Die Logik der Industrie­politik im Dritten Reich: Die Investitionen in die Autarkie- und Rüstungsindustrie und ihre staatliche Förderung 3515091521, 9783515091527

Autarkie und Aufrüstung standen im Zentrum der Wirtschaftspolitik des NS-Regimes. Aber auf welche Weise gelang es dem St

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German Pages 320 [322] Year 2008

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Table of contents :
Inhaltsverzeichnis
Vorwort
1. Einleitung
1.1 Forschungsstand und Fragestellung
1.2 Vorgehensweise
2. Varianten der Investitionsförderung in den Autarkie- und Rüstungsbranchen
2.1. Einleitung
2.2 Der Wirtschaftlichkeitsgarantievertrag und seine Varianten
2.3 Pachtverträge und reichseigene Maschinen
2.4. Das Förderprämienverfahren
2.5. Der Zuschussvertrag
2.6. Risikoteilungsverträge
2.7. Zwischenergebnisse
3. Beispielhafte Investitionsentscheidungenin der Chemie- und in der Investitionsgüterindustrie
3.1 Buna
3.2 Die Treibstoffgewinnung mit dem Hydrier- und dem Fischer-Tropsch-Verfahren
3.3. Investitionsgüter
3.4. Chemische Vorprodukte
3.5 Zwischenergebnisse
4. Investitionsentscheidungen in der halbsynthetischen Chemiefaserindustrie
4.1 Einleitung
4.2 Die Vertragsverhandlungen zwischen Staat und Industrie 1934
4.3 Die staatliche Förderung
4.4. Zwang oder Freiwilligkeit bei der Kapitalbeschaffung der regionalen Zellwollewerke?
4.5 Vertragswahl und Erwartungen in der Friedenszeit
4.6 Vertragswahl und Erwartungen in der Kriegszeit
4.7. Zwischenergebnisse
5. Investitionsentscheidungen bei der Gewinnung von Nichteisenmetallen
5.1 Wirtschaftliche Entwicklung und staatliche Förderung
5.2 Vertragsform und Erwartungen
5.3 Zwischenergebnisse
6. Schlussbetrachtung: Ein „Modell“ zur Rationalität unternehmerischer Investitionsentscheidungen in den Autarkie- und Rüstungsbranchen und zur Logik der NS-Industriepolitik
6.1. Einleitung
6.2 Die Modellannahmen
6.3 Die Gewinnmaximierung der privaten Unternehmen und die Kostenminimierung des Staates
6.4 Vertragsprognosen und empirische Überprüfung
6.5 Zusammenfassung
7. Anhänge
8. Abkürzungsverzeichnis
9. Archiv- und Bestandsverzeichnis
10. Literaturverzeichnis
11. Tabellenverzeichnis
12. Schaubildverzeichnis
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Die Logik der Industrie­politik im Dritten Reich: Die Investitionen in die Autarkie- und Rüstungsindustrie und ihre staatliche Förderung
 3515091521, 9783515091527

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Jonas Scherner Die Logik der Industriepolitik im Dritten Reich

VSWG

–––––––––––––––––––– Vierteljahrschrift für Sozial- und Wirtschaftsgeschichte Beihefte . Nr. 174, IV Hervorgegangen aus dem Mannheimer Projekt zur Wirtschaftsgeschichte des Dritten Reiches Herausgegeben von Günther Schulz, Christoph Buchheim, Gerhard Fouquet, Rainer Gömmel, Friedrich-Wilhelm Henning, Karl Heinrich Kaufhold, Hans Pohl

Jonas Scherner

Die Logik der Industriepolitik im Dritten Reich

Franz Steiner Verlag Stuttgart 2008

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über abrufbar. ISBN: 978-3-515-09152-7 Jede Verwertung des Werkes außerhalb der Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist unzulässig und strafbar. Dies gilt insbesondere für Übersetzung, Nachdruck, Mikroverfilmung oder vergleichbare Verfahren sowie für die Speicherung in Datenverarbeitungsanlagen. Gedruckt auf säurefreiem, alterungsbeständigem Papier. © 2008 Franz Steiner Verlag, Stuttgart Druck: Printservice Decker & Bokor, Bad Tölz Printed in Germany

Inhaltsverzeichnis

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1. 1.1. 1.2.

Einleitung.................................................................................................9 Forschungsstand und Fragestellung.........................................................9 Vorgehensweise......................................................................................22

2. 2.1. 2.2. 2.2.1. 2.2.2. 2.3. 2.3.1. 2.3.2. 2.4. 2.5. 2.6. 2.6.1. 2.6.2. 2.7.

Varianten der Investitionsförderung in den Autarkie- und Rüstungsbranchen................................................25 Einleitung...............................................................................................25 Der Wirtschaftlichkeitsgarantievertrag und seine Varianten..................27 Der „klassische“ Wirtschaftlichkeitsgarantievertrag.............................27 Modifikationen des Wirtschaftlichkeitsgarantievertrags........................33 Pachtverträge und reichseigene Maschinen...........................................37 Pachtverträge..........................................................................................37 Reichseigene Maschinen........................................................................52 Das Förderprämienverfahren.................................................................53 Der Zuschussvertrag..............................................................................67 Risikoteilungsverträge...........................................................................70 Explizite Risikoteilungsverträge............................................................70 Implizite Risikoteilungsverträge............................................................81 Zwischenergebnisse...............................................................................81

3. 3.1. 3.2. 3.2.1. 3.2.2. 3.2.3. 3.3. 3.3.1. 3.3.2. 3.4. 3.4.1. 3.4.2. 3.5.

Beispielhafte Investitionsentscheidungen in der Chemie- und in der Investitionsgüterindustrie............................84 Buna.......................................................................................................84 Die Treibstoffgewinnung mit dem Hydrier- und dem Fischer-Tropsch-Verfahren.....................................103 Wirtschaftliche Entwicklung und staatliche Förderung.......................103 Zwang oder Freiwilligkeit?..................................................................108 Erwartungen und Wettbewerbsfähigkeit..............................................124 Investitionsgüter...................................................................................139 Hochdruckhohlkörper..........................................................................139 Drehmaschinen....................................................................................141 Chemische Vorprodukte.......................................................................148 Glycerin...............................................................................................148 Hochkonzentrierte Salpetersäure.........................................................155 Zwischenergebnisse.............................................................................159

4. 4.1. 4.2.

Investitionsentscheidungen in der halbsynthetischen Chemiefaserindustrie..............................................163 Einleitung.............................................................................................163 Die Vertragsverhandlungen zwischen Staat und Industrie 1934..........166

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Inhaltsverzeichnis

4.3. 4.4. 4.5. 4.5.1. 4.5.2. 4.5.3. 4.5.3.1. 4.5.3.2. 4.6. 4.7.

Die staatliche Förderung......................................................................175 Zwang oder Freiwilligkeit bei der Kapitalbeschaffung der regionalen Zellwollewerke?..............184 Vertragswahl und Erwartungen in der Friedenszeit.............................189 Fragestellungen....................................................................................189 Absatzprognosen für Chemiefasern unter Normalbedingungen..........190 Die Wettbewerbsnachteile der regionalen Anbieter gegenüber den etablierten Unternehmen.............................................199 Die erwartete Wettbewerbsfähigkeit der regionalen Zellwollewerke............................................................200 Die tatsächliche Wettbewerbsfähigkeit der regionalen Zellwollewerke in der Friedenszeit..............................203 Vertragswahl und Erwartungen in der Kriegszeit................................209 Zwischenergebnisse.............................................................................221

5. 5.1. 5.2. 5.2.1. 5.2.2. 5.2.3. 5.3.

Investitionsentscheidungen bei der Gewinnung von Nichteisenmetallen........................................224 Wirtschaftliche Entwicklung und staatliche Förderung.......................224 Vertragsform und Erwartungen............................................................242 Blei und Zink.......................................................................................242 Kupfer..................................................................................................257 Aluminium...........................................................................................263 Zwischenergebnisse.............................................................................276

6. 6.1. 6.2. 6.3. 6.4. 6.5.

Schlussbetrachtung: Ein „Modell“ zur Rationalität unternehmerischer Investitionsentscheidungen in den Autarkie- und Rüstungsbranchen und zur Logik der NS-Industriepolitik..............................................................................278 Einleitung.............................................................................................278 Die Modellannahmen...........................................................................279 Die Gewinnmaximierung der privaten Unternehmen und die Kostenminimierung des Staates.......................284 Vertragsprognosen und empirische Überprüfung................................288 Zusammenfassung...............................................................................298

7.

Anhänge...............................................................................................301

8.

Abkürzungsverzeichnis........................................................................306

9.

Archiv- und Bestandsverzeichnis........................................................308

10.

Literaturverzeichnis.............................................................................309

11.

Tabellenverzeichnis..............................................................................317

12.

Schaubildverzeichnis...........................................................................320

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Meinen Eltern

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Vorwort Die vorliegende Arbeit stellt die überarbeitete Fassung meiner Habilitationsschrift dar, die im Sommersemester 2006 von der Abteilung Volkswirtschaftslehre der Universität Mannheim angenommen wurde. Sie ist Teil des Mannheimer Projekts zur Erforschung der Wirtschaftsgeschichte des Dritten Reichs, aus dem bereits andere Bände in dieser Reihe erschienen sind. Danken möchte ich an dieser Stelle vielen Menschen. Ein besonderer Dank gilt dabei Prof. Dr. Christoph Buchheim, der diese Arbeit betreute und begutachtete. Ohne seinen vielfältigen Rat wäre mir die Erstellung dieser Untersuchung in dieser Form nicht möglich gewesen. Er war jederzeit für Probleme ansprechbar und gab mir viele wertvolle Anregungen. Weitere kritische und hilfreiche Hinweise erhielt ich zudem von Prof. Dr. Ernst-Ludwig von Thadden (Universität Mannheim) und Prof. Timothy W. Guinnane, Ph.D. (Yale University), die ebenfalls Gutachter dieser Arbeit waren. Wichtig für diese Untersuchung war auch der rege Austausch mit meinen ehemaligen Kollegen Michael Ebi, Markus Enzenauer, Ulrich Hensler und Gerd Höschle. Das gründliche Korrekturlesen durch Werner Kron, Sabine Lauderbach und Karen Litters hat die Arbeit lesbarer gemacht, wofür ich ihnen meinen großen Dank aussprechen möchte. Schließlich geht ein Dank auch an die Fritz Thyssen-Stiftung, ohne deren großzügige finanzielle Unterstützung das Forschungsvorhaben nicht hätte verwirklicht werden können, und an die Mitarbeiter der von mir genutzten Archive, die mir viele wertvolle Hinweise für meine Recherche gaben. Mannheim im Frühjahr 2008.

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1. Einleitung 1.1 Forschungsstand und Fragestellung Es ist bekannt, dass es im Dritten Reich zu einem deutlich spürbaren Aufschwung der deutschen Wirtschaft und Industrie kam. Ebenso weiß man heute, dass sich dieser Aufschwung von Boomphasen anderer Zeiten unterschied, weil er in hohem Maß eine Staatskonjunktur war. Die Führung versuchte, ihre primären wirtschaftspolitischen Zielsetzungen, Aufrüstung und Autarkie, unter anderem durch eine zunehmende Ausdehnung der staatlichen Nachfrage zu erreichen. Gleichzeitig begrenzte sie den Konsum der breiten Masse der Bevölkerung und griff in das Marktgeschehen ein. So wurden beispielsweise die Preis- und Lohnbildung reglementiert und der Kapitalmarkt zunehmend restringiert. In manchen Branchen wurden Investitionen verboten und damit zusammenhängend neue, bis dahin in Friedenszeiten in Deutschland unbekannte Dimensionen staatlicher Investitionsanreize etabliert. Die Prioritäten des NS-Regimes spiegeln sich deutlich in der Entwicklung der deutschen Industriestruktur der 1930er Jahre wider. Die Investitionen in den Produktionsgüterindustrien stiegen wesentlich rascher als in den Konsumgüterindustrien. Letztere erreichten erst 1937 / 38 wieder das Volumen von 1928, erstere bereits 1935 / 36. Ein besonders starkes Wachstum war dabei seit der Mitte der 1930er Jahre bei den Investitionen der Ersatzstoff- und Rüstungsbranchen zu beob

C. Buchheim, Zur Natur des Wirtschaftsaufschwungs in der NS-Zeit, in: C. Buchheim / M. Hutter / H. James (Hgg.): Zerrissene Zwischenkriegszeit. Wirtschaftshistorische Beiträge. Knut Borchardt zum 65. Geburtstag, Baden-Baden 1994, S. 97 – 119, S. 101. Die Anfänge dieses Aufschwungs lassen sich allerdings noch in die Zeit vor der „Machtergreifung“ datieren. Vgl. dazu C. Buchheim, Neue Ergebnisse zum NS-Aufschwung, in: Jahrbuch für Wirtschaftsgeschichte 2003 / 1, S. 13 – 26.  R. J. Overy, The Nazi Economic Recovery 1932 – 1938, 2. Aufl., Cambridge 1996, S. 40 f.; D. Petzina, Vierjahresplan und Rüstungspolitik, in: F. Forstmeier / H.-E. Volkmann (Hgg.), Wirtschaft und Rüstung am Vorabend des Zweiten Weltkriegs, Düsseldorf 1975, S. 65 – 80; R. Peter, Rüstungspolitik in Baden. Kriegswirtschaft und Arbeitseinsatz in einer Grenzregion im Zweiten Weltkrieg, München 1995, S. 87, A. Barkai, Das Wirtschaftssystem des Nationalsozialismus. Ideologie, Theorie, Politik 1933 – 1945, 3. Aufl., Frankfurt a. M. 1998, S. 167, 174, 187 ff.; D. Petzina, Die deutsche Wirtschaft in der Zwischenkriegszeit, Wiesbaden 1977, S. 134 ff; W. Boelcke, Die Kosten von Hitlers Krieg: Kriegsfinanzierung und finanzielles Kriegserbe in Deutschland 1933 – 1948, Paderborn 1985, S. 37. Zur NS-Preispolitik, vgl. A. Steiner, Umrisse einer Geschichte der Verbraucherpreispolitik unter dem Nationalsozialismus der Vorkriegszeit, in: Werner Abelshauser / Jan-Otmar Hesse / Werner Plumpe (Hgg.), Wirtschaftsordnung, Staat und Unternehmen. Neue Forschungen zur Wirtschaftsgeschichte des Nationalsozialismus. Festschrift für Dietmar Petzina zum 65. Geburtstag, Essen 2003, S. 279 – 304.  W. Fischer, Bergbau, Industrie und Handwerk 1914 – 1970, in: H. Aubin / W. Zorn (Hgg.), Handbuch der deutschen Wirtschafts- und Sozialgeschichte, Bd. 2, Stuttgart 1976, S. 796 – 844; hier: S. 817ff; Petzina (1977), S. 135; C. Buchheim, The Nazi Boom: An Economic Cul-de-Sac, in: H. Mommsen (Hg.): The Third Reich Between Vision and Reality. New Perspectives on German History 1918 – 1945, Oxford 2001, S. 79 – 94, hier S. 79.

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achten. Ein Großteil der Investitionen in diesen Industriezweigen beruhte, neben der Errichtung neuer oder dem Ausbau bereits bestehender staatlicher Unternehmen, auf vertraglichen Vereinbarungen zwischen Staat und privatwirtschaftlichen Unternehmen. Dabei gab es eine ganze Reihe Vertragstypen. Gleichzeitig dürften Investitionen auch durch den Einsatz anderer wirtschaftspolitischer Instrumente generiert worden sein, die allerdings nicht vertraglich fixiert wurden. Darunter fallen z. B. Verbrauchsgebote oder die staatliche Preis- und Zollpolitik. Bisher sind nur die Hintergründe und Inhalte dieser staatlichen Instrumente in einigen, allerdings meist älteren Publikationen beschrieben worden. Dabei haben 

Statistisches Jahrbuch für das Deutsche Reich 1938, S. 566; 1940 / 41, S. 612 (Bruttoanlageinvestitionen).  Vgl. z. B. S. Lurie, Private Investment in a Controlled Economy. Germany, 1933- 1939, New York 1947, S. 29 f.  Vgl. z. B. Boelcke (1985), S. 37.  O. Nathan, The Nazi Economic System. Germany’s Mobilization for War, Durham / N.C. 1944; Lurie (1947); E. Leeb, Aus der Rüstung des Dritten Reiches. Das Heereswaffenamt 1938 – 1945, 1954; W. Huppert, Wirtschaftslenkung. Staatliche Lenkung und Planung der industriellen Wirtschaft, Meisenheim / Glan 1955; B. H. Klein, Germany´s Economic Preparation for War, Cambridge / Mass. 1959; G. Thomas, Geschichte der deutschen Wehr- und Rüstungswirtschaft (1918 – 1943 / 45), hrsg. von W. Birkenfeld, Boppard 1966; Petzina (1968); I. Bagel-Bohlan, Hitlers industrielle Kriegsvorbereitungen 1936 – 1939, Koblenz 1975; Petzina (1977). Für den Benzinvertrag siehe insbesondere W. Birkenfeld, Der synthetische Treibstoff 1933 – 1945, Berlin 1964, F. Stratmann, Chemische Industrie unter Zwang? Staatliche Einflußnahme am Beispiel der chemischen Industrie Deutschlands 1933 – 1945, Stuttgart 1985 (Zeitschrift für Unternehmensgeschichte: Beiheft; 43), P. Hayes, Industry and Ideology: IG Farben in the Nazi Era, Cambridge 1987 und G. Plumpe, Die IG-Farbenindustrie-AG, Wirtschaft, Technik und Politik 1904 – 1945, Berlin 1990. Allgemein für die Mineralölindustrie, siehe Birkenfeld (1964), der allerdings nicht auf die umfangreichen Bestände zu Mineralölgarantieverträgen und -verhandlungen des Reichswirtschaftsministeriums zurückgreifen konnte, die nach der deutschen Einigung in das Bundesarchiv eingingen. Hayes (1987 a) und Plumpe (1990) befassen sich zwar auch mit Garantieverträgen und anderen Formen staatlicher Unterstützung, bezogen auf die IG Farben AG, ohne dass dies aber eine zentrale Fragestellung ihrer Untersuchungen war. Bei Stratmann (1985) spielen Garantieverträge und andere Formen staatlicher Unterstützung für die chemische Industrie nur eine untergeordnete Rolle. Zu den jüngeren Studien, vgl. J. Streb / S. Streb, Optimale Beschaffungsverträge bei asymmetrischer Informationsverteilung. Zur Erklärung des nationalsozialistischen „Rüstungswunders“ während des Zweiten Weltkriegs, in: Zeitschrift für Sozial- und Wirtschaftswissenschaften (1998), 118. Jahrgang, Heft 2, S. 275 – 294, in der die Anreizwirkungen von Beschaffungsverträgen in der Rüstungsindustrie ab 1939 im Zentrum der Untersuchung stehen, und J. Streb, Staatliche Technologiepolitik und branchenübergreifender Wissenstransfer. Über die Ursachen der internationalen Innovationserfolge der deutschen Kunststoffindustrie im 20. Jahrhundert, Jahrbuch für Wirtschaftsgeschichte, Beiheft 4), Berlin 2003, der sich wiederum mit den Anreizwirkungen des Wirtschaftlichkeitsgarantievertrags für die Buna-I-Anlage in Schkopau beschäftigt. Für die Luftfahrtindustrie, siehe L. Budraß, Flugzeugindustrie und Luftrüstung in Deutschland 1918 – 1945, Düsseldorf 1998; für Pachtverträge, vgl. B. Hopmann, Von der Montan zur Industrieverwaltungsgesellschaft (IVG) 1916 – 1951, Stuttgart 1996. Für eine ökonometrische Analyse der Bestimmungsfaktoren der Investitionstätigkeit zwischen 1933 und 1939, vgl. C.-M. Gaul, Die industriellen Anlageinvestitionen und ihre Steuerung in Deutschland von 1933 bis 1939. Ein Beitrag zur wirtschaftshistorischen Analyse des Verhältnisses von Politik und Ökonomie im Nationalsozialismus, Hamburg 2004. Diese Studie hebt u.a. die Bedeutung der direkten Steuerungsinstrumente, also vertragliche Vereinbarungen, für die Erklärung des Investitionsverhaltens hevor. Vgl. ebd., S. 431 f.

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jedoch manche in zentralen Branchen angewandte Fördervarianten gar keine oder nur geringe Beachtung erfahren, wie zum Beispiel in den Fällen der halbsynthetischen Chemiefaserindustrie oder der Nichteisenmetallgewinnung und -verhüttung. Insbesondere ist nicht geklärt, wieso es überhaupt eine derartige Vielzahl unterschiedlicher Instrumente gab, und ob es sich dabei um neue Instrumente handelte, insbesondere was die Vertragstypen anbelangt. Nicht beantwortet ist auch eine Frage, die sich angesichts der vielfältigen Formen staatlicher Risikoübernahme aufdrängt, warum nämlich in manchen Fällen das eine und in anderen das andere Verfahren vorgezogen wurde. Wann griff der Staat zu dem Instrument des sogenannten Wirtschaftlichkeitsgarantievertrages, der nach Petzina bereits „eine vollständige Absicherung gegenüber jedweden Risiken des Marktes“ bedeutete, und wann zum Mittel der Gründung staatlicher Unternehmen? In wieder anderen Fällen gewährte das Reich privaten Unternehmen Bürgschaften oder Kredite. Lag die unterschiedliche Behandlung, wie Blaich andeutet, an dem jeweiligen politischen Einfluss der Unternehmen oder spielten Finanzierungsfragen eine Rolle? Reflektieren die unterschiedlichen Instrumente und ihr Einsatz unterschiedliche Zielsetzungen und unterschiedliche wirtschaftliche Handlungsspielräume der Beteiligten, also von Staat und Wirtschaft? Unklar ist auch, nach welchen Grundsätzen neben bzw. anstelle einer vertraglich zugesicherten Förderung noch weitere wirtschaftspolitische Instrumente zum Einsatz kamen. Mit anderen Worten: Gab es eine Logik staatlicher Industrieförderung, die über das Erreichen bestimmter Kapazitätsziele hinausging? Beeinflussten gesamtwirtschaftliche Ziele  –  wie Wachstum  – , außenwirtschaftliche Restriktionen und verteilungspolitische Überlegungen sowie ordnungspolitische Vorstellungen die Konzeption und die Verwendung der unterschiedlichen Instrumente zur Investitionsförderung? Spiegelte sich in der Vielfalt der unterschiedlichen Typen staatlich abgesicherter Investitionen der polykratische Charakter des NS-Regimes wider?10 Ist also die Vielzahl von Instrumenten auf die Vielzahl von Instanzen zurückzuführen, die typischerweise im Dritten Reich mit der Ausführung wirtschaftspolitischer Aufgaben betraut waren?11 Hat sich im Lauf der Zeit ein Verfahren als überlegen herausgestellt, weil es die Unternehmen zu größerer Effizienz zwang? Versuchten staatliche Instanzen generell ihre Ziele möglichst zweckrational zu erreichen, was bedeuten könnte, bestimmte Kapazitäten mit möglichst geringer finanzieller Belastung für den Staat zu schaffen? Wurden die Verträge bzw. die staatliche Förderung so gestaltet, dass eine möglichst kostengünstige Produktion generiert wurde? Oder spielten Kosten tatsächlich keine Rolle, wie es Hitler in seiner Denkschrift zum



Petzina (1968), S. 173. F. Blaich, Wirtschaft und Rüstung im „Dritten Reich“, Düsseldorf 1987, S. 28. 10 Allgemein zur Polykratiethese, vgl. z. B. G. v. Prollius, Das Wirtschaftssystem der Nationalsozialisten 1933 – 1939. Steuerung durch emergente Organisation und Politische Prozesse, Paderborn 2003, S. 17. 11 Zur Polykratie in den Planungs- und Lenkungsinstanzen der Wirtschaft, vgl. z. B. L. Herbst, Der Totale Krieg und die Ordnung der Wirtschaft: die Kriegswirtschaft im Spannungsfeld von Politik, Ideologie u. Propaganda, Stuttgart 1982, S. 111 ff. 

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Vierjahresplan formulierte?12 War somit die staatliche Investitionsförderung dafür mitverantwortlich, dass es im Dritten Reich, wie der englische Historiker Richard Overy betont, im intertemporalen Vergleich mit der Bundesrepublik und im internationalen Vergleich mit anderen entwickelten Volkswirtschaften generell keine oder nur geringe Produktivitätszuwächse der deutschen Industrie gab?13 Overy führt dies auf mangelnde Anreize zurück, die in der staatlichen Wirtschaftspolitik und damit auch in der vertraglichen Förderung implementiert gewesen seien.14 Seiner Ausicht nach wurden nämlich in den Rüstungs- und Autarkiebranchen bis in den Krieg hinein nur sogenannte Selbstkostenverträge abgeschlossen  –  eine Meinung, die von den meisten, jedoch nicht von allen Autoren geteilt wird.15 Nach Peter Temin z. B. wurden generell vertraglich Festpreise vereinbart.16 Angesichts dieser widersprüchlichen Aussagen in der Literatur müsste also einmal genau untersucht werden, was Gemeinsamkeiten und Unterschiede zwischen den Vertragsformen waren, insbesondere unter vertrags- bzw. anreiztheoretischen Aspekten. So wenig diese Fragen, die sich auf das unmittelbare, vor allem ökonomische Verhältnis zwischen Staat und Industrie beziehen, bisher genauer untersucht worden sind, so umstritten ist auch in der Forschung die kurz- und langfristige Wirkung der NS-Wirtschaftspolitik.17 Während Christoph Buchheim die These eines „deformierten Wachstums“ vertritt, betont Werner Abelshauser, aus der Perspektive der Langzeiteffekte, durchaus auch positive Auswirkungen der NS-Wirtschaftspolitik.18 Beide Autoren gehen dabei implizit19 oder explizit von einer kontrafaktischen Situation aus, indem die Wirtschaftspolitik des Dritten Reichs mit ihren starken staatlichen Eingriffen und daraus folgend die tatsächliche wirtschaftliche Entwicklung zwischen 1933 und 1945 als abweichend von der in „normalen“ Zeiten bezeichnet wird. Offensichtlich hängt die Abweichung des tatsächlichen von dem 12

W. Treue, Hitlers Denkschrift zum Vierjahresplan, in: Vierteljahreshefte für Zeitgeschichte 1955, S. 184 – 210. 13 Vgl. auch zur Produktivitätsentwicklung C. Buchheim, Die Wirtschaftsentwicklung im Dritten Reich  –  Mehr Desaster als Wunder, in: Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte 49 (2001), S. 656-61, hier S. 660 f. 14 Overy, (1996), S. 34, S. 66. 15 R. J. Overy, Hitler’s War and the German Economy: A Reinterpretation, in: The Economic History Review, 1982, S. 272 – 291, hier S. 286. Vgl. auch R. J. Overy, War and Economy in the Third Reich, Oxford 1994, S. 357; Overy (1996), S. 55; H. Mommsen, Der Mythos der Modernität. Zur Entwicklung der Rüstungsindustrie im Dritten Reich, Essen 1999, S. 12; Barkai (1988), S. 221; Bagel-Bohlan (1975), S. 80 f. V. Prollius spricht generell von Selbstkostenerstattungspreisen bei den im Rahmen des Vierjahresplans hergestellten Produkten. Vgl. v. Prollius (2003), S. 216. Zu einer abweichenden Meinung, vgl. Boelcke (1985), S. 46. 16 P. Temin, Soviet and Nazi Economic Planning in the 1930s, in: Economic History Review 44, 1991, S. 573 – 593, hier S. 573. 17 Zu einem Überblick über die Modernisierungsdebatte, vgl. z. B. N. Frei, Wie modern war der Nationalsozialismus?, in: Geschichte und Gesellschaft 19 (1993), S. 367 – 387. 18 Vgl. Buchheim (2001 b), S. 663; W. Abelshauser, Kriegswirtschaft und Wirtschaftswunder. Deutschlands wirtschaftliche Mobilisierung für den Zweiten Weltkrieg und die Folgen für die Nachkriegszeit, in: Vierteljahreshefte für Zeitgeschichte 1999, S. 503-538. 19 In Buchheim (2001 a) wird sogar explizit ein kontrafaktisches Szenario unterstellt. Buchheim (2001 a), S. 89 ff.

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kontrafaktischen Verlauf, und damit der Einfluss der NS-Wirtschaftspolitik, davon ab, welches konkrete Gegenbild man realistischerweise unterstellt. Dabei handelt es sich keineswegs um eine triviale Frage. So wird manchmal in der einschlägigen Literatur behauptet, dass gravierende Änderungen, die sich in der wirtschaftlichen Entwicklung Deutschlands im Dritten Reich gegenüber dem Zustand unmittelbar vor der Weltwirtschaftskrise ergaben, vor allem in den offensichtlich unmittelbar von der NS-Politik tangierten Bereichen und Branchen, ausschließlich bzw. überwiegend Folge der NS-Wirtschaftspolitik gewesen seien. Der Umstand, dass die Investitionen in den Produktionsgüterindustrien stärker wuchsen als in dem NSRegime weniger wichtigen Konsumgüterindustrien, sei hauptsächlich auf die Politik der Nationalsozialisten zurückzuführen.20 Zwar erscheinen solche Schlussfolgerungen auf den ersten Blick grundsätzlich plausibel. Allerdings war seit dem Einsetzen der Industrialisierung wirtschaftliche Entwicklung immer durch Strukturwandel gekennzeichnet, und es ist zu vermuten, dass in Folge einer derartigen einschneidenden Wirtschaftskrise, wie der Anfang der 1930er Jahre, ein solcher Strukturwandel auch ohne NS-Regime beschleunigt eingetreten wäre. Das relative Gewicht mancher Branchen der Konsumgüterindustrie, wie die Textilindustrie, die offensichtlich durch die NS-Wirtschaftspolitik diskriminiert war21, verringerte sich nach der Weltwirtschaftskrise auch in den hoch entwickelten Ländern, die keine Wirtschaftspolitik betrieben, die der des NS-Regimes ähnelte. So setzte sich auch in der Bundesrepublik der Bedeutungsverlust der Textilindustrie fort22, ebenso wie das schnelle Wachstum der Grundstoff- und Investitionsgüterindustrien gegenüber der Konsumgüterindustrie – und zwar über die Rekonstruktionsphase hinaus.23 Hinzu kommt, dass auch aus einer direkten Förderung einer Branche z. B. mit Subventionen keineswegs a priori gefolgert werden kann, dass diese Branche dadurch gegenüber einer normalen Wirtschaftspolitik in einer kontrafaktischen Situation begünstigt worden wäre. Denn zu überprüfen wäre auch, inwieweit durch andere Abweichungen der NS-Wirtschaftspolitik von normalen Verhältnissen, wie Verzerrungen des Außenhandels oder Rationierungen bzw. Knappheiten von Inputs und Produktionsfaktoren, unter dem Strich sogar eine Schlechterstellung der entsprechenden Branche gegenüber dem „Normalzustand“ erfolgte. Um also den Einfluss und damit die langfristigen Effekte der NS-Wirtschaftspolitik zu bestimmen, ist daher zunächst einmal die genaue Kenntnis der tatsächlichen Förderung bestimmter Branchen notwendig. Das setzt aber eine genaue Analyse der jeweiligen Vertragsformen voraus, die in diesen Industriezweigen zum 20

Vgl. z. B. Mommsen (1999). B. H. Lindner, Den Faden verloren. Die westdeutsche und die französische Textilindustrie auf dem Rückzug (1930 / 45  –  1990), München 2001 (Schriftenreihe zur Zeitschrift für Unternehmensgeschichte, Bd. 7); G. Höschle, Die deutsche Textilindustrie zwischen 1933 und 1939. Staatsinterventionismus und ökonomische Rationalität, Stuttgart 2004, S. 318. Allerdings gab es auch einige Textilbranchen, die von der Rüstungskonjunktur profitierten. Vgl. ebd., S. 320 f.. 22 Lindner (2001); Statistisches Jahrbuch für die Bundesrepublik Deutschland 1960, S. 220. 23 Statistisches Jahrbuch für die Bundesrepublik Deutschland 1960, S. 219. Dieser Trend war im Übrigen schon zwischen 1924 und 1929 zu beobachten. Fischer (1976), S. 806 f. 21

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Einsatz kamen, unter Berücksichtigung anderer, gegebenenfalls ergänzender Regulierungsmaßnahmen. Ein Schlüssel zur Beantwortung der Frage nach dem Einfluss der jeweiligen Förderung auf die Investitionsentscheidungen in prominenten, laut Literatur durch die NS-Wirtschaftspolitik privilegierten Branchen, könnte dabei die Art der Vertragsform sein, die die jeweiligen Unternehmen einer Branche abschlossen bzw. wünschten. Man stößt nämlich in unternehmensgeschichtlichen Untersuchungen immer wieder auf Hinweise, nach denen die Wahl einer Vertragsform mit der Risikoeinschätzung zusammenhing, in welchem Maß die vom Staat gewünschten Kapazitäten auch unter „normalen“ Umständen, d. h. also ohne NS-Wirtschaftspolitik mit ihrem Streben nach Aufrüstung und Autarkie, genutzt werden konnten.24 Denn bekannt ist, dass es Verträge gab, die in unterschiedlichem Maß den Unternehmen das Amortisationsrisiko einer Investition abnahmen. Ein derartiges Verhalten der Unternehmen war bereits bei den Vertragsabschlüssen in der Kriegswirtschaft des Ersten Weltkriegs zu beobachten.25 Andere Darstellungen weisen in die gleiche Richtung, indem sie betonen, dass in vielen Fällen im Kalkül der Unternehmen eine entscheidende Rolle spielte, dass sie die durch die NS-Wirtschaftspolitik geschaffenen Rahmenbedingungen, wie die Außenhandelspolitik oder die hohe staatliche bzw. staatlich induzierte Nachfrage, als ein nicht dauerhaftes, sondern als ein anormales Phänomen betrachteten, und das deshalb nur begrenzt ihr unternehmerisches Handeln beeinflusste.26 Deshalb strebten auch viele Unternehmen langfristig eine Reintegration in die Weltwirtschaft an.27 Mit anderen Worten, würde es sich bestätigen, dass dies keine Einzelfälle waren, sondern dass in wichtigen Autarkie- und Rüstungsbranchen die Unternehmen in der Regel gewissermaßen kontrafaktisch dachten, so wäre zu erwarten, dass sich dieses Kalkül wohl generell in dem Umstand, ob ein Unternehmen bereit war, Kapa­ zi­täten ohne vertragliche Förderung oder nur mit einem bestimmten Vertragstypus zu schaffen, widerspiegeln würde. Dann könnte man mit einer gewissen Allgemeingültigkeit aus der Art des Vertragsabschlusses auf die Risikoeinschätzung der Unternehmen schließen, und damit die Frage beantworten, welche Investitionen mög­ licherweise auch ohne NS-Wirtschaftspolitik getätigt worden wären und somit die

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Vgl. z. B. Hayes (1987 a), S. 137f; N. Gregor, Stern und Hakenkreuz. Daimler-Benz im Dritten Reich, Berlin 1997, S. 92, 107ff; Mommsen (1999), S. 9; B. Lorentz, Industrieelite und Wirtschaftspolitik 1928 – 1950. Heinrich Dräger und das Drägerwerk, Paderborn 2001, S. 170. Vgl. auch Gaul (2004), S. 429. 25 Vgl. z. B. Plumpe (1990), S. 77; R. Roth, Staat und Wirtschaft im Ersten Weltkrieg: Kriegsgesellschaften als kriegswirtschaftliche Steuerungsinstrumente, Berlin 1997, S. 209, S. 226 – 228; zu den Verträgen allgemein im Ersten Weltkrieg, vgl. ebd., S. 194ff; zu ihrer Ausgestaltung, ebd. S. 206 ff. 26 Vgl. z. B. H. Mommsen / M. Grieger, Das Volkswagenwerk und seine Arbeiter im Dritten Reich, 3. Aufl., Düsseldorf 1997, S. 335, 405; Streb (2003 a), S. 124; W. Abelshauser, Rüstungsschmiede der Nation? Der Kruppkonzern im Dritten Reich und in der Nachkriegszeit 1933 bis 1951, in: L. Gall (Hg.), Krupp im 20. Jahrhundert. Die Geschichte des Unternehmens vom Ersten Weltkrieg bis zur Gründung der Stiftung, Berlin 2002, S. 267 – 472, hier S. 337ff; Gaul (2004), S. 434. 27 Lurie (1947), S. 23 – 25; H. James, Deutschland in der Weltwirtschaftskrise 1924 – 1936, Stuttgart 1988, S. 366f; Buchheim (1994), S. 110 f.

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Bedeutung dieser Politik für den industriellen Kapazitätsausbau genauer bestimmen. Um aus einem Vertragsabschluss auf die Risikoeinschätzung einer Investition seitens des Unternehmens schließen zu können, müsste allerdings gewährleistet sein, dass für die Unternehmen Vertragsfreiheit bestand, d. h. das grundlegende Prinzip gegenseitiger Verträge “Do ut des”28 galt, die Privatwirtschaft also nicht gezwungen wurde, einen Vertrag abzuschließen, wenn er nicht ihren Interessen entsprach. Peter Temin behauptet, für die Unternehmen habe generell keine Wahlfreiheit bestanden.29 Er schreibt dazu: „These contracts were nominally contracts expressing agreement between the two parties. But they were decidedly unequal. The Nazis viewed private property as conditional on its use  –  not as fundamental right. If the property was not being used to further Nazi goals, it could be nationalized.”30 Er geht somit implizit von einem Investitionszwang aus  –  und zwar für die gesamte Dauer des Dritten Reichs. Mit dieser Ausicht steht er allerdings ziemlich allein da.31 Die Autoren, die diese Meinung nicht teilen, haben jedoch keine übereinstimmende Einschätzung zu dem Verhältnis zwischen Staat und Industrie. Vielmehr finden sich in der Literatur eine Reihe ungelöster Probleme und Widersprüche, die teilweise aus unterschiedlichen Wertungen des Verhältnisses zwischen Staat und Industrie aus dem Blickwinkel einzelner Unternehmen bzw. Branchen resultieren. Beispielsweise bezeichnet Overy in seinem Werk über Hermann Göring das Jahr 1936 als Bruch im Verhältnis zwischen Staat und Industrie, weil in diesem Jahr ein bis dato unorganisierter Kapitalismus verstärkt nationalsozialistischen Wirtschaftsideen unterworfen worden sei.32 Indizien dafür seien, so Overy, die unverhohlenen Verstaatlichungsdrohungen Görings an die Adresse der Privatwirtschaft und die Tatsache, dass immer mehr Staatsfirmen gegründet wurden.33 Overy schreibt auch der Gründung der staatlichen Bergbau- und Stahlkonzerns Reichswerke Hermann Göring AG im Jahr 1937, also einer bestimmten Variante der Übernahme des Amortisationsrisikos, “a central place in the wider discussion of the relationship between state and industry in the Third Reich”34 zu. Denn “the results of the (Reichswerke, d.V.) crisis had substantial repercussions on German industry in general in its relationship to the Nazi system. It was openly evident that 28

K. Larenz, Lehrbuch des Schuldrechts.1. Bd.. Allgemeiner Teil, 14., neu bearb. Auflage, München 1987, S. 202. 29 Temin (1991), S. 573 – 593. 30 Ebd., S. 576. 31 C. Buchheim / J. Scherner, Anmerkungen zum Wirtschaftssystem des „Dritten Reichs“, in: W. Abelshauser / J.-O. Hesse / W. Plumpe (Hgg.), Wirtschaftsordnung, Staat und Unternehmen. Neue Forschungen zur Wirtschaftsgeschichte des Nationalsozialismus. Festschrift für Dietmar Petzina zum 65. Geburtstag, Essen 2003, S. 81 – 97, hier S. 82. Bernd Wagner z. B. argumentiert ähnlich wie Temin. Er behauptet für den Fall der IG Farben AG, dass der IG nicht viel anderes übrig blieb, als den Investitionsvorgaben des Staates Folge zu leisten, wenn man eine de-facto-Verstaatlichung verhindern wollte. Vgl. B. C. Wagner, IG Auschwitz. Zwangsarbeit und Vernichtung von Häftlingen des Lagers Monowitz 1941 – 1945, München 2000, S. 36. 32 R. J. Overy, Goering. The Ironman, London 1984, S. 52. 33 Ebd., S. 59 f. 34 R. J. Overy, War and Economy in the Third Reich, Oxford 1994, S. 93.

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Germany`s most powerful industrial interest group had been compelled to retreat in the face of party power.”35 Das Vorgehen des Staates bei der Reichswerkegründung habe, so Overy, eine erhebliche Bedeutung für das ökonomische Verhältnis zwischen Staat und Industrie gehabt: “Though they (the firms, d.V.) could still profit from the system they were forced to do so on the party´s terms. Profit and investment levels were determined by the state, on terms much more favourable to state projects […]. Rational calculation gave way to the primacy of politics.”36 Auch Peter Hayes und Gerhard Mollin sehen das Jahr 1937 als eine Zäsur im Verhältnis zwischen Staat und Industrie.37 Mollin z. B. spricht von einer “neue[n] Form der Befehlswirtschaft“.38 Diese, so der Autor, bedeutete “interventionspolitisch, wirtschaftsrechtlich und staatswirtschaftlich einen revolutionären Bruch in der modernen Wirtschafts- und Verwaltungsgeschichte.”39 Eine ähnliche Meinung vertritt auch Michael von Prollius. Seit der Implementierung des Vierjahresplans Ende 1936 und des Übergangs zu einer Befehlswirtschaft hätte es keine Vertragsfreiheit mehr gegeben, generell keine Rechtssicherheit bestanden und das Eigentumsrecht nur pro forma existiert.40 Er folgert: „Kurzum, den Unternehmen verblieben Freiräume allein im Innenverhältnis, hauptsächlich hinsichtlich der ökonomischen Organisation und Führung ihres Betriebes […]. Alle anderen Entscheidungen waren spätestens ab 1936 nicht mehr frei, sondern gebunden oder gelenkt […]. Durch den Verlust der Freiheit und Kontrolle der Kapitaleigner und Unternehmer wurden ihre Stellung und ihr Eigentum zu einer leeren juristischen Formel ohne wirtschaftliche Funktion degradiert. Es entstand ein „pseudo-industrielles“ System, in dem Gewinnstreben lediglich einen buchhalterischen Status besaß. Formal betrachtet lag das nicht zuletzt daran, dass eine Kriegswirtschaft (oder Wehrwirtschaft) keine Marktwirtschaft und eine Zwangswirtschaft schon gar keine Marktwirtschaft sein kann.“41 Der zeitgenössische Wirtschaftsjurist Ludwig Häberlein erkennt diesen grundsätzlichen Bruch durch die Reichswerkegründung jedoch nicht.42 Ebensowenig konnte der ordoliberale Jurist Franz Böhm in seinem 1937 erschienenen Werk bis dato staatswirtschaftliche Züge in der NS-Wirtschaftsordnung sehen.43 Auch der 35

Ebd., S. 105. Ebd., S. 106. 37 Hayes (1987), S. 169; P. Hayes, Die Degussa im Dritten Reich. Von der Zusammenarbeit zur Mittäterschaft, München 2004, S. 129 f. 38 G. T. Mollin, Montankonzerne und „Drittes Reich“. Der Gegensatz zwischen Monopolindustrie und Befehlswirtschaft in der deutschen Rüstung und Expansion 1936 – 1944, Göttingen 1988, S. 16, 70. 39 Ebd., S. 276. 40 v. Prollius (2003), S. 209, 235f, 244 f. 41 Ebd., S. 277. Ähnlich hatte sich bereits 1943 Ludwig Hamburger geäußert: „In effect, private enterprise has been eclipsed […]. The formality of extensive government ownership has been avoided, but the means of production have been controlled as thoroughly and as effectively as if they had owned and operated by the government. Total regulation has done a job equivalent to nationalizing. It was not necessary for the Nazis to convert business into a government department.” L. Hamburger, How Nazi Germany has controlled Business, Washington 1943, S. 101. 42 L. Häberlein, Das Verhältnis von Staat und Wirtschaft, Berlin 1938, S. 66 f. 43 F. Böhm, Die Ordnung der Wirtschaft als geschichtliche Aufgabe und rechtsschöpferische Leistung, Berlin 1937, S.171. 36

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Rechtshistoriker Stefan Werner stellt lediglich die Frage, ob 1939 der Kriegsausbruch zu einer qualitativen Änderung der Wirtschaftsordnung führte.44 Für die Friedenszeiten beurteilt er sie wie folgt: “Die Wirtschaftsordnung im Nationalsozialismus war keine grundsätzlich andere als in der Weimarer Republik, ohne daß von einer völligen Kontinuität gesprochen werden könnte. Sie entsprach am ehesten den Formen der Kriegswirtschaft des Ersten Weltkriegs, in der die Wirtschaft einer umfassenderen Pflichtenbindung unterworfen worden war.“45 Auch andere Autoren erkennen keine Zäsur im Verhältnis zwischen Staat und Wirtschaft nach 1936.46 Gegen die von Mollin, Overy, Hayes und von Prollius vertretene These einer Dominanz der Befehlswirtschaft ab 1936 / 37 spricht zudem, wie Spoerer betont, der empirische Befund einer auch nach 1935 extrem gut verdienenden Industrie.47 Der Grund dafür sei, so die Hypothese Spoerers, dass das Regime auf die technische und organisatorische Kompetenz der industriellen Eliten nicht verzichten konnte, wenn die staatlich gewünschte Transformation der Produktionsstruktur reibungslos vonstatten gehen sollte.48 Zugleich spricht Spoerer allerdings, ebenso wie andere Autoren49 davon, dass über den Unternehmen immer das Damoklesschwert der Verstaatlichung schwebte, wenn auch dies ein sehr unwahrscheinlicher Fall gewesen sei.50 Andere Autoren äußern sich widersprüchlich. Gerold Ambrosius hebt auf der einen Seite hervor, dass zwar die Verfügungsrechte immer mehr eingeschränkt wurden, das NS-Regime aber auf die Abschaffung der marktwirtschaftlichen privatkapitalistischen Wirtschaftsverfassung verzichtete.51 Auf der anderen Seite deutet er an, dass in Deutschland ab Mitte der 1930er Jahre nicht mehr eine marktwirtschaftliche Ordnung galt.52 Ähnlich widersprüchlich äußerte sich Gottfried Plumpe, nach dem der Staat die Privatwirtschaft als Institution im Wesentlichen unangetastet ließ “und nicht Zwang, sondern wirtschaftliche Anreize benutzte …, um sie zu instrumentalisieren.”53 An anderer Stelle schreibt er jedoch: “Wo die privatwirtschaftlichen Entscheidungen dennoch nicht so ausfielen, wie die staatlichen Wirtschaftsplaner dies wünschten, kam es allerdings zu Zwangsmaßnahmen und direkten Eingriffen und der Substitution privater Unternehmertätigkeit durch staatliche Aktivitäten. Beispiele dafür waren die von Schacht gebildete Pflichtgemeinschaft der Braunkohlenindustrie zur Finanzierung der Braunkohlenbenzin AG, die quasi 44

S. Werner, Wirtschaftsordnung und Wirtschaftsrecht im Nationalsozialismus, Frankfurt 1990, S. 4. 45 Werner (1990), S. 122. 46 M. C. Schneider, Unternehmensstrategien zwischen Weltwirtschaftskrise und Kriegswirtschaft: Chemnitzer Maschinenbauindustrie in der NS-Zeit 1933  –  1945, Essen 2005, S. 127, 140, 159. 47 M. Spoerer, Von Scheingewinnen zum Rüstungsboom. Die Eigenkapitalrentabilität der deutschen Industrieaktiengesellschaften 1925- 1941, Stuttgart 1996, S. 169. 48 Ebd., S. 170. 49 Vgl. z. B. J. Scholtyseck, Robert Bosch und der liberale Widerstand gegen Hitler 1933 bis 1945, München 1999, S. 186. 50 Spoerer (1996), S. 170. 51 G. Ambrosius, Staat und Wirtschaft im 20. Jahrhundert, München 1990, S. 13. 52 Ebd., S. 21. 53 Plumpe (1990), S. 691.

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staatlichen Zellwolleunternehmen und die Reichswerke Hermann-Göring AG.”54 Warum erhöhte aber dann in diesen Fällen der Staat nicht die Anreize? Dieser widersprüchliche Eindruck, den man bei der Auswertung der Literatur gewinnt, wird noch dadurch verstärkt, dass sogar in manchen konkreten Fällen privatwirtschaftlicher Investitionen einige Autoren von Zwang55, andere wiederum von Freiwilligkeit56 sprechen, wie bei den sogenannten regionalen Zellwollewerken. Zugleich zeigt sich, dass in weiteren Fällen, bei denen von Zwang die Rede ist, genaue Belege fehlen.57 Zwang erscheint wegen des totalitären Charakters des NS-Regimes ein einleuchtendes Verhalten staatlicher Instanzen, um von ihnen gewünschte Investitionsprojekte durchzusetzen. Auf der anderen Seite kann angesichts der teilweise widersprüchlichen und manchmal auch wenig belegten Aussagen in der Literatur die Vermutung nicht von vornherein ausgeschlossen werden, Äußerungen über Zwang bzw. Zwangsandrohung seien zum Teil möglicherweise von Beteiligten und Zeitgenossen bewusst lanciert worden, um ihre wirtschaftliche Beteiligung am NS-Regime zu relativieren. Dafür spricht auch, dass zugleich in vielen Fällen von Freiwilligkeit und oft von langwierigen sowie hart geführten, gleichgewichtigen Verhandlungen zwischen Staat und Industrie die Rede ist. 58 Und die jüngere Forschung hat gezeigt, dass anders, als lange vermutet, auch die Beschäftigung von Zwangsarbeitern in der deutschen Industrie im Allgemeinen nicht die Folge eines staatlichen Diktats war, sondern auf freiwilligen Entscheidungen der Unternehmen beruhte.59 Deshalb ist es bei der Beantwortung der zentralen Frage, ob und falls der Abschluss verschiedener Vertragstypen mit unternehmerischen Präferenzen korrelierte, notwendig, eingehend die Vertragsverhandlungen zwischen Staat und Unternehmen daraufhin zu überprüfen, ob sich ein Unternehmen freiwillig, auf Zwang bzw. Zwangsandrohung hin oder in vorauseilendem Gehorsam bereit erklärte, bestimmte Investitionen zu tätigen. In den Fällen, in denen nachweislich Investitionsentscheidungen auf Freiwilligkeit beruhten, rückt somit generell die Rationalität unternehmerischer Entscheidungen im Dritten Reich in den Blickpunkt der Betrachtung. Mit anderen Worten, es soll die Frage beantwortet werden, welche die Handlungsmaximen waren, denen die Unternehmen bei diesen Investitionsentscheidungen folgten. Lässt sich dabei ein einheitliches Muster dafür und für die privatwirtschaftliche Vertragstyppräferenz über einzelne Unternehmen und Branchengrenzen hinaus in Abhängigkeit bestimmter Einflussfaktoren erkennen? Auch diese Frage scheint noch nicht restlos 54

Ebd., S. 705. Lurie (1947), S. 196; Petzina (1968), S. 100f; Petzina (1977), S. 136; Lindner (2001), S. 35; Stratmann (1985), S. 109. 56 D. Reinecke, Die Bedeutung der Zellwolle für die deutsche Textilindustrie, Diss, München 1939, S. 24. 57 Vgl. dazu genauer Kapitel 3.2.2. 58 Vgl. z. B. Hayes (1987 a), S. 140; Lorentz (2001), S. 212; A. Meyhoff, Blohm & Voss im „Dritten Reich“. Eine Hamburger Großwerft zwischen Geschäft und Politik, Hamburg 2001, S. 180f; B. Lorentz / P. Erker, Chemie und Politik. Die Geschichte der Chemischen Werke Hüls 1938 bis 1939. Eine Studie zum Problem der Corporate Governance, München 2003, S. 42, 63, 70. 59 Vgl. z. B. M. Spoerer, Zwangsarbeit unter dem Hakenkreuz, Stuttgart 2001, S. 236 ff. 55

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geklärt zu sein, wie folgendes Beispiel verdeutlicht. So waren nach der vorherrschenden Meinung in der Literatur für die Unternehmen im Dritten Reich im Allgemeinen weniger politische Affinität zum Regime als klassische ökonomische Ziele handlungsleitend, insbesondere das Ziel der Gewinnmaximierung.60 Gilt aber diese Aussage, so lässt sich z. B. aus einem ebenfalls gängigen Urteil der Literatur, dass eine Investition in eine klassische Ersatzstoffbranche wie die Herstellung von Buna (synthetischer Kautschuk), für die über die Regulierung des Außenhandels und staatliche Preispolitik eine hinreichende Absatzmöglichkeit zu rentablen Preisen gewährt worden war, nur unter den Bedingungen der Autarkiepolitik vertretbar war61, eigentlich folgern, dass das betreffende Unternehmen, die IG Farben AG, im Fall des Baus der Buna-II- und der Buna-III-Anlage davon ausging, dass diese staatlich gesetzten Rahmenbedingungen zum Dauerzustand werden würden. Denn für diese Investitionen wurde kein Vertrag geschlossen, in denen der Staat das volle Amortisationsrisiko übernahm. Diese der IG unterstellte Annahme erscheint aber nicht unbedingt vereinbar mit dem Ziel der Gewinnmaximierung. Denn sie bedeutet, dass ein zentraler Einflussfaktor dieses Unternehmenskalküls, nämlich die zukünftige staatliche Wirtschaftspolitik, die per se mit Unsicherheit behaftet ist, von der IG als ein sicherer Faktor betrachtet worden wäre. Wenn aber diese Annahme gelten würde, warum wollten dann viele Unternehmen bei anderen staatlich gewünschten Investitionen überhaupt eine vertraglich zugesicherte vollkommene oder weitgehende Risikoabnahme, wie in der Luftfahrtindustrie oder die IG Farben AG für den Ausbau der Kohlehydrierung in Leuna oder den Bau der Buna-I-Anlage?62 Es sind also noch folgende zentrale Fragen in Bezug zu den Investitionen in den Autarkie- und Rüstungsbranchen ungeklärt und sollen Gegenstand dieser Unter­ suchung sein: 1. Welche Facetten der staatlichen Förderungen gab es in zentralen Autarkie- und Rüstungsbranchen und welche Bedeutung hatten sie für deren wirtschaftliche Entwicklung? 2. Inwieweit gab es eine Logik staatlicher Wirtschaftspolitik in der Investitionsförderung? 3. Kamen privatwirtschaftliche Investitionen in diesen Branchen überwiegend auf freiwilliger Basis oder nur durch Zwang bzw. Zwangsandrohungen zustande? 4. Welche Muster der Vertragswahl seitens der Unternehmen lassen sich gegebenenfalls in den Fällen, in denen privatwirtschaftliche Investitionen auf Freiwilligkeit beruhten, erkennen? Spielten bei den Entscheidungen der Unternehmen dabei insbesondere, wie die Hinweise in der Literatur nahe legen, Überlegungen zur Risikoeinschätzung der Investitionen und zur Wettbewerbsfähigkeit der mit den neuen Anlagen zu produzierenden Güter unter Normalbedingungen eine entscheidende Rolle? Änderte sich gegebenenfalls die Normalisierungserwartung?

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Vgl. z. B. Spoerer (1996), S. 18; Hayes (1987 a), S. 192; B. A. Caroll, Design for Total War. Arms and Economics in the Third Reich, The Hague 1968, S. 69f; Plumpe (1990), S. 34; Gaul (2004), S. 427; zur ideologischen Nähe mancher IG-Manager zum Nationalsozialismus und der Unzulässigkeit zur Übertragung auf den Gesamtkonzern, was die Verfolgung spezifischer Ziele anbelangt, vgl. Wagner (2000), S. 326 f. 61 Mommsen (1999), S. 13. 62 Budraß (1998), Birkenfeld (1964).

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1.2 Vorgehensweise Um diese Fragen zu beantworten, sollen zunächst einmal die jeweiligen unterschiedlichen Fördervarianten im zweiten Kapitel dargestellt und analysiert werden. Dabei sollen nicht nur die anreiztheoretischen Implikationen der verschiedenen Vertragsformen untersucht, sondern auch die Frage beantwortet werden, ob es sich um neue Verfahren handelte oder nicht. Anschließend sollen Investitionsentscheidungen und staatliche Förderung in wichtigen, laut Literatur durch die NS-Politik begünstigten Branchen betrachtet werden, und zwar in der synthetischen Treibstoff- und Kautschukindustrie sowie bei der Produktion der diesen Branchen vorgelagerten Investitionsgüter  –  Hochdruckhohlkörper sowie Karusselldrehbänke  – , weiterhin in der halbsynthetischen Chemiefaserindustrie, bei der Gewinnung und Verhüttung von Kupfer-, Zink- und Bleierzen sowie der Aluminium-, Tonerde-, Glycerin- und Salpetersäureproduktion. Dieser Auswahl liegen folgende Überlegungen zugrunde: Synthetischer Kautschuk und Treibstoff zählen zu den Gütern, die eine besonders zentrale Rolle in der Autarkiepolitik des Dritten Reichs spielten. Auch wenn diese Branchen, wohl aufgrund ihrer Bedeutung, relativ gut erforscht sind, was die technische und wirtschaftliche Entwicklung anbelangt, so sind bedeutende staatliche Quellenbestände bisher noch gar nicht oder nur zu einem geringen Teil berücksichtigt worden. Dabei handelt es sich in erster Linie um Akten im Bestand des Reichwirtschaftsministeriums, die aus dem ehemaligen Zentralstaatsarchiv der DDR aus Potsdam stammen, und die für die Beantwortung der hier aufgeworfenen Fragen von zentraler Bedeutung sind, da in ihnen die Vertragsverhandlungen zwischen Staat und Unternehmen in beiden Branchen sowie staatliche Strategien ausführlich dokumentiert sind. Angesichts der Bedeutung dieser beiden Branchen sollen bei ihrer Betrachtung am Beispiel der Hochdruckhohlkörper- sowie der Karusselldrehbankproduktion zwei der Benzinhydrierung und der Bunaherstellung vorgelagerte Investitionsgüterindustrien berücksichtigt werden. Im Vergleich zur synthetischen Treibstoff- und Kautschukindustrie waren die Investitionen, die für die gleichfalls massiv gesteigerte Glycerinproduktion und die Herstellung hochkonzentrierter Salpetersäure (Hokosäure) getätigt wurden, wesentlich geringer. Allerdings waren diese Produkte, die bisher nicht Gegenstand der Forschung waren, von zentraler Bedeutung für die zur Realisierung des Lebensraumziels so wichtige Pulver- und Sprengstoffindustrie63, also einer genuinen Rüstungsbranche. Eine gemeinsame Betrachtung der privatwirtschaftlichen Investitionsentscheidungen bei diesen chemischen Produkten zusammen mit Buna, Treibstoff und den vorgelagerten Investitionsgütern in einem Kapitel legt der Umstand nahe, dass in all diesen Branchen – bis auf die Investitionsgüter – die IG eine dominante Rolle spielte, was die notwendigen Produktionsverfahren und / oder die Investitionstätigkeit anbelangt, ja zum Teil sogar eine Monopolstellung innehatte, und sich daher möglicherweise typische Entscheidungsdeterminanten genauer feststellen lassen. 63

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Im Unterschied zu Buna und synthetischem Treibstoff wissen wir wenig über die staatliche Förderung und die wirtschaftliche Entwicklung der Produkte der halbsynthetischen Chemiefaserindustrie  –  Zellwolle und Kunstseide  –  sowie der Nichteisenmetalle Blei, Zink, Kupfer und Aluminium, obwohl auch diese Branchen zum Teil in den 1930er Jahren erheblich expandierten und von großer Bedeutung für die Rüstungs- und Autarkieziele des NS-Regimes waren. Sowohl den Nichteisenmetallen als auch der halbsynthetischen Chemiefaserindustrie wird ein eigenes Kapitel gewidmet. Diese Aufteilung ist zum einen dem Umstand geschuldet, dass bei diesen Produkten im Unterschied zu den vorher genannten Branchen die IG Farben AG gar keine oder zumindest keine dominante Rolle spielte. Zum anderen standen die Produkte zum Teil in einer komplementären Beziehung, wie die Gewinnung von Blei- und Zinkerzen, zum Teil in einer substitutiven Beziehung wie Aluminium und Kupfer im Verbrauch oder die Kunstseide- und die Zellwolleproduktion hinsichtlich der Anlagenverwendung. Auch hier lassen sich auf Grundlage von Akten aus staatlichen und Unternehmensarchiven Verhandlungen und Vertragsabschlüsse rekonstruieren. Die bei der Betrachtung der jeweiligen Branchen gewonnenen, von Kapitel zu Kapitel erweiterten und präzisierten Erkenntnisse über die Logik und Wirkung staatlicher Förderung sowie über die Rationalität privatwirtschaftlicher Investitionsentscheidungen sollen in einem abschließenden Kapitel zusammengefasst werden. In Abweichung zur üblichen Ergebnispräsentation in historischen und wirtschaftshistorischen Untersuchungen wird hier eine modellhafte Darstellungsweise sowie eine knappe empirische Überprüfung gewählt. Die Grundannahmen des „Mo­ dells“ resultieren dabei aus offensichtlich allgemeingültigen Verhaltensweisen und generellen Handlungsmaximen von Staat und Wirtschaft, die sich bei der Untersuchung ergeben haben. Ziel des Modells ist es zu prognostizieren, welche Art staatlicher Förderung und welche Art von Vertragsabschluss bei welcher Ausprägung welcher spezifischer Faktoren, die sich zuvor in der Untersuchung der betrachteten Branchen als relevant gezeigt haben, zustande gekommen sein müssten. Überprüft werden diese Aussagen anhand der jeweiligen vorher geschilderten Situation der einzelnen Branchen. Das dient nicht nur als Probe für die Plausibilität des Modells, wenigstens für die hier betrachteten Branchen, sondern auch noch einmal einer gegenüberstellenden knappen Darstellung der jeweiligen Ergebnisse, die sich bei der Untersuchung der Branchen ergeben haben. Gewählt worden ist diese modellhafte Darstellungsweise zum einen aufgrund der Tatsache, dass ohnehin jeder histori­ schen Interpretation ein, wenn auch meist nicht explizit formuliertes Modell zugrunde liegt.64 Zum anderen dürfte eine derartige Darstellung zu einer schärferen Konturierung der Resultate beitragen, und insofern ein präziser Ausgangspunkt für weitere Forschungen über Staat und Wirtschaft im Dritten Reich sein. Die Untersuchung beschränkt sich nicht auf die Auswertung der einschlägigen Literatur, zeitgenössischen Darstellungen und publizierten Quellen, darunter insbesondere der Statistischen Jahrbücher für das Deutsche Reich und des Statistischen 64

G. Ambrosius, Staat und Wirtschaftsordnung. Eine Einführung in Theorie und Geschichte, Stuttgart 2001, S. 9.

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Handbuchs von Deutschland. Vielmehr stützt sie sich überwiegend auf Quellen aus staatlichen und Unternehmensarchiven. Hervorzuheben sind dabei die Bestände des Reichsrechnungshofes, der Deutschen Revisions- und Treuhand AG, des Reichswirtschaftsministeriums, des Reichsfinanzministeriums und der Deutschen Bank im Bundesarchiv, der Vereinigten Glanzstoffwerke AG und der Duisburger Kupferhütte AG im Rheinisch-Westfälischen Wirtschaftsarchiv, der Gebr. Giulini GmbH im Stadtarchiv Ludwigshafen, das Historische Archiv der Dresdner Bank, die Unternehmensarchive der BASF AG, der Bayer AG und der ehemaligen Hoechst AG sowie das Historische Archiv Krupp.

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2. Varianten der Investitionsförderung in den Autarkie- und Rüstungsbranchen 2.1. Einleitung Wie erwähnt, beruhte ein Großteil der Investitionen der Ersatzstoff- und Rüstungsbranchen, neben der Errichtung neuer oder dem Ausbau bereits bestehender staatlicher Unternehmen, auf vertraglichen Vereinbarungen zwischen Staat und privatwirtschaftlichen Unternehmen. Zu unterscheiden ist nach zeitgenössischer Diktion zwischen Wirtschaftlichkeitsgarantieverträgen, dem Förderprämienverfahren, Zuschussund Pachtverträgen. Weiterhin gab es die Zubilligung hoher Sonderabschrei­bungen, staatliche Investitionssubventionen, befristete Steuerbefreiungen, staatliche Beteiligungen, Darlehen und Bürgschaften, die im Folgenden alle unter dem Begriff „Risikoteilungsverträge“ zusammengefasst werden. Daneben erfolgten noch Eingriffe des Staates in die Preispolitik und den Außenhandel sowie in Absatzmärkte durch Verwendungszwang etc. Diese Maßnahmen werden hier als „implizite Risikoteilungsverträge“, wie an anderer Stelle genauer erläutert wird, bezeichnet. Ein zentraler Unterschied zwischen Risikoteilungsverträgen auf der einen Seite und Wirtschaftlichkeitsgarantie-, Zuschuss- und Pachtverträgen sowie dem Förderprämienverfahren auf der anderen Seite war der Umstand, dass mit den letztgenannten Vertragstypen nicht nur die Schaffung, sondern auch die Auslastung der Kapazitäten geregelt wurde, d. h. insbesondere die Produktionsmenge und Preisbildung eines bestimmten Gutes. Mit anderen Worten, diese Vertragstypen hatten also zugleich den Charakter sogenannter Beschaffungsverträge. Bei Verträgen mit Beschaffungscharakter können sich nun typische anreiztheoretische Probleme ergeben, falls es eine asymmetrische Informationsverteilung zwischen dem „Prinzipal“  –  dem Staat  –  und dem „Agent“  –  dem Unternehmen  –  gibt, wie unlängst auch Jochen und Sabine Streb am Beispiel von reinen Beschaffungsverträgen der Wehrmacht im Zweiten Weltkrieg gezeigt haben. Eine asymmetrische Informationsverteilung ist insbesondere zu erwarten, wenn es für das von dem Unternehmen produzierte Gut keine Wettbewerbspreise gibt, was vor allem dann der Fall ist, wenn es sich, wie bei vielen Autarkie- und Rüstungsgütern, um neuartige Produkte oder um solche mit einer monopolistischen Angebotsstruktur handelt. In solchen Fällen wird die Preisbildung, aufgrund des Mangels an Markt

Zu Beschaffungsverträgen, vgl. J.-J. Laffont / J. Tirole, A Theory of Incentives in Procurement and Regulation, Cambridge, Massachusetts, 1993, S. 12 ff.  Vgl. z. B. R. Richter / E. Furubotn, Neue Institutionenökonomie. Eine Einführung und kritische Würdigung, Tübingen 1996, S.163ff, 217 ff.  Streb / Streb (1998), S. 275 – 294. Vgl. auch Streb (2003 a), S. 116; J. Streb, Das Scheitern der staatlichen Preisregulierung in der nationalsozialistischen Bauwirtschaft, in: Jahrbuch für Wirtschaftsgeschichte 2003 / 1, S. 27 – 48.  Vgl. dazu auch z. B. J. P. Miller, Military Procurement Policies: World War II and Today, in

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preisen, üblicherweise entweder durch sogenannte Festpreis- oder Selbstkostenverträge geregelt. Während bei letzteren den Unternehmen bei der Produktion eines bestimmten Gutes die Erstattung der Selbstkosten inklusive eines gewissen Gewinnaufschlags zugesichert wird, beruhen Festpreisverträge auf der Gewährung eines bestimmten, ex ante ausgehandelten Preises. Bei beiden Vertragsformen kann sich die asymmetrische Informationsverteilung in spezifischen Anreizproblemen äußern. Bei Selbstkostenverträgen tritt das Problem des „moralischen Risikos“ auf, das sich daraus ergibt, dass kein Anreiz besteht, mit möglichst geringen Kosten zu produzieren, da sich dadurch der Gewinn des Unternehmens nicht erhöht und der Auftraggeber zugleich die Anstrengung des Unternehmens zur Effizienzsteigerung nicht beobachten kann („versteckte Handlung“). Festpreisverträge wiederum lösen dieses Problem auf, da das Unternehmen bei einem derartigen Vertragsregime natürlich den Anreiz hat, die Selbstkosten möglichst zu senken. Allerdings ziehen Festpreisverträge für den Staat das Problem der „adversen Selektion“ nach sich. Der Informationsvorsprung des Produzenten schafft für das Unternehmen den Anreiz, bei den Preisverhandlungen, in denen ja auch Selbstkostenvoranschläge einfließen, überhöhte Kosten anzugeben („versteckte Information“). Auch besteht die Gefahr, dass die Unternehmen versuchen, Vorteile dadurch zu erzielen, dass die von ihnen produzierten Güter und Leistungen von schlechter Qualität sind. Die Branchen, in denen die Vertragstypen, die nicht nur einen Investitions-, sondern auch einen Beschaffungscharakter hatten, eingesetzt wurden, waren in den meisten Fällen durch eine derartige asymmetrische Informationsverteilung gekennzeichnet. Die Investitionen, die durch diese Vertragstypen geschaffen wurden, waren zugleich beachtlich. So wurde zwischen 1933 und 1944 über Pachtverträge und Wirtschaftlichkeitsgarantieverträge (einschließlich verwandten Verträgen) jeweils Kapital in Höhe von wenigstens ca. 5,5 Mrd. RM investiert. Das entsprach in etwa einem Viertel der gesamten im Deutschen Reich in diesem Zeitraum getätigten Industrieinvestitionen. Das Investitionsvolumen, das unter dem Regime von Risikoteilungsverträgen getätigt wurde, ist schwer abschätzbar. Es soll aber im Verlauf der Untersuchung wenigstens für die hier betrachteten Branchen, soweit sie in derartiger Form gefördert wurden und soweit entsprechende Daten zur Verfügung stehen, jeweils angegeben werden. The American Economic Review, Bd. 42, 1952, S. 453 – 475, hier S. 455; W. P. Rogerson, Economic Incentives and the Defense Procurement Process, in The Journal of Economic Perspectives, Bd. 8, 1994, S. 65 – 90, hier S. 67.  Vgl. z. B. F. M. Scherer, The Theory of Contractual Incentives for Cost Reduction, in: The Quarterly Journal of Economics, Bd. 78, 1964, S. 257 – 280, hier S. 258.  Das bezieht sich ausschließlich auf die Pachtanlagen der Montan in Höhe (Stand 1.11.1944), der Luftpachtanlagen (Stand 31.1.1942) und der Wifo GmbH (Stand 31.3.1944).Vgl. Tabelle 1.  Das bezieht sich ausschließlich auf die durch Wirtschaftlichkeitsgarantieverträge geförderten Kapazitäten bei Hydrier- und Fischer-Tropsch-Anlagen (Tabelle 8), der Buna I Anlage in Höhe von 205,3 Mio. RM (BArch R 3101 / 18448, Bl. 280) sowie auf die Investitionen in der Luftrüstungsindustrie (ohne Luftpachtanlagen) bis 31.8.1939 (BArch R 2 / 5551, Bl. 17).  Vgl. zur Höhe der Industrieinvestitionen im Dritten Reich, J. Scherner, Nazi Germany´s Preparation for War. Evidence from Revised Industrial Investment Series (unveröffentlichtes Manuskript).

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Angesichts der überragenden Bedeutung dieser Vertragstypen für den industriellen Kapazitätsausbau im Dritten Reich ist es überraschend, dass sich die einschlägi­ge Literatur mit ihnen, insbesondere aus der genannten vertragstheoretischen Perspektive heraus, bisher überhaupt nicht oder nur stark verkürzt beschäftigt hat, wobei da­ von auch noch einiges, wie sich zeigen wird, ungenau ist. Dabei drängen sich im Zu­ sammenhang damit eine Reihe wichtiger Fragen auf, wie zum Teil schon erwähnt:

1) Wie waren die jeweiligen Vertragstypen, aus anreiz- und vertragstheoretischer Perspektive betrachtet, gestaltet? Wurden seitens der staatlichen Vertragspartner Regeln durchgesetzt, die zur effizienten Produktion führten, oder war bei der Gestaltung der Verträge in Anlehnung an Hitlers Denkschrift zum Vierjahresplan „die Frage des Kostenpreises […] gänzlich belanglos“10, wie die Literatur oftmals allgemein für die Wirtschaftspolitik im Dritten Reich behauptet? Wurden generell in den Rüstungs- und Autarkiebranchen Selbstkostenverträge abgeschlossen? Wo liegen Gemeinsamkeiten und worin bestehen Unterschiede zwischen den verschiedenen Vertragstypen? 2) Kam es möglicherweise zu einem institutionellen Lernen bei den Vertragspartnern, d. h. kam es unter anreiztheoretischen Prämissen zu einer Verbesserung der Vertragsgestaltung oder nicht? Hat sich im Lauf der Zeit ein Verfahren als überlegen herausgestellt, weil es die Unternehmen zu größerer Effizienz zwang? Verfolgten die jeweiligen staatlichen Institutionen, die Verträge mit der Industrie abschlossen, unterschiedliche Ziele, was sich dann möglicherweise in einer unterschiedlichen Vertragsgestaltung niederschlug? 3) Spiegelt sich der von manchen Autoren apostrophierte Bruch in der Wirtschaftspolitik nach der Ablösung Schachts11 in seiner Funktion als Reichswirtschaftsminister im Jahr 1937 auch in einer unterschiedlichen Verwendung der jeweiligen Vertragstypen wider? Mit anderen Worten, spielte, angesichts der von Teilen der Literatur aufgestellten Behauptung, dass seit 1937 / 38 staatliche Unternehmen eine zunehmende Bedeutung erlangten, der Abschluss von Verträgen danach keine große Rolle mehr? 4) Waren die geschaffenen Vertragstypen eine originäre Schöpfung des NS-Staates oder griff man auf Erfahrungen bzw. Modelle früherer Perioden zurück?

Im Vordergrund dieses Kapitel stehen dabei die Vertragsformen bzw. ihre spezifische Ausprägung, die bei den in dieser Untersuchung betrachteten Branchen zum Einsatz kamen. Allerdings wird auf vergleichbare Vertragstypen, die in anderen Branchen verwendet wurden, ebenfalls kurz eingegangen.

2.2 Der Wirtschaftlichkeitsgarantievertrag und seine Varianten 2.2.1 Der „klassische“ Wirtschaftlichkeitsgarantievertrag Das wohl bekannteste staatliche Instrument zur Investitionsförderung war der sogenannte „Wirtschaftlichkeitsgarantievertrag“, mit dem der Staat mittels Preis- und Absatzgarantien das Amortisationsrisiko von den Unternehmen auf sich verlagerte. Ein im Grundsatz vergleichbares Instrument hatte das Reich bereits im Ersten Welt Lurie

(1947), 186f; zu Pachtverträgen, vgl. Hopmann (1996), zu Wirtschaftlichkeitsgarantieverträgen, vgl. z. B. Birkenfeld (1964). 10 Treue (1955), S. 208. 11 Vgl. z. B. Mollin (1988), S. 70.

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krieg angewendet, um gewünschte Kapazitäten z. B. bei der Stickstoff12- und der Stapelfaserproduktion13 aufzubauen. Im Dritten Reich wurde erstmalig ein Wirtschaftlichkeitsgarantievertrag im Dezember 1933 zwischen der IG Farben AG und dem Reich abgeschlossen, der den Ausbau der synthetischen Treibstoffproduktion in Leuna regelte.14 Erste Überlegungen und Vorarbeiten zu diesem auch „Benzinvertrag“ genannten Abkommen reichten auf jeden Fall bis zum Frühjahr 193315, mögli­ cherweise sogar noch in die Weimarer Zeit hinein.16 Auch in anderen Ländern wurden zu Beginn der 1930er Jahre Wirtschaftlichkeitsgarantieverträge zur Investitionsförderung eingesetzt. In Großbritannien war 1933 eine erste privatwirtschaftliche Hydrieranlage zur Gewinnung von Treibstoff aus Kohle in Betrieb genommen worden, für die der britische Staat Preis- und Absatzgarantien ausgesprochen hatte.17 Bei den im Dritten Reich abgeschlossenen Wirtschaftlichkeitsgarantieverträgen handelte es sich um eine weitgehend standardisierte Vertragsform. Zunächst trat sie nur in der Form sogenannter „Einzel-Wirtschaftlichkeitsgarantieverträge“, im folgenden nur Wirtschaftlichkeitsgarantieverträge genannt, später auch in der Form von „Gruppen-Wirtschaftlichkeitsgarantieverträgen“, auch als „Wirtschaftlichkeitsgarantie neuen Typs“ bezeichnet, auf. Die Branchen, in denen sie abgeschlossen wurden, waren z. B. die Gewinnung synthetischer Treibstoffe18 nach dem Hydrier- oder Fischer-Tropsch-Verfahren, die Produktion von Holzzucker, von Tonerde, von Hochdruckhohlkörpern19, die bei der Syntheseproduktion verwendet wurden, und von synthetischem Kautschuk20. Wirtschaftlichkeitsgarantieverträge wurden auch nach Kriegsausbruch abgeschlossen.21 Rechtsgrundlage war das „Gesetz zur Übernahme von Garantien zum Ausbau der Rohstoffwirtschaft“.22 Staatlicher Vertragspartner war in allen bekannten Fällen das Reichswirtschaftsministerium. In Verträgen mit einer Laufzeit von i.d.R. zehn Jahren verpflichtete sich auf der einen Seite ein privates Unternehmen, eine be12

Plumpe (1990), S. 74; allgemein zu Absatzgarantien im Ersten Weltkrieg, vgl. Roth (1997), S. 226. 13 C. Königsberger, Die deutsche Kunstseiden- und Kunstfaserindustrie in den Kriegs- und Nachkriegsjahren und ihre Bedeutung für unsere Textilwirtschaft, Berlin 1925, S. 73. 14 Vgl. z. B. Hayes (1987 a), S. 119. 15 J. Scherner, „Das ‚Gesetz zur Übernahme von Garantien zum Ausbau der Rohstoffwirtschaft’ und die NS-Autarkiepolitik“, in J. Bähr / R. Banken (Hg.), Wirtschaftssteuerung durch Recht im Nationalsozialismus. Studien zur Entwicklung des Wirtschaftsrechts im Interventionsstaat des „Dritten Reichs“, Frankfurt a.M., 2006, S. 343 – 364. 16 Birkenfeld (1964), S. 30. 17 Hayes (1987 a), S. 118; Plumpe (1990), S. 269. 18 Vgl. z. B. G. Ambrosius, Von Kriegswirtschaft zur Kriegswirtschaft (1914 – 1945), in: M. North (Hg.), Deutsche Wirtschaftsgeschichte. Ein Jahrtausend im Überblick, München 2000, S. 282 – 351, hier S. 336f; Plumpe (1990), S. 269. 19 Es handelte sich um metallische Hohlkörper mit einer Länge bis zu 18 Meter, einem Meter Durchmesser und einem Fertigungsgewicht von 60 bis 80 Tonnen. BArch R 3101 / 18237, Bl. 13. 20 Streb (2003 a), S. 116; Wagner (2000), S. 28. 21 Vgl. z. B. BArch R 3101 / 18220, Bl. 716; BArch R 3101 / 18240, Pölitzvertrag vom 19.1. / 13.4.1942. 22 RGBl. 1934 I, S. 1253. Vgl. zur Entstehungsgeschichte dieses Gesetzes, Scherner (2006 a).

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stimmte Anlage zu errichten und sie mit Vollauslastung zu betreiben.23 Auf der anderen Seite gab das Reich für die gesamte Laufzeit und Produktion eine Preis- und Absatzgarantie, die die Amortisation und eine Verzinsung in Höhe von i.d.R. fünf Prozent des eingesetzten Kapitals beinhaltete.24 Damit trug der Staat bei diesem Vertragstypus das volle Amortisationsrisiko für das ursprünglich investierte Kapital. Allerdings bezog sich die Abschreibungsgarantie in der Regel nicht auf die Ersatzinvestitionen, die die Unternehmen tätigen mussten, um ihre Vollauslastungsverpflichtung zu erfüllen  –  ein Aspekt, der manchmal in der Literatur übersehen wird.25 Durch den Wirtschaftlichkeitsgarantievertrag wurden die Verfügungsrechte des Unternehmens beschränkt, da es zur Nutzung der Anlagen für den vertraglich festgelegten Verwendungszweck verpflichtet war. Der Staat hatte immer ein umfassendes, vertraglich zugesichertes Prüfungsrecht. Die Festschreibung dieses Rechtes beruhte auf § 45c (2) der Reichshaushaltsordnung (RHO) von 1922. Danach sollte der Staat sich ein derartiges Recht bei Bürgschafts-, Gewähr- oder anderen wirtschaftlichen Zwecken dienenden Verträgen einräumen lassen.26 Ein derartiges Recht war in den Verträgen im Ersten Weltkrieg noch nicht festgeschrieben.27 Schadenersatzansprüche waren vertraglich nicht geregelt und ergaben sich somit aus den zivilrechtlichen Normen des BGB. Nach Ablauf der Vertragszeit hatte das Unternehmen uneingeschränkte Eigentums- und Verfügungsrechte an den Anlagen, ohne dass noch irgendwelche Ansprüche des Staates wie im Fall eines Zuschussvertrags abzugelten gewesen wären.28 Beim Wirtschaftlichkeitsgarantievertrag konnten dem Reich Kosten dadurch entstehen, dass es die Differenz abdecken musste, um die der sogenannte Garantiepreis den tatsächlichen Erlös überschritt, also ein Mindererlös auftrat.29 Unter dem Garantiepreis einer Abrechnungsperiode verstand man dabei die tatsächlichen Selbstkosten der vorherigen Periode, die, wie erwähnt, die Verzinsung und Abschrei­ bung des eingesetzten Kapitals beinhalteten. Lediglich im ersten Betriebsjahr musste auf geschätzte Selbstkosten zurückgegriffen werden.30 Danach wurde der Garantiepreis nach einem oder zwei Jahren für die einzelnen Unternehmen aufgrund einer 23

Die Anlaufzeit einer Produktion wurde dabei zum Teil zusätzlich berücksichtigt. Vgl. z. B. BArch R 3101 / 18240, Pölitzvertrag vom 19.1. / 13.4.1942, § 3. 24 Vgl. z. B. BArch R 3101 / 18362, Victorvertrag vom 23.5.1935, § 2 (2); BASF-Archiv, IG-Bestand, B 4 / 760, Benzinvertrag vom 14.12.1933, § 1 i.V. mit § 2. 25 Vgl. z. B. Lorentz / Erker (2003), S. 35. 26 Reichshaushaltsordnung vom 31.12.1922, in RGBL. 1923 II, S. 617. Diese Norm galt trotz einiger Novellen der RHO in dem gesamten Untersuchungszeitraum. W. Wawerla / L. Ambrosius, Grundriß des Verwaltungsrechts, Bd. 1: Das Haushaltsrecht, Düsseldorf 1958, S. 260f; RGBl. II 1933, S. 1007ff; RGBl. I 1934, S. 232ff; RGBl. II 1936, S. 209ff; RGBl. II 1938, S. 145 ff. 27 Roth (1997), S. 222. 28 Ausnahmen gab es nur im Fall der Braunkohle-Benzin AG (BRABAG) und Hibernia-Scholven AG. BArch R 3101 / 18354, Bl. 284 ff. Hier hatte der Staat einen Anspruch auf eine Abfindung nach Ende der Vertragslaufzeit. Der Grund dafür war, dass der Vertrag bei diesen Unternehmen auch Abschreibungen für Ersatzinvestitionen garantierte. BArch R 3101 / 18362, Bl. 29. 29 Vgl. z. B. BArch R 3101 / 18362, Victorvertrag vom 23.5.1935, § 4 (2); BASF-Archiv, IG-Bestand, B4 / 760, Benzinvertrag vom 14.12.1933, § 5. 30 Vgl. z. B. BArch R 3101 / 18362, Victorvertrag vom 23.5.1935, § 2 (1); BASF-Archiv, IG-Bestand, B 4 / 760, Benzinvertrag vom 14.12.1933, § 4 (1); BArch R 3101 / 18240, Pölitzvertrag vom

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Nachprüfung ermittelt, mit der die tatsächlichen Selbstkosten der letzten Periode festgestellt wurden.31 Die Implementierung dieses Grundsatzes angepasster Festpreise war auf die Initiative des damaligen Staatssekretärs im Reichswirtschaftsministerium und ökonomischen Vordenkers der NSDAP Gottfried Feder zurückzuführen, der damit übermäßige Gewinne der Industrie unterbinden wollte.32 Dieser Garantiepreis wurde teilweise ex post um solche Kostenersparnisse berichtigt, die nicht auf eine Leistung des Unternehmens zurückzuführen waren, wie während einer Periode gewährte Steuernachlässe etc.33 Mehrerlöse, also eine Überschreitung des Garantiepreises durch die tatsächlich erzielten Erlöse, mussten manchmal ganz34, manchmal hingegen nur zum Teil35 an das Reich abgeführt werden. Minderkosten, also eine Unterschreitung der auf Basis der Selbstkosten der Vorperiode ermittelten Garantiepreise durch die tatsächlichen Selbstkosten, verblieben in manchen Fällen ganz den Unternehmen.36 In anderen Fällen wurde der Staat proportional bzw. progressiv an der Differenz zwischen prognostizierten und tatsächlichen Selbstkosten beteiligt.37 Unabhängig von der jeweiligen, explizit38 oder auch implizit39 in den Verträgen geregelten Minderkostenregelung, hatten allerdings die Unternehmen immer die gesamten Mehrkosten zu tragen. Die Norm, dass Minderkosten ganz oder zum Teil den Unternehmen zustanden, schuf bei dieser Vertragsform für die Unternehmen grundsätzlich einen Anreiz, kostensenkende Maßnahmen vorzunehmen.40 Gleichzeitig wurde durch die Mehrkos19.1. / 13.4.1942, § 3; BArch R 3101 / 18361, Ruhrchemievertrag vom 31.7.1934, § 2 (1); BArch 3101 / 18222, BRABAG-Vertrag vom 24.5.1939, § 6 (2). 31 Vgl. z. B. BArch R 3101 / 18362, Victorvertrag vom 23.5.1935, § 2 (1); BASF-Archiv, IG-Bestand, B 4 / 760, Benzinvertrag vom 14.12.1933, § 4 (2); BArch R 3101 / 18240, Pölitzvertrag vom 19.1. / 13.4.1942, § 3 (2); BArch R 3101 / 18361, Ruhrchemievertrag vom 31.6.1934, § 2 (2). 32 Plumpe (1990), S. 272. 33 Vgl. z. B. BArch R 3101 / 18447, Buna-I-Vertrag 16.8.1937. 34 Vgl. z. B. BArch R 3101 / 18362, Victorvertrag vom 23.5.1935, § 5; BASF-Archiv, IG-Bestand, B 4 / 760, Benzinvertrag vom 14.12.1933, § 5 (1); BArch R 3101 / 18361, Ruhrchemievertrag vom 31.7.1934, § 5. 35 Vgl. z. B. BArch R 3101 / 18240, Pölitzvertrag vom 19.1. / 13.4.1942, § 5 (3); BArch 3101 / 18222, BRABAG-Vertrag vom 24.5.1939, § 6 (4); BArch R 3101 / 18447, Buna-I-Vertrag 16.8.1937 § 11 in Verbindung mit dem Aktenvermerk vom 6.2.1940, Bl. 302. 36 Vgl. z. B. BASF-Archiv, IG-Bestand, B 4 / 760, Benzinvertrag vom 14.12.1933 in Verbindung mit BArch R 3101 / 18357, Hauptsächlicher Inhalt der Garantieverträge zur Benzingewinnung vom 14.1.1935, Bl. 38; BArch 3101 / 18222, BRABAG-Vertrag vom 24.5.1939, § 6. 37 Vgl. z. B. BArch R 3101 / 18361, Ruhrchemievertrag vom 31.6.1934, § 4 (2); BArch R 3101 / 18362, Victorvertrag vom 23.5.1935, § 4 (2); BArch R 3101 / 18447, Buna-I-Vertrag 16.8.1937 § 11 in Verbindung mit dem Aktenvermerk vom 6.2.1940, Bl. 302. Für Buna, vgl. auch Streb (2003 a), S. 117. 38 Vgl. z. B. BArch R 3101 / 18362, Victorvertrag vom 23.5.1935, § 4 (2). 39 Vgl. z. B. BArch R 3101 / 18240, Pölitzvertrag vom 19.1. / 13.4.1942; BArch 3101 / 18222, BRABAG-Vertrag vom 24.5.1939. 40 Zur grundsätzlichen Anreizwirkung eines Wirtschaftlichkeitsgarantievertrags i.S. eines Festpreisvertrags, vgl. auch Mackenroth (1938), S. 721. Neben der sogenannten „Ersparnisprämie“ (Mackenroth (1938), S. 721) konnten die Unternehmen auch noch zusätzliche Gewinne dadurch erzielen, dass sie über die Garantiemenge hinaus produzierten (Vgl. z. B. Birkenfeld (1964), S. 34). Allerdings entstand daraus nur insoweit ein echter Anreiz, als die Inlandspreise so hoch sein mus-

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tenregelung nachlässiges Verhalten sanktioniert. Die Täuschungsmöglichkeiten i. S. einer Angabe überhöhter Selbstkosten waren i.d.R. jedoch gering. Denn der Effizienzanreiz in einem Wirtschaftlichkeitsgarantievertrag beruhte auf Minderkosten, die sich, wie erwähnt, bis auf die erste Periode aus der Differenz der tatsächlichen Selbstkosten der Vorperiode und den tatsächlichen Selbstkosten der laufenden Periode ergaben. Allerdings hatten die Unternehmen natürlich die Möglichkeit, „versteckte“ Gewinne zu erzielen. So konnten Unternehmen, wie auch den zuständigen Beamten sowohl im Reichswirtschaftsministerium als auch im Reichsfinanzministerium bewusst war41, beispielsweise überteuerte Lieferungen innerhalb des eigenen Unternehmens für die geförderten Anlagen abrechnen, oder im Fall eines Mehrproduktunternehmens überhöhte Gemeinkosten auf die Kosten des geförderten Gutes umlegen. Daher bestimmten die staatlichen Planer bereits frühzeitig, nämlich 193342, mit der Hibernia AG einen Staatsbetrieb, der ein Hydrierbenzinwerk zu errichten hatte, und von dem man glaubte, er verfüge über die technischen Voraussetzungen, mithilfe einer Lizenz Hydrierbenzin zu erzeugen.43 Als expliziter Grund für die Produktion von Hydrierbenzin durch die dann gegründete Hibernia-Tochter Hydrierwerk Scholven AG wurde angeführt, dass damit „das Reich die sichere Möglichkeit erhält, ein ungefärbtes Bild über die technische wie die wirtschaftliche Entwicklung des Verfahrens zu gewinnen.“44 Mit anderen Worten, der Staat war sich über die asymmetrische Informationsverteilung und das daraus resultierende Problem bei Abschluss eines Wirtschaftlichkeitsgarantievertrags im Klaren und bemühte sich deshalb, seine Informationsbasis zu verbessern.45 Das Misstrauen des Staates, das sich in der Gründung des Hydrierwerkes Scholven manifestierte, war nicht unbegründet. Die dem späteren Benzinvertrag als Höchst­ preisgrenze zugrunde liegende Kalkulation, die die IG im September 1933 dem Reichs­ wirtschaftsministerium zuschickte46, war deutlich höher als eine Ende Juni 1933 für den internen Gebrauch aufgestellte Berechnung des Unternehmens.47 Die Unterschiede ergaben sich insbesondere dadurch, dass in der internen Kalkulation für den sten, dass sie die Selbstkosten deckten. Das traf, jedenfalls von Produzenten von Synthesebenzin, im allgemeinen erst ab 1936 zu. 41 BArch R 2 / 60219, Vermerk über Besprechungen im RWM über die Förderung der Mineralölindustrie, 12.12.1933; BArch R 3101 / 18357, Vermerk vom 26.3.1936, Bl. 202. 42 BArch R 3101 / 18354, Aktenvermerk vom 10.8.1935. 43 BArch R 3101 / 18354, Schreiben der Bergwerksgesellschaft Hibernia AG an den Reichsminister der Finanzen vom 28.6.1935, Bl. 239. Zu weiteren Motiven der Bergwerksgesellschaft Hibernia AG, ein Hydrierwerk zu bauen, vgl. Kapitel 3.2.3. 44 BArch R 3101 / 18354, Schreiben der Bergwerksgesellschaft Hibernia AG an den Reichsminister der Finanzen vom 28.6.1935, Bl. 239. 45 Ein Engagement in einer bestimmten Branche zur Verbesserung seiner Informationen war der Staat bereits in der Weimarer Republik eingegangen. Man wollte damals Kenntnisse über die Selbstkosten der Unternehmen bestimmter Branchen gewinnen, um sich eine bessere Entscheidungsgrundlage hinsichtlich der Festlegung von Tariflöhnen im Rahmen der staatlichen Zwangsschlichtung zu verschaffen. H.-J. Winkler, Preußen als Unternehmer, Berlin 1965, Bl. 143 f. 46 BASF Archiv, M 83, Schreiben der IG an das Reichswirtschaftsministerium vom 27.9.1933. 47 BASF Archiv, M 36, Vergleich verschiedener Kalkulationen vom 6.10.1933.

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Faktor Arbeit  –  also einem in einem Mehrproduktunternehmen wie in Leuna schwer zuordenbaren Input  –  als auch für die benötigte Energie wesentlich niedrig­ere Kosten veranschlagt wurden, als in der „offiziellen“, für das Reichs­wirt­schafts­ministe­ rium bestimmten Berechnung. Auch war in letzterer ein erheblich um­fang­reiche­rer Reparaturbedarf angesetzt und für den Rohstoffbedarf deutlich höhere Kosten angegeben. So wurden für chemische Kontaktmittel (Katalysatoren), wie man dem Reichswirtschaftsministerium mitteilte, angeblich entsprechend des Versuchsstandes vom Juni 1933 24,79 RM pro 100 kg Benzin ausgewiesen  –  in der internen Berechnung Ende Juni 1933 jedoch nur 8,20 RM! Allein diese augenfällige Dif­ ferenz machte bereits ca. ein Drittel des gesamten Unterschiedsbetrags zwischen beiden Kalkulationen aus. Dafür, dass es sich um eine bewusste Täuschung gehandelt haben dürfte, spricht zudem, dass die interne Kalkulation vom Juni 1933 fast iden­tisch mit den Ergebnissen ausführlicher Untersuchungen und technischer Versuche im Jahr 1932 über die voraussichtlichen Gestehungskosten der Hydrierung von Braun­kohle war, die wiederum, wie an anderer Stelle ausführlich erläutert werden soll, erst die Grundlage für die für die IG zentrale Entscheidung waren, überhaupt die Benzinhydrierung fortzuführen.48 Diese Prognosen bewahrheiteten sich dann auch in der folgenden Zeit.49 Mit anderen Worten, all diese Überlegungen weisen da­rauf hin, dass die IG wahrscheinlich versucht hatte, ihren Informationsvorteil auszunutzen, um versteckte Gewinne im Fall eines Vertragsabschlusses erzielen zu können. Es kam also bei dem Wirtschaftlichkeitsgarantievertrag ein Festpreisvertrag zum Einsatz. Da der Festpreis  –  bis auf die erste Periode  –  auf den korrigierten Selbstkosten der vorausgegangenen Periode beruhte, wurde das normalerweise Festpreisverträgen inhärente Problem nicht beobachtbarer Selbstkostenvoranschläge weitgehend gelöst. Der Staat hatte zudem in den Verträgen Qualitätsstandards festgeschrieben, weil er sich darüber bewusst war, dass ansonsten für die Unternehmen die Versuchung bestehen würde, durch die Produktion von Minderqualitäten Vorteile aus den Festpreisverträgen zu ziehen.50 Trotz dieser Regelungen bestand unter bestimmten Bedingungen dennoch kein Anreiz, realisierbare Effizienzverbesserungen sobald als möglich vorzunehmen, d. h. der Vertrag konnte zeitweise auch als Selbstkostenvertrag wirken. Das konnte dann der Fall sein, wenn das Unternehmen davon ausging, dass es mittelfristig zu einer Steigerung der Produktionsmenge kommen konnte. Normalerweise war ja die Produktionsmenge konstant und für die Laufzeit des Vertrages festgelegt. Allerdings wurden in manchen Fällen vertraglich fixierte Kapazitätserweiterungen durchgeführt, woraus ein Anreiz für das Unternehmen in der Erwartung dieser Kapazitätserweiterung resultieren konnte, Effizienzverbesserungen solange herauszuzögern, bis man ein größere Menge produzieren würde. Ein derartiges Verhalten wäre dann gewinnmaximierend, wenn der dadurch entstehende Zusatzgewinn den Zinsverlust, der durch die zeitliche Verschiebung der Verbesserungen gegenüber ihrer sofortigen Implemen48

Vgl. dazu ausführlich Kapitel 3.2.3. Vgl. dazu ausführlich Kapitel 3.2.3. 50 BArch R 43 II / 486, Begründung zu einem Entwurf über ein „Gesetz zur Förderung der Deutschen Mineralölwirtschaft“ vom 14.10.1933, Bl. 49. 49

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tierung entstehen würde, überkompensieren würde. Allerdings dürfte ein solches Verhalten angesichts des Umstandes, dass zum ersten derartige Kapazitätserweiterungen ja nicht kontinuierlich, sondern wenn, in der Regel nur einmal erfolgten, und zum zweiten ohnehin nur bei einer Handvoll Unternehmen51, bei der Produktivitätsentwicklung der entsprechenden Branchen nicht besonders ins Gewicht gefallen sein. Der Informationsvorsprung der Unternehmen schuf zudem einen Spielraum für die Firmen, die Anlagen umfangreicher zu planen, als dem Vertragszweck angemessen war. Ein Anreiz für eine derartige Überkapitalisierung konnte dann entstehen, wenn die Unternehmen nicht ausschlossen, dass eine Konversion der Anlagen zur Herstellung anderer Produkte nach Vertragsende notwendig sein könnte. Die entsprechenden Kapazitäten bei der Buna- und der Treibstoffproduktion jedenfalls konnten nach Vornahme bestimmter Ergänzungsinvestitionen ohne weiteres für andere Güter verwendet werden.52 Es ließ sich allerdings kein Beleg dafür finden, dass die Unternehmen aufgrund dieses Anreizes zu kapitalintensiv produziert hätten. 2.2.2 Modifikationen des Wirtschaftlichkeitsgarantievertrags Ein Problem bei Wirtschaftlichkeitsgarantieverträgen waren die hohen Transaktionskosten.53 Man musste immer wieder die Selbstkosten und die Verkaufserlöse ermitteln, um die jeweiligen Geldströme zwischen Staat und Unternehmen bestimmen zu können. Auch aus diesem Grund wurde nachweislich seit Anfang 1939 die Möglichkeit des Abschlusses von Gruppenverträgen eingeräumt, die von Unternehmen alternativ zu Einzelverträgen in Anspruch genommen werden konnten.54 Der erste zentrale Unterschied dieser Gruppenverträge gegenüber den herkömmlichen Verträgen war, dass der Garantiepreis nicht mehr für einzelne, sondern für mehrere Unternehmen galt, die das gleiche Gut produzierten.55 Weiterhin verpflichtete sich der Staat, eine etwaige Differenz zwischen prognostizierten Selbstkosten (anstelle der tatsächlichen Selbstkosten der Vorperiode) und Erlösen zu decken. Außerdem galt die Selbstkostenschätzung für einen längeren Zeitraum. Erst nach Ablauf von 51

Vgl. auch Kapitel 3.2.2. Vgl. zu den Konversionsmöglichkeiten Kapitel 3.2.3. 53 So heißt es über den klassischen Wirtschaftlichkeitsgarantievertrag im Reichswirtschaftsministerium, er sei ein „schwerfälliges Vertragsinstrument“. BArch R 3101 / 18447, Aktenvermerk des Reichswirtschaftsministeriums vom 1.2.1940, Bl. 280. Bereits 1937 wurde vermerkt: „Verträge alter Art sind für das Reich und die Firmen lästig.“ BArch R 3101 / 18316, Aktenvermerk vom 11.5.1937, Bl. 127. 54 BArch R 3101 / 18353 / 1, Aktenvermerk vom 23.1.1939, Bl. 13 ff. 55 Vorher hatte man in Kreisen der staatlichen Stellen zunächst an eine Globalgarantie für alle Erzeuger verschiedener Treibstoffarten, wie Benzin und Diesel, gedacht. Über Verlustausgleichskassen sollten Produkte wie Diesel, die einen geringeren Preis erzielten, aber vergleichbare Gestehungskosten wie Benzin hatten, innerhalb der Treibstoffindustrie subventioniert werden. Vgl. BArch R 3101 / 18220, Schreiben des Hamburger Synthesegaswerks vom 12.3.1937, Bl. 336. Diese Pläne wurden aber offensichtlich nie realisiert. 52

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fünf Jahren sollte eine erneute Schätzung auf der Grundlage der tatsächlichen durch­ schnittlichen Selbstkosten der an dem Gruppenvertrag beteiligten Unternehmen erfolgen. Stückkostensenkungen, die innerhalb der Fünfjahresperiode realisiert wurden, verblieben in Gruppenverträgen somit voll den Unternehmen. Mehrerlöse gingen an das Reich.56 Der Vorteil dieses Verfahrens lag für den Staat eindeutig in dem Umstand, dass er während der Fünfjahresperiode lediglich Informationen über die Erlöse brauchte, nicht aber die tatsächlichen Selbstkosten Jahr für Jahr nachprüfen musste. Die Überwachungskosten waren also wesentlich geringer. Auf der anderen Seite waren die Täuschungsmöglichkeiten für die Unternehmen größer als bei Einzel-Wirtschaftlichkeitsgarantieverträgen, da ja für die gesamte erste Fünfjahresperiode der Garantieerlös auf Schätzungen beruhte. Zudem wurden auch Absprachen zwischen Unternehmen möglich. Seit Ende 1936 war den Unternehmen auch die Möglichkeit zugestanden worden, anstelle eines Wirtschaftlichkeitsgarantievertrags eine sogenannte „Wirtschaftlichkeitszusage“ zu erhalten. Darunter verstand man eine Zusage des Staates gegenüber den Unternehmen, in dem Moment, in dem rentable Erlösbedingungen nicht mehr gegeben wären, einen herkömmlichen Einzel-Wirtschaftlichkeitsgarantievertrag abzuschließen. Von der Möglichkeit wurde auch Gebrauch gemacht. Nachweislich angewendet wurde das Instrument der Wirtschaftlichkeitszusagen bei dem Aufbau von Fischer-Tropsch-Anlagen, bei Hydrieranlagen und bei der Teerherstellung57, die ein Vorprodukt für die synthetische Treibstoffindustrie war. Die Vorteile, die sich bei Wirtschaftlichkeitszusagen für den Staat gegenüber herkömmlichen Wirtschaftlichkeitsgarantieverträgen ergaben, waren, dass keine Trans­aktionskosten in Form von Vertragsverhandlungen und von Betriebsprüfungen anfielen. Außerdem wurden Wirtschaftlichkeitszusagen, für die ja kein Vertrag geschlossen wurde, auch nicht gemäß § 8 b RHO im Reichshaushalt ausgewiesen. Seit 1926 mussten nämlich für Bürgschafts-, Gewähr- und andere ähnlichen wirtschaftlichen Zwecken dienende Verträge im Haushaltsplan Mittel eingesetzt werden, um eine eventuell sich ergebende Inanspruchnahme des Reiches durch die Garantie abdecken zu können.58 Damit erhöhte die Gewährung einer Wirtschaftlichkeitszusage anstelle eines Wirtschaftlichkeitsgarantievertrags faktisch die haushaltsrechtlichen finanziellen Spielräume und die Kreditwürdigkeit des Reiches. Eine weitere Variante der vollkommenen Risikoübernahme durch das Reich für Investitionen, die im Eigentum des Unternehmens blieben, war der sogenannte „Vor­

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R. G. Stokes, Opting for Oil. The political economy of technological change in West German chemical industry, 1945 – 1961, Cambridge 1994, S. 223. 57 Vgl. z. B. BArch R 3101 / 18220, Schreiben des Beauftragten des Vierjahresplans Göring an die Kohlenveredlungs- und Schwelwerke AG vom 14.12.1936, Bl. 128f; BArch R 3101 / 18304, Schreiben des Beauftragten des Vierjahresplans Göring an Hoesch-Benzin vom 14.12.1936; BArch R 3101 / 18335, Schreiben des Beauftragten des Vierjahresplans Göring an die Schaffgotsch-Benzin GmbH vom 8.9.1938. 58 Reichshaushaltsordnung vom 31.12.1922, in RGBL. 1923 II, S. 617; Wawerla / Ambrosius (1958), S. 171.

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2.2 Der Wirtschaftlichkeitsgarantievertrag und seine Varianten

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finanzie­rungs­vertrag“59. In dem einzigen Fall, für den sich ein derartiger Vertrag60 finden ließ, waren die Vertragspartner die Maxhütte und im Namen des Reichs die Verwertungsgesellschaft für Montanindustrie GmbH (Montan), also das Unternehmen, unter dessen Dach die Heereseigenen Industriebetriebe (HIB) als Treuhandvermögen des Reiches zusammengefasst wurden. Diese HIB waren, wie an anderer Stelle noch genauer gezeigt werden wird, an private Betreiber verpachtet.61 Die Maxhütte war Betreiber einer derartigen Pachtanlage in Unterwellenborn, in der Geschosshülsen produziert wurden. Zur Finanzierung einer neuen Anlage zur Geschosshülsenherstellung, die unmittelbar neben dem HIB Unterwellenborn errichtet werden und Eigentum der Maxhütte sein sollte62, verpflichtete sich die Montan, den Pachtvertrag außer Kraft zu setzen und zugleich der Maxhütte einen Auftrag zur Produktion von drei Millionen Geschosshülsen zu verschaffen.63 Die Maxhütte durfte die HIB-Anlage, ohne Pacht zu leisten, nutzen, musste aber dafür unmittelbar neben dieser Anlage ein neues Werk mit eigenen Mitteln errichten (§ 1).64 Von dem Auftrag über drei Millionen Geschosshülsen durften maximal zwei Millionen auf der HIB-Anlage hergestellt werden. Für die Abnahme der Geschosshülsen wurde ein Festpreis festgelegt, in dem ein Betrag zur Deckung und Amortisation von 95 Prozent der Investitionskosten, die der Maxhütte bei der Errichtung der eigenen Anlage entstanden, eingerechnet wurde zuzüglich eines 6%igen Gewinnaufschlags (§ 3.1; § 5 a). Weiterhin verpflichtete sich die Maxhütte, die neue Anlage bevorzugt für das OKH zu verwenden, bei Nutzung für fremde Aufträge die kalkulierten Abschreibungsbeträge an das Reich abzuführen und die Anlage bis 1951 für OKH-Aufträge instand zuhalten (§ 8, § 9) Wie üblich, war ein Prüfungsrecht des Reichs gemäß § 45c RHO festgelegt worden (§ 10). Von der Wirkungsweise einem klassischen Wirtschaftlichkeitsgarantievertrag vergleichbar waren auch unbefristete Abschreibungsgarantien, die das Reich der Luftfahrtindustrie zugestand.65 Sie wurden allerdings nach 1937 nicht mehr vergeben. Im Rahmen des 1938 eingeleiteten sogenannten Kapitalschnitts, mit dem ein großer Teil von Krediten, die das Reich den Unternehmen gewährt hatte, in Beihilfen umgewandelt worden waren, verpflichteten sich die Unternehmen zum Teil in Verträgen, die Abschreibungsgarantien zurückzugeben.66 Allerdings wurde in manchen Fällen die unbefristete Abschreibungsgarantie mit dem Beihilfevertrag in eine 59

BArch R 2301 / 5588, Schreiben der Mitteldeutschen Stahlwerke AG an den Reichsrechnungshof vom 23.2.1939, Bl. 28. 60 BArch R 2301 / 5588, Vertrag zwischen der Maxhütte und der Montan vom 4.11. / 30.12.1938, Bl. 20 ff. 61 Kapitel 2.3.1. 62 Vgl. auch BArch R 2301 / 5588, Aktenvermerk vom 21.3.1941, Bl. 7. 63 BArch R 2301 / 5588, Vertrag zwischen der Maxhütte und der Montan vom 4.11. / 30.12.1938, Bl. 20 f. 64 Vgl. auch BArch R 2301 / 5588, Vorkalkulation des Festpreises vom 5.10.1937, Bl. 29. 65 Budraß (1998), S. 364. 66 Vgl. z. B. BArch R 2 / 5475, Vertrag zwischen dem Reich und dem Flugzeugreparaturwerk Braunschweig GmbH vom 2.711.12.1940, § 5. Zum Kapitalschnitt allgemein und zu den Konditionen, zu denen sich die Unternehmen im Gegenzug verpflichten mussten, vgl. auch BArch R 2 Anh. / 37, Bl. 31 f.

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befristete umgewandelt.67 Zugleich verpflichteten sich die Unternehmen, Erweiterungsinvestitionen zu tätigen.68 Seit 1937 erfolgte dabei die Auftragsvergabe an die Luftfahrtindustrie grundsätzlich nur zu Festpreisen. Die Bildung der Festpreise, eine weitere Ähnlichkeit zu klassischen Wirtschaftlichkeitsgarantieverträgen, erfolgte dabei auf Basis von nachkalkulierten Selbstkosten der vorausgegangenen Periode. Auch hier kam es, wie bei manchen Wirtschaftlichkeitsgarantieverträgen, zu einem teilweisen Abschöpfen von Kostensenkungen gegenüber der Vorperiode. Denn die Gewinne durften grundsätzlich nicht zehn Prozent des Umsatzes übersteigen. Allerdings bestand die Möglichkeit, dass der „Übergewinn“ anstelle einer Abtretung an das Reich oder einer Verrechnung mit zukünftigen Aufträgen dem Unternehmen für zusätzliche Abschreibungen überlassen werden konnte.69 Diese Möglichkeit sollte ausdrücklich gemäß der Preisbildungsrichtlinie der Regelfall und nicht die Ausnahme sein. Angesichts einer derartigen Handhabung liegt es nahe, dass die Unternehmen annahmen, dass sie Übergewinne behalten durften. Deshalb, und weil die Unternehmen nicht mit Sicherheit davon ausgehen konnten, dass es in kommenden Jahren zu Folgeaufträgen kommen würde, war im Bereich der Luftfahrtindustrie der Anreiz, die Kosten zu senken, gegeben.70 In Wirtschaftlichkeitsgarantieverträgen zur Produktion von Hochdruckhohlkörpern passte man die Vertragsgestaltung den Erfordernissen von Staat und Industrie flexibel an. So wurden die Bestimmungen, die bei der Treibstoffsynthese die Amortisations- und Verzinsungsgarantie auf eine in einem bestimmten Zeitraum zu erfüllende Produktionshöhe bezogen, modifiziert. Die Verzinsung und Abschreibung des Kapitals wurde auf die Zahl der Hochdruckhohlkörper umgelegt, die entsprechend der Planungen des Vierjahresplans Hydrierwerken geliefert werden sollten.71 Im Fall, dass die Anlagen auch nach der Produktion dieser Stückzahl für weitere Hochhohldruckkörper verwendet werden würden, sollte über eine Ausgleichskasse zwischen Alt- und Neubeziehern gewährleistet werden, dass erstere in Form höherer Stückpreise nicht langfristig diskriminiert wurden (§ 5 IV). Die Preise waren ausgehandelte Festpreise (§ 3 III).

67

Vgl. z. B. BArch R 2 / 5467, Beihilfevertrag zwischen dem Reich und der Erla Maschinenwerk GmbH vom 6.4.1938, § I 3, § II 4; BArch R 8135 / 5271, Prüfung des Jahresabschluss der „Weser“ Flugzeugbau GmbH, S. 4 f. 68 Budraß (1998), S. 492 f. 69 BArch R 2 / 5475, Endgültige Fassung der Richtlinie über Preisbildung und Finanzierung vom 12.6.1937, Bl. 31. Für Beispiel derartiger Festpreisverträge, vgl. z. B. BArch R 8135 / 5271, Jahresabschlussprüfung 1938 bei der der „Weser“ Flugzeugbau GmbH, S. 17. 70 Vgl. auch L. Budraß / J. Scherner / J. Streb, Demystifying the German Armament Miracle During World War II. New Insights from the Annual Audits of German Aircraft Producers, Yale University Economic Growth Center Discussion Paper No. 905, 2005. 71 BArch R 3101 / 18220, Vertragsentwurf vom 29.9.1937, Bl. 393 – 394. Dieser Vertrag wurde auch abgeschlossen. BArch R 8135 / 201, Bericht über die bei der Friedrich Krupp AG, Gußstahlfabrik Essen, vorgenommene Sonderprüfung 1940.

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2.3 Pachtverträge und reichseigene Maschinen

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2.3 Pachtverträge und reichseigene Maschinen 2.3.1 Pachtverträge In beträchtlichem Umfang wurden auch über Pachtverträge Kapazitäten vor allem zur Herstellung von Rüstungsgütern geschaffen. Grundsätzliches Merkmal dieser Verträge war, dass Eigentümer und Finanzier der Anlagen das Reich, Betreiber hingegen ein privatwirtschaftlicher Pächter war. Derartige Vertragskonstruktionen hatte das Reich ebenfalls bereits im Ersten Weltkrieg verwendet.72 Die frühesten dieser Verträge während der NS-Zeit lassen sich in das Jahr 1934 datieren. Damals wurden die ersten Heereseigene Industriebetriebe (HIB) und Pachtanlagen der Wirtschaftlichen Forschungsgesellschaft m.b.H. (Wifo) gegründet. Daneben gab es auch noch Pachtanlagen der Luftwaffe73 und der Marine74. Mit der Idee, HIB zu gründen, beschäftigten sich staatliche Instanzen bereits in der Weimarer Zeit.75 Da die HIB, was das Investitionsvolumen anbelangt, eine ungleich größere Bedeutung hatten als die Luftfahrtpachtanlagen oder gar die Betriebe der Wifo76, stehen erstere im Zentrum der folgenden Betrachtung.77 Die HIB waren unter einer Dachgesellschaft, der Verwertungsgesellschaft für Montanindustrie GmbH (Montan), zusammengefasst.78 In den reichseigenen Rüstungsbetrieben wurden überwiegend Pulver, Sprengstoff und andere chemische Erzeugnisse, aber auch Waffen, Motoren, Munition, Kampffahrzeuge, Panzer und Zubehör produziert.79 Zum Zeit72

K. Helfferich, Der Weltkrieg, Bd.II: Vom Kriegsausbruch bis zum uneingeschränkten U-Bootkrieg, Berlin 1919, S. 120 f; W. le Coutre, Die Grundgedanken der deutschen Preispolitik im Weltkriege 1914 – 1918, Berlin 1919, S. 61. 73 Hopmann (1996), S. 123; 195 f. Zu den Pachtanlagen der Luftfahrtindustrie, vgl. auch insbesondere Budraß (1998), S. 366 f. 74 Vgl. z. B. für Krupp, Abelshauser (2002 b), S. 340; für Blohm & Voss, Meyhoff (2001), S. 153, 183 ff. 75 Hopmann (1996), S. 21 f. 76 Die Wifo GmbH hatte im Prinzip die gleiche vertragliche Konstruktion wie die Montan GmbH: Das Reich war  –  direkt oder indirekt  –  Gesellschafter, stellte die Mittel zur Verfügung und erteilte die Bauaufträge. Auch hier sollte das Reich als Auftraggeber verschleiert werden. BArch R 2301 / 5971, Bl. 73. In ihren Betrieben wurden Vorprodukte für die Pulver- und Sprengstoffproduktion, wie Schwefel, Toluol, Salpetersäure und Oleum hergestellt. Vgl. z. B. BArch R 3101 / 18432, Bl. 7ff; BArch R 121 / 2818, Der finanzielle Aufbau der Wirtschaftlichen Forschungsgesellschaft mbH (Wifo), S. 4. Ihre Hauptaufgabe war aber nicht die Errichtung von Vorproduktanlagen, sondern der Bau von Tanklagern. Vgl. dazu Petzina (1968), S. 71; Boelcke (1985), S. 40. 77 Vgl. dazu auch Tabelle 1. Daten für Marinepachtanlagen waren nicht auffindbar. 78 Alleiniger Gesellschafter war ein hoher Ministerialbeamter des Reichsfinanzministeriums. Er hatte im Auftrag des Reichs zunächst die Firma „Dr. Löffelad’s Maschinenbau G.m.b.H.“ in Donauwörth aufgekauft. Diese Firma war 1916 als Rüstungsunternehmen gegründet worden (Hopmann (1996), S. 26ff) und gehörte seit 1924 zu den sogenannten „Schwarzen Fabriken“ der Reichswehr. Das waren Fabriken, die unter Missachtung der Bestimmungen des Versailler Vertrags geheim gehaltene Kapazitäten zur Rüstungsgüterproduktion hatten, und zugleich auch, ebenfalls geheim gehalten, Rüstungsgüter produzierten und sie über einen Strohmann, die Stamag GmbH an die Reichswehr lieferten. E. W. Hansen, Reichswehr und Industrie: rüstungswirtschaftliche Zusammenarbeit und wirtschaftliche Mobilmachungsvorbereitungen 1923  –  1932, Boppard am Rhein 1978, S. 66. 79 Hopmann (1996), S. 119 f. Vgl. auch Boelcke (1985), S. 42; Bagel-Bohlan (1975), S. 115. Zu

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punkt der größten Ausdehnung im Jahr 1943 gab es 126 HIB mit insgesamt 179.000 Beschäftigten.80 Zwischen 1934 und 1944 wurden 4,5 Mrd. RM in die HIB investiert  –  was in etwa den gesamten für das Jahr 1939 ausgewiesenen Bruttoanlageinvestitionen der deutschen Industrie entsprach.81 Tabelle 1: Entwicklung der Montan-, Wifo- und Luftfahrtpachtanlagen nach ihrem Anschaffungswert (Mio. RM) 31.12.1934 31.12.1935 31.3.1936 31.3.1937 31.3.1938 31.3.1939 31.3.1940 31.3.1941 31.3.1942 31.3.1943 31.3.1944

Montananlagen 0,9 16,0 32,5 131,9 316,1 630,6 1.132,5 2.180,3 3.329,1 3866,5 4.500

Wifoanlagen k.A. k.A. k.A. k.A. k.A. k.A. k.A. k.A. k.A. 112,5 150,1

Luftfahrtanlagen k.A. k.A. k.A. k.A. k.A. 71 k.A. k.A. 342 k.A. 850

Quellen: Für die Montananlagen (1934 – 1943), vgl. Hopmann (1996), S.121 Tab. 14; für 1944 (Stand 1.11.1944), vgl. BArch R 2301 / 5503, Geschäftsbericht der Montan vom 1.11.1944, Bl. 260; für die Wifoanlagen, vgl. für 1943, BArch R 2 / 5253, Bericht der Deutschen Revisions- und Treuhand AG zur Umstellungsbilanz vom 1.4.1943, für 1944 (Stand 31.3.1944) BArch R 121 / 2818, Der finanzielle Aufbau der Wirtschaftlichen Forschungsgesellschaft mbH (Wifo), S. 2; für die Luftfahrtanlagen, vgl. für 1938 und 1942 BArch R 2 / 5551, Bl. 17, für 1944 Hopmann (1966), S. 124. Die Angaben zu den Luftfahrtpachtanlagen beziehen sich generell nicht auf die in der Tabelle ausgewiesenen Monate, sondern auf den 31.8.1939, den 31.1.1942 und den 31.12.1944.

Ziel der Montan GmbH war somit die Schaffung von Rüstungskapazitäten. Von der rechtlichen Konstruktion her ist einerseits zwischen den Vertragspartnern und andererseits zwischen den Vertragsformen zu unterscheiden. Vertragspartner waren nach einer Denkschrift des Rechnungshofes: 1) Das Deutsche Reich (Wehrmachtsfiskus) vertreten durch das OKH (vorher durch das Reichskriegsministerium). 2) Die Verwertungsgesellschaft für Montanindustrie G.m.b.H. in Berlin als Treu­händer des Reiches und Dachgesellschaft über alle Heereseigenen Industriebetriebe. 3) Die Muttergesellschaften, ausgewählt aus Großkonzernen, mittleren Firmen und Einzelpersonen der privaten Wirtschaft, die hinsichtlich ihrer Kapitalkraft, ihrer Erfahrungen auf konstruktivem, technischem und betriebsorganisatori­schem Gebiet eine einwandfreie Führung und Fertigung gewährleisten können.

dem Pachtbetrieb z. B. von Bosch, vgl. Scholtyseck (1999), S. 134f; Hopmann (1996), S. 80. Hopmann (1996), S. 111, S. 117. 81 Statistisches Handbuch von Deutschland 1928 – 1944, München 1949, S. 605. 80

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2.3 Pachtverträge und reichseigene Maschinen

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4) Die Betriebsgesellschaften. Sie sind hinsichtlich ihres finanziellen Aufbaus Tochtergesellschaften der unter 3) genannten Firmen etc. und hinsichtlich ihres Verhältnisses zum Wehrfiskus Betriebstreuhänderfirmen.82

Die wichtigsten vertraglichen Bindungen unterschied das gleiche Dokument folgendermaßen: 1) Montanvertrag. Durch ihn wird Montan, deren Geschäftsanteile sich restlos im Besitz des Reichs befinden, als Treuhänder des Reichs für alle HIB als Dachgesellschaft und Aufsichtsorgan über alle Betriebstreuhandfirmen eingesetzt. Der Vertrag bestimmt insbesondere, daß die Einnahmen der Montan, die aus den von den Betriebstreuhänderfirmen abzuführenden Abschreibungen und den Pachtzinsen bestehen, nach Abzug der Geschäftsführungskosten restlos dem Reich zur Verfügung stehen. 2) Der Vorbescheid. Er wird als vorläufiger Bauauftrag vom Heereswaffenamt als Vertreter des Wehrmachtsfiskus der Muttergesellschaft erteilt und enthält die wesentlichen Bestimmungen der später abzuschließenden Hauptverträge (Mantel- und Pachtvertrag). 3) Der Mantelvertrag. Er wird zwischen Reich, vertreten durch das OKH, und den Muttergesellschaften geschlossen und enthält die Bestimmungen, unter denen die Gesellschaft im Auftrag und für Rechnung des OKH eine Fertigungsstelle einzurichten und betriebsfertig zu unterhalten hat. 4) Der Pachtvertrag zwischen Tochtergesellschaften (Betriebstreuhänderfirmen) und der Dachgesellschaft. Montan bestimmt, unter welchen Voraussetzungen die HIB den Betriebstreuhänderfirmen zur Durchführung ihrer Fertigungsaufträge pachtweise überlassen werden. Er sieht die Zahlung eines Pacht­zinses in Form einer Beteiligung am Reingewinn in Höhe von 33 1 / 3  –  50% und die Abführung der vom OKH der Firma in den Preisen vergüteten Abschrei­bungen an die Montan vor.83

Bei den Pachtverträgen finanzierte also im Unterschied zu Wirtschaftlichkeitsgarantieverträgen das Reich die Anlagen und verpachtete sie für eine Dauer von zehn bis 15 Jahren an einen privaten Betreiber.84 Die sogenannten Mutterfirmen stellten Personal, ihre Betriebserfahrung und Schutzrechte zur Verfügung. Der Pachtvertrag konnte jederzeit durch das Reich gekündigt werden.85 Die Standorte der HIB waren getarnt und im Allgemeinen in abgelegenen Gebieten, was zu einer überteuerten Bauweise führte.86 Abnehmer der produzierten Güter war ausschließlich die Wehrmacht, ohne dass aber eine Auftragsverpflichtung bestanden hätte.87 Durch umfangreiche Kontrollrechte konnte der Staat dabei weitgehend die tatsächlichen Kosten 82

BArch R 2301 / 5619, Heereseigene Industriebetriebe und ihre Prüfung durch den Rechnungshof des Deutschen Reichs, Bl. 2. 83 Ebd. Daneben gab es noch die Betriebssatzungen, die von der Montan für die Betriebstreuhänderfirma festgelegt wurden und in dem Gesellschaftsvertrag der von der Muttergesellschaft zu gründenden Tochtergesellschaft enthalten waren. Die Organe dieser Gesellschaft waren 1) der / die Gesellschafter, 2) Generalversammlung, 3) Aufsichtsrat, in dem neben den Gesellschaftern zwei Vertreter des OKH Sitz und Stimme hatten. 84 Hopmann (1996), S. 73 85 Vgl. z. B. ebd., Anlage 7, S. 273ff, Mantelvertrag zwischen dem Deutschen Reich und der Dynamit AG vom 4.3.1940, § 11 (1). 86 BArch R 2301 / 5591, Stellungnahme betr. Rentabilität der Montanbetriebe vom 7.3.1942, Bl. 39. 87 Vgl. z. B. Hopmann (1996), S. 73, 273ff, Anlage 7, Mantelvertrag zwischen dem Deutschen Reich und der Dynamit AG vom 4.3.1940, § 2 (5).

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beobachten88, was aber Absprachen der Unternehmen untereinander prinzipiell nicht ausschloss. Nach Ablauf der Vertragszeit hatte, im Unterschied zu Wirtschaftlichkeitsgarantieverträgen, der Staat, nicht aber das private Unternehmen die vollen Eigentums- und Verfügungsrechte an den HIB. Damit war bei Pachtanlagen, im Unterschied zu Wirtschaftlichkeitsgarantieverträgen, die Gefahr, dass bei der Anlagenplanung etwa aufgrund langfristiger Konversionsabsichten des Betreibers gemessen an dem Vertragszweck zu hohe Kosten entstanden sein könnten, nicht gegeben.89 Die im Pachtvertrag erwähnte Pachtzinsbestimmung richtete sich nach dem Auslastungsgrad und Umsatz der Werke: Waren sie voll ausgelastet, hatte die Muttergesellschaft im Normalfall Anspruch auf 50 Prozent, ansonsten nur auf ein Drittel der erwirtschafteten Gewinne.90 Dieser Gewinnanteil ist als Kompensation für das Know-how des Betreibers, seine Betriebsführung und die Bereitstellung des Umlaufkapitals zu interpretieren. Ebenso wie bei Wirtschaftlichkeitsgarantieverträgen handelte es sich um einen weitgehend standardisierten Vertragstypus.91 Die Preisbestimmungen, aus denen die Gewinne resultierten, beruhten zunächst auf den Grundsätzen, die bei Lieferungen der Privatindustrie an das OKH angewendet wurden, und damit vor 1938 auf der Verdingungsordnung für Lieferungen an die Wehrmacht und danach auf den „Leitsätzen für die Preisermittlung auf Grund der Selbstkosten bei Leistungen für öffentliche Auftraggeber“ (LSÖ).92 Dabei bedeutete der Umstand, dass seit 1938 die Preise auf nach LSÖ-Grundsätzen berechneten Selbstkosten beruhten, allerdings nicht notwendigerweise, dass es sich aus der Perspektive der Anreizwirkung betrachtet um einen Selbstkostenvertrag handelte. Denn nach der Diktion der LSÖ waren sowohl Kostenerstattungs- als auch Selbstkostenfestpreise vorgesehen.93 Selbstkostenfestpreise ergaben sich bei den HIB aus vorkalkulierten Kosten, die aus den beobachtbaren laufenden Kosten gewonnen wurden, zuzüglich eines prozentualen Gewinnaufschlags. Diese so konstruierten Festpreise erstreckten sich dabei in der Regel nicht auf ein Geschäftsjahr, sondern wurden mit jedem Auftrag neu bestimmt. Die individuellen Gewinnzuschläge senkte das Reich im Allgemeinen wäh88

Vgl. ebd., S. 273ff, Anlage 7, Mantelvertrag zwischen dem Deutschen Reich und der Dynamit AG vom 4.3.1940, § 8 (4); S. 281ff, Anlage 8, Pachtvertrag zwischen der Verwertungsgesellschaft für Montanindustrie GmbH und der GmbH zur Verwertung chemischer Erzeugnisse vom 31.8.1939 / 23.5.1939, § 9 (1). 89 Für eine Ausnahme, vgl. Kapitel 2.3.1. 90 BArch R 2301 / 5619, Heereseigene Industriebetriebe und ihre Prüfung durch den Rechnungshof des Deutschen Reichs, Bl. 10. 91 Hopmann (1996), S. 181 – 186. Eine Ausnahme bildete offensichtlich die IG Farben AG, die nach Angaben von Hopmann bei manchen Vertragsbestimmungen bessere Konditionen erzielen konnte. ebd., S. 83 f. 92 BArch R 2301 / 5619, Heereseigene Industriebetriebe und ihre Prüfung durch den Rechnungshof des Deutschen Reichs, S. 12. Vgl. auch Hopmann (1996), S. 278, Anlage 7, Mantelvertrag zwischen dem Deutschen Reich und der Dynamit AG vom 4.3.1940, § 8 (3). 93 Zur generell möglichen Wahl zwischen Festpreis und Selbstkosten bei Pachtverträgen, vgl. BArch R 2301 / 5463, Mantelvertragsmuster § 8 (3), S. 39. Zur Handhabung und Anreizwirkung von Kostenfestpreisen im Unterschied zu Kostenerstattungspreisen, vgl. auch E. Flottmann, Das Deutsche Preisrecht. Eine systematische Darstellung der Grundsätze der Preispolitik und des Preisrechts, Stuttgart 1943, S. 173; Boelcke (1985), S. 46; J. Streb (2003 b), S. 42 f.

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rend des Krieges kontinuierlich, wie das Beispiel der Glycerinproduktion in den von der IG betriebenen Pachtanlagen in Wolfen und Schkopau zeigt.94 Während Kostenerstattungspreise grundsätzlich keinen Anreiz zu Kostensenkungen schufen, sondern sogar zu Kostensteigerung verleiteten95, funktionierten Kostenfestpreise wie die entsprechenden Garantiepreise eines Wirtschaftlichkeitsgarantievertrags: Die Differenz zwischen einem auf der Basis der Kosten der vorausgegangenen Periode bestimmten Kostenfestpreis und den tatsächlichen Selbstkosten erhöhte den Gewinn und den über die Pachtregelung dem Pächter zufließenden Gewinnanteil.96 Tabelle 2: Gewinnzuschläge bei der Glycerinproduktion der IG-Pachtanlagen Wolfen und Schkopau Zeitraum 1940 / 41 1941 / 42 1942 / 43 1.4.1943 -31.9.1943 1.10.1943 – 31.3.1944 ab 1.4.1944

Gewinnzuschläge in Prozent der kalkulierten Selbstkosten 12 9 8 8 7 5

Quelle: Für Wolfen, vgl. BArch R 8135 / 2061, Bericht der Deutschen Revisions- und Treuhand AG über die Pachtanlage Wolfen 1943 / 44; für Schkopau, vgl. BArch 8135 / 2058, Bericht der Deutschen Revisions- und Treuhand AG über die Pachtanlage Schkopau 1943 / 44.

Welche Bedeutung hatten aber derartige Festpreise in der Realität? Laut einem Großteil der Literatur spielte bis Ende 1941 generell nur Selbstkostenverträge in der deutschen Rüstungsindustrie eine Rolle.97 Zeitgenössische Autoren, wie Erich Flottmann, Ministerialdirektor beim Reichskommissar für Preisbildung, und Guido Fischer, Kriegsverwaltungsrat beim Oberkommando der Wehrmacht, behaupten hingegen, dass Festpreise bereits vor diesem Zeitpunkt die Regel waren und nur für die Anlaufszeit Selbstkostenverträge geschlossen wurden.98 Angesichts dieser widersprüchlichen Aussagen und des Umstandes, dass eine quantitative Beantwortung der Fragestellung bis heute noch fehlt, soll im Folgenden der Versuch einer empirischen Überprüfung unternommen werden. Die Daten dazu wurden fast ausschließlich aus den im Bestand Reichsrechnungshof vorhandenen, allerdings lückenhaften Prüfungsakten der HIB gewonnen. Ausgewertet sind dabei nur solche Betreibergesellschaften, für deren Werke auch Berichte vor 1941, also vor Einführung der Einheits- und Grup­ pen­preise vorlagen und die Tochterunternehmen privater Unternehmen waren. Denn 94 Tabelle

2. Vgl. z. B. Flottmann (1943), S. 181; Streb / Streb (1998), S. 282 ff. 96 Erlaß des Reichskommissars für die Preisbildung vom 15.5.1939 an die Reichsgruppe Industrie, in: Mitt. Bl. I, S. 183. 97 Barkai (1988), S. 221, Bagel-Bohlan (1975), S. 80f; Overy (1994), S. 357. Anders Boelcke (1985), S. 46. 98 G. Fischer, Einheits- und Gruppenpreise, Leipzig 1943, S. 20; Flottmann (1943), S. 172. 95

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seit Kriegsausbruch fungierte die Montan GmbH zum Teil zugleich als Betreiber bei in besetzten Gebieten beschlagnahmten Rüstungsbetrieben.99 Auf diese Art und Weise können aus der Aktenüberlieferung Daten für ca. die Hälfte aller privaten Betreiberfirmen erfasst werden, die annähernd die Hälfte aller privatwirtschaftlich betriebenen Werke umfassten sowie ca. ein Drittel des in privatwirtschaftliche Werke investierten Anlagekapitals.100 Da zudem in diesen Werken die gesamte Palette der Montanbetriebe – Pulver, Sprengstoff, Patronen, Granaten, Waffen, optische Geräte etc. produziert wurde101, kann man davon ausgehen, dass die Ergebnisse der Untersuchung auf Grundlage dieser lückenhaften Aktenüberlieferung einigermaßen repräsentativ sind. Dafür spricht auch der Umfang der auswertbaren Prüfungsabschnitte: insgesamt können Daten für 91 Geschäftsjahre berücksichtigt werden.102 Tabelle 3: Die Preisgestaltung in privatwirtschaftlich betriebenen Heereseigenen Industriebetrieben Erfasste Betreibergesellschaften

Erfasste Werke Gesamtinvestitionen:

Gesamtanzahl:

Prozent aller privatwirtschaftlichen Betreibergesellschaften:

50 %

Prozent aller privatwirtschaftlichen Werke

40 %

Gesamtanzahl:

Gesamtinvestitionen in Prozent aller privatwirtschaftlichen HIB-Investitionen: Auswertbare Jahre: Festpreisverträge Selbstkostenverträge

22

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1,340 Mrd. RM ca. 33 %

Gesamtanzahl: Prozent aller Jahre: Gesamtanzahl: Prozent aller Jahre:

91 77 85 % 14 15 %

Quelle: Vgl. Anhang1.

Die Auswertung bestätigt voll und ganz die Hinweise der Zeitgenossen und widerlegt die in einem Großteil der historischen Literatur behauptete Aussage: in 85 Prozent der betrachteten Geschäftsjahre wurden Festpreis- und nur für den Rest Selbstkostenverträge abgeschlossen.103 Letzteres war dabei nur im ersten bzw. in 99

Vgl. z. B. Hopmann (1996), S. 287f, Anlage 9. 3. 101 Anhang 1. 102 Tabelle 3. 103 Tabelle 3. Vgl. z. B. die Gewährung von derartigen Festpreisen an den Montanbetrieb Nordbau GmbH, BArch R 2301 / 5539, Bericht Zeidelhack vom 16.9.1941, Bl. 100. In diesen Fällen unterschied sich somit die Preisermittlung der Pachtanlagen in Deutschland von der bei den seit 1941 errichteten Synthesekautschukpachtanlagen in den USA. Dort wurde die Preise in einer Kostenerstattungspreisen äquivalenten Weise gebildet, womit es keinen Anreiz zur Kostensenkung gab. Vgl. dazu Streb (2003 a), S. 99, 119. Zum Aufbau von Pachtanlagen in Großbritannien und den USA, vgl. 100 Tabelle

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den ersten Prüfungsabschnitten, also in der Regel in der Zeit unmittelbar nach der Produktionsaufnahme der Fall und sollte die Anlaufrisiken decken, wie dies in vielen Fällen auch in den Prüfungsakten begründet wurde.104 Unter bestimmten Bedingungen hätten aber, wenigstens zeitweise, Kostenfestpreise wie ein Selbstkostenvertrag wirken können:

• Wie bereits an anderer Stelle dargestellt worden ist, hätte zeitweise ein Anreizproblem bei Kostenfestpreisen entstehen können, nämlich möglicherweise dann, wenn potenziell realisierbare Effizienzverbesserungen aufgrund in Zukunft erwarteter steigender Produktionsmengen hinausgezögert worden wären. • Angesichts des Umstandes, dass bei den HIB der im Festpreis enthaltene Gewinn prozentual auf die vorkalkulierten Kosten aufgeschlagen wurde, hätte es für ein Unternehmen auch ohne die Erwartung von in Zukunft steigenden Produktionsmengen sinnvoll sein können, potenziell realisierbare Effizienzverbesserungen hinauszuzögern. Ein derartiges Verhalten wäre dann gewinnmaximierend gewesen, wenn der dadurch entstehende Zusatzgewinn in Form von absolut höheren Gewinnen infolge der längeren Dauer höherer Selbstkosten den Zinsverlust, der durch die zeitliche Verschiebung der Verbesserungen gegenüber ihrer sofortigen Implementierung entstanden wäre, überkompensiert hätte. • Eine Aufhebung der Anreizwirkungen von Festpreisen hätte auch im Falle von Nachverhandlungen entstehen können, die dazu geführt hätten, dass die gesamte Kostensenkung, d. h. die Differenz zwischen tatsächlichen Kosten und dem ex ante festgelegten Festpreis abzüglich Gewinnaufschlag an das Reich abzuführen war. Nachverhandlungen zur Korrektur „übermäßiger“ Gewinne waren prinzipiell nicht ausgeschlossen. Zum einen wurden sie zum Teil schon bei der Vereinbarung der Festpreise vor Implementierung der LSÖ ausgemacht105 und zum anderen sollten sowohl nach den LSÖ als auch der Kriegswirtschaftsverordnung zu hohe Gewinne abgeschöpft werden.106 Wären die Unternehmen davon ausgegangen, dass Nachverhandlungen generell zu einer vollen Gewinnabschöpfung führen würden, so hätten Festpreise hinsichtlich der Anreizwirkung faktisch Selbstkostenverträgen entsprochen.

All diese Bedingungen dürften aber in der Regel bei den Montanpachtanlagen nicht gegolten haben. Erstens gab es im Allgemeinen keine Kapazitätsausdehnung der Montanpachtanlagen, sondern es wurden aus wehrwirtschaftlichen Gründen eher Werke an neuen Standorten errichtet. Zweitens hatten selbst dann die Unternehmen keine Sicherheit darüber, inwieweit in folgenden Perioden überhaupt die Anlagen ausgenutzt sein würden, was somit den Anreiz zu einem bewussten Hinauszögern von Effizienzverbesserungen deutlich verringert haben dürfte. Drittens dürfte es bei manchen Rüstungsgütern infolge der Erwartung sich ändernder Produktionsprogramme nicht sinnvoll gewesen sein, eine Effizienzverbesserung hinauszuzögern, falls sie nur einem spezifischen Produkt zugute gekommen wäre. Und schließlich zeigt eine empirische Überprüfung, dass es sich in den Fällen, in denen kein Selbstz. B. BArch R 2301 / 5500, Bl. 23, Geschäftsbericht über Entwicklung und Stand der Verwertungsgesellschaft für Montanindustrie G.m.b.H., 29.4.1939; Hayes (1987 a), S. 327 f. Festpreise lassen sich für die Friedenszeit auch für privatwirtschaftliche Rüstungsproduzenten nachweisen. Vgl. z. B. BArch R 2301 / 5588, Schreiben des Reichsrechnungshofs an das OKH vom 18.10.1937, Bl. 36 f. 104 Anhang 1. 105 Vgl. z. B. BArch R 2301 / 5531, Bericht der Deutschen Revisions- und Treuhand AG über das Geschäftsjahr 1938 / 39 bei der Deutsche Messapparate GmbH, Bl. 86. 106 Fischer (1943), S. 19; Flottmann (1943), S. 173ff; Streb / Streb (1998), S. 281 f. Vgl. dazu auch BArch R 2301 / 5531, Aufsichtsratssitzung der Spreewerk GmbH vom 28.9.1939, Bl. 429 f.

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kostenvertrag zustande gekommen war, von der Anreizwirkung her betrachtet, trotz Nachverhandlungen, um „echte“ Festpreise handelte. Dieser eindeutige Befund resultiert ebenfalls aus der Betrachtung der schon herangezogenen Prüfungsakten. Bei den genannten 77 Geschäftsjahren, für die Festpreisverträge abgeschlossen worden waren, ist es in 10 Fällen unklar, ob Mehr- oder Mindergewinne aufgetreten sind, und wie mit möglichen Mehr­gewinnen verfahren wurde. Bei den verbleibenden 67 Geschäftsjahren hingegen kam es bis auf sechs Fälle zu Mehrgewinnen, die wiederum ausnahmslos wenigstens zum Teil dem Betreiber zugute kamen.107 Und dieses Verhalten war generell intendiert. Der Geschäftsführer der Dachgesellschaft, Ministerialrat Zeidelhack, betonte 1940 während einer Besprechung, unter Zustimmung des Vertreters der Preisprüfungsbehörde: „Insbesondere darf die offensichtliche Verbesserung der betrieblichen Leistung niemals durch ein Wegsteuern der erzielten Mehrerlöse bestraft werden. Dadurch würde schließlich jeder Anreiz für die Firmen verloren gehen.“108 So waren für das Betriebsjahr 1938 / 39 mit dem Montanbetrieb Deutsche Sprengchemie GmbH, einer WASAG-Tochter, die Pulver produzierte, Festpreise vereinbart worden. Auf vorkalkulierte Selbstkosten wurde ein Gewinnzuschlag von fünf Prozent gewährt. Bei der Nachkalkulation ergab sich ein tatsächlicher Gewinn von 8,05 Prozent. Die Wehrwirtschaftsprüfer ließen dem Pächter ausdrücklich als „Leistungsansporn“ einen Gewinn von 7,08 Prozent.109 In vielen Fällen wurden diese echten Gewinne direkt an die Muttergesellschaft ausgeschüttet.110 Manchmal wurden Rücklagen111 oder Rückstellungen112 gebildet, für die man eine Abführung zu einem späteren Zeitpunkt, oft im folgenden Geschäftsjahr, an die Betreibergesellschaft vereinbart hatte. Aus diesem eindeutigen empirischen Befund ist aber zu folgern, dass die Unternehmen dieses Verhalten des Reiches antizipiert haben dürften, mithin es sich also um echte Festpreise im Sinn der Anreizwirkung gehandelt hat. Angesichts des Umstandes, dass für Rüstungsgüter in HIB im Allgemeinen die Preisbildung auf Grundlage eines „echten“ Festpreises erfolgte, ist es dann auch nicht überraschend, dass es, wie schon Zeitgenossen berichten, bereits vor Einführung der Einheits- und Gruppenpreise Ende 1941 zu deutlichen Kostensenkungen kam.113 Wenn das auch nicht für alle Produkte der Fall war114, so finden sich doch 107

Anhang 1. BArch R 2301 / 5499, Aktenvermerk über eine Besprechung vom 17.12.1940, Bl. 46-7. 109 BArch R 2301 / 5533, S. 16. Bei der Sprengchemie GmbH handelte es sich dabei keineswegs um einen unbedeutenden Rüstungsproduzenten  –  das in das Unternehmen investierte Kapital betrug bereits am 31.3.1939 78,3 Mio. RM. Vgl. BArch R 2301 / 5533, Bl. 1. 110 Vgl. z. B. BArch R 2301 / 5570, Bericht des OKH vom 26.7.1943 für das Geschäftsjahr 1941 / 42 bei der Eibia GmbH für chemische Produkte, Bl. 50. 111 Vgl. z. B. BArch R 2301 / 5551, Bericht der Deutschen Revisions- und Treuhand AG über die Maschinenfabrik Donauwörth GmbH 1939 / 40, Bl. 207; Bericht Zeidelhack über das Geschäftsjahr 1939 / 40, Bl. 326. 112 Vgl. z. B. BArch R 2301 / 5557, Bericht der Deutschen Revisions- und Treuhand AG über die Havelwerk GmbH 1940 / 41, Bl. 32; Bericht des OKH vom 27.2.1942, Bl. 29. 113 W. Bopp, The Evolution of the Pricing Policy for Public Orders During the Third Reich, in: Buchheim, Christoph und Redvers Garside (Hg.), After the Slump. Industry and Politics in 1930’s Britain and Germany, Frankfurt / M 2000, S. 149 – 160. 114 Für Beispiele von Rüstungsgütern, in denen es in den Jahren, für die Daten vorhanden sind, zu 108

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gerade in den Prüfungsakten von metallverarbeitenden HIB immer wieder Hinweise auf spektakuläre Kostenreduktionen, die wohl nicht nur auf Größenvorteile, sondern, wie auch im Fall des HIB Brandenburger Eisenwerke GmbH auf Lerneffekte zurückzuführen waren. Hier sanken nicht nur die Festpreise als Indikatoren für die Selbstkosten der vorangegangenen Periode, sondern auch die Fertigungsstunden je Produktionseinheit erheblich.115 Tabelle 4: Die Effizienzsteigerung des HIB Brandenburger Eisenwerke GmbH 1939 – 1943 Produkt

s. Pak (Panzer­ abwehr ­kanone) Aufbau

s. Pak-Gesch. Pz. I

s. Pak-Wanne

Gültigkeitsdauer des jeweiligen Festpreises 11.1939-3.1940 3.1940-6.1940 3.1940-12.1940 12.1940-7.1941 4.1941-10.1941 7.1941-1.1942 11.1941-3.1942 1.1942-3.1942 11.1939-3.1940 4.1940-12.1940 9.1940-7.1941 4.1941-1.1942 5.1939-1.1940 2.1940-5.1940 4.1940-12.1940 8.1940-7.1941 4.1941-2.1942 1.1942-3.1942

Stückzahl im jeweiligen Zeitraum 30 50 200 250 205 79 91 4 30 250 250 284 30 50 200 250 375 46

Festpreis (RM)

Fertigungsstunden je Stück

23.430 24.000 19.903 17.600 14.155 14.773 15.306 14.451 2.480 2.020 1.680 1.235 31.140 29.200 24.477 21.200 17.480 16.625

1.850 1.550 1.384 970 650 600 590 580 215 118 105 60 1.650 1.450 1.338 1.040 670 650

Quelle: BArch R 2301 / 5568, Geschäftsbericht der Brandenburger Eisenwerke GmbH für das Geschäftsjahr 1941 / 42, Bl. 120.

Ende 1941 wurde dann die Preisbildung für die Montanbetriebe, wie bereits angedeutet, ebenso wie das seitdem in Lieferungsverträgen mit der privatwirtschaftlichen Industrie meist116 der Fall war, reformiert.117 Von nun an wurden in der Re-

keinen signifikanten Kostensenkungen kam, sondern zeitweise sogar zu Kostenerhöhungen, vgl. die Glycerinproduktion in den IG Farben-Pachtanlagen Wolfen und Schkopau in Kapitel 3. 115 Tabelle 4. 116 Vgl. z. B. BArch R 87 / 921-100, Bd. 4, Geheime Niederschrift über die gemeinsame Beiratsund Vorstandssitzung der Adam Opel AG am 25. Mai 1943. 117 Flottmann (1943), S. 182.

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gel Aufträge zu sogenannten Einheits- und Gruppenpreisen vergeben.118 Bei Einheitspreisen galt generell ein Festpreis für alle Anbieter. Der Preis wurde anhand der Kosten eines in Augen der Behörden effizienten Unternehmens bestimmt.119 Wenn die Verhältnisse der Anbieter sehr unterschiedlich waren, so dass die Bildung eines Einheitspreises nicht sinnvoll erschien, wurden Gruppenpreise festgelegt. Produzenten von Rüstungsgütern mussten zwischen zwei oder mehr unterschiedlichen Festpreisverträgen wählen.120 Wer einen niedrigen Preis wählte, kam in Genuss bestimmter Vorteile gegenüber den anderen Varianten, wie die Befreiung von der Gewinnabführungspflicht und der bevorzugten Versorgung mit Arbeitskräften und Maschinen. Optierten Unternehmen hingegen für einen Vertrag mit dem höchsten Preis, so wurden im Fall einer Reduzierung der staatlichen Nachfrage zunächst nur ihnen die staatlichen Aufträge entzogen. Diese Reform verringerte, wie Streb / Streb zeigen, die reinen Festpreis- und reinen Selbstkostenverträgen inhärenten Anreizprobleme, indem dieses „Vertragsmenü“ eine wahrheitsenthüllende Wirkung entfaltete und einen Anreiz zur Kostensenkung schuf, ohne dass das Problem hoher Transaktionskosten, das Kostenfestpreisen ebenso wie Kostenerstattungspreisen aufgrund der ständigen Überprüfungen eigen war, noch aufgetreten wäre. Bei den Anlagen der Wifo hatte das Reich ebenso von Anfang an den Grundsatz verfolgt, Effizienzanreize für die Betreiber im Vertrag zu implementieren. Denn ein „Betriebsführervertrag“, worunter man einen Pachtvertrag verstand, der leistungsunabhängig dem Pächter ein bestimmtes Entgelt garantiert, lehnten staatliche Stellen ausdrücklich ab, weil er dem Ziel der Kostenminimierung nicht entsprochen hätte. So heißt es in einem Aktenvermerk der IG Farben AG hinsichtlich der Gestaltung der Wifopachtverträge: „Die Wifo hat jedoch ausdrücklich gewünscht, daß die IG die Anlagen nicht als Betriebsführerin, sondern als Pächterin übernehme, um auf diese Weise der IG einen Anreiz zu geben, die Produktionskosten möglichst wirtschaftlich zu gestalten. Demgemäß hat die IG in den Pachtverträgen nicht eine feste Betriebsführervergütung erhalten, sondern 50% des Reingewinns, so daß die IG im Falle der Ertragslosigkeit der Anlagen keinerlei Vergütung für ihre Tätigkeit erhält und insofern durchaus ein unternehmerisches Risiko auf Grund der Pachtverträge zu tragen hat.“121 Wenn aber dieser Gedanke der Kostenminimierung eine Rolle gespielt hat, dann verbietet sich im Prinzip ein klassischer Selbstkostenvertrag, der den Unternehmensgewinn einfach auf die Selbstkosten aufschlägt. Dementsprechend wurden in allen bekannten Fällen von Wifopachtverträgen Festpreise festgelegt.122 Angesichts der geringen Verzinsung des Anlagekapitals, das sich bei den HIB aus den bisherigen Pachtbestimmungen ergeben hatte, drängte das Reich seit 1943 118

BArch R 2301 / 5591, Stellungnahme betr. Rentabilität der Montanbetriebe vom 7.3.1942, Bl. 41. Teilweise wurden aber noch individuelle Festpreise vereinbart. Flottmann (1943), S. 172. Für ein Beispiel, vgl. die Glycerinproduktion in den IG Farben-Pachtanlagen Wolfen und Schkopau in Kapitel 3.4.1. Für ein Beispiel aus der Bauindustrie, vgl. Streb (2003 b), S. 40. 119 Flottmann (1943), S. 182. 120 Streb / Streb (1998), S. 284 ff. 121 BASF-Archiv IG Bestand B 4 / 1750, Aktenvermerk vom 1.3.1946. 122 Vgl. für ein Beispiel Kapitel 3.4.2.

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auf die Änderung bestehender Verträge. Die gewinnproportionale Pacht sollte durch eine Festpacht ersetzt werden. Auch neue Verträge sollten entsprechend ausgestaltet werden.123 Vorgesehen war ein Pachtzins in Höhe von sechs Prozent des Anlagekapitals. Der Festpacht stand als Gegenleistung gegenüber, dass es keine Betriebskontrollen mehr geben würde und die Unternehmen einen Erfindungsschutz genießen würden. Vorher mussten sie die Erfindungen unentgeltlich bereitstellen.124 Allerdings hatte diese Regelung keine großen Auswirkungen, da zum einen nach diesem Zeitpunkt die Gründung neuer HIB nicht bekannt ist. Zum anderen hatten die Unternehmen, die bereits Pachtverträge geschlossen hatten, aufgrund des Grundsatzes „pacta sunt servanda“ das Wahlrecht, von einer gewinnproportionalen Pacht zur Festpacht überzugehen  –  was aber nur in Einzelfällen in Anspruch genommen wurde. Neben der geringen Verzinsung des Anlagekapitals nach der bisherigen Pachtregelung war ein weiteres Motiv für die vom Reich gewünschte Modifikation angeblich auch, dass man sich dadurch eine Effizienzsteigerung der Betreiber versprach.125 Anreiztheoretisch ist dieses Argument aber nicht nachvollziehbar. Denn der Umstand, dass zu diesem Zeitpunkt nur noch Festpreisverträge geschlossen wurden, sei es auf der Basis individueller Festpreise oder von Einheits- oder Gruppenpreisen, schuf nämlich in Verbindung mit der bisherigen Pachtregelung bereits generell einen entsprechenden Anreiz, da der Staat den Gewinn nicht in voller Höhe für sich selbst beanspruchte. Mit anderen Worten, unter den Bedingungen eines Festpreissystems konnte der Betreiber erwarten, dass mit zunehmender Anstrengung der ihm verbleibende Gewinn steigen würde, unabhängig davon, ob er eine Festpacht oder eine gewinnproportionale Pacht zahlen müsste. Infolgedessen würde er sich unter beiden Verteilungsregimes um zunehmende Effizienz bemühen, wenn er auch entsprechend seiner Erwartung über die zukünftige Effizienzsteigerung in manchen Fällen eine Festpacht, in anderen eine gewinnproportionale Pacht vorziehen würde. Damit ist als tatsächliches Motiv des Übergangs zum Festpachtsystem eher der Wunsch des Staates zu sehen, kalkulierbare Einnahmen aus den HIB zu erzielen. Dieses System einer Festpacht mit Festpreisen wurde von Anfang an in Verträgen zu Luftfahrtpachtanlagen angewandt, die unter dem Dach der Luftfahrtkontor GmbH zusammengefasst waren. Denn dort entsprach die Pacht, die zu entrichten war, einer Verzinsung des Anlagekapitals von 5,5 Prozent zuzüglich der Abschreibun­ gen. In den Verträgen war außerdem  –  im Unterschied zu den HIB  –  eine Optionsklausel enthalten, die dem Pächter die Möglichkeit einräumte, die Anlagen zu erwerben.126 Dies war Ausdruck eines grundsätzlichen staatlichen Privatisierungswun­ sches, der sich immer wieder im Bereich der Luftrüstung feststellen lässt. Derartige Optionsklauseln wurden auch in Beteiligungsverträgen verankert.127 Soweit in letz123

Hopmann (1996), S. 75 f. Festpachtverträge wurden allerdings vereinzelt schon vor diesem Zeitpunkt vergeben. Vgl. Lorentz (2001), S. 215. 124 Hopmann (1996), S. 76. 125 Ebd., S. 75 f. 126 Ebd., S. 123. Entsprechende Optionsklauseln scheint es in manchen Fällen auch bei OKHPachtanlagen gegeben zu haben. Vgl. für Krupp, Abelshauser (2002 b), S. 343. 127 Vgl. dazu Budraß (1998), S. 366; speziell für das Flugzeugmotorenwerk der Daimler-Benz AG in Genshagen, Gregor (1997), S. 99, 164.

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teren Fällen der privatwirtschaftliche Eigenkapitalanteil sehr gering war und nur einen symbolischen Charakter hatte, wie bei dem Flugmotorenwerk der DaimlerBenz AG in Genshagen, entsprachen derartige Verträge, was das staatliche Eigentumsrecht anbelangt, faktisch einem Pachtvertrag.128 Die Absicht, die hinter der Implementierung dieser Klauseln steckte, war der Wunsch des Reichsluftfahrtministeriums, die Luftfahrtindustrie langfristig zu privatisieren. Das hatten Vertreter des Reichs­luftfahrtministers (RdL) gegenüber dem Reichsfinanzministerium bereits 1938 betont129, und während des Krieges erneut unterstrichen: „Um die Reprivatisierung der Beteiligungen des Reiches nach Möglichkeit zu fördern, wird bei der Gründung von Gesellschaften besonderer Wert auf den Abschluß von Optionsverträgen gelegt. [… ]RdL wird auch in Zukunft an dem Grundsatz festhalten, in möglichst großen Umfang Beteiligungen des Reichs zu veräußern.“130 Damit unterschied sich die Einstellung des Reiches zu Beteiligungen bzw. Staatsunternehmen deutlich von der im Ersten Weltkrieg: Damals wurden staatliche Beteiligungen nicht als notwendiges und zeitlich befristetes Übel, sondern vielmehr als bewusstes Mittel zur Erreichung eines auf Dauer angelegten Engagements des Staates in der gewerblichen Wirtschaft betrachtet.131 Versuche zur Privatisierung gab es auch bei den Montanpachtanlagen. Seit 1941 wurden dazu entsprechende Überlegungen in staatlichen Behörden angestellt. Der neue Rüstungsminister Albert Speer äußerte ein Jahr später die gleiche Absicht und wollte wenigstens diejenigen Betriebe in das Eigentum der Privatwirtschaft überführen, deren Anlagen voraussichtlich auch unter den Bedingungen der Friedenswirtschaft auslastbar waren. Trotz dieses Wunsches konnten bis Ende 1944 nur neun der damals unter der Verwaltung der Montan stehenden 122 Werke an Interessenten aus der Privatindustrie veräußert werden, wobei der Verkaufswert insgesamt um 24 Prozent unter dem Buchwert der Anlagen lag.132 In der Regel handelte es sich dabei um eisenverarbeitende Unternehmen. Hier lässt sich mit dem Pachtbetrieb der Maxhütte sogar ein Fall nachweisen, in dem die Betreibergesellschaft von vornherein eine spätere Übernahme nicht ausschloss und daher mit Wissen des Staates keine Spezialmaschinen, die nur für die Rüstungsproduktion verwendbar waren, sondern Universalmaschinen angeschafft hatte.133 Nach einer Denkschrift des OKH aus dem Jahr 1942 gab es vier Motive dafür, dass das Reich sich 1934 entschieden hatte, Rüstungskapazitäten in Gestalt von Pachtanlagen auf der Grundlage der dargestellten Vertragskonstruktion zu schaffen:134 Erstens, das Tarnungsmotiv, d. h. man wollte die Beschränkungen des Ver128

Über eine entsprechende Finanzierung der Marine bei Krupp, vgl. Abelshauser (2002 b), S. 340 f. 129 BArch R 2 / 5550, Aktenvermerk vom 5.6.1938, Bl. 29. 130 BArch R 2 / 5551, Schreiben des RdL an das Reichsfinanzministerium vom 18.2.1943, Bl. 85. 131 Roth (1997), S. 228. 132 Hopmann (1996), S. 131 – 134. Für ein Beispiel, vgl. Lorentz (2001), S. 216 ff. 133 BArch R 2301 / 5551, Bericht der Deutschen Revisions- und Treuhand AG über die Maschinenfabrik Donauwörth GmbH 1939 / 40, Bl. 209 ff. 134 BArch 2301 / 5591, Stellungnahme des OKH betr. Rentabilität der Montanindustrie vom 7.3.1942, Bl. 39; vgl. auch BArch 2301 / 5463, Vortrag Zeidelhack, Bl. 12

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sailler Vertrags dadurch umgehen, dass aufgrund der rechtlichen Konstruktion einer Dachgesellschaft in der Rechtsform einer GmbH die Eigentümer dieser Werke nicht ersichtlich wurden; zum zweiten das Trainingsmotiv, und, damit verknüpft, drittens das Überkapazitätsmotiv, d. h. man wollte für den Kriegsfall zum einen über Überkapazitäten und zum anderen über geschultes, trainiertes Personal verfügen können. Als viertes Motiv wird das Wettbewerbsmotiv genannt, d. h. man wollte bei Rüstungsgütern, die bereits von der Privatwirtschaft hergestellt wurden bzw. im Kriegsfall hergestellt werden würden, eine Wettbewerbssimulation herbeiführen, die einen Preisvergleich ermöglichen sollte. Mit anderen Worten, durch die Errichtung der HIB sollte die Voraussetzung für eine Art „yardstick-competition“ geschaffen werden.135 Letztlich lag dem Wettbewerbsmotiv das Motiv der Minimierung der Anschaffungskosten von Rüstungsgütern zugrunde. Der Wunsch nach Wettbewerbssimulation dürfte dabei das ausschlaggebende Motiv für die Schaffung von Rüstungskapazitäten über die Montan GmbH in der beschriebenen Form gewesen sein. Denn alle denkbaren Alternativen zur Montan GmbH oder einer ihr vergleichbaren Konstruktion wären zwar mit den Zielen von Tarnung, Training und Schaffung von kriegsrelevanten Überkapazitäten, nicht jedoch mit dem Ziel der Wettbewerbssimulation kompatibel gewesen. Das zeigen folgende Überlegungen hinsichtlich der Alternativen: nämlich (1) die Errichtung sogenannter Regiebetriebe, (2) die von Staatsbetrieben und (3) der Kapazitätsausbau bei privatwirtschaftlichen Vertragspartnern. Unter Regiebetrieben verstand man Betriebe des Reiches ohne eigene Rechtspersönlichkeit, wie die staatliche Porzellanmanufaktur in Berlin. Selbstverständlich hätte der Kapazitätsaufbau mithilfe solcher Betriebe als Schattenfirmen mit dem Ziel der Personalschulung und Schaffung von Überkapazitäten unter der Maßgabe der Geheimhaltung erfolgen können. Regiebetriebe wurden aber in der genann­ten Denkschrift mit der Begründung verworfen, dass zum einen der Reichswehr nicht genügend technisch und kaufmännisch geschultes Personal zur Verfügung stünde, um einen effizienten Betrieb zu gewährleisten. Zum anderen hätte die Einbindung in Strukturen des öffentlichen Dienstes keinen auf betriebswirtschaftlichen Grundlagen basierenden Preisvergleich mit privatwirtschaftlichen Anbietern erlaubt.136 Eine zweite, allerdings in den Quellen nicht erwähnte Alternative wäre die Gründung von Staatsbetrieben in der Rechtsform der GmbH gewesen. Diese Rechtsform hätte sowohl eine Informationsgrundlage für den Staat zur besseren Preisvergleichbarkeit der von privatwirtschaftlichen Unternehmen angebotenen Rüstungsgüter gewährleistet als auch eine Tarnung ermöglicht. Denn ein Grund, dass z. B. die Montangesellschaft als GmbH und nicht als AG gegründet worden war, lag ausschließlich am Aktienrecht, das anders als die Gesetzgebung zur GmbH eine Publizitätspflicht der Aktiengesellschaften festlegte.137 Staatsbetriebe in der Rechts135 Grundsätzlich

zur yardstick-competition, unter der man versteht, dass bei gleichen Produktionsbedingungen verschiedener Hersteller die Selbstkosten eines mittelguten Anbieters als Festpreis für alle verwendet werden, vgl. A. Shleifer, A theory of yardstick competition, Rand Journal of Economics 1985, Bd. 16, S. 319 – 327. 136 BArch R 2301 / 5619, Bl. 1. 137 „Tatsächlich sind HIB Reichsunternehmen, die lediglich aus wehrpolitischen Gründen der Tar-

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form einer GmbH hätten neben den Zielen des Preisvergleichs und der Tarnung zudem die Schaffung von Überkapazitäten und von geschulten Arbeitern ermög­ licht. Allerdings wäre das dem Wettbewerbsmotiv zugrunde liegende Ziel  –  Minimierung der Anschaffungskosten von Rüstungsgütern  –  insoweit nicht erreicht worden, als der Staat ebenso wie bei der Alternative der Regiebetriebe mit dem Problem des Mangels an Know-how138 und geeigneten Fachkräften  –  Facharbeitern, Ingenieuren, Managern etc.  –  konfrontiert gewesen wäre. Eine weitere, nahe liegende Alternative wäre gewesen, dass die bisherigen Vertragspartner der Reichswehr Rüstungskapazitäten durch Gründung von Tochtergesellschaften in der Rechtsform einer GmbH schaffen. Dazu wären, unter der Maßgabe, dass die gleichen Bedingungen wie in den nach dem Versailler Vertrag zulässigen Verträgen implementiert werden, die Unternehmen wohl auch bereit gewesen.139 Denn entsprechend den damals abgeschlossenen Verträgen hatte das Reich das volle Amortisationsrisiko der von den Unternehmen getätigten Investitionen übernommen. Das Kapital für den Ausbau der Rüstungsgüterkapazitäten war nämlich de facto entweder von der Reichswehr direkt den Unternehmen zur Verfügung gestellt oder durch langjährige Lieferungsverträge finanziert worden.140 Eine derartige Kapazitätsschaffung in GmbH-Form hätte grundsätzlich sowohl dem Ziel der Tarnung als auch dem Ziel der Kostenminimierung, soweit sie auf Know-how und Personal beruht, Rechnung getragen.141 Zudem wären auch die Schaffung von Überkapazitäten und das Anlernen von Arbeitern möglich gewesen. Denn bereits die Vertragsfirmen der Reichswehr hatten Überkapazitäten und führten sogenannte Lehr­auf­träge durch. Allerdings sah man gerade in der durch die Bestimmungen des Versailler Vertrags herbeigeführten Praxis der Rüstungsgüterproduktion gravierende Nach­teile für das Reich, die zum Teil auch dieser Alternative eigen gewesen wäre. In § 168 des Versailler Vertrags war nämlich festgelegt, dass die Produktion von Rüs­tungs­­gütern, wie Sprengstoff, Handfeuerwaffen etc. ausschließlich sogenannten „Mono­­pol­ver­trags­fir­men“ erlaubt sein sollte, d. h. Unternehmen, die für die Reichswehr exklusive Anbieter waren.142 Ein Nachtteil, der sich aus dieser Vorschrift ergeben hatte, das Problem der Bestimmung des tatsächlichen Gemeinkostenanteils bei den Herstellungskosten der Rüstungsgüter, wäre zwar durch die Gründung von Tochtergesellschaften nicht mehr aufgetreten.143 Die zentrale Frage der bisherigen Vergabepraxis, die man in der Monopolstellung und den daraus renung [… ] die Form einer GmbH erhalten haben.“ BArch R 2301 / 5463, Vermerk des Rechnungshofs, 1938, Bl. 71. Zum gleichen Motiv bei der Luftfahrtkontor GmbH, vgl. BArch R 2 / 5550, Schreiben des Reichsministers der Luftfahrt an den Reichsminister der Finanzen vom 4.5.1935, Bl. 2. 138 Vgl. dazu auch Boelcke (1985), S. 41. 139 BARch R 2301 / 5500, Geschäftsbericht des ersten Geschäftsführers über Entwicklung und Stand der Verwertungsgesellschaft für Montanindustrie GmbH, Bl. 24; Hopmann (1996), S. 23, Fußnote 28. 140 Vgl. z. B. BArch R 2301 / 5457, Bl. 10ff; BArch R 2301 / 5461, Bl. 46ff; BArch R 2301 / 5462, Bl. 50. 141 BArch R 2301 / 5462, Bl. 18. 142 Ebd. 143 Denn die Monopolvertragsunternehmen wie Krupp und Siemens produzierten ja in der Regel in hohem Maß auch zivile Güter.

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sultierenden Konsequen­zen einer unzureichenden staatlichen Informationsbasis sah, hätte allerdings weiter be­stan­den.144 Dass zur Lösung genau dieses Problems die HIB beitragen sollten, spiegelt sich auch in einem Vortrag des Hauptgesellschafters der Montan GmbH, Ministerial­rat Zeidelhack, im November 1935 vor Wirtschaftsoffizieren des Heeres wider. In seiner Rede führte er aus, dass die Schaffung von HIB in Privatrechtsform der Vergleichbarkeit mit der privaten Rüstungsindustrie dienten und dass zur Ausschal­tung jeglicher Übergewinne in der Rüstungsproduktion der Wehrmacht durch die HIB die Kontrolle über Preisbildung und Geschäftsgebaren verschafft werden sollte.145 Doch einmal abgesehen von der hohen Plausibilität dieser in den Quellen zu findenden Ex-Post-Begründung für die Wettbewerbssimulation und abgesehen von den Überlegungen zu möglichen Alternativen zu den HIB, spricht noch ein weiteres Argument für die Hypothese, dass das Wettbewerbsmotiv das zentrale Motiv war und dies in den Augen militärischer Stellen nur durch HIB zu gewährleisten war: Zum gleichen Zeitpunkt, als beschlossen wurde, HIB zu gründen, nämlich Anfang 1934146, wurden die Ergebnisse einer geheimen Kommission bekannt, die mögliche Übergewinne in privatwirtschaftlichen Rüstungsunternehmen bis 1933 überprüfen sollte. Diese Kommission war unmittelbar nach der Machtergreifung auf Veranlassung Hitlers gebildet worden.147 Sie hatte den Auftrag, Hinweisen nach Korruption und überhöhten Rüstungsgewinnen bei den Monopolvertragsfirmen nachzugehen. Zwar konnten die Korruptionsvorwürfe148 nicht bestätigt werden. Jedoch wies die Kommission in ihrem Schlussbericht Anfang 1934 allen betrachteten Rüstungsunternehmen deutlich überhöhte Gewinne nach.149 Die nahe liegende Verbindung zwischen beiden Ereignissen wird noch durch ein Schreiben des Reichswehrministers vom Juni 1934 an den Präsidenten des Rechnungshofs unmissverständlich unterstrichen. Denn dort heißt es: „Auch die retrospektiven Feststellungen der Prüfungskommission bilden nur einen neuen Baustein in der Erkenntnis, daß man mit der bisher konkurrenzlosen Herstellung von Kriegsgerät brechen muß.“150

144

Vgl. auch BArch R 2301 / 5461, Schreiben des Reichswehrministers vom Juni 1934 an den Präsidenten des Rechnungshofs, Bl. 56 f. 145 Ebd., Bl. 59. Vgl. auch z. B. BArch R 2301 / 5500, Vortrag über Heereseigene Betriebe des Min. Rat. Dr. Zeidelhack vor den Wirtschaftsoffizieren des Heeres im November 1935, Bl. 12. 146 BArch R 2301 / 5463, Bl. 13. 147 Sie setzte sich aus dem Reichssparkommissar Schäfer und hohen Mitgliedern des Reichswehrministeriums sowie des Reichsrechnungshofes zusammen. BArch R 2301 / 5460, Bl. 3 f. 148 Die Korruptionsvorwürfe wurden aus Kreisen der Zella-Mehliser-Waffenindustrie, die lediglich für zivile Zwecke produzieren durfte, Hitler übermittelt, und richteten sich gegen das Simsonwerk, das sich im sogenannten „jüdischen“ Eigentum befand. BArch R 2301 / 5460, Bl. 4, 54 – 60, 153. 149 BArch R 2301 / 5460, Bl. 177 ff. Auch wies die Komission auf das Problem hin, dass in den Verträgen dem Staat kein Prüfungsrecht eingeräumt war. Ebd; Bericht der Komission zur Prüfung des Beschaffungswesen der Wehrmacht, Bl. 20. 150 BArch R 2301 / 5461, Schreiben des Reichswehrministers vom Juni 1934 an den Präsidenten des Rechnungshofs, Bl. 56 f.

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2.3.2. Reichseigene Maschinen Eine weitere Variante staatlicher industrieller Investitionen und zugleich der Übernahme des Amortisationsrisikos durch den Staat waren reichseigene Maschinen, die militärische Stellen beschafften und an privatwirtschaftliche Unternehmen verliehen.151 Bereits vor 1933 wurden von der Reichswehr privaten Unternehmen reichseigene Maschinen zur Verfügung gestellt.152 Erfasst und verwaltet wurden die reichseigenen Maschinen des Heeres durch die heereseigene Rüstungskontor GmbH und die der Marine seit 1942 durch die Industrieanlagen GmbH, einer Tochter des staatlichen VIAG AG.153 Die Finanzierung konnte auch durch Beschaffungsverträge zwischen dem Reich und privatwirtschaftlichen Rüstungsproduzenten erfolgen.154 So wurden an die Firma Ehrich & Graetz in den Jahren 1936 und 1937 mehrere Aufträge für Bodenzünder zu Festpreisen vergeben. In den Festpreisen waren sogenannte Aufgelder enthalten, die auf Sperrkonten anzulegen waren. Sie konnten in Absprache mit dem Heereswaffenamt (HWA) dazu verwendet werden, um reichseigene Maschinen zur Erhöhung der Zünderfertigung zu beschaffen.155 Den Unternehmen wurde ein Vorkaufsrecht auf die sich in ihrem Werk befindenden reichseigenen Maschinen eingeräumt, um einen Anreiz zum Erwerb bei fortgeschrittener Abschreibung zu schaffen.156 Die Maschinen waren als Reichseigentum zu kennzeichnen und gemäß kaufmännischer Sorgfaltspflicht zu behandeln (§ 2 (1), § 4). Das Unternehmen unterlag der Geheimhaltungspflicht (§ 13, §14). Zu einer Auftragsvergabe war das OKH analog der Regelung in Pachtverträgen nicht verpflichtet (§ 10). Reichseigene Maschinen konnten auch für Aufträge Dritter verwendet werden, wobei Reichsaufträge Priorität hatten. Im ersteren Fall waren Abschreibungen und eine Gewinnabgabe auf Sperrkonten abzuführen (§ 8). Die Gewinnabgabe wurde ermittelt, indem man den halben Anschaffungswert der Maschine mit einem Satz von zwei Prozent über dem Reichsbankdiskont verzinste. Ebenso wie in anderen Verträgen wurde dem Reich ein Prüfungsrecht eingeräumt (§ 11). Dazu gehörten auch Benutzungskontrollen und die Feststellung, in welchem Umfang solche Maschinen für private Aufträge eingesetzt wurden.157 151

BARch R 2301 / 5593, OKH, Richtlinien für die Veräußerung von reichseigenen Gegenständen (Maschinen und sonstige bewegliche Einrichtungsgegenstände), die aus Mitteln für industrielle Beschaffungsvorbereitung oder aus Mitteln für industrielle Mobvorbereitung bezahlt worden sind, Ausgabe vom 15.1.1941, Bl. 28 ff. Für Beispiele, vgl. G.H. Seebold, Ein Stahlkonzern im Dritten Reich. Der Bochumer Verein 1927 – 1945, Wuppertal 1981, S. 149; Abelshauser (2002 b), S. 343. 152 BA-MA RH 8 I / 935, Ministervortrag betr. Firma Borsig, 13.8.1931. 153 BArch R 2 Anh. / 37, Bl. 25; BArch R 2 / 5217, Vertrag zwischen OKM und Industrieanlagen GmBH, 11.6.1942, Bl. 118 f. 154 BArch R 2301 / 5588, Aktenvermerk vom 21.3.1941, Bl. 5; Schreiben des Reichsrechnungshofs an das OKH vom 18.10.1937, Bl. 32; Schreiben des Reichsrechnungshofs an das OKH vom 28.2.1939. 155 BArch R 2301 / 5588, Schreiben des Reichsrechnungshofs an das OKH vom 18.10.1937, Bl. 32. 156 BArch R 2301 / 5593, Muster eines Leihvertrags, § 12, S. 2 f. Vgl. zu reichseigenen Maschinen auch F. Kluge, Reichseigene Maschinen, in: Die Deutsche Volkswirtschaft, 1943, S. 505 – 506; Leeb (1954), S. 16; Thomas (1966), S. 134f; Boelcke (1985), S. 44. 157 Zu den Prüfungsrichtlinien für reichseigene Maschinen, vgl. BArch R 2301 / 5592, Aktenver-

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Da aber die Kontrollen mit hohem bürokratischem Aufwand verbunden waren, kam es 1943 zu einer Abkehr von dieser Methode der Schaffung von Rüstungskapazitäten.158 Zum einen wurden reichseigene Maschinen nur noch in Ausnahmefällen bereitgestellt. Zum anderen bemühte man sich, vorhandene Maschinen zu veräußern. Seit 1943 kam das zuständige Rüstungsministerium den Unternehmen dabei insoweit entgegen, als beim Verkauf ein Preisnachlass gegeben werden konnte, der allerdings nicht mehr als ein Drittel des Kaufpreis betragen durfte. So erwarben 1943 Tochtergesellschaften der Vereinigten Stahlwerke nach Abzug aller Nachlässe Maschinen im Wert von ca. 126 Mio. RM.159 Über den Umfang der gesamten Investitionen, die auf diese Weise getätigt wurden, konnten keine Angaben ermittelt werden. Sie dürften aber beträchtlich gewesen sein. So betrug am 30.9.1943 der Restwert von reichseigenen Fertigungseinrichtungen des Heeres in Rüstungsbetrieben (ausschließlich Pachtanlagen) 743 Mio. RM  –  was im übrigen in etwa genauso viel ist, wie die Daimler-Benz AG zwischen 1933 und 1945 investiert hatte.160

2.4. Das Förderprämienverfahren Mit dem Einsetzen der Weltwirtschaftskrise war der Staat dazu übergegangen, deutsche Nichteisenmetallgruben durch Subventionen zu stützen. Anlass war der massive Verfall der Weltmarktpreise für Nichteisenmetalle und der Umstand, dass aufgrund von Handelsabkommen, aber auch mit Rücksicht auf die Verbraucher die Alternative einer Schutzzolleinführung verworfen wurde.161 Diese Subventionen hatten einen Teil der Verluste gedeckt.162 Die Zuschüsse waren im Fall zukünftiger Gewinne von dem Unternehmen an das Reich zurückzuzahlen.163 Im Gegenzug hatte sich das Reich einen Sitz im Aufsichtsrat gesichert.164 Der Staat hatte drei merk vom 18.8.1937. 158 BArch R 3 / 1825, Reichsminister für Bewaffnung und Munition, Erlass betr. Fertigungseinrichtungen in Rüstungsbetrieben (Maschinen-Grundsätze), 28.3.1943, Bl. 251 – 255; Kluge (1943), S. 505-f; H.-J. Weyres v. Levetzow, Die Deutsche Rüstungswirtschaft von 1942 bis zum Ende des Krieges, Diss., München 1975, S. 196, 142*. 159 Weyres v. Levetzow (1975), S. 196 f. Vgl. dazu auch Seebold (1981), S. 149. 160 BArch R 3 / 183, Bl. 213. Zu Daimler-Benz, vgl. Gregor (1997), S. 39, 84. 161 BArch R 2301 / 6018, Merkblatt über die Metallerzbergbaustützung, S. 4; BArch R 2 / 21594, Schreiben des Vorsitzenden des Aufsichtsrats der Metallgesellschaft AG an den Reichswehrminister Groener vom 23.4.1931, Bl. 5; G. Mackenroth, Bericht über den Vierjahresplan, in: Jahrbücher für Nationalökonomie und Statistik, Bd. 148, Heft 6, Dezember 1938, S. 697 – 726, hier, S. 720; Lurie (1947), S. 185 f. Anders Steffens, der davon spricht, dass eine derartige Subventionierung bereits Mitte der 1920er Jahre einsetzte. M. Steffens, Die volkswirtschaftliche Problematik der Subventionen mit besonderer Rücksicht auf ihre Bedeutung in der Staatswirtschaft des Deutschen Reichs 1928 – 1935, Bonn 1936, S. 39 ff. 162 Die Abschreibungen wurden dabei nicht berücksichtigt. Vgl. BArch R 3101 / 30351, Leitfaden für Prüfungen auf Grund der Bedingungen des Reichswirtschaftsministeriums für die Gewährung von Förderprämien für den deutschen Metallerzbergbau, aufgestellt 1943 von der Deutschen Revisions- und Treuhand AG, S. 5. 163 BArch R 2301 / 6018, Merkblatt über die Metallerzbergbaustützung, S. 4. 164 G. von Klaas, Stolberger Zink. Die Geschichte eines Metalls, Darmstadt 1957, S. 98.

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Motive für diese Subventionspolitik: Erstens sollte ein weiteres Ansteigen der Arbeitslosigkeit verhindert werden. Zweitens hätte eine Schließung der Gruben aufgrund der Mehreinfuhr die Devisenbilanz um 20 – 30 Millionen RM verschlechtert und zur verstärkten Abhängigkeit vom Ausland geführt. Und drittens schloss man mittelfristig eine Verbesserung des Weltmarktpreises und eine erneute Konkurrenzfähigkeit der in den entsprechenden Gruben gewonnenen Nichteisenmetalle nicht aus. In diesem Fall hätte aber die Wiederinbetriebnahme stillgelegter Gruben unverhältnismäßig hohe Kosten nach sich gezogen.165 Mit der Machtergreifung rückte das Argument der Devisennot in den Vordergrund, so dass nicht nur die Aufrechterhaltung, sondern auch die Ausdehnung der inländischen Metallerzeugung angestrebt wurde.166 Dazu entwickelte der zuständige167 Beamte im Reichswirtschaftsministerium, Geheimrat Pasel, im Laufe des Jahres 1933 die „Bedingungen für die Gewährung von Förderprämien für den deutschen Metallerzbergbau und Verhüttungsprämien für die deutschen Metallhütten“168, kurz „Förderprämienverfahren“ genannt, das erstmals 1934 eingesetzt wurde.169 Die Steigerung der inländischen Metallerzeugung sollte dabei „ohne Rücksicht auf die entstehenden Kosten“170 erfolgen. Das Förderprämienverfahren war einer der ersten der standardisierten Vertragstypen, die im Dritten Reich zur Ausdehnung von Industriekapazitäten verwendet wurden. Man wendete es ausschließlich bei der Gewinnung und Verhüttung von Nichteisenmetallen, insbesondere von Zink und Blei, an. Die zwischen Reichswirtschaftsministerium und Unternehmen abgeschlossenen Verträge hatten eine Laufzeit von einem Jahr. Das Reich verpflichtete sich dabei, dem erzgewinnenden Unternehmen die Differenz zwischen dem sogenannten Verrechnungspreis der betreffenden Periode und den tatsächlichen Erlösen für verhüttetes Metall in Form sogenannter Förderprämien zu erstatten.171 Der Verrechnungspreis ergab sich seinerseits aus der Summe der in der Vorperiode für die Folgeperiode geschätzten Selbstkosten des Erzproduzenten, auch „vereinbarte Selbstkosten“ genannt172, und den sogenannten Hüttenlöhnen. Unter diesen verstand man normalerweise die Verhüttungskosten der Erze zuzüglich eines Gewinns, also die Wertschöpfung der Hütten.173 Im Rahmen des Förderprämienverfahrens waren zusätzlich in diese Größe, wie später noch genauer erläutert wird, die gesamten in einem Abrechnungsjahr getätigten 165

BArch R 2301 / 6018, Merkblatt über die Metallerzbergbaustützung, S. 4. BArch R 2301 / 6018, Merkblatt über die Metallerzbergbaustützung, S. 4. 167 Von Klaas (1957), S. 112. 168 Vgl. z. B. BArch R 3101 / 30376, Vertrag zwischen dem Deutschen Reich und der Flotationsgesellschaft Siegen vom 20.5.1944, Bl. 343. 169 RWWA 66-77-1, Schreiben der Fachgruppe Metallerzbergbau vom 2.1.1934; BArch R 2301 / 6018, Merkblatt über die Metallerzbergbaustützung, S. 4. 170 BArch R 2301 / 6018, Merkblatt über die Metallerzbergbaustützung, S. 4. 171 RWWA, 66-13-1, Förderprämienverfahren, §13. 172 BArch R 3101 / 30371, Vertrag zwischen dem Deutschen Reich und der Duisburger Kupferhütten AG vom 5.1.1939, Bl. 1 ff. 173 H. Hüser, Die Grundsätze der Betriebskostenrechnung in einem vereinigten Bergwerks- und Hüttenunternehmen der Nichteisenmetallindustrie, Halle 1942, S. 72 f. 166

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2.4. Das Förderprämienverfahren

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Investitionen der Hütte miteinbezogen.174 In den geschätzten Selbstkosten war ein Betrag enthalten, der auf ein Sonderkonto überwiesen wurde und dazu diente, nach einem vom RWM verfügten Wirtschaftsplan Investitionen zu tätigen und Schulden zu tilgen. Dieser Betrag wurde zunächst als „sogenannte Abschreibungen“175, später dann als „sogenannte Investitionen“ bezeichnet.176 Nicht verausgabte Beträge waren vorzutragen oder auf Verlangen dem Reich auszuzahlen.177 Die Förderprämien konnten in Höhe von 95 Prozent als Vorschüsse beantragt werden, wurden dann aber nach der endgültigen Feststellung berichtigt.178 Die Verwendung der oben genannten ex ante geschätzten, nicht aber der tatsächlichen Selbstkosten für die Ermittlung der Förderprämien hatte laut Vertragstext ausdrücklich die Funktion „eine Anregung zur Steigerung der [… ] Erzeugung und zur möglichst wirtschaftlichen Betriebsführung zu geben“.179 Unterschritten nämlich die tatsächlichen Selbstkosten die sogenannten „berichtigten vereinbarten Selbstkosten“, stand den Unternehmen laut Vertrag die Hälfte der Differenz als frei verfügbarer Gewinn zu, der im folgenden in Anlehnung an die zeitgenössische Diktion „Fleißprämie“180 genannt wird. Die andere Hälfte war an das Reich abzuführen. Die Fleißprämie war also ein Bestandteil der Förderprämie. Überschritten hingegen die tatsächlichen Selbstkosten die vereinbarten berichtigten Selbstkosten, so war die Differenz voll vom Unternehmen zu tragen. Um tatsächlich nur unternehmensbedingte Effizienzsteigerungen zu prämieren, und somit eine unverfälschte Anreizwirkung zu implementieren, wurden die geschätzten Selbstkosten, ähnlich wie bei Wirtschaftlichkeitsgarantieverträgen, um folgende Mehr- oder Minderaufwendungen berichtigt: • an Löhnen und Gehältern, die sich aus Änderungen der Tarifverträge ergaben • an Steuern • an sozialen Abgaben • an Frachten.181

Im Folgenden sollen diese Zusammenhänge im Fall der Berechnung der „Fleißprämie“ und der Förderprämie am Beispiel der Zinkoxydgewinnung182 der Duisburger Kupferhütte AG (DKAG) im Betriebsjahr 1939 / 1940 pro Tonne verdeutlicht werden183 174

Vermindert wurde der Verrechnungspreis um Erlöse aus Nebenprodukten wie der Silbergewinnung. BArch R 2301 / 6018, Merkblatt über die Metallerzbergbaustützung, S. 6. 175 BArch R 2301 / 6018, Merkblatt über die Metallerzbergbaustützung, S. 9. 176 BArch R 3101 / 30371, Förderprämienvertrag der DKAG zur Zementbleigewinnung vom 5.1.1939, S. 2. 177 RWWA, 66-13-1, Förderprämienverfahren, § 6. 178 Ebd., § 5. 179 Ebd., § 7. 180 BArch R 2301 / 6018, Merkblatt über die Metallerzbergbaustützung, S. 9. 181 RWWA, 66-13-1, Förderprämienverfahren, § 2. 182 Das Zinkoxyd wird dabei aus Schwefelkiesabbränden gewonnen und dient als Rohstoff für Zinkhütten. Zum genauen Herstellungsverfahren, vgl. Walter Greiling / Kurt Horalek, 75 Jahre Duisburger Kupferhütte, Duisburg 1951, S. 77 f. 183 RWWA, 66-15-27, Betriebsprüfung der Duisburger Kupferhütte AG durch die Deutsche Revisions- und Treuhand AG im Jahr 1939 / 40, S. 47.

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Als Abkürzung wird verwendet:

Fleißprämie = G Förderprämie = FP Hüttenlöhne = HL berichtigte geschätzte Selbstkosten = SKB berichtigter Verrechnungspreis = VPB, wobei VPB = SKB + HL tatsächliche Selbstkosten = SKT Marktpreis für verhüttetes Metall = MP. Für das abgelaufene Jahr hatte sich ergeben: SKT + HL = 209, 52 RM / to.

Für das gleiche Jahr war ex ante ein Verrechnungspreis festgelegt worden, der nach der Berichtigung wie folgt lautete: VPB = SKB + HL = 217,54 RM / to. Der Marktpreis betrug184: MP = 186,14 RM / to. Daraus folgt für die Förderprämie FP = SKB + HL  –  MP = 217,54 RM / to  –  186,14 RM / to = 31,40 RM / to. Demnach ergab sich als Fleißprämie G = 0,5[(SKB + HL)  –  (SKT + HL)] = 0,5 x (217,54 RM / to – 209, 52 RM / to) = 0,5 x 8,02 RM / to = 4,01 RM / to. Hinzuzufügen ist, dass ein Erz- bzw. Oxydproduzent ohne eigene Hüttenkapazitäten, wie das auch bei der DKAG der Fall war, von dem Käufer, also der Hütte, nicht den Marktpreis für verhüttete Erze, sondern den um den Hüttenlohn verminderten Marktpreis bezahlt bekam. Üblicherweise wurde nämlich der Marktwert von Erzen anhand des Marktpreises von verhütteten Erzen bestimmt, da sich der Metall­ inhalt der jeweiligen Erze unterscheiden konnte, also eine Wertbemessung der Erze nach ihrem Gewicht nicht in Frage kam.185 Die Abhängigkeit des Erzwertes vom 184

Damit war der deutsche Metallpreis gemeint, der sich dabei, obwohl seit 1934 amtlich festgelegt, am Weltmarktpreis (Londoner Notierung) orientierte und i.d.R. nur geringfügig über letzterem lag. C.-H. Ulrich, Die Versorgung Deutschlands mit unedlen Metallen unter besonderer Berücksichtigung ihrer Bewirtschaftung seit 1934, Diss., Hamburg 1937, S. 90 ff. 185 BArch R 3101 / 30351, Leitfaden für Prüfungen auf Grund der Bedingungen des Reichswirtschaftsministeriums für die Gewährung von Förderprämien für den deutschen Metallerzbergbau, aufgestellt 1943 von der Deutschen Revisions- und Treuhand AG, S. 6; G. Berg / F. Friedensburg, Blei und Zink (Die Metallischen Rohstoffe, 9.Heft), Stuttgart 1950, S. 64.

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Metallmarktpreis und dem Hüttenlohn führte dazu, dass der Erlös eines Erzproduzenten bei sinkenden Metallpreisen oder bei steigenden Hüttenlöhnen zurückging. Zugleich gewährleistete aber das Förderprämienverfahren, wie auch der Beispielrechnung zu entnehmen ist, dass in diesen Situationen die Förderprämie anstieg. Das Förderprämienverfahren diente, wie erwähnt, nicht nur dem Abbau von Erzen, sondern auch der Verhüttung von Nichteisenmetallen. Den deutschen Hütten sollte es ermöglicht werden, einerseits ihre Kapazitäten auszubauen, um aus Gründen der Devisenersparnis weitgehend die Einfuhr verhütteter Nichteisenmetalle zu ersetzen, und andererseits auf ihren, auch bereits vor 1933 nicht unbeträchtlichen Exportmärkten186 trotz der Überbewertung der Reichsmark zu konkurrieren.187 Denn die Abwertung des englischen Pfundes und des Dollars hatte die Wettbewerbs­ fähigkeit der deutschen Hütten deutlich verschlechtert.188 Die Norddeutsche Affinerie, die Europas größte und eine der modernsten Kupferhütten war189, schrieb 1933 in ihrem Geschäftsbericht: „Durch die Abwertung des Dollars und durch das weitere Nachgeben des Sterlings sind wir gegenwärtig gezwungen, allen entwerteten Schmelzlöhnen der Ausländer zu folgen.“190 Um das erste Ziel, den Kapazitätsausbau, zu erreichen, gewährte der Staat im Rahmen des Förderprämienverfahrens den Hütten sogenannte „Normalhüttenlöhne“. In diesen generell vom Reich für Hütten, die bestimmte Rohstoffe verarbeiteten, festgelegten191 und vertraglich fixierten Beträgen waren „sogenannte Investitionen“, also eine Größe, die den „sogenannten Abschreibungen“ in den geschätzten Selbstkosten der dem Förderprämienverfahren angeschlossenen erzfördernden Unternehmen vergleichbar war, enthalten.192 Ebenfalls analog zu den vertraglichen Normen für erzfördernde Unternehmen wurde in den Hüttenlohnverträgen i.d.R. eine Selbstkostenregel vereinbart193, die einen Anreiz zur Effizienzsteigerung schuf. Sofern die so­genannten gewährleisteten berichtigten194 Hüttenlöhne, also das Äquivalent der be­richtigten geschätzten Selbstkosten, die tatsächlichen Hüttenlöhne überschritten, stand den Unternehmen laut Vertrag die Hälfte der Differenz als frei verfügbarer „Ge­winn“ zu. Die andere Hälfte war an das Reich abzuführen.195 Fasst man also das recht verwickelte Verfahren zusammen, subventionierte der Staat durch die Zahlung 186 Ulrich

(1937), S. 57 f. Allerdings war Deutschland bei Kupfer, Blei und Zink Nettoimporteur. Ebd. 187 RWWA, 66-78-2, Schreiben der Fachgruppe Metallerzeugende Industrie der Wirtschaftsgruppe Nichteisenmetallindustrie an das Reichswirtschaftsministerium, 31.3.1939; BArch R 2301 / 6018, Merkblatt über die Metallerzbergbaustützung, S. 6. 188 Ulrich (1937), S. 45. Vgl. auch BArch R 3101 / 30352, Leitfaden für Prüfungen auf Grund der Bedingungen des Reichswirtschaftsministeriums für die Sicherung ausreichender Hüttenlöhnen an die Deutschen Blei- und Zinkhütten, S. 5. 189 Ulrich (1937), S. 44 f. 190 H. Schatz, Austausch von Kupfer durch Aluminium, Diss., Halle 1936, S. 26. 191 BArch R 3101 / 30352, Leitfaden für Prüfungen auf Grund der Bedingungen des Reichswirtschaftsministeriums für die Sicherung ausreichender Hüttenlöhnen an die Deutschen Blei- und Zink­ hütten, Bl. 7. 192 BArch R 3101 / 30325, Hüttenlohnvertrag der Gewerkschaft Mechernich vom 13.11.1941, § 5. 193 Ebd., § 8. 194 BArch R 2301 / 6018, Merkblatt über die Metallerzbergbaustützung, Bl. 8. 195 Vgl. z. B. BArch R 3101 / 30085, Vertrag zwischen dem Deutschen Reich und der Preußischen

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von Förderprämien an den Erzproduzenten gleichzeitig zwei Produktionsstufen, nämlich die Erzgewinnung ebenso wie die Hütten, die diese Erze verarbeiteten. Durch die faktische Orientierung an den Weltmetallmarktpreisen fand quasi eine Rück­wälzung der Verluste über die jeweiligen Produktionsstufen auf das Reich statt.196 Ging es hingegen darum, die internationale Wettbewerbsfähigkeit von Hütten zu gewährleisten, die Erze verarbeiteten, die nicht durch das Förderprämienverfahren gefördert wurden, also z. B. importierte Erze, konnte die Rückwälzung nicht durch Förderprämien erfolgen. In solchen Fällen wurde exportiertes verhüttetes Zink, Blei und Kupfer durch den ebenfalls im Rahmen des Förderprämienverfahrens vertraglich geregelten „Hüttenlohnausgleich“ subventioniert.197 Danach hatten die exportierenden deutschen Hütten grundsätzlich einen Anspruch auf eine volle Deckung des Unterschiedsbetrags zwischen den für Deutschland festgelegten Hüttenlöhnen und den mit einem ausländischen Vertragspartner erzielten Hüttenlöhnen, soweit diese bis zu 50 Prozent die deutschen Hüttenlöhne unterschritten.198 Eine darüber hinausgehende Abweichung wurde nur noch zur Hälfte abgedeckt, so dass der prozentuale Verlustausgleich zunehmend geringer wurde. Schadenersatzansprüche wurden wie in den Wirtschaftlichkeitsgarantieverträgen nicht ausdrücklich in den Verträgen geregelt. Da es sich um zivilrechtliche Ver­ träge handelte, galten somit die gesetzlichen Regelungen gemäß §§ 320ff BGB. In den Verträgen war ein Prüfungsrecht des Reiches vereinbart worden199, das, ebenso wie bei anderen Vertragstypen, durch die Deutsche Revisions- und Treuhand AG wahrgenommen wurde. Allerdings konnte durch die Implementierung des Prüfungsrechts nicht verhindert werden, dass die Unternehmen ex ante aufgrund ihrer Informationsvorteile die Selbstkosten zu hoch ansetzten. Der Anreiz für eine Täuschung bestand darin, dass man die Fleißprämie auf diese Weise erhöhen konnte. Dies führte zeitweise, wie das Beispiel Duisburger Kupferhütte AG (DKAG) zeigt, zu sehr hohen Gewinnen, was auch vom RWM beanstandet wurde. So schrieb der für das Förderprämienverfahren zuständige Ansprechpartner im RWM, Geheimrat Pasel, am 10. März 1936 an die DKAG: „Endlich wollen Sie noch Kenntnis davon nehmen, daß ein Gewinn, der, wie im Abschluß per 31. März 1935 festgestellt, fast 1 / 6 der gewährleisteten Selbstkosten beträgt, außerhalb der Absichten des Prämienverfahrens liegt, sodaß (sic!) Mittel und Wege gefunden werden müssen, durch die künftig derartige Ergebnisse vermieden werden.“ Insgesamt entsprach der implementierte Gewinnanreiz zur Effizienzsteigerung grundsätzlich dem Anreiz, der Festpreisverträgen inhärent ist. Verbunden war damit aber, wie das Beispiel der DKAG zeigt, das auch FestpreisBergwerks- und Hütten- Aktiengesellschaft Zweigniederlassung Harzer Berg- und Hüttenwerke, vom 6.8.1944, § 8, Bl. 103. 196 BArch R 3101 / 30352, Leitfaden für Prüfungen auf Grund der Bedingungen des Reichswirtschaftsministeriums für die Sicherung ausreichender Hüttenlöhnen an die Deutschen Blei- und Zinkhütten, Bl. 6. 197 RWWA, 66-77-1, Schreiben der Wirtschaftsgruppe Nichteisenmetall-Industrie vom 28.2.1935. 198 RWWA, 66-77-1, Schreiben der Wirtschaftsgruppe Nichteisenmetallindustrie, 2.4.1935. 199 RWWA, 66-13-1, Förderprämienverfahren, § 12.

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verträgen eigene Problem der „adversen Selektion“, d. h. der Anreiz für den Produzenten, ex ante zu hohe Selbstkosten zu prognostizieren. Wie erwähnt, wurden Verträge immer nur für die Dauer eines Jahres geschlossen. Allerdings konnten Unternehmen, die bereits wenigstens einmal durch einen derartigen Vertrag gefördert worden waren, nicht erneut in den Genuss der Förderung kommen, wenn sie einmal den Vertrag nicht erneuert hatten. Dieser Grundsatz wurde 1937 vom RWM eingeführt.200 Hintergrund dieser Entscheidung war der Umstand, dass seit 1936 die internationalen Nichteisenmetallpreise wieder stark anstiegen.201 Dies hatte zur Folge, dass die Voraussetzungen für Förderprämien nicht gegeben waren, wie dies tatsächlich auch für die Zinkoxydgewinnung der DKAG im Geschäftsjahr 1936 / 37 und 1937 / 38 der Fall war.202 In dieser Situation spielte die DKAG mit dem Gedanken, aus dem Förderprämienverfahren auszuscheiden, d. h. den Vertrag nicht mehr zu erneuern. Bei einer Erneuerung hätte sich nämlich das Unternehmen unter den gegebenen Umständen schlechter gestellt als ohne Vertrag: Angesichts der nun möglicherweise rentablen Produktion hätte die DKAG keinen Anspruch auf Förderprämien gehabt, gleichzeitig aber aufgrund der vertraglichen Verpflichtung die Hälfte der effizienzbedingten Stückkostensenkungen an das Reich abführen müssen. Die Vertragskonstruktion führte also dazu, dass für das Unternehmen mit zunehmender Wettbewerbsfähigkeit des Produkts die Vorteile einer vertraglichen Bindung schwanden. Zugleich verringerte die Erwartung steigender Endproduktpreise den Anreiz zur Überschätzung der tatsächlichen Selbstkosten, der ja grundsätzlich in der Bestimmung der Fleißprämie beinhaltet war. Das Dilemma für die Unternehmen, das durch die Erwartung steigender Metallpreise hervorgerufen wurde, spiegelt sich eindrucksvoll in internen Überlegungen der DKAG zum Pro und Contra, im Förderprämienverfahren zu verbleiben, wider. So heißt es in einer Aktennotiz vom 27.9.1937: „Dafür spricht, daß wir eine größere Sicherheit haben, vor allem auf längere Sicht, wo es doch nicht unwahrscheinlich ist, daß Zink mal wieder den Tiefpunkt von RM 165,- erreicht. Dagegen spricht: 1. Die Teilung der ersparten Selbstkosten (Versicherungsprämie). Wir können natürlich den Verrechnungspreis herabsetzen, dann präjudizieren wir aber die zukünftige Entwicklung, denn heraufsetzen läßt er sich schlecht wieder. 2. Die Prüfung. 3. Die Tatsache, daß wir alle unsere genehmigten Abschreibungen (=“sogenannte Abschreibungen“, J. S.) investieren müssen.“203

Die DKAG entschied sich letztlich dafür, im Förderprämienverfahren zu bleiben, was angesichts ihrer mittelfristig unsicheren Einschätzung der Zinkpreisentwicklung in Verbindung mit der Ausschlussvorschrift auch verständlich ist. Aufgrund der internen Überlegungen des Unternehmens wäre es nun rational gewesen, wenn es bei der Erwartung, in der Folgeperiode keine Förderprämien in Anspruch nehmen zu können, versucht hätte, dem Staat bei der Selbstkostenschätzung einen möglichst niedrigen Wert anzugeben. Dann wäre nämlich gewährleistet gewe200

RWWA, 66-13-1, Aktennotiz zu einer Besprechung mit Pasel vom RWM, 27.9.1937. Statistisches Jahrbuch für das Deutsche Reich 1938, S. 197*. 202 BArch R 3101 / 30371, Bl. 63, 85. 203 RWWA, 66-13-1, Aktennotiz zu einer Besprechung mit Pasel vom RWM, 27.9.1937. 201

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sen, dass es kein Geld an den Staat abführen musste. Allerdings waren wohl einer solchen Unterschätzung der tatsächlichen Selbstkosten aus Gründen der Glaubwürdig­ keit Grenzen gesetzt. Hätte das Unternehmen jedoch erwartet, in der Folgeperiode Förderprämien beanspruchen zu müssen, so hätte rationales Handeln i.S. der Gewinnmaximierung des Unternehmens dazu führen müssen, dass die tatsächlichen Selbstkosten der Folgeperiode systematisch überschätzt worden wären. Denn umso mehr die ex ante vereinbarten Selbstkosten die tatsächlich eintretenden Selbstkosten überschritten, desto höher wurde die dem Unternehmen zustehende Fleißprämie. Da keine Informationen über die diesbezüglichen Erwartungen der DKAG zu den verschiedenen Zeitpunkten aufzufinden waren, wird im Folgenden versucht, diese zu re­konstru­ ie­ren. Mithilfe dieser rekonstruierten Erwartungen sollen dann die oben genannten Hypothesen überprüft werden. Die Erwartung, ob Förderprämien in Anspruch genommen werden müssen, hing nach den Vertragsregeln des Förderprämienverfahrens von dem Preisniveau und von dem Verrechnungspreis ab. Letzterer wiederum berechnete sich, wie bereits dargestellt, aus der Summe der vom Staat festgelegten Hüttenlöhne und der geschätzten Selbstkosten, deren Höhe u.a. von den ebenfalls staatlich festgelegten „sogenannten Abschreibungen“ abhing. Es wird dabei unterstellt, dass die DKAG zu dem Zeitpunkt, als sie ihre internen Überlegungen aufstellte, ob sie in der Folgeperiode Förderprämien beanspruchen würde oder nicht, davon ausging, dass die für die Folgeperiode durch das Reichswirtschaftsministerium festgelegte Höhe der Hüttenlöhne und der „sogenannten Abschreibungen“, die dem Unternehmen wohl noch nicht bekannt waren, in etwa konstant bleiben würden. Diese Annahme erscheint plausibel, da sich in der Tat in der betrachteten Zeit die beiden Größen kaum veränderten. Außerdem wird, in Anlehnung an das oben genannte Dokument, unterstellt, dass bezüglich der Selbstkostenschätzung de facto eine Obergrenze existierte, die sich aus den tatsächlichen Selbstkosten der laufenden Periode ergab.204 Diese konnte vermutlich deshalb nicht überschritten werden, da angesichts der ziemlich kontinuierlichen Kapazitätsausdehnung in der Friedenszeit und daraus zu erwartender Größenvorteile eine höhere Schätzung im Allgemeinen nicht glaubhaft gewesen wäre.205 Bei der Erwartungsbildung dürfte nun intern dieser Obergrenze zuzüglich des Hüttenlohns, also einem unterstellten Verrechnungspreis, das für die Folgeperiode prognostizierte Preisniveau gegenübergestellt worden sein. Unterschritt der unterstellte Verrechnungspreis den erwarteten Preis, so konnte die DKAG mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit davon ausgehen, dass es in der kommenden Vertragsperiode nicht in den Genuss der Förderprämie kommen würde. Dann müsste das Unternehmen dem Reichswirtschaftsministerium gegenüber eine möglichst geringe Selbstkostenschätzung abgeben, um sicher zu gehen, dass es im Fall von effizienzbedingten Kostenersparnissen nicht die Hälfte an das Reich abzuführen hätte. Ergab sich jedoch aus der unternehmensinternen Abschätzung, dass der erwartete 204

Ebd. Ausnahmen von diesem Grundsatz ergaben sich dann, wenn entweder die „sogenannten Abschreibungen“ gegenüber der Vorperiode aufgrund staatlicher Ausbauwünsche stark ansteigen würden oder wenn, wie es dann im Krieg der Fall war, die Zinkoxydproduzenten auf qualitativ schlechtere Schwefelkiesabbrände zurückgreifen müssten, die die Produktionskosten erhöhten. Greiling / Horalek (1951), S. 153 f. 205

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Zinkpreis unterhalb des unterstellten Verrechnungspreises liegen würde, also man wahrscheinlich Förderprämien beanspruchen werden würde, bestand ein Anreiz, möglicht hohe Selbstkosten anzugeben. Tabelle 5: Hypothesen zum Verhalten der DKAG in Abhängigkeit ihrer Preiserwartung Preiserwartung

Unterstellter Verrechnungspreis ist kleiner als der erwartete Marktpreis

Unterstellter Verrechnungspreis ist größer als der erwartete Marktpreis

Verhaltensprognose

Vereinbarte Selbstkosten sind kleiner als tatsächliche Selbstkosten (Unterschätzung) Vereinbarte Selbstkosten sind größer als tatsächliche Selbstkosten (Überschätzung)

Wie aber dürfte das Unternehmen seine Erwartung hinsichtlich des zukünftigen Zink­preises gebildet haben? Da in den Jahren nach 1933 der Zinkpreis zeitweise stark schwankte, erscheint es nicht sehr wahrscheinlich, dass sich das Unternehmen an dem durchschnittlichen Zinkpreis der laufenden Periode orientierte. Vielmehr kann angenommen werden, dass die Erwartungen hinsichtlich des zukünftigen Zink­ preises eher durch die Preisnotierungen unmittelbar vor der Vertragsunterzeichnung bestimmt wurden. Um eine größere Robustheit der empirischen Überprüfung zu erzielen, wurden die tatsächliche Selbstkosten der laufenden Periode zuzüglich den Hüttenlöhnen (also der unterstellte Verrechnungspreis) dabei einmal nur dem Zinkpreis im Monat der Vertragsunterzeichnung und das andere Mal dem Durchschnitts­ preis aus den Notierungen des Monats der Vertragsunterzeichnung und der zwei vorausgehenden Monaten gegenübergestellt. Die oben genannten Hypothesen werden in Tabelle 6 überprüft. In Spalte I ist der Anteil der Abweichung der geschätzten berichtigten Selbstkosten (SKB) von den tatsächlichen Selbstkosten (SKT) pro kg Zinkoxyd (in Prozent der geschätzten Selbstkosten) in den jeweiligen Abrechnungszeiträumen zu sehen, d. h. (SKB – SKT) / SKT.

Ein negatives Vorzeichen bedeutet dabei eine ex ante-Unterschätzung, ein positives Vorzeichen eine ex ante-Überschätzung der tatsächlichen Selbstkosten. Spalte II zeigt, inwieweit der unterstellte Verrechnungspreis (SKT-1 + HL) den erwarteten Zinkpreis (MPErwI), basierend auf dem Zinkpreis im Monat der Vertragsunterzeichnung, überschritt (positives Vorzeichen) bzw. unterschritt (negatives Vorzeichen), d. h. (SKT-1 + HL) – MPErwI.

Demnach impliziert eine Überschreitung zugleich die Erwartung, Förderprämien zu erhalten, eine Unterschreitung hingegen, keine Förderprämien zu erhalten. In Spalte III wird die gleiche Betrachtung auf Grundlage des Durchschnitts des Zinkpreises im Monat der Vertragsunterzeichnung und der Zinkpreise in den zwei Monaten zuvor durchgeführt (MPErwI+II+III), d. h. (SKT-1 + HL) – MPErwI+II+III.

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Das Verhalten der DKAG zwischen 1935 und 1942 bestätigt, bei Gültigkeit der getroffenen Annahmen, die genannten Hypothesen, wie die Berechnungen in Tabelle 6 zeigen. Vor 1937 und nach 1938, als die so konstruierten Indikatoren für den erwarteten Zinkpreis niedriger als die tatsächlichen Selbstkosten der laufenden Periode zuzüglich Hüttenlöhne waren, wurde von der DKAG ex ante ein Verrechnungspreis festgelegt, der den tatsächlichen Verrechnungspreis der kommenden Periode systematisch überschätzte. Für die Abrechnungszeiträume 1937 / 38 und 1938 / 39, als aufgrund des hohen prognostizierten Zinkpreises zu erwarten war, dass das Unternehmen keine Förderprämien würde beanspruchen können, übertrafen die tatsächlichen Selbstkosten die geschätzten Selbstkosten deutlich. Der Rückgang der Überschätzung während des Krieges dürfte dabei auf den Umstand zurückzuführen sein, dass Ende 1940 die Berechnung der Förderprämien und die Verteilung des vertraglichen Gewinns zwischen Unternehmen und Staat modifiziert wurden.206 Seit diesem Zeitpunkt wurden auf Wunsch der Unternehmen Förderprämienverfahren-Selbstkosten auf der Basis der LSÖ-Grundsätze ermittelt. Dadurch wurde im Unterschied zu der bisherigen Variante das Kalkulationsschema zur Feststellung der geschätzten sowie der tatsächlichen Selbstkosten durch die Buchprüfung der Deutschen Revisions- und Treuhand AG insoweit verändert, als bei der Berechnung der Selbstkosten im Allgemeinen echte Abschreibungen und eine Verzinsung des eingesetzten Kapitals mit einbezogen wurden.207 Dies führte faktisch zu einer Erhöhung der Förderprämien. Tabelle 6: Erwartungen und adverse Selektion bei der Duisburger Kupferhütte AG 1935 – 1942 I:

II:

(SKB – SKT) / SKT

(SKT-1 + HL) – MPErwI

III:

(SKT-1 + HL) – MPErwI+II+III

1.4.35-31.3.36 +9,5 +8,47 +8,27 1.4.36-31.3.37 +12,7 +12,4 +1,64 1.4.37-31.3.38 -8 -99,52 -59,95 1.4.38-31.3.39 -19 -1,58 -13,14 1.4.39-31.12.40 +7,7 +34,62 +47,32 1941 +6,9 +60,1 +60,1 1942 +3,5 +42,93 +42,93 Eigene Berechnung. Quelle: Für die tatsächlichen Selbstkosten, den berichtigten Verrechnungspreis und die Hüttenlöhne, vgl. BArch R 8135 / 2125, Bericht über die DKAG 1935 / 36, Bericht über die DKAG 1936 / 37, Bericht über die DKAG 1937 / 38, R 8135 / 7293 a, Bericht über die DKAG 1938 / 39, Bericht über die DKAG 1939 / 40, Bericht über die DKAG 1941, Bericht über die DKAG 1942; für die Zinkpreise, Statistisches Jahrbuch für das Deutsche Reich, verschiedene Jahrgänge. 206

RWWA, 66-78-2. Schreiben der Fachgruppe Metallerzbergbau vom 28.11.1940. RWWA, 66-78-2, Schreiben Metallerzbergbau an das RWM vom 31.3.1939. Das galt nicht für „gemischte Betriebe“, d. h. solche, die auch Produkte herstellten, die nicht im Rahmen des Förderprämienverfahrens unterstützt wurden. Zu Nachkalkulationen auf LSÖ-Basis, vgl. auch K. A. Hortmann, Einzelfragen zum Gewinnzuschlag nach LSÖ, in: Der Wirtschaftstreuhänder, Jg. 9 (1940), S. 113-118. 207

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Für alle Jahrgänge wurden die Inlandspreise verwendet; nur für den Abrechnungszeitraum 38 / 39 musste aufgrund fehlender Inlandspreise auf die i.d.R. etwas niedrigeren Weltmarktpreise (Londoner Notierung) zurückgegriffen werden. Seit November 1939 war der Zinkinlandspreis fix. Vgl. BArch R 3101 / 30351, Leitfaden für Prüfungen auf Grund der Bedingungen des Reichswirtschaftsministeriums für die Gewährung von Förderprämien für den deutschen Metallerzbergbau, aufgestellt 1943 von der Deutschen Revisions- und Treuhand AG, S. 5. I: Anteil der Abweichung der geschätzten berichtigten Selbstkosten (SKB) von den tatsächlichen Selbstkosten (SKT) pro kg Zinkoxyd (Prozent der geschätzten Selbstkosten) in den jeweiligen Abrechnungszeiträumen. II: Überschreitung (-) und Unterschreitung (+) der tatsächlichen Selbstkosten der Vorperiode zuzüglich Hüttenlöhne durch den Zinkpreis im Monat der Vertragsunterzeichnung (Rpf pro kg Zink). III: Überschreitung (-) und Unterschreitung (+) der tatsächlichen Selbstkosten der Vorperiode zuzüglich Hüttenlöhne durch den Durchschnitt des Zinkpreis im Monat der Vertragsunterzeichnung und der Zinkpreise in den zwei Monaten zuvor (Rpf pro kg Zink).

Als Gegenleistung setzte das RWM allerdings durch, mit einem steigenden Anteil an der Differenz, die sich aus der möglichen Unterschreitung der berichtigten geschätzten Selbstkosten durch die tatsächlichen Selbstkosten ergeben konnte, beteiligt zu werden.208 Der „Eingangsgrenzsteuersatz“ auf diese Kostenersparnis betrug 50 Prozent und stieg in mehreren Stufen bis auf einen „Höchstgrenzsteuersatz“ von 90 Prozent an. Ebenso wie der Verrechnungspreis den Bedingungen des jeweiligen Unternehmens angepasst wurde, wurden auch die Absolutbeträge, mit denen die jeweilig nächste, prozentual normierte Progressionsstufe begann, für jedes Unternehmen einzeln festgelegt.209 Vielleicht hat bei der Überlegung des Reichs, die Selbstkostenersparnis progressiv zu „besteuern“, der Umstand eine Rolle gespielt, dass mit dem Eintritt in den Krieg der Anreiz zur Überschätzung der tatsächlichen Selbstkosten, wie am Beispiel der DKAG gezeigt, wieder gegeben war. Der Kriegseintritt entkoppelte nämlich die administrativ festgelegten „Marktpreise“ in Deutschland von den Weltmarktpreisen, indem die deutschen Preise festgeschrieben wurden, und zwar auf einem niedrigeren Niveau als das der Jahre 1936 / 37 und 1937 / 38. In einer derartigen Situation führte eine Progression, wie sie seit 1941 implementiert wurde, faktisch zu einer Obergrenze für eine gewinnrelevante Täuschung. Gegenüber der Situation vor 1937, in der die DKAG ebenfalls davon ausgehen konnte, Förderprämien zu erhalten, wurde also das Problem der adversen Selektion limitiert. Gleichzeitig entstand durch die Einführung der Progression aber auch eine Obergrenze, ab der faktisch kein Anreiz mehr für die Unternehmen bestand, durch Effizienzsteigerungen die Selbstkosten zu senken. Im Unterschied zu Wirtschaftlichkeitsgarantieverträgen war die Wahrscheinlichkeit, dass beim Förderprämienverfahren ein Anreizproblem dadurch entstehen könnte, dass potenziell realisierbare Effizienzverbesserungen aufgrund in Zukunft 208

RWWA, 66-78-2, Rundschreiben, 7.1.1941. Vgl. z. B. BArch R 3101 / 30325, Vertrag zwischen dem Deutschen Reich und der Gewerkschaft Mechernich vom 13.11.1941, § 8, Bl. 310 und Vertrag zwischen dem Deutschen Reich und der Gewerkschaft Mechernich vom 4.4.1940, § 8, Bl. 128. Zur entsprechenden Modifikation bei Hüttenlohnverträgen, vgl. BArch R 3101 / 30352, Leitfaden für Prüfungen auf Grund der Bedingungen des Reichswirtschaftsministeriums für die Sicherung ausreichender Hüttenlöhnen an die Deutschen Blei- und Zinkhütten, S. 108. 209

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erwarteter steigender Produktionsmengen hinausgezögert werden würden, gering. Denn die Laufzeit der Förderprämienverträge betrug ja nur ein Jahr. Daher konnte ein Unternehmen selbst bei avisierten Kapazitätsausdehnungen nicht sicher sein, ob der Staat in Zukunft überhaupt bereit war, einen Vertrag abzuschließen. Das dürfte insbesondere für die Friedenszeit gegolten haben, in der angesichts zeitweiser hoher Weltmarktpreise manche Unternehmen mit dem Gedanken spielten, den Vertrag nicht zu verlängern. Im Krieg wiederum wurde zwar diese Unsicherheit, wenigstens seit Ende 1941, als sich eine längere militärische Auseinandersetzung abzeichnete, mittelfristig aufgehoben. Es entstand jedoch aufgrund des zunehmenden Mangels an Rohstoffen und Arbeitskräften eine erneute Unsicherheit darüber, ob man in der folgenden Periode überhaupt die Kapazitäten auslasten könnte. Insgesamt nahm die Förderung und die Verhüttung von Zink- und Bleierzen seit Kriegsausbruch nicht mehr zu.210 Seit der Mitte der 1930er Jahre konnten die Unternehmen im Rahmen des Förderprämienverfahrens vom Reich verbürgte oder staatliche Kredite in Anspruch nehmen.211 Dies sollte einer schnelleren Kapazitätsausdehnung dienen.212 Solange das betreffende Unternehmen dem Förderprämienverfahren angeschlossen war, wurden die Kredite, die in der Regel eine Laufzeit von zehn Jahren hatten, mithilfe der in den Selbstkosten enthaltenen Abschreibungen getilgt.213 Wäre der Förderprämienvertrag nicht erneuert worden, und hätten außerdem keine auskömmlichen Preise erzielt werden können, sollten die Tilgungen des Kredits ausgesetzt werden. Dem Reich stand kein Rückgriffsrecht zu.214 Demnach trug das Unternehmen auch bei einer durch Kreditaufnahmen finanzierten Kapazitätsausdehnung keinerlei Amortisationsrisiko.215 Daran änderte auch der Passus nichts, dass Unternehmen, die nach Ablauf des Kredits und Ausscheiden aus dem Förderprämienverfahren auskömmliche Preise erzielten, verpflichtet waren, 50 Prozent des Nettogewinns maximal fünf Jahre lang dem Reich zuzuführen, falls der Kredit in der regulären Frist nicht getilgt worden war.216 Unter Berücksichtigung der genannten Modifikationen lassen sich Förderprämienverfahren bis Kriegsende bei der Kupfer-, Blei- und Zinkgewinnung, -aufbereitung und -verhüttung, aber auch bei anderen Metallen wie Zinn, Antimonerz und Wolfram nachweisen. Obwohl ursprünglich nur für privatwirtschaftliche Unternehmen konzipiert, kam es auch bei staatlichen Unternehmen, wie den Harzer Berg- und 210

Vgl. dazu Kapitel 5.1. RWWA, 66-77-1, Schreiben der Wirtschaftsgruppe Nichteisenmetall-Industrie vom 28.2.1935 RWWA, 66-56-3, Schreiben der Fachgruppe Metallerzbergbau im Auftrag des RWM vom 27.8.1937; BArch R 2301 / 6018, Merkblatt über die Metallerzbergbaustützung, S. 4. Lurie hingegen behauptet fälschlicherweise, dass der Kapazitätsausbau im Rahmen des Förderprämienverfahrens mit privaten Mitteln erfolgt sei. Lurie (1947), S. 187. 212 RWWA, 66-56-3, Schreiben der Fachgruppe Metallerzbergbau im Auftrag des RWM vom 27.8.1937. 213 Ebd. 214 BArch R 3101 / 30322, Bl. 8. 215 BArch R 2301 / 6018, Merkblatt über die Metallerzbergbaustützung, S. 10. 216 Vgl. z. B. BArch R 3101 / 30357, Bl. 8, Förderprämienvertrag der Kupferhütte Ertel, Bieber & Co vom 24.11.1937 211

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Hüttenwerke in Goslar, einer Zweigniederlassung der Preußischen Bergwerks- und Hütten AG, zum Einsatz.217 Insgesamt hatten nach einer Liste des RWM Ende des Krieges über fünfzig Unternehmen entsprechende Verträge abgeschlossen, davon gegen Kriegs­ende auch zwei Unternehmen, die außerhalb des Reichsgebiets angesiedelt waren.218 In vielen grundsätzlichen Normen stimmten Wirtschaftlichkeitsgarantieverträge und das Förderprämienverfahren überein. Unterschiede ergaben sich insbesondere hinsichtlich • der Vertragslaufzeit • der Selbstkostenschätzung und daraus resultierend bezüglich des Täuschungsanreizes • der Finanzierung der Anlagen

Die geringere Vertragslaufzeit des Förderprämienverfahrens im Vergleich zu Wirtschaftlichkeitsgarantieverträgen dürfte darauf zurückzuführen sein, dass die mit Wirtschaftlichkeitsgarantieverträgen unterstützten Produkte, auch unter der Maßgabe einer normalen Wirtschaftspolitik, bestenfalls langfristig als wettbewerbsfähig erachtet wurden.219 Die durch das Förderprämienverfahren geförderten Güter hingegen waren aus zeitgenössischer Perspektive unter Umständen nur vorübergehend international nicht kompetitiv.220 Ihre mangelnde Wettbewerbsfähigkeit lag nämlich in erster Linie an der Überbewertung der Reichsmark. Nachdem sich schon die letzten Weimarer Regierungen entschlossen hatten, nicht abzuwerten, hielt nämlich auch das NS-Regime an diesem Wechselkurs fest. Während man in der Endphase der Republik einer Abwertung negativ gegenübergestanden hatte, weil man befürchtet hatte, dass es zu inflationären Tendenzen käme wäre, und weil außerdem die überbewertete Reichsmark die Erfüllung der in Devisen zu leistenden Reparationsforderungen erleichtert hatte, stand nach der „Machtergreifung“ ein anderes Motiv im Vordergrund. Das NS-Regime erkannte, dass die überbewertete Reichsmark die Möglichkeit schuf, den Außenhandel direkt im Sinn des Staates zu beeinflussen.221 Da es sich somit faktisch um einen „politischen“ Wechselkurs handelte, kam es allerdings in der Öffentlichkeit immer wieder zu Abwertungsdiskussionen222, die auch von staatlichen Stellen genährt wurden. So äußerte sich Hitlers „Wirtschaftsbeauftragter“ Wilhelm Keppler im Herbst 1936 gegenüber dem Vorstandvorsitzenden der VGF, einem der größten deutschen Chemiefaserproduzenten, 217

BArch R 3101 / 30085, Bl. 90. BArch R 3101 / 30322, Bl. 59 – 64. 219 Plumpe (1990), S. 277, 295. 220 Vgl. dazu genauer Kapitel 2.4. Vgl. auch Kapitel 5.2.1. 221 B. Klein, Germany’s Preparation for War: A Re-Examination, in: The American Economic Review, Bd. 38, 1948, S. 56 – 77, hier: S. 57 – 59. 222 Vgl. z. B. Petzina (1968), S. 44; M. Ebi, Export um jeden Preis. Die Deutsche Exportförderung von 1932 – 1938, Stuttgart 2004, S. 93 – 101; F. Hoffmann, Die Sicherung der Wertbeständigkeit der deutschen Währung, Stuttgart 1940, S.63; J. A. Tooze, The Wages of Destruction. The Making and Breaking of the Nazi Economy, London 2006, S. 76, 216f; 267. Den bestehenden Zustand sah man nur als vorübergehend an. Vgl. Hoffmann (1940), S. 123. Dementsprechend nehmen Wirtschaftshistoriker auch davon Abstand, bei internationalen Vergleichen von Selbstkosten während der 1930er Jahre mit den laufenden Wechselkursen zu rechnen. Vgl. z. B. Streb (2003 a), S. 107. 218

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wie folgt: „Im allgemeinen sprach sich dann Keppler ziemlich scharf gegen das System der Exportvergütung aus, die seines Erachtens nicht den gewünschten Erfolg gebracht hätte. Dieses System müsse ersetzt werden durch eine Abwertung der Mark, die ja letzten Endes auch die Grundlage für den neuen Vier-Jahres-Plan sei.“223 Offensichtlich war also nach Meinung staatlicher Vertreter eine Abwertung, und somit auch eine erneute Wettbewerbsfähigkeit der durch das Förderprämienverfahren unterstützten Branchen, durchaus nicht auszuschließen. Daher lag es nahe, in diesen Branchen Verträge mit kurzer Laufzeit abzuschließen. Die Unterschiede in der Selbstkostenschätzung zwischen Förderprämienverfahren und Wirtschaftlichkeitsgarantieverträgen sind ebenfalls plausibel zu erklären. Bei den durch Förderprämien geförderten Anlagen erfolgte ein ständiger Ausbau, so dass, aufgrund des Einflusses von Größenvorteilen etc. die Selbstkosten der Vorperiode nur ein schlechter Maßstab sein konnten, um Effizienzsteigerungen zu messen. Bei Wirtschaftlichkeitsgarantieverträgen hingegen wurde in der Regel einmal eine bestimmte Kapazität errichtet, so dass entsprechende Einflüsse nach Ablauf der Anlaufszeit keine Rolle spielen konnten. Der Umstand, dass bei dem Förderprämienverfahren die Investitionen über staatlich verbürgte Kredite oder über die Vorfinanzierung der Förderprämien, in denen die sogenannten Abschreibungen enthalten waren, faktisch ausschließlich durch den Staat finanziert wurden, während zumindest in der Friedenszeit bei der synthetischen Treibstoffindustrie das Kapital überwiegend durch die private Industrie aufgebracht wurde224, ist ebenfalls leicht zu erklären. Die durch das Förderprämienverfahren unterstützten Branchen hatten aufgrund der Verluste bzw. des Mangels an Gewinnen in den Jahren zuvor im Allgemeinen weder eigene Liquidität, noch galten sie als besonders kreditwürdig. Insbesondere verhinderte die Laufzeit des Förderprämienverfahrens, und damit der staatlichen Rentabilitätsgarantie von nur einem Jahr die Aufnahme eines privaten Investitionskredits mit üblicherweise wesentlich längeren Tilgungsfristen.225 Bei den Branchen, die mithilfe von Wirtschaftlichkeitsgarantieverträgen ausgebaut wurden, stammten hingegen die Unternehmen meist aus dem liquiden Chemiesektor. Zugleich hatten diese Unternehmen auch Zugang zu privaten Investitionskrediten, da die Banken die zehnjährige Preisund Absatzgarantie als ausreichende Sicherheit erachteten.226 Warum beim Förderprämienverfahren Mehrerlöse, d. h. das Überschreiten des berichtigten Verrechnungspreises durch den Marktpreis, dem Unternehmen verblieben, während bei einem Wirtschaftlichkeitsgarantievertrag wenigstens ein Teil davon an das Reich abzuführen war, ist aus den Quellen nicht direkt zu beantworten. Möglicherweise ist dies auf unterschiedliche zollpolitische Absichten des Reichs bei den durch die jeweiligen Vertragstypen geförderten Produkten zurückzuführen. 223

RWWA 195 / B 6-0-5, Aktennotiz Hermann zu einer Besprechung mit Keppler am 17.9.1936. Sofern es sich nicht um sogenannte Pflichtgemeinschaften oder staatliche Werke handelte. Vgl. dazu Kapitel 3.2.2. 225 Vgl. z. B. BArch R 8119 F / P 1485, Aktenvermerk der Deutschen Bank vom 17.2.1936, Bl. 80; interner Schriftverkehr vom 15.2.1940, Bl. 83ff; BArch R 2301 / 6018, Merkblatt über die Metallerzbergbaustützung, S. 11. 226 Vgl. z. B. BArch R 3101 / 18316, Aktenvermerk vom 4. 1.1937, Bl. 73. 224

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2.5. Der Zuschussvertrag

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Bei den durch Wirtschaftlichkeitsgarantieverträge geförderten synthetischen Gütern war nämlich von vornherein nicht absehbar, ob diese Güter mittelfristig konkurrenzfähig gegenüber ihren natürlichen Substituten werden würden. Mehrerlöse i. S. eines Wirtschaftlichkeitsgarantievertrags waren demnach nur dann zu erwarten, und insofern nur dann die Implementierung einer entsprechenden Vertragsnorm sinnvoll, wenn durch eine entsprechende Zollpolitik die Inlandspreise erheblich über den Weltmarktpreisen liegen würden. Unter welchen Bedingungen wäre eine solche Politik zu erwarten gewesen? Erstens dürfte eine Zollpolitik unter dem Aspekt der Maximierung unmittelbarer Staatseinnahmen nur dann rational gewesen sein, wenn der Staat nicht alleiniger oder überwiegender Nachfrager des betreffenden Produkts gewesen wäre. War hingegen nur der Staat Nachfrager, wäre die Erhebung eines Zolls praktisch ein Nullsummenspiel für den Staat gewesen. Das, was er dadurch an Garantiekosten ein­ spart, und das, was er durch den Zoll einnimmt, entspricht nämlich dem Mehrbetrag, den er als Konsument aufzuwenden hat, um seine Nachfrage zu befriedigen. Zweitens müsste wohl gewährleistet sein, dass durch eine derartige Zollpolitik die Exportinteressen bzw. das Interesse an Deviseneinnahmen nicht verletzt worden wären, d. h. die derart geschützten Produkte dürften nicht in großem Umfang als Inputs für die Exportindustrie gedient haben. Es ist also zu vermuten, was später bei der Branchenbetrachtung überprüft wird, dass die unterschiedlichen Mehrerlösregelungen auf unterschiedliche Absichten des Staates bei den geförderten Gütern zurückzuführen sein könnten, die eigentlichen Vertragskosten auf die Verbraucher durch preis- bzw. zollpolitische Maßnahmen zu überwälzen.

2.5. Der Zuschussvertrag Neben dem Förderprämienverfahren kam im deutschen Metallerzbergbau mit dem sogenannten Zuschussvertrag noch ein weiterer Vertragstyp zum Einsatz. Verwendung fand dieser Vertrag beim Abbau deutscher Kupfererze. Der erste dieser Verträge wurde bereits am 1.3.1933 mit der Mansfelder Kupferschieferbergbau AG abgeschlossen.227 Die Mansfelder Kupfererze waren bereits seit 1930 nicht mehr wettbewerbsfähig, d. h. selbst zu einem Zeitpunkt, als der Weltmarktpreis noch er227

BArch R 3101 / 30383, Vertrag zwischen Preußen und dem Deutschen Reich mit Mansfeld vom 1.3.1933, Bl. 5. 1935 wurde er bis 1946 verlängert und 1939 das Vertragswerk aufgrund seiner Unübersichtlichkeit infolge zahlreicher kleinerer Modifikationen in einem neuen Vertrag zusammengefasst. BArch R 3101 / 30383, Bl. 1 – 5. Grundsätzlich identische Verträge wurden 1938 mit der Kurhessische Kupferschieferbergbau GmbH Eisleben (Vgl. z. B. BArch R 3101 / 30099, Kurhessenvertrag ) und am 10.2. / 18.3.1941 mit der Bergbau- und Hütten AG (BUHAG) abgeschlossen. BArch R 3101 / 30366, Bl. 47. Vgl. auch ebd., Schreiben von Pasel an die BUHAG vom 25.1.1939. Vgl. dazu auch BArch R 3101 / 30367, Zuschussvertrag der BUHAG vom 18.3.1941, Bl. 45 f. Lurie bezeichnet fälschlicherweise den Mansfeldvertrag als typisches Beispiel für einen Vertrag zwischen Reich und einem Unternehmen, das dem Förderprämienverfahren angeschlossen war. Lurie (1947), S. 186. Bagel-Bohlan spricht von dem Einsatz eines Wirtschaftlichkeitsgarantievertrags bei der Kupferförderung. Bagel-Bohlan (1975), S. 73.

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2. Varianten der Investitionsförderung in den Autarkie- und Rüstungsbranchen

heblich höher als 1934 war, dem absoluten Tiefpunkt des Kupferpreises während der 1930er Jahre. Schon zu diesem Zeitpunkt hatte der Staat Verluste der Mansfeld AG, des mit Abstand größten deutschen Produzenten, gedeckt.228 Diese staatliche Hilfestellung war bereits damals darauf zurückzuführen, dass man glaubte, die Aufrechterhaltung der Kupfergewinnung in Mansfeld sei aus militärischen und beschäftigungspolitischen Gründen von nationalem Interesse.229 Ende 1932 erkannte man, dass die bisherige Subventionspraxis bei der Mansfeld AG dazu geführt hatte, dass die „der Gesellschaft angegliederten gesunden Glieder wie die Kohlenzechen (… ) einen ungerechtfertigten Nutzen zogen“230. Zudem wurde absehbar, dass die Kupfererzgewinnung Mansfelds langfristig subventioniert werden müsste231, da die Wettbewerbsfähigkeit der Mansfelder Gruben mit zunehmendem Abbau sogar noch weiter sinken würde.232 Daher wurde der Entschluss gefasst, die Vertragsbeziehungen auf eine neue Grundlage zu stellen. Die Initiative ging dabei von der Mansfeld AG aus233, ebenso wie ein erster Vertragsentwurf234, der dann in etwa den späteren Vereinbarungen entsprach. Unmittelbar vor der „Machtergreifung“ durch Hitler waren die Verhandlungen weitgehend abgeschlossen.235 Dazu wurde der Kupfererzabbau der Mansfeld AG in die am 1.1.1933 gegründete Mansfelder Kupferschieferbergbau AG, auch „Kupfergesellschaft“ genannt, ausgegliedert236 und der erste Zuschussvertrag dann am 1.3.1933 unterzeichnet. Die Wurzeln und Vorarbeiten der Förderung deutscher Nichteisenmetalle im Dritten Reich lagen also nicht nur in Form des Förderprämienverfahrens, sondern auch in Form des Zuschussvertrags bereits in der Weimarer Republik.237 Diese Kontinuität zeigt sich auch darin, dass der erwähnte Geheimrat Pasel, der maßgebliche Mann im RWM bei der Weiterentwicklung und Durchführung der Zuschussverträge und des Förderprämienverfahrens, bereits 1931 aufgrund der Interessen des Reiches als Vertreter des RWM Mitglied im Aufsichtsrat der subventionierten Mansfeld AG war, ebenso wie seit Anfang 1933 in dem der dann gegründeten Kupfergesellschaft.238 228

H. Radandt, Kriegsverbrecherkonzern Mansfeld: die Rolle des Mansfeld-Konzerns bei der Vorbereitung und während des zweiten Weltkriegs, Berlin (Ost) 1957, S. 130f, 149, 179; BArch R 2 / 15345, Bl. 69; 116; BArch R 3101 / 30381, Bl. 2; BArch R 2 / 15345, Vereinbarung zwischen dem Deutschen Reich / Preußische Staatsregierung und der Mansfeld AG vom 23.7.1930, Bl. 101 ff. 229 Steffens (1936), S. 41. 230 Ebd., S. 40. 231 Ebd., S. 40. 232 Vgl. dazu genauer Kapitel 5.2.2.; G. Berg / F. Friedensburg, Kupfer (Die Metallischen Rohstoffe, 4. Heft), Stuttgart 1941, S.116f; BArch R 3101 / 30095, Bl. 3 f. 233 BArch R 8119 F / P 1322, Denkschrift der Mansfeld AG vom 19.8.1932, Bl. 26 ff. 234 BArch R 8119 F / P 1322, Entwurf des Aufsichtsrates der Mansfeld AG zur Betriebsweiterführung vom 3.11.1932. 235 BArch R 8119 F / P 1322, Schreiben der Allgemeinen Deutschen Credit-Anstalt an die Deutsche Bank vom 31.1.1933. 236 BArch R 3101 / 30383, Vertrag zwischen Preußen und dem Deutschen Reich mit Mansfeld vom 1.3.1933, I, § 14. 237 Vgl. auch Petzina (1968), S. 96 f. 238 BArch R 3101 / 30093, Bl. 3 – 5, Schreiben des Aufsichtsrats von Mansfeld an das RWM vom 16.6.1944.

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2.5. Der Zuschussvertrag

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In vielen Punkten, wie die Berechnung der Selbstkostenersparnis, der Einräumung eines Prüfungsrechts für das Reich und der Bestimmung der Subventionssätze, war der Zuschussvertrag dem Förderprämienverfahren vergleichbar. In manchen wesentlichen Normen unterschied er sich aber deutlich von den Regelungen des Förderprämienverfahrens. So betrug die Vertragslaufzeit zehn Jahre.239 Während der Vertragsdauer hatte das Reich den  –  allerdings nur theoretischen  –  Anspruch auf einen Teil der etwaigen „echten“ Unternehmensgewinne.240 Die Eigentums- und Verfügungsrechte des Unternehmens wurden in einer vollkommen anderen Weise als beim Förderprämienverfahren berührt. Während beim Förderprämienverfahren lediglich während der einjährigen Vertragsdauer die Verfügungsrechte der privaten Kapitaleigner beschränkt waren, wurden Unternehmen, die einen Zuschussvertrag abgeschlossen hatten, faktisch zu Pächtern von quasi-staatlichen Betrieben. Denn mit Vertragsabschluss gingen die Eigentumsrechte praktisch auf den Staat über.241 Das Reich konnte während der Vertragslaufzeit und bis 15 Jahre nach Vertragsende eine Kaufoption ausüben. Als Kaufpreis war der Unternehmenswert vor Beginn des Zuschussvertrags festgelegt worden, zuzüglich der Höhe etwaiger Nettogewinne des Unternehmens in dem Jahr, in dem das Angebot wirksam wurde.242 Die letztlich aus Reichsmitteln, und im Unterschied zum Förderprämienverfahren nur durch reichsverbürgte oder direkte staatliche Kredite, nicht aber durch „sogenannten Abschreibungen“ getätigte Erhöhung des Kapitalstocks eines Unternehmens243 wurde also im Fall einer Inanspruchnahme des Optionsrechts nicht als Eigentum der Betreibergesellschaft betrachtet. Nahm das Reich die Option hingegen nicht wahr, musste das Unternehmen den Staat in Höhe der investierten Beträge entschädigen.244 Die Folgelasten einer Betriebsschließung hatte das Reich zu tragen.245 Deshalb lässt sich die in Zuschussverträgen festgelegte Beteiligung des Reiches an der berichtigten Selbstkostenersparnis als Pachtzahlung interpretieren, der dem Betreiber zustehende Anteil, die „Fleißprämie“ in der Diktion des Förderprämien239

Vgl. z. B. BArch R 3101 / 30099, Kurhessenvertrag § 18, Bl. 14. Dieser Vertrag vom 29.6.1938 zwischen dem Reich und der Mansfeldtochter „Kurhessische Kupferschieferbergbau GmbH Eisleben“, die am 1.1.1937 zur Ausbeutung der Vorkommen im Gebiet Richelsdorf-Sontra (Kurhessen) gegründet worden war, war grundsätzlich identisch mit den Normen des Mansfeldvertrags. BArch R 3101 / 30093, Schreiben des Aufsichtsrats der Kupfergesellschaft an das Reichswirtschaftsministerium vom 16.6.1944, Bl. 4 f. 240 BArch R 3101 / 30383, Mansfeldvertrag vom 15.5.1939, § 14 (1). 241 Ebd., § 15. 242 Ebd., § 15. 243 Vgl. BArch R 3101 / 30085, Bl. 90. 244 Die Entschädigung wurde derart geregelt, dass das Unternehmen nach Vertragsende 50 Prozent seiner Gewinne solange an das Reich abzuführen hatte, bis die gesamten Zuschüsse abgedeckt waren. Allerdings erlosch die Abführungspflicht nach 15 Jahren, selbst wenn noch nicht alle Zuschüsse abgedeckt gewesen sein sollten. BArch R 3101 / 30383, Mansfeldvertrag vom 15.5.1939, § 14 (1). Dieser Passus war aber nur von theoretischer Bedeutung. Zum einen waren Gewinne aufgrund der mangelnden Wettbewerbsfähigkeit zunehmend unwahrscheinlicher und zum anderen war bei gleich bleibender Förderung angesichts der weitgehend erschöpften Erzvorräte ohnehin zu erwarten, dass in 15 – 20 Jahren der Kupferbergbau eingestellt werden würde. Vgl. zu den Erzreserven Mansfeld, BArch R 3101 / 30834, Bl. 81ff u. S. 99. 245 Vgl. z. B. BArch R 3101 / 30099, Kurhessenvertrag § 18 (3), S. 14.

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2. Varianten der Investitionsförderung in den Autarkie- und Rüstungsbranchen

verfahrens, hingegen als Vergütung für die Bereitstellung seines Know-how.246 Da das Reich faktisch der Eigentümer war, wurden Unternehmen, die einen Zuschussvertrag abgeschlossen hatten, im Reichswirtschaftsministerium offiziell als „AG der besonderen Art“247 oder, noch unmissverständlicher, als „Reichsgesellschaft“248 bezeichnet. Das äußerte sich auch darin, dass das Reich die Aufsichtsgremien dieser Unternehmen dominierte.249 Die Fortführung der Kupfergewinnung durch einen privatwirtschaftlichen Betreiber war dabei auf die Einsicht der Behörden zurückzuführen, dass man für eine eigene Regie nicht das nötige Know-how besaß.250 Die Ursachen für diese fundamental von dem Förderprämienverfahren abweichenden Regelungen des Zuschussvertrags waren, wie auch dem Text des Mansfeld­ ver­trags zu entnehmen ist, folgende: erstens, dass das Unternehmen „überwiegend im Interesse des Reiches betrieben und das Reich auf die Gestaltung des Betriebs weitgehend Einfluß nimmt“251 und zweitens, dass, auch langfristig betrachtet, das Unternehmen ohne Unterstützung des Reiches privatwirtschaftlich nicht mehr hätte fortgeführt werden können.252 Damit unterschied sich die Intention der Behörden im Fall des Zuschussvertrags deutlich von der, die dem Förderprämienverfahren zugrunde lag. Im Unterschied zu Wirtschaftlichkeitsgarantieverträgen, aber vergleichbar zum Förderprämienverfahren, war der Anreiz für Unternehmen, die einen Zuschussvertrag abgeschlossen hatten, Effizienzverbesserungen herauszuzögern, wohl nicht gegeben. Denn bei den mit Zuschussverträgen geförderten Produkten war zu erwarten, dass mit dem Zeitablauf die Auslastung sogar fallen würde.253

2.6. Risikoteilungsverträge 2.6.1 Explizite Risikoteilungsverträge Der Staat unterstützte den von ihm erwünschten Kapazitätsausbau auch durch staatlich verbürgte und direkte Kredite, durch verlorene Zuschüsse sowie durch die Gewährung von Sonderabschreibungen.254 Über die Höhe der von den Wehrmachtsteilen vergebenen direkten Kredite und Zuschüsse sind nur fragmentarische Informationen vorhanden.255 Insgesamt stellte der Staat der Luftfahrtindustrie bis zum 31.8.1939 Kredite in der Höhe 267 Mio. RM und bis zum 31.1.1942 1,8 Mrd. RM 246

Radandt (1957), S. 178 f. BArch R 3101 / 30096, Bl. 6 248 BArch R 3101 / 30095, Bl. 3f 249 Ebd., Bl. 4 f. 250 BArch R 8119 F / P 1320, Ausführungen von Generaldirektor Stahl in der außerordentlichen Generalversammlung der Mansfeld AG in Leipzig am 18.2.1937, Bl. 75 f. 251 BArch R 3101 / 30095, Bl. 3f 252 BArch R 3101 / 30096, Bl. 5. 253 Kapitel 5.2.2. 254 Für verlorene Zuschüsse z. B. an Krupp, vgl. Abelshauser (2002 b), S. 340; an die Drägerwerke, Lorentz (2001), S. 169; für Blohm & Voss, Meyhoff (2001), S. 150 f. 255 Vgl. z. B. Vgl. BArch R 2 Anh. / 37, Bl. 32. Vgl. auch BArch R 2 / 59967, Liste über Geheimdar247

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2.6. Risikoteilungsverträge

zur Verfügung.256 Bis zum Frühjahr 1937 beruhten davon 115 Mio. RM auf einem staatlich verbürgten Konsortialkredit speziell für den Ausbau der Luftfahrtindustrie.257 Außerdem hatte das Reich bis zu diesen Zeitpunkten Beihilfen für die Luftfahrtindustrie in Höhe von 219 Mio. RM bzw. 840 Mio. RM gewährt.258 Die vom RWM vergebenen Darlehen aus Haushaltsmitteln zum Ausbau der Ersatzstoffbranchen und zu einem geringen Teil für die Rüstungsindustrie lassen sich zwischen 1933 und 1944 lückenlos erfassen.259 Festzustellen ist dabei ein massiver Anstieg seit 1937 / 38. Ein nicht unbeträchtlicher Teil der Kredite wurde im Laufe der Zeit in verlorene Zuschüsse umgewandelt, insbesondere während der Kriegszeit.260 Neben Autarkie- und Rüstungsbranchen wurden im Krieg auch der Elektrizitätswirtschaft bedeutende Kredite gegeben.261 Schaubild 1: Darlehen aus Haushaltsmitteln für Handel, Gewerbe und Industrie 1932-1943 2000

1800

1600

1400

Mrd. RM

1200

1000

800

600

400

200

0

1932

1933

1934

1935

Darlehenshöhe

1936

1937

Jahr

1938

1939

1940

1941

1942

1943

Darlehensbestandshöhe der Autarkie- und Rüstungsindustrie

Quelle: BArch R 2301 / 2161, Darlehenslisten 1932 – 1936; BArch R 2301 / 2162, Darlehenslisten 1937 – 1943. Bis 1933 war der Stichtag der 1.10 des jeweiligen Jahres, ab 1934 der 31.12. lehen, Bl. 4 f. Der Umfang solcher Darlehen betrug allein für Marine- und Heeresrüstungsunternehmen nachweislich mindestens 500 Millionen RM. 256 BArch R 2 / 5550, Bl. 18. 257 BArch R 8119 F / P 147, Kredite an die Luftfahrtindustrie (Stand 9.3.1937), Bl. 60 f. 258 BArch R 2 / 5550, Bl. 18. 259 Schaubild 1. 260 BArch R 2301 / 2162, Darlehensliste zum 31.12.1941, Bl. 194, 202. 261 BArch R 2301 / 2162, Darlehenslisten 1937 – 1943.

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2. Varianten der Investitionsförderung in den Autarkie- und Rüstungsbranchen

Daneben gab es staatlich verbürgte Kredite zum Ausbau der Rohstoffwirtschaft. Sie wurden in der Friedenszeit überwiegend durch Konsortialkredite von Geschäftsbanken unter der Führung der Dresdner Bank bereitgestellt.262 1935 wurde der Konsortialkredit I, auch Stapelfaserkredit genannt263, in Höhe von 145 Mio. RM, 1936 der Konsortialkredit II mit 100 Mio. RM, 1938 der Österreichkredit mit 50 Mio. RM, 1939 der Sudetenkredit mit 25 Mio. RM, 1939 der Konsortialkredit III mit 50 Mio. RM und 1944 der Konsortialkredit IV mit 50 Mio. RM aufgelegt.264 In geringem Umfang stellte auch die Wifo Kredite zur Verfügung.265 Daneben gab es noch Einzelkredite. Während des Krieges konnten sich Rüstungs- und Autarkieunternehmen zudem Kredite bei der Deutschen Industriebank AG besorgen, für die gegenüber der Bank zum einen Teil der Staat und zum anderen Teil die gewerbliche Wirtschaft haftete. Der erste Industriebankkredit zur Errichtung, Erweiterung oder Umstellung von Wehrwirtschaftsbetrieben mit einem Volumen von 500 Mio. RM wurde am 28.9.1939 aufgelegt.266 Bis Kriegsende vergab die Industriebank derartige Kredite in einem Umfang von 650 Mio. RM. Direkte bzw. verbürgte Kredite stellten auch die Bank der Deutschen Luftfahrt AG in Höhe von ca. zwei Mrd. RM und die 100%ige Industriebanktochter267 Heeresrüstungs-AG im Umfang von 320 Mrd. RM zur Verfügung.268 Grundsätzlich hatten staatliche Kredite und Bürgschaften zwei Funktionen bei dem angestrebten Kapazitätsausbau, nämlich zum einen eine Finanzierungsfunktion und zum anderen eine Risikominderungsfunktion. Die Risikominderungsfunktion spielte allerdings in den Fällen keine Rolle, in denen durch andere Vertragstypen, z. B. Wirtschaftlichkeitsgarantieverträge, Förderprämienverfahren und Zuschussverträge der Staat ohnehin den Unternehmen das Amortisations- und damit auch das Tilgungsrisiko bei einer potenziellen Fremdkapitalfinanzierung vollkommen abgenommen hatte. Daher werden im Folgenden nur solche Verträge als „Risikoteilungsverträge“ bezeichnet, in denen die Kredite und Subventionen nicht nur eine Finanzierungs-, sondern auch eine Risikominderungsfunktion erfüllten. Während letztere bei verlorenen Zuschüssen auf den ersten Blick ersichtlich ist, z. B. im Rahmen des Kapitalschnitts in der Luftfahrtindustrie269, soll auf die Risiko262

Zu den Konsortialkrediten, vgl. auch C. Kopper, Zwischen Marktwirtschaft und Dirigismus. Bankenpolitik im „Dritten Reich“ 1933 – 1939, Bonn 1995, S. 167 – 699, 355 – 358. 263 Scherner (2002), S. 431. 264 BArch R 8119 F / P 147, Bl. 20, 14, 50, 136; BArch R 8119 F / P 149, Bl. 28, 40ff; BArch R 8119 F / P 150,Bl. 2 ff. 265 BArch R 2301 / 5979, Übersicht über die von der Wifo gegebenen Darlehen am 31.3.1942 und am 28.2.1943. 266 BArch R 2 / 5550, Bürgschafts- und Garantierklärung, Bl. 174. 267 S. C. Cassier, Biographie einer Unternehmerbank. Der Weg der Industriebank (Industriekreditbank AG  –  Deutsche Industriebank) und der langfristige Industriekredit in Deutschland, Frankfurt a. M., 1977, S. 147. 268 Boelcke (1985), S. 129. Vgl. auch BArch R 2 Anh. / 37, Bl. 30. Der Bank der Deutschen Luftfahrt AG stand zunächst ein Kreditvolumen von 250 Mio. RM zur Verfügung, das sukzessive erhöht wurde. Vgl. z. B. BArch R 2 / 5550, Aktenvermerk vom 2.10.1940, Bl. 204; Aktenvermerk vom 6.8.1941, Bl. 252. 269 BArch R 2 Anh. / 37, Bl. 31.

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2.6. Risikoteilungsverträge

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minderungsfunktion staatlich verbürgter oder direkter staatlicher Kredite, insbesondere unter den Bedingungen der NS-Wirtschaftspolitik, an dieser Stelle näher eingegangen werden. Eine Risikominderungsfunktion staatlicher Kredite kann zum einen darin bestehen, dass das Rückgriffsrecht des staatlichen Gläubigers bzw. Bürgens eingeschränkt wird. Dies war tatsächlich bei vielen Kreditverträgen zwischen Staat und Industrie, die einen Kapazitätsausbau zum Gegenstand hatten, der Fall. Das konnte, unter bestimmten Bedingungen, von einem vollkommenen Verzicht auf das Rückgriffsrecht des Reichs, wie bei den im Rahmen des Förderprämienverfahrens oder in Zuschussverträgen vergebenen Investitionskrediten, bis zu seiner teilweisen Einschränkung gehen, wie zum Beispiel bei dem Ausbau der Zellwolleindustrie, einer zentralen Autarkiebranche.270 In dieser Branche wurden Verträge abgeschlossen, nach denen zwei Drittel der Investitionen durch einen staatlich verbürgten Kredit finanziert wurden, der von einem Bankenkonsortium zur Verfügung gestellt wurde.271 Das Rückgriffsrecht des staatlichen Bürgen wurde insoweit beschränkt, als es sich im Liquidationsfall nicht auf das gesamte Vermögen des Unternehmens, sondern lediglich auf zwei Drittel, d. h. entsprechend des Anteils des Kredites an der Anlagenfinanzierung, erstreckte.272 Im Fall von Erdölbohrungen finanzierte sowohl das Reich als auch das Unternehmen jeweils 50 Prozent der Aufschlusskosten, wobei auch hier das staatliche Rückgriffsrecht beschränkt war. Bei einem Fehlschlag der Bohrungen begrenzten die Verträge die Rückgriffsrechte des Reiches lediglich auf die Maschinen, die für die Aufschlussarbeiten mit dafür gewährten Reichs- und reichsverbürgten Krediten von dem Unternehmen angeschafft worden waren.273 In anderen Fällen wurde den Unternehmen vertraglich eine sogenannte Risikoklausel zugestanden. Diese machte die Tilgung abhängig von einer bestimmten Umsatzhöhe bzw. Unternehmenserfolg bzw. von einer bestimmten wirtschaftlichen Entwicklung.274 Das wiederum minderte das Risiko des Schuldners, was faktisch den erwarteten Gewinn einer derartigen Investition erhöhte und damit die Bereitschaft, Eigenkapital in das entsprechende Objekt zu investieren gegenüber einer Situation, in der das Rückgriffsrecht nicht beschränkt gewesen wäre. Eine Risikominderungsfunktion staatlicher Kredite ergibt sich aber normalerweise auch unabhängig davon, ob das Rückgriffsrecht des staatlichen Gläubigers 270

Diese Verträge waren, im Widerspruch zu der teilweise in der Literatur vertretenen Meinung, keine Wirtschaftlichkeitsgarantieverträge. Vgl. dazu Kapitel 4. 271 Vgl. für die Sächsische Zellwolle AG BArch R 8119 F / P 181; für die Süddeutsche Zellwolle AG BArch R 8119 F / P 190; für die Thüringische Zellwolle AG BArch R 8119 F / P 191; für die Rheinische Zellwolle AG BArch R 8119 F / P 180; für die Kurmärkische Zellwolle AG BArch R 8119 F / P 174. 272 RWWA 195 /  D 3-1-2-2, Aktennotiz Herrmann vom 16.2.1935; Brief der VGF an Keppler vom 18.2.1935. 273 BArch, R 2301 / 6049, Vertrag zwischen der Deutschen Revisions- und Treuhand AG im Auftrag des Reiches und der Thüringer Rohstoff AG über Aufschlussarbeiten vom 6.12.1937, Bl. 25-32. 274 Vgl. z. B. BArch R 3101 / 18448, Vertrag zwischen der Deutschen Revisions- und Treuhand AG und den Chemischen Werken Hüls GmbH vom 13.3. / 14.3. / 20.3.1939, § 3 (3), Bl. 465; BArch R 3101 / 18448, Änderungsvertrag zwischen dem Deutschen Reich und der Buna-Werke GmbH vom 21.6.1940, § 3 (3), Bl. 404; BArch R 3101 / 18071, Froriepvertrag, § 5, Bl. 175. Für entsprechende Klauseln in Darlehensverträgen des Bochumer Vereins, vgl. Seebold (1981), S. 142.

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bzw. Bürgens vertraglich eingeschränkt wird oder nicht.275 Zwar wird durch die staatliche Bürgschaft grundsätzlich die Gefahr nicht gemildert, dass aufgrund fehlender Absatzchancen die geschaffenen Anlagen nach einigen Jahren nicht mehr verwendet werden können. Wenn aber nicht der Staat eine Bürgschaftserklärung für die Fremdkapitalfinanzierung gegeben hätte oder auch selbst als Gläubiger aufgetreten wäre, hätte das Unternehmen bei einem normalen Bankkredit eine Risikoprämie in Form höherer Zinsen zahlen müssen.276 Das Wegfallen der Kosten für den Risikoaufschlag wiederum erhöht den erwarteten Gewinn. Konnte aber diese Form der Risikominderung überhaupt unter den Bedingungen der NS-Wirtschaftspolitik auftreten? Denn die Soll-Zinssätze der Banken waren seit 1936 auf einen Höchstsatz von einem Prozent über dem Reichsbankdiskont festgelegt.277 Insofern hätten die Banken also nur beschränkt Risikoprämien erheben können. Allerdings lassen sich gegen eine derartige Argumentation folgende Einwände anführen:

1) Die staatlich verbürgten bzw. direkten staatliche Kredite wurden zu günstigeren Konditionen vergeben als dies üblich war. Teilweise gaben staatliche Institutionen, wie nachweislich die Wehrmacht, zinslose Darlehen.278 2) Die Höchstsatzbeschränkung für Kreditzinsen bedeutete nicht, dass die Banken einem Kontrahierungszwang unterlagen. Mit anderen Worten, wenn die Banken ein Investitionsobjekt als sehr riskant erachtet und daher einen Kredit nur mit einem Risikoaufschlag gewährt hätten, der zu einem Zins über der gesetzlichen Zinsgrenze geführt hätte, so wäre zu erwarten gewesen, dass sie in solch einem Fall überhaupt keinen Kredit vergeben hätten. Beim Aufbau der Luftfahrt­ industrie weigerten sie sich z. B. in der Regel, Kredite zu vergeben, so dass der Staat gezwungen war, sich an den Unternehmen direkt zu beteiligen oder ein staatliches Darlehen zu gewähren.279 Bei einer Weigerung der Banken hätte ein Investitionsobjekt also ohne derartige staatliche Maßnahmen generell nur noch dann realisiert werden können, wenn dem Unternehmen eigene Mittel zur Verfügung gestanden hätten. Das war zwar nachweislich für viele Unternehmen bis 1937 / 38 der Fall. 280 Es spricht allerdings wenig dafür, insbesondere bei Investitionen in die von Zeitgenossen als mehr oder weniger riskant erachteten Rüstungs- und Ersatzstoffbranchen, dass die Risikoeinschätzung der Investoren deutlich unterschiedlich von denen der Banken war. Daher ist zu vermuten, dass die Unternehmen, bei vorhandener Vertragsfreiheit, in einer derartigen Situation ihre Liquidität lieber für alternative Investitionsobjekte verwendet hätten. Insofern spricht viel dafür, dass die derart unterstützten Investitionen nur deshalb realisiert wurden, weil die Banken bei einer staatlichen Bürgschaft bereit waren, einen Kredit zu

275

Vgl. auch zum Subventionscharakter staatlicher Kredite bzw. Bürgschaften, Steffens (1936), S. 12f 276 Vgl. dazu auch W. Hoefer, Die Industriesubventionen in Deutschland seit 1924, Diss. Marburg 1937, S. 29. 277 Flottmann (1943), S. 522 f. Der Reichsbankdiskont betrug seit 1933 vier Prozent und wurde im Krieg auf 3,5 Prozent abgesenkt. Vgl. dazu Statistisches Jahrbuch für das Deutsche Reich 1938, S. 422; Flottmann (1943), S. 519. 278 Vgl. z. B. BArch R 3101 / 18071, Froriepvertrag, § 2 u. § 3, Bl. 173f; BArch R 2301 / 5959, Vertrag zwischen der Wifo und der Dr. Alexander Wacker Gesellschaft für elektrochemische Industrie GmbH vom 11.8.1937, § 4; für Krupp, Abelshauser (2002 b), S. 340f; für Carl Zeiss, R. Walter, Zeiss 1905 – 1945, Köln 2000, S. 196; für den Bochumer Verein, Seebold (1981), S. 142. 279 BArch R 2 / 5487, Schreiben des RdL an das Reichsfinanzministerium (ca. 1935), Bl. 2; Budraß (1998), S. 338. Vgl. auch BArch R 2 Anh. / 37, Bl. 31. Generell zur Zurückhaltung der Banken in der Friedenszeit bei der Gewährung von Krediten an die Rüstungsindustrie, vgl. Thomas (1966), S. 136. 280 Viele Unternehmen hatten hohe Liquiditätsreserven. Buchheim (2001 b), S. 659.

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mehr oder weniger normalen Konditionen zur Verfügung zu stellen.281 Deshalb dürfte ein Unter­ nehmen das staatliche Kreditangebot nur dann angenommen haben, wenn es erwartete, Gewinne zu erzielen, die größer waren als jene im Fall einer Investition in ein alternatives Objekt. Damit liegt der Tatbestand einer Subventionierung vor, weil der staatliche Kredit den erwarteten Gewinn gegenüber der Situation erhöht, wenn der Staat nicht eingegriffen hätte, und die Banken aufgrund der Höchstzinssatzregelung keinen Kredit vergeben hätten.282 3) Für die Subventionsfunktion spricht auch, dass es angesichts der weit reichenden, und damit auch kostspieligen Ziele des NS-Staates nicht besonders rational erscheint, dass überhaupt der Weg staatlicher bzw. staatlich verbürgter Kredite begangen wurde, wenn doch die Unternehmen auch ohne diese Hilfe die gleichen Investitionen getätigt hätten. Kein Argument dagegen ist, dass der Staat sich durch die Kreditvergabe Prüfungs- und Mitspracherechte habe sichern wollen. Das war zwar, wie an anderer Stelle gezeigt wird, generell, was die Kontrollrechte anbelangt, und zum Teil, was die Mitspracherechte anbelangt, bei Krediten mit Haftungsbeschränkungen der Fall. Allerdings beabsichtigten die zuständigen Behörden damit keinen dauerhaften Eingriff in die Wirtschaftsordnung. Die Quellen zeigen eindeutig, dass der Staat vielmehr die Kreditvergabe an die private Industrie als notwendiges Übel ansah, um die von ihm angestrebten Kapazitätsziele zu erreichen.283 Daher hatte er im Allgemeinen auch keine Einwände gegenüber einer vorzeitigen Tilgung, die ja gleichzeitig seine Kontroll- und Mitspracherechte aufhob.284

Das erwähnte Prüfungsrecht war dabei aufgrund § 45c (2) RHO generell in Kreditverträgen mit oder ohne Haftungsbeschränkungen verankert.285 Es wurden nur zwei Verträge gefunden, nämlich die beiden Darlehensverträge für die Bunaproduktion, in denen das Reich auf die Einräumung eines umfassenden Prüfungsrecht verzichtete, was gemäß § 45c (2) RHO nur in Ausnahmefällen zulässig war.286 Ein umfassendes Prüfungsrecht ließ sich das Reich auch in den Beihilfeverträgen im Rahmen des Kapitalschnitts in der Luftfahrtindustrie einräumen.287 Weiterhin war in Kreditverträgen die Gewinnausschüttung begrenzt. Wenn eine bestimmte Gewinngrenze 281

Die folgenden Überlegungen gelten auch für direkte staatliche Kredite. Zum gleichen Schluss eines Subventionstatbestandes kommt man, wenn das Unternehmen nicht über eigene Liquidität verfügt hätte. Denn in diesem Fall hätte es bei einem riskanten Investitionsobjekt angesichts der Soll-Zinssatzbeschränkung ohne Bürgschaft keinen Kredit erhalten und hätte demzufolge keine Gewinne gemacht. Da aber die Banken bei staatlicher Bürgschaft bereit waren, einen Kredit zu mehr oder weniger normalen Konditionen zur Verfügung zu stellen, ist zu erwarten, dass das Unternehmen das Angebot nur deshalb angenommen hätte, wenn es davon ausgegangen wäre, positive Gewinne zu erzielen. 283 BArch R 2 / 5487, Schreiben des RdL an das Reichsfinanzministerium (ca. 1935), Bl. 2. 284 Vgl. z. B. Kapitel 3.3.2; Kapitel 4.6. 285 Vgl. z. B. BArch R 3101 / 18071, Froriepvertrag, § 4 III, Bl. 173f; BArch R 3101 / 17867, Vertrag zwischen der Deutschen Revisions- und Treuhand AG und der Lautzental-Schichtholz GmbH, St. Ingbert vom 14.4.1937,§ 6 I, Bl. 8f;. RWWA 195 / B 23, Vertrag zwischen der deutschen Revisions- und Treuhand-Aktiengesellschaft und VGF, 8.3.1935, § 7 c; BArch R 3101 / 18518 Vertrag zwischen der Deutschen Revisions- und Treuhand AG und dem Werenshainer Ziegelwerk vom 28.2.1939, § 6 II, Bl. 1f; BArch R 3101 / 18095, Vertrag zwischen der deutschen Revisions- und Treuhand-Aktiengesellschaft und der Elektromotorenfabrik H. Loher & Söhne vom 14.7.1938, § 6 III, Bl. 131f; BArch R 2301 / 5959, Vertrag zwischen der Wifo und der Dr. Alexander Wacker Gesellschaft für elektrochemische Industrie GmbH vom 11.8.1937, § 6 III. 286 BArch R 3101 / 18448, Vertrag zwischen der Deutschen Revisions- und Treuhand AG und den Chemischen Werken Hüls GmbH vom 13.3. / 14.3. / 20.3.1939, § 5, Bl. 466; BArch R 3101 / 18448, Änderungsvertrag zwischen dem Deutschen Reich und der Buna-Werke GmbH vom 21.6.1940, § 5, Bl. 406. Vgl. dazu genauer Kapitel 3.1. 287 BArch R 2 Anh. / 37, Bl. 32. 282

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überschritten wurde, mussten in der Regel die „Übergewinne“ explizit oder implizit zur Tilgung verwendet werden.288 Die Veräußerung von Unternehmensanteilen durfte in manchen Fällen nur unter Zustimmung des Reiches geschehen.289 Generell wurden vertraglich eine Investitionsverpflichtung und manchmal sogar eine Erzeugungsverpflichtung festgelegt.290 Selbst wenn letzteres nicht fixiert war, so bestand doch immer eine Vorhaltungsverpflichtung. In manchen Fällen bestand die Erzeugungsverpflichtung implizit, indem staatliche Mitspracherechte bei unternehmerischen Entscheidungen festgeschrieben wurden. Danach konnte das Reich maßgeblich Produktion und Absatz bestimmen und war im Aufsichtsrat vertreten, was somit die unternehmerische Freiheit massiv einschränkte.291 Wenn auch das Eigentumsrecht den Aktionären verblieb, so hatte faktisch, jedenfalls solange diese Verträge in Kraft waren, das Reich das Verfügungsrecht über das Unternehmen inne. Derartige Regelungen wurden immer dann getroffen, wenn das durch das Reich bereitgestellte Fremdkapital in der Haftung gegenüber dem Eigenkapital gleichgestellt wurde, also Ansprüche des Gläubigers bzw. des Bürgen nicht, wie üblich, vorrangig bedient werden mussten. Derartige Haftungsbeschränkungen galten z. B. bei den Krediten an die Zellwolleindustrie, die generell in der doppelten Höhe des Eigenkapitals vergeben wurden.292 Allerdings sind derartige Mitsprachevereinbarungen angesichts des Umstandes, dass faktisch in dieser Branche die Fremdkapitalfinanzierung von der Haftung her betrachtet einer Beteiligung entsprach, kein überraschender Tatbestand. Denn nach § 48 RHO sollte die Auswahl eines oder mehrerer Aufsichtsratsmitglieder durch das Reich erfolgen, wenn das Reich wenigstens ein Viertel des Stammkapitals hielt, wobei eine Beteiligung des Reiches 288

Vgl. z. B. BArch R 3101 / 17867, Vertrag zwischen der Deutschen Revisions- und Treuhand AG und der Lautzental-Schichtholz GmbH, St. Ingbert vom 14.4.1937,§ 3 III, Bl. 8f; RWWA 195 / B 23, Vertrag zwischen der deutschen Revisions- und Treuhand-Aktiengesellschaft und VGF, 8.3.1935, § 5 c; BArch R 3101 / 18518 Vertrag zwischen der Deutschen Revisions- und Treuhand AG und dem Werenshainer Ziegelwerk vom 28.2.1939, § 3, Bl. 1f; BArch R 3101 / 18095, Vertrag zwischen der deutschen Revisions- und Treuhand-Aktiengesellschaft und der Elektromotorenfabrik H. Loher & Söhne vom 14.7.1938, § 3, Bl. 131 f. Das war allerdings bei dem einzig auffindbaren Wifokreditvertrag nicht der Fall. Vgl. BArch R 2301 / 5959, Vertrag zwischen der Wifo und der Dr. Alexander Wacker Gesellschaft für elektrochemische Industrie GmbH vom 11.8.1937. 289 Vgl. z. B. RWWA 195 / B 23, Vertrag zwischen der deutschen Revisions- und Treuhand-Aktiengesellschaft und VGF, 8.3.1935; § 2 (b); BArch R 3101 / 18448, Änderungsvertrag zwischen dem Deutschen Reich und der Buna-Werke GmbH vom 21.6.1940, § 6, Bl. 406. 290 Vgl. z. B. BArch R 3101 / 18071, Froriepvertrag, Bl. 173f; BArch R 3101 / 17867, Vertrag zwischen der Deutschen Revisions- und Treuhand AG und der Lautzental-Schichtholz GmbH, St. Ingbert vom 14.4.1937, Bl. 8f;. RWWA 195 / B 23, Vertrag zwischen der deutschen Revisions- und Treuhand-Aktiengesellschaft und VGF, 8.3.1935; BArch R 3101 / 18518 Vertrag zwischen der Deutschen Revisions- und Treuhand AG und dem Werenshainer Ziegelwerk vom 28.2.1939, Bl. 1 f. Es konnte nur ein Fall gefunden werden, in dem in einem Risikoteilungsvertrag eine Erzeugungsverpflichtung festgeschrieben worden war. Allerdings war hier der Anteil der staatlichen Finanzierung an der Kapazitätserweiterung mit ca. 80 Prozent auch ungewöhnlich hoch. Vgl. BArch R 3101 / 18095, Vertrag zwischen der deutschen Revisions- und Treuhand-Aktiengesellschaft und der Elektromotorenfabrik H. Loher & Söhne vom 14.7.1938, § 1, Bl. 131 f. 291 Vgl. z. B. RWWA 195 / B 23, Vertrag zwischen der deutschen Revisions- und Treuhand-Aktiengesellschaft und den VGF, 8.3.1935; § 6 b, § 7. 292 Kapitel 4.3.

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gemäß § 60 der „Wirtschaftsbestimmungen für Reichsbehörden (RWB) vom 11. Februar 1929“ nur im Fall eines besonderen Interesses zulässig war.293 All diese Normen galten allerdings nur für die Vertragsdauer. Im Unterschied zu Wirtschaftlichkeitsgarantieverträgen konnten diese Verträge aber grundsätzlich einseitig durch die Unternehmen gekündigt werden, indem sie die Kredite vorzeitig tilgten.294 Insofern waren die unternehmerischen Freiheitsgrade bei Risikoteilungsverträgen normalerweise größer als bei ersteren Verträgen. Lediglich bei Beihilfeverträgen in der Rüstungsindustrie konnten Unternehmen von manchen vertraglichen Verpflichtungen, wie der Vorhaltung der Kapazitäten, nur unter Zustimmung des Reiches entlassen werden.295 Risikoteilungsverträge waren nicht branchenübergreifend standardisiert. Standardisiert war insbesondere nicht der Umfang, mit dem in solchen Verträgen die Unternehmen vom Risiko entlastet wurden, wobei ihnen jedoch, im Unterschied zu den anderen genannten Vertragstypen, immer ein Restrisiko blieb. Es gab allerdings eine Gleichbehandlung und damit eine Standardisierung innerhalb einer Branche, wie z. B. in der Zellwolleindustrie. Das geschah durch die Gewährung gleicher Kreditkonditionen, wie Zinssatz, Tilgungsfristen, Haftungsbeschränkungen, Risikoklauseln oder dem Anteil des Kredits am Investitionsvolumen. Im Unterschied zu den bisher betrachteten Vertragsformen waren in Risikoteilungsverträgen anreiztheoretische Normen nicht verankert. Sie hingen jeweils von der Marktform ab, in der sich ein Unternehmen befand bzw. von der Frage, inwieweit der Staat in die Preispolitik eingriff. Damit galten für Güter, deren Abnehmer das Reich war, seit 1938 die Kalkulationsgrundsätze der LSÖ, und somit im Grundsatz die gleichen Anreizwirkungen und -probleme, die bereits bei den Pachtverträgen erörtert worden sind. Bei von Dritten nachgefragten Gütern erfolgte die Bildung des Preises über den Markt oder es herrschte ein staatlich festgelegter Preis. Daher sind Anreizprobleme nur dann zu erwarten, wenn die staatliche Preisbildung nur für einen einzigen Produzenten erfolgte und sich an dessen laufenden Selbstkosten orientierte.296 In großem Umfang kamen, wie erwähnt, staatlich verbürgte Kredite während des Kriegs zum Einsatz. Sie hatten zum Teil lediglich eine reine Finanzierungsfunktion, wie für die Kapazitätserweiterungen der mit Wirtschaftlichkeitsgarantieverträgen abgesicherten Hydrierwerke.297 In vielen Fällen hingegen sollten sie den Unternehmen, die Rüstungsaufträge erhielten und deswegen Anlagen neu errichten bzw. alte erweitern mussten, einen Teil des Risikos abnehmen. Letzteres konnte dadurch entstehen, dass im Fall einer Rückkehr zur Friedenswirtschaft die Anlagen nicht mehr ausgelastet und zu diesem Zeitpunkt die Investitionen noch nicht voll293

§ 48 (2) RHO; Wirtschaftsbestimmungen für Reichsbehörden vom 11. Februar 1929 in, Wawerla / Ambrosius (1958), S. 46 – 70. 294 Eine Ausnahmen waren solche Kredite, bei denen von der Haftung her betrachtet das Fremdkapital dem Eigenkapital gleichgesetzt war. Hier konnte das Reich infolge seiner im Gegenzug gesicherten Mitspracherechte darüber mitbefinden, ob das Unternehmen die Kredite zurückzahlte oder nicht  –  es sei denn, der private Eigner konnte die Mittel selbst aufbringen. Vgl. dazu Kapitel 4.6. 295 Vgl. z. B. BArch R 2 / 5478, Vertrag zwischen dem Deutschen Reich und der Gerhard Fieseler Werke GmbH vom 9. / 14.9.1939, § II (1); § II (11), Bl. 13 – 15. 296 Zur Diskussion eines solchen Falls, vgl. insbesondere Kapitel 4.6. 297 BArch R 2 / 5551, Bl. 92.

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kommen amortisiert sind.298 Die Finanzierung erfolgte dabei im Allgemeinen über Kredite der Deutschen Industriebank. Dabei haftete aufgrund der „Verordnung über die Übernahme von Garantien zur Förderung des Wirtschaftslebens zur Festigung des deutschen Volkstums vom 27.2.1940“299 im Zusammenhang mit der „Verordnung über Schaffung einer Wirtschaftsgarantie“ vom 22.8.1940300 der Bank gegenüber das Reich für 90 Prozent der Kreditsumme, die gewerbliche Wirtschaft für zehn Prozent. Die 10%ige Haftung der gewerblichen Wirtschaft sollte im Schadensfall durch eine Umlage der gewerblichen Wirtschaft aufgebracht werden.301 Das Reich erklärte sich allerdings bereit, der Bank gegenüber für den auf die gewerbliche Wirtschaft entfallenden Anteil zunächst in Vorlage zu treten.302 Der erste Industriebankkredit zur Errichtung, Erweiterung oder Umstellung von Wehrwirtschaftsbetrieben mit einem Volumen von 500 Mio. RM wurde, wie erwähnt, am 28.9.1939 aufgelegt.303 Der Staat übernahm keine Ausfallbürgschaft, sondern eine selbstschuldnerische Bürgschaft.304 Während bei der Ausfallbürgschaft gemäß § 771 BGB der Bürge die Befriedigung des Gläubigers verweigern kann, solange der Gläubiger nicht eine Zwangsvollstreckung beim Hauptschuldner ohne Erfolg versucht hat, verzichtet bei der selbstschuldnerischen Bürgschaft der Bürge gemäß § 773 Abs. 1 (I) BGB auf dieses Recht.305 Die Kredite wurden entweder als Abzahlungskredit oder als langfristiges Darlehen gewährt und auf der Grundlage dreimonatiger Wechselkredite finanziert, für die eine Rediskontzusage der Reichsbank vorlag.306 Kredite vergaben auch speziell an die Luftfahrtindustrie die Bank der Deutschen Luftfahrt AG, die im Sommer 1940 aus der Luftfahrtkontor GmbH hervorging, und an Rüstungsfirmen des Heeres die Heeresrüstungs AG.307 Hier erfolgte die Finanzierung der Kredite zum Teil auf eine vergleichbare Weise wie bei den Industriebankkrediten, oder aber das Reich stellte Haushaltsmittel bereit.308 Die Haftung des Schuldners gegenüber den Bürgen bzw. dem Gläubiger konnte sich bei dieser Art der Kreditvergabe dadurch verringern, dass das Reich mit einer 298

Für ein Beispiel, vgl. Historisches Archiv der Dresdner Bank, Außenstelle Berlin, 45399-2001. BE, Wiedervorlage des Kreditantrags des Rüstungsproduzenten „Gustloff Nationalsozialistische Industrie-Stiftung“ am 20.10.1943. 299 RGBl. I 1940, S. 443. 300 RGBl. I 1940, S. 1189. 301 BArch R 2 / 5550, Bürgschafts- und Garantierklärung des Reichsfinanzministers vom 20.6.1940, Bl. 174 ff. Vgl. auch Kluge (1943), S. 505 f. Die kollektive Ausfallbürgschaft stellte allerdings kein Novum in der deutschen Wirtschaftsgeschichte der Zwischenkriegszeit dar. Bereits während der Bankenkrise hatte die deutsche Großindustrie, allerdings nicht auf gesetzlicher Grundlage, eine derartige Bürgschaft in Höhe von 500 Mio. RM übernommen. Cassier (1977), S. 121 f. 302 F. Federau, Der Zweite Weltkrieg. Seine Finanzierung in Deutschland, Tübingen 1962, S. 51. 303 BArch R 2 / 5550, Bürgschafts- und Garantierklärung des Reichsfinanzministers vom 20.6.1940, Bl. 174 ff. Vgl. dazu auch Federau (1962), S. 49 f. 304 Vgl. auch BArch R 2 Anh. / 37, Bl. 29. 305 Vgl. dazu auch Federau (1962), S. 51. 306 BArch R 2 Anh. / 37, Bl. 28f; Federau (1962), S. 50; Boelcke (1985), S. 129. 307 Vgl. auch BArch R 2 Anh. / 37, Bl. 24 f. Für eine Beispiel der Kreditvergabe dieser Institution an die Fried. Krupp Berthawerke AG in der Höhe von ca. 140 Mio. RM, vgl. Abelshauser (2002 b), S. 385. 308 Federau (1962), S. 53 f.

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Risikoklausel in Aussicht stellte, im Schadensfall ganz bzw. zum Teil das verbleibende Risiko zu übernehmen.309 Das wurde durch die sogenannte „Kriegsrisikoklausel“, auch Kriegswagnisklausel genannt310, festgelegt. Darunter verstand man eine vom Reichswirtschaftsminister am 20.11.1939 festgelegte311 allgemeine Norm, die Folgendes bestimmte: „Wenn bei Wegfall oder wesentlichem Rückgang der Aufträge die Anlage, die während des Krieges auf Veranlassung des Reichs errichtet worden ist, nicht mehr wirtschaftlich genutzt werden kann, so wird die Bank dem Unternehmer entweder durch die Ermäßigung der Schuld durch Vornahme von notwendigen Sonderabschreibungen oder durch andere Maßnahmen entlasten, wenn ohne derartige Maßnahmen für den Unternehmer Nachteile entstehen, die ihm unter der Berücksichtigung aller Umstände und der Interessen seines Betriebs nicht zuzumuten sind. Über den Umfang der Entlastung entscheidet nach Benehmen mit dem Unternehmer der Reichskreditausschuß unter Hinzuziehung der Deutschen Revisions- und Treuhand Aktiengesellschaft.“312 Dem bei der Industriebank gebildeten Reichskreditausschuss gehörten neben Vertretern der jeweiligen beteiligten Ressorts immer auch solche des Reichsfinanzministeriums, des Reichswirtschaftsministeriums und der Reichsbank an.313 Diese Verlustabdeckung war anteilig vom Reich und anteilig von der gewerblichen Wirtschaft zu tragen.314 Was nicht durch diese Risikoübernahme abgedeckt wurde, war vom Unternehmen und nachrangig dazu von der gewerblichen Wirtschaft zu tragen.315 Da diese Restrisikoübernahe im Schadensfall aber im Ermessen des Reichs lag, ist zu folgern, dass den Unternehmen ex ante ein Restrisiko verblieb.316 Eine ähnliche Norm galt auch sinngemäß bei Rüstungsbetrieben, wenn eigene Mittel oder Hausbankkredite zur Investitionstätigkeit eingesetzt wurden, was für das Reich auch die bevorzugte Finanzierung gegenüber Krediten der Industriebank oder der Bank der Deutschen Luftfahrt war.317 Zur zusätzlichen Risikoabsicherung konnten Rüstungsbetrieben steuerlich anerkannte Sonderabschreibungen in Absprache mit dem Preiskommissar zugestanden werden. Dies galt grundsätzlich aber nur für Neuan­la­gen und solche Betriebe, die in Friedenszeiten nicht als sogenannte wehrwirtschaftliche „Kernbetrie­be“

309

Vgl. auch BArch R 2 Anh. / 37, Bl. 29. Kluge (1943), S. 505. Für eine Beispiel der Inanspruchnahme der Kriegsrisikoklausel durch Krupp, vgl. Abelshauser (2002 b), S. 385 ff. 311 BArch R 2 / 5550 Abschrift zu einer Besprechung im Reichswirtschaftsministerium am 11.3.1940, Bl. 133. Vgl. auch BArch R 2 Anh. / 37, Merkblatt über Finanzierungshilfen für die Rüstungsindustrie, 20.8.1944. 312 BArch R 2 / 5550, Aktenvermerk vom 16.4.1940, Kriegsrisikoklausel der Deutschen Industriebank und der Bank der Luftfahrtkontor GmbH, Bl. 156. Zur Kriegsrisikoklausel, vgl. auch Boelcke (1985), S. 129  f. 313 Federau (1962), S. 51. 314 BArch R 2 / 5550, Aktenvermerk vom 20.11.1939, Bl. 125. Vgl. auch Federau (1962), S. 55. 315 BArch R 2 / 5550, Aktenvermerk vom 20.11.1939, Bl. 124; Bl. 164. 316 Für die Richtigkeit dieser Interpretation, vgl. auch Kapitel 3.4.2. 317 BArch R 2 / 5550, Aktenvermerk vom 9.4.1940, Bl. 141; Schreiben des Reichswirtschaftsministers an die Reichsgruppe Banken vom 28.9.1939, Bl. 92f; Aktenvermerk vom 16.4.1940, Kriegsrisikoklausel für Finanzierungen aus eigenen oder Hausbankmitteln, Bl. 157. 310

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weitergeführt werden würden. Bei sogenannten „gemischten“ Betrieben waren bestenfalls niedrigere Sonderabschreibungssätze zulässig.318 Im Laufe des Krieges wurden die Verwendung und die Ausgestaltung der Kriegs­ risikoklauseln modifiziert.319 Der Grund dafür war, dass die genannten Klauseln die wirtschaftliche Situation des Gesamtunternehmens, nicht aber die Verwertbarkeit der einzelnen Anlagen in den Mittelpunkt stellten, weswegen in vielen Fällen die Unternehmen die allgemeine Kriegsrisikoklausel auch ablehnten. Dem sollten sogenannte Objektklauseln Abhilfe schaffen.320 Die Unternehmen hatten von nun an die Wahl zwischen einer „eingeschränkten“ und einer „uneingeschränkten“ Kriegswagnisklausel. Bei der letzteren wurde ihnen garantiert, dass bei Auftragswegfall der nicht amortisierte Betrag voll vom Reich in Form einer Beihilfe übernommen werden würde. Aller­dings mussten sie die betreffenden Maschinen bzw. Anlagen an das Reich abtreten. Faktisch bedeutete die Wahl der uneingeschränkten Kriegswagnisklausel die Ent­schei­dung für eine reichseigene Maschine bzw. einen Pachtvertrag. Im Unterschied dazu bestimmte die eingeschränkte Kriegsrisikoklausel, dass die staatliche Beihilfe im Schadensfall höchstens der Hälfte des Betrages entsprechen würde, um den die An­schaffungskosten die verbrauchsbedingten Abschreibungen überstiegen. In diesem Fall jedoch blieb die Maschine im Eigentum des Unternehmens. Diese Änderung be­züg­lich des Eigentumsrechtes in Korrelation mit der Höhe der staatlichen Risikoübernahme wurde bewusst gewählt, um einen Anreiz zur Wahl der eingeschränkten Kriegs­wagnisklausel zu schaffen.321 In welchem Umfang dies gelang, ließ sich aber nicht ermitteln. Die erwähnte Verwendung steuerlich anerkannter Sonderabschreibungen war dabei keine Art der Risikoabnahme, die erst im Krieg eingeführt worden war. Für Autarkiebranchen gab es eine entsprechende Regelung, die in Koppelung mit vertraglichen Absprachen zum Einsatz kam, bereits seit 1934 und beruhte auf § 6 (1) des Einkommenssteuergesetzes von 1934.322 Daneben wurde Unternehmen in den Autarkiebranchen im Fall einer Investition in der Regel eine fünfjährige Befreiung von laufenden Reichssteuern gewährt.323 Eine weitere Risikoabnahme konnte durch Auftragsvergabe erfolgen. Da aber die militärischen Stellen in der Regel, wohl aufgrund des raschen technologischen Fortschrittes bei vielen Rüstungsgütern, keine langfristigen Aufträge, und damit solche, die das Amortisationsrisiko neuer Kapazitäten decken konnten, geben wollten324, ist auch dies unter einem Risikoteilungsvertrag zu subsumieren. 318

BArch R 2 / 5550, Bl. 164 f. Vgl. auch Weyres v. Levetzow (1975), S. 139*. 320 Ebd., S. 193. 321 Kluge (1943), S. 506. 322 BArch R 3101 / 18357, Bl. 41. Für ein Beispiel, vgl. Kapitel 3.3.2. Generell zu überhöhten Abschreibungen im Dritten Reich, vgl. Lurie (1947), S. 162f, S. 180. Vgl. auch Barkai (1988), S. 174; Peter (1995), S. 86. Zu so genannten Ostabschreibungen, vgl. z. B. Plumpe (1990), S. 597; 3.1. Für weitere Anreize im Gesetz über Steuererleichterungen vom 15.6.1933, vgl. RGBl. 1933, S. 491. Vgl. auch Petzina (1968), S. 171f; BArch R 3101 / 18316, Bl. 130 f. 323 Vgl. z. B. Kapitel 4.3. 324 Vgl. z. B. Bagel-Bohlan (1975), S. 117; Gregor (1997), S. 92; Lorentz / Erker (2003), S. 57. 319

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2.7. Zwischenergebnisse

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2.6.2 Implizite Risikoteilungsverträge Bestimmte staatliche Regelungen bzw. Eingriffe in die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen konnten ebenfalls risikomindernd wirken, wie die staatliche Preis- und Zollpolitik oder die Festlegung eines Verwendungszwangs wie der sogenannte Beimischungszwang von halbsynthetischen Chemiefasern in der Textilindustrie.325 Bei all diesen Rahmenbedingungen, deren Dauer nicht rechtsverbindlich geregelt war, soll hier von „impliziten Risikoteilungsverträgen“ gesprochen werden.326 Z. B. konnte der Staat durch die von ihm festgelegten Preise den Unternehmen außerordentlich hohe Gewinne zugestehen.327 Zwar konnten die Unternehmen die jeweils von staatlichen Stellen gemachten Ankündigungen über den zeitlichen Bestand des festgelegten Preisniveaus oder auch sonstiger Regelungen nicht als eine rechtsverbindliche Garantie auffassen.328 Selbst aber unter der Annahme einer nur kurzen Dauer z. B. eines hohen Preises war doch eine Teilrisikoabnahme faktisch gewährleistet. Die unternehmerischen Freiheitsgrade waren bei impliziten Risikoteilungsverträgen im Unterschied zu expliziten Risikoteilungsverträgen unbeschränkt, da keine formale Investitionsverpflichtung festgeschrieben wurde und der Staat somit auch keine Prüfungs- oder gar Mitspracherechte besaß.

2.7. Zwischenergebnisse 1) Die verschiedenen staatlichen Stellen, die entsprechende Verträge mit den Unternehmen abschlossen, also Reichsluftfahrtministerium, Reichswirtschaftsministerium, Rüstungsministerium, Oberkommando des Heeres (OKH), konnten in allen Fällen auf Vorläufer bzw. auf identische Vertragstypen aus der Kriegswirtschaft des Ersten Weltkriegs und der Weimarer Republik zurückgreifen. Dabei wurde versucht, die Lehren aus Erfahrungen, die man bisher gemacht hatte, zu ziehen. Man bemühte sich, die Vertragstypen unter der Prämisse, staatliche Ziele mit möglichst geringen Kosten zu realisieren, zu verbessern. So wurde bei Wirtschaftlichkeitsgarantieverträgen versucht, durch die Modifikation in Form von Gruppenverträgen die staatlichen Transaktionskosten zu senken, und durch den Ausbau von Hydrierkapazitäten bei einem staatlichen Unternehmen die staatliche Informationsbasis über die Gestehungskosten zu verbessern. Bei Förderprämienverfahren wurde die progressive Beteiligung des Staates an der Kostenersparnis implementiert, um das Problem der adversen Selektion abzuschwächen und bei Pachtverträgen versuchte man i.d.R. von Anfang an durch die Gewährung von Festpreisen Effizienzanreize zu implementieren. Sobald das Reich über Informationen über die Selbst325

Kapitel 4.3. Zu einer Verwendung dieses Begriffs bei nicht rechtsverbindlichen, verhaltensbeeinflussenden Faktoren, vgl. R. Richter / E. Furubotn, Neue Institutionenökonomie. Eine Einführung und kritische Würdigung, 3. Aufl., Tübingen 2003, S. 183. 327 Vgl. z. B. Kapitel 5.1. 328 Vgl. dazu auch die Überlegungen der IG zu einer Protektion des Leunabenzins nach Hayes (1987 a), S. 115. 326

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2. Varianten der Investitionsförderung in den Autarkie- und Rüstungsbranchen

kosten der nunmehr mit Vollauslastung betriebenen Anlagen verfügte, ging man zu einem System von Einheits- und Gruppenpreisen über. Insgesamt kann man sagen, dass es nicht nur zu einem institutionellen Lernen staatlicher Instanzen aus Erfahrungen vor 1933 kam, sondern auch aus denen während des NS-Regimes. 2) Es zeigt sich, dass die in weiten Teilen der Literatur vertretene Meinung einer dominanten Rolle von Selbstkostenverträgen vor der Einführung der Einheits- und Gruppenpreise und den daraus resultierenden mangelnden Effizienzanreizen nicht mit dem empirischen Befund bei den HIB übereinstimmt. Dieses Ergebnis bestätigt vielmehr die Aussagen mancher Zeitgenossen, die davon sprechen, generell seien in der Rüstungsindustrie, außer in der Anlaufszeit, Festpreise abgeschlossen worden. Es ist also davon auszugehen, dass dies nicht nur für Beschaffungsverträge zwischen dem OKH und den HIB, sondern wohl für alle Beschaffungsverträge des Reiches mit Rüstungsunternehmen galt. Wenn man aber dies unterstellt, so ist auch die Hypothese in der Literatur zu verwerfen, die aus der angeblichen Häufigkeit von Selbstkostenverträgen abgeleitet wird: dass nämlich deswegen die Produktivitätszuwächse der deutschen Industrie im internationalen Vergleich in dieser Zeit so gering gewesen seien. 3) Kosten und Effizienzüberlegungen spielten somit zu jedem Zeitpunkt für die staatlichen Planer eine Rolle, jedenfalls im Rahmen weiterer Restriktionen, wie Tarnung etc. Infolgedessen ist die bekannte Aussage Hitlers in seiner Denkschrift zum Vierjahresplan in erster Linie nicht so zu verstehen, als sollten vorgegebene Ziele für den Staat nicht kostenminimal erreicht werden. Vielmehr ist sie so zu interpretieren, dass kurzfristige betriebswirtschaftliche Überlegungen, ob ein Projekt realisiert werden sollte oder nicht, insoweit nicht relevant sein dürften, als dass die Wettbewerbsfähigkeit der Anlagen keine Rolle spielen sollte. Zwar lassen sich, unter der Prämisse der Kostenminimierung, graduelle Unterschiede dahingehend beobachten, ob militärische oder zivile Dienststellen Verträge abschlossen. So wurden von der Wehrmacht Kredite zum Teil zinslos vergeben. Dennoch versuchte auch die Wehrmacht, aus Fehlern der Vergangenheit zu lernen, was sich insbesondere darin zeigt, dass der maßgebliche Grund für die Einführung von Pachtanlagen der Gedanke war, die Kosten für das Reich zu minimieren. 4) Durch den Rücktritt Schachts vom Posten des geschäftsführenden Reichswirtschaftsministers im Jahr 1937 kam es zu keiner zeitlichen Zäsur, was die Verwendung und die Ausgestaltung der Vertragstypen anbelangt. Lediglich die Möglichkeit, anstelle von Einzel-Wirtschaftlichkeitsgarantieverträgen Gruppenverträge in Anspruch zu nehmen, fällt in die Zeit nach der Ablösung Schachts als Reichswirtschaftsminister. 5) Die oft verbreitete Meinung, die NS-Wirtschaftspolitik sei ineffizient und von vielfältigen Brüchen gekennzeichnet329, lässt sich für den zentralen Regelungsbedarf zwischen Staat und Ersatzstoff- und Rüstungsindustrie, dem durch Verträge induzierten Ausbau der Kapazitäten, nicht bestätigen. Das Verhältnis zwischen Staat und Industrie war, was die Investitionstätigkeit anbelangt, von hoher formaler Rechtssicherheit geprägt, da der überwiegende Teil von staatlich gewünschten Kapazitätserweiterungen auf vertraglichen Vereinbarungen beruhte. Inwieweit der Staat diese 329

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Vgl. z. B. Fischer (1968), S. 77; v. Prollius (2003), S. 13.

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2.7. Zwischenergebnisse

Verträge respektierte, also inwieweit es auch eine tatsächliche Rechtssicherheit für die privatwirtschaftlichen Vertragspartner gab, wird im Folgenden zu überprüfen sein. 6) Die unterschiedlichen Mehrerlösregelungen bei gleicher Risikoabdeckung im Förderprämienverfahren und in Wirtschaftlichkeitsgarantieverträgen könnten auf die unterschiedlichen Absichten des Staates bei den durch die jeweiligen Vertrags­ typen geförderten Gütern zurückzuführen sein, die eigentlichen Vertragskosten durch preis- bzw. zollpolitische Maßnahmen auf die Verbraucher zu überwälzen. 7) Die jeweiligen Vertragstypen differierten hinsichtlich der Laufzeit, der privatwirtschaftlichen Eigentums- und Verfügungsrechte sowie des Amortisationsrisikos, das die Unternehmen zu tragen hatten. Dem höheren Risiko der Unternehmen, die anstelle eines Wirtschaftlichkeitsgarantievertrags einen Risikoteilungsvertrag in Anspruch nahmen, stand mehr unternehmerische Freiheit gegenüber. Je mehr ein Vertragstypus den Unternehmen das Risiko abnahm, desto mehr wurden die unternehmerischen Spielräume eingeschränkt.330 In Anlehnung an die Grundhypothese wäre demnach zu erwarten, dass die Unternehmen in den Fällen, in denen sie glaubten, eine auf Wunsch des Reiches zu errichtende Anlage könne auch unter normalen Umständen ausgelastet werden, eher einen Risikoteilungsvertrag als einen Wirtschaftlichkeitsgarantievertrag abgeschlossen hätten. Würden sie hingegen davon ausgehen, dass eine Anlage unter normalen Bedingungen auf keinen Fall verwendbar sei, wäre der Abschluss eines Pachtvertrags auf den ersten Blick eine plausible Vertragswahl. Tabelle 7: Gemeinsamkeiten und Unterschiede der Vertragstypen Privatwirt­ UnilatePrüfungs­ Eigen­tums­ Verfügungs­ schaftliches rales Laufzeit recht des recht recht Amortisations­ KündigStaates risiko gungsrecht Pachtvertrag

Staat

Staat

Nicht gegeben

ja

Ja, Staat

Zuschuss­ vertrag

i.d.R. 10 Jahre

Staat

Staat

Nicht gegeben

10 Jahre

ja

nein

Wirtschaftlichkeitsgarantievertrag

Unter­ nehmen

Staat

Gering, nur bei Ersatz­ 10 Jahre investitionen

ja

nein

Förderprä­ mienverfahren

Unter­ nehmen

Staat

Gering, nur bei Altanlagen

1 – 10 Jahre

ja

nein

Expliziter Risikoteilungs­ vertrag332

Unter­ nehmen

i.d.R. Unter­ nehmen

hoch

i.d.R. 5- 10 Jahre

ja

i.d.R. ja, Unter­ nehmen

Impliziter Risikoteilungs­ vertrag

Unter­ nehmen

Unter­ nehmen

hoch

nein

330 Tabelle 332

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7. Von Steuervorteilen wird in dieser Graphik abgesehen.

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3. Beispielhafte Investitionsentscheidungen in der Chemie- und in der Investitionsgüterindustrie 3.1 Buna Zu einer der wichtigsten Autarkiebranchen im Dritten Reich zählt die Synthesekautschukindustrie, deren Investitionsvolumen mit 910 Millionen RM beachtlich war. Erste Arbeiten an einem Synthesekautschuk in Deutschland stammen noch aus den Jahren vor dem Ersten Weltkrieg. Auf diesen Grundlagen aufbauend nahm der Innovator, die Firma Bayer-Elberfeld, die später in der IG Farben aufging, während des Kriegs die Produktion des sogenannten Methylkautschuks auf. Der stürmische Ausbau der Naturkautschukplantagen und die unzureichenden Eigenschaften des damaligen Synthesekautschuktyps ließen aber nach Kriegsende die Hoffnung auf eine wirtschaftliche Vermarktung schwinden, weswegen die Produktion eingestellt wurde. Mitte der 1920er Jahre begann die IG Farben AG wieder an einem Synthesekautschuk zu arbeiten. Auch DuPont in den USA nahm Forschungs- und Entwicklungsaktivitäten zur Schaffung eines synthetischen Substituts für Naturkautschuk auf. Diese zunehmende Forschungstätigkeit stand einerseits im Zusammenhang mit dem damals sehr hohen Kautschukpreis, andererseits ist sie aber auch auf die Erwartung einer langfristig ansteigenden Weltmarktnachfrage infolge der Motorisierung zurückzuführen. Bis auf kleine Versuchsanlagen kam es aber in der Weimarer Republik nicht zu einer Aufnahme der Synthesekautschukproduktion in Deutschland, was nach einer Aussage des späteren IG Farben Vorstands Otto Ambros vor allem an dem Preissturz der Naturkautschukpreise während der Weltwirtschaftskrise lag. Außerdem war das synthetische Produkt der IG Farben AG nicht nur preislich, sondern auch qualitativ Naturkautschuk noch deutlich unterlegen. Daher erwartete man, dass synthetischer Kautschuk aufgrund seiner möglichen Eigenschaften nur in bestimmten Teilmärkten konkurrenzfähig werden könnte. Hinzu kam, dass der IG Anfang der 1930er Jahre noch kein technisch ausgereiftes Verfahren zur Verfügung stand. Die reine Forschungstätigkeit wurde allerdings während der Weltwirtschaftskrise, wenn auch stark reduziert, fortgeführt. 

Plumpe (1990), S. 389. Morris spricht von Investitionen von mehr als einer Mrd. RM. Vgl. P. T. J. Morris, The Development of Acetylene Chemistry and Synthetic Rubber by I.G. Farben Aktiengesellschaft 1926–1945, unveröffentliche Dissertation, Oxford 1982, S. 258.  Plumpe (1990), S. 343 f.  F. Hölscher, Kautschuke, Kunststoffe, Fasern. Sechs Jahrzehnte technische Herstellung synthetischer Polymere, Ludwigshafen 1972, S. 24 f.  Streb (2003 a), S. 110 ff.  BArch R 3101 / 18448, Aktenvermerk vom 25.2.1939, Bl. 219.  Plumpe (1990), S. 350, 354.  BArch R 8128 / A 1153, Schreiben der Stickstoffabteilung an das Heereswaffenamt vom 15.8.1933; Plumpe (1990), S. 353f; Streb (2003 a), S. 111 Schaubild 7.

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3.1 Buna

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Kurz nach der „Machtergreifung“ trat die Reichswehr an die IG Farben AG heran und bekundete ihr Interesse an einem auf synthetischem Weg hergestellten Kautschuk. Dabei stellte sie langjährige Amortisationsfristen im Fall des Baus einer Anlage in Aussicht. Ein Vorschlag des Reichsbeauftragten für Kautschuk und Asbest, Hammesfahr, einen Verwendungszwang einzuführen, was wohl auf eine Anregung der IG Farben aus dem Jahr 1933 zurückzuführen war, konnte sich innerhalb der staatlichen Instanzen nicht durchsetzen. Das teilte der „Wirtschaftsbeauftragte des Führers“ Keppler, Mitte November 1934 per Führererlass zum „Sonderbeauftragten für die Herstellung von Ersatzrohstoffen“ ernannt, der IG mit: „Herr Keppler stellt klar, dass an eine Festlegung der Gummi-Industrie auf dem Verordnungswege unter keinen Umständen zu denken ist und dass Herr Schacht ganz grundsätzlich derartige Bindungen ablehnt.“ Trotz des bereits frühzeitig bekundeten staatlichen Interesses dauerte es bis zum Jahr 1935, dass sich die IG auf staatlichen Druck hin bereit erklärte, eine Großversuchsanlage in Schkopau zu bauen, für die ein Wirtschaftlichkeitsgarantievertrag abgeschlossen wurde.10 Das bis zu diesem Zeitpunkt zögerliche Verhalten der IG war darauf zurückzuführen, dass man sich noch nicht auf einen bestimmten Kautschuktyp bzw. auf einen bestimmten Technologiepfad festlegen wollte.11 Erst Ende 1936, als das Reich bereits Kapazitäten von 72.000 Jahrestonnen Buna wünschte, aufgeteilt in drei Anlagen, erklärte die IG, sie wolle in Schkopau im Fall zufriedenstellender Ergebnisse der Großversuchsanlage eine Produktionsstätte von 24.000 Jahrestonnen errichten.12 Der Standort Schkopau wurde deshalb von ihr vorgeschlagen, weil er sich in der Nähe der für die Bunaherstellung benötigten Rohstoffe Braunkohle und Kalk befand und weil von dem nahe­ gelegenen Leunawerk das für die dritten Butadienstufe benötigte Wassergas geliefert werden konnte.13 Als sich 1937 das gewünschte Ergebnis einstellte  –  der Synthesekautschuktyp Buna S wurde als ein einigermaßen brauchbarer Reifenwerkstoff eingeschätzt und die Versuchsanlage lief befriedigend  –  erklärte sich das Unternehmen nach längeren Verhandlungen zum Ausbau bereit; unter der Voraussetzung, dass es kein Amortisationsrisiko zu tragen habe.14 Zu dieser Zeit hielt es die IG Farben AG nicht für unwahrscheinlich, dass Buna langfristig auch unter normalen 

Plumpe (1990), S. 357–359. HA ZA 1446, Besprechung der IG mit Keppler vom 10.12.1934. Zur Anregung der IG, vgl. Hayes (1987 a), S. 115; zur Ernennung Kepplers, vgl. BArch R 43 II / 374, Bl. 4. Einen Verwendungszwang gab es bereits in der Weimarer Republik, z. B. für Spiritus bei der Treibstoffherstellung. W. Becker, Die deutsche Mineralölwirtschaft, Diss., Berlin 1936, S. 64–71; R. Karlsch, 1859–1945, in R. Karlsch / R.G: Stokes (Hgg.), Faktor Öl. Die Mineralölwirtschaft in Deutschland 1859–1974, München 2003, S. 15–246, hier: S. 154. 10 Hayes (1987 a), S. 148f; Wagner (2000), S. 28. 11 Streb (2003 a), S. 113. 12 Plumpe (1990), S. 370. Der Name des Synthesekautschuks der IG setzt sich aus den Anfangsbuchstaben des Hauptbausteins der Bunaherstellung Butadien und des verwendeten Katalysators Natrium zusammen. Vgl. P. Kränzlein, Chemie im Revier. Hüls, Düsseldorf, S. 1980, S. 26. 13 F. Ter Meer, Die I.G. Farben Industrie Aktiengesellschaft. Ihre Entstehung, Entwicklung und Bedeutung, Düsseldorf 1953, S. 91. Genauer zur Standortentscheidung, vgl. Morris (1982), S. 289 ff. 14 Plumpe (1990), S. 372. 

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3. Beispielhafte Investitionsentscheidungen

Bedingungen wettbewerbsfähig werden könnte.15 Explizit schloss das Unternehmen bei seinen Überlegungen eine Normalisierung der Außenhandelspolitik, insbesondere eine Abwertung der seit den Devaluierungen des Dollars und des englischen Pfundes seit 1931 stark überbewerteten Reichsmark, nicht aus. 16 Die IG wollte einen Teil des Kapitals für das Bunawerk Schkopau über eine Anleihe aufbringen. Das Reich erteilte dafür jedoch nicht die notwendige Genehmigung und schlug stattdessen eine Reichsbeteiligung vor.17 Dieser Vorschlag wiederum wurde von der IG Farben AG abgelehnt, weil man keinen zu starken staatlichen Einfluss haben wollte.18 Schließlich schloss das Unternehmen 1937 mit dem Reich einen Wirtschaftlichkeitsgarantievertrag ab. Darin verpflichtete sich das Reich, sich bei der Finanzierung mit Krediten zu beteiligen, was ihm aber im Unterschied zu einer Kapitalbeteiligung keine Mitspracherechte einräumte. Ursprünglich hatte der Staat zudem gewünscht, nicht nur an Minderkosten19, sondern auch an zukünftigen Lizenzeinnahmen beteiligt zu werden. Man hatte nämlich erkannt, dass die IG infolge des Garantievertrags risikolos, vermutlich in hohem Maß, Know-how erwerben würde. Einen weiteren Vorteil für das Unternehmen durch den Vertrag hatte man darin gesehen, dass die IG, selbst wenn sie nach Vertragsablauf die Bunaproduktion nicht weiterbetreiben würde, einen Teil der abgeschriebenen Anlagen, wie das Kraftwerk, für andere Zwecke weiter verwenden konnte.20 Eine Beteiligung des Reiches an künftigen Lizenzeinnahmen lehnte das Unternehmen allerdings ab. Schließlich einigte man sich darauf, dass die IG weiteren Werken, die auf Wunsch des Staates gebaut werden würden, auch dann die Lizenz für die Bunaproduktion zur Verfügung stellen würde, falls die IG sich nicht beteiligen wollte.21 Voraussetzung für dieses Zugeständnis war allerdings, dass das Reich zusicherte, die Betreiber solcher Werke gegenüber der Bunafabrik Schkopau nicht in irgendeiner Form zu begünstigen.22 Zusätzlich zu den vertraglichen Vereinbarungen wurde die Anlage für fünf Jahre von der Umsatz- und der Vermögenssteuer befreit.23 Die Kreditfinanzierung durch das Reich erfolgte durch einen Mitte 1937 extra implementierten Kautschukzoll. Die Höhe des Zolls, der als Gleitzoll möglichen 15

Hayes (1987 a), S. 143. BASF Archiv, IG Bestand, B 4 / 893, Aktennotiz vom 17.12.1936; Aktennotiz vom 10.5.1937. Allgemein zu den Normalisierungserwartungen der IG und dem Tatbestand, dass die RM deutlich überbewertet war, vgl. z. B. Streb (2003 a), S. 107, 123. Zur Pfundabwertung im September 1931 und zur Dollarabwertung im März 1933, vgl. z. B. B. Eichengreen / J. Sachs, Exchange Rates and Economic Recovery in the 1930s, in: The Journal of Economic History, Bd. 45, 1985, S. 925–946, hier: S. 928 f. 17 Ter Meer (1953), S. 91. 18 BASF-Archiv IG Bestand B 4 / 891, internes Schreiben vom 23.10.1936; Ter Meer (1953), S. 91. 19 BArch R 3101 / 18447, Buna-I-Vertrag 16.8.1937. 20 BArch R 2 / 15307, Aktenvermerk, Bl. 5. 21 BArch R 3101 / 18447, Aktenvermerk vom Mai 1937, Bl. 42 f. Detailliert zu den Verhandlungen, vgl. Hayes (1987 a), S. 188 ff. 22 BArch R 2 / 15307, Schreiben der IG an das Amt für deutsche Roh- und Werkstoffe vom 10.4.1937, Bl. 170f; BArch R 3101 / 18447, Schreiben der IG an das Amt für deutsche Roh- und Werkstoffe vom 24.5.1937, Bl. 117 f. 23 BArch R 2 / 15308, Aktenvermerk vom 12.12.1936, Bl. 106. 16

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3.1 Buna

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Weltmarktpreisänderungen angepasst werden sollte, richtete sich dabei anders als manchmal behauptet, zunächst nicht nach dem Garantiepreis, der dem Vertrag zugrunde lag, sondern war um ca. 50 RM / 100 kg geringer.24 Auch aus diesem Grund wurde er offiziell als Finanz-, nicht aber als Schutzzoll klassifiziert. Mit diesem Zoll wollte das Reich, wie bereits 1935 von staatlichen Stellen gefordert worden war25, die eigentlichen Kosten der Bunainvestitionen weitgehend auf die Verbraucher überwälzen, wie folgende amtliche Presseverlautbarung zur Einführung des Zolls zeigt: „Die Herstellung künstlichen Kautschuks (Buna) zu fördern, ist eine der wichtigsten Aufgaben des Vierjahresplanes. Die Buna-Anlagen werden zum Teil durch Beträge finanziert werden, die die herstellende Industrie selbst aufbringt, zum Teil durch Beträge, die das Reich zu Lasten der Verbraucher für diesen Zweck bereitstellt. Für die Belastung der Verbraucher hat sich nach eingehender Prüfung aller in Betracht kommenden Möglichkeiten die Erhebung eines Zolls für den aus dem Auslande eingeführten Rohkautschuk als zweckmäßigster Weg erwiesen.“26 Noch deutlicher hatte dies bereits der Reichsfinanzminister an den Reichswirtschaftsminister in einem Schreiben zum Ausdruck gebracht: „Der zugesagte Finanzierungsbeitrag muß durch Leistungen der Verbraucher selbst aufgebracht werden.“27 Es bewahrheitet sich somit für Buna die im zweiten Kapitel geäußerte Vermutung, dass die Implementierung einer Mehrerlösklausel in den Verträgen darauf zurückzuführen ist, dass das Reich unter der Maßgabe der Kostenminimierung beabsichtigte, die eigentlichen Kosten der Vertragserfüllung möglichst durch preis- bzw. zollpolitische Maßnahmen auf die Konsumenten abzuwälzen. Als wahrscheinlich wurde an anderer Stelle ein derartiges Verhalten eingeschätzt, wenn der Staat nicht alleiniger Nachfrager war und das Produkt nicht in hohem Maß als Input für die Exportindustrie diente. Alleiniger Nachfrager war der Staat offensichtlich nicht, da noch 1939 der direkte Wehrmachtsbedarf gerade einmal 20 Prozent des deutschen Kautschukverbrauchs ausmachte.28 Und für die Ausfuhr spielte Naturkautschuk offensichtlich keine zentrale Rolle. Denn um die deutschen Ausfuhrchancen nicht zu beeinträchtigen, wurde Exporteuren von Produkten, für deren Herstellung Naturkautschuk eingesetzt wurde, eine Kautschukzollrückvergütung gewährt.29 Diese machte jedoch im Durchschnitt nur 10–15 Prozent der Bruttoeinnahmen aus dem Zoll aus.30 Bis zum Frühjahr 1942 konnten so zu Lasten der Ver24

BArch R 3101 / 18447, Pressenotiz, am 12.5.1937 zu verbreiten, zur Einführung eines Zolls für Rohkautschuk, Bl. 50. Vgl. auch W. Treue, Gummi in Deutschland. Die deutsche Kautschukversorgung und Gummi-Industrie im Rahmen weltwirtschaftlicher Entwicklungen, München 1955, S. 279. Zur abweichenden Behauptung in der Literatur, vgl. Plumpe (1990), S. 373; für den Bunapreis, vgl. Ter Meer (1953), S. 92 und für den Preis für Naturkautschuk verzollt, Statistisches Jahrbuch für das Deutsche Reich 1941 / 42, S. 366. 25 Morris (1982), S. 285 f. 26 BArch R 3101 / 18447, Pressenotiz, am 12.5.1937 zu verbreiten, zur Einführung eines Zolls für Rohkautschuk, Bl. 50. 27 BArch R 2 / 21469, Schreiben des Reichsfinanzministers an den Reichswirtschaftsminister vom 14.4.1937. 28 BASF Archiv, IG Bestand B 4 / 897, Memo vom 10.7.1940. 29 BArch R 2 / 21469, Merkblatt vom 31.7.1937 über die Kautschukzollrückvergütung. 30 Vgl. z. B. BArch R 2 / 21469, Aktenvermerk vom 9.5.1939; Aktenvermerk vom 9.6.1941.

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3. Beispielhafte Investitionsentscheidungen

braucher aus dem Kautschukzoll Nettoeinnahmen in Höhe von 174 Mio. RM erzielt werden.31 Der Anstoß zur Einführung eines Zolls kam von der IG.32 In deren Augen hatte der Zoll „auch den Vorteil, daß er, falls nach Ablauf der Garantiefrist der Welthandel wieder einsetzt, gleich als Schutz für uns bleiben kann.“33 Offensichtlich war man sich zu diesem Zeitpunkt noch unsicher, ob es bis Ablauf des Vertrags gelingen würde, ohne staatliche Hilfe konkurrenzfähig zu sein, d. h. ob die von der IG prognostizierten Kostensenkungen sich tatsächlich realisieren lassen würden. Viel schwerwiegender war allerdings, dass Buna im Jahr 1937, bis auf technische Verwendungen, die zu diesem Zeitpunkt ca. 35 Prozent des deutschen Kautschukverbrauchs ausmachten, qualitativ Naturkautschuk unterlegen und insbesondere die Frage der Verarbeitung für Autoreifen noch nicht befriedigend gelöst war.34 Nach 1937 änderte sich die Situation dann aber grundlegend. Bis 1939 kam es zu erheblichen Qualitätssteigerungen und aufgrund von Verfahrensverbesserungen zu deutlichen Kostensenkungen.35 Auch die Verarbeitung von Buna wurde durch die Erfindung des sogenannten „thermischen Abbaus“ deutlich einfacher.36 Seit dieser Zeit war das Unternehmen davon überzeugt, dass das Produkt grundsätzlich wettbewerbsfähig war.37 Für bestimmte Verwendungszwecke war Buna dem Naturprodukt inzwischen sogar überlegen, was dementsprechend auch einen höheren Preis gerechtfertigt hätte.38 So ergaben von der Adam Opel AG durchgeführte und vom Reichswirtschaftsministerium finanzierte Versuche im Jahr 1938, dass Bunaautoreifen in der Regel bereits eine deutlich höhere Abriebsfestigkeit als Naturkautschukreifen aufwiesen.39 Zudem schlugen sich im Laufe des Jahres 1937 die posi31

BArch R 2 / 21469, Aktenvermerk vom 29.5.1942. Hayes spricht von Einnahmen von 345 Milli­ onen zu diesem Zeitpunkt. Vgl. Hayes (1987 a), S. 191. 32 BArch R 2 / 1508, Aktenvermerk vom 17.2.1937, Bl. 346f; Morris (1982), S. 259. 33 BASF-Archiv, IG Bestand, B 4 / 893, Aktenvermerk vom 17.12.1936. 34 BArch R 3101 / 18453, Stellungnahme des Amts für deutsche Roh- und Werkstoffe vom 1.2.1938, Bl. 43; Streb (2003 a), S. 117. 35 BArch R 3101 / 18453, Stellungnahme des Amts für deutsche Roh- und Werkstoffe vom 1.2.1938, Bl. 43; Plumpe (1990), S. 374 f. 36 Vgl. dazu R. Karlsch, Entscheidungsspielräume und Innovationsverhalten in der Synthesekautschukindustrie  –  Die Einführung des Kaltkautschukverfahrens in den Chemischen Werken Hüls und im Buna-Werk Schkopau, in: J. Bähr / D. Petzina (Hgg.), Innovationsverhalten und Entscheidungsstrukturen. Vergleichende Studien zur wirtschaftlichen Entwicklung im geteilten Deutschland 1945–1990, Berlin 1996, S. 79–108, hier: S. 82; Wagner (2000), S. 33; Streb (2003 a), S. 117. 37 BArch R 3101 / 18250. Aktenvermerk vom 26.1.1938, Bl. 83; R 3101 / 18448, Bl. 303; BArch R 3101 / 18250, Bl. 144 f. 38 Plumpe (1990), S. 374. 39 BArch R 3101 / 18454, Bl. 8 / 55 f. Vgl. auch Ter Meer (1953), S. 90. Allerdings konnte nach diesen Versuchen keine Rede davon sein, was zum gleichen Zeitpunkt immer wieder mal in zeitgenössischen Publikationen behauptet wird, dass Bunaautoreifen eine doppelt so hohe Abriebsfestigkeit wie solche aus Naturkautschuk hätten. Vgl. dazu z. B. K. Friedrichs, Der zweite Vierjahresplan, ein Weg zur Weltwirtschaft oder Autarkie, Diss., Münster 1938, S. 63. In manchen speziellen Verwendungen waren Bunareifen sogar Naturkautschukreifen unterlegen, wie bei den hohen Belastungen ausgesetzten Flugzeugreifen. Vgl. Streb (2003 a), S. 109. Vgl. auch BArch R 3101 / 18448, Denkschrift der IG über Ausbau und Finanzierung der drei Bunawerke vom 8.1.1940, Bl. 266; eine

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tiven Signale, die die IG bereits seit 1936 vom Lederverarbeiter Freudenberg hinsichtlich der qualitativen Überlegenheit von Buna für Dichtungsringe anstelle von Leder empfangen hatte, auch in einer großen Nachfrage des Unternehmens nach Synthesekautschuk nieder.40 Diese geänderte Einschätzung findet sich in den Quellen wieder. Zu dem Abschluss des ersten Bunavertrags hieß es in einer internen Besprechung der IG Farben AG noch: „Wir wollen bei der Produktion kein Risiko haben.“41 1940 wurde vermerkt: „Bei Abschluß des Vertrags war die Gewährleistung eines jährlichen Absatzes von 30.000 t Buna eine wichtige und notwendige Bestimmung, da zu diesem Zeitpunkt die Frage der Verarbeitung des Buna auf Fertigartikel nicht befriedigend gelöst war, und da ferner aufgrund der damals vorliegenden Versuchsergebnisse ein ver­hältnismäßig hoher Preis zu erwarten stand. Beide Gesichtspunkte haben sich grundlegend geändert; der thermische Abbau unseres Buna S vermittelt eine Verarbeitbarkeit, die der des Naturkautschuks nicht mehr erheblich nachsteht, und gestattet der Gummiwaren-Industrie, ihre für die Verarbeitung von Naturkautschuk geschaffenen maschinellen Einrichtungen mit befriedigendem Durchsatz zu verwenden.“42 Zum etwa gleichen Zeitpunkt äußerte der IG Farben-Vorstand Fritz ter Meer ge­genüber Vertretern des Reichswirtschaftsministeriums: „Man könnte schon heute davon ausgehen, daß die Buna-Herstellung privatwirtschaftlich betrieben werden kann.“43 Diese Aussagen machen deutlich, dass die IG seit 1938 / 39 aufgrund der qua­litativen und der verarbeitungstechnischen Verbesserungen nicht mehr nur langfristige, sondern auch kurzfristige positive Erwartungen hinsichtlich der Wettbewerbs­ fähigkeit von Buna gegenüber Naturkautschuk unter Normalbedingungen hatte.44 Dafür spricht des Weiteren, dass die IG im Frühjahr 1938 der Kautschukindustrie mitteilte, die Bunaselbstkosten pro kg würden voraussichtlich nach der Amortisation der Anlagen derart sinken, dass Buna preislich konkurrenzfähig zu Naturkautschuk werden würde.45 Eine Produktion nach Ablauf der Garantiefrist ohne Einbeziehung von Abschreibungen erschien, auch nach einer internen Kalkulation der IG vom November 1937, deshalb als wahrscheinlich, weil der tatsächlich zu erwartetende Kapitalverschleiß wesentlich geringer war als die angesetzten Abschreibungen.46 Dieser Kalkulation zufolge prognostizierte die IG unter der EinbeKopie dieser Denkschrift findet sich sowohl im BASF-Archiv (BASF-Archiv, IG Bestand B 2 / 894) als auch im Bestand des Reichsfinanzministeriums (Hayes (1987 a), S. 339). 40 Streb (2003 a), S. 187 f. 41 BASF-Archiv IG Bestand B 4 / 893, interne Besprechung vom 23.6.1936. 42 BArch R 3101 / 18448, Denkschrift der IG über Ausbau und Finanzierung der drei Bunawerke vom 8.1.1940, Bl. 262. 43 BArch R 3101 / 18448, Niederschrift zu einer Besprechung im Reichswirtschaftsministerium am 6.3.1940, Bl. 327. 44 Vgl. auch Lorentz / Erker (2003), S. 35 f. 45 BArch R 3101 / 18451, Schreiben der Fachgruppe Kautschukindustrie an das Reichswirtschaftsministerium vom 28.3.1938, Bl. 54. 46 Ebd. Hier ist von einer 15 jährigen Lebensdauer der Anlage die Rede. Nach BArch R 2 / 15307, Bl. 5f, prognostizierte man bei Anlageinvestitionen für den Bau von Schkopau von 180 Millionen RM lediglich 30 Millionen RM Ersatzinvestitionen, um für die Vertragsdauer die Kapazität aufrechtzuerhalten.

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ziehung von Abschreibungen ein Selbstkostenniveau von 183,47 RM / 100 kg, ohne Abschreibungen hingegen nur 153,05 RM / 100 kg, falls die Anlage mit Vollauslastung von 24.000 jato betrieben werden würde.47 Wie erwähnt, schloss die IG eine Abwertung nicht aus. Es findet sich allerdings kein Hinweis darauf, welchen Wechselkurs das Unternehmen unterstellte, als er im Frühjahr 1938 der Kautschukindustrie mitteilte, Buna würde wettbewerbsfähig werden. Zudem gibt es keine Informationen darüber, von welchem Naturkautschukpreisniveau die IG zu diesem Zeitpunkt ausging.48 Daher soll hier den weiteren Überlegungen, ob aufgrund der tatsächlichen Entwicklung der Bunaselbstkosten Synthesekautschuk zu einem unter Normalbedingungen preislich wettbewerbsfähigen Produkt wurde, als Referenzgröße der Weltmarktdurchschnittspreis des Jahres 1937 ohne Abwertung zugrunde gelegt werden, der 119 RM / 100 kg betrug. Die Orientierung am Weltmarktpreis des Jahres 1937 dürfte ein sinnvoller Indikator für ein „normales“ Naturkautschukpreisniveau sein, da sich in den Jahren zuvor auf dem Naturkautschukmarkt noch die Folgen der Weltwirtschaftskrise und im Jahr 1938 die einer weltwirtschaftlichen Rezession bemerkbar machten, wurden außerdem 1939 die Einflüsse des Krieges spürbar. Dieser Preis wird hier als tatsächliche Wettbewerbsschwelle für synthetischen Kautschuk verwendet. Der um den Abwertungseffekt korrigierte Weltmarktpreis des Jahres 1937 wird hingegen als kontrafaktische Wettbewerbsschwelle bezeichnet.49 Unter der Annahme einer Wiederherstellung der alten Paritäten hätten nach der Prognose der IG vom November 1937 die erwarteten Bunaselbstkosten bei voller Kapazitätsauslastung den kontrafaktischen Weltmarktpreis leicht, und nach Abschreibung der Anlagen deutlich unter-

47

BASF Archiv, IG Bestand F 9 / 232, Vorkalkulation Schkopau vom 12.11.1937. Es könnte auch sein, dass sich das Unternehmen gegenüber den Kautschukverarbeitern zu optimistisch hinsichtlich der Weltmarktpreiserwartung geäußert haben könnte. Dies erscheint aber nicht besonders wahrscheinlich. Zwar könnte ein Grund, weswegen die IG ein Interesse haben könnte, bei den Kautschukverarbeitern ein zu optimistisches Bild abzugeben, darin begründet sein, dass bei guten Zukunftsaussichten die verarbeitende Industrie sich ernsthafter mit der Verarbeitung des Produkts auseinandersetzen würde. Auf der anderen Seite gab es allerdings auch ein schwerwiegendes Motiv für die IG, einen zu pessimistischen Eindruck über die Wettbewerbsfähigkeit des Synthesekautschuks zu vermitteln. Denn aufgrund der mangelnden Bereitschaft der IG, sich bei dem geplanten Buna-III-Werk in Fürstenberg in größerem Umfang finanziell zu engagieren (Kapitel 3.1.), spielte das Reich mit dem Gedanken, die Kautschukindustrie zu beteiligen. (BArch R 3101 / 18447, Entwurf eines Schreibens von Göring an das Reichsfinanzministerium vom Dezember 1937, Bl. 18) Deren freiwillige Beteiligung hätte sich allerdings auf einen kleinen Betrag beschränkt. (BArch R 3101 / 18453, internes Schreiben des Amts für deutsche Roh- und Werkstoffe vom 1.2.1938, Bl. 30) Dennoch war ursprünglich eine derartige Beteiligung von der IG nicht sehr erwünscht, weil man dadurch befürchtete, dass aus dieser Branche langfristig ein potentieller Konkurrent in der Synthesekautschukproduktion entstehen könnte. BASF Archiv, IG-Bestand, B 4 / 897, Aktenvermerk vom 11.1.1937. Vgl. auch generell die Einstellung der IG zum Projekt Fürstenberg Kapitel 3.1. 49 Der Unterschied zwischen cif und fob spielte bei Kautschuk nur eine geringe Rolle. Vgl. den Großhandelspreis und den Weltmarktpreis fob, jeweils in RM, vor der Zolleinführung 1937, Statistisches Jahrbuch für das Deutsche Reich 1937, S. 303, 185*. Das dürfte wohl daran liegen, dass der Wert pro kg bei Kautschuk sehr hoch war. 48

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schritten. Die tatsächliche Wettbewerbsschwelle hätte aber nicht erreicht werden können.50 Die Selbstkostenentwicklung der Bunaproduktion in Schkopau nach dem Vierstufenverfahren bestätigte in der Folgezeit die Erwartungen der IG-Techniker voll.51 Die 1937 prognostizierte Kostensenkung um 60 Prozent, falls die Massenproduktion aufgenommen werden würde, konnte 1940 tatsächlich erreicht werden.52 Das war für die IG schon Ende 1939 absehbar.53 Für die weitere Selbstkostensenkung waren Effizienzverbesserungen und das Ausnutzen von Größenvorteilen maßgeblich.54 Schaubild 2: Die Wettbewerbsfähigkeit von Buna S zu Naturkautschuk nach dem Vierstufenverfahren 1937-1944 350

300

RM/100 kg

250

200

150

100

50

0

1937

1938

1939

1940

1941

1942

1943

1944

Jahr

Selbstkostenentwicklung im Bunawerk Schkopau kontrafaktische Wettbewerbsschwelle tatsächliche Wettbewerbsschwelle Langfristig erwartete Selbstkostenuntergrenze beim Vierstufenverfahren Mittelfristig erwartete Selbstkostenuntergrenze beim Vierstufenverfahren

Quellen: Für die Selbstkostenentwicklung von Buna im Werk Schkopau 1937–1943, vgl. Plumpe (1990), S. 387, für 1944 (Angaben nur für das erste Quartal), vgl. Streb (2003 a), S. 106 Tab. 8, für das Preisniveau auf dem Weltmarkt 1937 (Londoner Notierung in engl. Pfund), vgl. Statistisches 50

Schaubild 2. Zu einer Verfahrensbeschreibung, vgl. z. B. Plumpe (1990), S. 351. 52 Schaubild 2. Zu den Prognosen vgl. z. B. A. Zischka, Wissenschaft bricht Monopole, Berlin 1937, S. 181; Friedrichs (1938), S. 63. 53 BArch R 3101 / 18448, Schreiben der IG Farben AG an den Reichskommissar für die Preisbildung vom 27.12.1939, Bl. 259 ff. 54 Die IG erwartete z. B. bei einer Vergrößerung der Kapazitäten in Schkopau von 40.000 auf 60.000 jato eine Selbstkostensenkung pro kg Buna um zehn Rpf. BArch R 3101 / 18446, Aktenvermerk vom 14.4.1939, Bl. 60f; Morris (1982), S. 229. Zur Entwicklung des Bunaoutputs in Schkopau, vgl. Morris (1982), S. 278. Zu den Effizienzverbesserungen, vgl. ausführlich Streb (2003 a), S. 104 ff. 51

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Jahrbuch für das Deutsche Reich 1938, S. 199*, für den unterstellten Wechselkurs die Parität 1929, vgl. Statistisches Jahrbuch für das Deutsche Reich 1932, S. 352; für die prognostizierten Selbstkosten bei Vollauslastung (24.000 jato) mit und ohne Abschreibungen, vgl. BASF Archiv IG Bestand F 9 / 232, Vorkalkulation Schkopau vom 12.11.1937.

Während also 1937 noch nicht sicher war, ob die Kostenprognosen der Techniker sich bewahrheiten würden und das Produkt aufgrund von Qualitäts- und Verarbeitungsmängeln ohnehin eher eines niedrigen Preises bedurft hätte, um mit Naturkautschuk zu konkurrieren, hatte sich seit 1938 / 39 die Situation deutlich verändert. Die Selbstkosten sanken mit zunehmender Auslastung, und infolge der erwähnten Verbesserungen hätten tendenziell, je nach Verwendungszweck, sogar ein im Vergleich zu Naturkautschuk höherer Preis für Buna verlangt werden können.55 Zudem ging die IG davon aus, dass der Einsatz eines Lichtbogens zur Acetylengewinnung in neu zu errichtenden Bunawerken, der in Schkopau noch nicht erfolgt war, zu Selbstkostensenkungen von 22 Prozent pro kg Buna führen würde.56 Aufgrund dieser Umstände und Erwartungen hätte in weiteren Bunawerken unter der Verwendung dieser Technologie, selbst wenn der Zoll abgeschafft und die RM nicht abgewertet werden würde, nur noch ein geringes Amortisationsrisiko bestanden. Bei einer Abwertung konnte das Unternehmen sogar mittelfristig mit hohen Gewinnen rechnen, von denen es allerdings bei Abschluss eines Wirtschaftlichkeitsgarantievertrags einen beträchtlichen Teil dem Staat hätte abführen müssen. Angesichts dieser veränderten Risikoeinschätzung wäre entsprechend der bisherigen Hypothesen zu erwarten, dass die Errichtung weiterer Bunawerke eher mit einem Risikoteilungsvertrag, wohl aber weniger durch einen Wirtschaftlichkeitsgarantievertrag erfolgt sein müsste.57 Und tatsächlich wurde auf Wunsch der IG 1939 für das zweite Synthesekautschukwerk, das in Hüls nach dem Vierstufenverfahren unter Verwendung eines Lichtbogens errichtet werden sollte, ein Vertrag abgeschlossen, in dem das Reich sich verpflichtete, dem Unternehmen zur Teilfinanzierung einen verbürgten Kredit zur Verfügung zu stellen.58 Da das Rückgriffsrecht des Reiches infolge der staatlichen Kredite aufgrund einer Risikoklausel, hier Darlehensgarantieklausel genannt, beschränkt war, handelte es sich um einen Risikoteilungsvertrag.59 Auch den ersten Bunavertrag wandelte man auf Wunsch der IG in einen Risikoteilungsvertrag um.60 55

Plumpe (1990), S. 374. Lorentz / Erker (2003), S. 79; Kränzlein (1980), S. 31. Zum Lichtbogenverfahren, vgl. auch A. v. Nagel, Äthylen, Acetylen, Ludwigshafen 1971, S. 36f; Lorentz / Erker (2003), S. 43. 57 Kapitel 2.7. 58 BArch 3101 / 18450, Aktenvermerk vom 4.2.1938, Bl. 134; BArch R 3101 / 18445, Aktenvermerk vom 25.11.1937; Wagner (2000), S. 34. Der Einsatz eines Lichtbogens war in Schkopau noch nicht möglich gewesen, da Leuna nicht genug Gase liefern konnte. Morris (1982), S. 293; Lorentz / Erker (2003), S. 43. 59 BArch R 3101 / 18448, Vertrag zwischen der Deutschen Revisions- und Treuhand AG und den Chemischen Werken Hüls GmbH vom 13.3. / 14.3. / 20.3.1939, § 3 (III), Bl. 455-467. Zu den vertraglichen Vereinbarungen zwischen den CWH mit Zulieferern sowie mit der IG, vgl. Lorentz / Erker (2003), S. 50 ff. 60 BArch R 3101 / 18448, Änderungsvertrag zwischen dem Deutschen Reich und der Buna-Werke GmbH vom 21.6.1940, §3 (III), Bl. 400-407. 56

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Man wollte nun angesichts der gestiegenen Wettbewerbsfähigkeit der Buna-I-Anlage mehr unternehmerischen Freiraum haben.61 An der Chemische Werke Hüls GmbH (CWH) war neben der IG das Bergbauunternehmen Hibernia mit 26 Prozent beteiligt. Die Beteiligung sollte der IG die Finanzierung erleichtern. Außerdem diente die Hibernia-Tochter, das Hydrierwerk Scholven AG, als Rohstofflieferant von Gas, das man für das Lichtbogenverfahren benötigte.62 In den Augen der IG hatte eine Beteiligung der Hibernia einen weiteren Vorteil: Dadurch könnte nämlich für jenes Unternehmen ein Anreiz bestehen, die Hydrierproduktion in ihrer Tochtergesellschaft Scholven AG – und damit die dabei anfallende, für die Bunaproduktion in Hüls notwendige Gasproduktion – auch nach dem Ablauf des Hydriergarantievertrages aufrechtzuerhalten.63 Schaubild 3: Inputverbrauch in den Bunawerken Schkopau und Hüls 1941-1944 (pro Einheit Buna S) 250

Einhait pro Einheit Buna S

200

150

100

50

0

1941/I

1941/II

1941/III

1941/IV

1942/I

1942/II

Butadienverbrauch in Schkopau Styrolverbrauch in Hüls

1942/III

1942/IV

Jahr

1943/I

Butadienverbrauch in Hüls acetaldehydverbrauch in Schkopau

1943/II

1943/III

1943/IV

1944/I

1944/II

Styrolverbrauch in Schkopau acetaldehydverbrauch in Hüls

Quelle: BASF Archiv, IG Bestand, F 9 / 57.

Neben einer Beteiligung der Hibernia forderte die IG, dass das Reich für synthetischen Kautschuk eine Preispolitik betreiben sollte, die Spielräume zur Finanzierung weiterer Forschungstätigkeit bei der Bunaproduktion lassen würde. Auch diesem Wunsch wurde entsprochen.64 Die Effizienz des Bunawerks in Hüls war, gemessen am Inputverbrauch, nach Überwindung der Anlaufszeit schnell vergleichbar mit der der Bunafabrik Schkopau.65 Die prognostizierten Kostenvorteile des Lichtbogenverfahrens realisierten sich zumindest teilweise. 1944 konnte in Hüls Buna S 61

Plumpe (1990), S. 374. v. Nagel (1971), S. 36f; Plumpe (1990), S. 375. 63 BArch R 3101 / 18445, Aktenvermerk vom 25.11.1937; Aktenvermerk vom 7.12.1937. 64 BArch R 3101 / 18448, Denkschrift der IG über Ausbau und Finanzierung der drei Bunawerke vom 8.1.1940, Bl. 267; Hayes (1987 a), S. 339. 65 Schaubild 3. 62

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3. Beispielhafte Investitionsentscheidungen

mit 132 RM / 100 kg um fünf RM billiger als in der Buna-I-Anlage produziert werden, obwohl der Output deutlich geringer war.66 Geht man noch einmal auf die Motive der IG ein, für die Buna-II-Anlage anstelle eines Wirtschaftlichkeitsgarantievertrags nur einen Risikoteilungsvertrag abzuschließen, so spricht vieles dafür, dass dies auf die nach Einschätzung des Unternehmens erhöhte Wettbewerbsfähigkeit des synthetischen Kautschuks zurückzuführen ist. Bernhard Lorentz und Paul Erker glauben, dass sich noch eine weitere Entscheidungsvariable der IG geändert habe. Ihrer Meinung nach wurde der Entschluss der IG, für einen Risikoteilungsvertrag zu optieren, auch dadurch beeinflusst, dass man sich nun eines langfristigen Interesses des Reiches an der Bunaproduktion sicher war. Mithin wäre eine vertragliche Abnahmegarantie nicht mehr vonnöten gewesen. Der Verzicht auf eine Absatzgarantie wiederum hätte die IG frei von staatlichen Kontrollen gemacht, was ihr angesichts der Preisvereinbarungen mit dem Reich einen Spielraum für eine Kostenverschleierung gegeben hätte, die sie ausnutzen wollte.67 Nun ist die Überlegung, dass eine geänderte Erwartung hinsichtlich der Dauer der staatlichen Politik die Risikoeinschätzung und damit die Vertragswahl beeinflusst haben müsste, im Grundsatz nicht ohne Berechtigung. Zudem dürfte die IG staatliche Kontrollen ihrer Bücher sicher nicht gewünscht haben, insbesondere gerade dann nicht, wenn der Preis des Produkts, wie im Fall von Buna, nicht durch den Markt, sondern vom Staat festgelegt werden sollte. Dennoch erscheint die Hypothese von Erker und Lorentz nicht überzeugend:

1. Die Autoren belegen nicht die geänderte Einschätzung der IG hinsichtlich der Dauerhaftigkeit des staatlichen Interesses an der Bunaproduktion; sie konstatieren vielmehr generell ein größeres Vertrauen der Industrie auf einen Fortbestand der NS-Wirtschaftspolitik nach 1937.68 Gegen eine derartige Sicherheit der Industrie im allgemeinen und der IG im speziellen hinsichtlich der Fortdauer der Autarkiepolitik spricht aber eine Reihe von Hinweisen in der Literatur und in den Quellen. Zeitgenossen, seien es Unternehmer, Wissenschaftler oder führende Politiker, wiesen auch Ende der 1930er Jahre immer wieder auf den temporären Charakter der forcierten staatlichen und staatlich induzierten Nachfrage hin.69 Eine derartige Unsicherheit über den Fortbestand der staatlichen Politik dürfte auch einer Denkschrift zugrunde liegen, die das IG-Vorstandsmitglied Max Ilgner Mitte 1937 verfasste: „Für eine Reihe von Produktionen, die jetzt unter dem Vierjahres-Plan neu geschaffen werden, wird es schwierig sein, in normalen Zeiten eine dauernde volle Beschäftigung der Gesamtkapazitäten sicherzustellen; auch aus diesem Grund ist es besonders notwendig, im Zuge der Entwicklung der Exportmärkte neue Ausfuhrmöglichkeiten für diese Produktionen zu erschließen.“70 Auch erscheint es im Fall der IG überraschend, warum sie bei anderen Produkten, bei denen der Staat eine Anlagenausweitung wünschte und ebenfalls in den Augen der Industrie die Gefahr unausgelasteter Kapazitäten

66

BASF Archiv, IG Bestand, F 9 / 57. Zum Output, vgl. Morris (1982), S. 278 Tab. 6.2. Lorentz / Erker (2003), S. 34, 45, 80. 68 Ebd., S. 34. 69 Gehrig (1996), S. 53; Siegel / v. Freyberg (1991) 1, S. 276, 284; Budraß (1998), S. 884; J. Winschuh, Gerüstete Wirtschaft, Berlin 1939, S. 3 .Vgl. auch eine Rede von Schacht vom 21. Juni 1938: „Die staatlichen Aufträge in ihrem heutigen Ausmaß sind keine Dauererscheinungen.“ Zitiert nach M. Bosch, Gelenkte Marktwirtschaft, Stuttgart 1939, S. 142. 70 HA ZA 760, Denkschrift über die Exportförderung im Rahmen des Vierjahresplans vom 22.7.1937. 67

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im Fall einer Normalisierung bestand, wie bei der Aluminiumproduktion, bei internen Risikokalkulationen von der Erwartung einer zwei- bis dreijährigen Fortdauer der NS-Wirtschaftspolitik ausging, und zwar etwa zum gleichen Zeitpunkt, zu dem sie im Fall von Hüls von einem langfristigen Interesse des Staates an der Bunaproduktion überzeugt gewesen sein sollte.71 Hinzu kommt, dass die IG noch 1940 einen plötzlichen Rückgang der staatlichen Nachfrage nach synthetischem Kautschuk nicht ausschloss.72 Dieses angebliche Vertrauen erscheint auch insbesondere deshalb fragwürdig, da es sich bei der Bunaproduktion um das mit Abstand größte Investitionsobjekt der IG im Dritten Reich handelte.73 2. Zwar konnte sich die IG hinsichtlich der vertraglichen Prüfungsrechte in den Verhandlungen mit den Behörden durchsetzen. Im Unterschied zu fast allen anderen Risikoteilungsverträgen zwischen Staat und Unternehmen ließ sich das Reich weder im Darlehensvertrag mit der CWH noch im Änderungsvertrag von Schkopau ein umfassendes Prüfungsrecht zusichern.74 Gemäß § 45c (2) RHO konnte das Reich in Ausnahmefällen auf seine grundsätzlich vorgeschriebene Einräumung eines umfassenden Prüfungsrecht in einen derartigem Vertrag verzichten.Vielmehr beschränkte sich das Prüfungsrecht auf die vertragsgemäße Verwendung des Darlehens. Dennoch kann keine Rede davon sein, dass die Bunaproduktion dadurch frei von staatlichen Kontrollmöglichkeiten gewesen wäre. Der Partner der IG bei der Buna-II-Anlage, die Hibernia, war ein Staatsunternehmen. Die Hibernia wurde aber 1933, wie erwähnt, vom Reich unter anderem deshalb zur Aufnahme der Benzinhydrierung mit dem Hydrierwerk Scholven ausgewählt, weil man sich dadurch einen Informationsfluss zu den Behörden über die tatsächlichen Kosten der Benzingewinnung versprach.75 Nach § 48 (4) RHO sollte sich ein staatliches Unternehmen, das eine Beteiligung von mehr als 25 Prozent an einem neu gegründeten Unternehmen hielt, eine angemessene Vertretung im Aufsichtsrat einräumen lassen und durch geeignete Abmachungen den nötigen Einfluss auf die Geschäftsführung sichern. Beiden Forderungen wurde im Fall der Gründung der CWH entsprochen.76 Daher ist anzunehmen, dass die Behörden auch ohne ein entsprechendes, vertraglich zugesichertes Prüfungsrecht Einblicke über die tatsächlichen Kosten der Bunaproduktion in Hüls erhielten.

Dass die gestiegene Wettbewerbsfähigkeit des synthetischen Kautschuks, nicht aber auch eine angeblich geänderte Einschätzung der IG hinsichtlich der Dauer der NSWirtschaftspolitik von zentraler Bedeutung für die Buna-II-Vertragswahl war, zeigen auch die Verhandlungen des Unternehmens mit den Behörden über die BunaIII-Anlage, die im gleichen Zeitraum wie die Gespräche über das Werk Hüls geführt wurden. Gleichzeitig stellt dieses Beispiel eine Erklärung in Frage, die in der Literatur immer wieder im Zusammenhang mit dem Investitionsverhalten der IG bei der Bunaproduktion angeführt wird: Das Unternehmen habe Angst vor der Alternative der Gründung eines staatlichen Bunawerks gehabt, was mit dem damit verbundenen Abtreten des Know-how eine zentrale Ursache dafür gewesen sei, dass die IG sich überhaupt finanziell in der Bunaproduktion engagierte.77 71

Kapitel 5.1. Hayes (1987 a), S. 339. 73 Lorentz / Erker (2003), S. 24. 74 BArch R 3101 / 18448, Vertrag zwischen der Deutschen Revisions- und Treuhand AG und den Chemischen Werken Hüls GmbH vom 13.3. / 14.3. / 20.3.1939, § 5, Bl. 466; BArch R 3101 / 18448, Änderungsvertrag zwischen dem Deutschen Reich und der Buna-Werke GmbH vom 21.6.1940, § 5, Bl. 406. 75 Kapitel 2.2. 76 Lorentz / Erker (2003), S. 58 ff. 77 Vgl. z. B. Wagner (2000), S. 327; Lorentz / Erker (2003), S. 9, 34, 71. 72

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3. Beispielhafte Investitionsentscheidungen

Gespräche über den Bau einer dritten Bunaanlage nach dem Vierstufenverfahren wurden vom Amt für deutsche Roh- und Werkstoffe und der IG seit 1937 geführt.78 Der zuständige Mitarbeiter dieser Vierjahresplanbehörde bestand dabei aus wehrwirtschaftlichen Überlegungen darauf, die Produktionsstätten als ein neues Werk in Fürstenberg an der Oder zu errichten. An der Finanzierung dieses Werks wollte sich die IG im Unterschied zu den bisher realisierten bzw. verhandelten Bunaprojekten lediglich mit einem ganz geringen Anteil beteiligen, bot aber dem Reich an, das Werk zu betreiben.79 Da das Reich den Bau weitgehend selbst finanzieren musste, schlug die IG vor, dass der Staat nicht als Fremdkapitalgeber, sondern als Miteigentümer fungieren soll.80 Angesichts dieser Haltung der IG entbrannte bei dem Amt für deutsche Roh- und Werkstoffe und dem Reichsfinanzministerium (RFM), das formal für Verträge verantwortlich war, eine Diskussion, wie das BunaIII-Projekt im Folgenden zu realisieren sei. Ministerialdirigent Nasse vom RFM erklärte in diesem Zusammenhang, „dass durch die vorgeschlagene Konstruktion gegen den Grundsatz der Vierjahresplanunternehmen verstoßen werde, dass das Reich im allgemeinen nicht selbst als Unternehmer auftritt, und bittet zum Schluß, doch noch mal zu versuchen, ob es nicht möglich ist, die Gummi- sowie die Fahrzeugindustrie als Träger für das dritte Bunawerk zu gewinnen.“81 Diese Branchen hatte man schon zu einem frühren Zeitpunkt, allerdings ohne Erfolg, um einen Finanzierungsanteil gebeten.82 Zugleich wurde angesichts des grundsätzlichen Desinteresses der IG, sich an der Finanzierung zu beteiligen, innerhalb des Amts für deutsche Roh- und Werkstoffe in Erwägung gezogen, das Werk ohne die IG zu betreiben: „Da die I.G. sich grundsätzlich nicht in größerem Umfange an dem BunaWerk III finanziell beteiligen will und das Reich hierdurch zwingt, ein Reichswerk zu gründen, wäre es besser, die I.G. wäre auch nicht an der Betriebsführungsgesellschaft beteiligt. Da die I.G. die Entstehung eines privatwirtschaftlichen Unternehmens verhindert, braucht dem Werk durch eine formale Beteiligung der I.G. auch nicht der Anschein eines privatwirtschaftlichen Unternehmens gegeben zu werden.“83 Letztere Überlegung wurde aber dann doch nicht umgesetzt. In der Folgezeit wurde nämlich sowohl mit der IG als potentiellem Betreiber weiter verhandelt als auch versucht, die Gummi- und Autoindustrie zu einer Beteiligung zu bewegen.84 Eine Vorgehensweise ohne die IG war für das Reich trotz des zugesicherten Zugriffs auf die Verfahrenslizenzen wohl deshalb keine Alternative, weil die staat78

BASF Archiv, IG-Bestand, B 4 / 897, Aktenvermerk vom 11.1.1937; Hayes (1987 a), S. 192f; Plumpe (1990), S. 377; Wagner (2000), S. 35. 79 BArch R 3101 / 18450, Schreiben der IG Farben AG an Göring vom 22.1.1938, Bl. 116f; BArch R 3101 / 18453, Aktenvermerk des Amts für deutsche Roh- und Werkstoffe vom 17.2.1938, Bl. 48; Morris (1982), S. 304. 80 BArch R 3101 / 18450, Schreiben der IG an das Amt für deutsche Roh- und Werkstoffe vom 22.1.1938, Entwurf eines Wirtschaftlichkeitsgarantievertrags § 15, Bl. 116 f. 81 BArch R 3101 / 18453, Aktenvermerk vom 5.2.1938, Bl. 48. 82 BArch R 3101 / 18453, Aktenvermerk vom 1.2.1938, Bl. 30. 83 BArch R 3101 / 18453, Aktenvermerk vom 17.2.1938, Bl. 63. Zu einer knappen Darstellung der Geschichte und der Aufgaben des Amts für deutsche Roh- und Werkstoffe, vgl. Lorentz / Erker (2003), S. 27 f. 84 BArch R 3101 / 18453, Besprechung vom 7.3.1938; Aktenvermerk vom 8.3.1938, Bl. 75.

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lichen Vertreter sich bewusst waren, dass man, „gar keine Erfahrungen für den Betrieb eines derartigen Werkes“85 hatte. Außerdem stand nicht nur das Reichsfinanzministerium, sondern auch das Amt für deutsche Roh- und Werkstoffe auf dem Standpunkt, „dass der Bau weiterer Reichswerke grundsätzlich unerwünscht sei.“86 Dieser Einstellung entsprechend wurde der Gedanke, dass das Reich sich mit Eigenkapital am Buna-III-Werk beteiligen solle, fallen gelassen, ohne dass sich dadurch sein Finanzierungsanteil verringert hätte. Der speziellen Höhe wurde nur insoweit Rechnung getragen, dass Vertreter des Reichs stimmberechtigt im Aufsichtsrat vertreten sein sollte.87 Außer der IG erklärten sich nach Verhandlungen Unternehmen der Kautschukindustrie zu einer geringen Beteiligung bereit, falls der Staat bestimmte Bedingungen erfüllen würde. Manche Unternehmen weigerten sich jedoch, einen finanziellen Beitrag zu leisten, ohne dass dies irgendwelche Probleme mit den Behörden nach sich gezogen hätte.88 Die Automobilindustrie sollte sich nicht beteiligen. Zum Einen war ihr Interesse gering.89 Zum Anderen war ein derartiger Vorschlag des Reichs auf Ablehnung bei den Kautschukverarbeitern gestoßen.90 Für Buna-III sollte ein Wirtschaftlichkeitsgarantievertrag abgeschlossen werden. Weshalb aber wollte die IG trotz der Übernahme des Amortisationsrisikos durch das Reich nur einen so geringen Finanzierungsbeitrag bereitstellen? Warum schlug sie sogar eine Reichsbeteiligung vor, die sie ein Jahr zuvor bei dem Buna-I-Werk noch abgelehnt hatte? Wieso hatte sie 1938, im Unterschied zu Anfang 1937, kein massives Problem mehr damit, die Kautschukindustrie am Buna-III-Werk zu beteiligen? Warum bestand die IG aufgrund ihres sehr geringen Finanzierungsanteils und wegen des staatlichen Einflusses auf das geplante Werk faktisch auf dem Abschluss eines Quasi-Pachtvertrags?91 All dies überrascht angesichts des aus der bisherigen Betrachtung gewonnenen Ergebnisses, dass die Vertragstyppräferenz der IG durch ihre Risikoeinschätzung bestimmt war. Demenstprechend wäre zu erwarten, dass zu diesem Zeitpunkt, zu dem das Unternehmen ja offensichtlich auch schon kurzfristig positive Zukunftserwartungen für Buna hatte, die IG Farben AG für die Anlage in Fürstenberg einen Risikoteilungsvertrag präferiert haben müsste. Trotzdem stand die Forderung nach einem Quasi-Pachtvertrag, wie eine nähere Betrachtung zeigt, keineswegs im Widerspruch zu den bisher gewonnenen Ergebnissen. Im Gegenteil, nach Ansicht der IG lag der vom Reich aufgrund wehrwirtschaftlicher Überlegungen festgelegte Standort zu weit von den Rohstoffen Kalk und 85

BArch R 3101 / 18453, Aktenvermerk vom 28.1.1938, Bl. 31. BArch R 3101 / 18453, Aktenvermerk vom 5.2.1938, Bl. 48. 87 BArch R 3101 / 18451, Aktenvermerk vom 27.4.1938, Bl. 131; Aktenvermerk vom 7.5.1938, Bl. 155. 88 BArch R 3101 / 18451, Schreiben der Fachgruppe Kautschukindustrie an das Reichswirtschaftsministerium vom 28.3.1938, Bl. 56 f. 89 BArch R 3101 / 18451, Aktenvermerk zu einer Besprechung mit der Automobilindustrie vom 8.3.1938, Bl. 79. 90 BArch R 3101 / 18451, Aktenvermerk vom 7.2.1938, Bl. 74. 91 Vgl. zu dieser Interpretation die Einordnung von Unternehmen in der Luftfahrtindustrie mit fast ausschließlicher staatlicher Beteiligung in Kapitel 2.2.2. 86

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3. Beispielhafte Investitionsentscheidungen

Kohle entfernt.92 Auch an den Einsatz eines Lichtbogens war nicht zu denken, da sich im Unterschied zu Hüls kein potentieller Gaslieferant in der Nähe befand.93 Daher war die Produktion in Fürstenberg aus Sicht der IG unwirtschaftlich. Das Unternehmen prognostizierte Selbstkosten, die pro kg Buna S um 30 Rpf höher liegen würden als die, die bei einem Standort zu erwarten waren, den man nach ökonomischen Gesichtspunkten auswählen würde.94 Das bedeutete, dass selbst unter der Annahme einer Abwertung der RM in Höhe der Devaluierungen der anderen Währungen die Bunaproduktion aus diesem Werk gegenüber Naturkautschuk, der „normale“ Weltmarktpreis unterstellt, nicht konkurrenzfähig gewesen wäre. Daher lehnte die IG Fürstenberg als Standort ab.95 Warum aber war die IG Farben AG nicht bereit, sich, wie im Fall von Schkopau im Jahr 1937, im Rahmen eines Wirtschaftlichkeitsgarantievertrags mit einem hohen Betrag zu beteiligen? Denn damals war man ja auch nicht von der langfristigen Zukunftsfähigkeit des Produkts unter Normalbedingungen vollkommen überzeugt gewesen. Der Grund für die Bereitschaft der IG, sich in hohem Maß an der Finanzierung von Schkopau zu beteiligen, dürfte gewesen sein, dass das Unternehmen sich von dem Buna-I-Werk auch dann noch Vorteile versprochen hatte, wenn nach Ablauf der Garantiefrist das Produkt nicht wettbewerbsfähig sein sollte  –  Vorteile, die allerdings bei einer Anlage in Fürstenberg bei einer Produktionsaufgabe von Buna nicht zu erwarten waren: Dort wäre aufgrund des isolierten Standorts der Anlage mit ausschließlicher Herstellung von Buna kein Ausnutzen bestimmter Anlageteile für andere Produkte möglich gewesen. In Schkopau hingegen sollte nicht nur Buna produziert werden, sondern ein Großwerk der Acetylenchemie entstehen. Außerdem lag es gerade einmal fünf Kilometer vom Werk Leuna entfernt.96 Mit anderen Worten, die IG hätte in Schkopau, im Unterschied zu Fürstenberg, nach Ablauf der Garantiefrist auch bei Aufgabe der Bunaproduktion noch mit Vorteilen aus einem Wirtschaftlichkeitsgarantievertrag rechnen können. Die Verhandlungen über das Projekt Fürstenberg führten allerdings aufgrund einer Verzögerungstaktik der IG nicht zu einer Vertragsunterzeichnung, obwohl der Staat wünschte, möglichst schnell die Anlage zu errichten97  –  ohne allerdings Zwangsandrohungen gegenüber der IG auszusprechen, wie die Verhandlungsakten zeigen.98 Im April 1939 wurde der Standort endgültig fallengelassen.99 Fazit dieses gescheiterten Projekts und des Verhaltens der IG ist einmal, dass die Angst vor einem Einblick in die Fertigungstechnologie durch Dritte wohl keine 92

Vgl. BArch R 3101 / 18451, Schreiben der IG an die Reichsstelle für Wirtschaftsaufbau vom 16.6.1938, Bl. 170. 93 BArch R 3101 / 18453, Aktenvermerk vom 17.2.1938, Bl. 62 f. 94 BArch R 3101 / 18451, Besprechung vom 10.5.1938, Bl. 167. 95 BArch R 3101 / 18453, Aktenvermerk des Amts für deutsche Roh- und Werkstoffe vom 17.2.1938, Bl. 62. 96 Morris (1982), S. 296. 97 BArch R 3101 / 18453, Stellungsnahme des Amts für deutsche Roh- und Werkstoffe zu den Fragen des Reichswirtschaftsministeriums vom 1.2.1938, Bl. 44. 98 BArch R 3101 / 18453, insbesondere Aktenvermerk vom 17.2.1938, Bl. 63. Zu den weiteren Verhandlungen, vgl. Morris (1982), S. 305 ff. 99 BASF Archiv, IG-Bestand B 4 / 897, Aktenvermerk vom 18.4.1939.

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entscheidende Rolle spielte, solange man die Anlage nicht für zukunftsfähig hielt. Zweitens ist der Fall Fürstenberg ein weiteres Argument gegen die Hypothese von Lorentz und Erker, nach der seit 1938 die IG von einem dauerhaften Interesse des Reichs an der Bunaproduktion überzeugt gewesen wäre. In diesem Fall nämlich hätte sich die IG doch trotz der voraussichtlich hohen Kosten pro kg Buna auch am Werk Fürstenberg in größerem Umfang beteiligen können und nicht sogar darauf gedrängt, dass das Reich Mehrheitsaktionär werden sollte. 1940 ergaben sich infolge des siegreichen Frankreichfeldzuges neue Perspektiven. Der Staat hatte nun keinen Einwand mehr dagegen, das Buna-III-Werk in Ludwigshafen zu errichten.100 Der Standort Ludwigshafen war schon seit Längerem der Wunsch der IG gewesen, da dort die Voraussetzungen gegeben waren, das neu entwickelte Reppe-Verfahren zur Budatiengewinnung einzusetzen.101 Durch dieses Verfahren versprach man sich eine derartige Selbstkostensenkung, dass selbst ohne Abwertung Buna S preislich gegenüber Naturkautschuk wettbewerbsfähig gewesen wäre.102 Diese, auch Dreistufenverfahren genannte, 1938 entwickelte Technologie hatte gegenüber den herkömmlichen Verfahren wesentliche Vorteile.103 Der Energiebedarf war wesentlich geringer, was vor allem auf den nur halb so großen Acetylenverbrauch zurückzuführen war.104 Außerdem konnte die Anlage auch noch für eine Reihe anderer Produkte verwendet werden, was die IG auch für die Zeit nach dem Krieg zu tun beabsichtigte.105 Angesichts der damit verbundenen weiteren Risikosenkung gegenüber den bisherigen Verfahren ist es nicht überraschend, dass die IG für den Bau dieses Werks lediglich einen impliziten Risikovertrag in Anspruch nahm. Dieser bestand darin, dass das Reich dem Unternehmen im Rahmen einer Preisvereinbarung vom Sommer 1940 zusicherte, dass die Bunapreise derart bestimmt werden sollten, um Kapazitätserweiterungen daraus finanzieren zu können.106 100

Zwischenzeitlich war seit Ende 1939 auch an ein Werk bei Breslau gedacht worden. (BASF Archiv, IG-Bestand, B 4 / 897, internes Schreiben vom 18.11.1939) Dieses Projekt wurde trotz Vorarbeiten eingestellt, weil das Reich angesichts der militärischen Erfolge im Sommer 1940 zunächst kein Interesse mehr an einem weiteren Bunawerk hatte, die vorgesehene Kapazitätserweiterung auch in bestehenden Werken in Frage kam und die IG nun die Kohlenbasis des Standortes als ungünstiger beurteilte als dies ursprünglich der Fall war. BASF Archiv, IG-Bestand, B 4 / 897, Schreiben von Ambros an v. Knierim vom 9.7.1940; Hayes (1987 a), S. 347f; Wagner (2000), S. 37f; R. G. Stokes, Von der I.G. Farbenindustrie AG bis zur Neugründung der BASF (1925–1952), in: W. Abelshauser (Hg.), Die BASF. Eine Unternehmensgeschichte, München 2002, S. 221–358, hier: S. 303 f. 101 Plumpe (1990), S. 379; Stokes (2002), S. 302. Bei dem Reppeverfahren wiederum war die Nähe zur Kohle weniger relevant als bei dem Vierstufenverfahren, da der Kohleverbrauch pro kg Buna wesentlich geringer war. Morris (1982), S. 282. 102 BArch R 3101 / 18446, Aktenvermerk vom 14.4.1939, Bl. 66 f. In der Realität stellte sich aber dann heraus, dass die Herstellungskosten von Buna mit dem Reppeverfahren deutlich höher waren, als man prognostiziert hatte, d. h. die Erwartungen der IG wurden nicht vollkommen erfüllt. Morris (1982), S. 227. 103 Morris (1982), S. 313; Kränzlein (1980), S. 30. 104 V. Nagel (1971), S. 48f; Hölscher (1972), S. 28.. 105 Ter Meer (1953), S. 92; 104f; Morris (1982), S. 328. Vgl. auch generell zur Einschätzung der Reppetechnologie durch die IG, Lorentz / Erker (2003), S. 154. 106 Lorentz / Erker, (2003), S. 51, 80-1.

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3. Beispielhafte Investitionsentscheidungen

Im Verlauf des Krieges wurde noch der Bau einer weiteren Anlage nach der Vierstufentechnologie in Auschwitz in Angriff genommen.107 Sie sollte an ein zu errichtendes kleines Hydrierwerk gekoppelt werden, um das Lichtbogenverfahren anwenden zu können.108 Für die genaue Standortentscheidung  –  auf die grundsätzliche Ansiedlung des Buna-IV-Werkes im Osten hatte sich Göring im November 1940 festgelegt109  –  spielten technische Gründe die zentrale Rolle, nicht aber das damals noch kleine, sich in unmittelbarer Nähe zu dem gewählten Standort befindende Konzentrationslager.110 Dies hebt auch, unmittelbar nachdem die entsprechende Entscheidung getroffen worden war, ein Schreiben des zuständigen IG-Vorstandes Ambros an die Elektrizitätswerke Schlesien AG hervor, in dem betont wird, dass die Wahl auf Auschwitz trotz „großer Schwierigkeiten der Arbeiterbeschaffung“ gefallen sei.111 Dieses Werk sollte unter dem Namen „IG Auschwitz“ das Synonym für die Verstrickung der IG mit dem NS-System werden, da sich das Unternehmen durch den Einsatz von KZ-Häftlingen an dem Tod von mehr als 25.000 Menschen mitverantwortlich machte.112 Hier wünschte die IG Farben aufgrund der Mehrkosten, die bei dem Standort gegenüber einem Ausbau von bereits vorhandenen Bunawerken auftraten, den Abschluss eines Risikoteilungsvertrags.113 Zum einen ließ sich das Unternehmen zusichern, dass zum Ausgleich der Mehrkosten die staatlich festgelegten Preise nicht so schnell gesenkt werden sollten, wie es die Kostenentwicklung der anderen Bunawerke erlaubt hätte.114 Zum anderen wurden außerordentlich hohe Sonderabschreibungen sowie weitere Abschreibungsmöglichkeiten nach der sogenannten „Oststeuerhilfe“ gewährt.115 Dementsprechend war vier Jahre nach Baubeginn bereits mehr als die Hälfte der Investitionen amortisiert.116 Warum sich die IG überhaupt auf den Bau des Buna-IV-Werkes einließ, wird in der Literatur zum Teil widersprüchlich erklärt. Wagner z. B. schreibt: „Den Wunsch der Reichsbehörden nach einem weiteren Buna-Werk konnte der IG-Vorstand daher im Herbst 1940 kaum zurückweisen, da immerhin ein gewisses Risiko bestand, bei einer Verweigerung das Monopol auf die Bunaerzeugung zu verlieren.“117 Weiter heißt es: „Wollte der Konzern seine herausragende Stellung innerhalb der deutschen Wirtschaft behaupten und eine de facto-Verstaatlichung verhindern, blieb den Managern nicht viel anderes übrig, als den Investitionsvorgaben des Reiches 107

Zur IG Auschwitz, vgl. z. B. Wagner (2000); Hayes (1987 a), S. 349 ff. BArch R 3112 / 17, Aktenvermerk Mineralölausbau Schlesien vom 22.6.1941, Bl. 26. 109 BArch R 3112 / 148, Aktenvermerk vom 12.12.1941, Bl. 5. 110 Hayes (1987 a), S. 351; Wagner (2000), S. 72f; Stokes (2002), S. 303 ff. 111 BASF-Archiv, IG-Bestand B 4 / 897, Schreiben von Ambros an die Elektrizitätswerke Schlesien AG vom 27.2.1941. 112 Hayes (1987 a), S. 351ff; Wagner (2000), S. 7. 113 Plumpe (1990), S. 382; Lorentz / Erker (2003), S. 71. 114 Plumpe (1990), S. 382; Wagner (2000), S. 56 f. 115 Zu einer internen Aufstellung der steuerlichen Vorteile einer Werksgründung in den Ostgebieten gegenüber einer im Altreich, vgl. BASF Archiv, IG-Bestand, B 4 / 897, Aktennotiz vom 4.1.1941. 116 Wagner (2000), S. 57. 117 Ebd., S. 327. 108

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zu folgen.“118 Wagner spricht also auf der einen Seite von einem drohenden Investitionszwang, auf der anderen Seite von einem zwangsweisen (?) Verlust des Bunamonopols. Diese Behauptungen sind schon in sich widersprüchlich, werden jedoch durch andere Aussagen noch verwirrender. So stellt sich die Frage, warum die IG Angst vor dem Verlust ihres Monopols haben sollte, wenn sie doch laut Wagner generell die Bunatechnologie für nicht zukunftsfähig und ertragreich betrachtete119 und außerdem, wie der Autor betont, sich das Unternehmen darüber klar zu sein schien, dass der „Bruch des Buna-Monopols durch einen anderen Konzern schon allein wegen der dazu nötigen Fachkenntnisse […] unmöglich“ 120 war. Die in dieser Untersuchung gewonnenen Ergebnisse hinsichtlich des nicht realisierten Bunaprojektes Fürstenberg stützen die Aussage des zuletzt angeführten Zitats. Denn erstens musste seitdem für die IG deutlich gewesen sein, dass das Reich, obwohl es unbedingt dieses Werk bauen wollte, zurückschreckte, dies ohne das Know-how der IG in Eigenregie oder nur mithilfe anderer Unternehmen in Angriff zu nehmen. Dabei hätte es ohnehin keiner Zwangsabtretung der Bunatechnologie bedurft, da die IG, wie erwähnt, ja bereits im Rahmen des Buna-I-Projektes dem Staat das Recht auf die Lizenz zugestanden hatte. Zweitens widerlegt das Verhalten der IG bei den Vertragsverhandlungen beim Bunaprojekt Fürstenberg auch die angebliche Angst vor einer Zwangsinvestition. Wenn diese Überlegungen zutreffen sollten, dann kann man zugleich folgern, dass die IG unter dem Strich betrachtet, unter Berücksichtigung der staatlichen Teilrisikoübernahme, die Investitionen in das Werk Auschwitz durchaus als zukunftsfähig ansah. Dazu passt, wie Wagner an anderer Stelle schreibt, dass nach den Vorstellungen der IG in Auschwitz „das modernste „chemische Großwerk“, das zum ersten Mal die synthetische Erzeugung von Treibstoff und Kautschuk kombinierte“121, entstehen sollte. Fasst man die Ergebnisse zum Investitionsverhalten der IG bei der Bunaproduktion zusammen, so zeigt sich, dass der vom Unternehmen jeweils gewünschte Vertragstyp stark von der Einschätzung abhing, in wieweit das Produkt gegenüber Naturkautschuk wettbewerbsfähig sein würde und in welchem Maß ein Standort bzw. Anlagen auch für andere Produkte genutzt werden könnten. Es zeigt sich außerdem, dass die IG ihre Vertragstyppräferenz gegenüber den Behörden durchsetzen konnte und keine Hinweise auf Zwangsandrohungen oder gar Zwang zu finden sind, sieht man einmal von dem staatlich ausgeübten Druck zur Errichtung einer Versuchsanlage ab. Dieser Befund wird bestätigt durch die Art und Weise, mit der der einzige nachweisliche, sich aus vertraglichen Vereinbarungen ergebende Konflikt zwischen der IG und dem Reich gelöst wurde. Nachdem der Schkopauvertrag aufgehoben worden war, forderte das Reich Mehrerlöse von 9,6 Mio. RM von der IG zurück, die nach einem Prüfungsbericht der Deutschen Revisions- und Treuhand AG noch aus der Vertragszeit anstanden.122 Darauf machte die IG allerdings ver118

Ebd., S. 36. Ebd., S. 55. 120 Ebd., S. 56. 121 Ebd., S. 326. 122 BASF Archiv, IG-Bestand, B 4 / 894, Schreiben der IG an das Reichswirtschaftsministerium vom 23.6.1941. 119

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3. Beispielhafte Investitionsentscheidungen

schiedene Einwände geltend, mit dem Erfolg, dass man sich am Ende auf einen Betrag von nur zwei Mio. RM einigte, den das Unternehmen noch an das Reich abzuführen hatte.123 Tabelle 8: Risikoeinschätzung, Vertragstyppräferenz und Vertragsdurchsetzung bei Bunawerken

Risikobewertung

Anlage

Schkopau (1937)

Hüls (1938 / 39)

Fürstenberg (1938 / 39)

Verfahren

4-Stufenverfahren

4-Stufenverfahren

4-Stufenverfahren

Ludwigshafen (1940) Reppeverfahren

ja

ja

nein

ja

ja

nein

nein

nein

ja

nein

zum Teil

zum Teil

nein

voll

zum Teil

nein

ja

ja

ja

ja

Pachtähnlicher Wirtschaftlichkeitsgarantievertrag

impliziter Risikoteilungvertrag

expliziter Risikoteilungsvertrag

Nein: Projekt eingestellt seitens des Staates

Ja: impliziter Risiko­ teilungsvertrag

Ja: expliziter Risikoteilungsvertrag

Kontrafaktische preisliche Wettbewerbsschwelle erreichbar? Tatsächliche preisliche Wettbewerbsschwelle erreichbar? Konversions­ möglichkeit?

Qualitativ und von der Verarbeitbarkeit annähernd ebenbürtig zu Naturkautschuk?

Wirtexpliziter schaftlich- RisikoteiVertragstyppräferenz der IG keitsgaranlungstievertrag vertrag

Vertragsabschluss?

Ja: Ja: Wirtexpliziter schaftlich- Risikoteikeitsgaranlungstievertrag vertrag

Auschwitz (1941) 4-Stufenverfahren

123

BASF Archiv, IG-Bestand, B 4 / 894, Schreiben der IG an das Reichswirtschaftsministerium vom 11.6.1942.

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3.2 Die Treibstoffgewinnung mit dem Hydrier- und dem Fischer-Tropsch-Verfahren

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3.2 Die Treibstoffgewinnung mit dem Hydrier- und dem Fischer-Tropsch-Verfahren 3.2.1 Wirtschaftliche Entwicklung und staatliche Förderung Das Streben nach einer Autarkie auf dem Treibstoffsektor setzte bereits kurz nach der Machtergreifung ein. Man erkannte, dass gerade angesichts der Erfahrungen des Ersten Weltkriegs, in dem die Ententemächte nach ihrer Aussage „auf einer Woge aus Öl zum Sieg geschwommen sind“124, eine moderne Kriegsführung ohne einen Zugang zu Öl oder ohne eigene Treibstoffquellen von vornherein zum Scheitern verurteilt sein würde.125 Die Chance, in Deutschland jemals in hinreichender Menge Rohöl fördern zu können, um vom Ausland unabhängig zu werden, schätzte man zu Recht als unrealistisch ein. Dennoch forcierte der Staat auch die Erdölförderung. Es wurden umfangreiche und erfolgreiche Erdölbohrungen auf dem Gebiet des Deutschen Reichs durchgeführt.126 Zwischen 1933 und 1944 verdreifachte sich die geförderte Erdölmenge im Deutschen Reich in den Grenzen von 1937.127 Dazu wurde von staatlichen Stellen ein Reichsbohrprogramm aufgestellt.128 Das Reich gab für die Hälfte der Bohrkosten ein Darlehen.129 Faktisch handelte es sich dabei, wie bereits erwähnt, um Risikoteilungsverträge. Außerdem wurden die Rechtsgrundlagen der Erdölgewinnung in Deutschland einschneidend verändert.130 Das Lagerstättengesetz vom 2.12.1934 verpflichtete alle Firmen und geologischen Landesanstalten, ihre geologischen und geophysikalischen Unterlagen der Preußischen Geologischen Landesanstalt zur Verfügung zu stellen.131 Weitaus größere Chancen als bei der Rohölförderung sah man hingegen bei Verfahren, bei denen Treibstoffe aus Kohle gewonnen werden konnten, einem in Deutschland in großer Menge vorhandenen Rohstoff. Diese Verfahren waren relativ neuartig. So forschte die IG Farben AG, wie auch im Fall von Buna, bereits seit Mitte der 1920er Jahre intensiv im Bereich der Gewinnung von Treibstoffen aus Kohle auf Basis des sogenannten IG-Hydrierverfahrens.132 Dabei handelte es sich 124

Zitiert nach H. Tammen, Die I. G. Farbenindustrie Aktiengesellschaft (1925–1933). Ein Chemiekonzern in der Weimarer Republik, Berlin 1978, S. 46. 125 Vgl. dazu auch Scherner (2006 a). 126 R. Karlsch, 1859–1945, in R. Karlsch / R.G: Stokes (Hgg.), Faktor Öl. Die Mineralölwirtschaft in Deutschland 1859–1974, München 2003, S. 15–246, hier: S. 171 f. 127 Vgl. B. Gleitze, Ostdeutsche Wirtschaft. Industrielle Standorte und volkswirtschaftliche Kapazitäten des ungeteilten Deutschland, Berlin 1956, S. 192. 128 Zu einer genauen Darstellung des Reichsbohrprogramms, vgl. T. Kockel, Deutsche Ölpolitik 1928–1938, Berlin 2005. 129 Karlsch (2003), S. 171. Für ein Beispiel, vgl. BArch, R 2301 / 6049, Vertrag zwischen der Deutschen Revisions- und Treuhand-AG im Auftrag des Reiches und der Thüringer Rohstoff AG über Aufschlußarbeiten vom 6.12.1937, Bl. 25-32. Nach Becker trug der Staat zeitweise nur einen Anteil von 40 Prozent. Becker (1936), S. 122. 130 Vgl. genauer Karlsch (2003), S. 171. 131 Ebd. 132 Zu einer genaueren Verfahrensbeschreibung, vgl. Birkenfeld (1964), S. 15f; zu den Anfängen

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3. Beispielhafte Investitionsentscheidungen

um eine Weiterentwicklung der 1913 begonnen Arbeiten des späteren Nobelpreisträgers Friedrich Bergius zur „Kohleverflüssigung“, also dem Verfahren, Kohle durch Erhitzung unter hohem Druck Wasserstoff anzulagern.133 Seit 1927 gab es auf Basis der Hydrierung von Braunkohlenteer bereits eine, allerdings noch relativ bescheidene Produktion in Leuna.134 Erst Ende 1932 war man so weit, ein für die Großproduktion auf Braunkohlebasis technisch ausgereiftes Verfahren einzusetzen.135 Neben dem Hydrierverfahren gab es mit dem Fischer-Tropsch-Verfahren noch eine weitere neuartige Technologie, die im Dritten Reich für die Gewinnung von Treibstoff aus Kohle von zentraler Bedeutung war.136 Es war am Kaiser-Wilhelm-Institut für Kohlechemieforschung in Mülheim ausgearbeitet worden und konnte auch mit Vergasungsprodukten der Kohle betrieben werden.137 Im Unterschied zum Hydrierverfahren erforderte das Fischer-Tropsch-Verfahren keinen hohen Druck, was zu einer Vereinfachung der technischen Anlagen führte. Außerdem konnten mit dieser Technologie alle kohlenstoffhaltigen Brennstoffe verarbeitet werden, so auch der schwer absetzbare Braunkohlekoks (Grudekoks).138 Neben der Treibstofferzeugung war das Fischer-Tropsch-Verfahren zudem noch zur Herstellung von Schmierölen, Hartparaffin sowie anderen Ausgangsstoffen für die chemische und die Kunststoffindustrie geeignet.139 Gefördert wurde die synthetische Treibstoffindustrie durch verschiedene Verfahren. In der Regel schlossen Unternehmen beim Bau von Hydrierwerken oder Fischer-Tropsch-Anlagen, mit der Ausnahme von drei Fällen, in denen Unternehmen keine staatlich zugesicherte, vertraglich geregelte Förderung in Anspruch nahmen, Wirtschaftlichkeitsgarantieverträge ab oder ließen sich vom Reich eine Wirtschaftlichkeitszusage verbriefen.140 Seit 1939 kamen, wie erwähnt, auch sogenannte Gruppenverträge zum Einsatz.141 Seit 1936 / 37 begnügten sich dabei die Unternehmen im Allgemeinen mit der Zusicherung einer Wirtschaftlichkeitszusage, also dem schriftlich fixierten Versprechen des Staates, mit dem Unternehmen einen Wirtschaftlichkeitsgarantievertrag abzuschließen. Das lag daran, dass seit 1936 aufgrund der starken Zollerhöhung ein expliziter Vertrag nicht mehr unbedingt notwendig war, weil diese in der Regel die Rentabilität der synthetischen Treibstoffe gewährleistete. Da die Unternehmen aber der Kohleverflüssigung, vgl. M. Rasch, Friedrich Bergius und die Kohleverflüssigung: Stationen einer Entwicklung, Bochum 1985. 133 Birkenfeld (1964), S. 14 f. 134 Plumpe (1990), S. 257. 135 Tammen (1978), S. 95; Plumpe (1990), S. 257. 136 Daneben spielten bei der Treibstoffgewinnung noch traditionelle Verfahren wie die Schwelung und die Braunkohlenteer- sowie Steinkohlenteerdestillation eine, wenn auch geringere Rolle. Birkenfeld (1964), S. 9. 137 Becker (1936), S. 148. 138 J. Boehmer, Gesprengte Rohstoff-Fesseln, Kohle, Erze, Holz, Steine und Erden, Berlin 1943, S. 11 f. 139 F. Kainer, Die Kohlenwasserstoffsynthese nach Fischer-Tropsch, Berlin 1950, S. III; Kränzlein (1980), S. 23. 140 Kapitel 3.2.2, Tabelle 13. 141 Kapitel 2.2.2.

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3.2 Die Treibstoffgewinnung mit dem Hydrier- und dem Fischer-Tropsch-Verfahren

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nicht ausschließen konnten, dass eines Tages eine solche Zollpolitik revidiert werden könnte, war der Rechtsanspruch auf Abschluss eines Wirtschaftlichkeitsgarantievertrags aus Sicht der Unternehmen unabdingbar.

Schaubild 4: Gasölpreise im Deutschen Reich und auf dem Weltmarkt 1928 (1930) - 1939 (RM)

20 18 16

RM pro 100 kg

14 12 10 8 6 4 2 0

1928

1929

1930

1931

1932

1933

1934 Jahr

Deutsches Reich

1935

1936

1937

1938

1939

Weltmarkt

Quelle: Statistisches Jahrbuch für das Deutsche Reich, verschiedene Jahrgänge.

Diese Zollpolitik wurde ganz bewusst vom Reich betrieben, um die tatsächlichen Kosten des Ausbaus der Hydrier- und Fischer-Tropsch-Anlagen vom Reich auf den Verbraucher abzuwälzen. Als man sich nach 1936 dazu entschloss, die synthetische Dieselproduktion auszubauen, erhöhte man den Zoll derart, dass er nicht mehr nur, wie zuvor, einen fiskalischen Charakter hatte, sondern insbesondere die Wettbewerbsfähigkeit des auf synthetischem Weg hergestellten deutschen Produkts gewährleisten sollte.142 Auch bei Benzin wurde durch Zölle bewusst die Schere zwischen Inlands- und Weltmarktpreisen immer weiter geöffnet.143 So erhöhte man im Dezember 1936, also unmittelbar nach der Implementierung des Vierjahresplans, den Benzinzoll um vier RM pro kg.144 Zu einer derartigen Politik war im Übrigen der Reichsfinanzminister bereits 1934 im „Gesetz zur Übernahme von Garantien zum Ausbau der Rohstoffwirtschaft“ ermächtigt worden.145 Mit anderen Worten: Wie bei Buna wälzte das Reich auch bei Diesel und Benzin mit zunehmendem staatlich induzierten Ausbau im Verlauf der 1930er Jahre die auf den Staat zukommenden Kosten durch Zölle auf die Verbraucher ab. Durch diese Politik konnte das 142

BArch R 3101 / 18316, Schreiben des Reichswirtschaftsministeriums an den Reichskommissar für Preisbildung vom 25.1.1937, Bl. 94f; BArch R 3101 / 18353 / 1, Aktenvermerk vom 20.12.1938; vgl. auch Lurie (1947), S. 195; Birkenfeld (1964), S. 101. 143 Vgl. z. B. Mackenroth (1938), S. 719ff; Petzina (1968), S. 173. 144 Akten der Reichskanzlei, Regierung Hitler, Bd. III: 1936, S. 713. 145 Vgl. dazu Scherner (2006 a).

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3. Beispielhafte Investitionsentscheidungen

Reich seit Mitte der 1930er Jahre zum Teil sogar Einnahmen aus der Mehrerlösregelung der Wirtschaftlichkeitsgarantieverträge erzielen.146

Schaubild 5: Benzinpreise im Deutschen Reich und auf dem Weltmarkt 1928-1939 (RM) 40 35

RM pro 100 kg

30 25 20 15 10 5 0

1928

1929

1930

1931

1931

1933

1934

1935

1936

1937

1938

1939

1940

Jahr

Deutsches Reich

Weltmarkt

Quelle: Statistisches Jahrbuch für das Deutsche Reich, verschiedene Jahrgänge.

Insofern bestätigt sich bei der Treibstoff-, ebenso wie schon bei der Bunaproduktion, die Vermutung, dass die Mehrerlösregelung in den relevanten Garantieverträgen dafür spricht, dass der Staat von vornherein beabsichtigte, die Kosten zu überwälzen. Denn ebenso wie bei Buna war der Staat nicht der überwiegende oder gar ausschließliche Nachfrager dieser Produkte. Noch 1940 machte der Treibstoffverbrauch der Wehrmacht gerade 50 Prozent des gesamten deutschen Konsums aus.147 Die Art der Vertragsgestaltung und die zollpolitischen Absichten bzw. Maßnahmen hingen also zusammen. Das Investitionsvolumen für die synthetische Treibstoffproduktion war dabei unter allen Autarkiegütern am Größten. Das seit 1933 in Hydrier- und in FischerTropsch-Anlagen investierte Kapital betrug Ende 1943 ca. 3,3 Mrd. RM148, was zusammen in etwa den gesamten ausgewiesenen Industrieinvestitionen in Deutschland im Boomjahr 1938 entsprach.149 Insgesamt wurden 20 Treibstoffwerke  –  neun Fischer-Tropsch- und elf Hydrieranlagen  –  errichtet, wobei allein auf die Braunkohle-Benzin-AG (BRABAG) vier entfielen.150 Bis auf die Sudetendeutschen Hydrierwerke und das Hydrierwerk Scholven AG war an allen anderen Hydrieranla146

Vgl. z. B. Plumpe (1990), S. 278. Birkenfeld (1964), S. 221 Übersicht 6. 148 BArch R 3101 / 18220, Bl. 716 ff. Bei der Angabe zu Gelsenberg handelt es sich offensichtlich um einen Schreibfehler. Hier wurden die Angaben von Mollin verwendet. Vgl. Mollin (1988), S. 81. 149 Statistisches Jahrbuch für das Deutsche Reich 1941 / 42, S. 612. 150 Kapitel 3.2.2, Tabelle 9. 147

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3.2 Die Treibstoffgewinnung mit dem Hydrier- und dem Fischer-Tropsch-Verfahren

107

Schaubild 6: Kautschukpreise im Deutschen Reich und auf dem Weltmarkt 1928-1939 (RM) 300

250

RM pro 100 kg

200

150

100

50

0

1928

1929

1930

1931

1931

1933

1934

1935

1936

1937

1938

1939

Jahr

Deutsches Reich

Weltmarkt

Quelle: Statistisches Jahrbuch für das Deutsche Reich, verschiedene Jahrgänge.

gen die Privatwirtschaft mehrheitlich beteiligt und in der Regel sogar alleiniger Eigentümer.151 Die weitaus größere Bedeutung, was sowohl die Treibstoffversorgung als auch das Investitionsvolumen anbelangt, hatten die Hydrieranlagen.152 Allerdings ist nicht klar, in welchem Umfang es sich bei den privatwirtschaftlichen Investitionen in die Treibstoffanlagen um ein freiwilliges Engagement handelte. Denn manche Fälle, in denen von Zwang oder Zwangsandrohungen die Rede ist, sind nur unzureichend belegt.153 Und in anderen Fällen gibt es widersprüchliche Aussagen. Hinzu kommt, dass manche Vertragsabschlüsse bzw. Treibstoffwerke bisher noch gar nicht Gegenstand der Forschung waren. Die Beantwortung der Frage nach Zwang oder Freiwilligkeit ist aber die unabdingbare Voraussetzung für die Überprüfung der zentralen Hypothese dieser Untersuchung, dass der Abschluss eines bestimmten Vertragstyps von der Einschätzung der Unternehmen hinsichtlich der Zukunftsfähigkeit des mit den neu errichteten Anlagen unter Normalbedingungen abhing. Daher sollen im Folgenden, soweit möglich, zunächst die Vertragsverhandlungen im Treibstoffsektor betrachtet werden. Im Vordergrund stehen dabei die Fälle, in denen es Hinweise darauf gibt, dass privatwirtschaftliche Investitionen nicht auf freiwillige Entscheidungen zurückzuführen sind.

151

Ebd. Zur Treibstoffproduktion, vgl. Birkenfeld (1964), S. 233. Auf Fischer-Tropsch-Anlagen entfiel dabei ein Investitionsvolumen von ca. einer halben Mrd. RM. BArch R 3101 / 18220, Bl. 716 ff. 153 Kapitel 3.2.2, Tabelle 9. 152

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3. Beispielhafte Investitionsentscheidungen

3.2.2 Zwang oder Freiwilligkeit? Birkenfeld führt im Kontext mit staatlichem Zwang auf Gesetzesgrundlage oder staatlichem Druck (ohne gesetzliche Grundlage) die Gründungen der BRABAG, der Union Rheinische Braunkohlen-Kraftstoff AG, der Gelsenberg-Benzin AG und der Oberschlesischen Hydrierwerke AG, Mollin, Kroll, Lurie und Nathan dagegen die Ruhrbenzin AG an.154 Allerdings belegt Birkenfeld seine Aussage zur Oberschlesischen Hydrierwerke AG in Blechhammer gar nicht. Er weist lediglich an anderer Stelle darauf hin, dass die Fachgruppe Steinkohlenbergbau dem Projekt 1938 ablehnend gegenüberstand.155 Sein Beleg zur Union Rheinische Braunkohlen-Kraftstoff AG und der Gelsenberg-Benzin AG wiederum beruht auf Angaben, die der ehemalige Vorstandsvorsitzende der Union Rheinische Braunkohlen-Kraftstoff AG 1960 machte.156 Als unklar bezeichnet Birkenfeld die Anlagen der Wintershall AG und der Hydrierwerke Pölitz AG.157 Während bei Hayes die Investitionen in die Fischer-Tropsch- und Hydrierwerke 1936 in vorauseilendem Gehorsam erfolgten, gab es wiederum nach Plumpe generell bei den Ruhranlagen keinen Zwang.158 Auch die Investitionen der Wintershall AG beruhten seiner Meinung nach auf einer freiwilligen Entscheidung. Unmittelbarer Zwang traf tatsächlich im Fall der sogenannten Pflichtgemeinschaft der Braunkohlenindustrie zu, wie das auch im Allgemeinen in der Literatur, sieht man einmal von Mollin ab, behauptet wird.159 Die größten deutschen Braunkohleproduzenten wurden auf der Grundlage der „Verordnung über die Errichtung wirtschaftlicher Pflichtgemeinschaften in der Braunkohlenwirtschaft“160 vom 28.9.1934, die offensichtlich auf die Initiative des neuen Wirtschaftsministers Schacht zurückging, gezwungen, Kapital zur Finanzierung der Benzinwerke der BRABAG aufzubringen.161 Rechtsgrundlage für diese Verordnung war das „Gesetz über die Wirtschaftlichen Grundlagen“ vom 3.6.1934, das in § 1 (1) den Reichswirtschaftsminister „ermächtigt, innerhalb seines Geschäftsbereichs Maßnahmen zu ergreifen, die er zur Förderung der deutschen Wirtschaft für notwendig hält.“ 162 Diese Maßnahmen, die gemäß § 1 (2) von bestehenden, also wohl bisher üblichen abweichen durften, mussten dabei bis Ende September durch den Reichswirtschaftsminister ergriffen werden, da das Gesetz gemäß § 3 nur bis zum 30.9.1934 Gültigkeit besaß. Hintergrund dieses Gesetzes war der Umstand, dass sich das Reichswirt154

Birkenfeld (1964), S. 139; Mollin (1988), S. 66; G. Kroll, Von der Weltwirtschaftskrise zur Staatskonjunktur, Berlin 1958, S. 508; O. Nathan, The Nazi Economic System. Germany‘s Mobilization for War, Durham / N.C. 1944, S. 167; Lurie (1947), S. 194. Karlsch spricht allgemein davon, dass bei vielen Werken Zwang ausgeübt worden wäre, ohne dies allerdings zu belegen. Karlsch (2003), S. 199. 155 Birkenfeld (1964), S. 133. 156 Ebd., S. 108 ff. 157 Ebd., S. 139. 158 Plumpe (1990), S. 274. 159 Mollin (1988), S. 288. 160 RGBl. 1934 I, S. 863 f. 161 Birkenfeld (1964), S. 37–42; Hayes (1987 a), S. 133 f. 162 RGBl. I 1934, S. 565. Vgl. auch Becker (1936), S. 151.

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3.2 Die Treibstoffgewinnung mit dem Hydrier- und dem Fischer-Tropsch-Verfahren

109

schaftsministerium angesichts der Zahlungsbilanzkrise vom Frühsommer 1934 zum schnellen Handeln gezwungen sah, zumal, wie in der geheimen Gesetzesbegründung hervorgehoben wurde, eine Verbesserung der Devisenlage in absehbarer Zeit nicht erwartet wurde.163 Tabelle 9: Die Investitionen in Fischer-Tropsch- und Hydrieranlagen (Stand Ende 1943) und ihre Aufteilung in freiwillige, staatliche und Zwangsgründungen laut Literatur InvestitiFreiwilligonen Zwang keit (Mio RM)

Hydrierwerke nach dem IG-Verfahren

X

X X

X

X

Ammoniakwerk Merseburg GmbH BRABAG Hydrierwerk Scholven AG Gelsenberg-Benzin-AG Hydrierwerk Pölitz AG Union Rheinische-Braunkohlen AG Sudetenländische Treibstoffwerke AG Oberschlesische Hydrierwerke AG Wintershall AG

280 295 133 308 395 270 575 465,5 k.A.

Ruhrbenzin AG BRABAG Gewerkschaft Victor Gewerkschaft Rheinpreußen GmbH Wintershall AG Schaffgotsch-Benzin GmbH Hoesch-Benzin GmbH Chemische Werke Essener Steinkohle AG Krupp-Treibstoffwerk GmbH

25 140 16 44,5 195 43 18,5

X X

X

X

22

X

X

22

X

X

Fischer-Tropsch-Anlagen

X X

Unklar

Staatliches Unternehmen

X X X

X

X

X X X X

X

Quelle: Zum Investitionsvolumen, vgl. BArch R 3101 / 18220, Bl. 716-719. Für Gelsenberg, vgl. Mollin (1988), S. 81. Bei der Schaffgotsch Benzin GmbH wurde in Ermangelung von Angaben über die getätigten Investitionen das Kapital der Gesellschaft verwendet, das bei allen Werken in der Regel etwas höher als die getätigten Investitionen war. Bei der Wintershall AG umfassen die bei der Fischer-Tropsch-Anlage angeführten Investitionen auch die in die Hydrieranlage des Unternehmens. Zu der Kategorisierung der einzelnen Werke in der Literatur, vgl. Text.

Die Ursache für die erwähnte Zwangsgründung war, dass zu diesem Zeitpunkt die Braunkohleproduzenten den Braunkohlehydrierprojekten des Staates durchgängig, wenn auch aus unterschiedlichen Gründen, ablehnend gegenüber standen. Die meisten Produzenten waren lediglich bereit, die Benzingewinnung im Rahmen ei163

Zur Zahlungsbilanzkrise, vgl. z. B. Tooze (2006), S. 71–87; zur geheimen Gesetzesbegründung, vgl. BA-MA RH 8 / 942.

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3. Beispielhafte Investitionsentscheidungen

ner Ausdehnung ihrer traditionellen, wenig kapitalintensiven Schwelproduktion zu betreiben, die aber für die Ziele des Staates aus verschiedenen Gründen unzureichend war.164 Denn bei der Braunkohleschwelung konnte lediglich ein geringer Anteil Benzin, zum weitaus größeren Teil jedoch nur Heizöl und Diesel, also sogenannte schwere Kraftstoffe, gewonnen werden.165 Insbesondere fiel das zu diesem Zeitpunkt schwer verwertbare Abfallprodukt Schwelkoks (Grudekoks) an.166 Auch die IG Farben AG – einer der größten deutschen Braunkohlehersteller – hatte, anders als manchmal in der Literatur angedeutet wird167, nach dem „Benzinvertrag“ vom Dezember 1933, in dem das Reich dem Unternehmen Preis- und Absatzgarantien für den Ausbau der Benzingewinnung auf Braunkohlebasis in Leuna gewährt hatte, überhaupt kein Interesse, sich an der Errichtung weiterer Hydrierwerke, die diesen Rohstoff verarbeiteten, finanziell zu beteiligen. Sie hatte zwar die Projektierung weiterer Braunkohlehydrierwerke als Mitglied einer Anfang 1934 durch den damaligen Reichswirtschaftsminister Schmitt einberufenen Hydrierkommission tatkräftig unterstützt.168 Möglicherweise ging die Idee, weitere Werke auf Braunkohlebasis zu errichten, sogar auf ihre Anregung zurück.169 Auch war klar, dass die Gründung weiterer Hydrierwerke für die IG aufgrund der damit verbundenen Lizenzeinnahmen erwünscht war.170 Sie versprach sich aber selbst mehr von Investitionen in die vielseitiger verwendbare Steinkohlehydrierung.171 Die ablehnende Haltung der IG, sich an der BRABAG-Finanzierung zu beteiligen, wird durch einen neuen Quellenbefund belegt.172 Überdies zeigt dieses, vom 18.9.1934 datierte Dokument, dass die IG, wohl im Unterschied zu den anderen Braunkohleproduzenten, bereits vor der von Schacht am 21.9.1934 im Reichswirtschaftsministerium einberufenen Versammlung über die Absichten des Reiches hinsichtlich einer Zwangsgründung informiert war.173 In diesem Dokument heißt es: „Die deutsche Regierung plant […] den beschleunigten Bau einer Reihe BenzinFabriken auf Basis Braunkohle. Wir versuchen, die wirtschaftliche Entwicklung […] folgendermassen zu modifizieren: 164

BArch R 43 II / 372, Aktennotiz vom 9.7.1934; Becker (1936), S. 139ff; Birkenfeld (1964), S. 12f, 26, 37f; G. Valentin, Die Gründung der Braunkohle-Benzin AG (Brabag) und die Förderung ihrer Entwicklung – staatsmonopolistische Maßnahmen der deutschen Finanzoligarchie zur Vorbereitung und Durchführung des zweiten Weltkriegs, Diss. Halle 1963, S. 65. 165 Darunter versteht man die schonende Erhitzung der Braunkohle mit anschließender Destillation des dabei gewonnenen Teeres und der Öle. Birkenfeld (1964), S. 12. 166 Ebd., S. 13. 167 Valentin (1963), S. 3, 73f; Hayes (1987 a), S. 134. 168 BASF Archiv, M 42, Schreiben von Schmitt an Pott vom 3.2.1934. 169 So finden sich im BASF-Archiv in den Akten über das erste BRABAG-Werk in Böhlen ausführliche technische Pläne zu einer Hydrierfabrik an diesem Standort, die vom Herbst 1933 stammen. BASF Archiv, M 53, Dokument Böhlen vom 11.9.1933. 170 Vgl. dazu auch Hayes (1987 a), S. 134. 171 BASF-Archiv, IG-Bestand C 121 / 11, Bericht über die 35. Sitzung der Technischen Direktion am 17.10.1933 in Ludwigshafen, S. 9. 172 BASF-Archiv, IG-Bestand B 140, Aktennotiz vom 18.9.1934; Plumpe (1990), S.285. 173 BASF-Archiv, IG-Bestand B 140, Aktennotiz vom 18.9.1934. Nach Birkenfeld lud Schacht am 18.9.1934 die größeren deutschen Braunkohlegesellschaften zu einer gemeinsamen Sitzung am 21.9.1934 ein und eröffnete diesen erst zu diesem Zeitpunkt seine Pläne. Birkenfeld (1964), S. 38.

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3.2 Die Treibstoffgewinnung mit dem Hydrier- und dem Fischer-Tropsch-Verfahren

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1) Nicht zu schnelles Bautempo zwecks Ausnutzung jeweilig gemachter neuer technischer Fortschritte; 2) Nicht vollkommen durchgeführte Autarkie; für eine Reihe von Jahren sollen 30% der gesamten Mineralöleinfuhr den Importeuren vorbehalten bleiben; 3) Ausbau soll gleichzeitig  –  wenigstens zum Teil  –  auf Rohöl […] und Braunkohle durchgeführt werden.

Gleichzeitig wurde in diesem Dokument festgehalten, dass man versuchen sollte, die Regierung auch dahingehend zu beeinflussen, eine Bevorratung durchzuführen. Nachdem dann im Folgenden detailliert die Pläne der Regierung zur beabsichtigten Zwangsgründung dargestellt werden, nämlich durch eine Umlage in Relation zur Förderung der jeweiligen Braunkohleproduzenten das notwendige Kapital zu beschaffen, endet das Dokument mit Überlegungen, wie die IG vorgehen solle, damit man von dieser Zwangsumlage befreit werden würde. Dazu sollte auf das schon getätigte Engagement bei der Hydrierung, aber auch in anderen autarkierelevanten Bereichen, etwa bei Leichtmetallen, verwiesen werden. Aus all diesen unterschiedlichen Gründen waren die Braunkohlehersteller nicht bereit, freiwillig in die Anlagen zu investieren, obwohl das Reich den Unternehmen anbot, einen Wirtschaftlichkeitsgarantievertrag abzuschließen.174 Trotz massiver Proteste durch die betroffenen Unternehmen, einschließlich der IG, wurden die staatlichen Pläne zu einer Zwangsgründung durchgeführt.175 Faktisch handelte es sich allerdings mehr um eine Zwangsanleihe als um Zwangsinvestitionen. Diese Interpretation legt jedenfalls folgender Aktenvermerk des Reichswirtschaftsministeriums nahe: „Den Mitgliedern der Pflichtgemeinschaft der Braunkohlen-Industrie sei s.Zt. vom Präsidenten Dr. Schacht zugesagt worden, daß sie einerseits das Grundkapital der Brabag in Höhe von 100 Millionen RM nach 10 Jahren zurückerhalten sollten und andererseits bis dahin eine 5%ige Dividende auf das Grundkapital bekommen würden.“176 Die Gesamthaftung der in der Pflichtgemeinschaft erfassten Unternehmen sollte dabei 200 Mio. RM nicht überschreiten, woran man sich im Folgenden auch hielt.177 Auf staatlichen Druck lässt sich die 1937 erfolgte und Ende 1936 ins Auge gefasste Gründung der Union Rheinische Braunkohlen-Kraftstoff AG, ein Gemeinschaftsunternehmen des Rheinischen Braunkohlebergbaus, zurückführen.178 So heißt es in einem Schreiben der Union Rheinische Braunkohlen-Kraftstoff AG an das Reichswirtschaftsministerium: „Man hat uns aus staatspolitischen Gründen zu der Gründung der Gesellschaft, der Errichtung des Kraftstoffwerkes und dann 174

Ebd., S. 37 f. BASF-Archiv, IG-Bestand B 140, Aktennotiz vom 18.9.1934; Vorschlag der IG Farben AG an Schacht vom 4.10.1934. 176 BArch R 3101 / 18353 / 9, Aktenvermerk über eine Besprechung im Reichswirtschaftsministerium mit Vertretern der Brabag vom 11.4.1938, Bl. 74. 177 BArch R 3101 / 18353 / 8, Schreiben des Reichswirtschaftsministerium an das Reichsfinanzministerium vom 3.2.1938, Bl. 291f; BArch R 3101 / 30295, Aktenvermerk vom 28.3.1939, Bl. 28 f. 178 BArch R 3101 / 18220, Schreiben des Amts für deutsche Roh- und Werkstoffe an die Union Rheinische Braunkohlen-Kraftstoff AG vom 5.5.1937, Bl. 609. Ein Wirtschaftlichkeitsgarantievertrag mit den üblichen Inhalten wurde 1941 abgeschlossen. BArch R 3101 / 18348, Vertrag mit der Union Rheinische Braunkohlen-Kraftstoff AG, Wesseling vom 16.1. / 12.2.1941. 175

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3. Beispielhafte Investitionsentscheidungen

noch  –  gegen unsere ernstesten Bedenken und trotz unseres 9 Monate geleisteten Widerstands  –  zu ihrer Erweiterung um 50% veranlaßt.“179 Das Desinteresse der rheinischen Braunkohleproduzenten, freiwillig eine Anlage zu errichten, war dabei auf ihre Überzeugung zurückzuführen, dass der vom Reich gewünschte Standort ungeeignet für eine Hydrieranlage auf Kohlebasis war. Erstens ging man von einer nur kurzen Lebensdauer des rheinischen Braunkohlereviers aus und zweitens hielt man die dort geförderte Kohle aufgrund bestimmter Eigenschaften ungeeignet für die Hydrierung.180 Dementsprechend war das Unternehmen auch gar nicht abgeneigt, als mit Kriegsausbruch aufgrund wehrwirtschaftlicher Überlegungen die Behörden erwogen, das Projekt zu stoppen, dessen Bau zu diesem Zeitpunkt noch nicht abgeschlossen war. Allerdings kann nur ein Teil des Investitionsvolumens der Union Rheinische Braunkohlen-Kraftstoff AG als ein auf Zwang bzw. Druck beruhender Tatbestand gewertet werden. Das lag zum Einen daran, dass die beteiligten Unternehmen das Werk zu einem großen Teil mit Fremdkapital durch die Aufnahme einer Anleihe finanzierten. Für diese übernahm aber das Reich, wie auch im Fall der Fremdkapitalfinanzierung der BRABAG, die Rückbürgschaft, was bedeutete, dass damit die Kreditwürdigkeit der Aktionäre nicht gemindert wurde.181 Zum Anderen kann nur ein Teil des Aktienkapitals als ein neuer Zwangstatbestand gewertet werden, wie folgende Überlegungen zeigen. So heißt es in einem Schreiben der Union Rheinische Braunkohlen-Kraftstoff AG an das Reichsfinanzministerium: „Unsere Gesellschaft ist kürzlich auf Wunsch des Reiches gegründet worden. Die Errichtung einer Braunkohlen-Kraftstoffanlage im Rheinland wäre an sich Aufgabe der Pflichtgemeinschaft bzw. der Braunkohle-Benzin Aktiengesellschaft gewesen. Auf ausdrücklichen und gemeinsamen Wunsch des Amts des Herrn Ministerpräsidenten Generaloberst Göring (Amt für deutsche Roh- und Werkstoffe) und des Herrn Reichswirtschaftsministers Reichsbankpräsident Dr. Schacht haben sich unsere Gründerfirmen, 7 Werke des Rheinischen Braunkohlebergbaus, bereitgefunden, unsere Gesellschaft als selbständiges Unternehmen zu gründen und ohne Inanspruchnahme der Braunkohle-Benzin Aktiengesellschaft und der Pflichtgemeinschaft zu finanzieren. Dass wir damit der Braunkohle-Benzin Aktiengesellschaft einen Teil ihrer Aufgaben abgenommen haben, ist auch dadurch zum Ausdruck gekommen, dass wir die schriftliche Zusicherung des Herrn Reichswirtschaftsministers erhal179

BArch R 3101 / 18348, Schreiben der Union Rheinische Braunkohlen-Kraftstoff AG an das Reichswirtschaftsministerium vom 5.10.1939. Vgl. auch BArch R 3101 / 18348, Aktenvermerk vom 21.7.1938, in dem davon die Rede ist, dass den rheinischen Braunkohleproduzenten vom Amt für deutsche Roh- und Werkstoffe die Errichtung des Werks Wesseling „zur Auflage“ gemacht worden ist. Vgl. auch BArch R 3101 / 18348, Aktenvermerk zu einer Besprechung im Reichswirtschaftsministerium am 29.11.1939. 180 BArch R 3101 / 18348, Aktenvermerk zu einer Besprechung im Reichswirtschaftsministerium am 29.11.1939. 181 BArch R 3101 / 18348, Gewährleistungserklärung des Reichsfinanzministers gegenüber der Union Rheinische Braunkohlen-Kraftstoff AG für eine 60 Mio. RM Anleihe vom 1.10.1940. Zur BRABAG, vgl. BArch R 3101 / 18353 / 8, Aktenvermerk vom 27.1.1938, Bl. 300; BArch R 3101 / 18222, Bürgschaftserklärung des Reichsfinanzministers für das Versicherungsdarlehen von 25 Mio. RM vom 23.10.1940, Bl. 470 f.

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ten haben, dass uns der Bau unserer Anlagen auf unsere Beteiligung an den Aufgaben und Lasten der Pflichtgemeinschaft bzw. der Braunkohle-Benzin Aktiengesellschaft voll angerechnet wird.“182 Mit dieser Anrechnung war gemeint, dass die Rheinischen Braunkohleproduzenten ihre Aktien an der BRABAG zur Finanzierung ihres Eigenkapitals verpfänden durften.183 Insgesamt bestätigen die Quellenfunde die auf eine Aussage des ehemaligen Vorstandsvorsitzenden der Union Rheinische Braunkohlen-Kraftstoff AG aus dem Jahr 1960 gestützte Behauptung Birkenfelds, dieses Unternehmen sei auf staatlichen Druck hin entstanden. Da diese Quelle, in der außerdem auch von einem vergleichbaren Vorgehen des Staates bei der Gründung der Gelsenberg-Benzin AG die Rede ist, somit glaubwürdig erscheint und zugleich in den Akten des Reichswirtschaftsministeriums zur Frage Zwang oder Freiwilligkeit bei der Gründung des letztgenannten Unternehmens keine Hinweise gefunden werden konnten, ist davon auszugehen, dass auch dieses Hydrierwerk nicht freiwillig errichtet worden ist. Außer bei diesen drei Unternehmen galt jedoch in der Mineralölindustrie der Grundsatz der Vertragsfreiheit. Denn erstens ist ausdrücklich in manchen Fällen, so der Vergrößerung der Dieselölkapazitäten von Freiwilligkeit die Rede.184 Im Fall der zweiten Fischer-Tropsch-Anlage, für die ein Wirtschaftlichkeitsgarantievertrag abgeschlossen wurde, nämlich dem der Gewerkschaft Victor, einem Gemeinschaftsunternehmen der Wintershall AG und von Klöckner, bekundeten ihre Eigentümer bereits Anfang 1934 ihr Interesse.185 Auch Krupp baute sein Treibstoffwerk auf freiwilliger Basis.186 Manche der Unternehmen, die ihr Interesse an der Errichtung von Treibstofffabriken bekundeten, wurden 1935 sogar abgewiesen, weil man sich von diesem Zeitpunkt an mehr auf die Gasöl (Diesel)- und Schmierölerzeugung konzentrieren wollte.187 Zweitens zeigt sich, dass sich auch nach der Implementierung des Vierjahresplans, der in der Literatur oft als ein Bruch in der Wirtschaftsordnung bzw. im Verhältnis des Reiches gegenüber der Privatwirtschaft bezeichnet wird, Dokumente wie das folgende finden lassen: „In der Anlage überreiche ich ein Schreiben der Zeche de Wendel vom 23.4.1937, in dem die Zeche nunmehr endgültig die Errich182

BArch R 3101 / 18348, Schreiben der Union Rheinische Braunkohlen-Kraftstoff AG an das Reichsfinanzministerium vom 26.2.1937; BArch R 3101 / 18353 / 8, Schreiben des Reichswirtschaftsministerium an das Reichsfinanzministerium vom 3.2.1938, Bl. 291f; BArch R 3101 / 18353 / 7, Aktenvermerk, Bl. 442. 183 BArch R 3101 / 18357 / 7, Auszug aus dem Protokoll der Aufsichtsratsitzung der BRABAG vom 13.1.1937, Bl. 29 f. 184 Kroll (1958), S. 509 185 BArch R 3101 / 18361, Aktenvermerk vom 20.2.34. Nach Kockel äußerte Wintershall bereits 1933 ein enstprechendes Interesse. Kockel (2005), S. 97. 186 HA Krupp 40 B / 929, Entwicklungsgeschichte der Krupp Treibstoff GmbH (ohne Datum, wohl im Zusammenhang mit den Nürnberger Prozessen verfasst). Vgl. auch Abelshauser (2002 b), S. 356. 187 BArch R 3101 / 18359, Aktenvermerk vom 23.9.1935, Bl. 91f; Aktenvermerk vom 24.2.1936, Bl. 111. Dass es derartige Interessenten gab, die von sich aus an das Reich herantraten, wird im übrigen durch die Zeugenaussage von Krauch im Rahmen der Nürnberger Prozesse bestätigt. Vgl. dazu Stratmann (1985), S. 121.

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tung einer Benzinfabrik ablehnt.“188 In der Tat baute dieses Unternehmen aus Hamm in Westfalen auch später keine Benzinfabrik. Die Zeche war ursprünglich selbst an das Reich herangetreten, um am so genannten Mineralölplan aus dem Jahr 1936 beteiligt zu werden.189 Zur Finanzierung bat sie das Reichswirtschaftsministerium um die Bewilligung einer Kapitalmarktanleihe, was dieses jedoch ablehnte.190 Da eine Eigenfinanzierung für das Mutterhaus der Zeche in Paris und auch eine Kreditfinanzierung aufgrund hoher Kreditkosten nicht in Frage kam, verzichtete das Unternehmen daraufhin auf den Bau einer Benzinfabrik.191 Erleichtert wurde dem Reich die Entscheidung, dadurch, dass die Wintershall AG dem Reich anbot, die de Wendel zugedachte Kapazität zu übernehmen.192 Dieses Unternehmen verzichtete dabei sogar später auf den Abschluss eines Wirtschaftlichkeitsgarantievertrags und forderte auch keine Wirtschaftlichkeitszusage.193 Freiwilligkeit lässt sich auch im Fall der Fischer-Tropsch-Anlage der Chemischen Werke Essener Steinkohle nachweisen. Dieses Werk war als ein Gemeinschaftsunternehmen der Harpener Bergbau AG und der Essener Steinkohlenbergwerk AG, die bereits vor dem Vierjahresplan an dem Projekt zu dem Bau einer Treibstofffabrik gearbeitet hatten, aus eigener Initiative gegründet worden.194 Dabei ließen sich die Muttergesellschaften von Schacht ausdrücklich zusichern, dass andere Treibstoffwerke nicht in den Genuss günstigerer Vertragskonditionen kommen würden. Bei anderen projektierten Werken konnten potentielle Kapitalgeber, die sich ursprünglich beteiligen wollten, wieder von dieser Absicht Abstand nehmen, wie im Fall der geplanten Fischer-Tropsch-Anlage auf Kohlebasis in Hamburg. Dieses Projekt ging auf Überlegungen der städtischen Hamburger Gaswerke aus dem Jahr 1934 zurück und sollte überwiegend mit privatwirtschaftlichen Mitteln finanziert werden.195 In den folgenden Jahren sprangen aber aufgrund des Standortnachteils Hamburgs gegenüber dem Ruhrgebiet immer wieder mögliche Finanziers, wie die Hamburger Mineralölindustrie, Krupp oder Philipp Reemtsma ab, und zwar auch dann noch und ohne irgendwelche Konsequenzen, nachdem Ende 1936 erfolgreich um die Aufnahme in den Mineralölplan gebeten worden war.196 Letztendlich wurde die Anlage dann nicht gebaut. Auch lassen sich bei zwei Gründungen, in deren Zusammenhang in der Literatur immer wieder auf Zwang oder Zwangsandrohungen hingewiesen wurde, näm188

BArch R 3101 / 18220, Schreiben des Amts für deutsche Rohstoffe an die Wirtschaftsgruppe Mineralölindustrie vom 27.4.1937, Bl. 625 189 BArch R 3101 / 18220, Schreiben des Amts für deutsche Rohstoffe an das Reichswirtschaftsministerium vom 27.4.1937, Bl. 623. Zum Mineralölplan, vgl. Petzina (1968), S. 44. 190 BArch R 3101 / 18220, Schreiben der Zeche de Wendel an das Amt für deutsche Rohstoffe vom 12.4.1937, Bl. 634. 191 BArch R 3101 / 18220, Schreiben des Amts für deutsche Rohstoffe an das Reichswirtschaftsministerium vom 3.6.1937, Bl. 614. 192 BArch R 3101 / 18220, Aktenvermerk des Amts für deutsche Rohstoffe vom 1.6.1937, Bl. 617. 193 BArch R 3101 / 18220, Bl. 716 ff. 194 BArch R 3101 / 18283, Aktenvermerk vom 16.12.1936. 195 BArch R 3101 / 18220, Vermerk vom 12.3.1937, Bl. 324. 196 BArch R 3101 / 18298, Vermerk vom 25.11.1936; Schreiben der Hamburger Gaswerke an das Amt für deutsche Roh- und Werkstoffe vom 12.11.1937.

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lich der Ruhrbenzin AG und der Oberschlesischen Hydrierwerke AG, in den Quellen keine Belege dafür finden. Im Gegenteil: Nach Mollin war die Gründung der Ruhrbenzin AG, einer Tochter der Ruhr-Chemie AG, angeblich in vorauseilendem Gehorsam erfolgt. Man habe aus der BRABAG-Gründung seine Lehren gezogen.197 Und nach Kroll handelte es sich bei der Ruhrbenzin AG sogar um eine Pflichtgemeinschaft.198 Lurie behauptet, dass die Gründung dieses Unternehmens nur auf staatlichen Druck zurückzuführen sei.199 Dagegen spricht jedoch erstens, dass es seit Ende der 1920er Jahre bereits Gespräche zwischen dem Ruhrbergbau und der IG Farben AG über eine zukünftige Steinkohlehydrierung gab.200 Seit Anfang der 1930er Jahre arbeiteten die IG und die Vereinigte Stahlwerke AG (Vestag) in dieser Frage außerdem bereits zusammen.201 1933 führte man dazu gemeinsame Versuche durch.202 Zweitens hatten die Ruhrkonzerne 1933, ebenso wie die Wintershall AG, also lange vor der Gründung der Pflichtgemeinschaft und dann der BRABAG im Herbst 1934, ihre Bereitschaft zum Bau umfangreicher Benzinwerke geäußert und gleichzeitig Lizenzvertragsverhandlungen mit der IG Farben AG aufgenommen.203 Es lässt sich zudem nachweisen, dass die Ruhrkonzerne schon 1933 von sich aus an das Reich herangetreten waren und die Ruhrchemie AG konkrete Verhandlungen zur Gestaltung eines Wirtschaftlichkeitsgarantievertrags geführt hatte.204 Zu diesem Zeitpunkt lassen sich in den Quellen keine Hinweise auf die Absicht des Reichs, Pflichtgemeinschaften zu gründen bzw. Zwang auszuüben oder gar Äußerungen von Zwangs­androhungen gegenüber der Industrie, finden. Vielmehr ging das RWM zu diesem Zeitpunkt hinsichtlich der staatlichen Pläne, Hydrierwerke in Mitteldeutschland auf der Basis von Braunkohle zu gründen, also faktisch hinsichtlich der Aufgabe der späteren BRABAG, davon aus, diese Anlagen durch öffentliche Mittel zu finanzieren.205 Nicht nur die Kontaktaufnahme der Ruhrchemie, sondern auch das erste kon­krete, vom Unternehmen dem Reich unterbreitete Angebot vom 20.4.1934 für den Bau einer Fischer-Tropsch-Anlage – das Unternehmen hatte inzwischen von der ursprünglich geplanten Errichtung einer Hydrieranlage Abstand genommen – lässt sich deutlich vor dem „Gesetz über die Wirtschaftlichen Grund197

Mollin (1988), S. 66. Zur Gründung der Ruhrchemie, vgl. Plumpe (1990), S. 238. Kroll (1958), S. 508. 199 Lurie (1947), S. 194. 200 BASF Archiv M 42, Notiz über eine Besprechung mit Vertretern des Ruhrbergbaues über ein gemeinsames Vorgehen in der Treibstofferzeugung vom 28.6.1933. 201 Plumpe (1990), S. 282. 202 Hayes (1987 a), S. 116. 203 BArch R 43 II / 486, Niederschrift über die Ministerbesprechung vom 1.11.1933, Bl. 105; Plumpe (1990), S. 274; BASF Archiv, IG Bestand, B 4 / 200, Schreiben von Carl Krauch an Direktor Pott, Gewerkschaft Mathias Stinnes vom 13.2.1934. 204 BArch R 3101 / 18353 / 10, Aktenvermerk über eine Besprechung der Mineralölfrage am 4.12.1933 im Reichswirtschaftsministerium: Anwesend neben dem RWM, RFM, Staatssekretäre Feder und Posse, Geheimrat Bosch von der IG Farbeindustrie und Dr. Vögler, S. 2. 205 BArch R 3101 / 18361, Vermerk über eine Besprechung im RWM am 20.2.1934. Hierbei handelte es sich um eine Besprechung der erwähnten Hydrierkommission, deren Mitglieder neben staatlichen Vertretern auch solche der IG und des Ruhrbergbaus waren. BASF Archiv M 42, Schreiben von Schmitt an Pott vom 3.2.1934. 198

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lagen“ vom 3.6.1934 datieren, das wiederum, wie erwähnt, die Rechtsgrundlage für die im Herbst des gleichen Jahres erfolgte „Verordnung über die Errichtung wirtschaftlicher Pflichtgemeinschaften in der Braunkohlenwirtschaft“ vom 28.9.1934 war.206 Hinzu kommt, dass die von dieser Verordnung betroffenen Unternehmen nicht vor dem 18.9.1934 von der für sie zu diesem Zeitpunkt überraschenden Idee von Zwangs­gründungen erfahren hatten. Bereits am 31.7.1934 wurde aber schon der Vertrag zwischen der Ruhrchemie und dem Reich unterzeichnet, nachdem die Ruhrchemie sich vorher vom Staat hatte zusichern lassen, dass andere Unternehmen, die künftig möglicherweise einen Vertrag mit dem Staat abschließen würden, keine günstigeren Konditionen eingeräumt bekommen würden.207 Auch die Oberschlesischen Hydrierwerke AG in Blechhammer wird in der Literatur unzutreffend als Beispiel für staatlichen Zwang gegenüber der Privatwirtschaft angeführt. Aufgrund des Umstandes, dass dieses Werk, obwohl es sich um eines der größten industriellen Investitionsobjekte im Dritten Reich handelte, bisher kaum Gegenstand der wirtschaftshistorischen Forschung war und sich die Verhandlungen zwischen Staat und Privatwirtschaft besonders langwierig und kompliziert gestalteten, wird die Entstehungsgeschichte des Unternehmens im Folgenden etwas ausführlicher dargestellt. Seit 1938 plante das Reich in Oberschlesien ein Hydrierwerk unter Beteiligung des oberschlesischen Steinkohlebergbaus zu errichten.208 Zu diesem Zeitpunkt ging man von einem Investitionsvolumen von 190 Mio. RM aus.209 Nachdem mit dem Oberschlesischen Steinkohlen-Syndikat Verhandlungen aufgenommen worden waren, erklärten sich im Frühjahr 1939 mit Ausnahme der Gräflich Schaffgott’sche Werke GmbH seine Mitglieder zu einer Beteiligung bereit. Insgesamt wollten sie Aktien in der Höhe von 70 Mio. RM zeichnen.210 Die 1905 gegründete Gräflich Schaffgott’sche Werke GmbH war mit einer Förderquote von 20 Prozent das größte und, was die Schichtleistung anbelangt, das effizienteste Unternehmen im Oberschlesischen Steinkohlen-Syndikat. Das Unternehmen hatte bereits 1936 auf eigene Initiative den Bau einer Fischer-Tropsch-Anlage beschlossen, für die es eine staatliche Wirtschaftlichkeitszusage erhalten hatte und deren Finanzierung es bis 1939 mit kurzfristigen Bankkrediten und eigenen Mitteln bestritten hatte. Die Erstellung der Anlage hatte sich aber wider Erwarten in der 1936 folgenden Zeit deutlich verteuert. Das lag nicht nur daran, dass man die 206

BArch R 3101 / 18353 / 10, Schreiben der Ruhrchemie an das RWM vom 20.4.1934, Bl. 23 f. Der Grund dafür, nun eine Fischer-Tropsch-Anlage zu bauen, war, dass bei der Hydrieranlage das bis dato großtechnisch nicht erprobte Verfahren der Steinkohlehydrierung zum Einsatz kommen sollte, die IG der Ruhrchemie aber nicht die verlangte Garantie für die technische Durchführbarkeit des Verfahrens liefern wollte. BArch R 3101 / 18353 / 10, Schreiben der Ruhrchemie an das RWM vom 20.4.1934, Bl. 23 f. Vgl. dazu auch Kockel (2005), S. 122-124. 207 BArch R 3101 / 18353 / 10, Aktenvermerk vom 27.4.34, Bl. 34; BArch R 3101 / 18361, Ruhrchemievertrag vom 31.7.1934. 208 BArch R 3101 / 18253, Aktenvermerk vom 25.11.1938, Bl. 2. Vgl. auch BArch R 3101 / 18250, Schreiben des Reichswirtschaftsministeriums an das Reichsfinanzministerium vom 24.3.1939. 209 BArch R 3101 / 18353 / 1, Kapitalbedarf für die Mineralölerzeugung nach dem neuen Plan vom 12.7.1938, Bl. 19. 210 BArch R 3101 / 18250, Aktenvermerk vom 21.4.1939, Bl. 74.

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Kapazitäten verdoppeln wollte, sondern war auch darauf zurückzuführen, dass der Bau mehr Zeit in Anspruch nahm als man prognostiziert hatte.211 Aus diesem Grund  –  so das Unternehmen gegenüber dem Reichswirtschaftsministerium – war man nicht bereit, sich an dem geplanten Gemeinschaftsunternehmen zu beteiligen. Daraufhin wurde im Reichswirtschaftsministerium an die Möglichkeit gedacht, Zwang anzuwenden: So heißt es in einer internen Notiz vom 27.3.1939: „Falls es nicht gelingen sollte, die genannten Gesellschaften als Aktionäre des neuen Werkes zu gewinnen, müsste meines Erachtens an einen Zwangszusammenschluss nach dem Vorbild der Braunkohle-Benzin AG im Wege einer Verordnung gedacht werden.“212 Diese Meinung wurde aber nicht nur intern geäußert. Der ehemalige IG Farben-Vorstand Carl Krauch setzte in seiner neuen Funktion als Generalbevollmächtigter für Sonderfragen der chemischen Erzeugung Schaffgotsch unter massiven Druck, um es zum „freiwilligen“ Einlenken zu bewegen. Krauch teilte dem Reichswirtschaftsministerium mit, „dass ich am 17.4.1939 mit Herrn Berve von den Schaffgottschen Werke verhandelt habe. Es wurde Herrn Berve nahegelegt, sich an dem Hydrierwerk […] zu beteiligen. Zur Begründung wurden Herrn Berve Analogien aus der Gründungsgeschichte der Brabag mitgeteilt.“213 Trotz dieser offenen Drohung blieb Schaffgotsch auch in den nächsten Wochen bei seiner ablehnenden Haltung. Zugleich verringerte sich die Zahl der Oberschlesischen Bergbauunternehmen, die sich überhaupt noch an dem Projekt beteiligen wollten. Auch der von ihnen nun, Anfang Mai 1939, zugesagte Betrag war mit 40 Mio. RM deutlich niedriger als noch einige Wochen zuvor.214 Allerdings gab es auch bereits zu diesem Zeitpunkt andere Meinungen bei den staatlichen Instanzen als die von Krauch favorisierte Lösung einer Zwangsgründung. So legt ein weiterer Vermerk nahe, dass man überlegte, die Unternehmen auf freiwilliger Basis zu einer Beteiligung zu bewegen.215 Zugleich war man aber bereit, ihnen auch Zugeständnisse zu machen. So sollten sie zunächst nur 25 Prozent des Aktienkapitals einzahlen. Allerdings heißt es auch: „Falls es nicht gelingt die Industrie sofort zur Übernahme zu bewegen, bleibt noch die Möglichkeit einer ausschliesslichen Reichsgründung offen. Es kann dann geschehen, wenn sich die Ressorts darüber einig sind, notfalls der Industrie durch Verordnung ihren Willen aufzuzwingen. Es ist klar, dass dem ersten Vorschlag der Vorzug gebührt.“216 Schaffgotsch aber rückte von seiner Einstellung nicht ab und wurde durch die Deutsche Bank in seiner Haltung bestätigt. Diese teilte nämlich in einem Schreiben 211

BArch R 8119 F / P 1903, Schreiben der Deutschen Bank an das Reichswirtschaftsministerium vom 17.2.1939; BArch R 8119 F / P 1903, Schreiben der Gräflich Schaffgott’sche Werke GmbH an das Reichswirtschaftsministerium vom 25.3.1939. 212 BArch R 3101 / 18253, Aktenvermerk vom 27.3.1939, Bl. 7. 213 BArch R 3101 / 18250, Schreiben Krauchs an das Reichswirtschaftsministerium vom 18.4.1939, Bl. 83. Vgl. auch BArch R 3101 / 18250, Aktenvermerk zu der Besprechung bei Krauch am 17.4.1939, Bl. 96. Zu Carl Krauch und seinen Funktionen, vgl. auch P. Hayes, Carl Bosch und Carl Krauch: Chemistry and the Political Economy of Germany, 1925–1945, in: The Journal of Economic History, Bd. 47, 1987, S. 353–363; hier: S. 360. 214 BArch R 3101 / 18250, Aktenvermerk vom 5.5.1939, Bl. 110. 215 BArch R 3101 / 18250, Aktenvermerk vom 11.4.1939, Bl. 72. 216 BArch R 3101 / 18250, Aktenvermerk vom 3.6.1939, Bl. 130.

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an Berve mit, dass das Reichswirtschaftsministerium die Deutsche Bank unterrichtet habe, eine von Schaffgotsch zur Genehmigung eingereichte Anleihe zur Finanzierung ihrer Fischer-Tropsch-Anlage in Odertal zu erhöhen, damit das Unternehmen, wenn auch unter Syndikatsquote, sich an den Oberschlesischen Hydrierwerken beteiligen könne.217 Nachdem Berve auch der Deutschen Bank eindeutig seine mangelnde Bereitschaft einer Beteiligung mitgeteilt hatte218, bestärkte das Geldinstitut Schaffgotsch in seiner ablehnenden Haltung: „Ich entnahm mit Interesse, daß Sie, wie Sie mir gestern schon mitteilten, an dem in Aussicht genommenen Hydrierwerk sich nicht beteiligen werden. Es erscheint mir auch ausgeschlossen, daß nach Lage der Dinge Sie hierzu veranlaßt werden können, wenn Sie in Ihrer Ablehnung festbleiben.“219 Der grundsätzliche Wunsch staatlicher Stellen nach einer Beteiligung von Schaffgotsch entsprang seit dieser Zeit möglicherweise der Befürchtung, das Reich könnte durch das Fernbleiben des Unternehmens als wenig durchsetzungsfähig gegenüber der Industrie gelten.220 Da sich die Oberschlesischen Bergbauunternehmen, mit Ausnahme von Schaffgotsch, aber einige Wochen zuvor sogar bereit erklärt hatten, sich in deutlich höherem Maße zu beteiligen, ließen die Behörden im Folgenden die Absicht einer Teilhabe von Schaffgotsch an dem geplanten Hydrierwerk in Blechhammer endgültig fallen. Im Zentrum der weiteren Besprechungen standen nur noch die Verhandlungen mit den Unternehmen, die bereits ihre grundsätzliche Bereitschaft erklärt hatten.221 Allerdings waren diese Verhandlungen ziemlich festgefahren. Die vom Oberschlesischen Syndikat geäußerten Forderungen einer 7%igen statt wie üblich in Wirtschaftlichkeitsgarantieverträgen 5%igen Verzinsung des Anlagekapitals sowie nach Belieferung der Oberschlesischen Hydrierwerke nach dem Syndikatslistenpreis für Kohle anstelle eines reduzierten Großabnehmerpreises galten nämlich sowohl im Reichswirtschafts- als auch im Reichsfinanzministerium als sehr weitreichend und als ein Novum im Vergleich zu bisher abgeschlossenen Verträgen. Daher hatte man grundsätzliche Bedenken gegenüber ihrer Erfüllung.222 Die Unternehmen ihrerseits begründeten ihre Forderungen damit, dass die hohen Qualitätsanforderungen an Hydrierkohle und  – koks neue Investitionen der Bergwerke nach sich ziehen würden, wobei man ohnehin schon in den letzten Jahren erhebliche Investitionen zum Ausbau der Förderung getätigt habe. Außerdem sei zu erwarten, dass die Fördermenge wegen zunehmender Erschöpfung der Vorkommen in 20 Jahren rückläufig werden würde.223 Das Reichswirtschaftsministerium überlegte auch, den Unternehmen da217

BArch R 8119 F / 1903, Schreiben der Deutschen Bank an Berve vom 19.5.1939. BArch R 8119 F / P 1903, Schreiben von Berve an die Deutsche Bank vom 22.5.1939. 219 BArch R 8119 F / P 1903, Schreiben der Deutschen Bank an Berve vom 25.5.1939. 220 Vgl. dazu J. Scherner (2006 b), Das Verhältnis zwischen NS-Regime und Industrieunternehmen  –  Zwang oder Kooperation?, in: Zeitschrift für Unternehmensgeschichte. Journal of Business History, Heft 2, 2006, 166–190, hier: S. 171 f. 221 BArch R 3101 / 18250, Interne Besprechung vom 17.8.1939, Bl. 209 f. 222 BArch R 3101 / 18250, Aktenvermerk vom 13.6.1939, Bl. 188; Aktenvermerk vom 27.6.1939, Bl. 186 f. 223 BArch R 3101 / 18253, Aktenvermerk zu einer Besprechung vom 12.4.1939, Bl. 18. 218

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durch entgegenzukommen, dass man ihnen tatsächlich eine 7%ige Verzinsung einräumen würde, wenn die Beschaffung des Fremdkapitals zur Finanzierung des auf die Unternehmen fallenden Aktienteils ohne Beteiligung des Reiches geschehen würde.224 Internen Äußerungen zufolge spielte man zudem mit dem Gedanken, im Notfall, wenn auch nicht in Form eines direkten Darlehens, so doch mittels eines staatlich verbürgten Kredits den Unternehmen bei der Finanzierung entgegenzukommen.225 In einem Garantievertragsentwurf von Anfang Juli, der den Unternehmen zugesandt worden war, hatten diese Überlegungen hingegen noch keinen Eingang gefunden.226 Daher wurde er von den Unternehmen Ende September abgelehnt.227 Diese unnachgiebige Haltung der Industrie, die mangelnde Bereitschaft, Zwangs­maßnahmen durchzuführen, und die Auswirkungen der Eingliederung OstOberschlesiens nach dem Sieg im Polenfeldzug auf den oberschlesischen Bergbau führten schließlich dazu, dass die Beteiligung der Industrie dem Reich zunehmend weniger wünschenswert erschien.228 Die neue Strategie, zunächst ein staatliches Unternehmen zu gründen, langfristig aber eine freiwillige Beteiligung von Teilen der Privatindustrie anzustreben, war auf den Einfluss des Reichswirtschaftsministeriums zurückzuführen: „Nach Ansicht von Herrn Ministerialrat Dr. Mundt (vom RFM, J.S.) würde das finanzielle Risiko des Reichs mit Rücksicht auf die weit über das übliche Maß hinausgehenden Forderungen der beteiligten Verwaltungen nicht größer sein, wenn das Reich die Gründung des Hydrierwerkes allein übernehme. Herr Oberregierungsrat Dr. Römer (vom RWM, J.S.) wies dem gegenüber darauf hin, daß man die Frage der Errichtung des Hydrierwerkes nicht allein vom Standpunkt der Finanzierung, sondern auch vom Standpunkt des Betriebs betrachten müsse. In dieser Hinsicht müsse man aber die Mitarbeit der beteiligten Verwaltungen als wünschenswert bezeichnen. Unter Umständen könne man zu dem Ergebnis kommen, daß die kapitalschwächeren Gesellschaften aus dem Kreis der Beteiligten herausgelassen werden, und das Reich das neue Hydrierwerk zusammen mit den kapitalstarken Gesellschaften errichtet. Abschließend wies Oberregierungsrat Dr. Römer nochmals auf die Notwenigkeit hin, die beabsichtigte Reichsgesellschaft nunmehr beschleunigt zu gründen.“229 Eine Gründung erachtete man auch deshalb als notwendig, weil man hoffte, dass dies den Entschluss der Privatwirtschaft, sich zu einem späteren Zeitpunkt zu beteiligen, erleichtern würde.230 Genau diese Linie wurde in der folgenden Zeit verfolgt.231 Ende 1939 wurde die Oberschlesischen Hydrierwerke AG in Blechhammer ohne die Beteiligung der In224

BArch R 3101 / 18250, Schreiben des Reichswirtschaftsministeriums an die Oberschlesische Steinkohlen-Syndikat GmbH vom 28.7.1939, Bl. 191. 225 BArch R 3101 / 18250, Aktenvermerk vom 17.8.1939, Bl. 210. 226 Vgl. auch BArch R 3101 / 18253, Entwurf des Garantievertrags, § 3 (4), Bl. 48. 227 BArch R 3101 / 18250, Schreiben der Bezirksgruppe Steinkohlenbergbau Oberschlesien der Wirtschaftsgruppe Bergbau vom 27.9.1939, Bl. 227. 228 BArch R 3101 / 18250, Aktenvermerk vom 29.9. 1939, Bl. 250. 229 BArch R 3101 / 18250, Aktenvermerk zu einer Besprechung vom 27.9.1939, Bl. 264. Vgl. auch BArch R 3101 / 18253, Aktenvermerk vom 13.10.1939, Bl. 99. 230 BArch R 3101 / 18253, Aktenvermerk zu einer Besprechung vom 27.9.1939, Bl. 95. 231 Vgl. auch BArch R 3101 / 18253, Aktenvermerk vom 25.11.1939, Bl. 100.

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3. Beispielhafte Investitionsentscheidungen

dustrie mit einem Aktienkapital von 150 Mio. RM gegründet.232 Die notwendigen Gesamtinvestitionen schätzte man zu diesem Zeitpunkt bereits auf 240 Mio. RM.233 Anteilseigner waren zunächst eine Tochter der staatlichen Deutschen Revisions- und Treuhand AG, die Garantie-Abwicklungs-GmbH, sowie drei leitende Angestellte der Wirtschaftsprüfungsgesellschaft.234 Um das Interesse der Oberschlesischen Steinkohleproduzenten an einer zukünftigen Beteiligung zu wecken, entschied man sich, Vertretern des Syndikats Sitze im Vorstand und im Aufsichtsrat einzuräumen. Im weiteren Verlauf sollten Mittel für den weiteren Ausbau zunächst durch Unternehmen aufgebracht werden, an denen der Staat maßgeblich beteiligt war. In diesem Zusammenhang dachte man an die Preussag und die Reichswerke Hermann Göring.235 Im April 1940 wurden die Ausbauplanungen wesentlich erweitert.236 Man rechnete mit einem Investitionsvolumen von insgesamt 800 Mio. RM. Mitte 1941 wurden dann die Verhandlungen mit dem oberschlesischen Bergbau zur teilweisen Reprivatisierung der Oberschlesischen Hydrierwerke aufgenommen. Die Investitionspläne waren seitens der staatlichen Planer noch weiter ausgedehnt worden. Man rechnete nun bereits mit Gesamtinvestitionen von 825 Mio. RM.237 Einen Betrag von 250 Mio. RM wollte dabei die Kriegsmarine bereitstellen.238 An flüssigen Treibstoffen sollten über eine Million Jahrestonnen (jato) produziert werden, was mehr als dem Doppelten der Produktion des zu diesem Zeitpunkt größten deutschen Hydrierwerks in Leuna entsprach.239 Auch der erwartete Jahresumsatz nahm mit 300 Mio. RM gigantische Ausmaße an. Zwar wünschte das Reich wie bereits 1939, dass sich der gesamte oberschlesische Kohlenbergbau beteiligen sollte, doch war diesmal weder intern noch nach außen hin von Zwangsandrohungen die Rede. Vielmehr war man seitens des Reichswirtschaftsministeriums zu Zugeständnissen bereit, und man versuchte dem Oberschlesische Steinkohlen-Syndikat die Beteiligung schmackhaft zu machen, indem man die Unternehmen darauf hinwies, sie könnten sich über eine Beteiligung langfristig in der Kohlenchemie verankern.240 Tatsächlich erklärte sich eine Reihe von Unternehmen auch grundsätzlich zu einer Beteiligung bereit. Eine Minderheit von acht Unternehmen sagte sofort fest zu, zwei lehnten von vornherein ab.241 Die überwiegende Mehrheit  –  20 von 31 Gesell232

BArch R 3101 / 18251, Notarielle Abschrift der Gründungsurkunde vom 20.11.1939, Bl. 5 ff. BArch R 3101 / 18250, Schreiben des Reichswirtschaftsministeriums an das Reichsfinanzministerium vom 11. / 10.10.1939, Bl. 274. 234 BArch R 3101 / 18250, Schreiben des Reichswirtschaftsministeriums an die deutschen Revisions- und Treuhand AG vom 13.12.1939, Bl. 303. 235 BArch R 3101 / 18251, Aktenvermerk vom 31.1.1940, Bl. 33. 236 BArch R 3101 / 18251, Aktenvermerk vom 11.4.1940, Bl. 79. 237 BArch R 3101 / 18253, Aktenvermerk zu einer Besprechung vom 9.6.1941, Bl. 129. 238 BArch R 3101 / 18253, Aktenvermerk zu einer Besprechung vom 10.5.1941, Bl. 132. 239 BASF-Archiv, IG Bestand T 1505 / 1, Produktion und Gestehkosten Leuna, Aufstellung vom 27.6.1947. 240 BArch R 3101 / 18251, Aktenvermerk vom 19.6.1941, Bl. 355f; Schreiben von A. Pott an die Mitgliedswerke der Oberschlesischen Steinkohlen-Syndikat GmbH vom 8.8.1941, Bl. 392 ff. 241 BArch R 3101 / 18251, Schreiben von Pott an das Reichswirtschaftsministerium vom 15.8.1941, Bl. 395. Ein Unternehmen hatte keinen Vertreter geschickt. 233

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schaften  –  wollten sich zu diesem Zeitpunkt noch nicht endgültig festlegen, wobei zwölf Unternehmen grundsätzlich Interesse zeigten, allerdings ihre definitive Entscheidung unter den Zustimmungsvorbehalt ihrer Aufsichtsräte stellten. Angesichts dieser Situation, die eine zukünftige Beteiligung der Privatwirtschaft als eine wahrscheinliche Entwicklung erwarten ließ, wurden die Arbeiten an einem Wirtschaftlichkeitsgarantievertrag wieder aufgenommen.242 Eines der beiden Unternehmen, die das Angebot abgelehnt hatten, war wie schon 1939 Schaffgotsch.243 Eine direkte Nachfrage des Reichswirtschaftsministeriums bezüglich einer Beteiligung beschied das Unternehmen ebenfalls abschlägig, was das Reich dann auch akzeptierte.244 Manche der Interessenten sprangen allerdings in der nächsten Zeit noch ab.245 Da die Förderquote der staatlichen Unternehmen im Oberschlesischen SteinkohlenSyndikat infolge der Übernahme von polnischen Gruben bereits 46,45 Prozent ausmachte246, bedeutete der Umstand, dass die beteiligungswilligen Unternehmen entsprechend ihrer Förderung Aktien zeichnen sollten, dass fast die Hälfte des von der Industrie aufgebrachten Kapitals eigentlich nicht privatwirtschaftlicher Natur war. Nachdem sich der Interessentenkreis herausgeschält hatte, begannen die Detailverhandlungen. Die Unternehmen bestanden zwar nicht mehr auf einer höheren Ver­ zinsung des Anlagekapitals als das üblicherweise in einem Wirtschaftlichkeitsgarantievertrag zugestanden wurde, aber darauf, dass sich das Hydrierwerk mit einer Belieferung oberschlesischer Kohle zum Listenpreis einverstanden erkläre.247 Dem Reichswirtschaftsministerium, das darauf den Vorwurf geäußert hatte, die Unternehmen würden die aktuelle Situation – die Überschussnachfrage nach Kohle  –  ausnutzen, gaben die Vertreter der Industrie zu verstehen, es handele es sich hierbei um normales ökonomisches Verhalten. Sie beharrten auch im Folgenden auf ihrer Forderung und konnten sich damit wohl offensichtlich durchsetzen.248 Das bedeutete jedoch keinen Verstoß gegenüber der vom Reich anderen Betreibern zugestandenen Zusicherung der Nichtdiskriminierung, denn diese bezog sich lediglich auf die im Garantievertrag geregelten Tatbestände. Zudem wurde ein Finanzierungsvertrag zwischen den privatwirtschaftlichen Aktionären und dem Reich abgeschlossen, mit dem letzteres sich verpflichtete, für eine geplante Anleihe zu haften.249 Im weiteren Verlauf kam es zu erneuten Planänderungen und der Projektierung eines noch größeren Ausbaus. Ende 1942 wurde der dazu notwendige Investitions242

BArch R 3101 / 18251, Schreiben der Oberschlesischen Hydrierwerke AG an das Reichswirtschaftsministerium vom 30.8.1941, Bl. 422. 243 BArch R 3101 / 18251, Aktenvermerk vom 11.9.1941, Bl. 423. 244 BArch R 3101 / 18251, Schreiben der Gräflich Schaffgott’sche Werke GmbH an das Reichswirtschaftsministerium vom 18.9.1941, Bl. 429; Schreiben des Reichswirtschaftsministeriums an Pott vom 27.9.1941, Bl. 431. 245 BArch R 3101 / 18252, Aktenvermerk vom 5.12.1942, Bl. 134. 246 BArch R 3101 / 18253, Aktenvermerk vom 9.6.1941, Bl. 131. 247 BArch R 3101 / 18253, Aktenvermerk zu einer Besprechung vom 4.5.1941, Bl. 143. 248 BArch R 3101 / 18253, Schreiben der Oberschlesischen Steinkohlen-Syndikat GmbH an das Reichswirtschaftsministerium vom 18.6.1942, Bl. 153; BArch R 3101 / 18254, Entwurf des Kohlenlieferungsvertrags § 5 (ca. März 1943), Bl. 297. 249 BArch R 8119 F / P 1835, Aktenvermerk der Deutschen Bank vom 29.3.1945, Bl. 383.

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bedarf bereits mit mehr als einer Mrd. RM beziffert.250 Erst Anfang 1944 konnten in der Anlage, an deren Erstellung in hohem Maß Kriegsgefangene, Fremdarbeiter und auch Häftlinge aus dem Außenlager Blechhammer des KL Auschwitz III / KL Monowitz eingesetzt worden waren, erste Betriebsteile angefahren werden.251 Schwere Luftangriffe im Verlauf des Jahres 1944 führten allerdings dazu, dass das riesige Hydrierwerk, das Anfang 1945 angesichts der sich nähernden Roten Armee geräumt werden musste, faktisch für die deutsche Treibstoffversorgung keine Rolle mehr spielte.252 Bis zuletzt erfüllte dabei das Reich jedoch seine vertraglichen Verpflichtungen und überwies dementsprechend die zum 1.4.1945 fällig gewordenen Anleihezinsen von 14 Mio. RM der Deutschen Bank noch in der dritten Aprilwoche 1945 nach deren Aufforderung.253 Warum sich aber das Reich 1934 bei der BRABAG-Gründung entschlossen hatte, Zwang anzuwenden, und 1939 im Fall der Oberschlesischen Hydrierwerke AG nicht, wird von den Quellen nicht klar beantwortet. Ein Motiv könnte sein, dass man angesichts der stärkeren Bedeutung der Autarkie- und Aufrüstungspolitik für das Regime Ende der 1930er Jahre im Vergleich zu 1934 glaubte, es sich weniger leisten zu können, einen Konflikt mit der Privatwirtschaft zu riskieren, auf die man weitgehend bei der Realisierung dieser Politik angewiesen war. Denn deren Bereitschaft zu einer bestmöglichen Mitarbeit in technischer und kaufmännischer Hinsicht war im Unterschied zur Investitionstätigkeit ja nicht beobachtbar und daher auch nicht zu erzwingen.254 Es gibt Hinweise, dass solche Überlegungen generell bei staatlichen Stellen zu dieser Zeit eine Rolle spielten. So stellten der Reichsfinanzminister Schwerin von Krosigk, der Vorstandsvorsitzende der VAW (und spätere Staatssekretär im Bundeswirtschaftsministerium) Westrick sowie Carl Krauch anlässlich der vom Luftfahrtministerium ohne Beteiligung der etablierten Unternehmen geplanten Gründung von Aluminiumwerken im besetzten Norwegen fest255, dass man „bei dem Ausbau der norwegischen Aluminiumwerke von Anfang an auf die Mitarbeit der VAW und IG (Bitterfeld) angewiesen sei, die die erforderlichen BArch R 8119 F / P 1835, Bericht von dem Vorstandsvorsitzenden Pott über die Entwicklung der Oberschlesischen Hydrierwerke AG bis Ende 1942, Bl. 12. 251 BArch R 8119 F / P 1835, Bericht von dem Vorstandsvorsitzenden Pott über die Entwicklung der Oberschlesischen Hydrierwerke AG bis Ende 1942, S. 12; Bericht von dem Vorstandsvorsitzenden Pott für die Zeit vom 1.9. bis zum 31.12.1943. Zum Außenlager Blechhammer, vgl. Wagner (2000), S. 335. Im Januar 1945 handelte es sich um ca. 4.000 KL-Häftlinge. 252 Birkenfeld (1964), S. 227. 253 BArch R 8119 F / P 1838, Schreiben des Reichswirtschaftsministerium an die Deutsche Bank vom 7.4.1945, Bl. 392; Schreiben der Deutschen Bank an das Reichswirtschaftsministerium vom 18.4.1945, Bl. 394. 254 Gegen eine derartige Hypothese einer Angst des Staates gewissermaßen vor einem Boykott der Privatwirtschaft in bestimmten Bereichen, in denen er auf die Mitarbeit der Privatwirtschaft angewiesen war, lässt sich nicht einwenden, dass ein derartiges Verhalten der Unternehmen ihrem Gewinnmaximierungskalkül widersprochen hätte. Denn die dadurch sicherlich entstehenden kurzfristigen Gewinneinbußen auf Unternehmensseite könnten ja möglicherweise aus ihrer Perspektive langfristig dadurch überkompensiert werden, wenn die Folge davon wäre, dass der Staat, um einen erneuten Boykott zu vermeiden, künftig darauf verzichten würde, die Unternehmen zu Konditionen zur Mitarbeit zu zwingen, die nicht ihren Vorstellungen entsprachen. 255 Zu diesen Vorgängen, vgl. z. B. Hayes (1987 a), S. 290-7; Budraß (1998), 601–622.

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erstklassigen Fachkräfte und ihre Erfahrungen zur Verfügung stellen müssten. Gewiß könnte man das heute erzwingen; es sei aber etwas anderes, ob die Unternehmen diese Mitarbeit nur gezwungen oder freudig leisten werden […].“256 Ein anderes, ebenso nicht belegbares Motiv könnte in dem Umstand begründet liegen, dass im Unterschied zu 1934 im Jahr 1939 die vom Staat angesprochenen Unternehmen, wenn auch nicht alle, im Grundsatz nicht ablehnten, das geforderte Kapital aufzubringen. Da das Syndikat seine Bereitschaft jedoch mit der Forderung nach besseren Konditionen, als das normalerweise der Fall war, verknüpfte, geriet das Reich in ein Dilemma, wie auch die internen Diskussionen in den Ministerien nahelegen. Auf der einen Seite konnte den Unternehmen keine Verweigerungshaltung vorgeworfen werden und auf der anderen Seite wären durch eine höhere Verzinsung des eingebrachten Kapitals  –  also einem Eingehen auf die Forderungen des Oberschlesischen Steinkohlensyndikats  –  Unternehmen, die bereits Benzinverträge abgeschlossen hatten, diskriminiert worden. Das wiederum hätte die Glaubwürdigkeit des Staates bei weiteren Projekten in Mitleidenschaft gezogen, insbesondere aufgrund des Umstandes, dass, wie gezeigt, eine ganze Reihe von Unternehmen sich eine Nichtdiskriminierung durch den Staat hatte zusichern lassen. Hinzu kommt, dass nach der Reichshaushaltsordnung das Reich nicht befugt war, bereits laufende Verträge zu seinen Ungunsten abzuändern (RHO, § 50 (1)), es sei denn, wie es in den Wirtschaftsbestimmungen für Reichsbehörden festgelegt war, es handelte sich nur um kleine Beträge (RWB, § 62 (2)) oder wenn der Vertragspartner ansonsten ohne Verschulden in eine Lage geriet, die seine wirtschaftliche Existenz gefährden würde (RWB, § 63 (1)). Mit anderen Worten: Die Vermeidung einer Diskriminierung hätte einer Änderung dieses Grundsatzes bedurft. Dazu war man aber auch zu späteren Zeitpunkten nie bereit. Angesichts der umfangreichen autarkiepolitischen Ziele wäre nämlich der Staat langfristig gegenüber der privaten Wirtschaft erpressbar geworden, wenn er von diesem Grundsatz abgewichen wäre. In der Tat gab es während der Friedenszeit weder bei synthetischem Kautschuk noch bei synthetischem Benzin und auch nicht bei Zellwolle oder dem Kupferabbau einen Fall, in dem der Staat einem Unternehmen in Folgeverträgen des gleichen Vertragstyps grundsätzlich bessere Konditionen angeboten hätte.257 Tabelle 10: Der Anteil von Zwangsgründungen, staatlichen und privatwirtschaftlichen Unternehmen an der Finanzierung von Hydrier- und Fischer-TropschAnlagen im Dritten Reich (Stand Ende 1943) Rein staatliche Unternehmen Zwangsgründungen

Unternehmen auf Basis freiwilliger ausschließlicher oder teilweiser privatwirtschaftlicher Beteiligung

Anteil am Gesamtfinanzierungsvolumen (%) 19,1 30,3 50,6

Eigene Berechnung. Quelle: BArch R 3101 / 18220, Bl. 716-719. 256 257

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BArch R 2 / 5481, Aktenvermerk, November 1940, Bl. 17. Vgl. dazu Kapitel 4 und 5.

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3. Beispielhafte Investitionsentscheidungen

Zusammenfassend lässt sich sagen, dass anders als in Teilen der Literatur behauptet, nachweislich wohl nur in drei Fällen privatwirtschaftliche Investitionen zur Errichtung von Hydrier- und Fischer-Tropsch-Anlagen nicht auf freiwilligen Entscheidungen beruhten. Damit relativiert sich auch quantitativ die Bedeutung, die Zwang für die Investitionstätigkeit in der größten Autarkiebranche des Dritten Reichs spielte. Fragt man sich nämlich nach der Bedeutung, die die BRABAG, die Gelsenberg Benzin AG und die Union Rheinische Braunkohlen-Kraftstoff AG, also die einzigen Unternehmen, die tatsächlich Hydrier- bzw. Fischer-Tropsch-Anlagen aufgrund staatlichen Zwangs oder massiven Drucks errichteten, für die Finanzierung des Aufbaus der synthetischen Treibstoffindustrie hatten, so zeigt sich, dass ihr Anteil an den Gesamtinvestitionen von Hydrier- und Fischer-Tropsch-Anlagen zwischen 1933 und 1943 nur ca. 30 Prozent ausmachte.258 Dominant in dieser Branche waren hingegen die Unternehmen, an denen sich die Privatwirtschaft auf freiwilliger Grundlage beteiligte. Tabelle 11: Finanzierungsanteile nach Herkunft bei Hydrier- und FischerTropsch-Anlagen im Dritten Reich (Stand Ende 1943) Staatlich verbürgte Kredite bzw. Anleihen mit staatlicher Rückbürgschaft bzw. staatliche Beteiligung

Finanzierungsanteile (%)

Privatwirtschaftliches Eigenkapital ohne Zwangscharakter Privatwirtschaftliches Eigenkapital mit Zwangscharakter

70,5 21,7 7,8

Eigene Berechnung. Quelle: BArch R 3101 / 18220, Bl. 716-719.

Fragt man sich nach der Höhe des Finanzierungsanteils, der einer Zwangsanleihe gleich kam, so erkennt man, dass die Bedeutung des staatlichen Zwangs für die Investitionen in die Hydrier- und Fischer-Tropsch-Anlagen fast keine Rolle spielte. Zugleich zeigt sich, dass der Staat zum großen Teil in der einen oder anderen Form direkt oder indirekt die Investitionen in diese Anlagen finanzierte. 3.2.3 Erwartungen und Wettbewerbsfähigkeit Da ein Großteil der privatwirtschaftlichen Investitionen bei der Gewinnung von Treibstoffen mithilfe des Hydrier- und des Fischer-Tropsch-Verfahrens auf freiwilliger Basis erfolgte, stellt sich die Frage, welche die Motive der Unternehmen waren und warum in manchen Fällen staatliche Unternehmen entsprechende Werke 258

Streng genommen handelt es sich bei den den Tabellen zugrunde liegenden Zahlen um das Gesamtkapital in Höhe von 3428 Mio. RM, das den Unternehmen als Fremd- und Eigenkapital ausgewiesen zur Verfügung stand und etwas die zu diesem Zeitpunkt getätigten Anlageinvestitionen von 2923,5 Mio. RM übertraf. BArch R 3101 / 18220, Bl. 716-719.

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errichteten. Die aus den Betrachtungen der Investitionsentscheidungen im Fall von Buna resultierenden Erkenntnisse legen die Hypothese nahe, dass hinsichtlich des Abschlusses von Wirtschaftlichkeitsgarantieverträgen in den Fällen, in denen nachweislich kein Zwang beim Bau einer Hydrier- oder einer Fischer-Tropsch-Anlage ausgeübt worden ist, die unternehmerische Entscheidung auf einer langfristig eher positiven Einschätzung des jeweiligen Investitionsobjekts unter Normalbedingungen beruhte. Analog wäre zu vermuten, dass Unternehmen, die keine staatliche Risikoübernahme beanspruchen wollten, auch kurzfristig positive Erwartungen hinsichtlich der Zukunftsfähigkeit der Anlagen im Fall einer Normalisierung hatten. Zeitgenossen gingen durchaus davon aus, dass unter Normalbedingungen die Gewinnung von Autobenzin aus Kohle langfristig rentabel werden könnte. Der Hintergrund für solche Überlegungen war, dass man es Mitte der 1920er und auch während der 1930er Jahre nicht für unwahrscheinlich hielt, dass die Welterdölvorräte binnen zehn oder 15 Jahren erschöpft sein könnten, d. h. man schloss eine drastische Angebotsverknappung der auf herkömmliche Weise gewonnenen Treibstoffen nicht aus.259 Zugleich prognostizierte man aufgrund der zunehmenden Motorisierung eine sich potentiell ausdehnende Nachfrage. So ging die IG 1933 von einer 50%igen Zunahme der Treibstoffnachfrage bis 1937 gegenüber 1932 aus.260 1935 erwartete die volkswirtschaftliche Abteilung der IG Farben AG für Deutschland, gestützt auf entsprechende Entwicklungen im Ausland, eine jährliche Wachstumsrate des Autobenzinverbrauchs von zehn Prozent in den kommenden Jahren.261 Insgesamt hielt es die deutsche Fachliteratur dieser Zeit für möglich, dass mittelfristig die Hydrierung von Kohle konkurrenzfähig gegenüber Benzin aus Rohöl werden könnte.262 Ähnlich äußerte sich auch Ende 1937 die Financial Times: „Es ist nicht unmöglich, daß Buna und synthetisches Öl mit der Zeit in ernsthaften Wettbewerb mit Gummi und Öl treten werden.“263 Auch die IG Farben AG betrachtete in den 1930er Jahren die Zukunftsfähigkeit der synthetischen Treibstoffproduktion in ähnlicher Weise wie die von Buna, d. h., sie, aber auch andere Unternehmen, wie Krupp, schlossen nicht aus, dass das Produkt langfristig auch unter normalen Bedingungen wettbewerbsfähig werden könnte.264 Allerdings rechnet die IG Farben AG wohl nicht mit einer drastischen Angebotsverknappung des Erdöls. Dies lässt sich jedenfalls aus der Grundlage ihrer 1932 getroffenen Entscheidung265 ableiten, das synthetische Treibstoffprojekt grundsätzlich fortzuführen. Dies soll im Folgenden genauer gezeigt werden. Angesichts des im Verlauf der Weltwirtschaftskrise erheblich gesunkenen Benzinweltmarktpreises war seit 1931 in der IG eine Diskussion entbrannt, ob man die 259

K. Krüger, Erdölkrise, Stuttgart 1934, S. 1, S. 60 Tab. XII; Birkenfeld (1964), S. 15; A. v. Nagel, Methanol. Treibstoff. Hochdrucksynthesen der BASF, Ludwigshafen 1970 (Schriftenreihe des Firmenarchivs der BASF, 5), S. 37. 260 Hayes (1987 a), S. 117; Plumpe (1990), S. 270. 261 BASF Archiv, IG Bestand, T 52 / 8; S. II.3 262 Becker (1936), S. 149. 263 BArch R 2301 / 6580, S. 341, Übersetzung der Financial Times vom 30.9.1937. 264 Friedrichs (1938), S. 63; Hayes (1987 a), S. 143. Zu Krupp, vgl. Abelshauser (2002 b), S. 356. 265 Plumpe (1990), S. 266.

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Produktion einstellen solle.266 Diese Überlegungen wurden in mehreren internen Denkschriften der IG Farben AG festgehalten, mit deren Erarbeitung das Vorstandsmitglied Wilhelm Gaus beauftragt worden war.267 In einer der letzten Denkschriften vom 5.4.1932 heißt es: „Wenn man die Aussichten der Benzinhydrierung für die Zukunft abschätzen will, sollte man in Betracht ziehen, daß zwei Momente zurzeit unnormal sind. Erstens ist der Weltmarktpreis für Benzin so tief, daß bei der Fortdauer des jetzigen Preises die Ölgesellschaften demnächst ruiniert sein werden. Zweitens ist der deutsche Einfuhrzoll so hoch (rund 21 Pfg. per 1 kg bei einem Weltmarktpreis von ca. 7 Pfg.), daß er dem Konsumenten wohl nur für eine Übergangszeit zum vorübergehenden Schutze entstehender Inlandsproduktion zugemutet werden kann, nicht aber für alle Ewigkeit. Man sollte daher festzustellen suchen, wie weit die Gestehungskosten in Leuna per 1 kg Benzin gesenkt werden müßten, um unter normalen Bedingungen, d. h. unter Ausmerzung der beiden obenerwähnten Abnormitäten, einigermaßen konkurrenzfähig gegenüber den Importeuren zu sein. […] Was sind nun normale Bedingungen? […] Als normale Bedingungen sieht Keßler268 u.a. für Benzin eine (sic!) Preis an […] cif Hamburg unverzollt von 13,4 Pfg. Bei einer mündlichen Unterhaltung vertrat Keßler […] die Meinung, das Höchste, was vielleicht an Einfuhrzoll auf Benzin […] vertretbar sei, wäre ein Zoll von ca. 30 % des Einfuhrwertes. Wenn man einmal Keßler’s Auffassung zugrunde legt, würde man also […] zu einem Preis cif Hamburg verzollt von 17,4 Pfg. kommen, mit dem die IG (Preis ab Leuna) konkurrieren muß […]. Es gibt aber noch eine andere Methode, die beiden eingangs erwähnten Abnormitäten auszuschalten und eine Basis für einen normalen Zustand zu finden, und das ist die Betrachtung der Vorkriegsjahre 1903 bis 1913. In dieser Zeit betrug der […] Gesamtpreis cif Hamburg verzollt demnach rund 23,7 Pfg. Wenn man aus beiden Rechnungen die Mitte nimmt, ergibt sich ein Preis von rund 20 Pfg. per 1 kg Benzin, als ein gewissermaßen unter normalen Bedingungen wahrscheinlicher Preis, den Leuna als Gestehungspreis mindestens erreichen müßte […].“269 In diesem Exposé war zusätzlich u.a. handschriftlich notiert, dass man die „Techniker“ fragen müsse, ob ein derartiges Selbstkostenniveau in Leuna erreichbar wäre. Weitere Überlegungen schlossen sich in den nächsten Wochen an. Heraus kam letztlich eine Pattsituation.270 Man kalkulierte Gestehungskosten von Hydrierbenzin von genau 20,60 RM / 100 kg bei einem Kapazitätsausbau auf 285.000 jato und bei Verwendung von Braunkohle als zu verabeitenden Rohstoff. Vermindert wurden die Kosten dadurch, dass man nicht genutzte Teile der nur gering ausgelasteten Stickstoffanlage in Leuna für den Ausbau der Hydrierung verwenden konnte, die ansonsten zu Verlusten geführt hätte. Unter Berücksichtigung der vermiedenen Verluste resultierten korrigierte Selbstkosten für Leuna-Autobenzin, die mit 17,50 RM / 100 kg dem zukünftig erwarteten Weltmarktpreis cif und verzollt entsprachen. Dieser wiederum, Ergebnis weiterer umfangreicher Untersu266

Tammen (1978), S. 107; Hayes (1987 a), S. 39 f. Hayes (1987 a), S. 40. 268 Zu diesem Zeitpunkt der Präsident von Shell. Tammen (1978), S. 112. 269 BASF Archiv, IG Bestand, B 4 / 223, Expose vom 5.4.1932. 270 BASF Archiv, IG Bestand B 4 / 225, Fortführung oder Stillegung der Benzinfabrikation in Leuna?, Persönliche Stellungsnahmen des Vorstandsmitglieds Gaus vom 18.6.1932, S. 19. 267

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chungen, entsprach faktisch dem aktuellen Weltmarktpreis cif, auf den ein Mengenzoll in der Höhe des „normalen“ Zolls von 7,70 RM / 100 kg Benzin, aufgeschlagen wurde.271 Dieser Zoll hatte in Augen der IG nur fiskalischen Charakter, da er die gleiche Höhe hatte wie der Zollsatz der 1920er Jahre.272 Letztendlich kam es zu der im Unternehmen umstrittenen Entscheidung, die Hydrierung fortzusetzen.273 Eine maßgebliche Rolle spielte dabei, dass eine Nachprüfung ergab, dass die Verluste aus dem Stickstoffgeschäft bei einem Nichtausbau des Hydrierwerkes größer wären als ursprünglich kalkuliert.274 Eine Produktionsausweitung schob man vorerst noch hinaus, da noch technische Schwierigkeiten zu lösen waren.275 Allerdings nahm man im September 1932 einen Großversuch zur unmittelbaren Braunkohlenhydrierung auf, mit dessen Ergebnissen man die technische Entwicklung der Benzinherstellung als abgeschlossen ansah.276 Nach diesen Resultaten ging man sogar davon aus, dass Braunkohlehydrierbenzin mit weniger als 20 RM / 100 kg produziert werden könne277, d. h. man erwartete eine weitere Kostensenkung gegenüber der Schätzung vom Sommer. Außerdem erhoffte man sich durch die Fortsetzung der Hydrierung die Entwicklung neuer Produktionslinien.278 Somit lag der Prognose ein deutlich niedriger Autobenzinpreis auf Rohölbasis zugrunde, als es noch in den 1920er Jahren der Fall war. Da aber mittelfristig für die 1930er Jahre eine Nachfragesteigerung erwartet wurde, musste der von der IG zu diesem Zeitpunkt getroffenen Annahme eines langfristig niedrigeren Preis auf der Erwartung basieren, dass in einem absehbaren Zeitraum auch die Erdölförderung zunehmen würde. Nun stellt sich die Frage, inwieweit die Prognosen zu den Selbstkosten des mit dem Hydrierverfahren gewonnenen Autobenzins und zum Benzinpreis auf Rohölbasis in den kommenden Jahren zutrafen oder nicht. Mit anderen Worten: Hat sich während des massiven Ausbaus der Kohleverflüssigungsanlagen im Dritten Reich eine andere Einschätzung des Hydrierbenzinerzeugung in Leuna ergeben, die man ja offensichtlich 1932 unter Normalbedingungen inklusive eines „normalen“ fiskalischen Zolls durchaus als langfristig wettbewerbsfähig erachtete? Bei Plumpe lassen sich Angaben über die Selbstkostenentwicklung der Treibstoffproduktion in Leuna finden.279 Dabei handelt es sich nach 1933 um die offiziellen Abrechnungen des Garantievertrags, in denen eine fünfprozentige Verzinsung und die Amortisation des Anlagekapitals mit eingeschlossen waren. Allerdings sind diese Zahlen nach 1935 nicht unmittelbar dafür verwendbar, ob die prognostizier271

Ebd., S. 12. Dieser Zollsatz wurde dabei bereits 1885 eingeführt und galt nach dem Ersten Weltkrieg unverändert weiter bis Anfang 1930. Becker (1936), S. 61. 272 BASF Archiv, IG Bestand B 4 / 225, Fortführung oder Stillegung der Benzinfabrikation in Leuna?, Persönliche Stellungsnahmen des Vorstandsmitglieds Gaus vom 18.6.1932, S. 6. 273 Hayes (1987 a), S. 41; Plumpe (1990), S. 266. 274 Tammen (1978), S. 107 f. Zum Rückgang der IG-Stickstoffproduktion, vgl. z. B. die Angaben bei Ter Meer (1953), S. 72. 275 Birkenfeld (1964), S. 19. 276 Tammen (1978), S. 95. 277 Ebd., S. 95. 278 Stokes (2002), S. 253. 279 Plumpe (1990), S. 278

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3. Beispielhafte Investitionsentscheidungen

ten Selbstkosten, die sich auf die Produktion von Autobenzin bezogen, auch tatsächlich erreicht wurden. Denn seit 1936 bzw. 1939 wurde zunehmend neben Autobenzin auch Flugbenzin bzw. Diesel produziert.280 Die Dieselherstellung war jedoch günstiger, die Produktion von Flugbenzin dagegen teurer als jene von Autobenzin. Wenn auch in den Quellen sogenannte Minder- und Mehrkosten der jeweiligen Treibstoffarten gegenüber der Autobenzinproduktion ausgewiesen sind, so kann man daraus nicht direkt auf die Autobenzinselbstkosten schließen. Das liegt daran, dass die Flugbenzinmehrkosten eigentlich ein fixer, ex ante in einem Zusatzvertrag festgelegter geschätzter Betrag waren und die ausgewiesenen Dieselminderkosten eines jeweiligen Jahres den in der Vorperiode aus den tatsächlichen Selbstkosten ermittelten tatsächlichen Dieselminderkosten entsprachen. Während letzterer Tatbestand kein grundlegendes Problem für die Bestimmung der Autobenzinkosten darstellt, so waren offensichtlich die Flugbenzinmehrkosten, und zwar im Zeitablauf in zunehmenden Maß möglicherweise aufgrund technischen Fortschritts und  / oder des Einflusses von Größenvorteilen zu hoch angesetzt. Das ergibt sich aus der Berechnung der Autobenzinkosten auf Grundlage der Treibstoffselbstkosten und unter Berücksichtung des jeweiligen Produktionsanteils sowie der Minder- und Mehrkosten ab 1936. Danach wäre nämlich 1941 Autobenzin zu negativen Kosten produziert worden.

Schaubild 7: Auto-, Flugbenzin- und Dieselproduktion in Leuna 1928-1941 (jato) 600000

500000

jato

400000

300000

200000

100000

0

1928

1929

1930

1931

1932

1933

Gesamterzeugung

1934

Jahr

1935

autobenzin

1936

1937

Flugbenzin

1938

1939

1940

1941

Diesel

Quelle: BASF-Archiv, IG Bestand T 1505 / 1, Produktion und Gestehkosten Leuna, Aufstellung vom 27.6.1947. 280

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Schaubild 7. Zum Flugbenzinvertrag, vgl. Hayes (1987 a), S. 141 f.

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3.2 Die Treibstoffgewinnung mit dem Hydrier- und dem Fischer-Tropsch-Verfahren

129

Tabelle 12: Treibstoffselbstkosten (1932–1941) und Berechnung der Autobenzinkosten in Leuna ab 1936 auf Basis der ausgewiesenen Minder- und Mehrkosten 1936–1941 (RM / 100 kg)

1932 1933 1934 1935 1936 1937 1938 1939 1940 1941

Treibstoffselbstkosten (bis 1935 = tatsächliche Autobenzinselbstkosten)

Geschätzte Autobenzinselbstkosten

25,38 25,50 26, 83 25,40 21,51 20,07 20,29 20,16 21,53 18,78

20,46 19,32 19,42 17,16 10,55 -17,61

Quelle: Für die Treibstoffselbstkosten, vgl. Plumpe (1990), S. 278. Dabei hat er RM / to geschrieben; es kann sich aber nur um die Einheit RM / 100kg handeln. Vgl. BASF-Archiv, IG Bestand T 1505 / 1, Produktion und Gestehkosten Leuna, Aufstellung vom 27.6.1947. Für die geschätzten Autobenzinselbstkosten, eigene Berechnung auf der Basis der Produktionsanteile der verschiedenen Treibstofftypen und der ausgewiesenen Minder- und Mehrkosten gemäß BASF-Archiv, IG Bestand T 1505 / 1.

Angesichts der Tatsache, dass der Anteil der Autobenzinerzeugung bis 1939 noch mehr als 50 Prozent der Gesamtproduktion ausmachte und demzufolge die Verzerrungen weniger ins Gewicht fielen als in der Zeit danach, können die ermittelten Werte zwischen 1936 und 1938 / 39 als eine einigermaßen glaubwürdige Untergrenze der tatsächlichen Autobenzinselbstkosten gesehen werden. Denn es muss zusätzlich noch berücksichtigt werden, dass die Selbstkosten in den Garantievertragsabrechnungen wohl generell etwas zu hoch ausgewiesen wurden. Erstens waren die Abschreibungen überhöht angesetzt.281 Die tatsächliche Lebensdauer der Anlagen überschritt mit schätzungsweise zwischen 25 und 30 Jahren nämlich bei weitem die zehn Jahre, nach denen die Anlagen im Rahmen eines Wirtschaftlichkeitsgarantievertrags amortisiert sein sollten.282 Zweitens ist zu vermuten, wie bereits im zweiten Kapitel diskutiert wurde, dass die IG in dem Mehrproduktwerk Leuna bei den Benzinselbstkostenabrechnungen überhöhte Kosten angab. Danach konnte die Marge von 20,6 Rpf pro kg Benzin, die nach IG FarbenÜberlegungen Anfang der 1930er Jahre als Wettbewerbsschwelle unter Normalbedingungen identifiziert worden ist, 1936 bei entsprechenden Kapazitäten tatsächlich, in etwa erreicht werden und in den nächsten Jahren sogar noch deutlich unter-

281 282

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BArch R 8119 F / P 10930, Bl. 326f. Vgl. auch Birkenfeld (1964), S. 28. Valentin (1963), S.125

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3. Beispielhafte Investitionsentscheidungen

schritten werden.283 Vergleichbar hohe Selbstkosten für Autobenzin hatten Mitte der 1930er Jahre im Allgemeinen auch die Fischer-Tropsch-Anlagen.284 Zugleich dürfte die Entwicklung in Leuna dem allgemeinen Trend entsprochen haben, da nach einem Schreiben des RWM bei allen Benzinwerken, nachdem einmal die Vollauslastung erreicht worden war, eine alljährliche Kostensenkung zu beobachten war.285 Das als erste BRABAG-Benzinfabrik errichtete Hydrierwerk in Böhlen erreichte z. B. im ersten Halbjahr 1937 ausgewiesene Autobenzinselbstkosten von 20,65 RM / 100 kg, also ein mit Leuna vergleichbares Selbstkostenniveau.286 Unterstellt man bei diesem Werk bei vorsichtiger Schätzung eine Abschreibung in der Höhe von 50 Prozent der tatsächlichen Abschreibung, so hätten zu diesem Zeitpunkt die Selbstkosten nur 18,98 RM / 100 kg betragen.287

283

Tabelle 12. BArch R 8119 F / P 10930, Bl. 326f. Das galt allerdings nicht für alle Fischer-Tropsch-Anlagen. Erheblich höhere Gestehungskosten hatte die Gewerkschaft Victor, ein Gemeinschaftsunternehmen von Klöckner und Wintershall (Plumpe (1990), S. 226.), was daran lag, dass sie den für die FischerTropsch-Synthese wichtigen Katalysator Kobalt nur in schlechter Qualität und in zu geringem Umfang geliefert bekam. BArch R 3101 / 18233, Schreiben der Gewerkschaft Victor vom 20.4.1938. Aufgrund des Umstandes, dass somit die höheren Selbstkosten nicht von dem Unternehmen zu vertreten waren, stimmte Ende der 1930er Jahre das Reichswirtschaftsministerium einer von Victor geforderten Änderung des Garantievertrags insoweit zu, als der Passus über den maximalen Garantiepreis von 26 RM / 100 kg gestrichen wurde. BArch R 3101 / 18220, Bl. 718f. Zur Zulässigkeit des staatlichen Verhaltens, vgl. RWB, § 63 (1). 285 BArch R 3101 / 18224, Schreiben des RWM an Direktor Kranefuß von der BRABAG vom 4.5.1938, Bl. 4. 286 BArch R 3101 / 18224, Bl. 41. 287 Eigene Berechnung auf der Basis der Angaben in BArch R 3101 / 18224, Bl. 49. Bezüglich der Wettbewerbsfähigkeit des synthetischen Benzins muss zudem berücksichtigt werden, dass aufgrund des Kohlesyndikats in Deutschland die Kohle und Kokspreise erheblich höher als auf dem Weltmarkt waren, wie auch zeitgenössische Beobachter betonten. BArch R 8119 F / P 10930, Bl. 326f. So war der deutsche Kokspreis Mitte der 1930er Jahre mehr als doppelt so hoch wie der Weltmarktpreis. Allerdings war das bereits während der 1920er Jahre in etwa der Fall gewesen und waren selbst unter der Berücksichtigung dieser Faktoren die Fischer-Tropsch-Anlagen Mitte der 1930er Jahre ohne Zoll nicht international wettbewerbsfähig. (Vgl. die Angaben zu den Durchschnittskosten der FT-Anlagen 1936 unter der Annahme des Weltmarktkokspreises in BArch R 8119 F / P 10930, Bl. 326f und zu dem Weltmarktpreis für Rohbenzin 1936 im Statistischen Jahrbuch für das Deutsche Reich 1936, S. 177*). Auch unter der Annahme einer Reichsmarkabwertung in Höhe der Abwertung des Dollars ändert sich an dieser Aussage nichts. Als Selbstkosten wurden nämlich 22 RM / 100kg ohne Abwertung und bei einem Kokspreis von 17 RM / to und 17,8 RM / 100kg ohne Abwertung und einem Weltmarktkokspreis von acht RM pro Tonne angegeben. (ebd.). Auf die Rentabilität des Hydrierverfahrens hatte zudem der überhöhte Kohlepreis einen geringeren Einfluss. Während man nämlich bei der Fischer-Tropsch-Synthese mit 7,5 kg Kohle pro Liter Treibstoff rechnete, betrug beim IG-Verfahren der Einsatz auf die gleiche Ausbringungsmenge lediglich 4 kg. BArch 3101 / 32280, Bericht betr. Treibstoffgewinnung vom 9.4.1937, Bl. 1. 284

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3.2 Die Treibstoffgewinnung mit dem Hydrier- und dem Fischer-Tropsch-Verfahren

131

Schaubild 8: Die Wettbewerbsfähigkeit von Hydrierautobenzin 30

25

RM/100 kg

20

15

10

5

0

1928

1929

1930

1931

1932

1933

1934

1935

1936

1937

1938

1939

Jahr

autobenzinselbstkosten der IG Farben aG (RM/100 kg) Weltmarktpreis fob RM/100 kg korrigierter Weltmarktpreis fob (RM/100 kg) auf Basis des Wechselkurses von 199 Langfristig erwartete untergrenze des Inlandpreisniveaus (RM/100 kg) Korrigiertes tatsächliches Inlandspreisniveau unter normalbedingungen (RM/100 kg), cif verzollt Hamburg, auf der Basis des Wechselkurses von 199 und bei normalzoll

Eigene Berechnung. Quellen: Für die Selbstkosten der IG Farben AG, vgl. Tab. 12. Für die Benzinpreise auf dem Weltmarkt (US-Benzin) in RM / 100 l, vgl. Statistisches Jahrbuch für das Deutsche Reich, verschiedene Jahrgänge, zum Umrechnungsfaktor für Benzin in Liter in Kilogramm, vgl. Birkenfeld, S. 239 Übersicht 25; zu den laufenden RM-Wechselkursen des $, vgl. Statistisches Jahrbuch für das Deutsche Reich 1932, S. 352f; Statistisches Jahrbuch für das Deutsche Reich 1938, S. 420f; Statistisches Jahrbuch für das Deutsche Reich 1941 / 42, S. 478f. Bei dem korrigierten tatsächlichen Inlandspreisniveau unter Normalbedingungen wurde in Anlehnung an BASF Archiv, IG Bestand B 4 / 225, Fortführung oder Stillegung der Benzinfabrikation in Leuna?, Persönliche Stellungsnahmen des Vorstandsmitglieds Gaus vom 18.6.1932, S. 19, davon ausgegangen, dass die Differenz zwischen Benzinweltmarktpreis (fob) und dem Inlandspreis (cif) unverzollt dem Betrag von 1928 entsprach und der normale Friedenszoll von 7,70 RM / 100 kg unterstellt. Für die langfristig erwartete Untergrenze des inländischen Benzinpreises, vgl. ebd.

Wie von der IG 1932 prognostiziert, blieb auch der Benzinpreis auf Rohölbasis dauerhaft auf einem niedrigeren Niveau als dies noch Ende der 1920er Jahre der Fall war. Er hätte aber, wie in Schaubild 8 zu sehen, nach Überwindung der Weltwirtschaftskrise in etwa das von der IG erwartete Niveau erreicht, jedenfalls dann, wenn man, wie von der IG nicht ausgeschlossen wurde288, den Inlandspreis (cif) um 288

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BASF Archiv, IG Bestand B 4 / 275, Aktenvermerk vom 29.8.1934.

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3. Beispielhafte Investitionsentscheidungen

die Dollarabwertung korrigiert, und gleichzeitig von einem Normalzollsatz von 7,70 RM / 100 kg ausgeht. Das dauerhaft niedrigere Niveau gegenüber der Zeit vor der Weltwirtschaftskrise ist dabei darauf zurückzuführen, dass man seit Ende der 1920er Jahre die Methoden der Erdölaufbereitung verfeinert und neue Erdölquellen entdeckt hatte, die Bohrtechnik verbessert und verbilligt wurde sowie die Mineralölindustrie massiv in neue Anlagen investiert hatte, bei denen Größenvorteile zum Tragen kamen.289 Das alles zusammen führte dazu, dass der Benzinpreis sich seit dem Ende der 1920er Jahre zunehmend dem Rohölpreis anglich, der seinerseits tendenziell fiel. Die Schwankungen der Benzinpreis- / Rohölpreisrelation während der Weltwirtschaftskrise waren dabei auf Preiskämpfe zurückzuführen290, wohl ebenso wie das zeitweise Fallen des Autobenzinpreises auf Höhe oder sogar einmal unter das Niveau des Rohölpreises. Schaubild 9: Benzinpreis pro Rohölpreis auf dem Weltmarkt 1928-1938 1,6

1,4 1,2

1

0,8 0,6

0,4 0,2

0

1928

1929

1930

1931

1932

1933

1934

1935

1936

1937

1938

Benzinpreis (Cents pro Gallone) pro Rohölpreis (Cent pro Gallone) Linear (Benzinpreis (Cents pro Gallone) pro Rohölpreis (Cent pro Gallone))

Eigene Berechnung. Quelle: für Rohöl (Penns.) und Benzin (60 / 62 Bé) Statistisches Jahrbuch für das Deutsche Reich 1934, S. 170*; Statistisches Jahrbuch für das Deutsche Reich 1938, S. 198*; Statistisches Jahrbuch für das Deutsche Reich 1941 / 42, S. 216*.

289

BASF Archiv, IG Bestand B 4 / 225, Fortführung oder Stillegung der Benzinfabrikation in Leuna?, Persönliche Stellungsnahmen des Vorstandsmitglieds Gaus vom 18.6.1932, S. 5f; Tammen (1978), S. 99; Plumpe (1990), S. 259; T. Kockel (2003), Eine Quelle zur Vor- und Gründungsgeschichte der Kontinentale Öl AG aus dem Jahr 1940: E.R. Fischer (Reichswirtschaftsministerium, II Min. Öl), „Die Versorgung Europas mit Mineraloel vor dem Kriege, Ermittlung des Nachkriegsverbrauchs und Sicherung der Belieferung, 1940“, September 1940, in: Jahrbuch für Wirtschaftsgeschichte 2003 / 1, S. 175–208, hier: S. 179; Karlsch (2003), S. 151. 290 BASF Archiv, IG Bestand B 4 / 225, Fortführung oder Stillegung der Benzinfabrikation in Leuna?, Persönliche Stellungsnahmen des Vorstandsmitglieds Gaus vom 18.6.1932, S. 5f; Kockel (2003), S. 179.

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3.2 Die Treibstoffgewinnung mit dem Hydrier- und dem Fischer-Tropsch-Verfahren

133

Es trafen also sowohl die technischen als auch die ökonomischen Prognosen der IG zu, jedenfalls, wenn sie von einer Wiederherstellung der alten Wechselkursparitäten und einem Normalzoll ausging. Beide Annahmen waren auch nach der Machtergreifung des NS-Regimes für die IG realistisch.291 Daraus ergibt sich, dass wahrscheinlich in der zweiten Hälfte der 1930er Jahre die Erwartungen der Unternehmen, wenigstens der IG Farben AG, hinsichtlich der Zukunftsfähigkeit der Hydrierung von Kohle unter Normalbedingungen, gegenüber dem Jahr 1932 in etwa gleich geblieben sein dürften. Verschlechtert haben könnten sie sich erst am Ende der 1930er Jahre, als die saudischen Ölfelder entdeckt wurden. Doch selbst zu diesem Zeitpunkt zögerte der amerikanische Chemieriese DuPont noch immer, die Kohlechemie, die ja dann tatsächlich im Laufe der 1950er Jahre durch die Petrochemie verdrängt werden sollte, abzuschreiben, wie das Unternehmen der britischen Chemiefirma ICI mitteilte: „A long-distance policy based on coal is sounder than one based on oil as there are periodic doubts whether the oil reserves have anything but a limited life.“292 Neben der IG gab es aber noch andere Unternehmen, die ebenfalls angesichts eines Stickstoffproduktionspotentials, das bereits Ende der 1920er Jahre die Nachfrage überstieg, auch auf längere Sicht betrachtet unausgelastete Stickstoffkapazitäten hatten.293 Daher musste grundsätzlich für diese Unternehmen eine Umstellung der Anlagen auf die Benzinhydrierung, gerade angesichts des Vorbilds der von der IG getroffenen Entscheidung, genauso in Frage gekommen sein. Und in der Tat waren unausgelastete Stickstoffanlagen der Grund für einige Ruhrunternehmen, bereits vor der Machtergreifung den Kontakt zur IG hinsichtlich der Übertragung des Hydrierverfahrens auf Steinkohle zu suchen. Der Anlass für die Ruhrkonzerne, in den 1920er Jahren die Stickstoffproduktion aufzunehmen, war, dass sie eigene Kokereien betrieben hatten, und bei der Verkokung als Nebenprodukt Koksofengas anfällt.294 Das Koksofengas konnte aber als Rohstoff für die Stickstoffproduktion verwendet werden.295 Aus dem gereinigten Koksofengas, also Wassergas, wurde per Druckhydrierung Ammoniak gewonnen.296 Ein Teil der Stickstoffanlagen, und das Gas konnten wiederum bei der Benzinhydrierung verwendet und mit relativ geringem Aufwand die Anlagen auf Steinkohlehydrierung umgestellt werden.297 Angesichts dieser Situation überrascht es nicht, dass all die Ruhrunternehmen, die unausgelastete Stickstoffkapazitäten hatten, die staatliche Hibernia-Scholven, die Ruhr291

Vgl. zur Abwertungserwartung, BASF Archiv, IG Bestand B 4 / 275, Aktenvermerk vom 29.8.1934; zur Erwartung hinsichtlich des Umstandes, dass über kurz oder lang wieder der Normalzollsatz implementiert werden würde, BASF Archiv, M 42, Notiz über eine Besprechung mit Vertretern des Ruhrbergbaues über ein gemeinsames Vorgehen in der Treibstofferzeugung vom 28.6.1933. 292 Zitiert nach Morris (1982), S. 198. 293 Generell zu den erheblichen Überkapazitäten auf dem Stickstoffmarkt Anfang der 1930er Jahre, vgl. E. Dehnel, Verflechtungen in der Stickstoff-Industrie und ihre Gründe, Diss., Heidelberg 1931, S. 82ff; Tammen (1978), S. 127, 130. 294 Dehnel (1931), S. 26ff; Tammen (1978), S. 61. 295 Dehnel (1931), S. 83; Becker, S. 145. 296 Dehnel (1931), S. 17; Becker (1936), S. 144–146. 297 Becker (1936), S. 15.

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3. Beispielhafte Investitionsentscheidungen

chemie und die Gewerkschaft Victor frühzeitig, nämlich seit 1933 / 34 Verhandlungen mit dem Staat aufnahmen und nach der IG die ersten waren, die einen Wirtschaftlichkeitsgarantievertrag abgeschlossen hatten.298 Bei der Gründung des staatlichen Hydrierwerks Scholven spielte außerdem eine Rolle, dass zum Einen, wie bereits dargestellt worden ist, der Staat sich davon eine Verbesserung seiner Informationsbasis hinsichtlich des Hydrierverfahrens versprach. Zu Anderen fielen bei der Kohlenförderung der Hibernia in steigendem Maß minderwertige oder schlecht absetzbare Sorten an, die für die Hydrierung gut geeignet waren.299 Deswegen hatte das Unternehmen sich schon vor 1933 für die Hydrierung interessiert.300 All diese Motive dürften bei dem zweiten staatlichen Hydrierwerk, der Sudetendeutschen Treibstoffwerke, einer Tochter der Reichswerke Herrmann Göring, keine Bedeutung gehabt haben. Vielmehr lässt sich die Gründung dieses Werkes darauf zurückführen, dass sich die Reichswerke mit der Angliederung des Sudetenlandes umfangreiche Braunkohlenvorkommen gesichert hatten.301 Es gab aber in den Augen der privatwirtschaftlichen Unternehmen noch andere Gründe außer unausgelasteten Stickstoffanlagen, die Investitionen in Hydrier- und Fischer-Tropsch-Anlagen rechtfertigten. Das Interesse der IG Farben AG, ein Verfahren zur Hydrierung von Steinkohle zu entwickeln und eine Versuchsanlage in Oppau zu errichten, resultierte neben erwarteten Lizenzeinnahmen aus dem Umstand, dass man sich daraus Verbundvorteile und einen Know-how-Erwerb versprach, der für andere Produktlinien genutzt werden sollte.302 Entsprechend heißt es in einem Bericht der Technischen Direktion der IG Ende 1933: „Es ist sehr wahrscheinlich, daß in weiterer Zukunft durch die Hydrierung neue große Entwicklungsmöglichkeiten für die organisch-chemische Industrie erschlossen werden.“303 Ein weiteres Motiv für den freiwilligen Bau von Fischer-Tropsch- und Hydrieranlagen auf Kohlebasis war der Umstand, dass damit ein krisenfester Nachfrager für Kohle geschaffenen würde. Das war jedenfalls, abgesehen davon, dass man synthetisches Benzin für langfristig zukunftsfähig hielt, der zentrale Grund dafür, dass sich Krupp seit Beginn der 1930er Jahre mit dem Gedanken trug, ein Treibstoffwerk zu gründen. Mit der Errichtung der Krupp Treibstoffwerk GmbH auf Basis der FischerTropsch-Technologie Anfang 1937 wurde dies dann auch in die Tat umgesetzt.304 Hinzu kommt, dass es neben einer jedenfalls langfristig nicht auszuschließenden Zukunftsfähigkeit der Hydrierung von Kohle unter Normalbedingungen noch ein weiteres Motiv für die privatwirtschaftliche Industrie gab, in entsprechende Kapazitäten zu investieren. Denn man verknüpfte kurzfristig positive Erwartungen mit 298

BArch R 3101 / 18353 / 10, Aktenvermerk vom 7.3.34. Birkenfeld (1964), S. 49. 300 Winkler (1965), S. 170. 301 Birkenfeld (1964), S. 135ff. 302 BASF-Archiv, IG-Bestand C 121 / 11, Bericht über die 35. Sitzung der Technischen Direktion am 17.10.1933 in Ludwigshafen, S. 9. 303 Ebd.. 304 HA Krupp 40 B / 929, Entwicklungsgeschichte der Krupp Treibstoff GmbH (ohne Datum, wohl im Zusammenhang mit den Nürnberger Prozessen verfasst). Vgl. auch Abelshauser (2002 b), S. 356. 299

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3.2 Die Treibstoffgewinnung mit dem Hydrier- und dem Fischer-Tropsch-Verfahren

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Hydrieranlagen. So heißt es nach dem Krieg in der Schriftenreihe der BASF: „Mitbestimmend für den Entschluß, die Druckhydrierung fortzusetzen, war auch die damals schon vorliegende klare Erkenntnis von der vielseitigen Brauchbarkeit des Verfahrens in der Erdöl-, Kokerei- und Schwelindustrie.“305 Dabei handelte es sich keineswegs um eine nachträgliche Rechtfertigung. Denn die Anlagen konnten, wie zeitgenössische Kalkulationen zeigen, mit sehr geringen Umrüstungskosten, die in etwa 20 Prozent des Investitionsvolumens entsprachen, auf Gewinnung von Treibstoffen aus Ölresten, die bei der Treibstoffgewinnung auf Ölbasis anfielen, umgestellt werden.306 Dies war auch in Fachkreisen allgemein bekannt.307 Aufgrund der Verwendbarkeit des Hydrierverfahrens bei der Verarbeitung von Erdöl hatte sich bereits Ende der 1920er Jahre Standard Oil für diese Technik interessiert und mit der IG Farben AG einen Lizenzvertrag abgeschlossen.308 Anfang der 1930er Jahre wurden dann in den USA die ersten Hydrieranlagen zur Verarbeitung von Erdöl errichtet. Denn während man mit dem herkömmlichen Crackverfahren, das man als technisch ausgereift betrachtete, 200 Einheiten Rohöl benötigte, um 100 Einheiten hochwertige Treibstoffe herzustellen, konnte bei zusätzlicher Verwendung des Hydrierverfahrens die gleiche Menge bereits mit einem Einsatz von nur 110 Einheiten Rohöl gewonnen werde.309 Die Ölhydrierung galt der ausschließlichen Crackung nach Berechnungen der Standard Oil Anfang der 1930er Jahre dann als überlegen, sobald der Benzinpreis vier cts / gal überschritt  –  was im Jahresdurchschnitt in den gesamten 1930er Jahren der Fall war.310 Angesichts dieser alternativen Nutzungsmöglichkeit ging die IG Farben AG 1934 davon aus, dass selbst wenn durch unerwartet große Ölfunde die Ölpreise entsprechend sinken würden, die verhältnismäßig hohen Hydrierinvestitionen nicht verloren wären, da diese zur Ölverarbeitung genutzt werden könnten und nur ein kleiner Teil der Wasserstoffanlagen und kleinere zusätzliche Anlagen keine Verwendung finden würden.311 Dies wird auch bestätigt durch Pläne ausländischer Ölkonzerne, das Braunkohlehydrierwerk der BRABAG in Magdeburg aufzukaufen und auf Ölhydrierung umzustellen.312 Insoweit dürfte selbst für Unternehmen, die nicht erwarteten, dass langfristig die Kohlehydrierung konkurrenzfähig sein könnte, dennoch ein Interesse an einer Kapazitätsschaffung bestanden haben, jedenfalls soweit man keine Überkapazitäten befürchtete und falls 305

V. Nagel (1970), S. 58. Vgl. auch Birkenfeld (1964), S. 16. Becker (1936), S. 144; von Nagel (1970), S. 58. Vgl. zum Beispiel das Hydrierwerk Pölitz. Hier war die Anlage von vornherein auf dualen Gebrauch eingerichtet worden. BArch 3101 / 18238, Bl. 32f. 307 BArch R 8128 / A 850, Der gegenwärtige Stand der deutschen Treibstoffversorgung und die Ausbaumöglichkeiten der Inlandsproduktion vom 7.9.1934, S. 7; Becker (1936), S.147ff; Birkenfeld (1964), S. 15. 308 V. Nagel (1970), S. 50 309 K.H. Frisch, Die deutsche Treibstoffwirtschaft, Heidelberg 1932, S. 72; A. Zischka, Der Kampf um die Weltmacht Öl, Leipzig 1934, S. 207; Tammen (1978), S. 56, insbesondere Fußnote 188. 310 BASF Archiv, M 42, Vortrag von M. Pier vom 24.8.1933; Statistisches Jahrbuch für das Deutsche Reich 1936, S. 176*; Statistisches Jahrbuch für das Deutsche Reich 1941 / 42, S. 216*. 311 Becker (1936), S. 147. 312 BArch R 3101 / 18353 / 6, Plan zur Reprivatisierung der Brabag vom 1.6.1936, Bl. 378. Warum das Geschäft dann doch nicht zustande kam, ist nicht bekannt. 306

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3. Beispielhafte Investitionsentscheidungen

überhaupt aufgrund der Standortbedingungen eine Konversion der Anlagen in Frage kam. Die Fischer-Tropsch-Anlagen konnten gleichfalls hinsichtlich des Einsatzes der verarbeiteten Rohstoffe konvertiert werden. Sie waren auch zur Verwertung von Spaltgasen, also bei der Ölcrackung anfallenden Crackgasen, und von Erd- sowie Naturgasen geeignet.313 Insgesamt wäre eine derartige Konversion, also die Koppelung von Hydrier- und Fischer-Tropsch-Anlagen mit Raffinerien, um deren Effizienz und Ausbeute zu steigern, auch unter einem anderen Gesichtspunkt naheliegend gewesen. Denn in Deutschland gab es 1933, gemessen am Benzinverbrauch, nur Raffinationskapazitäten von 27 Prozent.314 Derartige Konversionsgründe dürften insbesondere bei der Wintershall AG eine Rolle gespielt haben. Wintershall hatte sich auf dem Höhepunkt der Weltwirtschaftskrise für eine neue Unternehmensstrategie entschlossen. Man wollte sich nun nicht mehr nur auf die traditionelle Kaliförderung stützen, sondern diversifizieren. Zentrale neue Geschäftsfelder sollten die Erdölförderung und -raffination werden.315 Bald darauf war das Unternehmen zu dem wichtigsten einheimischen Erdölproduzent und  – verarbeiter aufgestiegen.316 Deshalb überrascht es nicht, dass man eine Fischer-Tropsch-Anlage und eine Hydrieranlage neben einer Mineralölraffinerie in Lützkendorf baute.317 Die Fischer-Tropsch-Anlage von Wintershall hatte dabei eine sehr günstige Kostenstruktur, ebenso wie die der zum Haniel-Konzern gehörenden Gewerkschaft Rheinpreußen in Moers-Meerbeck. Sowohl bei Rheinpreußen als auch bei Wintershall waren die Anlagen von vornherein zur kombinierten Verwendung von zum Teil selbst gefördertem Rohöl als auch von Kohle ausgelegt und vor der Aufstellung des Mineralölplans errichtet worden.318 Beide produzierten insbesondere hochwertige Schmieröle, die den bei dem normalen Crackverfahren auf Erdölbasis erzeugten Produkten qualitativ überlegen waren.319 In diesen Faktoren  –  keine ausschließliche Festlegung auf Verarbeitung von Kohle und Herstellung von qualitativ hochstehenden Produkten  –  dürfte der Grund zu sehen sein, warum Wintershall sowohl für seine Hydrier- als auch seine FischerTropsch-Anlage und auch Rheinpreußen für seine Fischer-Tropsch-Anlage auf den Abschluss eines Wirtschaftlichkeitsgarantievertrags bzw. auf die Zusicherung einer Wirtschaftlichkeitszusage verzichteten, und somit zugleich auch nicht zur Verarbeitung von Kohle verpflichtet waren.320 Bei Hydrier- und Fischer-Tropsch-Anlagen hing also die Risikoeinschätzung der Unternehmen von dem Rohstoff ab, der mit diesen Anlagen verarbeitet wurde bzw. auf staatlichen Wunsch verarbeitet werden sollte. Das unterstreicht auch das 313

Kainer (1950), S. IV. Becker (1936), S. 125f. 315 Karlsch (2003), S. 144f. Zu Wintershall, vgl. auch Hayes (1987 a), S. 154f. 316 Karlsch (2003), S. 169. 317 Ebd., S. 252. 318 BArch R 3101 / 18290, Schreiben der Vierjahresplanbehörde an Rheinpreußen vom 16.12.1936; BArch R 3101 / 18359, Aktenvermerk zu einer Besprechung mit Dr. Beil (Wintershall) vom 23.9.1935, Bl. 91. 319 BArch R 3101 / 18290, Aktenvermerk vom 24.1.1940; BArch R 3101 / 18359, Aktenvermerk zu einer Besprechung mit Dr. Beil (Wintershall) vom 23.9.1935, Bl. 91. 320 BArch R 3101 / 18316, Aktenvermerk vom 11.5.1937; BArch R 3101 / 18220, Bl. 716ff. 314

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3.2 Die Treibstoffgewinnung mit dem Hydrier- und dem Fischer-Tropsch-Verfahren

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Beispiel des Hydrierwerks Pölitz, einem Gemeinschaftsunternehmen der deutschen Standard-Oil- und Shell-Töchter sowie der IG Farben AG bei Stettin. Die Ölkonzerne, die in diesem Werk ihre Gewinne anlegten, die sie aufgrund der deutschen Devisengesetzgebung nicht ins Ausland transferieren konnten, hatten den transportgünstig gelegenen Standort gewählt, um ausländische Erdölrückstände zur Verarbeitung mit Tankern zuführen zu können.321 Das Werk sollte auf Wunsch der Behörden in der Lage sein, sowohl auf Erdöl- als auch auf Kohlebasis zu produzieren. Für den Mehraufwand, der sich daraus ergab, Anlagenteile zu errichten, um gegebenenfalls Kohle zu verarbeiten, stellte der Staat dem Unternehmen einen staatlich verbürgten Kredit zur Verfügung.322 Ein Wirtschaftlichkeitsgarantievertrag wurde nicht abgeschlossen, wobei das Unternehmen allerdings dann den Anspruch auf einen entsprechenden Vertragsabschluss hatte, wenn der Staat die Verarbeitung von Kohle wünschen sollte. Zugleich wurde dem Unternehmen die zollfreie Einfuhr von Crackresten gewährt.323 Als die Ölhydrierung im Krieg nicht mehr möglich war, da keine Crackreste mehr importiert werden konnten, und die Anlage auf Kohle umgestellt werden musste, bestand das Unternehmen auf dem dann auch erfolgten Abschluss eines Wirtschaftlichkeitsgarantievertrags.324 Fasst man die Ergebnisse zum Investitionsverhalten in dieser Autarkiebranche zusammen, so zeigt sich, dass zum Einen sowohl Zwang als auch Druck sowie vorauseilender Gehorsam eine geringere Rolle spielten als bisher vermutet wurde. Zum Anderen hing in den Fällen, in denen privatwirtschaftliche Unternehmen freiwillig in Hydrier- und Fischer-Tropsch-Anlagen investierten, der Vertragsabschluss erstens von den Erwartungen hinsichtlich der Zukunftsfähigkeit der Anlagen unter Normalbedingungen, zweitens von den im Dritten Reich geschaffenen Rahmenbedingungen und drittens von dem verwendeten Rohstoff ab. Unternehmen, die sich von vornherein keinen Vorgaben hinsichtlich des verarbeiteten Rohstoffes unterworfen hatten, verzichteten dabei ganz auf eine vertraglich zugesicherte staatliche Risikoabnahme, da die erzeugten Produkte sowohl unter NS- als auch Normalbedingungen kurzfristig als zukunftsfähig galten. Die Unternehmen, die sich zur Verarbeitung von Kohle verpflichtet hatten, begnügten sich seit 1936 i.d.R. mit einer Wirtschaftlichkeitszusage, da infolge der hohen Benzin- und Dieselzölle das synthetische Produkt konkurrenzfähig war. Das wiederum spricht dafür, dass die Unternehmen der Zuverlässigkeit staatlicher Zusagen, hier hinsichtlich des Anspruchs, einen Wirtschaftlichkeitsgarantievertrag abschließen zu können, trauten. Dazu passt auch, dass in anderen Fällen formelle Verträge erst unterzeichnet wurden, nachdem mit dem Bau einer Anlage bereits begonnen worden war.325

321

Ter Meer (1953), Bl. 83f. BArch R 3101 / 18238, Vertrag zwischen dem Deutschen Reich und der Hydrierwerke Pölitz AG vom 29.12.1939 / 2.1.1940, Bl. 261–268. 323 BArch R 3101 / 18240, Aktenvermerk zu einer Besprechung vom 4.5.1939. 324 BArch R 3101 / 18238, Schreiben des RWM vom 2.12.1940. Zum Vertrag, vgl. BARch R 3101 / 18240, Vertrag zwischen dem Deutschen Reich und Pölitz vom 19.1. / 13.4.1942. 325 Vgl. auch Hayes (1987 a), S. 186. 322

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3. Beispielhafte Investitionsentscheidungen

Tabelle 13: Risikoeinschätzung, Vertragstyppräferenz und Vertragsdurchsetzung bei Hydrier- und Fischer-Tropsch-Anlagen Rohstoff

Zukunftsfähigkeit unter Normalbedingungen

Keine BestenKohleKurz- und Vorgafalls basis langfristig ben langfristig

Vertragsabschluß

Garantievertrag /  Wirtschaftlichkeitszusage

Garantievertrag

Leuna

ja

nein

nein

ja

Essen

ja

nein

nein

ja

Krupp

ja

nein

nein

ja

Blechhammer

ja

nein

nein

ja

Schaffgotsch

ja

nein

nein

ja

Victor

ja

nein

nein

ja

Ruhrchemie

ja

nein

nein

ja

Pölitz ab 1940

ja

nein

nein

ja

Garantievertrag /  Wirtschaftlichkeitszusage

Garantievertrag

Pölitz bis 1940

nein

ja

ja

ja

Wirtschaftlichkeitszusage

Wirtschaftlichkeitszusage

nein

ja

ja

ja

Kein Vertrag

Kein Vertrag

nein

ja

ja

ja

Kein Vertrag

Kein Vertrag

Wintershall Rheinpreußen

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Vertragstypräferenz

Garantievertrag /  Wirtschaftlichkeitszusage Garantievertrag /  Wirtschaftlichkeitszusage

Garantievertrag /  Wirtschaftlichkeitszusage Garantievertrag /  Wirtschaftlichkeitszusage Garantievertrag /  Wirtschaftlichkeitszusage Garantievertrag /  Wirtschaftlichkeitszusage

Wirtschaftlichkeitszusage Wirtschaftlichkeitszusage Garantievertrag Wirtschaftlichkeitszusage Garantievertrag Garantievertrag

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3.3. Investitionsgüter

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3.3. Investitionsgüter 3.3.1 Hochdruckhohlkörper Infolge des im Rahmen des Vierjahresplans forcierten Ausbaus der synthetischen Treibstoffindustrie entstand ein zusätzlicher Bedarf von 500 Hochdruckhohlkörpern bis zum Jahr 1940. Darunter verstand man Apparaturen, die bei der Durchführung der Hydrierung, aber auch bei der Buna- und Stickstoffproduktion benötigt wurden.326 Es handelte sich um metallische Hohlkörper mit einer Länge bis zu 18 Meter, einem Meter Durchmesser und einem Fertigungsgewicht von 60 bis 80 Tonnen.327 Zunächst wurden die Hohlkörper in Blöcken geschmiedet und dann mit verschiedenen Drehbänken bearbeitet.328 Mit den vorhandenen Kapazitäten hätte die bis 1940 benötigte Stückzahl nicht produziert werden können.329 Daher nahm die Vierjahresplanbehörde Ende 1936 Verhandlungen mit deutschen Hohlkörperproduzenten auf.330 Da die Hochdrucktechnologie auf Grund der dargestellten Verwendung auch bei der Treibstoffgewinnung aus Rohöl eingesetzt werden konnte, und somit auch unter Normalbedingungen als zukunftsfähig galt, lässt sich zunächst vermuten, dass auch für die Kapazitäten zur Herstellung des zentralen Investitionsguts dieser Technologie, Hochdruckhohlkörper, prinzipiell diese Erwartung gegolten haben dürfte. Dennoch kann aus der grundsätzlichen Verwendbarkeit der Anlagen unter Normalbedingungen nicht notwendigerweise auf eine Kapazitätsschaffung ohne staatliche Unterstützung geschlossen werden, und zwar dann nicht, wenn die Gefahr von Überkapazitäten bestand und zudem die Konversionsmöglichkeiten unter Normalbedingungen nicht unbedingt eine Auslastung gewährleistet hätten. Beides war tatsächlich der Fall. Denn die Kapazitätsauslastung war nur für wenige Jahre, nämlich bis 1940 gewährleistet. Und die einzige Alternative zur Hochdruckhohlkörperproduktion war die Herstellung von Geschützrohren331, die unter Normalbedingungen wohl ebenfalls nur begrenzt nachgefragt werden dürften. Die vom Reich gewünschten Erweiterungsanlagen waren dementsprechend nach Einschätzung der Unternehmen unter Normalbedingungen nicht voll auslastungsfähig.332 Daher schlossen Krupp und das Reich einen Wirtschaftlichkeitsgarantievertrag ab.333 Doch es stellte sich schnell heraus, dass die damit verbundene Kapazitätserweiterung nicht ausreichend war. So vermerkte das Reichswirtschaftsministerium 1938, 326

Vgl. z. B. Petzina (1968), S. 90; BArch R 3101 / 18447, Aktenvermerk vom 2.11.1937. BArch R 3101 / 18237, Aktenvermerk vom 24.5.1938, Bl. 13. 328 BArch R 8135 / 201, Bericht über die bei der Friedrich Krupp AG, Gußstahlfabrik Essen, vorgenommene Sonderprüfung 1940, Al. III, S.1f. Zur generellen Herstellung von Hohlkörpern, vgl. auch Deutsche Röhrenwerke AG (Hg.), Hohlkörper, Düsseldorf 1937. 329 BArch R 8135 / 201, Bericht über die bei der Friedrich Krupp AG, Gußstahlfabrik Essen, vorgenommene Sonderprüfung 1940, S. 1. 330 BArch R 3101 / 18220, Schreiben der Dortmund-Hoerder Hüttenverein AG an Göring vom 3.12.1937. 331 BArch R 3101 / 18220, Aktenvermerk vom 1.10.1937, Bl. 401. 332 BArch R 3101 / 18220, Schreiben an die Krupp AG, Essen und die Dortmund-Hoerder Hüttenverein AG, ca. April 1938, Bl. 448. 333 Zur Ausgestaltung des Wirtschaftlichkeitsgarantievertrags, vgl. Kapitel 2.2. 327

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3. Beispielhafte Investitionsentscheidungen

dass „die Kapazität der großen Stahlwerke für derartige Schmiedestücke so stark besetzt [ist], dass zahlreiche Aufträge des Auslands zu den verlangten Terminen nicht hereingenommen werden können, wodurch neben den Verlusten der Stahlwerke an Auslands-Geschäftsverbindungen auch beachtliche Einbußen an Deviseneingängen entstehen. […] Die Hereinnahme derartiger Auslandsaufträge erscheint unbedingt notwendig, im Hinblick auf die Devisenbeschaffung und in Rücksicht auf die Erhaltung der ausländischen Geschäftsverbindungen der Stahlwerke.“334 Außerdem war angesichts der aktuellen Pläne zum Ausbau der synthetischen Treibstoffindustrie jetzt schon absehbar, dass es ohne neue Kapazitäten zu erheblichen Verzögerungen kommen würde.335 Daher überlegten die Behörden, für den inländischen Verbrauch ein neue Produktionsmethode für Hochdruckkörper zu fördern, die eine Weiterentwicklung eines Verfahrens aus den USA war, welches sich aber auf dem Weltmarkt auf Grund seiner Neuartigkeit bisher noch nicht durchgesetzt hatte.336 Dabei handelte es sich nicht mehr um geschmiedete, sondern um so genannte gewickelte Druckbehälter.337 Der Vorteil dieses Verfahrens bestand darin, dass die Produktionszeit eines Hohlkörpers, die bisher ca. ein Jahr betragen hatte, erheblich verkürzt werden würde. Allerdings waren die gewickelten Druckbehälter großtechnisch noch nicht erprobt. Vor diesem Hintergrund nahmen die Behörden Gespräche mit den Unternehmen zu einer Verfahrensumstellung auf. Die deutschen Unternehmen erklärten sich auch grundsätzlich bereit, derartige Hohlkörper für den deutschen Markt zu produzieren. Da sie sich aber weigerten, eine Herstellergarantie zu übernehmen, die sich auf die Brauchbarkeit der Druckkörper bezog, musste das Reich den Hydrierwerken gegenüber, die in den nächsten Jahren die gewickelten Hohlkörper ausprobierten, eine entsprechende vertraglich zugesicherte Garantie übernehmen.338 Tabelle 14: Hohlkörperproduktion (to) und bewilligte Neuinvestitionen im Bereich Schmiedepresswerke (RM) bei Krupp 1930 / 31–1940 / 41 1930 / 31 1931 / 32 1932 / 33 1933 / 34 1934 / 35 1935 / 36 1936 / 37 1937 / 38

Hohlkörperproduktion 6.578 4.506 2.837 4.658 5.583 6.631 7.472 9.990

Neuinvestitionen 0 2.000 0 196.500 7.500 1.289.000 944.200 621.000

334

BArch R 3101 / 18237, Aktenvermerk vom 24.5.1938, Bl. 13ff. BArch R 3101 / 18237, Aktenvermerk vom 11.8.1938, Bl. 54. 336 BArch R 3101 / 18237, Aktenvermerk vom 13.5.1938, Bl. 3ff; Aktenvermerk vom 1.7.1938, Bl. 23. 337 Vgl. auch BArch R 3112 / 14, Arbeitsbericht von C. Krauch vom 20. / 21.4.1941, Bl. 11. 338 Vgl. z. B. BArch R 3101 / 18237, Aktenvermerk vom 15.6.1938; Vertrag zwischen dem Deutschen Reich und der Gelsenberg Benzin AG vom 12. / 26.10. / 17.11.1938, § 3. 335

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3.3. Investitionsgüter 1938 / 39 1939 / 40 1940 / 41

9.543 8.939 7.725

28.743.500 4.195.000 3.021.700

Quelle: HA Krupp WA 41 / 3-821; HA Krupp WA 41 / 3-822; HA Krupp WA 41 / 3-823; HA Krupp WA 41 / 3-824; HA Krupp WA 41 / 3-825; HA Krupp WA 41 / 3-826; HA Krupp WA 41 / 3-827; HA Krupp WA 41 / 3-828; HA Krupp WA 41 / 3-829; HA Krupp WA 41 / 3-830; HA Krupp WA 41 / 3831.

Infolge dieser vertraglichen Absicherungen stiegen in den folgenden Jahren bei Krupp die entsprechenden Neuinvestitionen im Schmiedepresswerk und die Hohlkörperproduktion stark an.339 Seit Ende der 1930er Jahre war allerdings die Hohlkörperproduktion rückläufig. Es ist zu vermuten, dass dies auf den Umstand zurückzuführen ist, dass die ehrgeizigen Pläne zum Ausbau der Treibstoffindustrie aus dem Jahr 1938 im Krieg nur zum Teil realisiert werden konnten.340 Verdrängungseffekte durch Rüstungsaufträge waren jedenfalls nicht für den rückläufigen Anteil der Hohlkörperproduktion an der Gesamtproduktion des Schmiedepresswerkes zwischen 1939 und 1941 verantwortlich. Denn deren Bedeutung blieb zwischen 1939 und 1941 in etwa konstant.341 3.3.2 Drehmaschinen Auch die Produktion der für die Herstellung von Hochdruckhohlkörpern notwendigen Investitionsgüter wurde vertraglich gefördert. Ein besonderes Gewicht hatten dabei die Anschaffungen von verschiedenen Drehbänken, mit denen die geschmiedeten Stahlblöcke bearbeitet wurden.342 Bei Krupp machten diese Anschaffungen ca. 50 Prozent des Investitionsvolumens für die vertraglich festgelegte Kapazitätserweiterung der Hochdruckhohlkörperfertigung aus.343 Diese Drehmaschinen wurden zudem von der Rüstungsindustrie nachgefragt. Aufgrund der massiv ansteigenden Aufträge unmittelbarer Rüstungsunternehmen und der Hochdruckhohlkörperproduzenten stieg im Fall der Maschinenfabrik Froriep GmbH, einem der Ausrüster für die Krupp’sche Hohlkörperproduktion, der Auftragsbestand bis Mitte 1937 derart an, dass bei seiner Erfüllung die vorhandenen Kapazitäten für die nächsten vier Jahre bereits voll ausgelastet gewesen wären. 339

Ein weiterer Teil des Schmiedepresswerkausbaus, der auch in starkem Maß unmittelbaren Rüstungsbedürfnissen galt, wurde mithilfe eines zinslosen Darlehens der Marine finanziert. Vgl. Abelshauser (2002 b), S. 341. 340 Petzina (1968), S. 125. 341 HA Krupp WA 41 / 3-828; HA Krupp WA 41 / 3-829; HA Krupp WA 41 / 3-830; HA Krupp WA 41 / 3-831. 342 Zur Entwicklung des deutschen Maschinenbaus, insbesondere auch von Drehbänken, vgl. J. A.Tooze (2003), „Punktuelle Modernisierung“: Die Akkumulation von Werkzeugmaschinen im „Dritten Reich“, in: Jahrbuch für Wirtschaftsgeschichte (JWG) 2003 / 1, S. 79–89. 343 BArch R 8135 / 201, Bericht über die bei der Friedrich Krupp AG, Gußstahlfabrik Essen, vorgenommene Sonderprüfung 1940, Anlage II.

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3. Beispielhafte Investitionsentscheidungen

Diesen Kapazitätsengpass empfand das Unternehmen insbesondere als bedenklich, weil man dadurch Exportaufträge, bei denen international üblich die Lieferfristen ein Jahr betrugen, nicht mehr annehmen konnte.344 So heißt es in einem Schreiben Frorieps an die Vierjahresplanbehörde: „Augenblicklich ist der prozentuale Exportanteil am Gesamtumsatz etwas zurückgegangen, hervorgerufen durch die ungewöhnlich starke Belegung unseres Werkes mit Inlandsaufträgen für die Wehrmacht und den Vierjahresplan. Dieser Umstand hat uns gehindert und tut dies im gegenwärtigen Augenblick in noch stärkerem Masse, unsere Exportmöglichkeiten so auszunutzen, wie es bei normaler Inanspruchnahme unseres Werkes geschehen könnte. Es ist dies deshalb zu bedauern, weil auch für unser Unternehmen die Exportmöglichkeiten augenblicklich sehr günstig beurteilt werden können.“345 Die von Froriep beigelegten quantitativen Angaben bestätigten die Aussage eindrucksvoll. Tabelle 15: Auftragsbestand (Mio. RM) der Maschinenfabrik Froriep GmbH am 24.6.1937 und seine Aufgliederung in Nachfragergruppen innerhalb der jeweiligen Erfüllungsfristen Rüstungsindustrie

Vierjahresplanunternehmen Normale Inlandsnachfrage Export Gesamt

1937 / 38 4,312

1938 / 39 2,963

1939 / 40 2,618

0,495

1,196

0

1,536

0,835

0

1,190 7,534

0,076 5,068

0 2,618

Quelle: BArch R 3101 / 18071, Schreiben der Froriep GmbH an den Beauftragten für den Vierjahresplan vom 24.6.1937, Bl. 38.

Fünf Tage später präzisierte das Unternehmen die Situation abermals: „Leider ist unser Fabrikationsprogramm von den verschiedenen öffentlichen Bedarfsträgern in der letzten Zeit derartig stark in Anspruch genommen worden, daß […] uns für den Export beinahe sämtlich Möglichkeiten abgeschnitten worden sind. Wenn die in der letzten Zeit uns auferlegten Verpflichtungen für den direkten oder indirekten Heeresbedarf zur Ausführung kommen müssen, […] dann wird bedauerlicherweise unsere Firma 2 ½ bis 3 Jahre vom Exportmarkt vollkommen abgedrängt sein. Die gegenwärtig schwebenden Angebote auf Maschinen unserer Erzeugung in den verschiedenen Ländern, deren Verwirklichung größte Aussicht hätte, beziffern wir auf mindestes 4 bis 6 Millionen RM.“346 344

BArch R 3101 / 18071, Schreiben der Froriep GmbH an die Vierjahresplanbehörde vom 29.6.1937, Bl. 29. Zu einer vergleichbaren Situation in der deutschen Schiffsbauindustrie, vgl. Meyhoff (2001), S. 211ff, 222ff. 345 BArch R 3101 / 18071, Schreiben der Froriep GmbH an die Vierjahresplanbehörde vom 24.6.1937, Bl. 20. 346 BArch R 3101 / 18071, Schreiben der Froriep GmbH an die Vierjahresplanbehörde vom 29.6.1937, Bl. 29.

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3.3. Investitionsgüter

143

Daher überlegte das Unternehmen Mitte 1937 die Kapazitäten um 50 Prozent zu erweitern. Allerdings war die Durchführung des Plans ohne staatliche Unterstützung riskant, wie es auch gegenüber staatlichen Stellen anführte: „Die Lage auf dem Schwerstmaschinenmarkt ist unübersichtlich, sodass die Firma das volle Risiko der Errichtung der Anlagen nicht tragen kann. Es ist nicht zu übersehen, ob die Abschreibungen in späteren Jahren verdient werden.“347 Deshalb machte Froriep die Kapazitätserweiterung davon abhängig, ob der Staat bereit war, einen Teil dieses Risikos zu übernehmen. Konkret forderte man eine staatliche Beteiligung an der Finanzierung der Anlagen und das Recht, steuerlich anerkannte hohe Abschreibungen ansetzten zu dürfen. Auch der Vierjehresplanbehörde war daran gelegen, dass das Unternehmen, neben einer raschen Befriedigung der staatlich induzierten Nachfrage, seine Exportmöglichkeiten ausnutzte, weil man dadurch Devisen erwirtschaften konnte.348 Allerdings war das Reichsfinanzministerium zunächst nicht bereit, dem Unternehmen die verlangten hohen Abschreibungen im Falle einer Kapazitätserweiterung zuzugestehen. Das hatte zur Folge, dass Froriep am 10. August 1937 drohte, die Verhandlungen abzubrechen: „Wir halten deswegen weitere Verhandlungen […] für zwecklos.“349 Daraufhin drängte die Vierjahresplanbehörde mit einem Schreiben vom 14. August 1937 das zuständige Finanzamt in Rheydt, der genannten Forderung nachzugeben. Auffällig ist auch hier, dass explizit auf Zwangsmaßnahmen oder Druck seitens des Staates gegenüber dem Unternehmen verzichtet werden sollte, obwohl zu diesem Zeitpunkt bereits die Gründung der Reichswerke Herrmann Göring beschlossen worden war350, die immer wieder als Wendepunkt der Beziehungen zwischen Staat und Wirtschaft zu einer Befehlswirtschaft interpretiert wird: „Die Firma hat, da die sofortige günstige Entscheidung ihres steuerlichen Antrags nicht erzielt werden konnte […] die Erweiterung abgelehnt. Da irgendwelche Zwangsmittel nicht zur Verfügung stehen und ein besonderer Druck aus allgemeiner Erwägung nicht ausgeübt werden soll, ist die Entscheidung der Steuerfrage von massgebender Bedeutung für das Zustandekommen des Vertrags. Ich bitte daher […] um Mitteilung ihres Standpunktes […].“351 Nachdem dann der Forderung doch noch entsprochen worden war, schloss Froriep mit dem Reich am 23. / 24.9.1937 einen Risikoteilungsvertrag ab, in dem sich das Unternehmen verpflichtete, seine Kapazitäten um 50 Prozent zu erweitern.352 Die Risikoteilung bestand neben dem Zugeständnis steuerlich hoher Abschreibungen darin, dass ein Teil der Investitionen durch zum Teil zinslose staatliche 347

BArch R 3101 / 18071, Aktenvermerk vom 14.6.1937, Bl. 9. BArch R 3101 / 18071, Schreiben der Vierjahresplanbehörde an das Reichsfinanzministerium vom 6.7.1937, Bl. 43. 349 BArch R 3101 / 18071, Schreiben der Froriep GmbH an die Vierjahresplanbehörde vom 10.8.1937, Bl. 95. 350 Vgl. z. B. BArch R 2 / 19553, Aktenvermerk vom 12.7.1937. 351 BArch R 3101 / 18071, Schreiben der Vierjahresplanbehörde an das Finanzamt Rheydt vom 14.8.1937, Bl. 102f. 352 BArch R 3101 / 18071, Aktenvermerk vom 27.8.1937, Bl. 115; Einschreiben der Vierjahresplanbehörde an die Froriep GmbH vom 1.11.1937, Bl. 170. 348

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3. Beispielhafte Investitionsentscheidungen

Darlehen finanziert wurde.353 Zudem wurde – vergleichbar dem Buna-II-Vertrag – eine Risikoklausel zugestanden. Danach war das Unternehmen nur dann zur Tilgung verpflichtet, wenn eine gewisse Umsatzhöhe, faktisch also eine hohe Auslastung der mit dem Kredit erweiterten Kapazitäten, erzielt wurde.354 Würde der Umsatz unter vier Mio. RM fallen, also unter die Normalauslastung der vor der Erweiterung vorhandenen Kapazitäten, sollten die Tilgungsrate reduziert und bei Unterschreiten von 3,6 Mio. RM ausgesetzt werden. Schaubild 10: Gesamt-, Auslandsumsatz und Auftragsbestand der Maschinenfabrik Froriep GmbH 1926-1940 25

20

Mio. RM

15

10

5

0

1926

1927

1928

1929

1930

1931

1932

1933

1934

1935

1936

1937

1938

1939

1940

Jahr

Gesamtumsatz

auslandsumsatz

auftragsbestand

Quelle: Für 1926–1936, vgl. BArch R 3101 / 18071, Schreiben der Froriep GmbH an die Vierjahresplanbehörde vom 24.6.1937, Bl. 202; für 1937, vgl. BArch R 3101 / 18071, Bericht der Deutschen Revisions- und Treuhand AG über die Froriep GmbH 1938 / 39, Bl. 254f; für 1939 und 1940, vgl. BArch R 3101 / 18071, Bericht der Deutschen Revisions- und Treuhand AG über die Froriep GmbH 1939 / 40, Bl. 458f.

Allerdings ging trotz der Kapazitätserweiterung der Wunsch des Unternehmens, wieder mit einem stärkerem Anteil am Gesamtumsatz auf den Exportmärkten präsent zu sein, nicht in Erfüllung. Im Gegenteil, die Kapazitätserweiterung kam lediglich der Inlandsnachfrage zugute. Nur kurzfristig konnte der hohe Auftragsbestand abgebaut werden, um sich im Krieg, gemessen an der verfügbaren Jahreskapazität, dann erneut so auszuweiten, dass bei seiner Erfüllung die Kapazitäten wieder für ca. vier Jahre im Voraus ausgelastet waren.355 Durch diese hohe Nachfrage wurde

353

BArch R 3101 / 18071, Froriepvertrag, § 2 u. § 3, Bl. 173f. BArch R 3101 / 18071, Froriepvertrag, § 5, Bl. 175. 355 Vgl. Schaubild 10. 354

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3.3. Investitionsgüter

Froriep allerdings in die Lage versetzt, den staatlichen Kredit bis Mitte 1941 restlos zu tilgen.356 Die Dr. Waldrich KG, eine Werkzeugmaschinenfabrik in Siegen und ebenfalls Ausrüster von Krupp, wurde in gleicher Weise gefördert. Denn auch hier kam es zu einem immer stärkeren Anstieg des Auftragsbestands infolge der staatlich induzierten Inlandsnachfrage.357 Schaubild 11: Auftragsbestand, Gesamt- und Auslandsumsatz der Maschinenbaufabrik Dr. Waldrich KG 1932-1937 (Mio. RM) 18 16 14

Mio. RM

12 10 8 6 4 2 0

1932/2

1933/1

1933/2

1934/1

1934/2

auftragsbestand

1935/1 Jahr

Gesamtumsatz

1935/2

1936/1

1936/2

1937/1

1937/2

auslandsumsatz

Quelle: BArch R 3101 / 18082, Schreiben von J. E. Klass, Syndikus der Dr. Waldrich KG vom 12.9.37.

Dabei bestand das Unternehmen auf einer Gleichbehandlung mit dem Wettbewerber Froriep.358 Nur bei einer vergleichbaren Vertragskonstruktion wie Froriep käme auch hier eine Kapazitätserweiterung in Frage.359 Diese Forderung wurde von den Behörden anerkannt. So heißt es in den Akten des Reichswirtschaftsministeriums: „Zur Frage des Risikos der neuen Anlage ist darauf hinzuweisen, dass die Fabrikation im wesentlichen im Interesse des Heereswaffenamtes aufgenommen wird und sich auf schwerste Werkzeugmaschinen bezieht. Für solche Maschinen besteht eine rege Nachfrage in großen Investitionsperioden. Sind diese vorüber, so wird die Firma im wesentlichen auf Exporte angewiesen sein. Die gleiche Frage ist zwischen Ressorts im Falle Froriep behandelt worden. Die Zubilligung einer Risiko356

BArch R 3101 / 18072, Schreiben des Reichswirtschaftsministeriums an das Reichsfinanzministerium und an den Reichrechnungshof vom 19.8.1941. 357 BArch R 3101 / 18082, Schreiben des OKH an die Dr. Waldrich KG vom 11.6.1937. 358 BArch R 3101 / 18082, Schreiben von J.E. Klass, Syndikus der Dr. Waldrich KG, an das Amt für deutsche Roh- und Werkstoffe vom 6.12.1937. 359 BArch R 3101 / 18082, Schreiben des RWM an die Deutsche Revisions- und Treuhand AG vom 26.2.1938.

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3. Beispielhafte Investitionsentscheidungen

klausel erscheint angemessen.“360 Aus diesem Grund setzte sich auch das Oberkommando des Heeres explizit für die Kreditvergabe ein: „Das Oberkommando des Heeres befürwortet, da es sich um allerdringlichste Aufträge im Rahmen der Aufrüstung bezw. (sic!) des Vierjahresplanes handelt, die Aufnahme des beantragten Kredits, und zwar um so mehr, als die Einhaltung der Lieferfristen der für den indirekten Heeresbedarf bestellten Maschinen nur möglich ist, wenn die obenstehenden Anlagen errichtet werden.“361 Entsprechend wurde im Waldrichvertrag ein Teil des Darlehens zinslos gewährt und auch hier eine etwas modifizierte Risikoklausel implementiert.362 Wie aber passt die Vertragswahl der beiden Maschinenbauer zu den bisher, insbesondere im Fall der Bunaproduktion, gewonnenen Erkenntnissen darüber, wann ein Unternehmen einen Risikoteilungsvertrag wählen würde? Bei der Bunaproduktion hatte die IG ja auf den Abschluss eines Wirtschaftlichkeitsgarantievertrags verzichtet und für einen Risikoteilungsvertrag optiert, als sie davon ausgehen konnte, dass aufgrund der gestiegenen Wettbewerbsfähigkeit des Synthesekautschuks das Amortisationsrisiko der Investitionen unter Normalbedingungen nur noch gering war. Ein ebenfalls geringes Restrisiko lässt sich für die Erweiterungsinvestitionen der Froriep GmbH und der Dr. Waldrich KG nachweisen, wobei es hier sogar relativ problemlos quantifizierbar ist. Dieser Quantifizierung liegen folgende Annahmen zugrunde:

1) Kurze Zeit nach der Kapazitätserweiterung treten Normalbedingungen ein, d. h.es wird unterstellt, dass weitere staatlich induzierte Aufträge nicht mehr erfolgen. 2) Unter Normalbedingungen ergibt sich im Durchschnitt der folgenden Jahren ein jährliches Auftragsvolumen, welches die Altkapazitäten wenigstens zu 83 Prozent auslastet. Diese Quote ergibt sich zum Einen aus dem Umstand, dass nach dem Froriepvertrag das Unternehmen zur vollen Tilgung des Kredites verpflichtet war, solange es wenigstens einen Umsatz von vier Mio. RM erzielen würde  –  also 83 Prozent der mit den bisherigen Kapazitäten in den Jahren zuvor erreichten maximalen Umsatzhöhe. Zum Anderen enstprach dies in etwa dem Umsatz Frorieps, bevor sich die Weltwirtschaftskrise bemerkbar machte.363 Demzufolge wurde unterstellt, dass bei einem Umsatz von vier Mio. RM das Unternehmen hinreichende Gewinne machen würde  –  was ja unter normalen konjunkturellen Bedingungen auch die Regel war. Wenn dies aber der Fall war, so kann man zugleich davon ausgehen, dass ein Umsatz von vier Mio. RM wenigstens für die normale Amortisation der Altkapazitäten ausreichte. 3) Der vorhandene Auftragsbestand erhöht sich durch die Kapazitätserweiterung um das durch letztere zusätzlich jährlich geschaffene Umsatzpotential und ergibt den sogenannten potentiellen Auftragsbestand. Dies erscheint daher plausibel, da man ja allein schon Exportaufträge ablehnen musste, die bei weitem das durch die Kapazitätserweiterung zusätzlich jährlich geschaffene Umsatzpotential überschritten hatten. In Verbindung mit der zweiten Annahme

360

Ebd. Ebd. 362 BArch R 3101 / 18082, Entwurf zum Waldrichvertrag vom 5.4.1938, § 2; § 3; § 5. Dieser Vertrag wurde in dieser Form auch abgeschlossen, vgl. BArch R 3101 / 18082, Vermerk des Reichswirtschaftsministeriums vom März 1939. Vgl. zur entsprechenden zeitgenössischen Interpretation des Vertrags, BArch R 3101 / 18082, Schreiben des Reichswirtschaftsministeriums an die Deutsche Revisions- und Treuhand AG vom 26.2.1938. 363 Schaubild 10. 361

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3.3. Investitionsgüter

folgt weiter, dass die Multiplikation des zusätzlich jährlich geschaffenen Umsatzpotentials mit dem Faktor 0,83 auch bei den Erweiterungsinvestitionen den jährlichen Mindestumsatz der Kapazitätserweiterung ergibt, der zur jährlichen Amortisation notwendig ist. 4) Die normale Amortisationsdauer beträgt zehn Jahre. Wenn also der potentielle Auftragsbestand abzüglich des jährlichen Mindestumsatzes, der zur Amortisation der Altkapazitäten ausreichen würde, genau dem jährlichen Mindestumsatz der Kapazitätserweiterung entspräche, der zu deren jährlichen Amortisation notwendig ist, so wäre für den Investor das Amortisationsrisiko der Anlagenerweiterung wenigsten zu zehn Prozent abgedeckt.

Tabelle 16: Auftragsbedingte Absicherung des Amortisationsrisikos der Kapazitätserweiterungen bei der Froriep GmbH und der Dr. Waldrich KG Auftragsbestand (Mio. RM)

Jährlicher max. Normalauftragsbestand (Mio. RM) = volle Kapazitätsauslastung

0,83 x jährlicher max. Normalauftragsbestand (Mio. RM) = amortisationsbedingter jährlicher Mindestumsatz der Altkapazitäten (Mio. RM) Jährliches Umsatzpotential der Kapazitätserweiterung (Mio. RM)

Auftragsbestand (Mio. RM) + Jährliches Umsatzpotential der Kapazitätserweiterung (Mio. RM) = potentieller Auftragsbestand (Mio. RM) 0,83 x jährliches Umsatzpotential der Kapazitätserweiterung (Mio. RM) = amortisationsbedingter jährlicher Mindestumsatz der Kapazitätserweiterung (Mio. RM) (potentieller Auftragsbestand – amortisationsbedingter jährlicher Mindestumsatz der Altkapazitäten) / [10 x (amortisationsbedingter jährlicher Mindestumsatz der Kapazitätserweiterung)] = auftragsbedingte Absicherung des Amortisationsrisikos der Kapazitätserweiterungen (%)

Froriep GmbH

Dr. Waldrich KG

4,8

6,4

0,83 x 4,8 = 4

0,83 x 6,4 = 5,32

2,4

2,16

15,2 + 2,4 = 17,6

16,17 + 2,16 = 18,33

0,83 x 2,4 = 2

0,83 x 2,16 = 1,8

(17,6  –  4)  /  (2 x 10 )

(18,33  –  5,32)  /  (1,8 x 10) = 72

15,2

= 68

16,17

Eigene Berechnung. Quellen: für die Froriep GmbH, vgl. Quelle Schaubild 10; BArch R 3101 / 18071, Schreiben der Froriep GmbH an die Vierjahresplanbehörde vom 29.6.1937, Bl. 29; für die Dr. Waldrich KG, vgl. Quelle Schaubild 11.

Bei der Berechnung der auftragsbedingten Absicherung des Amortisationsrisikos der Kapazitätserweiterungen auf der Grundlage der getroffenen Annahmen und der in den Quellen gegebenen Daten ist der Umstand zu beachten, dass es keine Angaben für das zusätzliche Umsatzpotential der Kapazitätserweiterung bei der Dr. Waldrich KG gibt. Es lassen sich lediglich Daten zu dem Investitionsvolumen fin-

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3. Beispielhafte Investitionsentscheidungen

den. Allerdings kann dieser Mangel behoben werden, indem man – was angesichts der Ähnlichkeit der hergestellten Produkte auch zulässig sein dürfte  –  von einem gleichen Verhältnis zwischen Kapazitätserweiterung und zusätzlichem Umsatz für die Dr. Waldrich KG wie bei der Froriep GmbH ausgeht, für welche wiederum beide Angaben ermittelbar sind. Als Ergebnis dieser Berechnungen ergibt sich für beide Maschinenbauer, dass allein der potentielle Auftragsbestand dafür gesorgt hat, dass selbst im Fall einer sofortigen Normalisierung das Amortisationsrisiko der Erweiterungsinvestitionen weitgehend abgedeckt worden wäre.364 Zugleich erscheint es auch aus dieser Perspektive einleuchtend, warum im Unterschied zu diesen beiden Maschinenbauern bei den Investitionen für die Hochdruckhohlkörperproduktion ein Wirtschaftlichkeitsgarantievertrag gewählt wurde. Denn durch die infolge der Vierjahresplannachfrage zugesicherte Auslastung der Neuanlagen für drei Jahre wäre mit Sicherheit das Amortisationsrisiko, unterstellt man eine normale Abschreibungsdauer, gerade zu etwa 30 Prozent, nicht aber wie in den Fällen der Maschinenbauer zu 68 Prozent bzw. zu 72 Prozent abgedeckt worden. Gleichzeitig zeigt die Modellrechnung für die beiden Maschinenbauer, dass die Unternehmen einen Wechsel in der Wirtschaftspolitik nicht ausschlossen. Andernfalls lässt sich die Forderung nach dem Abschluss eines expliziten Risikotei­ lungsvertrags als conditio sine qua non für den Kapazitätsausbau gerade angesichts des hohen Auftragsbestands nicht erklären.

3.4. Chemische Vorprodukte 3.4.1 Glycerin Bis 1936 wurde Glycerin, eine farb- und geruchlose Flüssigkeit, in Deutschland ausschließlich bei der Fettverarbeitung in der Seifen- und Stearinindustrie gewonnen.365 Rohglycerin, das dabei als Nebenprodukt anfiel, wurde durch weitere Eindampfung, Reinigung und Destillation zu Raffinations- und Destillationsglycerin oder zu Dynamitglycerin verarbeitet. Dazu benötigte man spezielle Anlagen. Die größeren Seifenproduzenten hatten in der Regel derartige Destillationsanlagen ihren Seifenfabriken angegliedert. Das Rohglycerin konnte dabei entweder als „Saponifikatglycerin“ aus den bei der Fettspaltung, dem moderneren Verfahren der Fettverarbeitung, anfallenden Spaltwässern oder als „Unterlaugen-Rohglycerin“ aus dem Abfallprodukt des älteren Verfahrens, der alkalischen Fettverseifung, gewonnen werden. Glycerin fand zu dieser Zeit Verwendung bei der Explosivstoffherstellung, bei Kosmetikprodukten 364

Tabelle 16. BArch R 8128 / A 888, Denkschrift der volkswirtschaftlichen Abteilung der IG Farben AG vom 18.3.1936: Die Glyzerinversorgung Deutschlands, S. 1. Zur Fettspaltung und zur Gewinnung von Unterlaugenglyzerin, vgl. auch F. Fahrion, Die Fabrikation der Margarine, des Glyzerins und Stearins, Berlin 1920, S. 58f, S. 72ff, F. Bohmert, 75 Jahre Henkel Glycerin, Düsseldorf 1985, S. 24–27. Generell zu Glyzerin, vgl. J. Falbe / M. Regitz, Römpp, Chemielexikon, Bd. 2, Stuttgart 1990, 5. Aufl., S. 1609. 365

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3.4. Chemische Vorprodukte

und Nahrungsmittelen sowie bei Frostschutzmitteln und Heizflüssigkeit, aber auch zunehmend bei Kunststoffen und Lacken.366 Infolge des Devisenmangels im Jahr 1934 beabsichtigte das Reich, die industrielle Fetteinfuhr zu reduzieren.367 Um dennoch die inländische Glycerinversorgung zu gewährleisten, wurde per Verordnung mit Wirkung zum 1.9.1934 der inländische Glycerinpreis, der bis dahin in etwa mit 70 Rpf / kg dem Weltmarktpreis entsprach, auf 1 RM festgesetzt. Damit wollte das Reich Anreize schaffen, dass es sich für die Unternehmen in Deutschland lohnte, auch aus verdünnten Unterlaugen Glycerin zu gewinnen, was zwar technisch möglich, bis zu diesem Zeitpunkt aber nicht rentabel gewesen war. Gleichzeitig führte man einen Verarbeitungszwang für Unterlaugen ein. Durch diese Maßnahmen erhoffte sich das Reich, die knappen Devisen sparen zu können. Schaubild 12: Tatsächliche und potentielle Glycerinproduktion aus Unterlaugen im Deutschen Reich 1928-1935 (jato) 6000

5000

jato

4000

3000

2000

1000

0

1928

1929

1930

1931

Jahr

Tatsächliche Produktion

1932

1933

1934

1935

Potentielle Produktion

Quelle: Für die tatsächliche Glycerinproduktion aus Unterlaugen, vgl. BArch R 8128 / A 888, Denkschrift der volkswirtschaftlichen Abteilung der IG Farben AG vom 18.3.1936: Die Glyzerinversorgung Deutschlands, S. 3; für die potentielle Glycerinproduktion aus Unterlaugen, eigene Berechnung auf der Basis der Angaben zum Anteil der alkalischen Fettverseifung an der gesamten Fettverarbeitung der Seifenindustrie und der prozentualen Glycerinausbeute pro kg verarbeiteten Fett bei diesem Verfahren, vgl. ebd., S. 4. 366

BASF Archiv, IG-Bestand B 4 / 128, Der derzeitige Stand der Glyceringewinnung durch Zucker, Denkschrift der technischen Direktion vom 30.4.1935; BArch R 8128 / A 888, Denkschrift der volkswirtschaftlichen Abteilung der IG Farben AG vom 18.3.1936: Die Glyzerinversorgung Deutschlands, S. 6f. Zur weiteren Verwendung, vgl. Fahrion (1920), S. 77f; E. Schlenker, Das Glycerin (Monographien aus dem Gebiete der Fett-Chemie, Bd. XIV), Stuttgart 1932, S. 206–243; G. Leffingwell / M. Lesser, Glycerin. Its Industrial and Commercial Applications, New York 1945. 367 Vgl. BArch R 8128 / A 888, Denkschrift der volkswirtschaftlichen Abteilung der IG Farben AG vom 18.3.1936: Die Glyzerinversorgung Deutschlands, S. 3f; S. 6; Al. 3-5.

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3. Beispielhafte Investitionsentscheidungen

Durch diese Politik kam es zum einen zu Einer deutlichen Entkoppelung des deutschen Glycerinpreises vom Weltmarktpreisniveau.368 Zum Anderen stieg der Verarbeitungsgrad von Unterlaugen stark an.369 Der Rückgang der potentiellen Glycerinproduktion aus Unterlaugen im Jahr 1935 gegenüber 1934 war dabei auf den Umstand zurückzuführen, dass aufgrund des Devisenmangels 1935 die Fetteinfuhr gegenüber dem Vorjahr um 25 Prozent gedrosselt wurde.370 Allerdings zeigt sich auch, dass die Unternehmen den gesetzlichen Verarbeitungszwang nicht immer befolgten. Denn offensichtlich wurde 1935 entgegen der Verordnung aus ca. 15 Prozent der Unterlaugen doch kein Glycerin gewonnen. Dies war auch staatlichen Stellen durchaus bewusst, ohne dass dies zu diesem Zeitpunkt irgendwelche Konsequenzen für die betreffenden Unternehmen nach sich gezogen hätte. Denn diese überwiegend kleinen Seifenproduzenten hätten bei der Glycerinherstellung Selbstkosten gehabt, die weit über dem staatlich festgelegten Preisniveau gelegen hätten. Daraus ist zu schließen, dass der gesetzliche Verarbeitungszwang nur formaler bzw. symbolischer Natur war. Dafür spricht auch, dass die Gewährung eines hohen Preises bewusst ja als Verarbeitungsanreiz eingesetzt worden war und eine derartige Funktion überflüssig gewesen wäre, wenn man tatsächlich den Verarbeitungszwang hätte durchsetzen wollen. Trotz dieser Maßnahmen entwickelte sich die deutsche Glycerinversorgung kritisch. Auf der einen Seite wuchs die potentielle Nachfrage, auch gegenüber der Situation vor der Weltwirtschaftskrise, und ein weiterer Anstieg wurde von der IG aufgrund des erwarteten zunehmenden Bedarfs an zivilen und militärischen Sprengstoffen sowie der steigenden Nachfrage nach Kunststoffen und Lacken prognostiziert.371 Auf der anderen Seite sank die Produktion, von der knapp die Hälfte auf Henkel entfiel, trotz anteilig steigender Unterlaugenverarbeitung infolge der devisenbedingten Fetteinfuhrreduktion, so dass die Glycerinhandelsbilanz Deutschlands negativ wurde und der tatsächliche Verbrauch sank.372

368

Ebd. Schaubild 12. 370 BArch R 8128 / A 888, Denkschrift der volkswirtschaftlichen Abteilung der IG Farben AG vom 18.3.1936: Die Glyzerinversorgung Deutschlands, S. 3f; S. 6; Al. 3-5. 371 BASF Archiv, IG-Bestand B 4 / 128, Der derzeitige Stand der Glyceringewinnung durch Zucker, Denkschrift der technischen Direktion vom 30.4.1935, S. 4; BArch R 8128 / A 888, Denkschrift der volkswirtschaftlichen Abteilung der IG Farben AG vom 18.3.1936: Die Glyzerinversorgung Deutschlands, S. 6f. 372 Zu Henkel, vgl. W. Feldenkirchen / S. Hilger, Menschen und Marken. 125 Jahre Henkel 1876– 2001, Düsseldorf 2001, S. 75f. 369

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3.4. Chemische Vorprodukte

Schaubild 13: Glycerinverbrauch und -produktion im Deutschen Reich 1928-1935 18000 16000 14000 12000

jato

10000 8000 6000 4000 2000 0

1928

1929

1930

1931

Jahr

Verbrauch

1932

1933

1934

1935

Produktion

Quelle: BArch R 8128 / A 888, Denkschrift der volkswirtschaftlichen Abteilung der IG Farben AG vom 18.3.1936: Die Glyzerinversorgung Deutschlands, S. 10.

Vor dem Hintergrund der enormen inländischen Preissteigerung, drohenden Versorgungsschwierigkeiten und auch angesichts des Interesses des Reichswehrministeriums überlegte die IG Farben AG seit Mitte der 1930er Jahre am Standort Ludwigshafen die Glycerinproduktion für den Eigenbedarf aufzunehmen.373 Nach der Dynamit AG, einer IG-Tochter, war das Unternehmen der größte deutsche Verbraucher. Eine interne Denkschrift der IG Farben AG, die sich mit der Frage beschäftigte, ob man dazu ein bis dato noch nicht eingesetztes Verfahren zur Glyceringewinnung aus Zucker anwenden solle oder nicht, kann als beispielhaft auch für andere Investitionsentscheidungen unter den Bedingungen der NS-Wirtschaftspolitik gelten, wird doch in ihr die Bedeutung kontrafaktischer Rahmenbedingungen hervorgehoben.374 So heißt es in der erwähnten Denkschrift: „[…] für die Entscheidung, ob für die IG eine Eigenerzeugung ihres Glycerinbedarfs zweckmäßig ist, [wird] die kalkulatorische Seite des Gärungsglycerins selbst zu überlegen sein: wie sich der Glycerinpreis in der Zukunft gestalten wird, wie weit sich die Gestehkosten durch die neuen Methoden senken lassen und ob dann die Gewinnchance groß genug bleibt, um das Risiko der Neuinvestierung auszugleichen.“375 Weiter setzte sich die interne Denkschrift detailliert mit dem deutschen Glycerinmarkt auseinander. Zu diesem Zeitpunkt, im 373

BASF Archiv, IG-Bestand B 4 / 128, Der derzeitige Stand der Glyceringewinnung durch Zucker, Denkschrift der technischen Direktion vom 30.4.1935. 374 Zu älteren Verfahren zur Glycerinherstellung aus Zucker und ihres, allerdings nicht rentablen Einsatzes im Ersten Weltkrieg, vgl. Fahrion (1920), S. 83ff; Schlenker (1932), S. 154–168. 375 BASF Archiv, IG-Bestand B 4 / 128, Der derzeitige Stand der Glyceringewinnung durch Zucker, Denkschrift der technischen Direktion vom 30.4.1935, S. 2.

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3. Beispielhafte Investitionsentscheidungen

Frühjahr 1935, ging die IG davon aus, dass die bestehenden Kapazitäten unter Normalbedingungen ausreichend seien, da üblicherweise Deutschland sogar Nettoexporteur war. Laut Denkschrift verteilte sich die potentielle Gesamtkapazität in Deutschland auf drei Gruppen von Anbietern, die sich durch erheblich differierende Selbstkosten pro kg Glycerin unterschieden, die in Tabelle 17 dargestellt werden. Wenn auch die der Tabelle 17 zugrunde liegende Annahme über die damals aktuellen Glycerinkapazitäten durchaus der Realität entsprach, so unterschätzte offensichtlich die IG zu diesem Zeitpunkt die Bedeutung der Fettspaltung in der Seifenindustrie und überschätzte die quantitative Bedeutung von Unterlaugen-Rohglycerin. Etwas zu niedrig war auch die Annahme über die tatsächliche Produktion in Abhängigkeit von einem bestimmten Preisniveau. So müssten bei einem Preisniveau von ca. 76 Rpf / kg, wie es tatsächlich 1931 herrschte, nach der Tabelle 11.000 jato produziert worden sein, während es in der Realität 12.900 jato waren.376 Tabelle 17: Produktionskapazitäten und Selbstkosten (Rpf pro kg) verschiedener Gruppen potentieller Fettglycerinproduzenten Herstellergruppen

Herstellungsweise

Gruppe A

Nebenprodukt der Fettverseifung bei großen Seifeproduzenten

Gruppe B Gruppe C

Kauf und Verarbeitung von Unterlaugen Verarbeitung von verdünnten Unterlaugen

Vorhandene Kapazität (jato)

Durchschnittliche Selbstkosten

7.000

30 Rpf

4.000

ca. 72 Rpf

4.000

ca. 100 Rpf

Quelle: BASF Archiv, IG Bestand B 4 / 128, Der derzeitige Stand der Glyceringewinnung durch Zucker.

Nach diesen Überlegungen wäre unter Normalbedingungen, für die man den damals aktuellen Weltmarktpreis von ca. 65 Rpf / kg unterstellte377, ein Teil der Unterlaugen nicht verarbeitet worden. Daher, so ein zentrales Ergebnis der Denkschrift, kam die Herstellung von Glycerin aus Zucker, einem alternativen Verfahren, an dessen großtechnischer Umsetzung und Verbesserung die IG arbeitete, nur dann in Frage, wenn man davon ausgehen konnte, in etwa so kostengünstig wie Gruppe B produzieren zu können. Dieser Fall würde aber nur dann eintreten, wenn das Reich der IG garantieren würde, dass zum Einen der Bezugspreis des Inputs Zucker während der Amortisationsdauer den damals tatsächlichen Zuckerpreis unterschreiten würde. Zum Anderen müsste das Reich sich verpflichten, das bei der Gewinnung von Gärungsglycerin anfallende Nebenprodukt Sprit zu einem bestimmten Preis abzunehmen.378 Denn bei den herrschenden Preisen kalkulierte man für den Stand376

Zum Glycerinpreis, vgl. BArch R 8128 / A 888, Denkschrift der volkswirtschaftlichen Abteilung der IG Farben AG vom 18.3.1936: Die Glyzerinversorgung Deutschlands, Al. 3; zur Produktion, vgl. Schaubild 13. 377 BASF Archiv, IG-Bestand B 4 / 128, Der derzeitige Stand der Glyceringewinnung durch Zucker, Denkschrift der technischen Direktion vom 30.4.1935. 378 Ebd. BASF Archiv, IG-Bestand B 4 / 128, Bericht über die Glycerinbesprechung im Reichs-

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3.4. Chemische Vorprodukte

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ort Ludwigshafen Selbstkosten von 1 RM / kg Gärungsglycerin. Durch die geforderten Maßnahmen hingegen, zuzüglich der Übernahme der Versuchskosten, erhoffte die IG binnen drei Jahren die Investitionen amortisieren zu können. Das erachtete man als notwendig, weil man sich gegen eine erneute Wirtschaftskrise und einen erneuten Sturz des Weltmarktpreises auf ein Niveau von 50 Rpf / kg absichern wollte. Diese Forderungen des Unternehmens lehnte das Reich mit dem Hinweis ab, es gäbe noch andere Interessen­ten. Daraufhin verzichtete die IG auf die Erstattung der Versuchskosten.379 Auf den genannten Preis- und Absatzgarantien bestand das Unternehmen jedoch weiterhin.380 Der nächste Konflikt zwischen der IG Farben AG und staatlichen Stellen entzündete sich an der Frage des Standorts.381 Käme aus wehrwirtschaftlichen Gründen für das Reich der Standort Ludwigshafen nicht in Frage, so Unternehmensvertreter gegenüber dem Reichskriegsministerium, würde die IG nur dann Kapazitäten errichten, wenn über die ohnehin geforderten Garantien hinaus bzw. an ihrer Stelle weitere Zuschüsse bzw. ein größeres Ausmaß der Risikoübernahme seitens des Staates geleistet werden würden.382 Diese Maßnahmen sollten die Nachteile ausgleichen, die dem Unternehmen dadurch entstünden, dass man auf die Vorteile Ludwigshafens, d. h. auf die dortige personelle und technische Ausstattung, auf die unmittelbare Nähe zum unternehmensinternen Verbrauch und auf die Beschaffung von Hilfsstoffen aus dem eigenen Werk verzichten würde. Konkret schlug die IG Farben AG dem Reich vor, die gewünschte Anlage in Schkopau zu errichten, falls eine außerordentlich hohe Gewinngarantie zugestanden werden würde.383 Alternativ sollte das Reich die Anlagenerstellung finanzieren und die IG lediglich als Betreiber fungieren. Aber auch der Standort Schkopau wurde zunächst vom Reich abgelehnt, weil dort aufgrund des Baus anderer wehrwirtschaftlich wichtiger Anlagen eine zu große Massierung befürchtet wurde.384 Die IG bestand auf dem Standort, insbesondere aufgrund der steigenden Aussicht, „Glycerin auf Basis Kohle erzeugen zu können, die sowohl wirtschaftlich als auch chemisch-technisch der Herstellung aus Zucker unbedingt vorzuziehen ist. Vorbedingung dafür ist natürlich unmittelbarer Anschluß an den Rohstoff Kohle, wie er in Schkopau gerade noch möglich ist.“385 Außerdem sollte aufgrund der Neuartigkeit des Verfahrens eine Produktion in einem großen IG-Werk stattfinden, um das dort vorhandene Humankapital und Know-how entsprechend ausnutzen zu können.386 wirtschaftsministerium am 1.7.1935. 379 BASF Archiv, IG-Bestand B 4 / 128, Schreiben der IG an das Reichswirtschaftsministerium vom 21.12.1935. 380 BASF Archiv, IG-Bestand B 4 / 128, Schreiben der IG an den Reichsbeauftragten für industrielle Fettversorgung vom 15.2.1936. 381 BASF Archiv, IG-Bestand B 4 / 128, Aktenvermerk vom 20.3.1936. 382 BASF Archiv, IG-Bestand B 4 / 128, Aktenvermerk über eine Besprechung am 19.3.1936 im Reichskriegsministerium. 383 Ebd. BASF Archiv, IG-Bestand B 4 / 128, Schreiben des Reichskriegsministers an die IG vom 19.5.1936. 384 Ebd. 385 BASF Archiv, IG-Bestand B 4 / 128, interner Bericht vom 28.5.1936. 386 BASF Archiv, IG-Bestand B 4 / 128, Schreiben der IG an das Reichskriegsministerium vom

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3. Beispielhafte Investitionsentscheidungen

Schließlich konnte die IG doch den Standort Schkopau durchsetzen. Ende 1936 wurde nämlich, ebenfalls wie vom Unternehmen gefordert, ein Pachtvertrag für die Betreibung einer Anlage in Schkopau zur Produktion von synthetischem Glycerin auf Kohlebasis unterzeichnet.387 Eine weitere Pachtanlage entstand in Wolfen. Die Wahl der Vertragsform für beide Anlagen ist dabei nicht überraschend. Man prognostizierte selbst für die Glyceringewinnung auf Kohlebasis Selbstkosten von 72–83 Rpf / kg388, was zwar deutlich billiger als die Herstellung mit dem Rohstoff Zucker war389, allerdings gemessen an den Rentabilitätsüberlegungen des Jahres 1935 ein hohes Verlustrisiko nach sich gezogen hätte. Dabei kam von vornherein noch ein kostensteigerndes Element hinzu, das sich aufgrund bestimmter staatlicher Auflagen beim Bau für diese dem militärischen Bedarf dienenden Anlagen ergab. Denn generell erfolgte deren Ausbau „nicht nach Gesichtspunkten der Rentabilität, sondern der militärischen Notwendigkeit und Zweckmäßigkeit“390. Dabei kam es insbesondere zu einer überteuerten Bauweise: „Tarnungsgründe und Betriebssicherheit gegen Feindeinwirkungen (Fliegerschäden, Explosionen) haben zu einer aufgelockerten, gestreuten Bauweise mit vielen Strassen und besonderen Tarnungsmaßnahmen gezwungen.“391 In der Tat waren dann die Selbstkosten in beiden Glycerinanlagen erheblich höher als man ohne derartige Auflagen prognostiziert hatte. Auf mangelnde Anreize für den Pächter, effizient zu produzieren, können nämlich die im Vergleich zur normalen Glycerinherstellung beträchtlich höheren Selbstkosten der Pachtanlagen nicht zurückgeführt werden, da bei der Glycerinproduktion in dem betrachteten Zeitraum Selbstkostenfestpreise vereinbart worden waren.392 Tabelle 18: Selbstkosten der Glycerinproduktion in den IG-Farben-Pachtanlagen Wolfen und Schkopau (Rpf pro kg) 1940 / 41 1941 / 42 1942 / 43 1943 / 44

Schkopau 152,82 159,68 161,27 155,17

Wolfen 101,81 104,70 96,88 118,02

Eigene Berechnung. Quellen: Für Schkopau, BArch R 8135 / 7538 (1941 / 42, 1942 / 43, 1943 / 44); BArch R 8135 / 2061 (1940 / 41); für Wolfen, BArch R 8135 / 2061 (1940 / 41, 1941 / 42, 1942 / 43, 1943 / 44).

28.6.1936. 387 BArch R 8135 / 2061, Bl. 2ff. Neben der IG nahmen weitere Unternehmen die Produktion von Glycerin auf Zuckerbasis auf, wie die Norddeutsche Hefeindustrie, an der Henkel beteiligt war. Vgl. Bohmert (1985), S. 39; Feldenkirchen / Hilger (2001), S. 78. 388 BASF Archiv, IG-Bestand F 9 / 227-233; Glycerinakte, Aktenvermerk vom 3.12.1936. 389 BASF Archiv, IG-Bestand B 4 / 128, interner Bericht vom 28.5.1936. 390 BArch R 2301 / 5591, Stellungnahme betr. Rentabilität der Montanbetriebe vom 7.3.1942, Bl. 39f. 391 Ebd., Bl. 40. 392 Vgl. z. B. BArch R 8135 / 2061, Bericht der Deutschen Revisions- und Treuhand AG über die Pachtanlage Wolfen 1943 / 44.

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3.4. Chemische Vorprodukte

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3.4.2 Hochkonzentrierte Salpetersäure Eine vergleichbare Vertragswahl lässt sich auch bei der Produktion von hochkonzentrierter Salpetersäure („Hokosäure“) nachweisen, die neben anderen Verwendungen auch ein zentrales Vorprodukt für die Pulver- und Sprengstoffherstellung war. Ab 1938 baute die IG ihre Hokoproduktionsstätten nur für den Eigenbedarf aus.393 Da das Unternehmen aber keine Sprengstoffe produzierte, lag für diese Ausdehnung demnach auch keine militärisch induzierte Nachfrage vor.394 Der weitere und erheblich größere Kapazitätsausbau erfolgte über Pachtanlagen. Erste Planungen militärischer Stellen dazu gab es bereits 1933.395 1934 trat das Reich dann an die IG heran. Bis 1939 waren Pachtanlagen mit einer Kapazität von insgesamt ca. 17.500 moto errichtet worden.396 Betreiber waren nicht nur die IG, sondern auch die Wintershall AG, die in der Hokoanlage Sonderhausen jährlich einen zweimonatigen Schulungsbetrieb durchführte.397 Eine 1939 im Rahmen des sogenannten „Schnellplans“ avisierte erhebliche Ausdehnung der Hoko-Pachtanlagen wurde dann wegen der 1940 erfolgten Einschränkung des Sprengstoff- und Munitionsprogramm wieder fallengelassen.398 Bis 1943 wurden 65 Millionen RM in den Bau von Hokopachtanlagen investiert, was bis zu diesem Zeitpunkt mehr als der Hälfte der gesamten in Wifofabriken  –  Pachtanlagen der Wirtschaftlichen Forschungsgesellschaft mbH  –  getätigten Investitionen entsprach.399 Da es sich um ein chemisches Vorprodukt handelte, wurde der entsprechende Vertrag nicht unter dem Dach der Montan GmbH, sondern der Wifo GmbH geschlossen. Diese Verträge waren, wie an anderer Stelle bereits erwähnt, im Grundsatz mit den Montanpachtverträgen vergleichbar.400 Warum erfolgte dieser von staatlichen Stellen bereits frühzeitig geforderte Ausbau der Kapazitäten, ebenfalls wie im Fall der Glycerinproduktion, überwiegend mit Pachtverträgen? Da es Hinweise auf Zwang nicht gibt, ist entsprechend den bisher gewonnenen Erkenntnissen aus den schon untersuchten Branchen anzunehmen, dass die Vertragswahl dem Unternehmenskalkül entsprach bzw. mit der privatwirtschaftlichen Risikoeinschätzung hinsichtlich der Verwendbarkeit der Anlagen unter Normalbedingungen korrelierte. Zentrale Faktoren könnten dabei, analog zu den Gründen, die die IG Farben AG bei der Glycerinproduktion zum Abschluss von Pachtver393

Tabelle 18. Plumpe (1990), S. 558. Allerdings gehörte als Tochterunternehmen zum IG Farben Konzern die Dynamit AG (DAG). Selbst wenn man aber unter dem Eigenbedarf nicht den der IG Farben AG, sondern des IG Farben Konzerns subsumiert, ändert sich an dieser Aussage nicht viel, da die DAG nur im geringen Umfang militärische Sprengstoffe produzierte. 395 BA-MA RW 19 / 3239, Aktenvermerk vom 4.11.1933. 396 BArch R 3101 / 18432, Auszug aus dem Geschäftsbericht der Wifo über die Zeit seit der Gründung bis zum 31.3.1939 sowie die Entwicklung bis zum 7.11.1939, Bl. 8. 397 Ebd. 398 BArch, R 3101 / 18432, Aktenvermerk vom 29.7.1940, Bl. 125; zum Schnellplan, vgl. Petzina (1968), S. 127. 399 BArch R 2 / 5253, Bericht der Deutsche Revisions- und Treuhand AG über die Wifo 1943. 400 Vgl. z. B. BAL 700 / 1066, Vertrag zwischen der Wifo und der IG Farben AG für die Hoko-Anlage Embsen vom 24.10.1939; BAL 800 / 39-612, Vertrag zwischen der Wifo und der IG Farben AG für die Hoko-Anlage Langelsheim vom 1. / 23.4.1940. 394

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3. Beispielhafte Investitionsentscheidungen

trägen veranlassten, folgende sein: erstens, die Furcht vor Überkapazitäten unter Normalbedingungen, und / oder zweitens mangelnde Wettbewerbsfähigkeit der vom Reich gewünschten Anlagen aufgrund bestimmter staatlicher Auflagen. Beide Faktoren lassen sich tatsächlich für die Hokoproduktion nachweisen. Erstens waren nämlich die bereits 1934 bestehenden Kapazitäten für den damaligen Normalbedarf vollkommen ausreichend, so dass sogar ein Teil der produzierten Hokosäure exportiert werden konnte.401 Daher forderte die IG Farben AG, dass die vom Reich gewünschten Anlagen als Reichsanlagen errichtet und verpachtet werden sollten. Zudem sollten sie den Status von Bereitschaftsanlagen haben, also nur dann genutzt werden, wenn die IG-Kapazitäten ausgelastet wären.402 Dieser Forderung wurde auch bis Kriegsausbruch nachgekommen.403 Bei der 1939 im Rahmen des „Schnellplans“ avisierten, dann aber doch nicht erfolgten, erheblichen Ausdehnung der Hoko-Pachtanlagen stand seitens des Staates im Frühjahr 1940 zwischenzeitlich zur Debatte, anders als in der Vorkriegszeit, die neuen Anlagen nicht mehr mit Haushaltsmitteln zu finanzieren und einen Pachtvertrag abzuschließen.404 Vielmehr sollten die Betreiber, wie in anderen Bereichen auch, unter Gewährung der Kriegsrisikoklausel das Kapital beschaffen, was faktisch zu einer Teilrisikoüberwälzung auf die Privatwirtschaft geführt hätte. Dagegen protestierte die IG massiv.405 Denn ihre Einstellung zu diesen Anlagen war unmissverständlich: „Wir bestätigen nochmals, dass die obigen […] Anlagen ausschließlich kriegswirtschaftlichen Charakter tragen. Eine privatwirtschaftliche Verwertung der Erzeugnisse dieser Anlagen unter normalen Friedensverhältnissen erscheint gänzlich ausgeschlossen.“406 Schließlich aber erschien den zuständigen Behörden angesichts des Umstandes, dass unter Normalbedingungen eine Auslastung dieser Anlagen nicht gegeben war407, die Durchsetzung des Vorschlags als nicht opportun: „Es dürfte sich nicht empfehlen, die Unternehmen zum Bau der Vorprodukt-Anlagen mit Hilfe von Industriebankkrediten unter Zubilligung der normalen Kriegsrisikoklausel […] zu zwingen.“408 Daher verzichteten die Behörden darauf, einen Teil des Amortisationsrisikos auf die Privatwirtschaft zu überwälzen und finanzierte weitere Hoko-Anlagen direkt mit der Wifo.409 Der Einschätzung der Industrie hinsichtlich der mangelnden Zukunftsfä401

BASF Archiv, IG Bestand B 4 / 1750, Notiz betr. Geschichte und Behandlung der Hoko-Anlagen der Wifo, 26.4.1946. 402 Ebd. 403 BArch R 3101 / 18432, Aktenvermerk vom Dezember 1939, Bl. 13. 404 BArch, R 3101 / 18432, Aktenvermerk, Bl. 32; Entwurf eines Kreditkostenübernahmevertrags vom 7.3.1940, Bl. 53ff. 405 BArch, R 3101 / 18432, Schreiben der IG, Vermittlungsstelle W an das Reichswirtschaftsministerium vom 29.3.1940, Bl. 61; Schreiben der IG an das Reichswirtschaftsministerium vom 4.5.1940, Bl. 61. 406 BArch, R 3101 / 18432, Schreiben der IG Farben AG, Vermittlungsstelle W an das Reichswirtschaftsministerium vom 29.3.1940, Bl. 61. 407 Das Reichswirtschaftsministerium vermerkte z. B. Ende 1939, dass „nicht vorausgesehen werden kann, in welchem Masse sie (die Wifoanlagen, J.S.) in der Friedenszeit weiterbetrieben werden können.“ BArch R 3101 / 18432, Aktenvermerk vom Dezember 1939, Bl. 13. 408 BArch, R 3101 / 18432, Aktenvermerk vom 1.4.1940 409 BArch R 3101 / 18432, Schreiben des Reichswirtschaftsministeriums an das OKH vom

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3.4. Chemische Vorprodukte

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higkeit der Wifoproduktionsanlagen unter Normalbedingungen schloss sich auch die Deutsche Revisions- und Treuhand AG an. Denn die Wifofabriken hatten „eine den üblichen Bedarf der Wirtschaft um ein Mehrfaches übersteigende Kapazität. Es war nicht zu übersehen, ob und wann und zu welchen Bedingungen eine Eingliederung in den Kreislauf der Wirtschaft durchführbar war.“410 Zweitens bestätigt sich die Vermutung, dass die Pachtanlagen zu erheblich höheren Gestehkosten als die IG-eignen Anlagen führten.411 Denn ebenso wie das bei der Glycerinproduktion der Fall war, können auch bei Salpetersäure die Unterschiede zwischen privatwirtschaftlichen und Pachtanlagen nicht auf mangelnde Anreize für den Pächter, effizient zu produzieren, zurückgeführt werden, da in dem betrachteten Zeitraum Festpreise vereinbart wurden. Diese höheren Kosten ergaben sich aufgrund bestimmter wehrwirtschaftlichen Auflagen, die denen bei den HIB vergleichbar waren. So hob die Deutsche Revisions- und Treuhand AG hervor: „Bei der Planung der Bauten musste vor allem den Bedürfnissen der Wehrmacht und Rüstungswirtschaft Rechnung getragen werden. Infolgedessen konnten Rentabilitätserwägungen sowohl bei der Standortwahl und Kapazitätsbemessung als auch bei der Bauausführung erst in zweiter Linie berücksichtigt werden. Dies wirkte sich naturgemäss stark auf die Höhe der Herstellungskosten aus, in denen in erheblichem Umfang nicht werterhöhende Sonderkosten enthalten sind. Solche fielen z. B. bei der Erstellung der Anlagen infolge Geheimhaltungsmassnahmen und Sicherung gegen Feindeinwirkung an (SSBewachung, verkehrstechnische Angelegenheit, Ausnutzung von natürlichen oder künstlichen Tarnungen, unterirdische Bauweise). Es bedarf somit keiner besonderen Hervorhebung, dass der wirtschaftliche Wert der Anlagen bei einem grossen Teil erheblich unter den Gestehungskosten liegt.“412 Dementsprechend legte, als 1943 das von der Wifo bis dato treuhänderisch verwaltete Vermögen in Wifoeigentum übergeführt wurde, das dafür zuständige Wirtschaftsprüfungsunternehmen als Buchwert dieser Fabriken nur einen Betrag von fünf Mio. RM fest, obwohl der Anschaffungswert dieser überwiegend im Krieg getätigten Investitionen 112 Mio. RM betrug.413 Insgesamt gesehen war die Salpetersäureproduktion aufgrund der staatlichen Festpreise für die IG ein außerordentlich lohnendes Geschäft. Bei einem Festpreis für Salpetersäure 1942 von 76,47 Rpf pro kg und einem durchschnittlich in eigenen Anlagen bis zu diesem Zeitpunkt investierten Betrag von nur 5,35 Rpf pro kg, erzielte die IG, auch unter der Annahme, in den Gestehkosten wäre die Abschreibung nicht enthalten, einen gewaltigen Cashflow in der Höhe von 737 Prozent.414 Auch die Betreibung der Pachtbetriebe dürfte sehr lohnend gewesen sein. Angesichts der Teilung des Gewinns flossen der IG Farben AG 1942 aus den Salpetersäureanlagen 21.8.1940, Bl. 136. Aktenvermerk vom Dezember 1939, Bl. 13. 410 BArch R 121 / 2818, Der finanzielle Aufbau der Wirtschaftlichen Forschungsgesellschaft m.b.H. (Wifo), S. 10. 411 Tabelle 19. 412 BArch R 2 / 5253, Bericht der Deutschen Revisions- und Treuhand AG über die Wirtschaftliche Forschungsgesellschaft 1943, Bl. 89. 413 BArch R 121 / 2818, Der finanzielle Aufbau der Wirtschaftlichen Forschungsgesellschaft m.b.H. (Wifo), S. 10. 414 BASF-Archiv, IG-Bestand, G 6305 / 1.

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3. Beispielhafte Investitionsentscheidungen

Tabelle 19: Mengen und Gestehkosten bei der Produktion hochkonzentrierter Salpetersäure in IG-eigenen Anlagen und in IG-Pachtanlagen 1938-1942 Wifoanlagen der IG

Menge (to) 1938 1939 1940 1941 1942

1.598 9.384 24.500 37.785 41.000

IG-eigene Anlagen

Menge abzüglich GestehGestehEigenbedarf = zum kosten (Rpf kosten (Rpf Menge (to) Verkauf angebopro kg) pro kg) tene Menge (to) 54,68 56,46 64,01 60,00 59,51

31,95 31,33 33,73 34,06 37,03

36.322 40.678 39.173 47.336 48.200

24.838 26.054 23.880 27.385 25.543

Anteil der IG-Produktion (Pachtanlagen und eigene Anlagen) an der deutschen Gesamtproduktion 84,4 87,7 81,5 61 k.A.

Quellen: für die Pachtanlagen und eigene Anlagen der IG, vgl. BASF-Archiv, IG-Bestand, G 6305 / 1; für die deutschen Gesamtproduktion, vgl. BArch R 3112 / 43, Dokument Vorprodukte, Hokosäure.

ca. 300.000 RM zu.415 Dies dürfte angesichts des Umstandes, dass der Pächter lediglich das Umlaufkapital stellte (was normalerweise nur eine Bruchteil des Anlagekapitals betrug), eine fast astronomisch hohe Kapitalverzinsung bedeutet haben. Insgesamt kann die Glycerin- und Salpetersäureproduktion als exemplarisch für die gesamte Pulver- und Sprengstoffproduktion betrachtet werden. Denn der größte Teil der Pulver- und Sprengstoffproduktion und der vorgelagerten Grundstoffe stammte im Dritten Reich aus Pachtanlagen.416 Im letzten Kriegsjahr wurden ca. 80 Prozent des Pulver- und ca. 30 Prozent des Sprengstoffbedarfs in Montanbetrieben hergestellt.417 Das Investitionsvolumen in diese Anlagen war mit ca. 2,9 Mrd. RM, wie bereits erwähnt, außerordentlich hoch.418 Dies entsprach mehr als der Hälfte der Investitionen der IG Farben AG zwischen 1933 und 1944 und fast den gesamten im Statistischen Jahrbuch ausgewiesenen deutschen industriellen Anlageinvestitionen des Boomjahres 1937.419 Wie im Fall der Glycerin- und der Hokoproduktion spielte neben dem staatlichen Ziel der Kostenminimierung für die Betreibung der Anlagen als Pachtwerke seitens der Unternehmen zum Einen eine Rolle, dass man Überkapazitäten befürchtete und die Werke aufgrund der staatlichen Auflagen wie Tarnung und Schutz vor feindlichen Luftangriffen nicht zu einer wirtschaftliche Produktion in der Lage waren.420 Zum Anderen wollte der Staat nicht von vornherein zusichern, 415

Vgl. BAL 700 / 1066, Vertrag zwischen der IG Farben AG und der Wirtschaftlichen Forschungsgesellschaft mbH für die Pachtanlage Embsen vom 24.10.1939, § 4; BAL 800 / 39-612 Vertrag zwischen der IG Farben AG und der Wirtschaftlichen Forschungsgesellschaft mbH für die Pachtanlage Langelsheim vom 1. / 23.4.1940, § 3. Zur Gewinndefinition, vgl. ebd.. 416 Plumpe (1990), S. 558. 417 Hopmann (1996), S. 136. 418 Ebd., S. 120 Tab. 13. 419 Statistisches Jahrbuch für das Deutsche Reich 1941 / 42, S. 612; Plumpe (1990), S. 595. 420 Hopmann (1996), S. 122ff; vgl. auch Hayes (1987 a), S. 137f.

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3.5 Zwischenergebnisse

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dass eine volle Kapazitätsauslastung erfolgen würde; die Produktionsstätten sollten insbesondere im Kriegsfall genutzt werden. Aufgrund der zuerst genannten Gründe ist es verständlich, warum die Unternehmen 1943 kein Interesse hatten, die ihnen vom Reich angebotenen Werke privatwirtschaftlich zu übernehmen.421 In den Fällen, in denen Pulver- und Sprengstoffanlagen mit einem expliziten Risikoteilungsvertrag in Form der Gewährung von deutlich überhöhten Abschreibungen errichtet wurden422, machte das Reich keinerlei derartige Vorgaben. Zudem erschien ein, gemessen an den Anlagen der Pachtwerke, geringer Ausbau der Anlagen für ein Produkt, für das es zu Friedenszeiten eine etablierte und gewichtige Nachfrage insbesondere durch den Bergbau gab423, nicht besonders riskant.

3.5 Zwischenergebnisse Zusammenfassend lässt sich festhalten: 1. Es zeigt sich, dass in den gerade betrachteten Branchen die Vertragswahl bzw. die Art, Kapazitäten zu schaffen, im Allgemeinen nicht die Folge eines staatlichen Diktats war oder aus Angst vor Zwangsmaßnahmen resultierte. Das trifft sowohl vor 1937 als auch danach zu, so dass wenigstens für diese Branchen von einer Kommandowirtschaft keine Rede sein kann. Ob die Unternehmensgröße einen entscheidenden Einfluss auf die Durchsetzung der gewünschten Vertragsform hatte, wie Fritz Blaich andeutet, kann an dieser Stelle noch nicht beantwortet werden. Einerseits spricht der Konflikt zwischen dem mittelständischen Maschinenbauer Froriep GmbH und der Vierjahresplanbehörde gegen diese Hypothese. Andererseits hat sich gezeigt, dass die IG Farben bei dem Buna-II-Vertrag in Abweichung von normalen Risikoteilungsverträgen durchsetzen konnten, dass dem Reich kein umfassendes Prüfungsrecht eingeräumt wurde. Ob das auf die Größe des Unternehmens oder möglicherweise nur auf seine Monopolstellung bei dieser Technologie zurückzuführen ist, wird nach der Betrachtung weiterer Branchen und Unternehmen zu klären sein. 2. Insbesondere spricht vieles dafür, dass, wie vermutet, die Rationalität privatwirtschaftlicher Investitionsentscheidungen, wie auch von Teilen der Literatur betont, in den Autarkie- und Rüstungsbranchen maßgeblich von dem Ziel der Gewinnmaximierung beeinflusst war. Dort wo man auch bei einer Änderung der Wirtschaftspolitik kurzfristig positive Erwartungen mit dem vom Staat gewünschten Investitionsobjekt verband bzw. von nur noch einem geringen Restrisiko ausging, präferierte man einen Risikoteilungs-, bei nur langfristig positiven Erwartungen bzw. einem hohen Restrisiko einen Wirtschaftlichkeitsgarantie- und bei weder kurznoch langfristig positiven Erwartungen einen Pachtvertrag. 3. Dabei hat sich gezeigt, dass die Risikoeinschätzung offensichtlich auch durch die Standortvorgaben seitens des Reichs, wie im Fall der geplanten Buna-III-An421 422

Hopmann (1996), S.133f. W. Fischer, WASAG: die Geschichte eines Unternehmens 1891–1966, Essen 1966, S. 104,

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Ebd., S. 106f, 121.

121.

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3. Beispielhafte Investitionsentscheidungen

lage in Fürstenberg oder der Glycerinanlage in Schkopau, und Kapazitätserwägungen, wie im Fall der Hokoanlagen, beeinflusst war. 4. Die Industrie verstand unter Normalbedingungen zum Einen, dass die damalige staatliche bzw. staatlich induzierte Nachfrage nur ein vorübergehender Zustand wäre. Zum Anderen ging man langfristig von einem einigermaßen liberalisierten Außenhandel aus, bei dem es keine Zölle oder bestenfalls Finanzzölle, vergleichbar denen der 1920er Jahre, geben würde. Weiterhin scheint in die Überlegungen der Unternehmen seit Mitte der 1930er Jahre angesichts der Überwindung der Weltwirtschaftskrise die Erkenntnis eingeflossen zu sein, dass die Reichsmark überbewertet war und dieser „politische“ Wechselkurs unter Normalbedingungen langfristig keinen Bestand haben würde. 5. Es bestätigt sich für die betrachteten Branchen die Hypothese, dass die Vertragsgestaltung seitens des Staates und die ergänzenden zoll- bzw. preispolitischen Maßnahmen abhängig von den Zielen waren, die der Staat mit der Förderung eines bestimmten Produktes verfolgte. Wenn das Gut nicht in einem starken Umfang ein Input für die Exportindustrie und der Staat nicht alleiniger oder überwiegender Nachfrager des betreffenden Produkts war, gestaltete das Reich die Maßnahmen so, dass die eigentlichen Kosten der Förderung weitgehend auf die Verbraucher überwälzt wurden. 6. Die Unternehmen konnten, wie nachweislich im Fall der Treibstoff-, Bunaund Maschinenproduktion, eine Nichtdiskriminierungsvereinbarung durchsetzen.424 Diese Vereinbarung wurde im Folgenden vom Staat auch respektiert, was auf der einen Seite seinen Verhandlungsspielraum einschränkte, ihn auf der anderen Seite aber auch weniger erpressbar gegenüber den Unternehmen machte. Offensichtlich gewährte der Staat den Unternehmen in den betrachteten Branchen auch tatsächliche Rechtssicherheit. Das belegt z. B. die bemerkenswerte Vertragstreue noch drei Wochen vor der Kapitulation. Dafür spricht auch die Art und Weise der Konfliktlösung zwischen den Vertragspartnern sowie der Umstand, dass kein Fall bekannt ist, in dem das Reich seine Verpflichtungen nicht erfüllte. 7. Der Staat legte in den hier betrachteten Branchen Wert darauf, dass die Privatwirtschaft sich in irgendeiner Weise, ob mit einem geringen Kapitalbeitrag oder, selbst wenn das Reich die Anlagen erstellen musste, wenigstens als Pächter, beteiligte. Denn man glaubte i.d.R., nicht das entsprechende technische und kaufmännische Knowhow zu besitzen, wie die Fälle der Bunaproduktion oder der Benzinhydrierung in Blechhammer zeigen. Danach könnte man vermuten, dass das Reich möglicherweise in Fällen, in denen es in einer Branche bereits mit einem staatlichen Unternehmen etabliert war, keinen Wert auf eine privatwirtschaftliche Mitarbeit legen würde. 8. Gegen die Gründung weiterer Staatsbetriebe im Ersatzstoffsektor neben den Reichswerken Hermann Göring gab es allerdings auch grundsätzliche Vorbehalte, wie ebenfalls das Beispiel der Bunaanlage Fürstenberg und die Bemühungen des Reiches um die Einbindung der Privatwirtschaft bei der Oberschlesischen Hydrier424

Ein weiteres Beispiel eines Unternehmens in der Treibstoffindustrie, das außer denen im Text genannten eine Nichtdiskriminierungsvereinbarung durchsetzen konnte, war die Hibernia. BArch R 3101 / 18245, Aktenvermerk vom 28.5.1934, Bl. 330f.

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3.5 Zwischenergebnisse

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werke AG zeigten. Das entspricht den im zweiten Kapitel gefundenen Erkenntnissen hinsichtlich des staatlichen Wunsches nach einer möglichst weitgehenden Reprivatisierung von Rüstungsunternehmen auch nach 1937. Von einem grundsätzlichen Wandel in der Vorstellung der zuständigen Behörden, was die Bedeutung von Staatsbetrieben anbelangt, kann mithin nach diesem Zeitpunkt weder bei der Rüstungs- noch bei der Ersatzstoffindustrie die Rede sein. 9. Vor dem Hintergrund der hier angestellten Betrachtungen zur Risikoeinschätzung der Unternehmen hinsichtlich des vom Staat gewünschten Kapazitätsaufbaus müssen manche bisher in der Literatur vorherrschenden Aussagen relativiert werden. Das gilt z. B. für folgende: „Zum Passivsaldo rechneten jedoch Großinvestitionen, die (…) nur unter den Bedingungen der Autarkie volkswirtschaftlich vertretbar waren.“425 Offensichtlich ist eine derartige Einschätzung in erster Linie darauf zurückzuführen, dass sich nach dem Krieg die Ex-Post-Perspektiven mancher Technologien als deutlich unterschiedlich gegenüber den Ex-Ante-Prognosen der Unternehmen herausstellten, was zum Einen mit geänderten Rahmenbedingungen, wie steigende Kohle- und fallende Erdölweltmarktpreise, zum Anderen mit nicht realisierten technologischen Erwartungen wie bei dem Reppeverfahren erklärt werden kann. Fehlentscheidungen dieser Art sind aber auch in normalen Zeiten immer wieder zu beobachten.

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Mommsen (1999), S. 13.

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4. Investitionsentscheidungen in der halbsynthetischen Chemiefaserindustrie 4.1 Einleitung Zu den ersten Ersatzstoffbranchen, die der Staat bereits vor der Implementierung des Vierjahresplans im Jahr 1936 systematisch förderte, gehörte neben der synthetischen Treibstoffindustrie die halbsynthetische Chemiefaserindustrie. Darunter versteht man die Branche, die auf Zellulosebasis Kunstfasern produzierte, die im damaligen Sprachgebrauch Kunstseide und Zellwolle genannt wurden. Die Kunstseide fand hauptsächlich bei modischen Textilprodukten als Substitut für Seide Verwendung, während die in der Herstellung wesentlich billigere Zellwolle, vor 1935 als „Stapelfaser“ und heute als Viskose bezeichnet, in erster Linie als Ersatz für Wolle und Baumwolle in Frage kam. Die Produktion beider Kunstfasern unterschied sich lediglich durch einige Verfahrensschritte am Ende des Herstellungsprozesses. Mit verhältnismäßig geringen Kosten konnte eine Anlage auf die Herstellung des verwandten Produkts umgestellt werden. Das Ziel der staatlichen Förderung dieser Branche war klar: Man wollte die überwiegend importierten natürlichen Textilrohstoffe substituieren, um die knappen Devisen für die Einfuhr strategisch wichtiger Rohstoffe ver­wenden zu können. In der Tat wurden die Kapazitäten der Chemiefaserindustrie seit 1934 massiv ausgedehnt. Insbesondere die Bedeutung der Zellwolle stieg stark an. Die Folge davon war, dass der Anteil von Kunstseide und Zellwolle am gesamten Textilfaserverbrauch, der 1928 noch unter fünf Prozent lag, 1938 bereits die 25-Prozent-Marge überschritt und 1943 sogar 43 Prozent ausmachte. Das Investitionsvolumen der halbsynthetischen Chemiefaserindustrie war zwar wesentlich geringer als das der synthetischen Benzinproduktion, entsprach aber immerhin mit 630 Mio. RM in etwa dem der Aluminiumindustrie im Dritten Reich und mehr als 

Vgl. z. B. Lindner (2001), S. 25 – 40. Zur Herstellung, vgl. z. B. A. v. Brasch, Das Rohstoffproblem der deutschen Woll- und Baumwollindustrie, Berlin 1935, S.114 f.  H. Kehrl, Krisenmanager im Dritten Reich, Düsseldorf 1973, S. 89. Heute spricht man von Viskose.  Beispiele für die Umstellung von der Zellwolle- auf die Kunstseidenproduktion finden sich in Deutschland Anfang der 1920er Jahre (W. Franck, Die Stellung der Kunstseiden- und Zellwolleindustrie innerhalb der Deutschen Textilwirtschaft, Diss. Köln 1936, S. 19), und für die Konversion von der Kunstseiden- zur Zellwolleproduktion 1935 beim englischen Kunstseidehersteller Courtaulds. J. Witt, Die deutsche Zellwolle-Industrie, Diss., Leipzig 1939, S. 66.  Vgl. dazu J. Scherner, “The Beginnings of Nazi Autarky Policy: ‘The National Pulp Programme’ and the Origin of Regional Staple Fibre Plants” in: Economic History Review (im Erscheinen, 2008)  Witt (1939), S. 218f Tab. 57.  Scherner (2008 a). 

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4. Investitionsentscheidungen in der halbsynthetischen Chemiefaserindustrie

zwei Dritteln der Bunainvestitionen. Im Unterschied zu manch anderen Branchen konnten jedoch im Fall der Chemiefaserindustrie die hochgesteckten Autarkieziele des NS-Regimes erreicht werden. Während der staatlich geförderte Ausbau der Treibstoffindustrie vor der Implementierung des Vierjahresplans relativ gut erforscht ist10, weiß man über die Anfänge und Hintergründe der entsprechenden Politik bei der Chemiefaserindustrie nur wenig. Manches davon ist außerdem sehr widersprüchlich. So ist schon die Da­ tie­rung des Anfangs der staatlichen Industriepolitik in diesem Sektor unklar, d. h. der Beginn des sogenannten „Nationalen Faserstoffprogramms“11. Widersprüchli­ che An­gaben finden sich in der Literatur auch darüber, ob bei der Realisierung des Faser­stoffprogramms die IG Farben AG, neben den Vereinigten Glanzstoffabriken (VGF), zu diesem Zeitpunkt einer der beiden großen deutschen Chemiefaserproduzenten, be­teiligt war oder nicht, und mit welchen Instrumenten der Staat versuchte, den Ausbau der Kapazitäten zu fördern.12 Gab es, ebenso wie beim Ausbau der synthetischen Treibstoffindustrie, vertraglich zugesicherte Preis- und Absatzgarantien, mit denen das Reich den Unternehmen das Amortisationsrisiko des investierten Kapitals abnahm, oder nur staatlich verbürgte Kredite ohne weitere rechtsverbind­ liche Garantien?13 Unscharf und teilweise widersprüchlich sind auch manche Aussagen über die Ursachen und Begleitumstände der Entstehung der regionalen Zellwollewerke, die im Zuge der Durchführung des „Nationalen Faserstoffprogramms“ geschaffen wurden und eine entscheidende Rolle bei der Steigerung der deutschen Chemiefaserproduktion spielten, wie Tabelle 20 zu entnehmen ist.14 Bekannt ist, dass die Gründung dieser Unternehmen, die in der Literatur neben den Reichswerken Herrmann Göring und der Braunkohle-Benzin AG (BRABAG) immer wieder als Eigentümlichkeit nationalsozialistischer Wirtschaftspolitik auf dem Unternehmenssektor genannt werden, auf staatliche Initiative hin mit privatem Aktienkapital erfolgte.15 Ebenfalls weiß man, dass vier regionale Zellwollewerke im Verlauf des Jahres 1935 entstanden, und dass später noch weitere Werke hinzukamen.16 

Ebd.; J. Scherner, “The Impact of Public Regulation on Investment Decisions in Nazi Germany. The Case of the Cellulose Fiber Industry” in: Business History Review (im Erscheinen, 2008).  Petzina (1968), S. 100 f. 10 Birkenfeld (1964); Plumpe (1990). 11 Reinecke datiert z. B. das „Nationale Faserstoffprogramm“ auf Mitte 1934 (D. Reinecke, Die Bedeutung der Zellwolle für die deutsche Textilindustrie, Diss, München 1939, S. 9), Plumpe und Kehrl auf Ende 1934 (Plumpe (1990), S. 313; Kehrl (1973), S. 88) und Stratmann auf das Jahr 1935 (Stratmann (1985), S. 109). 12 Zu den unterschiedlichen Meinungen, vgl. Plumpe (1990), S. 313f; Stratmann (1985), S. 109. 13 Die erste Meinung vertreten z. B. Witt, Petzina , Stratmann und Benz (Vgl. Witt (1939), S. 103f; Petzina (1968), S. 173; Petzina (1977), S. 136; Stratmann (1985), S.111; W. Benz, Geschichte des Dritten Reiches, München 2000, S. 102), die letzte z. B. Plumpe. Plumpe (1990), S. 313. 14 Plumpe (1990), S. 312 f. 15 Lurie (1947), S. 191ff; Plumpe (1990), S. 312f, 705. 16 Die ursprünglich gegründeten Werke waren die Süddeutsche Zellwolle AG in Kelheim, die Sächsische Zellwolle AG in Plauen, die Schlesische Zellwolle AG in Hirschberg und die Thüringische Zellwolle AG in Schwarza. Spätere Werke waren z. B. die am 23.11.1936 gegründete Rheinische Zellwolle AG in Köln, die im Dezember 1937 gegründete Kurmärkische Zellwolle und Zellu-

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4.1 Einleitung

Tabelle 20: Chemiefaserproduktion in Deutschland 1933 – 1943

1933 1934 1935 1936 1937 1938 1939 1940 1941 1942 1943

Gesamtproduktion (Kunstseide und Zellwolle) 37.301 46.200 60.100 90.565 155.926 220.000 261.000 327.000 388.000 417.000 417.000

Zellwolle­ produktion 4.500 7.200 15.600 42.000 100.000 150.000 191.507 247.183 297.160 328.442 320.397

Zellwolleproduktion der regionalen Zellwollewerke

6.521 38.198 69.640 k.A. 147.183 191.160 223.442 223.397

Zellwolleproduktion der IG Farben AG und der VGF 4.500 7.200 15.600 35.479 61.802 85.360 k.A. 100.000 106.000 105.000 97.000

Quelle: Gesamtproduktion und Zellwolleproduktion: Statistisches Jahrbuch für das Deutsche Reich, verschiedene Jahrgänge; Aufteilung der Zellwolleproduktion auf die regionalen Zellwollewerke sowie auf die IG Farben AG und die VGF: Witt (1939), S. 70 u. 76 (1933 – 1938); BAL 156-8 (1940 – 1943).

Aber zeichneten die privaten Geldgeber die Aktien der Regionalwerke freiwillig, aufgrund staatlichen Drucks oder gar infolge staatlichen Zwangs, wie dies bei der Ende 1934 gegründeten BRABAG der Fall gewesen war?17 Widersprüchliches findet sich auch über die staatlichen Motive für die Errichtung regionaler Zellwollewerke. War die Gründung dieser Unternehmen auf den staatlichen Wunsch zurückzuführen, eine Marktbeherrschung der arrivierten Unternehmen zu verhindern, oder war sie eine Folge davon, dass die Privatindustrie nicht in vollem Umfang den staatlichen Wünschen einer Kapazitätsausdehnung nachkommen wollte?18 Ebenfalls noch nicht untersucht ist bisher, ob und in welchem Umfang die staatlich geschaffenen Rahmenbedingungen günstig für diese zentrale Autarkiebranche waren und inwieweit sie die Investitionsentscheidungen beeinflussten. Mit anderen Worten, über die wirtschaftliche Entwicklung der Chemiefaserindustrie vor dem lose AG in Berlin, die 1938 in Österreich gegründete Zellwolle Lenzing AG und die Spinnstoffwerk Glauchau AG, deren Betrieb seit 1929 ruhte und die 1936 die Produktion wieder aufnahm. (Reinecke (1939), S. 27 f.) Neben den Zellwollewerken wurden dann im weiteren Verlauf noch Zellstofffabriken gegründet, wie die Westfälische Zellstoff AG. H. G. Bodenbender, Zellwolle. Kunstspinnfasern, 3. vermehrte und neubearbeitete Auflage, Berlin 1939, S. 42 f. 17 Zu den unterschiedlichen Meinungen, vgl. Lurie (1947), S. 196; Nathan (1971), S. 166; H. Kehrl, Textilwirtschaftliche Aufgaben und Ziele, in: Der Vierjahresplan (1937), S. 269; Boelcke (1985), S. 38; Reinecke (1939), S. 24. Nach Petzina und anderen Autoren handelte es sich um eine so­genannte „Pflichtgemeinschaft“ bzw. um eine „Verpflichtung“ der Textilindustrie, vergleichbar der fast zeitgleich geschaffenen Pflichtgemeinschaft der Braunkohleindustrie, die dann für die Finan­ zie­rung der BRABAG-Werke herangezogen wurde. Petzina (1968), S. 100f; Petzina (1977), S. 136; Lindner (2001), S. 35; Stratmann (1985), S. 109; Blaich (1987), S. 28; Kroll (1958), S. 502. 18 Zu den unterschiedlichen Meinungen, vgl. Plumpe (1990), S. 314; Kehrl (1973), S. 88.

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Hintergrund staatlicher Politik weiß man nur wenig.19 Dabei drängen sich vier Fragenkomplexe auf:

1) Wie waren die Gewinne der Zellwolleindustrie? Waren sie vergleichsweise niedrig, ebenso wie in anderen Autarkiebranchen, wie Gottfried Plumpe in seinem Werk über die IG Farben AG behauptet, und insofern kein gutes Geschäft für die privatwirtschaftlichen Investoren?20 Oder waren sie überdurchschnittlich hoch, wie generell in den vom Staat gewünschten Branchen, wie die Studie von Mark Spoerer über die Gewinnentwicklung in der deutschen Industrie zwischen 1925 und 1941 nahelegt?21 Welche Bedeutung hatte die staatliche Preispolitik für die Ge­winnentwicklung und von welchen Motiven ließen sich die zuständigen staatlichen Stellen lei­ten? 2) Konnten die auf staatliche Initiative gegründeten regionalen Zellwollewerke erfolgreich imitieren und wurden somit gegenüber den privatwirtschaftlichen Unternehmen wettbewerbsfähig? Falls dies der Fall war, wie reagierten die etablierten Unternehmen auf die neuen Konkurrenten? 3) Wie nutzte das Reich seine bereits erwähnten Mitspracherechte bei den regionalen Zellwolle­ werken?22 War angesichts dieser in den Verträgen mit den regionalen Zellwollewerken festgelegten Rechte des Reiches staatlicherseits ein dauerhafter Eingriff in die Wirtschaftsordnung intendiert? 4) Verhielten sich die privatwirtschaftlichen Unternehmen bzw. die Aktionäre der regionalen Zellwollewerke hinsichtlich ihrer Investitionsentscheidungen ökonomisch „normal“ bzw. ratio­ nal in einer anomalen politischen Phase?

Zunächst werden im Folgenden die Entstehung und anfängliche Realisierung des Faserstoffprogramms umrissen. Unterteilen läßt sich diese Betrachtung zum Einen in eine Verhandlungsphase, in der die Motive und die Strategien der beteiligten Akteure, also Staat und etablierten Unternehmen, im Vordergrund stehen. Es soll analysiert werden, ob „normale“ Verhandlungen zwischen mehr oder weniger gleichberechtigten Partnern stattfanden, die versuchten, ihre Interessen durchzusetzen, oder ob es zu einem Diktat des Staates kam, dem sich die Unternehmen unterwerfen mussten. Zum Anderen wird auf die Art der staatlichen Wirtschaftsförderung eingegangen sowie auf die Frage, ob der Staat bei der Gründung der regionalen Zellwollewerke zu Zwangsmaßnahmen griff oder nicht. Anschließend steht die Rationalität der unternehmerischen Investitionsentscheidungen, unterteilt nach der Friedens- und der Kriegszeit, im Zentrum der Betrachtung.

4.2 Die Vertragsverhandlungen zwischen Staat und Industrie 1934 Die Geschichte des nationalen Faserstoffprogramms begann mit einem Schnellbrief des Reichswirtschaftsministeriums an die Chemiefaserproduzenten vom 20. Juni 19

Mit dem Werk G. Kahl, Die Rolle des „NS-Musterbetriebs Thüringische Zellwolle AG“ bei der Vorbereitung und Durchführung des zweiten Weltkrieges, Diss., Jena 1963, liegt eine Untersuchung über eines der vier zunächst im Jahr 1935 gegründeten Zellwollewerke vor. Die meisten im folgenden aufgeworfenen genuin ökonomischen Fragen werden allerdings nicht beantwortet. 20 Plumpe (1990), S. 505. 21 Spoerer (1996), S. 147, Übersicht 34, Sp. VI (Eigenkapitalrendite). 22 Zu den Mitspracherechten, vgl. Kapitel 2.6.1.

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1934.23 In diesem Brief heißt es: „Die Devisenlage des Reiches macht es notwendig, die Einfuhr von Baumwolle und Wolle aufs Äusserste einzuschränken […].Um […] die einheimische Rohstoffbasis so schnell als möglich zu verstärken, ist es unabweisbare Pflicht der deutschen Kunstseidenfabriken, alsbald nicht nur die Produktionsfähigkeit der vorhandenen Fabriken aufs Äusserste auszunutzen, sondern auch mit Beschleunigung auszubauen.“24 Zugleich bat man die Unternehmen um eine Aufstellung der bisherigen Kapazitäten und des Umfangs möglicherweise geplanter Kapazitätssteigerungen im Chemiefasersektor.25 Offensichtlich sah sich das Reichswirtschaftsministerium gezwungen, die Initiative zu ergreifen, nachdem der sich seit Mai 1934 verschärfende Textilrohstoffmangel zu massiven Problemen bei den Verarbeitern geführt hatte, wie auch der württembergische Wirtschaftsminister in mehreren Schreiben aus jenen Tagen an die Reichskanzlei betonte.26 Fünf Wochen nach dem Schnellbrief27 fand im Reichswirtschaftsministerium eine erste Besprechung zwischen dem kurz zuvor zum Reichsrohstoffkommissar ernannten Johann Puppe28 und leitenden Mitarbeitern der VGF und der IG Farben AG statt. In dieser Besprechung eröffnete Puppe den Unternehmen, der Staat wünsche, dass die bestehenden Kapazitäten der Kunstseidenindustrie von 35.000 Jahrestonnen verdoppelt und die der Zellwolle von 7.000 auf 100.000 Jahrestonnen ausgedehnt werden sollten.29 Das Ausmaß der staatlichen Kapazitätswünsche ging deutlich über die nach den damals bekannten Vorstellungen technisch mögliche Substitution von Naturfasern durch Kunstfasern hinaus.30 Zur etwa gleichen Zeit wurden die Wünsche des Staates einer breiteren Öffentlichkeit bekannt. In Reaktion darauf verfasste Gottfried Dierig, Chef des damals größten deutschen Textilunternehmens31, Christian Dierig AG im schlesischen Langenbielau, eine Denkschrift, die auch der Reichskanzlei überreicht wurde. In dieser räumte er den Kunstfasern zwar auf der einen Seite durchaus eine zunehmende Bedeutung ein, warnte aber auf der anderen Seite vor übertriebenen Erwar23

BArch R 13 XII / 265, Denkschrift über das Faserstoffprogramm vom 3.11.1935, S. 23. RWWA 195 / D 3-1-1-6, Schnellbrief 20.6.1934. 25 Ebd., vgl. auch BArch R 13 XII / 265, Denkschrift über das Faserstoffprogramm vom 3.11.1935, S. 23. 26 BArch R 43 II / 272. 27 Bisher ging die Literatur teilweise davon aus, dass die Verhandlungen zu einem spätern Zeitpunkt begannen. Plumpe (1990), S.313. 28 Akten der Reichskanzlei, Regierung Hitler, Bd. II (1934 / 35), S. 21. 29 RWWA 195 / D 3-1-1-6, Aktennotiz Hermann, 27.6.1934; vgl. auch R 13 XII / 265, Denkschrift über das Faserstoffprogramm, S. 24. 30 Die IG Farben AG überschlug nämlich in einem staatlichen Stellen zugegangenen Bericht „Beitrag zur Frage der Versorgung Deutschlands mit Textilrohstoffen“ die entsprechende Menge auf nur 66.000 Jahrestonnen. Vgl. BAL 159-1-13. Walther Schieber, Rohstoffreferent beim Treuhänder der Arbeit, ein überzeugter Nationalsozialist, zu dieser Zeit Prokurist der IG Farben und als Mitarbeiter der Kunstfaserproduktion des Werkes in Dormagen ein ausgewiesener Fachmann in dieser Materie (Kahl (1963), S. 106 – 108, S. 102; Plumpe (1990), S. 314.), schätzte die technisch mögliche Substitution von Baumwolle und Wolle durch die Stapelfaser auf maximal 90.000 Jahrestonnen. BAL 159-1-12, Deutschlands Textilrohstoff-Versorgung. 31 L. Graf Schwerin von Krosigk, Die große Zeit des Feuers. Der Weg der deutschen Industrie, Bd. 3, Tübingen 1957, S. 240. 24

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tungen.32 In einem Antwortschreiben versuchte der damalige Gauwirtschaftsberater des Gaus Kurmark, Hans Kehrl, diese Befürchtungen zu zerstreuen, indem er darauf hinwies, dass bei der staatlichen Planung keineswegs an einen vollständigen Ersatz der Naturfasern gedacht sei.33 Auch Hitler war involviert. Nachdem Erzeugnisse eines württembergischen Textilproduzenten, gefertigt aus der IG Farben Zellwolle „Vistra“, an die Reichskanzlei geschickt worden waren, schrieb Staatssekretär Lammers am 1. August 1934 an den Reichsstatthalter in Württemberg: „Der Herr Reichskanzler hat sich über die Eigenschaften der Webwaren sehr befriedigt geäußert.“34 Danach wurden die Gespräche zwischen Staat und Industrie wieder aufgenommen. Am 4. August 1934 richtete das Reichswirtschaftsministerium die Anfrage an die Chemiefaserproduzenten, welche Anteile sie an den staatlich gewünschten Kapazitätserhöhungen zu übernehmen bereit wären.35 Die IG Farben AG hatte bereits zuvor die grundsätzliche Bereitschaft bekundet, ihre Zellwollekapazitäten von ca. 5.000 auf rund 36.000 Jahrestonnen auszubauen.36 Im August korrigierte das Unternehmen allerdings dieses Angebot nach unten. Nun erklärte es staatlichen Stellen, dass diese Offerte nur unter der Bedingung von Absatzgarantien aufrechterhalten werden würde. Auf eigenes Risiko sei man nur bereit, die Kapazitäten um ca. 20.000 Jahrestonnen zu erweitern.37 Nach einer Aktennotiz des leitenden VGF-Vorstands Herrmann38 verbarg sich hinter diesem Verhalten der IG Farben AG die Strategie, bessere Konditionen herauszuschlagen. Für die Richtigkeit dieser Vermutung spricht, dass die IG Farben AG, wie auch den VGF seit Längerem bekannt war, bereits vor der staatlichen Initiative vom Juni 1934 den mittelfristigen Ausbau der Zellwollekapazitäten auf 36.000 Jahrestonnen geplant hatte.39 Damals hatten auch die VGF schon grundsätzlich beschlossen, ihre Kapazitäten auf etwa 7.500 Jahrestonnen auszudehnen.40 Außerdem hatten beide Unternehmen zu diesem Zeitpunkt vereinbart, ein gemeinsames Zellwollekartell zu bilden.41 Im August und September 1934 fand dann, jeweils nur im Abstand von einigen Tagen, eine Reihe von Treffen zwischen staatlichen Vertretern unter Führung Puppes und führenden Angestellten der deutschen Chemiefaserproduzenten statt.42 32

BArch R 43 II / 372, Bl. 26 – 28. BArch R 43 / 272, Schreiben Kehrls an Dierig, 4.8.1934. 34 BArch R 43 II / 372, Schreiben Lammers an den Reichsstatthalter in Württemberg, 1.8.1934. 35 RWWA 195 / D 3-1-2-5 Schreiben des Reichswirtschaftsministeriums an die VGF vom 4.8.1934. 36 RWWA 195 / D 3-1-2-5, Aktennotiz Herrmann vom 6.8.1934. 37 Ebd.. 38 T. Langenbruch, Glanzstoff 1899 – 1949, Wuppertal 1985, S. 75 ff. 39 RWWA 195 / D 3-1-1-6, Aktennotiz Hermann vom 28.5.1934 zu einer Besprechung mit Gajewski und Otto von der IG Farben AG am 24.5.1934. 40 Ebd. 41 Nach dieser Vereinbarung sollte von einer Gesamtkapazität von 30.000 Jahrestonnen die IG Farben AG zwei Drittel und die VGF ein Drittel produzieren Vgl. ebd. 42 Nach Wicht fand eine zweite Besprechung erst am 29.11.1934 statt. W. E. Wicht, Glanzstoff. Zur Geschichte der Chemiefaser, eines Unternehmens und seiner Arbeiterschaft, Neustadt / Aisch 1992, S. 64 – 66. 33

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4.2 Die Vertragsverhandlungen zwischen Staat und Industrie 1934

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Einziges Ergebnis dieser Verhandlungen war, dass der Staat auf Drängen der Industrie hin das Zellwolleprogramm von den ursprünglich geplanten 100.000 to auf 78.000 to reduzierte. Die Unternehmen, namentlich die IG Farben AG, hatten zuvor darauf hingewiesen, dass sie das Ausmaß des Zellwolleprogramms für überzogen hielten.43 Bei einer Realisierung der ursprünglichen staatlichen Wünsche befürchtete man nämlich, dass sich die Kunden ablehnend verhalten würden.44 Zudem käme es zu einer Verstärkung der sogenannten „Ersatzstoffpsychose“, d. h. der ablehnend-skeptischen Einstellung der deutschen Bevölkerung gegenüber Ersatzstoffen, die auf die schlechten Erfahrungen aus dem Ersten Weltkrieg zurückzuführen war. Hinsichtlich des Umfangs der staatlichen Förderung des Kunstseide- und Zellwolleausbaus konnte hingegen keine Einigung erzielt werden. Bei der Zellwolle forderten die Unternehmen die Einführung eines Beimischungszwangs, d. h. eine staatliche Anordnung, dass bei der Herstellung von Textilien Naturfasern ein bestimmter Prozentsatz Kunstfasern zugefügt werden musste, die Zusicherung von Steuerfreiheit, hohen Gewinnen und Abschreibungen, Marktzutrittsbeschränkungen sowie eine finanzielle Beteiligung des Staates zwischen 75 und 80 Prozent.45 Während die IG Farben AG bezüglich der Form der finanziellen Beteiligung des Staates an dem Kapazitätsausbau, also eine Beteiligung mit Eigenkapital oder durch Gewährung von Krediten, keine Vorgaben machte, bestanden die VGF darauf, dass das Reich Aktien der neu zu gründenden Zellwollewerke übernehmen sollte.46 Der Staat hielt jedoch all diese Forderungen für überzogen.47 Im Unterschied zur Zellwolle erachteten die Unternehmen die Ausweitung der Kunstseidenproduktion als weniger riskant, und waren daher mit dem staatlichen Angebot, sich an der Investitionsfinanzierung zu zwei Dritteln in Form von Krediten zu beteiligen, im Grund43

RWWA 195 / D 3-1-1-6 Aktennotiz 13.8.1934 zur Besprechung vom 8.8.1934; vgl. auch BAL 159-1-13. Generell zur Einschätzung der IG zum Umfang des Faserstoffprogramms, vgl. auch Hayes (1987 a), S. 145. 44 RWWA 195 / D 3-1-1-6 Aktennotiz 13.8.1934 zur Besprechung vom 8.8.1934. 45 Man forderte eine Ermächtigung zu 20 %iger Abschreibung, was dem Doppelten normaler Abschreibungen entsprach. Das Reich sollte zudem einen Prohibitivzoll auf die Stapelfasereinfuhr erheben sowie einen staatlichen Konzessionszwang für neue Stapelfaserwerke einführen. Vgl. RWWA 195 / D 3-1-2-5, Schreiben der VGF an das Reichswirtschaftsministerium vom 16.8.1934; RWWA 195 / D 3-1-1-6, Kalkulation vom 17.7.1934; RWWA 195 / D 3-1-1-6, 17.8.1934, Niederschrift über eine Besprechung deutscher Chemiefaserproduzenten im Reichswirtschaftsministerium unter dem Vorsitz von Puppe. Ein Gewinn von 30 Rpf pro kg Zellwolle sollte ermöglicht werden (RWWA 195 D 3-1-2-5, Schreiben der VGF an das Reichswirtschaftsministerium vom 16.8.1934), was einer Anlagekapitalrendite von 20 Prozent entsprach, die damit das Vierfache dessen darstellte, was der Staat als Normalverzinsung ansah und zum Beispiel in Wirtschaftlichkeitsgarantieverträgen beim Ausbau der synthetischen Treibstoffindustrie gewährte. Die Anlagekapitalrendite von 20 Prozent ergibt sich, weil man mit einem Anlagekapital von ca. 1,50 RM pro kg Jahresoutput rechnete. RWWA 195 / D 3-1-21, Aktennotiz Herrmann zu einer Besprechung mit Kehrl und Keppler am 10.12.1934. Zum Beimischungszwang, vgl. RWWA 195 / D 3-1-1-6 Aktennotiz 13.8.1934 zur Besprechung vom 8.8.1934. 46 RWWA 195 / D 3-1-2-5, Schreiben der VGF an das Reichswirtschaftsministerium vom 16.8.1934 47 Ebd.; vgl. auch RWWA 195 / D 3-1-2 / 10 Aktennotiz Herrmann vom 15.9.1934 und RWWA 195 B 5-1-11, Protokoll der Aufsichtsratssitzung vom 16.10.1934.

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satz einverstanden.48 Strittig blieb jedoch die Frage umfangreicher Kontrollrechte, die dem Staat als Gläubiger zugestanden werden sollten  –  wie ein Prüfungsrecht und die Möglichkeit, jederzeit in die Geschäftsvorgänge Einsicht zu nehmen.49 Die Unternehmen lehnten eine entsprechende Forderung ab.50 Ende September, anlässlich eines Treffens zwischen Vertretern der IG Farben AG und der VGF, bei dem es ursprünglich um die Bildung des ja seit Frühjahr 1934 bereits im Grundsatz beschlossenen gemeinsamen Zellwollekartells gehen sollte, zeigte sich, dass sich die staatlichen Optionen bei der Zellwolle in der Zwischenzeit vermehrt hatten. Nach Informationen der IG Farben AG wurde im Reichswirtschaftsministerium nun nämlich an den Bau einer Zellwollefabrik bei Zittau gedacht, offensichtlich ohne die beiden etablierten Unternehmen und angeblich mit der Absicht, damit die Gestehungskosten der Zellwolleproduktion kontrollieren zu können. Anscheinend stand Puppe einer Aufteilung des Zellwolleprogramms allein auf die VGF und die IG Farben AG ablehnend gegenüber.51 In den folgenden Wochen häuften sich dann Informationen über die Absicht des Reichswirtschaftsministeriums, ohne die Mitwirkung der etablierten Unternehmen Zellwollewerke zu gründen. Im Bestand der VGF findet sich eine vertrauliche Abschrift über eine von der Industrie- und Handelskammer Hirschberg am 3. Oktober 1934 in Anwesenheit zentralstaatlicher Vertreter einberufene Besprechung zur Gründung einer Zellwollefabrik in Schlesien.52 Dabei handelte es sich wohl um erste Sondierungsgespräche. Diese Besprechung beschränkte sich nicht nur auf die mögliche Bereitstellung von Kapital durch die örtliche Wirtschaft, sondern galt auch der Abschätzung, inwieweit die örtlichen Gegebenheiten überhaupt geeignet für die Errichtung einer Zellwollefabrik waren. Im Fall der Gründung eines Zellwollewerks wollte das Reich einen Teil der Aktien zeichnen und einen Kredit zur Verfügung stellen.53 Die Idee, Zellwollewerke ohne die Mitwirkung der etablierten Unternehmen, dafür aber, wie bei dem Hirschberger Projekt, mithilfe der jeweiligen regionalen Wirtschaft zu gründen, bedeutete auf den ersten Blick eine Verstärkung der Ver48

RWWA 195 / D 3-1-1-6, Aktennotiz zu einer Besprechung im Reichswirtschaftsministerium am 9.8.1934. Eine weitere Forderung der Kunstseidehersteller war, nach vorheriger Absprache untereinander, diejenige, dass der Staat in die Preisbildung nur mit Einverständnis der Produzenten eingreifen sollte. RWWA 195 / D 3-1-2-5, Schreiben der Kunstseidenproduzenten an das RWM vom 16.8.1934; BArch R 13 XII / 265, Denkschrift über das Faserstoffprogramm. 49 RWWA 195 / D 3-1-1-6, 17.8.1934, Niederschrift über eine Besprechung deutscher Chemiefaserproduzenten im Reichswirtschaftsministerium unter dem Vorsitz von Puppe; vgl. auch BArch R 13 XII / 265, Denkschrift über das Faserstoffprogramm. 50 An diesen Positionen von den VGF und IG Farben änderte sich offensichtlich in den nächsten Wochen nichts wesentliches. BArch R 13 XII / 265, Denkschrift über das Faserstoffprogramm. Die VGF präzisierten ihre Forderungen lediglich in einem Brief an Puppe dahingehend, dass sie verlangten, dass die Beteiligung an den neu zu gründenden Werk ihnen die Sperrminorität sichern sollte. RWWA 195 / D 3-1-2 / 10, Schreiben der VGF vom 25.9.1934 an Puppe. 51 RWWA 195 / D 3-1-21 Aktennotiz Herrmann 28.9.1934. 52 RWWA 195 / D 3-1-2-5, Aktennotiz vom 5.10.1934. 53 Von dem vorgesehenen Investitionsvolumen von zwölf Millionen RM sollten fünf Millionen durch ein staatliches Darlehen und sieben Millionen durch Aktienkapital aufgebracht werden, wobei der Staat in Höhe von fünf Millionen RM Aktien zeichnen sollte und die Privatwirtschaft den Rest. RWWA 195 / D 3-1-2-5, Aktennotiz vom 5.10.1934.

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4.2 Die Vertragsverhandlungen zwischen Staat und Industrie 1934

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handlungsposition des Staates gegenüber den etablierten Anbietern. Dies schlug sich in einer restriktiveren Verhandlungsführung des Reichswirtschaftsministeriums nieder. So vermerkte am 16. Oktober 1934, also nach den ersten Besprechungen lokaler Instanzen über die Errichtung regionaler Zellwollewerke, der Aufsichtsrat der VGF, dass nun staatlicherseits Preis- und Absatzgarantien endgültig abgelehnt seien.54 Trotz der neuen Entwicklung änderte sich aber zunächst die Bereitschaft der etablierten Unternehmen nicht, sich in einem größeren Umfang als zuvor finanziell an dem Zellwolleprogramm zu beteiligen.55 Ende Oktober 1934 teilte der Staat den Unternehmen mit, dass ihm aus regionalen Wirtschaftskreisen genügend Angebote zur Erfüllung des Programms zur Verfügung stünden.56 Anfang November 1934 notierte Herrmann: „Nach Mitteilungen, welche wir vertraulich aus Kundenkreisen erhalten haben, soll das Reichswirtschaftsministerium versuchen, die interessierte Industrie in höherem Masse als bisher zur Finanzierung der Stapelfaserprojekte heranzuziehen. Alle Handelskammerbezirke sollen aufgefordert werden, zu klären, ob die Firmen der Bezirke jeweils etwa 12 Millionen Reichsmark zur Verfügung stellen könnten, um Stapelfaserfabriken mit einer Kapazität von 5.000 Jahrestonnen zu errichten. In erster Linie kämen die Handelskammerbezirke in Frage, wo eine entsprechende Industrie bereits zu Hause wäre […]. Der Handelskammerbezirk Hamburg soll bereits für seinen Bezirk die genannte Summe von 12 Millionen Reichsmark aufgebracht haben.“57 In diesen und den folgenden Wochen konkretisierten sich seitens des Staates die Vorstellungen von der Unterstützung, die man den Unternehmen gewähren wollte. Anfang November teilte das Reichswirtschaftsministerium den Kunstseideproduzenten mit, dass Kunstseide generell überhaupt nicht finanziell gefördert werden solle.58 Damit rückte es faktisch auch von seinen ursprünglich59 umfangreichen Ausbauplänen bei den Kunstseidekapazitäten ab, da die deutschen Kunstseidenhersteller dem Reichswirtschaftsministerium schon im Sommer mitgeteilt hatten, dass unter Normalbedingungen bestenfalls 58.000 Jahrestonnen Kunstseide auf dem deutschen Markt untergebracht werden könnten.60 Aufgrund der fehlenden staatlichen Förderung konnte man von nun an auch kein stärkeres Engagement der Kunst54

RWWA 195 / B 5-1-11, Sitzung des Aufsichtsrates vom 16.10.1934. So offerierte Herrmann in einer Besprechung im Reichswirtschaftsministerium Mitte Oktober 1934 eine finanzielle Beteiligung der VGF von fünf Millionen RM, was in etwa dem Angebot vom August entsprach. Als Standort hatte man sich zu diesem Zeitpunkt für ein brachliegendes Gelände der staatlichen Industriewerke AG in Kassel entschieden. Zugleich versuchte man der neuen Entwicklung dadurch Rechnung zu tragen, dass man mit dem letztlich dann doch nicht umgesetzten Gedanken spielte, angesichts der nun wohl geringeren anteiligen staatlichen Hilfen die Kasseler Wirtschaft einzubinden. RWWA 195 / B 5-1-11, Aktennotiz Herrmann vom 16.10.1934. 56 Erwähnt wurde dabei ausdrücklich neben dem schon genannten Projekt in Hirschberg ein weiteres in Bamberg. RWWA 195 / D 3-1-2-5, Aktennotiz vom 29.10.1934. 57 RWWA 195 / D 3-1-2-2, Aktennotiz Herrmann vom 1.11.1934, vgl. auch Akten der Reichskanzlei, Die Regierung Hitler 1933 – 1945, Bd. 2,1, S. 143. 58 RWWA 195 / D 3-1-1-6, Brief des Reichswirtschaftsministeriums an die Kunstseidenproduzenten vom 5.11.1934. 59 BArch R 13 XII / 265, Denkschrift über das Faserstoffprogramm. 60 RWWA 195 / D 3-1-2-5, Aktennotiz Herrmann vom 6.8.1934. 55

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seideindustrie mehr erwarten. Für den faktischen Verzicht des Staates, die Kunstseidekapazitäten in dem ursprünglich gewünschten Maß auszubauen, war der Umstand maßgebend, dass das Produkt weniger vielseitiger als Zellwolle verwendbar war.61 Ein Verzicht auf die finanzielle Förderung der Kunstseide und die Konzentration der Mittel auf die Zellwolle bedeutete somit eine effizientere Verwendung der knappen staatlichen Ressourcen. Bei der Zellwolle war das Reichswirtschaftsministerium nun nur noch bereit, sich am notwendigen Kapital mit zwei Dritteln, nicht aber mehr, wie die VGF und die IG Farben im Fall einer annähernden Erfüllung des Faserstoffprogramms durch ihre Unternehmen verlangt hatten, zu ca. 75 – 80 Prozent zu beteiligen.62 Zusagen zu dem von den Unternehmen geforderten Beimischungszwang und zu Preisgarantien wurden nicht gemacht. Die Anfang November den privaten Unternehmen mitgeteilte staatliche Beteiligungshöhe war somit auch geringer als die, die der Staat bei den Sondierungen zu dem Hirschberger Projekt angekündigt hatte. Außerdem sollte das staatliche Kapital ausschließlich als Kredit, nicht aber als Aktienkapital zur Verfügung gestellt werden  –  ein weiteres Abrücken von einer Forderung der VGF und dem, was der Staat bei den ersten Verhandlungen in Hirschberg offeriert hatte. Offensichtlich ist diese insgesamt restriktivere Haltung des Staates darauf zurückzuführen, dass auf einmal eine Reihe lokaler Interessenten zur Verfügung stand. Und deren Zahl erhöhte sich weiter. So teilte Puppe am 9. November 1934 den Unternehmen mit, dass nun auch in Thüringen, Sachsen und Hamburg massives Interesse an der Errichtung von Zellwollefabriken bestünde. Er fügte hinzu, dass man das nationale Faserstoffprogramm im Notfall ohne die etablierten Anbieter realisieren würde. Am 16. November 1934 fand eine Versammlung von Baumwollspinnern aus Sachsen, Bayern, Baden und Württemberg mit Puppe statt.63 In Anlehnung an die in diesen Wochen gegründete Pflichtgemeinschaft der Braunkohleindustrie, wurde auf dieser Versammlung die Möglichkeit diskutiert, Kapital für Zellwollewerke per staatlichen Zwang aufzubringen. Die Höhe der zwangsweisen Beteiligung der jeweiligen Baumwollspinnereien sollte dabei von ihrer Spindelzahl abhängen. Die Ursache dafür, dass staatliche Institutionen seit Herbst 1934 die Gründung regionaler Zellwollewerke in Betracht zogen, dürfte allerdings nicht in erster Linie oder gar ausschließlich auf die Gründe zurückzuführen sein, die nach dem Krieg von Hans Kehrl, seit Ende 1934 einer der wichtigsten staatlichen Protagonisten in der Chemiefaserpolitik, angeführt wurden. So behauptete er, für die Schaffung regionaler Zellwollewerke sei zum Einen die Überlegung, ein Kartell der etablierten Anbieter zu verhindern, maßgebend gewesen.64 Zum Anderen habe man sich von dem Gedanken leiten lassen, dass durch die Gründung regionaler Zellwollewerke 61

RWWA 195 / D 3-1-21, Aktennotiz Herrmann am 12.11.1934 zu einer Besprechung mit Keppler vom 9.11.1934. 62 Ebd.; RWWA 195 / D 3-1-2-2; Brief des Reichswirtschaftsministerium an die Produzenten vom 5.11.1934; Aktennotiz zu einem Telefonat mit dem Rohstoffkommissariat vom 6.11.1934. 63 RWWA 195 / D 3-1-2-5, Abschrift eines Briefes der Vogtländischen Baumwollspinnerei an Puppe und Keppler vom 14.12.1934. 64 Kehrl (1973), S. 88 f.

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4.2 Die Vertragsverhandlungen zwischen Staat und Industrie 1934

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auch mehr Wettbewerb geschaffen würde, weil die Entstehung neuer Produktionsverfahren begünstigt würde. Gegen die erste Behauptung lässt sich einwenden, dass mit dem Gesetz über die Änderung der Kartellverordnung von 1933 bereits eine rechtliche Grundlage bestand, Kartelle, die in Augen des Staates unerwünscht waren, zu verbieten.65 Da die Anwendung dieses Instruments für den Staat nicht mit Kosten verknüpft war, erscheint es wenig plausibel, warum er dann den umständlichen, mit erheblichem finanziellen Engagement verbundenen Weg der Gründung von regionalen Zellwollewerke gegangen sein sollte, wenn er doch nur ein Kartell verhindern wollte. Außerdem zeigen die Quellen, dass Kehrl, ab November 1934 Mitarbeiter66 des seit dem gleichen Zeitpunkt in den Verhandlungen für das Reich federführenden Wilhelm Keppler, die IG Farben AG und die VGF sogar fragte, ob sie bereit wären, die neuen Werke in ein Zellwollekartell aufzunehmen, was die Unternehmen aber ablehnten.67 Auch gegen die Behauptung, man habe durch die Gründung regionaler Zellwollewerke die Entwicklung neuer Produktionsverfahren fördern wollen, sprechen die Quellen. Kehrl trat nämlich noch im April 1935 an die etablierten Unternehmen heran, ihr Know-how den zu gründenden regionalen Werken zur Verfügung zu stellen. Auch diese Bitte wurde abschlägig beschieden. Hinzu kommt, dass Kehrls Vorgesetzter Keppler in einer Besprechung mit den etablierten Unternehmen Ende 1934 deutlich machte, dass man eigentlich staatlicherseits nicht „alle möglichen kleinen Leute“ heranziehen wolle.68 Wenn aber die IG Farben AG und die VGF nicht bereit wären, den staatlichen Kapazitätsausbauwünschen zu staatlichen Bedingungen in vollem Umfang zu entsprechen, habe man keine andere Wahl. Daher liegt es nahe, dass die Option der regionalen Zellwollewerke vor allem als strategisches Instrument des Staates fungierte, mit der Androhung weiterer, in den Augen der etablierten Unternehmen unliebsamer Wettbewerber diese zur größeren Mitarbeit zu bewegen. Diese Interpretation wird durch erneute Avancen Kepplers noch im Januar 1935 gestützt, als er den etablierten Unternehmen indirekt zu verstehen gab, dass die Gründung regionaler Zellwollewerke eigentlich nur zweite Wahl sei.69 Die IG Farben AG und die VGF machten staatlichen Stellen gegenüber von Anfang an aus ihrer Skepsis hinsichtlich der regionalen Werke keinen Hehl.70 Sie begründeten dies damit, dass sie aufgrund voraussehbarer Qualitätsmängel der von diesen unerfahrenen Werken produzierten Zellwolle eine Diskreditierung des Produkts und zugleich einen Preisverfall erwarteten. Die Absicht, die sich hinter diesen 65

RGBL. I, 1933, S. 487; R. Callmann, Das deutsche Kartellrecht, Kommentar, Berlin 1934, S. 353. 66 Wicht (1992), S. 63. 67 RWWA 195 / D 3-1-1-6, Aktennotiz Herrmann zu einer Besprechung mit Kehrl vom 9.4.1935. Erst später gab er sich als expliziter Gegner der Kartelle zu erkennen. RWWA 195 / B 6-28-87, Aktennotiz Herrmann 27.7.1936 zu einer Besprechung mit Kehrl am 24.6.1936. 68 RWWA 195 / D 3-1-2-5, Aktennotiz Herrmann vom 12.11.1934 zu einer Besprechung mit Keppler am 9.11.1934. 69 RWWA 195 / D 3-1-2-5, Aktennotiz vom 14.1.1935 zu einer Besprechung im Reichswirtschaftsministerium mit Keppler. 70 RWWA 195 / D 3-1-2-5, Aktennotiz Herrmann vom 12.11.1934 zu einer Besprechung mit Vertretern der IG Farben AG und Puppe.

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Einwänden verbarg, ist klar. Für die etablierten Unternehmen war die Existenz neuer Konkurrenten in diesem Zukunftsmarkt, den sie ja bereits im Mai 1934 unter sich aufgeteilt hatten, störend. Sie versuchten daher im November ihrerseits, wenn auch in indirekter Weise, Druck auszuüben, indem sie dem Reichswirtschaftsministerium mitteilten, angesichts der neuen Situation solle dieses, sobald die endgültigen Kapazitäten der regionalen Werke bekannt seien, mit ihnen wegen der Restmenge erneut Kontakt aufnehmen. Nachdem aber der Staat auf diese angedrohte Verweigerungshaltung nicht reagiert hatte, änderten die VGF und die IG Farben AG ihre Strategie. Auf der Einen Seite versuchten sie auch im Folgenden immer wieder den Staat davon zu überzeugen, auf regionale Werke zu verzichten.71 Auf der Anderen Seite erklärten sie sich bereit, an der Realisierung des Faserstoffprogramms mitzuwirken, ohne allerdings, bei unveränderten staatlichen Zusagen, ihre Bereitschaft zu einer finanziellen Beteiligung gegenüber dem Stand vom Sommer 1934 grundsätzlich zu erhöhen.72 Den VGF machte zwar Mitte Januar 1935 Keppler wiederum deutlich, dass der Staat eigentlich eine höhere Beteiligung als die vom Unternehmen zugesagten sechs Millionen Reichsmark wünsche, da man langfristig die Erfüllung des 100.000Jahrestonnenprogramms anstrebe, „er sagte aber mehrmals, daß selbstverständlich keinerlei Druck in diese Richtung ausgeübt werden sollte.“73 Trotz dieser staatlichen Bitten blieben die VGF jedoch bei ihrer Entscheidung. Sie erklärten aber ihre Bereitschaft, das Aktienkapital zu einem späteren Zeitpunkt zu erhöhen, falls sich eine gute Rentabilität der Zellwolle herausstellen sollte74. An der Verhandlungsposition des Staates gegenüber der Privatwirtschaft, wie sie sich im November 1934 herauskristallisiert hatte, sollte sich nichts Grundsätz71

RWWA 195 / B 6-28-146, Schreiben von Herrmann an den IG-Vorstand Otto vom 19.1.1935. Die IG Farben blieb bei ihrer ursprünglichen Festlegung auf etwa 30.000 Jahrestonnen (einschließlich bestehender Kapazitäten), falls keine Preis- und Absatzgarantien ausgesprochen werden würden (RWWA 195 / D 3-1-2-2, Aktennotiz Herrmann zu einer Besprechung mit Kehrl und Keppler am 6.12.1934), die VGF bei einem Engagement von ca. 6 Millionen RM. Diese finanzielle Beteiligung der VGF entsprach angesichts der staatlich zugesagten Förderung dem Bau einer Stapelfaseranlage von 11.000 Jahrestonnen. Ein Schreiben von Herrmann an das Reichswirtschaftsministerium vom 7.11.1934 zeigt ebenfalls, dass sich die finanzielle Bereitschaft der VGF nicht erhöht hatte. Angesichts der reduzierten staatlichen Beteiligung wurde nämlich die noch Mitte Oktober geplante Höhe des Kasseler Stapelfaserprojekts von insgesamt 34 Millionen Reichsmark, wovon die VGF fünf Millionen übernehmen wollte, derart modifiziert, dass bei einer nur geringen Erhöhung der VGF-Beteiligung auf sechs Millionen Reichsmark mit insgesamt 18 Millionen Reichsmark das Projekt wesentlich kleiner wurde. RWWA 195 / D 3-1-1-6, Schreiben Herrmanns an das Reichswirtschaftsministerium vom 7.11.1934. 73 RWWA 195 / D 3-1-2-5, Aktennotiz Herrmann zu einer Besprechung mit Keppler am 14.1.1935. 74 RWWA 195 / D 3-1-2-5, Brief der VGF an Keppler vom 17.1.1935. Mit guter Rentabilität war die im Vorfeld immer wieder (RWWA 195 / D 3-1-2-5, Schreiben der VGF an das Reichswirtschaftsministerium vom 16.8.1934; vgl. auch RWWA 195 D 3-1-2 / 10 Aktennotiz Herrmann vom 15.9.1934 und RWWA 195 B 5-1-11, Protokoll der Aufsichtsratssitzung vom 16.10.1934) dem Staat mitgeteilte, von diesem aber nicht verbindlich akzeptierte Vorstellung der VGF von 30 Rpf Gewinn pro kg Zellwolle gemeint. Diesen Gewinn bezeichneten die VGF, obwohl seitens des Staates als „ungeheuerlich“ hoch erachtet, als notwendig zur raschen Kredittilgung. RWWA 195 / D 3-1-21, Besprechung mit Kehrl und Keppler am 10.12.1934; RWWA 195 / B 6-28-87, Aktennotiz Herrmann vom 29.11.1934 zu einer Besprechung im Reichswirtschaftsministerium am 27.11.1934. 72

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4.3 Die staatliche Förderung

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liches mehr ändern. Es kam nur insoweit zu einer Abweichung von der Anfang November festgelegten Position, als zwischen Ende November und Anfang Dezember staatlicherseits der Entschluss gefasst wurde, den staatlichen Finanzierungsanteil nicht durch einen direkten Kredit, sondern in Form verbürgter Kredite zu leisten.75 Nachdem dies im Dezember der Privatwirtschaft mitgeteilt und mit dem „Gesetz zur Übernahme von Garantien zum Ausbau der Rohstoffwirtschaft“ eine entsprechende rechtliche Grundlage für die beabsichtigte Förderung geschaffen worden war, trat das Reichswirtschaftsministerium Ende Dezember in Verhandlungen mit den Banken. Nach kurzer Zeit erklärte sich ein Konsortium unter Führung der Dresdner Bank grundsätzlich bereit, einen Konsortialkredit in Höhe von 160 Mio. RM bereitzustellen. Die Detailverhandlungen zogen sich dann noch einige Monate hin.76

4.3 Die staatliche Förderung Nachdem die grundsätzlichen Standpunkte des Staates und der etablierten Unternehmen festgelegt waren, nahmen die Verhandlungen zwischen den VGF und dem Reich zur Gründung der geplanten VGF-Tochter Spinnfaser Kassel AG schnell konkrete Gestalt an. Unter Berücksichtigung der Vorstellungen des Staates und der VGF wurde in relativ kurzer Zeit im Februar 1935 ein Vertrag zwischen den VGF und dem durch Keppler beauftragten Hans Kehrl ausgehandelt und zwischen dem Unternehmen und der Deutschen Revisions- und Treuhand AG im Namen des Reiches am 8. März 1935 unterzeichnet.77 Zwischen der IG Farben AG und dem Staat kam es im Folgenden zu keiner Verständigung, u.a. weil dem Unternehmen die vom Reich im Fall der Inanspruchnahme eines reichsverbürgten Kredits geforderten Kontrollrechte zu weitgehend erschienen.78 Außerdem wünschte die IG Farben AG, wie bereits im Herbst 1934 den VGF bekannt war, zu diesem Zeitpunkt eine staatliche Unterstützung sowieso nur noch deshalb, weil sie glaubte, dass dann der Staat aufgrund seiner Teilrisikoübernahme auch langfristig die Interessen der Kunstfaserhersteller berücksichtigen würde.79 Nachdem sich aber das Reich im März 1935 mit den VGF geeinigt hatte, 75

BArch R 43 II / 374, Schreiben des Reichsfinanzministers an Keppler, 19.1.1935, Bl. 29ff; RWWA 195 / D 3-1-21, Besprechung mit Kehrl und Keppler am 10.12.1934. Vgl. auch BArch R 8119 F / P 185, Bl. 19 ff. 76 Vgl. auch C. Kopper, Zwischen Marktwirtschaft und Dirigismus. Bankenpolitik im „Dritten Reich“ 1933 – 1939, S. 167ff; BArch R 8119 F / P 148. 77 RWWA 195 / D 3-1-2-5, Aktennotiz zu einer Besprechung mit Kehrl und Keppler in der Reichskanzlei am 19.1.1935; BArch R 43 II / 374, Schreiben des Reichsfinanzministers an Keppler vom 19.1.1935, Bl. 29ff; RWWA 195 / VGF Vertragsregister B 23, Vertrag zwischen der deutschen Revisions- und Treuhand-Aktiengesellschaft und den VGF, 8.3.1935. 78 Wicht (1992), S. 70; Langenbruch (1985), S.69; Scherner (2002), S. 431. Zu weiteren strittigen Punkten zwischen dem Reich und der IG, wie den Tilgungsmodalitäten, vgl. BArch R 2 / 15302, Aktenvermerk zu einer Besprechung von Keppler in der Reichskanzlei mit Vertretern der Reichsbank, des Reichsfinanzministeriums, der Treuarbeit und Otto und Gajewski vom 21.1.1935, Bl. 6 f. 79 RWWA 195 / D 3-1-21 Aktennotiz Herrmann vom 22.10.1934.

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und sich ein auch insgesamt noch weiterreichendes Engagement bei den geplanten regionalen Zellwollewerken abzeichnete, war sein Interesse in diesem Bereich ja ohnehin gegeben. Daher bestand für die IG Farben AG keine Notwendigkeit mehr, einen Vertrag abzuschließen, der dem Staat Kontrollrechte eingeräumt hätte. Dies dürfte erklären, warum sie, anders als die VGF, die nicht ein vergleichbares finanzielles Polster besaß und deren holländische Miteigentümer anscheinend auch etwas weniger stark vom Ausmaß der zukünftigen Bedeutung der Zellwolle überzeugt waren, nicht zu einer Verständigung mit dem Reich kam.80 Ohne vertragliche Förderung blieb die IG Farben AG, wie deren Aufsichtsratvorsitzende Bosch im Frühjahr 1935 Keppler mitteilte, bei einem Ausbauprogramm auf ca. 30.000 Jahrestonnen, was also in etwa der ohnehin bereits seit Frühjahr 1934 geplanten und dem Staat einige Monate später auch bekannten Ausdehnung entsprach.81 Erst nachdem der ungefähre Kapazitätsausbau der etablierten Unternehmen feststand, ging man staatlicherseits an die Konkretisierung der regionalen Zellwollewerke, die alle auf eine unter Wirtschaftlichkeitsgesichtspunkten als Mindestkapazität betrachtete Jahresproduktion von 7.000 to Zellwolle ausgelegt waren. Die Zahl der gegründeten Zellwollewerke orientierte sich offensichtlich daran, dass die von ihnen geschaffenen Kapazitäten zusammen mit denen der etablierten Unternehmen in etwa die Produktion von ca. 78.000 to Zellwolle ermöglichten, also soviel, wie vom im Spätsommer 1934 reduzierten Faserstoffprogramm vorgesehen. Im Sommer 1935 waren dann alle später realisierten Regionalprojekte festgelegt. Andere Gründungsvorhaben hingegen, die immer wieder genannt worden waren, wie die in Bamberg, Hamburg oder in Bayreuth, von dem noch im Juni 1935 die Rede war, wurden nicht realisiert.82 Selbst danach war aber die genaue Standortfrage in den jeweiligen Regionen noch nicht endgültig bestimmt.83 Ausschlaggebend waren neben beschäftigungspolitischen Prämissen die Kriterien, dass die Werke in Haupttextilzentren liegen und dass hinreichend Wasser für die Produktion sowie eine günstige Infrastruktur vorhanden sein sollten.84 Am 17. Mai 1935 wurde die Süddeutsche Zellwolle AG, am 18. Juni 1935 die Sächsische Zellwolle AG, am 26. Juni 1935 die Schlesische Zellwolle AG und am 29. Juni 1935 die Thüringische Zellwolle AG gegründet.85 Kurz darauf wurden die entsprechenden Verträge abge80

Die VGF hatten 1929 angesichts drückender Finanzprobleme einem Fusionsangebot des holländischen Kunstseideherstellers ENKA zugestimmt, die zugleich in AKU umbenannt wurde. Die Aktien der VGF wurden in Aktien der AKU umgetauscht. Hauptsitz der Holdinggesellschaft AKU wurde Arnheim. Langenbruch (1985), S. 54 – 57. 81 RWWA 195 / D 3-1-2-5, Aktennotiz Herrmann vom 9.4.1935.Vgl. auch HA ZA 107, Protokoll zur Sitzung des Arbeitsausschuss vom 5.4.1935. Diese Zusage wurde dann in den folgenden Monaten dahingehend modifiziert, dass die IG Farben AG ihre Zellwollekapazitäten zunächst auf 22.000 Jahrestonnen erweitern wollte, und für einen späteren Zeitpunkt eine Verdoppelung in Aussicht stellte. BArch R 8119 F / P 148, Bl. 268. 82 RWWA 195 / B 6-0-5, Aktennotiz Herrmann zu einer Besprechung mit Kehrl am 25.6.1935. 83 Vgl. z. B. für die Sächsische Zellwolle AG, BArch R 8119 F / P 181, interner Schriftverkehr der Deutschen Bank vom 8.7.1935, Bl. 22. 84 Witt (1939), S. 88; Reinecke (1939), S. 26. 85 Witt (1939), S. 80. Zu den ursprünglichen Unternehmensnamen und den ursprünglichen Firmensitzen, vgl. ebd.

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4.3 Die staatliche Förderung

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schlossen.86 Der bereits erwähnte, zwischen den VGF und der Deutschen Revisions- und Treuhand AG abgeschlossene Vertrag sollte dabei als Muster für die staatliche Förderung der regionalen Projekte dienen. Wie aber sah die staatliche Förderung der Chemiefaserindustrie tatsächlich aus und was war in den erwähnten Verträgen genau geregelt? Die Kunstseidenproduktion, die fast ausschließlich durch die bereits etablierten Anbieter ausgedehnt wurde, förderte der Staat im Allgemeinen überhaupt nicht durch vertraglich zugesicherte Hilfestellungen.87 Im Zusammenhang mit der staatlichen Förderung der Zellwoll­ ein­du­strie werden in der Literatur verschiedene Anreize, nämlich Steuerbefreiungen, Preis- und Absatzgarantien, staatliche Darlehen, verlorene Zuschüsse und staatlich verbürgte Kredite genannt.88 In der Tat wurden die neu gegründeten Zellwollewerke für eine Dauer von fünf Jahren von sämtlichen Reichssteuern befreit.89 In den Verträgen selbst wurde entsprechend der staatlichen Angebote seit Ende 1934 vereinbart, dass staatlich verbürgte Kredite in doppelter Höhe des gezeichneten Aktienkapitals in Anspruch genommen werden konnten, die ein Bankenkonsortium zur Verfü­gung stellte.90 Die Laufzeit der Kredite war bis zum Jahr 1946 beschränkt.91 Bis dahin mussten sie verzinst und getilgt werden, wobei aufgrund der erwarteten Anfangsschwierigkeiten grundsätzlich die ersten beiden Jahre tilgungsfrei sein sollten.92 Mit diesem Vertrag wurden die Verfügungsrechte der Aktionäre in vielerlei Hinsicht eingeschränkt. So hatten sie eine Sperrfrist von einem Jahr zu beachten, in der sie die Aktien nicht veräußern durften.93 Über die Gewinnverwendung wurde 86

Vgl. z. B. BArch R 8135 / 3001, Bl. 4f; BArch R 8135 / 421; BArch R 8135 / 3792, Bl. 7. RWWA 195 / D 3-1-1, Schreiben von Keppler an die VGF vom 6.11.1934. Eine Ausnahme war die Ende der 1930er Jahre gegründete Rheinische Kunstseide AG. 88 Witt (1939), S. 103,4; Stratmann (1985), S.111; Plumpe (1990), S. 313. 89 BArch R 8135 / 2704, Bl. 3; Witt (1939), S. 105 ff. Rechtsgrundlage der Steuerbefreiungen war ein Erlaß des Reichsfinanzministeriums vom 14.6.1935 gemäß § 3 des Gesetzes über Steuererleichterungen vom 15.7.1933. RWWA 195 / D 3-1-1-1, Schreiben der VGF an Keppler vom 18.2.1935, Schreiben Kepplers an die VGF vom 26.2.1935. 90 Vgl. für die Schlesische Zellwolle AG, BArch R 2 / 15303, Vertrag zwischen der Deutschen Revisions- und Treuhand AG und der Schlesischen Spinnfaser AG vom 21.6. / 10.8.1935, Bl. 283ff; für die Sächsische Zellwolle AG BArch R 8119 F / P 181; für die Süddeutsche Zellwolle AG BArch R 8119 F / P 190; für die Thüringische Zellwolle AG BArch R 8119 F / P 191; für die Rheinische Zellwolle AG BArch R 8119 F / P 180; für die Kurmärkische Zellwolle AG BArch R 8119 F / P 174. Zu den Konsortialkrediten und den Konsortiumsmitgliedern, vgl. auch Kopper (1995), S. 167 ff. Insgesamt umfassten diese Kredite im Rahmen der sogenannten Konsortialkredite I und III zwischen 1935 und 1938 ca. 80 Millionen RM für Chemiefasern, davon ca. 73 Millionen RM für die vier zunächst gegründeten regionalen Zellwollewerke. BArch R 2301 / 5968, Bl. 18; Witt (1939), S. 101 f. Der Konsortialkredit I wurde aufgrund der überragenden Bedeutung der Chemiefaser am gesamten Kreditvolumen auch „Stapelfaserkredit“ genannt. BArch R 8119 F / P 147, Bl. 69. 91 RWWA 195 / VGF Vertragsregister B 23, Vertrag zwischen der deutschen Revisions- und Treuhand-Aktiengesellschaft und VGF, 8.3.1935, § 5 (e). 92 Ebd., § 5 (a). 93 RWWA 195 / B 6-0-5, Aktennotiz Hermann vom 26.6.1935 zu einer Besprechung mit Dierig am 25.6.1935; abweichend dazu konnten die VGF nach dem VGF-Vertrag nur mit die Zustimmung des Reiches über ihre Aktien verfügen. RWWA 195 / VGF Vertragsregister B 23, Vertrag zwischen der deutschen Revisions- und Treuhand-Aktiengesellschaft und VGF, 8.3.1935, § 2 (c). 87

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ebenfalls vom Reich entschieden, und zwar derart, dass die Dividenden bis zur vollkommenen Tilgung des Kredits auf fünf Prozent des Aktienkapitals beschränkt waren. Darüber hinausgehende Gewinne mussten zur vorzeitigen Kredittilgung verwendet werden.94 Das Reich konnte zudem maßgeblich Produktion und Absatz bestimmen und hatte ein Prüfungsrecht.95 Außerdem besaß es das Recht, zwei Aufsichtsratmitglieder zu bestimmen.96 Wenn auch das Eigentumsrecht den Aktionären verblieb, so hatte während der Vertragslaufzeit das Verfügungsrecht über das Unternehmen das Reich inne. Insofern kann man mit Gottfried Plumpe durchaus davon sprechen, dass die regionalen Zellwollewerke, solange die Kredite nicht getilgt waren, „quasi-staatliche“ 97 Unternehmen waren. Allerdings waren diese Verträge, im Widerspruch zu der teilweise in der Literatur vertretenen Meinung, keine Wirtschaftlichkeitsgarantieverträge, welche, wie erwähnt, den privaten Investoren eine feste Verzinsung und Amortisation des eingesetzten Kapitals zusicherten. Derartige Garantien wurden in den Zellwolleverträgen nicht gewährt. Zwar heißt es dort wörtlich in § 6: „Die Treuarbeit erklärt weiter im Auftrage des Wirtschaftsbeauftragten, dass dieser besorgt sein wird, durch ihm geeignet erscheinende Massnahmen die wirtschaftliche Produktion und eine im Rahmen der Gestehungskosten und der Kapitaldienstverpflichtungen rentable Absatzmöglichkeit des Werkes sicherzustellen“.98 Dieser Passus, der schon sprachlich wesentlich vager als die exakten Festlegungen in Wirtschaftlichkeitsgarantieverträgen ist, wurde aber von zeitgenössischen Juristen keinesfalls als eine einklagbare Garantie, sondern eher als ein nicht rechtsverbindliches Versprechen aufgefasst. Als die VGF nämlich 1936 den mit der Treuhand abgeschlossenen, in diesen Teilen mit den entsprechenden Passagen in den Verträgen der regionalen Zellwollewerken99 identischen Vertrag aufgrund der staatlichen Kontrollrechte vorzeitig lösen wollten,100 erklärte der Syndikus des Unternehmens, Schmekel: „Die Bedeutung der seinerzeit gegebenen Zusicherung wird mit Rücksicht auf den Staat als Vertragspartner ohnehin weniger in einem Rechtsanspruch, als in der Festlegung eines Grundsatzes für zukünftiges Handeln zu sehen sein und in seinen praktischen Auswirkungen doch immer von den jeweiligen wirtschaftlichen Umständen abhängen.“101 Die Betrachtung des weiteren Vertragstextes bestätigt diese Interpretation. So ist, außer in der vagen Formulierung im zitierten § 6 bezüglich der Verzinsung des Kapitals, noch in § 5 94

Ebd., § 5 (c). Ebd., § 6 (b). 96 Abweichend dazu gab es nach dem VGF-Vertrag nur ein vom Reich bestimmtes Aufsichtsratmitglied. Ebd., § 7. 97 Vgl. Plumpe (1990), S. 705. 98 BArch R 8135 / 3001, Bl. 4 f; RWWA 195 / VGF Vertragsregister B 23, Vertrag zwischen der deutschen Revisions- und Treuhand-Aktiengesellschaft und VGF, 8.3.1935, § 6 a. 99 Vgl. z. B. BArch R 8135 / 421; BArch R 8135 / 3001, Bl. 4f; BArch R 8135 / 3792, Bl. 7. 100 Eine weitere Rolle spielte, dass man befürchtete, dass durch die staatlichen Kontrollmöglichkeiten der Konkurrenz der regionalen Werke Informationen über Geschäftsgeheimnisse der Spinnfaser Kassel AG zufließen könnten. RWWA 195 B 6-28-87, Aktennotiz Herrmann vom 27.7.1936 zu einer Besprechung mit Kehrl am 24.7.1936. 101 RWWA 195 / D 3-1-2-1, Notiz Hermann 27.7.1936 über das Ergebnis einer Besprechung mit dem Syndikus der VGF anlässlich der vorzeitigen Rückzahlung des Spinnfaser AG Kassel-Kredits. 95

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die Rede von Dividenden. Darin wurde aber, wie erwähnt, nur festgelegt, dass die Dividenden fünf Prozent nicht überschreiten dürften, nicht jedoch, dass eine Verzinsung des Anlagekapitals von fünf Prozent garantiert sei.102 Die Normen des § 5 zeigen zudem, dass auch die indirekt in § 6 angesprochene, durch staatliche Maßnahmen herbeizuführende Amortisation des eingesetzten Fremd- und Eigenkapitals nicht einer Garantie im Sinn eines Wirtschaftlichkeitsgarantievertrags entsprach. Hätte nämlich der § 6 tatsächlich eine Preis-Absatz-Garantie enthalten, die „eine im Rahmen der Gestehungskosten und der Kapitaldienstverpflichtungen rentable Absatzmöglichkeit des Werkes“ sicherstellt, so hätte es keiner speziellen Regelung für die Liquidierung der Gesellschaft und im Besonderen keiner Regelung für den Fall, dass die Tilgung der Kredite, also die Amortisation des Fremdkapitals, die Lebensfähigkeit der Gesellschaft gefährden könnte, bedurft. Auch hätten nicht noch Schuldrückstände aus diesem Darlehen oder dessen Zinsen am Ende der Vertragslaufzeit vorhanden sein können. Genau diese Tatbestände wurden aber in § 5 geregelt.103 Die weitere Entwicklung spricht ebenfalls für die Interpretation, dass es sich bei den Zellwolleverträgen nicht um Wirtschaftlichkeitsgarantieverträge handelte. Während letztere grundsätzlich für jedes Vertragsjahr einen Gewinn garantierten, lassen sich für einige Zellwollewerke in manchen Jahren während der Vertragslaufzeit erhebliche Verluste nachweisen.104 Im Übrigen wäre es angesichts der bereits geschilderten Verhandlungen und der seit Herbst 1934 wiederholt durch den Staat betonten Ablehnung von Preis- und Absatzgarantien auch überraschend gewesen, wenn dennoch entsprechende Zusicherungen in den Verträgen verankert worden wären. So vermerkte das Konsortiumsmitglied Deutsche Bank Anfang 1935, also unmittelbar bevor der VGF-Vertrag unterschriftsreif war, dass Glanzstoff und IG Farben einen sehr großen Kapazitätsausbau „mangels jeder Preis- und Absatzgarantie der Regierung“105 ablehnten.106 102

In der Tat schütteten dann manche regionalen Zellwollewerke gar keine oder geringere Dividenden aus, wie die Süddeutsche Zellwolle AG 1937 mit einer Dividende in Höhe von 3 Prozent. BArch R 8119 F / P 190, Bl. 8. 103 In diesem Paragraphen heißt es: „(b) Sollte jedoch durch die Zahlung der Tilgungsbeiträge die Lebensfähigkeit des Stapelfaserwerkes gefährdet werden, was sowohl rentabilitäts- als auch liquiditätsmässig zu beurteilen wäre, so ist die Stapelfasergesellschaft berechtigt, die Stundung der Tilgungszahlung zu beantragen[…] (e) Sind am 1. April 1946 noch Schuldrückstände aus diesem Darlehen oder dessen Zinsen vorhanden, die nach einer von der Treuarbeit analog den Bestimmungen des Absatzes b) dieses Paragraphen vorzunehmenden Prüfung von der Stapelfasergesellschaft nicht gezahlt werden können, und ist die Stapelfasergesellschaft nicht in der Lage, sich diesen Betrag anderweitig zu beschaffen, so muss eine Verständigung zwischen den Vertragsparteien versucht werden. Kommt eine solche Vereinbarung bis zum 31. Dezember 1946 nicht zustande, so erfolgt die Liquidierung der Gesellschaft.“ RWWA 195 / VGF Vertragsregister B 23, Vertrag zwischen der deutschen Revisions- und Treuhand-Aktiengesellschaft und VGF, 8.3.1935. 104 Z.B. die Sächsische Zellwolle AG 1936 (Vgl. BArch R 8135 / 428 Berichte der Deutschen Revisions- und Treuhand AG über die Sächsische Zellwolle AG 1936) und die Rheinische Zellwolle AG 1940,1941 und 1942 (BArch R 8135 / 1240, Berichte der Deutschen Revisions- und Treuhand AG über die der Rheinische Zellwolle AG, 1939, Bl. 3f; 1940; Bl. 4f, 1942, Bl. 7f). 105 BArch R 8119 F / P 185, Bl. 20. 106 Warum dennoch immer wieder in der Literatur von Preis- und Absatzgarantien die Rede ist, ist leicht nachzuvollziehen. Eine Erklärung könnte sein, dass der Vertragstext, insbesondere der zitierte

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Somit kann festgehalten werden, dass die in den Zellwolleverträgen gewährte staatliche Bürgschaft den erwarteten Gewinn einer solchen Kapitalzeichnung gegenüber der Situation erhöhte, in der der Staat sich nicht an der Finanzierung beteiligt hätte, was somit für die Aktionäre faktisch das Risiko einer solchen Anlage abmildern musste.107 Hinzu kam, dass das Rückgriffsrecht des staatlichen Bürgen beschränkt wurde.108 Im Unterschied zu einem Wirtschaftlichkeitsgarantievertrag konnten allerdings die Aktionäre der Zellwollewerke ex ante keineswegs von einer vollkommenen Risikoabsicherung des gezeichneten Kapitals ausgehen. Insofern war auch das Verhalten der VGF und der IG Farben AG rational, sich in Abwesenheit von Preis- und Absatzgarantien Spielräume vorzubehalten. Beide Unternehmen machten ja Anfang 1935 ihr weiteres Engagement von der zukünftigen Rentabilität des Produkts abhängig. Neben der vertraglich festgelegten erfolgte allerdings noch eine weitere Risikoabnahme. Mit der Durchführung des Nationalen Faserstoffprogramms seit dem Jahr 1935 änderte der Staat nämlich die Rahmenbedingungen für die Zellwolleproduktion. Nachdem die Importe natürlicher Textilrohstoffe bereits seit 1934 eingeschränkt worden waren, wurden seit 1936 die Textilverarbeiter gezwungen, in bestimmten, im Zeitablauf zunehmenden Proportionen natürlichen Fasern Zellwolle beizumischen.109 Zudem führte man nach mehrjährigem Drängen der deutschen Anbieter hohe Zölle auf Chemiefaserimporte ein.110 Somit wurde der Absatz seit Beginn 1936 faktisch garantiert. Allerdings waren diese Rahmenbedingungen, was § 6 (a), fehlerhaft interpretiert wurde. Diesen Paragraphen zitiert sinngemäß Kehrl (Kehrl (1973), S. 92), auf den sich wiederum einige Autoren beziehen, die von Preis- und Absatzgarantien sprechen. Weiterhin stellt sich heraus, dass alle Publikationen, die von der Existenz von Wirtschaftlichkeitsgarantieverträgen bzw. von Preis- und Absatzgarantien im Chemiefasersektor sprechen, dies entweder nicht belegen (Franck (1936), S.45f; R. Bauer, Zellwolle siegt, Leipzig 1941, S.77, S.126f; Langenbruch (1985), S. 71.) oder sich auf einen Aufsatz von Mackenroth aus dem Jahr 1938 beziehen, in dem aber nur ganz allgemein auf den Einsatz von Wirtschaftlichkeitsgarantieverträgen im Rahmen des Vierjahresplans hingewiesen wird (Mackenroth (1938), S. 721). Auf diesen Aufsatz bezieht sich Witt (Vgl. Witt (1939), S. 103), auf den sich wiederum Stratmann beruft. Vgl. Stratmann (1985), S. 111). Möglicherweise haben manche Autoren die Termini „Wirtschaftliche Garantien“ und „Wirtschaftlichkeitsgarantievertrag“ verwechselt; ersterer Begriff war nämlich im damaligen amtlichen und juristischen Verständnis der Oberbegriff für jegliche vertraglich zugesicherte wirtschaftliche Verpflichtung, die das Reich gegenüber privaten Unternehmen eingegangen war, d. h. es konnte sich um Förderprämienverträge, Wirtschaftlichkeitsgarantieverträge, staatliche Bürgschaften usw. handeln. J. W. Hedemann, Deutsches Wirtschaftsrecht. Ein Grundriß, Berlin 1939, S. 140. Dementsprechend wurden in den Quellen die Chemische Industrie, Mineralöl, der Eisenund Metallerzbau und die Stapelfaser „Garantiegebiete“ genannt. BArch R 3101 / 18357, Bl. 27 f. Zur Bezeichnung des staatlich verbürgten Kredits als „Reichsgarantie“, vgl. auch BArch R 8119 F / P 148, Bl. 165. 107 Vgl. dazu Kapitel 2.6.1. 108 Das Rückgriffsrecht des Bürgen im Liquidationsfall erstreckte sich nicht auf das gesamte Vermögen des Unternehmens, sondern lediglich auf zwei Drittel, d. h. entsprechend des Anteils des Kredites an der Anlagenfinanzierung. RWWA 195 / D 3-1-2-2, Aktennotiz Herrmann vom 16.2.1935; Brief der VGF an Keppler vom 18.2.1935. 109 Witt (1939), S. 110 ff. 110 RWWA 195 / D 3-1-1-6, interner Schriftverkehr 16.5.1934; R 13 XII / 396, Bl. 20, 55.

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natürlich auch den Unternehmen bewusst war, jederzeit aufhebbar.111 Ohne eine entsprechende Preispolitik wäre aber diese faktische Absatzgarantie ökonomisch ohne Belang gewesen, d. h. nur wenn die seit Mitte 1935 staatlich festgelegten Zellwollepreise die Rentabilitätsinteressen der Unternehmen berücksichtigten, konnte von einer faktischen Wirtschaftlichkeitsgarantie die Rede sein. Allerdings berücksichtigte die staatliche Preispolitik im Allgemeinen die Rentabilitätsinteressen der Unternehmen.112 Dies zeigt eine Betrachtung der Gewinnentwicklung der deutschen Zellwolleindustrie seit 1935. Betrachtet wird der Gewinn pro kg Zellwolle in Rpf. Die Daten stammen für fast alle Unternehmen aus den Wirtschaftsprüfungsberichten der Deutschen Revisions- und Treuhand AG. Diese Institution nahm im Auftrag des Reiches das in den Bürgschaftsverträgen festgelegte Prüfungsrecht wahr und ging nach vergleichbaren Kriterien vor. Lediglich bei der IG Farben AG, die, wie erwähnt, keinen Vertrag mit dem Reich abgeschlossen hatte, musste auf unternehmensinterne Quellen zurückgegriffen werden. Um einen Vergleichsmaßstab zu haben, werden die Gewinne in der Zellwolleindustrie denen einer anderen zentralen Autarkiebranche, der synthetischen Treib­ stoffindustrie, gegenübergestellt. Der Kapazitätsausbau in dieser Branche erfolgte, wie erwähnt, im Allgemeinen auf der Grundlage von Wirtschaftlichkeitsgarantieverträgen. In diesen wurde, wie im zweiten Kapitel gezeigt, den Unternehmen als Gewinn grundsätzlich eine fünfprozentige Verzinsung des Anlagekapitals garantiert, was angesichts des Umstandes, dass die Rendite festverzinslicher Reichsanleihen 4,5 Prozent betrug, als eine Gewinnuntergrenze charakterisiert werden kann. Diese Gewinnuntergrenze wird im Folgenden als „Normalgewinn“ in Autarkiebranchen bezeichnet. Unterstellt man demnach als Normalgewinn der Zellwollewerke eine fünfprozentige Verzinsung ihres Anlagekapitals, so entspricht dies einem Betrag von höchstens 7,5 Rpf pro kg Zellwolle.113 Wie im Schaubild 14 zu sehen, wurde diese Größe bei allen untersuchten Unternehmen normalerweise bei weitem überschritten. Teilweise kam es zu Gewinnen, die einer Verzinsung von über 20 Prozent entsprachen. Mit anderen Worten: Die staatlich gesetzten Rahmenbedingungen, nämlich Beimischungszwang sowie Zoll- und Preispolitik, schufen offensichtlich nach 1935 / 36 die Grundlage für ein im Vergleich zur Synthesebenzinproduktion hoch profitables Geschäft für die Investoren in der Zellwolleindustrie. Dies 111

So notierte Herrmann anlässlich der Vertragskündigung der Spinnfaser Kassel AG zu einem Gespräch mit Hans Kehrl: „Herr Kehrl erklärte dann, auch für den Absatz von Kassel weiter besorgt sein zu wollen, was ich dankbar begrüßte (ohne mir selbstverständlich über eine derartige Zusicherung allzugroße Illusionen zu machen).“ RWWA 195 / B 6-28-87, Aktennotiz Herrmann vom 27.7.1936 zu einer Besprechung mit Kehrl am 24.7.1936. 112 Reinecke (1939), S. 55; Bodenbender (1939), S. 630; Kehrl (1973), S. 92. 113 Während man bei einer Kapazität von 7.000 Jahrestonnen, zugleich ja die Mindestkapazität aller hier betrachteten Werke, mit einem Anlagekapital von 1,50 RM pro jährlich produzierten kg Zellwolle rechnete, ging man bei höheren Kapazitäten von einem leicht geringeren Betrag aus. (RWWA 195 / D 3-1-2-2, Aktennotiz zu einer Besprechung mit Kehrl und Keppler vom 16.12.1934). Daher kann unterstellt werden, dass seit Ende der 1930er Jahre, als alle Unternehmen eine Kapazität von deutlich mehr als 7.000 Jahrestonnen hatten, eine fünfprozentige Verzinsung geringer als die hier verwendeten 7,5 Rpf war. Mitte 1934 ging man noch von einem leicht höheren Anlagekapital pro kg Zellwolle bei einer Kapazität von ca. 7.000 Jahrestonnen aus. Tab. 23.

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4. Investitionsentscheidungen in der halbsynthetischen Chemiefaserindustrie

widerlegt die Behauptung Plumpes, dass generell die Autarkieproduktion, und im speziellen die Zellwolleproduktion, für die Unternehmen kein gutes Geschäft gewesen sei.114

50

Schaubild 14: Gewinne in der deutschen Zellwolleindustrie 1935-1944

40 Rpf pro kg Zellwolle

30 20 10 0 -10

1935

1936

1937

1938

1939

1940

1941

1942

1943

1944

-20 -30 -40 Spinnfaser Kassel AG Süddeutsche Zellwolle AG IG Farben AG Normalgewinn

Jahr

Sächsische Zellwolle AG Schlesische Zellwolle AG Thüringische Zellwolle AG

Quellen: Für die Schlesische Zellwolle AG, BArch R 8135 / 453 Bericht 1938 (für 1937), BArch R 8135 / 1182 Bericht 1939 (für 1937 und 1938), für die Sächsische Zellwolle AG, BArch R 8135 / 428 Bericht 1936 (für 1936), Bericht 1937 (für 1937), Bericht 1938 (für 1938), BArch R 8135 / 3585 Bericht 1939 (für 1939), Bericht 1940 (für 1940), Bericht 1941 (für 1941), Bericht 1942 (für 1942), Bericht 1943 (für 1943), für die Süddeutsche Zellwolle AG, BArch R 8135 / 3001 Bericht 1939 (für 1939), Bericht 1940 (für 1940), Bericht 1941 (für 1941), BArch R 8135 / 1098 Bericht 1937 (für 1937), Bericht 1938 (für 1938), BArch R 8135 / 7969 Bericht 1942 (für 1942), Bericht 1943 (für 1943); für die Spinnfaser Kassel AG, BArch R 8135 / 3206, Bericht 1936 (für 1936), BArch R 8135 / 3425 Bericht 1937 (für 1937), BArch R 8135 / 2704 Bericht 1938 (für 1938), Bericht 1939 (für 1939); RWWA 195 / D 3-1-3-19 (für 1940), BArch R 8135 / 7957 Bericht 1941 (für 1941), Bericht 1942 (für 1942), für die IG Farben AG (eigene Berechnung), Gewinne aus BASF-Archiv, IG-Bestand T 1305; Mengen, vgl. Quelle, Tab. 20; für die Thüringische Zellwolle AG, BArch R 8135 / 2214 Bericht 1939 (für 1938 und 1939), BArch R 8135 / 2695 Bericht 1940 (für 1940), Bericht 1941 (für 1941), BArch R 8135 / 8046 Bericht 1942 (für 1942), Bericht 1943 (für 1943).

Ursache für diese hohen Gewinne war eine staatliche Preispolitik, die in Absprache mit den Zellwolleproduzenten erfolgte.115 Das Procedere der Preisbildung war, dass der erwähnte Hans Kehrl sich vierteljährlich Berichte über die Gestehungskosten von den VGF und den regionalen Zellwollewerken beschaffte und auf dieser Grundlage mit dem Preiskommissar verhandelte.116 Kehrl verfolgte bei den Verhand114

Plumpe (1990), S. 505. Reinecke (1939), S. 55. 116 RWWA 195 / B 6-0-5, Aktennotiz Herrmann vom 22.9.1936 zu einer Besprechung mit Kehrl 115

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lungen über die Zellwollepreise das Ziel, den Regionalwerken nicht nur die planmäßige Tilgung des Konsortialkredits sowie die Ausschüttung einer Dividende zu ermöglichen, sondern sie auch in die Lage zu versetzen, Überschüsse für außerplanmäßige Tilgungen und zur Finanzierung von Erweiterungsinvestitionen zu erwirtschaften.117 Eine derartige Preispolitik war den Unternehmen sehr willkommen. Sie bemühten sich daher, Kehrl den Rücken gegenüber dem Reichsfinanzministerium zu stärken, das möglichst weitgehende Preissenkungen befürwortete.118 So notierte der Vorstandsvorsitzende der VGF, Herrmann, am 1.2.1937 nach einem Gespräch mit Kehrl: „Ich unterstützte lebhaft die Absicht von Herrn Kehrl, die Zellwolle organisch zu einem besonderen Textilrohstoff zu entwickeln und machte darauf aufmerksam, daß in absehbarer Zeit die Zellwolle auch möglichst konkurrenzfähig mit der Baumwolle  –  auch hinsichtlich des Preises  –  sein musste […]. Man müsste sich […] auf den Zeitpunkt vorbereiten, wo der Preis für den Absatz eine Rolle spielte, d. h. man sollte nach Möglichkeit an dem jetzigen Preis nichts ändern, aber dafür sorgen, daß die Überschüsse zu Abschreibungen und zum Abverdienen der Schulden benutzt würden.“119 Faktisch konnte Kehrl sich gegenüber dem Reichsfinanzministerium durch­ setzen. Die Preise wurden zunächst so gebildet, dass die Unternehmen nicht nur in der Lage waren, ihre Ersatzinvestitionen zu finanzieren und regulär zu tilgen, sondern darüber hinaus auch noch Überschüsse erwirtschafteten, so dass sogar Dividenden ausgeschüttet werden konnten.120 Dazu trugen nicht nur die hohen Gewinnmargen bei, sondern auch der Umstand, dass die zugestandenen Abschreibungen den tatsächlichen Kapitalverschleiß um ca. das Doppelte übertrafen. Unter Berücksichtigung dieser Vorgaben konnte der Preis von B-Zellwolle, dem Ersatz für Baumwolle, bis 1937 gesenkt werden, da es bei den Produzenten zu Effizienzsteigerungen kam. Von da an wurde er aus Rücksichtnahme auf die Anlaufschwierigkeiten der nach 1935 gegründeten regionalen Zellwollewerke auf dem Stand vom Herbst 1937 eingefroren.121 Bei W-Zellwolle, dem Substitut für Wolle, kam es bis weit in den Krieg hinein zu Preissenkungen, was an anderer Stelle noch genauer erläutert werden wird. Zusammenfassend lässt sich sagen, dass bei der Zellwolleindustrie zwei Arten staatlicher Risikoabnahme gewährt wurden: zum Einen staatlich verbürgte Kredite am gleichen Tag. 117 Kehrl (1973), S. 92. Vgl. auch BArch R 8119 F / P 185, S.154. RWWA 195 / B 6-0-5, Aktennotiz Herrmann vom 22.9.1936 zu einer Besprechung mit Kehrl am 17.9.1936; RWWA 195 / B 6-0-5, Aktennotiz Herrmann zu einer Besprechung mit Kehrl am 23.3.1937. 118 RWWA 195 / B 6-0-5, Aktennotiz Herrmann vom 22.9.1936 zu einer Besprechung mit Kehrl am 17.9.1936. 119 RWWA 195 / B 6-0-5, Aktennotiz Herrmann zu einer Besprechung mit Kehrl am 28.1.1937. 120 BArch R 8135 / 4461, Gutachten der Deutschen Revisions- und Treuhand AG über Selbstkosten für Zellwolle. Im Fall der Schlesischen Zellwolle AG wurde eine Tilgung in Höhe von zehn Prozent des Umsatzes (BArch R 8135 / 3792, Bericht 1935), im Fall der Spinnfaser Kassel AG (BArch 8135 / 2704, Bericht 1935), der Süddeutschen Zellwolle AG (BArch R 8135 / 3001, Bericht 1935) und der Thüringischen Zellwolle AG (BArch R 8135 / 2184, Bericht 1936) eine Tilgung in Höhe von neun Prozent vereinbart. 121 Vgl. genauer Kapitel 4.6.

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mit begrenztem Rückgriffsrecht (und eine Steuerbefreiung für fünf Jahre), also rechtsverbindliche Maßnahmen, und zum Anderen mit der staatlichen Preis-, Beimischungs- und Importpolitik Anreize, die unter dem Begriff impliziter Risikoteilungsvertrag subsumiert werden können. Diese Politik, die ex post von der Risikoabnahme her faktisch einem Wirtschaftlichkeitsgarantievertrag entsprach, war allerdings ex ante nur auf kurze Zeit für die Unternehmen eine Größe, mit der sie mit Sicherheit kalkulieren konnten, da sie einen Politikwechsel nicht ausschließen konnten. Somit hatten die Investoren, im Unterschied zur synthetischen Treibstoffindustrie, ein Restrisiko getragen.

4.4. Zwang oder Freiwilligkeit bei der Kapitalbeschaffung der regionalen Zellwollewerke? Offensichtlich hatte Zwang bezüglich der von den VGF und der IG Farben AG getätigten Investitionen keine Rolle gespielt.122 Dafür spricht auch, wie gezeigt, dass der staatliche Entschluss, die Gründung regionale Zellwollewerke zu betreiben, gerade auch auf den Umstand zurückzuführen war, dass die genannten Unternehmen ihre Kapazitäten angesichts der Art der angebotenen Förderung nicht in dem staatlich gewünschten Umfang ausbauen wollten.123 Welche Rolle spielte aber die staatliche Förderung der Zellwolle bei der Kapitalbeschaffung der regionalen Zellwollewerke? In der Literatur ist dies umstritten. Zwang, staatlicher Druck oder sogar Freiwilligkeit infolge staatlicher Anreize werden als Ursache der Aktienübernahme genannt. Ein Zwang, vergleichbar der Kapitalbeschaffung bei der BRABAG, kann definitiv ausgeschlossen werden. Etwas Derartiges hat es bei den regionalen Zellwollewerken nicht gegeben, auch wenn es im Herbst 1934, wie erwähnt, in Erwägung gezogen worden war. Vielmehr traten die regionalen Handelskammern, unterstützt von der jeweiligen lokalen Parteiführung, zur Kapitalbeschaffung an die regionale Wirtschaft heran und forderten sie zur Zeichnung von Aktien auf. So heißt es in einem Brief der Filiale Breslau der Deutschen Bank, dass nach einer Einladung der Industrie- und Handelskammer Hirschberg an die schlesische Wirtschaft Ende April 1935, „Gauleiter, Oberpräsident Wagner, einen dringenden Appell an die Versammlung richtete, das durch die Wirtschaft aufzubringende Aktienkapital der neuen Gesellschaft in Höhe von RM 3 613 000,- zu beschaffen“.124 Trotz dieses Appells wurden aber nur 2,1 Millionen RM gezeichnet.125 Auch bei allen anderen Zellwollegründungen übernahm die Pri122

Vgl. auch RWWA 195 / D 3-1-2-5, Aktennotiz Herrmann zu einer Besprechung mit Keppler am 14.1.1935; RWWA 195 / B 6-28-146, Aktennotiz Herrmann zu einem Telefonat am 9.4.1939 mit Gajewski von der IG Farben AG. 123 RWWA 195 / D 3-1-2-5, Aktennotiz Herrmann vom 12.11.1934 zu einer Besprechung mit Keppler am 9.11.1934; BArch R 8119 F / P 185, S. 17f; Wicht (1992), S. 70. 124 BArch R 8119 F / P 183, Bl. 15. 125 Ebd.

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4.4. Zwang oder Freiwilligkeit?

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vatwirtschaft zunächst nicht die Aktien in dem vom Staat gewünschten Umfang.126 Ende 1935 schrieb z. B. die Zentrale der Deutschen Bank über die Kapitalbeschaffung der Thüringischen Zellwolle AG: „Wie wir von der Dresdner Bank hören, stösst die Aufbringung des Aktienkapitals der obigen Gesellschaft auf Schwierigkeiten […].“127 Zu den Erstzeichnern von Aktien der regionalen Zellwollewerke gehörten keineswegs nur Textilunternehmen, sondern auch ganze ferne Branchen wie Brauereien, Zementwerke und Banken.128 Allerdings scheinen Staat und regionale Parteistellen keinen unbeträchtlichen Druck auf die regionale Wirtschaft ausgeübt zu haben.129 So teilte der Textilindustrielle Dierig, zugleich größter Aktionär bei der Schlesischen Zellwolle AG, am 25. Juni 1935 Herrmann mit, „daß die Aktionäre der neuen Gesellschaft in Kunersdorf zum Teil ganz kleine Industrielle mit kleinen Beteiligungen seien, die hauptsächlich auf Veranlassung des neuen Oberpräsidenten und Gauleiters von Schlesien (Wagner) gezeichnet hätten und daß viele von diesen ihre Aktien wahrscheinlich wiederverkaufen würden, sobald die am 1.7.1936 abgelaufene Sperrfrist vorüber“ sei130. Dieser Druck war aber nicht einem Zwang gleichzusetzen. Denn erstens wurde, wie erwähnt, zunächst das Kapital nicht in der gewünschten Höhe gezeichnet. Zweitens wurde ein Teil der Aktien von quasi-staatlichen Institutionen übernommen.131 Und schließlich verschlossen sich manche Unternehmen, die ebenfalls von örtlichen Instanzen aufgefordert worden waren, Aktien zu erwerben, diesem Wunsch, wie nachweislich die Deutsche Bank bei der Gründung der regionalen Zellwollewerke.132 Es war also möglich, dem Druck von Staat und Partei zu widerstehen. Manches spricht dafür, dass bei einigen Unternehmen grundsätzlich ein Interesse an einer Beteiligung bestand. Bereits in dem Hirschberger Bericht vom Herbst 1934 war nämlich von einer „Interessentengruppe“ 133 der örtlichen Wirtschaft die Rede. Die Hypothese, dass tatsächlich solche langfristigen Interessen bei manchen 126

Vgl. für die Thüringische Zellwolle AG, BArch R 8119 F / P 2006; für die Sächsische Zellwolle AG, BArch R 8119 F / P 181, Bl. 23 und für die Süddeutsche Zellwolle AG, BArch R 8119 F / P 183, Bl. 16. Das gewünschte Aktienkapital orientierte sich dabei, unter Berücksichtigung des staatlichen Kredits, daran, Anlagen mit einer Zellwollekapazität von ca. 7.000 Jahrestonnen zu schaffen. Kleinere Zellwollewerke galten als unrentabel. RWWA 195 / D 3-1-1-6, Aktennotiz 13.8.1934 zur Besprechung vom 8.8.1934. 127 BArch R 8119 F / P 2024, S. 80, Schreiben der Zentrale an die Filiale in Erfurt vom 26.11.1935. 128 Vgl. z. B. für die Sächsische Zellwolle AG, BArch R 8119 F / P 181, Bl. 21; für die Schlesische Zellwolle AG, vgl. BArch R 8135 / 3792, Bl. 6. Zu genaueren Angaben zur Aktionärsstruktur einiger regionaler Zellwollewerke, vgl. Scherner (2008 a). 129 Kahl (1963), S. 75f. 130 RWWA 195 / B 6-0-5, Aktennotiz Hermann vom 26.6.1935 zu einer Besprechung mit Dierig am 25.6.1935. 131 So waren bei der Sächsischen Zellwolle AG mit der DAF und der Sächsischen Staatsbank quasi-staatliche Institutionen die größten Aktionäre. Vgl. BArch R 8135 / 428, Bericht über die Sächsische Zellwolle AG 1937, Bl. 11. 132 Vgl. z. B. für den Fall der Sächsischen Zellwolle AG BArch R 8119 F / P 181, Schreiben der Zentrale der Deutschen Bank an die Filiale Chemnitz vom 5.7.1935, für den Fall der Thüringischen Zellwolle AG, BArch R 8119 F / P 2024, interner Schriftverkehr vom 5.7.1935. 133 RWWA 195 / D 3-1-2 5, Aktennotiz vom 5.10.1934.

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4. Investitionsentscheidungen in der halbsynthetischen Chemiefaserindustrie

Verarbeitern vorhanden waren, wird durch die Quellen gestützt. Die VGF hatten nämlich schon im Mai 1934, also vor der Initiierung des nationalen Faserstoffprogramms von süddeutschen Verarbeitern teilweise Kapitalbeteiligungen in Millionenhöhe134 angeboten bekommen, falls die VGF ihre Zellwollekapazitäten erweitern würden. So schrieb ein VGF-Mitarbeiter am 16. Mai 1934 an Herrmann: „Die Erfahrungen bei meiner jetzigen Reise zwingen zu der Folgerung, daß die Produktionserhöhung der Stapelfaser beschleunigter durchgeführt werden muß als ursprünglich vorgesehen. Eine um ein Vielfaches gesteigerte Erzeugung wird ohne weiteres bei auskömmlichen Preisen abgesetzt werden können, selbst wenn die Devisenschwierigkeiten nicht mehr so drückend sein sollten wie heute […]. Die Hauptschwierigkeit wird in der Finanzierung liegen […]. Wünschenswert wäre, das Kapital bei Abnehmern zu finden. Es sind in der Textilindustrie größere Kapitalien verfügbar, die ursprünglich für den Bau neuer Spinnereien bereitgestellt wurden, aber in absehbarer Zeit doch keine Anlage finden. Was ich hier niederschreibe, ist mir in durchaus seriöser Form angeboten mit der Bitte, es Ihnen weiter zuleiten. Es braucht nicht befürchtet zu werden, daß wir uns an eine einzelne Gruppe binden müssen, denn weitere Interessenten sind bei ernsthafter Absicht unschwer zu finden“.135 Den größten Geldbetrag bot dabei mit 1,5 Mio. RM das Textilunternehmen I.F. Adolff AG in Backnang an136, das dann im Sommer 1935 der größte137 Aktionär der Süddeutschen Zellwolle AG wurde. Diese Bereitschaft mancher, insgesamt wohl aber nur einer Minderheit der textilverarbeitenden Unternehmen138, 1934 den VGF Kapital zum Ausbau der Zellwollekapazitäten zur Verfügung zu stellen, und ihre grundsätzlich positive Einstellung zur Zellwolle bestätigt ein weiterer Brief des VGF-Mitarbeiters einige Wochen später: „Wir haben in der Zwischenzeit mit vielen Spinnern (im Brief unterstrichen, J.S.), die unser Material seit längerer oder erst seit kürzerer Zeit kennen, die Frage erörtert (im Brief unterstrichen, J.S.), ob auch bei freiem ausländischen Rohstoffbezug eine gesteigerte deutsche Gesamtproduktion von ca. 100.000 kg täglich, zuzüglich italienischer Einfuhr, ohne Schwierigkeiten vom Markt zu rentablen Preisen aufgenommen wird. Wir konnten feststellen, dass auch solche Spinnwebereien, die sich noch im Vorjahr schroff ablehnend verhielten, heute die Flox-Artikel wegen ihrer schönen Eigenschaften nicht mehr aus ihren Kollektionen wegdenken können. Grosse Verkaufsspinner erklärten, dass sie von ihren Kunden gezwungen würden, Stapelfasergarn weiterzuführen und die Produktion noch zu steigern für den Fall, dass sie selbst auf den Gedanken kämen, den Artikel fallen zu lassen“139. Dies zeigt, dass das zeitliche Zusammenfallen dieser Angebote mit dem, gerade zu diesem Zeitpunkt besonders akuten Rohstoffmangel eben nicht allein die Bereitschaft dieser Verarbeiter erklärt, sich kapitalmäßig an Zellwollefabriken zu beteiligen. Denn offensichtlich gingen die befragten Verarbeiter auch unter Normalbedingungen von einer deutlich gesteigerten Absatzmöglich134 135 136 137 138 139

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RWWA 195 / D 3-1-1-6, Aktennotiz 5.7.1934. RWWA 195 / D 3-1-1-6, Brief vom 16.5.1934. RWWA 195 / D 3-1-2 5, Aktennotiz vom 5.10.1934. BArch R 8135 / 3001. RWWA 195 / D 3-1-1-6, Aktennotiz vom 9.7.1934. RWWA 195 / D 3-1-1-6, Interner Schriftverkehr vom 16.5.1934.

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4.4. Zwang oder Freiwilligkeit?

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keit von ca. 40.000 Jahrestonnen aus. Weiterhin geht aus dem Briefwechsel der VGF hervor, dass sich Verarbeiter durch eine Kapitalbeteiligung lediglich geringe Bezugsrechte  –  ein Vorkaufsrecht für eine bestimmte Menge Zellwolle  –  hätten sichern können.140 Über die Hälfte der Zellwolle sollte auf dem freien Markt untergebracht werden. Nun könnte man einwenden, dass man aus der Bereitschaft mancher Verarbeiter, sich Mitte 1934 an dem Ausbau der Zellwolleindustrie zu beteiligen, nicht notwendigerweise schließen kann, dass im Frühjahr 1935 noch eine derartige Bereitschaft vorhanden war. Denn zu diesem Zeitpunkt war bereits absehbar, dass die IG Farben AG und die VGF ihre Kapazitäten wesentlich erhöhen wollten, und es war klar, dass die Realisierung der staatlichen Pläne zu einer deutlichen Überschreitung des potentiellen Zellwollemarktvolumens bei freier Einfuhr von natürlichen Textilrohstoffen geführt hätte, das man zu dieser Zeit auf maximal 40.000 Jahrestonnen schätzte. Daher war ein Engagement im Frühjahr 1935 wesentlich riskanter als ein Jahr zuvor, was wiederum die Bereitschaft von Unternehmen, in Zellwollewerke zu investieren, verringert haben dürfte. Allerdings wird bei einer derartigen Argumentation übersehen, dass das, im Vergleich zur Situation im Mai 1934, im Frühjahr 1935 erhöhte Risiko durch eine staatliche Risikobeteiligung bzw. ökonomische Anreize wenigstens teilweise ausgeglichen werden sollte. Die etablierten Produzenten waren aber, wie erwähnt, bei entsprechendem Risikoausgleich ebenfalls grundsätzlich bereit gewesen, Überkapazitäten zu schaffen, wobei ihre Risikoeinschätzung wiederum auf Absatzsondierungen bei den Verarbeitern beruhte141. Allerdings könnte man nun anführen, dass unter der Annahme gleicher oder ähnlicher Risikoeinschätzung sowohl seitens der Verarbeiter als auch der Zellwolleproduzenten, Textilunternehmen die Aktien nur dann freiwillig gezeichnet haben dürften, wenn ihnen mindestens ein ebenso hoher staatlicher Risikoausgleich bzw. die ökonomische Anreize geboten worden wäre wie die, die die etablierten Unternehmen im Fall der Erfüllung des nationalen Faserstoffprogramms gefordert hatten. Diese Forderung bestand faktisch aus einer Finanzierung des Staates zwischen 75 – 80 Prozent sowie Preis- und Absatzgarantien, anstelle der dann tatsächlich offerierten Reichsbürgschaft in Höhe von nur 66 Prozent des Investitionsvolumens. Bei einer derartigen Argumentation wird aber übersehen, dass im Unterschied zur autarkiepolitisch erwünschten Chemieindustrie der mit Investitionsverboten142 belegten Textilindustrie nur wenige Alternativen zur Kapitalanlage zur Verfügung standen. Mit anderen Worten, für Textilproduzenten waren die Opportunitätskosten einer Investition in Zellwollewerke niedriger als für Unternehmen der Chemieindustrie. Infolgedessen dürften in der Textilbranche, auch geringere staatliche Anreize eine Investitionsbereitschaft in Zellwollewerke nach sich gezogen haben. Außerdem ist es fraglich, ob man tatsächlich in jedem Fall davon ausgehen muss, dass die Chemiefaserproduzenten und die Verarbeiter identische Erwartungen bezüglich der Zukunftsfähigkeit der Zellwolle hatten. Der Textilindustrielle Dierig, der ja be140

RWWA 195 / D 3-1-1-6, Aktennotiz vom 9.7.1934. RWWA 195 / D 3-1-1-6, Interner Schriftverkehr vom 16.5.1934; für die IG Farben AG, vgl. HA ZA 388, Lanusaversuche. 142 Höschle (2004), S. 42 – 44, 57 – 59. 141

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4. Investitionsentscheidungen in der halbsynthetischen Chemiefaserindustrie

reits im Jahr 1934 der Zellwolle langfristig eine durchaus zunehmende Bedeutung eingeräumt hatte, war nachweislich im Sommer 1935 sogar optimistischer bezüglich der Zellwolle als die VGF und IG Farben AG.143 Sein Unternehmen wurde dann auch, wie erwähnt, bei der 1935 gegründeten Schlesischen Zellwolle AG Mehrheitsaktionär. In der Literatur wird behauptet, dass die Aussicht auf Bezugsrechte, die zum Teil mit der Kapitalzeichnung bei regionalen Zellwollewerken verknüpft waren, für eine unterschiedliche Risikoeinschätzung von Chemiefaserproduzenten und Verarbeitern verantwortlich gewesen sein könnte.144 Diesem Argument liegt die Überlegung zugrunde, dass im Fall von Textilrohstoffmangel Bezugsrechte zu einer größeren Auslastung des Stammgeschäfts von Textilunternehmen und somit zu einer Gewinnsteigerung führen würden. Allerdings dürften die Bezugsrechte vor 1936, d. h. insbesondere zum Zeitpunkt der Erstzeichnung Mitte 1935 nur eine untergeordnete Rolle für ein Interesse mancher Verarbeiter an der Zellwolle gespielt haben. Dafür spricht, dass es erstens zu diesem Zeitpunkt keinen Zellwollemangel gab. Im Gegenteil: Trotz erheblich zunehmendem Absatz stiegen 1935 angesichts der wieder spürbar verbesserten Versorgungssituation mit natürlichen Rohstoffen die Lagerbestände der Chemiefaserunternehmen deutlich an.145 Zweitens wurde der Beimischungszwang, der darauf abzielte, die gesteigerten Zellwollkapazitäten auszulasten, erst Anfang 1936 durchgesetzt, also zu einem Zeitpunkt, als ein Großteil der Aktien der regionalen Zellwollewerke bereits gezeichnet worden waren.146 Im Jahr 1935 gingen die Textilverabeiter aber noch davon aus, dass es zu keinem Beimischungszwang kommen würde.147 Selbst nach seiner Einführung scheint er in Einzelfällen nicht das ausschlaggebende Motiv für die Kapitalzeichnung gewesen zu sein. Dierig dehnte im Rahmen verschiedener Kapitalerhöhungen im Zuge der Expansion der Schlesischen Zellwolle AG seinen Kapitalanteil kontinuierlich aus, ohne dass damit größere Bezugsrechte verbunden waren.148 Was die Motive im Einzelfall auch gewesen sein mögen, es spricht also eine Reihe von Belegen und Überlegungen dafür, dass ein, allerdings nicht quantifizierbarer Teil des privaten Kapitals für die regionalen Zellwollewerke ohne staatlichen Druck aufgrund eines eher langfristigen Kalküls bereitgestellt wurde.149 Weiterhin ergibt sich aus dieser Betrachtung, dass der aus den Bezugsrechten resultierende 143

RWWA 195 / B 6-0-5, Aktennotiz zu einer Besprechung mit Dierig und dem IG Farben Vorstand Otto am 26.6.1935. Auch innerhalb der Textilindustrie gab es offensichtlich unterschiedliche Einschätzungen der Zellwolle (RWWA 195 / D 3-1-25, Aktennotiz vom 3.1.1935). So waren Baumwollspinner generell der Zellwolle gegenüber aufgeschlossener als Wollspinner. HA ZA 107, Protokoll des Arbeitsausschuss vom 21.6.1935; BArch R 13 XII / 265, Denkschrift über das Faserstoffprogramm vom 3.11.1935. 144 Vgl. z. B. Kahl (1963), S. 86. 145 BArch R 43 II / 373, Denkschrift über die Durchführung des Nationalen Faserstoffprogramms, Bl. 96, 101. 146 Lindner (2001), S. 35. 147 BArch R 13 XII / 272, Schreiben der Fachgruppe Chemische Herstellung von Fasern an Gajewski von der IG Farben AG vom 29.11.1935. 148 BArch R 8135 / 1182, Bericht 1939. 149 Vgl. auch Reinecke (1939), S. 24; Kehrl (1973), S. 91.

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4.5 Vertragswahl und Erwartungen in der Friedenszeit

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Anreiz für das freiwillige Zeichnen von Aktien der regionalen Zellwollewerke erst nach 1935 eine größere Rolle gespielt haben dürfte. Nun stellt sich zuletzt die Frage, warum der Staat bei der BRABAG, die ja zu einem vergleichbaren Zeitpunkt, nämlich Ende 1934 gegründet worden war, zu Zwangsmaßnahmen griff, bei den regionalen Zellwollewerken jedoch nicht. Es spricht Vieles dafür, dass dies auf folgende Umstände zurückzuführen ist: Erstens gab es ein grundsätzliches Interesse der etablierten Zellwolleproduzenten, die Kapazitäten auszubauen. Zweitens waren manche Textilunternehmen aufgrund langfristiger Überlegungen bereit, freiwillig Kapital für den Ausbau der Zellwolleproduktion bereitzustellen. Die Braunkohleproduzenten hingegen standen den Braunkohlehydrierprojekten des Staates durchgängig ablehnend gegenüber, wie bereits erwähnt worden ist.150 Damit ähnelte die Situation bei der Zellwolleproduktion der bei der Gründung der Oberschlesischen Hydrierwerke AG in Blechhammer, bei der ja auch manche Unternehmen zu einer Kapitalzeichnung bereit gewesen waren. Der Unterschied zu diesem Fall war allerdings, dass es sich bei der Kapitalbeschaffung für die regionalen Zellwollewerke insofern um einen Präzedenzfall handelte, als dass bei der vertraglichen Gestaltung für den Staat ein Spielraum bestand, auf Wünsche der potentiellen Kapitalzeichner einzugehen, da man noch nicht durch Nichtdiskriminierungsvereinbarungen in dieser Branche gebunden war.

4.5 Vertragswahl und Erwartungen in der Friedenszeit 4.5.1 Fragestellungen Wie bereits angedeutet, schlossen die Unternehmen eine Rückkehr zu „normalen Verhältnissen“ nicht aus. Und das Reich übte weder auf die etablierten Unternehmen noch auf die Zeichner der Aktien der regionalen Zellwollewerke Zwang aus. Daher stellen sich folgende Fragen:

1) Warum investierten die etablierten Unternehmen ohne explizite Teilrisikoübernahme durch den Staat  –  sieht man einmal von den Steuerbefreiungen ab  –  bis 1939 in großem Umfang und gingen somit ein möglicherweise nicht unbeträchtliches Risiko ein, während bei der Kapazitätsausdehnung der regionalen Zellwollewerken durch einen expliziten Risikovertrag mit eingeschränktem staatlichen Rückgriffsrecht eine höhere Risikoabnahme erfolgte? Die Erkenntnisse, die sich aus den bereits untersuchten Branchen ergeben haben, legen Nahe, dass dies darauf zurückzuführen sein könnte, dass das Amortisationsrisiko einer Investition der etablierten Unternehmen geringer war als das der regionalen Werke. 2) Warum forderte die IG Farben AG zum gleichen Zeitpunkt, d. h. bei gleicher Erwartung hinsichtlich der Dauer der Autarkiepolitik, nämlich 1933 / 34, bei einem anderen Ersatzprodukt, dem synthetischen Treibstoff, eine vollkommene Risikoabdeckung, verzichtete aber bei der halbsynthetischen Chemiefaser selbst auf eine staatliche Bürgschaft? Im Fall der Treibstoffproduktion in Leuna wollte man eine vollkommene Risikoabnahme, weil man nicht sicher war, ob bei einer Normalisierung der Wirtschaftspolitik das Produkt, jedenfalls auf kurze und mittlere

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Kapitel 3.2.

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4. Investitionsentscheidungen in der halbsynthetischen Chemiefaserindustrie Sicht, konkurrenzfähig war.151 Deshalb deutet die Bereitschaft der IG und der VGF, auch ohne eine vollkommene Risikoabnahme die Chemiefaserkapazitäten auszubauen, darauf hin, dass sie erwarteten, dass wenigstens ein Teil dieser Kapazitäten auch unter normalen Bedingungen ausgelastet sein würde.

Widerspricht aber diese den Unternehmen unterstellte Erwartungshaltung nicht der immer wieder in zeitgenössischen Publikationen betonten Ablehnung der Zellwolle bei vielen Verbrauchern?152 Zwar muss man aus der Ablehnung schließen, dass ohne die spezifische NS-Wirtschaftspolitik der Anteil der Chemiefasern, insbesondere der Zellwolle, am gesamten Textilfaserverbrauch geringer gewesen wäre. Denn in den Vorbehalten der Nachfrager spiegeln sich ja ihre Präferenzen wider, denen unter Normalbedingungen Rechnung getragen worden wäre. Allerdings folgt daraus nicht notwendigerweise, wie teilweise die Literatur annimmt, dass (1) in der kontrafaktischen Situation ohne NS-Wirtschaftspolitik der Anteil der Chemiefaser an der Textilversorgung Deutschlands überhaupt nicht gestiegen wäre und somit (2) der tatsächliche Kapazitätszuwachs überwiegend auf die NS-Politik zurückgeführt werden muss. Eine derartige Aussage wäre nämlich gleichbedeutend damit, dass unter Normalbedingungen die hauptsächlichen Bestimmungsfaktoren des Textilverbrauchs und damit des tatsächlichen und des zukünftig prognostizierten Marktes für Chemiefasern in den Jahren nach 1933 unverändert geblieben wären. Solche Einflussvariablen der Chemiefasernachfrage und damit auch von Investitionsentscheidun­gen in dieser Branche sind z. B. tatsächliche und erwartete Relativpreisveränderun­gen zwischen den verschiedenen Textilrohstoffen, tatsächliche und erwartete Einkommensniveaus, neue Verwendungsmöglichkeiten und Qualitätsverbesserungen der Chemiefasern etc. Daher soll im Folgenden untersucht werden, wie sich diese Variablen änderten, welche weiteren Änderungen erwartet wurden und wie sich dies in quantitativen Prognosen über den Chemiefasermarkt unter Normalbedingungen niederschlug. Gleichzeitig soll der Frage nachgegangen werden, worauf die unterschiedliche Risikoeinschätzung bei Investitionen in der gleichen Branche, und zwar auch zu gleichen Zeitpunkten, zurückzuführen ist  –  nämlich zum Einen bei den etablierten Unternehmen und zum Anderen bei den Aktionären der regionalen Zellwollewerke. 4.5.2 Absatzprognosen für Chemiefasern unter Normalbedingungen Seit dem Ende der 1920er Jahre gibt es Prognosen über die zukünftige Entwicklung des deutschen Chemiefasermarkts. Die in den 1920er Jahren in den USA entwickelte quantitative Marktforschung wurde nämlich seit der Weltwirtschaftskrise auch in Deutschland verstärkt aufgegriffen.153 Zu den ersten deutschen Unternehmen, die entsprechende Abteilungen schufen, zählten die IG Farben AG und die VGF. 151

Plumpe (1990), S. 277, 295. F. Grotius, Die deutsche Kunstseidenindustrie, Diss., Kiel 1938, S. 36. 153 Institut für Wirtschaftsbeobachtung (Hg.), Marktanalyse und Marktbeobachtung. Quellenhandbuch für Handel und Industrie, Stuttgart 1933, S. 1. 152

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4.5 Vertragswahl und Erwartungen in der Friedenszeit

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Bereits damals hatte die IG Farben AG insbesondere die Zellwolle als ein Produkt betrachtet, dessen Nachfrage in absehbarer Zeit stark expandieren würde.154 Obwohl zu diesem Zeitpunkt weltweit weniger als 5.000 Jahrestonnen produziert wurden, ging man von einem zukünftigen Zellwolleverbrauch von 125.000 Jahrestonnen aus.155 Dementsprechend engagierte sich die IG Farben AG  –  seit Beginn der 1920er Jahre mit Agfa Wolfen bereits in der Kunstseidenproduktion tätig, die ja ebenso wie die Filmproduktion auf der Zellulosechemie beruhte156  –  seit Mitte der 1920er Jahre zunehmend in der Zellwolleproduktion und -forschung.157 Sie versuchte außerdem durch Marketingmaßnahmen das Negativimage des Ersatzstoffes zu korrigieren, das der Zellwolle seit dem Ersten Weltkrieg anhaftete. 1931 entschied das Unternehmen, die Produktion in den nächsten zwei bis drei Jahren von 2.000 – 2.500 Jahrestonnen auf 6.000 – 7.500 Jahrestonnen zu erweitern.158 Auch der Glanzstoffkonzern betrieb seit Ende der 1920er Jahre wieder Zellwolleforschung.159 Da das Unternehmen, im Vergleich mit der IG Farben AG, zunächst eine eher abwartende Haltung eingenommen hatte, entschied es sich nur für die Aufnahme einer geringen Produktion ab 1931.160 Allerdings investierte man auch im Folgenden weiter in die Zellwolleforschung und brachte 1934 mit dem weiterentwickelten Pro­dukt „Flox“ ein Konkurrenzprodukt zur „Vistra“ der IG Farben AG auf den Markt.161 Anfang 1933 erwartete die IG Farben einen Anstieg der Naturfaserpreise und sah deshalb günstige Chancen für die Zellwolle.162 Die VGF hatten seit diesem Jahr ebenfalls Pläne zur Erhöhung ihrer Stapelfaserkapazität.163 Man wollte angesichts des Ausbaus der IG Farben AG nicht den Anschluss verlieren. Im Mai 1934, also bevor die staatlichen Ersatzstoffpläne den Unternehmen bekannt waren164, teilten IG-Vertreter, wie bereits erwähnt, dem leitenden VGF-Vorstand Hermann mit, mittelfristig ihre Zellwollkapazitäten auf ca. 35.000 Jahrestonnen auszubauen. Die Hälfte des Ausbauprogramms sollte bereits in der Jahresmitte 1935 beendet sein.165 Die VGF hatten hingegen vor, ihre Stapelfaserkapazitäten zunächst nur auf maximal 7.000 Jahrestonnen zu erweitern.166 Nach einer Schätzung von Ende 1934 ging die IG davon aus, dass die potentielle Nachfrage in Deutschland für Zellwolle unter Normalbedingungen wenigstens 20.000 Jahrestonnen betragen würde, obwohl der

154

Scherner (2002), S. 435 Witt (1939), S. 54. 156 Königsberger (1925), S. 147. 157 Franck (1936), S. 19; Bauer (1941), S. 63 f. 158 BArch R 13 / XII / 39, Schreiben der IG Farben AG vom 29.12.1931, Bl. 13, vgl. auch ebd., Bl. 110. 159 Muthesius, Zur Geschichte der Kunstfaser, Heppenheim 1950, S. 124. 160 Wicht (1992), S. 70. 161 Bodenbender (1939), S. 33. 162 Ebd. S., 32. 163 RWWA 195 / B 5-1-11, Aufsichtsratsprotokoll vom 23.9.1933. 164 BArch R 13 XII / 265, Denkschrift über das Faserstoffprogramm vom 3.11.1935, S. 23. 165 RWWA 195 / D 3-1-1-6, Aktennotiz Herrmann vom 28.5.1934 zu einer Besprechung mit Gajewski und Otto von der IG Farben AG am 24.5.1934. 166 RWWA 195 / D 3-1-1-6, interner Briefwechsel vom 16.5.1934. 155

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4. Investitionsentscheidungen in der halbsynthetischen Chemiefaserindustrie

tatsächliche Verbrauch 1933 bei gerade 7.000 Jahrestonnen gelegen hatte.167 Die VGF-AG prognostizierte Mitte 1934 sogar, basierend auf einer Umfrage unter Verarbeitern, einen Normalbedarf von ca. 40.000 Jahrestonnen.168 Dabei waren sie der Meinung, „dass die Stapelfaser kein Ersatzprodukt sei, und dass sie bei organischer Entwicklung ebenso wie die Kunstseide den Charakter eines selbständigen Textilprodukts erhalten wird“.169 Beide Unternehmen waren bereit, ihre Ausbaupläne auch ohne irgendeine Form staatlicher Unterstützung zu realisieren.170 Die Prognose der VGF differierte kaum von einer des Textilfachmanns Arved von Brasch. Dieser schätzte in einem 1935 erschienenen Werk den potentiellen Absatz der Zellwolle (1) auf der Basis der Reichsmarkbaumwollpreise des Jahres 1933, (2) unter der Maßgabe, dass es keine Rohstoffknappheiten gäbe, (3) unter der Bedingung eines mengenmäßigen Gesamtverbrauchs an Textilrohstoffen wie im normalen Jahr 1928 und (4) unter der Berücksichtigung der Zellwollepreise sowie (5) der damals bekannten Substitutionsmöglichkeiten. Danach würden unter Normalbedingungen 41.000 Jahrestonnen nachgefragt werden, wobei dieser Wert aufgrund des ungewöhnlich niedrigen Baumwollpreises ausgesprochen vorsichtig geschätzt sei.171 Selbst Textilverarbeiter, die als besonders ablehnend gegenüber der Stapelfaser galten und wegen unzureichender Erfahrung auf diesem Gebiet von den VGF als eher inkompetent charakterisiert wurden, wie die Vogtländische Baumwollspinnerei, hielten diese bereits vor ihrer Publikation bekannte Prognose für realistisch.172 Was waren die Ursachen für diese positiven Erwartungen? Die Zellwolle hatte auf der einen Seite spezifische Vorteile gegenüber anderen Textilrohstoffen, wie höhere Weichheit und Gleichmäßigkeit.173 Daher war sie anderen Textilrohstoffen in bestimmten Verwendungszwecken sogar überlegen bzw. konnte, soweit sie in geringen Mengen beigemischt wurde, die Qualität von Stoffen verbessern.174 Deshalb verwendete man die Zellwolle bereits vor 1933 für Möbeldekorationsstoffe und zur Teppichherstellung.175 Weitere Vorteile der Zellwolle gegenüber den Naturtextilrohstoffen bestanden zum Einen darin, dass bei ihr Lagerhaltungskosten für die Verarbeiter praktisch nicht anfielen, da im Unterschied zur ernteabhängigen Baum­wolle keine 167

BArch R 8119 F / P 185, Aktenvermerk vom 4.1.1935, Bl. 23. RWWA 195 / D 3-1-1-6; Interner Schriftverkehr vom 16.5.1934. Langfristig gingen aber sowohl die IG Farben als auch Glanzstoff von einem wesentlich größerem Potential aus. BArch R 8119 F / P 148, Bl. 272. 169 BArch R 8119 F / P 148, Aktennotiz der Deutschen Bank vom 16.11.1934, Bl. 272. 170 RWWA 195 / D 3-1-2-5, Aktennotiz Herrmann vom 6.8.1934. 171 v. Brasch (1935), S. 120 – 126. 172 So heißt es: „Aus allem folgt, dass, wie auch Dierig in seiner Eingabe feststellt, die Stapelfaser zwar in begrenztem Umfange als Beimischung zu gebrauchen, keineswegs aber als Ersatz für Wolle oder gar Baumwolle anzusprechen ist. Brasch a.a.O. kommt auf Grund einer eingehenden und objektiven (hervorgehoben durch den Verfasser, J.S) Untersuchung über die Verwendungsmöglichkeiten der Stapelfasern zu einem Resultat von rund 41.000 to Kunstspinnfasern im Jahr, „die in der Textilwirtschaft ohne den zwingenden Grund eines Mangels an Wolle und Baumwolle Verwendung finden können“ (S. 125).“ RWWA 195 / D 3-1-2 5, Abschrift eines Briefes der Vogtländischen Baumwollspinnerei an Puppe und Keppler vom 14.12.1934. 173 Witt (1939), S. 36. 174 Ebd., S. 34ff; Grotius (1938), S. 4; Lindner (2001), S. 28. 175 Königsberger (1925), S. 151. 168

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4.5 Vertragswahl und Erwartungen in der Friedenszeit

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Vorratshaltung von Nöten war, und zum Anderen, dass sie in Faserlänge, Dicke usw. den Verarbeiterwünschen angepasst werden konnte.176 Sie hatte allerdings auf der anderen Seite zum Zeitpunkt der Schätzungen noch gravierende Nachteile gegenüber natürlichen Textilrohstoffen. Dazu zählte insbesondere ihre im Vergleich zu Wolle und Baumwolle geringere Nassfestigkeit. Jedoch glaubte man, dass sich die Qualität der Zellwolle verbessern und damit ihre Verwendungsmöglichkeiten gegenüber den 1920er Jahren erweitern würden.177 Deswegen arbeiteten die etablierten Chemiefaserhersteller mit einer Reihe von Textilverarbeitern zusammen, die in ihrem Auftrag Verarbeitungsversuche unternahmen und Anregungen zu weiteren Verbesserungen äußern sollten.178 Weiterhin erwartete man, dass sich die seit Ende der 1920er Jahre in der eng verwandten Kunstseideproduktion implementierten, kostensenkenden Verfahrensverbesserungen ohne Weiteres auch auf die Zellwolleherstellung übertragen lassen würden.179 Außerdem nahm man an, dass Zellwolle auch aufgrund von Größenvorteilen im Zuge der Produktionsausdehnung erheblich billiger werden würde.180 Auch für den unter Normalbedingungen maximalen Absatzmarkt für Kunstseide stellten die deutschen Kunstseideproduzenten 1934 Prognosen au f. Unter Berücksichtigung des Pro-Kopf-Verbrauchs der USA schätzten sie ihn auf maximal 58.000 Jahrestonnen.181 Fasst man die aus den Jahren 1934 stammenden Prognosen zur potentiellen Zellwolle- und der Kunstseidenachfrage unter Normalbedingungen zusammen, so gingen die deutschen Chemiefaserproduzenten offensichtlich zu diesem Zeitpunkt von einem potentiellen Marktvolumen von ca. 78.000 – 99.000 Jahres­tonnen aus, obwohl damals in Deutschland gerade einmal 62.000 jato verbraucht wurden.182 Für die Zeit nach 1934 sind allerdings Prognosen der Produzenten für den gesamten Chemiefasermarkt unter Normalbedingungen nicht mehr zu finden. Lediglich für Kunstseide gab es wegen einer neuen Verwendung eine weitere Schätzung. Der zweitgrößte amerikanische Kunstseidenproduzent, der Chemiekonzern DuPont hatte nämlich 1936 eine Kunstseidensorte entwickelt, die der bisher in Reifenmänteln verwendeten Baumwolle qualitativ überlegen war. Die VGF kamen kurze Zeit später ebenfalls zu einem marktfähigen Produkt und begannen 1937 mit der Errichtung einer Großproduktion.183 Für diese neuartige, marktwirtschaftlich rentable Verwendungsmöglichkeit von Kunstseide prognostizierte man einen deutschen Jahresbedarf zwischen 16.000 und 24.000 Jahrestonnen.184 Addiert man zu diesem Schätzwert die Prognosen für die konventionellen Absatzmöglichkeiten der Che176

Muthesius (1950), S. 153. Königsberger (1925), S. 167. 178 HA ZA 388, Lanusaversuche. 179 W. P. Hirschfeld, Die Kunstseide und ihre Stellung in der Volkswirtschaft, Diss., Bremen 1931, S. 20; vgl. auch Grotius (1938), S. 8. 180 v. Brasch (1935), S. 130. 181 RWWA 195 / D 3-1-1, Aktennotiz vom 6.8.1934. 182 Scherner (2002), S. 442 Tab. 3. 183 Wicht (1992), S. 71 f. 184 RWWA 195 / K 14-1, Vortrag Herrmann vom 18.12.1936, S. 12; RWWA 195 / K 14-1, 25.1.1938; zu den neuen Verwendungsmöglichkeiten für Kunstseide im Lauf der 1930er Jahre, vgl. auch RWWA 195 / K 14-2, Bericht der Marktbeobachtungsstelle vom 31.12.1941, S. 6 f. 177

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miefasern aus dem Jahr 1934 hinzu, so ergab sich nach Erwartungen der etablierten deutschen Chemiefaserhersteller bereits 1937 unter Normalbedingungen ein Markt für Chemiefasern von 94.000 – 123.000 Jahrestonnen. Dieser rekonstruierte Wert dürfte aber die tatsächlichen Erwartungen, die man im Jahr 1937 hinsichtlich des gesamten Chemiefasermarkts unter Normalbedingungen hatte, unterschätzen. Erstens ergaben sich gegenüber dem Jahr 1934 weitere neue Einsatzgebiete der Kunstseide, wie bei der Fallschirm- und der Treibriemenherstellung.185 Zweitens ist davon auszugehen, dass auch bei den konventionellen Verwendungsmöglichkeiten der Chemiefasern infolge von bereits realisierten und noch zukünftig erwarteten Qualitätsverbesserungen und Preissenkungen die Einschätzung in den Jahren nach 1934 noch positiver geworden sein dürfte.186 So konnte das Problem der geringen Nassfestigkeit der Zellwolle, das zunächst einer hohen Beimischung von Zellwolle zu Baumwolle und Wolle für Bekleidungszwecke verhindert hatte, 1937 für Wolle und 1938 für Baumwolle überwunden werden.187 Außerdem hatten sich, wie Anfang / Mitte der 1930er Jahre prognostiziert, die Relativpreise zwischen natürlichen und synthetischen Textilrohstoffen zugunsten der Chemiefasern geändert.188 Mit Überwindung der Weltwirtschaftskrise stiegen die Preise für Wolle, Baumwolle und Seide wieder an, während die Chemiefaserpreise weiter fielen. Tabelle 21: Preisentwicklung bei Textilrohstoffen (1928 = 100) 1929 1930 1931 1932 1933 1934 1935 1936 1937

Baumwolle 95 67 43 32 43 62 59 61 57

Wolle 83 64 54 40 65 70 62 84 89

Seide 96 68 47 31 31 25 32 34 35

Zellwolle 100 94 80 53 51 49 42 38 34

Kunstseide 83 (67) 71 (57) 52 (44) 43 (43) 41 (43) 38 (43) 38 (43) 39 (41) 41 (40)

Quellen: Für Baumwolle, Wolle, Seide jeweils die Entwicklung in den USA in $ (Statistisches Jahrbuch für das Deutsche Reich, verschiedene Jahrgänge); für Kunstseide die Entwicklung in den USA in $ (Stat. Jahrbücher, verschiedene Jahrgänge), in Klammern die Entwicklung des Kunstseidenpreises in Deutschland in RM (Statistisches Jahrbuch für das Deutsche Reich, verschiedene Jahrgänge); für Zellwolle der deutsche Preis; vgl. Witt (1939), S. 130 Tab. 27 185

RWWA 195 / K 14-2, Vortrag vom 25.1.1938. Zu den erwarteten Qualitätsverbesserungen, vgl. Franck (1936), S. 63. 187 Bauer (1941), S. 192. Allerdings hatten die etablierten Chemiefaserhersteller schon einige Jahre früher dieses Problem technisch gelöst. Die IG Farben AG konnte bereits 1934 in Versuchen eine Zellwolle herstellen, die genauso nassfest wie Wolle war. Vgl. HA ZA 83, Ölbesprechung vom 18.6.1935; HA ZA 388, internes Schreiben der IG Farben AG vom 20.6.1935. Die VGF hatten spätestens 1936 das gleiche Problem für B-Zellwolle, also eine Zellwolleart, die als Substitut für Baumwolle Verwendung finden sollte, überwunden. Vgl. RWWA 195 / B 6-0-5, Aktennotiz Herrmann vom 9.11.1936 zu einer Besprechung mit Kehrl am 6.11.1936. 188 Zu den Prognosen, vgl. Bodenbender (1939), S. 32; v. Brasch (1935), S. 120 – 126. 186

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Diese Preisentwicklungen müssten aber gerade die mittelfristige Absatzerwartung der Zellwolle unter Normalbedingungen positiv beeinflusst haben, insbesondere auch deshalb, weil sie aufgrund der qualitativen Verbesserungen zunehmend die Eigenschaften eines perfekten Substituts zu Baumwolle und zur Wolle annahm. Hinzu kommt, dass die beobachtbare Preissenkung der Zellwolle seit 1934 nur teilweise die tatsächliche Stückkostenreduktion widerspiegelt, die erheblich stärker war, als man das noch 1934 prognostiziert hatte. Denn die seit 1935 staatlich festgelegten Preise führten ja zu beträchtlichen Gewinnen, so dass es gerade bei der Zellwolle noch ein erhebliches Preissenkungspotential gab. Derartige Preissenkungen dürften aber unter Normalbedingungen realistisch gewesen sein, weil die Preiselastizität der Zellwollenachfrage aufgrund des Wettbewerbs dieser Kunstfaser mit Wolle und insbesondere Baumwolle groß war. In der Tat setzten in Ländern, in denen keine staatliche Preispolitik erfolgte, wie in Großbritannien, die Zellwolleproduzenten den Preis des Produktes so, dass die Gewinnmargen klein, die verkaufte Menge aber groß war.189 Das Preissenkungspotential in Deutschland zeigt folgendes Beispiel: 1937, bei einem durchschnittlichen Erlös von 150 Rpf pro kg Zellwolle, hätte die Spinnfaser Kassel AG bei Abschreibungen in Höhe des tatsächlichen Verschleißes, der gerade sieben Rpf pro kg Zellwolle entsprach, und einem „normalen“ Gewinn in Höhe von fünf Prozent des Anlagekapitals, Zellwolle zu einem Preis von 114,5 Rpf pro kg anbieten können.190 Dieser Preis hätte geringfügig den aktuellen deutschen Inlandspreis für Baumwolle unterschritten, sofern man berücksichtigt, dass es bei der Zellwolle, anders als bei der Baumwolle, keinen Ausschuss durch Verunreinigungen gab, der von Zeitgenossen mit ca. 10 – 15 Prozent beziffert wurde.191 Allerdings war zu diesem Zeitpunkt der deutsche Inlandspreis für Rohbaumwolle aufgrund der Devisenbewirtschaftung höher als der Weltmarktpreis in Reichsmark. Bezieht man in den Weltmarktpreis, gemessen an den Notierungen in London, den Ausschuss und die Verunreinigungen der Baumwolle mit ein, so ergibt sich, dass 1937 Zellwolle erst bei einem Preis von ca. 90 Rpf konkurrenzfähig zur Baumwolle gewesen wäre. Jedoch gingen Zeitgenossen für den Fall einer Normalisierung von einer Abwertung aus und betonten, dass die deutlich überbewertete Reichsmark die Preisrelationen zwischen synthetischen Fasern, die im Inland produziert wurden, und Naturfasern, die überwiegend importiert wurden, verzerren würde.192 Unterstellt man also das im Fall einer Normalisierung realistische Szenario einer Abwertung der Reichsmark, so hätte dies die Wettbewerbsfähigkeit der Zellwolle zur Baumwolle erheblich erhöht. Bei einer Devaluierung in Höhe der Abwertung anderer Länder von ca. 30 Prozent wäre die Zellwolle bereits bei einem Preis von ca. 120 Rpf gegenüber der Baumwolle konkurrenzfähig gewesen. Wie 189

D. C. Coleman, Courtaulds. An Economic and Social History, II Rayon, Oxford 1969, S. 359. BArch R 8135 / 3425. Zu dem normalen Verschleiß, vgl. BArch R 8135 / 4461, Gutachten der Deutschen Revisions- und Treuhand AG über Selbstkosten für Zellwolle. 191 Zu den Notierungen der Inlandspreise für Baumwolle, vgl. Vierteljahreshefte zur Statistik des deutschen Reichs, Jhg. 1937; zum Ausschuss bei Baumwolle, vgl. Witt (1939), S. 187; v. Brasch (1935), S. 125. 192 Mackenroth (1938), S. 724 f. 190

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erwähnt, hätte aber die Spinnfaser AG Kassel 1937 bei Abschreibungen in der Höhe des tatsächlichen Kapitalverzehrs und einem „normalen“ Gewinn Zellwolle zu einem geringeren Preis anbieten können und hätte selbst im unrealistischen Fall keiner Abwertung bei einem zur Baumwolle konkurrenzfähigen Preis sogar fast ihre variablen Durchschnittskosten decken können.193 Die bisherigen Überlegungen, gestützt auf zeitgenössische Einschätzungen und vereinzelt aufgefundenen Prognosen sprechen dafür, dass sich auch unter Normalbedingungen der Chemiefaserabsatz in Deutschland stark ausgeweitet hätte. Zu einer Absicherung dieses Befunds soll in einem zweiten Schritt die Entwicklung in solchen Ländern betrachtet werden, in denen keine Autarkiepolitik betrieben wurde. Ein derartiger Blick über die Grenzen liegt auch deshalb nahe, weil in Deutschland der Chemiefaserabsatz in „normalen“ Ländern als Referenzgröße für das heimische Marktpotential der halbsynthetischen Fasern, das sich ohne die spezifische NSWirtschaftspolitik ergeben würde, aufmerksam verfolgt wurde.194 Auch in Ländern, in denen keine Autarkiepolitik betrieben wurde, erwartete man seit dem Ende der 1920er Jahre eine zunehmende Bedeutung der Chemiefasern, insbesondere der Zellwolle. Der Vorstandsvorsitzende des englischen Unternehmens Courtaulds, des größten englischen Kunstseideproduzenten, schrieb 1928: „The development of Fibro (Courtaulds‘ Zellwolle) […] looks like becoming a big thing.“195 1933 begann Courtaulds die Textileigenschaften von Fibro intensiv zu erforschen.196 Aufgrund dieser Erfahrungen konnte die Qualität deutlich verbessert werden. Daher entschied das Unternehmen, eine grosse neue Zellwollefabrik in Greenfield zu errichten.197 Der Vorstandsvorsitzende von Courtaulds erklärte im März 1935 vor der Generalversammlung: “Von weittragender Bedeutung ist für unsere Firma die Pflege der Zellwollerzeugung […]. Durch Verbesserung der Produktionsmethoden […] sind jetzt die Vorbedingungen geschaffen worden, eine neue bedeutende Industrie ins Leben zu rufen. Man muß sich hierbei darüber klar sein, dass ein rationales Arbeiten nur in ausgesprochener Großproduktion möglich ist.“198 In Großbritannien erwartete man bereits 1935, dass Zellwolle die Baumwolle verdrängen werde.199 Im Oktober 1937 schrieb der Manchester Guardian Commercial: „Tatsächlich scheint sich bei der Zellwolle die Geschichte der Kunstseide zu wiederholen […]. Man hat anfangs auch nicht an die Kunstseide geglaubt. Heute ist dies keine Frage des Glaubens oder Nichtglaubens mehr. Die Kunstseide wird um ihres Erfolges willen anerkannt. Das Gleiche ereignet sich bei der Zellwolle, die Industrie erkennt allmählich ihren wirklichen Wert.“200 Angesichts der 193

BArch R 8135 / 3425. Vgl. zum Beispiel die Deutsche Bank, BArch R 8119 F / P 148, Bl. 269. 195 Coleman, S. 270. 196 C. H. Ward-Jackson, A History of Courtaulds. An Account of the Origin and Rise of the Industrial Enterprise of Courtaulds Limited and Its Associate the American Viscose Corporation, London 1941, S. 151. 197 Coleman (1969), S. 363. 198 Bodenbender (1939), S. 45. 199 Ebd., S. 46. 200 Nach Witt (1939), S. 38. 194

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steigenden Nachfrage entschied Courtaulds die Anlage in Greenfield weiter auszubauen.201 Der Anteil der Zellwolle an Courtaulds‘s halbsynthetischer Chemiefaserproduktion stieg von fünf Prozent im Jahr 1934 auf mehr als 50 Prozent im Jahr 1939.202 Daher dürfte folgende Aussage eines Mitarbeiters Courtaulds zu Beginn der 1940er Jahre die Situation treffend beschreiben: „The expanding use of staple fiber has been, perhaps, the most outstanding new commercial-scale development in the textile and apparel industries since 1918.“203 Eine ähnliche Entwicklung war in den USA zu beobachten. Ein Handbuch der halbsynthetischen Chemiefaserindustrie prognostizierte 1929, dass sich der Kunstseidenverbrauch weltweit bis 1940 vervierfachen würde.204 Hinsichtlich der Zellwolle hieß es: „The demand for rayon staple fiber has become so enormous, […], [that] manufacturers of Rayon yarns are turning their attention more and more to the production of staple fiber. […] It is safe to predict that the use of staple fiber will increase enormously. […] It is extremely possible that considerably more staple fiber than dernier yarn [d. h. Kunstseide] will be used in the future.”205 Tatsächlich baute die American Viscose Corporation (A.V.C.), der größte Kunstseideproduzent weltweit, ihre Zellwollekapazitäten in der zweiten Hälfte des 1930er Jahre stark aus. Der Anteil der Zellwolle an der Chemiefaserproduktion der A.V.C. stieg von einem Prozent im Jahr 1935 auf 36 Prozent im Jahr 1940.206 1938 hob die City Bank of New York hervor: „Es gibt kein anderes synthetisches Erzeugnis, das im Wettbewerb mit natürlichen Rohstoffen solche Rekorde im Verbrauch erzielen konnte wie die Zellwolle.“207 Weiter heißt es: „In den Vereinigten Staaten hat Stapelfaser allgemeine Aufnahme gefunden wegen der ihr innewohnenden Güte und wegen des guten Aussehens, das sie in Verbindung mit anderen Fasern ergibt […]. Die Absatzmöglichkeit ist aber steigend, besonders bei Damenstoffen.“208 Den steigenden Zellwolleabsatz in den USA in der zweiten Hälfte der 1930er Jahre betrachtete die amerikanische Branchenzeitschrift Rayon Or‘ganon als „proof that rayon staple fiber has become a textile fiber of major importance in the United States.“209 Den erhöhten Stellenwert, den die Zellwolle auch international errang, kann man auch daran erkennen, dass sich im Juli 1939 deutsche, italienische, britische und französische Produzenten zu einem Zellwollekartell zusammenschlossen.210 201

Coleman (1969), S. 323. Ebd., S. 322 table 70. 203 Ward-Jackson (1941), S. 146. 204 Moїs H. Avram, The Rayon Industry, New York 1929, S. 119. 205 Ebd., S. 128f. 206 Coleman (1969), S. 412 table 90. 207 Nach Witt (1939), S. 39. 208 BArch R 13 XII / 380, Übersetzung aus „The National City Bank of New York“, Juniheft 1938. Vgl. auch zur Verwendung der Zellwolle in den USA, Lindner (2001), S. 28. 209 Rayon Or‘ganon, Mai 1939, S. 84. 210 Witt (1939), S. 42. In einem Vertrag, der auf eine Anregung des Reichswirtschaftsministerium zurückging (BAL 19-A-561, 28.7.1939), wurden dabei gegenseitige Kontrollrechte, Preisfestsetzungen und Heimatmärkte festgelegt. BAL 19-A-561, Vertrag zwischen der IG Farben AG, VGF, der Zellwollexportgemeinschaft und ausländischen Anbietern über ein Zellwollekartell. 202

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Tabelle 22: Tatsächliche und hypothetische Chemiefaserproduktion in Deutschland

1929 1933 1934 1935 1936 1937 1938 1939 1940 1941 1942 1943

Geschätzter Geschätzter ChemiePrivatwirt­ Chemie­ Zeitgenössische Chemiefaser­absatz faserabsatz in faser­ Schätzungen zu schaftliche in Deutschland auf Deutschland auf produk- Chemiefaserab­ Chemiefaser­ Basis des Pro-Kopf- Basis des Pro-Kopftion in satzmöglichkeiten produktion Verbrauchs in den Verbrauchs in Deutsch- unter Normalbe- in DeutschUSA in der Groß­britannien in der land dingungen land Friedenszeit Friedenszeit 28 28 32 32 37 37 52 43 46 78 – 99 46 49 52 60 60 67 73 91 84 73 86 156 94 – 123 118 86 100 220 151 106 99 261 k.A. 130 128 327 155 155 388 158 186 417 163 417 155

Quellen: Scherner (2002), S. 444 (Werte für 1929 – 1937); Witt (1939), S. 70, 76; BAL 156-8 (Werte für die deutsche und die privatwirtschaftliche Produktion); Rayon Or‘ganon, January 1942, S. 16 (Werte für den US-Verbrauch 1938 – 1941); Coleman (1969), S. 322 Table 70, 328 Table 73, 329 Table 74 (Werte für den britischen Verbrauch 1938 – 1939). Für die deutsche Bevölkerung, vgl. R. Wagenführ, Die deutsche Industrie im Kriege 1939 – 1945, Berlin 1954, S. 135.

Unternimmt man den Versuch, auf Grundlage der Verbrauchsentwicklung in den USA und in Großbritannien den „normalen“ deutschen Chemiefasermarkt in den 1930er Jahren zu schätzen, so bestätigt das Ergebnis den bisherigen Befund: auch ohne NS-Wirtschaftspolitik hätte sich der deutsche Chemiefaserverbrauch erheblich erhöht, wie in Tabelle 22 zu sehen ist. Im Unterschied zu den vorher aufgeführten, auch auf mittelfristigen Erwartungen beruhenden Prognosen, dürften dabei die Schätzungen auf Grundlage des Pro-Kopf-Konsums in Großbritannien und den USA eher eine Untergrenze des deutschen Verbrauchs unter Normalbedingungen darstellen. Denn zum Einen wurde in diesen Ländern der Chemiefaserabsatz gegenüber dem Naturfaserverbrauch zeitweise steuerlich diskriminiert.211 Zum Anderen war Deutschland bereits Ende der 1920er Jahre bei dem Boomprodukt der 1930er Jahre, der Zellwolle, mit Italien einer der weltweiten Pioniere nicht nur in der Produktion, sondern auch im Verbrauch.212 Man kann also davon ausgehen, dass auch unter Normalbedingungen zunächst der Zellwolleverbrauch in Deutschland stärker als in den USA und in Großbritannien zugenommen hätte. 211

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Franck (1936), S. 107 f. Bodenbender (1939), S. 47.

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Zwischen dieser Obergrenze (d. h. den zeitgenössischen Schätzungen) und Untergrenze (d. h. den Schätzungen auf der Basis des Pro-Kopf-Verbrauchs in den USA und in Großbritannien) des Verbrauchs unter Normalbedingungen dürfte auch die deutsche Chemiefaserproduktion gelegen haben, wenn in Deutschland keine Autarkiepolitik betrieben worden wäre. Man kann nämlich plausibel unterstellen, dass in einer derartigen Situation in den 1930er Jahren, ebenso wie in den 1920er Jahren213, die Chemiefaserhandelsbilanz Deutschlands wenigstens ausgeglichen gewesen wäre: 1) Die deutsche Kunstseide war hinsichtlich ihres Preises, bei Wiederherstellung normaler Wechselkurse, konkurrenzfähig.214 Die deutschen Kunstseidepreise reduzierten sich nämlich zwischen 1928, als deutsche Kunstseide tatsächlich in großem Umfang exportiert wurde, und den 1930er Jahren im gleichen Maß wie in anderen Ländern. Deutsche Kunstseidensorten genossen zudem insbesondere bei höheren Qualitäten auch in den 1930er Jahren einen guten Ruf.215 2) Auch die deutsche Zellwolle war qualitativ international konkurrenzfähig.216 So hieß es in der Cape Times 1938: „According the Dailys Sydney correspondent, Mr A.E. Heath, who retired in April from the post of Agent-general for New South Wales in London, referred in a speech to his recent inquiries in Germany about the manufacture of synthetic wool. While there is no need to be unduly alarmed, Australia m u s t realise, he said, that great progress had been made in the German manufacture of „wolstra“, a composition of board pulp and real wool. ….when he retired to Australia he found, that only 10 out of 60 graziers were able to diffentiate between German all-wool cloth and German cloth containing half wool and half „wolstra““.217 Zudem führten die in Deutschland administrativ festgelegten Preise, wie erwähnt, zu außerordentlich hohen Gewinnen der deutschen Zellwolleproduzenten, so dass ein erhebliches Preissenkungspotential im Fall einer Normalisierung bestanden hätte. Selbst ohne Abwertung war die deutsche Zellwolle preislich international konkurrenzfähig.218 1937 waren die Kosten pro Kilogramm Zellwolle bei der Spinnfaser Kassel AG mit 111 Rpf sogar etwas geringer als bei Courtaulds mit 113 Rpf.219

4.5.3 Die Wettbewerbsnachteile der regionalen Anbieter gegenüber den etablierten Unternehmen Allerdings waren die vereinzelten zeitgenössischen Prognosen als Obergrenze und die geschätzten Werte auf Basis des ausländischen Pro-Kopf-Verbrauchs als Untergrenze für die kontrafaktische Kapazitätsentwicklung immer noch deutlich geringer als die tatsächlichen Chemiefaserkapazitäten 1937 in Deutschland. Dennoch erweiterten die privaten Unternehmen bis Ende der 1930er Jahre ihre Kapazitäten. 213 Grotius

(1938), S. 72 Tab. 33. 21. 215 Grotius (1938), S. 35. 216 Witt (1939), S. 149 f. 217 R 13 XII / 380, Cape Times, 29.6.1938. Das Wort „must“ wurde im Original hervorgehoben. 218 Witt (1939), S. 149 f. 219 Für Cortaulds‘ Kosten in englischen Pfund (£) pro lbs, vgl. Coleman (1969), S. 366, für den Wechselkurs im Jahr 1937, vgl. Statistisches Jahrbuch für das Deutsche Reich 1938, S. 420. Die produzierte Menge beider Unternehmen war in etwa gleich. Für die Spinnfaser Kassel AG, vgl. BArch R 8135 / 3425, für Courtaulds, vgl. Coleman (1969), S. 360 table 79. 214 Tabelle

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Wie lässt es sich also erklären, dass die IG Farben und die VGF, die ja eine Normalisierung nicht ausschlossen, zur Schaffung erheblicher Überkapazitäten beitrugen, ohne sich in einem gleichen Maß wie die regionalen Konkurrenten mit einem expliziten Risikoteilungsvertrag abzusichern? Auf den Umstand, dass die staatliche Preissetzung die Bedingungen für ein äußerst lukratives Geschäft schuf, dürfte dies wohl nicht alleine zurückzuführen sein. Denn das galt, wie gesehen, allerdings in geringerem Ausmaß, auch für die regionalen Zellwollewerke. Zur Beantwortung dieser Frage wird in einem ersten Abschnitt gezeigt, dass vor der Produktionsaufnahme der regionalen Zellwollewerke die etablierten Unternehmen von erheblichen Wettbewerbsvorteilen gegenüber der Konkurrenz der regionalen Zellwollewerke ausgingen. Daher konnten sie annehmen, dass trotz Gesamt­ überkapazitäten in der Branche im Falle einer Normalisierung die regionalen Zellwollewerke die Leidtragenden gewesen wären. In einem zweiten Abschnitt wird demonstriert, dass nach der Produktionsaufnahme der regionalen Werke ihre tatsächliche wirtschaftliche Entwicklung, die weitgehend für die IG und die VGF beobachtbar war, zunächst den Erwartungen der etablierten Unternehmen entsprach. Deshalb bestand vorerst auch keine Veranlassung für die IG und die VGF, ihr Investitionsverhalten zu ändern. 4.5.3.1. Die erwartete Wettbewerbsfähigkeit der regionalen Zellwollewerke Im Unterschied zu Glanzstoff und IG Farben verfügten die regionalen Zellwollewerke zunächst nicht über das Know-how, sondern mussten es sich erst erwerben.220 Dazu zählte nicht nur der Besitz einer Lizenz oder eines Patents, sondern man brauchte insbesondere geschultes Personal.221 Boeddinghaus schreibt z. B. im Jahr 1931: „Erfahrung ist der ausschlaggebende Faktor bei der Kunstseidenherstellung […]. Denn selbst der Besitz eines Herstellungsverfahrens ermöglicht nicht ohne weiteres ein gutes und rentables Verfahren.“222 Imitatoren standen somit vor dem Problem eines langwierigen und kostspieligen Versuchsstadiums.223 Die Beschaffung von geeigneten Herstellungsverfahren und des Humankapitals gestaltete sich für die regionalen Werke schwierig. Im April 1935, also einige Monate vor der Gründung der ersten Werke, fragte Kehrl bei den VGF an, ob sie bereit wären, die technische Führung bei den regionalen Anbietern zu übernehmen.224 Bereits vorher hatte der Staat eine entsprechende, dann offensichtlich abschlägig beschiedene Anfrage an die IG Farben AG gerichtet.225 Auch die VGF lehnten das Ansinnen des Staates ab, ebenso wie das von Gottfried Dierig, dem Hauptaktionär der im Juni 220

Franck (1936), S. 67 f. Königsberger (1925), S. 71; Kahl (1963), S. 101 ff. 222 P. H. Boeddinghaus, Die Konzentration in der Kunstseidenindustrie, Diss, Köln 1931, S. 27. Vgl. auch BASF-Archiv, IG-Bestand B 4 / 143, Vermerk vom 11.6.1937. 223 Königsberger (1925), S. 71. 224 RWWA 195 / D 3-1-1-6, Aktennotiz Herrmann zu einem Gespräch mit Kehrl, 9.4.1935. 225 RWWA 195 / D 3-1-1-6, Aktennotiz vom 1.11.1934. 221

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gegründeten Schlesischen Zellwolle AG, der zunächst eine technische Unterlegenheit gegenüber den etablierten Unternehmen befürchtete.226 Lediglich die Thüringische Zellwolle AG, von den staatlichen Planern als einziges Werk zunächst nicht zur Produktion von B-Zellwolle, sondern von W-Zellwolle vorgesehen, erwarb eine Lizenz von der IG Farben AG für das sich in Oppau im Versuchsstadium befindende, noch nicht ausgereifte Lanusaverfahren. Dieses Verfahren zur Herstellung von W-Zellwolle war für die IG Farben AG selbst nur zweite Wahl.227 Entsprechend vermerkte ein leitender Angestellter der Deutschen Bank nach einem Gespräch mit einem Manager der Thüringischen Zellwolle AG Anfang 1938: “Die IG Farben habe der Zellwolle AG nicht gerade ihre besten Methoden zur Verfügung gestellt.“228 Die Lizenzkonditionen waren ausgesprochen ungünstig für den Lizenznehmer. So beschwerte sich der Vorstandsvorsitzende der Thüringischen Zellwolle AG Walther Schieber über die Höhe der Lizenzgebühren und darüber, dass in dem Lizenzvertrag auf Wunsch der IG Farben AG ausdrücklich kein Erfahrungsaustausch vorgesehen war.229 Hinzu kam für alle regionalen Zellwollewerke das Problem, geeignete Fachleute für die Produktion mit den modernen Verfahren zu finden. Nachdem es Kehrl mit Walther Schieber, einem überzeugten Nationalsozialisten, gelungen war, der IG Farben AG einen ausgewiesenen Experten abzuwerben, und er entsprechende Versuche auch bei den VGF unternahm, protestierten diese Unternehmen massiv230, und konnten 1935 durchsetzen, dass der Staat bzw. die regionalen Zellwollewerke keine Abwerbeversuche mehr ohne das Einverständnis der betroffenen Unternehmen durchführten.231 Da also die etablierten Unternehmen nur beschränkt bereit waren, den regionalen Werken mit Know-How und bei der technischen Leitung unter die Arme zu greifen, standen diese vor dem Problem, es sich in irgendeiner Form selbst zu verschaffen. Die neu gegründeten Werke schlossen sich daher in der Zellwolle Arbeitsgemeinschaft GmbH zusammen. Dazu hatten sie sich bereits in den Verträgen mit dem Reich verpflichtet.232 Aufgaben der Zellwolle Arbeitsgemeinschaft GmbH waren die Ausbildung der Arbeitskräfte, die Verfahrensentwicklung für die für die

226

RWWA 195 / D 3-1-1-6, Aktennotiz Herrmann zu einem Gespräch mit Kehrl, 9.4.1935; RWWA 195 / B 6-0-5, Aktennotiz Herrmann zu einer Besprechung mit Dierig am 26.6.1935. 227 Kahl (1963), S. 106f; HA ZA 358, Lanusaversuche, Vermerk vom 22.7.1936. 228 BArch R 8119 F / P 2024, Bl. 166. 229 RWWA 195 / B 6-0-5, Aktennotiz Herrmann vom 10.5.1938. Kahl spricht sogar davon, dass die IG Farben AG die Thüringische Zellwolle AG bekämpfte. Vgl. Kahl (1963), S. 109. Nach Hayes wurde, gestützt auf Nachkriegsaussagen, die IG zur Lizenzvergabe gezwungen (Hayes (1987 a), S. 178). Durch die hier eingesehen zeitgenössischen Quellen wird dies allerdings nicht belegt. Sollte dennoch ein Druck ausgeübt worden sein, so war dies aber offensichtlich nicht der Fall gewesen, was die Auswahl des Verfahrens und die Lizenzkonditionen anbelangt. 230 Plumpe (1990), S. 314. 231 BAL 700-499; RWWA 195 / B 6-28-87, Aktennotiz Herrmann vom 16.4.1936. 232 Vgl. für die Schlesische Zellwolle AG, BArch R 2 / 15303, Vertrag zwischen der Deutschen Re­vi­ sions- und Treuhand AG und der Schlesischen Spinnfaser AG vom 21.6. / 10.8.1935, § 8 III, Bl. 283ff;

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Herstellung von B-Zellwolle vorgesehenen Werke und ein Erfahrungsaustausch.233 Auch die Planung der nach einheitlichen Grundsätzen zu erfolgenden Fabrikbauten wurde von der Zellwolle Arbeitsgemeinschaft GmbH übernommen.234 Tabelle 23: Anlagebedingte Größenvorteile bei der Zellwolleproduktion Kapazität (Jahrestonnen) Gesamtinvestitionen (Rpf pro Jahresoutput Zellwolle in kg) Davon: Bauinvestitionen (Rpf pro Jahresoutput Zellwolle in kg)

6.912 167,8 52

18.000 143 40

36.000 131 36

Eigene Berechnung. Quelle: RWWA 195 / D 3-1-1-6, Aktennotiz vom 28.5.1934.

Von einem weiteren Nachteil der regionalen Werke dürften die etablierten Anbieter ebenfalls von vornherein ausgegangen sein. Denn die regionalen Zellwollewerke, deren Standortwahl ja staatlicherseits auch von beschäftigungspolitischen Prämissen beeinflusst wurde235, waren mit einer geplanten Produktionskapazität von zunächst 7.000 Jahrestonnen relativ klein.236 Aber gerade Größenvorteile stellten einen entscheidenden Wettbewerbsfaktor bei diesem Produkt dar, wie immer wieder auch in zeitgenössischen Publikationen237 und Quellen238 betont wurde. Letzteres zeigen außerdem interne Kalkulationen der VGF über die Anlagekosten bei unterschiedlich großen Zellwollekapazitäten. Dieser Effekt war offensichtlich nicht nur auf baubedingte Größenvorteile zurückzuführen.239 Ein weiterer Wettbewerbsnachteil der regionalen Zellwollewerke gegenüber den etablierten Anbietern war ebenfalls absehbar. Sie konnten sich nämlich zunächst, im Unterschied zu den VGF und der IG Farben AG, weder in Deutschland noch im Ausland auf ein Vertriebsnetz und eingeführte Markenzellwolle stützen. Somit hätte im Fall einer Normalisierung den regionalen Zellwollewerken, im Unterschied zur privatwirtschaftlichen Konkurrenz, auch das Ausland in geringerem Umfang als Absatzmarkt zur Verfügung gestanden. Außerdem produzierten die regionalen Zellwollewerke nur Zellwolle. Eine Umstellung ihrer Anlagen auf die Produktion von Kunstseidetypen, die mit denen der arrivierten, im Weltmarkt etablierten Unternehmen hätten konkurrieren können, wäre aber nicht ohne Weiteres zu bewerkstelligen gewesen, weil man nicht über die entsprechenden Patente und Erfahrungen verfügte. Wahrscheinlich hätte jedoch bei einer Abkehr von der Autarkiepolitik ein Teil der Zellwollekapazitäten für die Kunstseideproduktion genutzt 233

BArch R 8135 / 428, Bericht über die Sächsische Zellwolle AG 1937, S. 18; BArch R 8135 / 3001, S. 7. Vgl. auch Franck (1936), S. 67 f. 234 BArch R 8135 / 3792, Bericht über die Schlesische Zellwolle AG 1935, S. 40. Erste Planungsentwürfe vom Frühjahr 1935 stammten dabei von der Handelskammer im schlesischen Hirschberg. BArch R 8135 / 3792, Bericht über die Schlesische Zellwolle AG 1935, S. 50 Dort wurde zudem eine erste Versuchsanlage errichtet. BArch R 8135 / 3792, Bericht über die Schlesische Zellwolle AG 1935, S. 66. 235 Witt (1939), S. 88. 236 BASF-Archiv, IG-Bestand T 52 / 9, Die deutsche Zellwollindustrie. 237 Vgl. z. B. v. Brasch (1935), S. 130. 238 RWWA 195 / D 3-1-1 Aktennotiz vom 8.8.1934. 239 Tabelle 23.

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werden müssen. Denn das mengenmäßige Verhältnis zwischen der Kunstseide- und Zellwolleproduktion in Deutschland unterschied sich erheblich von dem im Ausland: Auf der einen Seite war der Anteil der Zellwolle an der Chemiefaserherstellung in Deutschland erheblich höher als in den USA und Großbritannien.240 Auf der anderen Seite war die Pro-Kopf-Kunstseideproduktion in Deutsch­land geringer als in diesen Ländern. Daher nahmen die privatwirtschaftlichen Unternehmen an, im Fall der Normalisierung einen Teil ihrer Kapazitäten von Zellwolle auf Kunstseide umstellen zu müssen.241 Man kann also davon ausgehen, dass sie bei den Investitionsentscheidungen über den Ausbau ihrer Chemiefaserkapazitäten und dessen Ausmaß die Konversionsmöglichkeiten der Anlagen in ihr Kalkül einbezogen. 4.5.3.2. Die tatsächliche Wettbewerbsfähigkeit der regionalen Zellwollewerke in der Friedenszeit In der Tat wurden die Erwartungen der etablierten Unternehmen durch die tatsächliche Entwicklung zunächst bestätigt, wie eine Analyse der Gewinnentwicklung zeigt. Wie Schaubild 14 zu entnehmen ist, gab es in der hier betrachteten Periode teilweise erhebliche Unterschiede in der Höhe der Stückgewinne (Gewinn pro Kilogramm Zellwolle) der einzelnen Unternehmen.242 Rückschlüsse auf unterschiedliche Effizienz lassen sich allerdings daraus nur für die Sächsische, die Süddeutsche und die Schlesische Zellwolle AG sowie die Spinnfaser Kassel AG für die Friedenszeit ableiten. Denn im Unterschied zur Thüringischen Zellwolle AG, die ausschließlich W-Zellwolle, und zur IG Farben AG, die eine Reihe verschiedener Zellwolletypen herstellte, produzierten die vorher genannten Unternehmen in dieser Zeit fast ausschließlich einen Zellwolletyp, nämlich B-Zellwolle. Für unterschiedliche Zellwolletypen galten aber unterschiedliche staatliche Preise. Erleichtert wird der Vergleich der Effizienzentwicklung der genannten vier Unternehmen dadurch, dass alle von der Deutschen Revisions- und Treuhand AG nach einheitlichen Grundsätzen geprüft wurden. Wenn die Preise für alle diese Unternehmen gleich waren, so lassen sich unterschiedliche Stückgewinne auf unterschiedliche Stückkosten243 zurückführen. Ursachen unterschiedlicher Stückkosten könnten grundsätzlich fünf Faktoren gewesen sein, nämlich (1) Größenvorteile, (2) Technologie, (3) Humankapital, (4) Faktor- und Inputpreise sowie Abgaben und schließlich (5) Absatzorganisation und Marketing. In den Stückkosten werden dabei die Anlagekapitalkosten (ohne Kreditkosten) durch die angesetzten Abschreibungen repräsentiert. Aber selbst wenn man den Einfluss der Anlagekapitalkosten eliminiert, indem man statt dem Stückgewinn die Untergrenze des Cashflow, d. h. Gewinn zuzüglich Abschreibungen pro kg Zellwolle in Prozent des Anlagekapitals betrachtet, ändert sich die Situation nicht we240

Statistisches Jahrbuch für das Deutsche Reich 1941 / 42, S. 92* Tab.116, 117. Vgl. auch RWWA 195 / K 14-2, Bericht der Marktbeobachtungsstelle vom 31.12.1941, S. 8. 242 Kapitel 4.3. 243 Kosten pro Kilogramm Zellwolle. 241

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sentlich, wie Schaubild 15 zeigt.244 Als Referenzbranche wurde auch hier die synthetische Treibstoffindustrie gewählt. Die IG Farben AG konnte nicht berücksichtigt werden, da keine Angaben über ihre Abschreibungen vorliegen. Bei allen anderen hier betrachteten Unternehmen wurden die Abschreibungen nach einheitlichen Grundsätzen vorgenommen.245 Auch nach einer derartigen Bereinigung lassen sich Effizienzunterschiede beobachten, da sich der Cashflow der einzelnen Unternehmen deutlich unterschied. Die verbleibenden Effizienzunterschiede können vor allem durch unterschiedliche Faktorpreise, durch personalbedingte Größenvorteile (wie Verwaltung), differierende Herstellungsverfahren, Absatzorganisation und die jeweilige Humankapitalausstattung erklärt werden. In welchem Umfang unterschiedliche personalbedingte Größenvorteile für die unterschiedliche Effizienz verantwortlich waren, kann nur indirekt beantwortet werden. Denn dieser Posten wurde bei den betrachteten Unternehmen als einer der wenigen Kostenbestandteile nicht einheitlich erfasst, sondern teilweise untrennbar unter anderen Kostenarten subsumiert. Infolgedessen soll bei der Analyse der Ursachen des unterschiedlichen Cashflows der betrachteten Unternehmen zunächst der Einfluss der anderen potentiellen Determinanten betrachtet werden, die unmittelbar vergleichbar waren.

40

Schaubild 15: Untergrenze des Cashflows der deutschen Zellwolleindustrie im Vergleich zur synthetischen Treibstoffindustrie in Prozent des Anlagekapitals

35 30 25

%

20 15 10 5 0

1936

1937

1938

1939

1940

1941

1942

1943

-5 -10

Spinnfaser Kassel AG Sächsische Zellwolle AG Jahr Süddeutsche Zellwolle AG Schlesische Zellwolle AG Thüringische Zellwolle AG Vertraglich zugesicherter Cash-flow in der synthetischen Treibstoffindustrie

Eigene Berechnung. Quelle: Vgl. Schaubild 14. Für das Jahr 1940 sind keine Angaben zu den Abschreibungen der Spinnfaser Kassel AG vorhanden. 244

Bis Ende der 1930er Jahre wurden die Kapazitäten der regionalen Werke stark ausgebaut, so dass sie jeweils fast annähernd soviel Zellwolle produzierten wie die Spinnfaser Kassel AG. 245 BArch R 8135 / 428, Bericht über die Sächsische Zellwolle AG 1937.

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Angesichts der zunächst erheblichen Schwierigkeiten bei der Beschaffung von Humankapital und geeigneten Herstellungsverfahren überrascht es nicht, dass die regionalen Werke, die fast zum gleichen Zeitpunkt wie die VGF-Tochter Spinnfaser Kassel AG gegründet worden waren, etwa ein Jahr länger brauchten, bis eine quantitativ nennenswerte Produktion zu einigermaßen vertretbaren Selbstkosten zustande kam.246 Insofern liegt die Vermutung nahe, dass der Mangel an technischem Know-how und Humankapital, wie von den etablierten Unternehmen erwartet, tatsächlich eine entscheidende Rolle für die beobachtbaren Effizienzunterschiede gespielt hatte. Dies wird bestätigt, wenn man bei den verschiedenen Unternehmen die Entwicklung des mit Abstand wichtigsten Kostenbestandteils der Zellwolleproduktion, die Kosten für Roh-, Hilf- und Betriebsstoffe pro kg Zellwolle, betrachtet. Sie machten nach einer Berechnung der VGF aus dem Jahr 1934 ca. 60 Prozent der Gestehungskosten der Zellwolle aus.247 Den größten Anteil daran hatten die Kosten für Zellstoff, gefolgt von verschiedenen Chemikalien wie Ätznatron. Höhere Kosten an Roh-, Hilfs- und Betriebsstoffe pro kg Zellwolle konnten aufgrund ihres variablen Kostencharakters nicht auf Größennachteile, sondern nur auf unausgereifte Verfahren, einen Mangel an technischem Humankapital oder auch auf unterschiedliche Faktorpreise zurückzuführen sein.248 Im Unterschied zu Chemikalien und Arbeitskräften, für die alle betrachteten Werke die gleichen Preise zahlten, war der Einkauf von Zellstoff vor 1939 für die Spinnfaser Kassel AG günstiger als für die regionalen Zellwollewerke.249 Allerdings hätte dieser niedrigere Faktorpreis bei einem idealtypischen Zellstoffverbrauch der Werke, nämlich einem kg Zellstoff pro kg Zellwolle, nur einen Kostenvorteil von 1,5 Rpf pro kg Zellwolle für die Spinnfaser Kassel AG nach sich ziehen dürfen.250 Damit lässt sich aber nur ein Bruchteil der beobachtbaren Rohstoffkostendifferenz zwischen der Spinnfaser Kassel AG und den regionalen Zellwollewerken erklären, da z. B. 1937 letztere um 8 – 11 Rpf höhere Rohstoffkosten pro kg Zellwolle als die VGF-Tochter hatten.251 Das heißt, dass dieser Kostennachteil der Regionalwerke in erster Linie nicht auf die unterschiedlichen Zellstoffpreise, sondern auf eine schlechtere Humankapitalausstattung und / oder unterlegenere Verfahren zurückzuführen ist.

246

Witt (1939), S. 82f. Vgl. z. B. RWWA / D 3-1-1-6, Aktennotiz vom 17.7.1937. 248 BArch R 8135 / 3001, Bericht über die Süddeutsche Zellwolle AG 1939, S. 7. 249 BArch R 8135 / 2704, Bericht über die Spinnfaser Kassel AG 1937, S. 8. Für Schwefel, vgl. auch BArch R 13 XII / 289, Schreiben der Schwefel GmbH an die Fachgruppe Chemische Herstellung von Fasern vom 20.11.1937, Bl. 189. 250 Zu den Zellstoffpreisen der regionalen Zellwollewerke, vgl. BArch R 8135 / 3583, Bericht über die Sächsische Zellwolle AG 1939, S. 5. 251 Quelle, Schaubild 14. 247

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Tabelle 24: Der Erklärungsanteil höherer Rohstoffkosten pro kg B-Zellwolle an den um Abschreibungen verminderten höheren Kosten der regionalen Produzenten im Vergleich zur Spinnfaser Kassel AG (%) 1937 1938 1939

Sächsische Zellwolle AG 76,1 45,5 k.A.

Süddeutsche Zellwolle AG 65 48,8 7,2

Schlesische Zellwolle AG 32,3 28,75 0

Eigene Berechnung. Quelle: Vgl. Schaubild 14.

Betrachtet man nun, welchen Einfluss bei den regionalen Produzenten von B-Zellwolle der Kostenbestandteil Roh-, Hilfs- und Betriebsstoffe an den, im Vergleich zur Spinnfaser Kassel AG, bis 1939 deutlich höheren, sich allerdings im Zeitablauf teilweise angleichenden, um die Abschreibungen bereinigten Kosten pro kg Zellwolle hatte, so zeigt sich, dass der Erklärungsanteil höherer Rohstoffkosten an den Effizienzunterschieden immer geringer wurde. Der verfahrens- und humankapitalbedingte Nachteil der hier betrachteten regionalen Zellwollewerke gegenüber den etablierten Produzenten hatte also, wie von den etablierten Unternehmen erwartet, zunächst eine gewichtige Rolle für die Effizienzunterschiede gespielt. Im letzten Friedensjahr war dieser Nachteil aber offensichtlich weitgehend aufgeholt worden. Weitere Unterschiede der um Abschreibungen verminderten Stückkosten zwischen den regionalen Werken einerseits und der Spinnfaser Kassel AG andererseits müssen demnach auf die verbleibenden Kostenbestandteile zurückgeführt werden, nämlich zum einen auf Personalkosten und zum anderen auf Abgaben, die in erster Linie F&E-Abgaben an die Zellwollearbeitsgemeinschaft und ihre Nachfolgeinstitutionen umfassten. Dabei fiel allerdings eine unterschiedliche Abgabenhöhe kaum ins Gewicht.252 Wesentliche Kostenvorteile zugunsten der Spinnfaser Kassel AG  –  neben dem erwähnten, zunächst erheblich geringeren Rohstoffverbrauch  –  ergaben sich hingegen durch im Vergleich zu den regionalen Zellwollewerken niedrigere Personalkosten. Das war insbesondere auf die höheren Vertriebskosten der Imitatoren zurückzuführen. Während der Vertrieb der Spinnfaser Kassel AG von den VGF übernommen wurde, die über ein ausgebautes Vertriebsnetz verfügte, wurde er zunächst von jedem Regionalwerk selbständig durchgeführt.253 Um diese Kosten zu senken, wurde 1938 der Zellwollevertrieb der Regionalwerke zentralisiert. Dazu wurde für den, allerdings fast vernachlässigbaren Export Mitte 1938 die Zellwolle Exportgemeinschaft und für den Binnenmarkt am 28.9.1938 die Deutsche Zellwolle-Ring-Verkaufsgemeinschaft sowie die Phrix-Arbeitsgemeinschaft gegrün-

252

Die Spinnfaser Kassel AG hatte für die Nutzung der Verfahren 0,05 Rpf pro kg Zellwolle an die VGF zu entrichten (BArch R 8135 / 2704, Bericht über die Spinnfaser Kassel AG 1935, S. 7f), die betrachteten regionalen Werke kostete die gemeinsame Verfahrensentwicklung 1,2 Rpf. BArch 8135 / 3792, Bericht über die Schlesische Zellwolle AG 1935, S. 46 253 BArch R 8135 / 2704, Bericht über die Spinnfaser Kassel AG 1935, S. 7f; BArch R 8135 / 428, Verkaufskostenprüfung der Sächsischen Zellwolle AG 1939.

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det.254 Die Phrix-Arbeitsgemeinschaft, die auch gemeinsame Forschungsaufgaben durchführen sollte, stand unter Führung der Schlesischen Zellwolle AG, die bereits 1938 ihren Kredit vollständig tilgen konnte. Weitere Mitglieder der Phrix-Arbeitsgemeinschaft waren Chemiefaserwerke, an denen die Schlesische Zellwolle AG beteiligt war, nämlich die Kurmärkische Zellwolle AG, die Rheinische Zellwolle AG, die Rheinische Kunstseide AG und seit 1939 die Zellwolle und Zellulose AG Küstrin.255 Der Rest der Regionalwerke trat dem Deutschen Zellwolle-Ring bei, dessen Aufgaben ebenfalls nicht nur den gemeinsamen Vertrieb umfassten, sondern auch gemeinsame Forschung und Entwicklung sowie Rohstoffbeschaffung.256 Der Deutsche Zellwolle-Ring und die Phrix-Arbeitsgemeinschaft traten dabei die Nachfolge der Zellwollearbeitsgemeinschaft an, die 1938 aufgelöst worden war, da der Kreis der Unternehmen aufgrund der zahlreichen Neugründungen zu groß geworden war. Die entscheidende Neuerung der Zusammenschlüsse war die Vertriebszentralisierung. Das hatte zur Folge, dass z. B. bei der Sächsischen Zellwolle AG 1939 die Vertriebskosten pro kg Zellwolle gegenüber 1938 um fast vier Rpf sanken, und die Stückkosten der Regionalwerke sich weiter denen der etablierten Anbieter anglichen.257 Die grundsätzlichen Nachteile der regionalen Zellwollewerke, die sich zunächst auf der Kostenseite bemerkbar machten, waren den etablierten Unternehmen im Grundsatz durchaus bekannt. Denn schon über die staatliche Preissetzung, über deren Kriterien man informiert war, konnte man die entsprechenden Schlüsse ziehen.258 Hinzu kam, dass die Produkte der regionalen Zellwollewerke erkennbar teilweise auch qualitativ deutlich schlechter waren als die der privatwirtschaftlichen Unternehmen. Die IG versuchte z. B. sich über die Qualität der von der Thüringischen Zellwolle AG hergestellten Zellwolle, die ja mit einer IG-Lizenz produzierte, auf dem Laufenden zu halten. So heißt es in einem internen Briefwechsel: „Anbei sende ich Ihnen Kammzeug von Original-Schwarza-Faser aus der Produktion der vorigen Woche. Die Ware ergibt einwandfrei eine miserable Qualität“.259 Das Unternehmen sammelte sogar Beschwerden von Kunden der Thüringische Zellwolle AG. In einer heißt es: „Wie ich inzwischen festgestellt habe, ist das Material, das uns überlassen worden ist, neuesten Datums, also mit anderen Worten: es ist ein Skandal: Das Querschnittbild der Faser beweist ja eklatant, wie kläglich das Material ausfällt. Wir sind auch nicht der einzige Meckerer, denn der sicherlich objektiver als ich eingestellte Herr Dr. X hat über das Material ebenfalls geklagt und hat das von Schwarza gelieferte Material, wenn ich ihn recht verstanden habe, unverzüglich zurückgegeben.“260 Infolge der schlechten Qualität überrascht es nicht, dass die Rechtsabteilung der IG Farben der Thüringischen Zellwolle AG un254

BArch R 8135 / 428, Bericht über die Sächsische Zellwolle AG 1937, S. 2 – 5. Witt (1939), S. 94 – 96. 256 Ebd., S. 93. 257 BArch R 8135 / 428, Verkaufsprüfung bei der Sächsischen Zellwolle AG 1939. 258 Vgl. z. B. BArch R 8119 F / P 185, Aktenvermerk vom 14.6.1936, Bl. 154; Interner Briefwechsel vom 24.1.1941. 259 BASF-Archiv, IG-Bestand B4 / 143, Schreiben vom 18.6.1937. 260 BASF-Archiv, IG-Bestand B4 / 143, Abschrift vom 28.6.1937. 255

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tersagte, für ihr Erzeugnis den IG-Farben-Markenname „Lanusa“ zu verwenden. Man befürchtete, dass ansonsten das eigene Produkt durch die schlechte Qualität der vom Lizenznehmer hergestellten Zellwolle in Misskredit gebracht werden würde.261 Das Beispiel der Thüringischen Zellwolle AG bekräftigt erneut, dass tatsächlich Humankapital im Sinne von Erfahrung ein zentraler Faktor bei der Chemiefaserproduktion war.262 Angesichts dieser, bis etwa 1938 vorherrschenden, durch die Entwicklung nach der Produktionsaufnahme zunächst bestätigten Einschätzung der etablierten Anbieter, dass unter Normalbedingungen die regionalen Werke weder qualitativ noch preislich wettbewerbsfähig seien, war das Verhalten der IG und der VGF rational, die eigenen Kapazitäten in etwa dem für diesen Zeitpunkt geschätzten Absatzmarkt in Deutschland unter Normalbedingungen anzupassen.263 Verständlich war auch das Verhalten dieser Unternehmen bei den Vertragsverhandlungen mit dem Staat 1934 / 35. Denn man hätte möglicherweise nicht nur erwarten können, dass damals der Staat, wie geschehen, sich aufgrund der erweiterten Optionen infolge der potentiellen Gründung regionaler Zellwollewerke restriktiver gegenüber den etablierten Unternehmen verhalten, sondern auch, dass die drohende Konkurrenz der regionalen Werke die etablierten Unternehmen bezüglich ihrer Forderungen gegenüber dem Staat etwas gefügiger gemacht hätte. Allerdings veränderte sich erstens durch die erweiterte Option des Staates die unternehmerische Risikoeinschätzung des staatlich gewünschten Kapazitätsausbaus über den Normalbedarf, also ohne Rohstoffmangel, hinaus nicht und infolgedessen auch nicht der für notwendig erachtete Risikoausgleich. Zweitens betrachteten die etablierten Unternehmen die regionalen Werke aufgrund mangelnder Erfahrung nicht als ernsthafte Konkurrenz, so dass auch die Überlegung, die eigene Vormachtstellung für den Fall einer Normalisierung, also einer Abkehr von der Autarkiepolitik, zu behaupten, die privatwirtschaftliche Investitionsentscheidung nicht beeinflusste.264 Rational war auch das erwähnte, insgesamt unkooperative Verhalten der etablierten Unternehmen hinsichtlich des Know-how und Humankapitaltransfers zu den regionalen Zellwollewerken. Da sie eine Rückkehr zu normalen Verhältnissen nicht ausschlossen, standen sie angesichts der durch staatliche Initiative geschaffenen Überkapazitäten, gemessen an einer Situation ohne Rohstoffmangel, vor dem Problem, dass bei einer Abkehr von der Autarkiepolitik nur ein Teil der Gesamtkapazitäten marktfähig war. Je ineffizienter dann aber die konkurrierenden Regionalwerke waren, desto größer war die Wahrscheinlichkeit, dass im Fall einer Normalisierung in erster Linie diese die Leidtragenden wären. Die etablierten Unterneh261

BASF-Archiv, IG-Bestand B4 / 143. Vgl. auch BASF-Archiv, IG-Bestand B4 / 143, Vermerk vom 11.6.1937. 263 Tabelle 22. Zur entsprechenden Einschätzung, vgl. Kapitel 4.6. 264 So notierte Herrmann nach einer Besprechung mit Keppler am 9.11.1934, „dass offenbar die Absicht bestünde, Stapelfaserfabriken in allen möglichen Gegenden Deutschlands zu errichten, und zwar durch Unternehmungen, die weder über eignes Kapital, noch über geeignete Fachleute verfügten, sodass keinerlei Gewähr für einwandfreie technische und kaufmännische Leitung gegeben sei.“ RWWA 195 / D 3-1-2-5, Aktennotiz Herrmann vom 12.11.1934 zu einer Besprechung mit Keppler am 9.11.1934. 262

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4.6 Vertragswahl und Erwartungen in der Kriegszeit

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men konnten demnach davon ausgehen, dass die regionalen Werke im Fall einer Normalisierung weder qualitativ noch preislich mit ihnen hätten konkurrieren können. Zusammenfassend lässt sich sagen, dass aufgrund von höheren Kosten und schlechterer Qualität anfänglich das Risiko einer Investition in Aktien der regionalen Zellwollewerke höher war als das, welches die VGF oder die IG Farben AG bei der Ausdehnung ihrer Kapazitäten eingingen. Da auch den Investoren der regio­ nalen Zellwollewerke diese Nachteile bekannt waren, kam bei diesen Werken eine Aktienzeichnung nur unter der Maßgabe einer höheren Risikoabsicherung in Frage, als das bei den rein privatwirtschaftlichen Investitionen der Fall war. Diese erfolgte durch den Abschluss eines Kreditvertrags mit beschränkten Rückgriffsrechten des staatlichen Bürgen. Hinzu kam für manche Aktionäre aus der Textilindustrie ab 1936 eine weitere, bereits erwähnte Risikoabnahme durch die Gewährung von Bezugsrechten, die allerdings nur unter der Bedingung der NS-Wirtschaftspolitik, d. h. also nicht langfristig, von Bedeutung war. Denn Textilunternehmen, die Bezugsrechte besaßen, konnten für die Dauer der Importrestriktionen ihre Kapazitäten in höherem Maß auslasten und somit höhere Gewinne erzielen, als dies bei Firmen ohne entsprechende Bezugsrechte der Fall war. Daher ist es nicht überraschend, dass nach 1936 die Aktionäre der regionalen Zellwollewerke fast ausschließlich Textilverarbeiter waren. Bei dieser Aktionärsgruppe dürfte, wie bereits erwähnt, das Investitionskalkül auch dadurch beeinflusst worden sein, dass ihr im Unterschied zur Chemieindustrie aufgrund von Investitionsverboten weniger rentable Alternativen zur Verfügung standen, mithin ihre Opportunitätskosten geringer waren.

4.6 Vertragswahl und Erwartungen in der Kriegszeit Ende der 1930er Jahre zeigte sich dann, dass manche regionalen Zellwollewerke mit sinkenden Stückkosten und steigender Qualität der von ihnen produzierten Zellwolle zunehmend zu ernstzunehmenden Konkurrenten für die IG Farben AG und die VGF wurden. Das wurde auch seit Ende 1937 von den etablierten Unternehmen beobachtet.265 Die Effizienzsteigerung mancher regionalen Zellwollewerke setzte sich auch während des Kriegs fort. Dies lässt sich jedenfalls für die Sächsische Zellwolle AG, für die als einziges der regionalen B-Zellwollewerke auch entsprechende Daten nach 1941 verfügbar sind, folgern. Denn zwischen 1941 / 42 und 1943 / 44 sanken, trotz steigender Rohstoffpreise, die Rohstoffkosten pro kg Zellwolle weiter.266 Besonders eindrucksvoll zeigt sich die Effizienzerhöhung während des Kriegs bei der Thüringischen Zellwolle AG. Vor dem Krieg hatte die Deutsche Revisionsund Treuhand AG ausdrücklich die mangelhafte Organisation dieses Unternehmens 265 266

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RWWA 195 / B 6-0-5, Aktennotiz Herrmann vom 29.9.1937. BArch R 8135 / 3585, S. 4; Kapitel 4.6.

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4. Investitionsentscheidungen in der halbsynthetischen Chemiefaserindustrie

kritisiert, die ihres Erachtens für die unzureichende Effizienz mitverantwortlich war. Bei diesem Werk hatte man sich sogar noch Anfang 1937 im Versuchsstadium befunden, was zu einem unvorhergesehenen Kapitalaufwand geführt hatte.267 Das Produkt des Unternehmens stieß, wie erwähnt, auf erhebliche Ablehnung bei den Verbrauchern, weil es von schlechter Qualität war, was selbst ein leitender Mitarbeiter der Thüringischen Zellwolle AG einräumte.268 1939 war es wieder zu technischen Problemen gekommen, so dass der Ausschuss erneut zunahm.269 Die geringe Effizienz des Werkes zeigte sich auch darin, dass das qualitativ minderwertige Produkt der Thüringischen Zellwolle AG 1939 trotz des Umstandes, dass deutlich mehr als 7.000 Jahrestonnen produziert wurden, mit ca. 164 Rpf pro kg höhere Kosten aufwies, als die verschwindend geringe Produktion der IG Farben AG in Oppau, die Anfang der 1940er Jahre bereits neun Rpf weniger in der Herstellung kostete.270 1940 hatte die Deutschen Revisions- und Treuhand AG erneut auf kaufmännische Mängel bei der Thüringischen Zellwolle AG hingewiesen und insbesondere die mangelnde Eignung der Führungskräfte moniert.271 Die ineffiziente Produktionsweise des Unternehmens bis zum Anfang des Krieges zeigte sich nach Meinung der Wirtschaftsprüfer insbesondere an der Entwicklung des Zellstoffverbrauchs pro kg Zellwolle. Während man im Idealfall davon ausging, dass man pro kg Zellwolle ein kg Zellstoff benötigte, war bei der Thüringischen Zellwolle AG der entsprechende Verbrauch erheblich höher. Eine deutliche Verbesserung im Rohstoffverbrauch trat erst im Verlauf des Krieges ein und war nach dem Bericht der Deutschen Revisions- und Treuhand AG auf den Umstand kriegsbedingter Rohstoffknappheit zurückzuführen.272 Tabelle 25: Die Entwicklung von Rohstoffverbrauch und -kosten der Thüringischen Zellwolle AG pro kg Zellwolle 1937 1938 1939 1940 1941 1942 1943

Zellstoff (kg) 1,437 1,282 1,256 k.A. k.A. 1,10 1,04

Zellstoff (Rpf) 34 32,7 33 37 k.A. k.A. k.A.

Zellstoff und Chemikalien (Rpf) 110,97 95,7 87 94 k.A. 88,22 72,41

Quelle: BArch R 8135 / 2214 Bericht 1939 (für 1938 und 1939), BArch R 8135 / 2695 Bericht 1940 (für 1940), Bericht 1941 (für 1941), BArch R 8135 / 8046 Bericht 1942 (für 1942), Bericht 1943 (für 1943). 267

BASF, IG-Bestand B 4 / 143, Schreiben der Thüringischen Zellwolle AG an die IG Farben AG vom 18.2.1937. Vgl. auch BArch R 8135 / 2184, Bericht über die Thüringische Zellwolle AG 1936, S. 2-10. 268 BArch R 8119 F / P 2024, Bl. 166. 269 BArch R 8135 / 3560, S. 22. 270 BArch R 8135 / 4438; BASF-Archiv, IG-Bestand T 1305 / 1. 271 BArch R 8135 / 2695, S. 63f. 272 BArch R 8135 / 8046, Bericht über die Thüringische Zellwolle AG 1943, S. A 62.

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4.6 Vertragswahl und Erwartungen in der Kriegszeit

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Die Tatsache, dass der W-Zellwolleproduzent Thüringische Zellwolle AG, im Unterschied zu den anderen, 1935 gegründeten regionalen Zellwollewerken, die BZellwolle herstellten, nicht bereits vor Kriegsausbruch, sondern erst Mitte des Krieges, bei zunehmender Rohstoffknappheit, zu einem sparsamen Rohstoffverbrauch kam, ist allerdings anreiztheoretisch betrachtet nicht überraschend. Denn faktisch galt für die Produzenten von B-Zellwolle ein Festpreissystem. Bis Mitte 1937 wurden die Preise anhand der Selbstkosten der Produzenten festgelegt, und danach, wie erwähnt, wegen der nach 1935 gegründeten Werke, die alle B-Zellwolle herstellte, überhaupt nicht mehr gesenkt. Somit bedeutete Gewinnmaximierung für die B-Zellwolleproduzenten, ihre Stückkosten zu minimieren. Mit der Thüringischen Zellwolle AG gab es aber bis in den Krieg hinein nur einen Großanbieter von W-Zellwolle nach dem Lanusaverfahren. Daher passte das Reich auch nach 1937 bei Stückkostensenkungen des Unternehmens den Preis quartalsweise sofort an.273 Infolgedessen galt für die Thüringische Zellwolle AG faktisch ein Selbstkostenvertrag, der aufgrund der staatlichen Preispolitik zu in etwa konstanten absoluten Stückgewinnen, selbst bei Stückkostensenkungen, führte.274 Damit war ihr Gesamtgewinn in erster Linie umso größer, je größer die produzierte Menge war. Unter diesen Bedingungen bestand für das Unternehmen kein großes Interesse, effizienter zu produzieren. Erst eine Rationierung der Inputs konnte einen spürbaren Anreiz schaffen, die Rohstoffe sparsamer einzusetzen, da andernfalls die Kapazitäten nicht mehr voll ausgelastet worden wären und infolge dann schrumpfender Produktion, bei unterstellten konstanten Stückgewinnen, der Gesamtgewinn gesunken wäre. Die gestiegene Wettbewerbsfähigkeit mancher regionalen Zellwollewerke spiegelte sich auch in ihrer Privatisierung wider. Alle ursprünglich gegründeten regionalen Zellwollewerke konnten vorzeitig ihre Kredite tilgen und wurden somit reprivatisiert, d. h. unabhängig von staatlichen Weisungen. In allen Fällen schieden die staatlichen Vertreter aus dem Aufsichtsrat aus. Die vorzeitige Tilgung erfolgte „im engsten Einvernehmen mit dem Reichswirtschaftsministerium“275. Vorreiter war dabei die Schlesische Zellwolle AG. 1940 folgten dann die Sächsische Zellwolle AG und die Süddeutsche Zellwolle AG, die ebenso wie die Schlesische Zellwolle AG ohnehin den Kredit nur zum Teil in Anspruch genommen hatten, und 1943 als letztes der ursprünglich gegründeten Unternehmen die Thüringische Zellwolle AG.276 Angesichts dieser Entwicklung sind die in der Literatur anzutreffenden Behauptungen277, bei den regionalen Zellwollewerken habe es sich um quasi-staatliche Unternehmen oder um halbstaatliche Unternehmen gehandelt, zu relativieren: Dies war nur für den Zeitraum zutreffend, solange die Kredite nicht getilgt waren. 273

Quelle, Tabelle 25. Vgl. die gleiche Argumentation im Zusammenhang mit der deutschen und US-amerikanischen Synthesekautschukproduktion während des Zweiten Weltkriegs, Streb (2002), S. 367 – 397. 275 BArch R 8119 F / P 181, Bl. 40, interner Briefwechsel der Deutschen Bank vom 5.1.1940. 276 BArch R 8135 / 3001, Bericht zum Geschäftsjahr 1940, S. 5; BArch R 8119 F / P 181, Bl. 16; Kahl (1963), S. 89. 277 Plumpe (1990), S. 705; Kahl (1963). 274

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4. Investitionsentscheidungen in der halbsynthetischen Chemiefaserindustrie

Offensichtlich hatte der Staat kein grundsätzliches Interesse, auf Dauer einen maßgeblichen Einfluss auf die regionalen Zellwollewerke zu haben. Dies hatte sich bereits bei der vorzeitigen Tilgung des staatlich verbürgten Kredits der Spinnfaser Kassel AG angedeutet. So notierte der VGF-Vorstand Herrmann 1936 nach einem Ge­spräch mit Kehrl, in dem er ihm die Bitte vorgetragen hatte, den Konsortialkredit der Spinnfaser Kassel AG durch Aufnahme eines kurzfristigen privaten Bankdarlehens vorzeitig abzulösen: „Herr Kehrl war etwas erstaunt, aber er bestätigte mir auf meine Frage, dass es selbstverständlich im Interesse des Reichs läge, wenn die von der Regierung garantierten Kredite durch rein private Kredite abgelöst würden“278. Allerdings wünschte der Staat solange keine Privatisierung, wie eine solche die Realisierung der staatlichen Pläne zum weiteren Ausbau der Zellwolleindustrie gefährdet hätte. So hätte die Süddeutsche Zellwolle AG bereits 1938 ihren Kredit vorzeitig zurückzahlen können.279 Da das Reich aber eine Beteiligung des Werks an der Finanzierung eines Zellstoffwerks in Ehingen wünschte, musste davon Abstand genommen werden. In einem ähnlich gelagerten Fall wollte 1937 die gerade gegründete Rheinische Zellwolle AG, die noch gar nicht die Produktion aufgenommen hatte, den Kredit durch eine Kapitalerhöhung ablösen, was das Reich ebenfalls untersagte.280 Als Grund für die Ablehnung wird in den Quellen, unter Berufung auf Aussagen Kehrls, angeführt, dass der Kapitalmarkt für staatliche Ansprüche reserviert bleiben sollte. Allerdings dürfte dieses Argument von Kehrl nur vorgeschoben worden sein; auch hier dürfte in erster Linie das Interesse des Reichs maßgeblich gewesen sein, die Unternehmensentwicklung weiter beeinflussen zu können. So heißt es in einem Schreiben der Deutschen Bank-Filiale Siegburg an das Vorstandsmitglied Karl Kimmich Ende 1937: „Der Vorstand des Siegburger Werks […] möchte bereits jetzt schon eine Kapitalverdoppelung […] vornehmen. Mit diesem Geld beabsichtigt er einen Teil der Reichsdarlehen abzudecken, weil […] er als Vorstand auch etwas freiere Hand in seiner Abhängigkeit gegenüber Herrn Kehrl haben möchte. Herr Kehrl selbst sträubt sich gegen diese Kapitalerhöhung und hat sie bislang als undiskutabel abgelehnt, scheinbar aus demselben Grund, weil er befürchtet, dass damit sein Einfluss auf das Werk eine schwindende Bedeutung erhält.“281 Erst als 1943 staatlicherseits der Ausbau der Zellwolleindustrie als abgeschlossen betrachtet worden war, und somit auch kein Interesse an Mitspracherechten mehr bestand, wurde eine Ablösung der Kredite durch Beanspruchung des Kapitalmarkts gestattet.282 So durfte die Thüringische Zellwolle AG 1943 Teilschuldverschreibungen aufnehmen und zugleich damit ihren Kredit zurückzahlen, nachdem ihr ein entsprechendes Ansinnen 1937 noch verweigert worden war.283 278

RWWA / 195, B 6-28-87, Aktennotiz Herrmann vom 27.7.1936 zu einer Besprechung mit Kehrl am 24.7.1936. 279 BArch R 8119 F / P 190, Bl. 170. 280 BArch R 8119 F / P 2021, Bl. 60 – 62; BArch R 8119 F / P 2024, Bl. 160. 281 BArch R 8119 F / P 2021, Schreiben an Karl Kimmich vom 16.10.1937, Bl. 76. 282 Zu den Ausbauplänen, vgl. BArch R 3 / 383. 283 BArch R 8135 / 8046, Bericht über die Thüringische Zellwolle AG 1943, S. A 46; BArch R

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Ganz anders verhielt es sich hingegen mit der Wettbewerbsfähigkeit und der Reprivatisierung der nach 1935, also gewissermaßen in der zweiten Welle gegründeten regionalen Zellwollewerke. Diese Werke, die fast nur B-Zellwolle produzierten und ihre Produktion im Allgemeinen erst Ende der 1930er Jahre aufgenommen hatten, befanden sich nämlich in erheblichen wirtschaftlichen Schwierigkeiten.284 Zum Einen konnten sie aufgrund des Ende der 1930er Jahre immer spürbarer werdenden Rohstoff- und Facharbeitermangels erst wesentlich später als ursprünglich vorgesehen ihre Produktion aufnehmen.285 Zum Anderen waren ihrer Gewinnakkumulation aufgrund des seit September 1937 festgeschriebenen Preises für B-Zellwolle im Unterschied zu den früher gegründeten Werken enge Grenzen gesetzt.286 Die für die Anlaufzeit typischen höheren Stückkosten konnten nicht, wie es vor 1937 noch der Fall war, durch bewusst hoch angesetzte Preise aufgefangen werden. Denn bei der Preispolitik und dem Absenken der Preise zwischen 1935 und 1937 orientierte man sich, wie erwähnt, an vierteljährlichen Kostenangaben der Produzenten und bildete offensichtlich den Preis so, dass das ineffizienteste der im Jahr 1935 gegründeten Unternehmen noch in der Lage war, nicht nur seinen Tilgungsverpflichtungen nachzukommen, sondern auch noch Dividenden und Überschüsse zur außerplanmäßigen Tilgung zu erwirtschaften. Dadurch, dass die später gegründeten Unternehmen erhebliche Anlaufschwierigkeiten hatten, ergab es sich, dass in den Jahren nach ihrer Gründung an eine weitere Preissenkung für StandardB-Zellwolle nicht zu denken war. Die Stückkostenentwicklung der ursprünglich gegründeten Unternehmen hätte dies zwar durchaus zugelassen; die Schwierigkeiten der später entstandenen Unternehmen wären aber noch weiter verschärft worden. Unterschiedliche Preise für den gleichen Zellwolletyp unterschiedlicher Hersteller lehnte das Reich ab.287 Aber auch die Festschreibung der Preise auf dem Niveau des Jahres 1937 führte immer noch zu erheblichen Verlusten der später gegründeten Werke, wie der Vergleich zwischen der Sächsischen Zellwolle AG und der Rheinischen Zellwolle AG, dem einzigen Nachzügler, für den über mehrere Jahre Daten auffindbar waren, zeigt.288 Während letzteres Unternehmen zwischen 1938 und 1942 in fast allen Jahren zum Teil erhebliche Verluste pro kg Zellwolle erlitt, erwirtschaftete die Sächsische Zellwolle AG durchgehend hohe Gewinne. Zur Deckung der Verluste der Rheini­ schen Zellwolle AG wiederum musste ein Teil der staatlich verbürgten Investitionskredite benutzt werden. Die Folge davon war, dass für den planmäßigen Ausbau weitere Kredite nötig waren. Auch dies schob die Tilgung zum Teil deutlich hinaus, 8119 F / P 2024, Bl. 160. 284 Vgl. auch BArch R 8119 F / P 185, Aktennotiz der Deutschen Bank vom 21.1.1941. 285 Vgl. z. B. BArch R 2301 / 6580, Aktennotiz der Volkswirtschaftlichen und Statistischen Abteilung der Reichsbank vom 25.1.1937, Bl. 62; speziell für die Rheinische Zellwolle AG, BArch R 8119 F / P 180, Bl. 144, 189, 201; für Küstrin BArch R 8119 F / P 197, Bl. 107. 286 BArch R 13 XII / 422, Schreiben des Beauftragten für den Vierjahresplan an die Fachgruppe Chemische Herstellung von Fasern vom 26.8.1937, Bl. 60a. 287 BArch R 2 / 21684, Bericht über den Vierjahresplan vom 26.8.1940. Gründe dafür sind nicht bekannt. 288 Zu den Quellen, vgl. Schaubild 16.

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zumal der Staat zeitweise trotz der prekären finanziellen Situation der nach 1935 gegründeten Werke, so auch der Rheinischen Zellwolle AG, die Ausschüttung von Dividenden zuließ.289 Es ist zu vermuten, dass das Reich damit beabsichtigte, den Anreiz für den weiteren Ausbau der Zellwolleindustrie aufrechtzuerhalten.

%

Schaubild 16: Untergrenze des Cashflows der Rheinischen Zellwolle AG und der Sächsischen Zellwolle AG im Vergleich zur synthetischen Treibstoffindustrie in Prozent des Anlagekapitals 35 30 25 20 15 10 5 0 -5 -10

1936

1937

1938

1939

1940

1941

1942

Jahr Sächsische Zellwolle AG

Vertraglich zugesicherter Cashflow in der synthetischen Treibstoffindustrie Rheinische Zellwolle AG

Eigene Berechnung. Quelle: BArch R 8135 / 1240, Berichte der Deutschen Revisions- und Treuhand AG über die Jahresabschlussprüfung der Rheinischen Zellwolle AG, 1939; 1940; 1942; BArch R 8135 / 428, Berichte der Deutschen Revisions- und Treuhand AG über die Jahresabschlussprüfung der Sächsische Zellwolle AG, 1937 / 38, 1938 / 39; BArch R 8135 / 3585, Berichte der Deutschen Revisions- und Treuhand AG über die Jahresabschlussprüfung der Sächsische Zellwolle AG, 1939 / 40, 1940 / 41; BArch R 8135 / 7931, Berichte der Deutschen Revisions- und Treuhand AG über die Jahresabschlussprüfung der Sächsische Zellwolle AG, 1941 / 42, 1942 / 43.

Worauf war diese unterschiedliche Gewinnentwicklung der Sächsischen Zellwolle AG einerseits und der anderthalb Jahre später gegründeten Rheinischen Zellwolle AG andererseits zurückzuführen, wenn doch die Technologie, das Produkt, die Inputpreise und die Absatzorganisation die gleichen waren? Betrachtet man die Entwicklung des Cashflow dieser Unternehmen, zeigt sich ein ähnliches Bild, so dass unterschiedliche Abschreibungen nur begrenzt zur Erklärung der Gewinndifferenz herangezogen werden können.290 Neben dem Tatbestand, dass die Sächsische Zellwolle 1940 den verbürgten Kredit 1940 restlos getilgt hatte und insofern Zinszahlungen nicht mehr anfielen, war ein Großteil der Cashflow-Differenz zwischen der Rheinischen Zellwolle AG und der Sächsischen Zellwolle AG dabei auf die hö289

So konnte die Rheinischen Zellwolle AG 1940 trotz eines Verlustes die vertraglich zulässige Maximaldividende von fünf Prozent ausschütten. BArch R 8119 F / P 180, Bl. 7. 290 Schaubild 16.

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heren Rohstoffkosten pro kg Zellwolle und auf die höhere Ausschussproduktion, die sich in geringeren Erlösen niederschlug, zurückzuführen.291 Da die Rohstoffpreise und das technische Verfahren für beide Unternehmen die gleichen waren, können die höheren Rohstoffkosten und die höhere Ausschussproduktion der Rheinischen Zellwolle AG im Vergleich zur Sächsischen Zellwolle AG nur auf schlechter ausgebildete und / oder weniger erfahrene Mitarbeiter in der Produktion zurückgeführt werden, also auf einen Mangel an technischem Humankapital. Tabelle 26: Der Erklärungsanteil des technischen Humankapitalmangels an dem geringeren Cashflow der Rheinischen Zellwolle AG im Vergleich zur Sächsischen Zellwolle AG (%) I: Anteil höherer Rohstoffkosten an der CashflowDifferenz (%) 1938 1939 1940 1941 1942

II: Anteil geringerer Erlöse pro kg III = I + II: ErklärungsanZellwolle an der Cashflowteil des HumankapitalmanDifferenz aufgrund gels an der CashflowAusschussproduktion (%) Differenz (%)

43,22 k.A. 26,03 30,35 23,19

3,82 k.A. 4,06 25 19,14

47,04 k.A. 30,09 55,35 42,33

Eigene Berechnung. Quelle: Vgl. Schaubild 16.

Bemerkenswert dabei ist, dass in den 1940er Jahren diese Unterschiede zwischen beiden Unternehmen, betrachtet in Rpf pro kg Zellwolle, und der Anteil der Ausschussproduktion der Rheinischen Zellwolle AG noch größer wurden, d. h. dass sich die Qualität des technischen Humankapitals der Rheinischen Zellwolle AG im Vergleich zu dem der Sächsischen Zellwolle AG verschlechterte, obwohl, analog zu den bereits dargestellten Imitationserfolgen der drei ursprünglich gegründeten regionalen B-Zellwolleproduzenten eine gegenteilige Entwicklung zu erwarten gewesen wäre. Der maßgebliche Grund dafür dürfte der Umstand gewesen sein, dass die Rheinische Zellwolle AG, im Unterschied zur Sächsischen Zellwolle AG, noch im Krieg ihre Kapazitäten ausbaute292, also in einer Zeit, in der die Stammbelegschaft ohnehin durch Einberufungen zur Wehrmacht reduziert worden war, und der Mangel an geeignetem Personal in der deutschen Zellwolleindustrie sich gegenüber den letzten Friedensjahren noch weiter verschärft hatte.293

291 Tabelle

27. BArch R 8119 F / P 180, S. 145. 293 BArch R 8135 / 3585, Bericht über die Sächsische Zellwolle AG 1941, S. 3 f. 292

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Tabelle 27: Anteil der Ausschussproduktion der Rheinischen Zellwolle AG (%) und ihre absolute Rohstoffkostendifferenz im Vergleich zur Sächsischen Zellwolle AG (Rpf pro kg Zellwolle) 1938 1939 1940 1941 1942

Anteil des Ausschuss 2 2,3 6,14 9,54 11,96

absolute Rohstoffkostendifferenz 14,03 k.A. 6,4 8,5 10,9

Für die Rohstoffkostendifferenz, eigene Berechnung. Quelle: Vgl. Schaubild 16. Für den Anteil der Ausschussproduktion, vgl. BArch R 8135 / 1240, Bericht der Deutschen Revisions- und Treuhand AG über die Jahresabschlussprüfung der Rheinischen Zellwolle AG 1940, Bl. 40, BArch R 8135 / 7893, Bericht der Deutschen Revisions- und Treuhand AG über die Jahresabschlussprüfung der Rheinischen Zellwolle AG 1942, Bl. 8 f.

Infolge des Tatbestandes, dass die später gegründeten Werke aufgrund ihres Gründungsdatums quasi diskriminiert waren, ist es nicht überraschend, dass man versuchte, dies zu korrigieren. Außerdem wollte man eine Inanspruchnahme weiterer staatlich verbürgter Kredite vermeiden.294 Deshalb führte man zunächst 1940 den sogenannten „Kehrl-Groschen“  –  offiziell „Kostenausgleichsumlage“ genannt  –  ein.295 Darunter verstand man eine Abgabe, die die etablierten Unternehmen und die regionalen Zellwollewerke, die bereits 1935 gegründet worden waren, in Höhe von sieben Prozent ihres Inlandsumsatzes zu entrichten hatten.296 Die Abgabe wiederum kam in der Form von bedingt rückzahlbaren und unverzinslichen, faktisch aber verlorenen Zuschüssen den in der zweiten Welle seit 1936 gegründeten Zellwollewerken zugute, wie der Rheinischen Zellwolle AG und der Kurmärkischen Zellwolle und Zellulose AG.297 Die Folge dieser Abgabe war, dass 1940 und 1941 die Gewinne der privatwirtschaftlichen Unternehmen und der ursprünglich gegründeten regionalen Zellwollewerke geringer als in der Friedenszeit, allerdings im Vergleich zur Normalverzinsung im Allgemeinen immer noch hoch waren.298 Der Kehrl-Groschen konnte aber die wirtschaftlichen Schwierigkeiten der später gegründeten regionalen Zellwollewerke nicht lösen, da mit ihm die Symptome, nicht aber die Ursachen der ökonomischen Probleme dieser Unternehmen kuriert wurden. Daher sollte er von vornherein nicht zu einer Dauereinrichtung werden und wurde nach 1941 nicht mehr erhoben.299 Im Folgenden versuchte man die Unzu294

BArch R 2 / 15303, Aktenvermerk vom 8.7.1940, Bl. 2 f. BArch R 8135 / 8046, Bericht über die Thüringische Zellwolle AG 1942, S. 8; BArch R 2 / 21684, Anordnung über den Kostenausgleich vom 2.8.1940. 296 BArch R 8135 / 3001, Bericht über die Süddeutsche Zellwolle AG 1940, S. 11. 297 BArch R 2301 / 2162, Bürgschafts- und Darlehenslisten 1937 – 1943; BArch R 2 / 15303, Aktenvermerk vom 8.7.1940, Bl. 5. 298 Schaubild 14. So stieg bei der Süddeutsche Zellwolle AG die Abgaben pro kg Zellwolle zwischen 1939 und 1940 um 11, 5 Rpf an, während die Gewinne zugleich um acht Rpf sanken. Vgl. BArch R 8135 / 3001, Bericht 1939, Bericht 1940. 299 BArch R 2 / 15303, Aktenvermerk vom 8.7.1940, Bl. 3; BArch R 8135 / 7987, S. 51. 295

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länglichkeiten der Nachzügler durch eine Umstrukturierung in der Zellwolleindustrie in den Griff bekommen, die bereits 1939 ins Auge gefasst worden war.300 Dazu wurde am 14. 7. 1941 die Phrix-Werke AG mit Sitz in Hamburg gegründet.301 Aufgabe dieser Holdinggesellschaft waren Betrieb, Finanzierung, Errichtung, Verwaltung, Erwerb und Veräußerung von Beteiligungen an Unternehmen aller Art, insbesondere an Unternehmen, die die Herstellung, Verarbeitung und den Vertrieb von Zellulose, Zellwolle und sonstigen Kunstfasern sowie der damit zusammenhängenden Roh- und Hilfsstoffe zum Gegenstand hatten. Diese Holding erwarb durch Aktientausch die Mehrheit an fast allen Unternehmen, die zuvor in der 1938 unter Führung der Schlesischen Zellwolle AG gegründeten Phrix Arbeitsgemeinschaft zusammengeschlossen waren. Die Kurmärkische Zellwolle AG, die Rheinische Kunst­seide AG, die Rheinische Zellwolle AG sowie die Zellwolle und Zellulose AG Küstrin wurden durch den erwähnten Aktientausch sowie Gewinn- und Verlust­ übernahmeverträgen zu Töchtern der weisungsbefugten Phrix-Werke AG. Ihren Aktionären wurden dabei Dividenden in gleicher Höhe wie die, die die Phrix-Werke AG ausschüttete, zugestanden.302 Einziges Unternehmen der alten Phrix Arbeitsgemeinschaft, das nicht zur Tochtergesellschaft der Phrix-Werke AG wurde, war die Schlesische Zellwolle AG, die bereits 1938 als erstes der regionalen Zellwollewerke, wie erwähnt, ihren staatlich verbürgten Kredit zurückgezahlt hatte.303 Die Phrix-Werke AG wurde somit zum Auffangbecken von in der zweiten Welle gegründeten Zellwolle-, Kunstseide- und Zellulosewerken. Man versprach sich durch die konzernmäßige Zusammenfassung Synergieeffekte.304 Zudem wurden zur Effizienzsteigerung 1943 eine Typenreduzierung und Betriebsvergleiche durchgeführt.305 Insgesamt entstand so der größte deutsche Zellwolleproduzent mit einer Gesamtkapazität von 97.000 Jahrestonnen, was ca. 30 Prozent der deutschen Zellwollekapazität am Endes des Krieges entsprach.306 Die wirtschaftlichen Probleme konnten aber nicht vollständig gelöst werden. Die Tochtergesellschaften blieben bis Kriegsende in erheblichem Verzug gegenüber dem ursprünglichen Tilgungsplan.307 Somit kann festgehalten werden, dass die Wettbewerbsfähigkeit der regionalen Zellwollewerke während des Krieges unterschiedlich zu bewerten ist. Die ursprünglich gegründeten Werke wurden zunehmend zu potentiellen Konkurrenten für die etablierten Anbieter, wenn sie auch aufgrund des Nachfrageüberhangs unter den Bedingungen der aktuellen Wirtschaftspolitik Ende der 1930er Jahre zunächst für die IG Farben AG und die VGF keine unmittelbare Bedrohung waren. Da die etab300

BASF-Archiv, A 41, Entwicklung der Phrix-Werke AG, S. 3. BArch R 8135 / 5964, Bericht über die Phrix-Werke AG, S. 1 – 6. 302 BArch R 8119 F / P 179, Bl. 9; BArch R 8119 F / P 180, Bl. 7. 303 BArch R 8135 / 5964, Bericht über die Phrix-Werke AG, S. 6; BArch R 8135 / 453. 304 BASF-Archiv, A 41, Entwicklung der Phrix-Werke AG, S. 4. 305 BArch R 8135 / 5964, Bericht über die Phrix-Werke AG, S. 7. 306 BASF-Archiv, A 41, Entwicklung der Phrix-Werke AG, S. 4. 307 Vgl. z. B. für die Kurmärkische Zellwolle AG BArch R 8119 F / P 174, Bl. 1; für die Rheinische Kunstseide AG BArch R 8119 F / P 179, Bl. 7; für die Rheinische Zellwolle AG BArch R 8119 F / P 180, Bl. 1 f.; für die Zellwolle und Zellstoff AG Küstrin BArch R 8119 F / P 197, Bl. 270. 301

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lierten Anbieter nicht nur, wie erwähnt, während der Friedenszeit, sondern auch während des Kriegs eine mittelfristige Abkehr von der Autarkiepolitik nicht ausschlossen, hätte es in solch einem Fall in Deutschland erhebliche Überkapazitäten an Chemiefaseranlagen gegeben.308 Hinzu kam, dass Ende der 1930er Jahre ein regionales Kunstseidenwerk, die Rheinische Kunstseide AG, gegründet wurde.309 Während die etablierten Unternehmen aber bis 1937 / 38 noch davon ausgehen konnten, dass bei einer Normalisierung der Wirtschaftspolitik aufgrund mangelnder preislicher und qualitativer Wettbewerbsfähigkeit in erster Linie die von den regionalen Zellwollewerken aufgebauten Kapazitäten unausgelastet bleiben würden und sie daher, wie gezeigt, ihren Kapazitätsausbau an der Entwicklung in vergleichbaren ausländischen Volkswirtschaften ohne Autarkiepolitik ausrichteten, hatte sich seit Ende der 1930er Jahre die Situation aufgrund der zunehmenden Kompetivität mancher Regionalwerke und ihres Eintritts in den Kunstseidenmarkt geändert. Daher beendeten die IG und die VGF ihren Kapazitätsaufbau, obwohl die Vierjahresplanbehörde, der zu diesem Zeitpunkt den Ausbau der deutschen Chemiefaserkapazitäten noch nicht als abgeschlossen ansah, eine weitere Beteiligung gewünscht hatte.310 Schaubild 17: Forschungs- und Entwicklungsausgaben der IG Farben AG für Zellwolle (Mio. RM)

3

2,5

Mio. RM

2

1,5

1

0,5

0

1932

1933

1934

1935

1936

1937

1938

1939

1940

1941

1942

1943

1944

Jahr

Forschungs- und Entwicklungsausgaben der IG Farben AG für Zellwolle (Mio. RM)

Eigene Berechnung. Quelle: BASF Archiv, IG-Bestand, T 1305 / 1.

308

Zu den Erwartungen der Zellwollindustrie vor und während des Kriegs, vgl. genauer Scherner (2008 a). Gajewski von der IG z. B. hielt das Zellwolleprogramm der Regierung für vollkommen überzogen. Hayes (1987 a), S. 202. 309 Witt (1939), S. 94. 310 Tab. 1. Ihre dann 1940 erreichte Zellwollekapazität hatten die IG Farben AG und die VGF bereits Anfang 1938 festgelegt. RWWA 195 / B 6-0-5, Aktennotiz Herrmann zu einer Sitzung des Beirats der Fachgruppe Chemische Herstellung von Fasern, 18.3.1938. Zu den weiteren Ausbauwünschen des Reiches, vgl. Scherner (2008 b).

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4.6 Vertragswahl und Erwartungen in der Kriegszeit

Zugleich gingen die IG Farben AG und die VGF dazu über, in zunehmenden Maß Spezialzellwollen herzustellen. Mit anderen Worten, sie reagierten auf die steigende Konkurrenzfähigkeit der regionalen Zellwollewerke auch durch ein Ausweichen in solche Segmente, bei denen sie aufgrund ihres Forschungsvorsprungs noch überlegen waren  –  wie zum Beispiel der Herstellung nassfester Zellwolletypen und bestimmter W-Zellwolletypen, die Ende der 1930er Jahre nach bereits längeren Forschungsarbeiten in der Zeit zuvor, wie erwähnt, Marktreife erhalten hatten.311 Für den Fall einer Abkehr von der Autarkiepolitik erwarteten sie hier wie auch bei den neuen vollsynthetischen Fasern einen steigenden Bedarf.312 Dementsprechend blieben die Forschungs- und Entwicklungsausgaben für Zellwolle z. B. bei der IG Farben AG auch in den 1940er Jahren auf einem hohen Niveau.313

230

Schaubild 18: Durchschnittserlöse deutscher Zellwollehersteller 1936-1944

Rpf pro kg

210 190 170 150 130

1936

1937

Spinnfaser Kassel Ag

1938

Preis für Standard B-Zellwolle

1939

1940

1941

Jahr

Sächsische Zellwolle Ag

Süddeutsche Zellwolle Ag

1942

1943

1944

Ig Farben Ag

Quelle: Vgl. Schaubild 14.

Wenn auch keine Angaben über den Anteil der Spezialzellwollen an der Produktion der etablierten Unternehmen gefunden werden konnten, so kann doch diese Strategie der Produktdifferenzierung durch einen anderen Indikator gezeigt werden, nämlich den Vergleich zwischen der Durchschnittserlösentwicklung der etablierten Unternehmen auf der einen Seite und der der regionalen Zellwollewerken auf der anderen Seite. Da in Deutschland seit Herbst 1937 der Preis für die Standard-B-Zellwolle nicht mehr geändert wurde, konnte eine Erhöhung der Durchschnittserlöse nur auf die vermehrte Produktion von Spezialzellwollen zurückgeführt werden oder 311

Kapitel 4.5.2. RWWA 195 / K 14-2, Die zukünftige Versorgung Europas mit verschiedenen textilen Rohstoffen, 4.10.1941. Zu vollsynthetischen Fasern, vgl. z. B. Hayes (1987 a), S. 147. 313 Schaubild 17. Für den Einbruch 1940 konnte in den Quellen keine Erklärung gefunden werden. 312

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4. Investitionsentscheidungen in der halbsynthetischen Chemiefaserindustrie

auf höhere Preise, die beim Export erzielt werden konnten. Betrachtet man die Entwicklung der Durchschnittserlöse seit Ende der 1930er Jahre, so zeigt sich in der Tat ein deutlicher Anstieg der Durchschnittserlöse der etablierten Unternehmen, während die entsprechende Größe bei den regionalen Zellwollewerke fast unverändert blieb. Der geringfügige Anstieg der Durchschnittserlöse der letztgenannten Unternehmen seit 1940 war dabei auf die Ausfuhr zurückzuführen. Man verlangte für wohl in den deutschen Herrschaftsbereich ausgeführte Zellwolle höhere Preise als im Reichsgebiet.314 Allerdings spielte diese Art von Export für die Erlössteigerung der etablierten Zellwolleunternehmen keine maßgebliche Rolle. Denn zum einen war bei der IG Farben AG ein Ansteigen der Durchschnittserlöse bereits vor dem Krieg zu beobachten, also unter den Bedingungen „normaler“, herrschaftsfreier Exportbeziehungen. Zu diesem Zeitpunkt waren aufgrund der Überbewertung der Reichsmark die Erlöse im Ausland sogar niedriger als im Inland.315 Tabelle 28: Rohstoffkosten und Erlöse der Spinnfaser Kassel AG und der Sächsischen Zellwolle AG (Rpf pro kg Zellwolle) Spinnfaser Kassel AG

1937 1938 1939 1940 1941 1942

Erlöse 150 144 142 154 162 173

Rohstoffkosten 67,4 65,0 70,6 K.A 82,6 86,8

Sächsische Zellwolle AG

Erlöse 149 144 144 145 145 147

Rohstoffkosten 76,3 71,0 K.A. 70,1 71,5 70,1

Quelle: Vgl. Schaubild 14.

Zum anderen war mit der Erlössteigerung bei der Spinnfaser Kassel AG ein deutliches Ansteigen der durchschnittlichen Rohstoffkosten pro kg Zellwolle verbunden, denn zur Herstellung von Spezialzellwollen brauchte man mehr Rohstoffe.316 Daher können auch die im Unterschied zur Sächsischen Zellwolle AG rapide steigenden Rohstoffkosten der Spinnfaser Kassel AG während des Krieges als Beleg für die diesem Unternehmen unterstellte Strategie der Produktdifferenzierung interpretiert werden, zumal es für plötzliche, mit Kriegsausbruch eintretende Ineffizienzen in der vor dem Krieg so produktiven Spinnfaser Kassel AG überhaupt keine Hinweise gibt. 314

Vgl. z. B. BArch R 8135 / 7957, Bericht über die Spinnfaser Kassel AG 1942 / 43, S. 5. Scherner (2002), S. 434. 316 So notierte Herrmann am 9.11.1936: „Ich sagte Herrn Kehrl, dass wir in der Lage wären, höhere Naßfestigkeiten zu erzielen, aber nur auf Kosten eines höheren Rohstoffaufwands.“ RWWA 195 / , B 6-0-5, Aktennotiz Herrmann vom 9.11.1936 zu einer Besprechung mit Kehrl am 6.11.1936. Vgl. auch BArch R 8135 / 2704, Bericht über die Spinnfaser Kassel AG 1939, S. 8. Außerdem begann man nachweislich seit 1939 in Kassel mit der Produktion derartiger Typen. BArch R 8135 / 2704, Bericht über die Spinnfaser Kassel AG 1939, S. 8. 315

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4.7. Zwischenergebnisse

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Zuletzt stellt sich noch die Frage, warum die Aktionäre der nicht privatisierten regionalen Zellwollewerke ohne Zwang Kapital für Kapazitätserweiterungen seit Ende der 1930er Jahre bereitstellten, während die etablierten Unternehmen und dann auch die reprivatisierten regionalen Zellwollewerke ihre Kapazitäten nicht mehr ausdehnten. Warum gingen diese Aktionäre  –  fast ausschließlich Textilunternehmen  –  offensichtlich das Risiko ein, in Unternehmen zu investieren, die wahrscheinlich die Leidtragenden einer Normalisierung gewesen wären? Es gibt keine Hinweise, dass die Erwartungen hinsichtlich einer Normalisierung und der dann absetzbaren Menge im Fall der Aktionäre der nicht privatisierten regionalen Zellwollewerke auf der einen Seite und die der etablierten Unternehmen und der reprivatisierten regionalen Zellwollewerke auf der anderen Seite grundsätzlich differierten. Vielmehr dürften die Gründe auch maßgeblich gewesen sein, die bereits in der Friedenszeit relevant waren  –  erstens die Risikominderung durch den staatlichen Kredit, zweitens  –  in manchen Fällen  –  Bezugsrechte für Textilverarbeiter und drittens die geringeren Opportunitätskosten.

4.7. Zwischenergebnisse 1) Die staatlichen Planer handelten durchaus zweckrational. Erstens verzichteten sie weitgehend auf die Förderung der weniger vielseitigen Kunstseide, um die knappen staatlichen Ressourcen bei der Zellwolle zu verwenden, und zweitens versuchten sie erfolgreich, ihre Kapazitätsziele durch die Gründung der regionalen Zellwollewerke mit geringerem finanziellen Engagement zu erreichen, als die IG Farben und die VGF noch im Sommer 1934 verlangt hatten. Insofern kann für die Autarkiepolitik in dieser Branche keine Rede davon sein, dass die Erreichung der staatlichen Ziele „ohne Rücksicht auf Kosten“317 verfolgt wurde. 2) Bezüglich der von den VGF und der IG Farben AG getätigten Investitionen spielte dabei Zwang keine Rolle.318 Denn bereits die Verhandlungen zwischen der Chemiefaserindustrie und dem Staat im Jahr 1934 vermittelten das Bild normaler Vertragsverhandlungen, und zwar nicht nur aufgrund der Dauer, sondern auch der Art der Verhandlungsführung und, berücksichtigt man die jeweiligen Präferenzen der Verhandlungspartner, im Hinblick auf die realisierten Ergebnisse. Auch für einen vorauseilenden Gehorsam nach der Implementierung des Vierjahresplans finden sich keine Belege. Im Gegenteil, noch im April 1939 weigerte die IG Farben AG sich, ihre Reifenkunstseideproduktion zu erhöhen: „Ferner teilte Herr Dr. Gajewski mit, dass das RWM an die IG wegen der Erweiterung der Cordseidenfabrikation herangetreten sei. Obgleich sie in dieser Beziehung vom RWM gedrängt worden ist, habe die IG jede Erweiterung ihrer Produktion entschieden abgelehnt. Das RWM habe sich anscheinend mit der Ablehnung abgefunden, denn er habe 317

„Denkschrift zum Vierjahresplan“, abgedruckt in: Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte (1955), S. 204 – 210, hier: S. 209. 318 Vgl. z. B. RWWA 195 / D 3-1-2-5, Aktennotiz Herrmann zu einer Besprechung mit Keppler am 14.1.1935; RWWA 195 / B 6-28-146, Aktennotiz Herrmann zu einem Telefonat am 9.4.1939 mit Gajewski von der IG Farben AG.

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4. Investitionsentscheidungen in der halbsynthetischen Chemiefaserindustrie

gerade einen Brief bekommen, in dem abschließend gesagt sei, dass das RWM von der Ablehnung Kenntnis genommen habe.“319 3) Die im Herbst 1934 aufgekommene staatliche Idee, regionale Werke zu gründen, war in erster Linie strategischer Natur, um die etablierten Unternehmen zu, in den Augen des Staates, günstigeren Konditionen zur Mitarbeit am nationalen Faserstoffprogramm zu bewegen. Auch im Fall der regionalen Zellwollewerke, im Unterschied zur Pflichtgemeinschaft der Braunkohleindustrie, wurde kein gesetzlicher Zwang, sondern nur in manchen Fällen von staatlichen und Parteiinstanzen Druck auf Unternehmen ausgeübt, Kapital zu zeichnen. Es gab aber nachweislich, jedenfalls für große Unternehmen, durchaus die Möglichkeit, dem Druck standzuhalten. Außerdem wünschten manche verarbeitende Unternehmen ohnehin aufgrund langfristiger positiver Einschätzung der Zellwolle ein Engagement in diesem Sektor, weswegen bei ihnen kein Druck notwendig war. 4) Die auf Autarkie ausgerichtete NS-Wirtschaftspolitik kann nur für einen Teil des dramatisch starken Kapazitätszuwachses im Chemiefasersektor verantwortlich gemacht werden. Die angeführten kontrafaktischen Überlegungen, gestützt auf vergleichbare internationale Entwicklungen und zeitgenössische Prognosen für den „Normalzustand“, weisen jedenfalls deutlich darauf hin, dass auch ohne die NSWirtschaftspolitik die Kapazitäten im Chemiefasersektor erheblich, wenn auch in geringerem Maß, ausgedehnt worden wären. Insbesondere erscheint es plausibel, dass die Kapazitäten unter Normalbedingungen quantitativ nicht viel geringer als diejenigen gewesen wären, die von den etablierten Unternehmen in der Friedenszeit des NS-Regimes geschaffen wurden. Es wird somit verständlich, warum im Chemiefasersektor  –  im Unterschied zu anderen Autarkiebranchen wie der synthetischen Treibstoffindustrie  –  die etablierten Produzenten auch ohne eine ins Gewicht fallende rechtlich verbindliche staatliche Hilfestellung ihre Kapazitäten ausdehnten, und zwar bis Ende der 1930er Jahre auch dann noch, als bereits die regionalen Werke gegründet worden waren. Die gleiche Schlussfolgerung zog der VGFVorstand Herrmann am Ende eines Vortrages in Kiel 1936, nachdem er zuvor ausführlich über die Zukunftsaussichten und die preisliche Wettbewerbsfähigkeit der Zellwolle gegenüber natürlichen Textilrohstoffen gesprochen hatte: „Die Verhältnisse liegen in dieser Beziehung also bei der Zellwolle zweifellos viel günstiger als bei anderen Erzeugnissen (…) z. B. bei Treibstoffen und künstlichem Kautschuk.“320 Unter der Maßgabe, dass man auch unter normalen Bedingungen einen sich ausdehnenden Markt erwartete, war somit das Verhalten, trotz der starken Risiokoaversion der Unternehmen dieser Zeit infolge der Erfahrungen der Weltwirtschaftskrise, rational. 5) Es wurde deutlich, dass in der gesamten Untersuchungsperiode eine Investition in die regionalen Zellwollewerke aufgrund ihrer Imitationsprobleme riskanter war als die Kapazitätserweiterung der etablierten Unternehmen. Für das größere Risiko wurden die Aktionäre der regionalen Werke aber durch den stärkeren Risi319

RWWA 195 / B 6-28-146; Aktennotiz Herrmann zu einem Telefonat am 9.4.1939 mit Gajewski von der IG Farben AG. 320 RWWA 195 / K 14-1, Vortrag Herrmann vom 18.12.1936, S. 35.

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4.7. Zwischenergebnisse

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koausgleich in Form von Bezugsrechten und staatlich verbürgten Krediten kompensiert. Hinzu kommt, dass die Opportunitätskosten einer Zeichnung des Kapitals der regionalen Werke für die Aktionäre, sofern sie aus der Textilindustrie stammten, gering waren. 6) Im Unterschied zu dem Buna-II-Projekt konnte die IG bei den Vertragsverhandlungen hinsichtlich der Ausdehnung der Zellwolleproduktion ihren Wunsch nach einem Verzicht des Reiches auf umfassende Kontrollrechte nicht durchsetzen. Das deutet daraufhin, dass der staatliche Verzicht auf ein entsprechendes Recht im Hülsvertrag nicht auf die Größe der IG Farben, sondern auf ihre Monopolposition zurückzuführen war. 7) Vergleichbar zu der Feststellung bei den Verhandlungen zum Bunawerk Fürstenberg zeigt sich, dass der Staat auch in der Zellwolleindustrie keine Kapitalbeteiligung wünschte. Das gilt unabhängig davon, dass bei den regionalen Zellwollewerken das staatlich bereitgestellte Fremdkapital von der Haftung her betrachtet wie Eigenkapital behandelt wurde.

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5. Investitionsentscheidungen bei der Gewinnung von Nichteisenmetallen 5.1 Wirtschaftliche Entwicklung und staatliche Förderung Von zentraler Bedeutung in den Augen der staatlichen Wirtschaftsplaner war die Ausdehnung der Nichteisenmetallproduktion. Dabei spielten, quantitativ betrachtet, insbesondere Aluminium, Blei, Zink und Kupfer eine herausragende Rolle, auch wenn andere Nichteisenmetalle, wie Magnesium und Zinn ebenfalls wichtig für die Rüstungsindustrie waren. Deutschland zählte bereits vor der Weltwirtschaftskrise zu den weltweit größten Verbrauchern von Kupfer, Blei, Zink und Aluminium, und wurde z. B. bei Kupfer nur von den USA überflügelt. Diese Nichteisenmetalle standen zum Teil in vielfältiger Beziehung zueinander. So galten in den 1930er Jahren, und zwar nicht nur unter den Bedingungen der Autarkie, Aluminium und Kupfer als Substitute in der Elektroindustrie. Diese Branche allein hatte einen Anteil von 50 Prozent am deutschen Kupferverbrauch. In der deutschen Erzgewinnung trat Blei i.d.R. zusammen mit Zink auf. Beide Metalle waren von großer Bedeutung in der Automobilindustrie. Weitere wichtige Abnehmer von Blei waren die Bau- und Elektroindustrie. Aluminium wurde zunehmend nachgefragt für die Herstellung von Folien für Nahrungs- und Genussmittel. Bei Blei, Kupfer und Aluminium war an eine, auf die Rohstoffbasis bezogen, vollkommene Autarkie nicht zu denken, unterstellt man einen Verbrauch wenigstens in der Höhe wie unmittelbar vor der Weltwirtschaftskrise. So betrug 1929 der Anteil des aus deutschen Erzen gewonnenen Kupfers gerade 12,2 Prozent des deutschen Kupferverbrauchs.10 Bauxitvorkommen für die Aluminiumherstellung gab es 

Vgl. z. B. Petzina (1968), S. 81f, 87f; Schneider (1999), S. 5. Vgl. z. B. Bagel-Bohlan (1975), S. 61; F. Petrick, Der „Leichtmetallausbau Norwegen“ 1940 – 1945. Eine Studie zur deutschen Expansions- und Okkupationspolitik in Nordeuropa, Frankfurt a. M. 1992, S. 56.  Schatz (1936), S. 4.  BAL 800 / 39-82, Abschrift eines Rundschreibens vom 24.5.1930 an die Mitglieder der Aluminium Association; BArch R 8119 F / P 1499, Bericht des Vorstands der VAW 1930, Bl. 25; Hansen (1931), S. 25; Schatz (1936), S. 13 f. Allerdings stellte sich heraus, dass es als Ersatz in Leitungen kein gutes Substitut war. Vgl. F.L. Neher, Kupfer, Zinn Aluminium, Leipzig 1939, S. 120  Radandt (1958), S. 6  J. Stoye, Die geschlossene deutsche Volkswirtschaft. Geopolitik-Autorkie-Vierjahresplan, Leipzig 1937, S. 73; Berg / Friedensburg (1950), S. 1.  Berg / Friedensburg (1950), S. 41.  Ebd., S. 67.  Hansen (1931), S. 25. 10 Schatz (1936), S. 15, 23. 

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5.1 Wirtschaftliche Entwicklung und staatliche Förderung

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in Deutschland lediglich in geringem Umfang.11 Zudem galt die Verwendung des deutschen Bauxits aufgrund des hohen Anteils an Kieselsäure als unwirtschaftlich.12 Auch bei Blei und Zink überschritt vor der Weltwirtschaftskrise der deutsche Verbrauch an verhüttetem Metall bei weitem den Metallinhalt der in Deutschland gewonnenen jeweiligen Erze.13 Allerdings lag, angesichts großer Zinkerzvorkommen in Deutschland, eine Deckung des Zinkverbrauchs durch heimische Rohstoffe durchaus im Bereich des Möglichen. Eigentumsverhältnisse und Marktanteile der in die Produktion involvierten Unternehmen unterschieden sich zum Teil deutlich bei den vier betrachteten Metallen. Die Produktionsmengen der deutschen Aluminiumhersteller, der VIAG-Tochter Vereinigte Aluminiumwerke (VAW) und des Gemeinschaftsunternehmens der IG Farben AG und der Metallgesellschaft in Bitterfeld, waren vor 1933 durch das internationale Aluminiumkartell festgelegt. Nicht zur deutschen Gruppe zählte nach dieser Vereinbarung die deutsche Tochter des Schweizer Produzenten AIAG.14 Der mit Abstand größte Hersteller in Deutschland waren die staatlichen VAW.15 Bei der Kupfer-, Blei- und Zinkgewinnung hingegen überwogen privatwirtschaftliche Unternehmen. Bei diesen Metallen muss grundsätzlich zwischen der Erzgewinnung und der Ver­hüttung sowie der Veredelung bzw. Raffination unterschieden werden. Während es eine Reihe von Kupferhütten gab, stammten, gemessen am Kupferinhalt, annährend 90 Prozent der deutschen Kupfererzgewinnung aus dem Mansfelder Gebiet.16 Die Mansfelder Kupfererze wurden vor Ort verhüttet. Die meisten anderen Hütten hatten keine eigene Erzbasis und verarbeiteten daher fast ausschließlich importierte Rohstoffe. Aus diesem Grund lagen sie überwiegend an schiffbaren Flüssen oder am Meer.17 Ebenso wie bei der Kupfergewinnung gab es auch bei der Blei- und Zinkgewinnung Unternehmen, die eigene Erze verhütteten, und solche, die fremde Erze verarbeiteten. Insgesamt entsprach die Struktur der deutschen Kupfer- und Bleiindustrie der in Europa.18 In den meisten Ländern überstieg die Hüttenkapazität die Erzproduktion nach dem Metallinhalt. Ungewöhnlich war allerdings der Umstand, dass bei Zink die Hüttenkapazitäten in Deutschland geringer als die geförderten Erze (Zink­ inhalt) waren.19 Eigentlich wäre eher das Gegenteil zu erwarten gewesen. Denn aufgrund der im Vergleich zur Gewinnung von Hüttenkupfer und -blei wesentlich 11 Unter

Bauxit versteht man eine Tonerde, die besonders aluminiumhaltig ist. Vgl. Boehmer (1943), S. 50 f. 12 Neher (1939), S. 320, 325, 358. Vgl auch Ulrich (1937), S. 103. 13 Schaubild 20; Schaubild 21; B. Stier / J. Laufer / S. Wiborg, Von der Preussag AG zur TUI. Wege und Wandlungen eines Unternehmens 1923  –  2003, Essen 2005, S. 86 ff. 14 Plumpe (1990), S. 413. 15 E. Rauch, Geschichte der Hüttenaluminiumindustrie in der westlichen Welt, Düsseldorf 1962, S. 123. 16 Schatz (1936), S. 16. Ansonsten gab es nur sehr kleine Produzenten, bei denen Kupfer i.d.R. nur ein Nebenprodukt war. Ebd., S. 16 f. 17 BArch R 3101 / 30816, Bl. 4. 18 Vgl. z. B. A. Rübmann, Entwicklung und gegenwärtige Lage der Stolberger Zinkindustrie, Diss., Köln 1925, S. 10f; vgl. auch für Blei, Berg / Friedensburg (1950), S. 43, 53. 19 Schaubild 20.

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5. Investitionsentscheidungen bei der Gewinnung von Nichteisenmetallen

komplexeren chemischen Verfahren bei der Zinkverhüttung hatten hochentwickelte Länder bei dieser Produktion einen absoluten und komparativen Vorteil gegenüber Entwicklungsländern. Nur erfahrene und gut ausgebildete Arbeiter waren in der Lage, die komplizierte Zinkgewinnung durchzuführen.20 Demzufolge wurde in Entwicklungsländern zwar ein großer Teil der Zinkerze gefördert, aber nicht verhüttet. Zugleich gab es umfangreiche, expandierende Hüttenkapazitäten in hochentwickelten Ländern, die überhaupt oder fast keine eigenen Erze förderten, wie das z. B. bei dem größten europäischen Zinkproduzenten Belgien der Fall war.21 Die Abweichung Deutschlands von dem internationalen Trend lässt sich durch den Umstand erklären, dass ein Großteil der deutschen Zinkhütten bis zum Ende des Ersten Weltkriegs in dem Teil Oberschlesiens lagen, der dann an Polen abgetreten werden musste.22 Die Kupfer-, Blei- und Zinkproduktion war in den 1920er Jahren weltweit durch die Implementierung neuer Techniken sowohl in der Gewinnung als auch in der Aufbereitung von Metallen gekennzeichnet.23 Eine zentrale Rolle spielte insbesondere die selektive Flotation.24 Bei dem Flotationsverfahren, auch Schwimmaufbereitung genannt, wurden die Erze zunächst vermahlen und die unterschiedlichen Oberflächeneigenschaften der Minerale genutzt, um sie zu trennen.25 Diesem Verfahren kam insbesondere dann eine große Bedeutung zu, wenn unterschiedliche Metalle stark verwachsen waren, wie das oft bei den deutschen Erzen der Fall war.26 Dadurch konnten selbst bisher unrentable Lagerstätten wirtschaftlich ausgebeutet werden.27 Aufgrund dieses Verfahrens sanken z. B. in den USA bei der Utah Copper Co, die Ende der 1920er Jahre 15,5 Prozent der Weltkupfererze, gemessen am Metallinhalt, förderte und damit zu den größten Anbietern weltweit zählte, die Aufbereitungskosten, die Anfang der 1920er Jahre noch das Doppelte der reinen Bergbaukosten ausgemacht hatten, um mehr als 50 Prozent zwischen 1923 und 1929.28 In manchen Extremfällen kam es bei amerikanischen Kupferproduzenten sogar zu einer Verringerung der Aufbereitungskosten in den 1920er Jahren um 90 Prozent.29 Auch in der Blei- und Zinkgewinnung waren die Einführung des Flotationsverfahrens und die Verbesserung der Fördertechnik wichtige Fortschritte in den 1920er Jahre.30 20 Rübmann

(1925), S. 8. Vgl. z. B. Statistisches Jahrbuch für das Deutsche Reich 1935, S. 60*, 72*; von Klaas (1957), S. 112f; Berg / Friedensburg (1950), S. 67. 22 Stier / Laufer / Wiborg (2005), S. 21. 23 Berg / Friedensburg (1950), S. 41 u. 53; vgl. auch BArch R 3101 / 30816, Bl. 4. 24 Berg / Friedensburg (1950), S. 11 – 13. Zur Kupfergewinnung, insbesondere zum Einsatz des Flotationsverfahrens, vgl. Neher (1939), S. 101 ff. 25 C. Bartels, Das Erzbergwerk Rammelsberg, Goslar 1988, S. 42. 26 Vgl. auch F. Friedensburg / R. Krengel, Die wirtschaftliche Bedeutung des Metallbergbaus und Metallhüttenwesens in der Bundesrepublik Deutschland, Berlin 1962, S. 55. 27 Berg / Friedensburg (1950), S. 13. 28 BArch R 3101 / 30834, Bl. 81 ff. 29 BArch R 3101 / 30816, Bl. 8. 30 Stier / Laufer / Wiborg (2005), S. 60. 21

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5.1 Wirtschaftliche Entwicklung und staatliche Förderung

Im deutschen Metallerzbergbau hielt das Flotationsverfahren ebenfalls Einzug. So wurde es bei einem der größten Blei- und Zinkproduzenten Deutschlands, der Stolberger Zink Aktiengesellschaft für Bergbau und Hüttenbetrieb, in der zweiten Hälfte der 1920er Jahre eingeführt, um den seit dem Ersten Weltkrieg entstandenen Modernisierungsvorsprung US-amerikanischer Unternehmen aufzuholen.31 Mit der gleichen Absicht legte das Unternehmen veraltete Hütten still und ersetzte alte durch neue Röstöfen. Auch andere deutsche Zinkhütten wurden modernisiert.32 Bei der 1926 fertiggestellten Deutsch-Bleischarley-Grube der Bergwerksgesellschaft Georg von Giesche’s Erben, an der zu 50 Prozent die US-amerikanische Anaconda Harriman Gruppe, einer der weltweit größten Erzproduzenten, beteiligt war, wurde seit Ende der 1920er Jahren zur Erzaufbereitung ausschließlich das neuartige Flotationsverfahren eingesetzt.33 Insgesamt kam es in den Jahren nach der Inflation zu erheblichen Investitionen im deutschen Zink- und Bleierzbergbau.34 Die Bedeutung anderer Rationalisierungen neben der Einführung des Flotationsverfahrens war ebenfalls nicht gering zu schätzen. Dies zeigt die Entwicklung des im Jahr 1932 in Bezug zum Metallinhalt der geförderten Erze größten deutschen Bleiproduzenten Gewerkschaft Mechernicher Werke.35 Die Arbeitsproduktivität in diesem Unternehmen, gemessen an der Bleigewinnung pro Arbeiter, stieg in der zweiten Hälfte der 1920er Jahre stark an, obwohl der Bleigehalt der Erze in diesem Zeitraum sogar rückläufig war. Tabelle 29: Die Entwicklung der Arbeitsproduktivität bei der Gewerkschaft Mechernicher Werke 1925 – 1930 1925

1926 1927 1928

1929 1930

Bleiinhalt (kg pro to Haufwerk) 17,0

16,1 15,3

Bleigewinnung pro Haufwerkförderung Haufwerkförderung Arbeiter (kg) pro Arbeiter (to) (1000 to) 68

39

373

78

51

462

72

44

14,2

80

56

14,5

106

73

13,9

80

57

428 484 555 672

Quelle: BArch R 2 / 15396, Geschäftsbericht der Gewerkschaft Mechernicher Werke 1933, Bl. 13.

Ein ähnliches Bild hinsichtlich der Arbeitsproduktivität bei der Erzförderung zeigt sich bei der staatlichen Unterharzer Berg- und Hüttenwerke GmbH, die 1932, gemessen am Metallinhalt, der zweitgrößte deutsche Zinkerz- und der drittgrößte

31

von Klaas (1957), S. 93 – 95. Den oben angeführten Namen erhielt das Unternehmen erst im Jahr 1938. Vgl. ebd. S. 102. 32 Ulrich (1937), S. 18, 54. 33 Ebd., S. 48. 34 Ebd., S. 33. 35 BArch R 3101 / 30834, Bl. 72 ff.

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5. Investitionsentscheidungen bei der Gewinnung von Nichteisenmetallen

deutsche Bleiproduzent war.36 Auch hier wurden erhebliche Rationalisierungsmaßnahmen durchgeführt.37 Tabelle 30: Die Entwicklung der Arbeitsproduktivität und der Selbstkosten bei der Unterharzer Berg- und Hüttenwerke GmbH 1924 – 1930 Selbstkosten (RM) pro Tonne Erz 1924

15,23

1926

k.A.

1925

1927

1928

1929

1930

k.A.

k.A.

k.A.

k.A.

13,65

Erzförderung in Tonnen pro Jahr und Arbeiter

Erzförderung (to)

180

77.185

184

61.641

216

100.423

214

103.359

213

103.828

208

103.364

250

121.326

Quelle: Für die Selbstkosten, vgl. Bartels (1988), S. 43,46; für die Erzförderung pro Arbeiter und die Erzförderung, vgl. ebd., S. 124.

Andere wichtige deutsche Produzenten nahmen ebenfalls wesentliche Modernisierungen in der zweiten Hälfte der 1920er Jahre vor. So konnte die Duisburger Kupferhütte bei der 1926 aufgenommenen Zinkoxydproduktion ihre Selbstkosten durch Implementierung von Verfahrensverbesserungen Ende der 1920er Jahre erheblich senken.38 Tabelle 31: Die Selbstkostenentwicklung der Zinkoxydproduktion der DKAG 1927 – 1931 1927 1928 1929

1930 1931

Selbstkosten (RM pro 1000 kg Zink) 481,50 346,00 318,20 230,20 204,20

Quelle: BAL 9 / L.4.1, Die Lage der Duisburger Kupferhütte zu Beginn des Jahres 1935, S. 12. 36 Ebd., Bl. 26 ff. Die Unterharzer Berg- und Hüttenwerke GmbH war 1924 gegründet worden. 4 / 7

des Aktienkapitals befanden sich in den Händen der 1923 gegründeten, sich im Besitz des Preußischen Staates befindenden Preußische Bergwerks- und Hütten-AG (Preussag). Den Rest besaß die ein Jahr später gegründete, dem Land Braunschweig gehörende Braunschweig GmbH. In der Unterharzer Berg- und Hüttenwerke GmbH wurden die Unterharzer Berg- und Hüttenwerke, die vorher beiden deutschen Ländern gehörten, zusammengefasst, nachdem man sich entschieden hatte, sie nicht mehr nach fiskalischen, sondern nach privatwirtschaftlichen Grundsätzen zu führen. Vgl. Bartels (1988), S. 37. Dazu, und insbesondere zur Vorgeschichte und den Motiven der Überführung des Bergwerksund Hüttenbesitzes des preußischen Staates in die Preussag, vgl. Stier / Laufer / Wiborg (2005). 37 Bartels (1988), S. 43; Stier / Laufer / Wiborg (2005). 38 BAL 9 / L.4.1, Die Lage der Duisburger Kupferhütte zu Beginn des Jahres 1935, S. 12.

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5.1 Wirtschaftliche Entwicklung und staatliche Förderung

Der weltweit zu beobachtende technische Fortschritt wiederum war ein Grund dafür, dass die Kupfer-, Blei- und Zinkpreise bereits vor der Weltwirtschaftskrise, also bei tendenziell steigender Nachfrage, sanken.39 Dieser fortschrittsinduzierte Preisverfall vor der Weltwirtschaftskrise war i.d.R. kein Problem für die größten deutschen Produzenten, da es sich im allgemeinen um moderne Betriebe handelte wie der Stolberger Zink Aktiengesellschaft für Bergbau und Hüttenbetrieb.40 Allerdings zog der Preisverfall in der zweiten Hälfte der 1920er Jahre dennoch eine Reinigung und Umstrukturierung in der deutschen Kupfer-, Blei- und Zinkindustrie nach sich. Kleinere Unternehmen schieden aus dem Markt aus, so dass sich z. B. die Zahl der Hütten deutlich verringerte, wie auch das Beispiel der Kupferhütten zeigt, während die modernen Betriebe expandierten.41 Tabelle 32: Die Rationalisierung der deutschen Kupferhütten 1923 – 1927 Anzahl der Hütten

Beschäftigte

Hüttenkupferproduktion in 1000 to

1923

25

12752

26,2

1925

17

10385

39,1

1924

1926 1927

22 12 8

13132 10382 9504

34,6 46,2

50,6

Hüttenkupferproduktion in to pro Beschäftigte 2,054

2,634 3,765 4,450 5,324

Quelle: Ulrich (1937), S. 42 f.

Insgesamt stieg in Deutschland bei Kupfer, Blei und Zink in der zweiten Hälfte der 1920er Jahre sowohl die Erzförderung als auch die  – verhüttung sowie zusätzlich bei Kupfer die Raffination, also die Veredlung des Rohmetalls zu Kupfer mit besonders hohem Reinheitsgrad, stark an.42 Wie im zweiten Kapitel erwähnt, war die Gewinnung von Kupfer-, Zink- und Bleierzen bereits seit Beginn der 1930er Jahre direkt subventioniert worden, weil die meisten deutschen Produzenten infolge des Preissturzes durch die Weltwirtschaftskrise und die Abwertung anderer Länder in erhebliche wirtschaftliche Schwierigkeiten geraten waren.43 Während aber im Allgemeinen die damalige staatliche Unterstützung nur der Aufrechterhaltung bestehender Förderkapazitäten diente, rückte mit der Machtergreifung des NS-Regimes die Ausdehnung der Kapazitäten, und zwar nicht nur der Erzgewinnung, sondern auch der Verhüttung und Veredelung in den Vordergrund. 1933 kam es zunächst nur zu Einzelmaßnahmen, wie z. B. der Vergabe eines Kredits von 15 Mio. RM durch die Gesellschaft für öffentliche Arbeiten (Öffa) an die Bergwerksgesellschaft Georg von Giesche’s Erben 39 Für

Kupfer vgl. Berg / Friedensburg (1941), S. 59ff, für Blei und Zink vgl. Berg / Friedensburg (1950), S. 41, S. 53. 40 BArch R 8119 F / P 1485, Bl. 55. 41 Tabelle 32. 42 Zur Veredelung, vgl. Ulrich (1937), S. 75. 43 von Klaas (1957), S. 98.

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5. Investitionsentscheidungen bei der Gewinnung von Nichteisenmetallen

zur Errichtung einer Zinkhütte in Magdeburg.44 Erst angesichts des sich verschärfenden Devisenmangels im Frühjahr 1934 wurde die Subventionierung der Blei-, Zink- und Kupferindustrie auf eine systematische Grundlage gestellt. Zu diesem Zweck wurde 1934 das ebenfalls im zweiten Kapitel dargestellte Förderprämienverfahren eingeführt. Daneben unterstützte der Staat mithilfe des eigens geschaffenen Lagerstättengesetzes vom 4.12.1934, das zudem, wie erwähnt, bei der Erdölförderung zum Einsatz kam, den Aufschluss neuer Erzlagerstätten.45 Bereits im Frühjahr 1934 waren auch verschiedene Normen zur Metallbewirtschaftung in Kraft gesetzt worden.46 Es kam zu Verwendungsvorschriften und  – verboten bei Kupfer.47 So wurde der Freileitungsbau aus diesem Metall verboten.48 Ausgenommen von den Verwendungsverboten waren allerdings Erzeugnisse, die für den Export bestimmt waren.49 Ende 1934 verfügte das Reich eine Senkung des Aluminiumpreises, um einen Anreiz zur Substitution von Kupfer durch das Leichtmetall zu schaffen.50 Die Einfuhr besonders hochwertigen Kupfers, des sogenannten Elektrolytkupfers, also Kupfer mit dem höchsten Reinheitsgrad, wurde zeitweise ganz untersagt.51 Offensichtlich führten diese Maßnahmen zu den von den Machthabern angestrebten Zielen. In der Tat wurde nämlich während des Dritten Reichs, gemessen an der Situation vor der Weltwirtschaftskrise, im Allgemeinen sowohl die Erzförderung als auch die Verhüttung dieser Nichteisenmetalle zum Teil massiv ausgedehnt, wie den folgenden Schaubildern zu entnehmen ist.

44

BArch R 8135 / 7144, Bericht über die Bergwerksgesellschaft Georg von Giesche’s Erben, Breslau betreffend Sonderfragen der Hütte Magdeburg (Rechnungsjahre bis 31.12.1941), S. 9, 79. Auch die Hüttenproduktion der Gewerkschaft Mechernicher Werke wurde 1933 subventioniert. Vgl. BArch R 2 / 15396, Geschäftsbericht der Gewerkschaft Mechernicher Werke 1933, Bl. 8. 45 Schatz (1936), S. 2. 46 Ebd., S. 104. 47 Ulrich (1937), S. 85 – 87. 48 Ebd., S. 111. 49 Ebd., S. 87 f. 50 BArch R 8119 F / P 1501, Geschäftsbericht der VAW 1934, Bl. 43; Schatz (1936), S. 138. Bereits im Ersten Weltkrieg hatte man versucht, Kupfer durch Aluminium zu ersetzten. Vgl. dazu Roth (1997), S. 195. 51 Ulrich (1937), S. 75. Zu Elektrolytkupfer, vgl. Berg / Friedensburg (1941), S. 55.

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5.1 Wirtschaftliche Entwicklung und staatliche Förderung

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Schaubild 19: Verbrauch und Produktion von Blei im Deutschen Reich 1924-1944 300

250

1000 to

200

150

100

50

0

1924 1925 1926 1927 1928 1929 1930 1931 1932 1933 1934 1935 1936 1937 1938 1939 1940 1941 1942 1943 1944 Jahr

Hüttenbleiproduktion im Deutschen Reich Bleiverbrauch im Deutschen Reich

Bleierzförderung (Bleiinhalt) im Deutschen Reich

Quelle: Für die Erzförderung (Bleiinhalt), Ulrich (1937), S. 30 (1924 – 1931); Statistisches Jahrbuch für das Deutsche Reich 1938, S.66* (1932 – 1937); Statistisches Handbuch von Deutschland 1928 – 1944, München 1949, S. 281 (1938 – 1944), für die Hüttenproduktion; Ulrich (1937), S. 54 (1924 – 1932); Statistisches Handbuch, S. 293 f. (1934, 1936 – 1944), Statistisches Jahrbuch für das Deutsche Reich 1938, S. 78* (1933, 1936), für den Bleiverbrauch, Ulrich (1937), S. 54 (1924 – 1933); Statistisches Handbuch, S. 293 f. (1934, 1936 – 1944). Die Angaben beziehen sich auf das jeweilige Reichsgebiet.

Schaubild 20: Zinkproduktion und -verbrauch im Deutschen Reich 1924-1944 400 350 300

1000 to

250 200 150 100 50 0

1924 1925 1926 1927 1928 1929 1930 1931 1932 1933 1934 1935 1936 1937 1938 1939 1940 1941 1942 1943 1944 Jahr

Hüttenzinkproduktion im Deutschen Reich Zinkverbrauch im Deutschen Reich

Zinkerzförderung (Zinkinhalt) im Deutschen Reich

Quelle: Für die Erzförderung (Zinkinhalt), Ulrich (1937), S. 30 (1924 – 1931); Statistisches Jahrbuch für das Deutsche Reich 1938, S.67* (1932 – 1937); Statistisches Handbuch von Deutschland

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5. Investitionsentscheidungen bei der Gewinnung von Nichteisenmetallen

1928 – 1944, München 1949, S. 281 (1938 – 1944), für die Hüttenproduktion; Ulrich (1937), S. 49 (1924 – 1932); Statistisches Handbuch, S. 293 f. (1934, 1936 – 1944), Statistisches Jahrbuch für das Deutsche Reich 1938, S. 78* (1933, 1936), für den Verbrauch, Ulrich (1937), S. 49 (1924 – 1933); Statistisches Handbuch, S. 293 f. (1934, 1936 – 1944). Die Angaben beziehen sich auf das jeweilige Reichsgebiet.

Schaubild 21: Kupferproduktion und -verbrauch im Deutschen Reich 1924-1944 400

350

300

1000 to

250

200

150

100

50

0

1924 1925 1926 1927 1928 1929 1930 1931 1932 1933 1934 1935 1936 1937 1938 1939 1940 1941 1942 1943 1944 Jahr

Hüttenkupferproduktion im Deutschen Reich Kupferverbrauch im Deutschen Reich

Kupfererzförderung (Kupferinhalt) im Deutschen Reich

Quelle: Für die Erzförderung (Kupferinhalt), Ulrich (1937), S. 29 (1924 – 1931); Statistisches Jahrbuch für das Deutsche Reich 1938, S. 65 * (1932 – 1937); Statistisches Handbuch von Deutschland 1928 – 1944, München 1949, S. 281 (1938 – 1944), für die Hüttenproduktion; Ulrich (1937), S. 42 (1924 – 1933); Statistisches Handbuch, S. 293 f. (1934, 1936 – 1944), für den Verbrauch, Ulrich (1937), S. 42 (1924 – 1933); Statistisches Handbuch, S. 293 f. (1934, 1936 – 1944). Die Angaben beziehen sich auf das jeweilige Reichsgebiet.

Gemessen am Metallinhalt stieg während der Friedenszeit bei allen drei Metallen die Hüttenproduktion überproportional gegenüber der Erzgewinnung an. Das lag zum einen daran, dass deutsche Bodenschätze, wie erwähnt, nur begrenzt zur Verfügung standen, so dass lediglich bei Zink eine Selbstversorgung an Erzen erreicht werden konnte. Zum anderen war es, unter der staatlichen Zielsetzung der Minimierung des Devisenaufwands, billiger, unverhüttete Erze anstelle von Roh- oder gar veredelten Metallen zu importieren. Auch zeigt sich bei der Kupferproduktion, dass sich der bereits in den 1920er Jahren klar erkennbare Trend, die Produktion des sogenannten „gefeinten“, also veredelten Kupfers stärker als die des in der Verarbeitungsstufe davor gewonnenen Rohkupfers auszudehnen, fortsetzte.52 52 Schaubild

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5.1 Wirtschaftliche Entwicklung und staatliche Förderung

Schaubild 22: Verhüttung und Raffination von Kupfer im Deutschen Reich 1925-1938 300

250

1000 to

200

150

100

50

0

1925

1926

1927

1928

1929

1930

1931

1932

1933

1934

1935

1936

1937

1938

Jahr

hüttenkupferproduktion im deutschen reich

elektrolytkupfer

raffinadkupfer

Gefeintes kupfer

Quelle: für die Hüttenproduktion; Ulrich (1937), S. 42 (1924 – 1933); S. 119 (1935), Statistisches Handbuch, S. 293 f. (1934, 1936 – 1944), für gefeintes Kupfer und seine Aufteilung in Raffinad- sowie Elektrolytkupfer, Statistisches Jahrbuch für das Deutsche Reich 1930, S. 110, Statistisches Jahrbuch für das Deutsche Reich 1935, S. 134 (1929 – 1932), Statistisches Jahrbuch für das Deutsche Reich 1941 / 42, S. 199.

Überproportional stark stieg dabei ebenso wie bereits in den 1920er Jahren die Herstellung des besonders hochwertigen Elektrolytkupfers an, dessen Import, wie erwähnt, zeitweise verboten war. Elektrolytkupfer war seit den 1920er Jahren infolge der Expansion der Elektroindustrie von zunehmender Bedeutung, da es infolge seines hohen Reinheitsgrades nicht durch Raffinad- oder gar Hüttenkupfer ersetzt werden konnte.53 Allerdings blieb man auch bei gefeintem Kupfer (also Elektrolyt- und Raffinadkupfer) im Normalfall auf Nettoimporte angewiesen.54 Auch bei der Zinkverhüttung stieg Zink mit dem höchsten Reinheitsgrad, auch Feinzink genannt, überproportional stark an.55 Die Aluminium- und die ihr vorgelagerte Tonerdeproduktion wurden ebenfalls deutlich ausgedehnt.56 Nach einem Rückgang der Produktion von ca. 33.000 jato im Jahr 1929 auf 18.000 jato vier Jahre später stieg der Aluminiumoutput auf 199.500 jato im Jahr 1939 an, um dann im Krieg den Höchststand von 250.100 jato im Jahr 1943 zu erreichen.57 Das internationale Aluminiumkartell hatte Anfang 53

Berg / Friedensburg (1941), S. 25ff, 55; Ulrich (1937), S. 4. Handbuch von Deutschland 1928 – 1944, München 1949, S. 293. 55 Ulrich (1937), S. 115 f. 56 Zu den verschiedenen staatlichen Ausbauplänen, vgl. Plumpe (1990), S. 411 ff. 57 Für die deutsche Aluminiumproduktion, vgl. Statistisches Handbuch von Deutschland, München 1949, Statistisches Jahrbuch für das Deutsche Reich, verschiedene Jahrgänge. 54 Statistisches

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5. Investitionsentscheidungen bei der Gewinnung von Nichteisenmetallen

1935 die Fabrikationsbeschränkungen für Deutschland aufgehoben.58 Das gesamte Investitionsvolumen während des Dritten Reichs entsprach ca. 650 Mio. RM.59 Entsprechend einer Quotenregelung unter den deutschen Aluminiumherstellern vom Januar 1937 sollte der Anteil der VAW und des Gemeinschaftsunternehmens der IG Farben AG und der Metallgesellschaft in Bitterfeld zusammen 86 Prozent und der der AIAG 14 Prozent der deutschen Produktion betragen.60 In Verbindung mit der Kapazitätsabsprache zwischen der IG und der VAW führte das dazu, dass der überwiegende, allerdings in etwa gleich bleibende Anteil der damit verbundenen tatsächlichen und der von den Behörden für die Jahre nach 1943 geplanten Kapazitätsschaffung auf die staatliche VAW entfiel (ca. 70 Prozent).61 Gegenüber dem Jahr 1932, in dem der Anteil der VAW an der deutschen Aluminiumkapazität noch 79 Prozent betrug, ging er allerdings deutlich zurück. Gewinner war die AIAG, die schon längere Zeit den  –  jedoch im kartellierten Markt verhinderten  –  Wunsch gehabt hatte, ihre Kapazitäten in Deutschland zu erhöhen.62 Diese Entwicklung und diese Planungen widerlegen somit die Hypothese, dass die VAW im Verlauf des Dritten Reichs eine Quasi-Monopolstellung errungen habe und somit die Aluminiumindustrie ein Beispiel für den Aufstieg von Reichsunternehmen sei.63

58 Rauch

(1962), S. 222. Berechnung auf Grundlage der Angaben von Schneider (1999) zu den Investitionen der VAW, S. 10f, und auf Basis der gesamten Kapazitätsausdehnung der deutschen Aluminium- und Tonerdeindustrie. 60 BArch R 2 / 17624, Verständigung über Erzeugung, Erwerb und Absatz von Aluminium vom 12.1.1937, Bl. 2. Vgl. auch M. Pohl / A. Schneider, VIAG Aktiengesellschaft 1923 – 1988. Vom Staatsunternehmen zum internationalen Konzern, München 1998, S. 166. 61 Für die Produktion der VAW, vgl. für 1931 – 1934, BArch R 2301 / 6106, Bericht der Deutschen Revisions- und Treuhand AG über die VAW 1931, Bericht der Deutschen Revisions- und Treuhand AG über die VAW 1932; Bericht der Deutschen Revisions- und Treuhand AG über die VAW 1933, Bericht der Deutschen Revisions- und Treuhand AG über die VAW 1934; für 1935 – 1937, BArch R 2301 / 6107, Bericht der Deutschen Revisions- und Treuhand AG über die VAW 1935, Bericht der Deutschen Revisions- und Treuhand AG über die VAW 1936 Bericht der Deutschen Revisions- und Treuhand AG über die VAW 1937; für 1938 – 1941, BArch R 2301 / 6108, Bericht der Deutschen Revisions- und Treuhand AG über die VAW 1938, Bericht der Deutschen Revisions- und Treuhand AG über die VAW 1939, Bericht der Deutschen Revisions- und Treuhand AG über die VAW 1940, Bericht der Deutschen Revisions- und Treuhand AG über die VAW 1941, für 1942 und 1943, BArch R 8135 / 8094, Bericht der Deutschen Revisions- und Treuhand AG über die VAW 1943; für die tatsächliche Kapazitätsentwicklung 1932 und 1936, vgl. BArch R 3112 / 150, Dr. Eberhard Neukirch, Die Entwicklung des Leichtmetallausbaues im Vierjahresplan mit besonderer Berücksichtigung des grossdeutschen Freiheitskampfes ab 1939, (Manuskript eines Buches), S. 24, 36; für die tatsächliche und die von den Behörden geplante Kapazitätsentwicklung 1939 – 1946, vgl. BArch R 3112 / 150 a, Dr. Eberhard Neukirch, Die Entwicklung des Leichtmetallausbaues im Vierjahresplan mit besonderer Berücksichtigung des grossdeutschen Freiheitskampfes ab 1939, (Manuskript eines Buches), S. 119 f. 62 Rauch (1962), S. 224. 63 Zu dieser Hypothese vgl. Schneider (1999), S. 9, S. 23. Dieser Hypothese widerspricht auch der von Hayes herausgearbeiteter Befund, dass Göring die dominierende Rolle der VAW auf dem deutschen Aluminiummarkt brechen wollte. Vgl. Hayes (1987 a), S. 292. 59 Eigene

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5.1 Wirtschaftliche Entwicklung und staatliche Förderung

235

Bei der Tonerdeproduktion, dem Vorprodukt für die Aluminiumherstellung, existierte keine Quotenregelung der Produzenten. Hier gab es drei Hersteller, die VAW, die AIAG-Tochter Martinswerk in Bergheim und die Gebr. Giulini GmbH in Ludwigshafen, ein 1823 gegründetes, sich in Familienbesitz befindendes Chemieunternehmen, das neben chemischen Grundstoffen bereits seit 1860 Tonerde produzierte.64 Der Ausbau der Tonerdeproduktion erfolgte somit nur zum Teil bei den Aluminiumproduzenten, wie im Fall der VAW und dem AIAG-Konzern, und zum Teil bei dem reinen Tonerdehersteller Giulini, der seine Tonerde fast ausschließlich an die VAW absetzte. Das Gemeinschaftsunternehmen der Metallgesellschaft und der IG Farben AG in Bitterfeld war vollkommen auf den Bezug fremder Tonerde angewiesen. Bei der Tonerdeproduktion ist im Unterschied zur Aluminiumproduktion ein zunehmender Anteil der VAW an den deutschen Kapazitäten zu beobachten. Er stieg von ca. 32 Prozent 1936 auf ca. 60 Prozent 1943 an.65 Allerdings war dies nicht die Folge einer Politik, deren Ziel etwa die Monopolposition der VAW gewesen wäre. Erstens ist zu berücksichtigen, dass die privatwirtschaftlichen Anbieter, insbesondere Giulini, nur eingeschränkt bereit waren, entsprechend der staatlichen Wünsche ihre Anlagen zu erweitern, und der Staat nicht bereit war, Zwang auszuüben.66 So konstatierte das Reichswirtschaftsministerium 1940, dass die privatwirtschaftlichen Tonerdeproduzenten „sich an der Ausweitung ihrer Erzeugungsstätten in völlig unzureichendem Masse“ beteiligten, und dass der massive Ausbau der VAW-Tonerdeproduktion daher aus einer Zwangslage erfolgt sei.67 Genauso deutliche Worte hatte das Reichswirtschaftsministerium bereits im Dezember 1938 in einem Brief an den Gauleiter des Gaus Saarpfalz benutzt: „[Es] ist zu bemerken, dass der Aufbau eigener Tonerdewerke durch die VAW aus einer Zwangslage heraus geschieht. Die Firma Giulini hat jeden weiteren Ausbau über den heutigen Umfang stets abgelehnt.“68 Zweitens war der massive Zuwachs des VAW-Anteils zwischen 1939 und 1943 auch darauf zurückzuführen, dass die VAW auf Wunsch der Wehrmacht Bereitschaftsanlagen errichteten, deren Ausnutzung nur im Kriegsfall geplant war.69 Angesichts des Umstandes, dass man sich den Markt mit zwei anderen großen Anbietern teilte, Giulini in Ludwigshafen und der AIAGTochter Martinswerk in Bergheim, kann also von einer marktbeherrschenden Stellung der VAW in der Tonerdeproduktion keine Rede sein. 64 Für

einen knappen Überblick über die Geschichte Giulinis, vgl. Gebr. Giulini (Hg.), 150 Jahre Giulini-Chemie, Ludwigshafen 1973. 65 Für 1936 – 1938, vgl. BArch R 3112 / 150, Dr. Eberhard Neukirch, Die Entwicklung des Leichtmetallausbaues im Vierjahresplan mit besonderer Berücksichtigung des grossdeutschen Freiheitskampfes ab 1939, (Manuskript eines Buches), S. 77; für die tatsächliche und die von den Behörden geplante Kapazitätsentwicklung 1939 – 1946, vgl. BArch R 3112 / 150 a, Dr. Eberhard Neukirch, Die Entwicklung des Leichtmetallausbaues im Vierjahresplan mit besonderer Berücksichtigung des grossdeutschen Freiheitskampfes ab 1939, (Manuskript eines Buches), S. 6 f. 66 Vgl. dazu genauer Scherner (2006 b), S. 177 – 182. 67 BArch R 3101 / 11708, Schreiben des RWM an Schwerin von Krosigk vom 7.9.1940, Bl. 141. 68 BArch R 3101 / 11712, Schreiben des Reichswirtschaftsministeriums an den Gauleiter des Gaus Saarpfalz, Dezember 1938, Bl. 533 f. Eine Abschrift des Briefes findet sich in Stadtarchiv Ludwigshafen, Giulini-Bestand, Akte 199. 69 Kapitel 5.2.3.

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5. Investitionsentscheidungen bei der Gewinnung von Nichteisenmetallen

Zusätzlich zur Gewinnung von Aluminium aus Tonerde rückte im Krieg die Herstellung des sogenannten Umschmelzaluminiums, also Recycling von Aluminium, in den Vordergrund staatlicher Planungen, da der zugrunde liegende Produktionsprozess weniger energieintensiv war. Außerdem war man nicht auf Bauxitimporte angewiesen. Die IG entwickelte ein neues Verfahren und baute umfangreiche Kapazitäten auf.70 Bei den Investitionen in die Produktion von Nichteisenmetallen kamen unterschiedliche Vertragstypen zum Einsatz. Während die Ausdehnung der Kupfer, Zinkund Bleihütten sowie der Blei- und Zinkerzgewinnung normalerweise mithilfe des Förderprämienverfahrens vonstatten ging, wurden bei der Kupfererzgewinnung neben dem Förderprämienverfahren vor allem Zuschussverträge abgeschlossen. Auf Eingriffe in die Preisbildung von Kupfer, Zink und Blei durch eine entsprechende Preis- oder Zollpolitik verzichtete das Reich.71 Die Weltmarkpreise blieben faktisch in Kraft und damit die massive Verschlechterung der internationalen Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Produzenten infolge der seit 1931 erfolgten Abwertung des englischen Pfundes, in der auf dem Weltmarkt diese Metalle notiert wurden, gegenüber der Reichsmark. Lediglich bei Elektrolytkupfer kam es, wie erwähnt, zeitweise zu einem Einfuhrverbot. Damit bestätigt sich die im zweiten Kapitel geäußerte Vermutung, dass der Verzicht auf eine Implementierung von Mehrerlösklauseln im Förderprämienverfahren und im Zuschussvertrag ein Indiz für die Absicht des Reiches war, bei diesen Metallen nicht durch preis- bzw. zollpolitische Maßnahmen die eigentlichen Kosten der Vertragserfüllung auf die Verbraucher abzuwälzen. Denn bei Kupfer, Blei und Zink glaubte, wie erwähnt, das RWM, den Verbrauchern keine Zölle zumuten zu können. Der zuständige Beamte72 im Reichswirtschaftsministerium, Geheimrat Pasel fasste im September 1934 die Situation wie folgt zusammen: „Die deutsche Devisenlage im August 1934 erforderte eine wesentliche Steigerung der inländischen Bergwerkserzeugung. Die bisherige Stützung des Metallerzbergbaus war hierfür unzureichend und ungeeignet, da sie nur einen Teil der Betriebsverluste der Gruben ausglich und die Hütten nicht berücksichtigte, so dass die beabsichtigte Fördersteigerung auf diesem Weg nicht erreicht werden konnte. Dieses Ziel war nur durch Gewährleistung ausreichender Metallpreise zu erreichen. Da eine effektive Preiserhöhung (durch Zoll usw.) mit Rücksicht auf die Verbraucher und die Ausfuhr sich als untragbar erwiesen hatte, musste das notwendige durch Förderprämien (…) erreicht werden.“73 Außerdem war bei deutschen Nichteisenmetallerzen (bis auf Zink), auf die Rohstoffbasis bezogen, generell keine Selbstversorgung zu erwarten74, während bei Buna, Gasöl und Synthesebenzin eine vollkommene Substitution der natürlich gewonnenen Produkte grundsätzlich möglich war und 70

BArch R 3112 / 150 a, Dr. Eberhard Neukirch, Die Entwicklung des Leichtmetallausbaues im Vierjahresplan mit besonderer Berücksichtigung des grossdeutschen Freiheitskampfes ab 1939, (Manuskript eines Buches), S. 109 f. 71 Statistisches Jahrbuch für das Deutsche Reich, verschiedene Jahrgänge. 72 von Klaas (1957), S. 112. 73 BArch R 2 / 21307, Schreiben Pasels an das Reichsfinanzministerium vom 5.9.1934. 74 Schatz (1936), S. 3; Ulrich (1937), S. 62.

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5.1 Wirtschaftliche Entwicklung und staatliche Förderung

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langfristig auch angestrebt wurde. Die Art der Vertragsgestaltung und die zollpolitischen Absichten bzw. Maßnahmen hingen also zusammen. Hinweise darauf, dass der Staat einen Zwang auf die Produzenten dieser Nichteisenmetalle ausgeübt hätte, entsprechende Verträge abzuschließen, finden sich weder in der Literatur noch in den Quellen. Im Gegenteil, der Zuschussvertrag ging ja, wie erwähnt, auf eine Initiative Mansfelds zurück, ebenso wie der Subventionierung der Zink- und Bleiproduzenten vor der Implementierung des Förderprämienverfahrens entsprechende Forderungen dieser Branchen vorausgingen. Auch für manche Unternehmen, die den Vertragstyp des Förderprämienverfahrens nutzen, lässt sich nachweisen, dass sie, wie die DKAG, an den Staat herantraten, um einen entsprechenden Vertrag abzuschließen.75 Bei der Aluminiumherstellung und der vorgelagerten Produktion von Tonerde (Aluminiumoxyd) aus Bauxit kamen zwei Vertragsformen zum Einsatz, nämlich zum einen Risikoteilungsverträge und zum anderen ein Vertragstypus, der einem Wirtschaftlichkeitsgarantievertrag entsprach.76 Von der Gewährung eines Risiko­ teilungs­vertrags bei der Aluminiumproduktion kann man daher sprechen, da der Staat den Unternehmen zum einen hohe Abschreibungen und zum anderen durch die von ihm seit 1934 festgelegten Preise außerordentlich hohe Gewinne, insbesondere in der Friedenszeit, zugestand. Maßgabe der Preisbildung bei Aluminium war nämlich, dass nach Absprachen zwischen dem Preiskommissar und den Herstellern der Preis so festgesetzt wurde, dass die staatlich gewünschten Kapazitätserweiterungen in einem Zeitraum von zwei bis drei Jahren amortisiert werden konnten.77 Mit dieser Preispolitik sollte für die Aluminiumproduzenten auch das Risiko für die Erweiterung ihrer Tonerdeanlagen eingeschränkt werden.78 Zwar konnten die Unternehmen die jeweils von staatlichen Stellen gemachten Ankündigungen über den zeitlichen Bestand des festgelegten Aluminumpreisniveaus nicht als eine rechtsverbindliche Garantie auffassen. Selbst aber unter der Annahme einer nur kurzen Dauer dieses hohen Preis war doch eine Teilrisikoabnahme faktisch gewährleistet. Denn auch unter dieser restriktiven Annahme musste es zu ungewöhnlich hohen Gewinnen kommen. Und in der Tat waren in der Aluminiumindustrie sowohl der Gewinn als auch der Cashflow – Abschreibungen und Gewinn -, im Vergleich zu anderen Branchen, wie dem Treibstoffsektor, extrem hoch. Das steht im Widerspruch zu der Aussage in der Literatur, die staatlich geförderten Bereiche seien für die IG generell nicht besonders ertragreich gewesen.79

75

BArch R 8135 / 2125, S. 2. Vgl. genauer, Kapitel 5.2.3. 77 Vgl. z. B. BAL 700-1076, Chemasitzung vom 23.6.1937; BAL 700-1076 / 3, Anlage zur Niederschrift zu einer Besprechung der Gesellschaft von Bitterfeld am 5.7.1937; BAL 700-1076 / 1, Chema-Niederschrift vom 25.7.1938. 78 Vgl. z. B. BAL 800-39-1387, Interner Briefwechsel vom 21.3.1942. 79 Plumpe (1990), S. 388; Hayes (1987 a), S. 136. 76

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5. Investitionsentscheidungen bei der Gewinnung von Nichteisenmetallen

Tabelle 33: Gewinn und Cashflow der Aluminiumproduktion 1934 – 1938 im Gemeinschaftsunternehmen der Metallgesellschaft AG und der IG Farben AG in Bitterfeld in Prozent des Anlagekapitals 1934

1935 1936 1937

1938

Gewinn

Cashflow

34,87

73,27

114,95

129,77

72,44

114,31

39,98

51,25

15,59

53,77

Eigene Berechnung. Quelle: BASF-Archiv, IG Bestand, B 5 / 30, Ergebnisse der Aluminiumproduktion.

Mit dem Versprechen, das Preisniveau für einige Zeit nicht abzusenken, und somit der Gewährung hoher Gewinne, ging im Allgemeinen einher, dass die Unternehmen zusagen mussten, die Kapazitäten weiter auszubauen. Mit anderen Worten, die hohen Gewinne dienten auch der Eigenfinanzierung von Investitionen.80 Den privatwirtschaftlichen Unternehmen war dabei, ebenso wie bei den Tonerdeanlagen, auch der Ausbau der Aluminiumproduktion freigestellt; hätten sie aber auf eine Kapazitätserhöhung verzichtet, so hätten sie das Aluminium zu einem niedrigeren Preis an die Nachfrager verkaufen müssen.81 Dies zeigt folgendes Beispiel: Ende der 1930er Jahre überlegten die Metallgesellschaft und die IG Farben AG, in ihrem Gemeinschaftsunternehmen in Bitterfeld die Aluminiumkapazitäten weiter in dem vom Reich gewünschten Maß auszubauen. Für den Fall, dass es in der kommenden Zeit zu einer staatlich verfügten Preissenkung kommen sollte, war die Metallgesellschaft nicht bereit, „ihre Zustimmung zur Errichtung der Neuanlage zu geben.“82 Denn, so hieß es weiter: „Man müsse bei allen Erwägungen auch die Möglichkeit eines Rückgangs des militärischen Verbrauchs im Auge haben. Wenn dieser eintreten würde, ehe die neue Anlage abgeschrieben ist, könnte diese zu einer Schattenanlage heruntersinken und damit die Frage der Amortisierung gefährdet werden. Ein derartiger Zustand ist für die Metallgesellschaft[…] untragbar.“83 Zwar gab das RWM nicht die geforderte Preisgarantie, versprach aber, wie bisher, den Preiskommissar dahingehend zu beeinflussen, dass er die Preise nicht zu sehr senkt, so dass über außerordentlich hohe Gewinne das Risiko der Firmen begrenzt werden 80

Vgl. z. B. BAL 700-1076 / 1, Chema-Niederschrift vom 25.7.1938. Abwesenheit von Zwang galt nicht nur 1939. Angesichts des Wunsches des Reichs 1937, die Aluminiumkapazitäten auszubauen, hieß es: „Den Partnern der deutschen Gruppe (IG / MG) und AIAG Neuhausen ist es freigestellt, ihren Quotenanteil selbst zu bauen.“. BAL 700-1076 / 3, Anlage zur Niederschrift zu einer Besprechung der Gesellschaft von Bitterfeld am 5.7.1937. 82 BASF-Archiv, IG Bestand, B 5 / 30, Niederschrift über die Aluminiumbesprechung in Berlin am 21.3.1939. Die gleiche Einstellung des Reiches  –  hohe Preise auch zur Finanzierung von Investitionen zu gewähren und deshalb Gewinne abzuschöpfen, falls ein Unternehmen nicht erweitern wollte  –  war auch 1937 zu beobachten. BAL 700-1076 / 3, Anlage zur Niederschrift zu einer Besprechung der Gesellschaft von Bitterfeld am 5.7.1937. 83 BASF-Archiv, IG Bestand, B 5 / 30, Niederschrift über die Aluminiumbesprechung in Berlin am 21.3.1939. 81 Die

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5.1 Wirtschaftliche Entwicklung und staatliche Förderung

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würde. Gleichzeitig aber erklärte der zuständige Referent im RWM: „Falls aber I.G. / M.G. den auf sie entfallenden Anteil der Produktionserhöhung nicht bauen, müssten sie sich darüber im klaren sein, dass es zu einer Preissenkung oder zu einer Abschöpfung der Gewinne kommen werde.“84 Letztendlich entschlossen sich die IG und die Metallgesellschaft zum Ausbau. Grundlage dieser Entscheidung waren interne Kalkulationen, nach denen, unter der Annahme eines konstanten Preisniveaus für die nächsten zwei Jahre, ein Ausbau zu einer höheren Risikosenkung für die gesamte Anlage führen würde, als wenn Bitterfeld bei einem geschätzten reduzierten Preis ihre Anlage nicht weiter ausbauen würde.85 Der zweite privatwirtschaftliche Produzent im Reich, die Aluminium-Industrie AG (AIAG), lehnte hingegen zunächst eine Erweiterung ab86, nachdem sie schon 1937 gezögert hatte, im Rahmen ihrer Quote ihre Kapazitäten auszubauen. Damals hatte sie sich erst dann dazu bereit erklärt, als das Reich seine Einwilligung zu einem vom Unternehmen geforderten Steuernachlass gegeben und ein Entgegenkommen im Devisentransfer zugesagt hatte.87 Die Überlegung der IG und der Metallgesellschaft darüber, ob sie ihre Aluminiumkapazitäten ausdehnen sollten oder nicht, zeigt, dass offensichtlich die Unternehmen trotz der hohen Gewinne und des hohen Cashflows, der in manchen Jahren sogar das Anlagekapital überschritt, ex ante nicht auf eine vollständige Risikoübernahme schließen konnten. Dafür spricht auch, dass keine Veranlassung bestanden hätte, seit Ende der 1930er Jahre mit den VAW Verträge zum Aufbau eines Teils der Kapazitätserweiterung für Tonerde abzuschließen, die faktisch einem Wirtschaftlichkeitsgarantievertrag entsprachen, wenn die staatliche Preispolitik bei der Tonerde- und Aluminiumproduktion eine vollständige Risikoabnahme nach sich gezogen hätte. Diese Investitionen wurden durch staatliche Kredite finanziert, die nur dann getilgt werden mussten, falls sich nach Ablauf der Vertragszeit die Anlagen als rentabel erweisen würden, wie an anderer Stelle noch genauer gezeigt werden wird. Aus diesem Grund schlugen die VAW auf ihre Selbstkosten seit 1939 sogenannte kalkulatorische Zinsen auf, um ihren möglichen Tilgungs- und Zinsverpflichtungen gegenüber dem Reich eines Tages nachkommen zu können. Das wiederum trug dazu bei, dass die Verzinsung des Anlagekapitals seit dem Ende der 1930er Jahre (Gewinn I) spürbar sank. Allerdings war der Aufschlag der kalkulatorischen Zinsen nicht die einzige Ursache für den Rückgang der Kapitalverzinsung, wie der Vergleich des Gewinns I mit dem Gewinn zuzüglich kalkulatorischer Zinsen (Gewinn II) zeigt. Vielmehr spielte auch eine Rolle, dass es im Krieg zu Preissenkungen kam, weil der Staat den Ausbau der Aluminiumproduktion im Reich als 84

BASF-Archiv, IG Bestand, B 5 / 30, Niederschrift über eine Besprechung im RWM am 28.3.1939. 85 BASF-Archiv, IG Bestand, B 5 / 30, Denkschrift betreffend Erhöhung der Erzeugung des Aluminiumwerks Bitterfeld. 86 BASF-Archiv, IG Bestand, B 5 / 30, Abschrift eines Briefes vom 26.1.1939. Später erweiterte sie dann doch ihre Kapazitäten. Vgl. dazu Tabelle 32. Über den Grund für diesen Meinungswechsel wurden keine Angaben gefunden. 87 BArch R 3101 / 17910, Aktenvermerk vom 7.4.1937, S. 24; Schreiben des Reichsfinanzministeriums vom 14.4.1937, S. 25.

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5. Investitionsentscheidungen bei der Gewinnung von Nichteisenmetallen

weitgehend abgeschlossen betrachtete und infolge kriegsbedingter Erhöhung von Inputpreisen, was an anderer Stelle noch genauer gezeigt werden wird, die Stückkosten der Aluminiumproduktion anstiegen. Tabelle 34: Gewinn und Untergrenze des Cashflows der VAW-Aluminium- und Tonerdeproduktion 1935 – 1943 in Prozent des Anlagekapitals Gewinn I

Gewinn II

Cashflow

1936

98,36

98,36

128,76

1938

58,18

58,18

77,32

1935

1937

1939

1940

55

81,3

28,19

81,3

58,06

78,14

98,95

79,20

29,40

44,78

63,61

19,44

28,53

k.A.

1941

21,57

1943

8,08

1942

55

33,11

23,71

k.A.

k.A.

Eigene Berechnung. Quellen: für die Angaben 1935 – 1937, BArch R 2301 / 6107, Bericht der Deutschen Revisions- und Treuhand AG über die VAW 1935, Bericht der Deutschen Revisions- und Treuhand AG über die VAW 1936, Bericht der Deutschen Revisions- und Treuhand AG über die VAW 1937; für 1938 – 1941, BArch R 2301 / 6108, Bericht der Deutschen Revisions- und Treuhand AG über die VAW 1938, Bericht der Deutschen Revisions- und Treuhand AG über die VAW 1939, Bericht der Deutschen Revisions- und Treuhand AG über die VAW 1940, Bericht der Deutschen Revisions- und Treuhand AG über die VAW 1941, für 1942 und 1943, BArch R 8135 / 8094, Bericht der Deutschen Revisions- und Treuhand AG über die VAW 1943. Für die Jahre 1935 und 1936 wurden bei der Berechnung des Cashflows die ausgewiesenen, danach die kalkulatorischen Abschreibungen verwendet. Die kalkulatorischen Abschreibungen entsprachen dabei annähernd dem tatsächlichen Verschleiß. Daneben gab es noch in großem Umfang Sonderabschreibungen. Vgl. BArch R 2301 / 6108, Bericht der Deutschen Revisions- und Treuhand AG über die VAW 1940, Anlage, S. 309ff; Anhang, S. 358. Die ab 1939 anfallenden kalkulatorischen Zinsen sind im Unterschied zum Gewinn I im Gewinn II enthalten.

Eine Teilrisikoabsicherung erfolgte allerdings in den Augen der Unternehmen nicht nur durch die Gewährung hoher Gewinne. Die privatwirtschaftlichen Unternehmen machten nämlich ihre Beteiligung an dem staatlich gewünschten Kapazitätsausbau auch von der Zusicherung des Reiches abhängig, keine neuen Konkurrenten in Deutschland zuzulassen.88 Denn seit 1917 war die Errichtung von Aluminiumfabriken im Reich abhängig von einer staatlichen Konzession.89 Die Überlegungen der Privatwirtschaft dazu zeigt eine interne Denkschrift der IG Farben AG von Ende 1934, als das Reich an Bitterfeld und die VAW herantrat, ihre Kapazitäten zusammen auf ca. 70.000 Jahrestonnen auszubauen: „Die Erweiterung […] erhöht jedoch das Risiko um ein Bedeutendes, und wir sollten uns nur dazu entschließen, falls wir die sichere 88

Vgl. dazu auch Hayes (1987 a), S. 136. BArch R 3112 / 150, Dr. Eberhard Neukirch, Die Entwicklung des Leichtmetallausbaues im Vierjahresplan mit besonderer Berücksichtigung des grossdeutschen Freiheitskampfes ab 1939, (Manuskript eines Buches), S. 29.

89

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5.1 Wirtschaftliche Entwicklung und staatliche Förderung

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Zusage der Regierung erhalten, dass wir durch diese Vergrößerung die Fernhaltung jeglicher Konkurrenz, die schon auf dem Plan erschienen ist, erkaufen […]. Wir sind der Ansicht, dass bei Wiedereintritt normaler Zustände die Existenz von zwei weiteren Aluminiumfabriken in Deutschland uns großen Schaden zufügen muß und sind deswegen beim Reichswirtschaftsministerium vorstellig geworden, dass es  –  was durch vorhandene Bestimmungen möglich ist  –  diesen beiden Firmen die Erteilung einer Konzession verweigert. Nach den Besprechungen, die mit den Behörden darüber gehalten worden sind, ist das Reichswirtschaftsministerium bereit, wenn die Vereinigten Aluminiumwerke ihre Produktion auf 56.000 Jato und wir auf 15.000 Jato erhöhen, bei der oben geschilderten Situation sowohl Giulini die Konzession nicht zu erteilen, als auch Tschentin die Erlaubnis zur Errichtung einer Aluminiumfa­bri­ka­ tion zu verweigern.“90 Offensichtlich hielt das Reich die Zusage, denn keines der genannten Unternehmen erhielt in den nächsten Jahren eine Aluminiumkonzession.91 Insgesamt überschritten die Gewinne in der Aluminiumindustrie, gemessen am Anlagekapital, nicht nur die Gewinne der mit Wirtschaftlichkeitsgarantieverträgen geförderten Branchen, in denen der Staat also das volle Risiko trug, sondern auch die der Zellwolleindustrie.92 Angesichts des Umstandes, dass die zum Teil in der Zellwolleindustrie abgeschlossenen Risikoteilungsverträge infolge der hohen staatlich verbürgten Kredite mit begrenztem staatlichen Rückgriffsrecht eine rechtlich verbindliche Risikoübernahme durch den Staat implizierten,93 ist zu vermuten, dass die staatliche Preis- und damit Gewinnpolitik in den Autarkiebranchen ein bestimmtes Muster verfolgte: Je niedriger die rechtsverbindlich garantierte Risikoabnahme war, desto höher waren die kurzfristigen, allerdings aufgrund eines potenziellen staatlichen Politikwechsels unsicheren Gewinnchancen, die den Unternehmen zugestanden wurden. Warum in den in diesem Kapitel betrachteten Branchen unterschiedliche Vertragstypen zum Einsatz kamen, ist Gegenstand des folgenden Abschnittes. Die bisher gewonnenen Erkenntnisse aus der Untersuchung anderer Branchen lassen vermuten, dass die Vertragswahl angesichts des Umstandes, dass Zwang keine Rolle gespielt hat, durch die Risikoeinschätzung der Unternehmen beeinflusst war. Angesichts der sonst gleichen Rahmenbedingungen, was Preis- und Zollpolitik anbelangt, drängt sich daher für die Kupfer-, Zink- und Bleigewinnung die Hypothese auf, dass man die Zukunftsfähigkeit von Investitionen in die Produktion letzterer beider Metalle als höher erachtet hat, als dies im Allgemeinen bei Kupfererzen der Fall gewesen ist. Hinsichtlich der Investitionen in die Aluminium- und Tonerdeproduktion ist die Hypothese zu überprüfen, dass in den Fällen, in denen Anlagen mit einer Art Wirtschaftlichkeitsgarantievertrag gefördert wurden, in den Augen der Unternehmen ein höheres Amortisationsrisiko bestanden hat, als bei der mit Risikoteilungsverträgen geförderten Anlagenausdehnung.

90

BAL 800 / 39-82, Expose Pistor vom 20.11.1934. Vgl. dazu genauer Scherner (2006 b), S. 177 – 182. 92 Schaubild 14. 93 Kapitel 4.3. 91

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5. Investitionsentscheidungen bei der Gewinnung von Nichteisenmetallen

5.2 Vertragsform und Erwartungen 5.2.1. Blei und Zink Angesichts der Tatsache, dass die deutschen Zink- und Bleiproduzenten seit Beginn der 1930er Jahre an den Staat herantraten und Subventionen forderten, könnte man vermuten, dass die Unternehmen den Ausbau dieser Branchen in der NS-Zeit wohl kaum als zukunftsfähig unter Normalbedingungen beurteilt haben dürften. Eine genauere Analyse ergibt jedoch, wie im Folgenden gezeigt wird, ein anderes Bild. Aufgrund ihrer größeren Bedeutung, sowohl was die Wertschöpfung als auch was die Steigerung der Erzgewinnung und der Verhüttung gegenüber der Zeit vor der Weltwirtschaftskrise anbelangt, steht bei dieser Betrachtung die Zinkproduktion etwas im Vordergrund. Wohl anlässlich der Überlegungen zur staatlichen Unterstützung der deutschen Kupfer-, Zink- und Bleierzgewinnung wurde im Jahr 1934 im Reichswirtschaftsministerium eine Statistik erstellt, in der die damalige internationale Wettbewerbsposition der jeweiligen deutschen Produzenten bestimmt wurde. In dieser Statistik wurden für die Jahre 1928 und 1932 Produktionsmengen, Erzvorräte und Selbstkosten in englischen Pfund fast aller Zink-, Kupfer- und Bleierzproduzenten weltweit, unterschieden nach den jeweiligen Metallen, aufgelistet.94 Danach war die bereits erwähnte, 1926 fertiggestellte Deutsch-Bleischarley-Grube der Bergwerksgesellschaft Georg von Giesche’s Erben, die Ende der 1920er Jahre als eine der modernsten und größten Zinkgruben der Welt galt, auch nach der Abwertung der Länder, in denen die wichtigsten Konkurrenten angesiedelt waren, international konkurrenzfähig. Denn diese Grube rangierte im Jahr 1932 weltweit in der absoluten Spitzengruppe der Anbieter mit den niedrigsten Selbstkosten. Auch Rammelsberg / Unterharz, das ebenfalls, wie erwähnt, seit Mitte der 1920er Jahre wirksame Rationalisierungsmaßnahmen durchgeführt hatte, war in dieser Gruppe angesiedelt, obwohl die Einführung des kostensenkenden Flotationsverfahrens zwar Ende der 1920er Jahre geplant, bis zur Erhebung der Statistik aber noch nicht realisiert worden war.95 Andere große deutsche Hersteller, wie die Gruben der Schlesag, Fiedelersglück und Neue Viktoria, sowie die Gruben der AG für Bergbau, Blei- und Zinkfabrikation zu Stolberg und in Westfalen (Stolberg) wiesen hingegen deutlich höhere Selbstkosten auf, und zählten weltweit in dieser Hinsicht mit zu den Schlusslichtern der zu diesem Zeitpunkt erzfördernden Unternehmen.96

94

Bei Kupfer beziehen sich die Angaben nur auf das Jahr 1929. Bartels (1988), S. 49. 96 Tabelle 35. Berücksichtigt werden in der Tabelle dabei nur die deutschen Hersteller, die 1928 eine Erzproduktion (Zinkinhalt) von wenigstens 10.000 Jahrestonnen ausbringbares Zink hatten. In der Statistik des Reichswirtschaftsministeriums wurde noch eine Reihe kleinerer deutscher Produzenten aufgeführt, die in verschiedenen Gruppen angesiedelt waren. Einige dieser Produzenten, insbesondere solche mit überdurchschnittlich hohen Selbstkosten, hatten dann im Jahr 1932 ihre Produktion eingestellt. BArch R 3101 / 30834, Bl. 26 ff. 95

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5.2 Vertragsform und Erwartungen

Tabelle 35: Die Wettbewerbsposition der deutschen Zinkerzproduzenten auf dem Weltmarkt 1932 Durchschnittliche Anteil an der Selbstkosten Weltberg1932 je Tonne werkserzeugung Zink im Erz (Zinkinhalt) 1932 (Engl. Pfund) (%)

Rückgang / Zunahme der Produktion (Zinkinhalt) gegenüber 1928 (%)

Gesamtheit

14,65

88,4

-45,5

Darunter: Deutsch-Bleischarley-Grube

11,5

4,2

-34

12,5

1,8

+70

18,75

1,9

-63

20

1,5

+27

20-25

13,5

-75

22

1,3

-53

Gruppe I

Darunter: RammelsbergUnterharz Gruppe IV

Darunter: Fiedelersglück Neue Viktoria Gruppe V Darunter: Stolberg

11,25

26

-20

Kumulierter Anteil aller Gruppen mit niedrigeren Selbstkosten an der Weltbergwerkserzeugung (Zinkinhalt) (%) 0

84,3

86,1

Quelle: BArch R 3101 / 30834, Bl. 26 ff.

Nach Auswertung der Statistik des Reichswirtschaftsministeriums ergibt sich bei den größten deutschen Bleigruben ein ähnliches Bild.97 Allerdings ist, im Unterschied zu den Zinkerzgruben, kein deutsches Unternehmen international in der absoluten Spitzengruppe zu finden.98

97

Berücksichtigt werden auch hier in der Tabelle nur die deutschen Hersteller, die 1928 eine Erzproduktion (Bleiinhalt) von wenigstens 10.000 Jahrestonnen ausbringbares Blei hatten. 98 Die Ursache dafür, dass sich 1932, im Vergleich zu 1928, manche der deutschen Unternehmen, was die Änderung ihrer Produktionsmenge anbelangt, deutlich von dem Trend in ihrer jeweiligen Wettbewerbsgruppe unterschieden, konnte nicht ermittelt werden. Möglicherweise spielte der Tatbestand eine Rolle, dass in Deutschland ein Teil der Unternehmen, wie die Gewerkschaft Mechernich subventioniert wurde.

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5. Investitionsentscheidungen bei der Gewinnung von Nichteisenmetallen

Tabelle 36: Die Wettbewerbsposition der deutschen Bleierzproduzenten auf dem Weltmarkt 1932 Durchschnittliche Selbstkosten 1932 je Tonne Blei im Erz (Engl. Pfund)

Anteil an der Weltbergwerks­ erzeugung (Bleiinhalt) 1932 (%)

Rückgang bzw. Zunahme der Produktion (Bleiinhalt) gegenüber 1928 (%)

Gesamtheit

12,29

76,24

-21,5

Darunter: DeutschBleischarley

11,5

0,61

+24,6

11

0,54

-40,7

15,86

3,6

-29,3

17,5

0,33

-49,5

18,84

11,72

-40,1

18

0,82

+39,7

Gruppe II

Darunter: Rammelsberg / Unterharz Gruppe IV Darunter: Stolberg

Gruppe V

Darunter: Gewerkschaft Mechernicher Werke

11,18

35,48

-17,5

Kumulierter Anteil aller Gruppen an der Weltbergwerkserzeugung (Bleiinhalt) 1932 mit niedrigeren Selbstkosten (%) 19,9

60,23

63,89

Quelle: BArch R 3101 / 30834, Bl. 72 ff.

Ingesamt bieten die großen deutschen Blei- und Zinkerzproduzenten hinsichtlich ihrer Selbstkostenposition auf dem Weltmarkt ein eher ambivalentes Bild. Es stellt sich die Frage, welche Schlüsse man daraus auf die Wettbewerbsposition der Unternehmen und ihre potenzielle Investitionstätigkeit in den 1930er Jahren ziehen kann, wenn in Deutschland Normalbedingungen geherrscht hätten. Erstens muss, entsprechend der Überlegungen bei den bisher betrachteten Branchen, bei einer derartigen Analyse der Tatbestand des „politischen“ Wechselkurses berücksichtigt werden, d. h. eine Korrektur der Parität zwischen dem englischen Pfund und der überbewerteten Reichsmark erfolgen. Zweitens müssen, jedenfalls bis zur Mitte der 1930er Jahre, zuzüglich zum Weltmarktpreis Ersatzindikatoren zur Messung der kontrafaktischen Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Produzenten bestimmt werden. Denn die offiziellen Weltmarktpreise sind aufgrund des Einflusses der Weltwirtschaftskrise isoliert herangezogen kein taugliches Maß für eine potenzielle Kompetivität. Unterstellt man nämlich, dass sich 1934 die Selbstkosten der meisten Produzenten weltweit nicht sonderlich von den für 1932 ausgewiesenen Werten unterschieden, so konnte sowohl 1932 als auch 1934, dem Jahr der Einführung des Förderprämienverfahrens, bei den jeweiligen herrschenden Weltmarktpreisen nur

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5.2 Vertragsform und Erwartungen

ein Teil der weltweit geförderten Blei- und Zinkerze ohne Verluste gewonnen werden.99 Tabelle 37: Überschreitung- und Unterschreitung des Weltmarktpreises durch die Selbstkosten bei großen deutschen Blei- und Zinkerzproduzenten und der Blei- und Zinkerzgewinnung weltweit (in Prozent der Gesamterzeugung) 1932 und 1934 Zinkerzgewinnung

Weltmarktpreis (Engl. Pfund pro 1000 kg) Deutsche Produzenten

1932

1934

1932

1934

12,19

13,68

13,88

10,85

Unterschreitung Deutsch-Bleischarley-Grube

Deutsch-Bleischarley-Grube; RammelsbergUnterharz

Überschreitung

Verlustbringender Anteil der jeweiligen weltweiten Erzgewinnung an der Gesamtproduktion (%)

Bleierzgewinnung

Unterschreitung Deutsch-Bleischarley-Grube; RammelsbergUnterharz

Überschreitung

RammelsbergUnterharz; Fiedelersglück Neue Viktoria; Stolberg

Fiedelersglück Neue Viktoria; Stolberg

Gewerkschaft Mechernicher Werke; Stolberg

Deutsch-Bleischarley-Grube; RammelsbergUnterharz; Stolberg; Gewerkschaft Mechernicher Werke

63-74

63-74

22-45

57-80

Quelle: Für die Weltmarktpreise von Blei- und Zink 1932 und 1934 in englischen Pfund und zur Umrechnung englischer pound in kg, vgl. Statistisches Jahrbuch für das Deutsche Reich 1936, S. IV; 174*. Für die Bestimmung des verlustbringenden Anteils der jeweiligen weltweiten Erzgewinnung an der Gesamtproduktion, eigene Berechnung. Quelle: für Zink, BArch R 3101 / 30834, Bl. 27ff; für Blei BArch R 3101 / 30834, Bl. 72 ff. Bei der Berechnung der Untergrenze wird unterstellt, dass es sich bei den in der Statistik nicht erfassten Unternehmen um solche handelte, die ihre Kosten wenigstens decken konnten, bei der Obergrenze hingegen, dass die Gewinnung der nicht erfassten Mengen verlustbringend war. Für 1932 erfasste die Statistik dabei ca. zwölf Prozent der weltweiten Zink- und ca. 23 Prozent der Bleierzeugung nicht. 99 Tabelle

37. Die weltweite Erzeugung bei beiden Metallen differierte nicht sonderlich zu beiden Zeitpunkten. Statistisches Jahrbuch für das Deutsche Reich 1933, S. 52* (1932), Statistisches Jahrbuch für das Deutsche Reich 1941 / 42, S. 67* (1934). Weiterhin wird unterstellt, dass die Produktionsstruktur zu beiden Zeitpunkten ebenfalls in etwa ähnlich geblieben wäre.

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5. Investitionsentscheidungen bei der Gewinnung von Nichteisenmetallen

Daher wurden insbesondere mit Ausbruch der Weltwirtschaftskrise in vielen Ländern Zink- und Bleiproduzenten subventioniert. Hinzu kommt, dass der Zinkpreis bis Ende 1934 in der Regel durch das internationale Zinkkartell bestimmt wurde, weswegen er nicht als ein Knappheiten widerspiegelnder Marktpreis aufgefasst werden kann.100 Die Anomalität der Weltmarktpreise zu diesen Zeitpunkten wurde auch von Zeitgenossen erkannt und i.S. einer langfristigen absoluten Preisuntergrenze interpretiert, weil man sich bewusst war, dass bei Blei- und Zinkpreisen, wie sie 1931 (und bis 1934 / 35) herrschten, weltweit nur wenige Anbieter ohne Verluste produzieren konnten.101 Aus diesen Gründen, und weil Angaben über die weltweite Selbstkostenentwicklung für die Jahre unmittelbar nach 1932 nicht aufzufinden sind, werden weitere Wettbewerbsindikatoren direkt aus den Angaben über die Selbstkosten der in der Statistik des Reichswirtschaftsministeriums angeführten Blei- und Zinkerzgruben im Jahr 1928 und im Jahr 1932 gewonnen. Aufgrund bestimmter Verzerrungen ist es dabei sinnvoll, sich an den durchschnittlichen Selbstkosten aller erfassten Gruben für das jeweilige Metall, also einer vorsichtig bestimmten Marktzutrittsschranke zu orientieren, wenn man sie als nicht nur gültig für den Zeitpunkt der Erhebung, also Ende der 1920er bzw. Anfang der 1930er Jahre, sondern auch für die gesamten 1930er Jahre betrachten will. Denn erstens handelte es sich bei Zink 1932, wie erwähnt, um einen kartellierten Markt. Daher kann nicht ausgeschlossen werden, insbesondere aufgrund der zum Teil erheblichen Selbstkostendifferenzen zwischen den Anbietern, dass unter Konkurrenzbedingungen, wie das dann ab 1934 der Fall war, mancher Produzent hätte ausscheiden müssen. Zweitens wurden, wie erwähnt, in einigen Ländern, wie in Spanien, Italien und Frankreich manche der in der Statistik erfassten Blei- und Zinkgruben auch subventioniert, was möglicherweise kein Dauerzustand bleiben würde.102 Drittens musste ein Unternehmen während der 1930er Jahre angesichts des technischen Fortschritts, der bereits in den 1920er Jahren von vielen Gruben genutzt worden war, erwarten, dass dieser in den 1930er Jahren bei weiteren Produzenten Einzug halten würde, was tendenziell zu einer Senkung einer an den Selbstkosten gemessenen Marktzutrittsschranke führen musste.103 Außerdem war natürlich ein weiterer technischer Fortschritt nicht auszuschließen.104 Weil die von der genannten Statistik erfassten Produzenten 1928 96,2 Prozent und 1932 88,4 Prozent der weltweiten Zinkerzförderung bzw. 69,69 Prozent und 76,24 Prozent der weltweiten Bleierzförderung bestritten, können dabei die jeweiligen durchschnittlichen Selbstkosten der erfassten Gruben als repräsentativ gelten. Die aufgeführten Zinkgruben produzierten im Jahr 1928 fast das Doppelte der gewonnenen Zinkmenge von 1932, die Bleigruben ca. 80 Prozent mehr als 1932. Bei beiden Metallen waren zwischen 1928 und 1932 manche Unternehmen, i.d.R. sol100

Zum Zinkkartell, vgl. Berg / Friedensburg (1950), S. 54. BArch R 2 / 21594, Schreiben von R. Merton, Aufsichtsratsvorsitzender der Metallgesellschaft, an Reichswehrminister Groener vom 22.4.1931. 102 Berg / Friedensburg (1950), S. 53. 103 Ebd., S. 69. 104 Vgl. z. B. Berg / Friedensburg (1941), S. 62. 101

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5.2 Vertragsform und Erwartungen

che mit hohen Selbstkosten, aus dem Markt ausgeschieden. Dementsprechend fiel der Produktionsrückgang 1932 gegenüber dem normalen Jahr 1928 bei Gruben mit überdurchschnittlich hohen Selbstkosten überproportional, bei Gruben mit unterdurchschnittlichen Selbstkosten jedoch im Allgemeinen unterproportional aus. Dies und möglicherweise der Umstand, dass in der Krise zink- bzw. bleihaltigere Erze abgebaut und weitere kostensenkende Rationalisierungen vorgenommen wurden, dürfte wiederum erklären, dass die durchschnittlichen Selbstkosten sowohl bei Zink als auch bei Blei 1932 deutlich niedriger als noch 1928 waren.105 Da 1928, was die Förderung anbelangt, ein Normaljahr war, liegt es unter Berücksichtigung der oben gemachten Überlegungen nahe, die durchschnittlichen Selbstkosten 1928 je Tonne Zink bzw. Blei im Erz als „normale“ Preisuntergrenze für die 1930er Jahre zu interpretieren. Die durchschnittlichen Selbstkosten 1932 je Tonne Zink bzw. Blei im Erz hingegen lassen sich als „krisenhafte Preisuntergrenze“ für die 1930er Jahre deuten. Tabelle 38: Die kontrafaktische Wettbewerbsposition der deutschen Zinkerzproduzenten auf dem Weltmarkt 1932

Deutsch-BleischarleyGrube RammelsbergUnterharz

Fiedelersglück Neue Viktoria Stolberg

Selbstkosten 1932 je Tonne Zink im Erz, bereinigt um die Pfundabwertung (Engl. Pfund)

Durchschnittliche Selbstkosten 1928 je Tonne Zink im Erz (Engl. Pfund) = normale Preisuntergrenze

Durchschnittliche Selbstkosten 1932 je Tonne Zink im Erz (Engl. Pfund) = krisenhafte Preisuntergrenze

8,32

16,8

14,65

9,04

16,8

14,65

14,47

16,8

14,65

15,91

16,8

14,65

Eigene Berechnungen. Quelle: Für den Pfundkurs vor der Abwertung wurde der Kurs vom März 1931 genommen, vgl. Statistisches Jahrbuch für das Deutsche Reich 1931, S. 357, für den Pfundkurs 1932 in RM, vgl. Statistisches Jahrbuch für das Deutsche Reich 1932. Für die durchschnittlichen Selbstkosten 1928 und 1932, vgl. BArch R 3101 / 30834, Bl. 27 ff.

Korrigiert man nun zur Simulation von Normalbedingungen den Abwertungseffekt in den für 1932 vorliegenden Selbstkosten der deutschen Zinkerzproduzenten, so wäre die derart konstruierte „normale“ Preisuntergrenze von allen großen deutschen Zinkgruben und die „krisenhafte“ Preisuntergrenze von den meisten unterschritten worden.106 Das heißt, dass die deutschen Zinkerzproduzenten auch unter Normalbe-

105 Tabelle

38; Tabelle 40. Vernachlässigt werden dabei inländische Faktorpreissteigerungen, die normalerweise mit einer potenziellen Abwertung der Reichsmark einhergehen müssten. Denn die Devisenbewirtschaftung seit 1931 führte ohnehin dazu, dass sich die potenziellen Preissenkungen infolge der faktischen

106

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5. Investitionsentscheidungen bei der Gewinnung von Nichteisenmetallen

dingungen grundsätzlich international kompetitiv gewesen wären.107 Mit anderen Worten, ein Unternehmen, das Selbstkosten höchstens von dem Niveau der durchschnittlichen Selbstkosten von 1928 aufwies, konnte aus der Perspektive der 1930er Jahre davon ausgehen, dass es bei normaler Nachfrage mittelfristig, also in den nächsten Jahren, ohne weiteres konkurrenzfähig wäre. Erstens konnte bei normaler konjunktureller Lage eine sich verringernde Nachfrage gegenüber der Situation vor der Weltwirtschaftskrise ausgeschlossen werden, weil es für Zink und Blei in ihren speziellen Anwendungen kein Substitut gab.108 Im Gegenteil, bei Wirtschaftswachstum ließ sich eher, wie das auch in den 1920er Jahren zu beobachten war, ein zunehmender Verbrauch erwarten. Gerade in der Automobil- und in der Elektroindustrie, also modernen Branchen, denen man in hochindustrialisierten Ländern wie Deutschland eine zukünftig noch steigende Bedeutung einräumte, waren diese Nichteisenmetalle unverzichtbar. Insbesondere die Verwendungsgebiete von Zink dehnten sich infolge verbesserter Verzinkungsmethoden aus.109 Zweitens sollte sich die Flotation in Deutschland erst in den 1930er Jahren auf breiter Front durchsetzen, weswegen aus der Perspektive von 1932 bei einigen der Unternehmen noch ein Kostensenkungspotenzial bestand.110 So wurden bei Rammelsberg die bereits Ende der 1920er Jahre gefassten Pläne der Einführung der selektiven Flotation 1935 realisiert. Für ein Unternehmen, das davon ausging, dass unter Normalbedingungen seine Selbstkosten diese „normale“ Preisuntergrenze unterschreiten würden, wäre es wiederum rational, wenigstens Ersatzinvestitionen zu tätigen. Ein Unternehmen, das sogar das Selbstkostenniveau von 1932 unterschritt, die hier so genannte „krisenhafte“ Preisuntergrenze, konnte sich hingegen ohnehin als ziemlich ungefährdet von konjunkturellen Einbrüchen betrachten. Da außerdem alle hier erfassten Gruben gemessen am Produktionsvolumen Ende der 1920er, auch Anfang der 1930er Jahre noch Erzvorräte für wenigstens 15 Jahre hatten, dürften unter Normalbedingungen, auch aus dem Aspekt der Amortisationsdauer betrachtet, Investitionen getätigt worden sein. Tabelle 39: Erzvorräte der wichtigsten deutschen Zinkerzgruben 1932 in Jahren

Deutsch-Bleischarley-Grube Rammelsberg-Unterharz

Fiedelersglück Neue Viktoria Stolberg

Maximale Förderdauer auf Basis der Zinkproduktion 1928 und der Erzvorräte 1932

Maximale Förderdauer auf Basis der Zinkproduktion 1932 und der Erzvorräte 1932

120

70,5

77,3

161,8

14,7

22,2

22

17,8

Eigene Berechnungen. Quelle: BArch R 3101 / 30834. Aufwertung der Reichsmark bei vielen Inputs nicht auswirkten, und insofern auch nicht in den verwendeten Selbstkosten aus dem Jahr 1932. 107 Tabelle 38. 108 Berg / Friedensburg (1950), S. 68. 109 Ebd., S. 54. 110 Friedensburg / Krengel (1962), S. 55.

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5.2 Vertragsform und Erwartungen

Dass die bisher verwendeten Indikatoren für die Ex-Ante-Erwartungsbildung der Unternehmen Mitte der 1930er Jahre hinsichtlich der Frage, ob mittelfristig Investitionen zukunftsfähig sein würden oder nicht, brauchbar sind, unterstreicht eine weitere Überlegung. Stellt man nämlich den um die Abwertung korrigierten Selbstkosten der deutschen Zinkerzproduzenten aus dem Jahr 1932 die tatsächliche Marktpreisentwicklung in den 1930er Jahren gegenüber, und zwar von 1935 an, als der Markt nicht mehr kartelliert war, so kommt man zu ähnlichen Ergebnissen.111 Dazu wird in der folgenden Tabelle ebenfalls wie bei den bisher gewählten Indikatoren zwischen Normaljahren und Krisenjahren unterschieden. Unter einem Normaljahr wird dabei verstanden, wenn die weltweite Erzeugung, in Ermangelung von Daten über den Verbrauch, wenigstens 90 Prozent der Erzeugung im Jahr 1928 entsprach. Die Abweichungen der Ergebnisse von den zuvor dargestellten werden fettgedruckt. Lediglich Stolberg, das ja bereits laut Tabelle 38 gerade noch die normale Preisuntergrenze unterbieten konnte, wäre in der zweiten Hälfte der 1930er Jahre nach Tabelle 40 im Allgemeinen auch bei einer Abwertung der Reichsmark nicht wettbewerbsfähig gewesen. Allerdings kann daraus nicht geschlossen werden, dass Stolberg unter Normalbedingungen kein Zink gefördert hätte. Denn wie bei vielen anderen Unternehmen waren auch bei Stolberg die Blei- und Zinkerzförderung miteinander verbunden, da die Metalle stark verwachsen waren. Der Großteil der Zinkerzgewinnungskosten fiel also automatisch bei der Bleierzförderung an. Die Bleigewinnung wäre aber, wie im Folgenden gezeigt werden wird, unter Normalbedingungen kompetitiv gewesen. Tabelle 40: Weltmarktpreisentwicklung und kontrafaktische Wettbewerbsfähigkeit deutscher Zinkerzproduzenten Welt- Erzeugung markt- (in Prozent preis der (engl. Erzeugung Pfund) von 1928)

Normaljahr (= Ja) oder Krisenjahr (= Nein)

Kontrafaktische Wettbewerbsfähigkeit (= Ja) oder Nicht-Wettbewerbsfähigkeit (= Nein) deutscher Produzenten auf Basis der bereinigten Selbstkosten aus dem Jahr 1932 DeutschBleischarley-Grube

RammelsbergUnterharz

Fiedelersglück Neue Viktoria

Stolberg

1935

14,17

98,2

ja

ja

ja

nein

nein

1937

22,34

117,8

ja

ja

ja

ja

ja

14,80

120,1

1936 1938

1939

15,03 14,07

109

116,7

ja ja ja

ja ja ja

ja ja ja

ja

nein ja

nein nein nein

Quelle: Für die Weltmarktpreise in engl. Pfund, vgl. Berg / Friedensburg (1950), S. 66 Zahlentafel 21, für die Zinkerzerzeugung (Zinkinhalt), vgl. Statistisches Jahrbuch für das Deutsche Reich 1933, S. 52* (1928, 1932), Statistisches Jahrbuch für das Deutsche Reich 1941 / 42, S. 67* (1933 – 1938), Berg / Friedensburg (1950), S. 76f Zahlentafel 26 (1939). 111 Das

Kartell war dabei eine Sondersituation, nämlich Folge des Preissturzes aufgrund der Weltwirtschaftskrise (Berg / Friedensburg (1950), S. 54) und somit kein dauerhaftes Element auf dem tatsächlichen, aber auch dem erwarteten Weltzinkmarkt.

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5. Investitionsentscheidungen bei der Gewinnung von Nichteisenmetallen

Stellt man, gestützt auf die Angaben in der gleichen Statistik, analoge Überlegungen zu deutschen Bleierzgruben auf, so ergibt sich ein vergleichbares Ergebnis. Auch hier zeigt sich unter Anwendung der verschiedenen Marktzutrittsindikatoren, dass unter Vernachlässigung des Abwertungseffekts des englischen Pfunds die deutschen Bleigruben im Normalfall grundsätzlich wettbewerbsfähig gewesen wären. Tabelle 41: Die kontrafaktische Wettbewerbsposition der deutschen Bleierzproduzenten auf dem Weltmarkt 1932

Deutsch-Bleischarley

Selbstkosten 1932 je Tonne Blei im Erz, bereinigt um die Pfundabwertung (Engl. Pfund)

Durchschnittliche Selbstkosten 1928 je Tonne Blei im Erz (Engl. Pfund) = normale Preisuntergrenze

Durchschnittliche Selbstkosten 1932 je Tonne Blei im Erz (Engl. Pfund) = krisenhafte Preisuntergrenze

7,95

13,12

12,29

12,66

13,12

12,29

13,02

13,12

12,29

Rammelsberg/ Unterharz Stolberg

Gewerkschaft Mechernicher Werke

8,32

13,12

12,29

Eigene Berechnungen. Quelle: Für den Pfundkurs vor der Abwertung wurde der Kurs vom März 1931 genommen, vgl. Statistisches Jahrbuch für das Deutsche Reich 1931, S. 357, für den Pfundkurs 1932 in RM, vgl. Statistisches Jahrbuch für das Deutsche Reich 1932. Für die durchschnittlichen Selbstkosten 1928 und 1932, vgl. BArch R 3101 / 30834, Bl. 72 ff.

Da ebenso wie die Zinkerzproduzenten auch alle hier erfassten Bleierzgruben bei Normalproduktion noch Erzvorräte für wenigstens 15 Jahre hatten, dürften unter Normalbedingungen, betrachtet auch aus dem Aspekt der Amortisationsdauer, Investitionen getätigt worden sein. Tabelle 42: Erzvorräte der wichtigsten deutschen Bleierzgruben in Jahren

Deutsch-Bleischarley

Rammelsberg/Unterharz Stolberg

Gewerkschaft Mechernicher Werke

Maximale Förderdauer auf Basis der Bleiproduktion 1928 und der Erzvorräte 1932 35,7

50,9

Maximale Förderdauer auf Basis der Bleiproduktion 1932 und der Erzvorräte 1932 28,5

85,7

111,8

223,6

29,4

21

Eigene Berechnungen. Quelle: BArch R 3101 / 30834.

Der Vergleich mit der Weltmarktpreisentwicklung nach der Auflösung des 1931 erst geschaffenen Bleikartells im Jahr 1932 fällt sogar noch günstiger aus, als das bei den Zinkerzproduzenten der Fall war.112 In „normalen“ Jahren waren in der kontra112

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Zum Bleikartell, vgl. Berg / Friedensburg (1950), S. 41 f.

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5.2 Vertragsform und Erwartungen

faktischen Situation alle untersuchten deutschen Anbieter wettbewerbsfähig in dem Sinn gewesen, dass sie keine Verluste, im Allgemeinen sogar zum Teil deutliche Gewinne gemacht hätten. Tabelle 43: Weltmarktpreisentwicklung und kontrafaktische Wettbewerbsfähigkeit deutscher Bleierzproduzenten Erzeugung Weltmarkt- (in Prozent preis (engl. der Pfund) Erzeugung von 1928)

1933

1934

11,80

11,05

nein

nein

ja

ja

ja

82,9

23,30

105

1939

15,68

Stolberg

ja

1937

15,32

RammelsbergUnterharz

ja

86,6

1938

DeutschBleischarley-Grube nein

14,27 17,62

Kontrafaktische Wettbewerbsfähigkeit (= Ja) oder Nicht-Wettbewerbsfähigkeit (= Nein) deutscher Produzenten auf Basis der bereinigten Selbstkosten aus dem Jahr 1932

74,4

1935 1936

Normaljahr (= Ja) oder Krisenjahr (= Nein)

93,6 110,5

107,6

nein ja ja ja ja

ja ja ja ja ja

ja ja ja ja ja

nein ja ja ja ja

Gewerkschaft Mechernicher Werke nein nein ja ja ja ja ja

Quelle: Für die Weltmarktpreise in engl. Pfund, vgl. Berg / Friedensburg (1950), S. 66 Zahlentafel 21, für die Bleierzerzeugung (Bleiinhalt), vgl. Statistisches Jahrbuch für das Deutsche Reich 1933, S. 52* (1928, 1932), Statistisches Jahrbuch für das Deutsche Reich 1941 / 42, S. 67* (1933 – 1938), Berg / Friedensburg (1950), S. 73f Zahlentafel 24 (1939).

Angesichts der tatsächlichen Marktpreisentwicklung erscheint es unmittelbar einleuchtend, warum die meisten Unternehmen einen Förderprämienvertrag abschlossen. Allerdings drängt sich die Frage auf, warum dies auch bei der Zinkerzförderung der Deutsch-Bleischarley-Grube der Bergwerksgesellschaft Georg von Giesche’s Erben der Fall war. Denn das Unternehmen hätte unter der Annahme eines Selbstkostenniveaus vergleichbar dem im Jahr 1932 zu jedem Zeitpunkt in den 1930er Jahren auch ohne Förderprämienverfahren und trotz der überbewerteten RM Gewinne erzielen können. Dafür, dass ein Vertragsabschluss auch für dieses Unternehmen rational war, sprechen aber folgende Überlegungen: 1) Bei dieser Grube war die Zinkerzförderung unmittelbar mit der Bleigewinnung verbunden.113 Zum Zeitpunkt der Einführung des Förderprämienverfahrens im Jahr 1934 wäre angesichts des damaligen Weltmarktpreises die Bleiproduktion verlustbringend gewesen.114 2) Hinzu kommt, dass die Unternehmen den Eintritt in das Förderprämienverfahren als eine Art Versicherung gegenüber der zu diesem Zeitpunkt aus Sicht der Unternehmen mit großer Unsicherheit behafteten Weltmarktpreisentwicklung betrachteten, wie die im zweiten Kapitel darge-

113

BArch R 3101 / 30834, Bl. 27ff; 72 ff. 37.

114 Tabelle

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5. Investitionsentscheidungen bei der Gewinnung von Nichteisenmetallen stellten internen Überlegungen der DKAG gezeigt haben. Zugleich konnten die Unternehmen auch nach den Bestimmungen des Förderprämienverfahrens echte Gewinne, d. h. die Differenz zwischen berichtigtem Verrechnungspreis und Marktpreis, erzielen. Dieser Gewinn wurde schlimmstenfalls durch die Teilung der sogenannten Fleißprämie gemindert, was aber von den Unternehmen als Versicherungsprämie bewertet wurde. Außerdem konnte, wie ebenfalls ausführlich im zweiten Kapitel dargelegt worden ist, ein derartiger Geldfluss vom Unternehmen zum Staat durch eine geschickte Selbstkostenschätzung bei entsprechenden Erwartungen über die Preisentwicklung der nächsten Periode umgangen werden. 3) An Giesche waren Hütten angeschlossen. Wie erwähnt, war das Förderprämienverfahren ein integriertes Verfahren, das nicht nur mögliche Verluste der Gruben, sondern auch der belieferten Hütten inklusive ihrer Kapazitätserweiterung finanzieren sollte. Das Unternehmen hatte aber bereits vor der Weltwirtschaftskrise eine erhebliche Ausdehnung seiner Hüttenkapazitäten beschlossen. Insofern gewährleistete das Förderprämienverfahren für Giesche auch eine bequeme Möglichkeit, die geplanten Hütten zu finanzieren. 4) Giesche baute im Rahmen des Förderprämienverfahrens, wie auch andere Unternehmen, auf Wunsch des Reiches auch Erze aus bereits stillgelegten Lagerstätten ab.

Insgesamt sprechen diese Ergebnisse dafür, dass der Abschluss eines Förderprämienvertrags in der Regel nicht nur mit einer langfristig, sondern sogar auch mit einer kurzfristig positiven Einschätzung der privatwirtschaftlichen Vertragspartner hinsichtlich der Zukunftsfähigkeit ihrer jeweiligen Produktion unter Normalbedingungen einherging. Man kann daraus folgern, dass wohl auch unter Normalbedingungen in den 1930er Jahren von den untersuchten Unternehmen wenigstens die Investitionen getätigt worden wären, die zu einer vergleichbaren Höhe der Erzgewinnung wie Ende der 1920er Jahre in Deutschland geführt hätten. Mit anderen Worten, auch ohne NS-Wirtschaftspolitik wären ähnliche Produktionsniveaus erreicht worden wie in der Friedenszeit des Dritten Reichs. Auf den ersten Blick waren aber weder die deutschen Hütten noch die deutschen Zinkoxydproduzenten im Dritten Reich international wettbewerbsfähig.115 Denn stellt man z. B. die Selbstkosten zuzüglich der „Normalhüttenlöhne“116 der Zinkoxydproduktion der Kupferhütte Ertel, Bieber & Co. und der Duisburger Kupferhütte dem Weltmarktpreis für Zink gegenüber, so hätte in fast keinem Jahr ohne Verluste angeboten werden können.

115

Bei der Zinkoxydproduktion aus Schwefelkiesabbränden wird letzteren durch Rösten und Laugen Kupfer und Eisen entzogen. Die verbleibende Endlauge enthält Kobalt, Mangan und Zink. Das Zink wird als Zinkhydrat gefällt, das, soweit es nicht im nassen oder angetrockneten Zustand abgesetzt wird, in einer Zinkkalzinierungsanlage in Zinkoxyd umgewandelt wird. BArch 8135 / 7293, Bericht über die Zinkoxydgewinnung der DKAG in den Jahren 1940 – 1942, S. 10 f. Aus Zinkoxyd wiederum wird in Zinkhütten Zink gewonnen. Rübmann (1925), S. 8. 116 Hierbei handelte es sich um die Wertschöpfung der Hütten zuzüglich eines vom Staat festgelegten Investitionsbetrags. Zu einer genaueren Definition der „Normalhüttenlöhne“, vgl. Kapitel 2.4.

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5.2 Vertragsform und Erwartungen

Tabelle 44: Weltmarktpreis und Selbstkosten zuzüglich Normalhüttenlöhne der Zinkoxydproduktion der DKAG und der Kupferhütte Ertel, Bieber & Co. 1935 – 1938 (RM / to)

1935/36

Weltmarktpreis

Selbstkosten der DKAG

169,3

201,7

1936/37

181,16

1938/39

167,90

1937/38

270,02

Selbstkosten der Kupferhütte Ertel, Bieber & Co. 327,52

206,78

379,09

197,12

398,94

204,64

376,69

Quelle: Für die Devisenkurse zur Berechnung der langfristigen Preisuntergrenze in RM, vgl. Statisches Jahrbuch für das deutsche Reich, verschiedene Jahrgänge; zur langfristigen Preisuntergrenze in engl. Pfund pro kg, vgl. Tabelle 38; für die tatsächlichen Selbstkosten zuzüglich Hüttenlöhnen der DKAG, vgl. BArch R 8135 / 2125, Bericht über die DKAG 1935 / 36, Bericht über die DKAG 1936 / 37, Bericht über die DKAG 1937 / 38, BArch R 8135 / 7293 a, Bericht über die DKAG 1938 / 39; für die tatsächlichen Selbstkosten zuzüglich Hüttenlöhnen der der Kupferhütte Ertel, Bieber & Co., vgl. BArch R 8135 / 4888; R 8135 /  626.

Das gleiche Bild zeigt sich, wenn man die Hüttenlöhne für importierte Erze der vor 1934 größten, danach zweitgrößten deutschen Zinkhütte Berzelius Metallhütten GmbH mit den Weltmarkthüttenlöhnen für die jeweiligen Rohstoffe vergleicht.117 Tabelle 45: Weltmarkthüttenlöhne und Hüttenlöhne der Berzelius Metallhütten GmbH bei der Zinkproduktion von 1935 – 1939 (RM / to)

1935/36

1936/37

1937/38

1938/39

Weltmarkthüttenlöhne für die Verhüttung von Zinkerzen aus Burma

Normalhüttenlöhne für die Verhüttung von Zinkerzen aus Burma

Normalhüttenlöhne für die Verhüttung von Zinkerzen aus Kanada

Weltmarkthüttenlöhne für die Verhüttung von Zinkerzen aus Kanada

42,68

69,82

68,10

39,96

70,24

68,8

26,95

36,60

69,82

49,37

70,02

45,88

k.A.

67,64

k.A.

37,61

Quelle: BArch 8135 / 355, Bericht der Deutschen Revisions- und Treuhand AG über die Zinkproduktion von Berzelius 1935 / 36; BArch 8135 / 357, Bericht der Deutschen Revisions- und Treuhand AG über die Zinkproduktion von Berzelius 1936 / 37; Bericht der Deutschen Revisions- und Treuhand AG über die Zinkproduktion von Berzelius 1938 / 39.

Dennoch lässt sich daraus nicht folgern, dass unter Normalbedingungen in Deutschland die Zinkoxydgewinnung und die Zinkverhüttung nicht wettbewerbsfähig gewesen wären. Als Maßstab für die Wettbewerbsfähigkeit gelten auch hier die Zinkpreise auf dem Weltmarkt, die offensichtlich für die Zeit nach 1934 auch ein guter Indikator für ein normales Preisniveau sind. Als weiterer Indikator wird die bereits erwähnte, sogenannte „krisenhafte“ Preisuntergrenze für Zink gewählt. Im Unter117

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Zu Berzelius, vgl. auch BArch R 3101 / 30486. Bl. 3.

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5. Investitionsentscheidungen bei der Gewinnung von Nichteisenmetallen

schied zum Prozedere bei der Erzproduktion werden hier RM-Größen betrachtet, weswegen nicht die Selbstkosten zuzüglich Hüttenlöhne der deutschen Produzenten von Zinkoxyd bzw. die Hüttenlöhne der deutschen Zinkhütten, sondern die genannten Wettbewerbsindikatoren um den Abwertungseffekt bereinigt werden. Den beiden Indikatoren, an denen die Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Zinkoxyderzeuger gemessen werden soll – einmal der tatsächliche Weltmarktpreis und das andere Mal der „krisenhafte“ Mindestpreis für Zink, jeweils um die Pfundabwertung korrigiert – , werden nun die kontrafaktischen Selbstkosten zuzüglich Hüttenlöhne gegenübergestellt. Die kontrafaktischen Selbstkosten zuzüglich Hüttenlöhne unterscheiden sich dabei von den in der Tabelle 44 aufgeführten Selbstkosten zuzüglich Normalhüttenlöhne. Zum einen werden statt der staatlich festgelegten Normalhüttenlöhne die jeweiligen Weltmarkthüttenlöhne verwendet, wobei auch hier eine Korrektur des Abwertungseffektes erfolgt. Denn im Fall einer Normalisierung wären die Weltmarkthüttenlöhne maßgebend gewesen. Weiterhin werden die „sogenannten Abschreibungen“ in den Selbstkosten, die eine Sofortabschreibung getätigter Investitionen implizieren, durch echte Abschreibungen ersetzt. Die in den „sogenannten Abschreibungen“ enthaltenen Investitionen werden auf normale lineare Abschreibungen über eine Dauer von zehn Jahren umgelegt. Dies entspricht eher einer Obergrenze, erhöht also die kontrafaktischen Selbst­ kosten, weil unter Normalbedingungen z. B. bei der DKAG die Anlagen mit nur sieben Prozent p.a. abgeschrieben wurden. Der auf diese Weise ermittelte kontrafaktische Wert der Selbstkosten zuzüglich Hüttenlohns wird im Folgenden den oben beschriebenen Wettbewerbsfähigkeitsindikatoren gegenübergestellt. Es zeigt sich, dass offensichtlich unter Normalbedingungen, also aus der Perspektive der Zeitgenossen in möglicherweise mittelfristiger Sicht, die positiven Zukunftsaussichten der Zinkoxydproduktion, die sich gerade durch die Aufnahme der Produktion in beiden Unternehmen Ende der 1920er / Anfang der 1930er Jahre manifestiert hatte, auch während der 1930er Jahre bestätigt wurden. Die DKAG, die bereits in den 1920er Jahren ein Pionier bei der Zinkoxydgewinnung aus Schwefelkiesabbränden war, hätte sogar die krisenhafte Preisuntergrenze bei Eliminierung des Abwertungseffektes des englischen Pfundes jederzeit deutlich unterbieten können. Auch die Kupferhütte Ertel, Bieber & Co, die ebenfalls bereits vor 1933 aus Schwefelkiesabbränden Zinkoxyd produzierte118, war unter Normalbedingungen im Grundsatz langfristig wettbewerbsfähig. Für die Richtigkeit dieser Berechnungen spricht auch ein interner Bericht über die wirtschaftliche Entwicklung der DKAG von Anfang 1935, also vor Eintritt in das Förderprämienverfahren. In diesem Bericht wurde für dieses Jahr ein Selbstkostenniveau von 147 RM / to prognostiziert, wobei man davon ausging, dass dieser Wert wohl in Zukunft nicht mehr unterschritten werden könne, da man keine weiteren kostensenkenden Verfahrensverbesserungen mehr erwartete.119 118

BArch R 8135 / 4888, Bericht über die Prüfung der Selbstkosten der Zinkoxydherstellung der Kupferhütte Ertel, Bieber & Co., S. 6. 119 BAL 9 / L.4.1, Die Lage der Duisburger Kupferhütte zu Beginn des Jahres 1935, S. 12 und S. 28.

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255

5.2 Vertragsform und Erwartungen

Tabelle 46: Zur kontrafaktischen Wettbewerbsfähigkeit der Zinkoxydproduktion der DKAG und der Kupferhütte Ertel, Bieber & Co. 1935 – 1938 (RM / to) Kontrafaktischer Weltmarktpreis

Hypothetische Selbstkosten der DKAG

1935/36

270,8

170,28

1937/38

432,3

153,43

1936/37

1938/39

290,5

268,6

154,83

163,23

Hypothetische Selbstkosten der Kupferhütte Ertel, Bieber & Co.

Krisenhafte Preisuntergrenze

269,1

246,76

238,22

246,76

298,12

246,76

317,73

246,76

Für die hypothetischen Selbstkosten der Kupferhütte Ertel, Bieber & Co und der DKAG, eigene Berechnung. Quelle: Vgl. Tabelle 44. Für die Devisenkurse zur Berechnung der krisenhaften Preisuntergrenze und der kontrafaktischen Weltmarktpreise in RM, vgl. Statistisches Jahrbuch für das Deutsche Reich, verschiedene Jahrgänge.

Gestützt auf diese Ergebnisse, die eine grundsätzliche Zukunftsfähigkeit der Zinkoxydproduktion nahelegen, war also, in Übereinstimmung mit der in Kapitel 5.1 aufgestellten Hypothese, die Entscheidung, einen Förderprämienvertrag abzuschließen, durchaus rational. Im Fall der DKAG spricht für diese Schlussfolgerung zudem der Umstand, dass das Unternehmen den Ausbau der Zinkoxydgewinnung auch als Schaffung einer Vorproduktanlage für ein zukunftsträchtiges, gewinnbringendes Produkt ansah, nämlich die Produktion eines besonders reinen Zinks (mit einem Gehalt von 99,999 Prozent) aus dem aus Abbränden gewonnenen Zinkoxyd. An entsprechenden Forschungen auf diesem neuen Feld hatte man bereits vor dem Eintritt in das Förderprämienverfahren gearbeitet und das dann neu entwickelte Verfahren mit eigenen Mitteln noch vor dem Krieg großtechnisch erprobt.120 Die Zukunftsfähigkeit dieses Verfahrens wurde dabei kurz nach Kriegsende folgendermaßen eingeschätzt: „Wir beabsichtigen das Zink fortan in Form von hochwertigem Zinkoxyd zugewinnen (…). Die Herstellung der neuen Produkte ist also für die Hütte ein gewinnbringender Faktor von beachtenswerter Größe.“121 Ein vergleichbares Ergebnis, also die Zukunftsfähigkeit der Anlagen unter der Maßgabe von Normalbedingungen, zeigt sich auch für die Zinkverhüttung, wenn man bei dem oben angeführten Beispiel der Zinkproduzenten der Berzelius Metallhütten GmbH, einer Tochter der Metallgesellschaft, zum einen den Abwertungseffekt bei den Weltmarkthüttenlöhnen korrigiert, und zum anderen die Hüttenlöhne von Berzelius in gleicher Weise, wie das bei den Selbstkosten der Zinkoxydproduzenten geschah, um die „sogenannten Abschreibungen“ berichtigt.122

120

BAL 9 / L.4.1, Neuer Weg zur Gewinnung von 5-Neuner-Zink, 21.11.1945 BAL 9 / L.4.1, Überblick über die Duisburger Kupferhütte vom 27.5.1946. 122 Zur Definition der Hüttenlöhne, vgl. Kapitel 2.4. 121

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5. Investitionsentscheidungen bei der Gewinnung von Nichteisenmetallen

Tabelle 47: Korrigierte Weltmarkthüttenlöhne und potenzielle Hüttenlöhne der Berzelius Metallhütten GmbH bei der Zinkproduktion von 1935 – 1939 Korrigierte Weltmarkthüttenlöhne für die Verhüttung von Zinkerzen aus Burma 1935/36

60,75

1937/38

81,95

1936/37

1938/39

70,84

76,16

Kontrafaktische inländische Hüttenselbstkosten bei der Verhüttung von Zinkerzen aus Burma

Kontrafaktische inländische Hüttenselbstkosten bei der Verhüttung von Zinkerzen aus Kanada

Korrigierte Weltmarkthüttenlöhne für die Verhüttung von Zinkerzen aus Kanada

58,02

57

66,33

48,8

44,74

62,12

50,02

50,24

k.A.

47,64

k.A.

62,43

Für die potenziellen Hüttenlöhne, eigene Berechnung, auf Basis der Angaben zu den sogenannten Abschreibungen und der Normalhüttenlöhne in BArch 8135 / 355, Bericht der Deutschen Revisionsund Treuhand AG über die Zinkproduktion von Berzelius 1935 / 36; BArch 8135 / 357, Bericht der Deutschen Revisions- und Treuhand AG über die Zinkproduktion von Berzelius 1936 / 37; Bericht der Deutschen Revisions- und Treuhand AG über die Zinkproduktion von Berzelius 1938 / 39. Für die Devisenkurse zur Berechnung der korrigierten Weltmarkthüttenlöhne in RM, vgl. Statistisches Jahrbuch für das Deutsche Reich, verschiedene Jahrgänge.

Für die Zukunftsfähigkeit der deutschen Zinkhütten spricht auch der Umstand, dass bereits vor der Weltwirtschaftskrise die Bergwerksgesellschaft Georg von Giesche’s Erben den Bau einer modernen Zinkhütte in Magdeburg geplant hatte, die mit einer ursprünglich projektierten Kapazität von 40.000 Jahrestonnen die größte deutsche Zinkhütte werden sollte.123 Vorarbeiten dazu waren bereits Ende der 1920er Jahre in Angriff genommen und auch während der Weltwirtschaftskrise fortgesetzt worden, wie der Bau und der Betrieb einer Versuchsanlage zwischen 1927 und 1933 sowie die Schulung der Arbeitskräfte seit 1929 zeigt.124 Obwohl der Standort Magdeburg relativ weit entfernt von den Zinkgruben des Unternehmens in Deutsch-Oberschlesien war, waren für die Standortwahl ökonomische Gründe ausschlaggebend. Lediglich der massive Rückgang des Weltmarktpreises während der Weltwirtschaftskrise führte dazu, dass die Pläne zunächst nicht realisiert wurden.125 1933 wurde dann der Bau der Hütte mit einer Kapazität von ursprünglich 40.000 Jahrestonnen, wie erwähnt, mithilfe eines Kredits der Öffa gemäß einem Vertrag vom 15.7.1933 aufgenommen.126 Diese Ausnahme einer Erweiterung der Hüttenkapazitäten mithilfe staat­licher Mittel vor Einführung des Förderprämienverfahrens ein Jahr später war auf das bereits Anfang der 1930er Jahre geäußerte Interesse der Reichswehr an Zinkhüttenkapazitäten im strategisch betrachtet sichereren mitteldeutschen Raum zurückzuführen. Hinzu kam der militärische Bedarf an Vernebelungssäure, die aus der als Nebenprodukt bei 123

BArch R 3101 / 30498, R 8135 /  7. BArch R 8135 / 7144, Bericht der Deutschen Revisions- und Treuhand AG über die Bergwerksgesellschaft Georg von Giesche’s Erben, Breslau betreffend Sonderfragen der Hütte Magdeburg (Rechnungsjahre bis 31.12.1941), S. 79. 125 BAL 700-325, Interner Brief der IG Farben AG vom 23.7.1932. 126 Ebd. 124

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5.2 Vertragsform und Erwartungen

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der Zinkverhüttung anfallenden Schwefelsäure gewonnen werden konnte. Die grundsätzliche Kreditgewährung für den Ausbau der Hütte war auf Betreiben des Reichswehrministeriums bereits im Jahr 1932 erfolgt. Mitte der 1930er Jahre wurde die Hütte Magdeburg noch um 15.000 Jahrestonnen zur Verarbeitung fremder Erze vergrößert.127 Auch die Unterharzer Berg- und Hüttenwerke GmbH errichteten mit einem im Rahmen des Förderprämienverfahrens gewährten Kredit von zunächst 5,5 Millionen Reichsmark, der dann insgesamt ein Volumen von 30 Millionen RM annahm, neben einer Schwimmaufbereitungsanlage im Erzbergwerk Rammelsberg, eine Zinkhütte in Oker.128 Diese Hütte arbeitete nach einem neuartigen US-amerikanischen Verfahren und zählte in den 1940er Jahren mit einer Kapazität von ca. 20.000 Jahrestonnen zu den größten deutschen Zinkhütten.129 Allerdings hatte es um 1933, auch unabhängig von der später erfolgten staatlichen Förderung, bereits Pläne gegeben, die Zinkverhüttungskapazitäten zu erweitern.130 Auch die 1934 errichtete Zinkraffinationsanlage von Berzelius war bereits vorher geplant worden.131 Zusammenfassend kann man sagen, dass das Förderprämienverfahren hinsichtlich der Investitionstätigkeit in den betrachteten Branchen weitgehend nur die Nachteile aufwog, die sich für die deutschen Blei- und Zinkproduzenten aus der aus politischen Gründen nicht erfolgten Abwertung der Reichsmark ergaben. 5.2.2 Kupfer Während beim Ausbau der deutschen Kupferhütten mit dem Förderprämienverfahren nur ein Vertragstyp zum Einsatz kam, fand bei der Kupfererzgewinnung neben diesem, wie bei der Flotationsgesellschaft Siegen und der Kupfererzförderung auf dem Rammelsberg, zusätzlich noch der einem Pachtvertrag vergleichbare Zuschussvertrag Verwendung, z. B. im Mansfelder Kupferschieferbergbau, in dem, wie erwähnt, ca. 80 – 90 Prozent der deutschen Kupfererze (Metallinhalt) gefördert wurden, bei der Kurhessischen Kupferschieferbergbau GmbH Eisleben (Kurhessen) und der Bergbau- und Hütten AG (BUHAG).132 Entsprechend der in Abschnitt 5.1 dargelegten Hypothese wäre zu erwarten, dass in den letztgenannten Fällen auch unter Normalbedingungen die Unternehmen mit der Ausbeutung der Kupferschiefervorkommen langfristig keine positiven Zukunftserwartungen verknüpften, im Unterschied zur Hüttenproduktion, bei der das Förderprämienverfahren zum Einsatz kam. Diese Vermutung wird in der Tat durch eine Reihe von Überlegungen und Belegen gestützt. 127

BArch R 8135 / 7144, Bericht über die Bergwerksgesellschaft Georg von Giesche’s Erben, Breslau betreffend Sonderfragen der Hütte Magdeburg (Rechnungsjahre bis 31.12.1941), S. 9, 26 f. 128 BArch R 3101 / 17902 / 1, Bürgschaftserklärung des Reichsfinanzministers vom 30.3.1936. 129 BArch R 3101 / 30486; R 8135 / 3; Bartels (1988), S. 54. 130 BArch R 2 / 15398, Aktenvermerk vom 22.11.1934, Bl. 72. 131 Ulrich (1937), S. 119. 132 J. Scherner, „‚Ohne Rücksicht auf Kosten‘? Eine Analyse von Investitionsverträgen zwischen Staat und Unternehmen im ‚Dritten Reich‘ am Beispiel des Förderprämienverfahrens und des Zuschussvertrags“, in: Jahrbuch für Wirtschaftsgeschichte 2004, 167 – 88, hier: S. 182.

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5. Investitionsentscheidungen bei der Gewinnung von Nichteisenmetallen

Die negative Einschätzung über die mangelnde Konkurrenz- und Zukunftsfähigkeit der Mansfelder Kupfergewinnung war, wie erwähnt, bereits seit Mitte der 1920er Jahre immer wieder geäußert worden. So heißt es in einem Bericht der Generaldirektion der Mansfeld AG aus dem Jahr 1924: „Die Förderung in der Mansfelder Mulde wird sich nach Abbau der guten Flözpartien […] (nach etwa 10 Jahren) nicht mehr auf der alten Höhe halten lassen können, vielmehr wird die sinkende Fördermenge die Rentabilität des Unternehmens nach unserer Erfahrung bestimmt in Frage stellen.“133 In einer Denkschrift des Unternehmens aus dem Jahr 1930 heißt es: „Wenn man die Lage dieses unseres Hauptbetriebes richtig würdigen will, muß man sich zunächst drüber klar sein, dass der Mansfelder Kupferschieferbergbau unter wesentlich ungünstigeren Bedingungen zu arbeiten hat als fast alle anderen Kupfererzeuger der Welt. Das Mansfelder Kupfer wird in einem Kupferschieferflöz gewonnen, das eine erzführende Mächtigkeit von im Durchschnitt nur 21 cm hat, dessen Kupfergehalt zwischen 2 und 3% schwankt und das gegenwärtig in Teufen bis zu 800 m abgebaut wird. Dazu kommt, dass eine Anreicherung des Kupfererzes im Wege einer mechanischen oder chemischen Aufbereitung, die sonst fast überall stattfindet, beim Mansfelder Erz leider nicht möglich ist, so dass die gesamten geförderten Erzmassen, die nur einen verschwindend geringen Kupfergehalt haben, nach einer Handscheidung dem Hüttenprozeß zugeführt werden müssen und durch die großen Einsatzmengen diesen naturgemäß unverhältnismäßig teuer gestalten.“134 Zugleich war ersichtlich, dass der Preisverfall des Kupfers seit 1929 nicht ausschließlich auf die Weltwirtschaftskrise zurückzuführen war. Denn Anfang der 1930er Jahre wurden sehr kostengünstig zu erschließende Kupfererzfelder entdeckt. So stieg trotz der Weltwirtschaftskrise die Kupferproduktion in Rhodesien von 9.100 jato im Jahr 1931 auf 145.000 jato im Jahr 1934 an.135 Die Deutsche Revisions- und Treuhand AG, die im Auftrag des Reiches das Unternehmen prüfen sollte, nachdem es 1930 um Subventionen gebeten hatte, attestierte schon damals der Mansfelder Kupferproduktion eine mangelnde Zukunftsfähigkeit.136 Zugleich prognostizierte man, dass die Selbstkosten in der Zukunft weiter steigen würden. Denn die Kupferausbringung würde mit dem Abbau in größeren Tiefen zunehmend fallen.137 Auch die bereits erwähnte Statistik des Reichswirtschaftsministeriums unterstreicht deutlich die aus diesen Aussagen und Überlegungen hervorgehende mangelnde internationale Wettbewerbsfähigkeit des Mansfelder Kupferschieferbergbaus bereits Ende der 1920er Jahre. Nach dieser Aufstellung wurden 69,3 Prozent der Kupfererzeugung der Welt erfasst. Die durchschnittlichen Selbstkosten der Hersteller betrugen 8,95 cts / Ib, was deutlich niedriger als der Wert der Mansfeld AG mit 13,5 cts / Ib war.138 Insgesamt wurden 96,7 Prozent der erfassten Kupfermenge 133 Radandt

(1958), S. 127. BArch R 2 / 15345, Denkschrift der Mansfeld AG über die Notlage des Mansfelder Kupferbergbau- und Hüttenbetriebs vom 26.4.1930, Bl. 22. 135 Schatz (1936), S. 47. 136 BArch R 8119 F / P 1321, Bericht der Deutschen Revisions- und Treuhand AG über Mansfeld, November 1930. 137 Schatz (1936), S. 15. 138 BArch R 3101 / 30834, Bl. 81 ff. 134

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5.2 Vertragsform und Erwartungen

billiger als in dem mit Abstand größten deutschen Kupferbergbauunternehmen erzeugt. Infolgedessen ist es nicht überraschend, dass die Mansfeld AG hinsichtlich ihrer Kupfergewinnung Ende der 1920er Jahre von dem Amsterdamsch Effektenblad als „Grenzunternehmen“ 139 bezeichnet wurde, also als ein Unternehmen, das nur bei sehr günstiger Marktlage, wie das Ende der 1920er Jahre durch den durch das Kupferkartell künstlich herbeigeführten sehr hohen Marktpreis der Fall war, ohne Verluste produzieren konnte.140 Die Entwicklung der Selbstkosten der Kupfergesellschaft in den 1930er und frühen 1940er Jahren stützt die angeführten negativen Erwartungen über die Zukunftsfähigkeit des Kupfererzabbaus in Mansfeld. Denn selbst wenn man, wie viele deutsche Unternehmen in den 1930er Jahren, unterstellt, dass die Überbewertung der Reichsmark gegenüber dem englischen Pfund, in dem der Weltmarktpreis für Elektrolytkupfer notiert wurde, nicht von Dauer sein würde, und diese Verzerrung korrigiert, überschritten die Selbstkosten der Kupfergesellschaft, in denen zudem keine Abschreibungen enthalten waren, den korrigierten, seit 1932 nicht mehr auf Kartellvereinbarungen beruhenden Weltmarktpreis deutlich.141 Schaubild 23: Die mangelnde internationale Wettbewerbsfähigkeit der Kupfergesellschaft 250

RM pro 100 kg

200

150

100

50

0

1928

1929

1930

1931

1932

1933

1934

1935

1936

1937

1938

1939

1940

1941

1942

1943

1944

Jahr

Preis im deutschen reich Weltmarktpreis korrigierter Weltmarktpreis tatsächliche selbstkosten der kupfergesellschaft durschnittliche selbstkosten 199 = Normale Preisuntergrenze

Quelle: Für die Weltmarktpreise (Londoner Notierung) und den Preis im Deutschen Reich für Elektrolytkupfer (RM pro 100 kg), vgl. Statistisches Jahrbuch für das Deutsche Reich, verschiedene Jahrgänge. Nach 1939 wurden die Preise sowohl in Großbritannien als auch in Deutschland administrativ festgelegt. Bei dem korrigierten Weltmarktpreis wird von der 40%igen Pfundabwertung von 1931 139

BArch R 8119 F / P 1321, Amsterdamsch Effektenblad vom 12.8.1930. Zum Kupferkartell, das bis 1932 Bestand hatte, vgl. Neher (1939), S. 224. 141 Ebd. 140

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5. Investitionsentscheidungen bei der Gewinnung von Nichteisenmetallen

abgesehen. Für die Selbstkosten der Kupfergesellschaft, vgl. BArch R 8135 / 2075, Bericht über die Kupfergesellschaft 1933, Bericht über die Kupfergesellschaft 1934; Bericht über die Kupfergesellschaft 1935, Anlage VIII; Bericht über die Kupfergesellschaft 1936, Anlage VI; BArch R 8135 / 2076, Subventionsprüfung der Kupfergesellschaft 1937, Anlage VII; Subventionsprüfung der Kupfergesellschaft 1939 (für 1937 und 1938); BArch 8135 / 947; Subventionsprüfung der Kupfergesellschaft 1940 (für 1939); BArch R 8135 / 7691, Bericht über die Kupfergesellschaft 1941; Bericht über die Kupfergesellschaft 1942; BArch R 8135 / 8653, Bericht über die Kupfergesellschaft 1943; für 1944, vgl. BArch R 3101 / 30093, Schreiben des Aufsichtsrats der Kupfergesellschaft an das RWM vom 16.6.1944, Bl. 4. Für die durchschnittlichen Selbstkosten aller Anbieter 1929, vgl. BArch R 3101 / 30834, Bl. 81 ff.

Dies gilt auch, wenn man, analog zu den Überlegungen bei der Zinkproduktion, die „normale“ Preisuntergrenze auf Basis der durchschnittlichen Selbstkosten der weltwei­ ten Kupferproduktion im Jahr 1929 der Entwicklung der Selbstkosten der Mansfel­der Kupferproduktion gegenüberstellt. Eine Ursache für die seit der zweiten Hälfte der 1930er Jahre rasant ansteigenden Selbstkosten der Kupfergesellschaft war der, wie erwähnt, bereits in den 1920er Jahren prognostizierte Umstand, dass der Kupfergehalt der geförderten Erze fast kontinuierlich absank. 1943 wurde trotz ähnlicher Erzförderung weniger als 60 Prozent der Menge Kupfer gewonnen als zehn Jahre zuvor.142 Die Folge davon war, dass naturgemäß die beiden größten Kostenbestandteile der Kupferproduktion, die Bergbau- und die Hüttenkosten anstiegen. Schaubild 24: Index der Minernförderung und der Kupferproduktion der Kupfergesellschaft 1933-1944 (1933=100) 140

120 100

80

60 40 20

0

1933

1934

1935

1936

1937

1938

1939

1940

1941

1942

1943

1944

Jahr

Minernförderung

kupferproduktion

Eigene Berechnung. Quelle: Vgl. Schaubild 23.

Auch die Lagerstätte wurde immer schwerer zugänglich, wie schon lange bekannt war. Dies führte in den meisten Jahren dazu, dass die Bergbaukosten pro kg ausgebrachtes Kupfer stärker stiegen, als die Menge an geförderten Erzen pro kg ausgebrachtes Kupfer. 142 Schaubild

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5.2 Vertragsform und Erwartungen

Tabelle 48: Die Ursachen der Selbstkostensteigerung der Kupfergesellschaft 1937 – 1942

1938

Zunahme der Bergbaukosten pro kg ausgebrachtes Kupfers gegenüber dem Vorjahr (%)

Zunahme der Minern pro kg ausgebrachtes Kupfers gegenüber dem Vorjahr (%)

1,82

4,82

10,13

1939

1940

15,63

1942

3,97

1941

4,08 9,5

11,12

0,3

-0,6

Eigene Berechnung. Quelle: Vgl. Schaubild 23.

Infolgedessen war es nicht überraschend, dass der Staat aufgrund seiner vertraglichen Verpflichtungen zunehmende Verluste der Kupfergesellschaft decken musste. Die Zuschüsse, die für Investitionen verwendet wurden, blieben hingegen in etwa konstant.

Schaubild 25: Jährliche Verlustausgleichssubventionen und Investitionen bei der Kupfergesellschaft 1932-1943 30

25

Mill. RM

20

15

10

5

0

1932

1933

1934

1935

1936

1937

1938

1939

1940

1941

1942

1943

Jahr

Verlustausgleichssubvention

Investition

Quelle: BArch R 3101 / 30381, Bl. 2.

Bei den anderen Unternehmen, die einen Zuschussvertrag abgeschlossen hatten, näm­ lich bei Kurhessen und der BUHAG, war die Einschätzung der Zeitgenossen hin-

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5. Investitionsentscheidungen bei der Gewinnung von Nichteisenmetallen

sichtlich der Wettbewerbsfähigkeit gleichermaßen negativ.143 So führte der Generaldirektor der Mansfeld AG, Stahl, vor der Generalversammlung der Gesellschaft über die Rentabilität der Unternehmenstochter Kurhessische Kupferschieferbergbau GmbH Eisleben (Kurhessen) aus: „Insofern liegen die Verhältnisse ähnlich wie bei der Mans­ felder Kupfergesellschaft.“144 Entsprechend hieß es in dem von Kurhessen und der BUHAG abgeschlossenen Zuschussvertrag: „Es herrscht Einverständnis darüber, dass bei dem voraussichtlich zu erwartenden starken Zurückbleiben der erzielbaren Erlöse gegenüber den Selbstkosten die Errichtung und der Betrieb der Anlagen ohne Mitwirkung der öffentlichen Hand nicht möglich ist“.145 Dazu passt, dass der Abbau in den zur späteren Kurhessische Kupferschieferbergbau GmbH gehörenden Gruben bereits 1909 wegen mangelnder Rentabilität eingestellt worden war.146 Betrachtet man hingegen die durch das Förderprämienverfahren geförderten Unternehmen, nämlich Kupferlohnhütten, so zeigt sich hier eine andere Entwicklung. Denn gerade bei den Lohnhütten war, wie bereits angedeutet, eine starke Rationalisierung während der 1920er Jahre in Deutschland erfolgt, wie bei der Norddeutschen Affinerie.147 Infolgedessen galt diese vor der Weltwirtschaftskrise als eine der modernsten Kupferhütten des Kontinents.148 So heißt es im Bericht des Unternehmens über das Geschäftsjahr 1925 / 26: „Es ist uns (….) gelungen, vor allem in einzelnen Betrieben durch Verbesserungen und Rationalisierung die Kosten so weit herunterzudrücken, dass wir nunmehr mit den viel größeren amerikanischen Betrieben konkurrieren können.“149 Insbesondere die Abwertung des englischen Pfundes verschlechterte dann die Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Hütten deutlich.150 Im Bericht über das Geschäftsjahr 1931 / 32 der Norddeutschen Affinerie wird festgestellt: „Das abgelaufene Geschäftsjahr stand weiter unter Druck der sich immer verschärfenden Wirtschaftskrise. Der Rückgang der Metallpreise verringerte die Verdienstspanne bei der Verarbeitung von Erzen und Metallen, die Wertminderung verschiedener ausländischer Währungen steigerte die Konkurrenz dieser Länder, wirtschaftspolitische und devisentechnische Maßnahmen anderer Staaten erschwerten den Export unserer Fertigprodukte oder machten ihn zum Teil unmöglich.“151 Mit der Implementierung der Förderung der Nichteisenmetallindustrie im Dritten Reich expandierte dann auch die Norddeutsche Affinerie stark und produzierte Ende der 1930er Jahre in etwa die Hälfte des in Deutschland hergestellten Elektrolytkupfers.152 143

Vgl. auch Ulrich (1937), S. 99 f. BArch 8119 F / P 1319, Ausführungen von Generaldirektor Stahl in der außerordentlichen Generalversammlung der Mansfeld AG am 18.2.1937, Bl. 75 f. 145 BArch R 3101 / 30099, Kurhessenvertrag, I Allg. (3), S. 2 f. Der entsprechende Passus findet sich auch im BUHAG-Vertrag, vgl. BArch R 3101 / 30367, Zuschussvertrag der BUHAG vom 18.3.1941, I Allg. (3), Bl. 45 f. 146 J. Raabe, Zwangsarbeit in der Kurhessischen Kupferschieferbergbau Sontra 1940 – 1945, Kassel 1980, S. 113. 147 BArch R 3101 / 30816, Bl. 4. 148 Ulrich (1937), S. 44 f. 149 O.V., 100 Jahre Norddeutsche Affinerie, 1966, S. 59 f. 150 Ulrich (1937), S. 45. 151 O.V., 100 Jahre Norddeutsche Affinerie, 1966, S. 63. 152 Ebd., S. 61. 144

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5.2 Vertragsform und Erwartungen

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Zusammenfassend lässt sich sagen, dass die Wahl der Vertragsform auch bei der Kupfererzgewinnung- und verhüttung von den Erwartungen der Unternehmen unter Normalbedingungen bestimmt war. Im Unterschied zur Kupfererzgewinnung hätten die Unternehmen unter Normalbedingungen wohl auf eigenes Risiko in die Rohkupferverhüttung und insbesondere in seine Veredelungsproduktion investiert. 5.2.3 Aluminium Nicht nur in Deutschland, sondern auch in anderen industrialisierten Ländern lässt sich in den 1930er Jahren eine deutliche Ausdehnung der Aluminiumproduktion weit über das Volumen von 1928 hinaus beobachten.153 Diese Entwicklung registrierten auch die deutschen Hersteller.154 Das Wachstum in Deutschland war allerdings signifikant höher.155 Im Allgemeinen wurde Aluminium in den 1930er Jahren als ein zukunftsfähiges Produkt eingeschätzt, von dem man erwartete, dass es zunehmend weitere Verwendungsmöglichkeiten finden würde  –  wie in der weltweit expandierenden Flugzeugindustrie. So hieß es in einem internen Aktenvermerk der IG Farben AG 1934: „Es ist wohl unbestritten, dass die Verwendung von Leichtmetall sich dauernd, und voraussichtlich nach der Beruhigung der Weltwirtschaftslage in einem erheblich verstärkten Masse weiter entwickeln wird, wozu einerseits die verbilligten Herstellungspreise, andererseits auch die besseren Erkenntnisse und die verbesserten Legierungen und Verarbeitungsmethoden und ferner die höheren Ansprüche an die Verkehrsgeschwindigkeiten und ähnliches sehr fördernd und unterstützend mithelfen.“156 Auch einige Jahre später prognostizierte man immer wieder neue Verwendungsgebiete.157 Begünstigt wurde dieser Trend, auch aus Sicht der Unternehmen, durch die Relativpreisveränderung zwischen Kupfer und seinem partiellen Substitut Aluminium.158 Hinzu kam, dass man infolge erwarteter Selbstkostensenkungen mit einer weiteren Verbesserung der Preisrelation rechnete.159 Zu dieser positiven Einschätzung passt, dass die IG Farben AG, die bereits Anfang der 1930er mit dem Gedanken gespielt hatte, zusammen mit dem Weltmarktführer, der US-amerikanischen Aluminum Company of America (ALCOA), die staatlichen VAW zu kaufen, 1934 die gleiche Übernahmeabsicht, diesmal aber ohne Partner, äußerte, was das Reich allerdings ablehnte.160 Intern vermerkte die IG dabei im Zusammenhang mit ihrer Kaufabsicht: „Wir glauben…, dass ein preiswerter Kauf der VAW eine wertvolle Ergänzung unserer Interessen auf dem Leicht153

Zu einer Beschreibung des Verfahrens zur Aluminiumherstellung, vgl. z. B. W. Jungermann / H. Krafft, Rohstoffreichtum aus deutscher Erde, Berlin 1939, S. 166 – 179. 154 Vgl. z. B. BArch R 8119 F / P 1501, Geschäftsbericht der VAW 1935. 155 O.E.E.C. (Hg.), Statistical Bulletins: Industrial Statistics 1900 – 1955, Paris 1955, S. 89. 156 BAL 700-1076, Aktennotiz vom 2.5.1934. 157 H. Bürgel, Deutsche Austausch-Werkstoffe, Berlin 1937, S. 90 f. 158 Vgl. z. B. BArch R 8119 F / P 1501, Geschäftsbericht der VAW 1936; H. Bürgel (1937), S. 90 f. 159 Vgl. z. B. BArch R 8119 F / P 1501, Geschäftsbericht der VAW 1937. 160 BAL 800 / 39-82, Aktenvermerk vom 11.5.1933; BAL 700-1076, Aktennotiz vom 8.6.1934.

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5. Investitionsentscheidungen bei der Gewinnung von Nichteisenmetallen

metallgebiet darstellt und dass selbst bei einer Beschränkung des heute nicht unwesentlichen Exports doch durch den Innenmarkt sich eine gute Weiterentwicklung des Aluminiumabsatzes auf die Dauer ergeben wird.“161 Ende der 1930er Jahre schätzte die Industrie eine Aluminiumkapazität um die 100.000 Jahrestonnen unter Normalbedingungen als vertretbar ein.162 Das bedeutete eine Verdreifachung der Kapazitäten gegenüber dem Jahr 1928. Wenn man den ProKopf-Verbrauch der USA als Indikator für einen normalen Verbrauch und zugleich für eine normale Produktion in Deutschland heranzieht, zeigt sich, dass eine derartige Produktionsausdehnung, nicht übermäßig gewesen wäre. Anders sieht es hingegen aus, wenn man berücksichtigt, dass Ende der 1920 Jahre der deutsche Verbrauch nur in etwa 60 Prozent des US-amerikanischen entsprochen hatte. Allerdings ging man in Deutschland in den 1930er Jahren von einem Aufholprozess gegenüber den USA in der Produktion und im Verbrauch mancher Güter aus, für deren Herstellung Aluminium ein wichtiger Input darstellt, wie Automobile und Flugzeuge.163 Bereits in den 1920er Jahren war der Aluminiumverbrauch in Deutschland schneller als in den USA gewachsen.164 Daher müssen die Werte auf der 60-Prozent-Basis als Untergrenze, die Werte auf Basis des gesamten US-amerikanischen Pro-Kopf-Verbrauchs hin­gegen als Obergrenze interpretiert werden. Dafür, dass der kontrafaktische deutsche Wert wahrscheinlich näher an der Ober- als an der Untergrenze gelegen haben dürfte, sprechen nicht nur die zeitgenössischen Schätzungen, sondern auch die Entwicklung in Großbritannien, also eines Landes, das Ende der 1920er, Anfang der 1930er Jahre eher einen etwas geringeren Pro-Kopf-Verbrauch als Deutschland hatte. Tabelle 49: Tatsächliche und hypothetische Aluminiumproduktion in Deutschland Tatsäch­ liche Alumini­ umproduktion in Deutschland 1928

30.500

1930

30.700

1929 1935

32.700 70.800

ZeitgenösGeschätzter Geschätzter Geschätzter Tatsächsische Aluminium- Aluminium- Aluminiumlicher Schätzun­gen absatz in absatz in absatz in Alumizum inländi­ Deutschland Deutschland Deutschland niumschen Alu­mi­ni­ auf Basis des auf Basis auf 60%-Basis verbrauch um­­absatz Verbrauchs in des Verdes Verin Deutschunter Normal­ Groß­ brauchs in brauchs in den land be­din­gungen britannien den USA USA 41.708

k.A.

25.869

75.559

45.335

34.774

k.A.

30.434

50.100

30.060

k.A.

112.530

67.518

k.A.

114.664

68.798

28.310 76.507

k.A. 54.000

1937

127.600

128.600

100.000

1939

199.500

204.000

100.000

1938

165.600

176.600

k.A.

38.043 k.A.

100.434

75.624 k.A.

k.A.

45.374 k.A.

k.A.

Quellen: für die deutsche Produktion und die Übertragung des US-Verbrauchs und des britischen Konsums auf die deutsche Bevölkerung, vgl. E. Rauch, Geschichte der Hüttenaluminiumindustrie in 161

BAL 700-1076, Aktennotiz vom 2.5.1934 52. 163 BASF Archiv, IG Bestand, T 52 / 8. 164 Plumpe (1990), S. 403. 162 Tabelle

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5.2 Vertragsform und Erwartungen

265

der westlichen Welt, Düsseldorf 1962, S. 176, 238 (Verbrauch der USA), Verbrauch von Großbritannien, BAL 800 / 39-82, Aktenvermerk vom 2.9.1931 (für 1928 – 1930), FL. Neher, Kupfer, Zinn Aluminium, Leipzig 1942, S. 339 (für 1938); für die Bevölkerung der drei Länder, vgl. Statistisches Jahrbuch für das Deutsche Reich 1930, S. 1*; für den tatsächlichen Aluminiumverbrauch in Deutschland, vgl. Statistisches Handbuch von Deutschland, S. 293 (1935 – 1939), Statistisches Jahrbuch für das Deutsche Reich, verschiedene Jahrgänge; für die zeitgenössischen Schätzungen, vgl. Schatz (1936), S. 153; RWWA 195 / K 41-2, großer Lehrgang der Kommission für Wirtschaftspolitik der NSDAP vom 24 – 29.1.1938 in München.

Allerdings übertrafen Ende der 1930er Jahre die tatsächlichen Kapazitäten in Deutschland deutlich diese Obergrenze. Daraus wäre zu folgern, dass möglicherweise zu diesem Zeitpunkt in den Augen der Unternehmen eine weitere Kapazitätsausdehnung risikoreicher war, als das noch Mitte der 1930er Jahre der Fall war und daher eine derartige Bereitschaft sich auch in der Wahl der Vertragsform niederschlagen müsste. In der Tat sah man zu diesem Zeitpunkt, wie in Abschnitt 5.1 dargestellt, verstärkt die Gefahr von „Schattenanlagen“, also Anlagen, die unter Normalbedingungen nicht ausgelastet werden könnten. Allerdings war zu diesem Zeitpunkt auch bekannt, dass in anderen Ländern, in denen eine „normale“ Wirtschaftspolitik betrieben wurde, ausländische Konkurrenten enorme Kapazitätsausdehnungen planten. So wollten sowohl die US-amerikanische ALCOA als auch die schweizerische AIAG ihre Produktion auf 280.000 bzw. 50.000 jato verdoppeln.165 Damit näherten sich die geplanten Kapazitäten der USA der Größenordnung an, die man vor der Weltwirtschaftskrise in langfristiger Perspektive für dieses Land prognostiziert hatte.166 Insgesamt ging man Ende der 1930er Jahre von einem weiter ansteigenden Verbrauch weltweit aus.167 Aus der allgemeinen Einschätzung in den 1930er Jahren, dass die Aluminiumnachfrage auch unter Normalbedingungen zukünftig weiter zunähme, lässt sich aber nicht notwendigerweise folgern, dass auch die deutschen Aluminiumproduzenten in einer derartigen Situation wettbewerbsfähig gewesen wären und dementsprechend investiert hätten. Eine nähere Betrachtung zeigt jedoch, dass dies durchaus der Fall war. Denn vergleicht man die Entwicklung der Selbstkosten von Bitterfeld und der VAW mit der Entwicklung des Weltmarktpreises, so wurde dieser, selbst wenn man auf eine Korrektur des Abwertungseffektes verzichtet, zu jedem Zeitpunkt unterboten.

165

BArch 8128 / A 959, Volkswirtschaftliche Abteilung der IG Farben AG, Rohaluminiumindustrie in der Welt. Standorte und Kapazitäten, 24.1.1939. 166 O.V., Die IG Farbenindustrie AG und ihre Bedeutung, Berlin 1926, S. 5 167 Neher (1939), S. 337.

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5. Investitionsentscheidungen bei der Gewinnung von Nichteisenmetallen

Schaubild 26: Aluminiumpreise und Selbstkosten der deutschen Produzenten 1928-1943 250

RM pro kg Aluminium

200

150

100

50

0

1928

1929

1930

1931

1931

1933

1934

1935

1936

1937

1938

1939

1940

1941

1942

1943

Jahr

Deutsches Reich Weltmarkt Selbstkosten der VAW Selbstkosten der VAW ohne Abschreibungen Selbstkosten der VAW ohne Abschreibungen und Generalia Korrigierter Weltmarktpreis Selbstkosten von Bitterfeld

Quellen: Für die Devisenkurse und den Weltmarktpreis (New Yorker Notierung), vgl. Statistische Jahrbuch für das Deutsche Reich, verschiedene Jg., für die Selbstkosten Bitterfelds 1934 – 1938, vgl. BASF-Archiv, IG-Bestand, B 5 / 30, für 1939 – 1944, vgl. BAL 800-39-1387; für die Selbstkosten der VAW, vgl. Quelle, Tabelle 34.

Problematisch bei dieser Betrachtung ist jedoch, dass der Weltmarktpreis eigentlich der US-amerikanische Preis ist, da lediglich der amerikanische Markt aufgrund der Antitrustgesetzgebung außerhalb des Einflussbereichs des bis Ende der 1930er Jahre andauernden internationalen Aluminiumkartells lag.168 Daher soll ein weiterer Indikator zur Überprüfung der Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Produzenten in den 1930er Jahren herangezogen werden, nämlich ein Vergleich der Selbstkosten der deutschen Hersteller mit denen der ALCOA, für die für die Jahre 1935 – 1937 entsprechende Daten zu finden waren. Bei diesem Vergleich zeigt sich, dass unter Berücksichtigung des Abwertungseffektes die deutschen Anbieter bei Aluninium, bei dem typischerweise die Selbstkosten pro kg mit zunehmender Herstellung fallen, 1935 grundsätzlich wettbewerbsfähig waren.169 168 Hierbei

handelte es sich um ein Quotenkartell. Solange dies bestand, ließ sich die deutsche Gruppe alle staatlich gewünschten Erweiterungen vom Kartell genehmigen. Vgl. Plumpe (1990), S. 412 f. Zum Aluminiumkartell, vgl. auch Schatz (1936), S. 137, Neher (1939), S. 334 f. 169 Tabelle 50. Nicht relevant, und daher bei der Berechnung des Abwertungseffekts nicht berücksichtigt, ist der Umstand, dass bei einer Abwertung der Reichsmark sich der Bauxitpreis erhöht hätte. Denn um eine Kilogramm Aluminium zu erzeugen, fielen gerade einmal Bauxitkosten von 2 Rpf an, d. h. der Anteil der Bauxitkosten an den Selbstkosten pro kg Aluminium betrug etwa 4 Prozent. Neher (1942), S. 311, 327.

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5.2 Vertragsform und Erwartungen

Tabelle 50: Selbstkosten der deutschen Aluminiumhersteller und ihre tatsächli­ che und kontrafaktische Wettbewerbsfähigkeit im Vergleich zur ALCOA 1935 – 1937 Produktionskosten der ALCOA (RM pro kg Aluminium) 1935

62

1937

53

1936

53

Produktionskosten der VAW (RM pro kg Aluminium)

Produktionskosten von Bitterfeld (RM pro kg Aluminium)

104

100

96

96

100

95

Kontrafaktische Produktionskosten der ALCOA (RM pro kg Aluminium) 105 89

89

Quelle: Für die Angaben zu den Selbstkosten der ALCOA, vgl. Rauch, S. 305, Spalte F, für die Devisenkurse, vgl. Statistisches Jahrbuch für das Deutsche Reich, verschiedene Jg., für die Selbstkosten Bitterfelds und der VAW, vgl. Quelle, Tabelle 33; Tabelle 34.

Auf den ersten Blick verschlechterte sich 1936 die Situation gegenüber dem potenziellen US-amerikanischen Wettbewerber. Es ist jedoch zu berücksichtigen, dass die kontrafaktischen Selbstkosten der deutschen Aluminiumproduzenten wahrscheinlich nicht unwesentlich niedriger als die ausgewiesenen Selbstkosten gewesen wären. Denn die Abschreibungen der deutschen Unternehmen waren, wie gezeigt, normalerweise ungewöhnlich hoch. Seit Ende der 1930er Jahre stiegen allerdings die Produktionskosten pro kg Aluminium sowohl in Bitterfeld als auch bei den VAW massiv an.170 Setzt man voraus, dass die Produktionskosten der ALCOA nach 1937 höchstens das Niveau von 1937 hatten, so scheint die Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Hersteller deutlich zurückgegangen zu sein, obwohl noch 1938 die VAW von weiteren Selbstkostensenkungen ausgegangen waren.171 Allerdings gab es ab 1939, wie in den Quellen immer wieder betont wird, kriegsbedingte Sonderentwicklungen bei den Inputpreisen. Zu nennen sind dabei vor allem die seit Ende der 1930er Jahre erheblich steigenden Kosten für den Tonerdeverbrauch. Das war unter anderem darauf zurückzuführen, dass die Tonerdefabriken während des Krieges zeitweilig schlechteres Bauxit verarbeiten mussten, so dass die Herstellungskosten stiegen.172 Allerdings sank infolge staatlicher Subventionen auch tendenziell der Preis des nach der Tonerde zweitwichtigsten Inputs, der elektrischen Energie.173 Zusammen machten die Ausgaben für Tonerde und Strom 1939 ca. 70 Prozent der Kosten abzüglich der Abschreibungen pro kg Aluminium aus. Die Frage, in welchem Maß diese Sonderentwicklungen zur Selbstkostensteigerung beitrugen, kann aufgrund mangelnder Daten nur auf das Basisjahr 1939, nicht aber auf das Jahr 1937 bezogen werden, 170 Schaubild

31. BArch R 8119 F / P 1501, Geschäftsbericht der VAW für das Jahr 1937. 172 BArch R 3112 / 150 a, Dr. Eberhard Neukirch, Die Entwicklung des Leichtmetallausbaues im Vierjahresplan mit besonderer Berücksichtigung des grossdeutschen Freiheitskampfes ab 1939 (Manuskript eines Buches), S. 139. 173 Zu den Subventionen für die Stromerzeuger, vgl. z. B. BArch R 2301 / 2162, Darlehenslisten 1937 – 1943. 171

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5. Investitionsentscheidungen bei der Gewinnung von Nichteisenmetallen

welcher den direkten Vergleich mit den Selbstkosten der ALCOA ermöglicht hätte. Allerdings gibt es keine Hinweise, dass etwa 1937 die Inputpreise höher als 1939 gewesen wären. Tabelle 51: Variable Kosten des Aluminiumwerks Bitterfeld / Aken 1939 – 1943 bei konstanten Tonerde- und Strompreisen von 1939 1939

Variable Kosten pro kg Aluminium (Rpf) 89

1940

88

1942

88

1941 1943

92 91

Eigene Berechnung. Quelle: BAL 800-39-1387.

Unterstellt man, bei dem Aluminiumwerk Bitterfeld hätten sich in den 1940er Jahren die Tonerde- und Strompreise nicht geändert, so zeigt sich, dass dann die bereinigten Kosten abzüglich der Abschreibungen zwischen 1939 und 1943 ziemlich unverändert geblieben wären.174 Mit anderem Worten, der forcierte Ausbau seit 1938 hatte nicht die technologische Wettbewerbsfähigkeit des Unternehmens beeinträchtigt, und damit auch nicht die grundsätzliche Zukunftsfähigkeit der getätigten Investitionen. Das gilt insbesondere dann, wenn man das Problem der Einberufungen berücksichtigt. So betrug in den letzten Kriegsjahren der Anteil der Stammbelegschaft an den 2000 Beschäftigten der Aluminiumproduktion in Bitterfeld und in Aken, dem zweiten 1941 von der IG und der Metallgesellschaft errichteten Aluminiumwerk, deutlich weniger als zehn Prozent.175 Tabelle 52: Auslastung der VAW-Aluminiumkapazitäten 1936 – 1943 1936

Auslastungsgrad (%) 100

1939

96,5

1941

91,1

1943

81,5

1940 1942

100

88,6

Eigene Berechnung. Quelle: Vgl. Tabelle 34.

Für die VAW waren Angaben zu Inputpreisen nur für 1939 und 1940 zu finden. Weiterhin kann im Unterschied zu Bitterfeld nicht die Größe Selbstkosten abzüglich Abschreibungen verwendet werden, da für die Zeit nach 1940 Angaben zu den 174 Tabelle

51. G. Pistor, Hundert Jahre Griesheim 1856 – 1956. Ein Beitrag zur Geschichte der chemischen Industrie, Tegernsee 1958, S. 126, 131 f. 175

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5.2 Vertragsform und Erwartungen

in den Selbstkosten enthaltenen Abschreibungen nicht vorliegen. Allerdings finden sich in den Quellen keine Hinweise darauf, dass sich nach 1940 etwa die Abschreibungsprinzipien der VAW, die zwischen 1937 und 1940 zu konstanten Abschreibungssätzen geführt hatten, geändert hätten.176 Wenn überhaupt, so ist eher eine Erhöhung der Abschreibungen zu vermuten. Denn im Krieg konnten im Unterschied zur Vorkriegszeit die Kapazitäten der VAW nur teilweise annähernd ausgelastet werden.177 Untersucht man auch hier den in den Quellen immer wieder betonten Einfluss der erhöhten Inputkosten nach 1939 infolge gestiegener Preise auf die Selbstkosten und unterstellt, dass sich zwischen 1937 und 1939 die Inputpreise nicht signifikant änderten, so zeigt sich, dass dieses Unternehmen auf den ersten Blick den Kapazitätsausbau mit einem Verlust der Wettbewerbsfähigkeit gegenüber dem Jahr 1937 erkaufte. Die enorme Selbstkostensteigerung seit Kriegsbeginn  –  1937 hatte man Selbstkosten von 96 Rpf pro kg Aluminium  –  war scheinbar nicht nur auf die kriegsbedingte Steigerung der Inputpreise zurückzuführen. Tabelle 53: Der Einfluss der Tonerde- und Strompreisentwicklung auf die Selbstkostenentwicklung bei den VAW 1937 – 1943 bei unterstellten konstanten Faktorpreisen des Jahres 1939 (Rpf / kg) Tatsächliche Selbstkosten 1937 1938

1939

96

95

105

114

107

125

111

104

1942

119

1943

96

95

105

1940 1941

Tatsächliche Selbstkosten bei konstanten Tonerde- und Strompreisen

99

103

Eigene Berechnung. Quelle: Vgl. Tabelle 34.

Allerdings lässt sich bei genauerer Betrachtung zeigen178, dass auch die VAW-Aluminiumproduktion grundsätzlich unter Normalbedingungen wettbewerbsfähig gewesen wäre.

176

Quelle, Tabelle 34. 52. Vgl. auch BArch R 3112 / 150 a, Dr. Eberhard Neukirch, Die Entwicklung des Leichtmetallausbaues im Vierjahresplan mit besonderer Berücksichtigung des grossdeutschen Freiheitskampfes ab 1939, (Manuskript eines Buches), S. 119 f. 178 Tabelle 54. 177 Tabelle

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270

5. Investitionsentscheidungen bei der Gewinnung von Nichteisenmetallen

Tabelle 54: Tatsächliche und korrigierte Selbstkostenentwicklung bei den VAW 1939 – 1943 (Rpf / kg) Tatsächliche Selbstkosten

Tatsächliche Selbstkosten abzüglich kalkulatorischer Zinsen

1937

96

96

1939

105

97

1938

95

95

Tatsächliche Selbstkosten abzüglich kalkulatorischer Zinsen und bei konstanten Tonerde- und Strompreisen 96

95

97

1940

104

102

97

1942

119

107

93

1941

1943

114

125

104 112

97

96

Eigene Berechnung. Quelle: Vgl. Tabelle 34.

Die nicht durch Inputpreissteigerungen erklärbare Differenz der Selbstkosten seit 1939 gegenüber dem offensichtlich mehr oder weniger wettbewerbsfähigen Produktionsjahr 1937 ist nämlich auf eine Kostengröße  –  kalkulatorische Zinsen genannt  –  zurückzuführen, die in den Selbstkosten Bitterfelds nicht enthalten ist. Dieser Kostenfaktor wäre unter Normalbedingungen kein Bestandteil der Selbstkosten gewesen, wie folgende Überlegungen zeigen. Ende der 1930er Jahre bauten die VAW auf Verlangen des Reiches eine kleine Anlage zur Gewinnung von Tonerde aus deutschem Bauxit  –  ST-Anlage genannt  –  auf. Die Gewinnung von Tonerde aus deutschem Bauxit galt aber in den 1930er Jahren aufgrund des hohen Anteils an Kieselsäure als unwirtschaftlich.179 Das bestätigte sich auch nach der Inbetriebnahme der Produktion. Die Deutsche Revisions- und Treuhand AG schätzte 1943 die Zukunftsfähigkeit des ST-Verfahrens, das sich bereits im fünften Betriebsjahr befand, wie folgt ein: „Eine Wirtschaftlichkeit des ST-Verfahrens ist, wenngleich die geplanten Erweiterungen im Zusammenhang mit der Verfahrensvereinfachung sich kostenmindernd auswirken werden, nach der Sachlage bzw. dem augenblicklichen Stand des Verfahrens vorerst nicht zu erwarten.“180 Das zeigt auch ein Vergleich der Selbstkosten für Tonerde die einerseits aus Importbauxit und andererseits aus deutschen Rohstoffen gewonnenen wurde. Die Produktion von ST-Tonerde war erheblich teurer als die Herstellung von Tonerde aus Importbauxit, und zwar auch dann noch, als die Anlage bereits einige Jahre lief, Anlaufschwierigkeiten also überwunden waren.181 Gründe dafür waren nicht nur Größennachteile  –  die ST-Anlage war relativ klein gemessen an anderen Tonerde-

179

Neher (1939), S. 320. BArch R 8135 / 3247, Bericht über eine 1943 bei der VAW vorgenommene Sonderprüfung, S. 5. Zu einer Beschreibung des ST-Verfahrens, vgl. ebd., Anlage I, Bl. 1 ff. 181 Tabelle 55. Das galt auch noch Ende 1944. Vgl. BArch R 2 / 21606, Aktenvermerk vom 4.10.1944. 180

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5.2 Vertragsform und Erwartungen

anlagen  – , sondern vor allem die verfahrensbedingten hohen Kapitalkosten und hohen Reparaturkosten infolge des Säuregehalts.182 Tabelle 55: Die Unwirtschaftlichkeit der Gewinnung von Tonerde aus deutschen Rohstoffen (RM pro to) 1940 1941

1. Hj. 1942

Selbstkosten für ST-Tonerde

Selbstkosten für Importbauxit-Tonerde

1032

173

1012 844

172

197

Quelle: BArch R 8135 / 3247, Bericht über eine 1943 bei der VAW vorgenommene Sonderprüfung, S. 17.

Dementsprechend wurde der Aufbau der ST-Anlage nicht mit einem Risikoteilungsvertrag, sondern mit einem Vertrag gefördert, der faktisch einem Wirtschaftlichkeitsgarantievertrag entsprach. Denn die entsprechenden Investitionen wurden, wie bereits angedeutet, durch einen staatlichen Zuschuss finanziert, der gemäß eines 1938 abgeschlossenen Vertrags nur dann getilgt und verzinst werden musste, falls sich die Anlagen nach Ablauf von zehn Jahren als rentabel erweisen würden.183 Die Rentabilität sollte dabei anhand der gängigen Marktpreise für Tonerde gemessen werden. Zu einem ähnlichen Vertragsabschluss zwischen Reich und den VAW kam es Ende 1939. Hier war ebenfalls der Vertragsgegenstand der Aufbau von Tonerdekapazitäten und eine Zukunftsfähigkeit dieser Anlagen, zumindest kurzfristig, nicht zu erwarten, wenn auch in diesem Fall die Tonerde nicht aus deutschen Rohstoffen gewonnen werden sollte. Allerdings handelte es sich um die Errichtung von nur im Kriegsfall auszulastenden Ersatzkapazitäten in sicheren Gebieten, die das Oberkommando der Wehrmacht angesichts der Tatsache verlangt hatte, dass 50 Prozent der deutschen Tonerdekapazitäten mit der Firma Giulini in Ludwigshafen und dem Martinswerk in Bergheim unweit der französischen Grenze lagen.184 Der Ende 1939 zwischen dem Reich und den VAW geschlossene Vertrag sah dabei vor, dass der zur Anlagenfinanzierung gewährte staatliche Kredit im Fall einer Nichtauslastung der Kapazitäten nicht zu tilgen und nicht zurückzuzahlen war.185 Ansonsten war ein fester Tilgungs- und Verzinsungsbetrag pro Tonne Tonerde an das Reich abzuführen, der nur dann neu verhandelt werden sollte, wenn eine wesentliche Veränderung der Preisrelation zwischen Aluminiumverkaufspreis und den üblichen Tonerdeselbstkosten eintreten würde.186 182

BArch R 8135 / 3247, Bericht über eine 1943 bei der VAW vorgenommene Sonderprüfung, S. 17. 183 Ebd., S. 1, 17. 184 BArch R 2 / 21606, Schreiben des OKW an das Reichswirtschaftsministerium vom 6.11.1939; Aktenvermerk vom 20.2.1940. 185 BArch R 2 / 21606, Vertrag zwischen dem Deutschen Reich und der VAW vom 16.12.1939, § 1, § 2. 186 Ebd., § 2.

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5. Investitionsentscheidungen bei der Gewinnung von Nichteisenmetallen

Das Risiko für die Errichtung der ST-Anlage und der Ersatzkapazitäten trug aufgrund der abgeschlossenen Verträge faktisch das Reich und nicht die VAW, da unter Normalbedingungen diese Anlagen nicht betrieben werden würden und daher auch keine Tilgung und Verzinsung des vom Reich bereitgestellten Kapitals anfallen würden. Dementsprechend wies die Deutsche Revisions- und Treuhand AG die Selbstkosten einmal in ihrer anfallenden Höhe und das andere Mal abzüglich der kalkulatorischen Zinsen aus. Dennoch entschloss sich das Unternehmen aus Gründen kaufmännischer Vorsicht etwaige Tilgungs- und Verzinsungsverpflichtungen zu antizipieren, indem seit 1939 die sogenannten kalkulatorischen Zinsen auf die Selbstkosten aufgeschlagen wurden. Demzufolge kann man also schließen, dass unter Normalbedingungen dieser Kostenfaktor nicht angefallen wäre und somit auch während des Krieges die Aluminiumproduktion der VAW grundsätzlich international wettbewerbsfähig blieb. Dass die Risikoeinschätzung die Vertragstyppräferenz bestimmte, zeigt auch ein letztes Beispiel  –  das des Tonerdeproduzenten Gebr. Giulini GmbH. Wie erwähnt, kam es für die Aluminiumproduzenten zu einer Risikoabsicherung nicht nur durch die Gewährung hoher Gewinne. Vielmehr hatten die privatwirtschaftlichen Aluminiumproduzenten ihre Beteiligung an dem staatlich gewünschten Aluminiumkapazitätsausbau auch von der Zusicherung des Reiches abhängig gemacht, keine neuen Konkurrenten in Deutschland zuzulassen.187 Dadurch war das Reich langfristig in ein Dilemma hinsichtlich des geforderten Ausbaus der Tonerdeproduktion geraten, da es keinen Zwang ausübte. Der Tonerdeproduzent Giulini erklärte sich zwar Ende 1934 bereit, seine Produktion zu erhöhen, betonte aber in diesem Zusammenhang, dass sein eigentliches Interesse bei der Aufnahme einer eigenen Aluminiumproduktion liegen würde  –  ein Ziel, dass das Unternehmen bereits vergeblich in der Weimarer Republik verfolgt hatte.188 Das Unternehmen stellte im Oktober 1934 einen erneuten Antrag auf eine entsprechende Konzession.189 Diese wurde Giulini aber nicht erteilt, weil im Reichswirtschaftsministerium bekannt war, dass sich das Gemeinschaftsunternehmen der IG Farben und der Metallgesellschaft dann weigern würde, ihr Aluminiumwerk in Bitterfeld auszubauen.190 Außerdem hatten die VAW geltend gemacht, dass im Fall einer Aufnahme der Aluminiumproduktion Giulini, infolge vollkommener vertikaler Integration bis zur Verarbeitung hin, günstiger als alle anderen Hersteller produzieren könnte.191 Auch in den nächsten Jahren hielt das Reich seine Zusage ein.192 Nachdem nämlich Giulini 1936 ohne Genehmigung ein kleines Aluminiumwerk in Lud187

Vgl. dazu auch Hayes (1987 a), S. 136. Vgl. z. B. Stadtarchiv Ludwigshafen, Giulini-Bestand, Akte 194, Giulini-Direktion an den Reichskanzler, 21.10.1930. 189 Stadtarchiv Ludwigshafen, Giulini-Bestand, Akte 199, Giulini an das Reichswirtschaftsministerium, 12.7.1934; Giulini an das Reichswirtschaftsministerium, 3.8.1934. 190 Stadtarchiv Ludwigshafen, Giulini-Bestand, Akte 199, Bitterfeld an das Reichswirtschaftsministerium, 16.10.1934; Reichswirtschaftsministerium an Giulini, 14.11.1934; BAL 800 / 39-82, Expose Pistor vom 20.11.1934. 191 Stadtarchiv Ludwigshafen, Giulini-Bestand, Akte 199, VAW an das Reichswirtschaftsministerium, 16.10.1934. 192 Vgl. z. B. BArch R 3112 / 150, Dr. Eberhard Neukirch: Die Entwicklung des Leichtmetallaus188

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5.2 Vertragsform und Erwartungen

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wigshafen gebaut hatte, wurde dessen Betrieb mit einem Erlass Schachts untersagt.193 Angesichts dieser Festlegung des Reichswirtschaftsministeriums zugunsten der etablierten Aluminiumproduzenten ist es nicht überraschend, dass, wie bereits erwähnt, Giulini, als das Reich seit 1935 mit erneuten Wünschen zum Ausbau der Tonerdekapazitäten vorstellig wurde, dies wiederholt ablehnte.194 Das Unternehmen machte seine Bereitschaft zu weiteren Investitionen in die Tonerdeproduktion von der Erlaubnis abhängig, eine eigene Aluminiumproduktion aufzunehmen.195 Das kam aber für das Reichswirtschaftsministerium aufgrund der vertikalen Integration, wie es betonte, wohl aber auch aufgrund seines Versprechens gegenüber den etablierten Anbietern zu diesem Zeitpunkt noch nicht in Frage.196 Eine Erweiterung der Tonerdeproduktion wäre unter diesen Umständen für Giulini nur dann noch akzeptabel gewesen, wenn das Unternehmen durch die Aluminiumproduzenten eine langfristige Absatzgarantie erhalten hätte. Giulini bestand auf dieser Bedingung, da das Unternehmen, wie es betonte, im Unterschied zu den anderen Tonerdeherstellern über keine eigenen Aluminiumanlagen verfügte.197 Für den zweiten privatwirtschaftlichen Tonerdeproduzenten, das Martinswerk, war die Situation eine andere, insbesondere da im Rahmen der Absprachen der deutschen Aluminiumhersteller im Jahr 1937 der Muttergesellschaft des Martinswerks, der AIAG, zugestanden worden war, ihre Kapazitäten in Deutschland massiv zu erhöhen. Für Giulini hingegen wäre im Falle eines Aluminiumnachfragerückgangs das Amortisationsrisiko höher gewesen als bei den anderen Tonerdeproduzenten, weil zu erwarten war, dass die VAW  –  ihr Großabnehmer – im Fall eines Rückgangs der Nachfrage ihre eigenen Tonerdekapazitäten möglichst auslasten und auf Fremdbezug verzichten würden.198 Da aber eine langfristige Auslastung der Aluminiumkabaues im Vierjahresplan mit besonderer Berücksichtigung des grossdeutschen Freiheitskampfes ab 1939, (Manuskript eines Buches), Bl. 29. 193 Stadtarchiv Ludwigshafen, Giulini-Bestand, Akte 199, Reichswirtschaftsministerium an Giulini, 7.10.1936; BArch R 3101 / 11712, Aktenvermerk des Reichswirtschaftsministeriums vom Juli 1943, Bl. 559; BArch R 3101 / 11712, Aktenvermerk des Reichswirtschaftsministeriums, 19.4.1940, Bl. 521-524. 194 Stadtarchiv Ludwigshafen, Giulini-Bestand, Akte 195, Bericht über die Besprechung vom 25.6.1935 mit VAW, Neuhausen und Bitterfeld; BArch R 3101 / 11708, Schreiben der VAW an Giulini vom 4.10.1939, Bl. 171. 195 Vgl. z. B. Stadtarchiv Ludwigshafen, Giulini-Bestand, Akte 195, Stichworte des Dr. Edgar Giulini für seinen Vortrag bei Dr. Schacht am 5. Juni 1935; BArch R 3101 / 11712, Schreiben des Reichswirtschaftsministeriums an den Gauleiter des Gaus Saarpfalz, Dezember 1938, Bl. 533 f. 196 Ebd. Denn Giulini besaß in Wutöschingen ein Aluminiumwalzwerk. BArch 8135 / 2893, Bericht der Deutschen Revisions- und Treuhand AG, S. 2. Außerdem gab es noch eine Reihe weiterer Einwände, wie Grenznähe oder das Problem der Stromversorgung. Zu einem erneuten Antrag und einer erneuten Ablehnung 1938, vgl. Stadtarchiv Ludwigshafen, Giulini-Bestand, Akte 199, Giulini an Reichsstelle für Wirtschaftsausbau, 17.3.1938; Reichsstelle für Wirtschaftsausbau an Giulini, 20.4.1938. 197 BArch R 3101 / 11710, Reichskommissar für die Preisbildung an das Reichswirtschaftsministerium, 27.7.1940, Bl. 226; Aktenvermerk des Reichswirtschaftsministeriums vom 2.12.1940, Bl. 227; Schreiben des Reichskommissars für die Preisbildung an Giulini vom 18.12.1940, Bl. 228. 198 Stadtarchiv Ludwigshafen, Giulini-Bestand, Akte 195, Bericht über die Besprechung mit VAW,

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5. Investitionsentscheidungen bei der Gewinnung von Nichteisenmetallen

pazitäten nicht sicher war, wollten die VAW eine derartige Garantie nicht geben.199 Weil also beide Forderungen Giulinis  –  Aufbau eigener Aluminiumkapazitäten oder einer Absatzgarantie für die Tonerdeproduktion  –  nicht erfüllt wurden, mussten, wie erwähnt, die VAW die notwendigen Tonerdekapazitäten zum größten Teil selbst bauen. Während sich die Tonerdekapazitäten der VAW zwischen Anfang 1935 und Ende 1940 verfünffachten und das Unternehmen zu dem mit Abstand größten Produzenten wurde, erhöht sich die Produktion Giulinis im gleichen Zeitraum um lediglich 77 Prozent und die des Martinswerks um 125 Prozent.200 Dabei konnte Giulini weitgehend unausgelastete Kapazitäten nutzen, die noch aus dem Ersten Weltkrieg stammten, so dass der Investitionsaufwand für die Produktionssteigerung sehr gering blieb.201 Erst ab 1940, also nach Kriegsausbruch, der den Druck auf das Reich infolge der gestiegenen militärischen Nachfrage weiter erhöhte, kam Bewegung in die Einbindung Giulinis in die staatlichen Pläne zum Ausbau der Tonerdeproduktion. Dazu kam das Reich zunächst im Sommer 1940 dem Wunsch Giulinis nach einer Tonerde-Preiserhöhung rückwirkend zum 1.1.1940 nach.202 Auch wurde dem Unternehmen – im Unterschied zu den Erweiterungen in der Vorkriegszeit  –  zugestanden, dass es nur einen geringen Teil des Amortisationsrisikos von Neuanlagen tragen musste, da ihm ein Kredit mit einer Kriegsrisikoklausel gewährt wurde, wonach das Tilgungsrisiko im Fall einer Nichtauslastung der Kapazitäten nach dem Krieg weitgehend vom Reich getragen wurde.203 Außerdem sicherte das Reich Giulini im Rahmen der Erweiterungsverhandlungen zu, dass das Unternehmen bei einem Mengenrückgang nicht schlechter gestellt werden würde als die anderen Hersteller.204 Daraufhin erklärte Giulini sich bereit, seine Kapazitäten um 25.000 Jahrestonnen auszubauen. Später wurde sogar eine Gesamterweiterung auf 50.000 jato ins Auge gefasst.205 Im Jahr 1942 trat das Reich erneut an Giulini heran. Das Unternehmen erklärte wiederholt, dass eine erneute Erweiterung der Tonerdeproduktion nur noch dann in Gruppe Neuhausen und Gruppe Bitterfeld, 15.6.1935; BArch R 3101 / 11710, Schreiben von Göring an das Reichswirtschaftsministerium vom 27.7.1940, Bl. 226. 199 BArch R 3101 / 11710, Reichskommissar für die Preisbildung an das Reichswirtschaftsministerium, 27.7.1940, Bl. 226. 200 BArch R 3112 / 150, Dr. Eberhard Neukirch, Die Entwicklung des Leichtmetallausbaues im Vierjahresplan mit besonderer Berücksichtigung des grossdeutschen Freiheitskampfes ab 1939, (Manuskript eines Buches), S. 77; BArch R 3112 / 150 a, Dr. Eberhard Neukirch, Die Entwicklung des Leichtmetallausbaues im Vierjahresplan mit besonderer Berücksichtigung des grossdeutschen Freiheitskampfes ab 1939 (Manuskript eines Buches), S. 6 f.. 201 Vgl. z. B. Stadtarchiv Ludwigshafen, Giulini-Bestand, Akte 195, Gebr. Giulini GmbH an Georg Giulini, 17.6.1935. 202 BArch R 3101 / 11712, Reichskommissar für die Preisbildung an Giulini, 10.6.1940. Bl. 526. 203 BArch R 8119 F / 1748, Kreditbericht der Deutschen Bank, 20.12.1940, Bl. 2-3; Industriebank an Giulini, 7.11.1940, Bl. 7-9; BArch 8135 / 2893, Bericht der Deutschen Revisions- und Treuhand AG, Al. IV. 204 BArch R 3101 / 11710, Reichskommissar für die Preisbildung an Giulini, 18.12.1940 Bl. 226-8. Außerdem wurde offensichtlich ein langfristiger Abnahmevertrag mit der VAW geschlossen. Stadtarchiv Ludwigshafen, Giulini-Chronik, S. 721. 205 BArch 8135 / 2893, Bericht der Deutschen Revisions- und Treuhand AG, S. 5.

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5.2 Vertragsform und Erwartungen

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Frage komme, wenn man die Genehmigung zur Aluminiumproduktion erteilt bekommt.206 Konkret forderte Giulini die Konzession für eine Anlage zwischen 15 – 20.000 Jahrestonnen. Außerdem drängte Giulini darauf, ihre 1936 errichtete Aluminiumhütte in Ludwigshafen betreiben zu dürfen. Diese stillgelegte Anlage war auf Wunsch Görings 1940 trotz eines Protestes der VAW mit einer allerdings, wie das Reichswirtschaftsministerium durchsetzen konnte207, bis zum 30.6.1943 befristeten Genehmigung an die Dürener Metallwerke AG verpachtet worden, einem Zulieferer der Luftrüstungsindustrie.208 Giulini begründete seine Forderung nach einer Aluminiumkonzession damit, dass der Staat auch einigen anderen Anbietern einen dauerhaften Einstieg in die Aluminiumproduktion ermöglicht hatte.209 Die Dürener Metallwerke AG hatte nämlich inzwischen sogar eine Genehmigung bekommen, eine eigene Aluminiumfabrik zu errichten.210 Die Firma Giulini machte dem Reichswirtschaftsministerium klar, dass im Fall einer Nichterfüllung ihrer Bedingungen direkter Zwang seitens der Behörden zur Ausdehnung der Tonerdekapazitäten  –  eine „Anordnung“  –  zwecklos sei, da nicht genügend qualifiziertes Personal zur Verfügung stünde.211 Erneut intervenierten die VAW und sprachen sich energisch dagegen aus, dass Giulini die Konzession erteilt bekäme.212 Doch diesmal stellte das Reichswirtschaftsministerium den Wunsch Giulinis hinsichtlich einer Genehmigung zur Aluminiumproduktion lediglich zurück, lehnte ihn allerdings nicht mehr, wie in den Jahren zuvor, glatt ab. Angesichts der Mangelsituation infolge der immer stärker ansteigenden militärischen Nachfrage hatte bei den Behörden offensichtlich im Fall Giulinis ein Umdenken eingesetzt. Allerdings ergab sich gleichzeitig das Problem, dass aufgrund Rohstahlmangels der Bau der Anlage der Dürener Metallwerke AG zunächst nicht in Angriff genommen werden konnte.213 Um seine Stammbelegschaft zu halten, bis das genehmigte Werk einmal fertig gestellt sein würde, drängte die Dürener Metallwerke AG das Reichswirtschaftsministerium, sich bei Giulini für eine Verlängerung des auslaufenden Pachtvertrags einzusetzen. Schließlich endete die ganze Sache mit einer Lösung, die beide Unternehmen zufrieden stellte. Zugleich erreichte Giulini im Juli 1943 endlich auch formal sein seit über zwanzig Jahren hartnäckig verfolgtes Ziel: Das Unternehmen bekam das Aluminiumproduktionsrecht zugesprochen, unter der Voraussetzung, dass es noch einmal den Pachtvertrag mit den Dürenern Metallwerken um drei Jahre verlängerte.214 Angesichts dieses sich abzeich206

BArch R 3101 / 11710, Giulini an das RWM, 16.4.1942, Bl. 188ff; Reichswirtschaftsministe­ rium an Giulini, 2.6.1942, Bl. 206. 207 BArch R 3101 / 11712, Göring an das Oberkommando der Wehrmacht, 1.4.1940, Bl. 512; VAW an das Reichswirtschaftsministerium, 8.4.1940, Bl. 514; Generalluftzeugmeister an v. Hanneken, 13.4.1940, Bl. 519; Aktenvermerk vom 19.4.1940, Bl. 521-4. 208 BArch R 3101 / 11710, Pachtvertrag zwischen Giulini und Düren vom 4. / 31.7.1940, Bl. 138-9. 209 BArch R 3101 / 11712, Giulini an das Reichswirtschaftsministerium, 15.4.1942, Bl. 204. 210 BArch R 3101 / 11712, Düren an das Reichswirtschaftsministerium, 22.1.1943, Bl. 540. 211 BArch R 3101 / 11712 Giulini an das Reichswirtschaftsministerium, 16.4.1942, Bl. 188 ff. 212 BArch R 3101 / 11712, Düren an das Reichswirtschaftsministerium, 28.8.1942, Bl. 94. 213 BArch R 3101 / 11712, Düren an das Reichswirtschaftsministerium, 22.1.1943, Bl. 540. 214 BArch R 3101 / 11710, Aktenvermerk des Reichswirtschaftsministeriums vom 15.5.1943, Bl. 553f; Düren an Giulini, 1.7.1943, Bl. 557; Aktenvermerk vom 17.2.1943, Bl. 541; Reichswirt-

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5. Investitionsentscheidungen bei der Gewinnung von Nichteisenmetallen

nenden Entgegenkommens des Reiches erklärte sich die Gebr. Giulini GmbH bereit, ihre Tonerdekapazitäten mithilfe eines weiteren reichsverbürgten Kredits auszubauen.215 Insgesamt zeigt sich somit auch am Beispiel der Aluminiumindustrie und der ihr vorgelagerten Tonerdeproduktion, dass die in Kapitel 5.1 aufgestellte Hypothese zur Risikoeinschätzung in dieser Branche bestätigt wird: Angesichts der grundsätzlich unter Normalbedingungen auch kurzfristig relativ positiven Erwartungen der deutschen Aluminium- und Tonerdehersteller, gestützt auf einen sich ausdehnenden Markt und internationale Wettbewerbsfähigkeit, ist es nämlich nicht überraschend, dass die Anbieter ihre Kapazitäten mithilfe eines Risikoteilungsvertrags ausbauten, sofern sie nicht einseitig diskriminiert wurden, wie das während der Friedenszeit für Giulini der Fall war. Umgekehrt zeigen die Beispiele der ST-Anlage und der Bereitschaftsanlagen im Fall der VAW, dass eine erhöhte Risikoeinschätzung durch das Unternehmen hinsichtlich bestimmter vom Staat gewünschter Investitionen zum Abschluss von Verträgen mit größerer staatlicher Risikoübernahme führten. Insgesamt unterstreicht diese Untersuchung die Aussage Gottfried Plumpes, nach der die Aufrüstung ein beschleunigender, nicht aber trendbestimmender Faktor für die Ausdehnung der deutschen Aluminiumproduktion gewesen sei.216 Auch unter Normalbedingungen wäre es zu einer erheblichen, wenngleich geringeren Ausdehnung der Aluminium- und Tonerdekapazitäten gekommen. In ST-Anlagen hingegen hätten die Unternehmen nicht investiert.

5.3 Zwischenergebnisse 1) Bei dem Ausbau der Nichteisenmetallproduktion übte der Staat ebenso wie in den meisten anderen bisher betrachteten Beispielen keinen unmittelbaren Druck auf die privatwirtschaftlichen Unternehmen aus oder griff gar zu Zwangsmaßnahmen. 2) Auch in dieser Branche wurde die Vertragswahl durch die Einschätzungen über die Zukunftsfähigkeit der Anlagen unter Normalbedingungen bestimmt. Die auch langfristig nicht zukunftsfähige Kupfererzgewinnung wurde, vergleichbar mit der Glycerin- und Hokoproduktion, mit einem pachtähnlichen Vertrag gefördert. Allerdings zeigt sich auch, dass aus dem Tatbestand, dass die staatliche Risikoabnahme bei der Aluminiumproduktion nur zum Teil erfolgte, hingegen bei der Bleischaftsministerium an Giulini, Juli 1943, Bl. 558; Giulini an Reichswirtschaftsministerium, 19.7.1943, Bl. 562. 215 BArch R 3101 / 11710, Giulini an das Reichswirtschaftsministerium, 9.3.1943, Bl. 543. Als dann das Geschäftsjahr 1943 zu Verlusten aufgrund zu geringer Tonerdepreise führte, traten Giulini und das Reich Ende 1944 in Verhandlungen hinsichtlich der Verlustübernahme durch den Staat. Das Reich bot dabei dem Unternehmen an, Zinsen und Tilgungen der Kredite für die Tonerdeerweiterungen zu übernehmen. Eine endgültige Einigung kam dann aber offensichtlich wegen des Kriegsendes nicht mehr zustande. Vgl. zu diesen Vorgängen, Stadtarchiv Ludwigshafen, Giulini-Chronik, 733 – 739; BArch 8135 / 2893, Bericht der Deutschen Revisions- und Treuhand AG. 216 Plumpe (1990), S. 423.

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5.3 Zwischenergebnisse

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und Zinkproduktion mithilfe des Förderprämienverfahrens in vollem Umfang, nicht geschlossen werden kann, man habe die Produktion von Aluminium unter Normalbedingungen für zukunftsfähiger als die Gewinnung und Verhüttung von Blei und Zink gehalten. Denn das Problem bei der Blei und Zinkherstellung war, dass diese gerade unter den Bedingungen der allgemeinen NS-Wirtschaftspolitik, dem Festhalten an dem „politischen“ Wechselkurs, nicht wettbewerbsfähig war. Im Unterschied z. B. zur Buna-I-Anlage ist also der Abschluss eines Vertrags mit vollkommener staatlicher Risikoübernahme nicht aus dem Aspekt der Absicherung gegenüber einer Normalisierung der Wirtschaftspolitik zu interpretieren, sondern vielmehr als eine Absicherung gegenüber den Risiken, die aus der aktuellen Politik resultierten. Daraus folgt, dass allgemein aus einem Abschluss eines Vertrags mit vollkommener staatlicher Risikoübernahme nicht automatisch auf eine kurzfristig fehlende Zukunftsfähigkeit einer Investition unter Normalbedingungen geschlossen werden kann. 3) Es hat sich die im dritten Kapitel geäußerte Vermutung bestätigt, dass in den Fällen, in denen der Staat bzw. staatliche Unternehmen über das Know-how verfügte, auch mittels staatlicher Kapazitäten die Produktion gesteigert worden ist wie bei der Zink- und Bleigewinnung sowie der Aluminium- und Tonerdeproduktion. Offensichtlich war das nicht nur der Fall, wenn für die Privatwirtschaft eine Investition generell als nicht zukunftsfähig galt. 4) Ebenso wie im Fall der Zellwolleindustrie differierte auch innerhalb der Tonerdeindustrie die unternehmerische Risikoeinschätzung, weil es in beiden Fällen Unternehmen gab, die unter schlechteren Bedingungen als ihre Konkurrenten agieren mussten.

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6. Schlussbetrachtung: Ein „Modell“ zur Rationalität unternehmerischer Investitionsentscheidungen in den Autarkie- und Rüstungsbranchen und zur Logik der NS-Industriepolitik 6.1. Einleitung Die Untersuchung hat gezeigt, dass die meisten der in der Literatur erwähnten bzw. aus ihr abgeleiteten, in Kapitel 1 dargestellten Hypothesen darüber, was der Grund des Einsatzes unterschiedlicher Varianten zur Kapazitätsschaffung gewesen sein könnte, nicht plausibel erscheinen: Das gilt zum einen für die Hypothese, dass die verschiedenen staatlichen Instanzen unterschiedliche Varianten zur Kapazitätsschaffung präferierten, und zum anderen für die Vermutung einer zeitlichen Zäsur. Denn alle Varianten kamen während der gesamten Dauer des Dritten Reichs zum Einsatz. Zudem lässt sich zeigen, dass die Vertragspartner der Industrie, Wehrmachtsteile oder Reichswirtschaftsministerium, weitgehend die gleichen bzw. ähnlichen Verfahren anwendeten. Tabelle 56: Formale Vertragsabschlüsse der IG-Farben bei staatlich gewünschten Kapazitätserweiterungen verschiedener Produkte Anlagen bzw. Produkte Buna I Buna II Buna III Buna IV Hokosäure Glycerin Zellwolle Benzinhydrierung

Vertragsform

Wirtschaftlichkeitsgarantievertrag Risikoteilungsvertrag Kein Vertrag Risikoteilungsvertrag Pachtvertrag Pachtvertrag Kein Vertrag Wirtschaftlichkeitsgarantievertrag

Auch die von Fritz Blaich aufgestellte Hypothese, dass die wirtschaftliche Macht der Unternehmen i.S. wirtschaftlicher Größe als Indikator für politischen Einfluss für den Abschluss eines bestimmten Vertragstyps entscheidend gewesen ist, muss in Frage gestellt werden, wie das Beispiel der Verhandlungen des mittelständischen Maschinenbauers Froriep mit der Vierjahresplanbehörde oder das der IG Farben AG zeigt, die eine Reihe von unterschiedlichen Vertragstypen abschloss.

 

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Kapitel 2. Kapitel 3.

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6.2 Die Modellannahmen

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Es hat sich allerdings gezeigt, dass die verbleibende Hypothese durchaus bestätigt wurde: nämlich, dass der Einsatz unterschiedlicher Varianten zur Kapazitätsschaffung das Ergebnis eines von den jeweiligen Interessen von Staat und Wirtschaft geleiteten Verhandlungs- und Abwägungsprozesses war, und zwar in Abhängigkeit von unterschiedlichen Zielsetzungen und unterschiedlichen wirtschaftlichen Handlungsspielräumen der Beteiligten bei den jeweiligen Investitionsobjekten. Um die in dieser Untersuchung gewonnenen Ergebnisse der Branchenbetrachtung zusammenzufassen und zu systematisieren, werden im folgenden die jeweiligen Resultate unternehmerischen und staatlichen Verhaltens in einem nicht formalen „Modell“ dargestellt. Die Grundannahmen dieses Modells ergeben sich dabei aus offensichtlich allgemeingültigen Verhaltensweisen und generellen Handlungsmaximen von Staat und Wirtschaft, die sich bei der Untersuchung ergeben haben. Mithilfe des Modells soll prognostiziert werden, welche Art staatlicher Förderung und welche Art von Vertragsabschluss bei welcher Ausprägung der spezifischen Faktoren, die sich zuvor in der Untersuchung der betrachten Branchen als relevant gezeigt haben, zustande gekommen sein müssten. Anschließend werden diese Aussagen anhand der jeweiligen vorher identifizierten Situation der jeweiligen Branchen überprüft. Das dient nicht nur als Probe für die Plausibilität des Modells wenigstens für die betrachteten Fälle, sondern soll auch noch einmal einer gegenüberstellenden knappen Darstellung der Ergebnisse dienen.

6.2 Die Modellannahmen Zunächst sollen die Modellannahmen beschrieben werden. Im Anschluss daran werden die Faktoren, die die Entscheidung der beiden potentiellen Vertragspartner, Staat und private Unternehmen, bestimmten, genauer dargestellt und deren Auswirkungen auf die Wahl der Vertragsform bzw. die Art, Kapazitäten zu schaffen, analysiert. Annahme 1: Gewinnmaximierung Im Allgemeinen war das zentrale Ziel der privaten Unternehmen die Gewinnmaximierung  –  was kurz- und langfristiger Natur war. Dieser bereits oft in der Literatur geäußerte Befund wurde durch die Untersuchung bestätigt. Annahme 2: Normalisierungserwartung Die Unternehmen erwarteten, dass die ausgedehnte staatliche Nachfrage nur vorübergehend war. Sie verfolgten daher auch Ziele jenseits der Rüstungskonjunktur.



Vgl. z. B. Spoerer (1996), S. 18; Hayes (1987 a), S. 192. Kapitel 3 – 5; A. Gehrig, Nationalsozialistische Rüstungspolitik und unternehmerischer Entscheidungsspielraum. Vergleichende Fallstudien zur württembergischen Maschinenbauindustrie, München 1996, S. 53; T. Siegel /  T. v. Freyberg Industrielle Rationalisierung unter dem Nationalsozialismus, Frankfurt a. M. 1991, S. 276; 284; Spoerer (1996), S. 162.  Vgl. z. B. Budraß (1998), S. 884. 

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6. Schlussbetrachtung

Zeitgenossen, seien es Unternehmer, Wissenschaftler oder führende Politiker, wiesen immer wieder auf den temporären Charakter der forcierten staatlichen und staatlich induzierten Nachfrage hin. Zudem schlossen die Unternehmen im Allgemeinen nicht aus, dass sich mittelfristig die Wirtschaftspolitik, insbesondere die Außenwirtschaftspolitik Deutschlands normalisieren könnte. Das setzte aber voraus, dass die Devisenbewirtschaftung irgendwann aufgehoben bzw. gelockert werden würde und demzufolge die offensichtlich deutlich überbewertete einheimische Währung, ebenso wie das fast alle Länder im Verlauf der 1930er Jahre getan hatten, abgewertet werden würde.10 Dementsprechend kam es immer wieder zu Abwertungsdiskussionen. Annahme 3: Staatliche Präferenz privatwirtschaftlicher Investitionen Der Staat versuchte, ebenso wie bereits während des Ersten Weltkrieges11, seine Ka­pa­zitätswünsche im Allgemeinen möglichst kostenminimierend zu realisieren. Dabei kann angenommen werden, dass der Staat eher einen kurz- als einen langfristigen Zeithorizont hatte. Dafür spricht, wie in vielen Dokumenten hervorgehoben wird, dass das Ziel der staatlichen Aufrüstungs- und Autarkiepolitik war, Deutschland möglichst schnell kriegsfähig zu machen.12 Infolgedessen erscheint es plausibel, zu unterstellen, dass dieser kurzfristige Zeithorizont nicht die übliche Laufzeit der Wirtschaftlichkeitsgarantie- und der Pachtverträge, nämlich zehn Jahre, überschritt. Daraus folgt, dass für den Staat die Frage des Eigentumsrechtes wohl eher nur eine untergeordnete Rolle spielte, also die Frage, inwieweit sich die, in der einen oder in der anderen Form, mit Wirtschaftlichkeitsgarantie-, mit Pachtverträgen oder durch Errichtung bzw. Ausbau staatlicher Unternehmen, durch den Staat finanzierten Anlagen langfristig in Händen privater Eigentümer oder im Reichsbesitz befinden würden. Außerdem hat die Untersuchung gezeigt, dass das Reich ohnehin nicht an eigenen Unternehmen interessiert war13, es sei denn, es gab keine anderen Möglichkeiten, weil die Privatwirtschaft entsprechende Kapazitäten nicht errichten wollte oder nur zu unannehmbaren Konditionen, wie im Fall der Oberschlesischen Hydrierwerke AG14. Damit entsprach das Verhalten des Staates der entsprechenden Norm, die in den Wirtschaftsbestimmungen für Reichsbehörden (RWB) vom 11. Februar 1929 festgelegt worden ist. Es heißt nämlich in § 60 RWB: „(2) Die Beteiligung des Reiches nach § 48 der Reichshaushaltsordnung an Unternehmen mit  Gehrig

(1996), S. 53; Siegel / v. Freyberg (1991), S. 276, 284. J. Winschuh, Gerüstete Wirtschaft, Berlin 1939, S. 3.  Vgl. eine Rede von Schacht vom 21. Juni 1938: „Die staatlichen Aufträge in ihrem heutigen Ausmaß sind keine Dauererscheinungen.“ Zitiert nach M. Bosch, Gelenkte Marktwirtschaft, Stuttgart 1939, S. 142.  Barkai (1988), S. 171, Buchheim (1994), S. 110f; Kapitel 3; Kapitel 4; Kapitel 5. 10 Kapitel 2; W. Grotkopp, Frei vom Golde. Betrachtungen zum Thema Wirtschaft und Währung, Berlin 1938, S. 63 und S. 123. 11 Roth (1997), S. 207 f. 12 Vgl. dazu insbesondere „Denkschrift zum Vierjahresplan“, abgedruckt in VFZ (1955), S. 204 – 210. hier: S. 205. 13 Kapitel 2, Kapitel 3. 14 Kapitel 3. 

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6.2 Die Modellannahmen

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eigener Rechtspersönlichkeit, die einen gewerblichen oder sonstigen wirtschaftlichen Betrieb zum Gegenstand haben, ist nur zulässig, wenn ein wichtiges Interesse des Reiches vorliegt, die Inanspruchnahme der Reichsmittel nicht zu einem Nachteile für das Reich führt und das vom Reich angestrebte Ziel sich nur durch eine solche Beteiligung erreichen läßt.“15 Dazu passen auch die Privatisierungswünsche des Reiches in der Luftfahrtindustrie und bei den Montanpachtanlagen, was sich, wie ebenfalls gezeigt, zum Teil in entsprechenden Privatisierungsoptionsklauseln und realisierten Reprivatisierungen manifestierte.16 In diesem Kontext ist eine vertrauliche Anordnung Görings aus dem Jahr 1942 nicht überraschend: „Es ist von jeher meine Auffassung gewesen, dass der Staat maßgeblich an industriellen Unternehmungen nur dann betei­ligt werden soll, wenn die diesen Unternehmen gestellten Aufgaben die der Privatwirt­schaft gegeben Möglichkeiten übersteigen.“17 Diese Aussage ähnelt frappierend einer Grundsatzerklärung des Reichsluftfahrtsministerium aus dem Jahr 1937: „Das Reich wünscht grundsätzlich keine Beteiligung an Unternehmungen der Luftfahrtindu­strie. Wo sich das notwendige Privatkapital in absehbarer Zeit nicht beschaffen lässt und besondere Verhältnisse die Reichsbeteiligung nicht umgehen lassen, wird sich das Reich ausnahmsweise an Unternehmungen der Luftfahrtindustrie beteiligen.“18 Hinsichtlich der Kostenminimierung dürfte neben den Investitionskosten, die das Reich u.U. ganz oder zum Teil zu tragen hatte, auch eine Rolle gespielt haben, dass die verschiedenen Varianten unterschiedliche staatliche Kontroll- und Mitsprachemöglichkeiten implizierten. Der Staat hatte nämlich auch ein Interesse daran, dass die Güter, die mit den Anlagen hergestellt wurden, möglichst preisgünstig produziert wurden. Dies leuchtet unmittelbar für den Fall ein, in dem der Staat Nachfrager der jeweiligen Güter war. Es dürfte aber auch dann zutreffen, wenn zwar der Staat nicht überwiegend, ob direkt oder indirekt, Nachfrager der Güter war, aber die potentiellen Kosten, die dem Staat mit der Auslastung der Kapazitäten aufgrund vertraglicher Verpflichtungen entstehen konnten, mit einer ineffizienten Produktionsweise steigen würden. Auch aus diesem Grund bemühte sich der Staat im Allgemeinen, in der Vertragsgestaltung Anreizmechanismen zu implementieren, die die Unternehmen zu Effizienzsteigerungen veranlassten.19 Somit dürfte die Kostenminimierung des Staates auch dadurch beeinflusst worden sein, inwieweit für ihn mit der Variantenwahl Probleme asymmetrischer Informationsverteilung gelöst werden konnten, mit dem er als Prinzipal u.U. konfrontiert gewesen sein könnte. Mit anderen Worten, nicht nur das finanzielle Engagement des Staates bei der Schaf15

Wirtschaftsbestimmungen für Reichsbehörden vom 11. Februar 1929 in, Wawerla / Ambrosius (1958), S. 46 – 70. 16 Kapitel 2. 17 BArch R 2 / 15160 a, Vertrauliche Anordnung Görings betr. Auflösung der AG Reichswerke Hermann Göring vom 23. März 1942, zitiert nach Weyres von Levetzow (1975), S. 140*. 18 BArch R 2 / 5475, Endgültige Fassung der Richtlinien über Preisbildung und Finanzierung vom 12.6.1937, S. 32. Generell zu Rolle der Privatwirtschaft im Dritten Reich, vgl. C. Buchheim / J. Scherner, The Role of Private Property in the Nazi Economy: The Case of Industry, Journal of Economic History, Vol. 66, 2006, No. 2, 390 460.   19 Kapitel 2.

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6. Schlussbetrachtung

fung bestimmter Kapazitäten, sondern auch der möglichst kostengünstige Bezug von Gütern, die mit diesen Kapazitäten produziert wurden, oder möglichst geringe Kosten, die der Staat aufgrund vertraglicher Verpflichtungen zu tragen hatte, dürften die Variantenwahl unter dem Aspekt der Kostenminimierung beeinflusst haben. Annahme 4: Vertragsfreiheit Im Allgemeinen20 wurden in den betrachteten Branchen Verträge auf freiwilliger Basis abgeschlossen, d. h. der Staat übte keinen Zwang aus. Nur in wenigen Fällen wurde ein Druck in Form von Zwangsandrohung ausgeübt. Selbst dann aber bestand durchaus die Möglichkeit, dem Druck zu widerstehen, wie die Beispiele mancher Unternehmen bei der Kapitalzeichnung der regionalen Zellwollewerke oder bei der Oberschlesischen Hydrierwerke AG zeigen. Andere Formen von Druck, den der Staat ausübte, wie das Ausspielen verschiedener Unternehmen gegeneinander, ist ohnehin als ein normales Verhalten bei Vertragsverhandlungen anzusehen. Auch ließ sich bei den untersuchten Branchen kein einziger Fall nachweisen, in dem ein Vertragsabschluss aus Angst vor einer Verstaatlichung erfolgt ist  –  und zwar sowohl vor als auch nach Gründung der Reichswerke Herrmann Göring. Offensichtlich hatte das Verhalten des Reiches bei der Frage der Förderung und Verhüttung eisenarmer deutscher Erze, im Unterschied zu der häufig in der Literatur anzutreffenden Behauptung, doch keinen bleibenden Eindruck in der Industrie hinterlassen  –  jedenfalls in den untersuchten Branchen. Dazu passt sowohl der Umstand, dass in manchen Fällen Verhandlungen abgebrochen wurden und in anderen Fällen sehr langwierig waren, als auch die Art, mit der die Unternehmen versuchten, ihre Interessen durchzusetzen. Dieses Bild ergibt sich eindeutig aus der Analyse der Vertragsverhandlungen.21 Oft erklärten die Unternehmen explizit, dass sie sich nur im Fall der Erfüllung bestimmter Vertragsbedingungen zu einer Einigung mit den Behörden bereit erklären würden. Außerdem gibt es eine Reihe von Fällen, in denen die Unternehmen von sich aus an den Staat herantraten, wie die Froriep GmbH, die IG Farben beim Leunawerk, die DKAG, die Gewerkschaft Victor, Wintershall und die Ruhrchemie. Insgesamt waren die zuständigen Behörden offensichtlich grundsätzlich davon überzeugt, dass es bezüglich seiner Ziele effizienter sei, die Privatwirtschaft für die eigene Zwecke zu instrumentalisieren.22 Deshalb kann unter Einbeziehung der dritten Annahme geschlossen werden, dass der Staat normalerweise, selbst wenn er einen anderen, für ihn kostengünstigeren Vertragstyp als den oder die, die in einer bestimmten Situation von privaten Unternehmen akzeptiert wurden, vorgezogen hätte, auf den kostengünstigsten unter den Vorschlägen der Unternehmens eingegangen wäre. Nur wenn das Reich davon ausgegangen wäre, ein 20

Vgl. dazu insbesondere Scherner (2006 b). Hier soll nicht unterschlagen werden, dass in Einzelfällen, wie bei der Junkersenteignung oder der Pflichtgemeinschaft durchaus Zwang angewendet wurde. Dennoch waren dies nur Einzelerscheinungen –  Pflichtgemeinschaften wurden dann auch später nicht mehr gebildet. Vgl. Kapitel 3 – 5. 21 Kapitel 3; Kapitel 4; Kapitel 5. 22 K. Gerber (1939), Die deutsche Kapitalmarktpolitik seit 1933, Leipzig, S. 136;. BArch R 2 Anh / 54, Bl. 150ff; BArch R 13 XIII / 339. Vgl. auch Kapitel 3.

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6.2 Die Modellannahmen

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staatliches Unternehmen wäre unter der Prämisse der Kostenminimierung die beste Lösung, hätte es keinen Vertrag mit einem privaten Unternehmen geschlossen. Annahme 5: Marktmacht determiniert Vertragsausgestaltung Unter der Prämisse, dass es nicht zu diktierten Verträgen kam, ist zugleich zu erwarten, dass die Verhandlungsmacht der Unternehmen bezüglich der Ausgestaltung der Vertragstypen um so größer gewesen sein dürfte, je größer ihre Marktmacht war und je attraktiver alternative Anlageformen waren. Das hat sich bestätigt. So konnte die IG bei Pachtverträgen bessere Konditionen durchsetzen als andere Betreibergesellschaften. Das könnte darauf zurückzuführen sein, dass sie bei den entsprechenden Gütern der einzige potentieller Anbieter war.23 Auch als Bunamonopolist konnte die IG im Rahmen des Risikoteilungsvertrags einen Verzicht des Reiches auf ein umfassendes Prüfungsrecht durchsetzen, was ihr als einer von mehreren Anbietern bei der Zellwolleproduktion verwehrt blieb.24 Allerdings ist hier zu bedenken, dass der Verzicht des Staates dadurch erleichtert wurde, dass er sich über die Kapitalbeteiligung eines staatlichen Unternehmens indirekte Kontrollrechte sichern konnte. Die Verhandlungsmacht des Reiches hingegen dürfte um so größer gewesen sein, je mehr potentiellen Verhandlungspartnern man sich gegenüber sah und je weniger attraktiv alternative Anlageformen für die Unternehmen waren, wie die Verhandlungen zur Realisierung des Faserstoffprogramms nahe legen. Im Allgemeinen dürfte die Verhandlungsmacht der privaten Unternehmen auch dadurch beschränkt gewesen sein, dass zumindest zwischen 1933 und 1935 die Opportunitätskosten eines Vertragsabschlusses für die Unternehmen aufgrund der Auswirkungen der Weltwirtschaftskrise gering waren, d. h. nur wenige rentable Alternativen zu den vom Staat gewünschten Investitionen bestanden. Von 1936 an hätten angesichts des Wirtschaftsbooms die Opportunitätskosten erheblich höher sein müssen. Allerdings griff von diesem Zeitpunkt der Staat immer mehr in den Markt ein, d. h. es erfolgte eine künstliche Senkung der Opportunitätskosten. Einige Rohstoffe und der Produktionsfaktor Arbeit waren knapp und ihre Allokation durch massive staatliche Regulierungen beeinflusst.25 All dies läßt vermuten, dass anders als in einem Boom zu „normalen“ Zeiten, die Möglichkeit alternativer Anlageformen beschränkt war.26 Annahme 6: Nichtdiskriminierungsvereinbarung Die Unternehmen konnten, wie nachweislich im Fall der Treibstoff-, Buna-, Zellwolle- und Maschinenproduktion eine Nichtdiskriminierungsvereinbarung durchsetzen27, was bedeutete, dass Unternehmen der gleichen Branche seitens des Reichs 23

Hopmann (1996). Kapitel 4. 25 Vgl. z. B. Temin (1991), S. 580. 26 Es konnten bei den betrachteten Branchen keine Hinweise dafür gefunden werden, dass der Staat diese Eingriffe bzw. seine Möglichkeiten des Eingriffes als Drohpotential benutzte um einen von ihm gewünschten Vertragsabschluss in der ihm genehmen Form herbeizuführen  –  was ja auch im übrigen seiner Absicht, die Privatwirtschaft zu instrumentalisieren, widersprochen hätte. 27 Kapitel 3; Kapitel 4. 24

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6. Schlussbetrachtung

keine grundsätzlich besseren Konditionen angeboten wurden, als Unternehmen gewährt worden waren, die bereits Verträge abgeschlossen hatten.28 Aus dieser Annahme ergibt sich, dass nachfolgende Unternehmen im Allgemeinen, nachdem für eine Branche einmal ein geeigneter Vertragstyp ausgehandelt worden war, nur noch darüber entscheiden konnten, den vom Staat angebotenen Vertrag zu schließen oder nicht. Mit anderen Worten, diese Unternehmen hatten aufgrund der Nichtdiskriminierungsvereinbarung keinen Verhandlungsspielraum hinsichtlich des grundsätzlichen Vertragsinhaltes mehr. Im Allgemeinen war dabei der Staat informiert, welcher Vertragstyp jeweils für welches Unternehmen akzeptabel war. Denn bei den verschiedenen staatlichen Institutionen gab es spezielle Abteilungen, die für die jeweiligen Branchen, wie die Mineralölabteilung im Reichswirtschaftsministerium29, sondieren sollten, welche Unternehmen als potentielle Vertragspartner in Frage kamen und die zugleich die Vertragsverhandlungen im Namen des Reichs führten. Die Nichtdiskriminierungsvereinbarung wurde vom Staat respektiert, was auf der einen Seite zwar seinen Verhandlungsspielraum einschränkte, ihn auf der anderen Seite aber auch weniger erpressbar machte. Offensichtlich war das Einhalten der Nichtdiskriminierungsvereinbarung auch Ausdruck für eine allgemeine Rechtssicherheit, die das Reich den Unternehmen in den betrachteten Branchen gewährte. Diese zeigte sich auch in seiner bemerkenswerten Vertragstreue noch drei Wochen vor der Kapitulation, wie im Fall der Oberschlesischen Hydrierwerke AG30, oder in dem Umstand, dass in vielen Fällen Verträge erst nach Produktionsbeginn in den neu geschaffenen Anlagen unterzeichnet wurden31.

6.3 Die Gewinnmaximierung der privaten Unternehmen und die Kostenminimierung des Staates Normalerweise realisiert ein Unternehmen ein Investitionsobjekt, wenn es  –  natürlich neben der Amortisation des eingesetzten Kapitals  –  davon ausgeht, dass der daraus resultierende erwartete Gewinn größer ist als bei allen anderen alternativen Anlageformen. Demzufolge wäre unter der Annahme der Vertragsfreiheit zu erwarten, dass ein Unternehmen, das einen bestimmten Investitionsvertrag mit dem Reich abschloss, ebenfalls davon ausging, dass der erwartete Gewinn bei dieser Vertragswahl höher sei als bei der Wahl aller anderen Vertragstypen oder einer Anlage ohne vertragliche Bindung. Während normalerweise der Gewinn eines Investitionsobjekts durch Unsicherheit über sein Eintreten gekennzeichnet ist, daher auch erwarteter Gewinn, garantierten die Verträge, je nach Vertragstyp eine mehr oder weniger sichere Verzinsung und / oder eine sichere Amortisation des ursprünglich eingesetzten Kapitals. Daneben konnte es aber auch einen unsicheren Gewinn geben. Dies 28 29 30 31

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Kapitel 3; Kapitel 4. Vgl. z. B. Kockel (2003), S. 176. Kapitel 3. Vgl. z. B. Hayes (1987 a), S. 186.

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6.3 Die Gewinnmaximierung der privaten Unternehmen

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soll anhand der hier betrachteten idealtypischen Vertragstypen, nämlich den Typen Garantie-, Pacht- und Risikoteilungsvertrag, kurz erläutert werden. Dabei werden unter dem Typus Garantievertrag Wirtschaftlichkeitsgarantieverträge, Wirtschaftlichkeitszusagen und andere Modifikationen sowie das Förderprämienverfahren erfasst. Die Subsumierung des letzteren unter dem Begriff Garantievertrag erscheint zulässig, da zum Teil das Förderprämienverfahren in Kombination mit einem zehnjährigen Kreditvertrag gewährt wurde und somit faktisch nicht nur wie bei einem Wirtschaftlichkeitsgarantievertrag eine vollständige Risikoabnahme der getätigten Kapazitätserweiterungen erfolgte, sondern auch eine vergleichbare Laufzeit gegeben war.32 Unter Pachtverträgen werden ebenfalls nicht nur die Pachtverträge des Kapitels 2, sondern mit dem Zuschussvertrag ein, was das faktische Eigentumsrecht des Reiches anbelangt, vergleichbarer Vertragstyp subsumiert.33 Beim Garantievertrag gewährleisten, wie erwähnt, Preis- und Absatzgarantien eine Amortisation und i.d.R. einen sicheren Gewinn in Höhe von fünf Prozent des eingesetzten Kapitals bei einer Vertragslaufzeit von zehn Jahren. Danach hatte das Unternehmen uneingeschränkte Eigentums- und Verfügungsrechte. Neben garantiertem Gewinn und Amortisation konnte aus dem Investitionsobjekt auch noch ein unsicheren Gewinn entstehen, der hier als „langfristig erwarteter Gewinn“ bezeichnet wird, da er überwiegend34 nur nach Ablauf der Vertragslaufzeit anfallen konnte. Letzterer war umso größer

• je weiter die erwartete tatsächliche Lebensdauer der Anlagen zehn Jahre überschritt • je positiver die Erwartungen des Unternehmers war, dass das Produkt nach zehn Jahren, auch ohne staatlich garantierte Nachfrage, Käufer finden würde • je größer nach den Erwartungen der Unternehmer der Konversionsgrad35 der Anlagen war, d. h. je geringer die Umrüstungskosten der Anlagen für die Produktion eines anderen, als kompetitiv geltendes Gutes waren • je mehr Nutzen man dem Erwerb von Verfahrens-Know-how in der Vertragslaufzeit für die Zeit danach beimaß.36

Ging das Unternehmen allerdings davon aus,

• dass die tatsächliche Lebensdauer der Anlagen zehn Jahre nicht überschritt, • und / oder, dass das Produkt langfristig nicht kompetitiv war, • und / oder, dass die Anlagen nicht für die Produktion eines anderen marktfähigen Produktes verwendbar waren,

so war der Gewinn nach Ablauf der Vertragslaufzeit aufgrund der Abbruchkosten, wenn man das Gelände für einen anderen Verwendungszweck nutzen wollte, eher 32 33 34

Kapitel 2. Kapitel 2. Von den in den Festpreisverträgen implementierten Gewinnchancen wird somit hier abgese-

hen. 35 Dies war auch dem Reich bekannt, vgl. BArch R 3101 / 18357, S. 42, 43. 36 Der Nutzen des Erwerbs von Verfahrens-Know-how in der Vertragslaufzeit konnte, im Unterscheid zu den anderen Einflussfaktoren des langfristig erwarteten Gewinns, auch während der Vertragslaufzeit entstehen

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6. Schlussbetrachtung

negativ als Null. Auch war dann zu erwarten, dass das Unternehmen soziale Kosten zu tragen hatte. Bei einem Risikoteilungsvertrag waren die garantierten Geldströme vom Staat zum Unternehmen, gemessen am Investitionsvolumen und im Vergleich zum Garantievertrag, gering. Hier subventionierte der Staat in der Regel einen nicht standardisierten Teil des Investitionsvolumens durch staatliche Kredite, verlorene Zuschüssen, Gewährung hoher Abschreibungen etc., gab aber keine Preis- und Absatzgarantien.37 Allerdings konnte hier, neben einem langfristig erwarteten Gewinn, entsprechend den Überlegungen zum Wirtschaftlichkeitsgarantievertrag, auch noch ein kurzfristig erwarteter Gewinn auftreten, der von den kurzfristigen Erwartungen innerhalb der nächsten zehn Jahre abhing. Diese Größe dürfte dadurch beeinflusst worden sein, dass, wie dargelegt, die Unternehmen im allgemeinen nicht ausschlossen, dass sich über kurz oder lang die Wirtschaftspolitik normalisieren würde und dass die ausgedehnte staatliche bzw. staatlich induzierte Nachfrage nur eine vorübergehende Erscheinung war. Deshalb dürfte der kurzfristig erwartete Gewinn umso größer gewesen sein, • je positiver die Erwartungen des Unternehmens gewesen ist, dass das Produkt innerhalb der nächsten zehn Jahre, auch bei einer Normalisierung der Wirtschaftspolitik ohne staatliche Nachfrage, Käufer finden würde, • je größer nach den Erwartungen der Unternehmen der Konversionsgrad der Anlagen war, d. h. je geringer die Umrüstungskosten der Anlagen für die Produktion eines anderen, als kompetitiv geltenden Guts waren, • und je mehr Nutzen man sich von dem Erwerb von Verfahrens-Know-how versprach.

Bei einem Pachtvertrag gab es, sieht man einmal von dem Erwerb von VerfahrensKnow-how ab, grundsätzlich nur einen sicheren Gewinn.38 Denn der private Pächter konnte nach Ablauf des Pachtvertrags, der i.d.R. eine Dauer von zehn Jahren hatte, keine Erträge aus der Nutzung der Anlage mehr erwarten. Hier war, sofern die Anlage betrieben wurde, das eingesetzte Kapital der Unternehmen, das sich auf das Umlaufkapital beschränkte, typischerweise sehr gering, die Verzinsung über den vertraglich festgelegten Gewinnanteil aber im allgemeinen außerordentlich hoch. Angesichts der verschiedenen Normen in den jeweiligen Vertragstypen, was den sicheren Gewinn und die sichere Amortisation anbelangt, und angesichts der Rolle der kurz- und langfristigen Erwartungen, dürfte demnach z. B. • die Wahrscheinlichkeit, dass ein Unternehmen einen Garantievertrag einem Pachtvertrag vorzog, um so größer gewesen sein, je höher die langfristigen Gewinnerwartungen waren – bei gegebenen Opportunitätskosten und vertraglich festgelegten, gewinnrelevanten Normen, • oder die Wahrscheinlichkeit, dass ein Unternehmen einen Risikoteilungsvertrag einem Garantievertrag vorzog, um so größer gewesen sein, je höher die kurzfristigen Erwartungen waren – 37

Die Standardisierung galt allerdings, entsprechend auch des bereits erwähnten Nichtdiskriminierungsgrundsatzes, innerhalb einer Branche. Kapitel 2. 38 Aufgrund der Abschöpfungsmöglichkeiten im Fall von Festpreisverträgen waren die Gewinne faktisch nach oben begrenzt. Außerdem wurden hier zum Teil auch Selbstkostenverträge abgeschlossen.

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6.3 Die Gewinnmaximierung der privaten Unternehmen

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bei gegebenen Opportunitätskosten, vertraglich festgelegten, gewinnrelevanten Normen und gegebenen langfristigen Gewinnerwartungen.

Die Gewinnerwartungen dürften dabei durch staatliche Auflagen  –  wie Standort­ vorgaben  –  beeinflusst worden sein. Wenn man nun die Präferenzen des Staates hinsichtlich der verschiedenen Vertragsformen analysiert, muss man berücksichtigen, dass der Staat noch die Alternative der Gründung oder Erweiterung bestehender staatlicher Unternehmen hatte, um die von ihm gewünschten Kapazitäten zu schaffen. Eine Neugründung dürfte allerdings gemäß der fünften Annahme grundsätzlich nur dann in Frage gekommen sein, wenn privatwirtschaftliche Unternehmen zu einer entsprechenden Investition durch Inanspruchnahme der zur Verfügung stehenden Fördervarianten nicht bereit waren oder nur zu für das Reich nicht akzeptablen Konditionen. Ein Einflussfaktor der Kostenminimierung dürfte dabei der Umstand gewesen sein, ob nur die Privatwirtschaft das zur Errichtung und Betreibung der Kapazitäten notwendige Know-how besaß oder auch der Staat. So müsste in der Situation, in welcher der Staat kein Know-how besaß und das Problem asymmetrischer Informationen als nicht sehr wichtig erachtete, natürlich die Kapazitätsschaffung ohne vertragliche Verpflichtung (0) für ihn die beste Variante gewesen sein, gefolgt von einem Risikoteilungsvertrag (RT). Die drittbeste Variante dürfte ein Garantievertrag (GV) gewesen sein. Diesen dürfte er im Allgemeinen aufgrund der Annahme der staatlichen Präferenz privatwirtschaftlicher Investitionen einem Pachtvertrag (P) vorgezogen haben. Auszuschließen wäre in dieser Situation allerdings die Gründung eines staatlichen Unternehmens (S). Denn zwar war es durchaus denkbar, dass der Staat sich die entsprechenden Patente per Lizenz von der Privatwirtschaft beschaffen könnte. Dazu bestand seit 1936 auch eine direkte, auf gesetzlicher Grundlage beruhende Eingriffsmöglichkeit des Reichswirtschaftsministeriums durch die Novellierung des deutschen Patentrechtes, für deren Anwendung bei den betrachteten Branchen es allerdings keine Belege gibt.39 Für Rüstungsgüter forderte das Reich einen Wissenstransfer bereits 1935, scheiterte aber am Widerstand der Industrie.40 Erst unter Speer im Jahre 1942, also während des Krieges, konnten entsprechende Forderungen durchgesetzt werden, wobei im Rahmen einer Kriegswirtschaft ein derartiges Phänomen aber auch in anderen Staaten, wie den USA zu beobachten ist.41 Zu dem für eine effiziente Produktion notwendigen Verfahrens-Know-how gehörten aber nicht nur der Besitz einer Lizenz, sondern auch noch entsprechend ausgebildete Leute. Vor 1936 dürften hochqualifizierte Fachkräfte und leitende Angestellte wahrscheinlich noch ohne weiteres aufzufinden gewesen sein. Nach diesem Zeitpunkt, als Fachkräftemangel 39

M. Seckelmann, Der „Dienst am schöpferischen Ingenium der Nation“. Die Entwicklung des Patentrechts im Nationalsozialismus, in J. Bähr / R. Banken (Hg.), Wirtschaftssteuerung durch Recht im Nationalsozialismus. Studien zur Entwicklung des Wirtschaftsrechts im Interventionsstaat des „Dritten Reichs“, Frankfurt a.M., 2006, 237 – 280. 40 Streb / Streb (1998), S. 287. 41 Streb (2003 a), S. 124  f.

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6. Schlussbetrachtung

in der deutschen Industrie herrschte42, hätte der Staat Fachkräfte nur durch Abwerben oder durch Zwangstransfer gewinnen können. Für einen Zwangstransfer innerhalb einer Autarkiebranche gibt es keine Hinweise, und was das Abwerben von Fachkräften anbelangt, so verzichtete der Staat darauf, wie im Fall der auf staatliche Initiative gegründeten regionalen Zellwollewerke, als die betroffenen Firmen massiv protestierten.43 Aufgrund der infolge des Humankapitalmangels zu erwartenden hohen Kosten der Gründung und Auslastung eines staatlichen Unternehmens dürfte demnach diese Variante unter dem Aspekt der Kostenminimierung die ungünstigste gewesen sein. Tabelle 57: Staat besitzt kein Verfahrens-Know-how S < P < GV < RT < O

Unterstellt man cetris paribus hingegen, dass auch der Staat das Verfahrens-Knowhow besaß, so dürfte er die Gründung bzw., falls vorhanden, die Erweiterung eines staatlichen Unternehmens dem Abschluss eines Pachtvertrags vorgezogen haben. Denn bei letzterem hätte der Staat das Know-how des privaten Unternehmens in Form eines Teils seines Gewinnes bezahlen müssen  –  obwohl er in dieser Situation ja bereits im Besitz des Know-hows war. Ob er ein staatliches Unternehmen einem Garantievertrag vorgezogen hätte, ist nicht ganz klar. Auf der einen Seite ist aufgrund der Annahme zur staatlichen Präferenz privatwirtschaftlicher Unternehmen grundsätzlich zu erwarten, dass das Reich einen Garantievertrag präferiert hätte. Auf der anderen Seite ist es denkbar, dass der Staat zur Verbesserung seiner branchenspezifischen Informationen auch für die Kapazitätserrichtung durch ein staatliches Unternehmen optiert hätte. Die gleichen Überlegungen lassen sich auch hinsichtlich der staatlichen Wahl zwischen dem Abschluss eines Risikoteilungsvertrags mit einem privatwirtschaftlichen Unternehmen und der Kapazitätserrichtung durch einen Staatsbetrieb anstellen. Tabelle 58: Staat besitzt das Verfahrens-Know-how P < GV ≤ S ≤ RT < O

6.4 Vertragsprognosen und empirische Überprüfung Nach den bisherigen Überlegungen dürfte die Entscheidung, in welcher Form die vom Staat gewünschten Kapazitäten geschaffen wurden, also nicht nur von den in den Annahmen und von den in den standardisierten Vertragstypen festgelegten Rahmenbedingungen, sondern auch von

42 43

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Vgl. z. B. Morris (1982), S. 297. Kapitel 4.

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6.4 Vertragsprognosen und empirische Überprüfung

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• der Höhe der Opportunitätskosten, • den kurz- und langfristigen Erwartungen der privaten Unternehmen, die auch dadurch beeinflusst waren, ob der Staat nur Bereitschaftsanlagen für den Kriegsfall oder eine volle Kapazitätsauslastung wünschte und staatlichen Auflagen für die Produktion, wie die Standortwahl • der Verteilung des notwendigen Know-hows zwischen den potentiellen Vertragspartnern abhängig gewesen sein.

Wie erwähnt, müssten nach den bisherigen Überlegungen die kurz- und langfristigen Gewinnerwartungen sowie die Opportunitätskosten entscheidend für die Vertragstyppräferenz der Unternehmen gewesen sein. Es ist dabei plausibel, als Untergrenze der Opportunitätskosten eine Verzinsung zu unterstellen, die in etwa der Verzinsung eines Wirtschaftlichkeitsgarantievertrags (5 Prozent) bzw. als weitere Referenzgröße der Verzinsung festverzinslicher Staatsanleihen (4,5 Prozent seit 1935) entsprach. Außerdem kann unterstellt werden, dass ein Unternehmen ein Investitionsobjekt nur dann auch als kurzfristig rentabel erachtete, wenn es erwartete, wenigstens die Rendite festverzinslicher Staatsanleihen zu erzielen. Vorausgesetzt, dass die Anlage bei den im Dritten Reich herrschenden allgemeinen, also nicht vertraglich festgelegten und angesichts der Ziele des Regimes als zunächst konstant betrachteten Rahmenbedingungen rentabel war, müßten unter Berücksichtigung dieser Überlegungen und Annahmen wahrscheinlich die Unternehmen in Abhängigkeit ihrer Erwartungen folgende Vertragstypen vorgezogen haben:

• ohne kurz- und langfristige Erwartungen unter Normalbedingungen einen Pachtvertrag. • bei nur langfristig positiven Erwartungen unter Normalbedingungen einen Garantie- oder einen Pachtvertrag. Dabei dürfte ein Pachtvertrag wahrscheinlich dann einem Garantievertrag vorgezogen worden sein, wenn die Opportunitätskosten höher waren als die Verzinsung, die aus dem im Garantievertrag festgelegten und aus dem langfristig erwarteten Gewinn resultierte. • bei auch kurzfristig positiven Erwartungen unter Normalbedingungen einen Risikoteilungsvertrag oder sie müßten gar bereit gewesen sein, ohne Vertrag die Kapazitäten auszubauen. Die Bereitschaft, einen Risikoteilungsvertrag abzuschließen, dürfte dabei cetris paribus umso wahrscheinlicher gewesen sein, je höher die Opportunitätskosten waren, und umso weniger wahrscheinlich, je lästiger die damit verknüpften staatlichen Kontrollrechte eingeschätzt wurden.

Man kommt zu teilweise anderen Ergebnissen, wenn für eine bestimmte Branche die allgemeinen Rahmenbedingungen im Dritten Reich keine rentable Produktion erlaubten. Dann wäre auch unter kurzfristig positiven Erwartungen unter Normalbedingungen wohl kein Risikoteilungs-, sondern ein Garantievertrag die präferierte Variante eines privatwirtschaftlichen Unternehmens gewesen. Inwieweit all diese Determinanten das Verhandlungsergebnis bzw. die Art der Schaffung von Kapazitäten unter Berücksichtigung der genannten Annahmen beeinflusst haben müssten, soll im folgenden systematisch anhand bestimmter Situationen dargestellt werden, d. h. anhand bestimmter Ausprägungen der Einflussfaktoren. Unterstellt man, der Staat habe den Ausbau einer Branche gewünscht, in der er kein Know-how besaß. Unter den getroffenen Annahmen, bei gleichzeitiger Berücksichtigung der Vorüberlegungen zur Vertragstypräferenz der potentiellen Verhandlungspartner, ergeben sich demnach in dieser Situation in Abhängigkeit von den Erwartungen der Unternehmen folgende Vertragsprognosen:

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6. Schlussbetrachtung

Tabelle 59: Vertragsprognosen, falls nur die Privatwirtschaft im Besitz des Knowhow war Unter NS-Rahmenbedingungen rentabel ja ja nein nein nein ja

Unter Normalbedingungen ganz oder weitgehend auch kurzfristig zukunftsfähig ja nein nein nein ja nein

Unter Normalbedingungen langfristig zukunftsfähig

Vertragsprognose

ja nein nein ja ja ja

0 oder RT P P GV oder P GV GV oder P

Man gelangt wiederum zu teilweise anderen Ergebnissen, wenn man die Ausgangssituation dahingehend modifiziert, indem man unterstellt, dass der Staat im Besitz des Verfahrens-Know-how war. Denn dies veränderte, wie gesehen, das Ergebnis der Kostenminimierung des Staates und legt folgende Vertragsprognose nahe: Tabelle 60: Vertragsprognosen, falls auch der Staat im Besitz des Know-how war Unter NS-Rahmenbedingungen rentabel ja ja nein nein nein ja

Unter Normalbedin­ gungen ganz oder weitgehend kurzfristig zukunftsfähig ja nein nein nein ja nein

Unter Normalbedingungen langfristig zukunftsfähig

Vertragsprognose

ja nein nein ja ja ja

0 oder RT oder S S S GV oder S GV oder S GV oder S

Die auf dieses Weise durch die jeweiligen Ausprägungen der Einflussfaktoren bestimmten Vertragsprognosen, sind, was die exakte Vertragswahl anbelangt, offensichtlich nicht immer eindeutig. Allerdings kann man bei Gültigkeit des Modells in bestimmten Situationen die Wahl bestimmter Vertragstypen ausschließen, was insofern auch eine empirische Überprüfung ermöglicht. Ob die Prognosen in der Realität zutrafen oder nicht, also inwieweit das skizzierte Modell überhaupt die Wahl der Vertragsform bzw. die Art der Kapazitätsschaffung und die Entscheidungsparameter der Akteure beschreiben kann, soll dabei im folgenden anhand von Entscheidungen in den in dieser Untersuchung betrachteten Autarkie- und Rüstungsbranchen überprüft werden. Hierbei wird bei allen betroffenen Branchen berücksichtigt, inwieweit das Reich im Besitz des Knowhow war. Die jeweiligen kurz- und langfristigen Erwartungen der privaten Unternehmen unter Normalbedingungen sowie die Rentabilität der Anlagen bei den herrschenden NS-Rahmenbedingungen wurden dabei in den vorausgegangenen Kapiteln ermittelt und werden hier noch einmal in einem ersten Schritt tabellarisch

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6.4 Vertragsprognosen und empirische Überprüfung

291

zusammen mit ihren Einflussfaktoren dargestellt. Die Reihenfolge der Investitionsobjekte in dieser Übersicht entspricht dabei der, in der die jeweiligen Branchen bzw. Anlagen in dieser Untersuchung betrachtet worden sind. Hinzuzufügen ist, dass bei der empirischen Überprüfung des Modells die Feststellung der jeweiligen Opportunitätskosten schwierig ist. Tabelle 61: Rahmenbedingungen und Zukunftserwartungen der Investitionen in die betrachteten Branchen Marktbeschreibung NS-Rahmenbedingungen

Buna-IAnlage

Kurzfristige Erwartungen unter Normalbedingungen

Langfristige Erwartungen unter Normalbedingungen NS-Rahmenbedingungen

Buna-II und Buna-IVAnlagen

Kurzfristige Erwartungen unter Normalbedingungen

Langfristige Erwartungen unter Normalbedingungen

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• Infolge Zollpolitik Absatz gesichert

• preislich und qualitativ nur in Segmenten gegenüber Naturkautschuk wettbewerbsfähig • daher Erwartung, dass eigene Kapazitäten bestenfalls zu einem geringen Teil ausgelastet sein würden • zunehmende preisliche und qualitative Wettbewerbsfähigkeit gegenüber Naturkautschuk nicht auszuschließen • außerdem: Anlagen bedingt konvertibel • Infolge Zollpolitik Absatz gesichert

• preislich und qualitativ gegenüber Naturkautschuk weitgehend wettbewerbsfähig • daher Erwartung, dass eigene Kapazitäten wohl zum größten Teil ausgelastet sein würden • weitere Preissenkungen und Qualitätsverbesserungen erwartet • außerdem: Anlagen bedingt konvertibel

Rentabilitätsbeschreibung rentabel

Nicht zukunftsfähig

zukunftsfähig

rentabel

weitgehend zukunftsfähig

zukunftsfähig

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6. Schlussbetrachtung NS-Rahmenbedingungen

Buna-IIIAnlage

Kurzfristige Erwartungen unter Normalbedingungen

Langfristige Erwartungen unter Normalbedingungen NS-Rahmenbedingungen

Bunaprojekt Fürstenberg

FischerTropsch- und Hydrier­ anlagen auf der Rohstoffbasis Kohle

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Kurzfristige Erwartungen unter Normalbedingungen

• Infolge Zollpolitik Absatz gesichert • qualitativ gegenüber Naturkautschuk weitgehend wettbewerbsfähig • preislich wettbewerbsfähig zu Naturkautschuk aufgrund des Dreistufenverfahrens • daher Erwartung, dass eigene Kapazitäten auf jeden Fall ausgelastet sein würden • weitere Preissenkungen und Qualitätsverbesserungen erwartet • Anlagen voll konvertibel • Infolge Zollpolitik Absatz gesichert

• qualitativ nur in Segmenten gegenüber Naturkautschuk wettbewerbsfähig • keine preisliche Wettbewerbsfähigkeit aufgrund der Standortnachteile • daher Erwartung, dass eigene Kapazitäten nicht ausgelastet sein würden

rentabel

zukunftsfähig

zukunftsfähig rentabel

Nicht zukunftsfähig

Langfristige Erwartungen unter Normalbedingungen

• preisliche Wettbewerbsfähigkeit gegenüber Naturkautschuk langfristig nicht wahrscheinlich • außerdem: Anlagen nicht konvertibel

Nicht zukunftsfähig

NS-Rahmenbedingungen

• Wegen Zöllen spätestens seit 1936 preislich konkurrenzfähig

Rentabel

Kurzfristige Erwartungen unter Normalbedingungen

• Bei einer Abwertung und einer Normalisierung der Zollpolitik (Fiskalzoll) möglicherweise konkurrenzfähig

Bedingt zukunftsfähig

Langfristige Erwartungen unter Normalbedingungen

• zunehmende preisliche Wettbewerbsfähigkeit gegenüber Benzin aus Erdöl nicht auszuschließen • außerdem: Anlagen bedingt konvertibel

zukunftsfähig

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293

6.4 Vertragsprognosen und empirische Überprüfung NS-Rahmenbedingungen FischerTropsch- und Hydrieranlagen auf der Rohstoffbasis Kohle

FischerTropsch- und Hydrieranlagen auf der Rohstoffbasis Erdöl

Kurzfristige Erwartungen unter Normalbedingungen Langfristige Erwartungen unter Normalbedingungen NS-Rahmenbedingungen Kurzfristige Erwartungen unter Normalbedingungen Langfristige Erwartungen unter Normalbedingungen NS-Rahmenbedingungen

Hochdruckhohlkörperproduktion

Kurzfristige Erwartungen unter Normalbedingungen Langfristige Erwartungen unter Normalbedingungen NS-Rahmenbedingungen

Spezialdrehmaschinenproduktion der Froriep GmbH

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Kurzfristige Erwartungen unter Normalbedingungen Langfristige Erwartungen unter Normalbedingungen

• Wegen Zöllen spätestens seit 1936 preislich konkurrenzfähig • Bei einer Abwertung und einer Normalisierung der Zollpolitik (Fiskalzoll) möglicherweise konkurrenzfähig • zunehmende preisliche Wettbewerbsfähigkeit gegenüber Benzin aus Erdöl nicht auszuschließen • außerdem: Anlagen bedingt konvertibel • konkurrenzfähig; Technologie auch in anderen Ländern verwendet

Rentabel Bedingt zukunftsfähig

zukunftsfähig

rentabel

• zur Ergänzung der Ölcrackung verwendbar • keine Überkapazitäten zu erwarten

zukunftsfähig

-siehe unter kurzfristige Erwartungen-

zukunftsfähig

• Überschussnachfrage infolge von staatlich induzierter Nachfrage

rentabel

• möglicherweise unausgelastete Kapazitäten

Bedingt zukunftsfähig

• Kapazitäten wohl nur zum Teil ausgelastet

Bedingt zukunftsfähig

• Überschussnachfrage infolge von staatlich induzierter Nachfrage

rentabel

• möglicherweise unausgelastete Kapazitäten, allerdings durch vorhandenes Auftragspotential Risiko weitgehend abgedeckt • erneute Investitionskonjunktur langfristig nicht auszuschließen, die das Restrisiko der Anlagenerweiterung decken könnte

Weitgehend zukunftsfähig

zukunftsfähig

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6. Schlussbetrachtung

NS-Rahmenbedingungen Spezialdrehmaschinenproduktion der Dr. Waldrich KG

Glycerin- und Hokoproduktion

privatwirtschaftliche Zellwollewerke

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Kurzfristige Erwartungen unter Normalbedingungen Langfristige Erwartungen unter Normalbedingungen

• Überschussnachfrage infolge von staatlich induzierter Nachfrage

• möglicherweise unausgelastete Kapazitäten, allerdings durch vorhandenes Auftragspotential Risiko weitgehend abgedeckt • erneute Investitionskonjunktur langfristig nicht auszuschließen, die das Restrisiko der Anlagenerweiterung decken könnte

rentabel Weitgehend zukunftsfähig

zukunftsfähig

NS-Rahmenbedingungen

• Überschusskapazitäten auch unter NS-Bedingungen (Bereitschaftsanlagen)

Nicht rentabel

Kurzfristige Erwartungen unter Normalbedingungen

• Überschusskapazitäten • Nicht wettbewerbsfähige Technologie infolge staatlicher Auflagen

nicht zukunftsfähig

Langfristige Erwartungen unter Normalbedingungen

-siehe unter kurzfristige Erwartungen-

Nicht zukunftsfähig

NS-Rahmenbedingungen

• Überschussnachfrage infolge von Importverboten • Beimischungszwang • daher: kein Kapazitätsrisiko

Rentabel

Kurzfristige Erwartungen unter Normalbedingungen

• Überschussangebot an Zellwolle, aber • preislicher und qualitativer Wettbewerbsvorteil gegenüber den regionalen Werken • international konkurrenzfähig • Konversionsmöglichkeit • daher Erwartung, dass eigene Kapazitäten ausgelastet sein würden

zukunftsfähig

Langfristige Erwartungen unter Normalbedingungen

-siehe unter kurzfristige Erwartungen-

zukunftsfähig

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295

6.4 Vertragsprognosen und empirische Überprüfung

NS-Rahmenbedingungen

regionale Zellwollewerke

Abbau von Blei- und Zinkerzen sowie Verhüttung von Blei-, Zink- und Kupfererzen

6. Kapitel 278-300.indd 295

rentabel

Kurzfristige Erwartungen unter Normalbedingungen

• Überschussangebot an Zellwolle • preislicher und qualitativer Wettbewerbsnachteil gegenüber den privatwirtschaftlichen Werken • keine oder nur geringe Konversionsmöglichkeit • daher zu erwarten, dass eigene Kapazitäten nicht ausgelastet sein würden

Nicht zukunftsfähig

Langfristige Erwartungen unter Normalbedingungen

• Zunehmende Nachfrage nach Chemiefasern nicht ausgeschlossen • preislicher und qualitativer Wettbewerbsnachteil gegenüber den privatwirtschaftlichen Werken dürfte weitgehend aufgeholt werden • daher Erwartung, dass eigene Kapazitäten langfristig ausgelastet werden könnten

Zukunftsfähigkeit nicht auszuschließen

NS-Rahmenbedingungen Kurzfristige Erwartungen unter Normalbedingungen Langfristige Erwartungen unter Normalbedingungen NS-Rahmenbedingungen

Gewinnung von Kupfererzen

• Überschussnachfrage infolge von Importverboten • Beimischungszwang • daher: kein Kapazitätsrisiko

Kurzfristige Erwartungen unter Normalbedingungen Langfristige Erwartungen unter Normalbedingungen

• keine Zölle • daher aufgrund des politischen Wechselkurs i.d.R. preislich nicht konkurrenzfähig

Nicht rentabel

• Im Fall einer Abwertung in der Regel international wettbewerbsfähig • Kein Überschussangebot

zukunftsfähig

-siehe unter kurzfristige Erwartungen-

zukunftsfähig

• keine Zölle • preislich nicht konkurrenzfähig

Nicht rentabel

• auch im Fall einer Abwertung mit Sicherheit international nicht wettbewerbsfähig

Nicht zukunftsfähig

-siehe unter kurzfristige Erwartungen-

Nicht zukunftsfähig

29.09.2008 11:37:13 Uhr

296

Aluminium und die vorgelagerte Tonerdeproduktion der Aluminiumproduzenten

6. Schlussbetrachtung

NS-Rahmen­ bedingungen Kurzfristige Erwartungen unter Normalbedingungen Langfristige Erwartungen unter Normalbedingungen NS-Rahmenbedingungen

ST-Tonerdeanlage

Kurzfristige Erwartungen unter Normalbedingungen

Tonerdeproduktion der Gebr. Giulini GmbH ab 1940

• möglicherweise unausgelastete Kapazitäten • international konkurrenzfähig

• Langfristig weitere Nachfragesteigerung und damit Kapazitätsauslastung realistisch • Absatz infolge Aluminiumpreispolitik gesichert trotz deutlich höherer Kosten als Tonerde auf Importbauxitbasis

Rentabel weitgehend zukunftsfähig zukunftsfähig

rentabel

• Bei freier Preisbildung und ohne Importrestriktionen in hohem Maß verlustbringend

Nicht zukunftsfähig

• Konkurrenzfähigkeit sehr unwahrscheinlich

Nicht zukunftsfähig

• Überschusskapazitäten auch unter NS-Bedingungen (Bereitschafts­ anlagen)

Nicht rentabel

• Überschusskapazitäten

nicht zukunftsfähig

Langfristige Erwartungen unter Normalbedingungen

• Langfristig weitere Nachfragesteigerung und damit Kapazitätsauslastung möglich

weitgehend zukunftsfähig

NS-Rahmenbedingungen

Überschussnachfrage infolge von • Staatlich induzierter Nachfrage • Verwendungszwang

Rentabel

Kurzfristige Erwartungen unter Normalbedingungen

• möglicherweise unausgelastete Kapazitäten • international konkurrenzfähig

weitgehend zukunftsfähig

Langfristige Erwartungen unter Normalbedingungen

Tonerdebereitschafts­ anlagen

Überschussnachfrage infolge von • Staatlich induzierter Nachfrage • Verwendungszwang

NS-Rahmenbedingungen Kurzfristige Erwartungen unter Normalbedingungen

Langfristige Erwartungen unter Normalbedingungen

• Langfristig weitere Nachfrage­ steigerung und damit Kapazitätsauslastung realistisch

zukunftsfähig

Im nächsten Schritt sollen in Tabelle 62 die Vertragsprognosen, die sich aus diesen Ergebnissen in Kombination mit den Aussagen von Tabellen 59 und 60 ergeben, also unter Berücksichtigung des Umstandes, inwieweit der Staat über das Knowhow verfügte oder nicht, den tatsächlichen Vertragsabschlüssen gegenübergestellt werden.

6. Kapitel 278-300.indd 296

29.09.2008 11:37:14 Uhr

297

6.4 Vertragsprognosen und empirische Überprüfung

Tabelle 62: Vertragsprognosen und tatsächliche Vertragswahl in Autarkie- und Rüstungsbranchen 1933 – 194544 Unter Normalbe­ dingun­gen ganz oder weit­gehend kurzfristig zukunftsfähig

Unter Normalbedingungen langfristig zukunfts­ fähig

Vertrags­ prognose

Vertrags­ abschluss

nein ja ja ja nein

ja ja ja ja nein

GV oder P 0 oder RT 0 oder RT 0 oder RT P

GV RT 0 RT P

ja

nein

ja

GV oder S

GV oder S

Fischer-Tropsch- und Hydrieranlagen auf Erdölbasis

ja

ja

ja

0 oder RT

0

Drehmaschinen der Froriep GmbH

ja

nein

ja

GV oder P

GV

ja

nein

ja

0 oder RT

RT

ja

nein

ja

0 oder RT

RT

nein nein

nein nein

nein nein

P P

P P

ja

ja

ja

0 oder RT

0 oder RT

ja nein nein nein nein nein nein

nein ja ja ja ja nein ja

ja ja ja ja ja nein ja

GV oder P GV oder S GV oder S GV oder S GV oder S P GV oder S

RT GV oder S GV oder S GV oder S GV oder S P GV oder S

ja

ja

ja

0 oder RT oder S

RT oder S

ja

nein

nein

S

S

ja

nein

ja

GV oder S

S

ja

ja

ja

0 oder RT oder S

RT

Überprüfte Branchen

Unter NSRahmenbedingungen rentabel

Buna I Buna II Buna III Buna IV Bunaprojekt Fürstenberg

ja ja ja ja ja

synthetischer Treibstoff auf Kohlebasis seit 1936

Hochdruckhohlkörper

Drehmaschinen der Dr. Waldrich KG Glycerin Hokosäure

Privatwirtschaftliche Zellwollewerke

Regionale Zellwollewerke Bleierze Blei Zinkerze Zink Kupfererze Kupfer Aluminium- und normale Tonerdekapazitäten der Aluminiumproduzenten ST-Tonerde

Tonerdebereitschafts­ anlagen Giulini Tonerde ab 1940 44

6. Kapitel 278-300.indd 297

Kapitel 3 – 5.

29.09.2008 11:37:14 Uhr

298

6. Schlussbetrachtung

Beim nicht realisierten Bunaprojekt Fürstenberg ist in der Spalte Vertragsabschluss der Vertragswunsch der IG eines Quasipachtvertrags abgetragen. Es überrascht vielleicht, angesichts des im fünften Kapitel beschriebenen formalen Vertragsabschluss eines GV-Vertrags bei dem Kapazitätsausbau der ST-Tonerde- und der Tonerdebereitschaftsanlagen, dass der Vertragsabschluss als die Errichtung staatlicher Kapazitäten gekennzeichnet wurde. Allerdings war dies ein Vertragsabschluss des Reiches mit einem staatlichen Unternehmen, womit also nur die Risikoaufteilung intern geregelt wurde.45 Insgesamt zeigt sich eine fast vollständige Übereinstimmung der tatsächlichen mit den prognostizierten Vertragsabschlüssen. Nur in einem Fall kam es zu einer Abweichung. Nach der Vertragsprognose sind bei der Kapazitätsschaffung der regionalen Zellwollewerken keine RT-, sondern GV- oder sogar P-Verträge zu erwarten. Zu bedenken ist allerdings, wie schon an anderer Stelle betont worden ist, dass bei den regionalen Zellwollewerken die Gewährung von Bezugsrechten das Risiko für die Aktionäre aus der unter Rohstoffmangel leidenden Textilindustrie weiter gesenkt haben dürfte und die Opportunitätskosten der meisten Anleger aufgrund der staatlichen Investitionsrestriktionen in dieser Branche gering waren.46

6.5 Zusammenfassung Zusammenfassend läßt sich festhalten: 1) Es spricht vieles dafür, dass die Rationalität privatwirtschaftlicher Investitionsentscheidungen, wie auch von Teilen der Literatur betont, in den Autarkie- und Rüstungsbranchen maßgeblich von dem Ziel der Gewinnmaximierung beeinflusst war. Dort, wo man auch bei einer Änderung der Wirtschaftspolitik kurzfristig po­ sitive Erwartungen mit dem vom Staat gewünschten Investitionsobjekt verband, zog man i.d.R. einen Risikoteilungsvertrag, im Fall von nur langfristig positiven Erwartungen einen Wirtschaftlichkeitsgarantievertrag und im Fall, dass die Unternehmen weder kurz- noch langfristig positiven Erwartungen hatten, einen Pachtvertrag vor. 2) Es zeigt sich zudem, dass der Staat zweckrational handelte. Er versuchte, bestimmte Kapazitätsziele kostenminimal zu erreichen. Insofern ist die gängige Interpretation der Aussage Hitlers in der Denkschrift zum Vierjahresplan, dessen Realisierung habe ohne Rücksicht auf Kosten zu erfolgen, zu korrigieren. Zwar waren sich die staatlichen Planer bewusst, dass manche Projekte nach ökonomischen Kriterien nicht rentabel waren, man war aber bemüht, diese Projekte mit den für den Staat geringsten Kosten erreichen, ohne der Industrie Verluste aufzuzwingen. 3) Die Autarkiebranchen handelten in der Regel unter der Bedingung von Festpreisverträgen. Auch in der Rüstungsindustrie kam es in vielen Fällen bereits vor der Einführung des Systems der Gruppenpreise zum Einsatz von Preisvereinbarungen, denen Effizienzanreize inhärent waren. Infolgedessen erscheint es fragwür45 46

6. Kapitel 278-300.indd 298

Kapitel 5. Kapitel 4.

29.09.2008 11:37:14 Uhr

6.5 Zusammenfassung

299

dig, die geringere Produktivitätssteigerung der deutschen Industrie im Dritten Reich im Vergleich z. B. zu der in den USA auf die angeblich ausschließliche Verwendung von Selbstkostenverträgen in der deutschen Industrie bei staatlich nachgefragten Gütern vor 1942 zurückzuführen. 4) Die Analyse der Verträge, insbesondere der unternehmerischen Erwartungen, kann für einzelne Branchen zur Beantwortung der zurzeit geführten Kontroverse beitragen, ob und inwieweit die NS-Wirtschaftspolitik die Grundlagen für das Wirtschaftswunder in Westdeutschland geschaffen hat. So kann der Umstand, dass zwei prominente Autarkiebranchen, Aluminium und Chemiefasern, die in der Friedenszeit des Dritten Reichs stark expandierten und nach dem Krieg boomten47, eben nicht überwiegend auf die NS-Wirtschaftspolitik zurückgeführt werden. Denn bei diesen Branchen, die entweder ohne vertraglich zugesicherte staatliche Unterstützung oder mit Risikoteilungsverträgen gefördert worden waren, bzw. deren Kapazitäten durch etablierte staatliche Unternehmen ausgebaut wurden, hatten die Unternehmen ohnehin, auch bei einer angenommenen Normalisierung der Wirtschaftspolitik kurzfristig positive Erwartungen. Selbst unter Normalbedingungen wären demnach diese Branchen, wenn auch wohl nicht so stark wie unter dem NS-Regime ausgebaut worden  –  ebenso wie in anderen Ländern, so den USA und Großbritannien, in denen keine Autarkiepolitik betrieben wurde. Zugleich kann man aus dem Umstand der Kapazitätsschaffung bzw.  – erweiterung durch staatliche Unternehmen nicht unbedingt schließen, dass es sich um Investitionen handelte, die, aus der Ex-ante-Perspektive betrachtet, nicht zukunftsfähig waren. 5) Mit Sicherheit wären unter normalen Bedingungen die Investitionen in Pachtanlagen und die Kupfergewinnung nicht getätigt worden. Inwieweit Investitionen in den Branchen getätigt worden wären, die einen Grantievertrag mit vollkommener Risikoabnahme abgeschlossen hatten, läßt sich pauschal nicht sagen. Bei den hier untersuchten Unternehmen der Blei- und Zinkindustrie lassen die Betrachtungen vermuten, dass wohl der überwiegende Teil der Investitionen auch unter Normalbedingungen getätigt worden wäre. Die Investitionen in Fischer-Tropschund Hydrieranlagen hingegen wären wohl deutlich geringer gewesen als das tatsächlich der Fall war. Zu Bunainvestitionen wäre es wahrscheinlich, wenn auch zu einem späteren Zeitpunkt, auch gekommen. Bei allen anderen untersuchten Branchen ist zu konstatieren, dass wohl ein großer Teil der Investitionen auch ohne NSWirtschaftspolitik getätigt worden wäre. 6) Insofern erscheint es plausibel, dass in der NS-Zeit zumindest die Investitionen in Pachtanlagen aus privatwirtschaftlicher Perspektive als Fehlinvestitionen betrachtet werden mussten. Inwieweit daraus geschlossen werden kann, ob es sich auch ex post um unrentable Investitionen handelte oder es gar zu positiven Effekten in der Nachkriegszeit gekommen ist, soll hier nicht beantwortet werden. Berücksichtigen müsste eine derartige Analyse allerdings nicht nur, ob und in welchem Maß derartige Kapazitäten ausgelastet wurden, sondern auch die Parameter der Wirtschaftspolitik für die jeweilige Branche. Nicht beantwortet werden kann, auch 47

Für Chemiefasern, vgl. Scherner (2002), für die Aluminiumindustrie, vgl. Statistisches Jahrbuch für die Bundesrepublik Deutschland, versch. Jg.

6. Kapitel 278-300.indd 299

29.09.2008 11:37:14 Uhr

300

6. Schlussbetrachtung

nicht mit solch einer Analyse, inwieweit es zu positiven externen Effekten der NSWirtschaftspolitik aufgrund der in dieser Zeit getätigten F&E-Investitionen gekommen ist.

6. Kapitel 278-300.indd 300

29.09.2008 11:37:14 Uhr

7. Anhänge Anhang 1: Die Preisvereinbarungen der HIB Betreibergesellschaft und Art der Rüstungsgüter

Zahl der Werke

InvestitionsPrüfungsvolumen jahr (Mio. RM) 1936/37

1) Silva Metallwerk GmbH (Patronenhülsen etc.)

1937/38 3

41,6

1938/39 1939/40 1940/41 1941/42 1942/43

2) Metallund Eisen GmbH (Patronenhülsen etc.) 3) Norddeutsche Motorenbau GmbH (Motoren) 4) Märkisches Stahlformwerk GmbH (Granaten) 5) Altmärki­ sches Ketten­ werk GmbH (Panzer) 6) Gerätebau GmbH (Zünder)

7. Anhänge 301-305.indd 301

1

10,9

19,1

1941/42

?

Richtpreis Festpreis

?

?

Festpreis

?

?

?

?

?

1939/40 1940/41

1938/39 1938/39

1938/39 1939/40 1940/41

?

nein

ja

ja

Festpreis

nein

ja

ja

Festpreis

nein

ja

ja

Festpreis

nein

ja

nein

Festpreis

nein

ja

ja

Festpreis

Festpreis

1938/39

?

Festpreis

1940/41

1937/38 14,1

?

Selbstkosten

1939/40

1939/40 1

?

1935/36

1937/38 34,6

Festpreis (Richtpreis)

Festpreis

1941/42 2

Mehrgewinnteilung?

1940/41

1939/40

1937/38 18,4

Mehrgewinn

Selbstkosten

1941/42

1

Mindergewinn

1938/39

1942/43 1

Festpreisoder Selbstkostenvertrag?

nein nein

ja ja

ja ja

Festpreis

nein

ja

ja

Festpreis

nein

ja

ja

Festpreis Festpreis Festpreis Festpreis Festpreis Festpreis Festpreis Festpreis Festpreis Festpreis Festpreis Festpreis Festpreis

nein nein nein nein nein ja ? ? ?

nein ? ?

nein ?

ja ja ja ja ja ? ? ? ?

ja ? ?

ja ?

ja ja ja ja ja ? ? ? ?

ja ? ?

ja ?

29.09.2008 11:37:21 Uhr

302

7. Anhänge

7) Deutsche Sprengchemie GmbH (Sprengstoffe)

1937/38

Festpreis

1939/40

Festpreis

534,6

1940/41 1941/42 1937/38

8) Maschinen für Massenverpackung GmbH (Munition)

1

9) Orgacid GmbH

1

38,3

1938/39 1939/40 1940/41 1940/41

nein

Festpreis

ja

nein

?

?

ja

ja

ja

?

Festpreis

nein

ja

ja

Festpreis

nein

ja

ja

ja

ja

Festpreis Festpreis Festpreis Festpreis

nein nein nein nein

ja ja ja

?

ja ja

Festpreis

nein

ja

ja

10) Maschinenfabrik Donauwörth GmbH (Patronenhülsen etc.)

1937/38

Festpreis

nein

ja

ja

1938/39

Festpreis

nein

ja

ja

1939/40

Festpreis

nein

ja

ja

1940/41

Festpreis

nein

ja

ja

1941/42

Festpreis

nein

ja

ja

11) Havelwerk GmbH (Waffen)

1938/39

?

?

?

13 a) IG FarbenPachtanlage Schkopau (Vorprodukte für Sprengstoffe) 13 b) IG FarbenPachtanlage Wolfen (Vorprodukte für Sprengstoffe)

1

14,2

?

Festpreis

1940/41

12) Eibia GmbH für chemische Produkte (Pulver, Sprengstoff)

7. Anhänge 301-305.indd 302

10

1938/39

15,4

1937/38

Selbstkosten

1939/40

Festpreis

1940/41 1941/42

5

1

1

343,6

4,2

38,9

Selbstkosten Festpreis Festpreis

nein

ja

ja

nein

ja

ja

1938/39

Selbstkosten

1939/40

Selbstkosten

1940/41

Festpreis

nein

ja

ja

1941/42

Festpreis

nein

ja

ja

1940/41

Festpreis

nein

ja

ja

1941/42

Festpreis

nein

ja

ja

1942/43

Festpreis

nein

ja

ja

1943/44

Festpreis

nein

ja

ja

1940/41

Festpreis

nein

ja

ja

1941/42

Festpreis

nein

ja

ja

1942/43

Festpreis

nein

ja

ja

1943/44

Festpreis

nein

ja

ja

29.09.2008 11:37:21 Uhr

303

7. Anhänge 14) Kieselchemie GmbH (Pulver) 15) Lonalwerk GmbH (?)

1

3,3

2

29,8

16) Brandenburger Eisen­werke GmbH (Panzer)

2

17) Schieß AG (Munition)

1

18) Hanseatisches Kettenwerk GmbH (Patronenhülsen etc.) 19) CollisMetallwerke GmbH (Pa­tronen etc.) 20) Feinapparate-Bau GmbH (optisches Gerät) 21) Chemische Werke Harz-Weser (Gasmaskenkohle) 22) Trillke GmbH (Lichtmaschinen etc.)

84,7

13,3

1940/41

Selbstkosten

1941/42

Festpreis

1940/41

Selbstkosten

1941/42

Festpreis

1939/40

Faktisch Selbstkosten

1940/41

nein

ja

ja

nein

ja

ja

Festpreis

nein

ja

ja

1941/42

Festpreis

nein

ja

ja

1938/39

Festpreis

ja

1940/41

Festpreis

nein

ja

ja

Festpreis

nein

ja

ja

1939/40 1941/42 1937/38

1

17,8

5,9

1

5,7

23,5

ja

ja

?

1939/40

Festpreis

nein

ja

ja

1940/41

Festpreis

ja

nein

1941/42

Festpreis

nein

ja

ja

1938/39

Festpreis

nein

ja

ja

Festpreis

nein

ja

ja

1939/40 1940/41

1940/41 1941/42

1

ja

nein

1939/40 27,8

nein

Festpreis

1941/42

2

Festpreis

ja

1938/39

1937/38 2

Festpreis

Festpreis Festpreis Festpreis

Faktisch Selbstkosten Faktisch Selbstkosten Festpreis

1939/40

Selbstkosten

1940/41

Selbstkosten

1941/42

Selbstkosten

1939/40

Faktisch Selbstkosten

1940/41

Festpreis

?

nein nein

?

ja ja

ja

nein

nein

ja

? ?

ja

ja

Quellen: 1) Silva Metallwerk GmbH: BArch R 2301/5524 Bericht der Deutschen Revisions- und Treuhand AG über den Jahresabschluß 1936/37, Bl. 9, 75; BArch R 2301/5524 Bericht der Deutschen Revisi-

7. Anhänge 301-305.indd 303

29.09.2008 11:37:22 Uhr

304

7. Anhänge

ons- und Treuhand AG über den Jahresabschluß 1937/38, Bl. 121; BArch R 2301/5524 Bericht der Deutschen Revisions- und Treuhand AG über den Jahresabschluß 1938/39, Bl. 321ff; BArch R 2301/5525 Bericht der Deutschen Revisions- und Treuhand AG über den Jahresabschluß 1939/40, Bl. 77; BArch R 2301/5523, Bericht Zeidelhack über das Geschäftsjahr 1940/41 vom 9.12.1941; BArch R 2301/5523, OKH-Bericht über das Geschäftsjahr 1941/42 vom 11.12.1943, Bl. 74f; BArch R 2301/5523, OKH-Bericht über das Geschäftsjahr 1942/43 vom 1.2.1945, Bl. 102f. 2) Metall- und Eisen GmbH: BArch R 2301/5537 Bericht der Deutschen Revisions- und Treuhand AG über den Jahresabschluß 1938/39, Bl. 110; BArch R 2301/5537 Bericht der Deutschen Revisions- und Treuhand AG über den Jahresabschluß 1939/40, Bl. 24; Bl. 267, 280; BArch R 2301/5537 Bericht der Deutschen Revisions- und Treuhand AG über den Jahresabschluß 1940/41, Bl. 323f, 336f; BArch R 2301/5538 Bericht der Deutschen Revisions- und Treuhand AG über den Jahresabschluß 1941/42, Bl. 23; BArch R 2301/5538 Bericht der Deutschen Revisions- und Treuhand AG über den Jahresabschluß 1942/43, Bl. 80 3) Norddeutsche Motorenbau GmbH: BArch R 2301/5534, Bl. 11, 64; BArch R 2301/5539 OKH-Bericht zum 31.3.1942, Bl. 96f, 104; BArch R 2301/5539 OKH-Bericht zum 31.3.1942, Bl. 47, 52-54. 4) Märkisches Stahlformwerk GmbH: BArch R 2301/5543 Bericht Zeidelhack über die Geschäftsjahre 1938/39 und 1939/40 vom 9.1.1941, Bl. 174; BArch R 2301/5543 Bericht der Deutschen Revisions- und Treuhand AG über den Jahresabschluß 1940/41, Bl. 321; BArch R 2301/5544 Bericht Zeidelhack über das Geschäftsjahr 1941/42 vom 10.12.1942, Bl. 175. 5) Altmärkisches Kettenwerk GmbH: BArch R 2301/5517 Bericht der Deutschen Revisions- und Treuhand AG über den Jahresabschluß 1937/38, Bl. 113f; BArch R 2301/5543 Bericht Zeidelhack über das Geschäftsjahr 1938/39 vom 18.8.1939, Bl. 235f. 6) Gerätebau GmbH: BArch R 2301/5528 Bericht der Deutschen Revisions- und Treuhand AG über den Jahresabschluß 1937/38, Bl. 67,92; BArch R 2301/5528 Bericht der Deutschen Revisions- und Treuhand AG über den Jahresabschluß 1938/39, Bl. 114; BArch R 2301/5528 Bericht der Deutschen Revisions- und Treuhand AG über den Jahresabschluß 1939/40, Bl. 294, 356; BArch R 2301/554, Bericht über die Aufsichtsratssitzung, Bl. 283. 7) Deutsche Sprengchemie GmbH: BArch R 2301/5534 Bericht der Deutschen Revisions- und Treuhand AG über den Jahresabschluß 1937/38, Bl. 22; BArch R 2301/5533, OKH-Bericht vom 15.5.1941, Bl. 12; BArch R 2301/5335, Geschäftsbericht 1940/41, Bl. 262f; BArch R 2301/5535 Bericht der Deutschen Revisions- und Treuhand AG über den Jahresabschluß 1941/42, Bl. 6f. 8) Maschinen für Massenverpackung GmbH für 1937/38: BArch R 2301/5546 Bericht der Deutschen Revisions- und Treuhand AG über den Jahresabschluß 1939/40, Bl. 247, 342; Bericht Zeidelhack über das Geschäftsjahr 1939/40 vom 18.9.1940, Bl. 351; Aufsichtsratssitzung vom 13.10.1940, Bl. 354; BArch R 2301/5546 Bericht der Deutschen Revisions- und Treuhand AG über den Jahresabschluß 1940/41, Bl. 391; BArch R 2301/5545, Bericht Zeidelhack über das Geschäftsjahr 1940/41 vom 20.9.1941, Bl. 29. 9) Orgacid GmbH: BArch R 2301/5548 Bericht der Deutschen Revisions- und Treuhand AG über den Jahresabschluß 1941/42, Bl. 461. 10) Maschinenfabrik Donauwörth GmbH: BArch R 2301/5551, Bericht Zeidelhack über das Geschäftsjahr 1939/40 vom 18.11.1940, Bl. 326; BArch R 2301/5551 Bericht der Deutschen Revisions- und Treuhand AG über den Jahresabschluß 1939/40, Bl. 207; BArch R 23101/5549/I, Bericht über die Wehrwirtschaftsprüfung für 1940 vom 26.11.1941, Bl. 33f; BArch R 2301/5551, OKHBericht über das Geschäftsjahr 1941/42 vom 28.5.1943, Bl. 655f. 11) Havelwerk GmbH: BArch R 2301/5556 Bericht der Deutschen Revisions- und Treuhand AG über den Jahresabschluß 1937/38, Bl. 30f; BArch R 2301/5556 Bericht der Deutschen Revisionsund Treuhand AG über den Jahresabschluß 1938/39, Bl. 130; BArch R 2301/5556 Aufsichtsratssitzung vom 14.11.1940, Bl. 278; BArch R 2301/5557 OKH-Bericht über das Geschäftsjahr 1940/41 vom 27.2.1942, Bl. 29; BArch R 2301/5557 OKH-Bericht über das Geschäftsjahr 1941/42 vom 11.5.1943, Bl. 40f. 12) Eibia GmbH für chemische Produkte: BArch R 2301/5571 Bericht der Deutschen Revisionsund Treuhand AG über den Jahresabschluß 1938/39, Bl. 29; BArch R 2301/5571, Bericht Zeidelhack über das Geschäftsjahr 1940/41 vom 9.12.1941, Bl. 29; BArch R 2301/5571 Bericht der Deut-

7. Anhänge 301-305.indd 304

29.09.2008 11:37:22 Uhr

7. Anhänge

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schen Revisions- und Treuhand AG über den Jahresabschluß 1940/41, Bl. 370, 420f; BArch R 2301/5570, OKH-Bericht über das Geschäftsjahr 1941/42 vom 26.7.1943, Bl. 50. 13 a) IG Farben-Pachtanlage Schkopau: BArch R 8135/7538 Nachtragsbericht der Deutschen Revisions- und Treuhand AG über den Jahresabschluß zu den Werken Wolfen und Schkopau 1940/41, Bl. 1ff; BArch R 8135/7538 Bericht der Deutschen Revisions- und Treuhand AG über den Jahresabschluß 1942/43, Bl. 11; BArch R 8135/7538 Bericht der Deutschen Revisions- und Treuhand AG über den Jahresabschluß 1943/44, Bl. 13. 13 b) IG Farben-Pachtanlage Wolfen: BArch R 8135/7538 Nachtragsbericht der Deutschen Revisions- und Treuhand AG über den Jahresabschluß zu den Werken Wolfen und Schkopau 1940/41, Bl. 1ff; BArch R 8135/7538 Bericht der Deutschen Revisions- und Treuhand AG über den Jahresabschluß 1941/42, Bl. 11f; BArch R 8135/2061 Bericht der Deutschen Revisions- und Treuhand AG über den Jahresabschluß 1942/43, Bl. 16; BArch R 8135/2061 Bericht der Deutschen Revisionsund Treuhand AG über den Jahresabschluß 1943/44, Bl. 25; BArch R 8135/2061 Bericht der Deutschen Revisions- und Treuhand AG über den Jahresabschluß 1943/44, Bl. 25. 14) Kieselchemie GmbH: BArch R 2301/5582 Bericht der Deutschen Revisions- und Treuhand AG über den Jahresabschluß 1940/41, Bl. 26; BArch R 2301/5582 Protokoll über die 3. Gesellschafterversammlung vom 25.11.1942, Bl. 6; BArch R 2301/5582 Bericht der Deutschen Revisions- und Treuhand AG über den Jahresabschluß 1941/42, Bl. 80. 15) Lonalwerk GmbH: BArch R 2301/5579, OKH-Bericht über das Geschäftsjahr 1940/41 vom 17.2.1943, Bl. 12; BArch R 2301/5579, Bericht Zeidelhack über das Geschäftsjahr 1941/42 vom 12.4.1943; Bl. 106. 16) Brandenburger Eisenwerke GmbH: BArch R 2301/5569 Bericht der Deutschen Revisions- und Treuhand AG über den Jahresabschluß 1939/40, Bl. 29ff; BArch R 2301/5569 Bericht der Deutschen Revisions- und Treuhand AG über den Jahresabschluß 1940/41, Bl. 185; BArch R 2301/5568 Bericht der Geschäftsführung für das Jahr 1941/42, Bl. 109 17) Schieß AG: BArch R 2301/5563 Bericht der Deutschen Revisions- und Treuhand AG über den Jahresabschluß 1938/39, Bl. 10; BArch R 2301/5563 Bericht Zeidelhack über das Geschäftsjahr 1939/40 vom 15.3.1941, BArch R 2301/5563 Bericht der Deutschen Revisions- und Treuhand AG über den Jahresabschluß 1941/42, Bl. 224. 18) Hanseatisches Kettenwerk GmbH: BArch R 2301/5559 Bericht der Deutschen Revisions- und Treuhand AG über den Jahresabschluß 1937/38, Bl. 8, BArch R 2301/5559, Bericht Zeidelhack über das Geschäftsjahr 1937/38 vom 3.3.1939, Bl. 115; BArch R 2301/5559 Bericht der Deutschen Revisions- und Treuhand AG über den Jahresabschluß 1938/39 Bl. 173, Bericht Zeidelhack über das Geschäftsjahr 1938/39 vom 4.11.1939, Bl. 286f; Bericht Zeidelhack über das Geschäftsjahr 1939/40 vom 10.12.1940, Bl. 524; BArch R 2301/5558, OKH-Bericht über das Geschäftsjahr 1941/42 vom 3.6.1942, Bl. 25f. 19) Collis-Metallwerke GmbH: BArch R 2301/5553 Bericht der Deutschen Revisions- und Treuhand AG über den Jahresabschluß 1937/38, Bl. 9; BArch R 2301/5553 Bericht der Deutschen Revisions- und Treuhand AG über den Jahresabschluß 1938/39, Bl. 121; BArch R 2301/5554 Bericht der Deutschen Revisions- und Treuhand AG über den Jahresabschluß 1939/40, Bl. 25; BArch R 2301/5552, Bericht Zeidelhack über das Geschäftsjahr 1940/41 vom 21.11.1941, Bl. 67, BArch R 2301/5554, Niederschrift über die Wehrwirtschaftsprüfung vom 7.-26.1.1942, Bl. 148; BArch R 2301/5552, Bericht Zeidelhack über das Geschäftsjahr 1941/42 vom 16.3.1943, Bl. 85. 20) Feinapparate-Bau GmbH: BArch R 2301/5576 Bericht der Deutschen Revisions- und Treuhand AG über den Jahresabschluß 1939/40, Bl. 33, Bericht der Deutschen Revisions- und Treuhand AG über den Jahresabschluß 1940/41, Bl. 165f, 171; Bericht Zeidelhack über das Geschäftsjahr 1941/42 vom 27.1.1943, Bl. 362 21) Chemische Werke Harz-Weser: BArch R 2301/5578 Bericht der Deutschen Revisions- und Treuhand AG über die Jahresabschlüsse 1939/40 und 1940/41; Bericht Zeidelhack über das Geschäftsjahr 1939/40 vom 14.9.1940, Bl. 3; Bericht der Deutschen Revisions- und Treuhand AG über den Jahresabschluß 1941/42, Bl. 81. 22) Trillke GmbH: BArch R 2301/5566, Bericht Zeidelhack über das Geschäftsjahr 1939/40, Bl. 7ff; Bericht Zeidelhack über das Geschäftsjahr 1940/41, Bl. 28

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8. Abkürzungsverzeichnis AIAG Aluminium-Industrie AG ALCOA Aluminum Company of America A.V.C. American Viscose Company BA-MA Bundesarchiv-Militärarchiv BArch Bundesarchiv BGB Bürgerliches Gesetzbuch Bl. Blatt BUHAG Bergbau- und Hütten AG bzw. beziehungsweise CWH Chemische Werke Hüls BRABAG Braunkohle-Benzin AG cts cents DAF Deutsches Arbeitsfront d.h. das heißt DKAG Duisburger Kupferhütte AG gal Gallone HA Hoechst Archives HA Krupp Historisches Archiv Krupp HIB Heereseigene Industriebetriebe Hoko Hochkonzentrierte Salpetersäure HWA Heereswaffenamt Ib Pound = 0,45359 kg i.d.R. in der Regel IG IG Farben AG i.S. im Sinn jato Jahrestonne Jg. Jahrgang kg Kilogramm LSÖ Leitsätze für die Preisermittlung aufgrund Selbstkosten bei Leistungen für öffentliche Auftraggeber M.G. Metallgesellschaft Mio. Million Montan Verwertungsgesellschaft für Montanindustrie mbH moto Monatstonne Mrd. Milliarde NS Nationalsozialismus OKH Oberkommando des Heeres OWK. Oberkommando der Wehrmacht S. Seite Tab. Tabelle to Tonne RdL Reichsminister der Luftfahrt RGBl. Reichsgesetzblatt RHO Reichshaushaltsordnung RLM Reichsluftfahrtministerium RM Reichsmark Rpf Reichspfennig RWB Wirtschaftsbestimmungen für Reichsbehörden

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8. Abkürzungsverzeichnis RWM RWWA VAW versch. VGF Vgl. VIAG WASAG Wifo z.B.

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Reichswirtschaftsministerium Rheinisch-Westfälisches Wirtschaftsarchiv Vereinigte Aluminiumwerke verschiedene Vereinigte Glanzstoff-Fabriken AG vergleiche Vereinigte Industrieunternehmen AG Wesfälisch-Anhaltinische Sprengstoff AG Wirtschaftliche Forschungsgesellschaft mbH zum Beispiel

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9. Archiv- und Bestandsverzeichnis BASF-Archiv Bayer-Archiv (BAL) Bundesarchiv Berlin (BArch) R 2 (Reichsfinanzministerium) R 2 Anh. Restverwaltung des ehemaligen Reichsfinanzministeriums R 3 (Rüstungsministerium) R 43 II (Reichskanzlei) R 13 XII (Wirtschaftsgruppe Chemische Industrie) R 87 Reichskommissar für die Behandlung feindlichen Vermögens R 121 (Industriebeteiligungsgesellschaft) R 2301 (Reichsrechnungshof) R 3101 (Reichswirtschaftsministerium) R 3112 (Reichsamt für Wirtschaftsaufbau) R 8119 F (Deutsche Bank) R 8128 (IG Farben AG) R 8135 (Deutschen Revisions- und Treuhand AG) Bundesmilitärarchiv Freiburg (BA-MA) RH 8 I (Heereswaffenamt) RW 19 (Chef des Wehrwirtschafts- und Rüstungsamtes) Historisches Archiv der Dresdner Bank Historisches Archiv Krupp (HA Krupp) Hoechst-Archives (HA) Rheinisch-Westfälischen Wirtschaftsarchiv (RWWA) 66 (Duisburger Kupferhütte AG) 195 (Vereinigten Glanzstoffwerke AG) Stadtarchiv Ludwigshafen Giulini-Bestand

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10. Literaturverzeichnis W. Abelshauser (1999), Kriegswirtschaft und Wirtschaftswunder. Deutschlands wirtschaftliche Mobilisierung für den Zweiten Weltkrieg und die Folgen für die Nachkriegszeit, in: Vierteljahreshefte für Zeitgeschichte 1999, S. 503 – 538 W. Abelshauser (Hg.) (2002 a), Die BASF. Eine Unternehmensgeschichte, München W. Abelshauser (2002 b), Rüstungsschmiede der Nation? Der Kruppkonzern im Dritten Reich und in der Nachkriegszeit 1933 bis 1951, in: L. Gall (Hg.), Krupp im 20. Jahrhundert. Die Geschich­te des Unternehmens vom Ersten Weltkrieg bis zur Gründung der Stiftung, Berlin 2002, S. 267 – 472 W. Abelshauser/J.-O. H./W. Plumpe (Hgg.) (2003), Wirtschaftsordnung, Staat und Unternehmen. Neue Forschungen zur Wirtschaftsgeschichte des Nationalsozialismus. Festschrift für Dietmar Petzina zum 65. Geburtstag, Essen Akten der Reichskanzlei, Regierung Hitler, Bd. II: 1934/35 Akten der Reichskanzlei, Regierung Hitler, Bd. III: 1936 G. Ambrosius (1990), Staat und Wirtschaft im 20. Jahrhundert, München G. Ambrosius (2000), Von Kriegswirtschaft zur Kriegswirtschaft (1914 – 1945), in: M. North (Hg.), Deutsche Wirtschaftsgeschichte. Ein Jahrtausend im Überblick, München 2000, S. 282 – 351 G. Ambrosius (2001), Staat und Wirtschaftsordnung. Eine Einführung in Theorie und Geschichte, Stuttgart H. Aubin/W. Zorn (Hgg.) (1976), Handbuch der deutschen Wirtschafts- und Sozialgeschichte, Bd. 2, Stuttgart M. H. Avram (1929), The Rayon Industry, New York J. Bähr/D. Petzina (Hgg.) (1996), Innovationsverhalten und Entscheidungsstrukturen. Vergleichende Studien zur wirtschaftlichen Entwicklung im geteilten Deutschland 1945 – 1990, Berlin J. Bähr/R. Banken (Hg.) (2006), Wirtschaftssteuerung durch Recht im Nationalsozialismus. Studien zur Entwicklung des Wirtschaftsrechts im Interventionsstaat des „Dritten Reichs“ (im Erschei­ nen) I. Bagel-Bohlan (1975), Hitlers industrielle Kriegsvorbereitungen 1936 – 1939, Koblenz A. Barkai (1998), Das Wirtschaftssystem des Nationalsozialismus. Ideologie, Theorie, Politik 1933 – 1945, 3. Aufl., Frankfurt a. M. C. Bartels (1988), Das Erzbergwerk Rammelsberg, Goslar R. Bauer (1941), Zellwolle siegt, Leipzig W. Becker (1936), Die deutsche Mineralölwirtschaft, Diss., Berlin W. Benz (2000), Geschichte des Dritten Reiches, München G. Berg/F. Friedensburg (1941), Kupfer (Die Metallischen Rohstoffe, 4. Heft), Stuttgart G. Berg/F. Friedensburg (1950), Blei und Zink (Die Metallischen Rohstoffe, 9. Heft), Stuttgart W. Birkenfeld (1964), Der synthetische Treibstoff 1933 – 1945, Berlin F. Blaich (1987), Wirtschaft und Rüstung im „Dritten Reich“, Düsseldorf P. H. Boeddinghaus (1931), Die Konzentration in der Kunstseidenindustrie, Diss, Köln H. Bode (1986), Die Entwicklung des Chemiefaserbereichs der Filmfabrik Wolfen von 1935 bis 1945 (Aus der Geschichte der Filmfabrik Wolfen, 59), Wolfen H. G. Bodenbender (1939), Zellwolle. Kunstspinnfasern, 3. vermehrte und neubearbeitete Auflage, Berlin F. Böhm (1937), Die Ordnung der Wirtschaft als geschichtliche Aufgabe und rechtsschöpferische Leistung, Berlin J. Boehmer (1943), Gesprengte Rohstoff-Fesseln, Kohle, Erze, Holz, Steine und Erden, Berlin W. Boelcke (1985), Die Kosten von Hitlers Krieg: Kriegsfinanzierung und finanzielles Kriegserbe in Deutschland 1933 – 1948, Paderborn

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10. Literaturverzeichnis

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10. Literaturverzeichnis

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10. Literaturverzeichnis

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11. Tabellenverzeichnis Tabelle 1: Entwicklung der Montan-, Wifo- und Luftfahrtpachtanlagen nach ihrem Anschaffungswert (Mio. RM)....................................................................35 Tabelle 2 Gewinnzuschläge bei der Glycerinproduktion der IG-Pachtanlagen Wolfen und Schkopau...................................................................................................41 Tabelle 3: Die Preisgestaltung in privatwirtschaftlich betriebenen Heereseigenen Industriebetrieben.................................................................................42 Tabelle 4 Die Effizienzsteigerung des HIB Brandenburger Eisenwerke GmbH 1939 – 1943......45 Tabelle 5: Hypothesen zum Verhalten der DKAG in Abhängigkeit ihrer Preiserwartung............61 Tabelle 6: Erwartungen und adverse Selektion bei der Duisburger Kupferhütte AG 1935 – 1942......................................................................62 Tabelle 7: Gemeinsamkeiten und Unterschiede der Vertragstypen...............................................83 Tabelle 8: Risikoeinschätzung, Vertragstyppräferenz und Vertragsdurchsetzung bei Bunawerken..........................................................................................................102 Tabelle 9: Die Investitionen in Fischer-Trosch- und Hydrieranlagen (Stand Ende 1943) und ihre Aufteilung in freiwillige, staatliche und Zwangsgründungen laut Literatur................................................................................................................109 Tabelle 10: Der Anteil von Zwangsgründungen, staatlichen und privatwirtschaftlichen Unternehmen an der Finanzierung von Hydrier- und Fischer-Tropsch-Anlagen im Dritten Reich (Stand Ende 1943)...........................................................................123 Tabelle 11: Finanzierungsanteile nach Herkunft bei Hydrier- und Fischer-Tropsch-Anlagen im Dritten Reich (Stand Ende 1943).................................124 Tabelle 12: Treibstoffselbstkosten (1932 – 1941) und Berechnung der Autobenzinkosten in Leuna ab 1936 auf Basis der ausgewiesenen Minder- und Mehrkosten 1936 – 1941 (RM/100 kg)...........................................................................................129 Tabelle 13: Risikoeinschätzung, Vertragstyppräferenz und Vertragsdurchsetzung bei Hydrier- und Fischer-Tropsch-Anlagen................................................................138 Tabelle 14: Hohlkörperproduktion (to) und bewilligte Neuinvestitionen im Bereich Schmiedepresswerke (RM) bei Krupp 1930/31 – 1940/41..........................................140 Tabelle 15: Auftragsbestand (Mio. RM) der Maschinenfabrik Froriep GmbH am 24.6.1937 und seine Aufgliederung in Nachfragergruppen innerhalb der jeweiligen Erfüllungsfristen..................................................................142 Tabelle 16: Auftragsbedingte Absicherung des Amortisationsrisikos der Kapazitätserweiterungen bei der Froriep GmbH und der Dr. Waldrich KG.........147 Tabelle 17: Produktionskapazitäten und Selbstkosten (Rpf pro kg) verschiedener Gruppen potentieller Fettglycerinproduzenten...........................................................152 Tabelle 18: Selbstkosten der Glycerinproduktion in den IG-Farben-Pachtanlagen Wolfen und Schkopau (Rpf pro kg.............................................................................154 Tabelle 19: Mengen und Gestehkosten bei der Produktion hochkonzentrierter Salpetersäure in IG-Eignen Anlagen und in IG-Pachtanlagen 1938 – 1942................159 Tabelle 20: Chemiefaserproduktion in Deutschland 1933 – 1943..................................................165 Tabelle 21: Internationale und nationale Preisentwicklung bei Textilrohstoffen (1928 = 100)....194 Tabelle 22: Tatsächliche und hypothetische Chemiefaserproduktion in Deutschland..................198 Tabelle 23: Anlagebedingte Größenvorteile bei der Zellwolleproduktion....................................202 Tabelle 24: Der Erklärungsanteil höherer Rohstoffkosten pro kg B-Zellwolle an den um Abschreibungen verminderten höheren Kosten der regionalen Produzenten im Vergleich zur Spinnfaser Kassel AG (%)..........................................206 Tabelle 25: Die Entwicklung von Rohstoffverbrauch und -kosten der Thüringischen Zellwolle AG pro kg Zellwolle...........................................................210

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11. Tabellenverzeichnis

Tabelle 26: Der Erklärungsanteil des technischen Humankapitalmangels an dem geringeren Cashflow der Rheinischen Zellwolle AG im Vergleich zur Sächsischen Zellwolle AG (%)........................................................215 Tabelle 27: Anteil der Ausschussproduktion der Rheinischen Zellwolle AG (%) und ihre absolute Rohstoffkostendifferenz im Vergleich zur Sächsischen Zellwolle AG (Rpf pro kg Zellwolle......................................................216 Tabelle 28: Rohstoffkosten und Erlöse der Spinnfaser Kassel AG und der Sächsischen Zellwolle AG (Rpf pro kg Zellwolle)...............................................220 Tabelle 29: Die Entwicklung der Arbeitsproduktivität bei der Gewerkschaft Mechernicher Werke 1925 – 1930........................................................227 Tabelle 30: Die Entwicklung der Arbeitsproduktivität und der Selbstkosten bei der Unterharzer Berg- und Hüttenwerke GmbH 1924 – 1930...............................228 Tabelle 31: Die Selbstkostenentwicklung der Zinkoxydproduktion der DKAG 1927 – 1931.......228 Tabelle 32: Die Rationalisierung der deutschen Kupferhütten 1923 – 1927..................................229 Tabelle 33: Gewinn und Cashflow der Aluminiumproduktion 1934 – 1938 im Gemeinschaftsunternehmen der Metallgesellschaft AG und der IG Farben AG in Bitterfeld in Prozent des Anlagekapitals.........................................228 Tabelle 34: Gewinn und Untergrenze des Cashflows der VAW-Aluminium- und Tonerdeproduktion 1935 – 1943 in Prozent des Anlagekapitals.................................240 Tabelle 35: Die Wettbewerbsposition der deutschen Zinkerzproduzenten auf dem Weltmarkt 1932.............................................................................................243 Tabelle 36: Die Wettbewerbsposition der deutschen Bleierzproduzenten auf dem Weltmarkt 1932.............................................................................................244 Tabelle 37: Überschreitung- und Unterschreitung des Weltmarktpreises durch die Selbstkosten bei großen deutschen Blei- und Zinkerzproduzenten und der Blei- und Zinkerzgewinnung weltweit (in Prozent der Gesamterzeugung) 1932 und 1934............................................................................................................245 Tabelle 38: Die kontrafaktische Wettbewerbsposition der deutschen Zinkerzproduzenten auf dem Weltmarkt 1932............................................................247 Tabelle 39: Erzvorräte der wichtigsten deutschen Zinkerzgruben 1932 in Jahren........................249 Tabelle 40: Weltmarktpreisentwicklung und kontrafaktische Wettbewerbsfähigkeit deutscher Zinkerzproduzenten....................................................................................249 Tabelle 41: Die kontrafaktische Wettbewerbsposition der deutschen Bleierzproduzenten auf dem Weltmarkt 1932.............................................................................................250 Tabelle 42: Erzvorräte der wichtigsten deutschen Bleierzgruben in Jahren..................................250 Tabelle 43: Weltmarktpreisentwicklung und kontrafaktische Wettbewerbsfähigkeit deutscher Bleierzproduzenten.....................................................................................251 Tabelle 44: Weltmarktpreis und Selbstkosten zuzüglich Normalhüttenlöhne der Zinkoxydproduktion der DKAG und der Kupferhütte Ertel, Bieber & Co. 1935 – 1938 (RM/to)...................................................................253 Tabelle 45: Weltmarkthüttenlöhne und Hüttenlöhne der Berzelius Metallhütten GmbH bei der Zinkproduktion von 1935 – 1939 (RM/to).....................253 Tabelle 46: Zur kontrafaktischen Wettbewerbsfähigkeit der Zinkoxydproduktion der DKAG und der Kupferhütte Ertel, Bieber & Co. 1935 – 1938 (RM/to)...............255 Tabelle 47: Korrigierte Weltmarkthüttenlöhne und potentielle Hüttenlöhne der Berzelius Metallhütten GmbH bei der Zinkproduktion von 1935 – 1939...................256 Tabelle 48: Die Ursachen der Selbstkostensteigerung der Kupfergesellschaft.............................261 Tabelle 49: Tatsächliche und hypothetische Aluminiumproduktion in Deutschland....................264 Tabelle 50: Selbstkosten der deutschen Aluminiumhersteller und ihre tatsächliche und kontrafaktische Wettbewerbsfähigkeit im Vergleich zur ALCOA 1935 – 1937..........267 Tabelle 51: Variable Kosten des Aluminiumwerks Bitterfeld/Aken 1937 – 1943 bei konstanten Tonerde- und Strompreisen von 1939.................................................268 Tabelle 52: Auslastung der VAW-Aluminiumkapazitäten 1936 – 1943.........................................268

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11. Tabellenverzeichnis

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Tabelle 53: Der Einfluss der Tonerde- und Strompreisentwicklung auf die Selbstkostenentwicklung bei der VAW 1937 – 1943 bei unterstellten konstanten Faktorpreisen des Jahres 1939..................................................................269 Tabelle 54: Tatsächliche und korrigierte Selbstkostenentwicklung bei der VAW 1939 – 1943.....270 Tabelle 55: Die Unwirtschaftlichkeit der Gewinnung von Tonerde aus deutschen Rohstoffen (RM pro to).............................................................................271 Tabelle 56: Formale Vertragsabschlüsse der IG-Farben bei staatlich gewünschten Kapazitätserweiterungen verschiedener Produkte......................................................278 Tabelle 57: Staat besitzt kein Verfahrens-Know-how....................................................................288 Tabelle 58: Staat besitzt das Verfahrens-Know-how.....................................................................288 Tabelle 59: Vertragsprognosen, falls nur die Privatwirtschaft im Besitz des Know-hows ist.......290 Tabelle 60: Vertragsprognosen, falls auch der Staat im Besitz des Know-hows ist......................290 Tabelle 61: Rahmenbedingungen und Zukunftserwartungen der Investitionen in die betrachteten Branchen.......................................................................................291 Tabelle 62: Vertragsprognosen und tatsächliche Vertragswahl in Autarkie- und Rüstungsbranchen 1933 – 1945...................................................................................297

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12. Schaubildverzeichnis Schaubild 1: Darlehen aus Haushaltsmitteln für Handel, Gewerbe und Industrie 1932 – 1943.....71 Schaubild 2: Die Wettbewerbsfähigkeit von Buna S zu Naturkautschuk nach dem Vierstufenverfahren 1937 – 1944...............................................................91 Schaubild 3: Inputverbrauch in den Bunawerken Schkopau und Hüls 1941 – 1944 (pro Einheit Buna S)..................................................................................................93 Schaubild 4: Gasölpreise im Deutschen Reich und auf dem Weltmarkt 1928 (1930) – 1939 (RM).................................................................................................105 Schaubild 5: Benzinpreise im Deutschen Reich und auf dem Weltmarkt 1928 – 1939 (RM)...... 106 Schaubild 6: Kautschukpreise im Deutschen Reich und auf dem Weltmarkt 1928 – 1939 (RM) 107 Schaubild 7: Auto-, Flugbenzin- und Dieselproduktion in Leuna 1928 – 1941 (jato)..................128 Schaubild 8: Die Wettbewerbsfähigkeit von Hydrierautobenzin.................................................131 Schaubild 9: Benzinpreis pro Rohölpreis auf dem Weltmarkt 1928 – 1938.................................132 Schaubild 10: Gesamt-, Auslandsumsatz und Auftragsbestand der Maschinenfabrik Froriep GmbH 1926 – 1940.....................................................................................144 Schaubild 11: Auftragsbestand, Gesamt- und Auslandsumsatz der Maschinenbaufabrik Dr. Waldrich KG 1932 – 1937 (Mio. RM)...............................................................145 Schaubild 12: Tatsächliche und potentielle Glycerinproduktion aus Unterlaugen im Deutschen Reich 1928 – 1935 (jato)...................................................................149 Schaubild 13: Glycerinverbrauch und -produktion im Deutschen Reich 1928 – 1935...................151 Schaubild 14: Gewinne in der deutschen Zellwolleindustrie 1935 – 1944.....................................177 Schaubild 15: Untergrenze des Cashflows der deutschen Zellwolleindustrie im Vergleich zur synthetischen Treibstoffindustrie in Prozent des Anlagekapitals......................200 Schaubild 16: Untergrenze des Cashflows der Rheinischen Zellwolle AG und der Sächsischen Zellwolle AG im Vergleich zur synthetischen Treibstoffindustrie in Prozent des Anlagekapitals...................................................209 Schaubild 17: Forschungs- und Entwicklungsausgaben der IG Farben AG für Zellwolle (Mio. RM)...............................................................................................................214 Schaubild 18: Durchschnittserlöse deutscher Zellwollehersteller 1936 – 1944..............................215 Schaubild 19: Verbrauch und Produktion von Blei im Deutschen Reich 1924 – 1944...................226 Schaubild 20: Zinkproduktion und -verbrauch im Deutschen Reich 1924 – 1944.........................226 Schaubild 21: Kupferproduktion und -verbrauch im Deutschen Reich 1924 – 1944.....................227 Schaubild 22: Verhüttung und Raffination von Kupfer im Deutschen Reich 1925 – 1938............228 Schaubild 23: Die mangelnde internationale Wettbewerbsfähigkeit der Kupfergesellschaft........254 Schaubild 24: Index der Minernförderung und der Kupferproduktion der Kupfergesellschaft 1933 – 1944 (1933=100............................................................255 Schaubild 25: Jährliche Verlustausgleichssubventionen und Investitionen bei der Kupfergesellschaft 1932 – 1943...............................................................................256 Schaubild 26: Aluminiumpreise und Selbstkosten der deutschen Produzenten 1928 – 1943.........261

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