritten in den Aufsichtsrat entsandtes Mitglied dieser Verpflichtung unterliegen soll, was wiederum die Unwirksamkeit begründet. Die Kompetenzordnung der Aktiengesellschaft bildet insofern auch für den Dritten eine Grenze rechtsgeschäftlicher Gestaltungsmacht. d) Unterlassensverpflichtung des Dritten Verpflichtet sich der Dritte gegenüber der AG, an einer Mitwirkung zur Abberufung des Vorstands nicht mitzuwirken, d. h. eine Abberufung zu unterlassen, scheint die Wirksamkeit der Vereinbarung offenkundig. Der Dritte, der nach Transaktionsvollzug Mitglied der Hauptversammlung ist, hat ohnehin (lediglich) die Möglichkeit, den Aufsichtsrat zu bestellen bzw. ggf. Mitglieder in den Aufsichtsrat zu entsenden. Das Aufsichtsratsmitglied selbst kann insofern nicht unmittelbar gebunden sein, da es jedenfalls in dieser Funktion nicht Partei der Vereinbarung ist. Eine solche Verpflichtung könnte daher wirksam sein, aber lediglich das beschreiben, was ohnehin gilt. Führt die Auslegung der Verpflichtung aber zu dem Ergebnis, dass auch ein später vom Dritten zu entsendendes Aufsichtsratsmitglied der Unterlassensverpflichtung unterliegen soll, ist das Ergebnis kein anderes. Denn ein entsandtes Aufsichtsratsmitglied unterliegt denselben Rechten und Pflichten wie gewählte Mitglieder, d. h. es ist insbesondere auch dem Unternehmensinteresse 753

Rn. 8. 754

Vgl. Kort, in: GroßKommAktG, § 84 Rn. 52; Mertens/Cahn, in: KölnKommAktG, § 84 Vgl. auch Teil 3, C.I.2.b)bb)(1)(a) oben.

C. Zulässigkeit bestimmter Klauseln

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verpflichtet und es gilt auch hier die Unabhängigkeit des Aufsichtsratsmandats.755 Daher führt selbst die Personenidentität zwischen späterem Aufsichtsratsmitglied und dem Dritten bzw. einer an ihm beteiligten Person nicht zur Unwirksamkeit der Verpflichtung.756 Die Grundsätze des Aufsichtsratsmandats sind – zumindest im Grundsatz – durch eine solche Klausel nicht verletzt. Möglich scheint jedoch eine Verkürzung der Entscheidungsfreiheit des personell mit dem Dritten verflochtenen Aufsichtsratsmitglieds in dem Fall, dass sein der Vereinbarung widersprechendes Abstimmungsverhalten zu rechtlich relevanten negativen Wirkungen für den Dritten führt, etwa eine Pflicht zur Zahlung einer dort vereinbarten Vertragsstrafe auslöst. Das wiederum setzt eine Zurechnung des Handelns des Aufsichtsratsmitglieds als Teil des an der Vereinbarung beteiligten Dritten und nicht als Teil des Organs der AG nach § 31 BGB voraus. Eine solche Zurechnung findet allerdings nach zutreffender Ansicht nicht statt.757 Eine Unwirksamkeit der Unterlassungsverpflichtung ergibt sich auch nicht aus der Hauptversammlungszuständigkeit zur Entlastung des Vorstands gem. §§ 119 Abs. 1 Nr. 3, 120 AktG. Die Entlastung, die in erster Linie die billigende Erklärung der Hauptversammlung über die Verwaltung als im Großen und Ganzen gesetz- und satzungsmäßig enthält,758 führt nicht zu einer geteilten Kompetenz über die Bestellung und Abberufung des Vorstands. Auch die Möglichkeit der Hauptversammlung, dem Vorstand das Vertrauen zu entziehen und so einen wichtigen Grund zur Abberufung durch den Aufsichtsrat gem. § 84 Abs. 3 Satz 2 AktG zu begründen, führt zu keinem anderen Ergebnis. Gerade hier zeigt sich die insoweit klare Kompetenzabgrenzung zwischen Hauptversammlung und Aufsichtsrat. Obwohl die Stellung des Vorstands in der AG ihre Berechtigung im Vertrauen der Hauptversammlung findet,759 führt selbst ein nicht offensichtlich unsachlicher Vertrauensentzug nicht dazu, dass der Aufsichtsrat den Vorstand abberufen muss.760 Es besteht im Anschluss an die Ansicht von Reichert/Ott nach alledem kein Grund, einer Unterlassungsverpflichtung die Wirksamkeit abzusprechen. Allerdings wird man dieser lediglich symbolischen Wert zumessen können, da es letztlich irrelevant ist, ob der Dritte diese Handlung unterlässt: Er kann in seiner Position (auch nach Vollzug der Transaktion in seiner Position als Aktionär) ohnehin nicht rechtlich an der Abberufung mitwirken. Eine unzulässige Verkürzung der Ent755

s. o. Teil 2, D. I. E. auch Heß, Investorenvereinbarungen, S. 270. 757 Str., in diesem Sinne: st. Rspr. des BGH, vgl. zuletzt BGHZ 90, 381, 398; Kort, in: GroßKommAktG, § 76 Rn. 216; Heß, Investorenvereinbarungen, S. 271; für eine Zurechnung nach § 31 BGB: Mertens/Cahn, in: KölnKommAktG, § 76 Rn. 76; Spindler, in: MüKoAktG, § 76 Rn. 55. 758 Koch, in: Hüffer/Koch, AktG, § 120 Rn. 11. 759 BGHZ 13, 188, 192 f. 760 Kort, in: GroßKommAktG, § 84 Rn. 167; Mertens/Cahn, in: KölnKommAktG, § 84 Rn. 129. 756

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scheidungsfreiheit des Aufsichtsratsmitglieds durch eine Unterlassungsverpflichtung des Dritten gegenüber der AG liegt daher nicht vor. e) Einwirkungsverpflichtung des Dritten Eine Verpflichtung des Dritten zur Einwirkung auf Aufsichtsratsmitglieder mit dem Ziel, dass diese sich der in der Vereinbarung getroffenen Regelungen entsprechend verhalten, soll die Gefahr einer faktischen Ermessensbindung bergen.761 Es ist Steinert762 dabei zuzugeben, dass angesichts der Verpflichtung des Aufsichtsratsmitglieds auf das interessenpluralistische763 Unternehmensinteresse eine nachträgliche Überprüfung der tatsächlichen rechtmäßigen Berücksichtigung aller relevanten Interessen bei der Abstimmung eines Aufsichtsratsmitglieds nur schwer möglich ist. Das gilt jedoch für alle Entscheidungen des Aufsichtsratsmitglieds, d. h. auch solche ohne eine entsprechende Einwirkungsverpflichtung. Als Schutzmechanismus vor der nicht-rechtmäßigen Berücksichtigung der Gesellschaft und der das Unternehmensinteresse formenden Interessen ist dem AktG jedoch nicht die zwingende Unwirksamkeit aller Vereinbarungen, die potentiell die Gewichtung bestimmter Interessen begründen könnten, zu entnehmen. Ein so präventiv-restriktives Verständnis der Entscheidungsfreiheit des Aufsichtsratsmandats ist auch abzulehnen. Ein Maß an bloß faktischem Einfluss ist – jedenfalls in den Grenzen der §§ 117, 311 ff. AktG – zulässig.764 Eine Verkürzung oder Verschiebung der Kompetenz zur Bestellung oder Abberufung des Vorstands findet durch eine bloß faktische Einflussnahme, ausgelöst durch eine Bemühensverpflichtung, nicht ohne Weiteres statt, zumal die Weisungsfreiheit des Aufsichtsratsmandats nicht lediglich Recht, sondern in gewissem Maße auch Pflicht des Aufsichtsratsmitglieds ist. Ihn vor jedem potentiellen faktischen Einfluss zu schützen, ist schlicht nicht möglich. Mit einem solchen wäre zudem kaum in Einklang zu bringen, warum Gesellschaftervereinbarungen als zulässig angesehen werden,765 nach denen die Gesellschafter ihren faktischen Einfluss auf die von ihnen entsandten Aufsichtsratsmitglieder für eine bestimmte Vorstandsbesetzung nutzen wollen. Die vertragliche Fixierung von grundsätzlich zulässiger faktischer Einflussnahme im Rahmen eines Schuldverhältnisses zwischen AG und Drittem ändert nichts an der Qualität der Einfluss761 Vgl. Schall, in: Kämmerer/Veil, Übernahme- und Kapitalmarktrecht in der Reformdiskussion, S. 75, 97; Steinert, Investorenvereinbarung, S. 167 ff. 762 Steinert, Investorenvereinbarung, S. 167 f. 763 s. o. Teil 2, C.I.2.c)cc)(2). 764 Vgl. Habersack, in: MüKoAktG, § 111 Rn. 138; Schall, in: Kämmerer/Veil, Übernahme- und Kapitalmarktrecht in der Reformdiskussion, S. 75, 97; Spindler, in: MüKoAktG, § 117 Rn. 2. 765 Mertens/Cahn, in: KölnKommAktG, § 84 Rn. 9; Baumann/Reiß, ZGR 1989, 151, 192, jedoch nur mit der Maßgabe, dass die Gesellschafter nicht „derart intensiv auf die Aufsichtsratsmitglieder einwirken [dürfen], den ,richtigen‘ Kandidaten zu wählen, daß [sic] gegen das Prinzip der Unabhängigkeit der Mandatsträger verstoßen“ werde.

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nahme.766 Einzig ist die Wahrscheinlichkeit des Versuchs der faktischen Einflussnahme auf das Aufsichtsratsmitglied erhöht. Dass es hier der Vorstand ist, der die AG bei der hier diskutierten Verpflichtung vertritt, führt zu keinem anderen Ergebnis, da es eben nicht zu einem Kompetenzübergriff kommt.767 Die Möglichkeit faktischer Einflussnahme in Form des Bemühens, ein bestimmtes Abstimmungsergebnis zu erreichen, muss allerdings dort enden, wo die Mittel zur Einflussnahme ein Maß erreichen (können), das die Ausübung des Aufsichtsratsmandats hindert.768 Dies stellte eine Verletzung der aktienrechtlichen Kompetenzordnung dar. Insoweit folgt aus der Unabhängigkeit des Aufsichtsratsmandats eine Begrenzung der rechtsgeschäftlichen Gestaltungsmacht der an einer Einwirkungsverpflichtung Beteiligten. Diese Grenze überschreitende Inhalte dürften insbesondere solche sein, in denen der Dritte nicht bloß zur Einwirkung in Form eines Bemühens, sondern darüber hinaus einen Erfolg der (Nicht-)Besetzung des Vorstands schuldet. Erst recht gilt das, wenn an das Ausbleiben des Erfolgs nicht nur allgemeine Sekundärpflichten, sondern eine verschuldensunabhängige Vertragsstrafe angeknüpft ist. Zumindest die Aufsichtsratsmitglieder, die mit dem Dritten verflochten sind, könnten hierdurch in ihrer Entscheidungsfindung besonders beeinträchtigt sein.769 Dabei ist klarzustellen, dass die Vertragsstrafe in der Vereinbarung betreffend die Vorstandszusammensetzung für sich genommen noch nicht zu ihrer Unwirksamkeit führt770. Solange eine Vertragsstrafe nämlich nicht an das Ausbleiben des Erfolgs, sondern nur an das Bemühen zur Einflussnahme auf das Aufsichtsratsmitglied anknüpft, ergibt sich daraus kein Entscheidungskonflikt des mit dem Dritten verflochtenen Aufsichtsratsmitglieds, wenn er dem mit dem Bemühen verfolgten Ziel nicht entsprechende Entscheidungen trifft.771 Um Zweifelsfällen vorzubeugen, empfiehlt es sich nach alledem, in der Vereinbarung festzuhalten, dass die zwingenden Aufsichtsratskompetenzen – insbesondere die Möglichkeit zur Abberufung des Vorstands wegen eines wichtigen Grundes gem. § 84 Abs. 3 AktG – nicht berührt werden.772

766 A.A. wohl Schall, in: Kämmerer/Veil, Übernahme- und Kapitalmarktrecht in der Reformdiskussion, S. 75, 97. 767 A.A. wohl Schall, in: Kämmerer/Veil, Übernahme- und Kapitalmarktrecht in der Reformdiskussion, S. 75, 97. 768 Vgl. Habersack, in: MüKoAktG, § 111 Rn. 138. 769 Vgl. Reichert/Ott, in: FS Goette, 2011, 397, 405. 770 Überzeugend insoweit Reichert/Ott, in: FS Goette, 2011, 397, 405; a.A. Spindler, in: MüKoAktG, § 84 Rn. 16, der sogar reine Aktionärsvereinbarungen mit bloßen Bemühensverpflichtungen ohne Erfolgsverpflichtung in Kombination mit einer Vertragsstrafe als unwirksam ansieht. 771 I. E. auch Heß, Investorenvereinbarungen, S. 271. 772 So auch Heß, Investorenvereinbarungen, S. 271; Reichert/Ott, in: FS Goette, 2011, 397, 409; Seibt, in: Kämmerer/Veil, Übernahme- und Kapitalmarktrecht in der Reformdiskussion, S. 128.

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Teil 3: Schuldrechtliche Vereinbarungen im Bereich der Kompetenzordnung

Es lässt sich danach konstatieren, dass (auch) Verpflichtungen mit dem Ziel der Einwirkung auf das Aufsichtsratsmitglied, sich der Investorenvereinbarung entsprechend zu verhalten, zumindest in Form von Bemühensverpflichtungen, die keine an das Ausbleiben eines Erfolgs knüpfenden Sanktionen vorsieht, zulässig sind. f) Schuldrechtliche Vorschlags- oder Zustimmungsrechte gegenüber der AG Aus der zwingenden Unabhängigkeit des Aufsichtsratsmandats folgt, dass die Bestellung eines Vorstandsmitglieds nicht von der Zustimmung oder Mitwirkung eines anderen Gesellschaftsorgans oder eines Dritten abhängig gemacht werden kann.773 Ein schuldrechtliches unverbindliches Vorschlagsrecht begegnet hingegen keinen durchgreifenden Bedenken. Sofern gegen die Zulässigkeit von statutarischen Vorschlagsrechten ein potentieller faktischer Druck auf die Entscheidungsfindung des Aufsichtsratsmitglieds angeführt wird,774 ist das Risiko im Rahmen der schuldrechtlichen Vereinbarung eines bloß unverbindlichen Vorschlagsrechts zwischen AG und Drittem gerade nicht gegeben.775 Gibt es keine Erfolgsverpflichtung auf die Durchsetzung des vorgeschlagenen Vorstands durch den Dritten, so gibt es auch keinen unzulässigen Druck auf die Entscheidungsfindung des Aufsichtsratsmitglieds. Er bleibt darin vollkommen frei. Die Unabhängigkeit des Aufsichtsratsmandats hindert zudem nicht, dass ihm Vorschläge unterbreitet werden dürfen.776 Es kommt bloß darauf an, dass die freie Entscheidung letztlich bei dem Aufsichtsrat verbleibt.777

773 774

Rn. 9.

Kort, in: GroßKommAktG, § 84 Rn. 28 m.N. Vgl. Kort, in: GroßKommAktG, § 84 Rn. 51; Mertens/Cahn, in: KölnKommAktG, § 84

775 I. E. auch Heß, Investorenvereinbarungen, S. 273; Steinert, Investorenvereinbarung, S. 164. 776 Mertens/Cahn, in: KölnKommAktG, § 84 Rn. 9. 777 Unterstellt, der Aufsichtsrat wäre an die Vereinbarung über das unverbindliche Vorschlagsrecht dergestalt gebunden, dass er den Vorschlag zumindest empfangen müsste, ließe sich diskutieren, ob die Gefahr einer potentiellen Obstruktion des Ablaufs der Aufsichtsratsentscheidungsfindung durch dauerhafte Vorschlagsunterbreitung zur Unwirksamkeit der Klausel wegen Verstoßes gegen die aktienrechtliche Kompetenzordnung führen könnte. Das wäre jedoch ohnehin allenfalls ein theoretisch denkbares Szenario. Der vertragliche begünstigte Dritte wird von seinem (unverbindlichen) Vorschlagsrecht wohl nur Gebrauch machen, sofern er auch ein ernstes Interesse daran hat, dass der Kandidat von dem Aufsichtsrat in seine Überlegungen zur Bestellung des Vorstands berücksichtigt wird, zumal der Dritte auch um die Unverbindlichkeit des Vorschlagsrechts bei Lektüre der Vereinbarung weiß.

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g) Verpflichtung der AG Nach hier vertretener Ansicht ist die aktienrechtliche Kompetenzordnung als Grenze rechtsgeschäftlicher Gestaltungsmacht zu verstehen.778 Der Vorstand handelt daher ohne rechtsgeschäftliche Gestaltungsmacht, sofern er die AG in der Vereinbarung gegenüber dem Dritten – jedenfalls ohne Beteiligung des Aufsichtsrats779 – betreffs die Vorstandsbesetzung verpflichtet. Er kann eine solche Verpflichtung für die AG nicht begründen. h) Aufsichtsratsbeteiligung? Es bleibt daher nur zu fragen, ob die Vereinbarungen über die Vorstandsbesetzung, die durch Vereinbarung alleine durch den Vorstand der AG und dem Dritten als mit der Kompetenzordnung der AG unvereinbar zu qualifizieren sind, insoweit zunächst (lediglich) schwebend unwirksam, d. h. auch potentiell wirksam, oder stets nichtig sind. Schwebend unwirksam wäre die entsprechende Klausel nur dann, wenn die Mitwirkung des zuständigen Organs (hier: des Aufsichtsrats) grundsätzlich zur Wirksamkeit der Klausel führen könnte.780 Fraglich ist aber schon grundsätzlich, ob eine mit vorherigem, zustimmendem Aufsichtsratsbeschluss getroffene Vereinbarung überhaupt eine Bindungswirkung für den Aufsichtsrat begründen kann.781 Ein Teil der Literatur geht davon aus, dass eine Bindungswirkung trotz eines vorherigen, zustimmenden Beschlusses nicht möglich sei, da es in der Sache um eine Kompetenzentäußerung gehe.782 Die Gegenansicht783 bejaht eine mögliche Bindungswirkung. Dass der Vorstand selbst mit zustimmendem Aufsichtsratsbeschluss keine für den Aufsichtsrat verbindlichen Verpflichtungen eingehen könne, zeige sich nach Heß u. a. an der Verpflichtungserklärung des Vorstands gem. § 10 Abs. 2 Satz 1 Nr. 9 FMStFG784 im Zusammenspiel mit § 2 Abs. 1 FMStBG785,786 worin der Gesetzgeber stipuliert, dass die Kompetenzen der Organe der Gesellschaft der Zulässigkeit und Wirksamkeit einer dem § 10 Abs. 2 Satz 1 Nr. 9 FMStFG entsprechenden Ver778

s. o. Teil 2, G.V. Dazu sogleich unter Teil 3, C.I.1.h). 780 In diese Richtung überlegend, aber offenlassend: OLG München, AG 2012, 260, 262. 781 Vgl. OLG München, AG 2012, 260, 262; Heß, Investorenvereinbarungen, S. 136 f.; Kiem, AG 2009, 301, 307 f. 782 Vgl. Heß, Investorenvereinbarungen, S. 136; Steinert, Investorenvereinbarung, S. 165. 783 OLG München, AG 2012, 260, 262; Kiem, AG 2009, 301, 307 f. 784 Gesetz zur Errichtung eines Finanzmarktstabilisierungsfonds vom 17. Oktober 2008, BGBl. I S. 1982. 785 Gesetz zur Beschleunigung und Vereinfachung des Erwerbs von Anteilen an sowie Risikopositionen von Unternehmen des Finanzmarktsektors durch den Fonds „Finanzmarktstabilisierungsfonds – FMS“ vom 17. Oktober 2008 BGBl. I S. 1982, 1986. 786 Heß, Investorenvereinbarungen, S. 137. 779

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pflichtungserklärung des Vorstands nicht entgegenstehen. Das zeuge davon, dass (auch) der Gesetzgeber den Konflikt innerhalb der Kompetenzordnung erkannt und deshalb beseitigt habe.787 Aus dem Umstand, dass der Gesetzgeber die Vorschriften erlassen hat, lässt sich allerdings zunächst nur sicher erkennen, dass der Gesetzgeber die Gefahr eines Kompetenzkonfliktes erkannt hat, da er ansonsten keine dergestaltige Regelung mit entsprechendem Bezug auf die Kompetenzordnung erlassen hätte. Wenn aber die Regierungsbegründung zum Gesetzentwurf788 lediglich davon spricht, dass § 2 FMStBG klarstellende Funktionen habe, so kann aus der Norm nicht geschlossen werden, dass der Gesetzgeber der Ansicht sei, der Vorstand könne auch mit Zustimmung des Aufsichtsrats keine verbindlichen Verpflichtungen für den Aufsichtsrat vereinbaren. Eher ist davon auszugehen, dass der Gesetzgeber die Gefahr eines Kompetenzkonfliktes erkannte, aber die Klärung, ob erstens tatsächlich ein Konflikt vorliegt und zweitens dieser zugunsten der aktienrechtlichen Kompetenzordnung zu lösen sei, gerade nicht selbst vornehmen wollte. Daher taugen die Vorschriften des FMStBG und des FMStFG weniger zur Klärung, ob der Vorstand nach der aktienrechtliche Kompetenzordnung mit Zustimmung des Aufsichtsrats verbindlich Verpflichtungen für den Aufsichtsrat eingehen kann. Der Aufsichtsrat fällt seine Entscheidungen gem. § 108 Abs. 1 AktG nur durch Beschluss789. Soll der Beschluss einem Dritten gegenüber Wirkung zeigen, bedarf es der Kundgabe des Beschlusses mit dem Willen, einen Rechtserfolg herbeizuführen.790 Die mit vorheriger Zustimmung des Aufsichtsrats abgeschlossene schuldrechtliche Vereinbarung grundsätzlich als Kompetenzentäußerung anzusehen, geht zu weit, wenn der Beschluss nach außen artikuliert wird. Vorzugswürdig ist, solche Fallgestaltungen nicht grundsätzlich als unzulässigen Verstoß gegen die Höchstpersönlichkeit und Unabhängigkeit des Aufsichtsratsmandats anzusehen, sondern den dem Aufsichtsrat zugewiesenen Ermessensspielraum791 zu betonen. Denn in den in Frage stehenden Konstellationen geht es gerade nicht um die Entscheidung des Aufsichtsrats über in der Zukunft liegende, ungewisse Selbstverpflichtungen. Vielmehr entscheidet der Aufsichtsrat in dem Moment der Beschlussfassung unter Berücksichtigung des zu dem Zeitpunkt bestehenden Unternehmensinteresses über seine Zustimmung zum Abschluss einer Vereinbarung, die jedenfalls zum Teil seine 787

Heß, Investorenvereinbarungen, S. 137. BTDrucks. 16/10600 v. 14. 10. 2008, S. 11; BTDrucks. 16/10651 v. 17. 10. 2008, S. 9. 789 Der Beschluss ist nach heute h.M. das Ergebnis der organschaftlichen Willensbildung durch Abstimmung über einen Antrag als ein mehrseitiges, nicht vertragliches Rechtsgeschäft eigener Art; Hopt/Roth, in: GroßKommAktG, § 108 Rn. 12; Koch, in: Hüffer/Koch, AktG, § 108 Rn. 3; Mertens/Cahn, in: KölnKommAktG, § 108 Rn. 7; Habersack, in: MüKoAktG, § 108 Rn. 11; Spindler, in: Spindler/Stilz, AktG, § 108 Rn. 9; teilweise ebenso, im Übrigen offen BGHZ 124, 111; anders die frühere Rechtsprechung, BGHZ 52, 316, 318, wonach die körperschaftliche Willensbildung durch Mehrheitsentscheid ein Sozialakt sei; umfassend zur Thematik Baltzer, Beschluss, S. 42 ff. 790 OLG Dresden, AG 2000, 43, 44; Hopt/Roth, in: GroßKommAktG, § 108 Rn. 70. 791 s. o. Teil 2, D.III. 788

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Kompetenzen betrifft. Das Unternehmensinteresse kann es gerade gebieten, einen entsprechenden, zustimmenden Beschluss zu fassen. Mit Blick auf die Unabhängigkeit des Aufsichtsratsmandats ist dabei zu bedenken, dass eine grundsätzliche Antizipation der Entscheidungen des Aufsichtsrats nicht erfolgen darf. Die Zulässigkeit entsprechender Antizipationen des Aufsichtsrats ließe sich jedoch auf die Fälle beschränken, in denen die Entscheidung ausschließlich den Aufsichtsrat in seiner zum Zeitpunkt der Entscheidung vorhandenen Form bindet. Dabei wird nicht verkannt, dass die Kompetenzen des Aufsichtsrats seiner Überwachungsaufgabe entspringen.792 Die Unzulässigkeit von Kompetenzentäußerung dient dem Zweck, defizitäre Entscheidungen zu verhindern. Sofern die Vereinbarung aber ein klares Bild der der Zustimmung des Aufsichtsrats unterliegenden – d. h. seine Kompetenzen betreffende – Punkte zeichnet, hat der Aufsichtsrat kein Entscheidungsdefizit. Um dem Gedanken der Überwachung genügend Rechnung zu tragen, wird man an das in der Vereinbarung vermittelte klare Bild der der Zustimmung unterliegenden Punkte entsprechend hohe Anforderungen stellen müssen. Das kann insbesondere dadurch gewährleistet werden, dass die Annahmen, unter denen die Vereinbarung getroffen wird, in allen Punkten, die der Aufsichtsrat zur Beschlussfassung und konkret benötigt, in der Vereinbarung festgehalten werden. Stellen sich diese im Nachhinein als wesentlich falsch heraus, so entfiele die Bindungswirkung. Sie entfiele auch, wenn sich die Zusammensetzung des Aufsichtsrats änderte793. Damit ist eine antizipierte Beschlussfassung freilich nur in engem zeitlichen und sachlichen Rahmen möglich. Zudem unterliegen die AG und der Dritte als Parteien der Vereinbarungen gewisser Rechtsunsicherheit angesichts des Umstands, dass sich die Annahmen als unzutreffend herausstellen und damit eine angemessene Information der Aufsichtsratsmitglieder bei ihrer Entscheidungsfindung nicht gegeben wäre oder sich die Zusammensetzung des Aufsichtsrats änderte. Das führt für sich genommen jedoch nicht dazu, dass die Bindungswirkung durch vorherige, nach außen artikulierte Beschlussfassung grundsätzlich abzulehnen wäre. Es ist im Ergebnis auch angemessen: Ändert sich an den in der Vereinbarung festgehaltenen Annahmen betreffs der Kompetenzen des Aufsichtsrats im Nachhinein nichts und bleibt auch der Aufsichtsrat in seiner Zusammensetzung gleich, gibt es keinen Grund an der (schuldrechtlichen) Bindung des unter diesen Annahmen getroffenen Entscheidung zu zweifeln. Denn bei dieser Entscheidung waren die Aufsichtsratsmitglieder bereits auf die Berücksichtigung des Unternehmensinteresses verpflichtet. Der Einwand, dass einmal gefasste Beschlüsse durch den Aufsichtsrat nachträglich korrigiert werden können,794 verfängt insofern auch nicht. Denn das bleibt dem Aufsichtsrat (kompetenzrechtlich) unbenommen. Der Aufsichtsrat kann also unter engen Voraussetzungen im Vorwege einen zustimmenden Beschluss mit für ihn bindender Wirkung fassen. Das gilt selbst dann, 792 793 794

So aber Heß, Investorenvereinbarungen, S. 136. So auch Kiem, AG 2009, 301, 307 f. Heß, Investorenvereinbarungen, S. 136.

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wenn der Aufsichtsrat dergestalt verändert wird, dass ein neues Mitglied mit Willen des Dritten in den Aufsichtsrat bestellt wird. Denn dieser unterliegt denselben Rechten und Pflichten wie alle anderen Aufsichtsratsmitglieder auch, insbesondere ist er dem Unternehmensinteresse verpflichtet. Ergibt sich aus der Vereinbarung, dass nach Transaktionsvollzug die Zusammensetzung des Aufsichtsrats verändert werden soll – was üblicherweise aufgrund der zumindest gestärkten Position des Dritten nach Vollzug geschieht – kann auch der Aufsichtsrat durch zustimmenden, nach außen artikulierten Beschluss eine entsprechend wirksame Verpflichtung nicht begründen. Das bedeutet jedoch auch, dass für den (eher theoretischen) Fall, dass eine Änderung der Aufsichtsratszusammensetzung nicht stattfindet, eine entsprechende Verpflichtung möglich ist. Heilungsfähig wäre sie indes nicht. Denn nur ein vorheriger zustimmender Beschluss könnte den Aufsichtsrat binden. Daher gibt es in Fällen der Vereinbarung von Gremienklauseln über die Besetzung des Vorstands keine schwebende Unwirksamkeit. Sie kann entweder von Anfang an wirksam oder endgültig nichtig sein. i) Zwischenergebnis Eine Verpflichtung des Dritten gegenüber der AG, den Vorstand in einer bestimmten Weise zu besetzen, ist grundsätzlich unwirksam. Verpflichtungen mit dem Ziel der Einwirkung auf das Aufsichtsratsmitglied, sich der Investorenvereinbarung entsprechend zu verhalten, sind zumindest in Form von Bemühensverpflichtungen, die keine an das Ausbleiben eines Erfolgs knüpfende Sanktionen vorsehen, zulässig. Ferner ist auch eine Unterlassungsverpflichtung des Dritten, die keine an das Ausbleiben eines Erfolgs knüpfende Sanktionen vorsieht, wirksam. Ebenso ist ein schuldrechtliches unverbindliches Vorschlagsrecht zugunsten des Dritten zulässig. Maßgeblich ist stets, dass die freie Entscheidung über die Besetzung des Vorstands letztlich beim Aufsichtsrat verbleibt. Wird die AG gegenüber dem Dritten bezüglich der Vorstandsbesetzung verpflichtet, handelt der Vorstand ohne Beteiligung des Aufsichtsrats ohne rechtsgeschäftliche Gestaltungsmacht. Mit einem vorherigen, wirksamen Beschluss des Aufsichtsrats kann eine entsprechende Verpflichtung jedoch begründet werden. Wirksam ist ein solcher Beschluss nur, wenn er einzig den Aufsichtsrat in der Zusammensetzung bindet und betrifft, die bei Beschlussfassung existiert. 2. Besetzung des Aufsichtsrats Sollen in der Vereinbarung Abreden bezüglich der Besetzung des Aufsichtsrats getroffen werden, so ist das Spannungsfeld hinsichtlich der Kompetenzordnung ein anderes. Motiv für eine Besetzungsabrede hinsichtlich des Aufsichtsrats dürfte der Umstand sein, dass der Dritte zwar mit seinem später bestehenden Stimmgewicht in der Hauptversammlung selbst den Aufsichtsrat bestellen kann. Hat er aber nicht die notwendige Mehrheit, um bspw. von der Hauptversammlung ohne Bindung an einen

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Wahlvorschlag gewählte Aufsichtsratsmitglieder vor Ablauf ihrer Amtszeit abzuberufen (§ 103 Abs. 1 AktG), muss der Dritte mitunter warten, bis entsprechende Vakanzen entstehen. Bei Vereinbarungen über die Aufsichtsratsbesetzung geht es nicht um Inhalte, die im Kompetenzbereich des Aufsichtsrats liegen, sondern um solche, die im Kompetenzbereich der Hauptversammlung liegen. Diese wählt gem. §§ 101 Abs. 1, 124 Abs. 3 AktG grundsätzlich die Aufsichtsratsmitglieder.795 Problematisch sind Vereinbarungen der AG mit Dritten über die Aufsichtsratsbesetzung insbesondere wegen § 136 Abs. 2 AktG und der Wahlfreiheit der Hauptversammlung. Die Gremienklauseln über die Besetzung des Aufsichtsrats sind in verschiedenen Ausformungen denkbar. Nahe liegen Vereinbarungen über die Ausübung des Stimmrechts des Dritten im Rahmen einer Wahl gem. § 101 Abs. 1 AktG. Zudem könnte sich eine Vereinbarung auch auf den Fall der gerichtlichen Bestellung eines Aufsichtsratsmitglied gem. § 104 AktG beziehen. a) Meinungsstand Nach heute ganz herrschender Meinung796 kann sich die AG – jedenfalls ohne Mitwirkung des eigentlich zuständigen Organs – nicht bindend zur Wahl von bestimmten Aufsichtsräten verpflichten. Eine solche Verpflichtung sei – je nach Stoßrichtung – entweder wegen § 134 BGB, § 138 BGB, § 101 Abs. 1 Satz 2 AktG oder § 136 Abs. 2 AktG unwirksam bzw. nichtig. Unterhalb solcher Erfolgsverpflichtungen wird jedoch in unterschiedlichen Nuancen von der Zulässigkeit von Bemühensverpflichtungen ausgegangen. Vielfach797 werden Bemühensverpflichtungen, bei denen der Dritte keinen Erfüllungsanspruch erhält, sondern sich die Verpflichtung auf eine gesetzlich zulässige und zumutbare Unterstützungshandlung beschränkt und an das Ausbleiben des Erfolges des Bemühens keine Sanktionen geknüpft sind, als zulässig erachtet. Weitergehend geht Kiem798 sogar – wenn auch mit gewissen Einschränkungen – von der Zulässigkeit von Besetzungsabreden unter Beteiligung des Aufsichtsrats aus. 795

Siehe auch oben Teil 2, D.II. Drygala, in: K. Schmidt/Lutter, AktG, § 101 Rn. 5; Habersack, in: MüKoAktG, § 101 Rn. 12; Henssler, in: Henssler/Strohn, GesR, § 101 AktG Rn. 3; Hopt/Roth, in: GroßKommAktG, § 101 Rn. 25; Mertens/Cahn, in: KölnKommAktG, § 101 Rn. 28; Spindler, in: Spindler/ Stilz, AktG, § 101 Rn. 24; Schall, in: Kämmerer/Veil, Übernahme- und Kapitalmarktrecht in der Reformdiskussion, S. 95; Seibt, in: Kämmerer/Veil, Übernahme- und Kapitalmarktrecht in der Reformdiskussion, S. 126 f.; ders./Wunsch, Der Konzern 2009, 195, 204 f.; Heß, Investorenvereinbarungen, S. 260 f.; Steinert, Investorenvereinbarung, S. 141; Wiegand, Investorenvereinbarungen und Business Combination Agreements, S. 239 f. 797 Kniehase, Standstill Agreements, S. 115; Seibt, in: Kämmerer/Veil, Übernahme- und Kapitalmarktrecht in der Reformdiskussion, S. 126 f.; ders./Wunsch, Der Konzern 2009, 195, 204; Steinert, Investorenvereinbarung, S. 147 ff.; wohl auch Reichert/Ott, in: FS Goette, 2011, 397, 401; a.A. Heß, Investorenvereinbarungen, S. 261. 798 Kiem, AG 2009, 301, 309 f. 796

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b) Besetzungsrecht aa) Problematik Zielführend dürfte zunächst ein Blick auf den Umfang der Kompetenzzuweisung zur Besetzung des Aufsichtsrats sein. Die Aktionäre sind zwingend frei und unabhängig in der Wahl der Anteilseignervertreter im Aufsichtsrat.799 Weisungen der Verwaltung der AG kann sich ein Aktionär gem. § 136 Abs. 2 Satz 1 AktG nicht schuldrechtlich unterwerfen, entsprechende Vereinbarungen sind nichtig. Auch an Wahlvorschläge der Verwaltung kann ein Aktionär gem. § 136 Abs. 2 Satz 2 AktG nicht gebunden werden. Zudem kann es Entsendungsrechte nicht durch schuldrechtliche Vereinbarung, sondern nur statutarisch und zugunsten bestimmter Aktionäre bzw. jeweiliger Inhaber bestimmter Aktien geben, § 101 Abs. 2 Satz 1 AktG. Bei Vakanzen im Aufsichtsrat hat ein Gericht gem. § 104 AktG auf Antrag die entsprechenden Aufsichtsratsmitglieder nach eigenem, pflichtgemäßen Ermessen800 zu bestellen. Es ist heute zwar allgemein anerkannt, dass sich Gesellschafter untereinander binden können, ihr Stimmrecht in einer bestimmten Art und Weise auszuüben, was für die AG aus einem Umkehrschluss aus § 136 Abs. 2 AktG folgt.801 Diese Wertung kann (schon wegen § 136 Abs. 2 AktG selbst) aber nicht auf eine Vereinbarung der AG, vertreten durch den Vorstand, mit einem Dritten übertragen werden. Gerade bei der Vereinbarung von Gremienklauseln zur Besetzung des Aufsichtsrats durch den Vorstand als Vertreter der AG ist außerdem die Funktion des Aufsichtsrats als Überwachungsorgan des Vorstands zu betonen. Könnte sich der Vorstand den Aufsichtsrat durch schuldrechtliche Vereinbarung mit einem Dritten beliebig aussuchen, drohte diese Funktion faktisch ausgehebelt zu werden.802 So klar das Ergebnis vor dem Hintergrund des § 136 Abs. 2 AktG scheint, müsste zunächst jedoch der Dritte überhaupt Adressat der Norm sein. Sie bezieht sich dem Wortlaut nach auf den „Aktionär“. Ist der Dritte zum Zeitpunkt des Abschlusses der Vereinbarung allerdings noch gar kein Aktionär der AG, fragt sich zunächst, ob der Anwendungsbereich des § 136 Abs. 2 AktG eröffnet ist. Dieselbe Frage stellt sich auch, wenn der Dritte bereits zuvor Aktionär ist, in Bezug auf die erst noch auf den Dritten aufgrund der Transaktion später übertragenen Aktien. Der Wortlaut der Norm ist insofern nicht eindeutig. Eine zeitliche Komponente ist ihm nicht unmittelbar zu 799

Habersack, in: MüKoAktG, § 101 Rn. 7. BayObLG, NZG 1998, 69, 70; OLG München, NZG 2009, 1149, 1150; OLG Hamm, NZG 2013, 1099; Habersack, in: MüKoAktG, § 104 Rn. 31; Koch, in: Hüffer/Koch, AktG, § 104 Rn. 5. 801 Vgl. nur BGH, NJW 1983, 1910, 1911; BGH, NJW 2009, 669, 670; Koch, in: Hüffer/ Koch, AktG, § 136 Rn. 25; Arnold, in: MüKoAktG, § 136 Rn. 66. 802 Vgl. auch Seibt, in: Kämmerer/Veil, Übernahme- und Kapitalmarktrecht in der Reformdiskussion, S. 127; Wiegand, Investorenvereinbarungen und Business Combination Agreements, S. 239. 800

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entnehmen. § 136 Abs. 2 spricht lediglich von der Verpflichtung eines Aktionärs. Das könnten sowohl solche sein, die er als Aktionär der AG eingegangen, als auch solche, die er in anderer Position, jedoch mit der Erwartungshaltung, einmal Aktionär der AG zu werden, eingegangen ist. Auch die Systematik und Historie vermögen nicht weiterzuhelfen. Hilfreich ist jedoch ein Blick auf den Sinn und Zweck der Norm. § 136 Abs. 2 AktG schützt die aktienrechtliche Kompetenzordnung, indem er verhindert, dass die Verwaltung der AG ihr genehme Hauptversammlungsbeschlüsse herbeiführt oder ihr unangenehme Beschlüsse verhindert.803 Abzulehnen ist dabei die Annahme, sie schütze nur vor der Ausnutzung einer Diskrepanz zwischen Kapital und Stimmrecht durch die Verwaltung804. Dann müsste das Einverständnis des Aktionärs in eine Weisungsunterwerfung zugunsten der Verwaltung nämlich eigentlich zulässig sein, was sie ihrem insoweit eindeutigen Wortlaut nach nicht ist. § 136 Abs. 2 AktG ist vielmehr im Lichte der historischen Entwicklung der AG805 so zu verstehen, dass der Gesetzgeber mit der nunmehr geltenden Kompetenzordnung im Gegensatz zur vorherigen Rechtslage eine klare Trennung von Leitungsmacht und Kapital vorsehen wollte.806 Demnach kann es keinen Unterschied machen, ob der Dritte als Partei der Vereinbarung mit der AG bereits Aktionär ist oder es erst nach Abschluss der Vereinbarung wird. § 136 Abs. 2 AktG erfasst ihn vielmehr unabhängig vom Zeitpunkt des Vertragsabschlusses in dem Moment, in dem er Aktionär ist und in dem die vertragliche Stimmbindung – welche dann aber nichtig ist – noch bestehen sollte. bb) Besetzungsrecht zugunsten des Dritten Wird dem Dritten an der für die (schnellstmögliche) Durchsetzung seiner Wünsche zur Wahl der Anteilseignervertreter nach Transaktionsvollzug an der erforderlichen Stimmrechtsmehrheit gelegen sein, scheint es naheliegend, entsprechende, seinen Einfluss diesbezüglich erweiternde, Abreden zu vereinbaren. Es ergibt sich jedoch bereits aus der schuldrechtlichen Natur der Vereinbarung, dass eine rechtliche Bindung der an sich zuständigen Hauptversammlung so nicht erreicht werden kann. (1) Handlungsverpflichtung (a) Ohne Beteiligung des kompetenten Organs Es ist der h.M.807 in der Ablehnung der Zulässigkeit eines Besetzungsrechts zugunsten des Dritten durch Vereinbarung zwischen AG und Drittem beizupflichten. 803 So schon die Regierungsbegründung, abgedruckt bei Kropff, S. 201; vgl. ferner Koch, in: Hüffer/Koch, AktG, § 136 Rn. 25; Hirschmann, in: Hölters, AktG, § 136 Rn. 39. 804 So aber Noack, NZG 2013, 281, 284. 805 Dazu oben Teil 2, A. 806 Vgl. auch Otto, NZG 2013, 930, 932. 807 Vgl. die Nachweise in Teil 3, C.I.2.a).

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Eine solche Vereinbarung verstößt gegen die aktienrechtliche Kompetenzordnung. Sie beeinträchtigt die Wahlfreiheit der Hauptversammlung in unzulässiger Weise. Dem Vorstand fehlt es insofern an der zum Abschluss der Vereinbarung erforderlichen rechtsgeschäftlichen Gestaltungsmacht. Unabhängig davon wäre eine entsprechende Verpflichtung ansonsten wegen Verstoßes gegen § 101 Abs. 2 Satz 1 AktG unwirksam. Die Leistung, nämlich die Besetzung eines Aufsichtsrats mit bestimmten Mitgliedern wäre für die AG ohnehin subjektiv unmöglich gem. § 275 Abs. 1 BGB. Das hat auf die Wirksamkeit der vereinbarten Klausel allerdings, wie § 311a Abs. 1 BGB zeigt, keinen Einfluss. (b) Unter Beteiligung des kompetenten Organs Die Beteiligung des kompetenten Organs, nämlich der Hauptversammlung, führt nur in engen Grenzen zu einem anderen Ergebnis.808 Denkbar wäre allein ein zustimmender Beschluss der Hauptversammlung zur Vereinbarung. Dem steht im Wesentlichen allerdings die Wahlfreiheit der Hauptversammlung in zwei Ausprägungen entgegen. Erstens kann sich die Hauptversammlung nur bezüglich ihrer jeweiligen Zusammensetzung selbst binden. Der Beschluss zielte darauf ab, die eigentliche Beschlussfassung der später – anders zusammengesetzten – Hauptversammlung zu antizipieren. Anders als bei der Beschlussantizipation des Aufsichtsrats bezüglich Vorstandsbesetzungsklauseln809 ist es hier nämlich gerade nicht einmal theoretisch denkbar, dass die Hauptversammlung nach Transaktionsvollzug noch genau so zusammengesetzt ist wie zuvor. Das führt jedoch primär lediglich zur mangelnden Bindungswirkung eines solchen zustimmenden Beschlusses810 und für sich genommen nicht zur Unwirksamkeit. Zweitens und entscheidend ist es der auf die Hauptversammlung bzw. die Aktionäre potentielle Entscheidungsdruck, der Vereinbarung entsprechend zu handeln, der Bedenken bezüglich der Wirksamkeit der Vereinbarung nährt, nämlich insbesondere durch die Auslösung potentieller Sekundäransprüche. Problematisch erscheinen vor allem Vertragsstrafen, die an die Nichterfüllung der Verpflichtung der AG knüpfen. Dabei ist jedoch zu differenzieren zwischen bezüglich des Handelns der Hauptversammlung verschuldensabhängigen und -unabhängigen Sanktionen. Verschuldensunabhängige Sanktionierungen abweichenden Wahlverhaltens der Hauptversammlung verkürzen zweifellos in unzulässiger Weise die Wahlfreiheit der Hauptversammlung. Die verschuldensabhängige Haftung der AG über die §§ 31, 278 BGB wäre in diesem Zusammenhang hingegen erst relevant, wenn sich die AG das Handeln der entgegen der Vereinbarung abstimmenden Hauptversammlung oder ihrer Aktionäre zurechnen lassen müsste, was nicht der Fall ist811. Daher bleibt die 808

So auch Heß, Investorenvereinbarungen, S. 261. s. o. Teil 3, C.I.1.h). 810 I. E. auch Heß, Investorenvereinbarung, S. 168 f. u. S. 260 f.; vgl. auch Kiem, AG 2009, 301, 309. 811 Vgl. Heß, Investorenvereinbarungen, S. 170. 809

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Wahlfreiheit durch die Vereinbarung verschuldensabhängiger Vertragsstrafen unberührt. Das gilt jedoch nur mit der Maßgabe, dass die Hauptversammlung bei bzw. vor der Beschlussfassung genau (zutreffend) informiert wird, dass ein später abweichendes Wahlverhalten keinerlei Sanktion der AG aufgrund der Vereinbarung nach sich ziehen kann. Das wird in der Praxis wohl bereits deshalb kaum vorkommen, weil dies mit der Preisgabe einer Vielzahl konkreter Regelungsgegenstände der Vereinbarung an die Hauptversammlung, die die entsprechenden Vereinbarungsinhalte in der Regel lediglich in kursorischer Form erhalten, einherginge. (c) Bemühensverpflichtungen Auch die bloße Bemühensverpflichtung812 der AG zur Besetzung des Aufsichtsrats begegnet grundsätzlich gewissen Bedenken. Ohne Mitwirkung der Hauptversammlung ist sie aufgrund der Gefahr der Beeinträchtigung der Wahlfreiheit der Hauptversammlung unwirksam. Unter ihrer Mitwirkung ist sie – lediglich – unter den gleichen Voraussetzungen wie die Handlungsverpflichtung813 zulässig, d. h. sie muss insbesondere – auch gegenüber der Hauptversammlung – klarstellen, dass für die AG (und auch für die abstimmenden Aktionäre) keine Sanktionen aufgrund eines anderen Abstimmungsverhaltens folgen. (2) Unterlassensverpflichtung des Dritten Es kommen auch Unterlassensverpflichtungen des Dritten betreffend die Zusammensetzung des Aufsichtsrats in Betracht. Eine Unterlassensverpflichtung könnte so ausgestaltet sein, dass der Dritte eigene Vorschläge zur Aufsichtsratsbesetzung nur in einer vorher bestimmten Größenordnung durchsetzen wird. Eine solche Vereinbarung ist nach zutreffender Ansicht814 grundsätzlich zulässig. Ein Verstoß gegen § 136 Abs. 2 AktG liegt bereits mangels von § 136 Abs. 2 AktG verbotener positiver Stimmbindung nicht vor. Ebenso wenig liegt ein Verstoß gegen die Wahlfreiheit der Hauptversammlung vor. Verpflichteter der Vereinbarung ist ja gerade der Dritte, nicht die Gesellschaft. Auch die aktienrechtliche Kompetenzordnung ist insgesamt nicht verletzt. Die Wahlfreiheit der Hauptversammlung wird durch diese Bindung der Stimmen des Dritten in einer künftigen Hauptversammlung ebenso nicht beeinträchtigt. Der praktische Anwendungsbereich einer entsprechenden Vereinbarung dürfte jedoch gering sein, da die Aufsichtsratsbesetzung für die Durchsetzung der Interessen des Dritten nach Transaktionsvollzug regelmäßig gerade entscheidend sein dürfte.815

812

Zum Begriff s. o. Teil 3, C.I.2.a). s. o. Teil 3, C.I.2.b)bb)(1)(b). 814 Heß, Investorenvereinbarungen, S. 261 f.; a.A. Steinert, Investorenvereinbarung, S. 86 ff.; wohl auch Kiem, AG 2009, 301, 310, der die Möglichkeit rein faktischer Verbindlichkeit betont. 815 Vgl. auch Steinert, Investorenvereinbarung, S. 86. 813

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Teil 3: Schuldrechtliche Vereinbarungen im Bereich der Kompetenzordnung

cc) Abreden bezüglich Beschlussvorschlägen i.R.d. Hauptversammlung Aufgrund weitestgehender Unzulässigkeit von Besetzungsabreden bliebe die Vereinbarung von Einflussrechten bezüglich der Beschlussvorschläge nach § 124 Abs. 3 Satz 1 AktG als mögliches Mittel denkbar. Zur Wahl der Aufsichtsratsmitglieder in einer Hauptversammlung hat ausschließlich der Aufsichtsrat Vorschläge zur Beschlussfassung zu machen, § 124 Abs. 3 Satz 1 AktG. Die Einflussnahme auf die Besetzung des Aufsichtsrats ließe sich theoretisch daher auch dergestalt regeln, dass dem Dritten ein Benennungsrecht gegenüber dem Aufsichtsrat hinsichtlich dessen Wahlvorschlägen eingeräumt wird.816 Die AG ist aber bereits der falsche Adressat einer solchen Vereinbarung. Als Vereinbarung mit der AG wäre sie jedenfalls als Verstoß gegen die Unabhängigkeit des Aufsichtsratsmandats zu werten und damit unwirksam. Ob eine entsprechende Vereinbarung mit den einzelnen Aufsichtsratsmitgliedern zulässig ist817, mag dahinstehen. dd) Rechtsfolgen unzulässiger Abreden Dogmatisch wird die Unzulässigkeit und ihre Rechtsfolge – nämlich die Nichtigkeit – der Besetzungsverpflichtung zugunsten des Dritten auf § 134 BGB gestützt.818 § 101 Abs. 1 Satz 2 AktG sei demnach ein Verbotsgesetz. Qualifiziert man die aktienrechtliche Kompetenzordnung aber – wie nach hiesiger Auffassung819 – als Grenze rechtsgeschäftlicher Gestaltungsmacht und gerade nicht als Verbotsgesetz, so führt ein Verstoß gegen § 101 Abs. 1 Satz 2 AktG, welcher selbst Teil der aktienrechtlichen Kompetenzordnung ist, nach der hier vorgeschlagenen Zustimmungslösung je nach Beteiligungsmöglichkeit des an sich kompetenten Organs820 zur (schwebenden Un-)Wirksamkeit oder Nichtigkeit. ee) Vereinbarungen über die gerichtliche Bestellung des Aufsichtsrats Teilweise werden auch Vereinbarungen zur künstlichen Schaffung von Vakanzen im Aufsichtsrat geschlossen. Inhalt einer entsprechenden Vereinbarung kann sein, dass die AG zusagt, im Aufsichtsrat zu sondieren, ob Anteilseignervertreter einen Rücktritt in Erwägung ziehen könnten und eventuelle Ersatzmitglieder ebenfalls 816 Vgl. Heß, Investorenvereinbarungen, S. 258 f.; Kiem, AG 2009, 301, 309 f.; Steinert, Investorenvereinbarung, S. 143 f. 817 Dazu etwa Kniehase, Standstill Agreements, S. 61 f.; Steinert, Investorenvereinbarung, S. 143 f. 818 Vgl. nur Drygala, in: K. Schmidt/Lutter, AktG, § 101 Rn. 5; Spindler, in: Spindler/Stilz, AktG, § 101 Rn. 24; Steinert, Investorenvereinbarung, S. 141. 819 s. o. Teil 2, G.V. 820 Siehe dazu auch oben Teil 2, G.IV.3.a).

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nicht die dadurch entstehende Vakanz ausnutzen würden, sodass so der Raum für eine gerichtliche Bestellung geschaffen wird.821 Eine solche Vakanz kann dann auf Antrag gem. § 104 AktG durch ein Gericht ergänzt werden. Obschon das Gericht nach freiem Ermessen über die Ergänzung entscheidet, folgt es – sofern keine Bestellungshindernisse vorliegen – in der Regel den Vorschlägen des Antragstellers.822 Verpflichtet sich die AG hierin zum Erfolg der Vakanzschaffung und löst das Ausbleiben des Erfolgs Sekundärpflichten aus, liegt eine Verletzung der aktienrechtlichen Kompetenzordnung aufgrund Eingriffs in die Unabhängigkeit des Aufsichtsratsmandats vor. In Betracht kommt daher einzig die entsprechende Vereinbarung in Form einer Bemühensverpflichtung zur Sondierung der Amtsniederlegungsbereitschaft. Grundsätzlich begegnet diese keinen durchgreifenden Bedenken, obwohl es durchaus fragwürdig anmutet, wenn die Verwaltung der AG über diesen Umweg Einfluss auf die Zusammensetzung des Aufsichtsrats erhalten könnte823. Einem solchen faktischen Einfluss steht jedoch jedenfalls nicht die aktienrechtliche Kompetenzordnung entgegen. Das ergibt sich vor allem aus § 104 AktG selbst. Die Vorschrift ist eine gesetzliche Ausnahme des Grundsatzes, dass der Vorstand keinen Einfluss auf den ihn kontrollierenden Aufsichtsrat nehmen kann,824 wenn auch lediglich insoweit, als er eines der antragsberechtigten Organe ist825. Zweck der Vorschrift ist die Sicherstellung der Handlungs- und Funktionsfähigkeit des obligatorischen Aufsichtsrats.826 Da das Gericht die Entscheidung nach pflichtgemäßem Ermessen trifft, besteht ein unzulässiger Eingriff in Kompetenzen der Hauptversammlung nicht. Das Kompetenzgefüge würde durch eine solche Bemühensverpflichtung auch nicht beeinträchtigt. Denn die Zuständigkeit über die Aufsichtsratsbestellung verbliebe letztlich bei der Hauptversammlung. Sie könnte mit entsprechender Mehrheit auch vor Ablauf der Amtszeit gewählter Aufsichtsratsmitglieder diese abberufen, § 103 Abs. 1 AktG. Zugleich können Aufsichtsratsmitglieder ihr Amt jederzeit (außer zur Unzeit) grundlos niederlegen.827 Sofern daher angenommen wird, ein gezieltes Hinwirken auf den Rücktritt amtierender Aufsichtsratsmitglieder stelle einen Ver821 Vgl. Kiem, AG 2009, 301, 309; Steinert, Investorenvereinbarung, S. 151 f.; Wiegand, Investorenvereinbarungen und Business Combination Agreements, S. 239. 822 Kiem, AG 2009, 301, 309. 823 Ähnlich Steinert, Investorenvereinbarung, S. 152; Wiegand, Investorenvereinbarungen und Business Combination Agreements, S. 239: „äußerst bedenklich“. 824 Vgl. Steinert, Investorenvereinbarung, S. 152. 825 Drygala, in: K. Schmidt/Lutter, AktG, § 104 Rn. 4 ff. 826 BGH, AG 2002, 676, 677; Habersack, in: MüKoAktG, § 104 Rn. 1; Koch, in: Hüffer/ Koch, AktG, § 104 Rn. 1, jeweils m.w.N. 827 Habersack, in: MüKoAktG, § 103 Rn. 59 f.; Hoffmann-Becking, in: MünchHdbGesR Bd. 4, § 30 Rn. 80; Koch, in: Hüffer/Koch, AktG, § 103 Rn. 17; Spindler, in: Spindler/Stilz, AktG, § 103 Rn. 63 f.; a.A. Zöllner/Noack, in: Baumbach/Hueck, GmbHG, § 52 Rn. 52 (für die GmbH).

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stoß gegen die aktienrechtliche Kompetenzordnung dar,828 liegt dem offenbar die Annahme zugrunde, das Aufsichtsratsmitglied einer AG werde oder müsse sich (faktisch) rechtlich unverbindlichem Druck beugen. Einen Schutz vor solcher faktischer Einflussnahme bietet die gesetzliche Kompetenzordnung indes nicht. Es wäre vor allem widersprüchlich angesichts der Tatsache, dass es dem Vorstand ohne die Vereinbarung des bloßen Bemühens zur Sondierung der Amtsniederlegungsbereitschaft gerade nicht untersagt wäre, entsprechende Nachfragen an die Aufsichtsratsmitglieder zu stellen. ff) Zwischenergebnis Gremienklauseln zwischen AG und Drittem sind (nur) in engen Grenzen zulässig. Rechtliche Bindung gegenüber den für die Besetzung zuständigen Organen entfalten sie hingegen nie.

II. Vereinbarungen betreffend Kapitalmaßnahmen Zur Vermeidung der Verwässerung zu erwerbender Anteile wird ein (künftiger) Investor (der Dritte) daran interessiert sein, dass die Gesellschaft im Zeitraum zwischen Signing und Closing keine Kapitalmaßnahmen – insbesondere keine Kapitalerhöhungen829 – durchführt. Aus diesem Grund kann es je nach Motivation für einen Anteilserwerb naheliegen, die Gesellschaft gegenüber dem erwerbenden Dritten zu verpflichten, keine derartigen Maßnahmen durchzuführen. Eine solche Verpflichtung sah auch die Zusammenschlussvereinbarung zwischen der W.E.T. Automotive Systems AG und der Amerigon Europe GmbH830 vor. Die Verpflichtung über die (Nicht-)Durchführung von Kapitalmaßnahmen ist indes auf mehreren Ebenen kritisch zu betrachten. Für eine rechtliche Beurteilung ist dabei zunächst zu unterscheiden zwischen schuldrechtlichen Vereinbarungen betreffend regulärer Kapitalerhöhungen831 und solchen betreffend die Ausnutzung genehmigten Kapitals. Zur Erreichung eines schuldrechtlichen Ausschlusses von Kapitalmaßnahmen sind zwei Grundgestaltungen denkbar: Vereinbarungen mit der AG oder mit den jeweiligen Aktionären. Gegenstand dieser Untersuchung ist nur die erstgenannte Konstellation. 828 Steinert, Investorenvereinbarung, S. 153; Wiegand, Investorenvereinbarungen und Business Combination Agreements, S. 242. 829 Auch eine Kapitalherabsetzung kann den Interessen des Dritten zuwiderlaufen, z. B., falls aufgrund einer Kapitalherabsetzung zwischen Signing und Closing die Beteiligungsquote des Dritten nicht gewollte Rechtsfolgen wie ein Pflichtangebot auslöst. 830 Vgl. LG München I, NZG 2012, 1152, 1153. 831 Obwohl das Gesetz diese Begrifflichkeit nicht explizit verwendet, hat sich der Terminus reguläre oder ordentliche Kapitalmaßnahmen für solche i.S.v. § 182 AktG eingebürgert, vgl. statt aller nur Ekkenga, in: KölnKommAktG, § 182 Rn. 2; Schürnbrand, in: MüKoAktG, § 182 Rn. 1.

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1. Reguläre Kapitalmaßnahmen Reguläre Kapitalmaßnahmen sind Satzungsänderungen und fallen gem. §§ 119 Abs. 1 Nr. 6, 182 ff. AktG in die Kompetenz der Hauptversammlung. Zwar ist es der Vorstand, der eine Kapitalmaßnahme auf die Tagesordnung der Hauptversammlung setzt, damit diese darüber abstimmen kann.832 Daraus folgt indes nicht, dass die Kompetenz zur regulären Kapitalmaßnahme auch (zumindest teilweise) dem Vorstand zustünde. Vielmehr kann gem. § 122 Abs. 2 AktG auch eine bestimmte Mehrheit der Aktionäre selbst zunächst vom Vorstand verlangen, eine Tagesordnungsergänzung zu bewirken. Sollte dem Verlangen nicht entsprochen werden, können die Aktionäre gerichtlich dazu ermächtigt werden, die Hauptversammlung selbst herbeizuführen oder den Tagesordnungspunkt bekannt zu machen, § 122 Abs. 3 AktG. Das Verfahren der Kapitalmaßnahme gliedert sich im Wesentlichen in zwei Stufen. Auf erster Stufe steht die Beschlussfassung über die Kapitalmaßnahme durch die Hauptversammlung, §§ 179 Abs. 1 Satz 1, 119 Abs. 1 Nr. 6 AktG. Auf zweiter, nachfolgender Ebene steht die Durchführung der Kapitalmaßnahme durch die Verwaltung, § 83 Abs. 2 AktG.833 Auf die reguläre Kapitalmaßnahme sind grundsätzlich die §§ 179 ff. AktG anzuwenden834 und die Regeln der Satzungsänderung übertragbar. Größte Bedenken bezüglich der Wirksamkeit entsprechender Verpflichtungen der Gesellschaft werden im Hinblick auf die Verbandssouveränität bzw. die Satzungsautonomie835 und dem Umfang der Vertretungsmacht des Vorstands geäußert. Eine (Nicht-)Durchführungsverpflichtung zu einer Kapitalmaßnahme stellt aufgrund ihrer rein schuldrechtlichen Wirkung keinen Verstoß gegen den Grundsatz der Satzungsautonomie836 dar. Sie ist jedoch auch noch an anderen Wirksamkeitsvoraussetzungen zu messen. Für die Wirksamkeit der Verpflichtung (im Außenverhältnis)837 kommt es primär darauf an, ob der Abschluss solcher Vereinbarungen von der Vertretungsmacht des Vorstands, §§ 78, 82 AktG, gedeckt ist. Denn dass der Abschluss der Vereinbarung ohne entsprechenden Kapitalerhöhungs- bzw. Herabsetzungsbeschluss der Hauptversammlung nicht von der Geschäftsführungsbefugnis des Vorstands (im Innenverhältnis) gedeckt ist, ergibt sich bereits aus der exklusiven Zuständigkeitszuweisung der Entscheidung über Kapitalmaßnahmen an die Hauptversammlung. Die Vertretungsbefugnis des Vorstands ist jedoch grundsätzlich unbeschränkbar und losgelöst von der Geschäftsführungsbefugnis des Vorstands zu bewerten. Ein 832

Pentz, in: Fleischer, Vorstandsrecht, § 17 Rn. 29. Koch, in: Hüffer/Koch, AktG, § 182 Rn. 4. 834 Koch, in: Hüffer/Koch, AktG, § 182 Rn. 3. 835 Dazu s. o. Teil 2, E.IV. 836 Vgl. oben Teil 2, E.IV. 837 Die Verpflichtung könnte im Innenverhältnis einen Pflichtenverstoß des Vorstands gegenüber der AG darstellen. 833

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(bloßer) Verstoß gegen die Geschäftsführungsbefugnis führt grundsätzlich nicht zur Unwirksamkeit des Handelns im Außenverhältnis. Doch besteht auch die Vertretungsbefugnis des Vorstands nur im gesetzlich vorgesehen Umfang und daher nicht unbeschränkt. Insbesondere kann der Vorstand die Gesellschaft nicht zu Rechtsgeschäften verpflichten, die zwingendem Gesetzesrecht oder gesellschaftsrechtlichen Grundprinzipien zuwiderlaufen.838 Im Kontext der Verpflichtung der Gesellschaft über Kapitalmaßnahmen ist das Bestehen der Vertretungsmacht deshalb fraglich, weil die Vereinbarung einer derartigen Verpflichtung einen Verstoß gegen die aktienrechtliche Kompetenzordnung darstellen könnte.839 Zu untersuchen ist demnach, ob der Abschluss einer entsprechenden Vereinbarung vor dem Hintergrund gesellschaftsrechtlich zwingender Grundsätze, Verbotsgesetze oder anderer die Vertretungsmacht ausschließenden Hindernisse von der Vertretungsmacht des Vorstands gedeckt ist. a) Meinungsstand Zum Teil840 wird angenommen, die Verpflichtung der Gesellschaft zur (Nicht-) Durchführung von regulären Kapitalmaßnahmen durch den Vorstand sei im Grundsatz von dessen Vertretungsmacht umfasst. Doch soll es nach überwiegender Ansicht bei einer rein schuldrechtlichen Wirkung der Verpflichtung bleiben, d. h. die Vereinbarung der Gesellschaft über die (Nicht-)Durchführung der Kapitalmaßnahme stünde der Wirksamkeit eines anderweitigen Kapitalerhöhungsbeschlusses der Hauptversammlung nicht entgegen.841 Die Verpflichtung sei außerdem nicht durchsetzbar.842 Bungert/Wansleben gehen sogar von der grundsätzlichen Zulässigkeit entsprechender Vereinbarungen aus.843 Gehe der Vorstand eine unzulässige, zu extensive Verpflichtung ein, so zwinge die Sicherheit des Rechtsverkehrs dazu, lediglich innergesellschaftliche Pflichtenverstöße anzunehmen, während die Außenwirksamkeit der Verpflichtung unberührt bleiben müsse.844

838

Vgl. oben Teil 2, C.III.2. So z. B. die Annahme des LG München I, NZG 2012, 1152, 1153 f.; sowie OLG München, AG 2013, 173, 176 für den Fall einer Unterlassungsverpflichtung hinsichtlich der Ausübung genehmigten Kapitals. 840 Vgl. Marsch-Barner, in: Bürgers/Körber, § 182 Rn. 8; Pfeifer, in: MüKoAktG, 3. Aufl. 2011, § 182 Rn. 20; Scholz, in: MünchHdbGesR Bd. 4, § 57 Rn. 14; Servatius, in: Spindler/ Stilz, AktG, § 182 Rn. 25; wohl auch Rieder/Holzmann, in: Grigoleit, AktG, § 182 Rn. 12. 841 Vgl. Pfeifer, in: MüKoAktG, 3. Aufl. 2011, § 182 Rn. 20; Servatius, in: Spindler/Stilz, AktG, § 182 Rn. 25. 842 Marsch-Barner, in: Bürgers/Körber, § 182 Rn. 8; Pfeifer, in: MüKoAktG, 3. Aufl. 2011, § 182 Rn. 20. 843 Bungert/Wansleben, ZIP 2013, 1841, 1844. 844 Bungert/Wansleben, ZIP 2013, 1841, 1845. 839

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Der Gegenauffassung845 zufolge seien Verpflichtungen der Gesellschaft zur (Nicht-)Durchführung von regulären Kapitalmaßnahmen (jedenfalls alleine durch den Vorstand und ohne Hauptversammlungsbeschluss846) nicht von der Vertretungsbefugnis des Vorstands umfasst. Teilweise wird der Schwerpunkt nicht auf die Vertretungsbefugnis gelegt, sondern isoliert nach einem Verstoß gegen die aktienrechtliche Kompetenzordnung gefragt.847 Einigkeit besteht zunächst darüber, dass Vereinbarungen über ein Bezugsrecht zugunsten des Dritten vor dem Beschluss der Kapitalerhöhung wegen § 187 Abs. 2 AktG der AG gegenüber unwirksam sind.848 Hinsichtlich der Verpflichtungen betreffend reguläre Kapitalmaßnahmen liegt nach ganz überwiegender Meinung grundsätzlich ein Verstoß gegen die Kompetenzordnung vor.849 Nach Seibt hingegen sei eine Verpflichtung der AG zur Nichtdurchführung von Kapitalerhöhungen unter bestimmten Voraussetzungen nicht als Verstoß gegen die aktienrechtliche Kompetenzordnung anzusehen, solange sie Teil einer im Unternehmenswohl stehenden Gesamtregelung sei, nur für einen kurzen Zeitraum von etwa sechs Monaten gälte und eine sog. fiduciary-out Klausel enthielte.850 Noch weiter geht die Ansicht von Wansleben, der mangels korporativer Wirkung der schuldrechtlichen Verpflichtung der AG überhaupt keinen Verstoß gegen die aktienrechtliche Kompetenzordnung feststellen möchte.851 845

Ekkenga, in: KölnKommAktG, § 182 Rn. 16; Mertens/Cahn, in: KölnKommAktG, § 82 Rn. 8; Schürnbrand, in: MüKoAktG, § 182 Rn. 11; Stein, in: MüKoAktG, § 179 Rn. 212; Veil, in: K. Schmidt/Lutter, AktG, § 182 Rn. 13; gleichsam für den GmbH-Geschäftsführer: Priester/Veil, in: Scholz, GmbHG, § 53 Rn. 35; Ulmer/Casper, in: Ulmer/Habersack/Löbbe, GmbHG, § 53 Rn. 42; wohl auch Heß, Investorenvereinbarungen, S. 290; mit Einschränkungen: Wiedemann, in: GroßKommAktG, § 182 Rn. 37. 846 Z. T. wird angenommen, dass ein entsprechender Beschluss der Hauptversammlung die mangelnde Vertretungsbefugnis ausgleichen könne; so z. B. Schürnbrand, in: MüKoAktG, § 182 Rn. 11; Wiedemann, in: GroßKommAktG, § 182 Rn. 37 (mit Einschränkungen); Veil, in: K. Schmidt/Lutter, AktG, § 182 Rn. 13; wohl auch Ekkenga, in: KölnKommAktG, § 182 Rn. 16; für die GmbH: OLG Zweibrücken, NZG 2011, 763; Priester, in: Scholz, GmbHG, § 53 Rn. 35; U. H. Schneider/S. H. Schneider/Hohenstatt, in: Scholz, GmbHG, § 35 Rn. 47. 847 Vgl. Heß, Investorenvereinbarungen, S. 289 f.; Seibt, in: Kämmerer/Veil, Übernahmeund Kapitalmarktrecht in der Reformdiskussion, S. 105, 130; Schall, in: Kämmerer/Veil, Übernahme- und Kapitalmarktrecht in der Reformdiskussion, S. 75, 102. 848 Heß, Investorenvereinbarungen, S. 289; Seibt, in: Kämmerer/Veil, Übernahme- und Kapitalmarktrecht in der Reformdiskussion, S. 105, 130. 849 So etwa Heß, Investorenvereinbarungen, S. 289 f.; Technau, AG 1998, 445, 457; wohl auch Bungert/Wansleben, ZIP 2013, 1841, 1843; Schall, in: Kämmerer/Veil, Übernahme- und Kapitalmarktrecht in der Reformdiskussion, S. 75, 102. 850 Seibt, in: Kämmerer/Veil, Übernahme- und Kapitalmarktrecht in der Reformdiskussion, S. 105, 130 f. Argumentativ bemüht er dabei (lediglich) die gängige Marktpraxis bei Übernahmeverträgen mit Emissionsbanken im Zusammenhang mit Börsengängen und Kapitalerhöhungen. 851 Wansleben, Der Konzern 2014, 29, 30 f.

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b) Stellungnahme aa) Kein Verstoß gegen § 76 Abs. 1 AktG Ein Verstoß gegen § 76 Abs. 1 AktG kommt bereits deshalb nicht in Betracht, weil keine Kompetenzen des Vorstands, sondern nur solche der Hauptversammlung betroffen sind.852 bb) Kein Verstoß gegen den Grundsatz der Satzungsautonomie Sofern die Vertretungsbefugnis in der genannten Konstellation aufgrund eines Verstoßes gegen den Grundsatz der Satzungsautonomie verneint wird, liegt dem ein hier abgelehntes853, weiteres Verständnis der Satzungsautonomie zugrunde. Der Grundsatz der Satzungsautonomie beeinflusst die Wirksamkeit lediglich schuldrechtlich wirkender Rechtsgeschäfte nicht. Die in Frage stehenden Verpflichtungen sind daher nicht wegen eines Verstoßes gegen den Grundsatz der Satzungsautonomie unwirksam. cc) Kein Verstoß gegen Verbotsgesetz Ein Verstoß gegen ein Verbotsgesetz i.S.v. § 134 BGB und eine daraus resultierende Nichtigkeit des Vorstandshandelns wäre zwar denkbar, verstünde man die Normen betreffend die Kompetenzzuweisung hinsichtlich Kapitalmaßnahmen an die Hauptversammlung als Verbotsgesetze. Nach hier vertretender Auffassung sind die Normen der aktienrechtlichen Kompetenzordnung jedoch keine Verbotsgesetz i.S.v. § 134 BGB. Sie beschränken vielmehr die rechtsgeschäftliche Gestaltungsmacht des jeweiligen Organs. Daher ist eine hier in Frage stehende Verpflichtung der Gesellschaft nicht als Verstoß gegen ein Verbotsgesetz anzusehen. dd) Verstoß gegen andere zwingende gesellschaftsrechtliche Prinzipien Allerdings greift der Vorstand in die Kompetenz der Hauptversammlung über und verstößt so gegen die aktienrechtliche Kompetenzordnung. Sofern betont wird, die mangelnde korporative Bindung der Hauptversammlung an die Vereinbarung schließe einen Verstoß gegen die aktienrechtliche Kompetenzordnung aus,854 muss dem entgegnet werden, dass diese nicht nur vor das zuständige Organ bindenden Vereinbarungen schützt. Sie schützt, wie gezeigt, zumindest mittelbar auch vor einem gewissem Maß an faktischer Bindung.855 Verpflichtet der Vorstand die AG zur (Nicht-)Durchführung einer Kapitalerhöhung und werden an das Ausbleiben 852 853 854 855

So auch Wansleben, Der Konzern 2014, 29, 30 ff. s. o. Teil 3, C.II.1.a)aa). Wansleben, Der Konzern 2014, 29, 30. Vgl. oben Teil 2, D.II.

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eines entsprechenden Erfolges Sanktionen geknüpft, wird die Entscheidungsfreiheit der Hauptversammlung in unzulässiger Weise berührt. Die Gefahr einer Sanktionierung der AG für den Fall des Ausbleibens des geschuldeten Erfolgs dürfte die Entscheidung der Hauptversammlung – jedenfalls bei ordnungsgemäßer Information der Hauptversammlung – für oder wider eine reguläre Kapitalerhöhung beeinflussen. Wird die Hauptversammlung überhaupt nicht informiert, kann die Entscheidungsfreiheit der Hauptversammlung freilich nicht berührt sein. Hier liegt ein Verstoß gegen die aktienrechtliche Kompetenzordnung in Form des bloßen Kompetenzübergriffs vor. Der Vorstand handelt daher in beiden Fällen nach hier vertretener Auffassung außerhalb seiner rechtsgeschäftlichen Gestaltungsmacht856. Folge eines solchen Verstoßes ist generell die (eventuell schwebende) Unwirksamkeit des Handelns, d. h. auch die (zumindest schwebende) Unwirksamkeit der Vereinbarung. c) Möglichkeit zustimmenden Hauptversammlungsbeschlusses? Es stellt sich daher in Bezug auf die Rechtsfolgen und daher auch für die Beantwortung der Frage nach der Zulässigkeit entsprechender Vereinbarungen allgemein die Frage nach der Möglichkeit der Beteiligung der Hauptversammlung an der Vereinbarung. Nach der hier vertretenen Zustimmungslösung wäre die Vereinbarung grundsätzlich zulässig, sofern die Beteiligung der Hauptversammlung als für reguläre Kapitalmaßnahmen zuständiges Organ zur Wirksamkeit einer entsprechenden Vereinbarung führen kann. Das wiederum käme in Betracht, sofern sich die Hauptversammlung selbst dergestalt verpflichten könnte – was sie bereits mangels Rechtsfähigkeit857 nicht kann – oder sofern ein zustimmender Hauptversammlungsbeschluss die Vertretungsmacht des Vorstands diesbezüglich begründen könnte.858 aa) Meinungsstand Es bietet sich angesichts des dort reichen Schrifttums dazu zunächst an, einen Blick auf die für die GmbH entsprechend geführte Diskussion zu werfen. Für die GmbH wird die vertragliche Verpflichtung zur Satzungsänderung als zulässig angesehen, nach der h.M. jedenfalls soweit sie von einem zustimmenden Beschluss der Gesellschafterversammlung getragen wird und die Verpflichtung auf einen kon-

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Siehe dazu oben Teil 2, G.V. s. o. Teil 3, A.I. 858 Auf die Frage der Möglichkeit der Beteiligung einzelner Aktionäre an der Vereinbarung soll hier nicht weiter eingegangen werden. Eine solche Beteiligung wäre angesichts des § 136 Abs. 2 AktG jedenfalls sinnvoller nur zwischen dem Dritten und den jeweiligen Aktionären zu vereinbaren. 857

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kreten Einzelfall und eine konkrete Satzungsänderung beschränkt ist.859 Daher sei auch eine Verpflichtung zur Kapitalerhöhung möglich, jedoch nur unter dem Vorbehalt, dass die Freiheit der Gesellschafter, die Kapitalerhöhung zu beschließen, das Bezugsrecht auszuschließen und den Betreffenden zur Übernahme zuzulassen, voll erhalten bleibt.860 Ob die Verpflichtung zudem notariell zu beurkunden und in das Handelsregister einzutragen ist, ist dabei umstritten,861 aber nach überzeugender Ansicht862 abzulehnen. Jedoch führe erst der entsprechende Gesellschafterbeschluss zur Vertretungsbefugnis der Geschäftsführung863, es handele sich um ein mitwirkungsbedürftiges Vertretungsgeschäft864. Zur Begründung verweisen Ulmer/Casper darauf, dass die Vertretungsbefugnis des Geschäftsführers u. a. nicht Rechtsgeschäfte umfasse, die den Gesellschaftsvertrag zu ändern gedacht sind.865 Dass den Geschäftsführern die Befugnis zur Satzungsänderung fehlt, ist indes unstreitig, da sie rein korporatives Geschäft ist. Vielmehr steht in Frage, ob dem Geschäftsführer die Vertretungsbefugnis hinsichtlich des Abschlusses entsprechender schuldrechtlicher Vereinbarungen fehlt. Die fehlt ihm jedenfalls bei sog. mitwirkungsbedürftigen Vertretungsgeschäften.866 Relevant ist damit, ob die Verpflichtung über die (Nicht-)Durchführung einer Kapitalmaßnahme bei der AG ein mitwirkungsbedürftiges Vertretungsgeschäft ist oder eine entsprechende Vertretungsmacht des Vorstands überhaupt nicht besteht. Auch ein großer Teil der aktienrechtlichen Literatur867 geht davon aus, dass ein zustimmender – wenn auch zwingend vorheriger, d. h. ermächtigender – Hauptversammlungsbeschluss zur Zulässigkeit des Abschlusses einer entsprechenden Verpflichtung der AG führe. Die Gegenansicht868 lehnt die Zulässigkeit unter Hinweis auf die Beschlussfreiheit der Hauptversammlung ab.

859

Bayer, in: Lutter/Hommelhoff, GmbHG, § 53 Rn. 40; Lieder, in: MüKoGmbHG, § 55 Rn. 161a; Priester, in: Scholz, GmbHG, § 55 Rn. 16; Ulmer/Casper, in: Ulmer/Habersack/ Löbbe, GmbHG, § 53 Rn. 42; Ziemons, in: BeckOK GmbHG, § 55 Rn. 27. 860 Bayer, in: Lutter/Hommelhoff, GmbHG, § 55 Rn. 7. 861 Für die Notwendigkeit beider Erfordernisse: Bayer, in: Lutter/Hommelhoff, GmbHG, § 55 Rn. 7 u. § 53 Rn. 40. 862 Lieder, in: MüKoGmbHG, § 55 Rn. 161a. 863 Bayer, in: Lutter/Hommelhoff, GmbHG, § 53 Rn. 40. 864 Bayer, in: Lutter/Hommelhoff, GmbHG, § 53 Rn. 40. 865 Ulmer/Casper, in: Ulmer/Habersack/Löbbe, GmbHG, § 53 Rn. 42 mit Verweis auf RGZ 162, 370, 374. 866 Dazu s. o. Teil 2, C.III.1. 867 Scholz, in: MünchHdb GesR Bd. 4, § 57 Rn. 14; Schürnbrand, in: MüKoAktG, § 182 Rn. 11; Veil, in: K. Schmidt/Lutter, AktG, § 182 Rn. 13;Wiedemann, in: GroßKommAktG, § 182 Rn. 37; Picot/Land, DB 1999, 570, 573; Winneke, Vereinbarungen über Kapitalbeschaffungsmaßnahmen, S. 145 ff.; wohl auch Schäfer, ZGR 2008, 455, 464 f. 868 Ekkenga, in: KölnKommAktG, § 182 Rn. 18; Lutter, in: KölnKommAktG, 2. Aufl., § 182 Rn. 15; wohl auch Heß, Investorenvereinbarungen, S. 289 ff.

C. Zulässigkeit bestimmter Klauseln

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bb) Stellungnahme Man wird die Rechtslage der GmbH nicht – jedenfalls nicht ohne Weiteres – auf die AG übertragen dürfen. Denn die gesetzliche Kompetenzordnung der GmbH ist in den hier entscheidenden Punkten unterschiedlich von der der AG: Die Gesellschafterversammlung der GmbH ist das über die GmbH herrschende Organ. Sie kann dem GmbH-Geschäftsführer – anders als die Hauptversammlung dem Vorstand – Weisungen erteilen, § 37 Abs. 1 GmbHG. Eine strikte Gewaltentrennung zwischen Leitung und Kapital gibt es in der GmbH nicht. Doch ist die Interessenlage bei der GmbH in diesem Fall gleich der bei der AG: Es geht jeweils um die Beschlussfreiheit des Verbunds der Gesellschafter. Ermächtigt die Hauptversammlung den Vorstand durch Beschluss zum Abschluss einer entsprechenden Verpflichtung, so bestehen keine Bedenken gegen die Annahme des mitwirkungsbedürftigen Vertretungsgeschäfts. Die Beschlussfreiheit der Hauptversammlung steht einer entsprechenden Verpflichtung nicht grundsätzlich entgegen. Eine Bindungswirkung der in der Vereinbarung eingegangenen Verpflichtung gegenüber der Hauptversammlung ergibt sich auch aus der mit ihrer Zustimmung erfolgten Verpflichtung nicht. Denn die Kompetenz der Hauptversammlung zur Fassung eines Beschlusses umfasst stets auch die Kompetenz, diesen Beschluss im Nachhinein zu ändern.869 Damit die Entscheidungsfreiheit der Hauptversammlung nicht verletzt wird, sind jedoch einige Voraussetzungen zu beachten. Inhaltlich muss die Verpflichtung überschaubar sein. Das bedeutet zunächst, dass – in Entlehnung des GmbH-rechtlichen Schrifttums – bei der Verpflichtung zur Durchführung einer regulären Kapitalmaßnahme stets die Begrenzung auf eine konkrete Maßnahme zu fordern ist. Handelt es sich um eine Verpflichtung zur Nichtdurchführung einer regulären Kapitalmaßnahme, wird man entsprechend fordern müssen, dass sich die Dauer der Verpflichtung in einem engen zeitlichen Rahmen bewegt. Beides setzt notwendigerweise zunächst zudem eine für den zu treffenden Beschluss notwendige Unterrichtung über die entsprechend geplante Verpflichtung der Hauptversammlung voraus. Fasst die Hauptversammlung den Beschluss unter insoweit mangelhafter Information, spricht vieles dafür, den Beschluss gem. § 241 Abs. 1 Var. 3 AktG wegen Verstoßes gegen die aktienrechtliche Kompetenzordnung870 als nichtig anzusehen. Die Vorschriften über die Kompetenzordnung sind prägendes Merkmal der AG und für die Erhaltung ihrer gesetzlich vorgegeben Struktur zwingend. Eine bloße Anfechtbarkeit eines gegen die Kompetenzordnung verstoßenden Beschlusses würde der Bedeutung der Beschlussfreiheit der Hauptversammlung im Gefüge der

869

Vgl. nur Koch, in: Hüffer/Koch, AktG, § 179 Rn. 40; zu den unterschiedlichen Voraussetzungen der Rückgängigmachung in verschiedenen zeitlichen Stadien der Satzungsänderung siehe Stein, in: MüKoAktG, § 179 Rn. 52 ff. 870 Zu den Voraussetzungen Ehmann, in: Grigoleit, AktG, § 241 Rn. 14; Koch, in: Hüffer/ Koch, AktG, § 241 Rn. 17; K. Schmidt, in: GroßKommAktG, § 241 Rn. 57; Gessler, ZGR 1980, 427, 443 f.

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Teil 3: Schuldrechtliche Vereinbarungen im Bereich der Kompetenzordnung

Kompetenzordnung nicht gerecht.871 Dann wäre der Vertretungsbefugnis des Vorstands für Verpflichtungen der AG zu (Nicht-)Durchführungen von regulären Kapitalmaßnahmen die Grundlage entzogen. Festzuhalten ist, dass es sich bei einer solchen Verpflichtung um ein mitwirkungsbedürftiges Vertretungsgeschäft des Vorstands handelt. Eine gegenüber der Hauptversammlung geltende Bindungswirkung kann jedoch auch deren Mitwirkung nicht begründen. Die Entscheidungsfreiheit der Hauptversammlung gebietet ihre umfassende Information über die Verpflichtung sowie etwaige, aus der Verpflichtung resultierende, Sekundärpflichten der AG. Angesichts des Umstands, dass eine umfassende Information der Aktionäre über die konkreten Vereinbarungsgegenstände jedoch praktisch selten gewünscht sein wird (immerhin könnte so ein wesentlicher Teil der Vereinbarung publik werden), dürfte die Möglichkeit einer solchen Vereinbarung unter Mitwirkung der Hauptversammlung jedoch eher die Ausnahme bilden. In der Praxis ist es bereits jetzt reizvoller, ein genehmigtes Kapital gem. § 202 Abs. 1 AktG zum Gegenstand der Vereinbarung zu machen. Dieses unterliegt hinsichtlich der Hauptversammlungskompetenzen geringeren Bedenken.872 2. Genehmigtes Kapital Sofern Investoren- oder Zusammenschlussvereinbarungen der AG mit Dritten Kapitalmaßnahmen enthalten, betreffen sie meist genehmigtes Kapital. Denkbar wäre etwa folgende Klausel: „Vorbehaltlich gesetzlicher Anforderungen wird der Vorstand der Gesellschaft ohne schriftliche Zustimmung des Bieters nicht das bestehende oder ein eventuell neu geschaffenes genehmigtes Kapital ausnutzen.“ Gem. § 202 Abs. 1 AktG ist genehmigtes Kapital eine statutarische Ermächtigung des Vorstands zur Ausgabe neuer Aktien gegen Einlagen. In der Praxis finden sich teilweise mehrere Ermächtigungen zur Kapitalerhöhung: sog. genehmigtes Kapital I und II.873 Das genehmigte Kapital I ermächtigt in der Regel zur Barerhöhung mit dem gesetzlichen Bezugsrecht, während das genehmigte Kapital II zum Bezugsrechtsausschluss und ggf. zur Kapitalerhöhung gegen Sacheinlage berechtigt.874 Vereinbarungen betreffend das genehmigte Kapital waren bereits Gegenstand von Gerichtsentscheidungen875 und sind (nicht zuletzt auch wegen dieser Entscheidungen) Gegenstand kontroverser Diskussion in der aktienrechtlichen Literatur. Dabei geht es – soweit ersichtlich – stets nur um die Frage, ob eine entsprechende Vereinbarung schuldrechtliche Wirkungen entfalten kann. Eine gesellschaftsrechtliche 871

So wohl aber OLG München, AG 2013, 173, 175. Siehe zugleich. 873 Vgl. Bayer, in: MüKoAktG, § 202 Rn. 2; Hirte, in: GroßKommAktG, § 202 Rn. 153; Koch, in: Hüffer/Koch, AktG, § 202 Rn. 5; Scholz, in: MünchHdbGesR Bd. 4, § 59 Rn. 26; Veil, in: K. Schmidt/Lutter, AktG, § 202 Rn. 21. 874 Koch, in: Hüffer/Koch, AktG, § 202 Rn. 5; Veil, in: K. Schmidt/Lutter, AktG, § 202 Rn. 21. 875 OLG München, AG 2013, 173; LG München I, NZG 2012, 1152. 872

C. Zulässigkeit bestimmter Klauseln

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Wirkung, die aufgrund der Trennung der korporativen von der bloß schuldrechtlichen Ebene nicht begründet werden kann – spricht einer solchen Vereinbarung wohl – zu Recht – niemand zu. a) Meinungsstand Das LG München I876 und ihm folgend das OLG München877 sahen in einer Unterlassensverpflichtung der AG gegenüber einem Investor bezüglich der Ausnutzung genehmigten Kapitals einen Verstoß gegen § 76 Abs. 1 AktG. Die AG und der Investor – der bereits Aktionär der AG war – vereinbarten in dem zugrundeliegenden Fall unter anderem, dass der Vorstand der AG ohne Zustimmung des Investors kein genehmigtes Kapital i.S.v. § 202 AktG ausnutzen dürfe.878 Das sei mit der aktienrechtlichen Kompetenzordnung unvereinbar, da einem Aktionär keine vertraglich begründete Zustimmungspflicht eingeräumt werden könne, wenn nicht ein Fall des § 119 Abs. 2 AktG gegeben sei.879 Insofern handele es sich um einen Fall unzulässiger Selbstbindung des Vorstands. Der Vorstand dürfe sich nicht seiner Freiheit begeben, unternehmerische Entscheidungen eigenverantwortlich zu treffen, welche dem Interesse aller Aktionäre an Gleichbehandlung sowie Wert und Quote ihrer Beteiligung diene.880 Ein Teil der Literatur881 geht ebenfalls von der Unzulässigkeit entsprechender Vereinbarungen aus. Das gründe etwa darauf, dass sich die AG nicht ihrer Entscheidungsfreiheit begeben dürfe.882 Bayer begründet seine Auffassung von der Unzulässigkeit mit der Gefahr einer unlösbaren Pflichtenkollision, die daraus entstehe, dass der Vorstand seine Ermessensentscheidung (erst) im Zeitpunkt der Ausnutzungsentscheidung treffen müsse und die Entscheidung im Falle des Bezugsrechtsausschlusses auch einer sachlichen Rechtfertigung bedürfe.883 Nach Auffassung von Kuntz sind Vereinbarungen über die (Nicht-)Ausnutzung genehmigten Kapitals zumindest in denjenigen Vereinbarungen, bei denen der Dritte Aktionär ist oder wird, unzulässig. Zur Begründung führt er an, dass insoweit das die Vorstandsentscheidung leitende Unternehmensinteresse verzerrt werde, wenn ge876

LG München I, NZG 2012, 1152, 1153. OLG München, AG 2013, 173, 175. 878 LG München I, NZG 2012, 1152, 1153 = LG München I Schlussurt. v. 5. 4. 2012 – 5 HK O 20488/11, BeckRS 2012, 11175 (mit ausführlicherem Tatbestand). 879 LG München I, NZG 2012, 1152, 1153. 880 LG München I, NZG 2012, 1152, 1153. 881 Bayer, in: MüKoAktG, § 202 Rn. 35; Spindler, in: MüKoAktG, § 76 Rn. 27a; Rubner, KSzW 2011, 412, 416; wohl auch: Technau, AG 1998, 445, 457; jedenfalls für bestimmte Konstellationen Kuntz, Gestaltung, S. 634. 882 Ekkenga, in: KölnKommAktG, § 182 Rn. 13; Technau, AG 1998, 445, 457 unter Verweis auf Lutter, in: KölnKommAktG, 2. Aufl., § 182 Rn. 14 f., der sich jedoch wohl bloß mit Vereinbarungen betreffend die reguläre Kapitalerhöhung befasst. 883 Bayer, in: MüKoAktG, § 202 Rn. 35. 877

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Teil 3: Schuldrechtliche Vereinbarungen im Bereich der Kompetenzordnung

genüber einem einzelnen Aktionär die entsprechende Verpflichtung eingegangen würde.884 Die überwiegenden Literaturauffassungen885 gehen hingegen – wenn auch zumeist in gewissen Grenzen – ganz überwiegend von der Zulässigkeit von Vereinbarungen über die (Nicht-)Ausnutzung genehmigten Kapitals aus. Häufig wird dabei betont, dass die Ausnutzung (bloße) Geschäftsführungs- und gerade keine Leitungsmaßnahme sei, und solche Maßnahmen nicht zwingend vom Vorstand wahrgenommen werden müssten.886 Zudem sei der Abschluss einer solchen Vereinbarung gerade keine Kompetenzverletzung, sondern vielmehr Kompetenzausübung des Vorstands.887 Restriktiver bejaht Heß die Zulässigkeit einer entsprechenden Vereinbarung nur in Form von Bemühensklauseln.888 Eine Unterlassensverpflichtung zur Ausnutzung des genehmigten Kapitals sei zudem angesichts der mit der Ermächtigung gem. § 202 AktG verbundenen Zwecksetzung nur in Ausnahmefällen zulässig, nämlich wenn neues Kapital mit hoher Wahrscheinlichkeit nicht benötigt werde und ein erhebliches Interesse an der Vereinbarung mit dem Dritten bestünde.889 b) Stellungnahme aa) Kompetenzübergriff? Eine Vereinbarung über die (Nicht-)Ausnutzung genehmigten Kapitals könnte wegen eines Kompetenzübergriffs gegen die aktienrechtliche Kompetenzordnung verstoßen. Das käme jedoch lediglich dann in Betracht, wenn der Vorstand nicht (einzig) kompetentes Organ wäre. 884

Kuntz, Gestaltung, S. 634. Apfelbacher/Niggemann, in: Hölters, AktG, § 182 Rn. 2, Fleischer, in: Spindler/Stilz, AktG, § 76 Rn. 78; ders., WM 2002, 2305, 2317; Marsch-Barner, in: Bürgers/Körber, AktG, § 202 Rn. 15 (für die Ausnutzungsverpflichtung); Scholz, in: MünchHdbGesR Bd. 4, § 57 Rn. 14; Bungert/Wansleben, ZIP 2013, 1841, 1842 f.; v. Falkenhausen/Brucker, AG 2009, 732, 736; Herwig, Leitungsautonomie, S. 100; Heß, Investorenvereinbarungen, S. 289 f., Hippeli/ Diesing, AG 2015, 185, 193 f.; König, NZG 2013, 452, 453 f.; Krause, CFL 2013, 192, 196; Paschos, NZG 2012, 1142, 1143; Reichert, ZGR 2015, 1, 23; Schall, in: Kämmerer/Veil, Übernahme- und Kapitalmarktrecht in der Reformdiskussion, S. 75, 102; Seibt/Wunsch, Der Konzern 2009, 195, 197 f.; Wansleben, Der Konzern 2014, 29, 32 f.; Wiegand, Investorenvereinbarungen und Business Combination Agreements, S. 226; wohl auch Veil, in: K. Schmidt/ Lutter, AktG, § 202 Rn. 21a: „Einzelfallbetrachtung“; kritisch: Picot/Land, DB 1999, 570, 573. 886 Vgl. Hippeli/Diesing, AG 2015, 185, 193 f.; Krause, CFL 2013, 192, 196; König, NZG 2013, 452, 454; Reichert, ZGR 2015, 1, 23. 887 Paschos, NZG 2012, 1142, 1143 „Umsetzung“ der Leitungsautonomie des Vorstands; Herwig, Leitungsautonomie, S. 100; Wiegand, Investorenvereinbarungen und Business Combination Agreements, S. 226; vgl. auch v. Falkenhausen/Brucker, AG 2009, 732, 736. 888 Heß, Investorenvereinbarungen, S. 285, 289 f. 889 Heß, Investorenvereinbarungen, S. 290 f. 885

C. Zulässigkeit bestimmter Klauseln

159

Denkbar wäre insofern zunächst, der Hauptversammlung, die über Grundlagengeschäfte zu entscheiden hat, eine auch in diesem Bereich zumindest teilweise Kompetenz zuzusprechen. Das genehmigte Kapital bildet allerdings eine kompetenzrechtliche Besonderheit der Vorschriften über die Finanzverfassung der AG: Die Hauptversammlung bestimmt zwar, dass der Vorstand das Grundkapital erhöhen kann. Diese Kompetenz wird durch die Vereinbarung gar nicht berührt. Das Ob der Kapitalerhöhung liegt indes bei dem Vorstand, § 202 Abs. 3 AktG. Obschon es sich bei dem genehmigten Kapital inhaltlich um eine der Hauptversammlung zugewiesene Grundlagenentscheidung handelt, führt die Eintragung der Ermächtigung des Vorstands also zu einer Kompetenzverschiebung zugunsten des Vorstands.890 Es handelt sich um einen Fall einer derivativen, ausschließlichen Kompetenz. Ein durch die Vereinbarung erfolgender Übergriff in die Kompetenzen der Hauptversammlung scheidet deshalb aus. Aus dem Zustimmungserfordernis des § 202 Abs. 3 Satz 2 AktG folgt zudem keine teilweise Kompetenz des Aufsichtsrats über die Ausnutzung des genehmigten Kapitals. Die neuen Aktien sollen danach nur mit Zustimmung des Aufsichtsrats ausgegeben werden, d. h. der Entschluss des Vorstands zur Ausnutzung soll dem Zustimmungserfordernis des Aufsichtsrats unterliegen891. Aus dem Charakter des § 202 Abs. 3 Satz 2 AktG als Sollvorschrift folgt, dass eine fehlende Zustimmung die Wirksamkeit der Ausnutzung nicht berührt.892 Das wiederum zeigt, dass es sich bei § 202 Abs. 3 Satz 2 AktG nicht um eine zwingende Kompetenzzuweisung an den Aufsichtsrat über die Ausnutzung des genehmigten Kapitals handelt.893 Eine Präjudizierung der Aufsichtsratsentscheidung894 findet bei der Vereinbarung eines Verzichts als auch bei Vereinbarung eines Zustimmungsvorbehalts zugunsten des Dritten nicht statt, da der Aufsichtsrat die Ausnutzung des genehmigten Kapitals nicht initiieren kann. Ein Kompetenzübergriff liegt durch Vereinbarung einer hier diskutierten Verpflichtung daher nicht vor. bb) Verstoß gegen § 76 Abs. 1 AktG? Damit ein Verstoß gegen § 76 Abs. 1 AktG möglich ist, muss zunächst überhaupt dessen Anwendungsbereich eröffnet sein. Die Vereinbarung müsste daher die 890 Vgl. Bayer, in: MüKoAktG, § 202 Rn. 29; Ekkenga, in: Fleischer, Vorstandsrecht, 2006, § 21 Rn. 1; ders., AG 2001, 567, 569 f.; Hirte, in: GroßKommAktG, § 202 Rn. 21. 891 Hirte, in: GroßKommAktG, § 202 Rn. 167; Lutter, in: KölnKommAktG, § 202 Rn. 23. 892 Vgl. nur Hirte, in: GroßKommAktG, § 202 Rn. 252; Lutter, in: KölnKommAktG, § 202 Rn. 24. 893 Der Umstand, dass das Registergericht ohne Aufsichtsratszustimmung nicht eintragen darf, vgl. Lutter, in: KölnKommAktG, § 202 Rn. 24, führt zu keiner entgegenstehenden Erkenntnis. 894 Davor warnt Heß, Investorenvereinbarungen, S. 290.

160

Teil 3: Schuldrechtliche Vereinbarungen im Bereich der Kompetenzordnung

„Leitung“ der AG betreffen.895 Die Ausnutzung des genehmigten Kapitals ist grundsätzlich Geschäftsführungsmaßnahme gem. § 77 AktG,896 die im pflichtgemäßen Ermessen des Vorstands liegt897. Es ist damit schon grundsätzlich nicht der Anwendungsbereich des § 76 Abs. 1 AktG eröffnet. Aber selbst, wenn man den Anwendungsbereich des § 76 Abs. 1 AktG als eröffnet ansähe, dürfte eine hier in Frage stehende Vereinbarung nicht aufgrund zu weitreichender Selbstbindung des Vorstands unzulässig sein. § 76 Abs. 1 AktG steht einer Selbstbindung grundsätzlich nicht entgegen, sondern verlangt im Rahmen der Ausübung der Unternehmerfunktion des Vorstands vielmehr teilweise sogar langfristige Selbstbindungen. Gegen § 76 Abs. 1 AktG verstoßen lediglich solche Vorwegbindungen des Vorstands, die dem Dritten einen die Leitung betreffenden oder nicht kontrollierbaren Einfluss auf die Leitung der AG einräumen.898 Die Leitung ist dabei (erst) dann betroffen, wenn dem Dritten unmittelbare Einwirkungsrechte auf das künftige Leitungshandeln eingeräumt werden. Einer gesonderten sachlichen oder zeitlichen Beschränkung bedarf eine Vereinbarung über die Ausnutzung des genehmigten Kapitals nicht. Die sachliche Beschränkung ergibt sich vielmehr bereits aus dem genehmigten Kapital selbst, das in der Satzung verankert sein muss. Die zeitliche Beschränkung ergibt sich aus der in § 202 Abs. 2 AktG normierten Beschränkung auf fünf Jahre nach Eintragung der Satzungsänderung. Beide Beschränkungen sind insofern hinreichend. Folglich verstößt eine Vereinbarung der AG über die (Nicht-)Ausnutzung genehmigten Kapitals nicht gegen § 76 Abs. 1 AktG. Dass die AG eigentlich falscher Adressat einer entsprechenden Vereinbarung ist – die Berechtigung zur Ausnutzung des genehmigten Kapitals steht dem Vorstand zu – ist hierbei unschädlich, da der Vorstand beim Abschluss der Vereinbarung mitwirkt. Das steht auch nicht in dogmatischem Widerspruch zur Kompetenzordnung der AG bezüglich regulärer Kapitalmaßnahmen. Das grundsätzlich für Kapitalmaßnahmen zuständige Organ, nämlich die Hauptversammlung, hat bereits mit der Ermächtigung über die Schaffung des Kapitals entschieden. Da die Ausübung des genehmigten Kapitals im Ermessen des Vorstands steht, ist stets auch damit zu rechnen, dass das genehmigte Kapital eventuell gar nicht ausgeübt wird.899 Möchte 895

Diese Erörterung haben das LG München I und ihm folgend das OLG München nicht vorgenommen. Sie sind offenbar schlicht – fehlerhaft – davon ausgegangen, dass die Ausnutzung genehmigten Kapitals Leitungsmaßnahme sei. 896 OLG Düsseldorf, ZIP 2008, 1922, 1923; Bayer, in: MüKoAktG, § 202 Rn. 29; Hirte, in: GroßKommAktG, § 202 Rn. 21; Koch, in: Hüffer/Koch, AktG, § 202 Rn. 4; Marsch-Barner, in: Bürgers/Körber, AktG, § 202 Rn. 15; Veil, in: K. Schmidt/Lutter, AktG, § 202 Rn. 21; Krause, CFL 2013, 192, 195. 897 Seibt, in: K. Schmidt/Lutter, AktG, § 202 Rn. 8. 898 s. o. Teil 2, C.I.2.d). 899 Ähnlich Herwig, Leitungsautonomie, S. 100, der in der Verpflichtung des Vorstands, über einen Zeitraum von 18 Monaten ohne Zustimmung des Vertragspartners weder genehmigtes Kapital ausnutzen noch Aktien zu erwerben, zu veräußern oder Aktienoptionen o. ä.

C. Zulässigkeit bestimmter Klauseln

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die Hauptversammlung unmittelbar über die Kapitalverfassung der AG entscheiden, so steht es ihr frei, den Weg einer anderen Form der Kapitalmaßnahme zu bestreiten. Die bislang veröffentlichten, einschlägigen und vielbeachteten Gerichtsentscheidungen über eine entsprechende Klausel, nämlich die Entscheidungen des LG München I und des OLG München, sind folglich sowohl in der Begründung als auch im Ergebnis abzulehnen. cc) Keine Verzerrung des Unternehmensinteresses Gegen das Argument der Gefahr der Verzerrung des Unternehmensinteresses900 ist zu bemerken, dass der Vorstand beim Abschluss der Vereinbarung bereits auf das – pluralistische901 – Unternehmensinteresse verpflichtet ist. Ist der Dritte als Vertragspartner bereits Aktionär oder wird er es während der Laufzeit der Vereinbarung, so dürfte es zu weit gehen, anzunehmen, dass sich das Handeln des Vorstands insofern lediglich unter Berücksichtigung von Partikularinteressen vollzieht. Das gilt jedenfalls bei der Ausgestaltung als kompletter Verzicht des Vorstands auf die Ausnutzung genehmigten Kapitals. Bei der Ausgestaltung als Zustimmungsvorbehalt zugunsten des Dritten ließe sich auf den ersten Blick Anderes annehmen. Es ließe sich nämlich durchaus argumentieren, dem Dritten, der Aktionär ist, würden so (willkürlich) Einflussrechte, d. h. Sonderrechte, eingeräumt. Betrachtet man den Moment, in dem der Vorstand die Entscheidung trifft, genehmigtes Kapital auszunutzen, und scheitert es in dieser Konstellation an der fehlenden (vertraglich notwendigen) Zustimmung des Dritten, überwiegt das Partikularinteresse des Dritten an der Nichtausnutzung das Unternehmensinteresse, welches in dieser Konstellation wohl auf die Ausnutzung gerichtet sein dürfte. Es wäre jedoch ein Wertungswiderspruch, würde man den effektiv weitreichenderen Verzicht als zulässig und den bloßen Zustimmungsvorbehalt gleichzeitig als unzulässig ansehen.902 Immerhin ließe sich argumentieren, dass bei einer Verzichtsvereinbarung die entsprechende Kompetenz nach wie vor nur vom – insofern kompetenten – Vorstand ausgeübt wird, während bei einem Zustimmungsvorbehalt die Kompetenz schuldrechtlich auf einen nach der Kompetenzordnung unzuständigen Dritten übertragen wird.903 Betrachtet man die Wirkung der beiden Gestaltungsvarianten allerdings im Ergebnis, so wiegt der Verzicht sogar schwerer als die Instrumente auszugeben, einen kompletten Verzicht auf die Ausübung entsprechender Kapitalmaßnahmen sieht. 900 Kuntz, Gestaltung, S. 634. 901 s. o. Teil 2, C.I.2.c)cc). 902 Für eine Gleichbehandlung des Zustimmungsvorbehalts und des Verzichts auch Bungert/Wansleben, ZIP 2013, 1842, 1844; Krause, CFL 2013, 192, 197; Reichert, ZGR 2015, 1, 23. 903 Vgl. Krause, CFL 2013, 192, 197.

162

Teil 3: Schuldrechtliche Vereinbarungen im Bereich der Kompetenzordnung

Einräumung eines Zustimmungsvorbehalts.904 Vorzugswürdig scheint die Auflösung dieses potentiellen Wertungswiderspruchs, indem man auf den Zeitpunkt der Eingehung der Vereinbarung abstellt. Dabei handelt der Vorstand bereits unter Berücksichtigung des Unternehmensinteresses. Unterwirft er die Ausnutzung genehmigten Kapitals einem (schuldrechtlichen) Zustimmungsvorbehalt, muss er im Rahmen der Berücksichtigung der das Unternehmensinteressen prägenden Partikularinteressen bereits davon ausgehen, dass die Ausnutzung des betroffenen genehmigten Kapitals potentiell gar nicht stattfinden wird, auch wenn der Vorstand später die Entscheidung trifft, es auszunutzen und so Sekundäransprüche wegen Vertragsverletzungen auszulösen. Eine Verschiebung zugunsten der Partikularinteressen des Dritten, mithin eine Verzerrung des Unternehmensinteresses erfolgt durch eine entsprechende Vereinbarung nicht. c) Zwischenergebnis Die schuldrechtliche Vereinbarung zwischen AG und einem Dritten zur Nichtausnutzung genehmigten Kapitals ist grundsätzlich zulässig. Sie verstößt inbesondere nicht gegen die aktienrechtliche Kompetenzordnung. Allerdings bindet sie die AG und den Vorstand nicht in korporativer, sondern nur in schuldrechtlicher Hinsicht. Dem Vorstand bleibt es deshalb kompetenziell unbenommen, entgegen der Vereinbarung genehmigtes Kapital auszunutzen.

904 So auch Bungert/Wansleben, ZIP 2013, 1842, 1844; Krause, CFL 2013, 192, 197; Reichert, ZGR 2015, 1, 23.

Teil 4

Wesentliche Thesen 1.

Die Leitung ist ein herausgehobener, unveräußerlicher Teil der Geschäftsführung.

2.

Das Leitungsermessen wird durch die in der Sorgfaltspflicht gründende Legalitätspflicht eingegrenzt. Diese Legalitätspflicht umfasst nicht die Erfüllung vertraglicher Pflichten der Gesellschaft. Soweit dem Vorstand ein Ermessen zukommt, entbindet ihn das allerdings nicht von seiner allgemeinen Pflicht zur sorgfältigen Führung der Gesellschaft. Vor allem ist er verpflichtet, die Abwägung der Vor- und Nachteile seiner Entscheidung für den Vertragsbruch entsprechend sorgfältig vorzunehmen.

3.

Die Aktiengesellschaft ist geprägt vom Interessenpluralismus. Dementsprechend ist auch die Leitungsmacht des Vorstands interessenpluralistisch geprägt. Dogmatisch ergibt sich das aus einem Zusammenspiel der Anknüpfung an den Gesellschaftszweck und den Leitungsgegenstand der Gesellschaft, nämlich das Unternehmen, sowie die dem Eigentum immanente Sozialbindung.

4.

Das Leitungsermessen ist interessenpluralistisch geprägt und begrenzt durch die Legalitätspflicht und den Gesellschaftsweck, d. h. vorbehaltlich anderweitiger satzungsmäßiger Bestimmungen, die Ausrichtung auf dauerhafte Rentabilität der Gesellschaft.

5.

Vorzugswürdig ist, unter dem Kriterium der Eigenverantwortlichkeit des § 76 Abs. 1 AktG einzig solche Vereinbarungen als Verstoß gegen § 76 Abs. 1 AktG einzuordnen, die dem Dritten einen die Leitung betreffenden und/oder nicht kontrollierbaren Einfluss auf die Leitung der AG einräumen. Die Leitung ist dabei (erst) dann betroffen, wenn dem Dritten unmittelbare Einwirkungsrechte auf das künftige Leitungshandeln eingeräumt werden. Unmittelbare Einwirkungsrechte sind jedenfalls solche, die dem Dritten eigene Entscheidungen im Leitungsbereich einräumen.

6.

Dogmatisch umfasst das Leitungsermessen keine Gewährung unmittelbarer Einflussrechte zugunsten Dritter auf die Leitungsbefugnisse des Vorstands.

7.

Eine Fiduciary-out-Klausel ist hier lediglich in dem Sinne relevant, dass sie die AG vor der Auslösung von Sekundäransprüchen schützt.

8.

Das übernahmerechtliche Verhinderungsverbot nach § 33 WpÜG stellt eine Organpflicht des Vorstands dar. Sie füllt die Leitungskompetenz des Vorstands aus § 76 AktG aus.

164

9.

Teil 4: Wesentliche Thesen

Eine analoge Anwendung des § 33 Abs. 1 Satz 1 WpÜG auf den Zeitraum vor Abgabe des Übernahmeangebots ist mangels planwidriger Regelungslücke abzulehnen. Die Existenz von § 33 Abs. 1 Satz 1 WpÜG schließt die grundsätzliche Möglichkeit der Annahme einer aktienrechtlichen „Neutralitätspflicht“ nicht aus.

10. Dem Aktienrecht lässt sich aber keine allgemeine „Neutralitätspflicht“ entnehmen. Sie lässt sich dogmatisch weder aus § 53a AktG, noch aus dem Grundsatz der Fremdinteressenwahrung ableiten. Seine Funktion als Fremdinteressenwahrer zeigt aber, dass der Vorstand nicht berechtigt ist, seine eigenen Interessen in die Interessenabwägung innerhalb des unternehmerischen Ermessens einzustellen. 11. Eine antizipierte, zur Bindungswirkung führende Beschlussfassung des Aufsichtsrats ist – in engem zeitlichen und sachlichen Rahmen – möglich. 12. § 112 AktG ist eine die rechtsgeschäftliche Gestaltungsmacht begrenzende Norm, mithin kein Verbotsgesetz i.S.v. § 134 BGB. 13. Der Zweck des § 134 BGB ist primär ein Rechtsfortbildungsauftrag. 14. Die aktienrechtlichen Vertretungskompetenzen ziehen Grenzen rechtsgeschäftlicher Gestaltungsmacht. 15. Die Unwirksamkeit einer Absprache wegen eines Verstoßes gegen § 76 AktG in Form einer definitiven Verschiebung der Leitungskompetenz auf Dritte oder ein anderes Organ ergibt sich aus der aktienrechtlichen Kompetenzordnung selbst. 16. § 76 Abs. 1 AktG ist eine die rechtsgeschäftliche Gestaltungsmacht des Vorstands und der AG begrenzende Norm und nicht – wie ganz überwiegend angenommen – ein Verbotsgesetz i.S.v. § 134 BGB. 17. Investoren- und Zusammenschlussvereinbarungen können grundsätzlich – je nach konkreter Ausgestaltung – dem Investor bzw. Bieter die Möglichkeit der Entwicklung umfassender unternehmerischer Zielkonzeption gewähren und es kommt in diesen Fällen die Annahme verdeckter Beherrschungsverträge in Betracht. 18. Investoren- und Zusammenschlussvereinbarungen stellen in der Regel BGBGesellschaften in Form von BGB-Innengesellschaften dar. 19. Investoren- und Zusammenschlussvereinbarungen, durch die der Investor bzw. Bieter nicht Zugriff auf alle wesentlichen Bereiche der Leitung übertragen erhält, sind nicht als verdeckte Beherrschungsverträge einzustufen. 20. Investoren- und Zusammenschlussvereinbarungen sind in ihrer üblichen Ausgestaltung keine Unternehmensverträge. 21. Je nach konkreter Ausgestaltung in der Investoren- und Zusammenschlussvereinbarung kommt die Einordnung als Entherrschungsvertrag grundsätzlich in Betracht.

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22. Verpflichtungen mit dem Ziel der Einwirkung auf das Aufsichtsratsmitglied, sich der Investorenvereinbarung betreffs der Vorstandsbesetzung entsprechend zu verhalten, sind in Form von Bemühensverpflichtungen, die keine an das Ausbleiben eines Erfolgs knüpfenden Sanktionen vorsehen, zulässig. Das gilt jedoch hinsichtlich einer Verpflichtung der AG nur mit der Maßgabe, dass der Beschluss einzig den Aufsichtsrat in der Zusammensetzung bindet, die bei Beschlussfassung existiert. 23. Die Vereinbarung von Gremienklauseln über die Besetzung des Vorstands kann nicht schwebend unwirksam sein. Sie kann entweder von Anfang an wirksam oder endgültig nichtig sein. 24. Eine Verpflichtung der AG zur Besetzung des Aufsichtsrats, an deren Ausbleiben keine Sanktionen für die AG geknüpft sind, verstößt nicht gegen die aktienrechtliche Kompetenzordnung. Das gilt jedoch nur mit der Maßgabe, dass die Hauptversammlung bei bzw. vor der Beschlussfassung genau (zutreffend) informiert wird, dass ein später abweichendes Wahlverhalten keinerlei Sanktion der AG aufgrund der Vereinbarung nach sich ziehen kann. Unter den gleichen Voraussetzungen ist auch eine Bemühensverpflichtung der AG zur Besetzung des Aufsichtsrats zulässig. 25. Eine Verpflichtung der AG zur Abgabe bestimmter Beschlussvorschläge des Aufsichtsrats über die Bestellung neuer Aufsichtsratsmitglieder verstößt gegen die Unabhängigkeit des Aufsichtsratsmandats und ist damit unwirksam. 26. Vereinbarungen über die künstliche Schaffung und gerichtliche Besetzung von Vakanzen im Aufsichtsrat verstoßen nicht gegen die aktienrechtliche Kompetenzordnung. 27. Der Grundsatz der Satzungsautonomie begrenzt nicht die Möglichkeit des Abschlusses schuldrechtlicher Vereinbarungen, steht mithin auch nicht einer (bloß) schuldrechtlichen Vereinbarung zwischen AG und Dritten über Kapitalmaßnahmen entgegen. 28. Eine schuldrechtliche Vereinbarung zwischen AG und Dritten über reguläre Kapitalmaßnahmen verstößt nicht gegen § 76 Abs. 1 AktG, weil die Leitungsmacht des Vorstands nicht betroffen ist. Da die aktienrechtliche Kompetenzordnung nicht Verbotsgesetz i.S.v. § 134 BGB ist, verstößt – selbst unterstellt, ein Verstoß gegen die Kompetenzordnung läge vor – eine solche Vereinbarung dadurch keinesfalls gegen ein Verbotsgesetz. Der Abschluss der Vereinbarung durch den Vorstand stellt allerdings einen Kompetenzübergriff in die Kompetenzen der Hauptversammlung dar. Der Vorstand handelt in solchen Fällen daher grds. ohne rechtsgeschäftliche Gestaltungsmacht. 29. Der Abschluss einer schuldrechtlichen Vereinbarung der AG mit einem Dritten über reguläre Kapitalmaßnahmen stellt ein mitwirkungsbedürftiges Vertretungsgeschäft des Vorstands dar. Eine gegenüber der Hauptversammlung geltende Bindungswirkung kann auch deren Mitwirkung nicht begründen. Die

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Entscheidungsfreiheit der Hauptversammlung gebietet ihre umfassende Information über die Verpflichtung sowie etwaige, aus der Verpflichtung resultierende Sekundärpflichten der AG. Damit die Entscheidungsfreiheit der Hauptversammlung nicht verletzt wird, sind jedoch mehrere Voraussetzungen zu beachten. Inhaltlich muss die Verpflichtung überschaubar sein. Das bedeutet zunächst, dass bei der Verpflichtung zur Durchführung einer regulären Kapitalmaßnahme stets die Begrenzung auf eine konkrete Maßnahme zu fordern ist. Handelt es sich um eine Verpflichtung zur Nichtdurchführung einer regulären Kapitalmaßnahme, wird man entsprechend fordern müssen, dass sich die Dauer der Verpflichtung in einem engen zeitlichen Rahmen bewegt. Zudem ist jeweils eine Unterrichtung der Hauptversammlung über die entsprechend geplante Verpflichtung notwendig. 30. Die Vereinbarung der AG mit einem Dritten über die (Nicht-)Ausnutzung genehmigten Kapitals ist kein Kompetenzübergriff, da der Vorstand das einzig zuständige Organ bezüglich des „Ob“ der Ausnutzung ist. 31. Eine solche Vereinbarung verstößt auch nicht gegen § 76 Abs. 1 AktG. Denn die Ausnutzung genehmigten Kapitals ist schon keine Leitungs-, sondern (lediglich) Geschäftsführungsmaßnahme. Und selbst, wenn man sie als Leitungsmaßnahme begreifen wollte, läge ein Verstoß gegen § 76 Abs. 1 AktG mangels der Möglichkeit unmittelbaren Zugriffs auf die Leitung nicht vor, unabhängig davon, ob die Klausel als Verzicht oder als Zustimmungsvorbehalt ausgestaltet ist. In gesellschaftsrechtlicher Hinsicht bleibt es stets bei der Vorstandskompetenz bezüglich der Ausnutzung des genehmigten Kapitals.

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Stichwortverzeichnis Aufsichtsrat 15, 18 ff., 22 f., 29, 58 f., 63, 71 f., 73 ff., 93, 95 f., 97, 100, 105 ff., 109 f., 123, 127, 129 ff., 140 ff., 159, 164 f. Beherrschungsvertrag 51, 105, 117 ff., 124 – faktischer, verdeckter 15 f., 53, 117 ff., 164 – Teilbeherrschungsvertrag 118 ff. Business Combination Agreement siehe Zusammenschlussvereinbarungen Entherrschungsvertrag Ermessen 75 f.

Kompetenzordnung 15 ff., 18 ff., 31, 49, 51, 55, 58 ff., 72, 74, 82, 84, 86 f., 89 f., 94, 99 ff., 108, 111, 120 f., 124, 126, 128, 130 ff., 135, 137 f., 143 ff., 150 ff., 164 f. Leitung 15, 19 f., 22 ff., 58 ff., 65 f., 68 ff., 74, 78 f., 100, 102 ff., 107, 118 ff., 124, 143, 155, 158, 160, 163 ff. – Abgrenzung zur Geschäftsführung 23 ff. – Leitungsermessen 28 ff., 54, 66 ff., 69 f., 157, 160, 163 f. – Unveräußerlichkeit siehe Vorwegbindung

123 ff. Neutralitätspflicht

Faktischer Konzern 124 f. Fiduciary-out 54 f.

Privatautonomie

Gesellschaft bürgerlichen Rechts 113 ff., 128, 164 Gesellschaftsinteresse siehe Unternehmensinteresse Gesellschaftszweck 38 f., 44, 48, 66, 113 f., 163 Gewinnabführungsvertrag 16 f., 122 Hauptversammlung 15 ff., 18 ff., 22, 30 f., 58 ff., 65 ff., 72 ff., 76 ff., 100, 104 f., 111, 116, 118, 126, 132 ff., 141 ff., 149 ff., 159 ff., 165 f. Investorenvereinbarungen 140, 156, 164

16, 111 ff., 136,

Kapitalerhöhung 67, 148 ff., 156 f., 159 – genehmigtes Kapital 55, 148, 156 ff., 166 – reguläre Kapitalerhöhung 148 ff., 153, 155 ff., 160, 165 f.

56 ff., 61 ff., 164 79 ff., 91

Satzung 20, 26, 30 f., 40, 48, 66, 73 f., 77 ff., 85 f., 103, 126, 133, 149, 152 ff., 160, 163, 165 Satzungsautonomie 79 ff., 85, 149, 152, 165 Satzungsstrenge 20, 85 f. Unabhängigkeit 74 f., 131, 133, 135 ff., 146 f., 165 Unternehmensinteresse 37, 39 f., 44, 48, 50 ff., 66 ff, 69, 75, 98, 132, 134, 138 ff., 157, 161 f. Unternehmensvertrag 51, 53, 104 f., 111, 116 ff., 121 f., 128 Verbandsautonomie 51, 82 Verbotsgesetz 31, 86 f., 89 ff., 146, 150, 152, 164 f. Vorstand 15, 18 ff., 22 ff., 73 ff., 81, 84, 88, 93, 95 ff., 102 ff., 109, 114, 119 ff., 123, 126 ff., 140, 144, 147 ff. Vorwegbindung 49 ff.

Stichwortverzeichnis Zusammenschlussvereinbarungen 16 f., 55, 108, 111, 127 ff., 148, 156, 164 Zustimmung 16 f., 50 f., 53, 58 f., 66, 73 f., 76, 78, 97, 99, 105 f., 116, 118 f., 126 f., 136, 138 f., 155 ff., 159 f., 161 f.

183

Zustimmungsvorbehalt 50 f., 53, 73 f., 110, 127, 159, 161 f., 166